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Sammlung gemtinoerftönMiriicr

miffenff^a|tlt(|er Vorträge,

IjerauSgegeben non

9tub* SBirdjotti unb gt. &♦ §ol^cnborff*

XL Serie.

£eft 241—264.

ßrrliit SW. 1876.

Verlag »ott 6 a r l § a b e l. (8. 8. Jfiidrritj'fific ficrfansEmlfmiulfung.)

3* JBtlbflm: eitaet 33.

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3nf)rtUS«;Bevje«<f)mft bcr XI. Serie.

Wfl «cit<

Kleefelb, Ser Siainant. Stit 17 $oljid)nitteu . . . 1—38

342/243. ftlucf f)of)U, 31 u g u ft , Suife, Königin oon 'fkeufseit.

SRit bem 2filonifi bec Königin 39—108

244. Sipfcbife, Kubolf, Sebeutung bcr tf)eorettf$en Sie»

tfianif 109—140

245/246. Jurt n> än g l c r, 21 b o l f , 33er Sornauöneber unb ber Knabe mit ber ®anä. Gntrourf einer ®ef(f)i(^te ber ©enrebilbnerei bei ben ©riechen. 5Rit 2 §oljf(^nitten . 141 244

247. £artmann, Kob., 3)ie menfcbcnäf)nli<ben 2tffeti. 3Rit

12 $>olifdjnitten 245—298

248. Kaumann, Gmil, Snö golbene 3eitalter ber ion*

funft in Senebig 299—346

249. *> o r ro i c ; , 31., 3ur Katurgefd)icf)te ber ©efüble . . 347—386

250. V u ebner, ffiilbelm, 33er 'JU)ein, ber Seutfcben Sieb»

lingöftrom 387 422

251. 3 i 1 1 e l , Karl 31., Sie Ärcibe. 2)1 it 4 §ol}fcbnitten . 423—460

252. Ofenbrüggen, Gbuarb, Sie Sdjroeij in bett 3Batt»

belungen ber 31eu.;eit 461—500

253. 3Röbl, ^cinritb, Ser 93obeti unb feine Seiftimmung 501—536

254. io Hin, <£>enri, Gbaralterbilb äJlicbnel «eroet'ö . . 537 584

255. Scbro immer, Gm ft. Sie erften 2lnfänge ber >$eil»

funbe unb bie Stebijin im alten 2legnpten .... 585 630

256. Sebmibt, 2>obanneä» Schiller unb Kouffeau . . 631—678

257. 31 n cf) b o 1 5 . K., Sanb unb Seute in Sßeftnfrila . . . 679 - 726

258. Sabebecf, St., GntioirfelungOgang ber ©rabmeffungö»

3lrbeiten. i'lit einer Ueberfirfjtölarte ber beutfeben ©rab» meffung4=3lrbeiten 727—770

31‘ *30S

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IV

£ffi 6cii<

269. 95Ief)liS, 6., Ser SUfjcin unb bet Strom ber ßultur in Selten: unb Mömerjeit. SHt einer Sorte beä 5R§cin< tffoleä 771-814

260. 351# nt er, 3-, Ueber 3Jluf$eln, gdjneden unb per«

roanbte 2ßei$tl)iere 815—858

261. Stricfer, SBilfjelm, ©ötfje unb JJranlfurt a. 351.

Sie Scjiefiungen beS Sicf)terä ju feinet Saterftabt . . 869—914

262. Sieger, 91. 33., Sie 351inat}affa ouf ßelebeä . . . . 915—946

263. 2 r o f i e n , 6., Üefftng’ä 31at(|an ber ffieife .... 947 978

264. 9!öggeratt), ©uftao 9lbolpfj, Sie 9l$at:3nbuftrie

im Clbenburgifdjen gürftentljum 93irlenfetb .... 979-1010

3(f) bitte ju beamten, bafi bie Seiten ber §>efte eine hoppelte 'Paginirung Ijoben : oben bie Seiten.jnf)! bes einjelnen §efte3, unten unb jroar einge» Hämmert bie fortlaufenbe Seiten}afjl ber Serie (beS 3a§tgangeS).

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$n JHdmant

Son

Dp. cÄffcfcfb

in ©cilty. ,

üttit 17 ^Dljf^nitten.

t

flttlin SW. 1876.

Setlag »on (Jarl £ a b e l.

(€. <£. tnilfriti’j^t UrrlagsbotJitjanÄInng.)

33. SBilttlm. Stritte 33.

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£>a§ SKcifrt her Ucbcrftfcung in frembe ©praßen wirb »orbcfyaltfn.

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/4^er «Diamant ift nicht nur berjenige Gbelftein , ber »on je* bet am haften gefcbäjjt »urbe, er ift auch »on allen ©bei» ftcinen bet merfrmirbigfte.

Grfcbeint e8 nid)t »unberbar, bafj biefer burctjficbtigfte unb glängenbjte allet (Steine djemifdf) nichts anbetS ift al8 jener aK* nerbreitete Stoff, ben wir al8 ben f<b»ärjefteu unb f^mufcigften fennen, bie Äotye unb baff ttof} bet emftgften gorfd^ung atJet 3eiten unb SBölfer, welche bie Gntftebung bet meiften an» betn Gbelfteine fo noüftänbig flat gelegt bat, baf; fie auf fünft» liebem SBege mit allen ihren Gigenfehaften bernorgebradbt »erben fennen, bie Gntftebung be8 «Diamanten beute noch fo unbefannt ift, ba| e8 nitbt einmal feftftebt, ob et überhaupt ein ^robuct be8 ÜJtineralreich« ift, ober nicht »ielmebr bem ?)flangenteicbe angebett wie bet SBetnftein.

£)et «Diamant ift bet einzige Gbelftein, bet nicht au« mehreren (Elementen jufammengefefct ift. Gr ift ein einfacher Körper unb beftebt au« reinem Noblen ftoff.

@4°“ Newton b“tte au8 bet ftatfen Strahlenbrechung be« «Diamanten ben genialen Sdjluf; gejogen, bat; et ein brenn* barerer Äörper fein muffe, boch »ährten bie »iffenfdjaftlicbett SBetjudbe uorgugSmeife in Stören^, SBien unb $)ari8 noch 2 Saht* bunberte, ehe ber gto§e fratrjöftfdje Gbemifet gaooifiet 1776 ja

XI. 241. 1* (*>

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§)ariß bie djemifdje fRatur beß SDiamanten aufjer 3®eifel fteUte. &x oerbrannte ihn tu reinem @auetftoffgaß , geigte, bafj baß Siet» brennungßprobuct jtoblenfäure fei, unb baf) alfo bet SDiamant nidljtß anberß fei alß Äetylenftoff.

@8 erfdpeint heute auffallenb, bafj eine 200jährige Arbeit erforderlich mar, um eine fo einfache unb präciö gefteüte Btage gu löfen: ob ber SDiamant brennbar fei ober nicht, gumal bet Jjietgu nothmenbige £i£egrab gar nicht fo außerordentlich fyod? ift.

SDer ©runb biefer auffaUenben @rfd)einuug liegt barin , baß man oer ber großen epochemachenden (Sntbecfnng beß ©auerftoffß burcb 0d)eele unb %)riftlep feine flare ($infid?t in baß SBefen beß Skrbrennungßprogeffeß ^atte unb haben fonnle. 3ahl*eiche Sier* juche, bie mit uuoerpadften SDiamanten angeftellt mürben, fpradjeu für feine 33rennbarfeit, mie benn fdjon 1694 bie Academia del Cimento in Floreng einen SDiamanten im ftocuö eines S3renn» fpiegelß oerbrannte. Sludh in Siegeln nicht gang luftbidjt oet» pacfte ^Diamanten oetfdjmanben , menn fie lange genug einem ftarfen ©djmelgfeuer außgefeßt mürben; bcm aber fdjienen eben» fooiel Skrfudje entgegenguftehen , bei melden, in ihren Siegeln gut oerpadfte, SDiamanten bie Feuerprobe beftanben, unb fidß unoerfefyrt miebetfanben. SDamalß founte man ftd) biefen Söiber» fprud) nicht erflären , bet heute nid)tß auffallenbeß hat, mo jebet» mann meiß, baß gu bem fPtogeß, ben mit Sktbrennungßprogeß nennen, bie Slnmefenpeit beß ©auerftoffß notproenbig ift , mit meinem ja bet oerbrennenbe Körper eine cpemifdje Sierbinbung eingeht, unb baß alfo ein folget 5>rogeß nicht oor fidj gehen fann, menn man oon bemfelben bie atmoßphärifche 8uft, unb damit ben in berfelben enthaltenen ©auerftoff oollftänbig ab* fdjließt.

SDie peroonagenbfte (Sigenfdjaft beß SDiamanten ift feine £ärte. &x ift ber härtefte aller @belfteine, unb bamit überhaupt <<)

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tu bärtefte aller unß befannten .Körper. Schon ben iSlten war biete feine (Sigenfchaft befannt, ba fie aber, bem Stanbe ber ba« maligen ph^ficalifchen jlenntniffe entfprecbenb, nrdbt wußten, baß rin harter .Körper fpr ober fein fann alß ein niel weicherer, fc perfiden fie in ben 3trthum ju glauben, baß, weil ber Dia* mant ber Ijärtefte .Körper fei, er auch nid)t jwifchen Jammer und ätnbcß jetftblagen werben fönne. Die (Summe ber .Kennt» niffe, bie baß ^Itertbum (©riechen unb fRömer) über ben Dia» manten gewonnen Ratten, ift in bet fRaturgefchiibte beS $)liniuß (Hist. nat. 37, 15) enthalten unb bilbet ein wunderliche? ©e» mifch non Wahrem unb #albwahrem, nerbunben mit fo wiber* finnigen fabeln, baß auffaDenb erfdjeint , wie man fie fo lange glauben fonnte. $Miniuß fagt:

„ben größten $>teiß unter ben menfdjlichen gingen, mißt nur unter ben ©belfteinen , bat bet Diamant, lange nur ben Königen , unb unter biefen auch nur wenigen befannt. (St wirb wie daß ©olb in ben Setgwerfen gefunben , aber feiten; ein Begleiter beß ©olbeß, unb fchien fid) nur im ©olbe ju erzeugen. (Sß giebt 6 9lrten, barunter ftnb bie inbifchen unb arabifchen non unaußfprecßlicber .£)ärte, auf ben 52mboß gelegt ftcßen fte ben Schlag beß £ammerß fo gurücf, baß (Sifen unb 8mbc8 in Stiicfe jetfpringen, aud) baß geuer befiegen fte, benn niemalß werben fie h^fe»1) baher bet tftame adnmas, waß im ©riecßifeben „unbezwingbar" Reifet (a. privativum unb daftäCw bejwingen). Diefe SORadjt über Stahl unb geuet wirb burch Socfßblut gebrochen, aber nur wenn fie burdj frifcheß unb watmeß gebeizt finb, unb auch fo erft nach Dielen Schlägen, unb immer noch Jammer unb Slmboß fprengenb. 9lur ein ©ott fann biefeß unermeßliche ©eßeimniß bem SRenfcßen mitgetbeilt babfn- ö«b wenn nun fo her Diamant gliicflicb

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jum SReifjen gebracht wirb, fo jerfpringt er in fo fleine Stüde, bafj man fie faum fefyen fann.“

5)aS fchlimmfte hierbei war, baff man biefc oermeintliche ©igenfdjaft beS SDiamanten als bie bequemfte unb fid^erfte sJ)robe auf feine Grdjtfyeit anfab, unb gewifc fo mannen auf bem 2lm» bo8 jetfdjlug, unb bie Stüde als wertlos wegmarf. SDenn ob» gleich ber 5)iamant bcr bärtefte aller befannteu Körper ift, b. b- oon feinem anbetn Äßrper geriet werben fann, fo gerfpringt er boch ziemlich leidet wegen feinet großen Sprßbig* feit bei ftarfeu ^ammerfcblägen. Springt bod) auch bie bflrte ©laSfcheibe bei einem Stofje, bem bie »iel weitere genfterlabe aus Jannenbolj wegen ihrer größeren ©lafticität miberftebt.

iHbet nicht b!o§ gertrümmern in regellose Stüde läfjt ftd^ bet ©iamant burcb ^efti^en Schlag, er ift auch unbefdjabet feiner aufterorbentlichen £ärte fpaltbar unb gwat parallel ben glasen eineö OctaeberS (Achtflächner), ber fomit a!8 bie eigentliche ©runbform ber »erjdjiebenen ÄrpftaUfovmen an^ufeben ift, in benen ber JDiamant gefunben wirb. JDie Steinfdmeiber machen non biefer ©igenfdjaft einen feljr oortbeilbaften ©ebtauch, inbem eS ihnen baburch gelingt, bem rohen 35iamanteu »iel fchneUer bie beabficbtigte §orm ju geben, als bieS burch baS febr geit* raubenbe Sfbfchleifen mit IDiamantftaub (2)iamantbort) möglich fein mürbe. 2)aS Cctaeber (§ig. 1.) ift auch inber SLb^t bie» jenige ÄrpftaUform , in welcher ber SDiamant in Dftinbien unb am Äap am ^äufigften gefunben wirb, bie anbetn Ärpftaüformen, tn benen et auch auftritt, ftub als aus biefer ©runbform abge» leitete anjufeben, fo baS SH^ombenbebefaeber (9tautenjwölffläcbner) (§ig. 2.), in welcher gorrn et in Srafilien am baufigften oor» fommt, unb bie feltneren formen SBürfel unb Jetraeoer (33ier» flächner) (§ig. 3.). Aber ade ÄrpftaDformen beö SDiamanten jeigen al§ befonbere (Sigent^ümlidjfcit , ihre flächen immer mehr ober w

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weniger gugerunbet (gewölbt) , wäijrenb bie anbern frpftaflifirten $ig. i. gig- 2.

«Kineralien mit feltenen 3(u8nabmen nur burdj grabe Slawen begrengt ftnb (gig. 4, 5, 6).

gig. 4. Big- 5- Big- ß.

2)odj tjaben bei weitem nidjt ade ©iamanten biefe auSge*

bilbeteu Ät^ftaQ formen, oiele werben alö mefyt ober weniger

Pt

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8

fugeiförmige ober audj al8 gang unregelmäßige ©tücfe gefunben. 9lber auch tu biefen ift bie ÄrtoftaKform fo gu jagen unfitbtbar enthalten, weil auch fte fid> in berjelben SBeife fpaltbar geigen, wie bie auSgebilbeten Dctaeber, unb in feiner anbern.

<Da8 fpecififcbe @ewid)t be8 «Diamanten ift 3,5 b. b- er ift 3 ’/, mal fo ferner als ein gleiches 33olum SSaffer, unb feine SluflöfungSmittel, jelbft bie fd^ärfften ©äuren nicht, »ermögen ihn aufgulöfen, wäfyrenb bodj wenigftenB bie glußfäure bie meiften anbern ©belfteine gerftört.

©ewößnlid) ift ber «Diamant meßr ober weniger farblos unb burdjfidjtig, unb in je ßöljerem ©rabe er biefe ©igenfebaft befißt, befto höbet ift fei« S53erttj.

33ollfommen farblofe unb burcbfidjtige diamanten nennt man „com 1. SSaffer". 3n bie gweite, weniger wertvolle klaffe, „com 2. SSaffer" rangiren biejenigen farblofen «Diamanten, bie fleine gebier, glecfen unb bergleidjen haben, wäbrenb fchwacb gelbliche fowie auch folche farblofe «Diamanten, bie febr fidjtbare gebier haben, in bie britte Älaffe geboren unb «Diamanten »om 3. SSaffer genannt werben.

9u8nabm8weife aber, unb als bödjfte ©eltenbeiten fommen audb lebhaft gefärbte «Diamanten (unb gwar in allen garben) »ot, unb biefe werben fowobl ihrer ©eltenbeit, als ihrer ©cbön* beit wegen noch weit höbet begabt als bie ©teine »om l.SBaf* fer. ©o befißt bie <£>ergogin »on 9tew*©aftle einen blauen SDia* manten »on ber garbe be8 fd)5nften ©apbitö, ba8 grüne ©e* wölbe in SDreSben einen grünen, fRußlanb einen rnbinrotben «Diamanten, ja e8 fommen fogar fdjwarge ^Diamanten , unb gwar »on fo tief febwarger garbe »or, baß bie «Durdjficbtigfeit gang »erloren gegangen ift, unb folche ©teine nur an ben Äanten burdjfcbeiueu. IDiefe fdjwargen «Diamanten werben befonberS auf ber 3nfel S3orneo gefunben, habe« ben eigentümlichen (»)

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Diamantglang in i)djem @rabe, unb finb noch härter alß bie anbern Diamanten, fo baß fie nur mit bem ©taube non fcbwargen (Diamanten, nicht mit gewöhnlichem Diamantbort gefcbliffen wer* ten fönnen.

2BiQ man einen Diamanten auf feine »ellfommene gatb* Iejigfeit unterjudjeu, fo legt man ihu auf rein weißeö Rapier, auf welchem auch bet leifefte ©tich inß gelbliche, ben ber ©tein etwa hat, ficb bemerfbar macht, ©elbftoerftänblich fann biefe uufc bie folgenbe ^rcbe uut au ungefaßten Diamanten gemacht werben, unb ein Jt’enner wirb wettßüoflere Diamanten überhaupt nicht laufen, ohne fie gunäcbft ohne ihre gaffung gu prüfen.

©dien früher war baTauf ßingewiefen, baß eorhanbene gletfen unb ©prünge ben SSertß beß ©teineß erheblich oermin* bern. Sei bem ftarfen Sidjtbrechungßoetmögen beß Diamanten nun fann leicht gefcheßen , baß burcb bie zahlreichen Facetten, bie ber Schleifer bem ©teine gab, ein fehler nidjt gleich bemerft wirb. (Hm leicßteften fcßüßt man fi<h gegen einen felchen 3rr* thum, wenn man ben ©teiu in eine glüffigfeit legt, beren Sicht* brechungßoermegcn bem beß Diamanten möglicßft nahe fcrnrnt. @ine felthe ift baß ßaffiaöl, bet ©chwefelfchlenftoff unb baß ©ajafraßöl.

3ft bet Diamant fehlerlos , fo wirb er in ber glüfjigfeit faft unficfatbar fein, wol aber wirb man jeben fPitnft, jeben ftlecf, jeben ©prung, ben ber ©tein etwa l>at , beutlid) feßen.

@äbe eine glüffigfeit, bie baß Süßt genau ebenfo ftar! bräche wie ber Diamant, io würbe er biß auf feine gehler in berfelben gar nicht gu feßen fein , aber eine folche giebt nicht, tenn bet Diamant ßat ebenio baß ftärffte Sidttbrechungßoermögen, wie er bie größte £ärte befißt.

Sei Senußung biefer fPrüfungßmethoben wirb felbft bem Saien giemlich leicßt fein, ben wahren SSertß gefcßliffener Dia*

(»)

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10

manten gu emitteln, fe^r jdjwer aber ift biefe ©rmittelung bei ben rofyen , uitgefdjUffeneu ©feinen. Um biefe richtig gu tapiren, ift 3al)re lange Uebnng erforberlid), unb audj bann nod) werben 3rrti)ümer nid)t immer gu »ermeibeu fein. @8 fommt bie© baljer, baj) bie rofyen “Diamanten oft ein unanfef)nlid)e8 fäeufeereS Ijaben, weil iljre Oberfläche häufig raul) unb non einer mefjr ober we* niger unburd)ftd)tigen , riffigen unb Moderigen {Rinbe (casco) umgeben ift.

@8 wirb baburd) ein ^alb metallifdjev , in8 33leigraue über* geljenber ©lang ber Oberfläche her»orgebrad)t. $Dal)er ift e8 oft unmöglich, bei einem eingelnen ©tein oorljetgufageu, ob er ge* fdjliffen, oom erften SBaffer fein wirb, unb bie .£)änbler fönnen ftd) nur baburd) »er SSerluften fdjüjjen, bafc fie nur au8nal)m8* weife eingelne ©teilte, gewöhnlid) größere §)artl)ien faufen, unb $Durd)fd)nitt8preiie bega^Ien.

2)ie ©igenfdjaften, wegen beren ber SDiamant allgemein fo Ijodjgefdjä&t wirb, fein ©lang, fein yrad)töolle8 garbenfpiel (fein geuer) treten erft baburd) beutlid) ^eroor, baj) er nad) beftimm» ten Siegeln in gewiffe t>ielfläd)ige formen „gefdjnitten" unb bann jebe gläd)e (gacette) mit JDiamantftaub polirt wirb.

5)ie ©rfinbung biefer Äunft wirb gewöfyulid) Subwig oan 33erquen au8 Sörügge in glanbern gugefdjrieben, ber fie im 3al)re 1456 erfunben ^aben foU. 2)ie8 ift jebod) nidjt gang richtig, benn au8 ben 23efd?retbungeu , bie burd) ©riedjen unb {Römer auf un8 gefommen finb, mufj angeuommen werben, bafj ihnen wenigftenS bie Äunft, bie natürlidjen glasen be8 SDia* manten gu poliren, nid)t unbefannt war, wiewohl fid) über bie £ed)nif feine 5Rad)*id)ten erhalten ^aben, »ieüeicbt weil fie al8 ©eheimnifi nur oon SBenigen gefannt unb geübt würbe. ©8 finb uod) ljeute fold)e “Diamanten erhalten, bie in einer feljr frühen 3«t bearbeitet würben, meift Dctaeber=ÄraftaUe, bereu (10)

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natürliche gläcßen polirt pnb. 3Ran nennt folcße (Diamanten ©pißfteine, unb bie ßeute nocß torßanbene Sgtajfe am Äaifcrmantel ÄarlS beS ©roßen ift mit folgen 35iamanten ge* jiert.

2lu8 bem 3aßre 1373 liegen beftimmte Otacßricßten tor, baß eS in Nürnberg (Diamantenpolirer gab, bocß aucß über ißte üecßnif ift nichts befannt. Slucß in ^>ariö mürbe biefelbe geübt unb oertoOfommt, bis bann im Safyre 1456 ber oben genannte Submig »an 33erquen babutcß eine tollftänbige (Retolution im 55iamantenßanbel ßertorrief, baß er Die Äunft entbecfte, bie (Diamanten mit gaßlreicßen regelmäßigen Facetten ju tetfeßen. S5iefer gortfcßritt gegen ben bisherigen ©tanbpunft bet (Diamanten* icßleiferei mar aUerbingS ein fo bebeutenber, baß eS erf(ärlid) er* fcßeint, mie bie Beitgenoffen ifubmig »an öerquen gtabegu als ben ©rfinbet berjelben anfaßen.

Der mätßtige unb pracßtliebenbe Jperjog non Surgunb, .Karl bet Äüßne, ließ meßtere feßt fcßöne unb große ©iamanten bei ißm fcßneiben unb fcßleifen, ton benen groei, ber ©ancp unb Florentiner, nocß ßeute ejriftiren, unb ben 35emeiS liefern, mel* cßen ßoßen ©rab bet (BoDenbung ©erquen erreicht ßatte.

©eine ©cßület ließen pcß in 3>ati8, SlnterS unb 3lmfter* bam nieber, bocß ßat bie 35iamanteufcßleiferei mebet in 9)ari§, nocß in SÄnterS ficß bauernb einer gefunben SBlütße erfreuen tonnen, troß bem bie pracßtliebenben (Regenten FrantreidiS tiel tßaten um pe gu unterftüßen.

@o ließ ber ©atbinal SRagarin 12 große 35iamanten beS frangöpfcßen' ÄronfcßaßeS ton $)arifer SDiamantenfcßneibern neu fcßneiben, bie unter bem fRamen ber 12 9Ragarin8 berüßmt mären, ton benen aber im 3aßte 1774 nur nocß einet torßan* ben mar.

35er ©runb, meßßalb mebet in ^)atiS nocß in SlnterS bie

(u)

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SDiamantenftleiferei baurenb gefciel), ift wohl ber, baf) nur an einem Drte, ber ein 3£eltanbel8pla§ ift, immer non neuem bie nötige 3otjl roher SDiamanten gu haben ift, nnb baff befjalb 8lmfterbam feine (Soncurrenten balb nnb bauernb überflügelte.

©d)on feit längerer 3eit ift biefer Snbuftriegweig faft gang »on ben ?lmfterbamer Suben monopolifirt, beren 10,000, non ben in biefer ©tabt norhanbenen 28,000, birect ober inbirect bet bem JDiamantenbanbel beteiligt finb. lieber 500 fBlüljlen werben bort burd) JDampf getrieben unb »etforgen Die gange SBelt mit ben glüngenben ©leinen.

(58 haben fit nun int Saufe ber Sahtunberte gwei §or* men al§ bie gwecfmäfcigften berau8gefteHt, bie man bem ©iaman* ten giebt, weil fie am beften geeignet finb, jeben gidjtftrabl, ber ben ©tein trifft, aud) wieber heraus gu werfen, unb baburdj fein „^euer* gu erhöhen. 35iefe beiben formen finb ber 93r illant unb bie 9Ro fette.

Um einen SMamanten gu einem ©riDanten gu maten, wirb ibm guerft burd) ©palten bie ibm eigentümliche ÄrnftaÜform, be8 DctaebcrS gegeben. S)enft man fitb nun bie Slcbfe biefeS aufrett« ftebenbeu DctaeberS non ber obern gur untern ©pifce in 18 gleiche Sheile geteilt ($ig. 7), fowirb oon ber obern Jpälfte 5/,8, non ber

Sifl 7.

untern ber gangen 2lcbfe burt ©ägen ober ©cbleifen entfernt,

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baburch entfielt eine obere größere ftlätfee, bie Stafel unb eine Heine untere, bie „Palette". £Die 8inie, bie ben Umfang bet quabratifdjen gläche bilbet , in welker bie obere unb untere $älfte beSDctaeberS fid) berühren, Reifet bie „{Runbifte" (giq.8.) @o erhält bet Dbertheil beS ©teineS genau bie halbe «£)ö^e beS UntertheüS, unb bie Stafel hat */9 beS üDurchmcfferS bet {Runbifte. ©obann »erben fowohl am Dbertheil, als am Untertheil beS früheren DctaeberS regelmäfeige Facetten angef c^ttffen (§ig. 9), unb gwat heifeen 8ig- 8- 8*9* 9-

biejenigen ©ternfacetten , »eiche am Dbertheile mit einer ©eite bie 2a fei begtengen, bie anbern Duerfacetten. SRacb ber Slngahl biefer Facetten nun unterfcheibet man ben bteifachen {Brillanten, an beffen Dbertheil fid? 3 {Reihen Baretten (32) gaifefeen 2afel unb {Runbifte, am Untertheil gmifefeen Palette unb {Runbifte in gwei {Reifeen 24 Facetten bilben (im ©angen alfo 58) unb ben 2fadj«n 23riQanten, bet aufeer gjiobe unb weniger »ertheoD ift, unb am Dbertheil nur 16 Baretten in 2 Leihen , am Untertheil 8 12 gacetten gleichfalls in 2 {Reihen hat.

(Sin als S3riHant gefchnittener ©tein »irb immer ä jour gefaxt, b. h- fo , bafe bie Unterfeite beS ©teineS non ber Raffung nicht oerbeeft ift.

{Der ©atbinal SRagarin liefe guerft ©iamauten in Sriüant* form fdjleifen, unb feit biefer 3 eit ift fie im Söefentlichen unner* änbert geblieben, nur bafe man oft burdj bie §orm beS rohen

(13).

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©teinß, unb burd) ben SBunfch, möglicbft wenig beß wertbooDen SJlaterialß gu oerlieren, gezwungen wirb, fte etwaß gu mobifi* ciren. ©o witb bie Stunbform eineß brillanten, an bem man »on ben Scfen beß Octaeberß nur wenig wegnimmt, mehr qua* bratifd? fein, bagegen adjtecfig, wenn man bie Seien ftärfer ab» ftumpft. ©o lann bie gorm bet SRunbifte fidf balb einem -Streife, balb einem ©oal näbetn, unb barin befielt ootgugßweife bie -ft'unft beß ©iamantenfcbleiferß , am toben ©teine gu beftim» men, welche biefer QJtobificationen für ibn gerabe am »ortbeil* bafteften fein witb.

©ie gweite beute nod) gebräuchliche gorm, in bet bet ©iamant gefdbnitten witb, ift bie 9t o fette, auch 9tofe ober Staute genannt, ©ie ift feit 1520 im ©ebraudj, unb ift ihrer wefentlicben gorm nach eine |>albfugel, an beten Oberfläche 2 9ieiben gacetten an* gefehlten finb, beren obere in eine ©pi£e gufammen laufen (gig.10). Sine »oWommene Diofette ift halb fo bo<h % 3)urd)tneffer unb geigt am Oberteil („Ätone") 6 bteieefige gacetten, an bie fid) bie gweite 9teibe bet gacetten (18) anfcblie&t, fo bah bie gange 9tofette, ba ihre ®timbfläd)e alß in bet gaffung ftecfenb nicht mitgäblt, 24 gacetten bat (gig. 11). §lucf> bei biefet Schliff form giß. io. gig. ll.

unterfdfeibet man mannigfache Sitten unb SJtobificationen, unb auch fie ift gut geeignet, bie SBorgüge beß ©iamanten alß @d)mucf= ftein oortbeilbaft betwriteten gu laffen. 3b« ©runbfotm ift am beften runb , hoch fommen auch ooale oor.

©et ©iamöntenfebneibet wählt biefe gotm bann, wenn bet

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rc^t ©ianiant gar gu Biel ton feinet SERaffe einbüfjeu müßte, um gum ©ritlanten gefd)nitten gu werben. Uebrigcn6 fteht bie Soiette bem SriQanten im greife bebentenb nach, inbem bei gleichem (Gewicht bet leitete 60 pro ©ent mehr foftet. Bu ben fRoietten gählt man aaä) bie 33riolett8, bie man gu £>br8e* bangen unb betgl. gerne anwenbet, unb bie man fid) als 2 an btt ©runbflädje mit eiuanber Betbunbene IRofetten benfen fann. $ie ichorc früher genannten berühmten 2 SMamanten, bie 8ub* rrig Ban Serguen |'d)nitt, bet glorentiner unb bet ©ancp, haben bicfe gotrn.

fßerfen wir nun einen 33lid auf bie $anbgriffe, butd) bie e8 gelingt, biefem ^ärteften aller irbifdjen ©toffe fo regelmäßige gönnen gu geben. 3unächft wirb ber tobe 2)ia« mant auf bem Äittftocf feftgefittet unb nur bet SLljeil beß ©teineS frei gelafjen, bet weggefpalten werben fotl. hierauf wirb et mit einem anbern j<barfen IDiamanten fo lange gerieben bis eine feine gurdje eingerißt ift, in biefe ein fdjarfet ftäblernet 9Jiei« §el gefeßt unb auf biefen in bet beabfid)tigten Ötidjtung ein f<bnellet ftarfer ,$ammerf<htag geführt. 3ft bie fRtd)tung einer bet Cdaebetflächen getroffen, fo f paltet ba8 ©tüc! leidet unb glatt ab, aber man ftel)t wol ein, wie oiel Hebung bie8 33er* fahren erfotbert. 3uweilen ift e8 {djcn recht fcßwer, bem oft gang fotmlofen rohen ©tein angufthen, in welcher JRidjtuug bie Spaltungsflächen liegen, unb ein Srrthum in biefer 23egiebung lann leicht ben ©tein fdjmet befdjäbigen.

2>aher wirb in ben gätlen, wo bet beabsichtigte ©djnitt bnrch ben ©tein feiner feiner ©paltrichtungen entspricht, ober tto biefe nicht mit Sicherheit gu ermitteln finb, ba8 3erfägen angewenbet, eine Arbeit, bie freilid) feine ©efaßr für ben ©tein hat, aber in ©rabe geitraubenb ift.

$)a8 SBerfgeug, mit welkem ba8 3etfägen gefdjieht, ift ein

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feinet ©tahlbraht, bet in einem fleiuem Sanbiägebogen au8ge* fpannt ift unb mit ©iamantbort betrieben wirb, bae man oer* her mit etwas Baumöl aufeuchtet.

$at nun burd? biefe arbeiten bet ©tein bie beabfid)tigte §orm erhalten, fo felgt guerft eine Vorarbeit für ba8 ©d)lei* fen, welche grauen ober graumadjen ljei§t, unb junädjft an ber bitrd) ©palten ober Sagen gewonnenen ©runbform bie grö§ten ber beabfidjtigten Facetten erzeugt. 3u biefem 3wecfe werben 2 möglichft gleiche ©iamanten an Äittftöcfen befeftigt unb genau mit ber ©teile an einanber |in unb l)er gerieben, an bet jeber eine gacette erhalten foll. 2luf biefe SSeife feilt gewiffermafcen einer bem anbern bie Facette an, unb ba§ babei abfallenbe Aulner wirb forgfältig gefammelt.

©inb auf biefem mübenoDen 2Bege bie £aupt«8acetten hergefteUt, fo |at nun ber ©iamant annähernb bie $orm. bie er f pater behält, aber im Uebrigen wenig 9lel)nlidjfeit mit einem gefdjlijfenen ©iamanten. ©r |at feine ©urchfichtigfeit eingebüfct unb geigt eine graue , etwas metallifdj glänjenbe Oberfläche. ©rft burd) ba8 Schleifen ober ^oliren erhält er bie ©urchfichtigfeit wieber. ©ie8 gefc^ieljt auf ben fogenannten 9Jiü|len, runben ©Reiben non Stahl, bie mit grofjer ©efchwinbigfeit |etumge* bre|t wetben unb mit ©iamantbort, welkes burch Dlioenöl an* gefeuchtet wirb, beftrichen finb. @8 wetben nämlich *>h gu fdhleifenben ©iamanten mit ©djneQloth an metallenen ©täben befeftigt unb in eine mechanifchc Vorrichtung gefteeft, welche e8 geftattet, bie ©teile be8 ©teineS, bie gef^liffen werben foll, mit einet 33elaftung non 4 ^)funb auf bie ©djleiffdjeibe gu brüefen, unb f obalb fie hinlänglich abgefchliffen ift, burch eine fleine ©rehung , bie burch einen 3eiget auf’8 ©enauefte gemöffen werben fann, bie ©teile bet nädjften gacette auf bie ©cheibe gu brüefen. Such bei biefem Ztyik ber Arbeit wetben gewöhn*

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!id) 2 ©feine gugleidj gefdjliffen, inbem fie einanber gegenüber an einer unb berfelben ©djleiffd?eibe befeftigt »erben.

Sßeldjer ftaunen8»ettl)e ©rab »on Reinheit unb ®d)ärfe burd) biefe ^ülfömitfel, »orgugSweife aber burdj bie jahrelange Uebung non bcn 55iamantfd)leifern erret^t »irb, ba8 beweift bie SL^atfad^c, baß auf ber $)arifet SuSftellung im 3al)re 1855 in ber nieberlänbifdjen Slbtheilung JRofetten »on einer foldjen Äleinbeit auSgeftent »aren, baß 1500 auf ba8 Äarat gingen, unb bie bennod) unter bem fBlicroöcop eine regelmäßige 9lnorb= nung ber gacetten geigten. 55urd) biefe fabrifmäßige Drganifation beS 55iamantfd)Ieifen§ finb bie greife für biefe Arbeit außeror* bentlid? billig , benn »on ben gang fleinen JRofetten , »on benen bis 1000 auf ein Äarat gehen, unb bie gum ©infaffen größerer ©belfteinc »erwenbet »erben , »irb ba$ ©tücf mit 40 'Pfennigen »erlauft.

23on ben 58 Facetten , bie ein »oüfommcner breifad)et 23ril= lant hai> »erben ge»ül)nlid) 18 burd) ®d)neiben unb ©rauen, bie anbern 40 burd) ba§ Schleifen h^oorgebratht.

55er gum ©djleifen gebrauste ©iamantftaub , „Siamant» bert," »irb tt)eil§ au§ gang rohen 55iamanten gewonnen, bie fo fd)lcd)t unb fehlerhaft finb, baß fie fid) nicht gum ©chleifen eignen, theilö au8 ben ©plittern, bie »on ben bearbeiteten guten ^Diamanten abgefprengt unb abgefägt »erben, ©ie »erben in fDlörfern »on gehärtetem Stahl gum feinften ©taube gerieben. 55iefe 9Jtörfer finb cölinberifdj geformt , unb ber gleichfalls ftäh* lerne Stempel füllt bie Höhlung fo »ollftänbig auS, baß nichts »on bem foftbaren ©taube hwauäfpringen lann. 25iefe8 55iamant= pul»er ift grau bis fd)»ärglich unb erlangt ein befto bunflereS, faft metallifdjeS §lnfel)en, je feiner eS ift. S5a6 Äarrat beffelben »irb immer noch mit 4—5 Shlr. begatilt. ©iefeS ©ernidit, baS ^tarat, ift nämlich baSjenige, nach H-’eldjem feit 3ahrl)unberten

XL 241. O (17)

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nidjt nur bie ©iamanten, fonbern bie (äbelftetne überhaupt »er* lauft werben. ©aß 5gort fommt »on bem Flamen einer Ärt Sonnen, bie in Stfrifa warfen unb »on ben (Singebornen „Äuara" genannt werben, unb bie im troefenen 3uftanbe alle annäljernb baffclbe ©ewidjt haben, nämlid) ‘205 SJliOigtamm. ©8 ift auffallenb genug, bafj man fidj grabe bei biefem foftbarfteu aller ©toffe aud) heute nod) mit einer ©emichtßeinheit behilft, bie ihren wilben Urjprung unb alle fdjlimmen folgen beffelben nit^t »erleugnen fann, währeub bei allen anbetn ©ingen im Saufe ber 3ahrhunberte bie ©emichtßeinheiten wechfelten, unb immer genauer unb beffet ^ergefteKt würben. ©et f^limmfte Uebelftanb ift nämlich ber, bafe jebe größere «Stabt ein »on an» bern abweidjenbeß jfarat hat. ©o wiegt baß Äarat in Slmboina unb gloreng 197 9J?iHigramm, in iKmfterbam, $)ariß, Sonbon unb 23erlin 205, in SRabraö 207, in 8i»orno 215 ÜJlilligramm, unb um gang Keine ©ewidjtSunterfdjiebe »on 3ehntelmilligrammen ift überall »erft^ieben.

©8 märe wol enblid) an ber 3eit unb läge jefct, wo baß @rammgewid)t überall eingeführt ift, rec^t nahe, bie alte @e« widjtßeinheit beß Äaratß gang fallen gu laffen, ober wenn man fid^ bagu nic^t entfdjliefjen will, wenigftenß baß Äarat überall auf genau 200 SJtitligramm feftguftetlen.

3Baß nun ben fPreiß ber ©iamanten anlangt, fo hat et gwat häufige unb bebeutenbe ©chwanfungen burchgemadht, bar» in aber hat fid) niemals etwaß geänbert, bafj bet ©iamant auch gu ben3eiten, in benen fein $>teiß am tiefften ftanb, bodj immer ber foftbarfte aDet ©toffe blieb.

3m Uebtigen rietet fid) fein SBerth, wie ber jebet SBaate, nad) Angebot unb Nachfrage.

SSlß gum Seifpiel Anfang ber breifjiger 3atjre biefeß 3ahr* hunbertß ©on ^)ebro bie 3«nfen ber Srafilianifdjen ©taatßfd^ulb (i*)

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nach Sonbon in diamanten bejahte, ging ber *})reiß fe^r erheb- lich herunter unb heb fidj erft nach Salden roieber. Stegen große Äronungßfeierlichfeiten becor, fo fteigert fid) bet S>teiß, in 3eiten großer jpanbelßftifen, ober wenn burd) neue (äntbecfungen bie i'rcbuction 3unimmt, finft er.

3ur 3«it ift bet SBertlj eineß SÖrillanten erfien SBafferö non 1 Äarat 80 einet Siofette 50 S^lt. ©teilte 2. SBafferß finb erheblich billiget.

die größte Siecolution aber im SSertlje bet diamanten hat grabe je$t ftattgefunben.

war nämlich eine uralte Siegel, ba§ bet SBertl) bet dia* manten im Ouabrate itjrer ©rohe juua^m, baß Ijei&t alfo . bah trenn ein Brillant con 1 Äarat 80 Sl^lt. foftete , ein foldjer ren -2 Äatat nic^t 2x80, fonbern 2x2x80, alfo 4x80, einet oon 3 Äarat 9x80 £l)lr. roerth war. diefe Siegel trirb geiröljnltcb, trietrol)! mit Unrecht, bie dacetnierfche Siegel genannt, nach bera ftanjöfifchen Abenteurer ÜTacetnter , bet in bet 2. Jpälfte beß 17. 3ahthunbertß mehrere male Afien unb eorjuggaeife 3nbien bereifte, ©belfteine faufte unb nach ©utopa brachte, unb con bem mit über bie bamalß im Orient »othanbenen diaman- ten fehr merthcolle Siadjrichten haben. SDiefe Sacernierfche Sie- gel (bie aber 3ahrhunberte oor ihm in 3nbien ©eltung hatte) ift nun burd? ben Umftanb, bah feit 1871 am Äap fehr riet diamanten unb gmat ein fehr hch” ?>rocentfah grober dia- manten gefunben mirb, coDftcinbig umgeftofsen morben. mirb fe$t nur bie Äaratjahl einfach mit 80 Ühlt- multiplicirt, fo bah alfo ein 23riüant con 10 Äarat , ber cor 5 3abren 8000 Ztjlr. galt, he»le nur noch 800 $hh- werth ift, rcährenb Heine dia- manten con 1 jfarat unb barunter biß jefct noch if^en alten §>reiß behaupten.

die ÜJänber ber @rbe, in benen fich diamanten finben, finb

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33orberinbien, bic 3nfeln Sumatra unb 93orneo , 23rafilien einige fünfte 97orbamerifaß, ber Ural, Sluftralien unb in neue* fter 3eit baß Äaptanb. 3nbien tft fdjon im grauen Slltet* tljum burd? jeinen JReidjtijum an Siamanten berühmt gewefen, unb bie Stußbeljnung beß Siamanten füfyrenben ©ebirgeß ift Ijier eine feljr grofje.

Sber alle bie jaljlreidjen (Steden, an benen fyier Siaman* ten gewonnen werben, finben fid) auf ber öftltcfyen Jpälfte ber Sefan*#albinfel (33orber*3nbienß). SDie ©ebirgßjdndfyt, in wei* djer fyiet bie Siamanten gefunben werben, ift eine jüngere Sdjidjt aufgejdjwemmten SJobenß, ein Konglomerat auß gerunbeten Äiefeln, eine Sanbfteinbrectie, unb gwar fornmen bie Siaman* ten nur in einer etwa einen §ufi mädjtigen 2age biefeß ©ebir* geß »or, bie non einer feften Sanbfteinfdjidjt überlagert wirb, unb auß einem fdjönen ©emenge non rotten unb gelben 3aßpiß* ftücfen , Duatgen, Kljalcebonen nnb »erfdjiebenfatbigen ^)orn* fteinen befteijt, bie burdj ein quargigeß 33inbemittel gufammenge» littet ftnb. 21 biefer Sdjidbt gewiunen bie Singebornen 3n* bienß feit nielen Safyrljunberten bie Siamanten, inbem fie bie* felben entweber burdj einen jiemlidj regellofen Tagebau auffdjlie* fjen unb bie Siamant füfyrenbe Sd)idjt außwafdjen, ober inbem fie bie Sbelfteine an beu Ufern unb in bem Sanbe berjenigen glüffe fudjen, weldje biefe Sd&idjt butdjbrodjen, unb fomit fdjon einen Sfyeü ber Arbeit oerridfjtet Ijaben.

3lel)nlict> wie in 3nbien ift baß Sotfommen ber Siamanten auf ben Snfeln Sumatra unb 23orneo , auf welker letjtereu ner* tjältnifjmäjjig Ijaufig fetyr fööne fdEjwarge Siamanten gefunben werben.

3m 3al}te 1727 würben bie Siamantenlager Sörafilienö entbedt unb malten halb ben iubifdjen Siamanten auf bem SBeltmarft eine bebeutenbe Koncurrenj. Wan ijatte in ben bor*

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tigen @olbwäfd)en fdjon lange bie glängenben ©teine gefunben, fie aber a!8 wertljlog fertgeworfen, ober bödjftenß alß ©piel» raaifen benufct , big im genannten Safjre 23etnarbino gonfefa £pbe, bet in Dftinbien rolje ^Diamanten gefeljen batte, bie Steine als foldje erfannte, fidj eine 5Jtenge berfelben oerfdjaffte unfc nad) Portugal jum SBerfauf bradjte. ^ierbutd) mürbe bie Sufmerffamfeit auf bie ©rafilianifdjen 2)iamantengruben gejogen, unfc bie (Sutopaifdjen J^änbler , bie bie Sntwerttjung i^ret au8 Snbien begogenen SBorrätbe fürsteten, nerbreiteten baS 93Rärdje«, bafc bie aStafilianifdjen SMamanten nur bet fdjledjte $u8f<bu§ bet Snbiftfyen 35iamanten feien , bie man nadj bet ^ortugieftfdjen Seflfcung in Snbien, @oa, unb non ba nadj Stafilien fdjitfe. Sbet bte $)ortugiefen fc^rtetc bie ©ad^e um. ©ie fe^icften bie SrafUianifdjen «Diamanten nadj @oa unb non bort nad) S3en* galen, wo fte alß Snbifdje nerfauft unb bejaht würben. 9tac^ unb n ad) würben in 93rafilien immer neue gunborte non £>ia* manten entbecft, unb bie Üluöbeute übertraf halb weit bie ber altberüljmten «Diamantengruben SnbienS. 2)et ©efammertrag aller «Diamantenbegirfe SBrafilienß bis gum Safjre 1850 wirb auf 10 9JliIlionen .Karat, alfo 44 (Sentner gefdjatjt, ju einem ©eiammtwertf) non 105 SKidionen ü^aler. «Dennod; ift ber witfliebe SBcrt^eil, ben baß 8anb non biefen ©djafien ^at, ein fe^r zweifelhafter , unb ber berühmte ^ortugiefifdje SDtinifter 9Ratqui8 be $>ombal nerbot fogar eine Seit lang bie weiteten ütadjferfdiungen, weil er mit Sftedjt bie dtadjtljeile für ben Sldetbau, bie befte Duelle De8 2anbe8reid)tbum8, fürstete.

S5ie Arbeit wirb in Srafilien burdjgebenbS oon ©etanen »errichtet , unb fie ift unter ben ©trollen ber tropifdien ©onne eine unerme&litbe unb mörberifdje. Oft frif<bt bie $>eitfdje be8 Stuf« je^erß bie erfdjlaffenbe S^atfraft ber ©clanen auf, unb niele er» liegen ben 3lnftrengungen.

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©ann mußten fftegetjagb unb Sclarenhanbel bie gasreichen Südfen triebet füllen.

©abei ftnb trotj allet angetrenbeten Borficbtgmafsregeln bie Unterfchleife feht bebentenb.

Stc^bem bet Sluffeljer ccn feinem ersten ^latje fämmtliche 9Jeget, beten jebet feinen SBaidjtrog rot fidj hat, überfielt, unb fie ron 3e«t gu Bett bie ^lä^e an ben Strogen tredhfeln läjjt, ift eg bodj nicht möglich, bte etfinbungSreic^en Sclaren an gasreichen Untetfdjleifen gu Ijinbern, bie werthBolle (Steine in ben paaren, gtrifcpen ben 3eh£H unb im ÜJiunbe fo gefdjicft gu »erftecfen triffen , baff eg nnt feiten gelingt , fie gu ertappen. 9tm tnirtfamften hat fich noch bie SJietljobe ertriefen, für bag Stuf* finben befonberg guter Steine Belohnungen auggufe^en, ba ja begreiflicher SBeife bet fJIegerfclare nur feiten bie heimlidb bei Seite gebrachten ©iamanten gut retirerthen fann. ©abei finb bie Äoften , bie bie Bearbeitung ber ©iamantenmineu nerutfadben, fo bebeutenb, bajj bie Brafilianifdhe Regierung eg für Bortheilhaft gehalten ^at , im Satyre 1834 ihr big baf)in aufrecht erhalteneg fföonopol triebet aufgugeben. 3ntereffant finb bie fWachrichten, bie Sfchubi im Saljre 1858 aug ben ©iamantenbegirfen Brafi* Heng mitbrachte. (Sr fagt, „ber 9lngelpunft, um ben ftd? ber ^anbel ber Stabt ©iamanrtna breht, finb bie ©iamauten. &aft alle Söelt hanbelt bamit, unb man bürfte wohl faum einen (Sin* tnohiter finben, ber nicht eine Partie ©iamanten, auf eine gang eigentümliche Sri in Rapier getridfelt, in feiner Brteftafdhe bei fich trüge. @g gab eine 3£it, in ber fogar bie ©amen ftdh f£hr lebhaft am ©iamantenhanbel betheiligten.

Söährenb meiner SKntnefenheit faftete bie beifpiellofe ,£>an* belgfrifig, bie fich furchtbar gerftßrenb non Sanb gu ganb, ron Stabt gu Stabt außbreitete, wie ein fdbtnerer 5llp auf ben Be* trobnern ©iamautinag. äße ©efchäfte ftodften, unb bie ©ia* c«)

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mauten waren auf bie Jpälftc beS SertheS gefunlen. 3m 3abre 1848 war bieö freilich iw noch weit höherem ©rabe bet §aU. <58 braucht tnbeffeu nicht einmal feiger ^eftiaer Selter* fchütt mengen, um bem Siamantenhanbel fchwere Stehe »er* fefcen; wage ©eridjte »on ^olitifc^eu Unruhen finb fchon bin* reicbenb, um bie beträchtlicbften ^)rei8jd)wan!ungen het»»rgurufen, unb mit ber gröfsten Spannung wirb in SiamanHna immer bet $>eft auS ber £auptftabt entgegengejehen, bie nur alle Sage bert eintrifft.“

Sie ©ntbeefung ber Siamanten in ?lnftralien, Nerbamerifa unb am Ural h'ri bis jel^t auf bem Seltmarfte feinen ©inbruef gemacht, weil bie 3at)l ber bort aufgefunbenen Steine bis jejjt gu geriug gewefen ift, bed? hat iljr üßerfommen im Ural unb Nerbamerifa in feferu ein befenbereS 3utereffe, weil eS für beibe Dertlidjfeiten neu unferm großen ganbSmanne Sllejrartber neu £umbelbt anS mineralogifchen unb geologifchen ©rünben oorher* gefagt worben war.

Sagegen war bie ©ntbeefung ber Siamanten in ©übafrifa am Orangefluh unb feinem Ouellfluffe, bem Saalfluh beftimmt, eine befto gröbere Neoolutien im Siamantenhanbel l)ert>cr gu bringen. ©8 war im 3al)re 1867 als ber ©trauhenjäger D. {Reiöp in einer $arm nicht weit com Orangefluh cinfe^rte, unb bie 53efi£er ber garm um ein Nachtlager anfpradj. ©r fanb bie ?frau unb einen fchon früher eingelegten Sanberer, NamcnS ©chalf non Nieferf, bamit befchäftigt, einen fouberbar geformten ©trin, ben bie jlinber oom Ufer beS SluffeS mit nach £>aufe gebracht harien. nnb ber ihnen feines ©langes wegen auffiel, beim Schein eines bürftigen Salglid}teS gu befichtigen. s?luch O. Neiflp fah ihn ftch an, unb alle brei meinten, ob bieS nicht einer non ben ©belfteinen fein fönne, non beneit bie Offenbarung SobanniS fpräche. Snlefct fam man überein, ben ©tein bem

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£>. fReillp mitgugeben, ber itjn in bet meutere 5£agereifen ent* feinten Stabt ©ratjamStoon prüfen taffen, unb womöglid) gu Ijobem greife oerfaufen füllte, worauf man ftdj ben 6rlö8 ttjeileu wollte. golgenben £age8 madjte fidj £>. fReiflp auf- bie be* fdjwerlidfe Säuberung, unb al8 er enblidj ©ratyamStoon errettet fjatte, wieß man iljn an ben practifc^en 2lrgt Dr. Sit^erftone als ben einigen, ber in biefet öftlidjen >}>rooing be8 ÄaplanbeS mineralogifdfe unb geologifdje Äenntniffe Ijatte. Dr. 2ltt)erftone prüfte ben Stein unb erflärte il)n für einen «Diamanten. 6t wog 20 Äarat unb würbe für 500 fpfunb Sterling oerfauft.

2118 bann im fotgenben Saljre ein ^»ottentott eintu 83 j?a* rat ferneren diamanten fanb, (berfelbe wiegt nadj bem ©djnitt 44^ Äarat unb ift unter bem Flamen Stern oon Süb*3lfrifa für 200,000 5£fylr. gulejjt in ben 23efifc be8 (Sari SDulep ge* fommen,) ba brad) in ber JEapcelonie ba8 «Diamanten» fieber au8.

2lHe8 30g bem Drangefluffe gu, um «Diamanten gu fudfen unb e6 folgten in ben nädjften 2 3al)ren Buftänbe, burdjauS oetfdjieben oon benen, bie anberSwo folgen fotgenfdjweren, bie ©ewinnfudjt fo heftig reigenbeu ©ntbecfungen gu folgen pflegen. Um biefe Buftänbe, bie in ber £ljat an bie SdjUberungen be8 golbenen 3eitalter8 erinnern, gu oerftetyen, mufj man fidj bie 6igentt)ümlid}feit oon Sanb unb Leuten oergegenwartigen. 3u* nädjft giebt e8 wenig Sdnber, bie in fo geringem ©rabe am Seltoerleljr Streit nehmen, fobann ift bie fcanbbeoö Heran g, bie ^oKänbifdjen 33oer8, eine metyr al8 folibe, beren eingigeS 33er* gnügen bisher im Singen oon $)falmen beftanb. JDiefe fyollän» bifdjen SBauern gegen nun 3U Sagen mit Seib unb jfinb bem Drangefluffe gu, nahmen 5Ritd)fütye unb Sdjaafljerben mit unb fugten «Diamanten. Senn nun aud) fcfyon bamalS au8 ben größeren Äüftenftäbten eiu Strom oon 2lbenteurern fid) gu ifynen

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geteilte, jo hatte bod) baö folibe dlement baö Uebergewidjt, unb feie äbenteuter ber jtapftabt au8 ©rahamStocn unb ben anbetn gTpfemt Stätten bienten nur ba^u, bem ^(egma unb ben et»a§ langweiligen gebenSgewohnheiten ber Säuern mel)r geben unb jpetlrrfeit beijumi^en. Da^u fam, baf) baß Älima an bem be* walteten glufjufet ein gejunbeö, bie ©egenb f<hön unb wilbteidh, tie gebenSmittel billig waren unb auttädjft auch noch blieben, jo ba| baö geben ber Diamantenfucher in ben Sabren 1869 unb 70 einem ununterbrochenen $)icfnil glidj. Dabei war bie Slrbeit eine bequeme unb feht lohnenbe. ÜHan füllte mit bem UferfieS einen dimer unb wujch ihn auS, unb war giemlidj ftdjer , in 5 biö 6 dimern einen Diamanten ju ftnben. Sobalb ein etwas anjebnlicher Diamant gefunben war, würbe baö dreignift burd) greubenfchüffe unb Saucen uerfünbet, bie Sewofyner ber be» nat^barten 3«lte erfdjienen gut ©ratulationSmfite unb würben mit Speijen unb ©etränfen bewirket. 3ulefct mieten ftc h oft jeht weltliche giebet mit ben §)falmen ber ^oQänbife^en Säuern, unb man fonnte au8 bem ©tabe, ben bie Weiterleit erreichte, mit giemlicher Sicherheit auf bie ©röf)e be8 gefunbenen Dia» manten fdjliefjen. Dabei würben in bet bamaligen 3eit enorm bebe greife begatjlt, weil man ben SBertb bet Steine nicht faunte unb bebeutenb überfchäfcte; e$ würben alfo fcbnetl grofce Summen erworben, unb 3agb unb gefte brachten erwünfcbte Abwechslung in bie Arbeit. Diefe 3b»Qe nahm aber im 3aljte 1871 ein plöfclicheB dnbe. Um biefe 3«t würben bie erften Slachricbten übet bie Audionen ber Äapbiamanten in gonbon in bet Äapfolonie befannt, machten ben 3flufionen über ben boben äBertb ein dnbe, unb ba alle SBelt in Diamanten fpeculirt hatte unb nun jebet bebeutenbe Serlufte erlitt, fo waren bie 2age ber gefte oorüber.

©leidjgeitig Ijattc man bie dntbecfung gemacht, bah teilen»

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weit Don ben ^Infjufent auf ber baumlcfeit ftaubigen -£>odhcbene bie «Diamantenlager »iel teidjer uub ergiebiger feiert als am giuffe, uub gugleid) erfchienen tnaffenhaft bie 2)iamanteufudier aus ©uropa uub Qlmerifa, fo baß balb ber SReooloer uub bie Bpncbjuftig bie bisherige $armloftgfeit uerbrängtert. 3eßt haben bie «Diamantengräber ein feineSwegS bencibenSwertheS SDafein.

Ü)ie 170 beutfehe SReilen nörblich Dort ber Äapftabt liegen« ben ©ruben gieben fidi auf einer baumlofen uub ftaubigen .£>och* ebene l)iu uub umfaffen ein ungeheures Terrain, ©taub unb ©onnengluth ^errfdbt überall, SBaffer muß oft meilenweit herbei* gefdiafft werben unb alle 33cbürfuiffe haben ungeheure greife, fo baff ein ©aef Jfartoffeln 20 SL^lr. , ein ©aef SBeigenmehl 28 Shlv. foftet. 3Die Ausbeute ift allerbingS feljr reich, unb fdjen oben würbe angeführt, baß eine unuerhältnißmäßig große 3«l>t großer «Diamanten gefunben wirb, fo baß bie greife großer ©teiue enorm herunter gegangen fittb. 3m Uebrigen ljat man aud) bei ben Äap«2)iamanten oerfitcht, ihnen als folgen einen ge« riugeren SBerth gufpredjcn gu wollen, als benen früherer gunborte. !Die8 ift unrichtig. «Die Äapbiamauten fiub allerbingS in ihrer 9M)rgal)l etwas gelblid) unb rangiren bann wie bie gelblichen ^Diamanten 3nbienS unb SBrafilicnS als ©teine 3. SBafferS; alle anbern am «Diamanten gefdiäßfen (Sigenfdjaften haben aber auch fie, unb befortberS auSgegeidjnet ift ihr geuer. UebrigenS fommert auch am Äap ©teine oorn 1. SBaffer oor. «Der ©runb, weS* halb man bie Dualität ber Äapbiamanten oerbäd)tigt, ift, abge« fehen non ben fdjon bei ©ntbedfung ber 9?rafilianifd)en ange* führten ©rünben ber Soncurreug wol ber, bah man in ber Äuuftfprache ber ©teinfdjneiber unb 3uweliere fchou immer mit bem fRamen ÄapVfl'ri unregelmäßig unb fd>Iedjt gefdjliffene ©teine verftanb, bie als foldje einen geringem SBerth haben, unb nun aus Srrthum biefen 9lamcn, ber eine gang anbere Ableitung

(M)

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fytt, mit ben am Äap gefunbenen ^Diamanten nerwedjfelt. SDie IDiamautenfelber ©übafrifag gesotten gum ©ebiete ber Brei« ftaaten »om Draugefluf), als aber ipr 5)iamantenreid)tt)um fte ple$licb gu einem wünfd?en8wertfyen ©efifj madjte, erljob alle Seit Slnfprüdje auf biefelben , Hottentotten unb jfaffern , fogar bie berliner Söliffionggefetlfdjaft. 3 5a erinucrte fid> bie englifdje ^Regierung, bafj ein alter Äaffernfyauptling üjt unter Slnbern aucb bitte Segitfe früher einmal abgetreten fyabe, unb fefcte fidf in i|rtn S9efi^ , ofyne auf bie §>rotefte ber fyoUanbifdjen dauern unb beren ©orfdjlag gu adjten , bie Slnfprüdje burdj bett Äaifer cen SDeutfdjlanb prüfen, unb biefeit über bag @igentbum8red?t entfcbeiben gu laffen

©eit bem Dctober 1871 finb bie 55iamantenfelber ton @nglanb annectirt.

Sag nun bie ©ntfteljuug beg ^Diamanten aulangt, fo mu§ leiber gugegeben werben, ba§ e8 bie SBiffenfcpaft big jefct nur gu Hppotfyefen gebraut l?at, beren feine bigfyer fidt allgemeine ©eltung gu erwerben gemußt fyat. 55ie alten gunborte in 3nbien boten ben ©peculationen über bie (Sntftefyung beg ÜDiamanten fdwn begpalb wenig ©oben, alß bie bortigen ©rubeu äugen* fdjeinlidj ben 55iamanten aug fecunbüren i'agerftättcn förberten, bag Reifet aug ©dfidjten, bie fiep offenbar in einer Beit gebilbet Ratten, in bet bie barin gefunbenen 3)iamanteu fdjon lüngft eriftirten. Sie ©djidtten waren offenbar bie krümmer eineg ©ebirgeg, in bem bie S5iamanten entftanben waren. @rft in ©rafilien gelang eg, bieg urfprünglidic SRuttergeftein beg üDiaman* ten aufgufinben. 55ie8 ift ber Stacolumit ober ©elenfquarg, ein Cuargfdjiefer, ber bie (rigcntpüm liebfeit fyat, in uitfct gu bicfeu glatten eine für eine §el8art gang auffaUeube ©iegfamfeit gu geigen, ©djon ^jumbolbt l>atte bie ©ermut^uug auggefprocpen,

baff biefe gelgart bag fBluttergeftein beg diamanten fei, unb

(«)

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1827 würbe ber erfte im Stacolumit eingewadhfene IDtantant auf» gefunben. ©eitbem hat man in aßen ©egenben, in benett SDtaman* tentager auch in fecunbäter gagerftätte oorfommen, ben Stacolumit aufgefunben, fowof)l in 3itbien, in Vorbamerifa, am Äap utxb am Ural, wo £elmerfen ihn in großer Verbreitung nadjgetmefen hat. 2ludh in Vtafilien ift ber 3tacotumit fein verbreitet, unb bilbet bort mastige, gurn S^eil über 100 SJieilen lange @djidjten* fpfteme, unb unter anbetn ben 5400 $ufj ^o^en Vetg Stacolomi bei Vißarica, nach welkem bie gelbart ihren ßtamen l^at. SOian hat in Sörafilien auch eine 3eit laug bie JDiamanten in biefem ihrem Sötuttergeftein betgmännifch gewonnen, bodb gab man eb balb wieber auf, weil bei ber Seltenheit ber ©iamanten bie grofjen Äoften nicht gebecft würben , eb erfdjien oortheilhafter, ben ©belftein wie früher auf ben fecunbären gagerftätten gu ge» Winnen, wo burch oorhiftorifche SJteerebfluthen bie 3crtrümmerimg beb Stacolumitb bewirft worben,- unb bamit fdjon ein großer üheil ber Arbeit gefächen war.

Natürlich hatte bab Sluffinben beö SDiamanten im Stacolumit in (Sutopa grofjeb SCuffehen erregt, unb bie ©tüdfe mit einge» wachfenen SDiamanten würben hoch begabt; bodj machte man balb bie ©ntbecfung, bafj bie Brafilianer eb fehr gut »erftanben , biefe ©abinetftücfe nachgumadjen, inbem fie fehlerhafte unb fonft giem» lieh werthlofe SDiamanten in Stacolumitftücfe fo gefdhieft einfitteten, ba§ eb nicht teid^t war, ben Betrug gu bemetfen.

So war nun gwar bab SSJluttergeftein beb SDiamanten auf* gefunben, ba aber bie ©eologen butdhaub nicht barübet einig finb, ob baffelbe uulfanifdhen ober neptunifdhen Urfprungb ift, fo war bamit immer noch feine fixere ©runblage für bie ©nt» ftehung beb IDiamanten gegeben,, ja Vielen fdheint eb noch gar nidht aubgemacht gu fein, ob nicht ber SDiamant nodh früher

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eitftanien fei, als ber Stacolumit, unb alfo auch in biefem @e» flein nur auf fecuubäret 8agerftatte norfemmc.

SRan fann übrigeuS bie nerfdbiebenen .pppotbefen iu gwei jpauptflaffen bringen, jenachbem man annimmt, bafe bet ©iamant burcb grobe £it}e au§ Äoblenfäure ober Äoblenftoff «tftanb , ober baß er ficb burd? langfame 3«fe^ung con §)flangen* ftoffeu gebilbet l^abe. §ür lefctere Slnficht bat fid) ©oppert in S?reSlau auSgefprocben , bet butd} gasreiche mifroSfop>ifd?e Unterfuchungen bie Uebergeugung gewonnen l)at, bab fic^ guweüeu nocfe woblerbalteue ^flangengeüen in eingelnen ©iamanten er« tennen laffen. 2lucb bet Umftanb, bab bie Äoblenfäure ftch bet febr ftarfem ©rucfe in eine glüffigfeit nerwanbelt, ift für bie ÖHtfietjung beS ©iamanten Ijerangejogen worben, ©immler nimmt an, bab gasförmige Äofflenfäure fidb in gelfenljöfylen an» Ränfte, bort ficb unter bem gewaltigen SDrucf ber unterirbifdjen äuSfttömungen in flüffige Äeblenfäure nerwanbelte unb anbern, in biefen £öljlen »orljanbenen Äoblenftoff aufgelöft ba&e- 55iefer aufgelöfte Äcblenftoff fei bann auS ber glüffigfeit fpäter heraus» crpftaQifirt , wenn ber ©rud fi<h burcb »erdnberte 33erbdltniffe serringert habe.

@o wenig eS bis jefct gelungen ift, gu ermitteln, wie bie Statur ben ©iamanten gebilbet bat, fo wenig finb bie 23erfud>e geglüdt, ibn fünftlicb gu ergeugen. äßäbrenb eS auf oetfdnebeuen ©egen gelang, Uiubine, ©maragbe unb anbere ©belftcine, wenn aucb nicht non befonberer ©röbe, aber bocb fo grob berguftcllen, bab man an ihnen bie nolle 3bentität mit ben natürlichen nach* weifen fonnte, finb alle bie gabireichen Skrfucbe, bie gur @r« geugung fünjtliöber ©iamanten angefteBt würben, ohne rechtes SRefultat geblieben.

äm näcbften fam wol noch ©eSpref} ber geteilten 9luf= gäbe, ber im luftleeren fRaume einen ftarfen SnbuctionSftrom

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burcfe einen ©plinber reiner jfcfele über einen 9Ronat lang fein» burcfegefeen liefe. 68 featte ftdj an ben ^latinbtäfeten eine bünne @d)icfet fcfewarjen ©taubes abgelagert, ber unter bem 9Ricro8cop bei breifeigfacfeer 33ergröfeerung Dftaeber erfennen liefe. Sud) ge* lang e8, mit biefem ©taube einen [Rubin ju poliren, roa8 einen fefer feofeen .fpärtegrab be8 auf biefem SBege gewonnenen §)robucte$ beweift.

9Ran barf annefemen, bafe auf biefem SBege gelang, wenn aucfe nicfet wirfli<fee diamanten feeräuftellen , fo bodj biefenige SJtaffe, bie al8 amorpfeer [Diamant befannt ift. üDiefe SRaffe, im Jpanbel uuter bem fRamen ©arbonat (fpan. carbonado) not* fommenb, ift uor notfe nidjt langer 3eit in benfenigen [Diamanten» gruben SrafilienS, bie ficfe in ber ^rooin^ 33afeia befinben, ent* berft worben. 68 finb bie8 ©tücfe non grauer bis fcfewarjer garbe, bie bie $ärte be8 [Diamanten feaben unb befefealb immer nocfe feocfe be^afelt werben, ba8 ^arat mit 6 7 granf, ba fie gepulnert jum ©cfeleifen ber [Diamanten als [Diamantbort oer» wenbet werben. SDocfe finb fie nicfet crpftadifirt wie ber [Diamant, fonbern crpftaflinifd) ober amotpfe, ba8 feeifet e8 finb mit ber 8oupe nur regellofe jpaufwetfe ganj Heiner ©rpftalle (Dftaeber) gu erfennen, ober e8 ift gar feine ©rpftalUfation »orfeanben. Söegen iferer poröfen ©tructur geigen fie aucfe ein geringeres fpecififdjeS ©ewicfet al8 ber [Diamant. 68 ift biefet 6arbonat offenbar als ein [Diamant angufefeen, ber bei feiner 33ilbung ge» ftört würbe, unb e8 fönnte wol fein, bafe grabe biefet ©toff ben SGBeg oerrtetfee, auf bem e8 ber fRatur gelang, ben [Diamanten feeroorgubringen , bocfe feat man bis jefet ben ©arbonat nur auf fecunbären ^agerftätten gefunben, bie in SBegug auf feine 33ilbung feinen ©cfelufe erlauben.

SDocfe laffen ©ie un8 oon biefet unnoüfommenen gorm be8 [Diamanten nocfe einmal gut Setracfetung beS nollfommenen

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Steines gurücffehren unb einige »on ben befannten ©iamanteti inS 'äuge Taften, bie butch Ufte ungewöhnliche ©röfee unb Schön» heit, ober fcurd) befonberS merfwürbige Sdftcffale berühmt finb.

§ür ben oollfommenften unb fd)önften SriDanten gilt allgemein fcet iRegent ober $ i 1 1 (Big. 8 u. 9). (St befinbet fich im frangöfifdjen &tonjcha$e, geigt ben Srillantenfchliff in ^öc^ftct Sßollfommenheit unb hat ein ©cwicht »on I36£ Äarat. (St ftammt au8 Oft* intien, au8 ben ©iamantengruben »on garten! im Segirfe (Selfonba, 20 5)ieilen »on SRagulipatan, wo iljn 1702 ein Sflace fanb, bet fidj, um ihn gu »erbergen, am Sdfenfel uerwunbete unb ben foftbaten Bunb unter bem SSerbanbe »erborg. (St theilte einem 9Diatrofen fein ©eheimnife mit unb »erfprach ihm ben Stein, wenn biefet ihm bie Breiheit »erfchaffe. (St war aber in glimme .Jpänbe gefallen, ©er üöiatrofe nahm ihn auf fein Schiff, liefe fich ben Stein geben, unb ertränfte bann ben Sclacen.

hierauf »erfaufte er ben ©iamanten für 1000 §)fb. Sterl. an ben bamaligen ©oucerneur be8 gortfl St. ©eorge, 9lamen8 fitt, nad) bem bet Stein noch heute genannt wirb.

©och ereilte ihn bie 9temefi8 fdfnell, benn er brachte ba8 (Selb in furger Beit burcfe unb erhängte fich. 2>et ©oucerneur S>itt brachte ben Stein nach Europa, unb »erfaufte ihn an ben bamaligen ^Regenten »on Btanfreidj, ben £ergog »on Orleans, bet ihn für ben noch unmünbigen 8oui$ XV. erwarb unb bafür bie Summe »on 3J Millionen Btanf begahlte.

(St hatte bamalä baS ©ewidjt »on 410 Äarat unb würbe in »oHfommener S3riHantform gefchnitten, woburdf er freilich gtoei ©rittel feinet ©röfee »erlor. ©iefe Operation nahm faft 2 Bahre in ‘Änfprud) unb foftete 27000 SLfjlr. (S8 würbe für 9000 Stylr. ©iamantbort »erbraust unb bie abgefprengten Stücfe hatten noch einen SBerth oon 48000 ©h^-

. C«)

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3m 3aßre 1792 mürbe ber JRegent mit ben fämmtlidben Äronbiamanten bei ber ^lünberung ber Stuilerien geraubt uub blieb mehrere 3afyre lang »etfdhmunben, . bis bem bamaligen fPoligeiminifter in fPariS in einem anonymen SBriefe ber JDrt in ben @^am^>8=@IifeeS genau angegeben mürbe, me er »erftecft fei. £ier mürbe er auch mirflicp mit ben merthcoUften anberu äfron* jumelen gefunben. Söahrfdheinlid) ^atte ftdj berjenige, ber ißn geraubt Ijatte, mittlermeile übergcugt , baß eS gefährlich für iljtt fei, fo merth»elle Sumelen gu »erfaufen. Später mürbe er een ber frangöfifcpen 9iepublif auS ©elbmangel an ben Kaufmann Streß f cm in 33crlin nerpfänbet unb f^mucfte nach feiner Söieber« einlßfuug ben ©egen fftapoleonS beb ©rften. Sdefamttlid» mürbe 1815 in ber Schlacht bet Söaterloo ber Söagen 9tapeleon§ Den preußifd)en Struppen erbeutet, unb cS tyiefj lange 3eit, baß ber 9tegent fiep unter ben barin »orpanbenen Jfoftbarfeiten befunben habe; bieg ift aber ein Srrtfyum, unb beruht auf einer 33er« mecßielung mit einem Diel fleiueren 33riHanten uon 34 Äarat, ber fid> ne<h ^eute im preußifchen äfronfchaße befinbet. 3n ber ÜBeltauSftellung im Saßte 1855 gu ^ariß mar ber 9iegent auß» geftellt unb ift itodj jeßt baß mertheollfte Stüdf beß frangöfifchen jftonjchaßeß.

2. ©er Drlom ober Slmfterbame t ift ber größte ber be« rühmten ©iamanten in ©utepa, inbem fein ©emidßt 194J Äarat beträgt, allein er ift nicht nach beit jeßt geltenben 'Prinzipien ge« fdjnitten, fenbern geigt noch bie $orm, bie er Der 3a^rl)unberten in Snbicn erhielt, nämlid) bie einer uidjt gang regelmäßigen facettcnreidien 9tofette. ©r ftammt au§ ben alten ©rubett Snbienß unb feil früher eines bet 3lugen ber berühmten Statue be§ Sherigan im Stempel beS Srahma gebilbet h^beit (ftig. 12).

Später fanb er ftch mit noch einem greßett ©iamauten im Sthtonfefjel beß Sdjaß 9tabir reit perfien. 9llß biefer erm erbet

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würbe , entroenbete if)n ein ftangöfifdjer ©renabier, bet bort SEbienfte genommen tjatte, flolj bamit nad) SRalabat unb »erfaufte

gig. 12.

iljn bcrt an einen ©djiffSfapitdn fitt 14000 Styr., bet ifyn für 84000 $1}lr. an einen Suben überliefj. 2)iefer oetfaufte ifyn um einen bebeutenb Ijöfyeten $rei8 an ben atmenifdjen Kaufmann SdjafraS, non bem iljn bet ruffifd^e ©taf Drlow für bie Äaiferm Äatljarina II. im 3a^re 1775 ju 9lmftetbam für 450,000 {Rubel, eine 3al)re8rente »on 2000 {Rubel unb ein SSlbelebiplom erwarb.

Seitbem gehört er gurn rufftfc^en Ätonfdjafc unb hübet bie @pifce beS ruffifdjen ScepterS.

3. 3)et Äol)»i*noor, S3erg beß Sidjtß, ift unter ben be* Türmten diamanten ©utopa’ß bet jüngfte, unb fyat bodj bie ältefte ©efdjid^te. ©r ift ein fdjöner ooaler, etwas fladjer SBriUant, Biegt 106 Äarat unb ift ©igenttjum bet Königin Sßiftoria nun ©nglanb ($ig. 13 u. 14).

?ig. 13. ?ig- H.

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©eine ©efdjidjte oerliert im JDunfel inbifd^er Sagen unb ift mit Sid^et^eit erft oom beginn beö 14. Sa^r^unbertö gu cerfolgen. ©r war Sa^unberte lang baö Äronjuwel ber 0tab= f<baö oon SRalwa unb galt mit 5Red)t alö Saliöman ber £err* fdjaft, weil er immer bie ©iegeöbeute beS {tarieren ©robeterö war. So Jam er, nadf)bem er ben Seftfeer oft gewedelt, 1813 in ben Sefife beö ^ertft^erS oon Saljote, wo er bei bent Slufftanbe ber ©ilbtruppen 1850 oon ben englifdfjen Sruppen erbeutet unb ber Äönigin 33ktoria überreizt würbe. ©r war bamalö 186 Äarat f dt) wer, aber fo ungefdjicft gefd^nitten (im 17. Sa^unbert oon bem oenetianifd^en ©teinfdbneiber ^ortenfio 33orgio), bafe er wenig ©jfeft machte. 3n biefer ©eftalt war er bei ber grofeen UBeltauöftellung gu gonbon im 3abte 1851 auögefteüt.

3m 3al)re barauf liefe tf)n bie Königin SMctoria burcb 4)errn SBoorfauger, ben gefdfjidfteften Zünftler ber berühmten üDiamant* fdjleiferei beö |>errn (Softer gu Slmfterbam , neu fdtjneiben, eine Slrbeit, bie in 38 Sagen oodenbet würbe, ^ierburd) würbe fein ©ewidjt bis auf 106 Äarat oerminbert unb fein SBertb auf

800.000 Sljlr. gefdbäfet.

4. 2)et glorentiner ober Soöfaner. ©t gilt für ben grofeten ber berühmten ^Diamanten Äarlö beö Äü^nen. ®r ift »ollfommen rein, aber oon etwaö gelblid)er $arbe, ein fpifeeö Deal unb oon Subwig oan Setquen alö reid^ facettirter SBriolett gefdjnitten (§ig. 15 n. 16). ©t bat oorgüglidbeö geuer unb bepnbet ftd) im ©dbatje beö Äaiferö oon Deftreid) ©ein SBertb würbe auf

700.000 Sblr. gefdjäfet unb fein ©ewidbt beträgt 133| SBiener Äarat. Äarl ber Äübne batte ibn in ber ©d)lad)t bei ©ranfon 1476 oerloren, unb bort würbe er auf ber ganbftrafee oon einem ©d)Weiger in einem Ääftdjen gefunben, in welchem noch eine foft- bare ^ßerle lag. SDiefer warf ben ©iamanten erft oeräcfetlicb fort, nabm ibn bann aber bo<b wieber auf unb überliefe ibn für einen

IU)

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©ulben einem ©eiftlidjen, ber ifyn für brei gtanfen an bie Sern er oerfaufte. Jpier erwarb ibn ber reiche Jpanbelßt)crr Sartt)olomauß gig. 15. gtg. IG.

fDtep für 5000 gl., oon bem ifjn ein ©enuefer für toe= nig me^r erftanb unb ihn um bie hoppelte Summe an £ubo= eico SDioro Sforga, ben 9Jiailanbifcf>en Regenten oerfaufte. Sei ber 3erft>Uttening beä ?GRaiIänbifctjen Sctjatjeß erftanb if)it ^Babft 3uliuß II. für 20,000 ©ufaten, unb jefct bilbet er baß roertl)Doüfte Stücf ber faiferlidjen Sdjatjfammer gu ©ien.

5. 3m Sancp ift unß ein gtoeitcr SDiamant Äarlß beß Äüljnen erhalten, ber eben }o wie ber »orige oon Serquen ge= fänitten, eine gang ä^nliefje gönn wie biefer geigt. Gr ift oiel fleiner unb wiegt nur 53£ Äarat , ift aber oom erften ©aff er.

gig. 17.

jfarl ber Äütjne trag il)n 1477 toabrfdjeinlid) alß Salißman in ber Sdjladjt bei 9lanct), in ber er befanntlidj baß ßeben oerlor. Gin fc&weiger Solbat, ber bic Seifte beß $ergogß außplünberte, fanb ben Stein unb oerfaufte ifjn für eine geringe Summe. So ging er wie ber oorige burd) Diele ^)änbe biß er im 16. Safyr*

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fyunbert in ben Söcft^ eines Jpugonottifdjen (SbelmannS 91tfolau8 non .ipatleh $emt Bon ©ancp fam, nadj welkem ber fdjöne ©teilt nod) ^eute ^ei§t.

Gr wollte ifyn {einem .Könige, ^eintic^ III. oon grattfrekb, überbringen, würbe aber unterwegs Bon SBegelagetem angefallen unb ermorbet, bodj gelang eS iljm Borger, ben ©tein gu Berfdjhufett , ber benn and) fpäter in ber 31t biefem Bwecfe geöffneten ßeid^e wieberge* funben würbe. 9ladjbem er bann lange bem fran^öfifdjen Ären* fdjafce angehört hatte, Berjd)Waub er mit ben meiften Äoftbarfeiten bei ber ißlünberung ber Suilerien im Safyre 1792, fam {pater wieber gum SBorfdjein unb würbe unter ben Sftapoleoniben für 500,000 SHubcl burdj ben gürften Semibow an ben Shtjftfdben Äaifer Berfauft, in beffen Äronfdjah er fidf nodj l)eute befinbet.

Schon früher würbe angeführt, ba§ ber ißreiS für große Siamanten fidi in ber lebten Beit bcbeutenb Berminbert t>at, weil in ben Siamantengruben beS ÄapIanbeS ein ungewöhnlich lieber ^Brocentfatj großer Siamanten gefunben wirb, unb eS wäre wofjl möglich, wenn bieS 33ert)ältnif$ fortbauern folltc, bafj ber ipreiS bauernb niebrig bliebe; bennodj ift eS mehr als wahrfdjeinlid), bafj ber Siamant fidj immer auch in ber 3ufunft -als ber werth* Boflfte Gbelftein erhalten wirb. 3ft bodf fein fyofyer ^SreiS, ben er bisher burd) alle 3al)rl)unbevte behauptete, feineSwegS eine golge baoon, bafj er feltener war als bie anbem Gbelfteine. 3m Odegentbeil ift ber Nachweis wieberholt geführt, bafj noch lange beoor bie Siamantenlager am Äap entbeeft waren, bie 3al)l ber Borhanbenen Siamanten größer war als bie aller anbem Gbel* fteine erften langes gufammengenommen.

GS fpridjt biefe SL^atfat^e allein bafür, bafj er nicht nur einen cingebilbeten, fonbern einen wirtlichen SSerth hat, unb gweifel* loS würbe ber härtefte aller irbifdtjen ©toffe immer fehl gefugt fein, felbft wenn er aud? nicht gugleidh bet glängenbfte wäre.

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2km 2>iamanten würbe felbft wenn er auffyörte ©d)mucfftein jp fern, eine um fo ^lättfrgere Serwenbung in bet Jedjnif werben, bie jcjji grabe feinet twfyen greife® wegen eine nur befdfyränfte fein farm.

Sen feiner Serwenbung jum ©djleifen ber bärteften ©elfteine Ijaben wir fdjon gefptodjen, feine Slnwenbung 311m @la#fdbneiben ift allgemein befamtt, aber audj fonft finbet er jum Soferen febr patter Körper eine »otgüglidje Serwenbung. 3n einem ©djteferbtudje non SGBaleö werben mit £ülfe l)ßt)Ier unb am IRanbe mit diamanten befe^ter 33ol)rer Södjer gebohrt, bie in 36 ©tunben 84 tfufj tief in bag ©eftein getrieben werben, eine Seiftung, bie mit feinem anbem Material erreicht werben fnmte. Slber and} ju microgcopifdjen Sinfeit bietet ftdj fein kiftungSfä^igereS Material als ber ©iamant, inbem butdj baS bebeutenb ftärfere ßidjtbredjunggnermögen eine ©iamantlinfe faft bcppelt fo ftarf »ergröf$ert als eine gleidie oon ©lag, unb fo wäre es »obl möglich, ba§ wenn butd) bie reidbe Ausbeute bet 2)iamanten= gruben am jfap ber $rei§ ber 2)iamanten nodj mel)r ermäßigt wirb, biefer merfwürbigfte aEfet ©belfteine in bemfelben fDtafje an Sertb für bie ©lenfdjljeit gewönne in welkem fein $reig abnimmt.

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Sfnttterfitttgeit.

1) Nunquam incalescens. ©onberbarer 2B«tfe wirb biefe ©teile in ben meiften größeren Serien über biefen ©egenftanb überfefei: „nie- mals fann er perbrannt »erben*. 6S ift bieS offenbar unrichtig, benrt erftenS f)eigt incalescere warm »erben, aber nicfjt Perbrennen, unb bann fieljt man niefit »o§l ein, »ie ber alte SRömer auf bie 3bee fommen foBte, an biefem unperttüftlidjften aBcr (Sbelfteine feine , Unoerbrennbar* fert * jn betonen, gür unPerbrennb« galten ben Sllten bie meiften ©teinef unb gerabe am 33ernftein würbe bie SBerbrennbarfeit als merfwürbige (Sigenfdjaft angeführt. Der ©treit über bie SBerbrcnnbarfeit beS Diamanten entftanb erft anbertbalb 3al)rtaufenbe nach ^liniuS.

2) Die Pier größten Diamanten Europas in guten Dtacbbilbungen aus SrpftallglaS »erfauft baS QJiineraliencomptcir beS fterrn Dr. ©d>u* t^arbt in ©örlifo für 18 9)iar?.

©benfo eine größere ©ammlung ber 15 »idtfigften Diamanten (ba- runter ber blaue &ope) für 160 9J!rf. beibe Sammlungen incl. (Stui.

fS6)

Irutf ocn *c fcr. Ungit (tt). Stimm) in B«rlln, e$cn<tn:gerftrajt 17».

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Tfjönigiii ucn ]ilrf usscn.

Berlin SW. 1S76.

'i’crl'ig opu (5avl .§af>cl i(t. C. fübrri^fdir ÜrrlagsbudjtjoiiDIung) 33. 'UMHjflm-Strai;«

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^xmigin tmn J'Himen.

„v ^rinntnmg an itjrtn jjnnbtrtjäjjrigEn dtbnrtstag

(10. Äärj 1S70).

$$on

2<U8Uft -Äfadtfjof)«.

5)Iit bem ®ilbnig ter Äenigin.

Berlin SW. 1S76.

33 e 1 1 a g won a r I Jp a b e I-

(£. 4. idbrriti’jd)f Birlojsbtidjljiiiiblang.)

.13. Sil&tlm £ttaj* 33.

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iNfdM lex Utbcrjcfung in irernte ©rratfccn lrirt ccrtefjaitcn.

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er Sag, an welkem twr hunbert Sauren ßuife, bie fpätere Scnigin Dort Preußen, baß Sicht ber 2Belt erblicftc, oerbient als einet ber großen ©ebenftage ber raterlänbijdjen @efd)id)te non bem ganjen beutjeben SBolfe in ötjreu gehalten ju »erben. Senn nidjt allein, baf? baß Seben unb fietben ber eblen gürftin aufß (Sngfte rerfnüpft ift mit einem bebeutungßoollen Ulbjdinitt unjerer Sergan» genbeit, fonbern bie Segnungen ihreß SBtrfenß bauern biß auf bie @e= genwart fort. Sie SOtutter beb glorreichen Äaifcrß äSilhclm, hat fie früh jene heb^1 Sncgenben in 3h» geroeeft unb gepflegt, bie heute unb, wie wir bjoffett , noch lauge bem beutfdjen Ä'aiferthrone 511t 3ierbe unb bem ganzen 33oIfe jum £>eile gereichen. Unb wie bie bochfinnige §tau in ben Sagen ber tiefften ©rniebrigung Seutfch* knbß, troh ttnfäglichen ÖeibesS coli OöottDertrauen unb lebettbigen ©laubeng an bie beffere Bufunft beß SBaterlanbeß, bie (Memüther hob unb bie fanden ftdrfte, fo war e6 auch, alb enblid) bie Stunbe ber Befreiung fchlug unb bie ganje Station in begeifterter J£>in* gäbe an bie gtofce Sache fich ju einem heifjen unb fteggefrenten Äampfe erhob, baß ©ebädjtnifj ber Sßerflärten, baS baju biente, bie Äämpfer beg 33aterlanbeß mit ibealer ©efinnung ju erfüllen unb aut bie Söhne unb ©nfel einen unerfchöpflicheit Schah fittlicher Äräfte ju reretben. 2Bir felbft, bie wir 3euge ber großen Bahre 1870 unb 1871 waren, finb wir nicht auch oft genug, wie an bie

XI. J42. 243. (41)

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greiheitgfämpfe ber Sabre 1813 unb 1814, jo att bie itönigin Suife gemahnt worben? 3n ber SEljat, nidbt bem preufeifcben 33oIfe allein, jonbcnt ber ganzen beutjdjen Nation gehört fie an.1)

2>ie Königin 2uife entflammt oäterlidberjeitS bem 5)iecflen- burgifdjen gürftenhaufe, mütterlicher bem £effen*2)armftdbtifchen. (Sine Softer beS #erjogb Äarl Subwig griebrich oon 5ftecflenburg* ©trelib, welker bamalg alg gelbmarfchaU in ^annooer’jc^en 35ien- ften ftanb, würbe fie am 10. 9Jtärj 1776 zu £>amtooer geboren. 3fyre SDtutter war bie ^ßrin^effin grieberife Äaroline £uife oon £effen»$Darmftabt, bie aber bem Gemahl unb ihren ge^n Äinbern, unter benen Suife bag fernste war, fcbon am 22. 9Jiarg 1782 burcb bett Job entriffen würbe. 9Rit ihren brei ©c^weftem warb Suife ber Dbljut eineg gräulein oott 3Boljogen , bem bertorragettbe Gei* fteggaben nacbgerübmt werben, übergeben. SRur für furze 3rit würbe it>r bann ba§ @Iücf gu Jbeil, für bie früt> nerlorene Butter in ber zweiten Gemahlin beg SBaterg, inbem fitf> biefer mit bet Schweflet ber Verewigten oermäblte, (Srjatj ju finben. 2llg bem ^erzöge auch biefe burd) einen frühen Job entriffen würbe, 30g er fid) trauernb nach 3)armftabt jurücf, um bie balb* »erwaiften Äinber ber gürforge ber treuen Grofjmutter, ber Sanb* gräfin Sliarie Suife Sllbertine, ju übergeben.

Sllg Grjieberitt ber ^Srin^effinnen würbe eine Schweizerin’, gräulein oon Gelieur mit tarnen, berufen, welche frart^öftfeh gebilbet, auch franjöfifchen Unterricht ftatt eine§ beutfehen erteilte, ©o lernte Suife in jungen Saliren nach ber bamalg in oomefamett Greifen berrfhenben Gewohnheit franjöfijch mit ooßenbeter gertig* feit reben unb fdhreiben, wäbrcnb bag 2)eutfcbe »emadjläffigt blieb, eine Sücfe , bie fie f pater felbft beflagt unb noch als Königin C*v

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hrnfc bag f{ ei|ige ©tubium beutlet ©chriftfteHer auggufütlen gefucbt bat.

2s?ar aber auch bie Silbung Suifeng in ber Sugenb eine rorrriegenb frangcfifcbe, fo batte fte boch nidbtg non bem (5l)arafter ffälfAet Cbetfläcblidbfeit an fid). 2>ie gürftin jelbft tjat ihrer (früeberin, ber fie big an’g Grnbe beg öebeng eine rü|renbe 3tn= ismglicbfeit unb Sanfbarfeit bewahrte, oft nacbgeriibmt, ba| fie hüb ihren 23licf auf bag Rohere gelenft, unb fie gur (5rfenntni| bes (?wigen im Srbifchen gebracht habe. 5Rit achter, ungefchminfter Sdigicfität unb innigem füiitgefühl für frembeg Seib oerbanb Üuife jdben alg Äinb ben lebhaften Srieb 2(nbern woljlguthun. Sn ber Jpanb ihrer Gtrgieherin fah man bie Heine ißringeffin oft bie .ftütten ber ISrmnth aufjuchen, um ^Dürftigen unb Seibcnben, jo weit ihre fleinen SJiittei reichten , ^>ülfe gu bringen. 2?er ernfte 3ug ihteg SBefeng, ber burdj bie fchweren ©d)icf jalgfchläge, weiche tae (flternhauö getroffen, nicht wenig gerührt werben mochte, jcfclo| jeboch, wie bei jebet gejunben unb begabten fRatur, einen finblid) beitem ©inn unb volle @mpfänglid)feit für bie greuben eineg faft länbiichen ©tilllebeng nicht aug.

Gine neue SSelt that fid) oor ben Stugen ber jugenblichen Suife auf, alg fie unter ber Dbfiut ber @ro|mutter bie erfte gtö|ere Steife unternehmen burfte. ©ie befudjte in ©tra|burg ihre bevt lebenbe Sante, bie (Gemahlin beg $ergogg SRarimiiian een 3weibrücfen, naebberigen erften Jtönigg oon Sßatjern, um oom (flfa§ rheinabwärtg nad? ben iRieberlanben gu reifen, groben jJRutbeg jaij man in ©trapurg bie ißringeffin ben »tiefenbau beg SERünfter Mteigen, ron beffen Plattform fie ooll (fntgücfen in bag herrliche ©rtngianb hinaugblicfte, weicheg, bur<h frangöfifdjeSücfe ung entriffen, ihr ©obn unb ihr (Snfei an ber ©pilje ber Bereinigten beutjehen ipetre in unfern Sagen bem neuerftehenben Siet die gurüefgewintten jollten. SRicht minber machten bie oolfreidjen ©täbte ber fRieber*

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lanbe unb bie großartige ©dßönßeit beb fDleereb einen lebhaften ©inbruef auf fte. SDefter mürbe aud) oon ©armftabt aub bab nal)e granffurt befudjt. ßuife faß bajelbft bem feierlichen ©cßau» fpiel ber beiben letzten beutfeßen Äaiferfrönungen (1790 unb 1792) gu unb oerlebte mit ißten ©efdjwiftern frößlicße ©tunben in ©oetße’b Baterßaufe, bie nicfyt allein ber SSJiutter beb üDidßterfürften, jonbern aud) ßuife unoergcßlid) blieben. Söab bie lebenbfreßc „grau IRatß" bariiber ber Bettina (©lifabetß oon Slmim) erjäßlte, oeranlaßte biefe, jeneb lebenbfrifeße 33ilb oon bem Slufentßalt ßuifenb bei ©oetße’b SSJiutter gu entwerfen, bab ftdj in bem Brief» wecßfel beb ©idßterb „mit einem Äinbe" unter bem 5. 9Jlär^ 1808 ftnbet. ßänger oertoeilte bie ißringeffin in ©emeinfeßaft mit ber ©roßmutter ^u Hilbburgßaufen . wo bie ältere ©eßwefter (Sßarlotte mit bem regierenben Herzog oermäßlt war. 25ie fdjenen Jage, weldje ßuife in bem anmutßigen Jßüringen oerlebte, finb ißr un* oergeßlid) geblieben; unoergeßlüßer noch bie diücfreife, im grüß» linge 1793, alb bie ßanbgräfitt mit ißt unb einer jüngeren ©eßwefter ben 2Beg über granffurt naßrn, um ißren üUeffen, ben Äönig griebrid) SBilßelm II. oon Preußen, ju begrüßen, meltßer aub iHnlaß beb erften Äriegeb ber beut) d)eu SJläeßtc gegen bab reoolutionäre granfreieß bort fein Hauptquartier ßatte. 5Die ©roß» mutter fteflte ißre ©nfelinnen bem Könige oor unb erßielt, alb fie ttobß benfelben 3lbenb wieber abreifen wollte, bie ©inlabung, n ad) bem ©eßaufpiel mit ißm unb ben beiben ißn begleitenben ißrinjen ju Slbenb gu fpeifen.

3ln biefem Slbenb war eb, wo bie 17jäßrige, in jauberßafter lÄnmutß unb erßabener ©tßönßeit ftraßlenbe ßuife auf ben Ären» Prinzen griebrieß SBilßelm einen fo feffelitben ©inbruef madßte, baß ber erfte Blicf feine Söaßl entjeßieb. 2)ie tiefe Buneigung beb ißrinjen, beffen ftattlidje ©rfeßeinung bureß ben fdßlicßten 2(bel feineb SÖefenb nod) gewann, würbe oon ßuife erwibert, unb ba (<«)

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giridjgeitig bet jüngere Stüber, $ring Subwig , ftd^ ju ber fdjonen Sdjteefter SuifenS, grieberife, Ijingegogen füllte, fonnte nadj einem jDlonat, am 24. Ülpril 1793, gu ©armftabt baS geft ber ©oppel* ectlobung gefeiert werben.

Säljrenb bes halb barauf folgenbeit gelbgugeS am linfen SR^eiitufet wagten bie beiben ^ringeffinnen, inbem fie mit ber ©rofjmutter iljre SSerlobten befugten, fidj einige fühle in baö bunte Sagerleben, ©er jugenblidje ©oetlje, bamalS im preufjifdjeu Hauptquartier, berietet über einen biefet Sßefud^e in folgenbet Seife: „©egen iHbenb war un8, mir aber befonberS, ein liebenS» n?ürbige8 ©djaufpiel bereitet; bie ißringeffinnen non SRecflenburg Ratten im Hauptquartier bei ©r. üftajeftät bem Äönig gefpeift unb befugten itad) ber 2afel bab Saget. 3d} fyeftelte micfy in mein 3elt unb burfte fo bie l)of)en H>errfd)afteit, weldje unmittelbar ba* cor gang certraulicB auf= unb niebergingen, auf baS genauefte be» obadjten. Unb wirflidj fonnte man in biefem ÄriegSgetümmel bie beiben jungen ©amen für fyimmlifdje ©rfdjeinungen galten, beren ©inbrucf and} mir niemals erlöfdjen wirb."

©egen ©nbe beS 3at)re$ feierte ber Ätonpring nattj Berlin gurücf. ©ie SBraut folgte ifym halb mit ber bem bringen Subwig ßerlobten ©cp weiter nacp ber Jpauptftabt beS fReidfjeS, wo ipr ein gro|artiger (Smpfang non ber Sürgerfdjaft bereitet würbe. Unb fo feftlidj ber ©ingug, fo grofj war audj bie allgemeine greube. ©enn fdjon bie äußere ©rfepeinung ber Ätonpringeffin, if?re bepre ©eponpeit unb ungewöprtlicpe iffnmutp gewann il)r bie 4?ergen, noep mehr bie begaubembe greunblicpfeit unb ©üte , bie auS ihrem jngenblidpen Slntlijj leuchtete. SBie gouqud fagt: ,,©ie Sfnfitnft biefer engelfcpönen gürftin oerbreitet über jene Sage einen erpabe* nen Sidjtglang; alle H>ergett flogen ipt entgegen, unb ihre Ülnmutp unb HergenSgüte ließ feinen unbeglüeft". 2fud^ wer wie bie ept»

»ürbige ber ^ringeffin neubeigegebene Oberpofmeifterin oon S3o§

(«)

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ihre finblich unbefangene, non bem SNoment beeinflußte Haltung nicht ceremontöS genug fanb, fonnte bem Sauber, ben fie übte, nicht wiberfieljen. Suije bei bem Gfinjug in Berlin, unter einer riefigen (5{)renpfcrtc pon adjtjig weiß gefleibeten Äinbem mit SMumengewtnben unb einem Seftgebicfjte begrüßt, bie liebliche Heine (Sprecherin jum ßntgücfen beS fie umwogenben SBolfeS gu fid) in ben großen golbenen (Staatsmagen emporhob unb non Führung überwältigt fie in bie 9lrme fdjloß unb füßte, fagte bie ihr gegenüberfiljenbe Dberbormeifterin erfchrocfen: „5Rein @ott, waS haben ßw. f- gethan; baS ift ja gegen ade ßtifette!"

„5Bie, barf ich baS nicht mehr tt)un?" lautete bie bejeichnenbe Antwort, bie fie erhielt. Slber fdjon adjt Jage fpäter fdjrieb bie ftrenge Hüterin ber (Stifette in ihr Jagebuch: „Die ^Brin^efftn ift wirtlich anbetungSwürbig, fo gut unb fo rei^enb zugleich, ein ßngel." Unb in ben Ülufjeidinungen beS folgenben SaßreS lieifet eS an einer (Stelle: 3e genauer man bie ißrinjeffin fennen lernte, um befto mehr würbe man ooit bem inneren Äbel unb non ber engelgleichen @üte ihres ^»erjenS ergriffen. 2)

Slm 33orabeitb beS SBeitimidjtefefteS fanb bie Jrauung beS fronprinjlichen ^aareS im SBeißen Saale beS foniglichen SdjloffeS ftatt unb Sefte folgten auf §efte. 9lber größere Sefriebigung ge* währte ben Neuvermählten bie ftitle ^)äuölid)feit fern non bem ©eräufch beS £of8. ßS war ein ächt beutfcßeS Familienleben, voll Siebe unb Jreue, baS ber Äronprin^ unb Suife führten, in grellem ©egenfaße ju ber franjöftfdjen ©alanterie, um nidjt gu fagen Unfittlichfeit, bie bamalS in ben Ijctjcrtt ©efellfdjaftSf reifen herrfchte. Nach außen freilich tot bie vornehme SBelt ber preußi* fdjen ^auptftabt ein glängenbeS 93ilb. ßS waren bie Jage ber Sölüthc unferer ßiteratur, wo ritterliche Nlänner unb geiftreiche Frauen in äfthetifdjen ©enüffen fchwelgten. SBenn nur nicht mit ber geiftigen Schwelgerei oft auch bie finnliche -£>anb in £)anb <««;

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gegangen unb bie ftrcnge Budjt früfeerer Sage burcfe eine raffinirte fiieberlidjfeit mbrängt worben wäre! SDRan weife, wie gur Beit jjriefcridj SBilfeelml II. leiber aucfe ber £of ben IRuf bcr ©Uten* ftrenge nicfet bewahrte unb für galante Slbenteuer nur 3U t'iel Saum bot. Ser Äronprinj unb 2uije bagegen mit iferem fcfelicfeten nnb lautern Familienleben ftanben all ein weitfein leucfetenbeö SBor» bilb altbürgerlicfeer 3u(fet unb Sugenb ba, Sauf nidfet allein bei reinen unb frommen Jperjenl ber ißringefftn, fonbern autfe bei emften, tief teligiöfen ©innel bcö Äronprinjen, mclcfeer, wenn auefc erft 23 Safere alt, bocfe feiner fugenblicfeen ©emafelin eine refte ©tüfee bot unb burcfe feine Sreue unb SSaferfeaftigfeit feben fterenben Zinflufe fernjufealten wufete. 3) Friebrid) SSilfeelm war bee iöefifeel ber ebelften ber Frauen in feofeem Üllafee wertfe unb mbiente bal feltene ©litcf, bal fie ifetn bereitete. pat bod) ßuife felbft baitfbar anerfannt, bafe fie burcfe ben ©emafel, ben fie all ben „Seften ber ÜJlänner" über alle! liebte unb ocreferte, felbft beffer geworben.

2öie Friebricfe Söilfeelm ficfe bal an ben £öfen bamall un* geirefenlicfee „Su“ im SBerfcfer mit feiner ©eniafelin nicfet nefenren liefe, jo wollte er aucfe, oft gum ©cferccfen ber Cberfeofnreifterin, burcfe leine Zeremonien unb fein Ziepränge bie «pcrglicfefeit unb peiterfeit bei feäuilidjen Safeinl fid? ftören laffen. „SBin uon allen ©eiten ofenefeiit jefeon genug beengt unb nroleftirt, will irenigftenl in meinem feäullicfeen 2eben meiner Neigung folgen unb bie greifeeit unb Unabfeängigfeit feaben , bie feber 'Privatmann genießt."

Am wofelften füfelte fid) bal fronpringlidjc Paar in länblicfeer Surücfgejogenfeeit. Sa in Dranienburg, weldjcl ber Zeitig ßtiebriefe SBilfeelm II. feiner oon ifem feoefegeeferten ©djwiegertocfeter jum ©e jefeen t maefete, bal 2eben nicfet geräujcfeloe unb einfad) Sflntg war, riefetete fid) ber ftronpring bal @ut pareü an ber

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$a»el alä SBofynftfc für bcn Sommer ein. &ier genofs er mit Suife Reitern .fjerjenß bie einfachen greuben beö Sanblebette, fid) fclbft mobl fd)eqbaft ben „Schulden »on ißare^" nenttenb, mäbrenb fidj bie Äronprinäefftn als „gneibige grau" »on $>aret3 gefiel. 9ln (Srntefefteit fonnte geid)eltett , ba§ fie fid) in bie luftigen Stände ber ©atternföhne unb Setter mieten; oft fal) man and» bie Ijolje grau bei ben jäl)rlid)ett Dorffeften, umringt »on ber Sugettb, »on 33ubc gu 23ube getjeit , fleine ©efcbettfc einfaufen unb unter bie Äinber »erteilen, bie bann gutraulid) riefen: „SDtir aud) maß , grau Königin!"

ßuife lieg feine ©elegenbeü »oiiibergebett, 3fnbertt eine greube, binnen eine SBo^Uljat ju ermeifen. 25er Äßnig griebridb 2Btb beim II. , meldjer fie als bie „gürftin ber gürftinnen" feierte, fragte fte an ityrem erften ©ebuvtßfefte in Berlin, nadjbem er fie burdt reid)c ©aben erfreut hatte, ob fie nodt einen SSunfdj habe. 2?ie Äronpringejfin münjdjte fid) eine £aitb »oll ©elb, um bie Ernten ber -l^auptftabt an ihrer greube ttjeilnebmen 31t taffen. Sädjclnb bemerfte ber Äöttig, mie grof) fte fid) bettn bie £>anb»oll ©elb benfe, unb bie Slntloort lautete: „So grof als baß £erj beß gütigftett ber Könige." 5Rit föttiglicber greigebigfeit marb iljr ber SBunfd) gemährt.

2)er ©ebanfe, in größerem SDiafee 2Bol)ltbatcn üben ju fönnen, mar aud), maß fiuife befcelte, alß it)r ©emabl am 6. 9to»br. 1797 nach bem Höbe beß üßaterß ben preufjifdjen 2;l)ron beftieg. ,,3d) bin jejjt Königin, fd)rieb fie an bie ©rofjmutter, unb maß mich babei am meiften freut, ift bie Hoffnung, baft id) nun meine SBobltltaten nid't mehr fo angftlid) ^ätjlen brande. "

Suife ftanb auf ber .£>öbe beß ©lücfß, geliebt unb gefeiert in allen Greifen beß 33oIfß, mie mol)l feiten eine Königin. 2öäl)renb bie ©inen ihren Flamen megen ber 2öobltl)aten fegneten, bie fie int Stillen übte , 2lnbcre bie Jpulb unb greunblidjfeit priefen, bie

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fte Setermann erwies, unb wieber ändere fie als ^ebreä ÜJhiftei aller ©ugenben feierten, hörten Sinter unbÄünftler nicht auf, fte als bie fdjonfte unb anmutbigfte ber grauen in SBort unb ©ilb gu terberrlicben. Unb botf> ift eS nad) bem 3eugnif} bet Beitgenoffen feinem SJfaler gelungen, ibr tollfommen gerecht gu »erben, weil feiner rermocht hat, „iliren herggcwinnenben ©lief doH ©eift unb ©üte fo barguftellen, tnie er ift, befonberS im ©efprädfc." 3) „äugen ton einem freiem reinem ©lief, eine frohere faft bie Äinblidjfeit erreichende Unbefangenheit habe ich in feinem iteibli<hen ©efidjt gefehen," terficberte ber alte Scheffner. 5Ran muff bie geitgenöffifchen (Stimmen hören, um ben Sauber 3u ahnen, ben ihre ©rfcheinung übte. ,,©ie Königin, fchreibt eine ©nglänberin, bie Suife ©nbe bcS 3al)re§ 1800 fah, erinnert mich an ©urfe’S Stern , ber 2 eben, ©lang unb greube außftrahlt. Sie rerwirflicht all bie fdjwSrmerifchen ©orftellungen , wie man fte in ber .Kindheit fidj machte ton ber jungen, fröhlichen, jehönen, herrlichen Königin au§ „Saufettb unb ©ine 9lai ht." Sie ift ein

©tgel an Sieblichfeit, CDtilbc unb Slntmitb: gro| unb fchlanf, entbehrt fte babei hoch nicht ber angemeffenen Diunbung; fie hat helles Jpaar, ihr 2 eint ift gart unb rein, ihr ©cfidjtSausbrucf ton mtbefchreiblither greunblichfeit." „Sie hatte, wie ihre Dber= hofmeifterin ft<b ausbrüeft , einen wunberfchönen SBucbS, ihre Grfcheinung war zugleich ebel unb lieblich, jeber, ber fie fah, fühlte ftch unwiberftehlich angegogen unb gefeffelt 4 „SBarum lann ich nicht, mft eine anbere ©ante ihrer Umgebung nach ihrem frühen £inftheiben au8, warum fann ich nicht einige Büge ihres hohen ©ilbeS fefthalten, wie cS noch fo frifch oor meinem Sinne fcfjwebt. ©ie namenlofe änmutl) ihres ©rufjeS, bie un* nadhabmliche ©ewegung beö ©angeS unb ber ©erbeugung, ober bie finbliche Siuhe i^reö fo fanften unb hoch fo emften ©licfS, eher baä fpineittfcbwcbeu ber föniglichen ©eftalt in eine glängenbe

23erjammlung, in bet fie, wie gahlreid) fie auch fein mochte, immer bie fdjönftc, bie erfte , bie emsige Brau fcbien. 25 en ifjt galt im Dollen ©imte Offian’S Hob: „„©djön unter Slaufenben“",

unb wie oft man anbere Brauen mit itjr Dergleichen, manche

anbere ©eftalt für einzelne 3üge frönet Raiten wollte, feine be= ftanb in ihrer fRähe ben 25ergleich. 2) er ©harafter ihrer ©cbön-

heit war im ©inflange mit ihrem SBefen unb ©emüth. Sludj

hier mar 9Rilbe, ©anftmuth unb Dolle 9Ratftrlid?feit Dorherrfchenb."

9Ran h<*t ooit SuifenS h^e* Breunblid)feit mit SHedjt be* merft, baff fie ein fanfleS 23inbemittel gwifcbcn ÜRenarcb unb 25olf geworben: wo eS banfen, antworten, repräfentiren galt, biente fie bent fchweigfamen .König als Organ, unb inbem fie ben ©emahl nicht allein auf ber $ulbigung§reife nad) .Königsberg, SBarfdiau, 23rcSlau begleitete, jonbern auch auf manchen jpäteren Oieijen im Banbe ihm gur ©eite war, fanb fie ©elegenheit, auch ben Söewohnern ber entfernten ißroDingen fich a!8 bie freuben» fpenbenbe BanbeSmutter gu crweifen, weldje in ber Sßauernhütte nicht minber bew^innenb erfdüen als im ©lange beö ,£)ofS.

©ern ^ogcri fich Btiebridi SBilhelm uitb fiuife nach wie Dor ber SLhrcnbcftoigung nad> ißotSbam, Ghavlottenburg unb ipareh gurücf, unb auch in 'Berlin, wo fie als SRefibeng baS einfadje fron- pringliche Calais beibehielten, festen fie, foweit eS bie Pflichten ber fReprafentation guliefjen, bas jdjlidjte Beben ber früheren Beit fort. fReben ber Hiebe beS ©cmahlS beglüdte bie Königin baS ©ebeihen ber Äiitber, Don beneit Bnebrich SBilhelm, ber fpätere Dierte .König biefeS fRamenS, 1795 unb SBilhelm, ber Äaifer beS neuen JKcidjö, 1797 geboren war. 3m Haufe ber nächften 3ahre famen aufjet gwei früh oerftorbenen ©efebwiftern noch bie ^ringen Karl imb 9(Ibred»t unb bie Sßvingeifinncn (Sharlotte, SUepanbrine unb Buife l)tngu , bie beiben jungften, Sllbvedjt unb Huife , erft in ber BeibcnSgeit gu .Königsberg geboren.

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„3f)re ftinber gu woblwollenben SHenfcbenfreunbcn gu bilben," war, »te 2uije fid) in einem ^Briefe beS 3abreS 1797 auSbrücft, ibr beißefter unb liebfter SBunfdj; „aud; nähre id) bie frohe Hoffnung , biejen Broecf reicht gu i'erfeljlen. "

2)ie EERufec, welche ber Äcnigin bei mufterbaftcr (ärfixHung ihrer Pflichten blieb, benüfcte fie um ihren reid> begabten ©eift mit allem ©uten unb ©ebenen, baß bie ßiteratur ihr bot, gu näbren. SOiit Vorliebe wibmete fie ficb bem ©tubium ber fceutfeben fJoefie, bie bamalS i^re fdjdnften Blütben gu treiben begonnen. Berber, ©oetbe, ©Ritter, 3ean Vaul bejd)äftigten fie »iel. 2eh* terer, welcher „ben oier frönen unb eblen ©cbweftern auf bem Sbrone“ ben Sitan gewibmet unb bie früh oerewigte Königin ßuife auch in feinen „£erbftblumen" gefeiert bat. fomttc im 9Rod. 1800 nach SBeimar febreiben, baß bie Königin auch für bie fleinfte Steife einen gerbet mit in ben SEBagen nehme. Söäbrenb fie in fpäteren Salden, wie berichtet wirb, ©oetbe als ben ooll* enbeten fDteifter bewunberte, gogen fie gu ©cbiOet bie ©ebanfen ber greibeit unb bie patriotifebe Begeiferung bi«, bie in feinen lebten großen Schöpfungen fo herrlichen ‘-SuSbrucf gefunben. 2Bie gern hätte fie ben 55i<bter ber Sungfrau »on Orleans unb beS 2Bilbelm Seü bleibenb in Berlin gefebn5). 2lucb bie grie* djifeben Sragifet unb ben großen brittifeben SDramatifer lernte fie in Ueberfefjungen fennen, unb ebenfo bie bebeutenbften SSerfe bet biftcrif<ben ßiteratur. Bon bem aber, waS bie Königin laS , ging lein 2Bort für fie »erloren. (SS biente ihr gur Beteblung ibreS ©eifteS, gur Vertiefung U)reS ©barafterS. 31 einigen ihrer fbäteren Briefe glaubt man Slnflänge an eine antife SebenSan* föauung gu hären, wäbrenb fie fid) bod? als gläubige ©briftin wußte. 9luf tief religiöfem ©runbe ruhte ihre SSeltanfchauung. So warb fie in ben fomtigen Sagen beS ©lüdS, wo flache ©eiltet gu nerweiddicben pflegen, ftar! unb befähigt, ebenfo belben»

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müthig als fromm ergeben aud) bie garten Schicffalcfchläge gu tragen, bie halb über i^rSSoIf unb über ißr eigenes -£>aud herein» brechen follten.

griebrid) SBilbelm III., welcher in feinem 27. ifebenSjahre ben S^ron ber .fjohengollem beftieg, war ein 5Diann oott oorgüglidjen Gigenf haften : ein ernfter, gerabet unb geregter Sinn, Ginfach» l>eit unb -Btäßigfeit, pünftlid)e DrbmmgSliebe unb ftrengeS $ßflid)t» gefüt^I wohnten ißm inne. Stud) fehlte eS ihm bei bem heften SBoUen nidht an Älarßeit, felbft nidjt an Schärfe beS SSerftan» beS, wohl aber an bcm rechten Selbftuertrauen unb an Gntfcßloffen« heit gu rafdjcm oerantwortungSoolIem £>anbeln. 9Kdjt angemeffen ergegen unb an ben 2.;er!chr mit mittelmäßigen unb fdhwadjen, wenn aud) ehrenwcrthen 3Jienfdien gewöhnt, fdjien ihm eine gewiffe Scheu oor bebeutenbcn Naturen eigen gu fein. „Sie ihn ergegen, bie ißn umgaben, unb bie ißm bienten, fagt bie befte Äcnnerin beS berliner JpcfS, Stile waren fic fdjwad) unb lähmten, Ijinbevten unb entmuthigten ihn." 6)

9hm beburfte aber ber Staat, wie ihn §riebridj 3ßiU)elm III. nach beö 33ater8 2obe übernommen, mehr als je einer einstigen, grunbfatwollen unb entfdjlcffencn Leitung. @8 genügte nicht, baß ber neue 93tonard) auf Sparfamfeit unb JDrbnung in ber 33er» waltung hielt, baß er bem Stergerniß, welches fid) an bie Sidßtenau unb ihren Stnliang fnüpfte, ein jäbeS Gnbe bereitete unb ftatt ber Heuchelei, bie SSellncr mit feinem 9ieligion$ebict begünftigt hatte, ächte, übcrgeugungSooDe grömmigfeit pflegte: eS tarn uielmehr barauf an, baS gange non §äulniß bebrohte StaatSwefen burch gnmblichc Reformen mit einem neuen Seifte gu beleben unb oor allem bie auswärtige ißolitif in ftarfe £änbe gu legen, griebridj SÖilbelm aber behielt auS Sdjeu ttor jeber weitgeßenben Slenbcnmg gerabe im auswärtigen ©ienfte unb im geheimen Gabinet -ERänner wie ^)augwiß unb ßombarb bei, weldie grunbfaßloS unb feig ben

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itaat jjrietridjö bee ©rofsen auf bie abjdjüjfige Sab» triebeir. £bne fyier nähet in bie uieloerläfterte ißolitif ißteitfjenS am ©nbe M porigen unb gu Anfänge unjereS Satjrljunberts eingugehen, irirb ei angemeffen fein, in Äürge an yolgenbeö gu erinnern.

Nad? bem Ausbruche ber frang6fijd)en Neoolution unb ihrem ertten bebrcljlic^en Auftreten nad> aufjen Ratten ißreuhen unb Ceftreid) fid) bie £aitb gu gemeinfamem Äampfe geboten, bis griebritb SSil^elm II., nicht ohne bie Sd;u!b beg mi&trauijchen unb rirerfüdjtigen SBiener ©abinetS, butd) ben Sajeler Trieben non bem Kriege gegen Branfteich fief? gurüefgog. §ortan oett)arrte ^reujjen, gegenüber ben Kämpfen, bie faft gang ©utopa erfüllten, in fe^n?äd>» !«ber Neutralität, auS ber eS fich aud) bann nicht aufraffte, als es fieh nicht mehr um ben ©eftanb beS heutigen Neides han^e^e» ionbem bie ©hre unb bie Niachtfteflung bei Staates Briebrid)8 beS Großen in gragc ftanb.

Seit ben Jahren 1803 unb 1804 fonnte man fid) in Berlin ÄngefiehtS her gefteigerten Änmajjungen unb Uebergriffe Napoleons fanm mehr bariiber täuf<hen, ba§ eS enblid) gelte, ftatt noch länger tureb frangöftfdje SJotfpiegelungen fid) blenbcn unb einfchüchtem ju laffen, cntjchloffen baS Schwert gu giehen. SNait weijj auch, »ie ber Äönig, jehon länger gebrängt burd) eine patriotijd)e Partei, mit welcher Suije jpmpathifirte, fich enblich gu einer Schroenfung rerftanb, unb in nähere Segiehungen gu ben gegen Branfreidj oer* Hwbeten Ntädjten gu treten anfing. 2)ie fortgejefcten Socfungen unb 23ünbnijjanträge Napoleons würben abgewiefen: inbejj gut Sbcilnahme am Äriege gegen ihn ermannte man fich um jo meni= 8«, als £ eftreich unb Nufjlanb nicht bie rechten SBege einjchlugen, um ^reufcen gu fich hrrübergugiehen. ©rft bie offne 33er(et}ung ber tmiiijchen Neutralität währenb beS frangöfijdHftrei«hijchen Selb* tugs oont Jahre 1805 gab ber ÄriegSpartei in Söerlin für ben

Sugenblicf baS Uebergewicht, unb über bem Görabe yriebrid'S II.

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reiften Älcjronber ton IRufelanb unb griebricb Söilbeltn III. gur lebhaften greube ber Königin fi<^ bie $anb Äum 33unbe gegen Napoleon. Unfeliger SBetfe aber betraute ber .König, als galt, Napoleon ein Ultimatum torgulegen, mit ber wid)tigften aller ©fifftonen beit feigen £augwife. 9Kan »reife, in welcher SBetfe fid) berfelbe beö Auftrags entlebigte. 2)urd) ben Äaifer btö gu bet cntfdjeibenben Schlad) t ton Slufterlifc bingefealten, terwanbelte ber fcbmädjHdje unb pflictjttsergeffene ^Diplomat bie £rieg§brot)ung in einen ©lücfwunfd) für ben Sieget unb trat mit biefem in 93er- feanblungen ein , über beren ©ebeutung er ben eigenen $0lonard)cn Anfangs täufd^te. SBofel brauften in Berlin auf bie Äunbe t»on ■fpaugttüi}’ jd)mäfelid;er Spaltung bie patriotifdjen greife toll @nt* rüftung auf, unb be§ .König? ©fergefüfel fträubte ficb, ben il)m angefonnenen ©ertrag mit ötanf reich gu ratifigiren; man rcigte alfo ben Kaifer, wagte aber nidjt, bem llebermüthigen, ifolirt wie man war, ben Kampf angubieten unb fdjlofe unter noch un* günftigeren Sebingungen mit ifem ab. Snbefe liefeen neue S5e* mütbigungeit unb £erau§forberungen ton ©eiten Stapoleonß, ber jefct bie 9Jia8fe gegenüber ©reufeen abwarf, nicht lange auf ftdj warten, fo bafe ber König, nun aOerbingß gur Ungeit unb unter ben ungünftigften Umftänben, fid) cnblid) gum Kriege gegen ben grofeen Schladiteufaiier entfchlofe.

Ueber bie furchtbare ©efafer, in ber ©reufeett fdntebte, täufd)te fich ber befonnene .König, trofe ber friegerifdien unb jtegeßbewufeten Stimmung in ©erlin unb trofe ber 9lu?ftd)t auf bie ferne rufftfd)c .£)ülfe, feinen Slugenblicf, wäbrenb Stapoleon tor ©egierbe brannte, ben ©rofeftaat, welchen er fo lange geliebfoft, al§ er it)n gu feinem SSerfgeuge rnadicn gu fönnen wähnte, mit einem Schlage gu ter* nidjtcn unb ben ©orben ©eutfchlanbg gleich bem Süben unb ©üb« Weften feiner ©otmäfeigfeit gu unterwerfen.

©ic mangelhafte Rührung beö Kriegs unb bie burch einen

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lindern trieben oerborbenen 3uftönbe ber Armee erleichterten betn überlegenen gelbherm nur aflgufebr ben (Steg. (Sitte einzige Doppel» fdhlad>t , ber grofje Unglüdbtag oon 3ena unb Auerftäbt, entfdjieb bab ecbicfjal ber ÜJtonardjie. Sd)on 5 SBochen nach ber Äata» jtrepbe beb 14. Detoberb 1806 {ah man ben Sriumphator {einen dtngug in ©erlitt halten.

9tapoleon hat belamttüch in {einen Sügenbudetinb oorgugb« tpetfe bie .Königin fiuife für ben ©efdjlufj beb jfriegeb oerantwort» lieb madjett wollen unb mit ber @emeint)eit, beren er fähig war, bie ebelfte ber gürftinnen oerläftert unb oerhöhnt. Unb hoch hatte fie, bie im Sabe ©prtnont weilte, alb ber {dficffalbfchwere Krieg in ©erlin befchloffen tourbe, an ben entfeheibenben ©crathungen gar leinen Anteil gehabt, wie fie benn wenige Sage oor ber Senaer Schlacht griebrid) @en£ in einer benfmürbigen Aubieng btmerfen fonnte, bajj fie nie in öffentlichen Angelegenheiten gu älathe gezogen worben {ei unb auch nicht bornad) geftrebt habe, ©ei betreiben ©elegenljeit, bie ben geiftooden Staatsmann unb $ublieiften mit {o oicl ©ewunberung oor ber Roheit ber Spaltung unb ©efittnung, {o wie oor ber Klugheit, geinheit unb Selbft» ftänbigfeit beb Urtheilb „ber großen, unglii etlichen, unoergefjlichen Suife" erfüüte, wieb fie auch mit (Sntfdjiebenheü bie oon ben grau» jfijen ihr angebichtete ©orliebe für 3iußlanb gurücf uttb oerfchwieg nicht, baß fie bei ader Anetfennung für bie per{önlid;en Sugenben beb Kaiferb Aleranber boch nie SRufjlanb alb bab ^pauptmerfgeug gur Sefreiung (Suropab betrachtet, fonbern beffett ©eihülfe nur alb le$te £ülfbquede angefehen habe, feft überzeugt, baß „bie großen Settungbmittel gang adein in bet engften ©erbittbung ader Derer gu jtnben mären, bie {ich beb beutfdjen Stammeb rühmten".

Aber wenn auch b»e .Königin nicht gutn Kriege gerathen hatte, fo machte fie boch, nachbem er bejdjloffen, lein .pctjl baraub, baß fie ihn billigte, unb eben fo mutbig, wie bem ©cmahl treu ergeben,

Ir 241. 243. 2 (SJ)

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hatte fte beit König bei Eröffnung beS gelbgugS ton 6^arlottcn= bürg nad) Shüringen begleitet. Jg)ier blieb fie bis gum 14. Drtober in feiner SRähe. (Erft als ber IDonner ber Sd)Iacbt ton 3ena nad) Söeimar Ijerübenollte, eilte fie auf 33efet)l bcS ©emablS nad) ber ^aufjtftabt auf Umwegen gurücf. SDa erreichte fie oor ben Sporen ton SBerlin bie crfdjüttembe Kitufce oon ber großen SRieberlage ber Slrmee. Sie fitdjte mit ben Kinbern Sdjutj in Stettin, unb flüchtete bann, als bie fdnnadjeolle llebergabe ber beften geftungen beS SanbeS unb baS traurige Sdjicffal ber gerjprengten £>eereStheile baS Unglncf ton 3ena unb Sluerftäbt oollenbeten, nad) Knftrin. £ier traf fie mit bem gebeugten ©emal)l gufammen, nmfjte aber, ba ber rafd) oorbringenbe geinb fie überall oerfolgte, halb in ©raubeng, bann in Königsberg eine Bufludjt fudjen. 3n jenen Sagen ber (Erbärmlichfeit unb beS Herraths, als eine <Sd)recfenS= nad)rid)t bie anbere jagte, war eS, wo bie Königin an bie beiben älteren ^ringen griebrid) unb SSilfycIm Söorte richtete, bie beffer, als idj cS auSbrücfen fönnte, bie Stimmung ber oon Sdjmerg oergehrten unb bodj jo l)elbennu”ttf)igen grau bcfunben. „3^r jebt mid) in Spänen, id) beweine ben Untergang ber Slrmee! Sie ^at ben (Erwartungen beS Königs nid)t entfprochen", fo begann fie unb fuhr nad) bamaligen Slufgeid)nungen in folgenber SBeife fort: „®a§ Sd)icffal gerftörte an einem Sage ein ©ebäube, an beffett (Erhöhung grofie SKänner gwei 3ahrl)unberte t)inburd) gearbeitet haben. @8 giebt feinen preufjifdien Staat, feine preufjifdbe Slrmee , feinen üflationalruhm mel)r; er ift oerfdjwunben wie jener Sfiebel, ber auf ben gelbem ooit 3ena unb Sluerftäbt bie ©cfahren unb Sdjrecfen biejev unglürflicben Sdjladjt oevbarg! Sich, meine Söhne, 3hr feib fdjon in bem Sllter, wo (Euer Herftaub biefe fdjweren £eim= fud)ungen faffen faim. Stuft fnnftig, wenn (Eure ÜJtutter unb Königin nidit mehr lebt, biefe unglücflidhc Stuitbe in (Euer @ebäd)t= ni§ gurücf, Weinet meinem Slnbenfen Sl)ränen, wie id) fie jetgt in (»)

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tiefem imglücHicben Ülugenblicfc bem Umfturg meinet SBaterlanbeS ireine. Aber begnügt (Surf) nicfet mit ben 21} reinen adern; Ijanbelt, enteitfeü teure Kräfte : cielleid) läfet ^reu^ens Sdjufegeift fid? auf teutb nieber; befreiet bann teuer 3$oIf oon ber Sd)anbe, bem 33or= surfe ber temiebrigung, worin e8 fcfemaditet. Sudlet ben jefet rerbunfeüen Rufern teurer Vorfahren con granfreidj gurücfguer= obern, wie teuer ©rofeoater, ber grofee Äurfürft, einft bei gehtbeüin tie »Jtieberlage unb Schmach feinet Saterö an ben Sdjroeben Mitte. 2td?, meine Sohne, laffet teuefe nietjt non ber tentartung tiefes 3«italterS liinrei^en , werbet ÜOlänner unb geiget nach bem -Kufe me großer gelbberm unb gelben. SBenn teud) biejet tebr= geig fehlte, würbet 3hr beö Biameng ton ^ringen unb tenfeln bet* großen griebrid} unwürbig fein. Äönnt 3fyr aber mit aller Snftrengung ben niebergebeugten Staat . nid}t wieber auf ritzten jo fud>t ben 2 ob, wie ihn SouiS gerbinanb gefügt ^at!"

SRodjten bie SDlünner, bie ben uttglütflidjen Äönig in jenen Sagen umgabeu, ihm ratzen, fid) bem Sieger auf ©nabe unb Ungnabe gu ergeben, bie eingige grau falj Rettung nur in auetauembem SBiberftanbe. SJiit einer ©reffe ber ©eele, bie ber fommerberr con ©d)Iaben in feinem Sagebudje „über jebee tereig= niß erhaben" bargefteüt, äußerte fie ficb über beS SSaterlanbeS llnglüd unb über bie üDtenjdjen, bie bagu beigetragen. 3n bie hccbfte Aufregung aber geriet!) fie, als man ibr fdjonung§lo8 alle bie fefemufeigen SSerleumbuitgen mittbeilte, welche ütapoleon allenthalben gegen fie r erbreiten liefe unb bie auf feinen ©efefel rffentlirb fogar in 33 erlin gebrueft worben waren. „2)lit ftromen* ben Sbränen wieberljolte bie erhabene grau jene SluSbrücfe biefer Scbmähfdmften. fftein, rief fie babei au§ , ift e$ biejem boshaften ?Renfd>en nicht genug , bem Äonige feine Staaten gu rauben , foB muh noeb tefere feiner ©emahlin geopfert werben, inbem er

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niebrig genug benft, übet mid) bte fdjänblicbften Bügen ju net* breiten?"

2Bol)l fonnte bte engelreine Königin, »emt fte auf ifyr eigenes Beben gurücfblicfte , übet jebe ©djmäljung freier Büge fid) v^t* fönlid) ergaben füllen, aber bod) in bunflen ©htnben fid? bic gtage entgegenbalten, ob nicht bet Staat, ba§ SSolf, baS eigene £au3 mit Unrecht ben ^eimfudjungen beS ©cbicffalS »ibetftrebe. 2Ba8 fiuije in folgen Stugenblicfen banget 3»eifcl, gebeugt unter bet 3Bud)t beS bunflen SerbängniffcS empfunben bat, laffen bie SSorte ©ötbeS atjnen , bie fie am 5. üDecembet 1806 in itjr Sagebudi jdjrieb , id) meine bie j ebenen Söorte auS SÜilbelm Steiftet:

®er nie fein Stob in SEljränen ajj, üßet nie bie fummcrt'oUen Obädjte 2luf feinem Sette toeinenb faß,

Ser femtt euch nid;t, il;r l;immlifcben 'Blähte!

3br führt ins ßefcen uns l;inein,

Styr lagt ben Sinnen fd^ulbig »erben ;

Samt überlagt il;r it;n bet 'pein,

Senn alle Sdjulb räd;t fid> auf Srben.

3n Äönigebetg erlag ber fdjmacbe Äörpet bet ftarfmütbigen grau ben »on allen ©eiten auf fie einftütmenben ©dficffalSfcblägen. ©cb»er erfranft an einem SRetnenfiebet, ba§ jebon eines ihrer Äin« ber, ben ^ringen Äatl, an ben Sianb be8 ©tabeS gebraut, fcb»ebte fie 14 Sage lang in ©efabr. 55a tnuftte fie, noch nicht genefett, »eil bie feittblidjen fpeerfdjaaren ftcb »eiter uttb »eitet »älgten, auch bie alte £rönungS|tabt ber preufjifcben Könige uerlaffen , um itt bem fernften SBinfel ber 'IRonarcbie , in fölemel, eine 3uflucbt ju fueben. „3cb »iß lieber, erflärte fie bem fieibarjt Jgmfelanb, in bie £ä nbe ©otteS als biefer Blenfdjeu fallen." „Unb fo »urbe fie ben 3. Sanuar bei ber beftigften Äälte, bei bem für<bterli<bften ©türm unb ©c^neegeftöber in ben Söageu getragen unb 20 Blei*

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Jen weit übet bie Kurifdbe fJiebrung nadb SDJcmel tranöportirt. 28ir bradsten btei Sage unb brei 9iäd)te, bte Sage tbeilß in ben SturmweQen beß 2Reete8, tbeilß int 6ife fa^renb , bie Sftädbte in ben elenbfteit Uiadbtquartieren gu. 35ie erfte fftadbt lag bie Äöni« gin in einer Stube, wo bte genfter getbrodjen waren, unb ber Stbnee auf iljr 2?ette gewebt würbe, otjne erquidfenbe SRabruttg. €c bat nodb feine Königin bie ÜRotb empfunben." ?n SDRemel, wo fiuifc fttb wieber mit bem ©etnabl unb ben föniglicben Kinbent Bereinigte, befferte ftdb ibr Buftanb, unb audb bie müi= tärifdb'politiftbe Sage bered?tigte oorübergebenb gu neuen Hoffnungen. £er SReft bet preufjifdben Slrmce, oon bem tap fern ©encral Seftocq geführt, Bereinigte ftdj mit ben ettblidfj berangefommenen rufftfdbett Jruppen unb ftellte in ^elbniitt^igen Kämpfen nidbt allein bie prtufjifdje Söaffenebre wieber bjtt, jonbem fd)ien autb bie 2Rög* licbfeit gegeben, mit Hülfe beß Sßerbünbeten einen leiblichen grie* ben gu erfämpfen. 3n ber Sdjladft bei Sßreu&ifdb’GrpIau, wo Seftocq mit feinem COOO SJiantt SSunber ber Sapferfcit Berridbtete, erlitt Napoleon fo fdbwere 33erlufte, bafj er trotj feiner ©iegcßbe= riebte bem Könige bie H^nb gu einem günftigen Stieben bot, wenn et fi<b oon feinem SSerbünbeten , bem Jiaifet Ölleranber, loßfagte. SMcfe Bumutbung wieß griebridb Söilbelm felbftBerftänblicb gurücf, unb ba autb ber Äaifet Stlepanber halb barauf fclbft nach SOie* mel fam, unb Sfngefidbtö feiner ©arben bem Könige Sreue bis gum Sobe gelobte, Ijoffte Suife auf weitete Erfolge in außbauentbem Kampfe. „2>iefe beliebe Grinigfeit", fdbrieb fte bent Später, »burdj unericbütterlicbe Stanbbaftigfeit im UugUicf begrünbet, gibt bie fepönfte HDffnun8 gur Stußbauer; nur burdb SBebanlidbfeit lrirb man ftegen, früh ober fpät, baoon bin ich übergeugt."

SDie Königin begab ftd? im Slpril natb Königsberg gu ber bter wobnenben Sdbwefter Sneberife unb brachte bort einige Soeben in 23obltbun unb SBerfen ber SRenfdbeuIiebe gu, inbem

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fte baS @lenb beS ÄtiegeS gu liitberrt, ben ©erwunbeten unb Stothleibenben gu Reifen juckte. Stber weitere §ortfd)ritte ber gran= gofen, ber gaQ ber Heftung SDangig unb bie neue 33ebrohung ÄönigSbergS oeranlafjten gu Anfang 3uni ihre Siücffebr nach 9)te« mel, unb hier ging fte, ba bie Schlacht bei §rieblanb aüe £off* nungen oernichtcte, .Königsberg fiel, bie SRuffett gurücfwichen, Stapoleon aber fein Hauptquartier nach 2ilftt neriegte, ben fdjwer* ften Prüfungen entgegen.

(?S ift wieber", Reifet eS in einem ©riefe an ben ©ater oorn 17. 3uni, „ein ungeheures Ungemach über unS gelfonraten, unb wir fteljen auf bem fünfte, baS .Königreich gu »erlaffen. ©ebenfen Sie, wie mir babei ift; bodj bei ©ott befdjwöre ich Sie, cerfennen Sie 3hre Jodjter nicht. ©lauben Sie ja nicht, baff JHeinmutb mein Hcra beugt. Bwei Hnuptgrünbe habe ich, bie mich »ber alleö erheben; baS erftc ift ber ©ebanfe: wir finb fein Spiel beb blinben 3ufaö8, fonbern wir fielen in ©otteS H>anb unb bie ©orfehung leitet unS; bergweite: wir gehen mit ©hren unter, ©er Äönig hflt bewiefen, ber SSelt hat et bewiefen, ba§ er nicht Schanbe, fonbern ©hre will, ©reu§en wollte nicht freiwillig Sflanenfetten tragen. Sind) nicht einen Stritt h°t ber .König anberS h°nbeln fönnen, ohne an feinem ©hornfter ungetreu unb an feinem ©olfe ©erräther gu werbeu. SSie biefeö ftärft, fann nur ber fühlen, ben wahres 6hr0ef»¥ burchftrömt." „3<h gehe", heifjt eS fpäter, „fobalb brittgenbe ©efaljr eintritt, nach fRiga; ©ott wirb mir helfen, ben Ülugenblicf gu beftetjen , wo ich über bie ©rengen beS Reichs mufe. 5 )a wirb eS Kraft erforbent; aber ich richte meinen ©lief gen Himmel, »on wo alles ©ute unb ©öfe fommt, unb mein fefter ©laube ift, er fdiicft nicht mehr als wir tragen fönnen. Sloch einmal, befter ©ater, wir gehen unter mit ©Ijren , geachtet oon Stationen unb werben ewig greunbe haben, weil wir fie oerbienen. SEÖie beruhigenb biefer ©ebanfe (60)

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iji, lägt ftcfj nicht jagen. 3dj ertrage alles mit joldjer Dtuhe unb ©elafjenheit, feie nur .'Hube beS ©ewifjenS unb reine Buterfidjt geben fann. 2)e8wegen feien ©ie überzeugt , befter Vater, tag wir nie gang unglücflid) jein fömten, unb bah fSRandjer, mit fronen unb ©lücf bebrücft, nicht jo froh ift, alb wir es finb. ’Jioch GinS gu 3hrem 2roft, bag nie etwas non unferer ©eite ge* fchehen wirb, baö nicht mit bet ftrengften Gh« »erträglich ift, unb mit bem ©angen geht. 2)enfen ©ie nid)t an eingelne Gr» bärmlichfeiten. &u<h ©ie wirb baß tröften , baS weih i<h, jo wie Sille, bie mir angehören. 3d) bin auf ewig 3bre treue, ge» borjame, ©ie innig Iiebenbe Rechter, unb Gott lob, bah ich ed jagen fann 3h« greunbin. 2uije. " Slud) einige Sage [pater, nad) bem Slbjcfcluh beS SBaffenftitlftanbS gwijchen Vapoleon nnb SUeranter, bleibt ihre £ojnng: Stuf bem SBege beS 9ic<ht$ leben, fterben unb, wenn fein muh, Vrob unb ©alg ejjen, nie werbe ich gang unglMlid) jein, aber hoffen fann ich nicht mehr. Ser jo non jeinem Fimmel heruntergeftürgt ift, fann nicht mehr hoffen. Äommt baö ©ute o! fein SHenjch fann c8 banfbarer empfiitben als ich empfinben werbe aber erwarten thue ich e$ nicht mehr, ätommt baS Unglftcf, jo wirb mich auf Slu* genblide in Verwunberung jetjtn, aber beugen fann es mich nie, jobalb e8 nicht cerbient ift. 9iur Unrecht unjerer ©eitS würbe mich ©rabe bringen, ba fomnte ich nicht hin, benn wir [leben h«h."

©o ftolg richtete im Vewugtjein ber @h« nnb beS Utechts bet ©eift ber föniglichen grau fich auf, als fie in ©efahr ftanb, übet bie ©renge beS cerlorenen SReiche in bie Verbannung wanbern pi muffen. SDiejer Äelch blieb ihr freilich erjpart, aber waS ihrer pi Siljit in bem Hauptquartier beö übermüthigen ©iegerS wartete, [teilte ihren Jpochjtnn unb ihren Dpfermuth auf eine faum gerin» gere $robe.

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SERan weife, wie bet Älugfeeit 9lapoIeonß nach bem tjmt 5(leranbcr ungern abgejchloffcnen SBaffenftiflftanbe gelang, ben weicbhergigen ©gaaren trofe bet am ©rabe griebrichß beß ©tofeen bem SBerbünbeten gejdjworenen unb noch fürglich im Stngcfic^t ber 2 rupfen neu »erftcherten Streue burd) Schmeichelfünfte jo gu um= ganten, bafe er griebe unb greunbjdjaft mit ifym jchlofe unb ^3reu» feenß Sdjicfjal in bie jpänbe beß erbitterten unb übcnniitfjtgen geinbeß legte. 5Ran weife auch, wie unbarmherzig ber franjefijcbe Äaijer gu Stil fit jein Siegerglüd außbeutete. SRur auß 91ücffid}t auf ben ihm neu »erbünbeten Äaijer wollte er Strümmer ber preufeijdjen SJionardfeie beftefeen Iaffen. 2>a war eß, wo bie hed)« bergige Äönigin bem f dimer gefährbeten Staate ein Cpfer ber Selbftoerläugnung brachte, baß man beffer nicht »on ihr geforbert batte. 9iachbem 2Uejranber eine jo beflagenßwertfee Schwäche in bem Verhalten gegen Napoleon bewiejen unb ben 2>erbünbeten, man möchte jagen, cerratfeen batte, befürwortete er in Sfnetfennung ber ©ewalt, welche bie erhabene Grrfdjeittung Suifenß, ihr SBcfen unb ihre IRebe auf bie ©emüther ber SDienfdfeen übte, bafe jte uerfuefee, billigere 3?ebingungen non ber ©nabe befjelben SJlacfet* baberß gu erbitten, ber burdi niddSwütbigcn dpoh« unb Spott bie llnglücfliche jo tief belcibigt batte7), konnte man wirflicf) non bem innerlich rohen Solbatenfaijer, bem SJianne ber »oflenbetcn Selbft* fudjt erwarten, bafe er fiefe beugen werbe nor ber Roheit unb bem fittlitben 9(bel einer beftegten Königin?

Suije gauberte nicht, gu tfeun, maß man non ifer begehrte, aber fie tfeat mit ferner »ermunbetem bergen. $atte fte boch jefeon in SJiemel non bem nad) Stilfit noraußgegangetten Ä'önig »oll ©ntrüftung nemommen, bafe Napoleon ihn mit außgefuebter ©leichgültigfeit unb .Külte behanbelte, 8) unb maß ber ungliicflidhe ©cmabl , welcher in feiner ehr! i dien unb offnen SBeife nicht gu fchmeicheln nerftanb, »ielmefer bem übermütfeigen Sieger im ©e* («*)

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fable feiner feniglidjen SBürbe mit eblem Stotge begegnete, nid}t erlangen fonnte, baß foflte fte butcb grauen fünfte gu erteilen fuchen? Sit begreifen, bafe ber 33 rief beß Königß, bet fie nad) Silftt tarnen hiefe, ihr Spänen genug terurfachte „SRie werbe ich, fcbrribt ihr Seibargt #ufelanb, ben SJioment pergeffen, wo bie etle Königin ben 23efebl ccm Könige erhielt, auch nach Silfit gu tarnen, um womöglich noch rortheilbaftere griebenßbebingungen tcn Napoleon gu erhalten. £>ieß hata fie nicht erwartet. Sie war aufcer fid>. Unter taufenb 2hranen fagte fie: „©aß ift baß fdunergbaftefte JDpfer, baß ich meinem SPolfe bringe, «nb nur bie Hoffnung, biefem baburd) nämlich gu fein, fann mich bagu bringen." Hub £uife felbft fagt in ihrem Sagebuche: „SSelche Uebevwittbung mich f off et, baß wei§ mein @ott! ©enn wenn ich gleich ben Scann nicht h°ffe, fo fehe ich ihn hoch alß ben an, bet ben König unb fein 2anb unglücflid) gemacht. Seine Salcnte bewunbcre ich, aber feinen Gh°rafter, ber offenbar hinterliftig unb falfch ift, fann icb nicht lieben. höflich unb artig gegen ihn gu fein, wirb mir littet werben. ©och baß Schwere wirb einmal ton mir geforbert, Cpfer gu bringen bin ich gewohnt."

91m 4. 3uli fuhr bie .Königin nach bem in ber SRä^e ton Jilfit gelegenen ©orfe ißicftupönen, wohin auch ber König unb fclgenben Sageß Kaifer SIcranber fam. 33on bem SOiinifter £at* benberg, beffen Gntlaffung Napoleon fo eben erzwungen, lieh ft<h £uife über bie fdfwebenben fragen genau inftruiren. 3u ihrer Segrüfjung hatte ber frangöfifdfe Kaifer ben General Gaulaincourt gefanfct ; gugleicft lief? er fragen, ob ihre SDRajeftät ihm bie Gbre errreifcn woUe, ein fMttagßmahl eingunehmen? Sobalb fie in bn Stabt angefommen, gebenfe er ihr ben erften 33efud) gu machen.

Unter bem Geleite frangöftfcher Grabebragoner gelangte Suife fim Nachmittage beß 6. 3uli nad) Silfit unb flieg in ber SBohnung

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beö ÄönigS ab. Cfine Birtelftunbe fpäter fuhr fRapoIcon »er, am Suffe frer Slreppe »on frer JDberhofmeifterin »on Bofj unfr frer ©täfin £auenfcien empfangen. Gr war berichtet bie Grftere, höflich, ipradj jehr lange 3eit mit frer Königin unfr bann fuhr er fort, ©egen acht Uhr begaben wir unö ju ihm, ba er au8 fRücf* ficht für bie Königin fein 2)iner früher befteHt halte. SBäbrenb ber Jafel war er febr guter Saune unb fpradj fehr »iel mit ber .Königin. 9iach 2ifche hatte er eine lange Gonoerfation mit ber Königin, bie auch ziemlich jufrieben mit bem Grgebnih berfelben war. ©ott wolle geben, bah eS 3U etwas hilft-"

Bon aitberer Seite wiffen wir, baff bie Königin nach bem fötahle mit ben jefrönften Hoffnungen non SORemel nach Bicftupöiten ^urücffebrte , ja bah fic f<h»n nach ber erften Unterrebung mit Napoleon »oH Sreube glaubte, ihren 3mecf, ben §einb 311 billi« geren SriebcnSbebingungen 311 bewegen, erreicht 3U haben.9)

Sluch baS eine unb anbere SBort, baS bei frer benfwürbigen Begegnung gefprochen, ift befannt geworben, »or allem bie fd?öite Antwort, bie Suife bem llebermüthigen auf bie geringfügige Stage gab: „Slbcr wie fonitten Sie nur ben .Krieg mit mir an» fangen?“ „Sire, erwifrerte bie .Königin, bem Siuhme Sriebri<h$ war eS erlaubt, uns über uitfere Äräfte 3U täufchen, wenn anberS wir unS getäufcht haben." ©ewanbt, »oll ©eift unb feinen SacteS wufjte bie Königin, wie Napoleon felbft geftanben, fich ftetS als Herrin ber Unterrebung 3U behaupten, unb babei machte auch »hre hD^e Slnmuth einen jo tiefen Ginbrut! auf bie harte Solbatennatur, bah ber Kaifer gegen feine Neigung höchft artig war uub ihre Bestellungen unb Bitten feineSwegS abwieS.

0ber fchon folgenben SageS, als man in ber Umgebung beS .König allgemein bie Hoffnung hegte, bah Napoleon, gerührt burth bie SDemüthigung ber unglücflichen 99tonarchin, feine Sorberungen in ber üliat mäfsigen werbe, melbete ber ©raf ©elf}, »on einet $u»

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tienj bei bem jfaifer jurncffeprenb , baf) biefer alles, waS et am geftrigen Sage »erjprocben , bereits wibemtfen habe uttb felbft in bet £ärte feiner Berberungen nocp weiter gegangen fei, als cor ber 3ufammenfunft mit ipr. „SlleS," fe patte er mit bürren Sorten , erflärt, aUeS , waS er ber Äönigin gefagt, feien nur. pöfiifepe spprajen gewefen, bie ibn ju nichts »erpfliepteten ; beim er fei entfploffen , bem Könige bie Gilbe als ©renge gu geben; eS fei triebt bie SRebe ba»on, noep gu unterltanbeln , inbem er bereits alles mit bem jfaifer Sleyanber »erabrebet habe, auf beffen greunb» febaft er SBertp lege: ber Äönig banfe feine Stellung nur ber rütcrlieben Ülnpänglicpfeit biefeS ?3ionarcpen , ba ebne biefen fein ('RapoleonS) S ruber £>ieronpmu§ Äönig non fBteupen geworben rntb bie je^ige SD^naftie »erjagt wäre."10) SaUepranb, fagte man, fei Sepulb, ba§ Napoleon fiep triebt babe erweisen laffen. „Sire, foll bie fRaepwelt fagen, bap Sie einer fepönen grau we= gen Spren jepönften gelbgug niept gehörig auSgebeutet paben?" mit biefen Söorten fod ber SDipIomat ben fuijerlicpen tperrn an bie Strenge, bie er gu mäßigen in ©efapr geftanben, gemahnt haben.

Unter folepen Umftänben »on SRapoleon nedj einmal mit bem Äenige gur Safel gelaben, fonnte ßuife nur mit bem tiefften SBiberwillcn ficb pinbegeben. „Napoleon, berichtet bie £>betpof* meifterin, jap »erlegen unb gugleicp tücfifd) unb boshaft aus." „SSRan fepte fiep halb gu Sifcpe; bie Gonoerfation war allgemein jebr gezwungen unb einfilbig. SRacp Sijcpe fpratp bie Königin no<b einmal mit Napoleon; beim gortgepen fagte fie ipm, fie Serbe abreifen unb empfinbe eS tief, ba§ er fie getäufept pabe." Saffelbe wieberpolte fie, als General SDuroc ipr am näcpften Jage bie äbfepiebScomplimente beS ÄaiferS iiberbraepte : „fie pabe niept geglaubt, ba§ eS möglidi wäre, fo getäufept gu werben."

'Bei ber lepten Unterrebung fuepte Suije bem patten Sieger

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wenigftenl! fccö 33erfpre<hen ju entreißen, bafs er am linfcn Gib« ufet bem .Könige ba§ fefte Magbeburg Iaffeit werbe; aber bcr Äaijer blieb, wie er »ott fich }elbft in einem 33 riefe an bie @e» mahlin Sofephinc fagt, wie „ein JBadjStuch, übet welches biefj alles nur wegglitt." Suife bagegen jagt ein 5ahr fpater, inbem fie fich bet Unterrebitng mit Napoleon erinnert: „Sich welche Grinnermtg! SBaö id) ba gelitten l)abcr gelitten mehr um an« berer, als um meinetwillen. 3dj weinte, id) bat, in Flamen ber Siebe unb ber Humanität, im Flamen unjerS Unglüdö uub bet ©ejejje, welche bie SBelt regieren unb ich war nur eine Stau. Gin fcbwacheS SBefen, unb bo<h erhaben über biejen Sßiberjacher, jo arm unb matt an £c*z. " 2>afj SRapoIeon ihr beim Slbjcbieb eine frifche SRcfe gereicht, welche bie .Königin, nach einet SlnfangS ablehnenben ©eberbe ficfc felbft überwinbenb, mit ben wie eine 33ebingung Iautenben Sßorten annal)m: „zum Minbeften mit Magbeburg ,“ unb baf; Napoleon unzart hierauf erwibert: „aber

ich mufc bemerfen, bafc id? e8 bin, ber bie SRoje gibt, unb bafj Sie eS finb, welche fie empfangen," mag man bezweifeln, nicht aber bie ron mehreren Seiten bezeugte SUjatjache, ba§ bie unglücf liehe Königin ftd) gegen Napoleon beim SBeggehen über bie ihr bereitete jchmerzliche Säujdjung lebhaft unb rüefhaltloS be* flagte.

9loch weniger fteunblidj »erlief bie Unterrebung, bie z1^ Sage jpäter noch einmal ber tiefgebeugte unb boch ftctS feiner SBürbe fich bewußte .König mit bem übermüthigen Machthaber hatte. Sßic gebrich SBilhelm, bem auch bie granzojen bieSlnet* fennung nicht »erjagen, bafe er fich »or bem Sieger feineflwegä erniebrigte unb jeine wahren ©efühle nidjt »erbarg , jo noch weniger 9iape!eon. „Mit gtofjer .Ipärte jagte er bem Könige bie aller em« pfmblichftcn unb »erlejjcnbften Swinge." 11 )

3luch ohne bieje unwürbigen perjönlichen Äränhmgen war

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bet Jilfiter «rieben für ben Äenig bcmütbigenb unb bitter genug. SButbe ihm fcocf), inbem er bie Jpdlfte bed Staatsgebiet oetlor, bie anbere Hälfte nur gelaffen „als ein 3eugnif3 ber ‘Ächtung , " bie tRapoIeon gegen jtaijer Älejanber Ijege, mäbtenb tHußianb gum 3>anf für bie Sirene bed l'erbünbeten fid) mit einem Stücf freugift^en ßanbed oergröfjerte. ©ollenbd oerberblicb mar enblic^ bie eon Äalfreutb am 12. 3nli in fträflidjer ©ebanfenlofigfeit abgefchloffene ßonoention, bie IRänmung ^reufsend non ben franjö* fifcben Simplen betreffenb; benn biefer Vertrag machte ben Äb* 311g ber feinblicben Jpeere oon Bablungen abhängig , bie ber Sieger in’d Uncrjcbminglicbe gu fteigern entjcfyloffen mar. «ortan mar bal oerftümmelie, mebtloje unb erfdjopfte Preußen ganj in 9lapo* leond £änbe gegeben; cd ftanb in feinem belieben, bem »erfjafjten Staate, f obalb et mellte, gang ein @nbe ju matten, unb meljr ald einmal bat er ba mit in ber Jbat gebrobt.

93icine arme .Königin, fie ift ganä in ©erjmeiflung " jcbtieb bie ©räfin ©o§ nach ber lebten Unterrebung ßuifend mit Napoleon. fftocb jcbmer^Iicber mufjte fie ed in ben nädjften Ja» gen empftnben, bafj aHed, mad fie bem Könige, ben Äinbern unb bem SSolfe ju Siebe für bie SBiilberung bed Sd)icffald bed Staates getban, oergeblid) gemefen; man fab fie traurig unb gebeugt unb manche bunfle Stunbe brachte fie in Jf^cmen SDie arme Königin meint ju oiel." ©leicbmobl erlag ibre ftar!e Seele bem Schmerle nicht. Sie richtete fidj auf in bem ©ertrauen auf @ott unb in bem ©emufjtjein, baf) ber .König nur ber (ihre ge* mäh gebanbelt habe. Äud) glaubte fie noch um an bie heflere 3 n tun ft $reu§end, ald fich bie ganje Jragmeite bed Jilfitcr Stiebend noch nicht überfeben lief).

„5)er «riebe ift gejdjloffen, fchrieb fie ber grau oon ©erg, aber um einen jcb merklichen ©reid; unfere ©reichen merben fünftig nur bid $ur (flbe geben; ben noch ift ber König größer ald fein

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SBibetfadfer. ©ad) ©Blau hätte er einen oortheilhaften Sieben machen fcnnen, aber ba hätte er freiwillig mit bem böfen ^3rin- gip unterbanfceln unb fid) mit ihm »erbinben muffen : jefct bat er unterhantclt, gegwungen burch bie ©otb, unb wirb ftdfc> nicht mit ihm cerbinben. 2)ag wirb ^reufecn einft Segen bringen! IHucb hätte er itad) Ch)Iau einen treuen Miirten oerlaffen muffen, baß wollte er nicht- ©od) einmal, biefe £anblunggweife wirb 93reu§en ©lücf bringen, bag ift mein fefter ©laube."

So war bie bcx^ßefitmte grau befähigt, bem .A'önige in ben jchweren Prüfungen, bie über ihn ergingen, eine Stüfje gu fein. Swar entfpridit eg ber 5ßabrl)eit nicht, baf; griebrtcb SÖßilhelm, burch bag 33erhängni| nicbergebeugt , ftef; mit bem ©ebanfen ge= tragen, gleic^fam um bag @d)itffal gu oerföhnen , in ben $)rioat= ftanb gurüefgutreten unb bie Regierung glücflicheren £änben gu überlaffen, unb eben fo wenig ift eg richtig, baff ber Ä'önig in feinem äu§em Sluftreten je ber geftigfeit unb SBürbe entbehrt hätte, bie bem preufcifeben ©ionardfen gegiemte; wol)l aber geigte er [ich, wenn er einmal fid) oertraulich augforad), fo nieberg ebrüeft unb traurig, baff eg einem, wie bie ©räfin 33of? fagt, burd)g £erg ging unb man ihm nur mit beiden 2h™nen guhoren fonnte. 1 s) £>a beburfte benn ber Äonig all ber Sröftung unb Stärfung , bie ihm bie innige ©emeinfdjaft mit ber cblen @emal)lin gewähr* „2>ie Königin, berichtet bag oft angegogene Sagebuch, geht jefjt jeben ©Jorgen unb jeben 2(bcnb mit bem ft'önig allein fpagieren, unb fie ift fooiel alg mbglid) mit ihm, um ihn gu tröften." 33on ihrer Siebe getragen fanb audj griebrich SBilhelm bie Äraft , unter ben benfbar fchwierigften SUerhältniffen bie ©flirten beg förtiglic^en 5tmteg gu üben, währenb er willig bahin gab, wag fonft ein fürft* licheg IDafein oerfchönert.

ÜDer föniglid)e .ftaugbalt warb auf bag ©otbwenbigfte be» fdiränlt, SDienerfdjaft unb Gquipagen oerringert, foftbare Sioreen

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atgejcfeaift, ielbft baS gro§e golbene Jafelgefdfirr, ein (ärbftücf ln Leiter, gu (Selbe geflogen, um Bähungen für baS Sanb mb bie ferner gebrücften Untertanen gu leiften. betreiben 3»«f gab 2uife, als bic fort unb fort nod) mudjS, ihre SBriI= Inttrn bin unb behielt nur einen Sdjmucf Don perlen, bie fte nad? ihrer eigenen Aeufjerung mebr liebte als bie (Diamanten unb auds paffenber für fid) fanb; „benn perlen bebeuten Jhränen unb ü habe beren fo Diele oergoffen."

9§c^l entbehrte bie .Königin in ben Jagen beS UnglüdfS beS intern SdjmucfeS, unb mie alles, maS fie umgab, fd)lid)i unb entfach mar, fo mar audj bie Königliche Jafel in SJtemel fo frugal letteQt, bah man an bürgerlichen gamilientifdjen beffer jpeifte, als tcrt. 'Aber grabe inmitten ber (Entbehrungen, meldjc bie fenig* liibe gamilie, aud) hierin ein ftiH IcuchtenbeS 33orbilb ihres i!clfS, in ebler fKefignation fid) felbft auferlegte, bot bie Königin bad anmuthigfte unb hehrfte Silb bar. Sticht taufenb .Jpoffefte mit golbenen Uniformen unb «Sternen, " Jagt ein ruffifdjer (Diplomat, bet ju ÜJtemel einen Abenb in ber föniglidjen gamilie gubradjte, .möchte id> in meiner (Erinnerung Dertaufdjen gegeu jenes Schau* iriel. (Eine Königin fijjt am ärmlichen Jifdje, ber mie fie felbft alles äufcem SchmucfeS entblöft ift; aber ihre Anmutb, Schön« Wt unb Söürbe leuchten um fo heller, sieben ihr fijjt bie ältefte hringefftn (Charlotte), mie bie .Knospe nebeH ber entfalteten Stofe, rab inbem fie mit ber ÜJtntter bie fleinen ^auSgefchäfte theilte, entjüdten beibe burch liebenSmürbige Aufmerff amfeit unb liefen in seiner Seele ein IebenbigeS 53ilb gurücf, ba§ fein fpätereS Creig«

mlöfdjen fonnte."

gruher hflUe fich bie .Königin Don öffentlidjen Angelegenheiten ’etn gehalten unb mit richtigem Jade eS gemieben, (Einfluh üben •ter gar nach au|en etmas anbereS als bie DoUftänbige U eberein« ftimmung mit bem Söitlen beS Monarchen terratben ju mollen.

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„Sie oerjdjmätjt, jagt Don itjr bie grau von ©erg in einem an Stein gerichteten ©liefe, bie Reinen Mittel, welche ihr Macht geben fönnten ; man muß fie um fo höher achten. @8 ift in bem ©efüljle ihrer Pflicht als ©attin, ba§ fie fich h*nS*öt unb aüe Steigungen uub Meinungen beS ÄönigS theilt, baß fie biejenigen Dertßeibigte , welche er »ertl)cibigte. kennte man ihr einen ©er* Wurf barauS machen? Snbeffen ift baS Unglücf ber Beiten fo groß unb fo graufam gewefen, baß ihre Augen über Diele 2)inge geöffnet finb. Sie ift Mutter, unb bic Bufunft itjreö SohneS, ihrer Äinber fann fie nicht gleichgültig Iaffen; baju hängt fie in« nig an ihrem Sanbe."

2)ie brangoode Sage be$ Staats cerfchaffte ihr, wie oon felbft, feit ber großen Jriataftrophe ©inftuf) auf manche ©ntfchlie* jungen beS ÄönigS. So ift eS unter ihrer Mitwirfung gefächen, bafe griebrich SBilhelm balb nach bem Abfd}lu| beS unglücfli^en griebenS fich entfcßloß, mit bem SBieberaufbau beS gefallenen Staates oor adern ben Mann ju betrauen, ben Mit* unb Stach» weit mit Stecht als ben SBieberherftefler 3?eutfchlanb8 gefeiert haben, ben greihern Jtarl oon unb jum Stein. AuS einem alten reichsritterlichen ©efchlecht an ber Sahn entfproffen, oon treffli* cheit, ftreng religicfen @ltem in guter alter Bucht ergogen, halte Stein fchon als junger Mann in bem Staate griebrichS bcS @ro* fjen ©ienfte genommen. Anfangs als ©ergrath in SBeftplja* len thätig, ftieg er, SDanf feiner herDorragcnben ©egabuttg unb ©huraftertü^tigfeit, oon Stufe gu Stufe empor, bis er als ©räfibent ber weftfälijehen Kammern an ber Spiße ber bortigen ©ioilcerwaltung ftanb. AIS il)m im Bahre 1802 ber Antrag würbe, in hannooer’fche SDienfte ju treten, lehnte et mit ber benf* würbigen ©egrimbung ab , ba§ feine Uebergeugung ron ber Stoth* wenbigfeit einer ©erciniguttg ber gerftreuten unb gerftücfclten Kräfte

SDeutjcßlanbS fich nicht mit ben Pflichten »ertrügen, bie et bann

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ju übernehmen hatte. Oft fab bic 3ufunft DcutfdilanbS in ^reujjen unb fcarum biente er biefem Staate mit notier Jpittge» Jung.

©alb mürbe ber Freiherr non Stein non bem Könige grieb» ridt SBilbelm III. gum ÜRinifter beS .fpanbelS unb ber ©ewerbe ernannt, fonnte aber bei ber bamaligen Einrichtung ber 9ftegie= rung als bloßer gadhminifter feinen Crinflufj auf bie grofjc ©olitif üben, fonbem nur in feinem fKeffort mancherlei bebeutungScolle ©erbefferungen einführen. @r fah corauS, bafe ber furgfichtig unb j4»5(hli(h geleitete Staat bem ’.?!bgrunbe 3ufteuerte: cergebenS ftellte er in einer ber Königin überreichten Denffdjrift bie ?Rott>= »enfcigfeit, baS geheime Gabinet unb ben SJJinifter Jfjaugwih entlaffen, cor. Gr brang jeboch mit feinem 9tatl)e nicht burch, 30g ftdh rielmehr eine tRüge com Könige 3U. sJtur 3U halb trat bann bie Kataftrophe ein, bie er oortjer fah unb nidjt abwenben fonnte. UebrigenS rettete et, als nach ber S<hladjt con 3ena bie anbent fDiinifter wie bie ©encrale ben Kopf eerloreu, bie Waffen feines Departements nach Königsberg unb cerfchaifte fo bem Kö* nige bie SJbittel, in bem genüge con 1807 Wenigstens bie 2Baf= fenehTe ^reujjenS wieber he^uftetlen. Unb als enblich griebrich Silhelm ben cerberblichen ^augwitg für immer con bem Staats* ruber entfernte, bot er Stein baS ÜKinifterium beS SluSwärtigcn an. Stein brachte bafür #arbenberg in ©orfdjlag unb ^ielt fich geeigneter für baS SHinifterium ber ginangen, welches er jeboch nur unter ber ©ebingung cerwalten wollte, bafj ber König baS Gabinet mit feinem hinbentben Ginfluffe gang aufhebe. Darüber fam eS im Sanuar 1807 gu einem heftigen Gonflict unb Stein »utbe unter ben ungnäbigften SluSbrücfen entlaffen.

Utiemanb beflagte ben ©eiluft beS großen Staatsmannes lebhafter als bie Königin. „Sie waren ja hier," fdjrieb fie fpä»

XL 242. 24X 3 (71)

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ter an bie % nertraute grau ton Söcrg, „tote ©fein fiel, wie er fo gang unwürbig untergeben muffte. ©ie totffen ja, mie midi ba$ angriff, wie id) baran nahm, wie niel &ngft wegen ber golgett id> auSftanb, wie ungufrieben id) mit allem mar."

$ief gef ritt ft tjatte ber greiberr non «Stein fid) auf fein ©tammfdjlof; im ^affauifdjen guriiefgegogen. 9lber met)r als bie ii)m wiberfabrene Unbill erfdnitterte ben großen Patrioten baS Unglücf beS 23aterlanbe8. @r lag noch franf amgieber barniebet, als nach bem Silfiter grieben ber.ftönig ibn in ebrenooOer Söeife gurüefberief, als ben einzigen fötann, ber ,£mlfe bringen femte. Unb ©tein nerfagte feine 2)ienfte nid)t. Ötodj leibenb machte er fid) auf ben Seg natb bem fernen föiemel, non ber Hoffnung getragen, ba§ eS ibm gelingen möd)te, ben niebergeworfenen ©taat auf neuen ©runblagen wieber aufgubauen, baS 33olf mit einem neuen ©eifte gu erfüllen unb alle feine Prüfte tnadjgurufen ür bie Rettung beS gefunfenen SSaterlanbeS.

2)ie Königin ßuife fab bet Ülnfunft beS großen ©taatSman* neS mit wadjfenber ©el)nfud)t entgegen. 9118 gu Anfang beS ®ep* temberS non ÄnobelSborf auS ffBariS berietet würbe, wie granf« reich mit empörenber SBiKfür baS ötcdit beS ©tarieren auSgu* nüfcen trachte, unb ßuife faft nergweifelnb in bie Söorte auSbrad): „9ld) mein ©ott, warum b<*ft bu mich nerlaffen?", rief fie gu« gleich febnfüdjtig auS: „2ßo bleibt beim ©tein? 3)ie8 ift noch mein lefcter Sroft. ©roßen £ergen8, umfaffenben ©eifteS, wei§ er niellcicbt 9lu§wege, bie unS noch nerborgen ftnb." „©tein fommt, beißt eS in einem fpäteren ©riefe, unb mit ibm gebt mir wieber etwas ßiebt auf." Unb ein anbet fötal: „5Bie glücflidj bin id), baf, ©tein wieber t)ier ift; ja feitbem id) ibn wieber an ber ©pifce bet ©efd)äfte wei§, ift mir, als fönnte idb mich) höbet <w

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entrichten unb als würbe mein forgenfcfcwereS -fraiqjt mir leister $n tragen."

£>ie Königin hatte SRecf)t, Stein als Jpelfer in ber fftotb gu begrüben. Kann bod? ber Jag, an welkem biefer Staatsmann, ancfc con bem Könige mit coflem Vertrauen aufgenommen, an bie Spigc ber ©efdjäfte trat, noch beute als ber beginn ber SBiebergeburt ^3reu§enS unb ber Vorbereitung gur SRettung beS ©ejammtoaterlanbeS bezeichnet merben. Vicht in bem Sinne frei» lieh, als ob bie tiefgreifenben Reformen, bie baS SJlinifterium Stein einig benfwürbig machen, oon ber Vauememangtyation unb ber Stäbteorbnung bis gu ber Anbahnung ber VeidjSftanbe, nicht tbeüweife fd;on in ber oerhergehenben 3eit corbereitet worben wären:’ s) wof)I aber gab bie Kataftrophe non 3ena unb Jilftt ben fräftigen SmpulS gur SDurchfiihrung beffen, waS man ebne ben Vothftanb nur langfam geförbert ober noch gar nicht in 2ln= griff genommen haben würbe. Unb nicht allein um bie politifdje Crganifation beS VolfS banbeite eS ftd), fonbem auch um bie grünbliche Umwanblung beS £eerwefen$, bie, wie man weih, unter Stein’S lebhafter Jheilnahme na<h Schamhorft’S Ijocfifinnigen Jbeen in Angriff genommen würbe, #ier war eS oomebmlicb, wo ber .König mit ebenfo tiefer ©infidjt als Unoerbroffenheit bert SB eg e^ocbemachenber Reformen betrat.

23a8 aber hat mit bem, baS Stein, Sdjarnhorft unb ihre SRitarbeiter in ben Jagen ber Votf) fdjufen, bie Königin ßuife gemein? VidjtS geringeres, als bah fte eS war, welche jenen SRännem bie Söege am £ofe ebnete, Schwierigfeiten, c^inbemiffe unb Verutiheile, mit benen fte gu ringen hatten, überwinben half- „3cb bejehwöre Sie," fchrieb ßuife gleich *n ben erften Jagen an Stein, „haben Sie nur ©ebulb mit ben erften SRonaten; ber .König hält gewih fein SBort, Veljmc (einflubreiebftet GabinetSrath)

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fommt weg, aber erft in Berlin. ©o lange geben ©ie nach- 35a§ um ©otteöwillen baS ©ute nic^t um brei ÜJconate ©ebulb unb 3tit über ben Raufen falle. 3dj befchwöre ©ie um Äönig, Vaterlanb, meiner Äinber, meiner felbft willen barum. ©ebulb!"

Oft ocrfehrte aud) bie Königin perjenlidj mit bem leitenbeit ©taatömanne, jo wie mit ©djamhorft, ©neifenau unb Anbem. Auf’8 engfte aber war fie mit ter ^ringejfin Suife (Siabgiwitl), ber begeifterten Verehrerin ©tein’ö, jo wie mit ber feingebilbeteit unb patriotifd) gefinnten Vrinjcffin SDtarianne, ber ©ema^Hn beS hodjfiitnigen bringen SBiiljelm (jüngfter Vruber beö ÄöttigS unb Vater ber Königin =5Rutter non Vapeur) befreunbet. 3n biejem Greife man fcnnte il)n ben üRittelpunft ber patriotijchen Sie* formpartei nennen würben bie Angelegenheiten be8 VaterlattbeS eifrig beraten, unb oft genug mag ber Königin bie Aufgabe 311* gefallen fein, in ihrer feinen unb gewinnenben SBeije ben Fcnig* liehen ©emal)!, ber noch immer mächtigen Partei ber ©igennüjjigen, fragen unb feigen 3um Ürojj, in feiner reformfreunblichen ©e* finnung ju beftärfen, unb nedj öfterer, milbemb, »erjöhnenb unb »ermittelnb einguwirfen, wenn ©tein, welcher jehon in feinem äufjern Auftreten mehr ben gebornen Jjjerrfdjer als ben “Diener an* fünbigte, ber Cf innige, ben ©djarnhorft neben 33liic£>er gang ohne COtenfdjenfurcht wu&te, in jeinem Feuereifer perjonlidje Siücf fiepten aftgu oft Derlejjte unb am wenig jten bie ©ewohnheiten bes JpofS beobachtete.

£>hne mit ben fragen ber Verwaltung unb ©efepgebung im ©ingelnen oertraut 3U fein, theilte ßuije wenigftenS bie ©efin* nungeit, welche beit Staatsmann beje?lten, unb war eben jo mit betn le&ten 3irie, baö ber fühne Freiherr feit feinem Amtsantritt unoerwanbten Slicfee verfolgte, oöllig einoerftanben. SBenn ©tein, wie er felbft jagt, „oon ber $auptibee auöging, einen ftttlichen, (»O

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rrligiöfen, oaterlänbifchen ©eift in ber Station ju lieben, ihr neuen SRutfc, ©elbftoertrauen, ©ereitwilligfeit ju jebem Cpfer für llnab* bängigfeit non gremben unb für SRationahuoljI einguflöfjen, unb bi? erfte künftige Gelegenheit ju ergreifen, ben blutigen wagnifj* rollen Äampf für beibeö ju beginnen," fo war er ber lebhaften ©eiftimmung unb Unterftüjjung ber Äönigin fidler.

3unä<hft freilich brangten anbere ©orgen, Sorgen ber pein» lidbftm 3frt. 3n ber fdjon erwähnten Gonoention oorn 12. 3uli irar oon ben granjofen bie attraälige Räumung ber bem Äonige nirüdgugebenben Sänber abhängig gemadjt non ber 3ahluitg »ber Sidyerftellung ber ÄriegSc ontribution , beren «fwhe noch ju be* rechnen war. ©eneral ©aru in Berlin, mit ber SfuffteOung ber gorberungen betraut, würbe au?brücfli<h angewiejen, fie fo hoch rrie mcglid) ju fpannen. SOiit „blutfaugerifcher SKeifterfdjaft" rolljog er ben Auftrag, währenb bie frangefifdjen Armeen in uner» bcrter Seife ben Unterthanen ihre lejjte £>abe abprefeten, bie Gom* manbanten mit au?gcfuchter Snfoleng auftraten unb ait? ben fönig» liehen ©chlöffern Äunftwerfe unb Äoftbarfeiten aller 3lrt al? 3?euteftücfe nadh ?)arig fchafften. Gnblidj im Dctober würben bie gorberungen auf 154 Millionen granc? ftrirt, für welche als Unter» pfanb bie fünf beften geftungen be? Sanbe?, auf ©reufjen? Äoften mit 40,000 SDRanit feinblidier Gruppen befetjt, oerlangt würben. Selbft ©tein würbe 9lngeficf?tö ber mafflofen ^nforberungen be? Sieger?, wie bie Königin fagt, „jutn elften 5Jtale wie 3U ©tein." „So ift unfere fürchterliche £age, an ber h>ev alle? barnieber liegt. Sludf mid) nerläfjt nun halb alle .traft. G? ift furdht» bar, entfefclich hart, befonber? ba e? unoerbient ift! SOJeine Bufunft ift bie aOertrübfte! Senn wir nur ©erlin behalten; aber manchmal prefjt mein ahnungsDolIe? $erg ber ©ebanfe, bafj er e? un? auch noch entreißt unb ju ber -fpauptftabt eine? anbern

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ÄönigreicfeS macfet. Sann bube ich nur einen SBunföb, auS* guwanbem, »eit »eg, als ^rioatleute gu leben unb gu »ergeffen »o möglich! 31 cb @ott, wofein ift eS mit ^reufeen gefommen!

SSerlaffen au8 ©efewaefefeeit, »erfolgt auS Uebermutfe, ge* fdfewäcfet burefe Unglücf fo muffen wir untergeben!" Sßenn eS nocfe eine Rettung gibt, fo hofft bie Königin fie nur con ©tein. „Qiottlob, bafe ©tein fei er! Sag ift ein Beweis, bafe ©ott un8 noch nicht gang »erlaffen bot.“ Unb ein paar SBocfecn fpäter (29. Dctober 1807), als »on Napoleons 33e»oHmäcfetigten au8 93etlin »on 9tcuem nieberfefemettembe sJlacfericfeten famen, »ar e8 ifer ein SLroft, gegen ben mitfüblenben Staatsmann ibrett ©dbmerg auSgufpredfeen, feinen Augen fRatfe gu bören. ,,©ott, wo finb wir," fcfelofe fie bie (Sinlabung an ibn, „wobin ift e8 gefommen! Unfer SobeSurtfeeil ift gefprodjen!"

68 würbe befcbloffen, mit Unterftüfeung fRufelanbS eine (Sin* wirfung auf Napoleon gu »erfudfeen. Sie Königin überwanb fiefe gu einem 23riefe an ibn. Sann warb ißring SBilfeelm, ber 33ru« ber be8 Äönigg, ttadb $ariS gejanbt, mit Aufträgen, weldbe ©tein rebigirte. 3lbet fftapoleonS triigerifefee ^olitif gog bie Unterbanblungcit bi8 gum ©ommer 1808 in bie fiänge; unb bis babin blieben nicht »iergig, fonbent nabegu gweimalbunberttaufenb grangofen auf preufeifefeem ©ebiet unb lebten auf beffen Äoften.

Sie Königin, weldbe ihrer üftieberfunft entgegenfab unb in gjiemel burdb bie falte feuchte ßuft nicht wenig litt, butte gehofft, gegen (Snbe be8 SafereS nach Berlin gurueffeferett gu fönnen; fie mußte froh fein, bafe Napoleon fi<h enbUdb bewogen fanb, Oft* preufeen räumen gu Iaffen. „Sie Königin fönne alSbann, liefe er ihr melben, ifete SBocfeen in .Königsberg holten; nach ©erlitt brauche fie beefealb gar nicht gu geben, baS fei nicht nötbig." „6r ift

(T6;

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rin gewiffenlofer Vöjewicßt, ein nieberträchtiger 'JRenfcß, " fegt Me ©täfln Voß ^ingu.

üiicßt oßne beit Ölusbrucf innigen Sanfeb für bie gaßlrei» (feen uitb rüßrenben Veweije oon Siebe unb Slnßänglicßfeit, welche beni jtenigepaate oon ben Vewoßnem fDlemelb wäßrenb bet brang« tollen Seit gegeben worben, fiebelten §of unb Veßörben am 15. unb 16. 3anuar 1808 naeß Äönigeberg übet. Sab große Glenb, bai hier bet ^trieg unb bie feittblidje ßccupation ergeugt Ratten, binberten nicht einen ßerglicßen unb feftlicßen Smpfaug. Sie Äettigin erhielt oon bet 25ürgerfd)aft eine Chaise longue oon grünem ©ammet gum ©efeßenf. 33iergeßn Jage f pater wutbe bie $ringeffin Suife geboren. Snbem ber Äönig bie Stäube oon Cftpreußen gu fßatijen nahm, geigte er oon Steuern, baß eb fei» nem bergen ein Sebürfniß war, bah fßanb gwijcßen feinem $aufe unb feinem Volfe immer enger gu htüpfen. Unb wenn je, fo ift biejeb Vanb in ben Jagen gemetnfamer Vebrängniß gefeftigt worben, alb griebrieß SBilßeim unb Suife bem gangen Volle wie in ©tanbßaftigfeit, (Srgebenßeit unb Seelengröße, fo in Sinberung frembet 9totß unb frei gewählter ©ntbeßrung ooraitleucßteten.

Smgrüßlinge fiebelte bie föniglicße gamilie aub bem Schlöffe nach bem £tpperjcßen ©arten (bie $ufen) oor bem Steinbanimer 2ßore über unb lebte hi« in ähnlicher SSeife eingefeßränft wie in üRemel. Sie Königin lab oiel unb gab fieß mit Vorliebe bem Stubium ber oaterlänbifcßen ©efdßicßte ßin. „3<ß lefe fleißig bie ©efeßießte unb lebe in ber Vergangenheit, weil bie Sufunft nießt wehr für mieß ift." £alte Suife in bem länblicßen Stillleben ßcß etwa gang auf fteß felbft gurürfgegogett, unberührt oon berSlußen* weit unb beren Srangfalen? 6b fonnte jo feßeinen. r,3(ß habe gute Vücßer, ein guteb ©ewiffen, ein guteb gortepiano unb fo

an

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fann man unter ben ©türmen ber 2Belt ruhiger leben, al§ bie= jenigen, bie biefe ©türme erregen."

S3alb genug aber füllte aud) bie Königin non ben großen SBeltereigniffen in SSnfpntdj genommen werben. Napoleon batte mit unerhörter Sift unb Sücfc bie 33ourbonen in ©panien ent= thront, um feinen 23ntber gutn Könige gu erheben. Suife empfanb lebhaft, mag ba8 freoelljafte ©piel in fölabrib unb iöatjonne für anberc oon 9iapoIeonö ©naben abhängige £öfe bebeute: „5öaö fagen ©ie gu ben 9tadjrid)tcn auö ©panien?" fdjreibt fie ber »er* trauten grau oon SSerg. ,,©inb fie nid^t ein neuer Singergeig ber eifernen $anb, bie fdjwer auf ber gebeugten ©tim (Europas ruht? (Sin wamenber gingergeig nicht aud) für unS? 9)iiffen im grieben feinen erften 33unbe8genoffen entfernen! ©ie ©aat ber Bnnctradjt gu fäen gwifd)en Später unb ©ol)n! 3)en Snfanten oom SBaterhergen gu reifjen, ihn auS bem 33aterl)aufe, auö bem Söatcrlanbe 311 oerjagen! 3Ba6 l>aben mir, mir in unferer Sage gu erwarten ?" (Sine nod) höhere Sebcutung foflte für ^teuften gemimten, mag in ©panien auf bie (Entthronung ber SBourbonen folgte. Sene oielbewunberte (Erhebung beS fpanijchen SBolfß gegen bie 9tapoleonijd)e grembherrfd)aft, fonnte fte nicht aud) attberSmo, nicht in ^reufjen, in gang sJlerbbeutfd)Ianb ben ©ebanfen ttatio» naler ©elbftl)ülfe entgünben? (Snglaub, beffen Gruppen fd)on auf ber pt)rennäifd)en ^»albinjel gegen biegrangofen fod)tcn, fonnte an ©elbhülfe nicht fehlen laffen. Deftreid) rüftete in aQer ©title mit größtem (Eifer, ißreufjen fonnte, ©anf ber Shätigfeit beS ÄönigS unb feiner unoergleid)lichen Mitarbeiter, eine mohlgerüftete Slrmee oon 50,000 SRann fteflen, unb Napoleon muffte ben gröjj» ten 2t)eil feiner Struppen au§ ©eutfdjlanb giehen, um bie 5nfur> rection in ©panien gu bewältigen. Söie wenn bann ijSreufjen im 5lnfchlufs an Ceftrcid) ben lebten entfdjeibenben .Kampf begann

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unb feie Hefe (Erbitterung, bie in gang 5Rorbbeutfd>Ianfc gegen bie Sebränger tjenrjc^te, benähte gut Rettung beS 23aterlanbc8? 23ar bieje entfdjloffene unb fübne ißolitif nic^t ber unwürbigen Slbl)än* gigfeit vergugieben, bie Napoleon gu cerewigen trachtete? (Sben nabmen bie 3Sctf)anblungeti in ißariö übet bie Räumung beS preu* §ijd)en ©ebietS bie bebenflidjfte SSenbuitg. 2)er ©intritt in ben jRbeinbunb tcurbe geforbert. SBenigftenS »eilte 9lapoIeon, etje er nad Spanien aufbrädje, fid) ber Sotmäfeigfeit $reu§enS irnbe* bingt vetfid)em; in biefem Sinne feilte enblidj ber Vertrag abge* fdlcffen werben, über ben ißring SSilbelm unterbanbeltc.

Schroffer alö je ftanben fid) jef)t in Königsberg bie fDlänner ren feuriger ©efinnung unb entfdjloffener 2 bat, bie Stein, Sd)arn= borft unb ©neifenau, unb bie Anhänger einer fraitgofenfreunblichen f'ditif, bie 2lcngftlid)en , ©runbfafclofen unb geigen, gegenüber. 2>er König fdbwanfte unb erwartete, el)e et ben Verantwortung^* peilen ©ntfchlufj fafete, ber gu £Deutfd)lanbS ^Befreiung unb gu freujjenS jBemidjtung führen fonnte, bie Ülnfunft beö ruffifdbeit Kaiferö, ba er ohne bie Seiftim mung SiufelanbS ©rfolge für unmöglich hi*K- Sflejranbet fam auf ber 2>urchreife nad) ©rfurt ÜJiitte Septembers in Königsberg an. S ergebend waren alle Se* müljungen Stcin’S, ihm bie ©efabren feiner granfreid) freunbli* «ben ^Sclrtit bargulegen. ^Dagegen oerfpracb SHejranber, bei Diapo» leon in Grrfurt für üßreufcen gu tbun, was er fönne, unb König unb Königin hofften jefjt alles oon ihm.14)

Sngwifdjen erfdjien plöfjlid) in ben öffentlichen Slättem ein von ben frangöfifdjen SBehörben aufgefangeuer Srief beS greil)erm Pen Stein, ber in unvorfidjtiger SBeife bie geheimen ©ebanfen beS fühnen Staatsmannes enthüllte. SteinS Stellung war ge* färbet, unb wie auf einen Söinf arbeiteten theüS offen, theilS im ginftem, in Königsberg wie in 33 erlin bie gasreichen , ciel

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oermogenben geinbe an bem ©turge beß 9)iinifterß unb feitteß ©pfternß. Sludi ber Äöntg glaubte offne ©efafyr für ben <&taat ©tein nidft länger galten gu fönnen. £)ber foflte er etwa, ber Stbmalfnungen Stu&Ianbß ungeachtet, mit Deftreidj ftdf rafch tn ben Äampf gegen ben 3wingt)errn Suropaß ftürgen? 3tber auch Deftreid) gögcrte. SDa ratifigirte ber Äönig, ol)ne ©teilt gu fra* gen, ben unfeligen.lßarifer Vertrag, ber bem Sanbe unerfctfrcing« Itc^e Dpfer auferlegte, baß $eer auf 42,000 SJiann befdjräitfte unb gur ©telluitg einer £ülfßmacbt in granfreidjß Äriegen oer= pflidjtete. ©tein forberte feine (äntlaffung unb erhielt fte, wenn aud) erft nad) 98odfen, unter ben Slußbrücfen »armen 2)an!eß für feine unermeßlichen Skrbienfte. Napoleon aber fd)lcuberte gegen ben geftürgten ©taatßmamt oon ©panien auß feneö be> rüdjtigte ©efret, baß einen „gewiffen ©tein," ber in ©eutfdj* lanb Unruhen gu erregen fudje, alß einen geinb granfreidjß unb beb 5Rl)einbunbeß in bie Siebt erflärte, feine ©ixtet confißcirte unb it)n felbft an jebem Orte gu ergreifen gebot, ©er ©eäcbtete ftüdftete nad) ©eftreid), um fpäter nad) SRufjIanb gu gefeit unb an beß ÄaiferS Slleranber ©eite baß SBefte gu tljutt für ©eutjdflanbß unb ©uropaß ^Befreiung.

9Baß aber bat in jenen entfdjeibenben Sagen, als fidj um ben ©turg beß oon it)r fo bod>gel)altenen SSJünifterß ober um tübne ©ureffübrung feines ©pftemß nach außen »ie nach innen ban= beite, bie Königin fiuife getl)an. ,,3d) leibe, fc^rieb fte am 8. 3uli 1808 an grau oon 2terg, id) leibe unfäglidj. 9lur gu oft fallen SJonoürfe gegen mid) gegen mich, bie xd), wie ber Sttlas bie SSelt, eine SBürbe oon ßeiOeu trage. SSaß fann id) barauf ant* »orten? 3dj feufge unb oerfc^Iucfc meine Sfyränen."

ÜJtit ihrem bergen, wer medjte baran gweifeln, ftanb Strife nach wie oor auf ber ©eite ber entfdjloffeneu Patrioten. SBenn

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fte gleidjwoljl biefen nicht ©enüge tljat, melmebr ©egnem Stein’S il>r Cb* gu leiden fd^ien, jo gefcbab eS nur, weil fie nicht anberS fennte. IS) Senn wenn Ptänner, benen fte Vertrauen jdjenfen burfte, ihr Stein al§ einen Verzweifelten barftellten, welcher fid> mit tem Könige auf eine Puloertonne fejjett wollte, um fidj in bie 8uft gu fprengen, wer mag bie Königin freiten, baff fte für ben ©crnabl, für bie Ämter, für baS SBolf bangte?

Pod? in einet anberen grage fallen ber jdjeibenbe Staatsmann tutb feine gteunbe bie Königin nicht nad) ihrem Sinne fymbeln. 2>er Kaifer Öllejranber batte baS KönigSpaar gu einem 23e)ucbe nach Petersburg eingelaben; Stein rietl) ab, bie Königin erflärte fid? bafür, oielleicbt in ber Hoffnung, Stufflanb, bie Iefcte Stü^e beä gefäbrbeten Staats, um fo fefter an preuffen gu fniipfen, rietleicbt auch auS Sorge »or ber frangöfifcherfeits geforberten fRücf* Mjt nach Berlin, wo nach bem Urtljeile SteinS, welcher oft genug oor bem Sdjicffale ber fpattifchen Sourbonett gewarnt batte, ber König fich in einer Piaufefalle befinbett würbe, auS ber ibn bie ijrangofen nidft wieber entrinnen liefen.16)

Segen Gnbe beS Sabres reiften König unb Königin nach Petersburg ab. Sem t>erglic^en Empfange folgten glängcttbe gefte, bie nach einem ungeheuren Piaffftabe angelegt waren. So würben gu einem PRasfenball nicht weniger als 16,000 Petfoneit gelaben, unb ein anber Pial ftrablte ein Vallfaal oou 20,000 Kergen nebft 6000 Sampen.

CB fiuife an all bem ©lange Seljagen gefunben? Sie fühlte ihr $erg mehr gebrücft als gehoben, unb auch bie auS gefugten äufmerffamfeiten, womit bie faiferliche gamilie, Stlepanber ooran, bie Königin auSgeichnete, fonnten eine gewiffe SSebmutb nie^t oer= fdjeucben. „3cb bin gefontmen, wie ich gegängelt," fdjrieb fie, nadb fecbswöcbentlicber iSbmejenbeit in Königsberg wieber angefommett,

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an grau non Serg. „9iidjtS bienbet rmd) tnefyr, unb tdj jage 3I;nen nodj einmal: mein JRcidj ift nid^t oon biefer 58elt!"1T)

Slnberer unb bocb oerwanbter §Irt mögen bie Ginbrüdfe ge* weien jein, bie ber König auS ber rufftjdjen £auptftabt mitge* nommen. ,6) ©er 9iatlj beö faijerlid)en gTeunbeS, burdj rufyigeß Ertragen beß gegenwärtigen ©ruefö fidb für anbere Seiten aufgu* fparett (wogegen ?l!eranber »erliefe, im geeigneten 3dtpunft mit ibm loSsttbredjcn), batte jeine SBirfung nid?t perfekt. @8 war erfolglos, bafj felbft bie nad) Stein’S Gntlajfung neu eintrefenben SETJinifter rieten, an bern halb auSbredjenben Kriege DeftretdtS gegen grattfreid) fräftig tfyeiljunefymen, als ben einzigen 2Öeg, fidj unb jein Solf gu retten. SÄderbing® war bie 9leubtlbuitg beS £eercS, bie Slnjdjaffung non Kriegsmaterial, bie üluSrüftung ber geftungen bis gum grüfyling jo weit gebieten, bafj mit 23ettü$ung ber über jftorbbeutjdjlanb oergweigten geheimen Serbinbuttgen unb in feftem Sunbe mit ©eftreid) ein entjdjloffener Kampf nid)t auS* fidjtSloS erjd)icn. ©er König aber mißtraute, wir bürfen jagen nidit mit Unredjt, ber oorbereiteten SolfSerfyebung wie bett öftrei» djifdjeit Sßaffeit unb ber öftreidjijdjen 'J'olitif. Snbefj tjielt fid^ Sreufjen bod> in KriegSbereitjdjaft, bie GontributionSgaljlungen an granfreid) würben eingeftedt, uitb nur eines öftreicf)ijd)en SiegeS jdjien cS 31t bebürfen, um IoSgubredjen. GS waren Sage ber l fefy ften Spannung, ber 2lufftanb in Sirol, bie Grl)ebuttg ©örnbergS in Reffen unb gar ber 9lbgug SdjiHS oon Serlin fyielt alle ©emütber in 9ltf)em. greilid) rnufjtc ber König baS Sd}i(Tjd)e Unternehmen oerwerfen unb ftrafen; als aber bie furd)tbare Sdjladjt bei 2(Spern ERapoleonS SiegeSguge Jpalt gebot, fdjien für ^reufjen ber Gintritt in bie SMction gefontmen. ©er König säuberte nodj immer. „GS ift neeft Seit, antwortete er bem öftreidjijdten Unter*

tjdnbler, oerfefcen Sie bem geinbe nodt einen Sdjlag unb wir ftnb

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meint.“ Ser Schlag oon SBagram aber ging fehl, ber SBaffen« ftiflitanb ton 3*tapm würbe gesoffen, nur bie Sirolet Jpelben ftritten noch in ungleichem Kampfe, unb enblidj folgten Stiebe unb 9?nnbni§ Ceftreicbö mit Napoleon.

Sa§ 2uife mit ängftlidjer Spannung ben Vorgängen im Selbe, bem Kriege Deftrei<h8, ber cerwegenen Sljat SdjillS unb bem traurigen Schicffale feiner ^elbenfdjaar folgte, bürfen mir nid)t bezweifeln; ebenfo wenig, bafs fie ^reujjenö ©intritt in bie SSftion herzlich gewünfdjt hätte; ob fie aber nach bem mit Napoleon ge» fdloffenen Vertrage, nach ben öejiehungen ju tKufjlanb unb uad) ber ganzen Sage be8 Staate ben SBefdjlujj beö Äriegeß befürworten fcnnte, wiffett wir nicht. 9tur Wa8 fie gelitten, nicht wa3 fie ge= iban, hat bie Äönigtn felbft berichtet. „Sch habe heule mieber," jcfcrieb fte am 12. 9Kärj 1809, 3Wei Sage nach ihtem 32. @e= fcurtetage, „einen Sag erlebt, einen Sag, wo bie SBelt mit allen ihren Sünbett auf mir liegt. Sch bin franf, unb ich glaube, fo lange bie Sachen fo gehen, werbe ich aud) nidjt wieber genefen." Sie fpricht bann bie 2?eforgnifj au8, ba§ in bem letorftehenben Äriege SHufdanb burdj feine neue 23erbinbung mit Napoleon am ©nbe genöthigt fein möchte, mit Sranfreidj gegen Deftreicf) 1 08311= plagen, wa8 ferner zur Solge haben föitnte, bah auch ^reufjen mit ju biefer Partei übergehen müffe. „s))reuf;en gegen Dcftreid)! 33a§ foQ au8 Seuifdjlanb werben? SRein, ich fann e8 nicht au$* fprechen, wa8 id) fühle; bie SBruft möchte mit jerfprengen! Unb wir hier in biefer SSerbannung, in biefent Älima, wo alle Stürme wüthen, entfernt non allem .fjeinufdien. 0 ©ott, ift c8 ber Prüfungen noch nicht genug? 9)iein ©eburtötag, fährt fie fort, war ein Sdjrecfenötag für mich ! Slbcnbö ein grefeeö, glan^ eollcö Seft, ba8 bie Stabt mir $u @hren gab, oorljer ein reichet, frohe8 Sltahl int Sdjloffe, nein, wie mich ba§ traurig gemacht

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l)at! 2 5aß £>cr;5 war mir ^erfleift^t id; Ijabe gelangt, id) Ijabe getackelt, id) fyabe beit geftgcbern Ängeneljmeß gejagt, id) bin freunblidj gewefen gegen alle 2Belt, unb id) wu§te »or Un« g l ii cf nidjt wol)in! Söem wirb ^reufcen überß 3>al)r ge= l)ören ? Sßofyin werben wir alle jerftreut fein? ©ott, allmächtiger 23 ater, erbarme Didj!"

3um Slnfdjluffe preu§ifd)er Gruppen an bie frangöfifchen, waß Surfe am meiften fürchtete , fam jWar nid)t. Stber ber ©ang beß Äriegeß bereitete il;r ©djmerg unb Slngft genug. ,,9ld) ©ott, ift Biel über mid) ergangen, Du hüfft allein id) glaube an feine Bufunft auf Grben mel)r. ©ott weiß, wo id) begraben werbe, fdjwerlid) auf preufjifdjer ©rbe. Deftreid) fingt fein ©djwa* nenlieb, unb bamt 9lbe, ©ermania!"

Um biefelbe Bett, im ©ommer beß 3al)reß 1809, richtete fte an ben geliebten 93ater einen 23rief , ber in fo Ijerrlidjer Sßeife bie #oljeit il)reß ©eifteß unb bie Bnnigfeit iljreß @emütf)eö ent* hüllt, ba§ er l)ier bem 2BortIaut nadj eine ©teile oerbieut.

3n ber erften Jpälfte beß umfaffenben Sriefeß legt fte ihre ©ebanfen über bie gegenwärtige Sage ber Söelt unb bie 3ufurtf< bar. 9tidjt für fid), aber für baß nadjfolgenbe ©ejd)led)t erhofft fte beffere Buftanbe. Denn ohne bie hiftorifdje 53ered)tigung ber frangofifdjen ffteoolution unb beß Ulapoleonißmuß 3U rerfennen, fiefyt fte bod) ben einftigen ©turj ber neuen Orbmutg ber Dinge, bie bet Bwingberr ©uropaß fo feft gegriinbet gu ^aben wähnt, Borauß. ©ie ftel)t feft in bem ©lauben an eine fittlidje SSelt* orbnung unb ben enblidjen ©ieg beß ©uten.

„9Jlit unß ift auß, wenn aud) nid)t für immer, bo d) für jefct. gür mein Seben ^offe idj nidjtß mehr. Sdj l?abe midi er* geben, unb in biefer ©rgebung, in biefet Rügung beß ^jimmelß,

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bin id> jefct ru^tg unb in folget 5Rube , wenn audb nidbt irbifdb gludflidj, bodi, wa8 mehr jagen will, geiftig glücffelig. @8 wirb mir immer Kater, ba§ 9Ule8 fo fommen mufjte, wie e8 gefommen ift Die göttliche Sßorjebung leitet unoerfennbar neue SBeltguftänbe ein, unb e8 joü eine anbere Drbnung ber Dinge werben, ba bie alte fidb überlebt t)at unb in fidb felbft al8 abgeftorben gufammen* ftörgt. SBir finb eingefdblafen auf ben ßorbeern grie» bridjg be8 ©t offen, welker bergen feineg 3af>rfyunbett8, eine neue 3«t fcbuf. SBir finb mit berfelben nidbt fortgejdbritten, be§* halb überflügelt fie un8. Da8 fiebt fftiemanb flater ein, a!8 ber fönig. 5Roc^ eben fyatte ict) mit il)m barüber eine lange Unter» rebung, unb er fagte in fidb geteert wieberbolentlicb : ba8 muff audj bei un8 anberg werben. 2(ucf) bag SBefte unb Ueberlegteftc mi§= Iingt, unb bet frangßfijtbe Äaifer ift wenigftenS flauer unb lifti» ger. SBenn bie Stoffen unb bie ißreuffen tapfer wie bie 86wen gefönten Ratten, mußten wir, wenn auch nidbt befiegt, borf) ba8 gelb räumen, unb bet geinb blieb im 93ortl)eil. SBon i^m fönnen wir SBieleö lernen, unb e8 wirb nidbt oerloren fein, wag er getban unb au8gerid)tet bat. @8 wäre ßäfterung, gu fagen, ©oft fei mit ibm; aber offenbar ift er ein SB erzeug in be8 allmächtigen £anb, um ba8 SSlte, weldbeg fein geben mehr bat, bag aber mit ben 8u|enbingen feft oerwadbfen ift, gu begraben.

©ewifc wirb e8 beffer werben: bag oerbürgt ber ©laute an bag ooDfommenfte SBefen. aber eg fann nur gut werben in ber Seit burdb bie ©uten. Deshalb glaube idb audf nidbt, baff ber Äaifer Napoleon S?onaparte feft unb fidbet auf feinem, freilidb ietjt glängenben tyxon ift. geft unb rubig ift nur allein SBabr* beit unb ©eredbtigfeit, unb er ift nur politifdf, bag beifft flug, unb et ridbtet fid> nidbt nadb ewigen ©efefcen, fonbem nach Um» ftänben, wie fte nun eben finb. Dabei beflecft er feine Regierung

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mit melen Ungeredjtigfeiten. (Sr meint ed nicht reblich mit ber guten Sache unb mit beit 99tenfd}en. Gr uitb fein ungemeffettet Gbrgei,$ meint nur fich felbft utib fein petfönlicbed 3ntereffe. fBton mu§ if)n mehr bewunbern, ald man iljn lieben fann. Gr ift oou feinem ©lüd geblenbet, unb et meint 2llled $u »ermogen. Dabei ift er ohne alle 9Dläfjigung, unb »er nicht 5)?afj holten fann, oer* liert bad ©leicfjgemicbt unb fällt. 3dj glaube feft an ©ott, alfo aud) an eine fittlid)e SBeltorbnung. Diefe fet>e ich in ber £err* fchaft ber ©ewalt nicht; besljalb bin ich ber Hoffnung, bafj auf bie fetjige böfe 3eit eine beffere folgen wirb. Diefe hoffen, »ün* fc^en unb erwarten alle befferit fDtenfchen, unb burdj bie Sobrebner ber jefjigcn unb iljred grojjett gelben barf man fid) nicht irre machen laffen. ©anj unoerfennbar ift Üllled, wad gefchehen ift unb gefdjieht, nicht bad Sefjte unb ©ute, wie ed werben unb blei* ben fod, fonbern nur bie Bahnung bed SScged ju einem beffem 3iele hin. Diefed Biel fdjeint aber in weiter Gntfemung $u lie* gen, wir werben ed wahrscheinlich nicht erreicht fehen unb bantber hinfterben. 3öie ©ott will; 'Med, wie er will. Met ich pnbe STroft , Ära ft unb 93iuth unb £eiterfeit in biefet Hoffnung, bie tief in meiner Seele liegt. 3ft bodj Med in ber Söelt nur lieber* gang! Doch n>ir müffen burd). Sorgen wir nur bafiir, baß wir mit jebem Jage reifer unb beffer werben.

#ier lieber 5Öater! haben Sie mein politifcbed ©laubendbe* fenntnif?, fo gut ich old eine grau cd formen unb jufammenfe^en fann. ÜJtag ed feine Süden hoben, ich hefinbe mich wohl babei; entfchulbigen Sie aber, ba§ ich ©ie bamit behellige, Sie feben wenigftend baraud, bafj Sie auch im Unglüd eine fromme unb ergebene Jochtet hoben, unb bafj bie ©runbfätje chriftlicber ©otted* furcht, bie ich 3h«n Belehrungen unb 3hrem frommen Beifpiele

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wrbanfe, ifere griicfete getragen feaben unb tragen werben, fe lange Cbera in mir ift."

£er j weite 2feeil teS frönen SriefeS eröffnet un8 einen feerg* erbebenden ©lief in ba8 etjelic^e unb bäuSlid^e ©lücf bet .Königin.

„@em werben Sie, lieber ©ater, feören, bafe baS Unglücf ireldje» unS getroffen, in unfer efeelidfeeS unb feäuSlidfeeS ßeben nicht eingebrungen ift, oielmefer baffelbe befeftigt unb un8 noch wertbet gemalt bat. 2) er König, ber befte SfJienfcb, ift gütiger unb liebe* roQer, al8 je. Oft glaube idb in il)tn ben Siebfeaber, ben ©rau* tigam gu felgen. fUtefer in $anblungen, wie er ift, al8 in ©Sorten, erjefee i dfe bie Stufmerffamfeit, bie er in allen Stüdfen für miefe bat, unb nodfe geftevn jagte er fcfelicfet unb einfach, mit feinen treuen äugen midj anjefeenb, gu mir: „2>u, liebe Suife! bift mir im Unglficf noA werter unb lieber geworben. 9tun weife idb auS 6t* fabrung, wa8 idb an habe. ?0iag e8 braufeen ftürmeit trenn e8 in unjerer 6fee nur gut SBetter ift unb bleibt. 2öeil idb S>iffe jo lieb b aBe, feabe iefe unfer füttgft geborenes Swcfetercfeen Surfe genannt. ÜJiöge e8 eine Suite werben." ©iS gu Iferänen rübrte mich biefe @üte. @8 ift mein Stolg, meine yreube unb mein ©lücf, bie Siebe unb 3ufriebenfeeit be8 beften SDianneS gu befifeen, unb weil icb ib« Don bergen wiebet liebe, uub wir fo mit einanber GinS finb, bafe bet SBiüe be8 ©inen auefe ber SßiUe be8 9nbem ift, wirb e8 mir leidbt, bie8 glücflicfee ©inoerftänbnife, twIcfeeS mit ben Saferen inniger geworben ift, gu erfealten. 9)tit einem SBorte, er gefällt mir in allen Stüdfen unb iefe gefalle ifem, unb unS ift am wofelften, wenn wir gufammen finb. ©ergeifeen Sie, lieber ©ater, bafe idfe bieS mit einet gewiffen ©ufemrebigfeit jage; eS liegt barin ber funftlofe ISuSbrurf meines ©lütfeS, wel* 4eS Keinem auf ber SBelt wärmer am bergen liegt, als 3fenen, befter, gartlicfeer ©ater! ©egen anbere ÜJlenfcfeen, auefe baS feabe

XL iU. 243. 4 (S7)

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\ä) »on bem Äönig gelernt, mag ich baron nicht fprechen; ift genug, bafj mir eS wiffen."

„Unjere Äinber finb unfere ©cbätje, unb unfere Slugen ritten roll 3ufriebenheit unb Hoffnung auf ihnen. Der Äronpring ift toller Beben unb ©eift. @r l)at »orgiigliche Talente, bie glüdlidj entwicfelt unb gebilbet werben. 6r ift wahr in allen feinen ©m* pfinbungen mtb SBorten, unb feine ßebhaftigfeü macht Bestellung uit möglich. ®r lernt mit »orgüglidjem ©rfolge ©efchichte, unb ba8 ©rofje unb ©ute gieht feinen ibealifdjen Sinn an fidj. ^ur ba§ SBifcige bat er fiel ©mpfänglichfeit , unb feine fomifdjen, über* rafdjenben ©infälle unterhalten unö febr angenehm. @r hängt »orgüglich an ber ÜJtutter, unb er fann nicht reiner fein, als er ift. 3dj habe ihn fehr lieb unb fpredjc oft mit ihm baron, wie fein wirb, wenn er einmal Äönig ift." SBer ben reich begabten, fein gebilbeten unb wunberbar berebten Äönig f$riebrid) SBÜhelm IV fennt, wirb bie ©harafteriftif, bie hier bie Btutter ton ihm ent* werfen, butdjauS treffenb finben. Sin ©eift, SBifc unb ©emiith hat eS bem Könige wahrlich nit^t gefehlt, unb wie fehr er auch für bie grofjen politifdjen ©ebanfen, bie ßuife in ihm angeregt, em* pfänglich gewefen, h<U n felbft mit ben SBorten auögefprochen: „Die ©inheit Deutfd)lanb8 liegt mir am £ergen, fie ift ein ©rbtljeil meiner SJtutter. " ©leichwohl aber war nicht bie reich begabte, aber weiche Statur $riebridj6 SBilhelm IV. berufen, bie ©inheit unb ©röfje DeutfdjlanbS gu begrfmben; eS beburfte bagu, abgefehen oon ber ©rfüöung ber ßeiten unb ber Beihilfe ber rechten SJtänner, einer ungewöhnlich männlichen unb entfchloffenen Ära ft, wie fte bem gweiten ©ohn Buifen’8 imte* wohnte. Bon ihm Reifet e3 in bem »orbin angegogenen Briefe: „Unfer ©ohn SBilhelm wirb, wenn mich nicht Sdleö trügt,

wie fein Bater, einfach, bieber unb oerftänbig. Slud} in feinem (88)

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äcu|eien hat ct bie meifte 9let)nlid)feit mit ihm, nur n?irb er, glaube ich, nicht fo fchön. ©ie fetjen , lieber Vater, ich bin noch in meinen SJlann cerliebt."

$rinj SEBilhelm jaulte bamal# erft 1 1 Safyrc. £Die ©runb^üge feine# SBefen# hatte ba# Sluge ber SJtutter richtig erfannt, »eiche jeltenen unb eblen Äräfte aber fonft noch in ihm fd)lummerten, unb burch bie Seit unb ihre großen Grcigniffe jut Steife gelangen feilten, cermodjte fie nicht corauöjuje^en. „Unfere Jochter Gljar* lette (jpäter Äaiferin oon SRufjlaub) macht mir immer mehr gteube; fie ift j»ar cerfchloffen unb in fi<h gefeiert, cerbirgt aber, wie ifyr Vater, hinter einer fcheinbar falten $ülle ein »arme# t^etlne^ mente# £er$. ©(heinbar gleichgültig geht fie einher, hat aber ciel Siebe unb Sheilnahme. SDahcr fommt e#, bafj fie etwa# Vor* nehme# in ihrem äöefen h«t- (Srt>ält fie ©ott am Seben, fo ahne ich füt fie eine glän^enbe Sufunft. Garl ift gutmüthig, fröhlich, Bieber unb talentcoll, förderlich enttoicfelt er fich eben fo gut, al# geiftig. Gr hat oft naice Ginfälle, bie un# gum Sachen reifen. Gr ift heiter unb toifjig. ©ein unaufhörliche# fragen fefjt mich oft in Verlegenheit, »eil ich e# nicht beantworten fann unb barf; hoch geigt e# SBifcbegierbe autoeilen, toenn er fehlem lächelt, auch con Steugierbe. Gr wirb, ohne bie ütheilnahme an bem SBoljl unb SBehe Unberer gu cetlieren, leicht unb fröhlich burch’# Sehen gehen. Unfere $£o<hter Sllejranbrine ift, toie SJtäbchen ihre# Sllter# unb StatureH# finb , anfehmiegenb unb finblich- ©ie geigt eine tintige 2(uffaffung#gabe, eine lebhafte Ginbilbungöfraft unb fann oft herzlich lachen, ffür ba# Äomifche hat fie ciel Sinn unb Gnt= dfänglichfeit. ©ie hat Anlage gum ©atirifchen unb fief)t habet tmfthaft au#, hoch fdjabet ba# ihrer ©emüthlichfeit nicht. Von bet fleinen ßuife läfjt fich noch nicht# fagen. ©ie hat ba# Vrofil %e# reblichen Vater# unb bie Stegen be# Äönig#, nur etwa# heller.

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<Sie fyeifct ßuife ; möge fie ihrer 2l|nfr au, ber liebenöwürbigen unb frommen Suife von Orleans, ber wütbigen ©emabltn beö großen Äurfürften, ähnlich werben." Sutfe würbe befanntlich ©emahlüt griebrid)S beö ^ringen bet ^lieberlanbe, SOejranbrine ©roffhetgogin von 5RecfIenburg*@djwerin. 35aö ftebente ber bie SJtutter über* lebenben Äinbet würbe erft am 11. Oftober 1809 geboren unb Tonnte bafyer in bem vorliegenben Sriefe nodj nidjt erwähnt werben.

„2)a |abe idj 3|nen, geliebter Sater fo fchlicfst baö benf* würbige Schreiben meine gange ©atlerie oorgefübrt. Sie wer* ben jagen: baö ift ja eine in i|rc .finber verliebte SJtutter, bie an ihnen nur ©uteö fie|t unb für i|te Mängel unb §e|let feine Stugen |at. Unb in 2Ba|r|eit, böfe Anlagen, bie für bie Bufunft heforgt machen, finbe id> an 21 (len nidjt. ©ie haben, wie anbere fWenjdjenfinber, auch i|re Unarten; aber bieje verlieren fid? mit ber 3eit, fo wie fie oerftättbiger werben. Umftänbe unb 23 erhält* uiffe ergiefjen ben 9)ienfc|en, unb für unfere Äinber mag gut fein, ba§ fte bie ernfte ©eite beö Sebenö fc|on in ihrer Sugenb fennen lernen. Säten fte im ©choofje beö Ueberfluffeö unb ber 33equemlid)feit grofj geworben, fo würben fte meinen, baS müffe fo fein. 35ajj aber anbetö fommen fann, fe|en fte an bem ernften 2lngefic|t i|reö SJaterö unb an ber 2öe|mut| unb ben öftem J|ränen ber SJtutter. SSefonberö wo|It|ätig ift eS bem .ffronpringen , bafj er baö Unglucf fd|on alö Ärottpring fennen lernt; er wttb baö ©lücf, wenn, wie id) |offe, fünftig für ihn eine beffete Beit fommen wirb, um fo |ö|et feigen unb um fo Sorgfältiger bewahren . ÜJieine Sorgfalt ift meinen Jfinbem ge*

wibmet für unb für, unb idj bitte ©ott täglich in meinem fte einfdjliefjenben ©ebete, bafj et fte fegne unb feinen guten ©eift nidjt von ihnen nehmen möge. ÜKit bem trefflichen §ufelanb

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fompathifire id» auch in biefen ©tücfen. Gr forgt nicht bloö für bat phpftiche SBohl meiner Äinber, auch füt baß geiftige berfelben ift er bebacfct ; unb ber biebere, freimütige Borowßfp, ben ber ftönig gern fieht unb lieb l>at, ftärft barin. Grfyält @ott fie unß, fo erhält er meine beften <Ed)ä$e, bie mir Biemanb entreißen famt. mag fcmmen, waß ba »iQ, mit unb in ber Bereinigung mit unfe* ren guten Äinbem »erben »ir glücffelig fein."

„3dl fdjrieb 3hnen fcteß, geliebter Batet, bamit fie mit Be* rubigung an unb benfen. 3brem freunblidjen SSnbenfen empfehle ich meinen Btann, auch unfere Äinber alle, bie bem ehrwürbigen ©rofjcater bie $änbe füffen; unb ich bin unb bleibe, befter Batet, 3bre banfbate lochtet. "

Bodj ein anbeteß SBort bet eblen Königin über ihre Äinbet mag Ijier eine ©teile finben. enthält einen SBunfdj unb eine SBeijfagung zugleich : „SBenngleich bie Ba<b»elt meinen Barnen nicht unter ben berühmten grauen nennen »irb, fo wirb fie bod), »enn fie bie Seiben ber Beit erfährt, mijfen, »aß ich burch fie gelitten habe unb fie »irb fagen : fie bulbete oiel, darrte auß im 2)ulben. £ann »ünjche ich nur, ba§ fie jugleid) fagen möge: aber fie gab Äinbem baß IDafein, welche befferer 3eiten »ürbig waren, fic her* beiruführen geftrebt unb enblid? fie errungen haben."

3m ©ommet 1809 begann bie föniglidje SDulberin auch för* perlich ä“ leiben. Gin SBedjfelfieber gehrte an ihren Kräften unb Trüber alß fonft muffte fie auß ber länblidjen SSohnung in baß ®cblo§ überfiebeln. üamalß berichtete ber faft täglich mit ihr oer* febtenbe Wofprebiger Borowöfi), beffen Bieberfeit unb greimüthig* feit Suife rühmte: fröhlich ift ä»at unfere theure Königin in tiefet Baffionfrjeit nicht; aber ihr Gmft hat eine fülle Weiterleit, Jmb bie Älarheit unb Buhe, welche ihr Gott fdjenft, oerbreitet über ihre ganje Berfönlichfeit eine iMnmuth, bte man eine würbe*

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cofie nennen fann. 3bre 3lugen traben aderbing8 ben früheren SebenSglanz »erloren, unb man fie^t e8 ißnen an, baß fte eiel ge» weint haben unb noch weinen; aber bamit haben fte ben milben 3fu8brucf einer janfte» SBeßmuth unb ftiden ©eljnjudjt empfangen, bie noch meßt unb beffer ift, aI8 SebenSluft. SDie SMittfyen auf ißrem 3tngeft<fit finb woßl üerblüljt , unb eine fanfte Släffe um« giebt e8; bodj ift e8 noch fdjön, unb auf ihren Söangen woden mir faft noch meßr, als früher bie rotten, fo jeßt bie weiten diofen gefaden. Um ißren fDiunb, ben fonft ein füße8, gliicflicbeä Säckeln umfcßwebte, fieht man jeßt zuweilen ein Ieifeö 33eben ber Sippen; e8 liegt barin woßl ©chmerz, aber fein bitterer. 3ßr 3lnzug ift ftet8 i)ötbft einfach, unb bie SBaßl ber garben bezeichnet ihre ©timmung. 5Die grömmigfeit utiferer verehrten Königin ift eine djriftliche, ba8 Reifet: eine gcfunbe, einfache, naturgemäße, ihrer jebeömaligen ©mpfänglichfeit unb ©timmung oodfommen ange* meffene, fern nett adern ©errungenen, ©rfünftelten unb ©en» timentalen."

Suife war eine achte ©ßriftin, mit gaffung unb ©emutp ade Seiben al8 gügungen ®otte8, ihr zur Säuterung gcfdjicft, hinnahm, ©arum «erhärteten auch bie ja^Hofen Unbilben unb Äränfungen ihr Jperg nicht, »ielmehr blieb bie8 bem SBoßlthun unb bet Siebe zu« gänglich- ©eit SJlitmenfchen zu Reifen, ihnen mißlich zu werben, war unb blieb ihr eine Duede reinfter greube.

9dit wadjfenber Sheilnaßme wanbte fi<h bie Königin ber görbenutg ber 3ugenberziehung zu. 3118 fte in Petersburg bie großartigen , oon ber Äaiferin SCRutter gegrimbeten 9lnftalteit zur Stöchtererzießung fah, beflagte fie, baß fic nicht oermögenb wäre, ba8 Seifpiel nachzuahnten. ©ie Suijenftiftung in 33erlin würbe erft eilt 3aßr nach ihrem lobe gegrünbet unb ihrem 3fnbenfen ge* weißt, ba8 ^önigSberger SBaifenßau# aber burdj ißr Serbieitft al8

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SRuftet’ErjieljungSanftalt iiu Sinne ißeftalogji’S eingerichtet. 2)ie Sänften beS großen J*äbagogen batten fie tief ergriffen; fie lub einen Spüler beS SDieifterö, JDirector Beüer, nah Königsberg ein unb unterftüfjte ifyt nah «Kräften in feinen menfhenfreunblihen Seftrebungen. Sie »erfhmäl)te eS nidjt, felbft bie Shulen be» fuhen unb auf alles, waS Sefyret unb Sernenbe betraf, in rer= ftänbni§eofler unb begeiftember Seife eingugefyen. Senn grieb* rih SBihelm, als fdjon in 3)iemel ber ©ebanfe, in Berlin eine Unwerfität gu griinben, angeregt würbe, mit ben warmen Sorten : „$a8 ift reht, baS ift brao; ber Staat muff burh geiftige Jtrdfte erjefsen, waS er burh pfhftfhe »erloren fyat," guftimmte, jo jprah er gan$ in SuijenS Sinne.

Sitäbefonbere lag ihr bie reIigiöS=fittlihe Hebung beS 33olfS am «£>erjen. ÜDafyer gewahrte fie mit greubett bie Anfänge ber Erneuerung beS religiöfen fiebenä, bie SBorbotcn jener äd)ten, ih mähte fagen fyerglihen grömmigfeit, in ber baS 33olf in ben Jagen ber SQotb feine fittlihe Äraft wieberfanb. „Seil wir abgefallen, barum finb wir gejunfen," erfannte fie immer Harer, unb in ifirem lebenbigen ©Iauben würbe fie, mit ben Sorten eines preufjifhen EefhihtSfhteiberS gu reben, bie ftiHwaltenbe ©ärtnerin jebeS eblen Keimes wiebererwahenben hriftlth?» ScbenS.

lieber aOeS aber ging ifyr bie Secfung ber oaterlänbifhen ©c» finnnng, beS nationalen ©eifteS. So begrübt fie bie oom Könige befohlene Slufftellung »on ©ebähtnifjtafeln in ben Kirhett jum iÄnbenfen ber um baS SSaterlanb oerbienten Krieger als einen bergunfen, „auS beiten »ieUeiht boh m>h bieglamme ©otteS fhla* gen fann, weihe bie ©cifjel bet hälfet Derlei) rt." Sie weift auf Sirol wie auf Spanien l)in unb feiert 9(nbreaS §ofer, ben frommen gelbberm. ©ine Jungfrau oon Orleans fefynt fie Ijetbei, um ben geinb, ben böfen geinb, boh enblih ju überwinben. „91 uh in

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meinem Schiller, fährt fic fort, habe td) wieber unb wieber g t- lefen. SSarum liefe er fid) nicfet nach Serlin bewegen? SBarum mufete er fterbett? Cb ber Siebter beS Seil aud) oerblenbet wor* ben, wie ber @efd)i<htfd)reiber ber ©ibgenoffen! 1 9) 9iein! nein! Sefen Sie nur bie ©teile: „„fttidjtöwürbig ift bie Station, bie nicht ifer 3llleS fefet an ifere ©f)re!"" Kann biefe ©teile triigen? Unb iefe fann nocfe fragen: warum er fterben mufete? 2Öen ©ott lieb hat in biefer Seit, ben nimmt et gu fid}!"

Sange hatte fid) bie Königin banad) gefehnt, wieber in ber $auptftabt be$ SanbeS, bie fie feit bem Unglücf oott 3ena nicht befwfet, ihre SBofenung nehmen gu fönnen. „®inge bod? nach 33erlin, bafein, bafein möchte idj jefet giefeen; e$ ift orbentlicfe ein Heimweh, baS mid) bafein treibt unb nad) meinem (Sfyartottew bürg,“ feeifet e8 in einem 3?riefe an ihre ©efewefter gtieberife auS bem Äuguft beS SafereS 1809. ©nblid) fonnte auf ben 15. ®e= cember bie 9lbreife feftgefefet werben. ©a regten mit ber greube bunfle Ahnungen fid) in ü)rer ©eele ,,©o merbe ich benn halb wieber in Serlin fein unb gurüefgegeben fo rieten treuen bergen, welche mid) lieben unb achten. 9Jiir wirb bei bem ©ebanfen gang beflommen ror greube, unb ich rergiefee fo oielc Sferänen hier, wenn id) baran benfe, bafe ich alles auf bem nämlichen Pafee finbe unb bod) alles fo gang anberö ift, bafe id) nicht begreife, wie bort werben wirb, ©ehwarge Ahnungen ängftigen mich; immer möchte ich allein hinter meinem ©djirmleudjter fifeen, mich meinen ©ebanfen überlaffen; ich hoffe, ee foll anbetö werben."

Unter bett riihrenbften öeweifen ber yinhänglicfefeit unb 33er* chrung, bie bem Könige unb ber Königin aller Drten entgegenge* bradjt würben, gogen fie wie im Triumph oon Königsberg nad) Berlin, ©er 23. ©ecember war ber Sag beS fcftlid)en ©in* gitgS: Suife in einem prächtigen SBagen, einem ©hrengefdjenf ber

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Berliner 3?ürgerfcfcaft , bet Äönig gu ^Sferbe, bie beiben älteften Söbne, ber jircmpring unb $ring SBilbelm gu gu§ alö @arbe= efftdere mit ihrem Regiment.

Sie an biefem Sage, fo würben bet Königin, fo oft fte fich Hfentiüfe geigte, begeifterte ^ulbigungen entgegengetragen. 21 Ib bet 10. OJtärg nahte, oerfafste ber geniale Äleift gut SBetherrlichung be< ©eburtStageb bet Äcnigin ein §eft gebiet, worin bie an 2 (n* betrag grengenbe 93erebrung bet beften fjtirftin einen flaffifdjen Üubbrucf gefunben bat. Oiur ber Anfang beS ©ebidtjtS, bem Äleift hpater bie Sonn eines Sonetts gegeben bat, 2 *) möge tyrn eine Stelle finben:

,3)u, bie bab Unglücf mit bet ©rajie Stritten Stuf jungen Schultern ^errlid; jüngftbin trug,

Sie wunberbar ift meine SBruft verwirrt 3n biefem Slugenblidf, ba ich auf Änien,

Um Sich, gu fegnen, »or Sir nicberfinfe.

3d) fotl Sir ungetrübte Sag’ erfteij’n,

Sir, bie ber ^ o tj e n £immel$fonne gleich,

3n roller Fracht erft ftra^lt unb ^errlicbfeit,

Senn fie burd) finft’re Setterwolfen bricht.

O, Su, bie au8 bem Äampf empörter 3eit,

Sie einj’ge Siegerin heroorgegangen:

Sa8 für ein ffiort, Sein würbig, fag’ ich ®it?'

Ser geftfreube unb bem ©lange, womit bie ©eburtStagSfeier ber Äönigin begangen würbe, entfprad) bie Stimmung ßuijenS wicht. Sie war »oll banger Sorge um ben Staat, beffen ge» fflhtbete Sage fidj feit ber Seenbigung fceö üftTeichifch'frangöfifcheit ÄriegeS fort unb fort oerfchlimmert hatte, ©urd) bie zweifelhafte Haltung ber pteu&ifdjen Oiegierung währenb bet! Sahreli 1809 auf’s ömpfinblichfte gereigt, hatte Oiapoleon oon bem Äugenblicfe w, wo er Oiufjlanb fich entfrembete unb mit Ceftreidj feinen

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Samilienbunb fcfelofe, feinen ©runb mel)r, tRücfficfeten gegen ^reu» feen gu üben. Offen legte et feine ÜRifeacfetung unb feinen £afe an ben Sag unb fdfeien baS 2anb nur nocfe auSbeuten gu wollen, efee er ben Staat »emicfetete. Scfeon würbe auf bie Abtretung ScfelefienS als ©rfafe für bie fällige ©cfeulb feingewiefen, unb immer wiebet trat ber Königin bie (Erinnerung an baS Sdfeidffal ber fpanifdfeen Sourbenen brofeenb cor bie Seele. £>atte Napoleon nidfet bie Stücffefer nadfe 23erlin geforbert, um ben .§>of gang in feiner ©ewalt gu feaben? jConnte er nicfet mit ifem beginnen, waS ifen beliebte? 22 it »erftefeen, in wie furchtbar ernftem Sinne eS gemeint war, wenn bie Königin an bem feftlicfeeu Sage beS 10. SJlärg gegen vertraute ^Jerfonen äufeerte: „3cfe benfe, eS wirb Wofel baS lefete 5Ral fein, bafe icfe meinen ©eburtStag feiet feiere."

5)ie Königin überwanb ficfe, nocfe einmal einen 53 rief an Napoleon gu ridfetcn, ben ifere Sdfewefter, bie 23ringeffin »on Sfeurn unb SariS, am 17. SJiärg in 23ariS übergab. 55er Äaifer aber fufer fort in feinen beleibigenbeit 53orwürfen, 55rofeungen unb Sorberungen, unb felbft ber §inangminifter ältenftein fdfeeute ficfe nidfet, bem Äönige gu ratfeen, Scfelefiett bem 33ebränger $)rei§ gu geben. Snbem Suife mitwirfte, bafe ber efeemalige ©abinetSminifter ^arbetibetg an bie Sfeifee ber Verwaltung berufen würbe, erwies* fie bem Sanbe einen lefeten grofeen 5)ienft.

5)ie Königin war in bem grüfejafere 1810 längere 3eit emft* Hdfe leibenb. Sruftbejdfewerben mit Sieber fteigerten ficfe bis gu Krämpfen. 55ie ßeibärgte warnten uor ©emütfeSbewegungen gu einer Beit, als baS ipcrg ber Sürftin für ben ©emafel, bie Äinbet unb baS 23olf mefer als je bangte, ©leidfewofel erfeolte fie ftcfe in 2)otSbam, wofein fie ©nbe 5lpril überfiebelte, fo weit, bafe ein lang* gcfeegter SBunfcfe, ben feergoglidfeen 23 ater in Strelife gu befudfeen, in ©rfüöung gefeett fonnte.

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äfm 24. 3uni reifte guife Dort Gfyarlottenburg ab. SDeit Ü)lor« gen übet mar bie Königin, tute bie fie begleitenbe Dberhofmeifterin berietet, fefjr fetter. „SÄbet als wir unä bet ©ranze ($reuben* SMIenburg) näherten, überfam fie plöfclich eine rätselhafte Straurigfeit. ©inige 2Iugenblicfe war fie ganz oon berfelben über* mannt unb faft beängftigt, aber fie fafjte fict) rajdh wieber unb eS ging Dorüber." 3öat eS ein bunfleS Vorgefühl beffett, bent fie entgegen ging?

3n gürftenberg Don Später unb ©efchwiftern, in 9teu=©trelth Don ber altefjrwürbigett ©rohmutter ^er^Iid) empfangen, füllte fie füh in ben nächften Stagen um fo mehr beglftcft, als ihr ©emabl fthon am 28. 3uni ihr ttachfam. „3$ bin heute fehr glücflich, lieber 33ater, als 3hre Stodjter unb bie grau beö beften ber fDiämtet' fo lauten bie lebten 3Borte, welche fie fdjtieb.

3n bem guftfchloh £)oben*3ierii3, wohin ber $er$og mit feinen ©äften no<h am Sbenbe jenes StageS überfiebelte, erfranfte bie Königin. ©ie litt wieber an Söruftbefchwerben unb fieberte habet ftar!. SD er hetbeigerufene herzogliche SÄrgt erfannte jeboch noch feine ©efaljr unb ber König, Don bringenben ©taatSgefchäften Zurücf gerufen, Derliefs am 3. 3uli bie franfe ©emaljlin in ber Hoffnung, fie halb nach Berlin abholen zu fönncn. ©tatt beffen feilte er in ©hurlottenburg felbft erfranfett unb bie .Königin erft wieberfehen, als fie fchon mit bem Stöbe rang.

Sehn Stage lang bauerte ber Suftanb ber Kranfen, gieber, duften unb Schwäche, faft unoeränbert fort, nur bah hie Schwäche Bt6§er unb ber sÄthem furzet würbe. SDie Königin aber trug, toie faum gefagt ju werben braucht, ihr ßeiben mit ©ebulb unb ©ottergebenheit. 3bre ©ebanfen weilten Diel bei bem ©emahl unb ben Kinbem. ©in 33rief beS Königs Derfe§te fie in fo freu* bige Führung, bah fie fich Don bem SBIatte nicht trennen mochte.

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„äcb, meid) ein Srief," jagte fte mehrmals. „38ie glücflid) ift, wer joldje S riefe empfängt!"

äm 16. 3uli früh ftellte fief) heftiger Sruftframpf ein unb bie au8 Serlin hetbeigerufenen SCergtc fanbcn bie Äranfe in großer ©efat)r. Seflemmungen unb lieber fteigerten ftdj; in ber Üttadjt auf ben 19. 3uli jagte bie Königin bem neben itjr wachenben Seibarjte £eim plöhlid) mit aufgehobenem Ringer: „äber bebenfen ©ie, wenn id) bem Könige ftiirbe unb meinen Äinbem." ©urch Eilboten gerufen fam ber SRonarcp am borgen beb 19. 3uli gegen fünf Uhr in #ohen*3ierifc an. „31 ber bie Äöni* gin, jagt bie ©räfin 33ofe, hatte bereits ben Sob auf ber ©tim gefchrieben. Unb bod?, tt>ie empfing fie ihn? mit weither greube umarmte unb füfcte fie ihn, unb er weinte bitterlich- 2) er Äron= pring unb ißring SBilljelm waren mit ihm gefommen. ©o oiel bie arme Königin eb nur oermochte, oerjucbte fie noth immer gu jprechett; fie wollte jo gern immer nodi gum Äönig reben, ach, unb fie fonnte eb nicht mehr! jo ging cb fort unb fie würbe immer fdjwächer. ©er Äönig jafj auf bem Dianbe beb Setteb unb ich fnietc baoor; er judite bie erfalteten £änbe ber Äönigin gu erwärmen, bann hielt er bie eine unb legte bie anbere in meine $änbe, um bah i«h fte warm reiben jollte. @b war etwa 9 Uhr. ©ie Äönigin hatte ihren Äopf janft auf bie ©eite ge* neigt unb bie äugen feft gen £immcl gerichtet. 3hre grofcen äugen weit geöffnet unb aufwärts bliefenb, jagte fie: „3th fterbe, o 3efu, mach’ eb leicht!" Sich, baS war ein äugenblicf, wie 9iie* manb il)n je oergift." ©djluchgenb war bet Äönig guruefgejunfen unb faum fanb et bie Raffung, ber SBerflärtcn bie äugen gugu* briitfen, „bie ihm auf feiner bunflen Sahn jo treu geleuchtet."

©iefer unb jcbmerglicher h<»t nie ein Soll um eine gürftin getrauert, alb eb in ^reufeen unb einem großen Shctle beb übri»

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gen Seutfdhlanbl um bie Äönigin ßuifc gefcfaah* '). Slbev bet Sdjmerg oerwanbelte fid) halb in ©efühle bei 3ornel unb bet Sache, ber Sache gegen bte, treldje bie h^h* jjtau gu Sobe ge= martert. Der geinb habe bie ©chufjgöttin bei Sßolfeß getöbtet, biej es allgemein, unb fo »utbe ber Same ber ftiUen, frommen SDuIberin bal ßofunglmort gu Äampf unb Ärieg. „Unfere ^eilige ift im ^immei", fagte ölüdjer, ben Suife eben jo bod) gehalten, ttie et feine patriotifdje Königin tief oerehrte, unb immer lebhafter erfüllte ficf» ber £>elb mit bem ©ebanfen, baf) er oon ber 33or= febung berufen fei, ihr Säd)er an ben gefaben ©eutfdjlanbl gu »erben, ein ©ebanfe, bem er am 30. SDlarg 1814, all er, nach flü ben blutigen Kämpfen auf beutjdjem unb frangöfifdjem 23oben, fein fiegreit^eö J£>eer auf bie Jpöhen bei Slontmartre geführt hatte unb bie riefige Jpauptftabt granfteichl begtoungen unter feinen p§en fatj, in ben ftolgen SBorten Slulbrucf geben fonnte: „2uife ift gerächt"

Unb nicht tapfere Ärieger allein, and) bie patriotiffaen 3)ich= ter jener Sage haben ben Flamen Suife gu einem Schlachtruf er* hoben, ßl ift begeidinenb für bie ßmpfinbung, welche bie ®e= mütber beherrfchte, ba§ felbft beim Ölnblicf bei herrlichen 93iarmor* bilbel ber fchlafenben Äönigfa, bal bie fSJleifterljanb Saud)! für bol fdjöne, oon griebridj SBilhetm III. errichtete ÜJlaufoleum in (ibarlottenburg gefdjaffen hat, nicht fowohl ©ebanfen bei griebenl, all oielmeht bei Äampfel ben jugenblidjen Xfaobor Äömer er» griffen, all er fang:

,£Du fdjläfft fo fanft, bie fallen Büge hauchen 9lo<h -Deine! geben! fdjöne Sräunte trieber;

JDer Schlummer nur fenft feine glügel nieber,

Unb heiliger Trieben fchliegt bie flaten Slugen!*

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„So ftMummere frrt, bis 2)tine8 SlolfcS Sriiber,

2Benn glammenjeichcn ßcn bcn Sergen rauben,

SDRit ®ctt oerfehnt bie rcfttgen Schwerter brauchen,

Ja$ 8eben opfernb für bie bötftften ©fiter!'

,Jief füfjrt ber £>err burdj 'Rächt uns jum Serberben,

Sb foßen wir im .Stampf uns £eil erwerben,

S)af) unfere Gnfel freie ÜJtänner fterben!'

,Äcmmt bann ber Stag ber greibcit unb ber SKatpe,

(Dann ruft bein Soll, bann, beutfcbe grau, erwache,

(Sin guter Sngcl für bie gute Sache!*

Unb all im britten 3af)re nach ihrem Jobe bie ©tunbe ber Erlöfung itnferem Solle enblidt fc^Iug unb bie glorreichen Kampfe für unfere Unabhängigfeit begannen, ba würbe bie Entjchlafene bie „SDame bei SRttterthuml ber greiheitlfriege" unb fie entjün* bete, wie gouqucS fagt, „aul h^h^11 ©pbären ihrel foniglichen ©emahll Krieger mit gweifadj fdjoner Segeifterung für Sieg unb Job."

2) er 2>icf)ter oon Seiet unb Schwert aber fang jetjt fricglbe* geiftert:

,So foO 2)ein Silb auf unfern gähnen jch weben,

Unb foß uns leuchten burch bie Sacht jum Sieg.

Suife fei ber Schufcgeift bcutfcher Sache,

?uife fei baS SofungSwort jur Sache.'

Sicht mit biefen ©efühlen trat am 19. 3uli bei 3ahrel 1870 am 60. Jobeltage Suifenl, König SBil^elm , wie alljährlich, iti bem 9RaufoIeum ju ©harlottenburg an bie ©rabftätte ber ltnoet* ge§Iichen fütuttcr. @1 war berjelbe Jag, an bem bie franjöfifth* Krieglerflärung in Serlin übergeben würbe. Sßcnn ber König in heiliger Erinnerung an bie ©tunbe, wo et 60 3ahre jueor an bem Sterbebette ber fERutter gefniet, .Straft fammelte gur gührung einel

fchweren Kriegei, fo hobelte el ftch nicht um einen Krieg bet

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3?ac$e, fonbern ber 2(6mcbr bei freeelfyalften Angriffe«, bcn ber 9leffe unb <5rbe bei crften Napoleon gegen ©eutjdjtanb unternahm. Äein ©ebanfe mag bem 9Ronardjcn flarer »or bie Seele getreten fein, atl ber, ba§ el, nach fiegreidjet 2tb»et)r bei übermütigen gein bei , gelten werbe, 35eutfdjlanb für bie Bufunft ben grieben auf biefelbe SBeife gu filtern, in ber bie Königin £uije bal einjige Sföittel ber Rettung erfannt tjatte: namlicb bie eng ft e Serbin* bung aller ^Derjenigen, bie fidj bei beutjdjen 9lame)tl rühmen. 3m ©Seifte Suifenl, bürfen wir jagen, ift bie ©rün* bung bei neuen 9teid)eS gefc^el>en : ba§ berfelbe gute ©Seift bil in bie ferne Bufunft über unjerm einigen, burdj fittlidje Ära ft ftarfen SBaterlanbe walte, bal fyoffen wir gu ©ott.

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Stmnerfungcit.

1) 3)aS »orliegenbe ©cfiriftchen ift aus einem Vertrage entftanben, bet jur geier beS ©eburtStagS 3t. 9)laj. beS äfaiferS SBil^dm am 22. ÜJtärj 1875 im 3aaie bet ©d)rannenhatle ju DJtünchen gehalten würbe. ©on £)m. 'l'rof. ton $ol$enborff aufgeforbert, jene Siebe in bei /Sammlung gemein»erftänblicher toif f en f ftl Ic^er Vorträge* ju net. öffentlichen , unternahm ich eine lleberarbeitung, bie ju einet wefent lieben Erweiterung beS urfprünglichen ©ortragS führte, ol;ne, wie ich Iwffe, bie §crm ber Diebe ju feilt ju »erwifchen. 35em ©emeinfinn beS $rn. Verlegers aber ift es ju banfen, tag bern Schrift dien ein ©ilbnig ber Äcntgin beigefögt würbe, welkes auf Schönheit unb Sle^nlit^feit ?(n* fpruch machen fann. GS ift nnd) einem fPaftellbilte gefertigt, baS ftd) im f}ri»atbefifc ju ©erlin befinbet; ber Diame beS ©Jäters ift nicht befannt, aueb baS Satjr beS UrfprungS nicht. Eie emften, »en ftiflem ©<hmerj bewegten 3üge aber bürften, trog beS jugentlichon äuSfeljenS, berechtigen, baS ©ilb nad; 1806 $u »erlegen. 2lud) bie geminberte Dinnbung unb Sülle ber Scrtnen fdjeint auf bie SeibenSjeit hinjuweifeit. Einen nicht geringen ©otjug »or anbern in weitem Greifen befannt ge» trotbenen ©ilbniffen werben Kenner in ber ausgeprägten 3nbi»ibualiflrung finten. (EaS Driginal ift Gigentl;um beS $rn. $)auptmann ©erbufchef nnb würbe ber 93erlag8l>anblung auf if>r Grfuchen bereitwifligft $u biefem 3»ecfe überlaffen, wofür biefelbe auch an biefer ©teile ihren Eanf aus» fpriebt. EaS Diegati» ift hi« in ©erlin »on bern Ipofphotographen Earl Sud gefertigt. Eie Silber felbft finb nach bem neuen Erucf»erfal;rcn aus ber rühmlichft befannten Officin beS .ftm. 3. Sllbert in München her»or» gegangen. E. ©rlgSl))

Slbgejeben »on ben äugerft wert {wollen ©eiträgen, welche bie jüngft erfchienenen .Erinnerungen ber ©räfin »on ©og" ('Jteununbjethjig 3ahrc am preugifchen .£>ofe) jur SebenSgcfchicbte ber Königin 2uife bieten,

XL 212. 213. 5 (103)

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finben fit}) tie Materialien, auf bie ftd) unfere ©fiye ftü(jt, jowcbl bie Söritfe unb SagebutbSnotijen ber Äcnigin felbft fc weit biefc über- bauet bi« jefct befannt geworben , als bie Mitteilungen Ülnberer über bie §ürftin , grefjentheilS in bem weitverbreiteten unb »erbienitlicben Suche griebritb Slbami’S (9uife Königin een »Preufjen, 7. Stuft. Berlin, 1875) vereinigt, wenn auch nicht immer genügenb geerbnet, noch weniger befriebigenb verarbeitet. ©ie lange wirb eS wahren, bi# bie gefeierte Königin, ber felbft eine englifcbe Sdjrifftellerin it;re geber geweil;t, unter ben Männern beutftber ©iffenfebaft il;ren Siograpben finbet?

2) Steununbfecbjig Sabre am preufjifcben $ofe ©. 152 u. 160.

3) Die ©räfin Sofj a. a. £). S. 158 ff. Sei Gegiert, Gbaraft er- lüge ftriebrid) 3SBilt>eIm’ö III. jagt bie Äöniginll, 2 ©. 109 von ihrem ©emabl: „Durd) 3b" bin ich beffer geworben. 3<b glaube, (*r ift ber befte Menjd) unb ßtjrift auf (Srben.*

4) Slbami a. a. O. ©. 340 ff. Dajelbft aud) ©tbilberungen beS Sleußeren ber ÄSnigin. Die ©räfin So§ ©. 158. Siel wortreicher ©viert a. a. £). ©. 28 ff.

5) lieber bie Sorliebe SuifenS für Schiller f. oben ©. 56. 3u ben Senkungen, ben Dichter nach Serlin ju gieren, bat bie Königin ebne 3»rifel bie Anregung gegeben (leidimann , liter. Sathlafj, Stutt- gart 1863, ©. 234). St ad? bem lobe Schillert lief) guife .unbeftbreib- litb burtb biefen Serluft gerührt', ber ©ittwe burtb £>ufelanb 23. Mat 1805 in ftbener Steife ihr Seileib auSbrücfen (ßbarlctte v. ©(bitter unb ihre Sreunbe. I, 306).

6) Die ©räfin Sog ©. 327.

7) ©enn in ber Siegel Äaijer Stlejranber als ber Urheber beä Ser* fthlagS, burtb bie Königin eine ©inwirfung auf Stapoleon ju verfmben, angegeben wirb, fo ift baju $u bemerfen, baß natb ber Meinung gut Unterrichteter Äalfreutt) unb anbere preujjiftbe ©cbwätblinge bie £>anb im Spiele batten ""b vielleicht nur ben Samen StleranberS verfrühten, ©o (©traben) in Preufjen 1806 unb 1807 ©. 254: ,@S ift befebtoffen werben, ba§ bie Königin ftd) hierher begeben fott, weit man bie Hoffnung hegt, ihre Gegenwart werbe vortbeilbaft für Preußen bei Stapeleon wirfen, unb inSbefonbere werbe fte ihrem ©emable bie fo nötige Äraft jur ©rtragung beS llnvermciblicben geben. Der ©raf von .Ralf- reutb begehrt, baß 3b« Maj. fttb fogleicb na<b Stiljit verfüge Der Minifter .f)arbenberg unb wir übrigen alte fueben bieje Demütigung gu i"bern.' Unb ©. 256 gieljt ©djlaben, gewifj mit Unrecht, fogar

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3llceranberS3u!timmnng ju bem Berwerflichen 91uSfutiftSmittel in 3n?eifel. 3®ar fagt aud; Slltcnftein in einem 33riefe an 2chen nom 3. 3uli 1807 (aus ben papieren 5t$eobcr’8 »on 2d)ön II, 21): ,3efct erwartet man hier (pieftupohnen) bie Königin. Sic clenben SÜMchte, welche nichts burch eigene Ära ft ju bewirten im 3tanbe finb, mcdjtcn wal)rfd?einlid} gern burch Hülfe eines SßeibeS erlangen, waö fie fo nid)t ju erwirfen Ber- ftefcen. (?S wäre abfcheulich, wenn man auch bas tfegte ned? nugioS opferte. * Sagegen fleht man aus <5. 24 , wo eS bciyt , tag Mlcranber am 5. in pieftupehnen war, um bie Königin auf bas Opfer, nachSilflt ;u femmen , »erjubereiten , bag Slltenftcin gleichwohl ben Kaiier für be- tbeiligt hielt. 3)ei ber ©rüfin Bon 3>og (©. 304 ff.) heißt febon unter bem 1. 3uli: 9Jian l;at baran gebaut, ob bie Königin nicht gut tbäte, hin jugeben ; aber id? hoffe, baS wirb nicht gefcbchcn. Unb am 3. 3uli: ,3Öir erhielten ben 33efehl beS Königs, nach Silftt ju fommen, unb bas bereits morgen. Sille in wahrer Ücrjweiflung.' Sagegen beruht baS, roas bie ©räfin Schwerin (3cph>o Schwerin, ein bebcnSbilb 2. 253 ff) nach ben münblidien 9)littl;eilungen ber ©räfin Saucnßicn über Jilfit erjühlt, ju fel;r auf .pörenfagen, um int (?in;elnen juoerläffig ju fein. 5>ergl iflbami S. 206.

8) thkiS ber König über bie ihm Bon Dlapolcon ju She‘* geworbene iPebanblung geichrieben, fleht man aus ben Sagbuchsnotijen ber ©rünn S?og Bern 27. 3uni bis 2. 3uli 1807 @. 303. ff.

9) ittuch nach Schaben ('Preugeit ©. 260) lehrte bie Königin , mit ben fügeften Hoffnungen erfüllt' Bon SEilfit juriief. ')icch lebenbiger bie l^tjählung ber Sauengin a. a. £).

10) 3d)laben a. a. O. <3. 260.

11) Sie ©räfin 3fog jagt über bie 3ufammenfunft beS Königs mit Napoleon am 8. 3uli: „SlflcS war furj unb eilig Bor fich gegangen; man hatte früher als fonft bei Otapoleon gegeffen unb biefer nachher nicht einmal Ülbfchieb Born König genommen.* Unb 9. 3uli: „Ser Äönig fuhr nach Stilfit, weil Napoleon, ber heute nach Königsberg ab- fährt, ihn noch einmal fehen wollte. 2llS ber Äönig ju ihm fant machte fener ihm erft ein paar höfliche »Phrajen, fiel aber halb wieber in feinen unhöflichen 2xn jurücf unb fagte bem König mit gro§er Härte bie aller, empünblichften unb nerlegenbften Singe.'

12) 3lm 12. 3uli freilid? bewunbert bie ©räfin 9?og noch ben König, tag er fo geragt fei, f. bagegen 29. 3uli, 6. unb 8. 2cptember u. f. w.

13) ffiie 9Jiajc Lehmann jüngft in feinem tüuepe .Knefebecf unb

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Sd)ön‘ bezüglich ber ©auernemancipation unb ber auf bem ©runbfafc ber allgemeinen 3ßel;rpflicht beruljenbcn £)eercScrganifation überjeugenb nachgewiefen t;at.

14) S. bie 9tufjeid)nungen bcr ©räfin iBoß a a. D. S. 337 u.

338. Sie bie einflutige unb warmherjige grau bie Schwäche SllejanberS 1807 auf« Sd?ärfftc oerurtt>eilt I;atte, fo fanb fie if)n and) jefjt: ,©ut unb liebenSwürbig wie immer, ganj ber 9llte, aber bod) fo jchwact) unb unentjd)Ioffen unb ohne jcbe (Energie. * 91 ni folgenben Sage war er

lange bei if)r. ,,3d} legte iljm alle unfere Üeiben ane ^>crg unb er fagte wicberljolt: ©tauben Sie mir, id) werbe alles tljun, was ich fann.“ Unb in ber SEljat fanb fie nach feiner £Kiicffcl;r »on (Erfurt: ,@r l)at wirflid) bas Unmögliche für uns getlpan unb fid) )el;r treu bewiefen." S. bagegen ^crß, ©neifenau I, 443. 3Bir werben nicht irren, wenn wir bie Sluffaffung ber £)berl;ofmeifterin aud) für bie bcr Königin halten.

15) 26ic fid) bie Königin ju ber Sntlaffung bcS großen Staats* manneS, beffen Stüße fie früher gewefen, unb ju ben non ihm »erfolg, ten füllen planen »erhielt, wirb mit Sicherheit nicht feftjuftellen fein. Stein unb feine eifrigen ©efinnungSgenoffen, auch Sd?cn (Rapiere II, 52), jählen fie, feitbem fie burd> bie (Gräfin 93oß in nähere ükrbinbung mit Diagler gefemmen war, ju ihren (Regnern. „5)ie jd)öne grau, jebreibt ©neijenau, bie einmal bcS SlbcnbS nach bem 2I;ee uns mit fo hinreißen* bcin @ntf)ufiaSmuS »on einer beffern JDrbuung ber ID in ge jprad?, {ft nicht mel)r in unferm 3ntcrcffe (i'erß, ©neijenau I, 444). 9lach Schön hätte fie bie frühem Scjiehungen noch aufrecht ju halten gejucht, als fie fleh jd;on »cnDtagler berathen ließ. 2)en h'cßtercn fann auch er nid;t fcharf genug »erurtl;eilen. Iftknn aber felbft ©neifenau ein 3ahr fpäter bem »ielgcfchmäl)ten SJianne ein glan^enbeS 3eugniß aus» ftellt, (’Perß, ©neijenau I, 519), wie feil man ber Königin »orwerfen, baß Sie ihm Vertrauen gefchenft? , Gr wirb häufig", faßt ©neifenau »on Diagler, »erungliinpft unb ba fich eine fo mächtige Stimme (Stein) gegen il;n erhoben hatte, mit anjeheinenben 3eugniffen gegen ihn, fo ließ auch "licti »erleiten, 9lrgwcl;n gegen il)n ju fchöpfen. 91 ber er hat mir bewiejen, baß er für bie gute Sad;e ftimrnt, aber bie negatioeu Jpinberniffc eben fo wenig auS bem Sege ju räumen im Stanbe ift*. .$ätte nicht baffclbc aud; »cn brr Königin gefagt werben fönnen? Unb wie hätte fie, auch wenn fie mit ganjen $)cr jen , wie ich glauben möchte, noch auf ber anberu Seite ftanb, nach außen als im SiUberfpruch mit

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fern föm'glichcn ©emabl erf feinen bürfen? Sie ließ ben Sabel über ftdj ererben, fie fißwieg unb weinte, wo jte ju hanteln mcßt oermodjte.

16) 2)aß9uife, auch ^ier im Sinoetne^men mit Stagler, fkß für bie Petersburger Steife au«jpra<h, ift ißr Bon Stein unb anbera (f. Perßf Stein II, 265) feßr cerübelt worben. 9Jio4'te fte nun baju ratzen, um btr gefürchteten franjäfifcherfeitS geforberten Stücffehr nach bem unfidjern Lettin nccb auSjuweicßen, ober, wie wafyrfcbeinlid^r, um bie lefjte Stüfje, tie Preußen |i£b barbet, }o feft al« mögtict? ju galten : {ebenfalls ^ietje ei, nd> üerfünbigen an ber eblen ätünigin , wenn man annehmen wollte, tag fie nad) ben $errlid)!eiten ber ruffifeßen $auptftatt lüftern gewejen »äre unb ei niept gern gefepen hätte, wenn bie Äoften ber Steife wie Jtein wollte, für einen wohltätigen 3®e(f Ratten gefpart werben fonnen. ttebrigen« befennt auch Sdjarnporft (perf}, ©neifenau I, 467), baß et bie Keife in einiger jpinfiebt Bon Anfang an Borttjeül;aft gehalten pabe.

17) 3<h folge p>« Slbami (S. 249), bem ber Stacplaß ber grau m©erg oorlag. S)iefe freilich füfjrt in iprergrunblegenben Schrift über Suife (Serlin 1815) S. 85 eine ähnliche Üleußerung ber Äenigin ohne fie für uns wichtigen (Eingangsworte an unb oerfeßt fie in ben Sommer 1809. Sit oft macht fiep ber SJiangel genauer Seitangaben fühlbar!

18) @4 ift auffällig, wenn au« bem non ptrß fepon in bem Sehen Stein« (II, 353 unb ©neifenau I, 474) mitgetheilten, in er* iegter Stimmung gefchriebenen SBriefe ©neifenau« .über bie furchtbar idwichenbe SIMrfung' ber Petersburger Steife fogar ber berühmte Sic* robb Dort« ben Schluß ju jiehen febeint, baß ber in fo popem @rabe ein* tape Äänig ficb Bon nun an gern ein prunfl)afteS ^ofleben gefallen ließ. Piefe Sebeutung fann hoch auch her Skrmehrung ber Älaffen be« rrthen Slblrrerben« nebft bem CrbenSfefte, ba« in töerlin nach her Stücf* trbr te« &cf« am 18. Sanuar 1810 ceranftaltet würbe, nicht jufommen. Senn ber ^cc^ariftoFratifch>e Port an jenem Sage fich in feiner ge» wohnten grimmigen unb biffigen SBeife äußerte, fo ärgerte ihn freilich, in ©ejellfcbaft eine« Scpaufpieler« (Sfflanb) becorirt Worben ju fein. Sie« ear aber fcpwerlicp ein 91u«fluß be« .ruffifepen SBefenS", fonbern eper ba« ©egentheil. (Sropfen, heben Per!'« I, 228, I. Stuft).

19) 911« bie Äßnigin im 9tuguft be« Sapre« 1807 Bernapm, baß 3ffcanne«Bon*DtüIler, welcher im Segriffe ftanb, fich ber Stapcleonifcpen Sonne suneenten, um feine ©ntlaf jung eingefommen, ließ fie ihm au« SJtemet nadj Serlin fchreiben: .Sie finte unbegreiflich, baß er biefen ©nt* l’W taffen fenne; er fette hoch bem Staate in biefer ©pod;e bie

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©darnach nicht antßun, an ifjm ju »erjweifeln; fein Einfommen werte ihm bejaht werten; er foHe an fo »iele liebcnbe grcunbe, an fein geben Sriebricfjg teS ©roßen (tag !)Jiüller ju fc^reiben getagte), an fo »iele gute ©eiten teg preußifcben ©taateg tenfen. 2lbami ©. 333.

20) Slergl. ten fdjönen Sluffaß »on SJiicbael SBemapg im .SJlorgen* blatt* 1864 9tr. 4.

21) Sluch diejenigen , teren Stabei tie Königin im geben getroffen, tbseilten tie tiefe allgemeine trauet, ©o fcbrieb ©neifenau am 27. 3uli 1810 an feine grau augSerlin: „@o eben ertönen alle©lctfen bei tem Einzüge ter töniglitben Reiche, ©ie Wirt in taffelbe Bimmer gebracht, Worin fte cor 16 3al;ren tie fbultigungcn ter §aupt|tabt juerft empfing. 3d? fann cg nid>t über mich gewinnen, ten trauerjug mit anjufe^en. 3u »iele Erinnerungen fnüpfen ficb baran, unb mit tem geben tiefer grau, obwohl fte meine tabel oft traf, fcfye icfj abermalg eine Hoffnung »erfchroinben. 3$ bin wirHicb in tiefer Strauer*. *)>er(j, ©neifenau 1, 619. SBrgl. II, 5. Unb nach ten großen Erfolgen ber ©djlacbt »on geipjig l>orte man ©neifenau oft augrufen: , Sich, l;ätte tag bcch bie Königin Suife erlebt!" Ser ^)rinjcffm guife Diabjiwitl aber f (briet er am 22. Ddober 1814: „Slber warum muß bie nicht mcl;r leben, bie tiefeg @(iicf in ben befeeligenbften ©efüblen genoffen hätte, unfere »erewigte .Königin! ©olchc ^Betrachtungen mifchen Sgermuth in ben Siecher, aug bem fo tiefe Büge ung ju tbun »ergönnt ift*. iVrß, ©neifenau 111,478, 79. Sie $)rinjeffm Söilbelm bagegen am 13. Sec. 1810 an ©tein, alfo nicht mehr unter bem Eintrucf teg erften überwältigenben ©chmerjeg: ,3n einem SÖriefe läßt eg fid) nicht alleg fo augeinanterjefjen, aber ntünb* liih würbe ich fg Shnen fo gerne fagen, wie fo alle 2lnnef}mli<bfeit teg gebeng für mich bal;in ift, mit ihr f ie war fo unauc-fprecblich gut unb fcf?wefterlid? mitfühlenb gegen mich, fo baß ich feben Slugenblict unb bei jebem Ereigniß fie ach! mit ewigem .Summer »ermiffe. SJie bereue i<h jebeg Söort, wag ich gegen f >c fann gefagt baten; feittem eg mir flar geworben ift, baß, wenn ich eg tfat, eg gewiß nur 9Ieib war, ter auö mir fpra<h weil fte fo »iel beffer war alg ich’.* ^erß, ©tein II, 524.

(tOS)

$ru<f »on ®fit. Unjer (16. Ärinmi) in Citlin. S<fccntbCT;]«ftr. 17».

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bet

ll)rorcttfrl)rn iilrrijmttlu

33oit

in 23onn.

Ocrliit SW. 187ö.

Serlag Dort (Sari .£> a b e l.

(£. iß. jt'n&sriti'st^t Bulagsbnttjijanblann.)

33. SBiUielra Straft 33.

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3>aä JRecfjt ber Ueberfcfcung in frernbe ©praßen »itb »orbeljalten.

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^ie Snwenbung ber ÜJiatßematif auf bte Statur entflammt bem unabläffigen Verlangen be8 9Jienfdjengeifte8, bte »üDe ber BKtßrgenemmenen Srfdjeinungen burcß@ebanfen gufammengufaffen. Diejenigen Gftfcßeinungen , auf wel<ßc bi e SJtatßematif bisher mit bet größeften (Sonfequeng angewenbet worben ift, finb bie im Saufe ber 3eit etfolgenben DttSoeränberungen bet .Körper im «Raunte. 2)ie SBiffenl'cßaft , weldße biefe DrtSoeränberungen betrachtet, nämlitß bie tßeoretifdje fßiedjanif, ßat eine ®n« gaßl non ©runbbegtiffen unterer «Raturanfcßauung gefdßaffen, unb bie 23eßaublung8weife ber medjanifdjen Probleme ift gu einem Sorbilb für bie Äunft geworben , an bie ÜRahir Stagen gu rieten. 9li<htÖ befto weniger fdßeint mir ein ©ebot ber 3«t, auf bie Sebeutung ber tßeoretifdjen SRedßanil naeßbrü (fließ aufmerftam gu matten; benn treß bet großartigen SBirfungen, welche oon biefer äBiffenftßaft ßerrüßren, fdjreitet bie wal)te Stnerfennung ißrer 23e« bentung nur ßöcßft langfam fort.

2>a3 üoQftänbige ©nftem ber tßeoretifcßen SRedjanif eyiftirte anbertßalb ßunbert Saßre, eße man fieß entfdjloß, baffelbe für bi« ßonftruction ber ÜIRafdßinen gut ftrengen fRicßtfcßnur gu nehmen. SBenn unfere ülecßnifer gegenwärtig burdßgeßenbö bie ßiu» teitßenfcen Äenntniffe befitjen , um bei jeber Aufgabe bie ?)tin= cipieti bet SRecßanif wirfließ gu JRatße gu gießen, fo gebiißrt baß S3erbienft gum bebeutenbften £ßeil einem üRanne ber neu*

U.2M. 1* (111)

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4

eten Beit, Siebtenbacber, bcm Begrünber ber äöiffenfdbaft beS 3Jiaf<binenbaue8.

$Die BeteoHfommnung ber fÖiafdbinenconftructiou gebt bei ben Bieten, welche bie Stedjnif »erfolgt, mit ber Berwertbung ber djemifdjen ^Sroceffc ^anb in ^>anb, unb biefe Bereinigung bat glänzenbe fRefultate geliefert. Unter ben Ereigniffen, reelle ben gegenwärtigen läuffebwung ber Ebemte begünftigt ba^en, fpielt gewi§ bie fäufftcDung ber medjanifebett SBärmetbeorie eine wefentlicbe Stolle. Sud? fanu im ©runbe Stiemanb bezweifeln, baff bie ^etnifeben Borgänge BewegungSuorgänge finb. Unb benue<b wäre eS ein Srrtbum, zu glauben, bafj in ben greifen berer, welche fidj heutzutage ber (Jbemie wibmen, eine tiefere Einficbt in bie Bebeutung ber tbeoretifeben fDtecbanif »erbreitet fei. Eben fo wenig ift biefe Einficbt ber SJtebrzabl ®on l)en' fenigen geläufig, welche bie organifebe Statur erferfdben ftreben.

SDie .pülfSmittel zur Sluffudjung neuer ütb^facben haben fid) für bie »etfdjiebenen 3weige ber Siaturwiffenfdjaft fo feljr gefteigert, baS ©efidjtSfelb ift in folcbem 9Dta§e auSgebebnt, bafj efl immer fdbwerer fällt, auch nur für einen Bweig ben »ollen Uebetblicf zu beb«lten. 35aburcb wädjft aber ber SBertb ber tbeoretifeben SJtedjanif als eines gunbamentS für jeben einzelnen Slbeil ber Staturw'iffenfcbaft. SDenn flein ift bei bet ©tedjanif bie Babt ber BorauSfefjungen , unb nur bie Entfaltung berfelben reich- Stau barf nid}t erwartetf, bafj bie fDtedjanif alle Stätbfel ber Statur löfe, aber fie giebt jebem gorfdbet bie Äraft ber $Di8» ciplin.

Eiue Utfad^e, weSbalb bie SJtecbanif in »iel weiterem Um» fange gerühmt als gelaunt ift, liegt wobt in ber Meinung, ibl Söefen formte nicht ohne b^be1* tnatbematifdje Äenntniffe auf» gefaxt werben. 3cb mödjte »erfuebeu, baS ©egentbeil zu Ze'ßen- Um bie Bebeutung biefer SBiffenf^aft anfebaulieb zu ma^en, habe id) »or, eine Steibe »on ^auptmomenten bet gefcbi^tlicben

(IW

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5

gnteicfelung treu gu fd}ilbern, »eldje bie Snwenbung ber 9)fa» tbanatif auf bie 9tatur genommen fjat, uub beten ©rgebnifj bie Ausbildung ber t^ecretijdjen 2Jled)anif gewefcn ift.

©ie Stiegen gelten ben $)p traget a 8, ber in bem fieben« tea Jabrljunbett cor (grifft ©eburt lebte, für ben ©ntbeefer eines matbematifdjen ©efefjeS, welches baS SBefen ber Jone betrifft. ©er Snljalt biejeS ©efe^eS befteljt in folgendem. ©ine Saite ccn beftimmter ©iefe, Spannung unb Sänge möge einen gemiffen Jon bercorbringen. ©amt giebt eine Saite con der« idben ©iefe nnb Spannung, aber ber halben Sänge, einen höheren Sen, welcher mit bem erften Jon auf baS »oDfommenfte con« ionrrt, nämlich bie obere Dctace beö erften JoneS. ©er be« gnemeren 33orfteUung wegen werbe ber guerft genannte Jon gum ©runbton unb feine Saitenlänge gnr ©inbeit genommen, biefer Sen beifje in unferer SegeicbnungSweiie A, bann giebt eine Saite con ber Sänge J baS näcbft l^ötjere a, ferner eine Saite een ber Sänge f bie obere Quinte beS ©runbtoneS, nämlid) ben Sen E, eine Saite con ber Sänge f- bie obere Quarte beS ©runbtons, nämlich ben Jon D. hieraus wirb gefd)loffen,

ba| bie Saitenlänge ber Quarte D gu ber Saitenlänge ber Quinte E in bem SPerhältnifj con f gu ff, baS beifjt in bem Sletbältnife con 9 gu 8 fte^t. SBenn alfo gwei Jene baS Sn« tercall eines gangen JoneS haben, beträgt bie Saiten« länge bee tiefereu JoneS | con ber Saitenlängc beS feeren SoneS. 50lit $ülfe biefer 53orfd)rift laffen fid) bie Saitenlängen für bie Jüuc berechnen, welche noch- fehlen, um bie Getane con bem ©runbton A bis jit bem nächft böseren a auSgufnllen. SBenn man mit bem l)5t)eren a beginnt unb con biefem, weldjeS bie Saitenlänge haben fotl, Ijerabfteigt, fo folgt in bem Sn« tercall eines gaugen JoneS ber Jon G unb bat nad» ber an« gegebenen Sßorfdbrift bie Saitenlänge welche f con ber Saitenlänge £ beS JoneS a beträgt; herauf folgt wieber in bem Sntercaü eines gangen JoneS ber Jon F unb bat bie

(»13)

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6

©aitenlänge Welche £ oon ber ©aitenlänge be§ 5£cueb G aubmadht. 3n gleidjer SSBeife folgt bei bem .£>eruntergehen auf bie Quarte D, welche bie ©aiteulänge £ hat> in bem SnteroaEl eined gangen Joneb ber $on C mit ber £ mal größer genomme* nen ©aitenlänge ££, unb ^ietauf ebenfalld in bem SnteroaU

eined gangen Swned ber ©on B mit ber wieber £ mal größer

*

genommenen ©aitenlänge £££. äuf biefe Söeife finb bie Saiten» längen ber 3n}i!djenfiufen gefunben, bie fo befinirte Stonlerter A, B, C, D, E, F, G, a ift bie borifdhe ©onleiter, unb bab 23erhältnifj ber ©aitenlängen für bie beiben Jone A unb Bf beägleidjen für bie beiben ©öne E unb F, bei benen baS 3n» teroall eined falben ©oned auftritt, befommt beti SBertfj 256 gu 243.

©ab wirtliche älter biefer Siegeln mochte fehr fdimierig gu beftimmen fein. 5)ian barf annehmen, ba§ Platon bie» felben oon ben ^hithagoräern ftberfommen hat. ©ie ätennt* ni§ ^latond oon biefen Siegeln geht ungweifelljaft aub einer ©teile beb ©ialogb ©imäod Ijeroor. ©ort wirb nämlich oor* getragen, wie ©ott ben £cib unb bie ©eele beb SJieufdjen ge» bilbet Ijabe, unb nadhbem oon ber SJiifdjung ber ©eele gebrochen ift, tyeifjt eb weitet: (Sr begann aber auf bie folgenbe Sßeife gu tfyeilcn. Unb nun wirb bie Steilung genau in ben 93erfyält* niffen befdhrieben, welche nach ben fo eben angeführten ©runb» fäljen bie ©aitenlängen bet ©öne bei einer borifdjen ©onleiter haben, ©en äbfchlufj bilbet bab SBerhältnifj oon 256 gu 243, welcbeb bem Snteroall eineb halben ©oned entflicht, ©ie 3at)len biefeb S3erhältniffeb finb aber an fidh fdhon oiel gu grofe, alb baff man an eine gufäflige Uebereinftimmung benfen formte. $)laton empfanb bie SBirtung bet ^avmouie auf bab ©emüth, er fannte bie 3ahleneerhältniffe ber ©aitenlängen einer borilch geftimmten Dctaoe unb nahm an, bafj biefe 3<*^lcnDer» hällniffe ber menf<hli<hen ©eele felbft inne wohnen.

©ie Slachridjt, baf) ^pthagorad felbft biefe 3ahl«nPer» (UO

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7

^Kniffe entbecfi habe, fließt für unS auS einet feht fpäten unb trüben Duelle, fcem im 4. 3ahrhunbert nach <5^rifti ©eburt Bon 3ambli«huS Berfahten 2ebeu beS fPpthagoraS. Sambli* c|b3 ergäbt, unb übereinftiramenb berichten SRifomachuö unb SoethiuS, bah $>pthagota8 barübet nachgebacht habe, ob etwa baS ©eher burd) ein untrügliches $ülfSmittel unterftü^t seiten fönnte, wie baS ©eben butd) ben ©itfel, baS gineal irab baS SBifier, unb wie baä ©efüljl butch bie SBage unb bie (srjtnbung bet ÜJiafee untetftüfct wirb. 2)a ^ätte et, an einet €d;mtebe norbeigeljenb, gewiff ermaßen butch göttliche Süguug, g^ört, wie bie Jammer, inbem fie baS @ifen auf bem DlmboS (hingen, confonirenbe Üöne heroorbtachten. ©lücflich, einen 8eg gut ©treichung feines 3ielcS gefuuben 3U haben, hätte et jaerft bie Rammet in bet ©chmiebe geprüft unb batauf gu $aufe einen 33erfuch angefteUt. 6t befeftigte nämlich an einem wägetest angebrachten ©tabe Biet ©aiten Bon gleichet 2)icfe nnb gänge, Rannte fie burdj Biet ©ewichte welche fich wie bie B«hlen 6, 8, 9 unb 12 Bedielten unb bewirfte jo, bah für bie erfte ©aite als ©runbton bur<h bie jweite, britte unb Biette ©aite bie Duatte, bie Duinte unb bie Dctate angegeben wur= ben. hierauf beftimmte et für baS 3ntetBall beS gangen ÜoneS, welches bie Duarte unb bie Duinte beS ©runbtoneS bitten, baS Skrhältnifc Bon 8 ju 9, unb aus biefem SSerhältnih in bet Bor« hin befchtiebenen Söeife bie Bablenoerhältniffe für eine neue Scnleitet, unb biefe ift bie botifthe Slonleitet.

füterfwürbiger SBeife wirb \\tx ein SSetfuch befchrieben, ben auf gerate biefe ülrt in bet SBirflichfeit webet t) t h a =

goraS noch einet feinet ©djüler angefteUt haben fann. $enn eS ift jwar tintig, baff bei gwei ©aiten Bon gleichet bange unb SDicfe bie ftärfer gekannte ©aite beu höhnen 2on henjorbtingt; eS ift aber nicht richtig, bah bei bet hoppelten Spannung bie obere Dctaoe entfteht. Um bie obere Dctaoe

gu erhalten, muh bie Bierfache ©pannung, für bie obere Duinte

a»)

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8.'

eine Spannung gleich £ non bet Spannung beß ©runbtonß, für bie obere Quarte eine Spannung gleich V »on ber Spannung beß ©runbtonß angewenbet »erben. üDie Spannungen muffen fiep bei gleicher Sänge unb SDicfe ber Saiten ftet§ umgefebrt »ie bie Quabrate bet Saitenlängen für gleiche SDicfe unb Spannung ber Saiten »erhalten, bamit bie 3nter»alle biefelben werben. 2)ie 3aplen ber »erfepiebenen ©ewiepte, welche 3amblicpuß anführt, finb alfo nicht auß ber ^Beobachtung, fonbern auß ber willfüt» liehen SJteinung her&°rgegangen, &ah Mef« 3aplen ben »irflidj beobachteten 3al)len für bie entfpreebenben Saitenlängen itmge* fehrt proportional fein müffen. Unb gwar hat bie Umwanblung beö thatfäcplicp beobachteten ©efepeß für bie Saitenlängen in baß falfcpe ©efep für *>ie Saitenbelaftungen »ohl bagu ftatt» gefunben, um bie ©rfinbung beß fPptpagoraß in einen näheren Sufammenhang mit jener Sage »on bet Sdimiebe gu bringen.

Stuf einem fefteren 33oben ruht unfere Äunbe »on ben SHr* beiten beßarepimebeß, welcher im 3apre212 »orSprifti ©eburt bei ber ©innahme »on Sptafuß burch bie Oißmer in h^pem Ultet fein geben enbigte. Seine beiben ©üeper über baß ©leid?* gewicht ober über bie Sd;werpunfte bet ebenen Figuren finb unß erhalten. arepimebeß hat pier guerft baß 9>rixtctp) beß Jpebelß aufgeftellt unb baburch für bie gange gehre »om ©leid)' gewicht bie 33apn gebroden. ©r geht ba»on auß, bah eine Sinie, bie in gwei fünften »on gwei gleich f<h»eren ©ewiepten belaftet ift, fi<h iw ©leidjgewicpt befinbet, fobalb ber gwifeben ben beiben angriffßpunften in ber SRitte Hegenbe $>unft unter» ftüpt ift, unb nimmt alß felbft»erftänblich an, bah ber iit bem Unterftüpungßpunft außgeübte 2)rucf ber Summe jener beiben ©ewidjte, alfo bem hoppelten einzelnen ©ewiept gleich ift* >pier* auß wirb gefolgert, bah, wenn auf einer Sinie in lauter gleichen ©ntfernungen eine 9ieipe »on gleichen ©ewiepten angebradjt ift, bie SÖirfung biefer ©ewiepte aufgehoben wirb, inbem man ben

Sftittelpunft gwifcpeit ben beiben äufjerften ©ewiepten unterftüpt, (116)

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9

unb ba§ Die SBirfung btcfer ©ewidjte genau biefelbe ift, rote Die ©irfung eineg einzigen in bemfelben ÜRittelpunfte angebrachten mit ber Summe ber einzelnen ©ewidjte übereinftimmcnben ©e* njicbtS. Um nun bei einer 8inie, bie iu jmei bejtimmten punf* teu von zwei ungleichen ©eroid^ten belaftet wirb, baS ©efefj für ben Drt beS Unterftüfcungöpunfteö 31t ermitteln, wirb juerft angenommen, baff bie gegebenen ©ewicbte [ich wie jmei gange Sagten verhalten. ©8 betrage beifpielSweife ba8 eine @e* tcicht brei Pfunb, ba8 atibere fünf Pfunb, bie StngriffSpunfte feien um vier gu§ non einanber entfernt. 3ept werbe bie be* laftete Säue auf ber Seite be8 S)reipfunbgewicht8 um einen gufj, auf ber ©eite be8günfpfunbgewid)t8 um zwei guf; verlängert. Sann fann ba§ IDreipfunbgewicht burd) brei einzelne Pfunbe erfefjt »erben, von Denen ba8 mittelfte Den fSngrifföpunft beö 2)rei* pfunbgermchtS behält, bie anberen beibeu pfunbe aber auf bet Siuie vou Dem mittelften Pfunbe red)t8 unb linfe um einen gufj abftehen. ©8 fann gleichzeitig ba8 günfpfunbgewicht Durch fünf einzelne Pfunbe erfefct werben, von benen ba8 mittelfte ben 2ln* gtiffSpunft be8 günfpfunbgewidite behält, ferner z'vei Pfunbe nach rechts unb groei pfunbe nad) linfö in ber ©ntfernung von je einem guf} auf ber 8iuie angebradit finb. SDann befemmen Dasjenige Pfunb von ben breien unb baSjenige Pfunb von Den fünfen, welche einanber am nädjften finb, auch Den Slbftanb von einem guf}. Sin bie ©teile bet Velaftung mit einem IT'tei* pjunbgewicht unb einem günfpfunbgewicht in ber ©ntfernung ton vier guf} ift alfo eine Selaftung mit 8 einzelnen Pfunben in lauter ©ntfernungen von einem guf} getreten, wobei bie äufjerften beiben Pfunbe vermöge ber nach beiben Seiten au8* geführten Verlängerung ber urjprünglidjen £inie um 7 gufj von einanber abftehen. gür biefe Slnorbnung ift bie ÜJlitte ^roifdjen Den beiben äufjerften Pfunben ber UnterftütjungSpunft, unb ber* jelbe punlt nutfj auch ber Unterftiitjungepunft für bie urfprüug* liehe Velaftung fein. S)er Slbftanb jener SOtitte von Dem Eingriffs*

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10

fünfte beg S5reipfuubgewid)tg beträgt 2^ gu&, ber Slbftanb ber* felben SRitte »on bem Slngriffflpunfte beö Bünfpfunbgewidp H Su6. mithin fielen biefe 35iftaugen in bem Berfyältniffe bet Sagten 5 gu 3. Stlfo »erhalten fids bei einer »on gwei unglei* c^ert ©ewidjten belafteteu 8inie bie (Entfernungen beg Unter» ftüfjunggpunfteg »ou ben Slngriffgpunften ber beiben ©ewidjte umgefeljrt, wie bie beiben ©ereilte. 55arin befielt aber bag ^rincip beg 4>ebelS.

9iadjbem &rd)imebeg biefeS $)rincip allgemein für gwei ©en.ud)te bewiefen l)at, bie in bem Sierljattuiffe »on gwei gangen Sailen fteljeu, beweift er bajjelbe audj für bie 5lnnal)me, bafj bag Berl)ältni& ber beiben ©ewidjte nicfyt butdj bag 93erl)ältni|i »on gwei gangen Salden auggebrücft »erben fann, bag fyeijjt, irrational ift. hierbei gebraucht er bag $)oftulat, baf) aud) in einem folgen Balle bie ^lerfteQung beg ©leidjgewicbtg burdj , Unterftüpung in einem fPunft ber belafteten 8inie möglid) fein müffe. 35er Unterftüpunggpunft für gwei ©ewidbte, bie in ge» toiffen fünften einer Sinie wirten, ift gugleid) ber gemeinfame ©dbwerpuntt biefer beiben ©ewidjte. 35ag ißrincip beg £ebelg enthält alfo bag ©efefj für bie Sluffinbung beg gcmeinfamen ©djwerpunfteg »on gwei ©ewic^ten. fRadf ber BeftfteUung bie* feg ©efeijeg fud)t 9lrd)imebe§ ben ©djwerpuntt für ein ebeneg ^Parallelogramm unb für ein ebeneg 35reierf auf, inbem et bag ©ange in fernere Keine Steile gerlegt. 35ie Söfac^t feineg @e* niug ergwingt aber aud? bie Beantwortung ber Brage nad) bem ©djwerpunft einer ebenen Bigur, beren Begrengung ang einem beliebigen Steile einer Parabel unb einer geraben üinie befteljt.

©iue anbere ©d)rift beg ISrc^iraebeg, übet bie Äörper, »eldje in eine Blüffigfeit eingetaudjt finb, ift nid)t in bem grie* d)ifd}en Driginal, fonbern nur in einer im fedjggeljuten 3atsr» Ijunbert »on 9fifolaug Jartaglia »erfaßten lateinifdEjen Ueber* fefjung unb umwtlftänbig auf ung gefommen. 2)iefe ©djrift fteüt bie für bie Jporie ber Blüffigteiten funbamentalen ©äfje (118)

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11

auf, bajj in einet jufammenhängenben flüffigfeit bie mehr ge« brücften St^eile banad) ftrebcn, bie weniger gebntcften 3U Bertrei« ben, unb ba§ in einet jolchen rufyenben flüffigfeit bet 55rucf eines S-tyeileS butd) bie flüffigfeitSfäule gemeffen wirb, bie fid) in ienTred)ter Sttchtung übet bemfelben beftnbet. hieraus wirb bie Folgerung gezogen, bah bie Oberfläche einet gufammenbän» genben unb rubeuben flüffigfeit eine Äugel fein muffe, beten SJtittelpunft mit bem SJlittelpunft bet ©rbe jufammenfäKt. 2)ie Klarheit unb bie ©rohe bet Staturanfdjauung, welche fid) hiet funb giebt, fann unS nur mit hoher öewunberung erfüllen. 2trd)imebe8 bemeift ferner, bah baS ®ewid)t eines in eine flüfftgfeit eingetaudjten Körpers um baS ©cwid)t ber »erbräng« ten flüffigfeitSmenge fleiner wirb, unb beftimrat burd) eine utt» gemein fcharfftnnige Ueberlegung bie Sage, in meldet Äörpet con beftimmter ©eftalt, in ber flüffigfeit fchwimmenb, in Diuhe bleiben fonnen.

3nbem ich barauf Bereichte, bie Äeuntniffe bet Stlten Bon ben ^Bewegungen ber ©eftirne bat^uftellen, wenbe ich mich jefct ju bem SBeginn bet neueren Beit.

Sie ©podje, in weichet alle Kräfte ber S)tenfd)heit gu einem neuen Sehen erwachten, brachte einen SJtanu hersor, in bem ftcb bie reidjfte fülle bet fünftlerifdjen unb ber wiffenfd)aftlid)en Begabung Bereinigt, ben Seonarbo ba SBinci. 3hm war bie Statur eine Sehrmeifterin auf hoppelte Slrt. 31uS ber 33eoba<h* tnng bet Statut fd)öpfte er für feine Ausübung ber Äunft bie höchfte Söahrheit in ber SDarftellung unb für feine ftrenge ©pe= tulation bie tiefe ©inficht in baS ©efetjmähige. 35ie Bon ihm hinterlaffeuen SJtanufcripte, bie nach feinem im 3al)re 1519 er« folgten Slobe burch Biele $änbe gingen unb jerftreut würben, pnb aud) gegenwärtig nur brudjftücf wette publicirt worben; bteS hängt mit bem Umfianbe jufammen, bah Seonarbo wiffenfchaft» liehe Unterfud)ungen, ©ntwürfe ju SDtafchinen, 3eid)nmtgen, unb jwar aHeS gerabe fo eingetragen ljc»t, wie feine in ihrem SBedjfel

fn»)

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12

eingtge Strt bet Sefd)äftigung eg mit ftd^ braute, ©djöpferifcbe ©ebanfen auf ben »erfc^iebcnften ©ebieten ber fJtaturmiffenfcbaft finben fit^ in beit publicirten Steilen feiner fülanufcripte ange» beutet. fJiur bie Söiebergabe einer grojjen iängabl Bon ©injel* feiten tonnte ^ier ein annäbernb diaracteriftifdjeg 33ilb ^ereor* bringen. 3d) begnüge midj beö^alb, eine ©teile auß Seonar» boß Jractat über bie SOialerei außgubeben, in welkem er feiner Sluffaffung Bon bem allgemeinen SBefen ber äBiffenfd)aften ein IDenfmal gefegt ba*- @r fpridjt: „SJtan fagt, bafj eine •Renntnifj mecbanifd) fei, meiere Bon ber ©rfabrung erzeugt ift, bafe eine jtenntnifj miffenjdjaftlid) fei, meldje in bem ©eifte ent* fpringt uub enbigt, unb baff eine Äenntnifj fyalbmedjanifcf) fei, bie in bem ©enfen entfpringt unb mit einer Ausübung burdj bie ^>anb enbigt. 9lbet mir fdjeint, bie äSiffenfdjaften feien eitel

unb roll Srrtbüniern, bie nidjt auß ber ©rfabrung, ber SÖiutter aller ©emifcbeit, enttyrungen finb, unb bie nidjt in ber Grrfabruug enbigen, baß bei beneu Anfang, fDiittel unb ©itbe nidjt

burd) einen ber fünf ©inne binburdjgebt. SBenn mir fogar au ber ©eroiffbeit einer ®ad)e jmeifeln, meldie burd) bie ©inne »er* mittelt mirb, unt mie Biel mehr müffeit mir an fo Bielen IDin* gen jmeifeln, bie ben ©innen miberftreben, unb über bie gmi» fd>en ben fPbilofopbcn Streit beftel)t. SDa, roo ber ©runb fehlt, muf) ber Streit an bie ©teile treten; bei ben fieberen ©ingen gefd)iel)t baß aber nicht. 2Bir bürfen barum fagen, mo man fid) ftveitc, fei teiue mal)re üBiffenfdiaft; benn bie SBabrbeit bat einen beftimmten Clußbrucf; ift biefer außgefyrodjen, bann ift ber Streit für bie ©migfeit oerniebtet, unb meitn ber Streit bennod) fid) mieber erbebt, jo ift tboridjte unb oermirrte SBiffeufdiaft, unb nid)t neugeborene ©emifebeit- Slber bie mabteu SKiffenfcbafteu finb bie, melcbe bie SSSeieljeit einbringen läfst burd) bie ©inne, fo bafj bie ftreitenben Parteien fd;meigen müffeu; biefe Söiffen* fd)aften fpeifen ben §orfd)er nidit mit träumen ab, fonbern fie febreiten Bon mabreit unb fidiercn fPrincipien außgel)enb allmäblig O*o)

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13

ltnb mit richtigen ©cblüffen oorwärts bis an baS ©nbe, wie man bicS an ben mattjematifdjen ©runbwiffenfcbaften oon bcr 3n^l unb Dom ÜRahe, nämlich bet 9(ritfymetif unb bet ©eome» trie, bemerfen fann. SDenn biefe banbeln mit ber becbften 2Babr* i?eit Den ben unftetigen unb ben ftetigen ©rohen."

©rft baS folgenbe Sabrbunbert DoUgog bie Umwanblung bet fRaturwiffenlchaft, welche Beonarbo im ©inne batte.

■£>ter feffelt unS Dor allem bie ©eftalt beS ©aliläi. ©r bat feine ©ntbeefungen „in ben beiben neuen SBifjenfcbaften" in baS ©eroanb Den ©efptädjen gefleibet, reelle brei fOlännet ©alniati, ©agrebo unb ©implicio an fed)8 Sagen ita* liänifcb mit einanber führen. 2tm britten Sage fommen fie gu bet Üectüre einet lateinifd) d erfaßten ©tbrift, beten einzelne 9tb* febnitte fie ficb gegenfeitig erläutern. 3)ie ©$rift beginnt mit ben SBorten: „33on einem uralten ©egenftanb wellen wir eine neue SBijfenfcbaft Dorttagen. 9iicbt§ in bet fRatur ift wobl älter, als bie Bewegung, unb Diele SBüdjer finb barüber gefdjrieben, aber fie haben nur einen geringen 3«balt. ©S ift berannt, bah bie Bewegung Der faQenben Äörper immer fdjnellev wirb; aber nach welchem ©efefj bie Sefd^leunigung erfolgt, baS weif? man nid?t. deiner bat bisher gegeigt, bafj bie IRäume, welche ber faöenbe Äcrper, oon ber 5Rube beginflenb, in gleichen 3eüen burdjläuft, ben ungerabeu Bahlen Don ber ©inbeit an proportio* nat finb. 9Jlan bat bemerft, bah bie Äörper, fobalb fie gewot* fen werben, irgenb eine frumme fcinie bejehreiben. S5o<b 9lie* manb bat bis je£t gefagt, bah biefe frumme 8inie eine Parabel ift. 5MeS alles unb noch anbereS wirb dou mit bewiefen wer* ben. 5BaS id) aber höher febähe, eS erfd?lie§t ficb bamit bet Bugang gu einer weiten unb herrlichen SBiffenfcbaft, Don bet meine Arbeiten bie SlnfangSgriinbe finb. ©eifter dou gröberer ©cbätfe, als mein ©eift, werben in bie Derborgeneu Siefen bie* fet SBiffenfcbaft einbringen." ©iefe prophetischen SBorte finb

guerft im Sabre 1638 gu Sepben gebrueft worben. 2)ie auf bie*

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fett ©ingang folgeube Betrad)tung ©aliläiö begießt fidj gu* näcbft auf bie gleichförmige Bewegung, bei welcher bet bewegte Äörper in gleichen 3e»ten immer gleiche fRäume gurücflegt. Die ©efebwinbigfeit wirb als eine bem burcblaufenen SBege birect, unb bet oerfloffenen 3eit umgefe^rt proportionale ©röfje befinirt. SSenn bapev bei bet gleichförmigen Bewegung bie oetfloffene Seit burdf bie Sänge einer Sinie, bie ©efdjwinbigfeit burd) bie Sänge einet anberen Sinie bargefteUt wirb, fo ift baö $)robuct auö bev 3ett in bie ©eiebwinbigfeit ober baä fRecptecf auß ben beiben Sinien, welche bie eine unb bie anbere barfteflen, baö 9Rafj be8 gurücfgelegten SBegeö.

Um baß SBefen ber befcbleunigten Bewegung bei ben fallen» ben .Körpern gu ergrünben, wirft ©aliläi bie Srage auf, wel* cbe8 wol)l bie natürlicbfte befcbleunigte Bewegung fei. @r ift übergeugt, baff bie Statur überall bie einfaebften unb leicpteften SDZittel gebraucht, unb gelangt gu ber Annahme, baf) feine Be* fcblcunigung einfacher fei, als biejenige, bei welcher bie @e» febwinbigfeit in gleichen ßerten immer um gleich nid gunimmt. ^piemit ift bie Definition ber gleichförmig befchleunigten Bewe* gung gefunben, unb biefe Bewegung untersucht nun ©altläi. ©r benft fidj, baff ein febwerer .Körper auä ber JRubelage gu fallen beginne, unb nach einer gewiffen 3eit eine beftimmte ©e» fdjwinbigfeit erreicht baH unb ftü^t fidj auf bie fo eben et* wähnte Annahme, oermöge welcher bie in eerfebiebenen Seiten erworbenen ©efdjwinbigfeiten fidp gu einanber wie bie oerfloffe» nen 3eiten oerhalten. Se^t wirb wieber bie Dauer ber oer» floffenen Bert bureb bie Sänge einet Sinie, ferner bie am ©nbe biefer 3«i erworbene ©efebwinbigfeit be8 Körpere, ober feine ©nbgefebwinbigfeit, bureb bie Sänge einer gweiten Sinie bärge» ftellt, unb bie le^tere Sinie fenfreebt gegen baö eine ©nbe bet erften Sinie aufgetragen. Die erfte Sinie möge bie Sinie ber Seiten, bie gweite Sinie bie Sinie ber ©nbgefebwinbigfeiten {jefyexi. Die ©efdfwinbigf eiten, welche ber Körper währenb ber eingelnea (12»)

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äugenblicfe feines bis jit einem gewiffen 3cit^unft bauernben gallenö annimmt, »erben bann burd) lauter auf ber Sinie ber Seiten fenfrecht fteljenbe alfo unter einanber parallele gerabe SJinien auSgebtücft, bei benen bie eine Schaar non ©nbpunften auf ber Sinie ber Beiten liegt, bie anbete ©ebaat non ©nb* fünften biejenige gerabe ßinie bilbet, weldje bie freien @nb» fünfte non bet 8i»ie ber 3eiten unb ber Sinie bet lebten Gnb« gefefewinbigfeit uerbinbet. SDiefeS Grgebnifs hat feine Urfache getabe in bem Umftanbe, baf) bie ©efchwinbigfeiten bei bet fyiet betrachteten gleichförmig beschleunigten ^Bewegung fid) wie bie Berfleffenen Beiten Berlwlten. §üt jebeS fleinc 3eitinteroall wirb bet ^utücf gelegte ©eg burd) ein JRedjtecf gemeffen, beffen 33afiS baS 3eitinteroaH unb beffen .£>öbe bie ^gehörige @e* fchwinbigfeit repräfentirt. 2)ie ©umme aller biefer fleinen fRedjt* eefe geljt aber in ben glächenraum beS redjtwinfligen S)reiecf8 über, welches non ber 8inie bet 3eiten, bet fiinie ber lebten ©nbgefchwinbigfeit unb ber SerbinbungSlinie 3Wifd)en ben bei* ben freien ©nbpunften biefer Sinien gebilbet wirb, folglich ift bet glädjenraum biefeS ©reiecfS baS 9)lafj beö ganzen ©egeS, welchen bet faQenbe Äörpet in ber gegebenen Beit burdjlauft. ©iefer ©eg erweift fid) genau als bie Hälfte beSfenigen ©egeS, welchen bet Körper bei gleichförmiger ^Bewegung in berfelben 3eit mit ber begüglidjen ©nbgefchwinbigfeit jurüdgelegt haben würbe, ©o erfennt ©aliläi, bafj bei einer Born 3uftanbe ber fRuhe beginnenben Bewegung, bei welcher bie ©efebwinbigfeiten ben Betroffenen 3eiten proportional finb, bie ©ege, welche bet Äßr* per in oerfdjiebenen Beiten jutücflegt, fich wie bie öuabrate btt Betroffenen 3eiten ü erhalten. ÜJiit^in Bemalten fich bie in ben gleichen Beiten gurücfgelegten ©ege wie bie ungeraben 3ahlen.

2llle biefe theoretischen ©äfje finben auf ben freien gall ber Äörpet Snwenbung unb werben hier burd) ben angeftetlten Ser* fu<h noHfommen beftatigt. ©ie hüben ben Snhalt bet ©efe$e für ben freien galt ber Äörpet. ©aliläi ftubirt aber

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auch bie Bewegung bet fdjweren Äörper auf einer fehiefen ©bene, abgefehen non ben oothanbenen SBiberftänben, unb ermittelt bie ©efe^e ber bafelbft erfolgeuben gleichförmig befchleunigten Bewegung, hierbei ftii^t er ftd} namentlich auf ben ©a£, ba&, wenn ein Äörper non berfelben |)ohe entweber auf einer fd^iefe« ©beue nou beliebiger Neigung ober auch ganj frei Ijerabfätlt, bie ©efchwinbigfeit, mit welcher berfelbe ben ©oben erreicht, immer biefelbe ift. 2lucb bemerft ©aliläi, ba|, wenn bem Körper biefe ©efchwinbigfeit alß Slnfangßgefchwinbig« feit beigelegt wirb, berfelbe auf einer fdjiefen ©bene auffteigenb gerabe jene £öhe erreichen muff. 9luß bem früher ©ntwicfelten ergiebt fidj, bah bie Duabrate ber betreffenben ©efbbwinbigfeiten ben .pöben proportional fiub.

©ie Bewegung eines geworfenen Äörperß beftimmt ©alüäi mit Jpülfe non jwei ©äfjen, welche ben Stang t>on allgemeinen ^rincipien ber theoretifdben fDtecbanif erworben hoben. ©er eine @at} beftebt barin, bah eine gleichförmige gerablinige Be* wegung fich ohne ©nbe felbft erhält, wenn fie nicht burch frembe Urfachen abgeänbert ober gehemmt wirb, ©iefer ©afs ift in fpäterer 3eit mit bem ©afce, bah ein ruhenbet Körper ohne frembe Beranlaffung nicht ben 3uftanb ber Stube »erläfjt, 3u» fammengefaht worben, unb bie Bereinigung hot ben Stamen beß ©rägheitSgefe<}eß empfangen, ©er anbere ©ah beß ©ali* läi enthält bie Stegei für bie 3ufammenfehung ber Be* wegungen bei einem Äörper, auf ben währenb eineß f leinen 3eitinteruaQß jwei oerfchiebene Urfadjen ber Bewegung einwirfen. ÜBirb nämlich bet SBeg, Welchen ber Äörper wähvenb beß fleinen 3eitinteroaUß in golge ber erften Urfache befdireiben würbe, burch eine Siuie, unb ber SBeg, welchen ber Äörper währenb beffelben fleinen 3eitinteroaHß in golge ber gweiten Urfache be* fehreiben würbe, burch eine jweite Binie bargeftellt, fo befchreibt ber .Körper währenb jeneß 3eitinteroaüß bie ©iagonale beß auß jenen beiben fleinen Binien alß ©eiten conftruirten $)araHelo»

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grammS. ©ie angeführten beiben Sä^e wenbet ©aliläi auf ben geworfenen Äßrper in ber SBeife an, bajj er fid) benfelben guerft in bem 2lugenblicfe benft, wo er feine hödjfte Stelle er» reicht h®*- 3n biefem ülugenblicfe ;ft bie ©efchwiubigfeit beS ÄörperS horizontal gerietet unb bat eine beftimmte ©röfje. 9tun erfolgt bie 3ufammenfehung einer horizontalen Bewegung, bie mit ber erwähnten ©efdjwinbigfeit gleichförmig auSgeführt wirb, unb einer uertifalen Bewegung, bie burch ben gaK gleichförmig befchleunigt ift, unb baö ©rgebnifj ift bie Bewegung in einet l'arabel.

