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BEITRAGE

ZUR

i-.WDhS- UiNl) VOiAhSKUNDh

voir

ELSASS-LOTHRINGEN

IV. HEFT

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EIN URKUNDLICHER KOMMENTAR ZU G(ETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT

MIT EINEM PORTRXt ARAMINTA's

IN FARBIGEM LICHTDRUCK UND IHREM FACSJMILE AUS DEM LENZ-STAMMBUCH

TON

Dr. JOH. FROITZHEIM Oberlehrer an der Neuen Realschule in Strassburg.

STRASSBÜRG J. H. Ed. Hsm (Heitz & MUndbl)

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Im Verlage der uuierzeicimetca V erlagdkandlung erscheint unter dem Titel :

BEITRÄGE

ZUR

LAiNDES- UND YOLkmüNDE

VON

BLSASS-LOTHRINGEN

in zwangloser Folge Abhandlangen und Mitiheilungen

aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur- geschichte von Eüsass und Lothringen, Beiträge zur

Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner Bevölkerungsverhältnisse in der Gegeuwuri und in der Vergangenheit, seiner Alterthümer^ seiner Künste und kuiistgüweiblicheii Erzeugnisse; es sullen daneben selten gewordene htterarische Denkmäler durch Neudruck allgemeiner zuganglich guuiacht, und durch Veröffentlichung von Erhebungen über Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch der Stände, über Aberglauben und UeberUeferungen, über Singen imd Sagen der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner- bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm-

«Me driUe 8Hie de» VmBehlags»

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' II Ed HKiTz.aiF.iTr. » Mi n'dkiJ Strasshuro.

Lichtdruck von Al.BERTFBis<li«!

LENZ, GOETHE

UND

CLEOPHE FIBIGH

VON STRASSBÜRG.

EIN URKUNDUCHEH KOMMENTAR

ZU GCETHES DICHTUNG UND WAHRHEIT

MIT RINEM IIILDK ARAMLNTaV TNI» IHRRM KACSIMILK AUS liRM LKNSS^STAMMItfTaH

vox

Dr. JOE. FROITZHEIM

Oberlehrer an der Neuen Realschule in Straceburg.

STB:\SSBrRrT J. H. Ed. HEITZ (HEITZ Sc MÜNDEL).

t888.

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VORREDE.

Folgende Studien bieten den lAteraturfreunden e»ien aiM urkundUchem Material erarbeil^en Kommentar zum Eingang des i4, Buches von Gcsthes Dichtung und Wahrheit^ wdeher stets als eine der klassischefi Steden für die Geschichte der Sturm^ und Ürangperiode erachtet worden ist.

Indem ich mit diesen Forschungen dem Beispiele - Aug. Stcebers folge, bemerke ich, d€iss mir dieselben schwerer fiden als ilmi. Stoeber M>te und schri^ zu einer Zeit, wo noch ld)endigere ÜeberUeferungen über die Vergangenheit des Elsass und reiche liandschriftUche Schätze in Strassburg trorhanden waren^ wdche letztere im Laufe der Zeit eniwe^ der durch den Brand von i870 oder aus Unkenntnis ihres Wertes vernichtet worden sind; andere Uterarische Reli" «/Uten sind von ausgewanderten Enkeln mit nach F\rankreich hinübergenommen worden. Auch war Stoeber Landeskind ; ihm öffneten sich die Familienarchive leichter als einem F\remden,

Und dennoch würde icfi ungerecht sein, wollte ich nicht freudig bekennen^ wie zuvorkommende Aufnahme aucli ich aUmählieh bei einheimischen Familieti gefunden, wenn ick mit den Namen Goethe, Lenz, Rcederer, Ott, FUnch leise anzuklopfen wagte und Erinnerungen zu wecken begann, die denselben als längst vergessene Erzählungen ihrer Eltern und Gross^em ans Ohr klangen.

i Bir Brief kommt mir vor wie aus einer anderen Welt, wie beschämt bin ich, dass fremde Leute melir wissen über

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Vrmeve Familie als wir sej^sf»^ so. sc/iWel» mir die GroBS" nichte von Lenzem Äraminta und sandte mir mit nhm*- rasehendsi* Zuvorkommenheit sämmtliche Familienbüder zur Ansicht^ unter ihnen jenes schöne^ mit dessen Abdruck ich meine Arbeit sehmitcken durfte.

Zu grossem Danke bin ich deshalb Herrn Pfarrer Jacob und seiner Schwester Fräulein Jacob y der Familie Michel - Ott und den Enkelinnen des^ trefflichen Theologen Johanu Gottfried Rwderer, welcJter der treueste Freund des nngliick- lichen Dichters I.enz geve^ycn, für ihre Mitteilungen ver- pflichtet. Mögen mit mir auch die deuttichen lAteraturhiMo- riker Entgegenkommen densellten dadurch vergeltet t,

dus6 sie das Andoiken ihrer Vorfahren in Ehren halten! Nicht ntindere Erkenntlichheit i^vhuldc (rli Herrn Midier^ deot Bure.auvorstelier des Strassinagcr Standc^anilcs , der mich in (fen Schätzeu des ihm untersteilten Archivs mit steter Cr efa iUgkeit zia •er htii'i4's.

Die grössie Anerkennung jedoch verdient Herr P. Th, Eulck in liiga^ tler n nernti(dliche Lenz-Eorscher. der mit einer r neigen n II fzigheit und Hingahe ohne Gleichen meine Arbeit gefördert hat,

Strassburgj den 1. August iHüTi .

JDr. /. FROITZHEIM.

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Wie der reife Maon sich mit Liebe in die Erinnerung seiner Jagendjahrey da es wie Most in ihm gährte und scliuumte^ zurückversenkt, so wird auch das heutige Deutschland in seiner Macht und Grösse das Andenken jener Sturm- und JJrang- Periode nicht vernachlässigen, in welcher die politische Wieder- geburt Deutschlands dui*ch die Wiedergewinnung seiner geistigen Selbstständigkeit gegenüber französischem Einflüsse vorbereitet und gefesti(j^ wurde. Nicht allen ist es bekannt, dass gerade in Strassburg am Anfong der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sich dieser geistige ßefreiungsprooess vollzog ; und doch hat der Anblick von £rwins deutschem Riesendomo auf Ouethe und seine Genossen den entscheidenden Einfluss geiif)t.

Ehre den jugendlichen Stürmern und Drin^^ern, die für den Sieg der deutschen Sprache und Sache die Waffen ihres Geistes erhoben ! Rechne man ihnen doch nicht immer jenes übertriebene Pathos, jene grenzenlose Schwärmerei wie zum Verbrechen anl Das dunkle Gefühl, Träger einer weltbewegenden Mission zu sein, musste jene Jugend mit berechtigtem Stolze erfüllen, der jeder Schranke, '\(n\er Selbstbeherrschung spottete, ünd warum nur die Auswüchse ihrer Kraftleistungen tideln, ohne mit Genuglhuung anzuerkennen, dass Ueberkrallt die unerlässliche Vorl^edingung einer späteren gesunden Blüte war !

Jene Zeit des Sturmes und Dranges war zweifelsohne eine gewaltig erregende. Nicht alle besassen, wie Goethe, stählerne Nerven, um solche Erschütterungen ungefährdet zu bestehen und der Periode der heftigsten Gemütsbewegung eine zweite ruhiger, künstlerischer Gestaltung folgen zu lassen. Zartere Natui-en sind diesen Anstrengungen erlegen, so der unglückliche Dichter Xenz, dessen merkwürdige Lebensschicksale in neuester Zeit ein grösseres Interesse erweckt haben.

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I. Abriss des Dichterlebens. *

Jakob Michael Rdnhold Lenz, neben Goethe der talentvoUsle Lyriker und Dramatiker der siebenziger Jahre des vorigen Jahr- hunderte, der platzlich wie ein glilnzend Meteor am deutschen Literaturhimmel emporstieg, um spurlos in die Nacht des Wahn- sinns zu vminken, wurde am 12. Januar i 751 tu Sesswegeii in Livland als ISohn des damaligen Pastui s, äi)äteren General- Superintendenten^ David Lenz geboren. > Nachdem die Eltern im Jahre 1759 nach Dorpat übei-^^'^^jiedelt waren, bezo<( Jakob 1768 als Student der Theologie die Universität Königsberg und kam von dort nach kurzem Aufenttialte in Berlin und Leipzi^^ als Reisebegleiter und Freund zweier kurländischen Edelleute von Kleist im April 1771 nach Strassburg, wo ihn Gcethe in seinem letzten Semester kennen lernte.

«Wir sahen uns solffn, schreibt Goethe,^ beiue Gesellschaft war nicht die meine: abvr v\ir suchten doch Gelegenheit uns zu treffen lind theilteii uns einander gern nüt, weil wir, uia ^ieichiseitige Jüng- linge, Miiilidie Gesinnangen h6gt«iL Klein, aber nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen, dessen sierlicber Form niedliche, etwas abgestomplte Züge vollkommen ent^rachen : blane Aagen, blonde Haare, kurz, ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen Ton Zeit zn Zeit eins begegnet ist : einen sanften, gleichsam vor- sichtigen Schritt, eine angenehme, nicht ganz flicssende Sprache und ein Betragen, das, zwischen Zuriickhaltung und Schüchternheit sich bewegend, einem jungen Manne gar wohl anstand. Für seine Sinnes- art wüsste ich nur das englische Wort whimsical. welches, wie das Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten lu einem Begriff snsammenfssst. »

Nachdem Lenz sich bereits früh als Dichter versucht hatte, schloss er sich l)ei seinei" Ankuiin in Slrasbhui ji" an die von dem würdigen Aktnnriiis Salzmann geleitete literarische Gesell- schaft, der bereits Gti'tlu?, Juiig-Stilling, Leese, Ha^derer, HafTner, Ott u, A. angehörtea und Hei\ier nahe stand^ iiiit Eifer an.

1 Dieser Abriss diene dazu, das Interesse an dem sonst wenig ge- kannten Dichter in wei^re Kreise su tragen.

« P. Tb. Faick, Der Dichter J. M. R. Leu ia Livland. Wiuteftbnr 1818.

3 Dichtung und Wahrheit III, 11. S. 46. Ich citiere die Seitensahl cach 4er Hempel'scben Ausgabe.

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Shakespeare war damals der Heid, unter dessen Banner die deutsche Jugend sum Siege auszog.

Will jemand unmittelbar erfahren, schreibt Goethe, was damals in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt worden, der lese den Aufsatz Herder's über Shakespeare in dem

Hefte « Von deutscher Art nnd Kunst ferner Lenzens < Anmei^ knngen übers Theater >. denen eine üebersetzung von T.nvp's labour's lost hinziit?ofü^^t wnr Horder dringt in das Tiefere von iShakeapearc's Wesen und stellt es herrlich dar ; Lenz beträgt sich mehr bilder- stürmerisrh ge^^en die Herköininlichkeit des Theaters und will denn eben all und überall nach Shakespearc scher Weise gehandelt haben.»

Ohne Zweifel war Lenz das verdienstvollste MitprrH^<l jener cGesellschaft der schönen Wissenschaften». Sein Bemühen, den unbestimmten Hestrebunjren derselben festere Zirle zu setzen, wurde mit Erfolg jfekrönt und am 12. November 1775 in dem Hause des Aktuarius Salzmann zur Eröffnung einer «Gesells4:l)afl deutscher Spraclie» j^eschritlen. i

Wühl mochte die neue Verabredung der Mitgliedei% keine andere als deutsche Aufsätze voi'zulesen , auf franzosischem Boden seltsam erscheinen, aber Lenz bewies die Vorzüge der deutschen vor der Iranzosischen Sprache in wissenschafthchen Aufsätzen 2 und liel als Deutsch-nusse, den der Vorwurf deutschen Ciiau vi nismus niclit hellen konnte, den Elsässera mit Ermunterung ins Gewissen ; 3

« Wir alle sind Deutsche. Bfit Vergnügen, aber mit heimlichem, habe ich bisher ans einigen Ihrer Vorlesungen geseheo, dass selbst die Obermacht einer herrschenden, und was noch weit mehr ist, verfeinerten Sprache den alten Hang zn dem mütterlichen Boden Ihres Geistes, ich meine. 7.ii unserer nervigteii deutschen Spraclie nicht habe ersticken können. Bleiben Sie ihm treu. Alle Ihre kindi- schen und nachher männlichen Vorstellungen und Gefühle sind auf diesem Boden erwachsen. Der Geist^ meine Herren, leidet keine Naturalisationen, der Deutsche wird an der K&ste der Kaffem so gut als in Diderota Insel der Qlflckseligkeit immer Deutscher bleiben und der Franzose Franios. >

1 Alsatia 1868, S 174, wo das Protokoll von A. Sloeber verötrentlicht ist. Da der Abdruck desselben trotz Stflebers Bebauptunj? n i^'^'nau ist und derselbe das S. 1 «rwfthot« MitgUederverzeictmis gao?: vergesseu iiat, so habe ich mich stt eiasr aeaeo Hereusgsbe des Pratokolls entschlossen, welobe durch mehrere hieheriNigedruckte Briefe des SaUmann scbea Kreises "vermehrt, werden soll.

« Lenr' Schrifteo von L. Tieck II, S. 326, vgl. Protokoll S. 1*15.

s Ibid. 11, s. sta

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Als sehdnste Frucht jener Deatschen Gesellschaft, aber auch als letzte deutschen Geisles vor cbr Revolution ist die IIeraus^al)e einer von wackerer Gefluinang (geleiteten Strass- burger Wochenschrift «des Bönferfreundes » zu vei^eichnen. Mit Lenzens Uebersiedelung nach Weimar geriet dies Unter- nehmen ins Stocken. Revolution und Kaiserreich vernichtt'teii die Regimgen deutschen Lebens im Elsass. So bliel) es bis zum Jahr 1870. Wenn man aber in Zukunft eiiinial dif* Pioniere des Deut;>chtums im Elsass des nationalen Jiaiikes würdi^fen wird, so moffe man auch den Dichter Lenz nicht vcrj>es>.sen, der bereits voi lUO Jahren, imiiitteti zuiichuicnder VerwaUchung", in Strassbur^ die Fahne deutscher Gesinnung hochgehalten hat.

Lenz war ohne Frage ein Irk libeg^abtes Dichtertalent. Wieland nennt ihn mit Entzucken weinen Dichter a triple carillon».! t Aus walnhafter Tiefe, aus unerschöptlicher Pro- duktivität ging sein Talent hervor, in welchem Zartheit, Bewofr- lichkeit und Spitzündi^keit mit einander wetteiferten >) dieses GaMhe'sehe Urteil 2 wird trotz aller nachl'olf^enden tiii- scliränkuimf ri Ij 11/ für aHe Zeilen als einen Dichter von Gottes Gnaden risdieinen lassen.

Lenzeiis Lyrik ist, wie <lie Giethe'sche, ni('hL - 'h liife, sondern unmittelbar dem Herzen entquülende Gelegen lieitspoesie. Wäre doch sein herrliches Talent selbst auf der Höhe seines Schalleiis nicht schon von den vorauseilenden Schatten zukunf- tijj^en Wahnsinns getrübt g-ewesen ! «Der neblichte Blick, das Maulwurfsgeföhl)», das ihm einmal Wieland nachsagt,» hindert wohl sein dichterisches Vermögen sich zur Klarheit des Gedan- kens sowie des Ausdrucks durchzuringen.

Als Perle seiner Lyrik wird stets sein (Jedicht* auf die verlassene Friede! ike «.»^enannt werden dürfen, in welchem er sich selbst vor der Verbindung mit einem Wesen warnt^ das ihm nur geswungen folgen^ niemals aber innerlich würde ang&* hdran können.

' Briefe an und von J. 11. Merck, heraus^, von K. Wagner, 1835 und 1888. 8. Brief Wietonds vom 13. Mai 1776. « Dichlung uod Wahrheit III, 14, S. 144.

^ Briefe an und von J, H. Merek, herea^. von Wagner, s. Brief Wie- iands vom 9. Sept.

Ich tiitiere dasselbe in der knapperen, aber dichterisch schöneren Fassung, welche Uriichs nach dem im Besitz Falcks befindlichen Originale im Arcm? für litteraturgeachicbte VIII, S. I66 herausgegeben hat.

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I>ie Liel>e auf dem Lande.

Ein schlechtgenährter K<an(}idat Der oftmals einen Fehltritt tUat Und den Terbotaen Liebettrieb In lanter Ftedigten vertebrieb, Kehrte einit bejr einein PfMrrer ein Den Senntag iein QehÜlf wa teyn.

Der bat ein Kind» «war ttiU nnd bleich,

Von Kammer kranke docb Engeln gleich*

Sie hielt im balberloichnen Blick

Noch Flamen ohne Haast sorfick,

All it2t in Andacht eingeliüllt,

Scbdn wie ein marmorn Heiligenbild.

War nicht umsonst so still nnd schwach

Verlassene Liebe trog sie nach.

In ihrer kleinen Kammer hoch •Sie stets an der Erinnerung sog; An ihrem Brodsclirank an der Wand Er immer, immer vor ihr stand. Und wmm ein Schlaf sie übeniam, Im Traam er immer wieder kam.

Für ihn sie «och das Ilürlein stutzt ' Sich, wenn sie gauz allein lot, putzt, Air ihre Schürzen anprobirt Und ihre schönen Latschen schnürt, Und Ton dem Spiegel nnr allein Verlangt, er soll ihr Schmeichler seyn. Kam aber etwas fremde in*8 Hans, That sie sich schlecht nnd h&nsHc^ ans.

Denn immer, immer, immer doch Schwebt ihr das Bild an W&nden noch

Von einem Menschen, welcher kam Und ihr als Kind das Herze nam. Fast ausgelöscht ist sein Qesicht, Docb seiner Worte Kraft noch nicht

1 In (]pT llandschrilt «stAtzl*, ohne Zweifel ein lapstts calemi, trotz

Urlichs Erklurungsversuch.

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Und jener Stunden Seligkeit Und jener Trftnme Wirklichkeit

Die, angeboren jedermann

Kein Mensch sich wirklich macheu kann.

Aeh liänner, Männer seid nicht stols Als wär^t nur ihr das grüne Holz, Der Weiber Güt' und Duldsamkeit Ist grenzenlos wie Ewigkeit.

Wenn irgend ein Dichter der Sturm- und Dranj^periocle^ so war gerade Lenz von der Ueberzeugung erfüllt, dass di(! deutsche Nation nur durch das Drama in Boweg^unj,^ gesetzt werden könne. Leider kam er über die Shakespearomanie nicht hinaus; daher denn das Abgerissene der Scenen, die Verken- nung jeder buhnengemässen Forderung, der Cynismus der Anschauung, der unser sittliches Gefühl empört, aber vor den^ Ausbruch der franzosischen Revolution die vorhandene Gäh> rung gegen alles Unwahre bezeichnet.

Zu spät erkannte Lenz, dass die Nation dun^h die Regel- losigkeit dramatischer Gebilde auf die Dauer nicht zu fesseln sei, dass es noch etwas höheres als «.Nesseln vorweg zu hauen» * gäbe, aber er leibt uns auch den Schlüssel der Erkenntnis^ warum auf Sturm und Drang nicht Sonnenscliein habe folgen können. Von seinem Vater in jungen Jahren ohne jede mate- rielle Unterstützung gelassen, musste sich der Arme kümmer- lich durch die Welt schlagen.

c Mir fehlt znia Dichten Masse, klagt er, und warme Luft und Gläckseligkeii des Herzens, das bei mir tief auf den kalten Nesseln meines Säiicksals halb in Schlamm versunken liegt und sieh nur mit Verzweiflung emporarbeiten kann. » *

Und doch, welche Groldkörner neben hasslicben Schlacken auch hier, welche packende Grewalt der Empfindung, welche scharfe Charakteristik und lebendige Sprache! Gewiss hat Lenz aus dem Umgang mit Goethe geistigen Nutzen gezogen, aber die Mitteilung beruhte auf Gegenseitigkeit : Stolzius in den « Soldaten » ist mit Lenzens Charakter Vorbild zu Brakenburg- geworden , der kurze, aber wirkungsvolle Monolog der Marie in eben demselben Drama erinnert an Gretchen und Klärchen.

> Dorer-Egloff, J. M. R. Lenz und seine Schriften, Baden 1857, S. 183.

* K. Wagner, Briefe von und an Merck. Brief vom 14. M&ra 1775 «d Merck.

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Ocßthe's Faust. Margarethe :

Es ist so schwül, so duinptij;

[hie (Sie macht das Fenster auf> Und iüt doch eben so wurm uicht

[dxatun.

Es wird mir so, ich weiss nicht

(wis

Ich wollt, dis Mattor k&m naeh

[Haus.

Mir läuft ein Schauer übern Leib Bin doch ein thOricht farchtsam

[Weibl

Lenz* Soldaten I, Sc. 6. Marie (küsst ihrem Vater die Hand) Oute Nacht Pappuschka ! (Da er fort ist, thut sie einen tiefen Seufzer und tritt aus Fenster, indem sie sick mf- sehnürt) Das Hers ist mir so schwer. Ich glaube, es wird ge- wittern die Nacht. Wenn es ein* schlüge (sieht in die Höhe, die Hände über ihre offene Brust schlagend"! Gott ! Was hab' ich

nn Böses gethan? Stolzius

ich lieb' dich ja noch aber wenn ich nnn mein Glück besser machen kann und Papa selber mir den Bath giebt (zieht die Gardinen vor), trifft micbs, so trifft michs, ich sterb* nicht Ciarehen, HL Aktsdilnss : 80 lass anders als gerne (loscht ihr Licht mich sterben ! Die Welt hat keine I). Freuden auf diese!

V. Akt : (Die Lampe, welche Bra- ckenburg auszulöschen verges- sen, Hammt noch einmal auf, dann erlischt sie).

Gerade in kleinen Zügen war Lenz unerschöpQich. Goethe sagt von ihm, «die Poesie, die er in das Gemeinste zu le^^on wuaste, setzte mich oft in Erstaunen». Manchen solcher Ziv^e mag G(jethe in seine Dichtungen übertragen haben. Ich bemerke noch folgende Parallelstelle :

Lenz' Tagebuch, S. 273 : Ich hatte ihr Nachtkleid geloht die Mntter hiess sie einigemal 'sich ankleiden, sie wollte nicht

Egiuuut I, 3.

Matter : Ziehst dn dich nicht ein wenig besser an? Klare: Vielleicht Matter, wenn ich Langeweile habe.

Givlhe halle Strassburg bereits im Au^^ust 1771 verhissc^n, wälirend Lenz bis in den Marz 177(i dasei hst verblieb. Im Frühjahr ^772 bej^leitele er den zweiten fiaron von Kleist mit seinem Regimenle erst nach Forl-Louis, dann nach der Festung Landau, um im Herl)ste zu dem ältesten Baron nac h Strass- bup/ zurückzukehren. Bald darauf wurde letzterer, (h^r sicli unterdessen mit einer SStrassburger Bürgerstochler verlobt halte.

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von seinem Vater nach Kurland zuruckgeruten. Aber noch vor seiner Abreise traf auch der dritte und jüngste Bruder in Strass- burg ein. Zwischen ihm und Lenz erfolgte im Herbste 1774 über die Einmischung des letzteren in jene Liebesangelegenheit des ältesten Barons ein Bruch. Lenz trennte sich von demselben , bezog mn anderes Quartier in der Stadt und führte von nun an csein Schifliein selbst.» Indessen wenn er auch, «arm wie eine Kirchenmaus» und «gehetzt wie 'ein Postpferd», gleich anderen bedürftigen Studaiten der Theologie in der Stadt henimlaufen musste, um durch Schanzen sein Brod zu verdienen, es war doch die freieste und für seine Muse ergiebigste Zeit seines Lebens.

Gcethe, der seit dem Erscheinen des Götz in lebhafterem brieflichen Verkehr mit ihm gestanden, unterbrach die Genie- rdsie, die er im Sommer 1775 mit den beiden Grafen Stolberg nach der Schweiz unternahm^ durch einen Abslecher nach Strass- burg, ausdrücklich, wie er dem dort studierenden Erbprinzen Karl August von Sachsen - Meiningen mitteilte^ i um seinen Freund Lenz zu besuchen. Dem Andenken an den ersten Besuch in. der Pfingstwocbe den 24« Mai 1775 widmete Lenz In einem Wirtshausgarten vor dem Fischerthor die Verse:

Der Wassersoll, Denkmahl der Freundschaft.^

< Ihr stummen Bäume, meine Zeugen,

Ach! käm ei ohngefetir

Hier, wo wir sassen, wieder her.

Könnt ihr von meinen Thr&nen schweigen?

L. an Q.

1 L. Bechstein, MiUeilungea aus dem Leben der Herzoge tu Seoheea-

MeiniDgen. Halle 1856. S. 106.

« Iris 1775. IV, 2 S. 147 vergl. J. v. Sivcrs J M. R. Lenz m der Haltischen MoDatsscUrift 1879 S. 35G, wo auch die Ueberscuuu^ :

Aribres miAte, temoiiis d'un Soavenir

Dont le regret trouble les charmes

Ah! dans ces lieux jamuis s'il pouvait reveoir

Pouriez vous iui taire ines larmesl Unter jenen Biumen echrieb G(Btlie an Jcbtnna Fahhner nkch Frankfart :

Liebe Tante ! In freyer Lutft I einem Urblten Spaziergang hoher vielreih kreuzender Linden, Wiese dazwischen das Mönster dort ! dort die III. Und Leiu lauft den Augenblick nach der Stadl. IcU habe schon ein Mittagessen bcelelll hier neb bey u. s. w. er kommt wieder etc. Diese alte Gegend, lest wieder 80 neu : Mittwoch den 24. May 1775 eine Viertewunde ▼on Straabarg. G. (Hirzel-Bemaya der jnnge Goethe III 88).

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Goethe verabschiedete sich von dem Freunde mit dem Stammbuchverse :

Zur Eriniuuiig guter Stunden. Aller Freuden, aller Wuudeu, AUer Sorgen, aller Schmersen, In zwei tollen Dichter Herzen Noob im letzen Angeublick Latt ich Lenzzen dies znrflck.i

Damals stand die Freundschaft beider Dichter, welche nel)eii einander auf dem deutschen Parnass genannt zu werden pflegten, im Zenith.

Im November 1775 wurde Goethe von dem Hensog Karl August nach Weimar berufen. Lenz verblieb den Winter in Strassburg und ertdllte damals sein Herz mit einer neuen Liebe zu Henriette Waldner von Freundstetn, der späteren Frau von Oberkirch.

Endlich im Mui^ 1776 riss er sich aus den Strass- burger Verhältnissen los. Not einerseits, andererseits die schmei« chelhafte HofTnung, eine ähnliche Stellung* wie Goethe zu er- rinjren, trieben ihn nach Weimar. Er war dem Herzog bei dessen Aulenthalte in Sirassburg vorgestellt worden und träumte sich in den Gedanken, durch eine Schrift über Soldatenehen der Regenei^tor des sächsischen Kriegswesens zu werden, sowie der Dichter Goethe sich dem Herzog bereits durch seine juris- tischen Kenntnisse mltzlich zu machen gewusst hatte.

Lenzens Ruhm befand sich damab auf dem Gipfel. Mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit, mit Lavater, Plenninger, Zimmermann, Merck, Herder, Jacobi stand er in personlichem oder brieflichem Verkehr; seine Fehde mit Wieland, die er bei seiner Uebersiedelung nach Weimar beizulegen suchte, halte nicht zum geringen Teile zu seiner Berfihmtheit beige- tragen.

Von Merck in Darmstadt freundlich empfangen, von Klinger in Prankfurt mit fürstlichen Ehren eingeholt und bei der Frau Rat aufs trefilichste bewirtet, erhielt Lenz auf dem Wege nach Weimar die Trauerbpt schalt, dass Fräulein vim Waldner die Braut des Herrn von Oberkirch geworden sei. Seine Erregung spiegelt sich in jenem Briefe an LaVater wieder, in welchem er di*m vftterlichen Freunde die eigentömliche Zumutung stellt, der

^ Uebtr dieSMi Stammbacheiiitrag swlie weiter unten.

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ihm wenig oder gar nicht bekannteo Dame in aller Form von solcher Verbindung abzuraten. ^

Am Mttsenhof in Weimar wurde der ungerufene Gast mit Wohlwollen aufgenommen. Bald war er verschlungen vom an- goiehmen Strudel des Hofes, war den ganzen Tag toben heim flerzog» und durfte ihm Lavaters Schriften vorlesen. A\\mn dieser glatte Boden war ffir den unerfahrenen Jfinglin;^, der TakikM%' keiten für Geniestreiche ansah, auf die Dauer zu g:efahrlich.s

Bereits am 24. April hatte Lenz nach Garthes Ausdruck «ine Eselei hej^anjren, da er uneingeladen auf dem Hofball er- srhieu und eine Adlige zum Tan/ zu tühren sitli anschickte. Am 29. Nov. verzeichnet Gu^thc eine neue «Eselei Lenzens» in sein Taf»ehuch. Die Saclie war so schlnnni, Jass der Dichter vorn Hejzuj^ binnen "21 Stunden des Landes verwiesen wurde.

Was die Ursache diesei- strengen Massiej^el «rewesen, ist, wie bei Ovids Verbannung, bis jetzt jj;elieini geblieben, da sieh die Beteiligten, wie es scheint, unverbrüchliches Stillscbweigen gelobt haben. Ohne Zweifel waren Goethe und die Frau von Stein an^i^e^riffen. Von Giethe j^esteht es Lenz seihst in seinem Briete an Herder den Nov. 1776. 3 Auf Frau von Stein, auf deren Gute Lenz im September und Dkfnfifr 5 Wociien hatte verweilen düi ten, deuten folgende iti^i 1 1-^« Sätze, welche Lenz seiner Gewohnheit nach auf das kouveii enies Briefes von Ui^derer bin^^eschrieben hat. Die Mitteilung derselben verdanke ich der Güte Falcks:

«Hat sie mich davon YOiher warnen lassen durch ihn?^ Und ich suchte das nicht zu hindern».

«Nur wenn alles getban ist den letzten Gennss um ihr sagen dass ich sie e^wal•t^

* schändlich kalte Tugend, die uns z^vingt Aafopterungen gegen einen Frennd zn inarT)en den wir hernach dafür nicht liehen können ».

« der alles hingiet)t, zuletzt das Leben und nichts thut, weil es nicht das llerz hat ...»

» Dorer-EgloÜ S. lül.

'-^ Brief Wielands au Merck vom 13. Mai: Lenz am Hofe! Was dankt euch dssu? Seit er hier ist, ist kaum ein Tag vergangen, wo er Dicht einen oder den andern Streich ausgefQhrtj der jeden andern als ihn in die Luft gesprengt hfttle. Üafar wird er nun freilich auch was Rechtes geschoren.

3 Aus Herders Tsachlass l, S. 245.

4 Ebenso Lens im Briefe an Herder (Aus Herders Nachlsss I, S. 244) ; «Hitto ich QoBÜiens Winke nur dier verstanden! Sag' ihm das.«

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stom den Weg zum Vater >. i

«Sobald mein Plate ein anderer aasfällen kann, waram ihn nkbt verlassen ? Sobald aber dies gethan ist, gehe ich. Es hi Gott, der mich ruft Im Frieden ist aach im Mil. < nichts zu thun für mich >.

« Quisqais nbiqne habitat maxime nnsqnam habitat >.

Die Worte Goethes an die Frau von Stein > «die Sache reissl so an meinem Innersten, dass ich dadran iiiieder spüre, wie tüchtig es ist und yms aushalten kann» lassen die Schwere de^i Vorfalls erkennen.

Der Streich, den sich Lenz hatte zu Schulden kommen lassen, war gewiss kein sittlich tadelnswerter ; wie hätte sonst der Itieoloi^e Herder die Vermittelung ilbemehmen können, iioethe spricht von einer « Eselei Wieland sogar nur von einer Impertinenz».^ Deshalb konnte auch Lenz, indem er eine von unbekannter Hand dargebotene Unterstützung mit Stolz zurück- wies, von einem cunbewussten Verbrechen» reden und um «Gerechtigkeit» bitten. Allein die Taktlosigkeit war nun einmal begangen, die seinen weiteren Aufenthalt in Weimai* unmöglich, machte.

Am 4. Dez. 1776 verliess Lenz Weimar, um bei seinem treuen Freunde Schlosser, Goethes Schwager, in Emmendin^^en bei Freiburg eine Zufluchtsstätte m <ui-hnn. Aber ruhelos st-hweifle er am Oberrhein umher. Wir linden ihn bei Lavater in Zürich oder auf Gebirgsreisen in der Schweiz. X;u luleui l»ei Kaufmann in Winterfhur Herbst 1777 der erste eigentliche Wahnsinnsausbruch erfolgt war, tauchte er plötzlich bei Frif- derike in Sesenheim auf und wird von da als tobsüchtig nach Strassburg geschafll. ^ Den '20. Jannnr 1778 erscheint er in bitterer Winterkälte vor der Thür des Menschenfreundes Oher- lin im Steinthal, um aufs neue nach herzzerreissenden Selhst-

1 Vergl. dns Gedicht - An meinen Vater. Von einem Reisenden Tieck, Um Schnrieo III, S. 266.

* Vergl. brief Lernens an Salsmami aos Koebberg 23. Ocl. 1776 (Stoeber.. Der Dichter Leos S. 84) : Vielleicht sehen Sie mich einmal in her- so^ch sächsischer Uniform wieder. Doch das unter uns. 3 Garthes Bripfp an Frau v. Stein I, S. 72. Deutscher Merkur 1117 JuU S. 11.

Der Junker sMil Wie Bru'ler L{ent) Sii-li ans f]pr ersten Imperlineuz Durch eine zw^te. 6 GflMbe, Biographische Btnaellieileii. Vgl. Faick, Friederike Brion S. 69.

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mordsscenen J nach Strasuburg und vsn da durch seinen Freund Rcederer zu Schlosser nach Enimendinp^en ^n^bi acht zu woi den. Hier erreichten Lenzens Wahnsinnsaushnkhe den liüchsten Grad. Xtchdeni Klinger vergebens eijie K.tUwasserkur mit dem Ungliu kl chen versucht, 2 rausste Schlosser den 8. April 1778 an Ra*dei ei berichten : '

c Lenz hat ein Recidiv bekommen und ist nnn ganz rasend. Er mnss an Ketten liegen und wird füglich und Nachts von 2 Mann bewacht Da soin Puls dabey ganz natürlich geht, so Tnüs;5pii wir und der Arzt seine Manie für unheilbar halten. Wir sind nun ent- schlossen ihn ins Fi uikfurter Tollhaus zu bringen, das mehr ein Spital, als ein ioiliutus ist. Da soll wöchentlich 3 Gulden für gezahlt werden. Rechne ich die Nebenkosten, seine bessere YeipHegung dam, so kans auf SO Lonisdor kommeii. Ich werde in der Schweiz und Colmar daf&r Snbecriptionen eammlen ; auch bahe ich darftber nach Weimar geechrieben. Sachen Sie doch auch in Straeebiirg dnnsh Sich oder Salsroann was zu erhalten. Ich habe in der Zeit, als er bey mir war, erstaunlich gelitten. Sein Tod würde mir der grdsste Trost seyn. »

Doch liess Schlosser den Gedanken an das Frankfurter TollhaMS fallen, als sich die Tobsucht in Trübsinn abschwächte. JSeildeui wurde Lenz auf Kosten seiner Freunde, zu denen auch der Herzog von Weimar einen Beitrag stellte, zuerst einem Chirurgus, später ein m S huhmacher Süss zur Pfte^^e übergeben, zu dessen Sohne ivonrad der Arme eine unendlicli rührende Neigung gewann.

Kndhcii im Sommer 1779 rührte sich Lenzens Familie, an welche sich Schlosser bereits das Jahr zuvor ohne PX'olg ge- wandl hatte. Man kann es ihm, drr soviel tür den Unglück- licher» gethan , wahrlich nicht verübeln, dass er in einem Brirtr IUI Sarasin s(!inem Unmut über das Verhalten des Super- intenjlenten Lenz die Zügel schiesseu Hess. «Der Herzog von Weim.tr. schreibt er, bezahlt die Kost. Aber sein Vater ist ein eingelleischter Schurke, der mir gar nicht mehr antwortet, seitdem ich ihm s;igte, dass seine Schuldigkeit erfordere, Sorge für i^inen Sohn zu tiagen.j» Erst im Juli 1779 kam der ältere

' A. St.iher. Der Diclifer Lenz S. Uff. « M. Hieger, KÜuger S. 259

A. SUi'ber, J. G. Ra-derer und seine Freunde S. 69. K. R. Hagenbach, Jakob Sarasm und seine Freundti la den lieilrikgeu xor TaterlindiMbea Geechichte IV, Basel 1850 S. 108.

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Binder Karl Heinrich Goftlieb. Lenz, uiA 'den UnglCicklkhen' über Lübeck nach Riga heimzuföhren. Er fand ihn bis aut eine unglaubliche Schüchternheit vrieder hergestellt. Strass- bürg aber musste er, so leid es ihm that, mit ihm vermeiden. Mit welchen Gefühlen er die Thürme von Riga wieder erbliclLfe^ schildert der Arme in einem bewegten Abschiedsbriefe an Frie^ deriice von Sesenheim.i

Von da ab verliert sich unsere Kenntnis von des Dichters Schicksal ins Ungewisse. Vergebens machte sich Lenz Hoff- nung auf das Rektorat der Rigenser Domschule , auch die Familie suchte sich seiner zu entledigen. Von Riga kam er nach Petersburg, von dort nach Moskau, wo er eine kurze^Zeif als Hauslehrer lebte, um in immer tieferes Elend zu ver- sinken. Man nannte ihn den kleinen oder verruckten Lenz; er trank, machte Schulden, Anfälle von Wahnsinn wiederholten sich, zuletzt hatte er keine feste Wohnung mehr. So &nd man ihn in einen alten zerrissenen * Mantel eingehüllt am Morgen des 24. Mai 1792 todt in den Gassen von Moskau. *

So starb ein grossbeanlagter Dichter, der eine Zeitlang neben Gcethe auf dem deutschen Pamass geglänzt hatte, als ein Opfer der Sturm- und Drangperiode, deren eigentlicher Typus er nach seinen Verdiensten und Schwächen genannt werden darf.

« Von allen verkannt, sagt sein Nekiolug, ^ gegen Mangel und Dilfftigkeit kämpfend, entfernt von allem, was ihm tUener war, verlor er doch nie das fitefUi] seines Wertfaes; sein Stolz wurde durch oniähllge Demüthigmigen noch mehr gereizt, und artete endlich in jenen Trotz aas, der gewöhnlich der Gefihrte der edeln Anrath ist Er lebte von Almosen, aber er nahm nicht von Jedem Wohlthaten an und wurde beleidigt, wenn man ihm ungefordert r»*>ld oder Unterstützungen anbot, da doch seine Gestalt und sein ganzes Aeussere die dringendfite Aofforderung zur Wohltbätigkett waren.»

II. Goethes Urteil über laenz.

Der Erste, welchei Lrn/fMis Aiulenken der Vergessenheit fiitriss, war Ludwig- Tieck, welcher I8t^8 seine gesaininelteu Werke in einer allenlings unzulänglichen Ausgabe 'verölTent-

* Fslck, Friederike Brion, Berlin 1 884, S. 73. , .

* J^or V. öievers, J. M. K. l^enz. Higa IS'IÖ.

* AUgeneine LiteieUmeitung fW. leteUigcnsbUitt Nr. 99.

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lichte. Nach ihm haben Stdiber, Duntzfr, Dorcr-Kgloir, Faick, Sivers und andere aus bisher un^edruckten Quellen daa Lebens- bild des Dichters zu vervollständigen sich bemüht.

Dennoch gilt noch heute von Lenz das geflügelte Wort: «Von der Parteien Hass und Gunst verwini, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.» Naclidem Gervinua in seiner Literaturgeschichte < den Armen in dem Bewusstsein eines Mannes, der auf den Scliulfern anderer steht, mit catoni.scher Strenge abgekanzelt, leistete Gruppe, dem Vorgang Dorer-Eglofis folgend, in einer phantasiereichen Monographie > dem unglück- lichen Dichter den schlechten Dienst, Lenz über Lenz .selbst erheben zu wollen. In neuester Zeit hat Hettner in seiner Lite- raturgeschichte des 18. Jahrhunderts das von Gervinus gefällte Urteil im wesentlichen wiederholt, 3 dagegen Faick, Urlichs^ und Erich Schmidt & den V^ert des Menschen und Dichters in ein besseres Licht zu röcken gesucht.

Immerhin ist eine schon von Goethe < ersehnte Darstellung des Lenzischen Lebens und Dichtens in einer erschöpfenden Arbeit noch nicht erschienen und kann uaturgemäss so lan^^e nicht erscheinen, als der umfangi-eiche biographische und lite- rarische Nachlass des Dichters, der vor und nach seinem Tode verzettelt wurde, noch immer in Privathänden ruht.

Möchten doch die glucklichen Besitze desselben ihre hand- schriftlichen Schätze, auf deren VeröflfenUichung die literarische V^elt nun so lan^^e {^^espannt ist, ohne jede Anmerkun<j^ sofort herausgeben. 7 Es wäre damit der V^issenschafl ein un<rleich besserer Dienst geleistet, als mit jenen Angriffen, wie sie neuer- dings auf die verdienstlichen Publicationen Falcks unternommen worden sind. Denn verdienstlich ist jede Publication, welche neues Material herbeischafVt ; auf die Sicherunj^ des Urteils kommt es erst in zweiter Instanz an, und wird noch manclu^s Wasser ins Meer fliessen, elie ein abschliessendes V^otum in

I IV, S. 656 ff. R«inhold, Leas Lieben and Werke. Berlin 1861. i.s.88&ff.

4 Deutsche Rundschau iSTi, S. 254-292 : Etwas v<m Lenz.

^ Lenz und Klioger, Zwei Dichter der Geniezeit. Berlin 1878

6 Dichtung und Wahrheit III 14. S. 149. . In der Alsatia 1868 S. 174 verköndet Aug-. Stoeber, dass Freiherr vrvn Maltzahn schon seil längerer Zeit eine Sammlung von Lenz' Gedichten und kleinen Scbnlten vorbereite. Beate schreiben wir 1887, ohne daee dieae Sammlui^ erschienen ist.

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der selbst von Goethe als schwierig; bezeichneten Lenz-Frage erfolgen kann.

Da mithin die Quellen noch nicht abgeschlossen sind, kann es auch nicht Zweck dieser Arbeit sein^ eine auf die Erwägung aller einschlägigen Momente gegründete Beurteilung des Dichters Lenz zu «^eben; nur einige wichtige Bausteine zu einer zu- kQnfligen Biographie und zum Verständnis seiner in-Strassburg entstandenen Werke gedenke ich beizutragen^ die» da sie aus urkundlichem Matefiale bestehen, ihren Wert in sich selber bergen. Leicht mag es den glucklichen Besitzern des Lenz-Nach^ lasses sein^ über Ereignisse seines Lebens sich kurzer Hand aus den Papieren des Dichters zu belehren, schwerer wird es dem Forscher in fremdem Lande, die Urkunden selbst erst aufzu- spüren, aus denen sichere Schlösse gewonnen werden können.

Für die Charakterisierung des Dichters Lenz ist von jeher der Anfang des 14. Buches von Goethes Dichtung und Wahr< heil als klassischer Ausgangspunkt angesehen worden. Welche Mühe hat sich hier der Meister psychologischer Malerei gegeben, um das indefinible Wesen Lenzens in einen einigermassen si- cheren Rahmen zu bannen. Goethe sagt dem früheren Freunde einen entschiedenen Hang zu zweckloser Intrigue nach und filhrt wie zum Beweise folgende seltsame Geschichte aus seinem Leben an: ,

' Mnn hatte ihn mit livländischen KavalifM cn ' nach Strassburg gesandt und einen Mentor nicht leicht unglücklicher wählen können Der ältere Baron ging für einige Zeit ins Vaterland zurück uml hinterlit'Sö eine Geliebte, au die er fest «geknüpft war. Len?:. nm (hm zweiten Bruder, der auch am dieses Fraaenzimmer warb, und andere Liebhaber surftcksndr&ngen nad das kostbare Herz seinem abwe> senden Frenade an erhalten, l>eschloss nun selbst sieh in die Schöne verliebt sa stellen oder, wemi man will, zu verlieben. Er setzte diese seine These mit der hartnäckigsten Anhänglichkeit an das Ideal, das er sich von ihr gemacht hatte, durch, ohne gewahr werden zu wollen, dass er so gut als die Uebrigen ihr nur znm Scherz und rar Unterhaltung diene Desto besser für ihn ! Denn bei ihm war es auch mir Spiel, welches desto länger andauprn kannte, als sie es ihm gleichfalls spielend erwiderte, ihn bald anzog, bald abstie.ss, bald hervorrief, bald hintansetzte. Man sei überzeugt, dass wenn er snm Bewnsstsein kam, wie ihm denn das saweilen zu geschehen

1 in den biographischen Einzelheiten unter 'Lenz* schreibt üu'the richtig: korlindiflcbea «elleiiteB.i

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pflegte, er sich za einem eoldieii Fund recht behaglich Glück gewünscht habe.

« Mündlich and nachher schriftlich hatte er mir die sämmtlicben Irrgänge seiner Kreuz- und Qnerbewegungen in Bezug auf jenes Frauenzimmer vertraut; die Poesie, die er in da» Gcmeiuste zu legen wnsste, setzte mich oft in Erstaunen, so dass ich ihn dringend bat, den Kern dieses weitschweifigen Abenteners geistreich zn befrachten und einen kleinen Roman darans zu bilden ; aber es war nicht seine Sache, ihm konnte nicht wol^l werden, als wenn er sich grenzenlos im Einzelnen TerfloSs und sich an einem unendlichen Faden ohne Absicht hinspann, >

Es ist erklärlich, days man an die Existenz jener vcrliebleu Kreuz- und Querzuj^e, bei weldieii Lenz eine weni^ jxlunzenrff» Rolle spielte, im Interesse des Dichters nicht recht ^L^uheti voUte. Grupi>e ii^norirt sie, Dorer-Ej^loff meint S. 155 : In die- ser Erzählung scheint so viel Konibniation zu liegen, dass man es wohl niemanden verargen wird, wenn er in die Wahrheit (li'r-el!)Hn einigen Zweifel setzt und glaubt, dass in der Erzäh- lung iiu!" ein Plan für einen zu schreibenden Roman, nicht al>er ges( hichilic iie Walnheit enthalten sei; auch Ei'ich Schmidt fühlt sich geneigt, von einer « i omanhaften Beichte » zu sprechen, i

Bei solchen Zwei r In ist es wohl gerechtfertigt, eine genau«* Iiistorisehe Untersuchung anzustellen; handelt es sich d(.x:li nicht nur um die Glaubwürdigkeit der Gadhe'schen Kritik an einer einzigen Stelle, sondern, da diesellM« einen Ausgangspunkt für die ganze Beurteilung' l)iidet , die mun Lenz hat zu teil werden lassen, um die Sicherung des Goethe'schen Urteils über Lenz überhaupt.

III. Bisherige Dokumente.

D(M) zunächst zu liefernden B.nveis, dass ein solches Lielies- verliältnis des kurländisclien Birons in Wii klichkeit vm-liandoi), hatte schon Dorer-Egloff in Händen. S. 179 seiner Schrift ci- tiert er folgenden Bi ief Lenzens an Lavater vom Juni 1774, als letzterer sich zur Badereise über Strassburg und Frankfurt nach Schwalhach aufmachen wollte

' Lenz und Klinger S. 14.

^ Ich gebe das Briefexcerpt nach der von Falck genommeneD Abschrift des Originalbriefes.

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« Ich bin Gesellschafter eines Kurländischen Cavaliers der im Be«i:rif steht nach Hanse zurückziigehn, mich hier zu lassen. Ich zählte darauf wen du laut deiner vorigen Briefe in drey vier Wochen ftbreisctest, er würde gegen diese Zeit verreist und ich frey seyn. Also würden wir dir förnkUoh entgegen reiften, dieh heriiolen können etc. So aber mnss grad itst das Schicksal seinen jüngern Brader der bey einem andern Regiment steht mit seinem Regiment gegen den Tag deiner Abreise hieherführen (den 11. haben sie Ordre erhalten anszamarsehiren) der Bruder erwartet ihn, um ihn noch das letzte mal vor seiner Heimreise hier zu sprechen und ich in die allergeringsten ihrer beyden Ooschfifte verwickelt darf mich nicht von ihnen trennen besonders da diese Keise in dem ganzen Lebenslauf des ältesten fipoqae macht.»

Die jjelieirmiisvülleii Sclilussworle, l)ezogen auf Garthes Aeusserun^ «der idtero Bmio» «^in-r für einige Zeit ins Vater- land zurück und liirUerlioss eint' Geliebte, an die er fest jre- knupft wMi * koiiiilen Dorer-EglntV zu ileni Schlüsse tu lictM). duss es sifli liei jciiei' Keise um die Einwilli^uii;; der Elteni in die hürj^erliche Ehe ihres Sohnes ;4ehandelt liabea möchte. Ja, die bezeichnenden Worte Gadht s «er hinterliess eint' Geliebte, an <li(? er fest geknüpft war,» konnten ihn zu der VennutTin;^: leiten, dass hier mehr als ein nnündliches Vei spiechen gegeiieu war. Und wirklich hat dies s<'hriftliche Eheversju echen <\e< Herrn von Kleist auf Lenzens Einbildungskraft so j^ios'^cn Eindruck geübt, dass er, der, wie die Dichter jener Zeil ül>erliaujtl, seinen Dichtungen reale Erlebnisse zu Grunde legte, dasselbe iu seinem Drama, «die Soldaten» un<l in dem kleinen Roman «Zerbinoder die neuere Philosophie» verwertet hat.

Die Soldaten spielen eigentlich in Strassburg. Die nur auf Strassburg passende «Rheinluft»' verrat dies, trotzdem zur Ver- schleierung der Thatsachen als offizielle Oertlichkeiten Lille und Arnientieres figurieren. In Strassburg also liebt die bürgerliche Marie Wesener den adli^^^en Offizier Desportes, der zu ihren Gunsten ein versiegeltes Ebeversprecben bei einem Notar hinter- legt hat, sie aber schmählich im Stich lässt. Marie geht in Lei* denschaft und Elend zu Grunde, Desportes aber, der das Schick- sal Weisslingens teilt, wird von Stolzius, Märiens verschmähtem Bräutigam, der mit Lenz zusammen unverkennbare Zuge zu Brakenburg geliefert hat, aus Aache vergiftet.

1 Akt II Sc. 2.

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Zerbin ist Lenz selbst. Von Geliert empfolilcn, wird der j)iiii^e Magister der llalhematik Mentor eines Grafen Altheim in Leipzi^^ bei dem er, wie Lenz bei seinen kurländiscben Baro- nen, Wohnung und Tisch frei hat. Ihn und den sächsischen OtYicier Hohendorf unterrichtet Z(m Iiin in Mathematik und dop- pelter Baukunst, wie denn auch Lens sich gern als einen Ken- ner artilleristisclier Wissens( hafl ausfj^ab. Nach allen Hreien wliii Ilenata Kreundlach ilne Netae aus. Allein Hohendorf zieht sich langsam zuiuck, «da er schon eine Frau hatte, zwar nur von der linken Seite» der er aber ein besiegeltes Versprechen, sie gleich nach seines Vatei*s Tode zu iieirathen, in den Händen eines königlichen Nötars hinterlassen hatte.» u. s. w.

AVie I^enz in Zerhin, die beiden Kleist in Altheim und Hohenthal, die Braut des äUesten Kleist in Renata wiederzu- linden ist, so spielt in den Soldaten Lenz die Rolle des Feld- nnd Sitten predi^ifers Eisenhardt, die Offiziere Besportes und Mary sind die beiden Kleist^ die Braut heisst hier Marie Wesener.

Bei dieser quellenmässifren Uebereinstimmung hier wie dort wird die Liehesj^^eschichte und das notarielle Eheverspre- chen des Kurlanders der Angelpunkt des Ganzen an dei- Existenz jenes Eheversprechens zweifeln zu wollen, ist unstatt- haft. Ueberdies schreibt Lenz im März 1776, nachdem er Strass- bur^r verlassen hatte, aus Darnistadt an Herder,^ dem er seine Soldaten im Juli 1775 zugeschickt hatte:

Snb inramento mysteril.

«Ich will Dil alles sagen. Herder! Das Mad eben, das die Haupt- fiirnr ineinor < Soldaten ausmacht, lobt jroi;en\varti^ in der süssen Erwartung, ihren Bräutigani, das (sie 'j ein Uftizier iüt, getreu wieder- kehren zn sehen. Ob der's thut oder sie betrügt, steht bei Gott. Betrügt er sie, 80 könnten die «Soldaten» nicht bald genug bekannt gemacht werden, um den Menschen za zexscheitern oder zu seiner Ffiicht vielleicht noch zurückzupeitschen. Betrttgt er sie nicht, so konnte vielleicht das Stück ihr ganzes Glück und ihre Ehre ver- derben, obschon nichts als einige Farben des Details von ihr entlehnt sind und ich das Ganze zusammengelogen habe Das ist die Bewandtniss : uua entscheide !

*

1 Au9 Herders Nachlass« herausg. v. Düntzer u. Herder 1. S. 239.

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WeuigsteiUi müsste iu eiu Zeituugbbiatl gesetzt werden, das Stück wSre vod einem gewiseen Theobald Steenkerk ans Amsterdam geschrieben worden, damit wenigstens bei den Stadtw&schern, die nichts weiter als Detail drin sehen, Tor sa grossen UnTersch&mtheiten eine Sperrkegel gelegt würde. Meine Exemplare kommen nicht ans den Händen. >

Dürfte ich doch fragen, ob Zimmermann oder Merck die Exem* plare von « den Soldaten > bekommen hat, schreibt I^enz an Herder aus Weimar den 9ten Juni 1776.* Ich habe selbst k^iris, auch nieniutid schicken können tin«l hier sin«! sie auch im BnoUaden nicht. Nach Strassburg dürten sie nicht gehen. *,

Endlich, als Lensnach der Weimarer Katastrophe sich dem Elsass wieder nShert, weiss derselbe seinen stärkeren Freund KHnger, dem es, wie er ihn kannte, eine Kleinigkeit sein musste, sich mit einigen franiösischen OfOsieren zu duellieren, durch Bitten zu bewegen, die Autorschaft der bereits gedruckten «Soldaten* auf sich zu nehmen.

Am 6. März 1777 schreibt letzterer an den Leipziger Ver- leger Reich« 9 «Ich bin gegenwärtig genöthigt, Ew. Hoch. Edl. zu melden, dass nicht Lenz, sondern Ich Verfasser der Soldaten bin.»

Schon das Schablonenhafte dieser Erklärung lasst die Un* Wahrheit des Gesagten erkennen. Auch that Reich, der das Lenz*sche Manuscript soel>en gedruckt hatte^ dem vermeint- lichen Autor den Gefallen nicht, dessen Namen statt desjenigen des Lenz zur Angabe der Autorschaft in den nächsten Messka- talog zu setzen. Der berühmte Arzt Zimmermann, welcher im Verein mit Herder den Druck bei Reich vermittelt hatte, kannte den Grund, der Klinger auf Bitten seines schwächeren Freundes veranlasst hatte, die gefährlichen Polgen der Autorschaft auf sich zu nehmen. «Vermutblich waren die Originale, schreibt er, in Strassburg, wo er bis hierher gelebt hat und wo dieses sehr unangenehme Folgen bei den dasigen Ofliciers für ihn hätte haben können.»

Uebrigens hat später Kliit^a'r seli)st am 17. Oktober 1811) in eitlem Sclirciben an den durch seine Bcscliäfti^'^uii^ mit Lenz bekannt gewordenen [)' Dumpf m Eusekull in aiier Form die erheuchelte Autorschaft widerrufen:*

l Aus Herders Nechlass, l, S. 242.

* M. Rieger, KUnger S. 406 ; vgl. Archiv für Literaturgeschichte II, 245 ff. 3 M. Rieger, Klinger in der Sturm- uod Drangperiode 1880 S. 222.

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-r- 24

« Lenz war in Strassbm t.' mul hatte die Soldaten, ein Lnstspiel, •oschrieben. Auf einmal glaubt»' er wirklich Ursache zu haben odor bildete es sich nnr ein, er habe durch seine roniodie das fiiuizi)- sische Militair seiir beleidigt, nnd dieses ginge niit dem Gedanken am, Rache dafür au ihm zu nehmen. Er schrieb mir sehr ängstlich und bat mich dringend, seinem Verleger zu schreiben, ich sey der Autor des Stüks nnd er habe acbon ohne meine Erlanbniss in Strassburg dauelbe ansgebreitet Weil ich nnn glaubte, ihn am hevten von seiner Angst an heilen, wenn ieh seinen Wunsch erfüllte, so schrieb ich an seinen Verleger nnd meine Antwort ziügt Lenzen, das Misstranen, welches mir von seiner Seite diese Erfüllung ein- flösste. Indessen der Verleger that nichts davon, das Militair dachte oicht au Lenz und er hielt sich für sicher. >

Beziehen sich nun auch die von Lenz geförchteten Folgen lediglich auf die Schilderung des lockeren Lebens der Strass- burger Offiziere, wie sie uns in den Nebensceneii der Soldaten entgegentritt, so ist doch aus den erwähnten Briefen Lenzens an Herder nicht minder ersichtlich, dass auch der Kleist'sche Liebeshandel, den er dramatisiert hatte, ihm Sor^^e vorursafhte. Deshalb sollten die Soldaten, wie Lenz am 20. November 1775 an Herder von Strassburg schrieb,' nicht binnen Jahresfrist gedruckt werden, weil erst nach Ablauf dieses Termines das Glück jener Strassburger Dame, der Braut des Barons von Kleist, gesichert schien.

, Nach diesen Ausführungen ist das Kleist'sclie Elieverspre- eben, welches den LtMiz'schen Dichtungen zu Grunde liegl, eine histnrisish beglaubigte Thatsache. Dass aber Gcethe nicht nur das Kboverspreclien kannte, sondern auch über Lenzens seltsames Eingreifen in diese Liebesangelegenheit so genau unterrichtet sein konnte, wie er in Dichtung und Wahrheit verrat, dafür halben wir seil 1877 eine ausführliche Urkunde an dem Tagebuch des Dichters Lenz aus dem Jahre 1774, welches, in langjaln i^'^em Be- sitze Goethes, sämmtliche Irrgänge der Kreuz- und Querbe- w^ungen mit jener Strassburger Bürgerstochter enthält.

Ohne Zweifel hat sich jenes Tagebuch unter denjenigen Lenziana befunden, welche GüMlie im Jahie 1797 zur Veröffent- lichung an Schiller geschickt hat. Der kleine Boman uDer Wald- Inudei ein Pendant zu Werltiers Leiden» erscliien in den Hören 1797, «Die Liebe auf dem Lande» im Musenalmanach 1798; das Tagebuch jedoch blieb liegen, bis es Urlichs in der

1 Aus Herders Nacblsss S. 234.

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OrijT^inalhandschrift des Dichters im Schillerai*chiv zu Oreifen- stein entdeckte und in der deutschen Uundiichau i877 ver- ölTentlichte.

Das ursprünglich, wie Lenz selbst anjriebl, in fremder, wahi^heinlich in italienischer, Sprache abgefasste und dann für Goethe ins Deutsche übersetzte Tagebuch, umfasste JX) Herbst- tag^o des Jahres 4774. Wer noch irgend einen Zweifel an der Existenz Jenes Kleist'schen Verlöbnisaes bögen wollte, musste schon durch die Einleitung eines Besseren belehrt werden.

Nach dieser hatte der verliebte Baron, dem Lenz den «ehren- vollen Namen «Scipio» verleiht, als ein Freier für «Araminta» erschien, sie und die Eltern durch ein schriftliches Ehevert<pre- eben und Verschreibung einer ungemein hohen Summe Geldes zur Sicherheit, welche Verschreibung bei einem königlichen Notar ver8ie<,'oli niedergelegt ^'ard, dahin geliracht, letzterem den Abschied zu geben. In dem Eheversprechen hatte er unter anderem sich verpflichtet, in höchstens einem Jahre zu seinem Vater zu reisen und dessen Einwilligung auszuwirken.

Im uhrigen enthält das Tagebuch folgende historisch (ixir* bare Einzelheiten: Die Ereignisse spielen in Strassburg. Das Haus, in welchem Aramintens Eltern wohnen, steht am Parade- platz i (dem heutigen Kleberplatz). Auf diesem Platze unter Aramintens Fenstern spaziert Lenz mit einem guten Freunde S—n (Salzmann) auf und ab.' Am Abend des 24. Tages ist er mit dem Freiherrn von Hompesch und dessen Mentor, dem Dichter Werthes, im Hotel zum Geist an der Nikolausbrücke zusammen' und schreibt am 30. Tage einen Brief an Goethe aus Jungfer Lauths Hause in der Krämergasse.^

Wie Ulrichs nachgewiesen, spielen die Ereignisse im Sep- tember und Oktober 1774. & Das Jahr lässt sich aus Jacobis Briefwechsel durch die Anwesenheit jenes Freiherrn von Hom- pesch in Strassburg, der Monat durch die in dem Tagebuch erwähnte Weinlese bestimmen. Dass die Barone, deren Gesell- schafter Lenz war, von Kleist hiessen, ergeben die Briefe des Dichters an Salzmann. <^ «Es sind ihrer drei,» bemerkt Lenz selbst im Tafrebuch. ^ Der älteste, mit dem Beinamen Scipio, war der Bräutijiarn, mit dem zweiten hatte Lenz den Sommer 1772 in Fort- Louis und Landau zugebracht, der jüngste wird

i S. 280. 2 S. 275. 3 S. 285. S. 292. ^ S. 255. 6 A. Stoiber, Der Dichter Lenz. ' S. 284.

n dem Tagebuch unter dem Namen cSchwager» eingeführt. Den Namen der Eltern der Braut erfahren wir ebenso wenig, wie demjenigen der Siteren Schwester, die als eine gefeierte Konzertsängerin in Strassburg erwähnt wird. Die Braut selbst wird zwar im Tagebuch cAraminta» genannt, doch ist dieser Name gewiss ebenso erfunden, wie deijenige cScipioB ffir ihren Bräutigam. Nur an einer einzigen Stelle (S. 277) nennt Lenz aus Absicht oder Vergesslichkeit Araminta auch cGleph- chen» ; ob letzterer der wahre Name sei, bleibt einstweilen dahingestellt.

Der indirekte Beweis also, dass jenes Kleist'sche Verlöb- nis in Wirklichkeit existiert habe, ist somit erbracht. Wenn derogemäss aber v. L5per in Anm. 524 zu Dichtung und Wahr- heit erklärt : cdas Thatsäcbliche der ferneren Erzählung von Lenz und der Kurländer Liebesveiiiältniss ist nicht ermittelt,» so reizt er dadurch den Historiker, auch den direkten Beweis der Thatsachen zu erbringen.

Wäre es nicht möglich, so fragte ich mich, die bisher unbekannten Namen und Lebensschicksale der Beteiligten zu erfoi^cheii) damit die jji^eschichtlichen Voramsetzungen des Go'the'schen Urteils übet* Lenz für alle Zeiten beglaubigt würden? Manche Beweismittel für jene entfemle Zeit sind zwar in den Revolutionsstörmen von 1793 und im Bombardement von 1870 für immer zu Gründe i^egangen, allein es bleiben uns noch Standesrej^nster, Stadtplan von 1765, die Akten des städtischen und des Bezirk sarehivs sowie die reichen Hfilfsmittet der in der hiesi<ren Universitäts- und I^ndesbibliothek enthaltenen Heitz'schen Bucher- und Handschnften-Sammlung. Versuchen wir es deshalb, Alt-Strassbui^ vor 100 Jahren von den Toten zu erwecken, vielleicht ist der £rfolg der Bemfihungen wert l

*

IV. Neue Dokumente. 1. Name und Wohnung der Familie.

Pflegte Lenz nach seinen eigenen Worten die Details seiner Dichtungen der Wirklichkeit zu entlehnen, so ist der Vater der Braut nach dem Tagebucli Kaufmann, nach dem Personenver- zoichnis der Holdaten Galanteriehändler, nach dem Inhalt des Stückes aber Juwelier gewesen.

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Akt I Sc. 8:

Wesener : Wie befinden sich denn die werthen Eltern, werden

die Tabatieren doch erhalten haben Deaportes: Ohne Zweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen. Wir

werden auch noch eine Rechnung miteinander haben. Vaterchen. Wesener; 0 das hat gate Wege, es ist ja nicht das erstemal.

Deaportes : Apropos, lieber Wesener ! wollten. Sie mir doch nicht

einige von Ihren Zittemadeln weisen? Wesener: Sogleich (geht liinang).

(Wesener kommt mit einer grosseu Sehachtcl Zittemaddn). Wesener: Sehen Sie, da sind za aUen Preisen diese zu

100 Thaler, diese su fonfzig, diese zu bnndertfonfzig, wie es

befehlen.

Der Jttweliertaden befand sich in demselben Hause.

Akt II Sc. » !

Wesener : Zeig mir her den Brief—' ich will ihn unten im Laden lesen.

Im Tagebuch ist die älfere der beiden Schwestern eine gefeierte Kon^rtsängerin in Strassburg; sie singt italienische Arien, deien Text Lenz ubersetzt. «Ich traf auf den Vater, achreibt Lenz S. 273, dem ich einige Höflichlceiten machte wegen des Vergnügens, das uns gestern seine älteste Tochter gesehen, die das erstemal offentHch zum Bezaubern gesungen hatte.»

Dass das Tagebuch Ereignisse des Septembers 1774 bericli- tet, wurde oben erwähnt. Nun ensählt der Erbprinz Karl August zu Sachsen- Meiningen, welcher im Jalno 1775 mit seinem jüngeren Bruder Georg zu seiner Ausbildung in Strass- burg vorweilte, in seinem Tagebuch » manches über Slrasshux^r Mu;sikautlTdirungen, zum Beispiel unter dem Datum Ostersonntag den it>. April folgendes:

«Um 6 mir fnhrdi wir nach dem Beeil' des Oordonniers wo eine GeaeUschaft Ton Mnsikliebhabern worunter auch grosse Meister waren ein Concert Spiritnel gab. Zur Bestreitung der Unkosten,

1 Dieses interessante Tagebuch, aus welchem L. Bechsteia, in seinen \littpilun;ren aus dem Leben der Herzopre zu Sachsen- Meiningen, Halle einige Bruchstücke veröffentlichte, wird, nachdem mir Seine Hoheit der r^i^ereode Henog bereils die «UergnAdigste Einwilligung zur Herausgabe erteilt, demn&chst voIlsUbidig erschmnen.

* M^, Zunftetttbe.

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Die Yemititaiig, dass die Strsssburger Familie, in weichet* Lenz und die Kleists verkehrten, die Familie des Goldschmieds FUHch getMsen, la^ mithin sehr nahe.

Da nach dem Tagebuch das Ilaus derselben am Päradeplatz (Kleberplatz) gestanden haben soll, so nahm ich auf dem hie- sigen Stadthause das älteste» bis ins Jahr 1791 zurückreichende Grundbuch des vorigen Jahrhunderls zur Hand, in der Vor- aussetzung, dass ein Juwelier nach den Verhältnissen jener Zeit auch Hauseigentümer gewesen sein müsse, und fand nach längerem Suchen, indem ich die Strassen der-St$^dt durch- musterte, als Besitzer des Hauses Rue du Döme nr. 3 (nach— der amtliche Vergleichungstabelle ^ heutige Nr. 22 in der Munstergasse) einj^eti^gen Fibich Jean Philippe Jouaillier de- meurant dans la rue de FOulre nr. 1 (heutige nr. 1 Schlauch- gasse). Letztere Gasse mundet bekanntlich von Osten auf den Kleberplatz.

Da nun in demselben Grundbuch unter nr. 42 Rue vis-ä- vis de k Place d*armes (jetzige nr. 15 an den Gewerbslauben) nichts anderes eingetragen steht als maison comprise au nr. 1 rue de l'Outre, so ist bewiesen, dass nr. 15 an dem Kleber- platz und nr. 1 in der Schlauchgasse, welche noch heute zu- sammen ein Eckhaus ausmachen, auch im vorigen Jahrhundert ein und dasselbe Anwesen waren, was auch durch den Blondeischen Stadtplan von 1765 bestätigt wird. Noch heule hat das Haus Kleberplatz 15 seinen Treppenauf'ran«,^ Schlauch- gasse nr. 1.

Trotzdem Juwelier Fibich ein eigenes Haus in der Mun- stei-gasse besass, hatte er doch für sein Geschäft die concur- renzfreie Lage am Parade- oder Kleber^ oder Barfüsserplatz vorge- zogen und daselbst im Eckhaus an der Scblauchgasse.den Laden und zur Wohnunji: die zweite Etage mit den darüber befindlichen lljinsardekammern von dem Banquier Johannes Braun gemietet. Diese Lehnung, stets erneuert, zieht sich, wie ich fand, durch die Kontraktbficher* des Stadtarchivs a. 1748 Fol. 568a, a. 1751 fol. 548, a. 1760 fol. 159a, a. 1772 fol. 417^.

* Tiblean cooccruiit TEtat ancien des InscripUoos des nias et du

Nutn^rotage des Maisons, publi^> d aprte les docoments fournis per TAdmi- BbtratioD municipale. Strasbourg 1858.

* Die Kontraktstube des Kathauses, in welcher abwechselnd zwei voa der Stadt angestoUte Notare bescbftfligt waren, diente den Bürgern zur Ab- «cUiestong notarieller Akten.

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Georg Fridevich Sebisch, gewesenen Handplsmnnn«! und Burgers allhier hinterlassene eheliche Tochter. Johann Philipp Fibich als Hochzeiter. Susanna Catharina Sebischin als Hochzeiterm, Jacob Daniel Fibich als Bruder, Simon Kürsener aU beystaad, M. Joh. Phil. Jung diac. Thom. m. p. p.

Dieser Ehe entsprossen im ganzen 6 Kinder:

1) Louise Catharina Fibich, geb. d. 4. Mära 1750.

Taufregister von St. Tliomas Bd. 254 fol. 850« : Mittwoch den 4. Martii Abends nni halb h Uhr ist gebohren und Freitag den 6 ejnsd. getauft worden ein Töchterlein mit nahmen Louisa ' Catharina Dessen Eltern seind Hr. Johann Philipp Fibich, Gold- arbeiter und Bürger allhie u. Fr. Sosanna Gatlianna, gcbohrene Sebiseldn, seine ebel. Hanefran. Die Tanfsevgen sind H Nicolans Daniel Sebiseb, lediger Handelsmann, weyl. H. Georg Friderich Setnsch, gewesenen Handelsmanns und Burger? allhie hinterlass- sener ehel. Sohn. Fr. Anna Louisa H. Jacob Daniel Fibich, r'affetier und Burgers allhie ehel Hansfr u. Jungfr. Mario Cleophp Kamin, Herrn Johannes Kamm Gastgebers u. Burgers allhip ehel. Tochter Folpen die ünterfchriften, zuletzt M. Johanne» Georgius Schweighäuser Diac Thom. m. p.

8) Johann Philipp Fibich, geb. d. 19. April 1751.

Tanfregister der Neuen Kirche Bd. 229 fol. 685: Montag d. 19. Apr. morgens um 8 Uhr ist H Joh. philipp Fibich Gold- arbeiters u. Bürgers allhie ehl Hansfr. Anna Catharina g. Sebi-

scbin p'mo9. Söhnloins genesen welches folgenden Mitwoch getauft undt Jitli Philipp geneniit worden Patr. H. Eberhard Capaun Amtsschreiber nnd Burger allhie, H. Joh. Martin Lentz, Burger allhie undt Jfr. Catharina Margaretha weyl. H. Georg Friederich Sebisch Handelsmann und Burgers allhier ehl. Tochter. Folgen die Untersehriften, suletst Georgius Valentinus Holsburger, Diac.

3) Suhauna Cleopiic Fibich, geb 13. Nov. 1764.

" Tanfregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 7H : Mittwoch d. 13. Nov. morgens gegen 8 Uhr ist Hr. Joh. phiiipi» fibich Goldarbeiters u. B. allh. ehl Hansfr. Susanna Catharina g. Sebi- üchin eines Töchterleins genesen, welches folgenden freytag getauft und Susanna Cleophe genennet worden. Patr. H. Joh. Daniel Braun ledigen Handelsm. H. Job. Braunen E. E. grosen Baftbs alten Beysitsem ehl. Sohn. Fr. anna Maria g Schfitselin H. Georg Heinrich Baeren M. D. u. Practici ehl. Hausfr. Jfr. Snsanna Margaretha weyl. H. Joh. Jacob Walthers Handelsm n. 6. allh ehl. Tochter. Folgen die Unterschriften, suletst Joh. Fried. Griesinger Diac.

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4) Margaretha Elisabeth Fibich, geb. d. 2. Ang. 17d6.

Tanfregister der Kenen Kirche Bd. 230 fol. 220 : Hontag . d, 2. Aug. morgens um C Uhr ist H. Joh. phllipp Fibichs Gold- arbeiters und 6. allhier ehL Uaasfr. Snsanna Catharina g. Sebi- schin eines Töchterl genesen welches folgenden Dienstag getauft

nnd Margare*hn Elisabeth genennt worden. Patr, H. abraham Braun lediger Handelsni. weyl. II. Joh. Daniel Brauneu Uaudelsm. u. E. E. grosen Raths alten Beysitzers ehl. Sohn. Fr. Marga- retha Elisabeth g Silberadiu H. Joh. Martin Lentzen * B allhie ehl. Uausfr. Jfr. Catharina Margaretha H. Joh Kamm Gast- gebers undt £. £ grosen Raths Beysitsers ehl. Tochter. Folgen die ünterschriften , znletzt: Georgins Valentinns Holtsburgcr, Diae.

6) Joh. Daniel Fibich, geb. 23. Apr. 1759.

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 439 : Montag d. 23. April morgens gegen 3 Ulir ist H. Joh. philipp Fibich Goldarbeiters und B. allh. ehl. Hausfr. Susauua Catharina g. Sebischin eines Söhnleins genesen welches folgenden Dienstag getauft nnd loh. Daniel genennt worden. Patr. H. Joh. Friedr. Lobstein Not jnr. nnd B. allh. H Joh. daniel Schweickhftoser not jnr. nnd B. allh. Fr. Catharina Elisabeth g. roedererin, B. Georg frieder. Imlins Goldarbeiten n. B. allh. ehl. Hansfran« Folgen die Unterschriften, snletzt : Joh. Frid. Griesinger, Dlac

6) Dorothea Friderika Fibich, geb. 24. Febr. 1765.

. Taufregister der Neuen Kirche Bd. 281 fol. 356 : Zur Noth getanft und verstorben. Im Jahr Christi Ein Tauseud Sieben Hundert sechzig nnd fdnf Sontag den Vier nnd swanzigsten Felnraarii morgens nm 10 Ohr wnrde ein Töchterlein gebohren, so wegen groser Schwachheit zn Hans getanft nnd Dorothea Friederica genennt worden. Dieses Kind verstarb den folgenden Tag und wnrde also in öffentlicher Gemeinde nicht ftirgetragen. Die Eltern desselbm sind : Herr Johann Philipp Fibich Gold- arbeiter und Burger allhier : und dessen Ehefrau Susanna Catharina gebohrene Sebischin. Testatur J. F, Fibich als Vatter. M. Johannes Hermann Diaqonus m. p.

1 .loh. Martin Lentz^ der zweimal bei den t'ibisch 'sehen Kinderu als iaulpathe vorkuiutnt, war «Bestätter im Kaufhause» und erstand laut Kouirakt- Lucb a. 1758 fol. 80 b mit Fibich und Metzger Johann Daniel PfvAinger Lusthaus und Menagerie» des unglücklichen Prötors Klinirlin vor dem Melzjrer- thore. Joh. Martin Lentz war den 28. Sept. 172:2 (Wilh. Kirche^ sein V ater Andreas Lentz 1665 (Jung St. Peter) geboren, auch der ürossvater iians Michael Lentz war bereits Strassbaiger uttrger. Demnach ist eine Verwandt« acbaft mii dem Dichter Lenz, an die ich zuerst dachte^ wohl von der Hand zu weiaen.

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her Sler))eakt steht cinjfetrag^en Sterberegisler d. N. K. IUI. i84 Fol 29. Au( 1j «lie heidon vorher j^eborenen Kinder starhen iii ju*;eMdli«'hem AlttT : Maivarrtli a f lis'ihelli, '2 M. 4 T. ;ilt d. 7. Okt. I7r>()i und Joiiauu Danit l, JaUi 2 M. u. L>U T. all aia 11). Juli 1768 2, Mitliiii waren zu Lenzischer Zeil in Strass- hurg (1771-177(3) nur noch die ilrei ältesten Kinder am Lel>en, nämlich :

1) Luise Katharina, gest. d. 17. ApriMBCV) (27 Germ. Xni).5'

2) Johann Philipp, j^est. d. 10 Dez. IHÖi (19 Frim. XIII). ^

3) Susanna Cleophe, «^est. d. 24. Dez. 1820.5

Luise Katharina, die älteste Tofhier, ist die jrof(MJ»rte San- <rerin, Cleophe ist das Clephchen des Ta«?ehuchs und «ier Hru- ^ler Johann Philipp ki>mmt, wenn auch nur an ein<»r einzij^er» Stelle, in den Süldat«'n zur Erwähnung, da der alte VVesener Akt V. Sc. 1. ausrutt :

f Hein armes Kind hat mich genug gekostet, ehe sie zur Gräfin "kam, dass mnsste immer die Statsdame gemacht sein und Brnder und Schwester soUen's ihr nicht Yorxnwerfen haben. »

Eine verheiratete Schwester wie Urlichs S. 257 aus dem Tagebuch S. 273 ^geschlossen, ist neben Katharina und Gleopbe niemals vorhanden gewesen. Der kleine Neffe, den letztere zum Konzert anputzt, muss eine nahe liegende Verwechselung ein kleiner Vetter gewesen sein. Auch Weseners alte Mutter, welche am Schluss des 2. Aktes der Soldaten außritt, war zur Zeit, als das Drama entstand, nicht mehr am Leben, da sie hereits im Sterbeakt ihres älteren Sohnes Jacob Daniel Fihirh vom 12. März 1769 als gestorben erwähnt wird.

3. Der Ehekontrakt.

Nachdem ich somit das Haus, in welchem der Stoff zum Tagebuch erlebt wurde, sowie den Namen und die Mitglieder der Familie Fibich gefunden hatte, konnte ich mich der Huff* nung nicht entschlagen, zu guter letzt auch das Kleistsche £he-

1 Sterbregister der N. K. Bd. I8i fol. 80.

2 Ebendaselbst Bd. 183 fol. 209b. Dieser Akt erth&lt die in jener Zeit i:'>rli sehr seltene Aiifra)«" dt.-< Sterbehauses: «bat dmnicUirt imU. Rsth Brau« neu Haus ane der Schlauch Gass.

' Stcrbregisler der Mairie Bd. 281 lol. IIa.

4 Ebendaselbst Bd. 286 fol. 81 a.

& Bbendaselbst Bd. s. 1880 fol. 490a.

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versprechen, welches bei einem Köni}rli< hon Notar in Strass- bur"! hinterlejrt sein sollte, wieder aulzuliiKien.

Koiii^lirlie Notare in Strass.sbujg waren in iUm Jahren 1771- 177H nur zwei, n.unlich Lacombe und La<jni mlc. Di«- Akten derselben, welche das ]3oml>ardement von iHlii ^Itickli« Ii über- dauert hal)en, ix linden U heulzufa^^e im Hezirksarchiv zu Strassbur^^ Da Lacombe von beiden dei- aui iiuMsten genannt»' ist, so nalnii ich zunächst dessen Akten aus den .l.ihicii '177'i-74 zur Hand. Ks war ein unfrewisses Suciion, da kein Inventar vorlianden ist, und sclion öfters wollte ich die, wie es schien, untruchtbare Arbeit auf^'eben. Docli taud ich manche Akten der Familie Fibich, teils I^hnsclialleri, teils 01)lip:a- tionen, welche nur die Gewissheit versehatiten, dass Notar La- combe notarielle Geschäfte für jene Familie zu vollzieiieji pflejite.

Wer al>er l>e{rreift meine Freude, als ich in der zweiten Woclie meines Sucliens den eisehnten Akt wirklich entdeckte! Derselbe zerfällt iu J3 Schriftstücke, das Elleversprechen, das Kouvert mit dem Depolakt, in welchem jenes versiegelt jjcweseu war, und den Eröffnun^sakt.

Der Ehekontrakt, in deutscher Spra( he al);iefa.sst, iiiimnt über drei Folioseitenein, ist vom 27. Oktober 1773datieil und trügt der Reihe nach die Unterschriften und SieM'el von Fried- rich George Baron de Kleist, J. P. Fibicl», Susanna Kathanaa Fibichin (Mutter) und Susanna Cleophea Fibichin (Braut). Das Kleist'sche Siejrel zeigt wie in Siebmachers Wapi)enbuch IlL 2, "1 vgl. Tafel '219 einen von Decken umgebenen und dun h einen Querbalken i^etrennten Schild, auf dessen oberei und unterer Hälfte je ein Wolf im Laufe nach links darjvestellt ist: ül>er dem Schild thront ein von 3 Rosen {gekrönter Helm, auf welche 3 Ja^^dspiesse gestürzt sind. Die Siegel von Vater und Mutter bieten nichts bemerkenswertes. Interessant dagegen ist das- jenijie der neckischen Cleophe, welches mit der ümschrifl €toujours brouilanU einen Amor darstellt, der iu eine empor- züngelnde Flamme zu gieflsen scheint.

Was mich jedoch am meisten fesselte, war die besondere Form des Schritlstucks. Dasselbe ist «von einer fliessenden Hand auf geringes Konceplpapier geschrieben, ohne den mindesten Hand, oben, unten und an den Seiten zu lassen.» Diese Garthe' sehe Charaktoistik der Lenz'schen Schreibweisel legte

i Dichtung and Wahrheit III, 11, Seite 47; ferner HI. 11. S. 156.

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mir die Wahrscheinlichkdt nahe, dass hier ein Autograph Lenzens vorläge, eine Vermutung^» welche sich- fast zur Gewiss- beit steigerte, als ich jene Handschrift mit einef echten Lenz- Handschrift vergleichen konnte, die mir Falk mit ausserordent- licher Zuvorkommenheit sur Verfügung gestellt hatte. Wohl machte mich die eigentQmliche Form des grossen Buchstaben, welche kh in Strassburger Taufregistern des vorigen Jahrhun- derts bemerkt hatte, noch einen Augenblick stutzig, da eine solche sich an der einzig in betracht kommenden Stdle jener unzweifelhaft echten Handschrift nicht vorfand, allein der in Götz «Geliebte Schatten* i autographterle Brief Lenzens an Salz- mann vom 3. Juni 1772 zagte mir gleich am Anfang jene eigentQmliche Buchstabenform, so dass nunmehr auch nach dem Urteile Schriflverstandiger jeder Zweifel gehoben ist.

Lenz, der nach seinen eigenen Worten^ mit dem. Baron von Kleist vor Verfertigung des Efaeversprechens die Rechte seines Vaterlands untersucht hatte, der «in die kleinste seiner Angelegenheiten verwickelt war,» des jüngsten Kleist «seiten- langes Geschmier verbesserte» und selbst Vater Fibich in dieser Angelegenheit schriftstellerische H&lfe angedeihen liess, hat, wie natfirltch, auch dieses wichtige Schriftetück, dass « in dem Leben seines Herrn Epoche machen sollte», mit eigener Hand niedergeschrieben. Daher der flüssige Stil des Ganzen, wenn auch nach den notariellen Ausdrucken und der Berück- sichtigung aller einschlägigen juristischen Momente zu schliessen ist, dass Lenz nur die stilistische Ausarbeitung eines ursprüng- lich mit juristischer Beihülfe gefertigten Entwurfes besorgt hat.

Hier das Schriftstück :

Strasburg deu 27teu October 1773.

Heute dato sind wir Unterschriebene mit einander auf folgende Bedingangen übereinkommen.

Erstlich bekennet Herr Baron von Kleist älterer, gebürtig

ans Cnrland, Officier, beym Regiment ^-^' hönberg, gogcn Herrn Filiicli Juwelifr und grossen ß^athheirii, wie derselbe schon in die zwey Jahr eine Lugondhafte Neigung für dfsstu jüngste Jungfer Tochter Susaima CleopheH Fibichin gefasi.t und da er l>efanden, dass sie persöhnliche liebenswürdige Eigenscliaften

1 Mannheim 1858.

« Biüleitdog sunt Tegelnich S. 27i-2'78.

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genug besitzt ihn giftcklich zu machen, sich fest und unwieder* ruilich entschlossen, mit derselben in eine eheliche Verbindung zu treten, ohne auf irgend einen Fond Rüc^ksicht zu nehmen, den Herr Fibich seiiu r Tochter ausmachen könnte sondern, da er soviel von Hause lu\t, seinem Stande gomnss zu leben, so deklai'irt er, gar keinen Fond vom Herrn Fil)ich jemals zu foderii oder zu bestimmen, sondern stellt es völlig seiner "Willkühr anheim, wenn er seiner Tochter etwas geben will.

Zweitens hat Herr Fibicli dorn Herrn Baron die Vorstellung gethan nachdem der Herr Baron förmlich bey Herrn Fibich um dessen Jungfer Tochter angehalten und er in Erwägung gozogeu , dass die Ungleichheit des Standes einige Schwüiigkeiten in den Weg legen dürfte, dass, obschon der Herr Fibich sich seiner Familie nicht schämen darf, anch in Absicht seines Gewerbes und Ehrenstellen im bürgerlichen Stande nicht höher begehren kann, so wurde es doch von Seiten des Herrn Baron vielleicht schwer halten, die Einwilligung seiner Eltern zu erhalten, wie er denn auch eben sowohl genöthigt ist, als Officier die Erlaub- niss seiner Oberen daza za suchen : als deklarirt der Herr Baron :

Drittens, dass er nach den Curischen Gesetzen als welche zur Majorennität ein und zwanzig Jahr erfodern. der Herr Baron aber sich fünf und zwanzig Jahr declariret, also auch nach den Strasburger Rechten majorenn ist, dass also Herr Fibich sich desto weniger einen Verweis zu gewarten hat, weil er nach beyder Landesart majorenn ist: dass er, Herr Baron, ferner, nach eben diesen Gesetzen zwar nm die Erlaabniss seiner Eltern anzusachen gehalten sej, sie ihm diese aber nicht reliisiren, noch das was ihm von seinem Vermögen nach den Gesetzen ankommt entziehen können, es sey denn, dass es eine Person von solchem Geschlecht oder Stande sey, die express in den Curländischen Gesetzen zu heyrathen verboten wäre : ferner, dass er über Jahr oder Tag schon diese Rache, mit reifer Üeber- legung und Hinzuziehung seines Herrn Hrnders Officier beym Regiment Anhalt, der gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben und alle mögliche Beyhülfe versprochen, überdacht und beschlossen habe, dass er also zu dem Ende

Viei-tens sich vorgesetzt, längstens bis nächstkummenden St. Johannis eine Reise nach Curland zu machen, bey seineu geliebten Eltern tun dero Consens anzuhalten nnd wegen seines Vermögens alle Einrichtungen zu machen, um in keinem Stück einigen Mangel zu besorgen zu haben. Da aber Herr von gleist mehrerer Sicherheit und Lebens nnd Sterbens halber vom Herrn Fibich begehrt, mit einander schriftlich zu tractiren und einer den andern wechselsweise zu binden: als sind beyde Partheyen

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mit einander ftbereinkommen, dass ddijenige, so von seiner Parole abateben wollte, er möchte Namen oder Ursachen vor- bringen welche er anch wollte, gehalten und verbunden sey, dem andern Theil oino Entschädigung von vierzehntausend Livres zu bezahlen. So es der Herr von Kleist nicht halten, wär er verbunden neben dieser Summe noch a part drey hundert Livres au die Armen in seinem Lande zu bezahlen, wo es dessen Obrigkttt am besten findet^ sie zu plaeiren : nnd so der Herr Fibicb davon abstftnde, wäre derselbe gleichfalls angdialten, noch drey hnndert Livres a fiart, die eine Hälfte dem Waysen- Jiavse nnd die andere Hälfte iii Ärmenhause in Strasburg auszuzahlen. Und damit der Herr Fibich keine Hauptursache vorbringen könne, es wolle sich seine Frau Liebste oder Jungfer Tochter nicht dazu entschlief Ren, so iuit derselbe zu mehrerer Sicherheit beyde benahmte Personen mit unterschreiben lassen^ diiss es mit beyder Consens geschieht Femer declarirt sich Herr von Kleist verbunden, seinen Richter nach seinen angegebenen Bechten in Cnrland an «rkainen, sich von demselben recht sprechen nnd condemniren zu lassen, wie anch den lUchter im Elaast för solchen m erkennen, und jede Parthey, so diesen ihren Versprach nicht hält, sich von demselben condemniren nnd »ecatiren sn lassen.

FftnftoiSy da dieser Vergleich von beyden Theilen nnter-

siegelt nnd in Gegenwart von Zengen beym Herrn la Combe königlichen Notarius soll deponiret werden : so ist von beyden Seiten eine gewisse Zeit bestimmt und festgesetzt worden, um diesen Verirleirli zu err)fneu und die darin enthaltenen Redih- gungen zu deciaruen, welches nicht elier als in fünfzehn Mouathcn geschehen soll, es sey denn dass beide Tartheyen darin willigten. So aber diese fünfzehn Monathe verflossen, soll jede Parthey a part berechtigt seyn mit gehörigen Zengen zvl erdfnen und einen Bxtraet davon zu begehreu : anch soll bis dahin der Ehe* eontract förmlich gemacht werden und längstens von dato in zwey Jahren die Trauung geschehen. Und sollte nach Verfliessnng fünfzehn Monathen der Ehekontrackt nicht zu S^^ande kommen, so soll diejenige I*nrthey, welche nicht darin conscntirte, be- nannte Summe von vierzehn tausend dreyhundert Livres verbunden seyn, nach dem Artikel vier auszuzahlen, nach dessen Rieht igivoit cme Parthey von der andern iossgeschlagen sein soll und weiter keine Prätensionen zu machen haben, sollte aber mit beyder Consens die Zeit verlängert werden, so steht dieses alsdenn in beyder Partheyen Belieben.

Seohstens sind beyde Parthcycn schon vorläuffig in Ansehung des nach Ihnbehn Monaten zu errichtenden Ehecontrakts über- eingekommen, dass Herr von Kleist sich in demselben express

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obligiren will, seiner Jungfer Brant eine Summe von vierselui' taasend Livres zum Voran« in vermachf^, worflber sie nach

' Gefallen disponiren kann : auch, so es die Umstände erfoderten oder sie sich nicht entschliesaen könnte, als seine Gemalin ihn

' nach Cnriand zti begleiten, so piebfe er derselben drey Jahr Be- denkzeit nn*l könnte sie sich alsdeim noch iiichr dazn eiit- schliesseii. so obligirt sich Herr von Kleist, bestimmte vierzehn tausend Li vi es so ihr im Voraus vermacht, in Strasburg anzu- kgen vaid ihr Standesgemassen Unterhalt zu geben, über die Kinder aber, so bejde ersengen sollten, hat der Herr von Kleist zn disponiren, sie hier, oder in Gnrland ersiehen za lassen. Geschrieben nnd unterschrieben nebst eines jeden Insigel

Strasburg den 27 Oetober 1773.

Friedrich George Baron de Kleist J. P. Fibich

Susanna, Catharina, Fibicbin Susanna Cleophea Fibicbin,

Paraph6 ne varietnr au desir au acte procds verbal dressß par le soussign^ notaire Royal h Strasbourg le 12 maj 1777

J. P. Fibich

Maire

f. Haire Lacombe

n. r.

Dieses Elieversprechen, » welches nach Lenzens eigenen Worten eher ein Ehekontrakt genannt werden kann, ist am 41. Noveml)er 1773 mit den Siegeln des Barons von Kleist, des Herrn Fibich und des Notars Lacombe im Beisein von Zeujren geschlossen und notariell hinterlegt worden. Nach dem l)opolukt, welcher wie bei Testamenten auf das versiegelte Kouvert unter Zuziehung der vorgeschriebenen Zeugen geschrie» ben worden war, konnte das den Kontrakt enthaltende Kouvert nach Verlauf von 15 Monaten, vom 27. Oktober 1773 an ge- mchnet, auf Verlangen eines der beiden Kontrahenten geöfliiet werden, nachdem beide Teile sich für die Ausfährung der in ihm enthaltenen Bestimmungen von vorn herein mit all ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Habe verpflichtet erklärt hatten.-

1 Zur Verhatttug falscher Schlossrolgeningen bemerke ich, dass solche

notarielle PioiMessi.'s de inariage duinals in Strassburg üblicli waren. Der Zuzug vieler IriMudcn Eletuentc injchlt' solche Öicheriuipr notwendig. Ich tiude mehrere ähnliche hei Lauomhe im Jahre Uli so Bd. A 29. März, Bd. B 19. Mai, Bd. D t . November und sonst.

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Der Depotakt lautet :

Ce joord'liai onueme novembre Mil sept cent soixante trcize apr^s midy par dcvant In notairo royal Immatricnle au Conseil souverain d'Alsace resident a Strasbourg Soassif^ne sont com- pam M"* frederic Baron de Kleist Conrlendois se disaut majeur d aiis ofticier au regiment de Schonber^ dragon, etant presente- ment au dit Strasbourg et le Sieur Jeau pliilippe Fibich, con- seiller an grand senat de cette Vllle y demenrant les qnels ont Minis et depos6 an dit Notaire la presente enveloppe qn^ils ont dlose et fbtm& an mojen de lenr cachets oYdinaire, qne chacnn d'eax a apposd en denx endroits, bxl milieu des qnols cachets ßVgt egalement a^posö celuy da notaire. dans laquelle enveloppe les iSirnrs comparants ont dit etre renfcrrae un contract et Con- vention qu'ils ont fait enscmble le vingt sept octobre dernier et qni a ete signo des parties eu boime et düe forme pour etre execut^es suivant leur forme et teneur entre elles, a peine de toas depeus dominages et interets sous l obligatiou et hypo» theque generale de tons lenrs biens menbles et immenbles Presens et fntnrs; reqnerant le dit notaire de prendre garder et retenir la dite enveloppe en son Etnde a teile fin qne de raison: de laqn^e dite enveloppe TonrerUire ne ponrra cependant &tre faite qne dans qninse mois a compter du dit Jour vingt sept octobre dernier a moins qne Tun et l'autre et de concort les dits compnrants u'en requierent Touverture. Mais passe les dits quinze mois it compter du dit Jour vingt sept octobre der- nier il sera libre u Tune et a Tantre des parties et separement d en rcquerir Pouverture saus qu'il soit besoiii qu'ilä soient tous denx pr^sens mais alors il en 'sera dress^ proeös verbal en forme ponr (tre comme dit est c> dessns la dite Convention ex6ent£e et snivi et y eelle yalloir comme si elles enssent dt6 passSes devant le dit Notaire et aign6es de Iny. dnqnel depot onl declaration et reserves les comparants ont requis acte k eux accord^ fait lu et passe an dit Strasbourg les heures jonr mois et an susdits en presence de felix Lex et Geörge Tuch- fjerber jnristes y deineurants temoins requis qui out sigac avec les comparants et Ic dit Notaire

Lex Le Bn de Kleist J P. Fibich Tnchterber Lacombe, not. roy.

Am 1*2. Mai 1777 endlich wuitle auf Anstehen des Vaters Fibich das versiegelte Kouvert im Deisein des Notars und der ^'e<setzlich vorgeschriebenen Zeuf^en eiötl'net und doi' in ihm enlhalten«* Khekontiakt, der noch die Spuren der Biiiche aiit- weist, ent lullet. Der darüber aufgenommene Eröllnun^sakt lautet :

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Slaalsreclit Erfahrene zu Paris das grosse Austheilungsgeschaft der Entschadigunfren deutscher Fürsten nach dem Lfineviller Frieden,! so ^vui'de Ludwig Wilhelm Otto, aus dem hanau- liLhtenl>ergischen Kork h<M Kelil, eine glänzende diplomatische I^')ufl)ahn im französischen Dienste eröfTiiet ; 2 so enrllich wurde auch Johann Micliael Ott nacli Wien emplolilen und 178'2 Ti'ans- lateur (secretaire interprtMe) des Kollegiums der auswärtigen Geschäfte in Sl. Peteishmg. ^ Nicht er, sondern sein 1755 ge- borener jüngerer Bruder Joseph Ott, welctier das Goldschmiede- Jiandwcrk erlernt halte, fn ii ntete am 7, Mai 1781 die um 5 Jahre ältere Luise Katharine i ihich,*

Naclikonunen der let/teion sind noch jetzt in Strasshurg vorhanden und das Ges( halt, welches Fihich's Schwiegersohn l>e^' rundete, hesleht noch iieute an den Gewer}>s!auhen unter tier Firma « Michel-Otl, ancienne niaison Ott». Die Gemahlin des heuti^jen npsrl);insinlnt)ers ist eine T'r^'nkelin der einst ge- feierten Sängerin, [jn 11^10 gehorener Enkel der letzteren, welcher mii' das Bii(i semer Grossmutter und ihres Gemahls zeigte, ist das einzige noch lehende Mitglie<l der Familie, welches Cleophe Fibich als Knabe gekannt hat. Derselbe scliil- «lerte sie mir als sehr gross und schlank, was mit den Worten des Tagehut lies S. '277: ((sie hii|)fte vor Freuden, ihre ge- wöhnliche Bewegung, die hei ihier erstaunlichen Länge ihr doch so unnachahmlich lässt» vollkommen übereinstimmt.

Durcli die Familie erfuhr ich, dass die Nachkommen <!es Juli. Mich. Ott noch heute im russischen Staats(iienste leben. Ausserdem besitzt (lieselhc in Abschrift den Mitgiltsverlrafi der- Katharina Fihich vom 26. Sept. 1781 und ein ges( hricljcnes Hochzeitsgedicht, «die musik;ihsi li(> Tonleiter ein Qundhhrt der Fiebich und Ot|^schen Verbindung gewidmet, mit Kupfern Slrai»bui'g den 7. Mai 1781».

1 Hausger. Deutsche Geschichte H, S. 34t.

^ Luduig Wilhelm Otto, geb. 7. Aug. 1754, Soha des ilauau-lichten- bcrpbchen Regierangsrats und Amtmanoa von Wilstett und Lichtenau Justus Jnkob Otto, Mitglied der deutoclMn GtStllscbali zu Strasshurg. wurde Ge- sandtschaftsi^ekretär in München, {»pilter chargä d'alTaires in Philadelphia und unter Napoleon L, der ihn zum Grafen Mosby erhob, Gesandter in London, Wien und Berlin (s. Biographie universelle). Die Familie Brum war mit dem N'uter berreundei und machte mit Lenz bei ihm in Ucbteneo Besuche (s. A. Stii ber, Der Dichter Lenz S. 47 n 49).

3 Sutber. l>er Aktner Sml^mann S. 102; vergl. auch S, 91»

^ Uochzeitbuch der Neuen Kirche üd. 117 fol. 47 b.

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Die Bekanntschaft der Familien Brion und Fibicb ist leicht erUärlich. Pfarrer Joh. Jacob Brion * wie seine Frau Magdalena Salomea Schölls waren von Strassburg gebürtig und hatten dort beide eine zahlreiche Verwandtschaft. Dann aber tritt die Erscheinung» dass die eingeborenen Familien unter einander bekannt und gesellschaftlich verbunden sind, vor allen anderen BekhsstSdten am meisten in Strassburg su tage, weit hier das eingeborene deutsch-protestantische Bfirgertum sich nach der fransöeischen Annexion von 1681 gegen das eindringende fran- aDsisch-katholische Element zusammenxuschliessen suchte. Zu diesem protestantischen Bfirgertum intra muros gehörte aber und gehört noch heute in engster Verbindung die nächste pro- testantische und besonders protestantisch-theologische Umgebung extra muros, die auf Strassburgs Gymnasium und Universität ihre Bildung erhalten hatte, und an beide Kreise schloss sich vor der französischen Revolution das eingeborene Element der im Elsass zahlreich gelegenen hessen-darmstädtischen, pfalz- sweibrficfcischen und wQrtembergischen Territorien an.

So finde ich in den Taufakten zweier Strassburger Mitglieder der Deutschen Gesellschaft sowie des Jüngern Ott reichsfürstliche Beamte als Patben, bei Johann Si^ried Breu > die hessen- darmstädtischen Bäte Johann Sebastian Otto und Friedrich Ludwig Bassy, bei Johann Friedrich Corvinus^ den hessen-darm- städtischen Regierungsrat Franz Rudolf MoHinger, daneben die Jungfer Sophie Elisabeth, Herrn Daniel Schöpflins, Kirchen- achaffners im würtembergischen Reichenweier eheliche Tochter, bei Joseph Ott& den pfalz-zweibrüekischen Hofrat Joh. David Fapelier.

1 Joh. Jacob Brioi». Sohn des Knblers Juh. Jac. Brion und ^ler Frau Anna Katharina Hahn, wurde nach dem Taufrejristor von St. Wilhelm Bd. Ö3 fol. 1d7b den 11. April I7l7 in Strassburg geboren und nach dem Hochzeits- register dereetben Kirche den S9. Iklai 1'}48 cbendaeelbet copuliert. Derselbe hau«, wie ich IM 53 fol. I79b. Bd. 54 fol. ISa, 41b, 113a, 174b u. S25a efSdWf noch ß jntiprere Geschwister.

2 Siehe K. Lucius, Frifflorike Brion S. 10 fT. In den Taufrepistern der Neuen Kirche hude ich drei Tucliler des reichsritteriychuiilich-ortenauischeu AntoBaDna Theobald Friedrich S.boU, dea Bmdera der Madame Brion: Susantia Dorothea peh. 18 9. 175'2, Margaretha Elisal)©th geh. 24/1 1 . 1153. Eleonore 20 7. 1758, ilioselbfn. an weiche Lenz von Petersburg d. 27. Mftrz 1 #bO Grüase übermittein Ittsst (s. Falcic, Friederike Brion S. 76).

s Geb. S5. Des. 1789, Tauflmcb der Neuen KMt» Bd. S28 fol. 196. 4 Geb 17. Jan. 1751 . Taufbuch der Neuen Kirche Bd. S89 fol. 568b. a Geh. 28. Mir 1755, Taufbuch der Neuen Kirche Bd. 280 fol. 106.

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Gkelhe« der di»- Verhältnisse im Elsass aus ei;»ener An- schauung' kannte, konnte deshalb mit Recht in Dichtung und Wahrheit i schreiben :

« Gar manche Einwohner Yon Straaabnrg bildeten zwar abge- sonderte, aber doch dem %nne nach verbondene kleine Kreiee, welche durch die vielen ünterthanen deat8cher Fürsten, die unter französischer Hoheit ansehnliche Strecken Landes besassen, stets

vermehrt uiul rokriitii t wnrdon ; (h;nn Vätor nnd Sohne hielten sich Studirens oder Geschäfts wegen länger oder kürzer in Strass- borg aoi. *

In besonders engen « weil nachbarlichen, Beziehungen zu Strassburg stand das protestantische Buchsweiler im Unter-Elsass, die Hesidensstadt der Grafschaft Hanau-Lichtenbeig, welche nach dem Tode Job. Reinhards III., des letzten der einheimi- schen Landebherrn, im J. 1736 an den Tochtersohn desselben, den Erbprinzen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, gefallen war. Während der Erbprinz sich in Pirmaseiiz der Drillung seines Grenadierbataillons widmete, hielt seine Gemahlin Hen- riette Karoline, geb. Prinzessin von Pfalz-Birkenfetd,* in Buchs- weiler Hof, wenn sie es nicht vorzog, den Winter in ihrem Palais in Strassburg, den heutigen Strassburger Stadthause, zu verbringen.

Auch nach der Uebersiedelung der CrhprinzeKsin und ihres Hofstaates nach Darmstadt im J. 1765 blieben die Beziehungen des Darmstädter Hofes zum Elsass intim, ja sie wurden noch intimer, als nach dem Tode des Landgrafen Ludwigs VllL d. 17. Okt. 171)8 der Herr des Buchsweiler Landes, Erbprinz Lud- wig IX., den Thron in Darmstadt bestiei^. Beamte wurden hin- über und herüber versetzt. Ein enges Band der Verwandtschaft knöpfte sich zwischen dem rechts* und linksrheinischen Lande.

Dem Beispiel des Geheimerats Hesse in Darmstadt, der sich seine Frau aus dem Elsass holte, 3 mögen manche andere gefolgt sein ; andererseits fanden damals hanau-lichtenbergische

1 in, n s. 34.

* Sie wurde am 9. März l'^l zu Strassburg iin Happullsteitier Hofe am Finkweiler Staden geboren, wuseibsl ihr, der Urgrussinutler Kaiser W ilhelms i. und der Kaiserin Aogusla, auf meine VeranlaMang eine Gedenktafel errichtet wurde.

3 Sie war die zweite Tochter Johann Friedrichs Flachslanrl, des Amts- und Kircbenschatfners der wQrtember^ucheu Grafschatt Horburg und Keiuhenweier im Obw-Blsass. und die Schwester der Karolioe Herder, der Gattin des Dichters.

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BeamteDSöhney wie Engelbach, Lerse, Weyland, i auf der Strass- borger Universität engere Ffihlung mit der rechtsrheinischen studierenden Jugend.

Groethes Bekanntschaft mit diesen seinen Buchsweiter Freun- den ist deshalb auf ganz andere gesellschaftliche Voraussetzungen als auf ein zufälliges Zusammentreffen In der bekannten Tisch- gesellschaft der Jungfern Lauth zurückzufahren. Nicht nur Frankfurter, auch Darmstädter Empfehlungen werden hier zu Grunde gelegen haben^ welche letztere über die Strassburger Zeit hinaus ein engeres Band zwischen G<Bthe und dem Merck* sehen Freundeskreise zu knüpfen im stände waren.

Dass GcBthes Uebersiedelung nach Strassburg bestimmte Vorbereitungen voraufgingen, lässt sicherweisen. In Strassburg t>ezog er tein kleines, aber wohlgelegenes und anmutiges Quar- tier an der Somraerseite des Fischmarktes, einer schönen langen Strasse, wo immerwährende Bewegung jedem unbeschäftigten Augenblick zu Hülfe kam*»* Sein Hauswirt Kürschner Johann Ludwig Schlag war der Sohn des Schuhmachers Johann Jost Schlag, der in seinem Trauungsakt vom 18. Jan* 1702^ «Sohn des Peter Schlag, gewesenen Steinmetzen und Bui^rs zu Frank- fori am Main» genannt wird. Dies Logis war mithin aller Wahr- scheinlichkeit nach voraus bestellt. Ebenso war Gcethe mit zahl- reichen Smpfehlungen versehen. Er selbst spricht von solchen in Dichtung und V^ahrheit II 9 S. 133.

Auch die Bekanntschaft mit der Familie Brion in Sesen- lieim wird eine vorbereitete, das heisst, auf andern Voraui»- setzungen als auf lediglich studentischer Einführung beruhende gewesen sein. Wie hätte sonst jene Familie den jungen Manu wochenlang in ihrem Hause beherbergen und sich misslie- bigem Gerede aussetzen mögen. Schon Falck hat nach einer Erklärung dieses auffallenden Umstandes gesucht und dieselbe in der Annahme einer formlich vollzogenen Verlobung Goethes finden zu müssen g^laubt. * Mir indessen geht aus den Briefen

' Alle drei siud aus Buchsweiler gebürtig; siehe v. Lujpers Anmerk. 42l, wo <He aus dem Buchsweiler Kirchenbucbe gezogenen Geburtsdaten angegebetf äod. Lene's Mutter war eine geborene Barth, nicht Garth. Weyland haUe» wie wir aii^ Lucius, Friederike Brion S. 68 wisseo, einen Frankfurter Barger xum Grossvater.

« Dichtung und Wahrheit H, S. 133.

•*> Siehe den Auiiung.

4 Friederike Brion von Sefenheim S. 84.

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S2 -

Goethes an Salztnanni deutlich hervor, dass Go'the einen Land- aufenthalt bei Brions genommen» um seine' kraul r Bleust zn kurieren. Gute Bekannte oder Verwandte der Familie Brion, an welche Goethe empfohlen gewesen sein ma^, icli nenne l>eispiels- weise den Kammerrat £ngelbach in Bachsweiler, den ritterschaft^ liehen Syndikus Scholl in Strasshurj^, mögen Goethe den Land- aufenthalt vermittelt haben.

Gcethe hat diesen Empfehlungen nicht völlig entsprochen, da er das mit FriedMke angeknöpfte Liebesverhältnis brach. Dieser Umstand mochte für ihn ein Grund mehr sein, dieselben in seiner Selbstbiographie zu verschweigen und seine Bekannt- schaft mit der Familie Brion als eine mehr zufallige hinzustellen. '

I>as8 bei seiner ausgebreiteten Bekanntschaft, in und uni Strassburg und bei der erwähnten Zusammenhörigkeit der ge- sellschaftlichen Kreise jener Stadt Goethe unter anderen auch die Familie Fibich kennen gelernt habe, dafür J)esitzen wir ausser der bestimmten Ueberlieferung, dass Friederike Brion und Gleophe Fibich Jugendfreundinnen gewesen seien, noch andere sichere Anzeichen.

* Fibichs Juweliergeschäft, das bedeutendste in Strassburg, welches Pretiosen an die deutschen Prinzen und den Adel des Oberriieins lieferte, war im Centrum der Stadt an dem beleb- testen Platze gelegen, wo sich zur Zeit grosser militärischer Schaustellungen ganz Stiassburg zusammendrängte. Johann Philipp Fibich war Ratsherr und machte für damalige Ver- hälliiisse ein Haus. Seine Töchter waren zu Garthes Zeit schon erwachsen. Au.^ dem Nachlass Clei)phes fand sich ein auf weis- .sen Atlas ge(hüekter Glückwunsch, welcher beweist, dass sie bereits zu i.*» {lies Stiulieuzeit in ihrem 17. Lebeusjuhre ge- feiert war. Derselbe lautet :

1 Aug. Stoiber, Der Aktuar Salzraanu S. 42 if. ; man vergleiche besonders den dritten Brief. Nur iiel)eulH'i bemerke ich, da???? Hie Ueberschrift des zweiten Briefes in Leu/eiis « Waldbruder» (Dorer-EgloU S. 93) «Fräulein Scbatouilleuse au Rothen [Gosthenj, der aufs Land gereist war^ eine Frühlings» kur SU trinken I, Aehnlichkeil mit j^ner Situation entbftlt.

^ Dass GcDthe in bezug auf smne Strassburger Vergangenheit gegen alles urkundlif he Material empGudlich war, welches die von ihm in seiner Selbst- biographie gegebene Darstellung verschieben konnte, beweist sein förmlicher Protest, als Professor Engelhardt ihn um die Genehmigung zur VerGfTentUchuDg seiner im Salzmann'schen Nachlasse gefundenen Briefe ersuchte. Vgl. Aug. Stcaber. Der Aktuar Salzmann S. 1 18.

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Ctel)nnöe3l)ve5a()rinwal)rei'5i:ettl)e^». eiraiburO' 30« SipriU. 1771.

P. J. D.

Cleophes filückwunsch, zum Namenstag 30. April 1771. >S. 52.)

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Fibichs Wohnung und Geschtfl befand sich nach dem oben mitgeteilten Mietsvertrage im Hause des Banquiers und Rats- herrn Johannes Braun. Diese Banquiersfamilie Braun war eine sehr reiche und verzweigte in Strassburg. Ein Bruder des letz- teren war der Banquier Johann Daniel Braun^ beider Mutter eine geborene Margarethe Salome Miville. Eine geborene Anna Barbara Miville war auch des Aktuarijus Salzmann Mutter, t

Wenn Garthe an seinen. Studienfreund, den Sohn des Kam- merrats En^^elbach in Buchsweiler, den 10. Sept* 1770 aus Strassburg schreibt : *

* Im B. Hanse fährt man fort angenehm zu sein. Der A. und ich werden uns ehestens copuliren lassen. Der ganze Tisch grüsst Sie >,

s(» k.uiii inil ilem Tisch nur deijeni^je der .lun^leni Lauth in der Ki-;iin»M-;2a«;se Nr. \^ (lu'uti-*» Nr. 7>, init A. nur der TifrhprasHitMil Akluanus SalziiutiHt, (Ifsscn unzertrennlicher Be- gleiter Gmthe in Strassbur^^ war, und in dies«'r en^^m Verbin- dun*r mit dem B. Hause weder das Brion sc he^ nocii das v, Berkheitn'sclie, -4 wie man ^^eraten hat, sondf'rn walirschcinlich nur das Biaun'sche «»enirint sein, zu dem der Aktuarius Salz- mann die nä( hsten verwandtschattlichen Beziehunjj^en liatte.

Maria Agnes Braun, eine Tochter des Banquiers }nh Da- niel Braun, war die Tautpatin des Johann Midiael Ott, ihr Bruder Abraham Braun (ler Taufpate der trüh verstorbenen Mai'garetha EUsabelh Fibich, Job. Daniel Braun Studiosus, der Sohn des oben genannten Hauswirts der Familie Fibich^ der Taufpate der (^leophe Fibich.

Wer, wie ich, längere Zeit die Geburls- Kopulations- und Sterberegisler der alten Strasshurger Familien durchforschte, wird alLmählich angennitet, als hätten dieselben eine einzig^e grosse Sippe gebildet, so oft wiederholen sich dieselben Namen als Tauf- Trau- und Sterbezeufjjen.

Dass Goethe die Famili«; Fibich persöalich gekannt habe, scheint auch aus dem Anteil hervorzugehen, den er an den ver-

1 Aug". Sta ber, Der A1;tMRr Salzmann S. 13; die Unterschriften sämmt- Hcher Familienmitglieder iiuduu sich unter einem Teilungsakte des Notars Lacombe 1774 D 5. Oct. ; den Sterbeakt der Marg. Salome Miville fand ich in St. Tbom«« 1*775 fol. 56.

S Hinel-Beroaysi Der jnnge Goethe I, 243.

3 Aug. StcDber a. a. 0. S. 48; dagegen schon v . L rpere Anmerk. 423.

* A. Bftier, Das Ueidenrtfsleia. Heidelb. 1877. S. 94.

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liebten Kreuz- und Querzügen seines Freundes Lenz mit Cleophe genommen bat.

in Lenxens Hui nn II «der Waldbruder>> > der» abgesehen von einigen äusserlichen Anspielungen an den Weimarer Aufenthalt, ni wesentlichen Strasshur^ier Erlebnisse wieders piejfelt, findet sieb sogar eine Stelle^ welche auf ein Konzert im Fil)ich'schen Hause ^^edeutet werden fiann, da sie merkwürdige Aehnlich- keil mit einer Stelle in Lenzens Tay:ebuch verrät. Zwei Töchter unterhalten die Gäste, wie im Ta^^ebuch, so im Waldbruder ^ durch ihren Gesanjr. In jenem sinj*^l die älteste eine der schön- sten italienisclien Arien mit Blicken, die Lenz wünschen mach- t<Mi, er köime sie lielM?n, 2 im Wnidbruder belohnt die eine der Tü-hier Rothen [Go'thenJ für jede falsche Lolieserhebunji^ mit einen» feurigen Bhck.

Wenn auch der Waldlnuder stark satyrisch j,^e(;irbt ist, so j^ewinnt doch die Thatsache, «lass Garthe einem Konzert in dei Familie Fibich beigewohnt hat, (iurch jene Erzählung an Wahrscheinlichkeit. Dann würde auch dieser Besuch in den Sommer 4775 fallen, wo Gerthe zweimal, nämlich im Mai und im Jnli, auf seiner Schweizerreise während mehrerer Ta^^e in Strassburg verweilte und gewiss ein Interesse «laran hatte, Cleuphe zu .sehen, beziehunj'.sweise wiederzusehen, nachdem ihm .sein Freund Lenz so viel von ihr und. ihrem Yeriöbnis mit dem Baron von Kleist gesprochen liatte.

6. Leniens dramatiseher Nacblaas.

Soweit warfn meine Forschungen über die Familie Fibicli gelangt, als icli in dem von Karl Weiidiold 1884 herausgegebenen dramatischen NachKissi' des Dichters Lenz zu meiner Freude die Bestätigung dersellicn durch Lenz .selbst bemerkte.

Wir haben schon oben hervorgehoben, dass Lenz, wie die andern Dichter der Sturm- und Drangperiode, eigene Erleb- nisse zum Vorwurf seiner Dichtungen gewählt hat. Der Mög- lichkeit einer Verbindung mit Friederike begegnet er durch ««di(? Liebe auf dem Lande», seine Liebe zu l^VI. Henriette Waldner von Freundstein spiegelt «die Laube» und «der Waldbruder)» wieder, sein Verhältnis zu Fräulein König in

1 Dorer-Egloir S. 92 IT.

2 S. 279. 3 Dorer-Eglotl S. 100.

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Sirassburg giebt ihm den Stoff zur «Alten Junj^fei'». Maj^ister Levpolfl vom Protestantisclien Gymnasium tritt als Prototyp des alten Moor in Schillers Räubern in dem «Tugendhatten Tauge- nichts» mit seinen sclmlmoisfprlichen Flüchen persönlich auf; kein Wunder, wenn I.enz auch die in der FamiUe Fibicb er- lebten Vorgünf^^e dramatisierte.

In seinen pjitwürfen zu dem Schauspiel (( Katliarnin von Siena» ist Katharina ursprünglich k»'ine andere als Katiia'ina Fihicli, Laura 04ier, wie sie im Entwurf B genannt wird, Ära- minta, wie im Tagebuch, deren j unsere Schwester (lleeplie, der von Katharinens Laune ab^^ewiesene Freier 'J'nifalo der ält«'re Ott. In Katharina wollte der Dichter eine Stolze dar- stellen, welche alle Freier im Uebermut zurückweist, um einen ai inen Maler Rosalbino glücklich zu machen, in dem sie das Ideal eines Mannes verwirklicht sieht. Allein Rosalbino, dem die Kunst mein- als Liehe ^ilt, erwidert diese Neigung nicht. «Katharina flieht deshalb in die Wildnis und sucht in asketi- scher Brautschalt mit Jesus den Frieden, den sie auch gegen alle Vcrsm lnmgen zum Rückfall l)ehauptet. »

Im Knlwurte R der «Alten Jungfer» ist Wiedeburg kein nndorer als Lenz-Kleist, dem .sein Freund Ott den Charakter (ileephes zu einer Zeit, wo Lenz schon für Fraidein Waldner entbrannt ist, ins hellste Licht zu rücken sich bemüht.

Ott: Was willst da mehr von einer Persoiif die dich glftcklich machen soll, als so geliebt za werden?

Wiedeburg : Ich will mehr und darum bin ich elend. Ich will, dass sie sich mir liebenswürdig machen dass sie eine Waldner sein soll ' dass sie alle meine Sehnsuchten, alle meine Erwar- tungen auf sich spannen, dass sie die Belohnung alles meines Strebent Bingens Leidens und der Todesgefahr selber sey ich will alles oder niehts ! sieh, das ist meine Natur, Ott ! und darum hin ich ein iraglflcklicher Uensch !

Ott: Sie würde sich nach dir gehildet, sie würde ihre Empfin- dangen nach den deinigen umgestimmt haben, sie würde dir alles geworden seyn. Du weisst nicht, dass sie seit einiger Zeit erstaunend angefangen zu lesen, bloss weil sie merkt, dass du Freude daran hast noch mehr, sie erkundigt sich sorgfältig bey all deinen Freunden, welche Bücher du vorzüghch liebst, und liest sie heimlich,

^ Mau vergleiche das weiter unten citierte Ge<licht vom 28. Okt. Mlb oad dertosdie Zeilen: «Seit ich nicht mehr in die Tagend, nein, in nehr ver- ZMu)»ert bin», welche ditf Liebem Cleophe ab- und d:eJenigo zur Waldner •rscbliessen.

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damit sie dich einmal angenehm überrasehen kami, wenn von einem oder dem andern dieser Bücher die Bede ist.

Wiedobnvg : 0 Satau. Satan, der ich bin ! Es ist ausgelöscht, ausgelöscht in meinem Herzen die himmlische Flamme ! Doch will ich hin, ich will sie sehen, ich will sie hearathen, ich will alles thun, und siehe, ich sage es dir mein ganzes Leben durch eine lange Komödie spielen vor den Engeln selber, vor dem Angesicht Oottea selber ^ aber et bleibt doch immer Komödie.

Ott : Da machst mich graom !

Wiedebvrg: Komm! Dn Bollteat weinen und beulen wie eine Bettlerswittwe mit sebn Kiadetn, wenn du in mein Herz sehen könntest!

6.

Ihr Krankenbett.

Er schwört ihr, data er keine andere nehmen will und

henrathen, W(aldner) aach nicht, denn er hatte ihr promesse de mariage gegeben nnd sie sich darauf Terlassen.

Endlich nennt der Entwurf C der «Alten Jun^'^fer die Familie Fibich selbst. Vater Fibich tritt mit Namen auf, Baron AViedel)iir}r ist Lenz, Graf Dönhof stellt Kleist vor, Cleophe wird hier Amalia genannt.

Akt I. Erste Scene.

"Wiedeburg allein. Alles was ich von ihr sehe, alles was ich von ihr höre, jeder Schritt, den sie in die Welt thnt, ist yon einer Rose der Schönheit begleitety die sie in ihren Ftasstapfen znröcklisst. i Ach und soll soviel Herrlichkeit vorübergehen, ohne erkannt, ohne in seinem ganzen Werthe erkannt nnd an diese Brust gedrückt zu werden? Amalia ich liebe dich. Amalia, du sollst dies \Yort von mir nimmer hören, aber mir selbst, und diesen Wänden will ichs tausendmal sagen, um mich unaufhörlich selbst mit dem (iedankeu aufzuwecken, dass du da bist, und diese himmlische Flamme, die du in meiner Brust angezündet haat, nie ausgehen zu lassen. Wenn die ansgienge wie elend ! liegt seinen Kopf in die Hand nnd bleibt so eine Viertelstunde ohne Bewegung sitzen).

^ Wer eriunert sich nicht bei diesem Bilde des üii^the sehen Lobes «die Poeäe, die Lenz in das Gemeinste zu legen wusste, setzte mich oft in Bretaunen. *

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Fibich kommt herein mit einem Brief in der Hand : Sehen Sie, Herr Baron, wie anglücklich es ihrer Freundin geht ! Soll ich's Ihnen sagen? warum nicht? Sic &tM'l doch nnser einziger wahrer Frennd!

Wiedeburg : Sagen Sie mir alles !

Fibich (weint); Meine Tochter ist ein unglückliches Mädchen lebtaglich !

Wiedeburg: Ihre Tochter? warum denn? wodorch denn? ich bitte, weisen Sie mir den Brief.

Fibich (weinend): Freilich haben Sie so ein Hers, dass man Ihnen alles sagen mnss nnd die Freondschaf t, die Sie meiner Tochter Ton Anfang an bewiesen haben, richtet mich allein anf. Ich armer, nnglüeklicher Mann ! Sie ist betrogen I Der Qraf Dönhof zieht sein Wort zurück.

Wiedebnrg : Sein Wort znrftck ? (reiset ihm den Brief ans der

Hand).

Fibich : Er sagt, er hab ihr nie die Ehe vers|>rochoii, das was er mir schriftlich hinterlassen und die Briefe alle seyn nur ein Zeichen seiner FreundscJiaft gewesen, die er auch immer nach wie vor behalten wolle.

Wiedebnrg (den Brief zitternd durchlesend): Sie können ihn zwingen, Abtrag zn geben.

Fibich: Nein, Herr Baron, nimmer nimmer thn ich das! es s&h so ans als ob mein Kind verlegen nm einen Mann

Wiedebnrg : Sie können es ohne Ihre Delikatesse sn beleidigen lasstti Sie mir die Sorge, ich verspreche Ihnen, den Process zu führen; noch mehr, beruhigen Sie Ihre Mams«ll Tochter, ich verspreche ihn durch dieses Mittel zurückzubringen.

Fibich: Ach gnädiger Herr, Sie haben ein gar zu gutfs Herz! Wenn sich nicht noch edle Gemüther fänden, die sich uiisrer annähmen

Wiedeburg: Verlassen tSie sich darauf! lassen Sie mich allein ich will mich isogleich hinsetzen und eine Requete an das Land- botengericht aufsetzen.

Fibich : Gott belohne Sie und schenk Ihnen dafftr eine Fran wie Sies verdienen. (Ab.)

Wiedebnrg: In was fnr Handel verwickelt einen nicht das Mit- leiden 1 Ein guter Wnnsch der Wnnsch wars allein werth. Ach Amalie!

Folgende Andcutuiii^en über den weitereu Gang der Hand- lung, 6iv^i der Heraii<5;rel)or, sind von Lenz j^leich/eiti;^- rasch auf die Ruckseite tles i ulioblattes hingeworfen worden, wie ilie Schritt zeigt :

verliert den Process, erbietet sich aus Grossmnt, sie selbst zn henrathen; erfährt hernach, dass er den Process nitht habe

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gowiimoii können, weil die ganze Promesse rlf» Mariage valsitiirt. ' erfuiiden, nach^'eschriebcn worden, denn Fibich hat die Pappiere allzeit dem A lvokaten dos \V. zugeschickt, weil der nicht Zeit hatte, sich soviel darum zu bekümmern. Das» zwar der junge Baron ihr von Ehe sageredt, aber nie etwas Bchriftliehes hinterlassen habe und dass eben wegen dieser Falschheit des Vaters die Obrigkeit ihn als einen Betrftger, der anf die Art das reiche Yermdgen dieses Hauses ' an sich ziehen wollen, angesehen.

(Darum darf ich das Stück nicht drucken lassen. Wenigstens nicht, so lang Fib. anTerbenrathet ist) >

Der Herausgeber fögt in der Einleitung zu diesem dem labre 1775 angehörij^en Entwürfe S. 195 die Bemerkung bei :

«Es scheint durch den Zusammenhang, worin diese Worte stehen, dass wir hier den Namen des Handelsmanns am Strassburger Parade- platz erfahren, mit dessen Tochter, der Mamsell Fibich also, die Kleists und Lenz selbst ihre Liebesgeschichten halten, die Lenz im Tagebuch Goethen erz&hlte und die er in den Soldaten znm Theil Terwerthete. >

Nun, die von Weinhold ausgedprochene Vermutung ii^t erst durch meine selbständig geführte Forschung zur Gewissheit erhoben. Dagegen zeigen die von Lenz hingeworfenen Andeu- tungen Qber den weiteren Gang der Handlung, insbesondere die Verneinung der Promesse de mariage, dass Lenz, was sich auch sonst beweisen lässt, Vorgänge des wirklichen Lebens nicht immer in unveränderter Gestalt zu dichterischen Ent- würfen gewählt habe.

7. Der Stammbaum der Familie Kleist.

Bis zum 15. Mni 1777, also nicht IT), sondern 42 Monate, hatt(^ ilii» Familie Filiit h auf die Krtüllung- «les Kheverspieclicns ver},''el>ens 'gewartet. 15, nun Kleist halte, wie es sdieint, J)is da- fiin stets neue Hollnung jrenälirt. So konnte Lenz nocli im Fehl . 177G kui-z vor seiner Abreise aus blrassburg an Herder schreiben : *

«Icli danke dir, dass da die «Soldaten» zum Druck befördert hast. Reich wird sie hoffeatlich vor MicliaeUs nicht bekannt machen

1 So steht fi'ir •talsiliirt» geschrieben. Doch möchte ich dieses Versehen des Dichters nicht wie Weinbold mit einem AusnifuDgszeichen begleiten. Bechtschreibung war damals noch kein untrQglicber Gradmesser der Bildung

wie heutzutage.

Aus Herders Nachlass 1, S. 238.

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lud alsdann wird das mit Fingern deutende Pnbliknm anf nichts mehr zu denten haben.»

Lenz hatte also gegründete Hoffnung, dass Baron von Kldst Khs .Michaelis 1776 sein Wort eingelöst haben Wörde, allein der Winter 1776—1777 veii^ing, bis endlich^ als Gleophe an der Schwelle der zweiten Hälfte ihres 23. I^eben^ahres angelangt war, Vator Fibich das versiegelte Eheversprechen zur Geltend- machung seiner Ansprüche eröffnen liess.

Wie die Kteist-Fibich'sche Angelegenheit weiterhin im ein- zelnen verlaufen, ist bis jetzt unbekannt, doch darf ich nach einer Abschrift des im Museum zu Mitau beßndliclien Stamm- baums der Familie Kleist 1 schliessen, dass sich der Baron nicht gerade cavaliermässig benommen liat.

Nach jenem Stammbaum war der Vater jener drei Brüder Kleist s Ghrisliän Ewald von Kleist, Majoratsherr auf Kerklingen und Dobelsbei-g, die Mutter eine Katharine Alexandrine von YietinghofT, gen. Scheel. Aus der 1749 i^/e geschlossenen Ehe^ gin$(en 5 Kinder hervor, nämlich:

1) Aguese Alexandrine, geb. 1750 gest. 1813

2) Friedrich Georg, geb. 1751 «Vö, gest. 1800 «o/j.

3) Emst Nicolans, geb. 1752 gest. 1787 V«.

4) Christoph Hieronymus Johann» geb. 1753 i^«, gest. 1829 i<>/io. 6) Marie Charlotte Sophie Eleonore, geb. 1757 gest. 1798 ^Vn-

Friedrich Georg, der Verlobte der Gleophe Fibich, verheiz ratete sich nach jenem Stammbaum in erster Ehe 1776 mit Anna Margaretha Hedwig von Rutenberg aus Weiden geh. um gest. 17(13 *4|i2, in zweiter Ebel 794 Vio mit Agathe Dorothea Elisabeth von Rutenberg aus Neu-Autz geb. 1770 »/s, gest. 1892 Vt- Auf derselben Stammtafel wird Friedrich Georg cKOnigl. Polnisdier Kammerherr und Ritter des Stanislaus- Nordens, M«ijoratsherr auf Kerklingen und Dobelsberg, Erbherr auf Weklen» genannt, der zweite Bruder, mit welchem Lenz in Fort Louis und Landau gewesen, als c französischer Kapitain,

' Diese Abschrift, welche mir Falck vermittelte und nach der Bu<.].hü!/"'='-Vipn genealogischen Sammlung LaltiscluT Faiiiilion der Rigaer SiadtbibliütUek erg^Aazte, verdanke ich der Güte des Herrn Julius Donog, des bflÜMiintM ll«lan tuid Kaiwthistorikers, m Mitau *

Vergt. Rndoir Beieke AUpreussische Monalsschrift iSe*? S. 654 iY.t L'Estocq nahm 20. Si'pl. 1769 drei dieses Namens, im Imlex Mer Königs- b<"rper riiiversiiät' als Iratrfs bezeichnet, auf : Friedericus (leorgius de Kleist Ktjues kerklinga-GuruDus, Ernestus Nico'aus de Kleist und Christophorus JohaiHM« HieroBjmiis de Klost.

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eo ~

polnischer Kammerherr iiiul Ki"l)lu'ri auf Suliljern» und der jüngste Bruder, den Lenz im llinbUck auf die bevoi-stehende Verbindung des ältesten mit Cleophe Fibich den c Schwager» nennt, als «französischer Kapitain, später preussischer Kammer^ herr und gestorben zu Gharlottenburg» verzeichnet.

Zunächst geht aus diesen authentischen Angaben hervor, dass Baron Friedrieh Geoirg v. Kleist» um auch nach Strass- hurger Recht, majorenn zu erscheinen, in 1«mii von ihm unter- zeichneten Ehekontrakt sein Lel>ensalter falschUch auf 25 Jahre angegeben hat. Ferner erhalten jetzt Lenzens Worte, «dass das Puhükum Michaolis 177C> auf nichts mehr werde zu df^uteii haben,» einen Ijesondereii .Sinn, Wahrscheinlich halte IJaron V. Kleist die Erfrdlun}; seine?* Eheverspi-t^cliens der Familie Fibich bis zu diesem Terjjiiu verheisien, wahrcad er bereits mit dem lUane umging, sich der Erffdlung dieses Versprechens durch die bis dahin gescliiossene Ehe mit Fraulein von Rutenberg 3tt entsnehen. Dass er einer solchen Handlungsweise ^ig war, kann leider nicht geleugnet werden. Denn der Umstand, dass Vater Fibich am i% Mai 1777 den Ehekontrakt eröffnen lassen musste, beweist, dass Baron v. Kleist an seinem Vermählungs- tage, den '20 Sept. 1776 seinen Verbindlichkeilen gegenüber der Familie Fibich nicht gerecht geworden war.

Was weiter geschah, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass Fibich überhaupt auf Grund eines solchen Aktes vor dem russi- schen Richter klagen konnte, m<>chten wir bezweifeln. Immer- hin wird das Jahr 1777 der Familie Kuniüier und Auflegung genug verursacht liaiien. Bereits am 15. Mai 1778 starb im iUter von erst 52 Jahren, wie der Sterbeakt besagt o:an Fieber, Geschwulst und Engigkeit» Mutter Fibich ;i «die gute Mutter» nennt sie Lenz im Tagebuch. > Ob ihr Tod durch den voraus- gegangenen Herzenskummer beschleunigt worden?

Auch wie Lenz sich zu dieser fatalen A:igelegenheit ver- halten, ist unklar. Dass er auch nach der Entzweiung mit dem jüngsten v. Kleist mil der Familie seiner ehemaligen Zöglinge in Verbindung stand, gesteht er selbst in einem Briefe vom 10. Dez. 1777 an Sarasin in Basel.* Merkwürdiger Weise er- bittet er sich durch letzteren schleunigst die Originalbriefe

1 Sterbregialer der Neuen Kirche Bd. I89 fol. 19.

2 S. 28r).

a Dorer-Egloff S. 237.

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»

Ewald V. Kleists, des heim^^egangenen Dichters des Frfihlings» welche Herr Ratsherr Iselin besass.

« Ich bringe sie, schliesst Lens? seinen Brief, aufs heiligste wieder ungekränkt nach Basel zurück und einen Dank, der nicht «iidigt, Urnen und unserm Iselin zum Ersätze. Die Absicht, wosn ich diese Briefe braache, können Sie sieh beide nicht Toratellenj könnte ich Ihnen beiden wich nicht begreiflich machen, da ich sie mir selber nicht in Worte fkssen kann; genng, mir liegt unbegreiflich viel daran.»

So viel geht aus diesen wirren Worten hervor, dass Lenz mit jenen Briefen des Dichters Kleist irgend einen Eindruck auf jene kurländische Familie zu machen gedenkt. Will er etwa der adelsstolzen, welche die Verschwägerung mit der Stross- burger Burgersfamilie ahgelehnt hatte, an ihrem eigenen Fleisch imd Blut zu Gemüte führen^ dass es noch etwas Höheres, näm- lich das Genie, gebe?

Nicht minder aulTailend, aber ebenso schwer zu deuten, ist ein Brief, den Schlosser Mitte März 1778 an Roederer nach Strassburg schreibt : i

« Sie •werden sich freuen lieber Magister, wenn Sie hören, dass Lenz hergestellt ist, wenigstens alletn menschlichen Ansehen nach. Inliegenden Brief gal) er mir knrz nach einem harten Paroxismus. von Schwermut. Ich vermutete, dass etwas Tolles drin ist, und brach ihn anf, um Sie nicht an srschreckai. Aach , finde ich, dass es wahr ist ; stoeen Sie sich aber nicht an seiner Apostrophe. Seine Seele ist noch viel an Bchwach, auch da an schwach gewesen. Ich kab auch Yerehrang für solche Sachen, aber wenn Ihr seel. Vater Ihnen jetzt ra^en könt, würde er auch rathen, wies die Umstände erfodern. Sagen Sie Lenzen und schreiben Sie ihm nicht, dass ich den Brief erbrochen und zurückgehalten hahe. Schicken Sie ihm seine Sachen bald mit Entschuldigung, dass Sie wegen Abwesenheit

seinen Brief verfehlt hätten, in der Sache aber thun wollten

was möglich ist. >

Zu dieser Lücke schi^ibt der Herausgeber in der Nute : cEin abgekürztes und ganz unleserliches Wort». Diese Lücke konnte von Bedeutung werden, wenn hier «Fihich'schen» oder tKleisl'schen» Sache stand. Es war damit der Beweis geliefert, dass die Familie Fibich damals die ihr reclitlich gebührende Genugthuung noch nicht erhalten hatte. Diese Annahme wurde

1 A. StoBber, J. G. Rcederer und seine Freunde S. 68.

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für mich tlie eiüte Veranlassung, den U(Tf>clret'r' sehen Nachlass, welchen einst Sttiiber hetiiitzto, in Strasshm-g aulzuspiiren.

Zwei Fiauloin Rcßderei, Etikfliinicu des trefflichen Theo- logen, besitzen ihn und lialten ihn aU ein heiliges Familien- vermächtnis in Ehren. Mit welcher Frettde begrössle ich das Olfick, die kostbaren Papiere, unter denen 2 Goethe'sche Briefe, in Hfinden halten zu dürfen ! Aneh vermochte ich obige Lücke mit Hülfe der Besitzerinnen zu enträtseln. Weder Kleist'schen noch Fibich*schen Sache war an jener Stelle zu lesen, sondern in 4ier «dortigen» Sache, aus welchou \Yorten kein bestimmter Schluss zu ziehen ist. Auch dass Lenzens Druder, der den scheinbar Wieder^f^^nesenen im Sonnner 1770 nach Rijia- ab- holte, in einem Hriele an Salzmann mit Bedauern erklärt, dass <M Straisburg mit seinem Bruder habe vermeiden müssen, * kann nicht mit Sicherheit auf den Umstand zurückgeführt wer- den, als ob die l iliich'sche Angelegenheit damals den Dichter nocli bewegt iiai)c.

8. CleoplioB Stammbucheintvag.

Dass sich Baron von Kleist nicht rechtlich in jener Ange- legenheit benommen habe, glauben wir behaupten zu müssen. Dagegen hat Cleophe dem Verlobten bis an ihr Lebensende die Treue bewahrt und diese Gesinnung im Dez. 1774 durch ein unverdächtiges Zeugnis bekräftigt. Wir besitzen nämlich im Stammbuch Lenins auf der ersten Seite einen anonymen Ein* trag von «einer ungenannten, doch wohlbekannten Freundin», den zuerst brieflich am 29. Okt. 1883 Faick und gleich darauf auch Düntzer öffentlich in der Köln. Zeitung vom 24. Nov. 1883 III. Blatt als einen Autograph Aramintits erkannten.

Dieses, wie es schien, längst verschollene Staut mburh des Dichters, ans welchem bereits früher einmal <lie Kiii'rHirungen Gd'thes, Selilu.ssers und seiner ( ratiiii bekannt gewoitlen waren, tauchte plötzUch in Felliii ia Livlmul aut und zwar im Besitz dei Tüchter des um den I^jnz-Nachlass sehr venlienten Dr. Dumpf. Herr Gymnasialdirektor Dr. Waldmann daselbst, dessen ausserordentlicher Güte ich das beigefügte Facsimile verdanke, legte diese Lenz-Reliquie am 5. Okt. 1883 der literarischen Ge- sellschaft zu Fellin vor und berichtete eingehend über dieselbe in dem Jahresbericht jener Gesellschaft pro 1883 und 1884.

1 A. Stoiber, Der Dichter Leaz S. 40.

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Diesem IkMiclit und einer mir ^ewoi ilciicn brielliclien Mitteilung seines Autors zufolge, ist ilas Staitiiiibuch, dessen Höhe 10 Vt und dessen Breite i4 >/t Ctm. beträgt, in roten Saffian gebunden, hat Galdschnilt uihI Goldverzieronj^n auf Höcken oad Rand, träfet auf der Vorderteile den Namen Lenz, auf der Rückseite die Jahreszahl 1774; Verzierungen, Lettern und ZifTern sind von altertOmlicher Ausstattung. Das Album zählt ti3 Blätter eines nach modernen Begriflen liöchst unansehnlichen weissen Papiers, 21 lilfitler sind ausgerissen, l)eschriel)en sind nur i Seiten. Auf der ersten Seite desselben steht die als Facsimile bei^^Nvcltcnt' Eintr.i^tin^r. In der Mitte <les Albunis fuidcii sieh aut drei unmittelkir auf einander fol- genden Seilen 3 Kinzeichnungen :

1} Zar Erinarang guter Stunden, Aller Freuden, aller Wunden,

\]]or Sorgen r Sfhmerzen, In zwei tolloti Dichter Herzen Noch im letzen Augenblick Las« ich Lenami dies snrtkck.

Gttthe.

2) Si vedrem chiaro poi, come soveiite Per le cose duhbiose altri s'avanza, E come spesso indarno sl sospira.

Petrarca. G. Scbloaaer.

Letztere Eintra^un^ rührt von G<Kthes Schwester Cornelie, der Gattin des Hofrats Schlosser in Emmendingen bei Preibur^s ht^r. Schlosser selbst hat sich in das Lenz*ä(*he Stammbuch in folgender Weise eingetragen :

3) Catharina von Sicna.

J. Q. Schlosser.

Catliaiina von Siena ist der Titel jenes oben citierten dra- matischen fintwurfes, von dem der Dichter am 14. März 1776 liegen Merck äusserte : «es sei s< bf)ti in seiner |»ia inater ferfijr, aber noch nicht ^»»schrieben.» Ufiuhold, der Herans«;eber des dmnuitischen Nachlasses, setzt bei dieser Gelegenheit hinzu :

«Lens hatte Yon dem Drama, das ihn damals beschäftigte, in Emmendingen gesprochen und es <lem edlen Panre einst vorzulegen gedacht. Schlossers Eintragung sieht als Mahnung, nicht wie eine

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Quittung aus. Auf dem Zettel, welcher drei Sätze zur ersten Catharina eDth&It, leMa wir 4i« Worte : 99 bleibt das Stück immer für GiBthen und Mine Schwester.»

Weinholds Ansicht Vi>n einer Maliiiuiii,^ Schlossers ist auch die unsrige; die Einlragun«: (allt wahrscheinlich Ende Mai 1775, da Gflethe seinen Freund Lern den S7. Mai 1775 von Strass- \mrg nach Emmendingen mitgenommen hatte. 1 Hat Goethe wirk- lich im leisten Augenblick des Scheidens sich in Lenzens Stamm- buch eingetragen, woran nicht zu zweifeln, so ist auch Goethes £intra<,' in Emmendingen und nicht in Strassbui^ erfolgt.

Was nun den anonymen Vers auf der ersten Seite des Stammbuchs l)etriflfl, so haben Fali k und Düntzer die ursprüng- lichr V- i niutung, als könne derselbe von Friederike Brion her- ndiren, widerle^f. indem sie die wahre Verfasseriu in Araminta erkannten. JJuntzer ^^chrcilil mit vollem Rechte :

* Friederike hatte damals, Ende 1774, schon längst jede Aussicht auf Gcetho aufgegeben und so könnrn wir dir^^o Dpntung auch ohne Ansicht der Handschrift um so entschiedener ahK huen, als die Dame, welche in dem hier Torliegenden Verhältnisse, zu Lenz stand, ob wir gleich ihren Namen nicht kennen, nachznweiflen vermögen. >

Folj^^t ,|,.,. hfd:nnnte Hinweis auf den Anfang des 14. Buches von Wahl Ii. it und l}i< htung und das Lenz' sehe Tagebuch.

Nun, diese bisliei- dem Namen nach unbekannte Dame ist in Cleophe Fibich entdeckt worden, deren handschriftlicher £inirag dadurch an Interesse gewinnt, da er mit demjenigen von Croethe, dessen Schwester und Schwager in Lenzens Stamm- buch vereinigt ist.

Dieser Stammbucheintrag Cleophes vom 4. Dezember 1774 ist unseres Wissens das letzte Glied jener Kette von Kreuz- und Querbewegungen <les Dichtei*s mit ihr. Nach dem Tagebuch freilich war bereits Ende Oktober der Bruch zwischen Lenz und dem jüngsten Baron v. Kleist erfolgt. Dass die Veranlaa- sunji dazu in jenem Verhrdtnis zu GIcophe gesucht werden muss> Jässt <lie Darstell iin}4 desselben nur 7.11 deutlich erkennen.

Aber Lenz machte wohl n.icli einen letzten Versuch auf das Herz der Geliebten. "Was Cleophe oft im Scherz gesagt hatte :

1 Frl. König in einem^ttnedierteii Briefe an Madame Hesse in Darmstadt, Buch?weiler 14. Juni 1 ' «Lenz war mit G(Bthe bei der Scblosserin und kann nicht sagen, was für NV underwürkung sein Anblick auf ihre Seele und Körper gemacht haben. » (-Mitteilung vou Fakk.)

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sie wünsche sich einen Mann wie Lenz ; wenn ihr Bräutigam sie irerliesse, solle er seinen Platz einnehmen, ^ hatte den Dichter veranlasst, sie beim Wort zu nehmen. Bei diesem Antrag jedoch findet Cleophe liiren Ernst wieder und weist den Be- werber in die ihm gebührenden Schranken zurück.

Damit war wohl die Lenz-Araminüi Angelej^enheit im wesentlichen abgethan , wenn auch die « Freundin » noch ferneres Wohlwollen für Lenz bewahrt haben mag. In ähnlicher Weise ist Lenz auch von dem Baron v. Kleist trotz aller Dif- ferenzen, die ihn zum Ausziehen veranlassten, schliesslich doch in Frieden geschieden. Noch in Weimar gab Lenz Salzmann Aufträge für Fibich, < erhielt er wiederholte Grüsse von Herrn V. Kleist durch Roederer. »

Uebrigens schildert Lenz selbst im Tagebuch die Erlebnisse des letzten Abends, den er mit Herrn v. Kleist verbrachte, der- art« dass wir an einen tragischen Konflikt nicht glauben können. Der stark angeheiterte Baron, der in roher Weise seine aus- gelassenen Streiche mit dem Dichter getrieben, giebt, vernünftig geworden, demselben beim Schlafengehen die schönsten Worte von der Welt und war auch am andern Morgen, da Lenz, von ihm auszog, «sein bester Freund.»

An eine Forderung zwischen beiden, wie Urlichs < und Erich Schmidt» vermuteten, ist deshalb trotz einer dahin bezüglichen Ueberschrift eines Lenzischen Gedichtes, von welchem weiter unten, keineswegs zu denken«

V. Aufisohluss aus den Werken des

Dichters.

1. Die Gedichte.

Es ist nicht leicht, aus der Zahl gleichgestimmter Gedichte, welche dieselbe Stufenleiter der Gefühle von der höchsten Schwär- merei bis zur gänzlichen Hoflhungslosigkeit durcheilen, mit voll- kommener Gewissheit die zu einem Araminta-Cvkius tT^ehörij^en za bezeichnen. Bedenken wir jedoch, dass Lenz das Herz Cleo-

» Tagebuch S. 27ß u. 281.

S Weinhold. Dramatischer Nachlass S. 195.

S Mitteilung Falcks aus den ungedruckten Rooderar-Briefen ; vgl. auch StceWr, Der Dichter Lais S. 84.

4 S. 86d. 5 Lent und KUoger S. 15.

5

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phes iluit h sein Liebesspiel voi- anderweiti^jen Gefahren bewah- ren zu inüssen *xlaubt, dass ihm, dtMii »MMisUich Verlii'bten, jedoch Gewiss* «nsbiöse eiilstt'bon und Cleoplie bowie der Si li\\a<,'^er ihm Vorwürfe machen, so müssen wir jed<Mifa]Is ful{,^entie drei tjrösseren Gedichte eiiiem Aiaininta-Cyklus zusprechen, wenn auch der Wahrscheinlichkeit ^»miiüss norli nniich»' der kleineren Lenz'schen Gedichte demseli)cii zuerkannt wridcii dürfen. Möchte do( Ii di»' von Frh. v. Maltzalin verhoisscne Geilichtsammhrn^ Imid eLNcheinen, um volle Klarheit in dieser Frage zu ver- breiten I

I.

Der verlorene Augenblick, die verlorene Seligkeit. >

(Eine Predigt Ob«r den Text: Die Mahlzeit war bereitet, aber die Gaste waren

ihrer nicht werth.!

Von nnn an die Sonne in Traner, Von nnn an finster der Tag.

Hinnnels Tliore versi^hlossen ; Wer ist der wieder erotinen. Mir wieder entschhesseu sie mag ? Hier ausgesperret, verloren, Sitzt der Verworfne und weint. Und kennt im Hinunel anf Erden OehSttiiger nichts, als sieh selber, Und ist im Himmel anf Erden Sein nnversöhnlichster Feind.

Auigiageü die Thore,

Ich sah die Ersdieimmg;

Und war^s kein Traum?

ünd war's so fremd mir?

Die Tochter der Freude,

Der Segen des Himmels,

In weissen Gewölken

Mit Rosen umschattet,

Pnftete sie hinüber za mir,

1x1 Liebe hingesunken,

"Wie schrecklich in Reizen geschmückt

Schon hatt* ich so selig, so trunken

Fest an mein Herz sie gedrückt,

Ich lag im Geist ihr zu Füssen,

1 L. Tieck, Gesammelte Schriften von J. M. R. Lenz III, 249; vgl. A. Sauer in Kürschners Deutscher Naüonal-Literatur X, 223.

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Mein Maud schwebt über ihr, Ach ! diese Lippen zu küssen^ Und dann mit ewiger Müh Den süssen Frevel zu büssen. >

In dem einzigen AngtobUcik,

Grosse Qditer, was hielt mich snrilek?

Kommt er nkht wieder?

Er kehrt nicht wieder !

Ach er ist hin, der Augenblick,

Und der Tod mein einsiges OlAck.

Dass er käme! Mit bebender Seele Wollt ich ihn fassen, Wollte mit Angst ihn Und mit Entsücken Halten ihn, halten Und ihn nicht lassen, Und drohte die Erde mir Untor mir zu brechen, Und drohto der Himmel mir Die Kühnheit zu rächen, Ich hielte, ich fasste dich Heilige, Einzige, lüt all deiner Wonne Ißt all deinem Schmerz, Presst* an den Busen dich! Sättigte, einmal mich, Wähnte du wärst für mich, Und in dem Wonueransch, In den Entzückungen Bräche mein Herz.

n.

Auf eine Va^iilote ; welche sie mir im Conzert zuwarf. ^

MeynstQ mit Zucker willst du meine Qnal rersüssen Hitleidig gdttÜch Hers ! wie wenig kennstu sie ? Wenn sich nach Mittemacht die nassen Augen schliessen " Schläft doch mein Hers nicht ein, es wütet spftt und früh.

' K. Zfpppritz, Aus F. II Jacobi's Naclilass II, 3t0: vergl. A. Sau«r «. «. O. 221; ich habe die ursprüngliche Schreibart beibehalten.

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Vor Tage lieg ich schon und sinn auf mein Verderben

Und straffe mich oft selbst und uehm' mir Tagend vor

Und kämpf und ring mit mir and starb and kann nicht sterben,

Weil mich mein Unstern nur atum Leben aneerkohr.

Ich Bon dich sehn nnd fliehn? Dein Lftchehi sehn nnd meiden?

Und da Terstehst es wohl, wo mir^s am wehsten fhnt

Da hassest meine Buh, es scheint dich freat mein Leiden

Da wünschst es grösser noch, es scheint dn willst mein Blut.

So nimm os göttliche! ein kloincs Federraes5?er

Eröffnet mir d'n- Brust, wie sanft würd es mir thun?

Ach tlius, duichbui mein Herz, gewiss dami wird mir besser.

In deinen Armen will ich dann vom Leben rtihn.

Ach, welche Süssigkeit! von Lieb und Wollust trunken

Schlftft dann mein mattes Haupt von seiner Unmh ein,

Auf deinen süssen Schooss Yerliebt herabgesunken,

Und btksset sterbend noch die Ursach* seiner Pein.

Ja thus ! von deiner Hand wie kann der Tod mich schrdcken.

Er ist das grösste Glück, das ich erhalten kann.

Ein Stoss, so ists geschehn : wie süss wird er mir schmecken.

Ein klein^T Stoss und dann gelit erst mein Leben an.

Dann will ich zärtlich dir als Geist zur Seite schweben,

Daun weliit es niemand mir, du selber wehrst es nicht,

Dann darf ich angescheat dem Monde Küsse geben,

Der so Terföhrisch lacht nnd so beaanbernd spricht.

Dann darf so lang ich will mein Auge nach dir sehnen

Dann hasch ich deinen Blick nnd schliess ihn in mein Hers.

Daim wein ich, wenn ich will, nnd niemand schilt die Tränen,

Daun seniz ich, wemi ich will, und niemand schilt den Schmwz.

Dann will ich ilir im Tranm zn deineri Füssen liegen

Und wachend horch ich auf, wir dirs im Busen schlägt.

Bistu vergnügt, o Gluck ! so theil ich dein Vergnügen,

Wo nicht, so theil ich auch was dir Verdruss erregt.

Dami, mein anschätzbar Gut! dann straft mich das Gewissen

Ftkr meine Liebe nicht, nnr dann, dann steht mirs inj

Dann ffthl ich keinen mehr von den verhassten Bissen

Als ob ich FreTler Schuld an deiner Unmh sey

Dann bistu meiner loss, nicht wahr du bist es müde

Von mir gekränkt zu sein, dann weissta es nicht mehr

Was mich schmerzt oder nicht, dann hast du ewig Friede

Denn nach dem Toile rührt mein Schmerz dich nicht so selu*.

Selbst ach ! dein Glück verlangt's, ich fühl es, ach" mit Zittern,

Dass ich im Wege bin so thu es beste Hand !

Ich moss mir täglich nur das Leben mehr verbittern,

Und thust du*s nicht dann Glottf erhalt mir den Verstand!

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(Ols ward den Aitend vor dem Puell gescbr.)^

Von dir entfernt» dir iiuner nah,

"0 du mein Leben Sfraphine. Ist das ein Tiaam, was mir geschah? Mich trüstet, dass ich's nicht verdiene ? Nein Mlbst d«in Zorn TerBchSnert dich Ünd ist du höchte Gnt für mich. In dieser Einsamkeit, des knrzen Lebens ntfide Das i(-h (loch nicht verlieren kann,

Da schenkst nur dn, mein Glück! dem bangen Herzen Friede

Das dich aaf ewig ^eb gewann.

Wie, wer verbietet mir^s, wer kann es mir verbieten?

Ist das ein Laster, Götterbild?

Von dir gerührt zn sein? Wer kann sein Hir/ bohüten

VTonn selbst der Himmel nicht solch eine Xoigang schilt.

Nein Göttliche ! solch eine Lieb ibt Ptiicht,

Für die will ich mein Blut verströmen,

Man kann mir swar das Leben nehmen,

Doch meine Liebe ewig nicht.

Ich kenne dich nicht ei*8t von heute,

Ich kenne dich von jeder schönen Seite

ich bete, denk ich noch daran,

Dank, Sehnsucht, Tränen in den Blicken

Den, der dich schuf, mit heiligem Entzücken

Und dich, sein schön Geschöpfe an.

Ach wieviel Glück ist selbst in diesen Tränen,

Nach wem kann sich mein Herz sonst sehnen

Als nur iirtch dir und stets nach dir

ünd dies nur dies verbeut man mir?

Dis reine Feuer macht ein Bube sich zu rächen

Mir an dem schw&rsesten Verbrechen ?

ünd da mit ihm? Du die Gerechtigkeit,

Die Güte selbst? War es Verwegenheit

Dich anznsehn? Gott ist fs eine Sünde

W^enn ich in dir den llimmol finde

Mit aller seiner Seeligkeit.

Schiltst da mn. Kind, das dir die H&nde küsst,

Dafftr, dass du ihm freandlich bist.

Hast du mich je in den beglükten Stondoi,

Da ich noch nicht Verstössen war,

^ Diese Ueberscbrifl ist im Original durcbgestricbea. R. Zceppritz a. a. O. II. 312; vergU A. Sauer ». s. O. 226.

Wohl anders als ein Kind gefunden,

Und worin lag denn die Gefahr?

Ach Seraphiiie, Seraphiue,

Es tödtot mich, dass ich das nicht verdiene.

Dass die beiden Gedichte «Der verloroiie Aujieüljlirk •> ünd «Auf eine Papiliote« stilistisch, also auch inhalthch zusunuiieii- >ren, I)eweisen folgende ParalleUlelleii ;

Auf eine Papillote.

Dann will ich dir im Traum zu

[deinen Füssen liegen BaBn will ich zärtlich dir als Qeist

[zur Seite schweben Dann wehrt es niemand mir, da

[seiher wehrst es nicht; Dann darf ich ungescheut dem

[Mnude Küsse geben, Der so verführisch lacht und so

[bezaubernd spricht.

Nun .»slininit das zweite Gediclit an folgender Stelle inhalt- lich auch mit dem Tagebuch überein.

Der Tttrlmrane Angenbliek.

Ich lag im Geist ihr zu Füssen, Hein Mond schwebt über ihr: Ach! diese Lippen zu küssen, Und dann mit ewiger Mnb* Den süssen Frevel sa bfissen. ^

Auf eine PapiUote.

So nimm es, Oöttliche! ein kleines

[Federmesser Eröffnet mir die Brust, wie sanft

[würd" es mir thnn ? Ach thu's. »lurchbühr mein Herz,

[gewiss dann wird mix besser.

Bub Tftgebuch.

(& 881.)

Ich nahm ilire Hand ToU der lebhaftesten Empfindung zwischen

meine beydcn und bat sie, mir lieber jenes FedermenFor ins Herz zu drücken, aU zu verlangen, dass ich mehr sagen sollte.

Die beiden Gedichte gehören somit dem Araminta-Gyclus an und nicht etwa der Weimarer Katast rophc, me man auf den ersten Blick annehmen möchte. ^ Die Starke des Ausdrucks ist Grewohnheit der Dichter der Sturm* und Drangperiode und gerade bei Lenz nicht immer gleich auf die schlimmsten Kata- strophen seines Lebens zu beziehen.

Diese Wahrnehmung bezieht sich nicht minder auf das dritte der citierten Gedichte» welches inhaltlich ebenfalls zur

^ Gfoppe S. 137 und Zoepprits S. 290 nehmen es an, wihrend Urlichs S. 263 nch schon mehr meinen Ergd>ttisse nfthert.

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7t

Aratninia Affaire jrehörl : Obgleich «ich »ier Dirhter im OktolxM «Verstössen)) wahnt, schreibt sich iliai Gleophe im Dezuiriher als eine «i ungeiianntcj doch wohlbekannte Freundin» ins Stamm» blich. Auch die darchgestrichene Ueberscbrift cdies ward den Abend vor dem Duell geschrieben » läset sich viel einfacher auf die im Tagebuch erzählten komisch-ernsten Attacken des jüng- sten Ktdst, der Lenz im Finstem mit dem Degen angreift, während dieser ?ii h »lur mit den Armen wehrt^^ als auf eine wirklif he Herausfonlerung beziehen, die sonst niigends be- (^laubigt ist und auch mit den Grüssen, die Herr v. Kleist später mclirfruh an Lenz in Weimar bestellen lässt, in Wider- spructi t^tetii Ii würde. Ueherdies stimmt die Durrhstreichunj? obiger rohersdn ilt wie ich sehe, ein beliebtes Mittel jener Zeit, um mil einer geheimen Sache zu kokettieren* mit der im Taj^ebuch au Goethe ^gerichteten Bitte, von jener Raul'scene nichts verlauten zu lassen, nachdem er sie lang und breit erzählt hatte.

Alle drei Gedichte sind echte und schOne Kinder der Ara- minta-Liebe, wenn wir auch kaum begreifen können, wie Lenz die Neckereien einer ausgelassenen Mädchenlaune nicht fOr das

erkannt lialie, was sie in Wirklichkeit sein sollten.

Nach dem ersten Jener Gredichte hat Lenz die Angebetete in Balltoilette ilberrascht und ans Hei*z gedruckt.

Das zweite Gedicht beschwichtigt die Vorwürfe, welche ihm wegen jener Umarmung gemacht worden waren. i)er Diclite? entschuldigt seine Kühnheit und wünscht sich den Ti>d von tici Geliebten Hand, um als sohger Geist Liebkosungen wagen zu dürfen, die ihm im Leben als Frevel angerechnet würden, ihm selbst Gewis-seasbisse verursacht hätten.

Nach dem Inhalt des dritten Gedichtes war auf jene Vor- würfe ein ernstlicher Verweis erfolgt. Der zukünftige Schwager hatte das Benehmen des Dichters verurteilt und Cleophe cdie Gerechtigkeit und Güte selbst ihm beigestimmt. Lenz aber, weit entifemt, diesen Verweis hinzunehmen, beruft sich auf sein

J Tagebuch S. 291 .

' So sind ia dem ob«n bruchstUckweiso mitgeleillea llocbzeitsgedicbte der KatharinB Fibich Strophe SO u. Sl die Namen Pibich und Ott, welch« sich doell mittelst des Reimes erraten lassen, durchstrichen. So klagt Laitth (siebe über ihn Stosber, Der Aktuar Salzmaao S. 40j in einem angedruckten Antwortecbreihea an J. G-. Roederer in G6ttiDgen d. 23. Jan. 1T77: «Warum streichst du Midcben aus, Mädchen, welches Geschöpf doch meine ganse Seele liebet.*

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Uebespie) , indem er seine Neigung als die ungefährliche eines

Kindes hinstellt.

Jetzt erst vorstehen wir jenes eigen tinaliche Gedicht «An Seraphine». Cleophes <r Zorns über seinen Liebesantraji^ ist für ihn cdas höchste Gut», da er ihm als Beweis ihrer Treue zu ihrem Bräutigam gilt; «der Hiininel selbst schilt solche Nei- gung nicht,» ja «solch eine Lieb' ist IMlicht, da der Dichter nur auf solche, allerdings sehr seltsame Weise, indem er näm- lich sich selbst in sie verliebt oder zu vnrliohen scheint, das Herz Clrophes vor anderweitigen Gefahren behüten zu müssen glaubt. Deshalb nennt er dies Liebesfeuer ein «reines» den jQngsten Kleist al>er einen «Buben», weil er dessen Bewerb- ungen, wie rlas Tagebuch verrät, keine gleich ttnverßinglichen Beweggründe unterzuschieben vermag.

Indem wir so auf Grund der Codirhte das psychologische Verhalten des Dichters in der Araminta-Angelegenheit analy- sieren, gelangen wir zur Ueberzeugung, dass Geithe in seiner Beurteilung desselben Lenz wahrscheinlich zu nahe «getreten ist, wenn er inbezug auf seine Zurückweisung durch Gleophe den ^ spöttischen Zusatz macht, «man sei überzeugt, dass wenn er zum Bewusstsein kam, wie ihm denn das zuweilen zu geschehen pflegte, er sich zu einem solchen Fund recht behaglich Gluck gewünscht habe».

Garthe bleibt den Beweis seiner Behauptung schuldig, die iauten»te Zeugin der Wahrheit, die echte Lyrik, sa^t nns da- gegen, dass der Dichter jene Zurückweisung schmerzlich em- pfunden habe, und der Verdacht ist nicht abzuweisen, dass Goethe sich durch talsch verstandene Verse wie folgende:

« Nein, selbst dein Zorn venehdneri dich Und ist das höchste Gut fOr mich »

in seiner Beurteilung des Dichters habe tauschen lassen.

Halbtoll allerdings müssen wir mit Garthe die Idee JLenzens bezeichnen, einem abwesenden Freunde das Herz seiner Braut dadun Ii erhalten zu wollen, dass er sich in sie zu ver lieben scheint oder verliebt, auch trübt Lenz dieses eigentümliche Verdienst, da er wie jene Umarmimjr und die cynische üeber- schrift des ersten der drei Gredichte genugsam beweisen, bei Gelegenheiten die Befriedigung seines eigenen sinnlichen Wohl- gefallens erstrebte, allein trotz aller dieser Seltsamkeiten haben wir keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Lenz, dessen gutes

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Herz von allen gerühmt wird, ^ bei jenem Liebesspiel^ das er nun einmal für nötig erachtete, im letzten Augenblicke vor dem wahren Bräutigam zurückzutreten entschlossen war.

Man darf deshalb Lenzens Benehmen in der Araminta-Ange- legeoiheit überspannt, ja halb närrisch nennen, aber eine ganz iweck- und inhaltlose Intrigue, wie Goethe sie charakterisiert, war sie nicht, da Lenz sie im Interesse und für das Glück des abwesenden Freundes unternehmen zu müssen glaubte.

2. Das Tagebuch*

Zu gleicher üeberzeugung, wie' die Gedichte, führt uns auch die Prüfung des schon oben erwähnten Tagebuches. Bevor ich jedoch auf eine Kritik des Inhaltes desselben eingehe, sehe ich mich genötigt, mich zunächst in betreff des formalen Wertes jenes seltsamen Schriftstückes mit der bisher von Urlichs auf- gestellten Ansicht auseinanderzusetzen.

Lenz hat das Tagebuch, wie er selbst sagt, noch unter den Augen des jüngsten Kleist, d. h. gleichzeitig mit den Erleb- nissen, niedergeschrieben ; daher denn auch die abgerissene, un- fertige Gestalt des Ganzen. Denn dass das Machwerk, wie Urlichs S. 259 meint, hinreissend schön geschrieben sei, kann iTian hüL-hstens nur inbezug auf Einzelheiten der psycholo- gischen Detail mgflerei , nicht aber inbezug auf Form und Gedankengang behaupten. Fremdartige Ausdrücke, die der Üeberselzung ankleben wie «Sie lehrte mich, wie zu machen» «rsie stellte sich als zu fallen,» «sie setzte ihren Mutwillen noch ein etwas fort» bis auf die gemeine Strassiuir^'^er Apostrophe < Warten'r ! > weichen so sehr von der sprachlichen Vollendung

1 Brich Schmidt, Lenz und Klinger S. 8 : «Die verschiedensten Men- schen vereinigen sich, ihn gut und licbenswürdipr zu nennen, Salzmnnn, Wagner, Miller, Schubart, Herder, Lavater, Schlosser, Cornelie, Pfeifet, die Herzogin Amalie, Frea Retlt n. 8. w.

* S. 283. M. V. "Waldberg rechnet dieseo vollkommen dialektischen Aus- druck fül'chlich «zu den Elisionen, Sincopen und Verschleifungen, die dem Stil der «Slurm- und und Drangperiode* so eigen sind.» (J. \f. R. Lenz, Der Waldbroder. Berlin 1882 S. 8.) Wenn doch die Erklärer vorsichtiger Min wollten ! So saget v. Waldbei^ S. 15 Aber Frl. KOnig, Lenzens und Herders Fminr^in in Strassburg : «Die «Königin» nennt Lrhz sie scherzweise in eioem Briefe an Herder» (Aus Herders Nachlass I, S. 227). Wie scherz- haft mflsden wohl Herrn v. Waldberg die Tauf-, Kopulations- und Sterbe- bücber Strassburgs in den vorigen Jahrhatiderten vorkommen, welche alle ohne AnsnabiM die wetblichen Namen auf «in» endigen lassen.

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Ti-

den üliri}?en Prosawerke des Dichtern ab und die Handlung irr- lichtert dermassen hin und lier, dass wir den Schluss ziehen müssen : das Tagebuch war nun und ninuuermehr zur Ver- öffentlichung bestimmt, sondern Goethen sa diskretem Gebrauche tiberlassen. Sagt doch Gcethe selbst, dass Lenz ihm den Stolf mündlich und nachher schriftlicb vertraut habe. Liegt hier kein Irrtum in der Ueberlieferung vor, so kann die mündliche Mitteilung nur bei GoHhes Anwesenheit in Strassburg im Sommer 4775, die schriftliche, da Lenz im März 1776 Strassburg ver- liess, nicht lange hernach erfolgt sein.

Wir vermuten : f.«*nz, dei- <leiisell)en Stoff bereits benutzt hatte, uherliess ihn Gaithen, weil er ilui für wichli^»^ und er- ^iel)i^ }^^eiuif^ hielt, dass auch dieser seine Kraft an ihm erprobe. Dalier war das Taj^ebucli nicht zur Veröireiitlichuug, «ienu dies- würde sich Lenz bei der unfertigen Gestalt desselben haben verbitten müssen, sondern als Substrat für eine eigene Arbeit bestimmt. Ihm genügte es, dem Freunde, dem er so ott von dem Gegenstande geredet, die sämmtlichen Irrgänge jener Ange- legenheit in einem formlosen, . aber nach seiner Ansicht die augenblicklichen Eindrücke wiederspiegelnden Entwürfe xu un^ terbreiten^ in den sich Goethe leicht hineinleben sollte. Das Unfertige des Entwurfes sowie den diskreten Zweck desselben, bezeichnet daher Lenz selbst am Schlüsse der Einleitung mit den Worten: «Dies war nur Skelett, das dein eigenes Genie und Blick ins menschliche Herz mit Fleisch bekleiden wirti.»

Aber wenn Gcelhe den dnrijehotenen Slofl' verschtnälite, da ihm der Held desselben, der enm fingierte Liebe dem Glück eines Freundes zum Opfer bringt, lächerlich erscheinen musste, so hat er selbst nach dem Tode des Verfassers nicht wohl daran gethan. Jenes ihm zu diskretem Gebrauch äberlassene Schriftstück aus den Händen zu geben. Denn wenn er auch gegen seine eigene Vergangenheit sich oft unempGndlich zeigte» so konnte er doch nicht wissen, ob Lenz und die übrigen im Tagebuch auftretenden Personen dieselbe Gesinnung geteilt haben würden. Lenz hatte Garthe diese Papiere anvertraut. Demnach musste letztei »m- das Tagebuch entweder Lenz zurück- gehen oder a))er unter Verschhiss halten, nicht aber ZU even- tueller Veroftenthchung an Schiller ül>ersenden.

Es war freilich die Zeit, in welcher Schiiier Mutn^ und Not hatte, den StotT für die «Hören» zusammenzubringen. Da-

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iiials, den 17. Januar 1797 ^ schrieb er aus Jena an Goethe in Weimar.

«Füllt Ihnen etwas von der Lenzischen Hinterlassenschaft in die Hünilc, ^^o ( liuneru Sie sich meiner. Wir müssen aUeä^ was wir finden, für die Hören zusammonraffeu.»

GoBtbe antwortete den 1. Februar :*

cSie erhalten auch endlieh wieder eiamal einen Beitrag von

mir Auch einige Lenziana liegen bei. Ob und wie etwas davon, zu brauchen ist, werden ^^ie beuitheilen. Auf alle Fälle lassen Sie (lu'se wunderlichen Hefte hegen, bis wir uns nochmals darüber be- sprochen haben. >

Darauf erwiderte Schiller am 2 Februai' : '

«Hit der gestrigen Sendung lutben Sie mieh recht erquickt,

denn ich bin noch nie so in Not gewesen, die «Horen» flott an erhalten, als jetzt. Die Lenziana, soweit ich bis jetzt hineingesehen, enthalteu aehr tolles Zeug, aber die Wiederei-scheintuiii; dieser Eni- ptindungsweise zu jetzigen Zeiten wird sicherUch nicht ohne Interesse sein, beaondera da der Tod und das unglückliche Leben des Yer- fassers allen Neid ausgeldseht hat, und diese IVagineftte immer einen biographischen und pathologischen Werth haben müssen.»

Wie weiterhin aus dem Briefwechsel* ei*8ichtUchy verwirk- lichte Gcethe den angekündigten Besuch bei Schiller am 12. Februar 1797. ^ haben sich damals unzweifelhaft schlüssig gemacht, welche Lenziana veröffentlicht werden, welche un- veröffentlicht bleiben sollten. cOen Waldbruder» brachten die Horen il'M, xdie Liebe auf (h'in Lande» der Musenahnunach 1798, das Tajjebuch jedoch blieb li^en, wie Urlichs Seite 255 meint : weil die Horen damal:«; eingingen. Ich darf wohl die.se Ansicht nach jener slattgelundenen Besprechung für willkürlich erklären. Besser boj^TÜndet ist dio Annahme: weil finfhe und Schiller das Taj;e])U( Ii mu h Form und Inhalt als zur Veröffent- lichung ungeeignet eraditeten.

In der That i:5t das Tagebuch, .selbst wenn wir von seiner unreifen Form absehen, auch inhaltlich ein seltsames Mach- werk. Der Dichter ist wohl der Letzte, der ein Tagebuch mit geschichtlicher Treue zu führen vermag. Und nun gar ein Lenz,

1 Briefwechsel swiseben Schüler and Goelhe, 4. Aufl. Stuttgart l88t

Bd. I, nr. 267.

« Ebeodas. nr. 273. » ur. 274. nr. 279,

in dessen ühon^'-eistipror und überreiztei- Einbildung-skraft sich angenblicklidie fc]iiuliücke leicht, zur Karrikatui verzerrten, da ibnen ruhige Ueberlegung zur Verarbeitung tnaiigelten. Sein neuester Herausgeber A. Sauer urteilt ganz treffend i : «Wenn Lenz Gefühle darstellt, die er selbst bereite überwunden, oder wenn er eines seiner flüchtig hingeworfenen Gedichte überarbeitet: dann gelingt ihm Vollendetes.» Dieses Urteil lässt das in augenblicklicher Erregung hingeworfene Tagebuch als ein Werk von sehr zweifelhaftem Werte erscheinen.

Ich lege hier kein Gewicht auf jene eingestreuten Excurse, die Urlichs 2 tadeln zu müssen glaubt, die mir aber den Beweis verstärken, dass jene Blätter niemals zur Verönentiiohung be^ stimmt waren, ich spreche nur von der Charakteristik der Per- sonen und dem Gan|j der Erlebnisse.

Sich selbst h:it Lenz \vie im Waldbruder mit veniicbien- der Offehheit als einen t^uünüti*,^en Narren hin^-^oslelit. Lenz kannte sich zu }jrut, um hioi nicht nach dem Leben zu kopieren. Auch hier tritt wie in jenen Gedichten das Widerspiel egoisti- scher und selbstloser Tendenzen zu Tage. cGott, der du meine Absichten siehest und dass ich sie nur glücklich will und dass für ihr Glück zu sterben mir der angenehmste Augenblick mei- nes Lebens sein würde, du musst mir zu Hülfe kommen» « Die Lauterkeit dieses Stossgebetes wird durch die vorangegan- genen Liebessceneti mit Araminta einigermassen getrübt, welche der dem abwesenden Freunde geschuldeten Treue nicht gerade entsprechen.

Und doch muss man sagen, dass Lenz, von dem selbst ein unparteiischer Zeu{?e wie Klinger behauptet,'* «er sei in ewiger Dämmerung» manche Errungenschaft seiner Liebe in sein Tagebuch verzeichnete da , wo er offenbar von (Ueophes übersprudelnden Neckereien gi ündli( Ii zum besten gehalten wor- den ist. Ein Beispiel » genüge tür viele.

Cleophe hatte ihn auf der Fahrt zur Weinlese zur Strafe für ^nen unpassenden Scherz in einem Knittelverse vor den Eltern und dem zukünftigen Schwager ceinen Narren» genannt, ihm den Tressenhut des Schwagers aufgesetzt und strengstens

1 Suirmer und Dmnger II, S. VI,

2 S 259.

» Tagebuch S. 283.

* II. Rieger, Klioger S. 149.

»Tagebuchs. 2*8.

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anbefohlen^ ihr nie wieder, ohne Ter k cheval friesiert zu Bein, unter die Augen zu treten. Schliesslich that es ihrem guten

Herzen dcuh leid, mit dem Armen so verfahren zu sein. Aiier neckisch wie immer, tritt sie in den U«'l)en nahe an ihn heran und singt plötzlich mit der süssesten Naivetät ^anz leise, ihn « g^öttlich anlächohid, eine Arie aus dem Iftzlen Konzert : Harre auf Gott Tiott iiuMi) Gi)tt wie flu Hirsrh schreyel nach frischem Wassel, s() schreyet meine S«»-!.' Gott zu dir. Was betnihst du dicii meine Seele und i>ist su unruhig in mir? Harre auf Golt.»

Und Freund Lenz? Anstatt diese Anliimmeiiing als das anzu- sehen» als was sie uns noch nach 100 Jahren erscheint, nämlich als einen Erguss toller Mädchenlaune, nimmt dieselbe für ein unzweideutiges Zeichen aufrichtigster Zuneigung, das ihm noch hei späterer Erinnerung an das Erlebnis die Rührung abnötigt : <0 Goethe, hier lass mich die Feder weglegen und weinen!»

Ein Autor, der so, wie hier Lenz, die iimoi-ste Gesinnung der Menschen verltannte, kann auch in der Charakteristik der- selben, vor allem in der Erzählung angeblicher Lieheserfol^'*' nur geringen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. Tn der That widerspricht der CharakttM- der Heldin in Lenzens Tage- buch so sehr der geschichtlichen Ueberlieferun;,^ , wie dieselbe in der Familie noch heute erhalten isl, doss wir die Lenz'sche Darstellung mit Erich Schumit, weh her von einer «romanhaften Beichte» redet, für dichterisch geiarbt eikläi-en müssen.

Zunächst bemerken wir, dass der gesellsdiaftfiche Verkehr in jener Zeit ein viel freierer war als heutzutage, wodurch man- ches Vorurteil von selbst verschwindet. Ihrer Reize bewusst war Cleophe ohne Zweifel, was bei ihrer grossen Schönheit und den glücklichen Verhältnissen, in denen sie erzogen, nicht zu verwundem ist. cje me porte bien», pflegte sie noch in spä- teren Jahren mit graziöser Verbeugung zu antworten, wenn Jemand sie nach ihrem Alter fragte. Ihre Schwester Katharina, welc he das Herz des «pfuten«* Ott verschmähte, wird von Lenz in der «Katharina von Siena» als die von Genüssen ersättigte Tochter des Glücks hingestellt.

Das Selbstgefühl der beiden Schwestern wurde durch den Reichtum und das Ansehen der Familie genährt. Juwelier Fi-

1 A. Stoeber. l>er Dichter Lenz S. 54. 56; Der Aktuar Salzmana S. 91. Urlichs Tagebuch S. 290.

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bich lieferte Pretiosen an die deutschen Prinien und Adligen des Ob^Mieins. Er war Mitglied des Rates ; seinen Namen finde ich fast in jedem Bande der Kontraktstube jener Zeit bei Obli- gattonen und Käufen von grossem Werte. Kein Wunder, wenn Katharina an Huldigungen ersättigt ivurde, wenn sich Cleophe auf einen adii<^en Bräutigam Hoflnung gemacht hatte. Ein an- deres Urteil darf aber nach den übereinstimmenden Angaben ihrer Familie, welche mir ganz unbefangen, ohne Ahnung von der Existenz des Tagebuches um] den Beziehungen ilirer Gi oss- tantc zu dem Dichter I^enz, ihre Mittoilunj^on machte, gewiss nirht über sie gefällt werden. Im Gegenteil wird ihr Andenken von ihi<Mi Verwandten als flasjenige einer Dame von vortrefl- liclistcr Gesinnung sehr hoch lialten.

Auch Lenz nennt öie in ilem Gedicht «An Seraphine» selbst da, wo er sich beleidigt glaubt, «die Gerechtigkeit und Güte selbst». Dass sie Herz und Verstand auf dem rechten Fleck besass, beweist der Slammbucheintrag. Cleophe verbittet sich die Bewerbung des Dichters, erinnert ihn daran, dass er dem abwesenden Freunde die Treue schlecht lohne, und erklärt mit Jungfraulichem Stehe, dass sie ihrem Freunde die Treue unerseliüttGrlich bewahren werde. Gern erfüllt sio des Dichters Wunsch, das neue Stammbuch durch ihre Handschrift einzu- weihen. Da sie aber Freund f.enz kennt, vermeidet sie es, sieh mit ihrem Namen zu uiitei zcii hnen ; denn wer stand ihr dafür, wohin einst das Album bei dem unsteten Wandel des Dichters; gelangen würde.

Dieses lienehiiien zeigt den sichern iaki eines Miidcliens, welclies trotz aller Ausgelas.senheit doch Besonnenheit genug behält, die Folgen ihrer Handlungsweise im voraus zu be- rechnen. Dass Cleophe richtig vorausgesehen, hat die Zukunft bewiesen. Das Stammbuch Lenzens mit 21 ausgerissenen Blättern und nur 4 Eintragungen ist ein Sinnbild des zerrissenen Dich- terlebens. Die Braut des Barons v. Kleist hatte daher sehr wohlgethan, ihren Namenszug nicht dem bUnden Ungefähr anzuvertrauen.

Cleophes Charakter gewinnt in unsern Augen noch mehr, wenn wir ihre späteren Lel)ensschicksalp erfahren. Sie Jiält dem Verlohten die Treue, selbst als dieser sie gebrochen hat. In der J Revolutionszeit erlul^^e der Zusammenbruch des Fibich'schen Geschürtes, ilei noch heute in der Faniiiie unvergessen ist. Juwelen, so heisst es, waren deutschen Prinzen geborgt und

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nicht bezahlt worden; wie viele Kapitalion mögen damals beim Ausbruch des Revolutionskrie^^es für Slrassbur-x verloren jje- }(angen sein I Nach dem Sturz des Geschäftes zo^ der alte i ibich mit (".leophe in das Häuschen an den Gedeckten Brücken, wo er am 28. Sept. 17V)5 in der Ptlege der Tochter starl). Gleophe Ijesorgte ihr kleines Anwesen, Haus und Gärtchen, ohne Magd. Kam fremder Besuch des Morgens zu ihr, so pfle;>te sie zu sa«;en : die Dame sei nicht zu Hause, man möchte uaciimittags wie<ifr kommen.

Knie iiileressante Geschichte ihrer Erl*'l»nisse während der Schm-kenszeit ist uns leider nur in <len Hauptzügen erhalten. Ihr Bruder, Maler Johann Philipp, hatte sich zwar mit voller Begeisterung der Bevolufion in die Arme geworfen, aher infolge des Einflusses, den Cleopiie uul Eulogius Schneider zu gewinnen wusste, manches Opfer, besonders Geistliclie, dem Verhängnis entrissen. Von diesen ist besonders Pfarrer Küss an Alt St. Peter zu nennen, der stets erklärte, dem Bruder der Gleophe sein Leben zu verdanken.

Cleophes Bruder wurde später selbst auf Befehl der Kon- vent skommissare v>M haftet und mit tausend andern Opfern nur durch den Sturz Kobespierres vorn Schafott errettet. Am iO. Dez. 1804 starb er in verhältnismassin- frühem Alter, mil Hinlerlassun}? eines einjähri|ien Töclitei leins, das er der be- sonderen FMlr^^e seiner heissgeliebten Schwester empfahl. In einem |j< lH i(iniii Schuldache fand sich nebst anderen kleinen Heliqiiien, z. B. Haai'en der r.leo[)he, eni ilerept, auf dessen lliickseite der Sterbende mit Bleistift die erschütternden Worte },^ekritzelt hatte: « Lielws Glovel ich hätte es nicht nöthig gehabt Dir dessen ^iiti - iterz ich kenne zu l)itten mein armes tröpftein nicht zu verlassen dass bitt «lieh dein sterbender bruder Fihich. »

Cleopiie hat den Wunsch des Sterbenden getreulich erfüllt. V II lu wunle die Nichte er*zogen, welche im Jahre 1873 ge- j<tni ben ist. Wäre sie noch am Leben, so hätten wir aus ihrem Munde die ergiebigsten Mitteilungen über die Vergangeiilieit zu erwarten, deren Kunde ich nur noch in spärlichen Besten zu sammeln vermochte.

In den Armen dieser Pflegetochter starb (ileophe am Weih- nachtsabend 1820. Schon am 20. Dez. hatte sie ein Brustüeboi- befallen, als sie, vom Schneid durchnässt, nach Hause kam. « Meine Mutter war klem und s( hwacli, erzählte mir die Gross- lachte Cleophes, uiuA die Tante sehr gross und stark. In der

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Hitze <les Fiebers wollte nie immer fort ; es waren für meine Mutter schreckliche Tuge und doch ihr Tod das Ende ihres Glücks. »

Soweit die geschichtlich heglauhi^ten Nachrichten von dem späteren Jjeben Cleophes, welche alle von der Vortrefflicbkeit ihres Charakters Zeugnis ablegen. Was wollen auch die wirren Mitteilungen des Tagebuchs gegenüber dem eigenen Bekennt- nisse des Dichters bedeuten. Es war im Winter 1775, als Lenz bei Frl. König geistreiche Briefe der Fräulein Henriette Waldner von Freundstein erhaschte, die in ihn) eine neue Schwärmerei entzündeten. Damals den 28. Okt. 1775 schrieb er die Verse :

Die Todcswonde tief in meiner Brust, üm euch nicht su betrflben, Ihr Frennd«, die mich lieben. Steh* ich und lache Last.

Stille Freuden meiner Jugend Ach, wo seid ihr hin? Seit ich nicht mehr in die Tugend, Nein, in mehr verzaubert bin!

!)iese bereits ol)cn citierten Verse schliessen die Araminta- Liebe des Dichters versöhnend ah.

Als uuparleiischen Zeugen für ('leophts heü heben Chnmk- ter können und müssen wir schliesslicli Gcßthe selltst herbei- rufen. Schon üben stellten wir die wohlgegründete Behauptung auf, dass GcBthe die Jugendfreundin seiner Friederike persön- lich gekannt habe. Dass er sein Urteil über Gleophe nicht auf das Tagebuch, sondern auf eigene Anschauung gegründet habe, beweist vor allem seine Beteuerung : Lenx und die übrigen Be- werber hätten ihr nur zu Scherz und Unterhaltung gedient. Diesen SchluBS kann Goethe nicht aus dem Tagebuch gewonnen haben, in welchem Cleophes Benehmen gegenüber ihrem zu- künftigen S< hwiiger von dem eifersüchtigen Lenz in zweideu- tigem reichte dargestellt wird, sondern nur aus eigener Wahr- nehmung hei Gelcrfenheit seiner Slrasshiirp-er Besuche im Sommer 1775, bei welchen er, von Lenz in das Kihicti'sche Haus ein- ;4«'liihrf, sich von der Lage der Dinge unparteiisch überzeugen und das «kostbare Herzte» der neckischen Gleophe schätzen lernen konnte.

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3. Die SoldHten, eine Komödie 1776.

Die Zukunft Gleophe Fibicbs beschäftigte den Dichter noch die ganie ühr'v^e Zeit seines Strassburger Aufenthaltes^ wenn sich auch seine Herzensneigun^^ Fräulein Henriette Waldner von Freundstein zuwandte.

Als Frucht jener Sor^e mfissen seine «Soldaten» angesehen werden, die Lenz im Sommer 1775 vollendet zum Druck an Herder sandte. In ihnen wandte sich Lenz, wie denn die Dramen der Sturm- und Dran^^periode mehr politische Pamphlete als dramatische Muster sein sollen, erbittert über das Benehmen des Herrn v, Kleist, gegen den ganzen privilegierten Stand der Soldaten, als den geborenen Feind bßrgerlicher Tugend und Wohliahrt. Aus diesem Grunde wäre es folsch, wollte man in dem Gang des Lenz'schen Dramas den Verlauf der Kleist- Fibich'scben Angelegenheit erblicken. Lenz gesteht selbst in seinen Briefen an Herder, i dass er nur einige Details der Wirklichkeit entlehnt, das Uebrige, mit andern Worten, den tragischen Ausgang, «zusammengelog^h» habe. Aber selbst wegen der Benutzung jener ivenigen Details hatte Lenz gegrün- dete Angst, er möchte durch vbreilige Verdffentlichung des Stückes das Lebensglück Cleopbes, das damals noch gesichert schien, mutwillig zerstören.

Wenn man etwas zur Entschuldigung des Dichters anführen will, so ist es der Umstand, dass derselbe mit einer unverant- wortlichen Anspielung an familiäre und lokale Strassburger Elreignisse nicht allein stand.

Wie die Lyrik jener Penode echte Gelegenheitslyrik war, so ging auch das Drama, wie wir sahen, in einer bis jetzt kaum geahnten Weise von thatsächlichen Erlebnissen aus. Die Lehre Gcethes: «Greift nur hinein ins volle Menschenleben und wo ihr's packt, da ist es interessant, » wurde schon damals nur zu wörtlich befolgt.

Ich bin hier genötigi, ein anderes Strassburger Drama des Jahres 1776, Wagners «Kindsmörderin», zum Vergleich heranzu- ziehen, welches bekanntlich an Lenzens Soldaten anklingt* und Bich noch weniger als jenes scheut, eine ehrenhafte Strassburger Bürgersfamilie auf der Bühne bloszustellen.

1 Aas Herders Nachlass I, S. 289.

s Vgl. Blick Schmidt, Hcinr. Leop. Wagner. 1819 S. 87 ff.

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Da die Einzelheiten dieses Dramas noch von keinem Histo- riker urkundlich festgestellt sind, habe ich mich dieser Mühe unterzogen und füge die Ergebnisse meiner Forschungen hier vergleichsweise bei :

Die Kindsniörderin spielt in der Nikolaus-Pfarrei. «Bist du nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgussel, » fragt Metzgenneister Humbi*echt einen der Fausthammer (Akt V) und bezeichnet damit jenes Gässchen am Nikolausstaden Nr. 5, welches noch heute den von dem anstossenden adlin^en Huf der Familie Bock voti Bläsheim herrührenden Namen trägt. ^

«Ich frage dich, ob du dei' tirtmliche bist, der vergangenes Frühjahr ein armes Kind von fünf Jahren vor Bäcker Michels Thür unter der grossen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat?» fabil der erzürnte Meister lort. Nach dem Kontraktbuch des Strassburger Stadtarchivs a. 1771 fol. 76b «verkaufte Jakob Michel, der Burger und Weissbeck, an Georg Ludwig Schlag den Jungern, Vöchhündler und Burger, seine 2u Strassbui^ unter der Grossen Gewerbslaub bestehende Behaussung. )>

Gröningseck ist «Baieroffizier» von dem damals in Strass- barg ganiisonierenden Fremd regimente Royal Baviere.^ Sehn- süchtig wird er am Abend von Evchen erwartet (Akt IV), «die Thore sind längst zui» ijemerkt sie trauri«^. <( Wer weiss, tröstet die Mutter, kommt er nicht zum Judenthor herein? Es hat ja noch nicht eil f geschlagen I » Nach dem Tagebuch des Erbprinzen Karl August zu Sachsen-Meiningen wurden die Thore Strassburgs im Sommer um 10 Uhr geschlossen, nur das nach dem Contades, einer öfTentlicben Promenade, gelegene Judenthor blieb der Spasier^nger wegen bis 11 Uhr offen.

Major Lindsthal erzählt (Akt JH) eine aus dem Leben ge- grilTene Episode, welche sich auf dem noch heute bekannten (>afe Spiegel ereignet hatte : Ein ehrlicher Schwyzer Lieutenant Wallroth von Salis hat einen andern Offizier vom Regiment Lyonnais über falschem Spiel ertappt. Schon wollen die Strei- tenden die Degen ziehen, als sie €vom Osterried und seinen

1 B. Müller, Le Magistrat de la vill« Strasbourg p. 12t : « Der adeliche

Bockiscbe Hof, quai St-Nicolas, 3 [heuti^^e 6], vendu en IßSo a Dagobert Wurmser de Vendenheim. » Heute gehört der stattliche Hot" der Spitalverwal- tung. Das anstossende Bocksg&sscheu, «Huedu Bcuc* {sie} ist heule vergittert.

S Vgl. die Stelle in Lenzens Briefen Salzmsnn vom S8. Okt. 1776: «Ist eine genriaee BxceUeoz von Vlttin^rhof durch Strassburg gegangen? Er ist ein Vetter ▼<ai Qaneral bei Baviere (e. A. Stoeber, Der Dichter iiens S. 84).

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M;n kors» daran jrehiinlert wriih-n. Hier macht der Heraus{:ebcr A. Sauer S. 31G die j^elelirte Anmerkung «Osterried, gebildet nach ital. ostiere >\lrthy osteria Wirthshaius.» Dagegen bemerke ich: Osterried Ist ein in vielen Pfiirreien des vorigen iabr- hianderts vorkommender Strassburger Familientosme. Diesen Osterried finde ich in dem Kopulationsregister von St. Nikokms 17<» Bd. 55 fol. 77:

€Ein Tanvend Biebeohondert, seht und Sechsig Mittwoch den

ersten Brachmonath sind nach ordentlich geschehenen Aasmfiingen in der Kirch zu St. Nicolai ehelich eingesegnet worden H. Johann Osterried. dor lofligr«' rnffosieder nnd Burpcr Hllhicr, woyl. H. Johann Daniel ObituiuMi fjewfsten CafftM'siedcrs und Burijt'rs allhier, mit dessen hiuterlasscuer Wittib Frau Elisabeilia, geborner Gaccon, nun- mehro H. Philipp Jasob DOrr, des Calfesieders nnd Borgors allhiei, Ehefiravi ehelich ersengter Sohn nnd Jongfer Catbarina Friederica, H. Johann Jacob Vogt, des Lang llesieischniidts und Bnrgers allhier, mit di ssf^T! Fln franen Cathavina Margaretha gabomer Hattin ehelich erzeugte Tochter »

Norli beute kennt jedes Stra8sl)iir;.'vr Kind jene an der III ;rele«"enen Türme, die unter tictn Namen der anstoss^eiiden F*ont.s (Joiiverts damals als Milit irjjelängnis dienten und auch jenen falschen Spieler aufnilnmu.

Der Wasser/<»11 uiul <lie MelZj^^erau, das (Wiliielmer) Kl»»- 8ter und die Klauskirciie, das Hotel zum Haben, die Metzig und das Raspelhaus, die Waadibritschen auf der III und die Lange Strasse sind bekannte Strassbuif^r Oerllicbkeiten.

Was wird man aber dazu sagen, wenn ich auch Mebtger- meister Humbrecht unter der französischen Endung Humbert und verändertem Vornamen aus eben jenen Registern der Ni- kdauspfarrei beschwöre !

Kopnlatiottsbneh von Si Nicohius 1746 Bd. 54 fol. 76 b : Mit1> woch 2 Martii arnrdou in den Stand dw h. Ehe nach sweimahl vor-

herbeschehener Prochimation eingesegnet :

Valentin Humbert der ledige Metzger und JJurger allhier Johann Qeorg Hombert des Hufschmids und Burgers zu Hatten hochfürstl. Heaaett-Haaaniacher Herschaft efaet Sohn, nnd

Jgfr. Maria Elisabetha weyl. fl. Johann Friedrich Pfeifinger gewessten Metsgers nnd Bnrgers allhier, hinterlaseene ehel. Tochter.

Meister Humbert starb am 1. Prairial XI (21. mai 1803) i im Alter von 83 Jahren 7 Monaten. Da er mithin i7i9 geboren

I Sterberegiater Bd. 282 fol. 172.

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sty triin es genau mit der EntstehuDgszeit des Dramas, anfan^^'^s der siebenzijj^er Jahre, zusammen, wenn er in demselben (Akt II) sich rühmt. «Ich hin 5() Jahr mit Ehren alt geworden,' hab' keinen Ball gesehen und leh' doch noch.»

Nach diesen Uebereinstimmungen ist keinen Augenblick daran zu zweifeln, dass Wagner den lebenden Metzgermeister in seinem Drama copiert hat. Wie halte auch sonst der in rler Charakteristik der übrigen Hauptpersonen durchaus nirlit tadel« freie Autor eine so lebenswahre, köstliche Figur schaffen können, welche noch dadui'ch unser besonderes Interesse erweckt, da sie manche Züge zum Musikus Miller in Schiller's Kabale und Liebe gelictVrt hat. *

Da somit alle übrigen I>etails des Wagnerischen Stfu kt's in Strassburg nachweisbar sind und Metzgermeister Huinbrecht wirklich gelebt hatte, so koniifo ich nicht anders nken, als dass Evchen Humbrecht wirkUch das Prototyp zu Grelchen im Faust, wirklich jene von Wagner dramatisierte Kindsmörderin gewesen sei. Wie hätte es sonst Wagner wagen können, eine unbescholtene Strassburger Bürgersfamilie ins Goiede der Leute zu bringen. Allein wie erstaunte ich, als ich der Reihe nach die Geburts-und Ster]»eakten der Kinder des Metzgers Valentin Hum- brecht nufFanil, ohiic meine Vermutung bewahrheitet zu sehen.

Aussei einem gleichnamigen Sohne, der den 7. Jan. 1752 geboren ward 2 und 1785 heiratete, » hatte Metzger Uumhrecht zwei Törlitei', von denen die jüngere, Maria Magdalena, geb. 27. Juli t7i8 i l)ereits am ti. März 1751 starb, ^ die ältere Susanna Durothea, geb. d. Ii. Nov. 17i()o als Wittwe des Eigentümers Georg Friedrii Ii Gerold d. 8. iSept. 1818 7 d,Ms Zeitliche segnete. Da andere Kinder des Metzgers Humbrecht in sämudlichen Pfarreihüchern Strassburgs niciit vorkommen übrigens ist auch die Mutter erst am 15. Okt. 1785 ^* gestorben so ist das Verbrechen in jene Familie hiiicitigedic htet.

Wagner hat sich also nidit gescheut, eine wackere Slra.ss- burgerBürgersfamilie aut der Bühne zu pix>slituieren. Auch scheint

i Vgl. Erich Schmidt, H. Leop. Wagner 1879 S. 86. S Geburtsregister von St. Nicolaus Bd. 1t4 fol. 404b. ^ Kupulatiousregister von St. Nicolaus Bd. 56 fol. 11 8b.

(ieburtsregisler von Sl. Nicolaus Bd. 114 fol. 243. 5 Sterberegister von St. Nicolaus B-i. 97 fol. 22b. <t Geburtsregister tod St. Nicolaus Bd. 114 fol. 160. "7 Sterberegister a. I8I8 fol 33 la » Sterberegister von St. Nicolaus Bd. 101 fol. 113b.

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ihm nach dem Wortlaut des Protokolls der Deutschen Gesell- schaft vom 18. Juli 1776 «Hi*. Wagner las mit vielem Beifall ein Trauerspiel in 5 Au&ü^cn, die Kindesmörderin,» niemand seiner Freunde Vorhaltungen deshalb gemacht zu haben.

Wie Wagner mit der Familie Humbrecht, so verfuhr Lenz gleich r&cksichtslos in den «Soldaten» mit der Familie Fibich. Was anders berechtigte Lenz eine solche Katastrophe der Marie Wesener (Gleophe Fibich), zu ersinnen als seine dich- terische Phantasie. Dass Baron v. Kleist sein Eheversprechen nicht erfüllte, war schlimm genug, aber kein Vorwurf für die Familie Fibich.

Lenz und Wagner sahen fibii^ens selbst ein, dass sie mit der Anspielung an personliche Verhältnisse das erlaubte Mass überschritten hatten und verliessen deshalb Strassburg^ so bald als möglich. Am 1. April 1776, noch bevor die cSoldaten» ge- druckt waren, traf Lenz in Weimar ein und vermied es auch später, Strassburg zu berühren ; Wagner, der am 28, Aug. 1776 in Strassburg promovierte, legte beieits am 21. Sept. zu Frank- furt den Advokateneid ab und verheiratete sich ebendaselbst am 7. Okt. 1776.1 So haben sich beide Dichter den ihnen in Strassburg drohenden Unannehmlichkeiten rechtzeitig entzogen.

Aber wenn schon Lenz in seinen Briefen an Herder Ge- wissensbisse darüber bezeigte, die Rücksicht auf die ihm so befreundete Familie Fibich verletzt zu haben, so ist es doch noch viel schlimmer, dass der sonst so bedächtige Aktuarius Salzmann, der ebenfalls mit Fibichs bekannt war, * in seinem Eifer für pädagogische Reform in der so gelesenen Wochenschrift f der BQrgerfreund» unter der bezeichnenden Ueberschrift «Frag- - mente zur Strassburger Kinderzucht» den Strassburger Spiess- bürgern einen zusammenhängenden Auszug aus den eben er- schienenen «Soldaten» auftischte > und den Abdruck so zerlegte, däss jene gewiss stadtbekannte «Promesse de mariage» S. 576 jedem Leser unmittelbar vors Auge gerückt wurde.

Die Ueberlieferung sagt uns nicht, ob Salzmann wegen dieser Veröffentlichung Unannehmlichkeiten hatte. Verdient hätte er sie ebenso gut wie Lenz, und wenn es nicht geschah, so hatte er diese Unleriassung seinem Alter und seinem Ansehen zu danken.

) Brich Schmidt, Ueinr. Leop. Wagoer iSld S, 20 if.

s s. Tagebach S. 816.

3 irm, S. S69-516, 585-598.

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86 ^

Wir l)o^iiu-en uns durch unseiv Foj-schunfren fesl^estellt zu haben, «Imss we loi- in der Familie Huiiibre<:hl noch in der Familie Fibich iii^eiid eine Thatsache \oiy;ekommen sein kann, die jene Katastrophe der Eva Humbrecht oder der Cleophe Fibtch (Marie Wesener) begrQnden könnte. Ohne Zweifel lieget hier, wie sclion Erich Schmidt vermutet hat, ^ ein zweites, bisher nicht festgestelltes Ereig^nis zu Grunde, das damals in Strassbui^ allgemeine Teilnahme erregte und Goethes Gretchen- tragodie, Wagners KindsmSrderin, Lenzens Soldaten und Zer- bin Ijeeinflusste. Dies zu entdecken, ist nicht unmöglich, aber da die Strassburger Tribunalakten jener Zeit im Bombardement von 1870 zu Grunde gegangen sind, eine sehr umslündliche Untersuchung, welche den Rahmen dieser Arbeit weit über- schreiten wurde.

Der nächste Zweck dieser ges« liichtlichen Forschung bestand darin, eine der Lenz'schen Musen, Cleophe Fibicli, welche der Dichter unter dem Namen Araminla verlierrlichte, der Vergessenheit zu entrcisseii. Wenige Jaiu'e vielleicht, und selbst ein schärferes und glücklicheres Auge wörde vergeblich nach ihr gespäht haben, die nun für alle Zeiten in der latera- turgeschichte des deutschen Volkes leibt und lebt.

Wie aber jede selbständige Einzelforschung auch allgemeinen Wert erhält, «0 war mit dieser Wiedererweckung auch eine Unter- suchung und Kritik des Gketlie'schen Urteils über Lenz verbunden.

Gcethes Urtlieil lautet:«

cLenz hatte einen entschiedenen Hang zur Intrigne, und swar

zur Intrigne an sich, ohne dass er eigentliche Zwecke, verständige, selbstische, erreichbare Z\s^eckc dabei gehabt hätte: vielmehr pflegte er sicli immer etwas Fratzenhaftes vorzusetzen, und eben deswegen diente es ihm beständig zar Unterhaltung. Auf diese Weise war er zeitlebens ein Sehelm in der Einbildung, seine Liebe wie sein Hass wairen imaginär, mit seinen Vorstellongen und Gefühlen verfolir er willkührlich, damit er immerfort etwas zu thun haben möchte. Doirch die verkehrtesten Mittel suchte er seinen Neij^ungen und Abneigungen Realität zu geben und vernichtete sein Werk immer selbst; und so bat er niemandem, den er liebte, jemals genützt, Niemandem, den er hasste, jemals geschadet, und im Ganzen schien er nur zu sün- digen, um sich zu strafen, nur zu intrigniren, um eine nene Fabel auf eine alte pfropfen zu können.»

1 Lenz und Klinker S. 41 .

S Dichtung und Wehrheit Iii, 1 S. 144.

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87

Lavater urteilt etwas anders über Lenz. Am 7 Okt. 1775, nach- dem ktirz zuvor Gcp\ lie bei ihm eingesprochen und möglicherweise sein Urteil heeinllusst hatte, schreibt er an Hoederer über ihn.*

« Ich kannte seineu Geist der Intrigoe and seine Zerstörungskrsü aichi leb sagte immer nur von ihm : «£i Tenqpritst fast vor Qenie.»

Lavater ist also von Hause aus gesonnen, Lernens Neigung mr Intrigue nicht als dnen Ausfluss bösen Willens, sondern als ein Spiel seines Qberreichen ond Qberreiiten Geistes anioselien.

Wir schliessen uns diesem Urteil Lavaters, der Lens aus persdnlicbem Umganir mindestens ebenso gut wie Goethe kannte, gerne an. Gcethes Urteil dagegen wird Lens nicht ganz gerecht, denn einmal rechnet er ihn nicht zu den «redlichen» Seelen, andererseits spricht er seiner Neigung aur Intrigue, die er selbst zweck-* und selbstlos nennt, jeden bösartigen Gha- rakter ab.

Aus diesen Gründen werden die von Goethe angestellten «Prämissen»* von einem künftigen Biographen des Dichters Leos nur mit Vorsicht zu benutzen sein. Ueberdies hat Gcethe in seiner Charakteristik viel zu sehr auf das Persönliche, anstatt auf die fiedeutung Lernens im Drama und besonders in der Lyrik Gewicht gelegt. Lenzens Verdienste gerecht zu würdigen, wird allerdings nur nach einer Herausgabe des gesammten handschriftlichen Materials möglich sein. Allein auch ohne dieses dürfen wir heute schon die allgemeine Behauptung aus- sprechen :

Wer wie Goethe den Grundcharakter jener für Deutschlands geistige Entwickelung so bedeutenden Sturm* und Drangperiode nebensächlich dahin charakterisiert :

«Man kennt jene Selbetqnfilerei, welche, da man von aussen and voa anderen keine Hot hatte, an der Tagesordaang war mid getade die vonftglichsten Geister beannthigte,»

der beweist, dass er, aut ti* r flulie kfinstlerischer Vollen- dung angelangt, das richtige Verständnis einer entschwundenen Zeit gewalfijrer geistiger und socialer Gährung, obwohl er einst von ihr selbst ergriÜ'eti war, längst überwunden hatte.

1 A. Stoeber, J, G. Roederer u. seine Freunde S. 86.

Dichtung und Wahrheit III, 14 S. 146: «Vielleicht wird es dereinst mfiglich, nach diesen Prämissen seinen Lebensgang bis SU der Zeit« da er sich in Wahnsinn verlor, anf irgend eine WelM aaichtaüch SU machen.*

« Ebenda». Iii, 14 S, 143.

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ANHANG.

Das echte Goethe-Haus am Alten Fischmarkt Nr. 36

in Strassburg.^

französischer Zeit besass Strassburg kein Denkmal der Erinnerung an den Altmeister deutscher Dichtkunst. Erst mit Wiedergewinnung des Reichslandes bildete sich ein Görnitz zur Errichtung einer Gedenktafel. Am 6. Aug. 1871 war der hun^ dertjährige Gedenktag der Promotion Gcethes in Strassburg. Am 9. August wurde deshalb eine Goethe-Feier veranstaltet^ bei welcher der ehrwürdige Archivar Ludwig Spach die be- geisterte Festrede hielt. Anknüpfend an die Gründung einer neuen Universitätsbibliothek, sagte der Redner: c Indem wir die Inauguration der neuen Schöpfung mit Gcethes Andenken verbinden und an der Wohnung, die er auf dem Fischmarkt iniie hatte, eine Gedenktafel stiften, errichten wir ihm ein Monument, dessen er in der Fülle seiner Glorie, im hohen Chore der Ruhmesbasilika, wohl entbehren kann, das aber als Abschlagszahlung unserer Schuldverschreibung gelten mag.»

Am 13. Aug. darauf lesen wir in der Strassburger Zeitung : Aus Anlass der Gcethe-Feier am 9. August ist an dem Hause Nr. 16 an dem Alten Fischmarkt zur Erinnerung an einen bedeutungsvollen Lebensabschnitt des, grossen deutschen Dich- ters eine Marmortafel angebracht worden mit der Inschrift: Hier wohnte Goethe 1770—1771.

Schon längst wai*en in mir Zweifel entstanden, ob Goethe in dem angegebenen Hause gewohnt haben konnte, besonders da der Eigimtümer keine auf die Echtheit bezuglichen Doku- mente aufzuweisen hat und auch keines der noch heute leben- den Gomit^mitglieder die Gründe zu nennen vermag, die gerade für jenes Haus entschieden haben.

1 Dasselbe wird demnächst auf meine VeranlassUDg mit ^nen Medaillon Goethes und einer iDScbril't gekenazeicbuel werden. ,

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89

Ohoe Zweifel hat man sich damals durch die Angabe bei Piton, Strasbourg? illustre I Seite 141 leiten lassen : GoRthe lo- iseaii dans la maison du boulanger, rue du Vieux-Marche-aux- Pöissons, vis-ä-vis du caf6 de la Mauresse, ohne zu bedenken, dass Piton, der von Haus aus kein kritisch geschulter Forscher, sondern nur ein fieissiger Dilettant war, in solchen Dingen nur mit Vorsicht zu gebrauchep ist.

Jene beatige Nr. 16 ist nach der amtlichen, bei Levraull 1838 erschienenen Vergleichungstabelle der Mairie* flio alte Nr. SA, In diesem Hause war während dieses Jahrhunderts nach Ausweis des Katasters stets eine Bäckerei. Auch in dem ältesten Grundbuche des Katasteramtes, demjenigen von 1791, wird als Eigentümer desselben «Philipp Reumann houlanjj^er » aufgeführt. Gehen wir weiter rückwärts, so waren nach dem ZiBsbucb y des Stadtarchivs Bd. II fol. 489 b Besitzer desselben * zwischen 1740 und 1790 der Reihe nach: Georg Kilian, Job. Michael Stahl, David Kilian und jener eben genannte Bäcker Johann Philipp Reumann.

David Kilian, der Weissbeck, kaufte das Haus laut Koiih akt- buch fol. 288a im Jahre 1760, bei welcher Gelegenheit eine auch im Zinsbuch anj^eführte Allmendab;,^ahe von 5 Schilling für den Brodladen erwähnt wird. Wir haben es also hier mit einem alten Bäckerhause zu thun und würde Goethe bei Bäcker Kilian oder Reumann gewohnt haben müssen, hätte er wirk- lich 1770 1771 in dem heutigen Hause Nr. 16 sein Logis •gehabt. Dagegen liat er sich eigenhändig in das im Thomas- archiv aufbewahrte Universitätsregister eingetragen :

« Joannes Wolfgang Goethe Mcßno— Francofortensis. Logiere bey Herrn Schlag auf dem Fiachmarkt d. 19. Aprilis. »

Ausser PItons Angabe giebt es nun in der Literatur noch eine zweite aber Goethes Wohnung, welche, wie ich sehe, in V. Loepers Anmerkungen zu Dichtung und Wahrheit' sowie in

1 Tableau concernant l'Etat ancien des Inicriptions des rues et du Num^- rotn::p lies Maisons, publik d'aprto les docttine&te foarnie per l'Administraüon mupicipale. Strasbourg! 858.

* Zar Kontrolle bemerke icb, dass das Zinsbuch c des Stadtarchivs die im Zisebuch y angep^ebeae Hausnummer 220 in 8^ umsetzt. Diese Nr. 84 j?t dann in jener 1 Sr>8 erschienenen Tabelle in Nr. 16 verwandelt. Diese Üemerkuujj; bezieht sich auch auf alle späteren Citate des Zinsbuches y. Wir heben dennacb in Strassburg seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis heute 3 verocliiedene Numerierungen der Uftuser su Teneicbnen.

^ Anmerk. 822.

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90

des Knjjländers Lewes Gfpthebiojjraphie ^ üljerjrejiranj^en ist. Aug. Std'her nämlich sagt in seiner Schrifi uher «leii Aktuar Salz- niann 1855 S. 20: «Gojttie wohnte auf dem Alten Fisrluiiarkt Nr. 80.» Diese Nummer bestand schon im vorigen Jahr hundert nruh Ausweis des Grundbuches von 1791 ans *2 Hlusern, der h. iiti-Pii Nr. 26 und Nr. 2-4.* ich habe du nm ^'ütigst von il'u iM^rulüincrn zur Einsicht gestattettMi alten kauthriete dieser beiden Häuser geprüft, fand ah« i , dass Haus 26 am 28. Juli 1742 von Gambs an llecop und Haus 24 am 2. Okt. 47i9» von Mosseder an Recop verkauft woj-den ist, welcher Kuulinanu Rerop auch noch im Kataster von 1791 als Besitze!- beider' Häuser erscheint. Von einem Schla^^ war auch hier kerne 2Spur zu linden.

Dage^rj^n fand icli den Namen Johann Ludwig Schlag in jenem von I7 i0 bis 1790 reiciieiMi mi Zinsbu( iie y als Besitzer zweier Häuser am Alten Fisrhmarkl, der Numern 85 (heutige 14) lind 7i (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte).

Als Besitzer der Nr. 85 weiden Bd. II fol. 489a der Reihe nach aufgeführt Job. Jac. ScInMii^en Erben, Ludwig Schlug, Fr. Margaretha Barbara Bärin und Johann Michael Barthel, der Irippier.

Allein für die Anwesenheit Goethes in Strassburg 1770 bis 1771 kommt diesf»s Haus nicht mehr in Betracht, da dasselbe laut Kontraktimch fol. 42a bereits den 10. Febr. 1761 von Fr. Margaretha Barbara Bärin an den Bürger und frippier Johann Michael Barthel verkauft wurde. Diese Margaielha Bar- bara Bärin hatte das.selbe Haus laut Konlraktbuch fol. 418 b den 2. Okt. 1753 von den Schwingi-schen Erben erkauft, als deren Mandatar Ludwig Schlag im Zinsl»ü( ii wohl deshalb für einige Z(Mt erscheint, da er nach dem Kopulationsregister der Neuen Kirche Bd. 114 fol. 1681) am 12. Febr. 1738 in zweiter Ehe eine Wittwe Schwing geheiratet hatte.

Es bleibt deshalb nur das Haus Nr. 74 (heutige Nr. 36 nördl. Haltte) übrig, welches mit absoluter Siclierheit das echte Goethe- Haus ist.

Als Besitzer desselhen erscheinen von 1740 1790 Bd. II fol. 496a der Reihe nach: Joh. Mathias Diehler, Johannes

1 Auflage XV voa L. Geiger. Stuttgart 1886 S. 70.

Siehe die Vergleichungstabelle von 1858. 3 \'ergl. in doti Kootraktbachem der Jahre 1742 fol. 313« und 1749 lol. 581a die Uri^nalien.

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^ 91 -

Meyer Säckler, Johann Ludwig' Schlag sen., Maria Elisabetha Mfisselin Wb. und Ludwij^ Glaus, welcher letztere dann im Grundbuch von 1791 als Besitzer desselben Hauses Nr. 74 vorkommt.

Schon im Jahre 1751 hat Johann Ludwig Schlag sich in dieses Haus der Witwe Meyer eingemietet:

Kontraktbneh 1751 PoL 84 K

ErBchienen Fr. Anna Margaretha Meyerin gebohme Nonnen-

macberin, diese mit beystand ihres Tochtermanns Johann Fiiderich Schmidthenner des Seydenfabrikanten. Die hat in gegenseyn U. Jobann Ludwig Schlag des Veechhändlcrs angezeigt nnd bekannt, dass sie demselben aufrichtig und redlich verlühen, der auch auf gleiche Weiss entlehnt zu haben geständig ist, In ihrer allhier auf dem Fiscliniarkt, einseit neben H. Mamberger, dem Schwerdtfeger, * ander- seit neben H Kürssner^ oxorio nomine, binden aaf den l]Umer< graben atossend, gelegene Behanssuug, £rstlieh unten anf dem Boden den Laden anf die gass gehend samt dem Contor, eine Kuchen und den hindersten Keller wie auch die gemeinschaft des Höfa, anf dem sweyten Stock eine Stab Yom«i heraoss, nnd eine Kammer dagegen über, samt dem Bühnel so darftber, anf dem dritten Stock eine Stüh aassehend wie nnten nnd eine kleine Stab auf gedachten Graben hinaus, auf dem vierten Stock eine Kammer so in den Hof gehet and letztens die gemeinschaft derer Biilmen, aud ist diese Lehnnng getroffen worden auf Neun uachemuuder folgende Jahre, anfangend auf nächst künftige annunc. Mariae und sich endijgend anf eben solche Zeit anno 174fO um einen jährlich«! Zinse von Siebeniig IQnf pfnnd Pfennig Stiaesh. der qnartaliter anr qoarfc sab hypotheca speciali iUatonun et invectomm xmd unter general verpföndong des Entlohners haab und nahrang ordenüich entrichtet werden muss, im übrigen bleybt es bei dotinn gemeinen Lehnungsrechten und hiesigen Ordnungen. Alles getreulich nnd ohne gefährde. Versprochen und unterschrieben auch unterzeichuet actum den zwei und zwantzigsten Janaarii £in tausend sieben hundert fünfzig eins

Der Yerlehnerin X Handzeichen Johann Friderich Schmidthenner Johann Ludwig Schlag.