Bon ber SJlitte beS fiebjehnten Sa^r^uttbertS an nahm unter ben fDlathematifern unb feiner Beit (Shriftian

-^upgenS bie erfte Stelle ein. @r war 1629 im ^>aag ge» boren, lebte in ben 3aljren 1665 bis 1681, einer Slufforberung ©olbertS folgenb, ju ^>ari8 als SJtitglieb ber bafelbft neu ge» grünbeten Slfabemie ber SBiffenfdjaften, lehrte hierauf in bie fftieberlanbe gurücf unb ftarb im $aag 1695. SluS bet 9teit)e ton ^upgenö arbeiten, benen ein untergönglicheS Berbienft innewohnt, möd}te ich ^unadjft biejenige herausheben, welche fid) auf ben Bufammenftofj ber harten elaftifchen Körper bezieht. @S h®wbelt ft<h hier um bie Aufgabe, wenn ton gwei harten elaftifchen Äörpern, bie wir unS als Äugeln torftellen wollen, ein jeber mit einer beftimmten gleichförmigen ©efchwinbigteit unb in berfelben geraben Sinie fich bewegt, unb wenn bie bei» ben Äörper jufammenfto§en, biejenigen ©efchwinbigfeiten anzu« geben, mit benen bie Äörpet in gerabet 8inie fortfdjreiten wer» ben. ©ie Waffen ber beiben Äugeln gelten als beliebig unb tonnen ebenfowohl ton einanber terfdjieben wie einanber gleich fein. JpupgenS finbet bie tollftänbige Beantwortung bet ge» fteflten Aufgabe, unb fpridjt hierbei bie folgenben beiben Sät}e auS. ©rfteuS: bie relatite ©efchwinbigteit bev beiben Äörper ift tot bem 3ufammenftohe ebenfo grofj, wie nach bem 3ufammen» ftofce. BweitenS: wenu mau bie Waffe febeS ÄörperS mit bem xi. u*. . 2 (ias)

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Ouabrate {einer ©efdjwinbigfeit multiplicirt unb con tiefen beiben fProbucteu bie Summe nimmt, fo ^at tiefe Summe ebenfalls cor bem 3ufammenftof)e unb nach bem 3ufammenftof3e ben gleiten SBertl).

Unter ben Stefultaten biefer Unterfuchung ift auch baö 9te* fultat mit einbegriffen, baf;, men« eine fich bewegenbe fyarte elaftifche Äugel auf eine ebenfoldje ruhenbe Äuget non ber glei* djcn SJtaffe ftöfct, bie erftere nach bem ©tofje in Oiu^e bleibt, unb bie zweite bie Bewegung ber erfteren übernimmt. IDiefe 2^eorie lehrt ferner, unb bie Erfahrung beftätigt eö, baff, wenn eine Sieitje non einattber gleichen garten elaftifdjen Äugeln fo angeorbuet ift, baff ihre SDiittetpunfte in einer geraten ginie liegen unß bie Äugeln fich berühren, unb wenn bie an bem einen @ube ber {Reihe befinbliche Äugel con ihrer 'Jiac^barfugel ent* fernt unb hierauf gegen biejelbe geflogen wirb, ber (ärfolg eintritt, bafj bie an bem anberen @nbe bet {Reihe befiubliche Äugel ftdj iu ber gleiten SBeife con ihrer 9iad)bartugel entfernt. 2)aö fo eben befdjriebeue 'Phänomen hat beS^alb eine auäge» Zeichnete Sichtigfeit, weil ^upgeuö auf bie hier ftattfinbenbe 3lrt ber gortpflangung einer Bewegung in ber Schrift „über baS Sicht" feine Sl^eorie con ber gjortpftangung beä gi c^te 8 gegrünbet fyat, bie unter bem tarnen ber Stellen» theorie beb gic^teS nod) gegenwärtig in ©eltung ift.

$Da8 Borwort ber genannten ©c^rift bezeichnet auf ba$ fcharffte bie cerfchiebenen Slrteu bet ©rfenntnifi, welche ber rei* neu matljematifdjen Betrachtung unb ber SJlnwenbung ber ma* thematifdjen Betrachtung auf bie {Ratur eigentümlich f'nö* „3n biefem Buche", he*&t «8 bafelbft, „fommeu Beweife cor, welche nid)t ebenfo gewifj finb, wie bie geometrifchen Beweife, unb bie fich non jenen bebeutenb uuterfcheiben. SDenn bie @e* ometer leiten U)te Sähe aub wenigen unb unzweifelhaften 4Ptin* cipieu ab; ^ier werben bagegen nach ber Sage ber ©ad)* bie

sPtincipien burch bie Schlüffe bewiefen, welche man aub ben (1*6)

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?>rincipien ableitet. @8 ift aber möglich, auf tiefem Söege gu einem fo hohen ©rate non SBahrfcheinlichfeit gu gelangen, ba§ er ter ©e»ijfheit beinahe gleich fcmmt. 5)ie8 gefdjieht, fobalb bie 2{jatfad;en, bie au8 ben angenommenen fPtincipien gefchloffen ftnb, mit ben ©rfdjeinungett, welche bie ©rfahrung nad)»eift, öoQfommen itbereinftimmen, namentlich bann, wenn eine gtefje SDienge non ©rfcheinungen »erliegt, unb in noch höherem fDtafje, wenn au8 ben aufgeftellten .£)ppothefen neue ©rfdjeittungen ge» folgert unb oorauögefagt »erben, welche fpäter in ben 5Xl)atfadjeu ihre SBeftätigung finben. äBofetn aber bei meinem gegenwdrti» gen Vorhaben, »ie icE) hoffe, alle biefe ©rünbe ber SSahrfcbein» lichfeit gutreffen, fo »erbe ich heraus bie Verfidjerung fdjöpfcn bafj bet bei tiefer §orfd}ung gefugte ©rfolg erreidjt fei, unb bafe ber »ahre ©ad)uerhalt non meiner SDarftellung faurn um oieleö oerfcbieben fein fönne."

(Sine gang befonbere SHngiehung nerleiht ber Slbhanb* lung felbft bie unbefangene Offenheit, mit ber ^>uv>gen8 bie Ueberlegungen aiUSeinanbet fefjl, welche ihn gu feiner Theorie beö gichteö geführt hoben, unb bie ©djwierigfeiten auSfpridjt, bie feiner Sluffaffung entgegenftehen. ©ein ©ebanfengang, non bem idf oetfudjen möchte, ein angenäherteS 23ilb gu gebeu, be» ginnt mit ber 23emerfung, bafj ba§ Sidj)t ung»eifelhaft in ber ^Bewegung einet gewiffen fföaterie beftehen muffe. Jpiet auf (Srben »erbe ba§ Sicht houptfädhlid> »om geuer unb non ber glamme hernorgebracht, »eiche Körper enthalten muffen, bie in ber fchneUften ^Bewegung begriffen feien; benn fie gerftören unb fchmelgen bie fefteften Äörper. 9luch habe ba§ Sid)t, wenn e8 etwa burch einen £ohlfpiegel gefammelt »erbe, biefelbe Äraft gum Verbrennen »ie baS geuer; ba8 ^ci§c, bafj bie Steile ber Äörper gu trennen oermöge. Unb baS geige gang gewifj eine Bewegung an, wenigftenö in ber wahren fPhM°f°bhie, wo bie (Stfldrung aller 9tatur»irlungen burd) mechanifche Vctradjtung gefugt »erbe; bie$ muffe aber gefaben, wenn nicht alle $off»

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nung aufgegeben »erben fette, etwa8 ton ben Baturerfcheinun* gen gu begreifen. 3Beil aber nach benfelben ©rnnbfä^en für fieser gelte, bafj ber ftnnliche 6inbrucf, »eichet ba8 Sehen ge» nannt wirb, entftetje, inbem bie fernen be8 2luge8 ton irgenb einer Materie gereigt werben, fo gwinge un8 auch bie8, angu» nehmen, bah ba8 8id)t irgenb welche Bewegung einer SRaterie fei, welche fic^ gwifdjen bem leucJjtenben Äörpet unb ltnferem 9luge befinbe. 3Benn man aber erwäge, wie fdjneO fich bie gidjtfiraljlen überall t)in Derbreiten, unb wie bie Don terfchiebenen ^Richtungen fommenben 8i<htftrahlen fid) fchneiben unb bod) nicht ftßren, fo fehe man leidjt ein, bah bie Ieudjtenben .Körper nicht mit $ülfe einet 9Raterie gefehen werben, bie ton ihnen gu un8 fomrnt, wie eine Kugel ober ein $)feil bie 8uft burdjbringt. 2llfo muffe fi<h ba8 Sicht auf eine anbere SBeife bewegen, unb um biefe gu begreifen, »erbe e8 tmfjlid) fein, gu betrachten, wie bet ©ctjatl burd) bie 2uft fortfehreite.

68 fei befannt, bafj ber Schall fidj um ben Ort, an bem er ergeugt worbeu ift, mit Jpülfe ber 8uft terbreite, unb gwar burd) eine Bewegung, bie nacheinaubet ton einem Steile ber 8uft gu einem anberen übergehe, unb bie überallhin mit bet* felben ©efdjwinbigfeit erfolge, fo bah gemiffetmaffen fugelförmige Oberflächen eutftehen müffen, bie immerfort grßfjer werben unb an unfere Ohren fragen. SBenn nun ba8 8icht eine 3eit ge» brauche, um gu un8 gu fommen, fo müffe bie entfpreehenbe Be» »egung bet Sötaterie eine futceffite fein unb ftch ebenfo wie bei bem Schalle in fugeiförmigen 3Bellen auSbreiten; <£>upgen8 wolle fie als 38 eilen begegnen wegen ihrer Slehnlichfeit mit benen, welche man leicht in bem 3Baffer bewerten fann, fobalb man in baffelbe einen Stein wirft. 3lu8 ben Beobachtungen SiömerS über bie Berfinfterungen ber Trabanten be8 Planeten 3upiter werbe aber gejchloffen, bah ba8 8id}t gu feiner gortpflangung eine Seit nötljig ha^ef unb sugleidj gefunben, bah bie ©efdjwiit» bigfeit ber gortpflangung be8 8i<htc§ mehr a!8 600,000 mal grö« (>28)

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§er fei, alß bie ©efdjwinbigfeit beß ©djalleß. Sßährenb nun baß Sicht unb ber ©«hall in bet -^infidjt übereinftimmen, bafc ftefichin fugeiförmigen SEBeUen außbreiten, fo feien gwifchen ihnen aufserbem bebeutenbe Unterfdflebe oorhanben ; benn bie Bewegung, »eldje beiben ju ©runbe liege, »erbe auf eine anbere Steife hetocrgebradfl, fie erfolge in einer anberen SDiaterie unb ^flanje fi<h auf eine anbere SBeije fort.

SDer ©djall habe feine Urfadje in einer plöpdjen ©rfchiitte* rung beß ganjeu Äörperß ober beßjenigen Sljeileö, weither bie Suft berührt; baß Sid)t muffe aber in ben einzelnen Steilen beß leudflcnben Äörherß entftehen, unb biefe Bewegung fönne teoljl nid)t beffer erflärt werben, alß burdf bie folgenbe SÄnnahme. SDie leudflenben Äörper, welche flüffig finb, wie eine flamme unb oieUeicht auch bie ©ferne unb bie Sonne, befielen auß fleinen Sit^eiten, bie in einer »iel feinetn fDtaterie bin unb h^ flutljen, unb bie »on biefer EKaterie fe^r rafch gegen bie $beüe beß Stetherß geflogen »erben, welche bie Umgebung jener erfteren SL^eilc außmadjen unb bei »eitern Heiner feien, alß bie erfteren Steile. Bewegung bei ben leudjtenben .Körpern, »eiche feft finb, »ie eine gliihenbe .Kohle ober gliihenbeß SOtetall, ent* fpriuge aber auß bem heftigen ©tofje bet Streife ber .Kohle ober beß SJtetaQß, unb oon benjenigen biefer Steile, welche fleh an bet Oberfläche beftnben, »erbe in ber gleichen SSeife bie COiaterie beß Sletberß geflogen. 9lud) müffe bie ^Bewegung ber fleinen Sbeile« bi* baß Sicht e^eugeu, bei »eitern taffer fein, alß bie Bewegung ber tönenben Körper, ba nach ber ©rfahrung auß bem drjittern eineß tönenben Äötperß ebenfowenig ein Sicht entfiele, »ie ein 5£on h^oorgebradht »erbe, inbem man bie ,£>anb in ber Suft bewege. SDiefe SERaterie beß 9letl)erß fönne ferner nicht bie Suft fein, mittelft beren fleh ber ©djan außbreitet, weil burdj bie ©ntfernung ber Suft auß einem gläfernen ©efäfje gwat bie gortpflanjung beß ©<hatleß, aber nicht bie gortpflanjung beß Sichteß aufgehoben »erbe.

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3Ba8 aber bie $lrt bet gortpflanaung anlange, jo fei btefefbe für bert ©djaH leidet ju uerfte^en ; beim man braune nur an bie (Sigenfdjaft bev Suft ju benfen, bafj fie ficb leidet jufammen* briicfen unb in einen ffeineren SRaurn bringen laffe, als fte »on felber einnimmt, unb bafj fte banad) ftrebe, fid^ in bem SSer^ält* nifj, wie fie gebrütft wirb, »iebertjerguftellen. hieraus fcbeine 3U folgen, baf) bie Suft au8 Keinen Äörpetcben beftelje, bie mit rafdjet Bewegung in einer (Äetbermaterie fcbwimmen, t»eldje Sletbermaterie au8 niel Heineren Steilen jufammengefejjt fei. JDarum eyiftire für bie ©erbreitung beS ©djalleS feine Urfaebe aujjer ber elaftifdjen Äraft jener Reinen fidj ftofjenben Äör* pereben, wäbrenb fie in bem Umlauf jener SBetlen mehr gebrüeft feien, als an anberen ©teilen. (Die ungemein rafd^e ©ewegung beS Siebtes, netbunben mit feinen anberen (Sigenfcbaften, geftatte eine ebenfoldbe 9lrt ber ffortpflangung nir^t. (Sine anbere Slrt ber Sortpflanjuug, welche für ba8 Siebt möglich febeine, ergebe fteb aus ber ©etraebtung berjenigen SBeife, wie fteb bie barte» Äörper ihre ©ewegung gegeufeitig mittbeilen.

tltad) biefett (Srwägungen entwicfelt ^upgenS ben norbin angeführten ©aj} über bie .URittbeilung ber ©ewegung bei einer SReib« non einanbet gleichen barten elaftifeben Äugeln, beren 9Rittelpunfte ine gerabe Sinie bilben unb bie fteb berühren. (Sr bebt bann befon* berS bernor, baff bei biefer (Srfebeinung in ben mittleren Äugeln gwar feine ©etnegung gefeben werbe, bafj aber berjforifcbritt berSewegung bennod) nicht momentan fonbern fucceffi» erfolge, unb baber Beit brauche. SBenn baber biefe 9lrt bet ©eroegung auf bie* jenige ©ewegung bezogen werbe, bureb welche baS Sicht entftebt, fo nerbiete nidjtS ju glauben, bah bie Stetbertbeile au8 einer SDRaterie befteben, beren fjärte fo noßfommen, unb beren (Slafti* cität fo grob fei, al8 man nur wolle. Sind) fei e8 non bem ge* wonnenen @efid}t8punfte au6 nicht unbegreiflich, wie eine fo ungeheuere Sftenge non Sichtweiten fteb fdjneibe, ohne bafj eine ©erwirrung entfpringe, weil baffelbe Slbrtldjen bet SDRaterie

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mehreren SBetleu bienen fenne, bie »du Betriebenen, ja fogar entgegenfehten Crten ^etfommen. SKIerbingg fd)etne e8 böebft wunberbar, ba& SBellen, bie non jo Keinen ^Bewegungen unb jo Keinen .Körpern ^ettü^rcn, fidj auf fo unermeßliche Entfer» nungeu Berbreiten fotlen, wie gum SBeifpiel Bon bet Sonne cbet ben Sternen big gu un8. Mein eg fei gu bebenfen, baß ungählige SBetlen, bie Bon ben Steilen be8 leucßtenben Äörperg auggehen, ficß Bereinigen, unb eine SBeHe bilben, bie merKidj »itb; unb fei ferner gu bebenfen, bafj bag eingelne Stheit« djen feine Bewegung nicht nur ben nädjfteu S^eireu mit« theile, welche auf einet Bon bem teudjtenben fünfte gegogenen getaben ginie liegen, fonbern auch allen übrigen benachbarten, ©aßer gebe eg für jeben leudjtenben 3>unft gu einer beftimmten 3eit immer eine fugeiförmige SBetle, welche Bon allen eingelnen ent» ftanbenen SBeHen berührt werbe. 5) er Segriff biefet einen SBetle ift eg aber, mit beffert «£> ülf e $upgeng bie Erfcßeinungen ber 3urücfwetfung unb berSrechung beggicfjteg erflärt h&t

3>m 3a^re 1672, alg ^upgeng auf ber £öhe feineg 9luh» meg ftanb, fam ber fed)8unbgwangigj5l)tige geibniß nach ^arig. 6t lernte $upgen8 fennen, würbe fein Schüler in ber 9Jta* tßematif unb fein %reunb. güt geibniß ^atte bie St^eorie bet Bewegung nicht nur einen mathematifchen, fonbern auch einen Philofophifcßen l^o^en fReig. ©ie Segriffe ber lebenbigen unb ber tobten .Kräfte, welche fogleid) erörtert werben feilen, tragen ben Stempel feiner ©enfart.

2Bit b“ben burdj 2lt<himebe8 gelernt, baß gwei ©ewidjte, bie fi<h gu einanbet wie bie 3ah^n 1 ««b 4 Bethalten unb bie eine gerabe ginie belaften, fid) bag ©leichgewicht hälfe«» wofern bie gerabe ginie ober ber Jpebel in einem fünfte unterftüßt ift, ber gwifdßen ben beiben 2lngriffgpunften liegt unb bie Entfernung gwifdhen benfelben nach bem Serhältniffe Bon 4 gu 1 theilt. ©eben wir bem £ebel eine Keine Bewegung, bei welchen etwa bie Keinere fJRafje abwärtg, bie größere aufwärtg geht, fo wirb

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bie erftere oermöge beö oiermal längeren £ebelarm8 einen Reinen Sogen nach unten befdjteiben, ber oiermal größer ift, alö ber fleine Sogen, [ben bie gröbere SJlaffe nach oben betreibt. Sür bie angenommene Heine Semegung »erhalten fid) bie ©efcbmin* bigleiten, mie bie burdjlaufenen Sogen. ©8 mürbe alfo bie Heinere ÜKaffe mit ber oiermal größeren ©eföbminbigfeit abwärts ftnfen, mäbrenb bie oiermal größere SRaffe mit ber einfachen ©efdjminbigfeit auffteigt. 2)a8 §)robuct einer SJtaffe in iljre ©efdjminbigfeit bei&* bie Quantität ber Semegung. 3u unferem Salle märe alfo ba8 ^robuct bet SDiaffe in bie ©e= fdjminbigfeit ober bie Quantität bet Semegung bei beiben 5Jtaffen gleich grob. geibnifc nennt nun fold^e Äräfte, bie fi<b ba8 ©leidjgemicbt leiften unb baburcp nid}! gur ©rfdjeiuung Jommen, tobte Ätäfte, unb fdjliebt au8 ber oon un8 reprobucirten Setradjtung, bab bei ben tobten jfräften ba8 ©leicbgemicbt ftatt» finbet, mofern bie Duantitäten bet intentionirten Semegung einanber gleich finb.

©obalb aber ein Äörper in golge ber ©cbmete ft<b mirf» lieb bemegt, bann empfängt er nad) betn 9lu8btucfe oon 8eib = nifc lebenbige Äraft. £Die ©ejcbminbigfeit, meldje ein oon ber (Rübe beginnenber Äörpet bei bem freien Sailen ober bei bem £inabgleiten auf einer fdjiefen ©bene ermirbt, ift nad) @a* liläiS ©ntbecfung nur oon ber ©enJungSböfje abhängig, unb gmar finb jbie Quabrate ber ©efdjminbigfeiten ben ©enfungS» hoben proportional. Sßenn babet ein Äötpet oon einem $>fuub burcb bie $öbe oon oier Suf$ fällt, bagegen ein .Körper oon oiet $funb burdj bie ,£>öbe oon einem Sub, fo ermirbt ber erftere eine hoppelt fo grobe ©efdjminbigfeit, al8 ber leitete. Silbet manibier bie -Quantitäten ber Semegung, fo giebt bei bem erften Körper ba8 $>robuct ber 2Raffe 1 in bie hoppelte ©efcbminbigfeit, unb bei bem gmeiten .Körper ba8 fprobuct ber 9Raffe 4 in bie einfache ©efcbminbigfeit einen oerfdjiebenen SBertb. SDie Quantitäten ber Semegung finb alfo oerfdjieben.

(lSi)

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25

SDagegen Ijat bei bem erften Körper baß $)robuct bet 5SRaffe 1 in baß Duabrat bet hoppelten ©efdjminbigfeit, nämlidj 4, unb bei bem gweiten Körper baß §)robuct bet SDtaffe 4 in baß Dua* biat bet einfachen ©efdjminbigfeit , nämlidj 1 , benfelben SBertlj. Üeibni^ fefct bemnad) feft, bafi baß fPtobuct bet fDlaffe in baß Duabtat bet ©efdjmin bigfeit baß fDtafj ber lebenbigen Kraft fein f oll. Sann erroetben in unferem Seifpiel beibe Körper biefelbe lebenbige Kraft.

Seibnifc finbet biefen SJegrif unmittelbar in ber »on Jpupgenß gegebenen 8eljre beß 3ufammenfie§eß bet elaftifdjen garten Körper. Ser gmeite Satj beß ^jupgenß, ben mir »or« Ijin angeführt Ijaben, enthält gerabe bie äußfage, bafj bie Summe auß bem ^robuct bet fDiaffe in baß Quabrat bet ©efdjminbig« feit, baß ift bie Summe ber lebenbigen Kräfte, bei ben beiben Körpern not bem Stofje benfelben SBertlj Ijabe, mie uadj bem Stofje. *

2Benn eine Ijarte elaftifdje Kugel »on 4 fPfunb fidj Ijori* gontal mit bet ©efdjminbigfeit »on geljn §u§ in bet Secunbe bemegt, unb menn fidj bie gange lebenbige .Kraft betfelben auf eine Kugel »on einem ^)funb überträgt, fo mürbe bie erftere in SRufje bleiben, unb bie groeite mit ber ©efdjminbigfeit »on gmangig §u§ in bet Secunbe meitergeljen. Stimmt man an, ba| bie Ä'ugel »on »iet §)funb bie ©efdjminbigfeit »on geljn gu§ in bet Secunbe butdj baß $inabgleiten »on einet gemiffen #ölje etmorben Ijat, fo mürbe bie ©efdjminbigfeit »on gmangig 8ufj in bet Secunbe, meldje bie Kugel »on einem fPfunb em» pfangen Ijat, genau außreidjen, um biefe längß einer fdjiefen ©bene gu bet »ierfadjen £ölje »on bet Senfungßljölje ber erften Kugel fyinaufgutreiben. Seibnif} ftellt nun ben Safs auf, baff bie Kugel »on »iet $)fuub unmöglidj auf itgenb eine SBeife bet Kugel »on einem ^)funb eine größere ©efdjminbigfeit mittljeilen fönne, alß bie »orljin angegebene »on gmangig gufj in bet Se> cunbe. Siefen Satj bemeift er mit Jpülfe beß Sljriemß, ba§

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26

in ber Statut fein Perpetuum mobile geben fönne, inbem er geigt, wie ein Perpetuum mobile conftniirt wer« ben fönnte, falls bie gu wiberlegenbe SorauSfeijung gültig wäre.

3dj werbe jefct bie medjanifcbe Sorricbtung, welche 2eib* nifc für biefen 3wecf erfonuen fyat, erflären, unb ber leichteren Sorftellung wegen bie babei »otfommenben ©röf)en in beftimm« ten Ballen auSbrücfen. SDie ,£>öbe, »on ber bie worein erwähnte erfte barte elaftifcbe Äugel binabgleiten muff, um mit ber SRulje anfangenb bie ©efchwinbigfeit neu gehn gu§ in ber ©ecunbe gu erbalten, ergiebt fidj auS ben früher erörterten ©efefjen beS ©aliläi für ben freien galt berÄörpet, fobalb bie fache ber (Erfahrung bingugefügt wirb, baf) ein Äörper, ber au8 ber fltubelage gu fallen beginnt, nach Verlauf ber crften ©ecunbe in einer runben Btffer bie (Enbgefchwinbigfeit »on 30 $uf) erlangt. SBeil bie »on bem Äönper in biefer 3«t burdbmeffene gallböbe bie Jg>älfte biefer ©trecfe betragen mufj, weil ferner bei »et« fcbiebenen gaUgeiten bie 6nbgefd)Winbigfeiten fid) wie bie ?aü» geilen, bagegen bie fSaflböben wie bie Quabrate ber gallgeiten »erbalten, fo b“t ber in Siebe ftebenbe Äürper na<b bem Ser» lauf »on } ©ecunbe bie ©efchwinbigfeit »on einem gu§ in ber ©ecunbe erlangt, unb bie $allböbe »on $ ^u| burchmeffen. 35ieS ift bie erforberliche ©enfungSböbe bet erften Äugel; bie Sahn betfelben batf nad) bem ebenfalls angeführten ©a£e beS ©aliläi eine beliebig geneigte fdbiefe (Ebene fein. @8 wirb nun »on 2eibnij} »orauSgefe^t, baf) biefe erfte Äuget, nachbem fie eine folche Sahn burchlaufen bflt nnb in einer $erigontal« ebene mit ber ©efcbwinbi gleit »on gehn gufc in bet ©ecunbe angelangt ift, im ©tanbe fei, einet gWeiten Äugel »on einem 9)fujib bie ©efcbwinbigfeit »on 40$ujj in ber ©ecunbe gu ertbeilen, Wabtenb hiernach bie erfte Äugel felbft in ber ^origontalebene in JRube bleibe. Sei biefer SorauSfehung, beten llnguläffig* feit nachgewiefen werben f oll, ift bie ©efchwinbigfeit bet gwetten Äugel fo grof) angenommen, bah bie Quantität ber

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Bewegung, ober baS ^robitct ber SERaffc in bie ©efdjwinbig* feit, für beibe Äugeln gleich grob wirb. 2>ie Stnnahme, ba§ bie gweite Äugel überhaupt eine ©efdjwinbigfeit erhalte, welche grö§et ift als gwangig §ufj in ber ©ecunbe, würbe gu einer »ollfommen ähnlichen Betrachtung 9tnla§ geben. Bermöge ber BorauSfeijung, bah ber gweiten Äugel eine ©efdjwinbigfeit »on 40 gufj in ber ©ecunbe butch bie erwähnte Uebertragung er* t^eilt ift, fann biefelbe auf einer il?t bargebotencn fchiefen ©bene gu ber 16 fachen »on ber ©enfungßhöhe ber erften Äugel, mithin gn ber .£>5he wo« V Sub ^erauffteigen, unb e8 möge für bie gweite Äugel eine folche Bahn hergefteüt fein, auf ber fie ftch witfHch bis gu biefer .£>öhe erhebt. SDann befinbet fich alfo bie erfte Äugel ruhenb in ihrer ^origontalebene, welche ich ber Äürge halber ben Beben nennen will, unb bie gweite Äugel in ber $öhe »on 8S° §u§ übet bem Beben. ©8 fei nun ein £ebel fo eingerichtet, bah fei« fütgerer Slrm bie auf bem Beben ruhenbe erfte Äugel »on 4 fPfmtb, fein längerer 9trm bie gweite Äugel Den einem $funb gu faffen »ermag, unb gwar fei bet längere Hebelarm fünfmal fo lang als bet fürgere. SBofern ber längere Hebelarm »ietmal fo lang wäre, als ber fürgere, fo würbe nach bem eben erörterten Jfjebelgefetj be8 SlrchimebeS bie eine Äugel ber anbeten ba8 ©leichgewicht halten; benn aisbann »erhielte ftch bie Sänge ber Hebelarme umgefehrt, wie bie an benfelben wirfen* ben ©ewichte. 25a aber bie gweite Äugel »on einem $)funb an einem Hebelarm wirft, welcher nicht »ietmal fonbern fünfmal fo lang ift, als bet anbere Hebelarm, fo muff biefe Äugel ba8 Uebergewicht erhalten, ©ie wirb mit ihrem Jpebelarm gu Boben gehen, währenb bie erfte Äugel mit ihrem Hebelarm in bie #öhe fteigt. 9luch übergeugt man ftch leicht, bah bie Jpohe, bis gu welcher bie erfte Äugel auffteigt, ftch 3“ ber <£>öhe, um welche bie gweite Äugel gleichgeitig htnabftnft, »erhalten muh, wie ber Hebelarm bet erften Äugel gu bem Hebelarm ber gweiten Äugel, ba8 ift in bem »orliegenben %atle, wie cinS gu fünf. 25ie gweite

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Äuget geht aber oon bet £öhe oon y guh bis auf ben ©oben, bähet wirb bie erfte Äuget com ©oben biß auf bie oon V $uh gehoben. 9lHeiu bie $öhe, cou bet bie erfte Äuget auß bet SRuhelage hinabgeglitten mar, um am ©oben bie ©efdjtoin« bigfeit cou einem §u§ in bet ©ecunbe gu erhalten, beträgt, wie wir uuß erinnern, nur -J ffrufj. SDa fid) nun bie erfte Äuget, nachbem bie $ebetüorrid)tuug angewenbet worben ift, auf einer um y guji größeren £öhe befinbet, fo fönnte man mit ber ^jitlfe biefer Äuget, wätjrenb fie cou ber begeidjneten ,£>öhe biß gu ber Jg>ötje con $ gu§ abwärtß geht, irgenb wet <he nö^litbe metfyanifdje Sttjätigfeit außübeu. 9iad) ©otlenbung biefer med)anifd)en S^atigfcit würbe fid) bie Äuget bann noch auf ber* jenigen ^pölje befinben, cou ber auß, auf ihrer fcbiefen (Sbene hinabgleitenb , fie bie ©efdjwinbigfeit con gehn §uh in ber ©e* cunbe empfing, mit welcher bie befdjriebene ©ewegitng begann. SDa aber bie gweite Äuget nach ber Stnwenbung ber ,£>ebetoor* ric^tung auf bem ©oben angelangt ift, fo hätte man nur nöttjig, biefelbe auf bem ©oben an ben urfprüngtichen ©Iah gu bringen, bamit bie erfte Äuget abermalß, ber getroffenen Annahme gemäfs, il)r bie ©efchwinbigfeit con 40 gufj in ber ©ecitnbe ertheiteu unb bet gange ©organg fich oon neuem wieberholen fönnte 5)ie ©enufsung ber ^ebetoorrichtung fönnte auch fo gefchehen, bah bie gweite Äuget nicht cötlig biß auf ben ©oben, fonbern nur biß in 9iähe beffetben bcrabgetaffen würbe, unb bort ben Hebelarm cer* liehe, um hierauf läitgß einet paffenb angebrachten ©ahu biß 3U bem urfprüngtichen ©Iahe gu rollen, wo fie wieber oon ber erften Äuget getroffen wirb. Stuf biefe äöeife würbe in ber &hat eine 9Jtaf<hine ^crgeftetlt fein, wetdje ohne ©nbe eine nühliche mecha* nifche Shätigfeit außüben faun, unb bicß wäre baß Perpetuum- mobile.

©on biefer ©etrachtung aber erhebt fich fjeibnih, bie @e* banfeu con Sahrhunberten überfpriugenb , gu bem allgemeinen ©ajje, bah bie lebenbige Äraft ift, welche fich ber

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gangen Sßelt erhält. ?n einer ©dtrift, webte er währenb feinet Aufenthaltes in 3talien 1689 nerfafjte, unb bem bamali* gen .fpergog non gloreng Goftmo bem dritten tnibmen mellte, fpäter aber nicht bruefen liefj, fpridjt er feine eigene Anfcbauung een bem Söcrthe biefeS ©ajjeS, in welkem feine matljematifdje unb philofophifdje ©peculation gufammenfliefjen , folgenbermafjen au§: „3e£t offenbart fi 6) atlmählig bie unglaubliche Äunft be8 Schöpfers in ber allgemeinen Bertheilung ber bie fBtaterie be» herrfebenbeu Kräfte. @8 fdfeint, baff wir bie Berhältniffe ber fRatur au§ einem frönen 3wecf werben ableiteu fönnen, wie ©ofrateS fte aus einem guten abguleiteu Reffte. 2)a8 aber Werfet ber göttlichen ©röfje £pmnen fingen, unb, waS mehr ift, »ernennten, wie aDe ©reatur in unecrgleidjlidjer fDtajeftät unb SJUlbe bie SBeiöijeit ihres unenblidien «Schöpfers feiert".

@8 war nicht wohl ausführbar, bie Flamen non .giupgenS unb Ueibnif} non einanber gu trennen; ber genauen 3eitfolge nach hätte fRewton gwifd)en benfelbcn erwähnt werben muffen. Bon iftewton batf man fagen, baf} er baS noBftänbige ©ebäube bet theoretifdjen SERed^anif ober ber SSiffenfdjaft non ber Berne* gung aufgeführt hat. 2Ber non eingelnen ^heilen beffelben rebett will, begeht leicht ein Unrecht an bem ©angen.

fRew ton hat in feinen |)tincipien, welche gum erften fötale 1687 erfchienen finb, als erfteS ©efet} ber Bewegung baS Jräg« heitSgefefc hingeßellt, beffen ich ?<hon bei ©aliläi erwähnte ©r brüeft baffelbe fo auS: jeber Äörper netharre in feinem 3uftaube, nämlich bem 3uftanbe ber 3tuhe ober ber gerablinigen ttnb gleichförmigen Bewegung, wofern er nicht burch imprimirte Äräfte gegwungen wirb, feinen 3uftanb gu änbern. fltewtonS gweiteS ©efefc ber Bewegung h#t: bie Aenberuug ber Bewe= gung ift proportional bet imprimirten bewegenben Äraft, unb erfolgt nach ber geraben Sinie, in welcher biefe Äraft imprimirt wirb. 2)a8 britte ©efefc ber Bewegung lautet: bie Süirfung unb bie ©egenwirfung finb einanber gleich, °^er Me gegenfeiti»

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gen äöirfungen gtreier Körper finb wechfelöweife unb entgegen* gefegt gerichtet. Slber mit wie unerbittlicher ©ewalt finb bie Goniequengen a«ö biefen ©efetjen gegogen» unb welche 9D?et^obe ift hier norgejeidjnet, um eine Söelt con ©rfcheinungen auf einen einzigen ©rflärungSgrunb gurücfgufül)ren.

Söir fagen heute, wenn ein Spftem con Körpern gegeben ift, wenn bie ©ebingungett, unter benen fie fiel) bewegen, unb bie Kräfte, benen fie unterworfen finb, befannt finb, wenn man ferner für einen 3eiimoment bie JDerter ber Körper uub ihre ©efchwinbigfeiteu weif), bann fei bie ©ewegung be$ SpftemS in ber folgenben 3eit beftimmt, unb ihre ©eftimmung eine Stuf* gäbe ber SJtatljematif. Slber ba§ wir fo Sprechen fönnen , *ba§ oerbanfen wir Stewton.

Stach benfelben ©runbfäfjen fönnen nicht allein bie ©ewe* gungeu einzelner .Körper, fonbern auch bie ©ewegungeu con ftetig gufammenhängenben SOiaffen unterfucht werben. Sluf bie |)pthagoräifche ©ntbeefung, bafj eine Saite, welche bie l)a^c gange con ber Saitenlänge beö ©runbtoneS hat» baä confonirenbe 3ntercall bet oberen Cctaoe giebt, ift burch bie Slnwenbung bet ©ruubfäfce bet fDtechanif bie Slljeorie ber fchwingenben Saiten gefolgt, unb auf bie gleiche SBeife h“t in unferen Sagen bie grage nach ber Urfache ber ©onfonang eine gefuug gefunben. Sin bie gehre beö Slrchimebeö con bem ©leichgewidjt ber Körper, welche in eine glüffigfeit eingetaudjt finb, h«t ftch burch bie ©e* nufcung ber SJtechanif bie Sh^orie con bem ©leichgewicht unb ber ©ewegung ber glüjfigfeiten angefdjloffen. Stewton felbft ift aber ber erfte, welcher bie ©eftalt einer glüffigfeit, bie um eine iÄre rotirt, theoretifch unterfucht hat, um babutch für bie ©eftimmung bet ©eftalt unferer ©rbe einen fieberen Inhalt ju gewinnen. @t fafjt bie SBerfe feinet ©orgänget mit ftarfec £anb in eins jufammen, unb weift ben gotfd)ungen feiner Stach3 folget ben Söeg. SDafj aber bie güHe con StewtonS ©ntwürfen

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burch feine oollenbeten ©erfe nicht erfchöpft ift, fagen bie @d)lu§« »orte feinet $>rincipien, welche fo lauten:

„(E8 liege fic^ nod) manches) ^injufügen ton einem gang feinen .paud?, bet bie bidjten Körper burdjbtingt, burd? beffen SBirfungen bie 21)eile ber .Körper in ben fleinften (Entfernungen ft<^ angietjen unb gufammenhängcnb bleiben; woburd) bie elec* triften .Körper in gröfjereit (Entfernungen wirfen, bie fJtachbar» fötpet angiebenb unb abftofeenb; woburd) ba8 gid)t auGgefanbt, gutücfgeworfen, gebrochen unb gebeugt wirb unb ben Körpern ©arme giebt; woburd) alle (Empfinbung erregt wirb unb bie ©lieber ber lebenbigen ©efen narb bem ©illen gelenft werben, inbem fid) bie Schwingungen biejet) ^)aud)8 butd) bie ©efäfje ber -Jteruen ocn ben äußeren Sinnesorganen nad) bem ©el)irn, unb oon bem ©el)itn nach ben 9Jtu8feln fertpflangen. Slbet biefe 3)inge fönnen nicht in .Kürge auöeinanbergefefct werben. (Sud) ift feine hinreidjenbe ülienge non (Experimenten »crhanben, um bie ©efeije ber ©irfungen biefeö Jpaut i)e8 genau gu beftim* men unb gu erweifen".

©8 war meiu Semühen, bie gufammenhängenbe .Kette er« fwberifcber Arbeit gu oergegenwärtigen , burd) welche allmählig bie Segriffe entftanben finb , auf benen heute ©iffenfdjaft oon bet Bewegung ber .Körper ruht. Sßon ben mathematifdjen SRethoben, bie für bie Smecfe ber t^eoretifcgen 33ied)anif auf« gefunben werben mußten, ha&e id) bieder nod) nicht gefptod)en. @8 ift allgemein befannt, bajj bie beiben ÜJtäuner, beten id) gn» legt gebadjt habe, fJtewton unb 8 e i b n i g , gugleid) bie (Sntbecfer bet 3nftniteftmalred)nung finb. SDiejet (Sntbecfuug beburfte bie ©edjanif. <Die 3nfinitefimalred)nung unb bie SJtedjanif gleichen gwei Säumen, bie auä betfelben ©urgel entfproffen finb unb beren 3®eige ftd) mit einanber oerfled)ten. 3)a8 ©efen ber 3n« ftnitefimalrecbnung befielt barin, bie ©röfeen infofern gu betrachten, als fte einet fortgefegten Steilung fähig finb. ifll$ ©alilät jagte, bie gleichförmig befchleunigte Bewegung fei biejenige, bei

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Welcher bie ©efdhwinbigfeit in jcbcm Keinen 3ritintert>aU um gleich ciel wächft, als er ben SBeg beö fatlenben Äcrperö unter bem Silbe eines ©reiedfs auSmah, beffen gtädhenraum cjleic^ einer Summe Bon Keinen fftedhtedfen ift, als ©aliläi bie 93a^u beS geworfenen ÄörperS auffanb, inbem er für jebeS Reine 3eitinternaU bie horizontale unb bie oertifate Bewegung jnfammenfe^te, ba gebrauste er bie Snfinitefimalredhnung. SDaffelbe tfyat lauge Beit Bor ihm 2lrchimebeS, wie er, um ben Schwerpunft einer ebenen $igut ju beftimmen, tiefe §igur in fdhwere Keine Sthc*le Zerlegte. Unb er ging babei mit einer Strenge ju SBerfe, welche nur wenige ber Spateren beibehalten haben.

Snbem wir bie Äörper in Keine 2he^e Seriegert, befommen wir bie üräger unferer me^anifdben Begriffe. ÜJlit £mlfe vcn biefem Serfahreu leiten wir eine Bewegung bet Äörpet ab, bie mit ber Erfahrung übcreinftimmt. SS zeigt ftdj aber, unb^uijgenS hat unS barauf aufmetlfam gemacht, bah für bie Gtrflärung boh ge« wiffen 9iaturerf<heinungen biefe erfte Shrilung nicht au8reid£)t, unb bah es notljwenbig wirb, bie erfte Drbttung non Keinen Steilen ft<h abermals geteilt beulen, fo bah Keine 2h«l* einet zweiten Drbnung entfielen, ffteue fRaturerfdjeinungen fönneu auftreten, für welche biefer zweite Schritt nicht genügt, fo bah bet Schritt noch ein 9Jtal gu wieberholen ift. 9lber eS fehlt un8 baS fRedht, irgenb einen biefer auf einanbet folgenben Schritte für ben lebten erflären. SDenn auch h*** gilt baS tieffinnige SBort: bie Statur fennt feine ©reuze.

Bonn, ben 26. fJJtai 1875.

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2}tu«f ren (S)ebt. Ungct (ZI). QJrimm) in ©erlin, ^ebenebetijerffr. 17».

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Itr lormtU5}icl)cr

unb

brr fittitlir mit öcr CSmts.

itonrf riner dksdjidjit brr cß>rnrebilbntrri bri kn (Stritdjcn.

ä*on

Dr. Hboff gtartttMitgfor.

greiburg i. 33.

9Jlit 2 ^oljfcfmitten.

ßcrlin SW. 1S76.

Sßerlag t> o it Carl # a b e I.

(<C. <8. I'ättrlti’sifer Brrlnßsbndjhanilr.^g.)

33. »il&elm . 33.

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2Da$ iHcdjt bet llfberiefcung in ftembr ©fragen wirb cerbebaltrn.

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.Ser Sinn unt tal Ueftrcfcm »er ®ried)€n ift, fcen ®cnfcten ju Bcrgcttern, nidjt bie ®ott&eit ju umnenföen.* ® ö t & e.

•Unter feen gasreichen Statuen, bie un§ baS Stltertfyum hinter* taffen ha* unb bie jefct/ in ben SDiufeen ©uropaS gerftreut, ben ©egenftanb itnfrer gerechten 33ewunberung bilben, finb bod> nur wenige , bie ficb eines fo gefieberten unb weithin verbreiteten fRuhmeS erfreuten, wie bie beibeu SBerfe, bie unS im gvlgenben befdjäftigen follen; id) meine, ber Änabe mit ber ©anS, ber unS leiber nur in mehreren fDtarmorfopien erhalten ift, unb ber SDornauSjieher, beffen bronzenes Original auf bem ©apitol in fRom bewahrt wirb. 23eibe Statuen finb jebem Saien be» fannt, ja ber bie ©anS wütgenbe Änabe ift fo in’S 2Mf ge* brungen, baf) man ihn 3. 23. gum Schmucfe meberner öffentlicher Srunnen nicht unpaffenb verwenbet finbet. @8 ift biefe 2$or* liebe unfrer Beit auch leitet erflärlich: ein unS menfchlid) fo nahe berührenber Bug weht aus jenen Söerfen unS entgegen unb bie einfache, allgemeine 2ßahrl)eit in ber ©rfinbung äweiet an fidj unbebeutenber Scenen auS bem jbinberleben , jebem fo* fort verftänbtidj, jebem etwas bietenb fie feffelt unS hier bauernber, allgemeiner, als eS jene immer nur SSenigen voll» ftänbig faßbaren ibealen ©öttergeftalten vermögen. SBährenb lefctere bem fftichteingeweihten immer frembartig bleiben mögen, gelten ihm erftere längft wie liebe SBerwanbte.

XI. »45. *46. 1* (U5)

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9ftan bürfte nun erwarten, baff übet §wei fo bebeutenbe Sßetfe and) bie Äunftwiffenfcbaft gu gefieberten JRefultaten ge* langt fein feilte unb bafj man über ihre Stellung in ber ©nt* Wicflungggefd)id)te griecfjifcfcer Äunft im klaren fei. 3nbefc, fe Biel einzelne, fid) entgegengefefcte 3lnfid)ten geäußert worben finb, fe bat man bod) bisher unterlaffen, bie Stage im gröfjern 3ufatnmenbang gu bebanbefn unb fonnte beö^alb nicht gu befrie* bigenben Schlüffen gelangen. Stud) bie gefenberte 33etracbtung beiber SBerfe, non ber wir bei ber folgenben Unterfucbung natürlich auSgeben muffen, ift nicht überfTüffig ; iftboeb fogar bie Slnftcbt auSgefprocben worben, eS fßnnten beibe SBerfe Bon einer nnb berfelbett Äünftlerbanb bjerrüljrert.

SDer Unabe mit ber ©anS, auf ben wir juerft unfre 33licfe richten wollen, ift ein feefer 3unge, etwa im Sllter Bon 4 5 3abren- ÜieblingStbier unb Spielgefährte ift bie

©ans beö ,!paufe8. @8 ftanb nemlid) im ISltertbum bie ©anS allgemein in hebet Sichtung, fie gehörte nebft »£>unb, Schlange unbSBibber^u ben unentbebrlicbften ^augthieren, man fc^ä^te fie alß ba8 Spmbol einer BoOenbeten ^auSfrau, ja man febwor fo» gar bei ihr. SDie IHeblingSgänfe bet Penelope, bie fie im SSraume gelobtet fieht unb il)re Srcube, als fie be8 BtorgenS noch leben, finb gewifj 3ebem au8 bet Dbpffee erinnerlich. SRatürlidj fpielten inbeb neben ben Srauen befoitberS auch bie Äinber gern mit biefeu Spieren. Sluf Äunftwerfen aller SIrt fel)en wir fie baber oft fo bargeftellt, balb in ruhig freunblidjem, balb in nerfifcb feinblicbem ©erlebte mit ber ©anS;1) bentt oft ift ba8 Sbtet auch eigenfinnig, unb fo ift unfre8 Sungen ©anS heute befon* berS wiberfpenftig, ja fie will ihm unb feinen SRecfereien mit ©ewalt entfliehen, ©r aber paeft fie feft mit ben Slrmen um ben ,£>al8 unb ftemmt jugleicb bie ganje 2aft feines jurücfge*

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beugten ÄörperS gegen bie heftig oormärtsftrebenbe .Kraft be3 $l)iete8. @o entmicfelt fid^ ba8 reijeubfte SSibetfpiel berÄräfte,8) ba8 ju geniefjeu man fid) fo [teile, bafj bet .Kopf be8 ünabeu im 'Profil erfdjeint. ©d)on biefeS rein formale Sntereffe an bem abgemogenen @leidjgemid)t miberftrebenber .Kräfte bebingt einen großen 2ljeil be8 BauberS, ben ba8 SBerf auf un8 auSribt. Sa» ju fömmt aber nod) ba8 Slnjieljenbe be§ 3nl)alt8. ©8 ift fein blofjeS ©Spiel, bem .Knaben ift e8 ©rnft; unb mie an feinem .Körper jebeS ©lieb unb jeber 9Hu8fel mit Slnftrengung nadj ©inem 3*ele arbeitet, fo leuchtet audj au8 feinem ©eftdjte bie entfdie» benfte ©nergie unb bet regfte ©ifer, ba8 $l)iet ju bemältigen. 55er .Kampf ift itjm uidjtS Kleines, er erfüllt fein ganjeS SBefen unb tintig ift bie Sergleidiung DterbedS (©efdjidjte ber gr. Plaftif II, 126), bie ©adje fei il)m ebenfo midjtig mie perafleS bie Stmütgung be8 'Jlemeifcfyen Sömen. piet liegt aber bet Kernpunft: [oId)e8 Aufgebot ber ganjen ©nergie unb aller .Kräfte, als gälte e8 ba8 pödjfte, ©reffte unb ba8 um eine©an8! Sa8 geiftige Sntereffe unjrer ©tatue befteljt alfo in einem ©ontrafte: bie an fid) unbebeutenbe panblung mad)t fidj mistig a!8 bebeutenbe pelbentljat, ber groffe ©ifev unb ©rnft be8 Knaben contraftirt mit bem geringen Sntereffe an fid), unb in neibifdjer ©efynjudit rufen mir: o ©Iftcf bet unfdjulbigen Kinber! iljr forgt nur um euer ütfyier unb fennt nid)t8 pofyereS, eud) ift mit ber ©an8 ju ringen [dien pclbenttyat!

SBie anberS tritt uns ber Sorna uSjiefyer entgevgen! pier l;aben mir fein Kinb, fonbern einen .Knaben im Sllter oon etma jmölf 3al)ren »er un8. ©t fyat fid) einen Sorn ober ©plitter in ben gufj getreten, l)at fid) auf einen ©tein gefefjt unb legt nun ein Sein auf ba8 anbere, um forgfältig bie Ut» fae^e be8 @djmerje8 3U entfernen. 5Rit ber tinfen panb l)at ec

(ur>

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len fchmergenben linfen gufs erfafjt, um bie ©of)le begjelbett auf« »arte bem ©efidjte entgegen an breiten; bte rechte ^>anb ift be- reit, ben ©orn felbft heranggugieheu, fobalb bte ©teile fidjer er* fannt ift. ©en gangen Dberforpet unb mit ihm ben Äopf neigt er aufmerlfam aber ruhig unb ohne jebe heftige, auf Ofteu* tation berechnete ©ewaltfamfeit. ©er Äopf entbehrt gwar alleö weiteren pfpchifchen Sluöbrucfg, aber wir »erlangen aud) nicht banach ; benn bae ©ange, bie lebenbige 9tatürlid)feit jebet 33eu?e* gung, bie frifd^e Ungegwungenheit, mit ber 5lHeg auf ben ©tuen 3wecf fteuert, ift ung uoUfommeit genug, ®o bemerfen wir auch nicht , ba§ bie DJatürlichfeit ber ©tettung mit ber Serlejjuttg eines fonft immer beobachteten fünftlenfdjcn ©efefceg erlauft ift. Snbem nemlich fowohl bag gange ftit^enbe rechte Sein alg ber linfe §uf), bag Sentrum beg 3ntereffeg unb ber Jpanblung, unb enblicl) ber Äopf, ber geiftige SJiiitelpunft , Dort beffen fcharfem Slicfe bie Söfung ber Scrwicflung, bie ©ntbecfung unb ©ntfer* nung beg ©orneg abhängt, inbem alle biefe brei fünfte, geiftiger wie förderlicher ©djwerdunft, in einer Sinte liegen uttb gwar allein auf ber red)teu ©eite, während bie linfe itng gar fein 3ntereffe bietet, ja burch bie fc^arfe ©cfe, bie bag herawfgenom* mene Sein bilbet, mit ber barunter befindlichen 8eere unfer ?luge »erlebt, fo entftehen baburd? auffallende Serftöfce gegett ©ommetrie unb harmonifdje ginienführuttg, wie fie in den ttng erhaltenen SBetfeit alter Äunft außerordentlich feiten »orfommen. 3hr« Seobad)tung ift deshalb tyex non gang befonberer SBidjtigfeit, wag ftd) jedoch erft ffäter im gangen Umfange geigen wirb, ©o unläugbar jebod) biefe .ipärte am ©ornauggiel)er ift benn man wende nicht ein, er fei bieg für bie ^refilanfidjt »en red)tg ge« arbeitet; bieg fanu nicht ber gall fein, inbem dadurch bag ben Äörper beftimraenbe ^auptmotiü beg heraufgenommenen Seineg

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unflat würbe fo beutllcp alfo jener ÜRangel ju 2age liegt, jo wirft et benned) nicpt ftörenb auf ben »ollen unb parmonifdjen ©inbrucf beg ©angen; ja wir achten ipn nicpt unb übetfepen ipn, benn wir fepen nur, wa8 ber Äünftler gewollt pat: ben einen SÖfoment, in betn bie gange Slnlage unb alleg Sntereffe ber ©tatue gipfelt, ben flar unb präciS gefaxten fDloment, wie fcer Änabe beputfam ben Sorn entfernt.

2)a§ gwifdien unfern beiben Söerfen wefentticpe Unterfdjiebe eriftiren, ift wopl fdjon auö bem 5Borftepenben flar geworben; um un§ berfelben jebod) im ©ingelnen bewufjt 3a werben, be* ginnen r»ir mit einigen 33emerfmtgen über ben formalen ©parafter ber SBerfe.

3m Änaben mit ber @an8 paben wir bag SBerf eineg ÜJleifterg, ber bie fStittel ber Secpnif »ollfontmen beperrfcpt unb nad) feinet ©eite pin gebunben erjdieint. £)ie naturaliftijcpe ©urcpbilbung be8 finblitpen Äörperg, bie beitnod) bie .Klippe ber ^lumppeit fo glücflicp überwunben pat, beutet ebenfallg auf bie 3eit ber »ollften ftreipeit pin; benn erft ba, im »ierten Saprp. ». (5pr., fommen überpaupt Äinberbilbungen in ber ftatuarifdpen Äunft »er, wäprenb bie ältere 3«it, ber aud) faft bie gange SBajenmaletei gefolgt ift (f. meine ©d>rift „Grc8 in ber SSafen^ malerei" ©tündjen 1875. @. 70), nur bag .Knabenalter gebilbet gu paben fepeint. 2)ag ältefte 3?eifpiel cineg Äinbeg in ftatua* riidjer Äunft ift wopl ber ©lutog mit ber Girene »on .teppi* febot, 3U Anfang beS »ierten Saprp., welcpe ©ruppe wir ja in ber feg. ?eufotpea in ©fünepen befitjen. 5Bon bemfelben ©feifter war £ionpfo8 alg Äinb »on ,£ermeg gewartet; eg folgen bann lenoppong ©lutog unb beS Guppraner, fowie beö ©fcpag geto mit Strtemig unb Slpoü alg Äinbern, enblicp ein ©ionpfogfinb

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»on ^rajriteleg.3) Grft burdj biefe göttli djen Äinber gefyt ber 2Beg ju unfetm menfdjlicßen.

2>ie »cBfte grcißeit jeicit ferner bie £aarbeßanblung ltnfrer ©tatue; ja ber im Gifer in bie ©time gefallene Söifdj Jpaare, ber ganj gewiß nid)t, wie Doerbed 31t glauben jcßeint,4) ein 3u* faß bei SJtarmorfopiften ift, fonbern niclmeßr im Srongeoriginale feßt fein cifelirt gewefen fein wirb, tiefer jufädig momentane, naturaliftifdße 3»g lä§t uni jene Spfippifcße Oieform ber .paar* beßanblung, bie nacß betn 3ufäUig=2Birflicßen ftrebte, als bereite »orangegangen »oraugiufeßen.

£)a»on finben mir nun im IDornaugjießer bad getabe ©egentßeit: bag .paar ift ein fDiufter ftrenger ©tilifirung; in regelmäßig fid) aneinanberreißenbcit Soden umgibt eg eng aulie* gcnb ben woßlgebauten ©cßäbel, non einem 3uge beßerrjdjt, ein jpftematifd) georbneteg ©anjeg bilbenb, bag feine ©pur jener naturaliftifcß gufälligen SJiotioe gulaffen fann; furg i|t bag paar einer faum aug ben gefjeln beg Slrdjaigmug befreiten 3eit mit ftreng ibealer Olaturauffaffung. 5)tit biefcr älteren 3eit ftimmt aber and), wie mir faßen , bag gewäßltc alter fo« moßl, als jene pärte ber Gompofition trefflid) überein.

Otidjt geringer alg biefe formalen Untcrfcßicbe untrer beiben ©tatuen finb aber biejenigett in ber ge i ft i gen äuffaffung. äßäßrenb mir namlidi beim Änaben mit ber ©ang bag 3ntereffe in einem Gontraftc befteßenb fanten, fo fann beim 2)oinaug« gießer non etmag ^Derartigem nid)t bie Siebe fein ; ßier feffelt uni »ielmeßr 5Rid>tö all bie unbefangne, »oUfommne IDarftellung eine! gemößnlidien Hergang! in all feiner Ginfacßßcit, bet Oiatur ab» gelaufdjt uub frei non jeglicßer 9lcbenbe3ießung. $ft bodb bie panblung fo einfatß unb gemcßnlicß; einem 3eben non ung fann

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täglich baffelbe begegnen, wenn er barfu§ geht, wie e8 ja bie •Sllten oft, unb 3war and) aufjer bem Jpnu^e, traten.

©ang anberS ift e8 mit unterm .^clbenfnaben, bet mit bet @an8 ringt; benn ba8 fann nur ein .Rinb thun unb nur ihm fann bie8 ein fo wid)tige8 ©reignife werben.

@o ift benn ba8 gewählte ?(lter für ben ganjen G^arafter bet beiben SBerfe Den größter 5öid)tigfeit; benn l)ier bei bem Äinbe fa§t un8 eine ©ehnfudjt nadj bem glücflidj unfchutbigen ÄinbeSalter, bort bei bem erwachsenen Knaben mifdit ficb 9ficbt8 berart in ben reinen ©enufj ber Darftellung einer 2Wtag8* hanblung, ber Darftellung frei non allen ttlebenbejügen.

9iad)bem wir un8 fe, auSfdiliefjlid) burd) Betrachtung ber Äunftwerfe fetbft, bie wefcntlid)en llnterfd)iebe ber beiben ©tatuen flat gemalt haben, fann- für un8 fein 3weifel mehr obwalten, bafj beibe nidjt nur nid>t etwa »cm berfelben Äünftlerhanb fein fonnen, fonbern gan3 Derfdjiebeneit Beiten, gang »erfchie« benen Gultur- nnb Äunftguftänben angehören muffen. @8 gilt bemnach jetjt bnrch Jperbeigiehung äußerer Daten bie hifterifdje Stellung unfrer beiben SBerfe genauer 311 beftimmen.

©lürflicberweife haben wir biefür wenigftenS ©inen feftett £alt, inbem ber Änabe mit ber ©an8 allgemein unb mit SRedjt ibentifi3irt wirb mit einem Den ^Miniuö al8 infans unserem strangulans be^eidjneten 5Berfe beö Beethoä. 3wat ift bie Beit biefeä Äünftlerö uidjt fidjer unb genau 31t beftimmen, hoch bütfen wir ihn mit aller Söahrfdjeinlichf eit in ben Anfang ber Diabcchenperiobe fet$en.s)

Seiber fehlt unö jebe äußere Angabe, um audj ben Dorn= au^ieher einet beftimmten 3«t unb ©chule 3U3uweifen. @8 bleibt baher nur einSBeg, um bie oben entwicfelten Unterschiebe

OM)

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unfrer beiben Serfe l) tft or i f d> gu begreifen «nb gu würbigen, nur ber Sßeg, ba§ wir unß »on ber ganzen ©efdjidjte beß* jenigen Äunftgweigeß,’ bem unfere Statuen angeboren, nemlid) bet ©enrebilbnerei bei ben 2llten, einen Ueberblicf gu t>er* fdjaffen fndjen.

Seiber ift biefe Aufgabe beßljalb feineßwegß leicht, weil fo gut wie gar feine Verarbeiten bagu egriftiren. Obwohl nemlid} baß antife ©enre früher eine »iel erörterte Streitfrage war, fo badjte bod) fliiemanb baran, bie Sache l)iftorifcb gu faffen, in* bem mau meift ber alten jfunft baß ©eure überhaupt abfprechen gu muffen glaubte; unb aud) Stephani, ber mit fRecht bemerft, bafj man babei fälfd)lid) naturaliftifche Ve^anbtung afß bem ©enre wefentlid) betrautet l)abe, behauptet nur im ÜlHgemeinen nen ber alten Äunft, ba§ fte fidj ebeufo fleißig, wie bie meberne, mit bem ©enre befcbaftigt habe, nur in ibealiftifcher Seife.6) 2>a» gegen hatte Otto 3at)n fdjon früher (53eridjte ber fäd)fifd)en @e» fellfd). b. Siff. 1*^48, 41 ff.) üerfud)t, bieftrage ^iftorifd) gu nehmen, iubem er namentlid) auf bie Vebeutung beß großen Söenbepunfteß in ber Sllejranbrinifdjen Seit binwieß ; bod) waren feine 5lnfdjauungen, wenn aud) in einigen Jpauptpunften richtig, bod) mel)r geahnt, als auf SLljatfadfen begrünbet, wie er benu fälfd)lid) bev »oralejranbrinifdjen Seit baß ©enre gang abfprad). ift baljer »or Slllem unfere Aufgabe, bie widjtigften miß burd) bie Siteratur, wie bie fUlonumente überlieferten 2hatfad)en gu» fammenguftellen, um fo gut ^iftorifc^en Sürbigung unfrer beiben Statuen befähigt gu werbeu.

Unter ©eure in bem weitern, hier anguwenbeitbcn Siuue »erftel>en wir alle biejenigen Stoffe, bie, im ©egenfafje gu ben mptl)ifd)en unb ^iftcrifdjen, eine beliebige, tägliche, gewöhnliche,

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namenlofe ©ingelhanblung gum iRepräfentanten ihrer gange« @at« tung ergebe«. @8 finb bähet alle SDarfteQungen Ijerbeigugietyeu, bie nicht burch SRamen beftimmte 3ubit>ibuen eorführen. 9lbcr and? unter biefen JHepräfentanten einet ©attung muff man fdjei* Ce« gwifdwn ben lebiglidj ihrer felbft wegen gearbeiteten SBerfen, bie bem ftrengern 23egrijf beS ©enreß entfprecpen, unb ben burch äußere ©egüge enger beftimmten SDarfteOungeu. freilich ift biefe Stpeibung, namentlich in bet alten Äunft, oft fchwanfenb unb ungewiß. 3ur 23erbeuilichung beß Unterfchiebeß felbft biene fol* genbeß 23eifpiel. ©efefct man wolle heutgutage baß IHnbenfen eineß befonberß gldngenben SBettrennenß Berewigen; inbem man bie ©ruppe eineß rennenben §)ferbeß nnb eineß batauffi^enben Socfep’ß alß SDenfmal fefcte, fo würben wir bieß SBerf, baß fdjen burch feine Snfchrift bie beftimmte 23egiepung auf baß ftattge* tjabte Siennen fnnb gäbe, gewifj nicfcit bem eigentlichen ftrengen ©enre gutechnen, fo wenig alß g. 23. ben üugernet 8öwen. 2tn* berß aber, wenn etwa ein Äünftler anß eigenem Antriebe fidp bie Aufgabe ftellte, bie ^eftigfte 33ewegung eineß IRennpferbeß unb baß gefdjicfte, aber non Hoffnung unb gurcpt aufgeregte SBefen eineß 3o<fep’ß in einer ©ruppe barguftellen lefctereß würbe fidjer ein ©enreftücf fein, fo wenig oon erfterem fonft bifferiren möchte.

SDoch gehen wir nun gunächft gurücf in jene erften 3 eiten gtiechifcber Äunftübung, fo finben wir gerabe in biefet älteften, noch wefentlich Bon Elften her beeinflußten beforatinen Ännft nicht nur ein Ueberwiegen, fonbern eine faft außfcpliefjliche .perr« fchaft beß ©enreß.

9iachbem ber erfte lünftlerifche Srieb im reinen Ornamente feinen Sußbrucf gefunben, wagte man fich in ber ©arftellung

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lebenber SBefen gucrft au bie beu fDlenfdjen täjjlid) umgebenben, befannten £>außtl)iere, bie fein liebe« 33efifctl}um wareu. SDie »eitere ©tufc ber erften €Dieitfd>en=SDarftellun{j oevgegenroärtigen unß einige uralte iHtljenifdje 33a jen in ber urfprünglidjften, finb* tieften 3t*d)nung (abg. in ben Monum. dell’ Institute 33b. IX, t. 39 ff.), ©egenftanb ift , ber 33eftimmung bet 3Iafen für ©räber entjprecbeub, bie tflage um ben Sobten unb baß barauf* folgcnbe geft, Sang unb SBcttfaljren. SDer ©toff ift alfo auß bet SBirflidjfeit genommen; aber bie gewählten Elemente finb bie allgemein bebeutenbeu, bei jeber £obteufeier wieberfcljrenben, uid)t gufaüig eiugelne. ©djon l)ier alfo tritt ber ibeale ©ruub* gug ber ijellenifdjen Äunft t)eroor: auß bem Söefett ber lobten* feier fudjt man ein allgemein gültiges ©djema berfelben gu geftalten.

23er fteigenbe ©influfj Slfienß rnadjt bann bie »üben Staub* tljiere nnb ifyre Kämpfe gu bem beliebteften ©egenftanbe ber SDefo* ration für 33a jen uub namentlich für bie SBaffen, wie wir auß $omcr feiert, Der unß ein treueß 33ilb jener Äunftgeit liefert. ^Daneben fomrnen aber auch SDtenfdjen, unb gwar SDlannerfüntpfe eor, wie bieß g. 33. auf bem Söetjrgefyenf beß jpcrafleß ber war (Odyss. 11, 609 ff.). Söeitauß am intereffanteften ift aber bie berühmte 33efdjrcibung be8©d)ilbeß beß Stdjilleuß. 3lud? hier finbet fidj nod) gar nid)tß ÜJtrdhifdjeß, finb lauter 33il* ber auß bem täglichen geben : fo gunät^ft im gweiten greife bet erfte fteUte Jpimmel nnb ©rbe bar ber ©egenfajj einer frieblidjca ©tabt in £odjgeit, ©piel unb -JRe^tßftreit, unb einer ftiegetifdjen in Sßelagcrung, Jpinter^alt unb Ucberfall. 3m brit* ten einerfeitß Pflüger, ©Knitter unb ©rntefeft, anbrerfeitß Söein* lefe unb eine frieblidje, wie eiue nou Cöwen angefallene beerbe, üaug unb ©piel im eierten greife fdjliejjt bie unruhigen ©egen»

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fä£e tjarmonifd) ab. ©o fptingt unß auß bcr 3uta«tniCM crb- nung tiefer 5)arftellungeu eiu allgemein poetifdier ©ebanfe ent* gegen: ift baß SDlenfdjenleben bargeftellt in greub unb £eib, in SRufye unb Arbeit, ingtiebe unb Ärieg. aber biefer ©ebanfe entfpringt nidjt aus bet Slrt ber ©arftellung felbft; benn biefe geigt nur iu aller Unmittclbarfeit unb naicett greube au ftd) felbft ben wefentlidjen Gljarafter jeber £anblung, wie benn ferner felbft einen leitenben ©ebanfeu nid)t bemerft l)at biefer entftetyt erft burd) bie ©egenüberftellung beß ©ingelnen unb bie 3uf<umnen* orbnuug im Diaume. Slnberß werben wir in ber fpäteren fdjon finfenbeu Äuuft finben, wo ber ©ebanfe bie üDarftellungß* weife felbft gleidjfam infiltrirt.

$Die außfdjliejjlidte ^errfdjaft beß ©enreß in biefer Bei*7) erflärt fid> uur eben burd) jenen ibealen 3ug, burd) ben ftd) ©riedjifdjeß non Satbatifdjem gleid) non Slnfang an fo fdjarf uuterfäjeibet. Boten 3. B. bie 2lffnrifd)en SHeliefß, bie ber #ome* rifdjen Äunft Borbilb waren, bie ©eene ber Belagerung einet beftimmten ©tabt djreuifcuartig gefaxt, fo formte bet ©riedje, bet bem $iftorifd?en, fobalb et nid)t unter einem ibealen @e* fid)tßpunfte faffen fonnte, immer abgeneigt war uub blieb, hierin nid)t folgen, er madjte baß ©enrebilb einer belagerten ©tabt barauß, womit er burd) ©egenüberftellung einer frieblidjen eiuen allgemeinen poetifdben ©ebanfen gewann. 25od) biefe l'lrt beß ©enreß burfte unb fonnte nur eine Borftufe fein gu Jpöljerem, bie Borftufe gum 9)tl)tl)ifd)eu; benn bal)in 3ielte ja jeneß ibeale ©treben beß ©rieten, baß bie djronifeuartige SDarfteflung feiner Borbilber abwatf, um baß allgemeingültige, SBefentlidje gum ’llußbrurfe gu bringen; bieß bot aber ber 9)lptl)uß in reidjlidjfter Sülle, ber ben allgemein uub ewig geltenben &t)puß für alleß menfdjlidje SBefen unb ipanbeln enthielt. SDJan fonnte haltet

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fragen, warum ber ®rie<ße fitß nidt>t gleidß Bon Anfang auf ben 9Jipt^uö warf. allein biefer ©prung non ber realiftifdjen 2)ar* fteQung einzelner gafta in ben orientalifdjen Sorbilbern 3um ibealen SDipttjuS wäre ju groß gewefen mtb würbe aller ßiftorifcben (SntwidElung wiberfpredßen. ©rft mußten ftatt ber ßiftorifcßen ©cßlacßten allgemein SJlännerfämpfc, unb ftatt eines beftinimteu ©iegeSfefteS allgemein SEanjenbe unb geiernbe gefegt werben, ebe man etwa SEroifcße Kämpfe unb SHpolI mit feinem SUlufendßor an jener ©teile treten taffen fonnte. SBie uns bie griecßifdße Ä'unft überall ein ewiges SOtufter ftreng naturgemäßer ©ntwicf» lung ift, unb wie namentlidß in ber arcßaifdßen $)eriobe fein ©cßritt norwärtS getßan wirb, oßne burdß baS Sorßergeßenbe grünblicßft motiüirt unb Borbereitet gu fein, fo ßaben wir audb ßier gleich am ©ingang griediifcßer Äunft ein fcßlagenbeS Sei* fpiel jener ©rfaßrung : füllte fie nidjt burtß üerfrüßte IDarftetlung beS Sltptßifcßen in pßantaftifcße Ungeßeuerlidjfeit cerfaDen, wie fo manche Sarbarenfunft, füllten jene wegen ißrer fc menfcßlidjen Raffung ewig bewmtberten Silber griediifcßen fDtytßuft’ entfteßen, fo mußte erft biefe Sorftufe beS ©enreS BorauSgeßen ; ßier muß* ten am allgemein SRenfdjlicßen bie SE»pen auSgebilbet werben, nacß benen baS üllntßifcße ficß bann geftaltete.

5)ocß bricßt ficß leßtereS allmälig Saßn; anfangs 3War itocß fcßücßtcrn unb nur in befcßränftem 5Jlaße auftretenb, wie an bem »on £efiob befcßriebenen ©cßilbe beS £erafleS: $u ben Bom ©cßilbe beS ^djiUeuS befannten allgemeinen ©arftetlungen treten ßier juerft mptßifcße Äämpfe unb jwar bie ber Kentauren unb fiapitßen; ba$u im gewohnten ©egenfaße ber frieblicße Gßor beS SlpoO mit feinen fDtufen; audj ber Söettlauf wirb burcß eine mptßifcße ©eene erfeßt, inbem man Werfens barfteOt, wie er, Bon ben ©orgonen »erfolgt, über baS SOteer ßin fließt.

(IS«)

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Sen fteigenben ©influß beb 93Rt>tt)ifd>eii fenncn wir nodß an ben älteften 33a fen beobachten; fie bieten jugleidj beit betten 33eleg bafür, baß ber allgemein menfdjliche S»pu8 immer bie ©runblage war. ©o fämpfen 3. 33. auf einer Safe au8 Äameirob (Serl). ber fPhtlologenoerf. 1864) gwei CDIänuer über einen lobten bab beliebtefte unb ^äufigfte ©dhema be8 ÄampfeS; bo<h 3ur ©rhöhung be§ SRei^eS biefer gan3 allgemeinen SarfteOung ftnb bie tarnen HJtenelaoS, ^jeftor unb 6u^^crboö teigefd»rieben, bie ber Äünftler in einer, freilidb etwas ungenauen, fRemiuißceng an Corner hingugefügt 3U haben fdjeint. Sie fflamen jeugen ^ier nur non bem allmälig erwadtenben Sebürfniß nach nwthologijdtet 3nbinibualiftTung; benn oorerft oergicßtet man ne<h auf alle ©ingeldharalteriftif, man gibt ba§ allgemeine Schema unb fügt frei gewählte 3nfchriften alb 3«that, bie bie Sarftel» lung nicht beeinflußt, ßingu. ©cldjer 9lrt ftnb auch bie älteften forintßifd)en Safen; ba finben wir 3. S. (tMrdßäol. 3eitg. 1864 i. 184) 3wei JHeitergüge fielt gegeneinanbet bewegen unb bie 3n* jdtriften begeidbnen einerfeitS Sldbill, 9-'atreflo8, 9leftor u. 31., anbrerfeitS £eftor unb fDlemnon leine beftimmte mptßifcße #anblung, fenbern nur nach einem allgemeinen ©ebanfen bie £aupthelben beS £roifd)en ÄriegS einanber gegeniibergefteHt. ©in treffenbeS Seifpiel, wie weit bie Jpenfcßaft beö allgemein Sppiidjen über baS fpegiell ÜJiptßifcße geht, bietet eine anbre Safe mit Iroifdjen .Kämpfen (Annali dell’ Inst. 1862 tav. B.), wo ^ßöuij:, in ber fPoefic ein ©reib, tyex alb Änappe beS 3td)iH auch witflicb als Änabe gebilbet ift. Jpicr fieljt man jugleidj beutlief», wie unabhängig bie Äunft gleich oon 9lnfang ber $)oefie gegenübertritt: fie fdtafft fidt cvft eigene fünftle* rifdhe Sppen unb biefen muß fief) tie Ueberlieferung fügen. 9lber wie wenig in biefer 3«it bab ÜJlpthifdje nod)

XI. 215. 246. 2 (157)

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gut ^errfdjaft gelaugt war, geigt bie berühmte Dodwell-SBafe;8) benn l)ier finb gwar ben Üfyeilneljmetn einet (Sberjagb Flamen beigefdjrieben, abet nid)t bie einer beftimmten, un8 befannten mptljifcfyen 3agb. ^Daneben ift eine intereffante 9lbfdjieb8fcene: bem 3üngling 3)orima$o6 (b. lj. ©peerfämpfer) legt eine grau Sllta (Ä'raft) bie <£>anb auf’8 Jpaupt. @o fel)t ift in biefet §)eriobe nodj bet allgemeine ©ebanfenintjalt »orwiegenb »ot mptfyifdjer 53eftimmtljeit.

üDennod) entwicfelt fit^ bie JDarfteHung bet ©age rüftig an bet ^>aub jener S^pen; wie man benn g. 55. bie Äalpboniffbe (äberjagb ui$t anber8 barfteUt, alö bie be§ täglichen SebenS. (Snblid) im Saufe beö 6. SaljrljunbertS eröffnete fid> bet »olle Strom mptljifdjet SDarftellung mit erftaunlidjem fReid)t^um in ben beiben berühmten, leiber nur burd) 55efd}teibung befannten Söetfen, bem .RppfeloSfaften unb bem Sfyrone beö ^mpflaifctjen Apollo; bie erhaltene fog. gtancoi8»S3afe, wenn aud) etwa8 jünger, fdjliefit fid) ifynen würbig an. £ier Ijaben wir benn nur ÜJt^en, reüid) gunädjft nod? nidjt überall in »oller, inbioibueller 23e* ftimmtfyeit, »ielmefyt finb bie 33eifd)tiften nod) wefentlid? nnb notljwenbig. SDod) ba8 Streben ber golgegeit ift nun, ba8 in* binibueOe SBefen jeber ©age mit möglidjfter SJeftimmtljeit bar» guftellen, fo bafj fie au8 fidj felbft flat ift.

5?e»or wir biefe erfte fPetiobe »erlaffen, muß barauf Ijinge* wiefen werben, bafj bie bestochenen SSerfe lebigltd) ber befo» rati»en Äunft angeboren, bafj wir fomit in einen »öflig neuen ÄteiS treten, wenn wir im golgenben gunadjft ba8 au8 ber monu» mentalen Äunft lleberlieferte betrauten.

Um bie fyiftorifcfje (Sntwicflung be8 @enre8 weiter »erfolgen gu fönnen, finb wir wefentlid) auf bie 5Radjrid)ten bet ©djrift«

(IM)

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heller übet bie Zünftler unb ihre SBerfe angewiefen; ^terauö et» wäcbft abet eine grohe ©chmierigfeit; benn jene Stachrichten laf» fen in ben meiften fällen gerabe batüber 3tnrifel übtig, ob ein SSer! als ©enreftücf gu taffen fei, ober nicht. 35iefem Umftanbe ijit eg wefentlid) gugufdjreiben, ba§ bie bisherigen Slnfidjten übet baS antife ©eure fo unflar unb fchwanlenb waren; unb baher lemmt eS, bah g. 58- ein grober $h«ii bet oon Ooerbecf in fei* net ©efd}icbte bet ^laftil unter bie Stubrif beS ©eures gegogenen SBerfe als nicht ^ter^er gehörig abgewiefen werben muff. ©S ift nemlich hier oor äUem ein leibet nicht immer genügeub be= obachtetet @runbfa£ im SMuge gu behalten: wie bei ber SSehanb» lung eines ÄunftwerleS guetft bie befonbete ©attung unb 3tt beSfelben in ©rwägung gegogen werben muh, fo ha* man and) bei litetatifdhen Stachrichten auf bie befonbere 2lrt unb Snbim» bualität beS itberlieferuben SutorS gu fehen. Uufere beiben $auptfchriftfteller für bie Äunftgefchichte fiub abet fPaufaniaS unb fpiiniuS. SBähtenb nun erfteret, unfer ejeafter unb bewähr* ter führet burch ©riechenlanb, SlUeS auS eigener Slnfchauung be» fchteibt, unb wäljrenb baS rein fadjlic^e, namentlich reltgiöfe 3n* tereffe bei ihm baS fünftlerifche weit überwiegt, fo bah et in feiner 23efchreibung faft nur bie öffentlichen unb reltgiöfen SJio* numente berüdfidjtigt, wo ihm eben bet mothologifd) intereffante Slame bie ^auf)tfache war: fo ift bei fPliniuS bas 33ethältnifj überall umgefehrt; et ift ein Siömet unb ©ompilator im gröh* ten SDiahftabe, ber in fein ungeheures, auS 2000 SSänben ejr* cetpirieS naturgefchicljtlicheS 3Bet! bei Gelegenheit bet SJtetalle, ©rben unb ©teine auch funftgefchichtliche Stetigen einfügt, in» bem er bie oerfchiebenen Äünftler mit ihren bebeutenbften Sßer» len nach feinen Duellen angibt. Schon barauS bitrfen wir ab* nehmen, bah unS fPaufantaS in S3egug auf bie ©efchichte beS

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©enreS ein oiel treuerer Gewährsmann fein roirb, als §)liniu$; benit wo ein blaute ober eine beftimmte Sejiehung, beren geh* len ober Sorhanbenfein ja ein SBerf bem Äreife bee ©enreS weift ober abfpridjt, ju feiner 3eit nodj befannt war, ba wirb er gewif) nid)! cerfe^lt haben, fie anjugeben; aubrerfeitS freilich tonnte er bei feinen fprinjipien gerabe auf baß ©enre feljr we= nig JRütfftdjt nehmen. ^Dagegen finben wir bei ^MiniuS eine grofce ÜJtenge »on Äunftwerten unter allgemeiner genereller Se* geidinung beö ©egenftanbeS angeführt unb man hat fie meift and) wirflid) alle für ©enreftücfe gehalten. 21 II ein wir werben hierin fetjr oorfid)tig fein muffen; bcnn nidjt nur ^MiniuS fe'.bft, fonbern auch feine mit Sßahrfcheinlichfeit »orauSjufetjenben $auptquellen ber &ünftlernadjrid)ten, wie Sarro, GorneliuS ScpoS unb ^afiteleS lebten in einer, man mochte fagen, foSmopolitifchen 3cit, wo bie jtunftwerfe aller ©egenben unb aller fPerioben in ber weltbeherrfdjenben 9ioma jufammenftrom* ten, unb wo natürlich baS ^iftorifc^e unb fünftlerifdje 3n* tereffe baS gegenftänblidje weit überwog; loSgeriffen aus

bem urfprünglichen localen 3ufammenl)ang fammelten fid) bie SSÖetfe in 9tom unb bie berühmteren fbhmücften in jahlreidjen Gopien bie Sillen ber Reichen. SDa^u fönimt, baff §MiuiuS’ SRac^ri^ten urfprünglid? jum weitaus größten S^eil nicht auf periegetifcfye, fonbern auf Ijiftorif^ tljeoretifd^e SBetfe ber Äünft» let felbft jurücfge^en. SDiefen Äüuftlern nun, bie feit ber 9lle* jranbtinifdjen 3^it mit Gifer bie funfthiftorifd)en ©tubien felbft aufnaljmen, lag natürlich 3llle8 am formalen beS ÄunftwerfS, »iel weniger an ber Sebeutung unb ben bcftimmten Sejieljun» gen. @o bilbete ficfy benn für bie ^auptwerfe allmalig eine Terminologie ^erauS, bie in ©eftalt fefter Seinamen baS fünft*

lerifcbe SRotio beS SBerfS be^eichnete, unb biefe ging in fdi* (160)

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ninS 3®etf über; fo finten wir hier g. SB. pon $>rariiele8 einen Satpr „periboetos“, einen SäpoHo „sauroctonos“, bie ©Ipfera »cn 'PanfiaS als „stephanoplocos“, b. ß. Ärängeflecßterin, einen Satnr te§ Stntipßileß alS „aposcopeuon“, b. ß. als fpäheub bejeidbnet u. f. f. SBon Ijier war eS aber nur ein Heiner Sdjritt ba^u , nur jene baß 9Jiotin begeidmenbcn SBeinamen angugeben, wie un8 benn 3. 3?. ^liniuS ben fPßiloftet beS ^nthagoraß nur als einen .£)infenben (claadicans) aufgäßlt ober unS pon einem symplegma nobile rebet (36, 24), b. ß. einer ©ruppe engpet* fcßlungeuer ‘perfonen, oßne unS über ben 3nßalt aud) nur eine änteutung 3U geben; benn ber in ber Äunftfpracße offenbar ted?» nifcße 2(nSbrucf be^eidinet nur taS SBtotip unb 5Rid)tS pcm ®e« genftanbe. konnte man fid> barnit bei mnthologifdicn SJBerfen begnügen, mit um wie piel größerem SHecßte burfte man eS ba uidjt bei ben $)orträtftatuen tßun? Senn tiefe tonnten ja, wenn fie nießt gerabe berühmte $>erfönlicßfciten barftellten, ge» genftäntlidj fein allgemeineres SJntereffe erweefen. Sagegen wa» ren, bei ber großen SHuSbeßnung ber sporträtbilbnerei im Sllter» tßum, fünftlerifcß fet>r bebeutenbe SEßerfe gaßlreicß barunter, bie fogar burtß .Kopien perbreitet würben. SJBaS war alfo na* türtidjer, als baß man biefe bloß nach tem fünftlerifcßen SDlotioe benannte unb gu rubrigiren fudjte? SieS traten gewiß fdjon bie älteren Äunftfcßriftftetter, aber feßr häufig aud) ^liniuS felbft; wie gang unb gäbe gerate ihm tiefer ©ebraueß ift, geigt g. SB- eine (Stelle (35, 28), wo er ben ©egenftanb eines SitbeS beS fbßalers $)ßilocßare8 allgemein als einen ©reis mit feinem Sohne angibt unb bis inS Setail befeßreibt, rein gufällig aber gleich barauf aueß bie Uiamen ber Reiben nennt, ©in anbereS 23ei* fpiel, fehr geeignet unS not ben Süflgemeinbenennungen bee fpii=

niuS gu warnen, ift baS folgenbe, in bem eS fieß fogar um ein

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febt berühmtes Portrait hobelt: 35, 27 führt er ben ©egen» ftanb etneS ©ilbeS an als belli facies et triumphus. 9föan fönnte banach an eine allgenieine adegorifdje SDarfteOung beS triumphus benfcn. $nber8 belehrt unS § 93: eS war trium- phans Alexander in curru bargeftetlt unb gwat Don SlpeOeS. 3)ort, »o e8 $MiniuS nur barauf anfam, gu geigen, baf aud) Sluguft öffentlich ©emalbe aufgeftellt, gibt et baS ©ilb gang futg an, inbem er nicht nur ben Jiünftlernameu, fonbern auch ben ©egen* ftanb felbft Derfcfweigt unb nur bie Stubrif, baS ©eure bem er angehört, nennt. £Da bie Duellen beS ^liniuS wohl meiftenS bei ben eingeln aufgeführten Porträts gugleich ben Flamen unb bie Dlubrif, ben ©tanb anführten, fo ftnbet fidj bieS bei ^liniuS aud) noch öfter, f°äar bei 9anJ unbebeutenben 9)erfönli<hfeiten; fo merben genannt 35, 147 ber ©aufler JheoberuS unb ber Jünger SllciftheneS, 35, 136 2ecptt)ion, bet (Sinüber ober ?efr* meifter bet ©ehenbigfeit“), 34, 57 ber (©flaten*).£>cinbler &pci8cu8,

34, 59 bet ©tabienläufcr SlftploS, 68 ber $ünffämpfet ©pintfaruS, 77 ber Dünger D)ptbobemu8. (SS erhellt hieraus, wie leicht $)Ii= niuS in foldjen §äQen ben Dlamen als baS Unwefentlicfeve weg* laffen fonntc; unb baS that er auch in feljr Dielen fallen.

35, 134 gum ©eifpiel fönnen wir auS anbern Duellen als fel?r wahrfcheinlid) nadjweifcn, bafc ber allgemein angegebene „phy- larchus“ beS Slthenion ein gewiffer Dleiteroberft Dlpmpiobor war. Sft ^liniuS alfo gewif felbft fehr oft ©djulb, bah wir nur baS ©enre unb bie Düibrif, nicht bie fPerfönlidjleit felbft fennen, fo fanb fich bod) aud) oft fd)on in feinen Duellen ber inbioi* buelle Dlame nicht mehr tor. ©elonberS fcheiut letzteres bei eiuigen in Dlom beftublidjen SBerfeit ber »ad gewefen gu fein; fo bie signa palliata unb ber nadte Gotofj beS ^h'biaS (34,

54), oon bem ©amier D)ptbagora8 fieben nacfte ©tatuen unb bie

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eines ©reifes (34, 60)10), »onPolpgnot ferner ein ©emälbe, an bem man (in fRom) gweifelte, ob ein Jpinauf* ober ein .fjerabfteigen* ber bargeftellt war; enblidj oon SlriftibeS ber Üragobe mit bem Knaben unb ber ©reis ber einen Änaben in ber 8eier unter* weift, alle in 5iom. ©inmal (34, 87) fügt piiniuS bei ber Statue eines 5tebenben auSbrücflidfe feingu : „persona in incerto est.“ ©benfo gehören bic allgemeinen 33egeid)nuugen ganger jtlaffen »cn ©tatuen (bei ©cmälben lommt bieS nidjt oor) ftfeon ben Duellen beS piiniuS an. 9lä feer fann inbefe feier nicfet auf biefe ©tftfeeinungcn eingegangen werben unb itfe be* gnüge micfe jene SRubrifen, unter benen nacfe ben eben entwicfel* ten pringipien unbebeutenbere Porträtftatucn refümirt gu er!en» nen ftub, furg angugeben.

@8 finb »er Mem bie $ltfeleten, beren allgemeine 2ln* fiiferung bei piiniuS feineSmegs auf ©enrebilber gu begießen ift. Dber ift nicfet ein fcfelagenbeS 3eugnife für unfre Ulnficfet, bafe, roSferenb unS piiniuS, mit 'ÄuSnafeme weniger §äQe, immer nur baS üünftlerijdfee fDiotiü, nicfet ben tarnen beS Ültfeleten nennt, bafe paufaniaS bagegen nie bloS baS Piotio angibt unb alfo non biefer gangen angeblidfen CRubrif beS „atfeletifcfeen ©eures" fliicfetS weife11), fonbern immer einen beftimmten 9ia* men nennt'? Um nur ein 33cijpiel gu wäfelen, ift eS nid;t auf* faHenb, bafe unS PaufaniaS oon bem Äünftlev 5)aippo3 mehrere Sltfeletenftatuen mit Flamen nennt, piiniuS aber nur einen „peri- xyomenos“, b. fe. einen fiefe Slbjcbabenben? ©S ift nun be* fannt, wie »iele Statuen fiegenbet tät^leten bie Äünftler nament* liefe an bie Drte ber grofeen geftfpiele unb befonberS nacfe Dlpmpia gu fertigen featten. SDiefe ftellten gwar einen beftimm* ten 'Ätfeleten bar, aber in ber flieget nidfet mit feinen Portrait* gügen; wenigftenS burfte in Dlpmpia erft wer breimal gefiegt

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hatte eine ifonifdje Statue haben. SDiefe SBerfe waren eine Hauptaufgabe für bie berühmteren Zünftler; alß Sföotio wählte man entweber einen SDtoment beß Äampfeß felbft, in bem bet 33etreffenbe gefiegt hatte, 1 s) fo j. 33. bet befannte SDißfußwerfer beß 9Jtnron. SDber man fteüte bie 33orbereitungen unb folgen beß Äampfeß bar, wie j. 33. baß ©infalben unb baß Stbfdjaben beß Staubeß unb Dcleß, baß Umlegen bet Siegerbinbe u. 3le. SDie berüljmteften unter biefen SBerfeu würben in ipätrer 3«t natürlid) fopirt. fpiiniuß felbft (35, 5) bezeugt unß ben ftarfen Setbraud) oon 9ttt)letenftatuen im faiferlichen 9lom für bie '}>a* läftren unb fRingplä^e ber Sieidjen; wie fid) in jener 3eit Don felbft oerftel)t, waren bieß (signa externorurn artificum heilen fie § 6) feine neuen Driginalmerfe , fonbern Äopien ber alten, manchmal aud) biefe felbft. ©ie einftigen Flamen berfelben gin* gen natürlid) halb Derloren unb allgemein benannte man fie bloß nad) bem fDtotio. 3Bir müffen beinnad) biefe j. 33. oon Doer* becf (@efd)id}te ber gr. fPlaftif I2 344) für frei gewählte „Situa» tionßbilber" gehaltenen SiBerfe13), bie fpiiniuß alß SRubrif mit „pyctae, atliletae, luctatores,“ alß ©in^elwerfe mit „discobolus, doryphorus, luctator, pentatblus, diadumenus, destringens se, peri-, apoxyomenus, talo incessens“ it. ä. bezeichnet, fämmt* lieh »on bet ©enrebilbnerei außfd)liefjen. 9tid)t alß ob im Sllterthume überhaupt gar fein athletifcheß ©enre gegeben habe, benn 3ßerfe wie j. 33. bie Florentiner fRingergruppe gehören offenbar baljin; oor ber fpätern Ijelleniftifc^cr 3«t finbet fich aber fdjwerlid); baß Streben, bie füuftlerifche 33raoour gu zeigen, führte ju foldjen Aufgaben, benen auch j. 33. ber fog. 33orghe* fifd)e Fed)ter angureil)en fein wirb. Für baß bei $>liniuß auß bet heften 3«t ©rwähnte bleibt Dbigeß burchauß beftehen.

fRtcht anberß »erhält fich mit ben bei 9>liniuß unter bem

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2ttel „philosophi“ refümirten «Statuen, Die ungefähr feit CI. t>0 ton tielen Äünftlern gebilbet trurben. 38ir haben ttnS fcaruntet wahrfcfceinlicb nicbt bloß Philosophen unb ©eiehrte, ionbern and) 9iebner unb Sichter gu benfen14) bie feit bem rierten Sahrh- fetjr häufig burcb Statnen geehrt würben; ja eS mag tielleicht nur ein gewiffer $ppuS tollbefleibeter ©ewanb» ftatuen gemeint fein, im ©egenjahe gu ben folgenben SRubrifen.

SieS finb itemlicb „bewaffnete, Säger itnb ßpfernbe". Säuch fie würben für „©attungSbilber" erflärt (g. b. ton Dterbetf piaftif II, 61), ohne baft man ficb eine flare borftellung baton 31t machen muffte. Sd). halte auch fte, bie übrigens ton zahlreichen Äünftlevn genannt werben, nach obigen Analogien für beftinrmte, immer wieberfehrenbe, befonberS beliebte Porträtmotite. Sah bie bornehmen fidj gerne als Säger bilben liefen (feit ©nbc tiertcn Sahtl).), bürfen wir barauS fchliefjen, bah fidf Sllejcanber fowohl ton Spfipp15) unb 8eod)are8, alö wahrscheinlich tou ©uthpfrateS* 6) auf ber Sagb barftellen lieh . unb bah ptolemäuS ton SMntiphilos jagenb gemalt würbe, ferner finb uu$ bie späteren ©rab* unb SarfophagreliefS, »0 bet Sobte fo oft jagenb bargefteflt wirb17), ein fidjeret beleg für bie Beliebtheit biefeS WctitS. Sehr belehrenb ift enblich auch eine ©teile beG PaufauiaS (6, 15, 7), wo er bie Statue eineö unbefannten WanneS («w](> nötig 6rt) anführt, als im SppuS eines 3agenben bargefteflt: eS ift eben ein folcber „Vena- tor“ beS piiniuS, ben PaufaniaS gang beutlich für ein unbe= fannteS Vertrat hält. Sic „bewaffneten" finb natürlich ÄtiegSleute unb ffelbherrn, bie man in friegerifdjer Fracht 3U bilben gewohnt war. Sie „Opfern ben“ enblid) finb als trieftet 3U benfen, benen man feljr oft Statuen fehle. Wehr als gufatlig ift hoch baS 3ufammentreffen , bah 3. b. PpthofritoB, ton bem

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3>Iiniufl folche JDpferube erwähnt, unß burdj eine Snf^tft alß Äünftlcr einer i'riefterporträtftatue befannt ift18).

@o bleiben nur noch bie »erfdbiebenen Ötubrifen non grauen bei $)liniuß ju befeitigen. Genannt werben „eble" grauen, b. h- nornehme ober berühmte, alfo fidler $)orträtß; ferner „betenbe uitb opfernbe unb oeretyrenbe,"19) and? „weinenbe" unb cnblid) „alte" grauen, ßweimal (oon ?)l)ibia8S0) unb ©uphranor) wirb eine cliduchos genannt, b. h- eine 9)riefterin mit bem Scmpelfdjlüffel ganj getoifj fein ©egenftanb für eine „genre= artige ©arfteüung" (Doerbecf ^laftif II, 83), fonbern ficberiicf) Porträt. 55urd) fie fommen wir aud} ben anbern auf bie Spur, benn aud) biefe f feinen meift $>riefterinnen bargeftellt ju haben, geltere erhielten feht oft ©hrenftatuen unb meift waren fie alt, im treuen ©ienfte ergraut bähet bie alten grauen (anus) bei fpitniuß. (Sine fold>e war 3. 33. bie gpftmadje ooit ©emetrioß, bie 64 3abre ber Qlthena gebient unb beren Statue baljer oor bem @red)tlieion in 2lthen ftanb. 3a, läfet fidh nadjweifen, bafc ber für ^riefterinnen in ber alten Äunft burdj« auß herrfdjenbe 5£opuß ber alter grauen war (f. Annali dell’ Inst. 1872, 125); ferner baf? man niemalß »ornebme grauen*1) alt barftellte, benn bieß gefchah nur bei ^Dienerinnen , Slmmen unb §>riefterinnen. ©ß bleiben alfo atß „anus“, ba profanen SDie* nerinneit fdjwerlich Statuen gefegt würben, nur bie $)ricfterinncn übrig, ©benfo erfläreu [ich bie bei ^Hniuß genannten SJiotioe beß ©pfernß unb 33ctenß unb SSereljrcnß am beften bei bet 21m nähme non ^riefterinnen ; übrigenß ftellte man aud) mitunter profane grauen opfernb bar, wie beß 2l!fibiabeß fDlutter ©ema» rate oon 9liferatoß (s))lin. 34, 88) fdJliefjen lafjt (wenn biefe nidjt felbft $)riefterin war). ©üblich bie ..weiitenben Sftatro* nen" beß Sthenniß (34, 90), bie man bißher auch meift f“r (166)

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eine »on ben Äünftlern gar flaffenweife fabricirte 55(rt oen ©eure« bilbern gehalten bat, ol)ne bie Ungefeeuerlicbfeit biefer 9lnnabme äu bebenfen, finb nur alä ^crtratS älterer Brauen mit einem tiefen eigenen 3uge bet 2Bet)mutfy unb bem entfprecbenber äu* feerer Haltung gu benfen.22) SDie »on 9>liniu8 genannten 9tubrifen entfprecben alfo gang ben cetfdbiebenen ©tänben, bie »otgugSweife burcb fPorträtftatueu geehrt würben. 6S finb gunüdfeft bie ^öfeeren SRilitärß (armati), bann bie rei* «ben ^rinaten, bie ben 3agbfport lieben (venatores), enblid) bie ^)riefter (sacrificantes). 5DajU fommen bie Sttljleten unb bie 35enfer unb SDid)ter (philosophi), bereu fünftlerifdfee SRotioe 3U uerfdjieben waren, alö bafe man bie fRubrif banadfe feätte benennen fönnen. 9?on ben Brauen wirb, neben ben fonft burcb Siang u. bgl. beroorragenben (nobiles), namentlidi ber ©tanb ber 9)ritfterinnen berücffidjtigt, ber in ber Siegel einzige, in bem bie grietbifdje Brau ber Deffentlidjfeit unb fomit öffent* lieber Grbren tbeiUjaftig war; baneben ftbeinen uereingelt noch 5Rotir>e »on ©rabmonumenten für Brauen (flentes matronae, adornantes se feminae? f. 9lnm. 39) genannt gu werben.

5>iefe neuen !$batfacben für bie ©efefeiebte ber antifen $)or* tTät=93ilbnerei ftimmen mit bem bisher befannten Gbarafter be§ griechischen Porträte burdjauö überein: im ©egende 311 ben tömifeben, bie nur allgemeine Schemata mit einem beliebigen ^erträtfopfe bieten, hüben bie grieefeifdjen Porträts immer febon in ber gangen ©eftalt, bem gefammten SRotiee eine beftimmte Snbicibualitat ober wenigftenB einen beftimmten ©tanb unb feine SöefdjüftigungSart gu ebarafterifiren.23) 3Ran benfe an bie erhaltenen ©tatuen be8 Sllejcanber, Slriftotelefl , ©cpbcfles, ©emeftbeneö u. 91. 9tpeHeS malte ben fampfeSmutbigen jÜlituS mit bem fRoffe in bie ©cplacbt eilenb unb ben Jpelm oon feinem

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Knappen ferbernb, ober ben Belbfeerru ?lntigcnog bemaffnet mit feinem fRoffe einfeerfefereitenb. fProtegeneg malt ben Sragifet ^Hjiliöfuö fiunenb, meditantem, ebenfo Sfeeerog (ober £beon) bie i'eonticn, bie ©eliebte beb (gpifut cögitantem. (gfeabriab liefe feinen ©tatuen (2>iobor 15, 33; fRepog ©feabr. I fpridjt nur non einer) biejenige (Stellung geben, burd) beten (Srfinbung unb Slnmenbung er feinen ge^riefenften ©ieg gemonuen: er fniete, ben ©efeilb an bag Änie gebrüeft unb bie Sange bem Beinbe entgegeugeftreeft. 9lnafreon, ber ÜMdjter ber Siebe unb beb Sßeineb, mar im fRaufcfee fiitgenb bargeftellt (s}>auf. 1, 25, 1). 9lu folcfee 3?eifpiele reifeen fid) bie SRotioe bei $Miniu8, bie Cpfernben unb Söetenben, bie mefenuitfeigen Btauen u. f. m. für Porträts rceniger bebeutenber $)erfen!id)feiten paffenb an.

Slrofe biefer betracfetlidjen Säuberung im ©ebiete beb alten ©enreg, bie ung erft befähigt, bie feifterifefee Unteriudjung über bagfelbe aufgunefemen, bleibt bennoefe Diel Unflareb unb Unficfee* reg gurüd, bag idi im Bolgenben jebed} ben ülnmerfungen über* laffeit merbe.

©efeen mir nun gunäefeft, mag ung aug ber atefeaifdien $)eriobe Der i'feibiag Den ftatuarifefeen Söerfen überliefert ift. (gg ift menig, ja ftreng genommen SRidjtg, ba überall beftimmte SBegiefeungen bem anfdieinenb ©enrefeaften git ©runbe liegen, ©o uerfealt eg fid) mit ben bei ^Miniub ermähnten celetizontes pueri, ben Änaben auf JRennpferben Den Äanacfeog unb Don ^egefiag, bie mir nadj ber fRotig be8 f'aufaniag (6, 12, 1) übet gmei eben foldje Änaben Den Äalamig in JDlpmpia für ®ie» gebmeifegefefeenfe fealten muffen, bie unferm eben gcmäfelten 23ei= fpiel Dem Soden auf bem fRennpferb DoHfommen analog finb. Ueberfeaupt mar eg Sitte jener naiD frommen 3eit, benjenigen

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©egenftanb, bet (Sinem am liebsten unb »ertheften unb burdi ben man feine Grrfolge unb Siege errungen hatte, beit ©öttern im Kbbilbe gu meinen. So weiht in biejer Seit ein teidjet Sol« bat gwei Stoffe mit ihren genfetn nach Dlpmpia, bie $arentiner meinen $)fetbe unb friegSgefangene Stauen »egen eines Sieges über ihre fftadhbarn, bie Sthener ein öietgefpann auf bie 2lfre» poliS »egen eines Sieges über bie 33ooter. (Sßgl. gu biefer Sitte überhaupt Schümann ©riechifche 3Uterthümer II, 190.) Solche 3»ei= unb Sßiergefpanne »erben auS biefer unb ber folgen« ben 3eit überhaupt oft ermähnt; bie meiften l)aben »ir unS motioirt gu benfen burch Siege im SBagcnwettrennen an ben gro|en Seftfpielen; ba babei nur ein genfer (ber mit bem 58e* fi$er meift nicht ibentifdj »ar) auf bem Söagen bargeftellt »ar, fo begeidjnet fie unS iptiniuS !urg unb allgemein mit quadrigae bigaeque.’*) 23erwaubt ift bet ©ebraud), nad) bem Siege über cerheerenbe Seinbe eherne Äühe ober Stiere gu meinen als Sumbole beS »ieberbefreiten 31 der* ober SikibclanbeS; gu biefer ©attung gehörte auch bie berühmte Äuh beS fDtpron, bie alfo auch fein ©enreftüd im ftrengen Sinne »ar.25) (5t»aS anbrer 3(rt ift ber ©bar betenbet Änaben in Dlompia non ÄatamiS; aber aud) et mit gang beftimmter S3egiehung: bie Sfragantiner »eihten ihn »egen eines Sieges unb wie ja bie SiegeSgefdnge oft oon Änabenchöten auSgeführt werben mochten, fo wirb Ijiet ber üDanf für ben Sieg oon ber reinen 3ugenb ber ©ottljeit bärge« bracht. SBon ähnlichem ©hatafter »ar ein SBerf, baS 2hemis ftofleS um biefelbe 3«t (ungefähr um bie fötitte ber 70er Dlpm» piabeu) weihte: eine <£>pbrophPte, ein Uftäbchen, baS Söaffer holt, alfo ein 33ilb auS bem SültagSlcben. Sie Statue würbe jeboch auS Strafgelbern für fötiSbrauch ber örunnen bcftritten

unb »ar alfo in finniger Söeife, bie wir einem inbioibuellen

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geiffteidjen ©ebanfen be8 2^emifto!le8 gufdhreiben bürfen, gugleidj ein 23ilb ber richtigen Senkung bet Duelle unb jo bie befte Strafe für biejeuigen, bie ihr baö Saffet unrechtmäßig ent® gegen Ratten26).

©ie Slrt, mie man bamalä mpthologifdhe ©egenftänbe be» hanbelte, ncrfinnlichen un8 bie SSeginetifdjen ©iebelgruppen: ©ie inbioibueHe ©harafteriftif ift nod) in ihren etften Anfängen unb man ftetlt faft nur ba8 ©eritfte, ba8 allgemeine Schema ber ^anblung be8 ÄampfeS um bie geiche bat8T).

33on ber monumentalen SDR al er et biefer $)eriobe, bie ©empel unb fallen mit mpthologifchen ©arftellungen oon hoher geiftiger a3ebcutung fdjmüdfte, ift un8 begreiflidhermeife nidjtö hierher ©eljörigeS befannt. ©agegen bilbet bie ©atfleflung be8 Alltagslebens auf ben beforatioen Malereien ber 93ajen trojg ber fteigenben 33ebeutung beö SDRpt^ifd^en immer einen feljr be* liebten ©egenftaub. ©ie ©efäfse mit fdhmatgen Figuren, obmoljl meift Siadhahmungen au8 fpäterer Seit, gehen bodj auf Driginale ber ardhaifchen ^etiobe gutücf unb bieten un8 eine §üHe non Seifpielen. ©er Ärieg bilbet ben $auptgegenftanb: mir fchen bie SEBaffenrüftung , ba8 Anfdjirren ber Stoffe an ben Streit* magen, bann ben Au8gug in allem äufjern |)omp unb ohne Seiten tieferen ©efühtS , enblidj unjäljlige Äampffcenen. Ser» net ftnb bie 3agb unb ebenfo bie agoniftifc^en Äampffpiele fe^r beliebter ©egenftanb. 3u Jang unb Spiel erholt man fid) bann. Aber aud) ba8 geben bet SJtäbdjen bleibt nicht unbeachtet , hoch ftetlt man fte »orerft faft nur in Scenen bar, roo fie fi<h aufcer bem ^aufe geigten, alfo namentlich beim 3öaff erholen, mitunter auch beim fPflücfen be8 DbfteS. häufig finb ferner auch -£>och* geitSgüge, mo SBraut unb Bräutigam feierlich gu 2Bagen fahren,

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begleitet non benfenigen ©Ottern, bie ben (Hjefegen hauptfächlich bebingen. 25ie Stobtenflage enblid) bleibt bei ben fyöcfyfl werth* »ollen Stttifdjen ©efäfcen ber .pauptgegenftanb. Sin jene alte* ften ^omerif^en 3)arfteUungen erinnern unS einige wenige 5Bil* ber auS bem lau blichen geben ber ©utSbefifjer.18; Söir fehen pflügen unb fäen, fotoie baS ©ammein ber Dlioen, bie ja ein jfwuptgegenftanb namentlich beö SUtifdjen SanbbauS waren. Slud) jtaufleute unb .panbwerfer finben fich einige. Sßir werben 35er» artigem auS ben fänblidjen unb nieberen Äreifen in ber Äunft ber folgenben 53lütheperiobe nirgenbS mehr begegnen, bis eS fpa* ter, aber in gang oeränbertem Gfyarafter, ftd> wieber geigen wirb.

©emeinfam ift all ben 35arfteUungen biefet Beit, bafj fie nur nad) möglichfter Älarheit beö bargeftellten gaftumS ftreben: überall fud^t man nur ben treffenbften , einfachen SluSbrucf ber $anblung, überall ift ber Vorgang nur in feiner gang äu» ^etlichen ©rfcheinung gefaxt, ohne jebe ©pur eines ©tre* beuS nach innerlicher Vertiefung.

2Bir treten nun in bie eigentliche Vlütljeperiobe gtied)if<her Äunft unb betrauten guerft bie plaftifche ©enrebilbnerei oon ben Beiten beS ißhibiaS bis gu benen SlteranberS b. @r.

35ie hohe, oorgugS weife religiöfe ^Richtung beS $>h*b'a8» welche »or SlKem nach bebeutenbem 3«halt ftrebte, fonnte baS ©enre nicht auffommen taffen, ©o finben wir benn auch roe* ber unter feinen Söerfen, noch unter benen feiner @djüler etwas $iethergehßtigeS.*9) SlnbetS ift eS mit ber neben $hibiaS blü* henben ©dfute beS SRpton: ihr $auptgiel war moglichft leben* bigeS ©rfaffen beS ÜJtomenteS einer <£>anblung, weshalb bie fRücfficht auf geiftige Vebeutung beS SnpaltS gurüdtreten mufete: eine beliebige ^janblung beS SltltagSlebenS , falls fie nur ©eie*

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genljeit bot, jene Bebenbigfeit ber momentanen Söemegung beS Äorperö auf @in 3»el l)in $u feigen, mufjte ihr nidjt minbet miüfommen fein, als etmaß mpthifch unfc religiös SBebcutenbcS. 33on SJipron felbft gmar roiffen mir leibet nichts ©erriffes30) in biefer SBejiehung, aber »on feinem ©chüler unb @ot)n 8pftoS fennen mir ein fetjr c^arafteriftifdjeö Söerf; eS ift bie ©tatue eines Änaben, ber erlöfcbenbeS geuer anbläft: eS mar roa^rfdtein* lieh geuer $um Tauchern,31) alfo offenbar ein SBeihgefdjenf an irgenb eiue ©ottlseit. SlQeS Sntereffe beS SSBerfeS lag, tüte bei feinem 33ater („dignum praeceptore“ nennt eS $Miniu6) in bem einen jdjatf gefa|ten Söiomente ber ^anblung, bem tHublafeu beS geuerö.3*) ©ine rocniger flare SSorftellung haben mir üon einem jmeiten Söerfe33) beS SpfioS : ein Änabe, bet ein SBei^tüaffet* becfen trägt, ©aß eigentliche fünftlerifc^e 9Roti» gibt unS lei* bet ‘PaufaniaS, mie gemöhulid), nicht an; bod) mitb fiep 8nfio8 gemifj nidjt mit einem paffioen, ruhigen galten beS SecfenS be> gnügt haben, 9todj fidbrer aber bürfen mit fagen, bafe bet JReij ber ©tatue nicht „in naioer grömmigfeit" unb „©arfteHung ber gemütl)lid)en ©rregung" (Doerbecf plaftif I, 329) beruhte, benn bieß lie|e fich nimmermehr mit bem SBefen 5Jturonifcher ©djule »ereinen. Sludj h*er mufj bie ©arftcUung ber, menn auch ruhi* gereu Jpanblung felbft, ohne alle Oiebenreije 3ifl gemefen fein. Senem erften SBerfe beS gpfioS fehr »erroanbt mar ein anbereS beS ©tpp pa;r, ben mir beShalb gern mit ber Ü)t»ronifchen ©djule »erbinben; cS ift ber fogenannte splanchnoptes, ein mnhrfcheinlich jugenblicher 3i) ©flaue, ber baS Dpferfeuer, an bem er ©ingemeibe jn röften im 33egtiff mar, mit »ollen Sdacfea anblieS. 3tt>ar ftclltc betfelbe einen beftimmten ?iebling8ffla»en beS perifleS bar, hoch modjte bieS nur bie üBeranlaffung unb UBeftimmung beS SöerfS abgeben, unb baS Sntereffe beftanb je*

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fcenfallS nur in brr lebenbigen ©arfteQung jener £anblung. @inen beftimmten, unb gwar religiöfen 3»»ecf batten aber r»ot>t alle obigen Söerfe, inbefj bie fügten 33ermuthungen, burcb weld'e man oielfadj jene 3wecfe genau ftjriren wellte, entbehren bet übergeu* geuben Segrünbung. Un8 genügt eö, ba§ wir mit (Grunb an* nehmen fönnen, jene SBerle feien alles SBeibgefdjenfe an be» ftimmte (Gottheiten gewefen; alfo nicht etwa für prioate 35efo* ration gearbeitet, wa8 mit bem burchauS öffentlichen ©harafter bet »Ättifcben .funft jener 3eit in 2ßiberfpru<h ftänbe. 35ie Vorliebe biefer geriete gerabe für ünabenftatuen beftätigt bie Nachricht »on einem feht frönen Knaben be8 ©trongplion, non bem wir aber gar nicht wiffen, ob et überhaupt ein (Genreftüdf war. SDie bei §)lmiu8 erwähnte ©tatue eines „SBerwunbeten" ton Ärefilaß war wieber, wie bei ^liniuS fo oft, hödjft wahr* fcheinlich ein Porträt unb gwar wot ba8 be8 gelbhetrn SDiitre« pbe§, ber non Pfeilen uerwunbet bargefteQt wat,s).

(Siuer anbeten (Sntwidlung beS (Genres begegnen wir um biefelbe 3eit in ber fPeloponneS: e8 ift ^olpflet felbft, ba8 £aupt ber 5Srgi»if<hen ©(hule, bet bem (Genre neue SSahnen bricht. 3war ba8 eine ber betreffenben SBerfe, gwei Äanepljoren, entjpricht noch gang jener 9lttif(hen fRidjtung be8 fDtpron u. f. w. Äanepboren nemlidj, b. h- fDiabchen, bie im SDienfte ber (Gott* heit Äörbdjen auf bem Äopfe trugen, fpielten nidst nur in Stilen, fonbern auch im tKrginifdjen £etafultu8 eine Stoße. SDa8 28er? war alfo wahtfdjeinlidh auch ein SBeihgefchenf unb gwar an bie 5?anbe8gottin .pera. SlnberS ift c8 mit ber (Gruppe gweier .Rna* ben, bie Änöcbel fpielen. SÄucff biefe für ein 3lnathem gu halten, ift gar lein (Grunb oorhanben, fie waren melmchr offenbar rein ihrer felbft willen gearbeitet. (Sin Äennerurtljeil , ba8 un8 fMi* niu8 mittheilt, SG) hielt fie für ba8 »oßenbetfte 28erf, ba8 über*

XI. 2«. 24«. 3 (178)

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haupt eriftirte. Unb warum'? ©anj gewift ntd^t etwa wegen ber finblidj naioen ©timmung, bie wir fo gern b'netn^nfen eS waren ja auch pueri unb feine .Rinbet , gewifj nicht wegen beS bfpchologifdjen SluSbrucfS, benn fcnft müßten wir ^olpflet fd^Iec^t femten; fonbern rein wegen ber f ormalen 23ollenbung. SDarauf allein fam eS ?)ol»flet an. 2Bit fennen unS nun gwar bei ben feht »erfdjiebenen Slrten beS ÄnödjelfpielS im 9Utertbum bnrchauS feine beftimmte SorfteOung non Haltung unb SJloti» ber Knaben machen; bod) bürfen wir auS ber Stidjtung sJ)oloflet§ fchliefcen, ba§ im ©egenfatj ju jenen 3Jit)rcnifd)en SBerfen ba8 3ntereffe ber ©ruppe im lebenbigen Elemente ber ^»anblung nicht beftanb, wof)l aber in ber harmonifd) abgemeffenen Linien» führung beS ©an^en unb ber fronen 3)urd)bilbung beS ©ingel* nen. 55a8 jugenblid)e Knabenalter, für baS fPotyflet eine befon* bere 93erliebe hatte, wählte er aud) bie* nicht etwa feineö un» fdjulbigen ©batafterä wegen, fonbern weil bieS Sllter ber ma§=> »oll frifchen Schönheit feinem Bwecfe baS günftigfte war.

T)afj gerabe fPolnflet ben für bie ©ntwicflung beS monu= mentalen ©enreS fo bebeutfamen ©cfjritt tfjat , ber baffelbe auS ben §effeln befreite, bie ihm bie 33eftimmung für bie Deffent* tidjfeit unb als Söeihgefchenf an bie ©etter bisher auferlegt hatte, unb ber ihm eine güHe »on neuen ©toffen guführte ba£ biefer ©djritt gerabe burth 3>ol»flet gefebah, barf unS nicht länger wunbern, wenn wir bebenfen , bafj febon bamalS bie 9fr- ßi»ifdje Kunft einen ungleich prioateren (Jharafter trug, als bie $ttifcbe (»gl. SSrunn, Künftlergefcb. 1, 310); bie großen monu* mentalen, öffentlichen Aufgaben waren »erhältuifjmäfjig feiten, fo bajj bie Porträts ber Athleten u. bgl. $auptgegenftanb waren; natürlich würben bie Künftler bähet »iel leichter burdj prioate unb fubjefti»e Neigungen in [ber SEBafjf ihrer ©egenftänbe be-

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jtimmi. SDaju fommt aber ferner jener alte ©egenfajj 'Pelopon* neftfchet unb 2lttij<her Schule, ber in $>olpflet unb ^)^ibia8 gipfelt unb bet bie SBeljanblung ber Bcrm nicht minber, af8 bie be$ JnhaltS überall beftimmenb burdjbringt: ber ?lttifer überall baS geben ton innen heraus erfaffenb, überall nach SluSbrucf eines bebeutenben Inhalts ftrebenb bagegen ber 'Peloponnefier nach einem abftrafteu faft matl)ematijchen Schema ba8 formal SeHfommene fudjenb, inbem c^anblung unb Snhalt »eit jurücf* treten: ein 'polpflet fonnte als baS Söefte feines Schaffens einen „Äanon" ^itttcrlaffen für 9>h'b*a8 unbenfbar. SBei polpflet begreifen wir eS baher am leid>teften , wenn er juerft in jenen fptelenben Änaben ein 5l'erf liefert, baS, nur ber formalen 93cU* enbung wegen gefchaffen, feine ^Berechtigung unb SBeftimmung auch nur in fich tragt.

Seiber lönnen »ir bie ©entebilbnerei in ber fPolpfletifchen Schule auS Mangel an 9lad)ricbten nid)t weiter oerfolgen. JDenn baS einzige, was man hiebet jäblen lonnte, ift ber SSibberopferer beS fJtaufpbeS, bet aber allen Analogien nach 3U jenen oben be- stochenen ^)ortratftatuen non Dpfernben gehörte.37)

Um baS ©nbe beS fünften SahrljunbettS geht eine gewal- tige Umwanblung im griedjifchen ©eifteSleben Dor fidf, bie nicht nur auf bie Siteratur, fonbern namentlich audj auf bie Äunfi ben größten ©influf; tyahe. SSir lönnen ben wefeutlichften ^nnft lurg fo bezeichnen: baS 3nnenleben ber Seele in ©e= banfe unb ©efüht ringt überall nach SluSbtncf. gür bie Äunft hatte bieS bie wichtige golge, bah, inbem man »or fKHem bie allgemein menfchlichen 31 ff eite, wie Schmerz , Suft, Siebe u. bgl. Zur ©arftellung zu bringen fuchte, ber SluSfctucf beS inbiüibueli berfönlidjen ©runbcharafterS zurüdtrat Der bem einer allgemein

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menfdjlkben Situation unb ©mpfinbung. Semnad) tnufjte aud} bab 9Jintl)olpgifd)e bem ©eure bebeutenb näher treten. Sab 5?ttleö ift nun fd)on bei ben beiben Häuptern ber neuen $>ertobe, bei ©fopab unb ^rariteleb in h&hem ©rabe ber Ball. Sie* npfob unb Slphrobite, bie ©etter ber menfchlidjften <5mpftn= billigen, werben .fjauptgegenftanb; bod> bnmit fid) nidjt begnü» genb, (teilt man eine ganje, eiet abgeftufte ©fala oon 2tffeften in ber Umgebung unb ben Begleitern jener ©etter bat: in (Srob, $>ethob unb .öimerob, $)eitl)e unb ^aregorce, in ben ©atprn unb OOläuaben, in ben 9tereiben unb Slritonen. 3a bie berühmte (öiänabe beb ©fopab, bab SDfäbchen in bet ftürmifchften bafdji* td'cn Begeiferung, bie ©atprn, Sötänaben, S^niaben, ©ilene beb $)rajciteleb 3S) ]'tel)en bem ©eure alb Stepräfentanten ber ©m« pfinbungen einer, wenn aud) mpthifdjen, ©attung fetjr uaf ie. Sem mcnjddidjen greife finb jebodj entnommen bie Äarnatiben beb (Prariteleb , b. h- lafonifdje Sänjerinnen jur ©hre ber tÄrte* mib, eben jo je eine Äanepfyore oon ©fopab unb ^vajriteleb: foldje fDtäbdjcn im ^eiligen Sienfte waren alfo bamalb ein be* liebtet ©egenftunb, währenb (Dlnrenb fRicbtung bie Änaben oor» gelegen hatte. $Rod) beutlicber tritt biefe Borliebe bet Beit für bie gefällig $arte Snmuth beb weiblichen Söefenb in gwei SBerfen bce i'rayiteleb fyeroot: ein gRäbdjen, bab einen .Kräng hält39) unb ein anbereb, bab im Begriffe ift, fid) ein £alb« ober ärm* banb anjulegen: fo oerallgemeinern unb erweitern fid) immer bie ©egenftänbe beb ©enreb, unb jene Kanephoren, bie nur einen beftimmten fleinen Äreib oon Snbteibuen repräfentiren, waren nur ber Uebetgang gu ber gang allgemeinen SarfteUung weiblichen ifiebreigeb.

Berwanbt war bie ©tatue cineb Siabumenob, bie 9>raji= teleb auf ber ülfropolib fejgte. ©owoljl ber Umftanb, bafj unb

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webet pon ihm noch non SfopaS irgenb etwas $tthletifd)e$ be« fannt ift, als bie ÜHrt bet Sefchreibung jenes SBetfeS geigt, bafj hier bie möglid^ft anmutige unb reigenbe S^ehanblung

eines garten SünglingS, bet ficf> gum Sange anfd)icfte unb beS« halb ftch mit einer S3inbe jcbnuufte, ©egenftanb war. 3?icdcid)t je$te $>rajriteleS biefeS SDenfmal einem perfönlichen iJiebtiuge,4 u) wie ja and) baS 3Mlb jeinct ©eliebten 9)hr9ne »on feiner <£>cmb, aber pon jener felbft geweift in 35elphi41) unb in St)eipiä gar neben Stphrobite im Sempel beS Grob ftanb.4a) Db bie non ^liniuS erwähnten (Statuen einer weinenben SJiatrone unb einer latenten Sudlerin Ijrertjer gehörten, ift für mich met)r als gweijeltjaft.43)

Stuf fcer fünftlerifchen ©eftaltung beS pfpdjelogijchen Slu8» bruefs lag {ebenfalls aud) baS Hauptgewicht in einem ned) nid)t gang aufgeflärten SSerfe beS ü-eochareS, baS wahrfdjeinlich einen Den bet Äomöbie perfpotteten Sflaoenhänbler gpfiäfoS barfteüte, ber einen Änabcn mit bem SluSbrucf ber fd)lauften tBerfchmiijtheit feilbet. S)aS Vertrat war fjw gewifj nidjt ber Werfen wegen gewählt, jonbern um gewiffe pfpchologifche Gigen* fcfcaften treffenb auSgubrücfen.4 4)

Stm Gnbe biefer ^etiobe fteljt 8pjipp, ber unS fd)en auf bie felgenbe porbereitet. Gin fidjreS ©enrebilb auS bem 2tH* tageleben war feine „betrunfene gtötenfpielerin," eines jener Stäbchen, bie bei ben Sechgelagen ber Sitten gum mufifalifchen unb fenftigen Vergnügen bienten.45) Stljo ein Söerf gur $>ti* rat=SDeferation, bie pon nun an bie Äünftler hauptjächlid) in Slniprucb nimmt, etwa für einen Speifefaal jehr geeignet. DaS SnteTeffe war auch hier ein porwiegenb pfpchologifcheb, bie 2öir* hing beS SßeineS unb bie aufgeregte Sinnlichfeit auSgebrüdt gu

fehen. SDa^u fam aber, gang wie in bem SBerfe beS SeochareS,

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ba8 braftifdj Gfyarafteriftifdje, baff nemlid) jene SBirf ungen an einer foldjen nieberen Werfen 3ur ©arfteHung fommen; unfer SBerf fann man baljer paffenb als baS realiftifdje ©egenbilb non ©fopaS SJiänabe be^eic^nen. SBie fet)r biefe berartige ©ar« fteHungcn betrunfner Stauen liebte, unb wie weit fie barin in ljumoriftifdjer Steilheit unb Sebenbigfeit ging, fönnen unä einige Serrafotta=©tatuetten auS ©übrufjlanb tiergegenwärtigen.46) Serner gehört bie im Slltertljum berühmte ©tatue einet betrunf» nen eilten (non piiniuS irrtljümlid) bem 5Jipron jugefcbrieben), Bon ber bie befannte ©apitolinifdje unb eine 9Ründ)ener ©tatue wafyrfdieiulid) 9iad)bilbungen finb, woljl aud) in biefe 3«t unb Stiftung. ©erfelben ©attung beS niebrig Äomifdjen gehörten wafyrjcfyeinlidj bie „comoedi“ beS GfyalfoftfyeneS an, b. \j. ©ta» tuen fomi|d)er ©djaufpieler , wenn wir nid)t Borgten, aud) fie als Porträts ju faffen; anbetnfaüS würben unS aucfy fyier galjlreidje Serrafotten bie 23eljanblungSart oeranfdjaulicfyeu fön* nen.4 7)

Unoermcrft finb wir fo in eine gan$ neue Stiftung ber Äunft geratljen; unb wenn wir unS Bort)in bei ber betrunfnen Slötenbläferin ber 33iänabe beS ©fopaS erinnerten, fo fyaben wir bamit ben ganzen großen ©egenfaj} bejeicfynet, ber bie Äunft 3u ©nbe bes oierten 3al)ri). non bet gu Slnfang, bet Bon

©fopaS unb 'PrajciteleS trennt. 3n beiben Säßen jwat fyaben wir baS ©treben nad) tiluSbrucf ber Slffefte, bort aber in ber SDiänabe ibealifirt man fie 31t einem mptfyifdjen 23ilbe, fyier et« greift man nur bie naefte, unmittelbare, niebrige äBirflidjfeit. ©S ift bieS jener bebeutungSoolIe ©ang 3um IRealiSmuS, ben bie griedjift^e Äunft, wie alles äitbere, mit größter ©efejjmä&ig* feit unb 9iot^wenbigfeit surücflegte: eine Stiftung bie Bor allem nad) auSbrucf ber Slffefte, ber ftürmifdj leibenfäaftlidjen, wie

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kr ruhig anmutigen ftrebte, muffte bagu gelangen, biegufäHig momeutan-e (Irregung not bem beftänbigen ©ruub* wefen »orwalten gu taffen. Unb bieS mufjte bagu fügten, baff man ftatt ber Halbgötter unb 5)5monen, bie Praxiteles unb SfopaS gu ewigen, ibealen Silbern ber Slffefte gejchaffen hatten, bafj man ftatt ihrer ohne Umfeh weife au einem alltäglich wirf, liehen gufäHigen SDioment jene (Irregungen, »erbunben mit in» biüibueöer (Sfjarafteriftif ber bet SSirflidjfeit entnommenen Per* fon, barguftellen unternahm. 2)afi gerabe Üpfipp alö ein Haupt« »ertreter biefer neuen ^Richtung erfd^eint, ftel)t wiebet nollfommen in Harnion*e mit feinem gangen Äunftcharafter; benn überall, in feiner Slenberuug bet alten Proportionen, in feiner Steuerung ber Haatbehanblung, geigt fid? fein Streben nach 5HuSbrucf Der unmittelbaren üBirfltdjfeit. 3a eS fteht bamit in engfter Ser* binbung eine neue 2lrt ber geiftigen Sluffaffung mptfyifdber ©egenftänbe, bie für unfeTe Setracfytung bcS ©enreS »on hödjfter Söidjtigfeit ift. 23enn überallhin »erbreitet fi<h je^t burd) baS (Streben nach momentaner 2Birflichfeit eine Stuffaffung, bie man am beften als genrehaft begegnet, ba fie weniger auf bie SDar« fteüung beS inbioibuellen SBefenS bet mpthifchen Perfon, als auf bie einer allgemein reigenben (Situation gielt.

Um bieS gu würbigen, werfen wir einen Slicf gurütf auf bie ©ntwicflung ber dingelftatue ber ©ötter: PhibiaS ftellte ben ©ott au8f(hlie§licb in feinem allgemeinen abftraften ©runbwefen bat; fo gab er in bem Dlpmpifdjen 3euS unb ber 3tttjemf<Hen Par* thenoS, bie wir naher fennen, nichts als ben »ollen Segtiff biefer ©ottheiten, in abftrafter IRuhe gefaxt. IDenn freilich fann 3euS auch gornig unb milb, friegerifch unb »erliebt fein, aber all bieS gehört nicht gu feinem SBefen als .König unb Sater bet ©ötter unb SDtenfchen, unb ben allein geigt unS PhibiaS. H^uf

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tragen nun ©fopaS unb fPrariteleö jene feelifd)en (Erregungen auf, bie einen momentanen 3uftanb »orauSfejjen , ber fid? alfo aud) »etäubern fann. 3lber wa8 fel)t widjtig ift man befdfranfte fid) babei auf biejenigen ©eftalten, gu bereu SBefen unb Segriff eben foldje (Erregungen gehören: alfo bie ©ötter ber Siebe ober be8 bafdjifc^en ©enuffeS ober be8 ewig erregten begeljrenben SDieereS. 2!ud) bei ber (Demeter 3. 23., beten Sbeal mir biefer Seit »erbauten, liegt ber fefynfüdjtig wel)mutl)S»DHe 3ug tief im Söefen ber »etlafjnen Söittwe, bie tyr eingivg jtinb »etloren, begrünbet. (Daher finben mir benn auty jefct jene ab» ftrafte 9tul)e be8 ewig feienben ©otte8 noch möglid)ft gewahrt. @0, um S3eftimmte8 gunadjft »on fPrariteleS angufübren, fennen wir »on tyrn eine 2lrtemi8, in ber 9t. bie garfei, auf bem Stürfen ben Äödjer, 3ur ©eite einen Jpunb ($)auf. 10, 37, 1); ebenfo einen (DionpfoS, ber fid) auf ben SlljprfoS ftüfct, mit gartem Sabeln unb leud)tenbem 9luge (ÄaQiftr. 8); ber Grroä in Ration fowo^l, wie bet »on JtyllifttatuS befdjriebne (Stat. 3) geigten ben ©ott in gartet (Erregung, unb ebenfo wenig »on einer beftimmten realen ^anblung bat ber befannte (Ero8 »on (Sentoceße, an bem man mit 9ted)t praritelifdje Stiftung erfennt: in ruhiger Haltung tyrityt er fein inneres SBefen au8 burd) ben liebeentgönbenben SÖlirf ; »ortreffKd^ fügt fid) in bieten Ärei8 aud) ber an einem SSaumftamm le^nenbe ©atyr in feiner fdialf» baft anmutbtgen ©innlidjfeit, ben wir in fo »ielen Dteplifen befijjen;48) nid^t minber ber wol mit gröfjerm SRec^te für fPtari* telifd) gebaltne rubig ftebenbe Satyr, bet Söein in eine ©djale giefjt (SDenfm. a. jf. II, 459; »gl. @tepl)ani Compte rendu 1868, p. 106 ff.). 93 or JSflem begeidjnenb ift aber ba8 berübm» tefte Söerf bc8 ^rajritt'leS , bie Änibiftye Slp^robite : wir würben fel)t fe^l geben, wenn wir auch t)ier, uufret mobernen Steigung

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fclgenb,*9) eine beftimmte ©eene unb .panblung, fcaö Sab bet Spbrobite bargeftetlt feben mellten; ja bet jtünftler batr «ben um bieß gu verböten, mit feiner Seredntung in ber ©d)mebe gelaffen, ob bie ©öttiu baß ©ercanb, baß fie in ber hinten halt, ton bet Safe aufgiebt ober ob fie fallen läfet, nnb roat febr netfebrt, menn man fid> oft barunt geftritten ba*r mclcbeß ton betben ber galt fei. 0?id?t eine beftimmte üßabefeene mellte ber Äünftler geben, fonberu baß gange SSefen ber Üiebeßgöttini einerfeitß bieß febambafte ©icbgurücfgieben in fid) felbft, anbrer» feitß baß fel)nfüdjtig liebenbe Verlangen; baß ©emanb fann bie ©ßttin jeben Slugenblicf an fid) gicl)en, um ihre ©d?aml)aftigfeit gu beroabreu, fie faun fallen laffen, um in gangem ©lange alß edate ©öttin bet ©d)önl)eit bagufteben. ©ebr begeidwenb ift aber, ba& faft alle fpäteren 9tad)bilbungen eine momentanere Raffung tyrem* tragen, ©ang benfelben $all beobad)ten mir an ber 2lp!)robite SlnabiiDmene beß 5lpelleß. 2Utd) fie mar, nad) ben SKefultaten ber neueften Unterfud)ungen,50) nidjt etroa in ber Jpanblitng beß illuffteigenß auß bem föieere begriffen bargeftetlt, fonbern, bereitß am 8anbe, tubig ftebenb brüdt fie ben ©djaum beß ÜJlcereß auß ben ffoefen, ein fOiotiü baß bie $auptfacbe, ben 'Äußbtucf beß SSefenß ber ©öttin in bem „nnitng“ bem Siebeß» verlangen ber Slugen, nid)t beeinträchtigen fonnte. Slber auib biet bringen meitauß bie meiften fpätereu fJiadjbilbungen eigent* liebe titftion betetu , inbem fie eine fid) pufgenbe, fd)miicfenbe, frifirenbe ftrau, alfo ein ©enreftftef batauß mad)eu. ©djein* bar mibetfpreebenb unfern Slußfprüdien ift ber ©auroftonoß beß §)rariteleß, jene jugenblicbe ^l^olloftatue, beren gangeß 3ntereffe in ber gragiöß anmutigen Jpanblung beß ©otteß, ber eine ©i* beebfe aufipiefjeu will, beruht : aber biefe Jpanblung ift feine roiüfütlicb gemäblte, fonbern in ibv ftnbet eben baß mntbifdje

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SB e feit bcS Sauroftono8 allein feinen SluSbrmf; benn fennen wir aud) ifyre 23ebeutung nodj nidjt, fo war fie bod} gewifj burdj ©ultu8anfdjauuugen bebingt. ©benfo ift e8 gu f affen , wenn man fdwn in ardjaifdjet Beit (5Jlenaid)tno8 unb Soibaö) 9tr» temis in ber £anblitng be8 3agen8 barfteüte, benn biefe fpridjt eben ba8 SBefen bet ©öttin au8.

Um nun gleid) ben ©egenfafc jener oben begegneten neuen ©ntwicftung gu bringen: bie fog. SlrtemiS »on ©abii! fte Ijeftet fid) ba8 ©ewanb auf ber Sdjulter feft, gewifj ein reigenbeS 5£Ro* tio, aber offenbar für jebeö anbere SBefen ebenfo paffenb al8 für 2lrtemi8 (gleidjwoljl ift bie 33cgeidjnung Sltalante eine roitlfür* lidje). Sleljnlid) ift e8, wenn ftd? &poü mit einer Sanie ba8 .paar aufbinbet.5 ') 2)iefe8 Streben nad) einer allgemein ntenfd}* liefen, fünftlerifdj intereffanten Situation unb Slftion tritt ferner fefyr beutlidj Ijeroor an betn fog. 3afon, b. fy. bem permeS, ber, einen 8u§ auf eine ©rfyöfymtg fteKenb, fidj bie Sanbale auSgiefyt: ein beftimmteS für ben ©ötterboten aUtäfllid^eS SRotio bilbet ben 3nfyalt, nidjt fein inneres SBefen (wie etwa beim 23atifanifcfyen fermes = Stntinouö). ©iefelbe SBeräufcerlicfyung erleibet aber audj @re8, inbem man ü)u jetjt im ©egeufajj gu bem Ijanb» lungSlofen ^>rajritelifct>en, in ber lebhaften Situation be8 33ogen* fpannenS barftellt. 25iefe UmwanDlung in ber ftatuarifdjen Äunft ging um bie 3eit SUejcattberö cor fid) unb al8 il)r .paupt« begrüttber mu§ Üpfipp erfdjeinen, beffen ©inflüffe aud? in ben beiben guleljt genannten SBerfen beutlidj finb. ©ing bod) ba8 gange Streben be8 Bpftpp uad) momentaner Raffung bet ftatuarifdjen ©ompofition: beSljalb gab er feinen SBerfen, im ©egeufajje gu ber früheren fixeren SRutje, jene eigentljümlidje Unruhe unb fdjwanfenbe 33eweglidjfeit, jene momentane Stellung, bie fidj jeben Slugenblid änbetn faun unb bie wir an feinem

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SpojrpomenoiJ bewunbern, wie audj an anbern unter feinem Gin» fluffe ftebenten Söerfen.51) Wan fann biefe tntereffante Um» wanblung, bie bie m»tt)ifdjen Gegenftänbe bem Genre fo nalje bringt, nodj an mandjen anbern ©tatuen »erfolgen, wie 3. B. am fog. Barberinifdjen Saun, bem betrunfen fcfylafenben ©atprn im Gegenfajje 3U bem oben erwähnten ruhigen, ober an ben galjlreidjen Slpfyrobiten , bie bie Göttin im Babe anb bei ber Soilette geigen ober an ben unö überfommenen ^magouenftatuen, wo wir an einer auf ben Änieeii liegenben, ben ©ieger leiben» fdjaftlicfy anfleljenben Stmagone (Mon. d. Inst. IX, 37), einem SBerfe »oQ momentanfter ^anblung, einen jpredjenben Gegen* fafc tjaben gu jenen befannten, ben älteren ©djulen beä Polpflet unb Pfyibiaö angeljörenben Statuen, bei benen »on einer ^>anb* lung faum bie Siebe fein fann, wo afleö Gewicht im \Jlu8brucf be8 GrunbmefenS liegt. SDodj wir bürfen bei biefen fragen, fo intereffant fie finb, uidjt aUjulange »erweilen.

Jfetyren wir bafyer 311 unferm 2lu8gang8punfte, ber trunfnen Slotenfpielerin beö £»ftpp 3urü(f, fo reüjt fid? nun biefe neue Grfdjeinung »oflfommen begrünbet, ja mit eiuer gewiffen 9iotfy= wenbigfeit in ben Gang ber gefammten Äunft ein. $enn audj fyier begegnen mir im Bergleid? gu ben früheren Seiftungen beö Genreö einem Jperabfinfen gum gufällig 2Birflid>en, SJiomentanen: Ijatte nernlid? SJlpronS ©cbule gewiffe Bewegungen unb Jpanblungen gu Sbealen gef Raffen (ol?ne 9iücffid?t auf Gtja» rafteriftrung ber auöfüfyreuben Perfon nur bie £anbluug felbft barfteUenb), Ratten Polöflet unb bann in oerwanbter SBeife prajriteleS bie allgemein menfdjlidje @d?önl?eit, bie männliche, wie bie weibliche, an eiufacben SUltagßmotioen ibeali* firt fo greift nun bie an ibealet Äraft erlafymenbe Äunft be8 €t>fippoö gum Biebrigdjarafteriftifcben unb fteüt einen

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©in^elnicmeut bet Söirflichfeit mit treffenber 3nbimbualifirung bar, aber ohne jenen allgemein menfthlichen ibealen ©ejug.

Stoß biejet SBerjchiebenheiten im ©ii^elnen trägt aber bie gange bisher betrachtete ©ntroicflung beö ©cnreö einen gemeinfarrten 61)örafter gegenüber ber nun folgenben; beim ßicr ließt noch überall baö 3ntereffe nur in ber reinen ©arftellung beö ©e« genjtanbeö aus bem ’Mtagölebeu. 2)od) wirb unS bicö erft flat werben, wenn wir ben ©egenfaß, baö ^edeniftifc^e ©ente be* tradjtet haben.

äJererft aber haben wir unS nod} in ber SJtalerei auä bet 3eit »er ben £>iabod)en nad) ben Stiftungen beö ©enreö umgujehen5 3). Stadjbem bie großräumige monumentale SEßanbmalerei erha» benen mßthologifdjen Snßaltö etwa um baö ©nbe ber 80er tDltun« tjiaben namentlich burd) ben ©influß beö Slpoüoboroö bem ©taffeleibilbe l)atte weichen müffen, baö nach rein malerifchen (Sffeften ftrebte, jo mußte bieje große Umwanblung auch in ber SSaßl ber ©egenftänbe Steueö bringen. 3nbem bie Äünftler non nun an natürlid) meift nach priuaten Stellungen arbeiten unb fubjeftinen Steigungen baßer oiel meßt nadjgeßen fönnen, inbem man ferner an bie »erl)ältnißmäßig fleinen unb leicht hercgefteU» ten üafelbilbet in 5BejH8 auf 3nl)alt burcßauö nicht bie Stnfor« berungen, wie au ein monumentales Sßerf fteQen fonnte, inbem enblicß baö Streben ber ftünftler oor ÖtOern auf malerijdie 3ßu* fion ging: jo mußte bie Sebeutung beö ©egenftanbeö gurücftre* ten unb man mußte balb baju gelangen, rein fünftlerifdje 9luf» gabeu unb Probleme barguftellen oßne. 9tücffid)t auf 3r»ecf unb SBebcutung beö 3nßaltö, b. ß. «3 mußte bem ©enre in ber SJta* lerei eine ungleich fchneüere unb größere ©ntwicflung 311 2:ßeil werben, alö bieö in ber fpiaftif ber ^all fein fonnte.

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3)iefe Hinnahme beftätijen unfrc, wenn and) feljr bürftigen Nachrichten. Schon bei 3 e u ?: i ö begegnen wir einem 23ilbe, baß mit »ollem Siecht ein mpthologifcheS ©enreftücf genannt »erben fann : bie berühmte Äentaurenfamilie, wo bie Kentauren» mutter ihre Bungen ^gleich auf menf<blid?e unb thierifdje SBeife nährt, roätjrenb ber 2?ater ben kleinen einen jungen 8öwen hin* halt, um fie fürcfyten ju machen. .Spier l)aben mir gleich ein 33eifpiel ber jubjeftiuen SReflejrion be$ ÄünftlerS gegenüber bet Srabition, waS hiet fö8a* einer Gorreftion be§ ©InttjuS Sin* lafj gibt: bie Äentauren finb ja .£albmcnid)en; aber inbem bie Sage »on ihren müben Kämpfen nur iljr ungebäubigt tfjie* riftbeö fJiaturleben betont, fo »erlangte hoch auch ihre menfchliche Seite noch HluSbrucf, unb biefer ^orberung marb Beuriß geredet. 3u foldh’ einet felbftänbigen Umarbeitung beß Ueberlieferten fonute er aber nur gelangen burd) jenes in ber ÜJlalerei fcbon früher mirfenbe Streben nach pfpd)ologifdiem ©urchbenfen ber Jrabi* tien, nach innerer SBertiefung unb Söermenfchlichung ber Sagen, maß uothmeubig, mie h<etf äu einer genrehafteu SHuffaffung füh* reu muhte. 9lut ber 33ra»our in ber malerifdjen SHufton wegen malte et eiuen .Knaben mit Sßeintrauben, auf welche bann Sßögel gugeflogen fein joden. ©ine §abel ohne alle ©laubwüt* bigteit ift baS alte 23eib, über baS er fich tobt gelacht haben foü. Sein Beilgen off e ParrhafioS ift »otjüglidj in ber fchar* fen pjpchologifchen (Sharafteriftif beftimmtcr Bnbicibualitäten; weshalb mit begreifen, bah er nicht, wie 3euriS, baS 3Rpthif<he jum ©enrehaften »eradgemeinerte, fonbern an ber IDarftedung be8 ©injelinbißibuumS ber Söirflicbfeit feine .traft erprobte: be* jeid}nenb ift, bah gerabe pon ihm mehrere 'Porträts unter feinen bebeutenbften SB er fen genannt werben, ©ine SDiittelfteDung jwi* fchen Porträt unb ©enre fdjeint ber SJiegabpjoS, b. h. ein »er«

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fdjnittener Cberpriefter bcr <5pt?efüd>en StrtemiS eingenommen gu haben, <Die Gharafteriftif war fo fdjarf unb wehlgetungen, ba§ SaberiuS aus ?iebe gu bem Silbe eS in lein ©chlafgemach nahm54). 2>enfelben ©egenftanb, bod?, wie eS fcheint, figuren* reicher, behanbelte fpäter SlpelleS: eines ÖJiegabpgoS fxeftgug. dagegen war reines ©enreftücf $>arrbafioS’ 33ilb gweier Ä naben, an benen man ben SluSbrucf ber SDreiftigfeit unb Ginfattigfeit ihres SllterS bewunberie alfo nicht eine Apanblung unb ©i» tuation, fonbern bie pftxbclogifcb fdfatfe objeftioe Gbarafteriftif befl ÄnabenalterS bet baS .pauptintereffe. Gine anbte Stufgabe fteOte er fid) in ben beiben Silbern ber SSaffenläufer , b. h- SJtünner, bie einen SSettlauf in Söaffenrüftung üben; ber eine war mitten im .pinftürmen begriffen, ber anbre, eben angelangt, bie 5Baffen ablegeub unb fid) oerfcbnaufenb. ©ie feine 2)etail* Beobachtung ber Statur, über bie fParrhafiuS perfügte, wirb if)m Bier gu einer namentlich im Gingelnen treffenben ^Durchführung ber Söirfungen jenes fo befcbwerlichen SaufeS auf ben .fiötpet unb befonberS bie SlthmungSergane oetholfen haben. SBegen beS üerwanbten ©egenftanbeS fei hier gleich baS Silb beS Jheo» um bie 3eit StleranberS erwähnt: ein Schwerbewaffneter, ber eben feine SBaffen ergriffen hat, um in ben .Rumpf gu [türmen 5 5); jebeSmal beoor baS Silb enthüllt würbe, muffte ein Trompeter ein Singriff Sfignal geben: höchfte momentanfte gebenbigfeit unb eine plö^lich pacfenbe Sßufton waten alfo baS 3*e! beö Äünft* lerö. Son ^)arthafioS ift noch gu erwähnen, bah er in flei* nen Silbern auch ungültige ©egenftänbe behanbelte, bie theilS Wohl bem alltäglichen, theilS aber auch bem mpthologifdjen ©eure angehörten, inbetn bie Kleinheit beö SilbeS bie fötaler feiert früh rerlocfen muffte, hier momentanen ©bergen fRaum gu ge» ben unb bie SDarfteQung eines GinfaHS , eines SJtotioS unb fei* (186)

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ne8 (Reige8 berjenigen beä Äernß unb 23efen8 beö mptbifdjen ©egenftanbeS felbft eergugieben. (Sin anbre8 Seijpiel für bie* iflbe (Ridjtung bietet jein etwas jüngerer Bcitgenejje Siman* tbe8, bet ebenfalls in einem fleinen Silbe einen jdjlafenben un* geljeuren Äpflopen malt, bejjen üDaumen bie ©atpru, jenes freche aber feige SBolf , baS jo gern bie ©cfclafenben necft, mit einem SbprtoS mejjen; bod) „intelligitur plus semper quam pingitur“ : bet (Riefe wirb halb aufwadjen unb bie auSeinanber* jtiebenben ©atern fräftigüd) beobrfeigen.

(Sine anbre (Sntwicflung beö ©enteS repräjentirt uns $)au» f iaö , ber ©cbület be8 9>ampbil<>8, beS SegrünberS ber ©i* fponifdjen ©djule, bie in ihren SSerfen nitgenbS Ijdje geijtige Sebeutung, jonbern eine auf eetftanbeSmäfjiger ©runblage ge* idjulte Südjtigfeit erjtrebte, jo bafj bie Sebeutung bcö Inhalte jurücftteteu mufjte. SlnbrerjeitS trat um bie SDRitte be$ eierten SahrhunbertS mit ber guneljmcnben Serwenbnng ber Äunft für pricate SMoration immer mehr eine entfcpiebene (Richtung auf ba8 leicbt Sinmutbige unb ©efäßige bertwr. 23 ir begreifen «8 baljer, wenn ?)aufia8 nicht nur wohl gueTft fich in ber 33 tu- menmalerei auSgeichnete, fonbern mit befonbret Sotliebe Äna» ben barfteCfte: au8 früher eereingelten Sraeourftücfen, wie bem Änaben mit ben Stauben eon 3cu?riö , wirb jejjt eine beliebte ©attung, bie bie gefällige Slnmuth unb (Rieblidjfeit be8 Äinber* ieben8 gum ©egenftanbe nahm. (SineS feiner bejten Silber fteflte feine ©eliebte ©Ipfeta al8 Ärängewinberin bar. S>af$ biefe eon ?)aufia8 guerft eingefchlagene (Richtung in ber golgegeit ficb eine8 großen (SrfolgeS erfreute, bürfen wir batau8 fdjliefien, baf} Sil* bet anmutiger üRäbdben in irgenb einer freunblicben Sefchäfti* gung beliebte ©egenftanbe ber ©ampanifdjen 23anbmalerei finb (f. £elbig, Unterf. über b. Camp. 2Banbmal. p. 76), bie auf

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JBcrbtlber befleniftifdjer Beit gurüdfgeht. $Dte anbre 3Trt biefer feitet unbefangnen ©arfteüungen aus bem 9llltagSle&en , jene Änabenbilber, föttuen wir unS am beften auS gasreichen fleincn, namentlich 9Jttifd)en SBafenbilbern uub Sterrafotten per* gegenwärtigen, ©iefe [Richtung bilbet ben Uebergang 31t ber fpäter ju betraditenben ungleich bebeutenberen ©arfteUung ber Äinberwelt burch bie ftatuarifdbe Äunft aber in bem roefent« lidt »eränberten ^edeniftifdien ©eifte.

3u beamten ift nod), bafj ade jene SBerfc beS fPaufiaö flehte Silbchen waren unb bafj er auf baS tedbnifdhe Serbienft baS Hauptgewicht gelegt haben wirb; benn fonft müfjte eS auffaüen, bafj feiner feiner Schüler fid^ an jeuen (Stoffen be§ ÜReifterS tn größerem Umfange »erfudit p haben fdheint.

(gine gang anbre [Richtung tritt unS in bet gleidjgeitigen SLl^ebanifd^Sttifdjen Sdjule entgegen: h‘e* ift Stoff unb 3nhalt unb beffen reigenbe unb pacfenbe Sehaublung erfteS Stre» ben. ©aS mpthologifcbe ©enre entfpradb biefem ibealeren 3ug« beffer. fRamentlicb wirb biebei ber im 4. 3bh- beliebte baf» dsifdhe .Kreis becorgugt. So malt ber Sohn unb Schüler beS 9lriftibe§ 91 rifton einen behängten Satnr mit bem 9?e^er, alfo wohl im »ollen ©enufje be§ SBeineS. Gharafteriftifcbet aber für bie gange 9tid)tung ber Seit finb bie folgenben beibcn Silber, nemlich beS [Rif cm ad) öS „berühmte" SRänaben, bie wab*5 jcheinlidh wäijtenb beö Schlafes, »on Satnrn bef (blichen werben, unb baS ©emälbe feines Schülers %>^üojcenoS, baS brei be* trunfen fdhwärmenbe Silene iu auSgelaffenfter füuffaffnng bat» ftellte: beibe SBerfe geigten alfo bie finnliche 9lufregung unb 2?e» gierbe an einem mpthifdhen ©enrebilbe. Hatte ^atrhafioS foldje finnenreigenbe ©arfteUungen nur in fteinen SSilbdben unb neben« bei su maleu gewagt, fo wirb jejjt (5Ritte 4. 3bb-) auch b^W“5

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fine beliebte ©attung, bie auch ©arfteflungen au8 bem SllTtagS- leben betjanbelte, wie bie Sejeic^nung „$>ornograph", b. h- 35ir» nenmalet anbeutet, bie mehreren Äünftleen bet Seit ertbeift wirb. Schon auf ©afenbilbern ift ber ©influfl biefer fRidjtung nicht jn »erfennen. Später in ber IjeHeniftifcfcen Beit würbe fle na- türlich noch ciel mehr gepflegt, wie wir au§ ben ©ampanifcflen ©anbbilbern entnehmen fönnen (S. $elbig a. a. JD. 238; 249 ff.).

fRoeh wichtiger ift un8 jeboch ber oermuthliche ©ruber be8 fftifomachoB 2(riftibe8.S6) 2lm befannteften ift fein ©ilb einet fterbenben üDiutter, bie, bet ber Eroberung einer Stabt töbtlidj cerwunbet, noch für ihr jtinb fürstet, e0 möge ©lut ftatt 5Rileh au8 ihrer ©ruft einfaugen. ferner ein glehenber, beffen Stimme man faft gu hcren glaubt unb ein fehr berühmter jfranfer. biefen ©ilbern, beren ©egenftanb bie heftigften (Erregungen flnb unb bie unfer unmittelbarfteS SJiitgefühl erwecfen, intereffirt bie $erfon al8 beftimmteS 3nbi»ibuum nicht, nur ber 9lu8brucf ber allgemein menfcblichen tiefften Seelenempflnbung pacft unb er- füllt un8 gang. 2Bir hflben h*e* eine nothwenbige ©onfequeng unb gugleidj bie fchonfte ©lüthe jener mehrfach berührten pfpcho- logifchen Dichtung in bet Äunft be8 4. Sahrfj. cor un8, welcher ber mpthifd}* cber fonftige beftimmte 9?ame ber gigur gleich- gültig werben muff, ba fie nur bie allgemein menfdjlicben 8ei* benfehaften unb Slffefte barfteKen will. ©inen ähnlichen ©hfls rafter wirb ba8 ©ilb ber „Säger mit ©eute" getragen haben, wo ba8 gemüthlich ©ehagliche ber Stimmung ^auptintereffe ge- wefen fein mag. 9loä) anbre SESerfe, bie aber fchwerlich bem ©ente angehörten, flnb noch nicht hinlänglich aufgeflärt; bie „rennenben ©iergefpanne" flnb jufammenguftellen mit ben »on 9lifen gelenften ©efpannen be8 ©utedjibee unb fRifomacijoB, fo- wie mit bem SBerfe be8 9Relanthie8, ba8 ben Üprannen SlriftratoS

XI. 2«. 2«. 4 (189)

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feierte, bet neben bem Siergefpann mit fRife ftanb: aud) bet jenen ©efpannen be8 UriftibeS ftnb bemnach beftimmte SBejie» jungen auf (Siege ober bgl. »orauSgnfejjen.

SDafc Sietion bas ©entebilb einet ^odjgeit gemalt habe, ift feht gweifelhaft;5’) unb »on Sl U e @ wiffen wir nur, ba§ er Silber oon „Sterbenben" gemalt. 55o<h geht auS bem 3ufam« menhange, in bem bie Stelle bei ipiiniuS fteht (35, 90), ungwei« felhaft hetüor, baff Porträts gemeint finb; benn eS wirb bort StpelleS’ Sorgüglidjteit in bet §>orträtmalerei an oerfchiebeuen Sei’ fielen gegeigt. 5>ie patfyetijdje ^Richtung bet Seit tonnte leitet auf foldje ^orträtö führen, bie StpeüeS mit befonbrer Schärfe unb SBabrbeit bargefteflt haben wirb.58) 2) cm mütfyologijcben ©eure tann man fein Silb ber Artemis im Greife ihrer fchwär« menben unb jagenben üftpmpben gurechnen. Sod) wichtiger ift un8 noch fein berühmtes Silb ber „Serleumbung";59) benn auch bieS ift eigentlich bem ©enre angehörig, ba eS eine allge* mein alltägliche £anblung ; wie ein 3üngling oerleumbet wirb, barfteOt, allerbingS in faft nur allegorifchen Figuren. 55ie Ser« leumbung felbft, Unwiffenheit unb Argwohn, fReib, Sift unb $rug, JReue unb äöaljrheit treten alle in djarafteriftifcher fPerfonififation auf. 2tudj biefeS Silb ift eine lejjte (üonfequeng, ja ein abfchliefjen» ber -^öhenpunft jener Stiftung beS 4. Sahrl)- auf SluSbrucf ber bet ^»anblung gu ©runbe Uegenben jeelifchen Sorgänge, bie bagu führen muffte, einmal nur biefe inneren Sorgänge felbft im Silbe, in $)erfonififationen barguftelleu. So pertonificirt ISpeQeS alle bie ethifd?en Segriffe unb Stimmungen, bie bei ber ^»anblung einer Serleumbung unb ihren folgen »ermatten ftatt einen Wirtlichen eingelnen Sorgang in feiner ^Realität felbft barguftelleu.

2)och wie überall in ber hiftorijehen (sntmicflung , wo ein 9)ringip auf bie Spijje getrieben ift, ba aud) bet Umfchlag in

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rin neue® fitb oorbereitet, fo ift eS aud) fyier gu ISleyanberß ber 9tealißmuß, bie ÜDarfteUung beß unmittelbar 3Bitflidjen, tritt nceb mäfyrenb Slpetleß 3eit an Stelle jener abftraft ibealen SRicbtung , unb 3 trat in ber ftatuarifcben Äunft, mie wir früher jaben, namentlidj burdj gpfipp, bet überall Ülpefleß gegenüber* jtebt: legerer g. 33. malt SHejranber mit bem Slifce alß 3euß, mit ben IDießfuren als £)elioS unb ftrebt fo nadj sJlttßbtucf eines allgemeineren ©ebanfenß gpfipp bagegen geigt unß ben mirf» lidjen Stlejanber, ben füllen gröberer mit ber gange. 3n ber SRalerei aber ift fogar ber perjönlidje ©egner unb fltebenbufy» ler beß Slpefleß, ift eS Slrtti^ljiloS, ber guerft in bet treuen SDarfteUung ber niebern SSirflidjfeit fein Serbien ft fud?t, ber Segrünber jenes realiftifdjen ©enreß, an baS mir SJtoberne im- mer guerft benfen. @0 geigt er unS in einem 33ilbe bie 33er» arbeitung ber SBoHe, mo bie oerfdjiebenen Aufgaben ber eilenb arbeitenben 3öeiber in lebenbigfter, treffenbfter SEBeife cijaraFteri- firt rnaren. ferner böten mir non einem Änaben, ber baS $euet anbläft unb mo ber gidjteffeft beß feurigen Sßiberfdjeinß auf bem ©efidjte be§ Knaben unb ber gangen Umgebung allein baß 3n* tereffe außmadüe. gnblid) fc^lie§en fidj motyl am beften analog ber ©ntmicflung in ber fpiaftif bie unbatirten üftalet Ä'allifleS unb Äalateß an , bie in lleinen Silbern ©egenftgnbe auß ber Äomöbie, alfo auß ber niebern 3Bir!lid>feit, barftellten. 3ludj bie fog. „grylli“, farilaturartige IDarftellungen, beren Urheber äntipfyiloß mar, finb biefem niebrig fomifc^en ©enre guguredjnen.

Slntipljiloß aber mar für bie JRidjtung ber gangen folgenben ©iabocben * 3e»t in ber SRalerei com größten ©influffe, unb fo feljen mir, mie in ber Seit Sllejranberß alß editer EPetiobe beß Uebergangß, mo in $)olitif unb fogialen Serlsältniffen nidjt minber, alß in ber Äunft fidj Oteueß überall 33abn gu bredjen

4 * (i»j

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fudjt, »te tjier bie Berfdjiebenften SRidjtungen, bie eine ba8 9tltc ab* fdjliefjenb, bie anbre in bie Bufunft weifenb, neben einanber fteljen. ©ieB batf uns nid^t wunbern: wirb bech oft eine fommenbe ©poche in eingelnen $>et|6nlicf)f eiten oft länger Borger anticipirt, wie benn 3. 23. in ber Siteratnr ber gange Botte 9Uejcanbrtm8mu8 bereits in äntimadjuS nerförpert ift, ber fdjon um 400, gu einer Seit, wo freilich bet ^öfyepunft griechifcher ©iditung bereits »er* über war, aber eine gahllofe füienge fleiueret ©eifter bie einge* fchlagenen ^Richtungen nach allen ©eiten tyin weiter oerfelgten, im ©egenfafs gu biefen eine erft Biel fpäter blüljenbe ©idjtungS* art, bie gelehrte Berfünftelte SiebeSelegie anticipirte; erft ^MjiletaS Bon Ä08 gu @nbe beS 4. 3ahtl). folgte ihm barin.

23ecor wir inbe§ gu einer neuen ^eriobe übergeben, muffen wir noch einen SÖIicf auf baS unS auS ber ootliegenben @r^al» tene werfen. 2lu3 bem ©ebiete ber $)laftif wüjjte ich nur bie unS an ber Äarpatibenljalle beS ©re^eionS erhaltenen üRäbdjen gu nennen, bie, obwol ardjiteftonifch nerwenbet (waS wir bei ben anbern nicht BorauSfe^en bütfen), bod) auf gleicher Sinie fielen mit ben .Ranephoren unb Äarpatiben beS ^olpflet, 5>rajritcle8 unb ©fopaS, ebenfo wie mit ben Knaben beS 8pfioS: eS finb JRepräfentanten ber im ©ienfte einer ©ott^eit ftehenben ©attung Bon Snbioibuen unb biefet geweift, gehören alfo in jenen älteren ÄreiS beS ©enreS, baS Bon einem beftimmten äu* feeren S3eguge noch nicht frei ift.

33on SBerfen bet SRalerei finb wir burd? bie befannte „SH* bobranbinifdje ^ochgeit" im 23efifee einer Gompofition, bie wahr* fcfeeinlich ned) ber erften .Ipälfte beS 4. 3ahth- angehört.*0) ©aS 3utereffe beS trefflichen SSerfS gipfelt in ber gegenfäfelidjen Spannung gwifchen ber fdjüdjtern ängftlichen 33raut unb bem er* 0»)

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»artungSnell fyartenben 3üngling. SDet Äern ift alfo gang in baä 3nnen leben, in bie (Stimmung »erlegt. £>ie Unmittel* barfeit ber SDarftellung , mo jebe Serien jo gang oon fiefj unb ihrer Aufgabe erfüllt ift, bie unS fo nab berübrenbe rein menfeb* ließe Raffung beS ©angen ruft einen munberbar batmenifeben ©inbruef im Sefdfauer ßetPot- ©agegen finben mir feßon in ber ^oeßgeit ber 9tbo*ane »on Sietion au8 bem ©nbe beS 4. 3abrb- jene 3Seräußerli<bung in pifante Situation unb namentlich bureb bie gablreicben ©roten einen allgemeinen ©ebanfen, baß auch SlleranberS betoifebe Äraft oon Siebe beftegt fei, furg eine fpie» lenbe Sefcßäftigung beS SerftanbeS ftatt unmittelbarem ©rgreifen ber fBMtempfinbung.

©inen unenblicben fReiebtßum »on 5£>arftellungen auS bem SlUtagSleben bieten unS bie fo gablreicben Safenbilber; mit fönnen fie babet hier nur gang im ©roßen nach ben $aupt* gegenftänben unb ^auptrießtungen betrachten; benn ein ©ingeben in baS b*Et fo unenblicße fDetail mürbe ein eigenes Such erfot* bern. 2Bit faffen gunäcßft in eine ältere ©ruppe bie Silber beS fog. ftrengen unb beS gwat frei feßönen aber noch gemäßigten Stils gufammen. SSaren in ber nötigen fPetiobe äftieg unb Äampf ^auptgegenftanb , fo tritt bieS jeßt gurücf unb eS wiegt bie |)aläftra, bie ©arftetlung ber gpmnifcßen Uebungen unb SSettfämpfe weitaus oor. Ueberßaupt ift ber Serfeßt ber BJiän* net unb 3ünglinge unter ficb unb miteinanber ber beliebtefte @e» genftanb, wo auch erotifebe 33egießungen häufig beroortreten; aber auch mufifebe Sefcbäftigungen , Singen, Seiet* unb ^lö* tenfpiel, baS Sernen ber 25i<bter bureb bie 3ugenb wirb oft bar» gefteüt; ebenfo bet ÄomoS, b. ß. baS nächtliche Schwärmen nach einem ©elage, unb noch öfter biefe ©elage felbft, wo man nicht feiten beftimmte Flamen, oft oen berühmten SDicbtern unb

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5Rufifern beifdjteibt,61) um ber allgemeinen IDarftellung einen inbioibueOeten 9iet3 gu geben ein ©ebraucp, bet in biefer Beit fe^r beliebt ift, unb auch bei ben ntc^t feltnen ©arftellungen »cn SDpferfcenen oorfommt.6*) 2)a6 gtaucnleben tritt im Allgemeinen noch feljr jurüdf, bod) wirb e8 häufiger mit ber guneßmenben greißeit beö @til$. SDic £ocb3eit wirb jeßt meift nidjt mehr in ber früheren feierlichen Seife ju Sagen bärge» ftellt, feitbcrn man legt baä ©ewidßt auf innerliche SJiomente unb bie 3a9^aftigfeit ber betmgefüßrten ©raut ift ba? .fpaupt* intereffe. Um bie Siebe eine« SünglingS gegen ein SKabcfaen 3U t^eicßnen, bat man ben fcljr beliebten SpputS ber ©erfol* 8 ii n g , ber in gan3 gleicher Seife aud) gur IDarftellung ber Siebfcßaften bet ©etter unb Heroen bient. Aud) bie 5)arfteflun= gen ber 3agb werben mandbmal burd; ^injufügung ßeroifchet tarnen in baö ibeale ©ebiet geriidft, ebne bodj beftimmte mp» tßologifdje Scenen barftellen gu wellen.6*) @eßr häufig f<h«t* bert man ben Abfdbieb ber jungen fDlänner eon ißren ©Itern, becb nicht mehr in ber alten pomphaft äußerlichen Seife be8 AuSgugö 3U Sagen ; eielmebr ift aud) hier ein neuer $ppu6 ge» funben, ber bie gemütblichen ©tomente beroorbebt. 3n ber fRe* gel uemlich bietet Butter ober ©cßwefter ober ©raut bem ©cßei* benbcn ben Abfcßiebötrunf, waßtenb ber alte ©ater ©rmaßnungcn mit auf ben Seg giebt. SDiefer allgemeine, unendlich »ariirte £ppu$, bem man mitunter beliebige Flamen beifchreibt,64) ift and) für bie SDarftcDung aller mptbologifcben Abfdßiebef eenen buteßauö maßgebend Ueberbaupt ift bie .^errfeßaft beö 5£ppi» feßen, nach bem ©ottlicheö wie ©lenfcßlicbeö gleichmäßig ge* ftaltet wirb, in biefer fPeriobe noch »on größter Auöbeßnung; auf ißre Gjntfteßung auö jener älteften 3«it ber rein menfcßlicben .Runft würbe früher ßingewiefen; fie fteüte ben ©runbfaß feft,

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auf ben feie gange griedjtfdje Äunft ftd^ ftüfct: nicht bie ©ott* l?eit gu oermenfchlichen, fonbern, tote unfet fDtotto treffenb fagt, ben SNenfchen gu oergöttern: nicht baS Unfaßbar» llnenblicbe »iß fie herabgiehen, befcpränfen, nicht mit bem 3nber bag göttliche SBefen in oielatmigeu, oielföpfigen Ungeheuern auS» gubtücfen fudjen, nic^t ber begmatifch=religiöfc Snljalt, fonbern baS einfach €0?enfdhlicE>e ift erfteS Biel ber griechifchen -Jfunft, ba8 menfchlicfce SBefen, 2hl»n unb Reiben, bieö ift eS, baS bie Äunft gum 3beal geftaltet. 3Ba8 ift bem Äünftler 3eu8 anberS als Äönig unb Sater ober 5)emeter anberS als mehmüthige SJtutter, ihres ÄinbeS beraubt? SDeS^alb beginnt bie ^ellemfdhc Äunft mit bem ©eure unb am rein SfJtenfchlichen bitbet fie fich bie 2ppen, benen ber motljifche, göttliche 3nhalt ftd? gu fügen hat. Slm ©ingange ber fthulmäfjigen ©ntwicflung ber $)lafti! in ©rie« hentanb flehen jene ätteften tSpotlofiguren (non £enea, Drcho« menoS u. f. m.): »®n8 »iß in ihnen ber Äünftler anberS, als einmal ben mefentlidjen Sau eines ruhigen nacften 93tenfd)en, fo gut er eS oermag, barguftetten? 3ebe anbere, barbarifche Äunft aber hätte hier baS bogmatifche SBefen beS ©ottcS, fei eS burch einen S£l?ieTfcpf ober fonft eine Ntonftruofität auSgu* brücfen gefugt: allein unb guerft ber -fjellene toagt eS, benSOten* fhen gum ©otte gu erheben.

35 och, um Su unfern Safen gurüdgulehren, fo tritt eben in ber SluSbilbung jener feften, allgemeinen, für ©ötter toie 2Jicn* fhen geltenben Sippen bie burdjauS ibeale fftidf'tung beS fünf« ten 3ahrh- in» ©egenfafce gur fpöteren 3eit am llarften hereor; benn nicht bie febeSmal neue Nachahmung eines ©ingelfaftumS toirb unS geboten, fonbern bie 3)arftellung eines auS biefen ©in« gelfalten bereits abftrahirten gemeinfamen üppuS.

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5(18 jweite #auptgruppe überblicfen nur bie Silber be8 fpä» teren, malerifcheu (Stils , bet nach bei» jpauptfunborte auch als unteritalijch begeit^net ju werben pflegt. 35a8 (Recht, biefe Söetfe, bie wir nach ber gewöhnlichen Stnfic^t erft in ber folgen» ben $)eriobe $u betrauten Ratten, fchon Ijier jur Seranjchau» lichung »orhelleniftifchet Äunft, namentlich be8 4. 3al)th- herbei» jugiehen, h^e i<h in einer anbern Schrift („SroS in ber Safeu» tnalerei." SJlnnchen 1875) ju erweifen gefucht. 35a ba8 .panb» wer! bet groben Äunft immer in beträchtlicher (Entfernung folgt, fo treffen wir auch in ben zeitlich fpäteren Safen frühere (Rieh» tungen wirfjam.

3m ©egenfajje ju ber oorigen ©ruppe ift hier bie 2)arftel» lung be8 grauenlebenS ber weitaus übetwiegenbe unb belieb» tefte ©egenftanb. Sille Sefchäftigungen ber aRäbdjen werben bargeftedt, befonberö aber bie Toilette, ba8 Sab unb ihre barm* lojen Spiele; aber ber eigentliche Slngelpunft adc8 weiblichen SBefenS bleibt immer bie 2iebe, wie benn (Ero8 ber ftänbige Segleiter ber SOiäbchen ift unb 2iebe8fcenen au8 betn Ser* lehre mit ben SOiännetn unzählige SDRale bargeftellt werben. iDiefe Sorliebe für ba8 grauenleben ftimmt »odfommen überein mit ber SRidjtung be8 $)ra;ritele8 , ber ja auch hie weibliche Sin* muti) gum ©egenftanbe mehrerer SBetfe machte. Sor biefer junehmenben Söeichlichleit oerjchminben bie 35arftellungen ber ^aläftra unb ©pmnaftif faft ganj; wohl aber finb Silber ber ©efage bet SRänner noch häufig, hoch fpielen auch babei je$t bie erotifchen Schiebungen 3U ben (Diäbchen eine jpauptrode.

©ine intereffante ©attung finb bie Slttifchen ©rablefp* theu,65) ©efäfje für bie Üobteu mit hierauf bejüglichen SDarftedun» geu. Söährenb bie älteren ftrengeren Silber nur ben .pauptoorgang, eutweber bie Älage um bie auSgefteliteu lobten ober bie Se»

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flattung barfteQen, geigen bie fpäteren auch ^ict einen milberen, anmutigeren üppuS, inbem weiblich garte gürforge, ja fogat 8iebe8 oex^ä ltni ff c baß .pauptintereffe bieten. 9Jtau fteüt nemlid) bat, wie bie ÜJläbchen baß ©rabmal mit ©inbeu jchmütfen unb burdj ©penben ben Sobten ehren; oft fommt ein manbetnber Süngling h«$u unb fragt baß SDRäbdjen nach bem SSerftorbenen, woburdj gefdjirft ber 9iad)ruhm angebeutet wirb, aber auch bie Slnfnüpfung non Sicbeöüerljältniffen unter ben beiben jungen Leuten nicht außgefd)loffen ift.

©ine anbere ©attung wirb burd) fleine unb gierliche ©e* fäfce gebilbet, bie, meift für .Rinbet beftimmt , auch itjre 55at* ftetlungeu bem Äinbetleben entnehmen. 5)ie Äinber (faft nur Änaben, weld)e bie antife Äunft überhaupt oor ben weib* liefen .Rinbern aufß entfehiebenfte beoorgugte) fauern unb frieren auf bem 33oben ober fpieten mit bem SSägeldjen, einem Ä'ruge, Stpfel, (pünbdjen u. bgl.66) SBir werben lebhaft an jene 23ilb* d)en beß $)aufiaß mit ben „Rnaben" erinnert. Berner oerge* genwärtigen unß biefelbe Dichtung gasreiche fleine Serracotta* figütdjen, bie in ^armloß einfacher SÖeife bie .Rinbet meift mit ihren fiieblingß Rieten befefjäftigt barfteUen.67)

^Dergleichen wir nun bie g ei ft i ge Sluffafjung unb 33e* hanblungßart jener SDafenbilber beß malerischen ©tilß mit ben älteren, |o machen fidj hier wesentliche 33erjchiebenheiten fühlbar: cot Sillen treffen wir eine bebeutenbe Senbeng gut SSerallge» meinerung, he^orgegangen auß jenem fdjon mehrmals berühr* ten Streben nach pfpthologifdjer fERotioirung beß 2)argefteUten. SRamentlich bient bie fo ungemein beliebte ©infühtung beß ©roß in bie ©eenen beß gewöhnlichen £ebenß bagu, tiefen einen all* gemeineren ©harafter gu oerleihen, ©in 33eifpiel biene gut SBer* eutlibchung: mehrere altertümliche SDajen68) ftellcn Brauen bar,

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bie ein SDoudjebab nehmen, unb wie lebenbig, braftifd) unb in» bioibuell ift ^ier jebe ^Bewegung, baß Sieiben unb gegen bet non reichem SBafferftrahl erquicften ©lieber, wie baß Stußwinben bet triefenben |)aare! Sergeblich {uc^en wir in ben fo gabt* reichen fpäteren Sabejceuen nach ähnlichen lebenbigeu ÜJiott'pen; ba ift alle§ niel allgemeiner unb man fiel)!, baß nicht mehr bie bloße äußerliche ^janblung baß 3ntereffe beanfprucht , fonbern mehr bie gu ©runbe liegenben allgemeinen ©ebnnfen unb Stimmungen : namentlich bnreh ©roß werben bie ©über gu einet allgemeinen Serherrlichung weiblicher Schönheit. 3a fch on im gang \Meufeerlidjen geigt fid} biefe Serfchiebeuheit ber SÄuffaffung: Waßrenb auf ben älteren Sajcn bie £anblung immer in einem burdj gasreiche ©eräthe an ber SBanb unb bie gange 9tußftat» tung inbimbuell djarafterifirten fftaume uor fich geht, finbet fich in ben fpäteren »iel mehr Spmbolitdjeß unb 9lnbeutungßtrei[eß; bie giguren fißen fehr oft einfad) in ber guft unb bie aDge« meinen, nichtßfagenben Äränge ober Sterne erjeßen jene inbioi» buelle Slußftattung ber SBänbe. 3Mefe Stiftung aufß SlUge» meine, bie befonberß bcutlid) noch in einer JReihe »on Stilette* feenen l)ert>crtritt , bie eigentlich eine geier ber grauenfchönbfft überhaupt begweefen, erreicht nun ihre höchfte Steigerung, wenn ber allgemeine ©etjalt bet IDarfteUung burd) 3nfchriften, bie Segriffe begeichnen, angebeutet wirb.69) 3m 3ufammen* hange bamit fteßt baß aDmälige Serfdjwinben beß Shpifcßen, baß früher eine fo bebeutenbe ^etrfdjaft außgeübt hatte. @ c gewinnen wir einen neuen begeidjnenben ©egenfaß gur älteren ©ruppe: bort wirb ein allgemeiner, feftcr SEppuß burd) 3n* fchriften inbioibualifirt, h iw wirb ein beliebig ©ingelneß eben baburch »erallgemeinert, bort nur reine 2)arfteDung einer J^anblung, h*er foH ned) «in ©ebanfe h«b»dreten. @o

(!»S>

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Betbünben ftch 5)langel an ibealer ©eftaltungSfraft unb ein Heberwiegen non aufcerhatb beS ©egenftanbeS liegenben aUge* meinen ©ebanfen, um bie Äunft allmäljlig »on berjenigen $öhe herabgugieben , ber gang wie in ber $)oefie nur bie un* mittelbare, reine, gwecflofe SDarftellung unb ©eftaltung eines ©egenftanbeS f e 1 b ft baS 3iel ift, einer £6l)e, bie freilit^ nur bie 3ett beS fPhibiaS inne batte. 25ie IBafenbilbtr aber geben un§ eine reiche Slnfchauung een ber langfam gerftörenben SBir» fung jener Elemente , woburd) mir eine törücfe gur folgenben tjetTeniftx jcben ^eriobe gewinnen.

9iut gang furg fei bie 33eränberung ber Sluffaffung mptho = logijdur (Stoffe burd) bie fpätern SBafen angcbeulet. ©urdj bie »er allem nad) SluSbrucf ber pfndjologifchen fDlotiee ftrebenbe Stuffaffung werben auch fie immer allgemeiner unb nähern ftd) bem ©enre; bie ©ingelhanblung wirb gu einer allgemein menfch* Heben unb mufe als ffolie eines allgemeinen ©ebanfenS bienen, teaS man befonberS burch ©tufühtung uerfdnebener, nicht ftreng gur ^»anblung gehöriger ©ottbeiten gu erreichen f «d>t, non benen manche, wie Slpbrobite, ©«8 unb bie ©rinnen meift nur $>er* fonififationen pfpchifcher 91 ffefte fein feilen, ©benfo bienen gur Seratlgemeinerung jene bie freie Slatur begeiefanenben ©atprn unb aud) bie een nun an fo häufigen Slmmen unb S)äbagegen. SSiele ®arftellungen, wie bie beS S)ariSurtheilS eher beT Sofage fprechen jefct beutlich ben allgemeinen ©ebanfen eines Triumphs bet giebe aus. 9Xm weiteften in biefer Dichtung gunt ©ente geht aber eine Stofe auS ÄameiroS in fRh°beS, bie bureb bie Kühnheit, mit ber fie beu Stoff geftaltet, ber großen Äunft näher fteht, als bie übrigen; fie wagt eS nemlich, mit ber feften Urabition gu brechen, nur um ein neues, veigenbeS fOfotie gu gewinnen. SluS bem früher in aller mpthologifchen Söunber*

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barfeit bargeftellten Kampfe be8 $)eleu8 mit bet fidj »erroan* belnben Sl^etiS macht fte eine Uebervafchung babenbet fjftäbdhen burdf ben giebenben. 25afe eine »erwanbte fRidjtung tu bet gro&en Äunft fd)on frühe angefdjlagen »utbe, jeigt un8 BeupiS, bet beutlidj nach 23eratlgemeinerung bet (\^araftete ftrebt uub in biefem ©imte au8 bet Srabition neue Situationen heraus* arbeitet. Stuf bie Süafen fcheint biefe fRidjtung be8 3eupi8 »ou gtofcem ©influfj gewefen gu fein, toenn auch bie fühne (£onfe* quenj be§ obigen S?eifpiel8 ju ben Ausnahmen gehört. 25och in einet unfern 93afen »ollfommen entfprechenben SBeife genügte fdjon Striftophon, ber jüngere SSruber beö $)olpgnot, bem bereits allgemeinen 23ebürfnifj nach pfpthologifdjet SJtotiuirung.70) 25a* gegen fonnte 9>arrhafio8 mit feiner feinen inbioibuellen G^haraf* teriftif- für bie SBafenbilbet »on feinem ©influffe fein.

SEBir fönnen biefe $)eriobe nic^t oerlaffen, ohne noch ein

SBort ju fagen über bie JHttifdjen ©rabbenfmäler, beten

fcfaönfte Sippen ja au8 bem ©nbe be8 5. uttb bem 4. 3ahrh-

ftammen. ©ie gehören infofern hieher< als alles $)ortrathafte

fehlt, uietmehr bie 2)arftetlungen git allgemeinenGharafter*

bilbern be8 menfdtlichen SöefenS nach ©efchledjt,

Sllter ober 2^ efchaftigung oerallgemeinert finb. @o rnirb

bet einer $rau balb ihre ©djönheit, inbem fie fich fchmücft,

halb ihr SJlutterfein, inbem fte ihr Ä'inb ^erjt, balb il)re gami*

lientreue, inbem fie bem ©emahle burd? .jpattbfchlag al8 ewig

oerbttnben erfcheint, als ihr SBefen be$eichnenb herausgehoben.

©bcnfo bei SOtännern unb Süngliugen, bie balb mufifchen, balb

gpmnaftifcbeit Sßefcbaftigungen ergeben etfd)einen. lieber 2lllem

aber liegt ein ^pauch ber SSehmutl}, ber an bie tüergänglichfeit

be8 Srbifdjen erinnert, ber un8 jebod> nicht verleiten barf, in (100)

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liefen nur baß SBefen beß SBerftorbenen, nidjt feinen ©ob bar* fteflenben ©enfmälern .jufaßig momentane ©eenen, feinen Ab* fc^ieb nom Leben u. bgl. gu erfennen, mie bieß bei unfrer mo* lernen Steigung gu momentan realiftifdber Auffaffung oft ge* fdjieht71)

@o ftnb mir benn enblidj bei ber ©ntwitflung angelangt, anf bie unß fdjon fo SDtandjeß oorbereitenb Ijinwieß, bei ber hellen iftifdjen, nadj Alejcanbet unter ber £errfdjaft bet ©ia* bodjen geübten Äunft. ©a§ ©enre gelangt burdj fie gu einer neuen, bebeutungßnoflen ©ntwidflung, inbem non aßen ©eiten burdj bie fidj ueu begrünbenben 3uftänbe unb Anfdjauungen begünftigt »arb. 93or ABem gefdjalj baß burdj bie fid? immer meljr ooügieljenbe 3«fe$ung unb Auflöfung ber ^Religion, bie, gwar fdjon non ben ©Driften »orbereitet, bodj erft jefct in einem ©uemeroß (um 300 o. S^r.), bet fiiljn aße ©öltet für witflidje tjiftorifdje SJtenfdjen erflärte unb mit biefet Sietjre non größtem ©inßuffe war, iljre »oße £6lje erreicht. ©ie teligiöfe Sebeutung unb baß SSefen bet alten ©Otter unb SJtptljen, bie corbem bie Äunft mit reidjem Snljalt fußte, tonnte jefjt biefe S3ebeutung nidjt mehr beanfprudjen ; nielmeljt wie audj in ber Literatur bie nom alten 33otfßglauben getragenen ^auptgattungen, baß ©poß unb bie ©ragöbie »etfdjwanben , um ber gelehrten ©idjtung eine« Äaßimadjoß $>lafj gu madjen, bie nur nodj „bie Beinen Stammen beß ©emüt^ßlebenß , ber populären ©eleljrfam* teit, ber @enre»33ilber auß Antiquitäten unb SJlptljen" (SBern* batbö) außfüßte: fo weichen auch in bet Äunft bie großen, auß bem aßgemeinen religiöfen 23ewu§tfein geftalteten Schöpfungen ben inbinibueßen Liebhabereien ber Zünftler, bie, nicht mehr an

baß SBolf, nur an ben Äreiß ber „©ebilbeten" fidh wenbenb, mit

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ihrer Subjeftioität (gffeft gu machen ftreben. Unb bähet fam eS, ba§ man, wie mir fdjon früher bei Sofipp gu betrachten (Gelegenheit hatten, bei ©ötterbilbungen, ftatt ihr teligiöfeä Söefen barguftellen, jefst Bielmehr ihnen eine gufäüige ©rtegung, eine momentane, menfchlich intereffante Situation gu geben fudhte. ©benfo wählte man fi<h in ber ©arftellung mt>ttjifc^cr Stoffe, ftatt ben eigentlichen ätern berfelben gu treffen, mit Sor* liebe irgenb eine allgemein tnenfcbliche, empftnbnngäBoHe Situa* tion auö, gu bet bann ber 9)lothn8 nur bie §olie bilbet. 35ie Gantpanifchen SBanbbilber bieten gahlreiche Seifpiele bet 3lrt,72) wo nicht eine £anb(ung, fonbern ein 3uftanb, eine all» gemeine Gmpfinbung ohne mnthifche Sebeutung bargefteUt wirb; wie wenn ber bei ülbmet bienenbe Slpoll bie Seiet fpielt unb jener al8 ^)irte ihm laufest, wenn $)ati8 auf bem 3ba feine beerben weibet, wenn 9lboni8 bei Slphrobite rul)t, Gtnbpmion fchlafenb baliegt, SarfiffoS in traumerifche Siebe oetfunfen am Sache ruhenb liegt, wenn 9)erfeu8 unb 3lnbtomeba liebenereint ba8 im STBaffer fich fpiegelnbe fDlebufenhaupt betrachten, ober wenn gar (Spott ein fBläbd&en auf feinem Schoofje im .Rithnt* fpiel unterweift, ober Sterin im Bette bei $)atroflo8 unb gwei SDtäbchen fich mit ÜJlufif unterhalt, ober $)ati8 al8 echter Ser* liebtet ben tttamen feiner Oinone in einen Stein tratst u. 31. 9lo 6) auf ben Safenbilbern fommen berartige SDarftettungen nicht not, obwohl fich gerabe in ben jpaiern Safen ein Uebet* gang hiegu nachweifen läfjt : ihr Streben nach Setallgemeinerung, il)t ©utdjbenfen ber Stoffe oom |>ft>dhologifdhen , allgemein* tnenfchlichen Stanbpunfte au8, ba8 fie gwat bagu führte, au8 ber Jpanblung einen allgemeinen (Gebanfen hrrar^äaentwicfeln, aber nie fo, bah Äern unb Söefen eines beftimmten mpthifch611

SorgaugS barunter litten ober gar ignorirt worben wären

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all bie8 mufjte »orangenen , um jene Steigerung in ben l)elleni» •djen Silbern möglich gu machen, bie einem allgemeinen ©ente* metin gu Siebe auf ©arftetlung be8 JfernS ber Sage üergid)ten.

2>a§ nun aber eine foldje SRidjtuug ber Äunft bem ©eure überhaupt ben größten 33orfd)ub leiften mu§te, ift flar. Unter ben bie Slrt biefeS neuen ©enteS beftimmenbeu Betören aber gebührt bem immer weiter gveifenben 9teali8mu8 bie erfte Stelle: bie in biefer ßeit ermattete unb erjdjlaffte ibeale ®e* ftaltungöfraft fteigt fyetab gnm Unmittelbar*2Birf liefen unb et* greift bieö in all feiner gufälligen 9leufjerlid)feit. @8 ift biefelbe (Sntwicflung, wie in bet 9>l)ilofopl}ie unb 5Biffenfd)aft: nacfjbem bie Sopfyiftif aOeö 9llte, burdj Ueberlieferung @el)eiligte in grage geftedt unb ein neues tDurdjarbeiten unb ©iotii'iren oon innen ijetauS neranlafct batte, fo fielet man jefct erft, wie wichtig bie ©rforjdjung ber realen 2Birftid?feit ift unb ftrebt jetjt Bor 9t dem nach empirifd) pofitioen Äenntniffen unb fBiajrimen für'8 praf* tifd^e Seben.

3n ber .funft fa^en wir fcfyon Spfipp mit biefem -£>erab* fteigen gum äßirflidjen »orangenen, tiid^t minber ben SRaler tSntipfyiloS, beffen @influ§ für bie golgegeit Bon größter Sebeu* tung war; benu baff e8 getabe bie jefct aufblü^enbe Äabinetö» malerei war, bie, bem SlntipfyiloS folgenb, jenen SRealiSmuS gut fjödjften 5Ku8bilbung führte, liegt in ber SRatur biefeö Äunft* gWeigeS. So hören wir Bon einem ^fjili8!o8, ber ein SJlaleratelier unb barin einen ba8 gener anblafenben Änaben, alfo ein jenem SBerte beS SntipbiloS fe^r BerwanbteS 33ilb malte, bei bem bet Sicfyteffeft unb bie realiftifdje Umgebung ba8 3nter* effe auSmadjte. SimoS73) ferner ftellte eine SBalferwerfftätte bat, wo man gerabe geiertag machte; Qtttjenicn malt einen 3ieit* fnedjt mit bem ^fetfce, SftealfeS etwas 9lel)nlid)e8: einen SJtann

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ber burcfa ©cbnalgen ein §)ferb gu befänfttgen unb guriidgubalten fuchte, geonti8fo8 enblid) malt eine £arfeniftin. SBäbrenb jebod) biefe fötaler fi<b auch noch auf anbern ©ebieten betätigen, fo giet}t $>eirciifog bie lefcte ßonfequeng au8 ®ntipl}ilo8 Dichtung, inbem er ficb auSfcbliefjlich auf biefe Äleinmalerei ber unbefceu» tenbften, niebrigften ©egenftänbe warf; in tecbnifd} be<hfter SeQ* enbung malte er Barbierftuben unb ©chufterwerf ftätten , ferner ©felein unb auch blofjeS ©tillleben, wie ©fjwerf unb 9lebnlicbe8. SDiefclbe ©rfcbeinung finben wir auch in einem anbern Äunft* Treife : bet Galater §>t)tbea8 cifetürt an flehten Srinfbetbern Figuren non bedien unb allerlei berartigem auf ©ffen unb ütrinfen Següglichem. 3wat ift un8 bie 3eit biefeö ÄünftlerS nicht überliefert, bod) fann er, allen Analogien gufolge, nicht ftüber als in bie beöenifche 9>eriebe gefegt werben.

Unter ben erhaltenen SBerfen fommen biefer ^Richtung einige ber nor nicht langer Seit in Sanagra in Söotien gefunbenen Serrafotten, namentlich bie gwei in ber Slrchäolog. 3eitung 1874 t. 14 publigirten Statuetten, »oit benen bie eine wabrfcheinlich einen Söder75*) barfteflt, ber, auf einem niebrigen ©teine fifjenb, feeben etwa? gu fRoftenbeS auf einen fleinen, übet glütjenben Äefylen ftebenben fWoft legt, wäbtenb et auf ben Änieen ba8 Brett hält, auf bem er bie Brebe formt; er felbft ift bei bem heifjen ©efchäfte gang unbefleibet unb eifrig in feine Arbeit net« tieft. Gbenfo au8 niebern ©tönben unb bem alltäglichen geben gegriffen ift ba8 gweite ber genannten SBerfe, baSfelbe Shema befeanbelnb wie ^peiräifoS in feinen Silben : ein einfadjer, ebt* famer Bürger läjjt fi<h bie .fpaare f^neiben; er bat ficb, nicht anber8 al8 bei ttn8, in einen langen weiten fötantel gehüllt unb fit}t nun ruhig gebulbig ba, aber nicht in fich »erfüllten, fonbern in fteter (Erwartung, bis ber hinter ihm ftebenbe ©flace mit

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bem ©efcpäfte fertig fei; bem eilt e8 aber gar nicht, mit ber faltblütigften {Ruhe fcbeert er bie paare nach einanbet ab; in feinem wohlgenährten, »ollen, gleichgültig ftumpfen ®efid)t haben wir wohl ben ed}ten SppuS eines SöoterS, wie ihn uns bie Stilen fcpilbern. 2)iefe Schärfe ber ©harafteriftif, biefe bei aller {Ruße lebenbige panblung ift aber mit ben eiufachften {Kitteln eneicht: ber Stil hat etwas S)erbe8, SolfSthümlicpeS, namentlich finb bie etwas gu ftarfen unb großen Strme unb Äöpfe ju be* metfen; leßtere zeichnen ftd) noch befonberS burch ben prächtigen, ecptgriecbifchen Sdjäbelbau auS. Sluch einige anbre ©tücfe jenes Sunbefl in Slauagra gehören hieh*G fo ein alter, fahler Settier, ber ftch auf einen berben Sungen ftü^t, eine alte Slmme mit einem Säugling u. bgl. Uebet bie Beit ber ©ntftehung biefer SBerfe läßt fi«h Ieibcr nichts ©ewiffeS fagen; boch werben fie fdjwerlich in »oralejranbrinifche 3eit fallen, wegen beS {Realismus, ber feine {Blotiöe auS bem niebrigften aBtäglidjften geben greift (eine lofale ©ntwitflung fönnte inbeß SRancheS antiäpirt haben). SlnbrerfeitS barf man fie nicht zu weit hinabrücfen, ba ihr ganzer ©harafter auf bie gute Äunftjeit weift. 2>ie erhaltenen 2Banb» bilber, mehr auf anmuthi&e flüchtige ©eforation berechnet, als jnt {Racpahmung feinet ©abinetSbilber geeignet, bieten leibet nur wenig in bie befprochene {Richtung ©ehörigeS. {Äußer ben Zahlreichen Stillleben fann man etwa h'«her japtcn baS Silb eines Sarbaren, ber mit einet petäre z«ht, bie il)n gu Überliften fudjt; ferner bie gang realiftifch gehaltnen Silber, bie Schau» fpielet unb {JJtufifer barfteBen, ferner bie Äomöbienfcenen. 3n fehr niebrig charafteriftifcher SBeife finb aud) bie ©emälbe ge» halten, bie ($)pgmäen) in »erfchiebenen panblungeit beS

täglichen gebenS barfteBen.74) ©och bie ©ampanifepen SBanb» bilber foBten ja nur einen gefäfligen Sdjmucf ber SBopnräume

XU 245. 24«. 5 (SQi)

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bitten, natürlidj warfen fte ftd) bafyer mit größerer SBerliebe auf bie ibealiftrenben Silber ber anmutigen IRidjtuug, bie audj iljrer flüdjtigen befcraticen Jesuit meljr entfprad^en. SBir ftn* ben batjer befonberS junge 9Räbd?en in anfpredjenben , freunb* lidjen Situationen bargeftetlt; Ijarte unb niebrige üDarftetlungen aber pflegt biefe anmutige 2)eforation8weife meift gu ibealiftren, tnbem fie ©roten unb$)f»d}en gu Prägern berfelben madjt; benn biefe fiub bereits fo fetjr atlen motljologifdjeH 93egtiff8 entfleibet, bafe man ifynen alle meglidjen täglidjen ©efdjäfte auferlegeu fonnte.75)

33on größerer SSidjtigfei jebod) ift eine anbre ©attung be8 ©enre8, bie wir als bie fpecififd) tyelleni fti f dje begeidjnen muffen, ba fie eben nur au8 ben 3«ftänben biefer 3e*t ftdj er* flären läjjt.76) 2>ie Umwanblung ber meiften Staaten in SRonardjien fyatte nemlidj bie weittragenbften folgen. Söar früher jeber {Bürger ein ganger SRenfd) unb war er nur um beS Staates willen unb burd) ben Staat ben er regieren Ijalf, ba, fo fällt jejjt, wo ber ©ingelne ofyne nähere Scgiefyung gut {Regierung nur auf feine $>ri»atintereffen angewiefen ift, unb fo* gar foSmopolitifdje Snfdjauungen um fid) griffen, alles ©ewid)t auf ba8 ©ingelinbioibuum , ba8, um fid) gu erhalten, burd) größere 2hbeit8tl)eilung fid) immer einfeitiger auSbilben mufjte; furg e8 fonberten fid) bie Serufe ungleich fdjärfer als früher, unb man ift jejjt nid)t mefyr in erfter Üinie SRenfd) unb Bürger, foitbern erft Solbat, Beamter, ©elender u. f. w. 55ie ge* meinfame IRidjtung ber Steile gum ©angen t)at aufs gehört, jeber ber Steile bilbet fid) für fid)felbft nad) eigner Sßeife au8unbe8 entfteljt eine feine Sonberung in 3nbi»ibua* litäten, ein Subje!tioi8mu8, »on bem bie frühere 3«t

feine Sltynuug Ijatte unb ber an ba0 SRoberne ftreift. 2)odj ba8

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fRaturgefejj legte in Seben ben $rieb, fid) gum gangen unb »ollen SERenfchen auSgubüben; wirb er baran bebinbert butch bic SJerhältniffe unb bag war in biefer 3«t bet j^all , jo fühlt er bieg halb fchmetglich unb aug ber tief empfunbnen Einfeitig« feit ber eignen unharmonischen !Hu8bilbung entfpringt eine ©ehn« fudjt nach bem wag man nicht ift. SDaber erflärt ficf) bag Sntereffe, bag man jejjt an anbern ^Berufen nimmt, bag Sntereffe an anbern fdjarf ausgeprägten Snbieibualitäten, ba8 wir in ber Äunft biefer Seit finben: e8 ift bet 5£rieb, ba8 ein» feitige ©elbft aug grembem gu ergangen. 2)e<h wag fehlte ^iet am meiften, wo bag geben ftd) immer mehr in großen ©täbten fengentrirte unb bie fogialen IBerhältniffe fid) unfern mobetnen näherten? 91 a tut unb Unfdjult waten aud) hier entwichen unb nach ihnen «erlangte man feljnenb gutücf. ©o ift eg S£bat* fache, bafj bag fRaturgefühl ber fyeOeniftifdjen 3eit eine bebeutenbe ©djweufung gut mobernen fentimentalen Sluffaffung machte;77) bod) am beutlidjften fpricht für jene ©etynfudjt ein ganger gite* raturgweig, baö 3 b v> 1 1 , bag feine ©toffe uorwiegenb aug ben niebern greifen bet ganbleute, Ritten, Säger unb Sifchet nimmt, bie, aug bem Sufammenfyange mit bet fRatur noch nicht legge« riffen, ben überbilbeten ©täbter alg SÖilb beg erfehnten, einfad) natürlieben 3uftanbc8 befriebigten. fRur bie SEöatjl beg ©toffeS jeboch geigt ben fentimentalen 3ug; bie üDarftelhmg felbft ift, wenigfteng bei J^ecfrit, ooll »on gefunbem JRealigmuS. SSud? bie Äunft bemächtigte ftd) jetjt biefer ©toffe, namentlich bet Wirten unb ftifdjer mit großer SBorliebe. geibet mangeln un8 gerabe hiftüber beftimmte fRadjrichten ber ©chriftfteller; boch ba ung aug früherer 3«t gar nichts StehnlidjeS befannt ift, fo fcnnen bie Originale beg gahlreich Erhaltenen nur in biefer %)t= riebe geiucht werben, in ber fie allein gu begreifen finb. 9lu0

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9>liniu8 (35, 25) f ernten wir nur ein biehetgehörigeS ©emälbe, ba8 eineö alten Ritten mit bem Stabe in ber Jpanb. (Sine bat« angefnüpfte 3lnefbote ift fefyt begeicbnenb: bet ©efanbte ber Sleutonen nemlid) foll auf bie grage, wie ho<h er e8 fcbäfce, ge» antwortet ^aben, nicht einmal lebenbig wolle er einen folgen SRann gefcbenft belommen. ©o fpricbt ber uneetborbne ger« maniftbe 9taturmenfcb unb ähnlich fönnte ein ©rieche ber älteren Beit ftcb geäußert haben. 5Die ©arftetlung einer fo niebern 9)etfon !ann nur bann 3ntereffe erwecfen, wenn ber 4)irte nicht be8 Wirten wegen, fonbern um bie ©ehnfucbt nach einem glücf* lieb beftbränften SRaturleben gu befriebigen, gemalt ift. 2)em früberen gejuuben ©efüble aber mußten biefe ©egenftänbe fern liegen, ja oeräcbtlicb bünfeu, e8 liebte nur bie ©arftellung be8 freien , gangen Sölenfdjen. 5Rocb auf ben 9?afen läfjt ftdj habet ba8 niebere ©enre ber ©ebnfudjt nic^t mit Sicherheit naebweifen, bagegen fpielt e8 auf ben ©ampanifeben Söanbbilbern eine grof>e SftoHe, wo namentlicb bie Wirten al8 Staffage ber ganbjebaften febr gewöhnlich finb.78) 33or allem gehört aber eine JReitje oon ©tatuen hiebet; bie meiften fteöen gifebet bar, wie fie angeln ober bie SBaare gu SDiarfte tragen ober feilbieten; bie jebarfe realiftifebe CS^arafteriftrung entfpridjt ben ©ebilberungen ber helleniftifcben $)oefte.79) änbere ©tatuen geigen Wirten ober üanbleute, bie g. 2). ein gefcbladjteteS übiet auSweiben ober e8 lochen.80) Ueberalt fehen wir hier ben SRealiSmuS gufammen» Wirten mit jenem 3uge ber ©ehnfucbt, eine ^Bereinigung , bet auch bie gange ©attung bet 8aubfcbaft8malerei um biefelbe Beit ihre ©ntftebung oerbantt; benn einerfeitS ift bie Äraft, ein ibealeö ©angeS au8 ben S£beHen 3U geftalten, erlahmt, anbrer» feit8 ift man oon ber 9tatur entfernt, ihr fremb geworben: man imitirt fie unb febafft nicht mehr au8 ihr heraus, man

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fyangt mit ©eljnfudjt am Slfyeil, am ©ingelnen, weil man felbft ein ©an ge 8 nic^t meljr ift.

©inet ibealeren SRic^timg begegnen wir in ber gwetten ©at* tung be8 au8 jener ©efynfudjt fyereorgeljenben ©enreS, ben Äinber* ft a tuen. 95?c geigt fid) bie erfebmte Unfdjulb unb 9latur frifdier, unmittelbatet unb reigenber, als im Äinberleben? Äein SBunber alfo, wenn aud) bieje8 jefjt gu einem gieblingSgegenftanb ftatua* riftbet jtunft ergeben würbe, ffteilid) bemerften wir fdjon gegen ©nfce ber »origen ^.'eriobe SDarfteHungen ton Äinbern, aber e8 ift ein Ijimmelweiter Unterfdjieb, ob bieö in fleinen ©emälben, fleinen Sterracottaftatuetten unb ©efäfseben gefdjietyt , bie felbft gum Äinberfpielgeug beftimmt, ober ob man e8 wagt, monumen* tale, ftatuarifdje ©ompofitionen gu geftalten au8 ber unbebeutenb fleinen Äinberwelt, bie webet einem rein formalen ©enuffe mit itjren unreifen formen genügen fonnte, ned) blo8 burd) 33ewe* gung unb ^anblung ein für ein monumentales SBerf befriebi* genbeS 3ntereffe ^eroorrufen fonnte. ®rum ftellte auef? bie »or» aleranbrinifdje @enre*^laftif nur Knaben bar, bie bem eignen »ollen 9Kenfd)en nafye ftanben; erft jefct in Ijetleniftifcfeer 3eit, wo man, »en ficb felbft nidjt mefyr befriebigt, fid) au8 $rembem gu ergangen fudbt, jetjt war in ber @eljnfud)t nad) bem unfdjul» big natürlidien SBefen ber Äinber ber ^Sunft gefunben, ber fte ber monumentalen SBeljanblung würbig machte. 9?egünftigenb wirfte natiirlid) aud), bafj bie .ftunft immer mel)t im SMenfte pri»ater !£eforatien arbeitete.

9118 ba6 £auptwerf ber gangen IRid)tung, in bem fid) ifyte wefentlidben ©igenfefeaften am flarften wiberipiegeln, ift offenbar ber jfnabe mit ber ®an8 »on 33oetljo8 gu betrauten, »on bem untre Unterfucbung ben 9(u8gang na^m. geibet ift un8 auger*

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bem literarifdj gar nichts Söeftimmteß überliefert. 9lur ein SBerF Fann hierhergegogen werben : G p i g o n o S , ein Äünftler unbe* Fannter, hoch wahrfd)einlid)helleniftifchet3eit mad)t bie@ruppe einet fterbenben SDtuttcr, bie non iljrem Äinbe ^miserabiliter“ getiebfoft wirb:81) ber gang malerifdje SSorwutf erinnert unS auffaüenb an SlriftibeS berühmtes SBerF; aber feljr begeidjnenb finb bie Unter* fd)iebe: bort bei SriftibcS liegt alles ©ewid)t auf berSDiutter, bie ddU Slngft mtb ©djmfrg für be8 ÄinbeS geben nod) im $£obe forgt ^ier bagegen auf bem Äinbe, baS in feiner unwiffenben Griufalt unb edjt Finblid)en Siebe bie ÜRutter, bie üjm ftirbt, liebFoft; tyex freuen wir unS am einfad) .ftinblidjen unb bemitleiben ba§ arme SBürmdjen bort pacFt unS ein ernfteö tiefergreifenbeS ^atl)o§. @o tritt unS in biefer Umbilbung eines älteren 3BerFS ber gange GhataFiet ^eHeniftifd^er Äunft auf’S 3)eutlidbfte entgegen unb nicht umfonft trug GpigonoS feinen 9tamen : et war ein Gpigone.

33on ben ga^lreic^en unS erhaltenen SBcrfen bürfen wir nad) bem SBorauSgegangncn annehmen, bafj ihre Originale fämmtlid) in t^elleniftifdjer Beit nach bem Vorgänge beS 23oetho§ geftaltet würben. 3*or SUIem berühmt mufc eine unS in meh» reren 9iepIiFeit erhaltne Gompofttion gewefen fein, einen Fleinen .Knaben barfteOenb, ber nad) Äinberart auf bem SBoben fifct; er fcheint aufftehen gu wollen, ohne eS noch 3U Fonnen; bittenb ftrecFt er ben einen Slrrn aus unb blicFt aufwärts, baf) man ihm helfen Jolle; hoch ba er ben anbern 9lrm auf feine ©anS, ben SieblingSoogel, legt, um fte feftguhatteu, fo fdjeint biefe, bie man ihm oielleidjt wegnehmen will, ber ©runb feiner Erregung gu

fein.88) auch hier, wie am SBerFe teS 23oett)oS, liegt baS 3n*

tereffe in bem Gontrafte ber Finblicheit 9toth unb Sorge mit bem Fleinen ©egenftanbe, beS ängftlidjen GiferS mit ber Finblid)en

Unbeholfenheit, woburd) unfre Sehnfucht nach ber befdjränFt

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-unjdjulbigen Ainbljeit erwacht.88) ©enfelben ©runbgug tragen bie übrigen, »eit unbebeutenberen SBerfe bet 2trt, bie meift einen ruhig baftehenben Auaben, bet feinen lieben Siegel füttert cbet an fidj briuft, barfteüen.84)

Slnbre fifcen am 33obeu mit einem Siegel ober einer Frucht85) ober galten fteljenb Früchte.86) ©ehr beliebt ift eg in ber hel= leniftijdjen 3«t, fchlafeube ©eftaltcn barguftellen; fo finben mir benn auch halb Ainbet überhaupt, halb länblidje Wirten ober gifcherfnaben, bie entweber in Uegenber ober inbem fie fid) auf bag eine heraufgenommene 33ein fluten in fitjenber ©tel= lung fchlafen.87) ©inige ©ruppen geigen fncd)elfpielenbe unb fcarum fidj ftreitenbe Anabeu.88) ©ehr fragmentirt finb einige ©tatuen laufenber, irgenb ein fleineS Sutereffe uerfolgenber 3ungen.89) ©eiten würben SOläbdjeit bargeftellt, bod) fcfyeint ein SBerf berühmt gewefen gu fein: ein fleineg 50?abdjen, bag am 33oben fi£t unb Anödjel fpielt;90) aber aud} fDtäbchen mit bem £ieblinggoogel fommen oor, wie eine ©tatue beö Aapitoli» nifdjen ÜJtufeumfi, bie fidj burd} jdjöne ©ewanbmotioe aug* geidmet, einSJJSbchen geigt, bag erfdjrecft eine 2aube am Stufen gu bergen unb gu fehlten fud)t gegen ein aubreg Silier, etwa einen anfpriugenben ^>uub (Clarac mus^e 877, 2235).

£>odj feeren wir enblid) guriief gu unferm Sluöganggpunfte, gu jener grage , welche biefe gange Unterfudjung ueranlafjte: weld^e ^iftorifdje ©tellung ber Anabe mit ber ©ang unb ber ©oruauggieher einnehmen. SBie trefflich fid> erfterer, bag SBerf beg S3oetl)og, iu bag ©ange Ijelleniftifdjer Aunft einfügt, haben wir oben flar gefeljen. Slbcr bet ©ernauggieher? wirb man ungebulbig fragen. Statürlid) fann er unmöglich berfelben Beit, noch »«1 weniger bemfelben Annftler, 33oethog, angehören,

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wie Cwerbetf (ißlaftif 2, 127) fefthält; oielmehr, wenn wir unß ber ju Anfang aufgeftedten ©egenfcitje beibet SBetfe erinnern, fo finb bieS ganj biefelbett, wie wir fie jefet gwifcpen t>cx* unb nachalejranbrinifchem ©eure beobachtet haben: bet Änabe mit bet ©anS unb mit ihm baS gan^e Jjelleittftifc^e ©eure entfpringt auS bet ©ehnfucht nach einem oerlornen $)arabiefe ber 97atur unb Unfchulb. ©tum (teilt man nicht baS eigne alltagöleben bar; i[t man boch nicht mehr befriebigt »on fich felbft nnb fann fein 3ntereffe mehr haben an ber biofeen ©arftellung beffen, waS man felbft ift; Wirten unb gifdjet unb cot ‘Mem Äinber müf* fen in baS uerlorite fftaturleben jurücfoerfefeen. ©agegen bet ©ornauSaieher unb mit ifem ba8 ganje »otalejranbtintfche ©enre ift nichts als reine ©arfteDung einer £anblung, nid}t auS bem entfernten Äinber* ober ftifcperleben etwa, fonbern auS bem unmittelbar eignen, wo nichts als bie fcbatfe Ausprägung beß SJlomenteS ber Jpanblung intereffirt unb nirgenbS eine ©pur ftd) finbet non jenen mit ber ©arfteUung »erfnüpften 9tebenefe= menten, nidjtS non jenen gefuchten ©ontraften glücflid)er 33e* feferänftheit mit ber eignen Ueberfultur, futj nichts non jener ©ehnfitcht nach natürlich unfdjulbigen Buftänben, bie bem niftifdjen fo eigentümlich ift.

Unfer ©ornauSjieher gehört alfo in bie twraleranbriuifche Äunft. ©oefe fönnen wir bieS noch genauer beftimmen; benn nicht etwa in'S 4., fonbern noch in’S 5. 3at)tbunbert n. ©hr. weifen ihn mehrere Sliomente, namentlich bie beutlidjen ©puren beS Altertümlichen an $aar unb ©efiept. freilich haben eben biefc ©puren einen unfrer trefflidjften Äunftgeleljrten (Äefule) bewogen, baS SBerf in eine gan$ oerfepiebene 3«it unb ©cpule, in bie beS $)afitele8 ju 5Rom, eines 3eitgencffen beS 5)ompejuS, ober in eine biefern »erwanbte unb nabe ftebenbe (unS noch unbe»

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fannte) ©d)ule ju feßen.91) ©iefer 3rrtbum, bet inbefj fein fcurdjgefübrt ift unb baljer eine genaue ©rwägung cerlangt, ift feljt begreiflich bei bet coOtommenen Untlarbeit, bie bisher über bie ©efcbicbte beö ©enreS bcrrfd)te. «Denn aud? Äetutö gebt ron jener SßorauSfcbung aus, beren ^alfdjbett wir etwieien fyaben, ber SerauSfefcung, baß bet ©ornanfljieijer als „3bpll" mit SoetboS «nb ber tjelleniftifcben ©eifteSridrtung gleich $u fe£en fei. ©r glaubt, baS S9erf tonne aud) „in minber glürflidjen 3eiten ber Ännft" gefd^affen worben fein, ja er fyält felbft baS „fBiotic" in ber älteren ätunft für unmöglich unb überfielet ba* bei collftänbig getabe jene im golgenben nod) näßer 31t betrag* tenbc, fübne $ärte ber ©empofition, bie man fid) eben nur in ben beften Seiten beS 5. 3al)rß. erlaubeu tonnte, $ür biefen ©runbirrtßum , baß baS SBerf einer jpäteren Seit angeboren müffe, fitcßt nun jf. zweierlei feßetnbare SEßiberfprüdje in ber fot* malen 33eßanblung unfreö SöerfeS 311 oetwertßen : ber mit 8pfip* pifeber fDleifterfcßaft gebilbete Äörper wibetfpredbe bem ^eaare, unb wiederum bie forgfältig jierlidbe, felbft freie Jpaarbeßanblung wiberfptecße bem an ftd) unmöglidjen SBurfe beffelben, inbem bie Torfen ber Bewegung beö ÄopfeS entfpredjenb meßr oorwärtS fal* len füllten. 33eibe SBiberfprüdje cerfdjwinben aber bei genauerer Setracbtung. 33eim |jaare gunädjft ift 311 beamten, baß alle |>aare, nad) bet ©itte ber älteren Ä'unft, con einem einigen fünfte am SSirbel auSgefyen, baß fie alfo gar nidit fo corfaOen tonnten, wie bei einer naturgemäßeren SÄnorbnung. ©ie lan* gen lotfigen $aare verfallen nun in 3wei ,£>auptpattieen, bie red)t8 unb lints fid) weid) unb eng um ben ©d)äbel legen (aud) l)inten ift bie ©Reibung nod) bemertlid)). 33ei ber Steigung beS -fraupteS rutfdjen fie aber eben fo weit cor, als eS bie Statur fol» eben enganliegenben , elaftifdjen unb febmiegfamen JpaareS cer»

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langt; ja ber Äünftler hat e8 nicht unterlaßen, btefeö ffiorrutffhen auf ber redeten ©eite, bie tiefer geneigt ift, mehr gu betonen, als auf ber Unfen. 3n ber SDtitte gwifdjen biefen beiben Seiten* pari i een mädjft ein felbftänbiger fixerer Jpaarbünbel gut Stirn berab, wo et fidß in einen Keinen Änoten tongentrirt, ber bie Stidjtung beSÄopfeß nadßoorn noch einmal betont. Snmmetrifch fommen enblid) gwlfdßen biefem ©entrum unb ben beiben Seiten« Partien als oermittelnber llebergang einige Heine, forgfältig ge« locfte .£>ärdjen gum 3Liorfd>ein. SDie gierlidhe unb feine Setjanb« lung namentlich ber gocfenfpißen ift burdßauS ben ??orberungen be8 33rongeftil8 entfprechenb , benen fdjon bie altertbümlicpen Söerfe mit ihren gierlidjen, fnmmetrifd) gereihten ©rahtlocfen* be* fonberS gerecht gu »erben fud)ten.

Slber auch ba8 fo äußerft angiehenbe einfache ©efidßt oom reiitften 2»pu8 geigt noch beutlidhe ©puren be8 SUtertbümlidben in ber ©efammtanlage: in bem Storwiegen be8 breiten, großen Äinnß gegen bie niebere Stirn, in ben noch nicht gang im Proßl ftehenben Singen unb bem etwas äußerlich aufgefügten fßtunb, beßen SBinfel ein Söenigeß emporgegogen finb. SIber all bie8 ift nur ein fanfter SiachHang an ardßaifche ©ebunbenljeit, »ie er einer UebergangSgeit eigenthümlidh fein mußte, unb »eit entfernt non einem bewußten ^eroovheben be8 Sllterthümlichen. ©nblidh'ber Äßrper wirb wegen ber trefflichen SBiebergabe ber formen biefeS jugenblidhen SllterS mit Stecht bewunbert. SBenn aber jfefulß 8pßppif<he äfunftart an ihm bemerten will, fo wüßte ich wahrlich nicht, worin biefe beftehen follte; benn webet non Shßppifdßen Proportionen noch non gewißen natura« liftifcßen Bügen ift irgenb etwas gu bemerfen.92) Sludh bie Bai* ten am Saudhe, bie man etwa anführen fönnte, geben in ber fdbarf abgrängenben Sörongeted^ni! nur ba8 gum SBerftänbniß bet

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Bewegung äBefentlidje unb fftothwenbige , fie bienen nur gut Klarlegung be§ inneren DrganiSmuS bei feiner eingebrücften unb »erfchobenen Sage, ftnb aber frei non allen naturaliftifdjen ßu» fälligfeiten, bie fidE> fpätere Künftler gerabe pier gewijj erlaubt batten. Sßopl aber mu& man hier an bie Ijo^c förperlicfje 33oH» enbung erinnern, bie g. 33. fchon in ben Slegineten erreicht ift, wo ja aud) fdfon (wenigftenS im Dftgiebel) bie galten ber ^>aut gur ©hatafterifirung bet ^Bewegung beigegogeit werben.

@0 fönnen mir benn non jenen angeblichen SBiberfpn'ufjen feinen begrünbet finben, inbem fiep »ielmeljr 81 lieg gu einem har* monifchen ©angen »ereinigt. Söir erfennen piet einen Künftler auS ber lebten Hälfte beS fünften SaprpunbertS, ber, bei bereits genauer Kenntnifj namentlich beö bewegten männlichen Körpers, fich hoch in bem ben geiftigen SJuSbrucf bebingenben Stpeile, bem Kopfe, noch nicht gang non ber alterthümlichen ©ebunbenpeit loSmachen fonnte, bet et auch in ber Anlage beS oon einem fünfte auSgehenben $aare8 folgte. ßu ber richtigen Annahme einer älteren ©djule beS 5. Saprp. flelangt auch bie neuefte S3e* jptecpung unfrer ©tatue in ben Annalen beS archäologifchen 3n« ftitutS (1874); bie nähern bort oerfuchten 23eftimmungen fann ich jebocp nicht als richtig anerfennen, ba auch fte nicht auf einer oollen @rfenntni§ bet ©igentpümlichfeiten unfreS SöerfeS beruhen. (©. bie ©cplufjanmerf. 101.)

3<h fehre gu Kefute’S 33ermutpung ber ^afitelifdpen, ober einer im SBefentlidfien analogen ©<pule gurücf; fie wirb nicht nur burch bie oben auS ber formalen 9(nalpfe gewonnenen fRefultate unhaltbar, fonbern fie wiberfpricht auch überhaupt bem Äunftoermögen ber griechifch tömi» f<hen ©poche,93) bie feine eingige neue originale ©cpopfung non SBebeutung auf bem ©ebiete ibealer ©fulptur aufgnweifeu

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hat, bie nur im ©opiren unb Umbilben überliefert« $»pen t^r ffierbienft fudjte; »olle Originalität wirb aber fRiemanb unjerm SSerfe abfptecben wollen, ferner lä§t ftd) jene Anfidjt gerabe mit ben wef entliehen ©igenfdbaften ber ^>afitelifcf>en fRi^tung nidit meinen. 3nbem biefe efleftifcbe ©dfule nemlid) mit SSor* liebe altertümliche Sippen mit erneutem ©tubium beß Sötobellß wieberholt, entfielt an ihren Söetfen ein unharmonischer ©on* traft beß in ber überbreiten ©ruft unb ber gangen Äcpfbilbung unb ber gebunbnen Stellung feftgebaltneu ardjaifdjen $ppuß mit ber raffinirt eleganten, naturaliftifdjen ©ehanblung beß ©in* gelnen;94) non einer folchen 35iö^armonie haben wir aber tDornaußgieher niditß gefunben. ©ntfehiebuer noch ift ber geiftige ©harafter ber ^afitelifchen Schule jener Annahme guwiber. £>h*w eine einige neue, gang eigene ©ompofition gu fchaffen, fud?t fidj jene efleftifcbe ^Richtung ihre SRotioe non überall gufammen.94) 3hr äierbienft fiebt fie lebiglid) in ber ^Durchführung , in bem rafftnirten ©etailftubium, gegen baß bie geiftige ©ebeutung voll* fommen guriieftritt. <Daß Hauptwerf bet Schule fc^eint eine ftetfe afabemiid)e Stubienfigur gewefen gu fein, bie nun balb eingeln bargeftellt, balb in völligem SÖlangel aller unb jeber tafie unb ©rfinbung mit anbetn Figuren gu einer lofen ©ruppe verbunben wirb, überall mit berfelben einförmigen Stellung unb Haltung ber ©lieber; ja biefe Schule allein fcbeitit biß gu ftnnlofem ©opiren gebracht gu haben.96) fRirgenbß ift ferner in jenen ©ruppen eine flar außgefproebene Hatiblung ba, fogar bie Hauptmotive finb meift gang unflar, fo ba§ bet Streit übet bie ©egeuftänbe, bie fie barftcüen, bei einer jo in’ß Allgemeine ver* fladiten ©ehanblmtg wol)l nie entfdjieben werben fann.97) SGBie contraftirt nun bieß Alleß mit bem SDotnaußgieljer, mit feiner febarf unb hart außgefproebnen Hanblung, wo fRicbtß alß eben (216)

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fcitfe baß 3nteref|e auSmaAt? SSÖelt^et ©egenfafj, bi?rt biefe ein» förmig bebenflidje, ttodene IRiAtung be8 ^afiteleö, biefe gefugte §tiAe, biefe affeftirte, ftubirte ©egiertljeit unb Ijier baß frifc^e, Bolle, füfyne geben im 5)ornau8giel}et!98)

£at er alfo 5Rid)tS gu Aun mit fPafitelifdjet Stiftung, ge» ijört er bagegen in’8 fünfte 3afyAunbert ». GIjr., fo tonnen mir BieHeiAt noA einen Stritt weiter gelten unb bie ©Aule, ber baß SBerf angeljört, näljet gu beftimmen »etfuAen; id? fage bie SAule, nidjt ben OJieifter; benn früher gwat war e8 eine ciel» mbreitete, leiAtftnnige fötet^obe, gu jebem bebeutenberen Äunft» werfe fidj immer au8 ben literarifAen fRotigen auA ben fRamen be8 »erfertigenben Äünftlerß auSguwäfyleu; unb fo bat ja auA unfer 2Berf eine berartige SBetjanblung erfahren, bie e8 oljne JRücffidjt auf ben fünftlerifdjen ©jaraftet mit einem oon 23oetbo8 genannten ibentifigirte. GtwaS gang Anbereß ift e8, wenn man nach genauem »ergleicfjenben ©tubium eines SBerfeS wagt, ba8» felbe einer gangen ©Aule, einer Stiftung im Allgemeinen beigulegen.

(griunem wir un8 nun beffen, wa8 wir gleiA gu Anfang über bie Gompofition be8 üDornaußgiefyerß bemerften. 2öir fan« ben ba in bem beraufgenommenen S3eine eine uufpmmetrifdje $ärte ber ginienfübrung, wie fie nur äufjerft feiten in ben SBer« fen antifer Äunft gu Sage tritt. SDiefer $)unft muff bafyer für bie Seftimmung bet ©Aule, ber unfre ©tatue guguweifen ift, »on entfAeibenber SfBid^ligfett iein. ADerbingß ejriftiren leiber noA gar feine genaueren UnterfuAungen übet ginienfübrung in ben oerfAiebenen ©Aulen, wa8 gerabe für ben »orliegenben galt fefyt gu beflogen ift. 3)ennoA bütfen wir wenigftenS fooiel mit ©iAerfjeit behaupten, ba§ jene (SigeniAaften gundAft mit bet Annahme f)eloponnefif Aet ©Aule unoeteinbat wären. SBir

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braudjen ja mir einen ©lief gu werfen auf ben $Polpfletifdi>en ©orppfjoroS ober ©iabumenoß, bie un8 ja ^öc^ft tt)a$tf<§einlidj in Kopien erhalten finb , um fofort in biefet faft matfyematifd) ftrengen, flaren unb regelmäßigen ginienfüßrung baß gerabe ©egentßeil con bem gu etfennen, wa8 wir am ©ornaußgielwr bemerften. Sludfy bie SBerfe au8 ber Slttifdjen 9£id?tung beS fPljibiaß fowoljl wie be8 ^rajfiteleß bieten nichts Sßerwanbteß bat: benn finben wir auch (eibenfcbaftlid) unb inbioibuell bewegte ©eftalten, fo fjerrfdht boef) überall baß Streben nadb fyarmonifäier Slbrunbung »or, wie man 3. S3. an ben fRiobiben leicßt bemerfen wirb. @twa8 unferm SBerfe 33erwanbtere8 haben bagegen bie Slttalifdjen SSeihgefdjenfe auö ber 9)ergamenifdjen @d£jule aber bod? wiebet in wefentlid? nerfdßiebener SJrt: ßier'ßat Reiben» fdßaft alle ©lieber gleidjfam in ihren $ugen geloft unb geibtn« fdfyaft motioirt jebe Bewegung. SBie anberß bagegen bie einfadfo nicht oon innen, nur bureß bie forderliche ^anblung moti> »irte .fpärte unfreS SDornau8gieljer8 ! 9lucb bort in ben ©aUiet* ftatuen ift ber förnmettifciie Aufbau durchbrechen, aber um ba8 ftürmifeße innere $>atho8 gut 9lnfdßauung gu bringen, föian pergleiche nur einmal im ©iugelnen ben fog. fterbenben ^edbfer mit bem fterbenben Segineten beß Dftgiebelß unb man wirb ben gangen ©egenfaß empfinden, ber biefe ältere Beit, wo baß ©ange ber rein förderlichen Bewegung, wo ein woßt abgemeffener 2: p p u 6 biefet ^Bewegung ba8 Biel war, neu fener fpätern Äunft* weife trennt, wo ber Äünftler nicht einen 2ppu8, fonbern bal gang inbibibuelle, eingelne, immer wecßfelnbe ^)atßo8 gut ©runblage nimmt, ©et 9ieali8mu8 ber ßeKeniftifdben Äwift fteßt in engfter Setbinbung mit biefet Dichtung auf’6 Snbwi* bueHe unb S3efonbere. Subeffen tßat bie belleniftifche Äunft iu biefen beiben Momenten, bem 5Reali8muß unb ber peränbertnr,

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«f baS innerlich SnbimbueDe gielenben Linienführung nur einen often Schritt gu bem in bet mobernen Äunft Grteidjten: bie Saflierftatuen finb baS erfte, wenn auch noch weit entfernte fnalogon gut Linienführung eines SRidjel Sugelo. SSon bie» fn gangen GntwicffunaSreibe ftetjt aber unfet ©ornauSgiehet »eit ab: nicht inbieibueOe innere Gtregung, fonbern bie Leben» bigfeit einet allgemeinen förderlichen -panblung burd) bricht bie fnmmetriicbe Anlage, unb hierin gibt »«eines SBiffenS nur Gin ©erf, baS ihm wirflich nahe fteljt: eS ift ber ©iSfobol beS © Dton. ©enn auch hier ha&en wir wtfchöne ^>ärte ber Um* riffe bem möglichft wahrheitsgetreu unb lebenbig gefaxten SRomente einet förderlichen Sftion gu Liebe. Seftätigt wirb biefe auf ©tuen hinleitenbe ©eur baburch, baff auch in ben fBietoden beS ibefeionS , bie unter SJtnronS Ginfluff fteljen, fid) Sehnliches imbet, g. SB. wie ber SRinotaur ben SthefeuS angreift u. S.

Ginmal auf bie richtige Sahn geleitet, ftimmt nun SßeS merfwütbig mit bem Gharafter ÜRptonifchet ©djule überein. Senn wenn in unferm ©ornanSgiehet ftdj SlleS auf ben Ginen möglidhft drägiS gefaxten ßRoment bet £anblung fongentrirt unb bierin alles 3ntereffe aufgeßt fo ift baS edjt ÜRoronifch , ja eben barin fpridjt fich baS SBefen ber Äunft beS ÜRpron auS; tiefem lebenSoolIen .perauSheben bet einen, fcharfabgegrängten $anblung gu Liebe gerbricht bet ©iSfobol gleich wie ber ©orn» oaigiehet bie ruhige ©pmmetrie ber Linien. ©och baS innere beben ber ©eele („animus“ fpiin.), ber Gmdfinbung blieb ber ©eronifchen ^Richtung noch ftemb: auch bet ©ornauSgieher »er* täth in ben» ruhig ebeln, noch etwas altertümlichen $ddn8 beS JfedfeS feine ©dur non innerer ©emüthSerregung. SBenn nnS «blich gerabe non 5Roren berichtet wirb, baff er bei fonftiger freier SoUenbung beS ÄötderS in ber Silbung teS JpaareS noch

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bet alt fdjematifchen Sehanblung folgte (bet rudis antiquitas wie bei 9>liniu8 etwas ftarf non bem einfeitig gpfippifchen ©taub* punft gefagt wirb, eine SSernadhläffigung folgt barauS auch nur »on biefem ©tanbpunfte beS SiealiSmuS, bem bie fcbematifdhe ©orgfalt bet antiquitas als SBernadjläffigung bet iftaturwahrheit etfdhien), jo ftimmt auch bieS mit bem fDornauSjieher in auf* faHenber SBeife übetein. Monumentale ülnalogieen für baS ©in» jelne fönnen mit leiber fyiet nicht beziehen , benn feine ©tatue jener UebergangSjeit ftellt uns eben foldheS langes godfenljaat bat, unb was oon Mpronifchen SBetfen erhalten ift, finb auch nur Äopien, bie natürlich für alles JDetail eine feht un$u»etl5{* fige ©runblage bilben, inbem getabe gewiffe alterthümliche ©pu* ten im $aat ober ©efidjlSauSbrucf fetjr teilet oerwifcht werben fonnten. 3u jenen fämmtlid? auf Mpron weifenben fünften fommt nun enblidh, b af) »on ben ©djulen beS 5. SaljrljunbertS außer bet $)olpfletif<hen, bie wir fd)on früher abwiefen, nur bie Mpronifclje fid) unfteS SöiffenS in bet ©enrebilbung ^etoort^at, unb baß unS getabe eon il)t einige bet bebeutenbften ©enreftütfe befannt finb, bie auf eine umfangreiche ©efdjäftigung eben mit biefem 3weige fließen laffen. Unb biefe Söerfe [teilten J?n a* ben bar wie unfer ©ornauSgieher. 'MerbingS betrachteten wir jene als SBeihgefchenfe, bie eine beftimmte Schiebung hatten, @8 waren «tuaben mit Söeihwafferbedfen unb am fRäudjeraltar, alfo im heiligen Stempelbienfte befdjäftigt. 9iun rniffen wir frei* lieh nicht, ob auch unfer ©otnauSjiehcr ein foldheS SBeihgefdienf war, aber eS wirb fßiemaub behaupten wollen, baß bieS unmög» lidh fei; ja baS Motio enthält nieHeidht felbft einen beftimmten 33e$ug: man butfte einen heiligen Söe^irf befanntlidh nur mit entblößten güßen betreteu; ein Änabe im SDienfte beS SempelS

founte fich alfo fehr oft etwas in bie gußfohle treten, baS et

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ftd) »über berauSgießen mußte. ©ollte alfo «in folget Änabe bargefteüt »erben, wa# begeugtermaßen gcrabe oon ber üJloroni* fd>en ©cbule mehrmals gejcßal}, lag e8 nicßt naße, einmal einen SDornauSgießer 311 bilben? ©0 würbe fi(ß unfete ©tatue gang an jene Änaben b«8 8t>fio8 anfdjließen, bie ebenfalls oßne eine beftimmte $)erfon bargufteQen , bocß einen engbegrängten $rei8, nemlicß im Stempel bienenbe Änaben burdj einen SReprä« fentanten oergegenwärtigen. 3118 SBeißgefdjenf an eine ©ottßeit wirb biefcr ©igentßum legerer unb erßält baburd) eine inbioi* buelle ©ebeutung, bie jenem ftrengen SBefen be8 ©enre8, wie e8 aber nacb unfern Ausführungen waßtfdßeinlidj erft burcß ^oloflet auffam, nod) nidjt entfpridjt99).

Um nun ba8 gewonnene fRefultat gujammenguf affen, fo haben wir im SDornauSgießer ba8 originale 2Betf eines Äünft« ler8, bet etwa ein 3eitgenoffe be8 SJipton ober feiner näcßften ?Ra<ßfolget, wie biefe nocß in einigen fünften am ÄTcßaifdßen ßängenb, oon ber fBipronifcßen ©djule bireft beeinflußt würbe'00).

3n ben beiben ©tatuen, bem Äinbe mit ber ©anS nnb bem SDornaudgießer erfennen wir alfo bie fRepräfentanten ber beiben .£>auptepo<ßen griecßifcßet ©entebilbnerei , ja fie djarafte* rifiren auf’8 beutlitßfte gwei geiftig fo eerftßiebene Äulturperio* * ben wie bie oor« nnb bie natßalejranbtinifdje. SeibeS aber finb SBerfe erften [Rang8 unb nic^t umfonft »on jeßet fo bewim* bert. '35a8 m ober ne ©enre, ba8 woßl nur ffienigeS ißnen an bi« ©eite fteöen fann, ßat feine 3»ei fo gang oetfißiebenen cbarafteriftifcßen ©podßen aufguweifen; e8 bafirt oielmeßr oon Sin* fang an auf jenen ©ebingungen, bie ba8 ßeHeniftifdje ©enre ßeroorriefen. Unb wie in jebet anbetn SBejießung, fo ßat fidß aud) ßiet ber JpetleniSmuS bem SJtobernen oielfacß angenäßert.

XL 245. 216. 6 («1)

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2lbet bennod) bleiben wefentlidje Serfd)tebenheiten genug; beim trofc mannet fJtaläufe fonnte bet Stealißmuß im antifen ©enre bod) nie fidj gu einet folgen ©tdrfe entwicfeln, wie bieö in bem mobetnen gejdjatj; bie ibealanmuthige {Richtung blieb ^iet immer ein ftarfeö ©egengewidjt, um jenen gurüdfguhalten. ©benjo we- nig fennt baß antife ©enre jene eminente Steigerung beß Snbioibuellen, butdj welche bie mobeme Äunft faft jeben beliebigen ÜRoment beß Gebens , wenn fie nur eine jdjarfe ©^araf* teriftif bamit gu oetbinben weif}, gum intereffanten ©egenftanbe ergeben fann. Sei ben Sllten blieb wohl immer bei bem ent- Weber burdj bie $anbtung an unb für fttf) ober bitrd) ben ©tanb betDorgerufenen Sntereffe. ©eä^alb fonnte weber ©enre noch Sanbfdbaft ben Umfang unb bie Sebeutung erreichen, bie fie namentlich fyeutgutnge inne haben. Seber fleinfte inbioibuellfte, befonberfte SRoment fann in unfrer Äunft {Reig gewinnen. Set ben ©rieten war eine allgemeine Segiehung gu jebem Sefdjauer nöthig, unb nicht jebet SDtoment beß ©einß alß be- fonbrer 3uftanb war ihm genug, fonbetn nur infofern ^anblung unb ©harafter baran Ijeroortraten: bie ©rieten befriebigt nur, wie ©dbiUer richtig jagt, „baß Sebenbige unb greie, nur ©Ijaraf- ter, ^anblungen, ©djibEjale unb ©itten." Dennoch wütbe eine ‘genauere Sergleidjung beö antifen ©enreßP mit bem mobernen auch manche Analogien ergeben, bie eben im SBefen ber @at» tung liegen, ©o entwidfelt fidj g. S. auch baß moberne ©enre guerft in fleinen Silbdjen, bie feinen Slnfpruth auf monumentale ©eltung haben, in .jpanbgeidfynungen ober ^olgjdjnitten unb na- mentlich in Tein beforatieen arbeiten , biß fid) bie hcl)ereu Seteiche ber Äunft erobert, gerner trifft bie 3«<t beß erften be* beutenben Sluftretcnß beim mobernen, wie beim antif-heHenifti- chen ©enre gufammen mit ber 3eit beß um fid) greifenben 5Rea«

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liStnuS, fyiet tote bürt in bie Beit, »d aßeS ©cttlidje oermenfdh* tic^t warb unb wo bie momentane (Empfinbung ben SluSbrutf ibeater Uppen übemiegt man cetgletcbe nur SUabonneu (Ra= faelS mit benen SRuriflo’S, ber äugleid) einer ber erften .£>aupt* »crtreter beS ©enreS ift , l)ier toie bort in bie Beit ber fidj enttoicfelnben ÄabinetSmalerei. ‘Iber biefe Analogien gelten nur für baS jpeUeniftifd^e ©enre , nirgenbg finben wir ettoaS, ba§ jenen »oralejranbrinijdjtn ibealen SQerfen gleich fänte. 2 )aS SKcment ber ©ehnfucpt ober fceö (Realismus finb bie baS mo* berne ©enre fofort beftimmenben gaftoren. (Einzig unb un* erreicht fte^t alfo aud? im ©ebiete beS ©enreS jene unoer* fälf^te griedjifdje Jhmft per Ilecanber ba. ©ie ergreift ein SDiotiü unfreS menfchlidjen ©eins unb fdjafft unb geftaltet eS gum Sbeale unb UppuS menfd)li<het S3e* »egung unb ^janblung ober menfdjliäjer ©djon^eit; fie oergöttert baS ßftenfdjlicbe, bie SB a f iS aller fyelle* tüjdjen .ftunft aud) im nieberen ©ebiete beS ©enteS; toegwerfenb alles Bufällige ber Sßirflidhfeit ft eil t fie nur baS Sßefentlicpe bar, unb abtoeifenb IlleS, baS nid^t gur reinen gtoedflofen 2)arftellung gehörig, be* Rauptet fie jene beaunberte .£>ölje, ton bet fie, ewig unerreichtem, leucptenbem ©eftirne gleich, erquidenb auf unS (Epigonen nieberglängt.

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Slnmcrfungtit.

1) lieber alle© fiterer ©ebfrige finbet man reichhaltige i)tacbweife bei ©te^h^ni, Compte rendu de la commiss. archeol. ä St. Petersbourg pour l’annee 1863, p. 17 ff. ; 53 ff.

2) 33gL bie befte Sefchreibung ber ßompofttion non 53runn, 23e- fchreibung ber ©Ipptothe! 9lr. 140.

3) Sille „pueri“ unb „ir*7&s“ ftnb liier natürlich auÄgefchloffen unb nur bie „infantes nnb neuiut ober vr'motu berücffic^tigt worben.

4) ©efchtchte ber grietfcifcf^en spiaftif SÖb. II*, 157 2lnm. 168; ber * ©ab „benn bie ©änfejungen finb ÜJiarmerfopien' will bocp offenbar bem

Originale jene freie $»aarbebanblung abfprecben.

5) 9U<ht Xa.kxYjozvm; wie Coerbecf, ©cfcriftquellen (SQ) 9lr. 1 596 angibt, fonbern KaX^icVios natürlich wollte £>tfr. 5Rüßer bei 9>aufa* nia8 lefen, was tro$ ©d>ubart8 Söebenfen fehr wabtfcbeinlid) ift.

6) Compte rendu 1863, 56.

7) Zieher gehören auch jene ©cpalen au8 bem ©alaffifcben ©rab (Mus. Gregor 1, 62 ff.) mit aufjermpthifchen Äriegerjügen.

8) 3ulefct ausführlicher befprccf)en »cn ©teptjani , Compte r. 1867, 69 ff.

9) 3hm analog mar jebenfatl« beS ©ilanion epistates exerccns athleias 34, 82: 33eibe8 waren offenbar Vertrat« einer Slrt son ©tun* naftarchen; ba8 eine üllal fefct pliniuS Flamen unb SefchäftigungSart be8 Stanbef, ba8 anbre 5Ral nur Untere«.

10) ©enn Urlich* (chrestomath. Plin. p. 321) mehr weif) als bie Quellen be8 “JMiniuS unb al8 ©egenftanb bie Sieben gegen $h«ben «nb obenbrein 2lmphiarae8 (als senex) angibt, fo ift ba8 ent*

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fcpieben unnötig ; benn Slmpfyiarao« wirb immer mitgejäljlt unb ift nicht« Weniger als ein ©reib; unmöglich ift eö, baß nur SteofleS unb flolp* tieifcS in ber ßftitte gefämpft, bie übrigen 6 gelben ringsum geftanben hätten, opne baß cbenfo Diele »cn ber ©eite ber Spebaner mit i&ncn im Äampfe gewefen waren. SSiel et>er hätte er nermutl)en fßnnen, ba§ bie ©ruppc ber bcS .JtppatoboroS unb Striftegeiton entfprach (Paus. X, 10, 3), b. b- ba§ bie fieben gelben, unter bie natürlich Slmphiarae« auch gehört, bargefteHt waren unb ju ihnen als achter 9llitf>erje« fam, über ben wir jwar gar nicht« Seftimmte« wiffen, »on bem ftd) aber nach Slnalcgie be« Ijcmerifcben gleichen Flamen« (Od. 2, 157 ff.) »er* muthen liehe , ba§ auch er ein ©eher unb ©rei« war, eine nach bem Sppu« ber bemerifeben geftaltete gigur ber Sofalfage. (Ser ©opn be? Selegerfenig« Slnfaic« Paus. VII, 4, 1 ift wieber ein anberct Sllitberfe«).

11) Sen „ffttl.ctijT*)';“ beS Simaineto« erwähnt Pausan. I, 22, 7 nur im Skrbeigeben (napevn), b. h- eben ohne bie näheren Umftänbe, wie ßlarne u. f. w. anjugeben.

12) 93gl. ben <rx nt/xa-^wv beS ©laufia«, ber beweift, wie früh man fchon bei biefen ©tatuen nad> folgen d>araTteriftifc^en SUotiren fuchte. Sah überhaupt ©itte war, ben Athleten unb fenftigen artifices bie» fenige ©teilung ju geben, welche fie bei Srlangung ihre« ©iege« inne hatten, lernen wir au« C!orn. Nepos, Chabr. 1, 3. 5Benn hier freilich biefe ©itte erft »on Gpabria« an batirt wirb (bie ©teile ^eißt bei £>alm: ex quo factum est ut postea atliletae ceterique artifices iis statibus in statuis ponendis uterentur, * * cum victoriam essent adepti; bie Heine Sücfe fchäbigt ben ©inn nicht), fo fann bie« tRicpf« fein, al« eine jener im Süterthum häufigen wittfürlicpcn ülnfnüpfungen alter ©itten an irgenb ein hemorragenbe« ibeifpiel.

13) Sßgl. auch Surfian in (Srfcb unb ©ruber« Mg. ©ncpclopäbte I, 82, 435; 446.

14) S8cn Äephifobet 5. S3. nennt ^Miniu« philosophos; buttp anbre Duellen fennen wir ben IRebner üefurg unb ben Sicfjter ÜJlenanber al« feine SBerfe, ein wopl nicf;t jufäßigefl •3ufammentreffen.

15) Plin. 34, 64; bie anbre venatio mit fjunben (ib. 63) be* ftanb wopl ebenfaßfl au« f'crträt« 3ßornchmer.

16) 2Benn man nemlich Plin. 34, 66 venatorem ju Alexandrum jiept, wa« ba« SRatürlicpfte unb piniu« fonftiger 8tuf$äblung«art ba« ©ntfprecpenbfte ift. 3nterpungirt man jeboch nach Alexandrum, fo ge*

<*J6)

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hört tiefer 3äger eben unter bie Älaffe fcer übrigen venatores, wie auch ©tepljani Compte r. 1867, p. 90 annimmt, tem ich auch in ber 2lb* weifung ber feljr mißlichen Annahme Äefule’S (3(rd). 3tg. 1865, 15), ber Ijier SJteleager [iebt, beiftimme.

17) Bgl. Selbig, Unterf Übungen über bie Sampanifchc SBanbma- lerei ©. 276. Sie Statue eines 3ägerS in 9Jlüncpcn (®lppt. Sir. 156) mit einem leitet ergänzen fPorträtfopfe gehrte offenbar in tiefe Älaffe ber venatores.

18) ©. Brunn, ©efch. ber gr. Äünftler 1, 461, wo jehon ber rich- tige ©cfcluß barauS gejogen wirb. Sie in ber ÖUeinfunft (Broncen, Serrafotten) häufigen SarfteÜungen Bon Dpfernben unb Betenten finb auch für Sßeihgefchenfe ju hafon (f. §rieberid>S, Berlins antife Bilb» werfe II, ©. 453 ff.), bie ber (Einfachheit »egen nicht eine 3nbioibua- lität, fonbem einen allgemeinen StppuS barfteHen. (Sbenfo wenig Wie aus ihnen barf auS bem Borfommen Bon Sägern in ber Sleintunft auf bie (Ejriftenj berfelben als „@enre" in ber monumentalen Äunft gef^lof- fen werben.

19) Bei §)liniuS admirantes, baS auS bem griedjifc^en

überfeßt fcheint, baS auch anbeten unb Bereden heißt. (Sine mulier beS öuphranor war jugleicp admirans unb adorans, woraus bie 3ufam- mengehörigfeit beiter SJtotiBe bernorgeht.

20) Ste Slnftcßt, eS fei bie Sltfjena 'ProtnafhoS beS 'PhitiaS (ohne ©chlüffel) hier gemeint, hat StidjtS für fuß. Sticht einen ungewöhnlichen, ber fünftlerifchcn (Srf^einung wiberfprechenben Beinamen einer ©ottheit, fonbem eine eben jenes fteufjere ^arafteriftrenbe Bejeichnung muß man nach allen Slnalogieen in ber cliduchos fuchen.

21) Berwanbt ift eS, wenn bie altbeutfdje DJialerei (ich benfe an ein ©chongauerifcheS Silt in (Solmar) in ber ©eene, wo ©hriftuS Slbam unb (Ena aus ber £>ölle führt, jwar jenen als ©reis mit weißem Barte barftellt, an (Eoa aber {einerlei ©puren beS welfenben SllterB anbeutet.

22) „Fleutes“ ift nicht ftreng ju nehmen; leicht fann eS aus

oeöaxp-j/uLtvau überfeßt fein unb bieS h»e§e nur „Berweinte Stauen, mit ©puren Bergoffener Spänen." ©o braucht eS Pausan. 1, 21, 5 Bon ber Stiebe am ©ippluS unb fügt noch baS Attribut nieberge-

fchlagen, wehmüthig h*nJu ; auch SlmafaeuS, Der Ueberfeßer beS fPaufa- nias, giebt baS 6t oa,xpv/uUvYiv einfach mit lacrimantem. SaSfelbe wirb 9)linius (nielleicht fchon feine Quelle) getßan haben, ©o Berwanbeln

(W)

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ficf) bie „rocinenben ÜÖiatroncn" einfach in grauen ernftwefymütfyigen Stu«* brucf«. 3n jener 3eit beS 4. 3ftf>rl). aber, wo man nad) pfpdjologifc^em Sntereffe unb )pcrBertreten be« Seelenleben« ftrebte , mochte überhaupt für Vertrat« ältrer Söiatrcnen ein fclcper webmüthiger SluSbruct üblich fein, »erbunben etwa mit einer topifdjen ^Bewegung, wie bem Nähern einer £>anb gegen ba« Äinn u. bgl. Namentlich mußten Statuen fe« pukraler Berwenbung ju folgen OJiotioen einlaben, ©ine berartige Äompofition ift uns ja nad) ber wabrj$einlid?ften ?lnnabme in ben be* fannten fog. Penelope Statuen erhalten; fte tonnte in obigem Sinne recht Wcl;l flens matrona Reißen. äSollfoinmen willfürlid) ift llrlid)«’ Slnjidjt (ehrest. Plin. p. 331), .fpefuba mit Ürojanerinnen feien unter ben flentes matronae gemeint.

23) SDiefe Unterft^eibung wie fo Biele« anbere in biefer Schrift Siet* wertete Berbanfe id; meinem Bereiten gebrer ^einridj Brunn.

24) 93liniu8 nennt fte uns Bon: ÄalamiS (auf eine feiner Quabri* gen fefcte fPrayitele« einen neuen genfer), Bon ÄriftibeS, Spüler beS S>olpflet, Bon ©uphranor, gpftpp (34,64 quadrigae multorum generum, alfo nidjt blo« folcbe auf baS Wettrennen bcjüglidje), unb Bon ©utl;p* träte«; fpifton unb SliftfrateS arbeiten jufammen ein Sweigejpann mit einer grau barauf (wctjl bie Befifcerin) ; Slriftebem macht (34, 86) bigas cum auriga, ber l;ier befonberS erwähnt, aber auch fenft BcrauSju* feßen ift; ÜJienogene« enblicf) (fonft unbefannt) quadrigis spectotur (34, 88).

25) Wie Selbig a. a. O. 306 ff. trefflich naepweift. Dafelbft fmb auch bie übrigen Äü^e unb Stiere angeführt; ^injujufügen wäre etwa als intereffant baS ßotöwv n x,*Xx3’jk als Weibgefcfjenf ber Hetäre Äottina in gafebämon, worüber Ödemen bei Atbenae. 13, p. 574 C berietet.

26) Obwohl Ooerbecf $)laftif 1, 330 ben Änaben beS gbfio« baS altefte plaftifdje Oenrebilb nennt, erwähnt er bodj S. 119 unfer Werf als baS erfte ©attungflbilb unb bie erfte Statue au« ntenfcblitbem greife, bie nicht Porträt war. (3nbe§ jene Werfe bc« SMonpfio«, Sigelaba«, Äanatfjo« u. f. f. ftnb minbeften« gleidjjeitig.) Wollte 3emanb hinter unfrer $pbrophore etwa eine Npmpbe fu^en, fo wäre einerfeit« bie Nichterwähnung bei fUutarcb jelir auffällig, anbrerfeit« tonnte man faum eine Waffet fpenbenbe Nrnnphe al« Waffer Iragenbe, b. h- $oIcnbe bezeichnen (man Bgl. S)amephcn’S Npmp^enbarftellung Paus. 8, 31, 4.).

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27) £5fyne beftimmte Äennjeicben war aucb bie wabrfcheinlicb ar? cbaifcfee Sberjagb bei Paus. 1, 27, 7.

28) ©eiammelt ton C. 3abn, ©ertöte tcr fädjftfcbcn ©efetlid) 1867.

29) 2>cn einem ff*T; avaioJ^evc; rry xetfiaX/ v fdjcint paufania« felbft (6, 4, 5) ben Flamen nicf)t gewußt ju haben; bcch bezeichnet er ihn inbirefi als Porträt, inbem er faßt, er fenne fcnft fein 'Porträt ton pfjibia« wieber ein 2)ewei«, baß begleichen Plotioc in ber Siegel bem porträtfacbe anget)örtcn.

30) 3n)ar ift bei pliniu« überliefert, baß Pinten „pristas“ ge. macfct habe, bie, wie man mit peterfen (Streb. 3tg. 1865, 91) anneb« men muß, nur als .Säger* gebeutet »erben fönnen; aber baö ©er! ftünbe fo eereinjelt ba, bay hoch ein 3rrtl)um bei pliniu« cbioalten fonnte. Snbefj unmöglich jeheinen mir bie Säger nicht; nur muß man fte lieh natürlich in Jener 3^it alö 3lnatl)em benfen, etwa an Sltl;ena (Srgane, bie ja auch ba« 3>mntermann«banbwerf bejehüßte. 3luch bafj bie Tarftellung einem fo niebern .Steife entnommen ift, bürfteim £>in« blief auf bes Stpppa;r unb Upfio« geueranblafer eine ebenfall« nie« bete ©efchäftigung faum mit Siecht eingewenbet werben. Tic 9Ji eg. ichfeit einer fiebern Öntfcheibung müffen wir jeboeb ned) oen ber 3u* funft erwarten.

31) Sofern wir nemlich, wa« ba« waljrfcbeinlicbfte ift, bei Plin. 34, 79 ben suffitor mit bem sufflans lauguidos ignes ibentifijiren.

32) Tie ©ermuthung ©lümner« (Slrcf?. 3tg. 1870, 55), bat) ber phriro« bei Paus. 1, 24, 2, ber fich auch fonft fc^on Piandjefl hat ge* fallen laffen müffen (j. 2lnm. 37) mit bem puer sufflans languidos ignes bei pliniu« ibentifdj, ja mit ben barauf genannten Slrgonauten ju einer ©tupf)« »erbunben gerne jen fei, ift gewiß eine fein unglücfliche ju nennen. PhrijrcS Stellung braucht feine«weg« unbelebt gewejen $u fein; ba« geuer aber felbft anjublafen, wäre für bie Statue eine« fperc« je« benfall« unpaffenb, wo nicht unmöglich. Piit welchem Siebte aber nimmt 231. an, paufania« habe ba« Sßerf nur flüchtig betrachtet? Paufania«, ber an biefer Stelle fogar ber 2Ji übe werft) hält, eine eigene ©ermu« tbung über ben ©ott, bem Wohl Phrijro« opfern möge, au«$ufpmf)en! Unb Paufania« foll bergeftalt blinb gewefen fein, baß er oen einem Pienfdjen, ber crlöfchenbe« geuer anbläft, habe fagen fönnen: er fchaut auf bie brennenben Schenfelftücfe, bie er eben auSgefchnitten! Tie

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3Pee einer ©rupfe PeS opremPen ^^rijreä mit Pen Slrgonauten entbehrt natürlidj ebenfo jeglid'en 2lnhaltS, wie fie innerlich unwabrjcheinlich ift.

33) 3n Per ©cbciPung Per teiPen Söerfe ftimme id) Deerbecf, $>la- ftif 393 3t. 88 bei.

34) 3hn für einen 9)?ann zu galten, »eil er nicpt puer genannt wirP, febe icp feinen ©runP ein; Pas canis Pericli fc^eint eper auf ju- genPIicbes Stlter ;u beuten.

35) SePenfalls ift cS ganj unmöglich, mit £)»erbed (fMaftif 1 , 333) an Pag monumentale ftatuarifche ©enrebilb eines fterbenPen SSertounbeten in Penfen. Sie frühere SBermutpung , Paß er mit Pem SiitreppeS iPen* tifcp, läßt ftcfj Purcb oerfcbiePne fünfte befeftigen. 3n jePem gatte aber War Paö 2öerf ein Porträt.

36) Sie „pierique“ urtpeilten fo ; Deerbccf, ^laftif 1, 345 fcpeint PaS auch nicht „gelegentlich*, fonPern bei Per SepanPlung ^olpfletS »er* getragene Urtpcil Pcni iHiniuS fetbft zujufcbreiben.

37) Sie llnwahrfcpeinlichfeit PeS 33e;uge8 einer Snfcprift hierauf (f. Ooerbetf SQ. 998) hat Stephani (Compte r. 1866, 140; 1869, 112) gezeigt. 3(ber aud; fonft ift Pie gewöhnliche Sbentifijirung mit Pem non fPaufaniaS gcfepcnen fPhriroS (Pie Ooerbecf $>l 1, 357 als nottfontmen ficber annimmt) fehlecht begrünPet, inPein eS zunäcpft jcbon fehr auffaflenP wäre, wenn ein ©cnoffe 'PolpfletS auf Pie SlfropoliS in Sltpen gearbeitet unP 'paujaniaS PieS nicht einmal erwähnt haben foftte. gerncr aber fann Pie 3lnnabmc ju ergänjenPer mnthoiogijcher Flamen bei ipiiniuS nur mit größter Verficht gefepeben ; Pie nächfte 'Analogie unP gcnügenPe Srflärung bieten aber jene sacrificantes- Porträts. ©nPlicp ift noch *u beachten, Patj ein ebenfalls peloponneftfcher 3eitgcnoffe PeS DtaufoPeS, ncmlich $>atrofleS unter Pen Sarftellern non sacrificantes genannt wirb, ©anj analog ift Per buthytes (34, 78) PeS fonft un- befangen SftPot : wie bei Pem SSerfe PeS s)iaufpPeS ift nur PaS fDlcti» einer ^priefterftatue $u erfennen. Safür Pag 'PliniuS neben Pen allge- meinen Diubrifen »on 'Porträtftatuen auch ©njelwerfe Perfelbcn fHubrifen mit genauerer fBejeicpnung PeS SttiotiöS angibt, ift ein jweiteS Seifpiel Per „digitis computans^ PeS ©ubulibeS (34, 88), Penn offenbar bezeichnet er nur genauer eines Per fBtotioc Per „philosophi.“ SaSfclbe 2>erpältnifj waltet jwifepen einem „destringens se“ unP Pen „athletae“ ob.

38) ©ehr unwabrfcpcinlicp ift mir, Pag alle Pie bei fPliniuS 36,

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23 genannten Sßerfe im Jöefi^e beg Sl'iniug 'Pcflio ursprünglich eine ©nippe gebilbet haben feilten.

39) (Etwag Söiüt^ifdjeö anjunehmen, ift gar fein ©runb torhanben ;

ungleich näher läge eg, aud) hier (»gl. Sinnt. 43) an ©rabmenumentc

ju benfen, wo ähnliche SOlctioe ja gewöhnlich fmb; inbeg ift auch bieS

niebt notfeig. 3>erwanbter Statur mfiffen bie adornantes s<> feminue ton Slpetlag gewejen fein (benn bieg, nict?t adorantes ift bie richtige ton Detlefjcn aufgenemmene gegart hei 'pliniug 34, 86). SBegen biefer SBerfe möchte ich ben Äünfiler lieber erft ton ol. 1ÜO an arbeiten laffen, al§ fchon ten ol. 90 (tgl. Srunn, ©efch- b. gr. Äünftlcr 1, 287);

Ätmigfa Fonntc ja bie jüngere Schwefter beg StgeftlaoS fein unb bag

betr. Deitfmal längre 3eit nach bem Siege aufgeftellt werben.

40) Der SluÄbtucf lopvrev bei Äalliftrat fcheint bieg ui betätigen (cgi. Sinnt. 29).

41) Pausan. X, 15, 1, Dterbecf SQ 1269 ff.

42) Pausan. IX, 27, 5. SQ 1246, 1251.

43) Sin ber 9iof)beit fcer .fompofition mit Diecht Slnftetj nehmenb,

termutheten grieberid}« ('Prariteleg S. 56) unb Selbig (glecfeiieng 3ahrbücher 1867, 659 Slnm.) 'Perfonififationen. 3cbeg bie ganje ©e* genüberftellung ift ohne Slnalogie in jener 3cit unb fcheint mir lebiglich ben (Epigrammen, auf bie ja bie ganje Stelle mit Sicherheit weift, ju entftammen, ähnlich wie bieg j. 3). bei bem viciliter puer unb molliter juvenis beg 'Pclpflet ber gall ju fein fcheint (tgl Diltbe» im Sifaein. SKuf. 1871, 290.). ©ewig nicht ohne ©runb war aber bie Slnficht im SUtertbum, tag bie ^Buhlerin 'pf-rpne fei. Dabei ift ju beachten, bag feine ber jwei in unb Delphi befinblichen ^Mjrnneftatuen bei

pliniug erwähnt wirb. Die flens matrona ferner war gewig bagfelbc' wie bie ton Stftennig, alfo, wie wir oben falten, bie Statue einer weh* mütbigen grau, wol für ein ©rab; bag 'Prariteleg eben folchc SBerfe machte, geigt ber Ärieger neben feinem Sieg alg ©rabmonument (eni^*,u,x beg rttipcg nennt ihn Paus. I, 2, 3/ alfo Statue). S3eibe urfprüng* lieh getrennten SBerfe würben bann in Epigrammen (tielleicht auch in Kopien) gern gegenübergeftellt, alg Dtpen jweier ©egenjäpe.

44) 3war mügten nach ber fonftigen Slufjählungsweife beg fPliniug 34, 79 ber mango unb ber puer getrennte SBerfe fein wegen beg eben- fadg afpnfcetijch torljer angeführten Apollo diadematus; hoch fachlich berechtigt ift bie gewöhnliche 3ufammenfaffung berfelben ju einer ©nippe;

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nur muß man bann entmeber ju puerum ein nerbinbenbe# et (que ac) binjuconjiciren, ober, ma# mir tcabrfdieinlid>er , eine Ungenauigfeit be# Pliniu# annehmcn, ber bie Äürje feine# (Ercerpt# beim ©erarbeiten au# jjflücbtigfeit miSnerftanb.

45) Stephani Compte rendu 1868, 82 ff.

4 ) Compte rendu 1869 t. III, 12 ff. 3)ie treffliche @ruppe eine# päbagogen unb feine# Scbufcbefoblenen ib. t. II 2 bat etma# bem SBerfe be# i'eorfjareß wie mir e# un# benfen, geiftig ©erroanbte#. ÜBa# bie trunfne l'llte Piaroni# in Stnprna betrifft, io finb SBuftmann# 91u8« fübmngen im 91. jRbcin. ÜJluf. 1867, 22 nerfebrt unb gänzlich falfcb. ©ennberf# ©c benfen ’llrcb. 3tg. 1868, 78 beruhen auf ber nicht jutref* fenben ©orftellung, al# fei pliniu#' fehler au# ben (Epigrammen felbft geflcffen ; bieie lehren un# ja mciter 9licbtS, al# baß man unter Mapum; eine berüchtigte alte Ürinferin nerltanb. Sföie nab lag e# nun, baß ber Zünftler (melleicht auch nur ba# publifum) feiner ©enrefiatue einer be« trunfenen ?(ltcn non ber 2lrt ber un# crbaltnen, jenen ^ieffir tppifchcn 9lamen beilegte Maptuvcs fonnte alfo febr mobl eine in Srnprna be« finbliche berühmte Statue beigen unb als fclcbe non ben Quellen be# PliniuS befchrieben merben.

47) j. ©. Compte r. 1869 t. II, 7. 8; p. 146. 9Ucf?t in# ©ebiet be# ©enre# gehören : (Der (ober bie?) adorans be# ©oebaS, be# ©ohne# Scftpp#; er ift mie bie sacrificantes ju beurteilen; ber betenbe Änabe in ©erlin, ben man auf ihn jurücfgefübrt bat, gehört in« beß auch nicht ,bem ©ebiete be# rein ©enrebaften” an (Cuerbecf, plaftif II, 115); auch bamal# erhielten ja Ultbleicnfnaben noch 'oft Statuen (j. ©. SQ. 1518 non ITaippo#) unb au# ?nftppiicber 3«it mag er mobl ftammen. 2)er senex Tbebanus non Üififrate#, non bem fonft nur Porträt# genannt merben, mar niclleicht auch eine#; inbeß fonnte man auch an Jeiretla« benfen. (Sbenfomenig ift bie epithyusa bc# pbani« ein „©enrebilb*, fonbern gehört in bie ftlaffe ber epfernben grauenporträtS. (Epigonu#, rnabrf (peinlich erft au# pelleniftifcbrr Seit, macht (PI. 34, 88) bie (Erjftatue eine# irompeter#. 2)a nun an ben großen §eftfpielcn auch Srompctcr mettfämpften, ma# namentlich non einem gemiffen ^erobere# ju (Enbe be# 4. 3bp. berichtet roirb, fo fonnte (Epigonu#' Statue leicht ba# Porträt eine# folgen Sieger# fein. 5>aS« felbe fann non einem ©ernälbc be# Slntibotu# (pl. 35, 130) nennu« tbet merben, non bem außer bem tubicen noch ein luctator unb ein

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dipeo dimieaus, b. h- tuofjl ein fpoplitotrem genannt werben lauter gleichartige, auf bie SBettfämpfe bezüglichen SBerfe. 'Diacb ben bi«be« rigen Analogien ift auch Simon’« (Srgwerf, ein .£>unb unb ein So- genftfcübe (f)l. 34, 90) gu beurteilen ; felgt wabrfdgeinlidj gehörte ber 4>unb gum Schüßen unb Bit fjaben nur wieber eine fpegiellere Angabe über einen ber „venatores*, alfo ein ‘Porträt, aber nicht ba« eine« ®rie» (ben natürlich, fonbern etBa eine« Äreter« ober Sfntben, für Weid?’ leitete bie @rie(ben ja jo viel arbeiteten. SDann fann aber biejer Si» mon mit bcm alten Slegineten gleichen SRameu« nicht ibentijdg fein. 3Ba« ba« bei piiniu« folgenbe ,scopas uterque“ betrifft, fo ftnb bie beiben bieberigen (Srflärungen nicht ltidjbaltig: ba« Unbegrünbete bet weit geholten ^Deutung non scopas al« Satprn in tangenber ^Bewegung würbe fdjon pon anbrer Seite bemerft; nocb weniger fann aber bie non (Sinigen angenommene ©onjeftur copas jugegeben werben; man fteUte fich barunter f^mucfe ÄeHnerinnen per, bie nicht nur Stratonifo«, fonbern in merftnürbiger Uebereinftimmung auch ber ebenfatl« mit S beginnenbe Simon reibenweife fabrijirt haben fotl! Solche« fomjte man bem anti* fen @enre gutrauen! Ueberbie« ift copae ein gang römiicbeS Stört wie SBegriff, für ben ba« griecbifcbe Original, ba« aber fcbwerlicb ejriftirt, erft na<bgewiefen werben müßte. Offenbar ftecft bie Äorruptcl in uterqae ; Scopas ber Äünftlemame, ber ja in bie alphabetifdje Slufjäh* lung trefflich paßt, ift beigubebalten; man fcnnte gwar ben berühmten SJiarmcrfünftler näher begegnet wünfdgen, aber notbwenbig ift bei bet inconfegnenten 9lrt eine« Sompilator« wie piiniu« ein foldger 3ufaß nicht. 3>a in biefem atphabetifdgen Kataloge immer ber Äünftlername nor ba« SBerf gefegt wirb, fo Permutbe idj in uterque eine Pon Sfopa« gebilbete ®attung Pon ©egenftänben. 3ft utrarios gu lefen? b. ß. Stblaucpträger, i<rxo<\dpev$, Saturn ober SUene mit Schlauch, wie wir fle au« DJtonumenten ber jüngem Slttifcpen Schule fo gasreich fennen?

48) SBenn Stephani neuetbing« (Compte r. 1870/71, S. 99; ogL Mölanges Greco - Romains tome III, p. 398) mit ügioenteht be» bauptet, er fei nur eine ftatuarifcbe fttacbhilbung be« ©cmälbe« be« Protogene«, fo ift ba« recht wohl möglich, inbem ba« SDiotio be«felben jebenfatl« feljr ähnlith war. 9luch baß no<h Protogene« in wefentiicb Praritelifchem ©elfte bie« ®erf gef Raffen habe, wäre in biefer 3«t ber ttebergänge unb ber (ich burthfreugenben ^Richtungen nicht« Sluffaflenbefl.

49) 3Bie ftarf bie Steigung, bie Sbealität antifer Statuen in mo«

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mentane Situation aufgulcfen, leitet oft noch ift, geigt g. 23. He Slug, einanberfchung über He „3bee" ber Sltbena parthenog bei Coetbecf, plaftif I, 225.

50) 5>on Stephani itn Compte r. 1870/71, 69 ff.

51) Paus. 1, 8, 4. Diicht unmöglich märe, trag üoerbecf, SQ. 1306 oermutbet, baß er mit bem Apollo diadematus (Plin.) beg Üeo* cbareg itcntiicfi; ein Hinneigung gu gpfippifcber ‘fluffaffung fcbeint im „mango“ oorguliegen , and? arbeiteten beibc Äunftler gujammen gemein» fam (an ber Slkranberjagt).

52) g. 23. bcni Sllejranber bei Chirac rntisee de sculpt. 264, 2100, bem Heraflcg cbba 301, 1968; 785, 1966; auch am bogenfpannenben ©reg. Sludt ber ein Sein aufftellenbe Sllejranber in 'JJiüncben (®lppt. Dir. 153) gcugt ton bem Streben nach momentan beroegter Raffung in üpfippifcber ÜBeife. Slug all bicien unb ben im Serie angeführten Sbatfacben erhellt, tag icb ber Scljauptung ©. pcterjeng (/Pbeibiag S. 418), Bpfippß ©etter feien äußerlid) ruhiger gemefen, alg bie beg Prajriteleg,. nicht bcipftichten fann.

53) Diacp Sinologie beg bei ben 23ilbbauern 23emerften eermeife ich, hier allcrbingg mit geringerer Sicherheit, golgenbeg aug bem ©ebiete beg ©enreg in bag beg porträtg; gunäcbft bic Sltl/leten bei pliniug, non 3eujrig, ©upompcß, Slntibotog (Ogi. Slnm. 47), Protogeneg unb Saurig* fog; auch bie garfclläufer in ©lig ocn pprrhon gehören l;ieher, eon bc» nen Slntigonog ber Äarpftier bei Diog. L. 9, 61 berichtet, ©inmal nennt ung piiniug (35, 138) ein folcheg SUhletenporträt namentlich, nemlich ben Dicjrippog oon Sllfimachog aug Slleranberg 3eit. Sludj Priefterporträtg mürben gemalt, toie mir bieg ocn bem DJlaler Sgmenia« beftimmt miffen. So merbcn mohl auch manche ber bei piiniug aüge* mein angeführten trieftet ober Sctenben Porträtg gemefen fein: fo ber sacerdos adorans beg Slpollobor, beg Parrhafiog sacerdos adstante puero, oielleicht auch Slriftibeg’ supplicans paene cum voce. SDafj bie anus ber 3aia in grandi tabula (35, 147) ein Porträt mar, be» »eift ber 3ufammenhang (imagines mulierum grauenporträtg mie gleich § 148 imaginum pictbres = Porträtmaler). ©ine Slrt oon gamilien» ober ©efchledrterbilber, natürlich Porträtg, fcheinen fol» genbe gemefen gu fein (»gl. Uriicbg chrestom. Plin. p. 353) : beg patn» philog cognatio, Simoma^og’ cognatio nobilium, Sltheniong frequentia quam vocavere svngenicon, ICiniag’ syngenicon unb entlieh ätoinog’

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stemmata. ©etciß gehörte berfelben (Gattung bie Ben 'paufias fctce^I als non feinem Schüler Slriftolaoö (PI. 35, 127. 137) erwähnte bouin immolatio an, ein Stammes*, ©cfcßlecßtS* eher gamilicnopfer. ®ie äJejcicßnung <ruy yenxav (sc. Upc'v ) gibt ben ©efammtinbalt, ben ' ütcl teS 33ilbeS oßne Diücfficßt auf bie SarftellungSart an, „boum iramo- latio“ baS ßernorragenbfte fünftlerifcße fölctio. fbe^eießnent ift, baß ge* rabe nertniegenb bie SittJonifcße Schule, 'PampßileS, 'Pau'iaS, Slrifto* larS, felcße beä Schwunges unb ber ’5>^antafie ennangelnbcn 59erfe icßafft. (ülucß ?ttßcnien als Schüler eines unbefannten ÜJleifterS aus Äorintß ttirb Ben ber benachbarten Sifccnifcbcn Schule beeinflußt »Ber- ten fein.) 9Jlit tiefen gamilien* ober ©ejcßlccbtcrbilberR, bie feit SDtitte teS 4. 3ßh-, b. h- feit tem Aufblühen ber 'Pcrtrütfunft , in ber alten SKalerei auftreten, läßt [ich nielleicßt nidjt unpaffenb ber namentlich int 17. 3bb- in ben 9lieberlanten häufige 0e brauch ncrgleicben, nach bem man fiel? t orporationSweife porträtiren ließ, fei cS nun beim SJlable ober beim Otatbe ober fonft in einer ber betr. dterperjehaft cntfprccbcnten Situation. Schließlich tnareit noch folgenbc ©emälbe bei PliniuS tnahrfcheinliche 'Porträts: ber navarchus beS 'ParrhctfioS, nielleicßt feine Sßrafifcßc Slmnte, ber SPragöbe beS StriftibeS (Bgl. ben ©orgoftßencS teS Spelles); ber ©reis besfelben, einen Änaben in ber Seier untermei* fent (sgl. teS ^ßilccßareS ©reis mit Sohn) unb ber ©reis ber Äalßpfo; bie amica Bon £)abrcn entlieh mar ein £>etärenporträt , wie fie in fpä* trer 3eit zahlreich waren (Bgl. bie Silber ter üeontion, bie ,$>cmo* grapßen ' ) ; bie allgemeine SeSari ber ^»tfeß. amica in an unfrer Stelle (35, 141) ift baßer Hießt ju Bertoerfen ober Amicitiam bafür einjufeßen, baS man wegen beS folgenbcn et Concordiam conjicirte; ’O/uoveut aller* bingS jtar ©ettin mit Üernpel unb Sltären, Bon einer 4>d.üt ift uns bieS aber nießt befannt (nur eine 'Jlpmpße ßeißt fo Diod. Sic. 5, 52).'

54) 3n ter 3bentiftjirung beS bei ipiiniuS aus SDefulo genannten archigallus mit bem Megabyzus bei SjeßeS ftimme icß Surfian Stlg. @nc. I, 82, 470 bei; erftre ift nur eine miSBerftänblicße latiniftrte S9e* jeießnung.

55) SaSfelbe Bon Aelian. vtu. hist. II, 44 auSfüßrlicß befeßriebne 33ilb füßrt aueß fMininS 35, 144 als „erumpentem“ auf, was mit Sennbcrf, tem 3)etleffen folgt, ftatt beS Berberbten emungentem ßerju* ftellen ift; naeß ©ewoßnßeit begnügt fteß 'pliniuS baS fÖlotiB an;ugeben.

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56) Sgl. über itm neueftenS 23runn in ÜJleperS tfünftlerlejricon II, 252.

57) Plin. 35, 78 Semiramis ex ancilla reguum apiscens, anus lampadas praeferens et nova nupta verecandia notabilis. 3<h glaube görfterS Sebenfen (3Jr^. 3tg. 1874, 89) jurüefweifen unb ÜBrunnS 3>crmutl)ung »on ber 3bentität ber SemiramiS unb nova nupta al« f)C<bft toahrfcbeinlith bezeichnen ju bürfen. @8 ift nemlich flar, bafj ba$ ganz abftrafte Semiramis . . . apiscens nur ber rein gegenftänblidje ftofflidje SEitcl eine« ©emälbeS fein fann, ber uns öen ber fünftlerifchen üDarftetlung fefbft auch nicht einmal eine Slbnung gewährt unb be8t>alb bie folgenbc (Srflärung gerabeju »«langt; biefe geigt un8 nun, wie }ene8 apisci ber ÄönigSwürbe bargeftefit war, ncmlich bureb bie £oehjett, wie eS benn bei Semiramis faum anberS möglich war. 3 ftblagenbe Sinologie erhält bie Stelle burtb 35, 136 cognatio nobilium, palliati quos dicturos pinxit, alteruni stantem alterum sedentem. ffiie oben fommt 3tterft ber $itel be8 SilbeS, ber bloße Stoff, bem afpnbetifcfj al8 ©rflärung bie fünftleriftbe ©cftaltung angeftbloffen wirb. 3)ie Seutung ber afpnbetifch angejcbloffencn ©orte al8 eperegetifch jum Sorljergehenben wirb tn beiben gälten baburtb ermöglicht, baß fte ba8 @nbe ber Slufjäblung ber ffierfe hüben unb fein neues afpnbetifcheS ©lieb mehr folgt; benn wäre leßtereS ber galt, fo müßten »erftf?iebne ©erfe angenommen werben.

58) gür bie 9lrt ber ©ebanblung fann an bie treffliche 8ron$e- Statuette eines Äranfen erinnert werben (Revue arch. 1844 t. 13; UftitbaeliS, 9lr<h. 3tg. 1874, 60), bie 2tnatl)em eines ©eftimmten war.

59) 35gl. über baSfelbe ©runn in 9JleperS Äünftlerlejcifon II, 169.

60) 3bre hifterif<he Stellung ftheint mir görfter 2lnh- 3tg- 1874, 90 ff. richtig beftimmt ju hoben. 2>ie Sinnahme jweier ©öttinnen Jebobh fcheint mir nicht nothwenbig.

61) S. 3ahn» Sarftellungen griechifcher ^Dichter t. 3—7.

62) S. Stephani Oompte r. 1868, 131 ff.

63) 3- 33- Gerhard, Auserl. Vas. 4, 327 peleuS auf ber §irf<h* jagt ; 9JI ü Iler- ©ief eie r 2). a. Ä. 1, 217 SEpbeuS, EbefeuS u. f. w. Sluch auf metallenen 8 echern waren SagbbarfteUungen beliebt*: wir wiffen, bafj beS StfragaS, eines berühmten GälatorS „venatio in scyphis magnam famam habuit.“ „In scyphis“, weil man gewöhn- lich ein |)aar ton ©e<hem (bei Skalen ift es anberS) mit ber gleichen ©arfteüung »erfeben 3U haben fcheint. 9RpS macht quattuor paria;

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gewSbnlicb wirb Bon jnjet Seebern jufammen gefprocben: PI. 33, 147 duos scyphos Mentoris manu ; 34, 47 duo pocula Calaniidis manu. 3cppru6 [teilt (33, 156) Areopagitas et judicium Orestis in duobus scyphis bar. @8 ift, abgefeben Bon tem ©iberfprucbe mit bem ©ort- laute bei ’pliniuS, auch fünftlerifcf? ganj unmöglich mit Urlicfta ehrest. Plin. p. 301 fyter anjunebmen, auf bem einen Secber fei bie Serl;anb* lung, auf bem anbern bie SoSfprecbung oorgeftellt gerne jen. Offenbar war e8 nur ©ine Sarftellung, ba$ (Bericht be8 Orcft Bor tem Slrccpag, toie ^Miniua’ ©orte beutlicb fagen, unb tieS eine Silb befanb ftcb auf ben beiten ©egenftücfen, toie e$ bet ber venatio beö Slfragaß cbenfo her §all mar. Sie Seit be8 lefjteren Äünftler» ift wegen ber .Kentauren mit Safebantinnen in bie 3lleranbrinifd;e ©poche l;erabjurüc!en. Sic angeb« liebe tbronologifcbe Slnorbnung ber Soreuten bei pliniuS ift überhaupt unhaltbar.

64) Slucf) mptf;ologifcbe , cl;ne baß ber SEppuS nach ber Sage ge* ftaltet märe, 3. S. ®ert;arb, Stuöerl. Safenb. 3, 188.

65) 0. Sennborf, grieep. ÜBafenbilber t. 14 ff.

66) ©. 3abn, Berichte ber fäcfjf. ©efellfcb. 1854, S. 249; -fcepte* mann, ©riech. Safenb. t. 12, 1 10, [pilfat. 3—8. Compte r. 1863, II; 1868, IV.

. 67) S. befonberS Antiquites du Bosphore t. 64; 70; 72; 73.

Compte rendu 1859, 3. 4; 1863, 1; 1868, 3. Siefe ©erfe reiben ficb bicr am heften ein. Sie be»orftel;enbe Sammlung aller Üerra« fetten wirb mobl über ihre b>iftorifc^e Stellung ftcfeerercS üid)t Berbreiten, wobureb fte erft für bie ©efebiebte beb ©enreö ein wichtiges, freilich wegen be$ nerfebietenen Stanbpunftä ber -Klein* unb ©rojjfunft nid;t 3U über« jcbäjjenbeS, ÜJlaterial mürben.

68) Elite ceramographique 4, 17. 18.

69) Ueber alle biefe hier nur angebeuteten punfte f. meinen ,,©ro« in ber Sajenmalerei" 0. 28; 48; 77 ff.

70) Surtb ^ein^eit unb Schärfe beS Slubbrucfb Berfte^t er bie5 noch nicht ju erreichen, meäbalb er ju perfonififationen (Credulitas unb Dolus, roobl bureb Snfcbriften bezeichnet nach bamaliger Sitte) feine Zuflucht nimmt; tiefe [teilt er ganj nach Slrt ber Safen neben bie 'Per* fönen, beren innern ©barafter fie bezeichnen füllen. SJlit Unrecht fe|jt ihn baber £>elbig (Slecfeijenö 3abeb*1867, 663) burd;au3 in eine 9ieit;e mit Scuriä unb ParrbafioS unb glaubt mancbfaltige. pfpcbologifcbe ©baraf«

XI. 245. 24«. 7 (237)

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teriftif bei il;m annehmen ju bürfen er bilbet nur ben organijchen Uebergang ju jenen.

71) 3$ Fann baljer ÄeFule, SIFabcm. Äunflmujeum ju ®onn S. 42 ff. nicpt beipflicbten ; gewiß nicht jutreffcnb ift feine momentane Raffung bc« £>cgcferelief«, wonach biefelbe fich unmittelbar »or bem 5£obe (auf bem Stuhle?) ba« Schmucffäftdjcn bringen ließe »on ber ängftlichen Wienerin, um ba« ®cfte mit in ben £abe« ju nehmen. SÜJlir fcheint ber Äiinftler nicht« Sinke« haben barftellen ju wollen al« ba« Sein unb SBefen einer (ebenen grau mit berechtigter weiblicher ©telfeit, fo wie ber Slriftion eben nicht« al« ein braoer Solbat, ber DJiann »on Orchomeno« ein guter 9anbwirth ift u. f. f.

72) 9ßgl. Selbig, Unterjuch. über b. Gampan. SBanbm. S. 83 ff.

73) Söei bem juvenis requiescens beöjelben fann man an bie in ben Gampanifchen SBanbbilbern fo jahlreichen genrehaft gefaßten mptbo* Icgifchcn ©eftalten ruljenber ober fchlafenber Sünglinge, wie ©anptneb, 9tarfiffo« unb befonber« ©nbpmion unb an ba« eine jener jehönen IHelicfö gried)i jeher ©tfinbung bei Söraun erinnern, ba« einen fchlafenben jugenb* liehen 3&ger barftellt, infofern jener ganje JRcliefchFluS auf ®orbilber helleniftifcher SJlalerei jurficfjugeljen fcheint. Sßgl. noch ^nrn. 87.

73 n) jforchhantmer in ber Slrd). 3tg. 1875 S. 47 hält il?it für einen Serfertiger »on SeuFomata, übergip«ten lafelit.

74) S. £>elbig a. a. £>. S. 77 ff.

75) jS3gl. Selbig a. £>. 76; meinen GroS S. 84 ff.

76) 93gl. bie jehönen SluSeinanberfeßungen bei geling a. £5. 185 ff.

77) S. Selbig a. £5. .Kapitel 23.

78) S. £elbig a. £). 97.

79) S. £>elbig a. D. 187. ®eifpiele bieten Clarac musee t. 879; 880; 881; 882.

80) S. Clarac t. 742; t. 287, 1755.

81) 25ilthep’8 Sßermutbung (SRehin. DJluf. 1871, 300), auch tiefe ©ruppe gehöre einer SHuperft« an, entbehrt aller SBabrfcheinlicbfeit.

82) fmb ad?t Statuen, jufammengeftellt »on 3ahn (Säcpfijche Berichte 1848, 45) unb Stephani (Compte rendu 1863, p. 55). Ükrwanbte UJlotioe nnben ft<h auch in ÜcrraFotten, f. Stephani a. £). $injufügen Fann man eiue Statuette bc« 'JJiünd)ncr Slntiqua* riumS 9lr. 44, bie auch ben aufgeWcnbcten 93Uc? jeigt, hoch ohne ©an« unb beite Sinne auf geflößt. ©ine bireFte 9U'l;ängigFeit »on ber fta-

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tuarifd>cn Äompoftticn fann inbef; nirgend mit Sicherheit angenommen »erben.

83) üDiefeb ©er! hätte tat}cr Onerbect, wenn bo<f> einmal nertnu* thet werben feilte, immerhin mit jenem bei Paufaniab genannten „fijjen* ben Äinbc* bed Soetl’cb ibentifijiren fennen, nimmermehr aber ben 2)orn- aubpeper, gegen ben ja fd)cn rein jpracblich bie Sejeicpnung mttölw bei Paufaniab fpridjt, benn itjn würbe er Trat; genannt fjaben.

84) 0. bie 3nfammenftcHnng bei Stephani CR. 1803, 53 Slnm. 6; p. 54 A. 1 unb 4. 2>ie bei Stephani erwähnte Statue Clarac 878, 2231 gehört einem Üijpub an, non bem nocp ib. 876, 2236 A.; 878, 2239 ju bemerfen ftnb: fte fmben ein furjeb ©ewanb, bas an ber l. Seite etwa« ijeraufgenommen wirb burch ben l. Sinn, ber ur- fprünglicp wohl immer einen Segel anbrüefte.

85) 6. Clarac 875, 2234; 677, 1577; 881, 2243. 3cf> be. gnüge mich ijier nur auf bie -frauptgruppen hinjuweifen; hoch wäre eine genauere -üefyanblung ber jo nernachläffigten Ainberftatuen jepr wünfebene* werth. (£b müßten babei aber auch bie gettlidjen jfinber perangejogen werben, unb nor allen (Sro®, ber fdjon tpeilweifc auf ben fleinen Äinber* nafen, unb in ben fpäteren Serrafotten in ganj benfelben fDJotioen bar* geftellt wirb wie bie menfc^lie^cn -Kinber.

86) S. Clarac 884, 2259, 2252.

87) Clarac t. 875;#882, 2247 D; 879, 2242; 726 H, 1791 C. 781, 1954 (fcpwerlicp £>erafleb, bie Schlangen bejeiepnen bab greic, Sänblicpc?); 644 A, 1459 E (auch -Kocher unb Sogen ntobern?); 749 C, 1949 A (bureb bie Urne alb Srunnenbefcraticn beftimmt). 3ünglinge finb ber fcplafenbe 3iegcnpirt 741, 1784 uub ber gifeper 882, 2247 C. £ab Scplafen fd;eint in ftatuarif eher Äunft erft iu ber helleniftifchen 3eit oerjufemmen, wenigftenb ragt Wopl fein Original beT nieten fc^lafenben Dtpmphen, Stänaben, Slriabnen, Satpm, (Srotcn unb .fcerinaphrebiten in ältere 3eit jurücf.

88) Ser allem bie fjodjft lebenbige ®ruppe bei Clarac 880, 2254, beren Stil (narp Srunn) auf bie pergamenifepe Schule weift. ger* ner ib. 2252; 884, 2255.

89) Clarac 878, 2237 A; 876, 2240 (ngl. bie Serrafcttc Comptc rendu 1868 t. III, 9, Wo ein ^ünbepen naepläuft); 540, 1135; 641, 1454 (ber fleine CSroS nebft halber piintpe mobern?). Sluch 9ttI>Ie* tenfnafcen fommen nor unb jwar wohl alb ©enreftücfc; fo CI. 883,

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2256 (fotf intaft fein); 651, 1483 «Sieger megen beS vPalmftamm6? 349, 2225 A Sieger beim .fctagnenfampf.

90) ü)lit *p o l B f I c t bat eS aud' nicht bie entferntefte i'Crmanfctfcbaft

(OBerbeef, sptaftif 1, 345 möchte cS auf il)n juriicffüliren) ; febon ba5 Ben ter Schulter finfenbe ©cmanb geigt bic fpätre 3fit an ; bic ©efufyW* 31'ige finb portrütartig. Scbmerlicb ein ©enrebilb mar bie gemalte „puella“ in ©leuftS Bon ©irene (Plin. 35, 147); mit 9iec§t Bermu» ttyete man tgeilS eine nou$ ät p’ hrrutc, tl)ci(8 eine miSBcrftanbnc lieber» fefjung Bon K cpv;. Ungcmig bleiben mir aud) über baS 3i>crf eine« ÄtcfiflcS in SamoS (Athen. 13, 606a); SltbenäuS felbft nennt baS» felbc nur Ilafiov , $)l)iIcmon ’KQivov £tucv, 9llejri8 bagegen

kiSlvy xc fr, (Oocrbccf SQ 1372 lägt bic beiben Sicbtcrftellen meg); ba c8 bei ber betr. ©rjäblung immer nur barauf anfam, bag e8 ein fteincrncS SBejen mar, in baS fid? @tner eerliebt , fo gab man ben eigent- lidjen ©egenftanb gar nid)t ober nur ungenügenb an. 9tucb ob bie gleich barauf bei 2lthcnäu8 ib. 606 B aus bem pellabifoS beS §>olcmon citir» ten rrxiöti kl^u/oi S\>o ©enrcftücfe mären, ift ganj ungemig.

91) Äefule, baS afabemifepe Äunftmujcum ju 23onu 9t r. 399 (S. 99).

92) ÜRaturaliftifdje 3«ge Berfichcrt aud) 93runn nicht an ihm be« inerft ju gaben. ©ttna§ 2lnbrc8 ift e8 mit bem betenben .ftnaben jum 33eifpiel, mo ber ?pfippif<be ©influg unleugbar ift.

93) üBgl. bic eingegenben llnterfucgungen Bon fbelbig a. O. S. 7 ff. Sie Annahme einer „BU’lieid't früheren,' ber fPafitelifcgen im 2Öe» fcntlicgcn analogen Schule febmebt ganj in ber Suft unb ift an fid) menig magrfcheinlich.

94) 3>gl. bie feinen SBemerfungen Bon Äefule , ber Äünftler SJicne» lao8 S. 32 ff.

95) SBgi. a. O. S. 18 über bie Originalität ber ©ruppe l'uboBifi.

96) Sinnlos ift offenbar bie Haltung bc8 l. 9lnn8 am 9Jlantuaner 9lpofl Bon bem Originale bc8 ?cier fpielcnbcn ©otteS beibegalten.

97) 3cg gälte mich gier an ba8 9Bef ent liebe unb ba8 f ich er au8 sPafttcle8’ Sdjule Stammenbe (Bon bem ©amilluS j. 33. ift bieS feines» megS ausgemacht). Sie ©ptppe be6 9Jtenclao8, bie, bem efleltiftgen ©garaftcr ber Schule cntfprccgenb, formal eine ganj anbre JKicbtung ein« fchlägt, bemeift burd) bie 9lrt ber ftubirten, matten unb unflaren Äom»

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pofttien ebne £anblung, bafj biefe geiftige (5tgcnftf?aft eben ber ganjen ^afitelifcben Mübtung toef entließ war.

98) Schließlich will ich noch ©ine« erwähnen, ba« mir gegen $ajt* telifche Schule ja fpreeben fd>eint : eine SDRarmorreplif be« ©ornauBjie* ber«, bie bemnäcbft »erfifentlicht werben füll, wiebcrbclt jwar ba« ©runb» moti» , ift aber in ber ?lu8fübrung total »erfebieben : eine freie, an bie 'Pergamenifcbe Äunft crinnernbe rcaliftifcbe ©ebanblung, befonber« im Äopfe, tritt an ©teile ber Sllterthümlicbfeit. ©tammt nun ba« (5npito- liniftbe ©rjtoerf au 8 ^afttele«’ Schule, fo frnb nur jwei gleich unwahr- fcl&einlidjc Slnnabmcn möglich: entweber ift ber Scanner Äcpie; baß man aber nach $>afttele8 unb nothwenbig halb nach ihm ein ©erf feiner Schule feine« (altert^ümlic^en) Gbaraftcr« unb $auptintereffe« beraubt unb frei umgeftaltet batte, ift unbeufbar. ©ber ber -Marmor ift Ori- ginal ober fteht wenigften« bemfelben näher bann wiberfpriebt aber bireft bem Gharafter ^»afitelifcher Schule, baß fie ein Original betOia- bo eben periobe in folcber Seife umgeftaltet hätte, baß ein ©erf non ber »ollen paefenben Ginheit, bem jarten unbewußten mit ber Äompofition »erwachfenen 9lrd>ai«mu«, wie bie Gapitolinifche ©tatue ihn jeigt, hätte entftehen fönnen. Stil biefen Schwierigfeiten entgeht man nur burd? unfre Annahme eine« Original« be« 5 3hh-’r ta« fpätre Umbilbungen im (Seifte ber 3eit erfuhr.

99) ift intereffant, baß eine Segenbe ber mobemen Meiner fogar eine biftorifebe ‘perfcnlicbfeit au« unferm ©ornauSjieber ma^en will. Slan er- jählte, ein ^irtenfnabe habe bureb bie fcbnelle Sotfcbaft »om ltnoermu- theten .'öcranrücfen ber ffeinbe bie ©tabt gerettet unb bei feinem 9aufe auf« Gapitol einen ©cm nicht geachtet, biefen erft nachher auSgejogen-, au« ©anfbarfeit habe ber Senat ihm eine ©tatue al« ©omauSjteber fefcen laffen. ©a« ganj bejiehungSlofe ©enre febeint , wie bem Gbarafter ber Deffentlicbfcit unb ^Monumentalität nicht entfpriebt, fo über- haupt ber SMaffe be« SPolfc« niebt recht »erftänblich ; biefc« fucht überall beftimmten Snbalt unb SBejiebung auf fnh unb wo biefe nicht »orhanben, ba bittet fte gerne bem populären ©erfe an. ©aber fennt ja auch bie ältere burchau« öffentliche Äunft ber ©riechen nur ba« burd? eine religiöfe Sejiebung beftimmtc ©enre, bi« bie häufigere prioatc Seftim* mung ber ©erfe auch biefe geffel löfte.

100) 3nbem ber ©omau«jieher entfehieben ber Slttif^en ©chule ju* fällt, bietet er lurcb ben ©ppu« feine« Schübel«, ber ganj bie »on Gonje

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aufgefteUte pelepenncfifcpe ©Übung geigt , ein neues ÜJloment gegen jene Ipcoric.