1 Mamberppr Fourbisseur, Nicolas steht noch im Kataster Ton 1*791 als Besitzer des Hauses Nr. 13 (heutige Nr. 38) eingetragen.

'■^ JuiiaQue^ Kürschner war Besitzer des Hauses Nr. 75. Das Studt Zius- bacb y Bd. II foL 496b gibt iwischen 1740 und 1790 eis Eigenittroer der Reihe nach au: Isaac Bury. Johannes Kürschner, H. Ehrenfried Bergmann, jrg Friedrich Rosa, Georg Daniel WiU> Joh. Michael Schmidt liandels- mauii.

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92

Dass al>or diese Lehnung nicht ini Jahr 1700 erlöschen noWiBy beweist folgender dem obigen beigefügter Bandakt :

Emhieneii Terkhnende Fr. Meyerin an einem und entlehnender Sehlag am andern Theil, Beydeneita anieigende : wie dasa sie sich

vorstehender Lehnnng halben dergestalten mit einander verglichen, ilass selbige beederseits aol die Erben gehen und im Fall die Behanssnng währ^Mnl dor Lehnnngszeit verkauft würde, die Entlehnung noch ein Jalir lang vom Tag des VerlLaufs au gerechnet^ darinnen zu bleiben befagt seyn solle.

Act d. 2b, Jan. 1751. Der X verlehnerin Johann Ludwig Schlag.

Zeichen.

Im Jahre 1765 hat Johann Ludwig Schlag dasseli>e Uaus von der Witwe Meyer geiiauH:

Kontraktbuch 17(>d Fol. 427 K

Erschienen Fr. Anna Margaretha, gebohrene Nonnenmacherin, Weyl. Johann Meyer gew. Säcklers Wittib, beyständlich H. Gottfried Böhm des Goldarbeiters, mehr H. Johann Meyer der Säckler allhier. femer Fr. Susanna Magdalena Rclimidthonnerin, geb. Meyerin bey- standlich H. Gottfr. Böhm, Mehr Fr. Aini;i. Dorothea, geb. Meyerin, H. Johann Daniel Ehnnann, des Perrückenmachers Ehefrau, von <leniselben hierzu autorisirt, und H. Philipp Jacob Baldner, der Perruckenmacher, als Ehevogt Fr. Catharinä Salome geb. Meyerin, Ton derselben hieran mündlich bevollmächtiget, desswegen er de vero, rato et grato sab hypotheea bonorom cavirt^ die haben in gegenseyn H. Johann Ludwig Schlag hiesigen Burgers und Yeech- händlers angezeigt und bekannt dass sie samtliche Interessenten vor sich, ihre Principalin und allerseits Erben, ihrac H. Schlag aufrecht, vest und unwiederni flieh verkauft und zu kaufen gegeben, der aucli .sich und seinen Erben auf gleiche Weiss erkauft zu haben geständig ist. Eine Behanssnng Hötlein und Hofstatt, mit allen gehäuden, begriffen, Zugehördten, Rechten und gerechtigkeiten, allhier auf dem untern Fischmarkt, einseit neben H. Nicolaus Uamberger, gew. Schwerdfegers Wittib und Erben, anderseit neben H. Bergmann, dem I^iiidelsmann hinten auf den Ulmergrabeu stossend, gelegen.

Folgen Aliniendzins, Kautsumme, Zahlungstermine und Unterschriften.

Von 1765 an war also Johann Ludwig Schlag im Besitze <les Hauses Nr. 7i (heutige Nr. 36 nördliche Hälfte) am Al- ten Fischmarkt. Als daher laut Kontraktbuch fol. 745^ Wittwe

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Itei^mann den SO. Des. 1766 daa aostossende Haus Nr. 75 (lieutige Nr. 36 sadliche Hälfte) an den Knopfmacber Georpr Friedrich Rosa verkaufte, der in obigem Zinsbucb y Bd. II fol. 4lSi&^ nach Bergmann als Besitzer erscheint, wird dies No- Jtenhaus ange^'^ebcn callhier am Fischinarkt, ^^gen der Kuttel- -.«ss über, einseil neben Schlang, anderseit inben Scliauer, dein \ eochhändler, binden auf den Ullmei^raben stossend.» Diesor Kfirscbuer Schauer ei*J*chri)it im Zinsbucb wie im Grundbuch \'»n 1791 nls Ei^ientümer il«'s Hauses 7(), wmlurtli \vie<lerum. vv»Miii ('S noch ilötijr wärt", «lif Nummer 74 al< im liesifz di-s Kürs^ hriers Joliaim Liidwi«; Schlajf behiullii h hezoit Imi't wird.

Ferner verkaullo dor Knopfmacber (iein*«: Friedrich Kosa laut K«)nJiakti»uch fol. 176*» den 4. Mai 178(i sein 1700 er- kauftem» Haus Nr. 75 an den Handelsmann Georg Daniel de Heinrich Widt, welcher dann auch im Grandbuch von 1791 als liefsjfzer aufgeführt ist. Auch diesmal wird das Haus N. 75 in dor Urkunde genau angegeben cam Fischmarkt gegen der Kut- tdgass über, einseit neben Schlagischen Erben, anderseit neben Si'hauer, dem Veechhändler, binden an den Ullwergraben 8tos- !<end.»

Die Bezeichnung cSchlaj^ische Erben» ist für das Jahr 178<> I i< |ifi;r^ (Iji Johann Ludwi^j Schlag nach dem Slerbere|»isler der N.'u«M. Kircho Bd. 11K) fol l.'^» am II. Dez. 1778 das Zeilücbe -(■se;^net hatte. Va hinterliess zwei Kiiiilrf , nämlich (ieor;^ Ijk!- w'v^ Srhiag, Kürschner, und Marin Klisahctli Schlag, verwitwet»' Mensel. Letztere, in erster Ehe 17(>'2 mit Gotllieb Prux, dem ledi<,'eii Kürschner und Föchhändler von l'riedland in Schlesien, in zweiter Ehe 1770 mit Job. Aug. Gotlbold Meusel, ledigem Unuchwaarenhändter von Radenfeld bei Leipzi^^ gebürtig, ver- mählt und 1780 sum zweiten Haie verwittwet, gilt im Zinsbuch {Maria Elisabetha Musselin Wittib) und auch in folgendem Ver- kaufsakt als Eigentumerin des Hauses, während sich ihr Bru- di»r bereits 1700 (Kontraktbuch fol. 43a) mietweise und 1771 I Knntrakthuch fol. 76b) als Eigentümer unter der Grossen < iewerbslaube etabliert halte.

AfTj i l. Mai 1787 vcrkaiitfcn die Schlag'schen Erben das Elterliche Haus am Alten Fiäciimarkt.

Kontraktbuch 1787 Fol. 196 >.

Ers('hi> iirri Fr. Maria Elisabeta, gel)orne Sclilagiii. weyl. U Johann Viigust (iottiioiii Meusel, gewesten Kauhwaarhändiers und Burgert»

9-4

allhier seel. nachgelaF^^nno Wittib, beisUndlioh H. Georg Lndwig Schlag, des Rauchwaaihändlers und Bürgers allhier. ihres leiblichen Brndors, diese hat in Gegenseyn H. Johann Lndwig Clans, des iSeideukuopfmachers und Bürgers allhier angezeigt und bekannt, das» sie vor sich, ihre Erben nnd Nachkommen aufrichtig, redlich, vest und unvviderraiiich verkauft und zu kaufen gegeben ihme H. Claot, 80 Tor sich und ««ine Erben erkanft zu haben bekanntlich ist» die Ihro Verkinferin snstftndige Bebansiiag, Höflein, Bampbronnen und Hofstätt mit all übrigen dero Begriffen, Gebäuden, Weiten, Zn- gehörden, Hechten und Gerechtigkeiten Nr. 74 am nntern Fischmarkt, einseit neben weil. iL Nidans Mannberger, gewessten Schwerdfegers ^Yittib tind Erben, anderseit neben H. Georg Friedorich Rosa dem Seidenhändler und Knopfmacher, hinten auf den Ulinergraben stosend, gelegen, von dieser Behausung zalt man jährlich Lüblm. Stift St. Marx allhier auf Pfingsten 5 ß und auf Nativitatis Mariae 8 ß 2 -.f zu- sammen 13 P 2 ^ ane ewii^^eui Zinns, ferner Unserm Pienningtliurm jedm Jalurs anf Uartini Episcopitag 1 ff 3 ff ^. ane Bodensinns, sonst anser dem Yingtieme nnd der Einqnartierang mit keiner andern Realbeschwerde beladen, wol aber in Hanptgnt S. T. H. 3QII Bracken- hofer um 3000 fl. weiters H. Actuario Saltzmann um 500 fl. nnd Weil. Fr. Dr. Ehrmännin geborner Engelhardin seel. nact^elasenen Erben um 500 fl, so dann ihme H. Schlag vorgcdachf um 1000 fl. samtlich ad vier pro Cento verzinnssli<'h vorpfändet, sonst ledig und ihro der Fr. Verkäuferin als ein zum Theil ererbt, theils von ihrem H. Bruder vurbenannt in unvertheiltem Erb cediii: erhaltenes Gnt eigentümlich zuständig.»

Folgen Kaufeumme und Zahlungstermine, dann heisst es weiter :

«Hit welcher vorbekaltenen anch nenerdingen bedungenen ünter- p&ndsgerechtigkeit die Fr. Verkfinferin dem H. Kftnfer sothane Be- hansnng cum appertinentüs, denen samtlichen Oefen Steinen nnd Kohren, dem Bau hkössel, denen liegerdingen Inden beeden vordem Kellern, zw^n SeheUen, denen Umhangstänglein in drey verschie- denen Zimmern, zweyen Console Tischlcin samt dreyen dannenen Waarenküsten, die Schäften Leisten, Zapfen und Ladenbiänk in der Boutique allein aus*.'' n iramen, abtritt, und mit üebergab der Feder, als Sitt ist, eigentümlich einräumt, um solche Behausung auf Johannis Baptistätag instehend, wie lang die Fr. Verkäuferin den Hauszins besiehet, dagegen aber anch, wie schon gemelt die samtliche Be- schwerde nnd Capitalzinns anf sich zu leiden hat za besieh^i, dess- falls dem H. Hänfer sonst gegen mftnniglich stete und sichere Währschaft zu leisten verspricht unter Verpfändung ihres übrigen Vermögens. Alles getreulich und ohne Gefährde. Verlesen und unter* schrieben. Actum Strasburg den eilften May a" eintausend sieben-

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I

95

hnad^rt achtzig sieben. Maria Elisabetha Meüselin Wittib. Georg Lndwig Schlag senior. Johann Ludwig Clans. HammeroT, act. mit Uaudzag.

Nach diesen erschöpfenden Urkunden war also das Haus Nr. 74 (heutige Nr. 36 nordliche Hälfle) am Alten Fischmarkt von 1765 bis 1787 im Besitz der Familie Schlag; in diesem hat mithin Goethe 1770-1771 sein Logis geiiaht. Interessant auch für weitere Kreise und eine 'nicht zu unterschätzende Stütze fiir die Bestimmung des 6oethe*Hauses ist der im Verkaufsbriefe erwähnte Umstand, dass der Aktuarius Salzmann, Goethes väter* lieher Freund, eine Hypothek von 500 Gulden auf dem Schlag- schen Hause stehen hatte.

Dieses Schlag'sche Haus ist bis auf den heutigen Tag im wesentlichen unverändert geblieben« Wenn es auch seit meh- reren Jahrzehnten mit dem Nebenhaus Nr. 75 (Nr. 96 s&dliche Hftllte) verbunden ist^ wodurch der im Erdgeschoss' befindliche Laden erweitert werden konnte, so ist doch die ursprüngliche Trennung beider Häuser noch heute im äussern und Innern deutlieh ersichtlich. Noch jetzt sind die im Miels- und Kaufkon- trakt des vorigen Jahrhunderts erwähnten Keller in ihrer eiie- maligen Trennung vorhanden, sowie die zu ebener £rde gele- gene, heute nicht mehr benutzte Küche, in welcher Mutter Schlag manchmal ffir ihren Goethe die Abendmalzeit bereitet haben mag.

Dass Johann Ludwig Schla^^ der Hauswirt Goethes gewesen sein mnss , da kein a nderer des Namens Schlag etwa miet< weise ein Haus am Alten Fischmarkt bewoiint huhen kann, geht aus einer andern allerdings selir umstündlichen Nachfor- schung hervor. Icli iiabe nämlich von 1770 bis zum Todesjahr Goethes 1832, bis 1792 alle katholischen und evangelischen Prarrhücher und vom 22. Sept. 1702 die Dezennaltubelle der Maine vorgenommen und nach einer sorgfältigen Durchforschung in ganz Strassburg zwischen 1770 und 1832 nur jene einzige und zwar evangelische Familie Schlag gefunden, welche aus Frankfurt am Main stammt.

Hoehaeitnreglster von St Aorelien Bd. 2 Fol. 45«.

a. 17U2.

Mittwoch den 18. Jannarii wurden nach geschehener zweymaliger »atrahuig copulirt za St Anrehen Johann. Jost Schlag der ledige

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Ö6

Scbuster tind Bürger alUiier, weyl. Peter Schlagen, gewesenen Stein- metoen nnd BargerB zu Frank fort am Main, nahgelaaeener ehl.

Sohn und ^^'tr M. Dorothea weyl. Christoph Hetzols gewesenen burgers und üorupressers allUier nacbgelas. ebi. Tochter.

Als einziger Sohn aus dieser Ehe wui «1.^ den :30. Nov. 4702 » geboren Johann Ludwig Schlajf. Am 11, Dez. 1778 starb Herr Johann Ludwijr Schlajr, Rauchwaarhäudler un<l Bui^er seines Alters 76 Jahre und M Tu*^e. Dessen Solin Gfcor«; Ludwi;i SfJdn--, n:phoren d. 4. April 17:35 3, starb d. '2S. Kehr. 17fl8 (on/ieine veiitMse VI)* n^ir des 6)i ans, ci-devant pelleticiv Iiis le^ntintt' de Ilü Joan Louis Schlag pelletier^ en sa denicure si- tuec Krautenau l(H3.

Der ffleicliaamige Enkel Georg Ludwijf Schlag, «iehoren d. t>7. Mai 1759« starb <l. 22. Oct. 1831,6 äge de 1^1 ans 4 mois 26 jours dans la maison situ^ Nr. 32 Grandes Arcades^ fils de feu George Louis Schlag, pelletier. Dessen Sterbeakt ist unterzeichnet von Louis Felix Schlag; agö de 36 ans, n^ociant^ fits du defunt. Dieser letztere starb d. 13. Juli 1847 ? , und des- sen einzig noch lebende Tochter ist Frau Ungerer-Schlag, Witwe des Mechanikers Ungerer, mit welcher der Name tlieser Mtsprdoglich aus Frankfurt stammenden Familie dereinst in Strassburg erlöschen wird.

1 Taufregister von St. Anrelien Bd. 3 fo! 1T3a.

2 Sierberegistcr der Neuen Kirche üd. li>Ü toi 13a. s Tan&egiater 4w Neura Kirche Bd. 227 fol. 400 b. 4 Sterberegister der Mairie Bd. 226 fol. I86b.

Taufregister der Neuen Kirche Bd. 230 fol. 4158. Sterlieregistcr iUt Mairie Bd, 347 fol. 464 b. '' Sterbersgister der .Mairie Bd. a. 184* fol. 350b.

J>OiCj

Berichtigungen : Seite H Zeile 12: 2R. Nov. S. 14 Z. 11 von antea: veil er. S. 26 Z. 12: Wenu trolz^lem aber. S. 41 Z. 15 von unten : ey dessus. S. 41 Z. 14 von unten : iceUes vaUoir. S. 42 Z. 19 : cy. S. 42 Z. 24: il s'asi trouv«. ^ S. 42 Z. 37 : paraph«. S. 60 Z. Ii TOn unten : vor dam kurlAudiscbaa Richter. S. 64 Z. 18 : alt wir die Dame.

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BEITRAGE

ZUR

LANDES- UND VOLKESK.UNDE

ELSASS-LOTHRINGEN

V. HEFT

*

DIL DLinSCU-FRANZOblSCliL bPKACl IGKLNZE

IM K LS ASS

Dr. CONSTANT THIS

MIT ElNliR KARTt UND ACHT ZINKÄTZC.NÜEN

STRASSBURG J. H. £d. Heitz (Hcit2 & Mündel) j888

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Im Verlage der unterzeiclmeteu Verlagshandiung erscheint unter dem Titel :

BEITRÄGE

ZUR

LANDES- UND VOLKESKÜNDE

VON

BLSASS-LOTHRINfiBN

in zwangloser Folge Abliandliiiigen und Mittheilungen aus dem Gebiete der Gescliiehte und Litteratur- gescliiclite von Elsass und Lothringen, Beiträge zur Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner Bevölkerungsverhältnisse in der Gegenwart und in der Vergangenheit, seiner Aiterthümer^ seiner Künste und kunstgewerblichen Ei-zeugnisse; es sollen daneben selten gewordene litterarisehe Denkmäler durch Neudruck aUgemeiner zugänglieli gemacht, und durch Veröffentlichung von Erhebungen über Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch der Stände, über Aljerglauben und UeberlieferLiiigt^n, über Singen und Sagen der Landesgenossen deutsclier und loiuaniseher Zunge das Interesse an der elsass- lothrin^isehen Volkskunde Ix^rürdert \V(;rdeü. Auer- bietungen von, in den Hahnicn gegenwärtiger Samm- lung sich fügenden, Beitrüge werden den Unter- zeichneten jederzeit willkommen sein.

Die ersten Hefte enthalten folgende Arbeiten :

Heft L: Die deutsch-französische Sprach- grenze in Lothringen von üonst. This. 8'. 34 S. mit einer Karte (1: mOOO). Jk 1 50

sieJ^ dritte Seite des VinscJUagSm

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DIE I)EUTSGH-FRiiNZ(£SlSGHE

SPRACHGRENZE

IM ELSASS

tiebst einer Karte uml acht Zinkätztmgen

VON

D»* CONSTANT THIS.

STRASSBÜRCV

J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜiNliEL)

188B.

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Vorbemerkmigeii.

Vorliegende Arbeit bildet die Forlsetzung der vom Verfiisser begonnenen Darstellung der deutsch-französischen Sprachgrenze. ^ Sie giebt die Resultate einer zum Zwecke der Feststellung der Sprachgrenze in Unter- und Ober-Elsass in den Monaten Au- ^ml^ September und Oktober 1887 unteitioromenen Reise.

Bei den in der «deutsch-franzosischen Sprachgrenze in Lothringen » erwälintcn ein.schlüj^igen Arbeiten * war übersehen svorden ein Aufsatz von II. Kiepert, Die Spracbjfrenze in Elsns^j-I.othringen, mit incr Karle. ' Kippoi t bat zum Teil aiit Fusswanderunv^en, meist aber auf (Iruiid der 187^2 dun.li die reicbsländischen Behörden veranstalteten Erhebungen jene

1 Die deutsch-französische Sprachgrense in Lothringen, nebst einer Karte, 1887. (Beiträge cur Landes- und Volkeskunde von Blsass- Lothringen. Heft I.>

2 p. 5 und G. Nabert's, « Uebci* Sprachgrenzen insonderheit die detitsch-franzüsischen in den Jahren 1844 1847 », ist erschienen als Beilage zum Jahresbericht der höheren Bürgerschale zu Hannover, 1856.

8 Zeitschrift der Gesellschaft fftr Erdkunde zu Berlin. IX.- Band, 1874, p. 307 ff.

Sprachgrenze festgeBtellt. Wir werden später sehen, in welchen Punkten vorliegende Arbeit von den Kiepert*8chen Resultaten abweicht.

Auch jetzt noch bleibt für den Verfasser bei der Bestim- mung der Sprachj/renzo die Fra^re massgebend, wie weit fran- zösisches Patois in der Familie i^csinociien wird. Als französisch, der NationaUtat nach, müssen jedoch auch solche Orte ange- sehen werden, in denen meist kein Patois mehr gehört wird, weil es durch Handel und Industrie albnftblich vor der franzö- sischen Verkehrssprache zurfickgewichen ist, die das einzig brauchbare Verständigungsmittel darstellte fßr Gemeinden mit stark von einander abweichenden lothringischen Patois, mit denen ^=ie m intensiveren Verkehr traten. I)ies ist, z. B., der Fall bei Schirmeck und Vorbruck, die in re^em Verkehr mit Saales, St-Di^ imd anderen südwestlich gelegenen Orlen sich befinden, wo eine Spielart des Lothringischen geredet wird, die den Bewohnern von Sefairmeck und Vorbruck nicht leicht ver- stindlich sein konnte.

Was die natOrliche Sprachgrenze im Elsass anbetrifft, so liegt hier eine schroffere Sprachscheide vor als in Lolhrinj^en. Eine scharfe Sprachgrenze bilden die höchsten Erhebungen der Vogesen für die Thäler der Fecht, der Thür und der Doller, wo das Gebirge, nach Westen und Osten steil abfallend, nach keiner Seite ein Vordringen b^ünstigte. Vom Donon bis zum Mflnsterthale gewährte die Bodenbescbaffenheit dem romanischen Elemente die Möglichkeit weiter abwärts vorzudringen, aber meist nur in die hohen Gehirgsthäler. Wo die Thäler sich erweitern, hatte das allemannische Element sich festgesetzt und blieb erhallen. So finden wir Romanen in dem oberen Weiss- thale und in dem Bechinethale, in den engen Thälern auf dem linken Ufer der Leber, in dem oberen Thale des Giessenbaches und in dessen engen Nebenthftlern, und endlich im oberen Breuschthale mit seinen Nebenthälem.

Während, wie dies natürlich ist, die Allemannen nicht die engen Thäler hmaufgezogen sind, breiteten sich die Romanen,

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^welche in Lothrinc^ auf einem Hochplateau wohnten, nach Osten aus und stiegen weiter in die unbewohnten^ oder doch nur schwach bevölkerten engen Vogesenthäler hinab.

In das Breuschihal sind, zum Beispiel^ die Romanen von

zwei Punkten aus vorgedrungen, von Raon-sur-Plaine - Grand- tontaine und von St-Di6 - Saales her. Beide Gruppen von Ein- wanderern, deren Patois sich in gewissen Hauptmerkmalen unterschied, trafen in der Nabe von Rothau zusammen. Diese Ansicht bestätigt uns die kürsUch erschienene treffliche Arbeit ▼on A. Horning, «Die ostfranzösischen Grenidialekte zwischen Metz und Belfert, mit einer Karte aus welcher wir kiar ersehen, dass mit iRothau südwärts eine neue Dialektgruppe beginnt. Auch die Bewohner jener Gegenden sind sich dieses Unterschiedes bewusst.

In dem zwischen Lützelhausen und Schirmeck liegenden Teile des Breuschthales ist eine naturUche Sprachgrenze nicht zu erkennen. Hier wohnen im Thale Allemannen und Romanen nebeneinander. Die Beschaffenheit des Terrains erklärt diese Erscheinung nicht. Da kommt denn wohl ein geschichtliches Moment in Erwägung. Sollten dahin nicht lothringische Kolo- nisten verpflanzt worden sein? Die Ortsnamen lehren uns, dass hier ursprünglich eine allemannische Bevölkerung sass. Sehen wir uns aber den Menschenschlag an, und hören wir dessen Sprache, so haben wir meist Lothringer vom echten type vosgien vor uns. Dass von Netzenbach - Wisch ab die Leute sich selbst auch Lothringer nennen und eine bestimmte Ab- neigung gegen den Elsässer bekunden, dürfte nur in letzter Linie in Betracht gezoj^^en werden, um so mehr als hier andere Üew^gründe, z. B. adminisfrativer Art, im Spiele sind.

Was endlich den südlichen Teil des Elsasses betrifft, den Teil von den Vogesen bis zur Schweizer Grenze, so ist die natürliche Sprachgrenze hier der ähnlich, die wir in Lothringen gefunden haben. Die Grenze bilden zum Teil waldbedeckte

1 Französische Stadien. Y Band.

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Höhen, zum Teil (zwischen Men^latt und iMetterlnusen) grosse \Väldi'i' mit darin liefjfenden Weihern, blase Höhen hiliicn auch rneisl die \Vas.serscheide für die nach Weslen dem lVauzösii>ch sprechenden und nach Osten dein deutsch spreclienden Gebiete zuflieäsenden Gewässer.

Für Feststellung der Nalionalitäten^'renze veidient anca ein antleiL'S Moment n<-ch berücksichtigt zu werden, das hier nur berührt werden kann.

Die folgenden Bemerkungen über dea Bau des Bauern* hauses erhel>en keinen Anspruch auf eine erschöpfende Dar- stellung des Ge^'^enstandes ; sie dienen vielleicht dazu, zu wei- teren Studien über das Haus anzuregen.

Die Bauart des Bauernhauses in dem von mir durchwanderten Gebiete ist vorwi^nd die fränkische, i AUemannische Häuser, d. h. Häuser mit der Wohnung über dem Stalle, findet man nur da, wo jetzt noch Allemannen sitzen oder doch ursprüng- lich Sassen. Dieses frankische Haus zeigt mannigfache Spielarten. Wir finden Gebäude, die ganz aus Holz, und solche, die aus Steinen gebaut sind ; Häuser, wo die lange Seite gegen den Hof, die Giebelseite gegen die Dorfslrasse, aber auch solche, wo die lan^ic Seite gegen die Dorrstrasse gerichtet ist. Fej-ner .seilen w'iv Hauser, wo W»)hn- un<l Wirtschaftsgebäude iiii Iii unter »'int'in Dache, inid solche, w<» beide unter einem Dache vereinigt sind. Im eisterea Falle i?:t das WirLschattsgehäude entweder an das Wohnbaus angebaut, oder es steht im rechten Winkel zum VVohnhause, welcties alsdann die Giebelseite des Hauses immer nach der Strasse gerichtet hat.

Ganz von Holz sind im allgemeinen die Gebäude von Ober- Sulzhach (Kreis Thann) bis zur Schweizer Gi'enze. Die Gefache der Balken sind mit zaunai*tigem Flechlwerk ausgefüllt, welches

1 Ueber die Kamen der doutscheu Häuser vgl. Meitzen, Das deutsche Haus ia seinen Yolkstümliehen Formen.

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mit Lehm überworfen ist. Seltener ist das VVohngebäude aus Steineo aufgebaut (s. B. in Otiendorf, Luflendorf, Winkel). MaD hält den Holse-Lehmbau für wärmer.

Eine Mischung von Holz- und Steinbau^ wobei letztem

Bauart vorwiegt, treffen wir an von Ober-Sulzbach bis ins Münyterlhal, wo auch öfteis alleiiiannisclie Häuser vorivommen. Nur Steinbau haben wir vom Weissthale bis in das ßreuschthal. Wir finden überall die übliche Dreiteilung des Wohnhauses.

Treten wir in das Haus, so gelangen wir suuächst auf den Hausflur a, durch die Thüre rechts in die Wohnstube h. Ein

oder zwei Fenster |»ehn nach der Liiiigseite, eines nach der Giebelseitc. Au der Küchenwand l)eliM(let sich der Ofen, welcher von df'r Küche aus geheizt wird. Von der Wohnstube i'übrt eine Thüre nach der Kammer c, die meist Schlafstätte und durch eine Thüre mit der Küche d verbunden ist. Die der Hausthfire gegenüberliegende Thüre führt in die Küche d. Von dem Hausflure und von der Küche führt links je eine ThQre in die Vorratskammer e. Vom Hausflure führt links eine Treppe in das obere Stockwerk.

Umgekelül kann auch die Wohnst ulie .-sich iiiiks und die Vorratskammer rechts befinden. Bei Häusern mit der Giebelseite gegen die Strasse liegt natürlich die Wohnstube immer nach dem der Dorfstrasse zugewendeten Giebel.

Bei kleineren Häusern bilden b und c meist einen Wohn- raum, und öfters sind auch Flur und Küche nicht getrennt.

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Das Wohnhau.^ luldol Utweiler ein Gel-inKl*' für sich, oder es befindet sich unter einem Dache mit Slallunj,^ und Scheune, ist aber alsdann durch eine Wand von letzteren getrennt.

Wo wir fast nur Holzbau antreffen, d.h. von der Schweizer Grenze bis Ober-Sulzbach, ist das Wohnhaus vollständig von dem Wirtschaftsgebäude geschieden. Das Wohnhaus ist mit seiner Giebelseite gegen die Strasse g^riditet. Stallung und Scheune stehen im rechten Winkel dazu oder sind an das Wohnhaus angebaut, wobei die Stallungen der Wohnung* zunächst liegen. Im letzteren Falle ist das ganze Haus oft mit der Langseite gegen die Dorfstrasse gerichtet, z. B. in Olfen- dorf, Winkel. Auf dieser ganzen Strecke sehen wir noch sehr viele Fenster mit Butzenscheiben.

Von Ober-Sulzbach bis ins Münsterthal sind Wohnung und Wirtschaftsgebäude meist unter einem Dache, und zwar in der Reihenfolge Wohnung, Stalluni^^ Scheune. Noch ist die Giebel- seite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet, aber auch schon öt'tcrs die Langseite.

Vorn VVeissthale ab bis in das Breuschthal sind die Häuser aus Stein gebaut, und Wohn- und Wirtschaftsgebäude befinden sich unter einem Dache, aber in der Reihenfolge Wohnung, Scheune, Stallung. An den Stall schliesst sich oft noch ein Schuppen an zur Unterbringung des Holzes und der Wagen im Winter. Die Giebelseite ist nicht mehr gegen die Dorfstrasse gerichtet. Es fällt der Vorratsraum e meist weg ; im übrigen bleibt die Einrichtung der Wohnung, wie sie oben beschrieben ist*

Die vordere Ansicht eines Bauernhauses ist : il =s Wohnung, B = Scheune, C = Stallung, D = Schuppen.

r

1

n B

TT' C B A

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Der Grundrifis isl folgender:

Über dem Scheunenihor ist gewöhnlich ein Rundbogen, neuere Häuser haben einen Querbalken. Über dem Stalle befindet sich der Futterboden.

£in Haus in Urbeis (Orbey, Kreis Rappoltsweiler) mit der Jahreszahl 1707 hat folgende Vorderansicht :

i

an

r

ffl pj EB

r

W1U^nu»g SchWTte SteU Sctmpptn

Hier ist der Unterschied, dass das Futler von aussen durch die Öffnung a hineingebracht wird.

Von obiger Bauart unterscheidet sich die Einrichtung des Bauernhauses in Lothringen. ^ Dort sind die Häuser meist aus Steinen eng aneinander gebaut. Die Vorderseite, die Seite, welche man bei minder tiefen Häusern Langseile nennt, ist immer gegen die Dorfstrasse gerichtet; Wohnung und Wirt-

^ Vgl. auch Fr. W. Toussaint, Deutsch-Lothringen und sein Ackerbau. Metz, 1875, p 90 u. 91. Das Buch enthält sehr richtige Beobachtungen über die Lebensweise des lothringischen Bauern.

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schafUgebaude betinden sich unter einem Dache in der Reihen folge Wohnung^ Stallung, Scbeane.

Vorderansicht.

Gmndriss. Garten Garten

Treten wir durch die Vorderlhüre in das Haus, so g^olan^ren wir auf den engen Flur a, welcher» durch die ganze Tiefe des Hauses sich hinziehend, durch die Htnterthfire in den an das Haus anstossenden Gemüsegarten führt. Von dem Flur gelang:en wir links in die Küche by von dort fuhrt eine Thiire links in die Wohnstube c und eine aii<lore recht;« in die Kammer (f. Die Küche wird durch den Rauclilang- eilielh. In der Wolm- stube hefindet sich an der Kürhenwand der Ofen c', rechts vom Fenster der Familientiscii und hiiks das £hebett c». Von der Küche gelangen wir durch eine Treppe in das obere Stockwerk, wo der Vorratsraum ist, und durch eine andere Treppe in den Keller ; letztere Treppe befindet sich oft noch in der Wohnstube. Von dem Flure führt rechts eine Thüre in die

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Backk.iiniiier e, der KfiülieiiUiüre j^ej^enfiber eine andere iu den JSlall f und aus diesem eine Thüre in die Si-heune 7.

An der ( lii'lH'lseite sind, da Haus an Haus gebaut ist, keine l'enster, iiiclit einmal, wenn di»; fliehelseite frei sieht.

Sehr oft fehlt die iJackkaminer und detint sich der Stall aus bis an die hintere Seite des Hauses. In diesem Falle nimmt der Backofen h einen Teil der Kammer ein und die Ö/Tnunf^ desselben geht nach der Kiu he.

Wir erhalten folgenden Grundriss:

Garten Harten

JL _

c

In kleineren fläusern fehlt auch der Flur. Wir treten in das Haus durch dit^ Scheune von dort in die Küche b und

in den Stall f, von welchem aus eine Hinterthüre in den Garten fQhrt.

£s erübrigt uns noch einige Bemerkungen Qber die Zusammensetzungen mit cruptj» und cgoutte» und deren Bedeutung vorauszuschickeu. Wir begc<,men diesen Zusammen- setzungen in den französisch sprechenden Teilen der Vogesen

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sowuhl auf der üsllicheu als auf der westlichen Seite. Solche Zusammensetzungen sind : Freconrupt, Blanchenipt, Ranrupt, Fonrupt, Schnarupt, Fenarupt, Fcrtrupt ; Hautes Gouttes, Rian- goutte, Rougigüutte, etc., und die einfachen Gontte und les Gouttes. Ueberau da, wo «rupt» vorkommt, ersclieint auch «gouttcD. Wenn man an Blancherupt = Bliensbach, Fertnipt = Fortelbach, Faurupt = Starkenbach, Noirrupl (Bächlein aus dem Schwarzen See in die Weiss fliessend) = Schwarzbach, Blancrupl (Weiler, Gern, Urbeis) = Weissbach denkt, so er- kennt man leicht, dass crupU dem «Bach» entspricht, wie auch das Wort für sich in dieser Bedeutung im Patois vorkommt. Dasselbe ist von rogium oder rivus abzuleiten i und sollte «ru» geschrieben werden, welche Schreibung neben cruz» in Urkun- den* vorkommt. Die Schreibung crupt» finden wir erst sehr spät, sie rührt von einer falschen Etymologisienuig her. (Ebenso wäre Faurupt, Gem. Diedolshausen, = Starkenbach der rich- tigen Etymologie gemäss Form oder mit Vereinfachung Foru zu schreiben.)

Die Zusammensetzungen mit «goutte» bezeichnen meist Bacliiein, so Besti^outle, Danigoutte, Harangoutte, Rougii;ouüe, welche Zuflüsse der Rumbäche sind, u. a. Goutte = patois g^t' 3

1 Vgl. dazu Groeber, Miscellanea di Filologia, 48, and Hoxning,

Zeitschrift für romau. Philol., IX, 510.

- Vgl. Stoflfel, Topographisches Wörterbuch des Ober-Elsasses.

^ Die bei Patoiswörtern und Fatoisuamen angewandten Zeichen haben folgenden Laatwert :

a) Vokale.

a = langes a in ftge.

a = kurzes a in combat.

9 langer Laut des enghachea a in man.

ä = a^Nasal in an.

f = offenes langes e in mire.

^ offenes kurzes e in bei.

Ä = geschlossenes langes e in gelre.

€' =: derselbe Laut wie e mit kui zeni i - Nachlclang.

e geschlossenes kurzes e in serat.

^ = kurzer e^Lant in besoin

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ist mbl nichts anders als das franxösische goutte Tropfen, i

« = e-Nssal in vm. 1 = lange« l

i = kurzes i.

9 = offenes kurzes o in fol.

ü = geschlossenes langes o in rose.

0 = geschlossenes kurzes o in aussi. r> = o-Natal in bon.

0^ = Tonvokal in 8«ul. <B = Tonvokal in hcur^MX. U Ton vokal in powr c = langer ü-Laut in jure, u = knntr A-Lant in jiiit«.

' = Zeichan das AnalUla ainaa stnmman oder dnmpfan e (f).

b) Halbkonaonaatan.

w = Laut des englischen w.

j == tontoMT j-IiMit in „ff/bn", atehand kintar ainam hartaa Konso*

uanten.

y = tönender j-Laut. entsprochond dem franz. y in payer. stehend hinter einem tönenden Konsonanten oder einem Vokale.

c) Konnnanten.

k = Laat des c in car. g = Laut des g in ^ar<;on.

X = (^-Laut vor a oder o, tief in der Kehle gesprochen, etwa

dem schweisariachan entsprechend. *h = dar antapreehanda tAnanda Laat des x, etwa gleich dem

deutschen „1^". X* = Laut des d) in ich* 8 =7 tonloser s-Laut in «abre. § = Lant des franz. ch (chenej.

1 ^ Laut dea frans, j Oonr). fi = Laut gn in eompa^n.

Die ftbrigen Zeichen entspnchen in ihrem Lantwerte dem Fran-

aöaischan.

1 Oder ist es möglich, «goutte» in Zusammenhang an bringen mit dem im Schwarzwalde in Verbindangen vorkommenden «Kutt»? Vgl. dazu «Strassburger Post» vom 6. August 1H87, zweites Blatt £. Goguel nimmt iu den wenigen eigenen Bemerkungen zu seiner Obersatsang dar Nabert'schen Schrift (Bevne d^Alsaoa, 1839) «goutte» filschlich Ar das dentsche cOnt».

Iii

Dass l)ei Uibeis (Kanton "Weiler bei Schieltstailt), St. Kreuz, Markirch, Zell vorkommende (richti«^ so zu schreibende) Faite ist nichts anders als fasügium = First, Giebirgsrücken. Es ist falsch, wenn wir Föte geschrieben sehn und in Urkunden i daneben Feste, Feite lesen.

Ich teile nun auf den nachfolgenden Blättern die an der

Spraehj,'renze von mir «,'em achten Erhebun«ren zugleich in Ver- bindung^ mit Beobacblungen über das elsassiscbe Bauernhaus mit.

Die den Namen der Ort^baften in Klammern beigefügten Namen sind die Bezeichnungen des französischen Patois.

I Vgl. Stoffel a. a. 0.

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I. ÜNTER-ELSASS

1. KREIS MOLSHEIM.

a. Das Breusclithal.

Urmatt

ist vollständig deutsch. Schule, Predigt und Kinderlehre sind ebenlalls deutsch. Wir finden dort eine Mischung von fränki- schen und aliemannischen Häusern, aber die fränkische Bauart ist vorwiegend« Oft befindet sich die Treppe zum oberen Stock* werke neben dem Hause.

Lützelhausen.

In Lützelhausen hörte ich gewöhnliche Leute auf der Strasse und in Wirtschaften deutsch, französisch und auch patois sprechen. In Urmatt sagt man, dass in Lfltzelhausen meist deutsch gesprochen werde, auch französisch und etwas patois. Auch in Scbirmeck wiixl von Lfltzelhausen gesagt, es sprächen dort fast alle Leute deutsch. Ebenso heisst es in den umliegen- den französischen Ortscliaften, dass Lützelhausen zum grossten Teile deutsch sei; einige Familien nur seien französisch. Es wird ein Patois gesprochen, welches sich ganz sonderbar an- hört, so dass die umliegenden französischen Ortschaften mit Recht bdiaupten, man erkenne den Lützelhauser überall an seiner Sprache. In MQhlbach heisst es, dass in Lützelhausen itmi alle Leute deutsch sprechen können, wenn man mit ihnen

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spricht. Es seien sehr weni;;e Leute dort, die kein Deutsch könnten; aber die Meisten .spräclieii nicht (leutsch. Eino Mischung der Bevölkerunji^ ist vtJilmnden. Zu dieser Mischung scheinen (he Fal)iiken heigetrag^en zu hahen.

Die Rinder kommen daselbst in die Schule und könneii nichts gut sprechen, wedei- deutsch, noch französisch, noch patois. Die Predigt und die Kinderlehre sind tranzösisch.

A.uf dem Kirchhofe sind die Aufschriften alle französisch, doch sind die Namen etwa >js deutschen und Vs französischen Ursprungs. Die romanischen Namen sind dieselben, welche in den französisch sprechenden Orten des Thaies vorkommen ; einige Leute sind eingewandert. ' Aus den Au&chriflen ersieht man, dass Elsässer und Lothringer sich untereinander verhei- rateten. Sehr oft kehren Namen wie Oulman, Schuler, Eigle wieder. Interessant ist eine Inschrift aus dem Jahre 1815, auf welcher folgendes steht : Ici repose Elisabeth Sheiber, öboux de Ygnaies Herman. Auch die Schilder auf den Häusern tragen meist direkt deutsche Namen.

In dieser Beziehung ist Lützelhausen mit Albesdorf in Loth- ringen zu vergleichen, wo fast zu gleichen Teilen beide Elemente vertreten sind, freilich so, dass in Lützelhausen das deutsche Element etwas vorwiegt.

MulUbach (M^lbf)

ist vüllstäiuUg deutsch. In einer Wirtschaft konnte, z. ß., die Frau beinahe kein Französisch.

NetsEenbaoh (Nats9b9).

In diesem Annex von Lützelhausen wird Patois gesprochen. Von hier an nennen sich die Leute auch nicht mehr Elsüsser. Ich fand dort zwei -kleinere Häuser mit der Wohnung über dem Stalle. An einem 4er letzten Häuser nach Lützelhausen zu steht ein Kreuz in deutscher Sprache, welches errichtet worden

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ist im Män 1812 Ton Joseph Gros aus Mfihlbach for seinen an dieser Stelle durch Messerstiche ermordeten Sohn.

Wisch (Vi/)

spricht pntois. Die Kirchhofaufschriflen sind alle französisch. Freilich ist eine Anzahl rein deutscher Namen darunter ; aber die alten Aufschrinen, welche bis in das Jahr 1734 zurück- reichen, enthalten französische Namen. Am öftesten kehrt der Name Charten wieder.

Hersbaoh (H^rgp9).

Dieser Annex von Wisch spridit patois. V(»i eini|jeii ;ii iii»mi Häusein sprachen die Kinder deul.scli. Die Kiivliliofaufschi iltrn sind alle französisch, jfehen aber nicht über die Mitte dieses JahrhuiKierts hinaus. Wenijrc Namen sind direkt deutsch. Knie Nebengasse da.selbst heisst g^s' = Gasse, was wohl ein Bewei.s dafür ist, dass der Ort ursprünglich deutsch war.

Russ (Ris).

Der Ort spricht patois. Kinder und erwachsene Leulo

sprachen auf der Strasse patois. Die Leute sprechen nur patois und französisch. Etwa Ii Familien, welche aus deutschen Teilen einjrewander} sind, sprechen deutsch. l)ie Aufschriften auf <lem Kirclihofe, von denen die älteste aus dem Jahre 1741 iM, sind alle französisch. Am pjn^an^e des iJoites von Hersl^acli her steht rechts von der Kapelle ein Kreuz mit französischer Inschrift aus dem Jahre 1786 errichtet par le sieur Nicolas Charton (vgl. Wisch), pr^vöt de la prevAte de Russ. Ebenso steht an dem Wege zwischen Russ und Steinbach etwa 100 Meter von I'uss entfernt ein Kreuz aus dem Jahre 1733 mit französischer lu- Schrift.

Der obere Teil des Dorfes heisst Heydey (ebenso in Lützel- hausen). Dies bedeutet offenbar cHöhe», wie im deutsch spre- chenden Lothringen Höhe =: hö'id'n ist.

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Schwartsbach (Swarsb9).

Dieser Annex von Huss isl vollständig deutsch. Eben des« wegen wurde wohl von Kiepert Russ selbst als vorwiefend franzteisch mit deutscher Mischung beieichnet.

Steinbaoh (Stebf). Dieser kleine Annex von Russ (4 H&user) spricht patois.

Barenbaoh (B^reb^).

In diesem Orle wird patois gesprociien. Die Kirchhofauf- schriften sind alle französisch; die älteste stammt aus dem Jahre 1767. Die Bevölkerung wird in der Umgegend als ein eigenartiger^ ziemlich grober Menschenschlag bezeichnet.

Sehimieck (^^rm^k) und Vorbruok (Labr9lt).

In Schirmeck^ ebenso wie in Vorbruck, wird meist fran* zosisch gesprochen. Ausser den Beamtenfamilien sind in Schirmeck noch etwa 8> in Vorbruck etwa iO deutsch spre- chende Familien. Die zum ersten Male in die Schule kommenden

Kinder sprechen, abgesehen von den Kindern der deutsch spre- chenden FamiHen, nur franzo.^isch, einig-e auch patois. In VipU' eeUty einem Teile von Vorbruck, wird noch meist patois ge- sprochen. Die Inschriften auf den Kirchhöfen von Schirmeck und Vorbruck sind alle französisch^ abgesehen von einigen wenigen jöngeren Datums von Beamtenfamilien. Die Namen sind auch meist nicht deutschen Ursprungs. In dem ganzen Thale von Wisch bis Rothau sind die Namen fa«t immer die- selben : Charlon, Duuvier, Marchai, u. s. w. Auch von Namen deutschen Ursprun^^s kehren manche oft wieder.

In der Kirche von Labroque beüadet sich links neben der Kanzel in die Mauer eingelassen ein Stein mit französischer Aufschrift aus dem Jahre 1719 ; auf demselben heisst der Ort Labroc en Lorraine.

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Das zu Schinneck gehörende Waekenbach (y9kfnu) hat patois. Ebenso reden patois die zu Labroque gehörenden Weiler

VipiiceUey Maison-Neuvey La Claquette^ Alhet (Olbf), Frecon- ntpty Vaeque7tm(x. Wir treffen in diesen Ortschaften, l)eson- ders in Albet und Fr^conrupt, den echten type vosgien an.

Salntf Quevelles (mit Ausnahme von 2 Familien), Hof McUplaquet sind von deutsch sprechenden Mennoniten bewohnt. Aach in dem in der NShe von Qiievelles liegenden, lur Ge- meinde Plaine gehörenden Weiler BaniMs sind Angehörige dieser Sekte ; ferner ist von Salm vor nicht langer Zeit eine Familie nach Schirmeck verzogen, wo sie Milchwirtscliaft be- tieibl. Ausserdem woiinen noch Mennoniten auf dem Geholte Grand' Pre (Gem. Grandfontaine) und etwa 3 Familien in Hautfaumeau (Gem. Grandfontaine), Dieselben halten sich einen Lehrer^ welcher in Quevelles ist. In Salm lebt der frühere erste Vorsteher dieser Wiedertäufer, Namens Augsburger. Andere Familiennamen' in Salm sind: Adam, Beller, Hung, Meckert, Schlabach. Die Gehöfte bleiben in der Familie und Weiden nur an Familienmitglieder verpachtet. Es befinden sich in dieser Gegend im ganzen ungefähr 20 Mennonitentamiiien mit etwa 100 Seelen.

GrandfoxLtaine.

Der Ort mit den daiu gehörenden Weilern Framont, HautfoumeaUf Minderes und den Gehöften spricht patois, wobei wir von den unter Schirmeck bereits erwähnten deutsch spre- chenden Mennoniten absehen. Der Ort liegt sehr zerstieut. Wir treöen eine grosse Anzahl abgerissener Häuser an, be- sonders in Les Mini^res. Der Menschenschlags ist lothrinfrisch. Die Kirchhofoufechriflen sind alle französisch. Die Namen sind meist romanischen, einige wenige deutsdien Ursprungs; su der letzteren Gattung gehört StielTatre, wohl auch Peck. (Diesen Namen treffen wir auch in Lütielhausen an.)

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Kothau (Uot).

Die Mehrzahl der Bevölkerung spricht firanzösisch» weniger patois. Ausser Beamtenfomilien solleo noch etwa 20 Fanulien elsässiscber Abkunft, welche deutsch sprechen, in dem Orte wohinen. Die deutsch sprechende Bevölkerung ist wohl früher

weit grosser i^eweseii. Mehrere Schilder führen deutsche Namen. Rothau ist der erste Ort, in welchem Protestanten wohnen, und zwar ist die proteslautische Bevölkerung uii^ii fahr in gleicher Stärkt' wie die katholische vertreten. Die Pn^testanten sind wohi ein^v'WHndert; sicher sind es die protestantischen Fabrik- herren. Kur eine derartip^c Einwanderung spricht folgender Um- stand. Der Kirchhof in Kotbau ist in zwei Hälften geteilt mit gemeinschaftlichem Eingange. Auf der rechten Hälfte werden die Katholiken , auf der linken die Protestanten begraben. In beiden Teilen findet man nur wenige Denkmäler mit deutscher Aufechtift. Auffällig ist aber, dass auf dem protes- tantischen Teile die Namen meist rein deutschen Ursprungs sind, vnis auf dem katholischen Teile nicht der Fall ist. Rothau bildet den Übergang zum Stänthale.

b. Das Steinthal.

Das Stein thal, frz. le Ban-de-la-Roche, besteht aus

den Ortschaften Foudaij (Fuda) mit Trouchy, Solbach (Solb^), Wildersbach (Vildiy ho) , i Neuiveile)' (Ny§vil§) mit Rian- goutte^ und Haute-Goutle, Waldersbach (Va^tr^pe), Belmont (ßeuK)) mit Bamhoh und La Hütte, Bellefosse (Belos').

Diese Oi'tschaftcn sprechen alle patois. Es ist ausser Ilothau die einzige patois resp. französisch sprechende protestantische

^ In < Billing, Geschichte und Beschreibung des Elsasses. Basel, 1782» heisst Wilderebach auch WitÜsbacb, Haate-Qoatte Oberrothaa, Waldersbach Vachtersbay.

S «irUaugoutte oder liiugelsbach» in cj. Baqaol, L'Alsace ancienne et moderne. Strasbourg, 1851».

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Bevölkerung des Elsasses. . Man erzählt in der Gegend darüber

folgendes. Infolge von Krieg (3() jährig ) und Pest sei die ganze Bevölkerung ausgestorben gewoson. Es seien nur noch ein Mann und eine Frau (Catherine Mila) in Fouday gehlielien. Diese Frau hal)e der Kirche zu Fouday eine Wiese gesi henkt, die jahrlich vier Wagen Heu eintrage. Die ausgestorbene Bevölkerung sei ersetzt worden durch eine Colonisation aus Montb^liard und der Schweiz. Ferner wird noch erzählt: Die sudlich vom Steinthale gelegenen Orte CoIroy-la-Roche , St>Blaise-la-Roche und Bliensbach hätten ursprünglich auch zum Ban-de-la-Bo<;he gehört und seien prot^tantisch «^ewef^en. Der Herr von Bellefosse, Rathsamhauaen, der in der Kirche von Fouday begraben liegen soll^ habe einmal an einem Bade- orte, es wird Baden-Baden genannt, beim Spiele derart verloren, dass er, um seine Schulden zu bezahlen, gezwungen gewesen sei jene drei Ortschaften zu verkaufen. Seit jener Zeit seien diese Ortschaften katholisch.

In den Ortschaften des Steinthaies wird patois und fran- zösisch gesprochen. Aber es ist sonderbar, dass so viele direkt elsässische Wörter in dem Patois vorkommen. FItwa 50 solcher Wörter sind mir mitgeteilt wurden; von diesen tiilii«' ich nur einige Beispiele an: bär^drak =: jus de reglisse, strumpf- vävo^r = fouleur de bas, birh^f = levure, fräse' = manger en gourmand, hilC' = pleurer, rotseyn = refroi- dissement, smuts= baiser, ii ä x = soreiere, häx^mejstter =: maitre sorcier, u. s. w. i ferner sagt inan «^rles* I9» für «likhe-le».

Die Aufschriften der Kirchhöfe sind alle französisch. Es fmden sich aber keine alten Denkmäler. Nur in Fouday be- findet sich in der Kirche ein alter Grabstein mit einer kaum noch lesbaren Inschrift.

Das zu Neuweiler gehörende Haute-Goutte heisst in dem dortigen Patois »ha f If köt* = en haut k U. cötet ; in Wilders- bach wird der zu Belmont gehörende Weiler Bambois «Freuden« ecks gensnnt. Zu Wildersbach gehören einige Häuser und

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Gehöfte, die crPerheux» genannt werden. Man erzählt daselbst^ auf jener Höhe seien du temps des oiirs Bftren gewesen. Dar- nach wäre Perheux eine Entstellung des deutschen Wortes Bärenhöhe».

Im Steinthale, besonders in liVildersbach , wird von den

Kindern ein fiauzösisches Lied gesungen mit einem Refrain, weicher entstelltes Deutsch dai'stellt. Seine Bedeutung kennt man dort nicht mehr. Der Anfang des Refrains «E h9mfc^r k9m, f k(^m här» ist das Deutsche: cHel Jungfer, komm, he ! komm daher. »

Natzweiler.

Natzweiler, welches von Neuweiler nur durch einen Bach getrennt ist, ist vollständig deutsch und katholisch. Es giebt

keine FamiUen daselbst, welche nicht Deutsch sprächen. Dass Natzweiler vollständig deutsch blieb, rührt daher, dass es zum Bistum Strassburg geliörte , während das Steinthal Eigentum der protestantischen Herreu zum Stein war. Da die Bewohner von Natzweiler keinen Verkehr mit den nahe liegenden Iran- zösisch sprechenden Ortschaften hatten, deutsch katholische Ortschaften aber nicht in der Nähe waren, so waren sie voll- ständig auf den Verkehr unter sich angewiesen.

Auf der Strasse nach Rothau steht neben der Kapelle rechts ein Kreuz mit französischer und deutscher Inschrift aus dem Jahre 1869; am Eingange des Üui tes bleht ein anderes doppel- spi achiges aus dem Jahre iSi3, auf welchem die deutsche In- schrift an erster Stelle ist. Die meisten Grabmäler auf dem Kirchhofe haben eine deutsche Aufschrift, blanche in franzö- Bischer Sprache sind nicht frei von Fehlem.

Bliensbach (Byeäeri). Dieser Ort hat eine Patoisbevölkening.

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PUine (Pjjn-).

Pia ine, die dazu gehui enden Dörfer Chainpenau (Sap^na), Diespach (Üyey pä), die Woüer Devant-Fouday, Fasses, Poutay (Puta) und die Geliofle reden patob, ausser dem schon unter Schirmeck erwähnten Weiler Bamhois mit 25 Kinwohnern, welche deutsch sprechende Mennoniten sind. Das gesprochene Patois h\ dasselbe wie in Saulxures,, Saales, Bourg-Bruche, St- Blaise» Colroy-la>Roche, Ranrupt.

Saulxures (Sasir')

mit den zu «iirsri ( renii-inde ^eiiöny^eu Weilern (ioutte , Gouf- trangoutte (im Patois 1^ b^s = les basses), Grandrouey Lombas und Gehöften hat patois. Die Kirchhofaufschritten sind, wie in Plaine, alle französisch. Links vom Kirchoneingange ist ein Stein eingemauert, auf welchem von Schnörkeln umgeben die Jahreszahl 1587 steht.

Die jungen Leute beiderlei Geschlechts arbeiten alle in fhiniosischen Fabriken. Sie gehen am Sonntag Abend fort, indem sie ihr Essen, welches zumeist aus Kartoffeln besteht, fQr die ganise Woche mitnehmen , und kehren am Samstag Abend zurück.

St-Blaise (Se Byä/;),

Colroy-Ut^Roche {KßVQ 1^ R«?«'), Ranimpt (Rärj) mit Weilern und Gehöften sprechen patois. Das zu Ranrupt gehörige Mettimpre heisst in der Gegend c ^timpre ». Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch.

In dem Patois dieser Ortschaften findet mau auch einige deutsche Wörter, weit weniger aber als in dem Steinthale, z. B. : byf rh^f = levure, frase^ = manger en gourmand.

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Bourg-Bruche (Br^x '9 ^^B)

mit den Weilern Bruche, Charassea, Paires und den Gehöften Alhan , Ardoise , Chalmeuche , Geligoutte, Gmndroue sind patois. In Hang , Kvreuil und auf dem Hofe Fraise sind deutsch sprechende Mennoniten, zusammen etwa 120 Seelen.

Saales (Sür)

mit Gehöften spricht patois.

In Saales, me in allen- an der Strasse Scbirmeck-St- Di4 liegenden Ortschaften, wird infolge des Verkehrs mehr oder -weniger anch französisch gesprochen.

2. KREIS SCHLETTSTADT.

Das Griessenthal.

Steige (Stes').

Der Ort wird von Nähert für das Jahr 1844 als deutsch bezeichnet. Die Höfe Archittef Bas-des-Monts, MinCf Bose- pres y Woisslingoutte aber ;sind dem Namen nach ursprüng- lich patois.

Heute ist er sicher französisch ; man spricht voni(?hinhch patois. Etwa 50 Personen über 50 .lahre können deutsch. Ausserdem sintl etwa 5 eingewanderte Familien in Steige, welche im Hause deutsch sprechen.

Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch , l)is auf ein altes Grabmal aus dem Jahre 1720 in deutscher Sprache. Die Namen auf den Kreuzen sind teils französischen, teils deutschen Ursprungs.

Der Ort ist in 4 Quartiere eingeteilt, von denen einer la gas* = Gasse genannt wird.

Auf einem nordöstlich vom Orte liegenden G^öfle wohnt ^ne deutsch sprechende Mennonitenfamilie.

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Die lifögfUchkeit der Romanisiening von Steige war durch seine Lage gegeben. Steige liegt in einem engen Tbale, eigent- lich an einem Abhänge. Unten am Dorfe etwa 100 m hinter den letzten Häusern macht das Thal eine plötzliche Biegung und erweitert sich bedeutend.

s

Heisengott

ist der erste deutsch sprechende Ort in diesem Nebenthaie des Glessens. Der dazu gehörige Weiler Wngefiback beisst in Steige Wäba/ oder Wäb^.

Wir treffen hier nehen ihir fränkischen Bauart allemannische Häuser mit Wohnung über der Stallung. Oft ist auch die Giebelseite des Hauses gegen die Dorfstrasse gerichtet > was in Steige noch nicht vorkommt.

Femer nnd vollständig deutsch Breitehbach , St, MarHn, Weiler, ausserdem Bassehberg, Neukirch mit dem an das Dorf Breitenau anstossenden Weiler Breitenau, ferner Dieferihctch mit llirizelbach, Gereuth und der zur Gemeinde Kestenholz ge- hörige Weiler Wanzel.

In allen diesen Ortschaften finden wir einige allemannische Häuser mit Stallung im Erdgeschoss und Wohnung darüber; auch ist öfters die Giebelseite des Hauses gegen die Strasse gerichtet. Die Gebäude sind oft ganz aus Holz gebaut.

Urbeis iChrp^).

Hier wird patois gesprochen. Auch in diesem Patois, ebenso wie in dem von Laach, Fouchy, sind einige deutscli-elsässische W^örter : Vasogrsteyn = 6vier, f9rp' = couleur, bw9b = gargon. Die Kirchhofaufechriften sind alle französisch. Am Ein-* gange des Dorfes von Weiler her steht ein Kreuz aus dem Jahre 1689 mit französischer Inschrift,

Die Häuser, welche alle über dem Scheunenthor einen Rundbogen haben, tragen über dem Eingange die Jahreszahl

der Erbauung:. Die ältesten sind aus dem Jahre 1731 , die meisten aber aus den Jahren 1778 1798; die übrigen sind späteren Datums. Auch die Kirche ist aus dem Jahre 1789.

Die zu Urbeis gehörenden Weiler und Gehöfte reden patois, ausser CUmont, Houssereüe, Plaine-DessiiSt Maison-Blanche, Schlagiie, wo eine deutsch sprechende Bevölkerung wohnt. Diese Bevölkerung verteilt sich unter Wiedertäufer (Mennoniten)^ Lutheraner und Galvinisten. Sie haben auch drei verschiedene ßrcfahöfe; der eine am südlichen Abhänge des Glimont, der zweite im Osten und der dritte im Norden des Climont in EvreuU (vgl. Bourg-Bruche) ; letzterer ist der Kirchhof der Mennoniten.

mit Weilern und Gehöften spricht patois. Der in dem Ortschafts- verzeiehnis als cBeheu», auf der kleinen Generalstabskarte als

«Abscheu» bezeichnete Hof wird «cOb'hog» genannt. Die Kirch- hofaufschriften sind alle französisch.

Grul^e (Fouchy)

spricht patois mit den dazu gehörenden Weilern und Gehöften. Einige- wenige deutsch sprechende Familien sind eingewandert. Auch in Sehnarupt ist eine deutsch sprechende PSchterfkmilie aus St. Kreuz im Leberthale. Die Aufischriften auf dem Kirch- hofe suid alle französisch. Auf dem Wege nach Breitenau steht ein Kreuz mit französischer Inschrift aus dem Jahre 1731.

Breitenau.

Von diesem Orte sprechen nur patois der Weiler Froide- Fontaine und das Gehöft S^hegouUe {Aachigoutie in dem Ortschaftsverzeichnisse). Der Ort selbst wird von den firanzösisch sprechenden Ortschaften als ursprünglich ganz deutsch bezeichnet. Jeder soll in dem Orte sogar deutsch können. In sehr vielen Häusern wird auch deutsch {gesprochen ; im übrigen auch patois

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»

qimI franzöfiiflch* Der erste Eindruck ist der einer deutschen Ortschaft. Das Patois ist ein Gemisch von deutsch-elsässisdi» franifleisch und patois. Die Leute haben einen sonderbaren

französischen Accent. Die Schule ist ganz deutsch, Predigt und Kinderlebre französisch.

Dieses Verhältnis erklärt sich wohl daraus, dass bis zum Jahre 1868 Breitenau keine Kirche, noch auch einen eigenen Kirchhof iiatte, sondern die Einwohner nach dem patois spre- chenden FoQchy in die Kirche gingen. Dieser häufige Verkehr mit Fouchy wird wohl den Ort fransOsiert haben. Dass der auf der anderen Seite des Baches liegende, an Dorf Breitenau an- stossende, zur Gemeinde Neukirch gehörende Weiler Breitenau nur deutsch spricht, erhellt aus dem Umstände, dass die dor- tigen Bewohner nach dem deutsch sprechenden Neukirch in die Kirche gingen.

Durch obiges Verhältnis wurde bewirkt, dass in dem Dorfe Breitenau kein Idiom richtig und' rein gesprochen wird. Der Ort dfirfte als gemischt bezeichnet werden, und zwar wenigstens als überwiegend französisch mit Rücksicht auf Froide-Fontaine und Sechegoutte und einige patois sprechende Familien in Breitenau selbst. Für den deutschen Ursprung spricht auch der Umstand, dass einige alte aliemannische Häuser mit Woh- nung äber der Stallung sich vorfinden.

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II. OBER-ELSASS. 1. KREIS RAPPOLTSWEILER.

a. Das Leberthal. Deutsoh-KumlMich.

Der Ort an sich, oline WeiU'r und Gehöfte, mit ungefähr i050 Einwohnern, ist sprachlich gemischt, aber so, dass die patois spreciiemle Bevölkerung- überwiegt. Etwa \/8 spricht deutsch. Es sind viele Fal i ikarbeiter aus deutschen Teilen ein- gewandert; ausserdem köimen die aUen Leute von 70 Jahren noch etwas deutsch.

Dem Namen nach ist der Ort ursprünglich deutsch ge- wesen. Die deutsche Sprache ist später wohl dadurch verdrängt worden, dass die patois sprechende Bevölkerung des Gebirges nach Deutsch-Runibach zog. Denn die Weiler und Gehöfte, welche sich bis zur französischen Grenze hinziehen, reden volt- ständig patois ; nur in La Hingrie wohnt ein deutsch sprechen- der Pächter ans Markircb. Diese Weiler und Gehöfte haben auch französische Namen. Die Kirchhofau&chriflen in Deutsch- Rumhach sind französisch ; man findet aber auf denselben viele deutsche Namen. Ich sah in Deutsch->Rumbach 6 Häuser mit Wohnung über der Stallung, wobei die Treppe von aussen zur Wohnung hinaufführte.

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Etwa Vs Bevölkerung (ungeffthr 750 Einwohner) ist deutsch; und zwar sitzt der deutsch sprechende Teil meist in Leberau selbst. Die Weiler nnJ GehAfte sprechen mit gerin^^er

Ausnahme vollständig patois, ausser Spicrnont, wo Mennoiiiten, etwa ^20 Soelezi, sind. Von diosoii lieisst es, dass sie ihre Toten im Garten zu begraben und über dem Grabe jedesmal einen Baum zu pflanzen pflegten.

Der Schulunterricht ist zum Teil deutsch, zum Teil fran- zOsis^* Etwa Kinder spricht deutsch, wenn sie zum

ersten Male in die Schule kommen. Viele €!ewerbtreibende (Wirte) und Arbeiter sind aus dem deutschen Teile eingewan- dert. Auf der Strasse hört man französisch, wenig patois, aber auch sehr oft deutsch sprechen.

Die Predigt ist firanzösiscli ; für die nicht französisch sprechende Bevölkerung werden der französischen Predigt einige Worte in deutscher Sprache angefägt.

Die Kirchhofsaufschriften sind französisch ; mehrere Namen auf denselben sind rein deutschen Ursprungs. Im Kuchliote auf der rechten Seite der Kirche hegt ein 2,2o m langei* und 1,10 m breiter Grabstein mit deutscher Inschrift. Es ist der Grabstein der Herren von Eckerich, welche in der Kirche als deren Grunder begraben worden waren. Die Inschrift besagt: cHier liegen die von Eckeric im Gotteshaus.» Der Stein wurde spater als Altai'stein benutzt. Jetzt liegt er leider in ganz ver- wahrlostem Zustande auf dem Kirchhofe.

St. Kreuz.

Der Ort selbst ist last ganz deutsch, etwa 1900 Einwohner. Dagegen sprechen die zur Gemeinde gehörenden im Gebirge liegenden Weiler patois.

In den ursprunglich ganz deutschen Ort sind wohl, durch die Fabriken und den Verkehr herbeigezogen, einige französisch

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spreciiende Familien aus dem Gebirge eingewandert. Man hört sehr viel französisch, wenig patois sprechen, aber an der Sprache schon ist leicht zu merken, dass das Deutsche die Muttersprache ist. Predigt und Kinderlehre sind französisch. Die Aufschriften auf dem Kirchhofe sind alle franzosisch ; der- selbe ist nicht alt. Die Namen sind zum grüssten Teile rein deutsch ; man triill wohl auch einige lothriDgiacbe Familien-^ namen an.

Die bedeutendsten Weiler sind Gross-Rumbach und Kleina Rumbach. In beiden lebt eine patois sprechende Bevölkerung^ ein ganz anderer Typus von Menschen als in St. Kreoz. In Gross-Rumbach giebt es noch ganx alte Leute, ^Iche deutsch verstehen. Die Kinder können, wenn sie in die Schule kommen, nur patois ; die Eltern sprechen es meist mit ihnen. In Klein- Rumbach, wo auch patois gesprochen wird, sind einige einge- wanderte deutsch spreciiende Arbeiter, welche in den Webereien beschäftigt sind. Ich sah dort 2 Hiuser mit Wohnung Ober der Stallung.

Marlurch.

Die Stadt an sich ist fast ganz deutsch ; es sind darin wohl wenige i auiilien, die nicht eigentlich deutschen UrspiMiii-8 sind. Auf den meisten Schildern stehen untmiizosiei le deutsche Namen. Die frühere Unterscheidung zwischen dem lothrin^'-i- sch* II, fi (HZ sis* }i sprechenden Markirch auf dem linken Leber- ufer und dem deutsch .spi eelienden auf dem rechten ist fast vollständig verwischt. Einen Rest davon ma^ man noch darin erkennen, dass in den auf dem linken Ufer sich befindenden Weilern und Gehöften teilweise Patoisfamilien sitzen, so in Cöte, Fenarupty Klein-Leberau, Hergauchamps , Champ-de^ Ui-ChaUe (Katzenacker) Grange-Johe, GreUchy, Haui-de- Faite, Pfaffenloch, Wüstenloch, im ganzen etwa 40 Familien. Auch in Eekhirch wohnen etwa 6 Patoisfamilien, die aus franxösischer Gegend eingewandert sind. In den auf dem rechten Ufer der Leber liegenden Weilern und Gehöften ist

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alles deutsch, so dass die meiBten sogar kein Franzdsisch ver- stehen. Nach Eckkirch hat vor 2 bis 3 Menschenaltem eine Einwanderung von Schweizern stattgefunden. Für noch fernere

Einwanderungen spricht der Umstand , dass in Markirch und

Umgebun^^ allein eine konfessionell gemischte Bevölkerung^ sich vttiliridet. Eine kuntV-ssionell gemischte Bevölkerung hat, z. B., auch der Weiler ZilUuirl (St.-Picn o-sur-rHätte). In der durtigen nein allen Kirclie l)efinilen sich jiiehrcrt' Grahnjischntten in deutscher Spradn', darunter eine aus dem Jahre 15<i3. Lt idei sind diese Grabsteine durch den darauf stehenden Altar der Protestanten verdeckt.

Altweier (frz. Auhure).

Man unterscheidet das «welsche» Dorf und das cditsche»

Dort. Das welsche Dorf (198 Einwohner = «/s) spricht patois und französisrb und ist katholisch; es bildet den ci«^'ont liehen Kern, den zusanunenhäiigendcn Teil des Dorfes. Di»; tieul>< Ii spicchomle Bevölkerung (95 Einwohner = ^ ja) ist prntesfantisc h und wohnt meist auf zerstreuten, gegen Markirch licj^cndon Gehöften. Auch diese Protestanten werden eingewandert sein. Früher waren auch Mennoniten in Altweier.

Auf dem katholischen Kirchhofe sind die Inschriften alle franzosisch» auch die Namen sind mit einer Ausnahme franzö- sischen Ursprungs. Auf «lern protestantischen Kirchhof sind die Inschriften alle deutsch , auch das Missionskreuz, welches aus dem Jahre 1862 ist.

b. Das B6chine- und Weissthal.

XlrlaaGli (frz. Fr^land)

mit Weilern und Gehöften spricht vollständig patois. Besond^ in den kleinen Weilern findet man sehr oft Leute, welche gar kein Französisch verstehen; es sind dies vorzugsweise Frauen, welche niemals ihre Geburtsst&tte verlassen hahen.

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Schnierlach (fi-z. La Poutroie)

mit Weilern und GefaöClen redet ebenfalls patois. Nur ta Schnierlach selbBt, wo, ehenso wie in Haehvnette, sehr viel französisch gespitichen wird, sind schon seit wentgrstens 90

Jahren eini^ic deutsch .sprechende ! anuhen , besonders aub Kaysersbeii: und Uaigegend , eingewandert ; es sind meist Gewerbt reibende (Wirte, etc.). In einigen i'aiuilien staninU der Mann oder die Frau aus einem deutsch sprechenden Orte.

Diedolshausen.

Der französische Name Le Bonhomme ist eigentlich der Name des Berge.s und erscheint als Name der Ortschaft erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Diedolshausen mit Weilern und Gehöften spricht ebenfalls patois. Im Orte seihst wird sehr viel französisch gesprochen. Derselbe macht den Eindruck eines woldhalMenden Städtchens.

Zell (frz. La Baroche),

welches nur aus Weilern und Gehöften besteht, redet vollständig ,patois.

Urlieis (frz. Orbey)

mit Weilern und Gehöften spricht patois. Auch hier sind wenige deutsch sprechende Familien besonders als Grewerbtreibende (Wirte) aus Kaysersbergr und Umgegend eingewandert. Da in einzelnen Weilern« z. B. in HatUes-HuUes (190 Einwohner) Heiraten nur zwischen Ortsansässigen seihst stattfinden , so ist begreiflich, dass die Zahl der Idioten und Krüppel nicht gering ist.

Auf den Kirchhöfen dieser französisch sprechenden Ort- schaften sind die Aufschriften alle französisch. Man findet aber doch einige rein deutsche Namen. Die Kreuze an den Wegen haben alle französische Au&chriften ; darunter ist eines aus dem Jahre 4608.

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Das in diesen Thälem gesprochene Patois enthält einige elsissische Wörter; sie beriehen sieh auf eine verfeinerte Lebensweise, ab: vasc^rSteyn =s övier > k9k^lh9f=s Kugelhopf, b9to^rv^k = pain au lait, bär^drak = jus

de r^glisse; ferner hax' sorciere (aber auch z§na§'), g r a b 1 6' = chatouiller (aber auch k w a t U).

mit Ahpacli^ Ammerschweier , KaUentlial , Niedeitnorsch" Weier sind vollständig deutsch.

2. KREIS COLMAR.

Das MfiitötertliaL

Das Münsterlhal, welches durch das Thal der Fecht und den Kieinthalhach gebildet ist und sich bis Türkheim aus- dehnt, ist vollständig deutsch. Die Sprachgrenze (ällt also hier mit der politischen Grenxe susammen.

In den südlich von Münster gelegenen, zur Gemeinde Esch- bach gehöriiTen Häuserjfruppen Ersclilitt mit 45 und Solberg mit 31 Einwulmern uoW die Bevölkerung ursprünjjlich patois gesprochen haben und aus einem französisch sprechenden Teile der Vogesen eingemndert sein. Heute ist von dieser £inwande- rang kaum noch eine Spur zu merken. Diese Leute> welche Eigentümer sind, antworten in deutscher Sprache, wenn man sie französisch anredet. Im Hause selbst wird deutsch gesprochen. Ganz alte Leute konnten in Ersclilitt früher patois , in Solher^^ kuuiien es noch einige Greise. Aber die Kinder sprechen uur deutsch .

Die Bauart ist in dem ganzen Thale zumeist die alleman- ntscbe. Wir finden Wohnung über der Stallung sowohl in den auf der rechten Fechtseite liegenden Ortschaften als in den auf der linken Seite liegenden , an das Franifisische angrenzenden

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$U>9M>eier und Sulzem. Die Treppe fährt tod auaeea in das obere Stockwerk.

Dass besonders in den grösseren Orten und da, wo Fabriken

sich befinden (z. B. Mülhausen, Gehweiler), die Leute sich viele Mühe ^eben französisch zu sprechen, ja sehr oft kein deutsch zu können vorgeben, ist allgemein bekannt, nicht nur fnr diesen Teil des Elsasses, sondern so ziemlich für das ganze industrielle £lsas8 überhaupt. Aber das so entstandene Franzö- sisch kann ein gewisses elsässisches Gepräge nicht abstreifen, und die ursprünglich französisch sprechenden Einwohner des Elsasses, zumal des oberen Breuschthales, empfinden den Vn* fersrhied recht deutlich. Gewiss erklärt sich diese Erscheinung «^esrliic litlich zum Teil nus dem Umstand, dass das Bedürfnis einer feineren und gesitteteren Gesellschaflssprache sich bei dem lebhaften Verkehr solcher Kreise besonders geltend gemacht hat; da aber der Dialekt in diesen oberallemannischen Gegen- den von der deutschen Einheitssprache noch nicht verdrängt worden war, so übernahm die Rolle des Hochdeutschen im übrigen Deutschland eben das Französische.

Rein deutsch sind folgende an die französisch sprechenden Zell und Urbeis angrenzende Ortschaften: Türkheim , Zimtner' hachy Walbach, Weier im Thal, Günsbach, Hohrod, Suhem mit Weilern und Gehöften, ferner sind folgende äusserste Punkte des Münsterthaies deutsch : Stossweter, MüMbaeh und Metzerai mit ihren westlichsten Weilern und Gehöften.

3. KREIS THANN.

a. St Amarin- oder Thmthal.

Das St. Amarinthal ist ganz und j^ar deutsch. Auch hier bildet also die politische Grenze zugleich die Sprachgrenze.

Hüssereri'WesserUngf welches als überwiegend deutsch mit französischer Mischung bezeichnet wird, ist vollständig deutsch. Schulunterricht, Predigt und Kinderlehre in der katho- lischen Kirche sind deutsch. Eine zweite Kirche für die Fabrik-

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besitzer, welche aus der Schweiz eingewandert siod, ist protes- lADtisdi. Auf dem Kirchhofe befindet sich zwar nur eine Auf- schrift in deutscher Sprache^ aber alle Namen sind deutsch; manchmal tnnd auf diesen französischen Inschriften grobe ortho- graphische Fehler.

Husseren-Wesserling gehörte früher mit Storkensauen und Urbis zur Pfarrei Mollau.

Die längs der Grenze üegrenden fiussersten Punkte sind : Wildenslein, Krüth, Odern, Felleringen, Urbis, Storkemamn, MoUau.

b* Das DoIlerthaL

Das DoUertha) ist deutsch, so dass also wiederum die poli- tische Grenze mit der Sprachgrenze zusammenflllt. Auch die

vier als vorwiej^end deutsch mit fianz osischer Mischung»" be- zeichneten Ortschaften (Vjerbruek, Masmimster, Bentheim und Morzweiler sind vollständig deutsch.

In Masmünster sind die Kirchbofaufschriften weni^rsfens zur Hälfte deutsch, aber die Namen sind alle rein deutsch« Schule, Predigt, Gebet und Kinderlehre sind deutsch, ebenso in Oberbruck, Morzweiler und Sentheim. In Masmünster ist jeden Monat eine französische Predigt.

In Aue sind nur einigte Häuser mit Wohnung über dem Stalle; sonst finden wir überall die oben (6eite 8 ff.) beschrie- bene Bauart.

Die im Dollerthale liegenden Ortschaften sind: Rimbach mit dem Weiler Ermensbaeh, Sewen, DdUern, Öberhnusk, Wegseheid, Kirchberg, Niederbruck, Sickert, Masmünster, Aue, Sentheim, Minw^ler, Ober' und Nieder-^ulzbaeh.

4. KREIS ALTKIRCH. Diefmatten,

Stemenberg, GevenaUem^ iShtt- uncl Nieder-TroMbach sind deutsch. Auch Brucftenstaeiter, . welches bei Nähert ausserhalb

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des deutsch sprechenden Gebietes Hegt, und bei Kiepert als überwiegend deutsch liezeichnet wird^ kl voUstftndig deutsch. Die Leute versidieii oft kaum framösisch. Die Kreuze an den Strassen und Wegen haben eine deutsche Aufschrift.

Bretten.

In etwa 10 Familien, abgesehen von den Beamten, wird im Hause deutscli gesprochen. Im übrigen kann ungefähr ein jeder etwas deutsch inlolge des Verkehrs mit Sternenberg, das lur Pfarrei Bretten gehört. Ausserdem ist die Predigt schoa seit Aber 20 Jahren abwechselnd französisch und deutsch; die französische Predigt ist fflr Bretten, die deutsche für Siemen- beiig. Die Kirchhofaufschriften sind französisch bis auf zwei, deren eine von einer Beamtenfamilie herrührt, die andere eine in Gevenalten geborene und in Slernenberg gestorbene Person betrifil. Hier ebenfalls kehren dieselben meist französischen Namen immer wieder; einige sind auch deutschen Ursprungs.

Welschensteinbacli (frz. Eteimbes)

redet palois. Zwei nns dem deutschen Teile des Elsasses einge- wanderte Männer sind hier verheiratet, diese sprechen mit ihren Kindern deutsch; ausserdem fand ich noch eine alte Frau^ welche kein Wort französisch konnte. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch.

Baronsweiier und St. Kosman

sprechen patois. In St. Kosman wohnen zwei aus Brfickensweiler eingewanderte Familien. Auf den Kirchhofinschriften heider Orte kehren immer dieselben franzosischen Namen wieder. In St. Kosman, z. B., liest man fast nur den Namen Guittard. Die Leute verheiraten sich nur mit Verwandten, damit das Vermögen in der Familie bleibe. In der Kirche zu St. Kosman

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sind 4 Grabsteine in lateinischer Sprache, von denen der filtesle aus dem Jahre 1687 datiert.

Soliaffiiat am Weiher (TSav^n* tSu Tete).

Der Ort spricht patois. Ausser 7 Heamtenfamilien sind einige deutscb-elsässische Frauen hier verheiratet.

Altmünsterol (V«y-Mftri>f),

ursprünglich patois und trauzüsisch, ist durch die vielen Be- amten sfirachlich gemischt geworden.

Jungmttnsterol (Diun'-Mftrü^),

Menglatt (Mfni), Willern (Rom^ni), Luttern (L'lrä), Gottesthal (in den Patoisortschaften Väde, in den deutschen Grüne) reden patois. Ausser den Beamlenfamilien sind in jede dieser Ort- schaften einige wenige deutsch sprechende Familien eingewandert. In GoUesthal sind etwa 5 deutsche Familien. In lAtUem^ welches bei Kiepert als uberwiegend deutsch beaeichnet ist, befinden sich auf den durchgängig franidsischen Kirchhofin- schriften kane deutschen Namen. Die Leute können hier fiber^ all mehr oder weniger deutsch durch den Verkehr mit den deutsch redenden Ortschaften ; sie gehen, z. B., wöchentlich auf den Markt nach Dammerkirch. Diese französischen Orte kennen meist die deutsch sprechenden, während ich umgekehrt in den deutsch rederuleii Orlen Leute fand, denen die Ir.inzüsischeu sogar dem Namen nach unbekannt waieti, weil sie, wie sie sagten, bei den < Weischen » selten oiier gar nicht verkehrten.

Ellbach, Dammerkirch,

Reizweiler (in den Patoisortschaften li^liv^l^»), Mambadi mil

1 Vgl. bei Stoffel Ratiewilbr 1251, Raüeviller 1413.

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St. Liggert, Altenach, St. Ulrich y Merzen, Strüth, Hindlingeti,

Friesen, Ueberstrass, Niedersept, Obersept, Moos, Pfeiter- hausen sind vollslandif^ deutsch. Diese Orte sind von den fran- zösisch spreclienden getrenaL durch pfrosse Wfdder mit Weihern. Die Spracligrenze fällt auf dieser Strecke mit der politischen zusammen.

Ottendorf (K9täavö)

spricht patois. Etwa 8 Familien sind eingewandert und sprechen deutsch. Viele Leute können etwas deutsch durch den Verkehr mit den angrenzenden deutsch sprechenden Ortschaften. Die Eirchhofaufschriften sind alle französisch. Die meisten Namen sind französischen, einige wenige deutschen Ursprungs.

liUffendorf (L^vök^)

spricht patois. Etwa 8 Familien, in denen deutsch gesprochen wird, sind einjji^ewanderf . Auch hier können die rnei.sten Leute etwas deutsch infolge des Verkehrs mit den deutsch sprechenden Ortschaften. Die Kirchhofaufschriften sind alle französisch. Auch die Namen sind meist französischen, wenige deutschen Ur- sprungs. Die Kinder sprechen nur patois und französisch, wenn sie in die Schule kommen.

Lützel

mit den dazu gehörigen Weilern und Gehöften ist voUständin- deutsch. Die Leute gehen nach dem ganz deutschen Winkel in die Kirche. Auf dem Kirchhofe zu Lützel sind die Aufschrif- ten nur zur Hälfte deutsch; aber die Namen sind alle deutschen Ursprungs. Am Eingange des Weilers Glashütte, aus etwa 5 Häusern bestehend, steht ein Kreuz mit deutscher Inschrift aus dem Jahre 1879.

Dass Lützel als überwiegend firamösisch bezeichnet werden konnte, röhrt daher, dass die Arbeiter des jetzt eingestellten

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Eisenwerkes meist aus französisch sprechenden Ortschaften der Schweiz waren.

Auf den €rehö^len Grot8*Kohlbergf KUtn-SehoHB^ St, Peter wohnen Mennoniten. Ebenso in den zur Gemeinde Oberlarg gehdrenden Gehöften Ehourbette, Gkuhütte, Vaeherie, in dem zur Gremeinde Liitter fj^ehörenden Gehöfte Blochmonty in dem zur Gemeinde Biederthal g-ehörenden Gehöfte Leuhmtseny in dena zur Gemeinde Riesbadi gehörenden Gehöile ßaumertiwf ; endlich wohnen noch 2 Familien in Pfirt.

Im ührigen sind alle zum Kanton Pßrt gehörenden Ort* Schäften vollständig deutsch« Ich führe nur diejenigen auf, welche bis jetzt als vorwiegend deutsch bezeichnet wurden: Alt'Pfirtj Bendorf, BeiÜaeh, BucheweUery Durlingsdorf, Dür- rnenach, Fislis, Kiffis, Köstlach, Liebsdorf ^ Linsdorf, Lüx- dorf, Lutter, Mittelmüspach, Mörnach, Moos, Niedermüspach, Oberlarg, Obermüspach, OUingen, Pfirt, Raedersdorf, Rop- penzweiler, Sondersdorf, Werenzhatisen, Winkel^ Wolsefi' weüer.

Aber auch in einer Reihe von Ortschaften des Arrondisse- ment de Beifort, vorzüglich in Beifort und Rougemont, treffen

wir deutsch sprechende Familien an. Die Gründe sind teils administrativer, teils socialer Natur. Bis zum Jahie 1870 j^e- hörte dieses Arrondissement zum Ober-EIsass. Zweitens aber ist in diesen dem Verkekr mit dem südlichen Teile des Oher- Elsasses leicht zugänglichen Gegenden in neuerer und neuester 2Seit die Fabrikbevölkerung mannigfoch hin und her gewandert.

Nach diesen JErhebungen ergeben sich folgende Ortschaften als gemischt.

Vorwiegend deutsch sind :

Im Unter-£lsa8S, Kreis Molsheim : Lützelhausen ; im Ober-Elsassj Kreis Rappoltsweiler : Markirch, St. Kreuz im Leberthal.

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Vorwiegend franiösisch sind:

Im Unter-Elsass, Kreis SchteUstadt : .Breitenau ;

im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : Altweier, Deutach'Rumbacli, Leberau; Kreis Al^rch : Altmfinsteroly Bretten.

Die Sprachgrenze wird sich zwischen zwei Linien bewe- gen, einer deutschen und einer französischen. Die deutsche Linie geht :

In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen nach Mühlbach, Schwartzbach, Grerulelbruch, Natzweiler rail Stroutthof, Hohwald , Breitenbach, Meisengott, Wagenbach, Bassenberg; durcii Breitenau über den Bann von Neukirch nach Hirtzelbach, Diefenbach, Gereuth, Wanzel ;

In Ober-EIsass : Diii f h Deutsch-Rumbach und Leberau nach St. Kreuz, Markirch mit Eckkirch, Klein-Leberau und Rauen- thal, durch Altweier über. Rappoltsweiler Bann auf Reichenweier Bann nach Bildsteinthal (Neudörfel) und Ursprung, Alspach, Kaysersbergy Ammerschweier, Katsenthal, Niedermorschweier, Tnrkheim, Zimmerbach, Walbach, Weier im Thal, Günsbach, Hohrod, Sulzern, Stossweier, Muhlbach, Metzerai, Mittlach, Wildenstein, Krfitb, CMern, Felleringen, Urbis, Storkensauen, Mollau, Rimbach, Ermensbach, Sewen, Dollem, Kirchberg, Niederbruck, MasmQnster, Aue, Morzweiler, Ober*Sulzbach, Nieder-Sulzbach, Diefmatten, durch Bretten nach Sternen berg, Gevenatten, Ohei-Trauhach, Bnu kensweiler, Ellbach, Retzweiler, Mansbach, Altenach, St. Ulrich, Strüth, HindHngen, Friesen, Ueberstrass, Niedersopt, Pfetterhaiisen, über den Bann von Moos nnch Licbsduit, Oberlar^, Lützel.

Die franz(H'i-iiie Linie geht :

In Unter-Elsass : Vom Donon ostwärts durch Lützelhausen nach Netzenbach, Wisch, Hersbach, Russ, Steinbach, Baren- bach, Schirmeck, Vorbruck, Rothau, Neu weiter mit Riangoutte und Haute-Goutte, Behnont mit Hütte und Bambois, Bellefosse, Fonrupt, Ranrupt, Steige, Charbes, Laach, Fouchy, durch Breitenau nach Söchegoutte, Froide-Fontaine ;

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In Oher-Elsass : Durch Deutsch-Rumbach und iieberau nach Möslocb^ Gross-Rumbach, Klein-Rumbach zur französischen Creme, an dieser entlanj^ nach Diedolahauaen^ durch Altweier nach Urbach, Hachimette, über den Scbnlerlacher Bann nach Zell, Urbeis, zur firanzösiscben Grenze sQdlich vom Schwarzen See ; an der Grenze entlang bis Welschensteinbach, durch lirelten nach ßaronsweiler, St. Kosman, von da, der französischen Grenze nach, bis Schaffnat am Weiher, Gottesthal, Luttern, Willern, Menglatt, von da an der französischen und schweize- rischen Grenze nach Ottendorf, Lulfendorf, CharmoiUes (Schweiz). Siehe hierzu die schematische Darstellung der Sprachgrenze.

Vergleichen wir nun diese Sprachgrenze mit der Nabert*- scben, so unterscheidet sie sich von ihr in einigen wesentlichen Punkten. Zunächst gilt, wie für Lothringen, auch hier, dass

Nähert Sprünge, und zwar im Süden macht, so dass man den Lauf der Sprachig reu ze nicht genan ei kennen kann; so nennt er Niederlarg nach Ueberstrass, geht alsdann nach Bisei zurück, u. s, w. i

Die Nabert'sche Sprachgrenze unterscheidet sich von der obigen in nachstehenden Punkten :

Von den als deutscb bezeichneten Ortschaften sind :

1) patois-französisch resp. französisch : Im Unter-Elsass,

1 Wenn wir die Gognersche Uebersetznng des Nabert*8chen Buches ansehen, so konstatieren wir, dass dem Verfasser, weichem man für Lothringen seine Unrichtigkeiten verzeihen darf, in dem

das Elsass behandelnden Teile der Sprachgrenze geradezu Unkpimtnis seines eigenen Landes: vorgeworfen werden muss. "War er doch nicht imstande, die Verwinung im Süden zu entwirren. Zwar hat er, was sein einziges, aber ein zweifelhaftes Verdienst ist, durch Auslaääuug ▼on Ottendor^ und dadurch dass er Oberlarg statt Larg schrieb, eine Udne Terbesserimg gebracht, aber durch die AaBlauung von Koos bat er den Biesenspmng bis Flirt noch um etwa 4 Kilometer ▼ergrössert.

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Kreis Mölsheim : Wisch, Hersbach, Russ mit Steinbach, Baren- bach, Schirmeck, Rothau, Wildersbach; Kreis Sehlettstadt: Stei'^e ; im Ober-Elsass, Kreis Altkirch : Ottendorf, Luffendorf ;

2) überwiej^end französisch mit deutscher Mischung : Im Üntei -Elsass, Kreis Schleltstadt : Breitenau (welches zu der Zeit vielleicht noch deutsch war); im Ober-Eisass, Kreis Alt- kirch : Bretten.

Ausserhalb der deutschen Linie liegen lolijende Ort- schaften, die

1) vollstflndi;^ deuls<"h sind ; Im Ober-Elsass, Kieis Alt- kirch : Brückens weiter, Niedersept, Obersept, Didingsdorf, Liebsdorf, Dendorf.

2) Vorwiegend deutsch mit französischer Mischung sind : Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz, Markirch.

Vorwiegend französisch mit deutscher Mischung sind : Im Ober-Elsass, Kreis Rappoltsweiler: Deutsch-Rumbach, Leberau, Altweier.

U. Kiepert hat zur Feststellung der Sprachgrenze in Elsass- Lothringen nicht nur die offiziellen Anj^ahen benutzt, sondern auch, wie früher bemerkt, selbst das Land durchwandert. £s lohnt sich deshalb ein Veigleich mit seiner Arbeit um so mehr, als er in einigen Punkten Ton den offiziellen Ermittelungen abweicht.

Folgende Ortschaften werden bezeichnet als:

1) Ueberwiegend tVanzösiscli und sind :

a) vollständig deutsch : Kreits Altkirch : Lützel; h) überwiegend deutsch : Kreis Moislieim : Lützel- hausen, aber so dass beide Idioaie fast zu gleichen Teilen vertreten sind ; Kreis Rappoltsweiler : St. Kreuz, Markirch ;

c) vollständig französisch : Kreis Molsheim : Russ, wo Kiepert wahrscheinlich den zur Gemeinde Rusa

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gehörenden, vollstiUidig deutschen Oi*t Schwartzbacb mit- gerechnet hat ;

2) Deutsch und liauzösisch zu fast ^rleichen Teilen und ist voUslan(li<i: deutsch : Kreis Mölsheim : NatzweUer ;

3) Ueberwiegend deutsch und sind :

a) vollständig deutsch: Kreis Mölsheim: Uromll; Kreis Altkirch: Brückensweiler, Oberlaig;

b) vollständig französisch : Ki ois Altkirch : Luttern ; i) Vollständig französisch und sind überwiegend frantösiach :

Kreis Schlettstadt : Breitenau.

Wenn man endlich obige Beobacht)inp;n mit den 1872 durch die Behörden veranstalteten Ermittelungen i vergleicht, so sind die Abweichungen nicht erheblich. In denselben drücken sich, wie auch in Lothringen» zum Teil die Ergebnisse von Wanderbew^ngen jüngeren Datums aus. Die Unterschiede sind folgende:

1) Von den als vollständig französisch bezeichneten Ort- schaften sind vorwiegend französisch mit deutscher Mischung :

Im Unter-Elsass, Kreis Schlettstadt, Kanton Weiler : Breitenau ;

Im Ober-Elsass, Krei.-s liappollsweiler, Kanton Mar- kirch : Üeutsch-Ilimihach.

2) Von den als übei'\viej,'^eii(l IVanzüsisrh mit deutscher Mischung bezeichneten Orlsciiaflen ist vollständig deutsch :

Im Ober-Elsass, Kreis Altkirch, Kanton Pfirt: Lul/r^L

3) Vom den als überwiegend deutsch mit französischer Mischung bezeichneten Ortschaften sind vollständig deutsch :

Im Unter-Elsass, Kreis Molsheim, Kanton Scbirmeck : Natzweiler ;

1 Vgl. Statistisches Handbncb f&r Elsau« Lothringen. Erster Jahrgang. 1885, p. 17 ff.

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Im Ober-ElsasS) Kreis Altkirch, Kanton Pfirt : Alt- Piirt, Bendorf) Bettlach, Buchsweüer, Dürlingsdorf, DQraienach« Fislis, Kiffis, Kfletlach, Uebsdorf, Linsdorf, Lüdorf, Lutter, Mittelmflspach, Mftmach, Moos, Nieder- müspach, Oberlarg, Obermüspach , Oltinji^en, Pfirt, Rädersdui l, Roppenzweiler, Sondersdorf^ Werenzhausen, Winkel, Wo! Schweiler ;

Kreis Thann, Kanton St. Amarin : Hüsseren-Wes- serling; Kanton Masmünster: Masmünster, Morzweiler, Oberbruck, Sentheim.

Von einem Exkurse fiber den deutschen und französischen

Dialekt, welcher in den einzelnen Ortschaften gesprochen wird, sehe ich ah. Eine Einteilung des Deutsclien in Gruppen konnte ich um so eher beiseite lassen, als, ganz im Geprensalze zu dem unerforschten Lothringen, das Elsass in Sprache, Sitten und Gebrauchen atigemeiner bekannt ist. Für heute gesprochene Mundarten verweise ich auf die Arbeiten von W. Mankel, Die Mundart des Münsterthaies ^ und H. Lienhart, Die Mundart des mittleren Zomthales. *

Auf der anderen Seite ist vor kurzeiii eine lehrreiche Arbeit von A. Horning, «Die est französischen Dialekte zwischen Metz und Beifort, mit einer Karte» & erschienen, in welcher die Patois von Metz bis Beifort einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen sind.

Auf Grund einer Anatahl von charakteristischen, diese Patois unterscheidenden Merkmalen hat der Verfasser für unser Gebiet vier verschiedene Gruppen aufgestellt, von denen drei dem

1 Strassbnrger Studien. U. Band.

2 Jahrbach für Geschichte, Sprache und Litteratnr Elsass- Lotbringens. H, 112 ff, III, SB ff.

9 Französische Studien. V, 4.

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lothriD^ischen^ eine dem burgundischen Dialekte angehören. Meine nachtrSgUchen Forschungen haben zu gleichen Ergebnissen geführt. Die erste dieser Gruppen erstreckt sich bis Rothau, die zweite von Rothau bis Deutsch-Rumbach, die dritte von Altweier

bis Urbeis (Orbey), die vierte endlich von Welschensteinbach bis Menp-Iatt. Für die Merkmale, welche die einzeluen Gruppen cbaraiitei-isieren , darf ich auf Uorning verweisen.

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Anhang. Übersieht der Sprachgrenze.

Die Mittellinie bedeutet die Gronzscheide zwischen den Sprachgebieten. Rechts stehen die tleul.s( h sprechenden, links die französisch sprechenden, in der Mitte, den geraden Lauf der linie unterbrechend, die gemischten Ortschaften, und zwar deutet die offene Seite der gebrochenen Linie auf die fiber- wiegende Sprache. Wo die Linie einen Ortsnamen ganz um- schliesst, ist eine gemischte Ortschaft gemeint, in welcher Deutsch und Patois lesp. Französisch zu fasL gleichen Teilen vertreten sind.

Hechts und Hnks von der Übersicht der Sprachgrenze stehen je zwei Rubriken, von welchen die eine die Territorien angiebt, denen diese Orte zugehdrten, bevor sie an Franiureich kamen, die andere das Jahr, in wetehem sie mit Frankreich vereinigt wurden. Die beiden links von der Übersicht der Sprachgrenze stehenden Rubriken enthalten diese historischen Angaben für die französisch sprechenden, die beiden rechts stehenden Rubriken liir die deutsch sprechenden Ortschatten. ^

1 Für diese historischen Angaben sind bennist worden « Statis- tisches Handbuch f&r Elsass-Lothringen >, p. 7 ff, und die histo- Tische Karte von Prof. Dr. Kirchner, «Blsass im Jahre 1789».

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BEITRAGE

ZUR

LANDES- UND VOLKESKUNDh

VON

ELSASSLOTHRINGEN

VI. HEFT

^IRA^SBURG IM KKANZOSISCHKN KKIKGK lVv2

VON

Dr. A. HOLLA EN DER.

STRASSBURG J. IL Et). Heitz (Heitz & Mündel) 1888

Im Verlage der unterzeielmeten Verlagshandlung erscheint unter dem Titel :

BEITRÄGE

ZUR

LANDES- UND VOLKESKUNDE

VON

ELSASS-LOTHRINGEN

in zwangloser Folge Abhandlungen and Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur- ^'eschichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner ßc Völker Lings Verhältnisse in der Gegenwart inid in der Vergangenheit, seiner Alterthürner, seiner Kiinste und kunstgewerhlichen Erzengnisse; es sollen danehen selten gewordene litt(.'rarisehe Denkmäler durch Neudruck allgemeiner zngimglieh gemacht , und durch Veröffentlichung von luhelinngen über Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch der Stande, ül)er Ab vrglanhen und üeberliefin'nngen, rd)er Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- lothringischeu Volkskunde bei'ördeirt werden. Aner- bietungen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm- lung sich fügenden, Beiträge werden den Unter- zeichneten jedenseit willkommen sein.

Die ersten Hefte enthalten folgende Arbelten:

Heft I.: Die deutsch- fi'anzösische Sprach- grenze in Lothrinqea von Gonst. this. 8°. 34 S. mit einer Karte (1: 300.000). jy 1 50

siehe dritte Seite des Lftnschlags*

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STRASSBURG

IM

FRANZÖSISCHEN KRIEGE

1552.

TOM

Dr. ALCÜIN HOLLAENDER.

Motto : Diewcil an der stat Stra^hnr? als aine sleblme Vormauer oit ollem dem ganxen Rheinstrom, eondeni auch deaU scher Nation hoch und ril gnlegfn : das pilUch meaiügUch, damit die stat erhalte^ lias bestttraa soll.»

Landvogt Andre von Konritz an Stmssburg. ISCS April as.

STRASSBURft J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL)

1888.

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l

VORWORT.

Eines der traurigsten BUxUer umerer vaterländischen Geschichte entrollt uns d(X$ Jahr i55^, in welcJiem eine Anzahl deutscher Fürsten in offener Auflehnung gegen ihren Kaiser, im Binide mit dem franzosKiciien Könige letzterem die Vollmacht erteilten^ vom Reiche eine Anzahl zu dem- selben gehöriger Städte losztireissen. An ihnen lag es wahrlich nichty wenn Strassburg, auf dessen Besitzergreifung Hein- rich II. es offenbar gleichfalls abgesehen hatte, nicht schon damals dasselbe Schicksal erfuhr.

Von dem grössten Interesse muss es daher für uns sein, das Verhalten der in jenem kritischen Augenblicke lediglich auf sich selbst angewiesenen Reichsstadt kennen zu lernen und uns ein Urteil über die Gebinnung zu bilden, welche die Bevjoiuier derselben damals gegenüber den französischen Annexionsgelüsten hegten, zumal da man sich jetzt in der französischen Geschichtsschreibung vielfach tenrhniziös darzu- legen bemüht, dass Strassburg es geivesen, irclches zuerst, und zwar schon un 16. Jahrhundert, die Anlehnung an Frank- reich gesucht habe.

Höchst auffallend ist es nun, dass obwohl der treffliche, aktenmässige Bericht eines Zeitgenossen, Sleidans, vorliegt, in den neueren Darstellungen dieser denkwürdigen Epoche der Strasshurger Geschichte die grössten Widersprüche zu Tage treten, und sich vielfach eine rein legendarische Be- handlung breit macht, welche im Begriffe siteht die geschieht" liehe Währheit gänzlich zu überwuchern.

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Ich habe daher versucht, unter Benutzutig der durch die SIeidan*sche Berichterstattung gezogenen Umrisse und gestützt auf ein überaus reiclies Quellenmaterialj jenes ungehöHge ' Ranken- und Blätte'tnoerk zu beseitigen und eine nwgliciist wahrheitsgetrt un utid anschauliche Darstellung jener denk- würdigen Vorgänge zu gebeti, deren Mittelpunkt Strassburg damals geire^^en ist.

Die Bedeutung diestT Stadt, ivelche, wie neuerdings mehr- fach hervorgehoben worden ist, in den beiden ersten Dezen^ nien der Reformatiotisperiode die FiXhrerrolle der siXd- deutschen protestantischen Stände übernommen hatte, triU jetzt noch einmal glänzend hervor. Die Männer, welche in jenen stürmischen ZeUen mit Thatkraft und politücher Einr^ ficht die Geeebieke StraetXn^rgs geleitet hatten, fanden jetU noch einmal Gelegenheit, diese Tugenden, und zwar stur Er- haUung der SeBntändigkeit ihrer V€Uer8ktdt, zu bewähren. Auch dürfte die vorliegende Veröffentlichung dazu dienen, darauf hinzuweisen^ dais, wenn einige protestanUseke F&rsten mit dem Reiehsfeinde in verräterische Verbindung traten, das protestantisehe Strassburg eine Ehre darein setzte, eine Vormauer des Bheinstromes zu sein und mit Gut und Blut für Kaiser und Reich etnzust^en.

Benutzt wurde von mir ndfen dem Werke SUidans und

ff

der ausgeddmten französischen MemoirenUtteratur des iß, Jahrhunderts fast aussehUessUeh handschriftliehes, bisher so gut wie unbenutzt gebUtbenes Material, Deissdbe stammt zum grössten Teile aus dem hiesigen Stadtarchive, so nament-- lieh die werivcUen Proioköüe der Herren Bote und XXI, einiges aus demBezirksarehivedes ünterelsasses, dem Thomas- archive, sowe dem StatthaltereirArehive zu Innsbruck. Den Vorstanden derselben, namenUich Herrn Stadt-Archivar Brueker^ erlaube ich mir an dieser Steile fiir ihre Unter- stSstzung meinen besten Dank aueziusprechen, Ebenso Herrn Dr. Bßuss, dem Leiter der hiesigen äadtbibUothek, der mir mit grosser Liebenswürdigkeit einen Teil seiner eigenen Ex- cerpte zur Verfügung gestellt hat.

Strassburg, den iO. Januar i888»

Dr. A. HOLLAENDER.

Nachdem Karl V. im schmalkaldischen Kriege jede nationale und religiöse Auflehnung im Reiche gebrochen hatte, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, den Gedanken, der ihn seine ganze Regierung hindurch erfüllt hatte, zur Ausführung zu bringen : sich zum weltlichen Oberbaupte der Christenheit in mittelalterlichem Sinne zu machen. Die so erlangte Macht- fülle einer konzentrierten weltlich-geistlichen Gewalt wollte er dereinst auf seinen Sohn vererben. In eben dem Augenblicke aber, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht zu haben glaubte, begannen die Stützen seiner Macht ins Wanken zu geraten.

IHe Anwesenheit spanischer Truppen im Reiche, deren An- roassung alles verletzte, die wililiürliche Behandlung der deut- schen Fürsten, die Unterdrückung jeder Regung des Protestan- tismus, die Belagerung des letzten Hortes desselben, der Stadt Magdeburg, die Gefangenhaltung der Häupter des schmalkal- dischen Bundes, des Churfürsten Johann Friedrich und des Landgrafen Philipp, hatten ihm überall Gegner erweckt. In der Zahl der letzteren befand sich auch sein früherer Parleigäng-er, der Kurfürst Moritz von Sachsen. Nachdem alle Gesuche des letzteren um Entlassung seines Schwie{i;ervaters aus der Haft, für dessen Freiheit er sich einst verbürjjt hatte, vom Kaiser zurückgewiesen worden waren, beschloss er, durch den Abfall von dpmselben, sein Wort einzulösen, das verlorene Ansehen unter seinen Glaubensgenossen zurückzugewinnen und mit einem Schlage staatliche und kirchliche Freiheit wiederherzustellen.

Zu diesem Zwecke verband er sich mit einer Anzahl deut- scher Fürsten, die seine Unzufriedenheit teilten, sowie mit dem französischen Könige Heinrich H., dem gegen beträchtliche Sub.sidien das Zujj^eständnis uremacht wurde, sich der Städte Metz, Toul, Verdun und Cambray bemächtigen zu dürfen, um

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dieselben als Keichsvikar mnp. zu haben, i Die betretenden Verhandlungen, die das gai^ze Jahr 4551 hindurch geführt wurden, fanden ihren Abschluss im Vertrage von Chambord vom 15. Januar 1552.

Merkwürdigerweise legte der Kaiser, der Hamals in Inns- bruck weilte, nm von hier aus auf die Entsdieiduii|jen des Tridentiner Koti7ils einzuwirken und gleichzeitig die Angelegen- heiten Deutschlands und Italiens im Auge tu behalten, den ihm wohl bekannten Gerüchten über die ihn bedrohende Verschwö- rung keinen sonderlichen Wert bei. * Jedenfalls besorgte er, während er den Feindseligkeiten Frankreichs entgegensah und

1 Spachs Angabe in seiner Histoire de la Basse-Alsace p. 18Ö : D^s 1551 Strasbourg envoie des d^l^gu^s m monarque francais, ponr demander eon allianoa el aa protection ; le steUmeistre Stann, qui faisait partie de ceite am- bassade, rapporta les meilleures promesses : < Je viendrai moi-meme, avail dit le roi, briser les forces de i'emperear» ist ebeuso aus der Luft gegrilfen, als die wohl hieraof zurSckgebende Behauptung von Legrelle, LonisXIV et Strasbourg p. 42: «En octobre 1551, une ambassade saxo-brandebourgeoise, renforcde des däputös de Strasbourg et de Nuremberg, vint h Fonlainebleau lui i'sril. Heinrich II.) proposer, en ächange de son alliance, quatre villes imperiates de languemlche, Gambrai,Verdiiii,MetKetToali, Jednifolls wasStrtssburg angeht, (vgl. auch unten p. 25) . Ueberhaupt sucht Legrelle in tendenziöser Weise darsa- leg'en, «qne c'esl bien la ville qui est venue au-devant de la monarchie, et non la monarchie qui est aU^e au-devant de la ville» (p. 41). Ungenau ist in dieser Besiebuag auch seine Benatsung meiner Mheren Schrift, Straasburg im. Schmalkaldischen Kriege (vgl. die auaf. Rezension von E. Mareks i. d. Gött. gel. An2. 1885 Nr. 3, p. Ii7}. Der Rektor Johannes Sturm scheint aller- dings vräbrend des Jahres 1551 fortwährend in französischem Interesse th&tig geweMQ zn sein (Gh. Scbmidt, Jean Stnrm p. 85 f.), indessen ebensowenig wie vorher im Schmalkald. Kriege seitens Strassburgs hierzu autorisiert (vgl. auch unten p. 5l) Der Stettmeisler Jakob Sturm hatte iinter der Verwechslung mit seinem Namensvetter schon bei seinen Lebzeiten zu leiden (Baumgarten, Jakob Stom» p. S8J.

* Dass man in Innsbruck recbtxeitig von dem drohenden Ungewitter

unterrichtet war, ist bereits von Ranke. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation V, 181, Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten p. 292 (vgl. auch Kutterfeld, Roger Ascham p. 148 u. 149) überzeugend darge- legt wonlen. Ihren Ausflshrangen fBge ich folgendes auch schon von Schönherr, Der Einfall des ChurfQrsten Moritz in Tirol (Archiv f. Geschichte Tirols IV, 237), benutzte? Beweisstück aus dem Innsbr. Archiv hinzu: 1552. März 4. Regie- rung zu luusbruck aa König Ferdinand : Sie zweifelten nicht, Kö. mt. hätten guten bericht, werde auch von der Kay. Mt. gesandten, so diser tag von hie xu e. Mt. abgefertigt sein solle, sonder zweifel zu veraemen haben, wie beschwer- lich sich die leuf allenthalben da vornen im reich tentscher nation zutragen, das auch, wie uns hm und wider anlangt, die jungen iaudgrafen von Hessen und Markgraf Albrecht von Brandenbarg in grosser röstang. So soUra sonst aUent^ halben im reich grosse rQstungen und wie man vorgebenlich sagt, ein grosser pundt mit dem König von Frankreich wider die römisch Kaj. Mt. vorhanden sein. . (An die Kö. Mt Bd. XI, f. 47.]

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denselben geL,eniibcr rechtzeitig Anstalten zur Vei'leidigUDg traf» von den deutschen Fürsten keinen An-^^i iff'. ^

Im Eisass selbst wurde man 8chon seit Mitte des Jahres 1551 durch allerhand Krief^sfrerüchte in Aufregung gehalten.

Bereits im Juli wurde dem Strassburger Rate durrh kaiser- liche Mfindate eingeschärft, ge^en die Haupt- und Kncg-leute, die bei ihnen allerhand Praktiken, Kriegsgewerl) und Aufwiege- lung trieben, ernstlich einzuschieitun. Im August erschien in Strassburg ein kaiserlicher Knegshauptmann , Asuiu^ von der Hauben, mit dem Auftrage, ge^en alles Fremden zuzieliende Kriegsvolk 7U streifen und dasselbe niedeizuwerfen. Er war in der Laffp, dem Rate eine Anzahl Bürger zu bezeichnen, die in französisciien Diensten standen.

Anfang November f inden zwischen dem Strasj^Lui -^'i Dom- kapitel und den bisjiiüliichen Räten zu Zabern Veihand hingen statt, ob man nicht, bei den zwischen Kaiser und Frankieich entstandenen Verwicklungen, auf dem nächsten Kreistage Vor- sorge träfe, dass das Land nicht beschädigt würde.

In denselben Tagen ging den Landvögten zu Ensisheim lind in der Ortenau von der obeixisterreichischen Regierung zu Innsbruck die Mitteilung zu: Da die Zeitumstände gar sorglich, der französische König in grosser Rüstung sei, Kriegsvolk an die Grenzen legte, auch solches im Reiche anwürbe, und des lömischen Königs Schlösser, Städte und Flecken so gelegen, dass man in wenig Tagen aus Frankreich dazu kommen könnte, sollten sie, die Landvögte, sich miteinander ins Einvernehmen setzen und erforderlichenfalls gegenseitig Hilfe und Beistand leisten. 2

Bald nachher, am 24. November, traf in Strassburg folgen- des Ausschreiben des Kaisers ein : Nachdem der König von Fiankreich sich ungeachtet des Friedens von Crespy ohne Ur- sache einer mutwilligen Fehde und Feindschaft gegen ihn an-

1 Gegenüber der Sorglosigkeit des Kaisers ist sein Bruder Ferdinand sebon damals fttr die Sicherlitit aesselben bemflbt. Br ccliraibt am 1 . Mira aus

Pressburg an seine Regierung zu Innsbruck : «Nachdem wir beCnden, das die leuf i!. practiken diser zeit hin und wider geschwind und seltsam seyen, und dunu die Rö. kay. mt. unser lieber herr und bruder in unsrer grafscbaft Tirol 7«tso anweaand, ao bedenken wir soUicber geacbwinden praetiken und auch irer lieb u. kay. mt. personlichen gegenwertigkeit und derselben merern Sicher- heit halben von uoten, der enden gueis aufsehen zu beben.* /Innsbr. A. von der Ku. Mt. X, 338.]

S Strassburger Beztrksarcbiv G. 217. Nov. 6.

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gemasst, ohne jede vorhergehende Warnung sein und des Reiches Eigentum in Italien und anderen Orten angegnilen und beschädigt hätte, so gedächte er, der Gegenwehr zu ge- lurtachen. Strasshurg sollte sich in gutem Grewahrsam halten, für Befolgung seiner Mandate Sorge tragen und gegen alle üebertreter mit strengen Strafen vorgehen. ^

Der Rat beschloss hierauf : cSo Praktiken vorhanden^ die* selben absuacfaaffien und fleissig ufsehens zu hdien.»

Auch von den Rnstongen des KorfUrsten Moritz von Sachsen hatte man im Eäsaaa frtttueitig Naehridit und ftsste diesdben in bedrohlichem Sinne auf.

In einem Briefe des rdchen Strassburger Kaufherrn Wolf- gang Rehlinger vom Ende DeiembeTy der von der Einnahme von Magdeburg berichtet, hdsst es: Die Knechte, die davor gelegen, Hessen sich vernehmen, Herzog Moritz sei ihr Herr ; auch in Hessen werde viel Kriegsvolk angewoiben. Der Rbein- graf soll in Sachsen gesehen worden sein. cDer allmächtige Gott,» so schliesst er, cwolle solliehs alles zu Frieden, Ruhe und allem Gutem schicken.»

Mit grossem Eifer suchte damals der Strassburger Rat festzustellen, c wohin Herzog Moritz mit seinem Volke den Kopf strecke.» Während der Unterlandvogt von Hagenau darüber nichts Näheres melden kann, schreibt der. Zweibrückensche Kanzler, Michel Han, am 28. Dez. : lieber Herzog Moritz giengen die verschiedensten Geruchte ; nach einigen wolle er die Bis- tümer Würdiurg, Bamberg und Eichstädt angreifen, nach anderen Mainz. Daneben solle der Franzos mit einem Haufen in Italiam und mit einem ufs Elsass, sodann Herzog Moritz gen Mainz und dann in die Niederlande ziehen. Des Rheingrafen Bruder (des französischen Königs Diener) sei mit 8000 Mann über Lautern und Limpach gezogen, angeblich dem Könige entgegen. «Sollen die alle und die grosse französische Macht wieder her- auskommen, und die anderen zu ihnen stossen, würd es dem armen Landvolk schwer zu stehen kommen.»

Wohl infolge der von allen Seiten her sich mehrenden bedrohlichen Nachrichten ersuchte die bischöfliche Regierung zu Zabern Anfang Januar 1552 den Strassburger Rat, seine Gesandten zu bevollmächtigen, auf dem nächsten Kreistage von einer gemeinsamen «Landsrettung» zu reden.

1 Str. Stadtarchiv AA,

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In Strassburg war man entschieden gegen eine solche. Sollte der französische König, heisst es in der für die GesandteD aufgesetzten Instruktion, > einen f5rinlidieii Angriff beabsichtigen,

so würde er ihn jedenfalls mit einer so gewaltigen Heeresmacht unternehmen, dass ihm das Land keinen Widerstand leisten könnte. Lieber sollte man die Städte und Schlösser durch Be- festigung und Besetzung vor jenem behüten; von ihnen aus würde hernach das Land leichtlich wiederzuf^robcrn sein. Aber auch gegen einen blossen Streifzug wäre aus Manjrel an Reilerei nichts ausziiricliten. Zudem könnte schon durch die Nachriclit von einer Landsreltung der König erst recht zu einem Angriffe ^egen das Elsass veranlasst werden aus. dem Gesichts- punkte : «dise leui verpünden sich zusaruen dir zuwider, wollen dir veind sein one verursacht, so mustu sehen, das du inen auch ieids thust und dich ^c^en inen als deinen veinden er- zeigtest ; da ers sonst vilh icht ;^egen uns stillstehe und sein macht uf andere landsart wendete.» Deshalb thäte man besser daran, sich etwa durch eine Neutralität vor dem Ueberzuge zu bewahren, auch sich zum höchsten zu befleissigen, «nichts gegen die, so Frankreich verwandt, vorzunemen.» Sollte es sich end- lich nur um Abwehr von Piackereien und Verwahrung einzelner Pässe gegen streifende Banden handeln, so hätte Strassburg ein geringes Landgebiet, sei auch zu weit vom Gebirge gelegen, calso das nit allein mi thunlich, sondern wo mans schon timn wolt, nit erspriesslich sein werde, das Volk aus den Städten lier- auszuziehen.» Doch wäre man nicht abgeneigt, talls die wenigen Dörfer, die der Stadt auf dem Lande zugehörig, hingezogen wurden, sich an einer Vorsehung letzterer Art zu beteiligen.

Wenn man nun auch die Richtigkeit der hier ausgespro- chenen Ansicht nur anerkennen kann, so verrät doch die Art und Weise, wie man jedes gemeinsame Vorgehen von der Hund yiies, einen damals freilich aUen deutschen Ständen eigen- tünilieben Sondergeist, der auf Erhaltung de» eigenen Territo- riums vor allem bedacht, das Wohl der Nachbarn ausser acht Hess. Uebrigens finde ich keine Spur, dass es lu der in Aus« sieht genommenen Tagsataung überhaupt gekommen ist.

Am Hoflager zu Innsbruck schenkte man den Zuständen im Elsass fortwährend Aufmerksamkeit, Anfong Februar müssen

1 Str. St. AA 587. Jan. 18.

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und weilei hinab gegen Strassbiirp^ streifen, i Solches wurde au eil von der vorderösterreichischen Regierung, sowie vom Grafen von Nassau bestatiofl und dabei hinzugefügt, dass der Köniß- von Frankreich hier mit dem Landskoecbtoberst sich vereinigen sollte. 2

Auf diese bedrohlichen Nachrichten hin erteilte der Rat den Verordneten des Kriegs, den Dreizehnern, feierlichst Befehl und Gewait : ccmit Ernst zu widerstehen, ne res publica cUiquid

detrimenti capiat. »3

Sofort wurden eine Anzahl Verteidigungsmassregeln be-

schlo<^«en. Man entschied sich für die Anwerbung von zwei Fähnlein Kfiegsvolk, tür deren Unterhalt Stifte und Klöstei- Ii tili alle, die in die Stadt fliehen würden, mit auf kommen Sollten. Auch hatten die Zünfte ihre waffenfähigen Leute anzu- geben und aus densellien llauptleute und andere Befehlshaber auszuwählen, die Gemusterten sich mit Harnisch und Hand- gewehr zu versehen. Daneben bestellte man eine Anzahl Hand- werksgeselhai mit Wartegeld. In der Stadt wurden Rats- und Taghuten eingerichtet, und geharnischte Bürger auf die Stiihen gelegt. Die Rheinbrücke, sowie diejeni«-e über die III wurden besetzt, den Schillern und Fischern stieng unter-^agt, zur Nacht- zeit jemand in die Stadt hineinzufahren oder herauszulassen. Die Zeugherren erhielten den Auflra^i, diti Befestigungen zu besichtigen und festzustellen, m weicher Weise dieselben mit Geschütz zu versehen seien, auch die Wassergräben instantl- zusetzen. Die Gärtner, die im Besitze von Pferden, hatten sich bereit zu halten, das Geschütz auf die Wälle zu fahren. End- lich erfolgte ein Ausfuhrverbot für Getreide.

Von Tag zu Tag erhielt man bedenklichere Zeitungen, so am 21. März folgende:* «Wir Lothringer und vom Stift Metz fürchten, das Spielbrett darlegen zu müssen, dass die Kaiser- lichen und Franzosen ihre Wollust drin haben werden. Gott erbarms um der armen Leute willen. WHr verlinlTen noch, dass die Neutralität von dem Kaiser und König wird gehalten wer- den. W'ir müssen aber den Durchzug leiden.» Der König nehme überall Knechte an, würden nach Toul beschieden , und sei die

1 Str. St. AA597. Marz 13. « Str. St. R. u. 21. März 19. 8 H. u. 21. Marz 19. 4 Str. St. AA 898.

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gelten,, dass diese Festung nicht in des Fran- zosen Hand käme. In solchem Falle werde er die sonder Zweifel besetzen und su behalten geden- ken; würde nun der Kaiser sich derselben wieder annehmen, werde es einen ewigen Krieg geben, und das Land dadurch verderbt werden.* Deshalb sollte man sich äussern, in welcher Weise man Strassburg zu Hülfe kommen wolle.

Als von einer Seite geäussert wird, als ob die Strassburger sprächen : Wenn sie der Franzos bei ihrer Religion bleiben lassen wollte, wäre er ihnen ein guter Herr, wollten um Kai* sers willen unverderbt sein, erklärte Sturm : Das wären etlich unnütze Leut, die viel verwendl Wort trieben; da wohl etlieh schrieen, so wäre doch der mererteil gehorsam. i|

Indessen trotz alles Hin- und Herredens erhielt man keine Zusicherungjsn. s Die meisten erklärten überhaupt nur zum Hören und < Hintersichbringen » bevollmächtigt zu sein. Auch hinsichtlich einer gemeinsamen Botschaft an den französischen König und einer ebensolchen an den Kaiser kam es zu keiner Einigung. Im Gegensatz zu der Ansicht der Mehrheit erklärten die Bischöflichen, jeder sollte für sich schicken, da die Gelegenheit der einzelnen Stände verschieden ; so müssten sie manches dem Franzosen gestatten, was die drei Städte ihrer Befestigung halber nicht brauchten ; auch vermöchten sie nicht, wozu letztere wohl imstande wären, den Kaiser der Gegenwehr vertrösten. Trotz des Einwurfs der Strassburger, es bedürfte keiner wei- tei'cn Zusicherung, als dass sie die Städte mit verproviantieren und besetzen wollten, trotz ihrer Beschwerde, dass man sie, wo der Franzose so nahe am Lande liege, ohne jede Vertröstung scheiden liesse, ging man, ohne einen Beschluss gefasst zu haben, auseinander, nachdem man auf Drängen Sturms ledig- lich foljrende f unvergrifiliche )) Abrecie aufgesetzt hatte: »

Zum ersten, dass diese drei Plätze (Strassburg, Schlett- stadt und Hagenau) vor andern ernstlich zu besetzen uti 1 zur Gegenwehr zu richten, doch daneben andere beschlossene

^ Genau derselbe Gedankengang findet sich in dem obenerwähnten

Memoriale.

^ «Hierauf waren vielerlei Heden bin und wieder, aber nichts lürbracht» daraaB die Veroidneten Temehmen konnten, daas sich ein Rat eimcher Hfllfe tn versehen gehabt hätte. AA 1982, März 86.

8 AA S87. März 26.

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Flecken nicht m verlassen seien, sie niiH lilen denn vor Gewalt nicht ei halten werden ; in solchem Falle f^olle das daselb?;t be- findliche Kriegsvolk iu die ol)en bcnaniit«'ii Stiulte ijelej^t wer- den. — Zum andern, wer das Seine nach Strassburg flüchten oder selbst mit Leih mul Gut sich dahin begeben würde, der hätte zu den Ausgaben beizutragen ; auch sollte die Nadihar- schaft mit ihrem \'olk und auf ihre Kosten die Stadt Strassburg besetzen helfen, dabei ein jeder sich auf nachbestimmten Tag erölTnen, wieviel ei" thun soll, und sollen alle nächsten Freitag Abend wieder in Strassburg erscheinen, um sich hier- über und ii!)er eine etwaige an den Kaiser und den fianzösi- schen König- zu sendende Botschaft entschliessen. »

Immer droliender zogen sich die Wolken zusammen.

Em iiiächtiges Volk, so berichtet ein Agent der Sfadl am 25. März, rücke von Hessen und Thüringen heran, um sich bei Schwei nfurt zu versammeln. Von da solle es nach dem Rheine ziehen, um sich mit den Franzosen daselbst zu verei- nigen. «Ich besorg, der Kaiser sei schändlich betrogen, und werde schwerlich zu Volk kommen mögen.» Da der König, schreibt am 28. Märs der Zweibrückensche Kanzler Han, mit sehr grosser Macht zur Stadt und RheinbrOcke ziehen würde, wäre es hoch von Nöten, alle Dinge in guter Ächtung und Gewahrsam zu halten. Und der Graf Philipp von Hanau, der bereits in Strassburg einen Hof hatte bestellen lassen, um bei den Kriegszeiten seine Kinder dahin zu senden, erklärte, «da die Sage und Rede, als ob die Stadt sollte belagert werden, je länger je mehr etwas stark einreistet», von seinem Vorhaben zur Zeit noch Abstand nehmen zu mQssen.

Auch in der Bürgerschaft scheint grosse Verwirrung ge- herrscht zu haben. Sah sich doch der Ammeister am 26. März veranlasst, im Rate die Anfrage zu stellen, wie man sich ver- halten wolle, da etliche ihr Bürgerrecht aufsagten und so einen Schrecken im Volke verbreiteten. In der Tbat sollen trotz strengen Verbots 800 Bürger, ohne die Handwerksgesellen, damals heimlich hin weggezogen sein.i

Am 1. April erstattete Jakob Sturm dem Rate über die jungst mit den Nachbarn gepflogenen Verhandlungen Bericht. Nach Verlesung der «Abrede» fasste man folgende Beschlüsse :

1 iQuae Mquuntur von dem Köd% ytok Frankreich», sagt Specklin, dem wir diese Nachricht verdanken.

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Sollte sich der König nach dem Elaasse wenden, so wäre - er durch gemeinsame Rotschafl zu ersuchen, das Land zu ver- schonen; man wurde ihm gegen Bezahlung Proviant liefern. Den Pass könnte man ihm sowieso nicht wehren. HinsichtHch der Sendung an den Kaisei* wolle man sich der Ansicht der Mehrzahl anschliessen. Beliebte man indessen eine gemeinsame Botschaft, so wäre damit jedenfalls so lange zu warten, his von Frankreich Autwort eingetrofien wäre, damit man diesem nicht, «wie denn nichts verschwiegen bliebe», Ursache zum feindlichen Vorgehen gäbe. Dass ein jeder, wer in die Stadt fliehen wurde, dieselbe mit erhalte, sei selbstverständlich . Sollten die Nachbarn bereit sein, Landvolk auf ihre Kosten herein zur Besatzung zu legen, * so sollte dasselbe allein dem Rate schwören und nicht abgemahnt werden dürfen. Die Hauptleute könnten zwar b*^i den Ratschlägen zugegen sein, der Entscheid aber sollte allein dem Rat, als der Obrigkeit, zustehen.

Am 2. April traten die Al)gesandten der benachbarten Stände in Strassburg von neuem zur Ikratuiig zusammen.

Meister und Rat dr'sselben Hessen ihnen zunächst vor- stellen : Wie die Dinge lägen, bedürfe man durchaus der nachbarlichen Hille. Denn werui man auch bedaciif Märe, ver- mittelst gütlhcher Unlci .^tsUzuiijj^ die Stadt vor frcni icm Volke zu bewahren und als ein geliorsames Gheti i)eim heil. Reiclie zu bleiben, so dürfte, wenn man ohne aus- reichenden Proviant um! Besatzung unversehens ühertallen würde, solches nicht allein Strassburg seihst, sondern ihnen, den Nachbai'n, ebenfalls zu unwiederbringlichem Schaden gereichen . «

Darauf erklärten die Bischö(lichen: Da sie selbst teste Flei ken hatten, könnten sie ihr Kriegsvolk nicht entbehren ; auch möchte sie der Franzose, falls sie solches nach Strassburg legten, durch Verheerung ihres Landes zwingen, dasselbe wie- der abzuberufen. Daher wäre es für die Stadt besser, fremde Knechte anzunehmen und alle, Bürger und Zugeflohene, mit gleicher Steuer zu belegen. Wegen ihrer eigenen Unterlhanen wurde man sich, wenn die Belagerung zu Knde, schon ver- gleichen. Auch hätten sie nichts dagegen, wenn die Ihrigen auf eigene Faust Strassburg dienten, und letzteres Leute im

I Sturm äusserte liier starken Zweifel, s AA 58*7.

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Bistum mit Wartegeld bestellte, aucb gegen Bezahlung Proviant

aus demselben bezö^^e.

Die Abgesandten des Unterlandvogtes, sowie der Städte Hagenau und Schlettstadt wolltpn überhaupt nur zum Hören und «c Hintersl(^hpringen » ab^^eiertii^f sein.

Auch der Bescheid der Rittersciiatt lautete nicht ermutigend. Die Gelpfrenheit der einzelnen, setzte Georg 2Jorn von Bulach auseinander, sei verschieden, viele seien auch durch Lehens- pllicht gebunden. Einer gemeinsamen Hilfeleistung svie sie jetzt verlangt würde, wären sie bisher überhohen gewesen. Freilich wer sich in eine der drei genannten Städte begeben würde, der werde sich, wie es einem ehrlichen Adligen geziemte, mit der Wehr und in der Zeit der Not mit Darreichung de^^ Cmtes beweisen. Dass a])er einer von ihnen gleich anges*'ssenen Bür- gern Stenern sollte, <lagegen müssten sie sich verwahren, da das nicht ihr Herkuuiinen.

Die Verordn« teil des Rats suchten die vorgebraclilen Ein- wände zurückzu\N eisen .

Die starke Beselzimg von Ortschaften, entgegnete man den Biscliuüiclien, die doch nicht gehalten werden kouriten, sei ühertlüssig, d;ts Krie^<\i 11; daher zu entbehren. Der König würde ferner in keinem Falle bei Belagerung Strassburgs das umhegende Gebiet schonen. «So muss man den gegen- wärtigen Schaden n i t s o h o r h a c h t e n, s o n d e r n m e h r a u f d a s Künftige sehen: so die Stadt in d e .s K ön i g s Hand käme, wa.s ewige Die n.stbarkei t aufgelegt werden würde. Zudem wurde ei n 1 angwieri ger Krieg daraus entstehen, und Strassburg der Platz sein, um de n sich zwei mächtige He r r n , K ;i i .se r u n d K ö n i g, zanken würden, was zu u n w i e d e i' b r i n g I i c he r Ze r- s f ö r u n g mehr als ein .1 a h r dienen m ü s s t e. » Mi t deni- selben Bechte könnten ja auch ihre Bürger, die all ihren Be- sitz auf dem Lande in die Schanze schlagen müsslen, sich bewogen fühlen, sich mit dem Könige zir verlragen. Fremdes Kriegsvolk w.ire gar nicht zu bekommen, die Besoldung des- selben lediiilich durch die Bürger, letzteren zu schwer fallen, die Schalzuii^ i!t i gelhichtoteti Güter, als Betten, Kleider und Linnen nicht viel eintragen. Dass man den Unterlhanen er- lauben wolle, der Stadt für (leid zu dienen und Proviant zu- zuführen, sei selbstverständlich. Deshalb balc man um anderen Bescheid.

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Den Abgesandten der RitterschalT erklärte man, da sie in Zeilen der Not des Schirms der Stadt gewiss, so sollten sie jetzt auch namhaft machen, auf man sich verlassen könnte.

Nachdem sich die Versammlung, «um Bedacht zu nehmen», vertagt hat, kommt es zwischen den Strassburgern und Bischöf- lichen zu allerhand Auseinandersetzungen. Die letzteren behaup- ten : Jene wären so wie so verpflichtet, ihre Stadt zu verwahren und sich vor dem Franzosen zu halten ; wofür sie denn sonst ihre grossen Befestigungen angelegt, und dass nie sich doch in anderen Kriegen, auch in solchen, die sie etwa mit den Bischöfen selbst gehabt, wohl zu verleidigen verstanden hatten. Selbst auf eine Schätzung ihrer Unterthanen könnten sie nicht eingehen.

Hierauf antworteten die Strassburger : Ihre früheren Kriege mit den Bischöfen seien .schlirhte ^^ewesen und gar nicht mit dem jetzt drohenden zu vergleichen. Ihre Befestigungen kämen auch dem Land zu ^aite, wenn der König sich dadurch vom Einmärsche abhalten Hesse. Man .sähe aber, man würde alle Unkosten allein tragen müssen. Was man srhuldig sei, wurde man thun, soviel man könnte ; was man nicht zu erhalten vermöchte, miisste man liegen lassen und dem grossen Schaden zuvorkommen.^) 1 Als die Stände von neuem zusammentreten, bleiben alie liei ihrem vorigen Bescheide; über die an Kaiser und König zu entsendende Botschaft soll nach Tisch beraten werden.

Nachmittags ist bei WiedereröfTnung der Versammlung von der Ritterschaft niemand erschienen ; el>enso lasseu die Grafen von H;iii (u und Bitscii ihr Ausbleiben entschuldigen, «da sie bei (lies, Sachen nichts zu thun wüs.sten. » Hinsiclitiicli der Buisciiait wird jedem anheimgegeben, nach seiner Gelegenheit zu handeln.

Die Stimmung ist eine durchaus »gereizte geworden. Auf die Erkundigungen der Al>^esandten des Bischofs und des Kapitels nach Strassburgs Verteidigungsmassreir^dn, damit, wer sich dahin begeben wollte, sich besser einrichten konnte, wird

' Im Memoriale Sturms heia«! w darüber : Wo eptscopas, capitel nit

woUen dpTi kosten helfen tragen, sonder es allein uf die statt schlagen, sagen, duä es einem rat unleidlich und untreglich, \verd sich nit destcweni^/er bpwaren und dtn kostro von ihnen haben wollen. Auch bey der Kays, Mt, sich des beklagen, das sy dadurch orsach der gemein mochten gaban« atwaa aniafahen,

das nit gut, so der arm man den kosten allein und sy, die des schirins notiurflig weren, nichts wollen geben, u. protestieren, so etwas uurats oder dem raich ZU nachteil arfolgt, das es ir und uit eins rats schuld were».

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ihnen zui Antwort : Die hisherigea Schritte halte man in der Erwartung ihrer Unterstülzun«^ unternommen. Unter den jetzigen veränderten Umständen aber wurde man neue Eutsclilüsse fassen müssen; jedenfalls würde der Rat nichts he- willi^^en, das wider die Ehre, er würde denn ver- gewaltigt, dass er nit anders thun möcht. Uebrigcns würde er nicht jeden, der in die Stadl flüchten wollte, in seine EntSchliessungen etnweihen. Wer Vertrauen habe, möge kom- men, wer nicht, wegbleiben.

Als der Dechant des Kapitels i darauf äussert : c Man will euch aber helfen, die bei euch wohnen und zu euch kommen, sollen das Ihre thun, > entgegnete Sturm : Das verstände sich von selbst; daher zweifelte man auch nicht, dass das Kapitel, das in der Stadt Häuser, Höfe und Güter hätte, sich an den Unkosten, wie es zu thun schuldig wäre, beteiligen würde; man hätte aber das Gleiche auch vom Bischof erwartet* Auf den Einwurf des Dechanten: Er und sein Bruder« wären das ganze Kapitel; wenn sie foilzogen, wäre solches nicht mehr vorhanden, wird ihm erwidert, man vergässe wohl den Bruder- ht»f, Kleinodien, Wein, Korn, Hopfen und andere Güter; auch hätte der Bischof hier den Zollkeller und andere Aemter und Gefalle, die des Schirms der Stadt nicht minder wie die Bürger genössen und bedürften.

Auf die an die bischöflichen Räte gerichtete Aufforderung Sturms, die Streitigkeiten um das Be»tzrecht einer Anzahl in der Stadt befindlicher geistlicher Niederlassungen in Güte bei- zulegen, damit in diesen geföhrlichen Zeiten der Unwille und das Misstrauen, die zu allerhand Unrat Ursach geben mnssten, beseitigt würden, erklärten jene, in Abwesenheit ihres Herrn nichts abschliessen zu können.'

Unverrichteter Sache gin^^ man auseinander.

Auch seitens des Oberlandvo^tes des Elsasses, des Kur- fürsten Friedrich U.* von der Pfalz, der durch den Landvogt

1 Johann Christof, GHraf und Herr za Zimhem.

9 Gottfried Christof. Graf und Herr xu Zimberny Cammentritis (Besirks- archiv G. 217; «ucb R. u. 21 . Mürs 28).

3 Im Memoriale steht: »Das man auch die spene, die man mit einander het, gutlich uudersteod zu verglichen, allen Unwillen ufzuheben. >

* Ueber ihn vgl. Katterfeld, Ro^^er Ascbam p. 220/222. Die Landvogtei, d. b. die Schutzherrschaft Qber die zehn kaiserlichen Stftdte im Elsass, war bei der Pfalz von 1423/1558. Vgl. Herlzog, Edelsasser Chronik VIII, 152.

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von Hagenau, Heinrich von Fleckenstei?K nbor «lie .^tatt^eliabten Unterband lun*(en unterrichtet worden war, erhielt man wenip: frösthchen Bescheid. Von Hülle war überhaupt keine Uede. Notwendig und ratsam, schrieb er u. a., wäre es freilich, falls sich die Franzosen dieser Landsari nalierten, der Kay. Mt. dies zu })ericliten und sie zu ersuchen. Er wollte solches auch i:f»rn tliun, besorg^te aber, dass wenn die Briefe d»Mi Verbündeten in die Hand fielen, die>»es ihm und anderen (leiKu lil)aHen im Elsass zur Besciiwernis j,^eraten könnte. Doch wollte er gern überlegen, wie der Kay. Mt. .solcher Bericht möchte sicher zugefertij^t werden. Auch in betrefl* der Botschaft an üeii franzüsiscben König hätte er manche Bedenken.

Dieselbe schwächhche Pohtik beobachtete der (lamals freilich schon hüchbetagle Fürst wahrend der ganzen tollenden Zeit.*

So stand denn Strassburg Anfang Apiil völlig isoliert d.i, ohne sich gegenüber d*^r drohenden Ivi iegs^ielahr irgend welcher Ünter.stützimg seitetis ih r \icld)arn vcrtröstfo zu können.*

Cerade damals traten zwei Schreiben vom Kaiser ein, in denen or Meister und Bat für ihr tgehorsanies und gutwilliges» Erbieten dankt, dass sie sicii bei diesen sorglichen Zeiten «etwas trost- lich und statlich)) erzeigt und sich hei ihm und dem heiligen lleiche getreulich zu halten geneigt seien. Sie sollten ihre Stadl gut verwahren, damit, falls jemand Unruhe im I/mde zu erwecken suchte, demselben bei ihnen kein {<Raum, Oeff- nung. Hilf, Bcfördeiung und Fmschub)) gestattet werde. Er hofTe noch innner «lurch gütliche Mittel zum Ziele zu kommen, andernfalls wollte ej- alles daransetzen, um Friede, Ruhe und Einigkeit im Reiche zu erhalten und sie und andere vor un- rechtmässige!' (lewalt zu schützen, Uebrigens sollten sie sich mit den benachbarten Ständen in gute Korrespondenz und

' Die köpf- und mutloi^e Haltung der Rheinischen KurfQrsten hat Druffel

(2, VI u. 3, 426) richtig gekennzeichnet.

^ Meister u. Hat der Stadt fassten die damalige trostlose La^e in einem späteren Schreiben an den Kaiser vom 21. Mai (vgl. olien p. 1 1 ) folgendermassen zusammen: «Wir hattian mit unsern genachbarten Stenden uf zweyen deshalben frehaltenen lägen mit allem vleyss dahin gehandelt, damit ^^v inen selbs und dem ganzen land zu gut, zu Verhütung besorgender langwieriger kriegsveruer- bung uns ire hililiche band bieten und mit uns vermüge irer kay. mt. begeren 'r\iie correspondenz halten wolten. Wir betten aber ober allen fSrgewenten Ileyss aus ptlirhpn von inen erzellen verhinderlichen Ursachen gar geringen trost vermerken können, also das der ganze last uns und gem. Stadt last allein ufge tragen bette werden wollen.!

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Verständnis begeben, damit ein jeder wisse, wessen* er sich im Fall der Not beim andern zu getrösten hatte, i

Da man in Strassbur^ von anderer Seite keine Hülfe zu erwarten hatte, ging man thatkräftig auf eigene Faust vor.

Nachdem Sturm am 4. April im Rate über die Verhand- lungen berichtet hatte, wurde hier erkannt: Dieweil man sieht, dass auf die Bischöflichen kein Verlass, und von nöten sei, sich sonst in die Sachen zu schicken , damit man sich als ehrliche Leut halten könnt, sollen die Herren XIII bedenken, was zu Befestigung und Versehung der Stadt zu «i^eschehen hätte, ob man zu weiteren Anwerbungen schritte, Leute im Bistum mit Wartegeld bestellte, etliche Krie|*^sver- ständige, sonderlich vom Adel, aufibrderle, sich in die Stadt zu begeben, ferner ob und wie man zum Könige von Fiank- reich schicken und dem Kaiser schreiben wollte ; endlich ob und wie es vor SchöHen und Bür^erschatt {gebracht würde.

Zu den beiden früher angenommenen Fähnloin war am 4. April noch ein drittes an^«'worben worden. Hauptmann über das letztere wnr ein Strassburger Edelmann, Asmus Böcklin, der nahe Beziehungen zum kaiserlichen Hofe hatte. * Von den Fähnlein wurden zwei vorläufig auf das Land gelegt, das dritte aber in der Stadt einquartiert, als Lärmplatz der « Bruch » bestimmt. Eine Anzahl Dienstgesellen wurden mit W^artegeld

J Kail V. an Meister u. Rat. AA, 579 März 19 u. 24. ^ Seia Bruder war kaiserlicher Hofmarscball, seia Schwager der bekannte Kriegsoberst und Diplonnst Lasarus Sehwendy. Letsterer schrieb ihm am

24. April [W 583) : Ei hätte gern vernommen , dass Asmus Jenen von Strassbur^ mit einem Fähnlein dlpate. «Denn nachdem der Kay. Mt. und dem ganzeu reich ^uvil an erhaltung dieser stal gelegen ist, wird euer rum und elir um sovil grösser Stfin, dsss ihr als der fttroemste beTehlshsber eoem getreuen tleiss darzu erzeiget und hab auch deshalben nicht unterlassen, von euer person der Kay. Mt. l)ericlit zu tlum u. grosse holFnung zu raachen, die dann daran nicht zweifelt und sich versieht, ir werdet irer Mt. mit gleichen treuen wi«* euer brader, der herr marschalk zugethan sein ; das wQrde auch tr. M t. um euch und die euren mit allen gnaden erkennt i Und dieweil vil an dem gelegen sein will, das man albieam Kays, hol guten beriebt habe, wie alle Sachen bei euch geschaffen, und ob auch vollkommen mittel und weg vorhanden Seyen, vermelte stat Strasburg zu erhalten oder was filr mangel, gefarlichkeiten und gebrechen furGelen, so bil ich euch, ir wollen mir zum oftmalen alle gelegen- beit zuschreiben, so will ich euch gute Correspoudeuz halten und was ich euch und der stet Strassburg zu rum und gutem befurdern kann, mit allem fleiss nichts erwlnd ealasseu. Und sollen nit zweifeln, das euch ehr und wolfart aus diesem euer bef'elh, da ir in recht verrichtet, erfolgen werde. Mit meiner person bin ich euch als mein lieber svbwager und allem vermögen zu dienen ganz geneigt uad hoff, vir wollen einmal selbs zusameokomeu. i

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weiter bestellt, den Schultheissen aut dem Lande befohlen, für Ausrüstung ihrer Unterthanen mit Harnisch und Gewehr Sorge zu tragen. Die vermögenden Bürger sollten sich mit Mehl, g^esalzenem Fleisch, Anken (Butter) und K&se versehen.

Ende März halten sich die hessischen und sächsischen Truppen mit denen des Markgrafen Albrechl bei Rot(?nburg an der Taulier v<Mein!p:t. Von hier aus scliluj^en sie den Wej; nach Augsbui^^ ein, das ihnen am 5. April die Thore öffnete. Jetzt wendeten s o sich gegen Ulm, das jedoch ihre Auflorde- rung zur Uebergabe znrfickwif s und tapteit n Widerstand leistete.

Gleichzeitig hatte <ia< im März an der Marne, zwischen Chalons und Vifrv, zusfinuiif ti^ezo^^ene französische Heer, unter Führung des Konnetabel von Montmorency die Maas über- schritten und Toul ohne Schwertstreich j5^enomnien. Am 10, April erschienen die Franzosen vor Metz, das durch Treul t iu h über- rumpelt wurde. Der Könij^ Heinrich II. selbst traf am April in Toul und am 14. in Nancy ein, wo er eine neue, ihm durchaus ergebene Regentschaft einseizle. i Am 18. iueit er seinen Einzug in Metz. Noch am 1. April halte Jakob Sturm im Rate mitgeteilt : Es habe Dr. Hans von Metz 2 im Nanu^n seiner Stadt bei ihnen, den XIII, um Büchsenmeister, Sciiut/ ri und Knejifsvolk angesucht, was man ihm mit Anzeige, dass Stras.-^- burg selbst in Rüstung, abgesciila^'^en. Gestern habe er wieder gebeten, dabs. falls der Köni^^ auf Metz 7 leben würde, Strassburg neben dem Pfalz*^rafen Kurfürsten, dem Herzog Wolfgang und Nassau, die er j^ieichergestalt ersucht, den König für sie wollte bitten, d a s er sie als e i n e a 1 1 e S ta d t des Reiches nicht davon und wider ihre Ehre drängejö, Proviant wollten sie ihm j^ern mitteilen und dass sie solelies auch bei den genachbarten Ständen, di»' er gleichfalls ansuchen wollte, beförderten; das vvolite sie, die von Metz, im Gegenfaile auch thun.^

1 Pimodan, La r^utiion de Toul ii la France. Paris 1885. p. 14 f.

* Johann von Nidbruck, gewöhnlich Hans von Metz {genannt, auch Dr. BruQo^ eoglischer Ageut ia deutschen Din{c*iQ uad Sleidaus Schwieger- vater (BaamgartoB. Sleidaas Briefwechsel p. 361. «Le 20 Juin 1520 mattre

Jehan Bruno du Poul-de-Nied est retenu aux appointements de 50 livres par ao. Ea alleuiand il s'appelait Bruno de Nidbruck (Abel, Rebelais p. Sl).

S Die XIII hatten darauf entschieden : «Sofern Pfalz, herzof? Wolfiranj? und Nassau biltenwoUen, inen wiUarn und jemand in meiner hu. uamea mii-

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In Strassburjf verfolgte man l)ejJ!:reitliclierwei>>e die Bevve* <iuii;:en Uer Verijümlelen mit ilcr grü-ssLen Spannung. Am 11. April eiluhr uian, dass Au-shur;,' sich mit den Furslen vertragen liäile, und diese nunmelu ^*'gen Ulm zögen ; gleich- zeitig kam aus Zabern die Nachricht, das von den Franzosen angeworbene deutsche Kriegsvolk liege bei Toul, am daselbst den Konnetabel zu erwarten. In einer Nacbscbrifl heisst es, der letztere sei doK am 5. angekommen, der König gedächte am 14. in Nancy einzutreffen ; «es könne aber niemand ge- wissUcb Yememen, wo hinaus er mit seinem Volk den Anzug ferner nehmen werde.»

In der Tbat herrschte bis Mitte April in Strassburg noch die grösäte Ungewissheit über die Lage, namentlich ob ein An- griff auf die Stadt zu befürchten sei oder nicht. In einer Auf- zeichnung von Jacob Sturm, freilich noch aus den letzten Tagen des März, heisst es: <So ist auch, hoff ich , kein Belage- rung zu besorgen, sondern acht ich, der Könige wird fortziehen.»* Und Sleidan schrieb am 16. April: «Was uns die Zukunft bringen wird, weiss Gott allein. Wir sind hier zwischen zwei Heeren. Von Schwaben her bedrohen uns die Fürsten, von Westen der Franzose, der heute in Metz> wie es heisst, seinen Einzug halten soll ; der Konnetabel ist daselbst bereits am 10. eingerückt. Wohin das französische Heer von dort aus .seinen Weg nehmen wird, ob nach Speier oder hierher, ist noch unbekannt. Wir selbst haben hier 200O Mann Kriegsvolk angeworben.»*

Nur zu bald sollte sich die Situation klären. Am 18. April ritt ein französischer Hei-old, Pietmont, in Strassburg ein, der dem Ammeister ein « welsches » Schreiben des Konnetabels aus Metz vom 12. des Monats folgenden Inhiiits einhändigte : s

Die guten Grunde, aus denen der König diesen Kriegszug unternommen, seien ihnen jedenfalls bekannt. Derselbe hatte ihn mit ein« la Teile seines Heeres nach Metz vorausgesandt, bei dessen Einwohnern er die beste Aufnahme und Bereitwillig- keit zur Unterstützung gefunden habe. Da sein Herr aber weiter

schicken, desplichen morfren auch helfen bei den nachbarn furdern. Wie widersianig erscheint da die .\ngabe [.egrelle s a. a. 0. 42, dass Strassburger Abgesandte dem franzfisischen Könige den Besitz von Metz zugesagt hatten !

) V. D. G. lad. III, nr. 13.

* Baumgarten a. a. O. p. 242.

9 AA, i9M i abgedruckt bei Kentzinger, Documents historigues 1 » 44.

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bis an den Hhcin zu ziehen gedieh It», so ersuchte er sie des- halb, Mehl, Biot, Wein und Haler gegen gebührende Bezahlung ins französische Lag-er zu Hefern. Ihren Kntschluss, <ler hoffent- lich dein heuiKlschaltlichen Verhällnis^e eülijpre( lien würde, in dem sie bislior zu doui franiosischen Könige und seinen Vor- fahren j^estanden, sollten .sie durch eine l^esondere Gesandtschari zu erkennen ;(eben. Das ^leiclie Ersuchen hätte er aucli an Bischof und Kapitel gerichtet, i

Der Rai entschied sich sofort dafür, an den König eine Botschaft zu senden und bestimmte zu derselben aus seiner Mitte Friedrich von Gottesheim und Peter Sturm, » denen er den Dr. Heinrich Kopp zuordnete. Denselben wurde folgende Instruktion erteilt : s

Mit Rücksicht auf das bisherige gute nachbarliche Verhält* nis und die diesjährige Teurung wären König und KonnetaM dringend lu ersodien, der Stadt und dem Lande den Durchzug zu ersparen ; sollte letzterer aber doch durch das Elsass gehen, so wäre um grösste Schonung zu bitten. Da ferner infolge der Teurung und fremder Aufkäufe es der Stadt an Frucht mangele, ^ bäte der Rat, derselben den begehrten Proviant zu erlassen. Man würde solchen ohne Zweifel im Lande bei dem Bischof und anderen Herrschaften in ausreichender Menge finden. Der Stadt Dörfer sollten ihrem Vermögen nach Zufuhr liefern. Hieran würde sich der König hoffentlich genügen lassen und den Rat und die ihm Zugehörigen derartig assekurieren> cdass sie sich ungnädigen willens und thätlicher Handlung nicht besorgen dürften.» Hätte doch Strassburg deshalb, dass es gegen den König und seinen Vater sich alles nachbarlichen Willens bis daher gehalten und erzeigt, gar viel Ungnade auf sich ge*

1 Gleiche Werbung war auch an Sehlettetadt und an die vier rheiniachen Kurfflraten ergangen» iwelchs Schreibens», wie der Pfalzgraf sich ausdrQckt, wir uns nit wenig entsetzt . 'DrulTel 2. nr. I3:i;i;. Als- prstpres bei Strassburg anfragte, was zu thun sein mocht, antwortete ihm dasselbe, «dass in diesem nit wobl 2tt raten, diewdl es ein PeÜ, darin man uns selbst nit wobt raten kann ; dieweil aber die Landvogtd dem Pfalzgrafen Churfilrsten sageihan, mochten sie es an denselben gelangen lassen» (R. u. 21. April 18).

^ Nicht Jakob, wie die meisten Bearbeitungen fiklschlich annehmen.

3 V. D. G. lad. III, nr. 13.

In der That war auf dem Kreistage zu Mölsheim, 29. Jan. 1552, eine Fruchtordnuog erlassen worden, in der weitere Aufkäufe untersagt wurden, «da die frocbt dadurch in hohen Aufschlag kommen, und noch höherer zumSchadeu der Unterthanen zu besorgen» (Str. St. AA 1fi6S).

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laden und oft «grosslich» entgelten müssen, weslialb der Hat auch veihofrt, dass der Köm^ die Stadt desto eher ^"ädig ver- schonen werde. Sollten die Franzosen aber auf dem Proviant bestehen, so würe in Erfahrunjj; zu bringen, wohin und wie weit derselbe zu führen. Wäie es ledig^lich zum Durchzuge, so sollte man auf ItXX) Vierlei Mehl unterhandeln. Hafer hätte man nicht im Vorrat, ebenso w-ürden sie Wein eher auf dem Laniie als in der Stadt finden, da dieselbe keinen Weinkeller hätte. Brot köimten jene auf den umliegenden Dörfern backen lassen. Zur Aushülfe wollte man ihnen gern Bäcker heraus- senden oder es ihnen in der Stadt selbst besorgen lassen. Würde der Konnetabel mit den 1000 Viertel Mehl nicht zu- frieden sein, so dürften sie noch weitere 500 Viertel Hafer oder Mehl bewilligen. Sobald man sich aber geeinigt, sollten die Gesandten von neuem darauf dringen, dass der König sie ver- sicherte, ihnen weder etwas weiteres zumuten, noch ein un- gutem» gegen sie vornehmen zu wollen. Ginge aber aus der ihnen zu teil w^enden Antwort hervor, dass man sich des Ueberzugs zu besorgen hätte, so sollten sie dies, «so Tag so Kacht» eilends nach Hause melden, ebenso alles Bertchtens- werte, was sie auf dem "Wege erführen, und am Botenlöhne nichts sparen.

Am 19. April wurde die Vertretung der Bürgerschaft, die 300 Schöffen, die bei allen wichtigen, das Wohl und Wehe der Stadt betreffenden Angelegenheiten zu Rate gezogen werden mussten, berufen, und ihnen ein Vergriff über die augenblick- liche Lage vorgelesen. «Und haben dieselben,» so heisst «8 in den Protokollen, cmit einhellig sagen, mein. hn. Reten Gewalt geben und wollen Leib und Leben zu ihnen setzen. »

In der Stadt herrschte die grosste Aufregung. Noch immer glaubte man, wie aus einem Briefe Sleidans vom 18. hervor- geht, eine Vereinigung der deutschen Fürsten mit dem Könige bei Strassburg befürchten zu müssen. ^ Und in einem anderen Schreiben vom 21. heisst es: «Alles ist in grösster Sorge, was die nächsten Tage bringen werden. Unsere Gesandten sind zum

1 «Metim arlMm GalluB tenet, et per viciDum nobis agrum iier faciens volet «tiam hanc nostram urbem forta-sis videre inullumque hoc ud ?uam gloriam pertiuere putabit, eousque signa promovisse. Quod si alter exerciius occupata Ulma caatarisque domitis ad nos etiam propius accedet, vides in quautis simus angasUia* Battmgartcn a. a. O. p. 249.

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französischen Könige abj,^ereist. Alsbald nach ihrer Rückkehr wird sich entscheiden, ob wir den ^ieg oder den Frieden haben werden.» i

Am 20. April verliessen die drei Strasshurger Gesandlen die Stadt und ritten über di^^ Zaberner Steipe nach Finstingeii, an welchem Orte sie den Konij^^ zu erwarten gedachten. Der letztere hatte indessen eine andere, südwestlichere Strasse einge- schlagen. Nachdem er am 21. von Metz aufgebrochen war, am 22. bei Nomeny gelagert hatte, traf er am 25. in Luneville^ am 26. in Blamont ein.*

Als die JStrassburo^ei- f'atslierren, Sturm und Golteslieim,, diese Marschrichtung des Koui^^s inne wurden, kehrten sie, indem sie voll.ständijz- daiaiif verzichteten, den leUleren doch noch aufzusucliPii , Sonntags den 25-. abends von Finstingen nach Strassburg wieder zutück, naciulcüi sie vorher den Dr. Kopp zu einem andprn Agenten der Stadt, Dr. Ulrich GeijJfer, mit einer auf letaleren au-i^estellten Instruktion nach Widcrsiiorf 3 abge- fertigt. Von iner ritt Geiger Montags früh mit 2 Sladtboten 8 Meilen Wejrs nach Luneville in dei- Holimmg. den Konne- tabel daselbst anzutrefTen und « das, so ei' von den Gesandten in Befehl, zu handeln. ^ Was ihm da begegnen und was er sonst des Ueberzugs iialber erfahren würde, wollte er durch einen seiner Begleiter dem Dr. Kopp mitteilen, der inzwischen nach Saarburg zurückgeeilt war, oder aber über den Haselsprung ^ direkt nach Strassburg gelangen lassen. »

Unwillkürlicb dnlngt sich hier die Frage auf, welche Umstände wolil die Strassbuiger Gesandten bestimmt liaben mögen, die Keise zum Konnetabel aufzugeben, da sie doch ebensogut wie Dr. Geiger den Weg nach Luneville halten ein- schlagen können. Schon damals erregte ihre plötzliche Flückkehr hei den Nachbarn grosse Verwunderung. Schrieb doch am 26. der Unterlandvogt von Hagenau im Auftrage des Pfalzgrafen Friedrich : Letzterem sei berichtet worden, dass obwohl sie vor wenigen Tagen ihre Botschaft an den französischen König geschickt, um diesem die begehrte Proviantierung, Pässe und

1 Hedio «D Erbitts ; Baanii Thesaurua epistol. Reform. Alstticorttm.

Ueher den Marsch dea Koniica vgl. RabuUn (Michaad ed Poajoulat VII, 411 f.j.

3 In fler Nühe Ton Dicuze.

Quelle der Hasel, die am Nollen entspriDgt.

5 Vgl. AA, 582. Kopp an die XIII. April 26.

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anderes zuzusagen^ sh» jetzt denselben eilends nachgesandt hatten, statt f?olcher Bewilligung sicli wieder zurückzubegeben, da (IfT Kaiser ihnen gnädigst eiitbülen, sieb bis znm nennten Tage gegen die « lürstehende Gew.ilt » zu halten, da ihnen bis dahin von ihm Kntsntz kommen würde, worauf sie sich dana endlich der Lregeni u^tmiL! entschlossen haben sollten. Sie mochten doch zurückschreiben, ob die Sache sich derartig verhielte.

Obwohl wir die Slrasshtirger Antwort nicht in den Akten fniden, koimen wir, glaube ich, trotzdem den wahren Sach- verhalt feststellen.

Offenbar war der Pfalzgraf schlecht untei richtet, vor aliem Ober den Inhalt der Instruktion.' Strassburg selbst wai- feinei' von vornherein zum WidersUtüde entschlossen, noch ehe ein Gesandter des Kaisers mit Versprechungen einti-af, was übri- gens erst Anfang Mai der Fall wai'. EndHch sind die beiden Ratijlierren nicht etwa /m öckgerui'en worden, sondern aus eigener Initiative nach Sti i>:jburg heinigerilten.

Jedenfalls hatten sie während ihres Aufenthaltes zn Finstingen die Ueberzeugung gewonnen, dass es auf mehr als Proviant- lieferung, dass es auf die Einnahme der Vaterstadt abgesehen sei. Anstatt daher mit ihrer bisherigen Instruktion als bevoll- mächtigte Ratsbotschaft Strassburgs den Konnetabel aufzusuchen, hielten sie es für zweckentsprechender, erst weitere Veriiahungs- massregeln beim Rate einzuholen und sandten an ihrer Stelle bloss den Agenten Dr. Geiger ab, ni( ht sowohl um im Namen der Stadt zu unterhandeln, als vielmehr über die wahren Ab- sichten der Franzosen Kundschati einzuziehen. 3 IJiul m der That ist es den uns vorliegenden Aktenstücken zufolge völlig ausgeschlossen, dass Dr. Geiger dem Konnetabel irgend welche Anerbietungen gemacht hätte. *

Nach den Briefen, die Dr. Kopp am 26. April aus Saar-

1 Vgl. oben p. 2*1.

- hl (lern Briefe Kopps bewst es ausirücklicb : «Aus weichten l rsachen dio G(>saiKlteti wietler nach Hanse geritten seien, Würden sie« die Herrn XIII,

VOD jeucD selbst erfahren haben.«

3 Dr. Kopp schreibt niiialich am 2G. April aus Saarburg: «Da der Rat nun Bescbeid wQsste, wessen man sich vom Könige zu versehen bftttej sei es Ittr ihn [seil. Kopp) Uberflttsstg, Dr. Ulrichs Antwort ferner zu erwarten.»

4 Entschuldigten sich doch die Strassburger Gesandten spater ausdrücklich beim Konnetabeb warum man ihn nicht gleich auf sein erstes Schreiben hin «ufgesucht habe. Vgl. unten p. 42.

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hui'i; iiac Ii Strassbin>r sandle, ifju*Jste mau sich hier in der That auf das Aeus.serst*^ «^ofasst inaclien.

Er wäre, sclirieb er 4 Ulir morgens, in der Nacht in Saarburg angelangt TTier hätte er des Bischofs von Metz Kanzler, Dl*. Gaillard, nnp^etiolien, der auf Befehl seine* Herrn eine grosse KoiTiniiN>i(>n aiis^'^erit ht» t , ebenso Abgesandte von Hape- nnii und Weisseiihiii^, die niil dein Konnetabel wegen l^roviants unterhandeln wollten. All;^* nu iii iiiesse es, dass dieser Zug, a was Gott gnädiglii h wende g»\uen Strasshnrg gerichtet, und hätte sich der Metzer Kanzler gegenültei dem Junker von Lntzelbnrg vernehmen lassen, es werde der Koni-: die Stadl um den Duk hzug nicht unversucht, auch an guten und bösen Worten nicht fehlen lassen und zuletzt die Gewalt mit Ernst gebrauchen >. El>enso sollte der lUieingraf geäussert halien . w Sie bra( iden Gescluitz mit sich. i»r;iehen die Man«M n ni< lit davon, so wurden sie sich docli zum wenigsten i)u*gen.» Kr, Kopp, hätte auch von etliclien vom Adel und dein Metzei- Kanzler verstanden, mit welcher ( ieschwin«ligkeit dei knnne- tabel in die Stadt Metz luneingekornmen sei « wozu die Discordia der Obrigkeit und Bürgerschaft gute Steuer gethan liabe».i Die Franzosen, die in Besatzung geblieben, « red en ihnen ganz übel mit grosser Verachtung, dass sie e i ne solehegute Stadt so leichtlich aufgegeben». Wenn sie si* h zur Wehr gesetzt, hatte der König aus Mangel an Proviant nic ht über aclit Tage vor derselben J)leiben mögen. Auch etliche hanzösische Hauptleute und Kommissarien hatten si( h dahin geäussert, dass der König Strassburg durch den Kminetabel bis Sonntag autlbrdern lassen oder mit Gewalt einzunehmen versuchen werde, cln- dessen wiewohl die Franzosen ihren gewissen victoriam pro- mitticren und lünnalen, so vermerke ich daneben, dass, wenn es zu keiner Verräterei odei- Meuterei untei IJui-gerschatl und Knechten kommt, und in der Stadt Einigkeit, dazu Ordnung und der Proviant erhalten lileibt, diese Belagerung nicht lange währen soll, und des Königs Gelegenheit nicht sein würde, sich in die harr davor zu soumen.»

Einer von des SchertHns Hauptleuten, von Schwalbach, * würde morgen nach Strassburg reiten ; doch hätte er nicht

I Aucli Thuanus X, 302 aagt : Daae erant in civttate factioDes, aenatoruin

et plebejorum. »

1 Derselbe war Scbertlüis Oberstlieuteaa&t ; vgl. S«b. Scberllia a. a. O. p. ül.

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erfahren können, was solcher in der Stadt praktizieren wollte. Derselbe hätte ebenfalls sich hören lassen : Der König werde bis Samstag Oeffnung hegehren, und da solche nicht zu erhal- ten, dahin handeln, dass man etliche seines Kriegsvolks rotten- weise hineinliesse, allerhand ihrer Gelegenheit nach zu kaufen . durch solche Mittel würde er versuchen, was ihm von nöten, auszurichten und <so alles falet», mit seinem schweren Geschütze Bresche schiessen. . Ebenso hätte er von einem alten franzö- sischen Kriegsmanne, der jetzt in des Metzer Bischofs Dienst, vmiommeny Kftnig werde diese Stadt «durch allerlei geschwinde Praktika^ heimlichen Verstand, (vulgariter genannt Verräterei) * oder nut Gewalt zu erobern versuehen ; verliesse sich viel auf sein Geschütz nnd die Menge zum Sturme geübter Knechle. cEs möchten Ew. Gnaden aat den Scawalbach und andere, was ihre Handlung, Kandscbaft machen. Der Allmäch- tige wolle dieselben samt gein. Stadt vor diesem heichwer- liehen, nnversehenlichen Ueberfoll gnädiglich bewahren und erlösen. Amen.»

Noch besorgniserregender lautete ein zweiter, an demselben Tage nachmittags geschriebener Brief des Dr. Kopp.

ein dieser Stund ist ein Bürger aus Strassburg, Namens Cäsar, der ein Franzose und von dem K5nige Dienstgeld hat, vor meiner Herberge abgestiegen und hat mich, obwohl ich es nicht gern gesehen, erblickt und erkannt. Deshalb konnte ich es nicht unterlassen, ihn anzusprechen. In seiner Begleitung ist ein anderer Franzose, auch Börger zu Strassburg, genannt Pierre Margot, gewesen, der aus Metz gekommen, während Cäsar aus dem Lager. Als ich letzterem angezeigt, welche be- schwerlichen Reden ich wegen des Ueberzugs vernommen, hat er mit vielen Worten und ganz unbescheiden widersprochen : Wer solches vorgäbe, sei ein Lügner; der König selbst hätte ihm gesagt, er beehrte nichts Thätliches gegen die Stadt vor- zunehmen ; er wollte lediglich während seines Aufenthalts zu Zabern genügenden Proviant für Geld haben, und dass seine Leute ein- und ausgehen und, was ihnen von nüten, kaufen dürften. Solches hätte er, Cäsar, laut seiner Kredenz mit Ew. Gnaden mündlich zu verhandeln. «Und befand ich also aus seiner Anzeige eben die königlichen Praktika, wovon mir der Junker von Lützel bürg und "Metzer Kanzler gesagt, und ist zu besorgen, dieser Cäsar und andere mehr in der Stadt sind dem Könige zum Vorteil bestellt. Gott behüte E. Gn. und gem.

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Stadt vor Vernitprei ! Ew. Gn. sind ohne meinen Rat vpi-standig und weise ^eiiui:, aber dieweil mich so viel hin und wieder anlangt, und dem Könijre kein Glauben zuzustellen, er e b e so j^'^ u t e Worte a I s e r i iiMn e r m a jf, so hah ich tw. Gnaden in Eil aus schuldiger Pllicht verwarnen wollen, sich vor Cäsar, diesem Bürj^er und Franzosen und anderen mehr in der Stadt, sie seien Deutsche o<lei- Welsche, wohl vorruschen, damit keine Verräterei ins Werk {gesetzt werde.»

Endlich heisst es in einem heii^a'lejrien Zettel : «Gn. Herren ! Post datum habe ich soviel vermerkt, dass der genannte Cäsar und seine Gesellen mir g^anz verdächti^^ und zum wenigsten Kundschatter, wo nicht ärger sind. Der Allmachtige bew;ihre unsere Stadt vor \ erräterei ! Es lässt sich ansehen^ der König werde nichts unterlassen und Welsche und Deutsche dazu gebrauchen, also dass man wider heimliche Praktika in dei- Stadt nicht wenip:er dann gegen die äusserliche Gewalt müsse gefasst sein. Mir kommt eine Warnung über die andere, man solle des Franzosen guten W^orten keinen Glauben zustellen, sei eitel Betrug ; er hat denen von Meiz, wie mir der Kanzler l>erichtet, so wohlgestellte Briefe Neutralitatis gegeben und andere Zusage gethan, dass sie nicht besser versichert werden mögen. Was aber gefolgt, liegt offen am Tage; haben doch Jene alle Schlüssel über ihie Barschaften, Munition und anderes geben müssen.»

Die Stadt selbst war inzwischen in vollen Verteidigungs- zustand versetzt worden.

Die beiden Fähnlein, die bisher ausserhalb untergebracht gewesen waren, wurden hereingelegt. > Den ausgemusterten Bürgern wurden Haupt- und andere Befehlsleute zugeordnet, und ihnen vier Plätze angewiesen, ebenso den inzwischen mit Waffen versehenen Handwerksgesellen. Äl»er alles dieses erach- tete man noch nicht fflr ausreichend.

Auf die Anfrage im Rate, ob nicht weitere Knechte anzu- werben seien» « falls sich der Franzose det Stadt annehmen sollte,» trat man mit dem Domkapitel in Unterhandlung. Als dasselbe wohl Kriegsvolk aufbringen wollte, gleichzeitig aber die Befürchtung aussprach, das Bistum möchte deshalb ver- brannt werden, wurde ihm zur Antwort : Mit der Stadt wäre

^ Ihr lArmplatE war, «wo die annen Leute nach Kroneabarg gefOhrt

werden » .

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auch jenes verloren und wüiile vom Könige zum höchsten [»eschwert werden, wie aucli Metz ein stien^^es Jurament habe thun müssen. Onmufhin erklärte das Kapitel sich bereit, 20(X) Mann zu M. Uen, falls solche in des Rates Namen herge- tülirt wüiiii II, uLerbnupt all sein Vermögen zu demselben zu setzen und zu tliun, «was dieser wollte, und sie sollten.»

Aus diesen und anderwärts angeworbenen Mannschaften wurden drei neue Falmleiii zusammengestellt, resp. die anderen drei verstärkt, so dass die sechs soviel Knechte zählten, als sonst in zwölfen zu sein pflejrten, darunter eine grosse Anzahl von Schulzen iind Doppelsöldnern, i Daneben unterhielt man, wie gesagt, ein starkes Fähnlein Handwerksgesellen und etliche Hundert Unterthanen auf dem Lande mit wöchentlich einem Gulden Wartegeld.« Die Gesamtstärke des Kriegsvolkes wird von SIeidan jedenfalls nicht zu hoch auf 5000 Mann angegeben. Der Oberbefehl Ober diese stattliche Macht, welche, da noch die gesamte waffenfähige Bürgerschaft zur Verteidigung mit herangezogen werden konnte, fOr die damaligen Verhältnisse stark genug war, einer Belagerung standzuhalten,' wurde einem wackeren, erfohn^nen Kriegsobersten, Klaus von Hatt- stadt,* übertragen, der vom Rate eiligst berufen, «Tag und

1 Jedes der Fähnlein hatte etwa 600 Mann (K. u. 21. Mai 28) ; nach Herzog u. u. O. 2, 175 sogar 700.

S Von . den letzteren wurden die am weitesten wohnenden in der Stadt behalten, dia anderan» die man in einem Tage hereinbringen konnte, benrlaubt.

3 Die fratizusische Besatzung Slrassburgs betrug 18*70 beim Ausbruche des Krieges 7000 Kupfe und stieg in der zweiten Hälfte des August auf etwa 23,000 Mann «eine zur Verteidigung des Platzes vollständig ausreichende StreiterzaU» (Der deutach-franz. Krieg red. vom Qeneralstabe II, 1332).

4 Dieaer tapfere Kriegsmann war der letzte jenes mächtigen oberelsäsai- schen Freihermgeschlechles, dessen Burg einst auf der Höhe der Vogesen zwischen Sulzbach im Münsterthale und Herlisheim emporragte. 1536 stand er als Hauptmann unter Wilhelm von Fftrstenberg in französischen, 1539 in säch- sischen Diensten (PoUt. Korreaptmdenz d. Stadt Strassburg II, 338 u. 655). Ueber das Strassburger Kriegsvolk war er Oberst Ende April und im Mai. Letztere Angabe bei Lorenz u. Scherer, Geschichte dea Eisasses 243, seinerzeit von mir bestritten (Deutsche Litteratui zeitung 1M5 nr. 50), hat sich mir nachtraglich nun doch als richtig beFausgestellt. Anfang Juni erhält er vom Kaiser den Auftrag, ihm die entlassenen Kriegsknechte zuzuführen um! machte in seinem lieere die Belagerung von Metz mit. Mai 1553 schreibt König Ferdinand : t Aines geschicktmi Kriegserfahrenen hauptmanna halben ist Claus von Hatlstadt darzue wol zunemen> Innsbr. Arch. V. d. Köa. M. X, 535'. Kaiserlicher Landsknechtoberst 1557 bei StfQuentin, 15G8 Bürger zu Basel, Starb er daselbst 1585. Er hatte mit einer Magd drei Söhne und drei Töchter, dl» König Ferdinand L 1561 legitimierte« (Kindler v. Knobloch, Der alte Adel i. Ober-Blsass p. 35).

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Nacht im Sattel,» am '25. in der Stadt eintraf und sofort seine Thütif^keit antrat. Neben der Anwerbung von Truppen sorgte man durch allerhand Massregein für Sicherunj^ und Verstärkung der Befestigungen der Stadt. Die Schanzkorbe wurden aufge- stellt und gefüllt, in der Nacht die «Grendel» i auf den Strassen und die Gatter an den Brücken ^geschlossen. Jeder Bürijer hatte vor seiner Hau^thur mit Wasser gefüllte Gefasse atifzustellen.

Am 19. April wurde den XIII Gewalt ^»^egeben, abzuhauen und hinwegzuschafTen, was der Verteidigung irgendwie hindei- lich. Demgemäss wurden vor dem Weissturmthoro in den Gärten verschiedener Bürger, nicht ohne Beschwerde derselben, die Bäume niedergelegt, «damit sich kein Volk darin halten möge», und das Holz herein geführt. 2 Am ^'efährdetstcn aber erschien der auf I)eiden Seiten des Judenthors ^e^-^enüber den Schiltigheimer Höhen gelegene Teil der Stadt. Auf den Vortrag einer durch etliche Hauptleute und Büchsenmeister verstärkten Dreizehnerkommission, in welcher Jacob Sturm den Vorsitz führte, wurde vom Rate zunächst angeordnet, dass auf dem vor der bezei( inieten Strecke gelegenen Schie^siam und Wa- seneck luden dem Abholzen der Baume alle Ziegeloteii und Gehäulii likeiteii, 3 darunter die Srliie&shäusei- der Büchsi-n- und Armhrustsctiützen, dem Uodeii gleich gemacht würden. Unmittelbar darauf schritt man zur Anlage einer neuen Befes- tigung. Es wurde ein Graben ausgehoben, der von St-Clara- Wörth bis au das Rauscherthörlein am JL>reizehnergraben reichte.^

' Jedeufalls; Vorrichtungen zum Absperren gewisser Strassen.

^ Aebnliches that man vor eleu audtiruu Thoreu,* so wurtieu alle «Uegrab- iiiss«* und da« Hemobrünnlein vor dem Spitalthore abgebrochen (Scbadtos).

^ lieber das Einzelne vgl. Silbermaan, Lokalgescbicbte d. Stadt Strassburg p. 100, der seinerseits wieder Büheler uud Specklin benutzt hat.

Die letzteren erhielten 1558 ein neues Gebäude (Büheler, Bulletin de la soc. pour ia conserv. des mon. bist. II, 13, 104). £s steht noch heutzutage auf dem früheren Klots'achen Zimmerhofe neben der Jadenbfücke.

^ Silber mann p. 100. lieber die Art der Auafnhrung der Arbeit ent- halten die Chroniken recht anschauliche Schilderungen. Die Bürgerschaft musste frobnen, und zwar jede Zunft an dem ihr angeA^nesenen Platze. Die Zünfte schlugen draussen ihre Zelte auf, unter denen sie im Schatten essen und tranicen da es ein warme zeit war, denn das werk wfthrte den ganzen Sommer. » Etliche Zünfte verdingten ihren Platz rruh armen Leuten, «Weib und Mann, werkt alles daran, und welcher arme Mensch werken wollte, dem gab mau von 1 0 Schaltbebren mit Grund zu fohren 1 ^, also gieng es dapfer von statt». Aach die Landsknechte frohnten mit, zogen mit Spiel und Gewehr dabin, jeden Morgen ein Fähnlein, nachmittags durch ein anderes erseUt. Vgl. Boheler a. a. O. p. 97 ; auch R. u. 21. Mai 14.

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Es ist dies der noch 1870 besiehende breite Graben vor der Hauptenceinte von der St- Clara -Bastion (XV) bis Bastion XIII, (d. h. von der heutigen Pionier- bis zur Finkiiiatlkaserne). In der Mitte wurde eine Wehre gebaut (später Bastion XIV). Ver- mittelst der ausgeiiübenen Erde errichtete man hinter denn Graben einen Wall und versah densf^lben mit einer Futter- mauer.i es an Bausteinen fehlte, wuide zu diesem Zwecke, wie die Chroniken meiden, eine Anzahl baulälli*jrer, meist kirchUcher Gebäude abgebrochen, auch unleserlich gewordene Grabsteine mit hineingemanert. « Das ganze Werk, als dessen Lohnherr B. Go<jrmann genannt wird, unter dem als W^erk- meister Hans Frauweier stand, wurde erst im Jahre 1556 fertig. 3

Mit grosser Geschättigkeit suchte man sich den nötigen Muudvurrat zu sichern, zumal da das Landvolk in hellen Schalen in die Stadt flüclitete, «.das ein karch oder wagen dem andern auf den Strassen nit entweichen kund.»* Weder Fleisch noch Getreide Üess man aus der Stadt hinausgehen. Um Preissteigerung zu verhüten, durfte niemand mehr als 10 Viertel Frucht ankaufen. \on den Nachbarn, namentlich aus OffenLurg und Gengenbach wurde Mehl in grossen Quantitäten herangeführt.'» Die Melzger hatten ihr Schlachtvieh Uereiuzu-

l Vgl. u. 8. Kraus, Kunst a. Altertum I, 386, der toh der Webre (Bastion XIV) sagt: «Es ist das erste Beispiel einer Bastion im eigentlichen Sinne in Strassburg. Ei steht der Hauptsache nach noch heute (seil. 1876} in seioer ursprünglichen Gestalt , und von dem Walle : Derselbe war vorn mit einer Mauer Yeiaehen als anliegendem Revetement und Barbakane. >

5 Ueber das etocelne vgl. Silbermann p. iOi,

^ Vgl. Specklin, Büheler, Schad&us. Das durch den Wall führende Judenthor erhielt die Inschrift: «Heiuruo Galliarum rege tnilitera in Ca- rolum V. imp. augustum per hanc Germaniae partem ducente s. p. Argen- tinensis portam banc aggere et fossa muniii lecit. anno Domini MDLII. Menae Majo.i Zu beiden Seiten des Thores befanden sich die Worte: «Präsidio civibu«! . . . Terrori hostibus (Silbermann p. 101). Am 21. April 52 schreibt liedio ganz ähnlich : «Die Stadt nimmt Khegsvolk an tcivibus tutaudis, hosli- bns areendis*. Laguille, Histoire de province d'AiMce II, 4. 34/37 sagt darCtber : «Iis ont mfime touIo que ccttp porte fdt un monument de leur fid61it6 et de leur Tifele pour Tempereur. Seine Behauptung-: «Ce nouvel 6difice servil de prätexte aux Magistrats pour ruiner plusieurs chapelles et plusieurs Honas- terest erscheint mir ungerechtfertittt.

* Schadftns. Die Hineingellohenen mussten schwören : « Der Stadt Strassburg trew und hold zu sein, schaden wahren, nutz furdern, geboten und verboten frehorsatn sein, trewlich helfen retten und das best ZUthun, wo ein jeder hin beschieden werd« * V. D. (j. lad. III, nr. 13).

6 Offenburg an Strassburg. April S6 u. 30. AA 585.

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treiben, an die umliegenden Dörfer liess man die ^Heicbo Aul- forderung^ ergehen, der Feind würde es ihnen sonst ohne jedes Entgelt nehmen. Wasser-, Hand- und Rossmühlen wurden Ta;( und Naeht, in Stadt und Land in Bewe<(ung gesetzt. Sobald Mehl Yen draussen hereinkam, wurde Frucht zum Mahlen hinausgeaendet. In allen Backdfen wurde Brot in Vorrat ge- backen. *

Auch gegen die geschwinden Praktiken», vor denen Kopp gewarnt hatte, war man, durch die Metzer Vorgänge gewitzigt^ auf der Hut. Gani besondere Sorgfalt widmete man der Verwahrung der Thore. Jedes derselben wurde von eincHr Rotte Landsknechte bewaeht, deren Hauptmann ans den Zünften genommen wurde. Die SchlAsset wurden einxdnen Ratsherrn anvertraut, welche morgens und abends beim Oeffnen und Sehllessen durch die ThorhQter zugegen sein muroten.

In der That fehlte es nicht an Verdächtigungen aller Art. Einmal werden etliche Welsche, die Speck angekauft und ins franiOsische Lager gefilhrt haben sollten, gefänglich eingezogen , an demselben Tage drei Leute, die durch Hin- und Herreiten sich verdächtig gemacht hatten. Da hafte eine Frau von ihrem Manne, der beim französischen Kriegsvolke stand, ein Schreiben über das andere erhalten. Als daher einige Weiber, deren Männer im französischen Lager, äussern, sie wollten mit Zurficklassung ihrer Kinder hinaus, wird ihnen von Rats wegen bedeutet, wenn sie sich hinw^gthäten, würde nian die letzteren ohne alle Barmherzigkeit aus der Stadt weisen. Die Wirte mussten alle bei ihnen eintreffenden Fremden beim Ammeister anmel- den. Den Mitgliedern der aus c Welschen» bestehenden refor- mierten Gemeinde' wurde durch ihre Predigerund Kirchspiel- pfleger angekündigt, dass, wer das Bürgerrecht nicht besässe, die Stadt zu verlassen habe, die übrigen aber sich hüten sollten, nach dem Lager hin zu korrespondieren oder gar eine Meuterei anzurichten. Gleiches wurde auch einigen welschen Pfaffen auf dem Stifte, die weder Bürger noch Zunflgenossen, vorge- halten.

1 Als spüter am 28. Mai die Beckenknechte bitten, ihnen nach altem Brauche zu vergönnen, den Montag zu halten und mit Pfeifen, Trommeln und dem iPetsen* (Fahne) ihren Umsug ta hatten, ^rd es ihnen gestettet« dieweil sie ihren Fleiss im Becken angewendet; doch deM sie he&cheiden aeien und

fOrder mit dem Backen desto ileissiger.

2 Ueber dieselbe vgl. £richsoQ, L'Eglise tran^aise de Strasbourg au seiziöme si^cle. 1886.

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Am 24. April wurden die Zünfte selbst versammelt, und ihnen folgender Vergriff vorgetragen, in welchem der Rat seinen festen Entschluss aussprach, jeden Angriff auf der Stadt Selb- ständigkat mannhaft zurückzuweisen :

Obwohl man niemand Ursache gegeben, etwas Thätliches gegen die Stadt vorzunehmen, so könnte man doch nicht wissen» was .bei diesen geföhrlichen Zeiten gesucht werden möchte. «Bieweil nuin Strassburg also herkommen, und unsere Eltern und Vorfahren es bis auf uns so ehriich hergebracht, dass mit beständiger Wahrheit ihnen kein Unehr oder billicher Verweis zugelegt werden mag», so hätte der Rat gemansam mit Schöffen und Amman sich ^tschlossen, den ehrlichen von den Vor* fohren hinterlassenen Namen und Ruhm, auch der Stadt Frei- heit und Herkommen, soviel in ihrem Vermögen stände, zu erhalten, und ob ihnen jemand etwas zumuten würde, das gegen ehrlich Herkommen, der Stadt Freiheit oder gegen Pflicht, Ehre und Eid wäre, und sie «über ihre pilliche und notwendige entschuldigung und abschlegige antwort mit gewalt. und der that tringen wollte», zu Abtreibung desselben und von Gott erlaubter Geginwefar ihr Vermögen darzustrecken, in festem Vertrauen, der Allmächtige werde sie in ihrem so ehr- baren und löblidien Vorhaben mit seiner Gnade und Hülfe nicht verlassen. Der Rat sei der Zuversicht, dass auch sie, die Zünfte, bereit wären, die von den Vorfahren überlieferte Ehre und Freiheit sich, ihren Weibern, Kindern und Nachkommen zu erhalten. Deshalb sollte sich niemand «durch einiche Bere- dung, Fürgebung oder in anderen Weg, es geschehe gleich in was Schein es wolle, anders bei<eden,, verwenen noch von Rat und Schößen abwenden lassen» sondern in aolchem Notfalle mit Leib und Gut treu zu Rat und Stadt stehen. Um aber, cverrer unrat möglichst zuvorzukommen», sollten sie jeden, der dem zuwider handeln würde, sowie auch alle Flüchtigen, die hei ihnen eine Unterkunft gefunden, zur Anzeige bringen und die Einquartierung der Kriegsknechte mit Geduld ertragen.

Noch einmal bot man alles auf, um sich auch von aussen her Hülfe zu sichern. Von neuem wendete man sich an die befreundeten eidgenössischen Städte, damit sie, ebenso wie sie vorher den Zug Schertlins von der Stadt abgelenkt hatten, jetzt den König bestimmten, dieselbe zu verschonen und sich am

> V. X>, G. lad. III, nr. 13.

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Durchzuge durch das Land genügen zu lassen. Während «her Bern jedes selbständige Vorgehen von der Hand wies, sendete Basel, nachdem es an&ngs geschwankt, ob es Strassburgfs Verlangen nachkommen sollte, weil es selbst zu a: kleinfugig 2> sei, doch schliesslich, da auch die österreichische Landvogtei und die übrigen oberelsassischen Stände dasselbe Ansuchen stellten, am 28. April seine Ratsbotschaft an den französischen König ab, die denselben in Zabern erreichte, i

Der Churi'urst Pfalzgraf antwortete den Strassbui gern auf ihre Mitteilung, dass ihnen mehr als gewiss Bericht, gewor- den, dass der König von Frankreich Willens sei, sich der Stadt mit Gewalt anzunehmen, in derselben schwächlichen Weise, die sein ganzes Verhalten kennzeichnet : dass ihm ihre bedränjxte Lage leid thfite, er auch g^ern durch gütliche Hand- lung Abhülfe Schäften wolle, dass solches aber nicht allein durch ihn, sondern viel besser durch sämtliche rheinische Kurfürsten geschehen müsste. Da letzlere nun nebst an(|eren Fürsten am 1. Mai zu W^orms zu einer Beratschlagung zusam- menkommen würden, wie die Kriegsempörung ahzu wenden, und sie und ihre Unterlhanen vor Schaden _zu behüten wären, sollte Strassburg ebenfalls dahin seine Ratsbotschaft senden. 2

Von dem Kaiser, der sich damals ohne Truppen und Geld in !iÖ4'hst tiilüoser Lage zu Innsbruck Ijefand,^ hatte man seit nietneren Wochen rnchfs mein geliört.* Erst in den ersten Tagen des Mai erhielten Meister und Rat zwei Schreiben von ihm. 5 In diesen äusserte er sein Bedauern, dass ihre t^nfer- hiuidlungen mit der el>assisciien Ritterschafl, dass diese die Verteidigung der Stadt mit übernäiime, sich zerschlagen hätten, «iiieweil nun nicht allein euch selbst, sondern auch uns und dem Reiche zum höchsten daran gelegen ist, dass die Stadt Strassburg als ein «(Üi tfleck» (Grenzplatz) des letzteren aufs statt- lichste verwahrt und vor fremdei Gewalt und Uebeifall eriettet werde, » so begehre er, dass sie solche Verhandiungen zu wirk-

1 AA 589. April 28

^ AA 584. April 28 u. 3(K Vod Strussburg aus ging nach Wurms Dr. Bernhard Botsbetm.

S Vgl. diriUwr Schfinherr a. a. O. p. 258 f.

4 Baumgarten a. a. O. p.^9. Sleidan an W. Cecil. 18. April : «Quid Caesar agat aut ubi sit, nescimus« : ebenso Hedio an £rbiu8 am 21 April : Da

Caesarea majestate nihil scribere püssum.» ^ AA 5'79. luQspruck April 22 u. 25.

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lieber, fürderiieher Vergleichang brachten. Dasselbe Ansuchen habe er auch an die Ritterschaft gerichtet.^ Zugleich sprach er seine feste Zuversicht aus, dass sie ihrem cmehrfocben Schrei- ben und löblichem Erbieten nach» in gegenwartiger Empö- rung gehorsam sich erzeigen wurden, ohne ihnen freilich ausser der Zusage, sie als treues Glied des Reiches jederzeit in Schuts und Schirm lialten zu wollen, irgend welche bestimmte Hälfe in Aussicht zu stellen.

Dagegen hatte man mit der Regierung zu Ensisheim die ganze Zeit über in reger Korrespondenz gestanden. > Auf die Nachricht, dass Heinrich II, auf Zabern zdge, hatten Land- vogt und Regenten dem Kaiser und dem Könige sofort mitgeteilt, dass sie grosse Försorge trügen, dass jener Strassburg verge- waltigen möchte, und beide Majestäten dringend gebeten, vor allem letztere Stadt, da an ihr am meisten gelegen wäre, zu bedenken. Dieselbe sollte zwar mit Fussvolk und sonst zur Not dürft gefasst sein, an Reisigen aber Mangel haben.' Ehe noch Antwort von Innsbruck eintrefleti konnte, sicherten sie Strass* bürg bei seinem ehrlichen Vornehmen Hilfe und Rat, soviel in ihren Kräften, zu und forderten auch den Landvogt in der Ortenau, Andre von Konritz, auf, alles Kriegsvolk, was er irgendwie entbehren könnte, in die Stadt zu schicken.

Letzterer richtete darauf am 26. April au Meister und Rat folgende treuherzige Werte : cAuch unaufgefordert hätte er sich verpflichtet gehalten, ihnen zu Hilfe zu kommen, c die weil an der stat Strasburg als aine stehline Vormauer nit allein dem ganzen Rheinstrom, sondern auch deutscher Nition hoch und vil gelegen: das pillich menniglich, damit die stat erhalten, das best thun soll.» Leider sei er aber, da die Kriegsfürsten allen Nach- richten zufolge die ihm unterstellten Lande bedrohten, augen- blicklich ausser stände, ihnen seine Utitorstützung zu teil werden zu lassen. «Grot weiss es, dass ich solches wider allen meinen

1 AA 5*19. April 22. Karl V'. an RiUerschait uud .Allel im EUaää. s Vgl. oben p. 18 u. 14.

3 Vgl. Sehreibeo derselben vom 9. Mai. AA 579. Auf dea Beriebt

von Ensisheim hin hatte die limsbrucker Hegieruog dem Risohaf von Arras vorgestellt, dass sie vermuteten, wenn iler Franzose Strassburjj; mit Gewalt oder auf andere Weise zu seinen Haiideu brmgda sollte, er letzteres, das ohnedies von Natur und Gebe wem stark und fest sei, erst recht befestige, so dass es alsdann nicht wohl möglich, dasselbe in kurzer Zeit und ohne grosse Kosten aod Blutvergiessea wieUerzuerobera (laasbr. A,rcbiv aa die k. maj. XI, fol 107j.

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Willen und gani ungern thue ; denn euch und gemeiner Stadt lu dieneoi bin ich von Henen begierig. Der AllmSchtige verleihe euch zu eurem mannlichen und redlichen Vornehmen seine gött- liche Gnade und Kraft; es wird euch und euern Nach* kommen in viel Wege ehrlich^ r&hmlich und nütz- lich sein» und sobald dieser Sturmwind bei mir nachlasst, sollt ihr an mir einen getreuen, guten Nachbarn im Werk befinden. » i

Am 27. April, an demselben Tage, an welchem der Rat die bedrohlichen Nachrichten von Dr. Kopp erhalten hatte, wurden ihm zwei Schreiben aus dem französischen Lager über- mittelty das eine vom Könige selbst» das andere vom Konnetabel ausgehend.» Darin sprachen dieselben für die dem früheren Herolde ge$2^enüber gezeigte Bereitwilligkeif, das französische Heer mit Proviant zu unterstfitzen s (sie I), ihren Dank und gleichzeitig die Bitte aus, dem Ueberbringer mitzuteilen, was man in dieser Beziehung thun wollte.

Man entliess den französischen Herold, Pellissier, mit dem Beschade : man wolle dem Könige mit eigener Botschaft antworten.

An demselben Tage werden die Stadttbore geschlossen, und die Knechte erhalten Kraut und liOt (Pulver und Blei).

Zu Gesandten wird neben Peter Sturm und Gotlesheim der Licentiat SIeidan bestimmt. Dieselben sollten den Rat aus- drücklich dagegen verwahren, dass er sich dem ersten Herolde gq^enüber zu irgend etwas anderem verpflichtet hätte, als über- haupt eine Botschaft zu schicken. Im übrigen hatten sie im wesentlichen die alte Instruktion : sie sollten den König bitten, die Stadt ndöglichst mit jeder Proviant lieferung zu verschonen, fills er aber darauf bestände, 1000 Viertel Korn und 50 Fuder Wein anbieten.^

» AA 585. April 26.

' Vgl. Anhang Nr. I uii<i II. Beide sind vom 25. April, das des Koaigs auä dem Lager vou Haraucourt, dasjenige des wohl bei der Avantgarde betiod- lichen Konnetabel aus dem elwta weiter dsllich gelegenen Crivy, heute Crdvic. fBeide Ortschaften liegen zwischen St-Nicolas und Lundville.) Nach Kabutin traf das französische Heer in letzterer Stadt noch am 25. ein ; vgl. oben p. 29.

* Dats diese Behauptung eine fatache, ergiebt sich aus der weiteren Dar- atellung.

4 Ueber das Folgende sind wir eingehend interrichtet durch R u 2! April 30 und Mai 2, sowie den Scbötfenvergriff von demselben Tage

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Seinem Vortrabe, der am S7. in Saarbnrg eingetroffen war^ folgte Heinrich IL am 28, dahin nach.t Sein Heer breitete sich in der Nähe der Stadt längs einer Anhöhe aus ; Im ROcken hatte man Wald, vor sich Wiesen, durch die sich die Saar schlängelte. Der Konnetabel lag mit der Avantgarde auf Kanons-* s( hus^sweile davor, in dem grdssten Gehöfte eines Dörfchens, der König selbst eine halbe Stunde dahinter in einem auf einem Hügel gelegenen Schlosse.*

Auf dem Wege nach Saarburg hatten sich die Strassburger Gesandten an den Konnetabel um schriftliches Geleit gewendet, worauf er ilmen antwortete: Sie brauchten solches nicht, hätten wegen der Freundschaft, die die Stadt mit dem Könige bisher gehabt, nichts zu besorgen. Er hoffe, sie würden sich in dasBündnis begeben. Aus Italien sei Nachricht gekommen , dass der Papst sich mit dem Könige vertragen, und das Konzil aufgehoben sei.

Samstag den 30. gegen Abend trafen die Strassburger im französischen Hauptquartiere ein und wurden vom deutschen Landsknechtoberst Reckenrod in des Königs Losament geführt, «in welchem dieser samt dem Konnetabel, ein Sekretarius und noch drei gewesen.]» 3 Sleidan erklärte, man wäre bereits auf dem Wege zu seiner Majestät gewesen, aber weil man geglaubt, sie hätte einen anderen eingeschlagen, wieder umgekehrt. Da viele Jahre hindurch Misswachs und Teuerung geherrscht, könnte man nichts aus der Stadt entbehren, hoffte aber, der König würde auf dem Lande Proviant genug vorfinden. Im übrigen gedächte man, wie bisher gute Freundschaft zu halten.

Hierauf antwortete der Konnetaliel : Der König sei auf Bitten etlicher Fürsten, dem deutschen Lande zu gutra, im Felde erschienen ; er versähe sich daher, sie hätten einen an- deren Auftrag, den sie in Kürze anzeigen möchten. Als sie hierauf die 1000 Viertel Frucht und 50 Fuder Wein anboten, rief jener aus: Das wäre ein Spott; das dürfe er gar nicht vor den König bringen. Wenn sie keine weiteren Anerbie-

fV. D. G. lad. 1 11 , pr. 2], während Sleidan 24, 857 Uber diese erste Geeandt-

SCbaft nur wenip-p Worte enthält.

1 Am 27. hatte er in den Ortschaften Ibiguy und Sl-Georg unweit von Rizingen gelegert.

9 Vgl. Rabatiii a. a. O. p. 413.

3 Der König kann Obrigena, irie aus dem Folgenden hervorgeht, nicht bei der Verhandlung «agegen gewesen sein.

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tanken machen kdnnten, wQrde sein Herr feindliche Gesinnungen hei ihnen voraussetzen mfissen und vielleicht Veranlassung nehmen; sich anders gegen die Stadt cu erzeigen und zusehen, wie er Proviant und sonstiges hekommen möchte« Er entliess die Gesandten mit dem Bescheide, nach Strassburg heimzureiten und mit grösseren Anerbietungen wieder hei ihm zu erscheinen.

Durdi eine Mittelsperson, Michel Bermann, wie es scheint, einen im französischen Lager befindlichen Kaufherrn aus l^ic- lausport, 1 hatte man noch erfahren, dass der Konnetabel taglich 200,000 Brote, hundert Fass Wein, Tuch und andere ins Lager gehörige «Munition» und fürderliche Antwort begehre.

Nach eiligem Ritte trafen die Gesandten Sonntag Abend in Strassburg wieder ein. Hier statteten sie am anderen Morgen dem Rate Bericht ab. Im Anschluss daran teilte Jacob Sturm mit : Er habe sich inzwischen mit dem Kapitel in Verbindung gesetzt. Dasselbe könne aus des Königs Begehren nichts anderes entnehmen, als dass er eine Ursache suche, die Stadt zu bekriegen. Daher riete es, man sollte sich zur Gegen- wehr schicken. Möchte man aber mit leidlichen Dingen einen Frieden schaffen, so wollte das Kapitel gern sein Bestes thun und all sein Vermögen zur Stadt setzen.

Daraufhin entschied man sich im Rate : Dieweil das Be- gehren des Königs zu erfüllen unmöglich, soll mans zum fug- lichsten ablehnen : vermöchte man es aber so einzurichten, dass man mit 3000 Viertel Frucht Frieden schaffen und Sicherheit erlangen könnte, dass er gegen die Stadt nichts in ungutem vornehmen wollte, so sollte man es thun ; und zwar wäre die Vermittlung der Baseler, die augenblicklich im Lager, in An- spruch zu nehmen. «Wo dann dies nit helfen will, muss man gewarten, was Gott will.»

Unmittelbar darauf werden zwei französische Edelleute in den Versammlungssaal hereingeführt , die dem Stettmeister Peter Sturm eine Credenz vom Konnetabel übergeben. Ihr zu- folge wurde der Rat aufgefordert, die Gesandten anzuhören, ihnen Glauben zu schenken und cndg-ültigen Bescheid zu er- teilen. Man erwarte, derselbe werde so ausfallen, dass der Köni«,»- daran ein Vergnü^ieii haben werde und in der alten Freundschaft verharren könnte.

^ In Nidtotport ansässig« Ktufltemn diflses Nsmenft wardea nebrftch erwähnt (Zimroerische Chronik III, 148, 255, S56 u. PoliU Kornspondenz der Stadt Strassburg II, 496}.

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Die Franzosen, deren Werbung ebenso wie vorher ihre Gredenz durch Sleidan verdolmetscht wurde^ trugen folgendes vor :

Dem Köni^» sei ihr Angebot nicht annehmbar. Er sowohl wie sein Vater hätten bisher altwegen mit der Stadt gute Freundschaft ^•^ehalten. Nicht um einige Stände des heiligen Reiches zu beleidigen; sei er herausgezogen» sondern auf An- regung etlicher deutscher Fürsten, denen er wieder zu ihren alten Freiheiten verhelfen wollte. Wer sich aber gegen ihn oder dieses Bündnis auflehnen würde, p:e<ren den müs^te er thun, «was er lieber umging.» Der Rat hätte die Landleute aus der ganzen Umgegend und allen Proviant in die Stadt hereinge- zogen. Man sollte sich erklären, was man mit Wein, Brot und Hafer anfangen wollte. Der König würde morgen in Zabern sein. Niclausport, das doch mit Strassburg veroflichen, nur ein Dorf, hätte 15 Tage hintereinander täglich 7000 BrcAo ins Lager geliefert und ausserdem 1000 Viertel Frucht nach Pont-ä-Mousson nachgeführt. Der König habe bei schwerer Strafe anbefohlen, dass das Kriegsvolk sich unbeschwerlich hielte, niemandem etwas nehme, halt harte Justitien. Weil aber alle Dörfer ge- leert, sei es ein Zeichen der Feindschaft, und werde dies dem Könige Ursache geben, den Knechten zu gestatten, den Proviant zu suchen, wo sie mögen. Die Folgen hätte der Rat zu bedenken. Ferner begehre ihr Herr, man solle die Knechte, da sie lange im Felde gelef^-en und allerlei Dinge bedürften, in die Stadt einlassen und 7 war in solcher Stilrke, als der Rat es f ü r t hun- iich erachte, damit sie sich Schnrii's tiefei, Barett, Linnen und Tuch zu ihrer Notdurft kaufen könnten. Auch sollte man den Schuhmachern erlauben, um der armen Knechte willen, die übel beschuht und bei vorfallendem Unwetter nicht fortkom- men könnten, mit Schuh und Stiefel ins Lager zu fahren ; man wollte sie versichern.

Der Rat liess ihnen antworten : Nach dem Brauche der Stadt müsste man vor endgültigem Bescheide, den man durch eine eigene Botschaft dem Könige zukommen lassen wollte, erst die Gremeinde und den grossen Rat befragen. Man möchte aber hierin keinen Aufschub sehen. Uebrigens hätte man niemand aufgefordert, sich herein zu flüchten.^ Das arme Volk wäre

1 lu der Tbat hatte man z. B. den UnterthaDea zu Wasselnheim geraten, bei ihreu Häusern m bleiben: werd ihnen so weniger Schaden geschehen, als wenn sie hinein aollten.» Um Amtmann selbst wurde nar auf wiederholte

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erschrocken nnd hätte alter Gewohnheit nach seine Zuflucht allwegen, wie jetzt auch, zu der Stadt gehabt. Dies wäre dem Rate selbst beschwerUch. Was man pethan, sei nicht aus Feindschaft gegen den König, sondern deshalb geschehen, weil

man cc scharfe Reden » vernommen hätte. Das Bistum freilich besässe ein ausgedehnte^^ Landgehiet, sie Sladt sen)st dag^egen ein beschränktes, und seien in Slrasshui'^'' nicht so grosse Vorräte, als der König vermeinte, dasselbe daher von solchen nicht zu entblössen.

Die Abgesandten erklärten sich mit der Berufung»- des jrrossen Rates einverstanden. Nachdem sie sofort einen Reiten- den an den Konnetahel abgefertigt hatten, nahmen sie in Ge- sellschaft einiprer Ratsiierrn das Mittagsmahl ein. Bezeichnender- weise liatte der Rat die dringende Bitte an sie gerichtet, sich in ihrer Herberge zu halten ; denn das Volk sei « etwas un- willig», weil ihm draussen so viel Schaden geschehe. Es würde ihm leid thun, falls ihnen etwas widerfahren sollte. ^

Am Nachmittage wurden die 300 Schöffen berufen und ihnen unter Einschärfung strengster Geheimhaltung^ damit es nicht dem Konnetabel vorzeitig zu Ohren käme, zunächst das EigebiJis der Sendung nach Saarhm - nebst dem Inhalte der neuesten französischen Werbung mitgetfe-ili und dann hinzugefugt :

Von dem in Sirassburg befindlichen Proviant könnte man bei der Menge der Flüchtigen niclits enlbebren : andrerseits wäre vielleicht der König durch ein gegen Bezahlung zu liefern- des Angebot von Roggen und Wein zufriedenzustellen, und zwar könnte man diese Lebensmittel auf dem Lande einkaufen und nur das, was so niciit aulzubringeii wäre, aus der Stadt ntdnaen, damit man den Zug auf dieselbe ai>\vrnde, und das arme Lanrlvolk nicht so jämmerlich verderbt werde. Freilu Ii niiissfen die Franzosen sich dagegen vei pilichten, der Stadl und den ilir Zugehörigen kein Leids zuzufügen.

Mit diesem Vorschlage erklärten sich 16t^, die Mehrlieit der Schöffen, einverstanden ; 84 slnnmten dafür» dass man nichts Weiteres geben sollte.

An demselben Tage, an welchem diese Veiljandlungen in Strassburg stattfanden, war Heinrich II. von SaaVburg autge-

dringende Bitten zugestanden, beim Herannahen der Pransoaea Ort und Seblos»

verlassen zu dürfen.

1 Ihr Dolmetscher, der nach itirem Fortreiten noch in der Stadt «urttck- geblieben war, wurde sorgiuilHj^ überwacht.

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brochen und hatte zwei Wegstunden restlich davon in Meltebourg (Mittelbronn?) und Andressenty Quartier ^enommea, i während der Konnetabel eine Viertelstunde weiter in Andreoux ^ lagerte. Die Gendarnics ^in^en nocii an demselben Tage weiter beriiah in die Ebene vor und jrelangten teils nach St. Johann, wo eine Frauenabtei gelegen, teils nach Zabern selbst. Da alle Häuser in den Dörfern verlassen waren, richteten die Soldaten grosse Unordnung an.

Am 3. Mai zog der König mit dem Gros des Heeres die Steige hinab. Nur mit grosser Mühe gelang es, Artillerie und Wagenpark vorwärts zu schallen. Der König und der Konne- tabel mit dem Hauptquartiere wurden teils in Zabern, teils in dessen nächster Umgebung untergebracht. 3 Das Fussvolk bezog ein Lager in der Ebene längs der Gebirgsabhänge, die Kavallerie war zwei StutKien weiter vorgeschoben und hatte in grossen und wohhiabenden Ortschaften Quartier bezogen. Hier fand die Mannschatt reichlich Lebensmittel, dagegen mangelte es an Hafer und Heu.

An demselben Tage li itluu sicli die Gesandten auf »len Weg zum Könige gemacht, iirn h ieiu sie voiiier die Baseler, die iu- zwischen in Zabern emgetrotfen waren, um ihre Vermittlung ersucht tiatten. In der Nähe von Wasselnhemi ht uf^nete ihnen der Amtmann des Ortes, der sie daselijst zu übernachten warnte, da die Franzosen gedroht hätten, in das dortige Schlo^is zu fallen, wenn ihnen kein guter Bescheid von Strassburg zu teil werden sollte. Sie brachten daher die Nacht in Westhofen zu.*

Tags darauf ritten sie nach Zabern, Hessen sich beim Konnetabel anmelden und verfügten sich zunächst zu den Baselern, die l>i.s ilaliin noch keine Anivvort aul ihre Suppli- kation erhalten liatten und sie audorderten, mit ihrer Werbung fortzufahren. Nachmittags begaben sie sich in des Bischofs Garten zum Konnetabel. Letzterem zeigte Sleidan zunächst die

X Rabutin a. a. 0. 413.

2 Wohl der Flecken und das Schloss Einarlzhausen oder richtiger « Eimortshaxisent , seit 1508 zu der Stadt Pfalzbura- »erhoben. Thuanus X, 304 sagt : «Kxercitus Anäresium ustjue procedit, comitis Paiatiui oppidum.»

3 Nach Schadftns wohnte der Köoig In des Bischofs LasÜiaiis, das Bad- haus* genaanl. Die Angabe bei Lorenz und Scherer a. a. 0. p. 244 : «Mit

Bischof Erasmus vertrug sich der Konig in Zabern gtit». ist unrichtige da eich jener damals frar nicbt im Lande beland. (Bezirksarchiv G. 248.)

4 Für das Fulgende vgl. R. u. 21 . Mai 5 und Sleidan 24, 357 f.

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Gründe an, weshalb der Rat, obwohl er der Freundschaft zum verstorbenen ivönijje halber alles, was ihm nur möglich, thun wolle, weder in der Lage wäre, ein grösseres Proviant;j''l)nt £U machen, noch «um Uurat zu vermeiden», die tranzösis( heu Kriegsknechte in die Stadt zu lassen. Das Landvolk übrigens hätte sich unaut-tdordert herein^ellm lil<»t.

Der I\(»rmelabel erwiedort»- hierauf ; Sein Herr habe, um den deutsciien Landen die Freiheit zu erhalten, diesen Kriegs- zw^ unternommen. Der Kaiser hätte Lütlich, Gamerich (Cam- bray) und andere Städte eingezogen, deutsche Fürsten «gefangen •^•enommen. Daraut selie man nicht; man achte allein darauf, was der König mit Metz gehandelt, wiewohl der letztere !«ich mehr zu dieser Stadt (seil. Strassburg), aU zu anderen im Heiche versehen, dass sie ihm behulflich sein sollte. Dass man sich hier ganz ft iu llich verhalte, führe die Seinen ohne Verhör gefangen huieiü, und obgleich der König nie etwas in ungutem gegen die Stadt vorzunehmen begehrt, so werde er doch dazu sicli genötigt sehen, obwohl er sich gern noch nicht dazu be- wegen lassen wollte. Derselbe sei ein mächtiger Heu, habe Lothringen eingenommen, lieg ihnen vor der Nasen. So einem •einer Diener etwas begegnen sollte, würde er es nicht unge- rächt lassen; sollte kein Baum auf dem Lande bleiben. Man hielte die Seinen hier übel, Hesse sie nicht in die Stadt. Der König würde selbst mit ihnen reden.

Von den letzterwähnten VorfilUen^ entschuldigten sich die Gesandten» Bei ihnen nichts bekannt» und müssten dieselben ohne des Rates Wissen geschehen sein.*

Am anderen Morgen wurden sie zum Könige selbst berufen- In seiner Umgebung befhnden sich neben dem Konnetabel der Kardinal von Lothringen und der Herzog von Vendome. >

Wieder gab Sieidan zunächst eine Uebersicht über die bisherigen Verhandlungen und bot dann im Namen der Stadt das Doppelte, wie Tags zuvor» nämlich iOOO Viertel Frucht, ebensoviel Hafer und eine grössere Quantität Wein» mit der Bitte» man wolle» dieweil sich der Rat je ^ wohl und freundlich mit Frankreich gehalten» sich damit begnügen. Mehr könne die Stadt ihrer starken Besatzung und der vielen Flüchtlinge halber nicht entbehren.

1 Vgl. unten p, 54.

* Nicht Ton ViudemoDt, wie Heriog II, 1*74 berichtet.

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Nachdem sich der koui^ oini-je Zeit mit den Seinen be- sprochen, entwickelte er den Gtsuiciten eben die Ursaciien, weshalb er gekommen nnd wie er sich zu Strassbur^^ versehen, es würde ihm behülfliuli mmh : denn er hätte ein grosses Krie^s- volk bei sich, da*s zu essen haben müsste. Hätte er etwas in ungutem gegen die Stadt vorzunehmen beabsichtigt, «wollte er es andermal gethan haben ». Mit Frucht sei den Seini^ren nicht j^edient , sie brauchten Brot. Als Sleidan Einwendungen macht, ruft der Konnetabei aus . «Sie waren kein Vieh, könnten nicht Frucht, mussien Brot essen! » Auf diese Worte zuckte der König mit dem Aermel hinter sich, als ob jener zu viel gesagt, wiederholte aber noch einmal, dass man Brot haben müsste. Auf ihre Anfrage, ob der König ihnen gegen die Lieferung von Mehl oder Frucht die Zusicherung erteilen wollte, gegen die Stadt und die ihr Zugehörigen nichts vorzu- nehmen, bemerkt der Konnetabel, ol» man weitere Versicherung^ hahen wollte, als des Königs Wort und Rede ; und der letztere setzt hinzu : Also sei seine Meinung. Als sie noch einmal be- tonen, dass sie aber keiu iiiot ^^eljen könnten, braust der Konnetabel auf : Er hol te wolil, vom K einige wollten sie eine Versicherung haben, diesen selbst abei nicht versichern. Darauf hiess man sie abtreten.

Bei Tische äusserte ihnen gegeuuiAU' ein Herr von Basse- fontaine, waium eine so mächtige Stadt dem Könige in seinem Kegehren nicht vvillialiren wollte ; sie möchten doch thun, was in ihrem Vermögen. Im ganzen hatten die Gesandten den Eindruck liekonunen, dass man zufrieden sein würde, wenn man soviel lieferte, als man vermöchte ; denn am folgenden Tage sollte der Proviant in Zabern zu Ende gehen. *

Als die Strassburger letzteren Ort verlassen, begleitet sie ein königlicher Kommissarius. '

1 Bei Rabalin «. e. O. p. 414 heiMt es : «De la ville de Strasbourg devws

Sa Majeste fut envoyc mi «houperaann», c\'st-u-dire en allemand seigneur, pour la supplier d avoir souvenance et esgard ä la bonne volonte qu'ils avoient a luy faire Service, et ▼ouloir supporter et soulager leur plat pays le plus que seroit possible, offrans vivres et provisions en payant raisonDablemeal ; ce ^e pleut au Roy, et leur accorda Hbcralement, ainsi que se disoit communement. »

- In den Memoirrn \'ipilleville's (Michaud et Poujoulat IX, 132] fiodet sich folgende roinauhalie AussciimückuDg : Le sieur de Lezigny, sur-iutendant ^ninX des vivres de rannte, partit avec lettres da Roy, et vingt ou trente commissaires, et aultant de clers de vivres, ijour aller ä Strasbourg faire sa Charge, acconipaigne d'ung trompetie de Sa Majesie. Et s'estmt preseotä aus portes de la ville, apres que la trompette eust üomuieDce sa chamade de bleu loing, on leur ouvrit fort eourtoisemmt.

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Noeli ilenselben AIhmkI findet umnittelbar nach ihrei- An- kunlt in Strassburg eine Sitzung (U»s Rates sJatt, in der sie über den Erfoljj ihret' \fission })eriditen. Am anderen Morj^en tritt dt'ix'Ihe von neuem zusamnuni ; der Oberst, (ji<? Haupt- leute und die Vertreter des Kipiteis sind hinzuj^T/(>;^( ii.

Da die Bäcker sich auheisciii«!: machen, neben den Bürgern auch dem Konij^e Brot zu backen, aucli das Kapitel erklären lässt, man wolle alles aufbieten, um die Franzosen liinwegzu- bring^en, man hätte in Erstein, Dachstciii und Epfig Mehl, so l)escbliesst der Rat mit Rücksicht daraul", dass der kaiserliche (iesandte, dessen Ankunft an^ezeig^t war, noch nicht einge- troffen, die \'erpro\ iantierunj^ des Heeres vom Lande oder von <ler Stadt aus, soweit dies ohne Schädijyunji?^ der Burgerschaft und tV^atzun^ möglich, zu Wege zu bringen.

Aber unerwartete Schwierigkeiten entstehen seitens des wackern Obersten von llattstadt. Derselbe erklärt geradezu : «Man muss nit sehen, was nützlich, sond(M ii was ehrlich ; darum soll man ihm nit einen Korb mit Brot herausschicken, es würd gegen alle Fürsten und Herren verweislich, unehrlich und schmählich sein, dieweil er gegen die deutsche Nation ziehe, und vielleicht auf diese Stadt sehe. So rnans auf dem Lande haben mag, ging es hin, aber aus der Stadt et^s zu geben, könnt er nicht raten, es wäre ihm und anderen ehiiicben Gesellen yerweislich ; doch sei er ein Diener und müsst tfaun, was ihm gebQhr.» Als man ihm entgegnet, man habe, ehe er hereingekommen, es dem Könige zugesagt, und sei kein ander Praktik, dass man ihn hereinlass, erwidert der Oberst : « Der Rat möge es wohl nicht für unehrlich halten ; ihm aber wolle es nicht ehrlich erscheinen ; darum bäte er, man sollte ihn Urlauben ; denn ehe ers bewilligte, wollte er sich lieber henken lassen.»