101) Set Sluffap ©rijio« erfetjien erft nach Slbfafjung tiefer Schrift; ba er fid> jeberf; wenig mit meinen ©efteptspunften berührt, fo glaubte ich ben Scpt unueränbert ftepen lafjen ju bürfen, um je mehr ba Srijic, obwohl auch « rin Serf be« 5. 3aptp. erfennt, c? bennoth gar nicht einmal »erfüll, bie X'luSfütjrungcn Äefule« gu wiberlegen, ja il)m in einigen .£>auitpunften beiftimmt. ©egen bie formale Slnalpfe ©r.’ wäre wcpl ÜJlancpe« einjuwenben ; fo übertreibt er offenbar eine ge« wiffc ®tarrpeit ber l. £>anb (p. 6.r») ; bei ber magern beweglichen Statur ber .£>anb, wo bie Ringer gerne gcjchloffen bleiben, unb bei ber 2lrt ihrer Stufgabe, ihrer Sage, bem ©inwirfen be« Säumen« braucht fic nicht noth* wenbig gefrümmt ju fein. Slucp bie ©njelglieberung, bie ©r. ganj ocr* mißt, fehlt nicht; beutlich finb bie ©lieber jebeö ginger« bezeichnet unb bie Spannung be« ÜJlufifelS jwijcpen Säumen unb .panb i|t gelungen, 3nbeß ba« Sßicptigfte, bie ©ermuthung ©r.’, baß Ä a 1 a mi 8 ber Äünftler unfre« Stkrfc« fei, ift ganj unbegrünbet. Ser Berfucptc ©ewei« ift un- gefähr folgenber: auf Stttifa führe bie ÜJlagerfeit ein ©ah, ben gewiß Ütiemanb gugeben wirb; bie ÜJlagerfeit gehört nicht nur bem ©ronjeftil ber älteren sPcriobe überhaupt an, fenbem fte fteht liier auch im innigften 3ufammcnpange mit bem ©parafter bet bargeftellten £xmb« lung unb ©tellung: an einem weichen fetten Änaben würbe biefe ener« gifepe jufammengebogene Haltung unnatürlich, ja wiberlid) erfcheinen; nur ein magerer fann leicht unb cpne ©ejehwerbe biefe ©ewegung auö« führen; ber ganje ©parafter be« üöerf«, bie barte unfninmetrifche Hal- tung hängt alfo Bon biefer ÜJlagerfeit ab. ©rijio führt nun weiter au«, wie unter ben älteren Slttifcpen Äünftlern gerabe Äalami« (p. 69) fiel; burch ©erfatilität be« ©cifte« unb ©rajie ber ©ewegungen , ferner burch iKcitbtpum unb ÜJlancpfaltigfeit ber üJlotioe ausgezeichnet habe. Slljo, wirb gefcbloffen, ift Äalami« ©chöpfer unfrer ©tatue, an ber fich eben jene ©igenfepaften finben. ©8 ift flar, wie fcpwach mit biefem -©eweifc befteflt ift. Saju fömmt, baß all’ ba« über ben fReuptpum ber ÜJlotioe unb ©rfinbungSgabe ©emerfte nicht« Slnberm al« einem Srucf« fehler bei ©runn, ©efep. b. gvep. Zünftler I, 130 3- 7 b. u. („reieper" ftatt „weicher*) feinen Urfprung banft. ülur bie XejrroVijs unb x*?1? an Äalami« ftnb überliefert unb biefe wiberfpreepen eper unfrer ©tatue: in ipr beobachten wir ja eine ftarfe .'pärte ber Äompofiticn , bie nur ben

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103

lebenbigen StuSbrucf ber äußern ^anblung fucf>t, ftatt tag, wie bei Äa* lamiS ncrau8$ufehen , feine, innere, aus ber (Smpfinbung ftromenbe fllobleffe unb Äntnutb erftrebt worben wäre. SBenn Br. jum Schluffe ben 'Petersburger (Spheben bei Öonje, Beiträge t. IX »crglcicbt unb als Betreib benufjt, inbetn er ibn ebenfalls für Äalamibeifd) unb jtrar für einen ber betenben ftnaben beb SCRcifterS heilt, fr fann hierauf nicht näher eingegangen werben, ba jene nur burch eine ungenügence Zeichnung be* fannte Statue bis jefct ein fcfteS llrtljeil nicht juläjjt; inbejj ift cS je- benfatlS fein betenber Jüngling, benn fonft fünnte ber ftopf unmöglich feitwärtS nach oben gewenbet fein.

043)

Irutf i'jn tytbi. linder (Ärirnin) , in Berlin nebcr.Krftr. 17 a.

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Die

mc!tfri)cnnl)tiHrt)cn Slffetu

SBon

'Jlo b. ioartmamt.

SDRit 12 $oljf$mtten.

ficrlin SW. 1876.

58 e 1 1 a g non (Jarl £ a b e l.

(C. <ß. Cntniti'sijli üttlagsboitbanbionp )

33. 3ÖUI)(Im.£tt.iJ« 33.

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2>aä JRedjt fcet Ueberiefcunä in frembe Sprachen »irb oorbeijaltcrt.

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\5)ern folge i<h bem SBnnfdje meines nerehtten gehrerS, $>rof. ©irdjoro, bet {Reifte btefer ©ertrage auch einige Seilen übet ©au nnb geben bet menf djenatynlidjen glffen beigufügen. 3dj glaube nun betn gefet l?ier einiges weniger ©efannte barbieten gu fönnen.

I.

©ereitS auS bem flaffifcben Slltett^um bringt bie Äunbe gu un§ über grofce Slffen non menf (benähnlidjer ©eftalt. 3)et fatthagifdje ©eefahrer Jpanno, welket fidj um 470 n. ($. »eit IjinauS wagte übet bie (Säulen beS Hercules mit feinen großen fRnbetfc^iff en, begegnete am ©ötterwagen-Serge (Theon Ochaema), b. h- an bet heutigen ©ierta»2eona*jfüfte, nahe einet gagune, angeblichen behaarten SSalbmenfdjen. S)iefe wur* ben non ben jene benfwütbige ©jtpebition begleitenben 2)olmetfcbera „Gorillas“ geuannt. 9)lan lie§ fich in ein ©efecht mit ihnen ein, wobei eS non ©eiten bet äßalbmenjdjen gehörige ©tein» würfe abfetjte. @8 gelang auch breier bet behaarten SBeiber hab- haft 3U werben, wel<$e jebodj fo wütheub um fid) biffen unb fragten, bajj ni<ht3 weiter übrig blieb, als fie an Drt unb ©teile

XI *41. 1 (247)

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iobtgufchlagen. ©ie Belle »on gweien berfelbcn follcn nach ?>li* niu8’ Angabe im Semmel bet 91ftarte gu Gartßago noch gur 3eit bet Ginnahme burdh bie fRömet (146 ». Ght.) gegeigt »erben fein.

Unter biefen Gorillas fann man nur Ghimpanfe» 91ffen (Troglodytes niger) »erftanben haben. Giue anbere alte Äunbe »on biefem Spiere gewährt uuS jene weltberühmte üftojaifbat* ftellung, welche einftmalS ben Bußboben beö Bortuna» Stempels gu $>raenefte ($)a!eftrina) jehmnefte. ©a fe^en wir »er und eine ganbfcßaft auS 3nnerafrifa, etwa auS ber Gegenb beö oberen fftileS. Sieben üJteerfaßen, Spanen, fppänenhunben, gifdhottern, 3ibethfaßen, Sebneumonen, üöwen, £eoparben, Giraffen, 9til« pferben unb ifrofobilen fommt batin auch bet Ghtmpanfe not. SJian erfennt wieber hierauf ein wie regeS Shtereffe bie SSlten an ber großartigen unb fotmenreidhen SL^ierwelt Slfrifa’S ge» nommen hatten. 3m Seginn bet neueren Seit mehren fidfj bie Sericpte über große Riffen, weldße man antßropomorphe ober menf^enähnli<he, ober auch SlnthropoiDen b. h- SRenfchenaffen genannt h«t. Sit befommen u. 91. unbeutlicße SRachrichten übet biefelbeu burdh ben pottugiefefeßen SDtatrofen Gbuarb 8o heg (1598). Slnfcßeinenb begießen biefe fid} auf ben Gßintpanfe.

3u biefer Seit biente ein auS 2eigh in Gffer gebürtiger abenteuernbet ©olbat SQamenS 9lnbreaS Sattel bem (bamalS löniglidh fpanifchen) Generalfapitän »on Angola ©on fDtanuel ©il»era Cetera. SJtit ben ^ortugiefen fidß überwerfenb, brachte Sattel SRonate lang in ben tropifdjen Salbungen be8 bortigen SanbeS gu. ^urdßa8 hat in einet überaus intereffanten ©amm» lung »on {Reifebefdhteibungen au8 bamaliger unb früherer 3«tt, audß be8 Sattel Angaben über Seftafrifa gujammengefteDt. 3n biefen ift*) »on gwei großen Slffenarten bie fRebe, welche in bem wilben, walbigen SRapombe am Bluffe Sauna (Somma?) int

(WS)

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ft

jpinterlanbe t>on 8oango leben. Grine SIrt berfelben ift fletnec unb beifit (Sngeco. @ine anbere größere, $>onge genannte >3lrt ift angeblich non ©eftaltung eines fDlenfdjen, mit menidslicbem

8ntli£, au8 bem aber bie klugen tief unb tjotjl ^erncrglc^en.

35er gange Üeib i|t ooQ bunfler, nicht bic^t ftetyenber .paare. 35ie ©eine hoben feine SJaben. 35aS S^iet gebt allezeit auf* gerietet, wobei eS bie .pänbe im fftacfen gufammenlegt. ©8 ruht DlachtS in ben ©äumen unb baut fid) hier @d>uh»

bäcber wiber ben 5Regen. @8 lebt »en ben Früchten be8 Sßal*

te8, nerfchmäbt aber glcifd) fReifen bie ©thwargen burd) bie SBälber, fo günben fie 9tad?t8 ihre geuer an. ©ewie fie bann 9Rorgen8 weggegogen finb, fcmmen bie «‘JlengcS ^erbei unb bccfen fieb fo lange um ba8 «euer Ijer, bi8 bie8 au8gegangen ift. 25emt fo gefreut finb fie becb nicht, .polg angulegen.

2>ie Kongos geben oft in beerben gufammen unb tobten biejenigen ©ehwargen, welche fie auf bem Sßege in ben Sßälbern antreffen. ©ie fallen aud? manchmal über bie bafelbft weibenben (Slepbanten b «t unb bearbeiten biefelbett bergeftalt mit häuften unb Knitteln, baf) bie S5icfbäuter brüOenb banonlaufen. 9Ran fann bie ^ongoS niemals (ebenbig fangen; benn fte finb fo ftarf, ba§ gehn 5Räuner nicht genügen, felbft nur eins biefer Ubiere feftjubalten. . SWein e8 gelingt ben ©ehwargen öfters 3unge gu befommen, bie, wenn bie SRutter getöbtet worben, noch feft au beren ©auche bangen bleiben. «Stirbt ein 3>ougo, fo wirb er oon Seinesgleichen mit @eäft unb ©tammwerf gugebecft.

©attel will auch einen «Regelungen gehabt haben, ben ilnn bie Kongos geraubt, übrigens aber wäbrenb eines ÜRenatS gut bebanbelt haben follen.

35er befannte ©efchreiber ^ftifa’S, 25apper, fpricht »on bem baS f?anb Äongo bewobneuben QuojaS «Dtorrou ober SSRorrau. 5)ieS übier, fo bemeift unfet ©ewäbrSmann, gleiche fo febt

l* (249)

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einem 9)ienfd)en, ba§ ÜKancbe glaubten, felbigeö werbe t»on einem Äffen mit einem SJeibSbilbe erzeugt, welche Meinung freilich bie ©djwargen felbft nicht gelten laffcn wollten. Sor einigen Sauren fei ein foldjeS ©efcböpf nad) $oUanb gebraut unb bem bringen griebrid) .fpetnritb »on Dranien gegeigt worben. SS fei fo grofj, als ein bteijäbtigeS A'inb, weber fett nod) mager, aber t>iet= fdjrctig unb fonft wot)l proportionirt, feljr fc^ned unb fynrtig, mit ftarfen unb braunen ©liebmafjen gewefen. 2)er Sorberleib habe ficb gang naefenb, bie fRücfenfeite aber febwarg behaart er* wiefen. 2)a8 ©eftebt habe beim erften Änblicf einem menfdjlicben geglichen, aber bie 9lafe fei platt unb gefrümmt gewefen. 2)a8 $^ier habe ©bren wie ein ÜJtenfcb, plumpe Srüfte eS fei ein Söeibdjen gewefen unb einen eingefunfenen fftabel gehabt, glaube, ginger unb IDaumen, SBaben unb güf)e hinter bem gerfen* beine feien plump gebaut unb bräunlich gewefen. ©S fei oftmals aufgeriebtet gegangen, habe auch gto&e Saften erbeben unb tragen fönnen. Seim Srinfen habe eS ben SDecfel einer .Ranne mit einer #anb aufgehoben, bie anbere unter ben ©oben baltenb unb habe fid) baß $bier nacbgebenbS bie Sippen gang artig ab* gewifdjt. ©8 bäte fid? beim ©djlafen mit feinem .Ropfe oft auf ein .Riffen gelegt unb ficb fo gefebieflieb mit Stiicbern gugebeeft, baf? Sebweber batte benfen fönnen, eor ibm läge ein 5Reufd}.

Salentin gerbinanb, §)ater fDierolla, groger, Stoffe unb ©mitb erwähnen ebenfalls folcbet 'Äffen. SBäbtenb man nun in Sattel’8 i'ongo ben echten ©orilla, in feinem ©ngeco unb in 3?appet’8 Guoja’S SDiorrau aber ben ©bitnpanfe wiebererfennt, febeinen bie gulefst genannten Äutoren tbeilweife ba8 Äeufcere unb Senebmen beiber Äffenarten gu einem etwas wirren ©ingel* bilbe Bereinigt gu baten.

Der baöänbifcbe Änatom San Stulpe »eröffentlicbte 1641 eine Sefcbreibung unb gang leibliche Äbbilbung eines lebenb nach

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Europa gebrachten, jungen SSeibchenö. din 26 3oD b°M> au8 Angola ftammenbei 2Ränn<hen würbe im Sabre 1698 »on bem dnglänber d. Spfon metbobifch jergliebert , betrieben unb für bie bamalige 3«it auch recht gut abgebilbet. Stpfon’ö Unter* fuchungen über bie 9Jlu8feln unb dingeweibe beö dremplatelT »erben noch jefct »on SlUen berücffichtigt »erben müffen, welche ficb mit bem inneren Bau biefer merfwürbigen St^iere befchäftigen. Prof. ^ujriep bat ba8 ©feiet beffelben dremplareß befidjtigt. Sfcufon nannte feinen dbtmpanfe „a pygmy“, eine Ppgmae, er fa§t bie SRacbricbten bet alten über bie angeblichen 3t»erg»ßlfer aetbiopien’8 jufammen, in welchen bie neuere Bolferfunbe tt). £ibu ober Jeba, tb. affa, abongo, fDofo, Bufchmänner unb anbere ÜJlenfchenftämme »on burchfchnittlich nur geringer Äörper« . grefee anerfennt. 3)

Seit jener 3 eit b^rt man febon öfter »on nach duropa ge= brachten dbimpanfeö fowie non ihrem zutraulichen Söefen in ber ©efangenfdjaft jc. reben. ©wainfon, gifcinger, unb Sinbere bil* ben auch menjdjenäbnliche Stffen au8 SHfrifa ab, in benen »ir unfehwer ben Pongo ober ©oritla »iebererfennen, beffen Beu* auffinbung ein fo gewaltiges auffeben gemalt bat-

9ta<hbem eine »on einem englifchen $äubler bereits im notigen Sabrbunbert gegebene Nachricht über ben 7—9 guf; hoben 3mpungu, über ben 3tfena unb dbimpenza, bie afrifanifeben SJienfchenaffen ber SBeftfüfte, ohne Beachtung geblieben war, entbeeften ber SReifenbe Bowbid), bie SDRiffionäre Söilfon unb ©anage ben ©oriHa in unfret 3eit gewiff ermaßen neu. Ber* fchiebene franjöfifche ©chifföärgte, namentlich Dr. ftranquet, bann ©autier, gaboulape, p&taub unb aubrp«£ecomte befchäfHgten ftch genauer mit bem Borfommen bet weftafrifanifchen großen Slffen unb bereicherten ihre ^exmifd^en ÜDRufeen mit foftbaren, auf jene Obrere bezüglichen Präparaten, geltere gaben ben

(MI)

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ftanjöfifdjen 3oologen SDuoernop unb 3ftbore ©eoftrop @t. £>i* laite ©toff ju ihren flafftfd^cn Arbeiten übet best 93au ber ®o» riHaS unb <$hi»npanfe8. 9luch bet lonboner Anatom 9?. Dtnen erhielt fdjöneS @orifla=5Jtaterial, ba8 in ihm einen fefyt fleißigen *unb erfolgreichen Searbeiter fanb.

3n ben 3ahren 1855 1865 bereifte fpaul ©eDoni SDu ß^aillu, bet am ©abun aufgetnachfene ©oljn eines gpanbelS« manneS, bie gura ©pfteme be8 ©abun unb Dgorne gehörenben 8anbet unb oeröff entließe übet feine bafelbft beftanbenen 9lben= teuer unb auSgeführten ^Beobachtungen mehrere f<h»ülftig ge» fdjriebene, im ©anjen recht fehlest iHuftrirte, SBücper. SDiefe trugen ihm aber ben SDanf einer nach ©rjählung merfroütbiget ©egebniffe begierigen Nlenge ein. Namentlich »erurfachten SDu (Shaiöu’ß haarftwubenbe ©efchichten non feinen ©oriüajagben unb »om greileben be8 angeblich überaus fürchterlichen SBalb» menfehen bie größte Stufregung. SJian la8 be8 Neifenben ©chilberungen eine Seit lang noch eifriger als weilanb bie fdjäferhafteu Berichte 8e ©aiBant’8 über ba8 8anb bet Rotten» totten unb beffen minnigliche @ouaqua=9Naib Narina. ©pater hat man einfehen gelernt, baff SDu (S^aiQu ftarf, fe^r ftarf auf* getragen habe. 3a neuere Nachrichten, 3. 2h- prioater 3. 2h- öffentlicher Natur machen un8 mit ber 2hatfad}e befannt, ba§ SDu 6ha'öu perfönlidh möglichft teenig mit lebenben ©otiHa’S gu fchaffen gehabt, baft ihm aber etliche fchwar^e 3äger unter* fchiebliche ©enfationSgefchichten mit ©rfolg aufgebunben hohen. SDie ©nglänbet SBinaoob Neabe unb N. ©ution, fornie bie SNitglieber ber beutf<h»afrifanif<hen ©rpebition, namentlich «her bie SDoftoren 2enj, ©üfffelbt, galfenfteiu unb fPecpuel »tSoefche, fomie ber frühere ©utSbefifcer ». Äoppenfeld, ftnb neuerlich gan$ befonberS bemüht gemefen, bie Naturgef<hi<hte beS SEBalb» riefen ©oriDa aufjuflaren. SDie Anatomie biefeS ©efcbopfeS, fo= (*M)

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9

me biejtnige bet ©bimpanfe«, fonb in neuefter 3eit bauptlädtlicb ts 2$. Sifdjcff, G^ampneoä, 93rübl, ©iglioli unb in bem Ser* fuffex tiefe« Sudlern« ihre Searbeiter.

€ftne brittc gorm bet gtofjen 2lffen, bie Drang = Utan’8 b<r afiatif(ben Snfelwelt, ftnb bereit« feit früher befannt. $Die ©md?te be« $)liniu« »on inbifdfen Satpren mit €Dlenf<^en= antiifc, welche 3. Zfy. aufrecht geben, 3. $b- a“f aDe« Vieren laufen, jcbeinen auf bie« Steter ju fielen. 3m notigen 3<*br« bnnbert letnte man baffelbe genauer fennen. ©amal« warf man biete SEbtoart mit ©orifla unb ©bimpanfe gufammen unb be« legte fte mit bem Flamen i'cngo ober 3ocfo, legerer abgefürjt an« 91’gefo ober ©ngefo. 4) Später trennte man beit ^ongo ober ÖJjimpanfe »om 3odo ober Drang*Utan. Uebet be« lefcteren Steileben berichteten audfübtlicbev $>alm, Saton SBurrnb, Salom. 9Rüller unb Schlegel, 3- Sroofe unb 21. fRuffetl SBaKace. 55ie Anatomie biefe« übiere« nmrbe hauptfäcblich oon $). ©amper, lemmindf, £>wen, Sifcboff, S3tü^l, Sucae unb mir bebanbelt.

©nblicb beherbergen ba« afiatifcbe geftlanb unb bie malapifdte Snfelmelt noch eine eierte gorm »on ^ntbrepoiben. @8 ftnb bie« bie fogenannten ©ibbon« ober Sangarmaffen. fDtan feunt fte bereit« feit bem »origen 3abrbw«kcl't genauer. Sie ftnb Heiner al« bie »orbergenannten 2lntbropoibenformen, fdhlanf, perfid) unb mit febr großen 2ltmen »erfebeu, bie auch, wenn bie 2b«ere gerabe aufgerithtet fielen, ben Soben berübren. Uebet iiyre ©eftalt unb Sebenöweife weift man ©enauere« burd? Siarb, S)u»aucel, SDaubenton, Ration, S. 5RüBet u. 21. 3b« 2lnato* nie ift namentlich burd? Srolif unb Sifchoff befannter geworben.

II.

5Sir wollen nunmehr »erfuefcen, untere Sefer etwa« näher nit bem Sau unb bet Sebenäweiie bet »iet gormen »on 2lntropo*

(*M)

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morgen ober Shitbropoiben befannt 311 machen, Seiber ld%t unfere bisher gewonnene Äenntnifc biefer Spiere noch grofce Süden ojfen. 3unäd>ft befc^äftigen wir un8 mit bem (Gorilla (Trog- lodytes Gorilla.) ,

35ieS 51)ier bewohnt augeblicb bie hinter ber afrifanifchen Seftfüfte 3tt>ifd)en 91. ißr. im 9lorben unb 16° ©. 23r. im ©üben fid) erftreefenben ©ebtete. Snbefj geht ber SBerbreitungS» begirf beffelben bod) vielleicht noch weiter nörblidj, als man 3. 3- meift anjuneljmen geneigt ift. Sßienigftenß geht auS ben ©djilber» ungen beS ÜReifenben S^ompfon ferner, ba& ba8 S^iet auch im j£>interlanbe een Sdjerbro oorfommt, alfo etwa unter 91. 93t. Sie weit e8 fid? nach bem Innern ijineinftreeft. ift noch unftdjer. SDu (S^aiHu will ben Slffen im gan= unb j?amma*8anbe, auch an bet ©erra bo ©riftal getroffen hoben. Dr. D. 8en3 l)at viele ©chäbel unb ©feletfnecheit erhalten unb nach 33erlin gefchidt- SJom gernan Sag (Äantma) ftammt ein im geologifdhen 5Blu« feum 3U Hamburg unter ber JDbhut be8 Dr. S3olau befinb* liche8 in Seingeift ecnfervirteS Gfjrentplar eiueS jungen ÜJlännchenS.

Dr. p. (Mfjfelbt ü bezeugte [ich 00m 93orfommen be8 im tfoange=©ebict 91 pungu genannten ©orilta in 3>angela. 3m fchönen weiten Jhole be8 guboma befuchte er ba8 2)orf föt’ponbo. £ier fah er unter bem rohen Üluepufc eines au8 Sh^f^öbeln beftehenben getifd) einen @orilIa*©chäbel. Grr lieh ft<h 1,00,1 ben nahen Salb geigen, in welchem bie 9T$)ungu’8 häufen. 91n<h in bem benachbarten 9Jlaoombe ift ba8 £hier nicht feiten. 9Jlap* ombe ift nach ©üjffelbt’6 berebter ©chilbetung ein jehr au8« gebehnter Salb, gelterer nähert fich unferetn £ochwaIbe. Di« ©chlingpfla^en finb nicht fo häufig wie in anberen tropifdjen üDicfichten. SDie ühlanfen, hohen, buchenartigen ©tämme treten ungeminbert in bie (Srfcheinung. ®a8 Unterbot unferer

(SM)

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»albet wirb fyiet gum gröfceften SE^etle butd) grofje parallelabrige Sfattgewachfe erfe^t; auch gatnfräuter fehlen nicht. 2)et Soben ift mit trocfenem 8aube bebecft. 3n btefen SSälbern ^errfc^t ein ewiges Jpalbbunfel. 21n recht trüben Jagen feilte man an eine ©ennenfinfteruifj.benfen; eine eigene treibhauSartige öltmoöpljate wirft guweilen befdjwerenb. Sluch in folgen SBälbern ijauft, nach ©üfffelbt’S münblichen 99littheilungen, ber ©orilla. IDiefer fommt ferner in ben Urwälbern beS mittleren OuiUu »er. ©ang nahe ber Hüfte fdjeint er bem ßhimpanfe $)la£ gu matten. 35ie »cn ©üfffelbt’S ßrpebition eingefanbten @<hä bei gelberen bem 9i’§)ungu unb ßhimpanfe an.

3?er ©orilla ift ein riefigeS ©efchepf. ßrwadjfene 9Mnn= d)eu erteilen bie ^>5lfe »on 6$ 7 $ufj. SBcibchen bleiben f leinet, fie werben burdjfdjnittlicf) nur 4J bis ^6(^ften8 5^ 8ufj ijod). Der Hnodjenbau beS männlichen J^iereö ift mächtig ent* wicfelt, bie großen ©lieberfnochen finb »iel'bitfer unb maffioet, al§ am ßhimpanfe. 3ln ben Halswirbeln ergeben fich riefige an biejenigen eines ©tiereS erinnernbe 5)ornfortfa^e. 2)ie Änochenbilbung bet Söeibdjen ift eine weit gierigere. Söährenb ber junge ©orilla, gleichgültig weS ©efc^ledjteS er fei, einen bemjenigen beS HinbeS ähnlichen ©chäbelbau geigt, wirb ber fnödjerne Hopf beS älteren männlichen unb weiblidjen 9lffen überaus thierifch- ©aS Slntlifetheil beS ©djäbelS wirb weit »or« ragenb, an ben 3al)nränbern ragen mächtig? Hauer IjerauS, ben ©Reitel beS alten OJlänndjenS überragt ein hohe* fuöcherner 8äng6famm , an welchem einer ber gu fräftigem Jhnn geeigneten Hau- unb SeifjmuSfeln feinen Utfprung nimmt. Seim Söeib» <hen fommt eS niemals gut Silbung eines foldjen HnochenfammeS. (@. ?ig. 1—4). 8efsterer fehlt feiten bem SCRännchen. $Der erwachfene männliche ©orilla hol einen fehr hohen |>interfohf, einen ftarfen, gewölbten fRatfcn, breite ®d)ultetn, eine breite,

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$i$. 3. gig. 4.

tritt überall beutlidj ^etoor. üDafl SBeibcben bat einen gewölbten £interfepf unb ift fonft fd>lanfec gebaut. Sei beiben ©efdjledjtern ragen bie &ugenböblenbögen ftarf, manchmal namentlicb bei alten SK&nncben ganj abenteuerlich ftarf, heroor, fie werben bnrd} jebr entwicfelte fnöcberne SBülfte geftüfct. Unter biefen bicfeti warzigen (»«)

ftarf gewölbte Sruft, einen tndfiig gewölbten 33aucf>, eingejogene ^laufen unb febr fräftige ©liebmafjen. SDie ^laftif ber 9Jtu8feln

gtfl. 2.

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Sogen^cjjfcnbcgen lugen bie nic^t großen bunfelbrauneu klugen ferset, ©enn Su ©haiHu »on funfelnben grauen Säugen btS @criüa fpricpt, jo erweift fich leitete ©egeichnung als eine entfcfcieben unnötige. Siejelbe flammt feht tcaljt jc^einlid^ non betn ©lalaugenoorrath eines läuSftopferS l)er, welcher (ShaiBu’S „■Äpnig bet afrifanifchen SBälbet" recht grufelig, aber nicht gang naturgetreu aufftellte unb jenem genialen Uteifenben ben entbehrten 8nbltd eines lebenben (5r«nplareS gu etjepen fuchte. SBilb unb tücfrfdb genug muf) aber auch in ©inbehaut unb ^Regenbogen« baut tief bunfelbraune, feht lebhafte Säuge eines erregten ®o« riDa ftrablen. Sie ©angen finb h»hh f«hr faltig, nach von ben wulftartig hetD^treteuben ftarfen ÄaumuSfeln, ben jo« genannten 9Raffeteren, begrenzt, bie, an ihrer ^autbede üppig mit ftruppigem Jpaat bewachfen, baS wüfie Slntlip umrahmen. Sie SRafe liegt bei manchen 3nbi»ibuen weit hö^er am SÄuge, bei manchen bagegen weit mehr »on biefem entfernt, Saburch er» leibet bie ^hpfiognomie bet ©orillaS beiben ©efchlechteS »ieletlei inbi»ifcuelle ©erfchiebenheiten. Set Säntliptheil beS einen wirb babutch länget, ber beS anbeten fürger. Ser 5Rafenfnorpel ift ftetS ho<h aufgewulftet, lang, breit, mit weit geöffneten, burd) eine fchmale ©djeibewanb »on einanbet getrennten SRüftern, mit einer tiefen »on oben nach unten gieheuben gängSfurdje »erfehen unb mit gang furgen paaren bebecft, welche leiteten auch ben faltigen SÄntliptheil befleiben. ©eim ©oriUa beherrf^t gleichfam bie wulftige SRafe ben »orbeten Sntliptheil. Sie Oberlippe ift beim einen 3nbi»tbuum mit langen fchiefgähnigen Dberfiefeibeinen länger, bei anberen mit fürgeren entfprechenben $h*Ben »etfehenen Snbieibuen bagegen weit fürget. ©tetS ift bie Oberlippe feht toeit »orftrecfbar unb, wie bie in {RuhefteUung fie etwas übet» tagenbe Unterlippe, ungemein beweglich- Äurge grauli^weipe -paare bebecfen bie »ielfach gefalteten unb gefurchten, mit un«

(»rj

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fjjf,

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regelmäßigen Ouabbeln belebten Sippen. Sie fteljenben £%en finb 3it>ifd^en 4£— 7 (Zentimeter lang unb 3 (Zentx* meter breit, balb auffaHenb meufdjenäfynlidb, halb nidjt fe, fou* bern flauer, ärmer an ben djarafteriftifdjen Seiften unb S5or» fprüngen beß menfdjlidjen D^rfnorpelö, gebilbet. ©etm alte a SJtännchen erfdjeint ber fyotye, aber nid}! breite Äopf mit bem ftarf gewölbten hatten wie eingefeilt jwifcfjen ben mächtigen Schultern. ©ie Spitjen bet außgeftreeften ginger erreichen bei aufrechter Stellung beß Ühiereß ben änfangßtheil ber Unter* f<henfelfnod}en, bic^t unterhalb beö Änieeß. ©ie .panbe fiat1 groß, breit, mit biefen gingern »erfehen. ©et ©aumen ift furg, 3eige», Drittel* unb britter ginger ftnb faft gleich lang, ber fünfte bagegen ift wieber beträchtlich fütger. Stn ©angen ift bie ®o* riHaljanb fe^r menfchenähnlich gebilbet.

©ie Seine finb beim Sltäunchen bief unb mußfulöß, bie Unterjchenfel freilich wabettfdjwach, bie güße groß unb platt, ©aß ©feiet ber [enteren ift, wie purleti gang richtig bemerft, baßjeitige eineg wirflichen gußeß mit einer feßr beweglichen großen 3ehe- ©ie gußwurgelfnocßen beg ©orilla finb niemals panbwurgelfnochen. ©ieß unb bie änorbnung ber ÜHußfeln lägt bie frühere Sinnahme, man h°be eS bei ben großen äffen mit einer hinteren paitb gu tljun, alß eine irrige erfcheineu.

©ie fehr lange unb biefe große 3ehe beß ©orillafußeß wirb oon ben übrigen 3ehen burdj einen tiefen ©iufchnitt getrennt. San letzteren ift bie fleine bie fürgefte, bie mittlere faum länger, alß bie übrigen. SDtit ftarfen äb= unb Slugieher * SRußfeln »etfehen, geftaltet bie am erften Äeilbeine frei bewegliche große 3ehe ben guß biefeß äffen gu einem echten ©reiffuße, welcher feinem

Sefifjer namentlich wichtig für bie Äletterbewegung wirb, gin» ger unb Sehen biefeß StljiereS finb, wie oben fdjon flüchtig be* merft würbe, bief, aber, wie meine eigenen Unterfudjungen an

(3ii)

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ungemein reichhaltigem SJtaterial beweifeu, burdiauö uid)t fo bicf, alfl fte otelfad^ uac^ fünftltd) gebeljnten uub fyintertjer fdjled)t gestopften Bälgen ober nad) tjalb aus ber fPfyantafie gearbeiteten ©ppömobellen unb 3&ad}3figuren bargefteüt ju werben pflegen. s)

8ifl- 5.

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Bwifdjen ben elften ginget* unb Beljengliefcern finbet fidj audj Iper, Ttid^t gang biß gur 9Ritte beß entfpredenben ©lieb* ober ftyaiangenfnodjenß Ipnaufreidenb, jene ©inbepaut, welche aud) beim ÜRenfden idwimmpautapnlid gwifden ben oberen <5nb* ftücfen bet erften gingetglieber pd außfpannt. (gig. 5.)

©ie SBeibd>ett Pnb fleiner alß bie ORdnnden unb bei weitem fdlanfet, ft^mäd^tiger gebaut alß biefe. 3pt Äopf tft im ©er» * fydltnip gut gdnge unb ©reite beß [Rumpfeß fleiner, ber ©deitel unb ,£>interfopf pnb gerunbeter, bie Sugenbölpenbögen weniger ftarf percorragenb, bie [Rafe i|'t Patzet unb fdmaler, bie Sippen finb langer.

©er gang junge ©oriüa geigt unproportionirte gormen wie jebeß unreife Spier unb wie aud baß -Rinb beß PRenfden. ©et tfopf ift, wie fdon am ©ddbel erfennbar, (gig. 4) in ber ©tim», ©deitel* unb .£>interpauptßgegenb gugerunbet, er pat in biefer ^infidp, fowie aud in ber geringen ©ortagung ber liefern, etwaß unoerfennbar SRenfdendpnlideß- ©pater werben bie &inn= baden beß mdnnliden unb weibliden ©orifla*®däbelß oor« ragenber, bie ©diefeapnigfeit, bie $)rcguatpie berjelben oerftdrft pd- ®ann wirb baß gange Änodengerüft beß Äopfeß biefer SHjfen tpierifder. ®) ©er Äopf beß fepr jungen ©orilla, möge et mdnnliden ober weibliden ©efdledteß fein, ift im ©erpdlhtip gum Stumpfe grop, leitetet ift pier bicf uub tonnenartig, bie ©Uebmapen, bie ginget unb Sepen aber erfdeinen futg unb bicf.

©aß £aar biefer Slffen ift lang unb gottig. Sn ben ©d“l* tern, Firmen unb Jpüften wddft biß 9, ja 13 Zentimeter per» »or. ift an ©aden, ©dultern, [Rüden unb lüften guweiten leidt wellig, am ^interfopf unb an ben ©liebem aber fd^d^ ftraff. ©aß 2tntlip unb £)pt finb mit furgen grauen unb fdwarg* braunen, fdlid*en paaren nur fpdrlid befleibet. ©ie runglige

£>aut biefer Steile ift fdmupig brdunlid'ffeifdfarben, rupfatben (2*0)

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gebecft. gleicher Söeife ftnb auch ^>5«be unb güfje au ihren nicht behaarten feilen gefärbt. 35er £opf ift in ber SRegel mit »irren, fudjfigen, nicht geidjeitelten ( öfters aber fammfermig »on »oru nach b'uten ftebenben paaren befleibet. Nacfen, ©d}ultern, Ofücfen unb |>üften erfd^einerr graubraun, melirt, iu» bem jebeS eingelne beOgelbgraue paar biefer Äcrpertbeile ein ober öfters noch gtsei breite f<b»argbraune (Ringel b^t. 2)ie paare beS DberarmeS finb, roie biejenigen beS ß^impairfeß unb Drang* Utan’S, oon oben nacb unten, bie bunfel febtoargbraunen beS Unter* armes bagegen oon unten nach oben gefebrt. (Big. 5.) Stuf bem panbrüefen beS ©orilla fiubet ftd) ein paarwirbel, Pou welchem ab bie .paare »ieber gegen bie SingerbaftS ficb ^inaberftreefen. J3ucb bie Unterfdjenfel finb f<b»argbraun. SRandjeu Snbioibuen fehlt ber fuebfige j?opf, berfelbe ift t>ielmel)t graubraun ober ftb»argbraun. ©ewiffe 3nbioibuen finb bunfler, anbere finb einförmig febwarg» braun bis fdjwarg über ben gangen Äörper. Noch anbere haben einen fuebfig überlaufenen fKücfen. 2lm Slfter fiubet ficb ein fcbmufcig weiter glecf. 3“ beibeit ©eiten beffelben geigen fi<b gmei fleine mit borfiger paut übergogene ©ejäfjfcbwiefen. Sorber* balS, Sruft unb Saud) finb bünner behaart, als bie übrigen Äörpertbeile.

35er ©oriHa tjauft itt ben Söälbern als BorgugSweiieS Säumt hier. Gr flettert gewanbt, lebt unb febläft, meift auf Säumen, fommt aber auch auf bie Grbe h^ab. 55cm fdjon genannten perrn o. .ftoppenfelS oerbanfe icb intereffante Nad)* richten über baS ^reileben biefeS Stieres. ©elbigeS bübet ©e* meinfebaften gu einer bis brei gamilien. ©ein Slufenthalt ift ein »ecbfelnber. Gin unb baffelbe Nachtlager benuijt er büd?ftenS brei bis Bier mal. Gr baut ein folcbeS in ber pöt)e »on 6 Bufj über ber Grbe auf ftarfen Sleften gureebt, mtb groar auS gufammengebroebenem polg unb barauf gepafftem SNoofe7).

XL «7. _ 2 (261)

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SBenn ein ©orilla fidj in ben Räumen umhertreibt, wagt er fid) in beren äuherfte ©pifcen hinauf. @r probt »orfyer bie Sragfraft ber Slefte unb reicht einer ber lederen nicht aug, fo benufjt er wohl Drei bis »ier auf einmal. $r. v. Joppen* felb fal) erwachiene ©pemplare bei na^enber ©efatyr aug einer Vaumhöhe non breifeig big rnerjig guh h^abfpringen unb mit grober (Snergie burd) bag ©icficht brechen. ©ag S^tet frifrt aHeri)anb SSJalbfrüdfete, am liebften eine fleine rctfee SBeerc, beten botanischer 9tame noch ntdfei befannt ju fein fdjeint. tfluch labt er fid) nad) ©u ©ha'^u an «üben (oerwilberten ?) 9tna= nag. 6r bef «djt auch ©cljege non »übern 3ucferrohr. 3n alten »erlaffetteti Dtieberlaffungen unb am 9tanbe ber ©orfalautagen finbet unfer St)ier Bananen, Delpalmeu, ?tnonen ober ©djuppen» äpfel, SDtelonenbäume ober fPapapen, wirtliche Ültelonen, Jhtrbife, ©urten ic. Äoppenfelg beobachtete einft ein fDtänncheu nebft SBeibchcn unb j»ei Junge beim güttern. SBetb unb .ftinber mußten bem bequemen gamitieutprannen bie griiehte non einem nahen Tleiucn 53aunie pflüden unb »aren fie babei nicht hurtig genug, langten fie aud) felbft 311 »icl für fich herab, fo gab eg heftigeg ©runden non ©eiten beg Slltcn unb gehörige £)hrfe>3en mit feinen plumpen Pfoten.

©er ©orilla »irb Den ben ©dnoargen, benen eg felbft oft am nöthigen SDtxitfee mangelt ober benen aHeiljanb erbachte ÜNorb= gefchichten 51er Vermehrung iljreg 3ägerrul)mcg »erljelfen joBen, gewöhnlich für gait3 fürditerlid) unb gefährlich auggefebrieen. SKag aber felbft bie augfdjweifenbfte Uiegerphantafie nicht furcht» bar genug augmaleit getonnt, bah Ijat ©u GhaiHu mit leinen ung fo felbftgefällig unb patbetifch aufgetifdjten ©djauber* ergahlungcn unb in mittelmähigcn lonboner ^oljfchneiberatelierg fabrigivten ©diretfengiUuftratienen 311 SBegc gebradjt.

Sintere, barnnter 0. Äoppenfelg unb 9t. Vurton, fehilbern

<J«S)

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ben ©crißa alß ein feigeg, beherztem Angriffe nic^t Stanb galten* beß ©efcbcpf. Seim geringften ©eräufd) ergreift eS bie glucbt. Seßbalb hält eg fcbwer, baß rlefige S£^iet ju Sd)ufje be= femmen. Äoppenfelß fab ben erften bet »on ihm perfönlid) be= obad)teten ©orißaß auf etwa 300 (Schritt Entfernung am Dgowe. £Det Einbrucf beß 6 7 gufj hoben Süefen mar eiu überwältigen* bei. 9iadjbem biefer getrunfeu batte, richtete er ficb an einem Saume in bie a;>ebe, um Srüdjte ju pflücfen. Seglidjeß <Sud)en nach it>m mar »ergeblid), inbem erft baß aubere Ufer .erreicht werben muffte. .Roppenfelß machte fid) bereit, baß bei ber »er* bin gefchüberten gamilienjcene feine Dberbauptßroße fo gut fpielenbe 9fiännd)en ju febiefceu. Stßein baßfelbe batte fidj etwas in baß Sidicbt juriicfgegogen unb einbrechenbe SDunfelbeit mahnte jum Stufbruch- Unfer SJieifenbet erlegte habet baß 3Seibd)en, welches töblid) getroffen eom Saume ^erabftür^tc. 3n ber fieberen Erwartung, nunmehr »on bem SDiänndjen angegriffen ju werben, mufjte unfer Säger fid) barüber oerwunbern, bafj jenes beim £rad)en beß ©ewebreß fammt ben 3ungen bie glud)t ergriff. Ein anbermal febofj &. abfichtlich ein 3ungeß, in bem ©lauben, ben Angriff ber Eltern auf ficb gu lenten. Slflein baß unterblieb auch jefct.

SMeber ein britteß SDlal würbe ber fReifenbe burd) baß @e* febrei »on mehreren gamilien ©crißaö unb El)impanfeß (?) her* beigelocft. 9luf Rauben unb güfjen ftied)cnb, näherte ficb &• unb beobachtete baß (Spiel ber Riffen. Siefelben »erfolgten fid) gegenfeitig unb glich baß ©anje bem bunten Sireiben im großen Stffenbaufe eineg goologifeben ©arteng.

Sie ©orillaß ftofjen tiefe Äebltöne auß, welche balb grungenb, halb wie gebebnteß Stießen, balb aber wie fd^arfeö wütl)igeß ©efläffe Hingen feilen. ift begreiflich, baf) biefe Slbiere fel)r in bie Euge getrieben unb »erwunbet, ficb ähnlich ben El)int*

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panje’8 unb Orang’8 audj meßren. 5)abei mag gumeilen fernere SBermunbungen unb felbft 2obe8fäfle abgeben. 3m ©anjen aber mirb ba8 entfeßlidß nerfcßrieene Untäter feiner ©djrecflidßfeit gro§ent^eilö entfleibet. „©8 ift ein armer 5£eufel Bon 2tjfen, nicßt ein ßöflifcßeS 3raumgebilbe, ßalb SUtenfdß ßalb 39eftie" fo fdßreibt Oi. 5iurton.

@8 ßat bibfyet feßt ferner gehalten, lebenbe ©eriUaö natß ©uropa $u überfluten, ©ie ftarben gemßßnlicß untermegS. Sßlan ergäßlte 21. 33aftian in Soango, baran fei ßauptfädjlicß ba6 £eimmeß fdßulb. Allein Dr. 33obinu8, ber befannte praftif^x Stßieraüdjter, äußerte gegen ©(ßreiber biefeö, Seglet in ber 2$er« pflegung mürben bie SBeranlafjung bilben. SebenfaUS ßat SBobinuS 5Red)t. 9)tan mellte nun audß jung gefangene ©oriflaö als gräß= lidje Heine Ungeheuer Berjcßreien. 2)aß bem aber nidßt fo fei, bemeift g. 23. folgenbeS ©cßreiben be8 Dr. D. 8eng an mi<§:

„2118 icß non meiner Cfanbereife nadß ©abun gurücffeßrte, mürbe idß Bon einem jiemlitß heftigen gicber befaßen, beffen 9iadßmeßen lange anbauerten, gür biefe unfreimißige SDiuffe mürbe icß einigermaßen entfcßäbigt, al8 ein lebenber ©orißa in bie ßiefige beutjdße gaftorei gebraut mürbe. ©a8 Sßier ftammt non Äamma (gernanb 23aj), bemfelben |)Iaße, an meinem 5)u ©ßaißu feine ©remplare erlegte, unb mürbe au8 einer Jpeerbe »on aeßt ©tücf ergriffen, ©in Heiner .punb, ber boh einem alten, fpäter getöbteten ©remplar etroaS oermunbet morben mar, ßinberte unfer 3nbiuibuum fo lange an ber gludßt, bis ein 9ieger ßerbeifam, baffelbe am ©enief paefte unb Bon einem anbern bie jpänbe binben ließ. biefer SBeife mürbe ber ©orißa in bie 3meigfaftorei be8 ßiefigen £aufe8 gebracht, mo man ißm leibet mie bieö gemßßnlidß gefdßießt, bie beiben großen ©cfjäßne ab« feilte, au8 gureßt, baß er beißen mßcßte. Unfer ©orißa ift ein junges, gemiß aber feßon jmei 3aßre altes männlicßeS ©.remplar,

(Ki)

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fca§ fid) giemlid) leidet an bic ©efangenfdjaft unb ben Umgang mit 5Renfd)en geweint hat. ©r hat eine lange, bünne, eifetne tfette um ben £alg, fo ba| er einen gro|en Spielraum h°t; ben grellen Streit beö Sageg aber fi|t er in eiltet Sonne, wo er eg fid) auf bem Stroh meglidjft bequem mad)t. ©egen jfälte, SBinb unb {Regen ift bag Sl)ier fel)t empfrablid), unb n?a|renb bet SRacfjt wirb ein bitfeg Segeltuch um bie Sonne gewidelt. Seine gewöhnliche Stellung ift eine l)otfenbe, bie beiben IBotber* arme freugweife iibereinanbet gefd)lagen unb immer aufmetffam bie Umgebung betrad)tenb. Stetg fe|t et fiel fo, ba| irgenb ein ©egenftanb im {Rüden ift, er will rücfenfrei fein unb feine geinbe nur oot fid) haben. 3m Sdi)laf legt er fid) lang auf ben {Rüden ober auf eine Seite, bie e;ne $anb gewiff ermaßen alg Äopffiffen benufsenb; nie fd)laft er Ijodenb wie anbete {Äffen, ©r gef)t auf allen »ier Hänben, bie beiben hinteren platt auf ben SÖoben ge* brütft, bie oorberen aber gufammengebaUt, foba| er eigentlich auf ben Änöd)eln geht; habet hat er ben befannten feitlidjen ©ang. SSugenblitflid) leibet er entfe|lid) an bem fogenannten Siffoup; feine beiben 5Botbetl)änbe finb gang »oQ Sölafen, in benen ber ©ierfted biefeg fleinen läftigen 3nfecteg ft|t. SDie Hauptfrage bei bem Srangport beg ©otüla bilbet natürlich bie ©rnährung. 5Bir haben if)m fthon öfterg {Reig, 33rob, SRild) ic., furg Sachen, bie an ©otb fowo|l alg auch in ©uropa gu haben ftnb, gegeben, aber mit geringem ©rfolge. @r hat gwat einige SRale etmag 23rob, unb gwat befonberg gern Sdjiffggwiebad ge* geffen, auch einmal 5Reig, aber für gewöhnlich lä|t er eg ftehen. Seine 2ieblinggnal)tung ift eine hier häufige rothe grudjt, »on bet et bie innen beftnblichen Äerne i|t; SBanahen unb Slpfel* finen liebt er gleidjfatlg, befonberg aber 3uderrohr, ba| er mit wahrem Süohlbehagen aug bet £anb nimmt unb gerfaut. ©benfo nimmt er mit ein ©lag »oll SBaffer aug ber £anb, e0

(Mi)

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regelrecht 311m SDtunbe unb trinft e8 auS. Stur einige wenige fötale hörte ich bei heftiger (Erregung einen grnngenben $on, für gewöhnlich ift er gang ftumm, 2luf bent Schiffe wirb fidj unter ©oritla wohl ober übel an Brob 9tei8 2c. gewöhnen müffen, benn feine 2iebling§frü<hte halten fid) nur wenige Sage. Statur* lieh luirb fo niel wie möglich 3ucfertehr mitgegeben, bafj ficb lange hält unb auch wohl in (Europa 3U haben ift."

(Sin anbrer junger, 3. 3. in Ghiucbojro, Station ber beutfds* afrifanifeben (Sjrpebition in Sfdjiluango, lebenb gehaltener, für Berlin beftimmter ©orilla erweift fich nach bem 'angieljenben jüngft eingefanbten Berichte be8 ©rpebitionSmitgliebeS Dr. Ralfen* ftein als febr gutraulich unb gutmüthig. v

SDie nächft intereffante $orm menfdjenähnlicbet Slffen ift ber Ghiuipanfe (Troglodytes niger.) 35ie Berbreitung be8* felben reicht febr weit in’8 3nnere, bi8 in bie Stiam=9tiam=2än* ber am 90tbrucle*8luffe :c. Unbeftimmten Slaehrichten gufolge fommt er aud) in ben füblidj Bon Slboffinien gelegenen ?anbern ber Söhwargen, ber ©ata unb Söbama Bor. 5)er Bon ffioing* ftone im SJianpuema * Sanbe weftlich Bom Sanganpifa = ©ee auf* gefunbene Sofo ift nach be8 berühmten JDoftor eigenen Sfiggen ein (Shimpanfe, fein ©orilla. 2)em SBtifftonür 9llbert 9tad)tigall ergühlten fo ift mir berichtet worben .Raffern Bon menfeben* ähnlichen großen 2lffen, weldje fie in Stühe ber oielbefprodtenen Stuinen öftlich Bon Sofatla (3imbaoe, 3itubabne) gefehen haben wollten. 2lm Dbfi, am SDjuba unb an anberen ^lüffen Dft* afrifaö foH ber grofce anthropeibe ISffe ©obja häufen, wahr* fdjeinlich ebenfalle ber G^im^anfe. SÜtan erwähnt biefcS festeren 2hirre8 im ^»interlanbe bet portugiefifeben Befijjuugen Bon Biffao. Bon ba ab fommt e8 bureb bie beiben ©uineaS bt§ gum Storben Bon Angola Bor. SDtithin fcheint ein guter Sbeü beS tropifdjen 2lfrifa bie epeimath biefeS merfwürbigen SL^ieveS (266)

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fein. 5J?an Ijat unter ben ßtjimpanleS je nad? ihren inbioi« buetlen Gigenthümlidjfeiten Vertreter mehrerer Sitten ^crauS» erfenuen wollen unb bie G^araftere berfelben ficket gu [teilen gefugt. Slllein biefe angeblich oerjchiebenen G^tmt?an[e*@tJecie8 haben bie $)robe einer felbft nur flüdjtigen Äritif nicht hefteten fönnen. 33erfaffer, an £anb eines fel)t reichhaltigen ORaterialeS, im ©taube, biefe ©a<he eingehenb prüfen 3U fönnen, empfiehlt btingenb, bie erwähnten angeblidien ©pecieS ju ftreid}en unb ft<b oorläufig mit einer einzigen Troglodytes niger gu begnügen.

5)ie inbioibuellen Slbweid)ungen ber ^pfiognomie unb be8 fRumpfbaueS finb auch bei biefem Spiere fel)t beträchtlich- 68 f chcitt t mit, baf) je näher bie Slffen überhaupt bem fDJenfhe« in i hr«r Organifation treten, bie ©igenart beS SnbioibuumS aud? befto ftärfer f i ch geltenb macht.

3m StUgetneinen nun glaube ich, [JiadifolgenbeS über ben 33au unb bie Sebeneweife bicfev Schiere feftftellen gu fönnen.

Qllte männliche GljimpanfeG erreichen eine aufrechte .pöhe »on 4—5 gufj. Sllte Sßeibchen werben fdjwetlid) je über 4 gu{j grofj. 2>ie bei unS in ben goclegifcben ©arten unb SRenagerien gehaltenen ©remplare waren meiftenS jüngere Sßeibdjen, haben gewöhnlich 2 2$ 3 guf) pöl)e gehabt. 3)er .pitn* jchäbel ift im ©angen flach* fuglig. Niemals fommt eS beim fJRänndjen gut ©ntwicfelung jenes hohen über bie ©djeitelmitte giehenben ?ängöfammeS unb ber ftarfen queren JpinterhauptS» leifte, welche ben ©djäbel beS männlichen ©orida anSgeicbnen. 5)ie ©eitenlinien be§ ©djäbelS einigen fich felbft bei gang alten ©hi>npanfe*9Ränncben nur fetten gur Silbung eines niebrigen unb nur in furget ©treefe uerlaufenben äbammeS. 93eim Söeib* <hen bleiben biefe Linien burch einen, etliche (Zentimeter breiten 3wifchenrauni »en einanber getrennt. SDic Slugenbrauenbögen

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finb felbft bei alten Gl)impanfe8 männlidjen ©efdjlec^teö niemaW fo flat! wulftig entroicfelt, al8 bet ben ®oriQa8, fte treten ba^er aucf) nie fo ftarf nad) aufjen bereor. Die Äiefergegenb ift bei manchen Gbimpanfe8 aufcerorbentlicb nortagenb, fetjr fdbiefjä^nig, bei anberen ift fie bieö aber nicht. SDie liefern finb bei lejjteren nicht fo fchnutenförmig verlängert unb bie Ärontänbet ber ©chneibejäbne flogen unter einem weniger fpifcen SBinfel ju* fammen. Die 3ä^ne ber G^impanfeS erreichen nur feiten bie Sreite unb Dide, nie aber bie gange bet ©otiflagäbne. Sei erfteren Spieren entroicfeln fid> bie Gcfjähne felbft alter SJidnndjen nicht ju jenen furchtbaren, an biejenigen bet großen Äafcenraub* tl)iere (göroen, Stiger ) erinnernben Seifjwerfjeuge ber Djina’8. (Big. 6 ü.) Die ©egenb ber uorberen 9lafenöffnung ift beim

Big. 6.

Big. 7.

(*8)

Big. 8.

Big. 9.

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<$fetrapanfe*Scbäbel gewöhnlich flauer, eingebrüdter, als an bem* I ppntgen beS ©orifla. JDet .Knochenbau beS Stumpfes unb bet (? rtremrtäten erleb eint bei elfterem äffen im ©anjen fdjlanfet, jterHcher, weniger maffig, als bei legerem. SBohl läjjt ftdj fagen, ba§, abgelegen non gewiffen unterfdjeibenben SJterfmalen, nament« liefe im ©au beS ©edenS, auch baS ©hintpanfe* ©feiet bem ment (blieben fehr nahe fteht.

2*40 Sdjimpanfeprefil ijat etwas t>iel gtadteteS als baSjenige teS 9i'f)ungu ober SDjina. (Der äuSbrud beffelben ift ein weit milberer. Klar unb feelenoeB bliden bie grofeen mit jiemlich hellbrauner ^Regenbogenhaut »etjehenen äugen, »on nicht hohen Änedjen unb £autwülften nur mäjfig überbad^t. 2)ie Stafe ift flach, mit einet wenig tiefen mittleren SängStinne unb mit nicht gewnlftetem Knorpel bet glügel mit fdjmaler Scheibe wanb »et* ftben. Sie wirb unten »on einet an ihrer £interfeite beginnen» ben unb »er ihnen quer übet bie Oberlippe jiehenben, nicht tiefen Jpautfurdje umfäumt. ©eim ©oriBa bagegen tritt bie State mit ihren mächtigen folbigen glügelfnerpeln bid unb wulftig bereor. ®ie Oberlippe ber ©himpanfeS ift lang, gewölbt unb mit »ielen »on eben nach unten jiehenben unb quer »erlaufenben SRunjeln bebedt. Sßie beim ©oriBa, ragt bie Unterlippe etwas über bie Oberlippe hinweg, ©eibe 3;he*k ftnb bei ben befchriebenen grofcen äffenfermen ungemein beweglich unb tönnen tüffel» förmig »orgeftreeft werben. 3)ie8 ift u. ä. »on Gljenu, (5h- ©ar* »in unb @. Sötufeel in fehr charafteriftifcher 3Beife abgebilbet »erben. *)

öS giebt nun auch (5h*mpanfeS, bei welchen fi<h jwifchen innerem äugenwinfel unb $interranb beS StafenfnorpelS nur ein Heiner Snnfdjenraum befinbet. ©ei anbeten Snbiüibuen ift bertelbe aber grefjer. SPtanche $hiere haben längere, manche

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haben fürjere Rippen, je nachbem bet bie Schneibejäbne tragenbe OberHefertbeil länger ober fiirjer ift.

5Rancbe haben behauptet, ein ©hi^panfe jebe jebeSmal wie bet anbete auS. So fann aber nur bem uugeübten Be- obachter »orfommen. 3entanb, bet ciele folcber Ztym auf il)ten pbpfiognomifchen Sau bin fleprüft bat, wirb bie grobe inbioi* bueUe Serfcbiebcnbeit beS leiteten bemerft haben.

©ie SBangen be8 (Sbimpanfe finb faltig unb non eiuer ftbnutbigen, gelblichen gleifcfcfarbe, bie aber im Alter häufig einen rufe * febwarjen ober braunfcbwärjlichen meift flecfenweife fich »er* tbeilenben Anflug erhält, ©affelbe jeigt ft<h an Obren, <£>än» ben unb ftftfcen, fowie juweilen auch an ber Äörperbaut, welche Untere jebodj meiftenS gelblich * fleifc^farben, etwa wie bei einem 38raeliten ober (Rumänen bleibt.

©a8 6b'nihanfe'Dbr ift im Allgemeinen gröber unb weniger menfcbenäbnlicb als baSjenige oieler ©otiOa’8 gebilbet. ©ö ift mehr gerunbet, mehr einem «Ipalbfreife fiep näbernb, flacher unb 3cigt öfterö mannigfaltige Änorpelleiften, Sorfprünge unb Sönlfte, welche wir am O^rfnorpel beS {IRcnfcben oergeblich fud?en. ©ie Krempe ift feiten beutlidj. ©emeinbin bat baS (5bimpaufe*Obr 6—7 (Zentim. #öbe unb 5 5^ (Zentim. Breite. Aber manche Snbioibuen haben auch »eit Heinere Obren, bie fich in ihrer ©eftaltung benen beö ©oriüa nähern. AnbererfeitS giebt eS auch nach bem Schreiber biefer Beilen »otliegenben Beifpielen ®o* rillaS mit groben (7 (Zentimeter hoben 5^—5^ (Zentim. breiten) Obren oon ähnlicher ©eftalt, wie fie fich in ber ÜRebrjabl ber (ZbimpanfeS barbieten, ©ie Schultern alter fSRänncheu biefer Affenart finb breit, Sruft unb {Rumpf finb tonnenförmig, erftere ift jwar muSfulöS, aber gegen lefcteren wenig ober gar nicht ab* gefejjt. {Rur alte {Kännchen haben, ähnlich ben ©oritlaS, ein* gezogene ^laufen, nicht aber jüngere {Dtännchen unb felbft ältere

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Seibdjen. Die Arme ftnb lang, reichen etwas über ba$ Änie IjinauS, fte ftnb fefjr muSfulöfl, aber nid)t fo gewaltig wie bie oberen ©liebmaften ber ©oritlaS. An ben .£)änben ift bet Dau* men bünn unb furg, bie Singer ftnb lang, bei alten SJtänndjen unb Söetbdjen feljr bicf unb ftarf, runglig unb bis gegen bie ©litte ber erften SingergUeber burdj bie @. 16 erwähnte 3?inbe» fjaut|tniteinanber »erbnnben. Der fDlittelfinger ift ber längfte. 9fn ben 33einen geigt ftdj ber Unterfcfyenfel üöHig wabenleS. An bem platten Su§ ift bie grofjc 3el)e burd) einen tiefen ©infcbnitt »on ben übrigen 3etyen getrennt; fte ift lang unb bicf. Die gweite bis fünfte 3efye ftnb nidi)t gang bis gur ÜJtitte beS erften 3etyengltebe8 burd? bie Sinbefyaut cerbunben. Die ©oljle ift lang geftrecft, runglig unb platt. Der £acfen ift fjier wie beim ©oriUa nur fdjwadj auSgebilbet. Die 9fägel finb bei beiben Affenarten runblid), gewölbt, fd)wärgiid)»fyornbrauu bis fdjwarg. DaS .£>aar beS Gljimpanfe ift fdüidjt, nidjt wellig ober gottig, auf bem 23orberfcpf meift gefdjeitelt, eS ift lang am jpinterfopf, an ben Sffiangen, ©djultern, am fftücfen, am Dber* unb Unter» arm, am £)ber= unb Unterfdjenfel, fürger bagegen an ben übrigen ■Rörpertljeilen. Die ^»auptfarbe ift ein bunfleS ©rf'warg. DieS fdjiUert bet manchen 6j:emplaren matt rötljlidjbrauu. An alten (SljimpanfeS fanb tdj bie ^aarfpitjen ber ©liebmafjen grau ober fudjftg gefärbt, waS bem Äolorit biefer Steile einen halb affigen balb fafjlrötljlidjen ©d)ein cerlie^. Das Untergefidjt ift mit büntten furgen, weifjlidjen paaren befefjt. Dergleidfen geigen ftdj aud), fyier freilictj länger unb bitter fte^enb, um ben After Ijer. (Sig. 10.)

Diefe SLtjiere leben ebenfalls in biebteu Söälbern, bringen bie meifte 3«it auf Räumen gu, fommett jebedj audj auf bie ©rbe Iserab. ®ie gelten Ijier auf allen 23ieren, inbem fic bie Singer gegen bie tacljle .£>anb eittfdtlagen unb bie mit @ang»

pro)

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fdjwielen bebecften fRücfcnflädien bctfelbcn auf ben 33 oben auf* ftemmen. 2>er Sufe wirb eutroeber ebenfo mit eingefdjlagenen

gig. 10.

3efyen gebraust ober aud) mit flauer (Bofyle aufgefefct. SDa8 9tufrcc^tfte^cn auf ben ftüfjen fyalt bet (Sfyimpanfe nte^t lauge au8, er fud)t babei eine ©tüfce für bie ,£änbe ober legt biefe legieren übet bem etwas nad) hinten gebeugten jbopfe ju*

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famtnen, wie um bamit bie Salance gu galten. 3m Lanbe bet 3nnerafrifa bewobnenben fannibalijcben 9liam»3Riam Ijauft bet bafelbft JRanja ober fDlanbjcharuma benannte ‘Äffe in ben jo* genannten ©alerten, b. b- ben etagenförmig übercinanber bet* Borragenbeu fRiefenbäumen beS StopenwalbeS. Bür t)ie fRacbt joQen bie GbimpanfeS baS Saumgeäfte gu Scbutjbädjern gu* jammenbiegen uttb in einanber flechten. 3t?re fRabrung beftebt in mancherlei SBalbfrüdjten.

SRod? weniger wehrhaft wie ber ©orilla, flieht aud) bieö ©efcböpf ben ÜRenföben unb fe^t fidj nur ftarf in bie Ginge ge* trieben gut SSe^r. 3)ie 5Riam=9iiam bafcen ibre bem

JRanja in jenen ermähnten, mit Lianen bid)t verflochtenen ©alerien beigufommen, fte fuchett in ©efellfdjaften gu 20 bis 30 fölann, baS Zijiex mit Sangite^en gu umftricfen unb bann erft mit Langenfticben abguthun. Sdjweinfurtb traf in einem am Sache 35iamwenu beS 9fliam*9iiam*£anbe3 gelegenen SBeilet einen mit ©dübeln non SRenfdjen, GbtmpanfeS, SReerfafcen, $)aoianen, Antilopen jc. über unb über befpicften Sotiobaum.

Studj bieje Stffen leben in Heineren Familien unb Bereingelt. Sllt? 5Ränn<hen befemmt man nicht leicht gu fetjen, »ober benn auch 'Seltenheit ber Oiefte berfelben in europäifd^n Sammlungen rührt. 3n unjere goologifchen ©arten gelangten big jefjt nur jüngere Gjremplare, welche bödiftenS iu eingelnen Bällen ein ‘Älter von etlichen 3al)ren erreichten.

SBenn ftdj nun auch ber alte männliche ©orilla unb ber Gbimpanfe nicht unbeträchtlich Bon einanber unterfcheiben, fo ift bieg nicht fo fehr gwifdjeu jungen männlichen unb weiblichen ©oriHaS unb GbimpanfeS oerjchiebenett Lebensalters ber Ball. Sei bem ungemein ftarfen inbioibueHen Sariiren aller biefer Spiere b®lt eS nicht feiten ferner, biefelben als befonbere Sitten Bon einanber gu fonbern, fobalb man nid>t in ber Lage ift, ben

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so

allerdings verwiegend djarafteriftifchen Sdjäbelbau tiefer Sljiete in SSergleid) ju jicljen. (gig. 1 4 unb 0—9). Sie ©rohe unb gönn ber JDijven giebt, wie ich obeu bereits angebeutet habe, (@. 26) ein nur unfidjcres Unterfdjeibungemerfmal ab. ^>r. o. ÄeppenfelS l)ält fogar aud} bie t>on älteren Beobachtern für fo beträchtlich erachteten Berfchiedenheiten ber Jpänbe unb güf}e beider Uffen für etwas lehr SSrügerifcheS. Sem (Srfolge meiner neu= erlichen Unterfuchungen gemäfj fann ich dem Bieifenben bar in nur beipflichten.

S3ei biefer bebeutenben Slehnlid?feit des Sleuheren h«t man nun an ftattfinbenbe Äreuguug, an Baftarbbilbung jwifdjen ©o* rilla unb Rbimfanfe gebacht. Beibe germeu tommen ja ueben einanbet cor, flehen einander nalje unb finb bereits anderweitige Beifpiele non Baftarbirung gwijchen allerdings gefangenen Slffen befannt geworben, ipr. o. ÄoppcnfelS h^e &iel üon folchen Äreugungeu am £)gowe*gluffe reden. Serartige Baftarbe füllen bie £l)reu unb garbe ber GhimpanfeS unb bie Sdjnauge, wie auch fonftige SDierfmale ber ©orillas h«beu. $x- »• ä. be= hauptet fogar, jwei folchet Spiere gesoffen gu haben, bie er in ©efellfchaft mit fielen ©orillaS angetroffen hatte. @r wollte noch »on leiteten erlegeu, allein, auf Rauben unb gufeeit durch baS dichte ©eftriipp friecheub, wurde er durch bie fdjrecfliche Driver Aut ober Sreiberamcife (Anomma arcens) ju fdUeunigem fRürfjuge genöthigt. Sie Bälge biefer beiben angeblichen Baftarbe befinden fich jur Seit im $of*$Raturalien«ä>abinette gu SreSben. Sie bet Begcichuung nach bagu gehörigen Schädel waren freilich nur diejenigen unoerfälfchter UhimpanfcS. Gin .pert Ulrici 31t SreSben unb ncd) ändere wollten auch *n ber fo melbefprochcnen Steffin ÜJiafuca des dortigen goolcgifchen ©artenö einen fol» d)eu Baftarb erblicfen. 3ch geftche, bah mir biefe gan^e Sache noch etwas mpthifd) »orfommt. Srofsbem aber muh bie iu 81«*

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31

regung gebrachte Saftarbfrage nod) näher unterfud)t werben. ©cÜte fie nid)t i|re fe|t einfad^e l*öfung in ber grofjcn 93aria* bilität beiber Sljfenformen färben, wel d)e eine ftrenge Sonbetung ber Slrten »erbietet? (Srft niete unb genaue gorfdjungen werben bie richtige Stntwort auf biefe gtage geben.

33te britte gortn ant|ropoiber öiffeu ift ber Drang*Utan (Pithecus satyrus) ber großen aftatifc|en 3nfeln Sumatra unb SBerneo. 3m 90tala|ifd)cn bebeutet Drang SDlenfd), Utan bem ©alb angel)örig. Drang*Utan Ijeifet ba|et SBalbmenfd). ©emö|nltd)er finb aber bie malapijdjen ©Örter Drang-- $)anba, Drang $)anbaf unb fDfaiab. 3n einer längft »ergangenen Beit, alö all’ bie fe$t gerftreut im inbifdjen Dcean liegenben 3n|’eln unb 3nfeld)en nebft bet mala!fifd)en .^albinfel einen 3nfammen* lang |atten, fanb auf i|nen wo|l aud) eine gleid)mäf5igere 51er* t|eilung ber S|ierwelt ftatt. Später [feinen 23orueo unb ©u* matra lange Seit nod) miteinanber im 3ufammen|ange geftanben gu |aben. 3)ie Sauna beiber, jejjt »on einanber burc| tiefe breite ©unbe getrennter 3nfeln ift eine in »ielfadjer 53egie|ung übereinftimmenbe. 33aS geigt fid) in bem gemeinfamen 53efifj u. 31. beß SJiaiaß. SDerfelbe ift nirgenb me|r fe|r läufig. 6r bewo|nt bidjte, feud)te Urwälber. 5(uf Sumatra geigt er fid) befonberö in ben norböftlidjen ©ebieten »on ©iaf unb 8tjd)in.

Stuf Sßorneo ift er nod) läufiger, uamentlid) einige Sage* reifen weftlid) »on ©ungi»Äa|ajan am ©ampiet*Sluffe, bei Äotaringin unb an anberen entlegenen Drten ber ©üb* unb SBeftfüfte. 9) 33er Äopf beb Drang ift in feinem £)irnfd)äbeU t|eil red)t |o(| gebaut, »ou geringem §ängöburd)meffer, beim alten 9Räund)en geigt er meift einen fe|r er|abenen Säugbfamm, |at eine gewölbte ©tiru, eine tief eingebrüefte -Jlafengegenb, aber Weit |er»orragenbe liefern. 3)urd) biefe ©eftalt»er|ältnifje urtterfdjeibet fid) ber Drangfopf »on bemjenigen beb ©orilla unb

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Stjimpanfe nicht unbeträchtlich- ©eim lebenben alten SJlännchen geigeu fleh bie Slugenhöhlenbögen gwar ^ernortagenb, aber hoch faft nie fo ftarf, wie felbft bei alten männlichen C5^im^*anfe§. 3)ie ?Hafe ift oben eingebrücft, unten flach unb nicht breit. 35er Änorpel h°l eine mittlere gäng«rinne, biefelbe ift tiefet al« beim (5^impa«fe, aber weniger tief als beim ©otiQa. SDie 9?afenflügel finb weber breit noch bicf aufgewulftet. 2)ie gippen finb lang, feljT beweglich, fetjr oorftrecfbar, nur feljr fchwath ge* furcht unb mit wingigen haat*Ta9e®ben Duabeln befefjt. 35ie Singen finb nicht grofj, braun unb bei jungen Slhieren uo« feht ntilbem äuöbrucf. SUte SHänncheit gewinnen burch bie (Snt* widlung gweier länglicher, bie .pinterwangen i^reS ©efidjte« be« becfenber, nach oben fegeiförmig gulaufenber gettpolfter, burch tücfifdj funfelube Slugen, burd) gottigen SEöud}« beS Stirnhaare«, fowie burch lange bartähnliche SSangenbehaatung, einen wibrig» wilben SluSbrucf: 2)a« läfjt fid) u. 91. unb g. $h- tedjt gut an bem fo fchön hergefteUten Grjremplare be« geologischen SWufeumfl gu ©todholm unb am lebenben be« ©erlinet Slquarium« erfennen.

35er £5rang*Utan hat im Sdter breite Schultern, einen ein* gegogenen ©auch unb mächtige ©liebmafjcu. Sunge SLbiere haben auch ben tonnenförmigen ©auch unb weift fdjwache Slrme fowie ©eine, wa« ihnen ein hödjft fonberbate«, farrifaturenfjafte« 9lu«fel)en giebt. 55a« erfannte id) unter mehteren anberen ©ei« jpielen an einem gu ©erlin befinblidjen Söeingeifteremplare. 35ie tÄrme beS £5rang«Utan finb im ©erhältniffe gum Rumpfe fehl lang, fie reidjen bei aufrechter «Stellung bi« gu ben gufsfnecheln.

35ie .pänbe finb langgeftrecft, mit furgem ©aurnen unß nicht gang bi« gur SDtitte ber crften gingerglieber reidjenben ©iube* häuten oerfehen. 25ie ginger felbft finb lang. 9ln ben Slrmen ftehen bie .paare gwifdjen Schultern unb GrUenbogeu nadj ab» wärt«, gwifdhen lejjterem unb ber jpanbwurgel nach aufwärts gefehlt, (««)

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gang fo wie beim ©crilla unb ßbimpanfe. (Vergt. bie 9b* bilbungeii.)

Sie Veine beS Orang = Utan ^aben ftarfe üenben, aber wabenfcfcwache Unter jdjenfel. Ser gufs ift langgeftrecft unb hat lange Beben. 9lur ift bie grofje 3?be nicht fo lang unb nicht fo bicf, alg beim Gbirnpanfe unb namentlich beim ©oriöa. Sie reicht noch nicht gang biä gum Vorterenbe bet IDlittelfufjfnochen. ginget unb 3et)en haben auch hier auf ihrer IRücffeite ©ang» fdjwielen.

Sa3 2hier ift mit langen, gottigen, manchmal fich leicht roetHg fräufelnben Jpaaren bebecft, «eiche wüft umherftehen unb am Jpinterfopf, an Schultern, IRücfen unb lüften bis 22, ja 25 (Zentimeter 8änge erteilen. Siefelben bilben gu beiten Seiten beS Stntlijjee, namentlich her SJlänndJen, einen langen S3art, fteben an Vruft unb Vaud} fpärlicher unb bebecfen ^»änbe unb güße bifl gut gingerbaftS. 3hrc garbe ift rothbraun, an Jpinter* topf, Stangen unb 9iücfeu in JRoftbroun, felbft Schwargbraun gieheub. 9J?and}e 3nbioibuen ftnb über unb über roft* ober fdjwarg* braun, anbere auf bem IRücfen rothbraun, auf bem Vaud} hell gelblich* weif} gefärbt. Saä ©efrcht, bie cjpänbe unb güfje ftnb bleigrau unb fd}wärglid)braun. (gig. 11.)

ÜJian hat nach ber gärbung ben Pithecus bicolor »em P. Satyrus unterfdjeiben «öden, nach ber ©röfje unb bem 9lter Pithecus Wurmbii Don P. Satyrus. Siefe Unter» fchiebe beteuten aber nichts. Saä Ztyex oariirt wie alle authro* boibien äffen, gang aufjerorbentlid}. Saher finb aud} noch anbere Bermeintliche 9rten, wie Pithecus Wallichii, P. Abelii unb P. Morio nur als inbioibuelle Variationen (nid}t Varietäten) anjujehen. Ser 8ängöfamm beS Sd}äbel8 feil aud} alten SOtänn* chen juweilen fehlen. Saffelbe fommt, wie mir ein Dom Dgowe ftammenter Schübel beweift, auch, wiewohl jebenfallS nur feiten,

XI. 2*7. 3 (277 ,

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9Dl.«9iambi unb = Äaffar muffen auf Otlterg« unb ©efd)led)tg« bifferen$en bezogen metben.

(in)

bei alten ®orina*9Jlänncf)en per. (2?ergl. S. 11.) SDte unter fdjeibenben malapifdfyen fftamen 9Jtaia6*f)>appan, ober ©djappan

35

5>ie beften neueren £Racbricbten übet bie SebenSweije biefeS StbiereS »erbauten wir 51. St. SöoKace, bem befannten görbetet bes ‘Darwinismus. liefern gotfchet zufolge bebarf bet M5Jiaia8" ja feinem SBohlbefinben einet großen glädje ununterbrochenen unb gleichmäßig ijoljen UrwalbeS. Solche SBälber finb für fte, bte Sonmthiere, offenes Saub, in welkem fie nach jebet Stidhtung bin ftdj bewegen tonnen, mit betfelben Seidhtigfeit wie bet Snbianet aber bie 9>rairie ober ber Slrabet burch bie Söüfte; fte geben con einem Saum jum anberen, oljne jemals auf bie (Stbe l)inab» pjteigen. Stuf ben hochgelegenen trocfnen ©teilen beS SanbeS fiebeln ftch mehr ÜJtenföhen an, eS werben bafelbft Sichtungen et» geugt, in benen fpäter niebeteS ©fchungel ober ©ejtrüpp wädjft. 25aS ift nicht bie ©egenb für ben ber ©eöfung bebürftigen SRaiaS. 3n ben ^ocbwälbetn giebt eS Wa^tfdjeittUd> auch eine größere Stenge non gruchtf orten. SBenn bet SDtaiaS feinen Söeg butdh ben ©alb nimmt, fo flettert et Dorfidjtig einen bet .fpauptafte entlang unb gmat in h«lb aufgerichteter Stellung, gu welcher i^n bie große Sänge feiner 5(rme unb bie Mrge feiner Seine nötigen. @t geht auf feinen gingern unb Behen ober Sohlen» tänbern. <5t fc^eint ftetS foldhe Säume auSjufudfjen, beten äefte mit benen beS nächftftehenben »erpflodhten finb, ftrecft, fo» balb et nahe an fte h«uu ift, feine langen Ärme auS, faßt bie gewählten 3®«8e mit beiben Rauben, prüft gewiffermaßen ihre Starte unb fchwingt ftch alSbann bebädhtig auf ben nächft be» fmblidben 51 ft hinüber, auf welchem er, wie früher erwähnt, weiter geht Dhne je gu h«pf«n ober gu fpringen, tommt er oben in ben Saumwipfeln hoch fo fchnell fort, als unten Sentattb bttrdh beit ©alb laufen fann. güt bie Stacht macht baS S^ier ein hager, auf einem fleinen Saum, etwa gwangig bis fünfzig guß »am Soben entfernt, wahrfcheinlidh weil eS ba wärmer unb weniger winbig ift, als weiter oben. @8 bricht 2(efte ab, legt

3* Oil»)

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36

fie freug unb quet unb ftc^ barauf. DaS thut er auch, wenn er oerwunbet ift, wie ©aQace lefetereS felbft auf Sotneo einmal beobachtet h<*t- 3ebet SKaiaS joH fid? nun fixt jebe 91ad}t ein neueS 9left machen, (uergl. oben ®. 17) wa8 jebodj ©aQace für faum wa^rfcbetnltcb \)äü, ba man fonft häufiger tie Ueberrefte bet 2ager finben würbe. 9iadh SluSfage berDapafS ober Urein* gebornen SorneoS bebecft fich ber SRaiaS bei fehr naffer 8uft mit ben Slättern bet ©chraubeupalme (Pandanus) unb ber großen gamfräuter. Daraus entftanb bann wohl bie Meinung, er baue fid) in ben Saumen eine Jpütte. 9lur feiten fteigt bet SftaiaS anf bie @rbe hinab, um, Born junger getrieben, faftige ©chöfjlinge, ober bei trocfnem SBetter ©affet gu fuchen. Dies finbet er fonft in ben Slattftielminfeln unb Slattfcheiben ber großen Stopengewächfe. @rft wenn bie ©enne giemlich h°d? fteht unb ber £hau »on ben Slättern abgetrorfnet ift, oerlajjt ber 9Jlaia8 feinen SRaftplafc. (Sr frifjt bie gange mittlere Seit beS SageS hindurch, fehrt aber feiten innerhalb gweter Sage gu bemfelben Saume gurücf. Der Drang »Utan geigt feine grofee SDßenfdjenfcheu. ©aQace fah nie gwei gang erwadjfene Shiete gufammen, wohl aber werben ÜRännchen wie ©eibchen manch* mal oon halbwachfenen 3ungen begleitet, fowie benn brei bis »ier 3unge mitfammt allein gehen, ©ie nähren fi<h auSfchliefj* lieh ®°n SDbft, gelegentlich auch »on Slättern, ÄnoSpen unb jungen ©chöfjlingen. Unter anberen grüßten liebt et befonberS bie grofje ftachlige, gewürgige Durian (Dario Zibcthinus), welche wilb unb angebaut uorfommt. 9Rit lederen fd)weren ©tücfen bombarbirt er, in bie (Snge getrieben, guweilen auS ben Saumwipfeln heraus feine geinbe.

Diefer aber giebt eS aufjer bem SJtenfdjen uur wenige. Der malapifche Sät unb ber gtofjflecfige fftebelpatber (Felis

maoroscelis) bürften ihn fchwetlich auS freien ©tücfen an» (280)

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greifen. 61) er bürfte bicö auf Sumatra mit bem Königstiger ber galt fein. 3n bie 6nge getrieben, uerttjeibigen fid) auch btefe Spiere mit <Sntfd)tcffentjeit.

3ßir höben nun nodj ben ©lief auf bie »ierte ©ruppe ber Anthropoiben ju werfen, nämlich auf bie Ifangarmaffen ober ($ü>bou§ (Hylobates). ©iefelben bewohnen baS geft* lanb unb bie 3nfeln oon Dftinbien. So beherbergen Splhet, Aff am, SJlalacca, Sadjar, Kambobja, Sumatra, 3a»a unb SpecieS Sorneo mehrere ber SLIjiere. 5Jlan ^at etwa 14 Sitten unterfcheiben wollen, Son biefen finb jebod) mehrere fo gut wie gar nicht charafterifirt unb bilben fet)t wahrfcheinlich nur Abarten ober gar nur inbioibuelle Abweichungen innerhalb ge» wiffer eingelner geraten.

35ie ©ibbenß erreichen eine »erfd)iebene ©röfee »on 14 Boß bis brei guf). fßteift beträgt ihre fftumpflänge 18—22 Boß» 3hr .£>irnf<häbel ift nur bei alten fBiänncpen wenig länglich, bei jüngeren unb bei alten SBeibcpen ift er fürger, mehr runblich, ber Kugelgeftalt genähert.. 35ie Augenhöhlenbögen finb nur wenig erhaben, bie Augenhöhlen gtofc, bie Kieferparthten finb wenig oorftepeub. S)ie im Knocpengerüft fehr menfchenähnlich ge« baueten Arme finb abenteuerlich lang, ba8 SEljier berührt mit ihnen felbft beim Aufrechtftehen ben ©tbboben. Auch ber Sfelet» bau ber im Serhältnij} gu ben Armen gwar fürgeren, jebodj immer noch recht langen fdjlanfen Seine erinnert an baS entfpreepenbe menfdjliche Knocpengerüft. ©ur ift beim ©ibbon AßeS gragiler, geftreefter, mehr nach ber SängenauSbepnung entwicfelt. 3nrt unb fchlanf finb auch ihre ginger unb Sehen.

SDaS Antlifc biefer 2piere macht einen höchft fonberbaren ßinbtucf. CRunbliche aber nicht fehr erhabene SBülfte umgeben bie fehr großen, ebenfaßö tunblichen, burchweg fehr bunfel»

gefärbten Augen, aug benen eine eigenthümliche ©anftmuth blicft.

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2)ie Slafe ift im dürfen entweber etwas eingebrücft ober gerabe, mit langen fcljmalen glügeln unb mit länglichen StaSlöchern nerfehen. 5Die Oberlippe ift fe^t futg unb in bet SJlitte mit einet non bet fchmalen Stafenfcheibewanb bis gum Staube ljcrab* fteigenben Sünne burchgogen. 35ie Unterlippe ift nicht lang unb überragt faum bie obere. Stiefe Stängeln gieljen über baS gange ©eficht, welches, wie bie ginger unb 3ehen, entweber roft*braun, bleigrau ober fchwarg gefärbt ift. 3n bem gangen ©eficht bietet affen liegt ein faum gu bejdireibenber melancholisch « gutmütiger auSbtucf. JDiefet geftaltet fid), wenn man bie ärgert

ober ängftigt, gu einer faft weinerlichen SSetgerrung, artet aber niemals gu jenen wibrigen ©rimaffen bet meiften anberen Slffen aus. 2)iefe Spiere haben auS langen fteifen ©rannen» haaren beftehenbe augenbrauen, unb furge weibliche ^ippenhaare. 2) et £al6 ift furg, bie Schultern ftnb breit, ber Sruftfaften ift gewölbt, 33auch unb glanfen finb eingegogen. Seltfam nehmen ftch bie langen, bünnen atme mit ben langen bünnen gingetn auS. auch 3ehen finb bünn. 35aumen unb grofce 3ehe finb lang, letztere mit faft folbiger anfdjwellung ber ihr Grub« glieb befleibenben SB ei ereile. 2Sie allen anthropoiben fehlt auch ihnen bet Schwang. 55ie SBinbeljaut gwifchcn gingetn unb 3ehen erreicht faum ein ^Drittel beS erften ©liebes. 33ei einet größeren art, bem Siamang Sumatras, finb bie g weite unb ÜRittelgehe mit einanber burch eine 33inbebaut Bereinigt, welche beim SJiännchen bis gum lebten, beim SBeibdjen bis gum »Orienten ©liebe reicht. 2)aS £hiet bat hieran ben artnamen Hylobates syndactylus erhalten.

alle ©ibbonS finb mit langem, oft gottigem £aat befleibet, welches bei einigen arten, wie Hylobates lar unb H. leu- ciscus, als fthtoad) geträufeltes Sdjlicht* ober ©rannenhaar ein gwar nicht feljr üppiges, aber boch oerfilgteS SBoühaat übet* (28*)

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3!)

becft. Sie aBgemeine Färbung ift ein uufcfeeinbareS ©bfewarg« grau, ©cfewa^braun, ©raubraun, ©raufafel, ein Staun unb ©tfewarg. 2ln eingelnen (Steilen ftnben ficfe federe ©teflen neben ben bunfleren. ©o 3eigt bet ^>ulu! (Hylobates hoolok) einen grofeen meifelicben glecf über jebem Sluge, bei anberen §or* men ift baS ©eficfet mit einem bicfen .Strange bicfetftefeenber weife* liefet £aare umgeben. Saß »erteilt nun bem Slfeiere ein fonbet* bares 3lu8fefeen unb fönnte ein joldjet ©ibbon, aufredjt ftefeeub, woQte man nodfe bie 3U langen ©Hebmafeen in Slbgug bringen, toofel einen mit feinet bicfet verbrämten ^elgfleibung angetfeanen ©Sfimo ber 'Polarlänber farrifiren. (gig. 12.) $lucfe bie ©ibbonS finb SBalbtfeiere unb oorgugSweife gru^tfreffer. ©ie flettern un» gemein gefdjicft, matten, bie 9lrme 3um Bugreifen auSbreitenb, gewaltige ©prünge unb bewegen fid) auf bem ©ibboben giemlidfe feurtig. ©onberbaretweife gefeen fie babei nicfet, wie bie anberen Slntferopoiben, immer auf allen Sieten, fonbern fie gefeen »iel feäufiger aufrecht, auf ben mit plattet ©cfele auf ben Soben gefefeten §üfeen. ©ie galten fidj bei biefet Bewegung giemlidj getabe, fefeen bie Änieen unb güfee naife Slufeen, gieren bie ©tfeultern 3ufammen unb feferen bie ?(rme in fealbgebeugter ©tellung uacfe auswärts, wobei bie .pänbe fdjlaff feerunterfeängen. Sie oberen ©liebmafeen wie Salancirftangen leicht auf* unb niebet», fein* unb feerwiegenb, laufen fie mefer als fie feüpfen, fobalb fie fi<fe nur auf platter ©rbe bewegen. Sluf unregel» mäfeigem Soben bagegen ergreifen fie mit weit auSgeftrecftem 9ltm jeben nur irgenb ficfe barbietenben Slnfealtpunft unb geben an ifem jebeßmal bem Äörper einen mäcfetigen ©(fewuug na<fe BorwärtS. 3ft eine folcfee Unterbrecfeung in ifetem tfaufe übet* wunben, fo gefet befto beffer auf ben §üfeen fort, ©olcfee £inbetniffe ermöglicfeen eS ifenen, einen jebeSmaligen neuen SSn* feub 3U nefemen, unb mit beffen £ülfe bie ©(fewierigfeiten eines

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coupirten üerrainS leidjter ju bewältigen. SBerben fie jufäHig ju fefyr großer 6ile angetrieben, je laufen fie rootyl auf allen

Sig. 12.

33ieren, Ijü^fen unb ipvingen albfrann aud) ne* nebenbei.

3n ber üRu^e liefen bie ©ibben$ gern auf itjren ©cfäfsjdjwielen unb fragen babei iljre langen Sinne mit ben l)erabl)ängenben

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£änben nach Slrt gelaugweilter Älatfdjweiber übereinanbet, bot milbett 331t(f finnenb nach oorwärtS gewenbet.

Sie finb meiftenS furdjtfamer Statur unb nur wenig wehr» haft. ,£)uluf8 unb bie fd)laufen ®ibbon8 (H. agilis) fotlen ftcb freilich mit Nluth fettleibigen. 3>r gtofje ©iamang ba» gegen gilt wiebet für fehr feig, noch anbete Sitten fcheinen e8 ihm nachguthuu.

3«h will nun noch einige ben genannten Spieren gemein» fame 8eben8erf<heinungen erörtern. £Die ©inneöfcharfe ber Slnthropotben bleibt tyintet berjenigen ber SRaubt^iete, Söiebet* fäuer unb Nagetiere gurücf. ©ie feljen unb wittern nur mafjig, hören jebcc^ gut. 2rofc ihrer 3. 2b- erftaunlidjen ©töfje unb i^ret gewaltigen Äörperftärfe machen fie non leitetet bod) nur feiten gegen ü)te Angreifer ©ebraudj. ©ie richten fidj in folchen Süllen auf ben Süfcen empor, fchlagen, bieß namentlich bet @0» tilla, mit ben £änben, ergreifen irgenb einen Äörpertheil ihre« ©egnerö, brüngen ihn gu ihrem Nlaule unb gerbeifjen ihn mit ben 3ähnen. Namentlich bei alten Niännchen finb aber biefe Organe non beträchtlicher ©rö|e unb fef}t fpifcig, befonberS bie ©cfgähne. äöatlace unb Sicingftone h®ben eine berartige Äampf» weife au8 nüchfter Nähe angegriffener Slnthropoiben in lebenä* Collen ©figgen bilblich bargufteQen cerfucht 1 °). 3n ähnlichen Süllen gerbredjen bie großen, gum Sleufjerften getriebenen Slffen entgegengehaltene ©peerfchäfte. ©8 erfcheint mir feine8weg8 unglaublich, bafc ein alter männlicher ©otiOa, welchem e8 ge« Jungen ift, feinem ©egner ba8 ©eweljr gu entreißen, ben ©chaft beffetben gu germalmen unb feinen Sauf frumm gu biegen cet» mag. Sille biefe ©efchöpfe finb fehr gefräßig unb werben Sin*

(2«S)

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Pflanzungen häufig recht fdhäblidh- Sie Betbauen fernen. Seim Saufen nähern fte fic^ anf allen Mieten bem 3Baffer, ftüffen ft«h auf bie flachen $änbe unb fchlecfern wie ein ^unb. Ueber ihre Tragzeit weiff man noch nichts Sicheres. Sie bringen nur ein 3unge8 zut SBelt, was fie mit ber befannten äffenliebe hätfdjeln unb pflegen. Seim Umherflettern unb auf ber §lud)t ffammert ftd) baS noch fäugenbe 3unge an .£>alS unb Sruft ber SDtutter feft. @8 wädfjft langfam unb hat, wie man auS ge» wiffen Scobadjtungen fdjlieffen zu bürfen glaubt, feine @nt« wicflung faum »or bem 14 15 3afyre Boüenbet.

9Kit bem Äeljlfopfe biefer J^iere ftefft ein non bünner, elafti» fc^et |>aut gebilbeter jfehlfacf in Setbinbung. SDetfelbe hängt burdf eine Spaltöffnung unmittelbar mit ben SJtorgagni’fdjen Staffen beS StimmapparateS im Äefflfopf zufammen. Sin folget ift waffrfcheinlich bei ber Stimmbilbung beteiligt. 3n behaglicher {Ruhe grunzen biefe S£h*ere lauter ober fdjwächer. Sei Segehr, äerget ober Setwunberung ftöfft ber (Shimpanfc ein furzeS, lautes, öfter hintereinanbet wieberlsolteS ui)h uhh auS. 3n bet 2Buth ftrSuben ft<h bie Äopfhaare ber groffen änthropoiben, baS änt* liff »erzerrt fid? zur gräulichen ^taffe, bie 3äh«e werben gefletfdht, bie ^>änbe ftoffen, bie guff fohlen aber flatfdjen unb ftampfen mit lautem ©etöfe gegen ^arte Unterlagen. 2)abei bringt au8 ber Äehle ein rauheS gebenähnliches ©etön her®01- ($h»mP“nfe8 foHen im freien 9tad [jtS zuweilen nicht fef)r gebehnte, flagenbe Stöne hören laffen. (?)

SMe ©ibbonS bringen im äerget faft weinerlich flingenbe Älagelaute hetnor. 3) et Siamang foQ, in 2rupp8 nereint, bei Sonnenaufgang ein furchtbares, meilenweit (engl. SOReilen) höe* bare8 ©efdjtei auSftoffen, am üage bagegen fdhweigen.

SDtan glaubt, baff bie gtoffen äffen ein älter Bon Bierzig

bis fünfzig 3ahren erreichen (?). 68 finben ftch atlerbingS

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©djabel, anfbeinenb bßb&ejabrter SE^tcre mit nöUig »er* mabfenen fftabten, abgefaueten 3übneu unb manchmal mit »er» narbten Verlegungen. SDafj bie roüblebenben 9tntbropoiben übrigens non ^ranf^eiten nidjt »erfbontmetben, geigtu. 9t., ba§ gefboffene GijimpanfeS mitunter beutli^e ©puren ber 3«^nnerberbni§ et* fennen laffen. 9Jianc^mal finbet man an ihren Änobeu audj »erteilte Vrübe, Verfrümmungen unb Säuberungen.

SDaS ©efangenleben biefer Spiere tjat feine ©igenartigfeit. Heber baSjenige beS ®oritla mürbe oben (©.) bereits ausführ- licher berichtet.

Säa^renb ber gefangene £)rang*Utan fib «18 ein gang gut* mütijigeS, b«™t»fe8( babei aber träges, me^r paffio fib »er* baltenbeS ©efböpf, «IS meift leibenfbaftSlofer ^)^ilifter benimmt, bemä^rt fib bagegen ber ©bimpanfe als ber beitete, bemeglibe, ebenfalls gutmütbige, fib leibt unb gern anfbmiegenbe ©an* guinifer. Setter er ift mebt gu plöfcUben, uns natürlibermeife unenblib fomifb büufenben 3mpromptuS, gu genialen S3uben* ftteiben aufgelegt, als jener. SD er ©ibbon aber ift eutmeber träge, langmeilig, ober er ift unenblib lieb, anfbmiegfam unb »ertrauenSoolI bingebenb. SDiefe anbeimelnben ©igenfbaften be* mabrte u. 91. im b<beu ©tabe jenes lieblibe ©efböpf, jener meifbünbige ©ibbon (Hylobates albimanus) toelben jüngft greunb £). JpermeS, ber nerbiente SDirector beS berliner Aquarium, für bieS blübenbe Snftitut ermorben b«tte.

9tn fReinlibfeit finb gefangene Slntbropoiben meiftenS feine SERufter. Sillen finb gemiffe, eine unoerfennbate 9)ienfbendbnlibs feit nenatbenbe Verribtungen beS tägliben ©eins leibt beigu* bringen. £>bne lauge Sebrperiobe lernen fie fbnell in menfb*

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Itdjer 2Irt auS einem ©efdjirr, namentlich auS einem mit £eufel Betfehenen, hinten, mit einem Sehreibftift auf Rapier hinein, in einem Suche blättern, in einen (Spiegel feigen, in Herren* unb 2>amengefellf<haft manierlich bei Jifdje fxjjen, fid) fRadjtS mit einem Juche jubecfen :c. So hohe SnteUigenj bie tSnthro» poiben nun aber auch in ber ©efangenfdjaft entwicfeln, fo-fcherat biefe benn bod) jene in ähnlicher Sage non anberen Slffen, wie ^aoianen, Söleerfafcen, 9Jla!afen, Sdjlanfaffen, felbft amerifänifchen 2lffen bewährte nur wenig ju übertreffen. 3>a aber bie ©eftalt unb innere Drganifation ber Slnthropoiben eine menfchenähnlichere als bie ber übrigen Slffen ift, fo fcheinen un§ bie erfteren audj in ihrem Jh »» unb Jreiben mehr als Äopiften beS fWenjchen* gefchlechteS wie alle übrigen Sertreter ber mit Bier befingerten unb begeljeten ©reifmerfjeugen auSgerüfteten fdjwänfe» unb ränfe* Bollen, fo hodjintereffanten Säugethierfamilie.

III.

3)ie anthropoiben St f f e n mit ihrer großen Statur, mit ihren £änben unb ©reijfüfjen, ihren in ber Sugenb flachen unb bennod) auebrutfSootlen ©efichtern, ihren lebhaften ©eberben unb ihrer fo wohl überlegten, Bon Ijo^er SnteQigeng jeugenben £anblung8weife hotte» fchon frühzeitig bie ^Beobachter ju Ser* gleichen mit bem fölenfchen Beranlafct. S)ie Schäbelbilbung junger Slnthropoiben nähert fi<h, wie bereits mehrfach angebeu* tet worben, ber menjehliehen, unb eS läfjt fid? nicht leugnen, bah bie Slntlifcgegenb junger ©oriUaS unb @himha»fe8 faum Bot» ftehenber, prognather ift, als biejenige mancher Seger* unb Sluftra« lierfinber. 3Bir hohen aber gefehen, ba§ fich bieS fpäter beträcht* lieh öubert. 5Die Schäbel alter männlidher unb weiblicher 2ln* thropoiben, bie ©ibbonS nicht ausgenommen, behnen fich in bie

Sänge, bie liefern werben weit nach Born sottagenb mit feht

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fdjief ftd) ftetlenben Sdjneibegähnen. aud) eutwicfeln fidj an ben Schäbelfnodjen tiefer Elften gortfähe unb Äämme, wie fte an ben ©fabeln felbft anetfannt tieffteljenber fDtenfchenraffen entweber gar nicht ober nur anbeutungSweife als ^robufte franf* haftet Silbung »orfommen. Der Sau beS übrigen Änodjenge» rüfteS ber anthropiben bietet, wie wir ebenfalls fennen gelernt haben, , niel fDienft^end^nlic^eS neben mancher abweidjung oom menfchlichen DppuS bar. Sieht man non ber ©erecftheit bet abenteuerlich langen ©liebmafjen ab, fo etfcbeinen bie ©ptremi* tätenfnochen bet ©ibbonS feht menfchenähnlich gebilbet. Die baS fnöchetne Secfen hauptfächlicb bilbenben Darmbeine ftnb bei biefen Dl^en üerhältnlfjmäfjig fdjmaler unb Ijö^er, baS Äteugbein ift bei ihnen fchmaler, länget, als beim fDtenfdjen. DaS aber ift namentlich beim ©ibbon ber gaH. . Die ^jalSwir« bei beS ©orilla tragen ungeheuer lange Dornfortfähe, auch bie* jenigen beS &E)imf>anfe unb Drang finb lang, ©orilla itub ©himpanfe haben je breigehn, ber Drang*Utan nur gwölf rippen* tragenbe SBirbel. alle jene haben oiet ßenbenwirbel. Sei ben ©ibbonS ift bie Bahl biefer Äno^entheile eine feht oerfdjiebene. 3m «Schulterblatt, in ber -fianbmutgel unb guftwurgel ber Dhiere finbet fich »iel ÜJtenfdjlicheS, nur ift bei jenen affen bie Stellung beS bie grofce Sehe ftüj)enben erften feilförmigen Seines, eine burch* aus anbere, als beim 5Jtenf<hen. Die gange gufjwurgel ber affen ift breiter, baS Sprungbein ift mehr für bie leiste Strecfung, Seugung unb Drehung beS gu hanbartigem ©ebraudj organifirten ©rciffufjeS eingerichtet als bei unS, bie wir nur befdjränftere Stwegungen unfereS gut auSfütjrung beS aufrechten ©ehenS be* ftimmten SufjeS gu oollgiehen befähigt ftnb. SSäljrenb bie an* thropoiben mit ben Süfjen gang wie mit £änbeu ©egenftänbe umgreifen, »ermögen nur einzelne bagu befonberS oeranlagte Sföenfchen anbere Dinge gwifchen bie erfte unb gweite Sehe ÄU

46

flemmen unb fo mit ihnen gu ^anbt^ieren. 2)ie Seugung un= feret Behen ift nicht mit ben fomplicirten SeugungSbewegungen bet Slffengehen gu »ergießen. @8 ift falfch, wenn man bic Sieger unb Sluftralier im SDurchfchnitt für fähig Ijatt, ihre grojje Be^e non ben übrigen abgugiehen unb fie ihnen entgegengufe^en. !Da8 fcnnen nur wenige. SJian ^at mehrfach angegeben, bafj bet ÜRenfd» in feinem gefammten jhtodjenbau unb .in bem Sau bet gugefyörigen SBeidjtheile bie alleinige Sefähigung gum auf regten ©an ge »errathe. (5. n. ginn<5 nennt ba» ^er ben SDienfchen erectus, aufrecht geljenb. Slltmeifter Ä. ®. ». Sät bemerft in biefet £infidjt ba8 in feiner originellen ben Stagel auf ben Äopf treffenben Raffung ^iet wörtlich ^bgebrurfte : „2)er Sau be8 menfdjlichen gufceS fteht mit bem gangeu übrigen Sau be8 menf^H^en Äörperg in Harmonie. Sei natürlicher Stellung fielen bie gufiplatten weiter auSeinanber als bei ben gieren non berfelben ©rßfje unb felbft bei größeren. Durch bie beiben ftufjplatten unb ben gwifd)en beiben beftnblichen Staunt wirb bie unterftüfjenbe fläche eine anfehnliche. Sei Siet* füttern wirb biefe unterftüfjenbe flache burch ihre gange wer» grßfjert, wobei fie fefyt fcbmal fein fann. Stuf ben gufcgelenfen fte^en bet bem »Dtenfchen in natürlicher Stellung bie beiben Unterfchenfel fenfvedjt; bie Dberfchenfelbeine ruhen beim Stehen fenfredht auf ben Unterfdjenfeln unb tragen ben übrigen Stumpf. Da8 Änie ift alfo gang gerabe geftreeft. .Rein Sjfe, aber auch fein anbereS fann feine ^nie ooDfommen gerabe ftreefen.

SÜtan fann alfo fagen, jebe Kreatur erfcheint cor bem SÜtenfchen mit gebogenem Änie. Die golge ber gebogenen Änie ift aber, bah ni<ht bie gange Stärfe bet Änochen bei Slffen unb Siet« füfjern gum fragen be8 Stumpfes üerwenbet werben fann, fon« bem bagu mehr SJtuSfelfraft oerwenbet wirb, als im entgegen* gelebten galle nöthig wäre. SDie £)berf<henfel beibet Seiten

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greifen mit gerunbeten ÄBpfen in gtcet Sertiefungen (Pfannen) beß Sobenß ein, unb biefe Pfannen fielen beim Söienfdben »ei» ter auseinander alß beim SSffen unb ben anberen gieren, inbem baß gange Seifen breit ift unb eine »eite Secfenböble bilbet, »eßbalb ein gerunbeter Äopf bei ber ©eburt buribgeben fann, unb über ber eigentlichen Secfenböble ftcb eine fdjalenförmige ©rweiterung finbet, bie bie ©ingeweibe tragen hilft- 25a nun com Seelen auß ber übrige Stumpf getragen »erben muff, fo finb and) bie ©efä&mußfeln beö ÜSJtenfdjen, bie baß Seifen ^al» ten, »iel ftärfer, als bei aßen anberen cerwanbten gieren. Som Seifen trägt nun bie SBirbelfäuIe mit ihren eingelnen SBir» beln unb beten 3»ifdbenfnorpe(n bie Saft ber fyßfyeten St^eile, unb bie aümä^lige Slbnabme ber ©tärfe ber 5Birbel con unten nach oben ift ein Setteiß, baf) amb l)ier bie aufredbte Haltung biefe gorm beftimmt. Such bie t>ierfa<he leichte Ärümmung ber SJirbelfäule beß ÜJtenfdben, guerft uacb com, bann nach ^in* ten, bann »iebet nach com unb bann wiebet nach ber Siücfen* feite, ift ben ©efefjen ber SJtecbanif gemäft, benn fie unterftüfjt bie ©lafticität ber 3ttif<ben»irbelförper. gügt man nun Ijinju, baf? ber Äopf fo unterftüjjt ift, baf? bie fenfredbte Stiftung con feinem ©dbwerpunfte faft genau auf biefe Uuterftüfjungßlinie trifft, fo »irb man ft<h übergeugen, baf? bet SRenfd) in feinem gangen Sau für bie aufrechte Stellung organifirt ift, ober »aß baffelbe befagt, ba| bie Seftimmung beß aufrechten ©angeß feine Drganifation beberrfcbt." 1 ')

2)ie com Setfaffet biefeß ©^riftd^enß genauer unterfuihte SRußfulatur ber Slutbropoiben bietet cieleß bet ÜJhißfulatur beß 3Renf<hen Slebnliihe bar, baneben aber freilich aud? Slbweicbun» gen, welche g. Stb- ben Siffen eigentümlich finb, tbeilß aber audb bie naben Sejiebungen betfelben gut übrigen ©äugetbierwelt cerratben. Sftäcbtige SJtußfeln bebedfen ben SRadfen beß ©oriUa,

f»D

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beffen ^interpauptgegenb oon ihnen oöHig übetbecft wirb. Aud} bei ben anberen Anthtopoiben wirb bie gange (beim ÜJtenfchen mit nur mäfjig biefer gleifchmaffe bebetfte, Iper in itjten Um* riffen freie unb gegen ben £al8 abgefefjte) ^interhauptregion wie bei ben fRaubfäugethieren u. f. m. com Scheitel nach hinten überbacht unb burdj ftarfc ÜJtuSfelmaffen oerbecft.19) $Diefe SJilbung aber ift eine burdjauS t^ierifdjc- 3n biefer Jpinftcht unterfcheiben fi<h bie Anthropoiben faum non anberen (Säuge- tieren, entfernen fich bagegen nicht unbeträchtlich com ÜJtenfchen. Següglich ber Üteroen, ©efäfje, ©ingeweibe unb SinneSroctfgeuge geigen bie Anthropoiben oon gewiffen geringeren Abweichungen abgejehen, wiebet nieleS ÜJtenfthenähnlidje. S5a0 ©ehitn berfel» ben unterfcheibet fich nur wenig com menfchlichen. 3u ben auf» faDenbften Uuterfchieben gehört noch baS ©ernidjt biefeö Slheileö, welche«, beim ÜJtenfchen burdjfchnittlich oiel beträchtlicher, als beim ©otiUa, (S^tm)>anfe unb Orang-Utan ift. 33iel ÜJtenfchen- ähnliche« geigt übrigens auch bie auf AfienS geftlanb unb 3nfel» weit befdjränfte gamilie bet Scf)lanfaffen (Semnopithecus). ÜJteerfafcen, $)aoiane, ÜJtafafen, Stummelaffen unb cor Allem bie Affen ber neuen SB eit entfernen ftdj bagegen mehr unb mehr oon un«. ütidjt mit Unrecht fagt «frujclep, bafj bie ben ÜJtenfchen com ©orilla unb ($himPanfe ftheibenben anatomifchen SSerjchiebenheiten nicht fo grofj als biejenigen feien, welche ben ©orilla oon ben niebrigeren Affen trennten, gaffe ich nun ben allgemeinen ©feletbau unb bie allgemeine SJefchaffenheit ber Söeichgebilbe ins Auge, felje ich oon bet Schmalheit ber SDarm* beiue am SJecfen, non bet eigenthümlicheu Sänge ber ©lieb» mafcen unb einigen anberen Sefonberheiten ab, fo gewinne ich oon biefer Affenfamilie ben ©inbrucf, man ha&e in ih* bett echten EppuS bet Anthropoiben not fich, welcher in benjenigen Sigenidjaften, welche man als menfchenäljnliche gu begeichnen

( J93 )

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pflegt, obenan ftefyen. Born Dryopithecus, einem jn ©an« fan unb auf bem fchwabifchen 2llp entbecften foffüen ©ibbon con Dranggr5|e, befifct man einen Unterfiefer, beffen Äörpet ober SRittelftücf com tiel fteiler abfäüt, fammt feinen 3ä^nen »eit menfdjenäfynlidjer geftaltet erfdjeint, als bei aßen übrigen uuS befannt geworbenen 2ntt)ropoiben’ s). 9RaSche ftreiten ben ©ib= bonS bie 3ntedigeng ab, habere »ieber rühmen leitete. 9iad) 9Ment waS ich aber an lebenben ©ibbonS beobachtet unb was ich übet btefelben auf literarifchem unb prioatem SUege in @r« fahrung gebraut, muh i<h ft* für 3»ar fchüchterne aber hoch hoch ft intelligente unb gutmütige ©efchöpfe erflären, für ©efchöpfe, »eiche auch in geiftiger #inftcht bem 2Jtenf<hen nicht fehr fern fteheu. ^»ier^u fommt noch bie gahigfeit ber ©ibbonS, auf ihren güfeen emporgerichtet ju gehen, ©ieht nun and) ein joldjet ©ibbon»@ang ungefdjicft auS, fo frappirt er troflbem je* ben Beobachter, ©r unterfcheibet ftch eben fehr oon ben über* auS tappifchen Berfudjen anberer SHnthropoiben, bie aufrechte Haltung auch nur für fütjere 3eit einjunehmen.

Unferen £efern ift befannt, bah bie Slnljänger ber DeScen= benjtheorie ben ©tammoater b 5Jlenf<hengefchlechte8 jef)t nicht mehr in einer ber befannten antljropoiben 3lffenformen fonbern in einem hhpothetifdjen foffi» len Slnthropoiben futhen, beffen {Reffe jur 3cit noch nicht aufgefunbeu worben finb. Dabei ift natürlich bie URöglichfeit anjunehmen geftattet, bah bereinft noch irgenbwo Uebetbleibfel eines g«fnnben werben fönnten, beffen anatomifcher Bau

bemjenigen beS URenfchen noch naher ftefje, als bieS beim @o» ritla, ©himpanfe, £>rang*Utan unb ©ibbon bet gall ift.- fitere finb bei Dielfach auSgefprochener SRenfchenähnlichfcit hoch nur ‘Äffen, ©augethiere, bie immernoch burch eine tiefe Äluft uom 5Renf<hen getrennt bleiben, £infichtlid) jenes ganj hbpothetifdjen

XL 247. 4 (223)

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Uraffenmeu fdjeu bemerft Ä. 6. u. Sär goIgeubeS: „©iefev tSffenmenfdj, wie mau ben Urafyn woljt genannt Ijat, war bocfe entweber ein Saumfletterer ober eilt (Srbwaitbeter, ein Homo ambulans. 3m elfteren galle fanb et feine 9M)ruttg fieser auf ben Räumen. ©a$ fonnte ifyti beftimmeu bie Saume mit ihren ftrüdjten auf lange Seit ju uetlaffen, ba überbieS ber Aufenthalt auf beni Soben i^n »ielmeljr bem Angriffe ber großen fRaub* ttjiere auSfefctc, »or benen et auf ben Säumen mefyr ©idjerljeit gehabt batte? (Sine febr lange 3eit fanb man nötfyig für bie beffere Aufibilbung, bamit bie §üf}e au& »adligen .fjänben in fefte glatten fid> nermanbeln unb babei alle übrigen SUjeile beö SRumpfeÖ unb ber ©liebmafjen in bie aufgeridjtete menfcfylic^c ftornt fidj umgeftalten fonnten. 2Bar biefer Uraljit aber ur* fprünglid} wie ber QRenfdb ein (Sohlengänger mit tnrjen Bereit, langem fDtittelfuff unb langer gu^t»urjel, fo war er eben ein ÜJletifdj. Sor allen Dingen erwartet man, baff bie frütjeften üJtenfdjen in ihrem .£itn* unb (Sdbäbclban ben Affen bebeutenb näher ftänben als beit jefcigeü SOlenfdjeit. Allein bergleidjen fyat fid> bis jefjt nidjt finben laffen, obgleich man feben ©djäbel auö fel)r alter Seit nidjt nur genau anfieljt, fonbern auch burdf Se- fdjrcibung unb 3eidjnung befaunt macht unb iljn in einem ÜJiu* feum eonfernirt, bamit er immer wieber »erglidjen werben fanit u. f. w." Unb weiterhin: „3d? ba&e freilich (in allem Soraitfe gebenben) nid)t umhin gefonnt, meine Art ju urteilen mit ein* flicfeen 31t laffen, bafj nämlich bie Drganifation eines lebenbeti OiejdjöpfeS fdjon urfprünglidb beit SJUtteln 3ur 8eben8unterbal= tung angepajjt fein muf) unb nid)t erft im Saufe ber 3abrl)un* berte aitö- irgeitb einer unbeftimmten §orm, 31t ber eS au8 inne= rem Sariationägrunbe geworben ift, beu Sebenöbebingungcn fid> anfjafft. Unb gerabe bei biefer Gelegenheit glaube id) bie Se^ reditigung biefer Anfidjt anfd;aulidj mad)en 311 rönnen. SBar ber

(SSM)

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hppofhetifche $ffenmenfch beftimmt Dom Soben «uö bie leicht erreichbaren griidjte »on ben Säumen unb beit fPifangen gu ppücfen, fo waren ihm Äletterfüfje ober ©reiffühe wenig paffenb für fein Suchen nach 9iahrung. Unb ip nur baä Dötlig auf= rechte Saugethier gut Sprache unb bamit gu fernerer 9fu0bil» bung befähigt, fo fann ich nicht begwetfeln, baf) bieö ©efchöpf, b. b- ber ÜRenfch, erft am ©t^luffe ber gangen SRei^e entfiedert mufete, bie nun ihren natürlichen Stbfdpuf} gefuuben, uitb it)m in ihren anberen ©liebem balb ale SDiaterial für feine Seflei» bung unb Nahrung gu bienen l)«tte. " » * )

Sei ariem heutigen SBuft »on Bür unb Söiber barf pd) ehrliche Borfchung nidjt bauen abhalten laffen, in biefett hoch* intereffanten, baö menfdhliche ©ein fo nahe berührenben 35ingen immer »on bleuem gu fammeln, gu fichten, gu etgrünbeu. $>ie erleichterten SerrehrSmittel unferer 3eit werben unö immer be= trachtlichereä Material gur era deren Sehanblung ber Slnthro« poibenfrage in bie £änbe liefern. Sicherlich werben wir ba* hin gelangen, noch mancherlei jefct un3 auffällige SBiberfprftchc aufguljeben. ^jinfidjHicd unferer »ermeintlidhen 5De8ceitbeng aber befenne ich wich flem gu jenen behergigungSwerthen Schlüffen, mit benen 9iub. Sird)ow feinen intereffanten Slrtifel übet w ?ER e n f ch en = unb 9lf fen fchäbel" in ber Sammlung biefet Sorträge enbigt.'4)

4 * C»i)

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Htttnevfungett.

1) Vttgl.: ^Beiträge §ur joologiftpen unb jootomijipen ÄenntntR brr jegenannten antbropomorppen 9tffen »on SRob. ftartmann in G. V. Steigert’* unb 6. ©u Voi«<9lepmonb’« Slrtpiß f. 9lnatomie, ^ppfiolo- gie unb wiffenfipaftlicpe UMijin, Saprgang 1872, ©. 109 ff.

2) Purchas: His Pilgrimes, vol. II, pag. 298.

3) Vergl. eine auäfüprlicpe ©arftellung ber Verbreitung biefer merf*

ttmrbigen üJlenjcpenftämmc in 9t. Jpartmann: ©ie Vigritier. ©ine

antpropologijip>etpnologifcpe ÜJlonograpbie. Verlin 1876. I. lijeii, ©. 490 ff.

4) eerfepiebenen afrifanifipen ©praßen finben fic^ äpnlitp flin* genbe 9tamen für 9lff en: fo in ©ennär unb Äorbufan ber 9tame Äofo, im SJBeften bei ben UJianbingo: ©ogo, am ©abun unb füblitper 91'jcpefo, Vb’fcpego, 9t’jeqo, Vjemo, 91’fema.

5) ©poma« $enrp ^>ujrt e^: 3eugniffe für bie Stellung be« ÜJlenjtpen in ber 9tatur. 91. b. SngL non 3. Victor Garu«. Vraun« jepweig 1863.

Die oben erwähnten Vüften, $änbe unb §üge ftnb u. 8. beim Äonferoator Seoen ju granffurt a. 3Jl. ju paben. ÜJtan begegnet ipnen in eerfepiebentn joologifcptn SJtufeen ©uropa« alft ÜJtuftet für bie 9luflftopfer. 3" biefelbe Kategorie gebürte ein 1867 in ber parifer 3ßeltau«ftellung gezeigte* VtobeH be« ©orilla uon ©aniel au« bem Musee d’anatomie d’Hartkopf, Passage de l’Opera, Boulevard des Italiens, ©affelbe war angefünbigt al« „Imitation d’apres nature du Gorille“, übrigen« nur nad) bem au«geftopften ©templare be« Museum d’Histoire Naturelle in 2Ba(p« boffirt

6) Sfl ift bie« bei allen 9lffen ber alten 2Belt ber gatl. ©ogar bei ben Scpmeinftaffen ober Vlacaco« unb Fabianen erf epeinen bie 9teu* gebornen furjfcpnaujiger, niept im ©ntfernteften fo »iepifcp.prognatp, al« bie Sllten.

(W)

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7) Siejer Sheil 9lfrifaS bringt eine gemiffe 3a^l »cn ?aub* moofen f;er»er.

8) 61)en u: Encyclopedie d’Histoire Naturelle. Quadrumanes,

p. 32, Fig. 37. Sarmin: Ser 9tuSbrucf ber ©emüth«bemegungen bei ben Wenden unb ben J^ieren. 9t. b. 6ngl. uon 3 Bictor 6a* rufl. Stuttgart 1872, S. 142, gig. 18. ®. SDi ü ^ e l in 3«itf<t)rift

für 6tf)nolcgic. Berlin, 3al)rgang 1876, Saf. I, gig. 3. ©ute, nach bent t?eben gejeid'nete aber phetograpljirte Sbbilbungen »cm 6himpanfc ejriftiren in ©{enge, bagegen taffen bie bi« jeßt betannten bilblicpfn Sar* fteftungen bcö ©ertlla noch Sßielcö ju münfchen übrig. 3d? ^abe im SifcungSbericht ber Berliner anttjropologifdjen ©efetlfcbaft rom Bosemb. 1875 eine 9lufjät)hing ber befferen unter ihnen gegeben, Bermcije aud) auf bie 9tbbilbung eine« noch feljr jungen lebenben ©oriila im 1. .'peft 3«fyrg. 1876 ber 3eitfd?r. f. Sinologie 5£af. 2, gig. 1 unb 2. ttn* fer fecljfchnitt gig. 5 ift in ber Stellung unb Behaarung nach einem ber im i'täbtifdjen Btufeum ju Vübcrf aufgeftetlten geftopften ©jremplare gezeichnet rcorben. Olafen* unb Äieferngegenb, ginger unb 3eben mürben gemäß in meinen $änben gemefenen SpirituSejremplaren oerbeffert. Sie Bafe fennte freilict; nod; etma« mehr birnfßrmig fein.

9) Bergl. Dierentuin, eine itluftrirte Betreibung ber im joolo* gifdsen ©arten ju 9lmfterbam lebenb geljaltenencn Säugetbiere unb Bö* gel, pag. 6.

10) 9t. 9t. ©allace: Ser ÜJtalapijepe Srcpipel. Sie -peimath be« Srang.Utan unb parabie«Bogel«. 9t. b. @ngl. Bon 9t. B.*9Jteper. Jitelblatt. fc. ©aller: The last journals of David Li vingstone in Central Africa etc. London 1874, vol. II, p. 52.

11) Ä. 6. b. Bär: Stubien au« bem ©ebiete ber Baturmiffen* jehaften, II, St. Petersburg 1876, S. 317, gig. 5, 6.

12) Sie Anregung ju biefer Betrachtung rührt Born Prof. 6. B. tHeicpert \)tx.

13) Bergl. 6. 6. 9t. ,f>artmann, Sarminiernus unb Stg^h113' buftien, Bhind)en 1876, S. 125.

14) Bär a. o. a. £)., S. 326.

15) 9t. Birchom: SBenfchens ttnb 9tffenf«häbel. Siefe Borträge IV. Serie, $eft 96, S. 33 ff.

(nt)

Tunf vor ® , t r. n nftet (V) in Ottlin , £$entfectgttflt. 17 ».

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golbene Bemalter

fcer

tToitliunft in ^ettebig.

SU DU

6mU ’Slaumömt.

. Berlin SW. IS7ö.

33 e r l a g » o n 6 a r I Jg> a 6 e I.

(<C. <D. lotiritj'idir SttlajjäboJjJliiUar.j).)

33. !Ü>ilb<lnt 33.

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2)a8 Sftcdjt bet Ueberfefenng in frembc ©praßen wirb cotbcljalten.

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betreiben Seit , in ber in UJlittelitalien SRom einen gcwal* tigen Umidhroung in ber ÜEenfunft betnotrief, feilte auch eine ©tabt beß italienifcben Utcrbenß $u großen SBirfungen auf bie fernere (Sntwirfelung ber UJluftf gelangen. SBenebig, wie eS ber ©djauplat) eines ehemalß bie Söclt beherrfchenben jpanbelß, einer erftaunlidhen politifd^en ©refje unb UJladjt unb ber @nt= faltnng einer glänjenbeit Äunftthätigfeü in Ulrdjiteftur, UJtalerei unb ©culptur gewefen, [teilt fidj unß auch als ber 23eben bar, auf bem oet brei 3abrl)unberten unfterbliche, wenngleich am Crte il)reß (fntftehenß längft fd)on uerflungene Schöpfungen ber Eenfunft erblühen feilten.

2Bie anberß aber, alß baß Sßilb, weldjeß baß ernfte feier* lid^e 9lem gewährt, ift baö ©dhaufpiel, baß bem in bie Her« gangenheit 3utücfi<f)auenben bei einem Slicf auf bie bem 2Bel= lenfeheefee entftiegene Jfenigin ber Slbria fid) barbietet. @<hon bie maritime Sebeutung ber ©tabt, bie nur jur .fpälfte roma= nifdje Ulbftammung ihrer Söewohner, baß bewegliche (Slenient, auf wel^eß biefelben mit ihrer &hätigfeit angewiefen waren, ein jflima enblid), baß bie ©eewinbe im ©ommer ebenfo fe^r fühlen, wie im Söinter milberit fur3 bie eigenthümlichften inneren unb äußeren 23ebingungen Tiefen hier eine burdjauß anbere fcebenßauffaffung , einen rollig anberen 3$oIfßcf)arafter

XI. M8. (*01)

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fcetDor »ie in S^lom, unb bamit gugleidj eine non ber ronufdjen ^ödjft »erfc^tebene (Sntmicfelung beb focialcn gebend unb ber

Äunft').

33or allem fäüt bie in ihrer 3trt mehl eingig $u nennenbe £age ber ©tobt für bie befonbere SSeife iljreb gelammten @m* porblüljenö fermer in’b ©eroidjt. SSeber bem geftlanbe itod) bem üJieere angel)örenb, fonbern inmitten beiber, auf einer für grembe faft uugugänglichen Snfelgruppe emporgewadjfen gmi* fcheu Sccibent unb Drient gelegen unb baljer berufen, bie SJer» mittlerin beb Slubtaujdjeb ber $>robucte unb ber ©eifteöcultur beiber gu fein einerfeitb cöllig ifolirt uon ber gangeu Söelt, anbererfeitb alle Steile berfelben, roie feine gweite Stabt &u* ropab, untereinanber in SSerbinbung fefcenb nahm 33enebig, tm SRittelalter unb ben Satyrljunberten ber Slftthe ber 9?enaif« fance, eine beneibete unb unuergleidjlidje Stellung im bamali« gen Zentrum ber (Siöilifation ein. Siefcr feiner Situation ent« fprach ber ßjeift feiner 33ecölferung , fowie berjenige ber pcliti fdjeu (Einrichtungen unb Ijö^eren CSultur , bie fidj biefelbe gege» ben unb angeeignet. Sie Neigung ber SSenegianer, ftef^ unter fidj feft gegen bie Slujjenwclt gufammen gu fcfjliefsen, tritt unb gunädjii in bem ernften unb allcb grembe abmeljrenben (S^araf* ter ihrer republifanifdfen Staatboerfaffung, fomie in ber unnadj?« fichtlicijcn Strenge ber ©efefje ber lefjtcrcn entgegen. 9fuf einem Schiffe hat ber (Sapitän bab Dicdjt über ijeben unb 2ob; auch SJcncbig, burd? beffen Strafjcn bie gluthen ber Slbria ba^in« firömen, glich einem auf grünen 9)fecrebwogen ru^enbeit ftolgen Schiffe, beffen Dlumpf Sölarmorpaläfte, beffen föiaften unb Se« gcl fchlanfe CSampanilen unb Äuppeln bilbeten. Sab ftraffc Regiment , bab fidj ber greiftaat gab, erflärt fich mithin aub feiner Sfolirung. begegnen wir hoch bem 3uge beb tßenegia*

(»US)

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nerg, fidj gern auf fid? felbet gurücfgugiehen, nod) nach anbeten (Beiten hin; fo oudfj in bem gemeffeneit unb mütbeoollen, babci aber meift non aufcpferunggfäljiger Satcrlanbgltebe burchglühten ß^arafter jener alten fPatrigiergcfch (echter, bie an bet ^Regierung ber fRepublif 2^eil nahmen unb bie, nicht ohne innere 23ere<h* tigung, ben fRamen eineg oenegianifchen Mobile jebem anbeten rjergogen. ©er Seruf bet Seoölferung bagegen, bie ©ultut gmeier Selten gu oerfnüpfen unb ihr Streben, baburd) gu ©refse, sjRadat unb fUnfeljen gu gelangen, geigt fid) im Gingen beg 3n* ielftaateg nach bet SUleinherrfdjaft auf bem , feinen 23ehjel)nern fo ^eimifd^ »ertrauten ©lemcnte, in feinem Streben nad) bet Hegemonie gut See. ©ie Simpel unb Sännet bet gagunen* ftabt melden 2lu8gangg be8 9Rittelalter8 , b. I). gut Seit ih*er größten SRadit, oon ben Ufern be§ fdjmatgen 9Reercg big gut Dftfee, oen ben Äüftcn ÄleinaftenS unb $>aleftinag big gu ben Säulen beg ^jerfuleg, oon ben 5Rünbungen bet Scheibe unb beg fRljeing big gu benen beg Sajo unb beß fRil, unb ihre £an* belgfiotten mären ebenfo begehrt, mie il)te Äriegggefchmaber ge* furchtet. ffRan fann bähet bie Senegianer, etma in ber Beit beg 11. big gegen ©nbe beg 15. 3al)tl)unbertg , bie ©nglänber beg bamaligen ©uropag nennen, beten Stelle fie, alg ein in Schiff* fahrt unb .fjanbel allen anberen Stationen überlegcneg 33olf,«in jenen Sagen ooflfommen behaupteten, menn fie fidj auch, be* güglidh ihrer übrigen Anlagen, merflid) non ben Semohnern bet brittifdhen Snfeln unterfdhieben. ©crabe betreffs ihrer befonbe* ren ©igenthümlichfeiten habe ich noch hinäugufügcti , bah ftt^ mit bem ebel gearteten Sinne unb ©rnfte, mit ber ©ntjdjtoffen* heit unb Äüljnheit beg oenegianifdjen ©Ijarafterö gugleidj eine 9lnmuth unb ©ragie Bereinigte, mie fie fidj unter ben Stalienern felbft heute nicht, unb obmohl Stalien bag ganb ift, in meinem

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bie ©razien ^eimtic^ finb , gum zweiten ?0?al in gleich ItebenS* würbiger SBeife porfinben bürfte. Daneben mangelte eS unfe* ren Snjulanern nid^t an einer, wenn aud) niemals auSartenben 8uft am Dafein, welche fich zum Üfyeil auS ber ©?ilbe ihre? ÄlimaS, baS Senebig noch. in ber ©egenwart ju einer @efunb» heitSftation macht, auS ber befonberen Durdjfidjtigfeit ihrer t?uft, fowie cielleit^t auch auS ben betn Äuge gewährten be^ciubemben Süden, einerseits auf bie SBunberwelt ber in ber Seme beS FeftlanbeS fidf aufthürmenben Älpeu , anbererfeits auf jenes poefietollfte aller ©teere, baS fte oon 3ugenb auf. mit feiner Farbenpracht, Heiterfeit unb ©djöne umgab, erflären läf$t. 9ticbt weniger enblich gewifj auch «uS ihrt’m Serfehre mit 93ölfern aller 3etteu unb 3«ngen, beren auffaflenbe ©eftalten unb fpbp* fiognomien, ober fonberbare unb reiche brachten, in benen fich bicfclben auf bem ©tarfuöplajje, ber fPiajetta unb ber Riva degli Schiavoni unter bie eingeborenen Senegianer milchten, bie ?)hantafie befd)äftigten unb Slicfe unb ©ebanfen , über alle engherzige Sefchränftheit ^tnruecj, in bie äöeite ber SBelt binauS» jogen.

©S fann unS jomit faum befremben, baf) bie auS foldjen ungewöhnlichen Umgebungen, Serl)ältniffen unb 3u|’tänben ber* potgeljenben Anlagen unb ©eifteSrichtungcn ebenfo, wie wir ihnen bereits in SenebigS Serfaffung, SoltScharafter unb ber befonbcren Hinneigung feinet Sewol)ner gum ©teere unb beffeu 3auber begegneten, fich auch in ber penegianifchcn Ä u n ft , gleich* piel ob biefelbe Ärchiteftur, ©culptur unb ©talerei, ober $>oefie unb ©tufit hiefe, wieberftnben. 3öaS ^unächft bie Ärchitcftur angeht, fo genügt ein Slicf auf bereu, unb heute noch in 2$e* nebig oor Äugen ftetjenbe ©tonumente, um unS auch in tiefen jene Serfnüpfuitg pon Occibent unb Orient wiebererfemten 311

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laffen, gu bet, wie ich bereits erwähnte, bie 3nfelftabt buvch ihre geographifche Stellung berufen war. 3n ber SSaufunft aber füllte eine foldje 23erfchmelzung ber ©eifteSblüthen entgegenge* fester ©ulturen ju einer ebenfo poetifchen, wie |>ljantaftifdjen SBirfung führen. Picbt umfonft hat man barum Sßenebig befoitberö in #inblicf auf feine auS bem foftbarften Plateriale er* bauten halb maurifchcn, halb mittelalterlichen sJ>aläfte, beren $rei= treppen fid} in ber grünen gluth beö Canal grande haben, ober auf bie Prachtbauten, bie bie Riva degli Schiavoni, bie Piazza unb bie piajetta fäumen „bie fteinerne SRofe ber 3lbria" ge* nannt. Plan fönnte ebenfowohl, corzüglich wenn ber Holl* monb baruber fteljt, ein in Plarmor gemeißeltes Plätzen auS taufenb unb einer Pacht nennen. Piährdjenhaft wivfen bann »or allem fein großartig machtvoller ©ogenpalaft, beffen §a»;aben unb $öfe gothifcße unb arabifche Spißbogen mit ben formen bet Penaiffance nerbinben, ober baS alte PaDabium 93enebig@, fein 2)om oon St. PiatfuS, beffen halb bpjantfji* nifche Äuppeln unb romanifche Plotioe fich mit antifen Säulen unb Sänlencapitälen ju einem ©anjen cerfcijmelzen, wie eS eigentümlicher unb wunberfamer nicht gebaut werben fattn. Sehnliche ©egenfäße »erbinbet bie oenejianifche Sculptur, fei eS als eine in freiftehenben 23ilbwerfen antififirenbe , fei eS als eine in reicher Drnamentirung mehr chriftlichen ©inflüffen hin* gegebene, unb auch ft* präfentirt fich unS in biefer zwiefachen ©eftalt häufig an ein unb bemfelben ©ebäube, fo 3. 23. gerabe wieber am St. PtarfuSbom. 2)er leßtere hat überbieS noch ein fpeciell mufifalifcheS 3ntereffe für unS, inbem berfelbe in ber ©efeßiehte ber beiben Sonfcßulcn, bie SHenebig ttacheinan» bet bei fich erblühen faß, eine nicht nur äußerliche unb zufällige, fonbern auch innerliche SBirfungen heiwrrufenbe Stellung

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einnel)men fotlte. Sflö ein ©runbjug beß (S^araftcrS ber mo» numentalen profan bauten Sknebigß tritt bercn -©eftimniung gu bem ©cmeinwejen gcwibmeten ©taatßgwecfen herüor, waß für eine Otepublif, in beren öffentlichem £eben ber ©taat beinahe alleß in allem mar, begeichnenb ift; felbft 33enebig§ Äirdjen unb 2)ome ftnb, mehr wie anbcrßwo, mit bcn £rabitio« nen unb ber befonberen ©teOung ber ©tabt uerfnüpft.

SBenn bie Sknegianer bie oerfchiebenen 33auftple ber ?änber, 3U beren Äüften ihre ©djiffe fte trugen, mit gleidjer Cebenbigfeit feftliielten, unb wenn, in golge Ijierüon, bie üencjianijdje 33au» funft bie auß entgegengefefcten SÜBeltgegenben überlieferten ard)i* teftonifdjen 59?otioe 31t einem reidien prächtigen ©tplc ju »er* binben bemüht mar, fo fommen bagegen in ber in 33enebig emporblülicnben 59? al er ei jene Elemente rounbetbarer Suft* unb ÜBafferfpiegelungen, ober jene leuchtenbcn gnrben, jene be« fonberen Jone unb Uebergangßtcne beß ©oloritß 31t ihrer £Dar» ftcKung, welche Lagunen, Äüften, 59?eer unb ©ebirge in 9?äl)e unb gerne t’crjdmnen unb uerflärcn. 58or allem auch jener magijdjc ©elbglan3, oon wcldjem bort, an frönen heiteren Slbenben bie gan3e SBelt überhaupt unb überfluthet 311 werben jeheint, unb bem Wir fd)on in ben SHltarbilbern beß ©iocannt üöellint, beß ©iorgione unb anbercr älterer i'cnc3ianifchet 5D?eifter begegnen, $m Uebrigcn feilen wir, gleidj brr Strchitef* tur, aud) bie 59?alerci »orgugßroeife in ben IDienft beß ©taa* teß treten, ooi^üglich ba, Wo ber 33erherrli<hung grofjer @r* cigniffc unb £hflfeu bet eaterlänbijchcn ©ejehichte galt, auf welchem gelbe fich befonberß bie 59?eifter ber eigentlichen SBlüt^e* 3eit biefer Äunft im SBenegianifdien: ein Sligian, Sintcretto

unb $>aul S3eronefe in grofcartigfter SBeife heroorthun.

(soe)

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IHtle btefe Elemente geiftigen £cben§ nun, wie fie in ben bilbenben .fünften Senebigö 51t Sage traten balicr fowoljl jene rubepolle SBürbe, maafjpotle .jpeiterfeit nnb imponirenbe ©rofjartigfeit be§ öffentlidien itnb religiösen SebcnS, wie ber coloriftijdje Sdjmelg nnb Ssarbenreidtthum non SJlecr, .£)im* mel, (Stabt unb Äüfte fommen aud) in ber 9Jlufif ber Sßcnegiancr 311 iljrer fünftlerijdjen Spiegelung, unb gwar liier nor allem in ber älteren jener beiben Sonfchulen, bic SSenebig bei fid? emporwachfen fal). Sie beiben ©abrieli, bic Häupter biefer älteren Jonfdntlc, fxnb nörglig» liefe, auß bereit Swnfdjöpfungcn folefee Sßirfungen auf unfer @e* mütb erfolgen. ©l)e wir jeboefe biejen beiben grofjen UJleiftern nältcr gu treten Perm ögen, haben wir auf bie Anfänge, wcldje eine fünftleriftfee pflege ber ÜJtufif in Sßencbig fanb , gttrürfgu» geben.

Ser fftieberlänbcr Sbrian SBillacrt, 1480— 1562, ift ber eigcntlidic Scgrunber ber altpenegianijdieu 5£onfd)uIe. Ser« fclbe war 1516, unter bem fPontifkat f))apft 2co beß X., nadb föom gefommen (aljo 24 Sabre nor fPaleftrina’ß Auftreten ba» fclbft), hierauf an ben Jpof non fterrara unb gu 8ubwig II., Äönig pon Ungarn unb Söbmen, gegangen, in weldjen beiben Stellungen er pon 1516—1526 perblieb, unb 1527 enbiiefe Gapcflmeifter am Sont pon St. SKarfitö gu beliebig geworben. £>od)ft eigentümlich ift eß, bajj SBillacrt, ber anfänglid) nur bie befannte contrapunftif<fe«fanonif(fee Sajjmeifc ber fftieberlänbcr nad? Sßenebig braute, erft in ber gagunenftabt felbft bagu an» geregt warb, einen neuen, pon bem feiner Üanbßleutc pötlig ab* weidjenben Stpl gu erfinben. 9iod) merfwurbigev erfefeeint eß, bafe gerabe biefe burdj SöiHaert erft aufgebrachte eigenartige ©om« pofitionßweifc biejenige gu werben beftimmt war, welche, ob«

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wol?l fte uon einem SluStänbcr herrübrte, übet ein 3at?rbunbert ebarafteriftifeb für SenebigS etnljeimtjc^e üKeifter «nb bie burdj fte repräfentirte Stonfdfule bleiben feilte, gingen mir utt8 aber, woburib SÖillaert gu bet ©rfinbung eined foldjen neuen StplS »eranlafjt marb, fo »erben unfere 3Mic!e gum erften 9)ial auf bie bebeutungSoolle Stellung Ijingelenft, meldje bie Äirdse beS ^eiligen ÜJJarfuö int ©ntmicflungSprocef) bet altpenegianifcben Schule eingunebmen beftimmt mar.

2)aS Snnere beö St. üftatfuSbomS ift nämlich in bet 2öeife eonftruirt, ba§ ftcb in jeber bet beiben fleinen ©hornifeben, iceldb«’ bie große SJlpfiS beS iDtittelfcbiffö flanfiren, eine bejonbere Crgel unb baljer aud) bie per einem foldjen Snftrumcnte immer per» banbene Jribüne gut 'Äufftellung einer Iflngaljl een Sängern be= finbet. 5)a8 räumliche ©egenübet biejet beiben Drgeln nun unb bie SJlöglidjfeit, gmei uerfdjicbenc Sängergruftyen um bicfelben gu fdjaaren, mag SBiQaert mit auf ben ©ebanfen gebracht haben, 9>falmen unb fötotetten unb anbere ben ©ultuS cröffnenbe unb begleitenbe Äirdjcncompofitionen, ftatt, mie bisher, »oti einem CS^crc, nunmeljr een gm ei ©hören »ertragen gu laffen uub an Stelle einanber antmortenber Stimmen, einanber antmortenbe ©böte gu fcfjen. ©ieS ift jeboeb nidjt fo gu »erfteben, alS ob biefe ©höre immer nur abmecbfelnb eingutreten gehabt hätten; fte Bereinigten fidj »ielmebr gumeilen auch, »orgüglidj bei Jpalb» unb ©angfdblüffen, moburdj bie DJiac^t ihres ÄlangeS an fclcben Stellen oerboppeltmarb, ober riefen, inbem ihre Stimmen fidjfreug* ten unb fteigerten unb halb fo, balb attberS mifebten, Söirfungen her»or, melcbe bunfler ober heller beleuchteten, beroertretenbett ober gurüeftretenben Partien im Söneftrom glichen. Unb hiermit fommen mir auf ben fPunft, bei bem fidj bie oenegianifche SKufit als eine Scbmefter ber oenegianifiben ÜJialerei gu erfennen

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giebt. SSie in btefer »on Anfang an ein reicheres unb leuch» tenbereß ©olorit fid) geltenb macht, alß in ben übrigen fötaler* faulen 3talien8, fo bemerfen wir and) in SBiHaert’ß boppel* porigen Sompofitionen baß ©treben, einerfeitß burdj ben ©egen» fa£ uerfdjiebenerÄlangfatben, anbererfeitß burd) berenföiifcbungen, befonbere coloriftifcbe (Sffecte in ber üonfunft gur ©rjdjcinung gu bringen, unb gwar in einer SBeife, wie fie, gleich glangooll unb prächtig, feinem ütonfefjer früherer Beit befannt gewefen. 3Bir begreifen barum auch, warum man bamalß in IBenebig SÖiflaert’ß neue fötufif, mit feinem ©efül)l für bie barin funfein* ben unb leudjtenben üonfarben, alß „trinfbareß ©olb" be* geidjnete.

3m Uebrigen oerbannte ber nieberlänbift^e föteifter, in jenem feinem boppeldjörigen ©tnle, in noch weit entjdjiebenerer SBeife, alß ^aleftrina, ben überfünftlicben fanonifdi=contrapunf* tifd)en ©tpl feiner Jpeimatb- SBenn |>aleftrina bcnfelbcn in feinen fÖtefjen, fötagnificatß unbfötotetten nur mäßigte unbauf bie©ren* gen beß Svenen unb IJlußbrucfßDcllen bejebränftc, fo !ä§t SBillaert bie fanonifch»contrapunftifcbe ©ajjweife feiner 2anbßlente, mit Sfubnafyme neteingelter feltener fötomente, in welchen biefelbe noch anflingt, üötlig oerfebwinben. Unjer föteifter »erfährt hierbei nur gang folgerecht. ©ine complicirte unb biß in bie minutipfeftenS5etailß außgefübrtc Beiebnung, wie fie baß ©timmen* gewebe beß fanonifcb=contrapunftif<ben ©atjeß bebingt, hätte jene imponirenben unb einfachen coloriftifchen SBirfutigen, auf bie SBillaert in jeinen Sonfätjen ^auptfäc^lid) anfam, gang un* möglich gemacht. 33or lauter ©trieben unb Linien wäre er gu feinen Farben gefommen, ober, wo bie letzteren ftellenweiß hoch »orl)anben gewefen, hätten fie fid? in bem faft unterfd}iebßlofen ©inerlei ber Bewegung unb ©lieberung eineß folgen SEonfajjeß

<sos)

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wiebcr uerloren. 3?eid;e, prächtige $arbenwirfungen [inb ohne cinfadje butdjgreifenbc 9ftaffcnoertheiIung, ohne eine im ©angen cincS ,t?unftwerfeS oorfeanbenen ©egenfäfelicfcfeit non ?id)t unb ©djatten, ^etle unb ftinfternife, leudjtenben unb guriieftretenben Partien überhaupt nid)t benfbar; batum Söiüaert’S Steilung feiner ©timmen in gwei Gböre, barum feine 33efd;ränfung ber ^ortfdireitungcn biefer ©timmen auf einfache gefefyloffene ^>ar* monienfolgen, bic l)icr unb ba, burd) in biefelben wirfungSooH uerwebene Slnfäfee gut 3mitation unb Gentrapunftif, nod; in einer anberen 2trt belebt werben.

SSiflaert’S Nachfolger, als GapeHmeifter an ber 9Jlarfu8firdje, war nidjt wie man erwarten feilte ein 23enegianer, fenbern abermals ein Nieberläitbcr. äöir begrüben bcnfelben in Gnprian oati Nore auS fDJedjcln, 1516—1565, ber, um feines berühmten SanbSmanneS Unterricht gu geniefeen, nach SBcnebig gefommen war unb fid;, wie biefer, fdjliefelidj gang bert nicber« gelaffen hatte. 3n 33egug auf 33ereid;erung ber Harmonie ging Gnprian nan 5Rove nod; über feinen beferer SBillaert hinaus, ba wir ihn bereits non d;romatifd;en Sonfolgcn unb Snternatlen Gebrauch machen feljen, bie ben Äirdjentonarten befanntlid; entfliehen wiberfpredjcn. i) ©elbftoerftänbltd; waren feierburch gugleid) neue Mittel ber ©teigerung unb beS UluSbrucfS ge; wcnneit.

Grft ber britte Gapellmciftcr an ©t. NtarfuS, feit Sillacrt, ift ein Ncnegianev. 2Sir begegnen bcmfelben in ©iufeppe Sarlino, 1519 1590, ber auS bem, ebenfalls nod; in ben Lagunen licgcnbcn 3nfelftäbtd;en G^ioggia, füblicfe non SBenebig, gebürtig war. Slber aud; 3arlino fennt feinen 9Jleifter, ben er höher preift, als Söillaert; unb wenn er auch noch gu beffeu ©dbülern gel;ört hatte, fo ift eS bodj immerhin merfwürbig, bafe

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fidj, wo er in feinen tfyeorelifdjen Schriften feinet SeijrerS ge: benft, in ba§ begeifterte 8ob beffelben nirgenba bas teifefte 23e* bauern barüber mifc^t, bah SÜillaert, bem bie altDenegianifdje Schule ben ihr eigenthümlichen ©tpl oerbanfte, fein UanbeSfinb geroefen. Auch Ijierin geigt fid) etwaö »on jenem freien oorur» theilalofen 23licf, ber ben S3enegianern, in ^olge iljrer Berührung mit allen SSölfetn ber ©rbe, eigentümlich geworben war. s) 3n biefer 33egiel)ung ift auch bie ©ntfchleffenheit charafteriftifch, mit welcher feiner Beit ber SDoge Anbrea ©ritti SSiüaert’a Aufteilung an ber 9Jtarfuöfird)e burchfej}te, obwohl einer folgen bie Sntriguen unb Anfprüche eingeborener Süenegianer entgegen» geftanben hätten. CSö gab eben immer SOiänner in SStnebig, bie baä ©rohe unb Söebeutenbe unabhängig oou ber '.Nation unb bem £anbe, benen entflammte, gu würbigen wußten, unb gu ben iftieberlänbern namentlich "hatte man oon Alterä her noch ein gang befonbereß 23erhältnif|. 3>»ar würben bie von bort eingewanberten 9Jieifter, gleich ben über bie Alpen fommenben ©eutfchen, oon ben 23enegianem Oltramontani genannt. 2)ie eigentliche SSerbinbung gwifdjen 33enegien unb ben 'Jtieberlanben fanb aber nicht burch bie Alpenpäffe, fonbern gut See ftatt. 9Kit jebem Frühjahr lichtete eine Jpanbeleflotte in ber ffagunen» ftabt bie ©egel, welche um baS weftliche ©uropa herum nach ben Äüften oon § tan bem fteuerte unb beren gahrt unb 3iet fo althergebrachte unb männiglich bcfannte waren, bah biefelbe im SBolfömunbc ben ÜJiamen ber Armata di Fiandra trug. 3)ah fich mit bem burch biefeö ©efch»aber oermittelten Aua* taufch materieller ©chäjje beö ©übena unb SiorbenS auch berjenige ihrer ©eifteäcultur oerbanb, fann wol)l faum einem 3»eifel unterliegen. SDie »enegianif^en .panbelaherren, bie meift ihre ©chiffe entweber fclbft geleiteten, ober burch »hre Söhne

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führen liefen, waren eben feine Ärämer nnb ©piefcbiirger; ein jeber pcn ihnen ticlmebr, wie fd)pn ©hafcjpeare im Kaufmann pon Sücnebig ppu Ülntonio jagt: „ein föniglid)er Äauftyerr". 2>a* gu aber and) l)elbenl)aftc unb bem 3lbentheuerli$en geneigte Staturen, wahre ©eefßnige, bie baß, waß ihnen ©ewinn brachte, gegen eine gange 2Belt gu pertlieibigen aufgelegt n>aren. 5)et ©ewinn, alß folcber, aber war ihnen niemalß auöfdjliefjlicher 3wccf; fcerfelbc batte für fie piclmel)r auch al@ bie ©runblage einer h^h^n unb perfeinerten üebenfiweife äßertl) unb 23e* beutung. Unb fo entging ihnen, neben ben fProbucten ber per» fd)iebenften 3»nen: bem ©Ifenbcin, ber ©eibe, ben perlen, @bel» fteinen, ©plbfioffeu, ©eweben, @e würgen, grüd)ten unb äßeinen beb Dricntü (unter welchen lefjtcren ber ©tarier am beliebtcften war), ober bem ©etrcibe, bctn ©algc, bem 23ernftein, ber Sßoffe, bem 'Pclgwerf, bem ginnen, ben Suchen unb ben brabanter ©pifcen beß Sterbens unb ber flanbrifchcit s}.'ropingen, and) nicfctö ppn bem, maß fid) ihrer geinfül)ligfcit unb ihrem geläuterten ©cichmacfe alß (Srgeugnif) frember SMlbung unb Gultur bemerf* bar machte, ©o allein begreifen wir, warum in einer ©tabt, welche alle ©d)ät,c ©rbfrcifeß bei fid) gufamtnenflicfeen iah, weniger ©d)wclgerei, Ueppigfeit unb ein nur finnlicpeß Sebagen walteten, alß jene lebhafte 2l)eilnal)mc an ben 2Beltl)änbeln, an ©taat, Dieligion, SBiffcnfdjaft unb .fiunft, wie wir fie auß ber @efd)id)te beß greiftaateß fennen lernen.

9)lit beit Siieberlänbcrn ergaben fid) überbieß aud) ned) Slnfnüpfungßpunfte anbercr 2lrt. 3n ben penegianifd)cn gagunen fowchl, wie in ben bem SJieerc cittriffcnen ©elänben an ben Stliein» unb ©d)elbemünbungen lag bie gefammte politifche SDtadjt in ben Jpänbcn großer, unb in rcpublifanifd)en gormen fidh felber perwaltenbcr bürgerlicher ©emeinwefen; in glanbcrn wie in (SW)

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tBenebig war bte ©ee tag (Element, bem man ebenfewohl feinen blühenben £anbel unb fReidjthum, alö feine politifdje grei^eit unb ©elbftänbigfeit gu oerbanfen hatte; in ben fltiebernngen gwifchen SJlaaS unb fliorbfee, wie in ben Ebenen gwifchen Etfdj unb 3lbria erblühten 93ialerfd)ulen »on einer bisher ungeahnten Farbenpracht; beiberfeitS enblid) aud) feilte bie SJlufif gu einer ungeahnten 0lüthe, unb gwar inSbefonbere begüglid) reiebfier Entfaltung ber ^>cltjpl)cnre, gelangen. Unb gcrabe in Her* fnüpfung mit ben genannten beiben Äünften geftalten fid? bie 93egiehungen 2$cnegicn8 unb FlanbernS gu einanber am wunber» barften. Glicht ber ©üben feilte ben 9?orbcn, fenbetn umgefehrt ber falte neblige Serben ben warmen üppigen ©üben mit Seiten unb färben befdjenfen. 2>enn SBillaert bringt ben üenegianern bie Älang» unb Sonfarben, 31 n ton eile ba ÜJleffina, bet ©d)üler ean Epcf 8, feinen SanbSleuten bie Delfarben nach 33enebig; fewohl aber bie oan EprfS, bie Erfinbet ber letzteren, wie SBiKaert, ber Entbecfer jener, waren fftieberlänbcr. SluS biefen unb ähnlichen ©rünben crflärt ficp’S, warum bie ÜBenegianer fid) ben flanbrifchen Einwanberern hinflegogen fühlten unb biefelben al8 ihre ©eifteSoerwanbten anfaben; nicht weniger and), warum Senebig gewiffermafjen baS Sl)ar warb, burd) welches, neben bet niebcrlänbifchen fDlalerei, auch bie nieberlänbifdje Senfunft ihren Eingug in Stalien hielt. 4)

fRäihft Sarlino intereffirt unS »or allem fein 3eitgenoffe, ber aus einem alten nenegianifdjen ©efdjlechte ftammenbe ge» waltige SOieifter 3lnbrea ©abrieli, 1510—1586. 3luch et, obwohl bereits einer ber Flamen, mit benen fich ber am hetlften ftrahlenbe 9iuhm ber altnenegianifchen ©chule »erfnüpft, gehört noch gu ben 3üngern beS SegrünberS berfelben, 31t ben ©dhülern SÖillaert’S.

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Sie äußeren Üebenöumftänbe änbrea ©abrieli’S fteUen fidj al$ ßödjft befcßeibette bar. feinem 26. 3aßre trat er als Sänger in ben Gßor ooit St. SJiarfuS ein, warb 1556 Drganift an ber $weiten Drgel berfelben Äircße unb oerßarrte in biefer Stellung oolle breißig 3aßre lang, nämlid? bis jn feinem 1586 erfolgenbeu Gilbe. 9lur e i n Greigniß ßaben wir ju uer$eid)nen, baS auä bem iRaßnien biefeö fonft fo jcßlidjt oerlanfenben Sa* jeinS aucß äußerlich glänjenb ßeroortritt. SSJir erfaßten burcß baffelbe jugleicß, baß, ebenfo wie ben bilbettben Äünften, aucß ber ÜJiniif ber 23enejianer jener jdjon erwähnte eigentßümlidjc 3ug innewoßnte, große Staatöactionen ober oom Söaterlanbe ge» feierte gefte ju oerßerrlicßen. Snbrea ©abrieli erhielt nämlid? ben eßrenoollen Auftrag, bie 1574 in SBenebig ftattfinbenbe Slnwefen* ßeit Äßnig .peinricß'S III. ooit granfreicß burcß eine geftmuftf eigener Gompofition ju feiern. Gr fd)tieb $u bem Gnbe eine acßt* unb eine gwölfftimmige Gantate, bie oor bem Könige bei jener ©elegenßeit jur 2luffüßrung gelangten.

Ser große 5Jleifter war übrigens nicßt ber erfte »enejia* nifcße Sottfeßer, ber für ©taatSjwecfe in 2lnfpru<ß genommen würbe. Sowoßl oor ißm, als aucß nacß ißm feßen wir bie SJlufif glorreicßen ©eben!» unb Safttagen ber Siepublif ißre weit« austönenbe Stimme leißen. Jieue Sogenwaßlen würben ftßon feit 1400 burcß ©elegenßeitScompofitionen gefeiert. Ser lange oor SSillaert in SBenebig wirfenbe ©iooaitni Giconia auö gütticß componirte eine Gantate 31t Gßreit beö Sogen 9Jt i c i e l Steno: ber älenesianer Griftofcro be SJionte Gantaten 3um Anbeuten Sanbolo’S unb goöca ri’S. Sie 1502 in ^Beliebig crfolgenbe Snfunft ÄönigS 2Blabi$law’ö oon Scßmen unb feiner: ©emaßlin Slnna non Soijr warb burcß Snftrnmentaliften unb Sänger oerßerrlicßt, beren SOiufif in bem SRoment ertönte, als

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bie gürftin baß iljr entgegenfommenbe StaatSfdjiff, ben Sucins toro, beftieg, um auf bemfelben com ©ogen geonarbo goreban begrübt 311 roerben. Sei bet Slnfunft peinricfy’ß uon Sßaloiö, 1574, empfing benfelben, als fein gufc ben Sucintoro berührte ein mit bem jubelnben 3utuf: Ecco Venezia! Unter

ben einfyeimifdjen ©onfefeetn aber, bie geftcompof'itionen ju ©bren biefeS ©afteS bet Ötepublif lieferten, finben mir, neben bem iÄnbrea ©abrieli, feine ©etingeren, als ben unS fdjon be* fannten föieifter 3«Tlino, fomte ben berühmten ©laubio föterulo angeführt. SÄudj bie Seefd)lad)t Don gepanto, in meldjer Spanier unb Senegianer ben befannten glängenben Sieg über bie tnrfijdje glotte banontrugen, marb unter ÖJiit* roirfung ga^lreidjer SSngercbore unb 3nftrumentaliften gefeiert. Antonio 8 c 1 1 i enblidj, baS paupt ber neuDenegianifdjeu üonfdjule, lieferte ein Madrigale per il bucintoro, b. fy. eine üonbicbtung, bie auSbrücflid) jut Serbertlidjung ber imponiren* ben StaatSljanblung ber Sermäblung beö ©ogen mit bem fötcere componirt mar.

ötidjt alfo allein ein fötaler wie s})aolo Scronefe Der= Ijerrlidjt ben Sriumpfy, ben bie Dtepublif am 7. Dctober 1571 burd) bie Sdjladjt Don gepanto errungen ntdjt nur in feinem, im ©ogenpalaft befinblidjen Silbe fteigt ©fyriftuS, uon allen ©ngeln beö pimmelS umgeben, 3U bem ©egen Sen ier fyerab, um ifyn 3U bem Siege 3U beglücfim’tnf^en, ben mit bie in ^uloerbampf gefüllten uenejianifdjen Sdjiffe im pintergrunbe über bie Ungläu* bigen erftreiten fel)en audj föteifter ber SEonfunft laffen bie fyimmlifcfjen peerjdjaaren goblicber 3ur geier bes großen ©reig* niff anftimmen, unb fo erfahren mir, baff bie Dene^tanifc^en fötaler unb fötufifer, in fötomenten, in benen bie ©röfje beß allen fünften gemeinfamen tlieucrn Saterlanbeß galt, nur non

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einem ©efüljl, »on ein unb betfelben ©mpfinbung fyotyet gefteS fteube beljerrfdjt würben!5)

aber audj no$ eine ©aljrnefymung anberer 9irt brängl fidj unS, bei ber unabldfjtgen 2f)eilnafyme ber Sonfünftler 3?ene= big® an ben ©ef^icfen ifyrer -£>eimati) auf. ©ir werben nämlidb babei inne, bafi fid^ bie »enegianifcfye Sonfdjule, im @egenfa$ ju ber römifdjen, bie non folgen (Sinflüffen nod? unberührt blieb, bereits unter ben ©inwirfungen ber Kultur unb ber SebenSanfcfjauungen bet SRenaiffance befanb.

3n anberen ©ebieten, als bem ber üftufif, war in 93enebig, wäfytenb bie ©abrieli bort wirften, baS 3eitalter bet SRenaif» fance längft angebrochen. 3n golge ber Eroberung Gon ftan* tinopelS bur<b SBenebig’S greifen gelben, ben erblinbeten 94jälj» eigen ©ntico SDanbolo, im 3afyre 1204, tjatte fi<h an ben Äüften ber Sbria bereits bie Jfenntni§ altgriedjifdjer (Schrift unb ©pradje, fowie toereingelter antifer SBilbwerfe ju verbreiten angefangen, wie benn auch bie auS ber 3eit9fero’S ftammenben vier berühmten 33ronce--9toffe, welche bie ga^abe »on <S. SRarco fchmiicfen, bamalS als ÄriegSbeute »on ©onftantinopel nadf SBenebig gebracht würben. 35ie jweite, um bie SBtitte beS 15. Sa^r^unbertS erfolgenbe ©innahme ©onfiantinopelS , bieSmal burch bie DSmanen, »eranla&te bie gludjt bort anfäfjiger ©rieten nach Stalien, bie, burdj bie SBevbreitung Bieter mitgebrachter wichtiger unb bebeutenber alter .£)anbf<hrifien, bie Stljeilnafjme am gtiechifchen aitert^um abermals ersten. Unb wenn SBenebig in biefer Sejietjung im 15. Sa^r^unbert aud? itedj hinter gtorenj gurüdffte^t, fo ift eS hoch gewifj mit unter bie (Stabte StalienS gu jaulen, in welken antife gebenSanfdjauungen am früheften, neben djriftlidjen, ^lafc griffen, hierfür t>rid}t bie fdjon im 10. unb 11. 3al?tl)unbett bemerfbare Steigung

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feiner Vewehner, ©eift unb ©emüth auf bic ^cimtfc^en poli» tifdjen ©inrichtungen , fowie auf bie grofcen SBeltf^önbel gu rieten; bie 93ene3ianet fanben eben fdjonbamalS tljre 3ntereffen nidjt auSfchliefclich in einem »erflärten 3enfeitS unb im 9ieli= giöfen unb Ämblidjen befchloffen, jonbern wollten biefelben audj im realen IDieffeitS unb burd) ein perfenlidbcö ©ingreifen in beffen ©eftaltung befriebigen.

3u ben unjweibeutigften j?enn3eichen bet ficf> oerbreitenben ©ultur eineb neuen 3Be[t5eitalter8 gehören ferner bie in Venebig feit 3a^r^unberten gefeierten 38elf8= unb StaatSfefte, beren ich einiger bereits erwähnte; unb 3Wat um fo mehr, als biefelben weniger einen Ijieratifdien unb firchlichen, als einen politifdjen unb weltlichen ©harafter trugen. Sluch bie babei fyeroertre« tenbe Üuft an öffentlichen ©chauftetlungen , an ber ©inführung mpthologifdjer ©eftalten in bie oeranftalteten glän3enben SCuf= 3Üge, fowie an einem bei betartigen ©elegenljeiten beliebten ^runfen mit prächtigen Äoftümen unb foftbaren Stoffen ift fjier= für djarafteriftifd?. 5Die $reube an feldjcn imponirenben unb heiteren heften unb bie 5BolFSttjümlicf)feiten berfelben ift überall ba 3uerft in 3talien hetoorgetreten, wo bie 3ßeltanf<hauungen beS 3eitnlterS ber fRenaiffance 2Bur3el 3U fdjlagen anfingen. 3n gleicher SBeife fenn3eichnenb in biefer Siebung finb bie in Venebig fich bilbenben ©enoffenfefjaften, beonberS unter bem einheimifchen jugenblichen 9lbel , bie ben 3®ecf oerfolgten, grofee öffentliche ©reigniffe würbig 3U feiern. 3)ie gagunenftabt befafc 5JluSgangS beS fBlittelalterS eine gro§e ^tn^a^C berfelben, welche, 3U ber 3eit, ba bie ©abrieli’S in £önen bichteten, 3um $l)eil fd)on auf eine längere Vergangenheit gurücf3ublicfen oermochten.

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2)aj?, löugft oor ben beiben genannten großen $on* feiern, bie JKenaiffance au<b auf ärcbiteftur , SRalerei unb ©culptur in Senebig eingemirft, berührte idj fdjon früher. Unb fo warb nunmehr au<b bie bortige 9Wufif non ben (Sinflüffen ber neu emporfommenben SSeltcultur ergriffen, ein llmftanb, ber um fo bebeutfamer erfreuten muff, alß in IRom 3U bet« felben 3*it oon ©inwirfungen ber Slenaiffance auf bie SRuftf noch feine fRebe fein fonnte, obwohl bodj bie uralte Roma im Uebrigen ft<b am entfdjiebenften alß na<bgelaffene Sodjter beß clafftfdjen ältertbumß in 3talien barfteUte. 2)ie Urfacbe \)ivc* uon ift mol)l ^auptjädjlid) Darin $u judjen, bap bie romtjcbe Sonfunft fdjon barum, weil fie im SRittelpunfte ber gefammten ß^riften^eit ju wirfen berufen war, außfdfliefjlicber, wie anberß» wo, auf ben äußbrucf teligiöfcr ©ri)cbung bingcwicjen würbe. 35od) feben wir aud) bie ärdjiteftur ber ©iebentfügelftabt feineßroegß am früljeften in 3talien antifen (Sinwirfungen l)in* gegeben; bfn ältcften unb 3aljlrei<bften Senfmalen ber ^rnb* renaiffancc begegnen wir oielmeljt in glorenj.

Sidjtß fann unß wo^l ben (Eintritt ber oenegianifeben 9Rufif in baß neue SBeltjeitalter lebhafter fühlbar machen , alß wenn mir bie ärt etwaß nabet in’ß äuge faffen, in welcher ficb bie üonfunft an ber geier jener fdjon früher ermähnten politifeben gefttage be» tt^eiligte, welche bie JRepublif oon 3«t 311 3«t beging, ober bie Steife, in ber fie bei folgen ©elegenbciten beftrebt war, ihre Üei; ftungen mit benen ber anberen fünfte unb ben feftlidjen Seron* ftaltungen ber gefammten Sürgerfcbaft gu einem großen erl)e* benben ©djaufpiel 3U oerfcbmelgen.

.König Jpeiuricb III., ber bei feiner ©infabrt in bie Lagunen com 2)ogen unb ben übrigen ©rofjwürbenträgern beß ©taateß begriifjt warb, fanb an ber ©teile, wo er guerjt beu oenegianifeben

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33oben betrat, einen bureb $)aüabie entworfenen Sriumf^bogen errichtet. Söäbtenb er bort, in einer bloö für biefe ©elegenbeit im greien errichteten offenen ©oveOe nieberfniete, ftimmte ber ßfyer ton St. föiarfuS ein feierliches ütebeum an. 33on fyier ging eS auf bem 33ucintoro, bem eine gange glotte ton Sarfen unb ©onbeln baS ©eleit gab, gur Stabt ^in. 2)er 3ug ber Skiffe erhielt baburd) noch etwas befonberS $>omhbafteS, ba§ btefelben nicht nur mit üeppichen gegiert waren, fonbern bie lefcteren auch, gleich ftolgen Schleppen, burd? bie grünen SBogen hinter fich bezogen. 3n bem mit weisenben Bannern ge« fc^mücften 33enebig, beffen Balfone unb genfter mit Brocat, Sammt, Seibe unb foftbaren orientalifchen ©eweben befleibet waren, fanb man ebenfo bie Ufer unb 2.reppen, wie bie 2>ächer bidjt mit jubelnben ÜJlenjchenmaffen bebeeft. £>er Äönig warb nach feinem Sbfteigequartier, bem ^alaggo goScati am Canal grande, geleitet, ton beffen Sltan auS er fowetjl bie fc^önften v))artieen biefet berü^mteften SSafferftrafje BenebigS, alS auch ben Sfiialto unb ben fötarfuSbom erblicfen fonnte. 50tit einbrechenber SDunfelbeit begann eine tom fd)önften SBettcr be* günftigte allgemeine Jlluminaticn. SIS biefelbe %e weitefte SuSbebnung erreicht batte, febwamm über bie einem geuermeere gleicbenbe glutb eine offene Säulenhalle gegen bie feniglicbe SSofynung ^eran. 91ad)bem Raufen unb trompeten eine glän« genbe unb gur SRube aufforbernbe ganfarre ton bem, fanft auf ber ruhenben glätte baljingleitenben geenpalafte batten ertönen laffen, ftimmten bie, ebenfalls auf jenem 3auberfdjloffe befittb« Heben ©höre ton S. Sölarco bic febon oben erwähnten £ob= gefänge an, welche Snbrea ©abrieli gu ©bren beS ©afteS ber fRepublif gu componiren beauftragt worben war. ©S wirb in bem Serte Perfelben nicht nur beS ÄönigS, fonbern auch her

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feftlid) prangenbett ©tabt unb be§ munberbaren 2fnt>Iicfd gebaut, meldjen biefelbe eben tu bem Momente bem erftaunten SSuge barbot, ba be8 2lnbrea h*hre ©efänge ertönten.

SfeljnltdjeS erfahren mir übetbie ÜRitmirfung ber ÜHufif bei an» beten ©elegenheitcn. ©oberichtetSBinterfelb, benSDiittheilungen ©anfo»ino’8fichanfchtief3enb, über bie geier be8 ©tegeS »onSSepanto unter anberem golgenbeä: „9luf bem ^la^e »or ber Äirche be§ heiligen Safeb in Otialto, ber mit offenen fallen ringö um* geben ift, mar ein SUtar errietet unb eine Sühne für bie ©änger; bie Äirche felbft mar gu flein, um bie ÜJlenge ber l&n» bärtigen gu faffen. Serbin begab man fid^ in feierlichem 3uge: baö Silb be3 ©efreugigten marb »orangetragen, ©fielet mit ectfdjtebencn 3nftrumenten, eine gasreiche *0?enge »on ©angern unb iprieftem folgte nadj. Sie fDfufif ber fBieffe, bic man fang, mar bemunbernflmürbig; ebenfo bie ber SeSper. 2löe neuen ©ebäube beö $)laf)e8 fRialto maren burd) bie bort moh* nenben reifen Äaufleute mit foftbaren purpurnen ©toffen be* gogcn, in gleiten (Entfernungen ©emälbe baran geheftet. ^)im* melblauer ©toff mit golbgeftitften ©ternen f^mücfte bie ©e* mölbe ber über fyunbert ©<hritt langen ^>aüe ber Sudjfaufleute unb gum gröfjcften ©chmucf gereiften ihr bie barin auögeftellten Silber ber »ortrefflichften föicifter »encbifd)er unb tötnifdjer ©<hule. Sie gldngenbfte (Erleuchtung begann mit bem finfenben Sag. Unfern ber Srücfc IRialto ift ba§ Äaufhauö ber Seutfchen am grofjen ©anale gelegen. Ser Ston friegerifdher Snftrumente nnb baä Äradjen ber ©efdjühe »on bort her »erfünbigten ben Seginn neuer geftlidjfeiten. Unb nun ertönten »on ben SUtanen be§ ©ebäubeS mehrere ©tunben nach einanber bie auOgefudj* teften ©efänge unb baä trefflichfte 3nftrumentenfpiel. föiänner unb grauen jeben ©tanbeö, in prächtigem ©chmucf, gogen »er*

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Scrret übet bie Sriitfe bem $)lafce gu unb miebet gurücf, oon Spielern mufifalifdjer Snftrumente begleitet; Ratten bie' einen ibr Spiel geenbigt, fo begannen wetteifernb bie anbeten; non fröhlichen Älängen war bie 2uft erfüllt; bet ^eiterfte Fimmel begünftigte baS fdjöne geft."

©elegentlid) bet Seiet bet .Krönung ber ©ogareffa 5Jtoro* f in i beifjt e$: „23om %>alafte »irb bie gürftin, mit bem bergog* licken Sd}mucfe fdjon beflcibet, butefy ben SBucintoro abge^olt; breibunbert befonberö cingelabene grauen unb 3ungftauen eblet unb bürgerlicher 2lbfunft begleiten fte, intern Stanbe unb Filter gemäfj übereinftimmenb gefleibet, unb fcbmücfen ba8 ^>rad^tfc^i|f beS Staates, in welchem fonft nur beffen Rauptet in feiet* liefern (Srnfte fidj geigen, burd) ben anmutbigften unb feftlicbften Slnblid. ©urdj bie JRei^c ber $)aläfte, bie ben großen ©anal befrängen, fetten mit nun baö Schiff fid) langfam fortbemegen, non anbern finnreid) etfunbenen unb negierten begleitet, melche bie 3ünfte für baS geft haben erbauen taffen. 93or allen geiebnet baS bet ©aummellenwirfer fi<b auö. ©inen ©riumpbmagen fteOt e8 bar mit IRäbern; gtoei worangefpannte Seereffe lenlt ein SReergott, ber baS abriatifdje SReer begeidjnet, bie Bügel baltenb in ber einen £anb, mit bet anberen ben ©reigaef febmingenb. ©er Inntere trägt bie 33enegia, eine auf gmet

fernen tubenbe Sungfrau, bie über bem Raupte beS ©egen unb feiner ©emablin bie Ijetjcglid^e Ätone ^ält; Neptun am Steuer* ruber lenft ba8 ©ange. ©urd) gmei ©brenbogen, am SanbnngS* pla£e wor St. SöiatfuS »on ber gleifdjergunft errietet, bemegt unb entfaltet fidj nunmehr ber 3ug: Jperolbe woran, bann bie 3ungfrauen, meif) unb reich gefleibet, in ber einen £>anb einen gäcber won Straufjfebern, mit ber anberen auf ihre Begleiter geftübt, bie ihnen einen SMumenftrauf} mit golbener $anbbabe

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tragen, grauen folgen, in grün unb reild)enblau. 35en Set* wanbtinnen ber gürftin, bie Suwelen unb fcftlic^e Äleinobien _ tragen, gehen bie ©Treiber, bie Ijer^oglic^en 9iatlje unb ber ©rojjfangler in Slmtßtracbt »oran. ®o tritt man in bie Äirdje ein, baß Sebeum wirb gelungen, fnieenb leiftet bie gürftin auf baß dJiefebud) baß oon ihrem ©emat)l bei feiner ©tfyebung be* teitß abgegebene SBerfpredjen. 9tun gieljt fie ein mit intern ©cfolge in ben $)alaft; etje fie aber an ben gufj ber Sreppe gelangt, bie in ben ©aal beß großen diatljeß führt, hot fie ade fallen gu burd)*oanbeln, in benen fonft bie einzelnen 33ehörbcn ber ©tabt il)ren ©ifc ^aben. £ier, wo mit ©trenge unb (Srnft an anbcrn Sagen ade gebenßeerhältniffe georbnet werben, ent* faltet fid) nunmehr baß geben felbjt auf reiche unb mannig: faltige SBeife. ©o hoben bie ©piegelmacher ihre £ade oon allen ©eiten, auch on ber 3)ecfe, mit Spiegeln betleibet unb eine grofce 'Ppramibe oon benfelben in bereu 5J?itte aufgeftedt. 2>er prächtige 3ug, ber biefen fo feltfam gefdjmücften dtaum burchwanbelt, ficht mit ©rftaunen fi<h taujcnbfad) oeroiclfältigt, gum ©rgöfcen oder geigt er fid) l’ogar umgefehrt in ber ^>öhe. ®ie 2Baffenfd)miebe hoben mannigfache Srophäcn fünftlid) ge» arbeitetet Saffen errichtet, bie ein grefceß ©d)ilb umgeben, ge« bilbet burd) Schwerter mit golbcncm ©riffe, bercn ©pifjen bcm fdiittelpunfte beß Äreifeß gugefct)rt finb, mit bem ©innfprud)e: in bello pax. 2)ic ©olbfchmiebe hoben einen großen ®d)enf» tijch .mit ben tünftlichften ©efäfcen befe^t, biefe reihenweife über einanbcr georbnet; reiche ©ehänge, bie il)n umgeben, beftehen wieberum auß foftbaren unb jinnreid)en SBerfen ihrer £änbe. gauten, Sßiolen unb anbere fanfte 3nftrumente laffen in feber £alle gut ©rgöfcung ber ©intretenben fid) hören. ®o gelangt bie gürftin biß in ben ©aal beß großen dtatljeß, in wcldjem für

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bie grefee 3at)l bet ©äfte ein prödjtigcß geftmaljl bereite! ift. 9iad)bem geenbet, treten bieSLonfünftler ein, unb wie aud) narf) ben cffenttid)en @aftmal)len beß 2)ogen jn gefd)el)cn pflegt, bie er gu beftimmten Beiten beß 3al)rcß ^ält, tragen fie @e» fange cor: bießmal ein bramatifcbeß ©ebidjt beß ©aneferß Stnbreaß Piccolomini. £)ic Seiet beß Jageß roirb mit einer {Regatta im grofjen ©anal befdjloffen." (Denn wenn ber 3nfelftabt aud) an ©aroffen unb ©aoalcaben bei folgen ©elegen= Seiten fehlte, fo fjatte fie bcd) bafiir il)te, bie ©djauluft nid)t menigev befriebigenben SBafjercorfoß unb ©d)ifferftecben.

9Rid?t aber allein bei SSenebigß Seften ftellt fid) unß bie $onfunft im 2(nl)aud?c ber fRenaiffance bar; aud) bie befonbere SBeife, in melier bie 9Rufif 311t Beit beß Sarline, {JRerulo unb ber ©abrieli’ß, bie $£l)eilnal)me ber anberen Äünfte auf fid) jiel^en unb 311 feffeln mufete, fann unß bartljun, rcie fet)t il)t Seben mit bem ber gelammten ©tabt ju uerwadjfen anfing unb bafe fie, wenn aud) noch in ber Äircfye iljren ^öc^ften piafc außfütlenb, sugleid) bod) feiert auß bem djriftlid)en Stempel fyerauß» jutreten unb fid) in baß Sreiben ber bamaligen ©egentoart ju mi)d)cn begonnen l)atte.

Sefonberß djarafteriftifd) in biefer Jpinficfct ift bie Vorliebe, welche bie bamaligen ocnejianiic^en SRaler für bie Sonfunft an ben Sag (egten. ift etwaß gan^ @ewet)nlid)eß, in iljren Silbern muficirenben ©eftalten, ober 25arfteflungen ber Sßirf ungen ber ÜRufif, fotvic ber 33ermanbtfd)aft ber Sonfunft mit allem ©djenen unb ©rl)abcnen ju begegnen. 3n biefer Sejieljung ergriff mid) gan3 befonberß ein in ber SRündjener 4Pinafctl)ef befinblidjeß, tief empfunbeneß Silb oon@araceno, weldjeß einen bleiben Piönd) barftellt, wie er, auf bem Säger feiner Älofte^ede rul)enb, einem ©eige fpielenbcn unb ibn mit*

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leibScotl anfchauenben ©ngel, ber über bem gu§enbe feine# SBetteö fchwebt, guhört. 3dj ^abe bie erlöfenbe unb heilcnbe Äraft, burdj welche eine weihecoüe ÜJfelobie Selben ber Seele unb beS ÄörperS gu milbern cermag, faum gum gweiten fötal in ber bilbenben Äunft fo naic unb rüljrenb wiebergeben fehen, wie in bem ÄuSbrucf con ©lücf unb unauSfpredjlicher Selig* feit, ber fid? in ben Bügen jene® offenbar genefenben Äranfen malt. Saraceno, auch ©arlo S3enegiano genannt, lebte con 1585 1626. 3?a er bie ©inbrücfe wonniger $öne in folget Seife bargufteflen cermechte, fo mufcte er ähnliche Sirfungen ber fölufif fchon an fid? felber erfahren haben. hieran ift auch nid^t gu gweifeln, wenn man fid? cergcgenwärtigt, baff ber SÖialer nod> ein 3eitgenoffe beS jüngeren ©abrieli war unb beiber gleichnamiger Sonbidjter föteifterwerfe täglich gu hören ©elegenljeit fyaiie. fPaul 23eroncfe ftellt in feinem je£t im Soucre befinblidjen „$o<hgeitSbilb" fidf felbft, fowie Jigian unb £intorett, alö tnnficircnbe üonfünftler bar. Streffenb fagt lämbroS con biefem ungewöhnlichen unb burdj Portrait* äbnlidjfeit ftdj auSgeidjnenben 3)iufifer*Äleeblatte: „5)aS ift mehr als eine ©rille, als ein Gcinfall beS fötalerS ift eine ge* malte SDanfabreffe an bie cenegianifchen Stonfünftler!" ©ang con muftfalifdhem ©eifte erfüllt finb aud? Seronefe'S noch ciel gu wenig gefannten unb im ebelftcn Sinne heileren ffreSfen in ber 3$illa ©iacomelli bei ütecifo. 3)er SDtufiffaal ber ge* nannten SBilla enthält ©ingelfiguren unb ©ruppen muficirenber unb fingenber fötufen, ©enien, Amoretten unb ©öttcrgeftalten, bie fich in mannigfaltigfter Seife auf .pauptbilber , Briefe, Sü* netten unb 3»itfel certheilen unb bie, weil ber fötaler gugleich bie formen ber con ihnen gefpielten Snftrumente, bie alle Per bamaligen 3eit angehören, wiebergab unb bie 9lrt barftetlte, in

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meiner biefelben geblafen ober mit bem Sogen angeftricben mürben, auch für ben Stanbpunft ber ©ntmicfelung ber 3n* ftrumentalmujif, mäbrenb ber Slütbegeit ber altDenegianifdjen £onfcbule, »on fyöcbftem 3ntereffe ftnb. Sie oft ©iooanni Sjellini ©ngel, melcbe bie Saute ober bie ©eige fielen, gu beiben Seiten ober gu ben güfjen feiner jungfräulichen unb milbemft bareinbtidfenben Stabonnen gemalt, ift Sebent erimter* lieb, ber in Sehebig gemefen. häufig finben mit auch Stufi* drenbe auf ber Saute, Scbmalgeigc unb Sreitgeige in ein unb bemfelben ©emälbe gufammengeftellt. 3n bent berühmten Silbe »on ©iorgione, „baS ©oncert" genannt, erblicfen mir einen Stöndj, melier auf bem bamaltgen ©laoicembalo fpielt, einen anbern Stöncb, mit einem SiolonceHo in ber apanb, ber ftdj anfcbicft ben erften Spielet gu begleiten, fomie einen jugenb* litten ©beimann, alb ermartungbüoll bafte^enben Sufyßrcr. Stigian’S Senub, in ber Sammlung gu ©ambribge (»on ber auch eine treffliche alte ©opie in ber Dreöbener ©allerie befinblidj), geigt unS bie ftolg hingelagerte Siebebgöttin, melcbe »on Slmor behängt mirb, mäbrenb ein junger Stann, in »ornehmer »ene* gianifcber Straft, bagu bie Saute fdjlägt. 3cb erinnere enblich noch an bie muftcitenben unb fingenben Äinberengel, melcbe bie bimmelfahrenbe SRabonna üigian’S umfchmeben, ober an bie, »on einer ©lorie umfloffenen himmlifcben $eetfcbaaren, bie, tbeilb Sauten unb glötenmerfe fpielettb, tbeilb fingenb, ficb in Sero* nefe'S bereits angeführtem Sotiobilbe gu ©l)ren ^et ©ccfc^tac^t »on Sepanto beftnben. Sun \)aben 3roar auch Steiftet anberer italienifcber Stalerfcbulen ber üonfunft in ihren Silbern gu* meilen eine Stelle gegönnt, unb eine Schöpfung, mte SapbaelS heilige ©aecilta, fteht »ielleicbt eingig begüglicb ber 5£iefe ihres ernft=mufifalifdjen ^uSbrucfb ba; feine Schule aber bat

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SJlufif mit fo entfdjieben ausgeprägter Neigung ober fo unab* läffig in ttjre ©arftellungen »erflocbten, wie bie »enegianiid* unb id) brauche barum and) weht nicht hingugnfügen , ba§ bie non mir hier erwähnten Silber renegianifcher SJleifter nur eilt» F gelne Seifpiele für eine unabfehbare ÜJJenge cerwanbter @e» mälbe finb.

91(6 ein weiteres Seiipiel ber ©inwirfungen ber ©ilbungS« elemente beS 3®italterö ber JRenaiffaitce auf bie altuenegianifche V Stonfcbule wäre auch noch ber in jenen Stagen äujjerft lebhaft fc werbcnben (Sntwicfelung ber weltlichen fDiufi! gu gebenfen, bie, in $otge ijieruon, im 16. Sahrbunbert in Senebig gu einem fiel berrerragenberen 5-Matgc neben ber geiftlid>en fDluftf empor* flieg, als bieS gu berfelben Seit in 9iom gefdjafy.

©aff Slnbrea ©abrieli weltlictje ©antaten »or allem Seife anffübrte unb bafi, bei greffen rem ©ogen gegebenen Sanfeten, bie bergoglidjcn Sänger nach ülufbebung ber Stafel eintraten, um wclt(id?e ©eiänge rwrgutragen, erfuhren wir bereits. 8f ud)

baS ©mperfemmen einet felbftänbigen 3nftrumentalmufif in Senebig unb feiner *Radjbarfd^aft, wie eS auS ben angeführten ©emälben renegianifeber 9Raler herrerging, wieS unS auf eine weitete Serbveitung weltlicher OJiufif l)in. 3n ber Socalmufif nun fonnen wir in biefer Segiebung fegar bis auf SBillaert gurüefgehen. ©er ebrwürbige föieifter componirte, unter bera Flamen „bie fterbenbe ©ibo", eine ÜJiotette über ein §)aar Setfe auS Sitgil'S Stenäibe. @8 liegt in ber 2Sabl eines feieren ©egcnftanbeS offenbar fdjon etwas Den jenen bejonbeten 9tei« gungen oerfteeft, mit benen ficb baS 3eitalter ber Sienaiffance in claififdien unb ^umnniftifc^en JHegionen gu bewegen liebte. SBichtiger noch ift , bafs SBillaert auch als ber eigentliche 93ater beS, feinet .perfun ft nach, weltlidjen.fDiabrigalS angufehen ift.

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2)er (Weiftet fanb im fogenannten „grottole", meld;eS gu Vene* big im|,33olfe ^eimifdi mar, ben ^unft, bei bem er in btefet Vegiehung anfnüvfte, unb gmar baburdj, baß er feine gtofce Äunftfertigfeit mit ben il)m ^ier gegebenen einfachen (Wotioen in gmang* unb anfpruchlofefter Söeife »ermob. 2)aS (Wabrigat foüte einer fchroärmerifchen unb ebel gearteten ©alanterie 2luö» btucf leiden, gut ben .jpumot unb bie Stimmung ^armlofen SchergeS bagegen fanb fi<h in ben bei ber (Wenge beliebten fo» genannten Villoten, 33 i l a n e 1 1 e n unb Gangonen (Kaum. 2ludj biefeö ©eure hob äBißaert in eine mehr fünftlerifche Sphate hinauf. Seine Schüler folgten ihm auf biefen 2i$egen nach, mie mir benn, anher ben meltlichen Gompofitionen Ghprian be Wore’S unb Sarlino’S, felbft noch biejenigen beS tMnbrea ©abrieli auf 28iflaert, als ben (Wann gurücfführen muffen, oon bem bie erfte Anregung, auch na£h einer foldjen Seite ^irt, erfolgte.

Unb fo mären mir benn, menn auch nach einigen Äbfchmei* f ungen unb Ummegen, mieber bei (Weifter Slnbrea ©abrieli angelangt, bet fich unS freilich auf bem ©ipfel feiner Üeiftungen immerhin noch *n feinen Äirchentnuf ifen barftellt. tHnbrea ©abrieli fteigert i>ier ben oielchörigen Stpl ieineS Vorgängers SBiflaert gu nod) reicheren (Waffen* unb ^langfarbenmirfuugen. Siknn fi<h Sßillaert burchfchnittlich mit gmei etnanber ergäit» genben (^höreu begnügte, fo finben mir bei (Weiftet SänbreaS bereu gemöhnlidj fchon brei unb ihre Sufammenjetjung ift ber 3trt, bah auch bie ©runbfarbe eines jeben berielbeit eine meit oer* fchiebenere oon bet ber beiben anberen ift, als bieS bei nur gmei Gieren möglich mar. So finben mir bei ülnbrea ©abrieli häufig einen gang \)cl)en, nur aus Änabenftimmen beftehenben, einen mittleren auS Änaben* unb (Wännerftimmen gemachten, unb einen tiefen, lebiglich auS (Wännerftimmen gufammengefeßten

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©hot gegeneinanber wirfen. 3n anberen feiner ©ompofitionen wieberum ift bie ©ruppirung folgenbe : ber am fyödjflen liegenbe unb batjer auch in feinen Jonfarben am lidjteften colorirte ©hör geigt unfere heutige gewöhnliche 3ufammenfef$ung auß Sopran, 2Ut, Jener unb 33a§. 3hm ftefyt ein, in bunfle, oft faft nach* tige Farben getaufter tieffter ©hör in ber Partitur gegenüber, ber nur auß OJiännerftimmen, nämlich auß lftem unb 2tem Jener unb auß lftem unb 2tem Bafj befte^t. 3wifd^ew beiben in ber SJtitte enblidj liegt ein ©hot, ber ftd) meift auß tiefem Sopran, ©ontra=Slt, Jenor unb 33aff componirt, oon benen bie beiben teueren eine eigentümliche SRittellage behaupten. 3)iefer ©hot repräfentirt in 33egug auf ein gewiffeß clair obscure feiner Jon» färben baß, »aß in bet fölaletei jene Uebergangß* unb fßiittel» töne gu bewirten beftimmt finb, welche bie litten unb bunflen $)artieen ober bie im ©olorit energifc^en unb matten färben eineß SSilbeß gu »erbinben unb gu oerfdjmelgen haben. 2)er SKeifter benufjt nun bie »ielen gebotenen SJtöglichfeiten eineß Sltcrnirenß unb fich Äreugenß folcher ©hormaffen auf baß mannig* faltigftc unb erfcheint nicht weniger genial unb reich ‘n Segug auf ©egenüberftellung oon coloriftifchen Partien, bie butth bien« benben ©lang unb tiefe Schatten fdjarf mit einanber contraftiren, alß butch Snwenbung milb leuchtenber unb gefättigter Jonfarben. SlCfe biefe fOiittel »erben aber »eniger um ihrer felbft wißen, nämlich nicht bloß, um baß Dhr butch finnlichen fReig ihres »erfühterifchen ©oloritß gu ergöjgen unb gu hefteten, alß gu bem 3»ecfe angewanbt, befonbere Jerteßftellen entfprechenb gu mar* firen unb gu beleuchten, fowie ben poetifch=mufifalif<hen Suß« bruef beß ©angen gu erhöhen. 5)ennoch mal)nt unß ein folcheß Jonftücf unwiöführlich auch an bie gocalität, für bie com* ponirt worben. Such baß Snnere beß Sftatfußbomeß wirft nicht

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allein burch feine ©onftruction auf unS, fonbem (unb ^ier felbft mit einem Uebergemidjt, baS beim 2lnbteaS nid}t ejriftirt) ebenfo fefyr burd) baS foftbare in ihm »ermanbte 5Jtaterial, butch feine golbftrahlenben ©emßlbe, feltenen fDlarmorarten, reifen Orna» mente unb prachtoollen SKofaifen. 25er ©inbrucf, ben 9luge unb £5ljt empfingen, wenn eine »ielchßrige ©ompofition non Steiftet 21nbreaS in S. ÜJtarco gut Aufführung fam, muf; habet bet einet faft »oQfommenen llebereinftimmung be8 IRaumeS mit bet in ibm ertßnenben SKuftf geroefen fein. Unb ein fotd^eS fich 2)ecfen »on ©ehertem unb ©efchautem, »on 3nnerem unb Aeufjerem, Jon unb Baröe, Afforb unb Säule, »erfchmenberifchet Fracht bet Sßielcbötigfeit unb »erfchmenberifchet ^>rac^t beS gut architefto« niftben AuSfchmücfung »ermanbten ÜJtaterialS, mürben mit aber« mafS erleben, menn 33enebig miebet baljin gelangte, SBerfe feines gto§en SJtitbürgerS Anbrea ©abtieli in jener Äitdbe gu ©el)ßt gu bringen, an meldje benfelben fein Seruf mehr als ein 3Ren* fdjenalter hinbutch feffelte.

3<h modele hier gleich nodj bcmerfen, baff ficb bet Stpl bet attoenegianifcben Jonfdjule auch baburch in bebeutfamer Sßeife »om §)aleftrinaftpl unterfdjeibet, bab biefer, trofj bet SSereinfacbung bet complicitten SSetfdjlingungen bet nieberlän« bifcben Stimmen, in ben letjtcren immer noch bte SRclobie, ben ©ontour unb bie 3ci<bnung, melche oft non munber» barem Sdjmunge unb meit auSholenb finb, bominiten labt, mährenb bie melobifche Rührung bet Stimmen btS StpleS bet älteren Sdjule 33enebig8 fich auf baS befcfyeibenfte ÜRaab te« bucirt unb baljer baS, maS unS hier ergreift unb erschüttert, hauptsächlich burd) bie überftrßmenbe gülle reicher unb über» rafchenber Harmonie, burdj beren SBedjfel unb Uebetgänge, fcmie enblich miebet butch ben ©lang eines auS ben gemähl*

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tefteu jtlangfarbenmifdjungen Ijeruergebenben Soncoloritd er» jeugt »irb.

Ginett red?t einbringlidjen 2?e»ei0 hierfür liefert ei« tjon ©öpler 1851 »ieben'eröffentlidjted 9)Iagnificat Slnbrea ©abrieli’d. 9tad? einem, 311 bem SBcrte „9)lagnificat," mit »eldjem 9)lariad fcobgejang beginnt, feierlich empurgefyenbeu unb bie Grtyebung ber (Seele malenben Introitus Ctüeldier übri* gend ber altfatfyolifdien Liturgie angefyort), tritt juerft ber mitt* lere Gbor mit bem anima mea Deum, hierauf ber bunfel be» fdjattete 9Jiünnerd)or mit ben Porten: et exultavit Spiritus meus in Deo salutari meo, unb nun erft ber Ijöcbfte ber brei Gfyöre ein, beffen garte , lidjte Farben baju uertnanbt »erben, bad jpolb» felige, 23erflärte ber bemüttyigen ©ottedjungfrau ju malen, bie ba fagt: quia respexit humilitatem ancillae suae. Gljarafte* riftifd) ift cd audj, bafj Ijier jurn erften 9Jlal SedjdjefyntelDerjie* rungen in ben Stimmen, bie bid baljin in einfach gefdjloffenen ernften ‘Ufforben con JHcrtel» unb l?alben 91oten»ertl)en einher» fdjritten, fidj geigen. Gd liegt hierin eine Einbeulung lieblidj» fter 2trt auf bie ©rajie unb ben feufcbeit tReig, r»n benen bie Grfdjeinung ber ©cttedmagb bem Scmbidjter umfloffen ift. ©er erfte 3«fatnmentritt aller brei Gtjöre ju einem mächtig baljin» ftrömenben Tutti finbet bejeii^nenber Steife in bem Momente ftatt, ba ed Ijeifjt, bafj alle menfdjlidje Generationen bie ©e* benebeite bed Eerrn glüdfltd) preifen »erben; unb gwar fteigert fid) erft bei ben äüorten: ornnes generationes bad Sonmeer ju feiner ganjen 9)iadjt unb §üllc. SBunbernoll »irtt, nad) fo uiel ©lanj, bie uerättberte nädjtige garbe bed £ongebid?ted bei ben SSorten: et misericordia ejus, beten ©efang ber 9)tün* nercfyor allein anftimmt. E>cr beljerrfdjt audnatymdmeife einmal ber erfte Senor bie anberen Stimmen, wenn aud? nur mit einer

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gang furzen fchmetglichen föfelcbie, bet welcher wir ein Miserere gu hören glauben, währenb bie bie ^armonif^e Unterlage bil* benben übrigen Stimmen big gu ber bunfeln Jiefe be§ E ber grojjen Dctaoe im Söaffe hinunterfteigen. 33ei bet JeoteSftelle: „er übet ©ewalt mit feinem 9frm,* tritt eine lebhaftere unb mehr beclamatorifche Bewegung ber Stimmen ein, burch welche ©otteS 3<?nt faft mit einem 9lnflug oon ©ramatif gemalt wirb. SBunberooD wirfen bann wieber, am Schluffe be8 ©angen, bie SBcrte ber ©orologie: in saecula saeculorum amen, 3U be* nen ftch bie ©höre abermals in ruljeooller gjtajeftät auSbreiten. 2)a8 SReer ber Stimmen tönt unb oerflingt hier gleichfam wie in bie Unenblid?feit non SRaurn unb Beit ^inauö unb e8 über« fommen un8 jene Stauer, bie ben jJJtenfchengeift bei ber ©e* wi§he*t ber ©rengenloftgfeit be8 91118, ober bem ©ebanfen an bie ©wigfeit, welche er beibe Weber gu ©nbe gu benfen, noch fieh ftnnlich eorguftetlen oermag, ergreifen unb erfchüttem. 9tadj ben hier gegebenen 9lnbeutungen fann e8 un8 faum überrafchen, wenn ©iooanni ©abrieli, ber grobe SReffe be8 9lnbrea, eon feinem ÜDnfel fagt: „ÜBäre er nicht mein S3l>exm gewefen, fo bürfte ich ohne furcht oor Jabel fühnlid) bebaup« ten, bah wie e8 im ©angen wenig aHSgegeidjnete 5Dialer unb 33ilbner neben et'nanbet gegeben, auch wenig Jonmeifter unb ©rgetfpieler gelebt haben, bie ihm gleich fämen. 25a ich aber burch 33anbe be8 93luteS il)m wenig minber al8 Sohn gewefen, barf ich nicht frei heraus reben, wa8 Steigung unb Wahrheit mir fonft eingeben würben. SBer fann läugnen, bah er in je« bem Jheüe ber harmonijchen Äunft bewunbcrnSwerth, ja gleich« fam göttlich gewefen? Seine Scrtigfeit fönnte ich loben, feine neuen Söenbuttgen, feine anmutige Schreibart; beö GrnfteS, ber ©elchrfamfeit feiner ©efänge fönnte ich gebenfen, aber auch ZI. S48. 3 (***)

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ihrer griffe unb Sieblichfeit , fo bafj in bet &hot, wer nur ge: hört, wie flangreidj feine einfachen, feine funftieid> terwobenen Söerfe waren, befennen burfte, et höbe erfahren, waS wahrhofte Bewegung beß ©emütheS fei, wa§ eS ^ei|e, ungewohnte ©üfcig* feit ton ber Donfunft genießen. 3ch fönnte fagen, wie er einzig gewefen in ©rfinbung Don Älängen, welche bie Äraft ber Siebe unb ber ©ebanfen auSbrücfen; aber bamit ich im Uebermaafce ber Steigung nicht läftig faOen möge, fo fteOe ich cS ben Äun« bigen anheim über ihn ju urtheilen, welche ihn bis in bie in» nerfte Sßerfftatt feiner ©ebanfen hin ergrünbet hoben."

©he wir unS bem ©iooanni ©abrieti felber ^uwenben beffen liebenSwürbiger ©harafter unS übrigens fd^cn auS biejen feinen warmen äöorten über feinen Serwanbten unb 8et>* rer entgegenleuchtet hoben wir noch im 23orübergehen jweier ÜRännet 31t gebenfen, bie, wenn fie auch iw Allgemeinen 3U ben Beit gen offen ber beiben Häupter ber altoenejianijchen @ihule galten, fich boch, bem Datum ihrer ©eburt n ad), gwifcfjen ©a» brieli, bem £)nfel, unb ©abrieli, bem Steffen, einfchiebcu. Der eine berjelben ift ber fdjon einmal erwähnte ©lau bi 0 SDterulo, 1533 1604 auS ©oreggio. 6r warb 1557 Drganift an ber erften ber beiben Drgeln ton ©. SDlarco unb gehörte gu ben gewaltigften (Spielern biefeS ehrwürbigen SnftrumentS im 16. Sahrhunbert. Der anbere Slieifter ift ber, nach §4ti8 um 1545 3U SSenebig geborene unb 1603 bafelbft als ©apeß* mcifter an ber SÜtarfuSfirche geftorbene Balbaf faro Donato. Auch er reiht fich würbig ben übrigen bebeutenberen Sßocalcom* peniften feiner -£>eimath an.

Unb fo waren wir benn bei ©iotanni ©abrieti ange* langt, einem SStanne, beffen SBerfe nicht nur feit nunmehr be« reits brei Sahrhimberten ihren l)ohen Äunftwerih unteränbert

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behaupten, fonbern bie auch fommenben 3eiten unb ©efchledjtern in gleicher Schönheit ftrahlen werben.

©iooanni ©abtieli erblicfte im 3ahre 1557 gu Vencbig baö 2id)t ber 2Belt. ©ein Onfel 8lnbrea unterrichtete ihn im ©efang, im Orgelfpiel unb in ber ©ompofition. lieber bie ©in* gefeiten bee 8eben8gange8 ©ioeanni’8 ift wenig befannt. 28ir wiffen nur, bah er fid) ft^on in 3üngling8jahren al8 @om* ponift ^erüert^at , 1585 Nachfolger ©laubio Nterulo’8 an ber erften bet beiben Orgeln oon @. Ntarco warb unb 1613 ftarb. 3m llcbrigen erfcheinen befonberd feine oielfachen 33egies hungen gu 35eutf<h lanb, unb gwar ebenfowohl gu beutfehen üonfünftlern, wie gu beutfehen Surften unb heroortagenben SDiän* nem anberer 8eben8freife, bemerfenöwerth. S5iefelben finb nicht nur non hohem funft» unb culturgefchichttichem Sntereffe, fou= bern geben auch näheren Sluffchluf) über 3)erfönlid)!eit unb ®e» finnung unfereö föieifterö.

33ereit8, al8 ©iooanni noch gu feinem Oheim in bie 8ehre ging, ftanb er in einem nahen Verhältnis gu einem JDeutidjen; gu feinem Nlitfchülcr nämlich, bem berühmten 8eo fahler, ber, um be8 Slnbrea Unterricht gu gentefjen, au8 Nürnberg nach Venebig gefommen war unb mit welchem er geitlebenS freunbfchaftlich oetbunben blieb. 3wei .£)ochgeit8gefänge, welche bie beiben Nieifter, al8 reife ÜJlänner, ihrem gemeinfchaftlidjen Nürnberger Sreunbe ©ruber ju beffen Vermählung mit bet fchbnen Helene Äolmann gueigneten, finb ein rührenbeö 3)enfmal ihreß VunbeS. 3n ber Debication biefer Arbeit rufen @a= brieli unb fahler ihrem ©enoffen ©ruber gu, baf* ba8 brei* fach gmifdjen ihnen befteljenbe Verhältnis burch gern einfeh oft* liehe fciebe gut Sonftwft geweeft, burch brüberlidje Vanbe erhöht unb burch Slufridjtigfeit befeftigt worben fei. 3118 ©iooanni

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©abrieli unb geo ,£)afjler, eine geraume 3eit fpäter, in ein unb bemfelben 3altte auS bem geben fdjieben, lief} ©ruber bie ihm »on beiben SJieiftern gu feiner .fpoebgeit bebicirten ®e= fange in einet Prachtausgabe gu Nürnberg im ©ruef erfcheinen unb frenbete auf biefe SSeife ben ©efdiiebcnen noch übet baS ©rab hinaus feinen ©anf. ©S ift ein idjöneS, erquicflicijeS SMlb, biefeS, mitten in ben Söitrniffen ber 3eit, feft gufammenbnltenbe §reunbeSfleeblatt, beftctienb auS einem «on »armer Siebe für bie Äunft erfüllten ©rofjfaufmann Nürnbergs, feinem Ptitbür* ger, bem bieberen beutfehen ©onmeifter, unb beffett ehemaligem 9J?itf<hüler, bem grofjen oenegianifchen Üonbichter, ber feinen beiben beutfehen ©enoffen gleichfam über bie Silben hinüber bie £anb reicht. Sluch mit ben mächtigen unb ben bamaligen ©elbmatft beherrfchenbcn SlugSburger £anbel$herren, ben «ier ©ebrübern fvttgger, ftanb ©ioeanni ©abrieli in nahet Setbinbung. SDiefelbc mochte ftch bei ©eorg Bugger’ö 2ln* »efenhett in 33enebig, als ©efanbter Äaifer JRubolph beS II., 3uerft angefnühft hoben. ©ie 2lrt nun beS brieflichen ÜBerfehtS ©iooanni’S mit ben guggern ift faft bie, »on einanber im geben »6Hig gteichftehenben Scannern; ein Umftanb, ber mir ebenfo beteeifenb für bie h^h® SilbungSftufe jenes altberühtnten beutfehen PatriciergefchlechteS , wie ebrenb für unferen Äünftter gu fein fdjeint. ©ie Familie hotte 3Reifter ©iooanni 3ur 4>o<hgeit ©eorg guggct’S nach 3tugSburg eingelaben. @r ift nun 3»ar »erhinbert perfönlidh ftch eingufinben, fenbet aber eine ben ^reunbett gewibmete Beftcempofttien unb fchreibt bagu unter anberem : „So trete ich benn unter ©uch, mitten in ©uere .§od>» geitSfreube, ©udf ©efeinge »on mehreren Stimmen bietenb; unb wahrlich, leine angemeffenere ©abe war gu erwarten, »eher »on mir, noch für Such, noch für baS ^eft ©urer SPermählung.

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2>enn »ier finb ©urer, wie eiet bie 3aßl ber Stimmen ift, welcße gu oollftänbigen ©efängen fieß oereinen; fo einig aber feib 3ßr in bem Streben, btn alten ©lang ©ureS «paufeS gu erhalten, fo gufammenftimmenb untereinanber, ben fatßolifcßen ©tauben mitten unter bem £ab er in SDeutfcßlanb gu bewahren. Ütber aueß eine äSermäßlung oermag oßne Harmonie nießt gu befielen ; batum geben wir bem gegenseitigen engen Vereine ber Neigungen, wie er in ber ©ße ftattfinben ioü, ben 9iamcn einer fußen Harmonie ber Seelen. ©in angemeffeneS ©efdßenf alfo, »ielleicßt aber auch ein geringes wirb cS ßeißen, baß icß ©ueß bringe. !Mn ©ueß ift beßßalb, meßr ben Sinn beS ©eberS, als ben äöertß ber ©abe in 9l<ßt gu nehmen; unb fo fann eS gefeßeßen, baß biefeS geringe ©efeßenf aueß für ein feßr großes gelten mag, nadj ber 3ueignung unb bem ©ifer ©ueß banfbar gu fein, mit welkem i<b gu biefer Beit eS ©ueß weiße unb nach ©ueß benenne."

SDeutfcße greunbe unb SBewunberer anberer $lrt fanb ©iooanni ©abrieli an .pergeg Sllbert V. oon Saiern unb beffen gamilie alfo an bemfelben funftfinnigen gürften, bet aueß ben großen £)rlanbu$ fcajfuS nach SRuneßen berief unb beS .pergogä Sößne festen baS SBer^ältniß beS SSaterS gu bem cenegianiießen £onmeiftcr mit gleicher 3Bärme fort. Slber nicht allein auf 23aiern unb granfen befeßränften fieß bie 9iela» tionen unfereS SJieifterS mit unferem HJaterlanbe, fie füllten felbft bis in ben beutfeßen korben reießen. iMucß ber ßeroot« ragenbfte aller »on ©iooanni ©abrieli gebilbeten Scßüler war ein 2)cutfcßer unb wir begegnen bemfelben in bem gewaltigen fäcßfifcßen ÜReifter Jpeinricß Scßüß, einem ber bebeutenbften SBorgänger unfereS Sebaftian 2Jaeß.

S5et mufifalifeße Stßl ©iooanni ©abrieli'S, obwoßl eben«

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fatld noch auf bie oon SBitlaert in biefer 23egiehung gemalten Anfänge gurücfguführen, »erhält fid? gu biefen (enteren bernun* geartet, wie bie reife grucht 3U ben früheften Äeimen unb .fnoSpen. Sehen wir ben Oheim Slnbrea fich l'djen mit 33or= liebe breiet gegen einanber wirfenbet ©höre bebienen, fo ge» nügen aud} biefe bem fRefren mitunter nicht mehr; er fteigert ben ISufbau feinet üonmaffen bis 3U »ier ©hören ober wer* ftärft unb bereichert bie äöirfungen einer 3Cn3a^l oon SBocal* thören burd} bie .^ingufügung eines fich mit ihnen oerbinbenben Suftrumentalchorfl, beffen Ordjefter faft immer auS §)o= faunen, Gornetti’S unb ©eigen befteht. Sfudj als felbftänbiger 3nftrumentaIcomponift wirb unS ©iooanni ©abrieli merfwüvbig, unb gwar, abgefehen oon feinen JRicercarS für bie Orgel unb feinen (Senaten für 23la8 = unb Streichinftrumente, gang befenbetS burch feine fogenanntei\,Symphoniae sacrae, beren erfter Sanb ebenfalls feinen greunben in SlugSburg gugeeignet ift. 5)iefe Sinfonien finb gmar manchmal mit 33ocalftimmen gemilcht, häufig jebech auch blo§e Orchefterjälge, wie fich benn, felbft fdwn in jenem ben gugget’S gewibmeten 33anbe, nicht weniger als fechSgefyn reine Snftrumentalftücfe befinben. 2)ie Slrt ber gührung ber 3nftrumentalftimmen in biefen Arbeiten gleicht noch häufig ber» jenigen ber SJocalftimmen, guweilcn bagegen tritt fd^ort eine Söe* hanblung berOrchefterpartituren ein, wie fie unfer SReifter in feinen ÜBocalwerfen nicht anwenbet. ©r ift bann offenbar bereits bemüht, bet größeren 23 ewegl ich feit ber inftrumentalen Organe, beren er fich bebient, Oledjnung gu tragen, unb er tljut bieS, inbem er biefelben mit einer ftart figu ritten Stimmführung ausftattet. ©igenthümlich tnbeffen bleibt eS hierbei immerhin, bah bie ©ornetti, obwohl SlaSinftrumente, mehr ^affagen unb ©änge auSgufühten haben, als bie, gleidj ben fpofaunen, in

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fdJWeten ipalb® unb 23iertelncteu einberfdjreitenben ©eigen, beten eigentliche Stellung im Ovdjefter bei- Jonbidjter alfo noch gar nidst erfannt ju haben fcheint.

3ebenfall8 liegt beim ©iouanni, unb obwohl et im 3n* ftrumentalen fcbon weit über ben Slnbtea IjinauSgeljt, bet eigent* liehe Schwerpunft feines fnnftlerifchen Schaffens nod) im 33ecalen. Unter feinen gatjllofen Serbin gehörigen SBcrfen fteljen feine ©lagnificatS, feine 9>falmen, SOZeffenfa^e, Sprühe, S3e8pern unb SÖJabrigale eben an. 3d) fnljre hiev bavunter namentlich baS non SBinterfelb mitgetbeilte 0 Domine Jesu Christe an. @8 ift baS ernfle ©ebet einer ebelen, männlich gefaxten Seele, auf helfen klängen unfer Gfmpfinben, wie auf feierlich bitnmelanfteigenbem SBeibtaucb an gelbftrablenbem jpocb= altar, emporgetragen wirb. 9iid}t weniger evgreifenb will mir fein, in ben Jöpler’fcben .peften wieber aufgelegter 54. ^)falm: Exaudi Deus orationem meam erfcheinen. 6) IDiefeS gewaltige Jonftücf ift für oier Jenöre unb brei 3?äffe, fämmtlich alS Gbor* ftimmen unb baber in jablreicher 33cfebung gebaut, getrieben, unb baS im Sttlgemeinen nächtige Golorit ber fiebenfach fid) anberS mifthenben unb innerhalb betreiben ©runbfarben ab* tenenben SDiännerftintmen beutet fcbon barauf b»n< bah ber Jon» bichter ein ©ebet um ©rrettung auS fRotb unb Job anftimmen will. 5)enno<h überfommt unS lein eigentliches üBergagen be8 .pergenS ober eine oöllige 3erfnirfcbung brS innern fBienfchen, wie wir fie in äUegri’S IDUferere einpftnben, beim 3lnbören biefer Ijcrvlidhett ©ompofition. ©8 ergreift uu8 nielmebr eine eigentümlich erregte Stimmung bei ben fit eerfchlmgenben ©ängen biefer neben» unb übereinanber emporfteigeitben Jon* wogen, bie un8 unwiHfübrlich ba8 fdjöne fJJieer, an beffen Ufern ber Jenbidjter beimiieh, »or 8>ugen ftellen, wenn ein bei Sonnen,

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unterfang fidj erbebenber Slbenbwinb feine gingen aufftert unb bie nur feinem äßefyen babinroüenben äöellen purpurn ober in bunfelem SBiolctt erglühen. Unb weit unb frei, wie unter bem Anhauche beb SJieereb, füijlt fich auch unfere Seele bei biefen erhabenen Klängen, bie fein öüfcergebet in enget jSloftergeüe finb, fonbern wie ©ottebgcbanfcn auf weiter wiegen ber See, unter bem Slufblijjen ber erften Sterne am nadjtenben ipimmel wirten. ÜDie befonberen Sonfarben, aub beuen ber SRänner« chor gebitbet , für welchen biefer 'Pfalm gefegt würbe, finb io mcifterfyaft gemifcbt unb feine Stimmen fo glücflich ocrt^eilt, baß wir, ungeachtet ber mangelnben timten Klangfarben, bet Jpötje, nirgcnb bie leifefte Monotonie oerfpüren unb, trofj ber Sicbentheilung bet Partitur, ben Ginbrucf empfangen, als ob gwei, gu je »ier Stimmen gcglieberte unb babei and) burd? it)t eentraftirenbeb (Kolorit fid} merflid) unterfcheibenbc ©höre gegen« cinanber wirften.

@in s})aar foldje Senfäßc, wie bie hier oon mir angeführten, fömtcn natürlich fein auch nur einigermaßen ^tureichenbeö 33ilb uen bem 9ieid)tljnm ber mufifalifchen ©ichterfraft unjereb sJDieifiterb gewähren. 3ch griff fie nur barum aub ber DJienge feinet ähn* liehen Arbeiten beraub, um einige ginger geige gu geben unb weil biejelben uieüeicht am weiften bagu angethan finb, in IDcutfchlanb gehört gu werben.

©ionanni ©abrieli’b 54. sJ)jalm giebt mir noch 5U einer SJemetfung Ülnlaß, gu ber ebenfowohl bie meiften feiner übrigen Kirchencompofitionen, fowie aud) eine große Ölngabl berjenigen feines £>beimb aufforbern. 3ener 3iachflang ber Stimmung einer mittelalterlich poetifchen ©laubenbroelt nämlich, wie er unb aub ’})alejirina’S Schöpfungen noch oielfach entgegentönt, ift im Kirchcnftpl ber beiben ©abrieli’b entweber nur fchmah,

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über fo gut wie überhaupt nicht mehr wahrnehmbar. ©d)on bet Äirchenmufif beb Anbtea fehlt bie garte ©chmdrmerei unb jened ©erblühen bet ©eele in Anbadjt, bencn wir häufig noch in bet römifchen @djule begegnen ; ber SReifter erfc^eint im ©egen* tljeil mitunter fchen gang burchbrungen »on ber .perrlichfeit unb Schönheit ber irbifchen SBelt unb fafct auch biefe, mie eine ge* t»iffe freubig*feftliche ©timmung unb bie finnlidje güfle feiner Sonfäfje und fugen, ald einen Sempel ber ©ottheit auf. {Roch höher fteigert fid} eine foldtje innere Freiheit beim ©iooanni, unb biefe ift ed eben, bie felbft in bem ermähnten 'JJfalm, ob* mohl er feinem 3nl}alte nach eigentlich «in -fpülferuf ift, fo er* löfenb mirtt unb und mit bem ©rnfte ber 33itte zugleich bie ©emährung bcrfelben »erheifjt. 9)ian fühlt fich baher unmitl* fürlid> bagu gebrängt, ben ©tpl ber altoenegiunifchen jiirchen* mufif, unter ben gleichartigen ©tplen ber übrigen ©chulen 3taliend, als ben im ebelften ©inne heiter ft en »on allen gu begegnen, ©iouanni ©abrieli’S ©otteöbienft ift, menn man mifl, ein frohgemuter unb auch und ergreift batum 3»»erficht unb ein fro^cS Jpoffen bei feinen klängen.

©d fpiegelt ficb übrigend in ber in foldjer SBeife gearteten ©laubendmelt bed SDieifterS fidjerlich auch etmad »on ber religio* fen Anfdjauung mieber, roelche bie ©enegiancr, »on iHlterS her, oon ben meiften anberen Stämmen 3taliend, fomie »on ben ihnen benachbarten übrigen Stationen unterfchieb. ©elbfioer* ftünblich mar ed bem begabten fühnen OJienfchenfchlag, ber bie Lagunen bemohnte, »on jeher ernft mit ieiner {Religion, mie benn noch fein 33olf gu etmad {Rechtem gefommen, melchem feine 3beale nur ald ein fdjöner ©chein gegolten hätten. SDie ©emohnet ©enebigd mußten aber babei fehr mohl ihre itbifchen »on ihren himmlifchen Angelegenheiten gu trennen unb bulbeten feine ©er»

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mifchung beiber. fJJtehnnalS Ijaben fie ben Anmaßungen bcr fPäbfte auf baS äußerfte wiberftanben unb fogar ben ftärfften SDroljungen unb (Strafmitteln ber Eurie fühn getrost. T) Söußten fie bodj fclbft bie große SBölfetwanberung ber (S^riftenbeit nadj bem heiligen ©rabe noch in einem anberen, als nur religiofen Sinne auSgubeuten. AIS eine in SBenebig anwefenbe ©efanbt* fcßaft fran^öfifdjer unb flanbrifcpet JRitter bie 33etbeiligung bet {Jtepublif am oierten Äreugguge nadjfudjte, forberte Enrico ®an* bolo für bie erbetene ÜJlitwirfung feiner SSaterftabt bie Summe Bon 85,000 fötarf Silber nach bamaligem Fölnifdjen ©ewicht (b. b- son 4f fDiillionen granfen), unb machte fich außerbem bie Sebingung, baß 23enebig non allen Eroberungen an 8anb, fowie Bon aller Söeute, bie etwa unter ©etteS Söeiftanb gemacht würbe, im SorauS bie .pälfte erhalte, ©erabe aber ber hictauS gezogene unermeßliche ©ewinn, fowie bie fich an ©anbclo’S Unternehmen anfchließenbe Eroberung EonftantinopelS waren eö, welche bie Scherrfcherin ber Abria nunmehr auch 3Ut Herrin beS Orients machten, unb fo fnüpft fld> begeidjnenber Söeiie an bie größte religiöfe Bewegung beS flVittelalterS baö Empor* fteigen SlenebigS gur erften $anbelSmad)t ber SEÖelt an.

ES ift nur natürlich, baß etwas »on* ber gefunben SBelt* anfehauung, wie fie fich in einer berartig alljeitigen Söenußung großer Momente im Eulturleben ber fDtenfcßheit flegelt, auch in bie Benegianifdje Äunft überging unb bort il)r BergeiftigteS Echo fanb. 3n ber SRufif Hang eine foldje ©efinnung faurn weniger ftatf an, als in ben Sdjwefterfünften berfelben. SBenn baßer ©iooanni ©abrieli, in feinem SSriefe an bie guggerS, baS Auöharrcn ber trüber beim fatholifchen ©lauben preift, fo ift baS nicht fo gu Berfteßen, al$ wenn ber fOteifter Anti* patßie ober $aß gegen AnberSgläubige empfunben hätte. Den

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beften 33eweiS bafür, baf) iljtn jebe 3ntolerang fern lag, liefert fein Serhältnifj ju Heinrich ©djüfj, bet, obwohl er ein guter ^roteftant war, bem großen »enegianifthen SEonbidhter bet liebfte unter allen feinen Schülern blieb.

3Bie fyoci) ©iouanni ©abrieli t?on feinen Beitgenoffen ge* galten würbe, erfahren wir am einbringlichften auS bem ÜJtunbe feiner Sänger unb gachgenoffen.

SlloyS ©tani, einet ber Dielen Üonfünftler, bie feine Sehre genoffen, schreibt nach beS föteifterS SEob an ben Slbt 9Jiarf in SlugSburg baS prophetifche SBort: „9Jtag er oerftummt fein, ber SBelt, bie feiner ©efänge ©üfjigfeit entgücft, werben biefe nimmer »erftummen; mag feine £anb aufgehört hoben, uns feine ©ebanfen aufgugeidhnen , waS fie aufgejeidjnet , wirb bie SRad^welt ber Uneergänglidjfeit gu weiten nicht aufhören; möge unS feine leibliche ©tfdheinung entgogen fein, fein Sin* benfen unb feine gtofce Äunft werben lebenbig felbft bis gu benen bringen, bie er niemals gefeiten ober gefannt hot."

Heinrich ©$üf} fdhreibt um 1628, gelegentlich feinet gweiten JReife nach ©enebig, wofelbft er fid^, wie er fagt, „ber ingwijehen aufgebrachten, neuen unb heutigen $ageS gebrauch* liehen Spanier ber föiuftf erfunbigen wollte," unter anberem golgenbeS: „2118 ich nadb 33enebig tom, ging ich hört oor Sinter, wo ich alSSüngling unter bem großen ©abrieli bie erftenSehr* jahre meiner Äunft gugebradjt hatte. 3a, ©abtieli! 3h* unflerb» liefen ©ötter, welch ein SDtann war ber! |>ätte ihn baS Sllter» thum getannt, eS würbe ihn Slmphion oorgegogen hohen, unb hätten bie SJtufen ftd) oermählen wollen, fo würbe SDlelpomene ihn gum ©emahl begehrt hohen." SBet erfennt nicht in ber SBorliebe, mit bet hi« bie mythologischen 9iamen 2lmphion unb Sftelpomene in Sßirfung gefegt werben, abermals baS ©inbringen

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gemiffer, burd) baS 3eitalter bet IRenaiffance in Blufc gefegter (Strömungen in ©egenben unb ©eifteSfphären, bie berfelben früher fernab lagen! Seiter fonnten biefelben, Anfangs beS 17. 3afyrf)unbert0, faum »erbreitet fein, als bafc jelbft_Schüf3, ber grojje biebere Üonmeifter SachfenS, fic^ tRebcmeifen, mie ber mitgetheilten, mit SBorliebe bebiente.

£>ie alt»enegianifc^e Sonfchule erhielt fic^, nach bem .pins gange ©iooanni ©abtieli’S, nur ned? eine furje Seit lang. Sir begegnen in berfelben, aufcer £eone £eoni, bet um 1560 ge» beten marb unb als ÄapeHmeifter an ber Äathebrale »on 3$enebig8 SRadjbarftabt Siincenja ftarb, nur noch bem ©iooanni Groce, 1560 1609, mit bem fte eigentlich fdjon ihr Gnbe finbet. Groce mar, gleich 3atlino, ju Ghioggia gebeten unb erhielt barum, nach italienifdjer Sitte, beit Söeinamen il Chiozotto. Gr ge» hörte noch ju ben perfönlichcn Schülern feines fpcciellen 8anbS» manneS 3v*rltno unb folgte bem 33albaffato SDonato in ber Stelle eines ÄapellmcifterS an S. SRarco. 3n feinen Arbeiten macht fichr mit benen ber ©abrieli’S »erglichen, fchon eine ge» roiffc Abnahme an Gnergie unb Äraft beS ÖluSbrucfs bemerfbar. Senn nun anbererfeitS fein 3eitgenoffe geone geoni fich ber GompofitionSmeife beS v})aleftrina mieber ju nähern be» ginnt, mie er benn auch bem großen IRömet eine Sammlung fünfftimmiger sJ)falmen jueignete, fo merben mit auch in 33e» jiehung auf baä Serfchminben bet Gigenthümlidjfeiten beS alt» oenejianifchcn StplS gemäht, baff fich bie Schule, in bet berfelbe emporgefommen, ihrem Gnbe in Ißenebig nahte. fRod) einmal aber fotlte bie SRufif bort in erhabenfter Seife micberaufleben, um bann für bie £>auer oon faft jmei Saht» hunberten ju »erftummen. 3n ber ©egenmatt ift eS felbft im

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nieberen Seife ftifl geworben; aud) jene Stangen auö Jaffo'8 befreitem 3erufalem finb »erflungen, bie ficb necb ©oetbe, in geriet 95ionbnad}t, een einanber antworteten ©onbelffi^rern »orfingen lie%. SBaren be<b biefe 2Se<bfelgefänge gleicbfam ned? ein lefcteS Gfrinnem an jenen, jwijdben »erfdnebenen 2lu8füb* renben alternirmben Sortrag, bem wir wäljrenb beS gangen 16. 3al)rfyunbert8 in ber Äunftmufif ber 3nfelftabt begegneten. £eute ift »on bauten unb Jenen, bie Senebig al8 feigem be* fenberS angebeten, nichts mehr gu »ernebmen, wie bie an bie ©cbwetle feiner »eröbeten ^>aüäfte teife anfcblagenbe 2BeUe, ber Jaft eines StuberS in feinen ©affen, ober bie Stimme bet Born 8ibe berübetwebenben ©eewinbe. Sie ©tabt felber aber ftebt al8 ein ergreifenbeS 23ilb beS SerfallS ehemaliger Fracht unb ^errlidjfeit »er unS ba. Unb in btefer ©eftalt ruft fte, weniger unter it)ren eigenen ©ebnen, al8 bei gelegentlich »er* übetwanbemben ^remblingcn, guweilen noch ein Sieb »oll trau* metifdbet fDWandjolie ber»»»- $elir SOienbelSfobn’ö »enegia« nifcben ©onbelliebern webt fcbon jene Stimmung einer fünften elegifcben Jrauet, bie unS in ber ©egenwart in Senebig überfommt.

^ebenfalls ift ein SSiebererfteljen be8 früheren großartigen fölufiflcbenS ber ©tabt nur bei einem erneuten 9tnfnü»fen an ihre glängenbe mufifalifdje Sergangenbeit benfbar. 3* meine bamit nicht, bafj man bie großen Sorfabven bort äußerlich fopiren folle; nur »en ber flamme be8 ©eniuS, bie noch beute in ihren Jonbid)tungcn glübt unb tebert, laffe man fidj bureb» bringen, unb bie§ gefchiebt fidjet am wirffamften, wenn man ihre SBerfe auf beimtfdjem Scben gu neuem geben in’S SDafein ruft. SBenn aber ba8 golbftrablenbe 3nnere be§ ftöarfuSbomS aber«

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mal8 »on ben unfterblidjen ©eföngen bet ©abrieli’Ä rotebet» IjaKen füllte, bann würben wir un8, mit bem poeftc»ollen 9lmbro8, baoott überzeugen, bafj bie ÜJtufif bet geiftigfte, berau« fdjenbfte JDuft gewefen, ben bie weifje ©eetofe bet 2tbria gut 3eit ifyrer Stütze cerfyaudjte.

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Siitmerfungen.

■) Sie im Stltertbum an ber ncrbioeftlidjen -Bucht be8 abriatifd^n 3Jleere8 wohnenbcn Veneti (©cnetcr) waren, wie oielfat^ angenommen . wirb, ursprünglich i ll^rif c^cr §erfunft. Später mag fich auch ger« manische« ©tut mit bem ber Ureinwohner unb ber unter ihnen an» geftebelten Siomanen gemijdjt hüten.

J) Senn bie 8 Tonleitern ber Äircbentcne beft^en, mit Ausnahme be8 5. unb 6. Tons, nicht einmal ben fo natürlichen heitton auf ber 7. Stufe: ba8 Semitonium.

3) @8 ift fehr bie grage, ob paleftrina, wenn er, gleich SBiHaert, als ein StnSlänber auf getreten wäre, mit ähnlichem (Srfclge, wie biefer, eine ganje Schute an feine Perjon ju fnüpfen oermcrf't haben würbe, ©erabe barauf, bah Paleftrina einer ber 3hrcn gewefen, finb bie tRomer

* non jeher ftolj gewefen. Sie Pietropclitanfirche Bon JRom: St. »Peter, weift jubem unter ihren Gapetlmeiftera leine Ttieberlänber auf, wäh» renb wir beren jwei foeben an ber Pletropolitanfirche »on ©enebig fanben.

4) tJtujjer SBiHaert unb Gpprian »an 3iore bürften auch Tinctor unb &rfabelt über ©enebig nach 3talien gefommen fein.

s) ®8 ift hö^ft wahrscheinlich, wenn auch borläufig noch «i<ht burd) äftenftüdte barjuthun, bah fich, unter ben bem Siege Bon Bepanto gel» tenben ©elegenheitScompofitioncn , auch ÜRufifftücfe Bon 3arlino unb Stnbrea ©abrieli befunben haben, bie beibe bamalS auf ber $öhe ihres SRufmeS ftanben. 6ine folche SBahrfcheintichfeit wirb, burch bie

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brei Sabre fpater an Slnbrea ©abricli ergehenbe Stufforberung, bie Sin* funft 4>einri<h’8 III. mufifalifch ju illuftriren, nur noch erlebt. Sollten berartige SßorauSfefcungen ftd? beftätigen, jo würbe bie »enejianifcbe Ion* funft, anläßlich beS Sieges »on b'epanto, bem ?aul SBetonefe bie 9tamen »on ein (Paar feiner nicht unwürbigen 3Jiuft!er an bie Seite (teilen bürfen.

") (58 mujj, um Verwechslungen ju begegnen, baran erinnert wer. ben, ba§ ber erwähnte (P)alm nur nach fatholijcher Jrabition ber 54. ift, waljrenb ihn bie Sibelüberjetjung* Hutber’8 erft als 55. jäblt.

0 So j. 33. im Sabre 1605, in welchem 33 ab ft (Paul V. Grrcommunt* cation unb Snterbict über Venebig »erhängte.

(.IM)

!Dru* non ©ebr. Ungtr (Sb. <»rimm) in ©erIC« , S$cn«bcrjtrftTa$e 17».

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tlrttutgefdjtdjte bet

5Jorttag gehalten im herein 'M)ette " ju SJiagbeburg

cou

{jortoitj.

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flerlin SW. 1876.

58 erlag Bon (5a rl £abel.

(£. i. isStuti'jijl* utuajsiiiidjjjflnälaagO 33. XBilbdm Sttajc 33.

I

T>ai SRfdjt btt Ufbttfefcung in frembt €prad)fn »irb tcrbf^alttn.

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^£)ie ©efühle finb fdheinbar ba§ SlUerbefanntefte. 3n ber 2^at! «Dasjenige, wag ein 3ebet in fic^ fühlt, füllte er ba8 nidht auch am beften fennen? 3)ennodh wirb gerabe über bie Statut unb Uri ber ©efühle in bet SSiffenfdjaft am ^efHgften geftritten, unb witflidh übergeugt man fic^ balb, bafe fie gu ben am fdjledj» teftcn gelaunten SDingen ber SBelt gehören, bafj wir SDanf ber ©he!tral=9lnalh}e »on ben (Stoffen unb Kräften auf ber ©iriuS* SDberfläc^e faft beffer unterrichtet finb, alt! non benjenigen 3u» ftänben unferS eignen ©elbft, bie in 2uft unb 8eib, greube unb üraurigfeit, furcht unb Hoffnung un8 gerabe am innigften erregen, unfer Sl^un unb Waffen am unmittelbarften beftimmen, furg ben innerften Äetn unfereS SBefenö auömadjen. Bunädhft laffen ©ie unä unfern Sprachgebrauch feftfteKen unb ben ©egen* ftanb unfrer Unterfudfjungen ftjriren.

Unter „©efühl" cerftefyen wir l)ier bie feelifdjen 3uftänbe ber 8 u ft ober Unluft, b. h- biejenigen Buftänbe, bie wir alö angenehme ober unangenehme empfinben. 2)a fehen ©ie benn fofort, ba§ biefe Buftänbe mit gu ben häufigfteu unb üet* breitetften unfteö ^pfifd^en JDafeinS gehören, ©dfjmerg unb SBohlgefühl, ©rmübung unb grijdie, unfre ©efühle an ©djön» heit unb ^)ö^lidhTeit, ©eiftüoHem unb glattem, ©belfinn unb ©emeinheit mögen 3h«e« als Seifpiele bienen. SDie ©efühle gehören, wie gefagt, gu bem f (heinbar Sßefannteften in unfrem

XI. 34*. 1* (»♦»)

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(Seelenleben. .Kein Sötenfch ift in feinem &ugenblicfe jeineö 8ebenß gang ohne ©efüljle, fie ftnb eß, bie am meiften ftch tnö 9?e* wuhtfein brängen, am lauteften iljre gotbetungen gelteub machen. S)afyer werben Sie auch bief eiben in ibter allgemefnften ©harafteriftif gewih fofort mit Seiditigfeit wieber erfennen. S)en ©efüljlen ift oor Stiem eigen, bie Seele empftnblich gu afficiren, in ihren irgenb ftärferen ©raben bie Seele gaaj eingunehmen, unß gu übetmannen, wie man Jagt. 55iefe ftär* feren ©efittjlSgrabe, bie man bann 9t f fette nennt, machen den SJienfdjen faft gang unb gar unguredjnungßfahig- 2lbet auch bie fdjwädjeten ©efüljlßgrabe tenbiren nach biefer 9iid)tuncg bin. 3ebeß itgenb lebhaftere ©efühl nimmt bie Seele botb in ferofit ein, bah »«an für 9flleö SSnbete faft oöllig unguganglid? ift. »Dem S3efümmerten fann man bie fdjönfte äußficht geigen, öem Siebenben baß geiftoollfte Kapitel auß $)lato, .(pegel ober Sdbopen= hauet Detlefen, wirb nicht ben geringften ©inbrucf machen. »Damit hängt eine gweite ©igenfdjaft bet ©efühle gufatnmen, nemlid) bie, bah fie allemal ben Äörpet meht ober we* niget in SRitleibenfchaft giehen, ihn ftürfer ober fchwacher erfdjüttern, auf bie oerfchiebenen leiblichen Organe hemmenb ober anreigenb gurücfwitfen. 3(uch biefe ©igenfchaft ift allgemein befannt, baß ©rröthen oor gteube ober Scham, baß ©rblaffen bei Schreit, gurcht u. bgl., bie Sefchleunigung ober Verlang* famung beß .fjergfchlageß, baß ©rbeben ber ©lieber, baß %uden beß SJtienenfpielß, baß Sachen unb SBeinen bieß StÜeS ftnb fa alltägliche ©Meinungen. hierher gehört audh bie intereffante Shatfadje ber SRücfroirfung ber ©efühle auf bie äbfonbetung ber SDrüfen. ®er befannte galt, bah bie blofje SorfteDung beß $ineinbeihenß in eine Gitrone bie Speichelbrüfen gu lebhafterer Shättgfeit reigt, fteht nicht oereingelt ba. ©benfo lauft bem Secferhaften baß Sffiaffer im SÖtunbe gufammen, wenn et an wohl«

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febmeefenbe ©peifen benft; fo wirfen erotifcbe ©efüble auf bie bet ©epualfpbare angebörigen SDrüjen* Apparate; fo entfielt bei lebhafter Slngft in $olge wäffriger Slbfonberung au8 ben üDarmbrüfen bie fprüebwörtlieb befannte 3)iartböe; ba8 SSeinen ift ebenfaUö nur eine IBbfonbetung ber Slbtänenbrüfen unb bie Siebung bet ©ebwei&brüfen bei SMffeften (©ebwijjen cot 9lngft u. f. w.) niebt minber befannt. ©in J^eologe ergablte mir, bafj er »or feinet erften ^rebigt »or innerer Aufregung ftcb ^abe übergeben muffen unb fügte b'nju, bafj bie8 bei feinen ftacul* tätßgenoffen öfter »orfomme.

SDiit biefer ftarfen afficitenben ©inwirfung auf bie (Seele, weldje bie leitete gan$ unb gar gefangen nimmt unb ben 8eib fo gewaltig in SJiitleibenfebaft giebt, fjängt eine britte ©igentbüm* lidifeit bet @efüble jufammen: iljre üDun felbeit unb Un = f larbeit. Unfere Jlnfebauungen , 33orftellungen , ©rfenntniffe aller 9frt Tonnen wir gergliebern unb burd) Bteftepion »erbeut* lieben; mit ben @ef üblen ift baö nid)t fo ber ftafl; eg wobnt ihnen etwas Unbefinirbareö bei, wocon wir un§ feine 9tedjen» fdiaft geben fönnen. ©<bon bie ©erüd)e unb ©efebmäefe laffen fid) nid)t weiter befdjrcibe« al8 burd) bie Nennung be8 riedjenben ober fefcmecfenben ©toffeß: e8 rieebt nad) Sleilcbeit, fdjmecft nadf SJtanoran ober ^feffermünj. S3oHenbg bie unzählbaren Qnali* täten unb Btuancen beö ©djmerjeö, beß SSobl* ober Uebel* befinbetiS, ber .^eiterfeit, beß $rebfinn6, SlergerS u. f. w. fpotten jebet 33erbeutlid)ung.

©o ftnb wir beim gewohnt, ber logifeben Älarbeit unb IDeut* liebfeit unfereS IDenfenß unb ©rfennenß bie SDunfelbeit unb lln* ergrünblicbfeit ber ©efüble gegenübergufteüen. SDer beBe S3erftanb unb baß bunfle ©efübl, ba8 febarfe IDenfen mit beutlieben 33or= fteBungen unb concifen Gegriffen einerfeitß unb bie unflare ©mpfinbfamfeit ber ©timmungen im ©ebränge ber blinb bei*

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fdjenben SEriebe, SBegierben unb SBebürfntffe anbrerfeitS »erbe« mit (Recht als bie entgegengefefcten ^ele unfreS (Seelenlebens bezeichnet. 5(18 ben Sifc be8 (DenfenS begegnet man ben Äopf, inSbefonbete ba8 ©ehim, »a8 im SBefentlidjen auch tintig ift; a(8 ben Sifc be8 ©efüblS ba8 Jpetg, wa8 eigentlich gang unb gar nicht richtig ift unb nur infofern aufrecht erhalten »erben fann, al8 ba6 .perg, aber nicht biefeS allein, fonbern ade innern Organe burch bie ©efühle, »ie oben gezeigt, in hödjft merflidjer SEöeife mit afficirt »erben unb fo gleichfam einen (Refonangboben für bie ©efühle abgeben.

gügen wir bent ©efagten noch als lebten $)infelftrid) h*ngu, baf) man bem ©efühl bie eigentliche (Erieb* unb SBiDenS^Rraft gufd)teibt, ben üöetftanb aber al8 (Dasjenige betrachtet, »a8 ber blinben .Straft, bem bunflen (Drange, 3«l unb (Richtung Bor* fchreibt, fo glaube id) 3huen eine ziemlich BoUftänbige Sfigge ber adgemeinften unb im OWgemeinen auch ziemlich richtigen Slnfchauungen über unfren ©egenftanb gezeichnet gu haben.

Ueber bie «Stellung be8 ©efühl8 im Seelenleben haben gu allen 3eiten bie Berfchiebenften Olnfichten einanber befämpft. (Die ältere 9%djologie, als beren Hettreter SB o l f gu nennen ift, unterschieb g»ei ©runboermögen: ©rfennen unb 23egehren. ©mpfinbung , SEBahrnehmung, 33orftellung, ©rinnerung, ®e* bächtnife, ^hantafie, (Denfen mit begriff, Urtheil, Schluß wur* beit gum ©rfenntnifjBermögen, ©efühle, Olffefte, Triebe, SSegierben, SBiHen, Beibenjchaften u. f. w. gum 2?egeljrungS* Bermögen gerechnet unb jebeS Bon Söeiben noch in ein unteres unb oberes Vermögen weiter abgetheilt. Äant Berljalf ber oon (EetenS unb diebemann aufgeftellten (Dreitheilung in ©rfenntnifj*, ©efühlS* unb 23egehrung8'33ermögeu gu überwiegenbem Oln* fehen. Jpegel erflärt baS (Denfen für baS grunbwefentliche Olttribut bet Seele; baS ©efühl ift ihm ein unoollfommeneS ©rfennen,

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baö friiljefte 5Beben beS ©eifteS. #erbart führt StCfeS auf 5Bor* Teilungen, bie ©elbfterhaltungen beS an fidj freub* unb leib» lofen @eelenwefeu8 jurücf. 5Da8 ©efühl beruht ihm lebiglidj auf SBerhältniffen mehrere* 5Borftellungen ju eiuanber. ©<hopen* bauet bafirt ba8 ©efühl lebigliclj auf ben 3BiHen. Olehmen wir noch meine Anficht hinzu, bafj ba8 ©efühl felbft elementarer ©runbptecefc fei, fo h«fon wir eine recht nette SBiufterfarte bet benfbar möglichen Kombinationen über unfren ©egenftanb.

©ine anbere nicht minber wichtige unb nicht minber ftrittige grage ift bie nach bem ©ruube b e 8 @efühl8. SBie fommt e8, bah wir einige 9teije als angenehm, anbere als unangenehm empfinben? 9Jian fleht fofort, bafj biefe grage mit ber obigen jujammenhängt. 5Die Anficht, welche man über ba8 SBefen be8 ©efühlä h«t, wirb mehr ober weniger auch fdjon e*ne S5eant* wortung ber grage nach bem ©runbe beffelben intwlmren. @o erflaren ^Diejenigen, welche ba8 ©efühl a!8 unoollfommeneö, cer» worreneS ©tfenuett auffaffen (Aeltere ipfpchclogie unb .jpege!) 8uft unb Unluft at8 ba8 Snnewerben einer SBeförberung ober ejineS .£>inbernif fe8 unfereS 8eben8, unb biefe An* ficht ift auch heutzutage noch fehr allgemein nerbreitet; wir finben fie 3. 5). auch bei Kant (Anthropologie) unb nielen feiner Anhänger. 3m Allgemeinen ftimmt fie auch mit ber ©rfahrung überein. 5Ba8 un8 leiblich unb geiftig förbert, 3. 58. ba8 Athmen in reiner, fauerftoffreicher Suft, ein fdharffittniger wifciger ©ebanfe, ift un8 in ber Oiegel angenehm, ba8 ©egen* theil unangenehm. Aber bie8 ift bann bod? immer nur eine thatjädhliche Uebereinftimmung, aber feine ©rflärung beS* ©runbe8. ©obann aber ift e8 noch nicht einmal thatfächlich ganz richtig. ©8 giebt fehr fröhliche SDinge, bie leiblich angenehm empfunben werben, 3. 58. ba8 n + 1. ©eibel mitj feinenv befannten le lendemain; unb einem ungezogenen'. Sungen ift eine Fracht

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fPrügel feljr nüfelicb, ohne bafe et baS minbefte angenehme @e* fühl baten l>ätte. Stamentlid) aber ftefyt bet ©rab bet objef* tieen Stüfelichfeit obet ®cfeäblichfeit eine« 3uftanbeS mit bem ©rabe beS fubjeftioen guft* ober Un!uft*@efühlS häufig in gar feinet ^Proportion. @o fann bie geringfügige Neigung eines 3ai)nneteen bie fürchterlichften Dualen bertcrtufen, währenb tief* gteifenbe 3«ftörungen bet wichtigen hebeuSorgane bisweilen nur unbebeutenbe ©efühlSaffeftionen im ©efolge haben, unb bet am 2ppl)uS obet an anbetn ^emictöfen SMutmifchuugen bat* niebet giegeube fidj in faft gleichgültigem apat^ife^em 3uftanbe befinbet. (Sine etwas feinere Raffung hat ^ofee im gweiten Äapitel feiltet „SJtebicinifchen ‘Pfrxhologie" biefet Stuffaffung gegeben. 3)anach ift eS nicht bie Stüfelichfeit obet ®<häblichfeit beS SteigeS für bie ©efammtheit beS 8ebenS, was angenehm ober unangenehm empfunben wirb, fonbent baS SBer^ältnife beS SteigeS gur ftunftion beS Sternen, inbem angemeffene Steige, b. !)• foldje, bie ben Steroen gu einet feiner gunftion entfprechenben 2hätig* feit anregen unb fomit feine ©tttährung förbern, angenehme, gu ftarfe aber, bie bie <Subftang beffelbeu über ben möglichen ©rfafe hinaus angreifen, obet gu fchwadje, bie ben Sternen überhaupt nicht genügenb auregen, unangenehme ©efühle erweefen. 3n biefet Raffung bütfte baS ©efefe nUerbingS beit thatfächlichen Sterhältniffeu mehr entfpred?en ; ein ©runb, weshalb eine folche partielle görbetung ober Hemmung bet gunftionSfähigfeit beS Stetoen angenehm ober unangenehm empfunben werbe, ift aber hiermit ebenfo wenig als früher gegeben.

Snbeffen, ben ©ruub weife ja bie SBiffenfchaft für bie we* nigften (Stfcheinungen angugeben, unb fo mögen wir unS bei biefet thatfächlichen ©rflärung beruhigen, bie mit ber früheren fich infofern in ©inflang fefeen läfet, als man annehmen faun, bafe ^Dasjenige, was ber eingelnen Steroenprooing angemeffen obet

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unangemeffen ift, bei weiterer Ausbreitung feiner Sßtrfung fich ebenfo audj für’8 ©ange fceö fflernenfpftemS unb folglich auch be$ DrganiStnuS erweifen werbe. Unb fo fönnen wir ctUerbingS auch mit giemlich gutem fRedjt bie ©efühle wie SMc^ter unb SSeratber uufeteS SöohleS anfehen, bie un8 cot bem ©chäblichen warnen unb ba8 ^eilfame unb ©ebeihliche unS angeigen, wenn» gleich wir immer beffen eingebenf bleiben muffen, ba§ bamit für bie ©rflärung bet 9tatur unb beS SßefenS ber ©efühle, fowie ber Art ihrer SSirfjamfeit noch nicht baö Winbefte gefagt ift, unb bafj übetbieS breite Ausnahmen bie ©eltung unfreS @e= fefjeö febr erheblich befchränfen.

Söir wenben un8 je£t gur ©intheilung ber ©efühle. Am meiften Anhänger gählt DieÜeictjt bie nachftehenbe, bie non Äant angebeutet, non feinen ©<hületn weitet auögebilbet ift, in finn» liehe, äfthetifche, iutelleftuelle unb moralifche ©efühle. SDiefe ©intheilung grünbet fich auf bie nerfchiebenen ©eelenoer* mögen, infofern fie Duelle »on ©efühle« werben: Sinn, ©in* bilbungSfraft, 33 e r ft a n b , Segelten, ©efühle, bie au8 fiunlichen ©mpfinbungen flammen, heiffen f i n n l i d> e ©efühle. Aefthetifche ©efühle fiitb biejenigen, welche fich auf b*e $h®* tigfeit ber ©inbilbungSfraft, ?)han*aPe beziehen, bie ©efühle beS Schönen unb Jpäfclicheit bilben ben Hauptinhalt biefer Älaffe; intelleftuelle ©efühle finb biejenigen, weld^e fid) auf bie S3e* thätigung ber SDenffraft, moralifche enblich biejenigen, welche fich auf bie töethätigung beö SöegehrüngSoermögenö (SüillenS* fraft) beziehen. 3)iefe ©intheilung, obwohl weit baoon entfernt, über jeben Ginwanb erhaben gu fein, entfpricht noch am Weiften ber 3Bal)rheit unb farm am ©heften ben Anfprud) erheben, bie gange SJiannigfaltigfeit ber ©efühlSerfcheinungen gu umfaffen. IBenufjen wir biefelbe, unö mit ihrer Hülfe einen Ueberblicf übet baö gange ©ebiet ber ©efühle gu oerfchaffen.

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1. SDie finnlichen ©efüljle; ihre 3«hl ift fehr grofj unb ihre ©lieberung pd^ft mannidhfaltig. 2Bir unterfcfceiben gunädhft a) bie eigentlichen © inne3 = ©efühle, b. h- bie* jjentgen, welche fidf; an ben SSahrnehmungen ber fünf ©inne geltenb machen. 9lngenehme ober wibrige ©erüdhe unb ©e* fchmäcfe bet alleroerfchiebenften Dualität, als beS ©üfjen, ©al» gigen, ©auern, SÖafifchen. Beim Taftfinn unterfdjeibet mau bie ©mpfinbungeu ber Temperatur unb beS 35tucfeS; beibe finb mit mannigfachen ©efüljlen oerbunben. Siecht complicirt finb bie Temperatur »©efüfyie; wir haben gunädhft allgemein äöärme* »nb Äälte* ©efühle; beibe fönnen angenehm ober unangenehm fein (behagliche SBärme, erfrif^enbe Äüljle, beeugenbe .fpitje, fröftelnbe Äältefdhauer). Slufjerbem ift gu unterfdjeiben gwifchen ben Temperatur=@ntpfinbungen ber eingelnen taftenben ©lieber unb bem ©efammtgefühl beö gangen Äörperö; erftere werben mehr auf einen eingelnen heifeen ober falten ©egenftanb begogen, le^tereS mehr als behaglicher ober unbehaglicher 3uftanb beS gangen Organismus (mir ift h«fe, fall u. f. w) empfunben. 9luch bie 3)nirfempfinbungen geben gu mannichfadhen ©efühlen 5Änlafc: bahin gehört baS ©efühl beS Äi^elS bei leifen, ftrei« chelnben, fchnell wieberl)olten Berührungen, baS angenehme ®e* fühl bei Berührung einer feften, glatten unb ba§ unangenehme beim Berühren einer fiebrigen, fihmierigen Oberfläche. Gnblidj finb bie Suft* unb Unluft*@mpfinbungen beS ©cficfctS unb ©ehörö gu betrachten.

ÜDie reinen ®inneS=©efühle beS IMugeS unb OhteS begegnen unS in unfrem hachentwicfelten pfpdhifchen Seben »ergleichSweife feiten unb fpielen anfdjeinenb eine geringfügige Siotle. {Reine, leud^tenbe Farben, hellee, «i<ht 3U 8«0e® Sicht, fanfte, auch lebhaftere reine Töne wirfen befanntlich angenehm; grelle, un*

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reine garben, übermäßiges 8idjt, 311 ftarfe, fchride Stöne wibrig auf unfre Sinne ein.

Stile biefe SinneS»@efühie finb baburch d^ara fteri firt, baß fte mit ben SinneS*@mpftnbungen nahe »erwanbt, gleidE? biefen auf andere ©egenftänbe begogen werben, fowie gweiteuS baburch, baß wir unS be$ SißeS biefer ©efühle, b. h- ber biefelben em* pfinbenben .Körperteile beutlich bewußt finb, baf) biefelben, wie man fagt, beutlich lofalifirt finb. SDurd) SöeibeS unterfcheiben fie ft<h wefentlich non ben Organ* unb ©emein*@efühlen. Unter Organ*© ef fielen »erfteljt man biejenigen ©efüljle, welche fit auf ben 3uftanb eirteö leiblichen Organs begiehen. ©es mein*@e fühle tagegen finb biefenigen, weite entweber fcurch ißre allgemeine SBerbreitung ober burt ihre Stürfe ftdf? merflit in’S 33ewußtfein brüngen ; alle ftarferen ober wittigereu Organ» gefügte werben bal}er fofort gu ©emeingefütjlen, währenb bie minber ftarfen unfrer Slufmerffamfeit für gewöl)nlid) entgegen, ©in Organgefühl ift 3. 33. baS Slt^mungflgefü^l, alfo baS mit bem leichten unbe^inberten Slthmen in gefunber 2uft Derbunbene SBohlgefühl, ober im gegenteiligen galle bie 33eängftigung beim 2ltmen in oerborbener Suft ober bei innerlichen 2?ehinberungen ber Sungentljätigfeit; ebenfo ift bie llebelfeit bei überlabenem SJtagen gunütft ein Organgefühl. 3lber in bem einen wie in bem anbern gade bort wegen ber Sßidjtigfeit beS SUljmungS* proceffeS für bie ©rhaltung beö gebenS, hier wegen wichtiger confenfueller SSerbinbungen , beherrfchen berartige ©efühle bie gange augenblicflite Stimmung unb werben fomit ©emein« g efühle. 2)ie befannteften SSertreter biefer ©ruppe finb: $un* ger, 3)urft, © ^ m erg , SBohlbefiitben u. ®. m.

3t bebiente mit foeben beS SBorteS „Stimmung", baS gefdjah nicht Don ungefähr; beim getabe für biefe Sphäre ber Organ* unb ©emeingefühle ift ba8 Sßort befoitbetS be3eichnenb.

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Sftait rerftet)t unter „Stimmung" baS 3ufamtnentoirfen mehrerer ©efttble im ISemufjtfein unb ihre ^Bereinigung ju einem SRifd?» gefübl- 35a nun jebeS bet gablreidjen förderlichen Organe in jebem Äugenblicf ein feinem 3uftanbe entfprecbenbeS ©efübl l)at, mag baffelbe aud) für ftch nodj fo menig in'S Serou&tfein treten; fo m«| ftreng genommen itgenb eine Stimmung in jebem 9Ro* ment ju Staube fommen. ©emöbnlid) aber fptedjen mir ron Stimmung in gutem ober fcbledjtem Sinne nur, menn ftärfere ©efttble berfelben nad? einer ober ber anberen fRidjtung ^in eine entfcfeiebenere Färbung geben.

©nblidj ift hier nod) ber fötuSfelgefiible, b. b- berjenigen ©efttble ju gebenfen, melcbe bet Stijätigfeit ober JRube unferet 9Ruefeltt entfpringen. Slucb bieS ift eine feljt zahlreiche unb »ielgliebrige Gruppe. S5ie 3abl unierer 9RuSfeln ift ziemlich grefj unb jeber fDfuSfel, fann man fagen, fyat fein befonbereS, nad) ber 3al)l unb Sänge feiner gafertt, nad) feiner Sage im JDrganißmu8, nad) ber größeren ober geringeren £äufigfeit feineS ©ebraucbS unb nad) anbern Umftänben abgeftufteS befonbereS SRuSfelgefiibl. 55ie ©ruppe ift oon befonbetcm 3ntereffe nicht nur megen ber Jpäufigfeit il)reS 33orfemmenS, fonbern baupt* fachlich, meil bie SORuefelgefüble ben aBgemeinften unb midjtigften Saftet für baS 3uftanbefommen ber SinneSrcabrnebmniigen ($. 2?. ben SKugenmuSfelgefüblen oerbanfen mit bie räumlidje SBabrnebmung) unb ber böbe*cn ©efublSgattungen auSmadjen. 2118 befonbere Slrten beS fDtuSfelgefiiblS fommen in betracht: baS Suftgefüljl beS tbätigen, baS ©rmitbungSgefitbl beS au» geftrengten, baS Suftgefübl ber ©rbolung beS crmübeten, baS Unluftgefübi beS fräftigen 9JluSfelS in ber JRube.

2. SSir fommen nun ju ben äfthetifchen ©efüblen, bie matt aud) fPbantafie=©efüble geitannt bat, weil fie auf ber Ubätigfeit ber ©inbilbungSfraft beruhen feilen. 3unäd)ft muffen

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wir Berroecpöluugen abwehren. Bicht $u teu ^J^autafiegefü^len ift ju regnen, wenn irgenb ein ©efühl burd j bie ©rinnerung ober Bhantafie oorgeftellt wirb; 3. B. ich erinnere mich eine« früher erlittenen Schmerze« u. bgl. £ier änbert bie ©rinnerung Glicht« an ber Qualität be« ©efühl«, baffelbc erfdjeint in bet BorfteHung nur etwa« blaffet, unbeftimmter, bleibt aber finn» ©die« ©efühl. ©benfo wenig barf ber Siame „äfthetifdjeö ©e» fühl" baju oerleiten, alle biejenigen ©efühle barunter ju be* greifen, welche bem ©enuffe be« Schönen in Äunft unb Statur entfprangen. greilid) mu& idf fogleich beoorworten, bah ba« 5Sort fehr häufig» unb zwar oon heroorragenben gorfchern aller* bing« in biefem Sinne gebraucht wirb. Snbeffen überzeugt man fid) leicht, ba§ j. B. bie Betrachtung eine« Äunftwerfe« je nach bem ©egenftanbe, ben barfteUt, bie aüeroerfchiebenften @e* fühle, al8 be« SJtitleib«, ber Sinnlichteit, be« Slbfcheu’«, turj ©efühle, bie unzweifelhaft nicht in biefe klaffe gehören, erweden fann. 3Bit muffen obige «Definition alfo auf bie f. g. for« male Schönheit einfchränfen. SSber auch fo ftimmt bie !De* finition nicht recht, ba einmal bat) ©ebiet be« ©chöueu ein weitere« ift, al« ba« ber blojjen gorm, anbererfeit« aber auch bie in Siebe ftehenben ©efühle außerhalb be« eigentlichen ©er- biet« be« Schönen oorfommen. Süchtiger bürfte baher fein, bie äfthetifchen ©efühle ju bezeichnen als gorm* unb Ber» hältnih*©ef ühle. Sludj mit biefer ©infchränfung unb näheren fhärifitung bleibt bie ©ruppe berfelben immer noch fehr zahl* reich unb mannichfaltig. ©8 gehören bahin bie Harmonie ober «Di«hainronie oon garben unb £önen, Sthpthmu« unb SJlelobie, auch ber f. g. Stumeru« ober SöortfaH ber SRebe unb be« Berje«, ferner Symmetrie, Berhältnifj ber ST^eile zum ©anzen unb untereinanber, Umtifj unb gotmen ber glächen unb .Körper (SRunbung, SBellenlinie u. bgl.). hierher

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bürfte auch baS mathematifdj (Erhabene, b. h. ba§ Staunen über feßr große SRäume, Äörpet ober Äräfte gehören, obwohl baffelbe in ©emeinfeßaft mit bem fittlid) (Stfyabenen meift ben moralifthen ©efüßlen gugeredjnet wirb. SebeS bet ge* nannten ©efüßle ift wieber in fi<h äußerft mannichfad) geglie» bert, id) braune nur an bie unenblic^e Sßannidjfaltigfeit ber £armonieen, bet 5ütaß» unb gornuSBerhältniffe gu erinnern; unb getabe bie äfthetifdjen ©efüljle haben gasreiche, tiefgehenbe fragen, weldje auf bie ©tforfchung be3 SBefenS berfelben abgielen, ^er* »orgetufen. SBeShalb biefeS 2onoerl)ältniß; not jenem baS £>hr befriebigt, biefe gorm beffer als jene bem äuge gefddt, baS finb fragen, bie gu äußerft jubtilen, mathematifdjen unb pt)i>fiolo* giften Unterfudjungen geführt ^aben, ein faft uuüberfehbareS unb ^öd^ft intereffanteS JDetail, auf baS mir fyier nidjt eingefyen fönnen. 5Rut baS wollen wir im allgemeinen unb rein tljat* ädjlich bemerfen, baß eS immer möglidjft einfache IBethältniffe finb, bie gefallen; fo gefaüen bie Stonoerbinbungen bet Cftaoe, wo bie SdjwingungSgafylen fid^ wie 1:2, ber Duinte, Duari, ber großen uub Keinen £erg, wo fie fid^ wie 2 : 3, 3 : 4, 4 : 5 unb 5 : 6 »erhalten. Sehnlich bei ben garbenoetbinbungen, bie nur bann fyarmonijdj wirfen, wenn fie nafyegu fomplementär finb, b. h- in SBeiß fid) ergangen; fo gefallen SJlaßoerhältniffe am SSeften, wenn fie bem SBerfyöltniffe beS golbenen Schnittes entfprechen; fo folgt baS bewegte äuge lieber bet gleichmäßigen Krümmung beS ÄreifeS ober einer Äuroe, als eefigen ober gar unregelmäßigen Äontuten u. f. w. 2)odj wie gefagt, ift \)\n eine foldje $üHe »on mannigfaltigen ©efeßen uub näheren 93e- bingungen, bei jebem bet genannten üBerßältniffe auberS, baß jebeS berfelben eine förmliche SBiffenfchaft für ftch bilbet.

3. SBir fommen gu ben intelleftuellen ©efüßlen, b. ß. ben bie 2)enftl}ätigfeit begleitenben. 3)aS 2)enfen hat fein eigen«

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ttjümlidje§ Suftgefübl in unmittelbarem ©efolge; eS macht eine gewiffe grenbe, einen fdjwietigen 3ujammenbang ein^ufeljen. 8uch »et fünft fein Sntereffe an ber ÜJiatbematif bat, »itb fidj eine8 merflicben SoblgefaüenS nicht erwehren, »enn er bem 33e* weife eines 8ebrfaj5eS folgt unb beffen einzelne ©liebet wie ein woblconftruirteS Snftrumeut fd^arf in einanbet floppen fielet. IHuch biefeS ©efübl bflt feine mannichfachen Slrten unb ©rfchei* nungSformen. ©aS 8uftgefüljl, welches bem Suchen unb 8or* fdjen fein 3ntereffe »erleibt, »ie 3. 33., wenn wir einem {Rätbfel ober einer wiffenfchaftlicben grage mit ©ifer uadjbenfen, weites ber Sifcbegier uub 9t eu gier 3U ©runbe liegt, hübet bie eine Seite, ihm fteljt als entfprecbenbeS Unluftgefütjl baS Unbeftie* bigtfein beS 9iichtfinbenfönnen8, beS 9tid)t»etftebenS unb 9ticht= begreifenS gegenüber. 33egleiten biefe ©efüble baS 9ta<bbenfen in feiner fucbenben St^ätigfeit, fo ift baS gum 5lbf<bluf3 ge* brachte ©enfen Duelle anberer ©efüble. ©aS ©infeljen, baS SJerfteben beS 3ufammenbange8 erfreut unS umfomebr, je größer bie Spannung beS SucbenS war, bie ibm »otaufging, »ie ein fHdjtftrabl, ber baS ©unfel aufbellt, bem 9luge wobltbut. 3Bir müffen bi« abfeben »on bem meift binjufommenben ©efübl ber greube am ©rfolge, am ©elingen ber ©enfarbeit, bie in bem 3ubelrufe svQtjxa ebenfalls ihren SluSbtudf finbet. SDiefeS @e> fühl, welkes alle unfere erfolgreichen 33eftrebungen begleitet, wirb unS fpater noch begegnen. £ier hoben wir eS blof) mit bet greube am 3ufammenhange, am ^lannollen, ©inbeitlichen 3U thun, einem ©efübl, bah in feiner 2lrt gang ähnlich ift bem SBohlgefallen am $armonifchen, am einfachen 9 Jtah* unb ©pm* metrieoerhältni|. 3hm fte^t gegenüber bie Unluft am Un« begriffenen, ©unfein, SSerwortenen. Seinen «fjöbepunft erreicht jenes 8uftgefübl in ber greube übet ben Sifc, welcher in blty* artig überrafchenbet Seife einen unerwarteten 3ufammenhang

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in befonberö fchlagenber Weife bartljut, unb feinem 3«>ißingS= btuber, bem Scharffinu, ber gwifd?en fdjeinbar ©leidbem in bie äugen fpringenbe Unter] djiebe bercorhebt unb babutd) »er= wirrenbe Wiberfprüche befeitigt. ©benfo ift jenes Unluftgefithl einer erheblichen Steigerung fähig, t»*e Sie tniffen, wenn un* ferem Berftanbe etwas befonberö ©ummeS, fpiatteS unb gabeS bargeboien wirb. Bon hier bietet ftch wieber eine weitere $>er* fpeftioe in bie ©ebiete beS Äomifchen unb ^umoriftifdjen, bie aber anbererfeitS wieber mit anberen ©efühlSarten (äfthetifcbett unb moralijchen) gufammenhängen.

@rwäi)nen will id) noch, ba§ bie meiften Bearbeiter unferer SWaterie noch ein WahrheitS=©efühl annehmen, wobei aber theilS eine Berwechfelung mit bem im ©ingange erwähnten bunf* len ober inftiuftioen ©rfennen unterläuft, theilS nur eine anbere gorm beS oben erwähnten ©efatlenö am $)lan»oHen, ©inheit* liehen, Begriffenen gemeint fein bürfte.

4. Wir fommen nun gut eierten gamilie, gu ben m o t a l i f ch e n ober fittlichen ©ef fehlen, b. h- benjenigen 2uft* ober Un* luft*©mpfinbungen, bie ftch auf bie Berbältniffe beS Begehrens unb WilLenö unb ber aus bemfelben refultirenben £anb* lungen begehen. $erbart hat mit SRecbt barauf aufmerffam gemacht, bafj baö fitiüdje Wohlgefallen äehnlichfeit mit bem äfthetifchen habe, et rechnete baffelbe fchlechthin gut äefthetif, bie et bann in eine äefthetif im engeren Sinne unb ©thif glieberte. Wie uns förderliche Berhältniffe garben*$£on*Berbin* bungen ober golgen balb gefallen, balb mißfallen, fo »erhält eS ftch ebenfalls mit WiQenSbethätigungen, unb auch baS ift richtig, bafj in beiben gäOen baS ©efaflen unb BJitfcfallen ein nninter* effirteS abfoluteS, b. h- »ou 3 werfen, ©unft ober Ungunft, Bor* theil ober Bachtheil unabhängiges ift.

©S ift ein fehr gtofjeS, wichtiges unb noch giemlich bunfleS

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@ebiet, mit bem wir eS hier $u tijun ^abett; uttb eS ift dufjerft fermer ober »ielmeiw unmöglich, über baffelbe eine uollftänbige, gecrbnete lleberficfyt ju geben, jumal wenn Äürge unb Seidituer* ftäubiicfsfeit bie ^>auptxücffid>t ift. 3dj will Sfynen, ofyne jebe (Garantie bei ©oflftänbigfeit unb fRidjtigfeit, nur um an ben nnd'tigften ©eifpielen eilte ©orftetlung Den bem SBejen unterer ©efüblögruppe ju geben, folgenbe ^auptgruppen mit il)ren widj* tigften Unterarten auf^äljlen.

A. Selbftgefüt)lc. 3)a^in gehören: Selb ft liebe, ©goiS» muä, @brgefül)I, ©briiebe, ©efüble ber Selb ftbeurtb ei* lung, als Sdiaam, JReue, Stolg, Selbftgefdfligfeit.

B. <Snmpatl)ie*@efüt)le: HJHtleib, SfRitfrcube, 9ied?t8= gefüljl, Siebe, gpa§, 2ld?tung ©eradrtung, fJRenjcbenliebe, @e= meinfinn.

C. $raft=©efüble: Suftgefüljl ber eigenen Äraft unb fRüftigfeit, beSgl. an feber größeren Äraftwirfung, baS ©efübl ber ©efriebigung, weldjeö jebe anftrengenbe ©ejcbdftigung mit fid} fitt>rt, ftreube am (gelingen.

D. iflutori tat 8* ©efüble, als : @l)rfurd)t oor ©ater unb üRutter, not bem 9(Iter, uor ©efep unb Sitte, ^Patriotismus, religicjcr Sinn u. f. w.

©ei jeher biejer ©efüblSflaffen wäre nod) ein u. f. w. bingujufügen unb aufjetbem nod? baS gegen tl)eiligc Unluftgefübl gu berücffidjtigen. SBenit idi über alle biefe @efül)le unb @e* füblSgtuppen mit bet bloßen unb nodt baju fragmentarifdben Slufeäblung bintueggebe, fo gefdjiebt eS nid)t, weil id) benfelbro eine geringere SSBicbtigfeit beilege; im ©egentbeil, eS finb bie t)öd)ften unb Ijeiligften ©efutjle, bie eine SRenfdfenbruft befeelen, unb eS finb 3ugleicb auch biejettigen, weldie bie l)dufigften, wid)« tigften unb unmittelbarften Antriebe für unjer ganzes gpanbcln, bie breitefte ©afiS für unjere Stimmungen, für unfer geiftigeS

XL 219. 2 (363)

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SBohh itnb llebelbefinben bi(bcn, fonbern weil i<h »cn ^>aufe auß batauf nergidjten mufj, 3h«en biefe hochentwicfelten unb compli* cirten ©efithlSgebilbe in bet Äürge bet mir gegatteten 3eit aud } nur um ein ©eringeS näher gu bringen unb »erftänfclicher 3U machen, als fie eS einem Seben nach bem ©rabe ber tfym inne* wohnenben SebenSetfahrung bereits finb. ©ie größten 3»?eifel wegen ber Ableitung unb &lafftficirung walten Ijiet oh, unb' wäljrenb bie früher bestochenen ^auptflaffen fidj als oergleid?§* weife einfach unb ihrem SBefen unb ihrer Sßerurfachung nach fid) im Allgemeinen als »erftänblich erwiefen, fo erfcheint tyev mm »ornherein wenigftenS unmöglich, gut 3uriicffithrung biefer höheren ©efiihle auf einfachere ©lemente unb auf eine phuftolo* gifche 33afiS auch nur einen ungefähren Anhalt gu gewinnen.

SBetfen wir mm hie* noch einen 33lid auf bie burcfclaufene JReihe guriicf, fo crfieht man leicht, bafe wir »om ©infacheren gum Bufammengefehteren fortgefchritten finb. ©ie finn liehen ©efiihle finb offenbar bie aüereinfachften. ©in äußerer 9?etg, eine hhbfiMitöe ÜHolecular*©<hwingung tritt an baS periphe* rijehe ©nbe eines fenfibeln 9ler»cn, unb bamit ift bie angenehme ober unangenehme ©mpfinbung fofort gegeben. 2Öir wiffen, wie gejagt, nicht, weshalb biefer JHeig ein angenehmes, jener ein un* angenehmes ©efühl ^erüorruft, aber fehen wir h'eroon ab, fo ift ber Hergang ein gang einfacher. AnberS bei ben äfthetifchen ©efühlen. ©iefe beruhen auf bem JBerhältuiffe gweier ober mehrerer ©innengefüljle gu einanber, fo wirb baS ©diwingungS» »erhältnifs gweier STöne gu einanber als Harmonie ober ©iffo» nang empfunben. ^>ier fommt gu ben baS 58erhältni| bilbcnben ©inneSgefuhlen etwas flleueS hingu, baS ffierhältnifjgefühl, unb gu ben ungelöften fragen, welche bie einfachen ©inneS« gefühle beroorrufen, fommeit nun noch neue unb fdjwietigcre hingu, woburdj wir baS SBcrhältnifj empfinben unb weshalb unS

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biefeö 5krt)ältm£ angenehmer al§ jenes ift. 3«beffen auch bie äfthetifcheu ©efüljle erfcheinen un§ noch als gang einfache ®e= bilbe, wenn wir fie mit ben intellef tuellen Dergleichen.

3nbeffen lä§t ficb fyier noch wenigftenß eine Sermuthung wagen. 2Bir i)aben bei bet ^Betrachtung ber äft^etifd?en ©e» fiifjle bie Styrtfad)* feftfteQen fönnen, bafc e8 bie einfacheren SJerhältniffe finb, bie unfev 5Bo^lgefaIIen erwecfen. @8 ift fefjr mcglid?, baff tag intelleftuelle Suftgefü^t ein bem äfthetifchen nerwanbteg ift unb barauf beruht, baff bie un8 Derwirreube unb beängftigenbe fDiannichfaltigfeit non 33orfteUungen, ^Begriffen unb Urteilen burd) bie benfenbe ©rfenntniff auf eine einfache 9tegel gurücfgeführt wirb. (Sine folche SSerwanbtfchaft ift beim 2Bi£ ujib bem mit ihm gujammenhängenben Äomif^en fogat bireft angebeutet.

Sie oierte ^auptgrupve ber moralifehen ©efütjle ift nun, wie ©ie auf ben erften 23licf feben, natürlich noch ungleich gufammen» gefegter, als ade oorherigen. 2Benn wir beim ©innengefühl bie üfteroenfafer nachweifen fönnen, welche ben ©i£ ber ©cbmcrg» ober i?uftempfmbung bilbet, bei ben äfthetifdjen wenigfteng bie fRercenproting begeichnen fönnen, in ber wir bie ©efühlS* quelle gu fuöhen h“ben, wenn bei ben Senfgefühlen unö in biefer 5Begiel)ung mehr ober tninber beftimmte SRuthmaffungen geftattet finb, fo blicfe» wir bei biefer lebten ©ruppe noch oöllig inö 33laue, in§ SBage hinein. Sie oben erwähnte Annahme £>erbart’8, baff bie moralifchen ©efühle ben äfthetifchen oerwanbt feien, gehört ebenfalls gu ben 33ermuthungen. SBenngleich fie in Dielen SBegiehungen 2Raud;e§ für fich hQt 3- ©• baß abfolute, intereffelofe ©efallcn am ©ittlicheii, unb wenngleich fie im All» gemeinen wohl richtig fein wirb, fo ift bieS Allgemeine hoch fo allgemein, bafc eben nicht Diel bamit gewonnen ift. Sie fitt* liehen ©efühle finb faft burchweg folche, welche auf ber gangen

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5>etfönücfeEeitr bet phpftit«» ©efammtejrifteng, auf ©elbftberoufjt* fein, ©elbftgefühl, G^arafter, Stemperament berufen, lauter SDingen, bie ben lebten ungelöften grasen unfever Sßiffenicbaft tfjeilß angelten, ttjeilß nahe fteben.

3)ie oorgeführten ©efühle bilben uun eine Hauptabthei* lung bet ©efühle, biejenige bet materialen ober quali* tat inen ober aut fijren ©efühle, wie man fic begeidntet tjat, wäl)tenb bie gweite Hauptabteilung biejenige ber formalen ober nagen ©efühle, bie it am liebften bie fecunbären ®e* fühle nenne im ©egenfajg gu jenen, bie man alß bie prima» ren begeidmen fann, not im IRücfftanbe ift. Üluf biefe müffen wir um fo mehr not eingehen, alß biefclben gngleid) einen ©in* blicf in bie SBer^ältniffe ber ©ittwidflung unb beS Setfaufß ber ©efühle überhaupt gewähren, womit bie Set)re non ben 2empe* ramenten, nom S^arafter unb Slnbeteß gufammenhängt, waß in einer wenn aut not fo allgemein gehaltenen ©figge ber 9iaturgeftitte ber ©efütjle unmöglit übergangen werben fann.

©in Seber fann fit baß ©efühl benfen, mit weitem ein Patient einet beoorftehenben Operation entgegenfieljt, ift baß ©efühl ber gurtt nor bem ©tmerg ber Operation, b. h- bie SSorftellung beö erlittenen ©tmergeß alß eineß in naher Bufunft fit wieberholenben. IDet ©tmerg ber Operation ift hier bie Söafiß, baß ©tunbgefühl; bie B»itt baß abgeleitete, ©ejjen wir an bie ©teile beß fßrperliten ©tmergeß ein anbereß Unluftgefühl, fo änbert fit mehr ober weniger erheblit bie $5t* bung beß fturttgefühlß ; bie gurtt oor bem SOobc ift eine an* bere, alß bie Butt* »or einem Sermögenßnerluft. ©benfo wie mit ber ©rcfee beß befürtteten Uebelß, nimmt baß §urd>tgefühl mit bet größeren ober geringeren 9tdl)e, ©ewifteit aber ÜJtög* litfeit beß Uebelß eine oerftiebene ©tärfe unb Färbung an; fo bie SEobeßfurtt, wenn fit einmal um ben im Saufe

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bet 3aßte naturgemäß unS erwartenben ober um einen naße beoerfteßenben gewaltjauien 2ob ßanbelt. DiefeS eine Seifpiel mag bagu bienen, 3ßnen von bet ganzen .^auptflaffe eine »et* läufige SBorfteOung gu gewähren. iHeßnlicß wie bie gureßt, oet* ßält fieß ißt ©egenpart, bie Hoffnung, oetßalten fteß greube unb fieib unb vieles 2lnbete.

SBerfen wir gunätßft einen crientirenben ©eitenblicf auf bie anberen ©efüßlSentwtcflungen, welche gujammen mit ber unfrigen ben ©efammt»Umfang unb 3nßalt unfereS pfpdjijtßen ©eins auS* maeßen.

I. Die ©efüßle finb alfo gunäcßft 2lnlaß unb Jriebfeber beS DenfenS unb beS bunßbacßten £an» belnS. 2iHt fonnen eS ßiet baßtn geftellt fein laffen, ob bie ©efüßle, wie behauptet wirb, bie einzige Duelle unb bie alleinige Iriebfeber beö DenfenS auSmacßen, ober ob leßtereS nod) befon« bere, ißm von £aufe auö eigentßümlicße Antriebe, g. 33. baS f. g. tßeoretifdie 3ntereffe aufguweifen ßat. 2Bie eS fieß bamit au<ß verßalte, ficßerlicß bilben von bet ©pßäre unfetet gefammten Denfentwicflung bie ©efüßlSteaftionen unb SöillenSbetßätigungen ben vorneßmften unb widjtigften 5£ßeil; fitßerlidj finb eS unfete ©efüßlSintereffen, bie ben SRittelpuuft unfeteS gangen DicßtenS unb SracßtenS einneßmen. Die ©efüßle treiben unmittelbar gum Denfen, gum 9la<ßbenfen übet bie befte 2hrt, ben bureß fie ergeugten 33ebürfuiffen, SSegierben u. j. w. abgußelfen. Diefe erfte 21 rt bet ©ntwitfluug bet ©efüßle, bie (Sntwicflung bet ©e* füßle gum Denfen, wollen wir „Denfentwicflung" nennen unb für bie weiteten Untetfucßungen im ©ebäcßtniß beßalteu.

II. Die grneite ©ntwicflung bet ©efüßle ift biejenige, welcße i(ß bereits gu fdjilbern verfudjt ßabe, eS ift bie ©ntwicflung ber qualitativen SSerfcßiebenßeit ber ©efüßle unb ber einfaeßen ©inneSgefüßle gu ßößeten unb gnfammengefeßteren ®e«

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füblSgebilben. Sie gro§e 5Rauni(bfaltigfeit bec Betriebenen @e* fütjISquatitäten (@e|(£macfö=, ®etud)8», ©ebörS» u. f. w. ©efftb(e) habe id? auSfübrlid) bargelegt unb gegeigt, wie ftd) auf ben »et: fdjiebenen Dualitäten ber ©tnneßgefüble bie höheren Äomplere bet äftljetifdjen, inteUeftuellen unb motaliren ©efüble aufbauen, wenn» gleich »it un8 in leitetet Söejte^ung tbeilweife mit bloßen 3lnbeu= tungcn begnügen mufjten. Ser Aufbau bet höheren Q5efü^löf omplejre auß ben einfachen finnlicben ©efüblen gcfd^te^t burd) ©ruppi» rung unb .Kombination bet leiteten. 3wei Jone, bie gufammen erflingen, geben eine Harmonie ober Siffonang, mehrere 33ot» fteflungen tombiniren fid? gum Segrijf, mehrere begriffe gunt Urtbeil, weldb« -Kombinationen gu ben 3b«en gef(bilberten in» telleftuellen guftgefiitjlen am ©inbeitlicben, Surd)bad)ten, SBifcigen u. f. w. Slnlafj geben. 9Tuf noch bö^^60 .Kombinationen be= tuben bie moralifdben ©efüble. @8 ift baber erlaubt, biefen gangen 9ieidbtbum an qualitatioer S3etfdbiebenbeit, wie ibn bie finnlicben, äftbetifcben» inteOeftueHen unb »noralifcben ©efüble geigen, alß eine mannid)facb bifferengiitte .Kombination unb ©rup» pirung eineß urjprünglid)cn unb einfachen ©mpfmbungßguftanbeß (einfachen 9iet»enprogeffeß) aufgufafjen.

III. Sie britte 9lrt bet ©efüblßentwicflung, biejenige, mit bet wir e8 bauptfäd?lid) beute gu tbun b^ben, ift bie ©ntwicf» lung ber qualitativ oerfcbiebenen $)r imär»@efüble gu ©ecunbär»©efüblen, b. b- gu ©efüblen üon ©efüblen, g. 53. be8 ©cbmetgeß gut gurcbt oot bem @d)metge, ober gut £>off» nung auf bie 33efeitigung be8 Uebelß unb »on Sehnlichem. Sabin gehört ba8 ©icbfreuen über ©twaß unb auf ©twaß, Stauer, ©orge. 3a, ba8 feeunbäre @efül)l fanit feinerfeitß wiebet iänlafj gu einem ©efübl britter Drbnung werben; fo. freut man fidj auf eine greube, g. 33. be8 SSieberfebenß eineß 23efannten ober 3$erwanbten, unb bie ©efpenfterfuvcbt ift bie

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Burdjt, bafj mau fi$ cor bet übematürlidjen ©rfdjeinung, wenn fte erfdjiene, fürsten werbe, alfo bie §urd?t cor einer %\xxijt, ba ja wirflidje Sefdfjabigungen ben ©efpenftern niemals nadj* gefagt werben.

£>ic Senfentwicflung ift bie einfache, unmittelbare unb notljwenbige §clge beS ©efüljlS, fic ift eine SReaftion auf baffelbe unb auf bie Sefdjwidjtigung beS ©efüfylS gerietet; bie q u a l i = tatice ©ntwidflung ift eine oon #aufe auS gegebene 9Ran» nidifaltigfeit con ©efüfylSarten, bereit jebe 9lnlajj gu SReaftionen unb folgetceife jur ©enfentwicElung werben fann; bie Secunbär» (Sntwidlung folgt ber SDenfentwicflung nad?, ift eine burd? fie gefegte SDtobififation beS urfprünqlidjen ©efüfylS. ÜRan fann baljer unfere brei (fntwicfluiigen aud? mit ben brei SDimenfionen beS tRaumeS oergleidjen. ®aS ©enfen mit feinen auf fortwäi)* reube Serbefferungen ber eigenen ©lüdfSlage burd? Slbwetyr oon Uebeln unb ^erl'eifdjaffung oon ©fitem geridjteten unauSgefetsten Seftrebungen bilbet bie ,£)aupttid?tung beS feelifdjen SebenS unb fann bemnad? als bie fcrtfdtjreitenfce, bie 2ängen=2)imenficn beffelben, angefeljen werben. 5)ie qualitatice Serfdjiebenljeit ber ©efüfjle ift bem gegenüber offenbar eine jweite 3luSbel}nung, in ber fid) bet Strom beS Seelenlebens in größerer ober geringerer Sr eite bewegt. 'Drittens enblid? unb leidfjt $u unterfdjeiben oon ben beiben früheren, bilbet bie $rt unb Seife, toie unfere ©efüljle abgefeljen oon il)ter befonberen Dualität fid? weiter entwicfeln, fid? behaupten ober oorübcrgeljen, eine britte SluSbeljnung, pjir fönnen fie bie Siefen »IDimeufion beS Seelen» lebenS neunen. Sie wir bie Äßrper feljr oerfdjieben, halb in ber einen, halb in ber anbern unb britten üDimenfioit Jjaupt» füdjlid? auSgebeljnt fitiben, fo jeigen fid? ttnS aud? bie ÜJtenfdjen in jeber ber eben angebeuteten DRidjtungcu feljr oerfdjieben ent» wicfelt. ©8 giebt SDienfdjen, man nennt fie gemeinhin Set*

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ftanfceömenfc^cn, bie ebne merflidje ©efüblSwärme nur für ge* wiffe 2lrten oon ©efüblSbefriebigungen (©elb, @bre u. bgl.) raft» unb rücffit^teloö tbätig finb, für aQe@ ’Jlnbere aber ficfy üötlig unempfänglid) geigen. SÄnbete bagegen legen für alle mög» lidjen ©efüblSarlen eine lebhafte ©mpfänglid)feit an ben Jag, ohne jebod) für bie einzelnen leitet erregten ©efüljle eine an» bauernbe Jfyatfraft ober eine tiefere (Smpfinbung gu befi£en. Söieber anbere geigen ficfy non ben in ihnen erregten ©efüblen tief ergriffen unb au&erbem, bafj fie ber Serwirflidjuug betfelben in mehr ober minber energifdjer SBeije nadjftreben, geigen fie fidj »on ben fecunbären SRacbwirFungen il)rer ©cfüble in ihrem in* nerften ©emütbSleben anbauernb beljerrfcbt. 2luf ben fetjr mau* nitbfad) oerfd)iebeneu SSerfyaltniffen biefer Qfntwidelungen berufen bie ffieri'djiebenljeiten ber Jemperamente unb G^arattere, worauf id? cieDei^t nod) gurfuffomme. Slber aud) jebeS eingelne ©efüljl bat fein befonbereö Jemperament unb feinen inbioibuellen ©ba* rafter, inbem e8 baö einemat gur gwar tljatfräftigen, aber gleich* mütbigen Jpaublung führt, wie g. S. bie ©efüljle, bie un8 alle Jage ohne grofee ©emütbSbemegung gur bauernbeu unb oft an* geftrengten SerufGerfüllung treiben, ein anbermal eine breitere ©ntwicflung beö ©efüblSlebenö geftattet unb unö für ga^Ireid^e ©efüblSeinbrücfe neben fidj etnpfänglidj macht, melier SSrt etwa ba8 groljgefübl be$ wanbernben Jouriften ift, ba8 ihn mit offenen Sinnen alle fidj iljm barbietenben ©inbrücfe be^aglid) geniefjenb aufne^men läfjt, wabrenb e8 enblid) brittenS bie Strt mandjer ©efü^le ift, fidj tiefer unb tiefer in§ ©emütb eingubo^ren, wie ein Saum immer neue SEBurgelauöläufer immer tiefet inö @rb» reich ^inabtreibt, wie etwa bie 9lngft um b.ie 9lotb entfernter Sieben ober baä feurige ©ebnen einet jung auffeimenben Siebe, weldje beibe, mit fdjrecflicben ober wonnigen Silbern, bie $>ban*

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tofie erfüllen, ©efüfyle übet ©efühle b«cortufen, biß fd>lie%ltc^, wie man gu jagen V’fleflt, baß Her3 biß gum ©pringen ootl ift.

ÜJlit biefer wuchernben (Sntwicflung in bie liefe haben wir nun gn thun. Sit wollen nun einmal bem 3?erlauf unb Slblauf irgenb eitieß beftimmten ©efüljlß folgen, um fowohl übet bie Slrt unb Seife beß (SJefühlßoerlaufß, alß aud) über bie an ben» felben fid) fnüpfenben ©ecunbär--©efühle wenigftenß baß Haupt* fäc^üe^fte gu erfaffen. Sir wählen 3U biefer Unterfucbung ein raöglichft einfaches (Slementargefühl, nur non genügenber ©tärfe, bamit bie eingelnen (Sntwüflungßphafen mit einiger ^Deutlich* feit hetoortreten laffe, 3. 33. ben junger. 5?ie nächfte B^lge ift, wiffen wir, baß 23egebren nach ©peife unb Sranf unb bie 33ornahme oon J^anblungen, bie unß 33efriebigungßmittel oer» fchaffen feilen.

3unächft fällt in bie 2lugen, bah femohl bie ©tärfe bet ©efiihle, wie auch bie gröbere Seidjtigfeit ober ©cfywierigfeit itjrer ©efriebigung bie allemrfcbiebenften ©efühlßlagen 3ur golge haben muff. ©0 treten fchwadje Hungergefühle auf, balb nach* bem bet 3uftanb ber ©ättigung feinen H>ö^epunft überfd^ritten hat; nod) aber werben fie längere Beit burd) anbere Snterefjen, ^Pflichtgefühl, Slrbeitßeifer u. f. w. 3urücfgebrängt unb unbeachtet gelaffen, biß fie Rohere ®rabe erreichen, alß Appetit ober Hunger mehr unb mehr in ben 3$orbergrunb treten unb mehr ober weniger gebieterifch 23efriebigung ^eifc^en. ©ehr oerfchieben ift nun bet §all, je nabhbem bie Mittel 31er 33efriebigung bequem 3ur Hanb ober febwer erreichbar, in ihrem Erfolge gewifc ober ungewifj finb. ©0 befinben fid) in gan3 oerfchiebener ©emüthßlage: ber wchlh«benbe ©efchäftßmann, ber fein Gomteir fd)lief)t unb nach Haufe geht, um fidj an eine wohlbefteDte Safel 31t fe^en, ber hungrige Sauberer, ber noch einige taufenbmale bie 33eine 3U frümmen unb gu ftrerfen hat, ehe er ein gweifelljafteß Sirtbß*

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hauß gu erreichen hoffen batf, ober ber 0?eifenbe in umrnrthbarer ©egenb, bem ber $)rociant außgegangeit unb beffen Sättigung oon einem gufäHigen 3«gbglücf abhängt, ober ber 9lrme, ber ohne einen ^Pfennig in ber Safere feinen fnurrenbeit ÜJJagen an leefer buften* ben ©arfüdjen »orüberfütjrt, ober ber jdfreieube unb gappelnbe Säugling, ber nur bie Dual beß ^ungerS fühlt ohne überhaupt ein SDlittet ber 21l'hülfe gu wiffen. Söir fehen, wie um ein »er* gleichßmeife fo einfadjeß ©efüljl wie junger fidj fo gang »et* fdjiebene ©efüßlßlagen in größter 5Jlannichfaltigfeit gruppiren. 33on ber ©emißheit balbiger genußreicher Sefriebigung ber frohen (Srmartung, gur mehr ober minbet guoerfidjtlichen Hoffnung, welche übergeht iu mehr ober weniger hoffnungßrmHen 3»»eifel, gut gweifelnben Sorge, gur bangen gurdjt, gut fümmerltchen IRathlofigfeit unb gur blaffen 23ergwciflung eine lange, reich mobulirte Tonleiter. Unb felgen mir in biefelbe ftatt beß jpungerß ober ©urfteß irgenb ein anbereß ©efüßl, fo ift flar, baß baffelbe gu ebenfo manidjfach mobulirten Secunbär=@efühlen Stnlaß geben fann, nur baß je nach ber größeren ober geringeren Söidjtigfeit beß ©runbgefühtß bie gebßaftigfeit ber Stufenleiter eine ent* predjenbe Ülenberung erleibet. So madjt natürlich einen ge; waltigen Unterjdjieb, ob fidj um ©jfen unb Jrinfen, um bie Setraditung eine« Äunftwerfß, um baß Sawort ber ©eliebten, ©eminti ober SBerluft oon SBermegen, Seben ober Job geliebter fPerfonen unb bergleichen hanbelt. 3ft bie 3<*hl ber ^rirnait* ©efüßle feßon unüberfehbar groß, fo ift faum minber bie 3aßl ber möglidien Söiobulationen berielben, beibe 3ahleit einanber multiplicirt würben alß fProbuft erft bie 3ubl ber ba* mit gegebenen ©efühlßoerfchiebenheiteu liefern. Unb babei haben wir erft mit einer eingigen unb gmar giemlich eiitfabhen Jfom* bination gu tßun, nemlich mit bem 93erhältniß beß ©efühlß gut SDiöglidjfeit feiner Sefriebigung.

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Sit befinben unS mit biefen ©efühlSmobifif.ttiouen ge» wiffermahen noch in ben Bothöfen beS eigentlichen ©efühlSoer» laufeS.

Sir wenben unS nun gum ©efühlSoerlauf felbft, unb jwar gunächft 311m allgemeinen @ef ü^tSoerlauf, b. h- bie Art unb Seife, wie ©efühle auf einanber folgen; biefe Art unb Seife fann fehr oetfdjieben fein, baS Stempo unfetet ©efühtS* etregungen fann ein fdjneKeS ober langfameS fein, ober eS fönnen gleichartige ober heterogene ©efühle auf einanber folgen. Auf bem Sempo bet ©efühtSfolge beruhen gum SEheil bie ©e* fühle ber Sangen» unb Äutgen^ Seile, nur ift babei gu be* a^ten , bah und auS oerfchiebenen ©rünben bie 3eit lang «erben fann, 3. B. aud) wenn eine fehnlicf) gehegte ©rwartung fich nicht erfüllen will ; wah*enb bie Aufeinanberfolge gleichartiger ober ber Sedjfel heterogener ©efühle, ©efühlSoerhaltniffe heroorruft, bie ben aefthettfdjen ©efüljlen ber Jparmonie unb SDifjonang analog finb unb uns eine einfarbige in Seib ober greube ftatiouaire ober eine wechfelooll bewegte Stimmung ober eineu unerträg» lidjen Sirrwarr einanber wiberfprechenber unb burchfreugenbet ©efühle eerfchaffen.

Sichtiger noch, unb tiefer in bie Sache einfütjrenb ift bie Betrachtung beS fpeciellen ©efühl8*Berla uf S b. h- bie Be* trachtnng ber Art unb Seife, wie ein beftimmteS eingelneS ©efühl feinen Berlauf nimmt, ©efühle finb fReigguftänbe, angenehm ober unangenehm empfunbene fReroenprogeffe, ©rregungen oon 8uft ober Unluft. $)atin liegt mit ÜRothwenbigfeit, bah jebem ©e« fühle eine Seubetig be8 Begehrens b. h- ber Annäherung ober Abwehr beö IReigeS gum ©runbe liegt. 3ebem ©efühle folgt mit SRothwenbigfeit feine {Reaftion. 2)ie8 ift ein Baturgefet), ebenfo unbeftreitbar unb ebenfo ausnahmslos, wie bah ber empor* geworfene Stein wiebet herunterfäHt. 5?« JReaftionen ftnb

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»ielfad) unb »ielartig. 3hrcm utfpitnglid}en SBefen nad) finb fie förpetlidje Bewegungen. ©iefe, anfänglich unficher, roh unb ungefd)icft, (JReflej:* , Saft* unb Ber)ucb8=Bewegungen) »ercellfomnmen fidj im Saufe beb Sebenb allmählich, werten erlernte, geübte uub gecrbnete Bewegungen, bewußte unb burd)» backte £anblungen. (Sb femmen alfo folgenbe Momente in Betracht. A. ©ie 2lrt unbSSeife bet IReaftion. B. ©er (Srfolg berfelben. C. ©ie ©auet b e 8 ©efühlb bei mangelnbem (är folge ober trof$ beffelben. D. ©et ©rab b e 8 © e f ü l) 18 unb bab Betmögen. E. Umrnanb* lungen beb ©efühlb.

A. ©te 2lrt unb SBeife, wie wir auf ein ©efftfyl teagiren, fann, wie erwähnt, eine fel)t »erfdjiebene fein, ebenfo terfchieben ift bie SRutfwirfung ber SReaftion auf bab ©efiihl. (Such bab ©enfen l)aben wir, wie gefagt, al8 eine Slrt »on ©efühlbreaftion > aufjufaffen. SEöir galten unb aber ^unächft an bie leidster »er» ftänblidjen IReaftionen burd) forderliche Bewegungen. £ier fällt fogleid) in bie (Äugen: 1. ©ie unmittelbare,

willfüt liehe SOi u8felaftion, welche bireft auf (Annäherung ober (Abwehr beb Sficijtee geridjtet ift. ©ieb ift bie widjtigfte unb roefentlichfte 21 rt ber (Reaftion, bie ohne Umweg fofort auf il)t 3id lobgeht. ©ie fi$en an einem überljeigten Dfen unb »erlaffen ihren (piafj, ©ie ^aben junget unb nehmen ©pei|e u. f. w. @8 folgen nun einige fReaftionfiarten, bie an« fdjeinenb bem Bwerfe einer ©efühlbreaftion gar nicht entsprechen, bie fogar geeignet erfdjeinen, ber eben erwähnten eigentliche» fReaftion Abbruch ju tljun, bie in SBirflidjfeit aber Weber ju* fällig noch aud) entbehrlich finb. ©afyin gehört: 2. ©ie mimifche IReaftion b. h- eine Bewegung, bie nur bem (Aub» brude b e8 ©efühlb aber nicht ber Bejdjwidjtigung beffelben ober ber Befriebigung beb Bebürfniffeb biente. 3- 23- ©dreien

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t>or ©cbmevg, Rubeln cor $reube, ©eberben, OJiienenfpiel. 2 )ab

firtb 9Web fcfceinbar gan3 unnüije ©inge unb in ber 2^at fönnen wir eb alb ganj allgemein gütigen ©rfabrungbfaß entnehmen, baß je mehr ein©efiil)l in folgen mimifcben 3leußerungen f i d> entlabet, befto weniger (Energie für bie unmittel* bare SLljat übrig bleibt, woher bab Sprichwort: „ftifle 2Saffer finb tief" jum J^eil feine Segrünbung fdjöpfte. 3nbeß fo gan$ unnüß finb bo<b aud> biefe ©efül)lbentlabungen nicht. Schon ber eine Umftanb, baß in ben Bereich ber mimifdjen Bewegungen ber Urfprnng ber Sprache fällt, beb älteften unb ohne alle grage wicbtigften Äulturmitlelö ber ÜJienfdjljeit, muß unb non feiger Meinung gutütfbringen. 3m Uebrigen gilt »on ben mimifcben Bewegungen baffelbe, wab non ber fol* genben Oieaftionbart 3U fagen ift. ©ieb ift: 3. SD i e beglei* tenbe organifdte fReaftion. SDiefer l^abe id) fdjon gebenfen müffeit , alb idt bie afficirenbe ©inwirfung ber ©efüble auf ben .Körper befcbrteb. ©ie Anregung neu ©rüfentfjätig feiten aller 3lrt, 3. B. ber ©peidjel,* ©bränen*, ©arm*, Sepual=©rüfen, bie »afomotorifebe ©begleit b. b- bie Berengcrnng unb ©rwei* terung ber Blutgefäße, worauf 3. B. bab ©rretben unb ©r» blaffen beruht, Befcblcuuigung ober Berlangjamung beb ^erj* fcplageb unb ber SUbmung u. 31. geboren bievljcr. 5Ran fönnte auch biefe Slbätigfeiten für überflüffig ju halten geneigt fein. 3n SEBabrtjeit aber finb fie nicht minber wichtig alb bie uorber* gebenben. Ueberbaupt bat «ran »ont pbvfiologifchen Staub* punfte pfer faum bab 9ied)t, bie eine SL^ätigfeit oor ber anbern mißlich ober groeefmäßig gu nennen. vMe bie bejeichneten 5Re* aftionbtbätigfeiten finb gleich notbwenbig, cb finb notbwenbige ©ntlabungen beb ©efüblb, nicht minber notbwenbig, wie bie ©ntlabuug eineb mit ©leftricitat gefüllten Äonbuftorb. ©ie fRe^bewegung , welche bab ©efübl bemorruft, fann unmöglich

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in ber fenfiblen Gnbgelle im JRücfenmarf bgw. Gefytm ^patt machen, fie muf$ notfywenbig unb gwar na$ bent 99tafje ityrer 3ntenfität weiter unb weitet um fidj greifen. Gin blofj paffioeS Gefitld ift pl)9fiologifd) unb pfectyologifd) etu llubing. 3a, bie wiflfiirlidje 93tu8felaftion , bie wir un8 gewöhnt Ijaben als bie .^auptfadje aüer GefiiljlSreaftion 3U betrauten, ift ba8, wag fte ift, nid)t »on ^aufe au§ gewefen, fonbern auf bem langen SBege aHmäfylicf)er Gewöhnung, Uebung unb Grlernung erft geworben, ©ie mimifdjen unb begleiteuben Steaftionen finb aber nidjt blofj nottjwenbige Gntlabungen be8 Gefiil)l8, fonbern fie finb a!8 fcldje aud) fyöcfyft widrige ÖluSgleidjungen be8 butd) bie fReigbewegung geftßrten pfyjfiologifdjen Gleid)gewid)tg. ©ie8 l)at man in neuerer 3«it an einem Beifpiel, bem Sachen, in eclatunter SBeife bargulegen oermodjt. Gnblid) 4. ©ie mittel» bare, fyemmenbe ober ifolirenbe ©efül)l8rea ftion be* ftefyt barin, bafj jcbeS ftärfere Gefühl bie Slenbeng fyat, alle gleidjgeitig ueben itym befteljenben fdjwädsereu Gefühle gn unter» brücfen, bie non ifynen au8 eingeleiteten Bewegungen 3U tyemmen, baburd) ba8 ^jauptgefiifyl gu ifoliren unb bie non itym au8 ein» geleitete wiUfür!idf>e SHuSfelaftion ungeljinbert butd) anbere gum äblauf gu bringen, ©iefe fyemmcnbe unb ifolirenbe Söitfung ift, wie auf ber ,£>anb liegt, gugleid) ba8 wefentlidje Befyifel bet ©enfentwicflung , ba otyne biefelbe feine Ginfyeit be8 Bemufjt» fein8 unb folglich audj fein ©enfeu möglich wäre.

G8 liegt nun auf ber £>anb, bafj alle biefe 9teaftiou6arten baS urfprüuglidje Gefühl ertjeblid) mobificiren muffen, $bge* _ fefyen com Grfolge, ben wir erft weiterhin in Betratet gieren, tyat jebe Sicaftion notljwenbig bie SSirfung, eine Gntlabung be8 Gefühls unb Ifomit eine Sinberung beffelben tjerbeigufüfyren. ■Biel leidjter wirb g. B. ein ©djmerg ertragen, wenn reidjtidje £l)tänengüffe iljn begleiten ober SBe^flagen unb 3ammern iljm

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lauten ?tuSbrud geben, als wenn ber ^Betroffene in bumpfem ©djweigen ihn in fid> »erfchliefjt. Kbenfo will eine grofce §reube ftd) auSleben in Subeln, Sachen unb ÜJlittheilungen an bie greunbe, in bie eigene S3ruft »erfdjloffeu briicft fie baS £erg ab, wirb auS ber Suft eine Saft. Kbenfo macht eS einen großen Unterfc^ieb , ob wir einer brofyenben ©efaljr ober einem einge* tretenen Unglücf gegenüber eine ruhige S^ätigfeit entfalten fcnnen ober gu müßigem Krbulben gejwungen finb; ob wir ade unfere ©ebanfeu, unfre gange ,ftraft auf bie Ueberwältigung eines UebelS, auf bie 9lu8nuf}ung eines unS gugefadenen ©lüdeS concentrireu fonnen, ober mit unfren ©ebanfeit unb SBeftrebungeu gleidjgeitig nad) nerfdjiebenen 9iid)tungen hi«' unb hergegerrt werben.

SBir betrauten jefit B bcn Krfolg ber ©efühl Sreaf» tion unb feine fRücfwirfung auf baS utfprüngliche ©efühl. 3)er Krfolg fann fein ein völliger (totaler) eilt ttyeilweifer (partialer) unb ein negatieer (SRifjUngen). 3e nachbem nun baS ursprüngliche @efül)l ein angenehmes ober unangenehmes, gegenwärtiges ober gufünftig »orgeftedteS ift, je nacbbem eS fid? alfo barurn h^nbelt, ein angenehmes ©efühl feftguhalten ober herbeigufühten, ein unangenehmes gu befeitigen ober gu »ermeiben, ergeben fid) auS bem totalen, partialen ober negatiuen Krfolge burdj Kombination »erfcbiebene ©efühlSlagen, bie ich nicht ade im Kingeinen ^xcr »orguführen braudje, ba ein Seber »on 3h««» fte ©ich felbft »orgufteden »ermag. 3)ie SBirfung beS KrfolgeS aufs ©efühl ift eine hoppelte: a. SDaS urfprüngli che ©efühl wirb butdj benfelben aufgehoben ober ueränbert. ©o wirb ein unangenehmes ©efühl burd) totalen Krfolg ber Sie* aftion »ödig aufgehoben, unb eS tritt an feine ©tede baS normale ©efunbheitSgefühl , aber au«h baS angenehme ©efühl bei »ödigem JBefriebigungSerfoIge oermag fich nicht lange auf

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feinet ^)öt>e 311 erhalten, foubetn fliugt-in ©ewobnung, Sätti» gung, Ueberbrufj auß. 3n anbeter aber analoger SBeife Fönnen Sie Sid) bie mobificirenben SBitfutigen bcS partialen ober uega« ti»en 33efeitigungß* ober 3?efriebigungß»@rfolgeß Selbft »ot* fteUen; auch l)ier fpielt bie ©ewöbnung jum Sbetl in bcr gornt ber JRefignation eine grofte IRolle. '2IOe biefe burät ben ©r« folg bewirften ©efüblßmebififationen erleiben ibrerfeitß eine weitere ÜJiobififation. b. ©urd) bie ben ©rfolg felbft be* gleitcnben Slffefte. ©er totale ©rfolg erregt greube, bet negatioe, baß 9Jlifslingen, iRerbrufj; beibeö in mannigfacben Äb* tönungen , je nadr bcm ©rabc beß ©rfelgeß ober SJJifjerfolgeß unb in mannigfad) abgeftuften ©raben je nad) bem ©rabe ber »ort)er aufgewenbeten unb jefjt mit ©rfolg gefrönten ober oer- eitelten 5Jtül)e. ©iefein letttercu Umftanbe ^aben wir guju* fdjreibett , baf) ber mübjam erworbene 23efifc työfyet geartet unb jäber feftgel)alten wirb alß ein burd) glücflidsen 3itfaU erlangter.

C. ©ie ©auer beb ©efüblß bängt gunädjft in ber SBeife, wie ich e8 joeben angebentct, oon bcm ©rfolge ber fRe= afticn ab. Sdjnell unb leidjt bcfricbigte @efüt)Fe fitib non Furier ©aner, mübeloß errungene Lorbeeren werben weber im .Stiege nod> in ber Siebe gefdjä^t, aber Sd^wierigFeiten reijen unb baß nitimur in vetitum l)at I)icr feinen ©vunb. 3n pä* bagogifdjer ^)infidbt Fann biefer $>unft ttidjt genug beherzigt werben, ©ie blafirenbe unb alle fittlicbe ©nergie lähmende SBirFung einer jn leisten ©rfüllung aller SBiinfche, einer ©e* Währung, bie oft felbft bet ©ntroicflung beß Sebütfniffeß »oran* eilt, ift allen ©Item unb ©rjieljern, bie mit ihrer heben ^flid)t ernft meinen, beFannt genug. Slufcer »cm ©rfolge bängt bie ©efiiblßbauer »om 3ntcnfitätßgrabe beß ©efiiblß ab. 3e ftärfer ein ©effibl, befto jpäter erreidjt ben ©ättignngß» punft, befto länger wiberftebt ber 5Kad)t ber ©ewöbnung,

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befto labiler unb fünftlichet ift baß erzwungene Eieichgewicht im ntühfam errungenen ©tanbe bet Oiefignation, bereit, beim Hein« [ten Slnlafj wieber zur «ollen ^iö^e beß früheren Siffeftß empor« gulobetn. Enblid) würbe noch bie 2lrt ber ®ef ühlßentlabung (ftürmifd^e Slußbrüche confumiren ein Eefütjl fchneHer, baljer baß länblidje Sprichwort „je bßHer gefchrien je bälber geftieen" [ge= freit]) unb bamit zufammenhängenb bie allgemeine Eemüthßbe» fdjaffen^eit (Temperament, Eharafter, (Dißpofition) alß bebingenbe gaftoren für bie SDauet ber Eefühle in Setracht femmen.

Stu8 biefen Etünbcn ift bie 5)auer ber Ecfüljle jehr «er« fdjieben; giebt ganz flüchtige fd>netl «ergängliche, ephemere Neigungen, Saunen, Einfälle. ift merfwürbig, wie fdjnell rein finnlic^e Eefühle, felbft uou ziemlicher ©tärfe z- SB. ^eftifle ©d)metzen hi8 auf ganz unbeftimmte, oerblafjte Erinnerungen »ergefjen werben. Eben hierauf beruht bie 2krgänglich!eit mancher blofj auf ©innengeuufj bafirter 8iebeß«$crhältniffe, bie nach furzem {Raufche ebenfo rajdi erfalten, alß fie fich entzünbet hatten. Slnbere Eefüljle bagegen haften unaußlöfchlidj tt)eilß bie ganze Lebenszeit, theilS bie beften unb rüftigften 3ahre l)inburd) im Sewufjtfein unb fönnen immer nur auf ÜJtomente barauS «erbrängt werben. 2>ieß finb namentlich bie moralifdhen, b. h- jene hoch fomplicirten Etuppeugefühle bet ©elbftliebe, beß Ehrgefühl«, her ©pmpathie unb Autorität, Eltern» unb Äinbeßliebe, $)atriotißmuß.

fragen wir nun, welchen Einfluf} bie SDauet eineß Eefühlß auf beu Eharafter beffelben übt, fo ift z«nächft erwägen, baf) bie gortbauer eineß Eefühlß nicht etwaß fo einfadjeß ift, wie etwa bie gortbauer eineß ©teineß ober 23alfenß. 2)ie 2>aner eineß Eefüljlß wirb immer oon Seit Zu Beit burdj längereß ober fürzetefl S3ergeffen unterbrochen, ja unb man fönnte felbft fragen, ob baß nach e'ner folgen Tlerbrängung wieber im 99ewuf)tfein

XI. SflS». 3 (379)

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etfdjeinenbe ©efül)l bann nod) baffelbe fei wie porter. Aber aud) wäftrenb bet Beiten Doflfter Affinität bat baS ©efül)l fid) gewiffermaften gu behaupten, gegen anberc bem 93ewufttfein fid) aufbrängenbe ©efütjle, (Sinbrücfe, 9$orfteQ ungen. Darauf beruht nwn bev ©influft ber Dauer auf baS ©efiibl. Daffelbe fdjleift fid) bitrd) bie fortwäftrenbe fReibung unb ben äBiberftanb anbeter @efül)le unb SBorfteD ungen ab, audi bleiben bei bem jebeS* maligen SSieberbewufttwerben Heinere ober größere ©ntlabungen nid)t auS. Durd) alles baS wirb baS ©efül)l fdlter , ftumpfer, gewöhnter unb fd?wäd)ere ©efüftle werben burd) biefen 9>rogeft bis gut ©leidjgültigfeit abgeblaftt. ©tärfere ©efiil)Ie Der Her en gwar ebenfalls ein SBenig an gebftaftigfeit unb frifdier Äraft, aber fie werben baburd) um fo fjartuäcfiger, gäl)er, fo gu fageu raffinirter unb gewiegter. Bubem ein foltbeS ©efitl)l als mächtige 9?egierbe aHmäfttid) metjr unb mel)t bie $H)antafie er« füllt, gal)lreid)e fßorftellungen mit bem ©egenftanbe beS 93e= gefyrenS in fßerbinbung bringt, fdjlägt fie nad) allen fRid)tungen SBurgeln, befeftigt fid) mehr unb mehr unb broftt bie Allein« berrfdjaft im ©emütl)8= unb SBorftellungSleben an fid) gu reiften. @8 ift ber Uebergang gut geibenfdjaft, ben @ie in ben ge= gebenen Anbeutungen gewift bereits erfannt l)aben.

9Sir lommen: D gum ©rabe beS ©efüblS, womit eng gufammen l)ängt: bie 8el)re com 93er mögen. Daft unfrc @efüi)le einer groften ©rabDerfd)iebenl)eit fähig finb, baft ein unb baffelbe ©efüftl jeftt unmerflid) fdiwad), jeftt witber iu ftberwältigenber Sntenfitnt auftreten fann, tel)ri bie täglidje @r= faljrung. @S ift aber fel)t ferner ober eigentlid) unmöglich, biefc ©efüftlSgrabe gu befiniren, gu meffen ober irgenwie ebjeftip gu fijriren. 9öenn oon gweien, bie 3al)nwel) l)aben, ber ©ine ruljig bafifct, ber Anbete laut wimmetnb im 3immer umberläuft , fo fönnen @ie im Allgemeinen nid)t Jagen, ob ber lefttere gröftere

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Scbmergeu leibet, ober ber ©rfte ihnen eine größere moralijdje .Kraft entgegeufeftt. ©S finb bie wiebtigften etljifc^en ©erhält* niffe, bie eigentlichen gaftoren für bie fittlidjc ©eurtheilung ber SDlenfdjeu unb ihrer Jpanblungen , bie wir mit bieiem ©eijpiel berührt haben. Wenn mir ben ©inen einer gewiffen SHnftren* gung gewadjfen, ben Stnbern ihr erliegen, ©inen einer gewiffen ©erjuchung nachgeben, ben 'Jlnbern fie beftehen fetten, fo tritt uns cbenfo wie in jenem ©eijpiele ber 3ahnid)mergen bie gragc nach ben ot'jeftioen ©raboerhältniffen ber gu ©runbe liegenbeit angenehmen ober unangenehmen @efül)le unb bet ihnen bie 'Wage haltenben moralijdjen Wiberftanbsfräfte entgegen. 3)ie alte bc> rühmte -Streitfrage wegen ber fittlichen 3uredjnung unb ©er* antwortlichfeit erhält getabe barauS, bafj eS in ben beiben ange» gebeneu ©egiehungen an jebem objeftioen SDtafjftabe fehlt, ihre fchlimmfteu Schwierigfeiten. Wir betrachten ©eibeS etwas näher.

1. 2)en ©rab bes ©efühleS. S)afj h‘« bebeutenbe ob* jeftioe ©raboerfchiebenheiten obwalten, fehen wir in übergeugenb* fter Weife an ben finnlichen ©efühlen. £ier bebingt fich bie Stärfe beö ©efühlß einmal burd) bie ©tärfe beS Steiges, eine Semperatur oon 60 70 ©rab giebt eine heftigere ©m* pfinbung als eine jolche oou 20 bis 30 ©rab, jobann aber auch burdh ben Umfang ber Steigung, ©in Steig »on betfelben Sntenfität wirft gang oerfchieben, je nachbem er Heinere ober größere Jtörperfläche SteroenauSbreitung trifft, g. ©. heifeeS Waffer, wenn wir ben ginger ober ben gangen 'ilrm eintauchen. 3n beiben ©egiehungen wächft bas ©efühl bis gu einer gewiffen ©renge proportional mit ber Sntenfität bes Steiges unb mit bem Umfange beß Steiges. 2)afc ähnliche SteigerungSoerhältuiffe

auch bei ben höheren b. h- ben aefthetjf eben , iutellef hießen, moralifchen, fowie ben ©ntwicflungsgefühlen obwalten, unterliegt

feinem Baeifel- 3e ftarfer unb intenfioer bie ein ©ruppenge»

3 * (ssx)

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fiit)l confiituirenben ^aftorert, je jablreicher unb außgebreiteter biejelben finb, je mehr 3been»erbinbungeu baffelbe mit feinem 8uft« ober 8eib*3nbalt burchtränft bat, befto intenfiüer, befto machtoofler wirb ftch erweifen.

©ß giebt alfo eine obere ©ren^e, übet welche btnauß eine Stei» gerung beß ©efüblß nid?t mehr möglig ift unb ebenfc eine untere, unterhalb beren gar feine ©mpfinbung Statt bat. IDiefe beiben ©reifen, bie natürlich für »erfchiebene 3nbi»ibuen unb für baß» felbe 3nbi»ibuuni, für »erfchiebene Ser»engebiete unb felbft nach Umftänben, Stimmungen u. f. w. oariiren, umfaffen baßjeuige, waß man bie SReigempfänglichfeit, genauer, bie abfolute Seiaempfänglichfeit ober baß Setmögen im weitern Sinne nennt. 3nnerbalb jener ©tenjen entfprechen ben »er» fchiebenen Seijgraben unter Umftänben, bie mir noch nicht genau fairen fönnen balb angenehme, balb unangenehme ©efühle. Sur im SlHgemeinen Iäfjt fich fagen, bah bie ftärferen ber über* baupt noch empfinbbaren Seijgrabe, fowie alle ju lange bauern» bcn SRei^wirfungen Unluftgefüble erregen, womit freilich nicht gefagt fein fotf, bah bie angenehmen ©efühle jchwächer feien alß bie unangenehmen; bie jchwäcbften ber überhaupt noch empfun» benen Seije erwecfen wieberum Unluftgefühle, wie Äifjel, 8eere, Ungebulb u. f. w. £>ie angenehmen ©efühle alfo nehmen ein mittleres ©ebiet jwifchen ben ju fch»ad)en unb ben gu ftarfen Seijgraben ein. Satürlid) finb auch bie 9teij»@renjen beß an« genehmen ©efühlß ebenfo »ariabel nach inbipibueüer unb momen» taner Anlage unb SDißpofition ober eigentlich noch »ariabler, alß wir »orbin bei beu ©renjen ber abfoluten ©mpfänglichfeit fahen. SDiefe ©mpfänglichfeit für angenehme ©efühle bürfeu wir im ©egenfafj aut »origen relatioe ©mpfängli chfeit, relati»eß Sermögen nennen.

Söaß hat nun mit ber oben erwähnten fittlichen SBiberftanbß*

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fraft, welche uns befähigt, einem angenehmen ©efühl uns nid)t hinjugeben, ein unangenehmes freiwillig ju überehmen, für eine S8ewanbtni§? Offenbar ift fie baffelbe, was wir im gewöhnten geben: ©ewiffen, fittliche 93ernunft, was bie Theologen: „SDie ©timme ©otteS in unS", bie älteren ^fpchologen „baS obere 33egehtungSoermögen" nennen. US ift un* möglich, au »orgerücfter ©tunbe, bicfe hochwichtigen ®egen= ftänbe unb Probleme erfdjöpfenb behanbeln ju wollen: geftatten ©ie mir bähet nur bie Semetfung, bafj bie heutige ’-pfpchologie an folche übermenfchliche , ben übrigen feelifdjen Vorgängen frembartige Slermögen nicht gern glaubt, bafe fie minbeftenS organif«he 33erbinbungen unb 33eaiehungen berfelben ju beit übrigen feelifchen ^roaeffen unb Suftänben oerlangt; geftatten ©ie mir auch, 3hnen in ber Äürae meine ÜJieinung batgulegen, bie ich hier aQerbingS nicht näher begrünben fann, bie fich 3h«en aber bieOeicht als eine natürliche mit einer gewiffen SUahrfcheinlichfeit barbietet.

®aS obere 33egehrung8oermögen, bie fittliche 33ernunft, ift banacb fftichtS anbereS als baS fittliche ©elbftbewufctjein. SSie baS ©elbftbewufctfein im Allgemeinen fich als ein s))robuft ober als eine refultirenbe mittlere Äraft auS allen bemühten ©eelen* auftänben aufammenfeht, fo ift baS fittliche ©elbftbemufjtfein eine fRefultante aus all ben üerfdjiebenen ©efühlSrichtungen unb 23egehruugen, beren baS betreffenbe Snbioibuum fähig ift. Ober um in bem eben bargelegten ©ebanfengange au bleiben: jcbcS ©efühl, jebe ©efühlSgruppe ober ©efühlSentwicflung ift nach SWafjgabe ihrer Sntenfität unb nach SJlafcgabe ber für fie in bem betreffenben 3nbimbuum oorhanbetten (Smpfänglichfeit, ein Jpin* betnifc, eine SBiberftanbS fraft für alle übrigen ©efiihle unb 9lei» gungen. 3e mehr 3emanb für eine beftimmte Art oon © e f ü h l e n inclinirt, paffionirt ift, befto weniger ift er

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für onbere cmpfänglids <Die Summe oller biefer SEBiber- ftanbßfräfte, mie fie uun nad) @rgiel)ung, @erool)uheiten uub jo meiter fid) cjcbilbct hat, ift für jebeß Snbinibuum eine anbers geftaltete (Sinheit, eine @int)eit, roeil eS bie 2lrt olles Drganijchen unb Seelifchen ift, fid) immer gu einer Einheit gufammengu* fd)lie§en. Sie macht baß auö, maß mir unfet ©emiffen, unfre fittlidje Vernunft nennen. Unfer fittlid)eß Sein mürbe, biefer tÄnficht gufolge, feine 5Jienard)ie fein, in ber ein tranßcenbenteß sJ>rincip unumfcbränft Ijerrfdite, maß ber (Erfahrung fc mie fe miberfimcht, fonbern eine Siepublif einanber non Jponfc ouS ebenbürtiger C^efü^le nnb Segierben; unb je nad) ber föntmid* lung, meldje baß einzelne 3nbinibuum nimmt, gelongen bie eblett b. h- baß eigne S8ol)l unb baß ber ©efammtheit ferberu* ben ober bie nerberblidjen '43egierben gu SOiacbt, (Sinfluf) unb met)v ober minber außicbliefclicher £errjd)aft.

Söie gejagt mufe id? auf bie nähere ‘Jluöfüljrung biefeß Stanbpunfteß nergid?ten 3“* Stbmeljr non ÜJiifmerftänbniffen miH id) nur noch bemerfen, baf) berfelbe gang jenfualiftifd? unb epifnröijd) flingt, meil er bie gefammte (Sthif allein auf bie 8uft* unb Unluft-3uftäube bafirt, bafj er aber über ben (äpiftftäißmue unb bie it?m nermanbten Stonbpunfte t}inanßge^t, inbem er eine natürliche unb nothmenbige 0ntmidlung ber ©e= fühle gu einer neraüuftigen, fittlirtien b. h- bas eigne bauernbe Sohl beö Snbioibuumö uub ber ü)ienfd)heit fid?ernbeu @inl)eit iuö Üluge fafet.

3cb b^tte nod> E. 33 o n ben 33ermanbluugen unb 6 nt« midi ungen ber ®efül)le gu reben, bod? l^abe id) baß 3i3idj* tigfte batüber bei ben eingelnen ©ntmidluugsarten bereits an* gebeutet. 3Bie midjtig unb mie meitgebenb oft biß gur nölligen Unerfcnnborfeit beß urjprünglidjen @efül?lß biejc Umbilbungen gehen, mie es ber gut gegogeiten Äafce gur anbern Statur ge*

fSM)

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worben ift, baß Vogelbauer gu refpeftiren, jo baff fie it)re Büttgen entrüftet mit D^rfeigen gur fRaifon bringt, wenn fie beim erften Slnblicfe beß Vogelß ii)re natürlichen Snftinfte gu betätigen füiiene madjen, wie bie iiiebe auß bem Untergrunbe ber ©efchlechtßfphäre alß mächtige Sei benfehaft emporgewad)fen unter ber 3ud)truthe 3ahthunberte langer ©ewohnheiten unb ©itten einen gang an« betn überfinnlichei^ ättjerifdjen ©harafter angenommen hot» fo* bah bem iiiebenben jeber ©ebanfe an bie nataralia ungart unb inbccent erfcheint, baß unb oieleß Shtbere, maß bem nerwanbt, ift 3h«en Sillen auß täglicher ©rfahrung gut ©enüge befannt.

©er 3wecf biefeö Vortrageß ift erreicht, wenn @ie auß bem« felben Cie Uebergeugung mit nach «pauje nehmen, bah unfer ©e» fühlßleben, baß fich in ber JRegel fo glatt unb hnrmonifd) in unfern Vruft abjpielt, bei näherer Vetrad)tung nicht minber, wie baß befanntlicb mit bem ©eben ber ftall ift, alß eine bcd)ft wunbetbare unb faft unergrünbliche ®adje fid) erweift. ©aff ein ©tücf con einem fDlpfterium barin fteeft, baran gemahnt unß jdwn bie tägliche ©rfaljruug, wenn wir ben ©inen ruhig unb ftet feinen 8ebeitßweg »erfolgen, einen Slnbern unruhig h*n unb her*rrcn, einen ©ritten fopfüber inß Verberben rennen feben; wenn wir ben ©inen in ben befd)ränfteften Verhältniffen glüeflid) unb gufrieben, ben Slnbern im Ueberfluffe elenb jel)en, wenn wir überhaupt biefe unenbliche ÜJtannidifaltigfeit unb Ver« fd)iebenheit ber 9Jtenfd)en in ihren Vegicrben, ^affionen, ©tim« mungen, Faunen u. f. w. erwägen. V>ot)l muhte ber ©iepter beß SLaffo biefeö 9Jtpfterium, baß unergrünbliche, »ielgeftaltige, proteußartige fRätpfet beß föienfcpenhergenß ahnen, wenn er fagt:

liegt um unß herum

@ar mancher Slbgrunb, ben baß ©djicffal grub.

©od; hier in unfrem feigen liegt ber tieffte.

3>ru<t ocn l»<br. Un^tr (Sl>. Itftiimn) in Ucrlin, «ibo*fb*ri)erftr. 17 n.

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3>«r h

bcr Bcutfdjrii Cidilutgsftrout.

3$on

35u<$»wr.

ßtt Un SW. 1376.

93 erlag Don Carl #abe!.

(iC. l'abtrit) sdjt Ufrlnpsbndihanblncfl.)

33. SBHbtlm Strafe 33.

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V

1

4

JDfl« SRed^t btr Ufbtrfejjung {r frttnb« ©i>ra<b(n wirb eorbttyaltf*.

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([*« flingt ein geller Älang,

Sin jtfjcne« beutle« Sort 3n jebem ^otpgefang 25er beutjeben ÜRänner fort:

Sin alter ÄSnig ^octjgebcren,

3 >etn jebe« beutfe^e fberj gefcpworen.

©o oft fein 9tame wieberfehrt,

Sötan hat ihn nie genug gehört.

2>a« ift ber fjeirge St^ein,

Sin ^>errfcfier reich begabt,

3Deh 9tame fc^on wie ©ein Sie treue ©eele labt.

SJ regen ftcfj in allen $er$en

SSiel »aterlänb’fche ?uft unb ©djmerjen,

©enn man ba« fceutfdje Sieb beginnt S3om SR^ein, bem hoffen gelfenfinb.

50lit biefen ernftroürbigen ©orten beginnt ber eble @d)enfen= borf fein fcieb Born Schein, mit welchem er gnm erften ÜJiale im Bahre 1814 bet tiefinnerlichen Siebe be8 beutfehen 93otfe8 für ben herrlichen Strom Bollen SuSbmcf giebt. ®ar manchmal hot, ber biefe Beilen fdjreibt, am Ufer beö Sft^etneö geftanben unb bie Rate, grüne ?lut in bie hohle -fpaub gefchöpft. £>a fam ihm wol hin nnb wieber ber ©ebanfe: 2Benn jeber biefer Stopfen fprechen fönnte, wa8 würben fie nicht alle über ihre ©djicffale

XL 24«. 1* (389)

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ju berichten haben? 5Bol)et ift biefe SBede unb biefe? SBaS haben fte erlebt, wa8 gefeljen? Unb bann würbe biefer Strupfen etjäljlen Bon ©letfchern unb blumigen Sllpenmatten, Ben 9lb» gtünben unb fdbwinbelnben SBaffetfäden; ein anbeter würbe be* richten Bon ben ernften Staunen be8 ScbwarjwalbeS, ein brittet non ben ragenben SDomen ju Samberg unb SMrjburg, wieber anbere non ben IRebenbügeln bcr Saar unb fJJiofel, Bon ben Surgen beö 2Ba8genwalbe8 unb ber Sergftrafce. Sßenn wir biefe £anbBod SöafferS betrachten, wieniel ©ebanfen erwecft fie nicht, wieoiel freubige unb ernfte Silber zaubert fte nicht in unfeter Seele Ijeroor ! Unb woher mag fommen, bafj gerabe bie SRljeinwede biefe 3auberfraft befiel, jebenfadS in unenblich höherem SDlafje, al8 folcheö bei ben übrigen beutfchen glüffeit ber §ad ift? 5Bie !ommt e8, baff ber 9fJtjcin für ben SDeutfcben nicht blo8 ber üieblingSftrom, bafj er gemiffertnafjen ein heiliger Strom ift?

3war giebt e8 nodb manchen anberen groben glufj, welcher in biefer SBeife einer gewiffen 9lu8nahmeftedung geniest. SDafj bet Spanier, ber gtanjofe trgenb einem feiner zahlreichen unb frönen glüffe eine beBorjugte Stedung in ber nationalen SBerthfchäfcung gäbe, baoon ift mir nichts betannt. SDer Staliener ijat feinen befonberä nerebrten §lu§; ber gelbe Stiber ift ein atme8 SSaffer, unb wa8 er an Söeltruf befiel, ba8 banft et bet ^etCige;xt IRoma» bie fi<h in feinen gluten fpiegelt. SDer 9iuffe Berebrt mit einer gewiffeu 2lnba<ht ba8 föiütterchen SBolga, bie gewaltige SBaffer, aber, welche ben Serfebt im Snnern beö rieftgen 9ieiche8 ermög* licht unb Staufeube burch ihren gifdhreichthum ernährt. So ift bie Serebamg bet fRuffen für bie 5Bolga geboren au8 bem @e* fühle bet SDanfbarfeit, unb gleicherweise bei anbern großen glüffen, welche ben Anwohnern ben labenben Strunf unb bie einzig be=

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nußbare Söafferftraße, bem Slußgebiete Sruchtbarfeit unb bamit bie sjJlöglic^feit menfdjenreidjer Vewoßnung batbieten, wie beim HJtiffifihpi, bem „Vater bet ©ewäffet", beim 9ül unb ©angeß ber gall ift; baß bet leitete bem 3tabiet füt einen wirflidj heiligen ©trom gilt, beffen SB affet bei teligiöfen feiern unent» behrlich ift, beffen Stuten bem Sobten baß ebelfte ©rab batbieten, baß ift befannt; in ähnlicher SBeife mochte etwa bet 6^rift ben Sorban betrachten, in el)twütbiget (Erinnerung an bie Saufe beß ^errn.

(5ß ift offenbar, baß bie Verehrung beß 3R^etneß anbete ©rünbe hüben muß. (Die räumliche äußbehnung feineß ©ebieteß geftattet feine Vergleichung mit folchen jRiefenftrömen, wie SBolga unb ©angeß, 9til unb SJliffffippi ; baß Sftheinlanb banft ihm nicht feine Vewohnbarfeit, feinen Vetfehr; auch oerehrt nicht ber üDeutfcfce allein

Sen $errfcßer reich begabt,

Seß s3tame fc^oit wie ©ein Sie treue ©eele labt,

fonbern bie übrigen europäifchen Äulturoölfer nehmen an biefer Verehrung mehr ober weniger Sh**t; ja man möchte fagen, ift ber 5»hein ber einjige ©trom, welcher überhaupt unter ben Äulturoölfern einigermaßen jener ehrfürchtigen £ulbigung ge» nießt, mit welcher bet Siegelet feinen $Ril, ber Snbier feinen ©angeß betrachtet. SBäre nicht ber fDlüße wertß, bie ©rünbe aufjufuchen, weiden ber gthe*n biefe ISußnahmefteQung oerbanft* Slllerbingß befißt ber fRheiu oon ben beutfchen ©ewäffern baß außgebehntefte ©tromgebiet unb terbient in biefem Vetracht dot allen übrigen ben fRamen eineß ©tromeß. 3wat auch bie UDonau geigt fdjon in ihrem beutfchen £aufe, waß fte fpäter werben wirb, aber fie ift hoch burchauß nicht bie mächtige oölfet*

(S»l)

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»erbinbenbe ©trafje, alg welche unä ber Stbein erfdbeint, unb bie (Slbe xodb weit weniger. 3[t bemnadj ber fR^eiu mit ber 3?cnau ber eingige beutfdtje ©trom, fo geniefet er »or {einer Stebenbub* lerin noch beg Sorgugeg, ber einzige beutle Styenftrom gu fein, ber einzige, welket ben Serfeljr big in bag |>erg een (Europa »ermittelt. (Sr burdbfebneibet ben Hern beg europäifeben geft- lanbeg ber Quere nach »on ©üb nach 9torb; er trägt bie SBaffer beö ®cttt)art) unb beg Serner Dberlanbeg Ijinab gur 9t orbfee; er geigt fo feit uralter Beit ben SBeg »on bem feften Änodjen* gerüfte (Suropa’g gum 33eltmeer, unb eg ift nicht gu »erfennen, bafj biefer SÄlpenurfprung nicht wenig gu bem pcetifc^en Steig beiträgt, mit welkem wir ben {Rhein gu umfleiben gewohnt finb. 3?od? bauen wirb fpäter mehr bie {Rebe fein. SebenfaDg erfüllt bie 25onau trof} i^reg erheblich längeren gaufeg babutch, bafj fte fchliefjlich in einem Sinnenmeer ihr geben befcbliefet, ihre äuf* gäbe alg jfulturftrafje in bei weitem geringerem SRafje, <*18 ber {Rhein.

33on gaug befonbeter Sebeutung in biefer SSert^f^ä^ung beg Sttjeineg erfd^etnt eg mir, bafj ber Stljein »on feiner Quelle big gu feiner SRünbung, mit feinen Siebenflüffen, »on 2>eutfdben ober bodfy beutfehrebenbem Solfe umwoljnt wirb. Um nicht bem Serbac^t ber Unwiffenbeit {Raunt gu geben, bemerfe id>, bafj idf fef)r wohl weiß, wie einige ^ocbtbäler in ber Stäbe ber {Rhein* quellen »on {Romanen bewohnt ftnb, unb bafj bie Dbermojel bur<b frangöfifcheg ©ebiet fließt; bie 5Raag laffe i<b alg einen gluf), ber beutfdjeg ©ebiet nirgenbg berührt unb nur, ebenfaUg außerhalb ber beutfefjen ©rengen, feine ©ewäffer bem {Rheine gu* gefeilt, gang aufjer Sicht. Slbgefehen h‘«»on, wirb im gangen ©ebiet beg {Rheineg, »o« ©hur big geoben, »on Saireuth big Strier, beutfdj gefprochen; bie JpoUänber müffen eg fidj bei biefer

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23etra<htung wiber SBitlen gefallen laffen, ebenfalls als 9Jtänner beutfdjen ©tammeS unb beutfcher 3unge gu gelten; jeben falls erfdjeint eS uns ntdjt als ein 2tbfaß non feinet nationalen 33e* beutung, wenn unfer JRljein bie lebten gwangig Steilen feines BaufeS in bet Tiefebene ber StynheetS bahinfchleidjt. (SS läfjt fidf? ein ©leides non ben übrigen beutfdjen Bluffen nicht fageu. 2>ie afletbingS nur beutfdjeS Banb burdjftrömenbe SBefet ift gu unbebeutenb, um tya in Brage gu fommen; bie oberen Quell* flüffe bet (Slbe burchfliefjen gmn guten Theil cgedjifdjeS, wie bie Qber ober hoch ihr £auptnebenfluf), bie SBarthe, polnifcheS Banb; unb gar bie einzige würbige Nebenbuhlerin beS NljeineS in bet nationalen SBerthfdjähung, bie JDonau, burchftrömt in ihrem gangen •'Kittel* unb Unterlaufe bie Tiefebenen non Ungarn unb Rumänien unb nerliert baburch nßflig baS ©epräge eines beut* fdjen ©tromeS. hinter SEBien hört beutfdhe 3(rt unb beutfdher Blei| auf. IDaS h°t noch eine weitere Böige. Sbgefehen etwa non $)reSbutg, Qfen*$)efth, @emlin»33elgrab unb ©ala^, fpiegelt ftdj auf einer ©trecfe non 250 Steilen feine größere ©tabt in ben Bluten bet SDonau; ihre an unb für fid) burdj Älippen, teifjenbeS ©efafle, fchwierigeS Sahrtoaffer ber Schifffahrt ungün« ftige SBerfehrftrafje ift faft neröbet; fte ift als 31 bet für bie Äulturftrömung (Suropa’S fo gut wie wertlos. ©ang anberS ber Schein, ©ein ©efäße ift berart, bafj eS bie Thalfahrt för* bert, ohne bie Bergfahrt gu hinbetn; fdjiffbat non 33afel bis gum Steere, fteht et einen reichen Jfrang gewerbfamer ©tobte, frud^t* barer Banbftriche an feinen Ufern liegen; ber lebenbigfte 33erfehr herrfcht auf ber Blut, wie auf ben (Sifenftrafcen gu beiben ©eiten; baS Qberlanb fchicft fein .fpolg, fein Qbft unb feinen 3Bein ftromab, baS Niebetlanb feine Äohlen unb bie (Srgeugniffe beS überfeeifchen SBelthanbelS ftromauf; ein enblofeS Beben wogt auf

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unb ab, unb neben bem äußtaufcb bet ©rgeugniffe gebt bet Sluß» taufd) bet ©eifter, benn alle bie auß beß Oibeineß unb feinet flei* neten ©enoffen Fluten ttinfen, finb OJlännet beutfchen Bluteß unb beutfchet Sprache.

Unb um biefe Betrachtung bet natürlichen Sßerljättniffe beß 0ibetntbalß abgnfcbliefcen : baß Sft^einlanb bat gugleid) baß ©lücf, baß fcbönfte Ältma oon 2>eutfchlanb gu befi^en. äUerbingß oon ba an, wo bet {Rbetn beim IDradjenfelß inß ülieberlanb eintritt, beginnt mebt ober weniget baß Seeflima; bet SJlittel« unb Ober» lauf beß 9i^«tne0 haben geftlanbßflima, jebod) feineßwegß in jener fdjtoffen ilußfcblie|licbfeit, wie bie ßftlicher gelegenen Flußgebiete ober baß 25onaubod)lanb ; alß weftlidbfter bet beutichen Flüffe nimmt bet iH^ein an beu Sotjltbaten beß äöeltmeereß am meiften non feinen Brübern Sbeil; fein Sinter ift nicht fo batt, fein «Sommer nicht fo glübbeif?, wie etwa in Berlin ober 5Jtüncben.

2) ie ©ebirge, bie ihn oon Bafel biß ÜJtaing gut Rechten unb hinten begleiten, geigen ihre fteil abfatlenbe Seft* unb Dftfeite bet Slbenb» unb OJlotgenfonne; oot bem Staunuß liegen, gegen 9iorben burch einen Bergfrang gefchü|t, gleich einem Üreibbauß bet SJlittagßfonne geöffnet, bie $ügel beß Oibeiugaueß mit ihrem Salbe oon Seinreben, unb im engen, b^feen SDutcbbrutbßtbale gwifcben Bingen unb Bonn benuj}t bet Singet jeben Fufcbreit ©tbe, um feinen Seinftocf gu pflangen, benn nicht, wie «Schiller in ^«ringen fang,

,®rünet l;ier, bie Schläfe gu befröaen,

Unß bet fRebe muntieß Saub.'

3) et Frühling fommt am 9ibein früher, alß im SDftlanb, unb bet ^erbft halt länger an. So gefleht eß, bah bet Diorb. beutfdbe, bet Sbüriuget, Btanbenbutget, Schlefier, >3>reu§e fidj in einen Früblingßgarten oerfebt glaubt, fobalb et ben Beben beß

(*«*>

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{Rt)einlanbe$ betritt; er fah babeim bie erften grünen Sitten* fproffen unb finbet nach einet Nachtfahrt bie rolle Saumblüte; bie Nebe, bie it>m auch- in guten Salden nur faute Brückte trug, fie bebetft ganje Serglebnen unb ift überfdjüttet mit ebeln Stauben; ber Nufcbaum, beffen grüßte er nur im fläglich rertrocfneten 3uftanbe aUS 3*erbe ber SBeibnachtötanne fennen gelernt, er faumt alö ftattlidjer Saum bie Sanbftrafjen; bie jafyme Äaftanie bilbet an ben warmen Rängen beä Saunuö, ber £arbt unb fceS Jpeibel* berget Äönigöftubleö ganje ©ebölje, unb bet Nianbelbaum ftrecft feine rofenfarbenen Slütben$weige als ©rftlinge beb Frühlings über bie ©artenmauern. SKir felbft ift biefer ©inbrucf lebenbig geworben, ba id>, ein ©chulfnabe, ror langen 3ahten auf bem 55ache beb Dmnibuö ton Singen nach Äreu^nach fuhr, ©in Saumjweig ftreifte über unb hin; id} brach il)n ab. 9Jiein Nach* bar auf bem luftigen ©i|, ein Dftbeutfcher, fragte rermunbert, waö bad für Früchte feien. ÜJlanbeln, antwortete ich mit bem Soflbewufctfein beö 3i^einlänber8 unb freute mich an bem ©r* ftaunen beö ©ftlänberö, bafj foldse ©übfrucht in meiner Heimat an jebem SBegraube roachfe. Unb fo bin id) nicht in 3n>cifcl, ber erfte Sefuch beö SftljeinlanbeS in frönen Frühlings* unb ©ommertagen, ober in ber 3«t bet Sraubenreife madjt auf ben Sewotyner ron ÜJlittel* unb Norbbeutfchlanb benfelben freubigen ©inbrucf, ben mir etwa empfinben, wenn mit in ben SHpenthä* lern Norbitalienö ben erften Feigenbaum im Freien fdiauen, ober bie Üimonenfpaliete unb Slloeftauben ber Isola bella.

©eben fdjon biefe natürlichen Sorgüge bem 9ihein eine ge* wiffe ötuönahmeftellung unter ben beutfctjen Strömen, fo wirb biefelbe noch erheblich erhöht burd) bie Sebeutfamfeit, welche bem {R^einlanbe in bet ©efdjichte beö beutfchen Reiches unb ber heutigen Silbung jufommt, unb j»at banft bet Nl)ein biefe

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auSgeichnenbe Stellung abermals natürlichen Umftänben, nämlich feiner 8age am SBefttanbe beS beutfd)en EanbeS. S)a8 [Rhein* lanb ift bie SEÖtegc ber beutfdjen [Reichflgefchichte; bis an ben [Rhein behnte baS [Römerteich feine ^»errfchaft; an bie [Römer* feftungen beS linfen 9ib>ei«uferö lehnten fich bie erften Stabte an, in ihrer üftähe bauten fidf reiche ^roningialen ihre 8anb* häufet mit jenen prachtnoflen ÜRofaifböben, bereu fo manche am [Rhein unb feinen [Rebettflüffen norhanben finb; gur Seite ber tömifthen ^>eerftra|en behnten fich bie Sobienädet, wo warme Duellen fprubelten, ba ftnben wir fchon bie [Römer mit ihren 58abe*@inri<htungen. @in wohlgeorbneteS Straßennetz übergog baS £anb weftlich norn [Rhein, füblich non SRain unb SDonau; bie hier anfäffigen heutigen SBölferfchaften nahmen gwar nicht bie Sprache, aber Sitte unb 23ilbung ber [Römer an, unb ba§ ©hriftenthum fanb hier früh Eingang. So finb 33afel itub Strasburg, SBormS unb 5Raing, 9Reß unb Syrier, Rachen unb Köln altrömifche Heftungen nicht bloS, fonbern 3ugleid? bie älteften beutfcßen Stabte; ben [Rhein entlang ging bamal8 bie SBölfer» ftraße non ben Slpen bis gu ber 3nfel ber Sataner, bem gegen* wärttgen ^otlanb; tömifche £anbelS* unb Kriegsflotten gegen ben Strom auf unb ab, ber ben ftemben Eroberern als ©renge unb gugleidj ©rengftraße fo überaus trefflich gelegen war. 28a8 SBunber, bah baS S3olf im [Rheinthal ben Stämmen im Dften an Silbung überlegen war unb baß ber mächtige granfenftamm am 5Rittel= unb [Rieberthein fiel? gum ^»errfdjet aufwarf nicht bloS über baS gaüifche Uanb im SBeften, fonbern auch über 2)eutfchs lanb non ben alpen bis gum SE^üringerwalb ? freilich ftanb ihm am Dberrljein ein anberer Stamm gegenüber, ber fich eine eini* gemäßen felbftänbige Stellung gu erringen wußte, berjenige ber Sllemannen ober Schwaben. Bwei mächtige Kaifergefcßlechtet

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hat bet ftänftfdje Stamm bem Oleine gegeben; obertheinifthen 33lute8, auS bem fchwäbifchen 33olfe erwacpfen, war baS tjerrlicije Äaifet^auä bet «Hohenftaufen; ruhmlofet gwar, aber bo<h auch ein tijeinlänbtfdjeö ©eidjlec^t, waten bie Bujcemburger; fogar bie «Habsburger erwuchfen am Dbetrhein, wenn fie auch fpäter ben «Hauptfij) ihrer 5Jfadjt an bie SDonau »etlegten. So waten non fedjS großen Äaifetgefdjledjtern fünf auf bem Soben beö IRhein* lanbeS ^eimifc^i, auf anberem nur eines, baS fräftige «HauS bet Saufen. 2)rei bet haften geglichen dürften beS SReicpeS, bie ©rgbifchöfe non SOtaing, Äßln unb Syrier, wohnten am 9t^cin; fte unb ber 'Pfalggraf bilben fdjon bie 3Rehrgaljl bet 2Bahlfürften beS 3RittelalterS. 3m S^ljetttlanbe lagen bie hauptfüchlichen 5>falgcn, an welche fid> gugleich baS ©ebachtnifj widriger CReidjS* tage fnüpft, Sngelheim unb Sachen, SBormS unb SEribur, Äai* ferSwerth, «Hagenau unb ©elnhaufen; auf ben IReichSburgen Sri* felS, «Hammerftein unb «Hagenau würben bie JReidjSfleinobe auf* bewahrt. 33om fR^etn auS btang bie gtanfenberrfdjaft unter blutigen Kriegen oor ins Sachfenlanb unb gu ben Slawen ; 3ahr* hunberte lang warb gefam^jft, bis beutjdje 31 tt unb Sitte übet bie @lbe hinaus »orbrang gut Dbet unb SBeichfel; bie fRhein* ftäbte waten f<hon uralte Äulturftjje gut 3eit, als Sremen, Ham* bürg, üübecf unb 35angig erft bnrdj ben ©ingug beS ©haften* thumeS unb heutiger ©inwanberet gu jungen AuSgangSpunftcn beutfcben Gebens würben.

Unb wie auS bem hübet gebilbeten ?anbe ber^romanifitten Btanfen auf gaßif^em ©oben ftetS neue Anregungen ber SBiffen* fdjaft unb bet «ftuuft nach bem SR^einc »orbrangen, fo pfiangten fie ftd) weitet nach Dften hin fort. 33on SBeften fam bie tjöfifc^e gelben* unb 9Rinnebi<htung; in ben alten reichen Stabten beS {RljeinlanbeS, gu Speiet unb SöormS, ÜRaing unb 2?amberg et*

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hoben fid) bic prachtooflften SDome romanifcher Äunft, im fRhein« tljale bie ©belfteine gotbijdjer ©auweife, bie ÜRünfter gu ftrei* bürg tirtb ©trafjburg, gu Oppenheim unb Äoln. ^tflerbingö pflangen fid) auf ber .£>5he beb *Diittclalter8 bie oon Sßeften l)er=» iibetfommenben Anregungen rajd) weiter, beut jeher ©efang er« fdjallt auf ber SBartburg wie am öfterreidjifdjen ^>ofe, unb bie 2?ome non tRegenbburg unb SBien taffen fid) neben benjenigcn beb SRheinlanbeb mit <$hren fehen; bennod) ift nidjt gu oetfennen, baff bib gum 3wifd)enreiche baS fRheinlaub ben 5Rittetyunft ber beutfchen fReichbgejchichte bilbet.

3n gleitet SBeife nimmt bab fRheinlanb an ber geiftigen ©ewegung gut 3eit beb SRittelalterb ben regften Anteil. 3)et ältefte ber ijöfifdjen ^elbenbic^tcr, jpeinrieh non ©elbefe, war ein ftranfe »om jRieberrhein ; ©ottfrieb oon ©trafcburg, in feinem $riftan unb 3folt ber begabtefte, leibenfdjaftlidjfte ©ertreter beb giebebromanb, war ein fRfcetnfdjwabe; in fDtaing lebte unb bidjtete ^>eittrid> grauenleb; ©Ifäffer, b. h- theinifdje ©djwaben waren Sauler, ©eiler non jiaiferbberg uub ©ebaftian ©rant; ein fRljein« franfe war ber SRann, ber einem SBegweifer gleich an ber Pforte ber neuen 3eit ftcbt, ber ©rfinber ber ©udjbrucferfunft, Sohanneb ©utenberg oon ORaing. Unb biefe rege $l)eilnafyme beb gefamm« ten SRbeiulanbeb an ber geiftigen Arbeit ber SRation oerfteht fid) gang non felbft, wenn wir beu beweglichen aufgewecften ©inn, bie friidje S.tjatfraft in ©etrad)t jie^en, welche allezeit bem fdjwä« bifchen unb fränfifd)en IRljeinlänber eigenartig gewejen finb.

AOerbingb tritt gegen ben AuSgang beb fJRittelalterb bab SR^einlanb aub ber bisher benorgugten Stellung beraub, jemebr beutfdje Sprache unb ©itte nad) Dften corrüdfen; bie gujrem« burger nehmen ihren ©if} in ©Öhmen, bie £abSburget in Defter* reich, unb bamit fällt bie geiftige unb politifdje ©orherrfdiaft beb

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fRtjeinlanbeS. ©in weiteret unb feine8wege8 förbetltdjei Umfcbwung madbt fid) feit bent Seginn bet ^Reformation bemerflicb, inbetti nunmehr ber ©djwerpunft be8 beutfdjen ©eifte8leben8 gang ent* fliehen oftwärtS nadf? ©adjfen, Sranbenburg unb ©cblefien rütft; ba8 Di^einlanb bagegen nimmt fernerhin 3abrt)unberte fang Än* tl)eil an ber beutjdjen ©eifteSarbeit nur in jenen ©ebieten, weldje ftdj ber ©laubenSerneuerung anfdjliefcen, in ber ©djweig alfo, in SBürtemberg, in ©trajjburg unb granffurt. 35er alte Flamen ber ^>faffe«gaffe, welken ba8 feit langer, langer Seit für ba8 ©bnftentbum gewonnene JRbeintljal mit feinen gablteidjen Si8* unb @rgbi8tl)ümern oerbientermafjen trug, wirb i^m jejjt ein Un* fegen; bie geiftlidien ©ebiete finb fortan auch geiftlid) arm unb beteiligen fid> 1) ödsten 8 butd? fünftlerifdje ^erocrbringungen am geiftigen geben ber Nation. Slber auch jejjt nod) bleibt ba8 Ülbein* lanb bie SBiege einer gangen 2tngat)l unferer trefflid)ften ©eifter. ©o finb beutfdje ©cbweiger Bwingli unb Jpaller, gaoater unb §>eftaloggi; ©ßfyne be8 fRecfart^aleö finb Äepler, SBielanb unb ©Rillet, ©djubart unb Ufylanb, £egel unb ©Helling; ee^te IRljeinlänber finb ^iftbart, ber geiftoolle £umorift, ©rimmelS» baufen^Simplicissimus unb ©cetl^e, bet granffurter; ein lieber* lünber non österlicher ©eite, ein echter gtfjefafaHfe oon ©eiten ber ÜRutter war ber gu Sonn gebotene Seetbooen; ©öfjne be8 5Riebertbeine8 finb ber grefjte beutfdje Äünftler bei fReugeit, 'Peter non 6orneliu8, unb ber größte beutfdje gprifer nad) ©oetlje, Heinrich £eine. 55a8 finb freilich ftolge Flamen, unb manche gehören gu ben beften be8 beutfdjen 33olfe8; aber bennodj treten iljnen au8 ben übrigen beutfdjen 8anbftrid>en manche fRamen gang ober hoch faft ebenbürtig gur ©eite. 33 on allen biefen ©ebnen be8 5Rbeinlanbe8 ift blo8 einer auf geiftlicbem ©runb unb ©oben geboren, Seettyooen.

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5Rur einen furzen netgleidjenben 33lid werfen wir auf bie gefcfyidjtlidje SBebeutung ber übrigen beutfdfen glüffe. Söeljl aud) bie ©onau bat ihre alten fRömerftäbte; ba8 fangfroije SDefterreid^ nahm reblidj St^eil an bet ©idjterblüte beö 9R ittelalter 8; in ben mädjtigen JReicbSftabten Ulm unb 9lug8burg, in JRegenSburg unb SBien wohnte ein tüdjtigeS Sürgergefdjlecbt; Beugnifj für beffen Kraft unb 5Rutb ftnb bie ftolgen ©ome biefer ©tabte; aber feit ber ^Reformation wenbet fitb baS ©onaulanb faft oöDig oon bet SRitarbeit am geiftigen fRationalleben ab; nur bie £onfunft finbet hier glangooHe pflege, wedt wunbetbar begabte ®enien, mäfyrenb im proteftantifcben fRorben ©tdjtung unb Söiffenfdjaft berrlitb aufblüben. ©aS SBefergebiet fann fdjon um feiner engen öe= grengung willen feinen 9lnfpru<b an eine befonberS ^eroorragenbe Teilnahme am beutfc^en ®eifte8leben madjen. Elbe unb Ober finb gut Beit ber Sölüte beS beutfdjen KaiferreidjeS uecb faft fla» wifdje glüffe; Hamburg, Sübed, 33te8lau, ©angig waren gewal* tige SRittelpunfte be8 <panbel8, aber fie nabme* bloß loderen 5£^eÜ am politifeben geben be8 ermattenben beutfdjen IReicbSfßr» per 8, faum nennenswerten an feinet geiftigen Arbeit. Erft feit ber {Reformation, bann aber audj mit ber gangen {Radjbaltigfeit norbbeutftet 9Irt nimmt ba8 Elbgebiet bie £auptlaft bet beut« fdjen Kulturarbeit auf fidj; bie Elbftabt 5Bittenberg wirb bie 2Siege ber ©laubenSetneuerung, uub bamit tritt Kurfadbfen au bie ©pifje ©eutfdjlanbS, bt8 bunbert Sabre fpater in bet ©pree« ftabt Berlin ber grofje Kurfürft bie ©runblagen be8 branben» butgifdppteufjifcben Staates unb bamit biejenigen beS geeinigte* beutfdjen KaifeneidjeS ber Bufunft legt.

5Ra<b biefen Betrachtungen ift eS erflütlitb, bafj baS {Rbein« lanb erfüllt ift oon glctngenben Erinnerungen an bie benfwür» bigen 3citen ber alten fReidjSgefdjidite, reich an ragenben 9Rün»

f*00)

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ftern in ben Stabten, an wunbetfdjßnen Älcftertrümmem in ben SBalbtljälern, reidj an Stemerbauten unb gefallenen Äaifetpfalgen, an großen gefcbicbtlidjen Manien. SöJir braunen nur gu gebenfen an 3ürtdj unb Swiugli, an ©onflang unb $ufj, an 23ajel unb $olbein, an Strafjburg unb ©rwin, an Speier unb bie ätaifer» grabet, an 2Borm8 unb feinen SteicbStag, an fUtaing unb ©uten* betg, an granffurt unb bie Äaiferfrönung unb ©oetfye, an Stier unb feine Stßmerbauten, an ba8 ^eilige Äöln unb feinen 2>om, unb eine gange glut reid^fter ©ebanfen ftrömt auf un8 ein; ein gutes Stücf ber beften geiftigen Arbeit be8 beutfdfen 33olfe8 ift im fR^eint^ate geleiftet „worben, unb ba8 giebt ifym in ben äugen be8 Äunbigen eine gang abfonberlic^e 33ebeutung.

3u biefem Steig ber ©efd^ic^te gefeilt ftdj bet nid)t geringere Steig ber Sage. ©8 bat ja im ©tunbe jebe ©egenb, bei welket ba8 gefdjicbtlidje ©eptäge niäjt aßgufe^r oerwafcljen ift, iljre auf »erfdjollenen ©reigniffen ober uralter ©öttermntbe rufyenben Sagen, aber bennedj barf man fragen: SBeldjet beutfdje gluf) l)at einen folgen Sagenfdjajj wie ber Stljein? ©inen Sagenfdjafc gugleidj, ben nidjt blo8 bet 2)eutf<be fennt, fonbetn bet ba8 allgemeine SBefifctljum aller ©ebilbeten ift? SBeltfagen medjte idj fte nennen, benn ber grangofe unb ©nglänber, ber <£>olIänber unb ber Stuffe, fte lernen bei ifyrer Stbeinfaljrt bie Sage com Stibelungenbort unb Dom SJiäufetljurm, oon ber gorelei unb bem StolanbSbogen fennen unb tt) eilen fte in SMdjtungen ber Heimat mit. 2) er fteiffte ©nglänber, weltbet ba8 0tb«ntbal bisher nur in feinem rotten fDtunab betrautet retft ben <£>al8 unb madjt bie müben äugen auf, wenn ba8 Schiff an bie gurlei fommt. 2)abei ift e8 merfwürbtg gn beobachten, welkem Umftanbe bie Stljeinfage i^re SBeltbebeutung gum guten terbanft, itjrer 93erbert»

liä)ung nämlldj burdj bie $oefie. SDa8 Stibelungenlieb unb

(«D

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Schiller’8 [Ritter Poggenburg finb bcifür rebenbe 3eugnif|e, nie^t gu reben baoon, baß man bie gorelei in ihrer Grntftehung lebiglid) auf Äl. Brentano, in ihrer aübefannten bichterifdJen ©eftaltung auf ^seine gurücf führen faun. Die ©rüber @rimm in itjrer bahubredjenben Sammlung beutfdjer Sagen 1816 feunen bie gotelei noch nicht. Äein beutfdjer ^luß aber ift in fitjnlidjer ©Seife bichterifcb verherrlicht morben wie ber 3ibein.

@8 gefeilt ficb gu biefen ©orgügen ber geograp^ifdjen gage unb ©efdjaffenheit, ber ©ebeutfamfeit beS £intergrur.be8 oon ©efchidite unb Sage noch ein weiterer, gang befenberS wichtiger ©orgug, welker bem [Rhein bie allgemeine ©Sertljfchäßung nidst ber Deutfdjen blo8, jonbent ber europäischen Äulturoölfer über» haupt gewonnen ^at; e8 ift ba8 feine Schönheit. SRun tonnte man allerbingS meinen, baff e8 noch mannen anberen gluß gebe, Welket bem [Rhein, wenigftenö an eingelnen Stellen, ebenbürtig fei; bei genauerer ©etradjtung werben mir leicht erfennen, wie bie früher betrachteten geographifdjen unb gefchichtlicheu gidjt» feiten be8 [RheineS wefentlid) bagu beitragen, baß unfer Strom gang befonberS biefeS [RufeS ber Schönheit ftd) erfreuen tonnte.

@8 ift bereits barauf hingewiefen, wie ba8 [Rheinthal ba* burch, b e8 ben [Rumpf be8 europäifcben ffeftlanbeS ber Quere nach burdjfchneibet, fett alter 3e»t eine melbefdfrittene unb viel* befahrene ©ölter» unb .£anbel6fttaße gewefen unb bi8 auf biefen Pag geblieben ift. Der ©erfehr au8 bem Sllpenlanbe nach ber fftorbfee wirb naturgemäß auf feinen ©Sellen ober an feinen Ufern bahingehen, unb umgetehrt, wenn ber ©ewohner bet See« geftabe, ber ©iebetlänbet unb Gfnglänber, nach Dberbeutfdjlanb, ber Sdjtoeig, Stalien unb ben öftlichen gänbern be8 Sötittelmeer» bectenS reifen will, fo finbet er feinen naturgemäßeren ©Seg, al8 ben [Rhein. [Run ift aber befanntlich gerabe bet @nglänbet feit

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3ahrhunberten ein wahrhaft reifewüt^tflcr SJtenfch, wie man wol fagen barf, bah baS SReifen im Sinne bet ©egenwart, bie 3agb narf) neuen unb gewaltigen Statureinbrücfen, im Zefentlichen erfl feit ^unbert Sagten gefannt, unb 3wat pon ben ©nglänbetn et« funben ift. ©nglifdje Steifenbe haben bem raftlofen Strome bet Zeitfahrer bie Zunber bet 'Alpen, bie Schönheiten Italiens, ©riechenlanbS, beS SJtorgenlanPeS erfchloffen. ITah biefe Steife» muth beS ©nglänberS bisweilen auch lebiglidj aus Langeweile ober fötobethorheit he^orßcljen mag, bah feine Staturluft ;u 3eiten ben Anftrid) beS Abenteuerlid’en erhält, bah biefem toll» fopfigen, mit unfäglithen Lebensgefahren oerbunbenen ©rflettern unbetretener Alpenfpi^en bisweilen ein biSchen Serrücftheit 3U ©ritnbe 3U liegen fcheint, wer wollte eS leugnen? Zer wirb ober auch »etfennen, bah fi<h hinter biefen Schwächen unb Son» berbarfeiten nicht feiten ein tiefes ©efühl für bie wahren Schön* heiten ber Statur birgt, unb bah unfere angelfächfifdwn 93lut8» oerwanbten bamit bie fPfabfinber oernehmlid) bet Alpenwelt unb StalienS geworben finb? Stun, unb weldjen Zeg bahin fann ber ©nglänber, falls er nid)t etwa über $)ariS unb Loon gebt, anberS nehmen, als eben burd) baS Stheinthal, welches ihm mit feiner fchon früh heegerid)teten IDampffchiffoetbinbung bie er» wünfehtefte Steiiegelegenheit bot? Unb gwar boppelt erwünfeht, ba fich 31er Söequemlichfeit beS SteifenS noch bie Anmutl) bet Lanbfchaft unb ber JRetg merfwürbiger alter Stäbte gefeilt.

®S ift eine befannte Shatfache, bah bie ftluhthäler ba am Ichönften finb, wo fie baS ©ebirge burchbrecben ; in biefer Jpin* ficht ift ber Stljein befonberS beoorgugt. 2>ie Ober hat gar feine IDnrdibruchSftelle unb entbehrt bamit pöllig ber malerifcbcn Schön» heit; bie <DurchbruchSfteUe ber ©Ibe, bie fächfifche Schwe^, ift fd?en, aber fur3, nod) fürder biejenige ber Zefer, bie Zeftfälifche

XI. »O. 2 (403)

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Pforte. 35a8 2Dur<hbru<h8thal be8 5Rh«ineS bagegen ift lang unb mag non {Blainj bis Sonn, bie Krümmungen mitgerechnet, ae* ntgftenS 20 {Dieilen gä^Icn, alfo oier gute SBanbertage; baS fyat ben grofjen Sorjug, baf) bie Qjinbrücfe nicht rafdj wie ein SEraum »orübergehen, fonbern in ftetS neuer unb bodj ähnlicher @ eftalt wiebererwecft werben; »on welker Seite man aber fommett mag, »om Ober« ober oont Sftieberlanb, Eingang unb StuSgang beä tief gwifd)en Sergen eingefdjränften JDurc^brud^St^aleS biete« bie ^rädftigften Silber, hier Singen mit bem 9tieberwalb, bort bie wunberfchöne Sergpforte swifdjen {RolanbSecf unb ©rachen fd8. Unb baran fdjliefjen ftd? als glängenbe SInfangS* ober (Snbpunfte hier ba8 golbene SJlaing, bort ba8 heilig« Köln.

•Die SBirfung biefer malerifdjen Sanbfdjaften ift um fo ein» bringlid)er, ba ber fReifenbe, oon welcher ©eite er fomme, ein anmuthlofeS ^lac^tanb hinter fid} läfet. SDie {Rheinufer unter* halb Sonn bieten feinerlei lanbfchaftliche Schönheiten ; aber audj oberhalb {Dtaing breitet fich gewaltig lang, etwa Bier bis fünf SReilen breit, ba8 »ormalige ©eebecfen beS SDberrljeinthaleS, burdj welches ber Strom in gewaltigen ©inbungen feine SBaffer ba* hinroüt. Son Safel abwärts fährt baS Schiff nur gwifchen flachen Ufern einher, über beffen ©ämme eintöniges Söeiben* geljölj hinwegfdjaut; gut {Rechten unb ginfen, in weiter Seme, ftrecfen fid) bie blauen Sergfetten beS ScbwargwalbeS unb ber Sogefen bahin. Qcrft bei Oppenheim, wenige Stunben oberhalb 9Jlaing, tritt an ben Strom in fteilem iÄbfturg baS Kalfgebirg beS linfen Ufers heran, gefrönt burch eine gertrümmerte Kaifer» pfalg unb bie wunberfchöne Katljarinenfirche. SDaran reihen ft«h anmutbige SBeinhügel, bis baS golbene 5Raing bie Pforte beS eigentlichen SRljeingaueS eröffnet.

$ier legt fub fcer SaunuS bem Strome oor unb swingt

HO*)

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ihn, in meftlicher (Richtung meitergufliefjen; gum ©eleite giebt et ihm Me liebliche #ügelfette beS redeten UferS mit, meldet gegenüber, obwohl meiter entfernt, eine anbere entflicht. 2)aB ift ber altberühmte (Rheingau; ein weifjeS Stäbtlein nach bem anbern lagert fid) in faft ununterbrochener golge am Ufer hin eingerahmt gtoifchen alten 2hL'rthütmen mit Sinnenbädjern; helle, Sanbhäufer blicfen auS bem ©rüit ihrer ©artenanlagen, unb barüber fteigt baS SBeingebirg in milben £ügeln auf, foweit ber Slicf reicht, unb bietet fid) bem »armen Strahle ber SRittagSfonne bar. Söeinberge finb im ©runbe nicht malerifch f<hön, am »enigfien fo lange fie nodh laubloS nur bie nacften 3»eige unb ftüfcenben pfähle geigen; an fchroffen Stellen fteigen fie in fteinernen ^erraffen auf, bie überall in fteifen Sänbern bie Sergfläche burdjfdjneiben ; aber erfreut unS ber ©ebanfe an ben hier allerorten fichtbaren SRenfchenfleifj, au baS eble ©emächS, baS er pflegt, an ben hergerquicfenben golbenen Saft, ben bie Sonne barauS bereitet. 3)er Strom felbft gleitet im breiteren Sett gwifdjen grünen 3nfeln bahin; fein ernfter ober großer ©inbrucf unterbricht bie (Reihenfolge anmutiger Silber beS SBohtbehagenS; fo galt ber (Rheingau für bie beginnenbe Seit beS (RaturoerftänbniffeS feit SRitte beS »origen 3ahrhunbertS bis gum 6nbe beffelben für ben fchöneren Stjeil ber SR^einfahrt.

2>ann legt fi«h bei Singen baS ©ebtrg »ie ein unbegwing» liehet 3BaK bem Strome »or; aber feit unbenflichen 3ahren h«t er fidj nach unb nach eine (Rinne in baS ©eftein beS Schiefer» gebirgeS genagt, welches er nunmehr, gemeiniglich eng gwtfchen gelSmauern befchloffen, je^t rechts, je£t linfS einen Sergoorfptung umgehenb, ber gangen Quere nach burdjbricht. 3n ber SDRitte beS langen gelSthaleS, »on ©obleng bis (änbernad), breitet ftd) ein geräumiger Ühalfeffel auS , wieber ein ehemaliges Seebecfen,.

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weithin bebccft mit ben Auswürflingen ber »ormatS »ulfanifchen (Sifelberge. 35ann ,fchliefjt fich baS fc^roffe (Sngthal aufs neue für eine ©trecfe non etlichen SJleilen, um fd?liefelidj in ben fteilen ^elSwänben beS ©racfienfelS einen prad)t»otIen 9lbfc^lu§ ju finben; fdbcn winft Sonn in ber fterne, unb über baS Sßeibengefträuch beS wieber flauen UferS blicft baS ftoljc ©nbjiel ber SRbeinfabrt, bet riefcnljafte SBunberbau beS Kölner 3)omeS.

Unb auf bietet ganzen weiten ©trecfe, bie wir jefjt auf be* quemem ©chnetlboot in nicht einem »eilen Sage ftromab burch* fahren, waS bakn wir nicht aH gefehen? Serge übet Serge, in naeften Reifen emporftarrenb ober bis jut qjätfte mit mühfam gepflegten SBeinftöcfen bepflanzt, bie Häupter bewalbet; ben ©trem entlang zierliche alte ©täbtlein mit weiften Käufern nnb f^watjen ©chieferbächern. US ift nur eine ©trafte; Pahinter fteigt fchon wieber bie ©tabtmauer mit ihren 3innen empor, alte mächtige Sbürme, mit ©pheu umfponnen, mit ^uftbäuScben gefrönt, rahmen biefe fleinen ©täbte ein; auS bem ©ewirre ber Raufer heben ficb prächtige Ährchen, romanifche, gothUche, echte alte, »erwittert unb grau, baS ©pifjbach burgartig mit einem 3innenftanj umgeben. Unb über jebem ©täbtlein auf febroffem gelS fchaut eine Surg herab, bie einen 3erfallen , anbere hergeftellt. ©lücfliche 9JIenf<hen fielen ba eben unb winfen bem »orüberfahrenben ©djiff mit wetten Sitchem einen ©ru§ gu. $ier hebt fid) Surg Älopp, wo Äaifer Heinrich IV. »on bem eigenen ©ohne oerrathen warb, bort ift ber fJliebetwalb, ber halb beS beutfehen SolfeS ©iegeSbenfmal tragen wirb, hier beS böfen GrjbifchofS £atte fDtäufethurm. SDiefer ©belftein »on einer alten Surg, mitten im 9ihein auf einer ^elSflippe gebaut, ein wunberfameS ©ebäu mit zahlreichen Sbürmdben, eS ift bie 'Pfalz; hier ift Slüchet in ber Sfteujahrönacht 1814 über ben fRhein ge* («»)

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'Z\

gangen. {Dort oben fif)t bie Lorelei unb fämmt i^r golbeneS jpaar; bott Scploh {Rheinfels, bae riefige Srümmerwerf, ba bie malerijche {Dlarjburg; ^iet bet ÄönigSftuhl ton SRhenje, ba bet StolgenfelS, tjiet bet @!^renbreitftein. 2)iejet ^roffe gelsfolof) trägt bie Stummer ton ^ammerftein, wo beS ^eiligen römijdien {Reicbeö Äleinobien gu 3eiten aufbewa^vt mürben; bort oben ftefct bie wunbetfchöne SpollinariSürche; bort brüben liegt baS ©ieben* gebirg mit bem {Drachenfels unb hie* ber {RolanbSbogen, ton bem bet trauernbe {Ritter hi«abjd)aute gum {Ronnenwerth! eines nach bem anbern , liebliche {Dörfer unb regfame Stäbtlein, alte {Bürgen unb neue ifanbhäujer, ©belfteine ton Äitchen, Söeinberge unb Dbftgärten; unb welche SBunber weih nicht bet Äunbige noch fonft ben SBalbthälern terftedt, bie ton 3eit gu 3eit, wenn bie 33ergmänbe einen $Dut<hjchlupf laffen, in baS terborgene 2anb gut Seite fid) aufthun!

Sßorin, fragen wir, befielt biefet berüdenbe {Reig ber {Rhein* lanbjchaft? ©in Slmerifanev , ich weiß nicht, wo ich eS laß» hflt gemeint, jein .pubjon wäre wohl jchöner als ber {Rhein, wenn beffen JBurgen nicht wären. 3a, baS ift bie Sache, nur bah ber SRann fie nicht töllig auSgubtüden wuhte, wenigftenS nicht für ein beutjcpeS ©emüth- 3ebe lanbjchaftliche Schönheit erfreut uns auf bie {Dauer nur, wenn wir Sputen menjchlichen SBirfenS barin erfennen. @8 ift mir bange geworben am hellen jonnigen ÜRittag, als ich, ein reifer 2Rann, mutterjeelenallein tom ©ot* net ©rat gur ©iSpracht beS SRonterofa unb feiner {Rachbarn hi«* über jehaute; ich weine, ähnlich mühte ber ©inbrud beS UrwalbeS ober bet Sffiüfte fein, ober beS 5ReeteS an tobeinjamer §eljenfüfte. jpören mir ben äflang ber menjehlichen {Rebe ober nur fernen ©lodenton, fehen wir bie Spuren bet fleißigen {JRenfdjenhanb, jo wirb uns heimlich unb behaglich gu SDiuthe. Slbet noch ge*

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ftcigcrt wirb, wenigftenS für baä reifere ©emütf), biefer ©inbrucf, wenn biefe ©puren ber 5Renfd>en^anb un8 nid}t bloß in bie rührige ©egenwart, fonbern in eine längft oerfunfene ©ergangen» heit hinweifen. Unb btefeS ift, wenn irgenbwo, im Sfijeintfjal ber gaH, unb gwar, auö ben fc^on früher entwicfelten ©rünben, ht unenblich böserem Ü-Raße alß eS bei ben übrigen beutfdjen glüffen bet gaH, ja überhaupt möglich ift. 2Bol)l nur wenige werben fid? biefeß ©inbrucfeö unb feiner ©rünbe »oßfommen be» wußt, aber wirfjam bleiben fie barum bod}. Snmitten biefer halb lieblichen, balb großartigen lanbfdjaftlichen Schönheit ahnen wir fortgefegt ben gewaltigen gerichtlichen ^intergruub bet» felben; wir feljett bie alten SRcmer ihre Äaftelle abftecfen, bie Äaifer auf» unb abgiehen; wir beoölfern bie gebrochenen ©urgen mit lebenben fRittern, unb öa$ junge 5Räbd)en, ba8 un8 necfifdh »om ©öller grüßt, wirb un8 gum ©utgfräulein. ©oethe, ber fo manchesmal rßeinauf unb rßeinab fußr, h<*t einem wunberbar frönen Sugenbgebidjt biefer ©mpfinbuitg SuSbrucf gegeben, ®t läßt ho<h auf bem alten Slhunne be8 gelben eblen ©eift fteljen unb hewieberichauen auf baS tiefunten baßingleitenbe ©chifffein; ber ©eift ruft bemfelben gu:

'Sieh, biefe Senne war fo ftarf,

3)ieS $crj fo feft unb milb,

Sie Änoihen bdB Don jRittermarf,

Ser Öecber angefüllt :

5Rein halbe« öeben ftünnt’ ich fort,

33erbehnt’ bie £>älft’ in IHub,

Unb bu, bu ÜOlenfChenfchifflein bort, gal;r’ immer, immer ;u!

2öa8 hier ber 2)id)ter mit wunberfamem ©erftänbniß au8= fpricht, ift e8 nicht ba8 ©egenftücf gu unferen ©ebanfen, wenn

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2.3

wir au biefer jertrümmerten Jperrlic^feit auf leidstem Sdjifflein bahinfahreu ober fröhlichen SiuneS bahinwanbern? 55er ©eifi beö alteu StitterS ruft unS ju: gahrt nur baljin in ©urer Bröh* liebfeit, geniefjet beä Kolben unb furgen 8ebenö, wie ich oormalfl! 3^r werbet audj bereinft 9tuhe finben unb ftiüe werben, wie ich bin! Unb unö brängt fidj bie ßmpfinbung auf: 55ort oben, wo jefjt in ben morfcben Krümmern nur Äaug unb ©ibedjfe Raufen, ba tjat oor Seiten fröhliches SDienfcbenleben geflutet. 55ie bort oben wohnten, fie haben wohl auch manchmal freubigen SlicfeS h>nabgefchaut in biefe oeHquellenbe (Schönheit, l^abea baS 8eben genoffen unb 8eib getragen, wie wir, unb wo finb fie jefct?

SltlcS batjin, bal;in!

©aS ift eS eben, waS, um auf eine frühere Semerfung ju« rücfgufommen, ben ^)ubfon oom Dtljein unterfcheibet, bafj bet lefjtere in feinen gefdjicbtlicben ©rimterungen nnb ^pinweiien eine geiftige Schönheit befitjt, welche ben malerifchen 9ieig biefer Serge unb Reifen, fßeinterraffen unb Stäbtlein, Surgen unb Kirchen unenblich uertieft. Unb bod) will jugleid} bie ernfte SBehmuth, bie fid) unwiDfürlicb an bie Setradjtung oon £rüm» meru, an ben ©ebanfeu längft oorübergeraufcbten 8ebcnS fnüpft, ftch am 9thei« ntdh>t einftelleu ; baS aQe@ ift gar fo fchön, unb biefe oerwitterten Sengen bet alten 3eit fchauen hinab auf bie lebenbig flutenbe ©egenwart. Sßir erfennen überall bie Spuren regften SerfehreS, fruchtbarer Arbeit; jur Rechten unb jur hinten beS Stromes raffeln lange 3üge oon Söagen auf ber ©ijenftrafje bahin, mächtige Schleppboote fämpfen gegen bie Stellen unb führen ihr ©efolge oon fcbwerbelabeuen Segelfchiffen ftromauf; bie zierlichen Sd?wäne beS SiheinS, bie 55ampfer, gleiten an ein» anber ootbei, unb jaucbgenb grüßen, bie barauf fahren, mit

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u

wehenben Supern hinüber unb herüber; Bon gar mancher 23 arg auf bet £61^ flattern gähnen im SBinb; gtünenbe ötebengänge unb blifcenbe genfter geigen, baf) auch butt oben wieder juugeö Seben eingefehrt ift; an bie ©täbte fdjliefjt fid) «in Jrtrang an» mutiger Sanbhäujer, unb mir jelbft? 2Bir gieren entweder alö frijdje SBanberer gu gufje einher burch biefeö jdjöne fröftfidje Seben, ober mir jdjweben auf bem SDampfer baljin, ringö um* mögt »on lauter ©ejetljchaft, unb alle biefe ÜJlenjchen freuen fiel* ber SBelt, genießen ben rajeh oerraufdjenben ©onnentag , der ihnen Bielleicht nodj nach langen Sauren ein Sag beß @edäd>t* nifjeß fein wirb. 55aß macht ebeu beu 9U}ein fo Ijerrlid), tafc feine reiche ©djonheit fidj aufbaut »or bem bunfeln Hintergründe ber oergangenen Beit, unb bafj wir allerorten gugleid) niefjt bloß ben glei§ unb baß frijehe ©ebenen ber ©egenwart jeheu, fon* bern auch glücfliche fDlenfdjen, bie mit trunfenem Slicfe fitfy ber SBelt unb ihrer ©djönheit freuen. 55enn frohe ÜJlenjchen gu fehen madjt unß felber froh-

Unb nic^t gum Sßenigften trägt gu biefev SBeltbebeutung beß Ol^eine fein SBein bei. (Sr ift jold? ein ebleß ©etränfe, baf} er einer gang bejonberen, wahrhaft philojophijdjen SBürbigung bebarf.

3ch bin nämlich geneigt gu ber Slnficht, baf), jd)on auß naturwijjenjchaftlichen uub geogra^^ijdjen ©tünben, fein SBolf ber äöelt jo in ber Sage fei, SBein gu trinfen, wie ber 35eutfd)e.

35er ülorblänber, aljo ber Oiuffe, Ülormeger unb (Schwebe, ber S3ewo^ner bet norbijdjen üJteereßfüfte ober beß Snjellanbeß, aljo ber 55äne, (Snglänber, ©chotte, .pollänber, fie trinfen gur (Sr« wärmung Ujteß leiblichen ÜJlenjchen, gur Sßefiegung ber fühlen ÜJleereslujt unb beß feuchten Ülebelß ben jehweren jüblänbijdjen SBein ober gar baß efte gebrannte SBajjer. ©ie wärmen, aber

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fic fteigen in ben Äopf, fic machen fdjioet unb bumpf, unb wenn ber Deutfdje baoon nach ^eimifd)er Seife trinft, fo wirb et be* trunfen. Dieje ©iiblänber ober ber 33ranutwein in aüen jeinen mannigfachen ©eftalten, fie finb eben nicht „f Affig", um ein biebereS rtjeinifd;eö Sort gu gebrauchen. „SJian fann habet nicht fingen, babei nicht fröhlich fein-"

Der ©üblänbet bagegen, ber grangoje unb ©panier unb Staliener, fie »erflehen auch nichts »cm Sein. ©d?on ber gtangofe mijd)t fid) jeinen Sein mit Saffer, gleich ben Jpelben JpomerS unb ben Seifen PatoS, bie fichetlich auSbünbiget SJlengen foldheS fläglichen ©etränfeS beburften, um in eine halb* wegS ^eitere Stimmung gu fommen. DaS ift aber naturgemäß; bet Portwein, JereS unb fßlatfala, bie in bet fJiebeßuft oon Bonbon ober ©tocfholm gute Dienfte thun, fie erlaßen baS heiße 33lut beS ©üblänberS nod) mehr, unb er greift gum Saffer, welches ber rebliche Deutfd)e weislich meibet,

„Dieweil barin erfäufet finb

9tfl jünbhaft SJieh unb SRenfcpentinb.''

3ch will bamit nichts Schlimmes fagen über bie Seine unjeter Nachbarn, ber grangofen; baß fie folch guten Sein gießen, habe ich immer als eine .pauptliebenSwürbigfeit oon ihnen be* trachtet, ©in eblet 33urgunber ober 33orbeauj oerbient äße Ächtung, »orab beShalb, weil er unter ben gremblingen mit unfetem 9i^einn>ein noch bie meifte Äeßnlichfeit hat. Der ©h^m» pagner bagegen ift ein bummeS ©etränfe, ihn gu genießen ein 33eweiS oon ©eiftlofigfeit ober ©roßthuerei, weshalb eS gumeift in ©egenben gefchieht ober oon folchen, bie oon bem edjten Sein nichts oerftehen. Der 6han,baänet ift lein Sein, fonbern ein Äunftprobuft , ein mit 3uder unb Älfohol gurecht gemachter werthlofer jRebenfaft; man fragt nicht, wo er gewadjfen ift,

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fonbern, wer iljn gemalt Ijat; bie ebten sperren »on .podjbeim, fRübeSljeim unb 3obauniSberq befifcen ifyren SBeltruf feit 3aijrl}unberten unb werben i^n auch ferner befifcen, bie 3Bittwe ßliquot, 9Rumm unb fRoeberet finb gabrifanteunamen, »ergang* lid) wie ber bunte Bettel auf ifjrer glafdje, wie ber pricfelnbe <£djaum i^reS SöeineS.

©eutfdjlanb ift baS wal^re fReid? ber SRitte für ben echten unb geregten ÜBeinirunf, unb ber Äern in biefem Oieidje ber SDiitte ift baS fRtjeinlanb felbft. ©er beutfdje Printer fjaf)t ben ©djnapä unb »erachtet baS SBaffer: ber edjte ©eutfdje trinft mit Slnbadjt; ba$ SBeintrinfen ift iljm ein (5ultu§, ein ÜR»fterium, eine (Srljebung in bas JReidj ber sJ>oefie. 6t »erlangt gum ©e« nuf) ber 3«njje nodfy ben ©enufj beS DfyreS im Sfnftofjeu, im

t

©efang, in lebenbiger SSedjfelrebe, Printen unb SUiflingen ge* Ijört i^mjufammen; bat ja bod> ber ffranjofe für ben itym ftemben 23raudb baS beutfdje 3Bort trinquer geborgt. Unb weldieö 33olf bat foldje Jrinfliebet wie bet ©eutjcbe? fRicbt leidste djampag» nerartig fdbäumenbe, wie biejenigen 23eranger8, fonbern ernfte, feierliche, tiefe, ^eilige Jrinflieber, bei benen aus ber golbenen glut beS SSeineS bie ädjtefte ^)oefie, bie fdjönfte grömmigfeit, bie reinfte SöaterlanbSUebe , bie weitfyerjigfte SRenfcbenliebe em* porfteigt. SBer tyat fte in braufenben 3ugenbjal)ren begeiftert gefungen unb wirb nid)t nod) unter grauen paaren anbäd)Hg unb frob, wenn er ber »ergangenen Seiten gebenft? SBeun biefe unterblieben 8ieber|an feiner «Seele »orübergeljen:

'.Hu 3 geuer warb bet ©eift geraffen,

©rum fcbentt mir füfje« geuer ein!

ober:

Sitte« jcjjweige! 3eber neige (Smften Jonen nur fein Obr!

<4U)

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ober ©oettye’6 prädjtigeS Srinflieb:

Sötidj ergreift, icty weiß nicpt wie,

£nmmlifctye§ Setyagen, ober ba8 ernfte:

@inb mir Bereint $ur guten 3 tunte,

3Btr ftarfer beutfctycr OTännerctcr,

ober baö prädtytige alte £ieb beö etyrlidjen SBanbSbecfer Soten 9Ratttyia8 ©laubiuS:

Sefränjt mit ?au6 ben lieben Bollen 2Öed;er mit feinem tief gemüttylictyen Sdjluß:

Unb müßten mir, mo jemanb traurig läge,

SBir brauten ibm ben Sein!

Solche SErinflieber fann blo§ ber beutfctye SMctyter, nur bet SDeutfctye fingen, unb nur beim fRtyetuwein fingen.

25er 2>eutfctye trinft, wie man am fRtyein fagt, mit 33er» ftanb, benn fein Sein läßt itym ben 33erftanb; „im Äteife frotyer fluger 3«tyer", fo fängt ein8 unfetet SErinflieber an unb nictyt mit Unredjt, benn ber fRtyeinwein madtyt frötylid) unb giebt gute ©ebanfen. 25er grangofe, Italiener unb Spanier finb im ©runbe gebanfenlofe ©etränfe; man trinft fie, «eil fie gut fdjmecfen; beim fRtyeinwein benft man. Sttyen bet erfte ®e* banfe ift: So mag ber Sein gewactyfen fein? 33on meinem 3atyrgang ift er? 2)ie gremblänber wirfen nur burdj ityren §a* brifantennameu, ober gange ©eoiertmeilen Bon Seinlanb werben unter ©inem tönenben SEitel gufammengefaßt, ober wa8 an Sou» bettiteln etwa eergeittynet ift, baö ift nichts wertty. 33om Satyr* gang ift gar nidtyt bie 9tebe. ©in fohtyer Sein ift wie ein Sudty otyne Serfaffer, „gebrucft in biefem 3atyr". 2)et ettyte 2)eutfctye trinft feinen guten SEropfen, otyne 3U wiffen, wann unb wo er gewactyfen ift; er fdjeibet ben jungen unb ben firnen, et

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fd)eibet nach 3ahrßängen unb tiagen, unb in funbiger ©teigerung folgt bcm ©uten bet 93efjete, bem Sßeffeten bet 33efte, biß ein „rotier Äragen" dou ebelera äßmannßhäufen bem finnigen Sedifelgefpräih oon SDiann unb Sein ein ©ube macht. tKber foldjeß ift auch nur am {Rhein möglich, wo bei Singet feine {Reben pflegt unb nährt, wie bie SRutter ihr Äinb, wo et ben Sein mit feinet ©orge geleitet oom erften ©efchein butch bie Sölütbe bis gut {Reife, butch gebulbigeß .patten unb breifadje JMußlefe auß bem ©uten baß Seffete unb 23efte fchafft, unb nodj im Äeüer butch funbige pflege ben wilbeu Änaben gu einem ^ettlic^eu 3üngling ergießt. SDa ^at jebet 33erg, jebet fonnige Jpang feinen ©onbernamen, oft nur eng begtengt, nur oon bem Äenner nach Sütben gefdjvi^t , aber bei folget ©org* falt, wie fein Sßolf bet ©rbe fie feinem Seine wibmet, erwdchft auch ein außgefuchteß gieblingßfinb, torab in guten 3afyten, unb bie ebeln Jpeimer unb ©teinet, bie Setget unb Sljaler, fie finb wahrhaft abelige Jperren, Heine dürften oon ©otteß ©naben, in ritterlichen ©hren Ijoc^geljalten burdj bie gange Seit, biefe Diel* geliebten greiljerrn Don Oppenheim unb {Rierftein, Sobenheim unb Saubenheim, ^poc^ljeim unb SRarcobrunu, {Rauenthal unb ©teinberg, ©eifentyeim unb 3channißberg , {Rübeßheim unb Stfl» mannßhaufen, 3ngelheim unb ©djarlachbetg! Sohl wtß, baf) biefe ©beln unter unß wohnen, unb möge nie bie nidjtßwürbige ametifanifche {Reblauß übet fie fommen, noch an ihre trefflichen S3rübet dou SRain, SRofel unb ©aar, benn auch *>a »ächft an guten ©teilen ein ftolgeß @efchled>t, welches baß SDichterwort: {Jtheinwein ift gejcbmolgne Sonne,

SDiojclwein gefrorner Sftonbfcbein gu ©chanben macht.

Unb foll unfet .perg nicht höh« f^lagen , wenn wir oorüber*

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fahren an ben fonnigen Rängen, wo fo!d>e eble Herren im Schuh« ber 33urg ober be8 ÄlofterS aufwacbfen, wo fo »iel frei)* liehe Sieber, fe mel gute ©ebanfen, fo »iel glücflidje Söi^e au8 bem ©eftein auffpriefjen? Sollen unfere ©ebanfen nicht höher fliegen, wenn un8 ba8 tiefe ©olb au8 bem runben SRömer entgegenblinft? Sowohl, wir trinfen mit fßerftanb, wir benfen beim Sftyeinwein ! Sin wa8 benfen wir? Sin wa8 anberS, alö an bie Schönheit be§ NheineS, an ©ejdjidjte unb Sage, an ben frommen Siegfrieb unb ben Nibelungenhort, ber bei SBormS im Strome »erfunfen liegt, an bie Sorelei unb ben betrübten No» lanb, an Äarl ben ©reffen, ben Nebenfreunb, an Burgen unb Reifen, SBeinberge unb Ntanbelbäume, an wunberoolle SBanber» berfahrten in fröfjlic^en Sugenbtagen, an entjücfenbe Sluöblicfe »om h<?hen ?cel8geftein, an h«ö« fonnige Stage, ba wir auf bem Schiffe rheinab fuhren, cot ben Slugen biefe ewige Schönheit, in ber ^anb ba8 ©laS mit bem buftenben ©olbtranf biefer Ufer! 2)a8 Sllter benft fröhlich an bie »ergangenen Sage, bie 3ugenb benft in glücf liebem Straum an bie »erhüUte Sufunft; au8 ber golbenen 5BeUe fteigt SllteS unb NeueS,

SSor allem aber ba$ SÖilb ber ©eliebten,

2>a8 ©ngelsfcpfhen auf JKbettureingolbgrunb.

So wirb bem SDeutfchen ba8 Sanb, wo folcher SSein wächft, ein Sanb ber ^)oefie, wie bie JDichtung unb Sage, bie Schön» heit be8 Sanbe8 ben SBein abein, in ihm ein ewiges Sehen ge* winnen.

@8 möchte nun fcheinen, als ob biefe Grinwirfung be8 Nl)eine8 auf ba8 beutfehe ©emüth allezeit muffe »orljanben gewefen fein, beun feine Schönheit ift hoch im ©runbe un^erftörbar, feine Surgftäbtlein unb Söurgen waren »ormal8 ohne 3»eifel noch maletifcher al8 gegenwärtig, fein ^anbel blühte im ÜJlittelalter

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wie jej}t unb feine Sieben geniefjeu feit einem 3ahrtaufenb beß* felben {Rufeß. So ift unß wunberlich gu beobachten, bafj biefet, ich möchte fagen, anbächtige Jfultuß beß {Rheineß eine net» hältnifjmafsig junge ©rfdjeinung ift. Som 3Kittelalter faum gu teben; ift eine befannte $hatfache, bafj baß SRittelalter für lanbfchaftlidje {Reige geringeß SBerftänbni§ hatte, ba& ein ^reiß lanbfchaftlicher Schönheit in ben {Dichtungen ber ÜRinnefänget fociel wie gar nicht corfommt, jebenfaCiß ohne alleß örtliche @e» präge ift. Sllbrecht {Dürer fogar, bet gefeierte 9Ralet mit bem wunberfamen Äennetblicf für bie ©eftalten beß menfdjlichen Bebenß, er fahrt iu fünfter ©ommergeit 1520 unb 1521 ben {Rhein hinab unb hinauf, ohne in feinem fonft fo peinlich ge* wiffenhaft geführten Sagebuch ein Sterbenßwörtlein gu fagen non bem malerifdhen {Reig biefer balb milben, balb fchtoffen Ufer, ©benfo wenig begegnen wir, foweit mir befannt, im 17. unb 18. Sahrhunbert einem 8obe ber {Rheinlanbfchaft. Älopftocf unb ©laubiuß befinden ben {Rheinwein, aber auch beß {Rheineß Schönheit? So wenig wie ©oethe, welcher gar manchmal ben {Rhein auf unb abfuhr. {Der feinfinnige ©eorg gorfter, welcher (Snbe 9Rärg 1790 ben {Rhein hinabfährt, erfreut fich an bem „reichen, mit aneinanber hängenben Stabten befäeten {Rebenge* ftabe" beß {Rheingaueß; bagegen finbet er, baff für bie {Racftheit beß eerengten SRheinufetß unterhalb Singen bet Banbfchaftßfenner feine ©ntfdjäbigung finbe, er erflärt bie Serge gu beiben Seiten für einförmig unb ermübenb, bie Surgtrümmer haben guciel 9lehuli<hfeit mit ben cerwitterten Sergfpifcen, auf welchen fie liegen; felbft bie 8age ber Stäbtchen, bie eingeengt finb gwifchen ben fenfrechten SEBänben beß Schiefergcbirgß unb bem Sette beß furchtbaren gluffeß, ift melancholisch unb fdjauberhaft. SEBie fommt eß, möchte man fragen, bafj ber cereinigte {Reig con ©e*

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fdjtdjte, Sage unb SRaturfchöuheit, weichet heutzutage um biefea 8iebling8ftrom bet JDeutfdjen einen änuberfchein webt, noch für baß näd^ft hinter un8 liegenbe 3al)rhunbert eigentlich gar nidjt »orljanben war?

@8 haben baju Derichiebene ©tünbe mitgewirft. (Sine8theil8 warb weniger gereift, ba8 SReifen mar befdjwerlictjer unb babei fogar auf bem fRljein unb in feinen Meinen ©täbten id) t>er« weife u. 2J. auf bie SReifefdjilbetungen oon 3ung»@tUIing unb ©eotg gorfter mit einet SJtenge heutzutage längft oetfchwun» benet 33eläftigungen »etfnü^ft. 2lnberntheil8 etfcheint bie 2luf* faffung8fä^igfeit für lanbfd)aftliche Schönheit eigentlich erft feit bet SKitte be8 18. 3ahrhunbert8. im wefentüchen l)etüotge* rufen burd) SttjomfoitS 3abre8^eiten, JpaOerS SUpen unb SRouffenu’8 dteue #eloife; bie beutfdje Dichtung nahm feit 23eginn bet ©turnu unb SDrangzeit, alfo etwa feit 1772, einen Dödig neuen Sluffchwung, öffnete gum etften dJtale bem beutfchen 33olfe gang unb wirflid) bie Säugen für lanbfchaftliche Steife ; eine fur^e $in= weifung auf ©oethe’8 SBerther, auf ^öltp’8 SJtonbfcheingemälbe unb ©djilbetungen beS SanblebenS mag hier genügen. Unb boch ift fogar biefe wunbetfame, plöhlid) eintretenbe ©rweiterung be8 beutfchen 9iaturftnne8 nicht au8reithenb, gu erflären, weshalb etwa feit bet Scheibe be8 18. unb 19. 3ahthnubert8 ber Vtyem thatfächlich ber 3)eutfdjen SieblingSftrom geworben ift. ©t banft ba8, wie mit fdjeint, ber Sage an ber SBeftgrenge beutfchen SanbeS, berfelben geographifdjen Sage, bie ihm neben fooiel ©lücf aud) fo oiel Seib gebracht Ijat-

3d) will ba8 an einem ©leidjnifj beutlich machen. 3)er SBater Kebt, ftcherlid) ohne S8bfi<ht unb Dielfach ohne 33ewu|tfein, baSjenige feiner Äinber am meiften, ba8 ihm bie meifte Sorge gemacht, um beffen Sehen er am fchwerften gefämpft h«t; unb

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fold? ein Scrgenfinb beg beutfchen Solfeö ift bcr Nhein Jahr* hunberte fang gewefen, unb cot allen Dingen an bet lebten Scheibe ber 3abrhunberte.

Dem war nicht affe im SOiittelalter. Der JRhein bitbete bamalg ben Äern beö beutfchen 8anbe8; »on ihm au$ brang beutle $errjchaft, (Sitte unb Sprache langfam »or gu ben flawifchen Seffern an ©Ibe unb Dber, wie bie Donau hinab bis ju ben ©rennen ber Ungarn. SöeftwärtS ftredte fid) heutiges fReich$gebiet weit hinüber biß an bie NtaafS unb an bie untere fRbone, wenn auch bie Dbrnacbt be8 beutfchen Äönigä über biefe fran^öfiieb rebenben ©ren^lanbe mehr unb mel)r [ich in ein ge* fcbichtlid) entftanbeneS unb gefchidjtlich gefchwunbeneö Schatten* recht »ertüchtigte. Unb wenn 8pon unb tärleg, 8üttidj uub Nanjig nach unb nach ftd) bent beutfdjen fReiche »eilig entfrem* beten, eg fdwitt hoch nicht in8 fUeifd) beS beutjeben Solfeö, tnß ^»erj beutfeher ©bre; e$ war frembrebenbeö Sanb, unb man batte e3 im ©runbe längft »erloren gegeben. granfreid), burd? bie enblofe §el)be mit ©nglanb feftgehalten , war machtlos; eg war noch am SluSgang beö ÜRittelalterS möglid), bafj Äönig 8ub« wig XII. einen feiner tRathe, welcher Äaifer ÜRajr fpottenb ben Sürgermeifter »on Slugöburg genannt hatte, mit ben Sorten heimfehiefte: Du ©fei mu§t »on ber heb?” Dbrigfeit nicht fchmählid? reben. ©laube mir, wenn biefet Sürgermeifter läfjt bie ©lode läuten, fo ift ganj Deutfchlanb im £)arnif<h, unb ^ranfreicb beginnt ju jittern!

Durch baö ganje 9Rittelalter hinburch alfo hatte ber Deutfche feinen tJlnlajj, ben fRhein mit anberen tSugen ju betrachten, alS jeben anberm bcutfdjen Strom. Daß wanbeite fich, feitbem granfreich burch 8ubwig XI. unb feine Nachfolger geftärft, beu Nebenbuhlerfampf mit bem beutfdjen JReiche begann unb babei

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in feem 3wieipalt bcv 33efenntniffe eine oetbängnihnolle Unter* ftüfcung fanb. 3m 3ahre 1552 warb 9Jlefc nerrätherifcb nom fReid) abgeriffen, 1648 ging baS öfterreichifche (5üafe nerloren, 1681 jogen bie ftrangofen in ©traftburg ein. 3e maditlofer fich baS erfterbenbe heilige römifche SReich beutfcher Nation erwies, befto gefährlicher braufte bie ÄtiegeSwoge non Süeften heran; 1689 warb bie ^Dfal^ unb alles Uanb ringsum mit Beuet unb ©chwert nerwüftet; bie flammen ber herrlichen SRünfter non ©peier, SßermS unb Oppenheim fpiegelten fich an bemfelben fürchterlichen fPfiugfttag 1689 in ben Hellen beS 3it)eineS. Unb fo ging es weiter in ben nächften 3al)rgehnten; bie jahllofen Burgen beS JRheineS »nb feiner 9iebentl)äler würben non fran* jöfifdjen ÜRorbbrennern gebrochen unb blicften trümmerhaft in baS nerwüftete Üanb; bie alte ^-'faffengaffe, fonft ber ©arten IDeutfchlanbS, warb arm unb trag. Ulbet noch erhielt fich baS <älfa§ nötlig fein beutfd?eS ©epräge; erft ber 336Iferfturm ber frangöfifcpen ©taatSumwälgung braute baS ©chlagwort auf, bah bet tRhein bie natürliche ©renje ^ranfreichS fei, ba§ baS linfe SRheinufer de1« ©otteS unb fRedRS wegen ju ^ranfreid) gehöre. 2>ie Schwaben beS linfen DbertbeinuferS , bie ©Ifäffer, gegen jubelnb unter bem fiegreichen blauweijjrothen 33attner mit, unb ber fttieben non fiünenifle 1801 befiegelte üDeutfdjlanbS ©chanbe; baS linfe {Rheinufer non 33a fei bis ©lene war frangöfifch.

©leichfam über {RadR war bem in poetifchem unb philo* fophifthem ©tillleben nerfunfenen beutfchen Slolfe beS 18. 3ahr* hunbertS ein mächtiges ©tücf uralten {ReichSbobenS entriffen wor* ben; nicht in ©trafcburg bloS, auch in 9Raing unb Äöln, in Aachen unb Srier wehte bie Strifolore, fpreigten fich bie Söanner* träger ber frangöfifchen Freiheit, ©leichheit unb SSrüberlidjfeit. SDaS lange btohenbe Unheil war hereingebrochen; ber {Rhein war

XI. 250. 3 (4j»j

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nid)t mehr, wie ©oetbe in Jpermann unb «Dorothea icbreibt, ein „aUDerhinbernbet ©raben"; wohl mar feilt Sfyaiweg bie ©renge, aber bie gefprengten Heftungen beö redeten SRbetnuferö burften uidit hergeftedt werben; wehrloö lag Der ben t’lugen ber (?r* oberer. 3efct erft, im ©efühle ber bitterfteu fRoth, ber brennenb* ften ©diam, tarn bem 3)eutfd?en baö ©ewufctjein Dom SHerttj beö SR^einee, ber bieder nur al§ ©penber ebeln Süeineö gef cfoätjt worben mar, baö öemufftfein, baff fein ©efitj für ‘Deutjdjlanb eine fttage nationaler ©hr*< ja nationalen SJefte^enö fei. ©o warb ber JRhein baö ©dimergenöfinb non «Deutfcblanb.

818 bann im 3aljre beö ^>eilö 1813 bie Äriegeömoge rücf» wärtö braufte, ba warb ber ©ebanfe an bie SBefreiung beö fR^cineö jofort gurn gelbgefcbrei; ba fdhtieb ber Ijerrlicbe (Stuft SRorifc 2lrnbt fein SBücfjiein: „SDet JHijein, «Deutfchlanbö ©trom, nidjt JDeutjcblanbö @renge", unb gab bamit bem allgemeinen Semufjtfein Söort unb ©timme; ©cbenfenborf’ö ebleö ©ebidjt auf beu fRhein, baö erfte, welches unfeter gegenwärtigen ©mpfin* bung für ben Ijerrlidjen ©trom ooUen 8uöbrutf giebt, fdjöpft tief auö bem bisher Derjdhütteten S^ern ber rfyeinifdjen ©efchidhte unb ©age. «Die Hoffnung aber, baff bei biefet ©elegenheit alteö Unrecht gut gemacht, baö baö gange linfe fR^einufer beutfdj werbe, fie warb nicht erfüllt, fo eifrig ^teufeenö gelbherren unb ©taatömänner fid) batum bemühten; baö linfe Ufer beö Ober* rheineö blieb frangöfifd). 3Rit berfclben ©ewifeljeit aber, ' mit welker bie grangofeu Dom nächften Kriege bie Eroberung beö gangen Unten IRheinuferö erwarteten, richteten bie 2)eut leben ihr Renten barauf, baö in ben Salden 1814 unb 1815 Serfäumte bei günftiger Gelegenheit nadjguholen; baö fRheinlanb, biöher bie faule kPfaffengaffe, oerfommen unb terarmt, trat unter pteufjifdhe ^errfchaft unb bamit in baö Dolle geben ber ©egenwart ein;

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ber herrliche Strom, gcrabe weil er eine 3eitlang cntfrembet ge* wefen unb aOegeit gunäd}ft gefährbet war, warb ber Liebling ber beutfdjen ©id}ter. ©ie {Romantifer eröffnen ben $>reib beb iRtjeineö, bie ©ichter beb {Rheinlaubeb felbft folgen nach, unb jeber freche Äriegbruf oon Söeften entflammt beb beutfchen Ißolfeb Siebe gum {Rhein aufb neue. So im 3al)re 1840. {ßecfer'b {Rheinlieb: „Sie f ollen ihn nicht haben" ift rafcb oerflogen, tro£ feiner hunbert Söeifen; bie Sacht am {Rhein, aub gleicher 3eit, ruhte brei 3ahrgehnte im Schlummer, um 1870 eine glängenbe 2luferftehung gu feiern.

9Ilb bann bie Stunbe ber ©ntfcheibung fam, ba ging fofort burch aQeS Sßolf ber flammenbe ©ebanfe: 2Öir muffen ben 9?hetit wieber haben, ben gangen {Rhein, bao fDiünfter ©rwin'b, b ab alte 5Ret}, ben äöabgenwalb, bie Dbermofel, Strafcbuvg, bie Stabt ©ottfrieb’b unb Jauler’b, beb Sebaftian 33rant unb ©eiler’b eon Äaiferbberg, bie Stabt, wo ©utenberg bie erfte 23uchbrucfer» preffe baute unb ©oethe feine 3ugenblieber an §rieberife bichtete. ©b traf fich gar h^rrlid), bafc biefem aub einer gütle gefehlt* liehet unb bidjterifcher ©tiunerungen gebotenen ©ränge beb beut* fdjen S3olfeb bie politifche {Rothwenbigfeit 31t $ülfe fam. ©er 8fth«n warb wiebet beutfdj, non 33afel bib gut §)falg, unb bamit war eine feit 3ahthunberten offene SBunbe am Seibe beb beut* fthen S3olfeb gefchloffen, ein quälenbet ©ebanfe ber Scham unb ber Sehnfucht gur {Ruhe gebracht. Unb wir lieben unfern {Rhein fefct um fo mehr, weil wir nicht mehr mit Äummer im bergen an unfere Schwäche gu benfen brauchen; wir freuen unb feiner Schönheit unb feineb ebelu SBeineb hoppelt, weil wir, wie ein Sieblingbfinb bem brohenben Stöbe, fo ben ebelften ber beutfchen Ströme bet gtembljertfchaft entriffen haben. So mag SRap

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»cn ©djenfenborf, pon beffeu 5üf)emlieb biefe Betrachtung au8= ging, biefelbe auch befdiliefsett:

(Srfiillt ift jenes SBort,

(Der itönig ift nun frei;

(Der ^Nibelungenhort (Srftelit unb glänjet neu!

(§0 finb bie alten beutfeben (ihren,

!Die wieber ihren Schein bewähren,

2)er i'ätcr 3ucht unb ÜJtuth unb !Hubm,

(DaS heil’ge beutfehe Äaifertbum!

SMir bulb’gen unferm £>errn,

2Bir trinfen jeinen SBkin.

(Die Freiheit fei ber Stern!

(Die 8ofung fei ber Dibein!

2Bir wollen ihm aufs neue fchwören;

3ßir muffen ihm, er unS gehören.

Born Seifen forntnt er frei unb febr,

(Sr fließe frei in ©otteS 'JJieer !

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Irutf ten ® f b r. U rt fl f t (ib- ®rinim) in Ccrlin, Sdcnfbttjtrftrab« 17».

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Die ürdöe*

SSortrag gehalten im tiebig’fdjen £örfaale tu SDliindjett am 21. 93iär§ 1876

ton

Xatt 31. tl.

9)iit 4 .öoljüfjnitten.

Berlin SW. 1876.

33 e r I a g üßit Gatl $ a b e I.

(X. iß. l'hlmiii’ifti' Btrlogsbrn^liinbliing.)

33. JOIIbdm 6traf» 33.

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3)a8 JRedjt bet Uebetfefenng in frembe ©ptadjcn wirb eorbeljalten.

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^oU eine 8anbfd)aft »ollen äfthetifd)en ©enufj bereiten, fo mufj fie bolje SReige in fid) »ereinen. 3Bit beanfprudjen non itjr bar- me ni' die Sinien, bebingt burd) ba8 Gbenmäpige in ber 5Kn* orbnung ihrer 33eftanbtbeile, wir »erlangen eine gewiffe Söeite befi JporijonteS, bie bem fdiweifenfcen ©lief feine geffeln auf* erlegt, wir roünfdjen lebhafte, aber milb abgetönte Farben, tintige 93ertbeilung non ©chatten unb 8id)t, cot Mem aber Slb* wedjelung. ©enn treffenb fagt ber ©id)ter:

,, Schönheit ifl ewig nur (Sine, bod) mannidjfad) rrechfelt baö ebene, ©a| ee wechfelt, ba« mad)t eben bae (Sine nur fd)ßn."

©egen Ginförmigfeit empört fid) unfer @d)önbeit8gefübl «nt meiften. ©ur<h beftänbige SBieberbolung »erliert fcaS Grhabenfte feinen fRtiy, im SSedjfel unb ©egenfat) fann and) ©etingeS jur ©eltung gelangen.

©et Sauber einer au8 bem Ccean auffteigenben Snfel ober einer grünen Dafe in bet Söüfte beruht weniger in ben eigenen Sorgügen, al8 im Gontraft ju bet einförmigen Umgebung. ©a8 Ungewohnte erregt an unb für ftd) 3ntereffe unb ifi e8 nic^t getabeju häßlich, faft immer auch eine angenehme Gmpfinbung. ©e wirb ba8 Stege »on ben weithin leudjtenben Äreibefelfen

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f<hon »egen itjrer ©igenartigfeit gefeffelt unb ben fdhneewei&en, 400 gufj au8 bem branbenben ÜReer auffteigenben , »on tief grünen Suchenwälbern umrahmten gelSwanben {Rügen'8 bütfte faum ein SBefdjauer feine 93ewunberung »erfagen. ©benfo wenig »erfehlen bie fdjroffen Äteibemauern am Ufer ber 3nfeln 5Reen unb ©eelanb ober bie »ielfadj geraffenen, flippigen ©eftabe gwifdjen 5)oüet nnb Srighton ihren ©inbrud.

SDie bemerfenSwerthefte 3erf(üftung »on Äreibefelfen erinnere idj mid) aber in ber Ipbifdjen SBüfie gefeben gu haben. 3118 bie fRo^lfÖ’fdhe ©jrpebition auf bem {Rüdmarfdj »on ber 3(mmon8* oafe eine fünf Jagereifen breite fteinige Hochebene »on troftlofer ©införmigfeit überfdjritten hatte, gelangte fie an einen fteil abfallenben, ftellenweiS 1000 guf) h°ben ©ebirgSranb. Unter un8 breitete fich eine, im Dften »on buftiger ^ügelfette begrenzte ©infenfung auö, worin ftd) bie {Palmengärten bet Oafe garafreh wie bunfle fünfte fdjarf abgeidjneten. Unmittelbar am gufj unfereS ©teilranbeS fahen wir einen breiten ©aum wunberlidj geformter, »on gerne mastigen ©iSbergen »ergleidjbaren Seifen.

{Rad} einigem ©uchen fanben wir eine ©infenfung, welche unferer Äatawane ben Slbftieg geftattete, unb gelangten nun in bie {Region, bie unfete {Reugierbe fc^on lange gefeffelt hatte. ©8 war, al8 ob wir in eine »ergauberte {Rutneuftabt »on unge* heurer SluSbehnung »erfefjt feien, ©tunbenlang wanberten wir burch ein 8abt)tinth non ifolirten gelSgebilben, beren ph°n taftift^e ©eftalten ba8 Singe immer »on {Reuem entgüdten. Sött fahen gewaltige {Phramiben mit breiter S3aft8 hod) in bie 8üfte ragen, mächtige gelsblöde mit abgeftufjtet 2)ede »erfperrten ben 2Beg, bann famen fdjlanfe ObeliSfen, ©äulen unb 5Rinaretähnlid}e gelSgebilbe, welche wie 2öäd}ter einen granbiofen ^alaft um-

ftanben, beffen SRauetn geraffen unb an ihrem oberen IRanb mit (««)

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tief eingefebnittenen Binnen befe|t waten. Sie erregte 'Pljantafie fcf)uf fid) auS Heineren helfen groteSfe menfc^lidje unb ti)ieriid)e ©eftalten unb guweilen glaubte man ftdj in einer ©aßerie ^laftifdjer Vilbwerfe gu befinben.

3tetjntid>e ©rfebeinungen, wie bie eben gefebilberten, feil bie weifje treibe auch am Sone<3 im füblidjen Diufelanb Ijercor« rufen. ®ie finb jebod) nur bann möglich, wenn baS reiche ©eftein an ©ehangen entblößt ober »on @d)lud)ten burdifurcht, ber gerftörenben ©inwirfung beS SBafferS pteiSgegeben ift. 2Bo bie Äteibe ben ©oben eines wenig gefurchten Sanbftridjs bilbet, ba erf deinen ihre formen reigloö, bie Vegetation fpärlicb unb fcbwäcblicb. Ser Umftanb aber, baf} Äreibe überhaupt eineu namhaften Slntbeil nimmt an ber Vobengufammenfefjung gewiffer hänber, bafc fie auweilen in Reifen oon mehreren bunkert in bie .pöh e ragt, ebarafterifirt fie für ben ©eologen alö ein ©eftein.

Sie Äteibe ift 3h«en Äßen wohl befannt. 3h*e febneeweifce gavbe, ihre weiche erbige Vefdjaffenbeit unb ihre ebemifebe 3u» fammenfefcung unterfcheibet fie leicht oon anberen ©efteinen. ■SRebmen ©ie ein ©tüd ©chreibfreibe unb übergiefjen ®ie b aS= felbe mit ©algfäute, fo tritt ein lebhaftes Sluffocben, eine ©nt* wicflung non Äoblenfäure ein unb nach einiger Beit löft fid) baS ©ange, mit Ausnahme eines gang Keinen StüdftaubeS , gu einer farblofen Slüffigfeit auf.

Sie reine, wei|e Äreibe befteht nämlich aus beinahe 98 p(It. fohlenfaurem Äal! unb einer Keinen Quantität beigemengter feblenfaurer 5J?agnefia, Äiefelerbe unb unlöslichen ©efteinS« trümmerchen. SieS ift auch ber Jpauptfacbe nach bie 3ufammen* fetjung ber im Jpanbel norfommenben unb als garbe, ©djreib* treibe, $)u$puloer ober gu chemifchen 3wecfen tielfad) oerwenbeteit

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Äreibe. Sefjtere ift aber nicht ba8 unmittelbar in ©teinbrüchen, S&tergelgruben ober auch unterirbifcijen ©tollen gewonnene *ERa« terial. 68 würbe fid? biefeS nur unBoüfommen gu ben ge« wünfchten te^nifdjen Swecfen eignen, benn fyödjft feiten befi^t bie natürliche Äreibe jenen tyotyn ©rab Bon Feinheit unb Sßeiche, Woburdj ihre Brauchbarfeit bebingt ift. häufig befteht eine größere jtreibemaffe au8 $>arthieen, um nicht 311 fagen au8 ©chichten, non Berfdhiebcner ^>ärte unb fehr oft finb gewiffe SJtaffeu burdj ©anbförncr, geuerfteinbrocfen, Berfteinerungen unb fouftige Beimengungen oerunreinigt. Befeitigung biefer

fremben Beftanbtheile muh bie Äreibe einem befonberen ©<hläm» munggproceh unterworfen werben, ber in terfchiebenet SBeife Borgenommen wirb. 3n Borbbeutfchlanb wirb bie Äveibe guerft gemahlen unb bann bur<h ein ötätterwerf Bon ben gröbften Bei« mifchungen befreit. 2>a8 gemal)lene 9)uloer rollt bann auf einer fdhiefen ©bene in ein 9teferBoir, burch welches eiu coutinuir liehet SBafferftrom läuft. SRittelft einer ÜKafchine wirb bie gepuloerte SJtaffe beftänbig aufgerührt, wobei fleh bie fchweteten fremben Beftanbtheile auf bem Boben anfammeln. £Die weihe Äalfmildh bagegen flieht ab, wirb barauf in ©ammelbottichen aufgefangen, worin fidj bie geklemmte Äreibe nach unb nadh abfefct. 3ft bie§ gejehehen, fo wirb ba8 flare SBaffer guoberft abgelaffen, ber fchlammige Bobenfah in Siegel geftridhen, getroefnet unb in paffenbe ftorm gefchnüten.

3ft fchon bie tedbnifd) Berwenbbare Äreibe reinfter Qualität, welche im beutfehen Oteidh theilS au8 fRügen unb SJiecflenburg, theilS au8 bem 9lu8lanb, namentlich au8 ^ranfreich bezogen wirb, urfprünglich nicht frei Bon mancherlei Berunreiniguug , fo gibt e8 anbere Äreibearten, bei benen bie Beimifchung Bon Äiefelerbe, 5thcmerbe unb ©ifenojcpb fo grofj wirb, bah allmälig ein anbereS

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©eftein, nämlich Äreibemergel, barauS entfielt. SDte mergelige Äreibe geidjnet ftch äußerlich burd? blaugtaue, afdjgraue, ober gelblidje Färbung au§; fie ift halb weich unb erbig, balb foweit erhärtet, baß fie alö 23auftein Sßerwenbung finben fann. ©ine befiimmte c^emif^e 3ufamtnenfeßung !ommt biefen ©emengen, in benen ber ©ehalt an fol)lenjaurem Äalf gwijchen 44 unb 86 p©t. fchwanft, nicht gu, fie ^interlaffen übrigens «He beim Stuflöf en in (Säure einen mehr ober weniger reichlichen {Rüäftanb.

SBährcnb in ©nglanb unb SRorbfranfreid} bie unreine graue Äreibe giemlicß regelmäßig bie Unterlage ber weißen ©cßreiblreibe bilbet, wirb bie leßtere in SRorbbeutf^laub, g. 58. in SBeftfalen unb ^jannooer, guweilen burdj Äreibemergel erjeßt.

SBenn man »on einem ©rfaß bet weißen Äteibe burd? anbere ©efteine Sprechen fann, fo geht barauö heroot, baß ber» felben eine beftimmte ©teile in bem bie fefte ©tbrinbe gufammen» feßenben ©djichtenfpftem gufommt. ©8 finbet fich in ber &hfti bie Äreibe al8 »erbreitete §el8art in ben Slblagerungen einet beftimmten ©rbperiobe. ©achten wir bie etwa 100,000 guß biefen gefeuchteten ©efteine, welche fich feit ber ©rftarrung unfeteS Planeten nach unb nach auf feiner Slußenjeite abgejeßt haben, an einem Drt aufeiuanbergethnrmt, fo würben wir ba8 weiße SBanb bet treibe hoth oben in biefem ibealen ©urdjfchnitt h^ßorfchimmern fehen. Unter bemfelben befänbe fich eine mächtige SDRaffe älterer, barübet bie jüngeren Slbfäße ber fogenannten tertiär», ©iluoialformationen unb ber jeßigen ©rbperiobe.

SBenn ®ie bebenfen, baß nach Slbjaß ber weißen treibe noch eine mehr alö 4000 guß biefe ©ebimentmaffe langfam im SBaffer fich nieberfchlug unb theüweife gu feftem ©eftein erftarrte, fo gibt 3h«eu bieö eine SBorfteUung »on bem geologischen Sllter

C4»)

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ber treibe, baö wir freilich nicht in einet genau berechenbaren Sd* non Sauren auSbrürfen fönnen.

&18 fich gegen @nbe beö notigen SahrhunbertS bie ©eologie gu einer Söiffenjdjaft entwitfelte, glaubten ihre erften öegrünber, bofj fich bie gedichteten ©efteine wie concenttif^e Jütten ringö um ben ©rbball herumlegten, unb non biefet VorauSfehung auö* geljenb, nannten fte bie »erfdjiebenen aufeinanber folgenben f^or» mationen nach befonberS djarafteriftifchen ©efteinen, ©o gab eS neben einet ©tau warfen», ©teinfohlen», Sechftein», ÜJiufcbel» falf*Formation auch eine Äreibe* Formation. ©jätete Unter* fudjungen geigten nun freilich, bah bie meiften bet genannten ©efteine theilS nur eine bedränfte Verbreitung befifjen , ttyeilä in oerdtebener ^öhe fich wieberholen fönnen. 3n ber Siegel wirb bie ©teile eines in 9iorb=@uropa oerbreiteten ©efteinS don in ben SJtittelmeerlänbern unb noch mehr 'n »«beten @rb» theilen burdj anbete FelSatten eingenommen, ba ja bereits in früheren ©tbperioben gerabefo wie heutgutage gleichzeitig unter oerdiebenen Vebingungen aud) bie abweichenbften ©ebimente gum ^bfah gelangten. £Die8 würbe bie Veranlafjung, bah man bie meiften früheren SRarnen fallen lieh; ben wenigen älteren Segeichnungen inbefs,. welche ben terminologifchen IReformbeftre* bungen noch nicht gum Opfer gefallen finb, gehört bie ifreibe» formation.

SBenn man übrigens eon üreibeformation fpridht» fo muh man fich »ergegenwärtigen , bah fie nicht nur auS Äteibe unb Äreibemergeln befteht, fonbern bah in ihr bie oerfchiebenartigjten ©efteine oorfommen, welche theilS auf», theilS neben ein* an ber liegen, unb nur barum gu einer Formation gerechnet werben, weil fie ähnliche Verfeinerungen enthalten. SJtan be» ftimmt nämlich baS Stlter bet Formationen »iel fderer nach ben

(*jo;

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fcartn Bcrfommenben organischen Ueberreften alß n ad) ber ©e» ftrm£te)djajfenl)eit, feitbem man bie gejejjmäfcige unb aümalige Umgestaltung ber ßrganißmen Bon ben älleften ©rbperioben an bis auf bie ©egenroart näher fennen gelernt ^at.

3n biefer ©ntmictlungßreihe tragen bie ©efdjöpfe ber Äreibe» gett necf) eine altertümliche 2rad)t. SBie feltjatn mürbe unß anmuthen , menn mir unö für einen Augenblicf in jene 3eit gurücfrerie^en unb einen 23licf merfen fcnnten auf bie mit immergrünen , tropijdjen ©emdchjen gefcfymücften ?n|eln unb geftldnber, mo bie ©teile ber ©äugethiere con außgeftorbenen S-auTiern, bie ber 23ögel non geflügelten ©ibedjfen eingenommen nnnrbe! pätte Unö unter ben Sanbbemo^nern bie gigautifdm ©eftalt beß Sguanbon entfett, fo mürbeu mir im ÜReer nod) feltfamere SReptüien, mie bie ijMefiojauriet, SUofafaurier unb Jd^t^pojaurier erblicfen unb auch unter ben tiefer organifirten ©eichepfen mürbe baß Auge faft nur über erlofchene Arten unb ©attungen fdjmeifen. 2Baß unß bie ©eologeu biß jet)t non ben fragmentarifchen ©c^riftgeic^en ber Äreibeformation entziffert haben, Bereinigt fich ju einem 2?ilbe non frembartigem, barofem Außfeljen.

Unter ben mancherlei ©efteinen ber eben angebeuteten @rb= periobe ift bie A'reibe jmar baß auffäOigfte, aber feineßmegß baß häufigfte. 3h« Verbreitung ift fogar ziemlich befdjränft. sJtur in ©üb»@nglanb, in 9lorb*8ranfreich, in Selgien unb 9torb* beutfchlanb bilbet fie ben Untergrunb außgebehnter Sanbftriche, »irb aber auch »telfadj Bon jüngeren Ablagerungen nerhüHt unb taucht nur ftellenmeife auß benfelben t)eroor. 3m unter» irbifchen 3ufammenhang mit bet norbbeutfchen Äreibe ftehen bie Ablagerungen auf ben bäuifchen 3n)eln, in ©übfchmeben unb ^olen. ©üblich Bon ben Alpen unb in ben ©tittelmeer»

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länberrt fommt wei&e treibe in größerer Verbreitung nur in fPaläftina unb in bet libpfehen Söüfte not.

SBenn nun einerjeitS bie Äreibeformatiou ber £auj>tfad>e nad) auS ©efteinen befielt, bie feine entfernte 91 efynlidjf eit mit Äreibe haben, fo giebt es anberfeitS aud) in anbeten geologtfdjea gerieben 9lbfäfje, weldhe fid} äußerlich faum non ber achten ©djreibfreibe unterfdjeiben laffen. 3n ben baperifchen Stilen 3. 93. wirb bei SJlittenwalb, ^artenfirdjen u. a. D. eine weifte ober graue Grbe gewonnen, weld)e auS ber Verwitterung ber beuadbbarten Äulf* unb ©olomitberge entfielt unb all SBeift* tündje, ©djreibfreibe u. f. w. eine giemlid) auSgebehnte SBet* weubung finbet. ©ie äußere 9teljnlidjfeit biejet ©ilueialfreibc mit ber ädjteu Äreibe ift frappant, allein fie enthält niemals marine Verfeinerungen, fie Ijat eine gang befdjraufte Verbreitung unb ermangelt ber charafteriftifdjen Grinlageruugeu oon geuer* ftein, welche ber adjten Äreibc faft niemals fehlen, geuerftein unb ©epreibfreibe finb faft unzertrennliche ©enoffeu unb je reiner bie leitete ift, befto maffenpafter ftellt fid? ber erftere ein. 3n

ber Siegel erfepeint ber geuerftein in ber gorm »on fauft« biö fopfgrofen Änollen, bie, ohne ftdj unmittelbar gu berühren, neben cinanber liegen uub meift fdjnurgerabe , oft meiienlange Vänber bilben. ©urtp biefe fcpwargen, iu Qlbftänben oon 2—10 gujj entfeinten ©<pnüre oon geuerftein erhält bie an unb für fich ungefepieptete Äreibemaffe eine parallele ©lieberuug. fDianep* mal bilbet ber geuerftein auep förmlitpe ©c^id^ten non £ bis 2 guf) ©iefe. 3n ©ooer hat man oon biefem Umftanb Vortheil gegogen, inbem man bie geuerfteinlagen als ©eilen gu ben in bie Äreibefeljen cingehauenen Äafematten benufct.

9ln bie geuerfteineinlagerungen fnüpft fiep ein fulturhifto* rijtpeS Jntereffe eigener 9lrt. 3n ben früheften ©ntwirfelungS«

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ftabien be8 ÜJtenfcpengefcplechteS, al8 bie (Ergeugung unb Vear* Bettung ber SRetciHe noch unbefannt war, lieferte geuerftein ba8 5ötaterial gu SBaffen unb SBerfgeugen. ©eine ^>arte unb 3ä^tg= feit, fomie bie (Eigenfcpaft, fiep burdj einige gefdpicfte Silage in ein fcpueibenbeS Snftrument umgeftalten gu laffen, machte ipn für bie genannte tecpuifche Verwenbung Borgüglicp geeignet. ©8 ift barum fein Bufad, ba§ bie älteften ©puren menfdjlie^er jfunftfertigfeit in (Europa au8 beni norbijcpen Jfreibegebiet ftnmmcn. ©a fanb ber um feine (Ejrifteng fämpfenbe, pülflofe SJtenfcp in «g>üQe unb gitCle ba8 SDtateiial, um fiep ©ebraucpS» gegenftänbe utib SBaffen ber mannidpfacpften 9lrt guerft Bon ber ropeften Bornt, halb aber auch non jener Bollenbeten SSuSfüprung perguftellen, meiere mir in präpiftorifepen Sammlungen fo reich* licp gu bewunbern (Gelegenheit paben. 5lej:te, SJteffer, ©ägen, Sangen unb flfeilfpißeit ber fogennnnten ©teingeit befleißen in Europa faft alle au8 Beuerftein unb erft, naepbem man c8 in ber Verarbeitung biefe8 SOtaterialS gu einer popen jfunftfertigfeit gebracht patte, fing man an, aud) anbere, weniger günftige ©e* fteine namentlich ba gu Berwenben, wo ber geuerftein nur aI8 £anbel8artifel gu erpalten war. 9)?au barf barum opne Uebet- treibung fageu, baß iu ben ÄiubpeitSjapren bc8 SDtenfcpen* gefcplecptS geuerftein ein ebenfo wichtiges Äulturelement bilbete, al8 e8 peutgutage .Kopie unb ©ifen finb. ©ie größten unb für bie Verarbeitung geeignetften Sötaffen Bon Beuerftein lieferte aber bie Äteiberegion unb fo würbe benn biefe naturgemäß gum SluSgangSpunft ber älteften, freilich noch bürftigen (Sultur ber menfcplithen Ureinwohner (Europa’8.

©ie 3eit be8 §euerftein8 ift längs Borübet unb auch feine mobernfte teepnifepe Verwenbung beinape in Vergeffenpeit ge* ratpen. (Einft podjgefcpäßt, wirb er jeßt al8 läftige Veigabe bei

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Seite geworfen unb ijöc^ftenS oou fRaturforfchern beachtet, bie in bemfelben allerlei organifche Ueberrefte fuchen. ©cd? audj bieje finben in ber eigentlichen Kreibe reid?ltd?ere Augbeute unb gwar rührt Alleg, wag an Verfeinerungen in ber weißen Kfreibe »crfommt, oon SBlcetcgbewohneru her. Vergeblich fuc^t man nad? Vlättern ober fonftigen tReften nun tdanbpflangen, »ergeblicfc nadh 8anb«©äugethieren, ^Reptilien, Snjeften, ganbjdjnecfen u. f. «>.; jämmtliche germen entflammen bem ÜJieer unb gwar Ijerridjeu Dtefte oon ^cchfeeberoohncrn entfliehen cor. Ser Stamm ber SBirbelthiere ift oorjuggweife burch gijche ocrtreten; becb aud? oon biefen finbet man meift nur jerftreute 3ahnef Stadhein, SBirbel unb Schufen, höchft auönahmgweife woßl auch einmal ein oollftänbigeg Sfelet.

Sa8 .pauptcontingent ber größeren Verfeinerungen wirb oon ben äBeichttjieren gefteüt. Vielerlei SDiufdjeln unb Schweden aug erlofcheuen ober noch jeßt eriftirenben ©attungen finb »ereinjelt in ber Kreibe eingebettet, gür ben Kennet bfirf* ten manche ©chäufe wegen ihrer Abweichung oon ben befannten gormen bemerfengwerth erscheinen, bem i?aien jeboch würben wohl nur zweierlei Sppen, bi« Ammonghötner unb Seufelg* finget ober Velemniten befonbetg auffallen.

Veibe gehören in bie höchfte ©laffe ber ffieidfhiere, ju ben fogenannten Kopffüßlern (Cephalopoden), welche ihren Flamen beßwegen erhalten ha&m, weil ringg um ben Kopf ein ober mehrere Kreife feifdjiger ©teiffüße, bie man übrigeng beffer alg Arme bezeichnet , herumftehen. Sie meiften atbmen burch jwei, anbere burch oicr hinter bem Kopfe ftehenbe bäum* förmige Kiemeu. Von ben Vierfiemenern gibt eg nur noch eine einzige lebenbe ©attung, bie ^»erlbootfchnecfe ober ber

Nautilus. Sie wohlbefannten Schalen werben aug bem ftiUen

(«m;

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JDcean »on Seefahrern in fDtenge mitgebracfet unb liefern nach Entfernung ber rcttj unb weih geftreiften Cberflädjenfcbicbt »egen tl>re8 $)erlmutterglange8 einen beliebten Scbmucf unfeter 9>runfgimmer. 2Ran würbe eS bem fpiral eingerolltem ©ehäufe »on Slufien nicht anfehen, bah einen Schwimmapparat »on feltener Sctlfommenbeit barfteHt. 2>a8 Sthier bewohnt nur etwa bie £älfte beS lebten SpiralumgangS: eine faltige, concaoe $)erl* mutterfcheibewanb fdjlieht bie ÜBohnfammer nach hinten »oll* ftänbig ab. Schneibet man nun baS ©ehäufe in ber SRittel* ebene burth, fo geigt fi<h, bah in bejtimmten Slbftänben noch gasreiche parallele Sdjeibewänbe auf einanber folgen unb bah alfo bie gange Spiralröhre in eine üftenge Kammern abgetheilt ift. 3n biefe Kammern fann fein SBSaffer »on üluhen einbringen, fie ftnb mit 8uft erfüllt unb fielen mit bem Schier nur mittelft eines bünnen häutig Stranges, welker burdj fämmtliche Scheibewänbe hinburd)läuft, in Setbhtbung. SDurdj biefen Sau erfüllt bie fRautiluSfchale gerabegu bie Verrichtung eines 8uft* baHonS. SBiH baS Sty« »om 3Jteere8grunb nach ber Oberfläche auffteigen, fo brängt es feinen Äörper möglichft »eit auS ber Söohnfammer h«nuS, fu<ht einen anfehnlichen fRaum einguneh» men unb baburch fein fpecififcbeS ©ewidjt gu »etringern; nun wirft bie mit 8uft gefüllte Schale als |>ebmafchine unb beförbert baS Shift ftetig aufwärts. Um »iebet gu finfen, braucht fich bie Äörpetmaffe nur in bie SBohnfammer gurüefgugiehen unb burch ihre Eigenfdjwere bet h^nben Äraft beS SuftbaQonS entgegen gu »irfen.

Sluch in ber jfreibe gab eS »etfdjiebene 9iautiluS»2(rten, reichlicher jeboch waren bamalS noch bie 2(mnt on Sl)ötn er »erbreitet, bie übrigens am ©nbe bet jtreibeperiobe ben Ölbfcbluh einer langen unb reichen ©ntwicflung finben. 3m SSefentÜchen

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flimmert bie Skalen bet Ammoniten mit betten beS SRautiluS überein, bod) taffen ftc^ häufig bie Umgänge bet gefammerten ©pitalrßhrc** fdjon ton Stufen erfennen. 2)et ^auptunterf^ieb befielt inbefc in bet complicirteren ©efdhaffenheit bet ©tbeibe* wänbe, weldje ftd^ mit oietfac^ gejacfter, ftaufet 8inie an ber Snnenfeite bet ©djale befeftigen unb non einem bftnuen ©trang burd^ogen werben, beffen faltige Umhüllung8röhre ftetß utt* mittelbar unter bem ©thalenrücfen liegt. @8 mufj gewaltige $h*ete unter ben Stmmoniten gegeben ^aben, benn Ijin unb wieber begegnet man ©ehäufen, welche ben Umfang eines SöagenrabeS befifcen. ©rftaunlich war aud) ber ^ormenreicbtt)um biefer etlofchenen ©ruppe ton Äopffüfjletn; ihre Slrten jaulen nach Saufenben, woton freilich nur wenige in ber weiten Äreibe torfommen, unb bie ©eftalt ihrer ©ehäufe burdjläuft alle ÜWobi» ftcationen jwifdhen einer gefchloffenen ©pirale nnb einet geraben gefammerten Stöljre.

3tt ber jetzigen ©rbperiobe finb bie mit jwei .Riemen ter» fernen Äopffüjjlet an bie ©teile ber 9!mmon8t)örner getreten. $at man ton ben 8eben8gewohnheiten beö pelagifdjen 9lautilu§, wegen ber ©djwierigfeft , lebenbe Stljiere gu erlangen, nur un« toUfommen .Renntnifj, fo gehören bie 2>intenf ifdje ju ben beftgefaunten, aber audj intereffanteften ©efdjöpfen beS 9Jteere§. Äüljn, liftig unb ftet8 gum Kampfe bereit führen biefe räubeti» fdjen SBegelagerer einen beftänbigen Ätieg gegen 2Ule8 , wa8 ihren Slppetit reyt, unb bei ihrer ©efräfjigfeit betrauten fie faft fäntmtlidje fleineten Üh*ete al8 guten JBiffen. 55118 SBaffe be* bienen fte fidj ihrer 8 ober 10 am Äopf befeftigter Slrme, bie entweber mit ©augnäpfen ober $afen befefct finb. £at ba8 Steter feine beweglichen ©reiforgane um feine 33eute geklungen, fo hefte*1 ftdh bie ©augnäpfe wie ©djrßpfföpfe mit eiferner ©e«

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walt feft uttb fßnnen nur mit grofcer jfraftanftrengung gegen ben SäJiKen be8 2)intenfifche8 abgeriffen »erben. ©ine äufjete ©djale befi^en biefe Cephalopoden nicht, wohl aber befinbet ftd) bei ben meiften ©attungen auf bem SRücfen ein fdjmaler, »om fleifchigen SJlantel bebecfter, länglich ooaler ober lanzettförmiger ©chilb, ber entmeber au8 rßhriger Äalfmaffe ober au8 hornig faltiger ©ubftang befielt. ©oldje fog. ©epienfnechen fommen auch nerfteinert »or. Unter befonberö günftigen Sebingungen fann fich fogar bet mit ©epia gefüllte Veutel erhalten, welken bie Spiere bei brcfyenber ©efapt entleeren, um fid) burcp Strü» bung be8 SEBafferS not Verfolgung 31t retten. Auch in ber Äreibe gab e8 gasreiche 2)intenfif<he unb namentlich eine ®at* tung (Belemnitella), bei meldet ba8 bünne fRücfenfc^ilb am Hinteren ©nbe in einen tnaffieen ©tacpel »on ftngerartiger @e* ftalt audlief , welcher au8 ftra^ligem Äalffpath beftept. SDiefc bernfteinfarbigen Verfeinerungen waren längft unter bem Slatfien S£eufel8finger ober 35ennerfeile befannt, ehe bie ©eiehrten ihre Vegiehungen gu ben IDintenfijcten nachguweifen im ©tanbe waren.

Vei ben ©eeigeln unb ©eefternen, welche bie Äreibe enthält, überrafdjt bet »orgüglidje SrhaltungSguftanb. SBäprenb fonft bie apfelartigen getäfelten ©egalen ber ©eeigel in ber Siegel ihrer ©tadpeln beraubt finb, liegen fie in bet Äteibe gu* weilen noch in ihrer urfprünglichen Anorbnung neben bem .Körper; ein VeweiS, bafc bie Shiere nach 'hTem £obe in weichen ©chlamm eingebettet würben unb bafelbft »erfaulten. Aud) »on ©eefternen h®t namentlich bie englifche treibe ©jremplate »on untabeliger (Erhaltung geliefert.

SDa8 ©leiche gilt auch »on ben ©eelilien ober $aar* ft er neu. IDie Angehörigen biefer, in früheren ©rbperioben reich entwicfelten , jefct auf wenige ©attungen rebucirten Jh*^affe

(MT)

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machen mehr ben (Sinbrucf con fangen, als con SEljicren. (Sine wutgelartige Ausbreitung befeftigt ben geglieberten (Stiel am ©oben unb cerhinbert beu Organismus, ftd) con bet ©teile gu bewegen. Auf bem fchlanfen (Stiel wiegt fid) eiu getäfelter ifeld), con welkem oeräftelte Arme mit Ijaarfßrmigen Anfängen entfpringen. ©tiel, Äeld), Arme unb Anfänge finb auS flehten, burd) ©elenfflächen cerbunbene Äalfylättdjen gufammengefetjt, beren 3<>hl bei (Sjremplaren mit ftarf ceräftelten Armen gegen 5 3JliKionen betragen fann. SBer in ber blumenähnlid)en Ärone ber ©eelüien Äeld) unb Blumenblätter gu ftnben glaubte, würbe mit Berwunberung benfelben con einem tljierifcfyen Organismus erfüllt fehen, an welkem SOlunb, 2)arm, Blagen, Bercen» unb SBaffergefäfje ftd) obue ©d^wierigfeiten erfennen laffen. 3m Äreibe>9Jteer war an begünftigten ©teilen ber Boben mit ©ee* lilten bebedft, unter benen fid) bie einen burd) äufjerft fein wer* gweigte unb überaus gal)lreid)e Arme auSgeidjneten (Pentacrinus), wäl)tenb anbere einen bimförmigen Äelch mit Jürgen Armen unb runbem ©tiel (Bourgetocrinus) unb wiebet anbere einen gang ungeftielten beuteläljulidjen Äeld) befaßen (Marsupites).

Beid)lid)er als bie bisher genannten Berfteinerungen ftnben fic^ , wenigftenS in gewiffen 8ocalitäten, Ueberrefte con ©ee* fdjwämmen. SDiefe früher giemlid) allgemein bem fangen* reiche gugewiefene Sl^ierclaffe, auS welker 31)nen eine gorm, ber gewöhnliche Babefdjwamm, genauer befannt ift, gehört gu ben fetjr tief organiftrten Bepräfentanten beS S;bierreid)S. geftgewadjfen mit breiter ober fd)malet BaftS am Boben, fehlt ihnen bie gäl)igfeit bet gortbewegung, fie befifjen feine befonberen Organe für Ernährung unb (Smpftnbung, eS gibt in ihrem Körper weber Blut, nod) Bercen, noch ©efäjje. JDie 2SeidjtI)etle beftehen lebiglid) auS einer mit BeKfernen unb BeHen erfüllten gleicharti*

<W)

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gen ©allerte, in weiter ft cf) dornige, falfige ober fiefelige @e* bilbe abfoubern unb entweber ein and ifoiirten ober auS gu» fammenhängenben Reifen befte^enbeö ©feiet bilben. Seim Sabefdjaamm Berwatfen feine, filgige «ftornfafern ju einem meift becherförmigen, elaftiften ©erüft ton anfehnliter 2>itfe; bet anberen fonbert bie ©aderte tnifrofcopift^e Äalf* ober Äiefel» nabeln oon mathematifter IRegelmäßigfeit ab, bie in beftimmter Drbnung gruppirt, jebot nicht Berwatfen, ^öd£)ft gierlite ©felete »erutfad)en. 2lbet auch kiefe »erben an Schönheit non jenen formen noch übertroffen, bei benen ^o^le Äiefelnabeln oon be* ftimmter gorm ju einem mafchigen ©ittergerüft nerftmelgen. 3u biefen nun gehören gerabe bie häufigeren unter ben Äteibe* ftwämmeu. Son bem feineren Sau beS fiefeligen ÄörperS gibt inbeß eine in natürlicher ©röße hergeftedte Ulbbilbung ebenfo wenig eine Sorfteflung, als bie äußerste Setrachtung non ge» trocfueten ©<h»ammffeleten in einem joologijdjen SRufeum. ©rft bei mifrofcopifter Unterfuchung enthüllt flöh bie eigentümliche Schönheit biefer bie feinften Spinngewebe an 3ietlichfeit übet* treffenben JEiefelgerüfte. Sringt man ein fleiueS Stücfchen beS oother butt ©ünre nom SRebengeftein befreiten St»amm* ffeleteS unter baS ÜJlictofcop, fo löft fidj bie fcheinbat fein* löterige 2Jtaffe in ein auS rettwinflit fit freugenben, h°hle« Äiefelbalfen befteßenbeS ©erüfte oon wahrhaft artiteftonifter ©tönheit auf. 5>a wo bie 6 Strahlen bet bret Sljren fit freuten, bilben fie entweber einen nerbicften .Knoten ober ein hohleS regelmäßiges Dftaeber. ©ewiff ermaßen als äußerer 3iet* rath fonbert bie baS ©erüft umhüDenbe gallertartige Äötpermaffe not 8ahü°fe freie Äiefelgebilbe ber gierlitften 21 rt ab. IDiefe wingigen SRabeln, 2lnfer, Sterne, kugeln, ©teilen u. f. w fallen nat bem 2lbfterben beS EßiereS leitt ab, werben Born

XI. «1. 2 (438)

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SBaffer fortgeführt, oermifchen mit benen »on anbern Schwämmen, bie nur auS folgen ifolirten 5theildjen befielen unb lagern fidf namentlich in gereiften unreinen Är eibemergeln maffenhaft ab.

SBaS ich bisher an Berfteinerungen ermähnt habe, bietet nichts Ungewöhnliches, benn ähnliche Befte finben fi<h auch anberen Slblagerungen meetifchen UtforungS. SlUein bie erbige Befchaffenheit ber Jfreibe unb ber günftige @rhaltung8gu[tanb ihrer organifchen Grinflüfte geftattet auch einen Ginblicf in bie feinften, bet gewöhnlichen ©eftfraft entrücften Elemente. Schon bie Betrachtung mit einer einfachen goupe lehrt unS, baft aufter ben immer nur fporabifdj norfommenben größeren Berfteinerungen fleinete organifche Ueberrefte in anfehnlidjer fötenge tjorbanben ftnb. SDtan erfennt bei biefer ichwadjen Bergröfterung bereits zahlreiche krümmer eon fDtooSforatlen unb noch häufiger fleine Äalffcfjälchen »on regelmäftiget ©eftalt, welche fich wie feine Sanbförnet anfühlen. Bei genügenber Bergröfterung beiehen, erweifen fiel) bie bünnwanbigen ©ehäufe nad) 3lrt ber SlmmonS* hörner burch zahlreiche ©djeibewänbe gefammert, aber bie ein» Zeinen fugeligen ober ooalen Kammern flehen nicht burch einen häutigen Strang in Berbinbung, fonbern fie finb entweber fdjeinbat ganz abgefchloffen ober butd) eine runbüche ober fpalt* förmige Deffnung mit einanber oerbunben. 55ie gleichen Schälchen, nur noch nie! Heiner, erhält man in erftaunlidjer SRenge, wenn man een einem beliebigen Stücf jfreibe, unb man fann bazu auch feie im £anbel eorfommenbe gefd^lemmte Äteibe cerwenben, etwas abfehabt, baS ^uleer in einem UhrglaS mit SBaffer um* riihrt unb bie weifte Äalfmilch abgieftt. ©ine ^robe beS fchlam* migen JRücfftanbeS bei 150 300 fachet Bergröfterung (nach

geeigneter Borbereitung) unter bem fHtifrofcop betrachtet, enthüllt (**0)

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eine feldjc Sülle bcr foebcit erwähnten @d)cild)en, bafj Gfyren» frerg ilire 3«^ in einem Cub^oU Äreibe auf meljr als eine . 5Kt0icn berechnete. JT'ieS ift nur bei aufcercrbentlidjer Äleinljeit mcgli$ unb in bev $tyat iiberfteigt iljr größter ©urdjmeffer feiten einen SDiiHimeter. Gine SBerfteüung non biefer winjigen ©re§e erhalten mir erft, wenn wir bie ©efyäufe mit anberen

TOfrejcopifdje Slnftcbt be$ © djlemmrii cf jt anbei een weißer Areibe auä SHügen bei 150 falber Söerjreijeruiii).

(A. bei burdifaflenbem B. bei auffallenbem 8i$t.)

«. Textularia globulosa Ehrbg. b. Rotalia (Discorbina) marginata Reuss. *. Bolirina incrassata Reuss. d. Crislellaria rotulala. Laui. e. Gram- mostomum sp. Slu&etbrm jablveicbe niibeftimmbare .Salftrömmet.

2* f*41>

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20

befaunten Äörpern Bergleidjen. SRun befifcen biejelben bet 300 fat^er Sergröfcerung burchfchnitttich eine Sänge non 20—60 3Rißimeter; bei ber gleiten Sergröfjetung mürbe fic^ eine ©rbfe aU eine Äugel non ÜReter 2)urcbmeffet barfietlen, ein er» machfenet SRann hätte eine Sänge Bon 450 ßJteter. Unter ber großen SKenge ton gefammerten ©chäldjen ^errft^en in faft aßen Äreibeproben jmeierlei formen Bot. Sei ben häufigeren finb bie Kammern ber geftrecften, feilfötmigen ©ehäufe jmeijeilig unb gerablinig in ber 2(rt georbnet, baf; immer eine Kammer ber einen {Reihe mit einet Kammer ber anberen abmechfelt. 3e nadjbem bie Äammern ^ori^ontal ober fdjräg auf einanbet ge» fta^elt finb, unterfcheibet man Berf^iebene Gattungen (Textularia, Bolivina, Virgulina). Sei ber jmeiten gorrn bilben bie fpiral georbneten Kammern ein fteifelfötmigeS ©ehäufe mit einet feget* förmigen unb einer abgeplatteten ©eite (Rotalia). ©brnohl nur aufjer ben Textularien unb Rotalien noch mancherlei Sotmen au8 anberen ©attungen Bothanben finb, fo nehmen bod) fie beu übcrmiegenbften fUntheil an ber 3ufammenfefcung ber Schreib« freibe.

Sei ber angemenbeten Sergtöfjerung fann einem aufmerf» famen Seobachter nicht entgehen, ba§ bie Dber fläche ber ©ehäufe mit fleinen ^oren (foramina) bebecft ift unb mit biefen fteljen äufjerft feine {Röhrchen in Setbinbung, metche bieSBanb in fenf* rechter {Richtung burchbohten. {Rad) biefen $)oten unb {Röhren, melche bie Schale mie ein feines ©ieb burthlöchern, merben bie foeben befchtiebenen ©ehäufe uub beren Sermanbte goramini» feren genannt.

3Ran mürbe fich übrigens einer Uebertreibung fdjulbig machen, menn man behaupten moßte, ber burch Slbfpülen ber ÄaUmild)

gemonnene {Rücfflanb beftänbe anSfdf lieblich auS folchen Boramint* c«i>

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feien. 68 gibt tu bet 2ßat Äreibeforten, worin biefelben faft unBertnifdjt bie gan3e üftaffe be8 ®<blammrüdfftanbe8 bilben, aber häufiger werben fie Bon einet faft gleidj großen SJtenge faltiger Vrucßftüdfe Bon räubern, gerfreffenen üfuSfeßen begleitet, weldje non SORufdjeln, ©dßnecfen, ÄoraHen, Äalffdjwanunen unb anberen meift uid^t nabet beftimmbaren .Ralffdbalen bcrritbren.

9Rit bem ÜRacßweiS ber erwähnten fleinen Organismen fteben wir aber nodb nicht an ben äußerften©rengen unferer fünftlidß Bet* ftärften ©ebfraft. 9Jtan fann bie milbige, beim Umrüßren Bon jfreibepulBer in SBaffer entftebenbe glüffigfeit Berbampfen unb ben DRücfftanb bei 1000 1500 fad) er Vergrößerung unterfudben. <Da geigt e8 ftcb nun, baß auch biefe feinfte ©runbmaffe ber äfteibe faft auSfcßließlidb au8 febr regelmäßig geformten jfalf» fördern Bon offenbar organifcbem Urfptung beftebt. @8 ftnb runbe ober eOiptifd^e, auf einer ©eite gewölbte, auf ber anberen abgeplattetete ©cßeiben, in berSDRitte mit einem jcßarf begrengteu lidbten gledf. SDiefe Bon Gehlenberg fd}°# im Sabre 1838 be* fdbriebenen, aber für unorganifdße ©ebilbe betrachteten .Körperchen, erhielten im 3aßre 1868 non. ^>U]cleb ben SRamen ßoccolüben (Äernfteindben). 3nt littfen oberen gelbe (c) be8$o(gfcbnitte8 22 ftnb gablreidbe ä?reibe*Goccolitben bei 1200fad}er Vergrößerung genau nach ber Vatur gegeidßnet.

JDie ftetS bei aller SRaunigfaltigfeit in gorm unb ©röße in gleidber SBeife fieß wieberbolenbe tnpifebe ©eftalt biefer ätalfför* perdben madbt ißren organijdben Urfprung feßon an unb für fidj überaus wabrfdbeinlicb. 3nbem fönnen wir un8 auf fünftlidbem SBege bureß gäHung Bon foblenfaurem Äalf niemals ähnliche ©ebilbe Berftbajfeti. ©in dbemtföber Vieberfdßlag befteßt entweber au8 wingigen Ärpftallen ober au8 runben .Körnchen Bon nodß

geringerer ©röße alS bie ©occolitßen. Unb bodß überfteigt bie

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9 2

flleinijeit bet lateren aHeö Sorftetlungtoermegen; bei 1500fa<f)er aSergtcfeerung erlernen bie fleineren wie Stecfnabelfö^fe, wäl)*

ÜJtifrcjfopifdje Slnftdjt be$ tScblemmrücfjtanbcd ccit tpcijiet Ätcibe.

A. au« <8ufir|r. B. au« garafrcb in bcr libvfdjen SBiiftc bei 150fad)cr Ber« gtc&crun.j [a. mit Textularia globulosa Ehrb. b. Rotalia (Discorbina) margi- nata Reiiss.] C. ’Änfidjt bc« flctrotfueten 'Nitrfflanbc« au« milchiger Äreibe* piftgteit bei 1200faefjcr Bergröjjerung mit »cijd;icbenen Äernjteindjen

(Coccolithen).

tenb bie größten etwa 8—10 ÜJlillimeter meffen. Sei betreiben 23ergrefeeruug würbe, um unier früheres Scijpiel beijube^aiten, eine (5tbje eine 7} Bieter (jelje Äugel tarfteilcn unb ein SJlann

(444)

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fßnnte in ähnlicher SBeife Dergrß&ert über bie meiften ©pifjen bet baperifchen Sllpen hinwegfchauen.

SBeiiauS bie ,£>auptmaffe ber Hreibe befielt au8 Hern* fteincfjen; gegen fie treten felbft bie Foraminiferen in hinter» grunb. SEÖenn wir nun bebenfen, baf? in bem wenige SDRiüi» meter großen @efid)t8felb eines SJtifrofcopeS mehrere taufenb foldjer Hörperdjen liegen, fönnen, fo befemmen wir für bie auSgebehnten Äreibcablagerungen 3a^len, bie fi<h nur nod) mit ben fyedjften aftronomifchen SEBert^en Dergleichen laffen. SebeS ©tücf Hreibe ift ein wahres SEftufeum oon wingigen S3er* fteifterungen, mit jebem ©trieb an bie Safel ftreifen wir Diele taufenb Hernfteindjen unb b««berte Don fleinen Foraminiferen ab unb eine mit Hreibe getünchte SSanb würbe, wenn wir fie in ftarfer Sergrefjerung gu betrachten oermochten, ein 3?ilb bat» bieten, baS fich an Schönheit unb 5Jtanni<hfaltigfeit bem funft* Dollften üftofaif gur ©eite [teilen fönnte.

Jladjbem id) Shnen im ätorhergehenben GsinigeS über baS aSorfommen, bie ©igenfehaften unb bie 3ufammenjefjung ber Äreibe mügetheilt h^e, Meibt nod? bie Frage nach ihrer @nt= ftehung gu erörtern übrig. IDafe wir cd bei ber Äreibe mit einem uvweltlichen SJleerfebiment gu thun haben, fann nicht gweifelhaft fein, beim fämmtliche oerfteinerte SKefte Don Örga» niSmen rühren oon ÜJteercSbewehncrn her. SBenn wir aber bie Slbfäfje, welche fich gegenwärtig an nnferen Hüften bilben, unter» fuchen, fo finben wir Nichts, waS fich mit Hreibe Dergleichen lie|e. ©tatt eines fchneeweifjen, auS Foraminiferen ©ehaufen unb fonftigen orgauifchen Halfförperchen beftehenben ^uloerS fehen wir bort ©ereile, ©anb, Schlamm, hin unb wieber wohl auch eine Anhäufung oon ÜKufdjelfchalen. 2ln falfreichen Ufern fann ber Schlamm wohl in feinen äufjeren EERerfmalen bet

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Äreibe ähneln, aber ein Vlicf in feine mifroffopifche Vefdjaffen* Ijeit lehrt unS fofort, bafj wir e8 ^ier mit einem äu|erft feinen SltümmerpulDer gu thnn haben, worin jene jierlidj erhaltenen goraminiferen ber Äreibe fehlen. © o lange fich bie ©eologen auf bie Unterfudjung ber Äüften befdjränften, blieb bie ©nt* ftehung ber ^treibe ein ungelöfteS SRäthfel. ©urd) bie umfaffen* ben Stieffeeforfchungen bet SReujeit ift jjebod) bet ©dreier, welker bi8 bahin übet ben Slbgtünben ber Dceane lag, jerriffen, unb man fann fühnlich behaupten, baff wir Don bem Untergrunb, namentlich beS atlantifchen DceanS eine genauere Vorfteüung haben, als Don ber Oberfläche anfehnlidher ©trecfen ber geftlänber.

©ngeroftete Srrthümer finb burch biefe Unterfu^ungen be* feitigt worben; man hört jefct aCfmäfig auf, ftch ben ÜJleereSgrunb ald ein reich geglieberteS mit ©ebirgen unb Scalern auSgeftat* tetefi üieflanb Dor^uftellen ; benn wenn auch in [eichten ©ewäffern unb in ber 9tähe ber Äüften burch ben SBeHenfchlag gurdjen in ben Voben gezogen werben, wenn h*n unb wieber auch nulfa* nifche .Regelberge ober bie ÜluSläufer non ©ebirgen anfehnliche Unebenheiten oeturfacben, fo fehlen hoch in größeren liefen alle gatteten: ©onne, Sicht, Suft, meteorifche ©ewäffer, Vegetation, ÜEemperaturmechfel u. f. w., welche bem geftlanb fein zerfurchtes Slutlif} Detfdjaffen. Sluth bie jerftSrenbe SBirfung beS SBeHen* fchlagS hört fdjon bei 500 gufj SEiefe auf. biefem ÜRangd an etobirenben ©inflüffen, fommt noch ein 3ufammenwirfen Don Kräften, welche unabläffig auf bie SluSgleidjung aller Uneben* heiten beS VobenS h*aarbeiten. SDaS Söleer ift ja baß gtofee 2lufnahm8*fReferDoir für baS gefammte Don ben glüffen fortbe* wegte unb Don ben Rüften abgefpülte SOiaterial. Vertheilt ftch fchon biefeS in einem breiten ©aum um bie geftlänber, inbem eS junächft bie Vertiefungen auSfüHt, fo fchafft ftch aufjetbem

fo«)

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bafl SJteer fern oon ben lüften, wohin fein ober bodh nur eine geringe SJtenge »on ©ebiment mehr gelangt, feine eigenen Ab* fäfje, welche nach einer Auflehnung befl Sobenfl ringen. SBürben wir unfl alles SBaffer non ber ©rboberfläche entfernt benfen, fo Ratten wir einerfeitfl unenblidj auflgebehnte becfenartige Ser» liefungen mit weiter, geglätteter Oberfläche bfe Oceane, unb alfl ©egenfafc bagu bie fteil anfteigenben, rauben unb jerfurchten Tafeln ber Snfeln unb geftlänber mit ben barauf aufgefe^ten ©ebirgen. @o imponirenb unfl nun auf ben lefctern bie Alpen, Corbißeren, ber Himalaja unb anbere ©ebitgfljüge entgegen* treten, ben Sergleidj mit ben gewaltigen Abgriinben ber Oceane halten fie bodj nicht aufl. Sttefen oon 20—25000 $ufj gehören feineflwegfl gu ben Seltenheiten, ja ^efdjel berechnet bie mittlere Tiefe ber SBeltmeere auf 15000 gufj. Sach ben gasreichen Seobachtungen ber Seugeit bürfte biefe 3aS 3U h°<h gegriffen fein unb eine mittlere SLiefe »on etwa 10000 gufj ber2Bal)rheit näher fommen. ^Dächten wir unfl nun afle geftlänber, foweit fte ben SJteereflfpiegel überragen, fammt ihren ©ebirgen gut Auflfüßung ber Oceane »erwenbet unb hotiS01^ auflgebreitet, fo würbe biefl nur eine (Erhöhung um 420 §u§ bewitfen. ®o imerheblich ift bie fßtaffe befl feften Banbefl im Sergleich gu jenen gewaltigen Sertiefungen !

3n bie eigentliche ^ochfeetegion wirb, wie fdjon bemerft, fanm noch 3ertrümmerung8=5Waterial »om Sanbe h et geführt, bennodh befteht ber Soben auch bott nicht aufl nacftem ?elfl, fonbetn geigt ft«h faft übetaß mit Sieberfchlägen »erfcfjiebenet Art bebecft. Tiefe, Temperatur unb Äohlenfäuregehalt befl 2Baf* ferfl fcheinen einen erheblichen ©inftufj auf bie Sefchaffenljeit biefer ©ebimente auflguüben. ©ine (Erörterung ber ©tünbe, warum in ben haften Tiefen (oon 15000 gufj an) faft immer

(♦47;

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eine giegelrotlje, mit Äiefelfdjalen erfüllte fchlammige Sföaffe, in etroaö geringerer Siefe grauer Äalffchlamm, Äiejelfanb ober weiter Äalffchlamm gum $bfaj} gelangt, würbe mich gu weit führen, für unfere heutige Betrachtung genügt eS gu wiffen, bafj fowoljl im atlanüfchen, als aud) im füllen Dcean bet SDieereS» gtunb auf oiele taufenbe non Duabratmeilen mit einer faltigen Ablagerung bebeeft ift. 3n Siefen Don 6 13000 §ufj ift biejer Äalfjd)lamm am oerbreitetften. ftrifch auS ber Siefe Ijetoor ge- holt, fieljt er wie ein fiebriger, gelblich grauer Brei auS; ge- hechtet wanbeit er fid) gu einem bebauen, freibeähulichen, am befteu mit ©trafjeaftaub oergleich baren ^uloet um. Unter bem SDtifrofcop betrautet, geigt baffelbe in mehrfacher Jpinficht eine übetrafdjenbe Aehnlid)feit mit bem Silbe, welches unS bie Äreibe geliefert hat- SnSbefonbere bie feinfte ©runbmaffe »erhält fid) bei beiben Bilbnngen faft abfolut gleich. Ä ern ft ein <b eu (Gocco- litheu), benen ftdj in geringerer SJtenge auch noch ftabfßrmige, an einem <5nbe oerbiefte ober mit ftrahliger «Scheibe üerfehene Äorper» dh«u (SRha^^olithen) beigefellen, bilben ben «pauptbeftanbtheil beS SieffeefdjlammS. 3u*oeilen fieht man bie Goccolitl)en auch gruppenweife gu runben Äugeln, ben Äernfugeln (GocccS- phaeren) vereinigt unb nach ben Seobadjtungen SB al lieh 'S unb SBpoille Shotnfon’S, bürften bie Goccolithen überhaupt nur auSeinanber gefallene Stücfe urfprünglicher Äernfugeln barftellen. Die Dielen SDtilliarbeu biefet wingigen Äalfförperdjeu finb ein- gebettet in eine gaflertarüge, fiebrige Subftang, welche, wie eine Sehanblung mit c^emifdjeu Dieagentieu ergibt, entweber orga- nischen UrfpruugS ift ober bedj reich nn organifcher Subftang fein muh. ^rofeffor «£>ujrlcp, ber geiftoolle englifche Soologe, untergog biefe ©aUertfubftang guerft einer näheren Unterfuchung, allerbingS nad) groben, welche faft 10 3al)re lang in Alfohol

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27

*

aufbewahrt gewejen waren. £ urtey erflärte fie für eine neue gorm ienet auf aller niebrigfter ©tufe ftehenben gebewefen, bei Welchen her Äö rpet lebiglid) auS einer gleichartigen, eiwei^aU tigen ©aderte ohne Jeden befielt unb ned) feine beftimmte äußere §orm befind Sßegen iljreS SßotfommenS in benSReereö» tiefen würbe bie ©ubftanj Bathybiug, b. I). liefenwefen genannt.

Stnbere Beobachter wie Garpenter, SB. Eljomfon unb .ftaecfel betätigten bie Unterfucbungen ^ujdep’S; ja bie beiben erfteren glaubten jogar 33ewegungSerjd)einungeu in bet gadertigen SRaffe feljcn $n fouuen. ©o war benn ein Dr« ganiflmuS gefunben, nicht Ifjier, ned) ^flanje, welker ficf> in enormer SJtafje als jufaminenbängeube ©rfjic^t übet ben Beben be$ DceanS auSbreitete.

läfjt fidj benfen, welches Sluffehen biefe Gntberfnng.iu ben weiteften Äreifen machte. hatte man ja ben berühmten Utfdjleim, au§ welchem bie Ülaturphilofophen im Anfang biefeS 3ahrhunbert8 adeö ßebenbige burch Urjeugung hatten ijeroorge^ert lajfen. Dfen’S ÜtuSfprudj, ber Urfchleim entftehe im tiefen Sdleet au§ unorganijdjet SDiaterie, er]d)ien mit einem SDiale ge» rechtfertigt. 5>enn woher fodte ber Bathybiug jeine Währung A C B

A. B. 2Jcrf(f)iebcnc tfernfteineben (Coccolithen) unb C. eine Äernfugel (C’occos- phacra) jcl)r fhuf rergu'jjert.

(Su$ $äcfcl: Sa8 Sehen in grefeter ®tccrelticfc).

(U9)

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28

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nehmen in ^Regionen, wo ba§ ißflangenleben »öttig »etjdjwunbe« ift? Da bie ©näferung eines fo maffentyaft »erbreiteten gebe* wejenS burd) bie im SBaffer gelöfte organijdje ©ubftang !aum benfbat etjdjien, jo war man gu bem ©djlujfe genötigt, ba§ bet Bathybins*Urjd)leim ficfe auf bem @runbe beS ÜReereS unter bem ©nflufe bet bajelbft waltenben ©riftenSbebingungeu auS anorganijdjet ©ubftang bilbe unb bemnad> ein unmittelbares belebtes jprobuft aus bet tobten ÜRaterie barftetle. DaS alte Problem bet @ntfte^ung »on Bebewejen burd? Urgeugung jdjien jefet bet göfung nalje gerütft bodj bie ©adje war gu jdjöu, um wafer gu jein.

3m SÄuguft »origen 3aljreB »eröffentli^te $uj:lep einen 33rief SB. Snjomjon’S, batirt tont 9. 3uni 1875 am S3orb beS (Sfeallenget in ?)ebbo, Worin bet berühmte Soologe mittljeiU : „bafe ade 23emül)ungen beS wiffenjdjaftlidjen ©tabeS bet ©feadenget ©pebition ben Batbybius in frifcfeem, lebenbigem 3«ftanb gn gewinnen, fefelgefdjlagen jeien unb bafe man ernftlidb »ermutigen müffe, baS Ding, welkem man biejen ÜRamen gegeben tyabe, jei wenig mefer als fdjwefeljaurer mit erganifdjem SDiobet burd}» brungener Jtalf, in flodfigem Bujtanb burdj jtatfen Sllfofyol ge* fällt, worin bie früher unterjudjttn groben aufbewaljrt waren, ©eltjamer SBeije ift biejer SRieberjd^Iag faum »on cfeemijdj ge* fäötem ©weife gu unterjdjeiben uub gleißt »ielleidjt nodj meljt bem an bet ßberflädje einet in 3erfefeung begriffenen glüjfigfeit auSgebreiteten ^säutc^en."

SBaS gejdjiefyt nun mit ben Äernfteindfyeit, welche .^jujrle» unb «fjaede l für einen 23e[tanbtl?eil beS Batbybius gehalten Ratten, wenn baS Dajein beS lefeteren jogat »on ben Autoren, bie iljn inS Beben gerufen featten, iu jo bebenfltdjer SBeije in fttage geftedt wirb? Darüber feljlt unS »orläufig nod)

MtO)

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«ine befriebigenbe Antwort. Denn wenn aud) bie Äetnfteintben witflich nur Stimmet bet Äernfugeln (Coccosphaeren) finb, wie SBallidj unb SB. Shomfon »ermuthen, jo bringt und bied nid)t uiel weitet, ba fidj auch biefe. Körperchen mit feinet bid jeßt befannten ©ruppe bet niebetften Spiere obet sPflan* gen »et gleichen taffen. Sie finb »on#ber Ghaöenget Gppebition häufig in mäßiger Siefe freifchwimmenb beobachtet wotben unb .$aecfel hat eine gange Golonie betjelben bei Bangerofe an einem größeren SBurgelfüßer (Myxobrachia) angeheftet ge* jehen. Dad beutet jebenfatld auf einen felbftftänbigen Dtga* nidmud hin, ob mit ed abet babei mit einem Batnenguftanb »on Foraminiferen, wie SB a Ui <h meint, obet mit Früchten »on Sllgen, wie Gatter »ermuthet obet mit einem bejonbeten Sppud bet Urthiete gu thun hoben, läßt jt<h bid jeßt noch nicht entfd)eiben.

SBenn nun bie aud Goccolithen beftehenbe feinfte ©runb* maffe beim faltigen Sieffeejchlamm unb bei bet Kreibe »od* ftänbig gleichartig ftnb, jo läßt fuß eine weitere Uebeteinftimmung beiber in bem mafjenhafte SBorfommen »on Foraminiferen gel* tenb machen. 3m Sieffeejchlamm ftnb etngelne Sd)älchen noch mit organifdjet Subftang erfüllt unb rühren offenbar »on leben* ben Shieren her; bie meiften jebodj bürften nach SB. Sh cm fon aud höheren Stegionen ftammen, wojefbft fie in unermeßlicher 3ahl leben unb .nad) ihrem Slbjterben faft in ©eftalt eined Sdjneefchauetd gu ©oben faden. £olt man jolche Foraminiferen frijd) aud bem dKeere heraud unb bringt fie in ein ©efäß »od SBajjer, jo bieten bie flehten Drganidmen ein hö«hft metfwüt* biged Sdjaufpiel bat. Die butchfcheinenbe Schale ijt erfüdt unb butchbtungen »on einet gedenlofen, gadertartigen Giweißjubftang, bem eigentlichen .Körper. Doch biefer fließt ftd) in feiner @e* ftalt nicht an bie Form beä ©eßäujed an, fonbern überad, wo

* C4S1)

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eine feine Oeffnung ift, unb bie fiebartig burdjboljrten ©djaldjen haben bereu unjäljlige, ba brängt ftdj and} bie ©aHertfubftang an bie Oberfläche ?n ber Siegel bilbet bie auötretenbe

föiaffe einen feinen, verlängerten gaben. SDiefe gäben befinben ftdj in beftänbigerSPewegung, fie »erben auögeftrecft unb »ieber eingejogen, fie jerfliefjen nut einanber nnb veranbern jebeii Singen« blicf i^ve ©eftalt. Äleine .fterncben rollen »ie feine perlen an

Oiine iebenbe Globigerina mit auGgcftrccftcn ©ollcrtcfäbdjfn (9ln$ Rattel: Sa« öebcn in größt« ÜReereJticfe.)

ben fdjleimigen Sdjeinfii&dien l)in unb Ijer, ben einjigen Organen, mit »eidien bie goraminiferen fdiwimtncn, friedien, empftnbett

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unb Slaßrung ergreifen. 3n ber fdjleimigen Äörpermaffe ber Foraminiferen läßt fiep aud) mit bem beften SRifrofcop StidßtS bemerfen, maS auf eine ffierfdjiebenfyeit ober 2)ijfeten3irung Ijin* miefe unb bodj fdjetben biefe Sßierdljen Äalffdßalen non rounber* barer ©djönijeit unb jwar in foldjer IRegelmäßigfeit au§, baß man über ßunbert ©attungen mit einer großen Slnjabl oon Sitten ftetS mit geidjtigfeit erfennen !ann.

33ergleid)t man nun bie goraminiferenfdjalen in ber Äreibe mit benen beö Sieffeefd)lamme8, fo jeigt ftdj, baß unb ©röße betfelben in beiben .©ebilben jiemlid^ übereinftimmen. 5)ie ßerrfdßenben formen jebod) finb eerfdjieben. Sn betreibe übermiegen bie Teilfcrmigen, ^ltei^eitig gefammerien Textularien, tm Sieffeefcßfamm bominiren bie Globigerinen, beren ©dealen au3 unregelmäßig ober jpiral gruppirten fugeligen Kammern be» fteßen. Sieben ben Globigerinen finb bie einfammerigen Äu» geln oon Orbnlina fomie Rotalien (Pulvinula) bie ßöufigften formen. SJian bejei^net ben Sieffeefcßlamm ßäufig aud) nadj bet ßertfdßenben Foraminiferen ©attung alS Globigerinen» ©dßlamm unb mit bemfelben Siedete mürbe bie Äreibe ben Stamen Textukrien*@cf)!amm oerbtenen. 68 laßt fid? nidjt läugnen, ba8 mifrofcopifdje 23ilb oon Äteibe unb Sieffee» fdflamm erhalt bureß bie 3$erfd?iebenßeit ber maßgebenbeu Fora* miniferen ein ehoaS abmeidjenbe8 StoSfeßen, allein jaßlreicße mit* ootfommenbe ©dßaldßen aus anberen ©attungen ßeben bie IDiffe* ren3 mieber etma8 auf, benn unter ben leßteren merben 19 Sitten genannt, meldße gleidfoeitig in betreibe unb am ©runbe unferer Sfteere gefunben merben.

Smmerßin geßt man 3U meit, menn man Äretbe unb Sief* feejdßlamm al8 ibeutifcß bejeidßnet. 3Bie mir gelegen haben, be* fteßt bie reine, fdjneeroeiße Jhreibe, abgefeßen oon ben größeren

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Serfteinerungen, faft nur anS jietn ft einten, goraminiferen unb unbeftimmbaren Äalffragmenten; im Üieffeefchlamm bagegen fielen auch fiefelige ©ebilbe eine ziemlich mistige 9toHe. So finbei man in Stenge bie zierlich gezeichneten Schalen ber&iefel* aigen (Diatomeen), bie p^autaftifch geftalteten Äiefelgerüfte bet ©itterthierchen (Radiolarien) unb enblich Ueberrefte non Äiefelfchwümmen.

Segreiflicher SEBeife muß bie e^emtfc^e 3ufammenfeßung beS SaeffeefchlammeS burch biefe Kefeligen Seimifchungen beeinflußt werben unb in bet 5£hat ergibt feine 2lnalpfe nur einen ©e^alt con etwas über 60 pßt. lohlenfauren ÄalfeS, währenb bie übrigen 40 ber ^auptfache nach (20—30 p(5t.) auS Äiefel* erbe unb fthwanfenben Stengen con Shonerbe, ©ifenorttb, Sitter- erbe unb aifalien befteßen. SDiefe 3ufammenfeßung entfpricht nun feineSwegS ber reinen weißen Äteibe, bie ja beinahe ganj auS fohlenfaurem Äalfe befteßt, wohl aber jener gewiffet Äreibe* mergel, in benen man auch Äiefelgebilbe dou Seefchwämmen, fowie mehrere »ereinjelte @ ittertljierchen unb ÄiefeUSdgen (Dia- tomeen) finbet.

3n bem Stängel an Äiefelerbe in ber ©runbmaffe bet Jireibe beruht ber ^auptfädE^lidhfie Unterfd^icb berfelben gegenüber bem Stieffeefchlamm unferer Dceane. ©S bieten fomit bie Äreibemergel ein getreueres Silb beS SaeffeefchlammeS bar, als bie eigentliche Äreibe. aber hat biefe ^Differenz wohl and) con anfang an beftanben ober ift fie erft bie golge einer festeren Seräuberung beS urweltlidhen SieffeefchlammeS?

£Die leßtere Sermuthung bringt fich unwillfütlich auf, wenn wir unS an bie eigentümlichen ^Beziehungen oon Äreibe unb geuerftein erinnern. 3e reiner, b. h- ie ärmer bie Äteibe an fiefeligen Seimengungen ift, befto reichlicher finbet fiih in ber

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Siegel ber geuerftein; wo bagegen ber leitete fehlt, ba geigt fi<h bie üreibe auch faft hnntet oerunTeinigt, fiefefhaltig unb gu tedj* titfd^er 33erwenbung untauglich-

28ol)er flammen nun biefe geuerfteineinlagerungen in ber treibe? Sin periobift^e Slieberfdhlage een amor^er Äiefeletbe auf bem Sfoben be8 urweltlichen QceanS Tonnen mir wohl nicht benfen; baju l)ätte fyeifcer, mit Äiefeferbe impragnirter Quellen beburft, bie in oarfchtebenen $>erioben empotfprubeften unb wiebet oerfiegteu, nadjbem fte meilenweit eine bttfe Schicht Äiefeletbe ^intetlaffen Ratten. 3u biefer ober itgenb einer an* beren, au8 djemifchen ©runben guläjfigen Jpp^ot^efe liefern un8 jebodfj bie ©rfdjeinungen ber 3ef3tgeit auch nicht ben Schatten eine« SlnhaltSpunfteS. SRüffen wir aber auf eine birette chemifche gäflung be8 geuerfteinS oergidhten, fo bleibt nur nod? bie SJlög* lid^feit einer ©ntftehung au8 organifirter Äiefelerbe übrig, ©ine mifrofcopifche Prüfung ber geuerfteinfnoßen ergibt nun ba8 Sie* fnltat, ba8 aflerbingS Slefte oon Äiefelfchwämmen unb Sflgen (Pixidicula) batin oorfommen, aber feine§weg8 in reid^lid^er SJlenge. 9118 eine Slnljaufung »on Äiefelgehäufen ober fiefeligen STelet teilen Tonnen wir ben geuerftein barum nicht betrachten. ©8 wäre auch wunberbar, wenn fidj ehemals bie fiefelfdttaligen Slabiolarien, .JTiefelfchwämme unb ©iatomeen, beren Slefte im Stieffeefchlamm ber jefjigen SJleere überaß »ertheilt finb, gu Änoßen unb Schichten oereinigt hätten.

Sßiel wabrfcheiniicher fteflt un8 ber geuerftein eine nachträg» liehe ©oncentration ber urfyrünglidh in ber gangen Äreibemaffe gerftreuten Wiefel erbe bar. 35afür frechen mancherlei ©rfinbe: fo ba8 gehlen oon Slabiolarien unb ÄiefeUSllgen in ber weifjett Äreibe mit geuerftein, fowie ber eigentümliche ©rhaltungSgu* ftanb ber Äiefelfchwämme. löon tiefen testeten ift nämlich nur

XL 851. 3 («55)

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außnal)momcife baß gietlichc ©ittergerüfte erhalten; in ber IHe^el liegt lebiglich bec Slbbrucf beß ©chmammförperß »or; bie Äiefel* fafetn unb fabeln felbft bagegen finb »ollftänbig aufgelöft unb bie erftevn meift uur burch bie fdjmarge ober rothlidje StußfiU* lungßmafje ber binnen 9l;ren=(5anälc angebeutet.

iHngefichtß biefet ©hatjachen liegt bie ÜJermutijung nahe, in beu geuerfteinfnollen bie »erfchmunbeue Äiefelerbe jener gerftörten Crganißmen gu jucken. ©ie mürbe aufgelöft, roeggeführt unb burd) molefulare Slngieljung an beftimmten ©teilen concentrirt. ©iub aber bie geuerfteinfnollen nur baß $>robuft ehemaliger, in ber gangen Äreibemaffe gerftreuter Äiefelorganißmen, bann tonnen mir unß ben geuerftein and) mieber in feine urjprünglidjen ©le= mente gerlcgt benten unb in biejem galle mürbe bie meifje Äreibe menigftenß in cbemifcher ^injic^t nom Sieffeefc^lamm nid)t gu unterfdjeiben fein.

SOiandjerlei ©hatiadjeu haben SJpuille 5£-h c m 1 on fogat gu ber 3ktmutl)ung geführt, ber jc^ige ©ieffeefchlamm bilbe nur bie oberfte Slbtheilung einer Äreibeablagerung, melche fid) feit ber Äreibeperiobe, möglidjerroeife fogar feit nod) früherer Beit auf bem ©runb ber Dceane abgejejjt habe- JDieö mürbe nun für jene faltigen ©ebimente eine enorme SDicfc »oraußieigen, mooon mir freilich niemalß ben bireften S3emeiß gu liefern im ©taube fein metben, ba unß uufere mechanifchen ^)ilfßmittet gmar geftatten, fleine groben auß beu tiefften ?lb= grünben beß SDceanß heeoorguholen, nicht aber in ben ü)leereß* grunb guni 3«>ecf »on SKeffungen tiefer eingubringen.

©er ©ebaufe eineß Bufammenhangß ber Äreibe mit bem ©ieffeefchlamm ber ©egenmart hat in ber ©hat mancheß 23e* ftechenbe. ©chon bie 3lehulichfeit in ber chcmijdjen unb orga» nifchen 3ufammenjehung beibet }ptid)t für eine gleichartige ©nt*

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ftebung. 9lodb aujfallenber aber berührt ben ©edegen bte Uebereinftimmung getriftet erganiiebet Ucberreftc im üiefjee* fdjlamm mit felgen au8 ber Äreibcfprmaticn. SEBäbrenb im allgemeinen bie ©efcböpfe ber ^et^eit in fcfyatfem ©entraft ju jener ber Ärcibeperiebc ftefjen, enthält ber 5£ieffee?d)lamm niefjt weniger al8 19 ^oraminiferen»arten, weldje audj in ber treibe retfemmen. ©cd? barauf bef^ränft fid) bie Uebereinftimmung ttiebt; auch unter ben Ijdjet erganifirten gieren giebt eS eine a^afyl ron langlebigen §ornten, beten SebenSbauer am 9Jleere8* grunb, jebedj nur bert ton ber Äreibegeit bis in bie ©egen wart reicht. ©in Sljeil ber fofftlen Äiefelfdjwämme ber Äreibefcr» mation fdftiefft fidt> auf ba§ aflerengfte an einige in großer Siefe ned) jetjt lebenbe ©attungen (Farrea, Myliusia, Aphrocallistes) an; eine Korallen 5lrt au8 ber meinen Äreibc (Caryopbyllia cylindrica Reusa) mürbe neiterbingS auch bei ©uba unb $)crtugal au8 Siefen ren 6000 ftufj fyernorgcfydt. Unter bett ©eelilicn fyiben bie neueren Sieffeeforfcfyungen tterfdjiebene, bi8 baljin un* befannte ©attungen an8 SageSlidft gebrad’t, welche mit fddien ber Äreibe3eit bie nadpfte SSerwanbtfdiaft befi^ett. fDMjrere @ee* fterne (an8 ben ©attungen Astropecten unb Astrogonium) laften fid) am beften mit ben in ber weilen Äteibe ren ©uffer ror« femmenben formen nergleidjen ; unter ben Seeigeln gehört eine neue £ieffee»art einer für crlofdjen geglaubten Äreibc=@attung (Salenia) an unb anbere (Echinothuria unb Pourtalesia) tragen ein auffaHenb allettljfunlidM ©epräge. aud) unter ben 5öid* luSTen reiben fid) uerfdjicbene arten ben mit einem gewiften fRedft alä „lebenbe Sßetftcinetungen“ be3eidjneten formen an.

©8 finb jebed) nid)t allein biefe Sfyatfadien, welche un6 an eine ©ontinuität bet Äreibe mit bet ©egenwart glauben laften. aud) bie 3?obenbefdjaffenl)eit ber Oceane mad)t eine foldje über»

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auö roaljrjdjeitilid?. ©cfcrcanfungen in bet Skrtheilung pon SEßaffer unb gaub, .pebungen unb ©enfungen auSgebehnter ganbftriche, Sluffteigen pon ©ebirgSjügen finb bem ©eologen geläufige SBegriffe; aber wenn burd) eitt Bujammenwirfen per» fdtiebenartiger Äräfte hin unb wieber ©ebirge non 15—20000 $uß .pehe emporfteigeit fonnten, fo geigt unS bie genauere litt* terfudjung, baß biefe ©reigniffe nur burd) bie getpaltigfteu 2(n* ftrengungen unb ftetö nur im Verlaufe pßn pielen 3al)rtanjcnben erfolgten.

SBaS finb aber biefe burd) enblofeS {Rütteln , in oielen 2lb* faßen empor getriebenen ©ebirge im Söergleid> 31t ben Slbgritnben ber Dceaue mit ihrer riefigeu SütSbehuung? @6 ift faurn nod) jweifell)aft, baß bie geologifd)en ©reigniffe ber lebten ©rb* perioben feilte funbamentale 2>eränberuttg in ben Oberflächen* S3erhältniffen h^orcufen fonnten, fonbern baß alle Oielief* fd)wanfungett auf bie ©ontinente unb bie augrenjeuben feierte« OJleereSregi onen befeßränft blieben, ©ine Umroanölung beS im SOiittel ca. 10,000 ^uß tiefen atlantifdjen ober ftillen OceanS in 'geftlanb hätte llmwälgungen auf ber ©rbe heroortufen muffen, wofür uuS abfolut feine Beugniffe porliegen; fie würbe .Kräfte porauSfeßeti, pon benen wir uns feine Slorftetlung gu madjett im ©taube finb.

9iid)tS nöthigt unS jur 21nnal)nte fo fuubameutaler Umge* ftaltungen, wohl aber fpridjt außer ben genannten ©rüttben noch SRancßeS bafür, baß bie jeßige Siertheilung pon Söaffer unb 2anb ber ^auptfadje nad> fdjon feit einer {Reihe pon ©rb* perioben befteßt. Unter biefer SJorauSfeßung bürfett wir aber ben £ieffeefd)lamm mit 3ted)t baS 23anb nennen, weldjeS bie 3eßtjeit unmittelbar mit ber Äreibepericbe perfnüpft.

Sie ©eologen perwerfen gegenwärtig faft ol)ne SluSnaßme

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bie j£)t?pct^c[e »on pericbifd) wieberfehrenben, allgemeinen 6rb» recolutioneu. 25ie neuere Raturerfdjeinung fe^t an bie Stelle »on gewaltfamen Resolutionen allmälige ©»olution, b. Ij. lang* fame, ftetig fortfdjreitenbe Grntwicflung. Unter ben ©rünbeu, welche jur enbgültigeu 23efeitigung bet ehemals fo beliebten .ftataftrophentheorie führte, war ber Rad)Wei8 be8 unmittelbaren 3ufammenfyang§ ber orgattifchen Stopfung »on jwei auf ein» anbet folgenben ©rbperioben mit am entfcheibenbften. Run aber bietet un8 ber Sieffeefchlamm noch weit mehr: nämlich bie Kontinuität mit ben Ablagerungen einet weit $urücflicgenben, »erhältnifjmäfcig alten Krbperiobe: ber Äreibeformation.

68 ^aben unö bie Betrachtungen über bie Kntftetjung ber treibe jiemlidj weit »on unferem eigentlichen ©egenftanbe ab* geführt; wir haben einen Blicf geworfen in bie Siefen be8 JDceanä uub auf bie bafelbft »orfommenben Sebewefen, wir haben ben geologifdj fo wichtigen Sieffeef^lamm fennen gelernt unb waren fchliefelich genötigt, unfere Aufmcrffamfeit ben Hebungen unb ©enfungen be8 Boben8, ber Kntftehung ber Kontinente unb Rleere jujuwenben. 68 bleibt mir jetjt nur noch übrig, wenig» ftenö anbeutung8weife bet Begehungen ju gebenfeu, welche ben Sieffeefchlamm unb bie Ärcibe mit ben gewöhnlichen Äalffteinen »erfnüpfen. £Dafj bie meiften ilalffteine meerijchen UrfprungS, bei weldjen wir au8 oerfchiebenen ©rünben eine Kntftehung in anfehnlicher Siefe »orau8fcf}en müffen, erfüllt finb »ou Seramini* fereu ©ehäufen »erfchiebener ©attungen (je nad) bem Alter unb Borfemmen be8 betreffenben ®eftein8), ift längft betannt. greilid) ift ber KrhaltungSjuftanb biefer ©eljäufe feiten fo günftig, um eine Sfolirung unb genaue mifrofcopifche Unter» fuchung gu geftatten ; in ber Regel finb fie mit bem Reben* geftein innig »erwachten, djemifch »ercinbert, häufig fogar bi8

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jnr Unfenntlidjfeit jerftcrt. 9hm hat aber neuetbingS nament« lid) ©Am bei auch bic Äernfteindhen faft allenthalben in bet ©runbmaffe ber .talffteine nadjgewiefen. @o haben n>ir benn auch hier bie ct)arafteriftiid)ett ©lemente be8 SieffeefdhlammS unb ber treibe unb bieS berechtigt unS ju bem ©^luft, fämmtlichc berartige Äalffteine als erhärteten unb chemisch mehr ober weni« get ueränberten Sieffeefdhlamm 311 betrachten.

Somit gewinnen bie Organismen beS 93here8grunbeS, welche wir Ijeute fennen gelernt haben, ein heroorragenbeS Stater« effe, benn ein anfetjulidjer Shell ber feften ©tboberflädhe ijt baS $)robu!t ihrer Sljätigfeit.

28ir finfcen alfo aud) in biefem fratle, wie faft überall in ber ©eologie, grefje Sßirfungen aus Keinen Urfachcn herrorgeben. 3n ber SSl^at , nicht bie Vulfane mit ihren finneblenbenben Grr» fdjeinungen, nicht bie ©rbbeben mit ihren fürchterlichen, aber meift auf Keine ©ebietc bejehränfteu Verheerungen tragen 311t llmgeftaltung ber Grbeberflädjc baS meiftc bei; weit erfolgreicher ift bie unabläffige, serftcrenbc unb aufbauenbe Arbeit beö SBat« fer8 unb neben bcin SBaffer bie ftille, unbeachtete Sh“tigfett ber mierofeopiidben Äreibe unb ??el$bilbner in ber Siefe beS DceanS. „Ex minimis maxima“ tönt e8 bem Setfcijer allenthalben ent« gegen, wo er bag ©etriebe in ber SBerfftätte ber 9tatur belaufet-

Stutf »cn Q* * b r. Una»t (S 6. ®rimm) in Scrlin, ®4cne6ni|,rftrn6« 17».

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in heit fflanhelungcit her tlru?eU.

3Jon

{gbuorb ©fettbriiggeti.

Berlin SW. 1376.

23 erlag uon Carl £>abel.

(t. (S. l'abiriti'sdit rttlajsbadjljaiiblMä.)

33. ©ilbrim >®tttSe 33.

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2>a$ JRci't bet lUbcrfcfung in frembe (Strafen irirb mbcfmltcn.

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•Kein 2anb non mdfsiger 2lugbehnung ift fr fehr wie bie ©chweig bag Sattb bet ÜJtannigfaltigfeit unb ber ©egenfähe jmb fte wirb eg bleiben in ihren flimatifchen unb Sobenoerhältniffen, in ihrem ©emifd) non 2?ölFerinbit?ibuaIitäten, in ihren politifdjen unb focialen Suftänben. Clber in ben lederen ift ein bebeutenber ©ntwidflunggprosefs augenfällig; bie©egenfäf3e werben abgefchwädjt, nerfchieben fich, Beitftrbmungen madjen fid? geltenb, welche bem 2?ilbe eine anbere Vertheilung non Sicht unb ©chatten bringen.

füiein Vortrag feil bie 9teu$eit gum ©egenftanb h<fren, «her eine rafche -fRücffthau in bie Vergangenheit ber fdjweigerifchen ©ibgenoffenfdjaft mag bie 33ahn offnen.

©aga, bie 9>oefie, gaubert ung bag erfte 33ilb. Sir fehen bie Vtänner non ©djwnj, Uri unb Unterwalben beim SDtonb» regenbogen auf bem JRütli, fie reichen fich bie £änbe „Sir finb ein Volf unb einig wollen wir hanbeln" fte fchwören in nächtlidjer Sanbggemeinbe ben Vunbegeib:

„Sir wollen fein ein einzig Voll non Stöbern,

3n feiner 9toth ung trennen unb ©efahr."

JDie brei Sanbet hatten halb ©elegenheit ben ©cbwur gu bewahren unb bie Streue an bem fdjen 1291 besegelten „erften, ewigen SSunb." ^ergog Seopolb non ©efterreich 30g 1315 mit großer £eeregmacht hetan, um bie ©chwnjer, welche fid) bem ©eberfam

XI. 25!. 1* (463)

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unb ben ©teuer« entgegen, ju jüdjtigen unb ju unterjochen. 35ie ©d)lad)t am Vergärten mar bie Sluttaufe ber jungen Gib« genoffenfd)aft. 25ie angeblich nur au8 600 ©djtDpgern, 400 Urnern unb 300 llnterwalbnern befte^enbe ÄriegSmadbt fiegte über ein grofjeS frieg8ge»obnte8 «£>eer. 3u bemfelben Sa^re erneuerten bie üanbleute unb Gibgenoffen Den ©d)»93, Uri unb Unter» »alben il)ten Sunb in Srunnen.

3a^re 1332 trat Sujern in ein ©djufj« unb üru§» bünbnifj mit ben brei Söalbftätten unb jejjt fonnte ber gre§e Dielbudjtige ©ee ben Flamen Sierwalbftätterfee erhalten, aber üblid} »urbe biejer 9Jame erft im fiebge^nten 3a^unbert. 1351 ging 3ürid) in ein Sünbnifj mit ben Sierwalbftätten, 1352 fam 3ug ju ben fünf Drten, bie fid} burdj ben Seitritt t>on ®laru8 (1352) unb Sern (1353) jum Sunbe ber nadjt alten Drte" er« »eiterten.

Jpier ift bie Stage am ^JMatje, cb e8 jefct fd)on üblich »ar, biefe Gibgenoffen ©d)»eijer ju nennen unb il)t ®ebiet <Sd)»eij? SDarauf giebt eiue neue Unterfudjung jUDerläffige Slnttoort. 1 )

2)urd) bie ©cblad}t Don Vorgarten »urbe ber 9lame ber ©dbwnjet in weitern Greifen befannt unb man begann mit bem» felben nid)t nur fie allein, fenbern aud) il)te Gibgenoffen Don Uri unb llnterwalben, unb mit bem Flamen 3dj»t)J ober ©c^weq aud) bie brei Üätibet überhaupt 311 be^ei^nen. Si8 3ut ÜRitte beß tierjeljnten 3abrbunbertß gebraudien 3(nnalen unb G^ronifen bie tarnen ©c^wnjer unb ©cb»D3 in bem hoppelten, bloft lofaleu ober aber auf bie brei üänber inßgefammt begüglid^en Sinne; ber IJanbeßname ©d)»ei3 fomrnt boeb aber feltener not al8 ber« jenige be8 Solfe8. Grft nach ber ÜJlitte bc8 Diergebnten 3#’ bunbertS, nad) bem Gintritte dou i*u3crn unb 3ürid) in ben Sunb, gab ber b»rau8 entftanbene Ärieg bet erweiterten Gib* genoffeufebaft mit Deftcrreid) (1351—1355) Seranlaffung, bie (««<)

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|5mmt(ict)en ©ibgenoffen, aud) bie 3ürid)er, mit bcm tarnen „Schweiger" gu begeidjnen. Unb gwarthutbieSguerft eine cfterreid)if<he IDueQe 2), währenb bie übrigen öfterreichifchen unb alle fchwäbifchen unb einheimifchen ©chriftfteHcr noch immer 3üricher unb Schweiget („IHibgenoffen") non einanber unterfcheiben. SDreifdg Sa^re {pater machte bann ber ©empadjerfrieg biefen weitern ©ebraud) beS 9iamenS ©chweiget allgemein üblich unb bie ©reigniffe beS fünf» jeljnten 3afyrt)unbett3 bekräftigten ihn. 33on 1386 an nennen bie öfterreichifchen Annalen alle ©egner DefterreichS im SBereidje ber ©ibgenoffenfdiaft einfad^ ©witeufeS; allmälig begannen bie ©ibgenoffen jelbft fic^ {o gu h«i§en.

£)ie ©djlacht bei ©empach 1386 war eine neue 23luttaufe ber gwar oergrefjerten, aber noch lange nicht baS jefjige ©ebiet umfaffenben Schweig. Stuf öfterreidjifdjer ©eite fielen bie ©<f)ult* Reifee een Slarau, 3oftngen unb anbern ©täbten beö SJlargaueS, wie auch Bürger een ©chaffhaufen, unb ned) oft l)aben fich bie Schweiger weit entfernt een bem Söaljlfprud? „ein einzig 23olf een Sßrübetn gu fein," in blutigen Kämpfen auf bem heimatlichen 33oben unb als ©ölbner in fremben Jpeeren, wo fid) nicht feiten Schweiger \mb felbfhRantonSgenoffen feinblich gegenüber ftanben.3)

3n ben Sruberfriegen ber Schweiger mit Schweigern auf ©djweigerbeben waren bie politifdjen fölottee peteugirt burd> ben ccnfeffienellen ©egeufaf} unb ber (entere fegar überwiegenb. 25aS geigte fid) nicht nur im SRefermatieuSgeitalter, fenbern aud) nad)= her, als bie fird)licbe Trennung ihren 93erlauf genommen hatte. 3d) erinnere nur aus ber erften 3eit ber Trennung an bie ©chfacht bei .Rappel (1531), in welcher 3wing(i, als gelbprebiger mit bem SBanner »on 3ürich auSgegogen, fdjon töbtlid) oerwunbet war, alS ein llnterwalbener ihn mit ber Jpellebarbe burdiftiefj, worauf fanatifirte ©olbaten in roher SLUtth ben Beichnam oiertheilten unb bann als ben beS „©rgfefjerS" oerbrannten.

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£)er leßte Äampf biejer '.Jlrt hoffentlich bet allerlefjte für bie Sdjmeig mar ber Sonberbunböfrieg 1847, nid)t jo blutig 3ma't als politijd)«fird)lid)e itämpfe früherer 3eit, aber „Cyiieu u«D SMut" mußte bod) bie rafdje l^utfcheibuuß briugeu, uad) meldier bie Sd)mei3 1848 iu ein neueö 3«talter eintrat. iluö bem Staatenbunbe mürbe ein 33unbe8ftaat unb an bie Stelle ber bemeglidjen manbernben £agfa$uugen trat 33ern alö fefter ISunbeöfitj. iMbgejeljeu ooit ben Dtebefämpfeu unb 3eituugd= bebatten 001130g fid) bie ©rünbiutg bed neuen iSuubed rutyig alö iHuebrucf beö tBolförnillend, im iÜergteid) mit 35eutjd)lanb uitb granfteid) mar baö 3al)r 1848 für bie Sdjmefj ein frieblidjeö 3aljr; ber Sonberbunböfrieg fyattc bie Sieaftion rje^en ben gcrt= j erlitt ^mar nid)t beseitigt, aber bod) für jetjt otjmudditig gemacht unb bie SJtänner, metdje berufeu unb befähigt maren, baö neue SBerf 3U geftalten unb inö Üeben 311 führen, bem*il)rieu fid) alö praftiidje Staatömeije. 2fuf bem repnbltfanijd)en töobeu mürbe aud) niemanb oerfolgt, ber maßte, über bie 9?cufd)öpfuug eine abmeidjenbe 93leinuug 31t Ijabeit unb 31t äußern, barin fal) mau nod) feinen Uaubeöoerratlj unb aud) feine öefatjr.

Um bie Stimmung 3U djarafterifiren, meldje bamalö iu ber Sd)mei3 l)errjd)le, fül)ve id) 311'ei Stimmen auö oerjdjiebeueu ©egeubeu beö üanbed an.

diu jeljr auöge3ei<f)neter glaruer Surift, ißlumer4) äufjertc: „dö mar eine fd)öue 3«it, iu melier ber neue 33uub 31t Staube fam: bie gau3e Schmeiß burd;mel)te ein befounener, »erftäubiger deift, ber bie großen gcrtjd)ritte, meldje ber dntmurf barbot, 311 mürbigen mufete unb fid) an baö praftijd) drreid)bare l)ieltf au» ftatt t)ot)ten 24)eorieu nad)3ujageu ober fid) ängftlid) au fantonale 3nterefjen auguflammeru." SBeuit l)ier mit bem Ülnöbrucf „bie gau3e Sd)mei3" budjjtäblid) 31t oiel gejagt ift, jo mar bod) baö

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Urteil im großen ©anjen richtig, bie ©d;weig freute fid) einer ©rrungenfctjaft.

©ans fluberb tonte eb freilich aub Uri. Sükun man bie Frage ftellt, rreldje ©djriftfteUer Uri tyale, fo erhält man sur Stottmert: Puffer unb nodjmalb Suffer unb wieberum Puffer. SDiefer eine Sftann l)at in bet 9teu$eit bie Urania literata ge* bitbet. Gr fannte fein Saub unb beffen Seute unb für bie $opograpl)ie feiner bergumfchlungeneu Heimat ift er eine 311* oerläffige Autorität geworben, aber alb bpiftorifcr unb alb iDrafel ber geidjicfytlidjen Gntwicflung beb Saubeb ift er in feiner politifd;* fircfjlidjen Ginfeitigfeit ein abjdjrccfcnbeb 33eifpiel su nennen. SDab seigt fein Ijiuterlaffeneö Jpauvtwerf.5) „Unter beu gang fatbolifdjen ©tänben Sägern, Uri, ©djwtyg, Unterwalben, 3ug, Freiburg uub SSallib entftanb jcueb fatljolifdje ©djufjbünbnifj, bab bie Dtabifaleu fpcttweife ©onberbnub fyiefjen. Gb war blcf) eine geredete Üftothweljr gegen Ungeredjtigfeiten unb 23unbeboer* lefcungen, welche bie Slabifalen feit Saljren übten." 33on biefem ©tanbpunfte aub nennt Suff et nur biejeniejeu „wal)re Gibgenoffen", welche an bem burd) ben wiener Gongrefj 1815 gefdjaffenen SJunbe für alle 3eiteu feftljalten wollten, bie in ben Sagten 1847 unb 1848 fiegreidjen ©egner finb ihm bie Dtabifalen, bie Um» wütgungbpariei, bie gcinbe ber religiofen unb politifdjen “greitjeit unb fogar Freimaurer. 25iefen fd;recflic^en tarnen oerbienen fie it)nt fchon baburd), bah fie bie „oertannten, oiel oerläumbeten unb ba^er ungeredjt gerafften Sefuiten" aub ber ©diweis be» feitigten. 2)iefer Sluffaffung ber ueueit Süeubung beb fdjweigerifthen ©taatbwefenb gemäf} fajjte benn auch Suffer fein llrtljeil über bie Steugeftaltung in beu ©afc sufammen: „Jpiemit war bie Sunbebreoolution oolleubet unb bie ©djweig in eiuen neuen 3eitraum eiirgetreten. SÖJab bie Dieoolutionb^artei längft fdjon . angeftrebt, war erreidjt: ber mit furzet Unterbrechung feit mehr alb

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500 3atyren glücflicfj beftanbene, für imb für erweiterte Staaten* bunb in einen 23unbe8ftaat umgewanbelt, ber fowoljl burd^ er* gwungene SBilbung als burd) bie funbgewotbenen ©runbjäfje ber fieghaften, nun herrfdjenben Partei ben Äeim ber 2lufiöfung jdjon in ftc^ trägt."

So jdjrieb 8uffer im Saljre 1854, benn biefe 3at)l trägt baS SBorwort gu feiner ©efdjichte. SßaS et als Äaffanbra pro* phegeite, ift nicht eingetreten: ber SüunbeSftaat ift nicht nur nicht gut Sluflßfung gefommen, fonbern grabe ua<h 20 Sauren in eine neue i^afe ber (Stttwidlung eingetreten.

3d) ^abe jene beiben Stimmen beS glarner unb beS urnet Staatflmanueö einanber gegenübergeftellt, als Scid^en ber 3eit wie fie war, aber bie (Srfaljrung lehrt, baf$ berfelbe ©egenfafc in ähnlicher SluSprägung fortbauert, nur ift ein neuer Sonber* bunbStrieg nicht gu befürchten. 5Bon jeher ift bei ben wichtigen 5lbfdhnitten in ber (Sntwidlung beS eibgenöffifd^en gebenS bie {Religion in @efal)t gewefeu, aber bem jchweigertjchen 33elfe hoch nidjt abljanben gefommeu. SaS Sterna ber {ReligionSgefaht wirb auch iw Sufunft, wo ftaatliche unb fird)tid)e Sntereffen ftth berühren, nicht oerftummeu, fo lange Äirdjenglaube unb ^Religion als ibentifch genommen werben. 2118 Der einigen fahren 23or* »erfammlungen gehalten würben gur Serathung über eine neue ©unbeSreoifion unb auf tatholifcher Seite auch tt>ieber üiel oon ber bamit oerbuubcneu OieligionSgefahr bie {Rebe war, ba jagte eiu alter Äatholif mit weiten paaren im Poggenburg: „Prägt leine Sorge um bie Dteligion, wer fie hat, bem wirb fie gewifi nicht genommen."

Sie 23unbe8»etfaffung oon 1848 fefcte an bie Stelle beS StaatenbunbeS ben ißuubeSftaat, ber aber bod) baS Äleib beS StaatenbunbeS nod) behalten unb nicht GrinheitSftaat fein follte. SaS war nun ein fchwierigeS Problem, in beffen fißfung man

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ein ftaatörecf)tlid)e8 jfunftwerf erwarten burfte. £>b eg ju ©tanbe fam?

5Dte Senbenj bet neuen Bunbegrerfaffnng würbe non bet Neoifiongcommiffion in ihrem Berichte com 26. Spril 1848 ba= hin angegeben: „(Sin göberatiofpftem, welchegbiebeiben ©lemente, bie nun einmal in bet ©djtoeij norfyanben finb, nämlich bag nationale ober gemeinfame unb bag fantonale ober bejonbere, atztet, weicheg jebem biefet (Elemente giebt, mag ihm im 3ntereffe beg ©an^en ober feiner Steile gehört, weicheg fie oerfdjmetat, Bereinigt, weicheg bie ©lieber bem ©aujen, bag kantonale bem Nationalen unterorbnet, inbem fonft feine ©ibgenoffenfdjaft möglich wäre, unb bie Kantone in ihrer Beteinjelung ju ©runbe gelten müßten : bag ift’8, mag bie jetzige ©djweig bebarf, bag ift’g, wag bie ©omnüffion anftrebte in bem ©ntwurf einer Bunbeg* »erfaffung, beu fie ber Uagfafjung oorjulegen bie ©hre f)at; bag ift ber ©runbgebanfe ber ganzen Arbeit, ber ©djlüffel $u allen Slrtifeln."

SMefet ©dpüffel fdjieu nun and) gegeben ju fein in bem 9lrt. 3 ber neuen Bunbegoerfaffung: „IDie Äantone finb fouoerän, foweit ihre ©ouoeräuetät nid)t burd) bie Bunbegoerfaffung be» fc^ränft ift, unb üben alg foldje alle Ned)te aug, welche nicht ber Bunbeggewalt übertragen finb." ‘Mein in 2Sal)tl)eit ift bieg nur eine gormel, welche fid) auftöft in bie grage: Söic weit finb bie Äantene unb wie weit ift ber Bunb fouoerän? ober: 2Bo bleibt cg beim Sitten unb wo tritt Neueg ein? Slugenfcheinlid) ift bag Bi8l)erige, bie jtantonalfouoeränetät noch bie Negel, weldje cor* auggefe|t wirb, bag Neue, bie Bunbegfouueränetät bie Sltjgnahme, bereu Borf)anbenfein ober Berechtigung nachgewiefen werben mufe.6) ®emgemä§ beftimmt benn aud) biefe Bunbegoerfaffung in ihren Slrtifeln über bie ©cuoeränetätgredjte ber Sljetle unb beg ©anjen. £en jfantonen werben ihre Berfa jungen garantirt,

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aber bie Äautoue fiub ocrpflidjtet, für iljre Sietfaffungen bte @5e» wäfyrleiftung beö 23unbeö nad^ufudjeu; feie Dledjtögei'cijgebuug unb iKedjtöpflege ift beit Äantonen gelaffen, aber finb bod) gemiffe i)ied)löfälle an ein 23unbeögerid)t gemiejeu, uub ein foldjeö „aber* feljrt bann oft mieber. Bür anbere ©egeuftaube ift baö 5)led)t beö 23unbed oorangeftellt, 3. 23. „baö 3ollmefen ift Sadje beö 23unbeö;i unb „baö fPoftroefeu im gan3en Umfange ber (rib* genoffcufdjaft mirb oom23unbe übernommen," aberCrntfdjäbiguugö* aniprüdje ber jtantone finb oorbeltallen uub uovmirt. 'du mehreren (Stellen ift eine Seljubarfeit ber 2krfaffuug angegeigt unb bem 23uube anljeimgeftellt, nütljigeufaUö burd) neue 23eftimmungen einjugreifeu.

Sel)r bcutlid) gab biefe üßerfaffuug 31t erfettnen, baß mit il)r bie ftaatlidjc CJntmicflung ber Sdfmeig nid)t abgejdjloffeu fein feilte, baff auf iljrer ©ruublage uub bei iljrer 23ermenbuug ein weitem Bortfc^ritt beö ©runbgebaufeuö fidj ergebeu feile. Sie bcmäljrte fidj gut wäljrenb eines 23icrtcljal)rl)unbertö unb cd toar feine tabelnbc jbritif berfelben, foubern grabe eine 'dnerfeuuuug beö Bortfdjrittö, ben fie IjerbeigefiUjrt fyatte, baff man gegeu baö (änbe biefeö 3*itraumö au einen »eitern 'duöbau ber 23er f aff ung benfen muffle unb fonnte, für ben jejjt ein leljrreidjeö Hoffnung* gebeitbes 23erfud)öftabium 31t benufcen mar.

Um bie 2enbcit3 ber neuen 23uubeö»erfaffuug, bem gemein» {amen unb bem fantonalen Sntereffe geredet 311 merbeit, burd} bie Drgaue ber Styätigfeit ber 23unbefloerfammlung Ijeroortreten 311 laffeu, fant man aud) auf ein 3tueifammerfi)|tem, freilidj in be* beutenber 'dbmeidjung 001t ber norbamerifauifdje« 23erfaffung, auf baö -Jiebeneinauber beö 9taticnalratl)ö unb beö ©tänberatfyö. 2i3äl)ienb in bem Slationalratl) bie fJlatien nadj iljrer 23olfö3atyt oertreten fein follte uub bie i’lbgcorbneteu bireft foon bem alö

(liuljeit erfdjeinenben icfyme^erifdjen 23olfe gemälzt mürben, l;atte

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jeber Stanb ober jtauton für fid) jujet Stäuberätlje 311 u?at}len (bie jpalbfantone Cbmalben unb 'Jtibmalbeu, l’lppenjell Slujjer* rljobeit unb 3nnerrl)oben, Safelftabt unb Sajellanb je eiueu). 3luf biefe Sieije fteUte ber flcine Äanton 3ug gmei Stanberättye, jo viele mie 3ürid) unb Sern' mäfyrenb bie volföreidiereu .ftantone im 9lationalratl) nad) ber Sclfö3at)( vertreten waren.

Sieget für bie Öejd)äftötl)ätigfeit ber beibeu Abteilungen ber Snnbeöverjammluug mürbe eö, bafj IRationalratl) itub Staube« ratt) gejonbert uerljaubelten, baff aber für bie Suubeöbejdjlüjje bie 3u[timmung ber beibeu tliätlje erfotberlid) mar. Sab 3mei* fammerjnftem mürbe jebod) für gemifje Salle gerabegu aufgegeben, in beiten eine Serjdjnie^ung ber beibeu IRatlje 31t einer Sefyörbe gwecfmäfjig gefuubeu mürbe, Art. 80 beftimmte: „Sei IBaljlen, bei Auöübuug beö Seguabigungöredjtö unb für Cf ntfd;eibuu{j von Äompetei^ftreitigfeiteu vereinigen fid) jebod) beibe Ulatlje unter ber Leitung beö ^räfibeuten beö 9latioualratl)e8 3U eiuer gemein* fdjaftlidjeu Serljanblung, jo taf) bie abfolute 9Jtel)rl)eit ber ftimnteuben jDiitglieber beißer Jliatlje eutfd>eibet." Saruad) fiel aljo für joldje Sälle ber ilnterjdjieb gmijdjen beut Slatioualratl) unb beut Stäuberatl) meg; man fatiu aud) jagen, bajj ber Stäube» ratl) ald joldjer geitmeilig aujljörte.

3n uatürlidjer SBeije ergab fid), baf) im Stänberatl), beu man füglid) alb lRad)mud)8 ber alten üagja^ung beö fdjmeijcrtfdjeu Staatenbunbeö anjeljeu fonnte, baö Eonjervative Element über* miegenb geltenb mürbe, gegenüber ber Sßttjdjrittöbemegung beö ■Jtatioualratljeö. Sv jel)r ein joldjer Sualiöniuö im Serfafjuugö* leben eiueö Solfeö beredjtigt ift, l)at man redjt oft bie SDrgani» jation beö Stänberatljö mie fein formell bereebtigtee Auftreten bei mid)tigen eibgenöjfijdjen S^gen getabelt.

Alö baö 3al)r 1872 ^eranrüefte, mar ein neuer iluöbau ber Snnbeöoerfaffung oon ber liberalen Partei in Au0ftdjt genommen

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unb Sorgfältig »erbereitet, aber bie {Reoifton fanb an bem Prüfung*» tage, bem 12. 5Rai, in ber nad) bem 9ERobu8 be$S 3n)eifammer* f»ftem8 »orgenommenen SSbftimmung nod) feine ©nabe: ber ©nt» murf ber neuen SBetfaffung mürbe »etmorfen »en einer 55te^rt>eit be8 ®d)meizer»olfe8 unb ber ©fänbe (Äantone), aber btefe 9Rei)ri)eit mar nic^t grob unb jd)on 1874 fonnte, mit einigen dRebificationen unb ©ouceffionen, ein neuer SHntauf ju bemfelben 3ieie non ber Sortfd)titt8partei gemagt merben unb et führte jum ©elingcn am 19. ’Jlpril 1874.

{Rad) ber SBerroerfung ber {Reoifion im grübling 1872 oberten bie ffreubenfeuer auf ben ringö um ben SSiet«

malbftätterfee, SBötlerfe^üffc »erfünbeten bie SRettung beö 33ater* Ianbeö unb ber {Religion! 3m Senz 1874 mar 3ubel im anbern Säger. 93cn ben Äanjeln ber Ultramontanen tönte ein fdjmerjenS* reicher Kammer über bie ber Äivdie angetane Unbill itnb in einigen Sanb8gemeinben unb homogenen {J)refjerganen mar bie $tauermeiben»@timmung über bie 3$ergemalt.igung ber fantonalen ©ouoeränetät gre{j.

Selirreid) ift eine 23ctrad)tung ber i'arteiftellung bei ben 5Re»ifien841nternebmungen in benjabren 1848, 1872 unb 1874. 7)

£en Äern ber Slermerfenben bilbeten bei adelt brei ?lb* ftimmungen bie Urfdbmeijer oon Uri, ©d)m»z unb Untermalben. ®ie moden nod) immer nidjt nur al8 einftige ffiegtünber fonbern aud) al8 bauernbe Saunerträger ber fcbmeizerijcben greibeit an* gefeben merben unb finb nidjt 311 überzeugen, bafs fie unfrei ge* merben finb burd) gänglidje llnterroerfung unter bie römifdje Jtircbengemalt. ©0 ift e8 nicht immer gemefen. ÜDie ©efcbidjte ber ©djmeiz bat Seiten aufzumeiien, in beneu bie gutfatbolifdjen ®d)meizct bie ftaatlidje ©elbftänbigfeit bed) nidjt mollten »er* ftummen laffen »er ben IDiftaten ber römifdjeu .£>ierard)ie.

3118 Cie {ReoifionStage 1872 unb 1874 bevnnfamen, tönte

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am lauteften Die Dppofition gegen bie „confefftoneOen Strtifel" bet ©ntwürfe, beim biefe Slrtifel waren 'Eingriffe auf SRom. SDet inhaltflfchwere 3lrt. 49 bet neuen 33erfaffung Bon 1874 beginnt: SDie ©laubenö» unb ©ewiffeuöfreiheit ift unBerlefclidh- Diiemanb barf gur J^eilna^me an einer 5Religion§genoffenfdjaft ober an einem teligiöfen Unterricht ober gur 23ornahme einer religiösen £anblung gegwungen ober »egen ©laubeuöanfidhten mit ©trafen irgenb weiter Strt belegt werben. SDie Ausübung bürgerlicher ober politischer {Redete barf burdj feinerlei SBorft^riften ober 33e* bingungen fircf>lit^ct ober religiöfer Statut befd^ränft »erben je. ©ehr beutlid) ftub fobann 2lrt. 51 unb 52: SDer Drben bet 3e Suiten unb bie iljm affHHrten8) ©efelljchaften bürfen in feinem Steile bet @^»eig Aufnahme finben unb e8 ift ihren ©liebem jebe SBirffamfeit in Äirche unb @djule unterSagt. SDiefeö 33er* bot fann burdh 33unbe8befdhlufj auch auf anbere geiftlidhe Drben auögebehnt werben, bereu SBirffamfeit ftaatSgefahrlibh ift ober ben ^rieben ber Äonfeffionen ftört. SDie ©rridhtung neuer unb bie SBieberherftellung aufgehobener Älöfter ober religiöfer Drben ift unguläffig.

SDie SSefeitigung ber 3efuiten unb bet ihrem Drben affiliirten ©efeUfchaften war Schon in ber 23erfaffung Bon 1848 au8gefprodhen, neu war jefct bie 3Barnung an anbere geiftlidhe Drben. SJtan hatte fich in ber ©djweig fdhon baran gewöhnt, bie 3efuiten nidht mehr gu fehen unb bie ©raeuerung jenes 23erbot8 machte im fdhweigerif^en 33olfe gar feinen ©inbruef, auch b<e Abwehr gegen ©rridhtung neuer Älöfter unb geiftlidher Drben nidht; aber anberS war e8 mit bem 2frt. 53 ber neuen SBetfaffung: „SDie geftftetlung unb 33eurfunbung be§ ©ioilftanbeS ift ©ache ber bürgerlichen Sehötben. SDie 33unbe8gefef}gebung wirb herüber bie näheren 33eftimmungen treffen." SDie 33unbe§gefetjgebung hat nicht warten laffen; als SBeinadhtSgefdhenf erfdhien baS „SBunbeS*

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gefefc betreffenb fteftftcllung unb 2)eurfunbung beä GiuilftanbeS unb btc Gbe" (uem 24 Gl)riftmenat 1874) unb bicfeS ©efefj ift mit bem 33eginn beö 3abre8 1876 in .ftraft getreten. Sarin ftcbt audi: „©ine firdjlidje Srauung8feierlicbfeit barf erft nach SBoÜjiebung bet gefetjlichen Stauung burd) ben bürgerlichen Sraubeamten unb ©orweifung fceö baberigen ^bcfd>etnö ftatt» finben." Sie (egaie Stiftung ber ©l)e liegt alfe in bem bürger* Itdjen 2lct, bie Giuilebe ift ebligaterifd), bie fircblidjc SrauungS» feierlidjfeit ift fafultatiu, ift eben eine fteicrlicbfeit. Sa ging nun ein ©cbmergenßfdjrei burdi baö £anb: ^eibentbum unb ©encubinat ftatt bet <briftlid)en ©be! @0 ungefähr fcnnte man bie »erfcbiebenen 31eufjerungen überfein uitb ©encubinat würbe tecbnifdje Sejcidjnung für bie Giuilebe in ber fatbolifd)en Äangel» fpradje unb in ben ultramoutanen ^Blattern, ©egen biefcn Gen» cubiuat würbe mit einem ©ifer beflamirt, ber nidjt grcjjer hätte fein fcnnen, wenn eS fid) um bie Slufbebung bc8 Gclibati? für bie fatbelifcbe ©eiftlidjfeit geljanbelt hätte.

81m ftärfften äußerte fid? über SBefen unb 93ebeutung ber Giuilebe ein bifdjöflidjet GommiffariuS in Sltibwalben in einer befenbern 33red?üre. Sarin fommt ber ©afj cor: „Ser ©taat Win eine ©be ubne ©ett, ebne {Religion, ebne Äird?e, ohne §>riefter, ebne ©aframent, ohne ©egen. Söabrbaftig, wenn in ber $clle ba8 heiraten noch ber 33raud? Ware, fo müfste man meinen, man hätte eine Gopie bauen abgenemmen." *Sa8 war ftarf, alö febon baß SBunbeßgefefj in Äraft unb Slußübung fid? befanb, aber id? b^e nid?t gebürt, baf? uen ftaatlicber ©eite ba» uon befenbetß Stetig genannten wäre; ber ©taat fühlt ftd? nicht erfd?üttert bureb {Pbtofen, aud? Wenn fie burd? eine i'efaune auß» geftofjen werben, fenbern fa§t erft baß 3uwibetbanbeln gegen baß ade binbenbe ©efefc.

Sie bifdwflicben Gommiffatien finb Srgane beß 33ifd?of’ß

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unb pflegen fidi in feinem ginn gu ciufjern, aber oft in einer Söcife, mcldje bem Sifdjof felbft nidit anftehen mürbe. (Sine anbere Jnftruftion al8 jener Gfiferer hatte um biefelbe 3«it bet bischöfliche (Sommiffat in Sugern. @r erflärte im „Satcrlanb" eg fyabe bie bifd?cflid)e Gurie bic ©eiftlidsen beg .ft'antong Sugern begüglidj ber <$tje bahin inftruirt: Sie feilen bem Sklfe fagen, bie Cficile^e fei jefjt burch bag bürgerliche ©efefc »crgefdirieben. Sebcr, ber ftdj in 3wf»nft »erehelichen melle, müffe bähet guerft alg SSürger biefe (5l)e eingeben, unb al8 (Sljrift bürfe er fie ein» gehen. ©ann aber fei er alg Gljrift nach nerpflidjtet, bie 6lje aud) nadj bem fird)lid;en ©efeh auch fitdilid) eingugeben, bamit fie nicht bieg »or bem Staat, fenberit auch »er ©ott eine recht» mafjige llerbintung fei. 2öet tiefer gerberung ber Äirdje nicht entfprcche unb in einem fe mefentüchen $>unft ihrer 2ehre nicht auf fie Ijöte mag natürlich gang »on feinem freien SBitlcn abljange ber fdjlicjje fidj felbft bamit au8 ihrer 33erbinbung au§. ©8 feien begbalb ade, bie nur bürgerlids unb nicht auch firchlid) h«roten, alg Bon her Äitdjengemeinfchaft auggefchloffen gu betrauten unb auch git behanbeln; ber fird>Hdje 2$ctfehr mit ihnen höre auf, unb bieg auf fo lange, alg fie im SBiber* fprudj »erharren."

©iefe ©rflätung mar legifdh unb correft cont Stanbpunft ber fatboliichen .Kirche unb eg märe gu münfdjen, bafj alle $aare, meldje in ben ©heftanb treten, nach ber Stiftung ber ($he burch ben ©i»ilact auch bie firchliche ©infegnung in Slnfprudf nehmen mürben, ob fie 3ur fatholifchen ober gut proteftantifchen Äirdje gehören; allein ©ifferengen merben an ber ©agegorbnung fein, nicht nur im ©efolge »on SJtifdjehen, fonbern bei ber Spaltung ber römifdsen Äatholifen unb ber Stltfatholifen, bei ber burch bie fchmeigerifche Secelferunggftatiftif nachmeigbaren gtofjen 3ahl ber Seftirer im £anbe, mie aug anber* Urfachen unb bie Staatg*

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beworben werben nod) oft gu etfläten haben, baß eine ©ioilehe eine rechtmäßige ©he fei, mit allen Rechtsfolgen einet folchett, fpegieQ unb namentlich für bie Äinbet.

Such ber reformirten ©eiftlichfeit ber Schweif würbe bie ©inilehe ein ©tein beS SlnftoßeS, wenn fte auch nicht mit berfelben #eftigfeit bagegen aufgetreten ift. 3) et enangetifche Äirchenrath ©raubünbenS fuchte in einem SluSfchreiben barguthun, baß baS 33unbe8gefeß betreffenb geftftellung beö ©ioilftanbeS unb bie ©he ben bürgerlichen Stet, bie (Sicilehe, in ber 3«itfolge gwar »otan* ftelle, baß aber in bemfelben ©aße baS JPublifum fogleich auf bie fircßliche Trauung ^ingerrtefeit werbe, fo baß gut »oDgültigen ©h« t>ie beiben gufammengehörtgen iflfte erfotbetlich feien. @8 würbe aber biefem gewagten 3nterpretationS*33erfuch »on ber Regierung beö ÄantonS baS plaget »erjagt.

SDlit ben confeffioneDen 2lrtifeln bet neuen SunbeSnerfaffung fteßt im engen Bufammenhange b.er ©djulartifel, &rt. 27. 2)er- felbe beftimmt: „5)ie Äantone forgen für genügenben primär* untenicht, welker auSfdjließlich unter ftaatlidjer Leitung flehen fotl. 25erfelbe ift obligatorifch unb in ben öffentlichen ©chulen unentgeltlich-" 2>iefer ©aß mit feiner auSfchließlich ftaatlicben Leitung beS .^rimarunterrichtS trägt bie ©ignatut ber 2age8* fämpfe. Sßenn er fo genommen würbe, baß baburdj alle Gin* mifchung ber Pfarrer in bie 33olfSfchule ihrer ©emeinbe unter* bleiben Jolle, fo wäre baS feßr gu bebauern. gar manchen JDorfgemeinben würbe eS fchlimm mit bet ©chule fteßen, wenn nicht ein tüchtiger Pfarrer, »ielleicht ber eingige wirtlich gebilbete SRann ber ©emeinbe, bem ©cbulwefcn feine befonbete gürferge gugewenbet hätte.

gut »iele unb man barf gur ©hre ber Schweig fagen bte meiften Kantone ift bie Rlahnung an einen genügenben primär* unterricht überflüffig, aber nicht für alle. SDie 33ilbung8atmo*

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fpfyäre ift in ben Säubern ber Schweig fo oerfchieben wie ba$ Ältma unb ba giebt eS Setggegenben, in benen, um ben ©dju!« unterricht genügenb ju machen, bie ©dfwierigfeiten »eit gtoffet finb a!8 in ben ©täbtefantonen. SBütbe bott bet 33unb »ot» fcpteibenb unb befetjlenb bteinfabten, sic volo, sic jubeo fo muffte, wenn er fidj biefeS SRed^t nähme, et auch als feine Pflicht erfennen bie Hülfe gut Söefeitigung ber ©djwierigfeiten, »eiche bem gortfchritt ber ©djulbilbung entgegenftehen. 3enet Strt. 27 »eift ben Kantonen gu, für genügenben ©ementat» unterricht gu forgen unb bieS muffen auch bie Äantone als eine Haftpflicht anfeben. SBenn fie biefeS tfjun, fo »erben auch bie ©emeinben um fo eher baS Shtige thun, als eS eine febt et» treuliche ©rfcheinung in bet ©chweig ift, baff bie ©emeinben ihre Äräfte anftrengen, um ihre ©dfule gu heben.

3Die Hauptfrage, »eiche »ir an bie ffierfaffung oon 1874 gu ftellen hoben, geht auf baS SBerljältni§ ber Äantonal» unb SBunbeSfouberänetät. ölrt. 3. lautet Tmchftäblich wie Slrt. 3 bet Söerfaffung oon 1848: „3)ie Äantone finb fouoerän, fotteit ihre ©ouneränetät nicht butdj bie 23unbeSoerfaffung befchtänft ift, nnb üben als fol<he alle fRedjte auS, »eiche nicht bet SJunbeS* gewalt übertragen finb." Ölbet baS ift, »ie ich fct)on notbet an» gebeutet höbe, eine mpftifche gotmel, welche auch «o<b gebraust werben fann, wenn baS SSetbältnifj umgefchlagen ift. ÜJian fönnte glauben, bie gormel fei gleichlautenb »ieberholt, um bie Äantone gu beruhigen. SBabrbeit ift bie ßonfteHation eine gang anbere geworben; wichtige unb »efentliche SRec^te bet ©elbft* herrli^feit ber Äantone finb an bie SBunbeSgewalt übergegangen.

SBenn man in ber föiilitärhoheit cot öltlem ein Äeungeichen ber ©ouoeränetät fehen barf, fo haben bie Äantone jefct feinen Slnfpruch auf biefeS @ouoeränetätS=!Recht. SMe ©efefcgebung übet baS fchweigerifdje $mw\en ift fortan Sache beS S3unbe8,

XI. 252. 2 (4H)

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bie 3Cu8fü^rmtfl bet bezüglichen ©efefce in ben Äantonen ift ben fantonalen 23ehörben gelaffen, unter Sluffidjt be8 SBunbeS. Darin ift benn nicht einmal ber Schein einer fantonalen Souoeränetät geblieben. 5Die neue SSerfaffung will ©inheü ber fdjweijerifdjen Slrmee, ©inheit in ber Organisation, wie in ber Snftruftion unb in ber SluSrüftung unb ^Bewaffnung. Der ©runbgebanfe war nic^t neu, aber beburfte reiflicher Ueberlegung unb grobe (Schwierigfeiten waren 31t überwinben, um ihn als lebensfähig unb werfthätig h*n3ufteHen. Die ©rfahrungen ber Schweis währenb beS großen ÄriegeS ber beiben groben SRacbbarn mußten bie ©rfenntnib feftigen, bab eine grünbliche Reform beS eibge* ttöffifcljen SKilitärwefenS nothwenbig fei, um bie Unabhängigfeit 3U bewahren. Die Schwer fann nie aggreffto fein, aber fie fann auch, wenn ein jtrieg um ihre ©rennen h^tum auSbricht, fich nicht einfach in ihre ^Neutralität hüllen wollen, fonbern fie mub im ©tanbe fein, bie ^Neutralität gegen Uebergtiffe 3U fd)üben unb baS fann fie nur burch eine 3um raffen ^anbeln fähige Slrmee. Unbeftritten hat bie Schweis in bem lebten groben Kriege ihre Aufgabe in befter SBeife gelöft. ©eben wir aber auch ben hoch möglichen galt, bab ein 9ta<hbar, etwa granfteidj, bie Schweis angreifen wollte, fo würbe eS ihr swar nicht an 33unbeSgenoffen fehlen, fie mübte aber boch in bemfelben 9Nabe ihre Selbftftäubig» feit bewähren wie ein gröberer Staat. Die Schweis ift fein Üicljtenfteitt. So wenig granfrei ch eS in einem folchen galt nur mit bem etwa suerft überrumpelten ©enf su thun hob«ß würbe, fonbern mit ber eibgenöffifchen Slrmee in ihrer ©efammtheit, fo wenig fönnte eS in Unterhanblung treten mit einseinen, in anberer SBesiehung noch fouoerän genannten Äantonen: bie fchweisetifche Souoeränetät ift bem 31u8lanbec gegenüber nur repräfentirt burch ben 33unb unb gefchübt burch «Me friegSfäfjige 2lrmee.

Die föberaliftifchen ©egner ber SBunbeSreoifion fagten, bie

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SJiilitärhoheit fei ein unerläßlicher Beftanttßeil bei Souoeränetät, biefeö Slttribut ben Kantonen entgießen, ßeiße ißnen bie Souneränetät entgießen, fie »erlören aüeö 3Jladßt= unb Selbft* bewußtfein. diejenigen, welche folcße ©inwenbungen malten, Ratten als ^oberaliften 9lecßt mit ißrer feogif, aber ba8 ©efammt* woßl bet Schweig fcßreibt eine anbete 8ogif cor.

die Scßweig ßat jeßt eine $lrmee, aber nicht ein Oiec^t- die bejonbern Siechte in ben Äantonen ßaben noch bebeutenbe ©eltung unb barin liegt gortbauer fantonaler Souoeränetät. @8 gilt über bieje Buntfarbigfeit ber Siechte aud) jeßt nodj, wa8 bie ^Sroflamation bet fcßweigerifcßen BunbeSBerfammlung gur iSbftimmung über bie reoibirte Berfaffung 1872 auSfpracß: „Uroß ber Siecßt8glei<hßeit unb ber ©leidßßeit bet Bürger »or bem ©efeß, welche bie Berfaffung Bon 1848 gewäßrleiftet, ßai ber Scßweiger in feinem Baterlanbe mebet gleiches Siecht, noch ift er nor bem ©efeße gleidß. 3n ber gleiten Sadje muß ber einfache Bürger, ber einßeiraifdße wie ber frembe ©efcßäftSmann, an jebet ÄantonSmarfe wieber einen SiedßtSberatßer fragen, wa8 ©efeß unb Slecßt im 2anbe fei." der BerfaffungSentwurf »on 1872 wollte bie ©efeßgebung über ba§ gefammte ©ioilredßt, mit Snbegtiff be§ BerfaßrenS, gur BunbeSfacße mad)en, bem Bunbe aud) bie Befugniß einräumen, feine ©efeßgebung auf ba8 ©traf» recht unb ben Strafprozeß auSgubeßnen; bie SiecßtSfprechung felbft »erbleibe ben Kantonen, diefer ©ntwurf würbe aber nicht @e* fei} unb ber neue ©ntwurf ging wiebet einen Stritt gurücf unb »ergicßtete auf bie 3bee eines einheitlichen fchweijerifdjen SiecßtS; er begnügte ficß mit ber ©inßeit in mehreren Steilen beö SiecßtS, wo ba8 3ntereffe be8 Berfeßr8 am bringenbften forbevte. demgemäß beftimmt für jeßt bie neue Berfaffung im Slrt. 64, baß bem Bunbe bie ©efeßgebung gufteße: über bie perfonlicße $anblung8fäßigfeit unb über ade auf ben .panbel unb SRobiliar»

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»erfei)r bezüglichen Stechtßoerhältniffe (Dbligationenrecht, mit 3n» begriff beß Jjpanbelß* unb 3Bed)ielrechtß), fo wie über baß Be« treibungßoerfahren unb baß Äonfurßrecht. Slngefügt ift auch, <»l® bet fünftigen Bunbeßgejejjgebung auheimgegeben, baß Urheber* recht an Söerfen bet Literatur unb Äunft.

Sin Sntwurf eineß fchweigerifchen Dbligatiouenrechtß, mit Sinfchluft beß ^anbelß* unb SBechfeltechtß, liegt bereitß gebrucft oor, ebenfaUß ein beut) eher Sntwnrf über Schulbbetreibung unb Äonfurß unb ein ftangöfifcher ©egenentwurf; bie übrigen wichtigen im Slrt. 64 aufgeführten Themata werben ohne 3weifel halb in Angriff genommen werben. Sber bie batauß erwachfenbett ®e* fefce werben auch hen SBunfch, beffen Berechtigung fchon oft ge* nug außgefprothen ift, nach einer gröberen Sinheitlichung ber fchweigerifchen Siechte ftarf anregen.

Sin allgemeineß fchweigerifcheß Strafrecht ift in ber neuen Berfaffung noch nicht ftgnalifirt, aber allgemein ift fefst nach Slrt. 65 bie Slbfdjaffung bet Stobeßftrafe, mit Borbehalt bet Be* ftimmungen beß SÖiilitärftrafgefe^eß für Äriegßjeüen; ferner ftnb bie förderlichen Strafen unterfagt, welche in mehreren Steilen ber Schweig fo beliebt waren, unb in Betracht fommt auch, ba§ nach 2lrt. 44 fein Äanton einen Äantonßbürger auß feinem ©ebiete »er* bannen barf, waß bißher oorfam. SDiefc neuen Beftimmungen muffen eine Steoifton ber fantonalen Strafgefehbücher heroorrufen, weil babutch wefentliche Stücfe auß ber ©Ueberung ihreß Strafen« fhftemß heraußgenommeu finb. SDa ift benn nun wohl auch fragwütbig, ob bie Sntftehung eineß fchweigerifchen materiellen Strafrechtß gu ben Unmöglichfeiten gehöre ober alß forcirte ©leiöhmachetei berechtigter Berfchiebenheiten ein Uebel wäre.

®ie fleine Schweig h«t eine größere B^h* non Strafgefefc* hüchent alß noch hiß cot Bürgern iu SDentfchlanb bet §aU »ar. SBäte nun biefe Bielheit wirtlicher Slußbrucf Berfchiebeuer

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SilbungSftufen ber Äantcne unb folcher ©igenthümlicbfeiten ber 5?eoölferungen, welche auf bie ©eftaltungen beS Strafrechts ein* wirfen muffen, fo mühte man ber JMelheit auch für bie 3ufunft {Berechtigung gugeftehen. Slber bie ©efchichte bet fchweigerifdjen Strafgefehgebung in unfetem Sahrhunbert jeigt unS bie Sache in einem anbern 8iä)t, fte geigt unS, ba§ bie fantonalen Straf* gefetjbücher ebenfo wie biejenigen ber Uänber SDeutfdjlanbS ent* ftanben ftnb unter bem ©influh ber Beitftrömungen ber heutigen StrafrechtSwiffenfchaft, oon Beuerbach an.9) 3)ah, wenn biefe {Richtung weiter oerfolgt wirb, gur ©inheitHchung beS Straf» rechts ber beutfchen Schweig hin, barauS fein fchäblicher SÖMber* ftreit mit bem SßolfSrechtSbewuhtfein entfielen würbe, läfjt fi<h wohf fchon barauS abnehmen, bah Dbwalben plö^UcS) im 3ahte 1863 aus einer ftrafrechtlichen IßrajriS, welche noch fehr mittel* elterlich war, burch ein ©efefjbuch moberner Haltung in bie SReugeit eingetreten ift, ohne bah feitbem eine ©mpörung beS {ßolfSrechtöbewuhtfeinS bagegen fich bemerflich gemacht hflt- 5?aS* felbe gilt oon ©laruS, welches bei feinem burch $)räcifion unb Klarheit auSgegeichneten neuen Strafgefehbudj fich beffer befinbet als bei ben aus alteu Seiten überlieferten unootlftänbigen unb nicht mehr geitgemäfjen Satzungen.

ÜRan foll fich nur hüten, ben in richtiger a3erwenbung fo wichtigen 33egtiff beS SBolfSrechtSbewuhtfeinS gu einer Unflarheit werbenben $)hrafe 3U wachen.

£iebei will ich nicht in SHbrebe fteUen, bah für ein fünftigeS f^weigerifcheS Strafgefetj ererbten SBorftetlungen, auf religiofer ©runblage ruhenb, {Rechnung getragen werben mühte, auch wenn bie 3tnfchauung nicht überall, ober nicht überall in gleicher Stärfe fich ftnbet. 3d) habe als Sßeifpiel bie ©otteSläfterung im 3luge.

SDie friminefle Sehanblung ber ©otteSläfterung, wie beS bßfen BluchenS unb SchwcrenS, in früherer 3eit ruhte auf bem

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©lauben, bafj ©ott babutd) junt 3otn gereijt, allerlei Sanbplagen fenbe. @d}on ber Äaifer Suftinianuö fagte in ber 9to»eUe 77, burdj foldje Verbrechen entftänben JpungerSnoth, ©rbbeben unb $)eftileng. 2te^nltd^ äußern fidj beutfd^e SReichögefetje unb eine basier Vetorbnung übet baä gingen unb Schwören non 1490 fteQt als einen ©tfahrungöfaij ^in( ba§ bet allmächtige ©ott beS^alb »iele heimliche ©trafen unb offenbarlidje plagen über bie 9Renfd)heit »erlange, Ätieg, Steuerung, (Sterben, |>agel, SReif, Mifjwadhö unb bergleidjen Unfälle. Um foldje bie -Allgemeinheit treffenbe Uebel abguwenben, erftijien nothroenbig, rafdj mit weltlichen ©trafen gegen bie 9ftif[ett)üter einjufd)reiteu , bereu e8 »iele gab, benn bie ©ercohnheit be8 gludjenS unb Schwörend, in ben ftärfften formen, »at im Mittelalter weit allgemeiner als in bet ©egenwart unb e8 würbe aud) mancher jftaftfajj audgeftofcen, au8 bem fic^ eine ©otteSläfterunfl conftruiren lie&. 5Die3ufammengehötig» feit beS gluchenä unb Schwörend unb ber ©ottedläfterung geigt beutlich eine fdjwpger ©inung »on 1517, in welcher »erboten finb bie „fchantlichen böfen ©dhwüt, bamit ©ott fo jämmerlich ge« läftert wirb."

55afj man bei foldher Anfchauung energifch bagegen einfdhritt, ift begreiflich, aber auffaüen fann hoch bie Vuntfarbigfeit ber ftrafenben IReaftion, »on ben ©elbbufjen bis gu ben ©trafen an Seib unb geben.

3Bie bei ber burd) Säfterung eines Menidjen entftanbenen ©h^erlehung fel)r oft ein SBibertuf eintreten muhte ober ge« ftattet war, fo audh bei ber ©ottedläfterung, unb gwar in ber Äird?e »or ber »erfammelten ©emeinbe. einer fühnenben Abbitte geftaltete fi<h, bafj ber, welcher ben Flamen ©otteS gemifjbraudht hatte, nieberfnien unb ben ©rbboben füffen muf)te. SDiefe eigenthümlidhe Sorm, in welcher man eine tiefe SDemüthigung fehen fann, war in bet Schweig jeht gebräuchlich. 9ta<h einem

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basier ©trafgefefc »on 1637 füllten biejenigen, weld)e baß erfte SJtal, nad) gefdjehener 33erwarnung, mit unbebautem Schwören unb glühen fortgefahren waten, fid) auf bie Änie nieberlaffen, ben Söoben füffen unb ©ütt um SBergeiljuug bitten, auch 5 ©djiflinge gut ©elbftrafe »erbeffern; wet gum anbern 3)tal beim gludjen unb Schwören »erharre, bet füllte neben bem ©tbfall 10 ©djiöinge gut 23ufje geben. 3m ©t. 3mmer*$£l)al (Äanton Söern) mufete, wer ©ott ober feine ^eiligen gelüftet! ober un* Wütbig geflucht halte, uad) erftet Slufforbetung bet Dhtengeugen fogleith niebetfnien, ein Äteug auf baß (Stbreid} machen unb baffelbe füffen, that er nicht, fo würbe et um 4 s})funb ge» büfjt.

SeibeSftrafen üerfdjiebener 2lrt, förderliche 3üd)tigung, ©tellung inß .£>alßeifen, famen gut Slnwenbung. ©inen bitter« #umor tljut ein öfterreichifcheß 2Beißtl)um funb: „3tem welcher ©ott leftert, bet füll an leib geftraft werben unb bet Slmtmann fott 3me gwo aidhen .£>ofen anlegen unb ain bürte Suppe geben“ (baß ift: in ben ©todf fpannen unb eine $>rügelfuppe geben.)

©ine feljr empfiublicpe unb gugleidj befcpimpfenbe ©träfe war in bet ©djweig für f eichen gteeel baß Schwemmen. 33er fDlenfdj wutbe eine lange ©ttecfe an einem ©eil burdj flieffenbeß Söaffer gegogen. häufig ging eine 2lußfteHung am Jpalßeifen »otan. Sine 23efdhreibung haben wir in bet SMutgeridhtßorbuung non 3«ndj auß bem 15 Sahrhunbert: „Um füldhen fdhanblidhen, lafterlichen 2ug unb gtof) Uebel ift eon bem genannten 31. nadh ©nabe unb alfe gerichtet, baff et bem 3tachri<hter befühlen werben, bet ihn in baß ^alßeifen fteHen unb gwo ©tunb batin laffen ftehen unb bemnadh barauß nehmen unb bei bem IRüben neben ein ©djiff.in baß Söaffer legen unb »on bannen in bem Söaffer (bet öimmat) biß Stieberborf gu bet anbern S3abftube an baß Üanb fdhwemmen :c." 53iefe ©träfe beß ©dhwemmenß

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ift auch tyiufig in ber ©chweig ben SBiebertäufern gu Stheil ge* worben, man hat fie aber aud) ertränft, „fie feilten in bem ge» ftraft werben, worin fie fönbigte«,! butd) bie SBiebertaufe.“ StobeSftrafe war ba8 Schwemmen nicht.

Auf fdjwere ©otteSläfterung ftanb auch eine furchtbare ©träfe, welche ein 33eleg ift gu bem im mittelalterlichen ©träfe recht oft erfennbaren ©treben nach Symmetrie unb $)aralleli8mu8 in ber SBahl ber ©trafmittel unb gwat im Anfchluf! an ben ©ah, bah bie ©träfe an bem ©liebe genommen werbe, welche* gefreoelt hatte, hier alfo an bet läfternben 3«nge. SDarin war aber noch Siariation unb ©rabation: ©chlifjen unb ©tutjen ber 3nnge, Aufnageln, Stuöfd^neiben. Solche 3ungenftrafen finb Wirflichauögefuhrt worben.1 °) SefonberSfchauerlid} iftbie^rogebur, wie fie in fchweigerifchen ^ochgetichtöformen befchrieben wirb: „SDtan fod ihn als einen fchanblichen Uebelthäter ausführen an bie gewonliche {Riehtftatt neben bem ©algen unb ihm allba fein ©enicf auffpalten unb fein gottSlefternbe 3ungen h'nben gum 9tacfen auSgiehen unb au8 bem ^palö fchneiben unb abhauen unb biefelbe heften an ben ©algen, barnad) fein .glaubt abfchlagen unb alfo oom geben gum Stöbe richten, auch ben Äopf nnb Äörper unter bem ©algen cergrabeu, bamit ©ott ber Allmächtige, feine liebe ^eilige unb bie heiligen ©acramente uon biefem SDtenfchen nicht mehr geunehrt unb geleftert werben."

gut bie neue ©trafgefefcgebung ift bie früher gu fotcher Strenge führenbe Auffaffung ber ©otteSläfterung als eines 33er* bredjenS gegen bie Werfen ©otteS, al8 einer SBerletjung bet gött» liehen baburch gum 3om gereigten SJtajeftät aufgegeben unb in mehreren bet ©efefcbüdjet !ommt ber 9la me ©otteSläfterung gar nicht mehr »or. 2Bie ber code ponal überging ba8 baierifche ©trafgefehbud) »on 1813 biefeS bisherige SDelift mit ©tiH» fdfweigen ; fo auch in neuefter 3«it baS ©trafgefeijbuch für 3üti<h,

WM)

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tflargau unb anbete fchmeijetifche Kantone. 3n ben Veratmungen über bie Veugeftaltung be§ beutfc^en <Strafrec^tö mürbe bie Stn* ßeht taut „baff eine aufgeflärte ©efeffgebung fid) »on ben aber* gläubifchen unb jum 2heil ftnbtfd)en VorfteQungen, melcbe man bei ber Veftrafung bieieS Verbrechens in Verücfpd)tigung gebraut, nicht beeinflußen laßen bürfe." Stttein im $lnfd)luff an baS hreuffifcffe Strafgefeffbuch non 1851 mürbe ber §. 166 beS jefft gettenben beutfchen ©trafgefeffeS beliebt: „Söet baburch, baff er öffentlich in befdjimpfenben tSeufferuiyjen ©ott läftert, ein ^ergerniff giebt mirb mit ©efängniff bis 3U brei 3at)ren beftraft" unb motinirt mürbe bie ^Beibehaltung beS SluSbrucfS unb VegriffS bet ©otteSläfterung in biefer SSeife: „Süie unmiberlegbar eS auch ift, baff ©ott nicht als burdj eine menfdßidje ,£>anblung »erleffbar gebacht merben fönne unb barum auch nicht ber Sicherung burd) menfchliche ©trafen, mie eine beleibigte irbßdje ßßerfon bebütfe, fo bleibt bed) bie nid}t megjuteugnenbe SJhätfacbe befteffen, baff jebe ©otteSläfterung eine Verlegung beS religiefcn ©efütßS Anbeter enthält unb baff biefeS ©efühl fchon barum auf ben Schuß beS ©efeßeS Stnfpruch machen batf, um nicht bie Meinung auffommen ju laßen, baff ber Staat an ber ©rffaltung beS religiöfen @e* ffihlS im SBolFe feinen Sntheil nehme, baßelbe nielmeffr als etmaS ©leichgültiges betrachte."

Sehnliche Slnfcbauungen fanben fid? idjon in bet frühem »on bet utfprünglichen Jheorie abgehenben SDoftriu11).

5)a in bem ein ©omßromiff enthaltenben §. 166 beS beutfcßen ©trafgefeßbuchS baS Äergetniffgeben jur jpauptfadje gemacht ift, fo fönnten auch bie in bem §. an einanber gereihten §äUc als „©rregung öffentlichen 2lergernißeS " ftrafredßlich bebanbelt merben , menn baS nicht ein juriftifd) feßr beben! lieber Äautfcßuf« Vegriff märe unb eine SRubrif ergäbe, unter roelcffe ficb fel>r »er*

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fdjiebenartige ©inge aufammenroutfeln laffen, wie eS fdjon ge* f drehen ift.

@o wie bie ©adje jefct liegt, wirb bie ©otteSläfterung in ber neueften ©eje^gebung entweber negirt ober im ÜBerbältnif) gut alten Auffaffung unb „frifdkn ©raufamfeit" feljr milbe be* banbeit. ©aS febt gute ©trafgefefcbud) für 33afel*@tabt oou 1872, welches im §. 84 in ber Raffung gauj mit jenem §. 166 übereiuftimmt, brobt nur ©efängnifj bis ju einem Sabte, wie an<b ber neue ©ntwurf ber öfterreicbijcben ©trafgefejje §. 180.

3n ber ©cbweij finben wir in betreff bet ©otteSläfterung Strömung unb ©egenftrömung. Sn einigen fatbolifcben Äan» tonen ift biefelbe nod) als ein fcbwerer greoel bebanbelt. ßujern (1860) brobt bem, bet »orjäfclicb unb mit 23eba<bt ©ott laftert unb baburd? öffentliches Aergernifj enegt, BudjtbauS bis auf fed)S Sabre, Dbwalben (1863) Äetten* ober Buc^tljauöftrafe bis auf fedjS Sabre, @cbwt)j (1869) ©elbftrafe ober greibeitSftrafe bis auf »ier 3abre.

©ie Strenge in Sujern unb ObWalben rubt auf ber bort beftebenben SBolfSaufidbt unb biefe oerbieut 23erü(ffichtigung unb Schonung. ©aS SSolf bat nicht mebt ben alten Abjdjeu, aber bodj Scheu uor bem SJiifjbraucb beS göttlichen 9tamenS unb baS barf man nicht auSjutilgenben Aberglauben nennen.

Sollte nun bie oetfdbiebene Auffaffung ber ©otteSläfterung in ben „aufgeflärten" unb ben glaubenseifrigen Äantonen ein ^>inberni§ für baS Buftanbetommen eines einbeitlicben fcbweige* rifeben ©trafrecbts fein? 3cb glaube nicht. 3<b würbe mich in einer beratbenbeu Äommiffion ganj auf ben ©tanbpunft oon §. 166 beS beutfchen ©trafgefefjbucbS unb beffen ÜHotimrung fteßen, aber für bie Aufnahme ber ©trafbeftimmung beS basier ©trafge» fefceS »otiren. 3dj bejweifle, bafj eS in ©eutfchlanb feit 1872 gut 33erbäugung einer ©efängnifjftrafe oon brei 3abren für ©otteS*

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läfterung gefommen fei unb bie 9)otjanz*®trafe »on einer fe*8» jährigen .Retten* ober 3u*thau6ftrafe fteßt in Dbwalben nur auf bem Rapier.

2)a8 ffmftige f*»eizerij*e <Strafgefe^bu(f> foH, ba8 muß ja angeftrebt »erben , in »ifjenf*aftH*er unb praftif*er Söe^ie^ung auf ber £öhe ber Seit fteßen. 25a8 !ann au* no* gefdjeben, »enn bie ©otteSläfterung in ber angegebenen SBeife in bemfelben einen $>toß erhält. 3ut gunbamentiruug gehört biefe «Spezialität ni*t, aber eben fo »enig ift fie unzeitgemäß. ©aSfelbe gilt non anbetn 2hemata. »el«be in beu 33erathungen zur ©pra*e fommen »erben, aber ein ©«heitern be8 »ünfchbaren, im 3uge ber f*»eize* rifdjen 9le*t0bilbung liegenben 3Berfc8 ni*t »eranlaffen foUen. 3* behne biefe |>inbeutung au* au8 auf 23erf*iebenheiten ber ©trafgefeße bet franzöfif*eit »du benen bet beutf*en ©*»eiz. 55iefe 33erf*iebenheiten finb gar ni*t größer als bie 2lb»ei*ungen ber beutf*f*»eizerif*en @trafgefeßbü*er »on einanbet unb reb* li*er Söitle zur 33erftänbigung auf ber 33afi8 einer flaren ©in* fi*t in bie ©rünbe bet 33erf*iebeuheiten, mit Unterf*eibung be8 3Sefentli*eit unb Un»efentli*en, fönnen ohne forcirte 33er» f*melzung zur Harmonie führen.

2)ie 3eit, »el*e mein 33ortrag f*on in Slnfpru* genommen hat, nöthigt mi* ben fo eben behanbelten ©egenftanb, »ie wi*» tig i* alö Surift ißn au* halte, ni*t weiter 3U oerfolgen. ©8 müßen no* anbere SBanbelungen ber ©*»eiz in bet Neuzeit, bie mehr ober weniger mit ber neuen 23unbe8oerfaffung in 3u* fammenhang fteßen, in bet Äürze ®pra*e fommen.

drittel 5 ber neuen SunbeSoerfaffung ftimmt bu*ftäbli* überein mit bem glei*zahligen SSlrtifel oon 1848. @8 finbet fi* barin bie SJeftimmung, baß ber 33unb ben .Rantonen ihre 33er» faffungen gemährleifte. @8 f*eint alfo barin ni*t8 geänbert zu fein. SDenno* finb bie Kantone jeßt eifrig babei ißre 33er*

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28

faffungen gu änbetn, um btefelbcn mit ben eingreifeuben 33e» ftimmungen bcr neuen 23unbe8üerfaffung inö ©leicbgenncbt gu bringen unb bie jfantcne ftnb nerpflicbtet , für itjre rcnibirten IBerfaffungen bie ©eroäbrleiftung beö 33unbe8 nacbgufuchen ! ©§ ergibt fid> barauö eine 3irfelbe»egung unb bie Äantone ftnb »cm SBunbe gegmungen ihre 33erfaffungen gu änbern.

Unneränbert geblieben ift bie ©ruppiruug ber Äantone in Otepräfentatiü’J'emefratien, gemifcbt»repräfentati»e SDemefratien unb reine IDemofratien.

[Reine JDemefratien ftnb fed)8: bie Äantcne Uri unb @laru8 unb bie halbfantone Cbtvalben, fRibwalbett, 9lppengell=9luf}et» rbobett unb Slppengell*3nnerrboben. ftnb bie ßanbögemein* bensjiantone, welche ihre ©oucerdnelät iu bett SanbSgemeinbeu auöüben. 25iefe finb alfo bie ©rfcbeinungSfcrmen ber reinen iDemofratie. ®a fcnnte nun jemanb glauben, l)ier Ijabe ber 9fabifali$mu8 in bet ©cfjweig feine ©tatte; wenn er fid} aber eine ?anb8gemeinbe in Uri, Dbwalben, fRibmalben, 9lppengeQ*3nner* rieben näher betrachtet, fo finbet et im ©egentbeil überoiegenb einen conferoatioen ©eift. [Riebt »a8 bie reinbemofratifdje 33er- faffung bem feuoeränen aßclföroitlen geftattet, wegguräumen, auf» gubeben, bis gum 9tibili8mu8 bin gu epperimentiren , ift Söirf» liebfeit , fenbern bie ccnftante Neigung baö hergebrachte gu er» halten, auch wenn nach bem 3dtbebürfni§ nicht mehr halt* bar erfebeint. 2Bir feben, ba§ nicht bie ftaatlicbe SSerfaffung unb bereu ftornt ben 33clfSgcift beftimmt, fonbern ba§ biefer anbete SSurgeln unb äJorauefebungen bat. 2>ie SBeeolferung »on Uri Unterwalben unb Snnerrbeben ift im ©angen ber Sllpenwirtb* fchaft ergeben unb ©tbiHet läßt in feinem richtigen ÜOerftänbnift ber ©cbweig ben 5Reld)tbal fagen:

„$enn fo wie il;re Sllpcn fort unb fort Riefelten Äräuter nähren, ihre SBrunnen

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29

©teigförmig fließen, AJolfen felfcft unb SBtnbe 2)tn gleichen Strich unmanbelbar befolgen,

©o hat bie alte ©itte ^ier »om Ahn 3um @nfel unreränbert fortbeftanben.

Stiebt tragen fte »erwegne Steuerung 3m altgewohnten gleiten ©ang be8 ?eben8*.

Söeiter fommt barm feljt in Setradjt , baff bie SeBölfetung biefet Kantone fatholifd) ift unb ber Leitung ber ©eiftlidjfeit feljr fügfam. ©ie ©eiftlichfeit hat int fftinge ber ganbSgemein* ben einen ©hrenplaf} unb Berfäumt eS nicht, in bie ^olitif ftatl einjugreifen.

Sei biefet Sachlage war e8 benn nicht 3U nerwunbetn, b afc in biefen ganb8gemeinben*Äantonen bie neue Setfaffung non 1874 anberö angefdjaut würbe als in ©laruS unb Aujjer» rijoben, welche gröfetentheilS ben reformirten jhiltuS fyabm unb niel £anbel unb 3nbuftrie. 3n jenen Äantonen jammerte man, bafj burd? bie neue SunbeSoerfaffung ben ganbSgemeinben bie 2lpt an bie SBurjel gelegt fei unb fo mufjte e8 ihnen butt auch etjdjeinen, benn burdj bie Sefdfränfung bet fantonalen (Sonne» ränetät muffte man ftdj bort befonberS Ijerabgefe^t fühlen.

©ie alte £errlichfeit ber SanbSgemeinben fehrt nicht wieber; fte h“fon fortan faum mehr als „häusliche" Angelegenheiten ju behanbeln, werben aber barum bod) bem Solle fehr werth bleiben, benn wie in einer gamilie haben bie ©omeftifa im ^»auShalt ber fleinen gänbet ba8 nach fte alle Sürget erfaffenbe Sntereffe.

©a§ bie SanbSgemeinbe als altes Äleinob bem Söffe theuer bleibt, hat ftdj in neuefter Beit in bem gar nicht netto* graben AppenjeEMKuhetrhoben gegeigt, ©ort war in bem erften (Entwurf ber burdf bie neue SunbeSoerfaffung neranla|ten fRe» nifton ber fantonalen Serfaffung bet Sorfchlag laut geworben, bie ganbSgemeinbe eines ©he^8 t^ret Äompetengen gu entfleiben,

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30

nemlid) bie Slbftimmung über ©efefje unb wichtige Sauten in bie ©emeiuben, mittelft geheimer Stimmabgabe, gu »erlegen, fo bafs ber orbenttidjen SanbSgemeinbe nur 2Sahlgefd)äfte geblieben mären. „Sermegne Neuerung" hätte man baS nicht nennen fönnen, benn biefe SanbSgemeinbe ift bie befudjtefte »on allen unb ber JRaum auf bem freien $elbe mufi grofc fein; babei ftnb benn ©iSfuffionen faum ober garniert ausführbar. 2)aS Solf befd)ränft fidj bähet auf bie Slbftimmuugen, bie auch fdjon fdjmet gu leiten finb. SBenn ber Sanbammann baS üthetna für bie 2l&a ftimmung »on feiner Tribüne aus genannt bat, fo mirb eS »on bem ein Sprachrohr »orftellenben SanbeSmeibel »crfüubigt, tote auch bemnädjft baS SRefultat ber Slbftimmung. Sei ber Söahl beS SanbeSmeibelS mirb geprüft, ob fein Organ ein Sprachrohr entbehrlich mache.

2US ber genannte Sorfdjlag in Setreff ber Äompeteng unb IXhätigfeit ber SanbSgemeinben funb gemorben mar, famen »on allen Seiten auS bem Seife 6infpra<hen bagegen, melche feh» beutlich gu erfennen gaben, bafc baS Solf SufjerrhobenS »on einer fo mefentlichen Seränberung nichts miffen molle unb ba befchlofc benn auch ber SerfaffungSrath am 24. Februar 1876 einftimmig, bie SanbSgemeinbe fernerhin mit ber »ollen ©efehgebungSfcm» petenj auSgurüften b. h- natürlich, fc weit biefe Äompeteuj mit ber SunbeSoerfaffung »om SSpril 1874 »ereinbar ift.

„©Weiterung bet SolfSrechte" ift fdjon lange bie Carole unb bie 3ufunftSmufif im Saget beS fRabifaliSmuS in bet Schmeij gemefen. 2Me Serfaffung »on 1848 mar ben gortfchrittSmännern, melche fid) ihr 3beal ber „reinen" IDemofratie, ber Allmacht beS SolfeS , gebilbet hatten , ganj ungenügenb unb auch in ber Ser* faffung »on 1874 erblicfen fie eine Serftümmelung ber SolfS* red)te. SBenn fie nun bie $rage ju beantmorteu hatten, ob ihnen bie SeraUgemeinerung ber SanbSgemeinben , in benen hoch (**>)

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(ErfcheinungSformen bet reinen VolfSherrfchaft gefeljen werben, wünfchenSwerth fei, fo würben fie freilich mit 9tein antworten, nicht nur, weil in ben 8anb8gemeinben oon Uri, Unterwalben unb Snnetthoben trübe Silber bet ©emofratie fitf> barftedten, fonbern weil ein fo unmittelbarer SluSbrucf beS VolfSwillenS wie in ben befteljenben SanbSgemeinben in größeren Verfammlungen, alfo für bie größeren Kantone unb gar für baS gefammte ©chweigetoolf, nid)t möglich fei; baS in rechtet SBeife aufge* Härte unb richtig geleitete Volf müffe in ber Slbftimmung gut Urne feinen SBiüen funbthun. 8ln richtiger Leitung haben fie eS benn auch nicht fehlen laffen, aber bie Urnen haben recht oft in ben Äantonen fctjr bebenflic^e Siefultate geliefert, So im Äanton $argau bei ber Slbftimmung über Vetbeffetung ber ©eljalte bet VolfSfchullehrer, wo baS Soll, gegenüber bem Vor* fdjlage ber Regierung, ^artnäcfig oerneinte.

2) er nicht gum ©efefj aufgerücfte (Entwurf einer Öieoifion ber VunbeSoerfaffung oom Saljre 1872 fam bem ©rängen nach (Erweiterung ber VolfSrecpte fehr weit entgegen , inbem ber §lrt. 89 oorfdjlug: SBenn 50,000 ftimmberechtigte Vürget ober 5 Äantone bie iSbänberung ober Aufhebung eines beftehenben VunbeSge» fefjeS ober eines SunbeSbefchlufeeS, ober über eine beftimmte SRaterie bie (Srlaffung eines neuen VunbeSgefefjeS ober VunbeS* befdjlufjeS anbegehten, unb biefem Segefyren nicht oertragSrecht» liehe Verpflichtungen beS VunbeS entgegen flehen, fo haben bie beiben Diäthe, wenn fie bem Segelten guftimmen, ben ein* fchlägigen neuen ©efeft* ober 23efd)lufsoorfcbIag gu oereinbaren unb bem Volfe gut Annahme ober Verwerfung oorgulegen. Stimmen nicht beibe {Räthe bem Vegehten gu, fo ift baffelbe ber Slbftimmung beS VolfeS gu unterteilen unb wenn bie 3Ret)r* heit bet ftimmenben Vürget bafür fich auSfpricht, fo haben bie fRätlfe einen entfpredjenben @efe$* ober Vefchlufjoorjchlag auf*

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guftellen unb bem SBolfe gut 2lnnafyme ober Berwetfung norgn» legen.

Gine folt^e Gtweiterung bet Bolfßrecbte ift in bet jefct gu fRedjt befteljenben Berfaffung non 1874 bebeutenb tebucirt, bet ^ebelbrucf beß Bolfßwitlenß auf bie Bunbeßgefefcgebung ift fdjwädjet nach 21 rt. 89: „für Bunbeßgefefje unb Bunbeßbeftblüffe ift bte 3uftimmung beibet SRätlje erforberlidj. Bunbeßgefefce, fo* wie allgemein nerbiublidje Bunbeßbefdjlüffe, bie nidljt dringlicher Statut finb, fallen übetbieß bem Bolfe gut Slnnafyme obet Berwet« fung norgelegt werben , wenn non 30,000 ftimmbetedjtigteu ©djweigetbürgern ober non ad&t Äantonen netlangt wirb".

Gin fdjwietiget Gegenftanb, baß CRec^t bet freien Stiebet* laffung unb bie Stedjte bet Stiebergelaffenen im Bett)ältnifj gu ben Stedten ber Bürget, tonnte in bem neuen Bunbeßgefefc nicht unberührt bleiben, aber bet befinitinen ^Regelung burdj ein non oben etlaffeneß, buvc^greifenfceß, allgemeine Geltung bcanjprucben« beö Gefef} ftanben bebeutenbe ©djwietigfeiten entgegen. 2)a3 Gemeinbewefen in bet ©cbweig ift fefyt eigentümlich unb batan ftatf gn rütteln ift bebenflidj- ©taat unb Gemeinbe, bie ,,ott» lit^e ©elbftoerwaltung", fyaben eine ftcf> etgängenbe Arbeit unb bie fdbweigetifd&en Gemeinben haben biflher einen J^eil bet 2lr« beit im ftaatlidjen 3ntereffe gut außgefü^rt. 2lbet baß B erhält« ni§ bet Stiebergelaffenen gu ben Gemeinbebütgern würbe immer mel)t gu einet brennenben gtage. mu|te babei bie £batfa<be feljr in bie 2lugen fallen, bafj in mannen Gemeinben bie 3a^l bet Stiebergelaffenen bie bet Bürget weit überftieg. £>ie Bolfß« gäljlung non 1870 ergab für bie ©tabt Sugern 2206 Gemeinbe* bürget, 11,210 Stiebergelaffene. Bon biefen Stiebergelaffenen waren 2664 ©djweigetbürger anberet Äantone, 8546 Bürger anberer Gemeinben beß Äantonß Sugern, aber nicht nur nicht

Bollbürger ber Jpauptftabt, cives optimo iure, fonbetn übet« (m)

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Ijaupt nicht Bürger fcerfclfeen , wenn auch lange ^ier nieberge» laffen unfc ^ier geboren. 3n ben 10 3ahren non 1860 1870 hatte fid) bie 3al)l ber ©tabtbürger 8u$ern8 nur um 204 Der* meljrt, bagegen bie ber uiebergelaffenen ©djwei^erbitrger um 2272.

©tan fieljt auS ber Ausführlichfeit, mit melier bie fdjon lange auf eine richtige Söfung ^arreube gvage in ber neuen SunbeSoerfaffung (Art. 43 ff.) behanbelt ift, welche SBidjtigfeit man betfelben beilegte, unb bod) ift in biefen Strtifelu bie Sofung nur angebahnt, weiterer gortfd>ritt ber 3ufunft an^eimgefteOt. 5ßon grobem gelang ift ber @at): „S)er niebergelaffene ©chweijer* bürget genieit an feinem SBohnfihe alle Otedjte ber jfantonSbürger unb mit bieien auch alle Rechte ber ©emeinbebürger". SDann folgt aber eine bebeutenbe ©infehtänfung: „SDer SJiitantheil an 33ürget* unb ÄorporationSgütern, fowie baS ©timmrecht in rein bürgerlichen Angelegenheiten finb jeboch h'eüon ausgenommen, eS wäre benn, bah bie Jtantonalgefebgebung etwas anberS be* ftimmen würbe. 3n fantonalen unb ©etneinbeangelegenheiten erwirbt er (ber niebergelaffene ©chweigerbürger) baS ©timmrecht nach einer fftiebetlaffung oon brei fDtonaten. 25ie fantcnalen ©efefje über bie fltieberlaffung unb baS ©.timmrecht ber lieber* gelaffenen in ben ©emeinben unterliegen ber ©enehmigung beS 33unbeSratheö".

©S ift ^tet noch gar nicht bie ©inwohnergemeinbe an bie ©teile bet S3ürgergemeinbe gefegt. SBäre bieh im ©ntwurf ber nween SBerfaffung gefdjehen, burdh eine rabifale Umgeftaltung ber 58ürger= unb 9UeberlaffungSoerhältniffe , fo würbe baS unfehlbar bie JReoifion jum §aU gebraut haben. @8 ift h^ noch unter* fdfieben baS ©timmrecht in ©emeinbeangelegenhe'ten unb in rein bürgerlichen Angelegenheiten unb oom SKitantheil an Sürger« unb ÄorporationSgütern ift ber niebergelaffene ©chweigetbürger auSgefchloffen „e8 wäre benn, bah bie Äantonalgefefcgebung

XL 25«. 3 (498)

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etwaö Snbeteö beftimmen würbe". lä&t fid) in biefem 3u* fafj ber SBunfch erfennen , bajj baö ^ergebta^ie ejrclufioe 33ürger* thum moberirt werben möge, aber als Sorberung ift baö nicht ^ingefteUt. 2)abet bat bie SBerfcfyiebenfyeit beö ©emeinbewefenö in ben oerfcbiebenen Steilen ber ©chweig, fpecieH wefyl bet frangDfifdjen unb beutjchen ©d)weig oorgefchwebt. Ein fo be* bächtigeö Auftreten fonnte benen, welche bie Carole „freie 9>tie= berlaffung" im 9Jiunbe führten unb benen „3opfbürgerthum" ein Lieblingöauöbrucf war, benen überhaupt ber Entwurf bet neuen SJerfaffung lange nicht bemofratijch genug war, nicht gefallen. 9lber ihre 35eflamationen haben bie ruhige Entwicflung nicht ge* ftört. 2Bie richtig jener fSrt. 43 baö geitgemäfj SJtögliche erfaßt hat, ift |'d)on in bet furzen 3eit feinet ©eltung ^etuor getreten. SDie Äantone finb gegen ben „3öunfch" nid^t taub gewefen; bie Sortfchrittöbewegung ift in Sluf) gefommen.

^ie unb ba, wie in 3üridj, bat man ben 2Beg eingefdjlagen, bie Erwerbung beö Söürgervedjtö wefentlich gu erleichtern. 3m SBaabtlanb war man fd?on »orljer fo liberal, ben Einwohnern einen SJiitantheil an ber fftufcung bet Äorporationögüter gu ge* ftatten. ©iefe Liberalität hängt gufammen mit ber Neigung bet frangöfifchen ©chweiger, fidj mehr an baö freie, nicht an bie ©emeinbe gebunbene ©taatöbürgerthum StanfreichÖ angufchliefcen. SluffaHenber ift e$, auö bem conferoatioen 33afel gu »crnehmen, bafj bie ©rofjratböfommijfion in ihren Serathungen über bie ^^ciluncg beö bisherigen ©tabtoermögenö in baö Vermögen ber gufünftigen bürget unb SRiebergelaffene umfaffenben Einwohner* gemeinbe unb in baö Slermögeu ber 33ürgetgemeinbe, gu bem JRefultat gefommen ift, eine foldje £he^u«8 f<hon betaiüirten Eingaben ber gu fcheibenben SBermögenÖftücfe bem ©rojjen fRati) »orgufdhlagen. ^Darnach wirb ber Einwohnergemeinbe , welche faft ibentifch ift mit bem Äanton 23afelftabt, ba biefer nach ber

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Abfonberung be8 jpalbfantenS ©afel»8anb fctum nod) ein t'anb» gebiet tyat, ein bebeutenbe8 ©ermögen gufaHen, befteßenb in giegenfcßaften unb beren 6rle8 ; bagegcn wirb bie ©ürgetgemeinbe aud) nidjt arm werben, il)r bleiben nid)t nur bie ntilben Stiftungen be8 ©ürgerjpitalS, 2üaifenhaufe8 unb 2llmofenamt8 mit beren ?5onb8, fonbern nerfd)iebcne einträgliche ©runbftücfe, jo baß bie» fe8 Vermögen ber ©ürgergenteinbe etwa auf 1* fOliUionen gtanfett angefdjlagen werben fönnte.

25ie ftübtifcßen wie bie ganbgemeinben ber Schweig ljaben recht oft ein bebeutenbeS ©ürgergut, befteßenb in Sßunn unb Sßeib, Sßeinbergen :c., aud) Kapitalien. Sftan will aber wal)r» genommen t)aben, baß bisweilen gu ber ©reßc beb ©ermögenS bet ©emeinbe bie Kleinheit ber ^rioatoermögen ber ©ärger in einem ©egenfaß ftel)e unb man ßat biefe 22al)rnel)mung mitbe» nu|jt gut ©egrünbung be6 fdjeittbar parabopen SaßeS, baß ein bebeutenbeS ©ürgergut bett Bürgern mef)t fHadjtßeil at8 ©ortl)eil bringe. So gang parabop ift biefer Saß nicht, enthalt aber auch gar nid?t eine allgemeine Wahrheit. @8 fommt eben auf bie ©et» waltung unb ©erwertßung be8 ©ürgergut8 an. SBo in fleinen ©emeinwefett ber ben eingelnen Bürgern gufommenbe ©ürgetnußen, gumal al8 baare8 ©elb, ihnen ol)ne Arbeit in ben Scßoß fällt, ba liegt bie ©efaßr nahe, baß bie ©ärger ober hoch manche ber» felben bie Jpänte in ben Sd)oß legen unb Spießbürger werben. 2)er ridjtige ©ebraud) be8 ©ürgernußenS ift feine ©eftimmung für gemeinnüßige Bwecfe unb bagu bietet fid), auch über bie ben ©emeinben obliegenbe Armenpflege unb bie Sorge für Kirche unb Schule l)inau8, ©elegenbeit genug.

einer freiertu ©eftaltung ber ©erl)ältniffe ber ©ieberge» laffeiten gu ben ©ürgern mußte ber immer reger unb großartiger fid) geftaltenbe ©erfeßt führen, £>aoon ift aber Weber eiu gäng* licße8 Aufgeben ber ©ürgergenteinbe in eine (Sinwohnergemeinbe

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nodj eine communiftifdje 23ernidjtung beg 3?ürgergutS netltwenbige Böige, gegenüber bet (äugfyergigfeit bet Bürger unb unrernünftiger 23ermenbung bev Sürgernufcen läfjt fidj bodj aud? fjer»ert?eben, bafj in 3eiten allgemeiner fRotlj red^t oft ein öürgergut ©egen gebraut Ijat.

6ine erfdjöpfenbe 33el?anblung meineg Sljemag „bie ©djweig in ben Sßanbelungen bet Sleugeit" mürbe ein ä?ud} ergeben. 3 d) fdjliejje meinen Sortrag mit .petoorljebung einiger ßüge beö @e* fammtbilbeg, otyne meld;e feine ©figgitung mangelhaft fein würbe.

5Huf bem Unterbau bet 23unbc8oerfaffung oon 1848 Formte ba8 ftaatlidjc geben ber ©djroeig in einem äMerteljafyrtjuubcrt frdj günftig entmicfeln. ®ie tjatte bag ©liicf in biefem 3ettraum im Brieben nadj aufjen gu bleiben , benn ber Gonflict mit ^reufjen megen Neuenbürg fanb einen frieblidjen 2lu8trag unb bie Bludjt ber SÄrmee 33ourbafi8 oon 84000 ÜJfann über bie ©rengeit beT ©djmeig gab biefer ©elegenljeit gu geigen, bafj fie bag SpaUabium ber Neutralität gu bemalten miffe unb bie ©elegentyeit burd; «£>ülfe in großer -Jlotl) einem grofjen ■Jiadjbarn fid) gu oerpflidbten. 2Ber ben 3uftanb biefer gelten färntee gelegen unb bie Opfer unb SJefdnoetben, meldje bie ©cfymeig auf fid^ nehmen mufste, erfannt Ijat, mirb ifyr bag gob nidt?t oerfagen, bafj fie in biefer 3eit eint Aufgabe lüfte, bie rooljl nidtjt gröfjer gemefen märe, wenn bie Sourbafianer alg Beinbe gefommen mären. ?Ü8 ber .Krieg ber bei* ben grofjen 9iad)barn bcenbigt mar, fonnte bie ©djmeig i^te frieblidjen Aufgaben im eigenen £aufe mieber aufne^men. @8 mar ba8 nid)t blofe bie ©djöpfung ber neuen 58unbe8oerfafjung, fonbern in Sßerbinbung mit biefer maten mistige uelfgmirtljidjaft' lid)e unb äfynlidse Probleme ber göfung gugufüljren. 3n biefer (Ridjtung ift benn aud} cieleg in ber Neugcit oon 1848 an burdj ba8 3ufammenmirfcn beS 33unbc8 unb ber .Kantone gefdjeljeu.

2>ie ganbe8befd)affenl)eit ber ©dimeig Ijat midjtige unb foft*

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ftnetige, bcm 3ngenieurfacb gugefallene ßeiftungeu ^ereorgcrufert: ben Sau ber Stlpenftra&en , bie ©djnfcbauten gegen bie ^>ocEj* waffet be8 ©ebirge8 , bie ftlufjcorrectionen , bie Grntfumpfung bet ©eegebiete be8 3ura unb 5iel>nlicfc)e§.

Sludj ©ifenbatynen würben für bie ©djweig eine Retbwen» bigfeit. 2118 \d) not halb 25 3afyrcn in bie ©djweig fam, cyiftirte nur bie Heine Sabn gwifd)en 3üridb unb Saben im Stargau unb wenn man je£t ba8 ©ifenbabnnet? auf ber Äarte anfdbaut, fo bat man Biele unb fonberbave matbematifdje Figuren per fiel). 5Da8 größte SSer! wirb bie im ©erben begriffene internationale ©ettfyarbbatyn mit bem Riefentunnel fein, welche wegen iljreö weit» gteifenben 3ntereffe eine Söeitbatjn genannt werben fann; aber au d) bie in bie Älaffe ber SujruSbaljnen fallenben Rigibabnen erregen in ihrer genialen Äü^nl)eit Sewunberung.

3DeutHcf> l>at bie ©djweig in jüngfter Seit bie SDtatjnung Ne quid nimis! (Rid)t8 gu Biel) in Setreff ber (Sifenbafynen »erne^men Tonnen; man greift aud) nid)t metjr fo wie früher bie „reiche ©ntwidlung ber Schienenwege", benn babei bat fidj, wie in anbern Sänbern, bie „e^ibemifdfcje ©ifenbabnfalamität" einge» fteUt. SDie SunbeSoerfaffung Bon 1874 enthält nun gwar bie hirge Seftimmung: „SDie ©efetjgebung über ben Sau unb Setrieb ber ©ifenbabnen ift Sunbe8fad)e", aber gefährliche Serfudje werben baburdb nicht auögefc^Ioffen fein. SBäbrenb ber ©eltung jenes @a£e8 ift bie Sahn Sern4;ugern burdE? ba8 ©ntlebudf, nadbbem fie noch nicht ein 3abr in Setrieb gewefen war, gut Siqnibation gefommen. SDie Sabn batte gtofje lanbfcbaftlidbe Reige, aber e8 fehlten bie fonfHgen Sebingungen ber Rentabilität.

SoIle8 8ob Beibient bie Reugeftaltung be8 $)oft» unb Siete» grabben^efeaö/ welches im gangen Umfange ber ©ibgeneffenfebaft SunbeSfadje ift. Sen 3abr gu 3abr fallen bie auf ©rweiterung,

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33etbefferuttg unb SBequemlidjfeit für baö sJ)ublifum gerichteten Anotbnungen bet biefen Snftituten mel)r in bte Augen.

©ie ©djweiger fönnen mit 33efriebigung auf bte ^leu^eit gurucJfdjauen. ©et ©taatSbau ber (Sibgenoffenfdjaft ift gefeftigt unb wenn nid)t überall , fc geigt fid) bod) in ben fortgefchrinenen Äantcnen ein tljätigeS Streben, ben gorberungen ber 3e»t gerecfct gu werben. geben fyeifst Ätieg fügten! ©iefe ©runbrca^r^eit gilt wie für bie einzelnen ÜRenfdjen ebenfe für bie ©taateit. 3®« Ijat bie ©d)meig, wäl)renb ber Ärieg ringe umt)er raf’te, in Statten, in ©eutfd)lanb im 3al)te 1866 unb in ber größten blutigeu gelsbe ber beiben SRadjbarn , iljte griebenäftellung behaupten tonnen, aber fie l>at anbere Äampfe ju hefteten gehabt, mit Ärifen unb ©tocfitngen be8 $anbel8 unb ber 3nbuftrie, mit ben fHaturgemalten gu 2?erg unb Sljal, unb mie ©eutfdjlanb, fo l)at bie ©djweij in ben lebten Saljren ©nergie gegen ben Ultramontanienmö in bem „Äulturfampf" geigett muffen; 3nternationale uttb Sozial* ©cntofraten, „bie mal) reu greunbe unb Wetter ber ©efeüfdjaft* l)aben il)te rotl)e galjne entfaltet; bie 'Arbeiterfrage ift immer brebenber tjeruorgetreten unb gabrifgefehgebung ift in bem in* buftrieflen ganbe ein wichtiger ©egenftanb geworben, ©ie Schweif roirb and) fernerhin gu fämpfen haben unb gu beweisen, baf; fie gefuttb unb fräftig ift!

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2ittmerfungctt.

1) »on 2Bp§ im Slnjeiger für fcpteeijerijcpc @efd)i$te 1870 9tr. 3, egl. gicfer über bie Kntftebunggjeit be§ ©djtoabenfpiegelg. 2Bien 1874.

2) Kalendarium Zwetlense jum 3nljr 1352 (Monumenta Germ. ©. ©. IX, 689).

3) Selege in meinem Sud): Sie ©choeijer baljeim unb in ber grembe ©.241. 287. 298. 302.

4) Slumer, £)anbfcud) beg fdjtej. Sunbc8ftaat8rccbt8 I (1863) 136.

5) Puffer, ©efcpid)te be8 Äanton« Uri. 1862.

6) Slumer I, 145.

7) 3m 3- 1848 teuren für bie Setteerfung 61/, Äantcne: Uri, ©cfiupj, beibe Uniertealben, 3ug, 9lppcn$ell 3- 911;., Steffin unb SkUig. 3m 3- 1872: Siefelben, aber baju üujern, greiburg, Sippenjell 31. 5if)., ©raubünbcn, Sßaabt, SUeuenburg, ©enf. 3m 3- 1874 ftanben an ber ©eite ber Serteerfung teiebcrum ooran: Uri, ©d;teoj, £btealben, fRibttalben, 3ug, 3tppcnjell 3. 9fy; baju fam Sujern, greiburg, SBaHi« unb Steffin. 3m Steffin batte aber ber gtofje Siatb ba8 ©tanbcäöotum für bie 3lnnal)ine ber neuen Serfaffung abgegeben, in ber Solfgabftimmung teurbe fte oertocrfen.

8) 9lad)bem burd) ba8 ©efep oom 4. 3uli 1872 ber Crben ber

©efellfdsaft 3efu oom beutjdjen fJieidje auggefcfloffen war, beftimmte eine Sefanntmacpung oom 20. SDlai 1873, teeldje !ird;lict)e ©enoffenfcpaften als jenem Orben oerteanbte (Kongregationen anjufetjen feien. @8 ftnb aurgefüfyrt: Sie Kongregation ber fRebemptorijten (Congregatio

Sacerdotum sub titulo Sanctissimi Redemptoris), bie Sajariften (Con- gregatio Missionis), bie Priefter oom t;eiligen ©eifte (Congr. Sancti Spiritus sub tutela immaculati cordis Beatae Virginis Mariae), bie @ejetlf(f)aft oom ^eiligen ^>erjen 3efu (Societe du sacre coeur de Jesus). Ot;ne 3®cife( teirb tiefe 9lufjät;Iung autp für bie ©dpoeij mag. gebenb fein.

(«»)

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9) Die Sd)weijer baljeim sc. S. 337. 0etjr ju beachten ift, wie ftd) ber Script beS SuftijfoKegium« an ben fleinen Oiatf; uon 93afel* (Stabt über ben (Sntwurf eine« Strafgejefce« (1870) S. 5 äußerte: „Der (Sntwurf leljnt ficß nielfa<h an bie neuen ©efefce, baS preugiitbe, bairifcbe, ncrtbeutfd;e an. (§« ift i[)in bieg jum ißorrourf gematzt unb gefragt worben, ob nic^jt eine SBeiterbilbung beö ba«Ierifcbcn Straf gef e^c« richtiger wäre, hierauf ift einmal $u entgegnen, baß auch ber (Entwurf manche« Den bem ^Bisherigen beibehalten , unb namentlich im (gebiet ber Freiheitsstrafen gefugt bat, ltnfere l'erl;ältniffe meglicbft ju berücffichttgen. Dann aber fann man webl faum Bon einem befonbem baSlerifcben ©traf* recht ober einer burd) 2öiffenf<haft unb f)rajri« erfolgten SBciterhilbuug be« ba«lerifcben Strafgefefce« fpred;cn. (S« ift nun feine Srage, ba§ jene heutigen ©efefec fub burch flare, präcife Saffung unb Sprache Per- tl;cilhaft auSjeidmen, unb fie fennen baher Bielfach als ©orbtlb bienen. 3ubeni haben wir bei unferm GiBilgefefccntrourf bie (Erfahrung gemacht wohin ein ju große« geftbalten an 9tccht«cigenthümlichfeiten führt. Unb wenn bie§ beim CSir ürectjt Born Uebel war, fo wäre Bon größeren beim Strafrecht, welche« noch weniger al« jene« Bon lofalen ober natic* nalen Sefonberheiten abhängt, fenbern einen uniBerferiern Gl?313^ trägt".

10) SDIeinc: Stubicn jur beutfehen unb jebweijerifeben tRecht«* geeichte (1868) S. 295.

11) Sßächter’« ?el)rbuch II, 540 ff.

(WO)

‘X t u cf hcn ©cbr. U 113er (2l>. QSrimm) in ©erlin, -Scticnebcrgaftt. 17 ju

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3V?

unö feine ©eltimntung.

£>effentli$er ©ertrag, gehalten gum ©eften gemetnnüfciger Stiftungen in Gaffel

POlt

<&«««<!) iKöfjC.

ßrtlin SW. 1S76.

©erlag Don Garl .£> a 6 e l.

(£. <?. ttiämti'sitn HirlagsbndijianMarig.)

33. ©ityelrn Strafcf 33.

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SRfdjt bft Ueberftfeuna in frcmbf ©praßen »irb »ctbf galten.

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ly^S wirb roobl Wandler benfen, ba| ©etrachtungen über beit ©oben unbebingt Pon Sntereffe, ja notljwenbig feien ßeuteu gegen* über, bie birect mit bem ©oben 3U thun l)aben, wie ßanb= unb gorftwirthe, ©ärtner u. bgl., ba§ biefem ©egenftanbe bagegett ein allgemeineres Sntereffe wol)l fcf?n>erlidt> abjugeminnen fein bürfte.

©anj abgefehen pon ber allgemein naturwiffenfchaftlichen ©e= hanblung, müffen auS ber Sehre Pom ©oben bie Slbfdjnitte übet bie ^rincipien bet ©laffification unb baS ©erhalten ber perfdjie* benen ©obenarten als 91 cf erbeben $u ben ©flanken allerbingS ©egenftanb recht eingebenbet ©tubien, unter Buhülfenahme noch anbetet naturwiffenfchaftlicher ©octrinen, für bie betreffenben gad}* leute fein; allein, inbem icfj biefeS ©ebiet gar nicht berühre, hoffe ich bed) 3eigen 3U fönnen, baf) genug übrig bleibt 3U ©etrach- tungen, benen ft<h fein benfenber SDienfch oerfchliefeen barf.

5Jlan barf wohl behaupten, baf) eS faum einen ©egenftanb in ber ©atur giebt, Pon welchem bie SQReb^abl bet SRenfdjen fo unflare ©egriffe hat, als pon bem ©oben, auf welchem fte wan* beln, ba§ ber ÜJienfd) eher alles 9lnbete fennen unb fchätjeit lernt als ben ©oben, baf) wohl faum etwas mehr Port ihm perfannt Worben ift, als bet ihm täglich Por Ulugen Iiegenbe ©oben, ja ba§ et am aUerwenigften ernftlich über bie ©eftimmung beS ©0=

XL 253. 1* (503)

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benS nadjgebac^t, geschweige eine Ebnung non ber ^otjen SEBuhtigfeit biejcr Seftimmung bat.

2)od) fragen mir jmtädjft:

3öaS ift benn Söoben unb 2t cfe r er be ?

33 oben1) ober (Srbreid^ ift zerfaBeneS unb mehr ober minbet Zerfe^teS, beShalb fowoljl in ber gorm, als and) in ber ©ubftanz oft oöüig oeränberteS ©eftein, welkes oom feften gelSgtunb loS* geriffelt ein neuer, beweglicher, batjer felbftänbiger .Körper geworben ift. 3Sir nennen ihn $ cf er hoben, wenn er oermöge feiner Sage unb 8efd)affenl)eit jur (Sultur benufjt werben fann, unb unter* fdjeiben bann noch als 'Äcfererbe ben Jheü. welker zugleich organifche Biefte ober fBtober enthält, beten ju Jage Iiegenbe unb mit ber SÄtmofphäre in birecter SBechfelwirfung ftehenbe ©d)tcht Slcferfrume heifct.

Ülcfetboben unb Sltfererbe finb alfo nur nähere 33ezeichnungen für einen ganz beftimmten Jhe^ heS bie fefte ©rbe gleichfam als SDecfc, als ©teinroft überfleibenben SobenS, ber nicht feiten als etwas häfHidjeS, ja oerächtlichcS, nufs* unb werthlofeS angefeben unb furzet #anb als (Srbe, ©taub, ©chm uh jc. bezeichnet wirb; ja für ben noch oerädjtlichere ©hrentitel nicht gefreut werben, Wenn man auf einem ©pajiergange oon einem ©ewittenegen übcrrafcht, miihfam im aufgeweichten 23oben umherfchreiten mu§.

SDodh sJtiemanb benft baran, ba& gerabe biefer oerwünfehte ©dbmuh eS ift, bem baS jahllofc fpeer ber lebenben SBefen, ^Sflangen wie SJIjiere, ja ber fBtenfdj felbft feine ©jriftenz oerbanft, ba§ biefer ©taub eS ift, ber ihn gleichfam inbirect erzeugt hat, ber ihn nährt, fleibet unb nach feiner irbifchen äöanberfdjaft wteber aufnimmt, ber bie Gsrbe überhaupt erft zum freunblichen Söofjnft^e beS SDtenfdjen machte unb ftch unter bem 33lumenteppich oerbirgt, auf bem ber SOlenfch fo gern wanbeit.

©rauen erfaßt ben SDienfdjen, wenn et tagelang in oegetationS*

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leerer 28üfte umberirrt, wenn er fid) burd) gelfenlabprinthe burd)* winbet, wenn et wochenlang auf bwbem Ocean werweilen muff; ein grüner Strauch, ein »ogenbeö Slebrenfelb, eine grüne 3nfel, bie er enblid) erfpäljt, fagen ihm, ba§ er nicht allein unb wer« laffen fei. Söie oft wirb geflagt über ben langen Söinter ! fERan weife, bafe bie Statur alljäferlicfe % grofeeS StuferftefeungSfeft feiert, bafe ber erfeljnte grübling Fommen ttuife, ber unfere gluren wen fReuem mit bem frifdten, erquirfenben @tün ber fptofjenben Saaten, bie SBiefeit mit bem ölumenteppiCb, bie Söälbev mit bem SaubfCfemucf wetfiefet, man eilt in baS greie, ben »ieberfebrenben grüfeling begrüben, in bem milb wärmenben Sonnenlichte, in ben buftigen Säften ficfe ju ergeben, ficfc ber werjüngten fRatur ju erfreuen unb einjuftimmen in ben 3ubelgefang : „3a, tuunber* fcfeön ift @otte8 @rbe unb wertfe, barauf ein €02 e it f d> jju fein"

28 ie fdjwült bocb bas $er$, wenn man wom hoben SöevgeS* gipfel binabfictjt in »eite lacfeenbe Jböier mit ihren ©efilben »aüenber Saaten unb SBiefenmatten, umfäumt unb umfcfeattet won 28alb unb blübenbem 2aubgebüfcfe, »elfter ßontraft gegen ben nacften, jacfigen, gleicbfam tobeSftarren gelfen! SBer jollte ba nifbt benfen, bafe nicht bie maffiwe 6rbe, biefe Äugcl won Stein unb @r,j es ift, burcfe welfbe bie fRatur erft ihre fReije wov uns entfalten fann, »er füllte ba nicht ahnen, bafe »ir bie fCfeöpferifcfee Ära ft in einem befonberen Äcrper ju fuchcn hoben, ber felbft in ber 2iefe einer getSfpalte werborgen fein muh, ouS ber »ir einen fräftigen Söaum, »ie gmifc^en Jpimmel unb Grrbe f(h»ebenb, bod) üppig emporftreben feben?

2>a Fonnen wir »ohl fragen: 2BaS wäre bie @rbe ohne S r b e ? 2Bar eS won ©wigfeit her fo, »ie eS jefet ift unb »irb eS bis in (fwigfeit fo bleiben; gab eS einen Anfang unb wirb ein (fnbe Fommen ober mit anberen SBcrten: ift bie Sage wom

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jüngften Sage, an bem aüeß organifche Seben auf Crtbeu erftorbett fein wirb, eine teere ifjfyrafe ober ititf^t ?

55iefe fragen ju beantworten fotl unjere Stufgabe fein unb 3Wat lebiglid) burd) bie ^Betrachtungen über ben Stoben unb beffen SJeftimmung in Beit unb SJiaum.

3u biefem 3wecfe muffen wir unß gunächft mit bem SBejeit bcß Stobenß oertraut mailen. Sie naturwiffenfchaftliche Unter* fudjung bat ju ber (Singangß außgefprochenen ^Definition geführt. SBenn jonad) Stoben bcr Jgwuptfadje nach »eräitberteß Selßgeftein ift, io fann er auch aus feinen anberen Steftanbtbeilen befielen, alß bie ftnb, auß welchen eben baß SRuttergeftein befielt ober auß folchen, bie auß beren Umwanblung entfteljcn fonnten. 9hm be* ftefyen aber bie ©efteine, welche bie fefte ©rbe jufatnmenfe^en, auß Mineralien unb biefe finb, cpemijd) betrachtet, tljeilö burchauß einfache .törper, jog. Elemente, theilß Sterbinbungen zweier ober in ben mciften fallen melieret (Elemente, nach feften 3al)lenge* feiert , woburdj eben, fowie burd) bie §orm biefelben alß inbioi* buellc 9iaturförper gefenn^eichnet finb.

Söie groß auch bie 3ahl bcr biß jejjt alß nicht weiter 3erleg* baren, bahcr alß ©Iemente betrachteten Stoffe fein mag, fo noch »iel größer bie 3at)I ber Mineralien fein mag, welche wir fennen, jo ift hoch bie 3&hl berer, bie wejentltdjen Slntheil an ber 3u= fammenjeßung ber ©rbe, alfo ber ©efteine nehmen, eine höd)ft geringe, unb bet oerjchiebene 6l)aractcr ber ©efteine refultirt weit mehr auß bem Siengungßoerbältniß ber wenigen conftituirenben üJiineralien, alß einer großen 3<# berfelben. ©od) fei bemerft, baf) ©efteine, bie nur auß einem Minerale beftanben, nur in bem ©innc eriftiren, bah biefem Minerale nur böd)ft geringe SJlengen anberer «Stoffe , gleichfam alß SSerunreinigung beigemengt finb, bah anbenttheilß bie Sftenge ber wejentlichen Mineralien feiten 5 überfteigt, wohingegen gerabe bie untergeorbnet beigemengten oft

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unb gwat namentlich bei ber llmwanblung gu Söoben oon großem ©influffe fein fonnen.