Infolgedessen teilte man dem Kommissarius mit: Man könnte ihm aus der Stadt leider kein Brot herausschicken und wenn man es schon wollte, so wäre za besorgen, dass die Knechte es nicht zuliessen. Dagegen wollte man ihn auf dem Lande fordern, soviel man könnte, auch draussen, soviel als möglich, backen lassen.

In der That machte man die grössten Anstrengungen, iliesem Versprechen nachzukommen. Von Offenburg, VTasseln- heim und anderen Orten lies^ man Frucht herbeiführen, in Dorlisheim, Geispolsheim und £rstein Brot backen.

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so-

so war man denn nin 7. Mai in dor La^^«», dem französi- schen Kommissarius iud)«Mi den versprochenen lüÜO Vicitol Hafer, 150 Viertel Molii und 12000 Brote anzuhieton. Gleich- zeitig hekla^te man sich aber l)ei ihm id)er die Plrmdeniii«^ von drei der Stadt zugehörij?en Dörfern, i und dass die Knei^.sleute, was sie nicht hinweggeführt, verwüstet, dass man im Keller im Wein l)is id)er die Waden siowatet. Er möchte beun Könige durclisetzeu, dass soli lies ah^cstellt werde. Das geschehe daher, antwortet j^Miei-, weil man nichts zu essen hätte. Fr seihst, sety.le er hinzu, würde liier übel ;jchaUen ; rnan li '^se ihm seine Diener nicht Iierein,* und niussü er es dem Konig^ und Konnetal>el anzeigfMi ; die würden daran keinen Gefallen haben und vielleicht auf Wege denken, dass man diesen ge- ringen Proviant, den man ilinen gäbe, entbehre und anders verführe.

Man kommt schliesslich iil»ereiii, dass der Rat ihm 5 bis 600 Viertel in Mehl odei lirul gegen Bezahlung zu liefern ver- spricht, und zwar wollte er dieses neben dem Hafer und Wein, da der Kitnig nach Hagenau zöge, in sein Lager, das nach des Landes Gelegentieit gehalten werden sollte, teils zu Wagen, teils aul dem Rheine nachführen lassen. Als der Kommissarius, angeblich um Plünderungen vorzubeugen, die Namen der Strasshurg zugehörigen Dörfer zu wissen verlangt, werden ihm dieselheu unter allerlei Ausflüchten verschwiegen.

Wäfirend der König in Zabern lag, weilte übrigens l>ei ihm sein Agent, der Slrassburger Rektor Johann Sturm, von

1 Da8S die Soldaten Abel hausten, bestätigt auch Rabutio a. a. O. p. 4f 4.

Ebenso meltlet Schertlin [a. a. O. p. 89) selbst, duss er einem Edelmann, Erhart von Wangen, der ihm 6 Jahre vorher zu Hurtenbach Obel mitgespielt. ihm die huener. kappanen. indianisch und sonst, pfawen. haber, korn und alles er gefunden, gefresaen^ vil plunders hinweggefierti, su MaaersmOnater bei Zaberti sein Haus auch wiederum geplündert, «wpin. korn. habern und was ^nts war zugleich in recompensara hinweggefiert. aber die bett, und was der trawen zugehörig, ligen lassen ; hab ime mit solcher mass er mir gemes-^en wiederam bazalt.* ~ Wangen befehligte damala einea der Straaabargtr Fihnlein.

1 Am 7. Müi lieisst : Die am Weissenturn schicken herein, dass einer draussen sei mit Brielt n uu den zum heiligen Geist, (offenbar den Proviant- meister, der in dem gleichnamigen, am Thomasstaden gelegenen Gasthause «robnte) «will die briet nit von ihm geben.» Auf Anordnung dea Rates wird der

Bolf unter besonderen ^'o^sicbtsma5srpgeln. 'damit ihm nichts lieschehev, über die gedeckten BrQckea beim Stall herum iu die Herberge des kommissarius geleitet.

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ihm dazu ausersehen^ in fieheimer Mission nach England zu reisen, i

Am 6. Mai bewerksteliigte Heinrich II. seinen Aiifl>rucb voti Zabern* und rückte mit seinem Heere in der Richtung nach Strassburg vor. Am folgenden Tage bezogen die Truppen ein Lager in der Umgegend eines grösseren Fleckens (wahr-

sclieinlich Brumafh), während der König mit dem Hauptquar- tiere in letzterem selbst, namentlich in dem dort befindluihen Schlosse, untergebracht war. Seine Gendarmes streiften {bis auf eine kleine Stunde an Strassburg heran.

Die Bürger Hessen, (Mii<>m zuverlä.ssi<;en französischen Be- richte zufolge, niemand in die Stadt hinein, gestatteten sogar keine grössere Annäherung als auf Kanonenschussweite. s 0er König selbst soll Strassburg von den Hausbergen aus in Augen- schein {genommen halKMi.^

Zu derselben Zeit «als die Unruhe am ^Tössten gewesen, und der König mit allen in >ii Haufen, Geschütz und Muni- tion zu und um Zahern his auf zwei kleine Meilen Wejfs von der Stadt entlernt zerstreut jj^clejien,» * traf ein kaiserlicher Gesandter, Herr von Carondelet, « in Strassburjr ein, der im Auflj^dge und auf Kosten meines Herrn 4 Fähnlein Krie^svolk dem Rate zur Vertügung stellte. Letzterer indessen lehnte diese ebenso wie später am 11. Mai die beiden, die ihm die Knsis- heimer Re^nerung auf Befehl des Königs Ferdinand anbot, dankend ab, da man an Truppen zu Fpss und zu Ross keinen

l Der diese Angaben enthaltende von Ch. Schmidt, Jean Sturm p. 88 kiin erwähnte Brief Sturms an Toxites vom 7. Mai stammt stis Z a b e r n . wie mir Herr Prof. Schmidt freundlichst mitteilte, und ist ebenso wie ein anderes Schreiben desselben vom 8. April aus Strassburg, beim Brande der hiesigen Bibliothek verloren gegangen. Von «n bis zum 9. Mai 1553 ist Herrn Schmidt kein weiterer Brief des Rekkord bdEtunt. Da in unseren Akten Johann Sturm mit keinem Worte erwfthnt wird, war es mir leider unmöglich, etwas» Näheres über die eigentOmliche Rolle in Erfahrung zu bringen, die derselbe in jenen für Strassburg so kritisehen Tagen gespielt haben muss.

A Vorher hatte er nocli nach Herzog 2, 175 eine Musterung seines Heeres

vorgenüinnieü.

^ Rabutiu p. 415.

V-1 Bm heier a. a O. p. 98. •> Str St. AA 576 Mai 21.

^ Jedenfalls der bei Druffel 3, 591 angeführte niederländische Edelmann

Slmcben Nsmens. Der Stressburger Rat hatte die Gelegenheit benutzt, mit emselben wegen einer vom Kaiser zu erlangenden «Generalabsolniioni zu verhandeln. Thomasarchiv (Tir. 22 Liasse2) 1552 Mai 25.

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Mangel hätte, und derzeit nicht mehr Krie^svolk «on sonder geverlichkeit» in die Stadt zu iuringen wäre. '

In den neueren Behandlungen der elsassischen Geschichte tritt in Bezu^ auf diese Vorginge eine völlige Mytheiihildung zu Tage, die oflenliar von der romanhaften, eine Menge talscher Thatsachen behauptenden Schilderun$r des Herausgebers der Memoiren des französischen Marschalls Vieilleville ihren Aus- gang: $2:enommen hat. *

Nach letzterer Quelle* hätte der Konnelabel dem franzö- sischen Intendanten, der in Stnissburg Lebensmittel einkaufen ttollte, den geheimen Auftrag gegeben, sicli mit den einfluss- reichsten Mitgliedern des Rates wegen der Aufnahme des Königs nebst kleinem Gefolge in der Stadt in Verbindung zu setzen, ausserdem den Gesandten des Papstes und der Städte Venedig, Florenz und Ferrara zu gestatten, diesell)e zu Ix'suchen. Letztere hätten sich in der That in Begleitung von auserlesenen, als ihre Diener gekleideten Kriegsleuten aufgemacht, denen sieh noch eine gross« re Anzahl anderer angeschlossen ; auf Kanonen- schussweite ahei- wäre der Zug von den Wällen ans mit einer Glesch fitzsalve liegriisst worden, die 10 oder 1*2 P»^rsoi)en ge- ir»tet habe, so dass die nbngen ihr Heil in der Flucht halten siiclieu müssen. Auf die BesclnviTde des Intendanten M'äre von «len Strasshui «tern erwidert wordrii, man liessc .sich nicht so wie die Metzer täusclien. Als jener die Stadt verla.ssen, seien 2 Regimenter I^ndskneclite und 6 Fälinlein Reiter von der Rheinbnukt! her in dieselln' »'inrn.irscliiert, während in der Gegend des Zaiierner Thores 2ÜU0 Arbeiter an den Betestigungs-

1 AA 5*79. Mai 11. Am 1 . Mai hatte König Ferdinand aus Linz an di« Regierung zu Innsbruck geschrieben : Nachdem wir bei disen geechwin- den sorglichen Leufen fOr ein Notturfi erachten, dass die Stadt Strasburg an ^uter Besatzung nit Mangel habe, so ist an euch unser Befeh!. das ihr bei dem Bischof von Arras Erkundigung haltet, ob die Rö. Kay. Mt. unser lieber Bruder and Herr daseUwthin «rine FOnehung gethan und ob und was fflr ein Anzahl Knecht ihre Kay. Mt. in die Besatzung hinein verordnet habe, und so ihr befindet, dass von ihrer Kay. Mt. kein sollich Verordnung' beschehen, alsdann beiliegenden unsern Brief, so wir an unsem Laadvogt u. Hegenten im Oberelsass gefertigt, aberschicket and bei ihnen anhaltet, das so wir ihnen schreiben u. befehlen auf» ehest zu vollziehen». (Innsbr. Archiv. Von der Kdn. Mt. fol. 376). Der hier erwähnte Brief befindet sich AA ö'iy.

Die Unglaubwdrdigkeit derselben ist auts neue von Kahlenbeck, Mets et Thionville p. 225/287, überzeugend nachgewiesen worden.

S M«m. de VitlleviUe a. a. 0. IX, 132/135.

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werken gearbeitet hätten. Nichtsdestoweniger hal)o (l«>r Könige auf den Rat des Konnetabels beschlossen, mit 40 Edetleuten und deren Begleitung Strassbui^ zu besuchen, und erst auf das Zureden YieillevUle's diesen gefahrUchen Entschluss auf- gegeben.

Da alle iibrigen zeitgenössischen Geschiclitsschreiher, fran- xösische wie deutsche, von diesen an und für sich schon un> wahrscheinliclien Vorgängen ganz und gar nichts melden, auch in unseren Akten und sonst recht ausführlichen Chroniken nichts davon Ijerichtet wird» * werden sie endgültig in das Reich der Fabel verlegt werden müssen, zumal da folgende Thatsachen geradexu gegen die Möglichkeit derselben spntchen :

' Rabutin, Tuvannes, Brantörae, Thuanu;;, Sleidan und Scherllin l)eri( hten nichts davon. Die Worte Heinrichs II. in einem ä|>üteren Briete au die StawAmftn vom 6. November fabgedr. bei Kentiiogor I, 40) : «Et vous devoit suffirc de la simstre demonstration que vous feistes ä l'endroict de nos grens, lorsque notre arm^e passa prös de votre ville», werden von Lejireüe a. a. O. p. 48 talschlich auf jene angebliche Kanonade bezogen, wfthrend sie Legnille II, 4. 89 folgeoderaMSseii richtig erkÜTt : «qu'il devoit leur snffire d'avoir fail cunnoitre leurs ftini$tres dessins a T^gard de la France, lorsque son armee passa prfes de leur vüle. Nach Littr6 heisst sinistre demonstration » soviel als uuheildrobendes Verhalten («qui tait craindre des maiheursi). Damit stimmen aberein die AensBerungen de« Königs über Streesburg am 18. u. 2C. Mai I Sleidan 24, 361): «Tametsi quo tempore cum ezercitu erat ad ipsorurn fines, magna fuerit militum eins urbis nrotprvila? in suos et insolentia» und «quarnquain Argentinensium milites aliquaaio durius exceperiut suos ante porta» et rejecerint, qui forte mercandi gralia eo venisMDt. Wfthrend Martio, Hist. de France IX, 539 die Darstellung des Verfassers der Memoiren Vieille- ville's nur unter Reserve wiederpribt, Dareste W . 89 sie völlig ignoriert, nimmt Legrelle p. 43/48 dieselbe ohne Weiteres an. Von früheren schildern Laguine II, 4, 34/81, RObrich III« S7 und Kentzinger I. 84 den Sachverhalt richtig; falsch Friese, Neue vaterländische Gesch. II, 2*7 81 und Strubel IV, 89 110. von denen der letztere socar Kentzinger den Vorwurf macht, - iass er den ganzen Hergang der Sache aui eine sonderbare Weise entstelle». Uauziich haltlos ist die DarsteUung bei Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsasses 188C p. 244 : «Als Heinrich II. die Anfrage über den gewünschten Durchzug nach Strassburg schickte{'.), war man rasch entschieden, auf jede Gefahr ihn zu verweigern, aber Sturm und Sleidan gingen in Gesandtschaft zum Könige, um alle Unterattttzuog einer neutralen Macht nrit Lebensmitteln fQr das Heer zuzusagen. Auch ward der König eingeladen, persön- lich mit vierzig Rittern die Stadt zu besuchen Hempfkcns- wert genug, dass die Franzosen dennoch einen Versuch mcht uuteriiessen, die Stadt durch listige Ueherrumpelung gerade hei dieser Gelegenheit an gewinnen ; aber die Vorsicht Strassburgs und seine Kanonen vereitelten den Anschlag. Der König mnsste, wie verabredet mit kleinem Ge- folge in die Stadl einreiten und Hess sich von dem Hat be- wirten Schamröte darflberj dass er mitten unter Freund* Schaftsheuchelei den offenbaren Ueberfall beabsichtigte, war auf der Stirne des Franzosen nicht bemerltbar (1).

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Den Ucberixriffen des KriegsvolkeSf dessen Officiere zum Teil, wie der 0))er8t und der Hauptmann Asmus Bocklin, gut kaiserlich gesinnt waren, wurde seitens des Rates bei jeder Gelegenheit gesteuert. Erhielten doch die am Weissturm- und Steinthor mchhaltenden Bürger und Landsknechte auf ihre Anfrage, was man thun sollte, so sich fremdes Volk näherte, ausdrücklich den Befehl, sich gegen dasselhe bescheiden zu benehmen. Mehrmals werden Angehörige des französischen Heeres gefönglich eingebracht, aber auf Urfehde wieder ent- lassen. Als am 7. Mai ein Franzose «mutwillig» erschossen wird, erfahrt dies scharfe Rage, «da man sich gleicher unfreund- licher Handlung wi besorgen, Ferner sind die Gesandten Venedigs und Ferraras thatsächlich unbehelligt aus dem Lager in die Stadt gekommen und haben sich daselbst mehrere Tage aufgehalten. > EtUdlich steht das, was über den Eilmarsch von zahlreichem Kriegsvolk über die Rheinbrücke gesagt ist, in direktem Widerspruche mit unseren Akten. »

Uebrigens muss das Gebahren des königlichen Intendanten dem Rate in der That verdachtig erschienen sein. Als derselbe am 7. Mai, also an dem Tage, an welchem die Franzosen am nächsten bei Strassburg lagen, um Erlaubnis einkommt, das Münster besteigen zu dürfen, wird ihm solches abgeschlagen: man Hesse jetzt niemand hinauf; so seien jetzt die Zeiten, dass das Volk des Schadens wegen, der bestehe, erzürnt sei, und der Rat deshalb besorgen müsste, dass ihm etwas Unzüchtiges zustossen möchte.

Am 8. Mai, einem Sonntage,* setzte das französische Heer seinen Vormarsch fort und langte vor Hagenau an, das anfangs

1 Aus diesem Vorfalle ist wdil die bei PiUm, Strasbourg iUttstrtf I, 44

erzählte Legende entstanden : Im Strassburger Arsenal hätten sich verschiedene ausserordentlich grosse Geschütze befunden, darunter eine, die Meise ge- nannt; «et c'est du uom de la premi^re, que les Strasbourgeois regurent le sobriquet de pipeura de m^saoge (Mdssenlocker}. Sa portte Aail teile, qoe lorsque Henri II caaipa avec son armöe sur les hauleurs de Hausbergen, en 1552, le bouletqu'elle lan(.a toraba dans son camp, ä cot6 de la tente royale(!), de le dictun de nos aieuz quaad i enuemi s approcbait de la place: «Nous allons le piper avec notre m^sange.

^ Baumgarten a. a. O. p. 251 .

^ Vgl oben p. 51 .

Das Landvolk brauchte an dieMm Tage nicht in Strassburg sa frohnen, sondern sollte in die Kirchen gehen.

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den Versuch machte^ den EintriU zu verweigeiTi, gegenüber den aufgefohrenen Geschützen aber die Thore öfA^te und dein Konneiabel Aufnahme gewährte. Tags darauf hielt auch der König selbst, der die Nacht in einer in der Nälie liegenden Ziegelei zugebracht hatte, seinen feierlichen Einzug in die Stadt.

Die Strassburger Hessen ihrer Zusage gemäss Avn von allen Seiten her aufgekauften Proviant dem französtschei) Heere nachführen, zu grosser Unzufriedenheit des Oljersten von Uatt- Stadt, baten aber den fortdauernden Plünderungen ihres Ge- bietes und anderen Gei^altlliätigkeitcn ^^ei^renüber i um eine Assekuration. Als nun am 8. Mai der Konnetabel ihnen darauf- hin aus Haj^enau die Antwort zugehen liess : Dass, wenn der Hat seinem Erbieten nach ;?enu^ j^elhan hal>en werde, es alsdann an königl. Majestät i^^utem Willen nicht mangeln würde, 2 schrieb man zurück : Man hätte sich bemüht, zuwe^re zu ))rin^^eii, was man zugesagt. Nun waren ihnen fünf Dörler geplündert, und Wein und Mehl, die man hätte liefern wollen, ausgeschüttet worden; gleiches wäre mit zwei anderen Dör- fern, wo man Proviant hätte holen wollen, noch diese Nacht geschehen; deshalb sollte man sie entschuldigen, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen könnten, s In der Tliat liess man nur das, was schon auf dem Wege war, gehen, hielt aber mit weiteren Lieferungen inne.*

Man war sich hierl)ei wohl liewusst, das^ man sich des- wegen auf weitere Feindseligkeiten seitens des Königs gefasst machen müsste. Am 9. Mai halten Sturm nnd Pfarrer ein- gehende Beratungen mit dem OI>ersten und den Hauptleuten, damit das angefangene Bollwerk ordentlich ausgezeichnet und ausgeführt werde. Der Oberst verlangt die Besetzung der «hohen Aemter9 \ye\ dem Kriegsvolke. Die Befesligungswerke werden in 6 Abschnitte eingeteilt,^ und die Fähnlein neu ein-

' Dem Amtmann von Wanzenau wurden, als er Frucht ins I^afrer führen wollte, drei Knechte erstochen, sowie Wagen und Pl'erde genommen, einem Stadtboten Pferd« Wehr und Säckel geraubt.

* PraiUott an SIeidan (BaumgartM p. 250).

3 Ratu. 21. Mai 9.

Am 2i. Mai teilten ?ie flem Kaiser mit : «Sie hatten den Franzosen zwar eine geringfügige Anzahl Victualien ausserhalb der Stadt bewilligt, aber doch, weil er im Abzug gewesen und ihnen 5 oder 6 Dörfer und einen Hof geplOndert, nit gar geliefert* (Str. St. 5*76 Mai 21).

^ Weissturmthor, Stetnstrasse» St-Clara-W6rd, Krulenau, Spitalthor, gedeckte Brücken.

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quartieil, damit sie^ so ein Lärmen würde, näher an den Wehren lägen.

Der König iiidcsscii inaiscliierte, ohne einen Angriff auf die feste Stadt zu nntfi nehmen, von Hajienau n idwärts nacli Weiss(Mil)ui|;, dessen Bewohner grosses Enlgegenkonimen zeigten. El' selbst und das Gi"os seines Heeres iagen nicht in der Stadt selbst, sondern eine kleine Stunde enlternl, bei Altenstadt. Die Gendarnies waren auf der Strasse nach Speiei- vorgesclioben.

In diesen Tagen trafen verschiedene Umstände zusammen, die HeinrK h II. zum Abniai sclie aus Deutschland bewogen, vor allem die Naelirichten vom EinCalle niederländischer Truppeii in französisclies Gebiet, sodann die ihm am 11. Mai seitens des Kurfürsten Moritz zugehende Mitteilung, dass er mit König Ferdinand in Unterliandluagen stände, womit die Anfrage ver- bunden war, unter welchen I^dingungen l'^ankreieh in einen mit dem Kaiser aljzuschliessenden Flieden mit einbegrifien .sein wollte; endlicii wie SIeidan ausdnicklich versiciiei 1 : i weil dem Könige seine Pläne hinsic htlicii Strassburgs nicht geglückt waren, ihn» also ein lesier Stützpunkt am Rheine fehlte.

Die Vorstellungen der Anfang Mai in Worms ver.sammelf gewesenen liheiniselien Küi\sten haben jeti<*idialls nicht auf seinen Entschluss bestimmend eingewirkt. 2 Die letztcicn lies-seu ihm nämlich in seinem Lager bei Weisseriijur- tiurc ii einen A !>;.!'•- sandten folgendes vortragen; 3 D.i er vorgäbe, der deut.scln'!i Libertät lialber Krieg zu fühlen, Ixilen sie ihn, Land und Leut»» zu verschonen und seinen Vormarsch nicht toi tzusetzen, da ein solcher dem Reiche den grössten Sciiaden bringen müsste. Den Frieden mit dem Kaiser wollten sie gern vermitteln, ein Bündnis aber mit Irauk reich könnten sie olnie Verletzung ihier Pflichten nicht cirii^ehen. Auch möchte er das Gebiet der freien Reichsstadt Slra»ijürg nicht verletzen.

Seitens des Königs wurde ihnen darauf zwei Tage später, und zwai' durch tlen Kardinal von LothringcMi, folgende hoch- tral^ende Antwort zuteil : * Auf Bitten etl icher, nicht geringer Fürsten sei er nach Deutschland ge'zogen, aus welchem er

1 SIeidan 24, d6t.

^ Vgl. oben p. 39. lieber ilire die Monate M in und April in Anspruch nehmeuden Verliandlungen vgl. Druff«! 3, 4t 6/426,

3 SIeidan 3. 360.

^ Selbst Habutin sagt a. a. 0. p. 4t 6: Auxquels tut readue la response •utre et plus haulte que ne la pourrois araeurer.

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seinen Ursprung habe, um dassellie von der nnmenschlichen Dienstbarkeit des Kaisens zu liefreien. Einiger Schaden sei l>ei dem Durchzuge nicht zu vermeiden gewesen. Von Hei*zog Moritz habe er vernommen, dass der Kaiser die gefangenen Fürsten in Freiheit zu setzen und die deutsctie Libertät wiederherzu- stellen sich nicht wei^rore. So bedürle denn die deutsche Nation nicht weiterhin seine Hülle, « Weichs sie Gott dem Allmächligen zum ersten und ihme zuzuschieil>en hätte, die eines so grossen Nutzens IJrsacher seien.» Unter fliesen Umständen wolle er dem kaiserlichen Heere, das in Frankreich eingefallen sei, ent- gepronziehen. Sein Wunsch wäre nun, dass die deutsrhen Fürsten und Stände, wenn sie zu Passau zusammen kommen wünl«^!, «ein solch gix>ss Gut und Liheit«'!, die sie von Grott und ihrn eniplangen hätten, nit von Händen gälMMi. Ihrem Gesuche in l)etreff Slrassburgs wollte er willtalnen, obwohl, "Während er in der Nähe der Stadl gewesen, das Krie^svolk der- selben den Seini<>en gegenüber eine grosse UnverscliämtUeit an den Tag gelegt liätte. 2

Noch an demselben Tage brach das französi^clie Heer das Lager ab und zog in drei geson<lerten Ableilun'^fM iiher Vogesen und TIardt narh Lothringen zurüek.3 Die W leilerveieinigung laiui zu Wallerlangen an der Saar statt, von wo bald darauf der \ orin n sdi nach der Mosel und dem Luxemburger Lande angetrett 11 wuido.

^ orlier lialti i|( 1 König noch in der Nidie von Zweibrücken am 20. Mai eine Gesandlsehaft der F]i<i;^enossen eniplangen, "Well he für ihre Nachbarn, die I ntei tlianeu dei österreicliischen Regierung zu Lnsi.siieim sowie die Städte Kolmar, Schleltstadi

1 Beiirksarchiv G 248. Rir anderer Bericht (Str. St. AA 596) ent- h&U eine weniger hochmütige Fassuug. Interessant ist folgende beigefilgte Mitteilaiig: An des Königs Hatschier und vornehmsten Diener Kleidern waren ellich wachsenio Monsehein gestickt, mit der Umschrift: «Donec totus irnpli- catur oT-hi-, > Andere hatten an dpn Kleidern einen Knopf, dahei stand ein Arm mit einem Schwert, das hieb in deu Knüpf und war darin geschrieben : t Gladio ▼!r disaolvet.i Das liess sich ansehen, als ob es des «Gordii nodus» wäre, von I n prophesafc war, wer ihn auflösatt der wflrde ein Monarch der ganzen Welt werden.

* Sleidan 24, 3(51.

5* Wahrend der König mit dem Gros des Heeres den Weg über Lemberg, Bitscli, Zweibrücken und Saarbrücken einschlug, ging ein rechtes Seiten* detachentent unter dem Herzog von Anmale durch die Pfalz über das Hardt« gebirge, ein linkes unter dem Herzog vw Vendome und dem Rheingrafen ober Hagenau und Lützelstein.

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und Strassburj? ein jjutos Wort eiiilej^teii, da sie jeden Schaden, der diesen zujj^efüj^t würde, selbst schwer emptinclen müssten. Der Könij^ erteilte ihnen einen {rfnistij^eii Bescheid. Die Eii*:iH;- heimer, erklärte er, wolle er mit Feindsf^lipfkeiten verschonen ; doefi sollten sie seinen von ihnen in Hatt jfehaltenen Kriejfs- ieuten «lie Freiheit m ifdci p hen. G«^«»en die übrigen elsässischen Stände hätte ei- nf)erlKiupl nichts im Schilde •,^efnhrt. Zwar lialj«' das Strassburger Krienfsvolk <he Seinen an (ien Thon'U Liar nntreundlich t^handelt und jcmIcii lort^ewiesen, wei' etwa Einkäufe hätte machen wollen. Doch beabsichtige er deshalb nicht, die allen Beziehungen zu der Stadt aufzukleben, zumal da er dui'ch den Besitz von Lothrinjjen ihr Nachbar jreworden. Freilich erwarte er auch von ihr ein jjleiches Entgegenkommen J

In St rasshurji- vcrliarrte man ührijjens den ganzen Monat Mai in Krie;4srüstun}i. An dem Werke bei dem Judenlhore wurde mit AnspannuoL; aller Kräfte jrearheitet, ebenso behielt man «las ang'eworbcn« Kiiegsvolk vorläuÜ;^ noch an der Hand. Die vom Kaiser und König Ferdinand zur Verfügung gesfellten Fähnkin hatte man zwar dankend abgelehnt, die Gelegenheit aber ergriffen, beiden Majestäten Mittel voi'zuschlag^en, durch welche die Stadt in ilnvn schweren, verderblichen tJn kosten erleichtert werden mochte. 2 Nicht olnie Cinin<l fürchtete man, dass die Franzosen öIht kurz tRicr laoii. w«>iiii die Frucht im Felde erwachsen, wieder gegen Sti i- ljurg am ticken mociiten, und alsdann, nai hdeni man sich au Geld und Proviant erschoptt hätte, und da- Kriegsvolk ohne bare, gewisse t-iesoldunji nicht mehr so «lustig inid durstig >^ sein sollte, die Belagerung be- sctiwerlicher « daim jetzo » lallen winde.

Doch hliel) Strasshurg im weiteren Verlaufe des Jahi-es 1552 voi' feindhclHMi AiigrilTen verschont. Am 28. Juli freilich richtete Markgi'af Ailirecht von Biandenbuig an den Bat die Aufforderung, ihm die Stadt zu öffnen und Besatzung aulzu- nehmen. Als ihm al>er dies Begeln'en kurzweg abgeschlagen w nrde, wagte er es nicht, seinen Worten durch die That Nacti- druck zu verleihen. *

1 Skidan 24, 361 .

s Str. St. AA576. Mai 11 u. 21.

3 Hatte doch der Rat zu Strassburg, «damit er die Stadt dem Reiche

hebielte, und dadurch das Land nit beharrlich oder bleiberul ir. der Franzosen Hand komme, mehr als 100,000 Gulden aufgewendet* (Str. St. AA 1983J.

4 Sleidan 24, 392.

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Die Unterzeichnung des Passauer Vertrages im Anfang Augast, der Anmarsch des Kaisei s im September zur Wieder- gewinnung von Metz, bei welcliei Gele*reiiheit. er auch Strass- bürg besuchte, befreiten die Stadt endgültig von allen Kriegs- besorgnissen.

Die Vol•},^Hn«^e des Jahres 15,V2 l)ilrlen ein Ehrenzeugnis für die Gesiiiiiuiitren, <lie Rat untl Riii-geischatl Slrasshurgs im 16. Jahrliuiidert l)eseelleii. Nicht allein im Gefiilile ihrer reichsstädtischen Selbständigkeit, sondern auclj mit klarem liewusstsein ihrer Zugehörigkeit zum Heiche* hatten sie durch kluges und gleichzeitig kraftvolles Verhalten den Plan Hein- richs IL, Sti-assburg ebenso wie Metz Frankreich einzuverleiljen, vereitelt. Denn dass dieses ursprünglicli die Absicht des König^^ p-evvesen ist, müssen wir allen Quellen zuloli^e annehmen.* Er gah diesellje notj^edruiij^eii aul, da, wie ei- sich übeizeugen musste, eine Ce]x.'rruiiii)elung der durch die Metzer Vorgänge gewarnten Bürgerschaft ausgeschlossen war, und ihm eine Be- lagerung gegenüber den festen Mauern der Stadt, ihrem treff- lichen Geschfltz und ihrer ansehnlichen Besatzung aussichtslos erscheinen musste.

Für die Gesinnung der Bürgerschaft seihst ist von der grossten Bedeutung die schon mehrfach erwAhnte, von Meister und Rat am 21. Mai an den Kaiser gerichtete ättschrift,* in welcher sie ihm vorsteltoi :

Durch ihre stattliche Gegenrüstung hätten sie wie sie im geheimen glaubwürdig erfahren * des Königs (der

' Su hagi iiahlenbeck, Metz et Tuiüuviile p. : 'Strasbourg u etait pae, eomme Mets oa CainhFu, une Tille impAriale, fran^se de langage et de OMBars {

eile tenait, au contreire, par d'innombrables Hens au c(Pur meme <le l'Alle- magne ; eile 6tait, en outre, assise sur les bords du vieux Hhin, le Vater Rhein, fleuve auasi sacre au yeux des Geriuaius de tous les teiups, que l est le Gaoge poar les Indens.*

^ auch Anhang III. Der Einwurf von Legrelle p. 46, dass Heinritli II. nicht an eine Unterwerfung Strassburgs gedacht hütte, da ja auch Zaber D, Hagenau und Weissenburg wieder von ihm aufgegeben worden seien, ift hioAÜlig, de dieee Städte ohne den BetiU Stressburgs gar nicht xa beheupten waren .

3 Str. St. AA 5*<)

4 Ein ansehnlicher franz/jsischer Krieg^rat halte sich hören lassen, dass seinem Herren nicht thunlich, Strassburg als eine «Ortstatl» (Gr&nzplatz) hinter •ich Hegen 2u lassen» (AA 579. Mai HJ.

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dieser Stadt halben seinen Zu^ so hoch ins Elsass genommen) beschwerlich Vortiaben und Anschlag merklich gebrochen, verhindert und wendig gemacht. Daher möchte er, der Kaiser, die treuen, gehorsamen und nützliclien Dienste, so ohne Ruhm zu reden, ihrer und der Kön. Majestät sie jetzund bewiesen und hinfüro zu thun hegievig wären, gnädig zu Gemüt und Herzen fuhren. «Daran würden ir. Kays. ML ir selbs, auch der Königl. Mt. und dem heil, i^ich ein heilsamlich gut werk thun, diese Stadt vor endlichem abgang verbieten und sye zu dester einer starken Vormauer des j,'anzen Reinstroms machen, dar zu frembde potentaton von solchen gewaltigen Überzügen t retten 1 ic Ii a b sc h re c k en und den ganzen Rein-

t ro m da r d u rc Ii höchlich befriedigen. Dargegen w e r e n wir auch b e g i e r I i c h bereit, unser «r u t und blut zu be warung und rettung diser Stadt

a r z u z u s t r e c k e n und dieselbe u n s e r s ü s s e r s t e n Vermögens hey irer M t. und dem heil, reich auch allen ihren hergebrachten liberteten vermittels göttlicher genaden zu retten und zu erhalten und es darzu in ander weg gegen irer Kay. Mt. in allerunterthenigstem verdienen.»

.\IIer Augen waren in jenem kritischen Momente auf Strass- burg gerichtet, und allgemein wurde sein verdienstvolUis Ver- halten anerkannt, nicht zum mindesten von Karl V, selbst, der der Stadt mehrfach schriftlich und bei seinem Durchzuge duix^h dieselbe persönlicli seinen kaiserlichen Dank aussprach. ^

In den Ereignissen des Jahres 1552 sehen wir aber zugleich aiK-li die glänzendste Verherrlichung des Stetlmeisters Jacob Sturm, des « pater patriae et ornamentum reipublicae,»' der damals mit fester Hand das Schiff des Staates lenkte und das- selbe durch die Stürme der Zeit glücklich hindurchführte. Ist doch überhaupt mit der politischen Thätigkeit jenes ^^enialen Mannes die ruhmreichste Periode der Geschichte Strassburgs

1 Sleidan III, 3i)9. Schon vorher hatte ihnen König Ferdinand für ihr ehrliches, beständiges und ritterliches Verhalten, das ihnen bei männigUch und fQroehmlich allen Ehrliebenden vom b<fchsten rQhmlicfa sei, gedankt und sie ermahnt, den dadurch erlangten Ruhm höber als die erlittenen Schftden xa

achten (Str St. AA 579. Juni I3j.

2 R. u. 2i. 53. Okt. 30.

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eng vf iknfipft ; sie beginnt mit seinem Auftreten und findet ihren Altschluss mit sjoineni Tode.

Halte sicli Stuiin wahrend des schmalkaMisciKMi Krieges in eine gewisj^e Passivität zurfirkfrezo^'^en, nicht nur weil er die Erfolglosigkeit dessi-lhen voraussah, sondern wohl auch weil er jeder Entsclieidung der relifriösen P^nifien dnrrh das Schwert, und zudem einem Kri»'«!f' L:eg<Mi den Kaiser, in dem er jedeizeit das ^esetzlieiie Ui)erhaupt des Reiches erhiirkte, ah- opjjpin^t war,i so ist er jetzt, wo es gilt, die Stadt Ijei letzterem zu eiiialten, der Mittelpunkt des Widei Standes. Seine Thätig- keit können wir ühendl verfolgen. Ki ist die Seele der Ver- handlungen mit den l>unachharten Ständen, er verfasst die Instj uktionen für die Gesandten, auf ihn geiien die Vergritfe an die SchötTen und Gemeinde zui ück. Kr- wird am geeignetsten gehalten, Kapitel und die oll .schwierigesi Krie;jshauptleute zu Zugeständnissen zu bewegen. Bei jeder Gelegenheit bringt er seine gemässigten Ansichten zur Durc litfdirun'r.

Daneljen hält w sich alnn- auch niclit zu ^ut, die kleinsten militärischen Anordnungen zu trelTen, mag es <icli nun um Anwerbung und T Unterbringung des Kriegsvolkes oder um die Anlage von Betestigungen handeln. UelKMall zeigt er ein Sachverständnis und eine Einsicht, die ihn selten täuscht. *

Da er die fr-l*' I Mherzengung hegte, dass die j)olitische und r('lign)se L nubiiungii,iktMt seiner Vaterstadt durch gewissen- liatteste lieohachtung ihrer Verptlielitungen gegenüber Kaiser und Pieicli am besten gewalii't und erhalten würden, betonte er auf die erste Kunde von dem Herannahen des fian/.osiseiien lleeies: «So der Konig an die Stadt etwas begehren würde, vor allen Dingen die Aussöhnung zu besehen, was wir uns

i Sagt er doch eHunal geradezu : «Wir bsben allerlei exempel vergangner zeit, do die sach en den orten, do man es mit dem sctiwert hat wollen usrichten, nit wol L'eraten» Winkelmann, Polit. Korrespondenz der StaJt Strassburg U nr. i>4ö. 1538. Okt. 11. Auch Baumgarten, Jacob Sturm p. 15, glaubt annehmen zu mttasen, «dass er niemala dan Krieg gegen den Kaiaer empfoUaik liabe*.

'2 Völlig zutrefTenJ ist in diesor ßezieliung die Charakteristik, die Johann Stunri in seiner «Consolatio ad seuetuin Argenliiiensem» von ihm i/ieht : «Ouot et quanta fuerunt temporum perturbationes, <juam periculosi moias, (^uam saepe novaram perhirbationum cansae quaesilae aunt, Cttjttemodi eomitia, foedera,

bella, in quibus omnibus aut domi consulendo aut Toris legationil)us obeundis interfuit, consilium dedit^ iniilta lirauit, rnnlta providit, multa praedixiti quae partim eveneruut, partim adlmc impendere videutur.

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ige^en Kay. Mt. vf rsclirieben,! damit den.selhen Punkten nichts zuwider l)e\villigrt \v(Mdp.»>' Hatte er fjich nacli f\ov Niederlage des schmalkaldischon Bundes, wemi auch nach hai tem S<^elen- kainpfe, schliesshch Ijeieit finden lassen, (( den schwersten Kitt fieines Lehens » zu thuii, den Kaiser um Verzoihnng für seine Vaterstadt an/uneh<*n,3 ist diesmal. w> e< sicli um die Gesandtschaften an den tVnnzösischen Koni^f^ liandelt, bezeich- nenderweise gar nirlit « in mal die Rede davon, ihn l)ei einer dei'selben zu veiwenden.'* Dagegen sehen \vir ihn wemj^e Monate darauf wic^der an der Spitze der feierliclien Botschaft, die den Kaisei- Ihm seuiem DuiThzu«?e durch das Elsass ini Namen .Strassbuig» hogrüsst und um mögUchste Sctiouung den Landes bittet.

Dass die v(in Sluiiii in \(»n uns gescliilderten Tagen

l)ewiesene Treue und Gesinnungstiichti^ikeil vom Kaiser vollauf anerkannt und gewüidigt wurde, Ijeweist das Schreiben, welches ihm seitens des Bischofs von Arras Anfang Juni zugestellt wuide:ä «Dass ir Kays. Mt. einem erbaren Rat und gemeiner Stadl daselbst, in Ansehung iliies beständigen Gehorsams und

1 GemeiQt ist hiermit jedeulalls der vom Hate am 2ü. April lälT abgelegte Eid : < Wir ÜMster u. Rat dieser freien Reichflstadt Straasburg geloben und

schwören, dass wir sollen uud wollen dem allerdurchlauchtigsten Herrn Karin, Römischem Kaiser, unserem aller^inädigsten pinicen rechten Herrn, als eine treie Siadt des heiligen Reichs treu und hold sein, auch alles thuu, was wir aU eine freie Stadt des Reichs nach unseren Freibeitan und altem Herkommen au thun Schuir!:^ sind, also uns helfGoti und die beitij^ Evangelien» fHollaender» Strassburg im Schmalkald. Kriege p. 91).

2 V. D. G. lad. III, nr. 13. In gleicher Weise erklärt er im Juni,, als Abgesandter der XIII, dem ChurfDraten von der Pfalz: Dass ein ehrsamer Rat zur Zeit der Aussöhnung sich dem Kaiser also verbindlich gemacht lAtle, dass wir uns mit den KriegsfOrsten nicht einlassen könnten, wir wollten uns dann in die Gefährlichkeit begeben, dass uus vorgeworfen werden möchte, wir hätten Brief und Siegel nicht xum Besten bedacht, davor uns dann der AllmKch' tige gtiüdigUch behüten wolle. Denn dieweil unsere Vorfahren und auch wir, ohne Hnhm zu melden, ihre Zell und Administration oder bevohlen Amt «also uuverdeaklicben» hergebracht, dass weder ihnen noch uns, dass sie oder w^ir wider Ehr getändelt mit Wahrheit xugemessen werden möchte, so wollten wir je ungern solches Lob bei unserem Leben mindern oder schw&cheu und uns und unseren Nachkommen einen solchen nachredlichen Verweis und Makel hinter- lassen ; sondern eher unser Vermögen aufsetzen, ehe wir uns und sie mit der- maaaen unabslerblicher dilTamatioD beschwerten Str. St. AA 590.

9 Vgl. HoUaender ai a. 0. p. 63.

Wie Spach a. a. O. p. I8t Jacob Sturm franzosenfreundliche Gesin- nungen imputieren konnte, ist mir unerfindlich. Vgl. über diesen Punkt auch Baumgarten, Jacob Sturm p. 22.

^ Thomasarchiv 1552 Mai 85. (Tir. 22. Liasse 2 ]

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untcrthäniger Treue, so sie zu. diesen geschwinden gefährlichen leuften gegen ir Mt. und dem heyl. reich ensaigen und son- derlich auch von wegen euer.s getreuen unterthan i gen

fleisnes, so ir in solchem fall ehrlich und gehorsamlich fürwendet, damit gemeine stadt in einem solclien gehorsam bestendiglich verharre, mit allen gnaden geneigt, auch solches in seiner zeit dermassen gnediglich um euch b(Mde erkennen wurdet, das ein gemeine stat und ir insonderheit irer kay. mt. gnedigste dankbarkeit spüren und im werke befinden sollet.»

Diesen Worten fügte Granvella eigenhändig noch Folgendes hinzu : « Plurimum benevolentiae vobis conciliaslis apud .suam Majestatem fortitudine vestra et publice civitas et tu privatim, et mihi crede, .sie esse confirmatam opinioneni, quam do tua probitato sua Majestas concepit, ut omnem benevoluui ac pro- pensum (avorern a äua Majestate expectare possis.»

Anhang I.

8ir, 8t. AA

A DOS tres chers et bons amys Ics goUTeni«1irB de la ville de Strasbourg.

Tres chen et bons amis. Kons avons enfanda par k herault Tietnioiit, presentement xetoanie deren nonSy en qaelle bonne volnnte ü YOVtB a tronve de nons seoonrire et accomoder notre armee de yos facoltes, chose qae neos avoiis receu a tres agreable plaisiTi et ne voullons faülir a Tons mercyer de Tliomieste demonstration d^amytie, dont vons nsez envers nous et que nous mettrons peine de recog- noistre en toates choses qui se pourront offrire pour votre regard. Comme nons avons donne Charge a Pellissier präsent porteur vons diie et declairer plns amplement de notre part, anqnel nous vons pryons adjooster snrte antant de foy que vons feriez a nons mesmes, priant dien, tres chers et bons amys, vons aYoir en sa saincte et digne garde. Escript an camp de Haiancourt le 25. jonr d^avril 1562.

Henry

de PAnbespine.

Anhang II.

Sty, St, AA 4854, Hess, le bonrgaemaistre et consefl de la Tille de Strasbourg.

Messeigiieurs ! Esperant que suivant ce que je vous ay peus- nagueres escript et mande par le herault dn Roi et la bonne res- ponse qne mavez faictes, vous secoorrez ceste armee de vivres en

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imiant, j'envoye co poitonr «leveis vous pour scavoir de vons ce que pourrcz faire en cela, aiusi qu il voas dira de ma pai t dont je vous prie le tenir comme moy n^smes. Estant aaBeurez qne sa majesie rccongnaiBtra ce qae vons en anrez faict ainri qne le reqniert ]a bonne amitie qaUl vous a tonsjoars poiiee et porte. Je eoiuare notro setgaear, messeigncars, qu^il vous ait on sainte garde. Eseript au camp de Grevy (?) le XXVi»') joar d'avhl 1Ö52.

Votre bon amy

Monmoroiicy.

I

Anhang III.

Veraobieileiie Zeitstinmen aus dem 16. und 17. Jahrhindert über die Pllne Helnricbs II. hlnslehtllch Strasaburgs.

Sfem. de Tavamies {Michand et Poigeiilat VIII p. 164).

« Le roy iTiarche ä Strasbourg, pour y faire de mcsmo, quMl avoit faict ;i McXz; cux monstrciit Tinconvenient de leurs voisiiis les avoir faits saj^ros, ot <jii*il faloit roinmpncer par eux, ow h raesrae jour, ce qui cust ete [peut-estrej en danger de u'avoir ny Tun iiy lautre,

Sleldan 24, 366.

rmlitur cnim, spem illos prnpp ( ertam concepisse, ut rjucmad- uioilniii amicitiae quadain ostentaliüiie. Metim ingressi fut iant sir otiain ab Argentorato noii excludercntor : cum autem scirent muiu- tissimain esse arbem, et tanto praeterea studio viderent ad defen- sionem omnia parari, motato, nt est credibile, consilio deflexernnt.

Leben und Thaten des Herrn Sebastian Scbertlin von Bartenbaeh ed. SchStdinth p. 86.

« Uiul als wir vei linftr, uiuis sollte die statt Strassburg uffgethon worden, und da wir <lio iiiliondig gemaclit betten, uss solcher desto hau uuser intent erlangen mögen, haUeu bicb die von der statt mit 6 starken fendlin knecbten besetzt, uns mit niehten anders, dann den könig mit etlichen personen wollen einlassen, (?!) nnd haben daran weissUch gehandelt, dann da wir hinein, weren wir mit lieb nimmermer her ans k ome n.»

5

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m

Zimmeriscbe Chronik (1566 abj^eschlosseii) IV, 67.

«Im färstenki-ieg do mucbt graf Wilhelm Wernlicr zu äpeiei weichen, sampt mertails allen camergerichispersonen ; dann küuig Heinrich von Frankreich ward mit höreskraft über die Füst (das

Gebirge) koinmoii, des vcrhoffens, man würde im thor nnd thüren allenthalben nfthun. Es liet im aber der Allmechtig dnrch sein güete

die äugen also verbleut, das er ein kleins für ein groses usscr- weit, nemlich dn? er die v<^irhstat Motz mit listen hei ingonointtien und den jungen hei/oj^en von Luttringeu geraubt über alles zusagen und küniglichs verstri chen. Also, do er Strassburg aiisii htig und uit anders gedacht, es vvere richtig, nuu war den bevestigteu pauren die äugen nfgeen, die beschlossen ir stat und Uesen den künig zu Elsass-Zabern und am gebirg nmher terminiren. Den fieng erst an sein furnemen zn rewen; jedoch so war der has im pfeffer etc.>

Tbamius, Uistoria soi temporis (Ausgabe tob 1626) 10,305.

« Spe potioiidae civitatis exclusus rex , relictis Taberuis vexillo pcdituin iter flexit et tertiis castris Uaganoam pervcnit. >

Chromkalia fiber Strassburg und das Elsass (um 1660 abge-

sehlossen).

p. 469 (offenbar zeitgen. Aufzeichnung) : «Anno 1552 da zog der künig von Frankrich angangs im Mayen mit einer grossen macht über Zabemer steig heraus iti Teutschland in einem falschen betrug, wie es sich auch befunden und noch täglich bei i Ii in befiudon thut. da fuhren die hu. von Strassburg zu und hiewen alle bäum urab Strassburg ab, auch vornehme gebäw, was sie vermeinten, ihnen vor der Stadt schädhch zu sein und fingen an, dasselbigemal den graben und wähl sampt der pasteyen zu machen und ordneten mich, B. Cogmann,^ darftber zu ihrem unschuldigen diener und lohn- herren, etc.»

weiter unten p. 612. : 1552. «In diesem Jahr hat König Heinrich aus Frankreich Metz, TuU und Verdnn mit list eingenomen und mit heereskraft in Teutsch- land gezogen im schein, den Teutschen zu helfen, aber mit betrug umbgangen und mit schaden wieder heimgezogen.»

I Uebcr diesen Chronisten vgl. Kührich a. a. ü. I, 6 und Dacheus, Bulletin de la sociät^ p. la cons. des mon. bist. d'Alascei II* slärie, 19, S9.

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Ü7

Os. Schadaei {1586/1626) „Strassburgische Cronica".

«In disem 1552 jar kam der Franzos in Dentschland und nach* dem er die reichstett Metz, Toni nnd Vcrdun eingenommen, ver- meint er a u c Ii S + r a s s b u r g z u b e k o m e n. Weil aber weder <lor Constabel noch der könig selber stadt nacli seinem gefallen fand, auch sahp, dass sich die stadt zur >,'ogouvvehr stark präpariert. })rach er mit seinem Volk den 7. May auf; musst also uugeschati't abziehen.»

Walther sehe Chronik j^ubgeschlossen 1676>

< Da der Konnetabel merkte» dass es ihnen nicht wie zu Metz geschehen, gelingen werde, und anter dem schein guter freund- Schaft nicht in Strassburg eingelassen werden würde, auch die

stattliche gegenverfassung und veste der Stadt betrachtete, sind sie, nachdem sie etliche tage bei Haasbergen gelegen, den 7. May wieder aufgebrochen.»

Alichael Kleinlawel, Strassbnrgisehe Chronica (1625 gedruckt).

p. 148 : « Nachdem der Frantzos die Ötadt Metz Thol Vcrdun eingenommen Ist er auch für Strassburg zuletz Mit grosser Kriegsmacht kommen. Da rüst man sich zur gegenwehr Und wollt ihn nicht c inlassen Darum musst er mit seinem Heer Wieder ziehen sein Strassen. >

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Nachträgliclie Anmerkung^ zu Seite 36.

Wie mir währeiifl des Driitkes der Arbeit seitens des. Herrn Frei- herrn von MüHeniieini-Rechberg freundlichst mitgeteilt wurde, sind bei den Demolirungsarbeiten des Walles am alten Judenthore Januar 1881 lediglich zwei Grabsteine mit ebräischer Inschrift anf^icfunden niid von Herrn Professor Eating entziffert worden Vgl. darüber Bulletin de l;i 9or. pour la cons. des mon. bist. d'Alsaoe, serie X, 2, 142 u. Xn, 2, 2 und Enting in der Festschrift zum 250 jähr. Bestehen des Strassb. Protestant Gymnasiams (Angnst 1888) die Steine Nr. 2 und 3.

Stru><i>biirg, Druck vou J. H. KU. }U>iU (llciU ^ .Muitiltil).

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BEITRAGE

ZUR

LANDES- UND VOLKESKUNDE

vost

ELSASS-LOTHRINGEN

VII. HEFT

ZU S l RASSBliKGvS S i ÜKAI- UND DRAN(iPKHiOiJt

1770^ -1776.

URKUNDLICHE FORSCHUNGEN HEBST EINEM UNGEDRUCKTEN BRIEFWECHSEL DER STRASSBURGERIN

LUISE KÖNIG MIT KAROLINE HERDER

AUS DEM HERDER- UND KÖDERE R-N ACHLASS

VON

Dr. JOH. FROITZHEIM.

SIRASSBURG J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1888

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Im Verlage der uiiterzeichueteu Verlagsliandlung erscheint unter dem Titel :

BEITRAGE

ZUR

UiNDES- UND VOLKESKUNDE

VON

ELSASS-LOIUUINGEN

in zwangloser Folge Al»hcin(lliiiigea und Mittheilungeii aus dem Gebiete der Geseliichte und Litteralur- geschiehte von Elsass und Lothringen, Beitrage zur Kunde der natürlichen geographischen BescliaÜ'en- lieit des Landes, sinnei' Bevölkerung und seiner Bevölkcrungsverhaltnisse in der Gegenwart und in df»r Vergangenheit, seiner Alterthtinier ^ seiner Künste und knnstgewerhlielien lM"zeiignisse; es sollen daneben selten gewordene littcrarische Denkmäler durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, und durch VeröfTentlichung von Fa'hebungen über Volksart und Volksleben, über SittS und Brauch der Stände, über Aberglauben und üeberlieferungen, über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge das Interesse an der eisass- lothringischen Volkskunde befördert werden. Aner- bietungen von, in den Bahmen gegenwärtiger Samm- lung sich fügenden Beiträge werden den ünter- zeicnneten jederzeit willkommen sein.

Die ersteh Hefte enthalten folgende Arbeiten:

Heft Die dinit^ch-französiHche Sprach- (/re/ize in Ln( /winr/e/i von Const. This. 8°. 31 S. mit einer Karte (1 : 300.000). i 50

sieiie driUe Seite des UinseJUaga,

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zu STHASSBÜRGS

STURM ÜNl) DRANGPERIODE

1770-1776.

URKUmiGHfi FORSCHUNGEN

NEBST EINEM UNGEDRÜCKTEN BRIEFWECHSEX«

DER sm\ü5SBURGERlN

LUISE KÖNIG MIT KAROLINE HERDER

AUS DEM HERDER- UND RÖDERER-NACHLASS

VOK

Dr. JOH. FROITZHEIM

Olwrlelurer an 4er Neuen Reetscbule in Stnssburg.

STRASSBURG J. H. EJD. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL).

1888.

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a

VORWORT.

Gortlie und Lenz schrieben im Elsass das bekannte « Deutschheit emergirend in ihr Programm. Im Sinne desselben Waldspruchs lege ich liiermit dem Publikum die Fortsetzung meiner Studien über die Geniezeit Slrassburgs voVy als deren jüngste FntcJd noch vor kurzem eine Abhand- lung, m Lenz, Goethe und deophe Fibichyt erschienen ist. Es sind mitunter Detailstudien, aber die allmählich gewon- nene Ueberzeugung, dass in der Gesamtauffassung jener Periode an wesentlichen Punkten nur deshalb gefehlt worden ist, weil eine kritische Priifung der Voraussetzungen mang eile , zwang mich zur Prüfung auch der Einzelheiten.

Wie Grosses hätten die letzten 60 Jahre in der Er- forschung jener für Deutschlands geistige Entwickeln ng so VfielUigen Sturm' und Drangperiode im Elsass leisten können t Spach hat den Dichter Ramond, Lenzens Freund^ noch in den Pariser Salms vorlesen Iwren, Isaak Haffner ist erst iSSi, der zum Lauihschen fHundeskreis gehörige Karl Heinrich Kern erst i847 geetorben. Was hätte nicht alles die Forschung wm solchen Männern erfahren können ; aber wie viel ist versäumt toorden t Ein bedeutendes Verdienst gebührt deshalb August Steher, dass er nebst vi^em anderen Wich- tigen die GcethC" und Lenz-Briefe aus Salzmatins Nachlass vor ihrer Zerstörung zum Abdruck g^acht hat.

Was ich zu bieten hohe und noch bieten werde, ist eine immerhin nicht miJbedeutende Nachlese aus grosser Zeit. Bei meinen Bemühungen um Quellenmaterial für diese Arbeit gelang es mtr« das noch unbekannte Namenverzeich- nis der Deutschen^ Gesellschaft in Stras^rg denn dies

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ist Uir wahrer Titel und eine genaue Revision des Proto- kolls derselben rou einem geehrten Mitgliede der Familie Matter zu erhalten ; im Röderer- Nachlass, dessen Einsicht mir die freundlidieii Enkelinnen Joli. Gottfr. Röderers gestalteten, fand ich zwar nicht mehr die Lenz-Briefe selbst, die in einem besonderen Pakete bis zum Jahr i872 vorhanden gewesen sein sollen y aber doch mancJies voii Stöber lieber- seltene, wovon z}i^fi Briefe von Jimg-Slilling und Karoline Herder in dieser Arbeit verwertet worden sind ; von Herrn Appellationsgerichtsrat a\D. Kern erhielt ich a)is der Hinter- lassenschaft der FrL Köllig einen Stammbaum und melirere andere Familienpapiere zur Benutzung ; Herr Prof. Supimn, der Direktor des Goethe- Archivs in Weimav, überliess mir auf freundliche Fürsprache des Herrn Prof. Erich Schmidt in Berlin mit selbstverläugnender Bereit Willigkeit die im Herder-Nachlass gefundenen Briefe jener FrL König an iJtre Jugendfreundin Karoline Herder, und mein verehrter Freund He^^r P. Th. Falck in Riga, der meinen Studien von Alf fang an da:^ grösste Wohlwollen bewiesen, indem er die- selben mit seiner erschupfenden Kenntnis der sehr zersplit- terten Lenz-Litteratur aufs hülfreichste unterstützt hat, be- sclienkte mich mit jenem schönen Briefe Lenzens an Haffner, der ebenso sehr von der Hingabe des Dichters an die deutsch- litterarl^rhen Be^^irebungen meiner Strassburger Freunde als von dem gesunden Verstände des in Weimar Gestürzten Zeugnis ablegt.

Mögen alle Geber, denen ich hiermit meinen tiefem- pfundenen Dank ausspreche, sich der vollendeten Arbeit nicht minder erfreuen, als sie der entstehenden ihre Gunst zugewandt Jiaben, Dies würde mir der erwünschte Sporn zu neuen Forschungen sein I

Sirassburg, den 2. Mai i888.

Dr. /. FROITZHEIM.

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I. GhDBthds Ausflug: nach Saarbrücken und seine

Examina in Strassburg.

Als Goethe 1770-1771 in Strassburg studierte, unternahm er mit zwei werten Freunden und Tischgenossen, Engelbach und Weyland, welche beide aus dem untern Elsass gebürtig waren, einen Ausflug zu Pferde über Zabem, Buchsweiler und Saargemünd nach Saarbrücken, von wo er über Zweibrücken, Bitsch und Niederbronn zurückkehrte.

Die Chronologie dieser Reise, um welche sicii Düntzer in « Prauenbilder aus Goethes Jugendzeit» S. 39 ff., Gcedekeinder «Gegenwart» 1878 und v. Lcuper im <i Archiv für Lit. » Bd. VU und VIII bemühten, ohne zu einem iHiKlenden 1^3sultate zu gelangen, sowie der Zweck dieser Reise, au welclien bisher niemand gedaclit hat, lassen i^ich auf Grund der im Strassburger Thomas-Archiv erhaltenen Matricula Generalis und der im Stadt- Archiv vorhandenen, aber bis jetzt unbenutzten Protokolle und Kandidaten-Matrikeln der juristischen Fakultät ein für alle Male feststellen.

Folgt man der Darstellung in c Dichtung und Wahrheit v, nadi welcher Ctothe auf der Rückkehr von SaarhrOcken seinen Ritt inunilteUiar durch den Hagenauer Wald nadi Sesenheini lenkte, um Fdederike «iedenuaefaeiiy so kann, da die erste Bekanntschaft mit derselben einem erhaltenen Briefoonoept zu- folge (Weimarer Ausgabe Br. 70) erst Anfang Oktobw 1770 filU, jener Saarhrficker Ausflug, auf welchem Gostfae einen vom 27. Juni, ohne Jahressahl, aus SaarhrCksken datierten Brief an Katharina Fabrictus? (Br. 6S) geschrieben hat, nur in den Juni 1771 gesetzt werden. Diese Ansetzung aber föhrt uns in ein Labyrinth von Widersprüchen. Vor allem hinderlkdi wird ein aus dem September 1770 erhaltenes Briefconcept Goethes

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an seinen Freund Kngelbach (Br. (57), in welchf^m dieser letz- tere als ein schon aus dem Strassburger Kieise Ausgeschiedener erscheint. Versuchen wir- deshalb die richtige Lösung.

Eine irrige Annahme, in welcher bis dahin die Gcethe- Forscher befangen waren, ist diese, dass jener Brief Garthes an Engelbach nach Buchsweiler gerichtet gewesen sei; zählt doch V. Lceper Anm. A*2\ unter Garthes Freunden und Tischgenossen in Strassburg neben dem Theologen Franz Clnistian Lerse und dem Mediziner Friedrich Leo|>old Weyland, welche die Strass- burger Matrikel ausdrücklich als Buxoviüani bezeichnet, aus den ßuchsweiler Kii'chenbiM hern auch einen Moritz Joseph Ejiizelhach, geboren 7. September 1744 zu Buchsweiler, auf. Allein was den Forschem hisiier entgangen ist ein solcher Moritz Joseph Engeli>ach kommt in den Strassbui'ger Univer- silalsregistern jener Zeit nicht vor. Dagegen rm<le ich knrz nach der Immatrikulation Goethes, welche auf den 18. April ' 1770 fallt :

1770 die 2 Maji Joannes Conradus Engelbach Westhovensis AlsataJ

Ebendei stUte, welcher .schon in hohen Semestern gestanden' haben rnuss, trug sich Jieie'its 5 Wochen nach seiner Inscrip- * tion in die Matrikel der liechtskandidaten folgendertnassen ein : * .

1770 die 0 Junii Joannes Connidus Engeibach, (Konsiliarius * Seienissinii Principis Saai epoiitani, Westhoven.sis Alsata.

Engelbach war also bereits Bat des Fürsten von Nassau- Saarbrücken, als er sich in Strassburg immati'ikulieren Hess, um rasch hintereinander sämtliche Prüfungen abzulegen;

^ Erich Schmidt hat in dem Aufsatz Goethe und 0-ferul >, Ini neuen Reich 1877 11 8. 824, s. auch «Charakteristiken» S. 28(i die wichtigsten Daten der Strassburger Geueralmatrikel verzeichnet, aber

Emti-ag EngellNUslis überaehm. Sein Schlasssats cdie Wolniiing bey Herrn Schlag auf dem Fischmarkt gehörte jedenfalls zu den feinen, denn in aedibns Schlagii treffen wir später den Prinzenerzieher Petei'sen, den bekannten Darmstädter» bedarf der Berichtigung. Der betreHfencI« Eintrag lautet: 1771 12. Not. Phil, fienr. Oerh. Petersen Tabernaemontanus habitat in aedibus Schlagii. Ebenderselbe war nach der auf dem Üniversitäts-Sekretariat vorhandenen Mediziner- Matrikel von demselben Datum Student der Medizin. Dagegen hiess der bekannte Prinzenensieher Georg Wilhelm Petersen» war am 15. Dez. 1744 zu Zweibrücken geboren nnd starb als Hofprediger in DarmstarU am M. Dez. I81fi (Genauere Angaben über sein Leben und seine Schriften bei : H. £. Scriba, Biogr. htter. Lexikon d. Schrift- steiler d. Grossherzogtums Hessen, Bd. II S. 555 IF.)

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Vorauszuschicken ist, dass nach der « SpecialurtlrLUiiij der Promotionen in der Strassb. ,jur. Faeultal» jeder Kandidat sich vor Zulassung zur Promotion zwei Prüfungen zu unterziehen hatte. Die erste l>esland aus einer mundhchen Vorprüfunj^, der eine schritlliche Klausurari)eit über je einen dpiii ( und kanonischen Rechte enlnommenon Text iul^l«^. In der zweiten Prüfung' niusste der Jüandidai jeae Bearbeitung «r^laren und verteidigen

üeber Kngelbachs Prüfungen enthalten die Akten der jur. Fakultät folt,^ende Protokolle-

1770 9 Junii Dom. Kn^^elbach et GopIz fiunt candidati.

Praevia dispensatione a Dissert. praeliminari ad Matriculani Candidatoruni admissi sunt Dom. Joannes Conradus Engelbach, Westhovensis Alsata, Serenissimi Principis Saarepontani Con- 8iliariu8, et Dom (Vjnradus Fid^ li': Goid/. Reinacensis Rauracua.

1770 11 Juiiii h^xamen prius Ij. Kngelbach.

Examen prius sühnt Dom. luigelbachy eoque egregie äuperato resolvendos accepit textus:

L. Compensationes. ull. cod. de < oiopeiisat.

G. Veniens 13 X de Sponsal. et Matrimon.

1770 13 Junii Examen posterius Dom. Engelbach.

Dom, Engelbarh Examen po.sterius mascule superavit, et veniam obtinuit Dissertationen! inauguralem sine Praeside defen> dendi.

1770 19 Junii Dom. Engell>a( l> dispufatio pro licentia.

Dom. Engelbach. Dii^sert. inaug. de Fidejussore cum app- lausu Auditorii defendit.

1770 eadem die : »Scriptum est Testimonium Licentiae D. Eugelbach.

Am 19. Juni 1770, der aul emen Diensta;^ fiel, iiatte also Engelbacii seuie Studien in Strassburg abgeschlossen. Ende der Woche kehrte er nach Saai bnicken zurück aber nicht allein, sondern zu Pft rde von seinen Freunden Goethe untl Weyhmd begleitet. Nicht Ga;the war also der Gefeierte auf dieser fleirie, Muidern Eiii*elbach, der in 9 l agen sämtliche juristische Prü- iungen <^lucklich bestanden hatte.

Nach der Darstellung Gofithes wäre der Ausritt aus Strass- burg und das erste Nachtquartier in Zabern Sauisla^ den 23. Juni erfolgt, den näch.steu Taji, an einem Sonntag, befanden sich die I{eiseiiden morgens in J'ialzburg und über- nachteten in Buchsweiler. Den 25. Juni ritten sie über Lützel-

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stein und Saanmion und trafen am 36. Juni abends in Saar- brücken' &a, wo sie vom Piisidcateh v. Gfinderode gastlich aufgenommen wurden.

« Creslem waren wir den ganzen Tag geritten, » schreibt Gcetbe Mittwoch den 21, Juni aus Saarbrücken, « die Nacht kam herbey und wir kämm eben aufs Lothringische Gebürgt da die Saar im Ildiiicheii Thale unten Torbey fliesst. »

Mit dem festen Anhaltspunkt der Promotion Engelbachs am 19. Juni 1770 vermögen wir also die vielumstrittene Chro- nologie jenes Genierittes sicher zu gunsten des Jahres 1770 zu entscheiden. Saarbrücken war, was man bisher noch nicht ge- wusst hat, deshalb als Ziel der Reise ins Auge gefasst, weil Hat Engelbach in saarbrückischen Diensten stand.

Jetzt erst verstehen wir auch, weshalb Goethe seine beiden Freunde, von denen der eine aus Westhofen bei Wasselnheim, der andere aus Buchsweiler stammte, nicht « zwei Freunde aus Buchsweiler », sondern <r aus dem Unterelsass » gebürtig nennt, und, was man bisher nicht erklären konnte, weshalb Goethe, der mit zwei Freunden aus Strassburg geritten war, nur ^on einem Freunde (Weyland) begleitet» von Saarbrücken zurück- kehrte.

In Strassburg- angelangt denn sein damaliger Resuch bei Friederike ist Dichtung, nicht Wahrheit suclite Goethe baldmöglichst dem Beispiel seines t reundes Engelbach zu folgen. Bereits am 22. September 1770 tru^ er sich eigenhändig in die Matrikel der Rechtskandidaten iolgendermassen ein:

Joannes Wolfgang Goethe, Moenofrancofurlensis.

Es ist dies der zweite in Strassburg eriialfene eigen- iiändige Eintrag Goethes ; derselbe ist bis jetzt noch nicht bekannt geworden. Von den igen der Matricula generalis gibt die Festschrift zur Eroünung der Universität Strassburg von Dr. Schricker 1872 eine formvollendete, aber in ihrer Zusam- mensetzung insofern verfehlte Nachbildung, als das Datum der folgenden Immatrikulation , nämlich der 19. April , falschlieh mit derjenigen Goethes vereinigt er:^cheint, ein Felilei, der V. Loeper Anm. 322 und mich « Lenz, Goethe und Gleophe Fibich von Strassb., S. ^9» irre -etHlirt hat.

Uebei die PriUungen GoüLlies enthalten die Fakultätsakteu unter dem Dekanat des Professors Treithnger (3. Mai bis 23. Novembei 1770) lolgende Protokolle:

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1770 die 32. Sept. D. Gcethe fil candtdatus. Dom. lob. Wol^angus Gcefhe, Moeno-Franobfurtonusy a dissertatione praeKminari dispensatQay Matricolae Gandidatonim noinen insentil. 1770 die 35. Sept. Examen prius D, G«ethe< Dom. Goethe^ priore Examine insigni com laude «aperato, pro examine rigmso ad resolvandum dati sunt textus : L. Solita ult. cod. de remisa« pignor. G. Series 26. X de testib. et attesfat. 1770 die 27. Sept. Examen poeterins D. Gcethe. Dom. Gcethe in poetariore Examine Analyses allatas maaenle defendit et veniam meniit Diaaertationem inaii§fu«lem sine

Praeside ventitandi.

So hatte also Goethe schon am Knde seines ersten Strass- hurger Semesters, drei Monate nach Engolliachs Abreise, am 27. Sept. 1770, seine Prüfunj-en in der Kapilelslube des alten Thomanuin bestanden und schickte dem Freunde, nicht am 10. Sept., sondern am 30. Sept. die Strassbur^^er Orij^änal- handschrifl liat Sfipt. 70 die entliehenen Kollegieu-

hefte mit einem Gruss an alle Saarbrücker Bekannten zurück.

An Hrn. Engelb.

d. 30, Sept. (17)70.

Jeder bat doch seine Reihe in der Welt, me im Schöner raritäten icasten. Ist der Kayser^ mit der Armee vorüber ge- zogen. Schau sie, guck sie^ da kommt sich die Pabet mit seine Klerisey. Nun hab ich meine Rolle in der Kapitelstube auch ausgespielt; hierbey kommen Ihre Manuscripte, die mir artige Dienste geleistet haben.

«Wie Sie leben irermuth ich. Bey mir ist alles ut supra. Im B.Hausse fährt man fort angenehm vx seyn. Der A. und ich, wir werden uiis ehsteW copuliren lassen. Der ganze Tisch grusst Sie. Alte Jungen in der Stadt verfertigen Drachen, und ich possle par compagnie an meiner Disputation. Leben Sie glücklich. Erinnern Sie sich meiner , erinnern Sie auch meine Freunde dass ich noch binn, und euch alle lieb habe.»

Unter dem «Tisch» in Strassburg ist selbstverständlich der- jenige der Jungfern Lauth in der Knoblochgasse nicht Krämergasse, wie inaii bisher geglaubt liat (s. den folgenden Aufsatz) unter dem «Aj» der Aktuarius Salzmann, dessen

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unzerlrenulicJier Begleiter GaiLhe in Slrdssbui jx war, und uri lei- dem «B-Hause» wahrscheinlich das Braun sclie zu verstehen, zu welrlit in Salzmann die nächsten verwandtscliat'lhchen Be- ziehungen iiatte (s. meinp Schrift: c<Lenz, Go^'tiie und Cleophe Fibich » S. 53), Die seltsanten und bisher unver^landeuen Worte «Jeder liat docli senie Ueiiic in der Welt wie im Schöner raritiiten kästen. Ist der Kayser, nnt «Icr Armee vorüber ge- zogen. Schau sie, Guck sie, da kommt sich die Pahst mit seino Klerisey» sind mit lieziehunjj auf die iit)ei lasihende Autemaudertolge des Guetlie'sciien Examens nacli dem Kngel- bach'schen gewählt. Nach ül>eistandenea Kxamensnöteu lustig gestnnmt, eij^net sich hier Guetiie die ungrammatischen Anprei- sungen des Besitzers eii.ies solchen Raritätenkastens an, wie iliii Giethe und Engelbach wahi*schein)ich iiurz vorher in Strasshurg odei' SaarJjrückcn gesehen hatten. *

Unmittelbar nacli bestandenen Prüfungen wurde Gtijlhe, der gewiss eine Ausspannung nötig liatte, Anfang Oktober 1770 von seinem Freunde Weyland zum erstenmale nacli Sesenheim mitgenommen. F'ried. uke Brion, der allerliebste Stern, der damals an diesem Ii tu Iiichen Himmel für Goethe aufging, hielt ties Dichters Herz für längere Zeit be/aubert. Dazu kam, dass Vater Goethe, selbst Doctoi juris, mit einer Li zentiaten wurde nicht zufrieden, «ien Sohn aufforderte, behufs Ausarbeitung einer wissenschatllichen Abhandlung zur Erlangung <ler Doktorwürde seinen Aufenthalt in Strassburg zu verlängern.

Goethe wälilte das Thema: «dass der Gesetzgeljer nicht allein berechtigt, sondern verpflichtet sei, einen gewissen Kultus festzusetzen, von welchem weder die Geistlichen noch die Laien sich lossagen dürften , » hatte aber zu seiner inneren Genug- thuung, da er «^ine juristischen Kenntniss« geringer als der Vater anschlug, mit dieser Arbeit wenig Gluck.

Von der Engherzigkeit der damaligen wissenschaftlichen Anschauungen der Strassburger Universität, die wiederuni von der Engherzigkeit des Magistrats heherrsclit wurden, macht man sich in unserem aufgeklärteren Zeitalter nur sciiwerlich einen Begriff.

«Etwas von der Zensur?» schreibt der Theologe Petersen, der Erzieher der Prinzen Friedrich und Christian von Hessen- Darmstadt, an Merck den 0. März 1775 aus Strassburg. « Man hat dem Herrn Lenz die Erlaubnis zum Druck seiner Lust- spiele nach dem Plautus nicht bewilligL Dafür darf jeder

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Pre<Jiger seine Imbecillitäteti drucken lassen, um sie als Neu- jahrsgeschenke seinen Beichtkindern auszutheilen.»

Nacli jener Special -Ordnung der Promotionen niusste jede Inauguraldissertation der Zensur der Fakultät zur Prüfung iiber- geben werden, «ob auch de jure publico nicht «*t\vas darinnen zu befinden wäre.» Im Namen der Fakultät urteilte der da- : nialigc (10. Mai bis 15. Noveinbei' 1771) Dekan Job. Friedrich F:hrlen J. U. D. Pand. et Jur. Gan. Prol. Puhl. Ord. Cap. . Thom. t^anon. \ve<1er Prof. Tretflinjrer s. v. Loeper Anni. iOl noch Prof. Reisseissen s. Erich Schmidt Im neuen Reich 1877 II S. 451 iianii es nicht l ätlich sei, dieselbe als akademische : Di.ssertalion bekannt zu macii* n und stellte dem Verfasser an heim, . anstatt pro gmchi doctorali, pro hccntia auf Thesen zu disputieren. .

So war demi Goethe zum grossen Verdrnsse st ines Valers, genötigt , sich mit der Lizentiatenwürde zu begnügen. Er. setzte sich wieder mit seinem liepetenten zusammen , an Rat Eugelbach s. v. Loeper Anm. 3*27 ist nicht zu denken und die Disputation ging unter Opposition seiner Tischgenossen mit groisser Lustigkeit, ja Leichtfertigkeit vorüljei. Ein guter herkömmlicher Schmauss l)eschloss die Feierl iclikeit. ,

Die 56 Thesen, fil)€r welche Goethe am 0. August 4771 pro hcenlia summos in utroque jure honores rite con.sequendi öffentlich disputierte, sind bei dem damaligen Universitätsbuch- drucker Jüliann Heinricli Heitz erschienen und zur 100jährigen Wieilerkehr des Promotionstages, der Slrabshurg wieder in deutschen Händen sali, in Photolithographie bei Schwarz in Stuttgart faksimiliert.

Ueber jene Promotion Goethes lautet das Protokoll der Straasburger Fakultätsakten wörtlich :

1771 die 6. Aug. Dissertationem Inauguralem Positiones Juris exhibentem cum applausu defendit Dominus Job. Wolfgang Garthe, Mocno- Francofurtanus ; cui mo.v datur Testimonium Licentiae.

So ist CkBthe in Strassburg nur Liientiat der Rechte, nicht Doktor geworden. Eine ihm . niAch Frankfurt nachgesandte Einladung der Strassburger juristischen Fakultät, nachträglich dennoch su doktorieren, wies er In einem hiunigen : Briefe an Salamann (Br. 79) mit dem Bemerken, «cdass er am Liientleren satt habe» suruck. Erst iS25 ist AUmi^ter Goethe Doktor geworden und zwar philosophiae und medicinae.

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II* Das Ko9tliaus der Jungfam Ijauth in Strass-

liurg.

üeber die Lage des Kosliiauses, in welchem die Salzmann- sche Gesellschart zu Goethes Zeit ihren Mittagstisch genommen, ^ihl es zwei verschiedene Angaben, welclie beide des Beweises ermangehi.

Piton, Strasbourg- illuströ 1855 I p. 141 nennt, oline einen Orund für seine Beliauptung anzusehen, das heutige Trübner- scJie Haus, Ecke des Münsterplatzes und der Krämergasse, A. Stöber, «der Aktuar Salzmann» 1858 S. 20 bezeicimet, olm« sich um Piton zu kümmern, aber selbst ohne jede Mitteilung des Grundes, das Haus Krämergasse 43 (heutige 7). Letztere Angabe beruht wohl auf einer mündlichen Ueberlieferung ; hat doch der heutige betagte und ehrwürdige Besitzer, Herr Hacken- schmidt, in seiner Jugend gehört, zwei alte Jungfern hätten daselbst einen Mehlhandel betrieben und Kostgänger gehalten. Dass aber jene Jungfern den Namen Lauth geführt, hat er, wie er mir selbst sagte, nicht festgestellt.

Bei diesem Stande der Dinge berührte es mich eigentum- lich, als am 23. Oktober 1887 in der «Strassburger Post» zu lesen war (vgl. Deutsche Post, illustrierte Halbmonatsschrift, Berlin 1887, Heft 21 S. 499), dass im Hofe jenes Hauses eine Goethe- Büste mit der Inschrift aufgestellt worden sei:

Anno Domini MDCCLXXL Der grosse Meister Gosthe ist Allhier za Tisch gesessen Und bat wie jeder and're Ghriat Sitpp* Fleisch, GemOs gegessen. Wie frdMieh klirrten Gabel tind Hesser, Das Essen war gut, der Witz war besser >- Er hat uns Strassburger hochgehalten, Drnm ehren wir ihn auch, den Alten !

Gerade einige Tage vorher hatte ich in der im Thomas- archiv aufbewahrten UniversiUtsmatrikel folgende Eintragungen gefunden :

1766 die 27 Junii ; Petrus franciscus La Jeunesse metensis ehez les demoiselles Lauth nie de Tail [Knoblauchgasse]»

1776 die 8 M^'i: Jaeobus Gramerus ex Zürich logirt bey der Jgfr. Luth in der Noblauch Gasse.

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Ich liess intblgedes=;en niclit ab, dic^c rmtlionlisclien An- gaben durcli weitere Nachforschungen niiiiei zu beslinimen.

Zunächst fand icli in den Strassburger Slerberegisteii> zwischen 1770 und 18^0 nur /wpi passende Akte, einer Ann;« Maria Lauth und Susanna Mar- Linüh vom 12/3 1783 und 25/12 1785, welche Schweslorn waren und unverlieiratet ini Aller von 59 und 56 Jaliren starben. Da beide Akte von dem Notar Johann Daniel Lauth nls Brudfr unterschrieben waren, der nach J. F. Lobstein, Manuel du Notariat on Alsace p. 169 von 1773 bis 17f)3 Notar in Strassburg gewesen, -o durchforschte ich dessen im Sf rassburger Bezirksarcliiv belindliche Notariats- akten und entdeckte bald folgenden Schlusssatz eines Testamentes vom 15. September 1773:

«So geschehen allhier zu Strassburg in einer ane dei- Knob- lauchsgasse und Schiflgässlein liegenden Tl. Job. Friedricii Scliwartz, dem Handeismann zuständigeren liehausung, auf dero- selben ersten Stock, mit denen Fenster in das- Schiflgässlein aussehend , meiner Ordinari Sciireibstuben etc.» Folgen die Unterschriften, zuletzt .loh. Daniel Lauth Nolnrius.

Ein anderes i'eslament vom 5. November 1779 enlhall einen ahnlichen Schlusssatz fnit fol<4ender Variante : «In einer ane der Küoblauchsgass und ScliifT^ii.^sI liegenden und dermalen beeden Jungfern Laulhin eij^enthumlici» zuständigen Behausunjr, auf dero Erstem Stoi k mit denen Fenstern in •redaehtes S( liin'y;issl aussehenden und von niirNolario bewohnenden bchrti Iis l üben.»

Ein drittes Testament vom 11. November 1783 nennt nur eine Besitzerin des Hauses, nämlich «Jungfer Susanna Marga- retha Laulhin», woiaus zu entnehmen, dass die eine Schwester unterdessen gestorben war.

Ein viertes Testament vom 24. Juli 1791 besagt: ««In einer ane der Knoblauchsgass und Schiffgasslein liegenden mir Notario eigenthunitich zuständigen, mit N 3 bezeichneten Eckbehausungjw woiaus hervorgeht, dass mittlerweile auch die andere Schwe- ster das Zeitliche gesegnet hatte, was alles mit den von mir gefundenen Sterbeakten genau übereinstimmt.

Nach den Registern der Neuen Kirche Bd. XVli i ol. 121 und Bd. XVin Fol. 194 starb nämlich die ältere der Schwe- stern, rnit Namen Anna Maria Luuüi, 59 Jahre, 9 Monate und 13 Tage alt, am 12. Marz 1783, war also 1723 jreboren und zu Goethes Zeit (1770) 47 Jahre alt; die jüngere, Susanna Marga- retha Lauth, 50 Jahre, 10 Monate und 6 Tage alt, am 25. De-

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zt!riil>er 1785, war also 1729 j^eboren, und zu Gcethes Zeit 41 Jahie alt. Ilir Bruder Johann Daniel Lauth, ancien notaire, ^rb am 8. August 1812 im Atter von 80 Jahren und 2 Mo- naten, non mariä, war also zu Goethes Zeit 38 Jahre alt ; der- selbe ist noch im Jahre 1795 im ältesten Adressbuch des Stadt- Archivs als Bewohner des Hauses Knoblochgasse 3, 63jährig, ^iufgefübrt. ' * .

Wie die Sterbeakten besagen, waren die Geschwister Lauth Kinder des am 15. Februar 1735 im Alter von 51. Jahren ver- storbenen Biaconi bei der Prediger Kirche (Neuen Kirche) Jo- hann Jakob Lauth, also aus guter Familie. Die Worte Goethes ■cDoktor Salzmann hatte diesen MiUagstisch seit vielen Jahren besucht und in Ordnung und Ansehen erhalten:», gewinnen jetzt einen -besonderen' Sinn. Die früh verwaisten PredigerstAchter, weiche eine Kostanstalt anxufangen genötigt waren, funden an Aktuarius , Sakmann, cdem Vat^ der Waisen», wohlwollende Unterstützung. Salxmanns Anwesenheit, von dem Jung-Stilling schreibt, tsein. Platz war der oberste, und wäre es auch hinter der Thür gewesen», brachte jenen Wittagstisch zu Ehren und Ansehen; sorgte er doch dafQr, dass die mutwilligen Studenten cihr gewöhnliches Weindeputat nicht Überschritten» und führte über Fremde, - wie es seheint, eine gewisse unsichtbare CSontrole ihrer .Zahlungsföhigkeit.

' Wenigstens glaubt der Dichter Lenz, als er sich im Som- mer 1772 mit dem Herrn v, Kleist von Fort-Louis nach Landau entfernte, an Salzmann schreiben zu. müssen: cSeyen Sie so gütig und sagen es der Jungfer Lanthen noch nicht, dass ich von Fort Louis weggehe [mithin scheint eine .der Schwestern das Regiment im Hause geführt zu haben], ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet, selber, schreiben. Das weibliche Herz ist ein trotzig und verzagt IKng!»

Dass die Jungfern Lauth dank dieses Schutzes, den ihnen Salzmann zuteil werden Hess, und dank der günstigen Lage ihrer Wohnung in unmittelbarster Nähe des ehemaligen Kollegiengebäudes, des heutigen Thomasstiftes, und unweit des Spitals, wo die medizinisclien Vorlesungen gehalten wurden, gute Geschäfte machten, beweist der Umstand, dass .sie sich jenes Haus an der Ecke der Knoblochgasse und des Schi%äss-i chens kaufen konnten.

Dieses Haus Nr. 3 ist die heutige Nr. 22 ; ebendasselbe, welches als Nr. 3 in dem von 1791 bis 1840 reichenden ältesten

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Gruiidbucli <ios Kataslerarrites auf den einzigen Namen Hertzoj^ 'eingetragen yteht , ist ain h jetzt noch ;ds Nr, 22 im Katastei' und Adresöbuch im üosiU derselben Kamihe vei'zeichnet.

^ Uclior dies Hau« Heiizoj^, rue th* l'Ail Nr. 22 liat Herr Ai rhiteki Salomon in dem Bulletin d(» la Soiiete poui' la ct>n- servation des moiiumenl.s hislunqu* - d'Alsace 1HS1 auf Gi und vüiliandener Kautbriefe, die auch ii Ii t'iazux lit n ( l»'le;;enheil hatte, eb<msö intoressaiite als kritisch exakte Mitteilungen ge- macht, welche ganz mit meinen Ergebnissen übereinstimmen.

Darnach j^ehörte das Haus Hertzog, welches zuerst im Jahi-e 1363 unter dem Nuiin*n « zum Strüs.sej* vorkommt, zu der uii der III und ge^jen Deutschland gelegenen Kaut haus- Gegend, weiche heute ebi'ii.so still und verlassen, als in fruhei*en Zeiten infolge des Warenverkebies und der Naclibarschafl zaltlreicher Gasthäuser belebt gewesen ist.

«En 1779, w berichtet Herr Salomen, * un .loliano Sdiwarz, direcleur du caixjsse de Paris, vend la niaison ä Anna Maria et ä Suzanne Margaretha LauÜiin. (Der Kaufkoiitiakt im Ori- ginal: Kontraktstube des St. Archivs 177'j Kol. ti77a.)

Anna Maria Lauthin etant inorte, sa moitie de la maison revient i>ar heritage ä sa s(»eur et a .ses deux freres ; ces der- niers vendent en 1783 leur sixi(^me ä Suzanna Margaretha Lauthiu, qui devient pioptielano unique. Dans c^t acto de vente les freres sont inlitules: Mag. Johann Jacob I.iuth, evangelisch(;r Pfarrer zu Seharraehbergheim, I autre Hr. ,]t*li.uin Daniel Ltutl», Notai ins publicus juratus. AprtVs ia looi t de leur seconde soeur, le pasteur I«iuth vend en 178() ä son tVere, le notaire, la moiti^ de la maison qu'il vient d'heriter ; celui-ci resle donc seul proprietaire. »

Aus allen diesen Urkunden ergibt sich also, dass dio J img- fern LauÜi bereits 1700 in der KnobkM'hgasse wohnten und daselbst 1779 das Haus Nr. '22 kauften. Höchst wahrscheinlich haben sie auch vor 1779 dassell>e Haus mietwei.'^e mit dem Bruder, der in demselben schon bei .seiner Etablierung 1773 vorkommt, bewohnt und demselben, welcher unverheiratet ge- bUeben ist, gleichzeitig die Wirtschaft geführt.

Ab ich mit dem freundlichen Besitzer das sehr altertüm- liche Haus einer genauen Besichtigung unterzog, Iiemerkte ich über der HausthQr die Jahreszahl 1716 und im Hofe die Jahres- sahl 1555. Im nntom Stockwerk befinden sich sehr alte Maga- zine, im ersten Stock ist, getrennt von der vorderen Wohnung,

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die Nolariatsstube des .loii. Daniel Lautli unverändert mit dem Ausblick ins Schiftgiissclien erhallea und in jener, auf die Knoblochgasse und das Schifigässchen gehend, ein grosses helles Eckzimmer nach vorn, welches durch ein Schiebfen.s Lerchen ein gleiches kommt in den anderen Stockwerken nicht vor mit einer geräumigen Küche in Verbindung steht, deren aller- tümlicher, mächtiger Herd, wie mir die Besitzerin mit eigener Verwunderung erklärte, mit seinen ausgedelmlcn Brat- und Backeinrichtungen für die BereiLiuii^ eines Mittagstisches von ^30 Personen noch heule ausreicht.

Höchst wahrscheinlich ist also zu jener Zeit auf dem ersten Stock des Hauses Nr. 22 an der Ecke der Knoblochgasse und des Schiflgässchens das Speisezimmer der Jungfern Lauth ge- wesen. Wohl fehlt noch der auf dies Haus bezügliche Lehnungs- kontrakt der Jungfern Lauth, welcher vor 1779 gesucht werden muss. Allein wenn auch nur sehr geringe Hoffnung vorhanden ist, dass derselbe einmal zufällig aus den zahlreichen inventar- losen Notariatsakten des Bezirksarchivs zu Tage treten wird in der Kontraktstube fand ich ihn nicht so bin ich trotzdem in der Lage, durch folgende vollkommenen Ersatz bietende Urkunden jene höchste Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit zu erheben«

Die Universitätsmatrikel enthält näqilich ausser obigen beiden noch folgende zwei auf den Namen Lauth bezügliche Eintragungen :

1775 die 19. Maji : Garolus Henricos Kern Buxovillanus in hospitio 0omini Notarii Lauth.

1777 die 11» Oct.: Friedericus Jacobus Riese Franoofturtensis ad Moenum bey Herrn Nolarias Laut*

Dies hospitium bei einem Unverheirateten, der kein eigenes Haus besessen, kann fOglich nur so verstanden werden, dass die Schwestern, welche notorisch schon 1766 in der Knobloch- gasse vorkommen, in einem und demselben Hause mit dem Bruder wohnten, so dass dies Haus bakl dasjenige der Jungfern Lauth, bald dasjenige des Notars Lauth genannt zu werden pflegte; spricht doch auch der Theologe Röderer in einem Briefe an Lenz vom 23. Mai 1776 von einem Lauthsehen Hause schlechthin, was die Annahme zweier von Studenten bewdinten * Lauthsehen Häuser in der Knoblochgasse ausschliesst.

Es war am 9. April 1778, als der Theok)ge Liborius Berg- mann aus Riga (1754—1823), den seine Zeitgenosse den

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« Unvergesslicheii ö nuiiulen, aul seiner Durchreise n.ich der Schweiz bei den Junjzfern Lauth in der Knohlochjrasse den Abschied von liebgewonnenen Freunden feierte. Der Abend war bereits vorgerückt, die Stininiunsr der Anwesenden infolge des treulichen Weines, den die Wirtinnen ki edf iizirn, und den vor allen ihr eigener Bruder, der in demselben }Iau<L' wohnende Nolarius, zu schätzen wusste, sehr j,^eiioben. Da ieic li{<" Berg- mann, nach damaliger Sitte, sein stattliches Stammbuch, das bereit^i durch die Namen des Lepren -Grossmeisters Ferdinand von Biaunschweig, Lcssinp^s nnd uk lerer bedeutenden Männer geziort war, zur Einzeichnun^ am Ti-clie bei'um. Der Vorranj^ «:eb»4hile unstreitig dem würdi^'en Akluaiius Salznj;um. In dem ^eli^^en Gefühl echtei Menschenliebe schrieb derselbe da, wo er gerade eine treie Seite fand:

Das Leben oline Liebe ist Tod.

Strasburg den 9Len Aprilis 1778. Salzmaun Act.

ihm folgte mit gleich elegischem Spruche Magister Muller vom Strassburger Gymnasium :

Non habitandi sed commoraiidi nobia natura in bis terris dedit diTenoriom.

Strassbnrg den 9t«» April 1778.

Zum Angedenken schrieb diese Zeilen des Herrn Besitsers Freand and ergebenster Diener H. Friedr. Wilh. MAUer.

Da war es denn Zeit, dass im Ge^^ensatz zu so schwer- mütiger Slimrnuni; Njjtar Lauth an die genussreiche Gegen- wart erinnerte. Dieweil der Abend bereits verflossen ist, spricht ei- mit derl)em Strassburger Humor den energischen Entscbluss aus, uberzukueipen :

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Tempos est praeteritnm Macben wir ein Loch ins F^tnram.

Strasburg den 9ien April 1778.

Diese Zeilen seind dem Besitzer dieses Stamm-Buchs deswegen hiuemgesetzt worden, damit er sich^ wann ihm solche zu lesen förkommen, dessen wahrhaften Freunds errinnem möge, der sieh nennt

. . J. D. Lanth, Not

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Ohne Zweifel fand diese Aufforderung bei dem jüngeren , Teile der Gesellschaft freudige Zustimmung. Denn schon war Mitternacht ül)orschritten, als der im Lauthschen Hause woh- iieiide btudiüsus der Medizin F. J. Riese unter dem Datum des 10. April eintrug :

Weissheit, Freundschaft, gaies Blut und Wein Sonst ist alles eitel.

Stmsborg den I0(«n Aprill 1778.

Zu best&ndigem Andenken geschrieben Yon Ihrem ergebensten Diener F. J. Biese ans Frank farth a. M. D. A. Q. B.

Wii dieser meiner Deutung der Situation, in welcher jene Stammbuch-Eintragungen erfolgt sein mögen, wird hoffentlicli Herr Oberlehrer Th. von Riekhaff in Fellin in Livland, dessen besonderer Güte ich die Mitteilung derselben verdanke (siehe auch dessen interessanten Aufsatz «Liborius Rcro-mannx im Jahresb. d. Fclliner Htter. Gesellschaft 1888) zufrieden sein. Ob (Wo l;il^^ch(' Datierung: de? von dem Frankfurter Studiosen der Medizin E. Heeser lienuhrenden Einha^js (j; Strassburg den 7»«ß Marz 1778» zu welcher Zeit L. Bergmann nachweislich noch in Braunschweig weilte, auf Rechnung jenes angeheiterten Abends zu setzen ist, muss füglich dahingestellt bleiben.

III. Ein Dankbrief Jung^-StilUngs an die Mit- glieder der Salgmannschen Gesellschaft.^

Adresse : Monsieur Monsieur Ka}derer S. S. TiieulogKie Magister im Wilhelmer GoUegio bey der jS'euexi Kirchen zu Strasburg.

Ronsdorf, d. 22t. Junii 1771.

Verebrungswürdigste Freunde

Maine ergebenste Neigung zu Ihnen, wählte sich obige zwey werte die vielleicht die Höflichkmt (gaUiciamos) verworfen hätte, wenn Ich nicht wöste, dass unter uns nicht die Zunge, sondern

1 In Bdderers NachUss.

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die Empfindungen redeten, ist die Zärtlichkeit Ihrer Hertzen wohl den AusdrCicken Ihres Briefes gemäs? Ich zweifle gar nicht daran, aber wo finde Ich denn Vermögen genug dankbar zu seyn? Unschätzbare Freunde! Ist es genug wann ich Ihnen mein gantzes Leben vorzüglich widme? Meiner Gattin gefällt dero Schreiben sehr wohl, wissen Sie warum ? es kommt ziem- lich mit Ihren gedanken überein, wann ich es nicht besser wüssle (ins öhrchen) Ich würde ein wenig: stoltz. Ich mag wohl sagen« dass die Liebe alle Tugenden ziemlich vergrösserl, hin- gegen die Fehler verkleinert, so viel gestehe Ihnen auss dem Ehegeheimni^^, dass unter allen Vergnügen dieser Welt keins edler, keins der Menschlichkeit geziemender ja kam^. himm- lischer ist, als die Vereinigung zweyer gofühliprer Gemüther, die die Gottheit zusammen zu seyn geschaffen zu haben scheinet. Ich stehe jetzt in dem angenehmen Gefühlspunkt, in welchem Sie mich von Strassburg aus erblicken, und Ich kann Ihnen auch im Vertrauen sagen, dass Ich wenigstens so viel ange- nehmes an meiner Freundin wahrnehme, als hinlänglich ist, die Zufälligkeiten dieses Leijens zu versüssen, es ist also so halb und halb geholfen wass Sie von mir auf meine Liebste geschlossen haben, trauen Sie aber den Kennzeichen eben nicht immer, alle brave Männer würden sonst eben so brave Weiber haben.

Meine Liebste ist allzu gefühlig, als dass Sie nicht Ihre zärtliche Empfindungen über uns beyde an Ihrem Hertzen ge- wahr werden sollte und soll Ich Ihnen sagen, wass Sie wün- schet? dass ein Jeder von Ihnen ein Jung seyn möchte, und alle Ihre künftigen Gattinen, dieses so empündeii möchten, wie Sie. Ich aber theuersten Freunde ! Ich wünsche einem Jeden von Urnen eine Jungfer lleyders, so ist leicht Jung zu seyn.

Das Gesclilecht der Jungen dankt Ihnen im Reiche der Möglichkeit so gut es sich thun läst, wann man noch nicht weiss, ob das peut-6tre zum 6lre wird, Ich meines Orts werde 80 viel dabey thun, und Ihren allerliebsten Brief an meinen aUerverwahrlichflten Ort bey legen, meine veraittthliche Nach- kommen kfiniiea alsdann dor tu Zeit blfihenden Slmburfer Societaet Ihren weyhrauch streuen.

Möglich ist es wohl nicht, wesentlich an zwey orten zu- gleich zu seyn, wohl aber von einem zum andern zu kommen, die zarte Titr&nen meiner liebsten, die Sie mir oft am Halse weint, sind mächtig genug, mich hier zu halten, wann nicht

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die anbütenswürdi^e Vorsicht, es so haben "wollte, dass Icli noch eine Zeit lang in Strasburg seyn sollte, einige Tage nach lesung dieses meines Briefes werden Sie mich wieder sehen. Ich werde Ihnen alsdann alle Zwei felsknoten und Räth«el hin- länglich auflösen, welche Ich Kürlze halber jetzt bis daiim ver- sparen muss. Zählen Sie aber ja nicht die Entschuldigungen nach den K issen, die Ich empfange und austheile, die müsen Sie mit Millionen, oder gut poetisch zu sagen, nach Myriaden messen. Ihre treuen wünsche womit Sie mich üherhaufTen Verehrunirswürdiprste Freunde ! sind ohnehin unvergeltbar, warum machen Sie mich aber zum ewigen Schuldner mit Ihren Pnt^r Ilten? Icli erstunime dabey, Ich werde nicht mit Worten sondern mit der That zeipren, wie viel Ich Ihnen zu danken habe, vergelten kann Ich nicht, sehen Sie nur dns Hertz an.

Meine inniggeliebteste Ehefreundin emplielet sjch Ihnen allen ergebenst. Ich habe unter froher Erwartung einer bal- digen Umarmung die Ehre lebenslang zu seyn

Dero

Ergebenster Freund und Diener J. H. Jung.

P, S. Die Krankheit meines lieben Herrn Otts* scheint mir .so gefahrlich nicht zu seyn. Der angehänj^^te 2 falsche Kötzer» macht imr ziemlich guten Mulh. Er kann iinterdt <mmi wohl dann und wann ein gutes Schweistreibendes Mittel brauciien. Zell isch woiir.*

Der Verfasser dieses in Striissliiirji von mir entdeckten und hier zum ersten Mal veröfleiitli. hh n Brietes i^t Jofiaiin Heinrich Jung, genannt Slilhng, geboien den 19. Se|)teiid)t'r 1740 als Sohn eines armen Schulmeisters und Scimeiders zu Grund im Nassauischen, gestorben den 2. April 1817 als Hofrat in Heidelberg.

^ Wahrscheinlich ist Joh. Mich. Ott, Lenzens intimer Freund, der älteste Sohn des Magisters Joh. Mich Ott vom Strassb. Gymnasium, gemeint

2 «Im Brief nachträglich erwähnte».

«falschev Kotzer» bedeutet eine ungefährliche Hiistenart. ^ «Selbiges ist wahr !^ Jang-Stilling will sich üIf Elsasser fühlen. Aehulich Lenz im Tagebacb, Deutsche Kandschaa 1877 S. 283 : cWarten'r

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In seiner Juj^ead auf dem bf ^ten Wo^ir, Kohienbieiiuor zu werden, er^rifl" .Tun}i das ^^chiiei(lerlKiiut\N cik, verlietle sich, wip denn seine ganze Familie \o\n Gcisic lies ^Iysticismu^^ ui- gesteckl war, in mystisch-theos(>[)lus( he Schuften, wurde iiaus- lehn r, li»rnle noch im 28. Lebensjahre Griechisch und wanderte in seinem 30. mit einem älteren Chirurgen Troost nach Strass- burg^, um an dieser Universität» von welcher damals nach Virchow s Aussprucii die Anatomen Deutschlands verschrieben wurden, Medizin zu studieren.

Am 47. September 1770 kehrten beide Jünj^er Aesculaps bei Herrn Joli. Heinrich Blessier in der Axt am Kaufhausstaden ein, schrieben sich am folgentien Tage, nachdem sie ein Logis gefunden, in die noch erhaltene Universitätsmatrikel :

18. Sept. 1770.

Engelbert Troost Ghiruiigten d'Elberfeld logö chez Mess. Richard

& Clement

Johann Henrich Jun<^' ötudiant en Medicine de HonsMlorf logö chez Mess. Hichard & Clement.

und "wShlten ihren Mittsgstisch bei den Jungfern Lanth in der Knoblochgasse, wo Jung die Bekanntschaft Goethes, Lerses, Salimanns machte und von letzterem in die c Gesellschaft der schönen Wissenschaften», einen von Salzmann präsidierten Utlerarischen Verein Studierender, als Mitglied aufgenommen wurde.

Besonders nahm sich Gosthe Jung-Stillings an* Obgleich näm- lich Gcethe gerade damals die Fesseln des Pietismus, in welche ihn der fiinfluss des Fräuleins v. Klettenberg und sein Krank- heitsiustand in Frankfurt gebracht, im Umgang mit dem Ver- nunfiphiloeophen Salzmann abgestreifit hatte, so lag dennoch in dem kindlichen Gemüt, dem festen, mystischen Glauben Jung- Stillings so viel Poetisches, dass er, wie Herder, sich von dessen Wesen unwillkürlich angezogen fühlte.

cOas Element seiner Energie, schreibt Goethe über ihn in Dichtung und Wahrheit Beb. 9, war ein unverwüstlicher Glaube an Gott und eine unmittelbar von daher fliessende Hülfe, die sich in einer ununterbrochenen Vorsorge und in einer unfehl- baren Rettung aus aller Not, von jedem Uebel augenscheinlich bestätige. Jung hatte dergleichen Erfahrungen In seinem Lehen so viele gemacht, sie hatten sich selbst in der neuern Zeit, in Strassburg, dllers wiederholt, so dass er mit der grossten Freu-

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(lijrkeit ein zwar massiges, aber doch sorgloses Leben führte und meinen Studien aufs Ernsllichste oblag, wiewol er auf kein sicheres Auskommen von emem Vierteljahre zum andern rechnen konnte. »

Ohicrer Brief Jung-Slillings vom 22. Juni 1771, aus Rons- dorf (Kegieruugbibez. Düsseldorf, Kreis Lennep) datiert, ist an die Mitglieder der Salzmannscbeu Gesellschaft frerichtet und gliedert sich ganz von selbst in den S. 35-1-366 erzalilleu Passus seiner «Wanderschaft» ein, so tlas^ d v Zweüel an dem geschicht- lichen Wert der in dieser Selbstbiographie gegebenen Daten wenigstens an einer bedeutsamen Stelle von nun an gehoben ist.

Zehn Tage vor Pfingsten es war dies der 9. Mai 1771 ging Stilling in die KoiiioJie Stillm}; meint das deutsclie Theater in der Tuciierstubgasse um ein gewisses Stück zu sehen, das man ihm sehr gerühmt hatte. Es war Romeo und Julie, i>oMe es Weisse dem deutschen Theater bequem gemacht. Auf dem i^arterre aber überfiel ihn ein sehr trauriges Gefühl, ohne dass er die Ursache desselben ^^ewu^st hätte. Bald daranf erhielt er einen Brief von seinem zuliunfli^^en Schwiegervater Friedenberg (sein wahrer Name war Heytleis) aus Rasenheim (Ronsdorf im Bergischen) vom 9. Mai, der ihm das Verlangen seiner heftig erkrankten Braut, ihn noch einmal vor ihrem Ende zu sehen, meldete.

«Sülling stürzte wie ein Rasender von einer W'and an die andere, er weinte nicht, seufzte nicht, sondern sah aus wie einer, der an seiner Seligkeit zweifelt; er besann sich endlich so viel, dass er seinen Schlatrock auswarf, seine Kleider anzog und mit dem Brief zu Herrn Gcethe hintaumelte. Sobald er in sein ZiüHiier hinein trat, rief er mit Seeleiua^en; Ich bin verloren! Da lies den Brief! Goethe las, iubr auf, sah ihn mit nassen Aupren an und sagte : Du armer Stillinp: ! Nun gin^^ er mit üun zuinck nach seinem Zimmer. Es larul sieh noch ein wahier Freund, dem Sldling sein Unglück klagte. Goethe und dieser Freund packten ihm das Nötige in sein Felleisen, ein Anderer suchte Gelegenheit für ihn, wodurch er wegreisen könnte, und diese fand sich, (lenii es lag ein Schiffer auf der Breuscli parat, der den Mittag nach Mainz abfuhr und Stillingen gern mitnahm. Nachdem iiun Goethe das Felleisen bereit hatte, so lief er und besorgte i-iu\iaiit für seinen Freund, trug ihn dem ins Schifl"; Stilling gm*; reisefertig mit. Hier letzten sich Beide mit Thranen. Nun fuhr Stilling im Namen Gottes ab, und sobald er nur auf

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der iieise war, so [ühUe er sein Gemüt beruhigt, und es abnete ihm, dass er seine Christine noch lebendig Onden und dass sie besser werden wüide. »

Nach gläckUch überstandenen Abenteuern kam Juni?-StilUng- am zweiten Pfingsttag, den 20. Mai, zu Ronsdorf an. Die namenlose Freude war für Christinen insofern von üblen Folgen, als sie in die heftigsten Konvulsionen geriet, so dass Slillin^ in äusserster Traurigkeit drei Tage und drei Nächte an ihrem Bette ihren Tud ei wartete. Allein ihre Jugend überwand die geiürdilete Krisis, und binnen vierzoliii Tagen war sie so weit genesen, dass die Verlobung erlolgie und auf Zureden der Freunde Jung-StiUing am 17. Juni 1771 mit seiner Braut zum Ehestande eingesegnet wurde. *

Gewiss hat JuDg-StiUing das freudige Ereignis seinen Strass- burger Freunden im voraus angeieigt, denn diese sandten ihm Geschenke» wiö aus obigem Schreiben vom 22. Juni zu ersehen ist. Voll Entzücken schildert der junge Ehemann den Strass- burger Freunden in den empfindsamen Ausdrücken jener Periode die Vorzüge seinor jungen Frau und fügt die Hoffnung hinzu, dassy da er seihst zu schwach sei, seine Nachkommen der zur Zeit blühenden Strassbuiger SocieUt, nämlich jener Gesellschaft der schünen Wissenschaften, ihren Weihrauch streuen würden.

Bald nach Ankunft jenes Dankschreib^s kehrte auch Jung- Stilling, wie er verheissen, zur Fortsetzung seiner Studien nach Strassburg zurück.

cSon erster Gang war zu Gcethe. Oer Edie sprang hoch in die Höhe, als er ihn sähe, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. cBist du wieder da, guter Stilling!» rief er, «und was macht dein Mädchen?» Stilling antwortete: cSie ist mein Mädchen nicht mehr, sie ist nun meine Frau, <i(Das hast du gut gemacht, » erwiderte jener; «du bist ein excellenter Junge. » Diesen halben Tag verbrachten sie vollends in herzlichen Ge- sprächen und Erzählung^en. »

Im Winter 1774-1772 beendigte Jung-Slilling in Strassburg seine Studien und promovierl« mit Kuhm und Ehre. Der Che- miker Jakob Reinbold Spielmann war Dekan. « Als der ihm nach geendigter Disputation die Licenz gab, brach er in Lob> Spruche ans und sagte: dass er lange Niemand die Licenz freudiger gegeben habe als gegenwärtigem Kandidaten; denn er habe mehr in so kurzer Zeit gethan, als viele andere in fünf bis sechs Jahren, f

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(cStiüing sland da aui dem Katheder; die Ihrnien flössen ihm häiiüg über die Wangen herunter. Nun war seine Seele lauter Dank ge^cn den, der ihn aus dem Staubt» hervorgezogen und za einem Berufe ^^eholfen hatte, worin er, seinem Trieb gemäss, Gott zu lehren und dem Nächsten zum Nutzen leben und sterben kunnh . »

Den 24. März 177'2naiini ,)ung--Stilling von allen Freunden in Strassburg Abschied. Dass er aber auch später noch mit seinen Strassburger Bekannten in Verbindung blieb, beweist seine aus 150 Briefen bestehende Korrespondenz mit dem Theologen un«] Juristen Friedrich Rudolf Salzmann, einem Vetter des Akluarius, dem Erzieher des Freiherrn von Stein, die noch vor ^0 Jahren vorhanden war und hoffentlich seitdem nicht verloren gegangen ist; obgleich sie sich an derjenigen Stelle nicht mehr vorfindet, wohin sie durch Erhschafl hätte gelangt sein müssen.