2>ie heroorragenbften gefteinöbilbenben Mineralien finb: Duarg, Selbfpätlje, ©limmer, (Sljforit, £ornblenbe, Slugit, ^alf, 2a If unb @t;p8 , bie wichtigften einfachen Serbinbungen, au8 benen biefe beftehen: Äiefel*, 2hon=, &alf* unb 2alferbe, gu benen fidf bann noch ftehlen*, ©djwefel* unb untergeorbnet ShDSb^orfäure gefeilt, toäl)renb ©ifen unb Mangan in Serbinbung mit ©auerftoff unb SBaffer hauptfädhlich al8 färbenbe ©ubftang Auftreten, benen bann auch noch bie mobembe organifdje ©ubftang gugurechnen ift. £eijtere fann mitunter bebeutenb corwalten, fo* bafj man wohl non #oIg*, Sauberbe u. bgl. fpricht, unb bet Mobet mu§ wirflich ber Gsrbe gugeredjnet werben, ba er eben ba8 tft, Wa8 bie Sflange ber @rbe entnahm unb ihr nach bem 2obe gurücfgiebt.

5>ie8 führt unb nun barauf, bah erft Soben »orhanben fein muhte, beoor e8 ißflangen geben fonnte. @8 ift läng ft erwiefen, bah bie Sflanje be8 33oben8 nicht nur al8 ©tü&mnft bebarf, bah Siegen unb ©onnenfdjein feine Sfl&nge heroorlocfen, fonbern bah htergu 33oben gehört, unb gwar ift e8 ben »erfchtebenen ißflangen unb ber öntwicflung ihrer einzelnen 2heile nicht gleichgültig, au8 welchen ©toffen ber Soben gemifdht ift unb wie er gemilcht ift ©et)t oiele unb namentlich fehr niebrig organiftrte ^fangen ftnb oft auherorbentlich wählerifch in biefer Segiehuitg.

£Die ©eologie, als bie SBiffcnfchaft, welche un8 bie ©efchichte ber ©rbe lehrt, weift un8 burch bie in- ben ©efteinen begrabenen Slefte organifchet SBefen auf ba8 Seftimmtefte nach, ba§ ba8 pflangltche unb nach *hm erft ba8 thierifche ßeben einen Anfang genommen, bah e8 alfo oorbem eine Seit gab, wo noch fein «rganifcheS Sehen eriftirte, wo: „bie ©rbe wüfte unb leer war".

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3n biefe Bett fällt ber Anfang bet 33obenbilbung , oorbent war bie Beit: „ber @rbe ohne ©rbe".

©inen folgen Buftanb oermag aud) bie fünfte $hantafie nicht gu fflffett. JJiicht8 fidjtbar aI8 tobte, ftane gelSmaffen, fdjauerlidje Eltppenoolle Säften uttb ©inöbeit, nicht! ^ötbat al8 ba8 beulen beö ©türme!, ba8 fRaujdjett be! wübfchäumenben SJleere!, Stiles »emidjtenb unb oerfchlingeitb, boch l?alt !

Sar eS wirtlich S3evnid)tuttg, füllte 5?llle! fpurlo! oerfchwinben? ÜRit sJtid)ten ! SDiefet ©eift bet 3crftörung, weldjer ton jeher in bet fftatur Raufet, biefer jtampf, in welkem gleicbfatn, um mit ben älten gu reben: bie Elemente Suft, Saffer unb (burd) bie Äraft beS Drucfs auch) ba! geuet mit ber (Stbe liegen, ift nur ein St^eil ber Arbeit, welcher oollbra<ht werben muffte, um bie tobte ©tbe einer höheren ©ntwicflungephafe enigegenguf ähren, bie Sltbeit, um au! gel! @rbe gu machen, bamit ber (ätbball ©(hau* platj be! organij^en Beben! werbe. SDiefer Äampf ruht unb raftet nimmer, halb jdjreitet er ftitl unb auf ber fluchtigen Seile ber Beit, in bet ber SJienfd) gu folgen oermag, taum bemerfbar, halb in gewaltiger Aufregung einher, ^)ier wirb uttabläffig an bem feften ©erüfte ber Gerbe genagt, bort au! unbetannter liefe neu bereitetes ©eftein gu Jage geförbert, bie ©rbe gerüttelt, baff fie in ihren geften erbebt, Job unb 33erberben ber Oberwelt be* reitenb, l)iet t»«ben bereit! blühenbe gluren unter ben Stummem geborftener gelfett, unter Sawinen begraben, ober oom überfluthen* ben fDieere oerfchluttgen , bort oon Solfenbrüchen weggefpfdt ober oom ©türme gertrümmert unb umhergeftreut

SBefehen wir un! biefe Arbeit genauer, fo finben wir, baff fie wefentli<h gweierlei 3lrt ift, nämlich eine medjanifdje, bie man al! 3ertrümmerung, unb eine chemifche, bie man al! äferwit* terung begeidjnen tarnt. Sollen wir ©infidjt in ba! Sefen biefer Slrbeit gewinnen, fo ift e! oorerft nothwenbig, fie gefonbert

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unb bann aud> wieber bie non 2uft unb Sßaffer gefonbert 31t betrauten.

2(uf ntechanifcbem 3Sege wirft bie Suft nur birect, wenn fie heftig bewegt wirb, inbirect, inbom fie großen Sßafferfluthen ißre Bewegung mittßeilt, bie 23ranbung ber SBogen unb fomit bie Serftcrung felfiger JHiiften beförbert. I)aö SBaffer bagegen ift baö energijdj wirfenbe Element unb jwar in feinen brei 3uftänben, im feften als (Siö, im flüffigen unb am furdjtbarften im barnpf» förmigen. OJiit ber Gfigenfcbait, bei bem gefrieren ficb auögu= beßnen, ift baö äßafjer in ben »orßanbenen gelörißen unb £ lüften eingejcßlcfjen, nicht nur baö primitiofte unb wirfjamfte ©preng« mittel, jonbent aud) baö SDtittel, woburcß immer neue unb neue ©palten gebilbet, ©tiirf für ©tikf oom ©eftein loögelöft werben, weößalb eben in ben leeren ©ebirgen bie gelSjacfen ftetö frijd) unb neu auöfeßen. Ctlö ©letfdjereiö in ben Hochgebirgötßälern wirft im Diutjcßen unb ©Rieben jermalmenb auf bie Unterlage unb Tßalwänbe.

Stollen wir bann jeßen, wie flüffigeö Gaffer wirft, fo muffen wir eben in baö Hochgebirge wanbern, an ben £)letjcherbrud\ ben ©turjbad) u. bgl. 3tt ©taunen oerfunfett ob bem großartigen ©cßaufpiel, welches alljäßrlüh Taufenbe unb Taufenbe 001t glach* Ianböbewoßnem berbeilocft, merft man erft ju jpät, baß ber feine ©pritßregen nad) unb nad) näßt, aber wie ftaunt man erft, wenn auö ben getrccfneten Kleibern eine ©taubwolfe auögeflopft wirb.

SDaö ift baö bereits auf baö 'geinfte jermaimte ©eftein ift 23oben , bem fogar jehon organijdje ©ubftanj beigemengt ift, ba jelbft auf bem ©letfdjereiö windige ip flanschen ’) ein füm= merlitheö 25afein friften unb beößalb auch üJiober ßinterlaffett, welchen ber ©ebirgöbach mitbringt. 3uglei«h fe^cn wir ßier baö SÖaffer als Transportmittel. Jnocb oben in jenen eifigett IHegionett, wo Sßärme feßlt unb ©onnenfebein nicht wirft, waö foll ba ber

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©oben? Söte joH umgefe^rt ein mit Söoben bebecft, bie Gbene ausgefüllt merben, menn baS bem 9Reere .suetlenbe, ?u 33adjen, gläffert unb mächtigen Strömen Bereinigte SBaffer nidjt ben Sranöport unb bie Ablagerung übernähme? 3118 Stampf enblid) feljen mir baS Söaffer mirffam in ben Grbbeben unb 3?ul* fanen, mo e3 eine Äraft äußert, ber mir nidp an bie (Seite 3U fejjen vermögen , me ©efteinSmaffen unter ber Saft be8 2>rucf8 in unbefannter Siefe (bie aufjerbem matyrjdjeinlicfi für ewige Seit een ber Sinmirfung ber Atmofpbärilieit abgefperrt fein würben) in einen übermittelt 33rei oermanbelt, ber burd) bie (yrpanfiene* fraft bes ©ampfcö ju Sage geförbert, tt>eil8 ju Staub serftiebt, t^eilö in 23erülmtng mit ber Suft unter yeuererfieinung a!8 -Sana fließt unb ju ber Bbee töeratilaffung gab, aud) baS britte (Element ba§ geuer ftelje im Äampfe mit ber (Srbe.3)

Auf djemifdjem Söege mirfett Suft unb 3Baffer Berner mit# burdj t^ren ©cltalt an Saucrftoff. ©ie Suft umgiebt bie (5rbe überall, bringt Bermöge ber Seltnere in alle leeren Oiättme ein, mäbrenb bas Sßaffer nur § ber Grbe bcberfenb in bem übrigen ©rittel nur zeitweilig burd) bie Ulieberfdjläge IjinTonnnt, beSljalb aber um jo meljr immer neue Angrifföpunftc finbet unb bejoitbers bejd)leunigenb bie 3erjetung t^erbeifütjrt, menn eö, ma8 häufig ber Sali , nod) Äoblenfäure mitbringt. ©ie d)cmijcbe 33eränbcnmg, bie Aufnahme Bott Suft unb SBaffer liat eine ‘Aufquellung, jomit aud) eine med)anijd)e Bertrümmerung gur Solge unb enbigt oft mit einer völligen Ummanblung bes Stop (ber ?0tetal)Blofe) gegen» über ber blos med)anijdjen Umgeftaltung (ber ÜKetantorpboje), moburd) bie Glemcntarftoffe auö il?ren bisherigen SBerbinbungett gelöft unb auögefdbieben, bafür aber gang neue Skrbinbungen gebilbet ober anbermärts abgejdnebene Stop aufgenommen merben.

©a nun aber bie medjanifdien unb djentifdten SBirfungen ftet§ gleichseitig ftattftnben, ba Suft unb SBaffer, mo fte nur

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fönnen, aläbale bie Berftorungöprcbufte entfernen unb in tiefere Sagen tranßportiren, feben mir unaufl)allfam ben .3crftörungßpro3efj, ben ißrojefe ber 53obenbilbung in 2l)ätigfeit.

©o ift alfo baß milbe iobeu ber Sßafferfälle, bie fdjäumenbc glutf) bet in fdjnrinbelnbe Siefe Ijinabftnr^enben ©iefcbäche fein 3Wecflofeß fftaturfpiel; i)iev finb bie nimmer rubenbeit Sßodjwerfe 3U fehen, weldte baß fefte ©eftein ber 2üpenfelfen zermalmen unb ben ^lüffen jene Saften non ©teinmehl liefern, bie biefe in bie Scaler unb weiter hinab in bie Gbenen führen unb jwar in @e* meinfehaft mit bent gel)eimiti§noüen diemiidjen SSirfen, bem, maß man gewöhnlich „bie SSirfung nom 3nh« ber 3eit“ nennt.

Sltleß biejeß bient lebiglid) bagu, 33obeit ju bilben unb ihn bahin ju bringen, wohin er feiner höheren Söeftimmung gemäfj gehört. 3'rar rei§t baß s)3ieer nicht feiten große ©treefen biefeß 33obenß wieber fort, allein umgefehrt wachfen an anberen ©teilen burd? 3(njd)wemmung wieber bie Ufer unb bie periobifchen lieber« fchwemmungen tragen nicht wenig jur 3(uffd)licfung roit 53oben« maffe bei.

(Sine britte, in ihrer Tragweite nicht $u unterfdjäfcenbe 9(rt ber Sobenbilbung feheit wir im Sebenßprojefe ber ißflanjeit jclbft. ©ewiffe Siechten , bie alß einhellige, winjig fleine ©poren an naeften Seifen haften fönnen, fonbern eine ©äure ab, welche felbft baß hörtefte ©eftein gleidjfam anäfct, baburdj bie Jpaftfteße rer« gröfcert, ber s$ flanke bie Slußbreitung geftattet, mehr unb mehr aber bie ©efteinßunterlage mürbe macht, ein Vorgang, ber noch »erftärft wirb burch bie auß ben mobernben ^flan^ent^eilen nach unb nach horoovgehenben ©äuren, bie fraftiger wirfen alß unfere ftärfften fHeagengien. 2)abci finb gewiffe flechten fo beftimmt auf bie (Slementarbefchaffenheit beß fDtineralß angewiefen, bafe man 3. 53. mit Seidjtigfeit an ber $ageßfläd?e eineß ©ranitß mit Äali«

(SU)

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unb Äalf«9tatronfelbfpath Untere burd) bie auffißenfcen gleiten unteridieibett fann.

SMrect Soben bilbenb een feinfter ^uloerfubftang ftnb bie große ©ruppc ber eingelligen tilgen mit jtiefelbüUe bie

Diatomeen.

SBir braudien nicht erft in ber Öeid)id)te ber (Srfcc gurücfju* gefeit, mo mir febeit, mie große 2änberftrecfcn einft mit Stehen beberft eine glora uttb gauna trugen unb mit biefen unter neuen Ablagerungen begraben mürben; aue bem SOiitgetljeilten , unter unferen Augen 33orgef)enben, erhellt gur (genüge , baß ber gegen* märtig oorhanbene Soben meber gu gleicher Seit, noch auf gleiche SBeije entftanben, mithin aud) nicht oon gleicher Selchaffen heit fein fbnne. -Math SilbungSgeit unb SilbungSroeife unterfd)eiben wir Dielmehr:

1) ^rimitiren Sobett ober ©runbichutt, b. h- ©oben, ber an Crt unb Stelle auS bem unterliegenben öeftein entftanb;

2) Alluoialen Soben ober gluthfdjutt, b. h- bnreh ftrömenöe ©emäffer unb Siifte auf fecunbärer (bem Scftanbe nad) bauen Dölltg oerfchiebener) Sagerftätte abgefeßter Seben.4)

Jpiergu !ommt bann noch bie Ueberfleibung ober Smptägitirung mit organijdien dteften unb bie dinntengung burd) @infd)lämntung alb nidjt abgcfdjloffene, fottbern, wenn auch nur periobifche, bodj bis heute fortgejeßte Silbungen.

2öeitn mir fo im Sorbcrgehenben ben Soben feinem SBefen nach fennen gelernt unb bie Art unb Sßeife ber Sobeitbilbung oer= folgt ha^ett, fo erübrigt eS nur noch, ehe mir ben Soben als SRaturfcrper auf feine öigenfdjaften prüfen, gunächft bie gerat gu betrachten, in ber bie fUiineralbeftanbtheile ben Soben bilben, fca auch bie gorm gum 3Befen eines -Dinge gehört.

3nt primitioeu Soben bürfen mir nid)tÖ AnbereS ermatten als im birect unterlagernben föiuttergeftein rorhanben ift. 3unäd)ft

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fcharffantige ©efteinStrümmer, vielleicht gebleicht unb aerbröcfelnb, hierauf mehr unb mehr veränbert, wo möglich burch Auslaugung »on löslichen UmbilbungSprobueten befreit, umgefehrt mit 9teu* bilbungen verjehen, immer aber, wenigftenS theilweife bem 3uftanbe feinfter Pulverform ftch nähentb, bem 3uftanbe ber fog. ©arerbe, in welchem ber ©oben ben böcJjften ©rab mechanifcher 3ertheilung unb chemifther Untbilbung erlangt hat, bah aljo 3. ©. vom ©ranit bet Duar3 in höchft feine ecfige Äönnben unb ©pUtterden , ber gelbfpath in Äaolin, $bon ober Sehm verwanbelt, ber ©limmer in faum noch mifroSfopifch fenntliche Plättchen gelodert ift.

3m alluvialen ©oben wirb bie ÜRannigfaltigfeit ber 9Jtijchung immer größer, je weitet man in bie ©bene binauöfommt, ba ja jeber glufj anbereS 9Raterial herbeiführt; auch in her gorm ber ©obenbeftanbtheile ^errfdjt gröbere ÜRannigfaltigfeit unb nur in fofem Uebereinftimmung, als baS ©efteinSmaterial vom gelSblocf abwärts burdj ©erölle, ÄieS, ©ranb unb Sanb bis 311m feinften ©taub mehl in golge beS SranSporteS gerunbet unb gefchliffen ift.

©er wichtigfte $heil in allen ©obenarten ift baS ©taubmehl. ©8 ift berjenige $heil, welker nur noch als lefcteS 3erfchung§= ftabium bie Söfung unb fonadh bie Ueberführung in ben hft°n3* liehen Organismus vor ftch hat, b. h- bie Äoft bet Pflanjen, währenb bie weniger jerfehten, feinem ©oben fehlenben, noch beut* lieh erfennbaren SRineral* unb ©efteinSfragmente mit ber 3eit ben Nachwuchs hierfür liefern, vorerft alfo, als tobteS ©eftein, ber Pflaiye nur Duartier geben.

©er vom tobten ©efteine abgefehiebene ©obenbeftanbtheil führt beShalb auch ben 9t amen ber ©arerbe mit bemfelben Rechte, Wie man bie burd mannigfache ©orarbeiten von fremben 3ufäj}eu befreiten ©rgbeftanbtheile ©arer3e nennt, ©ie ©arerbe ift gleidfant baS ©inbemittel im ©oben unb auf ihrer 9Renge beruht ber eigentliche Sßerth beS ©obenS ber ©ehalt unb ber

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wejentluhe Untevfcbieb oom ©eftein burd) baS ©erhalten gum SBaffer; ber Stein bleibt auch unter SBaffer Stein, b. h- ein ftarrer fefter Äcrper, wähtenb bie @rbe erweicht, 3erfällt unb burd) 9lufquelleit ber Staubtheile eine gefd)meibigc, fügjame fDlaffe, in ber Ijcc^ften ©oteng gerfliefclidhen Schlamm bilbet.

Söie wir als bie uranfänglidjen ©rogeffe gur ©obenbilbung mecbanifcbc unb djemijdjc fennen gelernt haben, jo bleiben biefe aud) im 91 cf erb oben wirfjam; eS ift aber offenbar bie wohltt)ätigfte unb oorforglicbfte (finridjtung ber Statut für bie ©flangenwelt, bafj bie oölligc 9luflöjung unb Umwanblung beS bereits gerfejjten ©efteinS auch in ber ©arerbe nur langfam oorjdjreitet. SBürben umgefeljrt namentlich burd) bie auffrf^Iiefeenbc SBirfung bet auS bem SJlober entwicfelten Äohlenfäure, mit ber 3erfej}ung auch aß* gurafd) bie ©Iementarbeftanbti)ei!e frei, jo würben fie aud) löSlidj unb eher »om Sßaffer entführt, alS bie ©flange ihrer bebarf ober habhaft werben fann.

Unterjudjen wir nun ben ©oben als neuen jelbftänbigen Slaturförher in ©egieljung auf feine ©ejd)af fenheit, jo gejd)icl)t biejeS, wie überall, jo aud) hier nach naturwiffenfdjaftlid)en SJle* thoben, inbem wir bie nach feften fRegeln operireuben ©iScihlinen, wie f>hhfif, ©hemie, SJiineralogie unb ©eognofie thcilS gur Unter* fudjong jelbft, theilS gur ©rflärung ber S^atjaeS>en unb Grfcf)ei* nungen, beS 3ujamment)angS oon Urjadje unb Sßirfung gu £ülfe nehmen.

©er ©oben ift gefenngeidjnet burd) gewiffe ©igenjd)aften unb gwar finb gu unterfdjeiben : allgemeine unb bejonbere wejentlidje ©igenjdjaften, bie in feinem SBefen begrünbet, als etwas ©eftan* bigeS fidh geigen unb bie SJiittel gur ©rfenntnifj unb Unterfd)eifcung ber ©obenarten abgeben, jowie jolche, hierburd) erft heroorgerufene zeitweilige 3«ftänbe ober gufäHige ©igenfdiaften.

©ie erfteren finb: Sarbe, ©efüge, ©orofität unb Sd)were.

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1. ©iegarbc fällt guerft in bie 2lugen. Sie ift bcfonberg in öconomijcher Jg>infic^t oon ©ebeutung, ba in ihrer ©erfdjieben* tjeit bie ©runburfadje unb ber ©ittflu§ auf bie Temperatur beS ©oben§ gu fucben ift. ©efanntlid) werben bunfelfarbige Äcrper een ben Sonnenftrablen ftärfer erwärmt alö hellfarbige; im war* men ©oben aber gebt bie 3erfeßung beö 9)iober§ raffet i'or fid), baö Samenfom wirb be§balb rafdjer entwicfelt unb bie ©flange wäd)ft fräftiger al8 im falten ©oben.

3n bem Stcferboben bebingt bet jdjwarge 9Jiober gum Theil felbft bie garbe, allein abgesehen hieroon finb (Sijen unb SOiangan in ihren oerfcpiebenen ©erbinbungen mit Sauerftoff unb SSaffer bie färbenben ©ubftangen für bie oerjcßiebenen Nuancen oon grau, rott), braun, grün unb gelb, hoch nur für gewiffe primitiee ©oben* arten »on einigermaßen lebhaftem Ton unb ©onftang. 3m SO* gemeinen tragen bie ©obettfarben, wie ÜlUeö, wa8 ber ©erwefung anheimfällt, baS büftere ©ewanb beö Tobeö.

2. ©aö ©efüge, b. h- bie 8M unb SSßetfc , wie bie nach ©eftanb, gorm unb ©röße oft febt oerjdjiebenen ©emengtheile im ©oben oerbunben unb gu einem ©angen oereinigt gefügt finb. 2Bir unterfebeiben banach einen Iofen ober fchüttigen, bähet leicht beweglichen ©oben, in welchem bie ©emengtheile nur bur«h ihren gegenfeitigen ©ruef gufammengeljalten werben, bie feineren Ttjeile (im troefnen 3ufl«nbe) burch ben SSinb aufwirbeln unb einen bünbigen, in welkem burch bie ©aterbe 2ffle8 gu einer gefchloffcnen, gufammenbängenben ÜJlaffe oereinigt wirb, ©abei fann ber ©oben hoch noch fdjeinbat bidjt ober beutlich fornig unb in anberem Sinne genommen locfer ober feft unb gäbe jein.

3. ©ie ©orofität. ©oren ober ©irculationßfanäle für Sßaffer unb 2uft, in bem Sinne, wie wir fie bei organifchen Äcrpern finben, hat webet ber gel§ noch bet Sahen. 5Bir oer* ftehen unter ©oren nur bie burd) bie Slneinanberlagerung ber

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©obenbeftanbtbeile, welche fid? vermöge ihrer »erfchiebenen gorm unb ©rofje niemals allfeitig berühren, gebilbeten £ohlräume. 3m förnigen unb loderen ©oben finb fte leicht fidjtbar; baß fie inbe§ in jebem ©oben »orhanben finb, geigt eben baS Verhalten gum SBaffcr. SJtit Söaffer benefct, wirb btefeö halb augenblicflich ein* gefogen, balb erft nad} geraumer Seit, wobei bann ein geholt* reifet ©oben aufjdiwillt unb groar: Schm ^erflic§t, $boit nur ^laftifdj wirb, üorfboben f«h wie ein Schwamm »erhält. Sluf ber ©orofität bafirt bie ®urd)bringlichfeit unb gugleidj ber »er* fdjiebene geuchtigfeitSguftanb beS ©obenS als eine ^auptbebingung für baS $flangenleben.

4. 2)ie Schwere, als bie golge ber SlngiebungSfraft ift ber 2>rutf, mit welcher ber SÖobeit auf feiner Unterlage laftet. SBir haben hier bie, nur burch baS ©ernicht gu beftimmenbe ab* folute Sdjwere, bie bei fdjüttigem ©oben größer ift als bei biebtem ober gar lotferem fe^r potöfem, g. ©. bei Quargjanb um bie £älfte größer als bei Sehm unb bie fpecififdfe Schwere gu unterfdjeißen, welch Sefctere »orwiegenb abhängig ift »om ©eftanb unb ©ehalt, immer aber nur innerhalb geringer ©rengen fdjwanft.

garbe unb ©efüge brüefen gleidjfam baS ©epräge aus, wo* bureb ficb gugleidf bet innere SBerth »erräth unb uns in ben Stanb jefct, bi«burch auf ben ©eftanb gu (fließen, foweit er nicht »or '.Äugen liegt, anberntheilS aber auch beurteilen lä§t, wie ficb ber ©oben gut ©tnwirtung ber Sltmofphärilien »erhalten wirb. 5>iefeS finb eben bie oben angebeuteten 3uftänbe, baS ©er* halten beS ©obenS gu Suft, SBaffer unb SBärme als ben ©e* bingungen für baS ißflanjenleben : ob ber ©oben baS auf ihn fallenbe SBaffer rafch fafjt unb lange hält ober 'nicht, ob baffelbe leicht wieber barauS »erbunftet ober burchgelaffen wirb; wie ber ©oben fidb auSbehnt ober beim SluStrocfnen gufammengieht ; ob

(■•IG;

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«nbticfj bie SBävme reflectirt ober gleidjfam »crfd^lucft, abjorbtrt unb oon it)m anfgefpetcbert wirb.

33etrad)ten wir nun nodj ben ©oben in Bejiebung auf ben 5Raum, welken er einttimmt, fo haben wir feine borijontale Auß* bebnung nadj Sänge nnb Vreite feine Verbreitung unb feine förfjertidje Vtaffe aud) ltodb nadf bet Siefe feine SJtäcb* tigfeit in baß Auge 3U faffett.

SBaß bie ©rftere betrifft, fo fetjt bie ©riftenj beß Vobenß, feine Außforeitung nidjt nur eine fefte ©runblage oorauß, welche fljn tragen fann, fonbem auch eine Sage, unter weldjer et fidj auf berfelben Raiten fann, ob ftarf, wenig geneigt ober eben, hiermit ftefft bie üJtädjtigfeit bet Vobenfotper im Bufammen^ang unb läfjt ftd) futj außfpredjen:

mit junefymenbet ©teile nimmt bie aftädftigfeit ab, mit abne^menber $u.

Aber auch bie relatioe ^»ötie ber Sage über bem föteereßfpiegel ift für bic ÜJtädbtigfeit in bemfelben ©inne ton CSinffu§, inbem ber Voben ftetß tieferen Sagen gugefüljrt wirb unb erft in ber ©bene jur fRu^e gelangt. ©leidbjeitig fte^t mit $öbe unb Sage auch nod) ber wef entließe Unterfcfjieb oon sJ>rimitio= imb Alluüiai* hoben ober ©runb* unb §lutbfd)utt unb beffen oerfdjiebene Ver* breitung unb fütädjtigfeit im Bufammenbang, ba erfterer ftetß bur«b Abfindung unb Stußlaugung becimirt, legerer fortwäbrenb bureb Sin* unb Stuffcbwemmung oermebrt wirb.

Snblicb tft für baß Verhalten beß Vobenß gu ben Atmofpbä* tilien bie Sage nod) infofent oon 2Bidjtigfeit alß man babei an bie Vi<btung ber Abbad)ung gegen ben jeweiligen ©tanb bet ©ontte benft.

SBenn fdjon Sage unb Jpöbe allein wefentHcb auf bie 9Jtäd)* tigfeit beß Vobenß im Allgemeinen influiren, fo finben wir burdj

XI. 853. 2 (5U)

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Unterfudjung bet ÜJJädjtigfcit felbft unb bet Begebung beS Beben? gu feiner Unterlage noch »eitet bemerfenSwertbe Unterfdjiebe.

SunSoft Berbient ber Sagergtunb felbft unfere Aufmerf* famfeit, je nach feiner topograpbifdjen Befchaffenbeit unb feinem geognoftifdjen Aufbau, weSbalb benn fdjon bet Sprachgebrauch im gemeinen geben febr richtig bie AuSbrücfe „©runb unb Beben“ mit einanbet Berbinbet, weil man wol)l ©runb ebne Beben, aber niemals umgefctjrt Beben ebne ©runb wenn auch erft, wie in Tiefebenen bei allueialem Beben, in grofser Tiefe ftnbet. 3fn febr Bielen gäflen fönnen gewiffe Gngenfdjaften beS Bebens gar nicht in biefem felbft, fonbern im Sagergtunb ihre Urfadje haben, wie j. B. ftagnirenbeS SBaffer burdj unburchlaffenben @runb ebet Jfälte unb SRäffe burd) auffteigenbe Duellen je.

SBir haben ben Brimitinboben als im wef entliehen Beftanb ibentifd) mit feinem ©runbgebirge erfannt, er geigt nur bie »er= fdjiebenften ©rabe ber Betwitterung ein unb beffelben Materials, fomit etwas einheitliches; nicht fo ift eS bei bem AßuBialboben. £iet fonnen alle bie Berbälhtiffe auftreten, welche bie ©eognefie in bem Aufbau aßet ebebem butth Ablagerung entftanbenen @e* birgSmaffen fennen lebrt in Begiebung auf Sagerung, Schichtung, Abwechfelung Bon gröberem, burd) ftarfe Strömung berbeigefubrtem ober ftaubförmigem, auS ruhigem SBaffer abgefeimtem fßtateriale.

Auf bem Borgefübrten Bon Beftanb unb Befchaffenbeit be= rußt nun bie (Slafftfication bet Bobenarten nach naturwiffenfdjaft* Höhen ^prtncipicn, wäbrenb für bie öfenomifdje SBertbbeftimmung beS AcfcrbobenS auch noch 2age, J£>ö^e jc. injofent wefentlich mit» fpredjen als bei felbft nach Beftanb unb Befchaffenbeit burdjauS gleichen Bobenarten bie fERöglichfeit ber Bewirtbfchaftung unb AuSnutjung eine febr Berfchiebene, wenn nicht gar unmögliche fein fann. #ietBon, als ©egenftanb befonberer gacbftnbien feß,

C518J

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tote ©ingangS angebeutet, nicht »etter bie Stiebe fein, wogegen ba§ fütitgetheilte wohl genügt, um bie begriffe über ©oben ju ftyiren.

SfBir haben ben ©oben als einen 2 heil ber feften Grrbe fennen gelernt, ber twar bie oberfte Derfe beffelben bilbet unb nachweisbar ein 3ertrümmerung8= unb 3etfefcung$probuft ihrer jelbft ift, bet aber eben baburch, bafe in ihm ber .ffampf non Suft unb SBaffer mit bem gelS ber ©rbe »erförpert würbe, einen neuen SRaturförper barftellt, auSgeftattet mit beftimmten ©igenfchaften, auf ©runb beren er naturwiffenjchaftlid) für fid) unterfucht unb betrieben werben muhte.

2ßir wcnben unS nunmehr jum jweiten 2he'k unferer ©e* ttachtung, nämlich sur Söfung ber §rage übet bie ©eftimmung beS ©obenS als ©lieb beö ©rbbatlS.

SBenn wir etwas für jmecfloS in ber ©atur halten, fo rührt biefeS Iebiglich oon unferer Äurjfichtigfeit, non unferem 9J?angel an ©infid}t h«t* ©$ fann abfolut in ber 9iatur nichts 3wecflofeS geben, UtichtS ift in ber SBelt feiner felbft willen ba unb wenn auch oft nicht im Sehen, fo bodj fidjerlich im 2obe bient jebeS SEBefen einem anberen unb fonadj mittelbar bem ©anjen ju feiner ©rhaltung. ©o muh benn auch bet ©oben einen 3»ecf, feine ©riften^ eine ©eftimmung haben.

2Benn man an ben 31 cf erhoben allein benft, würbe eS ganj abfurb Hingen, $u fragen: Söo^u ift ber ©oben?

SebeS ©aatfelb giebt uns barauf jut Antwort:

„Der ©oben ift Borljanben um uns ju ernähren, unS ju Heiben, er ift alfo offenbar, wie alles anbere in ber Statur Iebiglich für ben fDtenfchen ba."

SfBir wiffen inbejj längft, bah nicht aller ©oben urbares 3lcfer= lanb ift. SfBir fehen nid)t überall Selber, nicht einmal SBälber; giebt auf ber (Srbe noch unerme§Iiche flächen mit ©oben, tbeilS aller ©egetation bar, theilS faum mit 5J?oo8 bebecft, gefchweige

2* (519)

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benn mit waQenben ©aaten uitb grucfctbäumen, aijo üöttig un« fruchtbarer unb unbebauter ©eben. SSenn »ir unS autfc wohl einbilben föttnen, ber Soben in ben böseren unb falten Sagen habe ben Bwecf, ben immer neuen fRac^fd^ub $u liefern unb mir »ollen hier nur ben SilbungSheerb feljen, fo hört folcher SBabn auf, »enn man feinen Slicf auf bie glüfyenben ©anbtoüften Slfrifa’S unb Slfien’S, auf bie ©teppen Bon Sorberaften, bie grauenhaften eiftgen ©inöben Sibiriens, bie ungeheueren SBüften ©übametifa'S richtet, bie jufammen mehr alö ben hoppelten §lächenraum von gans Europa einnehmen. 3a felbft in unfetem beimatlicfcen (Kontinent finb noch ßtofee ©treefen als Söüftereien, @anb= unb £atbeflä<hen, Srümmerlialben, Sümpfe, SJtoore, @0* unb ©chnee* felber, oulfanifche ©chlacfenablagerungen jc. ftchtbar ohne ©pur con Ulnbau, »eil feines ÜtnbaueS fähig unb wir haben gefeiten, ba§ auch felbft in ben üppig ften g luten nur bet fleinfte Theil beS bortigen SobenS wirflidje Ülcfererbe ift.

JDiefe Ißerfpectioe berechtigt ju bem Schluß, ba§ nicht aller Soben $um 3lcf erbau beftimmt, alfo auch ttidht birect für ben SBlenfchen ba fein fömte, ba§ er oielmehr eine allgemeinere Sefftm« mung haben muffe.

Setfefcen wir unS in ©ebanfen in eine jener gelfenwüften, tn benen fein Soben ejriftirt. Serfengenb heifj »erben bie ©onnen* ftrahlen uon ben fahlen SSänben reflectirt, auf unerträgliche ©lut folgt empfutblich« Äälte in f^roffem ©egenfafc; praffelnb unb un« aufbaltfam ftörgt ber Stegen horten nieber, im Stu einen »ilb» fchäumeitben Sach bübenb, ber bie ©bene mit ©ebirgStrümmem überfdjiittet, aber auch faft ebenfo rafdj oerfehwmbet, »ie er ge« fommen, ba ift »on ©inbringen beS SBafferS, Bon ©peifung nach* haltiger Quellen feine Siebe.

#iet haben wir ben ©chlüffel. £>er Soben regulirt, gleichwie baS SJteer, als langfamer SBärmeleiter bie Temperatur ber 9t*

(btO)

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mofpliäte unb vermittelt ben regelmäßigen .Kreislauf ber (Gewäffer. SBenn fenacb Sanb unb SReer ein untrennbares, in fteteni ©erlebt ftettenbe« (Ganje bilben unb ber ©oben ber wefentlidje Vermittler unb ‘Regulator für tiefen ©erfebr ift, fo leuchtet ein, baß burd) bae Uebenuiegen beS unbebauten ©obenS, ber geringe 2ßeil wirf= lieben SlcferbobenS erft culturfabig werben tonnte, ©oitadi bient bod) wenigftenS mittelbar aller ©oben $ur (frlialtung ber ©flaujen^ unb Sßierwelt. 2)enu bevor ein lebenbeS SBefen eriftiren tonnte, mußte erft für feine Vafyrung unb (Srßaltung geforgt werben. SBeber 2ßier noch ^flange lebt von Suft unb SSaffer allein, baS 5£l)ier (als Siaubtßier mittelbar) von ber ©flanke, biefe aber vom ©oben unb jwar von ©oben, wie ißn bie Statur bureß bie Sänge ber 3eit gebilbet tjat. grifdjer gepulverter (Granit ift jwar (Ge= fteinSpulver, welches alle cßemifchen ©eftanbtßeilc enthält, bie eine ©flanje bebarf, aber fein ©oben, fein (Gehalt von (Garerbe, von in folcßer Umbilbung begriffenen SDtineraliubftanj, wie fie ber Vflan3e gur Stabrung einzig unb allein bienen tarnt.

hieraus gebt wieber hervor, baß bie CSrbe eine ©eriobe burd)» laufen ßaben muß, in ber fie fein organifcßeS Sebett trug; biefeS entwicfelte fitß erft mit bem ©oben unb 3war auch meßt auf einmal maffenßaft unb vollfommen, fonbern mit ßödjft winjigen Anfängen unb einfacher Drganifation. (Srft feßr allmäßlig bevölferte fid^ ber ©oben mit ©flanken, erfüllte ficb Suft, SSaffer unb geftlanb mit Sßieren, immer voHfommener organifirt, febe neue (Generation bie vorbergebenbe an Slrteitreicbtbum unb organifeßer (Somplication überflügelrtb.

SSenn wir fo in ben Girbfcßicßten von ben jüngeren ju ben älteren ßinabfteigen unb bei ben .Kohlenlagern verweilen, fo müffett biefe uns lebten, baß bem früheren, unter gewaltigen Grbmaffen begrabenen ©oben noch eine befonbere Slufgabe gufiel.

3ene enormen Äohlenmaffen finb nichts weiter als ©flanken»

CM)

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22

rcfte, j$u betten ber Äoblenftoff nur in 3orm »on Äotjlenfäure auä ber ßuft genommen jein fonnte, ein Äörper, ben wir für baS thierijdje fieben gerabc^u unter bie ©ifte regnen; jene ^Sflangen* mafjen mujjte alfo ber Voben heroorbringen, gleichjam um bie ßitft non Äoljlenjdure 3U reinigen unb fte baburch tüchtig $u machen für baö ßeben unb ©ebenen l)öt)er organifirter SBejen. *• ©nblid) nad) langem Düngen unb Äümpfen, nad? Dreifachen Vorbereitungen erfdtien aud? ber Plenjch alä baö bechft organifirte SBejen. 2lucfa er wollte leben unb gleichwohl bot iljm bie Dlatur rtidjt überall bas Völlige bar. So gwang it?n benn bie 9?otb, -£>anb an ben 'Pflug gu legen, er lernte ben 2lcfer bebauen unb barnit erlangte ber Voben für ben Plenjcfyen jeine lebte unb ^öcbfte Veftimmung ben 21 n bau gunt 21 der.

3)er 2lcfetbau erft war eö, welker ben SRomaben an bie Scholle banb, ber bie Ptenjdjen gufammenfülirte, bet fie 3ur &a* ntilie, ©emeinbe, gunt Staate oerbanb. llnjcre gange fittlidje, in= buftriellc unb wifjenjd)aftliche (Sultur nerbanfen wir lebiglich bem SJunbe, welchen ber Plenjch mit feiner SOiutter ©rbe jd}Io§, ber ©ultut beS Vobenö

Unb wenn wir mit SdjiQer jagen:

2>ajj ber 'JJienjd) jum ?i)ienjctjen werbe,

Stift’ er einen em’gen 2? unb ©laubig mit ber frommen (Srbe Seinem mütterlichen ©runb,

jo biirfen wir getroft jchliefeen: 35er jjludj, welker nadj ber be- bräijehett Pipt^e ben erften SOJenjchen traf: „3m Schweifjc beineß tHngcfichtS joUft bu bein Vrot efjeit" war weber ein gludj no±i ein Unglücf für iljn, jonbern er gereichte it)m gunt gröfjten Segen er machte ihn erft 311m einftigen Veberrjcher ber Grbe.

Piit ber fortjdjteitenben ©ultur enthielten auch Vebürfniffe unb jo erhielt bann auch nach U|1& nach ber jehetnbar nufcleje

(in)

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SBoben, an ber Oberfläche forootyl al! im Untetgrunb für ben SRenfchen feinen SBerth, ja nicht feiten eine oolf!wirthfchaftliche ©ebeutung.

5Doch e! giebt in ber Statur nicht! ©eftänbige! al! eben bie Unbeftänbigfeit, nur ihre Kräfte unb beren ©efefce finb ewig.

2Bir wiffen, baß fich alle! mit ber Beit in «Stoff unb gorm änbert, bajj fortwährenb ^Regenerationen ftattfinben unb ba bet ©oben felbft erft ba! iRefultat oon ©eränberungen unb Umge» ftaltungen ift, fo fann man wohl fragen: SBirb ber ©oben feine SJeftimmung al! Stcferboben für immer behalten?

©chon bie 5Slten haben biefe gtage erörtert, inbem fie meinten: „ber ©oben werbe, wie alle! in ber SBelt nicht jünger, fonbem älter, er tonne am (Snbe feine 3eugung!traft gang verlieren“ unb ba biefe grage immer unb immer wieber, wenn auch in anberet gorm auftaucht, ift fie wohl einer (Erörterung wertl).

2Öir fönnen in biefer ©egiehung ruhig in bie ßufunft feljen. JDie Statur forgt burdh ihre mechanijchen unb chemifchen ÜRittel in au!reidjenbem SRaaße. 2)urch erftere wirb ber ©oben fort unb fort hauptsächlich quantitatio oermehrt, burch leitete im ©eftanb unb ber ©efchaffenheit oeränbert unb gwar ift bie wohUhätigfte ©eränbeeung bie, ber aUmähligen äuflöfung noch nngerfe&ten 2Rineral! unb Ueberfüljrung in ben Bnftanb al! ^Sflan^ennährftoff. ©ebenflicher fcheinen babei bie auf 3lu!laugung hinaublaufenben ©eränberungen gu fein, obwohl anbererfeit! erft gerabe burch bie 9lu!laugung gewiffer ©eftanbtheile ein ©oben ber ßultur jugänglich gemacht wirb, unb bie fünftlidje (Sultur, namentlich bie jweef* mäßige Stu!nußung ber Sehren ber Sng'enieurwiffenfchaften ift nicht feiten beftrebt, biefen ©ro^efj ju befdjleunigen.

SSie hier, fo muß ber SRenfdj überall erft eingxeifen, um ben ©oben cullurfähig ju machen. ($! giebt feine natürlichen ©etreibe* felber, ©bftgärten unb Seinberge. SDiefe mußte ber SRenfd) erft

(S23)

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24

fdjaffeit. 2)urd) jwecfmäljig erprobte Mittel burch 'Düngung, SJtelioration u. bgl. wirb auch bie Seugungöfraft beö Sobenö nicht nur erhalten, fonbern fie wirb gesteigert in bem 'Diaafee ale bie jfenntnifj »om ©oben unb bie jfenntnifj oom Verhältnis gu ben im Scben oortjanbenen ober nicht »orljanbenen ©ubftanjeit 311* nimmt.

SDiefe Betrachtung legt uni eine anbere nabe, anfnüpfenb an bie oben, bei Beschreibung beS Bobenö, berührte Slbatjadje, baf$ ©runb unb öoben ftetö gufammengehörige begriffe finb, um beten Verhältnis jur organischen Statur, namentlich aber 311m Sieben unb Sreiben ber SDtenjchen alö Ei^elwefen, wie im Serbaitbe jur ©emeinbe unb jum Staate, fur^ 311m Seiferleben 311 unterjud)en.

SDtögen bie Erhebungen auf ber Erbe baö Diefultat continen* taler ober lofaler Aufquellungen unb Aufrichtungen ober baö oul* fanifchet Aufschüttungen fein, mit benen anbernortö bie Einfen* fungen für bie grofjen SJteereöbecfen #anb in .£>anb gingen, bie Slhöler finb oorwiegettb burch AuöwaSdjung entftanben, fo ba§ bie Serge nur bie ihr noch nicht anheimgefallenen Otefte barfteßen.

SDiefe Eonfiguration ber Erboberfläche, biefer SEÖcdjfel non Berg unb £l)al, ber gormenreichthum ober bie Monotonie ber* felben ift abhängig »on ber Beschaffenheit ber bie fefte Erbrinbe 3ufammenfehenbcn ©efteine, fowie beren Ablagerungöart unb golge. Sie übt, nebft ber auflagemben Bobenbecfe nicht nur jaljlrcidje unmittelbare Söirfungen auf bie Außenwelt auö, wie burch Ser* theilung unb Art ber Quellen, Eharafter bet Vegetation, technifche Ausnutzung unb Auöbeute nujjbarer goffilien, Eultur* unb Söirth* jchaftöfhfteme beö Boiftnö, wie fie bereits besprochen würben, fon* bertt auch fth* wesentliche Söirfungen auf Sehen unb Treiben ber SKenfcheit ober anberö auögebrücft auf Quantität unb Qualität bet menfchlichen Anfiebelung, auf phhfifche unb geiftige Shätigfeit.

3n erfter Sinic wirb allerbiitgö bie Bewohnbarfeit eineö Erb»

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U5

ftridjS oon ben flimatifchen 33erhältniffen abhängig gemacht, bann aber ift eS bet Sobenbau, fowohl ber innere als ber äugere, bcm bie uncerfennbarften unb tiefeingreifenbften (Sinflüffe gugufdjreiben finb

S)iefe geigen fich gunädjft in ber ©tärfe ober f. g. IDicfttigfeit ber SBeoölferung unb gioat berart, bag biefelbe oon ber fruchtbaren 9tieberung auS gunegmenb im mittellosen formenreichen ©ebirgS* lanb butcfj bie inbuftrielle 33efd)äftigung ihren Jpöhepunft erreicht unb ebenfo nach bem Hochgebirge gu wieber abnimmt.

©ie geigen firf) ferner in ber 33ertbeilung unb gorrn ber Wohnorte, ja oft jogar in ber 33auart ber Käufer, ©diou ber fltomabe wählt forgfältig bie ©teile, auf ber er fein luftiges Seit auffchlägt, um wie oielmehr mugten überall bie SJlenfdjen für bauembe 5Bol>nplä^e, je nad) bem 3wecf, ben fie oonoiegenb im Singe Satten ob $?obenbenürtf)jd?aftung, irgenb ein Snbuftrie* 3ioeig, Söergbau, .fpanbel, Sicherheit gegen lebenbe geinbe, ©d)ug gegen flimatijdje Ucbel u. bgl. ficS bie geeigneten ©teilen auS* fucfjen. SBar bie Strahl getroffen, fo mugte ficS notgwenbig bie Boom ber SBognorte ob um einen fUJlittelpunft gejdjloffen, ob längs einer Sinie, Öach, 2.balfol)le, SBetgrücfen jc. oertheilt ober ob mit oößig gerftreuten (Singelgehöften ben Dberfladjenoer* Sdltniffen anjd)liegett.

©o fchmterig eS auch im (Singeinen fein mag, fpecielle 9tad)= weife gu liefern, fo lägt fid> bod) im ©rogen unb ©angen be* Raupten, bag ber heutige SDtenfd) mit allen feinen (Sigenfdjaften baS enblidje iprobuct aller ber phpfifdjen unb geiftigen (Sinbrüdfe fei, burd) weldje bie ihn umgebenbe Slugenwelt auf ihn unb feine S3oräliern oon Slnbeginn an gewirft hat unb bag bie Uuterfd)iebe ber SBölferftämme, bie grogen Ungleichheiten ihrer pbpfifdjen »nie ihrer geiftigen (Sntwicfelung grogentgeilS ihre Urfache in ber phh= fifcgen Ungleichheit ber Sänber haben. 3ebe ©chtoierigfeit, welche

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ber ©obenbau bem 2eben bietet, regt an gu ihrer ©eftegung, jebet ©ortbeil gu feiner sJluönutjung, bab ÖCUeÖ übt unb ftärft ben @ei|'t. 3e mannigfaltiger bieje aber finb, um fo mannigfaltiger ift bie gtiftige Anregung, unb ba biejee in geologifcb ccmplicirt gebauten Segcnben meiftenö ber gall, fo ftnben mir aud) l)ier, unter übri* genb gleichen Umftänben, burchfdjnittlid} eine ^ö^ere geiftige @nt« wicfclung bet ©ewobnet alb in einförmigen Sbenen, bie wenig Stoff für geiftige Anregung bieten.

9Jlag nun bie ©ejdjäftigung ber ©ewobner fein, welche fie wolle, ein #auptförberer für ben materiellen Söoblftanb, fei eb in ©egiebung auf ^ubnujjung beb oon ber CRatur in ber fRäbe ®e= botenen unb ©erwertfjuug berfelben nach aufcen ober in ©egiebung auf -£>erbeifcbajfung anberweiter ©ebürfitiffe ebenfo wie für bie geiftige (lultut unb ©erfdjmelgung bgw. ©enoifchung ber ererbten bobenftänbigen (Sigentbümlicbfeiten ift ber ©erlebt unb eb be= barf wohl nicht beb überall tbatjäcblicb begrünbeten ©adj toeifeb, bafj bie natürlichen, wie fünftlicben ©etfebrbwegc mit bem ©o* benbau in innigjtem 3ufantmenbange fteben.

3a felbft auf bie böchfte Steigerung beb ©erfebrb, alb welche fich ber Ärieg, bab Iejjte ORittel ber ©olitif auffaffett läßt, wenn auch eineb »on groei entgegengefejjteit Seiten aubgehenben ©er* febrb, ber fich gegenjeitig gu h»’bern, gu befchränfcn, ja gu oer* nichten fudjt, ift ber ©obenbau oon wichtigem ©influf).

Snblich ift nun noch bem ©obenbau ein febr wefentlicher (jinfluf) auf bie Sefunbljeit ber ©emobner gugufchreibett unb gwar fommeit hier fowol)l bie ©obenform unb bie SSärmeleitungbfäbig* feit ber Sefteine befonberb für bie flimatifeben ©egiebungen in ©etraebt, alb auch ber Untergrunb in ©egug auf ben (Sbarafter ber Duellen, namentlich aber bie oberfte ©obenbeefe felbft. Sefctere alb ©augrunb an unb für fich fowobb alb auch burdj ihr ©er* bältniß gum überbeeften Srunbgebirge burch emporbringenbe geuch*

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tigfctt unb Grljalationen oon ©afcn, fotoie burd? bereit Söecbfel* wirfung mit ber Sltmofpbäre, woburcb eben in bejonberen fällen ber ©oben ju einem ©ammdplag oon Äranfbeiten förbernber SBerwejungöftoffe, ja für Äranfbeitöfeime jelbft wirb, bie it)m in §orm oon ißiljjporen u. a. jugeführt unb unter günftigen 33e* bingungen jur 3eit frei gemacht werben.

Söenn aud) nic^t bireit als ÄranfbeitSfeime, jo bod} als Ur* fac^e mancher Grfcheinungen im SSoblbefinben ber Bewohner muß es noch angejeben werben, bafj birect bie leichte 3erftäubung nieler SJobenarten auf bie üb^tigfeit ber Zungen, ber .fpaut, ber säugen jc. einwirft unb bafj mittelbar ber 9)iitgenu§ nariabeler SJiengeu erbiger ©ubftanj, wie fie bie jut Nahrung bieitcnben $ flauten bem 33oben entzogen unb angereidjert bitten, auf bie ©ejunbbeit oft ooit bauembem Ginfluffe ift.

©o tröftlid) nun auch bie ÖluSficbt ift, bafj ber $}oben in feiner mittel* wie unmittelbaren 33ejiebung jur organifchen Ütatur unb in feiner relatio haften öeftimmung 3um SHenfchen gerabe burch baS 3wtbun ber fOienfcbeit mebt unb mehr ficb geeigneter geftaltet biefem 3l»ecfc 3U bienen, fo ift bod) mit all bem S3or= auögebenben nicht >MeS beseidjnet, waS fid) über bie Söeftimmung beS 33obenS fageit liefje. GS fragt ficb nod? : ob ber 33oben nicht auch eine SJeftimmung bat in* nerbalb ber ^5^afen, welche bie Grbe als SBeltförper burcbläuft'?

2)en SSerjud) ju machen, biefe Stage beantworten $u wollen, müffen wir einen großen ©c^ritt jurücftbun, ja fogar bie wahr* jcbeinlicbfte $ppotbefe über bie SMlbung ber Söeltförper jelbft ju Jpülfe nehmen.

2Bir benfen unS bie Söelt urjprüuglicb als eine ©unftmaffe, jebeS ©runbelement anögeftattet mit beftimmten fpecifijcben Gigen*

fSJ7>

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jdjaften, allen gemeinfam bie ©d}were. Sermege ber Steteren mußten bie ©runbftoffe einem fDiittelpunfte $uftrcben, ber Sewc* gütig, in geige beffen Dling* unb Salleitbilbung fjerccmef. Unter« be|$ nun biefe gefonberten Sailen als ©injelinbioibuen bem ut* fprütiglichen ©efefce felgten, bilbeten fie befenbere s.))tittelpunfte für bie ihnen oerblicbenen ©toffelemente. 2>ie Schwere erscheint als 3?rnrf, als sfßreffnng auf ben fÖiittelpunft , ber Trucf würbe unb wirb nod) beute umgefetjt in Söärme; ber Schwere entgegen arbeitenb unb ihr au einer beftinimten ©renje baS ©leichgewidjt haltenb wirft bie IHotatieuSfvaft.

®urd) beu T'rucf unb bie jebent ©runbftoffe innewohnenben @igcnthümlid)feiteu faitben fid? bie gleidjartigen jufammen, nach bem ©tabe ber chemifchen Serwanbfdjaft bilbeten ftd) einfache 3n« bieibuett unb djemifdje Setbinbungen ju feften Äörpem, ju ÜRi* neralien unb ©efteinen, bie fid) im Allgemeinen nach bem fpecififchen ©ewidjte um ben SEKittelpunft rangirten, wenn nicht gegenseitige £inbemiffe eriftirten.

Sei biejer Silbung beS feftcu GrbballS würbe jwar ciel ©auerftoff, SBafferftoff unb ©tiefftoff uevbraudjt, allein bet liebet* jehuf? oon SSafferftoff unb ©auerftoff blieb als eine djemifche Set* binbung als SBaffer , als Äerper im fliiffigen Suftanbe, ber nur jeitweife burd) $emperaturerniebrigung ben 3nftanb ber feften frpftallinifchen fDtinerale erlangt, übrig unb bie Suft enblich als blofjcS ©emenge ber beiben ©afc ©auerftoff unb ©tiefftoff mit untergeorbneten ÜJlengen anberer ©afe, namentlich Ächten* jäure.

5Jlad)bem biefe ©onbetung oolljogen, neigte auch bie erfte SfyaSe ber ©rbgefchidite ihrem ©nbe’ ?u. 5ßir bürfen biefe Seit, im .Ipinblicf alif anbere Sßeltförpcr, bie ©onnenjeit ober Serbren* nungSjeit nennen, ba ber wefentlidie Sorgang innerhalb berfelben bie Serbinbung ber ©Iemente mit ©auerftoff, bie Dribation ober

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Verbrennung unter ßtd?t= unb SSärmeentwicflung gewefen fein mujj. JDabei läfjt ftdb amtebmen, baff in biefer gewaltigen Stufregung, beoor fid) bie total oerbrannten, b. b- mit bet unter ben beglei» tenben Umftänben l)ö<jbftmegli(^en ©auerftoffmenge oerbunbenen Körpern gu ftarren fötincralien aneinanberfcbloffen , ihre gegen* feitige Beweglidjfe'tt geftattete, bafe, wie in einem burcfaauä flüf* ftgert Körper (fDtagma) bie SRotationäfraft bie Bilbung bes an ben $olen abgeplatteten ©ptjaroibä bie ©runbgeftalt ber Grbe beroorrief.

©ofort begann nuitmebr ber Äampf ber beiben Glemente (im ©inne ber SUten gefprodjen) Sßaffer unb Suft gegen bie 6rbe, bie Bilbung beä Bobenä, bie ^Btjafe ber Cfrbe mit @rbe (Boben), bie Bert ber (Stiftet^ beä organijcbm Sebenä, beffen bödjfte (Sntwicfe* lungäftufe nad) menfdjlidjen Gegriffen erreicht ift.

©o ift alfo bie jweite $bafe bet (Frbe baburd) cbaracterifirt, baff ber fefte Orbbatl eine 2)erfe oon Boben trägt, unb burcb unb auf biefem baä crganifcbe geben ficfe abrollt.

SBir fennen felbftoerftänblid) bie (Srbe nur in biefem 3uftanbe au§ eigener Stnfdfauung. 2Bie fte im Saufe ber Beit fo geworben, muffen wir etfdjlieffen, unb gwar ttjeilö burd) Bnbnifenabme fo8= mifcber, weit außerhalb ber Grrbfpfyäre im SBeltraume oorgebenbet (Srf Meinungen, tbeilä auä ber in ber (Srbe felbft burdf unjwet* heutige Settern oerjeidfneten ©efcbicbte, nämlid) ber ©efdjidfte ber SRineralien, ber ©efteine, ber Formationen unb ber organiftben ©dföpfungen.

Db ber jefjige 3uftanb im SBefentlidjen fo bleibt, wie er ift, unb wenn nidjt, wie lange er fo bleibt, butdf Welche Vorgänge er oeränbert unb fdjliefflidj beenbet wirb, um einem anberen Snftanbe, nämlidj ber britten Vbafc in ber (Srbentwicflung, Sßlafc ju machen, baä finb Fragen, bie fitfj febet benfenbe SJtenfdj fd£?on oorgelegt hat unb beten Beantwortung burcfiauä nicht in baä fReidj ber Unmög»

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lidjfeit fallt, fofem wir bie Vorgänge in bet ©orgeit unb Sefctgeit einer tintigen SBürbigung unterteilen unb uns bie folgen biefet Hergänge vergegenwärtigen.

Sie wir aus ber ©efcpichte bet @rbe wiffen, ift ©oben*- bilbung unb organiftheS geben eng unb innig mit einanber »er* fnüpft.

Äennen unb muffen wir nun auch ba, wo nur bie ©eob* Ortung ber govm gu ©ebote fteht, nicht aber bie bet pbhftologi= fdpen Vorgänge im Organismus jelbft im 3weifel bleiben, welkem ber beiben ber grofcen JReichc ber organifdjen fRatur wir ein ©e* bilbc guredjnen foHen , fo lagt biefeS nur, ba§, wie SlHeS in ber 9fatur o^ne Sprung ineinanber übergebt, fo auch ©flange unb 2bier, bie beiben gormen, in benen fiep uns baS organijtfee geben offenbart, in ihren Uranfängen innig mit einanber »erfnüpft, wenn nicht gar eines gemeinfamen UrfprungS felbft finb. 2>ie phpfto* logifchen Vorgänge, bie gebenSbebingungen beS ©efthöpfS geben unS erft SRittel an bie £anb, bemfelben bis auf wenige 9lu$* nahmen feine richtige Stelle anguweifen, ihr ©erpältnif) gu ein* anbet unb gum ©oben flar gu erfennen.

9fur bie ©flange unb gwar bie birect ©^lorop^rjQljaltige ober mit einem, wenigftenS in ©egiepung auf ben gebenSprogefj bem fich ähnlich oerpaltenben Äörper (SDiatomin, ©hpco» eprem ober öratrophptl) begabte ©flange fnüpft unmittelbar an bie anorganifche fRatur an. 3nbem fie fich ber ihr burep gtept unb SSBärtne bargebotenen Äräfte bemächtigt, ift fie im Staube, ihre fRaprung unmittelbar ben ©eftanbtpeilen bet guft, beS SöafferS unb beS ©ebenS gu entnehmen unb in 3HjeiIe ihrer felbft in ©flangenfubftangen umguwanbeln. Sämmtliche IRahrungSftoffe, welcher Slbfunft fie auch fein mögen, ftnb aber »ollfommen oer« brannte ober mit bem chemifchen SluSbrucfe h^ftojrtbirte anorga* nifepe Elemente unb bie ©ilbung beS sPfIangenförperS auS ihnen

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befteht im 5Befentlid)en barin , fcafj bie Jlraft, mit welcher ber ©auerftoff an bett (Elementen, namentlich an bem Äohlenftoff in bem £auptnabningSmittel, bet Äcblenfäure, haftet, aufgehoben wirb. 2>ie ^Pffange abforbirt gleichfam Äoblenfäure, uerwenbet ben jfohlen* ftoff unb giebt ben gu neuen Berbinbungen nicht nöthigen Sauet« ftoff als überfchüffige JluSfdjeibung an bie ^tmofphäre gurücf. SDiefer Brogefj führt ben Barnen bet Sljfimilatien.

@ang anberS ift bet Berlauf bet fiebenSthätigfeit im thieri» fd?en Organismus unb in bem bet dilorop^tjllfreien fog. ©chma* rohet'Bflangen. 3hre Bohrung befteht entweber birect aus ben burch ben pflanzlichen Brogefj oorgebilbeten B»obucten ober bei ben gleifchfreffem (jeboch ^ter nur mittelbar) auS Sleifdj felbft. SDet SebenSprogefj ber 2^»^ »ft ein wahrer BerbrennungSptogefc, ba gut Umbilbung ber Bahnmg in thierif<he Brobucte ©auerftoff auf* genommen unb Äohlenfäure auSgehaucht wirb, ©iefer Berbren* nungSprogefj ift eS auch, ba et mit einer beftimmten Energie oor fich geht, welcher unfere .Körperwärme bebingt, unfere BtuSfeln gut Seiftung mechanifchet Arbeit befähigt unb unfere geiftige Übätigfeit unterhält, eS wirb baburch jener 2he»i ber oon ber Bflange auf* gefpeiefjerten .Kraft ber SBärme wiebet frei unb fefjrt als burch Bermittelung ber Bflnnge oon ber anorganifchen Batur nur erborgt in biefe wieber gurücf.

Slber auch bie anbete oon ber Bflange abjorbirte .Kraft baS Sicht wirb, freilich erft burch fünft licheS Jperoorrufen ber ©ntgünbungStemperatur bie oon bet Bftange an um fo gröfjer fein mu§, je weiter bet mit ber Begetation begonnene, in ben BermoberungSreften (2orf, Braun*, ©teinfohlen, Slnthragit, ©raphit uhb ^Diamant) fortgefetjte Brogefi ber ©auerftoff* unb SBafferauSfcheibung begw. relatioen ,f ohlenftoffanreicherung gebiehen ift »ieber frei. !DaS Btobuct biefeS fünftlichen, unter Sicht*

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erfdjeinung coHjogenett IBerbrennungäprozeffeä ift baffelbe, wie bei bem tbicriftben SebenSprocef), nämlich .(toblenfäure.

^ierauö gebt beroor, baff baä pflanzliche Sehen alä ein pro» burirenbeä, ba§ tbierijcbe al§ ein confumirenbeä fid) gegenseitig bebtngen, baf? fie nicht nur zur Regelung beS großen Sebenäbauä» balteä neben einanber befteben, fonbern fo redbt eigentlich für ein» anber befteben muffen, immerbin aber baä erfte cor bem zweiten, wenigftenä in ben Uranfängen eriftiren muffte, worauf bann crft febeä nach ben äufferen SBebingungen in ben Späteren (Generationen ficb 3U fucceffioe complitirteren gormenfreifcn entfaltete.

3nfoweit hiernach burdj baä pflanzliche unb tbierifche Sehen bauptfächlich ber äfreiälauf ber Äoblenfäure ber Sitmofphare gere* gelt erfcheint, unb wir feine in Setradjt fommenbe anberweite Gonfumtion »on biefem Stoffe fennen, ba im (Gegenteile bie Pflanze noch eine weitere .ftoblenfäutequelle in ben organifchen 33ermoberungäreften ftnbet unb eine nicht zu unterfchäjjenbc 3ufubt bitrch bie fünftliche Söerbrennung, namentlich ber au§ bem ©choofje her Grbe betüorgezogenen fofftlen fPftanzenrücfftänbc zu $eiz* unb Seuchtzwecfen erfährt, bfirfen wir mit 3u»erfi<ht in biefer ^>in* ficht auf ein Bis in unabfebbare gernen fortbeftebenbeä organifdjeä Sehen f<hlie§en.

3u einem burchauä anberen SRefultate gelangen wir inbe§, wenn wir alle Sebenßbebingungen ber organifchen SBefen in SBe» tracht ziehen unb ihr SBerbältnifj zum Soben felBft »erfolgen.

SRuffte fchon unzweifelhaft gewiffen urgefdjichtlic^en SBoben bie Aufgabe Zufällen burch Erzeugung einer enormen Pflanzen» maffe bie Grbe »orzubereiten für Gntwicfelung Ijöber organifirter SBejen; bat bet 23oben fort unb fort bie Aufgabe, ^Regulator für SÜBärme unb ben Äreiälauf ber (Gewäffet Zu fein, Aufgaben, bie wir zu ben Jpauptbebingungen beä organifchen Sebenä zu fennen gelernt haben, fo ift unmenbt zu bebenfen, ba§ gerabe

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burdj bie fortlaufenbe ©obenbilbung ein ©erbrauch an ßuft unb SBaffer bebingt ift, ber bem ewigen .Kreislauf für immer ent* Zogen wirb.

©icht alles Söaffer, welches als SDunft auS bem fDieere auf* fteigt, in Söolfen übet baS Sanb getragen hier nieberfäüt, oom ©oben filtrirt unb fo in ben Untergrunb geführt wirb, fotnmt wieber in ben Duellen ju Sage um jum sDieere juri'ufjufliefeen. ©in Sbeil unb wenn auch im ©erhältnifc jum ©anzen ein nur fehr minuttöfer Sbeil bleibt jjurücf, tbeilS im Untergrunb, hier um ©erbinb ungen mit feften SJHneralförpern zu neuen feften SDRineral* fördern einzugeben, bort um biefe Umbilbung bis jum ©tabiurn ber feinften ©arerbi, ben bödift möglichen ©erbrennungS* (Dri* bationS*) unb SafferungS*($t>bratifirunge=)ftufen einzugeben, wo* bureb eben biefer Ölntbeil SBaffer als Sßaffer unb gleichzeitig auch Suft oerloren gebt.

©o unenblicb lang wir uns nun auch bie Seit benfen mögen, innerhalb welcher bie ©irculatien beS SöafferS in bet uns be* fannten SSeife oor ficb gebt, fo mufe fie bod' einmal ein ©nbe nehmen.

©8 mu| eine Seit fommen, wo alles SBaffer unb alle ßuft gleichfam felbft zu fDiineral geworben, zur ©obenbilbung oerbrauebt fein wirb. SBie bann für alle bisher bagewejenen organifd?en SSefen ber ©oben nicht nur fOiutter, ’Ämme, ©orratbSfammer, .Küche unb ©rab war, fo wirb er aud) mit jenem Seitpunfte baS ©rab ber gefammten organifchen Söelt fein.

Damit ift baS ©nbe ber zweiten ©baje ber ©rbentwicfelung bezeichnet, innerhalb welcher wir behaupten bürfen:

„ber ©oben ift ber wiebtigfte Sheil ber ©rbe" unb wohl wertb, über fein SBefen unb feine ©eftimmung nachge* bacht zu buten.

Nunmehr bürfen wir auch wagen, bie ©eantwortung ber

XL 253. 3 (MJ)

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grage anjuftreben: SBarum würbe bie (?rbe nicht in einer un« unterbrochenen golge $u einem feften ©all, warum mufjte rorerft SBaffer unb Euft übrig bleiben?

SBohl mag SBaffer unb Euft alö gwei befonbere füllen burdj ihre 33ertheilung unb bie ÜJtannigfaltigfeit ber in ihnen fid? ab» fpielenben ©rfcheinungen ber ®rbe, non unferem ©tanbpunfte aus betrachtet, $um ©dhrnucf gereichen; ihrem Uebrigbleiben bei ber feften Grbbilbung lag ein höherer 3n?ecf ^u ©runbe.

5)a8 Uebrigbleiben war nur ein zeitweiliges, wenn auch» über einen für unfere begriffe unfaßbaren 3«traum außgebehnteß; Euft unb SBaffer füllten ebenfowohl in bem feften ©erüfte ber @tbe oerfd)winben unb felbft feft werben, wie eS bie übrigen mit flat* lerer chemifcher ©erwanbtfchaft begabten IBerbinbungen längft norbem geworben waren. ©ie werben e8 auch werben, wie auß ben obigen ©chlüffen folgt, allein bie ganz befonbere (Eigenart, burch bie, bie 3eit, in welcher fie es werben, lehrt unö, baß bie Verzögerung hierbei auch ihren 3»ecf, ja wie wir woßl ange- nehmen berechtigt finb, ihren cornehmften 3wecf batin hatte, or* ganijebe SBejen heroor^ubringen, bie ©tbe pm ©djauplafc orga* nifcher unb in beffen bödjfter ©ntwicfelung organifcher, geiftig begabter, über ftcb felbft unb über 3«>ecf unb ©ejttmmung ber fftatur nachbenfenber SBefett zu madten.

5Rit ber Verzehrung ber Euft wirb auch bie oon ber Sonne ber ©tbe überfommenbe SBarme etlöjeben, bie ©rbe wirb in ihrer britten (Sntwirfelungiphafe einen Etnblicf gewahren, ben wir im £inblicf auf ben 5Jtonb wohl ahnen fönnen.

®er SOtonb, welcher nur ber ©rbmaffe befißt unb ben wir aus bemfelben Urfprung ableiten müffen wie bie @rbe felbft, hat ficherlid) feine Vhafen auch rafdjer burchlaufen. 3n feinet ^weiten war oietleicht bie @rbe nod) in ihrer erften. ©ie war ihm leucb» tenbe unb wärmenbe ©onne babunh, baß bie ©onberung ren

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@rbe, äßafjer unb 2uft nicht allein nod) nicht ooll^ogen, fonbern im ©egentheile noch weit riicfmärtS bie Verbinbuttg ber fpecifijch leichteften TOetallelemente bet Ullfalten mit Sauerftoff, alfo eine Verbrennung mit bebeutenber Hie^t= unb SBarmeentnncfelung in oollem ©ange war, wie eS bie Sonne je£t für bie <5tbe ift. Vornämlid) au§ bem Mangel gewiffer cptifdjer (Srjcheinungen müffen wir annehmen, ba§ ber OJionb ein ftarrer fefter .Körper ift, bem jegliche $ülle oon SSiaffer unb 2uft fehlt, ber nichts* beftoweniger eine mit bet CSrboberfläc^e oergleichbare Konfiguration aufweift.

(Sine wahre Ungahl äd^t oulfanifcher, tiefiger Vergformen mit Arateren unb ßaoaftrömen lä§t barauf jchliefsen, ba§, wie jetct auf ber Krbe bie oulfanijcbe Jhötigfeit immer gröbere unb gröbere ‘Xnftrengungen macht, ihre Schlote immer höher unb höher, gegen bie ber Vorgeit, aufbaut, ihre Vrobucte eine immer gunehmenbere SDtannigfaltigfeit unb Gomplicirtheit ber Sujammenfebiung bieten, jo aud) bie lebten Äraftanftrengungen beS in uttntebbare liefen hinabgebrungenen 3öafferS mit ben lebten VulfanauSbriichen er* lojch, währcnb weite Vertiefungen nur alb ehemalige 5Dieereb= betfen ju beuten finb.

So haben wir benn in bem änblicf ber Sonne, ber Gebe unb beS jJJionbeö bie ‘Jufeinanberfolge ber brei groben Kntwicfe* lungöphajen ber @rbe jelbft, über bie hinaus noch weitet gu folgern une jeber Inhalt fehlt.

Slnmerfungcn.

1) Unter allen ffierfen über Vobenfunbe müffen bie Ben g. 21. gallou. DreSten. &. Scpcnfelb 186"2u. 05 oorangefteUt werben. ihnen ift nach acht naturwiffenfcbaftlichen ©runb jähen »erfahren unb bereits ein reicher Schah ccn Erfahrungen aufgefpeitpert. Dabei finb biefe Slerfe in einer fo eleganten anfprechenben SESeife Betragt, tag feitbem ich biefelben, im 2ln*

3* («5)

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jdjlujj an meine ©orleiungen über ©eognofie, ben »eiteren Specialcourfen über ©obenfunbe für bereinige 8anb» unb $orftwirtl)e ju ©runb gelegt, mehrere ©ortragScpclen in $adwreinen gehalten , ein großer Sbeil ber Diebe» »cifen fiel? meinem ©ebanfengang unauSlöfchlich eingereiht bat, bie bann auch in bie eorliegenbe Sfizje übergegangen ftnb.

2) Oie einzeilige, colonienweife lebenbe rotbe 2llge Protococcus nivalis , welche auch bem §irn ben rüttjen Schein cerleiht.

3) 3n meinem oorjai)rigen Vertrage über Srbbeben unb ©ulfane (j. 202 biefer Sammlung) habe ich meine '.’lnfichten herüber entmiefeit unb glaube bargethan ju haben, bafj im Snnern ber Srbe gar feine feurigen SRaffen epiftiren, fenbern ba§ aller fteuerfebein ber ©ulfane, l'aeen tc. erft ein mit bem StuStreten ber überh»feten lebiglich burch ©affer unter hohem Orucf bereiteten, burch Oampf emporgetriebenen ©taffen erfolgenbcS StageSphänomen ift.

4) Sine allgemeine, gleichzeitig bie Srbc bebeefenbe Uebcrfchemmung, eine ©eltflutl) (diluvium, Sintflutb) hflt e* niemals gegeben, eS fann alfo auch con feinem biluoialen ©oben bie fRebe fein. Obwohl noch anbere ©elfer, außer ben alten Hebräern, ^lutpfagc haben, fo ift eS bo<h oornämlith bie Dtoacbifche gluth, welche unter bem Schein einer höheren Offenbarung im ^>erjen ber europäifchen ©flfer wurzelt. ®a »ich bie Hebräer bie Srbe als Scheibe bauten ohne Dtampe, fo liegt fchon in ber Sage felbft ber ©iberfprud). SS fann bei Slufftellung ber DJlpthe nur bie Slbficht obgewaltet haben eine religiofe 3bee zu cerftnnlichen, bie beS» halb auch nur eine allegorifche Auslegung zuläßt, daraufhin beutet fchon ber Dtame .Dioal;" im SanSfrit: ber Schiffer, woron ftch baS ©ort .Dlachen“ erhalten hat.

5) Sine fct>r eingehenbe ©ehanblung biefeS feljr wichtigen ©egen» ftanbeS liefert, unter DJiittheilung zahleicher ©etailunterfucbungen unb ©elegen baS clafftfche ©erf : „OeutfcblanbG ©oben, fein gcologifcher ©au unb beffen Sinwirfung auf baS ?eben ber ©tenfeben con ©ernharb eon Sotta*.

(536)

!Tru(f oen QSebr. Uitfler ($b. Qjrtmni) in ©erlin, iScbcnfbfrflrrftr. 17».

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^ (^arnl\ttrl>ilil

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©ejeidjnet

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^ditri foffiti,

Lic. tbeol..

fjrtbiöer gu Steabefcurfl.

örrlin SW. 1S70.

93 c r 1 a g von ßfltl ^>abel.

(£-. \0. Uribirittidi» J^JrlQnsbnditinnblnr.jj.)

33. Str.l|t 33.

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3)aÄ 5Re*t btt Ueberfcbung in frtmbc ©pratfen wirb coibfbalt«.

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lieber beit ©enfer ©ee, fidj wieberfpiegelnb in feinen tief» blauen glulfyen flammt plöfclicb ein unheimlicher geuerfebein. ©8 ifl fein Sßefuo, ber bie 9lad?t beit faoopifeben Neapel erleuchtet. @8 ifl bie Sacfel ber 3ntolerang, bie fid? auf be’m $)lafj non ©bampel angegünbet bat* ©inen Scheiterhaufen umgiebt Äopf an jfopf bort ba8 proteftantifebe äßolf. Unb auf bem Scbeiter* baufen ber auf bem SBIocf bafifct, an einen $)fabt befefligt, einen ©djwefelfrang um fein gramgebleidfleö £aupt, gwei 23ücbet gebunben an feine ^üften, ber grofle, unterfefcte SJiann, mit flammigem breiten ©cbulternpaare, ba8 ernfte, elegifcbe, abgehärmte, lange ooale @efi(bt mit enetgifebet 9tafe, bunflen finnenben Sugen unb eollem Sart um SDiunb uub jfinn, ba$ ifl ber ©panier ÜJiidjael ©emt’p'JReoeö, ein gweiunboiergigjäbriger. SRocb beut morgen bat bet gewaltige Sötann, ein Seuergeifl wenn irgenb einer, ben ©alein, feinen großen ©egner, um SBergeibung an* gegangen; war in bem 9taum, ben ©aloin ibm angewiefen, bort in bem flnflern Äetfer, wo bie üble, feuchte, falte 8uft ibm ba8 Slugenlidjt gu rauben gebrobt unb baS ©ewürm feine Äleiber gernagt batte, ©aloin batte ficb oon ibm gurüefgegogen. SOor bem SRatbbauS batte bann ©eroet fein Urtbeil angebört. S5Ja8 er getban, antwortete ber ©panier, baö habe er getban, um @otte$ ©bre gu forbern. 3u flerben fei er bereit, ©r bitte um bie

XI. 2M. < 1* (M9)

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©nabe be8 Sdjwerte8. Der Senat war unerbittlidb. Seroet fyatte nochmals feine Unfd^ulfc beteuert unb ©ott laut um Set* gebung für feine (Knfläger gebeten, ©egen fDtittag war SRidjael auf bet (Ridjtftätte angefommen. Dort war er niebergefatlen auf fein (ängeficbt, unb fjatte wieber gebetet, lange brunftig gebetet. Dann ^attc er bie Umftefjenben um ifytc gürbitte bei ® ott et* fudE>t. 3efjt flammt e0 auf unb e8 umjüngelt ifyn ring8 um ben .^oljftof). Misericordias, Misericordias, ©nabe, ©nabe! fdjreit er ba au8 bem ^euer, mit fpanifdjem Slccent, aber fo burdjbringenb, baff ba8 gefammte Sol! gufammenfdjricft unb nor Sdjrecf erbleicht. Da will ba8 $0(3 nid)t brennen, bie Sünbel finb fo grün. @8 ift, al8 ob ^>olg unb geuer fid) fdjämten, folgern SRenfdfenfreoel gu bienen. Unb e8 werfen mitleibige Seelen trocfene btcnnenbe Sünbel bem Spanier auf ben Seib. So ftet)t er im Saud? unb in bet Dual eine fjalbe Stunbe. Dann fdjreit er nod) einmal: 3efu,buSol)nbe8 ewigen ®otte8, erbarme bid> meiner!" Unb bann ift er Ülfdje, er unb fein Such- (27. Dctob. 1553.) Seit 21fdje genommen, 31t 21 f die geworben. Sber gwifcfyen ©eburt unb Dob, wie nie! Se^neu, gorfdjen, (Ringen; wie »iel Siebe, Dteue, 9Ranne8muttj. Unb nun . . . SCfdje!

Dodf wo ift ber Gatacalla, bet ifyu 3U Üobe gemartert Ijat? Der Sero, ber Diodetian? Der fyetbnifdje Äaifer, bet ben fpanifdjen ©fjriften l)at fjiugeridjtet? ©in |>eibe, ntrgenb: aOc feine ,£>äfd)er finb ©giften. ©Triften? 3a (Römlinge; Sdjergen ber gefrönten Unfeljlbarfeit. Der SRann, um ben nun fid? *Me8 brangt, bem 2ltle8 banft, nor bem 9lfle8 nieberftnft, ift ba8 &orque* maba ober XimeneSV SBie fyeifjt bet 3nquifitor, berfo liod) haftest, ba8 «paupt gen Fimmel unb in ben JÖolfen ben Slicf? ©8 ift fein römifdjer 3nquifitor: ©8 ift ©alnin, ber ftüfyrer ber fProteftanten. UnD au8 ber (Seife non Beugen, bie iljn be* wunbernb umgeben, ba ragen Ijeroor bie großen (Reformatoren

(MO) v

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uni) teilen il)m bie $)alme beö Sieges. Sef)t, wie fie fid) brangen, wie fie ftd^ neigen cor beS ^Hfarben ener gifdjer grömmigfeit! 2lm engften fdjmiegt fid) an (Salein Ulridj 3»infllir als wate eS if)tn Söonne, auS beS Scheiterhaufens immer neu aufqualmenben fRaud) 3U erfehen, bafc „bem ©otteSläfterer nit ber ?uft gelaffeu werbe." sieben ihm weibet fid) an bem @otte8gerid)t 3ol)anne8 JDefolampab auS 93afel, ber ben „freclen Spanier“ fo „ftolg, cermeffen, ganffüd)tig" befunben, „ba| alles nit an ihm befdjüft." 25er «Dritte im 33unbe ift 9ftartin33utjer auS Strasburg, ber fdjon lange barauf gebrannt hatte, ben uncerfchümten teuerer, welcher bie alten heiligen 33äter ber Äirche oon bet Sörücfe ge» werfen, öffentlich in fteine Stücfe gu jerreifeen. 33on ber anbern Seite naht ber milbe SJlelanchthon, unb beglücfwünfd)t Salem gu bem frommen unb benfmiirbigen 33eifpiel, baS er burd) biefe Einrichtung für bie gefammte fftacbwelt aufgefteflt habe. 3hm pflichtet UrbanuS 9^ l) e g t u 8 bei; fehe er bodj nid)t ab, wie man biefer Schlange aller Äefcereien, beS Eartnacfigften unter allen 9Jlenfd)en hätte fchonen foDen. Unb SHeyanber .palefiuS gratulirt ben fRid)tettt, „bie ©enfer hätten fid) um bie gefammte Äirdje cerbient gemacht, bafs fie ben neuen 9Jtat)omet befeitigt." Unb Galüiu gegenüber bid)t um ben Scheiterhaufen, ba flehen feine gteunbe: SercetS Söeid)tiger auf bem lebten ©ang, ©uillaume garel coran. 2)urd) 2Bort unb $hat begeid)net er cor aller Seit als gottlos, feige unb graufam bie 9üd)ter, welche eS nicht wagen füllten, einen SJlenfdjen h*ngutid)ten, ber burd) feine ^äfternngen ciel taufenb ÜJlal gu fterben cerbiente. 25a ift 33uQinger con 3ürtd), beffen Seele noch immer fchaubert, fo oft fie ber fpanifdjen Äejjereien gebenft. 25enn, fagt er neben fid) gu einem fPolen, wenn Satan felber auS ber Eölle fäme, er würbe fich bet SRebeweife beS Spaniers bebienen. 3a, antwortete ^etruS Sftartpr, ber bie IBemerfung härte, Sercet ift ber lebenbige Sohn

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beS SLcufctö, bcffen peftbringenbe unb abfcheulicbe Üehre überall »erfolgt »erben mufj. Unb ©ega unb ©iret unb ©rnpaenS unb 3an<hi unb 5Ru8culu8, fie alle in ^eiligem GhoruS, ben brennenbett Scheiterhaufen umringenb, rufen „Heil Gal»in, Heil bem Senat »on ©enf : 35ie fatbolifcbe 3nquifition gu ©ienne bat ben Äe^er niebt unterbrüefen fönnen: ba8 proteftantifebe ©eridit gu ©enf l;at ibn 3U 9lfc^e germalmt. 9lun mögen bie Äatholifen fid) rühmen ihrer OrbnungSliebe unb il)re8 CSiferS für ©ott: bie proteftantifebe Birdie ift bodj frömmer. ©a8 bat fie bewiejen bureb ben

Scheiterhaufen »on ©enf!"

3n ©oltaire’8 allgemeiner ©efdjid^te bev ©itten nimmt ber fromme Scheiterhaufen »on ©enf cbenfooiel IRaum ein als 10,000 unb 100,000 anberc. Unb mit JRed)t. Die reich* haltigen golterfammern, bie auögefucbteften Äerferqualen unb all' bie ©eeen »on ©lut, »eiche bie Söalbenferfriege aufgefammelt haben unb bie fpanifche Snquifition unb bie frangöfifd)en ©er* folgungen ber Hugenotten, fie entipringen naturgemäß au8 bem ©runbfaß bebrömifdbenitatholiciSmuS, ber alle freie gorfebung in geuer unb ©lut erftieft. Allein in ©enf »irb ber freie ©ibelforfcber einge ferfert, gefoltert, oerbrannt »on 9>roteftanten! 68 finb freilich alleö fProteftanten, beren SSiege - im ÄatholicißmuS geftanben hat. Slber bie Hinrid)tung be8 ©paniere gu ©enf ift beitnoch eine preteftautifdie 2hat, eine na* türlidje unausbleibliche Frucht be8 bam ali gen s).'roteftantiSmu8. Galcin ift ber 5Rann, ben ber ©efammtprotcftantiemuS feiner 3eit beauftragt hat, behufs öffentlicher t* oSfagung b e8 fProteftan* tiSmuS »on aller unb jeber Äeßerei, ben Angreifer ber hergebrachten üehre »on ber ©reieinigleit, angefichtS bc8 d?riftlid>en ©uropa, in bieglammen gu ftürgen. fJfidjt 6al»in ift fchulbig ber Jl)at, fonbetit ber $>roteftauti8mu8 feiner 3cit. ©aß aber ber $>rcteftanti8mu8 jener 3«it, baß bie ebenjo feurige wie

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aufrichtige grömmigfeit bet {Reformatoren fold}’ eine blutige grud^t jeitigen fonnte unb mufjte, bag ift jeine Berurtbeilung ; bie§ ift bet vollgültige SöetveiS, baff wir mit unferm 9>roteftan= tigmug beute bei ben {Reformatoren beö fed^ebnten Sabrbunbertg, jo grofs, brao unb fromm fie aud) jein mögen, nicht fteben bleiben bürfen. Söie Seroet’g ©efebief ber 9Ra§ftab ift für bie Gnt» artung beg bibelfeften ^roteftantigmug oon 1521 in ben fetjer* frejferijchen Befenntnif}»§)roteftantigmug non 1553; jo ift nodf beute Seroet’g Beurteilung ein 9Raf)ftab für bie SBabtaftigfeit ber ©ottegliebe, bie nitbt ben Braberbafj will unb ben Brubet* morb, fonbern bie 3)ulbung unb jene echte Brübetli djfeit, welche ben Srrenben jehont.

SDb Seroet geirrt bat unb worin, bag wollen wir bi« «icht entfärben. Söenn ber berühmte Slrjt, beffen eine «Schrift in wenig fahren fünf Auflagen ’) erlebte, ber Sntbecfer beg Blut» umlaufg, ber ©rfinbet bet üergleidjenben ©eograpbie unb |>erauggeber ber beften Uluggabe beg fptolemaeug; ber Slftrologe unb ÜRatbematifer, 3U beffen Büjfen in {Porig bie Bifdjöfe, ©rafen unb (5r3bijcböfe lernenb jafcen, ber Uninerjal* gelehrte, wenn ber auf ©inem ©ebiete, bem tbeologijdjen ©ebiete geirrt bat, jo fann er barum boeb noch ein @brenmaun fein unb nach ber SBabteit reblich geforfebt haben, unb ift in feinem Srren fein ©runb notbanben, ihn 3U martern unb 3U »erkennen. Unb wenn er nun nur bag mutbig bnrcbgefübrt bat, wag ber reforma» torijebe |>aupt» unb ©runbjatj gebot; wenn er biblifch unb tbeo* logifd) weiter gefeben bat, wie bie gelben, bie ihn »erbrannt haben; wenn er tiefer bineingebrungen ift in bie ©ebeimniffe ber ©ottegliebe, in bag ^>erj ber göttlichen ©rbarmung, ift eg bann »erboten, feinen gorfebungen nad^u geben, blojf begwegen, weil er einftmalg ben {Reformatoren alg Äe^er gegolteu bat unb alg ©otteg« läfterer? 93Rit Seroet beginnt eine britte {Reformation neben bet

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Sutljer’S unb beS ©oncil uon ©ribent:2) bie 9ieformation beS freien 23 ibel*©ebanfen’S, bie 9t ef ormation beS (Styrift ug» fronen ©ewiffenS, bie Oteformation ber ©otterf füllen OJtenfch lieh feit. ©afj biefe ^Reformation in mannen 23e» giehungen höher fteht, als bie 9teformation auS bem fuedjtifchen SBillen unb auS ber Borherbeftimmung gu Jpimmel unb Jpöüe: baS mag wol)l bie 3ufunft lehren. 9tur fo oiel möchte fdjon jefjt unfern Seitgenoffen flat fein, bafj wir bem ÜRärtprer non ©enf Unrecht thun, wenn wir fein ©harafterbilb geichnen wollten mit ben Farben unb bet <5eber feinet Berbammer. ©eroet ift baS 3enbilb nicht, gu bem ü)n ©aloin’S ©elbftoertheibigung hat ftempeln wollen.

©ürfen wir nicht baran gweifeln, bafc üfticbael ©eroet ben größten ORännern feiueö grofcen SahrhunbertS, auch einem ©aloiu, ebenbürtig gut ©eite geftellt werben muf), 3) bann l)at bie ©efdjidjte ein tRecht auf eine unbefangene partei(ofe3eid)nung feitteö Cf.^arafter= bilbeS. Um bteö gu gewinnen, muffen wir gu ben Quellen auf» fteigen, unb ifyn felber Ijören unb fein S£l)un betrauten, ©er gerichtliche ©chlüffel gu ©eroet’S ©harafter ift feine grömmig« feit, ©in bebeutenber Anatom, praftifcher 2irgt unb mebicinifdjet ©chriftfteller, burch feine lebten eilf 3al)re geibargt beS ©rgbijdjof’ö ^almier gu 23ienne, weif} er beim gerichtlichen SBet^ör 'gu ©enf auS ben erften fiebgehu Saljren feines gebenS nichts wichtigeres gu melben, als baff feine SSäter 4(5 ^ t i fte n gewefen feien, »on altem ©beUStamm*) unb baf) er gu ©ouloufe auf ber Suriften Unioerfität gum erften 9Rale eine Bibel gefunben unb mit feinen ÜJtitfchülern ein ©oangelium gelefeit habe,5) unb bafc er feit ber ÜSouloufet 23ibelfinbung ein Bibelfotfchet (etudieux de la Ste Ecriture), geworben fei, mit ©ifer für bie SBaljrheit auSgerüftet®,) ein ^riftlicheS geben geführt (pense avoir vecu comme un chretien), unb in feinen theologifchen Schriften nichts anbereS

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beabfidftigt fjabe, atö feine Seele $u retten (ae sauver) unb ben guten ©elftem 31t Reifen (aider lea bona esprits); unb ba§ et Der ©ott unb feinem ©ewiffeu (selon Dieu et sa conscience) ubergeugt fei, ba8 Steckte gejagt unb baö Siedjte getljan 31t Ijabeu, unb nedj tjeute glaube, in guter '.Hbfidjt ©uteö 3U tljun (bieu fait ä bonne inteution);7) feilte er aber beim gorfchen nach bet 2öal)t» beit (enquerir la verite«) fittj geirrt haben, fo fei et bereit, fidj beffent gu (affen (a’il a failli, qu’il est pret ä s’amender), unb bitte um ©nabe unb ©rbarnten (demande miaericorde, criant niercy.)a) @ben biefet 2lrgt ftirbt um feines ©laubenö willen unb bie lebten SSorte beö Sterbenbeu in ben flammen lauten gerabe wie feiue erften : „3efu, buSohn beS ewigen ©otteö, erbarm btcb meiner!" 3Jtuf3 ba nicht angefid)t8 biefet Si^atfac^en jeber unbefangene Bcrfdjer an ben ©bara^et Seroet’8 mit bet SBorauefefjung ^erange^en , bafj ber Sterbenbe ein frommer SJlann gewefen fei;10) infofern nämlich Srommigfeit nic^t (seifet, bie gemje SBa^r^eit fd)on Ijabe n unb üben, fonbetn um ©ottes Sßillen in Jr>er3, Söort unb $hat nach bem ©uten aufrichtig ftreben.

Semet lernte oon ben Suben (hebraica veritas), lernte ooit ben Jpeiben (Plato, Zoroaater, Trismegistua), lernte oon ben SUtuhamebanern (Alcoran). Slber in feinet grömmigfeit war et ein ©h^ift; benn alle feine grömmigleit wuselt in ber gefchi^tlich'lebenbigen 'Perfon unb bem ©eifte ©hr*fti- 3n ber ©,rftling8 = Schriftuom 3al)re 1531 **) fagt Seroet unter anberm: C5 tj r i ft u ö ift unfer gtiebe, unfere ®e* rechtigfeit unb unfere Heiligung. (S ^ r i ft u ö ift bie Seele ber Söelt (anima mundi), ja mehr noch als bie Seele; benn burdj ihu leben wir, nicht blojj im geglichen, fonbern auch *m ewigen geben: ba8 3eitlid)e hat er unä im SBorte gegeben, baö ewige im Bleifche('ilbenbmahl!) gefc^enft. 1 '•*) 9Dtehr alö ben ©lang ber Jpertlich*

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feit möchte ich ihn nenne«; feenn ben ^errn ber ^errlicfcfeit nennt ben ©efreujigten fßauluß. ©r ift ein ©teru, unfer SRorgen* ftern. ©r ift baß gicht ber SBelt, baß 8ic^t ©otteß, baß gid?t ber SBölfer. 2)er ©lang »on feinem Slngefidjt erleuchtet ben ganzen Stimmet. CS^riftuö ift bie ©otteöfraft, butdj melcbe bie ©efammt* heit ber 35inge geschaffen mürbe. 2)ie fRebe »cm gefreujigten ©hriftuß hat mit ihrer munberbaren giebeßgemalt bie SBelt ihrer ^»errfchaft uutermorfen unb mirb fie fich meiter u ntermerfen, ohne Sßaffengetäuf ch bie ©cifter gef an gen f ühtenb. 1 s) 3n ©hrifto finbeft bu bie gefammte SEBeieheit be§ SSaterS: in feinem SRunbe baß neue ©efefs unb beß alten Slußlegung, baß SBert ©otteß, roelcheß un(S bie ©rfenntnifi bc§ Söaterß bringt.14) 2>enn ein mahrhaftiger ©ehorfam unb ©ott böchft roohlgefäDig ift eß, menn mir unfer 23erftänbnih unter bie SRacbfoIge ©hrifti gefangen nehmen (captivamus) febaf) mir non allem, maß ©r ge* fagt hflt, überzeugt finb unb in gunerficbtlichem ©tauben baran fefthalten. 3a fo innig hat ©ott feinen ©ot)n geliebt, bah bieß eine ©ebct »ent ©lauben an ©hriftum für unß bie ©teile beß gefammten ©efefjeß uertritt 1 5) nub unß meit gröheren.5Rufcen bringt, menn mau beobachtet nlß jeneß. 3)ie gejammten SBorte beß gefdjichtHchen ©hriftuß haben nur ben einen 3mecf, bafe mir alle glauben feilen, er fei ©otteß ©oljn, unb auf fein .£>eil alle »ertrauen. Unb baß ift meiner gehre eigentlich^ Sunbament (Et hoc est mihi potissimum fundamentum). 2>er gefdjidjtlidje ©hriftuß ift mein einziger gehrmeifter. ,6) SDiefer ©hriftuß hat guerft baß ©»angelium geprebigt; auß feinen Slußfpüchen erhält bie gefammte gcljre ber Slpoftel erft ihren S3oü* finn, Sicht unb ©lanj. Sille ^rebigten ber STpoftel in ber Sfpoftel« gefchichte hanbeln baß eine, bah ft« biefen lebenbigen 3eiu unß »or bie Shtgen fteHen unb unß ba»on überführen, ba§ biefer SRenjd) ©hriftuß fei, ©otteß ©ohn, ber ^seilanb. 17) SBaß

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aber bie wiffenfdjaftlictie ©rörterung bet ^etfon beS SB orte 8 be* trifft, fo mu§ mau alle befomtene Unterfudfung auf bie gefd)id)t» lidbe ^erfon 3efu ©btifti richte«. $ür ©en habe id) ba8 2Bort ergriffen (pro quo dico.) Uub baS ift aud) fd?on ber Bwecf bei ber^rebigt beS3ol)anne3. 18) 33ietleid)t fagft bu, ba§ eS wenig nüfje, baS äußere gefd)id)t!idie 9(ngefid)t 3efu ©Ijrifti gu fel)en. 3ä> aber fage, baf} eS bir Biel nüfct, wenn bu gläubig fdjauft (multum prodesse, si credendo videas.) So lange bir Un» glaube unb Spott im bergen wohnt, fd)auft bu ihn unwürbig an, unb fprichft: „3Ba$ ift baS für ein fBienfdb," als wollteft bu ben ©lenfdjen Berfleinern, unbefannt mit beS SDlenfcben ©otteS* natur. Slber bift bu erft gläubig geworben, fo wirft bu Bon biefem Slntlijj nie wieber bie Singen wenben (nunquam oculos divertas): ©enn beS gleifd'eS Slugen 3iel)en beö ©eiftcS Slugen mit fid) fort. 1 9) So bängt benn aÜeS Ben ber ©rtenntnifj beS ge» fd)icbtlid)en ©b*iftu8 ab, unb wenn wir il)n nid)t fennen, ben 5Kenfdjen ba, fo fennen wir ni d)tS. 20) So grefje ©inge l>it aufl* gewirft bie glcrreidie änfunft 3eiu Gljrifti, bafj alles Berwanbelt ift, ber Fimmel neu unb neu bie ©rbe. 3n ben Jpimmel bat er unS auffteigen laffeit; burd) bie Offenbarung feines fRätfyfel wertes (oracnlo) b«t ©ott felbft fid) nnS aufgefdileffen. 3n bie S£bore ©otteS ftnb wir cingetrcten, waS bort Berborgen lag erfd)auenb unb fein SBort mit nuferen Rauben betaftenb unb feinen ©eift in unS felberwaljrnetjmenb.2 J) Unb haben wir auf noch fo mannid)» faltige Söeife bie 9teid)tt)ümer Gbrifti erforfdit, fo meinen wir bodj mit bem allen nichts gejagt 311 ^aben, baS feiner SBürbe entfpräd)e (pro ejus dignitate nihil mihi dixisse videor.) 3a, 9)aulu8 felber weifj fid)’S nicht anberS gu erflären, als bafj er Bor Ghrifto in Staunen auSbricbt über bie Sänge unb SBeite, bie Sc Ijäfje unb ©efyeimniffe ©otteS. 2 2) So ber gwaugigjähtige SetBet.

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!DaÖ 3ahr tarauf in feiner eilen © d)tift 3 3) lefen wir folgenbe 3leu§erungen : ,,3d) fage bie, bafj bu nimmer in einem anbern ©lauben fanuft gerettet werben, als wenn bu gtaubft ber fDienfd) 3efuS felber fei ©otteS Sohn, ber für beinet Seelen Jpeü gegeben ift unb gelitten l)at jur Sül)ne für beine Sünben (pro expiandis tuis peccatis.) 34 ) Siegen bod) in biefet Sache bie fo flaren unb beutlid)en Sefenntniffe 3of)anniS beS 2äufer8 unb ber SJiartha unb beS .pauptmaunS unb beS fftatbanael unb beS Sefd)nittenen not. 3a möchte in ber ©iufalt unb im ©lauben 3ener meine Seele fterben unb nicht in ben Spifjfinbig» feiten irgenb eines non unfern Sehrern35). SDenn, wie wir ehemals nad) (Shrifti Silbe gefdjaffen worben finb, fo werben wir auch nunmehr nach ©hrifti Silbe erneuert unb wiebergeboren. fDaS Sfteich ber 3uben war ein 9ieid) beS gleifcheS; ein IReich beS ^leifdjeS auch baS 3leid) ber Reiben, bem wir angehörten. 36) 2>aS Meid) beS lebenbigeit ©hriftuS ift ein @eifteS = 0ieid). Unb ber Uebergang com gleifd) jum ©eift, ber auch ben ©in* gang bilbet in ©h^fti 9teidj, et gefehlt burd) Seine ©rfenutnif) unb burd) ben ©lauben an 3hn, infofern er fid) »oUjiehen mufj burd) eine h<wmlifd)e fHeu*@eburt, bis ju welcher hin wir nichts als ieelifche ÜRenfdjen finb (animales homiues): unb biefe Um* gebürt liegt butchauS nicht (nullateuus) in ben eigenen prüften beS 9)tcnfd)en begrünbet, fonbern muh beginnen unb fid) oolleuben in Äraft beS 3ugeS oom Sater unb in ber .Kraft Seiner @r* leud)tung, ba @r auS lauterer ©nabe ruft unb rechtfertigt, welche ©r miß : benn nicht hängt eS ab non unferm kaufen ober Soßen, fonbern oon ©otteS ©rbarmeit (Dei miserentis.)“ 37) So ber ein* unbäwanjigjährige Seroet.

Unb biefem ©lauben bleibt Seroet bis an feinen Job ge« treu. 3n ber Schrift, bie er einunb^wanjig 3ahr fpäter heraus giebt, 3S) treffen wir biefelben Sefenntniffe, nur noch mehr in @e*

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betSerfaljrung gehäuft, biblifcfier fortgebilbet, tiefet erfaßt, unmittel* batet auf 8 Scben angemanbt. 38o 1531 uub 1532 nur „■gieitanb'1 ftaub, ober „©ein .^eilanb," ba fe^t er nunmehr „mein .peilanb unb giirfprechet" ober „unfer ^eilaub unb getreuer ,£>err" u. bgl. Unb manche neue 2lu8fptüd)e feiner £ergen8frömmigfeit Brechen ba gu ©lüttsen unb fruchten h^or.

3n ber „SBieberherfteHung be8 (ihiiftenthum8" lefen mir: „99iit aO’ bet 3nbrunft, beren id> faljig bin, ^abe ich wen jenem ©efalbten, ber allein un8 gum Beiden gefegt ift, mir inftänbtgft bie ©rfenntnifj ber SSahrljeit »on bem ewigen ©otteßwort erbeten (cognitionem hujus veritatis instanter orans); auch einiges burdf feine ©nabe erlangt (aliquid per ipsius gratiam obtinui), ob» mobl ich nicht coHfommen bin noch »ollfommen ergriffen habe.29) ©er lebenbige 9Renf<henfohn ©hT*fiu^ ift ba8 B t el ber gangen 33ibel, auch be8 alten 58unbe8. IMbgefchattet würbe er f<hon ehe et fam, in SJienfchen unb anbern ©efcböpfen. Sßenn bu »on 9lbam anhebft, 9lbel, £>enocb unb 9ioah unb bann übergehft gu allen Patriarchen, Äönigen, Prieftern unb Propheten 3 °), f c wirft bu in ihnen ben ©chatten ^ r t ft i finben. Unb nicht blofj in

ihren petfonen, auch ihten tSemtern, wie bet <£>irt, ber Scferß* mann, ber SBeingartner ein ©chatten be§ wahren Ritten, be8 wahven 9ltfet8mann’8 unb SBeingartner’8, Gljrifti, war. 3a in ben fruchten ber ©rbe felbft, in ben ©h^»» in ben ©teinen, in ben perlen, in ben ^Mafien, in ben ©chäijen, in ben Duellen in ben fflüfien, in ben Srunnen, in bem Siegen, in ben Sßolfen, in ben ©onnern, in ben SMi^en unb SBinben würbe baß ©e* heimnih non ©hriftp abgebilbet (figurabatur.) 3n ber ©peife be8 Parabiefeß, im Söianna, in ber fRuthe 9laron’8, in ber l)ölgernen ©tift§hütte, in bet ehernen Schlange, in ber S3unbe8labe, in ben golbenen, filbernen unb anberen ©efajjen, in bem SSaffer gebenben §el8, in bem fteinernen Stempel, in bcm(?cfftcin; im Semen, im Stbler,

('S«)

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in bet Sturtel, in bet Staube, im .Kalbe, im gamme unb ben übrigen SDingen würbe ©hriftuß abgefdjattet. Unb atleß waß ©hriftum ab* fchattete, baß würbe auch in ihm erhalten. GcriftallerSDingeSln* fangunb ©nbe. 3n ihm i ft baß SRufter, baß 3beal unb bie gülle aller.3') 93on feiuem fRujjen finb unß ÜJlinerale Stiere unb ^>flanjen jur ©peife, Stranf, ÜJiebicin, .Körper» fcbmudf ober ©innenreij, ohne bafj fie in (jtyrifto abgei chattet wären unb ohne bafj 6r allein fie unß barreichte (et eos solus ipee praestet.) Unb foHteft bu baß jefct noch nicht oerftehen, fo wirft bu Ijernadjmalß felgen im inwenbigen SDtenfc^en (in interno homine baec postea videbis34). 33om ©eben mufi man übergehen $ur Slnbetung: benn bie Anbetung fefjt baß ©djau eit oora (adoratio visioiiempraesupponit:) „SBer mid? anbetet, bet betet ben 33ater au, gleich wie wer mid) fielet, bet fielet benSater" 3S). 3m©eifiemufcgefehenwerben, waß im ©eifte foll angebetet werben (videri debet spiritu, quod spiritu adoratur). 33om ©Ratten mufj aber bie SBaljt* heit unterfchieben werben. SDarum fage ich, bet geib, bie ©eele, bet Stob, bie Jpötle, alle früheren ©erichtßftrafen, alle ©infichten, alle SBiffenfdjaften, waß man fie^t, hört, riecht, fehmeeft, fühlt, ber ©ngel unb bet Teufel SDienfte aDe, fowie ber Fimmel, bie ©rbe, bie ©onne, ber SDtoub unb alles Uebrige ift »orübergeljenb, ift im ©chatten oorübergegangen, bie SBahrljeit war barin nicht, fonbern nur jener großen bleibenben SBahrheit ©chatten. 3n ©hTUto allein ift bie SBahrheit, bie ©wigfeit, in ihm allein bie gan^e Sülle unb unfer ganjeß $eil. ©r allein fei über alleß immer unfer gebenebeiter ©ott. Simen.34)

SOtan fiehh ber berühmte Slr^t unb fRaturforfcher, oon neuem immer richtet er auf ©hriftum b*e äugen feineß ©eifteß; laufet feinen SBorten, bie ihm biß in’ß innerfte £ers bringen (viscera penetrare) unb umarmt ben @etteß*@ohn mit reinem Söufen.35)

(550)

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Denn angenehm ift e8 unb lieblich für bie @eifte8menfcben, »o* ©btifto reben gu bürfen unb ©eine ©ebeimniffe tiefer gu ergrünben. „3bn gu erfennen, fagt er, ftrenge id) aß’ meine Äräfte an; id) finne Jag’ unb 9iäd)te, inbem id) fein ©rbarmen anflebe unb ber magren ßrfenntnifc Offenbarung.3*) können wir bodj uid)t felber unfer £etg erleudjten. Denn gleidjwie jenes Hidjt be8 SBeltaß’8, meines ben Jag »on ber fftadjt Jcbieb, in ©inen £immel8« förpet gufammengewaebfen ift (in unum solare corpus concreta) unb »on ihm au8 überfliegt gu ben anbern, fo ift jenes wef ent« lic^e Urlid) t ©otteS (primaria illa et substantiabilis Dei lux) in ben einen Äßrper 3efu i ft i gletcbfam gu« fammengewatbjen unb ftrablt »on bort au8 auf unß übet. Unb in biefet Urfonne l)«t aud) bi« anbere ©onne erft ibr ©ein (habet esse) unb bebält ihre fpmbolif<be Sebeutung in ben Dingen. Denn, wie mir jagen, baff in ber ©onne baS urfptünglidje Hiebt fei, unb Detfdjiebene niebrigere Hicbtgrabe in ben oetfebiebene* ©ternen: fo ift eS au<b in följrifto, bamit et immer ber erfte fei unb 3dler £aupt. 3T) Denn ber eine @ ^ r i ft u ö fpiegelt wieber in ber einen 33 Übung ©eines HeibeS alles ©öttlidje unb 9Jlenfd)li<be;S8) gleichwie audjafle übrigen Dinge inibm eins finb. ©ott unb ßJtenfd) finb in 3bm ünö. ^immel unb ©rbe ftnb in ihm einS. ©rift ber mabte allmächtige ©cbßpfer unb ber wahre 3ebooab- 3bm aflein, bet mit ©ott bem 33ater in ber ©inbeit beö SBefenS unb beö ©eifteS regiert, fei in ©wigfeit Sftubtn, Sieidj unb aße ©ewalt. 2lmen.“ 39) @8 möchte wohl bie gange 33oreingenommenbeit be8 mittelalterlichen ©tanb* punftS bagu gehören, um einem 33eter, bem ©briftuS ßJtenfcb, ©ott, 3eb<wab» ©entralmenfcb, Gentrum beö SBeltaUS, Urbilb afier Dinge ift, abfidjtlidhe Häfterung unb Sßerunglimpfung 3efu ©hrifü oorguwerfen.

3nbefs an wem nun einmal feit brei 3abtbunberten ber

(MI)

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SRafel bei Äefjerei Hebt, ben ift man wid^t Jo fd?nell geneigt, al§ ©otteSfinb aufgunefymeu. ©rimbete bod? <5en>et feinen ©laubcn nid)t auf bie 33ifd)ofS»etfanimlungen nod) auf bie lanblaufigeu ©efcnntniffe bei .ftirdie, fonbern, ein JReicfcSumnittelbarer, auf ßfyrifti ©elbftgeugniffe allein.

„©briftuS, fagt er, ber gefd)id)tlid)e ©fyriftuS ift mir ber einzige Goangelift (unicus evangelista). ©briftuS fclber prebigte ba§ ©oangelium beS fRcidieS; bis in ben Stob nerfönbeub, baff ©r ©otteS ©ol)tt fei, unb benen, bie baS glauben, alles ©lütf uerl)eifjenb (fausta omnia annuntians.) 9luf biefen ÜlrtiFel ift er geftorben, bafj ©r ©otteS <8oI)n fei.40) Unb batum ift audb unS ber @ol)n ©otteS aÜeS unb umfaßt (contiuct) in fid> alles. @r gilt unS als unfer ©ater, ©ruber, ^err unb ftreunb (ipse est nobis pater, frater, dominus et amicus); ©r ift unfer fpriefter, Stempel, Slltar unb Dpfer; Gr ift unfere ^Rechtfertigung, ©ctföbitung unb alles fonft.4 ’) ?lud) fcnntenmir unS munbern, baft bie f'rebigt »on Sefu bem ©otteSfoljne ehemals ben 3uben als ein ?lergernifc unb ben Reiben als eine Stfjorljeit eridüen, wenn mir nidit fäljen, bofc nod) heute fold)c, bie fid) für ©Triften l)alten, Slnftoft baran nehmen unb cS für tljöricbt auSgeben. 3a bafc biefer OJienfd) ba ber @ol)n ©otteS fei, baS moHen fte mcber hören nod) glauben, fonbern rufen mit ©aipl)aS: ,,©r I?at ©ott geläftcrt. Äteujige! Äreujige!"4 -) SDuabet lieber tiefer, meint tu jur Siebe Sefu gelangt fein mirft, bann maljrfyaftig ! mirft bu inniglich (penitus) an ©hrifto fangen, neu 3hm abhängen unb in 3btn mit beinern gangen bergen getrageu mcrben, bergeftalt, ba§ mebet Stob nod? (Edjrecfen bid^ fünnen lofjreifjen non ©urer gegenfcitigea Siebe, gleid) mie eS bem moltl geübten sJ)auluS erging. fRöm. 8, 35—39. SDie Siebe ift eS, bie cud) in ben ©ingemcibeu ©hrifti (in visceribus Christi) niebcrlegt, erfüllt unb »oltenbct (reponit, complet et perficit.) (Scbaue ©hriftum an, ber fid) bit fo l)in« (SM)

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giebt (exhibet), baf* bu ihn lieb haben fonneft, gleich al§ einen j^reunb unb 9?ruber unb beinen 33etfübner in aller Sdjulb; ber fo bid) liebt, baf; e8 ihm eine ^reube war, für bid) in ben ©ob geben 3U bürfen. Heber a ließ madjt SDid? mir liebenS* würbig, ob guter 3efu§, bet Äeld), ben ©u für mid) getrunfen buff» ba§ SBerf meiner SHerföbnung. ©rofj tft bie Äraft biefer ^er^mabl (dilectionis) unb Siebe (amovis:) melcber ber Glaube ben 38eg babnt (cui praevia fides. 4a) ©arum beten wir 311m 33ater in feinem fRanten, weil ©t in ©brifto nufer tßater geworben ift; beten im tarnen be8 Sobneg, ben ©ott für utt8 gegeben; beten im tarnen be§ beiügcu @ ei fte§ , ben©t un§ mitgetbeilt bat. Slbetbie non ber heiligen Schrift gefegten ©renjen (limites positos) überfchreiteit wir nicht." 44)

©8 ift nicht Slrt wiffenfdjaftlicber Scbriftftedcr, in ihre SBerfe ©ebete einjuftecbten. 3lu<b will ber Slrjt SJiicbael Seroet feine 3Rufiergebete geben. ©a8 eine Gebet beS $errn genügt ihm für ade Beiten. 2lbet gerabe wie er in feine mebicinifcfjen Söetfe biblifcbe SluSeinanberfetjungen einflicbt, weil fein £>er$ in bet 33ibel lebte, fo burd)wirft er feine tl)eelegifd)en SBerfe mit ©ebetöfeufsern: weil feine tbeologifchen Stubien oen @e» beten getragen waten. 3Ba8 er fdjreibt, baö fdjreibt er uor bem^errn. ©er ftebt neben ihm, unb fiel)t ihm ju. ©er Sdjreibenbe fitjt 31t ben ^üfeen be§ 9iReifter8 unb laufdjt auf feine ÜJBinfc. SBarum fod er nidit ©en anreben, beffen ©egenwart ihm gewiß ift, ja ihn befeelt mit 9Rutb, wie fie ihm Sicht giebt unb .Kraft? Set biefem füRanne ift nichts ©emadjteS in feiner 'tftömmigfeit, feine .Kunft unb fein -jpeudjelwefen. 2$ie feine Sunge atbmet, fo betet feine Seele, weil fie lebt, ^ören wir nun, wie ber 9Ranu betet, ben ade ^Reformatoren für einen Saftetet ©otteS unb

Scbänber ber ©Iwe ©brifti auSgefdtrieen haben, ©leid) bie 33 or* XI. *51. 2 (553)

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rebe (Prooemium) ber „SBieberherfteDung" fd)liefjt ©eroet mit folgenben SSorten:4 5) „SD 3efu ©hrifte, ©otteS ©ohn, oom #immel un8 gegeben, ber Du un8 bie aufgeidjloffene ©ottheit in Dir jelber fidjtbar ojfenbarft, ad)! fdjliefje Did) Deinem Änedjte auf, auf ba§ jene fo begliche Offenbarung in SSMrflidjfeit mir et* fd)l offen fei. Deinen guten ©eift unb Dein fo wirffame8 SBort reiche je$t bem glebenben bar; meinen ©eift unb meine gebet lenfe (mentem meam et calamum dirige), bafj id) Deiner ©ott* beit $errlid)feit gu eerfünbigen unb bem wahren AuSbrucf au Did) AuSbrucf gu geben im ©tanbe fei. Diefe ©adje ift ja bie Deine (causa haec tua est), unb will Deine £errlid)feit »om Sßater unb bie Deines ©eift’8 entfalten; eine ©adje, bie burd) göttlichen Antrieb fid) mir gut ©ebanblung bargeboten fy»t (divino quodam impulsu tractanda sese mihi obtuKt), ba id? um Deine fyimmliidje Süabrbeit beforgt war (sollicitus.) ©U gu bet)anbeln tyabe id) einftmalS begonnen unb jefct non neuem werbe id) gegwungen (cogor) fie gu bet)anbeln , ba erfüllt ift in Sßabrbeit bie 3eit, wie id) eS au8 ber ©ewife^eit ber ©adje felber unb au8 ben offenbaren 3eid)en ber Seit jefjo allen grommen bartf)un will. Die Üeudjte foüen wir ja nidjt oet* bergen, ba8 l)aft Du un8 jelbft gelehrt; barum webe mir, wenn id) ba8 ©oangelium nid)t oerfünbigte.46) ©8 ift eine allen ©Triften gemeiufame Angelegenheit, um bie e8 fid) l)ier banbeit, eine Angelegenheit, ber wir alle oerpflichtet finb (cui omnes tenemur.) ©8 erübrigt noch, lieber Öefer!" fo gel)t ba8 ©cbet wieber unmittelbar in bie Abljanblung über bafe 5)« bis an’8 ©nbe für ©hriftum freunblid) gefinnt bleibft (ut te pro christo benevolum usque ad finem exhibeas) unb bie gange ©adje aul)örft in ber jRebe ber 3Bal)rbeit, (sermonc veritatis), ungegiert unb ohne aDe ©cpminfe (absque aliquo fuco). 47) DaS ©nbebe8erften3?ud)e8 „oon bem SPerberben

(SM)

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bet Seit unb ihrer Erneuerung butd) Ehriftum" 4 *) fcbliefet mit ben Sorten: „©arum bitten mir ©id), o ^>err 3efu Ehrifte,

um ©ein ©ottee CReid^. @8 regiere auf Erben ©eine Saht* beit! Sefcfeneibe, ob .perr, unfer perg, bafe mir nicht miebet non ber ©djlange übermunbeit merben. ©ieb ©einem Änecbte, ©einem Streiter, bafe er gegen ben teufUfc^en ©cfelangenbracfeen, (ber bie ©eroalt bem Sty^e b. i. bem $)abfte gegeben h<*0 mit ©einer großen ©emalt männlich ftreite, unb bie nun folgenben L II. p. 411 sq. ©ebeimniffe ber JperjenSbefcfeneibuug alfo auf* fdjliefee, bafe ©ein Sud) 9UIen aufgef<bioffen fei. ©enn ©u jelber, ber ©u nicht lügen fannft, Ijaft ja bem ©aniel geoffenbaret, baf) bie ©üefeer beiber Seftamente mähtenb be8 33eftef)en8 be8 römifeben fReicfeeö bureb 3etftörung be8 Stljiereö aufgefcbloffen metbeu foQen, mie fie jefet aufgefcbloffen merben. Unb bafe bann ©ein©eri<bt8tagim Fimmel fifeen unb burefe ©eine ftreitenben ©ienet ba8 porn be8 2lnticferifi’8 jerftört unb ©ein IReid) für ©eine peüigen Ijer geftellt merben mirb (restituatur)." 4 9) Unb an einem anbern Orte, naebbem ©eroet feine Slnftcfet oon bet 33erflüd)tigung ber Saufe burefe Erteilung an fleine, be8 ©laubenä unfähige ^inberso) auegefptoefeen, fährt er unmittel* bar fort: „£>fe allmäcbtiger 93ater, SSater bet Sarmbergigfeit, reifee boefe un8 Elenben betauö au8 biefen ^infterniffen be8 Sobe8, burd) ben fRamen ©eiue8 ®ol)ne8, 3efu Eferifti, unSereS pertn. Dfe ©ofen ©otteS, 3efu Ehrifte, ber ©u für un8 geftorben bift, auf bafe mir nicht ftürben, eile un8 jur pülfe, bafe mir nicht bennoefe fterben. S1) ©a8 eine bitten mir ©iefe flefeenb, mie ©u un8 felber gelehrt Ijaft : ©ein 9lame merbe geheiligt, ©ein ?Reicfe fomme, unb ©u felber, ob perr, aebfomm! 3nber Offen» barung ruft ©eine SBraut, bie Äircfee, betenb : Äomm ! ©er ©eift ©einer ©öfene ruft bort betenb: Äomm! 3eber, ber ba8 höret, rufe, bete, fage mit 3ohanne8: Äomm! ©emife mirft ©u

2 * (*55)

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fommen, ber ©u gefagt tjaft: 3(6 fomme balb. Dffenb. 22. Unb beit Slutidjrift wirft ©u burc6 ©eine Slnfuuft fieser 3er ft Ören 2 2ljeff. 2. ©aß gefc6e6e! Simen. 5 *)

9?od^ be^eictynenber faft, wie foldje am ©djiuß ber £aupt* abfdt)nitte feiner SBerfe ficb gewiff ermaßen als Simen einftnbeube ©ebete, finb für ba8 innere ©laubenSleben be8 „ÄeßerS" bie unwiüfübrlid) mitten in ber SluSeinanberfeßung feinem £erjen, gleidjfam unbewußt, entftrömenben ®ebet8feuf$er. „£)fy 3efu, ©u ©ol)n @otte8, erbarme ©idj bcc^ jeßt unterer, baß wir ©id) erfennen al8 ®otte6 ©oijn."43) „©et £>err 3efu8 Gßriftu8 wolle machen (faxit), baß bie8 alles bei un8 einen glüdf* licken 3lu8gang gewinne."54) „06 (5tjrifte Sefu, unfer ^tert* ©ott (domine deus noster), fei un8 bo<6 gegenwärtig, adb! lumm bodj, fie^’ barein unb ftreite für un8 (pugna pro nobis.)"55) „fllidjt au8 ber jgjode erft werben wir auferftefyen noch ba8 fünftige ©eridjt fürsten, ba wir fdEjon jeßt mit bem ewigen geben begnabigt finb (aeterna vita jam donati.)56) Welkem un8 alle, ba8 bitte idj (0 utinam) führen möchte unfer allcrmilbefter §en 3efu8 ©ßriftu8, ®otte8 ©oßn, biefeS unfeteS ewigen gebenS Urheber unb Söollenber. Simen."57)

3nbeß nießt bloß, wo et bie Äirdße baut: gerabe fo brunftig betet ©eroet, wo er bitter wirb unb fein ©ifer auflcbert unb er ba8 SSernunft« unb 23ibeUwibrige, ben $ej:enfyuf angreift unb wiber bie 33elial8finber feine 33liße fd^lenbert. ©inige SMfpiele faßen wir oben. 3um ©djluß nodß etn8. „SSer in Söaßrßeit glaubt, fagt ©eroet, baß bet fPabft ber Statidßrift fei, ber muff au(6 in SBaßrßeit glauben, baß bie papiftifeße ©reieinigfeit, bie papiftifeße Äinbev taufe unb bie anbern papiftifdßen ©acramente £eufel8leßren finb. 3efu Gßrifte, ©otteS ©obn ! ©u aörr* milbefter 33cfreier, ber ©u fo ßäufig ba8 23olf au8 Slngft unb 9tötßen befreit ßaft, adß! befreie ©u uu8 ©lettben au8 ber ba»

(V.6)

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bplonifchen ©efangenfdjaft beg Antichrift’g, aug feiner Jg>euc^eleir SEprannei unb Abgötterei. Amen.ss)

SSJlan fietjt, ©eroet ift nicht ber ©ottegläfterer, ben ©aloin ung fdjilbert. SBet aufmerlfam ben armen SBerflagten angebört bat, ber wirb bem ^>^ilo[op^c« Q. ©aiffet recht geben, bet, nach* bem er Galoin’g Seridjt übet ©eroet’g Job angeführt, alfo fortfäbrt: „3ch glaube nicht, bafj ber tbeotogifdje ganatigmug je* malg etmag fo gtaufig Äalteg einem SDienf^en eingegeben bat, als biefe Sßorte ©aloin’g. SBag? mürbe ich ju ©aloin fagen, bu bift bamit noch nicht gufrieben, baff bu bem ©eroet bag geben genommen baft; bu rniüft noch feinem Sterben bag Siegel ber ©chanbe aufbrücfen? SJiagft bu immerhin Ärieg geführt haben gegen feine 3been; bag fann ich oerftehen, benn bu hielteft fie für falfch- 2)afc bu feine © driften gerftör ft, inbem bu fie für gefährlich anftebft, immerhin ! obmohl eg genügt hätte, fie ju roiberlegen. 2>af) bu Jpanb anlegteft an feine $>erfon, ba§ bu einen geiftigen 3rrthum mit Einrichtung beftrafteft, bag ift ein Attentat, für melcheg bu bie Sßerantroortung mit beinern 3ahrhunbert theüft. Aber nachbem bu einen Unglücfltchen ge» fchlagen haft in feinen 3been, in feinen 33üchetn, in feinem gebengobem, nimm menigfteng feine ©fjte *n Acht. 33emeife, bafj bag oon ihm aufgeftellte ©oftem abfurb, oermegen, gott* log fei; aber fage nicht bafj er lüge. SDiefe aufrichtige Srömmigfeit, beten bu beinen $einb berauben millft, meil fie bag einzige ©ut ift, bag ihm bleibt, fie bricht h^™01 allüberall: in feinen ©üdjern, in benen nach Ablauf oon jmangig Salden biefelbe gehre miebererfcheint, nur feuriger noch unb gefeftigter; in feinen Briefen an Sujjer unb an Decolampab, bie er ermübet unb erzürnt hat mit feinen fortmährenben Stagen; in feinen @e» richtgoerhören, mo er in ben Sormen feiner Anfchauung bigroeilen nachgebenb, bag ffiefen augbrücflich feft^ält ; in feinem Appel an

(M7)

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bie ©djroeigerfirdjett, bie er ft* fd;meid)elt gu fernen Meinungen gurücffutjren gu fönnen; cnblid? in feiner »nerfdjütterlidjen 2Bet* gerung ba8 ©eringfte gu miberrufen, gerabe fo nad? mie »or ber gäöung be$ Urttjeilö. ©u mitlft in biefer Seftänbigfei t nid^tfl fetyen, als ben Gfigenftnn eines ©tolgeS, ber ft* meigert, fid? gu bemütljigen. ©od) wie? «Spat ©eroet nidjt eingemiQigt, »er bir fidj beugen gu taffen jenen fpanifdjeu ©tolg, ben btt iljm gum Serbredjen redjneft? «paft bu itjn nidjt gu beiuen Süfjen gefefyen? .pat et bid) nidjt um Sergeiljung gebeten? 3 Baß fämpfte beim in il)m an, gegen betne unb SareU'S »ereiute Sitten, a(3 itjr »on it)m 2lbfd)mörung »erlangtet, baS lieben iljm »erfpredjenb gum gofyn? 2Bar ba$ audj nodj ©tolg? tflugen* fdjeinlidj, nein, eS mar fein ©emiffett unb fein ©taube."19)

Üljeologijdje ^Befangenheit hat nur gu oft bie £ ergeu »er* borben unb bie Urteile ungeredjt gemalt, ©ie Sibellehre, fagt fie, ift mit ber Äirdjentefyre einä. SBeil nuu ©erret »on ber Äirc^enle^re meidet, ift er Üetjer; meit Äetjer irreligiös; meil irreligiös unfittlid?, meil unfittlid) tyotjl uttb »ermegen unb manlel* müttjig unb djarafterleS. 3e ^ö^er man fi* genötigt fatj, beS ©panierS geniale fRaturanlage gu greifen, um fo tiefer fudrte man feinen fitttidjen S^arafter in bett ©taub gu gieren, ja als (vfjarafter iljn gerabegu gu »ernidjten.

Unbefangene aber merben als djarafterloB mobl nimmer* mebt einen (Sbelpagett fdjelten, ber, ba ihm an beS ÄaiferS «pofe alle Sreuben unb (S^ren lächelten, auf alle ^reuben unb ben .pof beö ÄaijerS »ergidjtete, um bie SSaljrljeit erforfdjen gu föniten. Dber ift (harafterloS ein gelehrter ©panier, ber ber erfte ©cbolaflifer feiner Nation batte merben fönnen, unb nun alle ©cholaftifer, butd) bie fein SSij} fo »iet fRuhm geerntet, über ben Raufen mirft, meil er fie a!8 Verführer erfeiutt uttb baS fird)li*e ©ebäube nod) einmal anfängt »on ben frunbamenten?

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3ft djarafterlob ein aragonifd;er 3urift, ber bie 33ibel auf ben ©diilb ergebt, 3abrjchnte el;e eiu anberer Sanbbmann eb wagte, fi* auf ein öibelwort gu berufen? 3ft djarafterlob ein 3üngling, ber eb unternimmt gegen bie gefammte nadvuicänifdje .ftircbe bie edjte G^riftuSIe^re non bem ÜJIcnfcben, ber ©ett wäre, eben weil er »ofler CDienjdj ift, bem Urteil ber Äiidje 311 unter* breiten,60) unb für bieie biblifdje 6l)riftuble^re alb SDiann lebt, leibet unb ftirbt. „Giljrifte, Su © oljn beb einigen ©otteb, erbarme Sich meinet!" fo lautet fein eifteb unb leljteö ©ebet. Jpätte er gebetet : ©hrifte, Suewiger©ohn@otteb, erbarme Sich meinet!" ©aloin hätte ihn freigefprochen. ©emi weifj bab. Sie ^Reformatoren haben eb ihm unzählige 5Rale norgehalten. Allein er hält an feinem ©lauben; benu feine ©ebetbweife ift ihm bie biblifdje; bie ©alcinijcbe auf einen jeufeitigeu ©ohn hinroeifeube, bibelmibrig. Sarum ftirbt er lieber, alb baf) er anberb betet, wie eb ©otteb SBort norfchreibt. ©in überangftlidjeb ©ewiffen mag bab fein, aber djarafterlob, nimmermehr.

3nbefj wanf elmüthig foO ber fDlävtnrer gewefen fein. !8orn Urtheil ©aloin’b beruft er fidj auf b ab Urtheil ber Schwerer* jtirdjen. Unb alb ber UMenncr Äirdjenrath ben ©eroet nor fein ©ericht 3urü(fforbcrt, bittet ©eroet fu&fäBig bie ©enfer SRic^ter, ihn bedi in ©enf gu laffen unb nidjt na* iOicnne 3U fenben.61) iSUein ift benit bab wanfelmütljig, SRenfdjeit fennen? Unb ljat bie ©efthichte nicht in grojjartigfter SBeife ©ernetb ÜJtenfdjen* fenntuifj beftätigt, bahin bafj bie anbern ©djwe^erfitdjen milber, liberaler, eoangelifdber über bie „Äe^er" badjten, alb ©alniit; unb ©alein hinwiebetum enangelifcber alb bie fatljolifdjeH 3nguifilionb* Sribunale? SBanfelmütljig foU eb ferner fein, bafj ©eroet in ber ©d)wei3 ftd? gur proteftautifchen, in ^ranfreidj 3ur fatijolifdjen, unb bann wieber in ber ©d}Wei5 3ur proteftantifdjen Äirche hielt, allein bie 2ljatfadje ift irrig, ©eroet hat fidj nie 3m pro*

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teftantifchen Jtird)e gehalten. 311$ Spanier war ihm bie ßin» heit ber Kirche ütel gu lieb, alö baß er je in bie 3etrcifeung be8 . 8eibeö ßhrijti gewilligt hätte. 2lu«h nimmt et gleich in feinen beiben erften Schriften, fobalb er nur garbe befennt, eine SDJittel* ftellung ein, gwifdjen beti Lutheranern unb ben SJtencheu. 3u Staufenben gab ja währeub be8 XVI, 3ahrhunbert$ innerhalb ber fatholifchen Äirche eoangelifch ©efinnte bie, ihrem mpftifchen ©lauben getreu, bie fachlichen hanblungen fid? biblifd) auä* beuteten unb an ber Deformation ihrer &ir<he oon innen arbeiten halfen, ohne je einen ©efallen baran gu finben, burch 21 ufi tritt bie Äirdjenfpaltung gu oergrcßern. 3nfofern fie burch äußeren Stnfcßluß an bie geiftig umgebeuteten ßeremonien baö blinbe Seif täufdßten, erfcfoeiiit biefe Llnbequemung au bab hergebrachte aflerbingö als Sünbe;62) aber mit SBanfelmuth hatte nichts gu thun. Sei ben agents provocateurs be8 ßaloiniSmuö63} »ar bie öffentliche Serfpottung ber betenben jfatholifen gum $)rincip erhoben. Seroet’8 3})rincip ftanb höhet. SMe chriftliche fDemuth, ihrer reineren ßrfenntniß fidh bemüht, jd)onte gerne ber Schwachen, iitbem fie für ba8 ptaftifcße Leben baS SSIte fo lange bulbete unb hinnahm, bis baö Deue fertig auSgeftattet »ar. Sanfelmüthig fotl ferner fein, baß üftidjael Seroet erft bie Decßte ftubirt h°t, bann ©otteSgeleßrtheit, barauf @rb* funbe, 64) bann SKatßematif, Sternfunbe unb Sternbeuterei, bann SJtebiciu,65) bann SBeltweiSheit, Daturwiffenfchaft unb wieber ©otteSgelehrheit. 3ft biejer Sßorwurf ernft gemeint, bann finb bie genialften unb beften fötänner jener 3eiten ÜRiranbnla, Deucijlin gaber StapulenfiS, ßapito, SRelanchthmt, Sega SSanfelmüthige. Unb wer Seroet genauer fennt, ber weiß, wa8 Seroet auch treiben mochte, feit feiner Sibelfinbung in Souleufe biö an feinen 2ob blieb er immer nur ba§ eine: Sibelftubent (etudieux de la Ste. ecriture). Unb babei wußte er oon Anfang, baß er in (160)

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feinem barbarifchen Safyrijunbert um feiner freien gewiffenhafteu Söibelftubien willen mürbe ft erben muffen, ©leid) im erften Sriefe, ben mir non ©eroet haben, noch ehe er irgenb etmaö hat brutfen laffen, ftfyreibt er an Decolampab, biefer lege ihm bie SReinung bei, bafe fein Stäuber noch SRiffethäter bürfe beftraft unb getöbtet werben; er rufe ©ott gum 3eugen, bafe er jene SReinung butcfeauä oerabfcheue. 3lbet maä id) einftmalä gefagt, ift bie$, bafe e$ miT hart er f e i nt , bie SRenfchen barum gu tobten, weil fie in irgenb einer grage üb[er Jb a'8 SSerftänbnife berSibel irren."66) ©o@eroet 1530. Um 1546 in einem 33rief an Galoin’3 greunb Slbel 9>epin, fc^reibt et: „(58 folgt ber Äampf, unb bie 3«t ift nahe. Sen ©ieg, wer wirb ben baoon tragen über baß Silier ber Offenbarung? Sie ©djrift fagt: Sie fein 3eidjen nicht angenommen haben. [j©ein 3eid;en ift bie ©djullehre oon bet Sreieinigfeit. Safe |mir wegen biefer Sache bie ScbeSftrafe beoorfteht, baö weife ich gewife. 21 b er barum lafe id) ben 5Ruth nicht finfen. fBtö^te itfeboch gern al8 Sünger ähnlich werben meinem ÜReifter.*7) SJtidjael ©eroet flaute bem ülobe in’ß Slngeficfet wäferenb feiner gangen tfeeologifdjen Saufbahn, ©äre er wanfelmütfeig gewefen, er hätte fidj befdjränfen fönnett auf eineö jener anbern gächcr, in benen er fo ©rofeeö geleiftet hat. SSarum blieb er bei ber 33ibelunb ftarb für bie 23ibel?68.) ©eil et ein 3Rann war, nicht jener launenhafte Änabe, oon bem feine Raffet fabeln: manfelmüthiger alö er felbft. 6y.)

Snbefe biefelben ©egnev, bie ifen wie einen übermütigen launenhaften SBuben oerlachen, bie geihen ihn bü<h wieber bet £artnäcfigfeit. Unb in bet 5£bat, ein richtiger „Äefeer" mufe ein hoefemüthiger, ftteitfüd)tiger, eigenfinniget Stofefopf fein, ber fid) oon Siiemanb belehren laffen will. ©ar ba§ ©eroet? ©enn wir ©eroet neben bie ^Reformatoren halten, fo beftanben fie alle

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hartnäcftger auf bem 3)u<hftaben ihrer SÖleinung. „Ueber änö* brfufe ängftlid) mtdj h^umguftreiten, baß ift nicht mein ©hm: mag einer baß fo nennen ober anberß; auf biefe SBcife eint^eüen ober auf jene. 9iur auf bie Sache fommt c8 mir an. üDte aber »erhalt fi<h fo mie idj gejagt."70), Seroei mar fo wenig un« gelehrig, bah fid? noch heute nadiweifen Iaht, welchen t^eologifdven unb mebicinijc^en gehrern er fich jebeßmal angefdjloffen habe, unb welche getreu er »on gutljer angenommen, welche non SDielan^thon, Decolampab, Söu^er, (Sapito u. f. f. ©obalb ihm in ber Unterrebuug mit anbern JReformateren feine frühere 2Jibel* erflärung alö ungurei dienb fich erweift, geht er banfbar auf bie neuen ©efichtßpunfte ein. So fdjliefjt er fidj mit jebem 3ah« mehr ben burd) ihr älter heilig geworbenen gehrformen ber Äircbe an; nur bie mit ber 33ibel oöüig unoereiubaren ©ogtnen weift Sernet auch gulefit nod), ja mit wachfenber (Sntrüftung »on fich ab.

28ie wenig ftreitfücbtig aber Seroet war, geigt bie SBeife, wie er im Streit »erfährt. SBo er wen öffentlich angreift, läßt et bie ^erjoncn aus bem Spiel unb holt fi<h on bie ©odje. 31on biejer ?Hegel giebt bis 1552 nur brei äußnahmen: bei üuthcr, guchö, ÜJianarb. 3m Söhre 1532 nennt er mit »Hamen Luther ba, wo er gegen ihn auftreten muh, ober nicht ohne gu« »or Luther® ©tauben biß über bie Sterne erhoben gu hoben;

1536 nennt er ben 2lrgt geontjarb §uchß, wo er ihn befampft, aber nur weil gudjß ben alten würbigen ©hampiet, 7I) Seroet’ß geljrer, auf fo unmürbige Söeife öffentlich burchgehecfcelt Isot;

1537 nennt er ben ärgt Solenn SOianarb, wo er ihm entgegen* tritt, bocfa nicht ohne außbrücflich bie 33emerfung hingugufügen: „Söie gerne hotte ich feineß fllamenß oerfchont, wenn Hoffnung gewefen wäre, bah er im Stanbe fei, baß Seine gu »erbeffern. £)enn unter biefer Öebing ung

r»«3)

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pflege icp bet gebenben gu fcbonen: nicht etwa weit ic p ben .Sfampf gegen fie freute." T5)

©ercet gürnte bem ©egner nicht. „Äann i<p bo<p com geinbe, wo er bie SBaprpeit befennt (3. 58. fDiubameb) mept lernen," fagt ©ercet, „al# non punbert gügen ber Unfern." «Darum erfucpt er feiue ©egner, audf mit feinem 9famen ftpo* nenb umgugeben.7 3) SBeit er Decolampab’8, Supet’8, ÜRelancp* tpon’8, Gfalcin’8 9?amen cerfcpont, pofft er ein ©leidbe#. Deco» Iampab’8 ©dpmäpbriefe gegen ipn werben mit Nennung feine# Flamen# »eröffenttid^t. 58utjer gerreifft ©ernet’# @pre in ©tücfe, »on ber Mangel unb in feinen oberläitbifdpen fHunbftpreiben. SRelandptpon in ben neuen 5Äu#gaben feine# ©cpriftbemeife# (1535 seq.) tjäuft mit wacbfenber (Erbitterung ©cpmäpmort auf ©cpmäpmort gegen ben fpanifcpen „teuerer". Unb Palnin in feinem ^auptmerfe branbmarft ben „Äepet" mit bem ÄainSjei* cpen, unb giebt feinen tarnen ber SBeracbtung ber fRacpwelt prei#, natpbem er feine Werfen pat 3“ 5?lf<pe cerbrennen laffen. SBa# Söunber, bap ba enblicp ©eroet in feiner „SBieberperfteQung be# (Ebriftentpum#" audj feine ^auptgegner, Galcin unb Seeland}« tpon mit tarnen nennt unb fie fräftig gurücfmeift (1553)? Sßelcper eprgeijige unb ftreitfüd)tige SRenfcp fenbet, wie ©crcei wieberpolt getpan, feine Angriffe 3apre lang corper, epe er fie brucfen läfjt, panbfcpriftlicp feinen ©egnern gu, wenn er ipnen nitpt al# SRitarbeitem unb grennben certraut, unb fiep, wie ©eroet cor ©ericpt beTenut, belepren (affen mellte unb beitragen an feinem Speil jut ©teuer ber SSaprpeit? 5)ap ber 55rageniet, burdp fein übergroße# SSertrauen 3U SRännern, roie Galoin unb ‘Jlbel $)epin, bie ipm feine £anbf<priften bann gurücfbepielten 74) unb fie ben fatpolifdjen fjnquifttoren übermittelten, nitpt nur wiffenfcpaftlidj aufgepalteu unb gefepäbigt mürbe, fonbern auep an geib unb geben bebropt, wem bringt ba# ©eparbe? ©iepet

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bem ©panier nidjt, ber, ob er gleiß felbet bei faßolifcßen 2Raßt* fyabern nißt geringen SlnfefyenS genof), boß niemals feinen gern* ben mit gleicher ©ßäbigung »ergolten ober auß nur ben (Eal* »inijßen ©pionen eigene ©pione gegenüber gefteüt ßat. ©eine noble fpanifße Äampfweife »erbot eS ßm, butß anfdjmcirguug ftember fftamen feines 9ta menS ©lang gu eßöljen. 33cn allem {jeroftratifßen (Sfyrgeig war feine ©eele frei.

2lbet barum wufjte er boß, baff es eine (Eljre fei, ber SBafyr* fyeit gu bienen unb eine §)flißt, mit bem empfangenen $>funbe gn wußern, „auf bafc aüeS ©ott gum 9faßme geteiße". (ES fiel ßm nißt ein, fein gißt unter ben ©ßeffel fteden gu wollen, etwa aus gurßt »or ÜJtenfßen ober auS SEobeSfurßt. allein, wenn ein 5Dtann, beffen geiftige Segabung Ijeute felbft feine ent* fßiebenften SBiberfaßet ber ber größten 5Rännern feines gro§en 3al)ßunbertS an bie ©eite fteUen, fein gebenSwetf, an bem er 21 3afyre gearbeitet, nißt efyer IjerauSgiebt, als in feinem SobeS* faljre unb bann noß oljne Flamen : 75) fo fann man folß’ einen fötenfßen nißt efytgeigig nennen. £>ber ift etwa baS eljrgeigig im böfen ©inn, wenn, naßbem man (1534) bei mebicinttßen ©tubien in 4J)ariS eine fo weittragenbe (Sntbecfnng wie bie beS SÖlutumlaufS 76) gemaßt, feine SSorlefungen barübet fyält, feine 33üßer barüber fßreibt, fonbern naß 19 3al)ten, gnr ©teuer ber Sßaljßeit, feine mebicinifße (Entbecfung gelegen!» liß unb wie gufällig in einem namenlofen ßeologifßen SBerfe »eröffentlißt? 3ft baS eljrgeigig, wenn man mit bem wunderbaren ©praßtalent, wie ®er»et, begabt; ber fpanifßen, italienifßen, frangöfifßen ©praße mäßtig, beS gatein, ©rießifß, ^jebräifß gu gefßweigen, unerfßrocfen ftetS unb feines ©eifteS gewärtig, getragen »on bem propljetifßen £oßgefül}l, baS ßm feine ^eilige ©aße einflöfjte, niemals, nißt in Spanien, nißt 3talien, nißt in granfreiß eS unternimmt, feiner 33egeifterung

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freien gauf $u taffen in einer Siebe an baS 33olf ober fte umju* feßen in eine ü£fyat be§ öffentliche« ÜRarftS? (Solche großartige SBolfSfcenen, wie wir fie in bem geben Bwingli’8, gutßer’S, ga* reU’S, ©aloin’S nicht wenige treffen ; ©eenen, welche biefe 9Rän* net biß in bie SSolfen erhoben mtb ihren {Ruf bureß alle ganbe trugen, wir finben fie auch nicht annäßernb in bem ftiüen »er* borgenen, wiffenfcbaftlicßen geben ©ernet’S. 5Rit ben 2Bie* bertäufern oft jufammengeworfen, ßat ©ernet ihren Qlufrußr theoretifch unb praftifcß gerabe fo entfeßieben »erbammt, 77) wie er ber Broinglianer SMlberftürmerei »erbammte ober bet ©almni* ften .perauSforberungen ober ber {Römlinge Slutaltäre. Bmmer nur wirfenb für bie ©emeinnerftanblicßfeit beS diriftli* cßen®lauben8, bei feinen SBetfen bie ©infießt ber Äinber, bet alten SB eibet »on ber ©affe, bet fcßieläugigen Söänlelfönget unb Sarbiete beriufficßtigenb (vetulae, lippi, tonsores); noiß in feinem Äerfer ju Sßienne bie einfa elften geute als 9lrgt gerne umfonft bebienenb; bureß feine pßantafieoolle Sluffaffung unb allegorienreicße ©mache bem gemeinen fötanne gar rnoßl »erftänb* lieh, hat er fieß boeß nie mit bem Sßolle gemein gemalt; noeß, um bie ©unft ber fBRaffe gewinnen, auf feine f p a n i f e SB 0 r n e ß m b e i t »erdichtet, ©eben in feinet erften ©cßrift ftetlt fieß ber ©besage beS faiferlicßen SeicßtoaterS 78) bet ORenge gegenüber. „Sene {ßetgleicße" , fagt er (1531), „bie id) foeben brauste, mögen bir »ietleidjt etwas craff erfeßeinen. 3lber wunbere bieß barüber nicht. 25ie ©cßwäcßeren muß man mit SJiilch tränTcn".79) Unb im SwbeSjaßre 1553 erflart ©eroet ,u): „©leicß wie einftmalS bie jübifdje 33olfSmenge biejenigen {Propheten, welcße ccm {Reicße ©ßrifti erhabenere Slnfcßanungen hatten (sublimiora videbant), gleich wie SBütßenbe (furioses) unb Unfinnige (insanos) behau» beite: fo macht heute gerabe noch bie {JReugc allüberall (vulgus Universum). Unb fo gefeßiebt immer, baß, bie tor

allem auf ©hriftum blicfen (qui Christum prae aliis vident), haß Äreui erbulben müffen unb bie SBerfolgungen." <Se t* »et fab, wie bie grofce Söiaffe bet ©elel)tten (vulgus) blinfclingß ihren 23orbetern folgte; wie bie SJlehraahl felbft bet proteftanti« fchen §>rebiger unb ^rofefforen, bie feine SBerfe nie gelegen, ge» fchweige gelefen hatten, fie unoerhört Berbammten; et gemährte, »ie umciffenfd)aftli(h felbft bie .päupter Derfuljren, ein ^anl Speratuß, bet ba brucfen läfet (1534), ba§ „aUeß, »ie im neuen Ueftament geotbnet ift, unb nid^t anberß, eben mit folgen Suchftaben unb Sßorten, mit betreiben gebet unb Sinte guoor im alten Seftament muffe gefchtieben fein";81) ein gutber, ber ben 3acobuß»23rief barum für unecht unb eineß Slpoftelß unmür» big hält, »ie Jacobuß über ©lauben unb SBerfe baß SBiberfpiel lehre oon fPauluß; ein Rlelauchthon, bet bei 3lbtaham, SRofeß, .piob, SDaoib biefelbe gehre oon bet Unfterblid)feit beß Rienlchen, son ber 5)reieinigfeit, Bon ber Rechtfertigung, Bon bet & träte finbet alß bei ©hrifto unb St. ‘Bthanafiuß, unb oon SDogmeuge« fdjidjte ebenfo »enig eine Slhnung hflt J»ie »on biblifdjer Shec’ logie; ein (£aloin, ber wagt, ben Wann, ber bie ©öttlith« feitbeßü)len}(hen8*)am SBeifpiel Ghtifti bemeift unb burch alle feine Schriften ©hriftum barfteHt alß ben, bet auch leiblich baß ganje Siefen unb bie ganje Ratur ©otteß (totam essentiam et totam Dei naturam) in ftcb habe, gu folch’ einem Äefjer ya btanbmarfen, »eichet allen Sinn für baß ©örtliche auß bem ©ebächtnijj ber Rienichen Bertilgen »in81) unb Ghrifto bie SJienfchheit rauben. M)

Slngefichtß fo trüber ©rfahrungen, »ar ba bem Sercet ju Berbenfen, bafe er fich mit jebem Sah« mehr gurücfgog auß bem ©e»ühl ber Rienge, bie ihn oerfannte? ©thaben über ben Parteien, feine gehre alß ©eljeimlehre behanbelnb, fah er halb bem Äampfgemühle ju, um, »o er gefragt »utbe, Bornehm alß

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*

©cHebgricfeter gu entleiben; halb, abgefdjieben oon ben u«* bequemen greunben unb gehäffigen geinben, liefe et fidfe bicfet an bet ®<ite bet (Sngel unb bet tmbetn £immelSbürget nieber, um at$ $>rophet ®otteS gegen bie entflammte $6De gu ftteiten. ginben mir boffe in bem merfwütbigen ÜJtanne oereint jene frieb* liehe Seelenruhe, unffenfebaftlicbe Unbefangenheit unb parteilofe ©eebaditung, bie et (einer grammatifch'fritifchen SluSlegung, 8S) feinem @efdjicht0fiun 86) unb feinem finnigen fiiaturoerftänbnife oerbanft; anbererfeitS jene übet ©terne, Sonnen unb ©Selten ftd> hintoegfefeenbe, oom £immel au$ unmittelbar butchgreifenbe, glntbige, aber auch »ergehrenbe ©egeifterung. 9lun hatte bet fpamfcbe 9rgt 9Jtenf(henfenntnife, ©eelenerfaferung unb praftifdben ©cbarfblicf genug, um gu miffen, bafe für einen (Sfergeigigen beibe Stoßen gleich unglücflicfe gemählt roaten, bie eines über ben Parteien thronenben ©djiebSrichterS, ben fftiemanb anetfennt, wie bie eines auS ben Söolfen fprecijenben Propheten, ben 'Riemanb höten will- '-Sber ©eroet benft nicht an @h« unb ©ortbeil, fonbetn an ben ©ieg bet SBahrfeeit. (Sin an ©ortheil unb ©hTe benfenber Derjchmifeter ©cfelaufopf, roie bie (Segnet ben ©panier fdhilbern, bet mufete überzeugt fein, bafe er burcfj 3bipred)en unb iDagwifchentreten fein Biel nicht erreichen fönne Serret aber tritt an bie ÜRebicinet mit ben Porten: „3n biefer ftreitigen ©ache hoben nach meinem (Dafürhalten feiner oon bei= ben Sl^eilen baS SSefen felbft getroffen. SRidjt bafe ich mich für fo bebeutenb hielte, um mich gleidjfam als ©cfeiebSrichtet über jene Streitfrage in ber SJtitte niebergulaffen ; ober gewillt märe, mich butch beiber Sheile ©etbammung bie geinbfchaft aller mir gugugieljen. Allein um flliemanb baS, ltsaS ich umfonft empfan* gen, oerguenthalten, noch auch baS, maS ben Sterblichen frommt, ju unterbrücfen : io miß ich baS jefet inS SERittel fefeen, oon bem ich meine, bafe eS ber SBaferheit näher fommt." 87) Unb ben

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Sltyeologen fagt er gur Ee^e: „66 erljellt, baf? id} webet mit jenen noch mit biefen in StOcm l'ibereinftimme noch audj uneinig bin. Stile fcheinen mir einen Ülfyeil ber SBahrljeit ju haben unb einen Üljeil be6 3rrthum6, unb jeber blirft auf be6 Slnbern Streunt ceräd}tlich fyetab: feinen eigenen aber fieht Viemanb". **) Um ber SBahrfjeit willen opfert ber ©panier ftreunbfchaft, 6hre, ©in* fiufj, Vortheit unb ©IM.

3nbefj nicht ber ©d)ieb6ricbter hat ben Scheiterhaufen beftie* gen, fonbern ber l'rophet. 55er ©djauer einer 3ufunft6welt ift eg, ben bie SDiitwelt cerbrennt, ©ercet'6 ©harafterbilb fann nicht oerftanben werben ohne biefen marfanten prophetifchen 3ug. ©ein propl)etifd)e6 Sewufjtfeiu müffen wir be6balb etwas näher beleuchten.

©dhon oben haben wir gefehen, bafe feiner reichen fiiblichen ^Phantafie bie Vergangenheit in lebenbige ©egenwart ftch cer* wanbeit. 55en gefd}ichtlicben (5f?riftu8, bort fielet er ihn cor fidh flehen. Uncerwanbt hält et auf ihn ben SBUcf. 66 tönen, breh* nen feine Söorte ihm burd} bie 6ingeweibe. Unwiberftehiiih tritt er bem ^leilanb näher unb näher: jefct hat er ihn in feine SIrme gefaxt unb ruht au6 an feinem .fperjeu mit reinem SBufen unb bur<h be8 £eibe6 Singen werben bie Stugen be6 ©eifte6 nad}* gezogen: er hat ©ott gefd^ant unb er betet ihn an. Unb ©ott glauben noch ihn anbeten fann Vicmanb anber6 nl§ bort in ©hrifto: ebenfowenig wie außerhalb ©hrifto, fagt ©ercet, bet 3ube ober ber ©aracene ben wahren ©ott fdjauen ober anbeten fann. 3<h aber, im felben Stugenblicf, wo id) meine Slugen aufhebe8S), fefje id) mit bem ©djauer 5ol}anne6 jene6 ©eheim* wort, wie e6 au6 ber ©wigfeit 311 un6 fommt; ich fehe mit bem ©eher 55anicl Sefum ©hriftum auf ben SBoIfen be6 Rimmels nieberfteigen; id} fehc, wie 6r baljerfährt auf bem cierräbrigen SSagen be6 Jpeieftel unb unter ben SJfcrthen beö 3ad}arja, unb

r.ßf»)

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unb wie er bcrt ftjjt auf bem Sijroue beS 3efajaS. Unb ba biefe ©rf<beinungen , bie nun »ergangen ftnb , ein Äunftgebilbe ber göttlichen SEBeiö^eit waren, fo nötigt midj bie ©djrift ju fagen, bafc baS ewige SBort barinnen gegenwärtig war.90) „2)enn 3dj felber, ber idj rebe, fiefye ba bin id^" 3ef. 52. ©ben jener, ben bit bort mit ben £dnben betafteft: jenes göttliche ©ilbnifj, jejjt ein wirflidjer 8eib, benn bu fieljft Ujn reben, banbeln, leiben ben gefdjidjtlidjen ÜJlenfdjen 3efu8 »on 91a* garetb, eS war einft eben baffelbe, waS ©ott ift, unb nun ift e8 eben baffelbe, wa8 ber SRenfdj ift, unb al8 OJlenfdj bleibt e8 ©ott unb als ©ott bleibt e8 fDtenfdj unb bleibt in ©ott wie guoor.91) ©oldje Slugenblicfe gßttlidjer ©eberfdjaft wie fie bem @er»et würben , wenn er in ber ©djrift la8, bie 'Äugen auf ba8 3iel gerietet, (scripturae scopus est Cliristus), wenn er betenb feine ©ebanfen nieberfdjtieb, unb mit bem .pimmelSfbblüffel (clavis est Christus) un* abläfftg an bie SleidjSpfotten fbblug (sine missione palsando), bi8 fie ibm fic^ öffnete« : foldje SHugenblicfe ber ©ntjüdung fdjrieb bann @er»et nidjt fidj felber gu, fonbern ©ott bem .perrn. „©enn, fagt er mit Sutljer 1531, ber ©eift be8 9Jtenfdjen wirb immerbar in SBefifj genommen, entweber »om ©otteSgeift, ober »om St eufelSgeift, unb über ben SJienfdjengeift entipinnt ftdj ein jfampf ber ^ß^eren ©ewalten (super hoc conti ngit di- gladiatio): benn felbft bann, wo wir »om böfen ©eift bin unb bet bewegt werben, mabnt un8 bennoeb bisweilen ber ©otteS* geifi9*). Unb auS ber SSergangenbeit in bie 3ufunft ift für ben Propheten nur ein ©djritt. @r fönnt in ©ott alles gegen* wartig: benn er fd>aut in bie ©wigfeit. Unb foOteft ©u, from* mer Befer, bei f oldjett ©efidjten nibbt immer folgen fönnen unb unb bie SBeife ber 3ewgung 3efu unb bie §üUe feinet ©ottbeit beit (divinitatis ejus plenitudinem) mit ©einem SSerftanbe nibbt

XI. 554. H f™'1)

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meinen, bann glaube nur feft, baf; 3efuß ber ©hriftuß»9Jteffia6 ift, ben föott bit gegeugt als ©einen Jpeilanb (crede semper eum esse Messiam a Deo genitum salvatorem tuurn.) ©aß allein (unioe) rnufjt ©u glauben, um in ©hrifto gu leben. 3 cf} aber, fagt bet fpanifche ©eher, habe mit all’ ber 3nbrunft, beren id) fähig war, bie ©rfenntnifj biefet 3Bahri}eit inftänbigft (instanter) mir erbeten oon jenem fjcljen ©efalbten, ber allein unß gum 3eidjen gefefct ift; unb habe ein ©tue! oon jener ©r» fenntnif} (aliquid) burd) feine ©nabe erhalten, obwohl id) webet nolltommeu bin, noch ooUfommen ergriffen fjabe95). ©od} $)auluß felber hatte ja nid)t ooUfommen ergriffen, ©enn Rauheit fid) t}ier groeifelloö um baß größte ©eheimnifi bet gtöm* migfeit, ein ©tücf ©wigfeit : um bie geheime ©otteß»iDf fenba* rung oon ben 3al)tl}unberten her (manifestationem divinam a saeeulis: tf4) bie felbft in ber läpoftel 3eiten uid)t oöttig funb ge» ti}an nod} überhaupt ber großen 9)1 enge je unbefonnen anoer* traut worben wat'J5). 3ohanneß, ber Äpoftel jd}on war burd} mannigfache Sitten ber ©laubigen erfudjt unb auf ber anbern ©eite burd} ©bion unb ßerintf} gum Sieben gebrängt worben, alS enblid? itad} oielem gaften unb Seien er jenen gewaltigen Slußjprud) tljat: „3m Slnfang war baß 2öort.u ©ß ge» nügte bamalß (sat erat) gum .peile, gu glauben, bafj 3efuß jener ©ejalbte, bet 9)leffiaß fei, unb als 9Jtejfiaß ©otteS ®ol}n, ber .peilanb (esse Messiam tiliuin Dei Salvatorem). ©urd} baß Sertrauen (fiducia) auf biefen 9)lejfiaß allein würbe baß rohe Soll gerechtfertigt, obwohl bie ® o tt^eit ©Ijrifti nicht recht »erftanb (quam vis Christi divinitatem non plene eog* nosceret). ©a nun bie Sehre oon ©hrifti ©ottheit nur 3Be* nigen befannt war (a paucis sciretur) unb bamalß ÜJtaugel an d}riftlid}en ©chriftftellern ^errfc^te (scriptorum penuria) unb ttnfenntnifj ber ^eiligen Sprache (linguae sanctae imperitia)

(lio;

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hingufam, fo ging nur gu balb bie wahre Uebetliefe« rung unter (mox periit vera traditio) unb b ie ©pefulanten über baö 3enfeit$96) ftürgten fid) in bie ©hriftenheit unb geraffen un8 ©ott ben Jpernt. " 3e£t aber »erben mir ben normet nie geflauten ©ott mit frei enthülltem Slngefichte fehen unb »erben flauen, »ie in unö felber feine Klarheit »iebet* ftrahlt.97) ©ie ooQe Offenbarung freilich unb ber SBatyrheit entfcheibenber ©ieg trifft, fagt ©ereet, erft in baß 3ahr 1585. ©enn nach Offenbarung Sohanniö 12, o. bleibt bie Äirdje in ber SBüfte nach ihret Stuckt oolle 1260 Sage, will fagen pro« phetifdj 12603ah*e. ©ie gludjt ber jtirdje aber begann (325) mit ber ©pnobe oon fRicaea, wo ber Äaijer SRöndj, ber SBifdjof Äönig,9 8) ©ott ber £err aber in brei ©tücfe gerfpalten »utbe99). ©eitbem gilt Äampf »iber ben ©rachen, ben $>abft; unb in unferer Beit ift er heQet benn je entbrannt, unb in bie» fern Äampfe ftreiten (nach Apoc. 12, ». 7.) auf ber ©eite SKidjael’S feine ©ngel, unb ber ©rache wirb hinau8gewotfen. ©8 ift100) befannt, wie bet ©ol)n be§ XVI. 3a^t:^unbert8, auf bie 3afjlen ber Offenbarung 3ohanni8 podjenb unb oon feiner 33otliebe für ©ternbeuterei getragen, fid> baö taufenbjahtige SReich auömalte, unb in bem SfRidjael ber Offenbarung 12, 7 fich felber abgefpiegelt fah, ben ÜRidjael ©eroet. ©a8 »at bie SSrt ber Beit. StUe ^Reformatoren mehr ober minber haben e8 mit bem SBeltenbe unb ber beoorftehenben SBieberfunft ©hrifti «ab bem taufenbjährigen fReidj gu thun; unb »ie Luther im 3ahte 1522 erflürte: „3<h bin bet 5)eutfdjen Prophet" fo haben alle in ihrem geben ©tunben gefannt, »o fie fich alö unmittelbare £eil8organe ber SBahrheit anfahen, burdj bie ©ott felber gu bet SRenfchheit rebet, unb beren Sßeleibigung tobeöwürbige @ot* teflläfterung ift. 3e mehr nun „in biefcr lebten, betrübten Beit“ Bwingli, Oecolampab, 33uher, ©aloin, guthet unb 5Relamhthon

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auf foldj eine hetnorragenbe $)rophetenfteflung für ©otteS SReichS» fact^e Anfpruch malten, um fo mehr empört e8 ben @ernet, wenn eben jene SJlänner jeinen Bufammenljang mit ©ott für SBahnfinn, jeine ©ottergebung für fatanifche Söefeffenheit aus* fdjtieen. „ganatifche SöuthauSbrüche, SRelandjthon , fdjiltft 25u öffentlich jene göttlichen IReben non ©hrifti .£>immelStaufe unb nerfpotteft fte fdjamloS (impudenter.) 2) et ^eilige ©eift »itb non 25 ir unb 25einen ungeiftlichen gteunben für unftnnige SButh auSgegeben“ ,01). @ernet läftt ftch beöljalb in feiner Ueber» geugung, bah er ein Prophet ©otteS fei, ein 5Runb ber 5Bahr» heit, nicht ine machen, unb fthliefct fein 23ud) „non bet Sßieber* herftetlung beS ©hriftenthumS" mit ben SBorten: „SBaS auch immer bie ©ngel jemals erfannt haben mögen, baS haben fie non empfangen, gleichwie auch wir (angeli . . . sicut et

nos.) ©ebenebeit batum fei ©r, gebenebeit non Sahrhunbert gu 3al)rhunbert , bet feine eigene (non unS übet feine Serien mitgetheilte) SBeiSheit unS felber in’S Jperg gegoffen (infundens) unb unS gu erfennen gegeben h at (hanc de se nobis cognido- nem dedit.) ©ebenebeit feien in 3hm, bie in Söahrheit glau* ben, bah ©r ©otteS (Sohn fei, ber non ©wigfeit in ©ott wieberftrahlt (filium Dei ab aeterno in Deo relucen- tem) unb in ©wigfeit regiert. Amen. Amen."10*)

@o ber fpanifdje Prophet, ©r hat ft<h mehrfach nerrechnet, wie baS ben 3ufunft8fchauern gu gehen pflegt. Aber wer will fagen, bah er ein ßügenprophet gewefen fei? SBer Sernet’8 ßehrent» wicfelung unbefangen nerfolgt, ber wirb non feiner lebten Sehr* form eher behaupten, bah fte mit bem Aberglauben feiner Beit oetfejjt, als bah fte non Unglauben getragen gewefen ift. ©r hat geint: aber geftrebt hat er nach ber SBahrheit mit aufrich» tigern, lauteten bergen. 25arum finb in unferem Sahrhuubert nitle ber ©egner ©ernet’S non bem SBorwurf ber muthwilligen

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©otteSläfterung unb bei Jeufelei abgeftanben. 2)a fie nun aber um jeben ^reiS ihn tenucd) gum Äe|er ftempeln wollten, um bet Äirdje gu bienen, fo haben fie eS unternommen, ben geift* oollen ©panier als einen unfittüdjen gemeinen 9Renfd)en 3U branbmatfen.

gafft man unfittlich als unmeralifdj überhaupt, b. h- felb» ftifcf), eigennüfcig, fo ift barauf gut ©enüge geantwortet wor» ben. ©eroet ift nichts weniger als felbftifd). 3um SJlärtprer geboren, »ergibt er, bet Slrgt nur oft, baff eS auch feine Pflicht ift, 0eib unb £eben fidj gu fchonen.

SSerfte^t man unter unfittlich gef<hlechtlich5gemein, bann bridjt biefem Sßorwurf bie ©pi^e ab ein förperlicheS ©ebrechen, baS webet gu ©ereet’S gebgeit, gefdjweige nachher, Ijat in 3®eifel gegogen werben fönnen103). 3nbefj aus bem fatholifd} freien 33ienne fommenb, ahnte ©eroet nicht, baf) er in ©enf ber beft» belauerte 5Jlann feines SatyrljunbertS war. Söenn er trofj beffen in ber fo ftreng für jbirchengudjt gugef 1 nittenen ©tabt, wo jeber &cä) unb jebe ©chanfwirthin gu ©aloin’S ©pionen gehörten, nur einer einzigen gweibeutigen fRebenSart, bie noch bagu fein ©ebredjen bemänteln feilte,104) gegiehen werben fonnte, fo mufcte ©eroet, für einen oielgereiften Sirgt beS üppigen fedfSgehnten 3al)rhunbert8, auch in feinen ©djergwerten merfwürbig rein ge» wefen fein. SöaS enblict) jenen .^eirathSantrag betrifft, ben er in ©harlieu gemacht ,05), fo nmf fi<h babei nichts Unehrenhaftes herauSgefteHt haken- ©onft hätten bie ÜRänner, bie bei ©eroet fo überaus fcharffinnig na<h Verbrechen fugten, eS ihrem langen Sflnflageregifter eingefügt: waS nicht gefeilt).

@$ erübrigt bie unparteiifcfje Antwort auf einen Vorwutf, ber faft allgemein gegen beS ©panietS fittlichen (5^ araf tcr gefdjleubert wirb. SDaS ift ber Vorwurf freier, fdjamlofer Üüge, begiehentlith ÜReineib.

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Siefe lejjte Auflage, Don wem geht fte auS? 33on 3:h«ologen. Unfete eDangclifdhen ©eridbte Don 3eju haben für SEfyeolegen ferne geringere ©taubwürbigfeit, als bie erblichen ©ericfetSoerbanb- lungen etwa in bem calointfc^ert ©enf. 2Ser ftc^ nun aber mit ©eteinbarung ber oier ©oangelien wiffenfd^aftlid^ befc^Sftigt hat, ber wirb gugeben, bafj noch feineöwegeS einet, gwei, brei ober gar ade Dier ©Dangeliften Sügner gewefen finb, weil fte in Ort?-, Seit» unb anbern fragen fidb unter einanber ober ficfc felber wibetfpvedjen. Unb hat man butcb bie Sitten felbft gablreicfce ©riminal = >))rogeffe auö bem Saljthunbert 9Rac<hiaDent’§ Fennen gelernt, bann wirb mau faft in jebem $>rogeffe offenbare SBibet» fyrüdje ber hodhftehenbften, unbefcboltenften unb glaubnnirbigften 3eugen anfübren tonnen, ebne bafj einem etnfallen wirb, bie gebauten 3eugett abfidhtlicber ©ntftellung ber SBahrheit, ber £üge ober beS SOieineibS gu begücbtigeu. Unb nun erft bie än« getlagten felber! Sdt) will fein ©ewidjt batauf legen, wie leidjt bie bei ©erhören bamalg übliche Roller, ber Werter feuchte Äältr, ^infternifj unb namenlofe Unfauberfeit bem ©efangenen ba§ &e> bädhtnifj trüben unb ben @inn Derwirren tonnte. Slber icb er* innere baran, ba§ in bem neueren ©trafprogefc e8 gum gehört, gur ©elbftanflage bürfe ©iemanb gegwungen werben. Unb wie nun? wenn bie Dermeintlichen ?ügen unb HJteineibe ©eroetö nichts al3 leere (Srftnbungen feinblither SRichter unb ©f= ridjterftatter finb, über bereit Unfenntnifc Don ©eroefä Sehen unb SDenfen bie neuere gotfdjung gut SageSorbnung übergebt* Snbefj, wie bem aiub fein mag, wenn wir nur auf fieberen ©e» weis hi« Seroet ber 2üge geiljen bütfen, nicht aber auf bie Unter' fteUungen jener Äeherriditer , benen fo unenbUcb Diel baran ge» legett war, bafj er gelogen haben möchte: bann müffen wir über ©ernet nrtheilen, wie ©eroet über feinen Biennet SDrucfer: „eie

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©htenmann, ber nichts anbereS fagen will, alö bte 2Baht» heit."’08)

@o haben un§ ©erret’S eigene SBorte unb Jhoten gu einem felbftftänbigen Urtheil über feinen ©harafter geführt: einem Urtheil, ba§ beibe in ihrer Roheit beläßt, ben ©enfer 5Rofe§ unb ben 93ienner GliaS. mar Galrin’8 ©cbulb, ber frömmfte ®ehn feiner 3eit gu fein. PS war ©erret’8 ©chulb, über fein Jahrhunbert hiuauSgueilen. Unb finb e8 -tefjer, bie am ?llten flehen, nachbem bie Äirche ihre eigene 93er* gangenheit glücflicb übermunben hat, fo ift’8 ein .ftefcer in einem anbern ©inne, ber bie @lauben8funbamente feiner 3eit erfdmt» tert, um au8 neuen fefteren Duabern einen 3ufunft8bau 3U er» richten. Soli ein „Äefcet" mar fütichael ©erret: für fein Jahr* hunbert gemeingefährlich. Unb um fein Jaljrhunbert rer be8 ©paniere qrunbftürgenben Sehren 311 retten, hat ih« Galrin rer» brannt. £)arum hflt fein Jahrhunbert Galrin ©lücf gewünfdjt gu feiner mutigen, eblen, frommen $hat.

©erret gehört bem XIX. Jahrhunbert. 3\irum faffen wtr 3um ©chlufc be8 5Jtanne8 Gbarafterbilb in wenigen 3ügen gujammen.

©panier, Gbelmattn, au8 altchriftlidiem Juriftengefcblecbt, unter fötaurenmerben unb Jubenuerfolgungen grofj geworben, burch bie 3nquifitien für ewig ber Solerang gewonnen, gu freie» rem ©enfen rom gürftenergieher fflragentenS gefault, rom ©eicht» rater Äarl V. in allen Uebungen ber ^römmigfeit auögebilbet, an be8 ÄaiierS £of währenb be8 .ftrönungSgugeS buttb Jtalien mit aller Äunft unb ^err!id;feit bet SBelt befannt gemalt, fennt er fein grefjereS Greignif) in feinem Sehen, al8 ba§ et eine Sibel gefunben. fortan rergiditet er auf Suft unb Gljte unb Ginfluf), bie ihm in ben ©cboofj fallen weiften. Gr hat nur noch eine Rafften, Jefum. ©iefen Jefu8 gu gewinnen unb

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aller Sßeft gu offenbaren, tag ift fortan feineö geben« 3kL SBa« 3efu, feinem .jpergenöfteunbe, wiberftrebt, ba« wirft er mit bet ganzen ©lutlj eine« fpanifchen [Ritter« gu Soben. ©einem greunbe 3efu« gehört bie SBelt. Sbcr biefem 3efu«, bem weit* gefdfichtlicben £eilanb, bem petfönlichen ©otteflfehn wagt fein unperäu&erlidje« [Recht auf bie Äirdje ftreitig gu machen jene leichtfertige ©«hullehre non ber Dreieini gfeit, welche mit bet 58ibel nicht ftimmt noch mit ber SBernunft fleh reimt. Um 3efu willen barf man mit bem ©ehriftprincip nicht ba ein ©nbe machen, wo mau cor bem Sllerheiligften fteht. [Rein, wenn irgenb eine gehre ber Äirche an bet ^eiligen ©chrift geprüft unb an« ihr reformirt werben muh, ift bie gehre non ©ott unb ben brei sJ)erfonen. güt biefe Uebergeugung fucht ©eroet nacheinanber alle [Reformatoren gu gewinnen. @r ift ba« feinem greunbe fdjulbig, für ben er fpricht. Der [Reformatoren Snt* wort ift Sann, Seht unb Sob. Sornehm, ftolg unb oerwegen lacht ©eroet ihrer Drohungen. fRie hat er einen [IRenfehen ge* fürchtet noch al« feinen gehrer auerfannt. Son Sugenb auf fdjaut er bem Stob in« 'Äuge. ©8 ift fo füf) für bie SBahr* heit fterben. So ift er ein [Reformator geworben wibet SBillen; ein [Reformator, ber ba gu reformiten anfing, wo bie Zubern aufgehört hatten, aber bie ©djullehre oon ber Dreiet* nigfeit ift allgemein angenommen. SBer fie oerwirft ober gar oerfpottet, ber reigt aDüBerall ba« Soll gur SButh- ©eitbem et ©egner ber hergebrachten Raffung oon bet Dreieinigfeit gewor- ben, barf ÜMichael nie wiebet ben Soben feine« bei&geliebten ©panien betreten. [Reich begabt, wie wenige in feinem großen 3ahrhnnbert, auf allen gelbem ©poche madjenb, bie er berührte, muh er fliehen au« Safel, Sugäburg, ©trahburg, $agenan. Such gpen unb ^ari« werben ihm balb gu enge. SUe ÜRafje feine« 3ahrhunbertö paffen bem [Riefen nicht. [Rur ein ©rgbifchof

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hat ihn »erftanben, 9>eter ^almier in 93ienne. 3)och @al»in läfjt ihm auch h*et feine Siulje. SRidjael be SßiHeneuee, al8 &e$er benuncirt, wirb in ben Äerfet geworfen. 9U8 et entfliegt, wirb er in ©enf »erbraunt.

9lutoritätenfrei, wie »ieöeicht fein gweiter im fechSgehnten 3abrhunbert, aber, wo eS bie SBibeüe^re gilt, bis gur Qlengftlicb* feit gewiffenhaft; felbftloS faft ohne ©renge, friebfertig, gelehrt nnb gelehrig; baS ftiHe ©tubirftübchen unbebingt »orgiehenb bem lauten ÜRarft, ben ©jrtremen abholb, bem SBortftreit fremb, in ben 9lu8brücfen unaufhörlich wedjfelnb, in ber Sache feft ; im ©lüde übermüthig, iu wibrigen ©djicffalen ©ott oertrauenb, feft unb finblich fromm; fitchgläubiger Äatholif bis jum fiebgehnten Lebensjahre, feit bet Sßibelfinbung in Souloufe fchriftgläubig bis in feinen 5£ob, freieoangelifch, $)roteftant niemals, aber auch nie wieber fPabftoetgötterer, hat SOtichael Seroet p SReoeS, ber Slrta» gono»9ia»arrefe bur<h feinen freien, unbebingten, rücffichtSlofen 93ibel«5RabifaIi8mu8 2lHe nadjeinaubet fich gu geinben gemalt, gür baS SSolf lebeub, forfchenb, helfenb ; auf bie ewige Seltgfeit auch ber ©eringften (vetalae, lippi, tonsores) bebacht, hflt er, mit Ausnahme »on S3ienne, nitgenb fich länger als ein Saht aufhalten fönnen, ohne bem Scheiterhaufen gegenüber geftellt gu werben: ein Salamanber, beffeit ©lement baS geuet ift. ©ich felbft genug in ber ihm oon ©ott gegebenen Äraft, erhaben über baS gufällig ihm Segegnenbe in feiner trabitioneQen Umgebung, getragen oon bem ihm einwohnenben föniglichen ©eift, fein Biel im Sprunge gu erreichen gewohnt, fragt er nicht nach ber wüften SBelt um ihn her, ein aragonifcher Löwe gu ben güfcen 3efu. Criginell unb genial, halb ©rftnber, halb ©ntbecfer, »on feinen Beitgenoffen »erlaffen, »erhöhtet unb »erfannt, für fein 3ahrhun» bert fdjeinbat erfolglos, nur ba§ feine ©prupSlehre fünf Auflagen

erlebte unb fein $)tolemaeu6 gwei, hat 9Ri<hael mit feinem guten

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©ewiffen bem Fimmel fich um fo näher gefügt, je weiter ihn bie @rbe non ftd? ftie§. 3n allen SBiffenfdjaften fcharfftnniger Secbachter; geftem ©chüler, Ijeute Sefyrer, morgen SJIeifter irnb SJiufter, hat er nie etwas Roheres fein wollen, als SSibelftubent. ©ein oerjebrenber geuereifer für bie SBaljrheit in allen JReligio* nen, bei 3oroa[ter, ÜJiofeS, SriSmegiftuS, $lato, 6^riftu§ unb SRuhameb, feine ehrliche ©erabheit in allen Singen unb SJZamt* haftigfeit auch ben böcbfteu ©pifjen gegenüber, fein nicht fcp?f* hängerifdjeS, nicht trübfeligeS unb matteS, fonbern ftifd&eS, frc* heS, rechtfchaffneS ß^riftenleben liefen ihn, auch wo er angeflagt war oor ©ericht, als ben eigentlichen dichter etföheinen, ber roei* ter fah, als bie Scholle, an ber fein gujj haftete; weitet als bie fur^e Spanne 3eit, in ber feine 9>ulfe fdhlugen; weiter al§ bie Heine ©rbenwelt, ber baS 2ltom feines £eibe6 angebörte. ®aS £e rj bei feinen ÜJtitmenfchen, baS ,£>aupt im £>immel, ben 2lrm um feines göttlichen greunbeS 3efu ©chulter, ben ©eift bei ©ott : fo ragt ber bleiche fpanifche SRiefe oom ©enfer Slutgerüft in unfer Sahrhunbert unb fragt eS auS feinen glammen: „Setwcr* fen hat mich weine 3«t. ©elebt habe id? für bie Fachwelt. Ser* ftehft bu, waS ich gewollt unb wofür ich geftorben bin?" . . .

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9fnmerfuttgen.

1) Syruporum universa r.itio 1537. 1545. 1546. 1547. 1548.

2) ©. 9Hcin ?utber unb Seroet. 3?erlin bet ®leflenburg 1875.

3) Stäbelin, ©aloin 1. 428.

4) qu. 3. be« 23. Slug. 1553 $u ©enf.

5) qu. 4. I. 1. SBie e8 bamal« in Souloufe auSjab, barüber €>. V. IRaumer. 3xxf4?enbud) 1874. 111.; über Serßets Sibelftellung: 4>tlgenfelb’S 3eitfdjrift 1875. I.

6) ayant zele de verite qu. 19. 1. 1.

7) qu. 10. cf. qu. 20.21. auch qu. 2 be§ 15. Slug. 1553.

8) qu. 15. »gl. IRaumer’S Staiibenbucb. 1874. ®. 77 98.

9) qu. 16. cf. qu. 4 be« 14. Slug. 1553.

10) Sefr richtig fragt Saiffet ben bie Slufricbtigfeit be« ©lauten« »on Sernet fcejtteifelnben Salbin: quVst ce qui luttait en lui contre tos instances, unies a celles de Farel, quand vous lui demandiez une abjuration avec la vie pour recompense? Etait-ce encore l’orgueil? evide i ment non; c’etait sa conscience et sa foi p. 223.

11) De Trinitatis erroribus. L. VII. fol. 78a.

12) temporalem nobis in verbo dedit, et aeternam in carne lncrifecit.

13) mirabili virtute mundum subjecit et subjiciet et sine strepi- tu armorum mentes ducit captivas.

14) fol. 78b. »gl. Sbeolog. Stub. u. Ärit. 1875. ©. 720 f.

15) ut hoc unicum de fide in Christum praeceptum sit loco nniversae legis subrogatum. fol. 82 b.

16) Nam Christus est mihi unicus magister.

17) esse Christum, filium Dei, salvatorem. fol. 82 b.

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18) fol. 86b. Dicfcfi Pro quo dico, fo mitten in bei SRebe, ^at etwas (SrfjafrcneS unb ©rgreifenbe«. ©erabe feiere naiue Slu8brücf>e feiner ffremmigfeit ftnb am allerbejeictynetften.

19) nam oculi carnis trabunt secam oculos mentis. fol. 90a.

20) fol. 109a. 21) fol. 109b. 22) fol. 112a.

23) Dialogorum de Trinitate. L. II.

24) fol. 9 b.

25) Utinam in simplicitate et fide istorum moriatur anima mea et uon in versutiis alicujus ex magistris nostris. fol. 10 b.

26) quod erat nostrum. Solche untDiflfürlidje (Sinjdjaltungen beweifen am beften bie 303at)rl;eit feiner ©enfer SiuSfage, ba§ er nic§t »on 3uben ftamme.

27) fol. 30b.

28) Restitutio Christianismi. a. 1553.

29) p. 51. 30) p. 217.

31) in eo (Christo) est omniuru specimen, omnium idea et omnium plenitudo.

32) p. 218 sq. 33) p. 219.

34) In solo Christo est veritas, aeternitas, in eo solo est tota plenitudo et tota salus nostra. Sit ille solus super omnia semper benedictus Deus. Amen. p. 2 47.

35) syncero pectore verum Christum et eum totum divinitate plenum agnoscimus (fol. 11a. De trinit. error.).

36) In eo (Christo) cognoscendo jugiter laboro, dies noctesque meditor, ejus misericordiam implorans et verae cognitionis revela- tionem. p. 248.

37) p. 253. »gl. fcilgenfelb’S 3«tför. XIV. 2. ©. 241-263.

38) Unus Christus divina et humana in unius sui corporis plasmate recapitulat. p. 269.

39) Cui soli cum Deo Patre in substantiae et Spiritus unitate regnanti, sit in aeternum gloria, imperium et omnis potestas. Amen. p. 286.

40) p. 290. 41) p. 296. 42) p. 292. 43) p. 353.

44) p. 707. 45) p. 4.

46) Stucf) »or @eric§t beruft er fi<$ auf bie« biblijebe SDRcti» feiner ®d)riftfte(Ierei. Car Notre Seigneur nous a commande en S. Matth. X. que ce que lni nous aura revele en secret, que nous ne le devons point cacber, mais le communiquer aux autres: et aussi dit au V. Ch. que la lumiere qu'il nous aura donne, nous (MO)

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ne la devons point mettre sous le banc, ni sous l’escabelle, mais en Heu qu’elle luise aux autres, et que ainsi selon Dieu et sa conscience il pensoit avoir bien suivi tous les passages de la Ste. Ecriture qui parlent de telle9 questions et aussi les premiers anciens Docteurs de l’Eglise caet. caet. (qu. 10 be8 23. Slug. 1553 im ©enfer Sßer()5r.)

47) p. 4. Restit.

48) De Regeneratione. L. I. p. 410 ber Restit.

49) Da servo tuo, militi tuo, ut contra draconein serpentem diabolum, qui potestatem Bestiae, i. e. Papae dedit, potentia tua magua viriliter pugnet (p. 410 Restit.).

50) «8gl. gjlagajin b. »u8l. 1875. ©. 333—336.

51) ©ertet betet auch im 9lamen bc8 heiligen ©eifteS. 3um heiligen ©eift betet er barum nictyt, weil für biefe @ebet8weife fein SBei» fpiel au8 ber 23ibel aufgebracht werben fann: Ad Spiritum sanctunx nec ante nec post incarnationem leguntur seorsim factae preces (Restit. p. 707.). Stud; im Sßetcn ift ©er»et bibltjcber Ideologe!

52) p. 576. ber Restit.

53) Restit. p. 22.

54) Restit. p. 287. ©d;lu§ be8 Prooemium ju L. III de fide et justicia regni Christi.

55) Re9tit. p. 356. Schlug ber SJorrebe ju De regeneratione supema.

56) SLlgl. 3ahrb. f. proteft. SE^cologie. 1876. ©. 421 450.

57) Restit. p. 627.

58) Restit. p. 670. 58gl. $ilgenfelb’8 3citfd;r. XIX. 3. ©.371-388.

59) M. Servet p. 222 sq. Paris. 1859.

60) judicabit ecclesia (de Trinit. error. L. I. f. 2a.) »gl. feine (Srflarung »er bem ©enfer ©eriept, bei Steffel I. 314 qu. 31.

61) il s’est jette k terre avec larmes, requerant qu’on le jugeät ici, et que Mess, fissent de lui ce qn’il leur plaira, requerant ne l’y envoyer point, qu. be8 31. 3tug. 1553. p. 316 bei 2red)fel I.

62) qu. be8 31. Slug. 1553: s'il n’alloit point ä la Messe a Vienne ? Ilp. que oui et qu’il etoit force, et que St. Paul fit bien le semblable, eutrant au temple comme les Juifs, commeut est con- tenu au 22. Chap. des actes, qu’il allcgue: et puis apres a con- fesse qu’il a peche en ce, mais que c’etoit pour crainte de la niort (1. 1. bei Srecbiel I.).

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63) bie Saloin in feinen ©riefen ermutbigl, mäbrenb er felber fe^r

fid) aue ben ©gingen bei ©erabr $u gieren Beiß.

64) lieber ©eroet al« ©eograpb ©. Äoner'8 3eitf(fcrift für @rb* funbe 1875. S. 182 222.

65) 3Bie Sercet ein Ptebijiner »urbe, barüber ©. ©cfcben'S ftiinif. 1875. 9tr. 8 u. 9.

66) bet fUlc«beint. 3t. 25. ©. 393.

67) bei fDlcflbeim. 3t. 95. ©. 415.

68) ©. „Sernet unb bie 53ibet‘ in tpilgenfelb'0 3eitfd)r. 1875. I.

69) ©. „£>ie Joleranj im 3eitalter ber ^Reformation* in b. SRaumer’8 Safc^enbueb. 1875. ©. 104— 137.

70) De syruporum ratione. fol. 27 a.

71) lieber ©bampier ©• 25irtboB’0 SCrdji». ©anb 61a. 1874.

72) Nomini ejus pepereissem, si sperassem, eum sua posse

emendare. Hac enim ratione viventium purco: non (juod in eos

pugnam detrectem. (Syrupor. ratio. fol. 39 b.)

73) Seeundo Te per Deum oro, ut nomini meo et famae parcas (1531 an ßecolatnpab bei sJJio3^eim 31. 25. p. 393.).

74) »gl. ©erbet an 'Pepin. ©ei 2Roflbeim 3t. 55. ©. 415.

75) 25ie Restitutio Christianisini erfebien anonptn. 9t ur hinten M. S. V. beutet ben Michael Servet Villanovanus Bon ferne an.

76) »gl. preper: pboftolog. 3eitftbr. 1876.

77) cf. 28. 9lug. 1553 ©enf bei 5£red)fel I. 309.

78) »gl. ,2)ie ©eiebtoäter Äaifer Äarl V.,* im ÜJtagajin be« 3lu0- lanbe« 1874. 9tr. 14. 16. 18. u. Äabni«, Äircbengefcbitbtl. 3«tf(br. 1875. ©.545— 616.

79) Crassae istae similitudines tibi forte videbuntur. Sed ne mireris, infirmiores oportet lacte potare. Tibi autem in sequentibus erit solidus cibus. (De Trinit. error, fol. 68b.)

80) Restitutio p. 720.

81) cf. Paulus Speratus oon ©ofatf. ©raunftbw. 1861.

82) Si divinitatem alicubi inhabitare credas, an putes, eam alibi quam in komine habitare? Est profecto in homine plenitudo illa oinnis et major quam unquam intellexit mundus (Servet: Dialog. I. fol. 6 b.).

83) cui hoc unum fuisse propositura palam est, ut omnem divinitatis sensum ex hominum memoria deleret (Calvin : Defensio orthod. fid. contra Servetum p. 57.).

84) ©enfer ©rfenntniß, bei 9Jio8beim. 31. 25. ©. 445.

(58V)

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86) lieb« 2>enn'i üefjrer in grammatijdvhitijc^en Ülueicgung Paulus Burgensis S. in 3öcflct’d SSewete ItS QHauben«. 1874. 3uni.

86) 3$elemaim, Äin^enjeitung 1876, <3. 143.

87) De Syruporum ratione. fol. 3 b.

88) De justicia regni Christi a. 1532. p. 92.

89) Ego enim eo ip-o quod oculos erigo, video Joauuis visione oraculuin illud ab aeterno veuiens, video Jesum Christum in nubibus coeli, speculatore Daniele venientem, in quadrigo Ezechielis et inter myrtos Zachariae equitantem, et in solio Esaiae sedentem (fol. 116a. De Trinit. err.).

9t)) Et cum hoc fuerit rationis divinae artifieium, cogor dicere fuisse logon (1. 1.).

91) Ego ipse, qui loquebar, ecce adsum Esai 52. Ille ipse, quem oetdis cernis et manibus tangis, divina illa effigies est, nunc corpus: erat hoc ipsutn, quod Deus, et nunc est hoc ipsum quod homo, et manet Deus et in Deo sicut antea (1. 1.).

92) Spiritus hominis semper aut spiritum diaboli sessorem habet, et super hoc contingit digladiatio: Nam etiam si a malo spiritu agitemur, semper tarnen Spiritus Dei nos aliquando monet (fol. 73a. De Trinit. errorib.).

93) Restitutio p. 51.

94) Prooem. libror. de Trinit. in ber Restitutio.

95) Magnum et sublime est hoc Christi mysterium, quod apostolorum tempore non temere in vulgus emittebatur (Restit. p. 19.).

96) ÜJiagajin b. Sluälanbea. 1876. 3. 333 336.

97) Deum antea non visum, nos nunc revelata facie videbimus et lucentem in nobis ipsis intuebimur (Prooem. libb. de Trinit.).

98) Constantino Imp. facto tune monacho et Sylvestro in

Papam Regem converso, necesse fuit, faciem orbis inverti (p. 398. Restit.) *

99) tripartitum Deum caet. (Restit. p. 22.).

100) cf. 9Jlc«fyfim. illnb. 33erf. 93 sq. Henry III. 125 sq. Sredjfel I. 122 sq.

101) Fanaticos tu clamas furores, qui de coelesti Christi baptismo sunt divini sermones, quos tu impudenter cavillaris. Spiritus sanctus tibi et tuis animalibus insanus furor censetur (Restit. p. 720: Apolog. ad Melanchthon).

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102) Restitutio Christianismi p. 734.

103) »gl. Steffel I. 306. gr. 18. unb 314. gr. 26.

104) bei SSre^jel 1. 311.

105) a. a. £>. I. 314.

106) ogl. ^roteftant. Ätnbenjeitg. 1875. '3. 931 935.

(584)

(Etui con 48 c b r. Ungtt (16. (Stimm) in Berlin, Scbctieberjerffr. 17a.

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2)ie

erfteit Anfänge öer £)eUkuttbe

imb

bic Jtebipn int alten Aegypten»

(Eint knltnrjtsdiirfitlidit $ki|jt

Bon

Dr. grttft Sdjrotmmar,

iDocent in iöutapf|t.

ßerltn SW. 1376.

Verlag » o tt 6 a r l .£> a b e l.

(iC. iß. iafttrit j'scfcf Ujrl3g»ijact)t:ara!!i.-rg.)

33. 3BiI$«!m Strafe 33.

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2)a« 9icd;t tct Ucfretfcfung in frcmtc Sprachen u>iib mfcctyaltcn.

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cv

entwicfelter unb bebeutungöoollet un$ feilte Äunft unb Söiffen* jcfcaft in ihren oerfdjiebenen ©eftaltungen erfdjeinen, unb je mehr burch ben Sdjarffinn menfchlicfjen ©eifteö bie SBcbürfniffe unfeteä täglichen 8ebenö firfj oerfeinerten unb oerebelten, befto begreiflicher ift baö Streben bie Anfänge aller fulturellen ©rrungenfchaften ju etfcrfchen unb ben Urfptung bet geiftigen Sdjäjje, beten wir un8 heute erfreuen, 31t ergrünben. Safe äfunft unb 2Bif]enfcf)aft nur in ftufenweifer ©ntwicflung fich 311 üeroollfommnen oermochten, ift wef)l jebent ©ebilbeten befannt, fragt fich nur, wie ftanb «3 um bie Urfprünge biefer erhabenen ©fiter ber 9Jienf<hheit, unb welchen ©ang nahm bie ©utwicflung ber einzelnen ©eifte8tl)ätig« leiten innerhalb ber früf)eften Beitepochen.

Sie ©rörteruug biefer ober ähnlicher fragen hat ihre greffen Schwierigfeiten, unb nicht ohne 33ebenfen fann man fidj an bie Söfung berfelben machen. Dbgleicf) man e8 Riebet nicht mit Philofophil<hen Problemen gu tf)un hat unb obgleich feinetlei Skrhältniffe tranäcebentaler $ftatur eine berartige Unterfuchung uub bereit Söeurtfjeilung ftören, biefelbe »ielmehr auf bie ©tforfchung. realer Singe fi<h begieljl, fo führen un§ biefe Unterfuchungen boefy auf ein ©ebiet, wo bie fUipthe bie 23al)rheit oerbrängt, unb wo ti fchwierig eridjeint 31t behaupten: hier enbet bie Sabel, hier

XI. JS5. 1 (J8t>

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bie 3Baljtt)eit. 3n bet ©ejchicfcte ift mehr als in ber ^fyilefepbie baS fforfcbungSoermegen burch geitlicfe unb raumlidje S^erfcältnifTe begrengt, aber bie Ijobete 3nte0igeng lehrt uuS bieie ©rengen erweitern , unb ben geiftigen jporigont immer freier unb offener not unferen ©innen gu entfalten. 5ü$o not 3ai}rhunberten ein urtheilSlofer blinber ©laube bie 2>eutung unerflärlicber ©rfcbei* uungen auS bcm Sehen bet 9iatur ober ber ältcften Äultnr gu oermitteln ftrebte, bort wirft heute mit befferem unb fixerem ©rfolge ein burd) oernünftigeS SDenfen gefdjuIteS Urtheil im SSerein mit ben ©rrungenfchaften mobernet SBiffenfc^aft. 5Rur fo würbe eS möglich, trof} beö geitlichen ÜlbftanbeS, ber unfere ©poche ®Dn hem 3«italter eiued grauen SllterthumeS trennt, manche g^ät^fel einer cerloren gegangenen jfultur einfacher unb nötiger ju (Öfen, als bieS ben Seftrebungen einer früheren SBiffenSperiobe gelingen fonnte. 5Die ©ntgifferung ber^ieroglnphen, bie ©rfotfdjung ber Äeilfdjtift hoben unS Ijötbft merfwürbige unb feltfame tÄuffdjlüffe geboteu, unb nur fie höbe« eS ermöglicht, einen ©itiblicf in baS Seben Bieter, fd^cn längft uom ©rbbatl nerfdbtounbener Nationen gu erlangen.

Ob ber ÜJtenfclj gu allen Beiten fowohl als eingelneS 3u« binibuum, als auch als SJHtglieb einet ©efeüfchaftSflaffe ober eines Stammes um bie ph9fif<he ©rljaltung feiner felbft Sorge getragen, wiffen wir nicht. 35aS 33eftreben, burch natürliche ober fünftliche 9Jtittel feinen DrganiSmuS gefunb gu erhalten, bürfte bis gu einem gewiffen ©rabe jebod) bem rohen SRaturnolfe ebenfowenig gemangelt hoben, als einer auf einer norgefchrittenen Äulturftnfe ftehenben Nation. Schon bet ©rhaltungStrieb im Kampfe mit ber fftatur unb wilben Spieren gwang ihn, fid) gegen bie feinblichen ©inflüffe, bie auf ihn allerwärtS eiuftürmten, gu wehren unb gegen franffjafte 3ufäHe gu fchüfjen, unb biefer Schuh, ben er feinem ÜBerftanbe unb feiner 33ilbung entipred;enb fud’te, war <»*»)

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gewiß mit ein ftactcr gur Entwidlung einer praftijehen Slhätigteit, bie ißm gur Seit ber Jtranft?eit ^itfreidje <panb gu bieten vermochte, unb bie fid) allmätig gu einer £et)re tjeranbilbete , meiere oft ©enefung gu bringen im Stanbe mar, näinlid) ber Jpeiltunbe. 2)ie Entftet/ung ber Jpeilfunbe hängt bemnad) innig mit ber Entwicflung eincö fulturellen Sebenö bet menfcßlidjen 9ia<?e gufammen, unb mir tonnen unö eine ©ejd)i<hte ber erfteren gar nid)t ohne Sufammenhang mit ber ©efeßiehte ber lederen benten.

SDie vorhiftorifche 3eit beö SJtenjdjengefchlechteS in ben Äteiö unferer Betrachtungen gu gießen , erfe^eint gewagt, unb biirfte fdjeinbar gu bloßen ^ppot^etifdjeu Bewertungen 9lnlaß geben; nießtöbeftemeniger wollen wir felbe nicßt unberührt taffen, wenngteid) unö herbei nur tRüctfcßlüffe geftattet finb, bie auf meßr ober weniger BJat}rfd)einticbfeit fußeu. SDie nieten intet* effanten gunbe unb (Grabungen, welche bie ©eolegen neranftalteten, um bie Urgefcßid)tc ber Ü)icnjd)eit immer beutlidjer unb offen* funbiger gu geftatten, hat’en unö über vielerlei Momente ber üßätigfeit beö frütjeften 9)tcnfcbengejchled)teö Äunbe gegeben; wir tonnen mit giemlidjcr ©enauigfeit '-Muffdjluß geben über gewiffe Sweige ber Snbuftrie, bie man in atlerätteften 3eiten geübt, über bie Sßaffen, bie man befeffen, über bie fohlen, bie man bewohnt unb über bie ©rabftätten, bie man errichtet. 35ie fDterfmale futturetlen gebenö, bie unö in ben Ueberreften mannig* facher 21 rt erhalten finb, liefern unö bergeftalt bie Öontouren gu einem wertßvollen, bie Urguftdnbe unfereö ©efcßlecßteö bar* ftellenben Bilbe, gu welchem bie lebhafte gantafie gelehrter gor jeher bie farbenreidien $one geliefert, unb beffen BoHenbung wir ben mehr weniger richtigen Schlußfolgerungen ber ©eteßrten nerbanfen. inwieweit bie SMuffaffung unb SDarfteHuug betfelben unanfechtbar, bieö gu unterjuchen ift nicht unfere Aufgabe, hoch bietet ber Umftanb, baß viele Eigenheiten unb ©ewoßnßeiteu bei

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fpäteren SBölferfdbafteu ftdb oorfinben, bie auf ererbte ©ebraudje unb «Sitten gurüdgeführt inerben muffen, ein merthoolleS Äenn* jjei^en für bie Stidjtigfeit be§ Urtljeilß. fragen mir nun, mie eS um bie pflege ber Äranfen befteOt mar, mie man gegen fetbe »erfuhr, ob man fie uor nachteiligen Ofinfiüffen gu fdbü^en unb ihnen gu helfen »erfuditc, fo fehlt un§ barfiber jebe pofitioe Slngabe.

Subbocf, ber berühmte englifche 2lrd)äolege oermuthet, ba| fJteugeborne, beren SJh'itter furg nach ber ©eburt ober mätjrenb be§ SäugeuS ftarben, mit ben £ejjtern gugleid) begraben mürben, benn nur fo fonnte er fidb bie grofje »on Äinberffeletten erflären, bie neben meiblidien Sfeletten in ben ©rabftätten beS SteingeitalterS gefunben mürben. $£>em entfpredjenb fdjeint eS nid)t unglaublich, bah aud? Äraufheiten, bie bie geiftungßfäliigfeit beS Bnbiuibuume aufhoben, in jener Beit gleidjbebeutenb mit bem Slufgeben beS (Srfranften felbft gemefen fein bürften. (58 ift g. 23. bei manchen ^nbiauerftämmeu heute noch üblich, ©djmet* fraitfe, für beren ©enefung man geringe Hoffnung Ijccgt, fern »on bem Drtc ber SHnfieblung auSgufejjen, unb fie fo bem fichern Stöbe gu überliefern. SDie Scpthen, ein in ber ©egenb be§ heutigen 23effarabien lebenbeS, friegerifdbeö 23olf, übet mclcheS bei ^erobot ausführliche SJtittheiluugcn gu finben, töbteten ihre Äranfen, um bie üeiben berfelben abgufürgen; mährenb bie SDIaffa« geten, melche bie 2leltcfteu ihres Stammes fdjlachteten unb als gieblingSgeridit uerfchmauften , ihre oerftorbenen Äranfcn unter bem SluSbtucfe beS SBebauernS beerbigten, meil fie hierbutch beS gleifdjgenuffeS »erloren gingen. 23on ben Spartanern ift befannt, bah fie bie 9?eugebornen, falls fie ihnen nidit genug fräftig unb gefunb etfduenen, bem Stöbe überantm orteten, inbem fie fie in eine 23erge§fluft am StapgeteS matfen unb felbe bort elenb gu ©runbe gehen liehen. Unb fo bürften bie älteften, ber

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mgejchichtlidjeit (Epoche angehörenben 33ölfer bejonbere ©cbonung für baS Sehen einzelner Snbioibuen nic^t gefannt haben, gumal bann, wenn bie (Erhaltung berfelben mit SJiühen ober ©orgen »erfnüpft id}icn.

©a matt bem Sebenben in bet ^ranf^eit nicht oiel gu leiften vermochte, jo trachtete man ben üßcrftorbeneu befto mehr Slnerfen* nung unb (Ehren gu goDen unb bteö in bet mannigfadjften SBeife, unb auch fyier jinben mit bie gleiten auf ©rabition betuljenben Vorgänge oon praehiftorifchen unb hiftorijdjen 3eitaltern. ©ie Fachwelt ftaunt wohl mit fRedjt übet bie ©rofcartigfeit unb ÜHächtigfeitberaegpptifchen ^pramiben, bie nicfctß attbcreö als ©rab* ftätten vernehmet ober ruhmreicher 9>erfonlichfeiten barftellen. ©od* wenn njir an bet £anb bet ©ejd^id^te ober ber 5TRpt^e nachforjchen, ob in einet noch frühem 3eit berühmte SSerftorbene burdj ©enf* mäler geehrt würben, fo ift eS wohl gweifelloS, bafj jelbjt bie ^ßpramiben ihre SSorbilber gehabt haben bürften, bie bis in ein fabelhaftes Seitalter gurücfreichen. 3US Setjpiel hierfür Tonnen bie von anbern SBölferj^aften befannten unb in ä^nlid^er SBeife geübten (Ehrenbezeigungen für iHuftre Siebte gelten, dornet er* 3ählt von ©rabhügeln, bie mau bem Slnbenfen ^>eftot’S unb anberer Führer errietet hatte, unb 2l<hilleS ehrte ben verftor* benen greunb unb ©enofjen $atrofle8 butth ein ©rabmal, beffen ©urdimeffer 1 00' betragen haben f oll. © e m i r a m i S, ©emah» üu beS ÄönigS jRinuS hat nad) bet Svabition ihrem verftorbenen ©alten gu Dlinive eine ©rabftätte errichtet in ©eftalt eines hohen SetgeS, bet 9 ©tabien (5400‘) hDth unb 10 ©tabien breit wat, unb noch lange nadj bet 3erftcrung 9tiniee’S beftanben haben fotl. 33on biefen jagenhaften ©enfmäletn nimmt bie ernfte SBiffenjchaft feine weitere ?fletig, wohl aber ton ben Uebcrreften bet ©rabmaler, welche allein beutliche Äunbe geben von einem

Äulturleben, baS fid) allmälig entwicfelt unb auSgebilbet hatte,

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unb welchen mir bic widjtige 2^atfad)e oerbanfen, baff Saufenbe 3aljre cor ber hiftorifdjen Seit, IBeerbigung menf<hlid)et geilen ebenfowohl als SBerbrennung berfelben ftattgcfunbeu Ijatte. 3)ie Urnen, weldje bie 2lft^e ber IBerftorbenen enthalten, unb bie ©rabftätten, »reiche menfchliche ©felctte aufweifen, laffen mit Stecht oermuthen, bafe man bie irbifdjen Ueberrefte ber lobten aufzubemahreu fud)tc; ob e8 au8 Pietät für ben 3krftorbenen geidjai}, ober ob ber ©ebrauch religiofen Slnfchauungen entlang barüber haben wir faum annähernbe Sermuthungen.

fragen wir nun weiter, wie e3 in biefen fpäteren 3eiten um bie «jpeilung »on Äraufheiten geftanben haben mochte, fo finb Wtr aud) auf blofje Sßermuthungen angewiefen. Sßir haben fcf>on oben angebeutet, baff infolange bet ÜJienfdj im .Stampfe um8 3)afeiit, fein nacfteö üeben ju »ertljeibigen hatte, fo lange bi'ufte er faum nm ben hänfen fftebenmenfchen Sorge getragen haben, ükn ber Seit an feboch, wo bie fötenfchen ju’ 58olfevfd)aften cereint, Dtaub* unb ÄriegS^üge unternahmen, wo fie fidj gegen* feitig befämpfteu unb überfielen, wo bie Sudjt zu herrfchen butdf 8ift unb ©ewalt ertrofet würbe, unb bie rol)e Straft ben Mächtigen zum Siege übet bie (Schwachem oerljalf, ba gab e8 wohl bei&e Kämpfe unb Schlachten; sPfeil unb äJurffpiefs, Äeule nnb Schleuber Derurfad)ten manche lebensgefährlich* Sktlefjung unb Gontufion, unb wenn ber äSerwunbete nach Jpilfe gerufen, fo fcnnte ihm biefe fein Äampfgenoffe wel)l nid)t oerfagen. SDie heilbringenbe Äraft ber Pflanzenwelt fd;eint wohl junüchft bei ben SBerleftten »erfucht worben ju fein, Sölätter unb jträuter, bie in würziger SEBalbluft blühten, ©räfet bie auf üppigen SBiefen grünten, wareu rafd) z«t ^anb, nnb mit felben bebecfte unb oer* banb man bie fdjmerzhaften unb oerwunbeten SE^eite beS Äörperi, währenb ein erquicfenber 2runf ben 2)urft beS ftieberubeit löfchte nnb ben ©chmadjtenben erfrifchte. SÖtandjerlei £anbgtiffe waren

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wohl auch in Slnwenbung gefommen, um bei Sterrenfungen eher Änochenbrüchen baß 2?eftreben ber Ijeilenben Statur ju unterftüjjeu, unb fo fcürflen manuelle £ilfe!eiftungen bei oielfadjen liebeln burd} bie SRotl) oeranlafjt, juerft oerfudjt werben fein, unb bie (Styirurgie in ihren tcljeftcn Slnfängen in mehr äl^nlid'cv 3Beife bei allen belfern fich entwicfelt Ijaben. 3)ie SBirfung ber ^>ftan= $enfteffe l)atte mau, nadjbent fie in äufjerlidier Slnwenbuugßferm manchmal gute ÜMenftc geleiftet, auch weitere bei innevn .ftrauf» heilen oerfucht, unb burd) ja^lreidje ©rfahrung belehrt, felben einen meljr weniger günftigen ©iuflufs auf ben Crganißmuß guerfannt. !Tie Jpeilfunbe Slegvptenß unb ©vied'enlanbß liefert $al)lreid)e 33ei'^xele ren ber erprobten unb beliebten Heilfraft einzelner Jlrciuter, bie fid) in lleberlieferungen auö älteften 3citert erhalten hatte.

Sb Sag uriptünglid} bie Stcthwenbigfcit gebet, wntbe fpäter $ur Uebung ober ©cwehnljeit, unb man bradjte e8 fdjlicfjlid) baljin, baf; man Untetfcheibung 31t machen cevmcdde, wo ben iteibenben bie £ilfe ju reifen, unb weld'e SSBa^l jit tieffen war, um burd) bie Jpilfeleiftung einen (Erfolg ober Sinken 3U erzielen. SMeß war natürlich nidd Jebermanno Sache, unb ba bie Unter» ftnfjung Ä'ranfer burd) Statt) unb £h“t flewifj Sluerfennung unb ^Belohnung fanb, fo gab c8 manche 2>ienft» unb Heilbe* fliffeue, bie burd} biefe menfcbenfreunblidje 55:^ätt{\feit 31t ©hre unb Slnfehen gelangten, unb Sichtung, ja felbft Verehrung genoffen. 53ie Sin men jener, bie ^uerft unb jumeift fidj mit ber Heilfunbe befaßten, ocrlieren fich inß mnthifche Slltertl)um; man bejeichnete ©etter, Halbgötter unb ÜJienfdjen alä bie erften (ärfinbev unb SBerbreiter ber jpeilfunbe fowohl bei ben Slegpptern aie ©riechen. SSon ben ©ettheiten Dfiriß, S3acd)u8, Hermes, (S)lercur) unbütpollo war im Sllterthum bie Sage oerbreitet, ba§ fie fich mit Heilung »on Äranfheiten befaßten, wäl)tenb wiebei ©hiton, SleSculap,

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SRelampuS als mctffifdie $>erfonen nerebrt, unb nad) ihrem £obe unter bie ©etter nerjefft mürben, ob ber groffen 53erbienfte, bie fie ftd) um bie SRenfd'ffeit enterben Ijatten , inbcm fie bie 2lr$nei* funbe flcübt, unb nid)t nur SBotyltffäter iffrer Beit^cncffcn c\errefetr, fcnbern aud; 33erbilber für bie SRacfcmelt gemorben ftnb. ©aff in ber Seretyrung ber ©ottfyeiten aud) bie 5Ratur in ibrcn »erfdnebon« artigen ©rfdjeimtn^eir nerebrt mürbe, leffrt itnS bie ©efdudjte ber SJintffolegie unb ©bmarb 2wler •) fagt über ben Urfprung beffelben ganj treffenb: „bie crfte unb tyereorragenbfte unter ben llrfadjen, melcfyc bie S^atfadjen ber täglidjen ©rfatyrung ju 9)Ju%n umbilben, ift ber ©laube an baß Selebtfein ber ganzen 9iatur, ber in feiner tyodiften ^orm gur $)erfonification gelangt." ©o ffatte man nach ben frülieftcn Slnfdjauungen ©owe unb 93?onb fid? ton menfdjlidjer 9iatur gebad)t, unb fie menfddidien 3?e* griffen entfpredjenb, entroeber als 9Rann unb fuau betrachtet mie bei ben Snbianern, ober als SJruber unb ©djmefter mie bei ben Ütegnptiern, mo fie and) als ©otttyciten Jfig unb CfiriS oerefyrt mürben, ©er .fpelioS ober Sonnengott ber ffomerifdjen ©efange griff perfßnlid) in bie ©dfftffale ber SRenfcfyeit ein, unb becfte mit feinem ftrablenben üidite bie ©djänblicfyfeiten ber ©etter unb SEJienfdjen auf fein Söunber, baff man iffm in ©riecbenlanb, ©örien unb fRom Stempel erbaute unb Sltare errichtete. Sn gleicher SBcife el>rte man bie ©eftirne beS Rimmels als belebte unb befeelte SBcfen, eine 9lnfchauung, bie fid> noeff bis in'S SRittel* alter ffinein erhalten Ijat, betete ju ©otterbilbern in ©riedjenlanb, ju SLpiercn in Slegnpten als ben ©nmbolen bet ©ötter, benen fie geheiligt maren, unb beljnte ben religiöfen ÄultuS fdfliefflicb auf alle 9taturerfdjeinungen, bie menfdjlicffer Raffung unb ©eutung unerflärlid) feffienen, auS. ©er ©onner* unb {Regengctt, ber ©ott beS ÄviegeS, beS SlcferbaueS unb beS StobeS, ber in allen pelutljeiftijchcn ^Religionen fitfc roieberfinbet, ift nur bie fPerfoni«

(5»U

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]]

fkation jener uucrflätlidjen ©ewalten, bie bie SDBclt beberrfdjen, unb baS ©djidffal ber SJienfdjen beftimmen.

2)iefe mptbifdien SBorftellungen, bie au8 nieberften OfeligionS« fulten entfprangen , erflären e8, bafj man fidb in ben frübeften 3eiien nidjt allein im ©inne bet Anbetung unb Ißprebrung an bie belebte itnb ^jcrfcnificirte Statur wanbte, fonbertt bajj man aud) gut Seit ber 9iotb unb ber Äranf^eiten »on iljr ,£>ilfe unb Siettung erwartete. SMeS gefcbal) fowobl flgürlid) als wirflidj, unb äußerte ficb nad) gwei JRidjtungen in mpftifdjer unb natu* raliftifdjer äöeife, unb gwar : in gang concreten formen, wie wir fie in ben mebicinifdien ?el)ren be§ Slltert^um’g »ertreten finben. JDie erftere, b. i. bie mwftifdje &orm, in weldjer bie .£>eilfunbe gur ©eltung gelangte, würbe in ben älteften ©podjen itberwiegenb unb faft auGjdtliefjlidiin SSegppten geübt, wa^renb bie naturaliftifd;e JRidbtung bet SJiebigin erft allmälig nach Slbftreifung ber au§ ISegppten überfommenen lehren unb ©runbjä^e bouptfacblidb im flaffifdien Sanbe ber Hellenen SBurgel faf)te unb bort gut bedjften SBlütbe gelangte. SORit ber SDarftelluHg ber mpfliftben Sebren ber 9Jlebicin fommen wir auf bie ^eilfunbe ber ^egpptier gu fpredben.

i.

2legupten ba8 Üanb ber SSunber unb ber Sagen, befjen Äulturanfange in eine Seitepotbe reidjen, über welche wir nur 33enn utljungen haben , unb beffen Äulturniebergang 3U einer Seit erfolgte, wo bie ©toilifation in ©uropa erft aufgubämmern begann, biefeö ?anb lieferte ftetS eine §üHe intereffanter unb ftaunenSwertper SRomente für ben Souriften unb ben gorfdber. ©in regenlofer blauer Fimmel bebnte fids bamalS wie beute über ben größten

(S»5)

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12

Sfyeil eine8 SReiteß, beffen Snnereß »en einem fegenipenbenbem Blufje burdjjdjnitten wirb, ber in unerfannter unb ned* ^eul« nitt genau beftimmter Entfernung feinen Urfprung nimmt, ber butt baß Steigen feiner gluttyen bie geudjtigfeit bcß 33cbeaß ermöglicht, unb feine 23ewol)ner in ungc ft Örter SBefyagtidjfeit ernährt. 0teidj an feltenen unb eigentfyümlidjen^robuften, erregte Slepüpien'ß liebliche unb lebenbige $)flangen= unb feiue nierfwürbige 2t?ier* weit ftete 33ewunberung. 5)ie üppige f$lora einerfeitß : bie pra4t* »olle 9?i(afagie, bie wilbwadjfenbe Äaftußftaube, bie $)almenwälber unb Spfomorenhaine im Snnetn be8 2)elta, bie weifje Sotoßblume mit ihrer nahrhaften Söurgel unb ben fd^madljaften Samen, bie »ieloerwenbbare jefct außgeftorbene $)apprußftaube anberfeitß bie reiche $auna : ooran baß gewaltige 3Rilpferb, baß an »crwelt* lite S^iergeftalten erinnert, baß plump geformte Ärofobil, ber am Dlilufer fd^leic^enbe Sdjneumon, ber ^eilige 3biß, aü’ biefe unter einem fyeifceu JUima entftanbenen Stopfungen waren für ben grembling »cn unwiberfte^lid'em Oleine. 5)er lernbegie* rige ©riete, ber fein SÖiffen in SHegppten gu bereitem ftrebte, ber auf Eroberung außgeljenbe SRömer, ber baß sJiillanb gu unterjoten fam, fie alle waren »ou beni 3«uber bieieß ganbeß ebenfo umftridt wie ber Dieifenbe unferer Uage, ben bie Sehnfutt nat SBunber» hingen nat Slegppten führt, ober wie ber gelehrte gorfdjer, ber im ehemaligen $)hara°nenlanbe neue Söiffenftaft mit alter Kultur gu »ereinen ftrebt. 5)enn fo wie bie fftatur, war aud) baß 9JoIf ber alten 3legpptier gang merfmürbig. Sine h°hc geiftige 2h«t* traft geituete biefelben »or allen anbern ber bewohnten unb belebten Srbfirite Slfien’ß unb 5lfrifa’ß auß, unb ergeugte eine Suprematie im ©ebiete ber Äunft unb beß SBiffenß, bie ben fpätern flaffifdjen Seltern gut 9fiatahmun8 biente.

hält nitt ftwei biefe geiftige SSJiatt, gu ber fid) bie 9lilbewohncr aufgeftnmngen hatten, linferm Serftänbnifce gu er*

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13

fdbließen. ©ie Jljäti^Ieit unb ^ciftungöfä^tgfeit eines SolfeS fonnte leidet eilte bebeutenbe ©ntwicfelung nehmen in einem Sanbe, wo bie günftigften flimatifdjen unb Sobenterhältniffe torwalten, baS ton SReeren gefchüt}t, ©enerationen hinburdj ton frembeu ©roberetn terfdjont, ton flugen ©eSpoteu beherrfdjt unb ton f cblauen $>rieftern regiert war. ©ie zahlreichen unb unterlegt erhaltenen SRonumente ber Saufunft, fowie bie Ueberrefte eines hohen geiftigen Kulturlebens, liefern berebte 3eugniffe für Me einftige ©röße bet alten Slegpptier.

Stuwer ben für unfere Kenntniffe unS ju ©ebote ftehenben Duellen bet griechifdjen ©djriftfteQer unb ben Slngaben ber heiligen (Schrift, hat unS bie ßntjijferung ber ^atniruSrolIen bie übet» rafdjenbfte unb intereffantefte Slufflärung über tiele ©inge, unb barunter auch ber 3Rebicin , gegeben , unb bie jetzige SBiffenfdjaft hat erft babuTcß für manche unglaubwürbig erfdjeinenbeüRitheilung anberet 9trt bie tolle SeftStigung erhalten, ©ie ^aptruSroHen beten 3nf<hriften burcß Saßrhunberte für bie Äulturgefdjidjte beS ^tamibenreidjeS unentzifferbare fRäthfel bilbeten, bie 3eichen unb Silber ber ©rabmüler unb ©äulen, bie Söanbgemälbe auf DbeliSfen unb Uempelmauern, bie mit Figuren aller 58rt bebecften Seinwanbftreifen, mit benen bie SRumien eingehüüt waren, fie alle würben burd) bie mit feltenem (Sdjarffinn unb bem größten SHufwanb ton ©elehrfamfeit unternommene ©ntzifferung ber ^)ieroglphhenf^r*ft für bie SBiffenfdjaft neuerbingS aufgefdjloffen. ©ergeftalt würben aud) tiele fünfte, bie auf wiffenfdjaftliche 2h®tigTeit be§ aeg^ptifchen 33olfeS, unb aufärztli<he33organge bei bemfelben fith beziehen , für unS flar unb terftänblicß. SllleS beutet tyn auf bie große ORacht unb ben ©influß bet $)riefter, unb ber religiöfe ©harafter, bet alle $hätigfeiten beeinflußte, war ebenfo auf bie ftaatlidjen ©inridjtungen als auf bie wiffenidjaft» lifheit Seftrebungeit ISegpptenS ton nad^haltiget ©inwirf ung, unb

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14

fo fam eg, bafs einzelne 3n>eige beg SBiffeuggebieteg, wie @efd?idjte, Geologie unb fpijilofopljie, 9lftronomie unb beten täugmüdjfe, bie Slftrologie, wo bet üJipfticigmug bett günftigften SBoben fanb, in oiel bebeutenberem fDiafce gebieten als jene Bweige ber SEBiffen* , wo bie Vorgänge bet 9tatur mit forfdjenbem unb prüfenbem ©eifte ju ergrünben waren.

IDesfyalb (jatte aud) bie SJtebicin, bie gleidjerma§ftt tn Slegppten iljren Urfprung unb i!>re äugbilbung genommen im Vergleid) 3U ben übrigen SSiffenggweigen ficfy mäßiger entwirfeln fönneu. .piergn fam nodj ber feciale Uebelftanb, bajj bie oberften ©efellfdjafgtlaffen bag Volf in ungemein begpotifdjer SSeife be* fyerrfdjten unb augfaugten. Urfpnmglid? bürfte wo!)l bie öeljanb* lung franfer 3Renfdjen, bie wie Safttfyiere betrautet würben, gar nidjt geübt worben fein. einer Seit, wo man 2000 ÜRaun brei 3aljre lang befd)äftigte, einen einjtgen ©tein oon (Slepljautine na<§ ©aig ju fdjleppeu, wo bet ifanal nad) bem rotfyen SReere 120,000 Ülegoptiern bag Sebeu foftete, s) unb ber Van ber großen ‘Poramibe 20 Saljre fyinburdj bie Arbeit oon 360,000 9Renfcfyen iu 5lnfprudj nafyrn, wag mag ba wofyl ein ÜRenfdjenlebeit wert!) gewefen fein? ©päter jebod), alg bag unterbrüefte Volf gegen feine .petrfdjer reool* tirte, alg man bie (Erlernung oon (bewerben begann, *) unb bie Arbeit einen sJ)reig befam, ba Ijatte aud) bag SRenfdjenleben unb bie (Erhaltung ber ©efunbfyeit einigen Sffiertlj, unb oon ba au batiren wol)l bie erften eruftlidjen Verfudje gut Vefyanblung ber Äranfen.

©ie mebicinifdjen teilten unb £ljätigfeiteu waren foweijl in ifyrer urfprünglidjen gorrn alg aud) jpäter mit moftifdjen 51er* ftellungen innig oerfnüpft. ©ebete, SRiten, 3eremonien mannig* fadjer Ülrt mifdjten fid) in bie üefyreit ber .peilfunbe, unb bie SRagier ober ^rieftet waren bie Vermittler gwifdjeit ben franfen ÜRenfdjen unb ben unficfytbaren ©ewalten. 3n einem fo t^ec«

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fratifdjen Staate, wie Slegnpten war, wo bie 'Priefter tie mädj* tigfte Stellung einna^men, baä Steif unb bie Benige beZerrfdjten, Abgaben für bie ©ottZeiteu unb Sempel einZeimften, Opfer in ©eftalt »on SOfjieren unb gelbfrücZten einZoben, fidj felbft aber »on allen brütfenben Saften ju befreien wußten bort fonnte nid)t SBunber ue^meu, bafj biefe fyod^geefyrte unb beuorjugte Bafte bie SluSübung bcr SDiebiciit, bie in ifyrer 3trt aucZ alö ein 3Jlittel jut Stergröfjeruug beö SlnfeZnö uub bet ÜJlac^t anjufe^en war, in ben Sereid) iZter SBirffamfeit jogen.

£a$ Baftenfpftem war faum in einem mittelalteilidjen geu* balftaat fo auSgebilbet alö unter ben ‘Äegpptiern, unb felbft bie sJ>rieftec rangirten nacZ »erfdjiebeneu Slbftufungeu, unb burften je nad) iZter Slfyätigfeit fid> nur an gewiffe 23efdjäftigungen galten. 2Die£5berpriefter befaßen bie grofjte 9Jiac^t, unb bie ©eZeimniffe, bie fie in ifyren SJtpfterien bewaljrteu, würben nur ben eiugeweiZten ^rieftern unb ben Königen mitgetZeilt, bie bemnacfy unter bern ßinflufj biefet ZecZften Bafte ftanben.4) 3m ©anjen gab 8 »erjdjiebeue priefterflaffen, bie i^re Attribute unb 33erufSpflid)teu in i^ren gamilien erblich aufred)terl)ielten, uub uuter biefeu waren bie fPaftopljoren, 'priefter, welche bei feierlidjen ©elegenZeiten unb ^)tejeffienen bie ©etierbilber unb Sempelinfignien trugen, jene Blaffe, welche ficb aubfdjlie&licZ mit Teilung »on Brautzeiten befaßten. einer anbern Blaffe gehörten bie Üaridjeuten ober ßinbalfamirer, fPriefter, welche alte auf bie 3ubereitung bet Seidjen unb SDtumifuirung berfelben bezüglichen Qtnorbnungen ju notl führen Z^tteu.

2>ie SeZren ber trieftet waten tZeilö feiere, weltZe burdj m ü n b l i cZ e Ueberlieferungen, tZeilö feiere, weldje burd? f cZ r i f 1 1 i d) e 3luf$eid}nungen ben öingeweiZten fuubgegeben würben. 3)ie ßrfteren waren »oll ppeimlichfeit unb SDlpfticiamuö, unb gtiecZijdje ScZriftftetler, welche und »oit bem ftaatlicZeu unb pri»aten Sehen

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10

AegtptenS fo intcrreifante fDtitthcilungen ^interlie§en, welche auS eigener Anfchauung ihre Äcnntniffe tou Sanb unb Leuten gewonnen unb währenb UjveS Aufenthaltes im ^>^araoncniawbe non aegtp* tifdben 9>rieftern felbft manche wiffenfdiaftliche Aufflärung erhalten hatten, fchweigen wieHerobot5) mit ber größten Hartnücfigfeit wo e8 ftch um bie ©eheimlehren ber aegpptifdien ^>riefter hantelt, ober bringen wie 'Plutarch6) ober ©ioboruS7) nur eine un* flare 3ufatnmenftelluttg ton aegt>ptifch*mtftifdten Sehren mit griechisch* philtfcphHdten Anfchauungen termengt, Schiller brüeft in feinem befannten ©ebidjte ,,©a8 terfchleierte 23ilb ju Sa!8", wo ber Uneingeweihte mit ©ewalt ben Schleier, ber bie SJtpfterien beeft, gu lüften iud^te unb barob befinnungöloS ju ©oben ftürgte, in poefietoUer Seife au8, wa8 unter beit fDtpfterien ter* muthet warb: ©ie ©rgrünbung ber ewigen Sattheit.

©ie fdjriftlichen ^riefterlehren waren im ©egenfafce $u ben münblidjen feine terbotenen§rüd)te; GlemenS ton Alejranbrien erjählt, baf) unter ben 36 SBüchern ber fpriefterlebre ober ber hermetifchen Siffenfchaft, 6 33üd)et au8fd)lie&lich ton ben ,tranf* heiten unb Heilmitteln hantelten , unb ba§ bie ^aftophoren ben Inhalt berfelbcn Tennen mufjten. s) Sa8 bie fPriefter erbacht, ober in ihrem Aberglauben fidj suredjtgelegt, wa§ göttliche ©in* gebung, überfinnlidte VorfteUung, fubjectite Auslegung unb fdjlaue ©etttung für richtig erfcheinen liehen, ta§ würbe gefammelt, unb galt für ben ©ober aller theeretifdjen unb praftifdjen ©elehrfam* feit, bereit ftete Hüter bie ^rieftet blieben.

©ie erceptionelle Stellung, welche biefe Äafte bemnaeb ein* nahm, würbe ton berfelben auch geh^ifl auSgebeutet, nnb fie hatte fid) burd? bie Verbreitung unb pflege ter Siffenfchaften, beiten and? bie SRebicin g5l)lte, nicht geringe Verfcienfte erworben, ©er Stuf, beffen ficb bie fPriefter ob ihrer auSgebreiteten Äennt*

niffe unb großen ©elehrfamfeit erfreuten, brang weit über bie (600)

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©rengen ifereä üüaterlanbe§, unb uadj 3>lutarb9) ^aben bie »ei* feftett ÜJiänner unter ben ©rieten wie Solon, St«le8, Slato, 2)emofrito3, ^ptljagoraS unb 2lnbere nid^t nur ihre 31u3* bilbungaudaegpptifben Rauben gewonnen, fonbern auch ben iHuljtu aegpptifber 2Bei$l)eit weiter Berbreitet. JDiefe Bon ben griebifb«* ©eletrten unb 'P^ilofcp^en gerühmte SBei&teit begeg fib gumeift auf religiöfe unb mpftifbe 2>inge, unb biefe waten wieber, bie beu SRuf großer ,£>eiligfeit erzeugten unb bie ^rieftet gerabegu jwangen, in Segug auf gebengwetfe, «Sitten unb ©ebräudje be* fcnbeut uub ftrengeu Serpflibtungen fib gu unterwerfen. Siele biefet allmälig gu ©efefeen fib umwanbeluben ©ebote, bezogen fib auf bie pflege unb Sorgfalt be8 ÄörperS. So galt bie ©ircumcifion, biefe eigent^ümlic^e tbgienifbe SDlaferegel al8 wib* tigeS $)oftulat beä 9)rieft<tttum’$, unb biefet 3e«*nonie muffte fid? auch unterbieten, als er fib in bie ^rieftet«

fafte aufnetmen liefe. ©8 war ferner ©efefe, ,0) „bafe bie ^rieftet fib alle btei Sage am gangen Körper fbeeren unb gweimal je* ben Sag uub jebe 9iad}t babeu mufften." 3Ba8 urfprünglib bie ^rieftet baten, würbe {pater aub mit gewiffen ÜJiobificationen nom Solte gehalten. 3luf Seintaltung be8 jtörperö würbe gefe» ten, unb gegen ba8 ©ntftefeen bou Äranffeeiten butb eine Älei* ber* unb Speifeorbnung Sorforge getroffen.

3öie fel}t man bie Jfteinlidfteit in 23egug auf bie pflege be8 Äörperä beachtete , erteilt au8 beu Bielen Sanität Soor» f b r i f t e n , bie im a Hgemeinen ©ebraudfe waren, häufige SSafbuugeu unb Säber im t^etliQen 'Jtil, ©inreibungen be8 Äörper8 mit rie* ctenben Delen unb Salben, Säuberungen in Sempelu unb SUotn* täuferu waren in tägiger Uebuug, unb niele biefet üJlafenatmen, bie mau 3atb»nberte tiuburb bei eingeluen orientalifben Sölferu übte, werben bort pm Steil teute nob in Sluwenbung gegogen.

3u inniger Serbinbung mit ber .ppgiene ftanb bie Si o 8 m e t i f ,

XI. 255. a (°ul >

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unb burdj felbe bebingt, bcr Söunfdfe fidb gu fdbmücfeu unb gu gieren. SieS ift um fo etflärlidber, als bie grauen, bie bei ben Slg^tiern eine beocrgugtereStetl ttng einnahnten als bei irgenb einem anbern Volte beS SlltertljumS, fidb burth h°hc ©enufefudbt unb ©inn für öffentliche Vergnügungen befonbetS beroortbaten. 1 ')

ÜJtetaQfpiegel, Äämme, Dehlbüdjfen, ©farabäen, IRinge, $aarnabeln unb anbere 3«natbe, bte in ben ©artopfeagen ge* funben mürben, maren ebenfo gierige mie gmedfmäfeige Vebelfe gur ISuSfdbmütfung beS Äör}>er8. SDlunbpillen auS OJtaftij: unb £onig, SJhinfeen unb SBadbbolber l2) gaben bem Slthem einen angenehmen Suft, gleich ben Gadbouj: frangöftfdber Slpotbefer; haarmülfte unb grifuten, unter benen mir gang erquifite Vor* bilber für bie Gl)iqnonS unferer Samen finben, gierten baS hältst.13) Sie SBanbgemalbe auf ben^empelmänben in Sbe&«“ geftatten uns bte Annahmen, bafe man nicht nur gu glängen liebte fonbern auch mit Sorgfalt fidb gu fdjmüdfen mufete. 3n ben „Ijiftorifdben Snfdferiften," bie ein b^orragenber Steg^tologe, Sümtdben, in’S Seutfdbeübertragen unb bie gefcbicbtlidbe SetailS auS ben bpaftifdben Kriegen ber 9>bar£toueufönige enthalten, pnbet fidb eine ©teile, bie oon ben ^arfum'S ber alten SlegppHer Äunbe giebt. ,4) SBenn eS unfern ©bfm^er» gelingen föitnte, baS göttliche „ana“ miebergugeminnen, ein foSmetifdheS SRittcl, baS in überfdhmenglidher ©djilbetung „bie ^aut bem ©olbe unb ©Ifenbetn ähnlich, unb mie »on himmlifdhem ©ternenglangeftrahlenb erj^einen läfet", fo hätten bie Sermatologen unferer Sage eine leichte Arbeit, mo eS fidb um bie Verbefferung einer trauten £aut ober eines »ernadbläffigten SeintS h^nbelt.

2Bir fehen bemnaä), bafe man felbft im alten Slegopten nebft löthetlidber pflege, ben 2uyu8 fo meit er auf äußern 3*errath unb Verfdjönerung beS ÄörperS fidb begog, nicht aufeer Sicht liefe; trofe allebem mufe man anerfennen, bafe bie Slegnptier ein eminent (602>

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ernfteS, ja böftcreö Bolf waren. 3b*e grobe Hinneigung 3U reli* giöfen unb mpftifdjen Hanblungen, bie ©rofjartigfeit unb *prad)t ihrer Stempel, bie bingebungSooQe unb finblidje Berebrung ihrer ©ötter unb ©oi^en waten berebte Beugen eines tiefen ©laubenS* lebenS. Se^tereS erfläri auch ben mächtigen ©influfj, ben ade 3trten non Bermittler erlangten, bie bie Bedienungen gwifdjen unficbtbaren 9ftäd)ten unb irbifdjen SBefen gu Unterbalten »er» ftanben, unb berart gelangten SBabrfaget unb Jraumbeuter gu 5lnfebn, unb bie Leiter aller geiftigen unb geiftlicben Begebungen gu SJlacht unb SBütben. £Die ^rieftet wußten aber auch fn fluger SBeife bie irbifdjen 3uftänbe mit überirbijcben Berbältniffen in ©inflang gu bringen, in ben ©eftirnen fucbten fie bie Be* f<büj}er ber ÜRenfcben unb ibreS leiblichen SöoblS, unb ben ©ott» beiten eigneten fie eingelne Äörpertbeile als unter ihrer Dbbut ftebenb gu. 1S)

3e tobet unb unwiffenbet baS Bolf war, mit befto gröberer ©<beu fab man bann auch auf bie Bermittler gwifdjen SJtenfcben unb ©öttern. 3)aS gange ©ebabren beS ^3riefterftanbeS war »on mnftiftbem Hanbeln erfüllt, unb bie ärgtlicbe Sbätiöfett war ein ergiebiges Uetrain für felbeS. 3)ie IStt, wie bie Magier unb ^rieftet SlegpptenS ihre SOtad)! gu behaupten wufjten, biente für alle Beiten gum glängenben Borbilbe für jenen ©tanb, ber ftetS bie geiftige Jperrfdjaft in Hänben gu halten ftrebte. 5)ie begeifterten Propheten 3uba8 unb 3StaelS, bie ©eher ©riedjenlanbs, bie ^rieftet UtomS, fie fßnneit nur als geiftige Badjfolger ber agpptifdjen ^rieftet gelten, gleichwie bie ©eiftlic^en im SSJtittel* alter ben ©upranaturaliSmnS als befte ©tütje ihrer 9Jtacbt be* tracbtenb, nur baburcb ibte bettfcbenbe ©tellung gu behaupten »erftanben. 3)er SDRpfticiSmuS erfdjeint bemnacb gu allen 3eitert als eine bem SKenidjengejcblecbte innewcbuenbt ©laubenSneigung, an welcher eS in ber Äinbbeit ber Äultur unerfcbütterlid) bängt,

2* (6U3>

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20

I

oljne ba§ jebodj mit guneljmenber Steife unb Vilbung ber ©laube an wunberbare unb überirbiftfje 3)inge, gumal iit bet fDtebicin, gänglidj abgefdjüttelt wirb. 1 *)

@S leibet feinen 3*»eifcl, bafj bie ägpptifdjen 'JJriefterärjte tro£ ifyreS mpfttfdjen ©ebaljtenS fttij audj bemühten, womöglidj gegen bie Äranfljeitenbiteft einjujd&reiteu, entfpredjenb benftnbifdjen unb unflaren ’ilnfdjauungen, bie man non bem Siefen ber Jfranffyeit felbft Ijatte. 1T) !Die praftifdje SJiebicin war ja ftetS bie Vorläuferin bet t^eoretifdjen, unb triebt nur in ben ältefteu 3eiten ber mebicinifdjen Äunft ging bie Veljanblung ftetS ber VegeicJjnung für eine Äranfljeit oorauS, fonbern audj Ijeute nodj »erfudjt man,.freili(^ in anderer SBeife, bie JtranfljeitSipmptome guerft gu befämpfen, oft beoot notfy baS Siefen ber Grrfranfung flar erjdjeint. 2)er (Srfolg fyatte in ber SDtebicin ftetS feinen großen 2Bertl} unb bie medicinifdje SBiffenfdjaft tjatte barum non jeljer baS Votredjt genoffen, in fpeculatinem unb mpftif^em ©eifte auSgebeutet gu werben, unb je unoerftänblid^er eine 8el)re etfdjien, befto lei^tere Verbreitung fanb fie unb um fo beffer war bieS für if)re ©rfinber. Dfyne Verufung auf bie ©efjeimleljren beS Sllter* tl^umS genügt eS auf bie grofjen mebicinifdjen Sdjwinbel«@r« rungenfdjaften beS lebten SaljrljunbettS Ijinguweifen, »on benen leiber nur einige ber wotjloerbienten Vergeffenljeit anljeimgufallett beginnen. 3ft ber Somnambulismus, ber SJteSmeriSmuS, bie Jpomoopatljie, bet Spiritismus etwa beffer als bie ägpptifdje SJtpftrf?

1L

2)ie aegpptifdjen ^riefterär^te Ratten nun, wie bemerft, auf 3Weifadje SBeife bie Teilung ber Äranfljeiten angeftrebt, entweber in gorm beä reinen ÜJtpfticiSmuS, indem fte fidj au bie ©ötter um Diatlj wanbteu, Sträume gurec^t legten, unb Vefdjwörung

(,60t)

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21

von ©eiftern, bie man in bem ftanfen Körper »ermuthete, unter» nahmen ober in ber 5öeife, baf) man nach ben 93orfd)riften ber bermetifchen SBiffenfchaft eine regelrechte S3ebanblung »er* füllte. £Die STraumbeuter unb 9ßahrfager haHen Me Aufgabe, bie burch Traume bewerffteöigten Kunbgebungen ber ©ottheit gu erflären, unb mußten in mistigen focialen unb politifchen fragen ebenfo ihre ÜReinung abgeben, als bort wo eS ficf) um bie ©efunbfyeit banbette. 35ie Grtjebung beö biblifdjen 3ofef, eineö ftremblingS, gu einem aeguptifcben Statthalter läfd be= urtijeilen, weites Slnfeben Jraumbeutung unb Slftrologie genof), wie feljr man alle Sudeten 93orgänge »on bem ©influfj h^e*01 ©ewalten ableitete unb welche 93el»hnung jener harrte, bie eine günftige Deutung gu bieten im Staube waren. SDiefe über» irbifchen ©ewalten unb ©etfter hielten bei Kranfljeiten eine wichtige Stolle, man betrachtete fie als in ben Körper ber ^Betroffenen eingebrungene SDämcnen,18) unb bie gegen bie Kranfheiten »orgunehmenbe SBebanblung begwecfte eben bie 93er* treibung berfelben. SJiaSpero, ein »orgüglicher Slegnptologe, hat eine in ber Bibliotheque nationale gu $)ariS befinblidje Säule (stele) worauf eine bur<h ©porciSmuS unternommene 93e* hanblung »ergeichnet fleht, entgiffert, beren furger SluSgug folgenber* ma§en lautet.18) „©in afiatifcher ^)ring aus 93o<htan, fam gu SthamfeS XII., ber beiläufig 1260 »or ©h*ifto8 hwtfchte, mit ber Sitte um einen SBaljrfager bebufS Sehanblung einer fronten Königstochter, bie »on einer fdjrecflichen KTanfheit ergriffen war. JDer König lieh einen ber erfahrenden trieft er gut Kranfen reifen, hoch war er troj} aller SBemübungen nicht im Stanbe, ben JDämon auSgutreiben. SihamfeS wanbte fich nun an ben ©ott föhunfu, ber feinen SteUcertreter in ©eftalt eines ©öjjen gur Kranfen fanbte. Selber würbe mit großen ©hren in

Socbtan empfangen, unb ber SDämon, ber bis baljin bie fpringefjtu

(60'.)

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22

befeffen batte, entfernte fi<h unter gtofeer ©bretbiehtng cor beut ©tanbbilb bet mächtigen ©ottbeit, unb bie Äranfe genaS." Selbftoerftänblicb hatte man bte Diener bet groben ©ottbeit reichlich befdjenft unb mit prächtigen ©aben wiebet nad? jpaufe gefanbt.

Die Dämonomanie galt au allen Beiten; bie cultioirtera äegppter, Ölffpret unb Werfet bet alten SBelt glaubten an ©eiftet unb Dämonen, unb auch bei ben weniger cultioirten Nationen alter unb neuer Beit begegnen wir mitunter gleiten 3been. @0 beftebt beute noch bei einigen Sölferfchaften ber ©laube, ba§ jebe franfbafte Seränberung beS ÄerpetS burdb einen böfen ©eift »eranlafjt wirb, unb ein frangöfifc^er 9ieifenber, b’Drbignp*0) ergäblt bie ergöfclicbe S£batfac^e, bafj man in Patagonien behauptet, {eben Ätanfen bewobne ein böfet Dämon, babet fübrenbie „5Jlebiciumänner" ftetS eineDrommel mit Teufels» figuren bemalt bei ft<b herum, unb fragen biefelbe am Sette beS jtranfen um ben böfen ©eift aus bem Äörpet gu oertreiben. 3n äbnlicbet SBeife bebanbelte SftubenS biefen ©egenftanb in einem prad)toolIen ©emälbe, bet in ben faifetlidjen ©allerien beS SBiener Selnebere befinblidjen „JeufelSauStreibung", bie aus bem 3abre 1620 ftammt. Dafelbft wirb bie Teilung non $ob« fücbtigen unb Sefeffenen unternommen, beneu ber berüchtigte 3gnafc oon gopola fraft feiner heiligen 5Jiad)t bie IranfbeitSetjeugen* ben Dämonen au8treibt, bie fobann feuerfpeienb au8 bem genfter binauSfabren. Der mebicinifcbe ©eifterglaube, ber im älter» tbume ein allgemeiner war, bat fid) fonach bis in fpätere 3eit* alter treu erhalten, oft freilich in einer »iel nachtbeiligern unb befcbämenbern gotm. @0 bat ber £ejren» unb DeufelSglaube beS SKittelalterS, welcher bie böfen ©elfter für bie Urfachen oor* banbener Seuchen hielt, in feinen SGBirfungen oiel ärger unb oiel bösartiger gehäuft, al8 ber Solls* unb Dämonenglaube bet

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SBilben unb ber ©öfcenbiener. SBeniger tot) aber nicht minbet lächerlich erfcbeint bet moberne ©piriti8mu8, ber mit Serftorbenen unb au6 fremben Selten betbeigerufenen ©eiftem cerfebrt, unb Ärantfjeiten butd) felbe ju feilen corgiebt, wie mit bteS not einigen Sauren in einem cor bem Hefter Sriminalgericbt ab» gegabelten projeffe faben, wo ein fpiritiftifcber SCrgt burd) ©itirung ber ©elfter £umbolbt’8 unb Slrago’e einen epileptifdjen Jfriaben beiten 31t fönnen unternahm, ©rfdjeint ein folget Sot» gang nicht ciel bemitleiben8wertber cor bem Urteil einer wiffeu* fdbaftlicben gorfdjung, al8 ber ©laube ber aegtyptifcben Sterte an bie Ptacbt ber IDämonen?

gragen toit nun, wie e8 ftcb mit ber bireden Sebanbluug in'Jlegppten cerbielt, fo finben wir, bah manbort, icoinbenfrübeften Äulturepodjen gatali8mu8 unb 5Jtcftici8mu6 in ooüfter Slütbe ftanben, admälig mit fortgefdjritteuer jfultur fid) felbft an Srjtlicbe Sebanblung gewagt unb praftifcbe Piebicin in au8* gebebnter 2öeife geübt batte. £Die bei gtie<bif<ben Autoren cor* finblicben bieSbegüglidjen Angaben, rühren fowobl con münblicben Berichten ber, welche ben in Steppten reifenben griedjifcben ©e* lehrten mitgetbeilt würben, jum S£^eil auch au8 ben mebicinifcben «Schriften, welche einen Stbeil ber bermetifchen Sucher au8ma<bteu, bie im 2}ltertl)um befannt waren, für un8 aber cetloreu gingen, wenn anberS biefelben nicht neuetbingS bur<h ben fogleich 3U erwäbnenben mebicinifcben papbruS 6ber8 wieber gu Jage ge* forbert würben. @ed)8 Südjer ber bermetifchen 2Biffenf<baft waren, wie früher bemerft, mebicinifcben 3nbalt8 unb felbe fcbeinen eine jiemlich lügenhafte SDarftellung con ber Anatomie unb Pathologie umfaßt ju haben. 9ta<b PaufaniaS glaubte man, bah fcie ägpptifcbe ©ottbeit Jb0**') ÜOtt einaelnen gorfcberu für ibentifch mit einer anbern ©ottbeit, $erme8 gehalten, bie* felbe cerfajjt batte. Jperme8 (nicht mit ber griechifchen ©ott»

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beit gleichen 9tamen8 $u »erwedhfeln) war fcer Sage nach ber Schöpfer alle« SBiffenS unb bemnadh auch ber |>eil!unbe, unb bat feine mebicinifcben Äenntniffe auf fteinernen Säulen (stele) eingegraben **), »on felben übertrug man bie 3nfdjriften auf $>ap»ru8rolIen, unb ber 3n^att berfelben biente ben ^»riefter» ärjten jur genauen ^Befolgung. 9118 23eifpiel, wie ftrenge bie Sehren ber bermetifdjen ©tebicin gehalten würben, gilt bie 9ln» gäbe non 35ioboru823) „bafc bie 9ferjte bie 2?ebanblung nach ben ©runbfä^en einer burd) lauge Seitraume beobachteten, unb non ben beften Siebten gufammengeftellten ÜRetbobe leiten mußten." Die§ erleichterte auch bie mebicinifdhen ©ingriffe, benn wenn man fid) nach ben b«ilig«u ©obiceS Ijtelt unb bie Äranfen ntd^t retten fonnte, fo war ber 9lrgt non jeber Sdjulb frei, bebanbelten bie 9ferjte aber nach eigenem ©utbünTen, fo würben fie mit bem $obe beftraft.

2>en fpateren griedjifdjen fÄerjten muffen bie jfenntniffe ber ^ermetifc^en fKebicin fe^r finbifd) erfdjienen fein, unb ©alen34) fagt auSbrücflich , „baff felbe fe^r albern ftnb", tro^bem finb felbe für bie ^Beurteilung ber ügpptifchen SOtebicin oon ^obem äöerttje, ber noch bebeutenb gefteigert würbe burdb bie ©nt» gifferung einer $)ap»ru§roHe, welche ber beutfche ©elebrte ©ber8 früher in furgem 9tu8äuge*5), in jüngfter 3«t aber in »oll* ftänbiger lleberfefcung**) mitgetheilt, unb welchen ^>api>vuö er für bie »erlorengegangene bermetifche SJlebiciu hält57)- SDb biefe SBermuthung richtig ift ober nicht, bleibt ber ^Beurteilung einer fadhmännifdjen Äritif überlaffen, für un8 hanbelt e8 fi<h nur um ba8 wiffeufcbaftlidje unb fultureße Sntereffe ba8 wir einer autbentifdhen SJtittbeilung entgegenbringen müffen, welche bie Sdjilberung »on Äranfheiten unb beren 5?ebanblung auö einer altersgrauen Bcitc^jccfce enthält, unb un8 einen ©inblitf

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geftattet in bie Art unb Söctfe wie matt in Aegnpten »ot etwa 3500 Sagten SRebicin getrieben. * 8)

5)er §>a}?tmi8 (Sber8 beftetjt au8 110, auf fd^ön unb wohl* erhaltenen Stellen gef<hriebenen ©eiten, unb gerfäUt in gahlreid)e Abfcbnitte unb Jfapitel. 35er Beginn ber ^appruS lautet folgenber» mafsen: „@8 fängt an ba8 jfapitel »cm bereiten ber Argneien für alle Äörpertheile ton ^erfenen", unb enthält ©prüdfe eingegeben oom ,,Beherrfcber be8 All’8" gur Befeitigung be8 Unheils, weites bie Äranfen »on ben 25ämonen erleiben. 35er weitere Sntyalt biefe8 AbfchnitteS ift ein ©emifdj ron magifdben unb mtoftifdien Borfdhriften, unb enthält Anrufungen an bie ©ottheiten, wie g. B. „SRödhte mich 3fi8 feilen wie fie £oru8 heilt« een allen liebeln." hierauf folgen ©prüdje, "bie bei ber Bereitung ber Arzneien gu t>altert finb.

55er gweite Abfafj enthält ein .Kapitel »on bem Srinfen ber Argneien fammt ©prüdben, bie hierbei gu fagen ftnb, wenn bie Äranfen bie SRebicamente nehmen, ©o lautet einer wie folgt: „SRätfytig finb bie 3auber über ben Argneien, eg fommen bie Argneien, e8 femmt bie Teilung ber 55inge in biefem bergen unb biefem Körperteile" unb fchliefft mit benSBorten: „©efprodjen beim 2 ran! ber Argneien ber Drbnung gemäfc einmal.“ 35er ©ebrauefy ber Argneien war ftetS non ber Aeufjerung ^eiliger ©prüdie begleitet, unb felben fdjrieb man bann auch bie gute äöirfung berfelben gu. ©ewöhnlicb muffte ber Argt, ber bem Kranfen bie SRebicamente reichte, bie Formeln fpredben, unb e8 finbet fi<b in einer anbern ^ieroglp^^iftijen SReliquie, bie al8 berliner mebicin. 95appru8 befannt ift, ein fold^er ©prudf», bet nadb6hal,ae’9) folgenbermafcen lautete: „Erhebe 55id) in guter unb collfommener ©efunbljeit für immer, mögen alle Krantfpeiten, bie in 55ir fteefen, gerftört werben, 35ein Auge möge burdj ^>tah (@ott) geöffnet werben, unb S5ein SRunb burdh ©ofarie."

<cof>;

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3m 9>ap9tu8 @bet8 folgt auf ba8 Kapitel be8 ärgneitrinfenS ba8 bet Äranfbeiten unb bet bagegen gu reidjenbeu Webicamente, ein Äapitel, ba8 6ber8 für ben intereffanteften S£b«l be$ gangen 2Berfe8 hält. Obgleich wir biefen umfangreidjen §)ap»ru8 nidjt im SDetail »erfolgen fonnen, fo fügten wir nadj ben befannten Angaben unb äuSgügen nut footel an, baf) bie mebkinifebe ^>at^ologre ben äegpptiern nidjt nur nicht fremb war, fonberu baf) einzelne ©ebiete berfelben eine beachtenswerte SBürbigung gefunben Ratten. SDic S3efdjreibungen bet Äranfbeiten finb mit ben in reidjltdjer Wenge angegebenen Heilmitteln untermengt, unb bie leiteten in »erfebiebenartigften 3ufammenftellungen an» einanbergereibt. Stuf bie ärgneien gegen Saucbleiben folgen Wittel gegen Äopf* unb Hergfranfbeiten, gegen lieber unb 3udfen in ben ©liebern, gegen guf)* unb IRücfenteiben u. f. w. äm meiften berücffidbtigt waten mobl bie in äegppten enbemifeben Uebet, unb gu benen gebürten 91 u gen* unb Hautfranfbeiten. 3n erfter 8inie gäblen bie’Äranfbeiten ber äugen, welche im ^apptuS 6bet8 einen 9 ©eiten grofjen Umfang einnebmen, unb ©ebilberungen enthalten, bie für bie moberne Dpb^almologie man(b intereffante ängabe enthalten bürfte. äugenleiben waren in äegppten eine wahre üanbplage, wabrfcbeinlitb burdb ben feinen Söüftenfanb unb bie tropifebe H^e »eranlafjt; beute no(b finb bösartige ©tfranfungen ber Sinbebaut be8 äugeS bafelbft häufig, unb bienen befanntli<b in unferet SBiffenfdbaft auch gur Segeidbnung einer febweren SMennorrboe. SDie alten äegpptier batten nun in ihrer J^ctmat reichliche ©elegenbeit äugenleiben genauer gu ftubiren, unb erfreuten ftcb fdbon im ältertbum be8 9iufe8 bebeutenber äugenärgte. SDie ^erferfönige, bie ben grietbifdjen äergten ba8 größte 33ertrauen febenften, batten gut 33ebanblung »on äugenleiben ägpptifdbe äergte in’8 ganb gerufen,

unb wenn bie SBermutbung eingelner ©elebrten richtig ift, fdbeint (610)

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man in 2legppten fogar ben Staarfdjnitt fd)on gelaunt ju haben. ©bet8 führt unter ben mannigfachen gotmen bet äugen franfheiten unb beten SehanblungSarten, bie man gefannt gu haben fc^eint, an: ben 9iebel im äuge, bie ©ntgünbitng bet äugen, ba8 Deffnen be8 SehfelbeS in ben Pupillen hinter ben äugen butch ba8 SJeftreicben beö ängeS mit bem (Safte ©erdjoru8, fomie Heilmittel über bie ©ontraction bet Pupillen.

IBegüglid) bet Hautfranfheiteu ßnb in bem Pappru8 @bet8 einzelne bürftige SIngaben gu finben, bie ftd) jebodj nur auf bie änführung eingelner ÜRittel gegen ben Äopfgrinb, gegen ben äuSjchlag, gegen baß äuSfallen unb ©raumerben bet Haare ic. begießen. Deutlicher al8 ber p. ©. lafjt un8 bie heilige Schrift unb fpütere Sdhnftfteller »ermuthen, ba& mannigfache Hautleiben in äegppten häufig »otfamen.

Obenan bürfte mopl ber in ben 9tiUänbern gahlreidjer al8 in anbern ©ebieten äften8 unb äftifaS 3U beobachtenbe äuSfafc flehen: bie Elephantiasis Graecorum ober Lepra Arabum, mie ba8 Uebel non ben äergten be8 ÜJtittelalterS benannt mürbe. Die in ägpptifdjer Sflaoerei lebenben 3uben maren »on bieiem enbemifchen Uebel gemifc nicht »erfchont, unb bie im alten Üeftamente50) befchriebenen namentlich mit gled unb @ejchmür8* bilbung einhergehenben Hautleiben begehen fich mohl grofjentheilS auf Heprafranfc. ©ben|o fann man bie iu ber heiligea Schrift angegebenen hP8«enif<beu unb therapeutifchen 93t ahnahmen gegen biefeS Uebel als lofalen SSerhältuiffen entnommen betrachten.

©ine öfter oorfommenbe Ä'ranfheit bürften bie „Uchet" gemefen fein, ba eine Sefchteibung berfelben fomohl im Pappru8 6ber8 al8 im berliner mebicin. P. gu finben ift. äl8 Stplprobe ber ägpptifchen Pathologie moUen mir eine Sefdjreibung biefer Äranfheit nad) bem berliner PappruS folgen laffen.11) SDafelbfl

heifct e8 »on einem ifranfen: „Sein Unterleib ift fchmer, bet

(ciu

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Nlunb feineö NlagenS ift TranT, fein H*r3 brennt, in ber Nacht quält iisn ber 35urft; geht er gu Stuhle, fo »erfaßt fein ?eib bie Entleerung. 5n feinem Unterleibe ift Entgünbung, unb wenn er ftch ergebt, fo gleißt er einem 5Renf<hen, ben man hiubert, fich gu bewegen."

3ßir finben in biefer ©dfilberung wohl eine gange SReibe nun ©nmptomen, bie auf ein ferneres Reiben hiugubeuten fcheinen, boch wäre eS gewagt, burch felbe eine beftimmte Äranf^eit er* Tennen gu wellen.

3BaS nun bie eigentlichen Heilmittel ber Aeguptier betrifft, fe haben wir bloße 23ermuthungeu über biefelben. 3f errate« hält fie für feßr einfach3*) unb glaubt, baß man fte wie Nahrungsmittel nehmen Tenne, unb bei beten (gebrauch nichts wage. SDie Nerwenbung fclcher inbifferenter Niebicamente erfebeint jebecb, wenn wir ben $}apnruS* Angaben felgen, nicht recht glaublich, »orauSgefeßt, baft man barunter auch anbete als auf* lüfenbe ober abfühtenbe Heilmittel, bie in ber ägvptifcben Niebicin eine wichtige Nolle fpielten, verftanben hatte, ober baff gtiechifdhe* ^hilafcbhen Abführmittel ebenfo ungefährlich erfchienen als Nahrungsmittel. Alle ©teilen febech, bie von Niebicamenten hanbeln, verrathen ihre Segiehungen gum SDarmfanal. 3n bem mebicin. berl. ^ap. finbet ftd) g. 33. unter verfchiebenartigen Heilfermen auch eine, bie gur Heilung bei Harnverhaltung bient, * 3) unb gwar: SBein, Noft een SBrenge unb Nleerfalg gu gleichen Sheilen als 8. ln ft i er gu benußen. Anbere He^fctmeln ent* halten wieber hüthft wiberliche unb eTelerregenbe ©ubftangen bei innerlichen unb äußerlichen Seiben; fo Ercremente von S^iefen* Harn von SNenfchen, ©alle vom .falbe, IBerfchlucTen non Eibechfen etc.

3m 9?ap. Eb. finb Niifchungen arematifcher (Stoffe erwähnt,

Ätipbii welche gu Näucherungen in ben Tempeln ober bei

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Opferungen Slnwenbuug, bc<^ audj al8 Heilmittel öenufcuug fanben. Plutardj befdjreibt eine foldje SJiifdjung *4), weldje, wenn fte getrunfeu wirb „ba8 3nnere gu reinigen unb ben Unterleib gu erweisen fdjeiut." Stnbere im pap. @ber8 mit* geteilte Äppfyi*9iecepte bürften purfümeriemittel gewefeu fein, benn einige bienten „ben ©etudj bet Äleiber unb be§ Haufeä angenehm gu madjen", wäfjrenb anbete in gorm non DJiunbpiDen bie (ärfrifdjung be8 2ltljem8 begwecften.

2)ie ungeheure SJienge ber »erfcfyiebenften Strgneiftojfe erllärt e8, bafj man fdjon im SUtertfjume Slegppten für ein 8anb Ijielt, baf$ reid) an Heilmitteln unb Slergten war, unb bei Homec Ijeifit e8:ss)

. Aegyptos, wo niel bie ndljrenbe (Srbe

„2rägt bie Sürge gu guter unb öiel gu fdjäblidjer Piifdjung. „So audj jebet ein 'Ärgt, bie (Sterblichen all an (Srfaljrung „Ueberragt."

Pliniu8, 3)ioboru8, plutardj, alle türmen 3legppten8 iReidjtijum an Jpeilmittelu, unb fein Sunber, ba8 man felbe gerne unb fyäufig »erwenbete.

3m ‘Allgemeinen fdjeint ber ©efunbljeitSguftanb ber 23e» wohnet AegpptenS ein günftiger gewefen gu fein, unb3fo!rate8 ber fRebner hebt fogat bie lange SebenSbauer, bereu fich bie Aegpptier gu erfreuen Ratten, befonberS Ijetoor. Ob bie flima» tifd^en SBerhältniffe, ob bie mäßige SebenSweife, beren mau ftch in Aegppten befleißigte, bagn beigetragen Ijaben, ift nicht gn beftimmen. Sebenfaöa fdjeint Unmäßigfeit im (Sffen unb Stinfen »erachtet gewefen gu fein, unb ber pappruS Prpfje56) (fo ge* nannt nadj bem Auffinbet biefer pappru8rolle in Sieben im 3aljre 1847) enthält eine IReitje oon SebenSregeln, bie gleichzeitig al8 tiätetifdje SBorfchriften gelten fönnen. „(Sin Saftet ift bie 23öUerei." „ölenb ift, wer feinem 33audje fröljut, ober wer oer*

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bringt feine Beit in Unbewufctbeit : Dicfleibigfeit berrfcht im

#aufe Solcher" u. f. ».

3)ie ätiologifchen Rlomente, benen man baß ©ntfteben ber Äranfbeiten gufcbrieb, fucbte man im Berbauungßfanal, unb fcheint, bafc man bie pbwfifäen Hebel non bem ©enuffe gewiffer Rabrungßmittel ableitete.37) SDaß befolgen einer »ernünftigen SDiätetif batte wobt ihren ^ngienifdhen Rufcen( felbftoerftänblich fonnte jebocb baß ©ntfteben ber äfranfbeiten baburdb nidbt »er* hütet »erben. Sie ^rieftet gingen au<b hierin mit bem ent* fprechenben Beijpiel »oran unb Rattert mit äufjerfter Strenge gewiffe Spei jeregeln befolgt. ^Mutard) erwähnt übet biefelben :* 8) „S5afj bie ^rieftet nidbt allein bie meiften SJrteu »on hülfen* ftüdbten, Sd}af* unb Scbweinefleijcb »erabfcbeuen, fonbern auch bei ihren religiöfen Reinigungen baß Saig »on ihren Steifen entfernen, um nid^t butdb feinen Reig bie Begierbe gum ©ffen unb Srinfen gu oermebren." Srohbem ging man in ber gürforge für bie ©ejunbbeit noch weiter unb batte ben Berbauungßfanal, ben Sünbenbocf für alle Hebel, befonbetß malträtirt. So war Sanbeßfttte, ba& man in jebem SRonate einmal feinen Körper 3 Sage binburd) reinigte unb gwar butcb Slnwenbung »on Brecb* mittein, gaffen unb Jripftieren. 39) SSenn nun bie ©efunben auß gurdjt erfranfen gu fönnen, mit fteten „Reinigungßmitteln“ fidb quälten, wie mag erft um bie Bepanblung ber Uranien befteUt gewefeu fein! SSenn wir ben Angaben beß SSriftoteleß40) ©lauben fdbenfen bürfen, fo waren bie Äranfen faft beffer batan alß bie ©efunben, benn ein ©efef} »erbot ben ägnptifchen Slergtcn bei ©iutritt einet heftigen ©rftanfuug, gleich gegen felbe eingufcbreiten, unb erft am 4. Sage ober mehrtägiger Beobachtung fonnte man gu 9>utgir» unb Brechmitteln greifen. 3n biefen ©runbfäfjen feben wir bemnach rohe ©mpirie mit tbeilweifem Ribilißmuß gepaart, unb ba über ben ©ebrauch »»u Blut*

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entrungen beglaubigte Angaben gu finben finb,41) jo lönuen mir e8 mohl auSfprechen, bafj bie Äranfen im alten Pharaonen« reiche in gemiffer Segiehung nicht arger baran mären als jene Unglüdlidjen, bie unter bem (Sinfluffe bet gehren gmeier in unfer 3al)rl)unbert fyineinreidjenben drgtlic^en Äorophäen ftanben, nämlich SRafori unb SrouffaiS, ben gelben beS (EontraftimuluS unb Cer Sbetläffe. 3ebenfaflS hätte ber Strgt in 3Jioliöte’§ „malade imaginaire“ mit feinem „purgare unb clysteriumdonare„ ebenfo mie bie gange mebicinifc^e 3unft beS 17. 3aljrfyunbert8 im alten Ölegopten ftammcermanbte Seelen gefunben!

in.

liefen (Erörterungen gufolge unterliegt eS feinem Bmeifel, baff man gegen bie mannigfachften ÄranfheitSguftänbe halb gum Supranaturalismus unb balb gu einer mtrfltdjen £>eümetl)obe griff, ober beibe nad} Umftänben in abergläubifcher Söeife mit* einanber oerbanb. @8 fragt ftdj nun, mie eS um bie gunbamental* lehren ber SJiebicin, um bie Anatomie unb bie fPhhft°l03ie Se’ ftanben batte.

Stflem Ulnfdjeine nad? bürften bie ägpptifchen ^rieftet anatomif<be Äenntniffe befeffen haben, ba ihnen jorcobl burdf bie Berglieberung ber Dpferthiere als auch bureb bie (Ein* balfamirung ihrer 2obten bagu (Gelegenheit geboten mar, unb SRanetho, ein im 3. 3ahrhunbert oor (Ehr. lebenber ägßptifdjet SdfriftfteHer, beffen ©laubmürbigfeit oon fpäteren gorfdjern jebedf angegmeifelt mirb, fchreibt »en anatomifd)en Suchern: „»tbctbiS, ber Sohn beS 9JieneS hat bie ÄönigSburg in SJtemphiS gebaut, unb »on ihm hat man Sucher über Anatomie, benn er mar ein SKrgt"4*). 3n bet fpätern 3eit hielt man bie Stegpptier fogar für baS erfte Solf, baS Anatomie getrieben, hoch mar bieS burchauS nicht ber galt, unb mir müffen bie ben 2leg»ptiern

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gugefcbriebcuen anatomifchen Äenntnifje für je^r niebrig anidjlageu. 5Die8 lägt fidj au8 Bielerlei auf authentijchen Ouelleu fußenden Angaben erfcbließen. $Jot SlQem an8 ben Gtinbaliamirungen felbft. 2)ie 5Krt unb Seife, wie mau bei felber gu Seife ging, fonnte bie anatomifchen Äenntniffe gewiß nicht förbern, weil mau nicht, wie $>liniu8 »ermüdete, bie geitfjeuöffuuugen au8 wiffenfc^aftUdjen, fonbern au8 rein reli giöfen ©rünben Botnabm uub weil man nicht jebeSmal, fonbern nur in eingelnen gäUeu mittelft einer fehr mittelmäßigen ORethobe bie Äopf* uub 58au<b* ^6ßle Bon ihrem 3u^alte befreite, ohne weitere Serüeffidjtiguug auf bie anatomifchen SBerljältuiffe bet Jförperfpfteme. SDie durch SDfumification beabfidjtigte 6rbaltung ber Ueichname beruhte auf bem ©lauben oon bet Unftetblidjfeit ber ©eele unb bereu Sanberung, eine teligiöfe 'Äufitbt, bie bei ben Äegpptiern ^uerft 23oben gefaßt hatte- SDiefelben betrachteten ba8 gebeu im 3enfeit8 alg eine gortfeßung ihrer irbifcben Laufbahn, nur mit bem Unterfcbiebe, baß man bafelbft, außer man gelangte in bie Unter» weit, frei Bon allen ÜJtühfeligfeiten unb ^lacfereien fitb befinde, eine ©laubenbleßre, bie befanntlidj au<b in ben monotheiftifcben SReltgionen gum $h«il 3U finden. 9iur glaubte man, baß „bie Seligen" manchmal au8 ber ^immlifc^eu Soßuung in’8 ©rbreicß gu wallen pflegten, uub ihre ©räber auffucbten, weshalb man bie irbifcben füllen, in benen fie einmal gehäuft, möglichft gut 3u erhalten trachtete.4*) 2)ie SRumification gedieh fctchertna^eu 3U einer befonbern Äunft, unb wurde für eine befonbere ^rieftet* Haffe gu einem einträglichen ©ewerbe. .fperobot uubSDiobotuS44) jchilbem ben dabei 3U befolgenden Vorgang wie folgt: fRad)» bem bie 23erwanbten be8 Ükrftorbenen mit ben (Sinbalfamirern ÜRficffpradje genommen, um je nach Dlang unb Vermögen«« nerhältuiffeu bie ÜRumificiruug auSguführen, würbe ber Leichnam

ben sPriefteru übergeben. @8 gab breierlei im greife terfchiebene (616)

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arten ber Ginbalfamirung, bc<if nur bet ber erften unb theuerften würbe bie Bauch* unb jfopfhöhle geöffnet, wäljtenb bet ben anbern bie Äörperhöhlen unoerlefft biteben. Die Äopfhöhle tnurbe in ber Söeife con ihrem 3nhalte befreit, baff man baS ©effirn mittelft eines Trummen, hafenförmigen, gebogenen GifenS burch bie Bafenlödjet ^erauögog, unb barauf roohlriedhenbe SRittel ^ittetttgo§. f$ür bie Deffnung ber Bauchhöhle gab eS [einen eigenen $)rofector , TiaQaoxiorijg, ber mit einem fdharfen Stein an ber linfen Seite beS Unterleibes einen tiefen Schnitt machte unb alfogleidh baoon lief, ba bie um» ftebenben Berwanbten mit Steinen nach ihm warfen. Diefer »on DioboruS berootgehobene Umftanb fafft einen fonberbaten Sßiberfprudj in fid), unb tä§t nermuthen, baff bie aegnptier, fo fehr fie burch ÜJtumiftcirung bie Seiber ber Beworbenen für bie Gwigfeit gu erhalten ftrebten, bennoch bie Eröffnung beS SeidffnamS als eine ftrafroürbige Gntweibung betrachteten. Die burdh ben 3>arafdbifte8 geöffnete Bauchhöhle würbe »on ben ^rieftera ge» reinigt, mit Palmwein unb Spegereien aUet 3rt gefüllt, gu* genaht, unb bie Seiche hierauf burch 70 Jage in einer Batron» löfung beiaffen. Bach Ablauf biefet 3eit würbe ber Seichnam abermals gereinigt, mit Beinbern auS Sinnen unb BiffuS, bie mit ©ummi beftrichen waren, umwicTelt, in einen hölgernen ©arg, ber nach menfdhlidhen ©onturen unb bem Seichnant ent* fprechenb »erfertigt war, gelegt unb oon ben Berwanbten, an eine 5Banb beS ©rabmalä gelehnt, aufbewahrt. Derartig bemalte unb 3ahrhunberte binburch wohlerhaltene .^olgfatTopbage finb, gumeift ohne Inhalt, in allen nennenSmerthen europäifdhen 93?uieen gu fehen. 2Senn wir nun, wie bemetft, bie föcumificirung burch» auS nicht als einen bie wiffenfdhaftlichen Begebungen förbernben Borgang begeiebnen Tonnen, fo liefert fdbon ber Umftanb, baff ber $)rofecter nach Gröffnung ber Bauchhöhle fich au$ Aurcht

t, tu. 3

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bot Steinigung flüchten mufcte, umfomehr ben Seweig, ba§ bic religiöfen ©runDfafce jebe anatomifche Sorfdjung beeinträchtigten.

2lu8brucfgroeifen für anatomische Serbinbungen toaren wohl befannt, unb 6ber8 fuhrt eine Stelle an, wo h«§t: bn§ in ben Schläfen, im Stopfe, ben £)htra nnb ben ©efäfcen je 4, in ben Rauben unb Süjjen je 6 Slutgefäfje perlaufen, hoch fehlt jebe nähere etflärenbe Angabe baffer, ob man unter ber h'wo« glpphif^en 33egeid)nung Slutgefäfee, Kercen ober gar 5Ru8feln »erftanben hoben tonnte.

SJtit ber ^h^fiologte mar eg auch nicht beffer beftellt alö mit ber Anatomie. So ergäbt 9lulug ©elliuG45), bafj bie ©emchnheit ber Körner unb ©riechen, bie Kinge am Kingfinger ber linfen £anb gu tragen, »on einer ägnptif^en Sitte abftamme, inbem man bei ber ©töffnung menfdjli^er Leichname, wie bieß tn Slegnpten ber galt toar, einen fehr garten Kero gefunben hatte, ber »on biefem Singer auGgeljenb mit bem bergen in Sßetbinbung fteht. Berner glaubte man, bafe ba8 £>erg »on bet ©cbitrt biö gum 50. SebenGjahre jährlich um j 8oth gu* nehme unb »on ba an um ebenfooiel abnehme, wag ben ©intritt beg 2obeG »eranlafjte.

©ine wiffenfchaftlidhe fKebicin gab eg bem Angeführten gu* folge im alten Aegppten nicht, Defto auggebreiteter war jeboch bie praftijehe ärgtliche Shätigfeit, unb bie 3ahl jener, welche ftd} mit ber Teilung »on Äranfheiten befaßten, fdjeint eine fehr be* beutenbe gewefen gu fein. 3?aG ^eilgefdjäft, bag utfprüuglid} bie ^'riefter befergten, ging mit Der 3eit in bie $änbe »ou 8aien, rejpectioe Aergten, über, bie fobann al8 folche überall ttirften. 2)a8 Äaftenfnftem hatte aud) auf biefen Staubfeinen unser* fennbaren ©infiufe. Sowie ber Acferbauer, ber ©ewerbtreibenbe, ber £anbelgmann u. f. w. nur ihrer erlernten ü£l)ätigfeit »orftehen burften, ficlj burch befonbere Uebung »crttjeilhafte Äunftfertigfecten

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nnb jtunftgriffe aneigneten, welche fie ißten bireften fftacbfommen »ererbten, bie bann bie (Summe ber ererbten Äenntniffe burdj SBeiterbilbung »ergrößerten, fo Ratten auch bie Ülergte, bie fi d) nur je mit einzelnen ÄranfbeitSformen befaffen burften,48) geroiffe praftifeße Äenntniffe gefammelt, bie fie ihren Familien* güebern reieber al8 ©rbtbeil binterließen. SBäbrenb nun einer» feitS bie »on ben Borcltern gewonnene (Srfabrung tm Bereiche be§ ärjtlidjen SBiffenö »on unleugbarem fftußen für bereu 9lad)< fommen war, batte anbrerfeitS ba8 Äaftenreefen, »erwöge beffen ber Sohn ba8 ©ereerbe ober bie STljaiigfeit beö BaterS ju ergreifen bemüßigt war, ben geiftigen $cri3ont gefef5li<b eingeengt, unb bie inbimbueüe 8eiftung8fäbigfeit gtüctfelloS beeinträchtigt.

3n ber praftifeben ^eilfunbe offenbarte fid) barum jumeifi ber ÜJiangel eine8 freien 8licfe8, einer reeitauSfcbauenben 9luf* faffung unb (Sombination in ber Beurteilung einjeluer ©tfcfjei* nungen, ÜJtemente, bie bie ©runblage einer mebicinifcben ®ia» gnoftif bilben. @8 gab lauter Spejialiften aber feine gefaulten Serjte, unb nur ba, reo eS fidb um äußerliche Jtra«r^eitSformen ßanbelte, batte biefe einfeitige Dichtung fidb mit 9iußen »erreertben laffen. 3)ie SSegoptier batten bemnadj and) in ber Bebanblung gereifter Äranfbeit8formen ficb einen bauernben 0iubm erreorben, ber lange noch nach ber Bernicbtung ber Selbftftänbigfeit ißreS SReidjeS anbielt. Söir haben fd?on oben be8 SiufeS ertoäbnt, beffen ficb bie ägpptifcben ^ugenärjte außerhalb ißreS .£>eimat§* lanbe8 erfreuten, auch al8 (Dermatologen überragten fie ißre mebi* cinifcben Seitgenoffen. 9118 3ur Beit ber römifeben SBeltberr* febaft bet römifebe IRitter ©of finit 8 an einem glecbtenübel litt, ließ fein faif etlicher frteunb Beto einen ägBptifdjen 9lrjt nach SRom fommen , ber nach »otlenbeter Äur reich befebenft nach $aufe febrte47). f'liniuö ergäbt ferner, baß unter Äaifer

2iberiu8 ein anfteefenber befer 9tu8f<blag au8 9(fien nach Italien

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»erftftleppt würbe (morbus tanta foeditate ut quaecunque mors praeferenda erat)4®); um nun biefet Seuche leichter §evc gu werben, lieft man aegnptifcbe Slerjte , bie in ihrer Heimat mit biefem Uebel fdjon oertraut waren, nach 5Rom gut S?ebanblung fommen, welche nach anfcbeinenb glücflichen Teilerfolgen grofte 33eute nach Taufe foppten.

3Ba8 bie (Sftirurgie anlangt, bie a!8 ein 3weig bet ptaf« tifd^en ÜRebicin überwiegenb mit dufteren liebeln gu tftun tjat, bürfte felbe in Segneten faum mit gleichem (ftfolge al8 anbere mebirinifdfte Jftdtigfeiten geübt worben fein. Tiergu fehlten bie notfywenbigen anatomifchen Äenntniffe uub entfprechenben 3n» ftrumente49). 3)ie in 2legnpten befannteften operatinen (Ein- griffe : bie (Jircumcifton, unb bie beftufä @inbalfamirung noth* wenbige Eröffnung bet UntetleibSftöftle, gefdjaft nicht mit metaH* nen Snftrumenten , fonbern mit einem idjarf gugefpifcten aetftio» pifcben Steine; Gh“ba8sn) gibt einige Stbbilbungen biefer in ben ÜRufeen non Surin, Serben unb SBetlin »orftnblidben 3n» ftrumente, bie ba8 55u8feften einer roft geformten Älinge ftabeu, wie fte etwa an ben bei un8 gebräuchlichen fRafirmeffern gu fehen fiub. Such chirurgifche Tanbgriffe bürften nicht nur in ben früfteften, fonbern auch *n bet fpätern Seit nicht feftr befannt gewefen fein, unb wäre einmal einigen aegpptifchen Ülerjten ob ihrer bie8bejüglicften Ungefchicflichfeit halb übel ergangen. 35er ^Jerferfonig S5atiu851) f>atte fid) nämlich auf bet 3<tgb eine fßerrenfung im guftgelenfe gugegogen. 3)ie an feinem Tefe befinblichen Seibdrgte, 2legpptier, Derfucftten ben au8 bem ©elenfe getretenen Änödjel wiebet eingurichten , boä} oetgebenS, unb fte hatten burd) ungwecfmäftigeS Sieben unb 3erren bie folgen ber ©ontufion nur gefteigert, fo baft bet Äönig qualoolle Sage unb fftdcftte »erbrachte. 35a würbe uun bem Tettfdber mitgetheilt, baft unter ben (befangenen ein griedbifcher 3lrgt, 35emofebe8, pdf

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feefinbe, bem auch nach furger Seit gelang, ben Äönig »über Beflfcmmen ton feinem Reiben gu befreien. 3118 nun -Datiuß mit leinen geibärgten einen futgen $>rogefe matten, unb fie für Ujre Ungefc^icfli^feit auf fPfähle fpiefjen lafjen wollte, ba tjat btfi IDemofebeß Fürbitte felbe ton fdjeufdichem £obe gerettet.

SBahrlidj ein ebler 3ng eine® Slrgteß gegen feine GoKegen, wie man ihn im SDRittelalter con einen; Sänger üSeSculap’ö gegen feine 3unftgenoffen !aum »ergeic^net hätte, benn 31 grippa , ein gu (jnbe beß 15. 3a^r^unbertß wirfenbet geiftooller Slrgt, fdjilbert feine SeHegen alß „homines omnium scelestissimi, discor- dissimi et invidentissimi“ 5a); wahrfcheinlid} hätte ein mittel« altrrlic^er Setlega ftatt beß $)fahlfpie{jenß eine milbere üobeßart rcrgej^lagen!

Söerfen wir noch einen 2Mid auf bie materielle ©eite beß ärgtlidjen ©tanbeß in Slegppten. SBir bürfen annehmen, baf} bie tfleigte fowohl alß ^rieftet unb jpäter auch alß ton hieratchi» i<hen geffeln befreite fUiänner in ber ©efellfc^aft eine widrige SRcOe gefpielt haben. 3nbetn fie bie ©efunb^eit ihrer Sltit» bnrger überwachten, waren fie für baß geben beß Singeinen oerantwortlich , unb ba fie nach ftrengen SBeifungen torgehen mußten, fo werben fie fich wohl gehütet haben, ihr eigeneß geben burd) Uebertretung gefefjlithet SBorfc^riften gu terwirfen. Unter fcldjen Serhältniffen werben fich wohl alle bie £eilfunbe auß« nbenben §)erfonen für ihre SDtühewaltung fdjabloß gu halten gefugt haben. Sllß ^rieftet nahmen fie fich ihren ^heil con Opfern, Abgaben unb ©efchenfen, unb alß 3lergte im engem ©inne er« hielten fie eine birefte 33egal)lung. Urfprünglid) beftanb felbe in Naturalien,53) unb bafür mufjten fie für Sebermann mit ihrer Äunft gu 2?ienften fein, fpäter aber würben fie begatjlt, unb toahtfcheinlid) nicht fchlecht. Söir befifcen wohl feine fichetn Nachrichten, wie man in 3legppten bie 3lergte hcnorirte, bei ben

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Petferfönigcn unb in {Rom »ulten fidj bie Gpigouen berfelbeu jeboch grofje {Reichthümer gu ft^affeu.

2)ie Ginbalfamirer, welche als bie pathologifchen ütuatomea beb alten Slegppten angujehen waren, wufjten für iljre gweifelbohne, mühenollen Stiftungen recht anftanbige Siedlungen gu machen, ©o foftete bie SJiumificirung einet Seiche i4) nach bet etften Jflaffe 1 Stalent Silber, ^ i. 2000 fL £>. SB.; nadj bet gweiten .Rlaffe 20 SRinen = 600 fl., unb nur bie britte Älaffe foftete eint getingere Summe. 2)iefe preibccuraute finb um fo auffälliger, alb bie S3iDigfeit beb Sebenbunterhaltb in Slegppten eine fabel* hafte »ar. SSebenft mau nun, ba| bie SRumificirung butch ein religiöfeb ©efefc ootgej^rieben, ba| aegppten bidjt beoclfert, unb nut einet einzigen priefterfafte, ben Saridjeuten, bie Gin* fcalfamirung ootguneljmen geftattet »ar, fo fann man bab jä|rlid|e Ginfommen biejet Ginbalfamiter alb eiu fe|r bebeu* tenbeb neranfchlagen.

3um Sdjluffe wollen wir nod? bet Pflege ber SBiffenfdjaft, bereu einen widrigen Bweig bie Plebicin bilbete, in ätütje gebenfen. Gb ift »o|l unnöttflg |etoorju|eben, ba§ in eiuera Sanbe, beffen geiftige Sdjä|e alleb SBiffen beb ootljeflenif^tn Sllterthumb übertrojfen Ratten, unb beffen Sanb alb bie SBiege griechifdjet Äuuft uub {Religion gu betrauten ift, bie SBiffen* fdjaft aud) eine ernfte Jpeimftätte befa|. Gb gab gal)lreidje Spulen, wo eifriger Unterricht erteilt unb mit Strenge überwacht würbe. SRabpero entzifferte eine im britifcheu SRufeum oorhanbene Papptubrofle, *s) aub bet gu entnehmen, ba| felbft bie äiinber gum Unterricht fleifjig angehalten würben. „Seben Sag, fo lautet eine Stelle bafelbft, alb 2>u in ber Schule warft, fam JDeine SKutter gu 2)einem £ehret, uub überbrachte für 25id} Stob unb ©etränfe nom Jpaufe." 3)iejeb beutet barauf h*u,

ba| bie Äinbev einen großen $h«1 beö 2ageb behufb beb Unter* (62 v

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rid>tS fid j in bet ©dfule aufseiten, unb bert in einer Slrt $)enftonat lebten, wobei bie Nahrungsmittel »on ben Grlteru in natura »erabfolgt würben. 2?ei fehlenbet Sufmerffamfeit unb gleif) ha»« ber Stocf beS NiagifterS rühmlich nachgeholfen, unb man »erfuhr hiebei gerabe nicht mit großem gartfinn, felbft wenn bie Stubenten fdjon über baS Knabenalter hinaus waren. „£> Schreiber, helfet eS bann weiter, fei nicht trage, fonft wirft 2)u grün unb blau gefdjlagen!" ®er Unterricht würbe un» entgeltlich »erabreicbt ober foftete eine !aum nennenSwerthe ©umme. 3)ioboruS 56) oeranfdjlagt bie d^ieljung eines

Knaben bis 3ur ereidjten fNannbarfeit auf 20 (Drachmen b. i. etwa 6 7 fl., worunter auch bet Lebensunterhalt 311 uerfteheu ift. ©0 wie noch heute bie arabifchen $eOahS SBu^elftauben fauen unb fi«h fümmerlich nähten unb fleiben, fo hat auch früher baS 23olf bie Nahrung oon ben grüßten beS gelbeS, bie baS üppige Crtbreich mühelos erzeugte , entnommen, unb fid? ent* fpredjenb genährt unb erhalten.

(Der hähefe Untenicht umfafete alle »on ben ^rieftern gewahrten ©eheimleljren, unb aud) jenen Shell ber mebicinifchen Siffenfchaften, beffen wir fchon oben gebachten; unb felbft h^hete Schulen im Sinne unferer ^fabemieen ober Uniöerfttäten fdbeinen fchon in früherer 3eit beftanben 3U haben.57) 9Nit bem Niebet* gange beS ägpptiftt^cn NeidjeS, welches einft als erobernbe 9Nad)t feine Na^baroölfer fi<h tributpflichtig gemacht hatte, ift baS Laub felbft fchliefjlidj eine Seute frember Krieger geworben, bie jebe geiftige Strömung »ernidjteten. 9(lS fobann baS perfifdje 3odj bet Na ubfucht unb SBiQfür frember Satrapen bie Bügel fchiefeeu lieh unb baS Laub iu feinem Kulturleben ertöbtet fehlen , ba war auch ber Untergang beS alten NeidieS befiegelt, unb bie an* wadjfenbe Ntacht ber ©riechen unb Nlacebonier , welche unter bem grofjen Sllejranber bie SBeltfeerrfchaft au ftd> rifeen, hatte

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jchließlich bie ©elbftftänbigfeit Üegpptenß »ollenbß gerftcrt. ©och noch einmal Rollte baß alte 5>hara<>nenlanb in ftrahlenbem Stumme erglänjcn, als bie Nachfolger Slletanbet’ß beS ©roßen, bie 9>tol v mäer bie ^jerrfc^aft übet Segppten antraten, unb ber oerfaUenen äöifjenfchaft in bet großartigen $afenftabt Slleranbria eine neue ©tätte grünbeten. ©ie ©elehrfamfeit bet alten Vielt erblühte noch einmal in bet neuen £auptftabt Slegpptenß, unb bieß in »iel bebentenbetem SJtaße alß je ju»or. grifcheß geben pulfirte in ben morfchgemorbenen Kanälen, reelle eine meithinreidjente Jt ultut »ermittelt l)atte, unb baß im SNpfticißmuß ergraute Siegelten mußte bem in natürlicher griffe erftrahlenben £ellae jeinen iptaß in ber ätulturgefchichte räumen.

SlUeß »aß Äunft unb SBifjenfchaft in jener »on hetlemfcfeem ©eifte beeinflußten ©poche ijetncrbrachte, concentrirte ftch jefet in ber Nefibeng ber gagiben unb bie gorjehungen ber Natur* miffenfehaften erftreeften fi<h auf alle ©ebiete menschlichen SBiffenß, bie auch hier bie beften ^jülfßmittel »orfanben. ©aß lärmenie unb geräujch»olIe Sllejranbrien , baß $)ariß ber alten SSelt, bai alle Nationalitäten ber antifen Neiche in feinen Ntauern fah, bot nicht nur für Vergnügungen, fonbern auch für alle Sitten »cn ©tubien baß günftigfte Üerrain. Segpptier, Suben uni ©riechen wetteiferten in ber pflege unb im ©ifet für bie SBiffen» fchaften, unb bie mebicinifchen ©tubien entfalteten fich in em« fterer SBeife. Nebft ber großen Vibliothef, einer ber größten 33nchet= unb ©chriftenfammlungeu, bie in bet gejammten SBelt je errietet mürben, l^atte eine großartige afabemifche Stiftung, bal „Nlujeum" i8), ein glänjenbeß 3eugniß abgelegt für bie geiftige ©röße bet Ptolemäer, ©ieß ^lerrichergejchlecht halle 1™$ fe'nct großen Neigung jur Fracht unb außfehmeifenben Verjchwenfcung ben Sßiffenfchaften im älterthum angelegentliche pflege angebeißen laffen, unb babuteß nicht nur feinem 3eitalter bauernben Nu^m

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erworben, fonbern ift auch bet 9la<hroelt mit glängenbem Sei» fpiel uorangegangen, ba8 namentlich oon ben Äunft unb fhacht liebenben florentinifd)en dürften, ben 3Jlebiceern , ben ebelften gerbet etn aller Äunftbeftrebungen nadjgeahmt mürbe. Unter ben Slbtheilungen be8 alejraubrinifchen ?ERufeum’8 bilbete bie ÜJieDkin 4 *) einen mistigen SUjeil bet eiet bafelbft errichteten gacultäten; felbe h“ke auch b“8 ©tubium bet 9laturgef<hichte burch <5r* tidjtung botanifcher unb goologifcher ©arten eifrig gepflegt unb guerft eine anatomifche Saji860) für bie mebicinifdje SBiffen» fdjaft gu fchaffen oetfuchi. 2)ie in SUejranbrien befinbliche $och» fchule bilbete ben 3lu8gang8punft einer neuen, ber natura» liftiichen Dichtung , bie für bie griedjijche unb tömifche SJiebkin auSfchlaggebenb war, unb bie ©efdjidjte ber ÜRebicin lehrt, baf? ber @ntmicflung8gang, ben bie £eilfunbe noch im nachflaffifchen Sllterthum fomie im SJlittelalter genommen in eorgüglidhfter Söeife burch bie aleranbrinifche SOiebicin beeinflußt gemeien.

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Ätttnerfungen.

1) Die Anfänge bet Kultur. Unterfuc^ungen über bie ©ntteidlung ta SRptfyjbgie, pljitojopljie, ^Religion, Äunft u. Sitte. Stuä bem 6«gUf$en. geipjig 1873, I, 281.

2) Herodot historiarum libri IX Lipsiae 1815; II c. 175 a. c. 158. ogl. aucb Sudle, ©ejdjtdjte ber ©iöilijation je. Deutjd? >ca 8rn. SRuge, Setpjig 1870, I, 81.

3) „^prantiben unb DbeliSfen »urben in ben ältefteu 3eiten gebaut, ton btt fpätere Seit unb jebe Station , bie ein nü&lid>eS ©enterbe treiben tonte, baute feine ^pramiben mef)r. " Berber, Sbeen jur ©efc^te tu ÜRcnftbfyeit, Tübingen 1827, III, 104.

4) »gl. Mjlemann, Spott) ober bie äBiffenft^jaft bet alten 'Seguptier, ©ittingen 1855.

5) I, c. 61 ff.

6) Plutarchi Chaeronensis Moralia etc. Edit. Wyttenbach. Leipzig 1827. De Iside et Osiride II p. 401 ff.

7) Btßkiathfxtj hrropixr, Bipontii 1793, lib. I c. 11, C. 27 ff.

8) .Kurt Sprengel, ©efdn^te ber 'Xrjneifunbe, J£>atle 1793, I 8. 48.

9) a. a. D.

10) Herodot I. II, c. 37.

11) 'Paulo, St. 9teal*©ncpclopäbie ber flaffijcben ?lltertl;um9U)ijfen« j$aft, Stuttgart 1864. 1 S. 305; ferner Herodot 1. II c. 111 ; Diodorus I c. 27.

12) b. fpäter 'Paporu« ©ber«.

13) Rimmel, the book of Perfums, London 1868 p. 35.

14) C ha bas, Etudes sur l’antiquite historique d’apres les sonrces egyptiennes. Paris 1873 p. 161.

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15) Sie <2>cnne ober bei ©ott 9ia befdjü^tc ben &opf, ©inubi« Slafe unb Hippe, £>atE)or bie 2lugcn, ©elf bie 3dßne ic (Maury, de la magie daas l'antiquite). 255a« ba« aegppt. SUtertßum in feinet fröhlichen ©infalt geglaubt, ba« ^at ba« ct>tiftlidje SJtittelalter in nainet grömmigfeit naeßgeabmt. Sa« erfte ©lieb be« Saumen« befeßüßte ©ott bei 3L?ater, ba« jroeitc bie heilige 3nngfrau jc. bie übrigen Steile. Slugenfranfe mußten bie heilige Ölara anruren, befanb bie ©ntjünbung ji(h an irgenb einer anbern ©teile, io mußten fie fid) an ben heiligen Slntcniu« menten. Um fteß biefc ^immlifc^en SBefen geneigt ju machen, mar notßwenbig ihnen ©elb ju jaßlen, unb fo mürbe bie 3lu«übung ber Duacffalberei eine bebeutenbe ©innahmbquelle ; cf. Sr aper, ©efeßießte ber geiftigen ©ntwicflung ©uropa«. 31. b. ©ngl. Heipjig 1865, II ©. 108.

16) 35 i rcß o», Ueber bie fpeilfräfte befl Örgani«muS (Sammlung ge» mein», »iff. Vorträge $eft 221) .Seit ber alteften 3eit ift ber ©egen* faß jwifeßen ber wifjenjeßaftlicben unb abergläubifeßen ÜJiebicin ein offen auSgejprocßener geblieben.*

17) Sie Äenntniffe, bie mir heute Bon ber ÜJiebicin ber alten äegpptier befißen, begießen ließ meßr auf bie 33ebanblung«arten al« auf bie Äranfßeit«* formen unb beren 23cjeicßnungen, unb eS märe gewagt siele unferer jeßigen patßol. S3egriffe mit ben Angaben ber altaegppt. Stutoren in ©entlang bringen ju wollen.

18) fließt nur in Slegcpten unb fpäter in ©riecßenlanb war ber ©laube an Sdmonen al« ÄranfbeitSerreger allgemein, fonbern auch iw ÜJlittelalter unb felbft in ber SReugcit galten £>epen unb Seufel bdufig al« folcße; fo würbe in Sjegebin (Ungarn) felbft gu Anfang biefeö Sahrßunbert« ein alte« 2Beib wegen .überwiefener* ftererei auf offenem SRarfte lebenbig serbrannt.

19) Jules Soury, Revue des deux Mondes 1875, 15 Fevrier.

2ü) L'homme americain in Tylor’s: 3lnfange ber Kultur I 33.

21) llßlemann, .^antbueß ber aegppt. 3ltterthum«funbe, Seipjig 1857, II 33. 256 S.

22) Sprengel a. a. D. S. 41.

23) a. a. ©. 1. I c. 82.

24) f udjjXev oti nSiirtti eWi, Edit. Kühn XI p. 789.

25) 3fitfchrift für aegppttfeße Spraye unb 3llterthum«funbe son Sepfiu« 1873 9to. 3 n. 1874 «Ro. 5.

26) 3>rofpectu« fPappro« ©her« confernirt in ber Unröerfitaröbiblio» tßef ju Seipjig. ©in ßieratijcße« £>antbuiß altaegpptifcßer Slrjneifunbe jc. ßeraubgegeben ton ©eorg ©ber« unb Subwig Stern. 1875.

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27) 3u ben bisher Mannten non SJtebicin banbelnben papnruärollen gehört: 2)er ©erliner mebic. $)appru«, ein in Serben unb eine im Sri* tif& SJiufeum aufbewabrte Stelle; alle non geringerem ©ertpe al« bie (Skrffch« (3eitf<hrift f. aegppt. Sprache ic. 1874, 5.)

28) (SberS batirt bie Slbfaffung feine« 'Pap. au« ben erften 3apr* bnnbcrten beS neuen Reiche« ; lefctere« ift nach ben ^Berechnungen Bon

l hepfiu«, Srugfch, SJlariette auf 1600 1700 b. Clpr. ptrücfjufübren; cf. ßpaba« S. 14.

29) Etades etc. I. c. p. 51.

30) III B. Mos. 14 u. 15; IV, 5.

31) Chabas, Melanges egyptologiques Paris 1862 u.

Jpäfer, 2et)rbud) b. ®efd)icbte b. 5Jiebicin, 3ena 1875, 1 S. 53.

32) Sprengel a. a. O. S. 56.

33) Chabas, Etudes etc. p. 61.

34) SDa« Äoppi war eine SJtifcbung non 16 »erfcbiebenen Subttanjen, febe eine 9Jtinne (450 grmm) fcbwer, u. j. J£>onig, ©ein, SRoftnen, ®al* gan, £>ar|, ÜJiprrben, SUppalt, ©acphclber, Äalmuä je. de Jside et Osiride l.c. 81.

35) Öbpffee IV, 228.

36) Siefer f)ap. ift nach ßpaba« „le plus anciea livre du monde* u. nach ?autp eine« ber intereffanteften ©erfe ber altägppt. hitteratur, ba« felbft wieber eine Äepie eine« ©erbe« fein fofl, beffen älter auf 5400 3ahre oeranfchlagt wirb. Sitzungsberichte ber fgl. bair. Slfabemie ber ©iffenfchaften. Stümpen 1869, II, 530 ff.

37) vofxllovrei ino tu jv rpei povruiv jitmiv narx$ r«; v>o:;t*c to7- «■» ivfipuirrouriv ylyverHat Herod. II c. 77.

38) de Jside etc. I. c.

39) Herodot a. a. 0.; Diodorus I, 82.

40) De Polit. 1. III, 2, 15.

41) Scbrfpffopfe au« abgcfcpnittenem Siinbäbom würben in ®räbern gefnnben u. üepfiu« gebenft einer äbbilbung be« Schröpfen«. $aefer, a. a. D. S. 57.

42) 8autp, pappru« ‘prtjffe, Sitzungsberichte ic. Slüncpen 1869, n, 533.

43) Sa« »on Sepfiu« nach einem in Jurin befhtblicpen $)appru« ebirte .Scbtrnbucb ber alten Slegpptier* gibt Sluffcplüffe über zahlreiche religiöfe Vebren unb (Gebräuche u. bem üblichen Ueicbenceretnoniel. (paulp St. 9t. Gncpcl.)

44) Herodot II c. 86, Diod. I c. 91.

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45) Noctes atticae 1. X c. 10.

46) Herodot II c. 84.

47) Plinius Histor. natural. L. 29, 93.

48) ßbenbafelbft L. 26, 2 u. 3.

49) 3n ber aegppt. Slbtljeüung b eS ^Berliner HJinfeumS befinb« fid) Sancetten, ‘pincetten unb 3JJcffcr. (§aefer ©. 57) &B fragt frtfc nnr, ob biefe Snftrumente nid)t einer fpätern ßpecfjr angeboren.

50) Etudes etc. p. 334.

51) Herodot III c. 129.

52) „als überaus bSfe, janffüdjtige unb neibift^c 9Jlcnfcben.*

53) Diodorus I. c. 82.

54) Sbenbafelbft I, 91.

55) Jules Soury, Contes et Romans de 1’ ancienne Egypte. Revue des deux Mondes 1875, 15. Fevrier.

56) I c. 80.

57) 3n §eliopoli3 beftanb eine priefterfcbule , in SEljeben eine Sötilitärafabemie unb in 'DtempbiS eine ©eleljrtenfdjule; »äljrenb biefe Spulen bloß einzelne gafultäten repräjentirten , foU in S^enu etwa 2500 3af)rc rer unferer Slera eine ?trt Unitierptät beftanben Ijaben, in welker bie oerfebiebenften ©iffenSjweige in bibactifcfyer SBetfe »orgetragen würben. 2luSfül)rli$e SKittbeilungen liefert Sautb. .lieber bie alt* aegbptifebe .£>od)fcbule Ben ßbenu* in b. ®i bun gflberidjt. b. ÄgL «fab. b. »ijf. in 2Rün<$en. ^tft. klaffe 1872 I ©. 29 ff.

58) 'Partbeo, baS alejranfc rinif «^e ÜRujeum. Berlin 1838.

JRitft^I, bie alej. Sibliotljcfcn :c. SreSlau 1838.

©eniger in SSirdfewS „wiffenftbftl. Verträgen" £>eft 231.

59) JDraper, @efd)id)te b. geift. (Sntwicflung ic. I ©. 349.

60) §ür bie mebicin. Ülbtbeilung würbe ein anatomijcbcS Sweater Ijergeridjtct, wef)tn nicht bloß 2ci(bnaute famen, fonbern auch ?ebtnbe, nämlitb jnm Sebe Bevurtbciltc Serbrecber. Sraper, ®ef$id)te Berßen« flicte gtrifc^cn ^Religion unb ©iffenfdbaft. Seipjig 1875 ©. 21.

(630)

iErud ten ®cbr. Unget (Ifc. Örimm) in Berlin, £c$rnebfrgfTftt. 17t.

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Qd)IUcr mtö KoulTnuu

43on

Dr. 3o(jömw$ Sdjmibt.

ßcdtn SW. 1S76.

33erlag coit Carl £ a b e I.

(£. <£>. Vnbtrfti’sdjt BtrlagsindjIiaüblBtig.)

33. SbitycIm-StTayt 33.

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$aä SRcdjt btr Uebcrfcfeung in ftcmbc £pra<f>cn »itb mfc^alttn.

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Unter ben Flamen ber Sinteren, bie auf ©thiOerS £>idh=- tnng neu (5influ| waten, finben wir in fämmtlidjen Biographien unb gitteraturgefchichten benfenigen StouffeauS oergeichnet. ©o irabeftritten biefer Ginflu§ im SlUgemetnen anerfannt wirb, fo ttenig genau ift inbeö feine Bebeutung im ©ingelnen erfotfdji £ieS foD alfo bie Stufgabe fein, ber wir bie felgenbe Betrachtung wibmen. 9Rßge eS unö gelingen, bie für bie ©ntwidflung ©thiHerS nichtigen BeriihrungSpunfte mit Stouffeau hetoorguheben, ohne babei in baß Bilb be8 nationalften unfeter SDidjter irgenbwelche frembartigen 3üge hineingutragen.

3U§ im 3al)re 1773 ber üierge^njä^rige ©Ritter bie fPflang» fdjule auf ber ©olitübe begog, war ein 3ahrgehni oetfloffen, jeitbem JRouffcau burd) bie Veröffentlichung beö ©mil ben fRu^m feines SRamenS in ber gebilbeten ©efeHfcfjaft gang ©urepaS oer» breitet ^atte. SnSbefonbere in 2)eutjdjlanb würbe ber Verfaffer bet fReuen ^>eIoife, beS ©ociaten GontractS unb beö ©mit nicht nur oon SRannern unb 3ünglingen, fonbern auch oon Stauen unb Jungfrauen fchwärmerifch oerehrt. Äein SBunber alfo, bafj biefe ©chriften auch in bie {Räume ber fDtilitärafabemie brangen, unb bafe feurige Äepfe, wie ©filier, lebhaft oon ihnen ergriffen teutben. Von welchem 3ahre baS Vefairatwerben ©c^iHetS mit Diouffeaufchen SBerfen batirt, ift nicht genau gu ermitteln. Broar flammt baS erfte birecte 3eugnifj bafür, baS ©ebicht ber 2n* thelogie „SRouffeau", früheftenS auS bem 3ahre 1780. SBaht» jheintich war aber biefe Vefanntfchaft fchon gemacht, als bie erften 3been gu ben Stäubern in feinem ©eifte fich geftalteten.

XL >56. 1* (633)

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2tuch gebt auS ben 3euflniffen feiner gehret unb SRitjcbüler nom 3abre 1773 ^etDor, ba§ et bamalS fdjon beS grangöjtfcben fytnteidjenb mächtig war, um frangöfifche Büchet mit geicbtigfeit gu tefen. einem Briefe, ben er im Februar 1775 an feinen 3ugenbfreunb 59lofer fdjreibt, beijjt eS: „Gmporenb fommt eS mit »or, wenn ich einer Strafe entgegen geben fuß, wo mein inneres Bewujjtfein für bie JHet^tlic^feit meiner |>anblungen fpricht. Sie geetüre beS Boltaire bat mir geftern noch febt Bieten Berbtujj gemacht." Schwerlich fann mit biefeni Berbtufc etwas anbereS gemeint fein als bie Strafe, welche ben auf bem tiefen Berbotener Schriften BoltaireS ertasten ÄarlSfchüler ereilte. GS ift angunebmen, ba§ ein gleiches Berbot fich auf bie Schriften fRouffeauS erftreefte; um fo jüftet inbeS wirb bie Berbotene grudjt gefchmecft haben.

Befanntlicb befafj ber jugenbliche Schiüet eine febr erreg* bare, für frembe Ginbrücfe leicht empfängliche 5Ratur, mdbtenb ihm jene fichere bichterifche Sntuition mangelte, burch bie ©oetbe Bon Bornberein auf ben richtigen 2Beg gu feinem großen gebenS* giele geführt würbe. Grft bureb manniebfaebe .Rümpfe unb Strungen muffte er über fich felbft flar werben unb gu bem fich emporarbeiten, wogu fein ©eniuS ihn berufen batte. Sagu fommt, bafi ber auS bem elterlichen .paufe frübgeitig auf fremben Soben Berpflangte Änabe in ber Slnftalt gwat einige gleichgeftnnte üfameraben fanb, baff aber feine wahrhaft imponirenbe ?)erfönlich* feit ihm näher trat, ber er fi<b batte freiwillig anfcbliefjen unb unterorbnen fönnen. Bis gu bem Slugeublicfe, wo et ben greunb* fcbaftSbunb mit Römer fcblofj, war er wefentlid} auf fich felbft unb feine Bücher angewiefen. Sllleo, was fein etiergifcher ©ei|t auS ben Büchern beiauSlaS, mufjte beßbalb mit boppelter SOiacht auf feine gange Gntwicfelung gurüefwirfen. So gewann er, um nur GinigeS angnbeuten, an Rlopftocf einen Jpalt für feine religiöje Begeifterung unb feinen paitg gurn Grbabeuen; jo füllte er fich ferner Curd) Sbafefpeare, ©oetbeS ©oetj unb

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©erftenbergS llgolino groffartigen bramatifcben ©ntwürfen angeftadjelt; fc befriebigte er cor allem burd) eifriges üefen be§ fpiutardj ben ©rang feiner ©inbilbungSfraft nach Saaten unb antifer .pelbengtäfje. 33on allen biefen ©inbtütfen, fo bebeutfam fie aud) waren, wanbte fid) ein feber an eine befcnbere ©eite feines SefenS. fRouffeau trifft ben wärmften ^ulSfdjlag feines ganjen 3ugenbleben§. 3n ifjrn finbet er nur baSjenige auS* geführt un6 in berebte SBorte gefleibet, waS er im ©runbe beS eigenen ^er^enS empfinbet. 3nbem er fRouffeau lieft, finbet er gleidffam ftdj felbft.

hierin liegt jugleidf bie ©rofse wie bie ©ren^e biefeS ©in* fluffeS. IRouffeau war für il)n Weber ber $oet, beffen ©idftungen er ftdj mit SBorliebe l)ätte jum SRufter nehmen fonnen; bagu wiberftrebte fein todjfliegenber ©eift gu feljr ber con fRouffeau erwählten ibpHifdfen ©idjtungSart. ?lnbererfeitS bot er il)m audf fein jufammen^angenbeS Scftem ber ^bilofopfyie, beffen ©äfce auf bie f$ülle feiner jweifelnben trugen beftiebigenbe Entwert geben fonnten. „3d> ^abe immer nur baS auß pbilofoptifd)en ©ibriften genommen, fdjreibt er felbft im fSprif 1788, waS ftd^ bitbteriid) füllen unb beljanbeln läfjt". ©iefer ©efidjtSpunft ift cor allem auf baß, waS er con fRouffeau fid) angeeignet tat, an3uwenben. ÜRit ber ganzen Söärme feines jugenblidben ^er^enS cermotfite er bie 2ieblingSibeen beffelben ju erfaffen unb in fidj weiter ju geftalten, weil fie ber Stimmung, auß weidet feine bidbterifd)e 2?egeifterung entquoll, wefentlid) entfprad)en. ©ine folcbe 9lrt ber JRecepticität fdjliefet natürlich bie bewufjte SuS* Übung einer Äritif, fowie ein ©tubiren im eigentlidjen ©inne beS 3BorteS auS. 2Bie wäre eS fonft moglidj, baf; bie im 3al)re 1784 gefdmebene Slbljanblung über bie ©cbaubüljne als eine moralifdte Slnftalt ben tarnen SRouffeauS nid)t einmal erwähnt, obwohl il>r 3nl)alt in gerabem ©egenfalje ju bem berühmten S3riefe an b'üllembert ftet>t? ?n berfelben Jlbfyanblung wirb ber SRetljebe ber i'f)ilantt)tepinen, bie bod) con 93afebcw im ©eifte

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beS ©mil gegrünbet waren, mit l)öd?fter ©eringfchcihung gebaut. Ueberatl ba, wo Schiller reflectirt, fehen mit ihn eignen Sahnen folgen, bie oft weit genug oon benen SiouffeauS abweichen. 5Bo er bagegen bidjterifd} fdjaffenb unS entgegen tritt, um in ben @rgüffen feiner Jpelben bie tiefften Regungen feines eigenen $ergen8 gu offenbaren, ba taffen fidj ohne SERü^e unb beutlidj genug Anflänge an SRouffeau eernehmen.

S5a8 erfte unb berebtefte BeugniS, welches ©Ritter unS oon feiner ffierefyrung für Siouffeau binterlaffen ijat , ift bie an baS @rab beffetben gerichtete Dbe ber Anthologie. Sie einfame ©rabftätte auf ber ^appelinfel beS ^arfeS oou (Srmenonoille war in jenen Beiten ein beliebtes Sterna für beflamatcrifche unb bid>terifd^e SBerherrlichung. „3n ben afabemifchen Sieben, ergäbtt SRifarb,1) war eS Sitte, baS länblidje SDRonument, welches man SRouffeau unter ben Augen ber SRatur errichtet ^atte, weit über jene ftolgeu SJtaufoleen gu erheben, in benen bie Ueberrefte ber ^enfcher beftattet liegen." Äaum aber hat bie $>bantafie eines frangöfijchen SeflamatorS ÄühnereS leiften tonnen als bie jugenblidje fDRuje unfereS Schiller. Äeine garbe ift ihm glangenb genug für bie Sugenbgrefje feines gelben, feine gu fchwarg, um bie Sßermorfenheit ber ©egner beffelben gu branbmarfen. Un» faßbar büntt eS feinem beutfchen ©emüthe, bafc ein fDiann wie SRouffeau als graugofe geboren werben tonnte. „$a, fd^on ich’ ich unfre (Snfel ftaunen, wenn beim Älang betebenber ^ofaunen, aus grangofengräbetn SRouffeau fteigt." 3n feiner 23ergücfung oergifjt hier ber Sichter, baf; SRouffeau felbft nichts weniger als grangofe fein wollte, fonbern biefen gegenüber fich ftetS mit Stolg ben Bürger oon ©enf nannte. SRoch mel)r gu oerwunbern ift eS aber jebenfaUS, baf? am Schluß ber Obe eS oem SJetfaffet ber Sefenntniffe heifjt: „©eh bu heim gu beinen Stübern ©ngeln, benen bu entlaufen bift." Offenbar hat ftd> im ©eifte beS bidjtenben SünglingS ber SSeife oon ©enf gu bem oerflärten ?>ringip ber Freiheit umgeftaltet, nach welcher er felbft um fo

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feuriger fidj feljnt, je mefjr er unter bem S)tu(fe feiner 23er« Ijältniffe gu leiben Ijat. 2>ie alles überfdjreitenbe Söegeifterung für feinen gelben lä&t fid> nur bann richtig verfielen, wenn wir in bem verfolgten Slouffeau ein Sbbilb beS von unwürbigen geffeln bebrüdften 2)id)ter§ bet Stäuber erfennen. SDaS ©ebidjt tft eben nidjt nur ein ,£)»mnu8 auf 3ean*3acque8, eS ift gugleidj eine jugenblid) ftbermüfljige JftiegSerflärung gegen alles, waS ftd^ bet in Stcuffeau »erforderten 3bee unbegrengter Sreiljeit entgegen* fefjt; ein SuSbrucf beS $affe8 unb ber 23eradjtung gegen „biefeS 8ebenS 3aljrmarft8bubelei," unter welker bie matjnenbe Stimme ber großen ©eifter ungeljört »erhallt.

SIS Spider im 3a1jre 1800 eine SuSgabe feiner ©ebidjte »eranftaltete, übte er, wie an ben metften Stüden ber Sntfjologie, fo aud) an unferm ©ebidjte ftrengeS ©eridjt. 23on ben »ietgefjn Stroben, bie eS urfprünglidj befafj, lief) er aufier ber GtingangS* ftroplje nur nod> bie fiebente befteljen, unftreitig bie befte beS gangen ©ebiditeS. Sie enbigt mit bem berühmten SuSfprudje: „Stouffeau fällt burdj ©Triften Stouffeau, bet auS ©Triften Sötenfdjen wirbt." SDtit biefen Sorten befennt jtdj ber ©idjter unumwunben gu ben teligiöfen Snfdjauungen StouffeauS. Säljrenb iljm in feiner Äinbtjeit aufrichtige Srommigfeit nidjt fremb geblieben war, batte er mit bem erwadjenben Selbftbewufjt* fein balb alle Beffeln firdjlidjer Sutorität ftolg »on ftd) ab* gefdjüttelt. SaS fonnte bem Süngling in biefet Sage willfommener fein, als jener SDeiSmuS ber natürlidjen Steligion, burdj welken Stouffeau (Jljriftentljum unb ÜJtenfdjentfjum mit einanber gu »er* föhnen fudjt unb auf ©runb beffeu er balb gegen bie Snmafjung beS ortljobojren ÄirdjenglaubenS, balb gegen ben frivolen Spott ber Streiften unb SRaterialiften gu Selbe gieljt? Äüljtt wie Stouffeau geht er über bie Siberfprüdje, welche eine foldje Suf* faffung notljwenbig mit ftd) bringt, tjinweg. tDtan fennt bie 23egeifterung, mit weldjet ber mit bem DffenbaruugSglauben gerfallene faoopifdje 23ifar gu wieberfjotten 9Men gerabe »on

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bet SDtajeftät bet ^eiligen (Schrift unb bet .^eiligfeit beS ©tan* geliitmS fptidjt. ©ine ähnliche Vereinigung ton ©egenjäfcen ^abeit wir tot un$, wenn toit in bet Vorrebe gu ben Stäubern, einem ©tücfe, in welchem man fdjwetlich eine Sinologie bet Steligion oermuthet, folgenbe ©äj?e lefen: „Sluch ift jefct ber

gro§e ©efdjmacf, jeinen ©ifc auf Äoften bet Religion fpielen gu lafjen, bafc man beinahe für fein ©enie mehr paffirt, »enn man nicht feinen gottlojen ©atpr auf ihren fyeüigften ©ab r* beiten fi<b Ijerumtummeln läfjt. ©ie eble ©infalt ber Schrift mu§ fi(b in alltäglichen 9lffembleen Don ben fogenannten wijjigen Äöpfen mifchanbeln unb in’S gädjerliche Dergerren laffen; benn was ift fo b^ig unb ernftbaft, ba§, wenn man e8 falfcb Der» btebt, nicht belacht werbeu fann? 3<h tonn hoffen, baf? i<h bet Steligion unb ber wahren 9)1 oral feine gemeine Stäche Der» fchafft ^abe, wenn ich biefe mutwilligen Schriftterächter in ber 9>erfon meiner fchänblichften Stäuber bem SHbfcheu ber ©eit überliefere."

©he wir gu ben Stäubern jelbft mtS wenben, ift e8 unfere Pflicht, gwei Sleufjerungen Schillers gu erwähnen, aus welchen ebenfalls feine Vegeifterung für Stouffeau ungweibeutig heroor» gebt. 3n ber im ©ürtembergifchen Stepertorimn erfchienenen Selbftfritif ber Stäuber auS bem 3abte 1782 beifct e8: „Suerft Don bet ©abl ber §abel. Stouffeau rühmte e8 an bem 'Jllutard), bafj er erhabene Verbrecher gum Vorwurf feiner Sd)ilberungeu wählte, ©enigftenö bünft e8 mich, feiere bebürfen nothwenbig einer ebenfo großen SDoftö Don ©eifteSfraft alö bie erhabenen Smgenbhaften, unb bie ©mpftnbung beS SbfcheuS oertrage ftth nicht feiten mit Shttbeil unb Vewunbetung. " Vcrfehrt wäre eS, auS biefen ©orten fdjliefcen gu wollen, bafj «Schiller burch Stouffeau auf bie 3bee ber Stäuber geführt worben fei. ©ie äufcete Anregung bot ihm befanntlich eine in £aug8 fehwäbijehem SJtagagin Deroffeutlidjte ©rgählung ton gwei feinblidjen Vrübern,

unb in biefe gorm gofj er ben gangen Snhalt feines jugenblich

(«»>

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gliibenben <£>ergenS. ©aö aber betratet jene llleujjerung, baf$ er ftdi mit Vorliebe auf jRouffean beruft, um bem $>ublifum gegenüber bie feltfame Sabl feineö Stoffes gu entfcbulbigen unb um ficb felbft auf bem fübn betretenen Sege fixerer gu fügten.

So aber ijat {Rouffeau jene Steuerung getljan? Dbroobl er in feinen Serfen oielfad) auf jpiutard) unb bie gelben beffelben gu fprecben fommt, finb jebod) an feinet biefer Steden biefe Sorte gu ftnben. ©lücflicberweife ^at Spider felbft in einet Slnmerfung bie Duelle feineS (SitateS angegeben; ift ein Stuf* fn£ ron £elfrid? fPeter Sturg: ©enfwürfigfeiten 3. 3.

IRouffeauS. 2) ©er Snljalt biefcS HluffafceS, weither bei aller S3erebrung IRouffeauS bod) aud) fd)on Anfänge unbefangener Jfritif enthält, ftüfct fidj auf bie ?lufgeid)nungen ber Sdjweigerin Sulie oen 33onbeli!’) unb bie münbfjcben 33erid)te mehrerer 8reunbe unb Scannten be§ ^tjilcfc^ljen. l)ei§t bafelbft auf Seite 28: „Senn fRouffeau oon ber @efcbid)tc fpraef», fo bat

er oft wieberbolt, bafj nur bie ©efdjidite ber föreiftaateu ergäbt gu werben oerbiene; benn folgen je£t bie Sorte, wie fie IRouffeau felbft gefügt haben feil „in einer fSRonardjie bängt immer eiue IReibe großer Segebenbeiten an einer Heibenfdjaft ober gufädigen fRidjtung beö unbeftimmten (SbarafterS be8 dürften, ©ie @efd;id)te oon gtaufreid; liefert unö nur Äarl V., 8 rang I. unb j£>einrid> IV. oon eigentbnmli^em @eift. HouiS XIV oerbient bie Sßergötterung feiner Schmeichler nicht; aber er war ein .Renner großer Heute. ^Mutard? bat barum fo berTI*<b* 33iogra:pbien gefdjrieben, weil er feine balbgrofjen SRenfcben wählte, wie eS in ruhigen Staaten ©aufenbe gibt, fonbern grofje ©ugenbbafte unb erhabene SBerbrecber. ber neuen ©efdjicbte gab cS einen 5Rann, bet feinen sJ'infel oerbient, unb baS ift ber ®raf oon 8ieSque, ber eigentlich bagn ergogen würbe, um fein SBaterlanb oon ber ^errfebaft ber ©oria gu befreien. 9Ran geigte ihm immer ben ^ringen auf bem ©brone oon @enua; in feiner Seele war fein anberer @ebanfe, als ben llfurpar gu ftürgen."

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Diefe etwas bunt burcheinanber gewürfelten Sä^e, beren 3nhatt in ber $ljat ganj an Rouffeaug DenfungSart erinnert, müfjen auf ©Rillet eine befonbete Slnjie^ungefraft gehabt haben. Denn nidjt nur fanb et in ihnen eine Rechtfertigung feiner Räuber, fonbern fie wiefen ihn gugteicfj auf ben gelben feines jweiten bramatifdjen SBerfeS hin. SBenn ein Rouffeau ben gieöfo beS $)infel8 eines ^Mutardj für würbig hielt, wie fonnte ein ©egenftanb bem nad) großen republifanifdjen Entwürfen fudjenben Dichter warntet empfohlen fein! Sluch hat Schiller felbft unS ein Beugnifj für ben Einfluh RouffeauS auf bie SBahl feines §ieSfo gegeben. 3n ber Erinnerung an ba8 $)ublifum, bie ant 18. 3anuar 1784 »or ber erften Sfafführung beS StücfeS in Rtannheim öffentlich angefchlagen würbe, ruft er auS: „gieSfo, oon benj ich »crläufig nichts (Empfehlen bereS 3U

fagen weih, als bah ihn 3- 3- Rouffeau am ^erjen trug."

9tlleS ift gut, wie eS auS ben ^>5nben beS Urhebers ber Dinge hernorgeht StUeS entartet unter ben $änben beS Rtenfchen", baS finb bie bciben in fid? »unerträglichen Säfte, auf beneu Rouffeau feine welterfchütternben Sehren gegrünbet hat. beS »cm Schöpfet eingepflan3ten guten JleimeS foll fid) ber Rienfch in ber »erfehrteften unb unnatürlichften SBeife entwicfelt haben; unb 3war gerabc »ermöge ber ebelften unter allen ihm »er» liehenen ©abeu, berDenffraft, benu ber SJienfd), welcher benft, ift „ein entartetes SBefeu.“ Statt nun 3U geigen, wie überhaupt fid) ber fRenfch hätte anberS entwicfeln fönnen, betont Rouffeau atleiu bie negatioe Seite ber Sache, ben troftlofen Buftanb ber Unnatur, welcher burd) bie Siüilifation horoorgerufen ift, unb beu er mit ben SSorten fenngeidjnet: ber fRenfd) ber bürgerlichen ©efellfchftft (l’bomme civil) wirb in Äned)tfdjaft geboren, unb lebt unb ftirbt in Äncchtfchaft." Die beften focialen Einrichtungen, fagt et mit bitterer 3ronie, finb bie, welche bie Ratur beS SRenfchen am meiften untergraben. ES gilt alfo, entfehieben mit ber Äuttur

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ju brechen unb fi<b ganj ber Slatur in bie Arme 3U werfen, hinaug^ueilen au8 ber »erpefteten guft beS achtzehnten 3atyrt)unbert8 in bie jungfräulichen SSälber, bie noch nicht burd) ben ©djweib beS gefnedhteten Tagelöhners in ladhenbe Bluten oerwanbelt finb, unb in benen allein bie Brei^eit nod) eine «Stätte fich bewahrt hat.

Diefem locfenben 3utufe folgt bie ^Ijantafte unfereS jugenb* licken Dichters; fein |>elb, Äarl SJloor, fdnittelt ben ©taub ber ©täbte unb Unioerfitäten »on feinen Bübeu unb eilt mit feinen ©efeflen in bie §reü>eit »erheibenben böl)mifcben SBälber. Dort fdhlagen fie ihr 9laä)tquartiet auf unb führen ein freies geben, freilich auf fonberbare SBeife, inbem fte aller menfdhlichen Drbnung, inSbefonbere bem ©igenthum, ben Ätieg bi§ an’S ülleffet erflären. (Sine foldje göfung beS Problems würbe in bet Thfll wenig nach SlouffeauS ©efchmacf gewefen fein, ber perfönlich gegen jebe revolutionäre Auflehnung eingenommen war. Unb hoch liegt in bem ©erfahren $arl ÜJloorS eine gogif, bie fid} wohl auf ben @ajj beö focialen ©ontractS berufen fann: „baS ©igenthum ift nur ein Siecht bet Uebereinfunft; Oiaub unb Diebftaljl gibt eS nur beShalb, weil ©igenthum giebt." AflerbingS finben wir in bem Drama ftatt beä oom ^btfofoptyeu erträumten ibpßifdhen SiaturjuftanbeS nur einen Tummelplat} bet rolieften Äräfte, eineu ©ehauplatj ber gemeiuften ©erbrechen. 3nbeffen ein gewiffer 3ufammenhang läbt ftd> nicht ableugnen; h^ wie borf ftefit fidf ein gefefjlofer Slaturfaat bem gefdhichtlid) geworbenen ©taat ber ©efe^e unb ber Äultur gewaltfam entgegen.

Die gro^e Anzahl biefer fRäuber fönnte unS nichts als ©erachtung unb Abfdheu einflöben, ftänbe nicht an ihrer ©pitje Äarl 5Jloor, ber ©rafenfohn, ben bie fchnebefte Ungerechtigfeit auS ber menfchlichen ©efeßfchaft verftoben hat; ein 3beal menich* lieber Siaturfraft, oerfdhwenberifch auSgeftattet mit aßen ©aben beS ÄorperS unb ©eifteS. „3wei SJlenfchen wie ich, fagt er von ftch felbft, würben h'uteichen, ben gangen Sau ber fütlidJeit SBelt ju vernichten." SBaS treibt ihn aber ?u biefem Verhängnis*

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»ollen .ftampf gegen bie fittlicbe SBelt? ©8 ift bie Uebergeugung, bnfj, um mit Steuffeau gu fprechen, ber 9Jtenf<b frei geboren fei, unb bod) tbatfätblicb fitf? überall in Ueffeln befinbe. 9ütd) febeiut nur baS wahrhaft fittlid), waS natürlidj ift, bie Statut beS SRenfcben beruht aber in ber Freiheit. Stuf biefe »ererbten, baS helfet auf feine ©igenfdjaft als ÜJtenfd) »ergiebten. 5>afe biefe Stouffeaufcben ©ebanfen in bet Stuft unfereS SiäuberbauptmannS leben, geigt ficb unS, wenn er auSruft: ,,3d) foU meinen 8etb preffen in bic Sdjnürbruft, unb meinen 2BiHen fd)nüren in bie ©efefee. 2>a0 ©efefe bat gurn Scbnecfengange »erborben, waS Slblerflug geworben wäre. £)aS ©efefe feat n»<b feinen großen SJtann gebilbet, ober bie Freiheit brütet Äoloffe unb ©rtremitäten auS. SRein ©eift bürftet nad) 2baten, mein ?ltbem na<fe Freiheit!" ?n biefem glübenben Streben nadj fdjranfenlofer Freiheit, in biefem üluflebnen gegen bie beftebenben ©efefee liegt ber ©runbton ber Stäuber, welchen ber 3>i<bter felbft burd) bie göwenoignette mit bem fötotto „in tyrannos“ ungweibeutig au8* gefpreeben bat, unb bet feinen biftorifdien Stadjflang fanb, als ber Stationalconüent bem 5)id)ter ber Stäuber baS Sürgerredjt ber frangöfifefeen Stepublif »erlieb.

©ine foltfee 9luflebnung gegen bie Safeungeit ber menfcfelicfeen ©efellf^aft ift unbenfbat obne bie grünblidjfte Serad)tung ihres gangen 2bun8 unb Treibens. Unb gwar gebt bei Stouffeau biefe ©eringf<büfeung feiner 3«* £anb in £anb mit einer fefewärmerifthen Serebrung für baS ^elleinfe^e unb tömifdie Slltertbum, wie et eS fid) »on feinen Änabenjabren an burd) eifriges £efen beS ^lutard) in feiner ^J^antafte geftaltet tyat. 3w gwölften Sriefe ber .peloife empfiehlt er neben bem Stubinm ber alten ©ejefeidbte nur noch bie @eSd)icbte ber Schweig, weil biefelbe ein freies nnb einfatfeeS 8anb fei, „wo man antife SJtünner in mobernen 3«ten finbet." Sind) fdjeint ihm bie alte @eid)icbte beShalb ber neueren fo un* enblich »orgugiehen „weil man ebebem gtofee IDinge mit fleinen SRitteln ausführte, währenb man hcut3ufa3e getabe baS ©egen*

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tpeil tput." Äein 3»3 in bet pinreißenben Serebfamfeit fRouffeauö pat »opl fpmpatpifdpet ben bitptcnben Äarlöfcpület ergriffen, al8 biefe »ergötternbe Sewunberung beö Slltettpumö, »erbunben mit bem greife beö ißlutarcp unb feinet gelben. Slucp et patte im liefen bet Siograppieu beö $)lutar<p, in beten Seftf} er fiep 3U fefeen gewußt tjatte, bie feligften ©tunten genoffen, in* bem et übet bie .fterrlicpfeit unb ©röße bet alten Seit ben Sammer unb bie ÄleinlitpEeit feinet eignen Sier^ältniffe »ergaß. 5äud> fcßrobt er nocp im Sapre 1788 an eine greunbin: „66 ift bra», baß ©ie bem fpiutard) getreu bleiben; baö pebt unS übet biefe platte ©enetaticn unb matpt unö gu 3eitgenoffen einet befjeren, traftooDeren ÜRenfcppeit.“ ©o ift benn ©t^iüer felbft, beffen ©timme mir in bem Sluöruf oernepmen, mit welchem fein $elb auf bet Süpne fiep einfüprt: „9Rit efelt not biefem tintenEleeffenben ©äculutn, wenn icp in meinem 'Plutarcb lefe »on großen fIRenfepen." Gin äuöruf, melden et halb barauf in ein „fPfui" auöflingen läßt „über bieö fcplappe Gaftratenjapr* ßunbert." ©erbet tonnten in bet ©pat bie gehren fRouffeauö »on bet SerbetbliepEeit bet Gioilifation nießt aufgefaßt »erben.

Sie mastig bie mit fRouffeau getpeilte Sotliebe für bie gelben bet antifen Seit auf bie $)pantafie beö ©icßterö einwirEt, geigt fiep aueß an anbern ©teilen ber fRäubet. £arl ÜRoot et» Eennt baö Siefentßal wiebet „wo et alö Jpelb Slejranber feine ÜRacebonier in’ö ©reffen führte, unb ben grafigten Jpügel, an welchem et ben perfifeßen ©atrapeu niebetwatf." Senn et beö fRadjtö bie Üaute ergreift, um fein geängfteteö ©ewiffen gu be* ruhigen, fo befingt er bie Segegnung beö Srutuö mit Gäfai in bet Unterwelt. ttöftet ißn, ließ felbft im Silbe bee Srutuö gu befpiegelu: „Srutuö ift bet größte fRömet worben, ba in Satetö Stuft fein Gifen brang." Gr füljlt, wie gern aud) et ein Srutuö geworben wäre, unb muß fid) mit Gntfeßen gefteßeu, baß et, wie in ber Sorrcbe ßeißt, in bet ©pat nur ein Gatiliua geworben ift. Öludi Ülmalia weiß iptcr .Klage um ben

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Derlorenen ©eliebten feinen rührenberen 2lu8brncf gu geben, al§ inbem jte fidj in bie Seele bet änbromache hineinphantaftrt unb ben äbfdjieb .£>eftor8 befingt. ÄofinSfp enblich, bet al8 ein gwetter Sltoor fidj berufen fühlt, bie Ungerechtigfeiten bet bürger- lichen Seit gu rächen, fteht nicht an, ben bewunberten Stäuber- hauptmann mit bem Stemer SJtariuS gu Dergleichen; fdjon längft hat et fi<h gewünfdjt, „ben SJtann mit bem nernichtenben ©liefe gu fehen, wie er fafj auf ben Ruinen non Äarthago."4)

©in foldjeS ^)ineinDerfe^en in eine entfehwunbene Seit termag aber bem, Der mit feinet eigenen 3«it gerfaflen ift, boch nur geringe ©ntfehäbigung gu bieten. Stroft finbet er allein in unb mit ber Statur; fie ift ihm bet 3nbegriff aller ©oüfommen- heiten unb bietet in reicher gülle ihm ba8, wa8 er bei ben SJtenfchen fo fchmerglich Dermifjt. „$>a8 ©ilb ber Statur, fagt ber faoopifche ©ifar, bot mir nur Harmonie unb ©benmafj, ba8 beö SJtenfchengefcfjlechtS bietet mir nichts als ©etwirrung unb Unotbnung. ©inflang herrfd?b unter ben ©lementen, unb bie SJtenfchen finb im ©hao8.“ ©örtlich faft ftimmt bamit bet äu8- ruf Äatl ÜJtoerS überein: „68 ift hoch eine fo göttliche

Harmonie in ber feelenlofen Statut, warum foHte biefet SJtifcflang in ber oernünftigen fein?" Such hat ber ^Dichter bem Stäuber- hauptmann trof} feines blutigen ^janbtnetleS eine für feniimentale Schwärmerei unb Stouffeaufdje Staturanbacht fo empfängliche Seele gegeben, bah wir oft mehr geneigt finb, an ben träumetifdjen Süngling als an ben oerwegenen Jpelben gu glauben. IDie äugen &arl8 füllen fid) mit Spänen beim änblicf ber finfenben Sonne, unb gerührt ruft er au8: „So ftirbt ein $elb." berfelben Scene finben wir weiterhin bie ergteifenben Sorte „68 war eine 3eit, wo fie mir fo gerne floffen o ihr Sage be8 griebenS. 2>u Schloß meiner ©äter, ihr grünen fchwärmerifchen SL^äler! Sraure mit mir Statur!" Unb aI8 er bem näterlidhen Schlöffe cerftohlen fich nähert, ba füfst er doH Snbrunft bie ©aterlanbSerbe; aHe8 bis auf bie Sdjwalbennefter im SchlDhh°fe

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feffelt feine ©liefe unb erweeft in feinem ttouernben ©emüthe bie füfcen ©rinnetungen bet Äinbheit. ©et wilbe Sohn bet IRatur, bet gegen alle menfdjlidjen Safjungen in titanenhaftem Uebermuthe fid) auflehnt, et wirb im Ulnblicf ber fRatur gu einem liebenSwütbigen Äinbe.

3n grellen CSontraft gu biefem Silbe feines gelben ^at bet ©ichter granj, ben Stüber beffelben, gefegt. „91uS bem fRatur* fohne wirb, wenn et auSfchweift, ein {Rafenbet; anS bem Böglinge ber Äunft ein fRichtSwürbiger.“ SDiefe auS bem fünften Stiefe über äfthetif<he ©tgiehung entnommenen Sorte paffen oortrefflich auf baS feinbliche Stüberpaar. Stang ÜRoor, jene SluSgeburt menfchlidjer Serwotfenheit, beweift fielt baburd) als Begling bet Äunft, ba§ et bei allen feinen Schanbthaten ein „homme civil" gu bleiben »erfteht; er hütet fidj wohl, mit bet bürgerlichen ®e* fellfthaft gu gerfallen unb befolgt beShalb äußerlich ihre Dtbnungen unb ©efefje, um insgeheim fie befto abfcheulicber gu umgehen. Sie ift eS aber möglich, fo nrafj man fragen, ba& baS feige Saftet fo lange über «Sitten unb ©efefee triumphirt? SaS baS Stücf felbft unS barüber fagt, ift wenig tröftlich. 3n träger ©leicbgültigfeit läfct bie grofje SRenge alles feinen Seg gehen, wie eS eben geht, Grft bie IRäuber müffen nach bem Schlöffe fommen, um bie Sdjanbihaten beS unnatürlichen Sohnes gu entbeefen unb ben Slhüter gn beftrafen. So entfpricht ber fociale Buftanb, ben unS baS Stücf aubeutet, in ber 3hot jenem ©fei* begriffe, ben nach einem 2tu8fprud)e ©oetljeS Sfiouffeau unb ©iberot oon ber menfdjlithen ©efeüfchaft »erbreitet hoben. SDie ©efejje fcheinen nur ttorhonben, um oon Schlauen unb SRächtigen gu ihrem Sortheil unb gum fRadjtheil beS SolfS gemijjbraucht gn werben. „Sohl giebt eS, ruft gtang höhnifch «uS, gemein* fchaftlidje fPacta, bie man gefdjloffen hoi, bie $)ulfe beS Seit* cirfelS gu treiben, ©och biefe Snftalten finb nur für ben 9>öbel! ©er gnäbige $err giebt feinem fRappen bie Sporen unb galoppirt weich über ber weilaub Grate. ©aS 5Red)t wohnt beim lieber*

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wattiger unb bie ©cbraufen unferer Äraft finb untere ©efefce." $aben wir ^ier ntd^t beufelben ©runbfafc, welchem {Rouffeau in {einem focialen Contract folgenben SuSbrucf gegeben ^at: ,,©o* halb man ungeftraft ungehorfam {ein fann, fann man eS auch mit DDÜem Siebte (legitimement) unb ba ja ber ©tariere immer {Recht ^at, fo fommt eS nur barauf an, eS {o einguridjten, baf} man ber ©tariere fei." 91 ur wenn wir eine folche ©efelljchaft, bie eben jo jebt auf ber Snmafcung unb {Rieberträchtigfeit ber einen als auf ber Summheit unb Schwäche ber anbern beruht, alS ^>intergrunb unferer ftabel oorauSfejjen, ift eS ebenfalls erflärlidj, ba§ ber eble ©eift eines Äarl 9Roor gu fo ungeheuren Ser* irrungen gezwungen werben fonnte. 3war gefteht er felbft am Schluffe beS StrauerjpielS, baf) eS ein thörichteS Unterfangen war, bie Söelt bar<h ©reuel gu netfdhöneru unb bie ©efefce burdj @eje$oftgfeit aufrecht gu erhalten, unb reumüthig bietet er fein Sehen bar gut ©übne biefeS DerhängniSnoOen SrrthumS. Jnbeffen, mit welchem SRed^te burfte ber Siebter feinen gelben auf biejen wahnfinnigen ©infall gerathen laffen, wenn nicht in bet $ha* nach feiner Snficht etwas faul wäre im gangen ©etriebe beS mobernen SebenS, wenn nicht bem Bwange ber beftehenben Ser* hältniffe gum 5troj) bie heiligen gorberungen ber Satur gut ©eltung gebracht werben müßten? 2öo biefer wunbe Slecf liegt, baS h°i nnS ©djilter weit faßbarer als in bem phantaftifchen ©ewebe ber {Räuber in bem britten feinet ©rftlingSwerfe, ber Souife SDlHIeritt gegeigt.

5DRit glücflichem £acte hat 3fflanb biefeS ©tücf „Äabale unb Siebe" getauft. Ser SBelt ber Siebe, bie fidj auf bie {Rechte beS .fpergenS beruft, tritt gegenüber bie SBelt ber Sorurtheile, ber ©tanbeSunterfchiebe unb ber oerberblichen Sntriguen. Such hier alfo ift ber ©runbton ber {Rouffeaufchc ©egenfah con Olatur unb Äultur. SSie im erften Steile ber {Reuen Jpeloife bie Serwicffuitg barauf beruht, baf; ©t. fPreujr, ber „petit bourgeois sans fortune“ fid? in feine Schülerin, bie Sochter eines

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abelftolgen Sarong oerliebt, fc läfjt Sattler feinen gelben getbinanb, ben ©ofyn beS ORinifterprüfibenten, gu ber armen Mochtet feineö SRufiflehrerS non Siebe entbrannt fein. Slug biefem 5Ri§oerhältnif} aber, bag fRouffeau ben Stoff gu ibpHifdjen ©djilberungen unb £etgengergief$ungen ber Siebenben bietet, fjat © datier mit bramatifdjer Äürge unb ergreifenber (Energie eine tragifche Äataftropfye gu eutwitfeln gemußt. IRouffeau, in ber 28ahl feiner SRittel nicht eben fpröbe, finbet in ber fRachgiebig* feit feiner Jpelbin einen bequemen Slugweg aug biefem Äarnpf ber fRatur gegen bie 9Robe. 3n ©chillerS SEtauetfpiel geftaltet fid) btefer Gonflict oon oornt)erein weit einfe^neibenber unb furchtbarer, weil er burcf} bie gange Anlage beS ©tütfeg gu einem ©egeniafce oon 33olf unb gürft fid) erweitert. UnwiUfürlid) tritt an bie ©teile bet fRatur bag unterbrütfte SSolf mit feinen Sin» rechten auf Steifheit unb ©lütf, an bie ©teile ber Unnatur aber ber §ürft mit feinet begpotifdjen ÜRachtooHfommenheit unb feinem augfehweifenben £ofe. Um bag Ungeheuerliche biefeg Gontrafteg auggumalen, ift ber ^Dichter nicht oor ben greUften Bügen gurütfgefd)tetft. Gin SanbeSoater, ber um feinen Süften gu ftöhnen, ohne Sebenfen bag Seben unb bie @hre feiner Saubeg* finber in fchmählichem ©eelenoerfaufe oerräth ein SRinifter, bet butch ein Setbrechen gu feinet Stellung gelangt ift unb ber bie Seibenfchaften beg dürften mit oerfchmi^ter 5Rid)tSwürbigfeit gu feinem Sortheil auggubeuten oerfteht unter bem gangen $ofgefinbel nur eine fPerfon, unb gwar eine ÜRaitreffe, bie ung Sichtung einguflöfien oetmag bem gegenüber ein tüchtiger aber ungebilbeter SSürgerftaub , ber fcfsutjlcg ber SSMCfür beg dürften unb bem frechen Uebermuthe ber Vornehmen preiggegeben ift, bie Vornehmen aber oerfdjangt rot ber Söahrheit hinter ihren eigenen Saftern, wie hinter Schwertern ber Ghetubim." 9Ru| eg ba nicht f deinen, bafj bie- Kultur nur begwegen alle formen beg politifchen unb focialen Sebeng ^erüorgebradht hflti um wenigen Seocrgugten mit fdjreienber Ungerechtigfeit ben gangen

XI. 25«. 2 (637)

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©enuff, ber 5Renge beg 33olfe§ aber bte gauje Oual beS SebenS gu überweifen?

SDie Schroffheit folget Slnfcffauungen teilt ©Ritter mit JRouffeau; benn wenn bie übrigen ©djriftftefler ber Slufflärung bei aller ^olemif gegen ba3 Seffebenbe bocff mit ben SBorurtbeileu bet Dornefymen SSelt nid}t brechen wellten, fo muff man bem 33ütger »on ©enf gewiffermaffen nadjrübmen, baff er auch in biefer Schiebung fein SSlatt cor ben fDlunb nahm. Offen fpriefft er in feinen Sefenntniffen »on feinem unauölöfdjlidjen .paffe gegen bie 33ornebmen a!§ bie SBebrücfer beö SBolfeS. Söenn er beweifen will, baff ber »om Slbbe ©t. gierte geplante ewige griebe ein Unbing fei, ruft er au8: „3cff frage, cb e8 auf ber ffielt einen einzigen dürften gibt, ber ebne (Sntrüffung auch nur ben ®e* banfen ertrüge, geredet fein ju müffen, ieff will nicht fagen gegen gtembe, fonbern gegen feine eignen Untertanen. 2)a8 Sßolf feufjt im SBorauö, wenn feine Herren »on ihrer väterlichen güt» forge ju ibm f preßen." Sßefannt ift bie fdjarfe ©iatribe gegen

ben Slbel, bie er bem Sorb SBomffon in ben SDßunb gelegt bat, unb bie in bem ©affe gipfelt, baff bet Slbel einer gamilie nichts anbereS beweife ald bie ©iebfläffle unb bie ©cbamlofigfeit iffrer üBorfabten. Slucff im perfönlicffen Serfebr mit ben Ser* nehmen machte et fein £effl au8 biefer ©efinnung. 3n einem S3riefe 3. SB. an ben ©rafen »on Saftic befdjwert er fi<h übet eine ber 9Kutter feiner Sfferefe wibetfabtene Unbill unb fagt : „3t bal?e oerfudjt, bie arme grau gu troffen, inbem ich fte über bie [Regeln ber »ornebmen SBelt unb ber feinen ©rgieffung be» lehrte; ich ba^e tr gezeigt, wie gemein (roturiers) bie SBorte ©ereefftigfeit unb 9JienfchIi<h^it waren, unb baff es ficb gar nicht bet SOßübe »erlobne, SDienftbeten gu hatten, wenn fte nicht bagu bienten, ben ülrmen, welcher fein ©igentbum ^urücf forbert, au§ bem |)aufe gu jagen."

33on biefen focialen SDiiffffänben wenben wir un§ ju ben gelben beö ©tücfeS. gür fie ffat bag ßeben nur einen ©nbgwecf

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bie giebe. „2)u, gouife, unb idh unb bie Siebe, ruft gerbinanb aug, Hegt nicht in biefetn Sittel ber ganje Fimmel? @in gabeln meiner gouife ift ©toff für 3ahrhunberle, unb ber SEraum beg gebeng ift aug, big idj biefe S^räne ergrünbe." Unb ähnlich fdjreibt 3ulie an ihren ©eliebten: „SBie eg mir fdjeint, ift

nicht recht, wenn bu fagft: lafc ung leben um ju lieben. Stein 5)u hätteft fagen muffen: lafj ung lieben, um 3n leben.“ 3ugteidj fühlen wir aber aug ben ©erhältniffen, weld;e biegiebenben umgeben, bafj eg ein oerhängniguotleg @ef<heuf beg ^jimmelg ift, ein warmeg ^exj ju haben. ©on bem, weither eg empfangen hat, fagt Stouffeau im 26. ©riefe feineg Stomang: „(Sin Opfer ber ©orurtheile wirb er in wiberftnnigen SJtarimen ein unbefiegbareg £inberuig für bie gerechteren 33ünf<he feineg |>er3eng finben. £Die SEBelt wirb ihn bafüt beftrafen, bafj er gerabe @efüt)le uon jeglidher ©adje hat unb baff er mehr nach bem, wag wahrhaftig ift, urtljeilt alg nadj bem, wag ßonuenienjen erforbern." 55iefen abfurben SQtajrimen ber Söelt tritt getbinanb mit füljnet ©tim entgegen: „SBet fann ben ©unb 3weier ^>et3en löfen, ober bie SEöne eineg Slccorbg augeinanbet reifen. 3dj bin ein (Sbelmann; lafjt boch fehen, ob mein Slbetgbrief älter ift alg ber Stifj 3um unenblithen SBeltaH!" Unb weiterhin: „SJteine Hoffnung fteigt um fo höher, je tiefer bie Statur mit ßonueniensen gerfaüen ift. SEBir wollen fehen, ob bie SJtobe ober bie SDtenfdjheit auf bem §)taije bleiben wirb." SBeniget fühn aber ebenfo fchwärmerifch träumt gouife uon einet sufünftigen 3«it, wo bie ©chranfen beg Unterfchiebeg einftilrgen, wo con ung abfatlen alle bie oerhafjten hülfen beg ©tanbeg, unb SOtenfdjen nur SJtenfdjen finb. Söag bie giebenben 3U biefem Kampfe gegen bie 9luf$enwelt ermuthigt, ift bie unwiberftehlidhe Uebergeugung, bafj ber SJtenfdj mehr bem bergen alg bem ©erftanbe gehorchen müffc. Unb gwar erwäthft biefe Uebergeugung aug jenem Sbealigmug beg Sj e^eng, jenem Äultug ber fd)6nen ©eele, welchen Stouffeau alg bie l)öd;fte unb cin3ige Ouefle menfthlicher ©lücffeligfeit gepriefen hat. „SJtein

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3beal »on ©lücf, fagt gerbinanb, gieljt ftd) genitgiamer in mid? felbft gurücf. meinem bergen liegen alle meine 2Bünfd}e begraben." Unb wie baS fd)lichte öürgetmäbchen barin SS^roft finbct, baf; fie in bet llnfdjulb i^reS JpergenS ben Sieichthum be* jif}t, bet in ©otteS Slugen mehr werth ift als ©chmucf unb j>rädjtige &itel, fo feuf^t bie ftolge Babty in bet §üHe beS 9teid)« thumS »ergebeng nach S3efriebigung. ,,©a8 finb fcbledjte, erbärmliche SJienfdjen, meint fie, bie fic^ entfefjen, wenn mir ein warmeS, l)erslic^e8 SBort eutwifdjt". 3h* £erg h“11^* bei all bem SSoHauf ber ©inne, weil fie »cn bem Surften fidj fagen mufe: „Slber fann er auch feinem bergen befehlen, gegen ein gtofjeS, feuriges $erg gro§ unb feurig gu fragen? jtann er fein barbenbeS ©ehirn auf ein eingigeS fdjöneS ©efüfjl ejrequiren?"

2)iefe 93ergotterung beS .£>ergen8, fo ibßllifd) unb unfdhulbig fie aud) fdheinett mag, hat hoch ihre gefährliche ©eite. SBenn eS baS ,£>erg allein ift, waS bem 5Jteuf<hen feinen SBerth »erleiht, fo batf er aßen Slntlagen bet SSernunft gegenüber fid) fühn auf baffelbe berufen. „3ch fenne mein Jperg unb fenne bie SJtenfchen" mit biefen SB orten tritt ber SSerfaffer ber SBefenntniffe »or ben Shi»n beS SBeltenrichterS, unb hoch hat fein £>erg ihn nicht »er* hinbert, gegen baS erfte unb natürlichfte ©efühl beS menfchlichen #ergen8 gu fehlen unb feine Äiubet in’S SinbelhauS gu bringen. Sludf Babty SJtüforb, bie gut SDiaitreffe h crabgef unTeue Tochter eines fürftlidjen ©efdjledjtS, weif; bie »ernichtenben Sor würfe SerbinanbS mit ben SBorten gu entfräften: „Sie ftolg fonnte mein £erg jebe StnHage meiner fürftlidhen ©eburt wibcrlegen." 3a, waS nodj fdjlimmer ift, wenn baS $crg in ber 2hat bett gangen 3nhalt beS Bebens auSmadht, fo hält feinen leibenf^aft» liehen Snforberungen feine Otücfficht auf aubere Pflichten, mögen fie noch he>l*8 fe*n» me^r ftanb; baS qpetg rnuf; befriebigt werben um jeben $)rei8, wcnicht, fo hat baS Beben feine 33e* beutung »etloren. Stach biefen ©rnnbfäfjen fehen wir benn auch bie gelben ©chißerS unb SRouffeauS »erfahren. 3ulie »ergibt

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bie Siücfftdjten auf ihre gamilie unb flieht ihre (S^re preiS; ^erbinaub vergiftet auf einen blejjen 33erbad^t hin feine angebetete Seuife. 5)ie fftatur hat }t<h in bie entfetyüdjfte Unnatur uerirrt. Souffeau leiste wol)l, wie verwerflid? bie SJiittel fmb, mit benen St. preur ba$ £>erg feiner ©d)ülcrin umfiricft, unb fügte beS« Wb gu betn 20. Vriefe bie Slnmerfung ^in^u, bie wörtlich auch auf ben gelben »en Äabale unb Siebe anguwenben ift: „2Ran fühlt, baf) er bie Sugeitb aufrichtig liebt, aber feine Seibenfdjaft führt ihn auf Slbwege. SBemt feine grof;e 3ugenb ibn nicht entfdjulbigte, fo märe er mit all feinen frönen IRebenS« arttu nur ein gemeiner Verbrecher." 9luch in einzelnen Bügen macht ftd) biefe Unnatur fühlbar. SBic unangenehm berühren nnS bie geiftreich geschraubten Antworten SouifcnS, mit welchen ba$ arme Vürgermäbchen bte »ernehme Sah; befdjeimen foK! Sie fomifch ift eS, wenn ©t. ^renjr, als er gum erften Plale ba8 ©ct)lafgimmer 3ulien8 betritt, im Saumei beS GntgüifenS fich wie ein Äinb freut, Sinte unb Rapier bafetbft gefuuben gu haben, um feine ©efütjle fefort nieberfchreiben gu fennen!

(Sine befonbere Veachtung oerbient bie Werfen ber Sabp SKilfcrb. Äarl Sweften hat fie ben tn’S SBeiblidje überlebten Sctb Vomfton auS ber fReuen Jpeloife genannt5.) SBenn biefet SuSbrucf auch etwas gu weit geht, fo Iäf)t ftch hoch nicht leugnen, baß bie ©runbgüge beS 8orbS, beffen SBerth, wie 3ulie fagt, geringer wäre, wenn er feine SBallungen beffer begatjmte, in bem @h«raftcr ber Vrittin fich wieberfinben. i/litch fie befiel jenes unberechenbare ©emifch »on Seibenfdjaftlichfeit unb ©rofjmuth, fen erhabenem Pflichtgefühl unb glütjenber ©innlichfeit, welches baS SRineau ber SWtagSmenfchen weit überragt. ©ie hat ihre Sugenb nur beSwegen geopfert, um burdj ihren <$influ§ auf ben gürften bie fchlimmften Uebelftänbe ber ^Regierung ab« gufchaffen unb unerlannt eine Söohlthaterin beS bebrüeften VolfeS gu werben. SBie ber Sorb auf bie ^>anb ber leibenfdjaft» Ii<t> geliebten 3ulie versiegtet, fobalb er non ihrem Verhältnis

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gu St. ^reur unterrichtet ift, fo entfagt auch bie Sabp bem 33e* ftjje ^erbiuanbg, nadjtem il>r bie £iefe unb {Reinheit bet ©efühle ber Siebenben bie Slugeit über fich felbft geöffnet hat; unb ÜRacht, {Reichtum unb SBohHeben hinter fich laffenb, entzieht fie fid> burch fchneüe flucht ihrer unwürb'gen Stellung.

3wifchen ben {Räubern unb ber Souife 9RiHerin liegt bie erftc {Bearbeitung be§ gieöfo. 2 )a§ SchtHer auf bie SBahl biefeS Stoffes burch {Rouffeau hingewiefen würbe, haben ttJ*r i^cn oben erwähnt. Sludj in biefem Stüde fehlt e8 nicht an (Singel* heilen, bie un§ an {Ronffeaug SieblingSibeen erinnern; fo ber SluSfpruch, in welchem Die ©täfin ihre Siebeßfchwärmerei gu* fammenfafjt: „Siebe hat nur ein ©ut, thut 33ergicht auf bie gange übrige Schöpfung". Unb wenn bie 93erfchworcncn ben wunberlidjen ©infall haben, ben ©rafen oon Sauagua burch baö ©emälbe oon bej (Stmotbung ber 23irginia aus feiner erheuchelten Schlaffheit gu erwecfen, fo wenbet fid> auch hie* wieber bie 9)hantafie be8 SMchterö gu ben oon {Rouffeau fo lebhaft empfohlenen ©eftalten bet alten ©efchichte. 3m ©rohen unb ©äugen fteht aber ber $ie8fo außerhalb beS 3been frei feg, ber unS bisher befchäftigt hat; »or allem fehlt ihm jene rabifale fPolemif gegen bie beftehenben Safjungen beö SahrhunbertS, welche burch bie beibeu anbern Stüde fo oernehmlidh fich hinburdjgieht. Ulllerbingg hat Schiller fein {Drama ein republifanifcheS 2rauetfpiel genannt unb in ber (Erinnerung an bag fPublifum, bie er ber SRannheimer Umarbeitung beS StüdeS »oranfchidte, fogar oon bemfelben gejagt: „SBenn Äleingeifterei unb SRobe ber {Ratur fühneu Umrife befchueiben, wenn taufenb lächerliche (Sonoeniengen am groben Stempel ber ©ottheit ^erumfünfteln, fo fann Dasjenige Schaufpiel nicht gwedloS fein, bag uns ben Spiegel unferer gangen Äraft oor {Hugen hält." Snbeffen ift in biefem republifanifchen Strauer» fpiel nur ein eingiger {Republifaner : ber alte ©errina; bie übrigen ©erfchworenen, gieSfo mit einbegriffen, finb ihrem (Shatafter unb ihren 2(nfid)ten nach gerabe bag ©egentljeil oon

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bem, maS man unter biefem tarnen gu »erflehen pflegt. Bon bem Kampfe gegen SDtobe unb Gonoenieng ift aber erft redpt widjtS in biefem Stüde gu »erfpüren, unb enblicp ift ber gtoifcpen fticelen giebeStänbeleien unb eprgeigigen BerfcptncrungSplänen pin unb per ftpmanfenbe gieSfo fdjroerliip ein Spiegel unfeter gangen Äraft. Dpne 3»eifel entfpredpen foldpe Sleufjerungen mepr bet Stimmung beö 2)idpter§ felbft als bem Snpnlte feines IDidptteerfeS. SJtan fönnte nun meinen, eS fei gerabe ein gort» ftpritt im Seifte be8 JDidpterS, bap er fidp pier non ben mit jugenblidper Ueberfcpmenglicpfeit erfaßten 9louffeauf<pen 3b een fern gepalten pat. 3n biefem Sinne fagt Stoeften: „Scpon erpob er fiep über KcuffeauS abftracte SDoctrinen gu ber »apt» paft gefcpidptlidpen Ginfiept, ba§ bie ftaatlicpen gormen in notp» menbiger SSecpfelroirfung gu bem Sangen ber geiftigen unb fitt* liepen 3«ftünbe beS 33olfeS ober feiner pettfepenben Älaffen fiepen, ba§ in einer corrumpirten Sefetlfcpaft mit fUtenfepen, wie er SenuaS befte fUlänner ftpilbert, ein freies StaatSaefen nidpt mcglicp ift." SDiefe 3lnfi<pt fepeint mir aber mepr in baS Stüd pineingutragen, alS ber 2)icpter felbft beabjttptigt pat. fRidptig ift eS, bap StpiDet auS fRouffeauS SEpeorien fidp über bie practifdpen 33ebingungen eines rcpubltfanifcpen SemeinwefeuS niept auf« Raren fonnte. SBar bodp fRouffeau g. 33. über bie Srunbgüge feiner peimatlidjen Senfet Berfaffung fo im Srrtpum, bafj er fie alö 3Jtufter pries, »äprenb fie in iprer bamaligen Seftalt auf bie Sebrücfung unb Beootmunbung ber großen Stajorität burep eine Reine, fepr beoorgugte Stinoritat pinauSlief. 38enn aber S<piHer in bem angebeuteten Sinne über fRouffeau pinauS* gepen »ollte, fo patte er bo<p cor allem in feinem gelben ein eigenes politifdpeS 3beal »erförpetn unb an Stelle beS gieSfo etwa einen Bettina gum Stittelpunfte feines JrauetfpielS maepen müffen. Statt beffen pat uns ber Sicpter felbft in ber Bor» rebe gu bem Stüde feine „politifdpe Sdpmädpe" befannt unb gegeigt, wie eS bie l'etfon beS gieSfo mit iprem rounberbaren

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©emifdb Den glübenßer ©dbwatmerei unb ftaatSfluger Sntrigue war, bie üjn gut 33ebanblung feines ©egeuftanbeß reigte. S8a§ ferner feine Sluffaffung Don ber ©efdbidbte betrifft, fo war fte bamalß nodb gängtit^ in fRouffeaufdjer ©ubjectimtät befangen. „fDlit ber £)iftorie, Reifet in bet Erinnerung an baß fPublifum, getraue idb mir balb fertig gu werben: benn id? bin nidit fein ©efdbidbtfcbreiber unb eine eingige grofie SHufwadung, bie id) burcb bie gewagte Erbidbtung in ber Sruft meiner Swfdjauer bewttfie, wiegt bei mit bie ftrengfte tyiftorifdje ©enautgfeit auf." ©er ©idbter beß gießfo befinbet ftd) alfo in berfelben traumhaften 3beenwelt, wie bet ©id)ter ber fRäuber unb ber Scuife 9)?iflerin. ©er Unterfdbieb Hegt nur barin, baf) wegen bet gangen Anlage beß complicirten ©tücfeß weniger bie uadb innen geFebrft JReflejrion als bie nach auften geftaltenbe ^hantafie beß ©icbterß in 9tafprudj genommen würbe.

3n eine wefentlidb anbere ©pbäre treten wir ein mit bem ©on hartes. SWerbingß gilt bie§ nur non bem fertigen ©tiicfe; bie erften Anfänge beffelben, wie fie tom 3a1jte 1784 biß 1786 in £eften ber 0*ü)einifd>en Sbalia erfdjienen, Fnüffen ba au, we wir ben ©idfter Don Äabale unb Siebe oertaffen haben. SBie jene ©ictitung ein bürgerliche« SSrauerfpiel gewefen war, fo follte, nach ©tbiöerä eigenem Slußfprudhe ber ©on Äarloß gu einem Samiliengemälbe auß foniglidjem ^>aufe werben. Stucfe lag ber Äeru beß ©angen wieber in bem feinblidjen ©egenfajge doh SJtobe unb ©onoenieng, Don fftatur unb Unnatur, ©urdf bie 33anbe ber Siebe wirb ©lifabetb gu ©on &arloß bingegogen, bie Siänfe bet $)elitif machen fie gut ©attin beß fBaterß ibteß ©eliebten. ©iner foldben $)olitif gegenüber, bie fDtenfdbenbergen wie Jbrämermaaren oerbanbelt, beruft fidb ©on Äarloß auf bie fRedjte feiner Siebe" unb fpettet über bie „gormel am 91ltar" welche nur bagu bient, beit abgefdblojfenen $anbel in ben ÜSugen beß spöbelß gu ^eüi^en. ©ie Königin beugt ficb gwat äufjerliih

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»or ben ihr auf gegwmtgenen ^)f!t«^ten, ihr £erg aber lehnt fid^ gegen biefelben auf unb bewahrt bie utfprüngliche Neigung. SroftloS unnatürlich ift baS Verhältnis »on Vater unb Sohn. „SBeldj traurige ©ewalt, ruft ÄarloS bem Äonige gu, treibt ber Vatur noch nie »erirrte SöeUen So feltfam gegen ihren Strom." 9ln Philipp felbft rächt fich bie uumenfchlidje Äälte ber operrfch* jucht burch baS untilgbare Verlangen nach SRitgefühl; er, ber „beö SBeinenS füfje jjreuben" nicht fennt, muh fith both bie wtenbliche 8eere feines ^ergenS geftehn unb uergebenS nach einem jKenfchenhergen fid) umfehen, baS ihn oerfteben unb lieben fönne. 3n ber v))ringeffin ©boli bietet fid) unS ein ©egenbilb gut Sabp fDlilforb; beibe finb grofie Seelen, unb beShalb über bie Schranfen ber Sitte erhaben: „Vur Reine Seelen fniecn Der ber Siegel, bie grofce Seele fennt fte nicht." Seinen fchärfften SluSbrucf finbet aber ber ©ontraft non fftatur unb Unnatur in bem Äampfe ber unterbrächen fDtenfchheit gegen bie mit ber Snquifition auS* gerüftete Hierarchie ber fatholifcben Äirche. Hier »ernehmen wir ben £cn wieber, bet unS fdjon auS ber an fRouffeau gerichteten JDbe entgegenflang, ben ber Siebter aber in feinen erften Sramen nicht angefdjlagen h«t- .,3<h »iß eS mir gut Pflicht machen, fdjreibt er an Steinwalb, in ber Sarftellung ber 3nquifition bie proftituirte 9Renf<hheit gu rächen unb iljre Sdjanbflecfcn fürc^ter* tid) an ben ^tanger gu ftellen." Siefet ©ifer, ber fid} in ber erften Vearbeitung nod) weit energifcher als in ber feigen Raffung beS StücfeS geltenb macht, erinnert unS lebhaft an baS Voltaire'fdje „ecrasez l’infame.“ Um aber biefeS Ungeheuer eines »ergerrten ©hriftenthumS gu befämpfen, bebient er ftch mit Vor« liebe bet Sdjlagroorte fRouffeau’S, beS fRouffeau, ber aus ©Triften SDienfchen wirbt. So heifet eS g. V. Dom bringen: Sein Jfjetg entglüht für eine neue Sugenb, Sie ftolg unb ficher unb fidf felbft genug, Von feinem ©tauben betteln will @r benft Sein Äopf entbrennt ton einet feltfamen (Sljimäre: er oerehtt ben fJRenfbhen." Unb als ber SRatquiS an bet X^atfraft beS

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Iiebefdjmadjtenben ©on ÄatloS cergweifelt, ruft er auS: „So ffie^e benn auö bem ©ebiet ber ©Ijriften, ©ebanfenfreiljeit! Sünberin 93ernunft, befefyre bidj gur frommen JoMjeit wieber! Berbrid) beiu SBappen, ewige fRatur!

@8 ift befannt, bafj SdjiHer, wäljrenb er an biefem ©rama bid&tete, atlmäfylid) felbft eine gang anbere Stellung gu feinem SBerfe gewann; er war feinem utfprünglidjen gelben, bem Soljne $)l}ilipf>8, an Bahren »orauSgefptungen unb tjatte meljr unb meljt fein Sntereffe bem SRarquiS i'ofa gugewanbt. ©iefe Umwanblung war cor allem burtf) bie ernftere 23efdjäftigung mit ber ©efdfidfte fyereorgerufen. begonnen batte er baS SEBerf mit ber fR o?eüe con St. fReal, unb als er e8 »oDenbete, ^atte er SRonteSquieu gelefen unb jene umfaffenben Stubien unternommen, au8 benen feine «Schriften über bie fRieberlanbifdje ©efe^id^te fyetrorgeljen füllten. ©8 mujj fid) bemnad) für un8 fragen, ob unb wieweit baSfenige 3beal, weldjeS ber SRarquiS fPofa be8 nollenbeten ©ramaS nertritt, nod) fRoufjeaufdje Büge an fid? trägt. Unleugbar ift e8 gunädjft, bafj ber 5Raltefer SRitter uid)t minber wie ber SSürger »on ©enf ein fonbetbarer Schwärmer ift; benn wenn audj bie Stirn be8 jugenblidj feurigen fPofa weniger fRungeln geigt al8 bie bei griesgrämigen unb mifantljrcf>ifd)en 3ean* 3«cque8, fo ift bodfj ba8 33erbältni8 gu ben realen ©htgen biefet Seit bei bciben gleidj unflar unb gleich) phantaftifd). ©benfo augenfdjeinlid) ift e8, baf? beibe in ber negativen Seite i^reS 3beal8 übereinftimmen; beibe Raffen rtic^td glüljenber als jeben ISbfolutiSmuS in Äir^e, Staat unb ©efeOfd^aft unb wollen, ba§ fobalb wie möglich auf immer mit ifym gebroden werbe, ferner wufs man gugeben, baf) ba8 Sbeal beS ÜRarquiS wie baSjenige {ReuffeauS einen ibtjDlifc^en ober, wenn man will, eubämoniftifdjen ©Ijarafter an fidf trägt. 3?eiben gilt e8, bie DRenfdjen glücflidj, ba8 8eben fdjön gu machen. „SD Königin, ba8 geben ift bodf fdjön, ruft ^)ofa, als er ahnt, bafj feine Stunbe gefdjlagen ^at, unb fafjt in biefem „bodj" all’ ben 3ammer gufammen, ben »er*

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bienbete Selbftjucht über bie SDtenfchheit fyetaufbefdjrooren hat- tet $ring unb fPofa, fagt ©Rillet im VIII. ^Briefe über 5)on ÄarloS, haben einen enthuftaftifdjen ©ntmurf gebilbet, ben glücf» lichften 3uftanb herBotgubtingen, ber bet SDtenfchheit erreichbar ift." Sie enblidj in ber fPhantafie StouffeauS Sbpllifc^eö eng mit .£>etoi}<hem [ich »erfd>iüiftert, fo aud) in ber beS ÜJIarquiS. Jrof} feinet Siebe gu bem geben geht er fteubig in ben Job. „Ser entbecft nicht, h«f3t im XII. Briefe, in bem ganzen Sufammenhange feines gebenS, bah feine gange ^hantafie non Silbern romantifcher ©reffe angefütlt unb burdjbrungen ift, baff bie gelben beS fpiutard) in feiner Seele leben, unb bah fi<h alfo unter jwei 2luS»egen immer ber tjeroifc^e gunächft ihm barbieten muh?"

SlnbrerfeitS ift aber ber gortfchritt in ber Stimmung fomohl »ie in ber Seltanfchauung Schillers unoerfennbar. Sit fühlen, bah mir hinaus finb über baS unfruchtbare Setteiben ber ©egenfä^e, bah bie Hoffnung in ihm fi<h regt, bie Sbeale feines ^jerjenS auch nemirflicht gu fehen. Selch Slbftanb non bem Stäuber* hauptmann, bet ben ^Mutarch im Äopfe, baS SOtorbgemehr aber in ber $anb hat, bis gu jenem oon ben ebelften ©ebanfen ge* tragenen $)ofa, ber mit ^elbenmuth für eine grohe Sache in ben Job gel)t. 55er SJidjter, ber bisher mit ber gangen Äraft feines ©eniuS, auf bie Allgewalt beS .pergenS trohenb, an ben gugen beS SeltgebäubeS gerüttelt hat, glaubt nunmehr an eine ©nt« toicflung beS 9Jtenfchengef<hlechtS gut Freiheit unb SJoUfommenheit. Seil et fidj mit ber ©efdjicbte auSgeföhnt hat, ift er nicht mehr eingig unb allein barauf bebaut, baS Seftehenbe eingureihen. Sährenb Dtouffeau Bon einem hinter unS liegenben Statur* guftanbe träumt, ben bie Äultur unS un»iebetbringli<h entrih, träumt ber £elb beS StücfeS Bon einem Bor unS liegenben, burd) Jlnfpannung aHet ebelften jfräfte gu eneichenben Sbeale Boflfommener Breihett unb fronet SDtenfchlichfeit. Senn eS benfbar ift, bah in -RatloS unb |)ofa bie nad) Stouffeau unser* föhnlichen ©egenfäjje Bon Bürft unb Unterthan in »armer §reunb»

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fdjaft gum SSotjIe beg ©angen fidj cerbünben, fo läfct cg fxd) au<b annebmen, baß einft auf ©runb eineg f olcben ©tituernebmenB gwifdjen gürft uub Sßol! ein neuer, ber 9Jtenfd$eit roürbiger Suftanb erwadjfe. Semgemäß finb e8 nidjt mehr bie fubjeftioeu ©mpfinbungen ber Siebe unb g-reunbfdjaft allein, in welchen bie gelben beg Stüdeg aufgeben; oielmebr muffen fidj ifyre Seiben* fünften unter einen ijiftorifdjen SBeltgwecf beugen, melier SCuf= Opferung unb Setbftentfagung non ihnen cerlangt. Äarlog be* fämpft bie erfte ftürmifdjc ©lut feiner Siebe, unb, um feine Königin butd) große ÜEtjatcn ficb gu cerbienen, will er felbft, ber fatbolifdje $)rittg, gum gübrer ber proteftantifcben fRebeüen fid) madjen. Unb ber SRaltefer läßt e8 nid)t beim ©dm’ärmen allein bewenben; er ftirbt für ein Sbeal, bag et in bem lieber* maß ber 33egeifterung nur allgufcbnell gu ocrwirflitben gebadbte.

ffienn alfo SEweften behauptet, Son Äarlog fei weient* lieb oon Sftouffeaufdjen Sbeen übet Staat unb Äird?e er» füllt, fo bat biefer Saß nur bann cofle 9ii(btigfeit, wenn man befdjränfenb bingufügt, baß biefe SRouffeaufcben 3been burd» bie cerflärenbe .Straft beö bid)terifd)en ©eniug fibon ciel con ißt« parabopen ©infeitigfeit cerlcren !>aben. ©er Siebter bat einen großartigen SBerfucb gemacht, bie Äluft gu überbrüefen, bie bnt fUaturmenfeben con bem SJtenfdien bet ätultur trennt, ©r bat in ber greubtgfeit feineg biebterifdjen S<baffen8 neuen Sebertg* mutb unb mit bem fßiutbe ein 3beal gewonnen, bag, wenn eg aueb ttod) febwanfenbe Umriffe geigt, boeb mit einer bi'toriieb möglieben ©ntmieflung oereinbar ift. ÜJian wenbe nicht ein, baß ja bie SEräger biefeg 3beal8 im Srama unterliegen. SBenn giegfo ftirbt, fo haben wir aHerbingg feine anbere ©mpfinbung, alg baß na<b bem SEobe beg batbftrebenben 3üngling§ ©etwa in ba8 alte ©baog gurücffallcn wirb. Sßenn ^ofa ftirbt, fo lebt fein Sbeal, bag ber Siebter gu bem unfrigen gemadtt bat, mit ftegeggewiffer 3uoerfidit in ber Seele beg Jpörerg fort. traurige 3uftanb ber 9Kcnf<bbe»t, weldten uug bie fDfonardjte

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9>f)ilipp8 »ott Spanien reprdfentirt, ift allerbingS eine ©erimmg beS menjc^licpen ©erftanbeS, eine furchtbare SKuftratien gu bet ©ehanptung SfiouffcauS, baff unter ben ^länben be8 SQRenfchen aUe8 entarten muffe, ©er menjc^Iidjc ©erftanb finbet aber fein Gorcecti» in bet ©atur, weltbeSchillernicht mehr mit 3touffeaufd)er Schroffheit in offenen ©egenfafc gu allen SBetfen be8 menjdj» li^en ©eifteS oerfejjt. 3m ©egentheil; au8 bet ©atur, bie als eine nach unwanbelbaren ©efefcen wirfenbe SDlad^t über alles (Eigenmächtige unb SSitlfürlidhe ergaben ift, fdjöpft ber menfdh* liehe ©eift ftetS »on neuem bie Äraft, um con 2lu8fd)reitungen in bie rechte ©ahn wieber eingulenfen unb eblere unb fyoljete Biele für bie 3ufunft fi<h gu fefcen. fRur in biefem ©inne ift e8 gu oerfte^en, wenn ©filier im XI. ©riefe al8 ben eigent* liehen ©chlüffel gu feinem ©rama ben ©atj aufftetlt: „©idjtS führt gura ©uten, waS nid^t natürlich ift."

3Bie weit ©filier fdfjon bamals non einer einfeitigen Stuf* faffung be8 ©aturbegriffS in SRouffeaufcbem ©inne entfernt war, geigt un8 ein ©lief in bie p^itofop^if^en ©riefe. 3»« theilt ber gut pfyilofopfyifdjen ©peculation fich wenbenbe ©ichter mit bem ©erfaffer bet Jpeloife bie begeifterte Uebergeugung, bajj bie menfcpdje ERatur fid) nid)t »otlenbeter offenbaren fönne als in greunbf^aft unb Siebe; aud) ihm gilt bie Siebe als ber ©nbgwecE ber Schöpfung, als bie Seiter, auf ber wir gut ©ottäljnlidfjfeit emporflimmen. ©o feht nun biefe SRetaphpfif ber Siebe ben 2ln= fidjten SulienS unb ihres ©eliebten auch entfpredjen mag, fo wenig entfprid^t ber ©rwtbgebanfe, auf welkem ber ©ichter bie* felbe aufbaut,, ben Theorien SRouffeauS. (Er, ber Äünftler unb Slnhänger ©hafteSburpS , erfennt nämlich in ber Statut ein ftufen* mäfjig georbneteS göttliches Äuuftwerf, welches er in pantbeiftifeper SBeife mit ©ott felbft ibentipeirt. ©ie ERatur in ihrer ©efammt* peit ift ihm baS »ollfommene Slbbilb beS göttlichen SEBefenS, unb febeS (Eingelwefen fügt fiep auf bet ihm gufommeuben Stufe harmonifdh bem ©angen ein. SBenn fomit baS Unioerfum mit

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©ott uitb biefer wieberum mit ber Siebe ibentifdj ift, fo muf? bie liebenbe SReufcpenfeele bet Slbglang ber pöcpften 33ollfommen* peit( unb bie Seele überhaupt bie üragetin göttlicher Spätigfeiten fein, gut bie fdjöpferifche Spätigfeit bcö pöcpften SBefenß weif; aber Stappael feinem greunbe 3uliuß feinen erhabeneren Slußbrucf ju nennen alß bie Äunft; unb gerabe in ihr fap befanntlicp SRouffeau ben Sinfang »om ©nbe. SDiefeß Sneinanbergreifen bet beiben begriffe 9latur unb Äunft ift ber gangen ÜJietpobe ütouffeauß gerctbeju entgegengefept.

Stuf ©runb biefer fimftlerifd?eu €Dieta^^pftf fucpt nun ©duDer baburcp gu einer SJloral gu gelangen, baff er bem fd^c^ferifcfaen ifßringip bet Siebe ben ©gcißmuß gegenüberftetlt. Stuß ber 3bee einer nöflig felbftlofen Siebe, bie ihren SRittelpunft in bie ittcpie beß ewigen ©angeu fefjt, folgert er bann, bah «6 «ne Sugenb geben muffe, bie audj ohne ben ©lauben ber Unfterblicpfeit auß* langt unb auch auf ©efahr ber Skrnidjtung baß nämlidje Opfer wirft, ©o ift ihm alfo bie 5£ugenb, obwohl fte allerbingß auf ber Siebe beruht, bennodj burcpauß feine felbftifd^e ^ergenßoet« »ergötterung, fein tbpOifcpet Slbglang einet frönen ©eele. ©ie ift ihm melmepr eine ftrenge, auf feben ©igennup 33ergicpt leiftenbe ©ittlicpfeit. 3n biefer ©arftellung begegnen fiep in eigentpüm* lieber SBeife fRouffeaufdje unb Äantfcpe ©lemente. Butrejfenb hat barüber Äuno gifeper gefagt: „©epilier griinbet bie Sugenb auf bie Siebe, gwar auf bie uneigennützige, aber bed^ auf bie Siebe, alfo auf Steigung. Äant grünbet fte auf feinerlei Steigung fonbern bloß auf baß ©efep, er »erneint jebe Slrt ber Neigung alß ein frembartigeß unb unreineß fittlicheß SKotic. Sn ber Sluffaffung ber Hugenb fompatpifirt ©epilier mit Äant, in bet 33egrünbitng berfelben mit Siouffeau." 6)

SOrit bem Slbfcplufj ber ppilofoppifcpen ^Briefe finb wir be* reitß biß 3U bem Sahre 1789 gelangt. Sluß bem Sapre »erper

ftammt baß erfte 3eugnif), auß bem fid) ergiebt, wie fepr ©cpitlet

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»on jener bitfyprambifdjen Ueberfdjteenglidjteit abgefommen war, mit welcher er einfi baS ©rab »on ©rmcnonoifle bejungen batte. jRadjbem er nämlich baS geben SDiberotS, welches ^rau SBanbeul, bie Stochtet beffelben »erfaßt batte, mit großer SSefrtebtgung gelefen, fdjreibt er barüber an .Korner: „©8 ift eigentlich nur wenig, waS bieje Biografie »on ibm aufbewabrt bat. SDiefeS wenige ift mir ober ein gtofjer ©ctat} »on SEBabrbeit unb funplet ©töfje unb mir wertber, als waS wir »on Siouffeau haben." T) SDiefe Semerfung enthalt jwat nur tnbirect, aber »ernebmlich ge» nug, eine Serurtbeilung jener prätenticfen ©elbftüerberrlicbung, bie ben ©runbgng in ben Befeuntniffen SRoufjeauS bilbet. Sludj erfcheint ein foldjer Stabei um jo bebeutfamer, wenn man bebenft, wie wegwetfenb Stouffeau in feinen SRemoiren ftcb über feinen, ehemaligen greunb SDiberot auSgefprochen bat. ©8 fommt bingu, baf} Schiller, als et um biefelbe Beit eine Sftecenfion bet 2luto* biogra^bie ©olboniS »erfaßte, eine noch b^ere Sleufjerung über 9touffeau8 3)erjönli<bfett mit einfliefjen lief;. „Slucb bflt ©olboniS gefällige ÜJieinung »on ihm felbft, jagt er bafelbft, gar nichts »on bem anftofjigen, wibrigen ©goiSmuS, womit fo »iele weit größere ©cbriftfteHer ihre gefet brücfen eine Bemerfung, bie fidj bem fRecenfenten »orgügüch in bem XVI. unb XVII. Äapitel beS britten StbeileS aufgebrungen bat, wo unfer Slutor feine 3«fammen» funft mit 3- 3- ?Rouffeau betreibt. 2Sie gern würbe man einem ©olboni ein parteiifcheS Urtbeil über biefen ihm fo be<hft frembartigen ©barafter »ergieben haben, unb hoch bürften wenige gefer fein, benen nach gefung biefer ©teile bet gto&e philafshbifö6 S5i<hter neben bem italienifchen Äomöbienfcbreiber nicht febt flein erfchien." 8) SDiefe ©orte, welche ficb auf ba8 fchnobe Be* tragen begieben, mit bem SRouffeau feinem Berebrer ©olboni in fPariS begegnete, bebürfen feines weiteren ©ommentarS. ©ie geigen beutlich, bafj fRouffeau in ©chiHerS Singen nicht mehr bet über alles gob erhabene SBeife geblieben ift, baff feine gange

fPerfönlicbfeit »ielmel)t für ihn etwas unbegreifliches, ja gerabegu

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etwas abftofcenbeS ^at. Um fo auffaQenber ift eg, wenn wir in einem mit 9ted)t gefcbäfcten unb in ben £änben bet 3ugeub be» fmblidjen Sudjc ©chillerS $lerfönlicbfeit auf eine Sinie mit ber* jenigen SRouffeauS gefteüt ftnben. SBieljoff, bet rütjmlic^ft befannte 33iograpb©d)ilIerS, batnämlid) behauptet, baf) SRouffeau „fteibenfenb unb bodjgefinnt, nid)t nur von ähnlichem ©djicffale foubern fogar, wenn wir recht berietet finb, von a^ntic^er Üörperform wie ©djiflet gewefen fei." 35er Setidjt, auf beit wir tytx cerwieien werben, ftammt aus bet gebet bet 3ulie von Sonbeli, welche bie ©in» brücfe ihrer furgeu Begegnung mit bem fcbwätmetif(b cerebrten fRouffeau furg aufgegeicbnet bat- fftacbbem nun Sieboff einige ©ä£e aus biefer ©cbilberung mitgetbeilt ba*r fügt er bü»ä»; „3n biefer fßerfönlUbfeit festen bie Statut unfern ©Rillet gum ^beii »orgebilbet gu ba&en-"8) SBaS gunäcbft bie Ste^nUc^feit bet Äcrperform betrifft, fo läfst fidj über SÖlenj^en, bie wir felbft nicht gefannt, barüber fdjwerlicb etwas BeftimmteS auSfagen. ©oeiel ftebt inbeS feft, baff wol)l fftiemanb oon felbft barauf fommen würbe, in bem Silbe beS blonben unb fdjlanfen Schwaben eine 2lebnlicbfeit mit bem unterjefjten, bunllen unb in fidj »er« fdjloffenen ©enfet gu entbecfen. SDiefe gtage mag febüdj wegen ihrer untergeorbneten Bcbeutung babin geftellt bleiben. Sie verhält eS fidj aber mit ber behaupteten Sebnlidbfeit ber ©chicffale unb ber 9>erfönli<hfeit? Um bie gängige Unbaltbarfeit einer folgen parallele eingufeben, vergegenwärtige man fidj nur folgeube ÜJiomente: Schüler geniest im ^>aufe ber ©Itern unb in ber Stnftalt beS ^ergogS eine ftrenge unb geregelte ©rgiebung. ©dfon als 3üngling gelangt er gum vollen Sewufftfein feines 25ichter» berufeS; ihm opfert er alle übrigen {Rücfftdjten fteubig auf, unb nach entbebrungSvollen aber fruchtbaren SSanbetjabren erreidEjt er Seimar, wo er im Sunbe mit einet ihm ebenbürtigen ©emablin unb in greunbfdbaft mit ben ebelften unb größten ©eiftern ber Station mit ganger Siebe ftch ben b°f)en Bielen feines ©eniuS bingibt. 3n biefeS Seben coli raftlofen Schaffens, voö trübet

f«62;

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@nttäufd)ungen, aber aud) cett fyofyer unb inniger greube ragt wie ein bunfler ©Ratten ein gefährliches löruftleiben hinein, weld^eö ben mit großartigen Entwürfen beschäftigten ©idfter in bet SMiitße beS SDianneSalterS batjinrafft. Unb Dtouffeau? ©et SJtutter beraubt, wäcßft er an ber ©eite eines pfjantaftifdjen 23ater8 tyxan unb entläuft als Änabe feinem Sehrmeifter, um ftch »on Abenteuer gu Abenteuer in immer traurigere SJerlegenßeiten ju ftür^en ; babei gerät!) fein weidjeS unb urfprünglid) ebleS ©emütl), »ot allem burd) ben entfittlicßenben Umgang mit grau o. 33aren3, auf gefährliche Abwege. @rft nacßbem er fiebenunbbreißig 3aßr alt geworben, fommt et wie burd) 3ufall gum SSewußtfein feineS ©eniuS unb lenft plöfclid) bie Äugen ber Nation auf fid). Äber aucß je^t noch üerfdjmäht er jebeS SDlittel, um 3U einet oernünftigen ©jrifteng gu gelangen. ©t nimmt bie ©herefe Seoaffeur, ein lieberlid)e8 unb gang gewöhnliches ©efcßöpf, gu fid) unb bringt, wenn wir feinet eigenen ©arftellung folgen, bie mit ihr erzeugten hinter in’S ginbelhauS. 9?ad) ber Meinung Änberer feilen biefe Äinber bet ©herefe 8at nicht einmal bie feinigen gewefen fein. 1 °) Utachbcm er mit ©rimm unb ©iberot gebrochen, gerfällt er ber Dieihe nach mit allen feinen §reunben unb ^reunbinnen. Sowohl ber große SBeifaü, ben feine 23erfe ernten, wie bie 23er* folgungen, bie fie ißm geitweife gugießen, bienen nur bagu, feine SKenfdjenfcheu bis gum hödjften ©rabe gu fteigern. ©infam ftirbt er im ßödjften ©reifenalter in einem an ffiaßnfinn grengenben Suftanbe. Saßtlich, abgefeßen baoou, baß beibeS große SDtänner unb ©cßriftfteller waren unb baß beibe oiel non .firanfßeit ßeim* gefueßt würben, läßt fid) faum eine größere ä>erfd)iebcnßeit beS SebenSgangeS benfen. Unb nicht anberS »erhält eS fid) mit ben ©hafteten. SSaS foü man non einem IDtanne benfen, oou bem ©t. Seune, einer ber griinblichften Äenner ber frangöfifeßen Sitteratur, fagen muß, baß er fid) burcßauS nicht genire, gu lügen, fcbalb feine franfßafte ©igenliebe im ©piel ift, unb beffeu Siete gur ©räfin Jpoubetct man in ber ©hat uidjt treffender begeidjnea

SC 256. 3 (G63J

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fann als „bie Siebe eines ©att>r6", wie ©t. fDtarc ©irarbiu jte genannt hat.11) jReufjeau fyat baS welthifterifche ©erbienft, bie ©unbeu feines SahrhunbertS Har wie Sftiemanb aufgefcecft unb jeinen 3eitftencffen burcb IXuffteUung grofjartiger ©efidhtSpunfte bie Suft gut Jpeihmg berjelben eingefiejjt gn ^aben. S>ie 4?anb, mit ber et auf bie ©unben wieS, war aber leibet feine faubere. ©aS @d)ißer betrifft, jo mag man noä) jo jtreng übet bie ÄuS* jchreitungen jeinet Sugenbjafyre urteilen unb mit 3ulian ©djnubt Bon einem „SJtpthuS" jvredjeu, bet ihn gu einem lügenhaften •Dichter gemacht habe. 3)a8 aber jtcl)t bem gegenüber fcft unb ift jebenfaßS fein 9Jh)tt)uS, baff ©chiflet auS ben ©türmen ber 3ugenb heraus burd) ftrengeS Arbeiten an fid) jelbft gu einem SJlanne fid) heranbilbete, in welchem bie eble [Reinheit unb @re§e bet fünftlerifdjen 3beale unb bet Slbel ber ©efinnung noüfommen harmonijdj fid? entjprad)en. ©in ©ergleid) mit ber 9>erfönlid?feit [RouffeauS, falls et ernfttjaft gemeint ift, wäre für il)n im ©runbe nichts als eine 33ejd)impfung.

Um aber bcc^ ben oben angeführten ©orten einen Dteft non ©at)rl)eit gu lafjen, muf) man gugeben, baff ©tbiflct im Saufe feines bewegten SebenS geitweife Stimmungen aitljeimge* fallen ift, bie unS an bie bei IRoufjeau gut gweiten 3latur ge* worbene ©erftimmung erinnern, Stimmungen, auS welchen ©ebidjte wie bie Diejignation unb bie greigeifterei ber Seiben* fdjaften herBorgingen. 9lud) ift eS nicht gu Betwunbern, bafs ein jo feuriger ©ei ft wie berjenige ©djißerS, wenn bie ^»inbemifje beS realen SebenS aßgu Iäftig ftch ihm entgegen [teilten, oen freubigem 9JlutI)e in oergweifelnben SDJifjmuth umjehlug unb in biefem SRifemutl) nicht nur mit fid) jelbft fonbern auch mit ber gangen ©eit unb ben SRenjdjen gerfiel. 3u einem fold)en 3«* ftanb lernte ihn £uber, ber greitnb ÄörnerS, in SreSben fennen, als baS unerquidlidje 5Ber^ältni§ gu bem gräulein Bon Srnim, baS ©d)ißer gu löfeit fich fcheute, fowie bie gweifelnbe ©erge um jeine fernere ßufunft feinen ©eift in beftänbiger Unruhe unb

(6Ci)

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Aufregung erhielten, ©o erflärt eS fidj, bafj Huber, als er ©oetbeS 2affo gelefen, barübet oon OJiaing auS im 3abre 1790 an Äorner febreibt: „9ln bet SBafyrfyeit ber einjelnen ßbaractere ift burepauS nichts auSäufefsen. SEaffo lebt ^wiefacb für un8 in {Rouffeau unb noch 3emanb, beffen 33ilb bei feiner Trennung con uns mi<b nid)t »etlaffen bat." Siefet „nodj Semanb" ift ©(filier unb gwat ber ©ebiHer, wie er »oll Unmutb aus SreSben fdjeibet, um in SBeimar ein neues 2eben ju beginnen. Safj foldje taffoartigen Buftanbe bei ©editier, ebenfo wie bei ©oetbe, nur »crübergeljenbe Stimmungen waren, bafür wirb eS feiner Beroeife bebürfeu. Unjweifeltjaft ift ber ©runbton feines 8eben8 eine bie 5Belt mit intern Treiben freubig ergreifenbe, ftetS jum Äampfe bereite, ftetS neuen Hoffnungen {Raum gebenbe fraftooUe 3Rännliebfeit.

SBenn nun aueb ber ©lang, in weldjem bem Sünglinge bie ©eftalt {RouffeauS etfebienen war, not ber reiferen ßinfiebt be8 SRanneS erbleidjen mufjte, fo ift il)m bo<b, wie wir au8 ber an* geführten {Recenfion erfaßen, {Rouffeau als Sinter „ber grofje g>^ilofo^tfc^c Siebter" geblieben. ßS ift ba8 ein fe^t bejeiebnenbet SluSbrucf für bie ^uffaffung, welebe ©editier, ber felbft im Saufe feiner ßntwicflung ein pbilofopbifcber Siebter geworben war, oon {Rouffeau nunmehr gewonnen bat. ßr fieljt in ib«t weniger ben teuerer auf politifebem, focialem unb päbagogifebem ©ebiete als ben Siebter ber {Reuen Hetoife- 2Benn er in bet Bertbeibigung beS [Recenfenten, $u ber er fieb in golge feines UrtbeilS über Bürger genötigt fab, gelegentlieb bie gelben ber bebeutenbften {Romane aufjäblt, fo finben wir bafelbft {RouffeauS 3ulie neben ÄlopfteefSßibli, SBielanbS^fpebe, ©oetbeS 2ßertl)er unblRiebarbfonS ßlariffe genannt. Unb in feinem Sluffafje übet naioe unb fen» timentalifebe Siebtung wibmet er unter ben neueren elegifeben Poeten cor allem (Rouffeau eine eingebenbe Befpreebung. ßS bleibt uns alfo no<b übrig, für fciefe ßntwicflungSperiobe unferS

3* (6«5)

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Sicbterö baö Serbaltniö feiner gieblingögebanfen gu benjenigen Stouffeauö in furgen 3ügen barguftellen.

Unfere Setradjtung beö Sen It'arloö ^attc mit ben SBorten Scbiflerö gefc^lcffen: „StidbtS führt gum ©ulen, waö nicht natürlich ift". Sticht minber gilt bem gurGrforfdbung bet Äunft fidb wenbenben Sichter bet ©tunbfafc: „Sticbtö führt gum Schönen, waö nid^t natürlich ift." 9luö bet 9lrt beö Öerbältniffeö, in welkem Äunfteb* ject unb Äünftler gur Statur fielen, entwicfeln fid> ihm bie beiben gtunblegenben Segriffe beö Hainen unb Sentimentalifchen. „3 )a» mit ein ©egenftanb nai» {ei, fagt er. ift nötbig, ba§ bie Statur mit ber Äunft im Gontraft ftetje nnb fie befchäme". Unb non ben Hellenen, welche unö im £omer baö ewige SJtufter naioet Sichtuugöart f)interlaffen haben, b«fj* eö: „53ei ben ©rieten artete bie Äultut nicht fo weit auö, ba§ bie Statur barüber »er» laffen würbe." Sem gegenüber fdjilbert et mit folgenben tief empfunbenen SBorten bie Stimmung, auö welcher bie fentimentalifcbe Sichtung her» orgelt: „SBir fetjen in ber uncernünftigen Statur eine glücflidjere Schwefter, bie in bem mütterlichen Jpanfe gurücf» blieb, auö welchem wir im Uebermutbe unferet Freiheit berauö in bie frrembe ftürmten. SJtit fchmerglichem Verlangen febnen wir unö bafyin gurücf, fobalb wir angefangen, bie Srangfale bet Jt'ultur gu erfahren, unb hören im fernen Sluölanbe ber Äunft ber SJtutter rübrenbe Stimme." Sllfo auch jefjt noch flagt ber Siebter ber Stäuber, wenn auch in gang anberem Sone, übet bie Srangfale ber Kultur unb febnt fid) auö bem 3tt>iefpalt feineö £etgenö nach bet Harmonie ber Statut wie ein Äinb nach ber »erlaffenen SJtutter gurücf. Siefe fcbmerglicbe Sebnfucbt blieb ibm fein gangeö geben l}inburcfj eigen, „ttnfer ©efübl für bie Statur, fagt er fpäter einmal »on fidt> felbft, gleicht ber Gmpfinbung beö Äranfen für bie ©efunbbeü."

•£>ter liegt meineö Sracbtenö ber fPunft, in welchem auch für bie gefammte fernere @ntwicf(ung Sdnllerö eine fompatbifebe

Berührung mit bem ©eifte Stouffeauö ftattfinbet. Senn gu*

(«*«)

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gegeben auch, bafe jene fenttmentalifd) gefärbte Statur* unb Seit» anfehauung bamalg in 2)eutfd)tanb allgemein Derbreitet mar, fo haben bod? menige ber Beitgenoffen biefelbe mit fo grofeer Snner« lidjfeit erfaßt unb mit fo tiefen ©ebanfen befruchtet al8 ©filier. 2)a8 Unreife feiner jugenblidjen ©chmärmerei für 3ean=3acque8 mar übermwtben; ber eble .fern berfetben fomie bic ©rnnb» ftimmung, au8 ber fie hetuorging, mären geblieben. Stuch fonnte e8 ihm nicht fonberlich fchmer faden, fich trofe feiner 23efchäftigung mit Äant biefe Stimmung $u bemahren, ba biefelbe mit bem ©eifte ber fritifchen Schute burdfaug nicht in Siberfprucfe ftanb. 3mar läfet fich faum ein größerer ©egenfafe augbenfen, als ber* jenige jmifchen ber nüchternen Äritif beS norbbeutfehen ^)h^cfDb^e« unb ber feinreifeenben Ueberfdtmenglichfeit beS ©enfer 9iomantifer8. Sir miffen aber, bafe auch &ant fRouffeau fich htngejogen fühlte, unb feine Schriften gern lag, rcie fehr ihm auch , nach feinem eignen ^cdhft cfearafteriftifchen 9CuSf^>rud>, bie Schönheit beS 2lu8* bruefg bag SBerftänbnife berfetben erfchmerte. 1 1 ) Söeibe ÜRänner folgten unftreitig batin bem fubjectioen Buge ihrer Beit, bafe fie fich nid)t fcheuten, mit altem lleberlieferten grünblich su brechen. Ü>a6 Äantifdhe a priori bürfte faum einen fefcarferen ©egenfafc ju bem 2)inge an fid) barftetten, als ber JRouffeau’fdje fRaturju* ftanb ju ber gefcfeichtlichen ©ntmicflung. Sag nun Schitterg Stellung 3U ben beiben SRännern betrifft, fo fahen mir fefeon bei Gelegenheit ber p^tIofopl>if Aeu Söriefe, bafe ihn ber ©ang feiner eignen bichterifdjen Speculation bemog, ben ©egenfat) in ber Jugenblehre Äantg unb Slouffeaug auSjugteichen. ©iefen 23er* fuch führte er nun in ber Seife au§, bafe er in bem 23egriff ber fchönen Seele Sinnlichfeit unb Sernunft, Pflicht unb CReigung gur Harmonie gelangen liefe, unb alfo bie mit ber fRatur ein8-- gemorbene Sittlichfeit jum Sbeal erhob. ©8 ift unfdfmer, in biefem 3beale neben ber ©inmirfung beS fategorifchen 3gipetatio8 noch Büge ber belle ime IRouffeauS ju erfennen. Sie fehr auch Hunt für ifen in ben 23erbergrunb trat, fo gefdjah eg bo<h

(«67)

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nicht in bem 5Diaße, baß baburcb bie non JRouffeau empfangenen Smpulfe gänglich ertöbtet mären. Ueberaü ba, mo eS fit^ im Allgemeinen um baS Serljältniß beS benfenbert itnb empfinbenben SWenfchen gut Statur ^anbelt, geht ber Sichter mit ©ntfchieben* heit auf bie ©runbanfdjauung SHouffeauö 3m ücf.

©änglich »etfdjieben non ben S^eotien beS ©enferS ift nun aber baSjenige ©ebanfcngebäube, meines ©filier auf ©runb jener fentimentalen Siaturanfchauung errietet hat. {Rouffeau hatte im Settrauen auf fein Staturecangelium über bie gefammte Äultur feines 3ahrhunbert3 ben Sann auSgefprochen, unb ob* mot)l er felbft auf feine gebidjteten unb componirten Operetten nicht menig ftolg mar, in feinem Sriefe an b’älembert baS Sheater als eine Sitten* unb Staturnerberbenbe 3nftitution unbarmhergig »erurtheilt. ©iner folchen Weigerung tonnte ber Sichter unmöglich beipflichten, mcntt er nicht felbft an feinem Serufe oergmeifeln mellte. 3m ©egentheil feljen mir Schiller »on früh auf bemüht, ben ©ruft unb bie äöürbe feiner jtunft auf philofophifdjem SBege gu begrünben. Schon oben haben mir auf bie Slbhanblung über bie Schaubühne als eine moralifche iBnftalt ocrmiefen. Sie bort entmicfelten Staftdjten mußte er bei tieferer ©inficht in baS SBefen ber Äunft beträchtlich umgeftalten, unb gmar in einem für JReuffeauS Slnfichtcn noch ungünftigeren Sinn. Sie Jtunft überhaupt in ben Sienft ber ÜRoral gu ftellen, fdjien ihm eine ihrer unmürbige Slnforbcrung. Sie gilt ihm uielmehr mie er es in bem ©ebicht „bie Äünftlcr" auSführt, als bie Ijöchfte unb eicgenfte Offenbarung beS SRenfcßengeifteS, unb gmar beShalb, meil fie bie SBelt beS ©eifteS mit bet Sinnenmelt in ber benfbar noflfommenften SBeije Bereinigt. Son hi« auS geht ber Sichter nod) einen Schritt meitcr. SBenn bie Äunft in bet $hat baS eigentliche fcebenSelement beS menfchlichen ©eifteS ift, fo mirb auch nur an ißter .panb bet ÜJtenjd) gu ber eingebüßten Setlfommeuheit ber Statur gurücf* lehren tonnen. So gelangen mir gu bem großartigen ©ebanfen

einer äfthetifdjen ©rgiehung beS SRenjchengefchlechteS, melchen (668)

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©dpHer in ben Briefen an ben Jperjog bou 2luguftenburg in bemielben Saljre auöführte, in welchem balb barauf auch bet 8luffah über naioe unb fenli mentalife^e Sichtung erfdjieit. SBie man in ber SJefyre JRouffeauö Bon bem fRaturmenjchen eine Utopie gejeljen hat, jo wirb eS auch nicht fdjwer faden, in biefer aftl)etifd)cn @rjiehungöiel)te ctwaö Utopifcheö gu etblicfen. Seben* fallö ift unS ber Berfaffer bie lefcte Antwort auf bie grage, wie benn ber fötenfeh burd) baö ©chöne ju bilben fei, fdjulbig ge« blieben, immerhin ift aber jehon bie Bebeutung fceö ©d)önen für bie ©r^iehung gur ©ittlidjfeit, welche Schiller unumftöfjlich nachgewiefen hat, ein ©ebanfe, ber alle Sheorien non ber 23er* betblichfeit ber Äultur in ihrem innerften SBefen angreift. Unb benncch hat Schiller bie erften Borauöfejjungen, Bon benen feine Uutcrfuchung auögeljt, an fRouffeau angefuüpft. 2118 er bie erfte Qtbtheilung ber 23riefe in ben Jporen »eröffentlichte, fe^te et an bie ©pi£e berjelben bas Sßort OJouffeauÖ: „Si c’est la raison qui fait 1’homme, c’est le sentiment qui le conduit“. Offenbar wollte er mit biefent SRotto anbeuten, baf? er für bie 3wecfe berjenigen ©rjiehung, welche er im 2(uge hat, weniger an baS SlbftractionöBermögen beß BerftanbeÖ alö an baS ©efühl, infofern unmittelbar auf alle Jriebe unb fträfte beö 9Jienfd)en einwirft, appellire." „Ser 53cg jum stopfe, jagt er im achten Briefe, muh burd) baö .per^ eröffnet werben. 2luöbilbung beö ©mpfinbungöoermogeuö ift baö bringenbe Bebürfniö ber 3eit, nicht bloö weil jie ein SCRittel wirb, bie oerbefferte ©inficht für baö lieben wirffam ju machen, fonbern felbft barum, weil fie jur Berbefferung ber ©infidjt wirft." Siefer ©ebanfe, bem fRouffeau auö Bollem .perlen beiftimmen würbe, erhält unter ben .pänben @d)tllerS aber jofort eine bem ©eifte beö ©mil entgegen* gefegte 2lnwenbung. Unter ©efühl uerfteht nämlich ©d)iQer nicht jene ©mpfinbfamfeit, welche baö mit ber fRatur ibentificirte SRenfchenljerj allen ©türmen ber Seibenfdjaft preiögiebt; er be»

trachtet Bietmehr nur infofern, alö bie Borauöfejjung unb

(<*!>)

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©runblage 311 bcmjenigen menfc^ltdien Stiebe bilbet, ben er ben Spiettrieb nennt, unb ber aQe finnlid)cn unb fittlicben Äräfte 3U polier Harmonie pereinigt. ©em cntfpricht aud) bie Stuffaffung beß Staturbegriffeß, welcher wir in ben äftbetifd^cn Briefen begegnen. „©ie Statur, Reifet am Anfänge beß britten S3riefe§, fängt mit bem 3Jtenid)en nicht befjer an, alß mit ihren übrigen SBerfen: fie haubelt für ilin, ioo er alß freie 3nteHigen3 noch nid)t jelbft tyanbeln fann. Siber eben baß macht ihn jum SJlenfdjen, baff er bei bem nid)t ft i 11 c ftefyt, mag bie b 1 e Statur auß ihm madite, fenbcrn bie gä^igfcit befijjt, bie (Stritte, welche jene mit ihm anticipirte, burd) Skr* nunft wieber rütfwärtß 3U thun, baß Söerf ber Stoth in ein SBerf feiner freien Söalji umgufdjaffen unb bie phpftfd)e Stoth* Wenbigfeit 3U einer moralifdjen 3U erheben." SSir fel>en, wie fehr Sd)itlcr ftetß beß fategorifd>en Jmperatipß eingebenf ift. SSährenb Steuffeau abfichtlid) bei bem ftille fielet, waß bie Statur auß bem SKenfchen gemacht bot unb jeben Äeim intellectueller ©ntwicflung ignorirt, beginnt für Schiller baß 9)tenfd)enwürbige erft ba, wo ber SJtenjd) auß eigener Selbftbeftimmung fid) @e* fejje porfebreibt. ©aff fold)e ©efefce ber Skrnunft nidjt etwa mit benen ber Statur übereinftimmen, geht auß ben folgenbeit 3eilen berpor: „Sr fommt 3U fid> auß feinem finniiehen

Schlummer, erfennt fich alß SJtenfd), blirft um fid) her unb finbet fid) in bem Staate, ©er 3wang ber 33ebürfniffe warf il)« hinein, ehe er in feiner Freiheit biefen Stanb wählen fonnte; bie Stoth ridjtete benfclbeu nad) bloßen Staturgefefceu ein, ehe er nach Skrnunftgefefjen fonnte." Stouffeau will beu Anfang alleß llebelS gerabe barauß erflären, baf) ber SJtenfd) fid) ein« fallen läf$t, pon ben Staturgefejjen abguweichett. Schiller fe|tt hier ben burd) beu 3wang ber Stoib unß aufgebrungenen ©e» fcjjen ber Statur bie Skrnunft mit ihrer fclbft beftimmenben Freiheit alß baßjenige ^Jringip gegenüber, welcheß allein bem Sßefen beß SD?enfd>eu entfpricht, unb geigt nun an bem Skifpiel

(CIO)

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41

ber ©he auf ba$ Sreffenbfte, wie bet OKenfch im ©taube ift, burd) feine §teii)eit beu gemeinen (5i)atactet beS 0iaturge[etje8 auSgulöfchen unb gu »erebeln. „@o holt er, ^ei§t ed an ber begegneten ©teile weiter, auf eine fünftlidje Seife in feiner 33otljährigfeit feine Äinbljeit nad), bilbet fid) einen 0laturftanb in ber 3bee, ber ihm gwat butd) feine ©rfahtung gegeben, aber burd) feine 33ernunftbeftimmung notljwenbig gefegt ift, leil)t fid) in biefem ibealifchen ©tanb einen ©nbgwedf, ben er in feinem wirflidjen 0laturftanb nicht fannte unb eine SBa^l, beten er bamalS nicht fähig war, unb »erfährt nun nicht anberS, als ob er »on »otn anfinge unb beu ©taub ber Unabhängigfeit au8 hellet ©inficht unb freiem ©ntjehluffe mit bem ©tanb ber 33er* träge »ertaufebte. 2luf biefe 9lrt entfielet unb rechtfertigt ftd) bet 33erfnch eines münbig geworbenen 33olfe8, feinen 01 a tut* ftaat in einen fittlichen umguformen." Siefe Sorte, welche mit unoerfennbarer SBegiehung auf bie ftangöfifche Sfecolution gefdjtieben finb, geigen unS ben merfwürbigeit ©egenfafc »on 0laturftanb unb 0faturftaat. Sen leüteren nennt ber Siebter aud) ben wirflichen Ofaturftanb unb ben ©tanb bet Verträge, b. h- et meint bamit ben gefcfjichtlidb geworbenen 3uftanb bet SJfenfchheit mit feinen taufenb @d)äben unb franfbaften @r* fdjeinungen, benfelben 3ufianb, gegen welchen Siouffeau in feinem ©ocialen ©ontract gu Selbe gegogen war, gegen beffen 33egeicf)nung als Sftaturftaat er fich aber entfdjieben »erwahrt haben würbe. Sem gegenüber »erweift unS ©dhiBer auf eineu ibealen 0?atur« ftanb, welken ber gut fittlichen Steilheit erwachte 9)len]'d)engeift fid) entwirft, gleichfam ein retrofpectbeS 23ilb »on ber urfptüng* liehen 33ollfommenbeit beS menfdhlichen SafeinS. Siefer 0fatur* ftanb in ber 3bee, bem er jebe Siealität ber ©rfahrung abfprid^t, hat burdhauS nichts 33crwanbteS mit bem »on Ufouffeau gepriefenen 0faturguftanbe. Senn gugegeben felbft, JRouffean habe nidht ge* meint, ba§ ein folget 0fatnrgnftanb für bie gange 9ftenf<bheit in

ber Sirflidhfeit »orbanbeu gewefen fei, fo ift eS hoch ungweifel*

(611)

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42

haft, baf? er ton bem [Begriffe ber Statur ängftlich jebe Untoö» fommenheit fern hielt unb für bie ©rgieljung be8 eingelnen SJtenfchen nichts Jpo^crcS begwecfte, als baff berfelbe ein Statur» menfdj werten unb bleiben foDe.

33on ber Statur gelangen »ir gleidjfam wie non felbft gur Äultur. Söenn wir fragen, woher benn jene taufenb ©chäben ber SJtenfchh«* ftammen, antwortet ber SSerfaffer in fchetnbarer Uebereinftimmung mit Stouffeau: „IDie Kultur felbft war e8, welche ber neueren SJtenfdjheit biefe Söunbe fdjlug." SBohl gu beachten ift inbeö, baf) er nicht ton ber gefammten SJtenfcbheit überhaupt, jonbern fpeciell non ber neueren SJtenfcbheit fpricht. @8 bat nämlich nach fein« Uebergeugung in ber $hat eine 3eit gegeben, bie 33lüthegeit be8 griechifchen SllterthumS, in welcher bie Äultur fo weit e8 möglich tft, bem ätßefen beS SJtenfchen entfprach, wo bie Sßelt ber ©innen mit ber ber SJtoral in ©inflattg ftanb, unb bie ©efammtheit ber menfchlichcn Äräfte gu toller (Entfaltung gelangte, ©rft mit bem Verfall ber Stntife fam bie SJtenfcbheit auf fo gefährliche Slbwege, baf) bie ton ber Statur gewollte Totalität ternichtet würbe. „2)ie ßennttung, welche Äunft unb ©elehtfamfcit in bem inneren SJtenfchen anfingen, machte ber neue ©eift ber [Regierung tollfommen unb allgemein. @8 war freilich nicht gu erwarten, bah bie einfache Drganifation ber erften Siepubtifen bie ©infalt ber erften ©itten unb SJerhältniffe über* lebte; aber anftatt gu einem ljöl>ere»t animalifchen heben gu fteigen, fanf fie gu einer gemeinen unb groben ÜJtedjanif herab. 3ene fpolppennatur ber griecbifcben ©taaten, wo jebeö Snbitibuum eines unabhängigen hebend genofj unb, wenn e8 noth that, gum ©äugen werben fonnte, machte je£t einem lunftreichen Uhrwer! §>laj), wo aug ber 3ufammenftücfelung unenblicb tieler, aber leblofer SLljetlc ein mechanif^cS heben im ©angen fich hübet." Erörtern ter* gweifelt ber Siebter nid)t an einer befjeren 3«Tunft. „GS muf) bei uuS ftehen, ruft er au§, bie Jotalität unfrer Statur, welche bie Äunft gerftört hat, burdj eine böhcte Äunft wieberhergufteKeu."

(6T2)

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43

Sollte biefe 2ßirfung, fo lautet bie Frage »etter, oielleicbt con be» Staate gu erwarten fein?" SDaS ift unmöglich, bettn bet Staat, wie er jefft corbanben ift, bat baS Uebcl gefdjaffen, unb ber Staat, »ie ihn bie Vernunft in ber 3bee fid) aufgiebt, an» ftatt biefe beffere 3Dienfd)beit begrünben gu fönnen, müfete felbft erft barauf gegrünbet »erben. SDarauS entfielt nun bie Folgerung, man muffe gn biefem 3»ecfe ein SBerfgeug auffud)en, welches ber Staat uidjt ^ergibt, unb Quellen eröffnen, bie fid) bei aller po» litifd?eu unb focialen Verberbniff rein unb lauter erhalten haben. ,£>iejeS SBerfgeug ift bie fd)öne Äunft, biefe Quellen öffnen fid) in ihren unftcrblid)en SDiuftern."

9Rit biefer Söenbuttg nimmt Sd)iller gleicbfam 9lbfd)ieb non bem Sdjauplafj ber ^)olitif. Sd)merglid) enttäufdjt burdj beit SuSgang ber fo beffnungSnoll begrüßten frangöfifd)en Öienolution cerpflangt er bie 3bee ber Freiheit non bem (gebiete beg Staates auf bagjenige ber jfunft. Smmer meffr »ar in ihm baS Sbeal jener Freiheit unb ©leic^^eit erblafft, für baS er einft im Sinne beS Socialen GontracteS fo ftürniifd) bie Sange gebrochen. SaS fittlid) Sd)öne »ar bagegen gum Gentralpunct feines gangen SDenfenß unb SidjtenS geworben, unb mit bem Grnfte einer wahr« baft religiöfen Vegeifterung gab er fid) biefer 3bee bi»- @c ruft er am Sdjlufje beS neunten VriefeS bem jungen Freunb bet SBabtbeit bie berrlic^en Söorte gu: „®er Gruft beiner ®runb» taffe »irb beine Seitgenoffen non bir fd)eud)en, aber im Spiele ertragen fie fie nod); ibr @efd)macf ift feufdjer als il)t -jperg unb hier mufft bu ben fdjeuen Flüchtling ergreifen. Verjage bie SBiUfür, bie grioolität, bie Oioffigfeit auS ihren Vergnügungen, fo toirft bu fie unoermerft aud) auS ihren ©efinnuugen cerbannen. SSo bu fie fiubeft, umgieb fie mit eblen, mit groffen, mit getft» reid)en Formen, fdjlieffe fie ringsum mit ben Smnbolen beS Vor« trefflichen ein, bis ber Schein bie SBirflid)feit, unb bie Äunft bie9iatur überwinbet." 9118 bie leffte Aufgabe ber dftbetifeben ©rgiebung erfennt alfo Schiller baS, »aS fRcuffeau unmöglich

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bünftc: bie Snntfeefe «cn fftatur unb Äultur. ©ieS 3beal,

welches bic perlenen einft nerwirflidjten, eS ift auefe für uttS,

wenn audb unter anberen Umftänben unb auf anberen Söegen

erreichbar; benn „bie Sonne Römers, fiefee, fie läcfeelt audfe unS."

®a wir bem ©ebanfengange Sd)ilIetS bis feie^er gefolgt finb,

wirb eS faum nodj im SBefentlidfen einer weiteren Stflärung beS

UribeilS bebftrfen, weld'eS er in feinem Sluffafee über naice unb

fentimentalifefee JDidftung über SRouffeau gefällt Ijat. 9fur gut

23eurtl)eilung SdjiHerS felbft fei eS feere orgel? oben, bafe et offen*

bar auS Spmpatfeie mit ber ©mpfinbungSweife fRouffeauS and}

für baSjeuige, was er an feiner J'enfwcife tabeln mufe, bie ebelften

©rflärnngSgrünbe aufgufudben bemüht ift. 6t beginnt: „fRouffeau,

als ©iefeter wie als ^'bilcfopfe, feat feine anbere Senbeng, alS

bie fftatur entweber gu fuefeen, ober an ber Äunft gu räcfeen. 3e

nadjbem fein ©efüfel entweber bei ber einen oDet bei ber anbern

verweilt, finben wir ifen halb elegifd) gerührt, halb gu 3ueenalifcfeer

Satire begeiftert, balb, wie in feinet 3ulie( in baS $elb ber

3bplle entgücft." ©er anfdfeeinenbe Sßiberfprud), bafe Stillet

auS ber hoppelten Senbeng, bie er feinem ÜSutor guiefereibt, un*

«ermittelt in bie ©reitfeeilung übergefet, finbet barin feine gofung,

bafe feier bie 3bpHe als eine Unterart ber elcgifdfeen ©iefetung be*

fonberS feeroorgefeoben, unb ber ©legie im engeren Sinne ent*

gegengeftellt wirb, ßefetere fteOt bie fftatur als einen ©egenftanb

ber SBcfemutfe bar fie rüfert; erftere bagegen als einen ©egen*

ftanb ber freute fie entgücft. (Sr fätjrt fort: „Seine

©iefetungen haben unwibetfprecfelicfe poetifefeen ©efealt, ba fie ein

3beal befeanbeht; nur weife er benfelben nicht auf poetifefee SBeife gjt gebraudjen. Sein ernfter (Sfearnftcr läfet ifen gwar nie gut Frivolität feerabfinfen, aber erlaubt ifem auch nicht, fidfebiS gumpoetifdben Spiele gu ergeben. Söalb burefe geibenfefeaft, balb burefe 2lbftraction ange* fpannt, bringt er eS feiten ober nie gu beräftfeetijefeen Freiheit, welcfee ber©id)ter feinem Stoff gegenüber behaupten, feinem gefermittfeeilen mufe. (Sntweber ift eS feine frnnfe Gfmpfinblicfefeit, bie übet ifen

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herrfchet unb feine ©efühle bis gum peinlichen treibt; ober eS ift feine SDentfraft, bie feinet 3magination geffeln anlegt unb burdj bie Strenge beö Begriffs bie Slnmuth beS ©emalbeS ner* nietet. SBeibe ©igenfdjaften, beren innige SBechfelmirlung unb Bereinigung ben Poeten eigentlich auSmacht, finben fidb bei biefem Sdjriftfteller in ungemohnlich ^ot?em ©rab, unb nidjtö fehlt, als bah fie fidf auch mitflid) mit einanber Bereinigt äußerten, bah feine Selbftthätigfeit fich mehr in fein ©mpfinben, bah feine ©mpfanglichfeit fich mehr in fein ©enfen mifchte." Bon biefer Äritif ber SarfteBungSmeife BouffeauS, in melier mir neben bet unferm dichter eigenthümlidjen Reinheit unb BtUbe beS 9tu§= brucfS gugleidj baS Sreffenbe beö Sabels bemunbetn, geht er enb* Hch gu einet Befptedjung beö Bouffeaufcheu BaturibealS übet. „Sähet ift auch in bem Sbeale, baS er non bet Ptenfchbeit auf* ftellt, auf bie Schtanfen berfelben gu Biel, auf ihr Bermögeu gu menig Bücfftcht genommen, unb überall mehr ein Bebürfnifj nad) phbfifdjet Buhe, als nach moralifcher Uebereinftimmung barin fid)tbar. Seine leibenfchaftliche ©mpfinblichfeit ift fchulb, bafe et bie SBenfdfheit, um nur beS Streits in berfelben recht balb loS gu merben, liebet gu bet geiftlofen ©infürmigfeit beS erften StanbeS gurüdgeführt, als jenen Streit in bet geiftreidjen Harmonie einer burdjgeführten Bilbung geenbigt feljen, bah er bie jtunft lieber gar nicht anfangen taffen, als ihre Boüenbung ermatten mill, furg, bah er baS ßiel lieber niebriger ftecft unb baS 3beal lieber herabfetjt, um eS nur befto fdjneller, umeS nur befto ficherer gu erreichen."

2Sit ftehen am Schluffe unfrer Betrachtung. Snbem mir Schillers ©ebanfenoerhaltniS gu Bouffeau unterfuchten, finb mir in auffaUenber 2Beife an bie ^auptftabien in ber ©ntmicflung unferS SidjterS felbft erinnert morben. 3uerft fahen mir ihn, mie er boB peffimiftifdjen SBeltüberbruffeS bie jugenblicbe Stirn in Balten gog, um ein fecfeS pfui auSguftohen über baS tinten* fledffenbe Säculum unb baS fdjlappe Gaftratenjabrbunbert. So*

(G75j

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bann oermanbelte et fid) Der unfern äugen in ben non ben Isert* lichften Hoffnungen für bie 3ufunft ber ÜRenfchheit getragenen sJJlarquiß sJ)ofa, beffen Dptimißmuß wir mieberfinben in ben än* fangßroorten beß ©ebichteß „bie Äünftler" : „SBie fd>ön, o ÜJienfch, mit beinern f>almengmeige ©tehft bu an beß Sa^r^unbertd ffteige 3n ebler [teiger SJlcmnlichfeit!'1 S3on hier auß mürben mit gu» le$t gu ben äftfjetifd^en Briefen geführt, auß benen unß bie oon beiben Cjrtremen gleich weit entfernte SJiahnung entgegentönt: „gebe mit beinern 3aljrbunbert, aber fei nicht fein ©efchöpf; leifte beinen 3eitgenßtfen aber maß fte bebürfen, nicht maß fte loben." Unb maljrlich ber «Dichter mar berechtigt gu folchet SRaljnung; er felbft hat ihnen geleiftet, maß fie beburften. 3n bem lebten feinet ©ramen, bem SeH, ^intcrlie§ er feinem politifdj gefallenen 33olfe ein äkrmächtniß, baß ihm mehr uub mehr über feine mähren Sebenßbebingungen unb ßiele bie äugen geöffnet hat. Unb hier finb mir gum lejjten fDiale neranlafct, einen Süd auf Stouffeau gu merfeh. äu<h er hat trof} feiner äbneigung gegen baß Sweater pie Helben bet ©chmeig alß roürbigen ©egenftanb ber tragifchen Söiufe empfohlen. „2Baß geht unß ein ^ompefuß unb ©ertoriuß anV," ruft ©t. fPreur mit 23egug auf bie claffifchen Helten beß Corneille auß. „©teile man hoch in 23ern Bürich, im H°ag bie alte 3raiughetr{chaft beß Haufeß Deftreid) bar, unb bie Siebe gum 33aterlanbe unb gur Freiheit mirb alß» bann bie 2heilnahme für foldjeStücfeermecfen.'' ©aß ermattete freilich Stouffeau nicht, baff umgefehrt aud) burd) folche ©tücfe bie fchlummernbe Siebe gum 23aterlanbe unb gur Freiheit im Hergen beß Sßolfeß ermeeft merben fönne; unb hoch ift unß ©eutfdhen, menn mir auf bie Beit feit ©djillerß £obe gurüeffehen, bie pro* phetifd) mahnenbe ©eftalt beß greifen ättinghaufen bafür bet fchönfte Söemeiß.

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Shtmerfuitßcn.

1) 91 1 färb, granjof. 8itt.-@efcb. IV. ©. 423.

2) £>. fp. Sturj. ©efammclte Söerfe. II. ©. 1 ff.

3) Utber fcie Schiebungen biejer Same ju SKouffeau cgi. (5. S3o» bemann: 3ulic b. Sonbcli.

4) ^lutard?. üllariuS, 5tap. 40.

5) 5t. S£u?eftcn, ©filier in feinem SßerfjältniS $ur SBiffenfc^aft. ©.12.

6) 5tuno §if<$cr, ©djiller als fPfjilejopb ©. 26. Ser ÜBortrag beffelben SerfafferS „bie ©elbftbefenntniffe ©filier«" nimmt ebenfalls 9tücffi<$t auf bie Schiebungen beS SDicbterS ju IKouffeau.

7) Sriefwe^fel mit 5tcrner. I. ©. 254.

8) SUIgem. 8itt.*3tg. 1789 9tr. 13. 2>a8 reccnfirte £Buc^, meines Bon ©djatj ins Scutfdje überlebt mar, trägt bcn Xitel : Memoires de M. Goldoni, pour servir ä l’histoire de sa vie et ä celle de eon theätre. Paris 1787.

9) 3$icljoff»£>offmcifter, ©djillerS 8eben 1. ©. 66. 3" fürjli<b crfcbiencnen Umarbeitung beS SkrfcB ift bie ©teile mit 9iccbt unterbrüdt.

10) ÜJlan ogl. inSbefonbere einen 2luffa§ ber ©eorge ©anb in ber Rev. des deux Mondes (1863), betitelt: les Charmettes.

11) Ste Beuve, Causeries du lundi VII ©. 326. St. Marc-Gi- rardin in ber Rev. des deux Mondes (1853).

12) ÄantS 5fi?crfc, IjcrauSg. Ben ftartenftein. VIII. S. 618.

(C77)

Sratt ccn (Bt&r. U ti 3 e i (Sb. (irimm) in Sttltn, £ djcnt trrjirftr. 17».

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oiutf & tut}* c&tnu

in

H(g$lafrika*

Vertrag, gehalten im gebruar 1876 ron

Dr. ^uMoti,

tttilanC ^tefefier in ©rcifämalt.

ßrrlin SW. 1S7Ö.

23 c r l a g non (Sari £ a b e I.

(<C. ijp. i'obrrilj’jdj; nnligshndijionWnni!.)

M. ffiilWm Stnjf 33.

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SDaß SRccht bet Uebetfefcnng in fttmbe ©praßen Bttb rorbebaltea-

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^nfcem id) beabfidjtige, einige Schitberungen geben »on ®e* genben unb 336lfern, welche gu ben weniger gefannten geböten dürften, müfcte ich faft befürchten, bie Stnfmerffamfeit für etwaß «Ugu fetnliegenbe Singe in ISnfptuch gu nehmen, wenn nicht ge» tabe in neuefter Seit baß allgemeine Sntereffe etwaß mehr auf jene ©egenben geteuft worben wäre.

Seitbein baß neu erwachte Sntereffe für bie ©rforichung beß gewaltigen Sontinentß non Sfrifa eine faft ununterbrochene 9teihe größerer ©ntbecfungßreifen in’ß geben rief, bilbeten faft außfchliefj» lieh bie nörbtidjen, öftlichen ober f üblichen jfüftenlänber ben 9luß» gangßpunft für biefelben. Sie SBeftfüfte unb namentlich ber mehr äquatoriale Sheil berfelben blieb bagegen fo wenig berüeffi (tätigt, ba&, mit Slußnahme einiger größerer Stromgebiete, wie beß SRi» ger, beß Galabarfluffeß, unb in neuerer 3«t beß Dgowe, man auch tynte noch behaupten fann, baß unbefannte ©ebiet beginne hier beinahe überall bereitß an ber Äüfte felbft.

SRidjt alß ob ganglid) an SSerfudjen gefehlt hätte, auch ton biefer Seite her bie geogtaphühen Serhaltniffe ber Sinnen* länber gu erforfchen, hoch würben biefe Seftrebungen im ©äugen nnt »on feljr geringem ©rfolg begleitet.

Sn ungewöhnlicher SEBeife würbe baß Sntereffe für biefe

257. 1* (681)

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©egenben in neuerer 3«t rege gemalt burd^ bie tebenbigen ©cfyilberungen eines ber glücfticheten Sftetfenbeu 25 u Gbatüu, welcher in ben 3at?ren 1857—59 »on »erjchiebenen fünften ber frangöfifcben Kolonie ©abun glürflid) »orbrang. @8 waren aQer* bingS bafelbft butch ben Englänber Vruce SBalfer unb mehrere ftangöfijche jReifenbe bereits mancherlei geocgrapbjtfc^e Entbecfungen gemacht worben, bennod) aber erregten fein Vorbringen gu bem bamalS noch feljr wenig befannten friegerifchen VolfSftamme bet §an Sieger, fowie bie ÜJtittheilungen übet ben .Kannibalismus ber« felben, fowie bie p^antafttfc^en ©chilberungen ber Sthietwelt jener fchwer zugänglichen SBilbniffe allgemeine ©enfation. Sftufj man auch einräumen, baf) eS biefer talentocHe SReifenbe mit ber SSaht* heit nicht immer feljr genau genommen, unb bafj namentlich feine wunbetbaren Berichte über bie ©ewohnheiten beS ©oritla SJlähr» chen bet Eingeborenen ihren llriptung oerbanfen, bie beu liefern als felbftexlebte Shatjachen anfgetifd,t würben, jo fann es hoch nicht in 'Jbrebe gefteüt werben, bah berfelbe unbegweifelt baS SBerbienft hat, mit einer ungewöhnlichen VeobadjtungSgabe eine Sülle oon ethnographifch unb geographU<h hödjft iuterefjauten, »on allen fpäteren JReijenben beftätigten Shatjadhen gu ermitteln unb bie allgemeine ÜHufmerfamfeit guerft in heroorragenber SBeife auf biefeS intereffante BorjdjungSgebiet gelenft gu haben.

9luf biefem SBege wirb gegenwärtig, feitbem ber mächtige Dgeweflnh für ben £aubel erjchlofjeu ift, gang befonfcerS eifrig »on SDeutfdjcn jowohl als »cnfftangofenoorgegangen. ^)ier erreichte guerft einet ber tKngeftellten beS SDeutfchen ^)anbel§haufeS SBoet* mann, ^perr Emil ©djulge auf einer ^aubelSerhebition baS ferne 8anb »on £>fanba, 14 Stagereifert »on ben äufjerften Baftoreien entfernt, unb eS würbe aisbann »on ben Btangofen SDRarquiS be Eompiegne unb SDiarfh 1873 noch etwas über biejen$)unft hinaus »otgebrungeu, währeub gegenwärtig qperr Dr. genjj, auSgcfenbet »oit

iß«)

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5

ber äfrtfattifdjen ©efcll jehaft, gum gweiten SERale nachDfanba gegan* gen ift, mit bem bestimmten {plane oon bott au? weitet in? innere gu bringen. 5) Ungmeifelt)aft bürfte biefer SBeg non ber SSeft» füfte au8 bie günftigften (Jijancen barbieten, obgleich bet obere Cgowe wegen bet rei§enben Stromfdhnetlen feh* Schwierig gu befahren ift, ba fdjwarge £änbler hie* »eit in? 3nnere gehen unb e8 nicht So fehr grofje Schwierigfeiten hat für auSgebeljntere {Reifen Begleiter gu finben.

93on anberen neueren Unternehmungen, welche hie* genannt werben tonnten unb meift Reinere {Reifen oon SRiffionaren ober anberÄüftelebenben ©uropäern betreffen, wiHid) nur bie 1862 oon bem beutfchen Sotaniter ©. 3Jiann unb bem befannten englifchen {Reifenben 23urton auSgeführte ©rfteigung beö ©amaroongebirgeS heroorheben. £err 5Rann, ber Später in 3Rabaga8car geftorben ift, hielt fich über ein Sah* lang in SSictoria, einer 5Riffion8* ftation am Suffe be8 ©ebirgeS, auf, oon wo au8 er gahlreidje 9tu8flüge in baffelbe machte unb bie ^auptgipfel beffelben mehrfach erflieg.

Die naheliegenbe Srage, weffhalb e8 einer Slngahl unterneh* menbet unb auch mit guten ^>ülf8mitteln au8gerüfteter {Reifenber bisher noch nicht hat gelingen wollen, in irgenb beträchtlicherem Umfange in ba8 3nnere be8 8anbe8 gu gelangen, bürfte einige ©rläuterungen in demjenigen finben, wa8 ich heute über 8anb unb 2eutc in jenen ©egenben mitgutheilen mir erlaube, wobei ich oorgugSweife bie Stämme ber dualla ober ©amaroon*fReger, bei welchen ich beinah S»ei 3ah*e gubrachte, gu fctjUbern haben werbe.

©he ich mich nun gu einer Schilberung biefe8 SßolteS felbft wenbe, bürfte e8 angemeffen erfcheinen, gunächft bie S3efchaffenheit be8 oon bemfelben bewohnten £anbe8 in Jürgen 3ügen oorguführen.

©8 gehört ber Slufj, ber feinen {Ramen oon bem ^crtu* giefifchen SBort ©amarcouS erhalten hflt, welche? fo Diel beifit

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als fleine Ärebfe ober Ärabben, bie in großer SRenge hier gefan» gen unb genoffen werben, mit in ba8 Bereich ber gabireichen SRünbuugggebiete con glufjfpftemen, bie in fo auggebeljnter SBetfe ben innerften Stbeil beö ©uineifchen 5Reerbufen8 einnebmen, unb wegen be8 SRei^t^umS, ben fie an bet ©ewinnung eines ber wichtigfien bortigen JpanbelSartifel, beß ^almölS barbieten, an ber Äüfte ben tarnen ber Delflüffe führen.

2)em fReifenben, welcher auf bem gewöhnlichen Sege, ber Äüfte entlang, nachbem er üagog paffirt bat, guerft biefe ©egen* ben berührt, fällt fdjon Dom Skiffe au8 ber, oon ben biö^er gefebenen Steilen ber Äüfte abweidjenbe Gbaracter berfelben auf. Berfdjwunben ift bie hügelige üanbfchaft, welche, offene ©rag* fiepten ober Bufdjlanb barbietenb, bis babin oorwaltete; bagegen nehmen auSfcbliefflidj niebere fumpfige IDeltabilbungen bie Äüfte ein, bebecft oon ben auggebebnteften SRangrooefümpfen, ben fogenannten ©wamp’8, ober an benjenigen ©teilen, welche beffereS £aub befifcen, ba8 nicht ber Ueberflutbung mit ©alg ober Bracf* waffcr au8gefef$t ift, bebecft mit einer gewaltigen Salbeegetation oon wahrhaft gigantifchen formen. Sir werben biefe, oon galjl lofen, labprinthifd? oetbunbenen Safferfattälen ober Grcefg burch* gogenen ©umpfwilbniffe alöbalb noch einer näheren Betrachtung untergeben. Unterbrochen wirb biefe allgemeine Bilbung be8 hau* be§ nur gwifchen ben glufjfoftemen be8 Galabar mtb Gantaroon bur<h bie gewaltige oulfanifdje Grhebung, bie in ben 3>if8 oon gernanbo fPo unb Gamaroon ihre größte <£>ol)e erreicht, ©leid} ben ©äulen be8 $ercule§ aus ben $lutben be§ SReereg faft un» mittelbar bis gu einer ^öhe oon über 13000' emporfteigenb, unb oon einer mächtigen Salboegetation big nahe 3um ©ipfel bebecft, gewähren biefelben ungweifelhaft ben grofjartigften Ginbrucf, welchen man an ber gangen Äüfte erhält. Slber auch ber Gh«* racter ber Gutopäifdfen tÄnfiebelungen erfcheint hier oevänbert.

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3kr|d)»unben finb bie ftattlichen gaftoreigebäube unb ftatt iljrer gewahrt man nur eine Snaatjl großer abgetafelier (Schiffe, bie fogenannten $ulf’b, in ben gtufemünbungen liegenb, welche ben hier fi<h aufhaltenben (Europäern 3ugleidj alb SBaarenmagajine unb Söohnpläfee bienen. (Denn noch nid^t hat eb ber (äuropäifchen (Sultur gelingen fonnen, theilb »egen beb »exberblic^en (Slima’b, theilb bet un fieberen Bnftänbe falber unter biefen unabhängigen »üben 9leger»ölfern, bie faft beftänbig im Kampfe mit einanber begriffen ftnb, bauernb feften gufe ju faffen.

Söenben »ir unß nun jurn (Samaroonfluffe felbft, fo gelangt man in ber notbl. »om Slequator gelegenen SDtünbung beb* felben junächft in ein weüeb 9Jlünbungbbec!en, welches eher ben (Siubrucf eines beträchtlichen SJleerebarmeb, alb etneb gluffeb ge* währt, inbern bie SBafferpt^e fiefe nach allen 9iid)tungen meilen» »eit aubbept, in einigen fogar feine Ufer erfennen läfet. 9lach ©üboften ^in breitet fich eine unbegrängte SBaffeTflädje aub, welche bie SDiünbung eineb bet £auptjuflüffe, beb »on ©üben her fommenbeu Euaqua bilbet, wohinein fid^ mitunter 33oote »on ben braufeen anfetnben ©Riffen »erirren, weldje bann nach tagelangem Umfeetirren in einet unwirtlichen SBilbnife unser* richtetet ©ad)e jurütffeferen. (Daß gahrwaffer beb gluffeb ift näm» lieh fo fd^»ierig, bafe gröfeere ©pffe nur mit £ochwaffer ben Stufe hinaufgehen fßnnen, unb auch bann nur mit «pülfe eineb genau ortbfunbigen Bootfeu. (Diefer, ein Sieger in 33elI*2;own, hält eb aber nicht für nötfeig, »ie feine (Suropäifd)en (Sollegen, bie bei SBinb unb SBetter braufeen bie ©djiffe erwarten, am ^3lafee ju fein, wiewohl er für jebe Safyrt 10 Bftr., alfo »on jebem ber früher monatlich einlaufenben (Dampfer bie Summe »on 20 8ftr. erhält, fonbetn et wartet eb ruhig ab, bafe man nach bem 4 beutf^e SDReilen entfernten (SamaroonS ein (Boot fenbet, ihn abjufeolen. ©o wiberfährt eb ben (Dampfern ber 2lfri*

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fanifchen Gompagnie, »teilen eS fonft nor allem auf 3eiterjpar* ni§ anfommt, mitunter mehrere Jage in ber Söiünbuug befl $luffe8 liegen ju muffen, wie ich einmal felbft erlebte; ber erfte Stag oetgiug mit bem SHb^clen beö fcootfen unb am folgenbeu fonnte mau wegen fcßweren SRegenS fein Ufer erfennen.

@eßen wir nach biefem fleinen Aufenthalt, wie er einmal bei äfrifanifchen Reifen jum Unnerraeiblichen gehört, unferen 5Beg nach GamaroonS weitet fort. Störgenb, foweit baS äuge reicht, gewahrt man fyiet ©puren menfchlidjer SBohnpIäße, benn e$ werben unterhalb GamaroonS felbft bie Ufer bicfeS großen SöafferbecfenS überall nur oon gänjlid) unbewohnbaren ORau* grooefümpfen eingenommen, unb bie benachbarten SDrtfchaften ber Gingeborenen liegen weitab nom großen gluße an ben Heineren ßuflüffen, wo fid) infelartig ©teilen befferen fulturfähigeu Ban* beS norfinben. 9iut feiten gewahrt man auf bem gluffe ein Ganoe, welches entweber nach biefen SDrtfchaften, ober nach ben &if«h» grünben an ber äußeren glußmünbung fich ju begeben im 33e= griff ift.

Gtwa jwei teilen unterhalb GamaroonS oerengert fid) baS weite SBafferbecfen flufeartig, boch bleibt ber gluß immer noch boh einer impofanten 33reite, welche noch bei GamaroonS felbft faft eine ^albe beutfcße SJteile beträgt. SJlan erfennt nun bie Ufer genauer, faft ununterbrochen h«tf<hen h'er bie SDiangrone« wölb er, beren monotones blaffeS Grün mit ben mannichfachen ftarbentönen, bie man fonft gewohnt ift, nicht anmutig fontraftirt. SDie gorm unb Färbung ihrer S3elaubung erinnert einigermaßen an unfere Söeiben, bodj ftreben bie fchlanfen ©tämme, welche fehr jum SBauen gefdjäßte pfähle Bon etfenhartem £olj liefern, burchfchnittlich ju beträchtlidherer dpöhe empor.

AnberS wirb bagegen bie Grfcheinung, wenn man, am Ufer felbft fteljenb, in baS Snnere biefer SDicfichte hineinblicft. SDie

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wirflife Grffeinung überttifft alle 33erfteflungen, weife man fif bauen gemalt fyat. 2)a fielen, gleif fam auf Ijolje Steigen gefteQt, bie galjßofen Stämme, oftmals 4 5' Ijof über bem Sf lamniboben ergaben, fo bafj man gwiff en frem SBurgelwerf fyinburf frief en fann. 3>of aufjer biefem, ben Stamm tragenben Säulenwcrf erffeint ba? ©ange wie oerwaffen burf ble galjU lofe SJtenge ber non aßen Seiten au? ben Stämmen unb heften, bi? 3U ben fleinften Skrgweigungen fyerab, beroorfommenben größeren unb fleineten Sutgeln, bie ftf in unentwirrbarer Seife bnrf freugen, halb wie ftarfe Säulen ben (Srbboben errei» f en, balb wie gefrümmte Saue ober Ijerabljüngenbe Seile naf aßen Stiftungen auSgefpannt finb, oft frei in ber 2uft enbigenb.

2>a? 9tuge wenbet fif oerwirrt ab, in biefem negetabiliff en üabprinf oergeblif naf einem Stuljepunft fuf enb. Soweit ba§ Suge reift, gewahrt man wäljrenb ber ©bbe groiffen biefem SBurgelwerf nur oben ff wargen Sf lammbobeit, benn fein anbere? ©ewäf § fann t)ter geheimen, ba wüfytenb ber gluf biefe Sümpfe meift ootn SBaffer bebeeft finb.

Stur gabireif e, fe^r hurtige buntgefärbte Ärabben beleben biefen Sf lammboben, unb ein fleiner feltfamer §iff 5) mit fonberbat torgeguoflenen Sugeu büpft in gabßofen Sfaaren fo beljenbe barauf unfer, bafj man tröffe gu erblitfen glaubt.

Sn biefe reinen fDtangrooewalber ff liefen fif in ber Siegel weiter aufwärt? folfe ber SSambu^alme3) nnb bie eigent^üm» lifen 9)anbanuS=2Dicfifte an, weif legiere namentlif oftmal? in größeren untermifften Seftänben bie glufjufer umfäumen, unb nif t minber f aracteriftiff für biefe fumpfigett ©ebiete finb. Ueberbie? finben fif auf in ber SJtangroDetegion häufig Steflen, weife non fe^r mannif fafem ©ebüff unb hoben 93üu* men eingenommen ftnb.

Suf bie Sljierwelt meibet bie oben SJtangrooeroälber. Stur

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bic bunten (SiSoögel4) fteljt man tjäufig auf ben 3n>eigen übet bem Söaffer lanetnb, fowie an günftigen ©teilen, wo feidrtere 33änfe fid) finben, gapireidje Sieüjeroögel im äöaffet ftebenb, unter benen ftd} namentlid} bie frönen ©Überreifer bemerflid} madben. ©eiten überrafdjt baS (Sance ein trägeS ätrofobil im ©djtafe, bod) ftürgen fid) biefe fier feft freuen Sfiere in ber Siegel in baS fdjlatnmige SBaffer, beuor man 3eit fat fie genauer gu erlenuen 5). 9?odj weniger laffen ftd) (Slepfant unb Siilpferb fier blicfen; erfterer liebt bie fofen Urwälber, in beten äußerft mannigfaltiger Vegetation er reidjlid) Stafrung finbet, wäfrenb man baS gluß« pfcrb norgugSweife oberhalb ber Vracfwafferregion itt ben glüffen antrifft, ba wo bidjte SRöfricfte bie Ufer entnehmen6).

Unbefcfreiblid) cbe unb nieberbrücfenb finb CFauoereifen burcb folcfe fDiangrooewilbniffe , bodf beginnt glücflidjetweife überall einige ÜJleilen flußaufwärts eine großartige unb fel}r mannid)* facfe Vegetation unb mit ifr eine bunte Tierwelt.

£)od) uerlaffen wir biefe wenig einlabenben Söilbniffe, um uns nad} bem jDrte GametoonS felbft, ober, wie berfelbe in ber Gingeboreneit=©pradje genannt wirb, SDualla gu begebeu.

9iur bie Slnwefenfeit oon meift etwa einem falben 5)u$enb oon ©Riffen läßt l)ier baS Votfanbeufein eines aufefnlicben £anbelSplaßcS erfennen, beim außer einem ftattlicfen fDiijfionS* gebäube gewahrt man am glußufer nur große, oott ftarfeu fPal* lifabengäunen umgebene Söaarenfdjuppen.

2)aS füblitfe Ufer beS glufjeS ergebt fid) fier [teil, inbem 40 50‘ t}ol}e , aus bilunialen gef m unb ÄieSbänfen gebilbete Uferberge ftd) fier ergeben.

SDiefe Snfcfen finb bicft bebecft mit üppig grüueu Vananen, bereu ferrlidfe Siiefenblätter überall im tropifdfeu Slfrüa bie

unmittelbare Släfe menfd)lidl)er SBofnungen angeigen. 3»if*e«

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ihnen ergeben ftdh jahlreidhe GocoSpalmen, n>eld£)e hier mdjt min* bet in allen Drlfdjaften nahe bem SOieete jahlreidj anjutreffen ftub. (Die Schiffe gewagten einen eigentümlichen Slnblicf, inbem fie nidjt nur »ßHig abgetafeit, fonbern aud) jum ©diut^e gegen bie ©onue unb bie gewaltigen [Regen mit einer Botlftänbigen Sebadjung oetfehen ftnb, welche, wie bei ben Jütten ber (Sin* geborenen, meift aus ^almblattmatten ^ergeftellt ift. (Diefe luftigen £Dädjer erfüllen iljrert 3wedf »ollfommen, l)aben inbeffen ben €Rad?t^eil ber geuergefä^rlit^feit. SBähtenb meines Slufent* halteS ging auf biefe SBeife eine £ulf in bie 8uft, inbem ihr 2>ad) burdb einen Sunfen beS in ber [Rähe befinblidbcn (Dampfers in 33ranb geftecft mürbe. &n irgenb eine [Rettung non ©ütcrn fonnte habet nicht gebadet werben, weil baS ®<hiff, wegen ber grofjeu SRenge non <Sc^ie§puIt>er unb ©pirituofen in ber ?abung, fd^leunigfl »erlaffen werben nutfjte.

£Die ©d^iffe, burdpgehenbS grofje S3arljdbiffe non anfehnlidhcm Stonnengehalt, bleiben meift fo lange im glufj liegen, bis fie ihre ©üterlabung oerfauft, unb eine coUftänbige Kabung an Palmöl unb anberen f»robucten eingenommen haben, was burchfdbnittlidh faft ein 3a^r bauert. (Dann werben fie wieber aufgetafelt unb fegeln Ijeim. [Rur bie gto§e £ulf beö .£>errn SBoermann, ein mäßiges ©djiff non 600 SlonS, liegt tjier für immer ftationirt unb eS fommen jährlidp 3»ei Hamburger ©thiffe heraus, um neue ©fiter 3U bringen unb bie getauften §)robucte heimjuffthren.

Verweilen wir gunädjft einen Slugenblid auf bem ftattlichen ©d^iff, welches mir fo oftmals gaftlidhen Aufenthalt gewährte.

Auf bem geräumigen .fjinterbecf ift auS planten eine Art .£>auS errichtet, weld;e8 ein SBohnjimmer unb ein paar ©djlaf* Jammern barbietet ; bie [Räumlichfeiten finb natürlich hei SBeitem befchränfter, als fie ein £auS auf bem Sanbe gewähren fann,

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bod? fällt bicS gegenüber ben rieten 23ortheilen, wel^e baS Seben auf ben ©duffen barbietet, fautn tnS ©ewidjt. .ßier ift gunächft bie frifdje ©cebrife gu erwähnen, welche baS gange 3al}t hinbutdj täglich oon 10 ober 1 1 Ufjt 33ormittag8 fich ergebt uub bis ©on* nenuntergang webt, beren gefunben ©influ§ man auf ber SSaffer« fläche beS gtuffeS coli geniest, währenb fchon bie bidjt am bluffe Uegenben Jütten hierin feijr benachteiligt ftnb. (Diefer reget» müfsig auö SBeften wehenbe 23inb, ber SRachtS unb in ben grub* ftunben in ber SRegel mit einem entgegengefcfcten Sanbwinbe ab* wedjfett, trägt nirfjt wenig bagu bei, eine Angahl non ißlä^en wie ©alabar, ©amaroonS, ©abuu weit gefunber gu machen, als fie eS fonft nach ihrer Sage innerhalb fumpfiget glufjmünbungen fein fönnten. Seiber geht man inbeffen biefeS wohltätigen ©in* fluffeS »ertöten, fobatb man nur wenige SSJleilen ins Sanb geht, unb ftetS bat* i«h ben erfrifchenbcn, fühlenben ©influ§ bet ©ee* brife auf baS angenehmfte empfunben, wenn ich nac§ nionate* langem Aufenthalt in anberen (Dörfern nach ©amaroonS gurüct* feljrte.

©8 bürfte hier am Orte fein, über baS oerrufene Jflima ber weftafrifanifchen ätüfte einige 23emerfungen gu machen. 3iel}t man nur bie Temperaturnerhältniffe in 33etrad}t, fo fönnte eS wunber* bar erfteinen, baff baffelbe noch oerberblidier für ©uropäer ift, als bie ertrem heilen ©egenben OftinbienS unb beS continentalen Aftifa. (Die aHerbingS feljt h<te mittlere Temperatur, welche gwifdjen 19 20° SR. betragen mag, wirb eher but<h bie feh* gleichmäßige SBärme, als burch ertrem e £ifjegrabe heroorgebracht, wie fie im Snnern beS ©ontinentS fo melfad) beobachtet werben. 3<h entfinne mid) niemals, in ben hetßeften ßeiten eine ßohere Temperatur als 28 ®r. SR. beobachtet gu haben. (Der gewöhn* liehe ©tanb beS Thermometers in ben heifceften ©tunben beS

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STageS ift 23—25 ©t. 5R., in ber fidleren SRegengeit gwifdjen 20 unb 23 ©r., feiten barunter, währenb Temperaturmapima »on über 30 @r. nicht feiten im Snnern beß GontincutS beobachtet werben ftnb. Dagegen fehlt e8 burdjauS an einiget* mafjen beträchtlicheren iSbfühlungen; furg »er «Sonnenaufgang fieht man ba8 Thermometer noch meift giemlich nahe an 20 ©r. flehen. 5Rur in ber troefenen 3eit, wo bie nächtliche 2Ibfühlung am ftärfften ift, h®t man gewöhnlich 16—17 ©r., wa8 al8 äufjerft fühl empfunben wirb; 15 ©r. ift ber niebrigfte Thermometerftanb, ben ich alöbann nur au8nahm8weife beob* achtete. Die tägliche Temperaturbiffereng bürfte baljer nur au8» nahmBweife in ber troefenen SahreSgeit 10 ©r. SR. erreichen, bewegt fich aber in ber SRegel innerhalb feht enger ©rengen.

Der tücfifche Ghatacter be8 Älima fcheint oielmehr »orgug8* weife burch bie eptreme geudjtigfeit ber £uft bebingt gu fein, welche, cerbunben mit einet $üHe organifchet Äeime in ber Suft, eine gerftörenbe SBirfung hemorbringt, non beten Umfauge man fchwer eine SorfteOung geben fann. Schwerlich bürfte e6 Diele anbere©egenben geben, bie anSRegenreithtbum ber weftafrifanifchen Äüfte gleichfamen.

2lm fdjlimmften ift in biefer $inficht bie ©egenb bei Gap fPalmaB unb ber fRegerfreiftaat Liberia barau, wo man im gangen Sahre nur wenig regenfreie Tage h«ben foD, bann aber eine gang unerträgliche J^i^e. Diefe ©egenb ift auch in ber Ttjat eine ber »erberblichften für (Europäer. Ülucb ift ba8 Gap burch bie .fpäufigfeit ber bafelbft »otfommenben Schiffbrüche berüchtigt, bereu SRehrgahl burd) bie faft beftäntige llnburchfichtigfeit ber Ultmofphäre bebingt ift.

3u ber GamaroonBgegenb wirb bie fDiaffenhaftigfeit ber fRegengüffe gu einem großen Ttjeile turd) bie hohen ©ebirge

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begünftigt, wie man benn aud) im ©ebirge felbft unb an feinem $ufje nie! mehr Siegentage bat, als in weiterer Gntfernung bauen. JDie eigentliche Siegengeit beginnt gu Gnbe 3uni unb hält ben 3uli unb Stoguft, häufig auch noch ben größeren übeil beS September an. SBäbrenb biefer gangen 3«t ftnb bie Stegengüffe fo gewaltig unb anbaltenb, bafj für SBocben äße Gommunication unterbrochen ift. 2)ie glüffe fcbwellen reifjenb an unb finb febr fdjwierig gu befahren, häufig fiebt man bann Leichname »on $)erfonen, bie in ben oberen glufjgebieten unb ©umpfgegenben »erunglüöft finb, im glufj treiben. SDocb ift eS nichts Seltenes, innerhalb biefer Siegenperiobe eingelne febr feböne Üage, mit= unter felbft eine halbe SBocbe lang anbauemb fcböneS SBetter gn haben.

Stuf biefe naffe 3al)re8geit folgt bann bis Secember bie Seit ber ©ewitterregen ober bie Üornabo«3eit. SJiit bem erften Gintreten biefer UornaboS fiebt man bie Siegengeit als beenbet an. ^öchft eigentümlich ift bie Grfcbeinung biefer ©ewitter* ftürme, weite baS tropifebe ©ewitter in feinet gewaltigften Gr* fteinung geigen. SJieift am öftlicben ^jorigont bilbet ft<b eine tiefbunfle 8uft, bie fcbnetl ft<b weiter am ^immel auSbebnt. SDie bis babin träftig mel)enbeSeebrife ftirbt hinweg unb uun fann baS fdjleunige jperauffommen beS Unwetters nicht mehr gweifel» baft fein. 3Jtit ungewöhnlicher Sdjnelligfeit »erfinftert fi<h ber Fimmel, aber beoor bet Siegen berauffommt, erfolgt ein SBinb» fto§ oon folget .£>eftigteit, bafj bie gange umgebeube Statur förmlich in Aufruhr fteint. 3)aS Schiff wirb gegen bie mächtige Strömung im Sluffe an bet Sinterfette berumgebrebt unb ftöbnt in allen gugen; Stühle, SüifdEje unb alles, was nicht nagelfeft ift, fliegen an 33 erb b«um. Unmittelbar auf biefen SBiubftofj folgt ein wolfenbruchartiger ©ewittergufj, begleitet pon ben b«ftigften

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electrifdjen ©ntlabungen; bie gitlfternih ift fo bebeutenb, baff Lefen ober Schreiben unmöglich wirb.

©lüdflicherweife bauert ber £>r!an in feiner urfptünglichen Jpeftigfeit gewöhnlich faum eine Biertelftunbe an, bann mäfcigt fidh ber SIBinb, wenn auch baS ©ewitter noch eine ©tunbe ober mehr angubauern pflegt. SBirbelftürme, jene ©eifjel ber tropifchen amerifanifchen ©egenben, finb gum ©lürf hier unbefannt. SDiefc SwrnaboS finb, obgleich fie Bielerlei Betheerungen, namentlich an ben leidjtgebauten Jpütten bet ©ingeborenen anridhteu, bte oft gang gufammenftürgen ober beren S)äd;er fortgeweht werben, bodh Bon äufjerft wohlthätigem ©influffe. S)ie Lufttemperatur finft ftetS fehr erljeblidi unb faft plöfjlich mit bem ©intritte bc8 Sfcor» babo um mehrere ©rabe, unb wunberbat erfdjeint nach folgen atmofphärifdhen Äataftrophen bie Feinheit unb 35ur<hfidhtigleit ber Luft. SDie fernften ©ebirge, non benen man gewöhnlich nichts fteht, treten aisbann mit wunberbarer ©(hälfe h^^or. 3m Allgemeinen ift bie 5)urdhfidhtig!eit bet Atmofphäre eine feht geringe, fthöne gernfid)ten fehr feiten. Au§er nach ftarfen ©ewittern, befonberS ben StornaboS, hat man folche nur in ben früheften SÖiorgen» unb ben fpäten Abenbftunben, höchftenS bis eine ©tunbe nad) Aufgang unb oor Untergang ber ©onne. ©elbft in SBictoria waten bie hohen, fehr nahen Berggipfel faft auS= nahmSloS ben Sag über Bethüllt. ©onft ift übrigens Bon ber ©djönheit eines SropenmorgenS hier nidht Biel ©uteS gu fagen: ein feuchter nafjfalter fRebelbunft lagert auf bem 33 oben unb bie Shanbilbung ift baS gange 3ahr über fo bebeutenb, bah man einen 9Jtorgen*©pagiergang nur mit einer totalen SJurdhnäffung erfaufen fann.

©iefe 3ahreSgeit bet mit anhaltenb fdhönem SBetter ab* wechfelnbeit ©ewitterregen geht aisbann im ©ecember burdh baS allmähliche Aufhören ber lederen in bie BöHig regenlofe trodfene

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3a^reSgeit über, welche ben Sanuar unb Februar, oft auch ned) einen 2^eü beß SDRar^ einnimmt. Sie Segetation nimmt in biefer Beit ber ©ürre an offeneren Stellen einen traurigen ©ha‘ racter an, »iele Säume oerlieren Ujr gaub, unb aud? baß 35er* fchwinben be§ größten 2^eilS ber bunten 3nfectenwelt gewährt einen gewifferma§en winterlichen ©harac*er- ©ie ^aljUofen Sümpfe trocfnen grofeentheilß auß, unb ift biefeß baljer bie Sahreßgeit, welche fid? ju außgebehnteren ganbreijen am beften eignet, foweit fcldje freilich burd) bie fonftigen 3uftänbe möglich finb. ©ennod) reicht bie in ben fdjattigen SBälbern nie per» fiegenbe Sobenfeuchtigfeit, fewie bie ©haubilbung au§( gabt* reiche ©ewädbfe im üppigften ©tun ju erhalten, unb auch ber gaubfaH oieler Säume macht nicht ben ©inbrucf einer h^ft’ Höhen Ofatur, inbem bei bem Abfall ber Slätter gewöhnlich bereit« bie Änoßpen ber jungen heroorzubrechen pflegen, ^»erbft unb Frühjahr alfo geroiff ermaßen gleichzeitig aufgutreten fdbeinen.

Som SJfärj bi« 3uni hat man alßbann wiebet eine Jornabo* 3eit mit ©ewitterregen, worauf mit bem ©intritt ber [Regenzeit baß Saht abgefdjloffen erfcheint.

Sei biefer im ©angeu wenig fcharf gefonberten Abgrenzung ber Sahveßzeiten ift nicht zu oetwunbern, ba| bie 3eitrechuung nach Sahren ben ©ualla«5Regern, wie wohl überhaupt ben Negern, gänglich fremb ift. 3hte 3«trechnung gefchieht nur nach fßionben, waß natürlich nur für bie nächftliegenben Sebüvfnifje außreichenb ift. Sie wiffen recht geuau, wie oft ber 5Ronb noch Zu wechfeln hat, beoor bie [Regen ternmen ober aufhören, zu welch«« SRcnbe gcwiffegefte gefeiert ober gewiffe Arbeiten im$elbe ober fonft gemacht werben müffen. ÜRehrfadj begegnete mir, bafj geute, bie ich alß Segleiter engagirt hatte, mir tagten: ber neue 5Hcnb (natürlich war ber SeUmonb gemeint) wirb morgen fommen, wirft ©u mich nun bezahlen? Siuft fragte mich ein alter 9leger,

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auf ben BRonb beutenb, in wie Diel Jagen et wohl doB fein weroe? 5Huf meine (Srwiberung, ich fönne jo nic^t jehen, fönne aber uadjfeljen unb ihm genau jagen, jagte et fopf* jchüttelnb: „3h* SBeißen ^abt SlBeS im Sud), ber fchwarge SJtann hat ÜlfleS im Äopj". .jpiugcgen ift e8 jeltjam, baß fte für ©retgniffe, wel^e not einer Steife een Sauren erfolgt jinb, gar fein 3«tmaß mehr befißen; fic haben bann nur ganj un» beftimmte Segeidjnungen, 3. 58. gur Seit, als 25er ober Sener noch gang jung ober noch nicht geboren war, unb Sehnliches. Suf biefe Söeije weiß 3. 58. fein einiger biejer Bieget genau, wie alt er ift, ba jegliche gorm für berartige Sufgeicßnungen fehlt.

25od) eS bleibt mir noch übrig, einige ©rläuterungen übet bie gerftörenbe Gewalt beb weftafrifanifdjen ÄltmaS 3u geben. 58egreiflidjerweife werben butcb bie mit hoher Jemperatur faft immer oerbnnbenen hohen geudjtigfeitSgrabe bet Sltmofphäre bie d}emi]chen 3erjej}unggfräfte berjelben erheblich gefteigert. 3n einem gan3 ungefannten ©rabe wer« ben baher aBe BJletafljachen angegriffen, welche bem JRoften unb Drubiten auSgejeßt finb. 2ajchenul)ien, jelbft bie beften, ftel)en meijt nach wenigen BRonaten ftiB, man finbet baher ge» wöhnlidj 5föanbuhten mit grobem Bläberwetf in ©ebraud), bie weuigftenS 3ahre lang im ©ange bleiben. UebrigenS emp* finbet man bei bem jo regelmäßigen täglichen ©ange ber ©onne ben BRangel einer Uhr faft nur 3ur Blegeugeit. Jvaurig werben europäijdse SDieubleÖ gugerichtet, bie in aüen gugen auS» einanber gehen, jo baß, wenn man ein Schubfach einer (Sommobe ober eincb ©chranfeS herauSgiel)en >oiB, leicht baS ©ange aus» einanberjäBt. Blecht jchlimm finb bie giebhabcv ber BJlufif baran, ba bie BRehrgaljl ber Snftrumeute ebenfalls nid)t 3U erhalten finb. <DaS Glaoier ift jo gu fagen unmöglich, unb auch bie ©eige jdjeint baffeibe ©diidjal gu treffen, wenigftenS ergäljlte mir Jpert XI. 257. 2 c««J

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5U)crmät)ten in Gamatoond, welcher bieg 3nftrument gejptelt hatte, bafj it)m ein folc£>e8, meldheö er eine 3«1 lang an fcer SBanb hatte Rängen laffen, beim 33erfudje, 3U gebrauten, in ©tücfe auöeinanber gefallen fei.

5Redt)net man fyierju nodj bie ja^llofen ©paaren ber ameifen, Termiten, Söiotten jeglicher art, melcfee unablüffig bem 3etftürungSmerf nadjgehen( unb auf eine oftmals gang unbegraf* lidje SBeife überall einjubringen miffen, fo fann man fidj ungefähr ein 33ilb machen non ben plagen, benen ber reifenbe »Jlatur* fotfcljer in jenen ©egenben auögefe^t ift.

SBenben mir unS nunmehr jn bem 8eben unb Treiben auf bet Jpulf, fo erregt junäd^ft bie jcljroarje Bemannung betfelbeo unfer 3ntereffe. 9ln 30—40 früftige junge Surfdljen, Ätoo«9teger, bilben biefelbe, ba aufjer bem Agenten felbft nur ein paar 28ei§e, bie benfelben in ber Leitung ber ©efdjäfte uuterftüfcen, anmefenb finb. SDiefe jfroonneget bilben an ber ganjen meftafrifanifcben Äüfte ein fo eigenthümlidjeö (Slement, bafe mir fte etma§ näher fdnlbern müffen. 33i8 311m Gongo herab finbet man fie auf aOen ©d)iffen unb in allen gaftoreieu unb fie otrridjten bafelbft alle arbeiten; fogar bie englifd)en Äriegäf^iffe, bie fyiet ftationirt pnh, haben eine SDienge fdjmatger SDtatrofen, fämmtlid? Äroo=9teger, ba man megen ber ©efahren beS Älimag bie meijjen SKatrcien fernere arbeiten nicht gern Herrichten läfjt.

©chmerlidh fönnte ohne biefe Ijarmlofen, forglofen, genüg* famen, ftetö Reitern SRenfdjen ber europäifd^e Ser!el)t an fielen Drten, bei bet abneigung ber unabhängigen 9teger gegen äße arbeit, aufrecht erhalten rcerben. 3n ber 2hat, wenn man hi*i{ ^*eute bei oft fernerer arbeit unb ber elenbeft benfbaren Äoft ftctS heileren ©inne8, unter ©ingen unb ?adjen ihr Söerf rer* ridjten fielet, fo fann man fidj mit manchen üblen (SigenjdjafttB beS DlegerdiaracterS auSföhnen. Ge ift mahr, bafj fie auch träge

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ftnb, unb febr jur Arbeit ungehalten werben müfjen, bo| fte biebifd? unb im ^cd)ften ©rabe unguoetläffig unb forgloö finb; baS finb aber fo gu fagen IRaffeeigentbümlicbfeiten, für welche man ben Gingeluen nicht »erantwortUcb matten fann,

^Dagegen fann man faum »erträglichere unb genügfamere ffltenjcben ftnben; Hanf unb ©treit, ebne welche bie Gamaroon» Sieger nicht fcheinen befteben gu fönnen, finbet man feiten unter ihnen, ©iebt man auf einer langen Jßootfabrt einem etwas £abaf ober 23reb, fo wirb er eS ficher mit allen Gametaben tbeilen. - SDiefe Gamerabfchaftlichfeit gebt fo weit, bafj niemals einet ben anberen »errätb; ift 3. 23. ein SDiebftabl gefächen, fo laffen fich Ätoo^eger eher auSpeitfcbeu, als bafj fte einen anberen oerrietben, wäbrenb bei ben Gamaroon=5Regetn Slngebet unb ©pione leicht gu finben finb.

Die ^leimatb biefeö {RegerftammeS ift ber Äüftenfaum nörblid) unb öftlich um G ap ^almaS, ein 8anb, weicheS fo arm ift, ba§ bie jungett Üeute gang allgemein auf einige Sabre *“ bie grembe gu geben genötljigt finb, um fidf bie 9Jtittel 3m ®rün= bung einet gamilie gu erwerben, ©ie »erbingen fich in bet {Regel auf ein ober gwei 3abr, am liebften in größerer Gefell* f^aft, bie fich einen ber älteften gum £eabmann erwählt, welcher eine 2lrt Gommanbo führt unb mit welchem alle 23erbanblungen geführt werben. 3b« Unterhaltung ift ungemein einfach, fie erhalten nichts als ein reichliches Öuantum 5Rei$, ben fie ge= wohnlich ohne jegliche Butbat »ergebreu. SBirb gefchlachtet, fo fallen ihnen bie Gingeweibe unb Äöpfe gu. Äann man eS buben, fo fauft man ab unb gu einige gifche für fie. 3br monatlicher 8of)n ift 4 Sftr. in ©ütern, boch erhalten fte ihn erft nach abge* laufener ©ienftgeit, um bem obnebieS febr gewöhnlichen Gntlaufen eine ©renge gu fefcen.

StRan fann eS wunberbar finben, wie eine .Jpanb »oll Guto*

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pder tjier ficket gu leben unb einen jo beträchtlichen ^janbelä* »erfepr gu d ermitteln im ©tanbe ift. Jpier mufc man inbeffen in Erwägung gieren, baf} für bie Häuptlinge gewiffermagen Lebensfrage ift, mit ben jtaufleuten auf gutem gufce 3U ftehen, unb bah in gälten, me ©ewalttpätigfeiten begangen ftnb, alle Europäer, trep bet fonft oft nicht befonberen Harmonie, gufammenftepeu. @in jebeß bort im gluffe liegenbe ©epiff gaplt bem Häuptlinge, Dor beffen Ufer gu iSnfet liegt, eine jäpr* liehe Abgabe Don 100 Lftr., ben jogenannten jtumi, wofür fiep biefe Häuptlinge Derpflicpten, ©cpup unb ©ieperpeit für i'er» fonen unb Gigentpum ber SBeipen gu gewähren. £>ie anberen Häuptlinge erhalten eine geringere Abgabe oon 10 Lftr. kommen baher, »aß freilich fehr feiten ift, SJteutereien unter ben Ätec» Siegern tor, fo requirirt bet betroffeue Ölgent bie bewaffnete SJlacpt beß Häuptlings, unter beffen ©cpup er fiep gefteflt pat, unb biefer hält fiep alßbann auch außnahmßloß für rerpflichtet, eingu» jepreiten unb bie Empörer in Äetten gu legen. Uebrigeuß fönnen fiep bie Guropäer jo giemlicp auf ipre &roo«Leute nerlaffen, welcpe bafür forgen, baf} piet feine Ölußfcpteitungen feitenß bet Gin« peimifepen ftattfinben, benn bie gegenfeitige Ölbneigung ber Staffen ift giemlicp außgefproepen unb giebt g. S3. für bie Äroo*9leger fein gtöpereß 33erqnügen, als einen GamarDDn*9Jiann beim ©teplen gu ertappen, greilicp fiept auf bet anberen ©eite mit bem guten Söillen ber Häuptlinge, @cpup beß Gigentpumß ber Äauf« leute gu gewähren, niept befonberß auß. ift offenfunbig, bah biefe Häuptlinge oftmals Den größeren 5)iebftäplen in ben Söaarenjcpuppen am Lanbe fepr gut unterrichtet finb. fDlan beftiept bie Söacpe paltenben Äroo« Sieger, gräbt fiep unter ber SLanb pinburep ober gept burep baß 55acp, unb fo werben oft in einer Slacpt gang beträchtliche JDiebftäple außgefitprt. £>er Häuptling erfepeint alßbann mit ber parmlcfeften SOliene, beflagt

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21

baS Borgefaßene unb terfichert, 9lfle8 aufbieten gu »ollen, um bie Uebelt^äter gu ermitteln, wabrenb er in ber ü£fyat ficb ton benfelben einen beträchtlichen 'Jlnt^eil ber Beute bat geben laffen, um fie nicht gu «erratben. SDenn ber Siebftabl gilt, »ie bei ben (Spartanern, bei biefeu Siegern nur bann für fcbimpflich, wenn er mißlingt.

3)odb ben weitaus intereffanteften Slbeil beS SdjiffSlebenS gewährt ber Berfebr mit ben ©ingebotenen felbft. 2>a b»er tom Häuptling bis gum Sflaten b«rab ein Seber £>anbel betreibt, unb jämmtlicbe ©efchäfte an Borb ber Schiffe abgemacht werben, fo benftbt täglich ton Sonnenaufgang bis gut ÜJlittagSgeit ba» felbft ein üufjcrft lebenbigeS buntes Treiben, welches gu bem ori* gineöften gehört, waS man an ber gangen itüfte feben fann. 25ort lernt man alle angefebenen 8eute perjönlicb fennen, man fiebt baS Treiben ber 8eute, lernt ihre Bebürfniffe fennen, fo ba§ man terbältnifjmäfng fcbnefl ton ihren eigentümlichen Sitten unb ©emobnbeit fidf unterrichten fann.

3)a nun bei einem jeben ©efchäfte eine größere Sngabl geute betl)eiligt gu fein pflegt unb biefe fdjwer einig werben, fo fann man fich, ba alle berartigen Betbanblungen mit grobem 8ärm betrieben werben, baS ©ejcbrei unb ben 8arm tot* ftellen, welch«« £unberte biefer Scbwargen “« 33otb beS Schiffes terurjachen. ÜRitunter geratben bie Streitenben fogar fo fyaxt aneinanber, bafj eS gu Sbätlichfeiten fommen brobt. -£>ier« gegen wirb inbeffen ftetö fcbleunigft eingefdjritten unb bie Streitenben, falls fie ftd) nicht beruhigen wollen, über Borb in ihre ©anoeS getrieben, ba als ftrenge Siegel aufrecht erhalten »irb, bafe Siiemanb hier angetaftet werben barf. ©ine laye $anb* babung biefeS ©runbfaheS würbe bie Schiffe nicht «ut häufig gum Sdjauplab ton $änbeln machen, beren Tragweite fcbwer ab«

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22

gufeljen wäre, fonbern auch bem freien Serfehr unb opanbel ttefentlichen Abbruch thun.

So dj id) werbe nunmehr gu einer näheren ©dhilbcrung biefeß eigentümlichen fftegetoolfeß übergeben.

Sie Gamaroon* ober, wie fie richtiger genannt werben, SuaQa=9teger geboren einet aufehnlidhen Sölferfamilie an, welche baß gange ©ebiet beß gluffcß unb feiner JDueMänber eingunehmen fdheint. 3m 9torboften grenzen fie an bie in ©Uten unb Sprache »erfd)iebenen Galabar=@tämme unb bilbet hier baß eigentümliche, jebocb fieser gu ben Suatla gehötenbe ©ebirgßoolf bet Safhwiri, bie ©renge, wogegen bie an fie gtengenben ©tämme beß 3nnern gang unbefannt ftnb.

sJtad) ihrer Srabition ift ber gegenwärtig Gamaroonß be* wohnenbe ©tamm nidjt utfprünglidh bafelbft anfäffig gewefen, fonbern oor etwa 100 3aljren auß ber ©egenb beß Äwafroa* gluffeß, wofelbft je^t fe^t wilbe ©tämme ijaufen, l)ergefommen. 3h*e Soroäter hätten bamalß lange Beit mit ben bamaligen Se* wobnern t?on Gamaroonß Hanbel getrieben, bann hätten fie einen ©roberungßgug bahin unternommen unb baß 2anb für ftd? in Sefi£ genommen. Sic Setwlferung würbe gu ©flauen gemalt, unb fdjeint gänglich in ben fiegreicben ©tamm aufgegangen, ba man heutzutage feine ©puren beffelben mehr oorfinbet.

Samalß hanbelte man noch nicht mit fPalmöl, fonbern nur mit ©flauen unb ©Ifenbein. Sie SSeifjen famen mit ihren Schiffen nicht ben glufj herauf, fonbern anferten braunen in bet SJtünbnng.

Sie Säbfunft ihrer Häuptlingßfamilien leiten fie uon bem halb mpthifch geworbenen großen Häuptling Sela ab, weidbet gut Seit ihrer Sefi^nabme uon Gamaroonß herrfdhte. 9Uß bie birefteften 9?a<bfommen beffelben gelten bie Häuptlinge beß ©tammeß bet Seile, wie berfftameuon ben@nglänbern forrumpirt

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23

»erben ift, benn in bet ©uatlafpractje nennen fie fic^ 23ela cber 23ele.

5Z5ie Häuptlinge ber übrigen ©tämme, namentlich bie ©eibo’S unb Slfma’S, finb aHerbingS ebenfalls Sfacfyfommen »on ©ebnen Bcla’S, boeb wirb ihnen nicht ein gang gleicher 9iang einge* räumt, namentlich ben 2l!wa’$. SJtan behauptet, bie Häuptlinge biefeö Stammes, welcher gegenwärtig ber gahlrcichfte unb burch leinen auSgebehnten Hanbel ber mächtigfte geworben ift, flammten mütterlidjerfeitS non ©flaoenblut ab, woher bie Slfwa’S non ben übrigen ©amaroonnegern nicht für ebenbürtig angefehen werben. Ser 2tame 2lfwa rührt übrigens nicht, wie man glauben fönnte, auS bem $)ortugiefifchen, fonbern ift ein verbreiteter einheimifcher 5lame Äwa, wie er ftdj auch in ber 23egeichnung beS Äwalwa* Stoffes geigt.

©ie 9iamenbegeichnung gefehlt bei allen ©uat(a=iRegern betartig, baf) ein jeber gum Stamme ©ehörige ben ©tammnamen führt, welchem fein befonberer 9iame beigefügt wirb, ©o heif)t g. 23. Äing 23ell ©umbe, er würbe alfo in ber ©ingeborenen» fpradje Sela ©umbe genannt werben. ©a inbeffen biefe 6ingeborenen«9lamen oft fchwer »erftänblich fiub, fo führt ein jeber Gamarooit»SReger itberbieS einen befonberen tarnen für ben Setfehr mit SBeifjen, unter bem er auch ben Büchern geführt wirb, ©och bei ber fehr grofjen B^hl bet Slfwa’S unb 23ell8 reichen natürlich bie gunächft oerwaubten chriftlichen Saufnamen bei Seitem nidht auS unb eS fornmen bann fonberbare Flamen* gtbungen gu Sage, ©a giebt eS SioerpoolS unb Bonbons, unter Slnbern g. 23. einen Looking Glass Bell, einen Bottle beer Bell, ja felbft baneben einen Empty bottle beer Bell.

9luf einer ©anoereife mit 23eH«2euten würbe mir als führet betfelbeit ein baumlanger jferl gang harmtoS als Long beef

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24

Bell oorgeftellt, ohne ba§ im ©eringften 3emanb etwas ©chlimmeS babei gebadjt hätte.

SDte äucer berührte gtcfje Sebeutung, welche bet &bftammung beigelegt wirb, ift eine bet djaracterifiifdjften Srfcheinungcn bei biefen lieget«; eS ^errjc^t bei tiefen rohen fOölfetn eine fo auS* gebrochene ©eburtSariftofratie , wie man fie nur bei cnuliftrten SSölfern finben !ann. Ueberalt werben bie freien flieget als eine beDorredjtete Slriftofratie bett ^albfreien unb ben ©flauen gegen* übergeftetlt. Die (enteren beiten Älaffen, bebeutenb an ängahl übetwiegenb, bilben bie «fpauptmenge Cer Seoölferuug. @S ift bier nothwenbig, über baS ©flaoenwefen bei biefen fRegern einige nähere ©rlänterungen ju geben, ba übet baffelbe cielfad) uidbt gang jutreffenbe 2lnf<hauungen oerbreitct finb. wäre ein großer 3rrthum, gu glauben, bie ©flaoerei unb bet ©flaoenhanbel bei ben fRegern fei eine burch bie Sebürfniffe bet ©uropäifchen ©ultur in heilen Öänbetn heroorgebrachte 3n[titutiou. Vielmehr ift bie ©flaoerei als eine mit bem SBefen unb ©haracter ber fchwargen SRaffe oerbunbene, urfprünglid)e ©tfdjeinung angufehen. SiS 3um Senegal hinauf, non woher tiele flieget in bem frangö* ftfdjen ©abun leben, erftrecft fich bei allen SBölfern bet SBeftfüfte bet idjarfe Unterfchieb non freien unb Unfreien, unb überall in unabhängigen Territorien befteht bie ©flanerei in auSgebehntem fföaajje. Sei ben Dualla fliegern ift eS für einen jeben ange* feljenen flJlann gan3 unumgänglich eine Sflanen 3U haben, um fRubeter für feine ©anoeS 3U haben, namentlich aber für bie Verrichtung einer Slngahl nou Arbeiten , bie als ©flaoenarbeiten nnb folglich als eines freien fBRanneS nicht würbig angefehen wer» ben. £iergu gehören namentlich bie gelbarbeiten, bie non ©flauen unb Söeibern cerrichtet werben, unb eS ift biefem unglücflidjen Umftanbe ^atiptfäc^lic^ gugufchteiben , baf* bie ©ultur beS Nantes h*er barnieberliegt, ba eS überall an SlrbeitSfräften c jm )

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25

fehlt. 9tur bie $)ortugiefen fyaben ihre (Solonieeu ju einiget Slüthe gebraut, ba fie bie ©Hanenarbeit bis in bie lebten Satyre hinein bort hefteten liefen. 2HS bagegen cor einigen Sagten bie ©Hauerei aud) non ©eiten Portugals abgefchafft würbe, würbe bet $>lantagenbau auf biefen Snfeln gänglidj in Btage gefteUt. ©et Serfuch, Krooneger ju importiren, fdjlug wegen bet erwähnten Abneigung gegen biefe Arbeiten gang fehl, unb fo blieb ber ßolonialregierung nichts übrig, als thatfädjlich ein Äuge 3U* gnbrüdfen, unb ben 3mport non ©Hanen, welche als Arbeiter ein* geschmuggelt werben, nicht mit gu großer ©trenge gu nnter* brücfen. 'Portugiefifche ©Hanenhänbler finb noch gegenwärtig auf bem weiten glu&gebiet beS Dgowe unb in benachbarten ©erritorien fehr thätig, unb eS fanben währenb meiner lebten lÄHWefenheit in ©abun mehrere Grrpebitionen eines ftaugöfifchen Kanonenbootes gegen biejelben ftatt.

©ie eigentliche Klaffe ber ©Hanen, um welche eS ftd) h‘e* hanbett, ift ihrem Herrn gegenüber, ber fie geraubt ober getauft hat, butchauS rechtlos unb wirb als twllfommeneS ©igenthum betrachtet, ©erfelbe tann fie beliebig nerfaufen unb fogar baS Umbringen eines ©flaoen burch ben £>errn würbe nicht als ftrafbar angefehen werben, ©er 9>rei3 eines ©Hanen betrug in (SamaroonS 5 Kroo ober ißfb. ©tri. SBirb ein ©Hane getöbtet, fo tann bie Sache ftetS burch Segahlung gut gemacht werben, ©elbft ber ©ob eines £albfreien tann auf biefe SBeife gefu^nt werben, währenb ber ©ob eines freien SRegerS unbebingt Slut» rache nach fi<h sieh*-

Sei biefen Serhältuiffen tonnen ©ie fich norftellen, bah baS geben non ©flanen nicht befonberS geartet wirb, unb bei ben oft norfomtnenben SDRenfchenopfetn werben bie Unglücflichen oft barbarifch ^ingefd^tac^tet. @8 fommt fogar nor, ba§ Häuptlinge, benen eS nicht gelingt, folche Dpfer burch Ueberfall eines feinb*

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26

ließen ©tamme8 gu erlangen, ßeimlicß einigen ißter eigenen ©flauen ben .Ropf abftßlagen taffen, nm biejelben al8 Jtopßäen ßeimgubringen, wa8 mau felbft Ring Seil nacßfagte. (Sin ber* artiger §all, welcßet bie 2lbftßeuli<ßfeit biefet SBerßältniffe cßaraf* ierifirt, ereignete fieß bei bem 2obe bc8 uralt geworbenen Ring SBiÜiam non iöimbia. 25iefer alte 2)e8pot, melier, wie man fagte, beinahe ein älter non 100 Saßren erreicht ßaben foUte, war bereite feit einer Steiße non Sauren fo fdfmacß, baß man feinen $ob beftänbig erwarten fonnte; man war baßer auf bie Slotßweubigfeit, ein Dpfer bei feinem $obe gu ßaben, gefaßt. SJtan ßatte gu biefem SSeßufe einen ©flauen non einem benaeß* barten ©tamme gefauft. 0118 ber Häuptling geftorben war, beauftragte man ben ©flauen, angebließ für ben Häuptling, ein Grab gu graben. 9118 et e8 gegraben ßatte, warf man ißn gu Söeben unb fd)üttete fouiel Grbe auf ißn, baß ber Unglücflicße lebenbig begraben würbe.

33egreifUd) ift e8 baßer, baß bie ©flauen c8 burdßgängig feßr fureßten, uerfauft gu werben, unb meßrfaeß faß icß fclcße Unglücflicße, bie naeß Gamaroonb uerfauft würben, mit Jpänben unb güßen fieß weßten, fu baß fie in .Retten gefeffclt in ba8 Ganoe gefeßleppt werben mußten. Gine feßt allgemeine Gr* feßeinung ift bie ftrengc Slbfonbetung ber ©flauen aueß ßinfi(ßtlicß ber SBoßnungen. Uebetall finbet man neben ben ^Dörfern ber freien Sieger gefonberteSflauenbörfer, gu weiten unmittelbar an erftere fieß anfeßließenb , gumeilen aueß ftunbenweit bauon entfernt bei beu Plantagen, bie fie gu bebauen ßaben.

©onft barf man fieß übrigens bie SBeßanblung ber ©flauen ©eüen8 ißrer Jpertn feine8meg8 ßart oorfteüen, namentlich wa8 bie Slrbeit anbelangt, wirb ißnen feßr wenig gugemutßet unb fie werben bagu immer nur auf gütlicßem Söege angeßalten. gür bie abgelieferten fProbucte be8 $elbbaue8 entfcßäbigen fie ißre

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27

fetten, wie ich glaube, immer burcb Heine Begabungen unb finben eS auch gang natürlich, bah bie ©Hanen, wenn fte ihnen nichts geben wollen, auch ihrerseits lieber fautlengen nnb nichts bringen, ©o fanb ich 3. 33. in Sföungo, bah bie freien feinen Palmwein oon ben ©Hanen befommen fonnten, wenn biefe nicht »orauSbegablt würben. Niemals bube ich bemerH, ba§ ein ©Hane wegen SErägbeit geflogen worben wäre; er würbe bemjenigen, welket ihn im (Sanoe 3. 58. gu feljr bebrängen würbe, angu» ftrengen, gan3 ruhig fagen: ©u willft mich umbringen.

©onberbar ift eS, bah bie ©Hanen mit bem neräcfjtlidjen Sorte SRigger begegnet werben, weites allgemein als Schimpf« wort gebräuchlich ift. ©as beleibigenbfte Sort, waS man einem freien lieget fagen fann, ift, ihn einen Bufbuigger gn nennen.

Bei weitem gasreicher als bie eigentlicher. ©Hanen ift bie jflaffe ber fpalbfreien, welche bereits giemlid) auSgcbebnte Sterte befitjen. ©abin geboren gunäc^ft alle üftachfomtncn non ©flanen. ©enn man giebt ben ©Hanen faft immer Seiber, um bamit bie 3&S unb 9Ka<bt beS ©tammeS 3U nermebren. ©iefe non ©Hanen ©eborenen finb nun nid^t mehr ©igentbum ihrer Herren, fonbern werben als wirflid)e ©tammeSangebörige betrachtet, fowie auch bie gasreichen Siathfommen non freien Negern unb ©Ha« niunen ober $albfreieu, welche ebenfalls gu biefer Älaffe gerechnet Werben, ©ie fönnen ungebinbert ^anbel für fid) felbft treiben unb Ber mögen erwerben, fo bah oiele unter ihnen gang ange« febene 8cute finb. 9?ur haben fte in ben S3erfammlungen über ©tammeSangelegenbeiten feine ©timme, unb bleiben überbauet non ben mancherlei Borrechten ber freien Sieger auSgej^loffen.

Senben mir unS nun 3U ber Betrachtung ber pbbf*fd?eu unb geiftigen ©igenfchaften, fo ift hier gleich »orweg 3U bemetfen, bah bie ©uaüa 3U ben woblgebilbetften unb förderlich »öS» entmicfelten ©tämmen gu rechnen finb. ©ie Färbung ber Jpaut

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28

ift rote bei allen SBeftafrifanern ein tiefeß SBraun, roeldjeß in bet Sijat am treffenbften mit ber garbe beß gebrannten Äaffee gu oergleicben ift; tieffcbwarge fiebt man nie, wie wohl ftdj fenjt febr »ielfadje iHbftufuugen in bet Sntenfität bet gärbung bei ben einzelnen Snbipibuen rorfinben. 9ludj fraufbafter Mangel bet gärbung, Sllbinißmuß in »erfcbiebeuem @rabe, ift burchauß nicht feiten, unb mehrfach trifft man ooBfommene Sllbinoß mit oott» fommen weitem, febr gartem Seint, nur burch baß betfblonbe SBcO* baar unb ihre ©eftchtßbilbung ihre Staff e oerratbenb. @inen febt unangenebmen (ginbrucf macht partieller Sllbinißmuß, wobei eine Sfogabl oon größeren ober fleineren Jpauipartieen weil bleibt, fo bafj feiere Seute oollfemmen gefcheeft etfebeinen. 2)te gigut ift bei ben ÜJtännern burcbfchnittÜcb grefc unb »obige» formt robnft, bie ©eftchtßgiige oft außbrucfßeoll, unb fönnte man fie mitunter ft^ön nennen, wenn nicht bie bäfeütben ßigen* tbiimüebfeit beß Stegertiipuß , bie etwaß flach gebrüefte Stafe unb ber unfdjöne SJtunb, ftetß betcorträten. 3)ie Unterfcbeibung ber einzelnen ^5^t>fiognomieeu fällt im Slnfange, wenn man ftch noch ui<bt an ben Stegertppuß gewöhnt bflt- giemlich fchwer, bo<h über* geugt man fid} halb, baf) bie Snbwibuen ebenfo cbarafteriftifche 9)bbftD3nomien befi|en, alß bei cieilifirten Stationen. Sehet bagegen bie immer wieberfebrenbe ^Behauptung, bie Sieger be* fäfjen feine entwicfelte SBabenmußfulatur, noch nicht auf gegeben ober wenigftenß auf gang beftimmte Stämme bejehränft wirb, fann ich nicht einfeben, ba man bei allen ben SBölfern, welche ich feben ©elegenbeit hatte, fo woblentwicfelte Grremplare in $ütle unb güKe feben fann, alß nur fonft eine Siaffe aufguweifen haben fann. SBeniger ©ünftigeß läfft fich »en ben grauen fagen, »eiche meift flein unb unanfebnlich »on Statur, unb nach unfern ©mpfinbung recht büfjlicb ftnb , fo bah mich in ©abun bei bem fchönen Seife ber ÜJtpongwe überrafchte, auch bet bem weib*

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ließen Steile ber Seoöllerung j ebene unb ftattlic^e Figuren unb nid)t feiten anmutige ©eficßtSbilbung gu treffen.

Son ben <DuaQa*9tegern wirb great gejagt, baß fie garte unb gierliche gormen gang befonbetS an ben grauen fräßen, boeß bürfte namentlich bie überaus frühgeitige Serßeirathung roo^l gu btefer ©ricbetnung beitragen.

3n bem ungünftigen ©inbruefe ber SuaHa*grauen tragt nicht wenig iijte ©ewoßnheit bei, baS ^paar einfach futg abgufdjeeren, wie bie ÜJlänner, wäßtenb fonft bei ben meiften Siegeroölfern mel (Sorgfalt auf bie Anorbnung beS Haupthaares cerwanbt wirb. 3Jlpongwe*grauen fc^eiteln eS g. 58. fehr gi erlich in brei gängS* wülfte, bie oft burch chignonartige ©inlagen befonberS erhöht werben. Sei einigen (Stämmen fomnten bort felbft fehr fonber* bare, hei”»’ ober thurmförmige Haarfrifuten nor.

Sei ben Suada bemerfte ich befonbete Haartracht nur bei SJiännetn, bie mitunter in gang unfpmmetrifchetSöeifebenäSopf fahl fcheeren. 3uweilen trifft man $)erfonen, welche fidj baS Haar tang hetabhängenb wachfen laffen, unb eS in 3öpfe gufammenbrehen. Alle biefe Sonberbarfeiten ßängeu inbefjen mit abergläubischen Sor* ftedungen gufammen, benn, wie ich erfuhr, hätten biefe geute befonbete ©elübbe abgelegt.

SartwuchS ift, wie bei ben meiften SRegerraffen, fehr fpärlicß unb ein einigermaßen entwicfelter Sart gilt als große 3«erbe.

©ine eigenthümliche «Sitte aller ©amaroonueger ift eS, fich bie Augenwimpern auSgureißen, wobureß man fie leicht namentlich non Äroonegern unterfcheiben fann. ©ang allgemein tjerrfcijt bie , (Sitte, ©eficht unb Sruft mit gasreichen Sättowirungen gu be* beden, in benen bie größte SJiannicßfaltigfeit ber giguren herrfebt SSir wollen nunmehr einige Slicfe auf baS geiftige geben biefeS SolfeS werfen. ©S ift feltfam, baß bie feßwarge .'Kaffe oon benen, welche fie auS langjährigem Serfehr fennen, in ber Siegel

O'Jl)

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30

in jang entgegengefe|ster Stiftung beurteilt mirb. SBäfyrenb bie ©inen, mie ter gtofee Oieiienbe 8ioingftone, nur bie 8id}tfeiten fetten unb bie Sftangel entfdjulbtgen, fie^t bie Sftebrjafyl ber 5Rei* jenben alles im ungünftigften 8idjte.

SDürfte au$ Ijier bie SBaljrljeit in bet SOiitie liegen, fo mirb bccf) ein unbefangener 23eurtl}eiler fdfmerlidb umljin fönnen, bet fdjmarjen 9iaffe im ©anjen einen ttieberen ©rab ber SRenfd^eit 3ugnerfennen.

Söenben mir nttS nun gu ben ©uallannegern, fo haben mir eS mit einem aufgemecften, regfamen, lebhaften 33olfe ju tfyun, beffen geiftige Begabung feineSmegS gering anguftfylagen ift. ©dfnetle SuffaffungSgabe, gutes SSeobacfytungS* unbSRachabmungS» talent finb ihnen in^o^etn fDiaafje eigentümlich; bie ©enauigfeit, mit ber fie bie 9iatur beobachten, hat mich oft in ©rftaunen ge» fefct. Sie unterfcfyeiben fe^r genau jeben IBogel, jebeu gifdj mit befonberem SRamcn unb ahmen bie Stimmen nieler S3ögel täufd^cnb nach-

3^r Talent für bie ©rlernung non ©praßen ift bebeutenb. 23ei ben ©abunnegern 3. SS. finb 8eute, melt^e neben einer Sin» 30^1 einheimifdher Sprachen noch mehrere europäifdhe ©praßen fpredjen, 3. ©. frangöfifdh, englifch unb portugiefifch, nicht feiten; unb menn man non ©amatoonS auS bereits in ben nächft lie» genben JDrtfdjaften SRiemanb mehr finbet, meldjer ©nglifch 0 erfleht, unb mit SDolmetfdjern reifen mufl, fo liegt biejeS nur baran, bafl biefe 8eute Don bem SSetfeht mit gremben burdjauS auSgefdfloffen finb. kommen fie einmal nach ©amatoonS, fo bütfen fie bie ©djiffe unb , Raufer ber SBeiflen nicht betreten, bamit bie @e» heimniffe beS £anbel0 nicht Derrathen metben.

3^r ©ebädjtnifj ift jgerabegu bemunbernSmerth, maß na» mentlid) in il)rem ^anbelSoerfehr herBortritt. £)ier erfd^eint eS gan3 munberbar, mie biefe 8eute, Don benen manche Summen

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31

umfe^en, wie manches rcfpcftable ©efcbäft bei unS, alle bie jabl* reifen ©injelnbeiten ohne Aufzeichnungen im Äopf behalten fönnen. ©elbft bei ©ingen, welche tot 3abven gefdjeben finb, wiffen fie noch genau feben heften, unb wenn febr häufig 3<mf unb ©treit torfommt, fo liegt biefeS gewöhnlich weniger an ber SJiangelbaftigfeit beS ©ebädjtniffeS, als an bent 33eftreben ju übertortbeilen.

Siicbt minber bettorjubeben ift ib*e ©ewanbtbeit in ber Siebe, wie man befonberS in ben fo häufigen Süetfammlungen anjuer» fennen ©elegenbeit bat. ©ogenannte $)alaoer abjubalten, in benen ©treitigfeiten unb SiedjtSprogeffe ober allgemeine ©tammeS*An» gelegenbeiten »crbanbelt werben, erfc^eint faft als ein ^ebenste* bürfnifj für bie ©cbwarjen; fie bebürfen fortwäbrenber Aufregungen. Hanbelt eS fid> um eine wichtigere Angelegenheit, fo ift eS in ber 2b®l intereffant, eine foldbe 33erfammlung jn beobachten, ©er ganze £>rt einfcbliefjlich ber SBeiber ift auf bem ^alaterplatje bei bet SBobnung beö Häuptlings eerfammelt, bie äkrfammlung fifjt um einen grofeen, rechtecfigen, freien $>latj be*um, in welchen bie Siebnet berrertreten. Siur freie unb angef ebene SJiännet bürfen natürlich ba$ 2Bort ergreifen. ©3 werben lange unb oft febr ani* mirte Sieben gehalten, welche man mit mufterbafter Siube anbört, worauf bann erft SBeifaQbejeugungen ober baS ©egentbeil laut werben. Hat e'ne Slnjabl ton Siebnern gefprocben, fo tritt enblid) ber Häuptling b^tor unb hält weift eine febr lange unb bewegte Siebe, bie mit bem auSbrucftoQften S)atboS gesprochen wirb, ©ine bilberreiche, 33ergleiche liebenbe AuSbrucfSweife, mit oft febr treffenben ©infällen, fommt b*et jut ©eltung unb Hefe mich oftmals bebauern, betartigen oratorifchen Stiftungen nicht folgen zu fönnen.

©ürfte nun bie foeben gegebene fürje ©barafteriftif eS bar* tbun, ba§ wir eS bw* mit feinem unbegabten 23olfe ju tbun

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32

haben, fo tritt auf ber anberen (Seite bereor, ba§ biefe Vegabung fi dj nur auf bie unmittelbar ftnnliche Sphäre bcö SDenfeuS erftrecft 25a$ Ueberfinnlitbe ift bcm fReget nur ein ©egenftanb beS SchrecfenS, über welchen nadjgubenfen er ftd? fürchtet. Ueberbaupt beftebt fein Stieb, über bie ©rünbe ber (frfcfceinungen nad)gubenfen. 2)enSBeif}en erfennt ber fReger unbebingt als ein Söefen höherer Orbnung an. 3<to hflbe felbft non einem SRanne, ber oiel mit äcJeifcen gu tbun gehabt hatte, hören muffen: „bie weiten SRänner finb wie ©ctt felbft". SDiefeS allein macht jenes bunfelfte ©ebiet in bem geiftigen Sieben ber fReger, ihren unoertilgbaren Aberglauben, oerftänblicb. UeberaU treten bie Acufccrungen biefeß Aberglaubens bem fRei* fenben entgegen; man ift genötigt ihm ^Rechnung gu tragen, wenn man baS SSefen ber Sieger oerftehen, mit ihnen lebeu will.

Schon im gewöhnlichen geben fpielen Baubermittel unb ge» heimnifcooUe Stänfe eine grofce SioDe. .pat Semanb irgenb ein wichtiges Unternehmen oor, fo wirb er gewifj nicht unterlaffen, eine SRebigin gu machen. Auch bie 33ehanblung Äranfer befteht wefentlich in ber Vornahme geheimnifcootler Vefdjwörungen unb Verabreichung oon ßaubermitteln, um ben angenommenen böfen Sauber gu bannen, wenn auch bie grauen gewiffe, heüiam wir« fenbe Argneifräuter gu finben wiffen, welche fie in betreff enbeu gällen anwenben.

©eljt ein SRann auf ben gifchfang ober auf bie 3agb, fo macbt er eine SRebigin, um guten ©rfolg gu haben. ÜDiefeS erlebte ich oft, am eigenthümlichften in einem §aüe am ©aboon, alß ich einen 9Rpougwe*ÜRann in meine S)ienfte genommen hatte, um eine Scefuh für mich ou erlegen. SDiefc Sljiere müffen mittelft .par* punen erlegt werben, wogu grofje ©efchidlicbfcit gehört, woher eS nur SBenige oerftehen. AIS ber SRann mehrere Sage lang oer* gebenS auSgegangen war, ol)ne ben Shieren beifommen gu fönnen,

erflärte er, er muffe jejgt einige Sage 9iuhe haben, um grofje

(noj

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fDtebigin gu machen, feine grau muffe iu ben Sufch unb Der» fdjiebene Äräuter fammeln. ©r braute mit al8bann auch mehrere Äräuter unb eine 3trt Saumrinbe, woraus bet SBunbertranf be« reitet werben feilte, Don beneu ba8 eine, wie et Jagte, bewirfe, ba| baS Ztyez, welches et erlegen würbe, recht Diel gett habe. 3118 ich hierüber lachte unb ihm meine Sktwunberung auSbrüdfte, ba| et als ein fo oerftänbiger SOiann fo etwas glaube, erwiberte et, bie SBeifjen feien Derjchieben, für bie 6d}wargen fei füiebt jta nöthig, fein 33ater habe fo gethan unb fein ©rofwater, unb ihm werbe eS auch Reifen.

9tidjt minber allgemein Detbreitet, als biefe SJlebiginen, fiub Slmulette, itgenb ein geheimnißDolIer ©egenftanb, bet, eingewicfelt in eine fleine Schnur ober einen Heiuen üöeutel um ben ,palä getragen, feinen fraget gegen Äranfheit unb böfen Sauber fehlten füll. üDerartigeSlmulette fieht man bei ben Derf Rieben ften Stämmen. Sei ben Äroo*9legetn fah ich fte häufig, bei ben gan bemerfte ich fie meift in gorm Don Römern unb Älauen dou Biegen ober auf bet 3ngb erlegten Slntilopen, welche au ber ftetö getragenen SDiunitionötafche befeftigt waren. 3118 ich einem foldjen feine Jafche abfaufte, hätte ich auch gern b‘e batan befinblichen Slmulette mit» befommeu, hoch wollte er fich nicht bagu Derftehen, fich Don feinen ^eifigthümern gu trennen.

©ine grofje JRoHe fpieleu biefe Amulette unb Baubermittel befonberS im Äriege, unb e8 fjerrfcht bei ben ©uafla ber beftimmte ©laube, fich burch biefelben gegen feinbliche Äugeln feft machen gu fönnen, freilich, p^ne bafe ein folget ©laube fie gu befonberen «£>elbeu machte.

Jpier nun ift ber 3(rt ber eigeuthümlichen ^ejrenprogeffe gu gebenfen, welche bei ben Siegern ber Söeftfüfte eine fo grofee Stolle fpielen. SBirb Semanb eines Verbrechens angeflagt, beffen et nicht

überführt werben fann, wa8 befonberö wegen ber feht häufigen xi. 2i7. 3 (ni>

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23ef<hulbigung bet £ej:erei oorfommt, fo wirb feine ©dhulb ober Unfdjulb baburdj an ben Sag gebraut, bajj man ihn gwingt, einen Sranf non einem giftigen £>olge, bei ben 55ualla ift baS fogenamtte ©af^a=SBcob im ©ebrauch, gu fidf gu nehmen. ©ntlebigt et fidj beffelben burd? ©rbredfjen, fo gilt et für unfdjulbig, im anbeten $aHe bagegen wirb er für fdjulbig erfannt.

5Diefet fdjauetlidje ©laube, welket gahUofen fDienfdhen baS ifebeit foftet , ift übrigens bod) aud) anbererfeitS nid?! in aüen Bällen gang ohne ©runb. ©S giebt gefährliche ^Jflangengifte bcrt, unb non glaubwürbiger ©eite wirb gang beftimmt eerfichert, baf Süergiftungen nicht feiten »orfommen.

311S ich einft in einem 23afele*S)orf am Siembofluffe oier Heute, gwei junge SBeiber unb gwei 9)länner, wegen ^jeyerei befdjulbigt fab, welche in Äetten gefeffelt not bet ajerfammlung fafjen, brücfte ich meinem ©aftfreunbe Huembe, einem ber intelligenteften Sieger, bie id? tennen gelernt habe, meinen Stbfdjeu über bie ©ad)« auS. SDiefer fagte mir inbeffen, er ^alte bie Heute eher für fdjulbig unb geigte mir ein fPaar fleine SBüubel vergifteter Slabeln, bie bei iljnen gefunben fein füllten. Sßürbe mit biefen Siabeln ©djlafenben bie Jpaut geriet, fo müßten fte fterben. UeberbieS glaubte er feft baran, bafj man feine ÜJtutter auS (Siferfudjt über feinen Sieich* tbum vergiftet habe.

3ft ein Häuptling geftorben, fo liegt überbieS feinem Siadhfolger

bie Verpflichtung ob , eine möglidjft grofje IJlngahl »on Heuten eines

fremben ©tammeS in feine ©ewalt gu befommen unb nmgubringen.

55ie ©c^äbel biefer Opfer werben forgfältig aufbewahrt; ber

Häuptling tangt mit ihnen an bem Befte gu ©hren beS Verftor*

benen unb fenft bei großen ©elegenheiten. 55anu finben förmlich«

SDtenfchenjagben ftatt. 55er junge Häuptling bemannt einige .ftriegS*

canoeS unb begiebt fid) in entlegene Greef’S, wo bann in ber

Siegel harmlofe Bifcher ober arglos »orüberfommenbe ©anoeS feft* <712}

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gehalten unb bie Ungliicflicben als befangene Ijeimgebra^t unb auf eine jcheufjliche Söeife Eingerichtet werben. Sin wahnftnniger Jaumel foB fich bann beS gangen BolfeS bemächtigen; man führt wilbe Jänge auf, ber Häuptling langt mit ben Äöpfen ber Sr* fchlagenen, unb felbft bie SBeiber taffen ihre SButlj an ben geid)» namen ber Srfchlagenen aus, inbem fte fie mit gangen burdjbohren.

freilich finb biefe jRaubgüge nicht immer fo erfolgreich, benn bie ©chrecfenSfunbe Don bem Job eines mächtigen Häuptlings Derbreitet fach balb, unb jeber ift auf feiner £ut. @o erging e8 einem jungen Häuptlinge 8od griffe in-SamatoonS, welcher we* nige 3ahre Dor meiner Stnfunft feinem Bater in ber jperrfehaft über ben gasreichen ©tamm bet 9>tiffo BeB’S gefolgt war. gange Seit blieb er erfolglos in feinen Bemühungen, befangene gu machen, fo baf) man ©pottlieber auf ihn machte, in benen er ein Änabe genannt würbe, ber noch feinen BRann gelobtet habe. Snblich gelang eS ihm, in einer entlegenen Bai jenfeitS Bimbia ein hatmlojeS Sifdjetcanoe gu übertafchen, beffen 3nfaffen fich aber alle big auf einen retteten, welcher taubftumm war unb ihre Burufe nicht hörte, ©iefer arme Jaubftumme würbe nun heim* geführt unb fiel gum Dpfer, aber als bie ©ache befannt würbe, machte man neue gieber, in benen bem Häuptlinge gefagt würbe, „einen SOfann habe er noch nicht getöbtet, fonbern einen gif<h."

Sinmal bei ber Betrachtung ihres Aberglaubens, bürften eiuige Bemerfungen über ihre religiöjen BorfteBungen am Drte fein, wenn fchon, wie ©eorg ©chweinfurth fehr treffenb bemerft, bie religiöjen BorfteBungen fo roher Bölfet ein fchlüpfrigeS ®e= biet finb, auf welchem man nur aBguleid)t irrt. S)ie ©uaBa Der» ehren DorgugSweife gwei ©ottljeiten, BRungi unb Biengo ober 3ßung. BRungi fcijeint als ein unnahbares hödjfteS SBefen gebacht gu werben, baS in ungugänglichen SBilbniffen feinen ©ifc hat. Berunglücft 3entanb auf räthfelhafte SSeije, fo jagt man wohl

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„fDlungi hat ihn gu ftd) genommen.“ SBeit mehr ^etBortretenb ift bagegen bet Äultuß beß fRiengo, bet häufig bei »tätigen äu= Gelegenheiten befchworen wirb. 3ft bet fRiengo im SDotfe et* fdjienen, fo bavf fRiemanb bei Sobeßftrafe fid? leben laffen, außer ben wenigen Gingeweihten. 2Da roobl nur feiten einem SBeifeert gu ibe‘l »erben bütfte, eine folche 23efchwöruug mitjumadjen, fo will icb eine folche, welcher ich Gelegenheit hatte beiguroohnen, fcbilbern. 3<h wobnte in Ülbo, in bem {laufe Des Häuptlings SRguaffa, unb war eineß £ageß in meinem SBohnraum bejcbäftigt, alb plöfelich eine iÄngapl SBeiber unb junget üeute in benfelben einbrangen unb bie 5£b“r oerfcbloffen. 3tb begann gegen bieß un> befugte Ginbringen unb bie iktfiuftcruug Ginjprache gu erbeben, Doch wntbe ich oou meinem Begleiter auß Gamatoonß bebeutet, fRiemanb bütfe betauß, benn bet fRiengo fei erfdjienen, unb wer ibn erblicfe, muffe fterben. 3nbeffen wünfcbte ÜRguaffa, bafe icb bei bet Sache gegenwärtig fei unb liefe mich rufen. Üllß icb binau* ging, tief mit eine Stimme auß bem Haufe gu: „wenn SDu ibn fiebft, ftirbft 2)u fofort." Gin 9Rann lief mit einem langen Stabe herum unb tbat mehrere Schlage auf baß ©ach übet jebet St?“1- 2)er Häuptling fafe mit einigen bet älteften 2eute oot einem Keinen, mit iRohrftäben eingegäunten ^piafe unb winfte mit fpiaß gu nehmen, worauf ich mich gu ihnen auf bie Gtbe fefete. 3n bem umgäunten 9>lafee ftanben einige junge Söananen unb anbere Gebüfcpe ; ich hatte biß Dahin nicht gewufet, bafe getifcppla? war, ba auch f«?«ft betgleicheu 33ergäunungen gum Scpufee junget Bananen nor ben 3tegen gebräuchlich finb. älot ben SRännern lagen ein paar junge 23auanenfchöfelinge gum Ginpflangen, einige reife ^Bananen unb witbe juchte, einige 33 Anbei Sauber fräuter, ein Stopf mit Palmwein unb ein Huhn. Gine 3«t lang würben beftänbig halblaut Saubetformeln gemurmelt, bann ergriff bet Häuptling baß Gefäfe mit Palmwein, fchwenfte mehtmalß, gofe

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etwas auf bie ©rbe unb franf etwas, worauf eS bie Sfiunbe machte unb aud) an mid) gelaugte. ©ann würbe bie Umgäunung geöffnet, unb man pflangte bie jungen Sßananen ein unb legte bie übrigen ©inge baneben. ©arauf würbe etwas non bem fPalmwein batauf gegoffen unb ein 3eber ber SRei^e nach fpie aus auf bie ©teile, ©er Häuptling ergriff bann baS -£>uhn, fdjmenfte eS mehrmals herum unb gab eS ^erum, gulefet ergriff eS einet unb rifj ihm barbarifd) ben Unterfdjenfel ab, fo ba§ er nur an ber £aut hing, ba§ gappelnbe 3J)ier mürbe bann übet bie Dpferftelle gehalten, jo bafj einiges 23lut barauf tröpfelte, ©ann würben bie trübte unb Kräuter eingegtaben, abermals Palmwein barüber gegoffen unb ber IReifye nadj befpieen, ber Palmwein freifte nod) einmal unter fortmaljrenbem ©emurmel, bann würbe bie Umgdumung oerjchloffen unb bie ©etemonie war beenbigt.

Slknn idj bie 8eute fragte, wcShalb id? fcen ÜRiengo habe fe^en fönnen, fagten fte mit, ein SBeifcer fei ftarf genug, um ihn fehen gu fönnen.

Weber bie gottbauer ber ©eele nad) bem Stöbe befi^en fte wohl nur gang unbeftimmte Sorftellungen. ©ie glauben aÜerbingS, baf) bie ©eele noch fortbauert, aber an einen £>rt fommt, wo fie gut JRulje gelangt unb nicht mehr thätig fein fann. , ©inen ©efpenfterglauben giebt eS baljet nicht.

3ft 3emanb geftorben, fo haben gunddjft bie Klageweiber ihre Aufgabe gu erfüllen; fämmtlid)e weibliche Angehörige beS SBerftorbenen, unb je nach bem SRange beffelben, eine größere An* gahl fid) anfchliehenber SSeiber burd)giehen h«ulenb baS ©orf unb fefcen bieS bei bet £ütte beS 33erftorbenen fo lange fort, bis ber* felbe begraben ift.

©ie ÜJldnner bagegen machen baS ©reignifs ber Seit burdj baS Abfeuern oon ©ewehten funb, waS meift in ber gtühe beS ÜJtorgenS gefchieht unb oft eine iReihe oon Sagen fortgefefet wirb.

ais;

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3e angefeljener ber Serftorbene, um fernehr ^uloer wirb oer< fnallt. Oft würbe ich mitten in bet 9tadjt durch ba? furchtbare ©eheul biefer SBeiber unb bie ©ewehrfaluen aufgewecft, fe bafe man hatte glauben tonnen, bet geinb ftehe fdjou im ©orf.

Stirbt Semanb an einem fremben £>rt, fo muffen feine 9ln* gehörigen ftembc Sßeibcr bagu annehmen. So fam einft ein mit befannter Gamareon=3Jlann in OKungo gu mir mit bet Sitte, ihm gu Reifen, fein Änabe fei ihm p'iöfjlich geftorben unb bie SBeiber wollten, ohne ein $aat glafdjcn 9ium gu erhalten, ihre Pflicht nirfit erfüllen, ©er alte Sötann war übrigen? tief befümmert übet ben Serluft feine? Äinbeö, unb nie werbe idj ben fchmerglicbcn SluSbrucf rergeffen, mit bem er mir einige Sage fpäter fagte, al? bet Sang ftattfanb: „©u Ijörft bie Beute, ba? ift fein Spiel."

©et Serftorbene wirb fobann immer in feinem eigenen ,£>aufe, welche? auf eine furge 3«t oerlaffen gu werben pflegt, begraben. Siele Beute .bleiben fogar wafjrenb beffen in bem Tarife wohnen. Selbft ©flauen, für bie fidj feine v£>ütte fiubet, werfen wenigften? in bet unmittelbaren 9iälje ber Jütten begraben. 3118 ich einft in einem fleinen ©orfe am Äwafroa oon einem 2lu?fluge ^eimfe^rte, fanb id} eine Slngahl Beute befchaftigt, un* mittelbar an bet SBanb meiner Jpiitte ein ©rab gu graben, unb erfuhr, bafj hier ein © flaue begraben werben foDe. Grft al? idb gum Häuptling fc^icfte unb ihm erflärte, ich würbe, wenn biefe? gefdjähe, fofort in ein 9ladjbarborf gehen, ftanben bie Beute oon ihrem Sortjaben ab. ©iefe Sitte be? Segtdbniffe? in ben Jütten fdheint übrigen? ben ©uaüa eigentümlich gu fein, wenigften? hob« ich fie fonft nirgenb angetroffen.

9teun Sage nach bem Sobe finbet ba? grofee geft gu ©hren be? Serftorbenen ftatt. ©enn 9 Sage braucht nach ibrer Sor» ftellung bie Seele, um gu ihrem beftimmten Drte bet 9tuhe gu

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gelangen. @6 giebt fein anbereß Greignif; im £eben bet Sieger, melcfceß fo großartig gefeiert mürbe. Sie ©ebnrt eineß JUnbeS cber eine ,£>ochgeit merben mehl gelegentlich burd) Sänge gefeiert, fcech nidjt entfernt in bem Umfange alß ein 8eid^enbegängui§.

3ft ein OJiaun ober eine grau Don SHnfehen geftorben, fo ift bie gange Seeölferung beß Drteß Derfammelt, oft ftrömen auch auß fcen Nachbarorten bie Seute Ijerbei. Ungeheure Galebaffen mit $>altnmein, 9lutn unb 23rantmein finb ^erbeigebrac^t, Sdfaafe, 3iegen, Sdjmeine, £ühnet merben reichlich gefc^lac^te t unb mau fchmauft unb trinft um fo macferer, alß felbft rooht» habenbe geute für gemohnlidj r.ut Don Sifchen gu leben pflegen; je großer aber bie greigebigfeit, um fo mehr mirb bet SBerftorbene baburdg geehrt.

S>er Sang bauert ben gangen Sag unb meift auch bie gange Üftadjt h*nbur<h unb mirb hierin eine unglaubliche Slußbauer an ben Sag gelegt. SJlandje gefte bauern brei Sage lang, man jdjläft nur am Sage ein menig, um bann fofort mieber auf bem Sangpla^ gu erscheinen. Set gärrn, meldjer babei gemalt mirb, ift für europäifche Dhren oft gang unerträglich. 2)‘e Jpaupt* tolle spielen babei bie unoetmeiblichen Srommeln unb Raufen, ©rftere finb außgeljöhlte 33aumftämme, meldje an bem obern Gabe mit ftraff gespanntem Biegenfeü übergogen finb, meldjeß mit beiben Jöänben fräftig bearbeitet mirb. Ueberbieß ha* man grofje, trogförmig außgehöljlte .polgpaufen, melche mit hdlgernen Schlägeln angefdjlagen, einen JpßHenlätm oerutfachen.7) Allerlei Sitten Don Schellen, ©locfen, SBledjpaufen DerDoüftäubigen biefe SRnfif, melche alßbamt noch burd? baß taftmäfjige .fpänbeflatfchen unb ben ©efang ber ben Sangplafj umftehenben SBeibec ergängt mirb.

38aß ben Sang felbft betrifft, fo mufe man jebe SSorfteÜuug, bie mir Dom Sangen haben, bei Seite fefcen, menn man fich ein

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23ilb bacon machen wiH. ©in 3eber, Spännet, Sßeiber, felbft hinter, tanjt für fid), ohne fidj um bie ÜRittanjenben 3U lümmern.

DaS Donjen befielt in einem tadmäßigen ^ortfeßreiten in tänjelnbem Stritte, wobei fidj einer hinter bem anbetn um ben ganzen $>laß ^erum bewegt. Dabei ift ber ganje Äörper in Irampfhafte 3ucfungen oerjeßt, eS ift ein ©djütteln beb ÄörperS unb 3ucfen ber SRuSfeln, welches eher einen fdjauerlidjen als anmutigen ©inbtuef macht. ©in jeglicher ©chatten non ©a* lauterte ift ben Sänken ber {Reger burcßauS fremb.

Natürlich finb bei folchen ©elegeuheiten namentlich bie grauen bemüht, ißren ©djmucf gu geigen. 3ßre nach unfern Gegriffen wenig gureid)enbe Toilette erfcheint freilich faum ober nur burch feltfame 3uthaten oermehrt, aber eS wirb ba8 neuefte nnb buntefte ©tücf 3eug angelegt. Dagegen finb perlen, £>a 18« unb Slrmbänber »erfchwenberifch angebracht, ©ehr gewöhnlich werben bann feßwere meffingene {Ringe an ben Süßen getragen, welche beim Sang flappcrnb aneinanberfchlagen. ©ehr beliebt finb auch lange, weiße, bis über ba8 Änie reichenbe ©frümpfe europäifdjen ^abrifatS, währenb fonft jegliche 9lrt gußbefleibung »erfeßmäbt wirb. Säud? mit fleinen ©löcfcßen behängt man ftch gern.

3n bem allergrößten ©taate ficht man ba8 Söeib, wenn e8 als 2?raut non einem 3uge feftlicf» gewußter 2eute in ba8 £au6 ihres ©atten geführt wirb.

©ine folche SBraut faß ich berartig mit perlen bebeeft, baß fie fid) faitm bewegen fennte, ber gange Äerßer erfchien förmlich mit perlen gepangert.

9luch bie 9Ränner tragen einige 3ierrathen, boeß befchränfen ftch biefelben auf .£>at8bänber »on perlen nnb {Ringe, fowie bie allgemein am ^anbgelenfe getragenen breiten ©Ifenbetnringe,

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»eldje fie felbft cerfetttge«. Sßon europäifchen ÄteibungSftücfen befifcen bie SSohlhabenberen gwat fämmtlid} Dielerlei, bod) werben biefe Gegenftänbe meift nur angelegt, wenn fie bei auherorbent* lidjen Gelegenheiten gu SBeifjen Jcmmen, feiten in ihren eigenen ffierfammlnngen.

2affen Sie unS gum @<hluh enblith noch einige Slicfe werfen auf ba§ Familienleben biefetffteget. gamilie gu haben, unb gwar eine möglichft grc§e, ift baS Streben, welches einen 3eben befeelt. 5Ran fann ben fReidjthum eines SJtanneS giemlidj beurtheilen, wenn man erfährt, wie niele grauen et hat, kenn f obalb 3e* manb feine Ginnahmen fid) foweit oermehten, wirb er gewifj eine neue grau anfdjaffen, eine nach unfern Gegriffen freilich fonbetbare Slrt, Gapitalien angulegen. Häuptlinge befifcen 20 unb mehr grauen; wer fonft etwas gelten will, hat wenigftenS ihrer 2 ober 3.

SDie grauen gelten restlich als Gigenthum, unb fönnen als foldheS auch oerfauft ober felbft terpfänbet werben. 33eftehen ©treitigfeiten gwifdjen gwei Stämmen, fo werben biefe, falls fie burch Segahlung ausgeglichen werben fonnen, häufig burch 33e* gahlung ton SBeibern beigelegt, ba biefe als hö<hft« SBerthobjefte angefehen werben, üfticht feiten würben bei bebeutenben Gelb* forberungen SBeiber in fPfanb gegeben.

SBiH Semanb eine grau nehmen, fo muh er bem Später ber Grwählten biefelbe baher für eine mehr ober minber erhebliche ©umme abfaufen. 3e angefehener ber Sßater, um fo mehr Der* langt er für feine Mochtet; wie ich erfuhr, Derlangten bie Haupt« linge in GamatoonS 1000 Scaler für ihre Siebter, eine Summe, welche nur bie rcicpften 8eute erfchwingen fönnen. 3—400 Schaler bürfte ber gewöhnliche Kaufpreis für eine grau fein. GS ift natürlich, bah unbemittelte 8eute nicht in bet 8age finb, eine grau gu faufen; biefe wenben fid? bann an ben Häuptling, ber

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ihnen eine grau »erfcbafft, wofür fre fiä) oft jahrelang gu SDienften »erpflichten muffen.

@8 formte ben gefdjilberten Serhältniffen gufolge feinen, bafc bie Stellung ber grauen eine fei}t ungünftige fei, unb fxe eher al8 Sflacinnen befyanbelt würben. 2)iefe8 ift jeboch feines» wegeS bet gaH, bie Stellung einer freien grau bleibt immer eine geartete unb e8 treten ihre Angehörigen felbft bafüt ein, ba§ fie nicht fchledjt beljanbelt wirb. Sonberbare Anfdhauungeu fommen hierbei gum Sorfchein. So war ich einft erftaunt, in 9Rungo einen Sohn Äing Af wa’8 mit einer Schaar »ott Se» waffneten gu fehen, ba h*er nur Seute »on Seil $£own gewöhnlich oetfehren unb Hanbel treiben. (Sr erzählte mir, er habe ein fPalaoet mit einem 5Rungo=2Raun. ©etjelbe ^abe eine Rechter »on Äing Afwa gut grau unb biefe fei geftorben, worüber Äing Afwa feht ergürnt fei unb Segahlung »erlange. A18 ich be= merfte, hierfür fönne ber 9Rann hoch Stifts, erwiberte er, er felbft habe eine SSodjter biefeö SRanneö gut grau, welche fidj gang wohl in Afwa 2own befinbe; wie e8 benn gugehe, bafj Äing Afwa’ 8 Tochter in SRungo geftorben fei?

SBirb eine grau in einen fremben Stamm uerheiratl)et, fo gelten ihre Äinber al8 Stamme8angehörige unb haben befonbere Sorrechte an bem Orte, woher bie Sötutter ftammt. Seht ge« wohnlich nehmen bähet SJtänner ihre grauen »on bem Orte her, wohin fie Hanbel treiben, um ihren (Sinflufj bafelbft gu »ermehreu.

Glicht minber hodj begehrt, al8 ber Sefifc »ou grauen, ift »on allen biefen Negern eine möglidhft grofce Angaljl »on Äiubern. Se* fommt eine grau feine Äinber, fo ift bieö ein fchHmmeS §)ala»er, ber 3Raun »erlangt feine Äauffumme gurürf. 3n ber (Regel haben inbeffen bie grauen feiten mehr al8 gwei Äinber. 5Die ange* fehenen 2eute haben bähet meift fehr grofje gamilien. Son bem alten Häuptlinge IDeibo würbe gerühmt, er habe fo »iel Söhne,

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baß biefelben allein ein gangeg Ätieggcanoe bemannen fönnten, wogu etwa 60 9Jiann gehören. 3u ben Arbeiten ber grauen gehören neben ben l)äu8Ii(^en Stern d)tungen »ojrgugäweife bie gelbarbeiten, ,bie ißnen gum größten Steile an^eimfaQen. SDie gelber werben am Gnbe ber trocfenen Seit beftedt : man brennt baä trocfen geworbene ©rag unb SBufcßwetf nieber unb bearbeitet ben Stoben mit ber^arfe. 2)am, CEaffaba, einGalabtum mit tiefigen Stlättern, Stataten, ©tunbnüffe, Sdiaig, fowie eine Heine Stöhnen* art finb neben ben Stananen bie tjaupttäc^lidjen ©ulturpflangen. An ©etreibepflangen fef)lt eg gang, bie ÜJiatßfolben werben tjalb* reif geröftet unb bie eingelnen Äötner »ergebt, wogu ein Sieger* magen gehört. 2)ie 3ubereitung ber ©peifen ift eine feljr ein* fadje. 'Palmöl unb ber überall reichlich wacßfenbe, fel)t fdjarfe Pfeffer werben babei ftetg in Anwenbung gebracht. Anftatt beg Palmöls, weites nur, wenn eS gang frifd) aug ben grüßten gu* bereitet wirb, erträglich ift, hflt man guweilen an eingelnen Drten ein oegetabilifdjeg gett, weldjeg aug ben grüebten eineg Staumeg gewonnen wirb, unb einigermaßen ber Stutter ähnlich ift.

©igenthümlid) ift bie Sitte, gut Stauer für ÜBerftorbene fidj gewiffer Speifen gu enthalten. Stad) bem Sange gu (äbren beg Sterftotbeneu beginnt bie Srauer für bie Angehörigen, fte legen bann ein ©ewanb oon einem gewiffen bunflen Stoffe an unb enthalten fid) auf einige 2Bod)en einiger ber gangbarften 8ebeng= mittel, wie ber Stananen, SJamg unb einiger anberer. SSoßl* habenbe oetfepaffen fid) in biefer 3^it Steig, wäbrenb Unbe* mittelte fid) mit 3Diaiö behelfen müffen.

3um Schluffe fei mir noch »erftattet, über ben £>anbelg* »etfeht unb bie SSerbinbung bet eingelnen Stämme mit einanber einige Stemerfungen gu mad)en. ©ine eigene Snbuftrie giebt eg bei ben ©amaroon*9tegern nicht mehr, fie ift burd) ben Jpanbel mit eutopäifchen <probucten ocüig gn ©runbe gegangen. SBaffen,

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Äleibung unb Scfimucf werben ganjlidj burdj ledere geliefert. 2) er $anbel felbft betrifft auSidjliefjlidh Palmöl unb Elfenbein, aber obwohl biefe 'Probucte thrilweife giemlid} weit au8 bem 3nnern be8 8anbe8 bekommen, unb bie gange SBeeötfcrung »am Häuptlinge herab bis 3um Sclaoen Hanbel treibt, fo ftnbet bod) feine8wege8 ein weiterer SBcrfehr nach bem 3nnern be8 2anbe8 hin ftatt. iÄuS bemjenigen, was id) oben über ben häufig »or* fommenben SBtenfchenraub mittheilte, läfct ftc^ entnehmen, wie grof$ bie allgemeine Unfidjerheit ber SBertjaltniffe ift. Hiergu fommt noch, bafe wenn irgenbwo ein SDiann umgebracht ift, nid}t ber Später bafür oerantwortlich ift, fonbern fein gefammter Stamm, fo bafj bet erfte SBefte, welker bem betroffenen Stamme in bie .pänbe fällt, bafür büffen muff. 9luf biefe SBeife giebt e8 faft immer eine SÄngahl Drte, in beten Seteidj ein Stamm wegen berartiger Srinbfeligfeiten firf> nid)t wagen barf. So wagten e8 3. SB. bie SJiungoleute nie, in gellen flächten nad) ihren feljt ergiebigen giftgrün ben 3U gehen au8 furcht oor ben 23imbialeuten, oon benen fie einftmalS gu ©hren eineö *^ret »er* ftorbenen Häuptlinge einen ÜJiann ermorbet Ratten ; in bie Sftähe biefeö £>rte8 gu gehen, hätte um feinen $)rei8 fe einer fcerfelben gewagt. 2lit8 biefem ©runbe reicht ber bireete HanbelSoerfebr felbft ber bebeutenbften Hänbler nur bis gu beu gunächft ge» legenen Drtfdjaften, bie faft fämmtlid) in einet Stageretfe gu erreichen finb. ©inen bireeten Haubel mit biefen Drten geftatten fie ben Söeifcen in feinem Salle, fo bafj e8 gang aufcerorbentlid* feiten oorfommt, b afj ein SBeifjer felbft bie nächftgelegenen Orte befucht. ©8 würbe mir baljer auch «u* au6 bem ©runbe möglich, mich ken meiften berfelben längere Seit aufguhalten, weil man wufjte, ba| ich mich um ben Hanbel nicht befümmerte. Ausgenommen bie größeren Orte, wie Abo unb SBuri (erftered befteht au8 fünf ringeinen SDorffchaften unter eben fo vielen

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Häuptlingen unb ift wohl ebenfo »olfreich alg Gamaroong), welche »on allen Gamaroonleuten befugt werben, Ijat jeher bet beiben H>auptftämme feine eigenen Hanbelgpläjje. 2Die äfwag per» meiben biejenigen Drte, welche »on ben 33eU’8 befudjt werben nnb umgefebrt. '.fluch biefe Orte ptobuciren bei weitem nicht alleg Del felbft, wag n ad) Gamaroon gebraut wirb, fonbern haben wiebet weitere 33erbinbungen nach bem Snnern. @o 3. 23. pro» bucirt SJlungo, ein grofjet £>rt, ber »on ben 23eH’g befugt wirb, gat fein Palmöl, obwohl fehr »iel »on bort fommt, wag alleß in bet weitet ftromaufwärtg gelegenen ©egenb »on 23along ge» Wonnen wirb. ^Dorthin felbft p gehen, gesotten aber bie Seute »on 3Rungo benen »on Gamaroong ni<ht, fo bafc eg mir etft nach langem »ergeblichen Semühen möglich würbe, borthin 3U gelangen, wohin »ot mir noch nie ein SBeifjer gefommen war. kleinem einzigen Gamaroonbegleiter war eg bort nidbt einmal geftattet, ftd> ein fPaat Hühner p faufen, welche bort fowie Biegen nnb ©djaafe erftaunlid) billig waten. 3)erfelbe wufjte fpäterhiu in Gamaroong nicht genug feinen Helbenmuth p rühmen, mich nach biefem, in brei Sagereifen erreichbaren, fernen Sanbe, weicheg nur fehr wenige Seute aug Gamaroong felber be» fucht hatten, begleitet p haben. SDiefe fo eben angebeuteten S3erhältniffe mögen genügen, um einigeg Sicht p werfen auf bie ©chwierigfeiten, »on biefer Äüfte aug irgenb wie ing3nnete beg Sanbefi p gelangen.

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'Jlitmcrfuncicn.

1) Leiter ift, wie nunmehr befannt würbe, aud) i>icr £>erm Dr. 2enß niefet gelungen feinen (Borfaß auSjuführen, inbem er etwa« jenfeit« ber Bon ben frangöfifc^en Seifcnben erreichten Stelle Bon bem Stamme ber Dftheba feftgefyaltcn werben ift.

2) Periophtlialmus papiiio.

3) Rhaphia esp.

4) Halcyon senegalems unb Ceryle rudis fief>t man Ijier befen* berg häufig.

5) ®e wohnlich wirb hier C. cataphractus angetreffen, feltener C. vulgaris 11 nglücf «fälle burch ätrofobile jinb im ©anjen feiten, bedj würben wäl)renb meiner Dlnwcfenheit 1873 3 Camaroonleutc in wenigen SBcchen bei 25>uri Sacht« heim Subcm au« bem Gnnoe gelegen.

6) (Dennoch finben ftch auffälligerweife bei ÜJialimba, an ber äußeren üJtünbung be« großen gluffes, galjlreic^e #ippopotamu«, wo fte öfter« fogar in ber Sranbung be« 9J?eercö angelroffen werben füllen.

7) (Sine befonbere Erwähnung oerbient hier eine eigentümliche 5lrt non Signal-Trommel, welche, foweit mir befannt, bei feinem anberen Stamm ber Äüfte in ber 5lrt angewenbet wirb, wie bei ben Gamarocn-Segern. di befteht biefe Trommel, bie fogenannte (Slimbe, an« einem länglichen, auggel;chltcn, circa 2 jfuß langen Stüde £>olj Bon annähemb elliptifchem Duerfchnitt, beffen Ü(u8f;5l)lung an ber oberen finaleren Seite eine rinnenförmige fchmale Oeffnung benßt. (Diefe Sinne ift burch eine mittlere SHerbinbung in jwei etwa« ungleiche Hälften abgetbeilt, fo baß, je nach* bem man mit einem Schlägel ben Sanb anf^lägt, jwei Slrten »erf^ieben hoher Töne entftel;en, je nad;bem man bie rechte ober bic linfe Seite an- f<h!ägt. 4>icrburdh unb burch ben uerfdjiebenen 9if)t)thmuä he« Trommeln« B erfteben bie (Sammaroonneger eine große Stnga^l »on Signalen au«$ubrüc!en, fo baß Dermittelft biefer Trommeln eine förmliche iJirt »on Telegraphen*

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feftem ^ergefteUt »erben fann. 33ermittelft ber Xromracl fcum j[eber ein* jelne UJiann im SDorfe fofort ^erbeigerufen »erben, ja eS erfriert mir bnrtfeauS unzweifelhaft, bag umftänblic^ere ÜJiittljeilungen burd> bas 5Erom* mein, gemacht »erben fßnnen. Oft würben bei ben ©anoereijen, »elrfje icb auf ben nerjcfiebenen glüffen beS ©amarcongebieteS machte, »om Bluffe aus, »üfjrenb wir an Sßrfem »crüber fuhren, lange 2ßet^>felgefpräc^e turcf» bie trommeln geführt, obwohl wir mitunter faum 8eute am Ufer feljen fcnnten. 6twa8 Sle^nlitficS ift mir fcnft in feinem ber anberen tRegerftamme, toeldje ic§ fenncn gelernt fyabe, cergcfcmmen.

(T2S)

$niif Den ®efer. n 119er (21). ®riimn) tn Berlin, Stf)Ciitbträtritra§e 17».

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(Etthmdtelmtgsgaiig

ber

itnb

irlig^r jltaith for £urflpm$t|sn ©rahmmmtg*

2}cn

iit einet UeberfiebtS-.ftarte bei beutfeben @rabmcffung6-?[rbeUen.

ßcrlin SW. 1S76.

SBerlag con Carl # a b e I.

(£. $. 1'nbftHl’lljje Btrtogsäeiij!i«iib!B3g.)

33. ©iI6flm'Etr.i§e 33.

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Sa« Mcdjt ber Ucbcrfe&ung in frcmbc ©praßen tcitb ccrbepalitn.

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@0 lange man bie @rbe ald Jitugel betrachtete, reifte ed gut Seftimmung ihrer ©töfje aud, bie 8änge eined ©tabbogend ober eined anberen aliquoten Slheiled itjreS Umfanged gu meffen, unb bed^alb finb bie Unternehmungen gut Seftimmung ber ©röfje ber (Stbe ©rabmeffungen genannt worben, eine Benennung, »eiche auch fpäter beibehalten worben ift , ald ed fich nicht blöd um bie ©töfse, fonbern auch um bie ©eftalt bet @rbe handelte.

Um fich bie ©rmittelung, ber wieoielte Theü Umfanged ein gemeffener Sogen ift, gu erleichtern, »erlegte man benfelben gewöhnlich in ben tflieribian, benn auf biefe Söeife ergab fich aud ben an ben ©nbpunften bed Sogend angeftetften Seobad)tungen ber SKetibian'^öhe eined unb beffelben ©eftirnd über bem Jporigonte, um wieciel bet eine »on biefen fünften nörblicher ober füblicher lag, ald ber anbere1)-

Siel fchwietiger unb umftanblicher war bagegen bie SDteffung ber 8änge bed Sogend auf ber ©rboberflache. 25iefe Älippe gu »etmeiben, ift erft im 3. 1617 bem -fpoHänber SBillebrotb ©nelliud gelungen, inbem er ftatt ber birecten SJleffung bie Triangulation an= wanbte *). @r »etbanb bie beiben ©täbte Sllfmar unb Sergen op Boom, gwifchen benen er eine ©rabmeffung audführen wollte, butch eine ©reiecfdfette, mafj bie 2)teie<fd»infel nnb in bet ©egeitb »on 2epben eine ©runblinie. Son biefer audgeljenb berechnete er

XI. »58. (128)

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alle Sreiecfsfeiten unb fcpliefslicp bie Sinie ‘Jlfmarsöergen op 3oom auf trigonemetrijcpem SBege. 9iacpbem er aucp nocp ben SBinfel ermittelt patte, welcpen biefelbe mit bem burcp iSlfmar gelegte« SJteribiane bilbete, b. i. ipr Sgimutp, fonnte er ferner ben Utbftanb ber burcp jene beiben ©täbte gelegten 3)atallelfteife berechnen. Siefen nun betrachtete er als ÄreiSbogen unb bie in (traben, fülinuten unb ©efunben auSgebrücfte Sänge, ober bie Slmplitube beffelben ergab fiep ipm auß bem Unterfcpiebe ber an jenen beiben Orten gemeffenen ^olpöpen. 9lu8 ber 93etgleicpung biefet beiben Elemente erpielt er bann fcpliefslicp bie Sänge beS ©rabbogenS. SaS oon ipm für benfelben gefunbene fRefultat, 28500 JRpeinl. fRutpen ober 55072 Seifen ift gwat noch fepr ungenau, nämlicp runb 2000 Seifen gu flein, aber gleichwohl gebührt ©neßiuS baß SBerbienft, bie 23apu gebrochen unb ben Söeg gegeigt gu haben, welcher bei ©rabmeffungen befolgt werben raufe, wenn fie ben gorberungen ber Söiffenfcpaft genügen follen.

Sie een ©nefliuS befolgte SJtetpobe fanb balb allgemeinen Slnflang unb würbe 50 3apre fpater een ^icarb bei ber »on bemfelben gwifepen fPariS unb SmienS unternommenen ©tab* meffung angewenbet, welche »on Sa $ire unb Eaffiui in ben Sapten 1700 1718 nörblicp bis Sünfircpen unb füblidp bis $)er» pignan fortgejept worben ift.

Sie bei biefet SReffung angewanbten Snftrumente patten bereits wefentlicpe 2)en>oflfemmnungen erfahren, inbem fie mit gernröpren unb biefe SSepufS feparfer Einfteflung auf bie Objecte mit gabenfreugen auSgeftattet worben waren.3) 2lucp waren bie fRedmungSmetpoben Derbeffert worben, inbem bie Sreiede nicht mepr als ebene, wie noep bei ©neßiuS, foubetn als fppärifcpe bepanbelt worben waren, ©leicpwopl paben bie SRefultate ben gepegten Erwartungen niept gang entfproepen.

9luS bem füblicpen Speile ber SReffung ergab fiep bie Sänge

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etne§ ®rabe$ ju 57098 Jotfen unb au§ bem netblichen 311 56960. 9Ran folgerte ^tetauS, bafj bie ©rbe feine Äuget, |onbern an ben geleit ftarfer gefrümmt fei, als unter bem 2lequatcr, bafj fie alfo eine citronenartige ©eftalt habe, wa8 mit ber 2tnficht non fRewten unb $upghen8 im SBiberfpruche ftanb , inbem biefe, auf tie ©efefje bet ©raoitation unb @djwungfraft fufjenb, be« haupteten, bafj bie ©rbe an ben ^olen abgeplattet, alfo fcbwädhet gefrümmt fei, als unter bem 'Äeguator.

Jpierauß entbrannte ein fjeftiger ©ele^rtenftreit, unb oon jefjt an fyanbelte e8 fidj nicht mehr bloS um bie ©rcfje, foubern auch um bie ©eftalt ber @tbe. Um eine ©ntfdjeibung fyerbei» 3ufü^ren, bejchlofj bie sJ)arifer üHfabemie, bahin ju wirfen, bafj 3»ei neue, weit oon einanber entfernte ©rabmeffungen auSgeführt würben, bie eine unter bem Slequater, bie anbere in ber fftälje beS 9Rorbpol8, unb e8 gelang ihr, bie 3uftimmung beS ÄenigS Subwig XV. gu erlangen.

$0 gingen nun i. 3. 1735 £e la ßonbamine, tßouguer unb ©obin, begleitet oon noch anberen ©eiehrten unb Sechnifern nach ©üb=9(merifa, wo fie auf ber ^)od)=@bene oon Quito, 7360 ftufj über bem SReere bie SReffung eines 46£ SSReilen langen ÜReribianbegen8, gwift^en Sarqui unter 3°4' 32"07 füblicher S3reite unb Gote8qui unter T 31 “07 ncrblidjer SSreite, beffen SMmplitube alfo 7' 3" 46 betrug, außfüljrten. ©ew6^nli(% führt biefeS Unternehmen bie heute triebt mehr jutreffenbe Benennung „peruanifche ©tabmeffung* unb ba8 babei in Slnwenbung ge» fommene fRormal«3Rafj ben fRamen toise du P^rou. fRadt) bem Vorgänge oon ©nefliuö würben auch hierbei bie beiben ©nbpunfte beS OReribianbogenS burdh eine SDreiecföfette oerbunben unb ber ©entrolle wegen, ftatt einet einigen ©runblinie, noch eine jweite gemeffen. SDie birecte SReffung hatte für bie nörblidje runb 6273 unb für bie füblid)e 5259 üoifen ergeben, bie auf

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bie erftere geftüjjte 35reiecfSrechnung bagegen für le^tere 1 Sehe weniger. 55 ie ©iffereng , welche runb bet Sänge betrag, galt in bamaliger Beit als guläffig, würbe aber ben heutigen Slnforberungen nicht entfprechen, benn bei bem 33effeTf<hen £afte= Apparate fann man ben wahtfdjeinliihen gehler einer gemeffenen Sinie auf ^otsVwit bet gemeffenen Sänge anfefsen, unb bei bei i. 3. 1865 gemeffenen fpanifdjen SSaftS non 14-5 Kilometer Sänge beträgt berfelbe nur ber gangen Sänge.

S5ie gweite (gjrpebition , welche auS 23iaupertuiS , Güairault, GamuS, Semonnier unb Dut^ier guiammengefefjt war unb an welcher fidj auch GelfiuS betheiligte, ging 1736 nach Sapplanb unb maj} in ber ©egenb non Sontea einen SDieribianbcgen reu nahe einem ©rabe. SBeil bie Slmplitube hier nur ben britten Shell oon ber ber peruanifchen ©rabmeffung betrug, fo wutbc bie Arbeit ciel früher »cllenbet unb fonnten bie Oiefultate feben nach gwei Sauren befannt gemacht werben. S)eShaIb war bieS Unter* nehmen, obfehon eS in Söegug auf Sorgfalt unb ©enauigfeit hinter bem erfteren gurücfftanb, non großer SBichtigfeit. SJlaupertuiS fanb für bie Sänge eines 5J?eribiangrabeS unter bem ^clarftci’c 57437 Seifen, währenb biefelbe gwifdjen $)ariS unb arnienb nach fPicarb’S DJleffung 57060 S. betrug. 35a alfo ber nerbliie ©rabbogen größer als ber ^arifer gefunben worben war, jo folgerte man barauS, bah et flacher als legerer fei, roaS jt ©unften ber oon Sftewton unb .pupghen’S aufgeftellten Se* hauptung fprach- 3n bemfelben Sinne fiel bie Grntfdgeibung auS, welche etwaö fpäter baS Siefultat ber peruanifchen €Dieffung lieferte, benn nach Souguer war unter bem lÄequatet bie Sänge eines SDieribiangrabeS 56753 S., alfo deiner, als unter ber SJreite »on Paris. 9116 nun gar noch Sacaitle umS Saht 1750 bie Sänge beS SJleribiangrabeS am Äap ber guten Hoffnung größer, als unter bem 9lequater gefunben hatte, fo fonnte faum noch

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ein 3w>eifel obwalten, gumal ba bereits mefjtfad) bie ©rfaijrung gemacht worben war, bah baS ©efunben*$enbel, wenn man fid) bem Aequator nähert, nerHirgt werben muh, was bafiir fpridjt, baf? unter bem Slequator bie ©djwerfraft fdjwädijer ift, als unter höheren ©reiten, bah alfo bie (Entfernung Dom fütittelpunfte ber (Erbe gunimmt, je mehr man fic^ bem Slequator nähert.

Newton unb <£)upghenS waren alfo aus bem langen ©treite als «Sieger fyeroorgegangen, unb non nun an galt eS als un» gweifeltyaft, baff bie (Erbe bie ©eftalt eines burdj Umbre^ung einer CSOipfe um ihre Heine Sljre entftanbenen Körpers habe, alfo ein 9ictationSellipfoib fei. ©leidhwohl gebührt granfreidj ber Shilpxt, in einer ftrage non fo ^o^er wiffenfd^aftlid^er ©ebeutung bie (Sntfdheibung ^erbeigefü^rt gu haben.

33erf<h wiegen batf aber hierbei nicht werben, bah bie genannten SReffungen in fo fern nicht gang unter einanbet übereinftimmten, als bie auS ihnen gefolgerte Slbplnttung ber (Erbe oerfchieben ansfiel, je nachbem man bie Arbeiten mit einanber combinirte, unb non jejjt an fam eS barauf an, biefe 3öiber}prüd)e gu ent» fernen.

(Sine ©orftetlung Don ber ©rohe ber Abplattung gewinnt man am ©infadjften, wenn man bie 8änge bet (Srbajte mit bet beS Äquatorealen SDutdfjmeffetS oergleicht. 3n abgerunbeten ßatylen auSgebrüdft ift legieret 1719 geogtaphifdhe SReilen lang unb bie (Erbaje um 5} SJleilen b. h- nahe um ben brei^unbertften Styeil lürger. SDen ©rud) 7frn nun nennt man bie Abplattung. Stan pflegt inbeffen nicht bie beiben genannten JDurdjmeffer felbft, fonbern, was aber auf baffelbe ^inauSfommt, ihre Hälften, alfo bie halbe grofje unb bie halbe Heine Are bet SReribian» (Ellipfe mit einanber gu Dergleichen, fo bah man unter ber Ab* plattung ben Söerth oeS ©rudheS perfte^t, ben man erhält, wenn

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man bie 25ifferen$ ber beiben halben 91 reu jener öllipfe burtb bie halbe grofse 9(re bioibirt.

JDafj bei ben Unterfnchungen über bte ©eftalt ber @rbe bie ©ebirge unb S^äler nid^t in 93etrad)t fommen fönnen, liegt anf ber Jpanb. SBenn man fidj baä gefammte geftlanb hinweg nnb baä SOteer über bie gange 6rbe auögebreitet bentt, fo fteüt bie SJteeregfläche bie, fo ju fagen, tbeale Dberfläthe teS 6tbförperS al§ eines 6tlipfoib8 ober ©phäroibS bar. Au8 biefem ©rnabe werben bei allen ©rabmeffungö'Arbeiten bie Stefultate auf bie 2)teere8flä<he bezogen.

25 ie oorerwähnten SBiberfptüche betrafen tjauptfäc^Üc^ bie ©reffe ber Abplattung. Au8 bet franjöftfchen unb lappläubifdjen ©rabmeffnng g. 23. hatte fidj T*y, an8 bet frangöfiichen unb peruanifcheu yjy ergeben, unb ber oon fRewton auf theoretischem SBege gefunbene SBerth ^ lag gwifdjen jenen beiben. 2>ieje großen 25ijferenjen fpornten gu immer neuen SReffungen auch anberett £änbern an. 2>a man einmal ben 2Beg gefunben hatte, welcher an8 Biel führen mufjte, fo würbe berfelbe auch behatrlid} oerfolgt. ©o würben auf Antrieb be83efuiten93oScooid) in berlRäh* »onfRem ooniJemaire unb 2)o8cooich felbft (1751—1753), in ber SRdhe »on Suriu oott 93eccaria (1768), unb in UJtähren unb Ungarn oon bent 3efuiten ÜieSganig ©rab^föteffungen auSgeführt. 68 mar fihon bamalS bie SSermuthung erwacht, bafj bei SReffuugen in ber SRähe oon ©ebirgen burd) eine oon biefen bewirfte Ablenfuug beö SleilcthS abweichenbe CRefultate hetoorgerufett werben fönnten, unb au8 biefem ©ruube hatte 23o8cooich bie erwähnteu'JReff ungen in ebenen ©egenben unb in möglidjfter gerne oon ©ebirgen angeregt. 68 ift ihm jeboch nicht gelungen, feine Abficht gu erteilen, benn in ber s))o=6bene finb fehr bebeutenbe 8oth»Ablenfnugen hrroorgetreten. Auch fdjeinett leibet bie bei biefen Unternehmungen angewenbeten

Snftrumente noch 3u unooUfommen gewefen unb oon ©eite ber

im

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^Beobachter unb fRedjner Sälfchungen auögeübt worben gu fein, jo bajj fie al$ unbrauchbar betrachtet worben finb. Slehnlicheä ©chicffal hat auch bie 6h*«efU<he ©rabmefjung betroffen, welche auf SBefehl be$ Äaijerg ©ambp oon bem Sefuiten ShawaS iu ber ©bene oon i'efing (1702) auägeführt worbeu ift, uub au welcher ftd) fogar ein faiferlicher $)ring betheitigte, weil bie 8änge ber babei in Snweubung gef om menen ÜRafceinheit fraglich tft- ©rwähnenöwerth ift an biefer ©teile noch bie oon SBotkooid) augeregte amerifanifche ÜReffung, welche in ben weiten ©beiten $>enjploanien8 oon bem ©nglänber fDtafon unb bem ämerifanet fDijron (1764—1768) auSgeführt worben ift. ©ie mähen mit ber ÜRefefette, aber mit möglichfter ©orgfalt, einen SfReribian» SBogen oon nahe 1J ©vab unb fanben benfelben unter 39° 12' nerblichev SJreite gu 56888, ftatt 56955 SEoifen, wa8 in 58e* tracht ber unoollfommenen ÜRethobe immerhin genau genug ift. SHuch bie oon SReuben SBurrow in Dftinbien (1790) angeführte ©rabmefjung ift nicht in ben Ganon ber mafegebenben 'Arbeiten aufgenommen worben, weil bie gur 2lnwenbung gefommenen Snftrumente noch fo unooUfcmmen gewefen waren, ba§ ben IRe» fultaten tro^i be8 großen gleifseö unb ber ©orgfamfeit ber 2lu8» führenben nicht bie erforberliche ©d?ärfe gugefprochen werben fann.

(Sine neue ©poche begann mit ber gweiten frangöfifchen ©rabmefjung, welche, wieberum oon ber Ölfabemie angeregt, noch unter ifubwig XVI. begonnen unb felbft butch bie ©türme ber jReoolution nicht unterbrochen worben ift. 9Ran hatte bie Jper» ftetlung eineö neuen fRormaUSRafseS als £auptgwecf hingeftellt unb biefeö i'luöbängefchilb fdjeint bem Unternehmen ben gehofften ©chufc gewährt gu haben.

2)a$ neue 9Raf; füllte ber gehnmiöionte 2h«*t bei @tb* meribian*£luabranten fein, unb beShalb muf}te biefer mit mög« lidjfter Schärfe beftimmt werben. ÜRit ber Ausführung biefer

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SSrbeit würben bie Slfabemifer Sfiedjain unb ©elambre betraut. 2118 SDReribian gur 23eftimmung ber Sange beb Cuabranten feilte ber non $)ariS genommen unb bie Triangulation über $)er> pignan, ben füblicben ©nbpunft ber erften SReffung, ^inau§ bis 23arccIona auSgebehnt »erben. ©iefer ©rängpunft ift fpäter aud) nod) Übertritten »orben, inbem 23iot unb Sirago bie Triangulation bie germentera fortgefüljrt ^aben, fo ba| bie Slmplitube be8 gangen 23egenS 12° 22' betrug. ©ie grölten ÜRathcmatifer unb gcfdjicfteften äRecbanifer granfrcidjS Ratten ft gur iSuSffihrung be8 großen SSierfeö nereinigt. ©ie gur Slnwenbung gefommenen Jnftrumente unb Apparate »aren be« beutenb nernoüfommnet worben, inbem g. 23. bie 2Binfelmefj« Snftrumente (Tijecboliten) ftatt ber früher im ©ebraueb ge« wefenen Ouabranten 23eQfreife erhalten ijatten unb ber 2?afi8« Apparat non 33orba mit ben non iijm erfunbenen ÜDietaHther« mometern auggerüftet worben war. 23erba’S ÜJiefsftangeu be« ftanben au8 ^Matina unb tTugen etwas fürgere jfupfcrftangen, welche mit erfteren au bem einen Gtnbe burd} Schrauben feft nerbunben waren. 23eibe Stangen fonnten fid) alfo ber Tem» peratur gemä§ unabhängig non einanber auSbehneu unb gufam« mengieljen, unb au§ bem Unterjcbtebe ihrer SuSbehnung fonnte man bie Temperatur ber gangen Stangen fdjätfer ableiten, alä aus ben Angaben ber Ouecffilberthermemeter, wobei eS immer fraglich gewefen wäre, ob lefctere, felbft bei ber jebeinbar innigften ^Berührung mit ben Stangen, biefelbe Temperatur wie biefe ge« habt hätten.

*Ro<h ehe baS SBerf in ber angegebenen 2lu8behnung ooö* enbet war, mufften, um bem ©rängen beS 9fational»6onnentS gu genügen, fRefultate geliefert werben, ©ie Sänge ber neuen 50ia| = ©inheit, baS SJleter, feilte in fürgefter grift feftge*

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(teilt »erben, unb fo fam eS, baff biefe 53eftimmung mangelhaft auSfiet. !ßtan betrachtete fie auch nur als eine prcoiforifche 4).

SDemohneracbtet ift biefe gmeite frangofifche ©rabmeffung als etn ruhmcolleS Unternehmen gu begeidjneu unb granfreichS SBerbtenft ift um fo höh«- angufchlagen, als eS troj} ber milben inneren Kämpfe baS Sntereffe an roiffenfchaftlicben Arbeiten be= mafyrt unb anbere Sauber gut 9ia<heiferung angeregt hat. @8 entftcmb ein mähret SBettftreit, fo baf) e8 balb in ©uropa nur menicge Sauber gab, mo feine ©rabmeffung8=3lrbeiten au8geführt mürben.

SBährenb bisher gut Seftimmung ber SDteribian = ©nipfe immer nur gmei unter oevfcfjiebenen 9)olhol)en gcmeffene 9fte* tibtanbogen mit einanber oerbunben roorben maren, oerfuchte 8a iMace beren mehrere gufammengufaffen, aber e8 gelang ihm nicht, bie habet auftreteuben Söibetfptüche in miffenfchaftlidjer (Strenge unb mit ÜBetmeibung millfürticher Sinnahmen 3U bejeitigen. 5Me SJüttel hiergu aufgufinben, mar ©aufi nnb Segenbre oorbehalten. ©leidjgeitig, aber unabhängig oon einanber, mürben fie auf bie SRethobe ber fleinften Quabrate hingeführt, melche, menn mieberbolte SReffungen einet ©tcfje oetfcfjiebene, oon einanber abmeicbenbe SRefultate geliefert haben, ben mahrfcheinlichften SBerth gu finben lel)tt. £at man 3. 8. eine 8inie gehnmal gemeffen unb gehn Derfdjiebenc Sßerthe gefunben, fo nimmt man inftinftio unb oon je her «iß mahrfcheinlichfte Sänge biefer Sinie ba8 arithmetifche SRittel, tyex ben gehnten 2he'i ter Summe aller eingelnen SSerthe. SDie Slbmeidjungen biefer legieren oon bem SJJittelroerthe fafjt man, ba berfelbe als ber mähte SGkrth betrachtet merben mu§, obgleich er eigentlich nur ber mahr« f<heinlidjfte ift, als bie gehler ber eingelnen SDteffungen auf. SBilbet man oon biefen bie Quabrate unb fummirt man biefelben, fo ift biefe Summe ftetS flehter, als menn man ftatt beS aritt)*

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mctifdjcn SÖlittelS irgenb einen anbern SBerth als ben wahren annehmen itnb bie Summe ber $et)lerquabrate bilbeit wollte, hierauf nun begießt fid? bie Senennung „iBtethobe ber fl ein» ften Du abrate." Sie ift auch bann anwenbbar, wenn burdj SJleffungen ober Seobad)tungen mehrer e unbefannte ©rofcen et» mittelt werben fallen unb bie ÜJleffungen mehr ©Eichungen lie» fern, als ju biefer Ermittelung etforberlich finb. ÜJtan ernbtet babei ben großen ©ewinn, bafj man nid)t 3U willffirlidien 60m* binationen ber fDfejfungen genöfaiget wirb, fonbern nach feft* ftehenben ^tingipien »erfahren fann. Auch erhält man nicht bloS bie wahrfcheinlichften Söertfje ber gefugten ©röfjen, fonbern gugleich bie wahrf^einlithen fehler, welctie in jenen wahvfchein» lichften Söerthen noch ju befürchten finb, unb bie fehler »©ränjen.

SDiefe SJfethobe wirb gegenwärtig nicht bloS bei geoba* tifchen, fonbern auch bei aftronomifchen unb phpfifalifchen Ar» beiten angeweubet, wenn eS fich um eine wiffenfdjaftliche Er» mittelung ber wahrfcheinlichften Söerthe beobachteter ©röfcen banbeit. Stuf bie Eombination mehrerer ©rabmeffungen unb Ausgleichung ber gwifchen benfelben beftehenben 3Biberfprüd?e ift fie juerft con SBalbecf (1819) in AbS angewenbet worben, nach» bem noch bie englifd)e, jroei oftinbifche unb eine fchwebijche befannt geworben waren.

3n Englanb waren bis Enbe beS »origen 3ahrhunbertS feine namhaften geobätifchen Arbeiten auSgefühtt worben; baS Unternehmen Sftorwoob’S, weldjer in ben 3ab«n 1633—1635 gwifchen Bonbon unb $)orf einen Sogen »on 2$ ©rab ober nahe 40 5)1 eilen mit ber SDlefefette gemeffen hatte, ift bloS »on ^ifto* rifchem Sntereffe. Aber burch bie i. 3. 1783 »on ©eneral tRe» begonnene Jriangulirung beS ifanbeö waren bie Vorarbeiten für eine ©tabmeffung gegeben, unb SJlubge führte biefelbe 1800 bis 1802 auS. Sie umfaßte anfänglich nur einen Sogen »on

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nabeg u 3 ©rab, oon Sunnofe auf ber 3njel SBigb* big ©lifton bei ©oncafter, ift batauf big gu ben @^etlanbg=3uicht fortgefejjt worben uub bat fcbliejjlicb eine Augbeljnung oou beinahe 11 ©rab erhalten.

3n Oftinbien finb nadf Surrow’g 3«t gwei neue ©rab* mefjungen com fülajor i?ambton i. 3. 1802 begonneu unb nadj beffen Tobe non ©oereft fortgefetjt worben; ber gugeborige 951e» ribianbogen enthält 21$ ©rab unb erftrecft fich oom ©ap ©o* worin big in bie SRätje beg ,£>imalapa=©ebirgeg.

3n Schieben würbe in ben 3afyren 1801 1803, nachbem man in ber alten lapplänbifchen SDleffung »on SOlaupertuig »et* fdjiebene SJiängel unb gebier entbecft batte, auf Anregung ber Afabemie in ©torfbolm eine SBieberbolung unb ©rweiterung berfelben non ©oanberg auggefübrt, wobei man möglicbft barauf 23ebacf}t nahm, bie früher begangenen Seglet gu oermeiben. 91a« mentlicb würben bei ber SBafigmeffung eiferne fDlefjftangen ftatt bölgernet angewenbet unb ber ©inftufj ber Temperatur in 39e» tracht gegogen.

Ang biefen eben genannten »ier ©rabmeffungen nebft bet petuanifchen unb neuen frangöfifcben ^atte 3Balbecf bie ©röfce beg Duabranten beg ©rbmeribiang gu 5130878’4 Toifen unb bie Abplattung gu ^ergelcitet.

SBäbrenb biefet Seit lam eine neue ©rabmeffung ^iitju. ©auf) b“tte, nachbem non ihm bie Theorie in meifterbafter SBeife berichtiget unb erweitert worben war, gwifdjen ©öttingen unb Altona eine Triangulation auggefübrt unb butcb biefe Arbeit, bie bannooetfcbe ©rabmeffung genannt, einen wertbuoflen S8ei» trag gut Skrfcbärfung bet bigberigen Söeftimmuugen ber ©rb* ©onftanten geliefert, ©r bat babei ben t>on ibm erfunbenen heliotrop in Slnwenbung gebracht, bicfeg wichtige Snftrument, burch weicheg bag ©infteHen beg ^erntohrg auf entfernte Objecte

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bebeutenb erleichtert unb mitunter gerabegu erft ermöglicht wirb, inbem butd) Burücfroerfung beß Sonnenlichtes oon fleinen, wenige Duabratgoü entbaltenben ebenen Spiegeln ein Sonnenbilb erzeugt wirb, welches, auS gro&en Entfernungen gef eben, wie ein Stern erfdjeint unb fdjarf beobachtet werben fann, wie 3. 53. gwifdfen bem 53 roden unb Snfelöbetge (nabe 15 teilen) gefächen ift.

©ie bannöoerfcbe ©rabmeffung nun ift oon Sdjmibt in ©öttingcn i. 3- 1829 auf 33eraulaffung »on ©auf) gu ben oon Söalbecf benüf}ten Arbeiten bi«P9«3ogen worben. Snbem er auf ähnliche SBeife wie biefer 0 erfuhr, fanb er für ben Quabranten 5130779*0 Steifen unb für bie Abplattung welche

3ablenwertbe oon ben Söalbetffcben noch immer abweicbenb ge» nug finb.

gür bie Setminberung biefer Unficberbeit war baber oon großer SBidjtigfeit, ba§ halb barauf noch 3 neue ©rabmeff ungen bingufamen, nämlich: bie bänifche, gwifcben gaueuburg unb gpfabbel oon Schumacher, 25irector ber Sternwarte in Altona, welche fpäter oon Anbrä fortge jefjt worben ift, bie rufftfcbe gwi* fdjen 38mail an ber SRünbung ber SDonan nnb guglenaeS bei ^ammerfeft oon 3B. Struoe unb ©eneral Senner unb bie preufeifdje gwifcben fKemel unb Srung oon S3effel unb 33aeper auSgefübrt s).

3ü. Struoe, ber berühmte 3)irector ber Sternwarte oon $)ulfowa , wirb oon 33acper ber feinfte unb gefcbicftefte 33eob» achter genannt 6), ben eS je gegeben bat. ©urdb 93eifpiel unb gehre ift bie SBeoba^tungSfunft oon ihm wefentlid) geförbert worben, SDie Söinfelmeffungen 3. 33. ftnb bie oon ihm burch Einführung bet 9iicbtuug8*33eobacbtungen wef entlieh eereinfaebt worben; auch b«t « guerft auf bie ^Biegung ber gerutöbre auf* merffam gemalt unb gegeigt, wie bie auö berfelben h^ocr» gehenben gehler bejeitigt werben föunen.

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©benfo fyod) finb bie SBerbienfte gu erachten, weldje fich SBeffel unb Baeper um Die ©rabmeffungS » Arbeiten erworben haben. Beffel hat für alle Beobachtungen unb föteffungen bie ftrengfte Befolgung ber ©pmmetrie als $)ringip aufgefteQt unb gegeigt, wie bte 3nftrumentalfel}ler butd) bie Anotbnung ber Beobachtungen möglichft wtichäblich gemalt werben fönnen. ferner hat er auch bie S.^eorie bebeutenb »ercodfommnet, inbem er neue unb ft^ätfere fütethoben für bie Berechnung ber geographi* fchen Sage, für bie Ausgleichung non Söinfelmeffungen unb IDreiecfSnefcen unb für bie Berechnung jphäroibijdher SDreiecfe geliefert hat.

Sßeil bie ©rbe feine Äugel ift, fonbern nur eine fugelähn* liehe, b. i. fphäroibifdje ©eftalt hat, fo finb bie SDreiecfe auf ihrer Oberfläche in SBaljrheit feine fphärifchen, fonbern fpl)ä* roibifche. SDie ©eiten berjelben finb feine ÄreiSbögen, fonbern hoppelt gefrümmte Sinien, welche man geobätifche ober auch fürgefte Sinien nennt, »eil fic bie fürgefte ©ntfetnung gweier fünfte auf ber ©rboberfläche angeben, ©in gwifchen 2 fünften auf einet glatten gefrümmten flache auSgefpannter gaben giebt ein Bilb einer folgen Sinie.

£>aS »on Beffel unb Baepet h^auSgegebene 2Berf: „£>ie ©rabmeffung in Dftpreufjen", ift bie befte IRichtfchour für geobä» tifche Arbeiten unb in ben meiften Säubern, welche ber gegen» »artigen europäifchen ©rabmeffung beigetreten finb, wirb nach ben in bemfelben entwicfelten üJiethoben gearbeitet.

SRachbem Beffel feine eigene ©rabmeffung »oflenbet hatte, unternahm er eS, aus ben »on ©«hmibt benü^ten unb ben 3 neu hinäu3e*ßmmenen SQieffungen neue fRefultate ^erguleiten. 9la<h ihm ift bie Sänge beS ©rbquabranten = 5131179-81 3wifen unb bie Abplattung = sra7)-

AIS etwas fpäter einige ber Don Beffel angewenbeten ©rab»

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meffungen, bie englifdse, rufftfc^e unb cfttnbiftfec noch erweitert waren unb 9Rncleat i. 3- 1848 am Gap ber guten Hoffnung eine neue 9Refjung auSgeführt Ijatte, unternahm Aitp eine neue ^Bearbeitung beS »orhanbenen 5Raterial8. 81adj U?m ift bie 8ange beS ©rbquabranten 5131251*25 Seifen, alfo nur 71*44 S. ober r ilinj größer alß nach Seffel, unb bie Abplattung =

©a bie am ©ap »on 5Raclear außgeführte SJieffung fi<h an bie übrigen fo gut anfchltefet, baff fic een Air» gugejegen werben fonnte, fo folgt barauS, ba| bie Ärümmung ber {üblichen i)alb* fugel »on ber ber ncrblichen nidjt wefentlid) »erfdjieben fein fann.

Sei allen feit {Remton unternommenen Arbeiten war man »on ber ^ppotljefe auSgegangen, baf) bie Grbe ein SRotationS« ©Üipfoib fei. Söeil fid> aber immer unb immer SBiberfprücfee groifdjen benfelben gezeigt bitten» fo fucpte man nunmehr ben ®runb baoon in ber Siangelhaftigfeit biefer Annahme, ©eßbalb unterfufhten 3ame8 unb ©larfe juerft bie {form ber SRcribiane.

Sie fanben nun, bafj bei ber Annahme bet efliptifc^cn gom bie SBiberfprüdje am fleinften finb, baff alfo biefe ©eftalt eine größere SBahrfcheinlichfeit für ftd) hat» alfl bie nicht »eüiptifche, unb fo blieb jefjt noch ju unterfuchen, ob bie ©rbc ein ÜRota* tienßferper fei. ©ieß unternahm juerft ber ruffifche ©eneral Schubert i. 3- 1859. ©r betrachtete bie ©rbe als ein brei« ajrigeS ©llipfoib b. h- ol$ einen Äötper, bejfen Aequator, fo wie auch alle mit bemfelben parallel geführten Schnitte ©lüpfen, unb nicht greife finb, fam aber feht balb »on biefer Anftcht gurücf. ©afür mürbe biefelbe »on ©apitain ©larfe aufs 9iene aufgenommen, ohne bah eS ihtn jeboch trofc mieberbolter Ser« fuche gelungen wäre, ein breiajrigeS ©llipfoib aufjufinben, wetcbeS allen ©rabmeffungen entfprdche, unb mir ftehen hier oor einer offenen fvrage.

So lange man bie ©rbe als ein 5Rotatien8*©llipfeib unb

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baljer alle fDieribiane als congruent betrachtete, war man bereif * tiget, bie Unterfudjung auf bie Seftimmung non SJieribian* ober Sreitengraben gu fufjen, woher bie Benennung „Sreitengrab» meffung“ flammt. ©eitbem aber bie JRotationSgeftalt ange* gweifelt wirb, brängt fidj bie Unterfuchung auf, ob bie @rabe eines unb beffelben ^ßaraüelfreifeö burdjweg gleich grefe fiub. SEBeil nun burcp bie @rabe ber ^)araQelfreife bie gecgra^^ifd^e Sänge angegeben wirb, fo nennt man berartige Unternehmungen Sängen* grabmejfungen. ©ie erforbern ebenfalls geobätifche unb aftronomifdhe Arbeiten. Grftere beftehen barin, ba§ bie ©rö&e einer fReihe »on Sögen eines i>araHelfreifeS burdj Ttiangula* tionen ermittelt unb in Sängenmaf) auSgebrücft wirb, währenb burd) bie aftronomifchen Seobadjtungen ber Sängen» ober Beit* Unteridjieb ber Gnbpunfte eines jeben folgen SogenS beftimmt wirb, b. h- um wieoiel eine an bem einen Gnbpunfte richtig gehenbe Uhr mehr ober weniger geigt, als eine foldje am auberen Gnbpunfte genau in bemfelben SJtcmente. Äommen h*er^e* gleich langen Sögen eines unb beffelben fParaöelS gleiche 3eit* Unterfchiebe gu, ober finb wenigftenS bie einen ben anberen pro» portional, fo ift bieS ein 3eidjen, bafc bie betreffenben Sögen äfreiebögen finb; wibrigenfaUS gehören fie anberen Guroen an-

Sie ^auptjdjwierigfeit liegt in bet Seftimmung beS gleich» geitigen Moments, wogu man Anfangs bie Seobachtung aftro» nomifchet Gridjeinungen, als: Serfinfterung oon ©onne, ÜJionb, 3upiterS«Trabanten u. f. w. unb fpäter ^uloerblifce unb Jpelio» tropenfignale benähte.

©ie erfte Sängengrabmeffung nach wiffeujcbaftli<ben 'J>rin» gipien ift uuter 45° nörblicher Sreite oon ber 9Jhut bring ber Gircnbe burch Sranfreid) über ben SJlont GeniS, Turin unb SJiailanb bis §iume auSgeführt worben, förangöfiid'er ©eitS begannen bie Arbeiten mit ber Triangulation unter Seitung oon

XL 258. 2 (7<s)

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Brouffeaubs) i. 3. 1811, melche balb im erften 3aljre burch einen beHagenSmertheu Unfall eine erhebliche ©törung erfuhr, inbem auf bem SHont b’Dr ber 33 lifc in bie ©ignab^pramibe einfehlug, baS 5Jlejj*3nftrument gerftörte unb ben 3Bädjter tebtete. 3n Stalien mürbe biefe Triangulation non öfterreit^ifdjen unb farbinifdjen ©eneralftabö» Offizieren biö &iume fortgefefct. Bei ben aftronomifchen Arbeiten, gu melden fPuloerblihe angeroenbet mürben, trat auf bem 90tont=(Seniö eine bebeutenbe S)iffereng auf, inbem ba3 beobachtete 3lgimnth um nahe 50 ©efunben Heiner gefunben mürbe, als baö berechnete. 5)a ftd? aud) bei bem Südngen»Unierfchiebe gmifdjen Turin unb SDiailanb eine be* beutenbe SDiffereng gmifchen Beobachtung unb ^Rechnung herauf fteUte, fo fudhte man bie Urfadje in ber burch bie 3llpert be* mirften £oth*91blenfung, unb hielt beähalb bie Arbeit nicht für mafegebenb gur ©ntfcheibung ber förage , ob bie parallele mitf» lieh Greife ober anbere (5uroen feien.

Jpierburch nicht abgefchrecft mürbe in ftranfreich etma 10 3at)re fpüter eine ueue üängengtabmeffung oon Breft über ‘pariS bis ©trafjburg unternommen. $bet auch hierbei ift ber 3mecf nicht erreicht morben, inbem bie aftronomifchen Beobachtungen oon ^ariS bis Brcft nach bem Urteile oon ^uiffant unbrauchbar maren unb felbft bie iiüngenbiffereug ^ari8*©traf}burg, melche gut beftimmt gu fein fchien, nicht bie erforberlidje ©chürfe hatte. 91ach ben neueften guoerläffigen SDieffungen nämlich beträgt bie» felbe 2 1 SJlin. 39’05 ©et. in Beit, mährenb biefelbe bamalß um 3-5 ©et. Heiner gefunben morben mar.

(Sinen neuen Sluffchmung erfuhren bie Sängeugrabmeffungen, als bet elettrifche ©trom für bie Telegraphie in Änrnenbung ge» fommen mar. 2)ie 3)uloetfignale mürben nunmehr burch eiet* trifche oerbrängt, moburch bie Beobachtungen bet 3eit=Unterf<hiebe erheblich »erfchdrft mürben. 5Die erften berartigen Operationen <■«;

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überhaupt finb pon SBalfer unb ©oulb in Sftorbamerifa unter* nommen worben, bie erfte in ©eutfdjlanb aber oon SB. Meters gwifdjen Stltona unb Schwerin. ©ie grofsartigfte ift pon SB. Stntoe inS geben gerufen worben tftadj bem pon ihm i. 3. 1857 entworfenen unb pon bet ruffifdjen Regierung genehmigten $)lane ift fie längs beS 52. ^>araüetö pon 23alentia an ber SBeftfüfte pon Srlanb biö DrSf an bet ©ränge gwifdjen Ulufj* lanb unb Sibirien gut SluSfühtung gefommen. ©ie praftifc^en arbeiten, gu welken fPreufjen, Belgien, granfreidj unb ©nglanb ii?te 3)1 it wirf ung gugefagt hulteu, ftnb gegenwärtig pollenbet. ©ie ©riangulationen waren in ©nglanb, gtanfreid) unb Bel* gien bereits porhanben unb in ©nglanb aufjerbem nodj bie pon 2tirp gwijchen Balentia unb ©reenwidj auSgeführte Sängen* ©ifjereng. 3n 9>reu&en feilten bie auS früherer 3eit h^ftam* menben geobätifchen arbeiten burch neue erfejjt werben unb bie Oberleitung berfelben würbe burd) Königliche KabinetS=Orbre bem ©eneraüieutenant g. ©. Baeper übertragen. 3n SRufjlanb würben bie ©riangulitungen burd) @enerntftabö=Offigiere auSgeführt. ©ie 3eit*Unter jehiebe finb 1864 unb 1865 pon ©reenwid) bis Sa* ratow auf ben Jpaupt*Stationen pon benjelben Beobachtern unb mit benjelben Snftrumenten ermittelt worben, pon Seiten Sftufj* lanbS pon bem ©enetalmajer gorjd) unb bem Oberft SplinSfi, pon Seiten fPreufcenS oon einem Obferpator bet Sternwarte gu Bonn, Dr. Siele. 3m 3al)te 1864 finb bie .paupt* ober Sinien* Stationen Uiofenthal bei BreSlau unb Seipgig mit ber Siefereng* Station Berlin, wo fProfejfor Dr. görfter, ber ©irector ber Sternwarte beobachtete, unb bie Sinien « Stationen SRieuport, ©teenwich unb Jpaferforbweft mit ©reenwid), welches gugleid) als Oiefereng«@tation biente, oerbunben worben, i. 3. 1865 SRofen* thal, SBarfchau, ©tobno, BobruiSf mit ber Diefereng = Station Königsberg, unb BobruiSf, Drei, SipetSf, Saratow mit bet 9te*

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fereng*Station SERoÖfau. 9iachbem fchliefclich noch bie Sangen* biffetengen gwifchen Saratow, Samara, Drenburg unb SDröf tollenbet worben finb, haben bie praftijehen Arbeiten biefer gro§» artigen Sängengrabmejjung ihren Äbfcbluf} erreicht 9).

9ieu war hierbei bie Einführung ber SRefeteng * Stationen, woburch bie Elimination ber perjönlicfcen Eieichung erhielt mürbe, war ben Äftronomen langft befannt, baff ein unb biefelbe Etjdjeinung oon gwei Beobachtern nicht in bemfelben Äugen« bliefe wahrgenommen wirb. 55er Unterfchieb in ber ßeitbauer welche gwifchen ber Sinneö*Äjfection unb bem Bewufctwerben berfelben »erfüefit, ift nicht bei allen SJlenfdjen berjelbe, unb bietin befteht bie fogenannte perfönlidbc Eleidjuug, welche biö auf eine Sefunbe anwadjjeu fann. 35er barauö betDDt3ehenbe fehler fann babutch eliminirt werben, bah bie Beobachter nach BoHenbung einer Sängenbeftimmung bie Stationen »ertaujdben unb barauf bie Ärbeit wieberholen. 35et auö biefen beiben Beftimmungen gebilbete fJRittelwerth wirb bann frei oon bem burch bie perjön» liehe Eieichung hetoorgerufenen ge^jer |e{n fc« (Einführung ber 3Refereng=Stationeu ift ein folcher Staticnöwechfel nicht nöthig. SBenn g. B. bie 8ängen»Unterfchiebe gweier Stationen A unb B gegen eine brittc R gefunben worben finb, inbem in R berjelbe Beobachter »erblieben ift, ein gweiter bagegen guerft in A unb bann in B fungirt hat, jo finb bie üängen=Unterjcbiebe AR unb BR mit ein unb bemfelben petfönlichen gehler behaftet. Bilbet man auö benfelben einfach burch Subtraction ben Sängen=Unter» jehieb AB, jo wirb biefer Dort jenem gehler befreit. 3n biejem gaHe nennt man R bie 9>tefereng»Station, A unb B bagegen Sinien»Stationen.

55a bie Breitengrabmefjungen hauptfädjlich gut Beftimmung ber gorm unb Erojje ber SJteribiane bienen, bie Sdngcngrab* mefjungen bagegen bie Elemente gu ber Unterjuchung liefern, ob

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feie ©rbe wirtlich ein [Retaiiongförper ift, fo müffeu burch bie Kombination beibet 2lrten beibe Btagen gugleidj beantwortet wer» ben formen. ©on biefem ©ebanfen auSgehenb, entwarf ber ®e* neratlieutenant Dr. ©aeper t. 3. 1861 ben $)lan gu einet mittel* eutepcufchen ©rabmeffung unb entwicfelte benfelben in bet (Schrift „lieber bie Bigut unb @rö§e ber ©rbe." '2(u^erbem legte er ber preufcifchen Regierung einen für biefelbe befonberS abgefafjten ©ntwurf ocr, beffen Sprache fo übetgeugenb war, ba§ biefelbe an bie ^Regierungen ber benachbarten Staaten bie ©inlabung er» gehen lief;, fidf an bem oon Saeper eorgefd)lagenen Unternehmen gu betheiligen unb gu biefem 3wecfe SeooHmächtigte ober ©om* miffarien gu ernennen. 3n Böige beffen fanb bereits im Stpril 1862 bie erfte 3ufammenfunft einiget ©ommiffarien auS Sachfen nnb Cefterreid) ftatt, in Weidner notläufige Serathungen gepflogen würben. ©on ba an batirt fich ber ©eginn biefeS großen intet* nationalen Unternehmens, welche® feitbem ein fo allgemeines Sntereffe, eine fo bebeutenbe iluSbehnung gefunben l)at, bafs bie Hoffnungen beS Urhebers weit übertroffen worben finb. SHuch gab fich hierin bie hohe 3lner!ennung funb, welche ihm bafür gegoUt würbe, baff er, als früherer SRitarbeiter ©effelS, im Sinne unb ©eifte beffelben fortwirfte unb baS höhere ©ermeffungS« Wefen in ^)reu§en auf eine Stufe ber ©ollfommenheit gebracht hatte, welche bis bahin noch nirgenbS erreicht worben war. SDie unter feiner Leitung oon ber trigouometrifchen iSbtheilung beS königlich ^teufjifchen ©eneralftabS auSgeführten unb oon ihm herausgegebenen Arbeiten gelten noch heute a'ä 5Jtufter*9lrbeiten unb werben unter bie wichtigften ©lieber beS neuen wiffenfchaft* liehen ©auwerfeS gewählt.

Schon im Saljre 1861 waren oon oielen Staaten ©citrittS* ©tflarungen eingegangen , ber 3eitfolge nach oon Branfreich, 2)änemarf, Sachfen*@otha, HeHanb, fRufjlanb, Schweig, ©aben,

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.Königreich Sadjien , Italien, Defterretcb , Schweben unb 91er* »egen, Säuern, föiecflenburg, .jpanneoet unb Selgien, worüber ©eneral Saener im fRooember 1882, in bem crften ©eneralbe* ridjte, fERittheilung gemacht hat. 3n bemfelben wirb bie Sil* bung eineö Gentralbüreauß in Serlin in Sorfcfclag gebracht, wonach alfo ber Sdjwerpunft nach ^teufjen »erlegt werben feilte, jo bafj für unfer Saterlanb Ghtetttadje würbe, baß interna* ttonale Söerf, beffen .Keim in feinen Scheefj gelegt werben war, in einer feiner politifchen 9Rad)tfteHung würbigett SBeife ju fer* bem, bamit bie anberen baran betheiligten Staaten eertrauenßootl bie GentralfteQe ba beiaffen tonnten, wo fie fid^ thatfächlidh oon jelbft gebilbet hatte- ©eßhalb hat benn au* bie Staatß*9legie* rung Sorge getragen, bafj bie erforberlichen fBJittel oon Seiten ber Uanbeßoertretung bewilligt würben.

Unterbeffen entwicfelte fid) baß Unternehmen in erfreulich ft er SBeife, wie bet ®eneral*23ericht für 1883 bet unbete, welcher be* reitß SRefultate non ÜRecflenburgifchen unb $)reujjijchen Sriangu* lationen unb SRittheilungen über oerfchiebene in Cefterreich, fPreufjen, Stufjlanb, Sachfen, Schweben unb in ber Schweij auß* geführte prnftifche Arbeiten braute, fo bah General Saeoet wagen tonnte, eine ©eneraUGenferen^ in Sorfchlag ju bringen. SDiefer Sorfdjlag fanb allgemeinen Entlang, bie Gonferena würbe in Serlin oom 15. biß 22. ßftober 1884 abgehalten unb war faft oon allen betheiligten Staaten befdjicft worben. S5ie bren* nenbfte Stage war bie ber Drganifation. 3Ran einigte fi<h in* beffen balb baljin, bafj für bie obere Leitung ber ganzen ©rab* meffung bie Silbung einer permanenten Gommiffion nothwenbig fei, währenb bem Gentralbüreau bie Ausführung ber Sefdjlüffe berfelben obliegen feilte.

3n golge beffen würben oon ber ©eneraUGonfereug burch SBahl fieben Seooßmä^tigte ju fötitgliebern ber permanenten

CH8)

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Gommiifipn mit bem §tftrenem Raufen an ber tgpitje ernannt. 3um ^>räfibenten beS Qentralbüreau'ä würbe 53 aeter erwählt, welkem and) bie 93ilbung unb Sinridjtitng bicfcg DrganS über* taffen würbe.

<Sebr wichtig war ber 33efd)lu§, bafj auf;er ben aftrenemi* fcben unb geebätifdjen Arbeiten and) niteflitifdje auSgefiiljrt unb in jebetu Sanbe auf einen einzigen fRudpnnft begegen, fowie ferner bafj bie üluflpunfte ber eingelnen Sänber unter etnanber terbunben unb bie in ben midjtigften ©eeljäfen beftefjenben $)ege! in ba8 niteQitifcfye fftefc aufgenommen werben feilten.

©ei aden geebätifdjen Operationen begießt man fidj auf bie ibeale Dberffädje, welche bie @rbe Ijaben mürbe, wenn fie fein %eftlanb batte, fonbern über unb über mit SDReet bebecft wäre. @8 müffen baljer alle auf bem fteftlanbe angeführten SReffungen auf ben 5Reeregfpiegel Ijin rebucirt werben. SDiefe Stebuction ift tnbeffen einfadjer, alb fürs Qjrfte gu fein fdjeint. 5>enft man fid) ein auf bem ^eftlaube auggebreiteteg ©Teiecfgncfs auf bie ÜReeregflädje projicirt, fo werben bie SBinfel fo unmerflidj ge* änbert, baf$ feine Serbefferung berfelben nötljig ift, unb non ben S5xeiecf8=@eiten , welche gwar fämmtlidj fleiiter werben, braucht bie JRebuction nur für eine einige, bie @runblinie beregnet gu werben, inbem ade übrigen auö biefer einen unb ben SSinfeln butdj fRedjnung Ijergeleitet werben. SBie nötljig aber bei ben ©runblinien bie fRebuction auf ben 3Recre8lj Orient ift, geigt folgenbe 3ufammenftellung.

2?ei ber ton SBeffel bei Königsberg in einer Seeljclje non 16‘4 Seifen gemefferten ©tunblinie ton 935 Seifen Sangt Ijatte biefe JRebuction 4-046 Sinien b. i. nafje ^^Viro ber gangen Sange betragen, bei bet in einer Seeljöfje ton 360 Seifen ge* wefftnen fpanifdjen SBafiS ton 7524 Seifen Sänge f Seifen b. i. unb bei ber in einer Seeljölje ton 1226 Soifen ge»

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mcffenen nörblidjen peruanifdjen S3afi8 oen (»273 Toijeu Sänge 235 Steifen ober 2SV5.

S)ie8 beroeift, wie wichtig für bie Triangulationen eine ge* naue Äenntnifj ber (Srbebung über ben SReereSfpiegel ift. SDiefe lann aber, wenn fte ben heutigen Slnforberungen genügen foH, nur butdj geometrifd^e fRioellementS gewonnen werben.

$)ajd)en, ber frühere SeooQmäcbtigte oott SRecflenburg, bat ben 23ewei8 geliefert, ba§ bie geometrifeben 9iiüeHement8 ungleich genauer au8gefül)rt werben fönnen, al8 bie trigouometrifeben. (5r bat ben £>öl)en=Unterfd)ieb gweiet 3 SJteilen con einanbet entfernten fünfte nach beiben SRetboben beftimmt unb al8 wahr* jcbeinlicben geiler be8 trigonometrifeben fRioellementS 6 3<?ü, bei bem geometrifeben bagegen nur $ 3oQ gefunben. (Sine Seftätigung hierfür liefert bie Setgleidjung beS in ben Sauren 18(57 unb 18G8 jwift^en SBetlin unb ©winemünbe oom geobätifeben 3u» ftitute au8gefübrien geometrifeben 9tioellement8 mit bem ron S3äper i. 3- 1840 jwifd)en benfelben beiben fünften unter* nommenen trigonometrifeben. 33ei legerem bat ftcb ber wahr* fcbeinlicbe gebier $u 6 ©ecimeter, bei elfterem bagegen nur ju 1 (Sentimeter ergeben. SDet ©runb liegt banptfäd)licb in ber Strahlenbrechung, welche bei ben geometrifeben 9tioeflemeut8 faft »oUftänbig eliminirt werben fann, wenn ficb ber Beobachter ftetß foaufftetlt, bafs bie3iellatten nadboorwärtö unb rücfwärtS gleich weit »on ibm entfernt ftnb. Bei ben trigonometrifeben 9ti»eHement8 fudjt man bie (finwirfung ber Strahlenbrechung baburd) ju befeitigen, baff man auf ben beiben fünften, beten <£>6benunterfcbieb gefudjt wirb, gleichzeitig unb gegenjeitig beobachtet, allein bie Annahme, auf welche man angewiefeu ift, baf) bie SBege be8 SidjtftrablS nach oorwärt8 unb rücfwärtS congruent feien, ift uidjt in aller ©trenge richtig.

3118 ein fe^v wichtiger auf jener (Konferenz gefaxter Befd)lufj

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ift ferner Ijeroerguijeben, ba§ ^enbelbeobadjtungen an möglicbft »ielen aftronomifchen fünften angefteUt werben feilten, weil bie 3ntenfität ber Schwere mit ber ©eftalt ber ©tbe in innigem Bufammenfymge fteht.

Senn bte @rbe eine ooHfemmene Äuget non burdjweg gleichet fDidjtigfeit wäre unb fid) in abfoluter 3tu^e befdnbe, fo würbe auf alten fünften it)rer Oberfläche bie Schwerhaft gleich grof) fein, mithin ein unb baffelbe ^)enbet überall in einer beftimmten 3eit gleich eiet Schwingungen machen unb bie Sänge beö Se» fuubenpenbelö überall gleich grof) fein. aber feine »ou biefen Sebingungeu ftnbet ftatt. 25ie ©rbe ift fein rutjenber Äerper, fonbern t)<*t ajrenumbrehung unb beSljalb macht ftdj noch eine anbere jfraft, bie Schwunghaft geltenb, welche ber Schwerhaft entgegenwirft unb baher auch Zentrifugal» ober gliehfraft ge» nannt wirb. SDutcf) fte erhalten alle UJtaffentheildjen ba6 23e» ftreben, fich non bet Umbtet)ung8«2he ju entfernen, unb bieö in fo höherem ©rate, je weiter fie oon berfelben entfernt ftnb. Unter bem ISequator ift baher bie Sirfung ber Schwunghaft am ftdrfften unb wirb bie Schwerhaft am ftdrfften abgefchwächt; nach ben §)olen h*» wirb biefe abfchwädjung geringer unb an ben 9>oteu felbft ju SRuEL aber auch wenn bie ©tbe nicht rotirte, fönnte bie Schwerhaft nicht überall gleich l3tDfe fein, benn wegen ber Slbplattung finb nicht alle fünfte bet ©rboberfläcbe, abgefehen »on ben Sergen, £h»ler» 3C- com üRittelfjunfte gleich »eit ent» fernt. auch au8 biefem ©runbe mu§ bie ©chwerhaft unter bem aeqnator am fchwdchften fein, weil h«r bte (Entfernung oem ©entrum am größten ift, unb nach ben $)olen hi» ber abplat» tung gemäfj immer ftärfer unb ftdrfer werben, ©in unb baffelbe §>enbel wirb alfo unter bem aequator am langfamften unb nad) ben $)olen ht» immer rafcher unb rafcher fchwingen. OJlan fann baher umgefehrt auö ber anjaljl ber Schwingungen, welche ein

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fPenbel »on einer beftimmten Sänge in einer beftimmten 3«t »oUeubet, auf bie ©re§e ber ©djwerfraft unb ferner auf ben 8b« ftanb »om Zentrum fchliefjcn.

3n SBerlin ift nad) SSeffelg i. 3. 1835 auf ber Ijiefijjen Sternwarte auggefüljrten öeftimmungcu bie Sänge beg einfachen Sefunbenpenbelg, auf bag SJiittelwaffer ber Dftfee bei Swine* münbe bezogen, = 440739 §>arifer Sinien ober 994-232 9)lm., »eräug für ben Aequater 990-988 5)lm. unb für bie ^)cle 996-142 5)im. heroorgeht. Jpieraug lä^t ftdj ferner berechnen, bafs ein Deubel, weldjeg unter bem Aequator in einem Sage 86400 S djii'in gungen macht, bert alfo ein Sefunbenpenbel ift, in Berlin täglich 141 unb an ben sPolen 224 Schwingungen mehr »oÜenbet.

äßenn man »om Aequator aug nad) ben $>olen Ijingctjenb an »etfdjiebenen fünften mit ein unb bemfelben ißenbel bie An* jal)I ber täglichen Schwingungen beobachten wellte, fo würbe man baraug bie Bunaljme ber Schwerfraft unb wenn au^erbem bie 'polhehen ber Seobachtunggorte befannt wären, bie ©reffe ber Abplattung Verleiten fonuen.

SDie erften ^enbelbeobadjtungen, welche jur öeftimmung ber ©eftalt ber @rbe benüf}t werben finb, hat Souguer bei ber perua* nifchen ©rabmeffung auggeführt. Alg barauf felche noch an mehreren anberen Drteu wieberholt werben waren unb bie Sie* fultate mit bencn ber ©rabmeffungen »erglühen würben, fanb man nicht bie gehoffte Uebereinftimmung. SDian lieh fi<h inbeffen hierbnrch nicht abfchtecfen, fenbern fühlte fid? »ielmeht »eranlafjt, bie Sache weiter ju »erfolgen, um fo mehr alg bie Siefultate nicht bieg »en benen ber ©rabmeffungen, fenbern auch unter einanber abwicheu. So hatte j. 33. ber englifthe Sd)iffg*(5apitain Äater i. 3- 1816 auf mehreren «Stationen ber englifchen ©rab* meffung §)enbelbeoba<htungen angefteüt unb tro£ aller Sorgfalt

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unb 5öh"ifye für bie Abplattung JRefultate erhalten, welche gwifdien weiten ©tänjen fcbwanften. SieS war bie fßeranlaffung, baff Den ©eiten ©nglanbs, granfreichS unb StujflanbS mehreren Schifft ßapitaiiren aufgetragen würbe, an uerfdjiebenen, i)auptfäd)lidi nufer» eurcpäifdjen Jfüftenpunften $)enbelbeobachtungen anguftellen ' °). SieS ift nun aud) wirflich gur Ausführung gefommen, aber bie SRefultate ijaben noch nic^t gang ben ©rwartungen entiprochen, inbem bie für bie Abplattung abgeleiteten SBerthe nicht nur unter einanber, fcnbern auch mit benen ber ©rabmeffungen bifferirten. Sie treueren ©rabmeffungen haben, wie bereits erwähnt werben, für bie Abplattung nabe ergeben, wäbtenb bie auS ben er« wäbnten $)enbelbeobad)tungen betoorgegangenen SSertfe ftd) gwi» fd?e n 5^-5 unb ^ bewegten, fo baff nad) lederen bie ©rbare fürger fein müfte, etwa eine SSiertetmeile, als nach ben ©rab» meffungert.