IV. Der Dichter Ijenz und die Salssmaunsclie

Gesellschaft.

Im Frfilyahr 1771 kam der 20jährige Student der. Theologie Jakob Michael Reinhold Lenz aus Livland^ in Begleitung der beiden kurländischen Barone Friedrich Georg und Emst Nikolaus

V. Kleist, welche in franiOsischen Militärdienst zu treten gesonnen waren, von der Universität Königsberg in Strassburg an. Der Grund, der Lenz nach Strassburg trieb, war keineswegs, wie Oberflächlichkeit geurteüt hat, ein zulälliger; Lenz hat ihn uns im c Waldbruder» verraten. Es war derselbe, der Friedrich den Grossen > Gcethe und manche andere grosse Geister dorthin föhrte, nämlich derjenige, die damals überlegene fran- zösische Bildung an ihrer Quelle zu studieren. Bass das trotz langjähriger französischer Herrschaft noch, wesentlich deut- sche Strassburg fär solche Zwecke unglücklich gewählt war, sahen alle erst bei persönlicher Anschauung ein. Immerhin war Lenz von dem allgemeinen Zuge der Geister nach Frankreich getrieben, als er die sich ihm bietende Gelegenheit zu seiner Ausbildung ergriff, ohne den Zwist mit seinem Vater, einem nicht nur strengen, sondern, wie es scheint, auch herzlosen Geistlichen zu scheuen.

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In Strassbur^ angelanp^t, schloss sich der «sanfte» Lenz, den der Umgang mit den Offizieren der Garnison nicht befrie- dijren konnte, an die dort studierende deutsche Juj^end an ; er wurde mit Ga?the bekannt. ^ Garthe, Lenz, Lerse und Jun;i- StiUinjg^ machten einen Zirkel aus^ in dem es jedem wohl ward, der emi)finden kann, was schön und <:Tit ist.» Es war die Zeit litterarischor Vereinigungen in Deutsi hhmd. Auch der Strass- burg^er Aktuar Johann Daniel Snlziiinin, ilamals ein hoher Vierzigrer, hatte einen Kreis junger Stu«lierender um sich ge- schart, die er zu httei^arischen .Arbeiten ermunterte. «An dem Ruder unseres Fahrzeuges, » sagt Haffner in seiner akademi- schen Antrittsrede, (( sass er wie ein Steuermann, Einheimischen wie Fremden durch vollendete Humanität, durch die ganz ein- zige Liebe und Güte seines Charakters langst bekannt und allen teuer. Dieser lenkte unsem Lauf, pflegte uns vor Klippen zu warnen und wusste die stürmischen Wogen jugendlicher Ge- müter zu beruhigen. »

Man darf die Bedeutung dieser littcrarischen Genossenschaft vor 1775 nicht überschätzen. Nur wenige bedeutende Köpfe, wie Gcethe, Herder, Lenz, vermochten mit Scharfblick die Schwächen der ebenso vornehmen als bejahrten französischen Litteratur zu eikeiiiieri und auf uraltem reichsländischem Boden, in Anlehnung an tlon stammesverwandten Sliakes[)eare, germanischen Geist zu erwecken; die elsässischen Miliiliedi^, wie seihs! Lerse mit seiner dürftigen Gedächtnisrede auf bliakospen e, lies^^en sich von jenen leiten und fielen nur zu bald, als der Ililt fehlte, in ihre alte, schon aus politischen Gründen anempfohlene Pflege der Zweisprachigkeit zuriu k.

Salzmanns litteraiischeLeisliHiLreri bewegten sich stets m dem- selben Geleise moralischer Betrachlungen, «lieber die Wirkungen der Gnade, die Liebe, die Rache, über Tugend und Laster, Gemütsl)ewegungen, Neigungen und Leidenschaften, über Reli- gion und die Glückseligkeit in bürgerlichen Gesellschaften,» so lauten die Titel seiner 1772-1776 vorgelesenen Abhandlungen ; kein Wunder, wenn Lenz, der nach dem Fortgang Gcethes der geistige Mittelpunkt jener Gesellschaft \vui(ie, in einem Brief an Gcethe,* im Sommer 1775, seinem Unmut über diese Ein- seitigkeit litterarischer Bestrebungen Ausdruck verlieh :

«Ich habe viel in der Societät zu überwinden, auf einer

1 R. Zoeppritz. Aus F. H. Jacobi s Is'achlass 11. S. 317.

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Seite ists Unglauben, Zenultetheit, vagues Geschnarch von Belleliteratur, wo nichts dahinter ist als Nesselblüthen : auf der andern steife leise Schnakenmorulphiiosophie die ihren gross- mütterhchen Gang fortkriecht, ilass ich oft drüber die Geduld verlieren möchte. Da könnte Götz nicht d u r c h drini^en, der beyden gleich abspricht. Daher fing ich an ut vates den Leuten Standpunkt ihrer Keligioii einzustecken, das itzt unter viel Sch^vva i^^keiten vollendt ist,* die Erfolge wird die Zeit lehren. Und nun Sturm ich mit Ossians Helden 2 hinein das alte Erden- iiefühl iii ilmeii aulzuweckcn, das -anz in französische Liqueurs evaporirt war. Dass wirs ausführen können, was ich mit gauzer Seele strebe, aui ileyd und Hügel Deine Helden wieder natu- ralisiren. »

Man rnuss nicht vergessen, dass jener Sommer 1775 ein für die iilterarisch begeisterte deutsciie Jagend besonders erregter gewesen. Am 2. Juli beging der Hainbund m Göttingen Klop- stocks Geburtstag in feierlichster Weise, indem in Rheinwein Herrmanns und Luthers Andenken erneuert, auf Klopstock, Goethes, Herders Gesundheit getrunken und zum Schlu^s des ((Wollustsängers» Wieland Bildnis verbrannt wurde. 3 Von Göttingen kehrte eben damals Friedrich Rudolf S^ilzmann, der Erzieher des Freiherrn von Stein, nach Strassburg zurück. Auf die Hülfe dieses Gesinnungsgenossen gestützt, schritt Lenz mit Beginn des Winters zur Ausführung seines lang gehe-ien Ge- dankens, nach dem Beispiel der soeben mit Klopstocks Unter- stützung in Mannheim gegründeten Deutschen Gesellschait, welche den nationalen Geist befördern wollte, eine Deutsche Gesellschaft auch auf dem alten reichsländischen Boden des Elsass zu gründen. Der bisherige Leiter der Gesellschaft der schönen Wissenschaften, Aktuarius Salzmann, verhielt sich bei dem neuen Unternehmen mehr passiv. In seinem Hause wurde die Gesellschaft am 2. Nov. eröflnet, hei ihm konnten sich diejenigen vorher melden,

1 Meynnngen eines Layen, den Geistb'cben zugeeignet,» ein Werk

von Lenz (s. H. DünfzoT, Ans Herders Nachlass L S 241), erschienen Leipzig 1775. Lavater hatte dasselbe im April 1775 erhalten, (s. A. Stöber, Röderer S. 83). In den kleineren Anfzeichnangen von Lenz (bei A. Stöber S. 176> : tDie Hdnnn^en eines Lay«ii sind der Grundstein meiner ganzen Poesie, aller meiner Wa^irbeit, all meines Gefühls, der aber freilich nicht mnss ge^f^hpn werden : mein Ohrküssen.»

- Im .Tnnibeft 1775 der <Iris> begann «Ossian fürs Frauenzim- mer» von Lenz zu erscheinen.

3 H. Chi^. Boie von K. Weinbold S. 52.

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welche an der Ausai beitung ihres Vortrages gehindert gewesen waren ; von einer ejgenen Thätigkeit desselben im Vereine aber liören wir, wie ich im nächsten Aufsatz beweisen wt-rde, kein Wort. Die Gründung der Deutschen Gesellschaft zu Strassburg ist Lenzens eigenstes Verdienst und zwar niclu nur eine litte- rarische, sondern eine bisher viel zu wenig geschätzte politische Tbat.

Es ist Lenzens Schuld nicht gewesen, dass diese Getjell- schaft und ihr Organ, «Der Bürgerfreund», schon irii Jahr 1777 ein frühes Ende gefunden hat. Wie Lenz an ihrem Woh]erj?ehen hing, beweist sein Brief an Haffner, Ende Dezember 1776. Allein eine gewisse Gegnerschaft von anderer Seite machte sich schon bei der Gründung des A'ereins bemerkbar. Haffner, von dem Röderer im Sommer 4776 schreibt, dass er nur französisch predige, der in einem nicht zu druckenden Briefe an Röderer in Gfittingen sich eine bekannte Aeusserung aus Goethes Götz erlaubt, da er, wie er bemerkt, sich nun einmal nach den besten neueren Schriften zu stilicaeren suche, opponierte bereits in der 4. Sitzung gegen die Anschaffung von nur solchen Büchern, welche auf die Ausbildung der deutschen Sprache abzweckten, und in der 8, Sitzung drängte sich -bereits Ramond, ein Nationdfiraniose, mit seinen französischen Erzeugnissen in den deutschen Kreis, den abzuweisen auf französiscbem Boden um so weniger anging, als hier aller Wahrscheinlichkeit nach eine gelinde Provokation zu Grunde lag.

Lenz war eine üeiL zu sanfte Natur, als dass er den immerhin talentvollen Franzosen nicht in dem von ihm geföhrten Protokoll mit Anerkennung behandelt hätte; allein seine Ideale von einer Deutschen Gesellschaft waren um so mehr geschwun- den, als er in nicht weniger als 8 Versammlungen 5 mal die wesentlichen Kosten der Unterhaltung hatte tragen müssen. Kaum war Lenz von Strassburg abgereist, so ahmte auch Otto mit seinem Vortrag «de TErudition» das Beispiel Ramonds nach, welcher letztere der Reihe nach alle seine poetischen Arbeiten zum besten gab, ja sogar wiederholen liess, wenn er es für nötig erachtete.

Man kann es Lenz nicht verdenken, das? er diesen Schau- platz seiner Thätigkeit bereits Anfang 177(i mit einem nütz-> lieberen zu vertauschen strebte. Welche Mühe hatte er sich {gegeben, ihn Verein auf die richtigen Bahnen zu lenken. Seine beiden 1776 gedruckt erschienenen Vorträge c Ueber die Bear-

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ht'ituiig der deutschen Sprache im Elsass, Breisgau und den benacUbarten Gegenden » und « Ueber die Vorzüge der deutschen Sprache», welche er bei der Eröffnung der Gesellschaft am 2. und 9. Nov. 1775 «gehalten iiat, gehören zu dem Gediegensten, was jemals über diese Gegenstände gedacht und geschrieben worden ist (Lenz' Gesammelte Schriften v. L. Tieck Bd. IT).

« Wir alle sind Deutsche. Mit Vergnügen, aber iiul heim- lichem, habe ich bisher aus einigen Ihrer Vorlesungen gesellen, dass selbst die Obermacht einer herrschenden, und was noch weit mehr ist, verfeinerten Sprache den alten Hang zu dem mütterlichen Boden Ihres Geistes, ich meine, zu unserer ner- vigten tieutsriien Sprache, nicht habe ersticken können. Bleiben Sie liiia treu. Alle Ihre kindischen und nachher männlichen Vorstellungen und Gefühle sind auf diesem Boden erwachsen, wollen Sie denen entsagen, weil Sie Unterthanen einer fremden glücklichen Regierung sind? Eben weil diese Regierung men- schenfreundlich und begluckend ist, fordert sie diese Auf- opferung von Ihnen nicht , tier Geist, meine Herren, leidet keine Naturalisationen, der Deutsche wird an der Küste der Kaffern so gut als in Diderots Insel der Glückseligkeit immer Deutscher bleiben, und dei Franzose i l anzos.

«Vielmehr kann Ihnen diese Nachbarschaft, diese vertraute Bekanntschaft mit einei ircmden gebildeten Sprache, zur Bear- beitung Ihrer eigenen, grosse Hülfsmitlel an die Hand bieten, deren manche Ihrer Landsleute entbehren. Sehen Sie den un- leidlich gedehnten schwäbischen Dialekt, der noch in diesen Gegenden herrschet, mit all seinen Provinzialwörtern und oft hier allein noch erhaltenen uralten Wortfügungen und Hede- gebräuchen als die Fundgrube an, aus der Sie mit Hülfe der geschliffenem Ausdrücke und Redearten der FransGosen» als mit Werkzeugen, unbezahlbare Schätze für unsere gesammte hochdeutsche Sprache herausarbeiten können. H&ien ^e- sich aber, die Werkzeuge zu dem Sprachschatz schlagen zu wollen ; hieraus wflrda dn deutschfranzdsiseh odtstehen, das der Reinigkeit beider Sprachen gleich gefährlich werden könnte.

cMir scheinoi in unserer Sprache noch unoidlich viele Handlungen und Empfindungen unserer Seele namenlos, viel- leicht well wir bisher als geduldige Bewunderer alles Fremden uns mit auswärtigen Benennungen für einheimische Gefähle begnügt haben, die dann nicht anders ate schielend ausgedrückt werden konnten. Ich billige den National-Hochmuth nie, aber

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sich freiwillig in den Fall setzen, andere Leute nötig zuhaben, wenn man dessen entübrigt seyn kann, ist eine Trägheit, die gtiv zu gern in sklavische Unterwürfigkeit ausartet und den Adel der Seele tödtet. Ich bin auf die?e Ausdrücke eifersüchtiger als auf Worte, die Sachen oder Wei kzt og-e bezeichnen, weil sie auf Sinnesart und Handlungen wirken. JJass eine andere Nation es in dieser und jener Kunst weiter gebracht habe, können wir ilir leicht zugestehen, wilhV uns zu ihr in die Schule geben; aber dass sie Herrscher unsorer Seele und deren Bewegungen seyn soll, wo der Vorzug ihrer Art zu Hnipfinden nicht aus- gemacht ist, muss jeden wahren Patrioten schmerzen. Daher allein kommt es, dass wir bisher (aus einer nur faulen, nicht edlen Selbsterniedrigung) unsern Nachbarn zum Gelächter haben dienen müssen. »

Und in seinem zweiten Vortrage «Ueber die Vorzüge der deutschen Sprache»:

«Wir fangen von heute an, uns zu einer sich selbst durch gewisse Regeln bindenden Gesellschaft zusammen zu thun. Hierdurch verbinden Sie sich weiter zu nichts, als unsere gesellschaftlichen Bemühungen für die Aufnahme einer gebil- deten deutschen Sprache in diesen Gegenden durch mündliche oder schriftliche Beiträge, oder auch nur durch ihr Ansdien und Vorsprueh su unteratfltien. Wie nothwendig es aher sey, dass hinführe keine andere als deutsch geschriebene Aufsfttie hier vorgelesen werden^ sehen m. H. von selber ein. Zu gesehweigen, dass sie durch Aufsätse in fremden Sprachen den Ausdruck in ihrer Muttersprache nicht bloss vernachlässigen, sondern auch nach und nach, ohne dass sie es selber merken, durch Gallidsmen verfälschen und verderben müssen. Ist Ihnen also daran gelegen, das Band mit Ihrem deutschen Vaterlande, und den Schriflstellem desselben zu erhalten, so wird Sie diese kleine Ueberwindung, wenn es eine ist, nicht schwer ankommen; sollten Sie auch allenfalls Sachen, die Sie französisch gedacht haben, ins Deutsche übersetzen müssen, um ihnen die letzte Vollkommenheit zu geben.

«Darf ich bei dieser Gelegenheit ein paar Anmerkungen machen, die Sie beim ersten Anblick für partheiisch halten, bei mehrerem Kachdenken aber wahr befinden werden. Unsere Sprache ist den Wissenschaften und denen, die in denselben auf Erfindungen ausgehen, weit vortheilhafter als die franzö-

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sische, weil sie dem Geist mehr Freiheit lässt. Ich will Ihaen das durch ein Beispiel beweisen.

«Die Zeitwörter (verhes) als die Bestimmungen aller Hand- lungen und Veränderungen der Dinge, sind, dass ich so sagen darf, der edlere Theil und die Seele aller Sgracheo, da die Nennwörter (Substantii's und Adjectifs), wenn mir erlaubt ist dies Gleichniss fortzusetzen, nur den Körper derselben aus- machen. Welche Sprache den fbeiem Gebrauch der Zeitwörtei* hat, muss notwendig die edlere und kühnere, und für den Ausdruck unserer Gedanken folglich die vortheilhaftere seyn. Dass dies der Fall bei unserer Mutteraprache sey, kann mir die Unpartheilichkeit selbst nicht abstreiten. Die Franzosen haben für ihre Zeitwörter einen gewissen angewiesenen Platz, aus dem sie gleichsam wie Präsidenten in einem CoUegio, sich nicht weg begeben dürfen. Die Deutschen können ihre Zeit- wörter, ohne im geringsten den Gesetzen der Sprache Gewalt anzuthun, hinstellen wo sie wollen. Und wie unendlich muss die Freiheit; die Stärke^ die Mannigfisiltigkeit des Ausdrucks dadurch j^ewinnen?

«Zum Exempel. Der Franzose sagt:

, J'aime Dieu et mon prochain.

« Ich glaube nicht, dass eine andere Zusammensetzung dieser Worte möglich ist. Der Deutsche kann mit eben diesen Worten sich auf drei verschiedene Arten ausdrücken, die jede einen andern Sinn, wenigstens eine andere Schattirung des nänUiclien Gedankens geben, und das bloss durch die Versetzung des Zeitworts :

flc Ich liebe Gott und meinen Nächsten. « Gott und meinen Nächsten liebe ich. « Gott liebe ich und meinen Nächsten.

ccich habe es dir geg^en sagt bei weitem nicht das, wenigstens nicht mit dem Nach- druck, was:

«Dir habe ich es gegeben.

« Und nun, wenn der andere allenfalls sagen wollte : er habe es mir mit Gewalt genommen«

«Gegeben habe ichs dir.

«Welch eine Kürze, da dor Franzose notwendig da mit einem ganzen Komma zu Hülfe kommen müsste, vous ne me l'avez

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pas pns, je vous Tai donn6, oder im vorigen Fall mit einem : C'est vous, a qui je Tai donn^, wenn die Person, der es gegeben worden, zweifelhaft ist.

« Alle Hiese Vorlheile erhalten wir dadurch, dass wir das Pronom personnel ich, du, er u, s. w. eben sowohl vor als hintoi das Verbe setzen dürfen, da den Franzosen das letztere nur bei einer Frage erlaubt ist, sie also immer das Verbum noth- wendig am Anfang des Komma hinstellen müssen, von dem es sich nicht wegbegeben kann.

cNoch ein Vorlheil, der ebenso gross und wichtig i.<t, dass die Verbes im Deutschen, wie der Verstand eines Ft Idiierrn die ^ranze Armee, so sie alle ihnen zugeordneten Wörter ein- schliessen und umfassen können, folglich sich weit geschwinder mit den darauf foli?eaden Zeitwörtern (Verbes) anschliessen, und die Combination der Ideen weit geschwinder und glücklicher l>efordern . Bei d en zusammengesetzten Zeitwörtern springt dieser Vortheil in die Augen,

ii est parvenu par ses talens supi neurs, et par ses vastes connoissances et disposant des graces du Souverain, il a sii

« Hier habe ich hei dem Worte connoissances das Zeitwort schon vergessen, dagegen der Deutsche, der alles in Zeitwort einschliesst, mich keiner ('.efnbr aussetzt:

«:Er ist durch seine vorzügliche Talente und durch seine ausgebreiteten Kenntnisse emporgekommen , und hat, da er über die Gunstbezeugungen des Fürsten handhaben durfte, die würdigsten Gelehrten an seinen Hof zu ziehen gewusst.

«Alle Verbes compos^s im Französischen bleiben unzertrenn- bar, surprendre, surpasser, parcourir, remettre,i epousser, dagegen im Deutschen nur deren wenige sind, die meiiresten aber sicli unter derselben Bedeutung wieder zertrennen lassen, und also die ihnen zugeordneten Nebenljegriflt.' einschliessen und um- fassen können, je repousse ce traitre, je reclame mes droits, ich stosse diesen ^'erräter zun ick, ich fordere meine Rechte wieder; ils convenoient dans cette nssemblee de rabolilion des langues ^trangöres et concluoient uuanunement que sie kamen in dieser Versammlung über die Abschaffung der fremden Sprachen überein und beschlossen u. s. w,»

Goethe nennt bekanntlich den Dichter Lenz « whimsical,» was, wie das Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in einem Begriffe zusammenfasse und Erich Schmidt, Lenz und Klinger S. 7 meint, dass eine Umschreibung des nicht

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übersetzbaren englischen Wortes das veriiängnisvolle «verrückt )> wenigstens streifen müsste. Dagegen muss ich gestehen, dass Lenzens Thütigkeit wenigstens in der Deutschen Gesellschaft die Vernunft selber ist. Wem es vielleicht sonderbar erscheinen möchte, dass ein begabter Dichter sich so zum Lehrmeister einer gebildeten Genossenschaft aufwirft, den erinnere ich an die Aeusserung Petersens über die Strassburger Gelehrtenwelt : «Alles spricht hier fertig lateinisch und französisch, schreibt es auch; mich dünkt aber, sie wüssten keine Sprache recht, weder lateinisch noch französisch noch deutsch.]» Selbst die Geistlichen auf der Kanzel bedienten sich eines ungebildeten, für das deutsche Ohr unverständhchen deutschen Dialekts, weshalb der Erbprinz Karl August von Sacfasen-Meiningen, nach mehreren vergeblichen Versuchen in dem deutschen Gottes- dienst> die fi-anzösische Predigt vorziehen zu müssen erklärte.

Wie recht hatte daher Lenz, als er seine elsässer Freunde aufforderte, sich gegenüber der ins Land eindringenden fran- zösischen Sprache nicht mit der oberflächlichen Erlernung der deutschen Muttersprache in ihrer Jugendzeit zu begnügen, soa- dem dieselbe zum Gegenstand eines lidbevollcn Studiums zu machen. «Welch ein Unterschied^ ruft er aus, unter einer Sprache, die nur erlernt ist^ und einer^ die w uns selber gelehrt haben? Das erste macht Papageyen, das andere Men- schen.»

Unvergessen soll darum Lenz seine unermüdliche^ 8cl|öne Thätigkeit für das Deutschtum im Elsass sein! Und wenn «ich in kurzer Zeit auf dem Kaiserplatz in Strassburg das Kolossal- denkmal Kaiser Wilhelms des Eindgen inmitten seiner ruhm- reichen Staatsmänner und Feldberrn erheben wird, so wird hoffentlich später einmal auf dem gegenüberliegenden Univer- sitätsplatz sich um das Standbild Goethes, seit dessen c Dichtung und Wahrheit» sich Deutschlands Augen niemals wieder von dem verlorenen Reichslaude abgewendet haben» die Gruppe der geistesverwandten, um das Elsass wohlverdienten Männer der Geniezeit reihen, unter denen Jakob Michael Reinhold Lenz, das Protokoll der deutschen Gesellsdiaft in Händen, dnen Ehrenplatz beanspruchen darf.

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V. Das Protokoll der Deutschen Gesellschaft in StrasshurK nach der Originalhandschrift nebst einem Briefe von Lenz an Haifoer.

Als A. Stftber in der Alsatia im— 1867 das Prolokoll der angeblich vom Aktuarius Salzmann präsidierten litterarischen Gesellschaft in Strassbnrg ver5ffentlichtey halte er nicht das Original^ sondern nur eine ungenaue Abschrift vor sich, denn seine Versicherung S. 174, der Abdruck sei getreu nach dem Original mit Beibehaltung der Schreibart und selbst der Ab- kunung der Wörter wiedergegeben, kann vor der objektiven Wahrheit nicht besidien. Vor allem fehlt das Mitgliederver- seichniSy welches, doch nach einer Bemerkung S. 175 im Manu- .%ript gestanden haben mussle. Diese Erkenntnis veranlasste mich, dem Verbleib der Handschrift nacfaxuspAren, die ich im Besitze eines Mitgliedes der Familie Matter entdeckte. Ver^ geblich freilich waren auch meine Bemühungen, persönliche Einsicht in jenes fiir die deutsche Litteratur so interessante Scbriftstfick zu erhalten oder vielmehr dasselbe für Strassbiirg zurückzugewinnen; die nach der freundlichen Mitteilung des Besitzers hinzugefifigten Rand- und Zwischenbemerkungen ver- traulichsten Inhalts machten eine Erfüllung mein^ Wünsche unmöglich. Dagegen erhielt ich von der ausserordentlichen Güte des gelehrten Besitzers ein genaues Verzeidinis der dem Stöber'schen Druck anhaftenden VerseheUi welche mir bedeu- tend genug erschienen^ um einen Neudruck des ohnehin wenig gekannten und nicht sehr umfkngreichen Schriftstückes zu rechtfertigen.

Nach den mir gemachten Mitteilungen bestdit die Hand- schrift aus einem Quartheft (21 X ^'^ ^) ^ später gehefteten einzelnen Blättern. Die Ueberschrift bei Stöber: «Protokoll der vom Aktoar Salzmann präsidierten litlerarischen Gesellschaft in Strassburg (2. November 1777 bis 9. länner 1777),» sowie der Titel: «c Gesellschaft zur Ausbildung der deutschen Sprache (Akt. Sahtmann S. 20))» rühren von Stöber selbst her. Vielmehr trägt die erste Seite den bisher unbe- kannten, weil zu französischer Zeit verschwiegenen Titel :

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Digitizcü by CoOglc

Prot ocoll einer den 8ten October

1775 neu eingerichteten Deutschen Gesellschaft in Straf^burg.

Aul der 'i. S<Mt«' (big! ein neuer Titel : er Anzei^'^e der Vor- lesuiig"en,» ohne das? je<1och die damit angeküTidij^te Al)siclit verwiiklirhl vv.ne. Die nä( li^tt ti 12 Blätter sind ui je 2 Ko- lonnen ^' li ilt, \N ('l( he, dentii Bueli.slabeu des Alphabets dienend, den ei<5enliandi^en Nanien^eintrag der Mitglieder in alphabe- tischer Reihenfolf^e enthalten. F's sind im ganzen I>2 Namen, ujiter denen 14 bisiier gänziicli unliekannte, gewiss (nne statt- liche Schar von gebildeten Männern und Tunglin^tMi. Wenn dalier Lenz in einein Briefe an Gotter von seiner Naciiahmun^ der Captivi des Plautus rühmt, sie sei in Slrassburjr in prot^sp!- üesellschafl vorgelesen wordi ü und halje Glück gemacht, ^i» ist der Spott Weinholds (Dram Xa hlass v. Lenz S. 25) wie so vieles gegen Lenz Vorgehraclitu laatallig, der dazu die Bemer- kung setzt: «Unter dieser Vorlesung in grosser Gesellschatt meinte der ;^ r o s s t h u e n d e Lenz die Vorlesung in der Salz- niann'scheu Gesellschaft.»

Du Mitgiiederverzeichnis.

Franz Joseph Armbruster, aoB Wolfach im KinaigerthaL

Johann Lorentz Blossig. ans Strasb. Johann Siec^fried Breu aus Strasburg. Johann Friedrich Corvimis Dietrich Johann Niciauss von btrassburg. Johann Ebrmann aus Strasb.

Friderich Philipp Bisoabeig aus Treptow in Pommern. Joh, llieh. Fries ans Strasburg. Philipp Jacob €hreiner aus Strasburg. Isaac Haffner von Strassb.

Dorotheas Ludwig Christoph Fh. Ton Keiler aus dem Gothai»

sehen.

Franz Joseph Kranss aus Strasburg

Leypold ('Johannes) aus Stiasb.

Leos (Jacob ICchael Beinhold aus Dörpt in Liefland).

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Phil. Jacob Lobsiein aus StrMBburg.

J. M. Majer von Strasburg.

Christian Friedrich Itichaelis au» Qcettingea.

Mantz jacob anton.

Matthiea aus Strasbüuig.

Philipp Jacob Müller Prof.

H. Hflller.

Ludwig Willh. Otto geb4&rtig von Kork. Joh. Mich. Ott ans Strasburg.

L. F Ramond ans Strasburg.

J. O. Röderer ans Strasburg.

Louis V Sfblpmmor f^oboren in Manuheim.

Fridrich Rudolf S;ilzm;mn aus Strasb.

Johann Philipp .Sclionteld aus Stiasb. Kappel m^ister.

Christian Sigi^miiud Spener aus Berlin

Johannes von Türkheim von Strassburg.

0. WestmaBu aoB Sckwoden.

Heinrich Leopold Wagner ans Strauburg.

Hütte Slöber dies Verzeichnis gehal)t, so wüide er wobl kaum (s. Aktuar S. S. H^) die vielseiti^^e Thäti^keit des Lizen- tiaten Friedrich Rudolf Saizmann mit derjenigen seines älteren Vetters, des Aktuarius Joh. Daniel Salzuiann (geh. 24/3 1722 St. Thomas), verwechselt haben. In das Mit^Hedervei-zeichnis (ies Vereins hat sich der Aktuar niclit eingelrati:en. Dass er demsel])en beifj;ewohnt liat, beweist die Notiz bei Lenz (Sehr. II 3^30) dass sieh diejenigen hei ihm melden konnten, welche an der Ausarheitun}.: eines Vortra^ies verhindert gewesen waren. Wahrscheinlich bat er bis zur Abreise Lenzen*- das Zimmer für die SilzLin-cn iiei*i^epfel>en . Am 8. August 177ö las der mit dem Aktuar besonders befreundete Micliaelis aus Göftingen dessen Abhandlung «von der Glück. Seligkeit in Imrgeriichen Gesellschaften» vor. In allen diesen Fällen ist aber dem Namen Salzmann ausdrürklich der Titel Aktuarius vorangesetzt, ein Beweis, dass unt<T dorn «Herrn» Salzmann des Protokolls, der wie die meisten ül»rigen Mitglieder der Gesellschaft jedes Titels entbehrt, das Mitglied Friedr. Rud. Salzmann gemeint ist.

Schon Prof. Matter hat in seiiiern Aufsatz, « M. de Saint- Martin, Madame de fViecklin, les deux Saltzmann, Goethe», in der ReviiH d'Alsace 1 SiA) p. 520 11., über die allgemein übliche Verweciiseinng der beiden Salzmann nachflnicklich Klage geführt :

«II ne se conroit pas deux hommvs plus dners que les deux Cousins Saltzraann, morts. Tun, i'ami de Goetlie, en 1812,

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r^utre, raiiii de Saint-Marlin, en II ne so conf<ji( pas

non plus do vie plus agitee que celle de l'un, du conseiiler de I^jration, qui ful journalistp sous Louis XVI, la Röpublique, la Terreur, le Direi toite, (^oiivulat et i'Knipii*e, ni de vie plus (udrne rpie celle de l'autre, de celui qui ne fut Actuarius que peiidaiit un an. Et pourlant, c'est precis^ment le dernier des deux, celui qui ne fut rien, si ce n*est un lioinnie de »joilt et un homme de bien, qui est devenu un personnage ceiebre, et est assurt?, comme ami de Giethe, de vivre a fout janiais dans l'histoire des Irlti'e.s; car il li^iii'-M'H a per^jt-tiiite dans toutes les bioj(rajiliit s de i'inconipdrabie poete, tandis que Tauteur, Tauteur de quiiize vulunies iiiiprimds et d'aulant de volumes manuscrits, n'est connu que dans le ceix le ties-restreint des plus pieux et plus mystiques tlieosophes. Ce n'est pas tout, son « ousin n'ayanl janiais mis soii nom dans aucuii de ses livre.s, 1 iieureux Actuarius, en veritable vache maigre, nienace d'avaler la vache grasse, le conseiiler de legation, auteur de tant de volumes, au point de ne plus en laisser trace. En effet, ces deux bommes si divers, non seulement on les conl'ond l'im avec l'autre, en faisaiit des deux un seul et meine individu, mais on absorbe Tun dans Tautie ; et ce n*est pas la vague Iradition, ni l'ignorante insouciance, c'est l histoire, c'est la biograpiiie qui fait cetle eneur.»)

Nun, irren ist menschlich! Selbst Prof. Matter, der doch im Besitz tles Mitgliederverzeichni.sses der Deutschen Gesellschaft j?ewesen, liat die Konfusion, die sich Aug. Stöber l>ei der Herausgabe des Protokolls und in der Biographie des Aktuarius Salzmann mit den beiden Vettern gestattete, nicht wahrge- nommen. Aucli Erich Schmidt, der uns in seinem Heinrich Leopold Wagner IL Auflage Anm. IH auf den interessanten Bericht aus Zoega's Leben, herausg. von Fr. Gottl. Welcker I 145 verweist, hat das m seinen Füssen liegende Goldkoj ri nicht J)emerkt. Denn gerade jener Bericlit des Altertumsforschers Zoega, welclier der Sitzung der Deutschen Gesellschaft vom 18. April 1770 (siehe unten) beigewolint hat, liefert den schla- genden Beweis, dass unlei- dem «Heiiu Salzmann » des Pro- tokolls nur Friedrich Rudolf Salzmann und niclit der Aktuarius Johann Daniel Salzmann gemeint ist.

Im April 1776 war Zoega auf seiner Reise nach Italien in Strassburg angekommen (s. Leben 1 S. 29). Bei Gelegenheit einer Besprechung der^ 1778 erschienenen «Wanderschaft*

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Jung-Stillings schreibt derselbe an Minen Freund £»niarch d. 30. Nov. 1778 :

«Unter den Strassbur^nschen Personen ist nur eine eintige, die ich Dir genannt halien kann, und der Actuarius Salimann, ein liebenswürdiger Mann, und das ist ungefähr alles, was ich von ihm weiss. Er hatte einige Jahre als Hofmeister bey dem HeiTn Baron Stein in Göttingen gelebt^ und ich war von Hrn. Meiners an ihn adressirt. Durch ihn ward ich auch in die Ge- sellschaft der schönen Wissenschaften eingeführt, deren im Stillinfr gedacht wird, und die damals in dem Hause eines Hrn. von Türkheim zusammen kam. Unter den Vorlesungen, die ich da hörte, gefiel mir vorzüglich eine über den Gebrauch der Logik von Mag. Blessig, den ich in Gotlingen jickannt hatte, und der vielleicht ein Sohn seyn mag von dem Raths- henn Riesig, dct- im Slilling genannt wird. Salzmann las eine Ueberi<etzung eines Stucks aus dem Vicar of Waketield vor, die mir nicht recht schmecken wollte. Sein Vater ist Luthe- rischer Oeistiicher in Strassburg und auch ein liebenswürdiger Mann.)>

In diesem authentischen Berichte wird zugleich mit der Kontusion die Lösung gegehen. Nicht der Aktuar, sondern Friedrich Rudolf Salzmann wai 177i Kr/irhrr des Freiherrn von Stein (s. Alsatia 18(>2-18<17 S. Ilii) m (. Otlingen gewesen. Nicht des Akhini ins, sondei'n Ki inlrii h liudolf Salzmanns Vater war Pre<ii^ei an der Neuen Kirche in Strasshurg (a. a. 0. S. 16^2) und wi«_* ich aus den Kirciienhüciiein ersehe, nocl» im .1. 1788 im Amte, während der Aktuar schon im aclitcn Lebensjahre verwaist war. Am 21/3 1728 starb des letzteren Mutter Anna Barbara, geb. Miville (St-Thomas), und am 18/12 1729 sein Vater Joh. Salzmann «Handelsmann und K. E. grosen Raths woldineritirter Beisitzer» (St -Thomas) oder, wie er im Stei lx iikt seines älteren Sohnes Johann vom 17/1 ITHii (Neue k.) jienannl wild (Banquier Salzmann». Dieser auch von Hufeland, siehe Der Akt. Salzmann S. 101, jiekannle fdtere iSi>hn, '/e)^. 1719, war t(Juris Consult und hei Ihro Hochfürstl. Durciilaut ht von Leiningen -Dachsburg wirklicher Hofrath.» Den Sterl)eakt iialjen unterschi ii ben : Der Aktuar .loh. Daniel Salzmann als Bruder, Prot. Jer. Jac. Oberlin als NeiTe, Joh. Rudolf Salzmann dia- conus.»

Zoega ist also hei seinem Strassburger Aufenthalt mit dem Aktuarius Salzmann nicht bekannt geworden. Den Namen

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<Aktuariu:s» in obigeni BiielV* entlehnt er olfeiibar dem Bericht Jnng-Stilliag!), der denselben an folgender einzi|^en Stelle er- wähnt : '

«Noch ein vui LieÜlicJier Strasslmr^^er sass da zu Tische. Sein Platz war der oberste, und wäre es auc li hinter der Thüre gewesen. Seine Bescheidenlieit erlaubt luclii, ihm eine Lobrede zu halten : es war der Herr Aktuarius Salziiiann. Meine Leser mögen sich den gründlichsten und emplindsainsten Philosophen, mit dem ächtesten Chrislenthuni verpaart, denken, so denken sie sich einen Salzmuuri. Gcethe und er waren Hei-zensfreunde.»

Man sieht : der Mangel jeder Angabe eines Altersunter- schiedes zwischen dem Aktuar und Goethe in dem Berichte Jung-Stillings hat Zoega dazu gebraclit, in Friedrich Rudolf Salzmann, an den er von Pix>f. Meiners in Göttingen empfohlen war, f^schlicherweise den von Jung-Stilling genannten Aktuarius zu erkennen. Dass aber Zoega in der Deutschen Gesellschaft weder den Aktuarius gesehen, noch auch von Friedrich Rudolf Salzmann oder irgend einem anderen Milgliede über ihn hat sprechen hören, beweist aufs neue, wenn es überhaupt noch nötig wäre, dass det Aktuarius Salzmann mit der von Lenz begründeten Deutschen Gesellschaft in Strassburg so gut wie nichts zu thun gehabt hat.

Friedr. Rud. Salzmann also ist es gewesen, der im Einver» ständnts mit Lenz c-mit der ihm eigenen vorzüglichen Bücher- kenntnis » war er doch später Besitzer der akademisdien Buchhandlung und eines politischen Lese * histitnts (Alsatia 1862—1867 S. 164) in Strassburg die Vereinsbihliothek he^ gründete, der nach Lenzens Abreise vom 28/3 1776 an auf allgemeinen Beschluss die Leitung des Vereins in die Hand nahm und wie firüher 'Lenz seit seiner Ernennung durch nicht weniger als sechs Vortrage die wesentlichen Kosten der Unter- haltung za tragen suchte.

Nicht also dem Aktuarius Salzmann, der damals schon müde (s. Stöber S. 19/> dem neuen Fluge der deutschen Jugend nicht mehr zu folgen vermochte, sondern Friedr. Rudolf Salz- mann, dem Erzieher des nachmals berühmten Freiherm von Stein, ^ dem von seiner ehrenvollen Mission aus Göttingen heim- gekehrten jungen Strassburger Gelehrten,' welcher sich durch geschichtliche Vortrage Eingang in die Universität zii verschaffen suchte, aber an dem Cliquenwesen derselben scheiterte, dem in deutscher LUteratur wohl bewanderten .Manne, den später die

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ganze Verfol^iiiigswut der Koiiventskominisflare St. Just und Lebas tiafi sind die unter dem Namen Salzmann im Protokoll genannten ui\d im «Burgerfreund» veröffentlichten Gedichte und PnwaT Abhandlungen zuzuerkennen.

Nicht also der Aktuar Salzmann,. dessen Alter solche Rück- sichtslosigkeit gegen die ihm wohlbekannte Familie Fibich auch schwerlich zuzutrauen wäre, sondern Friedrich Rudolf Salzmann, hat unter dem Titel «Fragmente zur Strassburger Kinderzucht» den Strassburgem einen Auszug aus den soeben erschienenen «Soldaten» seines Freundes Lenz gegeben, wofür ihm Gleophes Bruder, der nachmalige Sekretär dos Jakobinerklubs und Sicher- heitsausschusses in Sfrassburg, kein gutes Andenken bewahrt haben wird. Von Friedrich Rudolf Salzmann ist die Prosa- Übersetzung der Romanze aus dem Landprediger von Wakefield» <lie Uebersetzung aus dem Französischen des Kardinals von Remis < Gredanken Aber das Vergnügen auf dem Lande » , der Vortrag « ob es rathsam sey in eine Sprache fremde Wörter aufzunehmen», das Klag-Idyll auf Lucas To<l und die Geschichte <ler Lel)erthalischen Bergwerke; hatte doch Friedrich Rudolf Salzmann, ehe sein Vater als Prediger an die Neue Kirche zu Strassbui^^ berufen wortlen war, einen Teil seiner Jugend zu Markirch im Leberthal veibrachl.

Die in den Siilzniannschon Vortragen vorkomm^Mide Kr- wähnung des Prof. Feder in Göltingen, «d<'8sen Gl»arakler so verehrungs würdig als seine Einsichten in die Philosophie tief seien» (Burgerireund 1776, S. 479), des Prof. Claproth eben- daselbst (Bgfd. S. 783) und di»- Narhricht fB-^^fd. 1777 S. 68), dass der Verfasser die harzischen Gruben beiahren habe, hätten s^t hon früher auf eine andere Person als den Aktuar Salzmann, uamlich auf einen mit den jüngsten Göltinger Verhältnissen und der Göttinger Umgebung V^erlrauten srliliessen lassen dürfen, was bei Friedrich Rudolf Salzmann genau zutrifft.

lJel>er die einzelnen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft zu Strassbuig hal>e icli, unter l)esonderer Berücksichtigung der weniger Bekannten, folgende biograpinscite Notizen gesammelt :

1. Joseph Armbruster ex urbe Wolfachio furstenbergensis. Matr. Gen. 1772 l6/li. Matr. Med. 13^2 1776 (Univers.-Sekret.)

Ü. Johann Lorenz Blessig, geb. 15/4 1747 in Strassburg, Lehrer am Gymnasium, 1786 ord. Professor der Philosophie an der Strassbuqser Universität, gefeierter Kanzelredner, in der Revo-

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lution verliaftet und erst durch de» Stun Robespierres befreit, J\ Denkmal in der Neuen Kirche. Vgl.

K. M Fnte, Leben filessige Stiwb. 1818, A. Stöber, Uöderer T?^ Antrittsprogramm 1786 9/11 : In&e (Herbst 1774) per Goloniam et Fnmoofartum , ubi Ctethe praecipue ßasedoviumque colui, remeavi ad Georgia«! Auguatam.

^. Joh. Siegfried Breu. Ob derselbe, welcher 7/5 1778 als Junst promovierte?

4. Job Friedrich Corvinu«, geb. 17/1 1751 (N. K.), 7/4 1768 s'l38 7/4 1777 Matr. Medic, vgl. Stöber, Rcyderer

5. Job. Nicolaus Dietrich 19/7 1763 Matr. Philo»., promo- vierte als ,hn ist '4/12 1773. .

6. Job. Ehrmann, geb. 8/5 1751, Sohn des aus WeathoTen gebürtigen und iJ9/9 1778 in Strassbunr gestorbenen (s. H. iJuntze. , Christoph Kaufmann, der Apostel der Geniezeit S. 138, vgl. bterlieregister d. N. K. Bd. 189 Fol. 26 a) Handelsmanns Johann Kbrmann, der unzertrennliche Freund und Anhänger t^hristopb Kaufmanns, Lehrer am Badesowschen Philantropin, spater 1/77 nach Strassbui^ turOckgekehrt und 4/4 1786 als vicarius am Strassburger Gymnasium angestellt, s. Gatalogus der Universität und des Kirchen-Konvents zu Strassburg (Bibl. des Thomasstifts).

7. Friedrich Phil. Eisenbeiig Treptowiensis inPommeriana ultenorj, Matr. Gen. 13/12 1775, studierte Jura 18/12 1775 Matr. Jur. ' . .

8 Job. Mich. 1 jies, geb. 21/3 1754 (St-Nikolaus), 29/91767 M.t,. Gen., 11/12 1772 Matr. TheoU, seit 1777 Lehrer des lat. «Iiis, der Logik und Rhetorik, 1778 der Religion und des (^rnechiscben an den Oberklassen des Strassburger Gymnasiums und 1782 zweiter französischer Prediger (s. Strobel, Histoire d. Gymnase p. 155; Memoriale III. Coli. Schol. 1751—1781, Tbomasarcbiv), in der Revolution verhaftet, durch den Sturz Kobespierres befreit (Strobel p. 76).

9. Phil. Jakob Greiner, geb. 11/6 1752 (St. Nikolaus), 29/9 1767 Matr. Gen., promovierte als Jurist 4/12 1775.

10. Isaak HafTner, geb. 2/12 1751 K.), 30/9 1766 Matr. Gen., 11/12 1772 Matr. Theol. ; mit GcBthe befreundet (s. Gölbes Briefe, Weimarer Ausgabe N. 96, R. Zceppritz, Aus F. H. Jacobi's Nachlass II, :M7), 1780 Püdagog am St. Wilhelms- SÜft, 1788 ord. Prof. d. Theologie an der Strassb. üniversitÄt,

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feingebildeter Gelelirter von Ruf, 1793 mit Blessig verhaftet, Nov. 1791 befreit, gest. 27/5 im, sein Denkmal in der Nikolaus- kkelie» wo er seit 1795 gepredigt ; A. Siöber, Röderer S. 192 if.

11. Dorotheus Ludovieus Christophorus L[it)er] B[aro] de Keller Thuringius, 8/11 1775 Matr. Serea. et IHustr. (Thomas- arcKiv)'.

12. Franz Joseph Krauss, 29/9 1767 Matr. Gen., bestand die jur. Mfttng 10/12 1774.

13. Job. Leypokly geb« 90/4 1790, studierte mit besonderem Erfolge Philosophie und Theologie, wurde 1760 durch seinen Gönner Schdpflin in den Stand gesetzt, Italien, die Schweiz und Holland xu bereisen, 1761 Lehrer am Strassb. Gymnaaium, seit 1777 Ordinarius der Prima. Das Scbulprogramm vom 1/10 1792 (Uniwrsltfltsbibl.) widmet dem am 16/8 desselben Jahres Verstorbenen unter der Ueberscbrift cMultis ille bonis flebilis oceidit .... Horat.» dnen warmen, übrigens aueh fQr die Zatgeschiehte interessanten Nachruf in deutscher Sprache (die Programme des Protest. Gymiiadums sind bis i789 latei- nisch, 1790—1793 im Freiheitsdrange, dem aber bald ein Dämpfer aufgesetst wurde, deutsch, 1795^1870 französisch abgefasst) :

Zur Erklärung der lateinischen Dichter machte ihn sein poetisches Genie besonders geschickt, wovon er bey mehreren AnlSssen sowohl in deutscher als lateinischer ' Sprache schöne Proben ablegte. Sonst lehrte er noch den hiteinlschen und deutschen Styl, die Geschichte und die ersten Anfangsgründe der Messkunst (s. WeinhoM, Dram« Nachl. v. Lenz S. 214 ff., wo er als Mathematiker dramatisiert ist). Er ging bei seinem Unterricht rasch und feurig zu Werke, und konnte er seinen Lehriingen die Kenntnisse nicht eii%tessen, so war es sein Fehler nicht. Offenes Betrageii und aufrichtige Liebe zu seinen SchChlem ist ein Hauptzug seines Charakters. Seine ausgebreitete Gelehrsamkeit konnte jeder, auch ausser den Lehrstunden, benützen, wenn er nur wollte« Seine Bflchersammlung stund jedem zu Diensten. £r war der Vater seiner Schiller, und der Rathgeber junger Studierender, oft auch derer, die schon zur gelehrten Klasse gehörten. Eine Wichtes« Ermahnung gab er otl solchen, welche sich zu früh weise dünkten und hoch fliegen wollten, ehe ihnen dieFittige gewachsen waren. Liebe Leute, sagte er, lernet vor. Möchten sich dieses doch diejenigen unserer lieben Schfiler gesagt Seyn lassen, welche aigetzo, da

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wir fOr die Erhaltung unserer schätibaren Freyhdt mit so vidoi innerlichen und äusserlichen Feinden zu kämpfen haben» »ich herausnehmen mit Unkunde und Liebloeigkeit die Gesin- nungen und Handlungen solcher Männer, die in öffentlichen Aemiem stehen« zu richten.»

Von Leypolds originellem Wesen wurden noch in der Mitte dieses Jahrhunderts die drolligsten Anekdoten in Strass- burg erzählt (s. Stölxir, Salzmann 8. tlO). Seinen Feuereifer l)eim Unfemcht, seine schulmeisterlichen Flüche, sowie sein Podagra hat Lenz in seinem Elntwurf zum «Tugendhaflen Tauge- nichts» ^'«'(reu copiert. Leypold starb un vermählt und hatte seinen Mittagstisch bei den Jungfern Lauth (S. 66).

I i. Lenz hat sich in «He Strassburger Nfatrikeln zweimal eigenliändi^ eingetragen 1) Mair. Gien. 1774 3/9 Jacobus Mi- chael Reinhold Lenz, Dorpato-Livonus bey Hr. Kress, Metzger im Finkweiler 2) Matr. Theol. von demsellien Tage. In obigem Protokoll steht die Form Dörpt für Dorpt.

15. Phil. Jakob Lobstein, geb. 1/5 17M (N. K.), 11/41765 Matr. Phil., auch Theologe, Lehrer an den 01)erklassen des Sti'assbui-ger Gymnasiums, kam 1775 n;uli Glessen; s. Memo- riale 9/6 1775, vgl. Stöljer. Ködeier, S. 158.

16. J. M. M^jer, 22/12 1775 Matr. Gen., 23/12 1775 Matr. Jur.

17. Christian Friedrich Michaelis (leottingensis Me«! '2^^^^ 1775 Matr. Gen., Sohn des bekaiiiilen Götiinj^er Tlieologen, hatte in Strasslmrg emen ausgedehnten Bekanntenkreis; 3 Briefe von ihm au Aktuar Salzmann bei Stober, Salzniann S. 86 fT., gest. 1814 an den Folgen seines ärztlichen Berufes in den Milititrspilalern.

18. Jacob Anton Mantz?

19. Matthieu aus Strassburg. Die Auslassung des Vor- namens lässt zweifelhaft, welcher von den Söhnen des Drei- zehners und S^, 11 Jiku.s der Unter-elsässischen Ritterschaft Peter Franz Matthieu genieiul sei. Der genannteste derselben ist der i/l 1755 zu Strassburg (St. Stepimn) -eliorene Franz Jakob Anton, der als Sekretär Talleyrands nach dem Frieden von Luneville den .später zur Durchführung gelangLen ii^üLwurf be- hufs Entschädigung der deutschen Fürsten ausarbeitete. In der Nationalversammlung hatte er mit Prof. Koch und seinem Freunde Bamond unentwegt für die konstitutionelle Monarchie gestimmt. Sein Bruder Johann Michel promovierte als Jurist

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13/ '2 1775 und wurde Rat am Colmaier Gcrichtshote (Biogr. univ.). Wahrscheinlich ist der letztere gemeint, da Ramonds Widmung seines Dramas La Guerre d'Alsace ä J*** M*** auf diesen seinen Freund bezogen werden kann, s. Heymach, Ra- mond de Carbonni^res, Waldecker Programm 1887 S. 5.

20. Philipp Jacob Müller, geb. 20/3 1732 (N. K.), Lehrer am Strassb. Gymnasium, 1771 Prof. der Logik und Metaphysik an der Strassb. Univerntät, 1778 Prof. der Theologie, 1782 Canon. Thom., 1783 Inspektor CoH. WUh.^ 1784 Doktor der Theologie, gest. 1795. Ein Brief von ihm an Bodmer in ZQrich 8, Cmeger Strassb. Studien II 484.

21. Magister Friedrich Wilhelm Maller, geb. 7/9 1733 (N. K.) Bruder des Vorigen (Memoriale Fol. 127), Lehrer an den Unterklassen, seit 1778 Lehrer des Latein, der Logik und der Rhetorik an clen Oberklassen des Straub. Gymnas., trat 1769 mit einem Lehrgedicht «Mtlon und Theroni auf (s. Ckedeke, Grundriss II S. 648).

22. Ludwig Wilhelm Otto, geb. 7/8 1754 zn Kork bei Kehl, Sohn des hanau-Hchtenb. Regierungsrats und Amtmanne von Wilstett und Lichtenau Justus Jakob Otto. Sein Taufpathe Erbprinz Lud^ X von Hessen-Darmstadt (geb. 1753)« Er studierte in Strassb. 28/3 1769 Matr. Gen., bestand das jur. Examen 15/1 1777, gelangte auf Pfeffels Empfehlung in die diplomatische Laufljahn. Zuerst Sekretär der franz. Gesandt- schaft in München, 1779>1792 Geschäftsträger in Philadelphia, 1799 in Berlin, 180O Gesandter in London, wo er, unter dem Jubel der Bevölkerung eingeholt, den Präliminarrriedeii von Amiens schloss. Napoleon, der grosse Stücke auf ihn hielt, erhob ihn zum Grafen Mosloy und ernannte ihn zum Gesandten in Wien und Berlin (Biogr. univ.) ; gest. 9/11 1817.

23. Joh. Michael Ott, geh. 11/1 1752 (N. K.), als ältester Sohn des gleichnamigen franz. Predigei*s und Lehrers der fran- zösischen Sprache und Math, am Strassb. Gymn., intimer Freund fies Dichters Lenz, promov. als Jurist 27/7 1775, wurde im diplomatischen Dienst nach Wien empfohlen (sein Brief von dort an Saizmann l)ei Stöher S. 102 If.), 1782 Secr^taire inter- jirete des Auswartii^a'n Ministeriums in Petersburg; seine Nach- kommen lelicn noch heute in lOissland.

^l. \au\\\'\\i Franz Elisahelh Ramond , fi:eh. 4/1 1755 (i>f-Lud\vig), Sohn des K^^l. Kri^szahimeisters Beruh. Ramond von Neu-Breisach und der.Strassburgeriu Ludovika Lisentraut.

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Die Voiiiauien führt er von -meinen Tauf|>aten, dem Prinzen und der Prinzessin Conti. Intimer Freund von Lenz, seine jur. Pro- motion cum applausu splendid issimi auditorii 30/1 1777. Als ÜiclUei in en^^tem Anschluss an Stiakespeare, GcDlhe und Lenz. Die Widiiiiin^ seines Romans « Les derniei'eis Avenlures du jeune Olbaii Vveixiun 1777, Monsieur Ijenz». In der Revolülionszeit verfoljil ; später durch zahlreiche Werke, die aus seiner Natiir.M liwai merei (die ««gelehrte (lemse » jjenannt) er- ^vuchse^^ liegrunder der ^eologisclieu Wissenschaft in Frank- reich, als Ramoud de CarlK»nnitMes in den Grafenstand eriiohen, 4;est. 18'27 als Staatsrat, s. Bio<>r. univ., Erich Schmidt, H. L. Wagner 1879 S. 118, Heymacli, W^aldecker Programm 1887.

55. Johann Gottfried Uöderer, Lenzens edelster Freund, $reh. 27/3 1749 (N. K.), studierte Philosophie und Theologie in Strassburg (Matr. Gen. 1/4 1766) und Göttingen (14/10 1776), mit Goethe, Stolbei'g, Maler Müller, Schlosser, Lavater, Pfen- ninger, bekannt (s. Goethes Briefe Nr. 96, i80), 1777 Lehrer am Strassb. Gymnas., auf Lavatei-s Empfehlung 1778 Prorektor und Bibliothekar in Detmold, 1783 durch eine Herzensneigung Ins Elsass zurückgerufen, seitdem als Landp&rrer an verschie- denen kleinen Orten des Unter-Elsass verkümmert, wegen seiner Oe^imung in der Revolution mit Verhaftung bedroht, flüchtig, nach Rohespierres Sturz zurückgekehrt, wiederum Pfarrer und Friedensrichter und Privatlehrer, gest. 30/1 1815 nach drei- maliger, mit Kindern gesegneter Ehe, hochgeachtet in Strass- buiig. Von seinem vortreOlidieii Charakter, der sich auf seine Enkelinnen vererbte, legen die Briefe seiner Ff«unde beredtes Zeugnis ah, s. A. Stöber, Röderer und seine Freunde 1874. Louis v. Schlemmer, geboren in Mannheim?

^7. Friedrich Rudolf Salzmann, geb. 9/3 1749 studierte Theologie und Jurisprudenz, promovierte als Jurist 36/4 1773, 1774 Erzieher des nachmaligen Ministers von Stein , 1775 heimgekehrt, erhielt durch Verwendung der Familie Stein vom Meininger Hofe die Erhebung in den Adelsstand und den Titel eines Geheimen Legationsrats, erwarb später die akademische Buchhandlung in Strassburg, mit wekher eine Druckeret (die heutige Fischbach'sche) und die Herausgabe der Strassb. Zeitung verbunden war. lieber seine Verfolgung in der Revolutionszeit s. die biogr. Notiz von Prof. Matter Alsatia 186^1867 S. 163 ff., wo auch seine zahlreichen philoso- phischen und theosophischen Schriflen angeführt sind. Gest. 18^.

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28. Job. Philipp Sclionfeld aus Strassb., Vice-Kapellmeister bei der Neuen Kirche (Bürgerfr. 1777, 526 ff.), ein beliebter Komponist und launiger Knüttelversmacher (Stöljer, Aktuar Salzmann S. 31). Der Erbprinz Karl August v. Meiningen, der ihn 1775 als Hofmeister bei Herrn von Münchhausen auf dem Thomasplatz kennen lernte, rühmt seinen Gesangsvortrag, sein Klaviei-spiel und seine Kompositionen. Von ihm erschienen a Lieder aus der Iris, zum Singen beym Klavier in Musik ge- setzt 1778» s. Iris VIII, S. 9(i2.

29. Christian Sigismund Spener aus Berlin? Wahrscheinlich ein Mitglied der bekannten Buehhändlerfamilie.

30. Joh:mnes von Türckheim, geb. 10/11 1749 (N. K.), Sohn des gleiclinnmigen Banquiers, Schwn^er von (ro^thes lAW'iy die 1778 seinen jüngeren Bruder Bernhard Friedrich heiratete, Jurist, UM Anitneister von Strassburg, 1789 Depiitierler Strass- Imrgö in der NatiouaKcrsammlung, emigrierte 1790 ins Badisrbe, später im hessen-dai mst. Dienst, gest. 28/1 182i aiit seinen* (iut AltdorC in Baden, Verfasser einer Histoire de la maisun de Hesse in ^2 Bänden.

31. Olaus Westmann Gothoburgo-Suwus, Plülosophiae Ma- gister Ups^nlicn^is Matr. Cien. 12/9 1775.

32. Hemricti Leo|K>i(i Wagnei-, geb. 19/2 1747 in Strassi)., gest. 1779 als Advokat in Frankfurt a. M., gehört wie Lenz als Dichter »ier iSturm- und Drangji» rKHle der t.itteraturgeschichte an, s. Erich Schmidt. H. 1.. Wi^^n. r 2. Aull. 1879.

Unter den 28 MiL^liedein, tlcifn lleiut'srichtunij: aus der» Matnlieln eiiiellt, stellt das slaiksie Kontingent die Heclits- wissens<'!i;ift mit 13 Mitgliedern, ein Beweis, dass die /aiditdchen Rechtslxillissenen, wie einst Goethe selbst, inlol^e der wenig gründlichen, geschweige quellenmassit?en, Behandlung ihres Stu- diums an der Strassburger Univer'-it it (s. Giethes, Dichtung U. Wahrheit B. 9) Zeit und Bedürfnis zu anderweitiger Ausbildung zur Genüge hatten. «Von Lizentiaten, die sich von Repetenten m einer juristischen Disputation hal>en präparieren lassen, wimmelte die Stadt» (s. Heiseerinnerungen H. Sanders aus dem J. 1776, Strassb. Post 188(3, Nr. 228).

Diese 13 Juristen werden aber an Geschlossenheit durch 8 Lehrer des Strassburger Gymnasiums überholen, zu denen ein aus diesem Kreise liervoigegangener Pi'ofessor der Univer- sit il und nach ihrer ganzen Studienrichtung auch zwei Fremde, Lciiz aus JDorpat uml Magister Westmann aus Gothenbmg, hinzutreten.

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Das id38 gegründete Strassbui^ger Gymnasiuin, heattutage seinem ursprQnglieheii CUiarakter gemäss das Protestantische genannt, die Stiftung des Stättmeisters Jakob Sturm» welche in diesem Jahr den 350 jährigen Gedächtnistag ihres Re^^teliens feiert, hat bekanntlich die von Kaiser Maximilian II. 1566 zur Akademie und von Kaiser Ferdinand II. 1621 zur Universität tM-hohene Gelehrtenanstalt aus iin-em Schosse hen-orgehen sehen. Die Mittel zur Erhaltung des Gymnasiums gewährt das soge- nannte Thomasstifl) dessen Grundvermögen in den zur Refor- mationszeit städtischer Seits einprezogenen und durch den Augs- hurger Ueligionsfrieden in den Händen der Protestanten belassenen katholischen Kirchengütern besteht. Die Lehrer des Gymnasiums waren dem Charakter der Stillung gemäss Theologen und neben ihrer Lehrthätigkeit auch in den verschiedenen Pfarreien als Hülfsprediger angestellt. Kam es doch beständig vor, dass bei eintretender Vakanz ein Lehrer dos rfvmnasiurns ganz ins Pfarramt übertrat (xler ein Pfarrer für immer als Lehrer ans Gymnasium berufen wurde. Aus dem Gymnasiallehreramte konnte man sich, wemi dem Fleisse die nötigen Familieiiverbinduiifien zu Hülfe kamen, zu einer l 'niversitatsprofessur emporarbeiten; diesen Weg haben J. J. Oherlin, Müller, Blessig, HafTner und andere gemacht. Liiieni Freiinlen aber jrolang es bei jener patriar- (h.dischen Geschlossenheit der ganzen Einricldunir nur selten, an dem Gvmnasium o<ler der Universität angestellt zu werden.

Das btrassliiuj^er Gymnasium hat, wie das T<ü(!is\M'iler Gymnasium, seilet unter franzosisi In i Herrschaft einen gewissen deutsclieu Cliarakter frewahrt. Nai h dem Programm von 1795 <i/i wtjide der französische Sprachunletricht erst im 70. .iahre der Annexion an Frankieich, nämlicli 1751, an demselben ein- geführt, was durcli die nocii vorhandenen (Uuiversitätsbibl.) Programme vor und nach diesem .laiire bestätigt wird. Das 8ti-assburger Gymnasium stellte zu der von Lenz neugegründeteii Deutschen Gesellschaft die Mehr7ahl wirkhcli thätiger Mit- glieder ; daher denn wegen solchei iiiimeigung zum Deutsch- tum, die doch hei HalTner noch zweifelhaft war, die spätere Verfolgung in der Schreckenszeit erklärhch wird.

Mit den Mitgliedern des Gymnasiums hlieb Lenz auch später noch in beständigem Zusammenhang. Hofrat Schlosser, Goethe.'< Schwager, bezieht von dort aus an Büchern und Aufschlüssen diejenige geistige Nahrung, welche ihm in dem einsamen Emmendingen gänzlich mangelt. Er erscheint häiifig in jenem

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Kreise ta Stiaaflliiirg» bittet wiederholt von Emmendingen aus

seineo. Freund Röderer ihm cdem ganzen GoUegioi» zu empfehlen und ladet die Herren zum Besuche hei sich ein ($. die Briefe Schlossers an Röderer hei A. Stöber, Röderer). Dazu kam die gemeinsame Bekanntschaft mit Pfeile! in Colmar, Iselin und iSarasin in Basel und Lavater nehst seinem theologischen An- hang in Zürich, so dass trotz der in jener Zeit hinderlicheren Verkehrsmittel zwischen Strasshurg, Emmendingen, Colmar, Basel und Zürich ein beständiges Gehen und Kommen, Besuchen und Besuchtwerden stattfand, das zu einem besonders frucht- baren Gedankenaustausch führte. Die zusammengehörigen, weil etngerändeten, Namen im Inneren der Münsterpyramide

G & F GOIOTES DE STOLBERG GOETHE. SCHLOSSER. KAUF- MANN. ZIEGLER. LENZ. WAGNER, Y. LINDAV. HERDER. LATATER. PFENNINGER. HAFFELIN. BLESSIG. STOLZ. TOBLER. RCEDERER. BAS- SAVANT. KAISER. EHRMANN. M. M. ENGEL 1776.

sind ein ijleibendes Deuknial geistiger Veieinipiuv^ aller in den siebenziger Jahren in Strasshurg ersclnetieiien Jjedeutenderen Genossen des Strassburger litterarischen Kreises.

Auf den sechs letzten Blättern der Handschrift folgt :

Das Protokoll.

Den '2ten November des Ja in es 1775 ist unter göttlichem Beistande der Anfang zu der Eröffnung einer Gesellschaft deutscher Sprache in dem Hause des Herrn Aktuarius Salz- mann, gegenüber dem Rathause,i Nachmittags um 3 Uhr ge- macht worden.

Bey dieser Gel^enheit hat Herr Lenz als Sekretär dieser Gesellschaft eine Anrede über die Vorteile einer Verbindung die^ser Art, zu einer hoffentUch zu erwartenden allgemeinen

1 Salzmann starb 20f8 1812 in der Lanffsti asse (die Hausnummer fehlt im Sterbeakt) mithin wahiscbeiiilicii am Anfang, da das dama- lige Rathaus auf dem Gatenbergsplats mit aeinem nördUchen Anbau bis aar Langstrasse reichte.

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deutschen Sprache' gehalten und darin zu zeigen gesucht, sehr eine Provinx von ihren Rechten vergebe, wenn sie die Ausbildung des sogenannten Hochdeutsch, einer einzigen Pro- vinz od. einem einzigen Kreise Deutschlands überliesse. Herr Otto hat, weil er von der neuen Vemhreching^ der Gesellschaft künftig keine andre als deutsclio Aufsätze vorzulesen noch nichts gewusst, eine franz. Abhandl. ub. die Unvollkommenheit der Criniinalji^esetze vorgelesen, die er a\yev nächstens deutsch fortsetzen wird. Diese Schrift interessirte die Gesellscliafl um s() viel mehr, als einijj^e j^anz frische Beyspiele in dieseji Gej^enden dem warmen und ;^eniereichen Ausdruck des Yerlassers mehr Gewicht zu geben sclieinen.

Den 9ten Noveml)er als den darauf folj^euden Donnerstag las Herr T.enz einen 7.\\ov\on Vorschlag zu einer nähern Ver- abredung vor, worin liaupt.s;ieliiich die Vorzü',re der deutschen vor der französ. Sprache in wissenschll. Anfsäl^enS zu zeii,^en beflissen war, und ^o\r\\e durch ang^ezogene Beyspieie aus den besten franz. Phih )^^()Ilhf n zu beweisen suchte.

Hierauf wurde der Anfan^j gemacht, die Namen der meli- resten an der Spitze dieses Buches befindlichen Miljrlieder unserer Gesellsch. zu sammeln und in Anselmn;^ der Ordnung und des Inhalts sowohl als dei" Form der künftigen Vorlesungen die gehörigen Veranstaltungen zu tielieii.

Den IHten Nov. hatten wir das (Üik Iv einen noch zahlrei* Iumti Zuspru( h als vorher zu erhalten und durch die f^inzeichimng verschiedener sowohl an Rang als Einsichten schätzbaren Per- sonen, einen wichtigen Zuwachs zu bekommen. Herr Breu lass heut in der auf ihn treffenden alphabetischen Ordnung eine Sehrift vor : Moralische Empfindungen ixjtittelt, die dem Hei-zeti des Verfiissers sowie seinem Verstände gleiche Ehre machte!», und deren Vollendun*^ um das Ganze des Gemähides liesser zu übersehen, er uns nächstens versprochen hat. Ikir Salzmann lass einen Vorschlag zu einer Bibliutlu k der Gesellschaft mit der ihm eigenen vorzüglichen Bücherkenntniss, zu welcher denn auch die Seite angezeigten Herrn jeder den Beitrag von 3Livres entrichteten. Es wurde ausgemacht, dass der Sekretär jedesmal eine Aniede halten und darinn von dem Fortgange der Gesellsch. Nachricht geben sollte.

1 Gesammeitc Scluiften von Lens II. 318:320. s Ges. Sehr. II. 326-330.

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Den 23ten Nov. las Herr HafTner eine aiiüiiyaie Gegenvor- stellung gegen die AnschaHunj; solcher Bucher, die blos auf .die Ausbildung der Sprache al)zweckten. Weil derjenige den die Ortliiung tral nichts lialte bringen können, las Herr Lenz eine Nachahmung der Captivei des Plautus^ vor, die er aber weil sie schon verkauft war, für diesmal nicht liey der Gesell- schaft lassen konnte.

Den 30ten Nov. las Herr Magister Blessig üb. die Gesch. der philos. Kunstsprache bey den Griechen, eine rnit so viel Kenntoiss, Witz und philoe. Scharfsinn ausgearbdtele Abhand- lung, da&8 er uns alle auf die Fortsetzung dieser besondei^ auch für den £ntzweck "unserer Gesellschaft so wichtigen Schrift in der ungeduldigsten Erwartung gelassen. Eine Antwort auf die anonyme Schrift des letzten Donnerstags nuichte den Schhiss.

Den 7ten Dezb. las, weil der den die Reihe traf sich wegen «iner Reise entsdiutdigt hatte, Herr Lenz einen von Herrn Hofirath Schlosser an die Gesell, eingesandten verbindlichen Brief nebst dessen erster t Abhandl. : Skizze seiner Vorstellungs- art der Moral betittelt, vor, die von der ganzen Gesellschaft mit allgemeinem Beifall und Bewunderung aufgenommen wurde. Er hatte sich vorzüglich bemüht, darin von einem neuen Grund- satz auszugehen, als alle bisherigen Moralisten, die sich mit . itchWankenden und unbestimmten AUgem^nsätzen begnOgt haben, auf denen sie ein ebenso unbestimmtes System erbauten, und er ist der erste der den Grundsatz: suche deinen innem Menschen auszubilden, durch sein ganzes Lebrgdbäude der Moral mit einer Evidenz und Deutlichk^t durchfahrt hat, dass auch dem grossten Skeptiker kein Zweifel übrig gelassen worden.

Den 14ten Dezb. las Herr Lenz statt der Anrede ein kleines Familiengemählde, aus einer Zeitungsanekdote gezogen.» Herr Flies * las einen Auszug aus einer Schrift des Herrn Tyge Rothe : fib. die Wirkung des Ghristenthums auf den Zustand der Völker in Europa«

1 s. Weinhold, Dram. Naehlass v. Lenz S 24-27.

~ Goethes Schwager in Emmendingen scheint mithin koirespou- dierendss IGtelied wm Vereins gewesen sa sein, vgL Tieek, Leas Sdir. n. S. 3«) Anm.

s Die beiden Alten, eui Familieagemfilde s. Ges. Schriften H. 291.

4 Wohl ein lapsas cal. fftr Fries.

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Den Ülten Dezb. la« Herr Lenz statt <Jor Anrede die Ueber- .-^cUunj^ einer Ballade aus Dodsleys Sammlung alt-enjjlischer Gedichte und j^tatt Hr. Hailner erwies uns Herr Raraond, ein Fremder aus (Juliuar, der hey dieser Gelegenheit mit in unsere Gesellschaft trat, die Ehre uns ein Drama seiner Arbeit mitzn- theüeii. den Titel ffdirte : «les malheurs de l'aniour» und sowohl in Ansehung: des Plans al.s der Ausführung das Gepräge des originellsten und hofl'nungsvollslen Genies hatte.

Den 2ten Januai (1776) kam die Gesellschaft ausserordent- lich zusammen und ward J)ey dieser Gelegenheit, da wn ver- geblich aut die Ankunft des Herrn Hofrafh Sehlosser's gewartet hatten, von Herrn Lenz ein Neujahrsgedieht in \'ersen* verlesen, vvoraut er eine von Herrn Schlosser eingesandte modernisirte Epistel Johannis 2 ablas, die bes. die gewöhnliche Art in unsern Tagen die Religion vorzutragen rügte.

Den 10. Januar las Herr Magister Leypold in Beysein ver- schiedener neuer Zuhörer zum Theil auch Mitglieder der Gesell- schaft einige Auszüge aus einem Strasbui-gischen Schriftsteller dos vorigen Jahrh. Seb. Brandt's Narrenschiff 5 \or mit seineu Anmerkungen und Erläuterungen begleitet, die mit allgemeinem Dank und Vergnügen aufgenommen wurden.

Den iTten Jan. las Herr Otto an der Stelle des Herrn Lobstein eine tragische Komödie: «Der Pretendent» genannt.

Dm 25. Jan. las Herr Lenz etwas fib. die Veränderungen des Theaters im Shakespeare* und Herr Matthieu das et^te Dfwna seines Freundes Ramonds» das dem bereits verlesenen rar Einleitung diente«

Den Iten Februar las Herr Lenz ehwas Aber den Charakter des Sokrates aus dem Xenophon und Herr Meyer vermischte Gedanken Ober D. Swift. ^

Den 8ten Febr. las Herr lAatthieu das am 21ten Dezb. vorgelesene Drama seines Freundes zum andern vor um es dem kühlem Urtheil der Herren auszusetzen.

Ben i6ten Febr. las Herr Lenz ein ursprünglich engliscli geschriebenes von ihm selbst in*8 deutsche übersetzte Gedicht

J Ges. Sehr. II. 331.

2 Doroi-EglofT ,T, M. Tl J.onz S. 194.

3 T;rugortreund 1776 JS. 145-153, 161-1Ö6, 329-336. Ein Versehen vou Lenz, das Narrenschiff erschien 14941

4 Leos* Schriften It 385-340.

5 Stöber hat statt €D[echant] Swift» : «diese Schrift

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des Herrn Hofrath Schlossers bis auf den Iten Brief vor: Antipope genannt.

Den 24ten Febr. las Herr Magister Müller eine Probe seiner Uebers. der Niederländischen Geschichte vör^ die er das

nächstemal fortsetzen wird.

Den iten März las Herr Lenz ungeihuckte Briefe üb. die Moralität der Leiden des jungen Werthers.* Herr Müller las die Forts, seiner Niederl. Geseliichte.

Den '-!ltt n Mära las Herr Rüderer Hr. Lenzeus C2oriolau aus <l( II) oiii^lisdien des Shakespeare.*

Den !28ten Marz las Herr Otto: «de TEruditioa.» fls wurde heschlossen, dass H<n'r Salzmanii ijis auf die Rückkunft des Herrn Lenz den Sekretär der Ges. vorstellen sollte.

Den I8ten April las Herr Blessi^ die Voirede zu einet Kx peri mental -Logik ; und Herr Salzmann eine neue prosaische Uebers. der Uurnanze aus dem Landprediger von Wakefield.s Man maolite aus sich den iSurnmer ül>er nur alle 14 Tage um halb drey Uhr bei Herrn von Turckheim in der Brandgasse zu versammeln.

Den i3ten Jumus las Herr Magister Müller seines Herrn Bruders Uebers. der L. L. Politic. Aristotelis vor, von Gap. i bis 5 und llei r Salzinaiiii oiuc Uebers. aus dem franz. des Gardinais von Bcrnis : Gedanken über das Vergnügen auf dem Lande.* Es wurde aufs neue beschlossen, sich ohnfehlbar alle 14 Tage zu versammeln, u. nicht, als um dringender Ursachen willen, auszusetzen.

Den 27ten Juniiis hielt Hr. Salzmann eine kleine Anrede ab. die EVage: ob es rathsam sey in eine Sprache fremde Wörter aafiniiiehmen?^ Hr. von Tfirckheim las die Geschichte von der Lehre der Viehvelberey.

Den 18ten Julius las Hr. Salunann einige Paragraphen aus dem Au&atze: «von den Fehlem in der Strasburg. Kinder- zucht » u. Hr. Wagner mit vielem Beifiill ein Trauerspiel in 5 Auftfigen : «Die Kiudermöiderin. » '

' 8. O. Gruppe, Lenz Leben und "Werke S. H3.

* Weinhold, Dram. Nachlass von Lenz Ö. 6. 3 Bgfd. 1776 S. 27Ö-284.

* B^. 1777 S. fi34-639, 543^. A. Stftber scheint diesen Jahr- gang nidit gekannt zu haben, da er ihn nieht anHUirt.

5 Bgfd. 1777 S. 413-416.

6 Bgfd. 1776 S. 407-462, 473-480, 053-559. 569-576, 585-59H,

7 Wahrscheinlich hatte Wagner den 1. Akt des Öaktigen Dramas weggelassen.

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Den 8ten Au^^ust las Hr. Schönfeld : 1) »eine Cantate auf den Mai*schall von Sachsen vor, die er in Musick gesetzt hatten 2) der Spie^^el an seine Besitzerin.* Herr Michaelis von G. las des Herrn Aktnarius Salzmann Ahliandl. vor: cvon der Glück- seligkeit in bun^erlichen Geselhchatlen» > als ein Anfang su den schon g^edruckten Abhandlungen ebendesselben Verfassers.*

Den 22ten Angst, las Hr. Ramond von Colmar ein franz. Drama vor: «Der Duell» l)etitelt, welches ein Zwischenstuck eines grosseren Werkes ist, das den Namen Amonrs alsadennes führt.

D^ r>ten Sepl. las Hr. Salzmann ein Klag-Idylle auf Lukas Tmi* und Uv. Klessig zwei Skizzen von Artikeln des philos. Wörterbuchs, wovon er die Vorrede ueulirh vorgelesen hatte, nemlich Moralisches Gefühl u. Unsinn. Hr. Raiimnd schloss mit einem kleinen Gedichte: ä Mdlle avec une Trad. de l'EccIesiaste.

Den 27len Sept. las Hr. Breu : l^liiloii von Corinth, eine Erzählun^^ und Hr. Ramond : le Pie de ne auch eine Erzählung.

Den iüten Oktober las Hr. Gorvinns eine Abhandlung «von dem Nutzen der Schläge ni dei- Erziehung ». Hr. Kries eine Ue)>ers. der XVten Idylle des Theokrits in Strassburger Mundart. i>

Den (iten Nov. las Hr. Haffner : Anekdoten aus der Kirchen- geschichte vor.

Den 13ten Nov. lab Hr. Otto eine Abbandl. «die Geschichte des Ehbruchs» vor.

Den 21ten Nov. las Hr. HalTner eine Uebers. der Schrifl K lisers Julians gegen die rhristl. Heligion vor. Er verspricht die Fortsetzung der Gesellscli. nach und nach voraulegen.

Den 28teii Nov. las Hr. Magister Fries eine Abhandl. «gegen den Teufel» vor, die er fortzuselzen verspricht.

Den 5. Dezb. las Hi'. Salzmann einen BIntwurf «einer Geschichte der Leberihalischen Bergwerk«». * »

Den 9ten Januar 1777 hielt die teutsche ^ Gesellschatl ihre

1 BgfU. 1777 Ö. 14-lH.

2 Bgfd. 1777 S. 47iJ-18y, äUl-ölÜ, 048-551, 5B6-574.

s Karze Abhandlungen über einige wichtige Oegenstinde aus der Religions- und Sittenlehre, Prankmrt am Hayn 1776.

* Bgfd. 1776 S. 503-oüö.

^ Bgfd. 1775 S. 649-656. (Im Strassburger Pfarrerdeitsch).

c Bgfd. 1777 S. 60-72, 87.93, 1! 9-1 27.

< An dieser Schreibart ist die Wirkung des Leozschen Briefes an Uaffaer 2u me):keu.

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erste Versammlung ift dein kloster zu St. Wilhelm eii;entlich Hör vormaligen Predi^jer. Hr. Ramond von Colmar las die drey ersten Akte seines elsassisciien Trauerspiels : « le comie d'Egis- heim» vor.i

ANHANG.

Ein Brief yob htm m Itaak HsfEtaer.*

Adr. Herrn Herrn Hafner, Candidaien der Tlieologie za Strasburg, gegenüber der neuen Kirche.

[EmmendiDgen, DesEeml)er 1776.]

Lieber Hafner! yvenn du oder Herr Otto unter euren Pappieren etwas habt, dess^ Bekanntmachung ihr wünschtet: vorausgesetzt dass es euivm eigenen höchsten Ideal von dem entspricht, was über die Sache gesagt werden könne, so dürft ihrs nur mit einem Briefe gerade an IVieland begldten (Herrn Hofrath Widand zu Weymar) er macht i^h eine Freude daraus alles zu befS&rdem, was im Elsass Aufmerksamkeit verdient. Euer Zutrauen zu ihm kann unbegrenzt seyn» trauet dieses einem zu, der ihn gesehen, und nicht aus litterarisch politischen Absichtens sein Freund worden ist.

Eine Kleinigkeit um die ich euch aber bitten will, inso- fern ich euch nach unserer alten Freundschaft und als gehorne Teutsche ansehe. Biese wäie, aus Getalligkeit ^^egen Wieland den Namen unsers Vaterlandes künftig hin nicht mit einem weichen D. sondern mit einem harten T. zu schreiben. Ich habe seine Gründe drüber gehört und mich aus eigner Will- kühr entschlossen dem alten Schulmeister Gottsched zum Trotz und einem Mann wie Wieland zu Liebe mein Vaterland nicht mehr zu beschimpfen wenn ich es von Deut einem nie<ler- sächsischen Wori das «reine Nichtswürdigkeit bedeutet her-

^ Hier bricht die Handschrift hastig ab. Von einer Fortdauer des Vereins ist nichts bekannt. Die Bgfd. 1777 S. 7^*9 erwähnte «Üebiings-Gcsellschaft» war eine besondere Stiftung Blessigs für a«ine jüngeren Freunde tStraasb. Post 1897 Nr. 90), wie auch X G. Böderer eine solehe gegründet hatte (A. Stöber, Röderer S. 5).

* Das Original in der Rigaer Stadtbibliothek.

* Ein Stich gegen Goethe, der Lenz in Weimar gestürzt hatte.

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leite, da unser StiHer Teut liiesü und die älteste Srhroihart ' dief:e kir'ine al»er liebenswOnlij^e Grille Wielands rechtfertigt.

Wenn jenirmfl UpcM hat, Ihuder! wer wollte einen Augen- blick anstehen ilmi II« < ht zu jjeljen.

Solltet ilir sonst .jemand wissen, drr ni( ht nii^ Eij^ennutz, Fonderi! aus innifjer Liehe zur lautiMsten Ehre, aus B*^ierde den Kdt'lston imsers Vat»^rl nid(»< nuf eine edle Art bekannt zu werden, etwas das dein Kls^iss Khre machte, in den Merkur wollte rücken lassen der es ;iuf die ^«»schwindeste und einzi;4 mögliehe Art an unsern Höfen und in unsem besten Gesell- schaften bekannt marht, so werdt ihr mir einen Gefallen thun, mir Nachrichten von ihm zu gei)en, damit ich meine Einladun»: an ihn sellier wenden könne. Adressirl die Briefe nur an Herrn Uofrath Srhlosser in Emmendini-en, ab/n^rohen an Herrn Lenz.

W^enn dn zu Herrn von Tür* kli<'iin gehst so mach ihm von mir viele dor schönsten Emptidilurii^pn, nicht bloss wie sie seine persöhn! ii he n Liebenswunhj^keiten, sondern hauptsächlich seme patriotische Wärme für seine Vaterstadt verdienen. Melde mir welch einen (\:\iv^ der Bürjrerfreund und die Teutsche und Französische Gesellst haft in seinem Hause nehmen. Herrn Blessij^ emphel mich gleichfalls und schieib mir von seinen Nenigkeiten. Ein Sfleiches bitte den Herrn Ramend u. Matthieu zu thun wovon ich dein erstem Glück wünschen lasse, falls er schon abgestiegen ist von seinem hölzernen Pferde. Yermuthlic.h wirst du bald hinauf steigen und dann einen glücklichen Hitt.

L.

Es steht l)ey Euch, Eure Namen zu Euren Ausarbeitun^'^en herzug'eben, oder voi'her zu versuchci!, welch ein Gluck sie l)ey Kennern machen. Der Himmel walte über Euch und regiere Euch.

Sehr }»ut wäre es, wenn ihr zu allem was ihr einsciiicklet, hinzusetztet : c-^us «lern !\lsass, es mögte mit eurem Namen odei- mit andern Buchstaben unterzeichnet sevn. P,aniond wird ver- mutlili( b schon vom Herrn Acktuarius rtaliren bal)en, dass Ihre Durchl. rlie Hei'zoginn Mutter sein Drama, nachdem sie mich darum gefragt behalten haben.

Ganz j^rosse Dramen würde Wiel. schwerlich in den Merkur rücken können, wohl aber kleine. Ueberhaupt bitte ich, Euch kurz zu fassen.

> Ein Irrtani WieUnds, siehe Jak. Grimm, Geschichte der deut- schen Spische I S. 548 ff.

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VI. Der Buchsweiler Freundeskreis von Goethe

und JLenz.

(Mit einer YerwandtschafttkabeUe.)

Die Grafschaft Hanau-Lichtenbei^if mit der Hauptstadt ßttchsweiler^ welche sich, unter fran»fi«isciier Oberhoheit ste- hend, als ein breiter Streifen von den Yogesen bis zum Rhein erstreckte, während der nördliche Teil mit Pirmasens und die i^chtsrheinischen Aemter Lichtenau und Wilstett im Osten auf «leutschem Reic^lisboden lagen, war nach dem Au88terl)en der einheimischen I^aiidcsherren, von denen besonders der letzte, Job. Reinhard III., ein gesegnetes Andenken hinterliess, im Jahre 1736 an den Tochtersohn desselben, den Erbprinzen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, gekommen. Während Lud- wig IX. auf deutschem Reichsboden zu Pirmasens seinen sonder- baren soldatischen Neigun^'^^>n huldigte, lebte in Buchsweiler inmitten ihrer Kinderschar Henriette Karoline, seine Gemahlin, die von Friedrich dem Grossen und Goethe bewunderte «Grosse l^ndgräfinx). In ßuchsweiler wai' die Verwaltung des Land- chens und seiner zahlreichen im Unterelsass gelegenen Enklaven, «leren Aemter sich in echt patriarchalischer Weise vom Vater auf den Sohn zu vererben plleglen.

Buchsweiler, damals an der direkten Strasse /.wischen Metz und dem Mittelrhein gelegen, sith mandi fürstlichen B<?siich in seinen malten Mauern. Der Konvenieiir, der Intendant, der <ieutsch-lranzösische Adel «les Elsass, der im nalien Zabern residierende Kardinal Roiian sprachen l)eständif; ein. Das S< hluss, welches die f Revolution vernichtete, währen«! di«' von >Japüieoji I. verschenkten Orangeriebaume nocli heule in Sfrass- burg gninen, die zahme und wilde Kasanerie erl>iit;ki(^ Guethe im Jahre 1770, nachdem die Krbprinzessin zur ^rossen Betrübnis <ler Bewolmer, welche siel» aueh in Gojthes Bericht wieder- spiegett, bereits in» Jahre 171)5 aus linnnziellen und jx)litischen Rücksichten zu ihrem alten Schwiegervater Ludwig VIII. nach Darnistadt n bei gesiedelt war. *

Seitdem verliel der altertümliche Ort mehr und mehr, wenn auch die geistigen und verwandtschaftlichen Beziehungen d<?s-

1 Briefirechsel der Landgrilin Caroline Hessen-Darmstadt, heraosgb. von Dr. Walther.

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selben zu dem reclitsrheini^clieü I^andc infolge tloi- Tbronbe- stetgUDg Ludwigs IX. in Daimstadt im Jahre 1768 an Zusammen- hang «r^Gwanneo, Uanau-licbtenbergische Beamtensöhne, wie Lerse, siudierten auf der hessischen Landesuniversität Giessen ; hessen-darmstädtische Beamte, wie Greheimrat Andreas Peter von Hesse, heiraten Töchter des Elsass ; beim Ausbruch der Revolution fluchteten viele Buchsweiler Familien in das rechts- rheinische Gebiet. Ensählt man sich doch, dass, als die hessische Artillerie nach der ScIi lacht hei Wöiih durch Bocbsweiler jagte, dieser und jener Artillerist an der Hauslfaur emem el- sässischen Vetter die Hand gedrückt habe.

Stets hlieben die Bewohner des Hanauer Landes, wie noch heute die ehemalige Grafschaft g-enannt wird, ihi*er Vergangen- heit treu. Das alte Buchsweiler fiymnasium war auch untor Iranzösischer Herrschaft dem Charakter nach eine deutsche An - stalt. Das Hanauer Gesangbuch mit dem Bilde der alten Land- grafen unter dem Arm, ziehen noch heute die Greise in ihren langen Röcken, den mächtigen Dicispitz, vulgo Nel)elspalter, auf dem Kopf, zur Kirche. Evangelische Frörnmii^^keit und deutsche Treue, mit deutscher Schwerfölligkeit gepaart, bilden den Grundcharakler dieses vortreftlichen Menschenschlages. Wie hätte sonst Ludwig X. mitten im Jahre 1790, als die Wogen der Revolution im übrigen Elsass Ijereits hoch gingen» nach seiner Thi'onlx'.steigung eine Huldigungsreise nach Burhsweiler unternelnuen können, wo er zum grössten Aerger der Strass- l)nrger Revolutionäre mit Elneneskorte, Glorkenfreläute, Illumi- nation un«l unter Freuden Ihränen seiner Lnterthanen aufs beste emp tanken wui-de (ä. meinen Aufsalz, Strassbui'ger Post 1883 Nr. m u. 93).

In diesen Kreis patnaiilialisciier Verliältnisse föhrt uns beifolgende Verwandlschartstal'ei, die ich auf Grund eines mir von Herrn Rat Kern gütigst mitgeteilten Stammbaums (ier Familie König vermittelst der Standesregister von Buchsweiler, Sti'assburg un<l Wolfislieim diejenigcm von Westhofen sind in der Revolution leider zu Grunde gegangen habe aufstellen können. Dieselbe liefert den autlien tischen Reweis, dass der Ruchsweiler Freundeskieis Goethes und Leiizens ein verwandt- schatllich geschlossener gewesen ist. Ich lüge folgende Daten hinzu.

Nach den mir vorliegenden Akten erkaufte der Amtsschaffner Georg Jakob Engelhach am 26/2 1()9! von der hanau-lichtenl». Kegiei uug die Amlsschaflnei - Behausung in dem Städtchen

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Westhofen mit 18 Ackei* Feld, 2t2 Acker Matten und 8 Acker Reben als ei^^enes Besitetum. Auf diesem Gute ist dessen Enkel, ' Goethes Freund, geboren. Im Jahr 1746 kaufte der Ai*chivarius zu Bnchsweiler, Job. Friedrich König, selbst ein Enkel jenes AmtsschafTners Engetbacb, diese Besitzung von den übrigen Engelbachscheu Teyerben, als welche besonders die Barthschen Erb-Intercssonten, nämlich Barth, Kern, Lerse und Apotheker König, die beiden letzteren im Namen ihrer Frauen, unter- zeichnet sind. Job. Friedrich König wurde nach «der Stadt Strassburg Regiments Verfassung» (Stadt-Archiv) 1748 als Kon- sulent des geheimen Kollegiums der Dreizehn nach Strassburg berufen, starb aber bereits am 7/7 1750 im Alter von 43 Jahren. Nach seinem Tode l)esas8 die Witwe das Gut. In dem West- bofener Allmendbuch 1651 - 1771 fand ich unter Nr. 41 : «Gemeine Allmend- und Bodenzinss zahlten die Engelbachische H. Erben 2 0 von Einer Scheuer im Stiidtlein WestbofTen an der Goldgass einseit Hingmauer zweiseit Jonas Männeis Erben, vorne Allmend und hinten auf die Zinsserin selbsten, welche dermalen ist Hr. Consulent Königs Frau Wittib zu Strassburg.»

Nach düm Tode der Mutter 10 1 1787 erbten f^uise und Charlotte König das Besitztum, welches nach den gütigen Mit- teilungen des Herrn Steueremptangers Wolf, die mir Herr Pfarrer Kiefer treundlichst vermitlelte, im ältesten Kaiaster von 171>i auf den Namen «Luise König» eingetragen ist. Dainach lässt sich das Haus als dasjenige der in Shassburg lehendeii Witwe RosenstiftI , in deren Papieren sich dei Kngelbachsche Kaufakt von 1691 gefunden hat, bestimmen; heutzutage im Slädtel Nr. 85, bewohnt von Bäcker Loin .

Luise König, die Freundin der Karoline Heriler, der Cor- nelie Schlosser und des Dichters Lenz, starb in Strassljni ir 26/8 1801 im Hause des A[K)thekers Karl Friedrich Spielmanii, K( kr der Krämergasse und des Mnnsterplatzes, der als «Freund df»r Verstorbenen» mit ihrem «Vetter» Karl Relifeld, a liomnie de lettres:^ (die Buchsweiler Familie FlefitV I-l, mit Kern nahe ver- wandt, kommt in den Brieten dei [vuisc Ktuiig und auch hei Lenz, Drama t. Nar ld. S. 115 vor), iitien SterljeaiU unterzeichnet hat. Dieser Sierbeakt führte mich auf die Familie Spielmann ; Herr lieiitner Karl Spielmann, geh. 18t22, der Enkel Karl Friedrichs, lirs^ mir über Luise König folgende dankenswerte Naciiriciitea zukommen, welche er in seiner Jugend aus dem Munde seiner alten Grossmutter vernommen hat :

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«Fräulein Köiii^»^ i>fwoh?ite lange Jahrf den ersten Stork dp'«: aU«*n Spielinann^( hfti Hauses ; sie war eine sehr orij^inelle inlej rssante Per.söiili* Mkrit und hni Gcethe steU gern hei ^^ich j^esehen. In späteren Jahren empiing^ sie die Damenwelt der höheren französischen Beamten; man führte sojji^ar in ihrem Salon klein»' Lustspiele auf, wobei bemalte spanische Wände als J >ekorationen dienten. Die Gäste waren nur Maitjuisen und Knintessen in j^rand habit und pamt i, und Unterzeichneter erinnert sich sehr wohl, mit welcher Kntrusfnn'^ ihm seine stolze Grossmutter von dem nll/u heiablassenden Kniptanj;" er- zählte, der ihr zu teil wurde, wenn sie in ihrer str*iton, kost- baren, ächten Strasshurger Tracld hei solchen Soireen ihren Eintritt hielt. Doch Hess sie sich nie einschüchteni, und Fräu- lein König war taktvoll ;(enug^, um ihr alle ihre ;;el)idirenden Honneui^i zukommen zu lassen. Rohan , der liebenswürdige Kardinal, beehrte mehr wie einmal diese kle^inen Gesellso^haften mit seiner Ge}4enwart und auch Ca^^-liostro, weicher Nachbar des bischöflichen Palais war, schloss sich seinem hohen Gönner an. Wie es Fräulein Köni;^ während der Schreckenszeit erj,^anp:ei), kann ich nicht beslinmien. Jedentalls ist zu vermuten, das.s sie Frau Spiehuann nicht verhess und ihr mit Hat und That beistand, während mein Grossvater sich im Lycenm in Haft befand. t>

Charlotte König, Uire junj^ere S<:hwester, erschien narli dei' Mitfeilunji alter Leute, <lie sie persönlich kannten, n«H."ii jeden Herijst in Westhofen, um den Zin.s von 40 Acker Gut einzuziehen und die Weinernte einzuheimsen. Sie soll von der Bevölkerung, wohl in Erinnerun^^ an die hohe Stellung; ihres Vaters, mit dem Titel «Excellenzü Ijeel ri worden sein. Am 7/2 1825 starb auch sie im Hause des Konditors Ollivier am Parade- platz (Kleberplatz) in Strassbnrg^, wohl als letztes Glied ihrer Familie. Ihren Steibeakt unterzeichneten aus der am Knde des vorigen Jahrhunderts von Bnchsweiler nach Strasshiirü iiber- gesiedelten Familie Kern : Friedensrichter Cliiiftlian Ludvvij^ Kern, ♦>8 Jahre alt, als Vetter und Advokat Karl August Kern als Naciihar, '25 Jahre alt. Daher wird erklärlich, <lass oben benutzte Königsche Familienpapiere sich im liesitze des Herrn Rats Kern erhalten iiaben. Leider alier scheint der jedenfalls bedeutende briefliche Nachlass <ler Luise König bis auf die 16 im Herder-Nachlass gefundenen Briefe derseU>en und einen von I^enz aufgehaschten und bei Röderer liegen gel)liebenen Bi ief der Karoline Herder, welclieii ich entdeckte, verloren gegangen zu sein.

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VII. Briefwechsel der Strassburgerin Luise König mit Karoline Herder, der Frau des

Dichters, aus dem Herder- und Röderer-

Nachlasä.

Luiso Köni^^ ^ch. den t25. Dez. 1742 in Uuciis-weilei , war eine Juijendfreundin ilei- Karoline Flaclisland, der Galtin des Dichters Herder, welche als jÜD^rste Tochter des herzoji^l. wüiltemh. Amlschaffners Joh. Friedrich Flachsland zu Ueichen- weier im Oherelsass am '28. Jan. 1750 geboren war.

«Mein Vater,» schreibt KaroUne in ihren «Erinnerungen», «starb im J. 1750 in .seinen blühendsten Jahren, dem SOsfen^ an einem hitzigen Fieljer. Meine Eitern lebten in der ghick- liebsten Ehe, beide geliebt und geehrt von dem ganzen Ort und der ganzen Gegend wegen ihi*er Tugend, ilirer Wohlthätigkeit und fi-eundiichem Umgang mit Menseben. Meine Mutter war 14 Tage Wöchnerin, als mein Vater starb; sie war mir bis zu ihrem Tode und über das Grab bin das liebste, was ieb auf der Welt hatte. Acht unerz(^ene Kinder blieben mit ihr in Armuth zurück, aber Gott hat uns wunderbar durchgeholfen durch Verwandte i und edle Menschen und mir in meiner Armut Herdem zum Manne' geschenkt ! Mdne zweite Schwester [Friederike] war an den Geheimrath Hesse in Darmstadt ver- mählt, und so kam ich auch dahin. »

Hier war es, wo im Aug. 1770 der 26 jährige Herder, als L^rer und Reiseprediger des Prinzen Peter Friedrich Wilhelm von Holstein, ba Fräulein v. Ravanel, der Gesellschafterin der Lan<%rftfin Karoline, die 20 jährige Karoline Flächsland kennen lernte, die er nach fast dreijährigem Brautstande, als Konsisto- rialrat in Bfickeburg, am 2. Mai 1773 heimführte.

Die hier zum ersten Mal vMffentlichten Briefe der Luise König an Karoline Herder, welche teils direkt, teils durch Ver- mittelung der Madame Hesse in Darmstadt nach Bückebuiig gelangt sind, reichen vom Män 1773 bis Okt. 1775. Da die- selben nicht nur wegen ihrer Beziehungen zu Herder und wegen mehrerer geschichtlich wichtigen Stellen über Goethe und Lenz,

^ Der Name Flachsland findet sich auch in den Buchsweiler Kirchenbüchern, so: Jak Burkhard Flachsland hoblifurstl. EegieruBgs* advokat ^.Sterberegister 1778 lOjli.

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von ♦)pss<'ii Hainl ein«' Nachschrift iieirülnl, soiideri) auch als Zeugiiis<(' «leutscher lÜMun«^ und Gesinnung einei- Klsäs^orin, die ihrer ganzen Denkweise jjemass dem Dannstadler Freundes- kreise angehört, besonderes Interesse erwecken, so habe icli sie nach ku! zoin iie<]enken, mit Wejflassung ledigUcli •g^eschätt- licher Mitlei lung^en, vollständig- zum Abdruck gebracht. Selbst Urteile <ies alltä|[lichen Lebens, welche in Alt-Deutschland mi- wichtij^ scheinen, erlan^*^en auf dem B<kJ«'ii des wieder^jewonneaeu Reichslandes erhöhte UodtMilunj,', da .sie nuch dem l'nglfmhij^en den früheren geistigen Zusammenhang J>eider Länder thatsach- iich. beweisen.

Stradsbui-g d. 191 MerU 1773.1

Gestern hat ihr* Abschied in liiesiger Gegend, einen giossen Riss in mein Hertz gemacht, es blutet noch und ich kan nichts mehr davon sagen, als dass wir inige Freunde waren, und sie es verdienten, ich empfehte sie Ihrer Liebe so lang Sie sie ihr schencken können o wer möchte jetst nacher ])[armstadt] gehen? mein Herlz zerrisse sich vollends« es ist nicht starck genug den Verlust des Umgangs würdiger Freunde mit einer gleichgültigen Gelassenheit zu ertragen.

Ilas Geld ist mit der Landkutsche richtig angekommen, ich habe meine Schuldleute vermocht es so anzunehmen und mein au^^egtes hat mein Vetter ausgewechselt, also keine Sorge und Anliegen desswegen mehr. Sie haben mir ein rechtes Wort des Trostes gesagt, dass Sie und auch andere mit mir zufrieden sind^ ich weis wohl dass es ohnmöglich ist eines andern Geschmack völlig zu erreichen, ich verlange auch nicht mehr als dass man sich versichere dass keine Nachlässigkeit i$chuld daran ist. Sie thun es das weis ich, diesses hat mir auch Muth genug gegeben, alles über mich zu nehmen, ich schreibe heute in einem Emsthafteren Tone wie voriges mahl, aber mein Hertz will und mag keinen andern annehmen, meine Empfindungen sind immer die nehmlichen, ich drücke Sie an diesses Hertz und liebe Sie ewig, Koenig.

Sagen Sie mir auch wieder etwas von Hf erder].

1 Die Sc]ii-eibart und Interpunktion der Originalien ist im Ab- druck beibehalten worden.

- Frau Regierongsrat Kern, die Tante der Luise ivOiug.

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StrassburfT d. 8t julü 177J.

Und diesst' Stuiuiie tönet in mein kranckes Hertz, das sich sclion vpr^essfMi «glaubte weili n ich Gold, und kein Wörtgeii von llneiii 1 reundschafllichen Mund ei hielt. 0 liebf^te l>este' Herdeiin Sie verwunden mich tödlich wan Sie jeniahi.s mich- vergessen! um Ilms wilNii ( Pfühls willen thun Sie es nicht! Sie sind nu ine h v s I i>et?te Freundin die ich in der Welt hal>e, ich ! lichre j>riion jienu^'^ dass ich ünie?! nicht melir so * nahe bin, O lassen Sie (Hc^sscns auch lin iuen ;,^antzen VCi lust xeyn ! Nur als Sechs Zeilen in Frau Schwester Briet' für nnch, so bin ich zufrieden, wann ich sclion alle Beschäftig un «(er i euch zweyer ^^ötliichen Seelen theilen mocide. o ! welch eine Seelijj- keit für mich ! um euch, in euch, und mit euch zu leben, n da.s bchicksaal wann es zu erbitten wäre ! Sie und unsere Darmstätter, dan diesse ^^ehören auch zu unserer Glück- seehgkeit erbiitte ich hieiher! hier, in meine Arme, die ich weil ausstrecken wollte um sie alle zu umpfangen. Welch ein Göttliches Leben ! so in Freunden die nur eine Seele aus- machen, zu leben ja Tiu*' Wrdienste, Ihre Tugend, Ihre Freundschaftliche Seele hat Ihre Belohnung schon m der Welt gefunden. Heil sey der Vorsicht ! die diesse Ehe geschlossen. Was kan Ihnen Westphalen nehmen? Ihnen die alles in einem haben ! fie»ylich von theilnehmenden Fieunden geschieden seyn die mit lulden, mit geniessen, ist hart, es erhöhet unsere Gluckseeligkeit, geliebte Zeugen um uns zu sehen, aber wo wollen wir in diessen Lande der Unvullkümmenheit, der Zube- reitung zu unserer gantzen Seeligkeit, wo wollen wir da Vollkomenheit suchen? Ach Ihi Abschied hat mii- seihst das Hertz zerrissen! ich sähe Sie an jenem Creutzweg trostloos wie von Himmel und Erde verlassen, verzweifelnd stehen doch weg von diesser traurigen Sceene ! Der Vor- hang ist zugefallen, nie nie werde ei* mehr aufgezogen. Ihre Frau Schwester will mir Ihren Verlust ersetzen, sie schreibt mir oft, hat mir ihr gantzes Hertz geschenckt, mich zu ihrer Schwester angenommen, und redet mii* oft und viel von Ihnen, sie sagte mir letztens dass Sie mit Ihrem geliebten Hosen pflantiten, pflantzen Sie doch auch eine für mich, die unserer Freundschaft geheiliget seye, diesse predige Ihnen oft,

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und laut, dass ich Sir nie vergesse, ewijr, ewij; lielH^ verehre, und hochschätze, sit» ernnere Sie oft an das Veif<prechen so * Sie mir gethan, meiner niemahls zu vergessen. Gott welch eine Heisse Nvar die Ilirijje I wie },'efühlvoll ! und wie seeii«^ alle die«s Gefühl in dem zu linden, der nun auf ewij,^ Ihr eigen ist! ja diess nenn ich daj> üiück der Ehe, miteinander einen Sinn, einen Willen, einen Entzweck, nehmliche Triehe, neiimliche Vergnüjjen zu haben, immer neue Verdienste zu linrlen, die uns» unseren Geliebten immer sch.'itzltarer immer verehrun^s- würdiger, und uns unter der Last von Danckitarkeil ächzen machen! und diess alles hal>en Sie diess alles besitzt Ihr Herder, der mir nocii erst vorigre Woche durch einen seiner Verehrer in einem herrlichen I.icht ist vorgestellet worden, o wie bebte da mein Hertz für Freud da ich ihn den Mann meiner «reliebten Caroline wusste und wie stolt2 war ich zu sagen dass er meine l)este Freundin zur Frau liabe ! man gratulierte mir und Ihnen, ich hatte es schon lange j^ethan.

aber wie bange macht mir die Besclueibunj^ ihrer feui Ii U ii und schweren Luft, für Ihre Gesundheit I ach besuchen Sie oft unsere Geiikie !

kommen Sie auch hierher, wir haben gesunde, heitre Luft. So kan ich Sie an diess Hertz drücken das schon so hnfi^e für Sie schlägt, hören Sie e.s nicht schlagen? es scldägt laut sehr laut «Caroline^ Herder, und Luise».

3.

Strassburg d. August 1773.

Sie haben mir l)ey Ueberschickung des Plans von Leuschen- ringsi Sammlung gesagt, wann kh Liebhaber dazu lande so solle ich es nur Ihnen schreiben, ich hätte gerne eines von denen zu 42 -tf- ich hatte Sie auch schon lange gern an Ihre vergessne Freundin errinert. es war mir aber allemahl bange dabey. jetzt kan ich nicht mehr schweigen, da eine andere Ursache mir die Feder in die Hand gibt, d ! meine beste, Theuerste, innigste Freundin! Heben Sie mich noch? wie zittert mein Herto bey diesser Frage! ach! schon lange ist ihm bange und

1 Franz Michael Leuchseuriiig, dem Darmstädter Kreise Mercks, wie dem der la Roche und der Jacobis zugehörig. Siehe über diesen empöndaamen, von Karol. Herder gefichätzten Poeten, H. Düntzer» Aus Herders Nachlass III 206.

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frajj^t sitli, womif lialje es verdient, «iass die, die mir noch so lange nicht, mir die heiligsten und nachdrücklichsten Beweise von ihrer L\e\ye gah, sobald vergisst was ich für sie bin? Sie die so sehr fühlen was für eine Seeligkeit es ist, die Empfin- dungen der Freundschaft mitzuiheilen, und sich den Gegen- stand davon zu wissen? Sie sage ich, können nicht bösse werden, wan ich diessen Verlust auf die schmerzhafteste Art empfinde. Sie haben mich diesse GHtekaeeligkeit alzu adir kennen gelelirty um so hald gleichgültig zu werden. Nie durchlese ich Ihre alten Versicherungen von der ewig^ dauernden liebe, ohne das« mich ein Schauer durchlauft. 6! wie sehr ahndete meinem Hertzenf als es nicht oft genug die Bitte wiederholen konnte, mich in den Armen Ihres Herders nicht zu vergessen.

Doch schweig stille Hertz, und freue dich, dass deine ge- liebte einen Gluckseeligern gefunden der sie die gantze Weit vergessen machen kan. liebe du sie dafür gedoppelt, ersetze dir dariiin was du auf der andern Seite verliehrest ja theure gelitte meines Hertzens und wan Sie mich auch gantz vei^gässen, so will ich doch Ihrer nicht vergessen. Mit Ihrer Frau Schwester die mir ihre gantze Liebe geschenckt, und die mich noch aufrecht «erhält, will ich mich beständig in Ihrem Glücke freuen und durch den empfindlichsten Antheil mich Ihrer täglich würdiger ma* f:hen. wir haben einen Freund Von Ihrem Mann Schwencke genandt der unten im Hausse isst. Der errinnert mich alle Tage an Sie und an alles was Sie betrifft, adieu beste der Seelen ein gftntzer Himmel von Seeligkeit überströme Sie. Luise.

4.

Westhoflfen d. 31t 8hre 1773.

0 ! dass doch mein letzterer Brief Ihnen immer mit der Versicherung dass ich Sie ewig lieben werde, an Ihrem edlen Hertzen läge! nein! den Tausendsten Theil von dem was ich liey Ihrem langen Stillschweigen empfand, sagte ich Ihnen nicht, mein Hertz war gantz davon zerissen. das Verdienst von Ihrem Herder und Ihr Glück, es so gantz zu besitzen, entschuldigten Sie zwar oft bey mir, aber der Gedanke, dass ich vergessen wäre, marterte mich unaufliörlich doch stille ! ich bin es nicht ! meine Herderin will mich auf ewig lieben sie wünscht mich zu einem Zeugen ihrer Namenlosen GlückseeligkeitI was kan ich mehr verlangen? Ach warum trennt der Himmel Seelen, die er mit einerley Empfindung des guten und Schdnen

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geschaffen? welch eine Welt voll seeliger Geschöpfe wollten wir beysamen ausmacheji ! Wann Herder mitten* unter imserm

Trüppgen stünde, wir mit unverwanten Augen von ihm die höhere Weisheit, die Tugend ^ die Freimdschaft» und alle Ge- schäfte eines Unsterblichen Geistes leninlen. glückseeliges Geschöpfe! das an seiner Brust liegen, und seine^> Umgangs ungestört geniessen kan ! diesses kan Ihnen die Einöde zum Himmely und eine Wüste zum Elysium machen. 6! niemahlen müssse ein so glückliches Band getrennt werden ! und ihr müsset ungetrennt in jene Seeli«ikeilen hinüber gerückt werden, und Herder liebt mich? wünscht mich zu kennen ! was fehlt mir noch zu meinem Glück I nichts als das sein Wunsch erfüllt wurde, ja ! ja ! Sie waren zaröckhaltent aber auch darüber keine Vonvürfe mehr, es war auch Schicksal. Könnte ich wie ich wollte, ich würde Sie strafen und nacher Sirassburg be- rufen, da müssten Sie mit mir leben^ mich lieben^ und Ihr Mann hochehrwürdiger Professor und Prediger in meiner Kirche seyn. wir haben auch Feld und \Vald da, eine bessere Luft wie in Westfahlen, auch Freunde und Gesellschaft zur Wahl. Diesse sollten Sie wohl bey Ihrem Glück noch haben, ja wohl ! warum muss der Stand, diesses nichtssagende Ding, zwey gleich edle Seelen voneinander entfernen, kan dann die GrUlln *, die Sie mir so gross beschreiben, nicht über Vorurtheile dabey unser Herlz so sehr leidet, hinausgehen?

Sie thun wohl dass Sie kalt baden, wir haben hier Wunder davon j^esehen. Gott segne alles, alles was Ihre Gesundheit befördern soll, so schreiben Sie mir auch wieder üeisiger, und erfreuen mein Hertz damit, und Sie fragen mich wie icli lebe und handle? einsam im Zimmer, zufrieden, durchlebe ich Tage, nicht vom Neide getrübt, noch vom Stoltze verdunckelt. ge- niesse alle Schönheiten cIps T.andlehens bey diessen heitern und warmen Herbsttagen. (Iinvliwandle Berge und Thüler, frenc mich über den Schöpfer diessei- manigfaltigen Güter. Sie, Sie wissen wie wohl es dem Gei.sl ist, wan er sich üher die nie- dern Tändeleyen diesser Welt hinaufsciivvingen, und seinem unsterblichen W\\sen i^emüse Gedanken, dencken kan. wie oft wan ich den weiten Himmel, Wiesen, Gärten, Felder, Wein- hügel, von emeni hohen Berge ülierschaue, tliut mein Hertz mit Klopstock den Wunsch « möchtet Ihr alle hier seyn die ich

1 Maria Gräfin von Schaamburg-Iiippe.

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liebe !^ ich versaiiuiile Kuch allo luiui um mirh, und bin »las seeligste Goscliöpt' durch die Einhildun^. in ti ul>cn regnerischen Tagen, sind Kleist Zachana la ßruyere und Voun;^ meine Gesell- schafter. Zuweilen lache ich auch, nicht dasy Sie etwa glaubten, meine Stirn entfalte sich nie. meine Seele ist iniiuer ruhi^ und heiter, wun nicht zuweilen meine schwächliche Gesundheit sie mit Wolcken übei-zö^e. eine meiner vornehmsten Beschäftigungen auch, ist, mit meinen Abwesenden Freunden in Briefen zu reden, und wieder ihre zu lesen. Der Tag da ich den Ihrigen erhielt, war mir recht festlich, ich enipfieng von allen meinen Freunden auf einmahl. ich sass umringt von Ihnen, jedes sagte mir^ dass es mich liebte, mein Hertz sagte Amen dazu, und hätte seine Empfindungen nicht mit einer CSrone vertauschte so kan man auch bey dem Mangel gegenwärtiger Freunde Seeligkeiteu gmesaen. Vorige Woehe hahen "wir unaern Herbst bey dem schönsten und würmsten Wetter heimgemacht, wir assen in den Beben zu Hitag, wir waren firdhlich und danck- bar auch für das wenige so wir einemdeten jetzt ist mein Hertz leidit. es hat lange mit Ihnen sprechen können, muren Sie nicht darüber, es kommt Ihrer Freundin zu gute, mit meiner feurigsten Umarmung drücke ich Sie und Diren Herder an meine Brust. Luise.

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Strassburg d. 3t Mertz 1774.

So glauben Sie dann meine Liebe^ englische, unvergessliche Freundiui dass es dem Hertzen gleichviel ist, ob es zuweilen an seine abwesende Freunde denckt, oder Versicherungen der Treue liesst? NeinI neint sage ich Ihnen, man muss wie Sie in einem Meer von Wollust athmen, und sein gantzes Glück in einem Herder finden wann diesses möglich seyn soll, ich vergebe Ihnen auch desswegen gerne diesse Ketzerey. Kan ich es aber Bern thun der sich so gantz zu dem Mittelpunct Ihrer Wünsche macht, und Sie von allem abzieht Bas nicht Er ist? es wird meinem Hertzen gar zu schwer dabey. aber muss ich nicht dem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren lassen? und es verehren, wann ich es schon beneide, könnte ich mich nur mit an seiner Sonne wärmen, gerne wollte ich Sie auch dabey sitzen lassen, auch sollten Sie Ihren ersten Platz behalten, ö I würde Ihre Hoffnung die meinen gantzen Wunsch enthält, erfüllt! wie

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ivfirde ieh euch an mein Hertz di-ücken^ und seinen gantzen Seegen über das eurige ausgiessen! Gott! welche seelige Stande! aeb' komme, komme bald! Da will ich aber Herdern nicht mit seinen Verehrungen, nein^ mit smer gantzen Freund- schaftsliebe die Sie ffir mich haben wollen^ sehen. Sie sehen wohl ich habe meinen Mittelpunkt noch nicht meine Arme strecken sich noch Überall nach Freunden aus, auch unsere Hessin» diess Hebe dritte Blättgen muss dabey seyn wann ich Euch umarme soll ich gantz glücklich seyn* o wann diesses englische Weib mir nicht Ihre Stelle vertrftte, was» fienge ich verwaisstes Mftdgen an? Sie wollen so umständlich von meinem Leben und Glückseeligkeit darin wissen» und Sie sind so kurtz in der Beschreibung des Ihrigen, Sie sagen «ich werde immer glücklicher» gut» aber ich möchte Sie auch gerne in d^ klein- sten Wegen die Sie dahin führen» begleiten» ich möchte auch Theil daran nehmen, aber nicht wahr? Diess liebe Glöckgen steckt so voll» dass es nicht mehr tönen kann nu so leeren Sie einen Theil davon in mein Hertz aus, ich will es wie Gold aufsammeln und mich dabey bereichern, und was soll ich Ihnen von meinem Leben sagen ? es ist so einfach, dass ich es Ihnen nicht zergliedern kan. meine Muter und Schwester machen fast meine lehende Gesellschaft aus, meine übrigen suche ich unter den Todten, einen einigen Freund habe ich für meinen Geist, und leider! vielleicht verreist er bald» es ist auch ein geistlicher der seiner Bestimmung folgt. Der grösste Theil meiner Glückseeligkeit besteht in dem Bestreben immer tugendhafter zu werden, meinen Geist heller, und mein Hertz besser zu machen, meine Freunde glücklich zu sehen, und es mir oft, oft von ihnen sagen zu lassen (sehen Sie also wie viel Sie dazu hoytragon können I) nui- euch liebes Klee- blätlgen möchte ich um micli wandeln selien, dann wollte ich fragen, was ft^lilt inir noch ? wie schön sind Sie nirht dass Sie mir sagen, Sie waren gantz gesund, auch diess gehört in meiiuMi Plan. Sie haben auch Fn^unde um Sich, diess sagt mir Fr. Hessin, wann Sie es schon nicht thuii. Denken Sie Hr. U. R. Kern der wonig Monate vor Ihnen *ieheuratliet, ist schon 14 Tage Vater von einer Tochter, und Sie, sitzen so imissig er sagte mir diesse ^^'oche mit einer Mine davon jeder Zug gantz Gefühl war, j: wir waren lauter ledige beysammen :| «sie können alle sich die Vorstellung nicht machen von den Empfindungen die ein Vater, eine Muter bey ihrem Erstgebohrnen hätten»

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warlich Sie müssen Ihrer edlen Seele auch diesse seine Wollust geben, ich plaudere Ihnen genug, alier ich muss mich schadlos halten wie ich kan, Sie dörfen und können nicht höase wer- den; warum lassen Sie Zeit so vielen Vorrath zu samlen.

Morgen soll das Kleid ahgehen. ich hahe alle meine Mütterliche und schwesterliche Treue zusanien ge- packt, und sie mit in den Laden genommen, wo ich das schönste Tuch so zu haben war für Ihr göttliches Männgen ausgenommen, ich wünsche dass Sie es eben so schön finden mögen als der Schneider und ich. es ist der nehmliche der auch das Vorige jrcmachl, und er besinnt sich noch gar zu wohl, viele Stunden bey Herren Herder zugebracht zu haben, er sagte mir er seye die Vernunft und die Leutseeligkeit selbst gewesen |: glühet Ihnen Ihr Hertz nicht? meines that es:| erst den Tag eh ich zu ihm kam hatte er das Maas verrissen, er getrauet sich aber ohne dasselbe ihm ein gerechtes Kleid zu machen, so wohl besinnt er sich ihn noch, und ist gantz mit dem Ihrigen zufrieden. Die Strümpfe sind theuer sie sollen aber gut seyn> und diess sind die wohlfeilsten, nur das alles Ihr Hoffen und mein Wünschen erfülle, so wünsche ich mir glück, dass auch in Bückeburg Sie mich brauchen können. Haben Sie nun viel so Bedürfnisse, so bekomme ich viel Briefe von ihnen, ich dencke gewiss öfter an Sie, als Sie es thun können, aber dies ersetzt mir meinen Verlust nicht gantz. 6 entheiligen Sie Ihre Versicherungen nie, ich bin verlohren wann Sie aufhören Ibuce ewige und einige Luise zu lieben.

6.

Strassburg d. lit Aprill 1774.

Nu so fliege Brief! von einem Kcke des Vaterlands zum andern ! sage dem edelsten, dem )>est<'n Paare ; dass sie mich zu glücklich durch alle ihre Lielje machen, ja Ihr Kindoi-, Ihr macht mich stolt/, hk m Hertz erhebt sich über seine Kräfflen, ich p:laube würcklich das zu seyn, wornach ich nur noch streben riuiss-. wie kan ich Herdeni die Freude ver- dancken, die er mir durch seine Zuschrift gemacht hat? nun ist mein so langer, sehnlicher Wunsch auch erfüllt! ja, ja! das L e I) e n entwickelt v o n T a g z u T a g u n e a h n d e t e und unvorgesehene Freuden! er hat mir diesse Wahr«

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heil recht fühlbar «gemacht, ans ihr will ich auch meine Hoff- nungen für die Zukunft scliöpfen. ja ja, ich sehe Euch noch, mein Hertz sagt es mir ob ich es auch fzi rnc thue? welche eine Frage I gehört sie wohl hierher? wann icii nur bösse auf Sie scyn könnte ! hätten Sie mir Ihren Herder nicht zum Freunde gemacht, wie wollte ich init Ihrem misstrauischen Hertzen umgehen, ja, meine Hesi^in hat hierum ein besseret Hertz wie Sie. sie «^agt meine Luise liebt mich : wie kan es ihr anders als wohl seyn, wann sie mich von Angesicht m Ati^^r Sicht siebet? warum wird sie nicht alles thun wollen, das ihr diesse Wollust verschaffen kan ? so machen es Freunde, sie tragen nicht lange, sie sind ihrer Sache gewiss nu ;j('nug hiervon, ich mag noch so bösse scheinen, Sie glauben es doch nicht. Ihr seyd beyde Engelskinder, wann schon unsere liebe Fridericke J schlimmer seyn will als sie ist. | : eine seltene Tugend an einem Frauenzimmer : | lassen Sie diesse Stelle Ihren Mann nicht lesen, dann mich deucht ei guckl zuweilen auf Ihr Geheise in meine Sudeleyen, die nicht für so helle Augen gehören seegnen Sie uns nur, mich dass ich würck- . lieh das werde, für das sie mich ausgibt, sie, dass sie ihrem Vei'dienste mehr Gerechtigkeit widerfahren lasse, und nicht so blöde auf sich herab sehe, diess ist das einzige \ms ich an ihr zu schelten weis. Gott t wann kommt die Stunde ? wo ich Euch alle an dies Hertz das so gantz gantr Eu«r ist, mit Freuden drücken kan, und alle alle denckbaren Empfindungen davon es Qberstr6mt in Euch ergiesen kan. ach kommet hier^ her t ich will Euch auf alle die Plätzgen, wo ich Euch schon so oft hinaeofete fähren. Da wollen wir Gelübde der Freund* Schaft schwüren, und ihr opfern !

Und nun meine Geliebte ! wünscht auch mein Hertz Ihnen Glück und dem örtlichsten Manne, zu der feyerlichen Begeben- heit davon Sie mit Hoffnung ahnden, ach sie gehe glück- lich vorüber die Stunde, die Ihnen so herrliohe als neue S^nen aufdecken wird I seegne Gott diess Keimchen! seegne die Mutter die es trigt ! Gott seegne auch Ihre himmtische Gräfin, die Sie an ihr, eine wahre Freundin finden läs^t. wie erhaben ist

> Friederike Flaehsland, zweite Tochter des herzogt. Württem- berg. Amts-Schaffners Johann Fricdricli Flachsland, gest 8 März 1801, Gemahlin des Goh Rats Andreas Peter v Hesse s Geneal. Taschenb. d. adel. Häuser Jahrg. IX S. 181 ; vei^jl. Darmstüdt. Frage- und Anseigungsblatt a. 1801 d. 16. Mi» N. lt. 3- 4.

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sie mir, dass sie aucli das Verdienst so nicht im Glantze erscheint zu sf liätz^n weis, ist sie vermählt? und hat sie auch Kinder? ja wolil gibl es auch Manna in der Wüsten, ich i^an Ihnen nicht sagen, wie g-rossen Theil ich an diesseni Ilirem Giüclve nehme, hier möchte ich jetzt r^erne Ihrem allerliebsten Mann und meinem Freunde seihst für seine Herablassung dancken. aber icli darf niclit. thun Sie es für mich, mit dem leurigsten Kuss den er jeniahls von Ihren Lippen bekommen, sagen Sie Ihme zu dem allen was er schon von mir weis, auch dies, dass ich nicht so lange wie Er sagt, mit der Knüpfung des so schönen Bandes warten kan, es wartet schon lan^^e auf Seinen Willen so seye es dann unauflöslich zusa mengezogen, und so verwahret dass kein Feind dazu kommen kan! ich bin nicht so blöde wie Er warum wohl ich weis dass ich nichts dabey verliehre er will mich seegnen, feyerlich seeg- nen, sagen Sie, wann er seinen Rock anzieht? bin ich es ni( ht schon genug, dass ich etwas für Ihn thun köniien, und Er rnir selbst sagt dass Er mich liebt und meine Lina glück- lich macht, auch für dies umarmen Sie Ihn doch, seyd Ihr nicht eines des andern werth? ja! ja! ja! Nicht wahr, mein Freund Sie .sagen Amen I dazu ? Der Brief ist bestellt H. König sagt Sie werden das Verlangte schon empfangen haben. Zum Ueliersetzen kenne i( Ii iiier verschiedene ich habe auch einen gefunden der die Arbeit übernähme, da aber ein jeder nur in seinem Fadi geschickt ist, so nuts.sle man wissen in welches das zu übersetzende gehöre, oh das Werk gross ist oder nicht, ich habe auch H. Aktiiaiius Saltzmann , den Hr. Herder durch Hr. Gölte i seinem Freunde kennen soll, gebeten, sich nach einem tüchtigen Matni zu erkundigen, vieieicht wäre es gut wan Sie ein Blatt zur Probe ülx^rsetzen liesen. ich erwarte hierauf die gütigen Belehle Ihres Mannes, die icli mit aller Soi^e bestellen werde, unt mich Seines Zutrauens nicht un- würdig zu machen und nun ein Wörtgen von unserer lustigen Rehfeldin, diesse plagt mich ihr einen Brief von Ihnen zu verschaffen, ich habe ihr aber gantz natürlich gesagt, dass ich fast keine mehr bekomme, was sie daran gedencken mag I : ich wusste da nicht dass Sie mir so bald wieder schreiben -wollten : | sie ist schon Muter von 4 Kindern geworden, hat aber nur noch eines. Hr G. D. haben wir kOrtzKch als Tod an

1 So schreibt Luise König stets lur Oosthe.

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einem Steckflasse beweint^ sie sieht aber wieder in diesses Ldien mrück^ wiewohl mit einem halb gelähmte Arm und Fuss, doch hat Hr D. Spach die besle Hoffnung zur wieder- genesung. meine Mutter ist auch wieder von tödlichen Kranck- heit gantz gesund, sie danckt Ihnen mit meiner Schwester für Ihr gütiges Andencken^ und empfiehlt sich Ihnen auf das neue. : lebet wohl, glückliche Bewohner und die Zierde West- phakns! ein gantzer 'Himmel voll Seeligkeit umströme Euch. Da da ist das gelobte Land wo die Zufriedenheit wohnet !

Luise Königin.

7,

Strasbuii; d. 27t junii 1774.

Nur gerade heraus mit der Sprache 1 dann ich spühre doch in allen Gliedern, dass Sie des Schreibens an mich möde sind, die fürchterliche Frage «was hätte ich auch wohl an eine Freundin aus Westphalen zu schreiben»? u. die grosse Gewissenhaftigkeit Ihrem ungebohmen Geschftpfchen zärtliche Empfindungen gegen mich anzuhängen | : dann das schreiben können Sie ihm dadurch nicht beybringen, es gehört ein stareker Gelüst dazu, u den haben Sie ja nicht : | heissen doch nichts anders als gutes Luisgen.» Du hast dein Gutes in deinem Leben genossen ; lass dir an meiner Gnade genügen ; zu sagen hat mein Hertz nichts mehr für dich, u. s. w. nicht wahr diess ist der Verstand von ihrem bössen u doch lieben Brief:» ob ich es aber für gut aufnehme, ist eine andere Frage, ich wollte Sie kämen wieder nach Darmstatt zurück da war Ihr Hertz eine Welt für gute Freunde, aber seit Sie in dem verwünschten Westphalen hucken hat es sich so zusamen gezogen, dass nur ein einziger Herder Platz darin hat. ich lasse mich aber so leicht nicht abweisen, u sollte ich nur ein Plätzchen wie eine Erbse darin finden, so will ich mich so feste darauf setzen dass auch ein Herder mit seinem gantzen Verdienst, und Sie mit Ihrem Kaltsinn mich nicht daraus treiben sollen, es ist genug, wann ich den Platz den ich vor ihm besessen, räumen muss. die gantze Güte u Ueigennützig- keit meines Hertzens muss ich aufforderen, um nicht eifer- süchtig darüber zu werden, aber der Kuss von ihm den S i e mir versprechen soll mich gewiss von allem Schadlos halten?

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wan? u wo? werde ich ihn al)er zu hoffen haben? dass es ^' Gott erbarme ! welch lanjjfwieri^e Aussicht So tessen sicHj dann die Glückseeligkeiten des ehelichen u häussüchen Standef gar nicht beschreiben ? wan man es aber nicht selbst schmeckt^ u füiilen kan, wie will dann Tiieii daran nehmen ? nicht wah:? Darum j^ilt es Euch gleich viel. Euch selbst die }?antze W:?lt, liejfl Euch nicht viel an den Übrigen zerstreueten l'etzen davon

aber stille hiervon u nocli ein VVörtchen von dem verrächt- liclien Tone, in welchem Ihr elende Westphälinge von uns Str a s s b u r ge r n redet, wie gross ihr nicht mit Euern Nachtigallen thut I wir haben ihrer auch, u sind dabey mehr als Dorfjuncker, die Frühlings Sonne genossen wir schon lange, jetzt lel)en wir in dem fruchtbaren Einfluss des Sommers davon Ihr leider kaum das Daseyn empfindet, und die Brodsamen die von unsei m Tische lallen, gantz froh aufleset, nein ! nein Ihr guten Kinder, so lange Ihr unserer Hülfe bedürfet, steht F]uch die Demuth viel feiner an. dass Ihr einen Pyrmonter brennen habt? was habt Ihr wohl noch viel mehr! doch seegne ihn dei Himmel an pAJch, dass Ilir gesund an Leib u Seele werdet.

Meine Tante wei.'^ dass Sie sie lieben, ich habe es ihr schon lange gesagt, vorigen Mittwoche ist sie nach Wiessbaden verrei.sst, das ihr die Lahme an dem lincken Arm u Fuss weg- nehmen soll, sie ist höchst elend !

Nächstens gehe ich auf Buchsweiler, da will ich der Reh- feld in die tröstliche Stelle für sie u mich vorlesen, ich hätte gerne mit meinem Brief biss dorthin gewartet, um auch gleich ihre Meinung dazu zu setzen, aber Ihi- .sollt meinen Seegen mit nach Pyrmont nehmen, u von dort aus käme er zu späth.

froh bin ich doch dass ich einen Theil von Euren Kinder- sächelchen besorgen darf, dazu sind wir verrachtete Strass- burger gut wan Westplialen Sie nicht auch vergesslich gemacht hat, so sollen Sie noch wissen dass ich die Nachricht von Ihrer Vermehrung des Men.schengeschlechts von Ihrem Manne haben will, ich packe dan mein Hertz in beyde Hände, u antworte ihm selbst so zierlich ich immer kan. es liegt mir doch noch ein gros.ser Stein auf dem Hertzen, den ich in meinem letzten Brief abzuwälzen vergessen, .seine Freundschaftliche Wünsche ins V e r g a n g e n e habe ich unbeantwortet gelassen ! und die muss ich ihm noch verdancken. Ihnen nicht ; Sie sind Schuld an meinem Unglück wan Sie Sich jetzt schon klaglich darüber stellen; jetzt ist der Schade unersetzlich

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^ doch hier ist der Kuss der Versöhnung, ich muss Sie doch 'Jiefoen und ach mein eimiger Wanschl an diess Hertz ■rücken Loise. \ Künftige Wochp bekomme ich Ihres Herders Geburt lesen wie jammern mich Ihre Augen bey dieesser ge- ilossnen Schrift ! aber ich sähe es zu spätli u habe nicht Zeit den Briet' umzuschreiben.

8.

Für meine Herderin.

Westhofen d. 20t Obre 1774.

Dass doch das hebe Mütterchen so viele Entschuldigungen für die geschäftige Freundin hat! was will ich mit Ihnen . anfangen ? Sie sind meine eigne üerderin, u bleiben es ewig wie äe auch mit mir umgehen mögen. Sie haben Sich so feste an mein Hertz gekümmert dass keine Macht Sie Selbst nicht, Sie von mir lossreissen kan. was wollen Sie mit meiner Hand thun? ach die ist ja leider viel zu kurtz an die Ihre zu reichen! behalten Sie dafür mein Hertz, seine gantze Fähigkeit zu liel)en, sey Ihnen Bürge dass es nie bosse seyn kan; wohl aber ein Glück entmangeln, dass es so lange u oft genossen hat. ja der kleine liebe Gottfried, i der soll Frieden stiften ! wer hat wohl anders diessen Brief veranlasset wie sein Vater? u diesser ist ja des Vaters Ebenbild, doch auch er sey mir geseeg- net ! er verdoppelt die Glückseeligkeiten u die Freuden meiner Freundin, warum sollte er es nicht auch für mich thun? ja dreymahl glückliches Weib ! seelige Mutter ! auch weit entfernt, sehe ich deinen süssen Entzückungen zu. bald sich den Vater bald den Sohn an das laut schlagende Hertz drücken, und Sich in ihnen seegnen. o GofI ! ewig lasse diesses Glück auf nif inen liebsten hosten u einigen Freunden ruhen, der Geist des \';iters zeige sich zweylaltig an den Sohne damit die Mutter sich auch in diessem Ebenbild freuen kan. ja freylich hat mir meine liebe Hessin | : die mir Ihren Verlust so treulich er- selzl : I alles was die Ankunft des lieben Männchen bet rillt, gesagt, sie ist eine trciilirhe Fürsprecherin für Sie geworden, auch diess vermehret meine Liebe für sie wie oft i>esuchen Sie

i Oottfried Herder, geb. 28. Aug. 1774.

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nicht unsere gemeinschaftliche Wünsche, u wie oft begleitet Ihr beyde mieh nicht auf meinen dnsamen Spatziergangen! ich habe zwar dieses Jahr die beste Zeit nicht genossen ; einen > gantzen Monat lang | : und diess war der Herbstmonat : ( war ich an Geschöpfe ohne Seelen gefesselt, die bloss das Land- leben wegen seinen Namen Udien aber seine Freuden ver- icennen« u andere sie auch vergönnen u. vergällen, jetzt da die gantze Natur ihre Winterkleider angezogen lebe ich mir selber, ich bin heiter u zufrieden, wann auch schon der Himm^ weinet; er bereitet mir ja nur neue Freuden für die Zukunft, ich sitae beym warmen Ofen, u denke an Freunde die eben so fühlen wie ich. ja wohl I könnte ich Euch zu mir rücken l fkt>h wollte ich ausrufen : gib mir die Welt, und frage mich wo meine Seeligkeit ist ; ich drückte Euch an meine Brust hier, hier in meinen Armen 1 wie bald solltet Ihr hier in unsem fruchtbaren Thälem, u heitern Bergen, Eure kalten und üden veiigessen^ meine Lieblings Plätzchen würden auch die Eurigen, ich weis es. mit welcher frohen Seele wollte ich Euch die freundschafUiehen Hügel weissen, die ich unsrer Liebe gehmligt habe ; Hütten wollten wir ihr da bauen, u sie oft, oft l^suchen 6 Gott schon deucht mich, ich sitze mit Euch auf meinem hangenden Felsen wie viel gutes hat uns nicht Gott auch an unsrer Einbildungskraft gegeben ! wie viele schöne Stunden habe ich ihr nicht zu verdancken ! u wo Ihr das Eure redlieh dazu beytruget. sehet so seyd Ihr mir auch weit entfernt, nahe, u was mir die Schickung versagt, ersetzt mir meine fireund- schaftliche Schwärmerey. lebet wohl glückliches Paar! Kein Unfall verdunkle Eüer reines Leben ; geniesset das gantze Glück Vater Mutter zu heissen* und ritte auch Herder einstens mit seinem Jungen auf einem Stecken Pferde, so ist er mein verehrungswürdiger Freund, wie ich ewig Eure gantz eigne Luise bin.

9.

ä Madame

Madame Hess nee FJachsland ä Darmstadt.

Stras. d. 20t hör, 75.

Ich habe Ihnen vongen Posttag nicht geschrieben, weilen ich keine Laune dazu hatte, es war mir gar nicht wohl ich war düster u mit einem Wort, nicht so, wie ich gerne zu

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Ihnen kumme. jetzt aber siehts besser aus, die liuiicn u seltnen Sonnen Blick die wir halten drangen sicii nur biss ins Hertz, ich lief ins freye Feld, allimete Frühlings LuU, u wurde wohl u heiter, ich hofle Sie haben es eben so jfemacht ? Gottlob das* Sie auch wieder heiter seyn können . Ihr Hr Bruder ist wieder ^^esund, u er bleibe es immer I der guten u lieben Bückeburger ihr Leiden habe ich tief in der Seele gefühlt, d Gott ! was für ein Schmertz für diesse zärtliche Aeltern. aber auch was für eine Freude jetzt wieder ; freylich ist das liebe Kind ihnen jetzt ein neues Geschencke» das sie aber sehr theaer m Biebm kam^ nie^ nie, empfingen Sie es wieder auf diesse Art, ihre Freude seye lieber, sanfter u ohn unterbrochen, was ich dem liebea theuren Mann schon gedanckt habe für die schönen Stunden die er mir durch sdn Buch gemacht ! sagen Sie es ihm doch, es muss ihn doch freuen wann er andre glücklich macht sind es schon Ungelehrte. Das licht u die M orgenrdthe ist mir jetit noch weit weit herrlicher, u den ersten schonen Sommer morgen will ich ihm, den Empfindungen die er in mir lebendig gemacht, u dem Schöpfer heiligen, ich habe fest alles von ihm aus dem Mu8enall[manach] meiner Samlung einverleibet; ja er u sem Weib sind auch ein Goldgebürge in einer nackten öden Wüste, vielek^ht gönnt sie uns auch noch die Vorsehung, von Strasburg hoffe ich zwar nichts, es geht ihnen wie dem der Klopstocken in seiner Höbe nicht sehen konnte,^ wan sie auch auf alle ihre Verdienste stünden, so müsste sich Herder noch weit herunter lassen um von ihren kurtzen Gesicht er- kandl ixi werden, von unsrer lieben Schiosserins habeich jetzt schon lange kein Briefgen mehr bekommen, ich verzeihe ilir aber in der Unruhe <iie sie jetzt quält, ja könnten wir ihr gemeinschaftlich helfen ! 6 Gott ! bloss der Gedancke macht mein Hertz für Freude zittern. Schatten oder was Sie auch wären, erschienen Sie mir nur so wie Sie sind, ich liebe ja nichts Sinnliches an Ihnen, u Ihr Hertz brächten Sie gewiss mit. ach nur ein paar läge um Euch alle meine Lieben so wäre mirs auf lange genug, ich möchte unsre Schlosserin näher kennen, sie ist sehr zurück iialtend in ihren Briefen, vieleicht

1 Anspielung aat Gtiethe ni Leuzcns Panda?monium gerraanicam (Lenz' Schriften III S. 210). Lenz war also schon damals mit Lnite Köllig bdcaimt.

* GomsUei Goethes Schwester, Qattin des Hofrats Schlosser in Emmendingen bei Freiburg-

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weil sie zu beschäftigt ist, wann es nur nicht kalte g^ej^en mir ist, dann ich möchte von ihr gehebt seyn. also hat sie ihnen geschrieben u v[on mjir [gcrjedt. ich hoffe sie Ihut bald ein gleiche[s gegen mic]h. diesse Woche hatte ich eine falsctie F[reude m]an sagte mir der ganlze Carisruher Hot sey hier, ich freuete mich auf die Bachmännin u siehe es war ein eitles Gewäsche, es heisst schon lange sie kämen alle hierher, dann sehe ich auch eine Ihrer lieben, u Sie in ihr. ja kämme mir der ärgste Bettler, wann er nur, sagte er komme von Ihnen, Sie liebten ihn, ich liebte ihn gewiss auch, ich glaube gleich ich sehe Sie selbst diess sind Ihre Schatten meine liebste beste, wann sehe ich einmahl das Urbild ! heiter seve Ihr Himmel u Hertz, so ewig wie ich Ihre Luise bin.

10.

Strassb. d. 12t Apriü 75 NachU um 11 Uhr.

Heute kan ich Ihiiea aic.lit schreiben, meine ewi^ j^eliebte Caroline ! wir haben Fienide im Hause, es ist Chai woche, morgen grün-Donnerstag, u diessen Nachmiltaii- ltol)e ich in Ih!*en üeluMT lieben Comissionen verbracht, aber niclits ge- ivautt tias Tuch ist seitdem ungleich theurer worden, seit das Ihre gekauft ist.

ob mir Ihr Brief Freude gemacht ? diess sage Ihnen Ihr Hertz, u belohne Sie dafür, es liebt zäitlich, u weis wie das meine liebt.

Ja die Schlosserin u icli kennen einander, lieben einander

fast alle Wochen schreiben wir einander, aber jetzt habe teil sciion seit 14 Tagen keine Nachiicht von ihr. ich hotle nicht, dass es wegen Kranckheit ist. mein Hertz wünschet es nicht, sie kränckelt aber, u badet, sie ist sehi- unruhig, u richtet noch an ihrem Haus ein, von dem sie mir den Plan versprochen. Ihnen, u unsrer besten Fridericke^ verdancke ich iiiesse herrliche Bekandtschaft. Gott seegnet Sie ja jetzt schon, u seegne Euch ewig in Euren Männern, u Kindern datur

Eure einfachen slülen Freuden, sind sie nicht eine gantze lärmende Welt werth? Sie haben eine Mutter! eine Freundin! einen Mann, der gantz Mann ist. den Sohn Ihres Hertzens I

0 warum kan ich nicht zu Eucii, wie zu meiner Schlosserin gewiss theilete ich Eure häusslichen^ reinen Freuden.

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Im May g:ehe ich nach Buchsweiler; nach Ostern auf mein West hoffen, in dessen habe ich einen Frennd im Haus«\ Lentzen der Verdienste hat, u mir viel hr-rrliche Stunden macht, sonst lebe ich wie immer; lieifrr, zufrieden, oft im Sturme, selten stille, wie ich j^eme bin, aber immer mit meinem Schicksaale zufrieden, weil es Schicksaal ist die Zwillinge von der Retiteldin sind f^estorben; drauf kam ein Mädchen, das noch lebt; das letzte war wieder ein Bube, der nur 3 Wochen gelebt ; jetzt ist sie seit einem Jahre frey, kränckelt aber an Blutspeyen, ist aber immer die muntre, niivsle Frau, wie sie auch als Mädchen war ich bin froh dass icli iil)er Ihre Comissionen ungewiss bin. Sie miissen mir docJi wieder antworten. Ihrem Mann .sagen Sie, n tliun Sie für mieli was Sie wollen, meine gantze Verehrung können Sie nie ausdrucken meine Liebe für Sie können Sie fühlen

Luise.

IL

Stras. d. 18t May 75

Auch nur im Fluge komme ich zu Ihnen meine Theuie. ein Aufenllialt von 3 Wochen in W^ es tli o f f en , im May, u (lIzL wieder eine Rei.sse nach Buchsweiler, da mir jeder Augen- blick den Aufbruch droht, zerstreuen mich so, dass ich kaum mehr zu athmen weis. Ihr liebes liebes Briefgen hat mir u Lentzen Leben und Seele gegeben, ich empfieng ihn zu West- [hofen] mit einem von ihm, las sie im Wald^ in meinem Elysiumj ein Gebüsch^ wo hier u da eine alte Buche mit Moo$ bewachsen u Ephen umschlungen steht« davon der Fuss von einer mein Sitz war, die Wohnung der Nachtigallen, Mayblumen die Erde bedeckten, zu meinen Füssen ein Wässergen mur- melte, u die Wiese u Weinberge meine Aussicht begräntzten. hier £gind ich Ihre alte Seele gantx in Ihrem Briefe wieder, u weihete gleich den hmligen Ort unsrer Freundschaft.

Lentz weis Ihnen nichts würdiges genug für Eure beyder- aeitige Achtung zu sagen u will desswegen nichts zu dem Päckgen schreiben das er mir in den meinen^ für Ihren u | : mit Ihrer Erlaubniss : | meinen Herder gelegt hat. Ich soll es für ihn thuui seine Empfindungen würden durch den Ausdruck geschwächt u doch soll ich sie ausdrückender ist die zärtlichste, empfindsamste u bescheidenste Seele^

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ich schätze ihn hoch, u auch das Glück, einea nahen Umg-an^ mit ihm zu haben unsre Hessin hat mir Ihieiiy und Ihres Manns Schatten versprochen, ich hoffe Sie sagen Amen* dazu» Sie sollen neben Klopstocken u Schlossern hängen. Lentz freut sich sie zu sehen da er das Urbild nicht sehen kan, auch ihm würden Sie ein grosses Greschencke damit machen, ich hole ihm zuweilen einen Ihrer Briefe aus meinem Schatzkästgen, da beneidt er mir mein Glück, das aber leider sehr klein geworden.

Unsere Schlosserin liegt schon lange an einem Nerven Fieber elend kranck, sie war gantzer 8 Tage frey davon, gestern aber schrieb sie mir nur mit Bleystift aus dem Bette, dass sie wieder so arg wie Je läge, u kein Vertrauen zu den Artzeneyen hätte die sie ohne Zahl nehmen müsste. die gute Frau ! der arme Mann ! freylich verdient sie mehr Glück, ihre gantze Lage passt nicht auf sie ich kan nichts als über sie jammern. Vorgestern ist Ihr Päckchen fort, die Stickseide ist so wie man sie hier hat, u braucht, was nicht anständig davon iat kan wieder geschickt, oder ausgelauscht werden, den teile de coton habe ich so wohlfeil u dün genommen als ich ihn haben können vieleicht ist es etwas mehr als Sie brauchen ich wusste aber die Länge von Rock nicht was übrig ist werden Sie wohl für den Kleinen liebien Buben brauchen können. Warum kan ich ihn mit seinen lieben Aeltern nicht mit einem vollen heissen Kuss seegnen !

biss Sontag sehe ich die RehfeMin, wo ich ihr alles liebes und Gute von Ihnen sagen werde.

eben kommen Briefe an, dass mein Oncle heute kommt, jetzt stürmt es in meinem Kopfe. Leben Sie wohl.

Luise.

12.

k Madame

Madame Hess n^ Flachsland ä Darmstadt.

Buchs, d. 31t [Mai]

Endlich meine Liebe komme ich auch wieder zu Ihnen ; seit 14 Ta^en konnte ich nur an Sie denken, nun bin ich hier, unter Freunden die mich zärtüch lieben; alle Tage in der Gesellschaft des verehrungswürdigsten Mannes, der mir um so viel lieber geworden, da er auch meiner Freunde Verdienst

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schätzt, u kennt; Hr v. Ratlisamliausen * hat den Tisch bey meiner Tante u sie macht auch seine einige Gesellschaft, sie verdient es aber aueh; dieser hat mir sehr viel Hohes u gutes von Ihnen u unsrer Herderin gesagt; urtheilen Sie ^vie freudig mir da das Hertz sehlug ! ich soll ihn in Ihr beyderseitiges Andencken zurückrufen wan ich an Sie schreibe, ich hätte ihn gerne dafür geküsst, gedanckt habe ich ihm dafür, u ewig soll es mein Hertz Ihun dencken Sie ich habe Götteen - nicht gesclin, er kam den Tag vor meiner Abreisse. Lentz versprach ihn mir den Nachmittag zu bringen, irli a})er niemand, Lentzen sogar sah nicht mehr u liai)e nicht einmahl Ab- schied von ihm genommen, zum Ghick sagte ich ihm im Vor- beygehn von Heitlern u seiner Fr. Schatten, er sagte mir.

* Regiernngsrat uiul später nacli Kein Pr-isif^eiit in Buchsweilei*.

^ Gcethe kam, was er in Dichtmi'^^ und Walulieit wolil in Rück- sicht auf sein früheres Yerhältms zu Friederike Büuu und heiu spä- tem Zevwürfnia mit Lenz verschweigt, auf seiner Schweizerreise im SoitiTner 1775 zweimal, nn l zwar Ende Mai und Mitte Juli, nach Strassbnrg, um seinen Freund Lenz zu besurhon : s Gnethes Briefe Weim. Ausg. Die herzensgute Friederike, die sicher durcli ihre sahhreichen Verwandten und Bekannten Ton Qttthes längerer Anwesen- heit daselbst, gehört hatte, trug es ihm nicht nach, dass er sie nicht besuchte. Vielmehr thai es ihr leid, dass Gcethe, was ihr vielleicht Lenz zur Entschaldigung seines Freundes gesagt oder geschrieben hatte, noch immer so grosse Trauer um sie im Henen trage, dass er seine frisch vernarbte Wunde nicht wieder durch einen Besuch habe aufreissen wollen. Daher das Qedichtchen im Jaliheft 1775 der •Iris« :

Freundin ans der Wolke.

Wo, du Reuter, Sey zuhrieden

M- in t du hin? Göthe mein!

Kauiist (hl wHhnen Wisse, jetzt erst

Wer ich bin ? Bin ich dein ;

Leis' umfass ich Dein auf ewig

Dicli als Geist, Hier und dort

Deu dein Tramren Also weia mick

Von «Ich weist. Nicht mehr fort.

Dass Lenz, welcher als KoUekteur in so engen Beziehungen zur Iris stand, dies Qedichtehen in die Iris gebracht hat, liegt sehr nahe. Dass aber Friederike es verfapsto, was schon Falck, Friederike Brion S. vermutete, ist nach Stimmung, Einfachheit und dem Provin- zialismus, «wohiu meinst du?» nicht so unwahrscheinlich als die Kritik im Qoethe-Jahrb. 1885 S. 417 angenommen. Der Strassburger «Bürgerfreund» 1777 S. 490 klagt über den Paroxisraus zum Dichten, der selbst «das Frauenzimmer» ergriffen habe Aiirh rieophe Fibich dichtete in Lenzens Stamtubuch, uud Friederike Brxou war, wie ich anderwftrts zeigen werde, nicht das naive Landkind, sondern bei tliror bezaubernden Liebenswürdigkeit die für Litteratur schwärme- risch begeisterte Pfarrerstochter de» vorigen Jahrhnaderts.

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da-von können sie mit Gölte am besten selbst sprechen, ich will ihm aber davon sagen ; nun weis ich nicht ob es geschehn, was für Freude für seine Schwester wann sie den besten Bruder siebt ! Gott lasse es ihr an Leib u ii^eele gedeihen t ich mochte gerne wissen was sie macht, sie u wegen ihr, ihr }SMn, liegen mir sehr an. hat Ihnen dann Odtle was von mir gesagt als er bey Ihnen war> dass Sie mir sagen «nun werden sie ihn gantz kennen lernen»? es ärgerte mich dass ich gerade fort musste als er kam (len Claudius habe ich noch nicht ansehen können, ich war zu sehr verstört. Danck für Ihre Sorge u Mühe ich bin nun schon 8 Tage Iiier u weis nicht wie mir ge- schieht, was vermag doch Freundschaft u Zufriedenheit nicht i wünschen Sie mir Glück, u seegen Sie mich mit Ihrer gantzen Liebe mein Leih u Seele ist Ihr £igentham

Luise.

die Rehfeldin ist bey mir u kusst Ihnen mit der wärmsten Freundschaft, sie ist immer die lustige Frau.

13.

u Madame

Madame Hess n^ Flachsland ä Barmstadt.

Buchs, a. 14t junii 75

Ich (lachte das Andenken von Hr. v. Rath[samliaiisen] würde Ihnen Freude machen, meine Seele war sloltz auf Freunde die die yantze Achtung eines so Verdienstvollen Mannes hatten, u darum hwt er mich noch näher an sich gezogen ich freue mich allemahl auf die Stunde wan er komt u graut mir für der wo ei* fori geht es ist so alles gantz Seele wann er spricht, leider thut er es sehr wenig ich sammle aber alle Worte wie Gold auf, u bewahre sie. Lentz hat mir auch geschrieben; die Achtung von Herder u seiner Frau nihrt ihn gar sehr, er sagt mir «ich bitte sie sagen Sie dodi U r iheuren Herderin viel Gutes von mir, u welche Aufmuntci uii- u Erquickung- mir ihr Beyfall ist. ich wünschte ich kenutMe ilireti Geschmack u könle für sie allein ein Stück schreiben, sie sollte mir so viel werth sein als das gantze Publicum, sagen Sie ihr ich habe eine Lucretia geschrieben, vieleicht dass Götte sie drucken lüsst, sie jnö!ie alsdann auf die Sceenen acht haben in welchen Flavia vorkommt u mir ihre Meinung darüber wissen lassen« ihr

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Gefühl allein soll mir der Prübifisteui all der weiblifln'n Clia- racktere sein die ich mir vorzüglich geglückt ^^iaid)e )^ Den guten Menschen freut jede Achtung des Vernünftigen so inniglich u er ist dabey so blöde, so bescheiden, mein Tage habe ich keinen Autor so f,resehen. haben Sie die Recension im Mercuri über ihn gelesen, sie ist sehr bitter, u wie mich deucht zu voll Galle er redet auch verdeckt davon in seinem Brief, er war mit Götte bey der Scblossorin* u. kan nicht sa*^en was für AVunderwürkung sein Anblick auf ihie Seele u Cörper gemacht haben, sie ^rienj? prleich den andern Tapr mit ihnen spatzieren u soll jetzt gantz wohl seyn. o warum mÜNsen solche Menschen von einander f,^etrennt seyn I haben Sie ihn dann bey seiner Winlerkuntt gesehen? was muss das für eine Trennung gewesson seyn ! gntij?er Himmel I leben Sie wohl meine Beste, ich mus.s aufhören, icli habe ein erstaunendes Koptweh deneken Sie vorige Woche bin ich biss 11 Uhr im Mondschein spatzieren gegangen, das war ein herrlicher Abend das Geld habe ich empfangen mit meinem besten Seegen leben Sie wohl Luise.

1 Die masslos heftige Kritik Wielands gegen «LenzeiiR Anmer- kungen übers Theater », Teutscher Merkur Januar 1775 Bd. iX S. 9ö<96, die allerdings eine derbe Zurechtweianng verdiente.

t Damals, Anfang Juni, als znm ersten nnd einsigen Male Qcethe,

■seine Schwester, Schlosser und Lenz vereint beisammen waren, sind jtoe 3 Eintragungen auf 3 hinter einander folgenden Seiten in Len- zeas Stammbuch {s, meine Schrift: «Lenz, Qcethe und Cleophe Fibich» S. 63) erfolgt. Diejenigen von Schlosser «Cafharina von Siena» nnd von Cornelie aus dem 24. Sonnett Petrarchs sind als Mahnungen znr Vollendung angekündigter Werke anf^nfn«'!e!i. T enzens «Petrarch», wahrscheinlich im Qebirgsthal von Westhoten bei Frl. König ge- scliiieben, f&llt In den Sommer 1775 (Dorer-Eeloff J. M. R. Lenz S..ltf8) nnd ist ein letzter, nach der Tendenz des Gedichts wohl verunglückter Versuch rlrr Yrrsöhnung mit Cleopho Fibich (s. dagegen Erich Schmidt, Lenz u. KUnger S. 18 u 47, welcher den Petrarch auf Lenzcns Liebe zu Frl. Waldner v. Freundatein bezieht). Damals trug sich Lenz bereits mit dem Gedanken an eine dreijährige Reise ins Ausland, die er mit Joseph Flies, dem Sohne dos Berliner Banquiers Ephraim, unterneh- men sollte, und steckte auch Goethe mit dem rrodanken an eine ita- lienische Reise an ^s. Goethes Briefe Weira. Ausg. 345), Vgl. auch das Gedicht «Kachtsehwärmerey* von Lens bei R. Zceppritz, Ans F. H. Jacobi^s Nachlass II 315, wo Albertine die ComeUe (?) Yorstellt und Lenz phantasiert, als habe er sie bereits verlassen.

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H?2

Sliasö!. d. i3t julii 75

Eben komme Ii von Buchsweiler ziu uck. desswegen eine so späte Antwort auf Ihr liebes berrliclies Biiol'clien ja wolil Brielchen I aber lio^l nicht, dein ^aulzos, li('l)en(lf's Hertz ilarinne, dies ersetzt mir alles meine ganize Seele unifasst dich dafür, u seegnet laut. Anien Amen? ieh iiabe Freunde in Buelis. verlassen den würdigen Ualhsaiuli.iuseu verlassen, ländliche Freuden u doch i<t mir wohl dass ich hier bin ich bin in meinem Eigenlbuni. diess j^eht rnir über alles Raths, will ich soll ihn in Ihr Andeneken zurückrufen, es ist ihm kostbar, er verehrt Sie, dann er kennt linen {^antzen Werth er hat es mir oft wiederholt ihn nicht hey Ihnen zu vergessen dicsser liebe Man 1 warum kan ich nicht immer um ihn leben ! so einen Man u ich heuraibe noch unsre Rehfeldin ist noch immer das muntre scbwindliche Weib, aber dabey redlich u gut ich habe ihr die Stelle aus Ihrem Brief für sie gelesen u es bat ihr wohl gethan ^ sie 'Wollte mir einen Brief für Sie mitgeben, aber unter den Freuden u Hm- lichkeiten des Lebens, vergass sie ihn. unsre beyden jüngem Printzeni waren da, die haben alles froh gemacht bat Ihnen unsre Hessin die Stelle aus Lentzens Brief an mich, ausge- schrieben? hier ist sie noch einmabU u denckenSie diessen neuen lieben Freund verliebre ich vieleicht bald u auf lange hier fühle ich mich wieder in der Welt, ob ich schon in Augen- blicken von oben herunter auf i^^ie blicke ich soll eine Fürbitte bey Ihnen für ihn einlegen eurer l)eyden Schattenriss soll ihm Stärckung Trost u Freude auf seiner langen Reise seyn yraren sie auch nur halb gut er will das übrige hinzusetzen u glück- lich dabey seyn doch hier kommt er selbst, zu bitten su flehen ich will ihm noch einmahl die Gonditionen weisen unter welchen er sie haben soll aber dafür will ich davon

1 Fricdri^lt. -ob. 10/(> 1759, und ChriF^tian, geh 25111 17r>.3; sip studierten in btrassburg; s. Matricula »Serenissim. der Strassb. Uni- versität vom 2|3 1775.

« Folgt die Stelle des vorigen Briefes: <Ich bitte Ihnen, sagen sie doch der thearen Herderin die ich mir vorzüglich gegltlckt glaube.»

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frey seyn selbst mein Gesicht das sie kennen, i sa^ t Ihnen warum u dazu habe ich es unsrer Fridericke ab- geschlagen sie hat die Ursachen gebilligt, sie mag sie Ihnen sagen kriechet immer mit eurem Buben auf Tepichen herum da wo Agesilaus unter seinen Kindern auf einem Steckenpferde herum reitet, ist er mir am grössien

Luise.

Das Geld ist gantz recht, noch rechter dass Sie mit mir zufrieden sind.

Ich bin itzt ganz glücklich <la ich das beste Paai unter der alles anschauenden Sonne auoh <la< gliaklichste weiss. Die Freude die aus llnvm gaiitzm Rride athnn-t würdigste Stnb- lieho ! und die selbst mehr Tugend ab Gcnuss ist, hat auch Hiein Herz das ihr nun lange schon verschlossen schien, \vieder erfüllt und erwämiet. Gönnen Sie mir Ihr und Ihres Mannes und ihres Kindes Gesichter. Wenn kein unsichtbarer Zug dem Maler die Hand führen sollte, so schicken Sie mir sie auch hall) fdinlieli, ich hoüe noch so viel Imagination übrig zu hallen, aus dem was ich von Ihnen gelesen und gesehen mir das idjii^^e zu erganzen. Sagen Sie Ihrem Mann, er soll mich wenn ich Nvcit bin,'- nntei seine Kinder aufnehmen und manch- mal einen freundlichen Wunsch für mich thun. Ich kann nicht mehr schreiben. Goethe ist bey mir und wartet schon eine halbe Stunde auf dem hohen Münsterthurm.« Lenz.

1 Luise und Charlotte König waren von den Grazien bei der Gebart vernachlässigt. Die letztere besass nach der Mitteilung alter Leute verkrüppelte Füsse, die erstere hatte, wie mir Herr Spielmanu mitteilte, grosse Brandflecken im Gesicht und war abstoBsend hässlich. Wenn M. y. Waldberg, J. M. B. Lenz, Der Waldbnider S, 29 von der Wifwo Hohl sagt: «Sie ist eine ihrem Wesen nach vom Diclitcr frei erfundene Figur, die die Fäden der intrigue zu halten bestimmt ist», so hätte er a priori das Gegenteil schliessen müssen, dass näm- lich Witwe Hohl inmitten historischer Persönlichkeiten erst recht eine historische Person sein müsse. In der Tliat ist Witwe Hohl das leib- haftige körpcrhche nnd geistige Konterfei der Frl. Luise König, die übrigens Lenz auch in der «Alten Jungfer» (Dramat. Kachi, S. lUti-li)?) mit ihrem Namen nennt und mit ihren Brandmalen porträtiert hat.

* Wiederum Anspielung auf jene dreijährige einsame Beise, die er zu seiner eigenen AusbiMnng ~ mit einem Juden machen wollte (H. Düntzer, Aus Herders !Nachlass I 226).

3 Auf seiner Rückreise aus der Schweiz. Siehe Goethes «Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775b bei M, Bemays, Der junge Goethe III S. 696, wo Goethe auf der Plattform 4e8 äfünsters in »einen Gedanken durch Lenzens Erscheinen unterbrochen wiid.

Iii

15. ,

ä Madainc

Madame Herder Flacltsland k Bückeburg.

Westhotteii d. Ii 8bre 75

Siü haben mir eine Wunde zugeheilt ewig Theure Freundin^ aber eine andre um so viel blutigere gemacht, ich glaubte Euch alle meine Lieben veriohren zu haben, dann seit Ihr in Darmstadt wäret habe ich Iceine Zeile von meiner Hessin gesehen, ohnerachlet ich an sie u an ihre Tochter geschrieben habe, ö wie viele Warum u Vieleicht sind in meiner Seele unau^elosst entstanden t jetzt sind sie es leider aber wie ach könnten ihr meine Thränen meine Wünsche helfen die redliche Seele trauete sich leider nie genug zu, u Ihre täg- liche Aufmunterung fehlte ihr jetzt auch, ach Gott helfe Ihnen bald wieder zu einer glücklichem Schwester, u schaffe mir meine gesunde Freundin wieder! Danck, den besten Dandc meines Hertzens Freunde, für Euer herriiches Geschencke. ja leider ist es nur Schattenwerck, aber doch Ersatz der einzige der mir in diesser Welt gegönnt ist Lentz weis noch nicht dass ich so was köstliches für ihn habe, wann ich kan, schicke ich sie ihm noch heute. Mein Kopf ist sehr wüste, ohnerachtet ich in meinem Elysium seit 8 Tagen bin. ich habe noch nicht genossen wohl die Natur in ihr ehrwürdigen Schmuck gegrüsst u gese^et, aber noch nicht in meinem Wäldchen, bey meinen Vögeln gesessen, d I könnte ich Euch da einmahl an mein Hertz drücken u Euch all meine Herrlichkeiten fühlen machen aber das beste ist mir nicht gegönnt dort, dort sehen wir uns wo kein Schicksaal mehr die Seelen trennt die du Natur für einander bestimmtest ich lasse Ihre Gommission durch eine Freundin u den Kaufmann von denen ich sicher bin be- sorgen, ich hofle es wird alles so gut besorgt wie durch mich selbst, nur dass ich die Freude nicht habe selbst für meinen Herder zu sorgen, u mich für Ihn zu beschäftigen

liebet liebet midi Freunde ! diess sey mein herrlicher Lohn für das was ich für Euch thun kan Luise König.

so bald des liebfii Kindes Feuer gemildert ist, o ?o denckt an micli wegen seineiu Schatten er gehört wil zu eurem Geschenke.

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- 85

An uixbere goldene Herderin in Wrsipliuleii

Weslhoff. d. 4t 8bre 75

Ich $o11 Ihnen diessen Brief zuschicken meine Liebe I Lents hat mir einen bössen Tag gemacht; ich schickte sein Mann* scripta schon vor langer Zeit an nnsre unglQckliche Hessin, ich wttsste noch nicht dass sie es "war. ich bekam keine Nachricht dass sie es erhallen hatte ohnerachtet ich desswegen auch an ihre Tochter schrieb u ich schloss sie wären beyde mit Euch nach Bficke[burg] u. war gantz ruhig. Herders erster Brief sagte ihm dass er nichts erhalten halte nun forderte er es mit dem VerzweifiuhgsvoHesten Tone an mich Gott lob aber denTag darauf schrieb er mir dass Herder alles erhalten habe ich hoffe diesser Brief sagt es auch

Ihre Comtssionen hoffe ich, sind gemacht, u der Pack fort, doch probiere ich ob diesser Brief nicht noch mit kan, es hegt schon noch einer von mir darin

Lentz hat Eure Schatten, ich hoffe er kommt bakl zu uns, er vrill herbsten helfen. Gott! warum trennt Euch ein so weite[r HJimmel mein Geist besuchet Euch oft, aber die sinnliche Hülse will auch ihr Theil lebet wohl meine Lieben ! glücklich seyd ihr Luise Königin.

17.

Caroline Herder an Frl. König.*

Vor einigen Tagen isl das schwarze Tucli nebst Strümpfe und Baumwolle glücklich angekummen und alles nach Wunsch

1 «Di« Soldaten» ehis Komödie. Vgl H. Dftatzer, A. R N. 1 229:

(Strassburg), den 29. Sept. (1775).

«Herder! Ich will und muss rin Recepisso liabeu, ob Du die «Soldaten», eine Komödie, erhalten hast. Ich habe sie Dir schon seit acht Wochen unterem Couvert der Jungfer König über Darm- stadt sagesehickt» wie das Pandaemoiiiam. Es ist meiii einzig Ha- nuscript, und wenn es verloren ist, so ist mein Leben mit verloren. Reiss mich aus diesem quälenden Zweifel durch eine kleine Erkun- digung bei Herrn Geheimrath Hesse und durch die geschwindeste Antirort, rar in zwei Zeilen. Lena.»

* In Röderers Nachlass. Einer der von Lenz bei Frl. König aofgeliaBcliten Briefe (s, Ans Herders Nachlass I 228) und anf Len-

80

uuifgeiailen, wutTii Sie liebäti' Loiii^«* und diejenige die dazu beygetrapren unsorn best*^n Dank haben.

ich hah»^ ihren ersten und zweyten Brief mit Le[nz] seinem erhallen liebstes Herbstmädchen. Ihre Stimme w.w mir ein herzerquickendf^r Trost ich glaubte das S( iilat iitopfer meine arme Schwester Ihr verloren und auf einmal kommt wieder Lehenslicht in sie, sie lebt wieder auf wie vorher ist frölich und j^esund wieder. 0 gebe riolt dass es so bleibt dass sie Festigkeit der Seele und des Körpers bekäme die doch warlich zu unserm Erdenlel>eu gehört. Gott sei gedankt dass er sie uns so wiedergebe henkt.

Unser Le[nz] unser liruder hat uns seine ^»^anze Seele gegeben o welch ein Mann welch eine Engelsseele ich kann mich nicht ^enu^ an ihm weiden i

Herbstet unter unscim Andenken frölich und glücklich d«m Seegen Gottels ein Schwester und Bruder, mir ist es nicht ver- gönnt mit den Meinen in meinem Vaterland unter Eurem schönen Himmel süsse Traul>en zu essen und irölichen Herbst zu halten. Ich tühls auch oi't liebste Louise dass meine sinn- liche Hülse gern bey Euch wäre lasst uns nicht daran denken, ich erquickte mich neulich an (iem Gedanken, dass u n s d 0 c Ii die }> e s l e n M e u s c h e n g u t w ä r e n , mein Herz war recht gesättigt.

Adieu ! Doch ich muss Ihnen noch was neues sagen wir werden vif II» n ht noch vor oder gleich nach Weynachten nach Göttinui ii zirlni, mein Mann wird doch theologischer Professor und üniversitätsprediger beynah wieder unsem

zens sp&teren Irrfahrten (s. A. Stöber. J. G Röderer S. 7-8) wie die

Briefe von Pfenninger, Schlosser und Wielaiid (s. Stöber a. a. 0. S. 161-171) und so inaiiclies andere bei Röderor liegen geblieben. Der Brief, ohne Datum und Adresse, ist au Luise König gerichtet und fällt zwischen Herders Berafung als Professor der 'nieologie und Universitätsprediger nach Göttingen d. 13. Ang. 1775 und die Antrage Goethes vom 12. Dez. 1775 ob er die Stelle als General- Saperintendent in Weimar annehmen wolle. Der Brief ist mithin aus BCLckebarg geschrieben und zwar wie die stilistische Znsammenge- hörigkeit «herbsten» nnd «sinnliche Uillse» er\\> ist, als Antwort auf den vorangegangenen Brief vom 4. Okt. 1775, Yergl. den ähnlichen Brief der Karoline Herder an Merck (K. Wagner, Briefe an J. H. Merck Darmst. 1835 S. 78) vom Okt. 1775.

1 Aehnlich Herder an Lavater (Ans Herders Nachläse II 8. Ul) den 4. Okt. 1775: «Lenz hat sich anf recht iinerwartet«göttUcb*gate Art mir genähert, ob ich ihn gleich nicht persönlich kenne.»

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Willen, aber hier ist nichts meiir für meinen Mann, er ver- sauret beynah, er rnuss in ein anderes thätiges Feld wan sagt Lenz dazu wir bitten um seinen Seegen

Unser Sohn wird wie ein Hirsch auf den Berj^en, er war sehr krank am Maj^en ist al)er -wieder beyiiah hergestellt ist in allen Unarten, welches man Genie nennt seinem Vater ganz älinUch.

Adieu ihr lieber Gott sey bey euch

Caroline Herdei .

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INHALT.

Seite.

I. Gcethfis Aasflag nach Saarbrftcktti tind seine Ky^mma in Straasbnrg 5

IL Bas Kostliaiis der Juugiem Lauth in Strasäburg .... 12

HI. Ein Dankbrief Jang-StilUngs an die Mitglieder der Salz- maimBchen QeseUschaft 18

IV. Der Dichter Lenz und die Salmannsche GeseUschaft . . 24

V. Das Protokoll der Deutschen Gesellschaft in Strassburg nach der OriginalhandscUrift nebst einem Briefe von Lenz an Haffher 38

VI. Der Bachsweiler Freundeskreis von Gcethe und Lenz mit einer Verwandtechaftstabelle 6&

VIL Der Briefwechsel der Strassbnrgerin Luise König mit Karo- line Herder, der Frau des Dichters, ans dem Herder- und

Höderer-Nachlass 60

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BEITRAGE

SUR

LANDES- UlNi) VüLKESKUNDE

VON

ELSASS-LOTHRINGEN

VIII. HEFT

GKSCHICHTI:. iM:S lii:iLi(;i:N KOKSTllS

NACH: DEN QUELLEN BEARBEITET VON^

C. E. NEY Kais. OberflTirster in Hagenau.

i:rsti£R teil.

VOM EINTRITT OES FORSTES IN DIE GESCHICHTE BIS ZUM

WESTPilÄLlSCHKN FKIEDEN (1065 bis 1648).

STRASSBÜRG J. H. Ed. Heitz (Heitz & MUndel) 1888

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Im Verlage der unterzeichDeteo Verlagshandlung erscheint unter dem Titel :

BEITRÄGE

ZUR

LANDES- UND YOLKESKUNDE

VON

ELSAS8-L0THRINGKN

in zwangloser Folge AbhanülungLMi und iMittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur- geschielite von Elsass und Lothringen, Beiträge zur Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner Bevölkenmgsverhältnisse in der Gegenwart und in der Vergangenheit, seiner AlterthOmer^ seiner Künste und kunsl<j;i3\verbliclien Erzeugnisse; es sollen daneben selten gewordene Ittt^rarische Denkmäler durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, und durch VeWMTentlichung von Erhebungen über Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch der Stände, ü)>er A.l> »rdaubcn und Lcbcrlieferungen, über Singen und Sagtü der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge «las Interesse an der olsass- lotliringiselicu Volkskunde befördert werden. Aner- bietnngen von, in den Rahmen gegenwärtiger Samm- lung sich fügenden Beiträge werden den Unter- zeichneten jederzeit willkommen sein.

Die, ersten Hefte euihalteu iblgende Arbeiten :

Heft I.: Die deiUsch-fraiizösische Sprach- (fre/nß in Lidhriiiqen von Gonst. This. 8". 31 S. mit einer Karte (1 : 300.000). M 1 50

s/>7^^ dritte Seite des UmsrhlOffS*

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GESCHICHTE

DES

HEILIGEN FORSTES

BEI HAGENAU IM ELSASS

NACH DEN QUELLEN BEAABEITET ▼OJI

C. E. NEY

KaiB. Ubtirfürster lu iiagenuu.

ERSTER TEIL.

VOxM EhNTHlTT DES FORSTES IN DIE GESCHICHTE

BIS ZUM

y^STPHÄLISGHEN FRIEDEN (1065 bis 1648).

STRASSBURG J. H. Ed. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL)

1888.

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^liöit «hne Zweifel der lievte noch nmd 14,000 ha groflee Ha^feiMmer Ftrst. lütteii m der Rheinebene in einer seit eiäeni JabrfanBeMl dktit bevSlkerteD Cregend gelegen und fest durchaus auf einem rar feMMiwirtschafIliclien B^nutznng $<eeignetefi Boden

stockend, ist sdne blosse Kxistenz .schon iullallend, und niclit ^venigel autlallend ist die fast absolute Abwesenheit von Endaven fremden Eigenturas inneriialb seiner Grenze.

Das und fast mehr die Eigentümlicblceit der thatsächlich betlehendira Eigentnmsverhftltmsse war ^aus mieh ver^ anlasste, in den »emlich reichlialtigen und weit snrudEreieheiiden AfchiTen diar Stadt H^nau und des Bezirk« Unterelsaas sowie in der vorhandenen Litferatnr seine Creschlehte an der Hand der Urkunden eingeheiRi zu :>tudieren, und ich übei gehe die Resultate meiner Forschun*;en der OetVenHichkeit in der Aiisichf, damit <;inen kleinen Baustein zur allgemeinen Geschichte des mir zur 2weiten Heimat gewordenen Reichslandes zu liefern.

Die naehfolgtoden Zeilen enthalten^ so viel ich weiss, die erste xuaanunenfaftngimde Spezialgeschichte eines einielnen deutschen Waldes und dürften daher auch för die allgemeine Geschichte der deutschen Forstwirtschatt sowie för dieieni<:e «ler Rechtsverhältnisse im und am Walde in Deutschland nl hl i>hne Interesse sein. Das vni'liej^ende ilelt wird die Geschichte des Forstes bis zum l'ebergang der LandVogtei im Elsass an das Haus Or'''t^Treich enthalten. Tn f^pSteren wird diesellie bis zum Jahre 1791, vielleicht auch bis zum Jahre 1870 fortgesetzt werden.

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I

4

ERSTER ABSCHNITT.

Der heilige Forst unter den Saliern und ilohenstaufen (1065 bis 1254).

In keiner vor das Jahr 1065 zurückreichenden Anfteichnung- wird des Forstes ausdrfldclich Erwähnung gethan. Niciil einmal die Existenz eines grossen Waldes zwischen Moder und Sauer lässt sich urkundlich naciiweisen. Dieses Schweigen der Ur- kunden ist um so auiTallender, als sich heute noch jenseits der Moder und Sauer und an den Ost* und Westrändern des Forstes ziemlich hedeutende Waldmassen £ist unmiitelbar an ihn an- schliessen und; ziemlich urafongreiche Waldflächen in dessen nächster Nähe nachweislich erst seit der Mitte des Mittelalters gieHOdet worden sind.

Was in dieser Gegend zu Anfang des 12. Jahrhunderts noch fast ununterhrochen Wildnis war, umfasst ein Area! von 20,000 his 25,000 ha. Es sperrte fast das ganze Rheinthai ab ' und liess nur . in der nächsten Nähe des Rheins und in den Vorbergen der Vogesen zwei schmale ziemlich waldfreie Läcken, durch welche sich der Verkehr und grosse Heere ungeföhrdet bewegen könnten.

Trotzdem wäre es übereilt, aus dem Schweigen namentlich der römischen Schriftsteller und der Geschichtsschreiber der Frankenkriege über das Vorhandensein dieses Waldkomplexes den Schluss zu ziehen, derselbe habe zur Römer- und Frankenzeit überhaupt als solcher nicht existiert. Speziell vom Forste selbst erscheint es durchaus unwahrscheinlich, dass ddTselbe zu jener Z^t etwas Anderes gewesen ist als Wald und Sumpf.

In der ganzen Ausdehnung des Forstes findet sich auch nicht die geringste Spui Irüherer zusajinnenhängender Ansiede- lungen. Wühl sind einzelne Teile des Forstes, so namentlich, der Forstort Mägstub, zwischen Schweighauseu und Mertzweiler.

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gelegen, übersät mit sog* Hünengräbern. Dieselben sind aber durchweg keltischen Ursprungs und entstammen einer Zelt, in

welcher die Bevölkerung noch vorherrschend von Jagd und Viehzucht lehte. Zu dauernder landwir tschaltlicher Benutzung waren jjerade die armen SandlKVJen, auf denen die Hünen- gräber sich fast ausschhessUch belinden, von aUen Teilen des Forstes am allerwenigsten geeignet, und fast scheint es so, als wenn sie die damalige Bevölkerung nur deshalb zur Bestattung ihrer Todten .benutzte, weil ihr leicht fortzubewegender Boden ihnen das Aufschütten der oft hunderte von Kubikmetern ent- haltenden Grabhügel am meisten erleichterte. Ebensowenig sprechen die ganz vereinzelten Funde römischer Ziegel im Forste für Besiedolunj^: des Forstes zu Zeiten der lioiiier.

Die von unserem verdienten Altertumsforscher Herrn Bür- germeister Nessel ausgeführten Nachgrabungen haben in allen mir bekannten Fällen ergeben, dass die Ziegel immer von Schuppen, Harzdfen und ähnlichen Anstalten geringen Umfangs herrühren, wie sie auch heule noch mitten im Walde errichtet werden.

Auch von Römerstrassen findet sich im Forste keine Spur. Es ist daher bis zum urkundlichen i:^weise des Gegenteils anzunehmen, dass der Forst wenigstens in der Ausdehnung, in welcher er heute noch vorhanden, ist, schon zur Römerzeit Wald war, und dass ihn die Franken bei der Besitzergreifüng als zusammenhängende Waldmasse vorgefunden haben.

Allem Anscheine naeh ist er damals, wenn auch in stellenweise etwas weiteren Grenzen, als er si»' ht ule besitzt, als Küni^»-sgut, oder, da er nirgends unter dem fränkisi Ikmi Königs- gute aufgetührt wird, wahrscheiiilicli als Lehensgut irgend eines Heerführers in den Besitz eines Einzelnen gekommen. Es spricht dafür der Umstand, dass er in keiner uns erhaltenen Urkunde als Markwald irgend einer Gemeinde oder Markgenossenschaft bezeichnet wird. Hätte er in irgend einer wenll auch noch so weit ziirüokreichenden Zeit die Eigenschaft als Markwatd besessen, so wäre in den zahh^eiclien späteren Rechtsstreiten um Eigentum und Servituten die.ses ümstandes ohne Zweifel Er-

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'mSkmm^ ^eäuM wwrdaD. AnMendem 8|^cbt der Veriaul:' moer Gfenaea ^bür, 4am er «eh um j/ekar in einer «tarkeo» jeden ßifigriir buiUshalteaden fiaiHi befftindeii htt.

In ^wricbtiiii Uflafanjre dei* Forst clamals aU Etnzc^lj^^ut von der V<irleüuii^ aa die GeoieindtMi aus^^esohlo-saeü wtuxie^ likHSt . mh ipeBM nieht mehr iestetetlen.

Ekai^ kakali gewähren indeeseQ die fieeHwiffkuodea der Ablei Weiaaenimrg, weldie von Zerns unter dem Titel Tnn * lülMnes et ffeattL'wioneo Wiwenfcqiynoefl » vetOffiantiidit wurden. DieaeHien mmStmm die leMen 70 Jahre dee S, «md den Anfon}^ des 9. Jahrhuadeds und lieteiü tlcu nitujusi^ifs^ljchen Beweis, da«8 daina.1« ein sdir ^rmsser Teii der utn den Foist l*eruiii ^ge- legenen Dorfer aiclil alieiii bereits bestand, sondern dass auch ibre Feldtnarktn^ bmits in iMhem Grade, bie m Drittels- bnben and imlben Ifannaniatten i pamliiert war. Die fitone dieaer Oemeinden sind, namenilkli wenn «ie Gemeindewald nnd Almende lieaitoen, spatealene an Anfang der Frankenaeit att«$r«^chieden und den Gemeinden übei^ie^en worden, der FcIdiKitin als «geteilte Mark zur Verteilung an die einzelnen freien Mannen <ierse^ben, die Aluiende als uogeleilie, allen Mitgliedern der Gemeinde gemeinscliaftiidie Mark meist au eimelne, der Wald «ta nnfpeteitte Waldmark im Elsaae in der Begel an mehrere an einer Mark- oder Gerentegeneaaenscbaft vereinigte Gemeinden.

Ueber die jetzigen Grenaen der in den Traditaonea vor- kojinnenden Gemeinden : Sesenhdifln, Leuleidieim, Forstfeld, BetsclMlorf , Snrl>ur«j . (Tun6fett , Oljerdorf, Wßrth, lie^^eiify (falls Aginonivilia Hegeney und nickt Hagenau liedeulet), Mie* tesheim, Nauendorf, Uhi weder, Ohlungen , Scliweighausen^: Winfershanaen, fiataend4}rf9 Weilbnicb, Chriea und Herlieheim^ besw. fiher die dieaen zwaftchaiiiegenden natürlichen Grenaen kann sieh der Forat mi der Frankenaeit nieht mehr eratreckt haben.

1 Der Anadntefc «Mannamatte» eder baaaer Ifonnamabde Jat

heute noch in der Umgegend von Hagwiaa gebr&nchliclL Er beaeieh*. nete ursprünglich eine Wiesenfliche, die so grosa is^ daaa sie ein Mann m einem Tage mftben kam, jetit eine Wieae von tO a.

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Dasselbe läesl »ch amwlimen von denj^nigeii Gemeiodeiiy weldne vmt in den Traditiones nicht erwihiit dnd, abei* <re- meindewaM oder Atmenden iieeitieii) soferne aicli ein apftlerer

Erwerb dei*selben nicht urkundlich nach^sveisen lässt, sowie von (ien jenigen Dörfern, deren Bünne -sich zwischen diejenigen der voi^nannten Gemeinden einschieben, f?oferne ihre Grenze j^eg^en den Forst die naturgemusse Verbindung der ihrigen bildet. Zu den ersteren gehören die Gemeinden Morsbrunn, Forstbeim^ Griesbach, Ueberach, Bischweiler, Oberhofen, Sufllenheim und Runsenheim. Zu den ietsteren Schwabweiler, Bitschhofen und Niedermodern.

Die einzigen jetzt ausserhalb des Forstes «^ele^^^enen Gemein- den, deren Baume demnach zur Frankenzeit nooli zum Forste gehört haben können und, wie wir .sehen werden, teilweise auch dazu gehört haben, sind von Norden anfangend Biblis- heim, Walburg, Hegeney, Eschbach, Laubach» Mertzweiler, Hagenau, Kalt^hausen, Schirrein, Schirrhofen und Königsbrück.

Da indessen die Bäume der Dörfer westlich von Hagenau bis an das linksseitige Hochufer der Moder hinanrefchen und von jeher mindestens bis an die Moder gereicht liai)en und die Gemni kuiijien der Gemeinden östlich der Stadt weit über die Modei* hinausgi-eifen, so ist es durchaus nicht wahrschein- lich, dass hei Hagenau selbst und weiter abwärts der Forst die Moder fiberscbritten hatte.

Der Teil des Stadtbanns von Hagenau, derauf dem vedttiest Ufer der Moder liegt, und das früher dazu gehörige Kalten- hausen mit Seinem Banne hat mit anderen Worten ivahr- licheinlich seit der Frankenzeit niemals zum FoisU^ gehört.

Vi^mehr bildete gleicli iiei der ei'sten Teilung des Landes die Moder oiler das nördliche Hocliuter des Moderthaies die Südgi-enze des Forstes. Die Moder reibst war umgekehrt die Nordgrenze des Gebiets, in welchem Kaiser Heinrich II. dem Bischof Wemher von Strassburg im fahre 1017 den Wiklhann einräumte (Als., dipl. I, 150).

Südlich die Moder, aMlich die Sauer, dstlich die Bann^ grenzen von Oberhofen, Sufltenhelm, f^AOlenheim und Kauifen»

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heim, westlich diejenigen von Ueberach, Mietesheim, Griesbadiy ForsÜieiiD und llorsbninn sind daher die ftnaaersten Grens^ linien, Iiis m denen sich der Forst seit Kdnig Chlodwigs Zeiten ausgedehnt haben kann«

In der Mitte des iO. Jahrhunderts war, wenn Batt > richtig interpreliei l, auch Mertzweiler oder doch der Teil seines Banns, der rechts der Zinsel liegt, bereits gerodet und gehörte nicht mehr zum Forste.

Im Jahre 968 schenkte nämlich Kaiser Otto I. seiner Ge- mahlin Adelheid neben anderen üdfen^ unter welchen Hoch- felden und Schweigfaausen, einen Hof « Horisenwiller >, ebenso 995 Otto ni. dem Kloster Selts u. A. die Kirchen zu Schweig- hausen und Morcenviller. t Der gerade Verlauf der Grensen dieses Teils des Gemeiudebanns spricht für sehr frühzeitige Ausscheidunjr.

Zu Anfang des 12. Jahrhunderts gehörte aber auch die Hauptmasse der Banne von Ri})lisbeim, Durrenbach, Waibuiig, £schbach und Laubach nicht mehr zum Forste.

Bibltsheim und Walbuig sind nachweislieh Ansiedelungen um Klöster, welche swischen 1074 (Walburg) und 1102 oder 1165 von Grafen von Mömpelgardt ^^egrändet wurden.

Diese Familie hatte aber, wenn sie ihn je besessen hat, wie wir sebt ii \\or(len, wenigstens am Anfange des 12. Jahr- hunderts keinen Anteil mehr am Forste, Von Biblisheim speziell existiert auch keine einzige Urkunde, aus welcher her- vorgeht, dass diesem Kloster jemals ursprunglich zum Forste oder zum Eigentum der Besitzer des Forstes in jener Zeit gehörige Grundstücke übertragen worden sind.

Es ist deshalb in hohem Grade wahrscheinlich, dass die

1 Geschiclite des Eigentums zu Hagenau i. Eis.

« Ich bin nicht Sprachkenner genug, um mit Batt zu entscheiden, ob aus Moxizeuwiller und Morcenviller ein Mertxweiler werden kann. In der Nähe von Schweighauseu liegt auch ein Dorf Morsch« Weiler. Es wird zu untersuchen sein, ob Hotsehweilsr odw Mexts- weüsr in kirchUehsr Beaishiuig so Seltz gehörte. Moraehweiler sott nach Batt früher Mora^willer gsheiisen haben.

0

fast gerade, heute wie vor 344 Jahreo nur mit 4 SteiD«D ver* markte kfiosttiche Linie, welche heute den Forst von dem Banne von BiUiaheim scheidet, bereits um das Jahr 1100 die Grenzscheide xwischen den Besittungen der Grafen von Hömpel* gardt nnd dem Forste bildete.

Diese Linie verläuft von Norden nach Süden und verbindet den Saueri)ach mit dem sog. Halbmühl- oder Biberbach, der antiqua Sura jener Zeit.

Verlängert man dieselbe geradlinig bis zum Eberhach, so achneidet die VerlSngerung etwa ein Viertel des Banne» von Walburg zum Forste, und in diesem offenbar aus dem Forste herausgeschnitlenen Stücke des Bannes sowie in den südlich des Eberbachs rjelegenen Teilen desselben werden wir einen Teil der Schenkungen zu suchen iiul)en, welche, wie wir sehen werden, im Anfang des 12. Jahrhunderts an das Kloster aus Teilen des Forstes gemacht wurden.

Spätestens um das Jahr 1100 bildete also nur östlich von Biblisheim der Lauf der Sauer die Grenze des Forstes, von da bis zum Eberbach war die erwähnte nordsftdliche Linie die Grenzscheide, und von dem Fusspunkt dieser Linie westlich folgte die Grenze dem Laufe dieses Baclis. Hegeney, das mit seinem Banne nördlich des Eh>orbachs liegt, hat daher, wenn überhaupt, um das Jahr 1100 nicht mehr zum Forste gehört.

Dagegen sind die Dörfer Eschbach und Laubach und die so^. Laubacher Höfe aller Wahrscheinlichkeit nach um jene Zeit auf Forstgrund gerodet, bezw. aus dem Forste heraus- geschnitten worden. Es spricht dafür nicht nur ihre zwischen den Forst und den Bann von Forstheim sich einschiebende J^age südlich des Eberbachs sowie ihre frühere Zugehörigkeit zum Patronat des Seltzer Klosters, sondern auch der Umstand, dass Eschbach als cpraedium Loubach)» in einer Urkunde von 1143 geradezu als « in sacro nemore situm » bezeichnet wird und ebenso eine Schenkung des nachher zu erwähnenden Grafen Regenold an die Abtei Maursmünster, wie Laubach em$ Schenkung desselben Grafot an die Abtei Neuburg war.

Dagegen gehörte damals wahrscheinlich der ganze auT der

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\ ettefn Petro , das gut Werk so Kaiser Heinrich , seuier Mutter Bruderj angefangen und bestäUf^et hatle^ und oonfir- mnte solches sa Steinfeldj zug^a aelses Vettern Reno unil anderen treffliehen ihren Rhäten und Freunden» u. s. w. und befreite es von allen Beschwerden und Dienstberkeiten.

c Damach als vfrei Jahr verschieden» (also iil9) «haben Friedrich und Judit das Kloster begäbet miL dem Vorhof St. Egidi zu Morsbronn^ das ist der ganze Walt von der Eber- bach uutz auf die Surr i und Dürrenbach mit Zwing und Bann. »

In verschiedenen Urkunden wird dieser Schenkungen Er- wähnung gethan^ so in der Bulle des Papstes Honorius II. von 1133, in welcher er die Privilegien des Klosters bestätigt, in einem Berichte des Bischofs Gebhard von Strassburg von 113^ und in dem Bestätigungsbriefe Kaiser Konrads III. von 1138.

In dem Berichte Gebhaixis ist ausdrücklich gesagt, dass- Graf Peter Herzog Friedrichs « in eodeni allodio coheres gewesen sei und dass beide die Schenkungen Kaiser Heinrichs V. bestätigt hätten.

Danach be&nd sich der Forst zur Zeit dieser Schenkungen^ im ungeteilten Allodialbesiti der salischen Kaiser, der Staufer und der Grafen von Lücelburg aus dem Hause der Grafen von Mömpelgardt, und zwar stand, wie aus einer später zu erwähnen« den Urkunde hervorgeht, den letzteren der dritte Baum im Forste zu. Die übri^^en zwei Drittel wurden im Jahre 1125^ nach dem Tode Kaiser Heinrichs V., der seinen AUodialbesitz. seinem Neffen Friedrich dem Einäugigen vermachte, in der Hand dieses mächtigen Fürsten vereinigt.

W^g Sinter als Walbui^ 1128 oder 1133 wurde an seinem Südrande, wenn auch gleichfalls ausserhalb seiner Grenzen, das Kloster Neuburg begründet und sowohl von dem.

1 1119 wäre demnach der jetzt dem Herrn A. v. Charpentier gehörige sog. Herrenwald, 1106 dagegen das Gelände südlich dea fiberbachs und die dem Kloster znnächst liegenden Teile dem Kloster geschenkt worden. Zur Schenkung von IIW scheint der sog. Miir- brach bei Mertzweiler gehört zu haben. Im Jahre 125'J verkaufte ihn das Kloster als Wald an die Abtei i^eubuig.

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briefes König Richards von 1257 hervorgeht, in der Haupt- sache noch zum Forste gehöriger Wald.

Aiit diesem fundum proprium gründete Barbarossa 1189 tias Nikokiusfepital, und diesem Spital hestätigle 1207 König Philipp, dass ihm sein Vater Barbarossa in einer im Spital seihst ausgestellten Urkunde u. A. «totam illam plebem quae est citra aquam quae dicitur Modra > geschenkt hahe. Auf dem linken Moderafer scheine sich demnach seit Gründung der Stadt Leihelgene angesiedelt zu hahen, die^ auf dem Grund und Boden des Kais» rs sitzend, ihm nicht nur zehnt-, sondern auch als Leibeigene dienstpllic litig waren.

König Heinrich VI. zog iiire AVohnsitze unter dem Namen Königsau in die Befestigung der Stadt. «In nova civitate Ku- nigesowe quae in fundo nostro proprio constructa dinoscitur», heisst es in einer l!i35 vom Könige ausgestellten Urkunde, in welcher er das Pfarrrecht in derselben dem Nikolausspital verlieh.

In derselben Urkunde übertrug er dem Spital auch « augiam nostram in Buzenheiai, * que prope novam civitulem

Sita videtur ut ipsi ea in hiis quae culta et incuUa

videntur libere utantur». (Batt 1, 184.)

Eine weitere Veräussening von Teilen des fiindum pro- prium zu Lehen an die Bürgerschaft von Hagenau aus dem Jahre dSS51 durch König Konrad IV. wird von Batt (I, S. 197) erwähnt, ihr Umfang aber nicht angegeben.

Die Schenkungen der folgenden Periode scheinen aber zu l)evveisen, dass zur Holienstaufenzeit bei Ilagenau auf dem linken Moderufer nur solche Teile aus dem Forstgrunde vei*- inssert wurden, welche längst in der Stadt seihst aufgegangen sind.

Der eigentliche Feldhann und was an zerstreuten Höfen und an Wald auf dieser Seite der Mfider gelegen ist, gehörte

beim Tode König Konrads noch rechtlich zum Forste, wenn

1 Unter dieser in der Nfihe der EÖnigsau gelegenen «augia» in ßoseiLheim ist wohl das Gelände sa verstehen, welches sich östlich an die Eönigsao anschloss und die Lttcke zwischen derselben und dem unteren Teile der Altstadt ausfällte.

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auch in jeaen unruhig 2Setten manche unbefugte EingrifiTe der Sfadt und der BOrg^er in die Subetanz des fiindum pr6> priuni unbc'inerkl und uiii-calmdet irehlieben sein möjren.

Die rechtsgülti«? stattgrehabten \ eräutiserunj^cn von Teilen des Forstes sind mit anderen Worten unter der Herrschaft der Hohenstaufen in der Ge^fenri von Ha^^enau von sehr geringem Umfange gewesen. Sie beschränkten sicli auf die zur Vergrosse- rung der Stadt selbst erforderlichen Fl&chen. Sonst haben seit der Thronbesteigung Barbarossas während dieser Periode nur zwei Veräusserun^^eii stattgehabt, und beide sind von sehr geringem Umfange.

Die erste hotrifll zwei Sunipie, die ^uusse und kleine Uundesiau bei Suüelnheim, welche längst in den Bann dieser Gemeinde aut*^'e^^angen sind, die zweite die kaum 10 ha grosse, im Forste inclavierte sgg. Salzmatt bei Mertzweiler, vpaludem quamdam que Saltzbrouch vocaiur infra terminum nemoris nostri» {Xh. dipl. I, 331), welche Kaiser Friedrich II. 121» dem Kloster Neubm ji schenkte, und welche bereits 161)1) wiodcr zum Forste j^rliörle, ohne finss rd>er <lie Art des iiiu kerwcrhs in den Urkunden Autschreibuiigen vorlianden wiiren. Die Salz- matt ist die einzige Enclave im Forst, wp1( her in <ten Urkunden aus jener Zeit Erwähnung gethan wird. Die beiden Hundes- lowe wuitlen 1215 demselben Kloster gegen einen Erbzins von jährlich zwei Solid i verkauft. Verkäufer war dagegen nicht der I^igentümer des Forstes, sondern die Forstmeister (fores- tarii) VVolvelin und Erl«'win, zu deien >venn ich midi so ausdrucken dait Dienstiand sie gehörten. «Noverint», lieisst es in «lern DrieCe des Abtes Albero von Neuburg von 1215 (Als. dipl. 1, 330) « igilur omnes in hoc consinio eonsistentes quod in Sacra Silva juxta grangiam nostram Süvilheim site sunt duo paludes, que Hnndesiouwe major et Hundeslouwa minor vocantur et mf jna aaUuariorum pertinere dicuntur. Nos igitur . . . easdem palndes ... a forestariis Wolvelino et Erie- wino ht'riililario jnic nt»hi.> saccessoiilmsque nosliis in perpe- luum aequivimus, ea sane ratione, quatenus pretatis silvatois ipsorumque successoribus cunctiii de jam predictis paludibus

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et quibuädam aliis nf^r'ni . . . Singlis aonis in aiicensione Domini duos soliclos Argintenensis monete perBolvamus.t

Forstolr;üDrecliÜicbe BwrtimnumgfiB suul aus der Hohen- slaufensEdt nicht auf uns gekommen. Alle Wahrscheinlichkeit spricht aber dafGr, dass die schon in einer der äHesten foret- liehen Verordnungen, die uns erhalten sind, derjenigen von iliCv), erwähnte * alt*» besserun^^ des riclis», d. h. die später zu Gunsten de*^ r»eiche.«! erhobene herköniniliche Strafe für Forst vergehen, wenn sie nicht noch älter ist, aus der '/^i der Hohenstaufen stammte. Ihre nächsten Nachfolger haben sich schwerlich damit befasst, derartige Bestimmungen au erlassen.

Diese « alte Besserung des Reichs » betrug nach der Forst- ordnung von 1435 für unbefugtes Fällen von Eichen «von jedem Stock ein Pfund Strassbur^er Pfennige*. Es ist aber in <ler luiileiluii;^ zu »Ii* sej- Farstordnung ausdriickhch gesaprl, dass « In all (lisen vor und nachgeendon Din^-^en dem Reich sein alt besserung behalten und unverdingt sein soU.

Es scheint demnach, dass diese Forstordnung wenigstens teilweise nur die ^nschärfung und Verschärfung aus der Hohen- staufenzeit übernommener Crebote und Verbote bezweckte.

Eigentümer des Forstes waren seit Barbarossas Zeiten bis zur Wahl Wilhelms von Holland (i247) unbestritten die deutschen Könijre als- Inhaber des Familiongutes der Staufer. Von da hatte ihn zeitweise dieser Ge^enkönig Friedrichs II. und Konrads IV. in Besitz. Aber erst nach Konrads Tode (1254) wurde der Forst mit allem staufischen Familiengute Reiohsgut.

Als Forstbeamte fungierten zur Hohenstaufenzeit forestarii, in der Urkunde über die Hundeslowe auch saltuarii und silva- tici genannt, und zwar, wie es scheint, deren gleichzeitig je zwei. Weniiisten?. li^urieren in der Urkunde fiher die Hundes- lowe von 1216 die l)eiden forestarii Wolvi.'lin und Erlewin als Verkäufer und in derjenigen über die Salzmatt (1215) die forestarii Dratmanus und Erlewinus als Zeugen.

Diese forestarii scheinen hohe Beamte gewesen zu sein. In dem Schenkungsbriefe über die Salzmatt sind Fürsten Ihre Mitzeugen; ausserdem ist der forestarius Wolvelinus wohl

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identisch niil dem tvll< laiins WoUeliuus des J ilires 1213 und dem ^^cultelns Wnlieliuus der Jahre 1215, 1227 und 1232, einem Maun, der unter Heinrich \1. zu so hohem Ansehen gelangte» dass ihn der Chronist eiufiach cpraefectus Alsatiae» nennt.

* War Wolvelinus wie anzunehmen 1216 ausser fores- tarius auch scultetus (Schultheiss), so datiert die spater auf landvögiischer Seite stets geübte Gewohnheit, das Forstmeister- amt im Nebenamt durch andere höhere Beamte verwalten zu lassen, schon aus dieser Zeit. Die in den Forstordnung-en der nächsten Periode iiiierivannten, <on<\ unerklärliclien \n- sprücho der Hagenauer Schul theissu auf die WürzUnge im Forste würden so ihre natürliche £rJclärung finden. Das Forst- meisterami wäre dann zur Hohenstaufenzeit ein Zubehör des Schuliheissenamtes gewesen.

Allem Anscheine nach war dieses Amt damals In Hagenau nicht Erhlehen bestimmter Familien. Der Wechsel der Namen von 1215 bis liiü und das Versprechen König Konrads an einen a hiersolymae magister;> vom Jahre 1245, dessen Schwieger- sohn Ditmar «ad officium forestarii promoturum forej», spricht für diese Annahme.

Als Gehali bezogen die forestarii wie es scheint nur Natu- turalreichnisse, die Nutzung der zum Forstmeisterrecht gehö- rigen Ländereien und Teile der abgegebenen Hölzer, Tielleiclit auch An\vei<}j:elder. Die Ländereien durften sie, wie aus der Urkunde von 1215 hervorgeht, gegen Erhzins verkaufen.

Den niederen Forstdiensl, insbesondere den Forstschutz , besorgten, wie aus einer später zu erwähnenden Urkunde von 1296 (Als. dipL 65) hervorzugehen scheint, die Diener (famuli) der forestarii, oder wie es dort heissi, der ofidciati forestarii. König Adolph verbietet durch dieselbe cofficiatis forestariis et eorum famulis» die Abtei Königsbrück an der Ausübung damals neu eingeräumter Forsfrechte zu hindern.

Ausser den forestariis wird in jener Zeit und zwar in einer Urkunde Kaiser Friedriclis II. aus dem Jahre 1219 «quidam venator noster cognornento Elba» als Inhaber mehrerer Güter in Hagenau erwähnt, die dem Kloster Neuburg geschenkt

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wurden. Ob dieser Jäger auch Forstbeamter war, ist nicht zu ermitteln. Er wird in der Urkunde erst hi nter einem c servus noster» Namens Heinrich Rex genannt und ist deshalb wohl nur eine Art LeibjSger gewesen.

Ueber die Art der Bewirtschaftung: des Forstes zu jener Zeit fehlt jeder urkundliche Nacliweis, ehensio über die Art der BeStockung. Ausdrückhch j^enannt sind in den Urkunden aus jener Zeit nur £ichen und Buchen und zwar als Holzarien, welche die Hagenauer nicht zur Deckung ihres Brennholz- bedarfs benutzen durften. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, dass der Forst damals schon alle Holzarten enthielt, welche in den Urkunden der nächstfolgenden Periode nament- lich erwähnt werden.

ZWEITER ABSCHNITT.

Vom Tode Konrads IV. bis zur zweiten Verpfän- dung Skn die Pfälzer (1254 i>is 1408).

Hatte Köni^ Konrad schon bei Lebzeiten sein angestammtes Herzogtum nicht zu behaupten vermocht^ so sprachen seine Nachfolger seinem Sohne Konradin alle Anspräche nicht nur auf das Herzogtum Schwaben, sondern auch auf das dort gelegene staufische Familiengut ab. In einem von Hagenau datierten Briefe von 12(i'2 erklärte Konig Richard, das Herzog- tum sei längst dem Reiclie einverleiht.

In der Tliat schaltete derselbe bereits 1257 in dem Herzog- tum überhaupt und in dem heihgen Forste insbesondere als alleiniger Herr« In der Charte von 1257 bestätigte er der Stadt als Dank för ihre Unterwerfüng ejus in foresta ipsi civitati adjacente ac palude, quod Beit vulgariter nuncupatur, prout eis a predictis predecessoribus nostris induUa fuisse noscuntur sirailiter indulgentes». (St.-A. AA 100.)

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Aber em naeh Konradins Tode wurde der Forst ofGzieU zum Reichsgrute« In der oben erwähnten Urkunde König Adolphs von 1296 gestattete derselbe der Aebtissin und dem Konvent

zu (( Königsbruckeii im Heilige n torst ä «ex henignitale regia», « ut jxjcora sua parva et magna .seu pecudes spocialiter porci sui silvam Heiligenforst nostram et imperii inlraie debeant et nutriri valeant de pascuis et glandibus silve ejusdem. Et quod eadem abbatissa et oonventue in dicta silva Heiligenforst ligna sine contradictione qualibet secare possint et educere pro Suis necessarüs edifieiis et quotidianis ignibus opportuna.» (Als. dipl. n, 65.)

Ebenso heisst es in einer für die ganze Zukunft des Forstes hochwichtigen Urkunde Kaiser Alhrechts von 13U4 ; ((bona imperii non diminuere sed augere disponentes mandamus, ut nullus hominum nemus nostrum et imperii dictum Heiligen- forst deinceps vastare vel evetlere radicitus aut novalia aliqua faoere audeat aliqualiter vel presumat, sed volumus ut de per- tinenciis et juribus ipsius nemoris apud antiquiores homines circa metas nemoris residentes dili::« ns inquisicio habeatur, et ea que per inquisicionein haliitam inventa fuerint dicto nemori pertinere, sive sint culta vel inculta, nemori predicto attineant et inautea non colantur, sed pro augmeuto nemori foveantur. » (St.-A. A 100.)

Auch sein Nachfolger Heinhcii VII. der Luxemburger verfugte noch ganz selbständig über den Forst. Er verlieh 1310 dem Kloster Biblisheim das Recht, ausser seinem eigenen Vieh alljährlich 80 Schweine ein foresta nostra, quae dicitur der heilige forst» zur Weide zu treiben und zum Brennholz geeignete Hölzer zu lallen < et uihilomnius arbores et ligna, quibus ad ediücanda et reparanda sua edificia indigueriot > ^ zu hauen und zu nehmen, < quantum de utrisque necesse habue- rintvy und ebenso dem Kloster Walburg das Recht auf Ein- trieb von 120 Schweinen. Im gleichen Jahre verpfändete er den Forst auf 4 Jahre an den Landvogt im Elsass^ Grafen Gottfried V. Leiningen.

Aber schon zwei Monate nach seinem Tode beginnen die

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Versuche der Stadt^ sich in das Miteigentum des Forstes zu setzen y bezw. sich den Besitz der in den Jahren des VerfaUs des Reiches usurpierten Rechte zu sichern. Sie liess sich am 27. Okiober 1313 von deii [)r<»\ i urischeii Landvojften und Pllej^ern Johann von Lichten i>eig Vater und Sohn einen Revers ausstellen^ in welchem die letzteren u. A. erkiareu : «6. wir suUent ihn auch lassen das Schurrieth zu iren allmeindef doch soll ein schultheiss darin meigen und howe nemen m siner notdurft, alse die scheffen ziemlich und mugelich dunket.

7. vrir suUent in auch lassen den dritteil an den eekem

uf dem teile des waldes der da lieisset des künigs wakl und och des riches amllüle bisher genutzet haut, zu der sielte notdurft.

8. wir sullent ouch nit gestalten dass von unsere wegen oder der bü!*ger oder jemands anders, jeman den wald howe schedelich oder da ine iage, es sie dann dass wir und der rat von Hagenau gemeinlich sie übereinkommen und es erlöbent, wanne wir suUent wald und wild heigen.» (Mones Zeitschrift^ Bd. VIII, L. II, <70.)

Sie liess sich bald darauf irn Jahre 1315 von Friedrich dem Schönen, den sie, wie sie an die Stadl (^unsitanz schrieb, anerkannt hatte, « weil er das teid iKihub », die Mastnutzung auf zwei Jahre abtreten und wussle der Urkunde eine solche Fas- sung zu geben, dass dieselbe ihr implicite ein Anrecht auf einen Teil des Forstes zugestand. «Ut edulioin sacra foresta», heisst es in derselben, tm parte nos eaniingenti per dictum biennium perfruantur» (Stadtcartular)i als ob es damals einen Teil des Forstes gegeben hatte, der den Kaiser nichts anging, uiu\ als Ki;]7 K;iiscr Ludwig der Bayer, hart ))edrüngt, dem Pfalz^rat'en Rudolf für cetwi vil gellz » die c Ekker vnd di aycheln vf vnszm vnd dez Riches wald vnd forst /e ha^enavv vnd di nutz und gilt die von den selben aycheln geuallen mögen» verpfändet hatte , da gebietet er den Hagenauem «vestichlichen bei unseni hulden daz ir in den vorgenanten walt und fforstze hagenow von vnsern vnd des Riches

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wej^en behütend vnd heiend vnd vns das pflegend» als ir bishar getan habend, vnd och nicht gestattend daz vns ieman dheinen schaden daran tu mit liawen noch mit Ijieimen, dann als es von alters his herckomen ist das wollen wir mit nicliten emberen». (St.-A. AA 100.)

In den 24 Jahren, die seit dem Tode Heinrichs VII. ver« flössen iwaren, hatte also die Stadt unter kluger Ausnutzung der Zeitverhältnisse es durchgesetzt, dass zwei deutsche Könige der eine ihr Recht auf die Mithut, der andere auf das Eigen- tum an einem Teile des Waldes anerkannte, und sich ausser- dem von den Landvöjjlen einen ui Rundlichen Beweis verschafft, dass sie 1313 das Schürrieth das Roit , an welchem ihr König Richard 1257 nur ein jus zuerkannt )iatte, als Almende und das Recht auf den dritten Teil der Mast im Forste in thatsäcblichem Besitz hatte. Sie hatte endlich das Versprechen der LandvQgte, niemand ohne ihre Zustimmung das Hauen und Jagen im Forste zu gestatten.

In den Kämpfen der Zwischenzeit hatte sich die Stadt zeitwei-se noch grössere Rechte an^^emasst; sie hatte sogar des Kaisers Forstbeamte abgesetzt; denn 1322 musste ihr Ludwig der Bayer befehlen^ sie solle «Ludwig den Ungerer wieder nemen zu dem forstamt daz er vor gehabt hat». (St.>A. DD 43.)

Hagenau war eben eine ntachtige Stadt geworden, die sich so wenig als die Fürsten um die Reichsgewalt kümmerte. Sie war Inhaberin des Gerichtsstabes über die zuerst 45, dann 40 Reichsdörfer geworden, welche die Fliege Hagenau bildeten, und hatte in den zur Landvogtei gehörigen Städten einen machtigen Rückiialt, wenn sie auch erst 1354 mit ihnen den Bund der 10 Städte schloss, der in der elsässischen Geschichte eine so grosse Rolle spielt. Jedenfalls war sie in der Lage, sich von den Kaisern ihre Freundschaft bezahlen zu lassen.

Der Nachfolger Ludwigs, Karl IV., war der Mann, wie sie ihn gebraudite. Kaum war er als Kaiser anerkannt, ai.^ er auch schon nach Ilagenau kam und der Stadt im Dezember 1347 eine Urkunde ausstellte, in der es heisst : cvon erst hant wir ihn die Gnade getan, dass wir wellent, dass der wald den

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iiiaa nennt den heil. Forst, nie mer sol geschieden w e im1 e n von der Stadt Hagenau*, uiul weiter : c Und düss gnade um gnade wird geton, so hant wir unfern egenanten bürgern zu Hagenau gegeben und derselben Stadt imerme, das Feld und die Weide, der man spricht das Stocky^i da SigeLman unser burgman, das vierteil davon hat, also dass unsere vorgenannten bOrger ire drieteil desselben Feldes sullent nutzen und hruchen wie es in fuget imerme.» (St.-A., Fi eiii« üen.)

Zwei Jahre spater, am UfTartstag 1349, tritt er der Stadt einen weiteren namhaften Teil des Waldes zwischen der Stadt und der jetzigfn Waldgrenze ab und gestattete ihr die Rodung eines Teiles desselben sowie der Almende und Weide, deren Besitz ihr die Herren v. Lichteikberg erst 36 Jahre früher bestätigt hatten, c Darum so geben wir In von vnserer königliehen gnade das Mittelstücke, das da lieget an der burger walde vnd sich ziehet an die hättem weg vnd %'bertzwerchs niret einsit an der bur^ei walde vnd andersit unsz an den Biherhach2 und darzu vollen gewalt und macht dass sie usz demselben mütteistücke und usz der almende und Viehweide* die zu der statt zu Hagenau gehörent, eckem machen mügen vnd dieselben zinshaHtig machen vnd anderr Inn Ire statt gemeynen nutz keren und wenden als In das allemützlichst ist; alles in solcher Bescheydenheit, dasz sie von der gnade

1 In diesem cStocky» oder wie es in der Bestätigungsurkunde Kaiser Kai'ls V. von 1521 heisst, in dem «Riet und Gestöcke, so man jetzt nennt das Scliierriet» unterhalb der Stadt Hagenau jrelegen, ist, wie aus dem weitereu Wortlaute derselben hervorgeht, der heutige, in den Stürmen des 17. Jahrhunderts wieder zu Wald gewordene cBorgbann» mit inbegriffen, llindesteus 4er hochgelegene Teil desselben gekörte frfther aam Fonts* Wann Sigehnuin mit dem Vierteil desselben belehnt worde, ist mcinmdliefa nicht enrieaen.

s Der der Stadt tUberlassene Teil reichte ako bis zum Biber- oder Halbmfthlbach. Er sohloss demnach den sp&teren Börgerwald in sich. *

* D. h. das Stück jetzigen Feldes westlich der Wörther Strasse, das eigentlich Wald wohl dnxch fortgesetzten Tieheintrieb zur Weide geworden war.

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we^en die v/'iv In tun mit diesem brief ait gryten sullent über den Brunbach der da vor dem walde aberflnnet.» (B.-A. C 87.)

In dem gteichen Jahre gestattete Kaiser Karl seinem Schwager, dem Pfelsgrafen Rudolf, das Schultheissenamt zu

Hagenau mit dem Forst und Wildbann und den Klöstern und aller Zugehörung von dem Herzog Friedrich von Teckhe, auf den das Pfand wohl inzwischen übergegangen war, um i400, die Landvogtei im Elsass dagegen von Johann von Vinstingen um 600 Mark ^ Idtigen Silbers einzulösea und seinerseits als Pfand zu behalten (Als. dipi. 193). Als Pfandinhaber be- stätigte Pfaligraf Rudolf d3&2 namens des Kaisers die Ab- machungen der Stadt mit dm Unterlandvogte Hugo von Hohen- berg ül»er das Mittelstück und tdass der Wald Jiei der Stadt hleibeii sollt j. (St.-A. AA 208.)

Dass mit diesen Abmachungen und Bestätigungen der im Stadtarchiv (DD 57) aufbewahrte und offenbar nicht eingelöste Schuldschein des Pfalzgrafen Rudolf über 200 tt und die Quit- tung des V. Hohenheim Ober 700 «Gulden von Florenz^ die sie uns schuldig waren von des mitein Stückes wegen des heiligen fforstes» (St.*A. DD 43), beide aus 1352, In ursächlichem /usainmenbang stehen, ist wohl kaum zweifelhaft.

Fünf Jahre der llegierung Karls IV. hatten daher bin- gereiehty um der Stadt, bezw. ihren Bürgern die Anerkennung des vollen Alleineigentums über diejenigen Teile des heutigen Stadtbannes und des früher dazu gehörigen fiannes von Schir- rein und Schirrhofen, welche, 400 bis 500 ha gross, zwischen dem linken Ufer (oder dem linksseitigen Hocfaufer) der Moder und der heutigen Forstgrenze liegen, ausserdem die Bestätigung dei" Zuj^ehörigkeit des Forstes zur Stadt und endlich den ßürger- wald zu verschallen, in welchen wir sie später im Alleinbesitz des Mast rechts sehen.