Um ben ©runb beS SBiberftreitS biefer beiben SöeftimmungS« weifen aufgufinben, beSbalb feil alfo nach bem SBefdiluffe ber ©eneral=(5cnfereng auf moglichft Dielen aftrenomifcben Stationen ber eurcpäifchen ©rabmeffung auch baS fPenbel beobachtet werben.

Sa biefe fünfte faft fämmtlidj mitten auf tcm geftlanbe unb nicht, wie bie meiften früheren $cnbel=®tationen auf Snfeln ober an ber WeereSfüfte liegen, fo wirb eS fidf geigen, ob bie contincntalen fünfte unter einanber haemoniren unb ber beo« bartete äöiberftreit nur gwifchen continentalen unb ojeauifdjen fünften ftattfinbet.

Sie 3r.tenfität ber Schwere muf, abgesehen Don einer Un» gleidnnäfigfeit ber Sichtigfeit in ber Jiefe, ba am größten fein, wo bie fefte ©chaale unferer ©rbe am bichteften ift. Auf einer continentalen ©tation, beren Umgebung meilenweit nur aus feften, alfo im ©egenfafe jnm Weere auS biebteren Waffen be» fteht, müfte man eine größere Sntenfität ber Schwere Dermutljen,

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al$ auf Keinen (Silanben mitten im großen Dceane, beten Um* gebung auf große ©trecfen ßin meniget bidjt ift ; benn bie ©i<ß* tigfeit beä SBafferS ift ja erßebücß geringer als bie mittlere ©idj* tigfeit ber fcften Seftanbtßeile bet Grbe. 9tuf bem (Kontinente müßte bemnacß baß ?>enbel rafcßet fcßwhtgen alä unter gleitßer Steile auf 3nfeln. SDie Seobacßtungen wiberjpredßcn inbeffen biefer Argumentation, unb fo fragt fi<ß, wie fidß biefer SBiber* fprudß erflären läßt. SfKan ßat bieS auf folgenbe SSeife ceriuißt.

3n j$olge ber AngießungSfraft, weltße eon bem geftlanbe auf ba$ ajtcer auSgeübt wirb, muß leßtereö an ben Äüften ßößer fteßen al8 im offenen ßgeane, unb man will burdß Sledßnung gefunben ßaben, baß biefer Unterfcßieb bis auf mehrere $unbert Buß anwadßfen fann. SBenn fiöß bie8 beftätigen fottte, bann müßten bie Äüfienftridje ifolirter 3ufeln bem SJtittelpunfte ber @rbe um jenen Setrag näßet fein, als bie ber ^eftlanber, unb baßer eine größere 3nteufität ber ©tßwere befunben. Auf biefe SBeife glaubt man baS rafdßere Stßwingen beS i'enbelö auf ifo* litten 3nfeln erflären gu fönnen.

SBie antegenb unb förbernb bie erfte allgemeine Äonfereng gewirft ßat, geigen bie aQjäßrlidj erfcßienenen @eneralberi(ßte. Sefoubetä ßeroorgußeben ift, baß burdß jtöniglicße ÄabinetS» Drbre ber ©cnerallieutenant Saener beooßmädßtigt würbe, ba8 »on ißm in Sorfcßlag gebradßte (KentTaUSüreau gu eröffnen, unb baß baffelbe bem BJtinifter ber geiftlitßen jc. Angelegenßeiten unter* ftellt würbe. 2>iefe Eröffnung erfolgte ben 1. April 1866. ©eine oolle Slßätigfeit fonnte baffelbe jebotß beö Äriegeö wegen, weltßer autß in anberen Sänbern auf bie @rabmeffung8*Arbeiteu ßem* menb wirfte, nießt fofort entwidfeln. 3m 3aßr 1867 aber wut* ben biejelben überall aufö Bleue wiebet aufgenommen. $Daß in* gwifeßen ba8 3ntereffe baran nidßt abgenommen ßatte, geigte füß aueß bei ber in bemfelben 3nßre in Serlin tagenben gweiten all*

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gemeinen Gonfereng. Spanien, Portugal unb JRufjlanb Ratten ihren Beitritt erflärt unb ba jefjt faft aBe Staaten ©uropa’8 theilnahmen, fe »urbe befchloffen, bie Benennung „mitteleuro* päifche ©rabmeffung“ einfach in „europaifctje ©rabmeffung" ab* guänbern.

Unter ben beratenen fragen fteheu in erfter Sinie bie Un* terfuchungen über bie Snteufität nnb {Richtung ber Sattere. 9tad)bem biefelben bereits auf bet erften aBgemeinen Gonfereng bringenb empfohlen worben waren, tjatte man an nieten Drten, namentlich in ber Schweig, in {Pteufjcn unb Sachsen Behufs bet Beftimmung ber Sntenfttät ber Schwere {Penbelbeebadjtungen angefteBt, bagegen nur an wenigen Drten Unterfucfjungen übet bie Slblenfung beS SotheÖ.

Siefe ilblenfung läfjt fic^ ni(f)t birect beobachten, fonbern nur burch Vergleichung ber auf geobätifchem SBege berechneten Sage eine? Drteö mit ben {Refultaten unmittelbarer aftronomifcher Beobachtungen finben. §ür ben Sreiecföpunft auf bem Brocfen .3. B. giebt bie {Rechnung, wenn man non Berlin außgeht unb Entfernung unb Slgimuth ($immel0richtung) au8 ber neuen Triangulation entnimmt, alö sPoll}öhe 48' 2-12“ unb als geographifche Sänge, in 3eit auggebrücft, 1 1 50t. 6-546 S. weft* lieh »on Berlin, währenb burch unmittelbare Beobachtung für erftere 51° 48' 10"59 (Baeper unb Sabebecf) unb für letjtere 11 50t. 6-340 S. (Wibrecht) gefunben worben ift. Sie beob* achtete 9>olhöhe ift alfo um 8"47 größer unb ber beobachtete Sängen*Uuterfchieb um 0-206 S. Heiner, als ber berechnete Söertlj. Stach ben unmittelbaren Beobachtungen, mühte, wie bie Sied)* nung ergeben Ipat, ber Stationöpunct auf bem Brocfen 259-6 50t. nörblicher unb 58 550t. öftlicher liegen, alb nach ber geobätifepen {Rechnung. müffen h»« alfo örtliche Störungen oorhanben fein unb mit größter SBa^rfdjeinlicbfeit eine Slblenfung ber nor*

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malen 9tidjtung bet Sdjwerfraft, b. i. eine Ablenfung beö 2?tei= lotl)e8 ftattfinben. ©a bie birect gemeffene ^olt)ol)e gu groff ge» funben worben ift, fo mufj ber fdjeinbare £origont nad) Serben t)in tiefet liegen, alö er feilte, fo baf) alle (Sterne am nerblid?en £immel l)öl)er gu fielen fc^einen, alö fie wirflid) etfebeitten roür* ben, wenn feine Störung »ortjanben wäre, ©aß fdjeinbare ßenitl) liegt alfe nörblid? oom wahren, wenn man non ber bebeutenb fleineren ieitlicfcen Ablenfung abfieljt. ©ie »ertifale 3ljre beö Viefj» 3nftrumente8, beren Verlängerung baö Firmament im wagten 3euitl) treffen füllte, muß l)ier nad) Ütorben geneigt fein, ©a aber bei ber Aufftetlung eineß foldjen bie 9iid)tung beö Vlei» lotl)8 alö 9icrm bient, fo muf? biefe Ijier non ber wahren nor» malen Sage abweidjen unb bie nach oben verlängert gebaute Oüdjtuug beß £ott)eS nörblid) »on bem wahren Bcnttl) baß gir* mament treffen. 3luö biefem ©runbe wirb »on Vielen eine folr^e Ablenfung, wie auf bem Vrocfen, eine nörbli<f)e genannt, »on Anbeten bagegen in Anbetracht ber 9iid)tung, nach welcher t)in ber Sd)werpunft beö gotljcö auö feiner normalen 8age gegogen wirb, eine jüblidje.

fragen wir nun weiter nad) ber Urfadje bet gotl)=Ablen* fungen, fo liegt eönabe, an eine Angiefyung »on ©ebirgömaffen gu benfen, ober aud) an ben ©influfc unterirbifdfer Ablagerungen, welche, wie g. V. ©rglager, baö mittlere SJtafj ber ©ichtigfeit beö feften ©rbförperß überfc^reiten. @8 ift inbeffen aud) möglich, bafc Jpohlungen in ber Siefe im uegatiuen Sinne wirfen. ©ie in ber sPo»(Sbene, iu ber Sdjweig, iu Sd)ottlanb n. f. w. beob» achteten Anomalien fd)einen für bie Angietjung ber ©ebirgömaffen gu fpredjen, wäljrcnb bei ber oftinbifdjen ©rabmeffung ber Jpi* malapa nid)t ben erwarteten ©influf) geäußert l)aben ioD. Veim Äaufafuö finbet nadj £>. Struoe 1 *) bie auffallenbe ©rjdjeinung ftatt, baf) baö 2cth auf ber fliorbfeite angegogeu, auf ber Süb»

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’rite bagegen jdjcinbat abgeftohen wirb, »aß nur burd) unge» ircl}nltd)e unterirbifche Suftänbe, welche Dtedeid>t auf bem oulfa» nifdjen (i^arafter ber f üblich nom ÄaufafuS gelegenen ®egenb berufen, zu erflären ift. Stuf unterirbifcb reirfenbe .fträfte, roeift auch bie in bet ©egenb non ÜRoSfau beobachtete 8oth:’2lbleufung bin, reo hoch feine ©ebirgSmaffen in ber [Rahe finb, welche eine ioldje neranlaffen fönnten.

SDiefer ©egenftanb bietet bemgufolge ein reiches Selb ber Sorfchung bar, mtb eS fommt junächft barauf an, möglichft oiele Si)atjachen gu fammeln. !Äus biefem ©runbe hat ©eneral Baepet in neuefter Beit im Jparge zahlreiche Beobachtungen arcfteUen laffen. ift unmöglich, h‘er auf bie (Sinjelheiten näher eingu* gehen. BloS jooiel mag ermähnt reerben, bah bort baS SRajri* mum ber 3lblenfung in Bezug auf ^olljöhe, etroa 13,5 ©efuuben nicht auf bem Brocfen felbft, fonbern norbreeftlid) oon bemfelben, bei Jpargbutg, beobachtet reorben ift. Bugleich hat es fid) aber auch gegeigt, ba| h‘CT ebenfalls unterirbifche Buftänbe, einerfeitS Grjlager, anbernfeitS Jpöhlen einen ©influh haben bürften12).

SSeil fich auS ben neueften Unterfuchungeu ergeben hat, bah üothablenfungeu nicht nur auf aftronomif^e Beftimmungen, fon* üern^auch auf bie SReffungen non Jporigontalreinfeln einen ©influh auSüben, unb reeil berfelbe bei leiteten gröber ift, als man biS= h«r geglaubt hat, fo mühte man eigentlich bei Triangulationen auf jebem JDreiecfSpunfte bie [Richtung ber ©chreere prüfen, unb, Kenn fie nicht normal ift, ben (Sinftufj ber äblenfung in [Rech* nung ziehen, reaS bisher noch nicht gefdjehen ift. Stuf bem Brocfen 3. B. fteigt biefer ©influh bei einzelnen SBinfeln nach meinet Unterfuchung bis i ©efunbe.

fünfte, an welchen eine anomale [Richtung ber ®djreere ftattfinbet, eignen fich nicht 5ur Beftimmung ber ©eftalt ber Grbe. Senn eS fidf bagegen um bie Unterfuchung hanbelt, reo

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bie Krümmung ber 6rbe con ber regelmäßigen ©eftalt abweidfjt, fo muß man gerate foldjen fünften nadjfpüten.

©in gweiter Punft, über welchen bie gweite allgemeine Äon« fereng Beratungen gepflogen fyat, betrifft bie 2Raß*&ngelegen» feiten, ®ie fpradj ben SBunfd) auß, baß nähere Unterfudmngen über bie mit bet 3eit fyercortretenbe unb non ©eneral Baecer an cerfdjiebenen Ptaßftäben entbecfte Berdnberlidifeit bet sHußbelj* nungS»©oefficenten angefteüt unb in ©uropa ein unb baffelbe 9ftaß= unb ©ewidjtßfpftem eingefüfyrt werben möchte. Unter ben möglidjer SBeije in Betragt fommenben ®laß=©inl)eiten habe baß Pieter bie größte SBafyrfdjeinlidjfeit ber änna^tne für fidj, unb beßljalb fei wünfdjenßwertlj, baß ein neueß europäifdbeß fftormaUÜReter fyergeftedt unb gu biefem 3»edEe ein internatio* naleß europäifdbeß Büteau für Piaße unb ©ewidjte gegrünbet werbe.

3n geige biefer Äunbgebung Ijat ©eneral Baeper für baß ©entralbüreau nad? ©teintyeilß, beß genialen Phlndjener Pfyp* fiferß Angabe einen neuen ©omparater anfertigen unb nad) beffen Bollenbung eine fReilfe con Piaßftäben mit ber Beffelfdjen Seife eergleidsen laffen, barunter mehrere Pleter*©täbe oon ©laß, weldfje auß bet medjauifdjen Dfficin con ©teinljeil ßercorgegangen finb. 55ie Beffelfdje Seife ift 1823 non gortin in Pariß cerfertiget unb con Slrago unb 3<trtmann mit bet Seife du Perou cer* glidjeu worben unb wirb auf ber ©ternwarte con Äönigßbetg aufbewaljrt 1 *). 55a bie Soife con Peru gegenwärtig unbraud)bar unb aud) baS parifer 9?ormal=Pteter (metre des archives), weldjeß anß piatina befielt, nid?t gang uncerfefyrt fein feil, fo ift bie Beffelfdjc Soife alö ein Urmaß'4) gu betrachten, uub bie mit il)t rergltcbenen ÜJieterftäbe werben ein SDiittel bieten, um bie Sänge beß neuen Pleterß, weldjeß bie ingwifchen in pariß inß Seben getretene internationale Pieter = Äemmijfion tjerfteden

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»irb, ju unterfucben imb feftguftellen, wie weit baffelbe mit bet Sange beS legalen SJieterS oon 443-296 ^arifer Sinien überein* ftimmt.

25ie {frage wegen ber Sängen«!?lenberung bet SDftahftäbe hat noch nic^t beantwortet werben fönnen. 3m ftdEjerften würbe eS nach ter Slnftdjt beS ©eneralS SBaeper {ein, ©runblinien, welche bereits früher gemeffen worben finb, aufs {Reue unb mit ben* {eiben SRehftangen nachgumeffeu, wobei man bloß auf bie Heraus* fefjung angewiefen wäre, bah bie Sänge ber ©runblinie im Saufe ber 3eit unoeränbert biefelbe geblieben ift, was wohl mit «Sicher* heit angunehmen ift, wenn nicht ingwiidjen (Srberfdhütterungen ober böswillige SBetfdjiebungen ber (änbpunfte »orgefommen finb.

lieber bie §eft{e£ung eines allgemeiuen {RuflpunfteS für nicellitifche Arbeiten ift man webet in biefer gweiten noch in ben barauf folgenben Conferengen fchlüffig geworben, obfdjon biefer $)unft oon größer SBichtigfeit ift, inbem eS feftfteht, baf} bie 9Reere$flächen nicht überall gleich 1?°$ liegen- {Rad} ben frangöftl'chen {RioeßementS liegt baS SRittelw affet beS ÜJteereS bei SUtarfeiUe um 1*022 2R. tiefer als baS beS atlantifdjen CceauS bei Sßrcft 1 s), unb aus bem Stnfc^Iuffe ber beutfchen ©rabmef* fung8»{Rbeflement8 au jene frangöfifchen hat fid? ergeben, bah erftereS um 1-0917 3R. tiefer liegt, als bie Dftfee bei Swine* münbe'6). SDaS SRittelmeer {cheint überhaupt tiefet als äße anberen Europa befpülenbeu SDieere gu liegen, fo bah man eS für 3we<fmähig hallen fönnte, als {Rormalfiäche ben mittleren Söafferftanb beffelbeu an einem beftimmten {Pnnfte, 3. 33. bei SRarfeifle angunehmen, wie bereits »on ©eiten ffranfreidjS gefchehen ift. Slßeiu in (Jtwägung, bah für baS 23effel{d}e @rb* (§ßip{oib ber mittlere Sßafferftanb ber Dftfec bei ©winemünbe als {Rormalfiäche bient, bürfte hoch rcohl biefem leiteten ber 33orgug gebühren.

XL 25g. 3 fr 59)

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SBir ßaben gefeßen, baß eg big jeßt noch nicht gelungen ift, für bie ©eftalt ber ©rbe ein fRotation8*@tlig?foib aufgufinben, welches mit allen an ben ueridjiebenften Orten auggefüßrten SRefjungen im ©inflange ftänbe, baß and) burcß bie 2lnnaßme eines breiajrigen ©Qipfoibg bie SBibetfprücße nicßt befeitigt wer» ben, fo baß man fcßließlicß gu erfterem gurücfgefeßrt ift. 9Ran ßat nunmehr bie Uebergeugung gewonnen, baß bie ©rbe, abge* jeßen oon ber burcß bie ©ebirge unb Scaler oerurfacßten Uu* tegelmäßigfeit in bet ©eftalt, fein regelmäßiger Äörper ift. ©cßon Seffel ßat ftc^ baßin geäußert, baß felbft bann, wenn bie ©rbe fein geftlanb ßätte, fonbern über unb über mit eiuem abfolut rußigen SReere bebecft wäre, ißre Oberfläcße feine regelmäßige ©eftalt ßaben würbe, baß »ielmeßr eine folcße rein ibeal fei. ?ür jene tßatfäcßlicße Oberfläche ber ©rbe, oon welcher bie be8 OceanS einen £ßeil hübet, ift in neuerer 3«t bie Benennung ©eoib in 33or|cßlag gebracht werben, für bie ibeale bagegen, für welche fieß ein einfacher matßematifcßer SuSbrucf auffteüen läßt, wag aueß meßrfaeß oerfueßt worben ift, bie Benennung ©pßäroib 1 7).

^Demgemäß ift bie Aufgabe ber gegenwärtigen ©rabmeffung eine hoppelte, nämlicß erftenS, biejenige ibeale ©eftalt feftgufteüen, welcße fieß ber tßatfäcßlichen, bem ©eoib am beften anfcßließt unb gweitenS bie SäuSfcßreitungen be8 leiteten in Segug auf bie ibeale ©eftalt gu unterfueßen. ©ie 'luflöfung beS erften ©ßeilg biefer Aufgabe geßt bei bet in allen Üänberu ©uropa' g ßertfeßenben eiufigen Jßätigfeit in nicht ferner ißrer Soüenbung ent* gegen, ©er gweite 2ßeil bagegen bietet fo reicßlicßen ©tojf, baß ein SObfcßluß ber Slrbeiteu nießt abgujeßen ift.

©8 werben fieß immer unb immer neue ©efießtspunfte er* geben, welcße gu neuen Unterfucßungen aufforbern werben. 21uS biefem ©runbe ßat bie ^reußiieße ®taat8=5Regierung ein perma* nenteg Snftitnt, baß geobätijeße, gefeßaffen, welches bie Ar*

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35

beiten beö ©entralbüreauS bet europäifcben ©rabmeffung auS* fiteren, nnb wenn biefe beenbet fein werben, eine fPftanäfdnile für ©eebäfie unb bie mit berfelben nerwanbten SBiffenfdjaften fein feil. Seine ^auf3t*9tufgabe ift in erfter 8inie bie fpftema* tifcbe 9lu8bilbung junger Scanner in bet Ijcfyeren ©eebäfie ; ferner feil baffelbe neue J^eorien unb fRedfynunggmetljoben prüfen unb felbft auf bie 33ertoHfommnung bet norhanbenen Sebacht nehmen, Un= terfuchungen über bie ^hbfif ber @tbe anftellen, 3. 5B. über bie Sntenfität unb fRidjtung ber 2 cb Werftaft, über ben ©rbmag* netiSmuS, über terreftrifebe Strahlenbrechung, über ben mittleren SBafferftanb ber Sfteere, über bie 3lenberung bet 2lu8behnung8* ©oefficienten u. f. w.

©8 bleibt jetjt ned) übrig, einen Uebetblicf über ben gegen« wärtigen Stanb ber europäifd^en ©rabmeffung gu geben, unb ju bem 3werfe fcU bargelegt werben, wa8 bi8 jef3t in ben eingelnett 8änbern unfere8 ©rbtheilS gefcf>e^en ift. 3 d) beginne mit ber SBefprechung ber ®rabmeffung8<?lrbeiten im beutfdjen Sfteid^e unb lege gut ©rleidjterung beö UebetbÜcfS aufjerbem eine Ueberficbt8= farte oor, auf welcher alle bi8 je$t ausgeführten beutfdjen unb ein $beil ber cfterreidjifchen fUteffungen graphiüb bargeftetlt finb.

25ie Slriangulaticnen im beutfdjen Reiche ftnb 3um Stheil fdjen rer SBeginn ber europäilchen ©rabmeffung auSgeführt war* ben, wie 3. SB. 1) bie ©rabmeffung in Dftyreufjen, non S3effel unb 33aener, 2) bie Äüftenuermeffung, nom Äönigl. $)reufj. ®e* neralftabe unter 93aener8 Leitung, welche nen ber SSeidjfelmün« bung nach ber Dbermünbung unb barüber IjirtauS einerseits bis üftbetf, anbernfeitS bis föerün fuhrt, 3) bie fßetbinbungen ber ^reufeifdjen unb SRuffifcben SDreiedSfetten bei Sh01*! nnb $at» nowij}, ebenfalls »om Äonigl. §)reuf). ©eneralftabe unter SaecerS Leitung, 4) eine SSerbinbung gwijdjen 33erltn unb ben weftlichen ©reieefen non ÜRecflenburg auch ned? nom ^>reu%ifc^en ©eneral«

3* (T61)

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ftabe unter Söaeperß Leitung, 5) bie .Ipauptbreiecfßfetten bet $>reu* fjifchen hanbeßtriangulation öftlid) Bon bet Sßeichfel unb gwifdben äßeichfel unb SDber, 6) bie ^annccerfd^e ©rabmeffung non ©aujj, 7) bie 33aperifd)e ganbeßoermeffung non ber £önigl. ©teuer* Gataftet=Gommifficn in @emeinfd)aft mit bem topegrapfyitd^eu ©üreau beö Äönigl. 33aperifd)en ©enernlftabcß, 7) bie Triangu* lation »on SJtecflenburg.

Uteumeff ungen im ©cbiete fceß beutfchen Weidjeß finb: 1) eine

2) reiecfßfette bc§ geobätifchen 3nftitutß non ^Berlin biß an ben Taunuß, welche noch nicht x?eröffentlid)t ift, 2) bie erft gum Tljeil Beroffentlichte 55reiecfßfette beffelben 3nftitutß, welche fid> an bie b orige anfchliefjt unb burd) 23aben unb ben ©Ifafc biß an bie Schweiger 55reiecfe ^inabfü^rt , iubem bie ©abenfchen ©rab* meffungß=iKrbeiten Bon ber ®ro§l)ergoglich 33abeuf<hcn ^Regierung bem fPreuhifdjen geobätifdjen 3nftitute übertragen worben ftnb,

3) bie f<hleßwig:l)Dlfteinfcben ©reiecfe bet fpreufjifchen Sanbeß* triangulation, 4) bie märfifch'fdjlefifdje .Rette ber 9>teuf?ifchen Sanbeßnermeffung gwifcljen ^Berlin unb Sreßlau, 5) bie idjlefifch* pofenfche Äette berfelben 53chörbe, 6) bie Triangulation beß Äonigreichß ©achfen, welche noch nicht nerfffentlicht ift.

JDie gu biefen Triangulationen gehörenben ©runblinien ftnb folgenbe: bie Jtßnigßberger Bon 23effel unb SSaeper gemeffen, 2) bie ^Berliner Bom 9>reu§. ©eneralftabe unter SBaeperß Leitung, 3) bie fdileftfihe ebenfallß unter ©aeperß Leitung, 4) bie ©rcfeenhainet unter Leitung Bon SBtuhnß unb Sftagel, 5) bie SBraafet, früher Bon ©chumacher unb neuerbings Bon ber fPreufjifchen Sanbeß* Bermeffung, 6) bie 33onner Born preuhitchen ©eneralftabe unter ÜBaeperß Leitung, 7) bie rbeinbaperifche gwifchen ©peper unb £>ggerßheim, 8) bie fränfifche bei SRürnberg uub 9) bie altbape» rifche bei üRüncben.

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3n SBetxcff bet sablreicben aftronomijeben fünfte unb bet SRioeHementS weife id) auf bie beiliegenbe Äarte bin.

@8 folgen jefct noch bie Slrbeiten, reelle außerhalb bei beutfdjett SReidjeS auSgeführt worben finb.

Belgien Ijat ein fettiges ©reiecfSnef} mit 2 ©runblinien bei Semmel unb Dftenbe, nnb 3 afttonomifdjen fünften. Sfti; »ellementS ftnb nod) nicht »ercffentlicbt.

©änematf bat eine ooüftänbig für fid) abgefcbloffene ©rab* meffung, welche non ©cbumacber begonnen |unb uuter Seitung beö GtatSratbS Slnbrä in Äopenbagen, einem ber elften jetjt lebenben ©eobäten fortgefefjt worben ift. ©ie ©reieefe betfelben fcbliefjen ficb im ©üben an bie beutfdjen unb im SRorben an bie febwebifeben an, ftütjen ficb auf 2 ©runbUnien, bie alte Sraacfet unb bie jfopenbagener unb enthalten bie aftronomifcb beftimmten fünfte .Kopenhagen, Spfabbet, Altona unb Sauenburg. ©et erfte unb jweite 33anb ift bereits oeröffentlicbt unb bet ©ruef beS btitten unb lebten 23anbe§ wirb bereits norbereitet.

©nglanb bat ftcb swar nicht an bet europätfeben ©rab* meffung beteiliget, aber feine fdjon »orber gelieferten unb be= reitS befprodjenen Arbeiten bieten für biefelbe ein ^ödjft wertb»elle3 SJlaterial.

3n granfrei d), welches bie berühmte ©rabmeffnng gwi» fdjen ©ünfireben unb gormentera geliefert bat, ift feitbem ein nioeHitifcbeS, baS gange Sanb übetfpannenbeS 9 Re£ ^ergefteßt worben, welches an ©üte ben neuen ^)täcifionS'9lioeHementS in ben übrigen Sänberu gleicbfommt. Ülufeerbem ftnb in ber 9Reu* geit einige telegraphische Sängenbeftimmungen unb aftronomifebe SER eff un gen auSgeführt worben. Ueberhaupt ift in biefem Sanbe ein reges 3ntereffe an ber je^igen ©rabmeffung erwart.

3n 3talien ift eine neue Triangulation begonnen unb oon ©icilien bis SÄpulien geführt worben. @ie enthalt bis je$t 5

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neue ©runblinien unb tft in 2 ©egenben übet bat) abriatifdje 5Jteer hinüber mit ben öfterreidjijdfyen ©reiecfen in ©almatien »erbunben, inbem gwifd)en giffa unb Tremiti unb weiter füblidb gmifdjen (Sorfu unb ber ^roning D traute non ben italienijdjen unb öfterreidbifdben ©eobäten gemeinsam SBinfelmeffungen au§= geführt worben finb. 2lud) finb gasreiche aftronomifebe ÜRef= fungen unb einige telegrap^ifc^c öeftimmungen »oOgogen worben.

De ft erreich befifjt ein ©reiedfünefc, welches baS gange JReidj bebedft, im Sitben bis Albanien binabfteigt, 10 ©runblinien enthält, fid} an alle Triangulationen ber 9tad)barlänber anfdjliefjt unb fe^r halb oollenbet fein wirb. 9lucb finb gafylreidje aftrono* mifc^e unb teleg rap^ifr^e 8ängen«33eftimmungen auögefübrt nnb niüetlitiftfje Arbeiten begonnen worben.

3n Portugal ift bie Jpälfte bet für bie Triangulationen erforberlicben Söinfelmeffungen oollenbet. iSftronomifcb beftimmt finb 6 (Stationen, ©ie alte noch mit b^J^nen 3Jtefjftangen ge* nteffene ©runblinie wirb eine Steumeffung mit einem neuen Apparate erfahren.

3n fftufjlanb gieljt fidj bie oon SB. Strune gelegte ©reiecfS» fette beS Are du meridien oon ber Sötünbung ber ©onau bis nach bem ©iömeere b»n unk enthalt 250 ©reieefe mit 10 ©runb* linien unb 13 aftronomifd) beftimmten fünften, ©er Are du parallele Europöen bet Struoefcben fldngengrabmeffung enthalt auf rnfftfebem 23 oben 290 Triangel mit 8 ©runblinien unb 9 aftronoraifdben fünften. Slufjerbem giebt ftdE> in ber SBreite oon 47£ ©rab eine Äette oon Äidjenef (weftlicb »on Dbeffa) bis Slftradjau bin, wrldje 179 ©reieefe unb 2 ©runblinien enthält, ©nblicb wirb ba8 Aföttigreidj sJ)olen oon mehreren ©reiecfSfetten bebeeft, welche fich an bie öfterreiebifeben unb preuhifdjen ©reieefe anfdjlicfjen.

Schweben unb (Norwegen hflken gwei mit einanber

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parallele unb Don 9lorb nach ©üb laufenbe betten, wclt^c fidj im 9Zotben bei ©otneä an baß rufftfche 91ef5 unb im ©üben an baß bänifche anfcfjlie&en , aber noch nid?! gang ootlenbet finb. ©ie werben buttfj eine Don ©tocfljolm über ©hriftiania nadf bergen laufenbe Duerfette mit einanber Derbunben unb ent» galten 6 ©runblinien. Üelegraphifche Sängenbeftimmungen ftnb gwifchen ©tocfholm unb ß^riftiania, Sunb unb S3erlin außge* füljtt worben.

©ie Schweig befifct ein bereits Dollenbeteß, aber noch rtic^t DeröjfentlicbteS 9ie^ Don 32 ©reiecfen. Stuf 8 fünften ftnb Slgimuth, Sange, $PoU)61)e unb §>enbellänge beftimmt worben, ©aß nioellitifche 9lefj ift über baß gange Sattb außgebreitet unb fd)lie§t fi<h an alle Üiadjbarftaaten an. ©ie Don ber ©djweig balb bei SBeginn ber eurcpäifdjen ©rabmeffung befunbete emftge Sthatigfeit t)at wefentiich bagu beigetragen, bafj balb auch in anberen ©taaten ein regeß 3ntereffe für biejeß Unternehmen et» wachte.

3n Spanien ift ein ©reiecfßnefj über baß gange Sanb außgebreitet. 33iß je§t finb auf 362 ©reiecfßpunften erfter Drb« nung bie SSinfel gemeffen werben, ©runblinien finb gwar nur 2, bei fölabribejoß, füblich Don ÜJtabrib, unb bei Sugo im notb» weftlidjen Steile beß Sanbeß norhanben, bafür ift aber Die erftere unter allen irgenb wo gemeffenen bie längfte (14£ Äilom.) unb genauefte. ©in S'iiDellementßgug, welker mehrere $)olpgone unb 2500 Seftpunfte enthält, geht quer burd} bie spalbiufel. 9)olhölje uttb Slgimuth ift auf 5 fünften gemeffen worben. 31 n ber ©pifje ber fpanifchen ©rabmeffungß=Slrbeiten fteht ber ©eneral 3baneg, ber gegenwärtige $)räfibeitt ber permanenten ©ommiffion bet europäischen ©rabmeffung18).

SSuß bem Sillen geht heroor, bafj bie praftifchen Arbeiten ber eutopäifchen ©rabmeffung ihrer balbigen Sßollenbung ent»

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gegenfehen, unb ift gu fyoffen, baß bie ^Berechnungen bereiten in gleich erfreulicher Seife fortfd) reiten »erben. 2) er ©ettinn, ben biefeS großartige Unternehmen liefern »itb unb fdjon jeßt liefert, befteht aber nicht bloS batin, baß über bie ©eftalt unb ©röße ber ©rbe nerfchärfte SRefultate herootgehen »erben, fon» bern auch, ein allgemeines Sntereffe am ©tubium ber beS (SrbförperS erwacht ift, inbem bie hierauf begüglichen Unter» fudjungen faft in allen 8änbetn unferS ©rbtheilS begonnen haben.

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3(nmcr hingen.

1) (Die im Altertpume au«gefüprten ©rabmeffungen »erben au«, füprlicp bef proeben in ber Schrift Bon Dr. Sorenj p o i ep : .©ejebiepte unb ©pftem ber SBreitengrabmeffungen. gregfing 1860.* Sie Quellen« fepriften für bie jpäteren ©rabmeffungSarbeiten bi« in bie neuefte 3«it »erben in ber publifation be« geobeetifepen Snftitut« angegeben, welche unter bem Xitel : ,3ufammcnfte(iung ber Literatur ber ©rabmeffung«» arbeiten, SBerlin 1876* erf (bienen ift.

2) Eratosthenes Batavus de terrae ambitus vera quantitate a Willebrordo Snellio. Lugduni Batavorum MDCXVII. 3$on SSJluf c^enbroef umgearbeitet finbet fiep biefe Schrift in: „Physicae experimentales et geometricae dissertationes etc. Leyden 1729.“

3) lieber bie Anbringung be« gemrobr« giebt juerft ÜJlcrin (Sci- entia longitudinum, 1634) fftaepriept. ©rfinber be« gabenfreuäe« mar ber ©nglänber @a«c eigne (Philosoph. Transact. XXX. 603).

4) Siefem Uebelftanbe fuc^te man burep $erabfepung ber 9lormal« temperatur abjupelfen, inbem f pater gefegliep feftgeftetlt würbe, tag ba« auf ©runb ber Borläufigen SBeftimmung angefertigte unb au« platina beftepenbe 9tormal« HJteter (metre des archives), bei 0°C genommen, bie Sänge Bon 443-296 Sinicn ber 864 Sinien entpaltenben Stoffe Bon Peru bei 13° R (mittlere SSBärme bei ben S3afi«meff ungen auf ben £ocp. ebenen non Quito) Ijaben fotlte, unb biefe Sänge Würbe ba« legale Pieter genannt. (93ergl. Delambre et Mechain. Base du Sy- steme metrique decimal. Paris 1806 1810. III. 135 139). Aber auefj tu rep biefe erfünftelte äieftimmung ift ber 3»ecf niept erreicht »orten; ta« legale Pieter ift niept ber jepnmillicnte Xpeil be« (Srb*

XI. 2 SS. 4 (767)

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quabranten, fentern btcfcr enthält nacfc 95ef f e I’d SeftfteÜung 5131179-81 1 Steifen, ober, mit ber für bie ffänge beb legalen SJleterb foeben ange* gebenen rebucirt, 10000855-76 Bieter, fo baß bie neue 9Jlaß*(5in» heit um nafe */io SWülimeter ju für} ift.

5) SDicfe 3 ®rabmcffungb*Slrbeiten fmb in fclgenben SBerfen »er» cjfentlitht:

Andrae, Den danske Gradmaaling. Vanb 1 unb 2 fmb fce* reitb erftbienen, ber britte wirb }um SDrucfe »orbereitet.

W. Struve, Are du meridieu de 25° 20' entre le Dauube et la mer glaciale etc. St. Petersburg 1860.

SBeffel unb SO a et? er, ©rabmeffung in Dftpreußen unb ihre 23er» binbung mit preußifeben unb ruffifeben 2>rciecfbfettcn. Berlin 1838.

6) 3. 3- Söaeper, lieber bie gigur unb ©reffe ber ©rte. Söerlin 1861. ©eite 15.

7) 3n 'Dietermaß umgcwantelt ift nach SBeffel:

2)ie halbe große Sire a = 6877307*16 'Dieter

bie halbe fleine Sipe b = 6356078-96 ,

ber Quabrant beb Slequaterb = 1001759-20 ,

ber £}uabrant eineb Dleribianb = 10000855-76 ,

8) Brosseaud, Mesure d’un arc du parallele uioyen Limoges. 1839.

9) £Die l!ängenbiffercn}en een ©reenwid? bi« ©aratcw frnben ftch im ©eneral-SBerichte ber europäifthen ©rabmeffung für 1871, ©. 47 49.

10) Slubführlid) behanbelt teirb tiefer ©egenftanb in ten .Unter» futfjungen über tie ©eftalt unb @rüße ber ©rbe »on fh- g<f<h<r- Sarmftabt 1868.*

11) Söeritbt über bie Ükrbanblungen ber am 21. bis 30. ©eptember 1871 ju älüett abgehaltenen britten allgemeinen ©onferenj ber europäi» fct>en ©rabmeffung. söerlin bei SKeimer, 1872.

12) ©inen Ueberblicf über tiefe intereffanten ©rfttjeinungen im $arje giebt bie ter f ublicatien beb geobätifeben 3nftitutb ,21'trcncmifih» geobatifebe Arbeiten im 3ah« 1875* beigegebene ßarte.

13) Sie 23effel’f^e Seife ift ein recbtwinfelig pri«matifd>er ©tab,

aub weichem ©ifen mit fenfrec^t gegen bie Sire abgefchnittencn ©ntfladien, 19-34 ?inien breit unb 4 5 Linien tief. 3h« ?üngc beträgt

natb ber »on Slrago unb 3ah*tmann mit ber Seife »cn ^)eru bei 13° R aubgeführten Vergleichung 863-9992 Sinien, beren Jene genau 864 enthält.

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14) (Sin jweiteS folcbeS tlrmaafj, nümlid) eine ebenfalls Pen § er t in angefertigte Steife, wirb in (Dorpat aufbewabrt.

15) Nivellement de la France. Bourges 1864. I, 568.

16) 2)aS SPräcifions-SHipellement , auSgefüfyrt Pen bem geebatifc^en Snftitute. (Srfter ©anb. (Berlin bei Stanfiewicj. Seite 117.

17) Siel;e 3. 23. Sifting: Ueber unjere fejjige Äenntnifj ber ©e» ftalt unb ©reffe ber (Srbc. ©öttingen 1872. Seite 9.

18) lieber bie allgemein anerfannte SBortrerflicbleit ber jpanijeben Slrbeiten fpriept fidj ber portugiefifebe (Sommiffar 'Pe reira ba Silca in bem ©eneratberidjte für 1875 auf Seite 205 alfo auS: „Sur ces entrefaites l’Espagne, aotre voisine, commencait ses gigantesques travaux geodesiques, qui, quoique inacheves encore, constituent dejä par leur qualite et leur perfection une des merveilles de la Sciences.“

19) Hingabe bcS Nivellement de la France, weltbeS auf (Befehl beS ministere de l’agriculture etc. auSgefüfyrt unb in ©curgeS 1864 Beröffentlicbt worbeu ift. SDaffelbe giebt eine ganje Oieibe Pen mittleren SBafferftänben auf baS ©iittelwaffer bei SDlarfeiQe bezogen, j. 8.:

3m fUlittelmeere 3m atlant. iDcean

©ei 9li$$a - 0 056 9J1. ©ei ©anonne + 0-856 ÜJl.

Stoulen - 0-039 , , SDieppe + 0 659 ,

, (Sette + 0-013 „. , St. Ola^aire + 0-747 ,

, Slgbe + 0-114 , , Hericnt + 0-990 ,

, Ha OlcupeUe + 0-108

3m Äanale

©ei (Dunferque + 0-776 3)i.

, (SalaiS + 0-753

©eulcgne + 0-863 ,

St Sülale + 0 945 ,

©eritptigungen.

Seite 5, 3eile 10 Ben unten ftatt 31. *07 foÜ eS beigen 31*39. Seite 14, 3eile 5 Pen unten hinter „ftnb* ift „bie" ju [treiben.

(76»)

®ni4 Bon ®t6r. Ung*t (16. ®rimtn) ln Cerlin, ®(6öne6«tgftfh. 17».

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unfc

kr $km kr 4»ft«r

in Gelten* uitb Otcmerjeit

33on

Dr. g. ^n^n$.

9Jiit einer Äarte be« SRfyeintfjaleä.

ßcrlin SW. 1376.

33 e r l a g cott 6arl a b e l.

(£. t£. i'üärriti'iijt B;;iggslmi|^on5;ii!ig.)

33. ®ilb«lm $tn§« 33.

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2>a3 9icd)t btr Ucbcrfc^ung in frcmbc ©praßen »irb »orfc^altcn.

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w t r o m unb SDR e n f <h ! Sinnenb betrautet bag SDRenfdjen» finb am ©eftabe ber blauen Stromwogen bie Bluthen: woher fommen fie, wohin eilen fte? 3n ber Bewegung, ber nie raftenben, bie ba8 SEBaffer unb ben SORenfchen djarafteriftrt, liegt ber 93erglei<hung8punft, ber immer unb immer wieber ben alten Sang non bet Slehnlichfeit gwifctjen Blufjlauf unb SDRenfchenteben er* neuern läfst. 3ft jeboch biefet SBergleicb fdjon jutrejfenb für baä 3nbi* Dtbuum, fo bietet bie SRebeneinanberfe^ung con Strom unb Soll noch mehr bet Sinologien. 2)ie Duellen unb 9Rinnfale machen ben Blu§ gewaltig, wie bie Äraft unb ber 3utritt be8 ©ingelnen bie ©riftenj be8 93olfe8, be8 Staates ermöglichen. ©rwägt man ferner, in wie weit bie SDRöglichfeit unb bie SRidjtung aQe8 SerfehtS com Strcmlaufe abhängt, in wie weit Dom Jjpanbet unb Serleht ba8 S)afein unb bie SBohlfahrt ber SRation abhängt, fo wirb bie mnthologifche Steigerung be8 Stromes jum menfchlichen Silbe, unb bie uralte Verehrung ber Ströme als ©öttet etflärlich. SReben bie -JpimmelSgötter: Sonne unb SDRonb muhte al8 (5rben* gott guerft bet nahrungSfpenbenbe, lebenbringenbe Blufegott treten.

Unb fo oerehrt nidjt nur ber. Srahmane im ©angeS, unb

XL S59. 1* (773)

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bet Sletbiopier im 9Rilu8 ben „heiligen" ©trem, au<b ©uropa befi^t in bem ©tromlaufe be8 5Rb eines bie glut, bie ber ©ermane al8 „Skater SR^ein" bereifet, unb in bet et bie ©cblagaber feines £eben8pulfe8 erbtieft.

„©ort mödjt’ id? fein, an beinen gluten möcbt’ idj fein." Selber SPeutfcbe ljätte no<b nicht begeiftert biefe ober eine ähnliche Stpoftropbe an ben Liebling ber eurcpäifdjen ©ulturmelt ^inauS* gefungen? SRatürtid^ ! Statut unb ©efebiebte, ©age unb 9Rptbu8 haben bie reidjften ©aben iljreß §üCt^ornö über bie Sttjeinlanbe auögefdjüttet. Stber nicht nur bie ragenben 33urgen unb bie glängenben 2)ome, bie golbenen fRebeugetänbe unb ber lebenbige ©trom jie^en bie bergen ber ©eutfdjen fyin gu jenen gluren, e8 ift üielme^r ba8 tief im ©eutfcJjen eingetnurgelte 33etnufjtfein, bafj hier bie ftarfen SBurgeln feiner äfraft Bon jeher lagen, ba8 ihn fingen unb jagen lafjt Born „heiligen SSater IRhein." jRidjt wunbern barf e8 un8 beShalb, baf) nicht nur ber beutfdje SDic^ter nimmer fatt wirb Born 9R^ein unb feiner ©ebene 3U fingen, ba§ nicht nur ber beutfdje ÜRalet nimmer ermübet feine 5Rappe mit fR^etn» ffiggen gu füllen, bafe nicht nur ber beutfdbe ©efdjiebtSf Treiber unb fRationalöfonom immer non fReuem auf rbeinif^e SBer^ütt* niffe gurüefgreift, fonbern bafj jabüofe Sbgefanbte ber gangen gebilbeten SBelt jährlich feine Ufer über fd) wem men, ba§ feine SBellen gange ©paaren Bon ©ßbnen 9tlbion8 fcbaufeln, bafj amb ben ^rangmann unb ba8 Äinb be8 ©itbenö bie ftarbetipradjt feiner Ufer gum <PurcbtBanbern anlodft. 68 ift ber flaffifcbe 33oben 6uropa’8 für ba8 fJRittelalter, ben ber gremb1 ling mit 9Reugierbe unb Jntereffe betrachtet. 68 ift ba8 fRheiw tbal ba8 .jperg ©uropa’8, in ba8 bie 33ölferftröme Bon allen Himmelsrichtungen einfluten, ©uropa, ba8 h#t SBelt &** fifjt feines ©leidjen nicht.

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Um auf bem 93oben ber geographifchen Sßerhältniffe biefe SSeltbebeutung ber 0M)einlanbe ju begreifen, faffen mir bie @e* ftaltung beS geglieberten (Suropa’S in’S Suge. SDaS burd} ©lieberbilbung entmicflungS* unb lebensfähige (Suropa reicht non bet Sübfpifje Spaniens bis ju einer Sinie jtmfchen Slrdjangel unb Äertfdj. Bieht man eine Sinie nom (5ap Sßincent bis SJioSfau, een 9. 55. Sängengrabe, fe fchneibet biefe gerabe in ber SJiitte baS Mheinthal unb jwar in ber ©egenb beS SOiittelrheinthaleS groifchen Strajjburg unb SDtainj. !Äber nicht nur in ber Sänge (Suropa’S bitbet baS IRheinthal ben SJlittelpunft, aud^ bie 33 reite (Suropa’S fchneibet baffelbe. 3ieht man zur Seftimmung ber größten Sreite (Surcpa’S eine ßinie com (Sap Süzzuto *) in (Salabrien bis zum (Sap 2Brath in Siorbfchottlanb, fo liegt baS IRheinthal genau im ©iittelpunfte biefer 2ljre, unb jmar fchneibet fich bie 23reitenlinie mit bet Sängenlinie oberhalb bet fDiüubung beS StecfarS. 9Jtit mathemathijch« ©etoifjheit ergiebt fich barauS baS Siefultat: baS Siljeinlanb bilbet ben SDfiittelpunft (Suropa’S unb i$n>ar genau ber Strich »on fDlainj bis Strasburg, ben mir fcpon non biefem Stanbpunfte auS als SDlittelrheinlanb bezeichnen muffen.

(SS finb aber nidjt nur biefe rein geemetrifchen (Srwägungett, fonbern aud? oto* nnb hbbtographifche ©rünbe, bie jut (Srflärung ber SBeltbebeutung ber fRheinlanbe beitragen. 33ilben bie 'Älpen bie 33afis unb baS Shufgrat (Suropa’S, fo ftrömen bie ©emäffet beS SiheinS oon bem (Sentralpunfte betfelben auS, unb jmat unter einer foldjen SBinfelneigung ber beiben «pauptgeroäffer feines DberlaufeS, ba§ ber eine 2h«1 betfelben, ber SSotbet* unb i^interrhcin, fich mit feinen Söuellhäuptent ben gangbarftcn $)äffen beS 2llpengebirgeS im Süben, bem St. ©ottljart unb bem Splügen nähert, ber anbere 2h«1 betfelben, bie 3lar unb ihr

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Stoffgebiet eiue leitete ©erbinbung nad) bem ©enfetfee unb ben üRbonelanbeu gu ^erfteüt. 9iad? ©ereinigung bet beiben Jpaupt* geroäffer in ber 9tälje bet entfehiebenen SBenbung be« Stromeö nach 9lorben münbet in baS 9t^cint!jal bie eine ber gwei grofcea natürlichen s})affagen ber ÜRfyeinlanbe nadjäßeften: bie Deffnung gwifchen 3D unb ©oubS, baS SBölfertljot non ©eifert, ©en ,£>anbel8t>erfeht in erfter Sinie mufjte gwifchen Stbein unb 9tb°uc biefe ©infenfung hetoorrufen; SJtittelbeutfchlanb unbSübfranftdch, bie Dftfeelänber unb baS SRittelmeer fanben Ijier ihre natürliche ©erfehrSftrafje. ©em ^pänbler felgt bet Stieget! ©in ©orftof) aus Süboften muffte tjier einem politif<b»geeinigten SBolfe ge* lingen gegen oereingelte ©ebirgSftämme am rechten CRljeimtfcr. ©in geeinigtes rechtSrheinifdjeS ©elf fann bagegen mit Üeidjtigfeit bie Pforte beefen. ©iefen ©influfi in politifcher ©egiehung, ber non bie* fer fPaffage in baS 5Rhdnthal fich auSbebnen mufete , paralifirt ber einer anbern greifen fpaffage, au bie mir fegleicb gelangen, ©cn ber engen Sugenb teS ebern 93iittelrbcintbaleä gwifchen ©egefen unb (Scfjwargwalb erweitert ficb baS (Stremgebiet gum gewaltigen ©ufen een SDlaing, in ben beS ÜJiaineS breite ©rücfe gum ©ften ©eutfdjlanbS feine fluten ergießt, ©ilbet ber Strom een ©afel big SDfaunbeim gwei gleidimäfjig breite ©benen gur Siechten unb gur hinten, beren ©leichheil ber ©eftaltung baS lange Sdjwanfen beS ÄampfeS gmifeben Siemcrn unb ©ermanen, grangefen unb ©eutfeben erflärt, unb beren iSbgefcbteffenbeit hier bie ©jrifteng felbftänbiger JRheinthalftaaten in’S Ueben rief, fo bewirft ber ©influff beS SiecfarS2) unb ber Austritt beS SDiainS burch ben ©ebirgSriegel beö @pe§hart’S, baf) ftd? hier gu ©unften beö rechtSrheinifchen UfetS eine weite ©bene con SQiaing bis .£>auau, »Dn ^ranffurt bis SBormS entwicfelt. ©iefe fruchtbare Siefebene begünftigte nach SiuStrocfnung bcS (Bee’8, in ben ber

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jejjige Sötittelrpeih itt biefet ©egenb einft münbete, bie Anlage »on Stabten unb bie Slnfammlung einer ftarfen öenölferung, bie gefräftigt eS pier in ber ©egenb non 5Öiamtpeim bis Sötaing am leicpteften unternehmen fonnte, baS linfSrt>einifc^e Ufer in 23efifj gu nehmen unb bie ®ewalt ihrer Saffen Strom auf, Strom ab gu erproben. 3ebeS 23olf, baS non Dften fommenb bie rpeinifepen 8anbe erobern wollte, muffte bei ber SBoben* geftaltung beS füblicpen 2Jlittelrpeinlaube8 not SUIem ben 33erfucp machen fiep in ben 23efif) biefeS ÜJlainger ©elänbeS gu feijen, um non heraus mit nereinten unb gereiften Kräften feine ißerftßffe non allen Seiten ber SlngriffSfront auS gegen baS 9tpeintpal gu unternehmen. (Sin S3olf, baS im Sefifce biefer recptSrpeinifcpen ©auen non £>ften au$ feine ^errfepaft gu erweitern fuepte, war burep feine Stellung Bon Botuperein gegenüber einem gleicpen ©egnet auf bem Unten fltpeinufer begünftigt. SDiefe nämlicp erlaubte ipm auS bem |>interlanbe beS üflainS, ben Scalern bet Äingig, ber 9iibba, bet Setter, beS SRecfar’S ftetß neue Scpaaren als SlngriffScolonnen an fid) gu giepen unb fie übet ben Sipein Borgufenben. ©alt eS pier baS $erg beS SipeintpaleS unb bamit bie ^errfepaft in Europa gu erobern, fo muffte ber (Stöberet ftetS pier Bon Steuern burepgubreepen Betfucpen. ©alt es baS Sipeinlanb gu behaupten, fo mufften Bon einer linfStpeinifcpen Station pier bie grofften fortificatorifcpen 23efeftigung8=2(nlagen et* rieptet werben, einen möglicpft ftarfen $Damm ben pier permanenten Sellen bet SBölferflutpen entgegengufefcen. £>pne ben gefieberten üöefitj beS SltittelrpeintpaleS war beSpalb ftetS Bom militärifepen unb panbelSpolitifcpen Stanbpunfte auS bie .^errfepaft am Sipein, bie^egemonie in (Suropa unmöglich. Sagen wir in militärifeper uub panbelSpolitifcper 3?egiepuug, fo gepen wir Bon bem (StfapruttgSgtunbfafse auS, bafj ein .jpanbelSweg unb eine Seit*

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fttafte ohne militärifchen Schuft unb politifcheö Sagwifchentreten auf bie Sauer nicht gu behaupten ift. .Rönnen wir bie militärifche Sftiou mit ber $hätigfeit ber Bibern oergleichen, bie baö SBlut hinauöfenben gum Schule ber Peripherien, fo ben .£>anbel mit ber ber Piuöfeln unb Sehnen, beten ©efunbheit unb Sadjöthum in Sechfelbegiehung gnr Shätigfeit beö gleidjmäfjig fräftivg roHenben Pulöfdjlageö fteht.

“Die Balje unb ihr glufcgebiet ift »iet gn eng unb unbebeutenb, alö bafj fie einem baö linfe fRheinufer behaupteten @robereroolfe eine §ront» unb BeferoefteOung hätte gewähren formen. 35er .Jjunbörücf mit feinen Salbbergen bietet Bortljeile für bie Bet* theibiguug, bodj muff biefelbe eine rein örtliche, ohne Bütffidjtnahme auf contincntale 93erhältniffe bleiben. Bad) Offen führt in bieten tauben {üblich bet Schiefergebirgefette nur eine Paffage, bie natürliche Strafje non Biaing über Sllgep {üblich beö Sonneröbergeö nach .Raiferölautern unb £Befc. 3)ie Sichtigfeit ber ßnbpunfte Ble$ unb Biaing, alö Stüftpunfte ber ßuerftrafje beö Btittel* rfjeintljaleö an feiner widjtigfteu Stelle, ber Scrth einet glanfenftellung auf bem Sonneröberge geht jdjon auö biefet Betrachtung henwr. Sehnlichen, wenn auch untergeorbneteren Serth für bie militärifdje Betjerrfchung beö BUttelrljeinthaleö unb beö .panbelöwegeö non Seften nach Often befijjen ade päffe beö .partgebirgeö, fo bie non Sürfljeim , Beuftabt, Üanbau :c. Sie waren bie eingigen Sege, non benen auö Offenfioftöfte baö Blaiutljal hinauf bis nach Böhmen hinein oom Biittelrhein auögehen fonnten. Ser ©ebirgöriegel gwifdjen Bingen unb Bonn fe^te nicht nur einft bem Strom bie @renge, auch ben Bölferoetfehr unterbrach biefer natürliche Sali. @rft baö BajaQen* gebiet bet Btofel geftattet bem Bljeinlanbe wieber mit bem Snnern beö ganbeö in Berbinbung gu treten, unb gwar ift

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bieömal bie weftliche Seite, bie biefer §lufj aufichlie&t. Allein erftenö ift baö eingefchnittene ÜRofelthal gu jd)mal, unb bann bie Hochebenen ber (Sifel, beö Hochwalbeö unb beö Hunbönnfö gu feinen ©eiten gu rauh nnb unwirtlich, um an bent S)lu$= fluffe ber ÜRofel eine breite ©ffenfioftellung gu ermöglichen. UJon (Sobleng bis Syrier ift eine ilinie, feine glätte, bie längft bem ©trome baö Snnere beö linfötheinifchen ©chiefergebirggebieteö mit ber ßperationölinie beö fRheinftromö oerbinbet. SM ber füb»

lieh »on $rier biö fDtej} unb fRancp breitet fich eine .Reffellanb« fdjaft, gebilbet turch ÜRofel, ©aar, ÜReurtlje unb Sölieö, auö, bie parallel mit bet rheinifchen tlferlanbfchaft groifdjen ÜRaing unb ©trajjburg laufenb bagu beftimmt war, bie Üertheibigungö* fteQung bei einem SÄngriffe auf baö linföliegenbe ©tromgebiet beö ÜJiittelrheinö gu bilben unb anbererfeitö in fRefercefteHung bie Gruppen bereit gu galten gu einem SBorftofj gegen baö üRittel» theinlanb. Hier mußten gut Beit beö Äampfeö um ben JRheiu unb bewegt biefer nicht feit gwei 3ahrtaufenben bie Söeltgefchichte?3) ©entralpunfte wie $»ier, ÜRefc, fRancp entftehen. £Die Unmittelbarfeit ber Dffenfioe war jeboch biefer ©egenb »erjagt im öegenjafje gur ginie ÜRaing, SSormö, ©trafcburg, unb alle Äunft fann biefer Sanbfchaft unb biefer Stellung ben natürlichen (Sharafter ber SBertheibigung nicht nehmen. üDiefe SHbgefchloffenheit beö ÜRofelbecfenö mufcte aufjer» bem bie geid)tigfeit ber fcoötrennung »om rheinifchen SSerbanbe »on pornherein ermöglichen; bie SBertheibigungöfteQung trägt ge» wohnlich ben .Reim gur 3folirung in fich.

2Bie im ©üben ber ÜRain gu offenfioer Bewegung gegen bie JRheinlinie herauöforbert, jo geben, wenn auch im geringeren @rabe, im fRorben bie $)arallelflüffe wie 8ahn, ©ieg, SSipper, SRuhr, Hippe bie natürliche SBeranlafjung gur 33efejjung ber fRheinebene

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burd) Sorriicfeit bet (Stämme »on Often t?er. 3Saß bat ben hinter* länbern biefet bluffe, bte in nachfter leichter 33erbinbung mit bem SBefer* unb ©mßgebiete fteljen, bet Seften beß fRbeineß entgegen jufe^en? fRicbtß alß ben unbebeutenben auf bem dibeine fenftedbt ftehenben glufjlauf bet Slljr unb baß ©ewäffer ber @rft, beffen mit bem 9tf)ein paralleler 8auf ihn alß Safiß im SBeltfampfe untauglid) macht. SIS £interlanb bie unfruchtbaren SBafaltfegel bet Qrifel unb bie SJtoorlanbfchaft bet Senn! Such hier alfo »on Sonn bis SEBefel unb nehmen mit bie ?clu§= tinnen ber ?)§, Setfel, Sedjte Ijinju b*S 31« 3uibet*©ee bat bie Sobengeftaltung ben »on Often nadj 23eften »orrücfenben Stämmen bie ©unft beS Slngriffß »erliehen; aud) h^* war baS Dtljeinlanb »on Often auß leidster 3U erobern als non SBeften auß 311 behaupten. Unb hemmte aud? baß ©ifellanb im Sterten ber SJiofel baß weitete Sotbtiugcn nad) Söeften, fo riefen bie Ebenen »on (Eöln big Utrecht bie Stußbehnung eftlicher Sölfer« ftröme bie 3u ben niebrigen ©rensmäden bet Slrbennen ja bie 3u bet Sffiulbe bet ©einelanbfchaften hrctwr.

Raffen mir fchlie&lich biefe ©runbgcfclje, t»el<be bie @e« ftaltung beS 9?l?cintbalcS für bae Sölferleben unb feine Äämpfe barbietet , 3ufammen, jo fehen wir im Oberläufe bie Chancen für bie ©robetung »ott Often ober Söeften auß giemlid? gleich gering: im Söeften jchüfjte ber 3ura, im Often ber Sobeniee.

Slüerbingß ift im geringen ©rabe bie Sefejjung »on Often auß erleichtert burch ben Sufen beß ^öhgaueß. 5)ie grc§e Deffnung nach ©übwefteu bei Safel begünftigt ben CriujUifi (üblicher (Elemente, hoch trifft biefet ©ulturftrom auf bie halber beß @chwat3walbeß im Often, bie ihm ben ©utchgug »erfperren. 3m ÜJtittelrheintl)al biß 3um Stecfar bietet feine ©eite beß Stbein» thaleß für ben Singreifer entfcheibenbe Sortheile: linfß nub red?tß

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bei parallele ©ebirgöwaU ber Sogefen unb beS SchworgwalbeS mit feinen furgen Slufjläufen. 3e£t aber, am Grinfluffe beS S^ecfarÖ, beginnt bie Sage energifch gu fteigen 3U ©unften beS regten fRbeinuferS. Den ©inffuff ber Sübweffpforte gleißt nicht uur aus, fonbern überwiegt ber SlngriffSfeil, ber com SJlainger Seelen gegen baö gange SBiittelrbeinthal bie Spiije fe^rt. Sei gleicher SBiberffanbsfraft am linfen unb regten JRIjeinufeT muf) ber Serftoff non SJlaing aus entfdjeibenb in’ö ©ewidff fallen, .jpier treffen ffd) im fffiittelpunfte bie JRabien ber Slhölet beS SogelsbergeS, beS SpeffbatteS, beS DbenwalbeS, be§ DaunuS. ^>ier muffte ftch im Äriege bie .£>auptfeffung, im Soeben bas ipalatium erbeben. Senngleid) btr ©ebirgsgug am Durchbruch bes ÜRittelrbeineS bem Sölfercorffoffe Stberffanb leiftet, fo wirft bie JBraft beS fDtainger SecfenS boeff noch fort, auch biefen gu überwinben unb über ben üaunuö bie Serbinbung mit ber Babnmünbung, welche ber ©tofelfeil bebrobt, beeguffeHeu. 9ln Bahn unb iDiofel muhte ein Äampf um ben ER^ein am längften fdjwanfen, hier baS Bahngebiet unterffüfft non SOßain unb Sieg, bort bie Binie ber SJlofel, bie in ber Botbringer Stufenlanbichaft ihr auSgiebigeS fflefercoir befiel- 9lur eine Sereinigung öftlidjer Stämme fonnte ber geeinigten äSeftmacht gegenüber hier bas Sibeintbal behaupten; cereingelt würben bie ©auen bes Bahn* tbaleö, beö Siegtbales u. a. eine leichte Seute beö an ber fDiofel concentrirten ©egnerS. 3m iRorben oon Sonn bietet ein Ser» ftoff oou Offen aus meffr Sortbeile, jeboch iff ein Solf, bem gewaltige SRenfchenmaffen abgehen, bei einer Sefeffung ber beHänbifch’belgifchen ©benen leicht ber ©efaffr auSgefefff fi<h mit einer gahlreichereu Urbecölferung gur Schwächung feiner eigenen Stammeöeigentbümlicbfeiten oermifchen gu müffen: bas Serrain iff gu auSgebebnt.

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Söaö au anbern Stellen beß SR^eiut^aleS fRacenmifcfenng unb iRacenerbaltung betrifft, fo wirb auß ben eben erwähnten ©rünben im obetn Stremlauf, in ber Schweig, eine SRifchung fidj leicht ooOgiehen fenncn. 3m ÜJtittelrfyeintfyal wirb ein ©lement cbfiegen, unb nur an ber Deffnung ber Siclferpforte nach Sübroeften eine tiefgeßenbe fRaccnfteuguug ermöglicht fein. 9ln ben übrigen fünften beß SOiittelr^eintbaleß wirb bie fiegenbe 9tace bie anbere eutweber in bie ©ebirge ber SBogefen werfen eher fie abforbiren; ber natürliche 3ufluß butd) baß fDiain* unb fRecfartßal ift fo ftarf, baß bie befiegte fftace ol)ne SReferora feinen SBiberftanb entgegenfeßen fann. Stuf bet SBeftfeite ift bie SBeßauptung einer oom 9?hcine abgebrängten fRace nur im ©ebiete bet ooui Dften faft hermetifch abgefthloffenen Iott)= ringer Stufenlanbfdhaft möglich- 3m ©roßen unb ©angen bat jebeß mit oereinter ÜJtacht auß bem Dften beß ÜRbwigebieteö heroorbtedjenbe SBolf, geftüßt oon oerwaitbten Stämmen im SRücfen, bei ben natürlichen SBethäWniffen ber SRbciuebene einen äkrfprung cor bem baffelbe Biel anftrebenben ©egner auf bem linfen Ufer, 2)ie Siölfer folgen ben ©ewäffern. Sinb in einem Stromgebiete eine größere '.Jlngahl oon fRebenflüffen auf einem ber beiben Ufer oorbanben, fo wirb ein 9$olf, baß mit feinen Stämmen biefen Slußläufett abwärtß ber .jpauptlinie ber Stent* ftellurtg, bem Buge beß .jpauptftremeß, guftrebt, mit um fo mehr Slußfitbt auf ©rfolg in bie ©roberungß» unb ©rhaltuugßpolitif eintreten, je größer bie 2lngal)l ber ibm gu ©ebete ftebcnben Slußläufe gegenüber ben Kanälen fein wirb , bie oon ben ©egneru befeß» finb. 5)aß nicht nur in neuer Beit, fonbern auch in ben fernften gerieben ber 33ölfergefd}icbte bie Stämme ftetß bie fruchtbaren ©clänbe längß beu Slußtßälern auffudjten, unb längß biejer natürlichen Straßen bie l’lußbreitung anftrebten, feßen wir

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al§ eine burdj ben ©ntwicfelungsgang aller ©ulturöölfer be* fannte SShatfache oorauS.

©eftüfjt auf biefe ©efefje, welche auf gleichbleibenben Ser» hältniffen betuhenb ba8 Sölferleben beeinfluffen, wellen wir fe|t im ©ingelnen ju beweifen »erfudben, in wie weit bie ©efcbicfjte beS bergen 8 non ©utopa ftetS abhängig war non ben ©eftaltungS» nerljältniffen be8 rbeinifdjen Stromgebietes. Satürlidb werben bie ©ulturintereffen jeber einseinen ^eriobe bie golgen au8 ben natürlichen Sßer^ältniffen oeränbetn, unb e8 ift bie Aufgabe bie fRefultante auS biefen beiben Kräften, bem gleid>bleibenben gaftor be8 fRbeinftromeö unb bem wethfelnben gaftor be8 5Bor1jerrfdhen8 non ©efammtintereffen ober non particulariftijdjen Neigungen, ber ©entralifation ober ber ©ecentralifation, im Stromgebiete linfS unb rechts ju gewinnen!

SDie ©letfcher beginnen jurücf guweichen, bie glüffe fan* gen an in Setten fidj gu beruhigen, ba erscheint auch ber 2Renf<h im Sibirien Slctteleuvopa’S, unb ber Höhlenbär lehrt ihm fohlen 3U graben um barin auf fRaub ju lauern, unb nom SRammuth fteht er ab Süjjwafferquellen ju finben, bie eifige 3)ecfe ber glüffe gu butchbrechen, h*nun*cr ju gelangen in ba8 Slhal wo Suchen unb (Sichen aitfangen gu grünen. ©a8 fRennthier burchmifjt bie Steppen ©uropa’8 in gweimaliget SBanberung. (Kn ben Ufern ber Ströme, ber ©aronne, ber Seine, ber 5Raa8, be§ IRheineS, lauert ber SRenfch feiner Seute auf, wie heute an ben fRebenflüffen ber gena, beö Äeltma in ben 2unbra8 »on Sibirien. 9ln ben gurten ber 3H , bei

5Raing unb an bet gahnmünbung überrafchte ber ©iSgeitmenfch mit Steinäxten bewaffnet fchwimmenb ober in auSgehöhlteu Saumftämmen jebiffenb bie arglofe beerbe ber fRennthieve, um

ihr Slut bem SRenfchen jum geben ju laffen Solche unb ähnliche

na)

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©jenen feben wir im ©dreier bet pröbiftoriieben ^Dämmerung. 3n jenen grauen gerieben ber menftplteSen 58orgei4id)te, wo ber ©ttom nodj in mehreren uneingebämmten Sfrmen bie SBiefen* trätet burcbflutete, wo einzelne £orben auf erhabenen fünften ber SRfyeinebene ober in ben ^ö^ten an ber Sabn unb ber Senne s) i!)t fitmmerlicbeS Seben trifteten, wo üliammutty, 9ta8born unb fRenntbier bie IDfdjungeln ber Stbeinnieberung burdjftreiften, ba gab eS nur ben Äampf beg dinjelnen gegen bie Unbilben ber Sfiatur unb bie. Gorppbäen beö Sl^ierreic^eö, feinen Äampf eineg Stamm eg gegen einen anbern ©tamm, fein Gingen einer Nation gegen eineanbere, furjnod) feine rbeinifdje ©efcfjidite. SBaten cS ginnen ober Sappen, Sagfen ober Sigurer , bie einfteng in bem ©ammerlicbte ber SRorgenrötfye i^re (Sriftenj im 3Rtjein« tbale möglicbft treuer oerfauften, ifyr SDafein ^at feinen Ijiftori» fdjen nur einen naturwiffenfc^aftlic^en 2Bertfj. Gnrft wenn io erften Strahle ber URorgenfonne non Dften aug bie bionben Gelten auf 3agbjügen juerft einzeln unb balb ftammweije in ben ©auen beg JRbeintbaleg als Herren erfdjeinen, fann man oon gefd^idjtli^en Sfnfnnpfunggpunften unb culturellen S^atjacbra reben.

SMe ©riftenj bet Gelten im 3R^eintl)ale non SRainj bis 9l»end>eg (= Aventicum) bezeugen nicht nur bie fRadbricbten ber ftaffifdjen Autoren, fonbern bafür jeugt auch i^r fRacblafj in ben ©räbetn bie in biefen ©egenben fidj überall mit ben oerjierten bauchigen Urnen, bem Seidjenbtanb, bem ©djmucfe ber SJronceringe unb ber fRationalwaffe beg Äelteg ftd^ corfinben. 6) SBag non bet ehemaligen 39efet)ung beg Ober» unb 9DRittelr^eintl)aleg burtb bie Äelten gilt, wirb auch bie SBaljrheit fein bei Seftintmmtg bet bt^Dtif«h «Heften SBeoelferung beg 9tieberrbeineg.' iDafür jeugen non 3UIem bie bitecten SEBorte Gäfarg. 7) 55ie Srtrirtr,

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ein 8tamm in ber 9iafje beS heutigen Stier,, rühmen ftd) gwar in einem 3eitraume, wo fie allein nod) bie Sapferfeit unb bie ©itienftrenge bet altgaflifdjen SJorgeit bewahrten, germanifdjeT Slb fünft, allein itjre ©rbfeinbfdjaft gegen bie ©ermanen beweift baS ©egentheil ü)re8 SBorgebenS. 3n ^iftorif^et 3cit finb aller* bingS bie Äelten auf bet gangen SRheinlinie im Stücfguge. 3uerft befehlen bie ©ermanen bie ©benen be8 SRieberttjeineö, bann mußten bie Heloetier »or Slriooift bie ©betten ber ÜJlittelrfyein» ebene raumen, unb unmittelbar batauf malten bie ©ueben unter genannten Heerführern ben großartigen SSerfuc^ in ber heutigen f5tandje«6omte an ber ©renge beS 9il)ein= unb 9thone= gebieteö eine beherrfchenbe Stellung gwtfchen Slorbfee unb SJlittel* meet eingunehmen. iäuS biefen gefchicßtlichen SE^atfat^en, ber fdjon in ben Anfängen ber Uebetliefetung gefchehenen SSefeßung bet 5fliebertheinebene burd) ©ermanen unb ber im SJlorgenlidjte ber ©efd)idjte ftdj ooHgiehenben Räumung ber SJtittelrheinebene burd) bie Äelten im 3ufamnunhange mit bet Sbatiacbe, baß im 4. Sahrhuubert D. ©hr- bie Äelten wegen Ueberoölfetung ©roberungSgüge nad) ©üben unb Offen aueführten unb babei bis nach fflom unb 35elphi »orbrangen, geht bie 3Bahrfd)einli<h* feit herocr. baß bie ©etmanen bereits im 4. Sahthunbert d. ©ßt- non Storboffen au 8 auf bie Äelten brangten unb ihnen bis auf Strioeift ©tüd für ©tücf bas 9lh«nthal abrangen. ®djon bei biefem Äampfe begünftigte bie ©ermanen, bie nach allen sJtadj» richten in bet Sedjnif ber SB affen ben Äelten unterlegen waten, bie Sortheile bet Säöffnungen auf ber Oftfeite, bie ^rontfteüung am SJlain, bie Unterftüßung beS offenen HinterlanbeS 8). SDer Slorboften 2)eutfd)lanbS war oon ben ©ermanen bereits befeßt; bie gut SuSwanberung getriebenen Äelten giehen über bie gtaifd)en Sllpen nach Stalien unb auS ben eftlicßen 9lhein»

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lanbfdhaften in ba8 ©onautbal, biö bet ©urchbruch ber ©ermanen Bom ?01ain au§ nach Süb*2Befien einen Äetl in biefe SBinfel» flellung trieb unb bie öftlich unb weftlidj be§ 5Rbetnftreme3 fitjenben Stämme entmeber wie bie Sojet unb <£>eloetier jut neuen äugwanberuug gwingt ober fie unterjocht. ©er Sibein* fitem war bet Sauf, in bem bag ©efchofj abgefchleubert würbe, bie (Jinbeit bet Äeltifcben SBobnfi^e gu fprengen unb bie 23er» binbung gwiichen ©enau* unb Sibonefelten ju gerfchneiben.

9lodj gur ßeit beö *})tolemüu8 aber (im 2. 3ahrh- n. 6b*-) finb bie ©ebiete nicht bloö beö JR^eineS, fonbern auch beg 9tecfar8 unb beg 9J}ain8 boü feltifdber Drtgnamen. Stammt ber 9tame {Rb«« hoch fe^bft oon feltifd^er Bunge ab = ber 2Beg, ber fPfab! ©ie tarnen blieben ober würben munbgerecht ge* macht; bie alten Sewobner fchicften ftdb an, im Siaufe ber 3«t beutfche Sprache unb £t>pen anjunebmen. fRamen non Stabten aug ber 3«t be8 $)tolemäu8 wie Alisum, Artaunum. Sego- danum, Meliodunum, Artobriga jc. bezeugen bie ©täbtegrün* bung im 3nnern ©eutfdjlanbg burd? bie Äelten. Son feltifcben Stabten am 9tbe*n fuhren wir an: Batavodurum = Säten* bürg, Bonna =* Sonn, Moguntiacum «= SDRainj, Borbetomagus = SBormg, Noviomagus = Speper ober fReuftabt, Argento- ratum = Strasburg, Lupodunum = Sabenburg, Brocomagua = Srumat. 9) 2lud) 6öln unb @obleng burften ihren Ur* fprung ben Äelten gu Berbanfen ha^fn unb oon ben Stömern fpäter nur neue Flamen erhalten hüben. Sei ber Anlage ihrer Stabte benufjten bie Stnftebler gewöhnlich eine ganbgunge, welche bie ©inmünbung eineg fRebenfluffeg in ben $auptftrom ge» bilbct hatte, fo bei 5Raing, Söormg, Strasburg. @8 gefdjab bieg Bor SlDem wegen be8 natürlichen Sdmjjeg burch bie beiben f?lu§I5ufe, unb bann um ben ^anbelgpetfehr bem fRebenflufj

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entlang für bie neue ©tabt gu gewinnen. 3u ©djiffahrt imb 3Baffer»erfehr fielen bie Jfelten überhaupt, wie jdjcn ihre fielen Slamen für SBaffer, Sacb, $lu§ etc. beweifen, in engfter S3e» giehung.10) 3)a fie fidj na<h Gäfat »ortrepdj auf ben ©djifiS* bau »erftanben 1 J), wirb man nicht irre gehen ihnen bie erften Anfänge ber {R^einfd^iffaljtt gugufdhreiben, bie aüerbingS wegen ber bieten Untiefen unb Aeftuarien Anfangs einen rein örtlichen G^arafter tragen mochte. 3)ie ©täfcte an ber föiünbung ber Slebenflüffe waren bie ©tapelpläjje, bie alten ©dhiffet*3nnungen in Strasburg ©petjer, SBormS mögen fid? bereite in jene 9)eriobe* gurftcffühten Iaffen. SBie bie feltifdien SB Örter ac-Ufer mit ©teinbamm, rhigol-AbgugSgraben (bähet SRiegel am ÄaifetS* ftuhl, Rigomagus, Rigodulum) beweifen, waren fie auch rührig bie ©ümpfe beS SUjeinthaleS auägutrocfnen unb bie Altwaffer beS feines abguleRen. 3ebod} Iä|t fid) biefe ihre Shötigfeit fcbwet im (Singeinen nadjweifen, ba bie römift^e SBafferbaufunft bie feltijäje Arbeit »erbecft hot, unb bie feltifcbe SBortforfdmng noch auf jungen «ü^en ftcbt. Aber nicht nur bie .fteime gur ©taatenbilbung, bie Anfänge beß Jpanbele unb beS SferfehrS »erbanft baS Sftfyeintfjal ben gelten, auch bie Anfänge beS S3erg* baueö unb ber SJletaHfabrifation, 23roncen unb SRüngen, bie Siegungen »on Biteratur unb SBiffenfdjaft rief ber Äelte an unfercm ©trom in’ 8 Beben. SBirb audj bie Anficbt Binbenfdjmit’ß, baf) non ©üben, oon (Strurien, bie Ausfuhr »on fabrifmäjjig hergefteEten 33roncegegenftänben nach Siotben auSging, in ihrer Allgemeinheit faum begweifelt werben fönnen, fo wirb bedb bie Stage fein, ob wir für frühere 3 eiten, wo ber (Sinflttf? 9Rem8 nodh nid|t bie £onbel8wege geebnet hotte, feine S3eweife hoben, ba| bie Gelten bereits felbftftänbig -Bergbau unb SRetaEinbuftrie betrieben, ©trabo unb SDiobor berieten »on ben gortfdhritten

XL 259. 2 797)

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bet Äelten im Sergbau; ©äfar11) bejeic^rtct fie auSbrücflic^ all ein 33olf ijöchfter JRüljrigfeit, bal mit einem aulge^eidjneten 9tad>« aljmungltalent begabt, aöeö uacb Angaben $u perfettigen im ©tanbe wäre. 58 cn bet ®efd)icflid)feit bet feltifcben Arbeiter legt ein ebrenbeä 3eugnif$ bet Umftanb ab, bafj bie tRömer pcn ben Siturigern bal SBetginnen, non ben Xlefinern bal SSetfilbeni lernten. ,s) SBie wabr|d)einlid) ift nun bei bem ©influffe, ben SRaffilia (=2RarfeiQe) auf alle ©ulturperfyaltniffe ©aQienl aul* übte, bei bem ^anbelöperfebt, bet bal 9Ri>ein= unb JR^cnetlja t binab pon bet Oftfee gum fölittelmeer jog, unb „bet allem 'Xu« f^eine natb bie IBeranlaffung gut ©rünbung bet pb*fäifdjen 9heberlaffung gab“, 1 3) bafjoon pbönigifcben unb fpäter beDenifcben unb etrutifcben gabrifaten bie Anregung gur felbftftanbigen 33e* treibung bei SBetgbauel unb einet einbeimifdjcn 5Retallinbuftrie aulging. 5)en Jpanbelloerfebt grünbete in SBefteurcpa bal .per* beibolen bei 3innl «ul ©nglanb, bal bie ^hönigier einfadbet unb gefabtlofet auf bem ganbwege bezogen, bet fowol)l übet bal ,£>odjplateau pon gangrel an bie ©eine, all bequemer auf bem Umwege burd) bal fRbeintfyal fid) gieren fonnte. SDie £fyatjad;en ferner, bafs bal befte Äupfer in ©allien gefunben würbe14) in S3erbinbung mit ber 3inneinfubt, ferner bamit, bafe ftdj bie Äetten eifetnet SBütfel all ©elb bebienten, bafj Säfat bie SJlenge ber ©ifengruben unb in Sctbinbung bamit bie Äunft bet SBituriger ©tollen gu treiben aulbrücflid) ^ert? or^ebt 1 s) be* weifen bie 3?efanntfdjaft ber ©allier mit bet ©ewinnung unb Verarbeitung non SBronce unb ©ifen. 3)afj bie Anregung ba» gu pon $remben aulging, ift Ijiebei pon geringerer Sebeutung, all ber Umftanb, bafj fie in ber Verbinbungllinie groifdjen ben 3inninfeln unb bem ©mpotium am SRittelmeere, SJtaffilia, ge* legen nad) allen 9tadmd}ten ber Xutoren eine hodjentwicfelte,

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einheimifd)e Nletaüinbuftrie $ur 3«it bet Slnfunft bet Körner in ihrem eigenen 2anbe betettS befafcen.

@tn weitetet wichtiger Snbuftriejweig, ben bie Gelten im Nbeinttjale guerft anbauten, ift bie Gewinnung be8 ©algeS. Sott ©chöuebecf bie 25ürfheim gie^t fidj in bet SriaS eine ©inlagerung ton reichen ©alquellen, benen bie äitefte 336lferwanbetung bet Äel» ten gefolgt gu fein fdjeint. ffür SJJenfc^en unb Stluere war ja bie8 Stineral ein nothwenbigeS Nahrungsmittel, unb bie ©algqueOen galten al$ heilig- ©ntftanben groiithen ©halten unb £ermunbuten, Snrgunben unb Alemannen 1 *) um ihren Seftfc blutige Äriege in ^iftorifc^ec 3«it, fo wirb fidj für bie frühere bie Äenntnifj unb bet betrieb bet Solquellen butd) bie inbuftrießen Äelten oorau8fe£en taffen. 3)iefe Annahme betätigen bie Namen ber Saljorte; bie Namen ber Orte .fjaß, f)alle, fjaflftabt, ^allein beweisen bie ©rünbung biefer ©al^ftebeteien butd) bie Äelten.1 7) SDie 2)eutf<hen nannten biefe Namen mit ber Sutgel sal: Saalfelb, Salzburg, Salbungen, ©aljwebel. 3)a8 ©alj wirb aufcet (betreibe, beffen Sau bie Ntaffilioten angeregt halle« ' 8) unb aufer bem Sernftein, ber nach Notbitalien unb ben Nhone= lanbfdjaften gelangte, ber ^auptauSfuhrartifel au8 bem Nheinthal nach bem ©üben gewefen fein, wofür man SNufterwaffen, ©chmucf, Oet unb SBein au8 bem ©üben eintaufchte. 2)ie SBerbinbung be8 leltifchen NheinthaleS mit ben bem .fjeüeniSmuS unterworfenen Nhonegauen fowie mit ber eigenthümlichen ©ulturwelt ber’ßtrurier »tat aber nicht nur für bie Sefriebigung ber materiellen Sebütfntffe ton Sebeutung, bet ©üben farrbte nicht nur Schwerter unb Ninge, ben Söeinfrug unb bie Delflafche, mit il?«en famen im (befolge bie ©runbbebtngungen eines geregelten S3ertehre8: bie fNünje unb bie Schrift. Nadlern ber Serfehr fotteit entwicfelt war, ba§ an bie ©teile be8 ungeregelten STaufch*

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banbelS ber ©inbeitöfap bet dritten SBertbbeftimmung treten mufjte, begann bie (ginfubr maffiliotifcber SJlüngen nom ©üben in baS 3U)eiutbal. 3ebod) and) auf biefem ©cbiete blieb bet Äelte nid)t lange paffinet 3uf (bauet; jcbon lange nor ©äfar prägten bie Äelten felbft SDlünjen! ©ie ©efdncflid)feit bet gallifcben SRünjmeifter fpäterer 3eit gebt barauS betnor, bie gRünjen »on Äaifern, bie bloß in ©aflien betraten, alfo bloß i?iet prägen liefen, ujic bie non ^etricuö, §)oftumulS, bie 9Rüngen ibrct ©egnet in 3talien, befl SBaletianuß, ©alliemcß an @d)önbeit »eit übertreffen. 19) 21 m jRbetne ftnben fid) befonber« in ber ©<b»eij, in Sßaben, in SBiirtemberg, in bet ?Hbet feltifd^e SRiinjen. 33on 17 norliegenben Äeltenmünjen auß ber Umgegenb ber alten ©tabt SBormS finb 3 non ©olb, 7 oop ©ilbet, 6 non Tupfer, 1 non SBronce; auf breien non ihnen fteben griedjifdje 23ud)ftaben. ©ie meiften bet feltifdjen SJh'tngen tragen bafl SRationalfpmbol beß fPfetbeS oft auf 2lner8 unb SleoerS. ©ie SDienftbenföpfe bebecft entweber eitt Jpelm ober ein (Sieben* blättertran^; auf bcm Söirbel ftecft nielfad) ein balbmonb* förmiger .paarpfeil. ©ie fogenannten 9tegenbcgenf<büffelcben (scutellao Iridis) befteben auö ©olb unb finb} nur auf einer ©eite mit Seidjen geprägt, ©ie Äöpfe, Stbiergeftalten, ©pmbole finb fdjarf unb <barafteriftif<b; manche erinnern an bie beften SJiünjeu ber IRöraergeit.20) 9Jlit ben SRünjen »anbert bie griecbifcbe ©cbrift ein, bie SRamen non Königen unb ©tämmen finbeu ficb in griecbifcben Sucbftaben auf ben SÄünjen; bie .jpelnctier batten Jpeerliften in griecbifcben Sablseidjen; in SSatfop im SBocontifdjen ©au bei Üloignon fanb ficb eine 3nfd)rift in griecbifdjet ©cbrift, bie fOiommfen alö feltifcb beutet21). Solange nod) ©äfar nicht feine ©icge errungen, unb SluguftuS noch ttid)t Imperator »ar, hielt ficb bie griecbifcbe ©cbrift, bis bie rßmifcben

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Einrichtungen auch bag römifchefülüngroefen brachten, fpottjmann25) hält e3 für gar nicht unwahrfcheinlich, bafj griechifche Schrift bamalg not (Säfar big gunt Unterthein oorbtang. fDtit bet Schrift brang auch bie griechifche Sprache, wenn auch in geringem Umfange, im SUhmithale cor, unb liefen fidj wohl manche eingewanberte unb jefct germanifirte Sorte auf bie Einflüfje biefer frühem ^eriobe gurücf führen.

©ichjer aber trugen bie teligiöfen ÜBerfteKungen ber fDiaffilioten bagu bei, bem £anbel§gotte .fjermeg feine ^räbonberanj auf theinifcfeem ©oben anjubahuen. 2)iefe SJerfudje bie fRheinlanbe ju heüenifiTen »ernichtet jeboch halb mit bem Streiche ber be* »atmeten Sauft bet ©ermane. ^etmeS »anbte feinen Siegel lauf, bie Sftufen flohen »ieber nach Süben. Schon bringt bet Satbar füriooift mit feinen f<h»eifeuben Sueben in bag ©elänbe beS reichen $äbuetlanbeg not; bag ganb fällt ihnen als Sheet* beute an; ganj ©allien 3ittert cot ben germanifchen Sremblingen; ein jnjeiter cimbrifcher ©chrecfen fcheint bie Seit au§er Singel bewegen gu »ollen: ba erfcheint ber fiegreiche Sät beg Sohneg beg Sübeng an ben ©rennen! ®er Ärieggfunft unb ber bihlomatifchen Ueberlegenheit beg fRümerö gelingt eg bag Steuer ber ©efchiihte »ieber in feine 4)änbe 31t bringen unb bie Barbarei, bie über Sübmefteuropa hereinjubrechen brohtc, nicht nur aufguhalten, fonbern fie umjuwanbeln unb fie jurn SSortljeil beg römifchen S3olfeg 3U benit^en. (Säfar unb Slriooift! ÜJtit ber fRiebetlage beg ©efolggfürften im JRheinthal beginnt bie 3 weite $)eriobe für bag fRfjeinthal ansubrechen: SDer Ein3ug unb bie ^errfebaft römifcher Eultur im jfeltenlanbe am Schein unb in ben ©ermanengauen in feinem Stromgebiete. Säfjt man eine neue Epoche ber Seit» gefrischte mit jener ©eifterfchlacht auf ben catalaunifchen

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gelbetu beginnen, jo ift eine neueföcodje ber mitteteuropäifcben 6 u turgefcbidjtegu fefcen mit jenem ©iege beb römiidjen $)ilumS über bie germanifcbe ©treitart an bet Pforte gmifcben sJtbone= unb flifyeintbal!

SDtu&te ficb Gäfar bamit begnügen burd) feine fRbein» Übergänge ben Germanen gegenüber eine SDemonftration gum Semeife bafür, „wer jperr am Schein fei" gu liefern, fo ging SluguftuS, gum unbeftrittenen Sefij} ber SRacbt gelangt, baran, »or 'Mem bie SÄ^einflrenje gum ©d)ufce beb JReicbeS auf tömifdje SBeije gu organifiren. 6r erfannte bie Söicbtigfeit bieier natürlicben ©renglinie für bas fReidj unb fudjte beötjalb fie felbft in ben gehörigen SertbeibigungSguftanb gu fefcen unb bas ganb hinter ibr burd} SlngtiffSftiege feiner Dffenftcfäbigfeit gu berauben. 3n fftarbonne cerfügte et beSbalb fd?on im 3abre 27 o. ®br. bie ©intbeilung ©aüiene in cier ^rocingen. Sei biefer neuen unb erften ©intbeilung ©aUienS bübete er gur ftrafferen Drga« nijation ber ©rengmebr auS bem con germanijcben ©tämmen berechnten linfen JRbeinufer eine befonbere SProcing: ©ermania. 9iacb SDio (JaffiuS 4 3) reichte biefe con ben Duellen beS JRbeinS bis gu feiner SDiünbnng: eb mar bie erfte Einigung ber fRbein* lanbe, menn autb nur com militärifcben ©tanbpunfte auS. Sie umfaßte n ad) fPtolemäuS im fftorben baS tfanb ber Satacer mit bem befeftigten i?ager con Castra vetera bei Xanten, baS SluguftuS nad) ber goHianifcben fRieberlage gegen bie fJtorbbeutfcben an» gelegt batte. Stuf bieS folgte bie ©tabt ber Ubier, bie Colonia Agrippina, ©ßln, mo fpäter ber DberbefeblSbaber con Unter« germanien legatus Augusti propraetore Germaniae infcrioris biefi er mit coDem Sittel44) feine jRefibeng aufftblug. &ud? (Sobleng, 5Raing, SBormS, Babern, ©trafjburg fcbeinen fdson gur Seit bes SDrujuS mistige tümifibe SBaffenplälje gemefen gu fein. Siebt Legionen batte b**r Castra vetera bis Aventicum (im

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(Janton greiburg) an ber Rfyeingtenge in ben beiben SLbeilen beö römifdjen ©etmanienS, Unter* unb JDbergermanienS, 3luguftu6 Bereinigt. „(Die #auptmad)t beS Reiches" 25 ), ein drittel ber ge* fammten Regimenter beS tömifd}en Reimes, ftanb l)ier non 2lugft bis Santen in beftänbiger 33ereitfd)aft bie Vefetyle Rom'8 gu boü* gieren. 100,000 ÜJiann ftern truppen Bereinigte hier in ben gahlreidhen geftungen, (Saftellen, (Burgen ber Jfaifer um entroeber unter ben Sljronnadjfolgern ober unter feinen Vertrauten einen mädjtigen Äcil bamit gmifdheu bem noch immer unftdjeren ©allien unb bem ftetS gum Ätieg bereiten (Deutfd)lanb eingutreiben. 3m 3abre 14 o. 6^r. gab SluguftuS ben Dberbefehl am Rhein unb an bet (Donau an feinen friegStücbtigen ©tieffohn (DrufuS ab. 5)ieier fdjmiebete bie eifernen betten bie Äraft (DeutfdjlanbS gu bänbigen. (Die erfte gürforge beS tömifdhen Ätonpringen war e§, bie großen Heftungen Castra vetera, Moguntiacum = fDiaing, Argen toratum = ©trafcburg theilroeife neu angulegen, tfyeilweife auSgubauen unb biefe brei SJüttelpunfte burdj eine Reihe uon mehr al6 50 CSafteUen26) gu einet unburc^bringlidjen 9Rauer gu oerbinben. (Diefet jugenblidje $elb,- ber bie SUpenföfyne RhätienS unb VinbelicienS27) in ihren Slpenhorften heintgefudjt, hatte bie ReidjSgrenge bereite bis gur (Donau oorgefdjoben unb ben ©ermanen im ©üben bie CRöglidjfeit eines ©inbrucheS über bie (Donauljodhebene nach Dberitalien auf biefe 5öeife abgefdjnitten. Von gmei ©eiten gebadste er bie freien (Deutfdjen gu umgarnen, Bon ©üben unb SBeften. äBahrenb ber grofce SBnffenplafj oon Augusta Vindelicorum, Slugöburg, im ©üben bie Römer gegen germaniftbe Vorftöfje becfte, fdmf er fidh im 2Beften butd ) bie Anlage großer (Depots unb ©taublager längs ber Rheinlinie bie fiebere ©peratienSbaftS gu feinem raftloS erftrebten 3iele: bie 23elt* herrfchaft RomS burtb Vegwingung unb Romaniftrung ber

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©ermanen gu fiebern, ben Umfturg ber Gultur bureß bie ©arbeitet auf bie 5Dauer gu »erßüten. Augusta Ilauracorum, Äugft, legte er am 2lnfang8puufte einer regelmäßigen ©ßeinfaßrt am ©ßeinfnie unb gnr ©ießerung ber natürlichen ©erbinbung gwiicßen ©aUien unb ben ©onaulänbern, au8 bem ©aonetßal gum ©obenfee ßetübet, an. 68 war ein con ber ©atur oor* gefeßriebener geftungSpunft. 6r mußte al8 ÄriegSplaß beS* ßalb, wie al8 ©tapelplaß für ben Sranfitoerfeßr au8 bem fübweftlicßen ©eutfcßlanb naeß bem ©ßonetßal unb bem Mittel» meer balb »on gleicher Söiißtigfeit werben, ©afel würbe fpäter ©rbe. ©ei ber ©ereinigung ber pauptgewäffer be8 ©bein§ gu einem ©fronte, ein s3)unft, ber in ber früßeften Beit feßon al8 UebergangSftelle feine ©ebeutung erhalten fjatte, bort, wo bie ©ogefenpäffe oon ©aarburg unb 3abern ben ©erfeßr in bie SRofelgegenben ermitteln, legte et an bem alten feltifcßen ©tapel* plaße Argeutoratum, ber ©ilberburg, bie gweite .pauptfeftung an:47) ba8 ßeutige ©traßburg. ©einen Jpauptwaffenplaß, gleich gut 2)efenfioe unb JDffenftoe nötßig, bilbete bie 9Äünbung8ftede be8 §luße8, ber fttß mit feinen Söafferabern am weiteften in öftlicßer ©ießtung in ba8 3nnere IDeutfcßlanbS erftreeft, IängS bem bie ©orftöße aller mittelbeutfcßen ©tämme bi8 ßet oom Slßütinget* unb ©ößmerwalb oor fidß geßen müffen, ber ©cßlüffel 25eutjcßlanb8, bie ältefte ©tabt am ©ßein 9Jtaing. Jpier in ber ©äße waren in ber 3eit Gäfar’848) bie erften germanifeßen ©tämme, ©angionen unb ©emeter, gebrängt reit öftlicßen ©ölfern unb begierig naeß 8anb, übet ben bisherigen ©rengftrom befeßritten, ßatten bie frueßtbaren ©ane ber linfen ©ßeinebene uon ©taing bis ©traßburg befeßt unb bie feltifcßen ©iebiomatrifer in ba8 25unfcl beS ©ogefuS gurücfgefcßeucßt. jpier war bie ©efaßr am größten burtß neue ©ölfergüge, bie ben ©ßein über* a»*;

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fdjreiten mürbe«, bie mistigen ^äffe beg SDonnerSbergeä unb beö .IpattgebirgeS gu »erlieren unb ben (Strom ber germanifdjen (Einmanberung bis in baö Saarbecfen »orbringen fehen gu muffen, Schon Slgtippa batte beSljalb in (Erfenntnifj bet ftrategifdjen unb politifdjen Sebeutung biefeö fpiafceä ber ÜJiain* münbung gegenüber ein fefteö Stanblnger angelegt. ©rufuS mäblte ibn gum ‘ÄuSgangöpunfte feiner Operationen unb grünbete mit ber 2. Legion äugufta unb ber 14. ©emina eine umfang* reiche Heftung, ba§ castrum Moguntiacum 39). Sei einer Sänge »on 6500 gufj lag auf ber Jpühe gmifchett bet heutigen Stabt fölaing unb bem ©orfe3ahN>ach- 6ine ©oppelgufjmauer, flanfirt »on mächtigen Shütmen, umgog bcn Sagetraum. Son hinten (== Fontana) bis gum Saget legte ber »orforglicbe Selbherr einen 30,000 §ufj langen, in feiuet größten (Erhebung 125 gujj h^h«« JKquäbuft an. Seinen Flamen bemabrt noch heute bie ©rufen* lache = Drusi lacus. 3a felbft über bem fRtjein befeftigte er eilten Srücfenfopf, baö heutige (Safte(l = castellum, unb fafjte ba» mit feften §u§ auf bem rechten Siheinufer. 3m Sngefidjte be8 großen SBaffenplageO, bet ginnengefrönten 3toingburg fonnte bieä am leicpteften gefchehen. Deftlich ber Heftung bem Scheine gu lag baö municipium, bie bürgerliche Stabt, roo bie cives Romani, bie römifdjen Sürger, in abgefonberten Duartieren neben ben (Eingeborenen, ben cives Taunenses, ihre ©efchäfte betrieben, ©aä rheinifcbe Scbiefergebitge, beffen groffe (Enbpunfte fSJtaing unb (Sein bilben, fieberte ©rujuö bitrch Heine ^eftungäanlagen. ©aö Castellum Bingium = Singen beefte ben fRahethalpafj; in Vosalia = 3Sefel unb Baudobriga = Soppart lagen römifche SJiilitärabtheilungen. 3n letjterer Stabt garnifonirte fpäter ein ärtiDerieregiment. so) ©er michtigfte sPunft unterhalb Soppart mar bie fBiünbungSgegenb ber 5)iofel, mo ftdj »on Often h*t

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baß fcatjntfyal öffnet unb fidj nach SSeften Me SBaffetBetbinbung nadj Syrier erftrecft. 25rufuß muß tyier ebenfalls ein GafteÜ ge* grünbet ober ein oorbanbeneß oerftärft haben gum ©dju$e ber ©egenb gegen bie (Sinfälle ber (5t?eruöfer aus bem £abntbale, unb Conlluentes = (£obleng wirb beßbalb ftbon Bon ©ueton alß •^auytort erwähnt.31) SBie bie SRatur ber ä^alöffnungcn Borfdjreibt, erbeben fidi aud) befeftigte Säger im SBieber SBaffin in Antumn;icum = ®nbernacb, an bet ÜRünbung Der 9tbr in Sentiacum=@ingig unb am ©nbe beß tbeinifdjen SDurdJbrudwß an ber ©teile Bon Sonn baß castra ßonnensia gegen bie auf bie JRemer fdjen feit ©afarß Beit erbitterten ©Dgambrer. CScln unb baß grofje ©tanblager auf bem gürftenberge bei Xanten bilbeten ben äbfdjlufj biefeß riefigen Sertbeibigungßfyftemß im Serben.

3og fid) bä^ft wabrfd)einlidb fd^o« in ber jfeltengeit eine .panbelcftraffe Bon ben 5Raingegenben ben IRbein aufwärtß gut fRetfavmünbung unb längß ber 3U b^nber burd) baß Sbor oon Seifort in baß 9i^onetl)a!, fo war bie gweite £anblung ber JDefenfioe Bon ©eiten beß erften tömifeben gelbberrn am fRbeine bie Stellungen am linfen SR^einufer bnrdj eine grofce SDiilitär* ftrafce gu oerbinben. Söaren bie gebahnten Jpeerftrafjen fdion für eine aggrejfioe $)olitif Stom’ß notbwenbig, fo war bie ÜHn= legung einer großen Serbinbungßftrafje Bon ber ©dbweig biß gur fRorbfee noch unerläßlicher, wenn fidj am iRl)etne in erfter tdiuie um Sicherung eineß wenig fultioirten Sanbeß mit feinbfeliger, unbegwungener Seoölferung banbeite. Sßefeftiguncg bet

9tb«inftra§e Bon Slugft nad) ©öln mußte nach Anlage bet $£bal* bedungen bie erfte SSRaßnabme gut ftänbigen Sefeßung beß linfen iRbcinuferß fein. 2)aß ©ebot ber Äriegßpolitif ging b*er febem anbern Sntereffe Boran. SERit bem JDurcbbreöben bet

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<Stra§e burd) EBülber unb Sümpfe, 3 s) bem Unternehmen beö langwierigen unb foftfpieligen Sttafjenbaueä , ber j giefetung »on Baumaterial, bet geiftung »on ©pannbienften trat bie romijdje Sultur in bie erfte birefte Berbiubung mit ben ganbeb« cinwohnern. ©urd) bie grotynbiefte lernten bie germantfdpfeltiicben Bewohner beb fft^eint^aleS bie SHacht ber römifchen ^erridjaft lernten, unb auf bet fReichbfttafie 30g nact) bem gegionär unb bem cursus publicas, bet fReichbpoft, balb auch ber römifdje £änblet einher, ber bie Früchte füblicher Snbuftrie gegen bie 9laturprobufte norbttdjer ßanbwirthichaft eintaufcbte. ©em fDiatb folgte 9)letcut auf bem ^u§e! Ein ben mit Wraben unb Bruft* waU gefdiütjten .^auptfttafjen fviae consulares unb militares) toaren in beftimmten Entfernungen Wet'äube $ur Unterhaltung einer gewiffen iHngatjl non ^fetben angebracht, §)oftftationen = mutationes. Bon Slagemarfcb $u Sagematfch waren Etappen = mansiones errichtet, wo bie marfchirenbensSEruppen lagerten, unb bie reijenben ©taatbbeamten übernachteten, ©ic Äoften für bie 3>oft, bie Unterhaltung ber Stationen unb Etappen fielen ben |)rooinjialen 311. ©0 mürbe ben Einwohnern ber ©taatbftrafjen jwat eine Saft aufgebürbet, aber mit ihr fam bie Berührung mit ber Eultnr, bie Befanntfdjaft mit römifcher Sprache unb ©itte, ber Eluffchmung beb .panbelb, ber Slubtaufch bet ^robufte. ©ie SRömerftrafeen finb am h et n bie (Sultur Leiter!

gag ber großen Eljrenftrafje bie Berbinbnng be§ fftorbenb mit bem ©üben ob, fo burchfchnitten biefe grofje Dperationblinie eine Elngahl oon JQuerftrafcfn, bie längft ben Shalungen hintiefen. Ein ben Äreujungöpunften ber ©trafcenjüge entftanben natürliche Berfehrömittelpunfte; neben bem Eaftell bort entftanb gewöhnlich eine ^anbelöftätte, ein Municipium ober ein Civitas. jgjatte Sluguftub gpon alb Elubganggpunft ber ©trafjenfpfteme Wallt eng

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(unb 35eutfd?lanb8) beftimmt, fo begann ber (ff?ef feines ©eneral« ftabeS, SSgrippa, mit ber 9(u8füt?rung ber widrigen SJiaffregel Qjallien mit bem 9it?e in in ben ftrategifdjen .^auptlinien in birefte Serbinbung gu bringen. S5a8 neue tömifdje ©tragen* fpftem erhielt feinen füfittelpunft in bem ;um |)auptbepöt et» wählten Stier, ba8 non ber JRIjeinebene in einem fixeren Sufeu gurücfgegogen in erfter £inie, wie fdjon erwähnt, bie 5Bort^eile einet gebecften ©efenfiofteUung gemährte, ftaft in bet ÜHitte gwifd?en Ober» unb 9tiebcrrl?ein bot fid) non l?ier au8 bie leidbtefte Serbinbung mit ben rfyeinifd'en ©renjtanben unb feinen brei £auptfeftungen Goln, fOtaing, ©trafjburg bar. 9tad? einem bet SSJtarmagen gefunbenen 9DReilenfteine l)atte »bie -fjeerftrafje nad? Geht, bie auf bet .£>öl)e beS linfen Si?alranbe8 ber SRefel führte, 9lgrippa felbft angelegt. £>ie 23orftcfee ber ©ermanen am fRieber« rl?ein gur 3^it beS 9(uguftu8 malten biefe Serbinbung in erfter 8inie nötl?ig. S)ie zweite .£>auptftraf?e oerbanb auf ber fürgeften 8inie beS alten S6lfetn>ege8 über ben .£mnb8rücf Stier über Singen mit fDtaing. ©ie 50g fid? non Singen gugleid) ab 3U ben römifdjen Drtfcbaften bei Gobieng unb oertrat auf bieier ©trerfe bie glufefatyrt, ba n)af)tfd?einlid? ber fRI?ein am Singer« Iod>e bamalS nod? nid?t fdjiffbat roar. 2)ie britte ^>auptftra§e mufete non Srier nad? ©trafjburg gieljen. Unb gwar gefd?al? bie? in ber erfteu ^eriobe ber römifd?en Dffupation übet 5Jle$ = Divodurura, ba8 nad? Stier ben roid?tigften $lafj in ber SReferee« ftellung be8 9Rofel*@aarbeden8 bilbete unb ben Süden ber gront non 9Raing«©trafjburg becfte. ©ie gog über ©aarburg burd? ben >})afs non 3<«bern nad) bet fteftung be8 (SIfaffeS. 3 *) 9118

in fpäterer Seit febcd? eine birefte Serbinbung gwifcfeen ben beiben ^läfcen fRotf? tl?at, baute man einen neuen ©trafcengug. Ssiefet gog non Srier nad) ©üboften über ben SaruSwalb, über

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@t. SBenbel nach bem Älofter äßerfdjweilet bei $omburg, wo er fidj mit ber bireften Straffe »on 9)te£ nach ÄaijetSlauten, bem DonnetSberge unb nad) Süjet)*5Rainj freute.36) Von bott 30g feine Valjn quer burd) baS pfäljifche £>mterlanb (=3Seftrid)) übet fpitmafen,}, längft ber lauter uad) Slltenftabt, um bort in bie grofce SR^eiuftrofee einjumünben. 2tUe biefe #auptftrafjen waren unter ftcfy butd) Querftrafien (.compendia) »ertnüpft, 3e) bie unfern Vidnalwegen entfprechenb urfprüngli’dj non ben fPromngialen $nt Vetbinbung ihrer SHebetlaff ungen angelegt, jebod) con ben Gruppen ebenfalls al§ ÜRarfchroute benujjt würben. ©o umfdflang baS roeftliche S^ltjeingebiet in turjer Beit ein BoQftänbigeSStefcDon^eerftrafjen, welche bie Jpauptafcern für ben militärifdjen unb commetciellen Verteilt würben. Die ©tragen, bie nach beftimmten ©efe^en liefen unb münbeten, waten bie natürlichen ©rünber ber ftäbtifchen SSnfieblungen, bie balb längs ben Straffen, an ben Äreujungen betfelben unb an ihren SJtünbungen als bie (SrpftallifatiouSpuntte ber (Jultur in’S 8eben traten.

3lber bet römifdje 2lar blieb nicht auf bem Unten JRbeinufet befdjräntt, er richtete feinen ging auch in bie rechtSrheiniichen ©aue. Das Quellgebiet ber Donau ift auf baS innigfte mit bem Stheingebiet »ertnüpft; im Sterben grenzen bie SJtaingewäffer an bie Donaujufiüffe Siaab, SUtmühl, .SBernih, im ©üben finb bie Stecfarqueöen ben Donaujuflüffen ber rauhen 91 Ip in nädjfter Stadjbarfchaft. Der Qberthein umfliegt in großem Vogen bie Donau, unb bie Stichtung beS DonaulaufeS fteht fenfrecht auf ber beS SthdneS, fo bafs ein Vorbringen längs bem Donauthale in bkefter Stiftung auf ben Sthein ftie§. Stach ber Veftegung ber Vinbelicier unb Othätier war ben Steinern biefer 8änberbufen bloSgelegt, unb ba bieS 8aub nach bem 9lb*

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gug bet SJlarcomannen nach SÖßfymen oon ©inmobnern entblößt war, belebten bie tömifcben Goborten im Saufe beS 1. 3abr* buubertS n. ©br. ob«« SJiberftanb ba$ jefcige babifdje uub muttem betgifcbe ©ebiet. ©attiet, bie in ihrer £eimatb nichts gu oerlieren batten, fauben fid) als Änfiebler ein, unb eine gmei» heutige ©eoölferung 37) gaQitcb*r6miicber 3noafioB bemächtigte fitb beS fruchtbaren fRecfargebieteS unb meiter bis gut SBaffer» treibe gmifcben fRegnijj unb 3>onau. SBon hier auS, bem fo» genannten SDecumatenlanbe, bebrcpte bet Legionär bie Setbinbung bet fDtainlinie mit bem innern fDeutfcblanb, unb oon fDiaing, SBinbifdb unb SRegenSburg au$ f^ob fitb bicfer Sänbercomplejr a!8 Äeil in SDeutfdjlanb ein, Offen fiobemegungen non ©ubmeften auS gu bemalen unb gu oerbüten. Säjjt fi(b auch ein birefter ©trafjengug gut SSerbtnbung beS £Rt)ein= unb DonaulanbeS gmifcben SORaing unb SiegenSburg bis jefct nicht nacbmeifen, fo liegt bodj bie SBermutbung febt nabe, bafc na<b SSoUenbung bet gto§en SefeftigungSltnie oon bet JDonau gunt fDRain, bem fo» genannten babtianijcben SBalle, bie SRljetn* unb JDonaulinie burcb eine bamit parallel laufenbe ©trabe auf fiem fütgeften SBege oetfnüpft mat. Sender38) glaubt, ba| eine folcbe in bet 9Räbe oon ©üngburg bie fDonau uberfcbritt unb burcb baS ^ilStbat na<b ©Slingen unb an ben SRecfat bis ©annftabt lief, um übet Srucbfal bei ©peoet in bie grobe fRbeinftrafje eingumünben. 33on beS ungmeifetbaft röraifcben Stabten nennen|mir; in biefem Söufen 9ReicbeS Solicinium «** Sumelocenna = ORottenburg, Civitsas Aquen sis = Saben»©aben, Lupodunum = Sabenbutg Civitas Severiana Nemetum = £eibelbetg. 3 9) SRadj betSSefefjung beS CR^ein*5Donau* minfelS oerbreitet ficb bie romtfcbe ©ultu* baS SRecfartbalfaufmärtS bis gum SRitteHaufe beS SRainS, unb bie ^aubelSoetbimbungen

teilten oon bter auS burcb baS SRegni^t^al bis nach Söbmen

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trafc an bet Saale bis gum 2bütingetwalb. *") SSäbrenb bie Sanbebmtbeibigung beb ©rengwafleb in ©übweftbeutfcbtanb bie (Rabientbäler bet jtingig, SRibba unb bet fränfifcben ©aale in itjren ©cbujj nahm unb über ben $aunub an ben SRljein münbete, war eine ähnliche SBefifcnaljtne SRorbweftbeutjcblanbb bei bet gang »etidjiebenen Statut biefet im füMid^en ütjeil »on bet Sahn bib gut Sippe aub 'ParaQeltbälern beftebenben ©aue unb bet im nctblidjen Stbeil ebne geffeln fidb etftrecfenben ©bene nicht möglich, ©enn war auch nach 2lubwanberung ber ©pgambrer,41) nach ben gelbgügen beb ©rufub unb beb ©emitian bib gut @lbe unb bib gut ^Ptotnng Sranbenburg bet 5Rert> bet notbifeben ©tämme gelähmt, jo gerbracb hoch halb barauf, alb ber grätet bereitb an bet SSefet ben (Recbtbfptuch fpradj, bie fübne ©t* bebung Slrmin’b unb bet ©beruhter bie tömifchen Slblet am rechten Ufer beb Untertbeinb. ©ie 3wingbutg Sllifo war get» ftött, bet SRb«« ft« bib ÜJiaing! SBie ein eleftrifchet Schlag butch3U(fte ber ©ieg im Üeutoburget SBalb bie gange Sinie bet angtengenben getmanifeben Seifer, einen gweiten ©imbetngug fürchtete Sluguftub unb feine (Rätbe! ©och bie 3wietta<bt jmifchen ben SRorbbeutfcben, bie ©betubfet an bet ©pifce, unb bem SReiche im ©üben, bab SRatbob in (Böhmen unb SDRäbten geftiftet hatte, oerbinberte bamalb bie Sernicbtung bet tömifchen $errfchaft am (Rhein unb an ber ©onau. ©ermantcub machte in (Rorbbeutfdjlanb bib ffiefet unb @lbe feine ©iegebgüge; fein (Ringen ieboch mit Sfrmin [blieb unentf (hieben. ©en ^ringen töbtete balb bie ©ifetfucht [beb ©äfarb, ebenfe oemichtete bet (Reib in 33älbe bie auffeimenbe ©aat bet ©inbeit (Rotbbeutfch* lanbb. ©ermanicub fiel wie Slrmin !| ©et Sebtänget unb bet (Befreiet ©eutfchlanbö fielen ;betn gleichen^ Soofe gum Opfer.

SlQein auch uach bem 3«fuQ beb ©betubferbunbeb [wagte bet

(Ml»

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{Römer nicht mehr ben 33erfud) bie äßälber ©eutfdbianbß mit feinen Gehörten ju litten.45) 9lm {Rieberrbein blieb am rechten Ufer ein fcfymaler 8anbftrid? alß ©renglaub unbewohnt joberlalß SBeibe benutzt. SDurdb eine ftarfe ©renjmehr non Gafteflen, Stürmen unb SBäDen becften fie ben {Rhein auf ber ©trecfe neu Gmmericb biß jur Sippe. 43) SBirb ftch nach ben Unterfudhungen ©chnetberß nicht bezweifeln laffen, bafi auch auf bem redbtenlfRhein* ufer ©trafcenjüge in baß Snnere 35eutfdhlanbß an bie Gmß unb Söefer führten, fo läfjt ftdj für bie Slnbauet ber ©trafcenbenufjung nach ben ^elbjügen beß ©ermanieuß Don (©eiten ber {Römer !ein 9lnhaltßpunft gewinnen. 2)aju fommt |ber llmftanb, bafj fid? auf bem rechten «Rtjeinufcr biß Göln hinauf nicht eine römifdhe ©tabtanlage nadjweifen vlägt, .fein Umftanb, J>er unß nur auf einen jd)Wadben SBerfeljr am {Rieberrhein .jroifdben ben {Römern unb ben (Germanen beß rechten 3R^einufer§ fdhlie§en ld§t. SDie (Germanen jagen fidh gerabeju Dom rechten fR^einufer in baß Sanbeßinnere jurücf, unb ber SRIjein war hier jweiJSabt« hunberte lang bie ©renge jwifdhen ben {Römern unbß ben £>eutf<hen. 44) SDet {Betfeljr wirb | fidh auf ben nothwenbigften Slußtaufdh non 3nbuftrie=2lrtifeln gegen {Rohprobufte befdhränft haben.

Raffen wir baß JRefuItat ber auf |ben natürlidhen 33oben* »erhaltniffen bafitenben SBefetjung r^einifc^en ©tromgebieteß burdh bie {Römer jufammen, fo läfet fich bet auf ber ©tunblinie SafeU Ulm ruhenbe Sänberftrid) , bet fich innerhalb beß ©renzwalleß an Sauber unb SRaht gufpifd, biß nadh Santen hinab, mit einem auf ber 2)onaulinie aufftehenben, im ©üben am breiteften auß* gebehnten Äeile Dergleichen, ben bie römifdhe Gentralftaft, bie Dom {Rhonethal unb über bie Slpenpäffe Don Stalien auß* ging, hineintrieb gwifdhen ©aüien unb ©eutfchlanb. 3e breitet

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biefe8 Äeile6 ©urdjf djnitt, um fo nafjer eine ©egenb bem VH n 3 r t f fSpunfte ber beiben Jpebel b römifdjen (5ulturftrome8 lag, bie non ©üboften unb fpdter tj auptf äd)Hd? non ©übweften unb SBeften au8 (8nou Syrier, lefctereS fpäter fRefibeng ber Äaifer) an festen, befto energifdjer unb bauernberwirfte berGrinflufj römifdjer ©efittung unb ©efinnung, f üblidjer Sprache unb (Sitte, gallifdj*italifd)er 3nbuftrie unb Sedjnif eiu auf bie non ben SBälfcben befjerrfcf^ten ©aue ©üb» weftbeutf d)lanb8.

@8 tjiefce „©ulen nadj Sitten tragen", wollten wir ben Gultureinflufj ber fRomer auf beutfdje ©erljältniffe in ben eingelnen ©ebieten be8 wirttjfdjaftlidjen ?eben6, be8 ^anbelSoerfe^ve, ber Silbung ^ier ffiggiren. 3ut ©enüge Ijaben gorfdjer, wie ©djöpflin, 5Rone, ©reuger, ©rambadj, galfe, $)eucfer, $autu8 jc. barauf tjingemiefen. 3ebcd) fann nid}t genug betont unb Ijeroorgeljeben werben, in meid}’ intenfiner äöeifc bie römifdje ©ioilifation in ben gmei 3afyrl)unberten ber fRufee am fRfjrine auf unfere batbarifeben ©erfahren eingemirft l}at. ©ergleidjen wir bie ©djilberung ©ermauienS bei £acitu8:4S) „im ©angen ooH rauljer SBälber unb ^ä§lid^er Sümpfe", eine ©djilberung, bie im ©rofjeu unb ©angen tor bem ©rfdjeinen ber fRömet aud) für baß SRljeintljal gelten mochte mit ben entgürfenben Söilbetn in beß ' SlufoniuS fJRofefla auö bem 4. 3af)rf}unbert, ben niebrtgen 3uftanb be8 ^anbelS, ber im ©innenlanbe unb früher aud} im fRljeinlanbe auf Saufdjnerfefyr beruhte, bie 33e= fdjäftigung beS ©ermanen „gange Sage am ^eerbe unb am Beuet gugubringen," feine Äleibung: ben SRarttel, ben ber ©ern gufammenljält, rol} gebrannte Söpfe, feine ©efäfse, bie Grblöd)cr, bie 5SoI}nungen ber ©eutfdjen, ben gegorenen ©erftenfaft, il)t

XI. 259 . 3 (603)

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©etrünfe, bie ©antonalpolitif mit ben ©tammegfürften, bic rohen Kehllaute ber ©ebitggfpradje; Dergleichen wir biefe Silber mit ben ©migfeügbauten ber rfyeinifdj*remifd)en Stabte, mit ben tjerrlic^en Stoncegefäfjen aug ©trurien, mit ben SRarmor* bäbern gu Saben unb ben 2Jio}aifböben gu Sabenmeiler, mit ben ©rgriiftungen unb ben $>urpurge»ünbern beg ©übeug, mit ber Söeinfultur unter bem Patronate ber römifdhen ©äfaren, mit bem gefdjloffenen ©angeu einer römifdjen ©entralpolitif, mit bem ©lange beg Sicefaiferg in SDiaing, mit ber Gücetonianifchen Sprache ber ©ebilbeten, fo »erben ung biefe fünfte eine SBor* ftellung dou ber aufjerorbentlichen Gulturentwicfluug am JR^etn unb in Subbeutfdjlanb geben fönnen. 46)

£>ie Spraye fü^rt ung al6 3eugiu bie grüßte {Romg cor; faft äße Söorter bet beutfdjen Spraye, bie übet bie {Begriffe in be8 Sacitug ©ermania tyinauggefyen, bie mehr alg bie {Rothburft beg SJiaterialg für bag tägliche geben augbrücfen, finb ber »älfdjen Sprache entnommen. 25ie tömifchen ©otoniften iu ben Keinen {Romg am {Rhein lehrten bem ©pgamber nnb bem ©Ratten bie SJiauer (rnurus) bauen, bie Pforte (porta) einfügen, bie Siegel (tegula) brennen, ben Kalf (calx) anmenben. ©elbft bie £auggerütfye: ©imer unb Dhm< ©djcppen unb gogel, ©eibel unb glafdje, Keldj uub gafc, Spiegel unb ©dpffel, {Rab unb Kette, £ifd) unb Safel: adeg bieg braute ber eingewanberte {Römer bem ftaunenben ^rooingialen.47) ©elbft £olgf<huhe uub stiften, Kleiberfchranf unb 'Pfühl, bie in jebem Sauetnhaufe fich oorfinben, finb römifcfyer abftammung. ©eife unb $)ech, Del unb SBein finb ferner offenbar {Rohftoffe füblichen Urfprungg, baljer mir auch ihre Sereitung erft doh ben ©üblänbern gelernt haben. Unfere Kohlenbrenner brennen noch h«wte ©ch®0^* »albe ihre SReilet, »ie eg Sarro unb 'Pliniug oorgejdjrieben

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Ijaben. 4 s) 5Benn aud) unfere 9Jla§e uttb ©ereilte im ÜJlittelalter in neric^tebenen Reifen bet heutigen ganbe bie alte römifdje Benennung Berloren ^aben, fo ift eg bag ^efthalten bet Ser* fyältnifjgahlen ber rßmifchen 2^eilma^e, welche unä auf bie 9iömet, bie ©ohne beg SDRarg unb beö OJierfur, alg bie Sringet oon SJlafj unb©ewid)t hinleiten. gierten biefe ©türmen algSßerthmeffer ein, fo wanberte auch mit biefer Umwanblung be8 alten Saufdj* hanbelö bag gange ©pftem ihrer Söerth* unb ÜJlafjbeftimmungen in ©eutfdjlanb ein.

aber nicht nur bie formen aud) ben 3n halt beg materiellen gebenö änberte ber ferner am fRljein unb baburd) fpäter aud) im innetn üDeutfdjlanb. S)a8 (Sinfalgen unb (Sinräudjeru be8 $leifdjeg in Botlfommcner 2öeife lernte ber beutfd)e Slcferer Bom römiieben Colonen. Unfere Utationatfpetfe, wie bie ftrangofen Bon ung behaupten, bag ©auerftaut haben wir Bon ben ©üb* lanbem geerbt; Äompoft= compositum heifjt baffelbe jet)t nod) in oftfränfifdjen SRunbarten. 2)ic eingemachten SJepfel nerrathen burd) ih«n Sfamen im babifdfen Dberlanbe noch jejjt ihren UTfprung: ©ummiftopfel nennt fte bort bet ganbmann, nid)t non ©ummiatabicum, fonbent Bon composita poma. 4 9) aepfelfdjnihe lernte bet ©uebe Born civis Romanus an bet ©onne börren; biefer wieg ihm, wie man ben ©enf bereitet, bie SRettige folgt, Swiebel unb 5Jtug einmadht. „$aben bie ©eutfehen, fragt SJione, ÄSfe, Semmeln, Qjffig, 9Jloft, Sutter, Äudjen erfunben, warum haben fie benn biefe ©egenftänbe Bon caseus, similago, acetum, mustum, butyram, coctum, genannt?“ ©dhwing* unb Soümehl finb ebenfaflg römiid)e ©rrungenfdjaften, unb Äägfudjen unb Jtli^c, ©triebein50) unb Sorten, warum werben fie am SRhön unb in ©übbeutfchlanb am ledferften bereitet, ohne ber Äodjfunft bet norbifchen .Rüche bamit gu nahe treten gu wollen! unb warum

3* C«04)

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gilt bie 9Rel}lfpeife nodj fyeute bott »ielfad} bem Sanbmann alä eine Sdjüffel feineg URenu’8, bie einen mefentlidben Sljeil bejfelben bilben mufj?

Slbet nidjt nur biefe ^robufte bet (dbmargen Äunft, aud) felbft bie fRot)probufte gum großen £ljeil, benen je|t fRiemanb meljr ben fremben Slauffdjein anfeljen »iß, finb BtembUnge, bie auf unferemSoben afflimatiftrten. „tyxe ©Reifen finb einfad}: milb roadjfenbeb Dbft, frifdjeg SBilbpret unb geftanbene URild?", fo fdjübert Sacitug ben täglidjcn Äüdjengettet bet germanitdsen ,£jau8frau. 5 ') IRatürlid}! Sie Ratten nid;t§ beffeteS; mellten fte fid} beffer näljren unb fid) feiner Reiben, fo mußten fte »on iljren geiftigen Sormünbcrn lernen, ben Stapg gu bauen unb ^ianf unb Sein angupflangen.5’) &ud) jfoljlrabi unb fRübe, Sinfe unb (5rbfe, Äümrnel unb Spargel tragen italienifdbe fRamen, unb mud)8 ber Spfelbaum in unfeten SBälbetn urfprünglid} milb, fo „flammen bie cblen Säume unferer ©arten »on Bweigen, bie über bie 9llpen gebraut unb auf ben einljeimifdben Stamm gepfropft mürben." 53)

SBirfen leiblid^e Sorgänge auf pfpdjijdje ^Regungen, fo fijnnen mir fdjon »om p^pfiologifdjen Staubpunf te aug auf bie Ser* änberung fdjliefjen, bie in bem ©etmanen »erging. Jpatte ber ©ermatte fid} Borger begnügt, fdjmeifenb auf ben milben ^>ö^en ben Sät unb ben Ur mit bem Steinljammer uiebetguljauen unb bem fdjnellen $irfd)e auf gottigem *})ferbe nad) gu Ijefcen, fo treten mit ber oeränberten Üebengmeife neue fReroen, SRuefel* fafern, ©eljirnfibetn, anberg geftaltete Slutförperdjen unb bamit auch anbere Seelenregungen ein.54; glätte fernmirfenb ber IRemer, blo8 burd) ben «ftanbel auf biefe Setänberung eingemirft, fo märe e8 in Saljrtaufenben »ietleid?t erft »er fid} gegangen, baff ber Stierbänbiger bem freien Sägerleben entfagte unb feinen

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Äofyl ruhig baute, allein ber birefte ©tue! beS 9iömer8, bie Um» geftaltung bet IRbeinebene au8 Giebel unb ©umpf gu Reitern Fimmel unb lat^enben gluren gmang ben r^eiutfe^en ©ermauen feine SebenSweife fctjneQer gu änbetn. 3Rur bet fiegenbe gegionät war im ©tanbe ben belegten t^einifc^en Barbaren in Äürge gu einem Derbältnifjmäfcig cinilifirten (Solonen umgugeftalten. ©et ©tern bet Steilheit fanf, bie ©onne bet ©ultur erftanb an feinet ©teDe!

Allein bie ^Berührung mit 9tom wirfte im fRbeiutbal nid^t nur auf bie (Singeinen unb auf ifyte gebenSweife, fonbern auf bie ©efammtfjeit unb bie Umgeftaltung ihrer poütifcben unb focialen S3erbältniffe. ©ie ©täbte mit ihren ©onfuln unb ©efutionen blieben auch in bet ÜBerfafjung römifcb, naebbera ber §tan!e unb aiemanne bie ©rengwebr butd)brod)en unb bie {Rijeinebene überfluttjet batte. Unb biefe ©täbte mit römifdjet SBerfaffung unb mit ber au8 {Römern unb ©etmanen gemifebten 33et>ölferung würben fpätet bie ©tunblage für bie ©ntftebung einet neuen SBelt, als ba8 2ebn8fpftem in ütrümmer ging. SBegen bet leichteren Sßerbinbung mit bem Dften unb ©üben, bem ©djufce gegen bie ©infälle bet ©ueben unb ©bfliten bu*<b ben fR^emfhrom waten e8 not allem bie ©täbte be8 linfen {RbeinuferS, welche ih« Sebeutung unb ben Äetn ibtet S3e» »ölferung auch bureb bie SRacbt bet SSclferwanberung hinbutcb* retteten. 3n 33afel unb ©trafjburg, ©peper unb 3Sotm8, fDiaing unb Göln concenttirte ftd) bie ©ultur be8 ©übenS; e8 waren biefe non ber üRatur begünftigten §>läf}e bie S3rennpunfte, wo fid? römifebe Sitte unb Sprache, Literatur unb ©ecbni! erhielt um fte fpäter wieber binauöleu^ten gu (affen in bie SBälber @ermanien8. $Ro<b b^te ia ba&en bie graeiöfen Bewohnerinnen biefer {Rbeinftäbte in ihrer natürlichen anmutl) unb gefälligen

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Äleibung, in iljren tielfadj fübtid} gefdjnittenen 3ügcn bie §ül}lung unb bie (Erinnerung an italifd)e ©ragie unb Slbftam» mung erhalten.1 s)

SDer £anbel, ber SUjermometer ber (Eultur, bet feine SBaaren biö an bie D ft fee unb bie SBeic^fel trug, brachte im ©efolge and} eine Sßeränberung ber religiöfen üBerljältniffe am ?R^ein. SDer wettergewaltige SBobawDbin, ber im Sturm ba^erfä^rt unb bem Kämpfer ben Sieg oerleiljt, »anbeite fiep gum SerfeprS* gott ÜKercnr, ber mit ben ©ütern beS £anbel6 ben Segen ber (Eultur überhaupt mit feinem ©olbftabe peranlocft. (ES waren tetfdjiebene Umftänbe, welche fdjliejjlid} bie ©leidffepung beö .ftimmelStaterS unb beS SBerfe^rSgotteS perbeifüprteu. SSom gallifdjen QJlercur, SteutateS, fagt (Säfar, er fei ©ott ber greifen nnb SSBege, (Erftnbet bet Äünfte unb SBiffenfdjaften, furg er becft ft£^> in feinen (Eigenfdjaften mit bem Silbe ber pßdffiteu (Eutwicflung beö #erme8=9Jlercur. 5 8) Jeuto, ein 9lame für Söoban, warb nun non ben ©ermanen als Stammtater ber JDeutfdjen, ton bem bie Könige ipr ©efdjledjt ableiten, terepri SDa nun SBoban-Steuto biefelben |>auptattribute beftpt, wie ber römifdfe ÜJlercur unb ber gadifdje SeutateS: ben fdjitpenben gRantel unb ben fcpimmernben $elm, 5 7) fo war bie ©leidjfe^ung ber pödfften germaniftpen ©ottpeit burcp Sermittlung bc8 gatli» fcpen SEeutateS mit bem römifdpen ©ßtterbilbe leidet perguftellen, baS al8 Sinnbilb beö römifcpen (EultureinfluffeS, als SSorbilb beS SübenS felbft unb feinet SilbungSfaftoren angefepen unb tereprt würbe. 93on feiner ©Ortzeit finbet ftdp eine foldje torperrftpenbe Sngapl ton Sotitfteinen, Silbfaulen, Tempeln, Seinamen, wie ton biefem germaniftrten 5Eeuto«5Dlercuriu8. Ueber 100 3nf<prif» ten, bie bem 50ietcur gewibmet ftnb, gaplt Srambacp auf; über

20 Seinamen inbittbualiftren feine allgemeine rßmifdj=latinifdje

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Begegnung. 58) Sein©ultu8 utib bet feiner ÜDtutter fJRaja, foioie feiner ©emaljlin {Ro8merta waren e8, bie ben iBoben für bie Aufnahme einer neuen religißfen änfdfauung oorbereiteten, welche baS rafdje Aufleuchten be8 ©terne8 non 3uba mit ermöglichten. ÜRercur unb 9Jlaja bereiten bie Anbetung oon©hriftu8 unb üftaria cor! ©et 23erfei)r8gott ebnet bem ©ott ber Siebe ben Seg.

@8 würbe ben {Raum biefer Sfigge überf<±>reiten, wollten wir noch ben ©influfj {Rorn’8 auf bie ©ntftehung bet höhere« 23ilbung, ber Äünfte unb 2öiffeuf<haften, betreiben. ©8 ift natürlich, ba§ bie {Römer, bie Umgeftalter bet materiellen Serhältniffe am {Rhein, auch bie Schöpfet ber geiftigen ©ntwicflung am {Rhein ««b in ©eutfdjlanb würben. Schrift unb sörief, UReifter unb Sdjule »erbanfen wir bem Süben fo gut, wie SRauetn unb ^foften, Del unb SBein.59) ©a8 oierhunbertjährige SSohnen neben bem erften ©ulturoolfe ber ©tbe gwang im fortwährenben Äampfe gegen geiftige unb politische Ueberlegenheit ben freiheitS» burftigen ©ermanen alle iBovtheile ber S3ilbung8elemente fidj angueignen um ben Äampf um’8 ©afein gu befielen. Unb brachen auch bie ©rengwätle unb 33urgen en blich bem Anfturm bet länbergietigen granfen unb Alemannen, bie römifche ©ultur hatte im {Rheinlanbe gu feften gu§ gefaxt, al8 ba§ bie {Barbaren fie hatten ganglich oernichten fönnen. ©ie ©eutfchen liebten bie et» eingeltheit bet SBohnungen, fie ha&ten bie ©inftiebigung ber Stabte, unb fo würbe in ben ©tunbgügen bie rötnif<h*gallifche SBUbung oon ben {Reften ber oom Schwert oerfchonten ©inwchner erhalten, ba8 ber Fachwelt gu überliefern, wa8 ber Strom nicht mit fich fortgeriffen hatte. SSurbe nach ber ©roberung be8 linfen {RheinufetS Anfangs be8 5. 3ahrh««bert8 auch ber SBunberban {Rom’8 in ©eutfdflanb gevftört, getftelen bie 9)aläfte

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am Diieberrbein unb bie ganbbäufer um ÜRaing, fanfen bie Stempel beb Juppiter optimus maximus60) unb beb Mercorius rex non ben Äeulenfcblägen bet blauäugigen Alemannen getroffen in Strümmer, au8 ben Sluinen, bie im 9itjetnt!jal jerftreut lagen, erblühte neues geben, unb bet ©amen bet Bilbung rettete ftd? längft be8 ©tromeS gu neuem Krwadjen. ©ie 9ln» gewöbnung ber recbtörbeinifcben ©ermanen an römit'cben 8uyu8 unb römifcbe JHeije war butd) bie ©ewalt ber Umftänbe gu eingreifenb »or ftd) gegangen, als baß ber Befifc ber Knfel, treten auch bebeutenbe Slbgüge an ber Krbfdjaft ein, nicht wenigfteuß in beu IReften gefiebert geblieben wate. Jpätte aber bamalß ein Särionift bie mattbergigen ©aÜier übermannt, b*tte ber DU)ein nidjt Sabrbunberte lang bie ÜJiacbt be8 getmanijeben greibeit8triebe8, bie ©ewalt ihrer KrpanftonSfraft gebämmt, bie Ufer ber goire unb ber DUjone ®ären baö Kapifa beutjeben ^elbenmarfefi geworben, in ben SBonnegnuen SJlaffUia’ß unb Stolofa’8 wäre bie heutige Äraft f<bon bamalS oerfiegt unb »erborrt !

©er rafebe Uebergang non ber Barbarei gur Uebercultur batte bie Äörper ber norbifebeu Söiänner entnerot, unb gu ©flauen be@ römifeben ©eifteö waren bie gelben ber KberuSfer berabgefunfen. ©ie Äümpfe um ben JK tj c i n unb bie ©ultur am Di bei n ermöglichten eß, baf) im langen Düngen eine neue, bauernbe Kpocbe ficb Borbereiten fonnte: bie ber Kultur« berrfebaft getmanifeber Diationen in Kuropa. ©er Dibeinftrom war ber Vermittler, ber ben feften Buub fcblofj gwifdbeu bera freibeitßliebenben ^»elbenfobn be8 rauben DiorbenS unb ber febimmernben Braut bc8 reichen ©übenö!

<jlü)

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9lttmcrfungcn.

1) ®ei Einnahme her Sörcitelinie war bie GMieberung »on Italien im ©üben unb Großbritannien im Serben beftimmenb. gut (Jap bi üeuca mürbe Sap IRijjuto al8 ©ubpunft angenommen, meil biefe üinie baß iHücfgrat Stalien« burepfepneibet, bie Vinic üeuca*Wratp aber Stalien meftlicp liegen läßt.

2) Saß bet Etecfar fiep früher meitcr norblich bei Sribur in ben Schein ergoß, nnb baß feinem ehemaligen 9aufe biefe i'anbfcbaft be8 füb- liepcn EJüttelrpeintpalcS ipren (Sbarafter ber Sicfebcne mit »erbanft: bar* über »erglcicpc 9J!one: SabifcpeS Elrepi» 1. ©. 20 f.

3) 3>ergleitbe im Elflgemeincn über bas fDlittelrpeintpal unb feine natürlichen SLiölferftraßen, femie über bie Scbeutung biefe« üänberftricbeS be8 SSerfafferS .©tubien jur älteften ©efepiepte ber tKheinlanbc" l.Elbtp. auch bcäüglicp ocrfdjiebcner anberer mciter unten be^anbclter fünfte ift hier nähere Stufffärung gegeben, llcbrigenä erlaubt fuh ber ^erraffet bie 0ittc feinen EluSfüprungen mit ber Karte in ber £anb folgen ju mellen.

4) 4>gl. über bie poftglaciale 3<üt in (Europa ba6 SMlb con Gbgar Cuinet .Sie ©cpöpfung* 2. 0. ©. 1—21.

5) 3n ben fohlen beß 2apntpale8 fanb jüngft o. (Sohaufen OTammutpS* fnochen neben menschlichen Knocpenfragmcnten; in ber Glufenftcinerhefcte entbeefte ©chaaffhaufen fürjlicp fRcnntpier* unb SJtenfcpenfnocpen neben einanber; »gl. ba8 6orrespcnbcn;blatt b. ©efellfcp. f. Anthropologie 1875; u. ben Bericht über bie VI. SBerfammlung beutfc^cr 9tntI;rop. in EHüncpen, 3. ©ißung.

6) 0g I. Safcpcnbucp f. ©efepiepte u. Elltcrtbumßf. in ©übbcutfchtanb 1. ©. 131; au8 neueiter 3cit »gl.: .Kaufmann: bie Elltbelcetier »or ber remifepen ^errfepaft, 6. ». 'Paulus: bie Elltcrtpümer in Württem- berg, bc8 0efaffer8: 0emerf. j. präpift. Karte ber SHpeinpfalj.

7) bell. gal). II, 4. Siefenbach: Origines Europaeae @. 129. Tacit. Germ 28. görftemann: ©efep. b. beutfehen ©praepitamme« 1. ©. 317. llfmger: bie Anfänge ber beutfepen ©ejebiepte @. 192 ff.

8) $olpmann: germanifepe Elltertpümcr ©. 227 ff. 3e»ß: bie Seutfcpen u. ipre Elacpbarftämme; ein ncuefteS ^auptmerf über biefe gragen pat Slmclb geliefert mit: Einnebelungen unb SBanberungen beut* feper ©tämrne. Siefe Werfe finb auep in anberen berührten fünften ju »ergleicpcn.

9) Söacmeifter : alemannifepe Wantcrungen, feltifcpe Briefe.

XI. 2S9, 4 (811)

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10) üJJone: fcltifdje gorjchungen, llrgefdji^te teS babifcbcn 2anbeß.

11) bell. galt. III, 12.

12) fDlommfen: rem. ©efch- III. ©. 219. Safcbenbucb f. ©eiebiebte u. f. m. 1. 8. 223.

13) 3uftin 43, 4; üinbenfebmit: bie ’äüterttmmer unferer Ijtibntjt^en ©erjeit III. 23. 1 £>. ©eilagc. Ser iHobenbadjer gunb mit feinem etrurifeben Äantharuß gibt einen eclatanten ©eweiß für baß ©efteben Pon fcanbclßcerbinbungen beß IKbcintbalß mit bem ©üben bereits im 2. 3abr» bunbert eor (5^riftu«: a. a. £>. III. 23. V. £>. lieber porrömifeben $>an* bei pgl. außerbem ©entbe: über ben etrur. Saufcbhanbel nach b. ©erben.

14) bell, gall IV, 20. Plinius nat. hist. 34, 2: war baß fogenannte ?ipianif<be Äupfer.

15) bell. gall. V, 12. VII, 22.

10) Tacit. Annal. 13, 57. Arnmian Marcell. 28, 5.

17) ©on allen inbegermanifeben SBertern, bie ,©alj* bebeuten, fangen bloß bie in ben feltifcben ©pracben mit h an: corn. haiein, cytnr. halan; pgl. Surtiuß gr. @tpm. ©. 501, gief pgl. SBßrterbucb ber inbogerm. ©pratben S. 8k9. ©aemeifter feit, ©riefe ©. 53. ©. £>eljn: baß ©«4 ©. 33. 51. Sie Slnficfjt, man hätte £>aU, $>alle Pen ben ©erfaufßbatlen genannt, ift einfach lächerlich, fftennt man einen Crt Pen einem ©cbäube, baß beeb nach feiner ©rünbung entftanben fein mußte ober nicht oiel» mehr Pen einer charafteriftifcbcn (Sigenfdjaft beß Sterrainß? Sic Analogien Pon ©aljburg unb £>aüftabt jinb fprcebenb genug; ober nannte man auch ©aalfdb nach einem ©aal unb niebt nach beut Saljfluffe ber ©aale?

1 8) Safür fpricht außer Stellen bei ben Slutoren bie SBabrnebmung, baß in ben Pfahlbauten bie Äornfrücbte egpptifcben llrfprungß fmb, fo ©erfte, Söeijen, ^irfc. ©irebo»: Sie llrbeoßlferung (Suropa’ß ©. 39, 40. Sen ©ernfteinhanbel am iH^ein jeßt ©enthe in bie 3eit Pon $efiob biß auf £annibal; pgl. ÜJlonatßfcbrift f. rbcin.*»cftph- ©cfcbidjtßf. II. 1. 3. $). ©. 10-15.

19) Revue uumism. 1838. p. 330.

20) Sie fDlünjcn pon SBormß befinben ficb in pfäljifcben pritat. ammlungen; eine prächtige Äeltenmün^e auß Porcäfarifcbcr Beit befißt Dberft ton ©emming; bie Segenbe auf il;r nennt einen Äönig Pon Srier Sntutiomar; bie meiften ©pemplare auß ber SRheingegenb in beffen Sammlung finbflRachbilbungenmacebonifcherSEetrabra^mien, fog.Philippiftt.

21) 9icm. ©efchidjte III ©. 213. 9lnm.

22) ©erm. Slltertl;. ©. 119. 23) Dio Cassius 53, 12.

24) Scß ©erfafferß , ©tubien jur älteften ©efeh- beß SR^cinl. * I. S. 55.

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25) praecipuum robur Rhenum juxta, commune in Germanos 4, 5. Gallosque subsidium, octo legiones erant jagt Tacitus Annal. Heber bte ©ertbeilung ber rcmifd)en Legionen Dgl. ©rambad): codex inscriptionum Rhenanarum ©gleit.

26) per Rheni ripam quinquaginta amplius castella direxit: Florus IV, 12.

27) lieber Argentoratum = ©trafjburg Dgl. ©acmeifter alemannifcbe SEBanber. 0. 115.

28) ©gl. „©tubien* I 0. 48 ff.

29) hierüber u. über ba« folgenbe Dgl. peucfer: bie beutjcbe ÄriegS« gef<bid)te ber Urjeit, 3. Sit). %. Sitter unb 3at)rb. b. ©er. D. 2tltertb). im Sfjeinlanbe XVII.

30) notitia imperii occidentalis C. 39.

31) Sueton. Caligula 8.

32) ©trajje Den strata, atrata Don sternere; viam sternere = einen 2Beg binitretfen, weil bie ©äume juerft ju fällen waren.

33) peuder, 3. Sfj- beS angef. SBerfefl ©. 252.

34) Jtinerarium Antonini ed. Parthey 372.

35) SDie batjeriftbe fPfalj unter ben Scmern 0. 60; tjier aud) ©. 22 bie Literatur über bie Sömerftrajjen am Sfjtin.

36) ©lene’« Urgefc^idjte Den ©oben I. 0. 137.

37) Tacit. Germ. 29.

38) 'Peutfer 3. 5£f). 0. 399.

39) ©rambad) : ©aben unter rem. $errjcf)aft 0. 21 ff. 'JJicne’S Urgejtbicbte d. ©ab. I. 0. 204 ff.; pauluS l)at allein in SEBürtemberg über 600 rämijdje 2Bobnpla&e entbeeft; über Solicininm Dgl.: Ublanb'S ©(triften $. Sefd), b. SD. u. 0. 8 ©. ©. 269 ff.

40) ©gl. bie ©roncefunbe Don Überfranfen , bie jur ©ergleicbung aufgeftellt waren in ber präl)iftcrifd)en SluSftellung ©atjern« in SBlümben Sluguft 1875.

41) Sueton Tiber. 9, Octav. 21.

42) ©ei bem ©eftreben, bte ll;at SlrminS ju eerfleinern ober gar ju leugnen, weifen wir auf biefe Ibatiatbe bin, bajj ohne Slrmin« 3S^at ba« rechte SR beinufer nitbt frei geworben wäre Den römifebem SDrucfe. 9EBa« bie Semer teiften fennten, beweift ©ermanicu«; ebne 'JlrminS SEBiberftanb hätte biefer fieser SDeutfcblanb bi« jur (Slbe remanifirt, unb bie ffranfen wären unmöglifb gewefen sc.

43) ©tbnetber: ©eiträge jur alten ®efdj. u. Stopograpb- beö Sbeinl. 1. u. 5. Selge.

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44) Taeit. Annal. 12, 54. ©cbneiber 1. geige ®. 73.

45) Tacit. Germ. befenber« 5 25.

46) ÜJian ogL mit ben ©ebilberungen beS Stacitu« bie bamit über» einftimmenben gunbe een ber Sürfbevner ^Ringmauer, bie febr wahr» fcbeinlicb germaniftben llrfprumjä iinb; im Sürth- ?Ütertbum«Derein.

47) ÜJlone’6 Urgefcb. I. S. 84 ff.

48) üftone’fi Urgefcb. I. ©. 87.

49) ÜRone« Urgeftf). I. ©. 98.

50) Stribeln ober ©traubein (in ÜJlittelfranfen) een striblitae abju» leiten; Säte giebt ein SRecept ^iefür fc^on 170 3abrc p 6br- an; »gl. ÜRone I. ©. 101.

51) Tacit Germ. 23. 52) ÜRone I. ©.38.

53) ÜJione I. ©. 45. 5$. £>ebn : ßulturpflangen u. $au«tbiere ©. 451 ff.

54) 93. 4>ebn a. a. £). ©. 454. SSanbelte ficb auch nidjt bie Scbäbel» form? „bie (Kultur brüeft ben ©d)äbel breit*, behauptete ©tbaaffbaufen auf ber 6. SBerfammlung ber beutfd>cn ?tntI;ropologen in ÜRün<ben.

55) 3n großen Stabten we^felt tjauptfäc^lic^ bie männliche Söe* Dölferung; tiefer Umftanb unb bie SLbjatfcubie, baß »or 2111cm bie grauen ben ©tammcStupu« (Änferriren, mögen erflaren, warum bie rbeinifeben grauen in ihrer (Srfcbeinung noch jeßt füblicbe Üieminiöccnjcn an fub tragen; »gl. SReicf) : ©tubien über bie grauen; »gl. bie ©rgebniffe ber ©tatiftif in: bie baperifdje 3ugenb nach ber garbe ber Äugen, ber fDaare unb ber $aut oon Sr. ÜRapr.

56) £Die Sdjrift be« SBerfaffer« ,bie ©runbibee be« £>erme« rem »ergleicbenben mptbelogiftben ©tanbpunfte au«"; ^olßmann: beutfebe üüptbologie ©. 35. ff. Caesar bell. gall. VI. 17.

57) £)ol|$mann a. a. £). ©. 37, Tacit. Germ. 2: Ser ©olbbelm be« ÜBoban ©plfagining.

58) SBrambacb: codex inscript. Rhenan., SBaben unter röm. ^)err« febaft ©. 30.

59) ©ebrift = scriptum, Sörief = breve, ÜJleifter = magister, ©cbule = scbola.

60) Sem Supiter finb mit ÜRetcur bie meiften religiofen Senfmäler am SR^ein geweiht ; bie cbriftlicben ^riefter wanbetten feine Stätten ge» wßhnlicb in Äircben , Äapellen u. f. w. be« 3t. i'eter um, wie bie be« ÜRerFur in ÜRid;el«bergc unb ÜRicbelSfircben ; »gl. SBolf: ^Beiträge jur beutftben ÜRptbologie a. m. O. u. be« Sßerf. ©tubien jur beutfeben üRp>

-thologie ,2lu«lanb* 1876.

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Emtf oon © 1 1 r. Ungrr (Sb. QSrumu) in Vcrltn, ©d)cnfttr,jtntrnj)? 17 a.

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Uebcr

unb

usruianM^

>*

Vortrag, gehalten im ujiffenfdjafttic^en Vereine ju ©reifßmalb am 21. Olooember 1875

von

'Prof. Dr. 3. IHiinter.

ßcrlin SW. 1ST6. SSerlag »oitdarl .£) a b e [.

(i C. tS. iaimti sljt Srrlagtbnititjanitlnnß).

33. ©ilbelm Strikt 33.

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3 )aä 9icdjt bcr UtberfffcHng in ftcmbt ©prad>cn »irb cerbcljalten.

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^iJie [title Söalbeinfamfeit, feie Ufer jdjilfumjäumter @een, bie ©eftabe bet eroig bewerten fDIeete finb e8, 311 beten Sefud) id) fcen gefer einlabe, um unter meiner güljrung bort eine ©type eigenartig geftatteter Spiere feiner geneigten 23ead)tung untergietjcn, bie bei biofeer Nennung tyrer Planten, ©tynecfen, läJluftyeln u. f. tt>., tym 3«iar genugfam befannt fein bürften, aber, ald ber Sluäbrucf beS fRiebern, alö bie (Symbole ber £rägl)eit unb gangfamfeit, tym fo menig ber Söeadjtung bisher merty etftyienen, baß er, »eit entfernt tyre 33efanntfd)aft 3U fudjen, fie üielmeljr, fei benn mit 2lu8naßme tyrer @e* ßänfe unb ©traten, abfic^tlid? mieb, oieUeidfet fcgar mit 21 b= [tyeu fid) oon tynen roanbte.

SBenn id) bemungeadjtet e8 n?age bem £efer 3U3umutl)en, fit^ geitroeilig mit großenteils fo unfdjönen ©efdjityfen geiftig ju befdjäftigen, jo glaube id) bei tym um beäroiHen auf 5(tad)= jrdjt regnen gu bürfen, rceil mo^lbefannte 5Ral)rung§mittel toie 3. üRieSmufdjeln, duftem unb bergleiten, bed) aud) bem Äreife ber SBeicfetfeiere angeboren unb ^ingermufteln unb J^fa^lroürmer immerhin beöljalb fdjon ber 58ead)tung mertl) finb, weil bet Serben, ben fie unferet impofanten bcutfdjen .^anbelS: unb Äriegßflotte gufügen, nod) immer unb 3war 3U

XL 260. 1* (817)

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©unften ©nglanbö, ben etwa möglichen ©ewinn unferer, ber beutfcßen Dlßebereien fdjmälert !

©ie ileferinnen biefet Beilen aber werben, beffeu bin idß gewiß, weit eßer bem SBerfaffer 9Zac^ftcbt angebeißen (affen, weil ißnen einerfeitß ber ßerrlidje ÜRufcßelfaal im 9ieuen sJ)alaiö gu ^otSbam, ber ©tolg unfereö griebrieß beö ©roßen ebenfo in freunblicßer Ülücferinnerung geblieben fein wirb, wie fte ja anbererfeitö faft oßne alle äuenaßme, 23ereßrcrinnen ber SOlufdjeU fdjalen^Probucte in folgern ©rabe finb, baß fte biefelben für würbig genug ernsten, um fte an geeigneter Stätte, als be* »orgugten ©eßmuefgegenftanb, als 5Br of <^e 3U tragen.

23eftimmten mieß biefe nnb anbere ©rünbe, bie fDlufcßel* tßiere nnb ©cß ne den in ben nacßfolgenben SMattem einer eingeßenben 23etracßtung gu untergeben, fo würbe icß boeß nicht im Sinne ber Sefcr gu ^anbelrt glauben, wollte ich unterlaffen ißm biefelben uneingerabmt »orgufüßren. 3um »ollen älerftänbniß bcrfclben gu gelangen, wirb nur eben bann möglich fein, wenn wir fie im 3ufammenßangc mit ber übrigen S:l)icvwclt unb ins* befonberc ber näcßftuerwanbten ©nippen in Setradjt gießen. 3unücßft finb SDiufcßettßiere unb ©eßneefen bem weiteren 23e* griffe ber SÖcicßtßiere (Mollusca, wie fie bie neuere 3»»I»gie nennt) untergnorbnen , beren 9lame fieß auf bie fnocßenlofe weieße Sßierfubftang grünbet, weil, wie e8 g. 23. bie feßwarge SBalbfcßnecfe gut ©enüge bartßut, bafl ©ßier aueß oßne alles ©eßäufe »cUftünbig fein unb waßrenb feines gangen Hebend befteßen fann.

SSeicßtßiere aber entbehren, im ©egenfaße gu ben SBirbeU tßieren nießt bloS bcs innern, feften Jifnocßengerüftcö, fonbern aueß beo ©eßirnö unb illücfenmarfcö, b. ß. ber eßarafteriftifeßen 9ier»cncentra berfclben, bie aud) ber atlercinfacßften gifeßfotra1) nießt feßlen. ©cn ©licbertßicrcn gegenüber, wie g. 23.

(SIS)

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SBeöpen, Jfäfern, Ä'rcbfcn u. f. tu. rermiffen wir in ben 2Bei4= toteren jenen gierigen ©lieberbau rielgatyliger ©jrtremitäten unb Hingt ballet faft wie Srcnie, wenn wir bei SBeidj* toteren benno4 ron einem gufje, einer @et)le reben, auf welkem fi4 ba§ träge Sfyier burt^S geben fdbiebt. 9tid^t minber geljt ben SiJeidjtljieren bet fpmmetrif4 ftraljlige Sau ab, wie wir il)n in faft „gecmetrif4ft Gonftruction" bei ben @tral)ltt)ieren bewunbern; nur mit ben SBütmern tfjeilen fie bie feitlidje ©ommetrie, otyne jebo4 beten Se» fonberfyeit gu befifcen, nämlid? bie SBieberfyolung gleit^wert^er ©liebet.

2>ie Organe, weiten bie Aufgabe obliegt, baö unbebeefte ober mit Skalen »erfefjene SL^ier fortgubewegen, bie jogenannten animalen Organe, finb uon benen, weld^e bie Slufgabc Ijaben, baS SL^ier gu ernähren, ben negetatieen, täumli4 getrennt; nid?t io immer bie Organe, weldje bie ärt (species) in ber ©egenwart conftant gu erhalten beftimmt finb, bie ©enerationS» otgane, auf gwei Snbioibuen »ertfyeilt. --

Unterwerfen wir gunä4ft. al8 befannteren Siepräfentanten ber i£d>necfen, bie grofie 2Beinbetg'8f4«ecf e unferer Unterfu4«ng fo feben wir fie mit bem fc^raubig gewunbenen, weitmiinbigen ©etjäufe anf bem SJtücfen, auf iljrer ©oljle fortf^leic^en, lang» fam gwar, bo4 audj ofyne gu ftraucfyeln. 3J?it einem ftüljlet* paar unb gwei auf wcmegli4 no4 längeren (Stielen fifcenben äugen fonbirt fie, ob unb wo fidj ifjr fRafyrung bietet, bie fie mit itjrer funftscll gebauten 3ungea) fidj angueignen ftrebt. Äalt, wie eg bie farblofe Slutflüifigfeit nit^t 9lnber§ guläfct, in fi4 abgefcbloffen, conftant in feinen fleißigen fülantel getjüQi, fc^leppt ba8 träge 38ei44ier, wie einft ©iogenetS, fein 5Bo^nbau8 fammt feinem behäbigen 34 über frelb unb ftlur, über ber SBicjen ©riin, wofyl felbft in bie Saumfrone hinauf, wie e8

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bie Sartenfdjuccfe 311 beS Särtncrö geibwefen alltäglich thut, ober aud) über bie üangfelbcr untermeerijcber 'Präriecn, wie bie £eerfchaaven ber Seef djncdfen.

Dbfdjen nicht ohne Aperg, wie ba§ Coraflenthicr, bie Seeanemone u. bgl. füljlt baö Schnecfcnherg nur in ieltenen fällen unb auch bcdj nur in fel?r bebingtcr SSeife, Verlangen nach gleid^geftalteten, ebenjowcnig giebe = bebürftigen SBefen, ja woljl mitten burd)3 .perg bringt baö ©armiofyr, unb io lebt baS $l>icr beß Schnecfenhaufeä einfam, abgefchlofjen, ftd) jelbft genügenb; bev (Erhaltung feineö 3chS unb feiner 31 rt ftd> wibmenb.

3n ßrfüflung bicfev republifaniichen SBeftrebungcn fönnen 3ablreidje Schnecfenthiere nicht, umhin, f ol)len ja uren Äalf, ben fie iljren Suttermatcrialien entnehmen, auf ber Obcrfläd)e ityreb 99tantclS, aus bort befinblidjen gat)lreidjen ©riijen abguicbeiben unb unter Sufafc mehr ober weniger intenfiocr ftarbftoffe plaftifch gu ge* ftalten: gu taufenbevlei gierigen, napfförmigen, jdjraubig *ge= wunbenen, glatten unb bornigen Skalen; eine guft unb Sreube für ben Gonchplienfammlcr, iowie überhaupt für IStte, bie im Sanbe bc6 Secftranbeö ßrtjolung unb Unterhaltung juchen, für Jung unb 3llt.

Erfreuen ftd> bie (frbauer bev Sdjnecfcngehäufe, bie fopf* füljrenben eidjttjiere (Cephalophoren, wie fie bie SBiffen* fdjaft nennt) inßbefonbere bie Saudjfüfjler (Gasteropoda), im großen Sangen beS guoov turg bcidjriebenen 23aue$, fo trifft bie Soraugie^ung bod) nic^t gu , ba§ wir bamit eine Sfigge ent* werfen hatten, welche auf bie 9Ruf chclthiere, namentlich bie Blättcrfiemer pafjte.

ftreubeleer unb nieift ohne alle Slnjchauung oon ber färben* reichen Sinnenwelt, im Stumpffimt perbringen fie ihr langes geben, fei auf bem Srunbe ber ftlüffe unb Süjjwafferjeen, fei

f«2o;

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e8 auf bem ©runbe be8 SfteerftranbeS; auf beilfcrmigem gufje .langfam fortfriechenb, ober au8nahm8weife fdhwimmenb burch 3ufammenf<hlogen ihrer beiben ©chalenhalften ; ober wie e8 öfterer bergatt: burd) felbftgefponnene gäben (einenSöpffuS) ober burch felbfler^eugten Äalfmörtel prometheuöartig angefdjmiebet, nadjbem fte nur wähtenb ber rofigcn Beit ifyreö BugenblebenS, ftrubelnb in wirbelnben Steigen, oermöge iljreß SBimperfegelS ber feffellofen greiljeit %i(l)aftig gewefen waren.

Äopflo8, in be8 3Borte8 oerwegenfter ©ebeutuug, in ber SSfyat, ohne ade Slnbeutung cine8 Dom Körper abgefejjten Äopfe8, jumeift auch, (oicdeicht nur mit alleiniger Ausnahme ber &ammmuf(hetn),ohne 'Äugen, ol)ne9tiech* unb®ef<hmacf8organe, adenfafl8 mit bem ©inne be8 8ldgemcingefiU)l§ unb be8 @ehör8 begabt, wanbeln bie Sftufchelthierc ein wenig beneibentSmertfyed ©afein ab.

Äu8nahm8lo8, jo wie biefe ©efdjöpfe be8 Äopfe8 entbehren, fehlen ihnen auch bie Äaumetfjeuge, (namentlich jene Diel* bewunberie funftood conftruirte 3unge ber ©chnccfcn, beren Berührung fchlimmere golgen Ijerbeifütjrt, wie wenn un8 ber 2öwe belecft, benn felbft ba8 fonft fo gut Derficherte Geraden* tljier lecfen bie ©chnerfen befanntlid) mit Seichtigfeit au8 ihrem harten ©ehäufe heraitö). Stur ein ^aar blattartig geftaltete fleine £autlappen beuten bie Sage berSJtunböffnung an unb muffen bie jahlreidj bort angebrachten SBimpern ben bauernb an» gehefteten, crwachfcncn Sljieren Stahrung juführen; währenb bie freilebenben SJtufchelthiere fich hoch ad in jur Stahrung8* quede htnbewegen fönnen.

©er fleiid)ig»häutige SJtantel umfchlicfct, mehr ober weniger

Dollfommen ba8 einfach gebaute Jperj, ba8 ©armrohr, bie Üeber

unb bie ©enerationöorgane; wirb aber felbft unb jwar au

nahm8lo8 non einer hoppelten, oon ben ©rufen be8 9)tantel8

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erzeugten Äalffdjale cingeichloffen, bte mittelft eines einfachen ober hoppelten Sthalenfchließmu8fel$ unter bera SBillentSeinfluffe bc8 2l)iete8 fteßt, bem, aber auch nur meeßanifeh, entgegen» wirft : ein elaftijd>e8, fogcnannteS ©cßloßbanb, außen auf einem Steile ber fouft freien ©cßalenränber angebracht. 8äng$ ber Slnßeftwtg be8 ©cßloßbanbeS ftnben fieß »ielfadj auch tooßl noch auf ben einanber gegenüber geteilten ©cßalettränbcrn (Erhabenheiten unb SBertiefungen I c § gähne), behufs weite» ren fieberen SBerfcßluffeS ber ©cßalenßälften.

2luf biefer tßeilS actioen, tßeilS paffiuen Sßätigfeit ber ©cßalenjcßließer unb be§ ©cßloßbanbeS beruht eS, baß man bie Sufter für tobt unb folglich für ungenießbar l)ält, wenn fie flafft, umgefebrt aber, fo lange ber 3BilIen8einfluß noch jur ©eltung fommt, b. ß- fo lange bie dufter fähig ift, bie Schalen ju fcßließett, hält man fie unb mit JRecht für genuß» fäßig, weil fte noch lebt.

Sie im 33orfteßenben in großen Umriffen ffigjirten ©djnecfen» unb ÜRujcßeltßicre bilben nun aber nicht ben alleinigen Snßalt beS Shfcr*ÄrcifeS, ben man unter bem Gotlecti»»9tamen: eich» tßiere 3ufammenfaßt; benn unjweifelßaft fchließen fid> ben fopfführenben 33aucßfüßlern , b. ß. ben ©eßneefen, bie ■Rielfüßler (Heteropoden) an, bei benen ein fielformiger gloffenanßang bie flache Sohle ber 33aud>füß(er oertritt, tßcilö mit einem ©dßälcßen auf bem ßlücfen, Bon ber gorm einer phrpgifchen SSJtüße ober thcilS in ein fpiralige8 ©cßäufc gang unb gar jurüdgießbar. 3ßnen reißet fieß fobann eine anbere Drbnung, bie ber gloffenfüßler (Pteropoden) an, benen gwei flügelartigc Ausbreitungen beö 99tantel8 a!8 lofomotorifcher Apparat bienen, tßcilS fcßalcnloS, wie bie SBalfitcßfcßnecfc (Clio borealis L.) tljeilS in glaöhcde ober wenig gefärbte jierlidjc

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<Sdjäld)en cingcfcnft ron bcr ^crm bcr fftothmcin* ober <S^ampagnctgläfer.

Sefteht über bic Serwanbtichaft btcfer (erstgenannten bciben ©ruppen mit ben fcpffüljrcnbeit 35?etd^t^tcrcn feine abmeidjenbe Sänfidjt, fo ift bieg be<h nid)t ber ^atl mit ben in ihrem Sau fd)on fo erheblich fortgefdjvittencn Kopffüßlern (Cephalopoda), ben auch »ol)l »genannten „Ärafen" ober 2intenfii<hen, polypus im claffiic^en Slterthum genannt, mährenb bie (änglänbet fie theilmeiie and) roobl „Cuttlefish" nennen, »eil eine $lrt mit ihren 9lrmen bem „Kutteldarme" gleicht.

(58 befißen biefe „Grafen", fo mie bie ©chnecfe, eine fchleimabjonbernbe äußere .pautoberflädje, bcd) ift biefe nur in fetjr menigen gälten oon einem mehr ober »eniger innig an= baftenben ©chalengehüuic bebecft. ÜJieiftenö jeigt bie fcßlüpfrige naßfalte Jpaut bcr Unbcfchalten, namentlich ber eigentlichen Jintenfifche, fcne8 »unberbar wedjfelnbe ftarbenfpiel, ba8 nur mit bem be8 GßamäleonS oergleichbar ift, burch Shromatophoren. SBährcnb ber untere ü£l)eil bed meift eplmbttfcßen, feltener facf* artigen, in feinem JRücfen einen flachen, länglich * eiförmigen Knorpel ober Knochen tragenben $h'er§ vielfach eine SD o pp eU f l o f f e befißt, erfennt man an bem auf bem ©djcitelpole gelegenen uon 8 ober 10, feltener jahlreicßeren Slrmen umftellten SJtunbc mit hornigem 'papageifchnabel unb unter bemfelben einen SBirbel non Slrmen tragenb, an ben bort feitlich angebrachten großen, floßenben Singen, fofort ben Kopf bc§ ShirrcS, ber fogar eine SÄrt fnorpeliger ©d)äbelfapfel einfd)ließt mit einem h>m* artigen -Jteroenfnoten. fBian mürbe ihn ®el)irn nennen fönnen, »enn fid) nid)t im SeibeS » Snnern noch j»ci faft gleichgroße 9teroencentra, »ie bei ben ©d)nccfen fänben!

Unterhalb ber ?(ugen finbet fid) eine ©ürtelfpalte faft ring8

um ben Ueib hcrumf an einer beftimmten ©teile oon einem

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fnerpclig«flciid'igcn SRcljr überragt, tag fich in tag innere be8 geibeß offen münbet. ©irb ber facfartige, mit Söaffer erfüllte geib bc® Sbiercß contprimirt, fc tritt baß ©aff er burcb bcn „Seichter" tyeraub unb crtpcilt burd? SHüdftofj tcm fdjwimmenben Spiere eine rücf läufige Bewegung, wie bie an einem gewiffen englifdjen Äanenenboote probeweife angebrachten bptraulifcbcu üJlotoren. 5m 5nncrn beb großen ^eljlraumcb, ben ber flcifcbigc 9)iantcl bilbet, befinben fiep ber Sarmfanal, bie gebet, bab arterielle unb eenöfe .jperg, bie .Stiemen unb ber hinten» beutcl mit feinem fdiwargbraunen ©ecrct, ber „Sepia".

Sic ber Sefctwclt angeberenben beiten Dieiben ber „.Strafen", buvcb ben SBcfip een 2 eher 4 .Stiemen (baractcrifirt, finb fleifd?* freffcnbe, räuberifcbe Spiere een ©repentiffere^eu, mie fte überhaupt wobl taum (bie ©augetpiere unb Jp.iie außgenemmcn) in ber Sbierwclt eerfemmcn bürfteu, een ber gange een einem Soll biß juv gänge een über 24 gufeen!

Sie Slrme beb bei bem unlängft an ©nglanbß gefapreellen Äüften geftranbeten beutfepen Sumpfet „©epilier" gefebenen „Guttlefi jepeß" waren narib bem SBeridpte amerifanifeber Bettungen3) über 12 «Suff lang unb een ber Sid'e eineß 'Hianneß* armeß, cellfommen fäpig, bie irbifdjen 9iefte ber äkrunglücften 3U umfaffen unb beren ©ebein abgufnagen, teie man ja auep een anberer ©eite weif?, bap teppelt fo lange unb teeit ftärfere Slrmc im ©tanbe waren, gtcfic iHubcrboete 31t umfpannen, um beren lebenten Jnpalt in grunbleje Siefen mit unwiberfteplicbcr .Straft binab3U3ieben.

Sic eerbältnipmäpig ned) fepr junge IBefanntfcbaft mit lebenten Originalen tiefer gemalttbätigen ©ecungebeuev lief) bie alten ©agen, wie fte auß $)liniuß 3cit unß überfemmen unb um 1555 burep ben sJ)robft een ©trengnäß, Dlauß ÜJiagnuß, bann aber noep im corigen 3abrpunbertc com norwegifeben

(SU)

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Söifdjcfc pontoppiban »orgctragen würbe, boep auf Spat jaepen, wenn autp auf falftpoerftanbcnen berupenb, erfennen. Sie früher für eine Garricatur gehaltene Stbbilbung beb ©ccmoiidbG erweift fid) nad; StccnftrupS SDuftration, alb ungefepiefte fftaep* bilbung eines „Strafen" (Arcbiteuthis monachus ober A. dux Steenstr.) Sie (Sjrifteng einiger \Hrten beS SepiffSbooteS (Nautilus pompilius unb N. urabilicatus) in ben Dccanen ber Srooenjonc ift oon erpeblidper ©ieptigfeit geworben für bic Grflärung unb baS rieptige ©erftänbnif; jabireieper ©e|talten, bie fid) nur ned) foffilifirt, aber Den ber ©ilurgeit ab, in ber 3ura= unb Äreibeperiobe il)re poepfte ©lütbe erreidjenb, boep bis gur ©egenwart im „Nautilus“ lebenb erhielten. Sßie ftänbe eS um unfer SBifjen über bie 9(mmon8börner, bie Senncrfeile (Belemniten) bie Drtpoceratiten u. f. w. wol)I nod) beute, wenn wir nidit bic Urenfel ber untergegangenen Urnmapncn jur gyanb Jütten, nm ipren ©au 311 erforfcbenV

3d)(icfscn fid) an bie ©nippe ber fopffübrenben SBcidjtpiere bie uorgenannten IReipen ber Äielfüpl er, gloff enfüplet unb meglicperweife ber ftopff üpler eng an, fo läpt fiep nid)t in Slbrcbe ftellen, bap bie Sltmfloffer (Brachiopoden) , gu benen bie einft io maffenpaft bic 9)lcere bewobnenben Sotb« mu itbc ln (Terebrateln) geboren, ftd) auf baS 3nnigfte ben 3Weifcpaligen9Kuf<peltpieren,ben ©lätterfiemern anreipen.

5lber aueb bie fogenannten PiolluScoiben: bie 9)looS« tpiere (Bryozoa) nämlid) unb bie 9)lantcltpierc (Tunieata) gepören, ber lepteren ©nippe ungwcifclpaft näher ftelienb, jebenfaÜS nod) in ben ÄreiS ber Söeicptpiere.

Sie Angehörigen beiber Älaffen befipen wenigftenS nod) ein 91 e r 0 e n centrum (Ganglion) mit fernen; beibe entbepren eines ÄopfeS, mäprenb ipre innern Organe feitlicp.fpmmetrifd) angeorbnet finb; beiber Älnffen Angehörige finb in eine äpüße

(8SS)

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etngejchloffen, He wie bei ben PlooStbieren auö (Sbitin ober Äalf, bei ben Pia nteltbieren aber au8 oegetabilifchem Bell» ft off (Cellulose) bcfteljt.

Jpat man bie in ihren meift äierlidjcn Sechern ft^enben SJiopgt^ierc frütjer für Polnpen gebalten, wie ftdj 3. 33- auS ben noch gangbaren äbbilbungen 3U Dten'8 fftaturgeichicbte erweifen läfct, fo ipricbt bod) gegen eine berartige 33erwanbtf*aft, einmal bet fReroenfnoten unb bann eor 9Ulem bcr in ber weiten Ueibe^böblc frei aufgebängte SDarmfanat, wenn auch baS un* aufbörli(b«fcbwingenbe IRäberorgan an bem au8 ber SBedjerbüHe beroortretcnben oorberen Steile be8 2b>ere8 an ben Sentafelfranj bcr Polopen erinnert unb ihre (felonieen, namentlich ber'auö Äalf erbauten Stöcfe, benen bcr ßoraüen oft täuft^enb ähnlich finb. Siefe fdjwet 3erftörbaren ©ebäufe»(5olonieen machten e§, ba§ bie einft bie llrmeere bewobnenben ©rpo3oen fi(b au8 bet Silurgeit, bet Jura* unb Äreibepericbe binburth bi§ 3ur ®egen« wart erhielten, fo baf? ein b’Drbignn jowie ber in ©reiföwalb oerftorbene Dr. oon .pagcnoro ben frangöfijdjen unb belgifcben 9Roo8tbiercn »iele 3abre fleißiger ftorichungen wibmen tonnten.

SBcrbeit bie SBolfSbilbungSoereine ihren Üefern bie Arbeiten »on .pagenow’8 einftenS 3ugänglicber machen, fo ift nidbt gu 3weife(n, ba§ manche Äunftgewerbe nod) bie »ielgeftaltigen PlooStbier« gebäufe 3U „2)ejftn8" allerlei Slrt 31t »erroertben Seranlaffttng finben bürften.

«lüchlig, wie c$ füglich nicht anberö gefchcben barf, fei auch noch mit wenigen SBorten bcr „Pianteltbierc (Tunicata) gebucht, tiefen auBfcbliefeltchen unb nur tm Seewaffer lebenben 5CRoHu§coiben, bereu faefartiger an beiben 'Polen offener Piantel au8 oegetabilifchem Bdlftoff beftebt, ber allen fonftigen tbicrifchcn Sßefen, in folcher Slußgtebigfeit wenigftenS, wenn

nicht überhaupt, gdn3lid) fehlt. Äopfloö gwar, befi$en fie («sc;

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jebod) ein ^>erj, in welchem baS Vlut einmal Bon linfS nad) rechts unb bann Dan rechts nad) linfS wogt; ein fdjief ben länglichen &örper burchjiehenbeo Dicht $ur Äiemenathraung unb einen 35arm mit Heber. '})fianjen fie fid? and? buvd) Gier fort, jo gehen auö biefen, merfmürbigermeije, nicht nur bauemb Bereinigte „SwiUinge" nach 2(rt ber befannten ©iamefen herBor, fonbcrn fogar Bielfach: „Vierlinge".

Ginen unauSlöjchlich»bleibenben, magijdjen Ginbruc! erzeugen bie manbernben jubmatinen Seelaternen, bie logenannten geuer* gapfen (l’yrosomen), jchroimmenbe, burchfichtige Shietcolonieen wärmerer Semen. Vicht minbet intcreffant finb bie in gleich» mäßigem Sempo Söaffer idjlucfenben unb ausftoßenben ebenfalls burchfichtigen ® a l p e n colonieen, bie nothwenbiger 23eife wegen beS rücfwärtS auSgeftoßenen 33afferS fchwimmenb im 9)leere BorwärtS treiben. 5>iefe theilS einzeln, tt)eilS fettenartig an einanbcr geliebten 2-hiercolonieen waren eS, an bcnen 58. Bon Ghamiffo, ber beutfche Sichter unb naturforfchenbe Dieijcnbe, einft bie erften Beobachtungen über ben Generations wechfel machte, ohne bcren Ginfügung in bie mobcrne Vaturgejdjichte bieje fich noch >n ben Äinberjchuhcn unjerer Slltoorbern befinben würbe, fo baß wir nicht einmal ben uno 9Renfchen boch fo wefentlich interejfirenben Vanbwurm in feinem Verhältniffe gut ginne beS Schweinepeifches oerftehen unb begreifen würben. Vieles fönnte bem Vorerwähnten noch h*n3tt8ef“8t »«ben, ' müßte nicht ber >})lan biejeS SchriftchenS fich ben 3ntcntionen ber Herren Diebacteure unb ber Herren Verleger anbequemen.

SluS biejem rein äußerlichen Grunbe wenbe id) mich baher fofort unb ausschließlicher ber Slufgabe gu, bie:

DJluj cßelthiere unb Sdjnecfen tn ihrem Verhältnijfe gur SSifienfchaft einerjeito unb in

1087)

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ißren ©ejießungen $um cpauShalte ber 'Jlatur unb bed Plenfcßen anbererfeitd, beä 'Meeren $n beleuchten.

©eßeit reit in ©cßiüer'ö ehemaligem fDiitft^iiler, (Secrge ßuoier au$ iDlömpelgarb, ben ^Reformator unb ©egrünber bet neueten 3oologie, inöbeionbere ben ©egrünber beü heut all* gemein angenommenen natürlidjen ©nfternä bet. il^ierreelt, bad auf ben $umeift oon ßuoiev guetft erfannten ©auplänen beruht, jo fönnen reit nic^t umhin bie ©eßneefenthiere alä biejenigen 3u bezeichnen, an benen ber große ©aumeifter bie gtunblegenben ©tubien für fein fpäter fo folgenreich geworbenes SSerf begann, bat), reeitn man eben nur bie Ueberjcßriftcn : Sßirbclloie unb SBirbeltßierc bet 'Srt änbert, baß in ©teile be$ SöorteS „©Jirbel* lofe" bie oon il)m früher barunter fubfumirten 2 hier f reife unmittelbar jelbft einfchaltet, fofort im Ulioeau ber (Segen« reart fteht. 3ln ben „äßeicßtßieren" oerbiente fieß ber fpätcre .perr oon (iuoier feine iRitterfperen im reirfließen Sinne beS SöorteS; fie führten ihn in ben ©cßeof) ber Academie des sciences, reo er ßiner ber unftcrblicßen „©iergig" rearb. 35ocß nießt für bie reiffenjeßafttieße 3ool‘>3<e allein würben bie Sßeießtßiere bc« beutungbooll, auiß bie (Seognojie, ber praftijeße ©erg* bau, bie Ideologie enblicß, profitirten oon ben ©etailftubien über biefe 2ßiergruppe, foreie bie moberne fRaturphilojopßie, bet um bie ßeßren l$ß. SDarrein’8 gu tßun ift.

S)er burtß ben SSeicßthierförper ajfimilirte foblenfaure Äalf, bureß bie plaftif beS £)rganiSmu8 ju (Scßäufen unb ©cßalen geftaltet, ift, reeil er eben organifitt oetreanbt worben ift, in einer SJeife oerbießtet unb erßärtet, baß bie in’S ßcben gerufenen jpartgebilbe eine unoerreüftlicße fDauer erßalten ßaben unb, Beugen einer längft oerflungenen pcrrlicßfcit, über Perioben Sericßt erftatten, bie oßne fie feibft, unerfennbar ge»

blieben fein roürbcn.

(8*8)

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£>en ©cbicbtenfelgen ber ©rbrinbe, tuie bie ©eegnofte bartbut, finb beftimmte fReiben non fIRujcbeln, Scbnedfen unb anberen SBeichtbieren eingebettet unb hüben biefe {eljr weientlicbe, nie feblenbe 9DierfmaIe, fo baff e6 511 fiebern ©eblüffen führt, wenn auf ©runb ber fid) finbenben organifirt gewefenen ©in» ftbliiffe bie angefproebene Stiebt ihre Sluglegung finbet.

Sugleicb aud) gewinnt burd) bae ©tubcum bet concbpliole» gifeben SBerfteinerungen bie ©eichichte ber SLt>tertr»elt ^etbnJtt^tfge Sluffcblüffe. Sitten, ©attungen, gamilien, ja ganje Drbnungen traten auf, beftanben zeitweilig in großer SMütbe, um ipätcr mietet abjutreten, juroeilen faft ohne ade ©puren non uers roanbten tfifefen jurüdflaffcnb, mäbrenb b'f unb ba, ucreinjeite Sitten unb Gattungen roenigfteng, ftcb biö gitr ©egenwart er» hielten.

@0 fetten wir in bem älteften Ueberganggfalfe längft unter» gegangene ©rabberner (Orthoceratiten) auö ber ©ruppe ber Äcpffüfcler gleichseitig mit Üodjmujcbeln (Terebratula livorica v. Buch) beren nermanbte ©lieber nod) beute in unfern 3Reercn leben. 5>ie mit ben Slmmongbörnern, welche nur bis gur Äreibc» Seit berabreitben, gleichseitig lebenben JReprafentanten ber ©attung Nautilus (beS (Sd^iffSbooteS) finben in ben noch jefjt lebenben fRautiliben ihre lebten ©lieber. Jn ber ©teinfo^lengeit allein lebte eine ©attung bet 8ungenj<bnecfe, (Anthracasia King), fpäter tritt fie nicht ipieber auf, aber mit ihr, ober nieHeid)t fc^on oor ihr lebte im jtoblenfalfftein eine ilocbmujcbel (Terebratula pugnus Mart) fowie ein Productus gigauteus Sw. ^Dergleichen ©ebneefen unD 9Rufdjeln finb d)arafteriftifcb für bie betrejfenbc gormation, man nannte fte baljer „Heitmufcbeln." ©ine foldje ffeitmufcbel ift für bie 3«<bfteinperiobe bie Scblotbeim’fcbc tfocbmufcbel (Terebratula Schlotheimii v. Bch.); für bie weihe Ärcibe ift e8 3. 33. Gryphaea vesicularis Lmk.

(SS»;

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ginbet man bei Störungen gur (Suffudjung oon ÜDietallen, Salden, Äolpen bie eine ober bie anbere Seitmufdjel, fo ift man über bie ©$id?t, in ber fid) ber Grbbofyrer befinbet, fofort erientirt. 5Dfan erwartet feine ©teinfoljlen, wo tid> Groptjaeen ober Goniatiten geilen, ginbet man aber Terebratula vulgaris, fo ift man ber ©teinfalggruppc näfyer unb boljrt oertrauensooü fort.

GS bebarf nid?t crft weiteret 33eweije, bafe auf bergleitfcen fidjergeftellte Hjatfadjcn fufjcnb, ber praftifdje Bergbau feine fegenbreidjen Slrbeiten eröffnen unb getroft fortfefjen fann, objdjon bie Unfoften, weldje fid? an feine Jijätigfeit anfdjtiefjen, oft jdjon gurücfgcfdjretft fjaben, weil ber üaie fie für weggeworfen tyielt. 'planlofes llml;erfül)len war eb itidjt, waS uns bas ©tafjfurter uncticfyöpflicbc Äali» unb©teinjal3lager cvfdpliepen half. Unter forgfältiger SJcadjtung ber ^eitmufdjcln unb ber bauernb fid? ergebenben golgerungen fonntc beb Söergmannb übun unb Senfen foidje Grfolge erzielen unb baburd) 3ur Geltung fommen.

(Sine 2f)eovie ber Gntwicfelung ber Sbiere unb Spangen, wie fic bie SeScenbengsSfjeotie jefjt mit großer Gnergie gu begrünben bemüljt ift, fann aber cbenfo wenig oon 9)iufcfyel* t gieren unb ©djueefeu Umgang nehmen, ©inb bodj oon ben 14000 Wirten jc£t etwa wiffcnjdjaftliify fcftgeftcflter Sftufdjel* tljiere bereite an 8 9000 untergegangen unb alb völlig auS* geftorben 3U betrauten, unb oon ben 22,000 ©djnetfeuarten bürften nur and) nodj 15,000 leben. 3öiü eine ben gerberungen ber gogif Jltedjnung tragenbe berartige Sljeorie, nid)t, einer Fata morgana glei$, in ber 8uft fdjwcbcn, fo muf; fic ben Grfatyrungen, welche bie 3öeidjtf)iere an bie .panb geben, forg« faltig Diedjnung tragen.

2)ie Geologie, bie ^cljrc oon ber Gntroicfelungbgefdjicfyte ber Grbe, entnahm ber Gruppe ber SBcid't^iere eines il?rer fictyerftcn gunbamentc.

(?J30)

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Sfött ber bloffen Behauptung, baff bermaleinft Hebungen unb Senfungen ber (ärboberflädje ftattgefunben b^ben muffen, um gewiffe ©t^iei^tcnfteOungen unb gagerungSoerbältnijfe bet ßrbrinbe 3U erflären, ift an unb für ficb nid)t8 erflärt.

Gin unnerroerflicbelS 3eugniff für bie betreffenbe tbeoretijcbe Behauptung liefert nun aber bie Steinbattel be8 fDiittel« meereS (Lithodomus lithophagus Cuv.), ein groeifcbaligeö SJiuftbeltbier, ba§ burd? Äie men atbmet unb biefer gorm bet Itbmung entfprecbenb, aud) nur im SBaffer, unb 3»« im Seero affet gu leben nermag.

B 0 h a b f cb fanb biefeß längft befannte 9Jlu j^eltbier im 3atjre 1750 auf eiet burd? föniglicbe Äeften bei ^»egguoli wieber auögegra* benenSäulen »on42guff4>öhe, bie au§ Gepolino, einer eigentbüm» Höffen Dföarmorart non IRegroponte gemeiffelt unb bereinft bemStem» pel bcä (3upiter) SerapiS angeffört hatten. 8er bet, melier biefelbeit Säulen, bereu eb aber nur nod) brei waren, im 3abte 1773 fal), berietet, wie Boffabjcb fcffcn, baff au<b ihm febr auffällig erfcffienen fei, baff fitff in einer £öffe eon 9 gnff über bem Bobcn, auf welchem bie Säulen fteffen, eine 3 §uff breite4) 3one geige, welche au8 meift 6 Soll tiefen Bohrlöchern bcrgeftetlt werbe, in bencn ficb notb oielfacff woblerhaltene Sdbalen ber 9Reer« batteln fänben. ©iefe an unb für ftcb unfdjeinbare 3;ba*f®d?c führte gu folgenreicben Unterfucbungen unb oielfadjen Grflärungen, an benen ficff aud) @ötbes) f. 3- beteiligte. SHuf bie eingeb enbften Prüfungen ber Sachlage burcb Breiilaf, fRiceolini unb befonberö be§ englifcben Geologen 2 pell geftüfft, nimmt man jefft all« gemein an, baff ber SeropiStempel, welcher in ber 3eit gwiicben 2luguftu8 unb ipabrian erbaut, burcb <$eptiminö SeoeruS erneuert unb im 3abre 412 guerft burd) Ütlaricb, bann 455 burd) Genferid) guglcidj mit ber cinft blühenden Stabt ^ogjnoli, fo* weit gerftört würbe, alö eben f ol eben fänben möglich mar,

XL 260. 2 f831)

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bag, fage ich, bie legten Üempelfäulen in einet nod) fpäteren Bett famrnt bem ©runbe unb ©eben, auf welkem fie ftanben, fo tief gefunfen fein muffen, bag fie »on ben meerbewohneuben ©teinbat teilt in bet ehemaligen SBafferlinie in Angriff ge* nommen unb in ben Buftaitb »erfegt finb, in welchem fie fi<h gente noch ftnben ; bag biefe aber auch, nach ftattgehabter all* feitiger 2lnbohrung, mit bem löoben roieber jur gegenwärtigen Sluthhöhe ^eraufgeftiegen, b. h- alfo wieber gehoben fein muffen.

3n ber $£hat »ft bur<h ben Ülbt 3orio auS aufgefunbenen @<henfung8*Urfunben ermittelt worben, bag bie ©egenb um fPogguoli im fUtittelaltcr unter SSaffer geftanben, gu Anfang beS 15. Sahfhunbertb aber jur gegenwärtigen $6he gehoben worben ift, io bag in ben betreffenben Urfunben bie sPhrafe ihr« »olle Berechtigung befigt, gemäg weither wba8 frifch aufi bem SB aff er emporgeftiegene Hieulanb“ bem neuen Befiger übergeben worben ift.

3n biefem hiftorifth unb fachlich begrünbeten gactum, baS wir ber minirenben (ärbeit ber ©teinbattel »erbanfen, liegt ber funbamentale Beweis für bie ©iöglichfeit, wenigftenS partieller ©rboberflä<hen*Beränberungen, butch unterirbifege, in biefem gatle, »ulfanifehe Äräfte. Die IRaturwiffenfchaft, ihrer inbuctioen 5Jtethobe gemäg, fnüpft an baB Bewiefene an unb folgert wohlberechtigt weiter, bag, alfo j. 8. bie ©oraDfen* bänte gloriba’S, welche theilweife fegon weit im 3nnem ber «£>alb* infei lagern, einer aHmägligen Bobenergebung biefe Lagerung »erbanfen unb bag ^ögenjüge auS fföufcgelfalf, beffen £aupt« bcftanbtheile, bie ihn bilbenben SRufcgeln unb ©ehneefen, welcge leidet nachweislich einft unter ©eewaffer nur epiftiren tonnten, in baS Snnete beS fegigen geftlanbeS nur baburch gelangen tonnten, bag fie fammt ihrer gagerftätte gehoben würben unb

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fogar ber gulefst ihren gufe bejpülenbe ©tranb immer meiter hinaus in ©ee oertegt worben ift.

Sßenben wir un8 nun gur (grörterung ber grage, welche Aufgaben haben SJtuff ein unb @f necfen im £auSl)aIte ber Statur gu löfen, jo fann if, ohne burf aUgugrofje Äürge bie Äiarijeit ber äuSeinanberfetjung gu beeinträchtigen, bod) nicht umhin, mich nach gwei Stiftungen h«n gn »erbreiten.

©er fohlenfaure Äatt, beffen bie in ben füfcen unb falgigen SBaffern lebenben (Konfplien gum ©falenbau in fo umfangreicher SBeife bebürfen, muh jetbftoerftänbfich auS bem umgebenben SJtebium felbft entnommen werben, ©ie (Jonfumtion be3 ÄalfeS einerfeitö, nnbererfeitS aber beffen Serbiftung auf einen Heineren Staunt unb beffen UnloSlif maf ung, bewerffteUigt eine berartige Serbünnung ber ©alglöfungen, bah ^ anberen ©hteren möglich wirb, in benfelben gu leben, ©aburf werben bie ff alenbilbenben Sffieif ficre gu Stegulatoren be§ jfalfgel)alte8 ber ©ewäffer, inSbefonbere ber SJteere unb arbeiten mit ben ßoradenthieren6) gemeinfam an ber SBertheilung ber SBärme unb geuf tigfeit über bie (Kontinente unb halfen am Aufbau ber Gfrbrinbe burf maffenhafte Sinljäufung ihrer ©elfäufe unb ©falen.

Stift minbere Seaftung bürfte jene ftide Arbeit ber SSeif thiere oerbienen, weife ftf baburf befunbet, bah |te theilö auö fubmarinen ^flangen, feilS butf Slffimilation mifrogf opiff ;fleinfter thieriff er gebengformen aller Srt, ihren fleiff reif cn, eigenen geib aufbauen, ber wieberum feinerfeitS gahlreifen anberen Schieren, ober auf bem SJtenff en gur Stahrung bienen fann.

©ierig, wie if eg einft im Jpafen »on Sergen (Storwegen) fah, faugt berSeeftern bie SJtieSmuff el au8, bie ftf nur oon

2* C83J;

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Snfuforien unb mifrobfooifchen jfrebbchcn erndljrt. 2>er Slufternfif djer, (Haematopus ostralegus) trägt feinen Flamen nicht o^ne ®runb unb unfere Ärähen wiffen fich in ber SBintergeit aub ben an bab Ufer ber ©ewäffer geratenen 35talermuf<heln ein leefereb SRaljI ju holen. f)olarfüchfe, Sölojchubratten, 2Baf<hbären, ja felbft '.Äffen betbeiligen fid? an ber mit ßjtufchelthieren rcidjbeie^ten offenen ßlaturtafel unb bie norbifdjen unb fübtidjen Bartenwale (Balaena mysticetus australis) mürben nid}t im ©tanbe fein, ben ©e= barf oon $htan unb Sifdjbein ju beefen, menn nie^t bie Clio borealis, ein Heiner gloffenfüjjler in meilenlangen Bügen burd? bie ^)olatmeere fdjwimmenb, bootblabungbmeife bem ungeheuren Stachen unerfättlid)cr Bartenwale zugeführt roerben fönnte.

ßrmeift ftcb bie Bebeutung ber 5Jlufd}eltl}iere für ben cpaubljalt bet fomit alb eine nicht unerhebliche;

fo ift bieö b och in SRücfficht auf ben a n § h a 1 * beb 9Jtenf<hen in noch höherem @rabe ber gaß; fei eb, baff fie unb n üblich unb för ber lieh merben, fei eb, bafj fie gu benen gehören, bie „bab ®ebilb oon föienfchenhanb" ijaffcrtb, nur gerftörenb mirfen.

SBirb, nach Befeitigung ber Büune unb Reefen gmifchen ben 'Äcferflächcn, mie fie im gauenburgifdjen unb .fiolfteinifchen heute noch überaß fortbeftehen, ber9ta<htheil ber fäcferf ehneefe (Limas agrestis L.) bei unb auch nicht mehr fo fd}mer unb in bem Umfange empfunben, wie bieb früher ber gafl war, wo nod} ähnliche Umzäunungen beftanben, fo flagt bod} auch ber Partner zuweilen heute noch über biefeb „lulturfeinblidje" ©efdjöpf unb mit fRedjt, inbem eb ber SBanberheuf^recfe an ©efräfcigfeit wenig nachfteht.

ßonftanter unb fernerer treffen unb brohen mit 2ob unb

<***)

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SBerberben bie entfe^Iid^en „SBü^leteien" unb Serheerungen beß f a Ijlwurmß (Teredo navalis L.) unb ber gingermufcheln ober §)f)otaben.

äm üftarfe unfereß fRationaloermögenß gehrt 3aljt auß 3atjr ein bie erhebliche Summe, welche SDeutfdjlanb an 6ng* lartb gu jaulen hat für baß in unfern $äfen noch nid)t auß» füljrbare Äupfern beß äufseren Schiffßbobenß. SSie ungern aber aud) immer ber beutföe Streber bie Summen bucht, welche bie erfte ^petfteQung unb bie conftante Unterhaltung beß Äupferbobenß oeranlafjt, fo ift er bodh auch fidjer, bajj in geige bet fdjönen (Sntbecfung ber (änglänber Jpowatb unb

92Rajer SSatfon hinfort bie heimtücfif<h<minirenben SBeichthiere webet baß geben ber Schiffß’Sefajjung, noch auch bie roerthoolle gabung bebrohen unb gefähtben fönnen.

3u feinem nicht getingen Schieden erfannte ber berühmte •Seefahrer JDampiet im $afen een üJlinbanao, bafe Schiff unb Söte, trofj eineß nur einmonatlichen 2lufenthalteß in jenem £afen, SBeßpenwabenartige Sefchaffenheit angenommen hatten unb gut gortfejjung ber Seereife oöHig unbrauchbar geworben waren. Sehnliche böfe ©rfahrungen machte man in ben bracfifchen Suchten 3amaifa’ß, £>ft* unb Söeftinbienß, im Mittel» meere unb felbft an ben jfüften ,£>oltanbß.

3mmer bereit ihre mechanifchen Sähigfeiten gu befunden, ift ihnen feine $olgart gu weich ober gu hart; ob non ÜBeiben ober Rappeln, com bittern (Sebrelenholge ober bem harten 5eafholge (Tectonia grandis) ftammt. 3u 5 Saften fchon füllen biefe lebenben Sohrmafdjinen 6id)enfernholg (eß fei benn burd) gahlreich eingefchlagene eiferneUlägel burch Sermittlung beß Seewaffetß mit einem (Sifenfalge burchtränft) gerftören fönnen.

Sieben bie ^fahlroürmer (Teredines) auch, im Setlaufe

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bcr gängSfafern ber £>ölger ju bohren, fo fönnen fie bodj auch »on aujfen, redhtwinflig auf bereu gängSajre leidet einbringen, ja bie $>ho laben feinen biefe 9iidjtung oorwiegenb ju fudjen. Äcinc Snprägnation ber böiger, (jene obenerwähnte be8 6idjeu= holgeS oielletc^t ausgenommen) bot bisher fixerem ©chufc alö Greofot, roie fid) bieS aus ben auf ber sf)arifer 58elt=äuSfteHung 1867 burd) bie faifertidje Slbmiralität auSgeftellten groben ergab. UebcratI waren bie 9>fablffiürmer in bie oom Greofot nid)! bureb* tränften ©teilen ber halfen eingebrungen. gür fein europäiftheS jbüftenlanb hatte bie maritime SDlaulwurfSarbeit ber Söohrwürmer aber eine größere Sebeutung als für .^ollanb, weites mit foftjpieligcn gafdjinen unb 'Pfafylrocrfen fein bem 5)lecre ab* gewonnenes Stieflanb einbeidjte. ©eit 1730 fdjon ift man bort in bie Sothwenbigfcit oerfcöt ber SetftörungSluft biefeS böfen geinbeS mit allen erbenfbaren SKitteln entgegen ju treten. Slmftcrbam unb SBcnebig, beibe auf 9)fal)lroftcn erbaut, febweben in gleichet ©efaht. Such bie oom Sogen ju Senebig nad) Gbina entfanbten Äunbfdjafter brauten feine anberen £ülf8= unb ©(bu^mittel als bie längftbefannten gurücf unb noch immer muffen in SBenebig bie pfähle ber ©porne, bie gumeift baS SlngriffSobjeft bilben, alle 5 3aljre erneut werben.

Ser feberfieläljnlicbe längliche Äörper beS i'faljl»urmS (Tcredo navalis L.) erreicht eine gange oon naljegu einem gufje unb trägt am oorbern Äörperenbe ein $)aar fleiner weitJ flaffenber, ringförmiger, gegähnelte Sippen tragenber ©i^äldjen, bie nach Snfidjt ber Herren $>rof. 5)löbiu8 unb Dr. SDieper7) baS S3o^rwerfgeug bilben, wie uor ihnen febon DSler8) barthat, wäljrenb £ancocf9) in ben fünf* bis feö&Sfeitigen, frpftallinifchen Äiefclfpifcen am gufse unb ben SDiantelränbern baffelbe fucht. Ser mittlere Sbril beS ÄörperS geigt fid? in einen röhrenförmigen ÜJlantel gehüllt, auS

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welchem am Hinteren Äörperenbe tie beiben Sftljemrfljrcn ge» fontert tyerBorragen. 0en ©ecretionen beS -5J?antelS eerbanfen bie SunnelS, welche bie $)fablwürmer bohren, weht ihre &alf* auSfleibung.

©tnb auch bie Seiftungen ber ging ermufdjeln (Pholaden) im großen Sangen benen ber $)faf)lwürmer gleich, fo unter* fdjeiben fid> beibe S^ierformen nicht nur, fonbern auch bereu 33ohr(6cher wefentlicb. ®aS S^ier ber ^'fjolabe ift faft »ööig bebecft non gwei fel)r harten, größeren, an beiben @nben ftaffenben unb gw ei Heineren, accefforifdjen Ä'alffc^alen (Schloff* platten), bie ebenfalls auf ber Slufsenflädje längs ber 3—6 jüngeren SlnwachSftreifen fefearfe Sahnreihen befifcen, mit benen fie nach SKebiuS unb Weher itjre Äanäle bohren, bie mit ber not* fdjreitenben 3unafjme beS ÄorperS refp. ©chalenoelumS fid? entfprechenb erweitern, ebne jebodj mit Äalfrehren auS* getleibet gu werben. £>aS Jljier leuchtet fRadjtö unb giebt einen gefuchten Secferbiffen ab.

Sügt man gu ben oorgenannten Sol)rmufcheln, bie eben erwähnten Wcerbatteln (Lithodomas lithophagus) fewie bie ©aricaoen unb gebenfen wir fchliefflid} auch nod) ber »on ben Äüften beö WittelmeereS fchon längft befannten ©ec* ober Weerbafen (Aplysia depilans Lern.), beren Scrührung man fchon im Slltherthume mieb, weil bie Jpaut anfchwoH unb bie £aare auSgingen, wie eS noch >m notigen 3ahrh“nberte S3ohabfch beftätigte, fo wäre ber ÄreiS ber fdjäblichen Wufdjclthiere hiet» burch umfehrieben.

Smmerhin ©chatten genug! Sod) mo foüte auch ©chatten fehlen, wo fooiel Siebt?

®er Sidjlfeiten ber SBeicbthiergruppen giebt eS genügenb unb finb biefe eines tieferen SingeljenS wohl Werth.

Direct unb inbirect bienen bie SBeichthiere atS menjeh»

(W)

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liebe Nahrungsmittel felbft, ober bodj gur Erlangung geeigneter SRät>rmittel. -Kleinere .Kalmare (Loligo piscatorius, Omm a- strephas sagittatus d’Orbigny) werben an ben New=gi.'unfclaubS* banfS een amerifanifeben unb europäifd;en giiebern in fe großen Nlaffen gefangen unb gepöfett, bafj beren Ernte alljährlich 4 5000 ga§ überfebreitet. Ser .Kabcljaufang an biefen gelfeninfeln ift im Söefentlidjen burd) ben gang bet Äal» mare unb Sanbmufcbcln (Mya arenaria) bebingt. Eben» falls als Äöber gum gijebfange bient an ben Äüften Suropa’S: bie gingetmufcbcl (Pholas Dactylus) bie ÜJlieSmuf (bei (Mytilus edulis L.) beren im Firth of Forth wohl an 40 Niillionen gejammelt werben. Sie Sanbmufcbel, (Mya arenaria); bie perjmufcbel (Cardium edule L.) unb bei |)ort: patrief in Englanb befonberS: baS Äinfhorn (Buccinum un- datum unb Fusus antiquorum L.)

Nlel)r notb als in biefer inbirecten äöeife bienen bie Seid}» tbiere [elbft als Nahrungsmittel. ES beburfte faum ber beftätigenben Erfahrungen eines Eoof, grepcinet, Seecbep unb anbeter Seefahrer, welche »on ihren EntbecfungSreifen auS ber injelreicben Subfee heimfebrenb, unS berichteten, bafj alle ftranb« bewohnenben SBölferfdjaften, fei cS beS 3eit»ertreibeS willen, fei cS auS junger bagu getrieben, bie mannigfaltigen am See» Stranbe zugänglichen Scicbthiere prüften, fofteten unb oer» gehrten.

Sluffatlenber ift eS, baff SinnenlanbSbewobner, benen bie Natur einen fo großen Neichthum tmn Eonfumptibilien taufenb» facher 2trt erfcblofj, auf ben ©enu§ bet ganbfebneefen uerfrelen.

Sie Eingangs febon als fParabigma gur Ebarafteriftif ber Sdjnecf en benufjte ScinbergSfcbnecfe (Helix Pomatia L.) unb mehrere berfelben cerwar.bte irrten (H. rhodostoma L. H.adspersa Müll.A H. vermiculata Müll.) auS bem Silben Europa'S unb bem <««)

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Sterben äfrila’S, war, nad) unoermcrflidjen Seugniffen remtjc^ct Scpriffteller ein in fo großartiger SEÖeije beoorgugter ©egenftanb ber alten 9?cmer, baß fte biefelben fogar in eigenen Ställen, Cochlearia genannt, mäftetcn. 3Die SBeißen »on SReate waren feßr beliebt, bie größeften begog man auS SUptien, alS bie |tßmacf^afteften aber galten bie Solitaner. 9Rit einem »leige auS SDtoft, SBeigenntehl unb bgl. warben fte gu einem folgen Äörperumfange ergogen, baß 'PliniuS gu feiner ISbenbmahlgeit bod? nur beren brei, nebft gwei giern unb einem ©erftenludjen gu »erfpeifen oermodjte. Dbjcßon ^eutgutage bie Schneden* mäftung im Sinne ber alten Dtömer nid)t mehr in 'Ausführung gelangt, fo wirb bcd) oon ben Sdjneclenbaucrn jowoßl in 2irel, als namentlich auch in Söürttemberg eine abfichtlicße gütterung berfelben bie gu ber 3«'* bewerfftelligt, wo fie ben SBinterbecfel auSbilben, um fie gur rechten 3eit gut ^anb gu hflben- 3e 10,000 Stücf werben bann in ein gaß oerpadt unb an Älöfter ober nach 5Bien »erfenbet, wo man noch ben 2Rnth ha*r bie freilich nicht mehr fo „fdjnecfenfetten" Sh^re gelocht, gebacfen ober fonft wie präparirt, auch troß ißreS nie oöllig gu bejeitigenben Schleimes gu uetfpeifen. Saß bie in ber fogenannten „Steinperiobe" lebenben SRenfdjen auch @d)neden ber See« lüfte, g. 33. baS Äinlhorn (Buccinum variegatum) fowie bie Litorina litorea Bergehrten, ift mehrfach erwiefen.

Slber auch bie 9teii)e ber SRufchelthiere ftellte wohl in aüen 3eiten ben 33ewohnern ber Seelüften ihr reichliches ßontingent. Auf ben gifchmärlten gu 2oulon, SRarfeille, ©enua, SBenebig u. f. w. ftnbet man bie Arapedes, b. h- Äamm« mufcßeln (Pecten) unb bie ÜReerbatteln (Lithodomus lithophagus unb'Pholas dactylus L.); inSBorbeaup bie Anomia undnlata; auf irifcßen, cnglifcßen unb fchottifchen gifcßmärlten: Scheibenmufcheln (Solen siliqua) beSgleichen in 33enebig : bie

(«3»)

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Copa longa (Solen vagina) unb §)ecten«9lrten. 5ün ber Äüfte non Jftftngo in 3apan bürfen gewiffe Sd)eibenmut<he!n überhaupt nur auf 23efeljl beb bortigcn Sehnbfürften unb auch nur bann ju anber« weiter Slbgabe gefifdjt werben, wenn beb Üftifabo bebfaflfige SBünfche junor ihre ©rlebigung gcfunben ^aben. ©an3 ohne ©runb ift ber in ©nglanb gebräuchliche fJiame „2Sittwen«8uft" für bab &h'er ber glufsperlenmufchel (Unio margaritifer L.) ficherlicb wohl auch nicht unb ju bem mobenten „@arum", einer amboinifchen üunfe, bie man ber bei ben alten Römern ©ebräuchlidjen gleichwertig erachtet, wirb ber Sßaeaffan (Tellina gari) alb wefentlichfter SJeftanbtheil neben ©cwürjen unb Olinenöl benutzt.

ginben an cnglifchen Äüften nach Sohnfton10) auch bie ^erjmufcbeln (Cardium edule L.) nicht bl ob in 91ethial}rcn, fonbern alljährlich nom grüljling bib jum .jpcrbfte ihre fchr gasreichen Verehrer, fo gleid)t bcd> beren, fowic überhaupt feineb anbern föiufchelthiereb Verbrauch, bem ber

fDtiebmufchel unb ber Slufter.

33eibe finb im »ollen ©inne beb SBertb „SMfbnabrungbmittel", nur leiber nicht bei unb. 33eibc werben in großem 9Diafeftabe abfi^tlich gezüchtet unb forglich gepflegt; beibe auch feilen bie nüfjlichc ©igenthümlid)feit, bie ©ine mit einem ffipfjub, bie Slnbere mittclft eineb Äalfmörtelb, ben bab £l)ier felbft bereitet, fich an fefte Äörper bann anguheften, wenn fie bab SSimper« fegel abgewotfen, bab fie im Saroenleben 3U freier ©rtbbewegung befähigte.

Hon beiben üliujcheln ift leiber nur bie ü)li ebmufcpel (Mytilus edulis L.) im ©ebiete ber Oft fee gur Sucht geeignet, bafelbft aber heimifd) unb fann auf ihren natürlichen ©tanberten, 3. S3. nörblidj »en fHügen eine ftattliche ©rüfie bib 3" Sänge erreichen.

(MO)

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®aä bie breifeitigen , aufcen fdjwargblauen, innen lichtblauen (Skalen außfüllenbe SE^ier ift mit 31» ei UftuSfeln berfelben an* gemahlen, befitjt blättrige .Siemen, eine grofje Heber, licrg, JDarm unb ben abwärts gerichteten, non Jpautlappen umfteflten ÜJiunb. 3h*e Vermehrungsfähigfeit ift aufserotbentlich grojj unb tonnten bie uielfachen Quantitäten ber 2Jiuttertl)iere alljährlich gewinnbar gemacht werben, wenn man ben mit SBimperfegel umher fid) tummelnben jungen Harnen (Gelegenheit gur 'ilnheftung mittelft ber feibenartigen, auS einer Rufjbrüfe jecernirten Raben, bcS VpffuS, gewähren würbe.

55n ben Äüften pommernS unb wahrjcheinlich aud) PtedlenburgS gefdjieht aber nidjtSgu ihrer Vermehrung, weit man bie ®enufj= unb VerbraudjSfähigfeit bet 3Ruf<hel entweber nicht tennt ober beren Vcrwenbung als VahrungSmittel perhorreScirt. SlnberS benfen barüber bie Slnwohner ber .Sieter unb ülpenraber Sucht. 2)ert gürtet man fie an Pfählen (Vieler Pfahlmufd)eln) ebenfo wie in Rranfreicp, wo bet „Moule“ einen Ptaffenoerbrauch finbet, feitbem HouiS XVIII. ihr bie Sulaffung gur .poftafel geftattete unb fie fomit ben parifer ©ourmanb’* unb bann ben VolfSfüdjen guführte. ©ah ich fcocfc felbft noch im 3- 1867 alltäglich in bem gu meiner bamaligen SBohnung gehörigen ©arten oiele Scheffel leerer Schalen gum Erccfnen auSgebreitet, beren ©rbauer in ben Speifewirthfchaften beS Ptontmartre ihre Verwenbung gefunben hotten, währenb bie getrocfnetcn Schalen gu weitern technifdjen 3»ecfen benufct werben feilten.

Seitbem ber fdjiff brüchige ©pt. Patri! Sßalton i. 3- 1235 bie Rrangofen mit ber irifdjen 3üthtungSmethobe ber PtieS* mufdjel betannt gemacht hotte, blühen bie „Bouchots“ an ben lüften beS atlantifchen PteereS; aber auch ber wählerische Schotte oerfdjmäht bie „Shells“ nicht, bie beS Firth of Forth fetfige Stränbe beüölfem, obfehon freilich an 40 ÜJiill. Stücf

fS41)

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ißre iänwenbung als Äöber gumgifcßfange ftnbcn. Sie appetitlichen Sifdjlaben Honbon’S finb alltäglich mit frifchcn „Shells“ »eriorgt, bie auch in Norwegen unb Sünemarf 1 felbft in Salglafe gcpöfelt Sßcrwenbung finbeu. 3n Stalien blühte bie Ntieömufcßdgucht beim Slrjenal gu Slenebig gur Seit ber Nepublif fc^on unb waren bie oon Nouegrabi in Salraatien tommenben Ntieömujcheln (o beliebt, baß man beten „SSereblung" gern beroerfftetligte. Nach Äobelt1*) mibmet man im @olf »on Sarent ber SRieÖ» mufchelgueßt große Slufmerffamfeit. 3e oier Pfahle werben in’8 Nleer gerammt unb burd) Saue über Äreug oerbunben. Sin bie een benjelben frei ßerabßängenben Sauenben jeiU fich bie junge Harne maffenbaft an, unb fönnen bie genießbaren ÜRufeßeln jeßon nach 18 ÜJlonaten geerntet werben. Sin 250 pfählen ergießt man gegen S470 ©entner Ntufcßeln, welche bie Äoften berSlnlage nicht nurbeefen, fonbem noch gureießenben Ueber* fcßujj gewähren, wie bifUgerweije eine fo müßeoelle Slnlage unb Slrbeit beanfprueßen muß.

Sei ber weitoerbreiteten SBeliebtßeit ber Ntiedmujcßel al3 Nahrungsmittel würbe beten @cnuß hoch nicht gang unbebenl* lieh fein, wenn man nicht gelernt hätte, bie ©enußfäßigfrit oöllig fteßer gu ftetlen, baS £ßicr, wie man eS nennt, gu oerebeln. Sluö bem unreinen SBaffer beS ScßlammbobenS, wo ed bie meifte gufagenbe Nahrung finbet, muß baffelbe in reinefi SSafftr gebracht werben, um unftßäblicß unb reinjeßmeefenb gu werben.

Ser beutjeße gifdjerei*SBerein wibmet fuß, wie man weiß, betben Aufgaben mit Sorgfalt unb ift bemüht, nidßt nur überall bie gur Slngucßt nötßigeu SJeranftaltungen in’S Heben gu rufen, fonbern aueß &>c notßwenbige ©orrectur an bem ©rgogenen angubringen unb fann man nur wünjeßen, baß beffen Slnftrengungen oon ©rfolg gefrönt werben möchten, greiließ muß ißm auch baS beutjeße SSolf entgegenfommen unb fein SBorurtßeil jeßwinben

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laffeit, baß ber Verbreitung biefeS anberwartß |o beliebten VoltßnaljrungSmittelä bisher »ielfach ^inbernb entgegenftanb. ÜDafj in ber S^at berartige Voreingenommenheiten ber außgebetjnterenUiuhung auch bet 21 uft etn bei unß entgegenfteljen, tann man felbft in Äreifen, wo man beten h°hen ^teifi nid^t fdjeut unb gu freuen nöthig hat« alltäglich erleben, Sonft ift ja bie 2lufter überall ba, wo fid) ©lieber i^reö ©efchlecbtö, ich meine Strten berjelben finben, ©egenftanb beö auSgebchnteften ©ebrauchß, jo bie etwa 3" grofee, mit angebrücften Schuppen* blättern »erfehene, runblidje Stufte r beö üJtittelmeereö (Ostrea cristata Poli), ferner oie an ben pfählen Venebigö befannte, mit fdjief eiförmiger, gefdjnabelter Schale uerfehene dufter beß abriatifdjen ÜJieeteS (0. adriatica Lam.) welche biß 4" QJröfje erreicht unb am Schlofjbanbe auf ber Snnenfeite geja^nt erfc^etnt; fobann bie f er b e f u jj a u ft er an ber fran göfifchen Äüfte bei Voulogne, $a»re be ©räce, nach Ärßget audj an ben Schleßwigfchen Äüften, beren gleiich inbef? fchweter »erbaulich fein foQ. Vor 2tQem bie an ben Dftfüften ber norb« amerifanijchen greiftaaten ^eimifd^e „norbifche SHufter" (0. borealis Lam.) mit länglich*eiförmiger Schale unb welligen Schuppenblättem ; begleichen bie canabijche 21 u ft e r (0. eanadensis Lam.) biß 6" lang, langgegogen, nach oben ftd) »er» breiternb, bicffchalig, mit concerer oberer klappe; ferner bie »irginifche dufter (0. virginica Lam.) mit Schalen, beren obere jblappe flach, fdjmal, länglich, bicf unb blättrig erjcheint. 3<ihiteich ftnb auch bie formen unb 2lrten ber Sluftern, welche fi<h mit rücfmärtß gerichteten 3äljnen an (Sorallengweige ober SJlanglewutgeln anheften, wie 0. crista galli; 0. folium; 0. plicatula Gualt. u. f. w. Sdjon au8 ben »orftehenben Stnbeutungen geht heroor, bafj ba§ ©efchlccbt (genus) bet duftem in ber ©egenwart nicht nur in allen 3onen ber ßrbe,

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fonbern auch fo galjlreicf) »errieten ift, wie einft in ber Sriagformation bag ©efdjlecht bet Gryphaeen (Schnabel* auftern), »en benen fid) nur noch eine 3lrt big jur ©egenwart iebenb erhalten hat.

2öie wichtig nun auch für bie norbamerifanifdjen grei* ftaaten bie burdj brei Slrten an ihrer ßftfüfte »ertretene 31 u ft et in nationalöfonomifcher 33ejiei)ung ift, inbem fte wie @tur$13) berichtet, bcr SBefafjung »on 6—700 größeren unb Heineren Schiffen preichenbc ©riftenjmittel liefert unb bei @r» trägen een ficherlich 27 fUliB. Steffeln alljährlich, auch ber arbeitenben Älaffe ju 3—5 ©rofehen fdjon ein julänglidjeg, nahrhafteg unb fehmaefhafteg ©ericht gewährt, währenb an 2$ 9DM. fPfunb aug btn Schalen herauggenommene, in 33lech* buchten eingelötete Sluftern einen nicht ju eerachtenben ©rporr* artifel nach bem Snnem ber weftlichen Staaten unb fomit be* merfengwerthen Slrbeitgeerbienft bieten, fo haben bodj, ^umal bie Slcclimatifation ber eirginifchen Slufter in ©nglanb feinen rechten ©rfolg hatte« b*e amerifanifchcn äuftern nicht bag 3ntereffe für ung, wie bie hefmifdjen, in ber Dtorbjee unb an ben europäifd)en lüften beg atlantifchen DJleereg lebenben eh* baren 3luftern (Ostrea edulis L.)

SDer frönen ©ntbeefung bänifcher ©elehrten, eineg Steenftrup, gotchhammer, SBorfaae »erbanfen wir nähere Äenntniffe über bie Dlahrunggmittel beg 9Dfenfchen ber „Steinjeit“, inbem eg jenen gotfehern gelang, an ber Dtorboftfüfte 3ütlanbg bet ©renoa in oft 10 guf) biefen Sagen bie Speifeabfäde (Kjökken- möddinger) jener Urmenfchen aufjufinben unb 3U analpfiten.

ganben ftch aut Änodjen »on etwa 15 SBögeln unb Säuge* thicren, fo ergaben ftd) boch auch bie Schalen nieler Sdjnecfen unb fötufcheln unb unter biefen »orwiegenb 3lufternftalen. hiernach fann man ben JRömern nicht bag Serbienft »inbiciren.

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guerft auf ben ©enufj ber Sluftern »erfüllen gu fein, ober wie Äönig Sacob non ©ngtanb gu bemetfen pflegte, „guerft ben fDtuth gehabt gu haben, bie erfte dufter gu »erfpeifen". Seth < wie bem auch fei, ba8 fann nicht beftritten werben, bajj ©ergiu8 Drata, gu ©raffuS Seiten im Sajanifchen lebenb, gleich»iel au8 weichen fBiotioen, e8 guerft »erfuebt unb oerftanben hat»

31 u ft e r n gu oerebeln, beren ©efdjmacf gu oerbeffern unb felbft biejenigen wiebet genufcfähig iu machen, bie auf bem einft gewifi fehl fchwierigen £anbtran8porte een Srunbufiuni (Srin* bifi) [eine ^unbgrube eortrefflidjer abriatifcher Sluftern] ge» litten hatten, Jpeute mürbe ihm ber Bucriner @ee, ber fid) fo Diele 3ahrl)unberte hinburd) fo »ortrejflich gur fäufterngucht be« mäl)rt finben lief), biefe $Rögü<bfeit nicht mehr gewähren, weil, wie nach Äobelt: Sargioni Stogetti“) berichtete, aüSftrömenbe ©afc jefct aQe eingelegten Sluftern tobten. Soch nicht nur non Srinbifi Derfchafften fid; bie alten iHömer fSuftern, fonbern fie holten fie feit Gäfar’8 3eiten fchou auö ©rofjbritannien 1 5) unb 3lpiciu8 oerftanb e8 fogar fchon, fie bem Äaifer Jrajan bi8 nach Werften nadjgufenben.

Sei einem fo f)ßhcn älter ber beftänbigen Nachfrage nach äuftem muf e8 un8 SBunber nehmen, baf bie natürlichen Srutftätten berfelben, bie äufternbänfe nicht fchon längft erjd)6pft jtnb, weil allein g. S. an ben englifchen lüften 3af)t au8, Sa^t ein gegen 60 80 Uiiüionen ©tücf gefangen werben, oon benen Bonbon allein an 13 5RilI. @tücf oerbraucht, unb bie frangöftfehen Sänfe nahegu an 55 9JtiH. Sluftern an §)ari8 ab» geben müffen. 9Rad) neueften ^Berichten beträgt ber ÜBerti) ber SahteSprobuction 4 ÜRiH. £. (Sterl.

Um einet fo foloffalen Biad)ftage gu genügen, würbe fchon 1375 ein Baid)f(h<mgefe|5 burdj Äönig ©buarb III. nothmenbig, ba8, wenn e8 auch allenfalls nur bagu beitrug, wäljrenb ber

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fBJonate SJlai bi$ 14. September bie SBänfc gu fronen, jeben* falls bod> beren 6nt»ölferung fyinberte. 3ft bod> eineföiutter« au ft er nach ®a ft er ’S Unterfudjungen im Stanbe einer 9iad)* fommenjdjaft non 100,000 Jungen ba8 geben 3U geben, ja na$ §)o li fogar »on 1,200,000.

3»eierlei muffte inbeffen nod) Ijingufommen , um bie Slufternbänfe conftant leiftungSfäfyig ju erhalten. ©in mal muffen bie jungen, non ihrer erften änbaftungäfteüe abgeleften Stuftern non itjrer Sörutftätte entfernt werben, um h'mftigen ©enerationen iSnftebelungSpläjge unb gureidjenbe 9fal)rung 3U gewähren, inbem fie felbft nad) anbem gur Slufgucbt geeigneten Sagerbctten tranöpcrtirt unb minbeftenß 3 Jat)re lang bafelbft gemäftet werben. So bann muffen äferanftaltungen getroffen werben, um auf geeigneten Untiefen berÄüfte (Sänfen) ben frifdj au8 benßiem auSgefrodjenen, bewimperten Sarnen reid)lid)e@elegenbeit gut Stnijeftung gu gewahren unb fie »or ©efafjren freier 3U ftellen.

3u biefem ©nbgwecfe muff man im eigentlidjften Sinne be$ SJorteS „äuftern auöfden, bie jnnge SBrut gur 9tn* fieblung gu bringen füllen unb für ba$ 2tu8pflangen ber reifen Sßrut auf geeignete gutterpläjge eifrigft Sorge gu tragen nerfteljen unb bemüht fein!"

SDie SluSjaat bewerffteUigt man in Slmerifa, wie in ©uropa mittelft einer gwölfgäljnigen ©abel, bogenförmig bie Sefcaufter auöftreuenb, wie ber Säemann fficigen fäet. 3)er bagu beftimmte ©runb barf, wegen unguretdjenben gutterö fein Sanbboben aber aud) fein Sd)lammboben fein, weil bie junge Srut in bemfelben leidjt erflitft. SDagegcn eignet fic^ jd)lammiger ©e* fd)iebefanb auf Sänfen, bie aud) gur 3eit ber ©bbc nid)t blo8 liegen, fonbern etwa 4— 5 ' tief, conftant unter bradifd)em ober Seewaffer bleiben unb genügenben Sdjutj gegen ben

Slnpratl ber SBogen bieten. S)ie SfuSfaat gcfd)iel)t am paffenbfteu (8*6)

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tm SRonat yDf?är§ unb muh {ebenfalls ®nbe ?lpril beenbet jein. SDie frifdj befäeten gelber marfirt man burdj eingeftecfte lange SBaumgweige, wie eS gut 93egeicbming beS gabrwafferS bei ung gefdjiebt (Briefen genannt) unb überläßt eS bann bet ©eepoligie fcarüber 311 wachen, bah biebifdjerweije bie ©aatfämpe nicht abgefifebt werben.

©ie (grnte ber jungen 93rut, (welche fi(b an getfcblagenen Bicgelfteinen, leeren 5Iufternfcbalen, fünftlicb cementirten Siegeln k. angefiebelt bat), wirb ebenfalls gut (Sbbcgeit mittelft bblgernet Sftecpcn au8gefül)rt. ©ie ergielte 93rut wirb bann gu 93oot nach ben futterreichften fpiateau'S, ge ttw eiben, gebracht, bort auS* geftreut unb wäbrenb breier Sabve wenigftenS ungeftert erbalten, um fid) notlfommen auSbilbett gu tonnen; eoent. tranSportirt man fic gulef)t auch nod), wie 3. 93. nach Dftenbe, in 93affinS, bie täglich mit teinftera, frijebem ©eewaffer gefpeift werben, um ben ©efehmaef ber Sluftern gu »erbeffern.

2)iefen allgemein angenommenen fPrincipien entipreebenb, bewirtbfebaftet man bie fubmarinen 2lufternfelber grunfreidjS, 6nglanbSunb9lmerifaS. .fann man nun auch ben 93eftrebungen QLofte’S, beS FDlitgliebcS ber bamalS faiferlicben Sfabemie ber SBiffenjdjaften, gur Hebung ber jebt berabgefommenen ftangöftfdhen Sluftcrnbänfe, namentlich bei ^rcacbon unD ®t. 93ricuj-, feine 9lnerfennung nicht oerfagen, fo ift eS bo<h Stbatfacbe, bie Born lanbwirtbf^aftlicben FDiinifterium ^reuhenS gum Stubium bet Iroc^gcpriefenen (Softe’fcbcn ©cbüpfitngeit auSgefanbte Gommiffion, auS ben Herren $>rof. SDiöbiuS, £)berfif<bmeifter Befeticb unb 9Bafferbaumeifter S£oUe beftebenb, fcl)t 93 i eie 8 «UtbcrS fanb, a!6 fte eS erwarten muhte unb lautet bet officiell abgeftattete 33eticbt beS $rn. SS. Stolle16) babin, bah bie am SRittelmcer auSgefübrten Anlagen fammtlid} mihglüeft unb gettweiben bafelbft aud) gat nicht angelegt finb! ©obann, bah

XI 2«P. 3 (M7)

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bie 9(nlagen in 91 rcadjon, welche bis 1840 gang getunter* gewirthichaftet waren, bod) aud) nur im feparirten faiferlichen 9tufternparfe l*al}illon einen leiblich loljnenben Ertrag lieferten, wäfjrenb alle übrigen »ielgerühmten änlagen bem Verfalle wieber gueilten, fo bie Parfö non 3§le be 9ie, 33reft, St. 33rieur u. f. to. SDie gettweiben bei Sremblabe am Itnfen Seubre*Ufer ent* fpradjen wenigftenS ben 9lnforberungen; allein fie permechten auch nicht bie neue Sera be$ 2lniternmarfte8 gu begrünben, unb Paris fah fid) genötigt, gut Secfung fetneö bamaligen SebarfS f<hcn, frembe £ülfe in änfprud) gu nehmen.

23eit günftigere Stefultate ergaben bie engliichcn Sluftem» brut* unb Sudjtanftalten.

Sie füböftlid) unb füblich an ben lüften pon Gjjer gelegenen Sänfe, feit Gäfar'S 3eiten fd^on im flotten Setriebe, waren noch heute gur Probuction ber „9tatipeS" bie geeignetften unb un* unterbrochen ergiebig!

Sie ^>erne»bap«banf, circa 5 Du.«5Dleilen grof*, bient gur Slngudjt ber 33rut, welche bann nach ber bidjt babei gelegenen 5!Jiaftanftalt, auf einem glädjcnraume pon circa 1 Ou.*ÜHeife, ihrer weiteren Gntwicflimg gugefüljrt wirb. Sie Shitftable-’Sanf, in 1— gaben SBaffertiefe, wirb als längft bewährt befunbene ge tt weibe mit Sungoietj non gasreichen englijehen, felbft frangöfifchen 3udjtanftalten befchicft unb an 400 gifdjer betheiligen fich mit ca. 150 Sooten an ber Slufternfif^erei.

Sefonbcre Seadjtung aber oerbienen gwei neuere 3udjt» anftalten; bie 6 ine gu tReculoaS in ber .perne*ban, burd> 53Jr. granf Sucflanb, bem Gurator ber gif<herei«9lbtheilung ber Äeniington-Grh^‘**on angelegt unb bie Snbere auf ber 3nfel Jpapling, gwifchen bem herrlichen 93righton»9lquarium unb Southampton äufeerft günftig an ber Sübfüfte GnglanbS gelegen auf 900 9tcreS SSafferfläche. Sie leitete 33rut* unb

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Sudjtanftalt befafj Bon 250,000 aufgelegten 9)iutterauftern im Stuguft beffelben Satjreü fchon gegen 6 iDlitlionen Srutauftern, alfo ungefähr 24 3ungc oon einer 2i(ten. 3m Saljillonparfe bei Slrcadjon ^atte man ef IjödjftenS auf 8 3unge pro 9)tuttcr» aufter gebraut!

Seiber entbehren unfere fdjleßwigfchen 9lorbfecfüften gur 3eit wol)l noch aller begleichen 33eranftaltungcn, weit bie i^rev Beit mit ber .frone ©änemarff abgefdfloffenen unb nedj nicht abgelaufenen ^'achtfontrafte ber Ginführung verbefferter Anlagen hinberlid) entgegen fielen, ©inb bod) oon 55 frühem Stuftentbänfen bereits 15 eingegangen! !Dem ungeachtet erfreut fid) bie .fpörnum* unb Gllenbogenbanf eines guten 9iufe8 unb liefert „Gibumtiefe" g. 3- nueb nod) eine recht gute, fälfchlich fogenannte „^jolfteiner Slufter", ba hoch an .pol« fteing fRorbfee«f üften bis jefjtnech feine Slufternbanf befte^t unb bie Jpclfteiner Dftfec*.füfte, fo wie wohl überhaupt alle, jeben* falls bie beutjchcn Dftfee « füften ihrer niebern SBinter* t c m p e r a t u r willen, ber Sluftern jucht f ein bli d> entgegenftehen. 1 7 ) 2>er 3luSfaat in ber Gegenb ber ©reiffiwalber Die trat ohnehin fthon ber futterarme ©anbboben hinberüch entgegen, unb waren auch wohl bie (Strömungen beS SSetbenf nicht in Segnung gegogcn!

Surbe burih bie oben gufammengefteüten Sha^at^en cr* wiefen, baff SBeichthiere a(S 91ahrung8mittel für baf Seben ber Golfer bereits eine beachtenswerte 9Me fpielen, fo [äfft fich auch auf anbcrn @efid>tSpunften erweifen, baf; fie in uicl« facher SBeife fich anberweitig jur Geltung gu bringen »ermcchten, unb finb bie flüffige’n ©ecretionen fowohl, als auch bie funftuotl aufgebauten ©chalen in biefer IRücfficht einer ein» gehenberen Grläuterung werth-

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Seit bem frübeften Slltcrtbum bis in bie fpätcre römijd)« Äaiferjeit hinein ftanb fccr tprifcbe, ipäter aud) anterroärtS gewonnene Scbnccfenpurpur im ijcdjften 3tnfeben, beim bie Eeroänber ber Ercfjen jener Seit, gürften unb .peerfübrer, pcben= priefter unb Eblen beS SelfeS mußten mit tiefer ^radjtfarbe gefärbt fein, nie unb mann cS galt, SBürbe unb apebeit Entfaltung unb ©eltung 31t bringen.

Siefer garbftoff aber mürbe, wie ^liniuS18) berietet, ren Scbnecfen1*) gewonnen, bie iljn „im Sdjlunbe in einer weifen Slber" beherbergten. ©en gröfeern Jljieren werbe ber Iropfen, benn mel)t fänbe fid) nicht, nach 28egnabme ber Schale entzogen. 25ie Heineren Spiere preffe man, um gum Safte gu gelangen, ber anfangs weidlich bief, bann, nach 3ufafj reu Saig gründet unb enblicb nad? Einwirfung beS Siebtes unb 3ufn? einer bunfleren garbe ber s})urpurjcbnecfcJ0) idjarlacbrotb »erbe. 35er Scbnccfenpurpur oerbielt ficb alfo umgefebrt rote bie heutigen pradjtpoflcn rotben 2lniltn*garben, bie im Siebte auSbleieben.

35ie Sdjroierigfeit ber (Gewinnung beS SebnecfenpurpurS, foroie ber babureb entftebenbe botye 'Preis einerfeits, roie bie fpäter aufgefunbenen pegetabiliidjcn garbftoffe, namentdeb aber bie Entbecfung ber ÄermeSbeeren, enblieb aber ber Godjenille liefen ben Scbnecfenpurpur gänglieb in Hergeffcn» beit geraden unb blieb berfelbe wohl nur nod) bei irifebeu unb englifcben giftbetn gum Satoroiren ber Slrmc in Eebrandj. 3)a» gegen finbet ficb bie auch fc^on im 2lltertl)um befannte „Sepia*, ber 3nbalt beS SintenbeutelS ber Äalmare (Loligo vulgaris unb ber Sepia officinalis), in bet Malerei als braune garbe in Sßerroenbung unb ift burdj bie jebt fo beliebt geworbene Spri^ntalerei roieber gu neuer Eeltung gelangt.

Winter aßgemein befannt ift baS fetbenartige, bräunlidje Eejpinnft ber großen Stecfmufcbel (Pinna nobilis L.), bie

(MO)

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3Ji u f dj e l j e i b e (Byssus). ©leid) bet SBafferfpinne (Argy ronecta aquatica L.), unb rote jo oiele ÜJJu^elt^iere tljuit, fpinrtt bicfe oft 2' lange SJiufdjel au8 einer ©tüfe ityreö 33eilfußeö, unter Söaffer, 6“ lange gäben, ben töpffuS, ber jebodj nur gur pälfte feiner Sänge gebrauchsfähig ift. gabrifen in Staren!, Palermo unb 9ieapel »erarbeiten bie feibenartigen gäben gu jg)anbfd)u^en, ©trumpfen unb anbern ©eroeben.

Bannigfacher als e3 bie ©ecretionen bet SBeidjttyicre gulaffen, ift bie SSerroenbung ber ©ehäufe unb ©djalen berfelben.

©aö roertfyüodfte ©ungmaterial für bie ÜJtaftfultur englifdjer SSeintrauben, bie oon 'Br. Bercbitl) bei Sioerpool bis 3ur ©chroete oon 26 pfunb gegürtet rourben, bilbeten nebft ftifcben 5iafenfd)i(^ten, roic id) felbft faij, 31 u ft er n fdjalen! Süß Poliermaterial fo roie gum ©chärfcn ber ©chnäbel ber ©anarienoögel cerroenbet man bie im iRücfen ber ©epia gelegenen Äalffdjalen. ©ie großen, innen rcfarotljen glügelfdjnecfen (Strombus gigas) fielet man in ©arten ber SJifjeber unb ©djiffö» capitainc als IRafeneinfaf fung8«Baterial perroanbt. ©ie Skalen ber pergmufcheln (Cardium edule, C. rusticura) »erben roährenb be§ SSinterS »on gifdjern ber Äüften DftfrieS» lanbö Ijaufenroeife ^erbeigctragen, um baraue Äalf gu brennen. ©ie gierliche pippepu§:5Rufdjel ift gur3ucht oon Simpel* pflangen für ©tubenfenfter unb in SSeranbaö befonbcrö in Elnfehen unb ©unft. ©ie ©cftalen ber Äammmufcheln (Pecteu maximus L. bes.) bienen alSfogenannte ,,(£oquitlen*©chaten" in ©teile ber Steller gur Einrichtung feiner 9iagout8, unb bie oon fteineren Äammmuf^elthieren ftammenben, auf ben .pebriben, auch Wohl 3um Sbrahmen ber Büch. ©ie butchfcheinenben bünnen ©chalen ber Placuna placenta benutzt man in Glyina gu un* burihfiihtigen, aber hoch Sicht burctjlaffenben genfterjcheiben

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unb ein 5 Gentner fcfywereö Gyemplar oon faft 6' ginge bet Tridaena gigas, weldfeb grang I. oongranfreicb non oenetianiidjen Äaufleuten gum ©efdjenf erhielt, ootirte ber fpätere Grbe, gubwig XV., ber Äirdje ©t. ©ulpice in §)arib, wo eb nodj l>cute gum £aufbecfen bient.

SDie aubgicbigfte unb gefctymadfooHfte ÜOcrweubung fanben fd)ön geftaltcte uub gefärbte ©djnecfenjdjalcn unb fBiufdjeln in ber 9Rufdjelgrotte bei ©anbfouct unb im SDiufd^elfaale beb 9teuen Calais bei fPotbbam burd? griebricfy ben ©rofcen. Sludj auf ben Üftipptifdien unferer grauenweit feljlen wdjl nur feiten gierlidje 3Kurer= unb jr>alictiegel)äufe ; fo wie Heinere ©djalen unb ©efyäufc aller Slrt unfere üJlufdjelfift^cn becoriren muffen.

äijäljrenb bie getigerte $)orgcllanfd?necfe (Cypraea tigris L.) ben SBebürfniffen beb Stabaffdjnupferb Oiedjnung tragen mufe, bie^ocfen = fPorgellanfd)necfe (Cypraea caurica L.) auf ben Äummeten uub anbcrn Steilen beb ^ferbegefdprrb unferer mittelbeutfdjen gradjtfuljrleute ; C. erosa L. unb C. Annulus in Reiften unb ber SEürfei alb SDecoration angebradjt wirb, finb bie oon ben grauen an ben Äüften ber ÜJialebiren unb jefjt audj Söeftafrifa’b gefammelten „Gauri = 93lufd)eln“ ober Biwbtb in gcanba, (Cypraea moneta L.), feit langer Seit alb Saufdpnittel, b. 1 j. alb ©elb im binnenlänbifdjeit Jpanbel ber alten Söelt, in ©ebraudf. ÜJlan fanb fie in Hünengräbern bei ©tolpe*1) unb anberwärtb (alfo bereits in ber ©teingeit), wie eb nod) ^eute in Bengalen gefd)iel)t, obfdjon bort @olb unb Silber alb ^>anbel8= unb SSaufdjocrfeljrbmittel in güüe oerbanben finb. 5 )afj Gaurimufdjeln burd) gang Gcntralafrifa alb 5Jiünje in ©eltung fid) befinben, »erbanfen fie woljl bet SBcrwenbung im ©claoentyanbel, bei welkem fie in 3at)lung gegeben würben, unb bafj fie nodj tjeutc in ülfrifa reellen SBevtf) befitjen , erweift

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ft$ audj barauß, baß nad) profeffor ^artmann**): oon äbpffinien biß gum Senegal, bie jungfräulichen Negerinnen g. B. gu SDar* 3?erta unb 2>ar=©d}illuf, iljre ©cßürgen mit benfelben benähen, wie in gemiffen Gegenben ©eutfdjlanbß nedj jeßt bie ©pecieß* ttjaler auf ben Sacfen unb SRöcfen ber teilen Bauern prangen, ober wie ber Stofefe feinen SBampum mit ÜRufcßeln fdjmücft, ober ber Bewohnet Neu=Guinea’ß feinen Leibgurt.

©odj mogu bebarf nod) ber Beroeife oon fo fernen Negionen, um bargutßun, baß SRujdjelfchalen unb ©djnecfen* gefyäufe mit ober ol?ne oorgängige Bearbeitung alß 3iet*atf)en aud) bei unß taufenbfältige Berroenbung finben?

fertigen mir nid)t unfere Gelbtafdjen unb gur Bewahrung ooit ©titfereMltenfilien beftimmten Ääftdjen auß polirten, perl* mutterglängenbcn llnionenfdjalen unb fourniren mir nidjt unfere Bifitenfartentäfchdjen mit perlmutterfdjalftücfen? 2)ie foftbaren fo* genannten Parifer 8uj:ußmeubleß ftroßen »on gierlich gugefdjnittenen unb alß Einlage beftimmten Perlmutter* unb £)l)rmujd)elftü(!en in oft pradjtüoll irifirenben formen. Bon ©an grancißco allein würben g. B. 1867 gegen 3713 ©acf a 2 Bufßelß im SBertlje oon 36,000 55oKarß fNeero^ren (Haliotis rufescens unbCracherodii) über Gßina unbNem*Porf nad) Europa gebraut. 2>ed} maß min baß fagen gegenüber bem großartigen Jpnnbel mit perlmutterfdjalen ? gtanfreidj importirte baoon g. B. 1854: 953,507 Äilo’ß; Großbritannien 1855: 20,120 Gtr. unb Hamburg 1855: 13,430 Gtr. im äBertlje oon 235,120 Pif. Beo.

Neben ben Perlmutter fcßalen unb ben muuberooll irifirenben SEReeroßren (Haliotis) briöiten bie burd) bie beiben Italiener $ppa unb SJiagarelli auß ben ©cßalenf lügelftüden ber rotßmünbigen S I ü g c 1 f djnecfe (Strombus gigas L.) unb ber roth= unb btaunmünbigen ^elmfdjnecfe (Cassis rufa, C. tuberosa Encycl., C, madagascariensis L.) guerft ßcrgefteHten

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Objecte al§ S djmucf gegenftünbe etften SiangcS! 9io<h in ber jüngften 3eit*3) iah fid> ein Bericbterftatter über bie neueften ÜJiobeartifel ceranlaßt, auf bie gu Blumen, dameen, ju $alSbänbern, SSrmbänbern, Brod?en, Ohrringen, Bianicbetten« fnöpfen, 95tcbaiHon8 unb Jpaarnabeln oerwanbten Äunft* unb Sebmucfjacben, welche bie Jnbuftric auS ber rethntünbigen jflügcljchnecfe ^erjufteden oerfteht, mit fftachbrucf hinguweiien. ■RreiSfägen oerfchiebener ©reffe unbBegabnung, an Spinbein befeftigt, welche burd) SBafferfraft ober Sampfmaicbincn in retirenbe 'Bewegung geje^t werben, bienen gur Bejeitigung ber Oberhaut unb ber obem Schichten ber flügclformigen 'JMatten oben genannter ÜJlujcbeln, um enblidj gu ber nahe ber Jnnen« fläche ber 9)iujd)el gelegenen reth» ober braungef ärbten Schicht ju gelangen, bie fid? als Staffage (glcichfam al8 fRahmcn) für bie au$ ber ^)erlmutteri^i^t hcrguftellenben Sigur eignet. ÜJiit anfdjeinenber geiebtigfeit unb alö 3fugni§ eines fid>ern BlicfcS fdjwinben per ben fdjnell ficb brehenben Diabdien bie fenft jo fdjroer gu bearbeitenben £agen ber Schalen» fubftang unb halb erfennt man bie entftel}enben BcuguetS, Äopfe unb bergleichen Figuren, welche im $autrelief auS ber $)erlmutterfchicbt herauStreten. ©latt polirt unb in golbene fRahmen gefaxt, bilben bie auS ben glügelftücfen jurcr heraus» gelöften „dameen", jenen augenblicflich, aber mit rollern tüecbt oielbcwunberten unb rielgefuchtcn Schntucfgegenftanb, ben wohl Äcine unterer Samen beSaoouiten bürfte!

Unb wenn UetjtcreS bed? ber ^all fein feilte, gegen: perlen

aber bürfte bedj Äeinc berfelben genügenb gefeit fein, jene „.pimmelSthränen", jene Shautropfen be§ Rimmels, bie nach ber Sage ber Orientalen, in bie geöffnete 5ftufcbel faöenb, bert gu „ffcrlen erftarrten" ; einft ba§ Bkibcgefchcnf für tic ©ötter beS

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Altertums, um fiegur Erfüllung menfchlicher SBünfche gu be* ftimmen, unb aud} fpäter baS 3Beihgefd)enf für bie Jungfrau ÜJtaria unb bie .^eiligen ber Fattjolifr^en Gtjriftenfycit. Unb in ber Slfyat begaubern bie perlen : burd) ihren milben ©lang, ihren filberfarbigen, faft fd)wärmerifd)en Schimmer, burd) ihre garte 2)urd)fid)tigfeit bei aller Jpürte, burd) ihre meift eble id)öne gorm!

Äein SBunber, wenn fie baS Auge beS Sterblichen in ned) höl)erm Grabe feffeln, alb ber feuerfprül)enbe 2)iamant. Äein Sßunber aber aud), wenn nod) in ben Jahren uon 1837 55 perlen im SBerthe bou mel)r als 20 UJlillienen grcS. in Gnglanb unb granfreidh importirt mürben, unb bie Jpal8gefd)meibe englifcher £)ergoginnen noch im Jahre 1867 auf ber ^arifer SBeltauSftellung alle SäJelt feffelten.

Soch mir muffen eS unS uerjagen hier über ben perlen» lurub ber alten, mittelalterlichen unb neuern 3£it und meiter gu Berbrciten, ba ja bereits burd} uon SDJ artenß84), ÜJiöbiuS81) unb oon Jpehling*6) eine folchegülleBon $hatiathen gufammen* geftellt worben ift, bah eS faft unmöglich f£in bürfte, bem oon ben betreffenben iHutoren Angeführten sJleueS ^fn^ugufügen. Gbenfo fdjroierig bürfte eS aber auch fein, über bie © tructur unb bie Gntroicfelung ber perlen fJteueS gu ermitteln, naebbem bie Sßiffenfdjaft ihrer eigenften Aufgabe getreu, nachfidjtSleS ben Schleier Bon ben in baS mpftifche ©eroanb ber Sage unb Segenbe gehüllten perlen roeggegogen unb unS beroiejen holt bah fie eben nichts finb als eine hanfhafte SBiebc rholung ber Schalen fub ft ang felbft, ein ben 2Beid)thieren an fid) grembeS, geinblicheS, ein nun fagen mir eS mit einem SBort, eine Art „üithopäbion! "

xi.

260.

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I

42

tUnmcrtungen.

1) j. 33. bem Amphioxus lanceolatus Yarr.

2) cf. 5£rnf$el, Da« @ebi§ ber ©djneden. »erlin. 4. 1856 bi« 61. ?ief. 1-4.

3) N ew-York- Mercury. Novbr. 1875. „Terrible discovery on the Bottom of the Sea. A Victim of the „Schiller.“ Dis- aster Found in the Clutcbes of a submarine Monster.

4) 9la$ ©^leiben, Da« OTeer, »erlin 1869. 8. @. 413, eine 12 guf) breite 3»«*; na<b ©pallanjani, Travels in the two Sicils. 1. 84, 88, eine 2 gujj breite 3one.

5) 3ur 9laturtoiffenjd)aft. II. 1823. ©. 79.

6) ©hinter, lieber GoraUentljiere. Berlin 1872. ©. 21.

7) gauna ber Äicler »u$t. ©. 127 c. tab. u. ©. 138 c. tab.

8) Philosopbical Transactions. 1846. 111. ©. 342.

9) Annals and Magazine of nat. hist 1845. XV. p. 114. (SEBiegm. Slrdpr f. 9lat. 1836. II. 419.)

10) Ginleitung in bie GondjpKologie. ed. Bronn. Stuttgart 1853. ©. 32.

11) W. F. O. üeins, Om Muslingefangst. Kjoebenhavn 1856. c. tab.

12) 3oolo0'f<^et ©arten. 1874. ©. 8.

13) 3- 3- ©turj, Slufternbctrieb in ülmerifa, granfreid; unb Gnglanb. Söerlin 1868. 8.

14) 3oologifd)er ©arten. 1874. ©. 8.

15) Plinius historia naturalis. »d). IX. Gap. 54.

16) Ä. 5toüc, Die 'Tlufternjudjt unb ©eefifd)erei in granfreicb unb Gnglanb. »erlin 1871. 4. c. XVIII Tab. lith.

17) Sari SRibiu«, lieber ’Äuflem- unb ©Kef)muf$el*3u$t. »erlin 1870. 8. c. Slabb.

18) Hist. nat. »d). IX. Gap. 36—39.

19) 9lad?£)libi non Area nucleus unb Buccinura echinophorum.

43

20) Bei Murex brandaris Lan., bie man baffit hielt» fonnte Dlibi feinen purpurfaft finten. £)ten, 3lllg. 9laturgefdj. 33b. V. 9lbtl). 1. 1835. 8. <S. 484, wätytenb Saeage IDuthiet’« (Ann. d. sc. nat. 4. serie, t. XII. 1859. p. 34—37 unb 33igio nebjt p. PlartenS „Purpur unb perlen", $eft 214, @. 10, baran feftijalten, baf? Murex brandaris, M. trunculus unb Purpura haemastoma in ihrer ©djleimbrüfe ben Purpur ergeugen.

21) SBeridjte bet ^Berliner ©efeüfdjaft für 9lnthropologie, (Sino- logie unb Urgefchidjte. 1872. 8. @. 3.

22) Ibid. 1. c.

23) 3fl«fWrte leipjiger 3eitung 9lr. 1685, 16. Dctober 1875.

24) (Sammlung gemeinterftanblidjer wiffenfdjaftlidjer 33ortr5ge, herauägegeben pon 3i. Pinpom unb gr. t. fjotbenborff, Serie IX., ^>eft 214, Prof. Dr. o. Platten«, Purpur unb perlen.

25) PRßbiu« in Slbbblgn. a. b. (gebiete b. ÜRaturroiffenfdjaft,

Hamburg 1858. 4. (33b. IV. Slbth- 1.) ©. 6.

26) 5th- b- £efjUng, 3)ie Perlmufdjeln unb ihre perlen, ifpg.

1859. 8. c. VIII. tabb. litb.

(S57)

3>nid ccn O'tfcr. Unjct (Sb. (Stimm) in Bnltn. ©d>bneb«atrfhrat« 17a.

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f * !

$W% liml i'ranl-|furt ait( 3ffatt|(

Sie Beilegungen öes flidjters |tt feiner llntrrftaöh

JDarcjeftetlt oon

Dr. ■g5if5<fm <S!tid{fr

ju granfmrt a. 9JJ.

Sie audj ber SRenjeb in! Seite fi* entfalte, Sie er an* ftrebe, Selten gu bur<$meffen, (Gefettet bleibt er immer an bfe <£d?cüe,

Wuf bie ber 3ufaQ ber (Geburt ibn warf.

ßrrlin SW. 1376.

33 e r I a g »on Carl $abel.

(<l. <0. jLndrrit)*sd)r flfrlagsbndjtnniJnng.)

33. SÜbelm*gtTa&e 33.

2>a« Utbfr(efeun3«tfd)t in frcmbe ©pradfen tcitb »orbttyaltfn.

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ovetn beutjdjer SDidjtet hat feinet Sßaterftabt ein fo fd)öneg ©hrenbenfmal gefegt als ©oethe. Stieb baö ©chicffal fo »iele Slnbre früh fort oon bet ©tätte bet ©eburt, ehe bie Umgebungen einen ©influf} auf i^te Silbung üben fonnten, fo war e3 ihm »ergßnnt, biefen (Einfluß mit 33ewuf)tfein $u empfinben. ©oethe hat bie ©inwirfung feiner Umgebungen, bet tobten wie bet belebten mit unerreichter pfpchologifcher 9Jieijterf<haft wiebet» gegeben; granffurt in bet ©pod;e oon 1762—1778 unb bie be* beutenben üftännet bet ©tabt finb jebem ©ebilbeten in Seutfdj* lanb befannt. Unb bodj! 3Bie oiel fehlt ju einem »ollen befrie= bigenben Serftcmbnifj biefet 8eben8= unb SBilbungSgefd^idjte für Seben, ber ihren ©djauplafc gar nicht ober nur unootTfommen fennt? SBieleä hat ©oethe, al§ et „Sichtung unb SBahtheit" herauf* gab, nur anjubeuten für paffenb gehalten, waö jefct unbebenflich ganj auggefprochen werben fann. 3n manchen fünften hoi feilt ©ebächtnifj ihn getäufdjt. Siele gocalitäten, welche et erwähnt, finb jefct ooUftänbig umgeänbett, wäljrenb anbte mit feltener Steue ihr altertümliches ©eptäge bewahrt hoben. Sie ©oethe» literatur unb bie §ranffirrtet gocalliteratur hoben mit feltener {Rüftigfeit fich in bie £änbe gearbeitet, um atlefPuncte in wünfchenS» werthe Klarheit 3U fefsen. Sie Äenntnifi biefer Literatur in Set«

XL 96 X. 1* (861)

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4

binbung mit langjähriger topographifthet änfchauung ber Stabt ift bie ©runblage, auf weither ber 33erf. in moglichft fuapper gorm ben (Kommentar 311 ©oetbe'8 Scnfmurbigfeiten, foweit fte grauffurt betreffen, aufgubauen gebenft. Sen ©taten ift bie fech8> bdnbige Ausgabe non ©oetbe’8 SBerfen eon 18fiO gu ©runbe gelegt, reelle burd) ihr oeQftänbigeS fRamenregifter ba8 'Jlufjuchen ber einzelnen f>erfönli<bfeiten erleichtert.

Sie JRegierungbform ber Stabt grauffurt, welche feit 1495 bae fRecht einer SReicbSftabt erlangt hotte, begegneten bie .Renner berfelben al8 „eine gemäßigte Slriftofratie" ober al8 „au6 ärifto» fratie unb Scmofratie gufammengefejjt". 3bre ©runblage war gunächft ber au8 bem Slufftanb ber Sabre 1612— 16 beroorgegan» gene Vertrag. Si8 1612 lag, nachbem bie Vemegung non 1525 mit bem Sauernftieg niebergefchlagen worben war, ba8 Stabt» regiment in ben Rauben be8 fPatriciatS, b. h- berjenigen gamilien, welche al8 bie SWitglieber ber ©anerbfehaft 9llt»8imbnrg einen feftgefchloffenen SlbelSoerein bilbeten. 2lu8 ihrer fDtitte waren bie gwei erften 9tath8bdnfe beinahe gänglich befejjt unb obwohl bie brüte Vanf für bie ^anbwerter beftimmt mar, fo wählten hoch nicht bie Sünfü. fonbern auch biefe Stellen würben nach ber SBahl beß 5Ratl)8 befe^t, unb e8 würbe bafür gejorgt, ba§ biefe feine 8eute traf, welche ben $>atriciern JDppofition machen würben. SB eher bei ber ©efetjgebung, noch bei ber Verwaltung ber Stabt war bie Vürgerfchaft betheiligt, bie ginangen ber Stabt aber waren arg gemittet. 5Run oerlangten 1612 bie SBürger bie SKit» theilung ber faijerlichen ^rioilegien unb brachten mancherlei S3e» fchwerben oor. Ser SRath waubte ftch an ben Äaifer um $ülfe,

ber nun Gommiffarien gur Beilegung ber entftanbenen SBirren

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5

ernannte, unb mit beten ©enehmigung fam bet jogenannte 33üt gern ertrag non 31. ©ecember 1612 gu ©tanbe. ©atnadj foUte bet Statt} oorübergebenb um 18 ÜRitglieber oermehrt werben, welche bie Bürger in boppelter 5än3al)l oorfklugen. 6b feilten nie mehr alb 14 Limburger unb überhaupt nikt ju nah oerwanbte ?>er jenen im Stathe jein; eb jollte eine (Jommijfion non neun SJtäunern jährlik bie ©tabtredjnungen prüfen, bie ganje Bürger* fkaft fid) in 3ünfte ober ©ejelljkaften begeben u. j. m. lieber bie Slubfütytung biefeb Bertragb aber entjtanben ton Steuern ©treitigfeiten unb grofje Unruhen, bie jkliefjlik ju bem ©ecrete ber Äaijerlitben (Sommijfion non 1616 unb jut garten Beftrafung bet Sluftührer, an bereu ©pijje SBincenj gettmilk ftanb, führten. Sn biejem ©ecret, „bab Sranbfijc" genannt, würben bie meiften Beftimmungen beb Bürgemrtragb wieber aufgehoben, bie 3ünfte unb ©tubengejetljdjaften (mit SluSnahme bet Limburger, ber grauenfteiner unb beb ©rabuirtencottegiumb) würben caffirt, bet Steunerausfkufj würbe ftillfkweigenbb abgej^afft. itlnftatt ber 3ünfte unter gewählten 3unftmeiftern ftanben nun blob ©ewerb* nereine unter ©efkwetenen, bie ber 0ftath ernannte, ©ie Bürger» jdjaft würbe feit 1614 in Quartiere, julefd 14 an ber 3ahh 8U3 meift 31t friegeriiehen unb $>oli3ei*3wecfen, eingekeilt nnb bie Sßorfteher ober (Kapitäne betfelben bilbeten fortan bab SRittelglieb jwtjchen Statt) unb Bürgcrfkaft, freilich °hne irgenb welche poli* tijdje «Rechte *). ©o hatte jejjt ber Statt) gefiegt, aber bie ©tfüüung ber an ficb berechtigten gorbetungen ber Bürgerfkaft war bamit nur hinaubgefkoben. Anfang beb 18. 3ahrl)unbertb erneuerte fich ber ©treit. Stach ber jpulbigung, welche bie ©tabt 1705 bem neuen Äaifer Sojeph I. leiftete, baten bie bürgerlichen Qber* officiere ber 14 Quartiere im Stamen ber Bürgerfkaft um Bcftä* tigung bet jtaijerliken ^)rinilegien unb um Äbtjülfe ihrer Befkwer*

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6

ben gegen ben {Rath- Der Äaifer ernannte 1713 je für bie pe* Ittift^en unb fRedjnungSfachen eine eigene Gommiffion, unb burch bie Äaiferlichen $auptrefo(utionen »on 1725, 26 unb 32 mürben bie Srrungen beigelegt, ©er Vürgernertrag mürbe in manchen fünften gebeffert, ein felbftänbiger ViirgerauSfdmfj, baS fogeuannte „GoUeg ber Ginunbfünfgiget" 3ur Vertretung ber Vürgerfchaft eingefe^t, bie fog. „bürgerliche Gegenfcbreiberei" eingerichtet unb baS „$Reunet*GolIeg" jur Gontrole bet ginanjüetwaltung wieber« hergefteHt. ©er JRath beftanb auS 43 ©titgliebern , bie in btei Vänfe, jebe ju 14 ÜJtitglieber, abgetheilt waren. bet erften ober „Sdjöffenbanf“ gehörte feit 1606 auch ber GerichtSfchultbetj!, moburdj biefe Sauf auf 15 SRitglieber tarn. Urfprünglich war ber Schulreife ber faif er liehe Statthalter gewefen; bie Stabt taufte feine Stelle, nachbem fie biefelbe mehrmals pfanbweije erworben, 1372 enbgültig an fich, woburch ber Sehultheife ber erfte ftäbtifche Veamte würbe, feit Äarl VII. auch burch feine Stelle „faiferlicher Otath-" Gleich nach bem Üob eines Stabt* fchultheifjen würbe jur Sßahl feines 9tad)folgerS gefchritten; e? gefdjah bieS weniger wegen einer um bie 9Jtitte beS achtzehnten SahrhunbertS noch obwaltenben Unficherheit ber '„Hnfpritcfee -), benn noch 1648 unb 1680 hatte ber Äaifer baS SKahlrecfet ber Stabt felbft als „wohlfunbirt" anerfannt, als auS alter Gewohnheit.

Vei ber Söabl fdjrieb jebeS DtathSglieb brei Schöffen auf einen 3ettel, bie btei meiftbeftimmten tarnen in bie .Kugelung unb bie golbene Äugel fefauf ben ©djultheifeen. ©er 9tath, an beffen Sbifec zwei jährlich neu gewählte Vürgermeifter ftanben, hatte bie Verwaltung ber Stabt unb übte bie SRechte ber 8anbeS* hoheit auS. ©ie Vürgerfchaft würbe »ertreten burch ben 9luSs fdjufe ber 51er, ber fi<h burch eigene SBafel ergänzte, burch bie Veuner, welche ber SluSfchufe Dorfdjlug, burch bie 28er, auS beu

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7

14 Duartieren ermaßt, unb butd) bie SD r ei et, welche bie SSahlen gu ben ftäbttfdjeu Remtern controlirten. 3m rei<h§* ftäbtifchen Gollegio Ijatte Branffurt auf bet rheinif<hen 33anf feinen ©Sifj unb gehörte gum oberrheinifchen greife.

SDie ©taatSfirdje iu Btanffurt war bie lutherifche. Äatljolifen unb Oiefcrmiite waren au8 bem {Rath auSgefdjIoffen. SDie btei Gollegiatftifte gu ©t. 5ßartt)olomäuS, ©t. Seonijarb unb gu Unfrei Sieben Stauen auf bem Sßerg, fowie bie brei Älöfter bet ©atme» liter, SDominicaner unb Äapugiuer behaupteten, in Böige faifet» liehet $>ritilegien bet ftäbtifdjen SuriSbictiou nicht untergeben gu fein unb gu bet ©tabt nur im Serhältnif) uon {Rachbarn gu fteljen; fte ftanbeu unter bem ©<hufce beö Äurfürften oon {Btaing unb bie Gollegiatftifte noch unter fid) in enget 23erbinbung, SDief} 9Serhältni§ trug in fidj ben Äeim galjlreidjet 3ertrürfuiffe, fowel)l wenn bie ©tabt eine SSerbefferung einführen wollte, bei welker biefülitwirfung bet fatl)olifchenGerporationen nicht entbehrt werben fonnte, als auch wenn fie gu ungewöhnlichen Gontribut tionen ber ©tabt hetang^ogen »erben feilten. 9lu<h bet ßutritt gu ben Sünften würbe ben Äatholifen erfchwert. SDen {Refor* mitten gegenüber, welche mit {Reichtum, £anbel8gewanbtheit unb auswärtigen Söetbinbungen auSgeftattet waren, nahm bie Giferfucht bet luthetifthen 23ürgerfchaft ben SRantel bet {Recht* gläubigfeit um. {Reformirte {Rieberlänber trafen 1555 in Btanffutt ein, aber fchon 1561 würbe ihnen ber öffentliche re* formirte ©otteßbienft unterfagt, worauf Diele weggogen unb ihren {Reichtum unb ihre SBetriebfamfeit ber fPfalg (Branfenthat* ©djönau, ©t. gambrecht) unb ber ©raffeijaft .fjanau gufommen liefen. 3n bem gu bem letztgenannten ©ebiete gehörigen Blecfen SSocfenheim hieben bie Brauffurter {Refor mitten feit 1595 ihren ©otteßbienft. 1601 würbe ihnen erlaubt, not bem 23o<fenheimet

(86ij

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8

S^orc non granffurt ein bölgerneä Sel^auö auffü^ren ju taffen, ober fdjon 1608, nadjbem eine geuerbbrunft bag ©eiijauö gerftört batte, würbe jeneö 3ugeftänbnifs wieber gutücfgenommen. SB«* gebeng waren wieber^olte @efud}e beim Siatb, rergebenS bie 33erwenbung ber benachbarten reformirten gürften. 1686 würbe fogar im SRatb bejdjloffen, feine weitere '-BorfteQung ber Sieformirten in biefer ©adje anjunehmen. 1731 fdjreibt Äep Hier 4): „9Ran brauet 3War nur eine halbe ©tunbe, um nach SJecfenbeim ju fab* ren, aber e8 foftet eine ©ietbfutfcbe ju 4 fpetfonen für bie ©onntag* 33ormittag8=©otte8bienfte jätjrlic^ wenigftenS 60 fRt^Ir.; bie Stn> gabt ber Äutfdjen gebt auf 250, wenn alle beifammen finb, weil »iele norne^me unb »ermcgenbe ^erfonen in granffurt ber re* formirten Oleligioit juget^an finb, unb man bafycr im ©prü<h* wort faßt : bie 9iömifcb=.ftatboliicben tjättcn bie Äircbcn, bie 2u* t^erifdjen ba§ Regiment, bie Siefermirten baö ©elb." ©rjt 1787 würbe beit Sieformirten eine freie ©emeinbeoerfaffnng unb ber 2?au gweier .Kirchen in ber ©tabt jugeftauben.

©ie 3 üben5) beweinten feit 1462 an ber norböftlicbeu ©renje ber älltftabt eine jwifdjcn jwei ÜJiauetn eingejdjloffene unb mit brei J^eren oerwa^rte enge ©affe, welche am 14. 3a* nuar 1711 mit ber ©pnagege ganj abbrannte, aber febon 1 13 grö^tent^eilb wieber erbaut war. ©ie Suben burften nur in ihrer ©affe Wonnen, unb würben »ielfacb in ihrem .panbel befdjränft unb mit Abgaben belaftet. ©o mußten fie mit befonberen ©teuern bae Siecht erfaufen, an ©onn* unb djriftlidjen geiertagen junaebft bie ©affe oerlaffen unb bann ba8 ©tabttbor paifiren gu fönnen. 23on ben öffentlichen ©pagiergängen waten fie bis 1806 auBgefdjleffen.

©ie 3uben genoffen eine giemlid) freie ©emeinbe=33erfaffnng

unter gwölf jelbftgewäblten „fBaumeifteru". ©a6 „©djanbge* (»6«)

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mälbe" unter feem 33rütfenthurm würbe 1709 noch auf ©taatS» foften erneuert uub erft 1802 befeitigt; fein ©egenftanb war bie angebliche Sffiarterung eineö ßhriftenfnäbleinS ©im cn burd) Suben, n>eld>e 1275 ober 1475 in Jrient gefcheljen fein feilte. (Srft bad Söombarbement Den granffuvt bureb bie grangofen, weld)e3 ben tt>eftlid)en 2heii ber Subengaffe einäfdjerte, hob 179ß biefeS SBerbet de facto auf, uub bergürft Primas befeitigte bie 33efd)rän« tung de jure in ben 3al)ten 1809 uub 1810. ©egenwärtig ilel)t nur uod) eine Läuferreihe ber 3ubcngaffe unb aud) biefe geigt gahltcidje £üden.

3 uv 3eit Den ©oetheS 3ugenb war bie ä^egreujung ber ©tabt eine bereite, gebilbet burch gwei ejccentrifd)e A'teife, welche fid) am fübweftlicben ©nbpunft, am SDfain, berührten

55er innere fRing, welcher gwei Sbere, wenn aud) nicht mehr gef d)l offen, aufgeigte : ben 2)ornl)eimer Shurm (abgebrochen 1705) unb bie Äatbarinenpforte (abgebrochen 1790) unb an gwei anbern fünften : an ber Laafengaffe unb am ©alghauS, burchbredjeu war, umfdjlofj mit mittelalterlichen ÜRauern unb 2h«rmen bie ÜHltftabt; feine ©teile ift noch ietjt burd) ©trafcen bejeid)net, welche ben fftamen „©raben" führen: SBetlgraben (wo bieJRahmcn ber gabireichen SBeÜwebergunft, ber„5BülItnappeii" aufgeftetlt waren), löaugraben (jefjt neuer fDiarft), L°45 unb Bimmergraben, ^pitfe^graben. 5)ie letztgenannte ©trede beftattb am längften; fie würbe erft ju @nbe beS fechSgebnten Sahrhun* berts angebaut. 55er ©rabeu, beffen ©ruub eine mit fRujjbäunten befehle Süiefe bilbete, war burd) Lirfd)e belebt, ©eit 1440 fanb baS fährlide Jpirfchef fen ftatt, wegu ber tRatl) gasreiche ©äfte einlub unb reid)lid;en Sft>eiu auS bem Diathefeller fpenbete.6) 5)er äufeere Umfang ber ©tabt war urfprünglid) ebenfalls mit einer bethürmten SDtauer unb einem ©raben umgeben, aud) mit

(8«7;

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10

feftcn Shoren unb an benfelben mit oorliegenben Söerfen oerftärft ; feit 1628 würbe aber ein Söatl mit 11 Saftionen unb 100 $)a« rifer guft breiten, »cm Socfenheimet S^or ibig gum Untermain hoppelten, SBaff ergraben noch barum gelegt. 2)ie SBälle waren mit Sinben bepflangt u. bienten als ©pagiergang. ©achfenhaufen war in äljnlidjer Söeife mit fünf Saftionen befeftigt.

£>ie breiwocftentliche (17. 3uli bis !). Sluguft 1552) »er« gebliche Selagerung ber »on einer taiferlicben Sefaftung uertbeibigten ©tabt granffurt burdj bie eerbünbeten proteftantifcften gürften non ©achfen, Sranbenburg, SJieflenburg, Reffen, Sraunjchweig, Dlben-- burg u. f. w. gab Seranlaffung gu bem großen »on Gonrab gab er gegeichncten, oon .fianS ©rao auS Slrnfterbam in Jpolg gefchnittencn *})lan oon ©tabt unb ©cgenb. IDiefer fogen. Sela* gerungSplan ift oerfleinert bem gweiten Sanbe oon UerSner’S Ghronif unb bem gweiten £efte beö 9tvd^io§ für granff. @efd>. unb .ftunft beigegeben; ein neuer Slbbrud ber ßriginalholgftöcfe ift 1861 bei Ä. Ärutthoffer erschienen.7)

9tocft näher gu ©oethe’S Seit reicht ber 50terian'fcbe ©tabt* plan, beffen oerfcftiebene iSuflagen in bie Seit gwifchen 1628 unb 1770 fallen/)

Söir fehen barauS, bah im ©cgenfaft gu ben engen ©affen unb ben bidjtgebrängten Raufern ber Slltftabt ber gwifchen beiben SefeftigungSringen ft<h auSbehnenbe ©tabttheil mehr länblichen unb Serftabtcharafter geigte. Sreite Straften unb grofte freie 9>läfte (gifdjerfelb, Älapperfelb, 'PctcrSfirchhof, Ciahmhof u. f. w.) waren mit meift niebrigen Raufern eingefaftt. £ier reihten ficft ftraftenweife bie guhrmannSwirtftfchaften mit geräumigen .£)öfen, unb bagwifchen SRuft* unb Sleicftgärtcn unb bie Siergärten ber $)atricier unb reichen Äaufleute ober auswärtiger gürften. SDer fRoftmarft unb $)arabeplaft war mit Säumen bepflangt. SDie Straften (868)

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11

waren mit S3afalt gepflaftert, aber meift nicht gewölbt, fonbetn nach ber Sötitte ju gefenft.

(Sine öffentliche ©trafjenbeleuchtung war guerft 1707, bann 1711 (.Krönung Äatl8 VI.) oerfucht, auch burd) ein faiferli<he8 SRefcript non 1724 eingefchärft worben, aber 1762 entfdjlof) man fidj, bie Laternen unb fonftigeS Subehör auf ©taatöfoften anju» fchaffen, »egen ber Unterhaltung aber eine ©teuer auf fantmtlidje Raufer ber ©tabt ju legen. $>ie& batte feine ©<bwierigfeiten, ba bet fat^olifcbe 6leru8 für feine ©ebäube ficb wiberfpenftig (f. oben ©. 7) unb bie auswärtigen Surften, ©rafen unb Sje rrn für ihre 93efi^ungen fid) fäumig erwiefen, iljreö SS:^eil8 ju bem gemein» nü^igeu SBerfe beantragen. ©8 war ba guerft ein 9teid)Sbofratb8* SRefcript non 1762 erfotberlicb, worauf bie Laternen allmählich auf 600 »erwehrt würben. 3um SranSport innerhalb ber ©tabt waten feit 1709 ©änften oielfad) üblich unb felbft für einen 5Jtann »om Stange be8 ©tabtfchultheifjen fdjicflicb- £>ie ©ebüht für ihren ©ebrauch war jebeSmal 12 Är. Um bie Seit oon ©oetlie’8 ©eburt waren bie Raufer noch nicht numerirt , fonbern jebeS mit einem ©innbilb oerfehen, oon bem e8 ben Slawen führte, welcher feinem angefeffenen 33 ärger unbefannt war.9) (Stft bie Ueberfluthung ber ©tabt mit Stemben butd) bie ©in* quartirung in Solge ber frangöfifchen Sefefcung (feit 1759) machte e8 nothwenbig, ben ^udhftaben be8 ©tabtquariierö unb eine Saljl an febe ^aubthür anjufchreiben.

Sranffurt jählte um bie Seit oon ©oetheS ©eburt etwa 30000 chriftlicbe ©inwohner in 3000 Raufern. 5)ie 3«hl ber Suben ift fehr »etf «hieben unb wohl immer ju hoch angegeben worben, ba8 lefjtere au8 bem ©runbe, weil bamalS, wie noch je^t, oiele in bet Umgegenb wohnenbe ben Sag über ihrer ©efdjäfte wegen ftch in ber ©tabt auf» hielten unb oiel auf ben ©tragen oerfehrten. SBenn wir bie Ueber»

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12

füDung berjubengaffe auch noch fo hoch neranfchlagen, fo bürfen toix bei ber au§erorbentlirf)en ®d)malbeit ber nur 2—3 genfter breiten Raufer bie berjuben faum ^ßt>er fchäfjen , als auf ein Sebntd bet djriftlicben Setwlferung. ®o war ba8 ©emeinwefen be* fchaffen, in welches ber ©dsneibergefefle ©eorg griebrich ©oethe einwanberte. Gr war 1658 gu Slrtern an ber Unftrut als ©ot)n eines $uffd)mieb’8 geboren unb in granffurt in erfter @h* mit ber ©djneiberSwittwe 21nna Glifabeth gufc feit 1687 »erfyeiratljet. Gr geugte in biefer Gl)e fünf Ä'inber: 1. SartholomäuS, geb. 1688, über beffen fpätere ©chicffale nichts befannt ift; 2. Johann ©ichael, 1690—1733; 3. Jol}. Jafob, 1694- 1717; 4. Jper= mann 3afob, geb. 1697, 3inngic^ermeifter, fam in ben IRath unb ftarb 1761. ©eine brei ©ohne: ». Jol). griebrich (1728 -33); b. Joachim (1732-33) u. c. Job. GaSpar (1737-42) ftarben im ÄinbcSalter. 5. Johann -»Ricolang (1700—1705).

fRad) bem im 3al)re 1700 erfolgten 2obe feiner grau war griebrid) ©eorg ©oethe in gweiter Gbe feit 1705 mit ber SBittwc Gornelia ©chelborn, geb. SBalter, geb. 1668, ber woblbabenben SBefifcetin beö „SKeibenbofS", eines 1843 abgebrochenen ©aftbofeS auf ber 3etl (?R. 68) uertjeirat^et. 2lug biefer Ghe entfprangen brei jfinber: 1. Jlttna ©ibclla (geb. unb geft. 1706); 2. Job- griebrid) (1708—1727) unb 3olj. GaSpar, beS SichterS Slater, (1710— 178ü). ®er Se^tgenannte fonnte nicht in ben SRatb gelangen, nicht bloff barum, weil fein ®d)wiegeroater, 3. 33. Sejtor, ©tabtfdjultheif) war10), fonbern auch, weil GaSpar ©eetbeS ©tiefbruber, Hermann Jacob, fid) im SRatb befanb, inbem butcb faiferl. SRefolution oon 1725 »on einem gu Grwal)lcnben geforbert würbe: „bafj nicht fdion fein SBater, ©oljn, Sruber, ©efd?wifter* finb, Schwiegervater, Sochtermann, ©egenfd)»ager, leiblicher ©chwager ober ©chweftermann fich im SRatb befincen." griebridj

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13

©eorg ©oettje ftarb 1730, feine SBittme 1754. ©<bon früher, a!8 bie ©oetbe’fcbe gamilie, war bie Uejrtor’fdje nad) granffurt gefommen. Set Seylotfdje ©tammbaum läfjt ftd? bis auf ©eorg SBeber gu 3Seifer§l)etm an ber Sauber gurücfcerf eigen, ©oetbeS UrurgTofmater, Sodann SBolfgang, meldjer feinen fRamen in Septot überfefste, geb. 1638 gu fReuenftein im ^cbenlc^e’fc^en, mar ©onfulent unb elfter ©cnbicuS gu granffurt feit 1691 unb ftarb 1701. ©ein (Snfel gleiten fRamenS, geb. 1693, f 1771, mar Dr. juris unb feit 1747 ©tabtfdjult^eife, aud? Äraft feines 2lmte8 laifetl. SBirflidjet ©ebeimratb- (Sr mar cermäblt mit 2lnna fölargaretba Sinbijeimer (geb. 1711, geft. 1783) SEodjter beS Dr. juris unb ÄammergeridbtSptocuratorS gu SBefjlar, (SorneliuS £inbfyeimer.

^Drittes Äinb unb erfte Smdjter nach gmei im frü^eften Äiu» besaitet cerftorbenen ©öbnen mar Äatfyarina (Slifabetb Sejrtot, (geb. 1731, geft. 1808) getraut am 20 Mug. 1748 mit 3ob* GaSpar ©oetlje, Dr. juris u. faiferl. SSBirüidjen fRatb-11)

lieber bie fpätern ©djicffale ber ffiobnung beS ©rofjeaterS Sejrtor berietet ©oet^e an ©djitler unter bem 17. ’Huguft 17971*): nber fRaum meines grofmäterlidben |>aufe8, ^)ofe8 unb ©artenS ift auS bem befdjränften, patriardbalifcben 3uftanbe, in meldjem ein alter ©cbultt)ei§ een granffurt lebte, burd) Ilug unternebmenbe fötenfdben gum mädjtigften Sfaaren» unb SSRarft* plaj} oeränbert morben. Sie Slnftalt ging bureb fonberbare 3«* fälle bei bem ©ombarbement 3uli 1796) gu ©runbe unb ift jefct, gröfstentbeilS als ©d)uttbaufen, uod? immer baS Soppelte non bem (12000 fl.) mertb, maS cor elf 3abren »on bem gegen» märtigen ©efifjer an bie 9R einigen begablt mürbe", ©egenmartig finb burd? baS gmif(ben bem Älapperfelb unb bet großen grieb» berget ©affe fid) erftreefenbe ehemals Septorfcbe ©efifjtbum gmei

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©tragen : bie Heine griebberget ©affe unb bie ©elbehirfch'Strafje hinburchgeführt; bieö gange SSreal ift non neuen ©ebäuben be» becft. Sin 9fad)bar be8 ©tabtfchultheifjen war ber Pfarrer ©djleiffer; beibe ergäben fid) mit SBerfut^en feltfamer Dculi» tungen »on fangen, g. 33. fPfirfidje auf einen SEBeinftocf, SRofen auf einen Apfelbaum, worüber noch eigen^änbige aufgeidjnungen SEejrtorS »orhanben finb.

©oetheS ©Item wohnten in einem alten $aufe am ^irfdj» graben (jefot 9ßo. 23), beffen Sefifserin bie ©rofcmntter ©oraelia war. Der <Sd^uIttjei§ nahm »on ber bei ber ©ntbinbung feiner Softer bewiefenen Ungefdjicflichfeit ber £ebamme Sßeranlaffung, ben SBunbargt ©eorg ©igiSmunb Schlicht als @eburt8helfer unb ^ebammenle^rer anguftellen. SDiefer würbe am 2. IDecbr. 1749 verpflichtet, ftarb aber fchon 1754. 1 *)

£Da8 gegenüberliegenbe Od^fenftei n’fdh)e £au8 (9lo. 18) ift jetjt faft ba8 eingige ber gangen ©eite, welches bi8 gum mef» fingeiten 2:hütflopfer h«ab ben alten ©hataHer bewahrt hat. ©8 ift feit lange ©ifj be8 33anfhaufe8 3»hann Wertend unb in feinet gangen Slnlage, burch SHäumli^feit ber Sßorplätje, £öhe ber ©tocfwerfe :c. weit anfehnlicher al8 ba8 ©oethe’fche £au8, ein StppuS be8 für eine eingige gamilie berechneten fPatricierhaufed.

$Die brei ©ohne be8 S3orgänget8 »on ©oetheS ©rofwater, be8 ©tabtfchultheifjen Dd)8 »on Ddjfenftein, welche ben Äna» ben gu muthwiHigen ©treiben angereigt, waren: 3oh- Sebaftian, 1700—1757, Äreidgefanbter, Heinrich SBilhelm, 1702 1751, Senator, beibe unöerheirathet, unb £>einri<h ©hriftoph, 1712 bi8 1773, gürftl. Sfenburgij^er ©eheimerath in Dffenbach, welch« bie gamilie im ©rof?h«g°9thnm Reffen fortgepflangt hat.

9lach bem 1754 erfolgten Sobc feinet Wutter ßornelia fchritt 3»hann Sa8par gum Umbau feines Kaufes, ba aber eine am

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27. 3uli 1719 erlaffene unb nodj 1749 eingefdjärfte Sauorbnung bie Ueberfyäpge nur im erften ©to<f geftattete, fo faß er fid), um bieß ©efefc gu umgeben, gu jenem »on ©oetße fo anfdßaulicß ge: fdjilberten aHmäßlicßen Umbau »eranlaßt. £Die Unbequeralidßfei» teu biefeö SetfaßrenS trieben ben A'naben gu 9lußf!ügen, auf melden er aümäßlid) feine Saterftabt fennen lernte, ©t ermähnt gunädßft bie 5Jt ainbrüd e, weldje, nacßbem ißt gwei ßölgerne, butcß ba8 SBaffer gerftörte Srücfen »orßergegangen waren, nad) ber großen Ueberfdßwemmung beS ÜJlainS non 1342 auf 14 gewölbten Sogen rußenb, in einer Sänge non 950 unb einer Sreite non 27$ guß au8 rotßen ©anbfteinquabern erbaut würbe; bann ben ©aalßof, Welcher auf ber ©teile beS 822 non Subwig bem grommen erbauten $>alatium fteßt. 21 uS ber ältefteu Beit ift nur ein £ßeil ber ©tunbmauer erhalten; bie jeßt in ein 3iwmer »erwanbelte ÄapeUe gut ßeiligen ©lifabetß ift waßrfcßeinlicß in ber erften Hälfte beS breigeßnten SaßrßunbertS, ber weftlicße Sßeil beS ©ebäubeS nacß bem ÜJtain 1717, ber öftlidje 1842 aufgefüßrt. 2)er Sau nad) ber ©aalgaffe »on 1604 geigt nodß ßeute bie unregelmäßige gagabe unneränbert, welcße $>lotßo bei ber .Krönung 3ofepß$ II. butd) feine ©rleucßtung fo grell inS Stcßt feßte.14)

5)er Äaiferbom gu @t. SartßolomäuS ift ber Stiftung nadß bie ättefte Kirdje, bet ©tbauung nacß bie gweite (nacß bet ©t. SeonßarbS Äircße) non granffurt. 2ln bem jetzigen Sau Würbe »on 1238 1512 gearbeitet.

SÖaßlftabt würbe granffurt burcß bie golbene Sülle 1356; ber erfte Äaifer, welcher nidßt in $acßen, fonbern in granffurt gefrönt würbe, war 2Jlar II. 1562, nacß ißm ÜRattßiaS 1612, gerbinanb II. 1619, Seoßolb I. 1658, ÄarlVI. 1711, Karl VII. 1742, grang I. 1745, 3ofepß II. 1764, Seopolb II. 1790 unb grang II. 1792, bagegen Ofubolf II. 1575 unb gerbinanb IH.

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1637 mürben in OlegenSburg, 3ofepfy 1. 1690 in StugSburg ge» frönt. 3n Solge bcS Stanbeö »cm 15. Sluguft 1867, melier ba8 ,Rird)cnbadJ »erjeljrte, ba8 ©eroölbe befdjabigte unb bie ©loden beß SfjurmS fcbmolj, ift ber Sau einer auSgebetjnten (Erneuerung unterzogen worben, ©er Sburm wirb auögebaut unb baö hang* hau8 ber Äirche, bereu ältefter Sheil, melcbet niebriger af§ bol ©f)or unb bie Sburmhafle war, auf gleiche ^ölje mit biefeu gebraut.

3n ber Äircfce Hegt Äaif er ©untrer »onSdjmargburg begraben, beffen hcbenälauf auf eine jugenblidje ^fyantafie einen befonber« tiefen (Einbruch ju madben pflegt unb benfelben aucf) auf ben jungen ©oetfye nicht »erfe^lte. 9lm 27. Wai 1349 mar ©untrer mit aßen Seiten ber föniglicfcen Sßürbe Ijalbtobt auf einer Satyrt nad) ftranffurt gebracht morben. Slm 17. 3uni »erdichtete er auf baö Sleicb, nannte ftd) mieber ©raf ©untrer »on ©cfemargburg unb entbanb SRatl? unb Sürgerfchaft »on ^ranffurt %e8 (Eibe$. 3m 18. 3uni ftarb er im Sohanniterhofe am „fdjmargen Sobe“, ber gleichzeitig binnen 72 Sagen 2000 Wenfchen ^inraffte.

©eine Familie lieg ihm ein ©enfmal in ber Witte be8 hohen G^oreS ber ©omfirche fegen, melcheS im ©eebr. 1352 »oßenbet, 1743 aber auf Slnorbnung Äaijer Äarl VII. an bie ©eite beä (Eingangs ber faiferlichen SBa^lfapeße »erfegt mürbe, bei melier ©elegenljeit fämmtfidje eS umgebenbe SBappenfchilbe cermed)felt unb mit rotljer garbe überftrichen mürben. 3uf Seranlaffung ber dürften »on ©chmargburg ift e8 jebotfc 1855 auf ©runblage von ßeiebnungen auS bem 3al)re 1716 mieber in feinem früheren 3uftanb gergefteßt morben'5).

Pfarrei fen Ijiefj ber burd) einen Iiegenben (Eifenroft für ba§ Siel) mtgugcinglich gemad)te ©ang gmifchen ber tftorbfeite be» ©ome§ unb ber 1829 abgebrochenen WidjaelSfapeße; er bilbet

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jefct einen SJjeil beö ©omplaijeS unb ift fammt ben eingebauten Buben netfdjteunben. 3tm Sßieberchetn beifjt eine fold^e Bocalität Äirdjeifen.

S)ie ©trafje, welche bern Änaben ©oetfye unb feinen ©piel« genoffen ben Umweg burch -£>afengaffe ober ÄaUjarinenpferte fparen unb birect Bom 8iebfrauenberg nach bet 3«l fügten fotlte, ift etwa fyunbert 3a^re, nadjbem fie biefe Befdjwetbe auSgefprocben (1855), burd) Abbruch gweier Raufet auSgefüfytt worben.

93 on ben „burgartigen Käumen innerhalb bet ©tabt, beten 3at)t fefyr gtofj war", nennt ®oe% ben Kütnberget £of gwifchen fUtarft unb ©djnurgaffe, urfprünglich Verberge bet bie 9Keffe bejietjenben Kürnberger Äanfleute; baS ßompoftell, norböftlidj Bom -Dom, bem Äurfütften Bon SORainj gehörig; baS BraunfelS16) am giebfrauenbetg, 1495 unb 96 ©ifj be8 5Reiä)8fammetgeridjt8, im SRoobt. 1631 Bon ©uftan äbolf bewohnt, ffjatet als .podjgeitSfyauö unb ÄauffyauS benutjt, Bon 1694 bis 1859 @igentl)um bet ©efellfdjaft grauenftein; enblid) baS ©tamm* i)au§ beret Bon ©talbutg, weites gu ©nbe beS adjtgehnten Sa^t^unbertS abgebrochen würbe , um bet ©eutfehreformitten Äitdhe fpiatj gu machen. SDie gamilte ©talbutg fommt 1447 guerft in granffurt Bot unb ift 1808 im 9Rann8ftamm erlofdljen. SBähtenb bet Belagerung 1552 war 3ot)cmn Bon ©talbutg alteret Bütgetmeifter.

3)aS IRatbbauS, bet Körnet genannt, enthält ben Äaiferfaal, welcher 1711 gelegcntlid) bet .Krönung jfatlS VI. mit gefubelten Bruftbilbern Bon Äaifern Berfehen würbe, wofür ber Söialet Gontab Unfin (geb. 1660, -}■ 1717) freilich auch nur 500 fL, einfd^lie^ltd^ bet ©ündjerarbeit, Bom Kath erhielt, ©eit 1843 ift an beten ©teile in bie Kifdjen eine Keitje oon jfaiferbilbern burdf Surften, Bereine uub fPtioaten gefegt worben, welche theilweife auf Äunftwertfy

XT. 861. 2 (87.'|)

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Hnfpruch machen föunen. 1 8) 2)er Haiferfaal wirb gu ben Schul» actuS (progreffionen) beS ©pmnafiumS benufct unb hat feit feiner Sßieberherftellung noch gweimal politischen 3toecfen gebient: 1848, alö gwifd)eu Vorparlament unb Parlament ber gängiger» auSfchufj l)ier öffentlich regierte, unb im Sluguft 1863, als baS SSanfett beS gürftentageS hier ftattfanb.

Schon bem Hnaben fiel eS auf, „bah nur noch Plafc für baS Silb eines Äaifetö bliebe." 25aS merfmürbige Sujammen» treffen, welches in bie leiste Sifdje beS HaiferjaalS ben lebten römifchen Äaifer brachte19), ift in ber neueren ©ejdjichte nicht ohne ©egenftücfe.

S)ie paulS firdje bei Som (San Paolo fuori le mura) war gut Aufnahme ber Silbniffe fämmtlicher päpfte beftimmt, aber nad) 'PiuS VII. war in Sorte, wie nach Srang II. in granffurt fein plat) mehr übrig. Sebod) bie Uöfungen beS Problems waren oerfchieben: unter jenem 'Pap ft brannte bie paulSfirdje nieber, unter graug II. würbe baS Seich aufgelöft. 3m SegierungSge» bäube ju 8ima war ebenfalls ein Saal für bie Vilbniffe ber Vicefßnige oou 'Peru beftimmt; boch fanb gerabe eine Seihe oon nur 44 Hopfen piajj, oon piggaro bis peguela; ber Saal war gefüllt, als baS £eer ber Patrioten in üirna einrüefte unb ber fpanifchen Jpcrrfc^aft ein 6nbe machte. Sind) im CSapiteljaal beS HlofterS PfafferS war 1819 nur noch plafc für ein Sappen, baS beS lebten SlbteS piactbuS.

SSittlerweile war baS JpauS fertig geworben unb häusliche Sefchöftigungen bannten nach ungewohnter greiheit ben Hnaben an bie oerfchönerte cjjeimath10)- Seheu wir gunächft, wie mittlerweile bie gamilienoerhältniffe fich geänbert hatten! 'Huf Soijann SBolfgang folgten noch fünf Hinber, oon benen aber nur bie ältefte Sdjwefter, (Cornelia, gu reiferen 3ahren heran»

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roudje. SDiefe Äinber waren: 1) (Sornelia S'tieberife (Ifyriftiane, geb. 7. S)ec. 1750, getraut 1. SRoobr. 1773 mit Sodann ©eorg ©djloffer, bamalS matfgräflid) babifebem Smtmann gu (fmmen» hingen, feer 1739 in granffurt geboren war unb 1799 nach einem fefyr bewegten Sieben alß ©pnbicuS feiner SBaterftabt »erftarb. Sornelia ftarb 1777 gu (fmmenbingen.* ’) 2) Hermann Sacob, 1755 59; 3) Äatljarina (Slifabetl) 1754 56; 4) Sofyanna 9)ia» tia, 1756 59; 5) ©eotg Ülbolf, 1760 61. S3on weiteren ga= milienereigniffen ermähnen mir, baff bie „lebhafte Sante", Soljanna 5Rarta Sejrtor (1734 1823) im Saljte 1751 mit bem Jpan= beißmann ©eorg 2lbolf SJtelber (1725 1780), unb bie „ruhigere Jante", 2lnna SJiaria (1738—1794) im Saljre 1756 mit bem ^rebiger Dr. theol. 3otf. Sacob ©tarcf (1730—1796) fidj uer= ijeiratijete.

2118 temporäre ^jaußgenoffen nennt @oelt)e bie gut 2tuß* fdjmücfung ber neuen SBofynung oermenbeten Äünftlcr. SDlan fennt brei granffurter ÜDlaler 9tamen8 #irt. griebrid) Gbriftopb, ©efyn beß SDialetS 5Diid)ae( ©onrab, geb. 1685 gu 3)urlacb, 1717 in granffurt »er^eirat^et, f 1763, unb feine ©öljne griebricfy . 2BiU}elm, 1721—1772 unb £einrid}, 1727—96.

©eorg ütrautmann, furpfälgifdjer Hofmaler, mar 1713 in 3®eibrMen geboren unb ftarb 1796 gu granlfurt. ©ein ©oi)n 3ot). ^eter, 1745—92, war ebenfalls fötaler. Gbriftian ©eorg ©d)üf3, geb. 1718 in glötßijeim a. 25i., fam 1731 nadj granffurt; 1744 »ertjeiratijete er fidj unb mürbe 23 ärger als S)erfen= unb 3iwmermaler. ©päter bilbete er fid) unter bem ©djuij Bon jpäcfel’S, ber ü)tn feine ©alerie gut SSetfügung fteHte, alö Slanbfc^aftSmalet auS. (fr mürbe oon Dcrfdjiebenen .pöfen be= fd)äftigt unb bereifte ben 9i^ein unb bie Sdjroeig gum 23eljuf lanbfdjaftlidjer ©tubien. (fr ftarb 1791. Seine brei ©öljne

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gtang (1753—81), 3»hann ©eorg ('1755—1813), welchen ©oethe 1787 in (Rom feinten lernte **), unb Heinrich Sofeph (1760—1822) unb feine Sechter fphilibpine (1767 97), wibmeten ft<h eben fall« bet .ftunft. (Sin gleichnamiger Sleffe beS (Shriftian ©eorg Schuß, (1758—1823), gewöhnlich ©<hüt} ber Setter genannt, würbe ton bem dürften Primas mit ber Drbnung unb ^erfteDung bet »on ben aufgehobenen Älöftern ber ©tabt granffurt zugefallenen ©emalbe betraut, hat aber ba8 unbebingte Vertrauen be8 orgle« fen dürften getäufcht unb bie beften bet ihm ancertranten Äunft« fchäße zu eigenem Stufcen »erlauft. JS) 3uftu8 Sunfer, geb. 1701 gu Sftatng, fam frühzeitig nach ffranffurt, »erheiratbete ftcfe baielbft 1726, lebte fpäter einige Seit gu Bonbon unb ftarb 1767. ©ein ©ohn Sfaaf (1727—1789) war ebenfalls 9Mer. 3oh- (Sonrab ©eefah, geb. 1718 in ©rünftabt , furpfälgiidber nnb lanbgtäf« ließ hcfftfcher Hofmaler, lebte in ©armftabt unb ftarb bafelbft 1768.14)

(Der ©chaublah bc8 Änabenmärchenö hat feitbem feinen Flamen gewechfelt. ©oetße fagt: „3<h fam in bie ©egenb, welche mit Siecht ben Flamen „„©cßlimme SJlauer*" führt, benn e* ift bort niemals ganz geheuer." SD« Änabe ©oethe fchien alfo tn bem Samen eine Slrt SJlafel ju finben, unb ebenfo haben 1855 bie 33ewohner bet ©affe eine Seränberung beffelben in ,r@tift8- ftraße" nachgefucht unb erhalten. 3n ber Sßat aber hat fcieie ©affe ihren Samen »on bem Sefißet einer großen, mit einer SJlauet eingefaßten Siegeufcßaft in berfelben SamenS ©Inmrnt erhalten unb femmt im 14. 3abtbunbert als ©tymmengaffe, im 17. ale ©chlimme=50lnuet »or. ©ie jte^t im Sogen »on ber Beil am ©encfenbergifcßen ©tift »orbei gum (Si^enbcimer 2hurm- ©er ehebem in ber SDtaucr be8 ©encfenbergifchen botanifchen @arten8 beftnblicße Srunnen, gufammenbängenb mit bem „fjifcb*

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born", nach welchem ba§ gegenübetliegenbe $aug (heute „33ütger= perein") ben Flamen führte, welcher für bag Sßorbilb be8 int Änabenmätthen oorfommenben p^antaftifc^en 33runnen galt, ift mit bem Abbruch ber©tift6l)äu]’er unb ber Verbreiterung ber ©trafie 1866 uerfdjnjunben. Slug ber ©chitberung ©oethe’8 oon feiner gehrzeit in einer öffentlichen ©dfule geht heroor, wie weit bie reiche ©tabt gegen bie Eleinen monarchifchen proteftantifdjen ©taaten SDeutfdj» lanbö in biefer ^Beziehung jurücfgeblieben war. granffurt befafj batnalö nur (Sine ftäbtifcf)e Schule, bag ©pmnafiutn. Sieben biefem aber unb einigen fatholifchen Schulen war aller öffentliche Unterricht ber ©peculation einet ©djulmeifter^unft überlaffen, welche in ben fogenannten „Cuartierfchuleu" ihr bürftigeö ©efdjäft betrieb. 5)ie (Jonceffion ju einem folgen ©efchäftöbetrieb mufjte bet Unternehmer »om Staat erfaufen, unb, einmal erlauft, war bie Goncefficn erblich non Später auf ©ohn, ober oon ÜKann auf Stau, unb oerfäuflich oon £anb ju Jpanb. SDie ©chulhalter hatten, wie jebe anbte Jnnung, ihre 93erfammlungen, eine gemein» fame Äaffe unb felbftgewählte 33otfteher. 3)ie Quartierfchulen füllten gemäjj ber „©chulorbnung" oon „©cholarcheu unb fPrä» bicanten" ober oon „9iath8oerorbneten zu ben Schulen" beauf* fidjtigt unb reeibirt werben, wag aber oft Jahrzehnte hiubutdj nicht gefchah- 3n ben jQuartierfchulen würben Änaben unb SRäbchen jeben Süterä oereint, oft 200 unb mehr in eine burnpfe ©tube zufammengebrängt, com Sötorgen big Slbenb in gehre unb Bucht gehalten, im jfatecbigmug , gefen unb Schreiben geübt, wohl auch im Rechnen unterrichtet, wofür bie ©djulorbnungen „für bie, fo wohlljabenb finb," zwei @ulben quartaliter anfefcte, unb enblich wenig „Sluöerlefenen in ber fPrioat" auch «o<h etwaö franzöfifch beigebracht, sieben biefen Duartierfchulen gab eg nodj Zahlreiche „SBinfelfchulen" unb an bie 200 „©chulftöhrer unb

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^erumläufet" ertbeilten ^)ricatunterricbt Sieter Suftanb bauerte big gum (gnbe beS 18. SabrbunbertS.

©cctl)e ergäbt imS ben SorfaH, wegen beffen er bent gemeinsamen Unterricht halb triebet entgegen würbe. Ser 2>ater übernahm trieber bie Leitung ber 23 Übung feines ©ebnes, uab auS biefer 3«t bcfi^t bie granffurter ©tabtbiblictbet ein Jpeft ©dönfdiriften unb Crrercitten in beutfder, lateinifd«, griedtifder unb frangöftfd« ©prade, weldbeS ©eet^e in feinem fieberten bis neunten Sa^re gefdgrieben unb Dr. .peinrid 2BeiSmannIJ) berauSgegeben bat- @S enthalt tbeilS Sictate beS SateTS, tbeüS eigene Ausarbeitungen beS ©ebnes in prefaifcher unb poetiidet gcrm. @S ergiebt ficb aber auS ben ©eburtSjabren , ba§ ber „SRarimilian" in ben Änabengefpräd« nicht Älinger getreten fein fann, meldet im 21. SebenSjabre nccb baS ©ttmnafiunt be* fucbte, alfo im fedftett unmoglid f<bon lateinisch gefprcdett bat.

©oetbe’S Sater gehörte gu ben „Burücfgegegenen , weide unter fid? niemals eine ©ecietat maden" (@. SB. IV, 22). ©eine Scrgänget unb ©efeflen waren bie Srüber llffenbad: 1) 3ada> riaS (1683 1732), weidet 1727 jüngerer Sürgermeifter war unb als ©düffe ftarb. Auf gtofjen {Reifen, weide er in bem Sude: {Reifen burd {Rieberfadfen, .SpoHanfc unb Gnglanb (2 Sönfce, 4°, granffurt unb üeipgig 1753 54) befdtieb, bvadte er eine Siblictbef ron 30—40000 Sänben unb SRanufcripten gufammen, Weldte nod bei feinen Sebgeiten gröfjtentbeilS an bie Unirerfitit ©cttingen »erlauft würbe, bod »ermadte er bie auf bie ©efdidte ber ©tabt granffurt begügliden .jpanbfdriften bet granffurter ©tabtbibliotbel, wo fid aud fein gelehrter Sriefwedfd, M Sänbe ftarf, befinbet. 2) 3ol)ann griebrid (1687 1769), trat gleich feinem Sraber, ben er auf feinen {Reifen begleitete, ©animier

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unb Äunftfreunb unb aufjetbem felbft 23aumeifter. ©t war 1749 jüngerer unb 1762 älterer Sürgermeifter. ©eine Sammlungen farncn nadj ©cttingen.

(SS gehörte ferner ju biefent Greife bet fdfjon erwähnte Wreüjerr fyriebrid) »on «p a cf e I, ein geborener ^olfteiner, ber burcb £>eiratl) mit ber reifen SBittwe eines ^errn »ott JRljoft non ©ifenfyatb in ben Sefifc beS .£>aufeS p ben gwei Säten (S)önge8* gaffe 40) gelangte unb im Januar 1760, 78 Saljrc alt, als faiferl. Cbriftnjadjtmeifter ftarb; unb 3olj. fDtidjael non SoSn, »eiltet aber, entgegen ©oetfjeS Hingabe (TV, 23), baff SoSn nidfjt auS Rranffurt gebürtig gewefen fei, hier 1694 geboren war. 6r ftammte auS einem wegen ber SReligion im fedjgefynten Sabrljunbert au§ ben 9tiefcerlanben auSgewanberten @efd)ledjt unb würbe 1753 »on .König ^riebtidj II. gum @efyeime=9tatl) unb -StegierungS* braftbenten ber ©raffcbaften SeHenburg unb Singen ernannt, unb auf feine Sitte 1766 in ben IRufyeftanb »erfe£t; er blieb jebod) in Singen, wo er 1776 ftarb. Dr. 3otj. ^fjit. örtfy (1698 1783), Serfaffer beS fed)8bänbigert SBerfeS: Kommentar über bie 5fr auf für ter ©tatuten, bie fogenannte „©tabtreformation" 1731 74, ber Hlbfyanblmtg über bie {ReidjSmeffen 1765 unb bet ©ammlung merfwütbiger SRec^tSbdnbel" 1763 78, 17 Steile, »ermatte 30,000 fl. gu einem SBaifenljauS.

Sol). ©ebaftian »on ßdjf en ftein, ber ältefte jener brei »on ©oetlje auS feinen früt)eften 3ugenberinnetungen erwähnten Srüber (welche übrigens biefeS ^auS nur bis 1753 bewohnten), madfyte ftc^ bei feinem 1756 erfolgten $£obe burdj bie allem ^>er* fommen guwiberlaufenbe Hlnorbnung eines einfachen Seidjenbegäng* niffeS bemerflid). ©ein Seifpiel tjat nicht allgemeine 9ladjfolge gefunben, benn ein unS aufbewaljrteS brei ©eiten langes Ser*

geidjnifj ber SluSgaben bei einem Seidbenbegänguife beS befferen

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SRütelftanbeS an8 bem Sa^te 1788 ergiebt, obgleich uicbt äße Stubrifen auSgefüllt finb, immerhin eine ©efammtanSgabe ccn 425 fl. 26 £r.

Die ©encfenbergifdje gamilie flammt auS griebberg in ber SBetterau, wo 3oh- ^artmann ©encfenberg 1655 geboren würbe; er fam 1682 als tSrgt nach grautfurt unb ftarb bafelbft 1730. ©ein £auS #afengaffe 3, ift 1874 abgebrochen worben. @r batte brei ©ohne: 1) Jpeinrid) (S^riftian (greiherr non) ©., geb. 1707 gu granffurt, §>rof. ber SRec^te unb ©tmbicuS an ber ^odjfdjule gu ©ottingen, ^cntat^ in Sieben unb in anberen 2ln= fteflungen be8 gürften »on £>ranien unb 9laffau, fceS Sanbgrafen »on Darmftabt, beS HKarfgrafen Bon SlnSbacb, nahm 1744 feinen SBohnfij} iit ber Saterftabt al8 Äangleibirector, £ofrath unb ÄreiSgefanbter, würbe jeboch fdjon gu ©nbe be6 3ahre8 1745 als ffflitglieb be8 9Reid)8^of8rattj6 nach SSien berufen unb ftarb bort 1768. @r h'“^^ gmei ©ohne: a. SftcnatuS geopolb ©hriftian Äarl (1751 1800), unb b. <tart ©hriftian Jpeinrid^ (1760—1842), mit welchen bet ©encfenbergifdje Ü)tanne8ftamm erlofdjen ift. 2.3oh- (Shcifttan, geb. 1707, fonnte, ba fein SSater burch ben 1719 erfolgten Serluft feines ^aufeS beim „großen ©hnften* branb" in feinen Serhaltniffcn gurücfgefommen war, erft 1737 in ©ottingen promooiten. 1737 würbe er 2lrgt in granffurt, 1744 aufjerorbent lieber, 1751 orbentlicher ganbphbfKuS , 1755 ©tabtp^tjficue, 1757 heffco*caffelfc^er geibargt unb .fpofrath- ®r ftarb am 15. 9?db. 1772 in golge eines ©turgeS Bom ©erüfte beim Sau feines SurgerhoSpitalS. @r war breimal »ermäbit, aber feine beiben Äiuber ftarben in früher 3ngenb. ©oetheS Slnmerfung (IV, 24), „ba§ er nur wenig unb in oornehmen Raufern practicirt Ijabe ,JJ ift bahin gu berichtigen, bah er bei

einer auSgebreiteten llrajciS gwifdjen armen unb Speichen nur in

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fo fern einen Unterzieh machte, als er bie elfteren auf feine Jtoften mit Slrgnei unb 2eben3mitteln oerfab- ©urd) Stiftung com 18. Öluguft 1763 Gemachte er feiner SBaterflabt fein SBer9 mögen »on 95000 fl. nebft ,£>au8 unb Sammlungen für ein mebicinifdjeä Snftitut unb ein {Bürger* unb 23eifaffen>^>ofpital17).

3. 3ob- (SraSmuö, geb. 1717, Senator unb oerfd)iebenet fKeictfSftänbe Jpofratb, fam 1746 in ben 9tatb, mürbe 1761 einer bereits 1749 begangenen Bälfchung megeti fuflpenbirt; 1769 führte man ihn gu enger SBermabrung auf bie .fpauptmacbe, mo er ohne eigentlichen sProce| bis gu feiuem £obe (1795) blieb. *s).

©oetbe ba* unä (IV, 13) ben Suftanb Cer Parteiung ge* fd)ilbert, in melden ber 'ÄuSbruch DeS fiebenjdl)rigen Äriegeö ben Staat unb bie eigene Bamilie oermicfelte. 3m Sommer 1757 fließen bie Branffurter Sruppcn gur {Heilsarmee, ©er Stabt felbft tücfte erft im folgenben Sabre ber Ärieg näher. {Rad) bem Ser3 lauf, melden ber Selbgug oon 1758 genommen batte29), maren bie Brangefen für ben folgenben ©intet auf bie Duartiere in ber ©etterau angemiefen, unb bagu mar ber {Befifc oon Branffurt unentbehrlich, aber in bie {Diauern biefet {Reid)8ftabt fonnten bie Btangofen nur burch ben Ueberfaö oom 2. Sanuar 1759 gelangen. 3n feiner furgen (Srgäblung biefeS (äreigniffeä ermähnt ©oetbe nur bie Uebermältigung bet (Sonftabler* unb .pauptmache (IV 25), e$ mar aber ein combinirter ^lan, beffen 'Ausführung ber ^ting Soubife bem Srigabier oon ©urmfer aufgetragen batte, unb monad) gleichgeitig ba§ Affentbor befefd unb oon ben bereits früher unter bem Sormanb beS ©urd)gug§ eingebrungenen Sruppen ihre {Begleitung oon Branffurtet Stabtfolbaten am SBornbeimer 2£b«rm (in bet gabrgaffe) entroaffnet, unb hierauf bie beiben ge* nannten ©adjtbäufet übermältigt mürben.

Sei biefem Ueberfaö maren bie brei ^öd>ftert Branffurtet

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äDfftriere beteiligt, intern fcet Cberft Slljeobot SBiUselm een $)appenl?eim am Slffentbor cemmanbirte, ber Cberftlieutnant Soft. C?ra8mu8 non Älettenberg (1698 1763) bie ,£>anpt« Wadje, unb bet SJtajor 3ol). 9ticolau8 Slejrtor (1703 1765) bie Gr8corte befehligte 2 9).

@8 waren etwa 7000 fßtann, für beren (Sinquartirung unb Verpflegung gunäcbft gu forgen war. Vürgermeifter waren ba* ma!8 ber Dr. mod. SiemigiuS (Seif f ert non Älettenberg (1693—1766), ber Vater ber „fdjenen ©cele" au8 Söilbelm SCReifter unb Vruber be8 oben genannten Sol?- 6ra8mu8, unb Dr. jur. Vic. Stütfer. ©iefen gun<id?ft lag bie fdjwierige Slnf» gäbe ob, oljne allen anberen ©d)uf3, al8 bie ViHigfeit ber fran» göfifdsen SJJadjtljaber, bie Seiftungen bet (Stabt meglidsft gering, möglidjft fdsenenb für ben £anbel, gumal wätjrenb ber SJleffen, unb mügtid)ft rafd? feftjufefien. VereitS am 19. Sanuar war ein modus vivendi in biefer £infid)t gefunben; immertsin be* trugen bie aufjerorbentlichen 9lu8gaben ber ©tabt für bie erften brei fDtonate 1759: gegen 320,000 fl.

lieber ba8 ftanjöftfdje Sweater in bem 1859 abgebrodsenen (Soncertfaal im Sungfyef (©. SB. IV. 28) t?at $v. non 8 6p et umfangreidje Stubien angeftellt 3I).

SBäbrenb ber ©djladjt bei Sergen (IV, 30) begab fidfe Vater (Mectt?e in feinen am ^aibeweg 9lr. 32 belegenen ©arten, welcher nods jefjt am (Singang bie 3nfd)rift 17 FG. 25 geigt, alfo oon 3 et). Stiebt, ©eorg ©eetlje 1725 getauft ober angelegt war unb 1808 nach bem Siebe ber Stau Statt? oerfteigert würbe.

25af) jebod? Verwunbete an bem ©oettjefdjen $aufe norbei nadj bem in ein Sagaretb umgewanbelten Siebfrauenflofter gebradjt worben feien, ift ein ©ebädstuifjfebler, inbem ein foldbeS nie enftirt

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bat, unb bamit nur baß Äarmeliterflofter gemeint fein fann, »on bem wir anberweitig wiffen, bafj atß Äranfenbauß biente unb welcbeß audj je gelegen ift, bajj gwijcben bem SBerger ©ddadtt» felb unb bem Älofter baß Gcetbe’jd'e .£auß fid) mitten innen befanb, maß mit bem £iebf rauen = @tif t nid)t ber gall ift. Sen »ielgejud)ten „Solnietjcber", weldien Seiger jegar mit bem 9iatb ©djneiber ibentifkirt bat, b°be id> enbtidfj in einem effkieflen Slctenftütf autbentijd) aufgefunben. Gr biefi Sie ne unb erhielt für fein Solmetfcben 2 fl. wedjentlidj 3 *).

Sie Äünftler , welche ber .ftcnigßlicutenant auf Gmpfeblung feineß .fjaußberrn in ffiabrung fej}te (IV, 27), jinb unß alle neu früher ber befannt, mit Slußnaljme non 3Sob- 2lnbr. SSenj. 9totbs nagel, geb. 1729 gu gorft am 33ud) in granfen, weldfer 1747 nad) granffurt !am, 1751 Bürger würbe unb bie nen Gcetbe erwähnten 2ßad)ßtud)fabrifen grünbete. Gr ftarb 1804.

granffurt würbe wäbrenb beß Ätiegeß nen ben grangejen bejetjt gehalten, fflur bie fDfeffen ^inburdi gegen fie, bamit für bie gremben nidjt an SSobnung unb ©taHung mangele, einen grefjen S^etl ber Infanterie unb fdmmtlid)e fReiterei auß ber (Stabt. Gegen Gnbe beß Äriegeß würbe bie Struppengabi meljt unb mehr »erminbert unb gulefjt blieb nur baß ^Regiment GIjaf?, bejjen gwei erfte ^Bataillone am 23. gebr. 1763 fid) auf ben 5Seg nad) ber £eimatb begaben. Sie beiben anberen Sa; taillone folgten am 25., unb am 27. reifte ber frangöftjdje ©tabteommanbant ab.

Ser blöbfiunige junge 3Rann, SRünbel beß S3aterß Goethe, burdj ben SBolfgang fo früh bie Gewohnheit beß Sictirenß an* nahm (IV, 44), war ber fRecbtßcanbibat Glauer33). Set •Oaußgenoffe , welcher nach bem SSbgug beß Äönigßlieutenantß in baß Goethe’ jc^e £>auß eingeg (IV, 35), war 3ob. griebr. 9Ro*

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tife auß 2ßormß (1717—1771), fönigl. bänifcher gegatioußratb, »ericfeiebeuer Stäube unb gürften £ofratb unb Äreißgefanbter gu granffitrt, Sierfaffer einer ^ifterifd>=biplomatifd)en älbtyanblung oem Urfprung ber IReicfeßftäbte, inßbefonbere feiner Saterftabt.

Süß neue giguren auf bem fettjam gemunbenen Silbungßroeg Goetbe’ß treten unß l)ier entgegen ber „ÜKefop mit Gbonocf unb ^ertücfe" (IV, 39), ber SRector beß Gpnmafiumß 3ob- Georg 5Übred)t (1728 Gonrector, 1747 Ötbjunct best IRectorß unb 1748 SRector, -J-1770)34) unb bie beiben Seniorengrefeniuß unb i'litt (IV, 45). 3ob. 'Pt)il. grefeniuß, geb. 1705 ju fRieberroiefen bei Sllgei, Sol;n beß bortigen ^farrerß, ftubirte in großer 2>ürftig feit 1723—25 ju Strafeburg, unb mürbe, nacfebem et in meb* reren Stellen gu Giefeen unb ©armftabt gemirft batte, 1743 an bie St. ^eterßfircfee gu granffurt berufen, unb 1748 gum ,£aupt* prebiger ber Satfüfeerfircfee ernannt. Gr ftarb 1761 unb barf nacfe t appenberg’ß gorfchungen 35) als baß Urbilb beß „Ober» feofprebigerß" in ben „Sefenntniffen einer fcfeönen Seele" (SBilfe. SReifter, 6. Sucfe) betrachtet rcetben. 2) er oon ihm befebrte frei* geiftige General mar ber fächfifcfee Generallieutenant »on S)pb«r“i töbtlicfe »ermunbet in ber Schlacht bei Sergen, grefeniuß feat ein eigeneß Such barüber »erfafet: Sieg ber SIfaferbeit über ben lln* glauben, granffurt 1759. Sofe. Saccb litt, ber fRacfefolger »on grejeniuß, geb. 1727 gu SBetter in Reffen, mar feit 1748 Pfarrer in Gaffel unb fam »onfRinteln, nicfet »on SRarburg, mie Goetfee angiebt, nach granffurt. 3n fRinteln mar er feit 1745 ff)rofeffor unb mürbe 1762 gum Senior in granffurt er* mäfelt, mo et 1773 ftarb.

fRocb eine Gruppe »on ÜRännern haben mir gu ermähnen, melcfee nach bem Geftänbnife beß fDicfeterß „einen bebeutenben

Ginbrucf auf feine Sugenbgeit geübt" (IV, 49).. maren bieß:

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1. Sodann SDaniel Dlenfdjlager, geb. 1711 al8 ©cljn eines wof)U)abenben franffurter Kaufmanns, welket in Seidig unb ©trafjburg ftubirt unb 1736 promooirt fyatie, Stalien unb granf= retd) bereifte, 1737 äbüofat in granffurt, 1738 fäd)ftfdj«polnifd)et ^cfagent unb 1748 faiferlid)erftreil)m, in betreiben Saljre ©enator, 1761 <Scf)6ff würbe unb 1778 ftarb. ©eine „örläuterungcn gur got» benen SSuQe" erfdjienen 1766. 6t war feit 1747 mit Sara (pon) Drt l) »erfyeiratijet unb fyatte gtoei ©öfyne, beten ältefter Sol). $)l)fKpp (1749—1813) taubftumm, aber bennod) guerft ftanf* furter Slrtitterielieutenant unb bann ^effen=barmftäbtifdjer Dber» forftmeifter war. SDet gweite ©olju, 3oI). 9ticolau8, (1751 m 1820) war ©d)6jf; ein ©ot)n beffelben ftarb 1812 of)ne 9tad)< fommen. 9tad) ben ^orfcfyungen oon 8appenberg (a. a. D. ©. 184) unterliegt feinem B weifet , ba§ Dlenfdjlager ba8 Ur* bilb be8 „SRarci§" in ben SBefenntniffen einet frönen ©eele" ift.

2. griebridj gubwig 5R eineef, geb. 1707, SBeinbänbler glei dj feinem Sßater, würbe 1729 geabelt, als er fidj mit SERatia Sultane »onJDamm i>crl)eiratt)ete; fpäter würbe er .^ofratl) unb t3olnif^*fä(^fif(^er ©cljeimer gfriegSratl). 5Rad) bem 1735 er» folgten Stöbe feiner ©attin oerl)eiratt)ete fid) ». tlteinecf 1741 junt gweiten SJlale mit ©ufanne ©ertrube oon ©tedfum; et ftarb 1775 unb Ijinterliefj au8 jeber feiner ©Ijen einen ©ofyn unb eine Stodjter. ©8 ift alfo nid)t ridjtig, bafj feine „etngige" SSodljtet, wie ©ötlje fagt, burdj ben #au8freunb entführt würbe. SDiefe Stodjter war SJtaria ©alome (1735 1803), il)t ©atte bet franffurter Sftajot Slleranbet jftenef, f 1768. SDie Stodjter beffelben, ©Ijriftina SRargaretlja , geb. 1760, »erl)eitatl)ete fid) 1779 mit Sol). 5 Tlay. 33aur »on ©pffenedt, f 1822, beren ©oljn Sbalbert als cfterreid)ijd)er gelbmarfdjallsgieutenant 1870 gu ging geftorben ift. SDie Stodjter %. 8. oott DleinecfS au8

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gmeiter ©fee, Gfearlotte ©opfeie, geb. 1747, feeiratfeete 1776 ben greifeertn ©uftan oon 3»Henfearbt, fgl. frangöfifdjen .paupt» mann beS DlegimentS BtDeibritcfen. Set ©ofen elfter ©fee, Sluguft ©feriftian Öubmig ©onrab oon Dleinecf (1733 89), roalbecfifcfeer ©efeeimratfe u. Jpofridjter, fefete bie gamilie in SBalbecf fort; bet ©ofen gmeiter ©fee Ülbalbert („bet jüngere ©ofen" bei ©oetfee), geb. 1749, ftarb 1822 gu granffurt. Sie* fern featte ber Sater, mit ©uterbung ber übrigen .ftinber, ben größten SStjeit feineö ScrmögenS gugeroanbt. Sei SlbalbertS 2obe, meldet nur einen unefeelicfeen ©ofen Äarl (f 1829) hinter» liefe, mar ein grofeer Sfeeil ber ©rbfcfeaft in ungeregeltem «pauS* fealt aufgegangen. Siacfe bem 2xbe biefeö ©ofeneS Äarl fiel baS Dieinecf jefee Sefifetfeum, pauß unb ©arten, als feerrenlojeS @ut an bie ©tabt, roelcfee einer bejahrten ©nfelin beS pofratfeS »on jReiuecf, Sodjter beS SBalbecf’fdjen .pofritfeterS , bie non einer penfien als pofbame ber pergogin non 'Jiaffau fümmerlidi lebte, 1838 eine Diente oon 100 fl. aus bem grofeoäterlicfeen Vermögen auf SebenSgeit bewilligte. 3 6) 3. gtiebriefe SBilfeelnt DJlalapart, auö einer italienifcfeen, guerft nad) 2)1 onä (Sergen) in glanbern, bann naefe grantfurt auägemanberten gamilie, welche jefet SKola» pert fiefe fefereibt unb in bereu Sefife feit 1657 bie ©afgroerfe gu ©oben fid) befanben. ©r mar geboren 1700 in ber perr* fefeaft ©olmS*SraunfelS , mürbe 1753 geabelt unb ftarb 1773 als feeffen=caffelj(feer unb fefewebifefeer Söiajor. ©ein ©arten an ber Socfenfeeimer ganbftrafee ift jefet parceüirt Dir. 62, 64, 66.

4. peinriefe ©ebaftian püßgen, geb. 1744 gu grauffurt, geftorben 1807 als fürftlicfe öttingifefeer Diatl) unb feeffen»feom* burgifefeer pofratfe, Serfaffer ber „Dlacferidjten oon grauffurter Äünftlern unb jtunftfaefeen“ (1780) unb perauSgeber beS „3lr* tiftifdjen SRagaginS" (1790). Sie naefe feiner Eingabe (in Die u* (8 88)

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ariet») oerfertigte „äBunberfame Ubt" befindet fid) gegenroärtig itt _ 23efi£ beß Dr. jur. Ulbert Slecf iu granffurt.

25ie reigenbe ©rgäblung beö SBerbättniffeß gu ©retdjea melcbe baß fünfte 23ud) füllt, ift oon bem 25id}tet fo uubeftimmt gehalten morben, ba§ bet (Kommentator feinen ^tn^altßpun£t fin- det. 9tur bem, wie febeint, unausrottbaren $>olfßglauben müffen mir entgegentteten , metdfer auch mieberbolt feinen SBeg in bie fPreffe gefunben bat (no<b neueftenß in ©cberr: ©oetbe’ß Sugenb), alß ob baß 1860 niebergeriffene £auß gurn puppen» jdjräufcben („öobbejdjänfeldje" nach granffurter Slunbart, SBeifs» ablergaffe 29) ber ©cbauplat} feiner Siebe gemefen fei. ©agt bod? ©oetbe felbft: „icb fam uicbt mieber in biefe ©egenb" (IV, 52) , mäfyrenb baß begegnete .tpauß faum 50 ©dritte »on ©oe* tye’ß 23aterbauß entfernt lag.

3ur (Kontrolc unb ©rgciugung oon ©oetbe’ß ©djilberung ber Ärönung haben mir je£t in 31. oon 3lrnetb’ß SJiatia 2^e* refia unb 3ofepb II. (Sßien 1867) eine mertboolle Duelle, ba« gegen fdjneiben unß ÄriegFß Uuterjucbuitgen 37) febe Hoffnung ab, iu ber mpfteriöjen Unterfucbung gegen ©oetbe’ß ©enoffen je flat gu fe^en.

31uß 3lrnetb’ß SBerf erbalten mit auch fcbäijbare ©rgän» gungen gu bem 33ilbe ber .Krönung. 25ie SBobnungen ber bobe“ $errfcbaften roaven fe^r fc^Iec^t. 25er römifebe .König batte im (1872 abgebrochenen) ©ronftett’f^en ©tifte blojj ein fleineß ©cblafgimmer unb gar feine JRäumlicbfeiten für feine Seute; bie (Kmpfangßgimmer maren fo flein, bajj man fidj faum barin um« bteben fonnte, auch fonnte man fein SBort barin reben, ohne in ben Üiebengimmetn gehört gu metben, ba bie Smifcbenmanb nur auS Srettera beftanb, bie fo jcblecbt gefügt maren, bajj baß Siebt burebfebien. 25er Ä'aijer batte au|er feinem ©cblafgimmer

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wenigften« nod) gwei .Kammern für bie 55ienerfcbaft. einige Stage cor bet Krönung wollte ber römifche Äönig bei fchönem SBetter auögeben, um fid) bie ©tabt anguteben. SJlan bebeutete ibn, ba« fei gegen bie ZHquette, nic^t einmal in ben ©arten bürfe er geben. Stuf feine Semerfung, baff barüber in ber gel* benen •Sude nicht« beftimmt fei , unb auf fein sSnbrängen er* laubte man ihm wenigften« am frühen ÜRergen auögugehen, um bie prächtigen ©chiffe ber rheinifdben Äurfürften gu feben. 55 ie Bänfereien über bie Zeremonien bauerten bi« gum Stag cot ber Krönung fort; noch am 2. Slpril fanb eine Zonfereng barüber ftatt. Sofeph betrachtete bie Zeremonien bet .Krönung mit San* gen unb hotte feinen guten ©runb bagu. 55er fltürnberger Sür* germeifter, welcher an ber ©pifee einet S5eputation be« 9inrn* berget fRathe« bie SReichöFIeinobien überbrachte, hotte ihm ancer* traut, ba§ bie .Krone 14 unb ber gange ÄrönungSornat 130 95funb wiege. 55iefe Saft mühte 8^ ©tunben lang getragen werben. ging bcffer al« er gebacht; gwat hotte bet Äaifer con ber .Krone gwei rothe glecfen auf ber ©tim unb flagte übet .Kopffchmergen , aber Sofeph machte fein Jheil gut burch, nur würbe ihm feljr heih- 3toch melbet Sofeph über eine wenig befannte Zpifobe: „55ie aufgeftefltcn Stuppen hoben bie Seute auf eine furchtbare SEBeife gefcblagen, aber guletjt hot ftch ber ^>öbel bergeftalt gerächt, bah eine Zompagnie ©renabiere toll* ftänbig gefprengt unb faft mit .Knitteln tcbtgefchlagen werben ift. ©chliehlich hoben bie Gruppen Steuer gegeben unb 4—5 fPerfenen, barunter ein adjtgehniährige« fDtäbdjen, finb con ihren .Kugeln gefallen." Slobt blieb nur ba« ÜRäbchen, SRaria iRnna Setter, eine« ©chubfärther« S£o<hter.

©ie ©teile, wo bie Ochfenfüche ftanb (VI, 64), ;ift noch fefet burch wer ^flafter eingelaffene , mit OK. begegnete

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Steine, nörblid) »on ber 9licolaifird>e, fenntlid) gemalt, ©oethe erinnerte fich ntd?t mehr, »er bei bem Äampf um ben £><hfen ben Sieg bauen trug, ob bie SJtetjger ober 2Beinfchröter; »aten aber bie lederen. 5Jtit bem erften S^eil »on „S)i<h* tung unb SBa^eit" geht ber bauernbe Aufenthalt ©oethe’8 in granlfurt gu ©nbe. 2Bir fehen iijn guerft feit 1765 in Ceipgig, welche Stabt er an feinem 19. ©eburtötag, am 28. Auguft 1768 »erlief. Am 1. September tarn et in granffurt an unb »er* brachte etwas über anbetthalb Saijre in ber Saterftabt, bod) war biefer Aufenthalt »ielfadj burd) bie Sachwirfuug bet in Ceipgig überftanbenen Äranfheit getrübt. 3n biefem 3uftanbe war er bem ©influfj ber grl. Sufanna Katharina »on Älettenberg (1723 1774) gugänglid), einer greunbin feinet fSJlutter, „auS beten Unterhaltungen unb Sriefeit bie Sefenntniffe einer fdjönen Seele entftanben finb" (IV, 108). Sei Dlenfdflaget unb grejeniuS haben wir eingelne Segnungen biefer merfwürbigen ©pifobe 2Bilhelm SDteifterS, wie fie Dr. Cappenberg entwicfelt hat, bereits angeführt. Jpiet finb als weitere gu erwähnen: fPhilo ift griebrich ©arl »on 3Jtofer (1728—1793), unb ber „abelige Apoftel" ift griebrich Bon Sülcw*fpiüßfow (©. 28. III, 272 u. 275). ©nblidj ber Argt, „ein unerf tätlicher, fdjiau bliefenber, freunblich fptechen» ber, übrigeng abftrufer Söiann" (IV, 108) ift, gufolge ©oethe’S brieflicher Sltittheilung an Caoater, ber Dr. 3- g. SJtef), welcher 1724 in Tübingen geboren war unb feit 1765 als Argt in granf» furt lebte, wo er 1782 ftarb. ©oethe’S Segleiter auf ber Ser« gnügungSveife, welche er im Suni 1772 in bie Sogefen machte (IV, 132), war griebrich Ceopolb 2Bep(anb, weldjer 1772 gu Straf}* bürg promooirte unb in bemfelbeu 3ahte Su granffurt alb Argt aufgenommen würbe, ©r lebte feit 1782 als hcff^karmftäbti* feber Jpofralh unb Ceibargt beS ©rbpringen gu SucbSweilet unb

XI. 261. 3 (891)

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ftarb 1787. 3n 1770 begab fid) ©oetbe nacb ©trafcburg, wo er am 6. SJuguft 1771 promo»irte. Sin btefe Promotion fmtpft fid) eine grunblofe Sage »oh faurn geringerer 3äbigfeit als bte oben erwähnte, auf ©retdjen begüglicbe. ift bte »on einer JDiffertation übet bie glühe, weltbe ©oetbe bei biefer @e» legenbeit »erfafct unb fpäter in granffurt berauggegeben ^abe. 5Dtefe 6rbid)tung be§ Dr. med. unb 5fud)bänbler« JBogler in ^alberftabt, weither unter bem Flamen g. ©looet eine ©djmäb* fchrift gegen ©oetbe »eroffentlid)t bat 3 8) , erhielt eine gerciffe Gon* fiftengbaburd), bah eine achtbare berlin er Sucbbanblung biefeStbrift lateinijd) unb beutfd) unter ©oetbe’« Flamen berauögegeben bat39), iflbcr jcbon in bemf eiben Sab« (1839) bat Stob, ©cbneibet40) unb 1841 ^)rof. »on ber .pagen Sluggaben bevDissert. de pu- lice »on 1684, 88, 1704, ff. nacbgewiejen, beten 3ubalt in einer fd)alen, gum großen £beü unanftänbigen ©atpre auf bie Suriften ber früheren Seit beftebt.

lieber ben wahren fRamen beS unter bem fj)feubon»m Dpigiu« 3ocoferiu8 »erborgenen SSerfaffet« ber Dies, de pulice ift nod) nichts fiebere« befannt. Söellet (Index pseudonylnorum. Lps. 1856) nennt Dtto Philipp 3ann* ftblifet, weither 1653 gu tpanau geboren war, in Sperbern üRarburg unb 3ena ftubirte, 1678 gu Jpeibelberg Dr. jur. würbe, Slboofat am ffanbgericbt gu Jpanau, 1682 $)rof. bet Serebtfam* feit unb ©eftbfehte, 1683 aufeerorbentlidjer, 1684 orbentlither 5)rofeffor ber SRecbtflwiffenftbaft gu SRarburg würbe, wo er 1729 geftorben ift. ©eine juriftifthen ©thriften erfthienen gefammelt gu granffurt 1698. Dbgleid) fonad) bereit« eine fleine Lite- ratur über bie ungweifelbafte gälichung SBoglet’8 eriftirt, ift bte* felbe »on Jtarl fRofenfraug (SäHg. 3tg- 14. 3uni 1865 S3ei» (692)

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tage) alb ädjt bebanbelt worben, wogegen Styobor Greizenad) («. 3- 1865 ©. 2799) replijirte.

Ueber ©oetbe’b St^atiqfeit alb IRechtbanwalt finb wir je£t burd) ^)rof. Äriegf’b umfaffenbe Schrift unterrichtet * 1 ). Unter ben ©enofjen beb fröhlichen, gefetligen Treibens , welches ben jungen SDoctor in ber SSaterftabt erwartete, nennt ©oetbe ju Anfang beb 12. 33u«heS (@. SB. IV, 162) ben „Äaftenfcbreiber" (SSerwalter ber ftäbtifcben Sltmenfaffe imb Sluffeber über ben Friebbof unb bie Slnorbnung ber 23eerbigungen) Johann Jacob 9liefe. 9locb 1814 gebenft ©oetbe mit 23ebagen42) „jener fo ruhigen alb unfdjulbigen Seiten, in welcher wir eine heitere unb luftige Jugenb genoffen. 2lud) habe icfa meinem @obn bie 9tarbe an bem rechten Zeigefinger oorgewiefen, welche ©ie mir fchlugen, alb ich mit bemfelben unter einer ^orftbaub» laube etwab jcbalfifd) auf ein beranfommenbeb Frauenzimmer beutete, bem wir beibe gewogen waren. SBir bereiteten unb eben einen Seilet ©thinfen zu oerzebren, unb ©ie halten bab auf» gehobene Reffet in ber .panb, welcheb meiner S3eftrafung fich etwab eilig nieberfenfte." Jn bemfelben 23 riefe an SRiefe wirb „unfer Ftänzchen" genannt, womit Fräulein SRaria Katharina Franjibfa GreSpel, fpäter cerebelichte Jacquet, gemeint ift, beren SBrubet, ber £ofratb Grebpel, welcher bei ber s|>oft angefteHt war, gleichfalls zu ©oetbe’ b Jugenbfteunben gehörte. Jn bem ©ebid)t: ©tammbuch 3ob- §)eter jRegniet’b (©. SB. I, 463) finb mit: „23on ^)oft unb Äirch’ zwei gtofce SDieb’ " Gtebpel uub IRieje gemeint.

Sin biefet ©teile mag auch ein literarifcher Jrrtbum berief)» tigt werben, welcher fidj in allen Abgaben ©oetbe’b fortgeerbt hat. SDie ©ubfcription auf Älopftocf’b ©elebrtenremtbli! betrug (®. SB. IV, 116) nicht einen Souibb’or, fonbern einen $ba,ct

3* (»«)

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gouibb'or ober ©olb = 1| S^lr. 3n bie lebten Sage beö 3ahre8 1774 fällt bah Serhältnifj ©oethe’b gu.hili (©lifabeth Schöne« mann). S)er 33ud)hnnbler gu granffurt, Äarl Sügel, butd) feine grau ein fRcjfe non hili, hat in feinem 1857 erschienenen Suche „2)ab |)uppeubau8" ein würbigeS SDenfmal biefer grau errichtet, welche in ihrem fpäteren lieben gegeigt, bafj bie „Staat8bame", bie ber alte ©oethe nicht gur Schwiegertochter haben wollte, ben Äctn in fich trug, auch in ben fchwerften Schicffalen fchwereren al8 ihr üorauöfidjtlich bie Serbinbung mit ©oethe auferlegt haben würbe aufrecht gu fielen, gu tragen, gu entfagen unb nie bie Freiheit beö ©ntfchluffeb gu nerlieren. 2lnna ©lifabeth Schöne= mann war geboren in bem paufe am großen Äornmarft 9lr. 15 unb am 23. 3uni 1758 getauft. 3h* Sater, 3oh- SBolfgnng S d) ö n e m a n n ftarb 1763; ihre DJlutter, geborene b’DroiUe, fe$te nach feinem Sobc bab Sunfgejchäft fort. Sei Serwanbten beS Diamenö b’Droille wohnte üili in ßffenbach unb gwat in bem paufe „auf bem hinjenbetge" (IV, 221), wo ber ©ratn* matifer Dr. med. Äarl gerbinanb Secfer fpäter eine ©rgiehungb« anftalt errichtete ; hier würbe and) bie Verlobung gili’8 mit ©oethe gefeiert.

©oethe fchreibt (IV, 223), bah er „non ber Sanbftrafje gmi« fchen Dffeubadj unb granffurt, bie Stufen hinauf» welche gu ben Steingärten führen," gum SRö berberg gelangt fei. ®ieb ift ein 3nthum, eb fann oielmehr nur ber auf ber liufen fDtainfeite gelegene SKühlberg gemeint fein, beffen l)ödifter, eine herrliche SluSficht bietenber@ipfel benn and) com grauffurter SerfdjönerungS« »erein alb ®oethe’8=9tuhe gugänglid) gemacht worben ift. hilf »ermählte fich am 25. 'Jluguft 1778 mit bem Strapurger Sanfiet Sernharb griebrid} con Sürcfheim (1752 1831). 2lub biefer

®he entjpraugen cier Söhne: gtiebridj, Äarl, SJilhelm unb

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£einti<ß unb eine Softer 6li)'abetß. 3m Saßte 1793 mußte Surtfßeim fließen, um nidßt ber ©uiUotine ju cerfaUen; er wanbte fidß mit feinen ©ößnen Äatl unb 2Bilßelm unb feiner Sodßter n ad? granffurt. 3ßm folgte fpäter feine ftrau, roelcße, aiö 23äuerin gefleibet, mit intern älteften ©cßne an ber £anb, ißren jüngfteit auf bem ?lrm, ju ffuß big nacb ber 2$aterftabt gelangte. ÜDie Familie woßnte längere 3eit in bem ©ontarb’fdjen ©arten cor bem Untermaintßor unb jog fpäter nacß 6rlangen. SRacß bem (Siege ber gemäßigten Parteien §ranfreicßg feßrte bie Sutrfßeim’fcße gamilie nad) ©traßburg jutütf. Sili ftarb am 6. fötai 1817 auf ißvem ®ut gu &raut=©rger§beim im ©Ifaß. 5) er Srauet* brief beg ©atten an feinen Sugenbfreunb, ben Surgermeifter non Sranffurt Dr. 3oß. SBilß. SReßler aug ©traßburg43) enthält bie ©teile: „ÜJlein Sroft ßinnieben finb bie Äinbet, bie alle oßne SSugnaßme ber 9Jtutter pflege unb Silbung einen reichen Ätang flecßten." 3ng 3aßr 1775 fällt bag ©ebidjt an *peter •£>ierom)mug ©cßloffet, roeldjeg in ben 2Berfen(l, 464) abge= brucft ift unb guerftin ©tßlofferg fPoematia (granffurt 1775)„ erfdjien. 3n ber fünften Beile muß eg jebocß „SRomet" ftatt „SRicßter" ßeißen44). Srft im 3aßte 1792 faß ©oetße, alg et im SHuguft gum .£>ergog non SBeimar ing Saget ber SBerbün» beten reifte, bie SSaterftabt unb bie ÜJiutter roieber. 6t certoeilte ßier com 13. big 20. Sluguft.

2llg er auf ber DRüdfeßr con bem unglücflicßen gelbgug ©nbe Dctober in Syrier angelangt war, erßielt er (®. SB. IV, 474) „mitten im Unßeil unb Sumult einen cerfpäteten 33 tief feiner SDRutter, ein 23latt, bag an jugenblid) rußige, ftäbtifd>= ßäuglicße Serßältniffe gar wunbetfam erinnerte," inbem bie fHRutter beauftragt war, anguftagen, ob ißr ©oßn nad) bem Stöbe feineg Dßeimg, beg ©dßöffen Stejdor (f 19. ©ept. 1792) geneigt

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fei, eine 5Rati)6ftelIe in Sfranffurt angunehmen, wenn ihn bie goW bene Äuget träfe. ©oethe beantwortete biefe Anfrage erft na6 feiner Stücffehr nad) Söeimar am 24 ©ecbr. unb groar im ab* leijnenben ©inn. 2) et SBrief ©oethe’S ift im gweiten Banbe non Stiemer’ö SRittheilungen über ©cethe unb in ÄriegfS ©encfenberg (©. 378) mitgetfyeilt. 3n bem SBriefe ift nur bie ©anfbatfeit gegen ben .£etgog alö Ablehnungegrunb angeführt, in ber „Champagne in Stanfreich" (a. a. ©., ©. 475). ftnb als Weitere fötotioe angeführt bet unliebere Buftanb feinet eben erft (am 2 ©ec. 1 792) aus ben Jpänben ber «rangofen befreiten, noch non Ärieg umtobten Baterftabt unb feine innerliche ©ntfrembung non ben ftäbtifchen Bebürfniffen unb ^werfen.

©inen längeren Aufenthalt nahm ©oethe wieber in bet Baterftabt im SDtai beS folgenben 3ahre8, wo er feinen .pergeg gut Belagerung oon SDIaing begleitete. 6r arbeitete in ^ranffurt ein fPaar SBocben mit ©ötnmetriug unb »erliefe bie ©tabt am 26. SJlai 1793 (©.SB. IV, 499) 4 5). Bach bet ©ahitulatiou non SDlaing erhielt er am 24. 3uli Urlaub gut Jpeimfebr. @t traf mit feinem Schwager ©chloffer, ber unterbefc feine gweite ©ochter 3ulie »ertöten hatte, in ^>eibelberg gufammen, ermunterte in Sranffurt, wo er nom 11. bis 19. Aug. »erweilte, bie Sftutter, ihre Bedungen gu Betfaufen, (@. SB. IV, 605) fonft „wußte er oon feinem Aufenthalt in ftranffurt wenig gu tagen* (©. SB. IV, 510). Am 28. Auguft lehrte et nach SBeimat gurücf.

Beffer finb wir burd) ©oetheä Briefe übet feinen Aufent* halt in granffurt feit 3. Auguft 1797 unterrichtet (©. SB. IV, 514). Offenbar hatte ihn bei bem früheren Beiuch in ber Baterftabt ber ungewohnte Anblicf »on ÄtiegSfcenen unb «Reiben, bie allgemeine Unficherheit ber Berhältniffe, bie gahlreichen @nt»

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täufcfcungen betyerridjt unb abforbirt; je£t fal) er mit ben 9(ugen beö neugierigen jfremben bie ©atcrftabt wiebet, il)ren lebhaften 93erfet)t, ihre grofjftäbtifdje bauliche 6ntwicfelung; baS Sweater beurteilte unb fcbematifirte et als Kenner. 3m weiteren Verlauf feines QlufenthaltS mertt man ben ©riefen ©oethe’S an, wie er wieber fyeimifch wirb in ber ©aterftabt, wie ihn bie baulichen ©eranbetungen intereffiren. 6t wieberljolt bie Klage feiner 3u» genb (<&. SB. IV. 4) non bem mangelnben fDutdjbtudf gwifdjen Beil unb giebfrauenberg unb nergleidjt bie ©auart ber ffncanf» futtet Raufet mit ber non Seidig. jfreunben, welche mit fftanl» futt nid?t nähet befannt finb , fudjt et ein lebhaftes ©ilb bet ©aterftabt unb ihrer 6igenthümlichfeiten gu entwerfen.

Um nun in8 6ingelne übergugeljen, jo war bie frangöfifdje Kriegs * 6ontribution (®. SB. IV, 515) ber ©tabt »on ©eneral 3outban nach ber Kapitulation »om 14. 3uli 1796 auferlegt. ©ie betrug etwas über 10 ÜJtiüionen §ranc8<6).

S)aS ©chweiget’fche .pauS auf bet Beil« je£t Siuffifc^er 4pof, (@. 515. 519) war furg cor ©oethe’S Slnwefenheit in granffurt burd> ben furpfälgifchen ©aurath »en fPtgage für ben Kauf» mann Sllefjina genannt oon Schweiger, großartig im italie* nifchen ©tpl erbaut. SDaS ©ethmann’fche.ftüherDonSfiiefe’fche @ut (©. 516), auf welchem .petr oon ®d)wargfopf wohnte, ift bie im o. 9tothf<hilb’f<hen ©eftfj beftnblid^c ©tünebutg, mit neu erbautem ©chlofj unb ^arfanlagen.

®et gejchidte SDecorationSmaler ©eorg guenteS, (©. 516 518) auf welchen @oethe mehrmals gurücffommt, war 1756 in SJtailanb geboren unb wirfte oon 1769 1805 in ffranffurt; fpäter war er in $ari8; et ftarb 1821 in feiner ©aterftabt 2)ie gleifchbänfe (@. 519) ®oethe oermeibet feinem Sorte» fponbenten gu lieb, ben heimifchen 31u8bruct ©chirnen anguwen*

(S»/J

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ben finb erft feit 1864 in bet gangen «Stabt »erteilt werben ; bet föiarft gar ift etft 1871 in ben oberen ifyeil bet Stabt net* legt worbeu.

®ie beiben reformitten Setbäufer (S. 519) finb, nadjbem bie fReformirten lange gum ©otteßbienft na<b Socfenbeim bat* ten ^inau@fal>ren muffen (S. 228), non 1788 IX) , ba8 fran* göfifcbe au bet StabtaUec (©oetbeplab), ba8 beutfcbe am großen Äornmarft erbaut.

„5)ie neu erbaute 8utbetifcbe .pauptfircbe" (S. 519), an »eltbet ©oetbe jo b«be Äritif übt, ift bie $>aulbfirtbe, wie fie feit ihrer ©töffnung 1 888 genannt »urbe, urfprünglicb Satfüffer« fircbe, ein im breigebnten 3abt[)unbert aufgefübrtefi ©ebäube, »eltbe8 1782 »egen Saufälligfeit gefdjloffen unb 1786 abgebrochen »urbe.

5?er 3»if<benraum Bon mehr al8 Bier 3ab«n war Beranlafjt burtb ben Streit gwifdjen bem SRatb nnb ben bürgerlißen <5ol* legien, »el<be gunäcbft gur ginangcontrole berufen waten, aber ber Setjutbung nitbt »iberfteben fonnten, fitb beftänbig in bie ^Regierung eingumifcben unb wegen beS 'fMafjeä unb ber gern bet Äirtbe ihre Sebingungen gu machen. 'Xutb nadjbem am 6. 3uni 1787 ber erfte Spatenfticb gum San bet neuen Äirdje getban war, wieberbolten ft<b biefe Streitigfeiten , über welche bie 6ntf<beibung bei ben Jpofbaumeiftem in 2)armftabt, fDtaiug, SRannbeim, Stfürgburg unb Stuttgart unb enblitb beim Cber* bofbauamt in Serlin gefutbt würbe. Srft im grübjabt 1789, alfo natb Serluft Bon gwei Saujabren, nahm man bie unter* brodjene Arbeit »ieber auf, welche baburdj notb eergügert würbe, bafj e8 nötbig war, ben gangen maffinen Sau auf <pfablrofte gu grünben.

3Ran war bis gum Sluffcblagen beS DadjeB gebieben, alö

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am 22. Dctcber 1792 Güftine, Bon üftainj fommenb, bie ©tabt befehle unb ihr jwei SJliUionen ©ulben ©ontribulion auferlegte. 3war würbe baö Äirchenbach noch BoQenbet, aber 311m SluSbau ber Ätr<^e liefen bie burd) bie beftänbi^eu .Kriege jerrütteten ginanjen bet ©tabt nicht fommen. Ser ©locfenthurm blieb auf gwei ©tocfwerfe befc^ranft unb bie Sreppenhäuier entbehrten beö Sluöbauö. ©0 iah fie ©oethe; feine Sleufeetungen beziehen fid) uic^t allein auf ben äfthetifchen Söerth beö .Kirchenbaueö, fon* bern auch auf bie Urfadjen, welche biefe fSftifjftänbe hetocrgerufen. Sie ©teile (©. 520): „Sie ^aupturfadje non ben in früheren Beiten »ernachläfftgten öffentlichen ’Änftalten ift wol)l eben im ©inne ber Unabhängigfeit bet einjelnen ©ilben, Jpanbroetfe, unb bann weiter in fortbauernben ©treitigfeiten unb änmaa&ungen ber Familien, jflöfter unb Stiftungen ju fucben, ja in ben Bon einer ©eite lobenöwürbigen ©eftrebungen ber ©ürgerfchaft. Sa* burch warb aber ber fRatl), er mochte fich betragen wie er wollte, immer gehinbert, unb inbem man über ©efugntffe ftritt, fonnte ein gewiffer liberaler ©inn beö allgemein ©ortljeilhaften nicht ftattfinben," gibt auch einen SBinf übet bie ©rünbe, welche ©oethe ahhielten, bie angebotene ©teile im fRegierungöcoHegium feinet ©aterftabt anjunehmen47).

©egen baö h°he @piel in ben SBirthflhäufern ber ©tabt unb auf beutfchhettiichem ©runb unb ©oben, welches ©oethe in bem ©riefe Bom 19. Sluguft 1797 (©. 521) erwähnt, finb bie Sehörben mit fdjarfen ©bieten eingefchritten. Äm 2. fRoubr. 1797 würben alle SBirthe, welche $afarbfpiele bulben, ferner alle SRitipieler unb ©anfhalter, wofern fie tjiefiger Suriöbiction unter* wotfen finb, mit einer ©elbftrafe Bon 500 Sftthlr. bebroht 3m {Rücffatl follen bie SBirthfchaften auf unbeftimmte Beit gefdjloffen, bie übrigen ©djulbigen mit hoppeltet ©träfe angefehen werben.

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SBür^er utib (Einwohner ioQen »crantroortlid) gemacht werben, bafj fein bei ihnen wobnenber «rember .fjafarbfpiele treibe. !8n« gebet feilen ein Srittel ber ©traffumme ober, wenn feine Selb» ftrafen erfannt worben, 50 Oittjtr. ^Belohnung ex aerario erbalten.

iNudj bie »on ©oetbe(@. 521) erwähnte Sßiebetbejablung ber Ätiegöfcbulben bat bewegliche 2lufforberungen beb ’RatbS »om 18. 3uli unb 10. Sluguft unb (Erinnerungen ber fRecbnungS» commiifion »om 23. 2luguft unb 12. Dctober 1797 bet»orge« rufen4 8).

©oetbe’ 8 ÜRutter batte, bem fRatbe iljreö ©ebnet! folgenb, am 1. 9)iai 1795 ibr Jpaub für 22,000 fl. mit 4000 fl. Ülngab« lung an ben ffikinbänbler 93lum »erlauft, welcher baffelbe bereits am 17. Februar 1790 mit 0000 fl. ©eminn weiter »erfaufte. ©oetbe’8 SRutter jog in baS .pauö gum „©olbenen Srunnen" (SRofjmarft 8) unb wobnte ^ter bis gu ihrem am 13. September 1808 erfolgten Sobe. 21m 18. fRocember 1808 würbe ber ©oetbe’icbe ©arten »or bem ffriebberger Sbor »erfteigert. ©er 2lrgt »on ©oetbe’8 SRutter mar ibr fReffe, Dr. Sobann ©eorg ©a»tb SKelbet, geb. 1772, geft. 1824. ©en S3rief, welchen ©oetbe am 19. ©ept. an Dr. föielber richtete, habe id> guerft nach bem Original ab« bruefen laffen49).

fRacb bem ©obe ber SRutter fab ©oetbe feine 33aierftabt erft am 12. ©eptember 1814 wiebet.

©ie OberpoftamtSjeitung empfing ibn mit folgenbem, »om 13. batirten 2lrtifel: „©eine ©rceUenj ber berjoglid}«fä<bfifcb'Wei» marifche ©cbeimeratb <£)*. »on ©oetbe, ber gröfjte unb noch lebenbe altefte .peroS unferer Literatur, ift geftern, »on SKieSbaben fommenb, bi«* in feiner SSaterftabt eingetroffen, bie jwangig (richtiger fiebgebn) Sabre lang beffen erfreulicher ©egenwart be« raubt war." ©ie ffeftlicbfeiten, welche ihm bei feiner 2lnmefenbeit

i*w»

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gelegentlich ber Sluffübrung beS Jaffo augeblidb im St^eater be* reitet würben unb noeb in bet achten Auflage non SeweS’ Beben ©oetbe'S (1873, II, 494) befebrieben flehen, finb, wie sJ)rof. Creigenacb (Aüg. 3tg. 1872. 9tr. 186, öeilage) naebgewieien bat, eine 93ii>ftification SBiUemer’S, (ÜRorgenblatt 1814, 2tr. 233) »eld)ec leine SKitbürger babureb wegen ihrer ©leiebgültigfeit ta» beln wollte. AIS (ärbiebtung ift bie ©efebiebte icbon in bemielben Sabre (SORorgenblatt 1814, 2lr. 313) naebgewiefen worben. 23 om 24. (September bis 10. SDctober war ©oetbe in c^cibelberg unb S)armftabt, 5 °) ber erften ffeier bes 18. DctoberS wobnte er in ^ranffurt bei (®. SB. IV, 679). 21m Abenb begab er ficb ttacb bem Sanbfif} ber Familie SB i 11 ent er, ber unweit JDberrab an ber linfen SJlainfeite gelegenen © erb ermüble, um oon bort auS bem ©djaufpiel ber auf Arnbt’S Anregung auf allen 23er» gen auflobernben Dctoberfeuer beiguwobnen 5 ').

@o flüchtig biefe ^Begegnung mar, fo nachhaltig waren ihre folgen; haben wir bod) in itjr nielleicbt baS beftimmenbe fBtotio für bie groeite Slbeinreife gu fueben. Am 24. fDlai 1815 »erliefe ©oetbe SBeimar, am 27. trifft er in jfranffurt ein, wo er nur lurge 3eit oerweilt, aber boeb ©elegenbeit finbet, mit SBillemer gu ftjtecben unb ibm bie fefte 3ujage gu geben, im Saufe beS ©ommerS oon SBieSbaben auS gu längerem Aufenthalte auf ber ©etbermuble eingufebren. ®iejent 23erfpred)en fommt ©oetbe nach am 12. Auguft. Auf ber ©erbermitble begannen im 23er* febr mit ber anmutbigen fleinen grau jene hellen fonuigen Jage, beten Abglang in bem 33ud)e Suleifa beS ©ioanS unS fo fteunb» lieb anmutbet. S)iplomatifcbe unb färftlidbe iBefucbe ftörten bie erften Jage feines Aufenthaltes auf ber ©erbetmühle: balb aber burfte er gang ficb unb feinen greunben leben. 5)a ging biu» auS, wie in feiner Sugenb, nach ben alten befannten Stätten:

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in ben Sßalb, gum Serftbauß, auf ben ©anbbof, ober in ben „©cbwanen" nach fRieberrab. 5Sm 26. fäuguft wohnte ©oetbe auf bem Sorftbaufe ber ^odigeit beß ©tabtbaumeifterß 3eban* Sriebritb Cfbriftiait e 8 ö (1785 1845) mit Stäulein 3obamw fReuburg bei.

„Saß ©ilb", über welcbeß ©cetbe atß übet „fcbrecflitfe alb beuticbeß neubentfdbeß ©epinfel" (©. ©oifferee I. 269) ftcfc ent. fetjt, ift ber heilige $ubertuß ron 3. 35. $)affarant, bem ftsateren 3tt>pector ber ©täbel’ichen ©alerie; befinbet fid> gegenwärtig in ber ©täbtifcben ©emälbefammlung gu Stanffurt.

Ser 28. Sluguft, ©eetbe’ß ©eburtßtag, gu bem ber tTeue ©oifferee (I. 271) noch am 27. Otbenbß fpät mit ber Laterne Serbeer» gweige gefauft batte, geftaltete fidi gu einer gang befenberen Seiet.

©oifferee fdireibt barüber:

„Sie Samilie Söillemer, £)err ©cbarf unb feine Srau (geb. ©Müemer), Sti£ ©djleffer (©tabtgericbtßratb, ©obn non Dr. £ie* rcnomuß $>eter ©diloffer, bem ©ruber »on ©oetbe’ß ©djwaget, [rrgf. ©. 19]; geb. .1780, geft. 1851), bet Jfaftenfdbreiber fRiefe (»rgl. eben ©. 35), alter ©djuffamerab een ©eetbe, unb ©eebed finb fdjen mit bem alten .petrn beim Stübftücf eerfammelt. Saß gro§e ©artenbauß war gang mit ©d?ilf außgegiert, wie Halmen* bäume ^wifdben ben Senftern gebunbeu, oben überbängenb. Sn bet hinteren ©ianb, wo ber 8lte fafe, war ein großer ©pifefdsilb con ^nubfrängen angebracht, barinnen ein runber .Kräng reu ©lumen, nad) ber Sarbentbeorie georbnet. §\tt brachten ihm bie Brauen beß £aufeß, «rau ©Mllemer unb Brau ©töbel (Seebto SBillemcr’ß, fpäter Stau Dr. Sbomaß) gwei .fterbe, ben einen »ofl ber iebönften Brächte, ben anbern mit ben pradbtigften, metft außlänbifdsen ©lumen. 8luf ben .ft örben lag ein Surban eom feinften inbiftbeu 2RuffeIin, mit einer Sorbeetfrene umfrängt,

(90S)

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alles in änfpielung auf feine jetzige ^iebljaberei für bie orten» talifdie $)oefie, bejonberS weil auch unter feinen ©ebichten ein grofceS 8ob bcS ©urbanS oorfommt. grau ©täbel Ijatte baju bie äluSficht auS ©oethe’S genfter auf bie ©tabt granffurt recht Ijübfch ge,$eid}net, unb grau SiHemer einen fleinen Ärans Bon gelbblumen aufgeflebt, worein fie einen paffenben ©prud) auS bem JDinan gefchrieben ^atte, unb unter bie 3eid)nung einen paffenben auf Jpcififen'S ©eburtSftabt5-)

©hrmann43) Ijatte allegorifche Silber Bon ben SafyreS» jeiten gefehlt; CS^riftian Schloff er eine Äreujabna^me Bon ©aniel non Solterra. SJlorgenS tjatte grau $ollweg 44) in einem Soote SJtufif machen laffen, feljr fc^öne Harmonien. ©8 war fo eingerichtet, baf) fie anfing, als ©oetl)e eben aufftanb. ©i, ei, jagte er etwas ängftlich unb bebenfiieh, ba fommen ja gar 9)tufi!anten; hoch fanb er fidj balb gured^t , weil bie SJtufif |el;r gut war. ©amt gab'S ein fötifwerftänbnifj mit einem ©ucaten, ben ber Sllte burd) feinen Sebienten Äarl an bie SJtufifauten jd)icfte. ©ie wollten unb fonnten natürlich nidjtS uehmen, e$

war baS ^heaterorchefter, unb fanben fidj baburd} beleibigt. Sillemer eröffnete ben Stijd) mit einer paffenben Snrebe unb Slufpielung auf greimaurerfittc unb brachte ©oethe’S ©efunb« heit au§ in 1748er (Rheinwein. ©urdjgehenbS l)errfd^te eine muntere ©iimntung. ©ann tarn ein Srief Born ©onfiftorium mit bem gebrueften 6rlaubmf$)d)cm jur JpauStaufe eines an bie» iem Sage geborenen unehlichen ©ohneS Solfgang. ©in ^weiter Srief fam in Äuittelnerjen Bon einem föteifterfänger ©hriftian, batin war eine turge Sieberholung Bon ©oethe’S Siographie, foweit fie jetjt gebrueft ift, mit ben Planten aller feiner 2Jtäbchen in ben Sieimen, aber ohne ben (einigen, ©oethe merfte eS gleich, beibe ©pdjje waren Bott Dr. ©hrntaun."

CK«;

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Sßir fömten an tiefer Stelle baS genuhreiche lieben nicht weiter »erfolgen, welches ©oetbe in ber SBaterftabt führte, net» fdsent burd) l'iebe unb ffreunbfebaft, burd) S^reube an ber fliatur unb ber Äunft unb jenen Sauber, welchen Sugenberinnerungen auf ben gereiften 5Jtann üben. 31 m 8. Sept. »rar ©oetbe nad) frranffurt übergefiebelt in Sßiflemer’S .paus am gahrtber „gum rotben 99tännd)en“ (je^t ‘JUt’fdje 33abeanftalt); nad) einem noch» maligen furzen Söefud) auf ber ©etbermühle reifte et am 19. mit Sulpig itad) ^eibelberg ab, wo Äarl Üluguft mit ihm gu» fammentreffen feilte. Sa fid? bc8 £ergogS ISnfunft oergögerte, lieh ©oethe burd) SoiffetSe SSiUemcr bitten, mit fölarianne unb ben Seinen nad) Jpeibelberg gu fommen. Jpier Bereinigte bet 24. uub 25. nod) einmal ben fleinen greuubesfreis ; „oon Su* leita war mein A’ommcn, gu Suleifa mar mein @el)en." ©oetbe fah fDiariannen nie mieber, aber bie wenigen SBocben oertraulitben üerfebrs mit ber liebenSwürbigen, anmuthigen Srau begrünbeten ein bis gu beS SidjterS Sobe bauernbeS, burd) einen lebhaften SBriefwcdhfel genährtes äterbältnih-

Sie für baS folgenbe 3al)r geplante fRbeintetfe muhte unter» bleiben, weil SJteper, ©oetbe’S IReifegefährte, fich burd) einen Sturg beS SBagenS nid)t unerheblid) »erlebte.

©oetbe hatpl'eine SLiaterftabt nicht mieber betraten , aber bie granffttrter greunbe bilbeten fortan eine ftiUe ©emeinbe, bie, in regem SBerfebr mit SBeimar, |fein höheres Siel fannte, als bie pietätoolle pflege berjenigen 33eftrebungeu , welche ber grohe greunb mit ihnen geteilt. Sie hatten baS SBerbienft, bah bet am 2. Secbr. 1817 erfolgte Austritt ©oetbe’S auS bem ffranf« furter SBürgeroerbanbj5 5) nid)t nod) fchlimmer aufgenommen mürbe, unb bah Ibennod) fein fiebgigfter ©eburtStag in ^ranffurt feier- lich) begangen werben fonnte. SBir roiffeu aus ben „SageS* unb

(SM)

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Sabregfyeften," baff ©oetlje feinen fiebrigsten ©eburtStag auf ber SReife gtöifdjen 4pof unb Äarlßbab jubrachte, um in gemeinter Seife bet Seiet beffelben au8gumeid?en.

8lm Sreitag ben '27. fanb eine SSotfeier im Sranffurter 9Ru* feum ftatt, am ©eburtätage felbft mürbe eiu Seftmahl ton etma 200 ©ebecfen im ©aale ,beS „SeibenbufcbeS" (heute Hotel de l’Union) teranftaltet, unb babei ©oethe’S 33üfte mit einem gol* benen gorbeerfranje gefchmücft, meldier mit ©maragben befefct mar, unb bie Snfcbrift trug: „bem Liebling ber 3Jiufen, 3ot)anu Söolfgang ton ©oetbe ton ^Bürgern feiner Siatcrftabt gemeint", ©iefj ©efcbenf mürbe am ©djluffe ber Seiet eingepacft unb nach Seimat gefanbt. 5lm 2lbenb mar Seft*5Borfteüung im SE^eater; mutbe Staffo gegeben mit einem tom ©djaufpieler Sei b net gefprodjenen Prolog. 2ln Dr. Stelber, einen ber Urheber bet Seiet, fanbte ©oetlje feinen ©anfbrief für bie Stitglieber beS Gomite, meldje ibm jenen Ätanj gefanbt, unb fonnte nicht um* bin, in beffen ©ingang gu terfidjern, „baff et mit feinet lieben Saterftabt, ungeachtet aufgehobener bürgerlicher 23er* hältniffe, fid) aufs 3nnigfte terbunben fühle."5*)

©te ©eburtStaggfeier ©oetfje’ö in Sranffurt follte nicht ohne Sdgen bleiben, ©ulpig 23oifferde mar baju nach Sranffurt gefommen; er hatte ben 28. 2tug. 1819 bei SBürgermeifter SEhonxaSmitSlhormalbfen ^gebracht , in Stuttgart mar et mit ©an ne cf er, bem ©chmaget ton 23oiffer4e’8 Sreunb unb fpäteren ©chmiegertater ©ottlieb Heinrich fRapp, befreunbet, fein Söunbet, ba§ im Äreife bet Verehrer ©oethe’S ber fpian eines plaftifchen ©enfmalä für benfelben auftauchte unb balb greifbare ©eftalt geroann. 2lm 8. ©ecbr. 1819 fanb bie erfte ©ifcung beS Gomit<$ ftatt. ©ie IBerhanbtungen, meldje bis 1825 bauerten, blieben befanntlich erfolglos, bie 23üfte unb ©tatuette ©oethe’S

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»on SRaud) ift ihr eingigeS ßrgebnif), währenb baS riejenhafte flroject eines ÜempelS auf bei Spijje ber Waininfel, wie eS bereits im „9il}einifd)en Stafchenbuch" für 1822 abgebilbet war, nie »erwirflicht worben ift. 3<h habe (a. a. £>. S. 106 1 14) nadh ben in ©oifferöe’S 33riefwechfel gerftreuten Waterialien ben ©ang ber üer^anblnngen bargefteüt, unb will i)ier nur gwei intereffante Steufjerungen ©oethe’S berüorl)eben. Slm 14. 3au. 1820 fdbrieb ©oethe an Soifferöe : „Sollte eS nicht etwas bebenflid) fein, einen Silbhauer baljin gu fenben, wo er feine formen mehr finbet? wo bie Statur nach ihrem Siücfguge fich nur mit bern Stothwen* bigen begnügt, was gum Sajein atlenfatlS unentbehrlich fein möchte; wie fann bem Warmer ein SBilb günftig fein, auS bem bie gülle bes Gebens »erfchwunben ift?" iSm 11. Sept. jehreibt er: „Unter ben hlaftifdjen Bierben jenes WouumentS gebenfen Sie einer üampe, welche als herfömmlicheS Beiden eines geiftigen SleifjeS allerbingS gu billigen ift. Stun mache ich “ber bie Be- merfung, bah id? webet SbenbS noch in ber Stad)t jemals gearbeitet habe, jonbern blofs beS WorgenS, wo ich ben IRahm beS SLageS abfehöpfte, brf bann bie übrige 3eit gu Ääfe gerinnen mochte."

2)ie nächfte Sßegiehung ©oethe’S gu feiner SBaterftabt ergab fich, nachbem er auch »om Sranffurter Senat, wie non ben anbern Seutfchen Staaten, baS |)ricilegüim erlangt hatte, um ben Stach* bruef ber ©efammtauSgabc feiner SBJerfe gu »erhinbern. 9lm 13. 3anuar 1826 richtete ©oethe folgenbeS 55anf*Scbreiben an ben Senat »on granffurt:

„©inem hohe« Senat Verehrung unb Vertrauen!

Stiemanb wirb leugnen, bah bemjeuigeu ein befonbereS ©lücf gugebadjt fei, ber fich gern U1'b mit Sreuben feiner Sßaterftabt erinnert. Wir ift eS geworben, inbem ich mich rühmen

(9ti6)

E

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batf, burdj ©eburt einer ber nier ©täbte anjugehören, welche tbre Freiheit non ben alterten Seiten h*r bifl auf ben fyeutiflen Jag erhalten hoben. ©ewiß ift fein f ebenerer iölicf in bie ©efc^td?te, alb berjenige, ber unb belehrt, wie bie ©täbte beb nörblicben nnb füblichen Deutfdblanbs butd} , Stechtlicbfeit, 3u*

nerläffigfeit bie bebeutenbften .Körper gebilbet unb fowoßl über bem SOteer, alb über ben 58er gen, inbem fie Seben unb .panbel nerbreiteten , fid? bie größten SBortßeile gu fiebern wußten. Daher ift folgen Korporationen angugehören für ben benfenben unb fübienben fDtenfchen non ber grüßten Söichtigfeit, unb et ehrt fi<b felbft, wenn er auöjufprecbeti wagt, baß er beb treuen bie« bem ©inneb feiner friiheften ©tabtgenoffen fid) auch entfernt unter ben mannigfaltigften Umftänben unb 33ebingungen nicht un- wertb ju erwetfen bab ©lücf hotte- jo wenn man ihm bab 3eugniß nicht nerfagt, baß et ben gemäßigten gteifinn, eine rajtlofe SJ^ätigfeit unb geregelte ©elbftliebe , rooburep feine ^Mitbürger aubgegeichuet finb, an [ich in ben nielfälligften Sagen ju erhalten getrachtet hot- Nehmen beeljalb bie hochverehrten freien ©täbte, beren febe ich mit bet (Empftnbung eineb ÜRit« bürgerb betrachten barf, meinen netpflichteten Danf, baß fie but<h ein entfehieben aubgefproepente §)rinilegium mir unb ben 5Ji einigen bie economijcben SBorttjeile unabläffig bemühter ©eifteb« atbeiten hohen gufiepern wollen.

Darf i<h nunmehr mit ber Hoffnung fchließen, baß biefe glücflicpe (Einleitung aud) fünftig anbern ©titgenoffen ber lite= rarifchen SBelt gu ©ute fommen werbe, fo empfinbe ben IBotgug boppelt mich ebenfo getroft alb nerehrenb unterzeichnen gu fönnen.

Söeimar, ben 13. Ban. 1826. (Eineb h^*» ©enatß

gang gehovfamfter Diener 3op. SBoIfg. non ©oetpe.

XI. J«l. 4 (W)7)

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2lu8 bet Raffung bicfcS Schreibens erhellt, baf; e8 gleich* lautenb auch ben Senaten non Hamburg, Sübecf unb SBremen überfchicft würbe.

©oetlje’S Job fiel in eine politifd) aufgeregte Seit, unb fpeciefl in gtanffurt nahm bet IDitrchgug bet ^3 ölen im 5Jlärg 1832 alle 3ntereffen in iänfbruch. Hörne’8 unb 3Ö. Stengel’ 8 Schmähungen gegen ben ariftofratifdjen ÜJtinifter fielen in ber Seit gerabe auf fruchtbaren Hoben, unb fo fanb, wenigftenf! in ber Deffentlidjfeit, ©oethe’8 Job rridbt bie SL^eilna^me , welche fich gegiemt hätte. ©rft 1836 fonnte ba8 3)enfmal ©oethe’8 wiebet augeregt werben. (58 gefchah biefj auf einer ©eueral* oetfammlung be8 ÄunftoereinS am 11. December. 9lm 12. Stärg be8 folgenben 3ahre8 fanb bie erfte Sifjiung eines gu biefem Swecfe gufammengetretenen ©omitä ftatt. 9lm 22. Dctober 1844 fonnte ba8 oon Schwanthaler geformte, non Stiglmeier in München gegoffene SDenfmal in bet StabtaUee, welche fortan „©oetheplafc" genannt würbe, mit entfprechenben ^eierlidhfeiten enthüllt werben. 91 n bemielben Sage würbe an feinem ©eburtshaufe eine 35enf= tafel angebracht.51) Schon not HoHenbung biefeö öffentlichen SDenfmalS hotte ein Herein non btei Stännern : ^einrid) StpliuS, Starfwart Seufferhelb unb ßbuarb SRfqjpell burch ben Silbhauer Starke ft in 9Railaub ein fitjenbeS Slatmorbilb beS SteifterS an» fertigen unb baffelbe, ©oethe’8 früher au8gefprochenem Shunfche 5 8) gemäfj, in ber SorhaUe ber Stabtbibliothef auffteden laffen (1840).

©in weiteres £>enfmal hat bem 9lnbenfen ©oethe’8 geftiftet Äarl She°bor [Reiffenftein in feinen photogrctyhifd) »eroielfdltigten „SBÜbern gu Dichtung unb äöahrheit," welche in ber grö|t» benfbaren Sreue alle in ©oethe’8 Sugenbgefdncbte erwähnten granffurter üocalitäten unferem 9luge oorüberführen.

CW«;

ftnmtrfuttßen.

1) @oetfye« SBerfc IV, 46. Äriegf @efd)id)te »on granffurt 1871. 3. 237—417. SfJlcriß 3tabt»erfaffung ber 9ieid)«ftabt granffurt 1785. L 210, 122, 143.

2) ®. SB. IV. 12.

3) 5)a8 Stäfjere in meinem Suffafc im biftorifdjen Üafdjenbud?. 5. golge. 3»eiter Jahrgang 1872. 3. 201, ferner Dr. g. Stbarff im 'Urc^iö für granffurt« Oefc^iefjte unb Äunft. 9teue golge II. 255. ©. SB IV, 224.

4) Steifen. Ausgabe non 1751. 3. 1473.

5) © SB. IV. 47. SB. Stridfer, 3m Steuen Steid) 1872 I. 611. 3eitfd)rift für tDeutfdje Äulturgeftbic^te 1856. 3. 463. 703. 1859. 3. 564. 3. 3- ©cf>ubt, Sübifdje 'Dierfwürbigfeiten. granffurt unb 8eif)jig 1714. 4, befonber« ber jweite Streit. Äriegf, S3ürgerj»ifte. granffurt 1862. 3. 405. 3. ©• © ottf rieb ©bronifa. granffurt 1657. 3. 688. 689. .£). gab er SBefcbr. »on granffurt 1788. I. 325. 460.

6) ®. SB. IV. 3. Äriegf, 2)eutfd)e8 33ürgert(jum im SJiittelalter. granffurt 1868. 3. 403-7.

7) ®. SB. IV. 5. Slrctrio für granffurt« ®efcbicf>tc unb Äunft. Steue golge. I. 275 (1860.) ©»inner, Äunft unb Äiinftler in granffurt 1862. 3. 68.

8) Slrdji» für granffurt« ®efd)id>te unb Aunft. 5 $eft. ©»inner a. a. £). 0. 150 154.

9) «rd)i». 9t. g. I. 354 (1860) 3m Steuen mi>. 1873. I. 52.

4* (»09)

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52

10) TOittbeilungen b Sietein* für ©ejcbicbte unb 2Utertl)umefunbe 411 Branffurt a. TO. I. 186. &. SB. IV, 22.

11) Stammbaum am Schluff »on TO. SJelli-@ontarb, Beben in Branffurt 1850. X. Söanb. Slilbniffe in , ©ebenfblätter an @cetbe" Branffurt, Segler. 1845. 4°.

12) ®. SB. IV. 11. Slriefwecbfel jwifcben Schiller unb ®cetbe. 2lu«gabe ton 1856. I. 351. tärdjiB. '31eue Beige. 11. 438 (1862).

13) ©. SB. IV, 2.

14) Streit?. £eft I. unb III. @. SB. IV, 65.

15) Slrchi». Jpeft III. VIII. TOittbeilungen I. 74. 128. Dr. Kerner, bie SBabl- unb SrSnungbfirdje ic. §. 1857. I ?er«ner, (ibronif nen Branffurt II. 107.

16) Dr. £5. Slolger (©oetbe'« Statcrbau«. Branffurt 1863.®. 2) leitet ben Kamen be« .f)auje« SBraunfcl« een einem braunrotben Sanb- ftcinblocf ab. Der Slraunfel« gehörte aber ber gleichnamigen patrider* familie, welche au« Sraunfel« bei ©iejfen ftammt, eergl. SB a 1 1 e n n , örtliche Sefcbreibung t>. 8- IV 236.

17) TOittbeilungen IV. 111. 144.

18) Die beutfeben Aaifer nach ben Silbern be« Äaiferfaal« im Kcmcr |u Branffurt in Äupfer geftcchen unb in Barben auSgefübrt, mit ben Beben«bejcbrcibungcn ber Aaifer een Sllb. Schott unb Ä. ^)agen Branffurt, .£). Aeöer. Äriegf, ©efebiebte »on Branffurt 1871 S. 2(t2.

1 9) „©«füllt ftnb aUe SBänbc bi« an ben legten Saum, fein weit'rer Aaifer hätte mit jeinem S'ilbnig Kaum" Sl. Ä 0 p i f cb.

20) Dr. 0. Steiger bat lieb burib feine Schrift: ,©ocfbe« S'ater- bau«." Branffurt 1863. 4". ein unzweifelhafte« Sterbienft um bie Dope- grapbie beffelben erwerben. Seine fpäter aber aufgeftellte änfiebt, auch Briebr. TOaj Älinger jei in bemfelben ©ebäube gebaren, entbehrt allen örunbe«. SBir wiffen au« juBcrläüigen gamilien-Kacbricbten, bah Älinger in bem fegt neugebauten $aufe SKlerbeiligengaffe 49, früher zum "Pal Be- bau m genannt, gebeten würbe. Die fritifebe llnterfucbung, welche 'Prof. Dr. Dbeober Greijenacb in ber germaniftifeben Section ber Philologen iterfammlung ju Siel mitgetbeilt hal » Habet fiep im 25. Stanbc ber „preunifeben Jahrbücher" unb im Slu«jug in ben „TOittbeilungen* 111. 66. Da bie irrige Stelgerjcbe Slnficbt in bem ©ebenfblatt für bie SBe- fueber be« ©oetbebaufe« ju Branffurt al« unzweifelhafte Jl;atfacbe ange- führt ift unb al« fclcfje auch in K. Seif« iönd? : „Die Brau Kath"

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oerfommt, je mar nJtfyig, bin abermals bagegen gu proteftiren. ©ergl. auch bie geftfdtrift jum jehnten 3uriftentage. granffurt 1872. ©. 96.

21) Scmelia’8 ß^aratttriftif finbet fid> @. 9B. IV, 73; itjr ©ilb* ni§ nad) fcn 3ei<bnung be* ©ruber« in „©oethe* ©riefen an Üeipjiqet greunbe* berauSg. ». O. 3ah*> üeipjig 1349 nnb ebenba eine 2lnjaf)l ©riefe, meid* jene* Baratt etbilb oeroollftänbtgen. (©. 245 ©ote muff (Sero cf ft. ©erolb ftetjen.)

22) ®. S5B. IV, 388.

23) ®. SB. IV, 581. 582. 679.

24) lieber alle bie ©enannten finbet man »eitere 91nd) rieten, tn bem SBerfe: ©enator Dr. © »inner, Äunft unb Äünftler in grantfnrt 1862, nebft: 3ufäfce unb ©erichtigungen 1867, »eiche« jugleid) bie ja^l» reichen 3rrtbümer in ©agier’* Äünftlerlerifon berichtigt.

25) 'Äu* ©oethe« Änabenjeit. 1757 59. SRittheilungen au« einem •Originalmanufcript ber granffurter ©tabtbibliothef. SERit 6 ©eiten gacfimile. grantfurt 1846.

26) 9lr<hi» für granffurt« ©efdjidjte unb Äunft 1854. Vl. 199.

27) Uebn Dr. med. 3. @ht- ©endenberg: 3- 9W. 'Kappe« , geftreben gehalten im naturgefchichtl. ÜJlufeum. granffurt 1842. unb ®. ©triefer ©efchidjte ber §eilfunbe in granffurt a. 5Bt. g. 1847 ©. 143. 207. 329. 352. 364.

28) Ueber bie ganje gamilie ift jeßt bie £auptquefle: @. ?. Äriegf bie ©rüber ©endenberg. g. 1869, unb ©. 91. ©cheibel, bie ©enefenberg. Stift«häufer. g. 1867. 4°.

29) Srejfen bei ©aul)eim 30 Äuguft, bei 'Ämoneburg 21 Sept. 1758.

30) len ® ortlaut ber ©eriebte berf eiben finbet man in ben Kit» theilungen an bie 'Kiiglieber be« granffurter ©er. für ©ejd). I. 273.

31) ©oethe« 'Berte, ©erlin, ©uftao $empel. 20. S£t>eil ©. 303—8. 35er (Soncertfaal abgebübet im ©eujahr«blatt be« grantfutter ©erein« für ©efepiebte etc. 1872 »on Ä. Sh- ©eiffenftein.

32) 2B eitere* über bie franjöftfcbe Occupation hobt id) mitgetheilt in meiner „©äcularfcprift," giantfurt, 9Cnffart£> 1859, unb „3m ©euen DWth" 1873, ©o. 27.

33) Äriegf, ©endenberg 3. 320.

34) Äriegf, ©endenberg ©. 325. Die ©endenbergifebe Sibliothet beftfct au« 211b recht« ©acplag einen Bucian, griechijch unb lateinifch, 21u8* gäbe ton 3- %■ ©eifc, Smfterb. 1743. 3 ©änb« 4°.

(»U)

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35) «Reliquien bet grln. Snf. Äatb- Ben Älettenberg. Hamburg 1848. @. 227.

35) lieber bie ®ntfübrung*gef(bi<bte bet 5Eo<btet »ergl. (©triefet) ©oetbe’« Hejiebungen ju feiner Haterftabt. granffurt 1862, ©. 42—47, 3m bleuen SReiib 1872. I. 376 381, Jtriegf« ©endenberg ©. 369.

37) Äriegf, ©endenberg, ©. 325 328.

38) ©oetbe al* üRenftb unb Sdjriftfteder. 1823. granffurter 9Ru- fenm 1857 SRc. 11.

39) ©oetbe’« Abbanblung über bie gläbe. Berlin, A. Dunder, 1839.

40) SRobert ©<bneiber, in ben fritiftben 3abtt“<bwi f“* beutfd>e SRe<bt*ttiffenf<baft 1839. V. 474. „ffiterarifeber H et rag". «Reue* 3<*b1' bueb ber 8erlinif<ben ©efetlfcbaft für beutle ©pratbe unb Altertum*, funbe IV, 225.

41) Äriegf, beutfebe öulturbilber au* beut 18. Sabrbunbert nebft Anbang: ©oetbe al« SRedjt«an»alt. ?eipjig 1875.

42) «Dlittbeilungen be* granffurter Herein* für @ej<bi(f)te unb Alter- tbumSfunbe ju granffurt a. 2JI. 1860. I. 136.

43) ebenba V. 92.

44) 35ie granffurter 3ri* »cm 27 Auguft 1825 gibt ba* «Räbere über bie Heranlaffung be* ©ebidjt*.

45) «Die Briefe ©oetbe« an Sämmerring in SRubelf ®agner> ©. SE. non Sämmerring* Beben unb Herfebr mit feinen 3eitgenoffen- Seipjig 1844. I, 1.

46) 'IRittbeilungen be* granffurter Herein* ic. IV, 355.

47) 2)a« Habere in meiner: Haugefcfcicbte bet f>aul*fir«fje (Har- fügerfirefte) 1782—1813. 4°. (Heujabrtblatt be* granffurter Herein* für ©eftbiebte unb AltcrtbumSfunbe für 1870.)

48) granffurter SRatb«* unb Stabtfalenber für 1798. ®. 43. 45. 46.

49) Heuere @efd)id)te »on granffurt, ron Dr. JB. ©trider. granf- furt 1874. ©. 104.

50) ©ulpij Hoifferee. ©tuttg. 1862. 1. 225. 227.

51) dRittbeilungen be* granffurter Herein* etc. V. 87. lieber ben ganjen Aufenthalt ftnb ju nergl. ©cetbe« Hriefe an g. A. 2Belf, Hcrlin 1868.

52) glutb unb Ufer, 2anb unb #äben Hübmen feit geraumer 3eit

®o bein kommen, fc bein ©eben,

3eugen beiner S^ätigfeit.

(»i»)

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55

3)ie 3eid>nung mit biefet Unterfc^rift ift burd> Äupferftid) Btrüielfältigt tnorben. !Da ®oett)e ba8 SBlättdjen häufig mit feinet batirten Unterfdjrift nerfal) unb al« Slnbenfen »erf^enfte, fo Jfjat man bie 3ei(f)nung lange für fein eigene« Üöetf gehalten.

53) Hebet med. Dr. ©jriftian (S^tmann netgl. meine .©eiträge jut ärjtlie^en Sulturgejd)id)te" granffurt 1865, wo auch &.'i treffliche humcriftifd)e Schriften abgebrudt ftnb.

54) geb. ©ermann, ©lütter be« preufj. 'JJiiniftetS a. 2). Sluguft Bon ©ethmann-^ollaeg.

55) Äriegf, ©endenberg ©. 329.

56) JDa8 9täf)ere in meinet „steueren @ef (hielte b. granffurt" ©. 105

57) ebenba ©. 250—253.

58) ebenba ©. 112.

(SU)

Drurf wen (Äfbr. Ungfr(2b. (Brimm) in Urrlin, ^iboncbrr^crftr 17*.

5l(inal|assn auf Ctlebes.

6iitc 9teifeerinnenntg.

Sortrag, gehalten in Srcßben im 5föärj 1876

Den

ßrrlin SW. 1876. Sßerlag con (5 a r I .£> a b e l.

(<£. (0. i’nDrriti'sdir Bnlagsbatfcljc^öiBng.)

33. ©ilbclm* Strafe« 33.

!Da8 JRtd)t bcr Uefreriefcung in frembc Spraicn trirb rcrfcefjalt«.

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v5än fyoQänbifdjer ©d)riftfteller fagt »on bem 3nfel=2lrd)ipel ber öftüdjext ^albfuget, baff et ficb wie ein ©maragbgürtel um ben Slequator winbe ober, wie eb frönet mit ben eigenen SBorten beb tDidjterb fyeifjt: „Insulinde, dat zieh daar slingert om den evenaar als een gordel van Smaragd“1), unb, in ber Sl)at, treffenb, in furgen SSorten, wie nur ein ©idjter ein 33il£> «or bie «Seele matt, ift biefeb 23ilb. 2lub bem tiefen S3lau beb tro= pifeben SReereb anffteigenb unb gegen bab tiefe ©tau beb ©onnen= buräjglüljten tropifdjen -ßimmetb fid> abbebenb, winben fid) Diel* geftaltig ungäblbare Saufenbe, unermefjlidje ©dfübe bergenbe ?änber unb Snfetn unb (äilanbe um ben ©leicber. SBenn man nad) SJionate tanger Seereife burdf ben Stlantifdjen unb 3u= bif^en SDcean, uaebbem bie eingig fdtöne gleichmäßige ga^rt mit ben ^affatwinben fidj alb ruhiger ©enufj beb Sebenb bat empfin- ben taffen unb bie wilben ©türme im ©üben äfrifab bie San» tafie mit erhabenen ©inbrüefen belebt haben, hoch überfättigt ton aH bem £uft unb SÖaffer bie ©unbaftrafje einfährt unb bab entgücfte Sluge gum erften SJlale ben Dom tropifdjen 3Reere umraufditen $>atmenwalb erfpäht, bann glaubt man in SBahrhrit an bab com ^immel gefallene Gbelgeftein beb ©iebterb!2)

XI. 262. 1* (917)

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4

3nt Dftinbiidien Archipel, foweit er bie fRieberlänbifcbe Ärone fe^rnücft, ift e8 »or allem 3a»a, welches ben bie £eimath Ver* laffenben angieht. Vietet e8 boch bei georbueten SBerhältniffen einen Gentralpunft für alle menfölidjen Veftrebungen in biejem Steile be8 CftenS: bem Staat8manne, bem 9J?ilitär, bem 93et* waltungSbeamten, bem $)flanger, bem .Raufmanne, bem gcrfdjcr ein reicf>e8 gelb gum SBirfen unb ©rftreben. 3a»a ift e8 habet, bem ber grofje Bug ber SBanbernben »cm SDßutterlanbe gern gu* ftrömt, unb fügt e8 ba8 ®efd)icf, ba§ er biefe gefegneten ©efilbe »erlaffen mufc, um auf ben „SBuitenbegittingen", auf ben Aufien* poften, bem ©lücfe nadjgujagen, fo tbut er e8 meift mit bem ©efühle be8 VebauernS, benn er fürstet fid) »er bem man» derlei SJiangel, ben et gu erleiben h®t in weniger »on bet .Rultur bebauten ©egenben. Unter ben „Aufjenpoften" »erfte^t man alle colonialen 9iieberlaff ungen auf Sumatra, Vorneo, ßelebeS3), ben SSJioluffen, 5£imor, gloreS unb wie fonft bie »ielen mit fremb flingenben tarnen benannten Snfeln begeidjnet finb. 9lur gwei ©egenben in ben „Suitenbegittingen", möchte id} fagen, nimmt ber erfahrene unb unerfahrene, neue unb ältere V ärger jener tropifc^en ©efilbe »ou ber allgemeinen fötinberjdjäjsung au8, ba8 fiub bie £od)länbet Sumatra’8, bie „$>abangfchen 33o»enlanben* unb bie „fDlinahaffa" im korben »on GelebeS. 3n erfterer finb e8 bie IReige be8 Älima’8 nnb bie 9Ratur|chcnheiten, welche ben Aufenthalt als einen begebrenSwerthen ertdjeinen taffen, in ber fDiinahaffa finb e8 neben ben gleiten Vorgügen nod) bie georb* neten unb ci»iliftrten Buftänbe, welche ba§ Verweilen bort nid^t gu einer Verbannung ftempeln.

Die 'JfJiinahaffa ift fürwahr ein »on ber 9Ratur fehr eigen* artig abgefchloffeneS^anb, unb ebenjo unterfetjeibet e8 fi(h burd) ba8 wa8 S^enfchenleben angeht in auffaüenber Söeife »on allen 9iach*

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5

barlänbetn nid)t nur auf GelebeS felbft, fonbern auch oon allen anberen 3nfeln beö Slrd^ipelö.

SSeJanntlid) zieht eine grofje jufammen^ängenbe .Rette tl}ä= tiger Sßulfane über Sumatra, Saoa, Sßali, 8ombo!, ©umbama, gloriö, Simor oon SBeften nach Dften unb Kenbet fic^ bann über 23anba nad) Sterben zu ben BiolufJen, ko befonberb im SBeften ber grefjen, gerabe mie Gelebeö geftalteten oierarmigen Snfel ^almaljera4) bie Sieifye ber fdjönften tätigen SBulfane mie Söatjan, Btafjan, £ibore, Sernate u. a. liegen. Sßon l)ier aber bringt bie continuirlidje .Rette feuerfpeienber S3erge fcheinbar plctjtich n ad) SBeften übet auf GelebeS unb jmat auf bie Btina» ^affa, unb fefjt fidb oon biefer Kiebcr gerabe nach Serben ju fort über bie ©angUSnfeln auf bie Sßhilippinen.5)

So ift bie Btinaljaffa al§ bie nörblidjfte ©pi^e oon Gelebeg ein ejrquifit oulfanifcbeg unb, geologifch gesprochen, neue§ Sanb, Kahrenb im ©üben berfelben nicht nur ber Blangel an 2?ul= fanen, fonbern auch bie tfyatfädjlid} oorfommenben ©efteine Kie j. 5?. f<hon bie bie SJMnatyaffa ganz nah begrenjenben ©olb* biftricte auf ein oiel größeres Stüter be§ ganbeö weifen- Stludj bie SJrabilionen ber SBemofyner ber Btinahaffa reben oiefleicfyt nur in zufälliger Uebereinftimmung oon einem neuerlicheren Gntftetyen biefer nörblidjen SBerlängerung oon GelebeS. Btan zählt an jmanjig thätige SBulfane6) in biefem nur circa 90 D»Btei(en großen SDiftricte, barunter einen oon über 2000 Bieter .£>6l}e; baneben geben eine SReilje jum S^eil noch eulfanifd) bemegter Äraterfeen, eine ÜJlenge oon ©olfataren unb ©d)tamm=Sl>uU Janen, bie fid) über grofje ©ebietc erftreden, fomie ungezählte heifje Duellen, unb man fönnte faft ohne Uebertreibung fagen, tägliche Grbbeben Seugnifj oon bem geologifdijen Gharafter be8 StanbeS.

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6

Söie nun bie Olatur bic OJiinahaffa ju einem in fid) abge« fd^loffenen ©ebiet geftempelt h«t, fo t^at eg bie politifhe 0e« meinfchaft bet SOienfdjen. „SJlinahaffa" 7) heifjt jo nie! wie „Vun« beögenoffenfchaft", unb wenn audj uriprünglid) biefe Sunde!« genoffenfdEjaft feine {ehr enge war, fonbctn nur zeitweilig »iiffain würbe in gemeinfamer SSbwe^r jüblid)er ober non außen fern« menber geinbe, unb bie nieten fleinen, gang felbftünbigen SDi» ftricte fict) meift unter einanber befetjbeten, fo befielt fcocb jejjt biefe politifdje ©emeinfdjaft unter bet Verwaltung ber ^oüänber in hö<hft auögefprochenet SSeife im ©egenfah ju ber nur mittel« baren iäbtjängigfeit ober ber gänzlichen Unabljängigfeit ber ben ©üben bet 9Dtinahaffa begtenzenben ©iftricte.

2)ie relatin ftärfere ©enölferung biefeä 8anbe8, circa 100,000 Seelen auf 90 ü*3Jieilea ftarf benötferte ©egenben ©urcpa’S beherbergen auf gleichem glüchenraum 10 SfJlal fo niel Vtenfchen bie günftige ©liebetung feinet Äüften, an einer eteüe ift baß £anb fo fdjmal, bafs man in ^met ©tunben non einer Äüfte zur anberen reitet baS troj) bet 9iä^e beS Stequator! auf ben .pochebenen milbere Snfelflima, bie ungemeine grudst« barfeit be§ nulfanijchen VobenS unb nieHeidjt eine natürliche Anlage bet Vewohnet mögen Ülnziehungäpunfte gewefen fein, welche bagu beitrugen, bie OJtinahaffa z“ bem zu wachen, waö fie ift im ©egenfaj* zu winber benorzugten „Vuiten* poften".

3wei, unabhängig non einanber norgehenbe, ja fid) manch« mal entgegenwirfenbe gactoren famen hier Zut ©eltung: SDie auf pefuniüten ©ewinn gerichteten Veftrebungen ber Otiebcrlanbifchen Oiegierung, (Sutturen non bem fDlutterlanbe wertbnellen l'rebucten angulegen, unb bie ibeeDen Siele non OJtiffienüren, barauf ge« richtet, ba8 enangelifhe Ghnftenthum einzuführen.

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7

©eben wir, wie biefe beiten (Slemente auf ein feit langen Beiten für fid> lebenbeä unb erft feit einigen 3afyrl)unberten mit eutßpäifdjen Stationen in oberflädjlicbjer Söerüfyrung fteljenbeS 33ol! »irften, aber ffijjiren wir erft furj bie Art biefeS ffiolfeö.

3wei 9tacen ttyeilen fidb in ben SBefijs beS £5ftinbifdjen Snfel* Archipels: bie SJlalanifdje unb bie ?5apuanifc^e; erftere fdjlie&t fidj ben oftafiatifdben 335lferf<baften an, (entere eine Stace sui generis, wenn fie nicht in weitere S3ejie^ung ju ber IRegerrace Afrifa’8 gu fejjen ift. 25ie SJialapen ftnb im Allgemeinen gellere, gelblidje unb bräunliche SJtenfdben, mit langem ftraffen fcbwarjen dpaar, Reiner Statur, etwas fdjiefftebenben Augen nnb ferner» ragenben SBacfenfnodjen. ©ie §)apiia§8) ftnb im Allgemeinen bunflere, bräunliche unb fdEtwärglidtje SJtenfcben, mit furjem, fraufen .paar, fleiner unb mittlerer Statur, gerabefteljenbeu Augen nicht fo auffallenb ^ernorrageuben Sadfenfnocben unb nielleid^t mit einer ftärferen Prognathie (»orragenbem llntergeficht unb gurücfliegenber Stirn) begabt9). 3n ben beiten Grjrtremen finb Sippen beiber SRacen unfdjwer oon einanber unterfcbeibbar, aber bie Abftufungen in jeber berfelben, bie ffiariaticnöbreite jeber ber beiben formen unb eor Allem bie burd? 23ermifcbung beiber feit langen Briten probucirten Abfentmlinge an ben ©renjbiftricteu laffen fie fo ftufenweife in einanber übergeben, baf} ^äufta fdbroierig fein bürfte, in einem Snbicibuum ju unterfdjeiben, ob 5Btalapif<he8 ober PapnanifcbeS S3lut »orwiege.

3m Allgemeinen Raufen bie SJlalanen im SBeften be§ Ar» <bipel$, bie Papiia§ im Dften10). gaft auf jeber non ben SDialapen bewohnten Snfel tragen biefe anbere fRatnen ober finb ihnen oon ben (Europäern anbere Siamen gegeben worben. So beiden bie SÖialapcn non Sumatra: S3atta8, SampongS, fRebjange u. a., bie SDialapen oon Sana: Sunbanefen unb Saoanen, bie Söialapea

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8

pon (JelebeS: SöugiS, fJRafaffaren, Alfuren u. f. w. Allen aber t)abert wir ÜRenfdjen oon SRalanifchem Stamme, nur mehr über weniger pon einem ©runbtppuö weg mobificirt burd) Sultur, üebenSweife, flimaiifd)e 23erl)ältniffe unb burd) eine tReihe ton Umftanben, bie gu analpfiren uno bei bem heutigen ©taube ber Anthropologie nicht möglich tft.

2>er ,£>auptfif} bet fPapuaS tft jefct 9teu«@uinea, im fRorben AuftralieitS, allein eS liegen eine fReibe pon Anzeichen per, tat; biefe Diace früher, b. h- »or langen Beiten, ben gangen oftinbi« fdjen Archipel beoölfcrte unb erft allmählich gurücfgebrängt unb pernichtet würbe, ober bafs fich bie fReuaufömmlinge mit ihnen permifchten. Auf GelebeS, unb fpecieH in ber 9Riuahaffa, ift lein autodjthoneS papuanifdjeS (Slement entbecft worben" ), unb baS .^ineinfpielen biefeS GlementeS, pon bem man hier auö fpä» terer 3eit weih, war, wie eS fcheint, rein äu§erlid?er Statur unb ift auch feineSwegS bcbeutenb genug gewefen, um bie föialapeu phpfifch umgugeftalten ober überhaupt phüftfch auf fie einguwirfen. (SS weifen jeboch manche Sitten auf eine intimere 2?eeinfiuffung. Db biefe pon aufjen gugetragen würbe, ober ob fie pon einem pernidhteten einheimifchen Element hetrührt, bürfte fchwet gu etuiren fein. 2>ie ÜRöglichfeit, bah bie anwanbernben fSJialaoen ein pon 5Renf<hen unbewohntes 8aub fanbeu, läht fich nicht au§* fchliehen. 3h*e $rabitionen weifen, fo weit man fie bis je$t fennt, auf fein 23clf, welches bie SRinatjaffa oot ihnen bewohnte, fonberu nur barauf, bah fie nicht auf biefem Soben „entftanbcn“. Söir fennen bähet in ber SRinahaffa nur einen ÜRenfchenftamm: bcn SDlalapifchen ober, ba man gewohnt ift, biefen fRatnen in einem engeren ©inne gu gebraudhen: ben 9Ralapo=pohmefifchen.

©chon per 3ahthul berten ftanben biefe Scheite oon (SelebeS unter ber 33otmähigfeit ber Sultane pon Sernate uub libore im

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9

Dften ober unter berjertigen mäßiger fübltc^er JReicbe, wenn biefe Söotmäfjigfeit auch nid^t oiel ju fagen gehabt haben ober nur temporär in SBirflicbfeit auggeübt worben fein mag. Um bie fSJiitte beg 16. 3a^r^unbert8 febeinen bie ^ortugiefen ficb ^uerft in ber ÜJiinabaffa eine 3cit (ang niebergelaffen 3U haben, ihnen folgten ©nbe beS 16. ober am beginne beg 17. Sa^r^un» bertg bie ©panier, beibeg eminent eolonifatorifebe Nationen ; fie führten bag C51?riftent^um ein, unb oielleicbt erfennt man noch in einigen pbnfifdjen 3ügen ber Söewobner ber SOtinabaffa bie ©puren biefer fftbnen ©ioilifatoren.1 *) Um bie SSJiitte beg 17. Sabrbunbertg haben bie Jpollänber fie oerbrängt unb fiub feitbem mit gan$ furjet Unterbredjung in bem 33efitj beg Sanbeg gebliebeu. SHHein ber SDiftrict gewann feine beroorragenbe 23ebeutung big in bie brei» fjiger Sabre biefeg Sabrbunbertg. .fjier beginnt bie (Sinroirfung jener beiben (fingangg genannten gactoren: ber colonifirenben ^Regierung unb bet ebriftianifirenben 5Riffionäre auf ein 33olf, weldjeg fo gut wie ol)ne tiefere ©ultur in unferem ©inne war. 35ie (äinfliiffe ber fPortugiefen unb ©panier batten fidj gänglit^ »erwifebt unb bie ber .poflänber waren unbebeutenb geblieben, ©egen (fnbe beg 18. Sabrbunbertg fudjten biefe bag ©Triften® tbum wieber eingufübren, aber bet ©rfolg mar gering.

3m beginne biefeg Sabrbunbertg berrfebten no<b tobe ©itten. 5)er SRenfd) ging faft naeft. @r lebte in fleinen ©emeinfebaften, in unbebeutenben, begpotifd) regierten gamilienftaaten; in bem nur circa 90 □»üReileit umfaffenben ©ebiete würben eine gro§e fReibe netfdjiebener Sialecte gefproeben, bie faft fo febr oon ein* anber bifferirten, wie unfere mobernen ©pracben, b. b- fo |ebr, baf) man fi(b gegenfeitig nicht oerftanb; wer nicht ber engeren gamiliengenoffenfcbaft angebörte mar ein geinb, er würbe ge* tobtet, wo man ihn fanb; bag £eben galt niebtg ober wenig;

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möglicbft Diele menfcfyltdje ©<bäbel Den erfdjlagenen feinten in bet £ütte ober in bem gemeinfatnen Skrfammlungßort beß ©orfel aufgubängen war ein ©folg unb eine @^re; ^errfdjte ftrenge ©flaDerei unb Stedjt über geben unb Sob bei bem (Singeinen gegenüber bem (Singeinen; bei bem S3au eineß ,£>aufeß mujjte man unter jeben $)fabl, auf bem ruljte, SJtenfcbenföpfe legen; wenn ber ,£>err ftarb warb tyrn ber JVopf beß ©flauen mit inß @rab gegeben13); Unfittlidjfeit unb Unmäfjigfeit, grud)tabtreibung14) unb übermäf)igeß Arbeiten ber grauen, neben jenem febon er* wähnten £inbernif} gur Skrmebrung ber SJtenfcben : bem Söbten beß geinbeß um in ben S3efij} feineö Äopfeß gu gelangen, liefen bie 23eoölferung nicht anwaebfen; feine Sßege aufser für SBilbe begehbare burdjgogen baß ganb; ©eeräuber Dom Sterben unb Dften oerbeerten bie ©tranbnieberlaffungen mit bebenflidjer Dtegel« mä&igfeit, führten bie Söeoölferung fort uub brangen tief inß ganb, ben geringen Sefifc gerftörenb unb jebe ©tabilität ber SBerljältniffe untergrabenb ; Drbmtng, Sitte unb Jf eufdjfyeit waren nur in ben bejdjeibenfteu Anfängen Dorbanben; bie Religion be* ftanb geroifjermaa&cu in einem glbnencultuß mit einem 2Buft Don Aberglauben furgum bie Sewoljner ber SJtinabaffa befanben fidj Dor 50 Sabren in jenem 3uftanbe, in welchem wir beute noch bie beibnijdjen SBewobnet Don Gentra!»(Selebeß, Don ^almabera, Don 9teu»@uinea unb bie Seroobner Dieter anberer ©egenben im oftinbifeben Sfrdji^el jeben.

9t un aber nabmen bie Beamten ber $anbel treibenben ,pot* länber bie 3ügel ber Siegierung ftraffer in bie Jpaub, unterftüfct Don einet gang geringen SDtilitärmacbt, bie mehr bureb moraliicbeß Uebergewicbt alß bureb faftifcbeß eine 3toDe fpielte. ©ie gwangen bie Söcwobner gute SBege angulegen, weldje bie entfernteren fünfte

ber jötinabaffa leicht oerbanbeu, fie regelten baß geben in ben

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Sörfern, unterftüljten bie Häuptlinge mit ihrer SDlatfct, übteu ©erichtßbarfeit au8, befristen bie Sinnen gegen bie Uebetgtiffe ber 9Jiäd)tigen, fchafften fpäter bie Sflaoerei ab, mehrten bie pc» riobifch wiebetfehrenben Seeräuber für immer, unb milderten bie Sitten auf bie uerfdjiebenfte SEÖeife. SlUeä biefeä traten fie nach bemfelben meifen 'Priucip, welches i^re Dbcr^errfdjaft über baS gange weite SReidj möglich machte unb macht, nämlich baf) fie burd) ben SORunb ber eingebornen Häupter regieren, währenb baS Bolf fidj felbft gu regieren wähnt. Sie führten bie Sftalapifche Sprache (sensu strictione) als Umgangs* unb SRegierungefprache ein, errichteten Schulen unb gwangen »er Slllem ben Silben gegen mäßiges Entgelt Plantagen angulegen, mit beren grüßten fie bie Speicher GuropaS bereicherten.

2>er Bulfanifdje fruchtbare Sieben ber bewohnten Hochebenen eignete fich befonberS gut Gaffeecultur unb ber Sebetn befannte SDtanabo=Gaffee' 5) (nach ber Hauptftabt bet 3Jiinahaffa benannt) bemeift noch heute bie SRidjtigfeit beS ©ebanfenS. Sie erften SSerfuche ben Gaffee bort gu bauen batiren in ben Beginn biefeö SahrhunbertS gurücf, boch erft feit ben gwangiger fahren würbe bet Stnbau rationell betrieben. Sieben Gaffee pflangte man Gacao, ber hauptfädjlich nach ben ^)^Uip>p>inifdhen Snfeln auSgeführt wirb ; SDiusfatnüffe, bie befonberS in SImerifa ihren Slbiafj finben; man »erfuchte ben Snbau, aber mit geringem Grfolge, non „93ianila= Hanf“, bort „Äoffo" genannt (Musa textilis); bie gabrifation »on Sauwerf auS „©umutu" (Arenga saccharifera); bie Gul» tuten Bon Sabaf, Seibe, Banille unb anberen 9>robucten, eS würben bie ^errlidbften, roh eßbaren fruchte auS anberen Sheileu beS SlrdjipelS eingeführt, Biehgucpt getrieben, sPferbegu<ht unter* ftüfct, neuerbingS Sanbwirthfchaftliche SluSftellungen Beranftaltet in einem SBorte man oerfuc^te unb nerfucht nach beften Ätäf»

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ten unb beftcm ©tfien au§ bem tterhanbenen (Elementen unb mit ben befcfjeibenen ÜRittel«, bic ben mit biefen Aufgaben 23etrauten gu ©ebote flehen, baS 18otf ber fKinahaffa auf eine lje^ere Stufe gu l)ebeu, ben €D?enfdjen Sicherheit beS (Eigentums, 2uft am (Erwerben unb miibere Sitten gu fdsenfen.

3u g!eid)er 3eit aber fam ber anbere gactor in» Spie!: baS SBirfctt ber c^riftlidjen fflRifftonäre. Sefcheiben anfangenb, aber mit bem energischen (EnthufiaSmuS ber ganatifer waren e3 guerft einige wenige £ollänber unb 3)cutfd)e, welche baS (Enangelium in jette ©egettben trugen, welche lehrten unb in £anbwerfen unterwiejen, Sittengejeße prebigten unb ihr gangeä geben bem Biele weihten „auö bev SBerbammniß oerfaUetrcn Reiben ber Selig* feit theilhaftige öhriften gu machen". £>ie jeßt bort weilenben 12 europäischen SOtiffionäre leiten mit Jpftlfe einer großen ISngabl inlänbijdher Unterweifer circa 125 Schulen, in benen jährlich circa 10,000 Äinber unterrichtet werben im gefen, Stechnen, Schreiben unb anberen elementaren ©ingen, im 9Jtalamjd)en unb ^otlänbifcheu. 3)ie SRijftonäte werben non ?9tiffion8gefeUfchaftett in ^sollanb unterhalten. 'Äußer biefen SRiffionbfchulen giebt noch eine große 3aßi »on bet fRegieruug unb ben ©ingeborenen felbft unterhaltene Schulen. Die füJtifftonäre taufen circa 5000 SRenfchen im 3aßre, fo baß non ben 100,000 (Einwohnern ber SRinaßaffa nur noch ein geringer Srudßheil he*bnifch ift, ltnb fie fdjließen circa 1000 (Ehen jährlich- Sie finb eö, welche bie SRenfdjen gu iReinlichfeit unb Drbnung anljalten, furgum, welche fie mit ©imlifation ubertiinchen unb fie in baö (J^riften* thum einftthrett.

©lücflicheicweife finb CE^rifteut^um unb (Eultur feine ©egen« fäße, unb fo arbeiteten fieß ^Regierung unb SERijfionäre in bie

<£>an be, nielfach chne eS 3“ wollen, jeber feinen eigenen SBeg

(m)

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13

getjenb unb jeber fid in erfter Sinie ben @rfolg Dinbicirenb. litt* Dermeiblidj fam eS gu Ungufömmlidfeiten, unter bencn bte, weide man begliicfen wollte, litten unb leiben, begrciflickrmeife mußte »on beiben ©eiten getappt werben, ehe man ben befferen 2Beg fanb unb finbet, aber wir fehen jebenfallS augenblicflid) baS SSolf ber fölinahaffa in einem fdnellercn (IntwidelungSgange begriffen wie weit unb wohin er führen wirb, bürfte jdwer a priori mit ©iderheit gu beftimmen fein. 25od befinben ftd bie SJtina* haffaet momentan feineSwegö in einer unglücflidjen Sage: SBe* wohnet eines oon bet 9tatur nach jeber Dlidtung h*n reidb be» badten ©obenS, ber leisten @rwerb gulcißt, gefieberte unb ftieb» liäje 3«ftänbe, unb viele Äöpfe beforgt, um circa 100,000 SJien« fden gu „cioiliftren" unb ihnen bie Sßoljldateu unierer Gultur

gugänglid ju maden.

25 in Söirflidfeit ©ieleS nidt fo auöfie^t, wie man fdeinen laffen mödte, wirb benjenigen, ber fid überhaupt um ben @ang menfdlidet 33inge befümmert hat, nidt SBunbet nehmen, ©ieüeidt wirb gu viel gefdulmeiftert unb nidt genug praftifd gelehrt com Sanbbau unb Jpanbwerf; mit ben Söohl* thaten ber Gultur bringt man jenen Sftaturfinbern aud ihre sJtadä deile, fie finb unferen Saftern leidster gugänglid als unjeren Stugenben, unb nehmen Unarten an, weide atlmählid Sehlem werben fönneu. Mein wer wollte biejen ©erfud, ein Dfaturcolf gu einem Gultumolf gu ergießen, mißbilligen, ober wer wollte gu wehren fuden, unb wer oor allem jähe nidt einem felden „(Syperiment" mit Sntereffe gu? ©iel mehr als ein foldeS ift eS nidt. £ier wädft augenblicflid nod SßidtS ober wenig oon innen heraus, fonbern 2lHeS wirb »on außen hineingetragen, ein weniger weijeS ©orgeßen non ©eiten ber gwei baS ffiolf bear* beitenben gaftoren unb ein felbftänbig erwadenbet unb nidt

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ftreng geleiteter SBolfßgeift fann bie Bemühungen een Sabrgebnten über ben Raufen werfen unb afleß ohne Stteifel geleiftete iHu» forifcb madben.

35a ft <b an<b 8ebrer unb ßeiter beß 33olfß feineßwegß einig unb ftar barüber finb, wobin fie baffelbe fübten werben, ba fie »ieDeidjt nicht Har barüber fein fönnen, inbem ftd) ebenfo wenig mit eiuem gangen Bolfe wie mit bem einzelnen Snbioibuum „ejcacte" Grperimente auf bem SBege ber ©rgiebung unb geiftigen ©ntwieflung anftetlen laffen, fo bat man wobl noch feinen ©runb mit „©tolg" auf baß, wag biß jefct gefcbel)en ift, gu feben, benn erft bie 3eit foü erweifen, ob auch etwaß fRecbteß geleiftet würbe, ob nicht baß Bolf, ftatt auf eine b^bere seiftige unb fittlicbe Stufe geführt gu werben, naebbem alle Urfprüngticbfeit beß SBefenß unb bamit baß @lücf beß üftaturmenfeben oetloren, ficb alß unfähig erweift, auf biefem SBege, ber feine ©ntwicfelung non innen b«auß war, »orguf freiten, unb bann auf bem SBege ber ,£>albbilbung flehen bleibt, oltne bie Äraft bebeutenbere ©teifter gu probuciren unb behaftet mit allen Reblern unb Baftern, welche £albbilbung geiftige unb fittlicbe ohne Leitung mit ficb führt, fölan febe auf »iele bet früheren fpanifeben Golonien in Slmerifa!

©inen unwiebetbringlicben 0^acf>tbeil aber führt biefe ©nt» wicfelung jebenfaüß mit ficf>, ein Siadhtheit, ber aKerbingß non nicht Bielen alß folcher erfannt wirb faft alle Urfprünglichfeit wirb oerwifebt; ber ©tbnologe muh bier fdfneU fein, faüß er noch etwaß etbaftben will non ber ©itte beß Bolfeß, faüß er noch »on ber ©pracbe, non ber Ueberlieferung, oon ber {Religion, »on ber fPoefie, oon bem <£>anbwerf beß fDienfcben ber SJiinabaffa fommen* ben ©efcbledjtern berichten foü. ©lücfticberweife fann gweierlei tTÖften: er ft lieb bet Umftanb, bah an anbeten ©teilen beß Slrcbipelß

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15

nodj ungegarte SBölferfchafteu in itjrer Urfprünglicbfeit beharren, SU benen bi» er leiue Stritte lenfen !ann, wenn et will, unb bet benen et in allet §üOe noch ju unterfucben ftnbet, wa8 ibm unterfudben8wertb erfcbeint, unb swat bei 58olf8ftämmen, welche benen ber SRinabaffa nad} oielen fRidjtungen bin nabe »erwanbt finb, unb sweitenä bet Umftanb, bah fowcbl IRegierungSbeamte al8 aud; 5Riffionäre feit Seginn mit einanber wetteiferten, nm 2lHe8, roa8 un8 non ben (Sigentbiimlicbfeiten be8 33olfe8 ber 9Rinabaffa intereffiren fönnte, aufgugeicbnen; unb fo ift fcenn bie Literatur16) übet biefe nörblicbfte ©pi^e oon (5elebe8 nicht anberS als eine febt bebentenbe gu nennen.

3tuS biefer gunbgrube fc±)öpfeit wir gur ©barafteriftif bet 23olf8art bie folgenben ©päne.

(Srgäblungen:

(58 war ecnmai eine grau, bie fRimba b*e§, unb ibt SRann bie§ SRumimpunu. ©ie batten feine Jfinber unb wohnten am ©tranbe. IRimba pflegte jeben 9Rorgen an bet Slufsmünbung Söaffet fd}6pfen unb ftet8 war fie bort allein gu biefem 3roecfe. Qcinntal jebocb, al8 fie wieber SSaffet fdjöpfen wollte, fab fie ein Ätofobil in ber ©ee. 2118 biefeS bie SRimba am ©tranbe erblicfte, fam e8 an8 8anb. SBäbtenb e8 an’8 8anb fam merfte JRimba aber, bah e8 fein Ärofobil ntebt war, fonbern ein üRann.

©er ÜRamt fragte Ofimba : „SBiUft Sn meine Stau werben?" fRimba antwortete: „©aS gebt nicht, benn ich bin »erbeiratbet." 2lbet ber fJRaun bat unb flehte bi8 fie nachgab, unb fo lebten fie mit einanber.

Einmal fagte ber SJiann: „SÖenn bu ein Äinb befommft nnb e8 ein Änabe ift, fo muh et JRumambi beihen*“ darauf

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ging et an bie ©ee ttub mürbe wieber ein Ärofobil. Siimba aber febrte gu ihrem Spanne gurücf.

9lacb 10 SRonaten befarn Sflimba einen ©ebn. 9iacb bet üblichen 3eit niuftte bemfclben ein 9lame gegeben merben, nnb ber ©ewofjnbeit gemäfj nerfammelten ftd) afle ©lutöoerwanblen gu biefem gefte. ©a§ ftrofobil war aud> gefommen mit nod> Bielen anbcren Ärofobilen unb fagte, baf) fie auch SlutgDerwanbte feien; fie batten aber alle bie ©eftalt Bon fERenfcben angenommen.

©amalS ronrbe greunbjcbaft gefcbloffen gwifcben IRumim* punu unb bent ÄTofobil, welches gu il)m gefagt batte, ba§ eS Äoiugotan bei fje.

2118 Äoingotan mit feinen ©enoffen gurüeffebreu wollte, fagte er gu Diumimpunu: „gveunb, wenn jRumambi grofs geworben ift, mu&t ©u ibm folgenbes mittbeilen unb er foH eS autb feinen Äinbern unb Äinbcßfinbern mittbeilen : SBenn Semaitb au8 feiner 9?a<hfommenfcbaft über bie SJlünbung irgenb eineg gluffeg fe£en wiH, braucht er nicht ängftlid? gu fein unb muf) nur rufen: „„ O ©rofjoater! forge für ©einen Gnfel!"“

©o gefdjab e§. SBenn 3emanb eine glufjmünbung, wo Ärofobile gewöhnlich häufen, überfebreiten wollte unb nur jene SBorte rief, fo fonnte er ohne Ütngft an ben ©tranb geben ober ben glufj burcbfdjroimmen.

©atutn fagt mau noch jefjt, wenn man ein Ärcfebil fiebt mit 4 3eben au ben güfcen, bafj ftetö ein Ärofobil gewefen fei, bat c8 aber 5, fo ift e$ ein Sibfömmling Bon Äoingotan, bent SJater Bon 9iumambi. 1 J)

Gin 9lffe wollte einmal über einen DKeereöarm gwifiben gwei Snfeln. Slbcr er fonnte nidjt, benn ba8 SBaffer war iebr tief, ©a fab er mebre Ütofobile, bie riefen: „2lffe, wir werben ©idj

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17

aufreffen!" „ÖJut", antwortete er, „aber t^r feib nicht genug um mich gan$ aufjufreffen, fyolt noch eure jfamerafcen gerbet." S)aö traten bie .f rofebile.

5)er Slfe jagte nun: „Stellt euch in eine SReifye »on einet Seite 511t anberen, itnb ich »erbe üälfen, ob ihr jejjt genug feib, um mich gan^ aitfjufreffen ober nod) nicht genug."

5)ie Ärofobile traten »ie ihnen geheifeen. Sefet hatte bet Slfe einen SBeg um über baö Sßiaffer 3U fommen. (Sr fng 3U 3äl}len an non bort, »0 er ftanb, bis an bie anbere Snfel; et ffsrang »en einem auf bag anbere unb jäljlte 1, 2, 3, 4 u. f. ». biß an ben lebten. SDann jprang er an6 Ufer, fab ftdj um, unb fagte: „Jpa ! fea! nun habe ich auf eud) 2We »ie auf meine Sflaoen getreten unb ihr »erbet mir nie mehr etwas anljabett Icnnen!"

(Sine Sdjilbfröte wufete baff einige 2tfen feljr böje unb nei* bifd) auf fte waren. Sie rief fie baljer eines 2age3 unb jagte: „SBenn eg eud) redjt ift, fo »ollen wir 3ufammen auf bet Sanb* ban! ^ifdjc fangen." Sehr vergnügt ging bie Schaar >3fen mit bet Sdjilbfrote nach bet Sanbbanf, benn pe »ufeten, bafe bie Scbilbfröte jeljr gut fftpen fonntc. 9118 fie aber an ben Straub lamen, jähen fie bafe et troefen gelaufen war.

2>ie Slfcn fragten bie Sdjilbfröte baljer, »ie fie SDtufdjeln fangen fönnten.

!Die Sdjilbfröte erflärte e8 ihnen unb jagte: „Sebet mufe fidj eine ofenfteljenbe SDfujt^el juchen. SBenn iljr Sille eine ge* funben habt, bann ruft cinanber ju unb fteeft ju gleidjer 3«t bie .£>anb 3»ifchen bie Schalen."

Sie folgten ber Sdjilbfröte uub fteeften 3U gleicher 3eit bie

XL 262. 2 (231)

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•gtänbe gwtfdjen bie ©dealen, aber bfe TOufdjeln jdjloffen unb Hemmten bie $änbe feft.

9tun fingen bie affen rot ©<bmer3 31t fe^reien unb beulen an, aber fennten nicht loSfommen. 3)aS äöaffer ftieg triebet, fie würben eon ben SBogen überflutbet unb ertranfcn alle, aber bie ©djilbfröte ging anS Sanb unb fagte: „9iun, ihr follt mich nicht trieber ärgern."

Smprooi firte ©efänge:

©efang einiger 3ünglinge, bie betrübt finb über baS SSeggeben eines frönen SJtäbcbenS.

£> ©tern con Sonfea, wo will ft bu ^inge^en? ITu rer* Iocfteft beine ©efpielen 3ur gröblicbleit; jefct baft 2onfea »erlaffen ; beine ©cfpielen finb ftill geworben, weil ber (eucbtenbe ©tern uutergegangen ift. ©ie ging nad) Äema, um nid)t 3U* rü^ufebren ; fte febrt nicht gutücf, weil fie auS Siebe bort* bin ging.

©efänge eines SWäbcbenS beffen ©eliebter fern ift.

1.

£> SSogel auf bem ©ifenbaum, giebibm SRad^rir^t; mir fehlt 9ti<btS; f<bon non fern erlennt fte ibrett gteunß; fie etfennt ibn an feinem langfamen ©ang unb b«t ib« lieb; aber ift er auch weit weg auS ihren äugen, jo b“t fie fein S3ilb bocb in ihrem ^ctgen.

2,

2BaS tljut mein 23erlobter oietieicht je^t? 5öieflei<bt unter* hält er fidb ober er fi|t ftiUe.

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19

SBie fern weilt ber ©egenftanb meinet ©ebanfen, in Weid)’ fernem £anb? Äel)re gurücf, bafj wir unS wiebetfeben.

SBenn ein Stenfd) wie ber SQMnb »orbeigebt, fo nehme id) Hinang auS meinem Stunb unb fenbe eS ihm.

SBäre id) ein Söget, id) würbe mid) auf baS £auS beS ©egenftanbeS meiner ©ebanfen fefjen.

9t cf), fönnte er bod) feine geliebte ©pielgenofjtn feben! 3dj bin gu fe^r betrübt, ba§ id) ihn nid)t feben fann.

3d> ge^e weinenb mitten auf bie ©trafse, aber id) febe il)n nicht.

3«h fann nicht mehr fdjlafen, fetbft mitten in ber Sacht benfe id) an unfer ©lücf.

©efang eines 3üngling§, beffen Bantilie gegen feine

^»eirath ift.

D SlutS»erwanbte unb ©Item, weigert euch nicht länger unb beutet eS nicht fdjted)t; für fte ift bie Beit ba; wiberfefjt euch baher nicht mehr; »erbietet eS nid)t länger, benn ihr werbet e8 hören, bafj er fte aud) gegen euer Setbot beiratbet.

©efänge »on Sünglingen unb Stäbchen, bie fidj lieben.

1.

3üngling. ©d)on als wir flein waren, ©eliebte, »er* fptachen wir, unS nie untreu gu werben.

Stäbchen. Seit 2Du mir ©eine Siebe »erfprochen, ba&e ich ntid) feinem Snbeten gugewenbet.

Süngling. Son bem Slugenblicf an als S5u gut 3Belt

2 * (9S3J

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20

famft, tjaft Su e8 mir angetan unb feitbem fyaben meine ©e* banfen Siet) nid?t oerlaffen.

SERäbdjen. betrüge midi) nidjt met)r, ©eliebter, benn meine ©ebanfen »eilen nur bei Sir.

3üngling. SDiein ©emüll) ift nur oon Sir eingenommen, benn felbft Seine 33er»anbten liebe id).

SJläbdjen. 2ludj meine ©ebanfen finb nur auf Sid) ge* richtet, benn felbft Seine SBerwanbten liebe id).

Süngling. ©id)er ift e8 fcfyön, un8 gufammen gu jet)en, benn Su bift fc^ön, ©eliebte; wie Diel mefjr alfo, »enn wir gufammen finb.

9)täbc^en. @8 ift befannt, bafj unfere Jpergen Bereinigt finb, ©eliebter, unb man fteljt mid) barauf an.

3üngling. ©djon feit einem 3al?r finb mir uerlobt.

SRäbdjen. 3n biefem Satyr »ollen wir un8 Derbin ben unb »arte icty auf Sid), ©eliebter, wenn Su mid) nidtyt ge« taufet tyaft.

3üngling. SBenn i d) an Sid) benfe, ©eliebte, unb ift e8 SJiitternadtyt, fann id) nic^t fttylafen.

SJläbdtyen. SBenn icty Sid) nidtyt erringe, ©eliebter, io gietye idty e8 Bor, eine Sungfrau 3U bleiben unb nidtyt <tu tyeirattyen.

Süngling. SBenn bie ©ntfctyeibung getroffen ift, »erbe idty Sir allein folgen, benn idty liebe Sid).

SSJläbctyen. SBenn Seine Sorte etyrlidty gemeint finb, @e* liebtet, jo folge icty Sir allein, benn icty liebe Sicty.

2.

3üngling. 3dty will bie alte Erinnerung an unfere Siebe erneuen, benn baburcty »erben wir uu8 Dereinen.

SDläbctyen. Scty glaube Seinen Sügen nidtyt metyr. ©cd

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21

idfy ©einen gügen nod) glauben? Ein Sinteret l)at fid) fdjon um mid> beworben.

Süngling. |>öre auf ©einen befannten ©pielfametab; wenn ©u micfy nodj lieb fyaft, fo freie idj ®id) fidjetlicf).

9Jiäbd)en. E8 ift traurig, ben befannten ©pielfamerab ju fefyen; er wirb geliebt, aber wag fott man t^un, wenn man nidjt meljr fann.

3üngling. SSJie fönnte id) bie Eebanfen an ©idj oer« treiben unb ©id) cergeffen? 3d) will bie Erinnerung an ®id) auglöfdjen, aber fie fommt immer wieber jum 93crfd»ein.

5Rabd)en. ®efje ©idj mit berjenigen in8 Einoernefymen, bie ©u fdjon umworben fyaft, benn aud) mir fyat fidj ein 2ln* berer genähert, ber midj umwirbt.

3iingling. 23ebenfe ©idj erft gut, ei )e ©u unfere 8lb= fpradje, bie wir jung getroffen, oergiffeft, bamit ©u fein Ee* reuen tjaft, wenn ©u einem änberen ©ein 58ort gegeben. .

Stäbchen, ©u jpridjft midj wieber an, aber ity benfe nicfjt meljr an ©id?, unb id? will bag alte 33etfpred;en nidjt erneuen.

Süngling. Slut^ id) .fyabe fc^on gebadjt, bafj bag, wag Wir un8 jung oerfprodien , nic^t gefdjefyen fann.

Sliäbdjen. S3on jefct an werbe id) ®ir nid)t mel)t glau* ben, benn ©u warft immer ein gügner.

3.

5Räbd)en. 3Benn id) an unfer fttifjereg Elücf benfe, werbe idj traurig.

Süngliug. SJlein Unrecht gegen ©id) Ijabe id) fcbon oft befannt. SSenn ©u jütnen willft, fo gürne bem, bet ©id) be= trogen Ijat.

(935)

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22

ÜJiabdjeu. ©u benfft nid)t mehr an unfer früheres ©lücf. Sich, ich bin immer betrübt, wenn id) an ©id) ben!e.

3üngling. ©eil ©u mich früher fdjledjt behanbelt haft, fo will id) ©einer Don jetjt an nidjt mehr benfen.

fDiäbchen. ©enn ©eine früheren ©efühle »ieberfehren, fo bin aud) ich wieber gut.

3üngliug. ©ie Siebe fommt bei ©einen ©orten, unb bähet wenben fi<h meine ©ebanfen ©ir wieber ju.

Sftabchen. ©enn ©eine ©orte wahr finb, ©eliebter, fo braune id) non je£t au feine £erj)'d)mergen mehr ju haben.

Süngling. ©einenb fc^neifccft ©u bie fpinangnufc ent* jtoei, »eine nicht mehr, benn nur ©idj »erbe ich nehmen.

3Jtäbcben. ©ine junge ^inangnufj »erbe ich für ©ich entjmei fdjneiben, junger ©eliebter. ©ie junge 9)inangnufj werbe ich entzwei fdjneiben, benn ©ich liebe ich-

3üngling. ©teefe ein ©tüd ber jungen §>inangnu§, bie ©u entzwei gefchnitten ha ft, in meinen SJtunb unb meine @e* fühle werben ftetö bei ©ir fein.

©p techweifen:

©aä SDteffer ift gut, aber ber ©til ift fchlecht. ©aö h«&t: ber «Btann wiü fleißig fein, aber feine faule jfrau ^inbert ihn batan.

©r wirb non einem bürren 3»eig feftgehalten. ©a§ heiftt : ber gteie ift mit einer ©flaoin oerheirathet.

©ie ©tim ift nod) weih- ©a$ heifet : SJtan beftjjt für ©t»a$ nodj nicht bie nötige Äenntnijj.

©t ift unglücfti<her»eife inS äuge geftcchen. ©aS he*§t: ©r hat auf feinem ©ege eine ©dränge, eine 5Jtau$ gefehen ober

(93«)

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23

•eiuen S3ogel rufen fyören eg bedeutet Unglücf, er mufj gurücf* feeren, weil bie Solange, bie SOiauö, ber 23ogeI il)n ing 'Äuge gefielen Ijat.

3d) gefye erft haben. ©a8 fyeifjt 3. 23.: 3d& gelje fifcfyen. Äug Äberglauben oerfdjweigt man bie Äbfidjt.

3dj gelje erft ben 23a[t con einem 23aum gu einem Äopf» tudfy abftreifen. 5)ag tyeißt 3. 23.: 3dl) geije ein 9iei8felb beat= beiten; el)e ber ^rieftet bieg nie^t erlaubt Ijatte, wagte mau eg nidjt gu fagen, gewiffetmaafjen gu „berufen."

@r fyat glügel. ©ag Ijeifjt: Sr fann nirgenb lange aug* galten.

Simmerlaug. @0 fyeifjt Semanb ber ang Jpaug gefeffelt ift.

©ag ©orf ift fefyr Ijeijj. @0 fagt man oon einem ©otfe, in welchem eg »iele Äranfe giebt ober in bem »iele Siftmifdjet wohnen.

©u bift ein Sötann, wenn tdj überwwtben werbe.

SDenfe, efye ©u fpridjft, benn ber 9)funb fyat Seine.

SRattyiel.

3wei ©djweftern tyaben ftd) innig lieb; wo Sine tyingefyt, gelten beibe Ijin; geljen fie audj weit weg, wenn fie gurücffeljren, finb fie nitfjt mfibe. ©ie Äugen.

Sin Heiner ©ee ift umftanben oon einet großen 3al}l Sifd^et ; eg ift nidjt gu gälten, wie oft fie auftjoleu, aber feiner fängt Bifdfje in biefem ©ee. ©ie Äugen.

Sin ©tücf Jpolg, bag eine antere gorm fyat alg anbere8

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24

£d3; wenn 2Burgel fdjlägt, fo ^at feine Blätter, unb bat Blätter, fo festen itjm bie Sßurjeln. @in ©ebijf.

©ib.

3dj bitte um fÄufmerffamfeit 10 fötal, 100 fötal, 1000 fötal, 9 fötal. 3di bin ber, meiner ben ©peer unb baß ©d)wert in ben Beben fteefen foD. 3d) fpredje feine Unwahrheit mehr. 3<$ bin nidjt frumm unb blinb (in geige non gügen). fJtidjt ohne @runb Ijabc id) baß 9ted?t ben ©peer unb baß ©djwert in ben Beben gu fteefen, benn ich bin ber Slbfömmling oon jenen, weldse ©peere unb Schwerter wie biefe in ben Beben geftedt haben, fötein Bcrfaljr ©iwi ift ber ©ibgeneffe een SBenfar ju Äali, jur Seit alß bie Bunbeßgenoffen bert ben 6ib ablegten. 3U8 mein ©refjeater ©imi beti ©peer in ben Beben fteefte, bewegte fid) bie ©rbe unb alß SBenfar baß ©cbwert in ben Beben fteefte fuljr ein Bli^ftral)! Ijernieber. SDeßbalb fürchte ich mid? nicht ben ©peer in ben Beben ju ftedfen unb über bie freujweije ge* legten SBaffen 311 febreiten, e SBailan! 3d) werbe ben tapferen öteringfeepang anrufen, benn in feinem ©ruub fann man noch bie 3eidjen t>on bem oielfältigen ©teefen ber ©peere unb $wci* fdjneibigen ©djwerter fe^en, alß unfere Berfabren beu @ib ab» legten. 3eb rufe aud) ben tapferen fötuntuuntu an, benn auf feinem ©runb b“Kcri unfere Bäter ben @ib abgelegt unb bie ©peere unb jweifd)neibigen «Schwerter in ben Boben gefteeft. Äommt, la^t unß ^ujammen ben ©peer unb baß jweijdjneibige ©tbwert iu ben Boben fteefen.

äßet nun unter biefen bie llnwat)tbeit fpriebt wirb Per» wuubet ebenfo tief wie ber ©peer uub baß ©djwert in ben Boben geben, unb er wirb geftoeben Pon bem ©teebenben, geflogen pcn.

(938)

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25

bem ©tojjenben, gebaeft »on bem ^acfcnbett, gebrücft non bem 2)rüefenben, o SBailan! 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9! D SBailan!

(3efct werben ©peer unb ©ebwert freugweife tief in ben 33 oben geftecft).

3eb bitte um sKufmerffamfeit 10 9Jtal, 100 SJtal 1000 9M 9 SDRaL 3<b bin berjenige welcher über ©peer unb ©ebwert jebreiten foO. 3<b fprec^e feine Unwahrheit mehr, ich bin ni<bt frumm unb blinb (in ^olge oon Bügen). Siicbt ohne ©runb habe id) ba§ 9te<bt über Speer unb ©ebwert gu jebreiten, benn ieb bin ber eebte Slbfömmling oon benen, welebe über ©peere unb ©ebwerter gefehlten finb. SDRein SOcrfatjr ©iwi ijt ber ©ibgenoffe »on SBonfar, alg bie 33 unbeögen offen gu Äali ben (Sib ablegten, ©eebalb fürebte ieb nrdjt über ©peer unb ©ebwert gu jdjreiten, benn ieb bin alt geworben unb glüeflieb, (weil ich feine Unwahrheit jpreebe) o SBailan! 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9! o SBailan!

(3e£t febreitet ber 33etreffenbe 3 Sltal über bie SBaffert).

23on jejjt an, ©ibgenofje, jprieb nicht mehr jdjteebt über mxij.

©otteggeriebt.

^Derjenige non 3weien, welker am längften unter SBaffer bleiben fann wirb al8 jcbulbloß angejeben. 33ei biejem SSorgang jpriebt man folgenDeö:

JD SBailan, befebirmenbet Slettefter! 33ejcbirmer ber ÜJtitge« nojjen, ihre (b. b- berer, welebe bie $>rebe befteben feilen) Sie» febirmer! Slutb ihr 23ejcbirmer biejet ©ewäfjer, ihr habt bort bie Beineroanb unb bie ©efebenfe, auf welebe it)r alö Sejebirmer auf ©rben unb bort oben iHnjprueb maebt. 2>u cot Stilen SBailan, SRuntuuntu unb 3toringfeepang, bie ihr ba§ Äleine unb ba8

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26

©rofce gufammenbringt, unb wäre es in bet Siefe beö fDieetel »erborgen, Ijinbert ben unter biefen ^erfonen, welker ber 2üge bieut, uub »ermefyrt ben Sltbem beffen, ber bie ©aljrbeit liebt, benn bem 2lufrid)tigen gel)t wie bem ftnfenben Stein. 8a§ ben »on beiben, ber bet 2üge bient, fdjnell nad? oben treiben, wie ben ©abbagabba (Stippe eines ißalmblatteä), o ©ailan! 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9! £) ©ailan!

(9tun wirb Stein unb 23lattrippe inö ©affet geworfen unb bie 9>robe getjt »or fidj).

2)ie ©ntftefyuugSgefcfyidjte biefeö ®otte8urtl}eil£> wirb fol* genbermaafeen überliefert:

ÜJtcifter goljc ging einmal auf bie ©ilbfdjweinjagb jufammen mit feinen ©enoffen SJtafala, Senbu! unb ©ola unb feinem Sflaoen Sintingon. @8 würbe ein ^Ubbactj gebaut um bie beften Stüde Steifd} gu trodnen unb aufgubewaljren unb ber Sflaoe Ijatte bie Üluffidjt. Stäubern in lurger Seit uiele Schweine er* legt worben waren, fal) 80I50 einmal nadj bem Slufbewaferteu unb fanb fefyt wenig »or. Sefyr böfe befdjulbigte er ben Sflaoen al8 ben SDieb, bodj biefer [teilte eg Ijartnäcfig in ätbrebe.

heftig erzürnt wollte ber Jperr ifyn ermorben, aber feine ®e* noffen, bie e8 »erübt Ratten, bulbeten e8 nidjt unb überrebeten iljn nadl? furger 33eratl)fd)lagung, bie Sad^e burd) eine ^robe gwifdjen ifyrn unb feinem Sflaoen auögumadjen. Sie begaben fidf} an ben §luf?, unb nadjbem bie nottywenbigen SSorbereitungen getroffen worben waren, proponirte ©ola, baff £oljo nnb Sin* tingon beibe in8 ©affer gefeit feilten, um unterjutaudjen, unb baff bann berjetiige, welcher am längften unter ©affer bleiben fönnte, ber llnfdjulbige fei. 3uerft weigerte 8ofyo fid) bie $>robe anguneljmen, ba er e8 mit feiner ©ürbe nidljt für »ereinbar Ijielt mit bem Sflaoeu gufammen in0 ©affer ju !geljen. Seine ®e* (»«)

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noffen aber überrebeten ihn, unb er fe^te ju gleicher 3cit mit Sintingon ben rechten Bujj in§ SBaffer. Sa würbe aber bie grofee 3el)e Soho’S fo Den einem üreb» geswicft, baf} er erjchrecft feinen guf) jurücfyog. Unangenehm berührt hietburch fdjlug er Der nochmals ju beginnen uub ftatt feineö rechten $ufce8 ba8 (Sube feiner 8ange in8 SBaffer ju fteefen. ÜJlan geftattete eS ihm, aber als er bie £an$e im SBaffer hi«lt, fchnellte ein SBilbfchwein plöfclich fe nahe an U)m oorbei, bafj er unwillfürlich bie SSBaffe aufheb unb nach bem (Schwein ftach, ehe ber ©flaue Sinttngon ftd) gerührt hatte. 5Rach biejer unwiberleglichen §)robe fam mau überein, ben ©flauen uufdjulbig $u erflären unb frei $u laffen.

„©eit bem (nach *>er ©efdjlechtSrechnung noch nicht 500 3ahr) batirt ber ©ebrauch ber SBaff erprobe."

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28

2(nmcrfunßcn.

1) 3>cwe8 2)effcr, ber unter bem Flamen „Sltultatuli" ba8 Snf» fehen erregenbe unb 5!luffe^«t tcrbicncnbc ©ud>: .Max Havelaar of the Koffie-Veilingen der Nederlandsche Handelsmaatscbappij“ unb fpäter nieleö Stnbere (Ideen, Minnebrieven u. a. m.) fdjrieb, wag in ber mobernen nieberlänfcifcben Literatur einjig baftel)t. 3n „Max Have- laar“ wirb bic ©ebrücfung bcr Saoancn nad) Selbftertebtent be8 i>er- fafferß gefd|ilbert. SSäljrenb eine englifdjc unb frangöfifdjc llebcqe^ung biefeß merftrürbigen unb im boebften @rabe beaebtenßwertben ©uebe* eyiftirt, fehlt leiber noch eine beutle.

2) 3<b »erließ int Satire 1H70 Suropa auf einem Segetjcbiff unb fntr um ba8 (£ap ber guten Hoffnung nach Sana, oermeilte ein Sabr auf ber 3nfel (lelebeß, befuebte bann bie 'Philippinijcbcn 3nfetn unb im Sabre 1873 3tcu.©uinca, ncrblicb non Stuftralien.

3) SÖtan muß Sumatra, ©ornco, 6elebc8 auSfprccben , nicht Sumatra, ©orneo, öelcbeS, wie meift gelehrt wirb. (f8 ift neuerbingS nen gjerrn Stiebet, einem auSgcjeicbnetcn .Kenner ber Sterbbälfte oen (felebcß, ucrgejdjlagen werben, ,Sclces", mit S, ju febreiben, weil baß 2Bcrt abjuleiten fei nun „sula besi“, b. i. ©ifeninfet, unb c8 ift biefer ©orfdjlag ton einigen Scbriftfteflern acceptirt worben. 3Utein im tDcutfcben würbe man baß „s“ am ©cginn bc8 ®ortc6 meid} außjpredjcn, walfrcnb c8 l>art außgefproeben werben jott. Ülm riebtigften ftbriebe man c8 im £eut|d;en baffer tiefieidjt mit 9, allein ba biefeß ungebräucblicb unb ba (Sclebcß feit bangem töürgerred;t erwerben bat, fe halte i<b e8 nicht für geboten, baoon abjugeljen.

4) Siefe merfwürbig geftaltetc Snfel l;eißt ^>almal;era , nicht (Gilelo, wie cielfacb auf .Karten $u lefen ift. @ilolo (3)jd)ilele ju fpreeben) ift nur rin SMftrift auf £atmabera.

5) Sietie 3t. St. SBallace: SDer tDIalapifcbe Strchipel. ©b. L .Karte jur phbfifchen (Geographie. (Scutjcbe 31u8gabe.)

6) 2>ie bauptfäcblichlten nnb: ber Älabat, ganj im Sterben, 6377 Sufj hoch, bcr Saputan, 5791 Sug ho^'f ber 2cfon, 5090 gujj, bie dua sudara (2 ©rüber) 4260 §ujj hct^r ^cr (Snipcng je.

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29

7) perr Stietel ßat torgefcplagen, ÜJtinapafa, mit einem „f", ju fepreiben, Per Ableitung wegen ton esa, eins, allein in biefem Salle würbe man baS f im Scutfcpen weiep auSfprecpen, währenb eS fdjarf auSgcfprocpen werben foß; eS entfpriept bem beutfepen jj.

8) (§S peigt /Papua" unb nicht .püpüa", wie meift gejagt wirb, ton bem SJialagifcpen papüwah (fiepe u. 31. Favre, Dictionuaire Malais- francais, II. S. 110 unb Marsden Diet. of the Malayan Language S. 226), auep pert man ton SJtalapen, unb biefe ftnb tjier maafjgebenb, nie Papim, fenbern nur papüa. Sie peflänber jc^reiben Papoea, bie granjofen Papoua.

9) Siepe meine Slbpanblungen: .Slntpropologifcpe SJtittPeilungen über bie papuafi ton 9teu*@uinea. Sleugerer pppfifeper pabituS*, in SJtittpeilungen ber Slntpropclogifcpen ©efeflfepaft ju SBien 1874, .lieber bie IDtafoor'fcpe unb einige anbere papua Sprachen auf 9leu*©uinea* in SipungSber. ber !. f Ülfabemie ber SBiffenfcp. ju SBien 1874; „stetigen über ©lauben unb Sitten ber papuaS* in SJtittp. b. ®ej. für ©rbfunbe ju SreSben 1875; unb .lieber 135 Papua* Scpäbel" in SJtittpeilungen aus bem Ägl. joclogijcbcn DJinjeum ju SreSben. peft I. 1875.

10) SBallace (I. c.) legt bie ©renjlinie jwifepen biefen jwei ßJienfcpenracen cftlicfj ton GelcbeS, wäprenb bie ©renjlinie jwifepen ber inbomalapifcpen unb auftromalapijcpen SStjicrwelt weftlicb ton GelebeS terläuft. Siefer Umftanb giebt GelebeS eine intereffantc Sonberftellung.

11) ©erlaub giebt auf ber Harte ju SBaip’ ,3lntpropologie ber Staturtölfer* (33b. V. peft 1, Malaien) auf ber norbofilicpen palb* infcl ton GelebeS PapuaS an, icp fennte jeboep im SEepte niept finben, auf raelcpe Slutorität pin. ©erabe biefe 9lngabe pat mich teranlafjt, über baS Saorfommen ton PapuaS an jener Stelle nacpjufpüren , allein icp fanb auep niept ben leifeften pofttiten Slnpaltepunft jur IKecptferti* gung biefer Slnnapmc.

12) 3n ber Stdpe beS ca. 2000 §uj) poep liegenben großen See’S ton Scnbano faßen bie peßen unb oft auep naep unferem ©efepmaefe fepönen ©efupter, befonberS ber grauen, auf. Saß niept etwa bie p6pe über bem PteereSfpiegel eine Slbbleicpung ber bunfleren .pautfarbe be* binge, beweift baS bunfel gebliebene Golorit anberer unter äpnlicpen Iler* pälhiiffen lebenber Stämme. 3cp toiQ jenes jeboep nur ganj ter* mutpungSweife auSfprecpen unb 5 war befonberS beSpalb, weil an anberen

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Orten te$ (HrcbipelS gerate bic 2lbfömmlinge her portugiefen auffaflen- berweife fchwär^er finb als bic übrigen ©ingeborenen.

13) 91 ur allmählich »edieren fiep bie alten ©ebräuepe; noch wäh* rent meines 'iiufcntbalteS in ©anabo (1871) j<heuten fiep meine (Diener im -Tunfetn aflein auSjugepen, als einige ©eilen »on ba ein hercorragen- berer ©ann geftorben war. Sic fürchteten, man werbe fie tobten, nm ihren ,lfcpf jenem mit in'S ©rab $u legen. SiefeS ftepfabfcplagen ge» j (hiebt nur pintcrrücfS, aus bem Serftecf. £cr ©erber ftürgt fiep auf ben 9ticptS Slpnenten unb jeber Äopf ift iptn recht, Ob jene gurept bamalä noch eine begrünbete war, fonnte ich nicht eruiren, aber jeben» faßs war fie »orpanben, wenn man es auch an Ort unb ©tefle ungern wahr haben Wüßte, ©o pat ftcb noch ©ancpeS erhalten ober jepwinbet Iangfam, wie Opfer an bie ©ötter ober ©eifter trop beS SefenntnijTeS ber chriftlichen SKeligion, wie »ielfältiger 'Aberglauben, ber fiep ja auch bei unS in reichem ©aafje aus peibnifeper 3eit erhalten pat, wie eine ©enge anberer ©ebräuepe, bie »er ber Kultur fcpwinben. Unter (Un- terem finbet man noch jept in einigen SDiftricten ber ©inapaffa (paffan, SRatapan), wie fürjlicp §err ©ilfen befannt gemacht pat (Tijdschrift vor Indische taal-, land- en volkenkunde. XXI. ©. 374, 1874), tie ©ittc, ben menftplicpen ©cpäbel fünftlicp ju beformiren. „©6 ge» fepiept ungefähr eine ©oepe nach ber ©eburt. ©an binbet ein mit 2cinenlappen umwicfelteS Srettcpen mit Sänbern feft gegen bie ©tint. Seben ©orgen, wenn baS Äinb gebabet wirb, löft man eS auf furje 3eit. SDaS wirb ungefähr fünfzig bis fecpjig Sage fortgefept. früher war eS ein Sorrecpt beS SlbelS; jept aber ift bie ©itte wenigftenS bei bem popen Abel abgefommen unb allmählich auf ben gewöhnlichen Sauer übergegangen, bei bem fie heute noep jientlicp aßgemein auSgeübt wirb.* ©8 war mir baS wäprenb meines Aufenthaltes in ber ©inapaffa niept befannt geworben, unb icp pielt baper baS juerft »on perm SRiebel gemelbete Sorfommen einer äpnlicpen ©itte in bem jübweftlicp »on ber ©inapaffa gelegenen Siftricte Suol (1. c. XVIII. ©. 196, 1872 unb 3eitfcprift für ©tpnologie, III. ©. 110, 1871) für eine »ereinjelte unb lofale ©rjepeinung" unb »ermutpete, ,ba§ eS fiep pier um eine ©in» wanberung panbele, »ießeiept »on ben Philippinen per, »on wo biefer ©ebrauep fepon befannt geworben ift, um ein jufäßigeS Serfcplagen, wie cS fepr oft im ganjen Arcpipcl »orfommt, unb ba§ eine Samitie »ießeiept nur tiefen Sraucp beibepalten pabe unb auSübe.* (3ritjcpr.

(SU)

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für (Sinologie, 1872, IV. S. 203). Stucb Herr SRiebel f;ie!t bie Sitte nic^t für eine fytimifcf'e, er jagte (1. c.): „Eiefe ©ewobnlieit ift pofttio nicht auf 9lorb*©eIebeä urjprünglich, jonbern eingeführt", benn er fanb fie nicht bei ben „primitioen (Sinwanberern unb jeßigen Haupt* ftämmen", jonbern nur bei ben »fpäter angefommenen Setooljnern* eini» ger Sanbjcbaften. Sitlein nach ber oben gegebenen fJJlittfyeilung bc$ 4>rn. SBilfen ^anbclt Jicf? bod) wohl um eine einheimifche Sitte, wcnigftenS in jo fern, a(3 wir eine frühere ÖeOolferung biejer ©egenben nic^t fennen. 3d? ha^e auth für nicht untraftrjdjcinlicb, baß man bei ge> jebieftem unb jehneflen fJtachjpüren ?(cl)nlicbeS notb an anberen Orten ber -öiinabafja auffinben wirb; erwäcbft außerbem bie Stufgabe, auf anberen 3"jeln beö fUlalapifcben 9lrchipcl8 biejer Sache genau nach* jugeben. CSS jebeint fref) hier um eine über bie gange (5rbe oerbreitete Sitte ju banbeln, welche bie oeri^iebenften i'ölfet unabhängig oon ein* anber unb jelbjtänbig außbilbetcn.

14) 91ocb jeßt cultieiren bie meiften grauen im ©arten am Haufe bie ju biejeni 3wecfe gebräuchlichen $)flanjen.

15) ©3 hc'fjt richtiger ÜJlanabo, nidjt SJlenabo, wie oielfacb ge* jehrieben wirb.

16) Sie befinbet fich Ijauptjäc^Iidj in hoHänbijchen, jurn Xheil in Snbien jelbft (3aoa) gebrueften 3eitfchriften, oon benen als bie ^er»cr- ragenberen bie folgenben ju nennen wären:

Tijdschrift voor Nederlandsch Indie.

Tijdschrift yoor Indische taal-, land- en volkenkunde.

Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie.

Bijdragen tot de Indische taal, land en volkenkunde van Ned. Ind.

Geneeskundig Tijdschrift vor Nederlandsch Indie.

Tijdschrift voor Nijverheid en landbouw in Nederlandsch Indie.

Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap van Künsten

en Wetenschappen.

Mededeelingen van wege het Nederl. Zendelinggenootschap

u. a. m.

17) Sßefanntlid) ha^en •Ktofobilc an ben SBorberfüßen 5, an ben Hinterfüßen 4 3chcn*

(944)

!Tru<f ten (j&efcr. Unger (Ufy (iJrimm) in ttolin, 2<$ön«fcergtrftra|e 17a«

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ßtffitig’si

kr

Vertrag

»on

froftat,

@pmnaflal>S)ir(ctor.

üerlin SW. 1876.

93 erlag Don @arl £abel.

(£. iß. l'nbiriti’sdit ItirlagsbndjbanMang.)

33. S!i[(rlm-£trj§e 33.

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35nl SRccfet btt Uebtrfcfcung tn htmbt ©pradjen wirb corbffyalttn.

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bet beutfdjen gitteratur bie oerjchiebenfte unb oft gerabep ent« gegengefehte ^Beurteilung erfahren. ©enn währenb bie einen ihn alb eine Sirt weltlichen (Snangeliumb unb ballet alb ein SBolfbbuch iw« beften Sinne beb SBorteb betrauten, jehen bie anberen in ihm eine ,£>erab}ehung beb chriftlichen Qjfaubenb unb fud)eit bie gectüre bebfelben foniel alb möglich ju befchränfen. ©er ©runb für biete ÜJiannigfaltigfeit bet Anfid>ten liegt gum ©^eil in bet reli» giöfen ©enbeng beb Stücfeb, bie bei ben einen eben fo Diel Spmpa« tbie alb bei ben anberen Antipathie etwecft, jum ©h*ü «bet auch «« bet SSetfdjiebenheit bet ©efichtdpunfte, beb teligiöfen ober beb äftbetifdjen, Dcn benen aub bet 9tathan behaftet wirb. 3d> fdhirfe gleich toraub, bah «<b benfelben oon theologifchem Stanb» punfte aub betrachten will unb bah bab ©rama, meiner Meinung nach, wenn eb richtig gewürbigt werben foQ, auch aßrin oon biefem Stanbpunft aub betrachtet werben muh. in äfthe»

tifcher ^jinficht bietet eb fo niete Schwächen, bah f«<h bie Ab« neigung Scpillet’b, bet nur ton biefem ©efidjtbpunfte aubging, gegen unfer Stücf wohl erflären läht1): Unleugbar fchlechte unb mangelhafte SBerfe, eine 33orfabel, bie fo aubgebehnt ift wie in feinem anbeten ©rama unfetet gitteratur, unb Unwahrfcheinlich»

feiten, welche aud) bem blöbeften Auge aujfallen unb einleuchten

XI. »6.1. 1* (9I9)

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muffen, ©alabin begnabigt einen Tempelherrn wegen einer flüchtig wahrgenommenen Aehnlidjfeit mit feinem oerfchotlenett ©ruber Affab, ein ©reigniff, weites fRathan felbft als ein SBunber unb gwar als ein nicht geringes bezeichnet, Nathan nimmt eine Daja gut Gfrgieherin fRedjaS, bie jeben Augenblid bemüht ift Unfraut gu fäen unter ben ebeln, non iRathan in SiechaS ©eele auSgeftreuten ©aamen, bet Tempelherr entbrennt plofflich unb ohne baff ber Didier eine SRotioirung gegeben hätte, in Siebe gu feiner ©chwefter unb ber Patriarch gar braucht ben Älofterbruber ©onaffbeS als Söerfgeug gur Ausführung feinet nieberträchtigen $>!üne U nwahrfcbeinlicbfeiten welche ffdj leicht noch um baS hoppelte 5Raff oermehreu lieffen.1) SBie aber wenn ber Dichter biefe fehlet, felbft bie flechten 93er fe *) beabpchtigt hatte unb wenn ftd) biefelben bei richtiger ^Betrachtung als eben fo niete ©orgüge erweifen? Denn non theologifdjem, ober richtiger oon religiöfem ©efidhtSpunfte aus muff ber fRathaubeurtheilt werben, weil et felbft bie ©chlufffdjrift beS ©treiteS bilbet, in welchen Sefflng burdj bie Verausgabe ber fogenannten ©olfenbüttler Fragmente mit bem Vauptpaftor ©oege in Vantburg geraden war.4) @8 würbe gu weit führen, wollte ich auf ben ©egenftanb biefeS ©treiteS naher eingehen, ber für bie ©ntwidelung unferer Theo» logie non funbamentaler ©ebeutung ift4); Iper genügt bie 8e= merfung, baff Sefftng befchulbigt worben war ft<h burch bie Verausgabe ber Fragmente als einen $einb beS ©hnffenthumS, ja ber ^Religion überhaupt erwiefeu gu haben. Auf ©oegeS ©e* trieb ber (Senfurfreiheit beraubt unb an ber gortfeffnng beS ©treiteS gehinbert nerfudpe er eS, wie er felbft ftdh auSbrücft, auf feiner alten Mangel, bem Theater, gu prebigen, unb fo entftanb 1779 ber fRatffan, bie gtangenbfte ^Rechtfertigung beS Dichters unb ein ner* nichtenber ©dffag für feinen ©egner.

9BaS ift baS eigentliche SBefen ber SReligion unb wie »erhält

(950)

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ftd) gu bemfelben bte oerfchiebene ©laubenöform bet eingelnen ©efenntniffe? ©iefe Stage bilbet ben 9Rittelpunft unfereö ©tama unb wirb in ber befannten Parabel oon ben brei {Ringen beantwortet. ©ie {Religion gleißt einem Swinge unb gwar einem {Ringe, bet bie Äraft befifjt cot ©ott unb 9Renfdben angenehm gu machen; fagen wir alfo: bie {Religion ift eine Äraft. ©ie SBitfung einer jeben Äraft aber bängt oon gewiffen ©ebingungen ab unb wirb unter Umftönben paralpfirt burd? ben SBiberftanb, welchen fte ftnbet. ©aber äußert bie {Religion, ber wahre {Ring, feine Äraft nicht bei jebem, fonbern erforbert eine ©ebingung: ben ©tauben ober bie 3uoerficbt, benn ber {Ring b<*tte bie ge* beime Äraft cot ©ott unb fOtenfcben angenehm gu machen, wer in biefer 3uoerficbt ihn trog- Seblt biefe 3u»erfidjt, fo ift ber SFting ein bloßer 3'erratb, ein äußerer ©efif* unb wirf et nur gutucf unb nicht nach aufjen. ©ie Äraft ber {Religion ober beö SRingeS äufjert ficb nicht mechanifcb, fonberu bpnamifd) unb et* fcrbert ein ÜRitwirfen oon ©eiten beö SRenfdjen, eine innere Stbätigfeit beSfelben, benn eS ftrebe jeber

„©ie Ärart beß Steine in feinem {Ring an Sag ,3u legen! Äemme biefer Äraft mit Sanftmutb „2Rit berjlicber ©erträglichfeit, mit ©obltbun,

„9Jlit innigfter Srgetentjeit in ©ott ,3u £ilfl“)

©ie {Religion ift alfo eine Äraft, welche bie SRitwirfung beS 9Renfchen berauSforbert unb fid? in bereiter SBeife äußert: in unferm ©erbältnifj gu ©ott unb in unjerm ©erbältnifs gum {Rachften. ©rgebung in ©ott unb Siebe gum {Räcbften: bartn geigt fid) baS wahre SBefen unb bie rechte Äraft ber {Religion, unb baö ift eS, waö bem innerften Äern nach allen {Religionen gemeinfam ift. ©enn alle oerlangen oon unS ©elbftoerleugnung ©ott unb Siebe ben ÜRenfchen gegenüber unb unterfcheiben fidb

(Sil)

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6

nur in bem ©rabe unb in ber fHrt unb SBeife, wie fte beibefi »on unö fotbern, unb hiernach benimmt fich auch ba8 fRang»er* haltnife ber ^Religionen, um welche« eS fld> in 8efftng© fRathan fdjeinbar, aber auch nur i^einbat hanbelt. SDenn e8 fönnte feinen größeren Srrtfyum geben, al8 ben ©lauben, Seffing habe in feinem sRatban ben 38lnm, ba0 3ubenthum unb ba8 (Sänften* tbutn raiteinanber Dergleichen unb bie brei ^Religionen nach ihrem 2Berth»erhültni§ beurtheilen wollen. 23are e8 f(hon an unb für fid? unglaublich, bafc geffing hinüber überhaupt hätte jweifelhaft fein ober feine gefer in ßweifel glauben fönnen, fo fpricbt ba« gegen eoibent ber Umftanb, ba§ jwar ©alabin ein SRahomebaner, *Rathan ein 3ube unb ber Patriarch ein Ghüft, aber feiner »on biefen breien ein eigentlicher Vertreter unb SRepräientant feiner fReligion ift. ©0 hat feineu guten ©runb, weshalb geffing ge» rabe ben $>atriarchen jum ©h^iffe» unb fRatljan jum 3uben ge* macht hat, einen ©runb, auf welchen ich fpäter jurücffommen Werbe, aber thöricht ift e8, geifing ben fBorwurf ju machen, al8 habe er ba8 C5hr*f*entf)l*m gegen ba8 3ubentl)um ober gar gegen ben 38lam herabfefjen wollen.

©8 hanbelt fich nämlid) in unferem 2>rama nicht blöd um ba8 SSÖefen ber ^Religion, fonbern auch um ba8 SBerhältnifj bet SRenfchen ju bemfelben. 35ie fReligion ift, wie wir gefehen haben, eine Äraft, welche ftd) in boppelter Segiehung, auf ©ott unb auf bie 9Renfd)en äußert, aber nur bann üufeert, wenn ihr im 3nnern be6 9Renj<hen ein 3ug entgegen fommt. SBit haben ferner behauptet, bafj jwifchen ben einzelnen ^Religionen ein ©rabunterfchieb herrfdjt unb bafj bie 9lrt, wie ftch bie ©elbft* »erlcugnung ber ©ottheit gegenüber äu§ert, eine »etfdnebene ift. 3m ^eibenthum äußert fie fid? burch Opfer, im Subenttium aufcer burch Opfer auch noch auf innere SBeife, burch ©rfenntnifj ber ©ünbe unb burch 23ufce, im ©h^ftenthum blo8 auf innere

<9Si)

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äßeife, burch Eingebung beö ^erjeuß an ©oft unb burd} bie Heiligung befifelben. 2)er 3ßlam ift in btefer $inftcht bem ©fyriftentljmn oerwanbt, aber burd) feinen fataliftifchen Bufl non ihm oerfdhieben, ba er jwat ben Sßillen be8 ÜJtenfdhen unter einen höheren beugt, ihn aber nicht in SShäHgfeit fefct. Bon unfetem 93erljältni§ 3U ©ott hängt auch baß gu ben SJtenfchen ab. Sille SReligionen fefjen ein fittlic^eö Berhältnif) ber SRenfchen ju einanber oorauß, welcheß nur burd) ben Umfang »erfdjieben ift, je nad^bem ber ÄreiS, auf melden fi<h bie Pflicht ber Siebe erftredft, großer ober Keiner gesogen wirb. Urfprünglid) werben bie ©ßtter nur alß ©Otter ber Familie unb beß #aufeß betrautet, unb bie fittliche Pflicht befchränft fid? auf bie ©Hebet ber Fa- milie, balb aber behüt fid) biefer ätreiß auß auf ben ©tamm unb anf baß Bell. ©0 finb alle Ijeibnifdjen {Religionen auf ber böseren ©tufe ber ©ntroicflung Bolfßreligionen, alle tjeibniidjen ©otter Bolfßgötter. 2 5aß 3ubentl)um erfennt gwar ©ott alß einen einigen, ber auch übet bie Reiben mit unbefchränfter ätl» mad)t maltet, aber ba er Tut) nur ein SBolf 3U bem feinen er* wählt l)c»t, fo ift Seljotw nid)tß befto weniger Bolfßgott unb bie fittlidje Pflicht beft^ränft auf ben 3uben unb baß {Recht Siebe 3U forbern abhängig oon ber äbftammung oon 3acob. 25er ©ajj: bu foDft lieben beinen {Rächften wie bid) felbft, hat baher feine nationale ©renje, benn ber {Rächfte ift ber SRitjube, unb gibt feine {Religion, weiche fo fet)r baß ©efühl beS $affeß unb ber {Rache nährt wie bie jübifdje. 2)er Begriff ber B?rgel* tnng, welch« einerfeitß jur Bufje unb 3ur Betfnirfdjung leitet, wirb anbererfeitß fe^r äußerlich gefaxt in bem: äuge um äuge unb Bahn um 3ah« unb führt 3U einem {Radjeburft , welcher afleß menf^liche ©efühl beleibigt. 25ie heiligen ©griffen ber 3uben felbft 3eugen baoon, unb berfelbe 3>falm 137, welcher fo fdjön bie ©ehnfucht ber ©efangenen auflfbridjt, bie an ben SBaffern

(9i3j

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33abelß fifcen unb »einen, wenn fte an 3ion geben!en, idjtiejjt mit bem furchtbaren SBunfche: Du ücrftörte Mochtet Sabel, wohl betn, ber dir Betgilt, wie bu unfl gethan ^aft; wohl bem, bet beine jungen «Rinbet nimmt unb gerfchmettert fie an ben ©tein", unb audb in unfern Drama Hingt bei 9iathan biefeS ©efüljl burdj, ba er

©ejürnt, getobt, fidj unb bie SBclt oenrünfcbt „Der öbriftenbeit ben uimerjöbnlitbften jugefhworcn." T)

Der Sßlam behüt baß fittliche Serhältnifc auß Bon ben Stammeß» auf bie ©enoffen beß ©laubenß, wüthet aber eben beßljalb mit §euer unb Schwert gegen alle, welche nidjt 2Htalj alß eingigen ©ott unb 9Jiuhatneb als feinen ^rophrien etfennen. ©rft baß ©hriftenthum, wclcbeß alle nationalen Schtanfen bur<h* brodjen hat unb nach welchem ©ott alle Sölfer unb fDtenfchen mit gleicher Siebe umfaßt, hat bie wahre Humanität in bie SBelt gebracht unb bie 9täd)fteuliebe gur allgemeinen fDtenfchcnliebe er* Weitert. Daß }d)öne ©leichnifj tom barmhergigen Samariter foricht aufö innigfte ben Äern beö ©pangeliumß auß, welchen ©hriftuß ohne Silb in bie SBorte f leibet: Siebet eure geinbe, fegnet bie euch fluchen, tljut wol benen, bie euch hafte« uub bittet für bie, fo euch beleibigen uub perfolgen, auf bafe ihr Äinber feib eureß SBaterß im Fimmel, benn er läfct feine Sonne aufgehen über ©ute unb Söfe unb regnen über ©credjte nnb Un* gerechte.8) Diefe gang felbftlofe unb uneigennützige Siebe, bie auß ber Eingabe an ©ott heroorgeht, ift ber Äern beS (5t>riftenthumS, unb ba| Seffing baö ©hriftenthum in biefem Äeru erfafct hat, beweift am beutlichften bie Meine, aber fdjöne Schrift: baß Deftament beß 3ohauneß, bet an bie Seinen wieberholt bie Mahnung rieh* tete: „Äinblein, .liebet euch untereinanber“, unb auf bie $rage, warum er immer biefelbe SDRahnung wiberhole, antwortete: „weil

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9

eS ein SBefc^l beS $errn ift unb weil, wenn ihr ba$ allein t^ut, ihr genug ttyut."

Äehren wir »on tiefer 'Sbfc^weifung wieber jum Segriff ber [Religion jurücf. Die [Religion ift eine Äraft, unb gwar bie Äraft bet @elbft»erleugnung nnb Siebe, aber biefe Ärafi !ann einerfeitS gehemmt, anbererjeitS »erftärft werben, in bem SRaße, baß felbft baS (S^riftentljum, bie [Religion bet Siebe, leine Spur berfelben etfcheinen läßt unb baß int Subenthum, welches prebigt: bu foOft beinen ffeinb Raffen, bie felblofefte Siebe fyeroorttitt. Dort haben wir einen Patriarchen, hier einen [Rathan, jenen um fo mehr ju »erachten, alb er baS ©ebot ber Siebe tennt, aber ihm wiberftrebt, biefen um jo höher lehren, als er troß bet mcglicbft größten Jpinberniffe, welche ihm burch Slbftammung, ©rjiehung unb ©efdjicf auferlegt werben, $u bem Äerit ber [Re» ligion hiwburchbringt unb weit über bie ©djtanle feinet ©lau» benS l}inau@ge^t. $'wc ^anfcelt eS fich nidjt um eine Serth* fdjäßung zweier [Religionen, fonbern jweier SRenfcßen. DaS Drama lehrt: bie [Religion ift fein äußerer 33efiß unb fein Äleib, welche^ bir einen Serih t?erleif>t. Streite nicht barum, ob beine [Religion bie beffere ift, fonbern fomme bem fittlicben ©ebot berfelben nach- [Riehl bie [Religion, bie bu befennft, gibt bir einen ÜBotjjug, fonbern bie 2lrt unb Seife, wie bu fie im Seben bewährft. ,£>aft bu bie wahre [Religion, wehe bir, wenn bu baS, wa8 ©eift unb Seben ift, jum tobten unb töbtenben 3?uchftaben machft; ^aft bu einen anberen ©tauben, wohl bir, wenn bu ben fittlicben ©ehalt berfelben ergriffen h4l unb ftatt bloßer gotteS» bienftlicber formen werfthätige Siebe iibft.

Der Patriarch oerfehrt bie dwiftliche Sehre in ihr ootlftän» bigeS ©egentheil unb ift nicht nur nicht ein Sßertretcr unb JRepräfen* tant berfelben, fonbern ber ©egenfaß aller [Religion, bie »erforderte ©elbftfucßt, ber UrtwpuS pfäffifebett ^>od)muthS unb priefterlidjer

M (955)

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10

£errfd)}ud>t, bet fo weit »en jeber wahrhaft religtöfen unb ftttlidjen ©mpfinbung entfernt ift, bafj er bet bet einem Äiube burd) einen 3uben etroieienen Sohlthat immer »ou neuem in bie SEBorte auöbricht: Jh“t nicht«, bet 3ube wirb »er* »erbrannt. Ulathan ift nicht ein Siepräfentant beS 3ubenthum8, fonbern ein JppuS echter Selbftoerleugnung, bet ohne ein ©hrifi ju fein, jo obwohl bie ©triften ihm baS größte Seib jugefügt haben, hoch baS chriftlicbe ®ebot ber fteinbeSliebe im »oüften SJiafee erfüllt. 3n (Math hatten nämlich bie ©haften währenb Slathan« Ülbwefenbeit alle 3uben mit SBeib unb Äinb ermorbet unb unter bicfen auch Nathan« förau mit fieben hoff«un38uoflen Söhnen, welche in jeineö trüber« ^>aufe, ju bem er fie geflüchtet, inSgefammt »erbrannt waren. Drei Jage unb 9iäd)te hatte er in 9lfd?e unb Staub oor (Mott gelegeu unb geweint, „beiher mit (Mott auch wohl gerechtet, gezürnt, getobt, fich unb bie 9Belt »er* toünjcht, ber C5l?riftenl>ett ben unoerfebnlicbften £af) jugefchworen. „35och nun", fo evjählt er felbft unS ben Sieg, ben er über fich erfocht,

.Joch nun tarn bie 'Beraumt allmählich wieber.

.Sie fprad) mit fanfter Stimm’: unb bocb ift (Sott!

„Joch »or auch (Motteß SRathfchluß baß! ffiohlan!

,Äomm, übe, maß bu längft begriffen baft;

,2Baß ftcherlich ju üben fehlerer nicht

,9llß ju begreifen ift, wenn bu nur willft

„Steh* auf!* 3ch ftanb unb rief ju (Mott: ich will,

,3öitlft bu nur, bafj ich will-*)

3n biefem Stugenblicf unb in biefer Stimmung MlathanS erfdjeint ber Älofterbruber uub übergibt ihm ein ©hrifteufinb. fRathan nahm e«, trug eS auf fein Säger, fü§t’ eS, warf fich auf bie Äniee unb fchluchjte: „(Mott! 2tuf fieben 'bod) nun fchon eine« wieber."

(91«) -

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11

5ftit noQftem 9ted)ie barf ber Älofterbruber oon biefer £anb» lungäweife Nathan gegenüber auärufen:

,33ei ®0tt ihr feib ein ©hrift, ein beffrer ©brift war nie.*

Unb wenn fftathan hierauf erwiebert:

und! benn maä

.SDiicb @ud> jum (5l;riften macht, baä macht Such mir ,3um 3uben*10)

fo formen biefe Sorte feinen anberen Sinn haben alä eben ben, bah tn biefer ©efinnung fRathan jeben 9Rcnfchen wie einen @e* ncffen feineö Siolfeß betrachtet unb an ihm Siebe übt. wie baä ©efefc oorfdcreibt!

Sürbe aber fRathan fid) nur burd) feine Samariterliebe au^eichnen, fo würbe er wobl ber fromme, aber nicht ber 2Beife beiden bürfen. Senn feine Seiäbeit liegt nicht nur Darin, baß et Cab, waä er thut, überhaupt mit SBewufjtfriu thut, fonbern auch barin, bah feine ©otteeerfenntnif) eine tiefe ift unb bah er «her baä Seien ber ^Religion, unb baä 23erhältnih bre einzelnen 9t eligionen ju einanber nacfagebacht hat. Senn fRatban cbriftlicb ha«belt unb hoch ein 3ube bleibt unb bleiben will, fo hat baä feinen tiefen ©runb. ©e* ftatten Sie mir, bah id) noch einmal auf ben Söegriff Cer 9teligion jurücffomme. 35aä eigentliche Sefen ober bet Aetn berfelben ift ©elbftoerleugnung unb Eingabe, aber jeber Aern ift umgeben non einer Schale, einer fdjühenbtn ^»üfle, unter bet er h«tan* reift, bie ihn aber oft auch «erhütlt. 91 Ile 9ieligion muh fich, wenn fie fich nicht auf ben einjeluen befchränfen, fonbern in einem Hülfe Sur$cl fdjlagen ober nielmeht auS einem Helfe her* auäroachfen foD, in einer beftiminten 9lrt ber ©otteäoerebrung, in beftimnrten Sitten unb ©ultuagebräuchen äuhern. !Daä ift eä, waä Salabin fagt:

,3h bäd^te,

JDag bie SReligionen, bie id> 3)ir

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12

(genannt, bed) wohl ju unter] Reiben wären ©iS auf bie Älcitung, bis auf ©peif unb SEranf*.11)

hierin liegt ba$ Uuterfcheibenbe ober baS ^>oftti»e bet £Re* ligionen, baS aber ebenfo nothwenbig ift, wie bie ^Religion felbft Slllgemeine ©egriffe eyiftiren ebenfo wenig wie fcr^erlofe ©eifiet. IDbne Äörper »erflüchtigt fid> bet ©eift, ohne ©efenntnifj loft fid> bie Religion in Schwärmerei ober leere Ubftraction auf. 3ebe8 ©olf brüeft feiner ^Religion baS ©epräge fetneS nationalen ©haracterS, jeber fReligionSftifter berfelben baS ©epräge feines ©eifteS auf, unb nur in biefer inbioibueDen Uuöprägung ift bie» felbe überhaupt lebensfähig. ®ie gricchifche ©ötterwelt ift nichts anbereS als bie 3bealifirung beS heüeren gt-ict^tfc^en SebeuS unb ber phantafielofe ©rnft unb bie ftttlicbe Strenge beS JRömerS fpiegelt fich wieber in ber altitalifchen fDlpthologie. fSRofeS unb ÜRahomeb haben ihre ^Religion lebensfähig gemacht, inbem fie, felbft in bem geben ihres ©olfeS rourgelnb, ihr ihren ©eift ein* hauchten, unb ber $u(6f(hlag ber milben Jpoheit unb fittlicheu 9Rajeftät Gbrifti ift in bem ©ebot ber djriftlidjen Siebe ebenfo fühlbar als fich bie fJReffiaShoffnung feines ©olfeS in einer an» beren JReihe feiner fReben auSfpricht. ©8 wäre hüdift intereffant ben fRachw eiS gu führen, welche ©inwirfungen baS ©hriftenthum auf feinem ©ange burch bie ©efchidde oon ben ©ölfern, bie ftd) 3U ihm befannt haben, erfahren hat. S)enn wenn ber Älofter« bruber bemerft:

,3ft benn nicht baS ganje ©hriftenthum „ÜlufS 3ubenthum gebaut? ©8 hat mich oft .©eärgert, hat mir Xhränen g’nug gefoftet,

,2ßcnn ©hriften gar fo fehr oergeffen tonnten,

,iDaß unfer £ierr ja felbft ein 3ube war* l!) fo ift baS ebenfo unleugbar wal)r, als bafc auch bie beibnifcheu ©ölfer einen ©influfc, wenn auch nidht immer einen »erebelnben,

(956)

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13

auf baSfelbe geübt haben.13) {Rur baburdj, baff eine {Religion fidj bem SBefen eines 33oIfeS affimiliert, fann fie ihre etliche Stuf« gäbe erfüllen unb nur baburdj baS S3ol! gur aalten CReligiofität ergiehen. ©S ift gwar wahr, bafj bieje ©dja le, baS $)ofttine in ber {Religion, ben eigentlichen Äern berfelben oft faum nodj gut ©rfdheinung fommen Iafct unb ihren malten ©ehalt nerbunfelt, aber nichts befto weniger ift eS ein otganifdjeS ©ebilbe unb hat feine innere Berechtigung. 5)abei ift feboc^ gu bemerfeu, baf}, wührenb bet eigentliche Äern ber {Religion berfelbe bleibt, baS 3leuf)ere, unb mit ihm alle biejenigeu BotfieHungen, welche baS innere SBefen berfelben nicht berühren, »anbeibar unb ber Betanberung unterworfen ftub. 25ie religiöfen Bestellungen einet jebeu {Re* ligion haben ihre ©efehichte unb werben burdh ben jebeSmaligen BilbmtgSguftanb beS BclfeS bebingt. 2)ie {ReligionSgefcfcichte fteht baher im engften 3ufammenhang mit ber ©ulturgefdjichte, benn bie fortfchreitenbe ©ultur bilbet auch ben ©lauben um unb ift, bewufjt ober unbewußt, beftrebt ihm eine gotm, ich möchte faft fagen einen Hörtet gu geben, welcher bem religiöfen ©eifte abäquat ift unb ihn fo »oUfommen wie möglich gut ©rfdheinung bringt. {Reue ©ulturperioben wirfen baher auf baS ©ebäube beS alten ©laubenS auflöfenb unb gerfefjenb, aber wenn eine {Religion überhaupt ben Äeim ber SBahrheit in ftch trägt ober wenigftenS noch im ©tanbe ift baS ethifche heben eines BolfeS gu tragen unb gu förbern, benn im anberu gaHe erftarrt fie unb ftirbt allmählich ab fo fdjafft fie ftch ein neues Organ, neue Bor* fteflungen, eine geiftigere 3lrt ber ©otteSoerehrung, welche bem gangen 3uftanbe ber {Ration entflicht. ©uchen wir uuS baS ©efagte an einem Beifpiel flar gu machen, ©ine finblidie Bot* ftedung fann fidj baS SBirfen ©otteS gumal in feiner Begleitung auf baS heben beS eingelnen nicht anberS als ein wiflfürlicheS b. h- gufüßigeS unb wunberbareS benfen unb glaubt ©ott gerne mit

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14

einet {Reihe Don Wienern umgeben, welche {einen SBiüen ooD* führen unb jum @chu$ feiner 2lußerwählten benimmt finb,14) baß entwicfelte unb gebilbete teligiöfe ©ewufjtfein erfennt nicht nur, baf) eine folche lüorfteHung ©otteß unwürbig unb unmöglich, fonbern auch, bafs fie gefährlich unb fd?äblid) ift. ©otteß fc^öpfcri» fdje unb er^altenbe S^ätigfeit collgieht fi db nad) ewigen 9tormen nnb innerhalb bet ©efefce, welche ber Ülußbrucf feine© eigenen ©itlen« unb ©efenß finb, unb ftatt l^immlicbet ©eiflet. an benen mit feine SSergeltung üben fßnnen, finb {JJlenjdjen, ftetblidje SRenfdten, benen wir £Danf abguftatten nerpflidjtet finb, bie SBoQ* ftrecfer feine« SiDefi. @o wirb bet begriff beß ©unberß um« gebilbet unb Den bem einzelnen, gufäfligen unb willfürlichen ©efdjehen »erlegt in ben harmouifchen, gefetymäfjigen unb geiftigen Sufammen^ang bet £>inge. 3n biefem Sinne fagt Nathan: ,2)er ©unter födjfteß ift,

,3)aj} un« bte wahren, edjten SBunbet fo .Slütäglicb werben fßnnen, werben follen.

„Ob” biefeß allgemeine ©unter hätte „(Sin ®enfenber wc^l fcbwerlitf) ©unter Je .©enannt, waß Sintern bloß fo beißen müßte,

.(Die gaffenb nur baß tlngcwßhnlicbftc ,£aß Sleufte nur »erfolgen.*'5)

SRecha ift nämlich eben Don bem Tempelherrn auß bem geuer errettet worben, glaubt aber bafe ein Don ©ott gefenbeter ©ngel fie auf feinem weiten gittieh burd) baß geuer getragen h0^ ba 9iati)an felbft fie ja gelehrt, „baff ©ott gum ©eften betet, bte i^n lieben, auch SBunbet fonne thun." 9tathan bagegeu geigt ihr, bafe ©ott für fie unb ihreß ©leiden nicht nur ftünblich ©unter tfjue unb fdjon Don ©wigfeit getfjan habe, fonbern bafc auch wuubetbar genug fei, wenn ein 5Renfdj, gumal ein Tempelherr fie gerrettet habe. ba man nod) nie gehört,

(wo)

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15

.Daß Salabin

3e eined Stempelberm »erfchont, bafj je (Sin Stempelherr oon iljm oerjcbont ju werten ©erlangt, gehofft;' l6)

unb alö fie in eben bieiem Umftanbe nur eine Söeftätigung i^refl ®lauben8 fiet)t, jeigt i^r fRathan, bafc biefer SBatjn nur au8 einer SUnma^ung be8 ÜRenjd)en beroorgebe unb ben fdjnöbeften Unbant nach fid) 3»elje :

»Stolj! unb nic^td als Stolj! ber Stopf ,©on (Sifen will mit einer (Übern’ 3ange ,®ern ans ber ®lutl) gehoben fein, nm felbft ,®in Stopf »cn Silber ftd) ju bunten. 'Pal}!

,Unb waS eS jebatet, fragjt tu? was eS fc^abet?

. ,2Ba8 hilft eS? burft ich nur hinwieber fragen.

.Denn bein: Sieb ®ott um fo fiel näher fühlen „3ft Unfinn ober ®otte8läfterung.

,9Wcin eS fchabet; ja eS fchabet aHerbingS.

.Äommt! hört mir ju. (Rieht wahr? (Dem 2ßejen, tag .(Dieb rettete, eS fei ein (Sngel ober .(Sin ÜJlenfeh, bem mostet ihr unb bu befonberS ,@ern wieber »iele große Dienfte tljun?

.(Rieht wahr? 91un einem (Sngel, waS für Dienfte ,§ür große SDienfte tönnt ihr bem wohl thun?

,3he tönnt ihm banfen, ju ihm feufjen, beten,

.Jtönnt in (Sntjücfung über ihn jerfchmeljen,

.Äönnt an bem Stage feiner geier faften,

.Hlmofen jprenben. Stiles nichts. Denn mich .Deucht immer, bah ihr felbft unb euer SHächfter .hierbei weit mehr gewinnt, als er. (Sr wirb , (Rieht fett burch euer Saften, wirb nicht reich .Durch euer Spenben, wirb nicht herrlicher .Durch eu’r (Sntjücfen, wirb nicht mächtiger .Durch eu’r ©ertraun. sJti<ht wahr? Slflein ein üRenfch-*

(961)

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16

JDiefe 2Juffaffung beß Söunberbegriffß burd^iefyt fo fe^r baß ganje 2)tama, bafj fid) barauß aDe bie fdjeinbaren im Anfänge erwähnten DJlängel ctflären, bie nur bet äfthetifdjen, aber nid^t bet religiöfen Betrachtung Umtahrjcheinlichfeiten unb gehler ftnb. 9tichtß fonnte beutlither baß SBirfen ber Borfeljung betoeifen, alß bie Sänge ber Borfabel, welche unß bie oerfchlungenen ©efdjicfe »on ÜKenfchen geigt, bie ©ott auf tuuuberbare SBeife leitet, nichtß mehr ben Beroeiß baför liefern, bafs ©ott auch bi* bergen ber 9Jienf<hen lenft, alß bie Begnabigung beß Tempelherrn butch ©alabin.

,,©ieh’, eine ©tim, fo ober fo gewölbt;

„Der Siücfen einet 9tafe, fo oielmet>t „9110 fo gefül;ret; ülugenbraunen, bie , 9tuf einen fcharfen ober ftumpfen jtnoepen ,,©o obet fo ft<h fd)tängeln; eine Sinie,

.Sin Bug, ein ©infei, eine galt’, ein ÜRaal,

„Sin nichts auf eines wilben SuropäerS „©efuht: unb bu entfommft bem geu’r in Stilen!

„DaS war fein SBunber, wunberfücht’geS Bolf?'"6)

©o bleibt fRe^a’ß fRettung febenfallß ein SBunber ,bem nur möglich, ber bie ftrengften ,6ntfd)lüffe, bie unbänbigften Entwürfe .Der Äönige, feijr ©piel wenn nicht fein ©pott

„@em an ben fchwachften gäben lenft.’9)

3n biefer ^inficht fagt ©eroinußSü) mit 5Re<ht, ba| biegabel in 9iatt)cm meifter^aft angelegt ift, wo eine SHeibe bunfler, »er* fdjlungener, jufäDig fd^einenber, unbegreiflicher Begebenheiten aule^t in einem lichten fünfte jufatmnenfaDen, bie, inbem fte aDe ©chicffalßmafchinerie, alle unmittelbaren ©ingriffe ber ©ott* heit, alle Söunbcr fiihn leugnen unb aufheben, ber Söunber grßfjteß, eine Borjehung, preißnoll oerfünben, bie bie SOienfchen alß ihre Äinber lenft unb feinen ©perling ohne ihren SBiHen fallen läfjt."

(9«2)

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17

freilich hot man Sefflng auS bieder Umbilbung fce§ ©unber* Begriffs Bott fitdjltdjer (Seite gerabe einen ©orwurf gemalt unb ihn befchulbigt, baff er bie ©ebeutung beS §)ofttinen in ber Sie» ligion überhaupt nerfannt höbe, unb fyier ift bet ^)un!t, wo bie Steigungen für unb wiber ben SDid)tet unb fein SDratna ein» anber fchroff gegenüber fteijen. IDenn ba8, waS bie einen an Hjm tabeln, ber rationa!iftifd)e 3ug, bie SJliffachtuug beö gefdjidjt» ItcB ©eworbenen, bie £erabfefcung De8 fpeciftfch 6t>riftli(ben, DaS gerabe ift eS, waä Den ©eifall unb bie Suftimmung anberet finbet, welche bie FirdjIicBcn ©ogmen unb ©ebrdudje in ihrer großen SOtehrgaht für oeraltet unb wiberfinnig holten. Iie§e ftd) gut ^Rechtfertigung SeffingS leidet ber Umftanb anführen, baff, wie wir normet gejagt hoben, burdj baS pofitine ©lement ber Religion ber wahre Äern betfelben Bielfach nerhüllt wirb, ba§ ©ebrdudje unb 2?ogmen, urfprünglich ber 9lu§brucf eines lebenbigen ©laubenS, atlmätjlig erftarren unb abfterben unb bafj ber 3«ftonb bet Drthobejie gut 3eit SeffingS ein Derartiger war, baff burd; ba8 ??ormenwefen ber ©eift ertöbtet unb bie ^Religion non einer feligmadjenben .traft gu einem dufferen ?och heeabge» fe£t würbe. Allein fo niete ©ered)tigung alles biefeS auch hot, fo bebatf eS bod) bei Seffing einer folgen ©ntfchulbigung um . fo weniger, als et gar nicht non obigen ©orwürfen getroffen Wirb, ©erabe Darin geigt fich bie geiftige ©rofje beS SWanneS, baff et inmitten einer Seit, in welcher eine unbutbfame Drtho» borie, bie an Stelle beS fittlicben ©erbdltniffeS beS SDlenfdjen gu ©ott ein äußerlich iuribifdjeS gefegt unb ber ^Religion ber Siebe ben ©eift ber ©erfolgung eingehaudtt hotte, unb eine flad?e &uf» fldrung, bie ohne Sinn für bie poetifdjen ©laubenSfttmbole ber ©elfer bie ^Religion auf wenige Dünne ©egriffe beftiüierte unb ohne Slljnung non ber ©ebeutung beS religiofen ©efüljlS nur bet nüchternen ©erftänbigfeit baS ©ert rebete, bafs er in einer fol*

XI. »«3. 2 (»63)

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18

chen Seit ftdj übet beibc eri?ob unb mit gewaltiger ©timme eben* fowoljl bet ftarren ©ogmatif gegenüber baS SHet^t bet gorfchung unb bet Vernunft, alö auch ben ’Äutflärern gegenüber b a$ {Recht beö religißfen ©laubenö unb beö >})ofiticeu in bet {Religion pre* bigte. 8lu8 bieier Stellung Seffingö erfläten fid? bie jum $beil fo wiberfprechenben ÄuSfprüche beöfelben, ba er, unbebiugt unb für ade (gebiete baS {Recht bet freien ftorfcbung in änfprucb nehmenb, jebeö ©pftem unb jebe {Richtung oon ihrem eigenen ©tanbpunfte auö $u halten unb $u oertheibigen fudjte* 1 ). Sreffenb fagt baher ©erüinuS22): „So lieb geffing burch bie SEiefe bet iuteHectuellen ©rfenntnijf bem philofophifchen ©etracfcter ber menfdjlichen SDinge wirb, fo wirb er bem hiftorijcben noch lieber burcb feine Schonung ber ©olföbegtiffe unb alleö beffeu, was in bem ©lauben ber SRenfchen heilig geworben war. ©ein ©ruber Äarl unb 9Roie§ SRenbelSfohn Ratten ihn gerne ju einem ©ecten« haupt gemacht, hätten gern gejehen, bafe er gleich bei Verausgabe ber Fragmente fich auf ihre ©eite geftellt, ftatt ba§ et ber JDrthobojrie baS SBort ju reben fchien. Allein geffing hnfete auS VerjenSgrunb alleö ©cctenmachen unb würbe feine ©öttiu felbft, bie Sßatjrheit, »erlaffen haben, wenn fie eine ©ecte fyätte ftiften wollen, unb auS biefem @ruube fließt feine parabojre 2Biberfejj* lichfeit gegen alles ülubjcblicfcenbe. fonnte baher auch ber 9tuffldrung8fucht beö {Ricolai nicht genug thun, mit bem er in ben lebten Safjren beäljnlb auch nicht »iel oerfehrte. @r wollte ber 2üelt nid)t mißgönnen fich aufjuflären, f^rieb er an feinen ©ruber, er würbe fid) oerabfeheuen, wenn feine ©chrifteu etwas anbercö beredten, als biefe gro&e {Sbfidjt ju beförbern. ©r wollte aber nur nicht baS unreine SEßaffer weggiefcen, ehe er wiffe, woher anbereö nehmen." „üeffing wollte {Religion unb ^h*l»’ fophie ebenfo wenig oermifcht wiffen, als früher |>hilofophie unb ^)oefie. ©r pl)ilofopl)irt jwar felbft über {Religion unb {Religionö* c**)

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19

begriffe, aber nur in ber Jpeffnnng, ben greigeiftern tolerante Achtung gegen bie fiunoollen ©ogmen ber ^Religion einjuflößen,“ eine Jpoffnung bie freilich nicht in bev Sirflichfeit, faum in unierem 3)rama in ©rfülluug gegangen ift. Sir haben nämlich in bem Tempelherrn einen ©haracter, ber, ganj im ©inne ber Aufflätung beö 18. SahrßunbertS gehalten, ein ftreigeift ift uab fi<h nicht nur über bie SBorurtheile feines ©tanbeS, fonbern auch über bie feiner ^Religion erhaben bünft. Abftammenb non einem mnfelmännifdjen Bater unb einer cßriftlicher SDRutter unb einem Drben angehörig, ber fiel? oor allen anberen butch freie Anfichten auSjeichnete, maß ift eS Sunber, roenn er ben ©tauben, in bem er erlogen ift, für Aberglauben hält unb in feinem Sahn benfelben überwunben $u haben intolerant wirb? 5)enn bie wahre Tolerang, {ehr oerfchieben oon ©leicßgiltigfeit, geht nur auS lebenbiger Uebetgeugung eon ber Sattheit beß eigenen ©laubenS hetoor unb befteht eben barin, baff wir auch bei anberen ben fittlichen Äern ihrer Uebergeugung unb bie gefchichtliche Be« rechtigung beftimmter ©pmbole, ©itten unb ©ebräudje aner« fennen. Ser freilich in biefe baS eigentliche Seien ber ^Religion feßt, witb ebenjo intolerant fein, wie berjenige, welcher ihre ©nt« ftehung, ihre Bebeutung nnb ihre Berechtigung überhaupt oer» fennt. Auf bem erfteren ©tanbpuufte fteht 2>aja, auf bem lederen ber Tempelherr.23) güt 2)aja befteht bie fReligion nur in ber äußeren gorm unb ift ihr nur ein ©ewanb, welches man auS* nnb angießt, ohne baß bie Befcßaffenßeit beö £ergenS ba« butch beeinflußt wirb, ©ie liebt fRecßa aufrichtig unb fcßäßt bie guten ©igenfeßaften fRatßanS ßoch, aber eben auS ihrer Siebe flammt ihr BefeßtungSeifer. fRedra hat äußerlich nicht ben rechten ©tauben, unb barum muß fie oetloren gehen. 9Rit SRecßt nerfpottet fie ber Tempelherr:

2* (9«r,)

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20

„Sßünfch euch ©IficF! £>at S ferner gehalten? Safjt 6uch nicht bie Sieben fdjrecFen! ga^ret ja 5Jitt ®ifer fort ben §immel $u bereitem,

3Benn il)r bic ®rbe nicfjt mel)r Fönnt " S4) ift aber in feinem blinben Sifer gegen ben oermeintlidben aber» glauben ebenfo ungerecht unb läfjt fi dj, unfähig bie fittlidje ©rö§e 9iathan8 ju erfaffen, fogar bagu hinreifcen, ben Patriarchen um (Rath 3u fragen. SBefonberg oerbafjt ftnb bem Sempelberm bie ?uben, nicht etwa »egen fittlicher ©ebredjen ober fonftiger 3Ra!el, fonbern weil fie

„Siefe StcnfchenmäFelei $uerft „©etrieben* weil fte

,3uerft ba® auöerwäblte SBolF fleh nannten."

„Slie,* fährt er fort, .trenn ich btefeS SSolF nun jwar nicht bajjte, .Sodf wegen feine® (Stolze® ju »erachten „Stich nicht entbrechen Fßnnte? ©eine® ©tolje®

„Sen auf Gbrift unb Slufelmann »ererbte,

„9tur fein ©ott fei ber rechte ®ott! 3br ftufjt,

.Sah ich, ein ®jrift, ein Sempeiberr, fo rebe?

,5Bamt l;at unb wo bie fromme fRaferei,

.Sen beffem ®ott ju haben, biefen beffem .Ser ganzen Sielt als beften aufjubringen „3n ihrer fchwär^eften ©eftalt ftcb mehr ,®ejeigt, al® hier, al« je^t?" 2J)

3n btefem (Sifer wirb et blinb unb ungerecht gegen ftch unb anbere unb muh fleh mehr «‘«mal «ine bittere 3ure<ht» weifung gefallen (offen, freilich bie Schale nur, wie fRathan gleich bet ihrem erften 3nfamnientreffen richtig erfennt, ift bitter, ber Äern ift’8 nicht, unb ohne 3»eifel wirb bet Sempelhetr auch jum jweiten Piale fein Sehen in bie Sdjanje fragen, felbft wenn nur „für ein Subenmabchen" wäre. Senn bie

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21

Sfcftat ift fein ©lernent, bad müftige geben befommt ihm nicftt, unb eingenommen gegen bad duftere Sefenntnift löft ficft iftm bie ^Religion »ollftdnbig in bad fittlicfte £anbeln auf.

3n biefer .pinficftt bilben gum Jempelfterrn gwei anbetc religiöfe Sppen ben ©egenfaft, ber SDerwifcft 3ll*#aft unb ber Älofterbruber 23onafibe8. S3eibe ftaben ficft über bie SBorurtfteite iftred ©laubend erhoben, wenn man freilich aucft bie gtage aufmerfen fönnte, welcftem ©lauben ber ©ermifd) überhaupt an* gehört, beibe nennen 9latftan ihren Breunb unb bet Ä1 öfter* brubet ihn fogat einen Steiften, aber beibe o erlernten ed, baft bie Religion ficft mitten im ©eroüftl bed gebeng butcft bie fitt* licfte Sftat bemähren muffe, beibe fliehen bie SBelt, in bereu ©e* triebe fie ficft nicftt gurecht finben fönnen, fonbern beren Sftot» heiten unb ©cftwäcften fie nur erfennen. 311 jpafi, gum ©roft* fcftaftmeifter bed ©ultand ernannt unb in ben ©tanb gefeftt eine groftartige SBoftltftdtigfeit gu üben, fehnt ficft hoch nach äöäfte unb flieht aud ber SBelt, benn er burcftfchaut nicht nur bie Jftot» fteit bed ©ultand, ber

,33ei ftunbertaufenben bie ÜRenjcften brücft,

,9tuämergelt, plünbert, martert, würget unb ,@in URenfcftenfreunb an ©injelnen fcfteinen wiB* fonbern er tabelt aucft fich felbft:

„3i>aS, ed wäre

„Glicht ©ecferei an folchen ©ecfereien „Sie gute Seite bennoch audjufpüren ,Um 9tntt)eii biefer guten ©eite wegen „Sn biefer ©ecferei ju nehmen? *•)

<$r wirb ed, mie fRatftan ficft audbrücft, g’rab unter ben SKenfcften ein SRenfcft gu fein oerletnen, benn für iftn ift ed »aftr: „31m ©anged, am ©anged nur gibtd fDlenfcften.*7) Unb »ie 911 £afi nacft öem ©anged, fo fehnt ficft ber gute Äofterbruber, bem

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22

e8 ein ®reuel ift feine .pönbe in bic treltltdjen Jpänfcel ntifchen, fein SRäödjen in fo oieleS ftccfeu unb Äunbfdjafter be§ Patriot* <heu fein gu muffen, unb ber bodj alö Äloftcrbrubet pünftlid? bet Pflicbt be8 ©ehotfatnS nacbfonimt, be8 Iag8 woljl bunbertmal nach Slabor. Jher freilidj fo benft wie ber Älofterbruber:

„2üenn an ba8 ©Ute,

,SDae ich ju ttyun oermcine, gar $u nab „2Ba$ gar $u fdjlimmeS grcnjt, fo tl)u id? lieber ,S?a8 ®ute nicht; weil wir ba8 Schlimme jwar ,So nicmlitb iunerläfjig fennen, aber „Sei weitem nicht ba« ©ute*2")

Wer, fage id>, fo benft, ber tl>ut gut fid) fo balb al8 möglich eine ©iebelei auf Üabor ju erbnun, benn e8 wirb nur ein 3«s fall fein, wenn er nicht ba$u mitfyilft ba$ Sefc ju oetlbringen.

91ur Ufatlian allein l)at bic fReligion iit itjrer SBahrftett erfaßt, als bie fidr in ber Siebe bewäl)rcnte Ära ft, bie auf be* ftimmter Ueber$eugung beruht unb fiib in beftiminteu formen unb ©ebräueben äußert unb äußern nmf). 2Sie febr er fid? felbft übermunben unb bie Scbranfe feineö ©laubenö burebbroeben tjat, wie feljr er erfennt, baf? alles, was er fonft feiu eigen nenut, Statur unb ©lücf ihm jugetheilt bat unb er nur beit Sefi£ fRedjaS allein ber 2ugenb perbanft, ift idton früher berperge* hoben, aber bieieö alles würbe, wie bereits bemerft, iltm noch nicht ben Seinamcn beit Steifen perleiben. fDeitn auch 0ittah unb @alabitt jeigett fid> liebeooll, groffmüthig uttb bureb Sor* urtheil ihrer ©laubenSfafcung nicht beengt, aber wenn and' $a« labin nie perlangt hat, bafj allen Saunten eine fliittbe wadtfe, wenn er au dt beftrebt ift:

„Te8 ^fehlten Slilbe ®ie fontor SluSwabl über Sef unb ©utc Unb §lur unb SBüftenei, im Sonnenfcbcin

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23

Unb Siegen ftd) verbreitet nad}$uüffen Dt>n’ bocb be4 4>öcbfteti immervolle £)ant 3u baten,"

wenn er audt grefemütbig bem Tempelherrn tag 2ebeu fcbenfl: er folgt tjierin, ol)ne fid) beö eigentlichen ©runbeß ber ©ulbung bemufft ju fein unb fid) über feine .^anblungßmeife SRcdienfcbaft gegeben ju haben, nur feiner natürlichen Neigung, unb eg bürfte ung nid)t wunbern, menn er, wie uns biefeß in ber flljat non bem f)iftorifd>eu ©alabin beriddet wirb, in einzelnen fällen gan^ entgegengefefct banbeite.

fRttr bei [Ratban finb mir beffeit gaitj gemif), baff er nie anberg banbeln mirb, roie er gcl)anbclt bat, unb baff er bie ©ulbung, welche er übt, nie 311 verleugnen im ©tanbe fein mirb. ÜDenn er bat fid) felbft übermunben unb ben ferneren .Kampf 3Wifd)en s)>flid)t unb Neigung, auf bem nad) ber fPbilofopbie Äantg überhaupt bie ®ittlid)feit beruht, burchgefämpft, er weif) eg, bafc menn aud) einer ber brei [Ringe ber mal)re ift unb fein muf), bed) ber ©treit barum fruddlog unb thörid)t ift, meil eben bie [Religion fein äußerer 33efitj, fonbern ihrem inner« Sßefen nad) ©nnftmutb, ber^lidre 23etträgliddeit, Söol)ltbwn uub innigfte ©rgebenbeit in @ott ift, er fiel)t aber aud) ein, bafj bie [Reli* gion etmag gefdiiditlidi Wemorbeneg unb barum aud) in ihren äußeren formen unbebingt berechtigt ift. 3war fönnte eg fdieU nen, alg menn fid) 'Ratban nid)t bloß ffeptifd), fonbern aud) gleicbgiltig bem äußeren rcligiöfen Gultug verhalt, nnb geffhtg felbft giebt geroiff ermaßen bie 2?ereddigmtg 31t biefer 9luffaffung, »eun er gelegentlich erflärt, baf) 9iatl)au’g Abneigung gegen po» fitive [Religion von jcl)cr and' bie feinige gemefen fei. 91 bet näher betrachtet crmcift ficb baß bod) alß ein 3rrtbum30) T)enn menn [Ratban ©alabin gegenüber behauptet, ber cdite [Ring fei beinahe ebenfo unermeiglid), mie bie mul)re [Religion, fo ift tiefe

(S69)

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24

Säuberung nicht nur ber ganzen ©Ablage nach bem Sultan gegenüber geboten, fonbern auch feineSwegS ohne jete 2Bahrh«it SDenn wie bet echte SRiug, So erweift fich auch bie wahre SReligion nur burch iljre SSirfungen, aber biefer SöeweiS beS ©cifteS unb ber .Straft ift, obwohl allein möglich unk guläffig, bo<h nur für benjenigen binbenb, bet bereits oon ber SBatjrheit berfelben über» geugt unb auch unbefangen genug ift, ben SDtifjbrauch in Slbgug gu bringen, ben menf^lictje Schwachheit unb SLljor^eit mit ihr getrieben haben. @S fe£t aljo ein Solcher 23eweiS immer ein SerhSltnife ber Pietät oorauS unb ift ohne baSfelbe überhaupt nicht gu führen, ba, wie SRathau richtig Ijeroorhebt, bie SReligio« tcen fich oon ©eiten ihrer ©rünbe nicht unterfcheiben , fonbern fich alle auf göttliche Offenbarung berufen, ©ieje Pietät befifct auch fRathan unb will baher nicht als 3ube fcheinen. ©r ift 3ube unb bleibt 3ube unb bewahrt für fich treu bie ©afcungen ber SBäter. „SDenn grünben" fagt er,

„Mc fid) oi<ht auf ©ejchichte? „©efchricben ober überliefert! Unb .©cfhichte muß hoch wohl allein auf Streu’

„Unb ©lauben angenommen werben? Sticht?

„Stun, weffen Streu unb ©lauben gietjt man benn „SÄm wenigften in 3weifel? boch ber ©einen?

„$och bereu SSlut wir finb? boch beten, bie ,$5on Äinbheit an uns groben ihrer Siebe .©egeben? Oie uns nie ge teufet, als wo .©eteufcht ju werben uns hc*lfamcr war?"11)

3wat föunte man hi« einwenben, bah fRatljan felbft feinem ©runbfahe untreu wirb, ba er in ber ©rgietjung JRecha’S alles ^ofitioe abftreift unb tihr nur bie ©runbjabe einer Vernunft* religion einimpft, welche baS ©emeingut aller werben follte. Allein biejenigen, welche biejen ©iuwurf erheben, oerfennen nicht

(STU)

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25

nur, baff eg ftdj tjier um ben ©lauben eines ©in^elnen, ni<^t um beu einer ©emeinfchaft banbeit, benn eine fold^e fanu einmal ebne pofitiüe 3utbat nicht befielen unb ift ebne biefelbe nicht lebensfähig, fonbern auch, bafj 9techa bem biftorifeben 23oben entnommen ift, butcb melden baS pofitioe religiöfe 23e!enntni| bebingt »itb. 0iecba ift für fRatban nur ein anoertrauteS Pfanb; ©briftin oon ©eburt, bie Pflegetochter eines 3uben, bie dichte eines mobamebanifeben ©ultanS »ie foB fte erlogen »erben? ,,©i freilich" fagt ber Älofterbruber:

„klüger hättet ihr gei^an „äßenn ihr bie ©hnftin burch bie jroeite £)anb „5118 ©h^ftin auferjiehen laffen; aber .©o hättet ihr baS Äinbdjen eure« greunbeS .Slueb nicht geliebt. Unb Äinber brauchen Siebe,

„SBarS eines wilben Spiere« Sieb’ auch nur,

„3u folchen 3ahren mehr als (Sbriftentbum.

,3um ©hriftenthume hat« noch immer 3eit „SBenn nur baS Stäbchen fonft gejunb unb fromm „Sßor euren Slugen auf gewachten ift,

„So blieb ’S oor ©otte« Slugen, was es mar.',,)

©icber bat fftatban hierin nicht Unrecht getban, aber foBte er eS, er felbft erfldrt ftd} bereit oor bem üRecbenfcbaft ab^ulegen, ber unb biefer 2tuSfpru<b ift nicht bet geringfte 23e»ei8 feiner 2BeiSbeit,

„Mein ben SWenfchen nicht 9lach feinen 2haicn braucht ju richten, bie ©o feiten feine Saaten fmb.*”)

©8 »ar nicht meine äbficht eine <Sb«a ctcriftif ber in bem Drama auftretenben Perfonen ju geben, bie Äuno gifcher in un» übertrefflicher äöeife geliefert b®t, ich »oflte nur bie aBgemeinen

©eficbtSpunfte einer Dichtung barlegen, bie »ie feine anbere auf

c»n>

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26

bnß fittlidi religiöfe l'ebctt unfereä SBoIfeö ju toirfen geeignet ift. Sollte idj überzeugt ober nid)t überzeugt haben, icf> empfehle immer non neuem bie Scctiire beS tieffinnigen SDrama anb fdflie&e mit ben frönen Sorten ©uftap Sdjmabß:

,,9lud) biefer 9tatban ift ncd) immer frifcb,

,3ft Seben, wie’« bie cd)tc 2)id)tung ift.

„©ein ©leidmifj Pon ben Dringen funfeit nod),

»3um Sinnen unb 3U111 3weifel weeft noch- „Sod warum baren fp roden, wenn fein Sort,

„Sein eigene?, nur l;arrt »en unfern Sippen „(Sin tbeuereß 25ermäd)tnif}, außjugeljn?

,®ewäbrt ibtn Stille bicfein ernften 3öort;

„äiewegtß in eurem ®eift; unb angftet’ß cud . ,So ruft etnper, maß ibr in eigner ÜBruft „SJon Ucberjeugung unb een ©lauben begt „Äcin ©ert ift furchtbar, wenn ben pörer ,9Jiit innrem ©egenwert gerüftet finbet.

,2)rum, Sreunb unb Siberfader, bordet auf!

„Dtur Segen bringen fann ein ©idterwert."

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'Jlnmcrfmt fielt.

I) Stiller bat gu gwei »erfeßiebenen 3<dten i'on »erfeßiebenen @e« fießtöpunften auS, fehr uerfdjiebcn über ten SRatßan geurtßcilt. Ser Stert beß Vertrages nimmt iöegug auf bie Abßanbtung Schiller? über tiaiue unb fentimentatifeße SDidjtunej. 3nbrm er ben Untcrfcßieb ber Äo* mßbie unb ber Xragßbie bejpridjt, jagt er, baß ber Xragöbienbicßter feinen ©egenftanb immer practifd), ber Äomßbienbicßtcr ben feinigen immer tßeeretifcß beßanble, auch wenn jener, wie Üefjtng in feinem 9latban, bie ©ritte hätte einen tbecretifd'en, biejer einen praetifeßen Stoff gu bearbeiten. Ser Xragifer muffe ficb not bem rußigen Diaifennement in Acßt nehmen unb immer ba? .perg intereffiren, alfe turd' beftänbige ©rregung ber tfcibenfdcaft feine Äunft teigen, unb bieie Abunft fei um fo größer, je mehr fein ©egenftanb abftracter Diatur fei. ,3m Diatban bem SÖ3eifen , jo fügt er in einer Anincrtung hingu, ift bieje? nicht ge* feßehen ; ßier bat bie froftige Dlatur bcS <Stoffeß ba6 gange AUmftwcrf er* faltet. 9t ber üeffing wußte felbft, baß er fein Xrauerjpiel jtßrieb unb uergaß nur menfeßlitßer 2Beife , in feiner eigenen Angelegenheit bie in ber Sramaturgie aufgcftctltc ?eßre, baß ber Siebter nidjt befugt fei, bie tragifeße gerin gu einem anbern al6 tragijeßen 3t»ccf anguwenben. Ohne feßr wejentlidje Sßeränberungcn würbe ci faum mßglid; gewefen fein, biefe? bramatifeße ®ebid?t in eine gute Xragßbie umguftßaffen; aber mit bie? gufätligen i!eranberungen mßcßtc es eine gute Äotnebie abgegeben haben. Sem letzteren 3wccf nämlicß hätte ba? '■patßctifd'e, bem erftern ba? Oiaifonnircnbe aufgeopfert werben muffen, unb cS ift wol feine grage, auf welchem een beiben bie Schönheit bieje? ©ebießtä am meiften berußt (XII pag. 199). ©ang anberS Hingt bie furge ©rwüßnung beß Dlatban in bem Auffaße: Sie Schaubühne alß eine moratifeße Amtalt betraeßtet:

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28

„fRidtigere Begriffe, gelauterte ©runbfäße, reinere ©efüblc flicßcr wm feier au« burd äße Sbern beS BolfeS ; ber SRebel ber Barbarei, bei finftercn Aberglaubens Derfdwinbct, bie dtadpt weid)t bem fiegenben Sicht Unter fo Dielen herrliden grüßten ber befferen Bül)ne »iß id nur £»« auSjeidnen. 3öte aßgemein ift nur feit wenigen Satiren bie Sulbung ber tReligionen unb Seelen geworben? 91 cd el;e uni fRathan ber 3ube unb ©alabin ber Saracene befdämten unb bie göttliche Sehre nnl prebigten, baß (Ergebenheit in (ädott oon unferem SBahncn “brr ®ott gar nic^t abhängig fei u. f. w.' (X. pag. 77).

2) 9iur auf einen punft wiß ich nDCh aufmerffam machen, nämlich auf bie Doßftänbig unflare unb »erworrene (Ehronclegie. Sie $wnblung bei Stüdeö faßt in baS 3aljr 1192 an baS (Snbe bei nach ber (Er* oberung AccaS abgefd)loffenen äßaffenftiflftanbeS. Sicca hatte f«h am 2. 3uni 1191 ergeben unb Philipp II. bereits im Auguft 1191 bie fRüdreife angetreten, als ber SBaffenftiflftanb abgefcploffen würbe. bem Stüde aber wirb Philipp II. noch als in Paläftina anwefenb tor* ausgejeßt, ba er nach Pein Biunfde beS Patriarchen bie epanb baju bieten fofl, ftch SalabinS ju bemächtigen, wenn er ft<h ju feinem Bater nach ber auf bem Libanon belegenen Befte begeben werbe (1,3). Bebenflidxr ift bie Chronologie in Be$ug auf IKecha. tReda ift ror 18 Sah™ bur<h ben .(Uofterbruber Statban übergeben worben, als fich ber Bater nach @aja werfen mußte, um biefen Ort gegen Salabin ju oertheibigen. 3u ihrer (Erziehung hatte tUattjan Saja ins £>auS genommen, weide fie feit ihrer erften Äinbl;eit gepflegt unb fie nad tRedaS eigenen Serien eine SDRutter fo wenig miffen taffen. tReda ift alfo 18 3abre unb Safa annähernb fo lange in iUatbanS f)aufe. AnbercricitS aber erfahren wir, baß SajaS ÜJiann ein (Ebelfnedt in Äaifcr gricbridS fjecr mit bieiem im gluße ÄalpcabnuS ertrunfen war. Sa biejeS aber am 10. 3nni 1190 gefdah, fo fann Saja faum 2 3ahte in BathanS ^)aufe unb SReda mußte nidt älter als 5 Sahre fein, jurnal @aga non Salabin erft 1187 erobert würbe unb OtedaS Bater bei Alcalcn fiel, welches Salabin ebenfaÜS erft 1187 einnahm (IV,7). Ser Sidter läßt wol ablidtlid bie (Ehronologie unbeadtet. wenn aud nidt redt cinjufebu ift, weshalb er eine Weiße hiftorijder ÜJiomentc hrrDorßebt.

3) Sie SSejdaffenheit ber Bcrfc ift bem gangen (Sharafter bei ©tüdeS angepaßt, wie Bejfing felbft in einem Briefe an SR ander com 18. Sec. 1778 fagt, er habe wirflid bie Berte nidt beS äßelflangeS

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wegen gewählt, fonbern »eil fr glaubte, baß ber orientalifebe Son, ben er bod) bifr unb ba angeben muffe, in bfr f)rofa ju fe^r auffallen bürfte. Sie 9?erfe im fftatban ftnb, fagt g. 98. ©Riegel in ber lebten feiner Seriefungen über bramatifdje Äunft unb Sitteratur , oft fyart unb nacbläfftg gearbeitet, aber wahrhaft bialogifcb, unb ihr nortbeilhafter ©nfluß ift tctdjt ju fpüren, wenn man ben Jon beS ©tücfeS mit bfr $>rofa feiner Dorbergebenten Dergleicbt, unb an feinen S ruber feb reibt ?efftng am 1. Sejember. 1778: „9)ieine iprofa bat mir Den jeher mehr 3eit gefeftet, al« Sßerfe. 3a, wirft Su fagen, als foldje 93erfe! SJlit ©laubniß; itb bäcbte, fte wären Diel fdjlecbter, wenn fte Diel beffer Wären." ®r gab, wie WemeDer trejfenb bemerft, ben 3®mben mit Slbficbt feine größere ^ormpoüenbung, weil er Den bein ®runbfaße auS- ging, baß ber bramatifebe 93er« als folget feine felbftftänbige Schönheit in Ülnfprucb nehmen bürfe, unb baß burcbauS funftgereebte Scrfe ju fe^r ju bloßer Seclamatien Derleiten. ©o ftnben wir niebt bloS ben 3ambu8 in allen güßen, felbft im fünften mit bem ©ponbeuS, ja fegar mit bem SrocbäuS Dertaufdrt, fonbern autb brei breijebnfilbige, fünfybn jwölf« ftlbige, fünf neunfilbige unb eilf a^tfilbige SBerfe. Sie in ber jweiten 9lu8gabe gemachten Serfudje einzelne biefer 93erfe ju Derbeffern, febeinen mir nur jum geringften Sl) eile gegtücft ju fein. cfr. §r. 3ara<fe. Heber ben fünffüßigen 3ambu8, mit befonberer SRücfftcbt auf feine S3e- banblung bur<b ffefftng, ©cbiller unb ©oetlje I. 1866.

4) Sie fogenannten 9Bolfenbüttler Fragmente ftnb SKuSjüge au8

einer größeren ©djrift be$ Hamburger ^rofeffor Hermann ©amuel SReimaruS: „©ebußfebrift für bie nemünftigen Verehrer ©otteS" unb würben oon üefitng a!8 angeblich auf ber Sibliotbef in 9Bolfenbüttel gefunben mit wiberlegenben Ulnmerfungen in 3 auf einanbeTfolgenben Slb- tbeilungcn berauögegeben: 1. Son ber Sulbung ber Seiften J774.

2. 'l'on 9>erfcbreiung ber Vernunft auf ben Äanjeln. 3. Unmöglicbfeit einer Offenbarung, bie alle auf eine gegrünbeteärt glauben fönnen. 4. Saß bie Südjer beS alten Seftaments nicht gefebrieben feien eine ^Religion ju offenbaren. 5.) 5>om Surcbgang ber SSraeliten burd) ba8 rotlie 9Jleer. 6. Sen ber SluferftehungSgefcbicbte 1777 unb 7. 3wecf 3efu unb feiner 3ünger 1778. ©ne Ülnaltjfe ber ganzen ©ebrift Don 9ieimaru8 giebt SaDib ©trauß in feinem Sud?: Hermann ©amuel IReimaruS unb feine ©djußfcbrift für bie nemünftigen Sereßrer ©otteS üeipjig 1862.

5) ©ne ©efdjicbte beS Streits unb feiner Sebeutung für bie

(97S)

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30

Stbeologie flieht Äarl Schwär^: ©. S. Effing als Hjectogc, Volle 1854. Sine bibliothefarifche UngefäUigfeit, wie ©erninuS ficfe außbrüeft heffing ijatte nätnlid) eine grage nach ptattteut jebeti IBibclauSgaben auf her Sholfenbüttler töifcliotljef , bie er gerate am Sterbebett feiner ©attin er* l)ielt, unbeantwortet gelaffen war oieQeic^t ber ©runb, bag ©oeje heffing wegen ber Verausgabe ber anfangs jiemlieb unbeachtet gebliebenes gragmente angriff. SS gefchab biefeS 1778 in 4 Slrtifeln ber jegen. fehwarjen Leitung 3iegraS, bic er bann unter bem Xitel: ,SlwaS »er* läufiges gegen beS Vmn Vorrat!} heffrng mittelbare unb unmittelbare Singriffe auf unferc aflerheiiigftc Dteligicn' gefammclt hcrauSgab. Seffutg antwortete 1778 mit feiner 'Parabel, lieg barauf feine Sljriomata folgen unb fchlog biefen erften gelbjug mit ben eilf Stücfen beß 2lnti*©oeje. Siefer erwiberte in ,?ejfingß Schwächen", Stüc! I unb 2, beren erfteß fcel* forgerifche Slnfprachcn enthält unb beren j weites bie Sereitwilligfcit er* flärt, mit heffing barüber ftreiten ju wollen, ob bie chriftliche iKcligion beftehen fönne, wenn bie '-öibel »erloren gehe, bocb iotle heffing erft fagen, waß für eine ^Religion er unter ber chriftlichen »erftehe. hejfing antwortete in ber „Stöthigen Slntwort auf eine jcl;r unnethige grage beS Verrn Vauptpaftor ©oeje", bag er unter ber chriftlichen jRctigion bie* jenigen ©laubenßlehren »erftche, welche in ben Symbolen ber »ier erften 3ahrhunberte enthalten jeien. 3n bem britten Stücf »on heffing* Schwächen ging ©oeje hierauf jroar nicht näher ein, aber hefftng »et* folgte biefen ©ebanfen weiter in ber: „9iö tilgen Slntwort auf eine fehr unnütpige grage, * Srfte geige 1778 unb wibcrlegt in bcrfelben bie S3e* bauptung, bag alle hehrer ber chriftlichen Äircbe ohne Untcrfchieb bet Parteien, bic S3ibel für ben einjigen hehrgrunb ber chriftlichen Religion gehalten, bereits »or bem Srfcbeinen ber „St öligen Slntwort" war »ou bem töraunfepweigijehen 9Jtinifterium ein SSerbot ber gragmente unb beS Slnti-@oeje erlaffen worben, unb heffing entjehlog fi<b bcßhalb, als ihm »om Vermöge auch bie CScnfurfreitjeit genommen unb unter Slnbrohung fchwerer Ungnabe unb Strafe bie S5efanntmachung anberer Stücfe ber gragmente unterfagt würbe, bem geinbe »on einer anberen Seite in bic glanten ju fallen. Sr nahm ju biefem 3wecf einen Stoff aus S?occac* cioß iDecamerone »or, ben er bereits früher bramatifch ju bearbeiten ficb entfctjloffen hatte. So cntftanb aus ber Srjäblung »cm 3uben 'Diel- chifebef, 'Jiatl)an ber Steife, ben heffing »om Sluguft 1778 bis 'JOiärj 1779 pollenbete unb auf Subfcription bruefen lieg.

(976)

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31

G) Skt 3, Scene 7. 7) Skt 4, Scene 7.

8) Plattl). V, 23. 44 u. 45. 9) Skt 4, Scene 7.

10) Skt 4, Scene 7. 11) Skt 3, Scene 7.

12) Slct 4, Scene 7.

13) SUi8fi%lid)ea barüber giebt i'ecfi) : ©ej^idjte ber Slufflarung.

14) $ebr. I, 14. 15) Skt 1, Scene 2.

16) Slct 1, Scene 2. 17) ebenbajelbft.

18) ebenbafelbft. 19) ebenbaflebft.

20) @ef<hid;te ber beutfrfjcn Sichtung, 5. Slufl. 23b. IV pag. 453.

21) Veffing l;atte j. 23. fogar in einem früheren Streite @oeje8 mit jeinem freifinnigen SlmtSgencffen Sllberti, roelt^er aus bem Atrien* gebete bie SLkrfludjung ber Reiben auSgclaffen unb in feiner Schrift über bie Religion ben Seufel nicht auibnicflid) anerfannt hfltte, für ®oeje 'Partei genommen.

22) ®efcb. bet beutfchen £Did;tfunft. pag. 457.

23) Sie ausführlichere Plotioirung ber in bem Vertrage gegebenen Sluffaffung ber (Sharaftere fiel)e bei Äuno gijeher: SeffingS Ratl;an ber Söeife. Stuttgart. 3- 6otta 1894.

24) Slct 3, Scene 10. 25) Slct 2, Scene 5.

26) Slct 1, Scene 3.

27) Eie Perfon te8 SU<£>afi beabfichtigte tfefjing urfprünglich noch in einem Racbjpiel: „Ser Eermifch* mietet auftreten ju laffen. Stach Sünders i'ermuthung („i?effing8 Station ber Sfüeife" 1863) fotlte ber Eermifch roahrfcheinlich am ®angeS nicht au$halten, jonbem fich au8 ber Süüfte mieber ju Rathan jurüefgejogen fühlen unb erfennen, mie hoch ber meife, für oiele jcgengreich mirfenbe, bie Pt üben be« üeben« ge» faßt ertragenbe Rathan über ben perüfeben SBeifen fte^e unb fo felbft ju einem thätigen Üeben gemonnen merben.

28) Slct 4, Scene 7. 29) Skt 1, Scene 3.

30) Uejftng felbft fpridjt feine Slniichten hierüber ganj unjmeibeutig in ben Semerfungen über bie (^ntftebung ber geoffenbarten Religion au$: „Eie Unentbebrlichfeit einer pofitioen Religion, fagt er, oermöge melcher bie natürliche Religion in jebem Staate narf) beffen natürlicher unb zufälliger 53ef chaff en^eit mobifteirt mirb, nenne idi bie innere SBabr» heit berfelben, unb biefe innere SBahrheit ift bei einer fo groß mie bei ber anbereti. Sille pofitioen unb geoffenbarten Religionen ftnb folglich gleid; rnaljr unb gleich falfcb. ®lcid) mabr: infofern ee überall gleich nothmentig gemefen ift, fich über ocrfchiebene Singe ju Dergleichen, um ilebereinjiimmung unb Sinigteit in ber öffentlichen Religion heroorju»

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bringen. ©leid) falf$: tnbrm nidjt fcwoljl ba«, Worüber man fleh »er* glichen, neben bem 3Bef entliehen befielt, f entern baS ©eientlic^e fchwächt nnb berbrängt. Sie befte geoffenbarte ober pofitice SReligion ift bie, Welche bie wenigften conbcntionellen 3ufafce jur natürlichen Religion ent* hält, bie guten SBirfungen ber natürlichen ^Religion am wenigften ein* fchranft.*

31) «ct 3, ©eene 7. 32) «et 4, ©eene 7.

33) 9lct 5, ©eene 4.

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Dtucf een QSebr. Bngti (Üb. Wrfmm) in Cftltn, e^önebngttfttaS« >7».

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$£>ie

im ©Ihintwrigiatljfti l[iir$i0ni|«ni Jidbiifdfo.

23on

@uftöo ^(botyl) Höggwatlj.

ß erlitt SW. 1876.

33 e r I a g oott (Jarl $ a 6 e l.

(f. tS. ütrlagsbat^bonblong.)

33. 35?illjtlm Strafet 33.

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Sa« Uebtrie$ung«re$t in frembe ©praßen t»irb sorbffyalttn.

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feit) ift bereits feit einem 3afyrl)unbert SJiandjeö in ganzen Supern unb befonbern Slbtianblungen »on mineralogifcher, geologifcher, archäologischer, ^iftorifc^er unb tedjnift^er ©eite »ercffentlidjt. (Sine eingehenbe allgemeine Ueberfidjt bet heutigen tecßnifchen unb merfantilifdfen ©ebeutung biefer 3nbuftrie ift aber nid)t norhanben, unb biefe mit einigem ‘Änbetn, was bamit in unmittelbarer S3ejiel)ung fte^t, ju geben, ift bie Senbenj ber gegenwärtigen Slätter. (Die SJiitheilungen grünben fidj auf meine eigenen lÄnfchauungen unb (Srforfdjungen an Ort unb ©teile unb auf bezügliche fltotijen funbiger $reunbe, zugleich mit S8c= nußung einiget fd)riftftellerifcher Quellen1).

SDie an bet fllalje liegenben fleinen ©täbte ober ftlecfen Ober*

ftein unb 3bar nebft ben angrenjenben ©emeinben, welche bem dürften* thum angeboren, finb bie SBiege ber Sldjatfcbleiferei , beten Ur* fprung ficfy bis in baS fünfzehnte Sahtljunbett mit ©idjerheit »erfolgen läßt, unb welche noch heute jum ©egen beS t>on fleißigen SERenfchen bewohnten ©ebieteS fortblüht. 3n bet neuften 3eit

hat bieS ©ewetbe einen großartigen Sluffchwung genommen, weil mit bem gefteigerten ÜujruSbebürfniß in gleichem üJiaße bie tedj"

nifchen £>ülf8mittel fich cerocQfommnet haben.

XI. 264. 1* (»SU)

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4

SieDeidjt mcdjteu meine SRittbeilungen barüber, geneigte üefer, gum Sefud)e biefer 3nbuftrie*@egenb anregen, unb für biejen 3*»ecf mag e8 mir geftattet fein, gunätbft in ber Äürge ben mehrfach intereffanten SBeg angubeuten, melcber non ben Ufern be8 9i^ein8 in jenes ©ebiet fübrt.

Son ber ©ifenbabnftaticm Singerbrüd bei Singen am fRfyein erreichen mit mit bem Safynguge in ein unb einet falben ©tunbe ben Jpauptort beö JabrifgebieteS Dberftein. einen Slid auf ben in bet üftergenfonne gli^etnben fWtjein , auf bie Sfebengärten beö fRiebetmalbefl, unb ba8 ©cbienengeleife trägt un8 rafd) IanbeinmörtS , bem Saufe ber jftalje folgenb, nad) bem beilfräftigen ©oolbab Äteugnadj mit feinen ©alinen. hinter SJlünfter am ©tein mengt ficb ba8 J^al plßfslidj; in fü^nen formen emporragenbe fiorpbprfelfeu treten ju beiben ©eiten be8 ^lufjeS ferner, al8 bie SSacbter be8 9la^etl?al8, bie ©bene »cn Singen bi8 Äreugnadj beberrfdjenb. ©inet ber madjtigften gelfen , bet faft fenfredjt au8 ber fRabe aufgufteigen fdjeint, bet JRbeingrafenftein trägt bie krümmet einer Surg , ber frühere ©ijj ber SR^etncgrafen gum ©tein; meiter gurücf minft bie ©betnburg, meiere gut 3eit eine Sefte be8 matfern SRefermatienä* fämpen gtang c. ©idingen mar, jej$t aI8 frieblid?e8 2Birtb8> bau8 bem SBanbeter ©rquidung bietet. .Raum f?at ber folgenbe Sunnel un6 au8 feinem fDunfel entlaffen, fo ift bie ©cenerie mie mit einem 3auberfd)lag oeränbert. 2Bir beftnben un8 in einem meiten Sl^alfeffcl, mo bie Sobenfultur ber ©bene mieber in ihr SRecbt eintritt; befcnberS ftub e8 SabadSpflangungen, meldje b^ fci« «paupternäbrungequelle ber Semebner bilben. 3ur Üinfen labet un8 bet fDipbobenberg gu ruhiger Seftbaulidb« feit ein. 3m festen 3abtbunbert baute frdj biet ein fd)ettijcbet ©infieblet ©ifibobue eine Älaufe; balb fiebelten fttb ÜJißntbe unb

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9lonnen an, meldße lange unter bem mäißtigen ©rßuß Bon GIjunnainj frieblicß mit einanbet Rauften. Die Tonnen unter güßrung ißrer gelehrten ISbtiffin, ber ß. «fjilbegarb Berließen bie jfloftergebäube guerft, unb bie 9Rön<ße felgten ißnen 1650, butdß bie SBirren bet fReformation^eit Bertrieben; balb Betfielen bie großartigen ©ebäuließfeiten in ©cßutt unb SWober, nnb mit ber 3«t ging fogar bie fPfiugicßaar über bie feltenften Sau» benfmale (§8 ift ba8 Serbien ft beb Berftorbenen SeftßetS beb SDiftbobenbetgS -£>etrn 2Sannemann, bie 2ir<ßiteftur gleicßfam neu entbedt unb wie Pompeji aub bem Schutt aubgegraben ju ßaben. £Die mie ein $)ßöni;t entftanbenen SRuinen ßat er mit gefeßmad» Bollen fparfanlageit umgeben unb babei fo feinfinnig bie oon einzelnen Krümmern gebotenen fDiotioe mit ju ben Anlagen benußt, baß aug bem Sitten unb fReuen ein ßarmonifdßeg ©anje entftanben ift. Sei SKonjingen oerengt fieß ber Sßalfeffel mieber; auf ben umießließenben ^ößen oon grauem ©anbftein, ber ein auSgejieicßneteS Saumaterial bilbet, wirb ein Bortrefflirßer 2Bein erzeugt, ein feuriger ©efetle, toenn ibm aueß bie feine Slume beb fRßeinb fehlt. 3n ber gerne ßeben fieß bie mäcß* tigen krümmer ber Surg 2)ßaun Bom Jporijonte ab, tno einft bab fagenummobene füßne ©cfrßlecßt ber SBilb» unb fRßeingrafen fein #oflager ßielt. Som ©täbteben Äirn ab treten bie Seife« ju beiben ©eiten beb glußeb eng jufammen, unb bie fRaße müßlt fi<ß faft geroaltfam ißr Seit buteß ben bunflen 5Relapßpr, bet in neufter Beit bie fPflafterfteine für $)arib liefert. Salb fdßrt bie Saßn bureß bunfle Junnelb, balb über Siabufte, ober ber nötßige SRaum $um SBege ift in bie fteile gelbtnanb eingeßauen; babureß wirb bem Sorüberfaßrenben in faleibobfopiftßer Äbroetßb* lung eine fReiße ber pifanteften Silber oor Stugen gefüßrt. ©o bietet futj oor Dberftein bie ©egenb einen grabegu einjigen

(SS*)

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änblid, weiter ft<h burcb feine bigatte Gigentbümlicbfeit felbft im gluge bem Gebäd)tni§ utteerge&lidb einprägt- Gine mächtige gelßmaffe ber gangen Gebirgßmanb b®t !ft<b burd? (Spaltungen einftmalö oon ber pöhe loägelöft unb ift in baß ©bal hinab* geführt. Bum !£heil bängt fie über ber ganbftrafje, ben ääanberet mit Sernidjtung bebrobenb. Äeiue Äunbe auß Ijiftorifc^CT 3ett melbet ben Gintritt bet Äataftrophe, unb hflt fi<h fogar e*ne gamilie ben faft breiecfigen 9iaum gmifcben ber ©pifje beß „ge* fallenen Reifens" unb ber Gebirgßmanb gu ihrer fröhlichen SBeb* nung erforen unb nur bie grontfeite ber pütte burch eine tünftlicbe Stein* ober Üehmmanb her3efteUt. ©ie SDtacht ber Geroohnh«t läfjt hi« baß fcheinbar Gefährliche ber Sage »ergeffen.

9toch ein Tunnel, unb ber Sahnhof Cberftein ift erreicht. Gr hat eine »unterooHe Sage unb gemährt bie befte SSußftcht auf baß malerifcbe ©tabtdmn unb bie nmfdjliefienben ÜJielaphor* felfen. Bwif&en ber gu unfern güfsen fchäumenben 9tahe unb ber fdjroffett gelfenmanb ift für menfchliche SBohnungen roenig fRaum »orhanben, beßbalb fteigen bie pduferreihen teraffenformig in bie Jpö^e. 3m pintergrunbe ragen faft lotljted't emperftrebenbe Reifen , oon melchen gmei Surgtrümmer tragen : baß alte unb baß neue Schloff beß längft untergegangenen ©pnaften*Gefchlecbtß ber Grafen oon ©hun unb öberftein. ©er gelten, beffen gu§ bie 9iabe befpült mit ben fpärlidjen Ueberreften ber alten Surg geigt in ber SKitte feiner norbern mie eine SRauer auffteigenben Söanb ein mühfam in baß Geftein eingebaucneß Äirdjtein, gu meldbem fteile gelfenftufen führen. Gin überrafdjenber Slnblid, ben man aDenfallß auf einer mit überfchmäuglicber fPbantafie gemalten Stbeaterbeforation in gutem Glauben benimmt, „b*er »uirb Greiguif).“ Sud? h*et muffte bie oft unb in oielen Sariationen mieberfehrenbe Sage oon einem Srnbertnorb unb barauf erfolgter

C9M<

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©üßnung burcß 3?auen eines ©otteSßaufes ben SSnla^ jur ©nt« fteßung geben. ©in ©raf non Dberftein, fo erjagt bie Sage, fiürgt in grimmer ©iferfucßt feinen Söruber burd) baS 33urgfenfter bie SelSroanb ßinab; 3ur ©üßnung ßößlt er mit eigner £anb ben Seifen auS unb trägt felbft bie ©teine jum Äircßenbau in bie «g)ö^e. Ser 2lbt »om Sifibobeuberg erteilt bei ©inweißung beö ©otteSßaufeS bem törubermerber bie Slbfolution, unb biefet bridjt tobt ju ben Süßen beä ß'ircßenfürften jufammen. ipifto* rifcß ift, baß um baS 3aßr 1482 ßiet an ©teile einer baufällig geworbenen Äapelle ein größeres Äircßlein in gotßifcßem ©tple erbaut mürbe, mie bieS aus einer nocß norßanbenen 3aßre$3aßl in ben bunten ©laSfenftern ßeruorgeßt. SBeiter jurüd ergebt ficß eine ßößere SelSpartßie mit bem auSgebeßuten Strümmerfomplej: bet neuen SBurg. SaS ©anje ift mit ßübfcßen Slnlagen »erfeßen, fo baß man bequem auf bie ßöcßften fünfte gelangen fann, oon welcßen man eine entjücfenbe äuSficßt auf ben roilben Stßal* feffel mit bem freunblitßen, rüßrigen Dberftein unb bie einfcßließen« ben SBerge ßat. Sem löaßnßofe gegenüber fließt auf ber linfen ©eite bet Sbarbacß in bie 9taße. Setfelbe ift ein HeineS @e* birgSroaffer, beffen SBafferfraft norjugSroeife ben treibenben Saf* tor für bie gan3e Slcßatinbuflrie bübet; mit folgen feinem Saufe unb erreichen in etwa 20 Söiinuten auf lieblichem Stege immer aufmärtSfteigenb baS ©tübtcßen 3bar, welcßeS ficß mit feinen faubern Käufern lang geftrecft uadß bem ©teinfaulenberge ßin« gießt. Seßterer mar in früherer Beit ber .fpauptfunbort für bie Sicherte. 3bar fcwie Dberftein machen einen beßäbigeu ©inbrucf. 5ftan fießt 3war feine »runfoollen ©rünberrooßnungen, aber aucß feine »erfallenen Jpütten; reinliche, nette, wenn aucß befcßeibene Käufer geben bem ©ebiete feinen freunblitßen ©ßarafter. ©8 hängt ficß einem bei febem ©cßritt bie SBaßrneßmung auf, baß

0>»J

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hier burdj gleif) eines babei bod? luftigen BölfchenS ein gefnnber SRittelftanb hetporgegcmgen ift. [©eine giebt Seber Beicheib übet bie gabrifation, ein 3eber ift bamit pertraut, wenn er auch burd) feine iJebenSfteHung nicht bireft mit ihr in Berbinbung ftetjt. Bur hier, wo fid) feit Sahrhunberten jbie Strabition pererbte, founte baS j@ewerbe gn einer folgen Blüthe gelangen. 35ie Erfahrung tyat gelehrt, ba| baö (gemaltfame Berpflangen ber Achatfdjleiferei auf anbern Beben , wie bieS bei on ber 8 nach bet (Sntbecfung ber brafilianifchen Achate geic^eijeu ift, ju feinem glüdlichen Befultate geführt hat, unb ba§ felche StabliffemantS balb wieber eingehen mußten. Befteljen auch anberwdrtS nod? (Schleifereien, wie in ©djlefien, Böhmen, Sprol sc., welche nur burch £anbarbeit betrieben werben , fo finb biej'e bocp oon ganz untergeorbneter Art; für ben Sffielthanbel ift fein Drt pon folcher Bebeutung wie bag Birfenfelb’fche ^abrifgebiet, bier furj bie gabrif genannt, obgleich bie (Einheit einer folgen nicht befiehl, unb jebet babei Betheiligte felbftftänbig für feine eigene Bedmung beschäftigt ift.

SBenu auch bem näheren 3®ecfe biefer Blätter bag ©eologiiche ferner liegt, fo mag boch nach ber bezüglichen 5Rittheilung meines Baterg, 3afob Böggerath, augjüglich au8 einer feinet populären Schriften h^t aufgenommen werben. 3n ber Umgegenb pon Dberftein unb Sbat befinbet fich in großer Berbreitung pon meb* reren Bteileu unb zugleich in bag preufjifche ©ebiet meilenweit fich erftreefenb, mächtige Ablagerungen eineg eruptipen fchwarjen, bräunlichen unb grauen ©efteinS, welches bie geologifdje ÜBiffen* fchaft 2Jtelaphpr (fchwarjen ^orphpr) nennt. (SS befiehl baS» felbe wesentlich auS einem feinförnigen ©emenge einer gelbfpath* art (spiagioflaS) mit Augit unb .pornbleube unb titanhaltigem

Biagneteit'enflein. 3n ben Reifen biefeg ©efteinS lagern bie

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Äcßate in jeßr unregelmäßiger Verbreitung, gang ootgüglicß an folgen Stellen, wo baf(elbe meßr ober weniger in einem oerroit* terten, aufgelöften 3uftanb ficß befinbet. 2Jlan fann gwei gönnen unterfcßeiben , in welchen bie 2lcßate anftreten; entweber finb fugeiförmige, ellipfoibifcße, manbel* unb bimförmige .Körper, wellte oft jeßr unregelmäßige gönnen befißen bie ©eologie nennt bieje Steinförper fDfattbeln ober bie flcßate erfüllen bie Spalten beö ÜUelapßorg. Die üJtanbeln finb oon eerjcßiebener ©töpe, non berjenigen einer ^jaieU ober Vaumnuß biß gu bem ©urcßmeffet oon mehreren guß. Sie enthalten bie wertßooDften Äcßate, welcße aus jcßönfarbigem , gebänbertem unb geftreiftem Stein befteßen, wäßrenb bie SluöfüQungen bet Spalten meift einfatbige unb un= burcßficßtige oon geringem SBertße liefern.

Urfprünglicß war ber fötelapßpr eine laoaartige, gejcßmol» gene, gäße SJiaffe, bie au§ bem Innern ber Qrrbe ßeroorgebrocßen ift, au$ welcßer ©afe unb IDämpfe ficß entwicfelt ßaben. JDiefe bläßeten bie ÜJiaffe auf, unb ließcu nacß bem ©rfalten unb geft« werben berjelben leere Slafenräume oon ber ©eftalt bet '3cßat* manbeln gurütf, eine ©rfcßeinung, welcße ficß trioial mit ben Vlajen im SBeißbrobe unb Äutßen oergleicßen läßt. Später, alö ba8 ©eftein nacß unb nacß oerwitterte, würbe burcß einftcfernbe unb oietleicßt aucß oon unten auffteigenbe ßeiße SBaffer bie Äiefelerbe auö bem SJtelapßpr aufgelöft, unb fciefe 8öfung in bie leeren SKanbel» unb Spaltenräume eingefüßrt. £Die ‘ilcßate finb ba8 Vrobuft beb lieber) cßlagö biefer SRaffen, unb bie oet* fcßiebenen üagen berjelben beuten bie SBejcßaffenßeit ber jebeöma» ligen Söjungen an, welcße nacß unb nacß gu Stein würben. SRieberfcbläge oon reiner Äiejeletbe wecßieln mit jolcßen, welcße ftembe Veftanbtßeile , 2.ßon, ©ifeuoj^b, 9Jlanganojrpbul u. f. w. entßalten, unb baßer finb bie oerjcßiebenen Duargoarietäten, welcße

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in ben fölanbeln ben Sidjat bilben, non »erfchiebenen färben unb fonftiger S3efrf>affenljeit. ©ie fötanbeln begehen nämlich au8 concentrifdj übereinattber gebilbeten, oft feßr feinen, abwecbfelnben Sagen non (S^alccbo«, Onor, Garneol, 3a§pi8, ^»otnftein, Ulmetbplt, Ounr$ u. f. io., aUeö in großer ÜRannigfaltigfeit ber $atbe, ©urci* fidjtigfeit unb ©cbönheit2).

©ie ©£winnung ber ÜHcbate gefcbielit burch ftoDenartige 33aue, welche an ben ©ehangen ber pfeifen in ben ÜRelaphor getrieben werben, ©er 23ergbau ift ein feljt unregelmäßiger unb faum ein folcber 3U nennen, ba bie Stoßen mit ben nerfdiiebenften SSeubungen nnb nach ^Richtungen getrieben werbeu , wo Spuren non 2ldat im ÜRelaphor norfommen. ©ie 5Baue finb in ber Sßat mit gucbSlöcbern ju nergleidien.

©ie in früheren 3*iten in ber ©egeub fefyr ergiebig gerne* fenen Sunborte für fdjöne Stdrate haben ben erften Smpulä ju ben Schleifereien gegeben, ©a bie Achate, Jabpife unb anbere febene Quarj=SBarietätcn in biefer ©egenb, oft auSgewafcbcn au8 bem SJielapbpr* ©eftein auf ber Oberfläche unb in ben betten bet glüffe unb S^acbe umberlicgen, fo fonnte bie »Jlufmerfiamfeit ba* rauf febou frühe geriditet gewefen fein, unb auch bie 3?ennßung biefer febönen Steine burch einfaches Schleifen ihrer Oberfläche jur ©arfteüung uon ©eräthen unb Sdimucf lag nabe. Sange5) fagt in biefer SBe^iehung. „SSMr haben alfo hier eine uralte heimliche Snbuftrie »or un8, ba man ja im früheften SRittelalter achatne Clmulette, Siegelfteine, and? wohl Sd?wertgriffe u. f. w. lehr werth hielt, baß man gleich anfangs, fobalb bie bunfeln SBälber be§ 91abe* gau8 ber (Kultur ficb öffneten, bie offen ju Sage liegenben Sldjate ju fdjleifen nerfuchte. Sßirb e8 ju gewagt erfebeinen, wenn wir ben Urfptung in bie 3eiten ber Karolinger, bie wahr* fcheinlid) bie erften ©rafen be8 fRaljegauS ernannten, »erlegen,

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unb. muffen wir nicpt fogat an bie Beiten ber Nibelungen benfen, wenn wir unb erinnern, bafj einige ber gewaltigen Necfen, wie ber finftere pagen unb ber füljne punotb non punolbftein, am §u&e beb Sbarwalbeb, bem feigen Drohneefeu unb punolbftein, adern SKnfdteine nach ihre Burgen Ratten unb ba§ fte jebenfallb Ulchate zu fdjleifen wußten. Balmung, beb ©iegftiebb Schwert, hatte einen .Knopf een Sabpib „grüner noch alb ©rab." Die ©teile ber Nibelungen lautet nad) ber ©imrocf’fchen Ueberfe^ung:

„Der oenneffene pagen legte über bie ©djulter bin ©eine lichte SBaffe, au? beren Änaufe febten Nlit ^ctleai ©lang ein SaÄpib, grüner noch alb ©rab SSobl erfannte Ärieml;ilb, ba§ ©iegfrieb einft fte befug.*

23enn aud) erft in einer Urtunbe oon 1 544 eine Schleiferei, örtlich ©d)leifmüble ober Schleife genannt, erwähnt wirb, fo erfieht man bod) aub einem Schreiben oon 1600, bafj fdjon im Sa^re 1497 auf Gagebeiner " (Ghalcebone) in bem ©ebiet gegraben würbe unb bafj ber britte Gentnet an bie perrfdjaft abgegeben werben mufcte; in bem benachbarten, je^t preufjifchen ©t. SBenbel würbe bie Ulchatgräberei urfunblid) feben 1454 be* trieben. Ntan fann alfo getroft auch ben Anfang ber gabrifa* tion in bab fünfzehnte Babthunbert fefjen, ba bie gewonnenen ©teine jebenfaUß in ber ©egenb oerarbeitet würben, unb bie perrfebaft fid} bie Abgaben in ©elb unb nicht in Nolsmaterial hätte aubbegahlen laffen, wenn feine Ginrichtungen gur Bear* beitung ber ©teine oorhanben gewefen wären.

3u Ulnfaug beb fiebgehnten Bahrhunbertb würben unter ben oerfertigten SBaaven No cf* unb pembenfnepfe, Degengriffe, Nofen* hänge unb ftreuge, überhaupt nur febr einfache ©achen, genannt, welche oermuthlich burch haufirenbe Schleifer in ben benachbarten ©täbten unb ©chlöffetn feil geboten würben. biefer Seit

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mufe baß ©ewerbe einige Sbebeutung erlangt feaben, benn fcben auö bem Safere 1609 ejriftirte eine 3»nftorbnung , welche ©raf 9)feil4>p ftrang con 2>feun unb Dberfteiu für feine „leibeigene Untertanen unb .jpanbwerfßgenoffen" erliefe , unb gwar fowofel einen für bie ©i^leifer wie einen für bie ^tatbo^rer, weite con nun an alß getrennte 3wnfte auftreten. Unter ben cielen fit fpäter raft aufeinanberfolgenben^errftaften würbe biefe Drbnung groat meferfat mobificirt, blieb aber bot immer bie 23afiß für alle fpätere '.flbänberungen. SDurt einen ftrengen 3unftgwang unb butt ängftlite Sewaferung aüet gabtifgefeeimniffe glaubte man bie 3nbuftrie am beften gu forbern. £»aß 'Jlußwanbetn war ben Stleifern oerboten unb würbe ifeneu ©rlafe com ÜJtilitär* bienft gewährt, auch fonnten nur ©oferte oon 90leiftern gum ©ewerbe gugelaffen werben. JDem ftönen ©efcblette traute man nitt red)t in Söegug auf baß Slußplaubcrn, beßfealb war bem ÜRanne cerboten, fid? bei ber ^rofefficn con ber $rau Reifen gu laffen. 25afe bie Arbeiter leichtlebig waren, beweift bie 23eftimmung, bafe ber geferling bei feinem (Eintritt ein Viertel ©ein fefcen mufete, unb ein gleüfeeß, wenn er gum ÜJleifter getreten würbe. Slm 3unfttage würbe bei ber IKetnungßablage ber Ueberftufe nat gutem rfeeiniften 23raud'e oertrunfen; ohne £änbel ift eS bei folten ©elagen nid)t immer feergegangen, benn § 20 ber 3unftorbnung bebrofet ben, „weiter bie gauft fahren läfet ober com gebet giefet" mit 1 ftlorin ©träfe.

2)ed) fonnte bie 3nbuftrie fit bei ben politiften SSerfeält* niffen, weldje baß gänbten fcrtwäferenb gum 3anfapfel bet lefenß* berechtigten ©eitlediter matten unb baburt bie £errftaft immer wedjfeln liefeen, nitt rufeig entmicfeln, wogu not bejonbetß ber breifeigjäferige Arieg beitrug, beffen SRatwirfungen not SDecennien nat bem weftpfeäliften ^rieben jebe gewerblite Sfeätig*

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fett lärmten. SDie frangöftfche ^Resolution hob bie 3unftorbnung gefehlte!? auf; bie Schleifer unb ©obrer beftanben aber nach wie uor als gefcbloffene Snnungen, bis enblicb burch ben SBienet Straftat cd« 1815, 2ßerf ber SRetternich’fcben 3etfplittcrung8po* litif, baS ©ebiet au Dlbettburg fiel, unb 1817 non ihm über« nommen würbe. gäbt auch wegen ber Sfolrrt^eit beß Reinen SürftentfyumS unb ber Sbgefcbiebeubeit Bon ber entfernten Sen« tralgewalt manches in ben ftaatlidien Einrichtungen gu wünfehen übrig, fo ift bod) anguerfennen, ba| bie Dlbenburgifche Regierung ber äd^atinbuftrie ihre liebeBoüe Sufmerffamfeit gugewenbet, unb nicht wenig bagu beigetragen ^at, bab baS ©ewerbe gn ber hoben EntwicfelungSftufe gelangt ift, auf welker eS beute ftebt.

©rabe Bor bunbert fahren madbte ein ©eletjrter, fRamenS Eollini, ber SDireftor beS naturbiftorifeben 5Rufeum8 beS j?ur= fürften Bon ber f)falg gu SRannbeim, eine Steife in baß 'Mat» gebiet unb legte feine intereffanten ^Beobachtungen in einem eigenem SBerfe nieber.4) Er mufjte fidb feine Jtenntniffe beim« lidb Berfdbaffen, unb gäblte non ber Duelle bis gur 5Rünbung beS 3barbacbe8 26 Schleifereien. Er gibt eine fReUje Bon bort Berfertigten SBaaren an, unter welchen auS einem Stüdf gefebnittene fHdhatbofen gu erwähnen finb, unb fagt, bab bie 2tdbat= waaren bou Dberftein beinahe in gang Europa befannt feien. SDie 9ngabl ber Schleifet, Slchatbobrer unb ©olbfchmiebe berechnet et auf 250 SRann.

3u Anfang beS achtgebnten 3abrhunbert8 würben guerft ge* fdjliffene Schate in Silber unb Stombaf gefaxt, woburch natürlich ein gröberer gormenreichtbum für bie SBaaren gefchaffen würbe. SDie geute, welche fidb bamit befchäftigten, würben ©olbfchmiebe genannt unb beftanben als 3unft für fiefa ; fo entftanb bie Dbet« fteiner „bijouterie fausse“, welche gur 3eit ber doOini’fchen

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Jfteife fcßcn 40 Reiftet johlte, heute aber alö felbftftünbiger @e* werbögweig, ba bie SÖteßrjaßl ber ©olbfcßmiebe ficß nur mit reinen SHetallmaaren befaßt, ga^lreid^en SBemcßnern be§ gürften« tßume Arbeit unb örot gibt, ©ie rührigem ©olbfdjmiebe, melcße ju einigem Vermögen gelangt waren, betrieben allmählich bie 9)rofeffion nicßt mehr jelbft, jonbetn besorgten nur ben SBerfauf bet JBaaren, unb bitbeten feit 1780 ftßon einen eigenen JpanbeU* ftanb, bureß welchen regelmäßig bie granffurter unb Seidiger ÜReffe bejegen mürbe. Sie ließen bei felbftftänbigen fBteiftern auf SSeftettung arbeiten, wie bieö noch heute gefeßießt. Strbeit* geber unb Arbeiter fteßen fich unabhängig gegenüber, babureß finb bei biefer Snbuftrie bie in ben leßten 3aßren fo grell ßer’ Borgetreteneu Uehelftänbe beö gabritwefene gar nicßt norßanben.

Um bie epoeßemaeßenben (Sntbecfungen unb (Srfinbungen, welchen baö ganje ©emetbe in biejem Saßrßunbert einen fo be* beutenben gortfeßritt 3U cerbanfen ßat, in ißret ganjen Tragweite mürbigen ju fönnen, ift nötßig, Borßet einen (Sinblicf in bie Secßnif bet gabrifation ju tßun. ©ie SSafferfraft beS 3barbacߧ, bet 9taße unb anberer Sßaffetlüufe bet ©egenb finb jum SSettiebe bet nielen Schleifereien benußt. ©ie Schleiferei ober SSerf* ftatt befteßt in einem Keinen einftöcfigen ©ebäube. (Sin unterfcßläcßtigeS SBafferrab feßt bie Scßleiffteine au8 weißem, feftem, feinfötnigem Sanbftein bet Sriaö « gormation angehörig, beren 4 bi§ 5 in Bertifalet gage auf einet Slcßje liegen, iu to* tirenbe ^Bewegung. 3wifcßen bem SBafferrab unb ber 9(chfe ber Scßleiffteine befinben fieß 3wei Äammtäber, welcße bie SRo» tation befcßleunigen. ©ie Scßleiffteine haben einen ©ureß* meffer Bon 5 bie 5$ guß unb eine ©iefe bdu 14 3oD al8 Sdßleif* fläcße. ©ie ©efeßwinbigfeit ber Umbreßung beö Scßleiffteine ift burcßfcßnittlicß breimal in ber Sefunbe, alfo 180 OJtal in ber

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SJlinute, jomit 10,800 mal in ber Stunbe. 2>ie Schleifbahn legt baljer an bem wibet btefelbe gehaltenen Sdjleifobjefte in bet Stunbe eine Strecfe non 169,646 bi§ 186,613 guf) äutücf ober 7 biö 8 geographifche Steilen. Stuf ben Scbleifflächen finb £ohl= unb Diunbfehlen eingemeifjelt, welche je nach bem ju jchleifenben 2lcf>atftein ju gebenbe ^otm bei bet Arbeit benu^t werben, 3ln jebem Sdjleifftein fönnen jwei Schleifet gleichzeitig arbeiten.

23ei 91u8wahl bet Sdjleifffeine mujj cot allem barauf gefehen werben, bah fie feine Sprunge ober SRifee zeigen, weil fte bei ber enormen Schwunghaft leicht in Stücfe zetfprengt werben nnb baö Sieben ber Arbeiter gefährben fönnen, wie ftd) bieö oft unb noch in ben lebten Salden in einer Schleiferei ereignete, in welcher burch bie mit furchtbarer ©ewalt herauSgejchleuberten Stücfe Sir» beiter gelobtet ober cerwunbet unb 3Bänbe unb ©achwetf ber £ütte zerftört würben.

Sinncetwirrenbeö ©eräufch empfängt unö, wenn wir in eine fold)e in ooller Ölrbeit fich befinbenbe Schleifftube ein» treten; fanfenb breljen ftch bie ciele Gentner ferneren Schleif» fteine. ©inen eigenthümlichen SCnblicf gewähren bie Schleifer; fie liegen auf ber SZorberfeite beö ÄörperS auf einem für bie ©ruft halb cplinbtifdj auSgehöhltem Schemel, unb brücfen bie 9ld)ate entweber mit ber Jpanb ober cermittelft eines an ben Stein ge» fitteten Stäbchens feft an bie Schleifbahn; mit ben güfjen ftemmen fie fich gegen Duerleiften, welche am gufjboben aufgenageft finb. 9tur in biefer Sage fann bie ganze Ä'örperfraft wirfen, welche nöthig ift, um ba8 Schleifobjefl energifch gegen bie Schleifbahn Zu brücfen; auch ift e8 ben Arbeitern nur fo möglich, ben Schliff mit bem 9luge genau cerfolgen unb prüfen fönnen. SSon jebem Schleifftein läuft fortwährenb auS einer Oiinne Söaffet auf bie Schleifbahn, unb burch bie ftarfe griftion bietet ber

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fdjleifenbe ©fein pracbtcofle gicbterfcbeinungen bat, welche je nach bet 9lrt bet Steine in ben garben »etfdjieben mobificitt ftnb.4) SDie Arbeit in jenet Sage be8 Schleifers ift felbftoerftänbficb eine an* ftrengenbe, aber bodj nicht fo gefunbljeitSfcbäblich, wie man wohl an* nehmen fönnte, ba auf eine Stunbe Slrbeit eine fRuheftunbe folgt, in weiter entweber bie Steine burdj Berfpalten mit einem Jammer gum Schleifen oorbereitet werben, ober welche gang bet SK u fee gewibm et ift; auch beträgt bie burchfchnittliche tägliche BetriebSgeh nicbt über 6 7 Stunben.

Sinb bie Steine gcfdjliffen, io werben fie auf bet polier* majchine geglättet; biefe befielt au8 einem (Splinbet ocn hartem $olg, welcher burd) Steibriemen mit bet SBelle ber Schlciffteine in Berbinbung fte^t. 25er Stein wirb einfach gegen ben roti* renben, mit Stripei beftridjenen (Solinber gebrücft; bie Arbeit ift eine leidste, unb wirb gewöhnlich non Äinbetn, fogenannten ^)o* lietjungen »errichtet. @in gefehlter Schleifer fann heute 1$ 3 Sthaler täglich oerbienen, boch rebucirt ftd) bei folgen, welche fich mit orbinären SBaaren befaffen, ber Berbienft auf 15 Sgr.

©rötere unb wertbeoHere Stücfe werben, beoot man fie gum Schleifen bringt, mit einer Steinfäge entgwei gefdmitten. 25a8 3erfägen gejchieht mit einer rotirenben Stahlfcheibe, welche mit Smirgel ober SDiamantftaub beftrichen ift. 2)ie ädjate werben burch eine Staljlfpi^e mit eingefefjten fleinen SDiamanten burd}* bohrt, welche butdj eine Schnur mit ber £anb in rotirenbe Bewegung gefegt wirb. 3)a§ JperfteOen »on -pohlgefäfcen ift eine mühfame unb langwierige Slrbeit unb bebarf einer großen ©ejchicflichfeit; bie Steine werben but<h »iele nach cinanber I rotirenbe flehte Sdjleiffteine, welche bie gorm ber gu fdjaffenben 9lu§höhiung haben, auögefolbt.*)

Unter ber frangöfiichen ^»errfcbaft war bet Söaarenabfafc ein

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feljr geringer, erft mit bet 2?efifcetgreifung bur<h Dlbenburg be* gann bie 2leta eineä beffern SfuffdjwungS für bie ^abrif. «Raufet* fachlich ift biefet gmei Wementen gu verbauten; einmal ber @t= fehliefiung ber groben SScbatfunbe am Uruguap unb ber ©infüljrung unb 33etooUfommnung be8 ©teinfärbenö.

25ie ©eroinnung ber ffldjate au8 ben einheimifchen ©ruben mar halb nicht mehr im ©tanbe, bem Sebarf gu enlfpredfen, ba bie günftigen 3eitverhältntffe eine immer größere Wenge non ©teinen gur ftabrifation erheifdjten. 3mar maren fdjon früher burch ^»änbler au8 fremben ©egenben neue ©teine nach bem ©ebiet gebraut unb bort verarbeitet morben, mie SergfrvftaH, inbifdjer heliotrop unb ©arneol u. f. m., aber bieö fennte auf bie 25auer nicht genügen. 25a mürben gu 2lnfang bet bteifeiget Sabre non auSgemanberten Sbarer ©geifern am Uruguan in ©übamerüa gang bebeutenbe 'Mjatlagerftätten entbecft, au8 melden bie Slchatmanbeln , befonberS fdjöne Dnnre unb ©arbo* nv jre entljaltenb, ohne viel Wühe gemonnen merben fonnten, ba fte, au8gemafd)en au8 bem Welaphpr, lofe in ben ?(u|betten liegen. 3m Sabre 1834 fam ber erfte SranSport au, mclcbet giemlid) moblfeil nerfauft mürbe, ba bie ©cbiffSfapitaine ihn als Sallaft in ihren ©djiffen mitgenommen hatten. 9iun manberten noch mehrere Schleifer nach ©übamerifa au8, melcbe in berfelben ©egenb immer neue 2l<hatlagerftätten erhoffen, fo bab bie ftch jährlich fteigeruben SranSporte bis auf ben heutigen Sag ben 33ebarf ber Sabrif noUftänbig becfen; aucb ift bie Srgiebigfeit be8 bortigen 9Sorfommen8 eine fo grofjc, bah ber 23ebarf auf lange 3eiten neHfommen gefiebert ift. Wit ben machfenben 23er» fehrSmitteln vergröberte fid> auch bie ©infuhr anberet frember ©teine; enblich merben noch einheimifche ©teine verarbeitet, bereu Wenge aber in umgefehrtem 93erhältni§ gu ben fogenannten 23ra»

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filianent fldj immer mehr oerminbert, wenn fie auch mitunter an Schönheit ben eingeführten Slchaten nichts nachgeben, unb befonber« al« Ntaterial gu ben Kameen febr gefdjäfct finb.

SDie Äunft, bie Naturfarbe ber Staate gu erhöhen ober ihnen gar eine gang anbere gatbe gu geben, beruht oorgügtidj auf ihrer mifroffopifchen fPorofttät, welche geftattet, bafj bie Steine ftdj »on einer färbenben Subftang burd)bringen laffen, welche an JDauerhaftigfeit ber Naturfarbe nidit nacbfte^t. @3 ift beroot« guheben, baff ft<h bie brafilianifdjen Steine beffet färben laffen, als bie eiutjeimifdjen , ba jene potöfer finb, al« biefe. 5)ie Äunft be« gätben« ift eine febr alte; gewife finb eiele ber frönen (Eameen, welche un« ba« flaffifc^e SUterthum in grober Nienge binterlaffen bat, au« gefärbten Steinen gefchnitten. (Sine Stelle be« römifcben Naturforfcher« ’JMiniu« beutet barauf h*n, baff ben Stilen ba« gätben nicht unbefannt war, wie bie« mein 93a tet nachgewiefen bat7)* 2 )a« ©eheimnifj bat ficb oermuthlich *n

3talien au« alten Bitten burcb Strabition erbalten, bis bet 3ufatt baffelbe in ben tBeftjj ber gabrif brachte; bie römifcben Äünftler, welche ßameen fchneiben, wenben babei ba« gätben bet Steine an. Nönter, b*et Nomanen genannt, tarnen in ben lebten Sabrbunbaten häufig nach Dberftein unb tauften jdjön ge« bänberte Stdjate für bie italienifdjen Cameenfchneiber. 2)a« Schidfat brachte einen 3batet $anbel«mann mit einem foldjen beb gätben« tunbigen Nomanen im Schulbgefängnifj gu i'ari« gufammen; ber Staliener plauberte ba« ©eheimnif) au«, bet 3)eutfcbe wufjte nid)* gu feinem 33ortheil auSgubeuten unb feit bem Anfang ber gwangiger 3ahre ift baffelbe ©emeingut ber gabrif. Um j ebene, braun unb fdjwarg gebänberte Dnnre h et» gufteflen, legt man ben Stein in ein ©efäjj, welche« mit burch SBaffer oerbünnten c^onig gefüllt ift, unb fefct baffelbe auf ben

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Dfen, bamit bie glüjfigfeit eine mäfeig erhöhte Temperatur er* hält. 91ad) meuteren Stagen bie 3«it ift Bon bet gtöfjem ober ntinbern fPorofität be8 ©tein8 abhängig wirb berfelbe in fiebenb beifee ©cbwefelfäure gebracht. 2) et in bie fPoren ein* gebtungene £onig wirb burd) bie ©cbwefelfäure in Äoble net* wanbeit, unb auf biefe SBeife werben garben com liebten SBraun in allen %'iaucen bis jurn tiefften ©cbwarj bero «gebracht, wäb= renb bie ficb bur^iebenben weiten ©treifen beS ©teine8 wegen ibrer fDidjtigfeit nicht im geringften baoon angegriffen werben; ba8 SBeife wirb fogar uoeb oerfebönert. ©inige Sabre ü erbet batte man fdjon bie ©ntbeefung gemacht, gemiffe ©balcebone butcb einfaches Sßrennen in bod)rotbe ©atneole jn tnetamorpbo* fiten. 2lucb bie au8 Snbien fommenben pracbtooll boctpwtben ©arneole haben xljre fcbßne garbe bem einfachen Srennen 3U oerbanfen. 35a8 33 erfahren finbet feine ©tflärung barin, baf) ba8 in ben ©leinen enthaltene ©ifenojrpbul butcb bie £ifee in rotbefl ©ifenoppb umgewanbelt wirb. 9Jtit biefen ©ntbeefungen war natürlich ba8 ©ignal gu einer {Reibe Bon 33erfud)en gegeben, welche noch lange nicht enbgültig abgefchloffen ift; mit bet Beit fam man bagu, ein fdföneS ©elb, 3Mau unb ©tau in allen ©chattirungen berpftellen. SDie in ben fogenannten 5Roccafteinen Borfommenben 9Roo8* unb SJaumjeicbnungen (fog. 3)enbriten) werben butcb Slefeung unb ©inbrennung Bon |>6Henftein imitirt; auch tabirt man auf einer SBadjSbecfe, welche übet einen ©tein ge* jogen ift, 3ei<bnungen <*0« Slrt» fefet fie ben ©impfen Bon gluorwafferftoffffiure au8, woburch bie auSrabirten ©teilen in ben ©tein eingeäfet werben, ©in foldjeö non einem Sbaret Äünftler faubet au8gefübrte8 Strcbitefturbilb befanb ft<b auf bet SBiener SBeltauSftellung. tteberbaupt finb bie 21 chatarbeiten Bon ©berftein

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unb 3bat auf ben cerfditebenen 3ubuftrie* Zustellungen bet jüngern 3«t öielfadb prämiirt worben.

Sei folgen §ortf «dritten tu ber £e<bnif unb bei bet ©eroifj* beit, bafc bet Sebarf non {Rohmaterial auf lange 3«t i^inaufl gefiebert ift, fonnte ftcb unfet Snbuftriejweig immer freiet ent* wicfeln unb fidj norgugSweife ben feineren Arbeiten guwenben, inSbefonbete ber (Eameen* unb 3ntagliof<bneiberei, wel<be feit bem frangöfifdben .ftrieg frifd? aufgebläht ift. 55ie Äunft, unter gefdjicfter Senufcung ber üctfd?iebenen färben ftreifen ein etba» beneS Silb in ben ©tein ju fdbueiben, ift eine uralte, unb gehört auch ^ier^in ba8 in jüngfter 3«t »iel befprocbene pradbttcüe Dnpjcegefä§ au8 bem 9la^ta| bc8 nerftcrbenen Jpetflegg »on Staun* fdbweig. (Einige au8 bem gürftentbum Sirfenfelb ftammenbe ©teinft^neibcr, mellte butdb bie Äataftropfye con 1870 au8 $)ari8 auBgewiefen »aren, Reiben fich gang in ihrer ,£>eimatb nieberge* laffeit unb ZtelierB errietet. Sei ihrer (Arbeit ift ein tüdjtigeö ©treben etfennbar, unb beute bekräftigen ficf> fdjou etwa 240 8eute bamit. (Ein foldjeß ©teinfd^nciberatelier bietet einen freunb* lid)en Slnblitf. 5)er {Raum ift burbb ein grofjeS, eine gange ©eite be8 3*mwer8 einnebmenbcS genfter erhellt; nad) ber Sic^tfette gugewenbet fifjt ber tRcifter mit feinen ©efyülfen unb Sebrlingen, jebet an einem Keinen ^olgtijdj, unter welkem ein Sretrab an* gebracht ift; auf bem Sifd^e befinbet ficb ber ©djneibeapparat. Zn einet 2Belle, weldjc butd^ ba8 Sretrab in Seweguug gefegt wirb, fonnen ©tablfpifjen, je nadb Sebürfnifj non ber »erfebie* benften geinbeit, fogenannte 3eiger, eingefdbraubt werben. (Der guter guredbt gefdbnittene ©tein wirb nun mit ber linfen Jpanb gegen ben rotirenben 3eiget gebrüdft, unb burdb (Drehen berfelben werben auf bem ©tein bie erforbetlidjen Linien b«*»orgebra(bt( wäbrenb bie JHedite ben 3eiger fortwäbrenb mit ©iamantftaub

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befeuchtet, welcher mit £>el gemifcht ift, unb pon 3cit gu 3eit ben Stein mit einem Süppchen abwifd)t, um ben gemachten gort* fcfjritt genau befichtigen gu fönnen. 23 or bem 2lrbeitenben ftelft baß SRobeH, gewöhnlich ein ©npßabbrucf , welker größer wie bie gu fchneibenbe Gamee ijt, unb ein Spiegelten, um fowohl pon bem Sftebefl, wie pon ber Gamee eine Ülnficht con allen Seiten gu gewinnen. 3Ran hat fogat nach photographifchen 23or* lagen Gameen gefchnitten, 'Portraitß u. bergl. SReiftenß wirb nach antifen fJRuftern gearbeitet, welche 'Jlrbeit noch immer ben beften '.Sbfafc finbet. Sntaglio’ß b. h- oertiefte Silber werben oom gewöhnlichen Änopf biß gum feinen fRingftein, ^etfchaft ober gröfjern ©efäfj gejchnitten, welche mit CRamenßgügen , SSappen unb mit IDarfteHungeit aller 9trt petjehen werben. finb piele tüchtige Äünftler h*er tätig, welche neben berühmten ©röfeen ber Steinfchneiberei in iRom, g loten, unb ^)ariß würbig ihren f»lafj behaupten. 55er S3erbienft ift ein ein fleißiger unb gefchitfter Steinfchneiber perbient minbeftenß 5 Shaler täglich, außgegeidjnete Äünftler aber noch oiel* mehr. Gameen werben im greife non U Schaler alß gewöhnliche IDutjenbrnaare, aber auch je nach fünftleriftem Söerthe gu 100 ^halern unb auch »eit barüber angefertigt. SDie ^älfte beß Slbfafjeö pon Gameen unb Sntagließ geht nach 9ierbamerifa.

Sepor ich sum Schüfe eine Ueberfidjt über ben heutigen Staub bet gabrif gebe, möchte ich noch einer ftaatlichen Gin» richtung gebeuten, welche bie Hebung beß gangen ©ewerbeß gum 3wec! hat. S5ieß ift ber feit 1853 eingefefcte „©ewerberath;" er befteht auß £anbelßleuten, 21c^atfd)leifern, SÄchatbohrern, ©olb* fchmieben unb gwei anbern angefehenen Sürgern beß gabrif* gebieteß, im ©angen auß 15 SRitgliebern , unb hat bie gunttion baß ©ewetbe gu überwachen, unb ber ^Regierung Sorjchläge gur

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äkrbefferung unb Hebung beffelben $u unterbreiten. früher war ihm aud) bie ©ißciplinaraufftcht über 90Reifter unb Lehrlinge an* uertraut; bie barauf begüglidjen 33eftimmungen, welche immer nod) etwaß nach ber alten 3unftorbnung fdjmecften, finb aber burdj bie norbbeutfdje ©ewcrbeorbnung »en 1869 aufgehoben »erben, ©eine ©innahmen begieht er auß ben öffentlichen ©tein« auftienen, »on welchen 1 pGt. beß ©rtrageß an ben ©ewerberath abgegeben »erben mufc. ©r h«t fid? baß SEöoljl ber Snbuftrie angelegeu laffen unb burch feine SBorfdjläge fdjon manche 33er* befferungen in’ß Sehen gerufen. 9tu8 eerfchiebenen nicht tyexfyn gehörigen ©rünben h^ttc bie Regierung ihn aber auf ben 9luß* fterbeetat gefegt, unb ift bcßljalb bem ©oueernement ein 9lach* feiger üorgefdjlagen , welcher unter bem Sitel: „ffabrifrath" bie Sunftionen einer preufjifdjen ^anbelöfammer alß ©ewerbefammer erhalten feil, welcher eielleicbt jet$t fdjen gur iltußführung ge* fommen ift. 3n 3bar unterhält ber ©ewerberath eine perma* nente Slußftellung, in welcher SBaaren ber »erfchiebenften Strt, bie in bem ftabrifgebiet angefertigt finb, 311m 33erfauf außftehen. ©in 33efuch biefer fegenannten ©ewerbehalle ift intereffant, weil man fich h»r am heften ein SBilb wen ber SKannigfaltigfeit ber gabrifatien mad)en fann.

©8 ift nicht leidet, einen ©efammtüberblic! über ben heutigen ©tanb ber Dberftein * 3barer tSchatinbuftrie gu gewinnen, weil bie Sntereffen unter 31t ciele 9)tenidien gethcilt finb, uub beß* halb manche ßahl nur nach einer allgemeinen ©chafjung ange* geben werben fann.

Dberftein unb 3bar mit 3ufammen 7400 ©inwohnern ftnb ber J£>auptft^ ber Snbuftrie, unb biefe beiben Drte ftellen baß größte Contingent gu ben Slrbeitern; aufjerbem finb aber noch

»iele gu bem gürftenthum geherenbe unb einige benachbarte

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preufjijdje SDcrfer unb ©emeinben mit ber gabrifatien bcfdjäftigt. Sluf 2Mrfenfelb’fd)em ©cbiete arbeiten 1129 ©Reifer, 252 SSdfyat« botyrer, 241 ©teinfdjneiber unb ©raneure unb 643 ©olbfdpniebe; mir feljlt bie 3aljl ber auf preufjifdjem ©ebiete wcfyncnben ©djlei* fer unb Üidjatboljrer; ©raceure urtb ©olbjdjmiebe finb bort entwcber garnidjt ober nur in geringer SDienge »erlauben, ©djleifereiett giebt cS im gürftentljum 141, baoon finb 91 ein* fadje unb 25 hoppelte, b. I). burdj ein Söafferrab werben gwei ©djleifen betrieben, welche 311 beiben ©eiteu beß Söadjeö gegen* über liegen; natürlich fönnen biefe nur an ©teilen angelegt werben, wo ein ftarfeß SBaffergefälle ift. Stuf preufeifdtem @e» biete ftetyen 40 ©d^Ieifen, baoon finb 32 einfach unb 4 hoppelt, im ©anjen alfo 241 ©djleifereien, in weldjeu jufammen 720 ©djleifftcine in 2l)ätigfeit fittb. Unter beit ©djleifen werben gwei mit SDampfmafcbieuen betrieben, ba oft baß Söaffcr feljlt 3nt Jatyre 1872 würben an eiuljeimifdjcn ©feinen 600 Gentner im SBertlje non 8—10,000 2l)frn. verarbeitet. £>ie 5 6000 Gentner importier ©feine, welche in öffentlichen Sluttionen oerfteigert worben, erhielten einen betrag non ungefähr 200,000 SL^lr. 33efonberß fdjöne ©tücfe werben unter ber $anb »erfauft unb fann man il)reit SÖertl) auf 50,000 S£l)Ir. jdjätjen; fdjliefslid) wäre nod) ber bei ber gabrifation oerbraudjte IDiamant (ictymarjer SDiamant, ©arbonat) unb 2)iamantftaub (SDiamant* borb genannt) mit 10—15,000 Sll^lr. angufefjen, fo baf) ficb barauß ein ©ejammtoerbraud} an ^Rohmaterial im SBertfye oon über einer Viertel SJtiDion Sljalern ergiebt. SBä^renb ber ©rloß aufi ben Sluftionen im Satyre 1862 gn 64,200 2.tylr. angegeben wirb, ift er alfo in 10 Salden um mehr wie baß ^Dreifache ge«

ftiegen. 9iadj einet officiellen Berechnung ergaben bie Steins

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onttionen wäljrenb 20 3aljren (oon 1847—1867) bic Summe von 1,350,000 Sl)lt.

3ur gabrifaticn »erben norgugßroeifc folgende Duarg=Sarie* taten oerwenbet: &d?at, Gljalrebon unb lidjtbraune biß fdjwarge Dnpre, fowoljl cinljetmift^e wie auß Uruguay imyortirte, tyodl}* rotljer inbifdjer Garneol, melier ©arbcupj: genannt wirb, wenn et mit weiten ober braunen ©treifeu burdjgogen ift, inbifdjet Jpclictrot?, grüner ft^lefifd?ct (iljryjeyraß, einfarbiger unb bunter eintyeimifdjer 3aßpiß, fäc^fifd^er unb fibiriidjer Sanbjaßpiß, brau* ner Äugeljaßpiß auß Slegppten unb rotier auß Söaben, geftreifter welfiger ^)albopal unb brauner £olgopal, rotier unb gelber Gifen* tiefe!, eiufyeimifdjer ^polgftein (oerficfclte Jpelgerj, fdjmeigerifdjerunb brafilianifdjet 23ergtryftall mit feinen Ülbarten, bem nelfenbrauncn Siaudjtcpaß, bem topaßgelbeu Gitrin unb bem fanft rötfylid) ge* färbten baprifdjen Siefenquarg, enblidj eintyeimijdjer »ie brafiliani* fdjer »iolblauer älmetfypft. Sn ben lebten 3aljren würbe aud) fibirifdper Söialac^it iu größeren Quantitäten oerarbeitet. J^ietljer gehören nod) bie fünftlidjen ©laßflüfje, barunter audj golbfledige 9iadjat)mungen oon Üayißlaguli unb Sloanturin, während ber c$te Sapißlaguli auß Sljibet unb ber edjte golb» unb filberfdjim» mernbe fibirifdjc 5Jloanturin nur wenig gut Anwendung tommen.

Sie JHeilje ber auß biefen ©teinen oerfertigten SBaaren läuft eine lange ©fala oom einfach gejdjliffcnen Üldjatfteindjen biß gum »ollenbeten Äunftwcrf burd). Ser siluffdjwung, ben bie ©teinjdjneiberei genemmeu, fann nicht oetfdjlen, einen erljöljten §crmenfimi gu erweefen, welcher auch SOtodellcn für anbete SÖaaren gu ©ute femtnen mufc; fdjon jefct geljt eine grofje Quan* tität ron SSaaren nadj Bonbon, Diew*'l)orf u. f. w., um bort in cdjt ©olb gefaxt alß wertvoller ©djmud in ben Handel ge*

bradjt gu werben, iäuß ben taufenberlei Cbjeften wären fyetoor*

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gußeben: ©djmucfgegenftänbe aßet Art oon bem befdfeibenen Adjatringlein biö gu bem ä jour gefaxten Gotlier auö Serg» frpftall; inöbefonbere Stodjen, Dßrringe, Üudß* unb ^aatnabeln, Gameen unb Sntaglio’ö gu Srodßeu unb öiiugfteinen. Sei ben Gameen ift ßeute bie gelblidßweiße biö weiße Batbe für baö SUb, braunfdjwarg unb rofa für ben gonb am beliebteren, bodß finb aud) fdßöne Siingfteine graubraun auf reifem ©runb ge» fudjt. Sie Steiße ber oerfertigten öiippfacßen ift eine nodß größere, oorgüglidß Sojen, ©djreibgeuge, Sßiergeftalteu, 3uwelen« unb Smlettenfäftcßen, fPetjcßafte, Safen, ©egalen, befonbetö feßöne auö Sergfrpftall, Saffen, Heine Seffertteller, fBieffer» unb ©abelgriffe, ©riffe gu ©töcfen unb Stegenfdßirmeu , geulter, ©dßacßjpiele, 2lfd>enbec^er , geuergeuge, Äaftcßen für Bünbßelgcßen, ÄUcfer für bie Änabenfpiele u. f. ro. Aucß werben oiele Äabinet* fteine oerfauft; bie» finb burcßjdmittene Sldjatmanbeln, weldße an ißrer Surdjfcßnittöfladße gcfdjliffen finb, um bie innere SSejrtur beö ©teineö gu geigen, außerbem Steibfdjalen für fötaler unb Gßemifer, galgbeine für Sucßbinber, Sriüengläfet auö SergJnjftall u. f. w. 3u ben neueften fProbuften bet Snbuftrie gehören Stormalgewicßte unb fötaaßftäbe oon SergfrpftaH gu eßemifeßen unb pßofifalifcßen Unterfudßungen, weldße weßl in ißrer 3»«fmäßigfeit folgen auö ber Segirung oon ‘JMatina unb Sribium nießt nadjfteßen bürften unb bereitö in oielen dßemijeßen Saboratorien unb pßpfifalifeßen ÄabinettenAnwenbung gefunben ßaben. Gin ooflftänbigeö Saaten» oergeitßniß würbe Diele ©eiten auöfüllen; im Allgemeinen !ann man fagen, baß bie gabrit Alleö madßt, waö beftellt wirb, wenn nur eine fötöglicßfeit ber Jperftellung oerßanben ift. Auf Verlangen werben felbft ©ößenbilber auö Sergfrpftafl in fclcß’ edßter, unoerfdljtßter Sriginaltradßt fabricirt, baß ber glaubenö» treue Subbßaanbeter gewiß nitßtö an feinem Renaten auögufeßen

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ftnbet, ja not einigen 3afjten führten einzelne .^anbelßleute noch für 40,000 £l)lr. Heine olinenförmtge butdjboijrte Onnjre au§, ttjetdjc nach Siegten unb in bie ©ahara gingen, um bie 33e» wohnet Slftifa’ß mit Amuletten ju nerfeben. Obgleich eigent» liehe ©belfteine in bet Stege! im S3ir!enfelb’fdjen nicht gefehlten »erben unb nur feiten ächte Sopafe unb Sllmanbine, fo führt buch @. 8ange an, bah »er einigen fahren auß einem 3taua* marin (Geröll) non 15 $>funb ©eroidjt, ber für 3000 ^ranfen erworben war, eine Jöüfte beß Äaiferß Stapolecn III. gefdjliffen unb gejehnitten worben fei.

55er Slbfaf} ber ©aaren gedieht burä) bie ^anbelSIeutc, ent* Weber bireft auf SefteBung ober burch 23ejug ber gröberen SJtaffen. 3n allen bebeutenberen Söäbern unb europäijehen Jpaupt« ftäbten finb größere Stieberlagen , felbft am Stiagara unb in ben Umgebungen beß SJtontblanc werben Dberfteiner ©aaren als amertfanifche unb fchwei^erif^e nerfauft. 55ie grobe SJteffe non 9tifchnei*9towgorob in Stublanb, bie regelmäbig non einem Oberfteiner Kaufmann befudjt wirb, nermittelt bie löerbreituug nach (fentralafien. 3n ber neueren Beit geht oiel nach bem Orient. Brüher gingen bie für 21merifa beftimmten ©aaren meiftenß über $)ariß, burch bie ©reigniffe con 1870 unb 71 finb aber bireftc ^anbelßoetbinbungen mit fSmerila angebahnt wor* ben. 55ie ^anbetßleute fnüpfen auf ihren nieten unb groben Steifen immer neue SJerbinbungen an; fie bringen neue ©teine mit, jum $heit hanöelu fte auch mit echten 3uwelen, fo bab baburch bie ganje gabrif einen erweiterten ©eficbtßfteiß belommt, unb ihren ©aaren eine immer gröbere ÜBerbreitung fiebert.

55et Umfcblag bet ganjeu Babrif bürfte, außfcblieblicb ber SJtetallarbeiten für bie bijouterie fausse, auf eine SJliQion Sbaler jährlich hinaußgehen.

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©ewifj ift tiefer h°<hft eigentümliche 3»eig ber nater« länbifdjen 3nbu[trie einer eingeljenben Beachtung wert- 5)et fRaturforfcher !ann hier (in einer fReihe ber intereffanteften Crr= fdjeinungen feine Beobachtungen anfteflen, ber jfünfiler tiefe ©in* blicfe in ben Progef} thun, wie ein Äunftgewerbe fid> non §anb* toerfSbanben frei gu machen ftrebt, ber Stedjnifer non einfachen erfahrenen Arbeitern manchen ^anbgriff erlernen, ber auch cwber* wcitig gu oerwertl)en ift, unb felbft ber 8aie wirb fich an bcm Auffchrounge eines urbeutfchen ©ewerbeS erfreuen, unb gerne ,£erg unb ©inn an ben h*ten lanbfchaftlichen Steigert ber Um* gegenb erquicfen. 5Dem BolfSwirthe muffen tie bortigen Ber* hältniffe gerabegu mie eine £5afe in bet SßJiifte ber mobernen fociabbemofratifchen Agitationen erscheinen. 2>a feber Arbeitet mie Arbeitgeber felbftftänbig baftetjt, fo finben 5Bül)lereien, welche bie 3nbuftrie in ihrem ftertfdmtte hemmen ober gar mit Ber* nidjtung bebrohen fönnten, hier feinen empfänglichen Beben.

3d) befchüefje meine 5)iittl)eilung mit ein paar ©teilen au8 ber Abljanblung oon meinem Bater über bie ©efcpichte unb fRedjSnerhältniffe ber Achatinbuftrie, weldje bie ©tellung berfelben im ^sanbel unb ©ewerbc gegen anbere oerwanbte 3nCuftriegweige befpricht.

„2>ie Birfenfelber Adjatinbuftrie hflt in il?rer unb in ihrem Umfang feine birecte unb mefentliche ©oncurreng, benn mag anberwärtg aug fogenaunten ^salbebelfteiuen in ©chmud unb SRippjadben in ^anbfdjleifereien bargeftellt wirb, ift oerhältnifjmä* fcig non geringer Bebeutung unb auch gewöhnlich teurer, als bie Birfenfelber ©rgeugniffe gleicher Art. Sie großen faiferlich ruffifdsen©teinfchleitereien gu ÄaUsatinenburg, Äolpwan unb Peter» hof, ebenfo einige prioatfchleifereien gu Petersburg nerarbeiteu meift gang anbere ©teine, ©ranite, Porphpre u. f. w. unb be*

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fonberö au cf) SDialadjite gu größeren ©egenftänben, fBafen, Ganbela« bem u. f. w., glatten gum gourniren foftbarer Sijcfce unb anbetet 5R obilien, welche gu ©ejdjenfen an dürften unb anbere l)oih3 fteljenbe $>erfonen beftimmt werben. Sie frönen ©laSflüffe, welche alle ächte ©belfteine immittiren, wie jold)e je£t in 9>ari8 unb an manchen Drten in Seutfcf)lanb bargeftellt werben, bieten feinen birecten ©rfaj für bie gefchliffenen Achate, ©ergfrpftatle u. f. w."

„3u ben weichem, nicht metallijchen 9föineralfubftangen, welche anb erwarte gum £heil ähnlichen 3wecfen , wie bie epalbebel» fteine verarbeitet werben, gehören SBernftein, einige Jtchlenarten ber «Sprubelftein von Äatlsbab, Serpentin, Alabafter, SKarmot n. f. w. Sie SBernfteinarbeiten aus bem norbbeutfchen Äüfteu* lanbe, beten Anfertigung in jüngerer 3eit einen grofjen Aufichwung gewonnen hat, befielen aHetbingö in Scf)mucf* unb 9lippfachen, aber von gang befonberet Art unb machen gum $th«l beStjalb, gum Sheil aber auch wegen ihres ^c^ern ^reifes , welcher ficf> gerabe bei größeren ©egenftänben bebeutenb fteigert , ben Achat* waaren farm irgenb (Soncurreng. Sie ©annel» unb ^echfohle wirb nur gum Slrauerfchmncf verarbeitet unb fommt als ©pecia» lität verhältnifernäfeig nur wenig in betracht. S3on ben ÄatlS* baber Sprubelfteinen, welche gum Sheil auch gu ähnlichen Sachen wie bie Achate verarbeitet werben, ift ihrer Säeichheit wegen unb weil fie meift ein büftereS Anjel)«c unb wenig ©lang haben, ba» bei opaf finb, eine größere ^robuction ber barauS gefertigten Sachen niemals gu erwarten, unb ungeachtet beS Alters biefet gabrifation, ift fie ftets nur ber pflege weniger Jpanbarbeiter verblieben. Auch ber Serpentin, beflen ^Bearbeitung in jüngerer 3eit fehr in bie £öl)e gegangen ift, theilt bie SBeichheit unb bäö

büftere Anjehen mit bem ÄarlSbabet Sprubelftein. Ser Serpen*

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tin eignet ficb gar nicht gum ©chmucfftein, ifk mit wenigen 2Ui8=> nannten, wie g. 33. Sftötfet für 2tyothefen unb cbemifdje gabrifen, ©dealen, Söärmfteine, S)intenfäffer u. f. w. nur gu Arbeiten für bie Biwmerar^iteftur, etwa auch gu Kapitalen, ©imgwerf u. f. w. im Sleufeern ber ©ebaube. Sehnlich »erhält e8 fich mit bem Sla» bafter, SEJfarmor unb noch anbern fchönfarbigen Steinen, obgleich auch barauS 33afen, Uhrgebäufe, Statuen u. f. w. gefertigt wer* ben, faum aber SRippiadhen unb gar feine ©egenftänbe gum weiblichen Schmucf. Sie finb eigentlich blo3 Bierfteine für bie fd}one Srdjiteftur. So hat alfo bie alte Scbatinbuftrie, wie ge* fagt, in feinet SBeife irgenb wefenttid^e 3Rioalen. Sebe Steinart hat in ber technischen unb artiftifdhen Snwenbung ihre ©renge, wenn audh biefe burdh ^inübertpielen ber ©ebiete in einanber nicht immer fcharf abSdjneibet."

„SDie Sirfenfelber ©ewerbthätigfeit fcheint nadh ihrem SBachten in ber jüngften Beit ihren Jpohepunft nodh nicht erreicht gu haben. Söet würbe nicht biefem feltenen unb intereffanten ©ewerbe fer» nereS ©ebeihen unb Slüljen im 3ntereffe ber fleißigen Arbeiter be8 5Rahegaue8 wünfdhen ; 3hm u«b ihnen baher auch ba§ befte ©lücfauf »on betgmännifdher Seite."

(IOOT)

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Slnmcrfuitflctt.

3um SEitel: 2)cr Serfaffer biejer Schrift, ©uftaB Sbolph 9l5gge* ratb, ftarb am 11. 2)ecember 1875. «Sein trauember SBater , Dr. 3acob Utöggcrath, Serghauptmann a. 2). unfc *})rcfeffcr an ber Unioerp* tät Senn, bat pc ,um ©rucf befSrbert.

1. (Sine Sbhanblung non meinem Sater über bie ©efc^it^te unb JRe^täuerijältniffe ber Schatinbuftrie, abgebrutft in SraPert, 3citfc^rift für Sergrecht, Sanb XV, v<peft 2, welche auch einige patiftifdje Angaben enthält, ift in fo weit mit benufct, als bieje ftd) auf bie neueften 93er* hältnifte bejiel,'cn.

2. Streng wiffenf^aftlie^ unb ausführlich ift baS ©eologijcbc Bom Schat abgehanbelt in 3- Süggerath, Ueber bie Schatmanbeln in ben 9Jlelahh?ren. 3®ei Senbjchreiben an 2B. cjpaibinger, abgebrutft in $>aU binger, Saturwifjenfchapliche Sbljanblungen. 9Jiit Sbbilbungen. 93b. 3. Eien 1849.

3. Srgl. Sange, ©., bie $albebclfteine ber gamilie beS Quarjt« unb bie ©ef dpthte ber 9lchat»3nbuftne, Äreujnach, 1868.

4. Collini, C., Journal d’un voyage qui contient differentes observation s sur les agates et le basalte etc. Sföannheiut, 1776. Such ins Seutjdje üfcerfe^t Den 3- ©■ ©chrcter. ÜJiannheim, 1777. Selbe Sucher enthalten Biele Sbbilbungen.

5. Srgl. über bieje Sicbterj Meinungen eine Sbhanblung Bon meinem Sater, in 9)oggenborP, Snnalcn ber 'Plwpf unb dljemie, Sanb 150 1873, ©. 325 p. p. Such im SuSjuge abgebrutft im ^cliterfjnifdjen (Zentral* Slatt Bon Dr. ©chneibertnann unb Äellerbauet. 3al;rg. 10. ©. 107. Seipjig. 1874.

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6. 3lbbilbungen aller 3(rbeit8*3ßorri<btungen befinben fiel) in bera oben dürfen Sudje Bon Goflini unb in einer 2tbbanblung Bon 25ippel in SBeftermann’b 3al)rb. ber itluftrirten beufft^en SDlonatbljefte. SBanb 3. 33raunf<btteig 1858.

7. 93rgl. Utöggeratl), 3-, 2Me Äunft Dn^re, Sarneole, Gfjalce* bone unb anbere ©feinarten ju färben, jur (Erläuterung einer ©teile beb Plinius Secundus. 3n Äarften unb oen Secben, 9lr<biti für 3Jiine* ralogie u. f. w. 33anb 23. Serlin, 1848.

JAN 3 \ - '

aoo»)

Innf »cn Stfcr. nngti (S$. Wrimni) in Bulin, e<$cntSerg*rfhrai« 17*.

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