Von dem früher zum Forste sowie zu dem sonstigen Fa- miliengute der Hohenstaufen gehörigen Teile des Bannes von

1 Dieser Unterschied zwischen der Beleihong der Landvogtei einerseits und des Schultheissenamts mit Forst nnd Wildbann an- derseits ist für den Wert des letzteren charakteristisch.

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Hagenau bat demgemäss die Stadt zur Vergrösserung ihres Feldbannes erhalten:

1) das eigentliche SchQrriet als Almende 1313;

2) den Burgbannwald und die ihn umgebenden Höfe, so*

weit sie nicht zu dem Lehen Sigelmanns, d. h. zum Siangenhof gehörten, unter dem Namen Stöcky 1347 ;

3) den westlich anstossendeii Teil w(,'stlich bis zur Wörther

Strasse und nördlich bis zum Brumbach als zu roden- den Teil des Mittelstücks und von da hh zur Moder als zu rodende Almende und Viehweide* 1340, Als Nordgrenze des Bannes von Hagenau längs des Mittel- stflcks war der Brambach bszeiohnet* Thatsächlich hat er ihn stellenweise um einen Kilometer überschritten zu welcher Zeit, ist nicht nachgewiesen.

Der übrige Teil der l rkumie von 1340 ist zu französischer Zeit, wenn auch ohne Krtolg, Ininutzt worden, um aus derselben den Beweis zu liefern, dass die Stadt damals den nördlich des ßrumbachs gelegenen Teil des Bdittelstücks zu vollem Eigentum erhalten habe.

Da ihr aber nach der Forstordnung von 1435 in diesem Teile des Waldes nur das ausschliessliche Recht der Mastnutzung- zustand» so ist wohl anzunehmen, dass ihr damals Karl IV. auch nur dieses Recht verliehen und auf diese Weise den Eckerich, dessen dritten Teil sie nach dem Reverse von 1313 zu nutzen ))efuprt war, in natura nach der Fläclie t heilte. Gerade die Zeit von 1349 bis 1435 mit ihren schwachen Kaisern war nicht dazu angethan, ein einmal erobertes Recht für die Stadt verloren gehen zu lassen. Vielmehr machte dieseibej nach- dem ihr einmal die Untrennbarkeit des Forstes von der Stadt zugestanden war» von derselben den weitgehendsten Gebrauch.

* "Wie dieses Stück zur Almeude der Stadt geworden ist, ist nicht nachgewiesen. Walirscheinlich war es durcli den ständigen Yieheintrieb, der kein Holz mehr aafkommcu liess, thatsächlich zur Viehweide geworden und von der Stadt wie früher das Schürriet stillschweigend in Besitz genommen worden, so dass Karl IV. 1340 dort nur emen thatsftchlieh bestehenden Znstand hestfttigte.

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Die Bürger schalteten wie Eigentümer im Walde, so zwar 4ass der Kaiser. 1351 gezwungen war, der Stadt zu verbieten, 'die Herren von Lichtenbei^ und ihre Dörfer i in dem Crenusse ihrer Forstrechte zu stören, die, wie aus einer Urkunde von 1449 hervorgeht, ihnen vom Reiche verpf&ndet waren* ^Batt II, 384). 1352 niusste er den Pfalzi,Tafen zum Richter über die Fr»'vel der städtischen Bürjrer setzen, dio den Wald wohl um lOlK.) U heller geschädiget unil die geptandeten Frevler gewaltsam hefreit hatten (St.-A, AA 104).

Das hinderte den Kaiser aber nicht, in dem gleichen Jahre dem Landvogt, dem Schultheissen und der Stadt «ernstlich gemeinlich vnd besundern» zu gebieten, ■«daz ir den vorgenanten wald forbaz mar heyen hüten besetzen und beschirmen suUent, also daz vns dem lieiche vnd -der vorgenanten stat zu hagenow hernachmals -dheyn schade geschelie noch verhowen werde wen zu notdurft als zytllch vnd bescheydentlich ist in dfaeynem wys» (St.-A. AA 24 und 100). Die Stadt wird also zur Mithut geradezu aufgefordert und ihr Interesse an der Erhaltung desselben in •einer Linie mit demjenigen von Kaiser und Reich angeführt. Trotzdem wird der Forst in der prleichen Urkunde immer noch, wie InUier, als «viiser vnd des Reiclis walt» bezeichnet.

In einem Schreiben von 1354 teilte der Kaiser der Stadt mit, «dass wir von dem hochgehomen Ruprechten dem aelteren, «inserm lieben fürsten vnd schwoger den forst zu Hagenau ^elöset haben um zehn tausend gülden, dafür er ihm zu pfände stunde, und haben ihm dieselben zehntausend gülden geschla- :gen uf ander sin pfent» (St.-A., Freiheitenbuch), und 1385 giebt ev «dem Burj^ermeister, dem Rate vnd den Burgern gemeinlich •dor Statt ze Hagenowe» « toUe-emacht vnd gewalt» <cvon uns und des richs wegen denen zu wehren, die den Wald dadurch

1 «Merzwilro, Schweighnse, Dochendorf, Niedermate rn, Übroche, Bitzhofen, Griesbach, Forschheim. Espach, Minversheim und Hittendorf . » -

2 Nach einer Notiz in den späteren Prozessalcten datiert die Verpfändung aus dem Jalire 1322. Die Reclite bestanden aas dem Rechte auf Zaunreisig, aaf Leseholz and Wald weide.

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verheeren, dass sie aus Eiclienliob Fässer machen (St.-A., Frei- heiten). Auch in diesem Briefe ist der Forst als cunser und des richs mld» bezeichnet.

Als Miteigentum scheint aber Karl IV. selbst das Recht der Stadt auf die Mit hut nicht aufgefasst zu haben. Wenigstens^ ilelinte er nocli ['Mrl ohne Zustimmung der Stadt mlov ducl» ohne dieselbe zu konstafiereii, die Holz- und Weideijeiechti- guugei'iy weiche die Familie von der Weitenmühle als Burg- mähner von Hagenau im Forste besass^ auf andere von ihnen ausserhalb des Bannes von Hagenau zu erwerbende Güter au» (Bezirks- Archiv E 275 Nr. 3) , ebenso verlieh er 1372 dem Herrn von Fleckenstein gleichfalls «zu besserung seines borg- leheiio für alle Zeiten das Recht, «In v n ii s e r m vnd des Ryclis walde, den iiuin nennet h agenau wer ferst aüezley wild klein und grosz wie es genant were zu jagen und zu fangen und zu Trer vollen gesezzen vnd ander redlicher notturiit zymmerholz vnd brenhoUzj zu hauen und wegzuführen^ und verbietet dem Landvogte^ dem Meister und Bäte der Stadt und «den forstmeystern der cgenanten weide», sie daran zu hindern (B.-A. C 87).

Ja , ei' trat üO'/i\r zwei Jahre nachdem er der Stadt ilie ftdnad'' gelhani), dass der Foiftt nieht von der Stadt gescliieden werden solle, und 10 Tage nachdem er ihr das- Mittelstück geschenkt hatte, einen sehr bedeutenden Teil (\o< Forstes, den 506 ha grossen sogenannten Königsbrücker Wald,, an das mehrerwähnte Kloster Königsbrück zu vollem Eigentum ab. cNous leur avons donnö et donnons», heisst es in einer im Bezirksarchiv Strassburg aufbewahrten Uebersetzung au& dem 17. Jahrliundert, «par nostre puissance Royalle et grace particuliere Ic Ganton et disirict de L<«is numme la Hart, et la Blaistse, autrement Dinguelach, ainsy qu'il se contient et aboutit Bur les jeunes chesnes d'un costÄ, et entre les rulsseau dit Kolbach, prds les hautes ausnes, situ^ chez le d^ couvent, donnons et livrons en propre aux d' Religieuses et au Monas- tere de Königsbrück de nostre propre mouvement et du con- seniiment de VEmpire, la d^ Hart et la Blaisse autrement

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dite Dinguelach, et vontons qu^eÜes la possedent et en jouissent a |)en)etuite sans aucuns empechement et Opposition qnelconqiie comme de ieui" ^Iroit et bien propres ... et leur donnon?; plein pouvoir et puissauce de se servir et disposer de la d^ Hart et Blaisse comme de leurs biens propres et libres selon leur bon plaisir.»

Die betreffende Urkunde ist vom Vorabend des Palm- ^nntags 1349 datiert, ivahrend die obenerwähnte Schenkungs- urkunde über das MittelstAck am c uffartstag » desselben Jahres ausgestellt ist. Ol» heiile in Zusamnieiilianjj mit einander stehen, ist nicht lestge.stellt. Auflallend ist es jedoch, dass der Kaiser in der Urkunde für König^-sbrück wohl die Zustimmun<( des KeichSy nicht aber die der Stadt erwähnt, ein Beweis, dass er die letztere nicht als Miteigentümerin betrachtet hat.

. Viel weniger zahlreich als aus der Zeit Karls IV* sind die -auf den Forst bezüglichen Urkunden aus der Zeit des Königs Wenzel (1378 bis 1400). Eine derselben von 1384 (St.-A. DD 58) verleiht dem Hans Gantzier und seinen Erben bis auf Widerruf 4las Recht des Rintiiebs von 200 Schweinen «vf vnsorm vnd des Reichs vorsle », die zweite von 1304 (St.-A. AA 3(1) widerruft alle Rechte und Privilegien der Stadt, weil sie den kaiserlichen Hof Speicherliof in Hagenau angejrrifTen und aus* geraubt und den Landvogt und andere kaiserliche Diener gefangen gesetzt hatten, und die dritte von 1395 (St.-A. AA 38) setzt sie wieder in diese Hechte ein.

Von seinem Nachfolger Ruprecht von der Pfalz (1400 bis i ilO) sind gar keine Urkunden erhalten, welche sich auf den lieiligen Foisl beziehen. Wir wissen nur, dass er denselljcn 1408 mit der Landvogtei im Elsass seinem ältesten Sohne Ludwig dem Rarligen gegen eine jährliche an das Reich zu zahlende Abgabe auf Lebenszeit abgetreten hat.

Die mit dieser Abtretung abschliessende Epoche in der Geschichte des Forstes kennzeichnet sich durch umfiuBgreiche Veräusserungen von Teilen desselben an die Stadt Hagenau und die Abtei Königsbruck, durch bedeutende Ausdehnung; 4ler Rechte der Stadt an dem veri>leibenden Reste des Forstes

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und durch Einräumun^^ einer lieihe bis dahin niciit bestandener Forstberechtigungen Dritter teilweise als Pfand für £inlösun(( bestehender Verpflichtungen.

Rodungen von Teilen des Forstes ohne Ermächtigung sind aus dieser Periode nicht nachgewiesen. Fanden solche trotz des Verbotes Kaiser Albrechts von 1304 ^tt, so kann das nur bei Hagenau geschehen sein. Die Uebergride sind d iiui durch die Briefe Karl?; IV. von 1347 bis 1352 s-anklittuiei l worden.

In diese Zeit fällt auch der Erlass der ersten uns üljer- lieferten gesetzlichen Bestimmungen > über die Art der Aus- nutzung des Forstes. Sie sind Gelegenheitsverbote, insofern sie nur gerade eingerissenen Missbräuchen zu steuern bestimmt sind.

Die älteste derselben ist aus dem Jahre 1361 und verbietet die Benutzung des Holzes aus dem Forste, und zwar, wie aus der Verordnung von 1305 hervoiyeht, lediglich des Eichen- hulzes zu Sparren, Latten und Fassholz und daj> Al»liauen ^'rniHT Eichenstangen. Die zweite Verordnung von 13ü5 lügt diesen Verboten das Verbot des «Stümmelns» von ^»^rünen Eichen und des Hauens von c Birken Reifen > und der Abgabe von Holz c in das Land d, h. ausserhalb der Reichspflege, sowie das Gebot hinzu» dass die Förster bei jeder Erneuerung des Rates zu vereidijyen sind. 1380 wird das Verbot, Grünholz zu hauen, auf Eichen und Birken überhaupt sowie auf Buchen aus- gedehnt und der Verkauf von Hol/ aus dem Forste sowie offenbar um das ahsi( hlliche Abbrennen des Waldes zur Verbesserung der Weide zu verhüten, vielleicht auch um die Wiederbesamui^ zu erleichtern der Eintrieb von Schafen in den drei einem Brande folgenden Jahren auf die Brandfläcbe verboten.

1385 wurde ein Teil des Forstes von der Nutzung stehen* den Holzes überhaupt ausgeschlossen, auch das Hauen von Holz

aut Brandflächen ohne Erlaubnis und jeder Scbafeintrieb sowie

i Ich habe diese Forstotdnnngen sowie alle folgenden in den Sapplementheften aar Allgemeinen Forst- und Jagdaeitnng in ihrem vollen Wortlaote ver5ffentUcht

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das Spalten stärkerer Eichen verboten, der Schwemeeintrieb auf die abgestockten Bezirke beschränkt, das Verbot des Holz- verkaufs aber nur fQr diejenigen aufrecht erhalten, die «hundert Pfund Werth» haben, und den Bauholzempfiingern die Ver-

ptlichtun^ auterlei;!, das empfangene Holz biiiaeii Jahresfrist zu verbauen.

Drei Jahre später wird endhch tias Abhauen stehender Bäume (mit Ausnahme des Taubholzes) ohne Erlaubnis und der Verkauf von Berechtigungs* und Gabholz ganz verboten.

AU diese Bestimmungen sind in Verträgen enthalten, welche zwischen dem Landvogt oder dem Schultheisse einer- seits und Meister und Rat der Stadt anderseits abgeschlossen worden sind und gelten sollten, bis sie die Vertragsschliessenden abschaffen wfirden. Die Stadt hat also damals thatsäcblich beieits lluiieüsrecbte über den Wald ausgeübt. Es ist ein Aus- fluss dieses Hoheitsrechtes, wenn sie im Walde eigene Förster liält, was vom Jahre 1365 an nachgewiesen ist. «Und sullent die förster», heisst es in der Verordnung von i365, <si sind vnszs schulthen knehte oder vnser knehte sworen ignote.» Sie bezieht ausserdem ob als IiGtbesitzerin oder als Inhaberin des Gerichtsstahs, ist zweifelhaft auch einen Teil derjenigen « Besserungen », welche über die im vorigen Kajutel erwäiitite <alte Bosserun,u" des Reichs » hinaus Jiezahlt wunlen. Der Anteil des Rates und des Schultheissen besteht durchweg aus je einem Drittel der Zusatzstrafe, das dritte Drittel erhalten die miiren », d. h. die zur Unterhaltung der Stadtmauern dienende Kasse^ also wiederum die Stadt. Da nun diese Zusatz- strafe in dem einzigen Falle, in welchem der Betrag der alten Besserung des Reiches angegeben ist, das 1 i/s fache dieser Besserung betrug, so bezog die Stadt 2/5, der Schultheiss und das Reich 3/- der ausgesprochenen Gesamtstrafe für Vergehen, für welclie sciioa durch Reichsgesetze Strafen bestimmt waren, und derseUjen bei Vergehen, für weiche ältere Strafbestim> mungen nicht bestanden,

^ Von den Besserungen bezogen die «Rüger», d. h. die anzeigenden Förster einen bestimmten Teil und in den Fällen,

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in denen darübei* Bestimmung getroffen ist, von jeder Anzei^^e 2 Schillinge.

Die Strafen waren für die damalige Zeit aussei ordentlich hoch. So mussten für das Fällen einer grünen flicbenstange 5 U oder 100 Schillinge benhlt werden. Da nun selbst die i4Sl geprägten SchiUinge noch 3,25 g Silber enthielten, so betrug diese Strafe mindestens 3S5 g Silber, aus welchen wir rund 62 M. schlagen.

Zwei eij^entümliche BestimiiiUiigeii ciillialten diese Verord- nungen, einerseits die Ausweisung unzafalfahiger Forstfrevler : (Und wer die pfennige nicht het der sol vszsweren den Burg- ban ze rümende In ahtagen vnd nieme wieder ze körnende er habe das gelt dene vorgeben » (FG. v. 1366), und der bei dem Frevel beteiligten Knechte : «Ist es euch das der des das pfert vnd der karrich ist, ein kneht het, Der ime semmcJich bflsswürdig holtz howet, der selb kneht sol och zu der ersten pentri verbrochen han x ji ^ vnd s o I d i e s t a t ein h a 1 p jor rümen» (FO. v. 1365), und dann die Bestrafung der- jenigen, welche ein gutes Wort für einen Forstfrevler einlegen : «. Es sol auch nieman vnszn Herrn den Landtfogt oder den Rat für komen bitten Der dis gebot überiert, wer das dete der sol also vil bessern also - der bessert för den er gebetten hat.» (FO. V, 1385.)

Wurden Unberechtigte im Forste bei der Schwemehut betroffen, so mussten sie Urfehde schwören. In einer solchen Urfehde von ISOO he\><i v<, rnan solle den Schworenden im Wiederbetretungsfalle « stellen vf ein leiter also man einen meyneydigen Bösewicht vor Hebte stellen sol», und Landvogt und Rat sollen cvom ihme nhten, also von einem Ehler, der in des gerihtes Ohle zu hagenow ist».

Die Angaben der Förster geben vollen Beweis: «was die förster rigent, das beschehen sie Das man in das gloube sol » (FO. v. 1385). Sie durften aber nur ausserhalb der Stadt pfänden und kernen Kairen halfen (FO. v. 1305). Die After- schläge, soweit sie zu Bauholz tauglich waren, waren ihr Eigen- tum. Ausserdem hatten nicht nur Meister und Hat, sondern

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auch die den engeren Rat bildenden^ anfangs aus bestimmten Geschlechtern zu wählenden Schöffen und die aus der Bürger-

Hchafl uiul den Zünften zu wählenden c Vieruiiclzwaiizi^xr » das iiecht und die Pfliclit, Foisllrevel zu rügen. Auch ihre An- zeigen halten vollen Glauben (FO. v. 1385).

Neben diesen Förstern fungierten, als deren Vorgesetzte, wie aus der oben erwähnten Urkunde von 1372 hw vorgeht» wenigstens kaiserliche Forstmeister die forestarii der früheren Zeit ob auch städtische, ist urkundlich nicht festzustellen. Aller Wahrscheinlichkeit nach unterstanden die städtischen Förster, wie später, einem oder mehreren Mitgliedern des Uats, den « Waldmeistern ».

IJeher die Art der Bewirtschaftung des Forstes in jener Zeit sind Aufschreibungen nicht erhalten. Aus den Foi^t« Ordnungen geht aber hervor, dass damals im Hagenauer Forste die Konsumenten ihren Holzbedarf unmittelbar deckten, uidem sie sich das benötigte Bauholz und das Buchen-, Eichen- und Birkenbrennholz von den Förstern anweisen Hessen. Das stehende Holz der ubrij^en Holzarten wai bis 1385, dasjenige des Taubholzes, zu welchem im F()r><ie auch die Hainbuche gehörte, auch später vogelfrei: «das nieman keinrebandeleye stende holtz in dem forste howen sol . . . vszgenommen alte dürre stocke, ErÜn, hagebftchin, Dörnen, Zinneboltz, Doupholz et cet. » (FO. v. 1385). Dasselbe konnte ohne Anweisung geföllt und abgefahren werden.

Diese letztere Erlaubnis hatten aber ausser den Inhabern eigentlicher Forst berech tigunj^en, also der Stadt Hagenau, der Klöster Walburj^, Neuburg, liiblislieiiii und Königsbrück .sowie der Lichtenbergisciieii und einig'er anderer später zu erwähnender Dörfer, wenn überhaupt, nur die Reichsdörfer, die zur Pflege Hagenau gehörten. Jedenfalls durfte, wenigstens von 1365 an, Holz an andere Personen als Berechtigte und Bewohner der Stadt und der Reichsdörfer Oberhaupt nicht abgegeben werden.

Stehende gröne Eidien8tan^(}n durften ausser zu Mühl- werken nirgends, Buchen und Hirken von 1385 an in den Hagenau zunächst gelegenen Teilen des Waldes nicht gefallt

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werden. Für Buchen und Birken war von 1380 an ein bestiiiiUiteä Mass vui geschrieben, über oder unter (oder über und unter) dem das Abhauen verboten war.*

Die Ausnutzung des Waldes war also insoferne eine plänter- weise, als alle gesunden Eichen und die slürkeren Buchen und Birken bis zum Absterben wo sie sich landen stehen blieben^ während di^ übrigen Holsarten, wenigstens soweit sie lu Brenn» böte oder zu Zäunen benutzt wurden, ganz nach Belieben der Holzbedflrftigen, also in der Hauptsache da zum Hiebe kamen, wo sie der Empfanger am leichtesten holen oder wo er sich am schnellsten eine Wagenladung hauen konnte.

Zusammenhängende Schläge können demnach nur zutallig und nur da, wo £ichen. Buchen und Birken nur in geringer Zahl vorhanden waren, und nur in der Nähe der Ortschsfflen gemacht worden sein. Die Hauptmasse des Waldes bestand aus Eichen«) Buchen* und Birkenaltholzy unterbixjchen durch grössere und kleinere Blossen und Lücken, welche durch Ab- sterben einzelner Stämme dieser Holzarten oder duiüh Abtrieb von Gruppen von Hainburlien, Kiefern, Erlen entstanden waren, und die sich, je nacii den Boden- und Beschattungsverhältnissen mehr oder weniger prompt, auf sehr graswüchsigen Boden die grössten natürlich zuletzt besamten«

Die Wiederbesamung war ganz der Natur uberlassen ; von Pflanzungen und Saaten im Forste ist in jener Zeit ebenso- wenig wie von anderen Kulturen die Rede. Selbst auf grösseren IMössen entstanden daher nur ganz ausnahmsweise annähernd gleichalterige Jungwfichse.

Die Einteilung des Waldes in Schläge war bei dieser Wirtschaft zwecklos, ebensowenig konnte unter diesen Um- ständen an einen Schutz von EinzelÜäcben gegen das Weide- vieh gedacht werden. Man suchte» und auch das erst von 1385

1 «Aber ein Jeglich mag wol hawen swo bftchin oder vier

bircken nff einen karrich oder ahte hircken oder vier buchen vff

einen Wagen » (B'O. v. 1380). 1385 wurde dieses Maas für beide

Holzarten auf fünf Stangen auf einen Karren, zehn auf einen Wagen herabgesetzt.

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an, durch zeitweisen summarischen Ausschluss grosser zusam- menhängender Flächen bis zu einem Drittel des ganzen Forstes von der Weidenntzung und von der Nutzunjgf det Buchen und Birken sonst erlaubter Dimensionen das Aufkommen vorhandener lungwüchse und durch das summarische Verbot des Eintriebs ungemAsteter Schweine in den Nacheckerich i das Aufkommen neuer ta ermöglichen. Bei der grossen Menge der in den eigentlichen Eckerich eingeschlagenen Schweine i)ei voller Mast bis 10,000 Stück fanden wenigstens die zufällig übrig- gebliebenen Eicheln und Buchein ein gutes Keimbett.

Ob bei dem Verbote, stehende Eichen sowie stärkere Buchen SU hauen^ mehr die Rücksicht auf die Erhaltung mastgebender Baumindividuen oder di^'enige auf die Wiederbesamung mass- gebend war, ist schwer zu sagen. Spätere gelegentliche Be- merkungen sprechen fflr das erstere'^ die Schonung alter Birken für das letztere.

An Holzarten werden in dieser Periode als im Forste vor- handen neben Eichen und Buchen namentlich aufgeführt als zu schonende Hauptholzart die Birke, femer als Taubholz die Erle und Hainbuche sowie Domen und «Zinneholz». Die Kiefer wird nicht namentlich erwähnt, war aber ohne Zweifel schon vorhanden; denn sie musste nach der Forstordnung von 1425 als Bauholz angenommen werden und war durch dieselbe gegen Beschädigungen durch Aushauen von Kienholz, das sich bekanntlich erst in höherem Alter bildet, gesetzlich geschützt. Sie ist überhaupt in Hagenau seit unvordenklicher Zeit ein- heimisch; denn ihre Stöcke werden dort unter meterhohen Torfschichten gefunden, die mit 1 bis 150 m hohen Sand- schichten überdeckt sind.^

^ Der eigentliche Eckerich schloss im Hagenauer Forst nach einer Untersuchung vom Jahre lt)2L am Dreikönigstage, 6. Januar^ der Schweineeintrieb nach diesem Tage hiess Nacheckerich.

- Um so au£[allender iät es, dass sie in dem beuachbavten Bieu- wäld in der PÜklz hundert Jahre sp&ter wenn ttberkaupt so selten vorkam, dass ^e Leute nach der Waldordnung von 1486 Bachen und nach der von 1509 Scbwarzwaldtannen im Innern der Bantoi; verwenden mnsaten.

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Am dieser Periode atammea audi die ersten Nacimcfateo über im Forste vorhandene W^e und Strassen. In dem Vei^ tra^ von 1385 sind also, erwähnt die cmorsihvmer Strasse ]i und der cSweighuserweg». Die eretere- ist ohne Zweifel die

heutige Wörther Strasse, die letztere wahrscheinlich die jetzige zwischen Grähen liegende < Hohwartstrasse ». An Forstorten sind in diesem Vertrage genannt die <Öwinow>, an der Grenze der Gemarkungen Sufflenheim und Scbirrhofen gelegen, der fnrchhacUeger der c Rosssefaenkei», das c Höchstetterleger > und das in die c Waldmoter ». mOndende «Hdchstetterbechel». Von all diesen Namen hat sich nur 6ßr der Schweinau und der des Höchstetterlegers erhalten, und selbst diese sind nur noch wenigen ]>ekannt. Das Höchstetterbachel führt heute keinen Namen mehr, während die VValdmoder nur no<;h unter 4cDft jNameu Zinsel bekannt ist. ' . .

DRITT£R ABSCHNITT.

Der Forst tinter den Kurfürsten der Ptelz^als OlmrlandTöerten im Elsass (1408 bis 1G04).

Wie im vorigen Abschnitt bemerkt, halte König Ruprecht die Landvogtei im Elsass 1408 an seinen Sohn Ludwig den Bärtigen auf Lebenszeit abfretreten. I>iese Abtretung wurde unter Rupre<^ht^ Nachfolger, dmu Kaiser Sigmund,^ zu einer Ver- ptandung. 1418 teilte dieser Kaiser der Stadt mit, dass er die Landvogtei mit allen ihren Einkünflen dem inswischen snm Kurfarsten gefwordenen Plhligrafen Ludwig für 25^000 rheinische

> Ib sllMk mir SU Gesicht gelommenen Urkunden des Hagenauer Stadtaiehif« nennt sieh der Kaiset Sigmund und niehl Sigismund.

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Gulden bis zur Wiedereiolostaiig verpfändet habe; die Pfand- summe erhöhte sich 14S3 auf 50,000 Gulden. Die» Summe

blieb während des «,^nzen 45. Jahrhunderts utiaut^^elöst, so dass, abjresehen von kurzen Perioden, während welcher der Kaiser mit den Kurfürsten in Fehde lag", in diesem Jahrhun- dert die letzteren gewissermas^en erbHche Landvögte waren.

Sie regierten das Elsass von Heidelber(; aus und liessen sich in Hagenau^ obwohl aie dort seit 1386 erbliche Inhaber der BuKigvoglei waren, durch Unterlandvögfe und diese wieder p theilweise durch Schultheissen vertreten. '

Die erste auf den Porst liezügliche Urkunde aus dieser ; Zeit ist aus dem Jahre 1420; sie enthält die Aufforderung des j Kaisers Sigmund an den Landvogl, die Herren von 1' leckenstein nicht in dem Genüsse ihres Jagdrechts im For<^te zu stören (H - A. G87). Die zweite von im (St.-A. DD 18 und B.-A. G 87) ist die erste vollständige Waldordnung für den Forst Sie Ist zwischen dem Unterlandvogt Peyer von Boppart und , dem Schulthetssen Burghart von Mülnheim einerseits und Mdster ^ und Rat der Stadt Hagenau anderseits vereinbart und enthält l ausser einer Wiederholung der im vorigen Kapitel erwähnten noch eine Reihe neuer Vorschriften.

Zu den wichtigsten derselben gehört die 13estimmung, dass die Fdrster an Bürger nur «alte bome ligende oder stondej ( Die zu snydcnde s in t oder fürlelins» «semelichs vnsche- ^ delichs», an die Bewohner der Reichsdorfer aber nur «förlelin- | holts vnd kein anders» anweisen dürfen^ cvszgenommeu zu swelle vnd pfoste mag man in geben von altem eichen holtze das zu j snydende ist». |

Zu Fronholz, d. h. zu Brennholz, welches die zu Fronden j verpilichteten Bauern für den Landvogt und seine Beamten ! hauen und anfahren mussten, durften nur calte böme, spisse vnd biichins vnd bürckins vnd doupholtz vud sollichs vnschede- * lichs» genommen werden. Der Verkauf des Fronholzes wurde untersagt. Die Froner durften für ihr^ Gebrauch ebensolches Holz Gegenholz oder Nachhote hauen wie für den Landvogt. Zu Brennholz durften die Bürger ohne Anwasung «vnschedeliche j

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böme VDd düm holtz vnd douphoUz» hauen^ Erhielten aber wie früher auf Anweisung auch Buchen und Birken. Die Burg- mannen i und Schöffen waren von 'der Verpflichtung, um das

Holz zu bitten, entbunden. Zu dem Verbote, Reifstecken und Fasshoiz aus Holz, das aus dem Forst kam, zu machen, kam das Verbot, «vff dem forste» Rebstecken, Brettsteckeu, Pianken herzustellen. Damit war, wie es scheint, nur die Verarbeituiig des Holzes im Waide, nicht aber die Verwendung- von Hagen- auer Hols zu diesen Zwecken vertioten. Es geht das einerseiU; aus dem Verbote^ im Forste eine Sage zu gebfauchen» und anderseits aus der Bestimmung hervor, dass Lohrinde nur «von sege blöckern vnd den höltzern die zu vieren sind» gewonnen Nvenleii darf. Da.*< Abhauen von jungen eichen «Reitehi, Hebel und Wecken» wurde mit Iff* für den Stock beslratl. llauholz mussle zwei Monate nach der Anweisung gehauen und bei Strafe der Einziehung zu Gunsten der Stadt binnen Jahres* frist verbaut werden. Die frühere eidliehe Verpflichtung zu letzterem lum in Wegfall. Dagegen wurde neuerdings geboten, dass cNiemand kein hack' vff dem forste vfihauwe vnd deszselben holtzes enweg füren soll» sowie dass cNiemand dem a'ndem sin gegeben vnd aligehowen holtz nemen sol». LeUteres Ver- gehen scheint demnach damals in Hagenau nicht als gemeiner Diebstahl angeseheu wurden zu sein ; die Strafe lietrug nur 1 flf für das Fuder.

Diese Forslordnung hat das Eigentümliche, dass ihre Gültigkeit von vornherein auf fünf Jahre beschrankt war, offenbar weil damals schon die Absicht vorlag, baldmöglichst die ganze Materie zu kodifizieren.

Diese Kodilizierung kam nocli unter demselben Kurfürsten^

* D. h. die adeligen Inhaber von Burglehen.

2 Die nach der Münzordnung von 1421 geprä<?ten SchiHmge enthielten 3,25 g. Silber. lff = 2Ü(ß) Schillinge hatte (Janach in beuüger Wabrimg 12,40 M., 1 Schilling 0,62 und 1 Pkniiig (^) = Viälß - 0,05 M Silberwert Die Strafe war also eine sehr hohe.

Was darunter zu verstehen ist, ergiebt sich aas der Forstord- nung von 14S5.

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Ludwig dem Bärti^n» . und zwar, wie aus der Bestätiguags* Urkunde Kaiser Sigmunds von 1436 (Si.-A., Freiheilenbuch) luer- vorgeht, zu der Zeit, in welcher der Pikligraf Sleplian Unter« landvogt war» also iwiadien den Jahren 14SS8 und 1436, wahr- scheinlich 1435 zu Stande. Der Kurfürst hebt in einem Briefe von 1435, ohne die Waldordtiun^^ selbst zu erwähnen, die wich- ti<rstpn Be^liiiiiiiuiij^cn derselben hervor, die nämhch, dass ceyn landvogt vnd di« Stadt von üageuauwe den wald genant der heilige forst sament liehen hehnten besetzen vnd heachirmen «oHen. in solicher masz das eyn Landvogt xwene forstere vnd die -Stadt . von Hagenauwe auch zwene forstere vnd igUcher teile den ainen Ionen sollen vnd sol daresu der land- vogt eyiien dritten forstere vnd die stad hagenauwe auch einen dritten forstere hau vnd sol des Landvogts dritter forster bi vnd mit den hagenauwe zween forstern sin vnd mit ine vmb- geeu vnd sehen wie sie den wald hüten und was sie tun» und umgekehrt. Weiter c sol der landvogt keine holtze hinweggeben oder- verkeuf fen oder füren lassen one meistere vnd Rats von Hagenauwe iure wissen vnd willen» und umgekehrt. Zu allen anderen Abgaben als an die Stadt und den Landvogt sollte bdderseitige Zustimmung erforderlich sein. «Auch sol man keine gerüte wisen oder Eckere me vsz dem Walde machen vnd was sollichs gemacht ist, das sol abesin vnd sol man es widder lassen wald werden.» Die alten Rechte der Stadt und die alten Bes- serungen des Reiches werden vorbehalten (St.-A. DD 19,1).

Dieser Brief und der Erlass der Waldordnung ist, wie es scheint» die Antwort des Landvo|g[ts auf die Beechwerdeui welche die Stadt durch eine Abordnung in Heidelbeig hatte vor* bringen lassen.

Die Instruktion, welche die Abgesandten mitnahmen, ist im Stadtarchive (DD 18, 1) aufbewahrt. Sie ist niciit datiert, zeigt aber durch die £iwähnung eines von dem Püaizgraten Stephan «vfT montag vor sant Mathistag nehst vergangen» gegebenen Versprechens, dass sie unmittelbar, vor Eclass der Forstordnungen gegeben ist. Sie enthält interessante Aufsehlfisse

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ftber die damaligen Zustände« Zoerst, heisst es darin, solle man dem tandvogt sagen, cwie schedeliche der urald ahgange. vnd wie man Inne verkoutfe heide den vnam In der stat euch In

das lant In das Eich vnd vssewendig wer sin begert». Seit Weihnachten seien 750 ganze und 34 Fuder gespaltene junge Stangen als Fronholz durch ein einziges Thor in die Stadt geführt worden. «Item man sage ouch da$ man woi alter vn- adiedelich böme gnug funde Die einre XX oder XXX karrich foul boltx gebe vnd nutzberer au fiüre werent als das Junge.» Auch werde viel mehr Hohe als Fronholz eingefiüiveD, «dann sie su hofe furent». Tkota des gegenteiligen Versprechens des Henngs Stephan habe man <by dai GXXX fuder lioitzes gehowen vnd hinweg gen marle» (Marlenheim) cgefurt vnd seyent ouch suiiciie fuder In soUcher masz gewesen, als das etteliche arme lütte vmb Ir pieide vnd geschirre kum- men sint». Nach Mertzweiler solle auch Holz im Werte von 140 gekommen sein. Man habe dorthin auch die Lieferung von ^fiOO Flachziegeln verdingt und für jedes Tausend ein Fuder Holz versprocheni jetzt lasse man diese auch «für das houbtgut holtz bowe». Ikxk Wald «ge so schedelich ab als das derglich nime geschehen oder geboret ist vnd als das es mengelich beredet vnd beclaget. Bitte man dorvff sine gnade, vns by vnszn alte tVeiheite vnd haikunien vnd auch vnsze n'uvreu friheiten zu hanthaben vnd zu schirme. Das woUent wir vmb sine gnade verschulden, das whr hoffenty er zu dancke haben suilei dan wir nemet soKcher friheiten vnd herkumen «oohzimfefande Doch dem Riehe vnd eime Lantfongte ynschede- liehe an sinen alten alten besserungen. Dann wir nit anders har inne meinet als des Bichs eins Lantfongts vnd der stat Hagenou langwerenden mergliclien nutz vnd froraen.* Es sei des Landvügts eigener Nutzen, wenn der Wald auch von der Stadt behütet werde. Es sei auch nötig, cdas ein föister ' awure als des iUchs Büttele zu hagenow». Auch solle man sagen, «wie. wir zuwilen knechte vff den walt geschickt bebent, ob sie Jemand findent Den Wald In egernrt massen schedigen. Das sie das bereden vnd vns das fürbringen dan sie sollent

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niemant bessern oder darumb geweltigeD.» Auch das «gerüte» solle man nicht vergessen.

Aus dieser Instruktion scheint hervorzugehen, dsss bis (lahm ilie Stadt keine eigentlichen eigens dazu l>estellte Forstel hit'lt, snn<lern nur ihre sonslijjen Bediensteten ^^ele^^entlich Forstsciiutx machen Uess, ierner dass damals die landvügtischen Beamten sich wenig um die Verbote, Holz in das Land zu geben und Eiehenstangen zu bauen^ kümmerten, und endlich dass damals noch eine Menge Eichen aUerschwersten Kalibers vorbanden waren, Stämme, die 20 bis 90 einspännige Wagen, also bei schlechtestem Zustande der Wege inuherhin 40 bis 60 Raummeter Holz gal>en, dass dagegen das Jungholz in gefahrdrohender Weise zu fehlen anfing.

Was den Landvogt zu sofortigem Eingehen auf die Vor- schlage der Stadt veranlasst hat, ist nicht mehr zu ermitteln. Möglich dass der Passus in der Instruktion« cauch solle man sagen, wie Nickehnann deezhalb Inne vnd euch vns getröwen hat, als ihr wol wissent vnd nennet doch Nickelman nit mit namen» damit in Zusammenhang steht, möglich auch dass die Stadt den Kaiser Sigmund för die Sache gewonnen hatte.

Derselbe hatte schon vorher (143i) die Schenkungen Karis IV. }>estütigt und anerkannt, dsss der letztere der Stadt c zu L nie Walde genant der Bürger waJdt ^ ein stücke Waldes genannt das Mittelstücke gegeben hat» und die Stadt kraft kaiserlicher Macht befugt, «das sie mitsampt eyme lantuogte den egenanlen Walt fürbas nier ewiclich heigen, behüten , besetzen , schirmen und handhaben sollen » (St.-A. DD 10). Wohl auf seinen Befehl hatte Unterlandvogt Pfalzgraf Stephan bereits hei der Ueljernahine seines Amtes 1429 geschworen, die Stadt hei ihren Rechten, t( besonders bi der hüte des heiligen Forstes vnd dass kein schaf daruf gehen soUi zu belassen (St.-A., Freiheiten).

In dem Briefe von 1436, in welchem dieser Kaiser di^ Forstordnungen betätigt, erkennt er, wie fraher Karl IV.,

' Der heutige Bargbannwald, das Stöcky von lä47.

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weiter an, dass der Foi-st mit seinen Zugehörungen « zu der- selben Stadt Hagenauwe j^^elioieii vnd nymer dauon gescheiden werden sol », und bedroht die Verletzung des durch die 1 oi -t- ordnungen gescbaüeneii Besitzstands mit einer an die Stadt zu zahlenden Strafe von 100 Mark lotigen Goldes. Aufrecht er- halten werden in diesem Briefe die Rechte der Klöster Wal- hnrgy Neubui^ und Königsbrück auf Holz nach Bedarf, derer V. d. WitenmQble auf Brennbolz für ihr Boiglehen. Bauhols haben dieselben zu heischen.

Die Forstordnun^ selbst wiederholt und präzisiert diese Bestimmunp^en utj-l enthält ausserdem eine Reihe anderer, auch für die Re^lUsverlitiltiiisse des Waldes wichtif^er Vorschriften. Wenn es beispielsweise dqrt heisst : «will aber Jemans buchens oder hirckens hauwen der sol es heische^ demesvoneins lantvogt wegen empfohlen ist und sol man es ine geben einsolich zitt vnd vmb ein solich sien gelis, ald das von hallter her gewessto ist. Das ist nemUeh ein monatt donoch vff ein absagen vnd zwen ß in die kQchen» , so ist das ein Beweis, dass diese beiden Holzai teii von alters her dem Latidvoj^t, hezw. «lern Kaiser allein vorbehalten waren^ wie wenigstens die Buche neben der Eiche im Stittangsbriefe Barbarossas von 1164 von dem Brennholzrechte der Hagenauer ausgeschloseen ist, und dass die Börger bei ihm, wenn nicht das Holz selbst, doch die Erlaubnis es zu hauen erkaufen .mussten. Das dafür bezahlte « Küchengeld das ansscl^liesslich dem Landvogt gehörte, war, da es unabbSngig von der Menge des abgegebenen Holzes in gleichbleibendem Betrage entrichtet

' Dass dieses Heischeu als eine Bitte anfgefasst wurde, die auch abgeschlagen werden konnte, geht daraus hervor, dass 1492 die Stadt dem Janker Nagel von Königbbach die Abgabe von Eicbenbaoholz verweigerte, obwohl er Bargmann von Hagenan war ond die Ronen- bnrg, fOr welche das Hohe verlangt warde, auf dem Banne von Hagenau liegt Batt, dem wir diese Notiz entnehmen, nimmt an, das» die Verweigerang erfolgte, weil die Ranenbarg nicht zum Barglehen gehörte, sondern Privatgut war. Es i?t walirscheiulicher, dass die Stadt annahm, dass für den Bau geringwertigere Hölzer, z. B. Kiefern genügten.

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werden musste^ ursprünglich wohl nur eine Rekognitians« l^ebfihr, bestimmt, die Freiwilligkeit der Abgabe zu beweisen, wurde aber im Laufe der Zeit lu einem fixierten Gegenreich- nisse fSr eine Zwangvleistuiig des ehemaligen alleinigen Wald- besitaers. In ^^anz analoger Weise zahlen die Büigernaeh einer jedenfalls jüngeren Beilage i zu der Forstordnung c Ordennung frevel vnd Rügen vlTdem Waitiiuss» auch für Bauholz Küchen- geld, obwohl sie nacli der Forstordnung von 4435 ausser dem 1164 von der Brennholzberechtigung ausgeschlossenen Eichen- holz auch Kiefernholz nehmen mussten. In den Fällen^ in welchen Küchengeld bezahlt wird, erhalten die Förster ausser- dem cWei^gekl».

Die c Besserungen > für Frevel von Buchen und Birken standen nach dieser Beilage dem. Landvogt allein zuj von solchen für Eichenliolz bezog er ^i-,, die Stadt vom Taub- holz € als hagebuchen widen Erlen und dei^lichen * der Landvogt '|s, die Stadt ^jj. Die Strafgelder für üebertretung der Bestimmungen über das Anzünden von Feuer, Räumen der Bäche u* s. w. wurden hälftig geteilt.

Die Forstgenchtssitzungen wurden alle Sonntage auf dem «WaldhttS», wie aus einer Urkunde aus iWf hervorgeht, «einem Saale des Rathauses», abgehalten; dasselbe bestand aus drei c Waldmeistern », von deiieii einer vuii der Herrschaft^ zwei von der Stadt gestellt wurden.^ Bei Anwesenheit von zweien

1 In dieser nicht datierten Beilage, die wie die Waldorduung «ftlbst nur in ttam rtm aas 1580 stammenden Abeehrift vorhanden ist, duxften die Bsftnaiier «von 9anl Hartmstag bis vft Eekai^Ti^ on einsag der Herrschaft» Bochen und Birkenhols bauen, gegen eine Abgabe an die «holtz feister knechte > von 2 ß pro Karren oder 4 ^ pro Wagen <hei8st dergelt»» Das Holen dieser Holzarten ansser dieser Zeit war istrafbar.

* Ans dieser Art der Besetzung hat die Stadt später wiederholt den Beweis ableiten wollen, dass sie grössere Recht© ara Forste habe als der Kaiser und der Landvogt. Es unterliegt aber wolil kemem Zweifel, dass dieselbe weniger mit dem EigentnmsTerhältniääe am Walde als damit znsammenhing, dass die Stadt Inhaberin des Oe- Ticbtaatabes war und ihr Bat als Stadt* und Landgericht, als letssteres fftr die ganze Beicbspflege Hagenau fongierte.

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konnten FechtekräAige Urteile gefallt iHierden. Die Urteile wareik appellabeli die zweite und letzte Instanz war Meister und (Stadt-) Rat zu Hagenau in seiner Eigenschaft als Landgericht für die Reichspflege. Der Landvogt war verpflichtet, dafür zu sorgen J dass nicht in der Stadt und der Reichspflege Hagenau wohnende Frevler sich auf dem Waldhause stellten. Auf dem Wald hause wurden auch die Gesuche um Holzabgaben eütgegeQ4;;enommen und beschieden.

* Von nicht geringerer Wichtigkeit für die damaligen Rechts* Verhältnisse des Forstes sind die beiden anderen Beilagen dieser Waldordnung. tWas gerecfatigkeit min gnedigster her pfeltz- grave Gurfurst der als Innhaher der Landvogtey vff dem Hagenower forst Hatt > und « Was ein bevelch haber so auff dem Wald hausz von wegen der Herrschaft .«ietz macht halt geiiebt an holtz vff dem forst hinweg zu geben on lutzag der von hagenow».

In der ersten ist gesagt, dass in den Waldorten Oberwald ^ Struti und Niederwald nach der Grenzbeschreihung von 1544 nicht ganz sj« des ganzen Forstes der Landvogt allein die Eckemutzung hatte, so dass in Mastjahren von Bartolomäi (24. August) bis l!2 Tage nach Weihnachten die Hagenauer dort weder Schweine noch sonstiges Vieh eintreiben durften. Umgekehrt sollte der Rest des Waldes, d. h. der nicht gerodete Teil des «Mittelstücks» von 1349, ipr sputer der «Burgerwald» genannt wird, « gehören der Stadl - Hagenauw zu mit aller niessung».t

Im Niederwald und in der Struth hatte der Landvogt ausser- dem das Recht, einigen Bauern von Ober^ und Niederbetflchdorf,

Rittershofen, Sehwabweiler, Ileimersweiler «vnd andern dor0er>. den Flinirieb von Pferden gegen eine Abgabe von Hafer imd Huhnern zu gestatten. Ebenso haben die Dörfer Dürrenhacli, Gunstett und Surburg, die auf Abgabe von Dürr- und Faul-

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t Dms hier unter «aller Niessang» nur die EekennitzQng und die Weide, nicht aber die Holznntznng gemeint ist» geht ans dem. Folgenden deutlich hervor.

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holt und von Taunreisi^ (letzteres gegen Heischen) berechtigt

waren, iliihiier und Hafer zu liefern.

Nach (\er zweiten darf der herrs^chaflliche Foi-stmeiMer one Int zag * der Hagenauer den Froneru Kiefern leiterstan^en lind den Suftlenheimer c SchOsseldrebern wenn sie in die Landvogtei Geschirr abliefern, Erlenholz abgeben.

In der Forstordnung selbst sind die frOfaeren Vorschriften öber die Einschränkung der Nutzung namenllich von jungem -Eichenholz wiederhol! und zum grossen Teile bedeutend ver- s^cliai lt. Zu Brennholz dürfen nur « vnschedelich bäum ligende oder stonde die do durre *«int vnd keine eichein nielir geben mögen vnd vnder vierzehen. ächue lan^ sint vnd nitt ^utt zu verbauwen also das man nit dielten oder Dierre darosz machen kann » genommen werden ; junge durre (Eichen-) Stangen äber 20 und IVindbrfiche über 28 Fuss Länge ungeheischen zu hauen, ist verboten ; die Ziegler dürfen das ihnen angewiesene Holz nicht schfden, sondern müssen es samt der Rinde ver- brennen; das Klupieii und Biei^en junjjrer Kichen wird uul der- bellx'U Strafe l)elejrl wie das Aljbaueii. Die Bauholzabgaben hiad genau nach dem Bedarf zu bemessen, die Emptan^^er müssen auch Atlerschläge annehmen und die Förster haben darauf zu achten, dass die Afterschläge, die sie verkaufen, auch verbaut werden.

Auch Kiefemstämme und Stangen müssen, mit Aus- nahme der Maien, ^^eheischen werden , das Abhauen von Kienholz vou stehenden Baumen ist verboten. Selbst Haselreif- istanjien »lürfen nur in beschränktem Mas><p jreboM werden. Die Voi-scbrift, (iat;> man «keinen ba^ tHle« ^releli<' vif dem Ibrst vtf hawen * soll, wird unier Erhöhung der Strafe von 1 ff für jeden Fall auf 5 U erneuert. Da in einem anderen Absätze derselben Waldordnung vorgeschrieben ist, cdas man kein gerät, acker, matten oder blösseh niht vff dem Forst machen oder zu thun gestatten sol », und dieses Vergehen mit der gleichen Strafe bedroht ist, so ist unter dem liack der Waldordnun^'^ von 1 124 .«»lowie unter « bag» und « (lofelle » der- jenii;en von ohne Zweifel das zu versteJieu, was man

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heulzulaije einen Schlag nennt, d. h. die Nutzung grösserer Holzmassen auf 7,usanQineQbangender Fiaciie, möglicherweise auch ein Kahlschlaj(.

Endlich enthält die ForstordniiDg nocli Aufschreibungen über die Rechte des Schuttheiss^ auf die « Würtzlinge», der Sufflenheimer auf zu Bauholz untaugUche kiefeme Aflerschlfige und der Beliehner von Grunslett, Oüirenbach und Surburg auf Dürrholz und faule Wtndbräche, die zum Verbauen untauglich sind, sowie auf Taubliolzzaunreis. Letzleres musste zwischen Michaeli (29. Septenil>er) und Maria Verkinidij^rm^or (25. Mär/) gehauen und durfte im Walde weder geschnitten noch gespalten "werden. Die Verwendung zu etwas Anderem als zu Zäunen war verboten, und diese Zäune mussten stehen bieiben, so lange Hie hielten.

Durch die Waldordnung des Pfalzgrafen Stephan ^ ist demnach fQr den Forst eine feste Rechtsnorm geschaffen worden,

welche in der Hauptsache l)is lange )iach dem westiälischen Frieden in Kialt blieb.

Sie rej^elt die Teilun^j der Geldstrafen zwischen Staat und Stadt und die Rechte der letzteren in Bezug auf die Holz- nutzung. Nur Ober die Hauptfrage, die des Eigentums, spricht sie sich nicht aus. Der Forst wird zwar nicht mehr, wie in der vorigen Periode, als c unser und des Reiches Wald » be- zeichnet ; es ist aber auch nirgends ^^esagt, dass der Stadt das ei}<entliche Mitoi;ientuinsieclii eingeräumt ist, und auch niclits tiarüber, ob und wie der Erlös aus nach auswärts verkauttem Holz geteilt werden soll. Da aber jeder Teil das Recht hatte, wenn es ihm der andere erlaubte, Holz zu verkaufen, so lässt sich wohl annehmen, dass jeder den Erlös aus dem verkauften Holze selbst einzog und dafür sorgte, dass der andere nicht mehr als er selbst verkaufte. Von irgend fühlbarem Umfange können aber diese Verkäufe in Zeiten des Friedens zwischen

' Wir werden sie im weiteren Verlaufe unserer Untersuchung als die Waldordaang von 1435 oder als die Waldordnong kurzweg bezeichnen

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Landvogt und Stadt nicht gewesen riein, da ausseriialb der Reicbspflege Holz überhaupt nicht ahgcgeben werden durh«y da femer die flersteltiiDg von Fam- und Rebpfahlholz aus Holt, daa aas dem Forste stammte, verboten tvar, und da endlich die Bewohner der Reiehsdörferi ihr Bauholz gegen Bezahlung' des Küchengeldes im Forste zu beziehen berechtigt waren und ihren Brennholzbedarf teils aus dorn c Gegenholz * hei Leistung von Fionfuhren, teils aus ihren Uemeiudewaldungen decken konnten.

Immerhin enthielt di»^ For^tordnung gerade über die Be- sitzverhaltnisse allerhand Unklarheiten, von denen jeder Teil bei passender Gelegenheit Nutzen zu zieheD suchte. So musste schon ein Jahr nach dem Tode Ludwigs des Bärtigen (1437) Kaiser Sigmund auf Beschwerde der Hagenauer dessen Sohne Ludwig IV. dem Sanftmütigen befehlen, die Stadt bei ihren Rechten zu lassen (St.-A. DD 12, 1).

Um sich gegen rtlmhche Ueberi,^ ille (ies Landvogts zu sichern, beeilte sich die Stadt, sich ihre Rechte am Forste 1438 von Kaiser Albrecht II. gleich nach seinem Regieiningsantritte (St.-A. DD 13, 1) und 1442 von dessen Nachfolger Friedrich III. bestätigen zu lassen. Letzterer fügte der Au&ählung der von Kaiser Sigmund verliehenen Rechte folgendes hinzu : < auch setzen vnd weilen wir vmb des heiligen Reichs vnd des vorgenanten Vorstes nutze vnd frumen willen ilaz nyeuiant er sey geistlich oder weltlich d h e i n s w ein auf d e ni s e l b e n v o r s t e \v e y d e n s o i anders dann in der tzeit so ecker darauf ist vnd man dasselb Ecker belieht alsdann so mag man dasselb Ecker

1 Nach Batt (I, 227) Batzendorf mit Wintershaiisen, Höch- stett, Gebolsheim (?), Berstheim, NieJerschäffolsheim, Bernsheim (?', Wahlenheim, Kriegsheim, Rottelsheim, Wiugersheira mit Bils- heim •?). MittelschäfTolsheim. Rumersheim (?); M o rs ch wei l e r mit Grasbi iiflorf, RingeUlorf, B Ossendorf mit Lixhansen, Scher- leuheim, K I u d w e i ] e r mit Walk, Bitschhofeu, Mommenheim mit Mutzenhaasen , Eschbach mit Hegeney» Forstheim, Ettendorf, Httttendorf, Ueberach, Surborg, Gnn- stett, Suff lenheim, Kittolshsim nnd Dangolsheim; die darebscbossen gedruckten Dörfer waren Sitze der SchaltheisBea.

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g:eprauchen vnd ettzen als das herkomen ist vmb daz die eycheln so nach der Eckeilzeit über verbleiben bekymen vnd ze wachsende komen mögen vnd von den sweynen nicht un<ler- pracht werden vnd daz auch niemand vszwendig der stat Hagnawe dheinerley holtz auf demselben vorste ha wen vnd nemen sol an eins landuogts vnd roeister vnd rata zu hagenaw sammethaft erlauben vnd willen vngeuerlich» (St.-A. DD 14, 1).

Gleichteitig suchte aber die Stadt aus eigener Machtvoll- komiiieitlieit die Porstherechtigunfren Dritter möglichst einzu- schränken. So l)tisch werten sich 1438 die Herren von Liclitenherg beim Kate, dass derselbe ihre Unterthanen der oben genannten 11 Dörfer an der AusQl)ung ihrer Forstrechte hindere* Der Rat erwiderte, er habe einige Leute von Dettendorf gefangen gesetzt, m weil sie statt Taubholz «schädlich Holz» gehauen und Rebpfahle daraus gemacht hätten. Die Herren möchten dafür sorgen, dass, was die Leute zur Notdurft nötig hätten, geheischt, und dass die geschuldeten Besserun^^en bezahlt wurden (St.-A. 28, 1 bis

Aber bereits 14-i8 klagten die Herren von Liclitenber^'^ von neuem über die Vorenthaltuii^ der Hechtsl)ezri}jie ihrer Unler- thanen der 11 Dörfer durch die Stadt. Die letzteren wollten ihnen deshalb die «Zinsen und gfdten» nicht mehr geben, die si^ ihnen als Gegenleistung für die Forstrechte schuldeten* Sie selbst hätten «Forstreht vif dem forste zu Hagenauw von Riehe zu Pfände» und hätten jenen Gemeinden Gerechtig- keit >;egeben, die Rechte <vff dem vorste zu messen» (St.-A. DD 48, 12).

Der Rat j^ab die Antwort, ohne den I.andvojrt könne er nichts dagegen machen. Darauf erwiderte 1449 Ludwig von Lichtenberg, die Stadt allein hindere die Ausübung dieser Forstrechte und halte seine Unterthanen gefangen; gebe die Stadt nicht nach, so fordere er sie vor den Landvogt oder einen beliebigen anderen Schiedsrichter, deren er eine ganze Reihe namentlich vorschlägt, oder «vor dem eyne den ir wollen es sy lürste, g^raue, herre oder knecht». Schlage sie das ab, so müsse er das als «gewalt und mutwillen* auffassen und sich

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daoach richteu. Seinem ScUaffher verweigerte die Stadt den Naehwdä der Forstrechte der il Dörfer, weil sie densetbmi

ohne den Landvogl nicht liolcni dürle. Sie sei aljer bereit, die biiche vor den letzt ei-en zu bringen.

Die Liclilcubeiiier luden (iaraul »iie Siadt wej^en Besitz- Störung vor den Kaiser; die SUult erwirkte al)ei- ein Urteil desselben von 14M (St.-A. DD nach welchem der Land- vogt mit vorzuladen sei und die Sache vor Meister und Rat der Stadt Strassburg verwiesen wird. Das Endurteil des Kaisers von 1455 wie» die Lichtenber^^er kostenfallig mit der Klage ab, weil ^^ie im Terrmn niclit erücJuenen seien (Sl,-A. DD 28).

Nach langen Vei liandlungen kam schliesslich 1464 vor dem Unlerlandvogte Johann Wildgralen zu Daun ein Vergleich zwischen der Stadt und den Lichtenbergern zu stände, nach welchem die armen Leute der 11 Dörfer das Taubholz, das sie zur Verzaunung ihrer Dörfer und hesamten IValdäcker an den Wegen und Heerstrassen nötig haben, auf Heischen er^lten sollen mit Ausnahme von Eichen, Buchen, Birken und Apfelbaum. Das Holz niuss zwischen Michaeli (29. Sep- temlK»r) und Maua Veikündigung (25. Mai"z) geiiaueii und darf weder verkaull noc h zu Rebslecken verari>eilet werden. Ausj«>erdeni dürlen sie im ganzen Jahre «dürr liegend Ueis ausser Eichen» zum Brennen holen. Nach gestohlenem Emhoiz sollen die Förster suchen und die Frevler pfönden därfen.^

Gleichzeitig scheint die Stadt aber auch in die Rechte des Landvogts selber eingegriffen zu halten; denn 1449 beschwerte sich der Unterland vog4 Wildgraf Johann von Daun mündlich bei der Stadt, dass sie ilini mit (iewall die Waldnutzuu^en, ins- besondeie die Weide entwerte, so dass ihm « eine grosse

1 DieMr Vertrag war in der Hauptsache eine Bestätigung des alten Bechtszostandes. Im Jahre 1449 bescheinigte Johann Troiser,

der damals bischöflicher Küchenmeister in Snrbarg, früher aber 4(> Jahre lang Inndvögtiseher Zinsmeister war, dass die lichtenbergi- schen Bauern das Zaunreis heischen mnsstcn und stets gestraft wurden, wenn sie es ungeheischt holten. Auch die Weide stehf ihnen nicht von Rechts wegen, sondern nur vou «guiumge wegen» zu. Er erklärte sich bereit, die Wahrheit dieser Aussage zu beschwören.

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summen hubeiii inynder (ian alle sinen vordem worden were>, und ginge docli die Weide und das Gras» das doch f gar vil und lang» sei, ohne Not verloren.

Der Sfettmeister Jakob von Berstheim erwiderte ihm namens des Rates, die Stadt habe den Wald zu behüten» was sie thne, geschehe «umb Nute und Notdurfit des Walds wegen»; der Wald sei {jare sere und vast ab|(angen >, dadurch dass man «die Weide verk:udlt uiui mit i)ferden und külien die jungen iWwelin ab^eetzel » und « anderes darinne für*(enommen und gethan hatte, denn herkommen wai-e>. Man habe gesehen, vat das Vieh ;:!:ewesen sei und « alle junge bomelin abgebissen und kröppelin» seien.

Ausserdem habe die Stadt die Landvdgte nach einander gebeten, neue Rodungen im Walde zu verfaindern. Da cman sich tütxel daran kehrte», lasse jetzt der Rat zur Zeit des Heu- macheiis die Viehherden der Gemeinden auf das gerodete Ge- lände treil»eii, um .so die I^^ute zu 7\vinjren, dasselbe wieder zu W^ald weixleri zu lassen. Fernei' e;t n dt m Herzog iSte{)iian als Fronholz junge grüne Stangen zugel'üiirt worden; er habe versprochen das abzustellen und zu sorgen, dass. man « zu hofe slegelaxse mähte und die alten unfruchtbar und ligende Borne zu fronholtz fflre».

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So liabe es die Stadt immer gehalten. Der Unterlandvogt

möge sich einmal die Sache mit einigen vom Rate besehen und dabei auch callerley l)rest von den lürliti hörne und blossen, die mau wol be.setzen mohte» ansehen (St.-A. DD 21).

lieber den weiteren Verlauf dieses Streites fehlt der urkundliche Nackweis. Wahrscheinlich haben sich beide Parteien aii den Kaiser gewandt, der dann 1460 jede nicht verbriefte Weide und damit auch die Verpachtung des Weiderechts durch den Landvo^t verbot. «Ist uns fürkomen», heisst'es dort, * wie 4ler wald durch etliche weidgänge und das vieh so daruf {^^ehallen wmt und sunderlich durch die huter mit biennen und in ander wegen mer^dich t)es( iiediget und gewiistet worden sie » < darum gebieten wir einem jeglichen der jetzt

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zu ziten unser und des richs iantfogt im Elsass ist, und iarzu den vordren, buri^ermeisler und rat der Ptatt zu Hagenau unci all iren nachkommen, dass sie samt und sunder binfütx) aüe und jegUche zeitliche und alle andere weidg^finge und Sachen die nit von alter redlicher verschriebener und versiegelter gerechtigkeit versehn sin, sollen abtun und die niemals gestatten zu tundeUi mit den geholten und ziemlicher pene so darzu notdürftig sein werden, damit solch vorgen. schaden an demselben wald fürkommen fürbasser und verhindert wci le und dann auch in allen andern unbilichen und unnützen beschädigungen allzeit heigen, behüten, besetzen» (St.-A, DD ßO, 1).

Diese Verordnung richtete sich offenbar gegen den späteren Kurfürsten Friedrich I. den Siegreichen den bösen Fritz ^ der nach dem Tode seines Bruders Ludwig IV. für dessen Sohn Philipp die Regierung des Kurfürstentums und die Ver* Wallung der Landvogtei übernommen hatte, aber anfangs vom Kaiser nicht anerkannt wurde, weil er damals schon Ije- strebt war, die Kurwürde an sich zu bringen. Nur der Land- vogt <c verkaulte die Wtule » an Uni»erechtigte, die Stadt übte ihr Weiderecht selbst aus.

Ebenso gegen den inzwischen anerkannten Landvogt und auf Andringen der Stadt erlassen ist das Verbot des Kaisers von 1451, einen Förster anzustellen, cer swer dann vorhin einen aid zu got vnd den hailigen, das er wider das heilige Reich seinen lantuogt in EUsasz vnd die statt Hagenaw vnd die Iren niemer me reiten helUeu nun tun wolle in keinem wegjj (St.-A. DD 15, 1).

Auch unter dieses Kurfürsten mächtiger Regierung fuhr die Stadt fort, auf eigene Faust Uebergriifen von Dritten mit Gewalt entgegenzutreten. Die zahlreichen zeitweise zum Kriege und zur Absetzung des Kurfürsten als Landvogt führenden Streitigkeiten desselben mit dem Kaiser Hessen der Stadt dazu freie Hand.

So pfändete Bie 1451 dem Stifte zu Surburg, welclie.s zu den Reichsdörfern gehörte, 3 Knechte und 2 Pferde und hielt

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sie j(efang"en, weil eie « iVefelich vnd vngelieischen holtz vnd l iss gebogen heltent ». Bischof Ruprecht voq Strassburg for- derte die Stadt auf, die Knechte zu entlassen, und liess einen Brief verlesen, worin Kaiser Friedrich III. den M&nchen de» Stifts «Ire freiheit vnd harkomen» hestätij^. Der Bischof behauptete, diesetben -beständen darin, dass man dem Stifte den Wald und die Weide ausser Eckerichszeiten nicht verbieten dürfe, und dass sie «zu iren hüten vnd gebuwe holtz zu ire» notturfft howen mögen». Die Stadt verweij,^erto die Anerken- nung dieser Rechte bis zur Vorzeigung der Rechtstitel sowie die Herausgabe der Knechte^ und der Kaiser verbot dem Bischöfe,

sich in den Streit zu mischen (St.-A. DD 21).

Siebzehn Jahre sp&ter, von 1468 an, sehen virir die Stadt abermals mit den Herren von Lichtenbergr Streite, dieses Mal

wegen allerhand Berechtigungen, welche dieselben für ihre Dörfer Schwabweiler, Beimersweiler, Kühlen iorf, Ober- und Niederl>etschdorf im Hattgau sowie Oberhofen in Anspruch nahmen;* nämlich das Recht, Taubholz nach Bedarf zu hauen, ferner wenn sie Fronhols föhrteoy für sich je ein Fuder Gegenhoiz zu holen, und das Recht, von den Förstern After> schldge * und von den Zinsmeistem die Weide zu kaufen.

Die Stadt, heisst es in der Beschwerde Ludwigs von Lich- tenberg vom Jahre 1468 (St.-A. DD 28, 4:3) u. A., wolle )>deni Ackersinann sf.dt seines vollen Bedarfs nur zwei, den « Bürdeträgern > nur ein Fuder Taubholz zukommen lassen, sie pfände die Leute aus dem Hattgau, welche die Weide vom Landvogt gekauft hätten. Ausserdem halte sie ihm verschiedene

^ Das Verbot, Afterschläge an die Hattgaädötfer zu verkaufen, ist übrigens nicht von der Stadt allein auagegangen. Vielmehr warde 1459 durch gemeinsame Verfugnng des ünterlandvogtes und des Zinsmeisters einerseits und des Meisters und Rats den sechs Förstern hngennest, tollinger, hopen, armseien, baumhenscl und brüaliu mit- geteilt, dass der Verkauf der Afterschläge nacii üeimersweiler gegen die Waldofdmmg vustosse. Dnreh die gem^Muane Yerordnvnji von 1448 war allgemein »das Verbot, Hols anderswohin als in die Stadt Hagenau nnd die Reiehsddrfer an verkaufen, ausdrttekliek anf die AfterachUge ausgedehnt worden (St-^A. DD 20).

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Leute gefangen, die iieisig und Hecken aul ihrem Eigentum und nicht im Walde gehauen hätten. >

Der Kurfürst, vor den die Sache gebracht wurde, sprach seiiie Ansicht dahin aus, dass man den g|pnannten Dörfern viel Heiz geben solle, als man ihnen bisher gegeben habe und als man den Reichsdörfem gebe, und dass sich dieselben mit der Weide genügen lassen sollen, die ihnen bislier < gegünet > war, die Hallgaudörfer uanilicb, da wo der L;iihlvi»p^t die Ecker- nutzung habe, 01)erhofen « bis an die Pfade » 2 (Si.-A. DD 28).

Die Sache kam, abgesehen von einem Urleile von 1471 (St.-A. DD 28, 46), welches die lichtenbei^ tum Beweise darüber, dass sie nur die Stfidt, nicht aber der Landvogt in ihrem Besitze gestört habe, wie es scheint, nicht zum Austrage, wohl deshalb, weil, wie wir sehen werden, der mächtig ge» wordene Kuriürst jetzt nicht mehr wie früher durch Kri<^e in seinen Erblanden von der Verwaltung der Landvogtei abge- halten und den Hagenauern um so weniger freie Hand zu lassen geneigt war, als sie in seinen Streitigkeiten mit dem Kaiser zuletzt, währenddes Mainzer Bisehofslreiis, auf Seite des letzteren gestanden und den Grafen Ludwig von Veldentz als Landvogt anerkannt haften.

Noch 1457 hatte er, durch seine eigenen Angelegenheiten ab- gehalten, es ruiiig geschehen lassen, dass sein Unterlandvogt Peter von Dalheim die mannigfachen Klagen des ehemaligen i>chult-

^ Unter leisteren beland sich auch ein 1466 gefengen gesetzter Mann aas Mertzweiler, von dem sp&ter nicht mehr die Bede is^ ob- wohl die Stadt schon 1466 die Loslassaug desselben verweigerte, weil der Frevel im Walde und nicht auf seinem Eigentume stattge- funden liabe. Mö<?lirh, dass es sich hier nm einen so«:; Einfang, d. h. um eine Rodefläche handelte, den die Stadt als Zubehör des Forstes reklamierte. Die Ausdehnung des Mertzweilerer Bannes auf das linke. Ziuselufer würde demnach in diese Zeit fallen.

^ Den geuaueu Verlaui dtr «Fiadü.> uutr düi- «Pzadewege >, wie. sie in anderen Urkonden beissen, habe ieh meht feststellea hlhuten.' Sie lagen in der Hauptsache in der Biehtnng der Wege, welche von Sshurrein nach Oberbetschdoxf flUuren. Sie lagen etwas fiaÜich der Weaigrenze des Niederwaldes.

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heissen Heinz von Falkenstein <jej,'en die Stadt wegen eigenmäcb« tiger Eingriffe derselben in seine Rechte abwies. Unter den Klage- punkten befinden sich mehrere, welche sich auf den Forst begeben. So beschwert sich Heinzi cwie er etliche mattei» im forst gelegen kouft habe, darin etlich hoHz gestanden sy und also er an »lie von Haj;enau begert habe laime au dem ende zu marken,* haben sie In um ufslag in <ler sacbe g-ebeten und do enbinuen die von üazendorf ut' .sin matleii (iiirch ire lorster wisen lassen, sin holtz abzuhowen, und fordert des.sbalb wandel vnd kening nach herkomen forslrechts und darzu dy markunge noch hat bi tage zu tun und dann « £r habe in <leT ziten er ein Schultheis zu Hagenau gewest, ein knecht i^^ehabt, den er gedinget habe, Im holz us dem forst zu führen und doch nit anders denn nach innehalt der Ordnung des Waldes und es also ein schultlieiss zu tun habe. So nun von andern schodelich lioltz iinme foi-st g^ehowen worden sige, so .si alzil sin knecht «iarine iürgeben als obe er solichs getan bette. Darna( h uf ein zit halien si demselben sinem knecht einen karch mit holz genommen, den vf ir Rathhus gestellt, so lang bis es vertulet und ime sine pferde verdorben sind.». . .. . «Ueber das>habent sie den knecht gedrungen. zu sweren eine summe gelts zu geben, und als er die nit geben habe, so haben sie in in tfefangniss ^eleit und getrongen einen hrief zu versiegeln inhaltens als ob ei- ein« diepstals l)ekant haben solle und dass er darum .statt und l)urgbann versweren musste.» In dem ersteren Punkte erfolgte Abweisung der Kla^^e am formellen GrQnden, in dem zweiten deshalb, weil. der Knecht in dem Briefe den Diebstahl bekenne und freiwillig um Gnade gebeten habe, «und auch darzu der zinsmeister gestat, dass er als min gnedi;;;:st«»n Herrn Waldmeister dabi gewest .sy, als der kuet ht mit holzhovven widder des Waldes Ortlnung geli*evelt habe und nit anders dan nach lier kernen desshalb gestraft sy» (Batt U, 223 u. ff.).

1 Demnach war die Yermarknng der Enclaven nn Forste bereits 1457 in Gebrauch.

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Der Landvogt^ dem doch die Hut des Walde« gemein- schaftlich mit der Stadt anvertraut war, hatte es also ruhig und ohne Einsprache geschdiea lassen, dass die Stadt allein dieses Amtles wartete und gegen seine Beamten Gewalt anwandte.

Von 1468 an wollte er ^ieh dieses Beiseitelassen seiner Person nicht mehr gefallen lassen. Ein von ihm an die Stadt grerich- teter Brief aus diesem Jahre (St.~A. AA '2i}S, 1) enthält eine ganze Reihe von Beschwerden, so in Besug auf den Forst die Klage, die Stadt habe, ohne ihn zu fragen, den lichtenbergischen Dörfern ihre Berechtigungen zuerst abgeschlagen und dann wenigstens teilweise wieder verkümmert ; sie habe den Reichs* dörfem die Ausübung ihrer Rechte im Forste und ihm den Verkauf der Weide in dem Teile, in welchem ihm die Mast- nuizunjr allein zustehe, erschwert; sie habe weiter die von Suffleiilieini mit Gewalt verhindert, ihre Forstrechte auszuüben, habe ohne ihn Forstordnungen erlassen i und die Frevel und Besserungen» von Buchen- und Birkenholz unterschlagen, die doch ihm gehörten, «nachdem das selbe holtz vns allein zustet».

Spater, nachdem er 1470 wegen seiner Parteinahme gegen den Kaiser in dem Mainzer fiischofstreit vom Kaiser als Land- vogt abgesetzt und die Stadt 1471 den neuen Landvogt Ludwi<> den Schwarzen von Pfalz-Zweibrücken anerkannt hatte, der jedoch bereits 1472 auf die Landvoglei wieder verziclitefe, scheint er seinerseits aggressiv vorgegangen zu sein. l>enn 1472 beilehlt der Kaiser allen Fürsten, ihm gegen den Kurfürsten zu helfen, der denen von Hagenau « teglichen mercklich beswerung zufQg vnd sy des waldes genant den heiligen forst so zu der genant Stadt Hagenaw gehöret, ze entweren vnd davon zu bringen vnderstee» (St.-A. DD 29, 1). Nach der Beschwerde der Stadt liess der Kurfürst den Leuten, die aus dem Walde kamen, die Kärche zerhauen und ^ie nach Lützelstein bringen (St.-A. DD 29, 4). Selbst nach dem Friedenssehl uss scheint Friedrich mit seinen Eingriffen in die Rechte der Stadt nicht

1 Eine von der Stadt allein erlassene Forstorduung ans jener Zeit ist in den Arehiven nicht aufsnfiaden.

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nachgelaissen zu h.^ben ; deiiii m dem gleichen Jahre musste ihm Kaiser Friedrich bei den |>5QeA in dem vierjährigea Frieden nüchsthia zu Regensburg beschlossen» befehlen, den Hagenauem ckeineriei Irrung, Verhinderung vnd fSntrag zu tun » (St.*A.y Freiheiten).

Kurfftrst Friedrich starb 4476, ohne vom Kaiser wieder in die Landvojjtei eingesetzt zu sein. Dagegen wählte ihn die Stadl 1476, kurz vor seinem Tode, zum Schirmtierrn, als welclier er sich für sich und seinen Nachfolger eidlich verpflichtete, in jeder Hinsicht, namentlich auch in Bezug auf den Forst^ den alten Zustand wieder herzustellen.

Auch sein Nachfolger Philipp der Aufrichtige wurde anfangs vom Kaiser nicht als Landvogt anerkannt, fungierte aber auf Onind des mit seinem Vater abgeschlossenen Vertrages als Schirmherr der Stadt und erhielt erst 1486 die Landvogtei. Uin den heiligen Forst scheint er sicli persönlich wenig geküm- mert zu haben; die einzig^e von ihm selbst herrührende Ur- kunde aus seiner Zeit, die sich auf den Forst bezieht, ist eine Aufforderung vom Jahre 1479 an seinen Zinsmeistery der Stadt zu verstehen zu geben, dass sie die Wilderei verbfeten solle (B.-A. C 87).

Auf einige zu seiner Zeit erlassene Verordnungen für den Forst werden wir später zurück k in men.

Pfal^raf Philipp kam 1504 wegen des (zweiten) pfalzischen Krieges in lleichsacht und wurde der Landvogtei verlustig erklärt. Von da an kam das Elsass und damit 4er Forst unter dsterreichisdie Verwaltung und verblieb unter derselben, abge- sehen von zwei im nSchsten Kapitel zu besprechenden Unter- brechungen, bis zum westfälischen Frieden.

Die pialzische Periode cliarakterisiert sich durch die Fest- legung der Rechtsansprüche aller Beteiligten an dem Walde. Der Rechtszustand, wie er sich im Laufe der vorhergehenden Penoden thatsächlich entwickelt hatte, wurde durch die Forst- Ordnung von 1435 verbrieft, und was dort zu verbriefen ver- gessen war, wenigstens teilweise durch spatere Verträge fest- gelegt.

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Das letztere geschah insbesondere auch in Bezujr aul flie auf dem Forste lastenden Berechtigungen für die 14 hchten- bergischeii Dörfer durch den bereits erwähnten Vergleich von 1464. Ebenso ^rde 1468 eine eingehende Untersttchimg über die speziellen Rechte der lur Reicbspflege gehörigen Gemeinde Gnnstetf angestellt. Es wurden dabei zwei (geborene Gunstetter, die in Hochfolden wohnten, als Aeu^en vernommen. cSo hant | dio zwoi «^esoit ... Es soll auch ein Meyer der Herrn von ^ Surburg 1 in dem heuet us der Herrn von Öurburg froumalten zu Gunstett dem zinsmeister geben zween enger heues ; darum so hat der Meyer recht alle jar zu nemen ein Baum^ als gut ^ er finden mag in dem forst.« . Auch so hat die gemein zu . Gunstett recht in dem Forst d au b holz zu hauen, ' vszgenom men die vier höltzer.* F^Ht ein ast ab dem haume, den ma^^ ( in ano mann, woller d.izu kommet, ushautMi vnd heim führen . . . Will auch ein .u iri mann bauen zu OuDstetty so sollen im die bürger von Hagenau und ein Zins» ine ister m statt obgedachter, geben holtz genug us dem Forst . . . Will einer holz hauen und will einige wsegen, so i ferfiihdt mer zu recht: die wil der arm man bandet^ so ruft er dem Förster^ die wir er ladet, so beuttet er und wan er tart, mag er mit den hindern rädern kommen da die vordem * räder gestinden sint, so ist er nioioattl nüt darum Sichukii- ... t Darnach so ferfan<lt man zu recht da.s.s die von diüistett liandt ) den weidgang vor sich zu gebrauchen in dem Forst von dem ^ 12. tag der heil, drei König bis St. Bartolome, 3 also weit man den gereichen mag ghen Kocfaheim in die fürt. Dan mag der hirt trenken und ist der Hagenauer hirt vor do an dem bach, so soll derselbe hirt den birten von Gunstett lassen trenken. Darnach so mag Hagenauer hürt da bleiben also lang er will . « . ^

1 Der Beichshof und das SchultheissenaiDt zu Sarburg gehörten damals zum Hagenaaer Barglehen der Herren von Fleckenstein (Bati a, Ödd a. ff.).

> Wohl dieselben, die auch die 11 lichtenbergischen Dörfer nicht bauen durften, nftmiich Eichen, Bachen, Birken and Apfelbaom.

> 6. Jannar bis 24. Aagast.

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und daranib m empfahet ein zinsmeister 8 ^ strassb. wehr. * zu 1 a u h gelt unil der schrieber zu vertrinkeu 4 pfenaig ...» (St.-A. AA 149.) I

Ob diese Rechte anerkannt wurden, ist aus den Archiven nicht ersichtlich. Es findet sich aber auch nirgends ein Nach- weis, daas sie jemals wirklich ausgeübt wurden.

Die namentiich im zweiten Drittel der deterreiebischen Periode cbronischeD Angriffe des Landvogts auf die von der Stadt in Anspruch genommenen Rechte waren in der pfölzi- sehen Periode aut die kurze Zeit bescliiaukt, wahrend welclier die Stadt sich auf die Seite der Feinde des Kurfürsten gestellt hatte. Die Kurtürsten pei-sönlich lebten in der Regel mit der Stadt im besten Ejnvernehmen und waren bestrebt, DitTerenzen^ welche sich nicht selten durch Uebertretung der Waldordnung' durch ihre Beamten Verkauf von Holl «auf das Land still- sdiweigende Gestattung von Rodungen und dergleichen * ergaben, auf gütlichem Wege auszugleichen.

So Hess zur Zeit Philipps des Aufrichtij^en Unterlandvot^t Jakob von Fleckenstein auf Befehl des Kurfürsten 1495 den Hagenauer Bürger Claus zum Knüpf, den die herrschaftlichen Förster wegen Wilddieberei ^^efarv^'^en gesetzt hatten, dem Rate zuliebe frei und verzichtete für das Schloss Bischweiler auf das Bebolngungsrecht, obwohl es sich, seit es zur Pfolzgraf- Schaft gehöre, im Forste beholzigt habe (St.-A, DD 90, 4). Die Beschwerde der Reiehsddrfer im UffHetb, die seine eigene Familie seit 1372 vom Reiche zu Lehen hatte, über Verletzung ihrer Rechte durch die Stadt brachte er allerdings vor den Kaiser, mischte sich aher später nicht mehr in den Streit der Hagenauer mit den übrigen Heichsdörfcrn, insbesondere mit den Sufllenbeimem über deren Holz- und Weiderechte.

Auf der anderen Seite zeigte sich die Stadt den Kurfürsten geföUig, beispielsweise in Bezug auf den Wald, indem sie ihnen,, c obwohl der Waldordnung zuwider das Fällen von Stämmen im Forste für ihre Bauten ausserhalb der Reicbspflege, üo

1 Abgedruckt bei Batt I, S. 87.

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1482 das Fallen von 3 Eichen für das Schloss in Seltz, 1499 das Fällen von 50 c thannen für seinen Bau in Neuenburg i^estattete. Im <>Ieichen Jahre hatte der 2Unsmeister 300 Eichea und früher 700 zur Verhegungr abgehauen. Die Stadt begnügte sich aber, demselben mitzateilen, es lohne sich nicht zu ver- hegen, < des wildgejägts sei nicht der arbeit werth» (B.*A. C 87)/

In Zeiten allerdings, in welchen sie den Landvogt ander- weitig beschäftigt wusste, suchte sie ihre Rechte im Forste nach Möglichkeit auszudelnien. So strenge sie Di itten und den Beamten des Landvogt's gegenüber auf der Einhaltung der AValdordnung bestand, so wenig kümmerte sie sich bei sich bietender Oelegenheit um dieselbe. So verpachtete sie 1455 die Mastnutzung in ihrem Teile mit der ausdrüekliehen Bedingung, dass der- Pächter seine Schweine bis Georgi (23. April) ein* schlagen dürfe, obwohl Kaiser Friedrich III. 1442 den Eudtrieb von Schweinen ausserhalb der Eckerzeit verboten hatte und der Schluss derselben in (1er Waldordnung auf den 12. Tag nach Weihnachten festgesetzt ist (St.-A. DD 61).

£benso waren die wiederholten Angriffe der Stadt gegen die Rechte der Sufflenheimer offene Verstösse gegen die Wald- Ordnung, in der diese Rechte anerkannt sind.

Die Ausnützung des Waldes war in der pfSIzischen Periode 4liese1be wie in der vorhergehenden; das Holz wurde allgemein nur zur Selbstwerbung abgegeben ; nur war der Kreis der Holzarten und Holzsortimente, welche ohne Anweisung durch <lie Förster von den dazu Bereciiligten gehauen werden durften, <]adurch eingeschränkt, dass auch die Kiefer unter Schutz gestellt und die frühere Ermächtigung, Buchen und Birken bestimmter Dimensionen ungeheischen zu. hauen, in Wegfall {(ekommen war. Darauf, dass zu Brennholz nur «unschädlich Holzs genommen wurde, dass mit dem Bauholzrecht kein Missbrauch geschah, und dass < in das Land » kein Holz ver-*

1 Unter «thannen» sind hier keineswegs Weiaa- oder Bottaanen <Fiehten) zu veistehan. Thannen war in der Pfals der KoltektiTname fär Nadelholz und ist in diesem Sinne in der korpftliischen Wald- ordoong von lä80 wiederholt gebraucht. ^

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kauft wurde, wurde namentlich seitens der Stadt str^n^^e geachtet. Die letztere wusste es, w ie wir gesehen haben, durch- zuseffen, dass von 1450 an auch die Weide von niemand ausser von Berechtigten aiaogeQbt, also auch an Nichtberechtigte nicht verpachtet werden durfte.

Auch XU Bauzwecken durften von stehenden grönen Stäm- men ausser Kiefern nur unschädliche Stftmme, «die zu sny- deude sind », angewiesen werden. Wenijrstens in Bezug auf dast Eichenholz war demnach die Ausnützung eine plänterweiso, und dass sie auch in Bezug aut" die übrigen Holzarten tme solche bleibe, dalur sorgten die neuen Forstordnungen, welche es bei hoher Strafe verboten, ein « hag « hack » oder « gefeile » im Walde zu machen. Nur bei der Kiefer mögen gegen Ende der Periode dadurch formliche Schlage entstanden sein, 41a6S» wie wir sehen werden, auf einer Fläche mit ausgesprochenem Kiefern* boden zeitweise die Fällung von Kiefernbrennholz in der iMeinung freigegeben wuidf, dass dadurcli die Eiche begünstigt werde.

Trotzdem und liol/ des nur in seltenen Ausnahmsfällen überschrittenen Verbots, Holz «in das Land j> zu geben, mehren sich die Klagen über den Kuckgang des Waldes. Bei der Kleinheit des Bezirks, zu dessen Versorgung mit Holz der damals noch fast 14,000 ha grosse Forst reserviert war, und dem Umstände, dass fest alle in diesem Bezirke gelegenen Orl-- schatten eigene Gemeindewaldungen besassen, ist nicht anzu- nehmen, dass dieser Ruckgang durch eine an sich übermässige Holznutzung veranlasst war. Derselbe wiw viehnehr die Folge der mangelnden Obsorge für Wiederbesamung der leergewor- denen Teilflächen sowie häußger Ueberschwemmungen läng» der Bäche und fortschreitender Versumpfung im Innern des- Forstes, ferner di^enige einer schrankenlos und im Uebermass ausgeübten Rindvieh- und Pferdeweide, welche die Laubholz- jungwüchse nicht aufkommen Hess, und endlich, wie aus der Verordnung von 1450 und einer weiteren aus 1490 hervor- geht, die Folge häufiger Waldbrände, welche nicht selten von ilen Hirten absichtlich gelegt und durch das massenhaft umher- liegende dürre Heisig besonders geiahrlich gemacht wurden.

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Wild üoch noch 1518 (Iarül>er «reklatft, «das nemlich heymsch vntl IVörnbfie, Imme eichen vniiii lurlenhollz, tlie iorder vnd inilleUclirüt heiuizufiiren v^eladen vnd die este vnd schwanken im Walde dauon Ugeaude gelassen. Der ein grosse sum vnd 2al ist vnnd zu bcsorgeim, wo füre darin kerne, dem wald eia oierckUcher schaden lugefugt wünle^ ouch das iure mit swerer mAge vnnd arbeil ftssxüdilgen vnd m Idachen were» (St.-A. J)D 21, 2).

Die 1502 erlassene BesliminHn«^ (St.-A. DD 44, die

Kiefern « swauckeiij) küarti;: den Klöstern anstatt des Buchen- uiid Bii kenreisijfs ZU j^ehen, hatte sich liemnach als unwirksam erwiesea ; ebenso das in derselben V'erordnun^' enthaltene (jel>ot, heim Hauen von iüetem Brennholz bei Strafe von 1 S tür das Fuder cd»n ganzen stammen mit den afterschlagene vssgescheiden die gantz deinen este» gar aufinihowen vnd heimzufören ».

Die Waldhrande waren damals so häufig, dass 1490 das Feueranmachen im gansen Walde Sommer wie Winter jedermann verijolen werden niusste. Motiviert war dieses Verbot damit, Das dei' Walt \u verg^an^en .foren vnd hesoiidor disen ver- öchynuen büuuner von solicheu iuren die du ^^eniadit worden .sint, angan^^en vnd swerüch vnd schedelicb gebrant vnd das man das wider zu löschen vnd zu themen merglichen kosten gehebt, vnd obe man nit sorglichen vnd ernstlichen vil Ifite dozu geschieket, die das före gelöschet, ouch gehütet hant, biss da^ fOre aller dinge vergangen war» (St.-A. DD 20, 6).

In die pfalzische Periode fallen auch die ersten Anfönge künstlicher Verbessenm«!fen im Walde. Jn « dei von Haye- nauwe Hatslaiiun^ vonn des fürlin liultz we^^^en » von 1478 (St.-A. DD *20) wird der l)ereits 1449 gemachte Vorschlag wiederholt, «das man auch an etlichen blossen junge eichböm vnd ouch eichel Uesse setzen vnd versuchen liesse, wie sich aolichs halten wolt». In der gleichen Urkunde ist auch zum erstenmale vorgeschlagen, dass man zur Verbesserung der Bestockimg KiefemholK nur da anweisen ^lle, <do es vnder den eictd)öme oder nahe deby stünde, dovon die eichböm an Irme waiissen ver hindert werden, soferre die andere an dem

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uideilalleii loii cicliböiiiLii kciiieii scliaden tun inöhten»; ferner «olle man « den wähl oucli eigentlichen beselieu wo das wa.sser vsziiefre vnd schaden dele, vnd sich dess ouch vereinen, wo das aa etlichen orten am nütetichsten zu ^rahen wäre», «etlicher ineinting ist och das* man von der Brunnhach an die sufilen* beimer Strasse abe zur rehte hande alle» (ob nilr die Kiefern oder alles Holi^ ist nicht gesagt} cabhowen solte».

Ob die vorgeschlagenen 'Eichensaaten und Pflanzungen damals schon zur Ausführung kamen, ist urkundlich nicht nach- zuweisen ; da*rejron wurde in Bezug auf die Kieforn nm li in deiiiJielhen Jaiire eine Verordnung erlassen, weicht' Jen lla^euauer Bürgern auf vier Jahre in dem sudlichen Teile der jetzigen Ober- torsterei. Hagenau-Ost und auf dem jetzigen Artillerieschiess- platze und zwar in einem etwa 200 ha grossen Teile Fläche, da wo nach der ralslahung alle abgehauen werden sollten» das Abhauen von Kiefern, welche nur zu Brennholz^ nicht aber zu S|)arren und GerQststangen tauglich sind, ganz frei- giebt. Die Veiordnuug gel)ietet aber weiter : < Ouch so sollent sie solichs liultz vff dem gründe also nohe sie das vnge- ferlich haben mögen abliouwen vnd was sie also ah - bau wen das zu spalten ist. Das sulientsie spalten vnd mit den ersten die armes vnd darüber gross sint vffhouwen vsd hinwegfüren one geverde. Weret es aber das ein boum so kröpf f echt vnd von esten esten oder so vnslaclit wer, das der deshalben nit wol abgehowen vnd gespalten werden möhte do mag ein Jegelich die este d a uo n h o u w e n und denselben b o u m s t i m in c I n des vff howen vnd hinweg füren aber vngeferlicli > (St.-A. DD 20, 2). Die Grenzen dieses chagk», in dem die Hagenauer ungeheischen Kiefern brennholz hauen durften, wurden 1502 so weit hinausgerückt, dass derselbe mindestens 1000 ha umfasste. Es ist somit damals ein allerdings nur auf die Kiefer -~ die Weichholzer mit Ausnahme der Birke und die Hain- buchen vraren damals als Taubholz ohnehin vogelfirei und haben deshalb kaum grossen Schaden gemacht gerichteter förmlicher Reinigungshieb ausgeführt und dabei den gelabrdeten

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Eichen selbst durch Entästen der vorwuchsigen Kiefern zu helfen versucht worden.

Freilich befand man sich im Jrj tumin Bezug auf die Ursache des KuiiiiiH'iiis der Eiche in dem freigegebenen «hag» oder csiag>. Der Boden ist dort fast allenthalben reiner Sand und selbst bei dem grössten Humusgehalt für die Eiche liaum geeignet.

Aber auch mit den Entwässerungen durch stauende Nässe leidender Bestandsteile wurde damals der Anfang gemacht. Im Stadtarchiv (DD 43, 13) ist ein Verlrag des Zinsmeisters mit zehn Arbeitern aus dem Jahre 1492* aufl)e\vahrt, durch weichen sie sich verplli« hten, fünf nacli den angegebenen Anfangs- und Endpunkten mehrere Kilometer lange Grälien anzulegeA Dieselben erhielten 3 Fuss Tiefe, die grösseren 4, die « Slitzgräben » 4, bezw. 3 Fuss untere und 6^ bezw. 5 Fuss obere Weite, also eine grosse Tiefe, aber zu steile Böschungen mit nur 33 ofo Anzug. Der Aushub musste 1 Fuss vom Grabenrande entfernt niedergelegt werden. Die Arbeit sollte in einem Zuge vollendet werden. Der Lohn betru;.r 3 Pfennig fin- die «Tonne»; die Stadt zaiille den>eli)en in «ihrem* Teile des Waldes, der Landvogt in dem .seinigen. Das anfallende Holz hatten die Arbeiter auf ilire Kosten zu fällen ; es gehörte der Stadt.

Interessant ist an diesem Vertrag die He:fbhlung der Arbeil im Accord^ namentlich aber auch der Nachweis, dass der Wald nicht nur in Bezug auf die Mastnutzung, sondern in diesem Fall auch in Bezug auf die Bezahlung der Kosten in natura geteilt war. Offenbar nahm man an, dass die Entwässerung vorzugsweise demjeni^^en Teile m '^u\e komme, dem die Ma?tnutznng zustand. Dass die Slatit das Holz bekam, ist rechtlich kaum von Bedeutung. Für den Landvogt hatte es keinen Wert, da er seinen Bedarf unbeschrankt durch Fron- bauern hauen und anfahren lassen konnte.

1 JSchon früher müssen übrigens im Forste Gräben angele'jt wordf-n sein, denn einer der neuen mündete in den noch vorhandenen offeiibar künstlichen « Eichelfiraben », ein anderer in den Hinzgraben; dieselben mögen zwischen i*7b und 1492 angelegt sein.

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Für die Ger^cliichte des Hol/;iijj>atzes ist der Umstand interessant, dass von 44f»8 ab der Schultheiss sein Recht auf die Wurzlinge für zuerst 9 und später 12 rheinische Gulden an die Stadt verkaufte. Vorbehalten waren in dem Vertrage von i4j98 (St.-A. DB U, 1) die Rechte der Hafioer von Sufflenheim auf alle nicht von Hagenauern gezseichneten Wfirz- hnge, ausgenommen die von Eichen, an -welchen die Rinde noch nicht abgei'allen war. Sufflenheim zahlte dem Schultheisseu dafür 28 bis 30 Gulden jährlich.

Die Mastnulzung hat die Stadt in dem ßürgerwalde wieder- holt verpachtet, so 1455 um 160 flf imd 70.Schweine^i 1469 um iOO B, Im Jahre 1483 setcte die Stadt das Eckergeld auf Si/s Schillinge für jedes Sehwein fest, «weil grosser voller Ecker» sei. *

Dauernde Rodungen von einigermassen ausgedehnten Teilen des Forstes haben in der pfalzischen Periode sicher nicht statt- ^^ehaht. Die Forstordnun<,^en von 1424 und 1 435 verbieten ev^en- mäcbtige Rodungen, und es ist keine Urkunde auf uns gel^ommen) welche der Stadt oder irgend jemand sonst die Ermächtigung erteilt, aus Teilen des Forstes Aecker oder Wiesen xu machen. Wo es dennoch geschah, da war es, wie wir gesehen haben, die Stadt, welche die Rodungen mit Gewalt zu verhindern vvusste, indem sie* ihr Vieh auf das Neuland trieb, die Ver- jii<nkung desselben verweigerte und das daraut stehende Holz, ohne Rücksicht darauf, wie der Betreffende zu dem Besitze desselben gekommen, veräusserte.

Da die Stadt nach Aussage der beiden Gunstetter ihr Vieh im Nordosten des Forstes so weit in den Wald eintrieb, dass

I Bedingungen : Der Pächter durfte seine Schweine bis Georgi (23. April) au^trpibeii (also auch in den Nacheckerich 'v die Stadt durfte ihr Vieh iii die Teile, in denen kein namliaft Ecker > ist, eintreiben, nachdem die Schweine dort 14 Tage eingeschlagen waren, affter St Andreas > (30. November) konnte die Stadt ihr Vieh ein- treiben, wo sie will; das Pachtgeld war auch im Kriegsfall za zahlen und das Holz zu Pferchen war zu heisohea (8t.-A. DD 61). Die Sehweme blieben demnach über Nacht im Forste, und zwar in Pferchen.

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ihre Hirten mit deneu des in der LutUioie über lU km ent- fernten Dorfes Gunsteit und zwar, wie aus anderen Stellen jener Urkunde hervorgeht, an einer von beiden Orten minde- stens 9 km entfernten Fuhrt über den Halhmuhlbach zusam- mentrafen, so muss dieser Schutz wenigstens in den Teilen mit gutei' Weide sehr weit gereicht haben. Höchstens in dem von der Stadt dmrh einen l)reiten Streifen sehr wenig jrras- wüchsigen Bodens ■^elreiinten Nordwesten des Forstes, in dem der Lnndvofit die Eckerniitzun;! hatte und die 11 lichteii- bergischen Dörfer das Weiderecht vorzugsweise ausübten, in welchen also die Stadt ihr Rindvieh, wenn überhaupt, nur höchst selten eintrieb, mögen damals auf dem linken Zinselufer }m Merlzweiler sowie bei Eschbach einzelne Rodungen unbe- merkt ((Usgefühi f worden sein. Der auf Furstbüden gelegene Teil des bcliürhofs, tlei hochgelegene Teil des heutigen Schirrliofen, der 1454 in einem von Friedrich III. ausgestellten Lehens- briefe zum erstenmal als Lehen derer von Eschenau erwähnt wird, ist wahrscheinlich schon früher mit stillschweigender Zustimmung der Stadt gerodet woi*den.

Ob der Forst damals schön mit Steinen vermarkt war, ist mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Da jedoch, wie wir sehen werden, die Berechtigungsjireuze der Sufflenlieimer Jjereits 1517 « vnder- steint)^ war und im Jahre 1544 einerseits von alten umliegenden Steinen an der Eigentumsgrenze <lie Kede ist, anderseits aber noch einzelne Grenzstrecken nicht versteiut, andere mit « Ziele- bäumen» vermarkt waren, so ist anzunehmen, dass man damals nur besonders geßlhrdete oder solche Grenzen versteinte, bei welchen es der Angrenzer verlangt hatte. Hatte ja doch nach dem Urteile von 1457 Heinz von Falkenstein die Vermarkung seiner im Forste gekauften Wiesen verlangt.

Die Verwaltung leiteten, wie l)ereits erwähnl, diei «Wald- meister» oder ftWaldherreu». Als solche funktionierten, wie aus dem Urteile gegen Heinz von Falkenstein erhellt, seitens des Landvogts der jeweilige herrschaftliche Zinsmeister, seitens der Sladt zwei dazu gewählte Mitglieder des Rats, in welchen seit 1379 im Notfalle auch andere als Mitglieder derjenigen Geschlechter

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^ gewählt werden konnten, «uss den sie vorher erkoren Worden und zwar wie später meist AUstettmeister und Altmarschalle.

Förster waren im ganzen sechs voitianden, von denen, wie igeaa^f jeder Teil drei ernannte und besoldete. Von ihren Namen sind uns nur die weiter oben angeführten und aus 1483 der des Hug Claus erhalten. Sie erhielten ausser der Besoldung, über deren Höhe indessen keine Autj?( Ui eiliunf^ erhalten ist, von jeder Abgabe von Holz, welches geheischt werden musste, «Weisgeld» und zwei Schillinge für jede Rüge. Sie durften ausserdem immer noch die Afterschlige« aber nach dem Vertrage von 1448 (St.-A. BD 20) nur soweit sie «Xmi schühe lang vnd gflt zu verbuwen vnd gebogen sint», und nur «In die statt vnd die Richs dorfl'ere vnd niergent anderswo verkouffen».

Von ForstMiten werden im 15. Jahrhundert in den Ur- kunden vor allem der «ober Wald», «die Struth» und der «nider Waldtt» als Orte, in denen der Landvogt die Mast- nutzung allein hat, genannt. Von diesen Namen hat sich nur noch der des Ober- und Niederwaldes in der alten Form erhalten, aber ohne dass sich letsterer auf ane bestimmte Waldtlftcbe bezöge. Aus der Grenzbeschreihung von 1544 erbellt, dass damals der ^^anze westlich der Strasse Hagenau-Morsbronii-Wöi th jicleprene Teil der jetzigen Oberforsterei Hagenau-West, fast iiüoU iia gi*oss, den Namen Oberwald führte, der jetzt otTiziell nur noch für den nordwestUch der Strasse Mertzweiler-PfafFen- hofen gelegenen, 153 ha grossen Teil dieser Fläche gebraucht wird. Unter Struth verstand man den zwischen Halbmühlbach und Sauer gelegenen Teil des Forstes. Er umfasste rund 16ID ha, darunter die Forstorte Ober- und Unterstritten der Oberförsterei Hagenau- West, in welchen iSameu das alte Struth unschwer zu erkennen ist.

Der Verlauf der Grenze zwischen deiii iSiederwalde und dem Teile der Stadt ist nicht mehr genau festzustellen. Die vier Steine, welche von den heim Grenzheritte von 1544 vorge- fundenen 12 Stück noch vorhanden sind, stehen in annähernd gerader, die Strasse Schirrheim-Oberhetschdorf auf halbem Wege

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kreuzender Linie von SlKlsii«hve:^l nach Nordiiordost. Der östlich derselben gelegene Niederwald mag 3G5U bis 3700 ha umfasst haben, so dass der Teil des Landvogts im ganzen 8340 bis 8390, dor der Stadt rund 0360 bis 6420 ha enthielt

Sonst ^rden in jener Zeit als Fiurstorte genannt im Jahre 1478 und 1502 «Heamdcens Rott» und cRoesboumYeltsyt sowie Sdiwanbumen, letztere drei möglicherweise ausser- halij des Waldes zwischen der Einmündung der Sufflenheimer Strasse in den Forst und Kaltenhausen gelegen, ferner Tüttel- rein oder als Synonym Dütteirein, Tuttellach, wahrscheinlich die heutige Blümelslach und Schirrein, der jetzt noch diesen Namen führt und das DOrfcben gleichen Namens in sich begriff; femer 1402 und 1502 der Schwanbrueh, die SchOrlacb^ der Eichelgraben und das Einsiedel» die bis heute diese Namen behalten haben, und von heute nicht mehr unter diesen Namen bekannten Orten das t Einyssbühcl », wahrscheinlich der heutige Hohwarthbuckel, die Grovverbelach, die Lüteye und der Hins- graben, deren Lage nicht mehr festzustellen ist. Von Strassen und Wegen werden in diesem Jahrhundert zum erstenmale 1478 die Sufflenhdmer Strasse und 1492 die Surburger Strasse genannt.

Das Jagdrecht stand, wie aus der eingangs erwähnten Urkunde von 1420 hervorgeht» im Anfang der pfalnschen Periode immer noch den Herren von Fleckenstein als Zubehör ihres i;urj^lehens m. Spater scheinen es aber die Landvögte für sich erworben zu haben, wenigstens ist in dem Briefe des Pfalzgrafen von 1479, in welchem er die Stadt zur Abstellung der Wilderei aulTordert» keine Rede mehr von dem Rechte der Fleckensteiner, ebensowenig in den Urkunden der österreichi- schen Periode.

In welcher Wdse die Jagd im Hagenauer Forst während dieser Periode ausgeübt wurde, ist aus den Archiven nicht

ersichtlich.

1 D. b. das der Familie der Edlen von Rossboun^ (Bosenbaum) gehörige Feld bei dem Kestlerhol (der alten Ronenburg).

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VIERTER ABSCHNITT.

Vierte österreichische —Perlode ( 1 504bis 1648).

Nach der Aecht ung des Pfalzgrafen Philipp hatte Kaiser Biaximilian I. selbst die Landvogtei libernommen. Eine seiner Arsten Massnahmen ^var die Ueberlassung des Mast* und Weide- rechts im ganzen Forst, auch da wo der Landvogt die Ecker- nutzuDg bisher allein hatte, an die Stadt auf 7 Jahre vom Jahre 1504 an (St.-A. DD 46, 4). Im Jahre 4507 schärfte er allen Angrenzcrn die Einhaltung der Wakiuidnung ein ; wer von ilinen sich durch dieselbe verletzt fühle, mb^e klagen ; bis zur Entscheidung habe jeder, bei Vermeidung einer Strafe von 40 Mark lötigen Goldes, daran zu halten (B.-A. G 87).

In seinem Auftrage schlichtete sein Unterlandvogt Kaspar von Mörsberg 1508 den Streit der Stadt mit der Gemeinde Sufflenhetm durch einen Vertrag (St.-A. DD 30, 5), welcher der- selben das Recht zuerkennt, c alles Kgende vorlin holtz das dur vnd uil i>;ut zuuerbuen ist . . . zu Irer notduillt vHzuhauen vnd dorm ,illes Daiipholtz dur Ris so {\<\ lit nis Erllen widern hagen- buche» vnd derglichen vszgeschieden eichens. dorzu mögen sie die forlen afterschla^ vff hauwen was vnder vierzehen schuven ist. Was aber derselben vber vimehn schu lang sin vnd darzu wintbruch sollen sie kauffen. Die hafner von sufelnheim mögen auch dass der forlen holz so stot vnd nit gut zuuerbuen ist Zu ir notdurft hauen doch vf absagen Eins lantuogts von wegen der herrschaft vnd eins rats zu hagenaw. Zum andern von wegen des weidgangs den solen die von sulelnlieim haben bis an die pfed vnd oh vngeverlicli des veb vber die mercker wie es vndersteint vber sciiwanckt oder vberging sollen sie deszhalhen vngeferlich mit pfenden gehalten werden.»

Auf seinen ausdrücklichen Befehl wurde noch 1M7 (St.^A. DD 211) eine Verordnung erlassen, welche verordnet, < einen^

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gezirck oder plafz Iii dem vorsl Ibrziinemen vnd in solclieiii Platz oder ^^ezirck drevv oder vier Jar lanng kein Viech darein zu slahen, vnd zutreiben, damit die jungen keymen erwachsen vnd das Vieh nachmallen den Jungen keymen vnd Paumen nit schaden bringen mög. Vnd das für vnd für allwegen ein solcher gezirck fargenömen werde bis su Ennde des gantzen Vorsts«» Dieselbe verlangt ferner^ dass die Zäune nicht alljährlich er- neuert, sondern «steen beleiben so lange sie wem», weil durch den Aushiel) des Zaunreises «der vorst vast {^eleyterd wirdet vnd «ich das VVildprat dest weniger vnnderhalten ma^^». Aus- serdem sollen «alle bech vnd wasser, so durch den vorst geen au^ethan vnd geraumbt werden, dann die vast verfallen mit aUten paiimen vnd verwachsen mit standen, dardurch sich das wasser anschwillt vnd die fmcbtpem paum aus solher Ursach abnemen vnd verderben. Vnd was in der von hagenaw gezirck ist das dieselben solh auftun vnd Räumen sdbs tun. Und was im lleich auch des von Eschnauwi vnd annder ist, das solhs tlurch den zinsmeisfer verordnet werde.» Ferner solle allen, die sich im Forste Jieholzigen, «bei hoher pene geboten vnd bevolhen werde» das sy all afterstag. Paw vnd Brennholtz fiirter auffhawen vnd machen, damit des wald nit also mit afterslagen veselt werde, als bisher beschehen ist» dardurch nit pranndt des Vorsts beschehen mögen. Item die Mulen vf der Sawr, all- zeit dermassen zu bewaren, das das wasser nit auslauffe > (B.-A. 21, 4).

Mit Rücksicht auf die Feuersgefahr verbot der Unterland- vogt mit der Stadt gemeinsam am 11. Juni 1518, dass bis Martini dessetijea Jnlires cniemans, es seyent üpte, elöster, burglüt, Schöffen, Burger der statt oder spittals karchknecht vnd sünst alle andere Inn vnd vsserthalb der stat, dhein stonde hdtz» es sie eichen furlen Büchen Birckens vnd dergtich stönde holtz» wie das namen hat gantz keinerlei Assgestalt grüne oder

1 Die von Eschenau grenzten mit dem Schürhof an den Wald nnd hatten einen Teil der Matten längs des Fallgrabens im Biet zn Lehen, «elcher einige Wasserl&nfe des Forstes aufnimmt.

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tlüiTe zuuerbrennen nit abhuwoii noch türon, Solider allein das dilrr ligend hottz als mit namen die t'urlen swancken die alten ligende eichboum vnd derglichen vfimachenn vnd harusas fAren soUent». Auch zu cgegenn vnd froiihollz» so zu hofe oder sünst gebenn vnd gefärt wird w, dürfe bei Strafe von 3 U für jeden Fall kein anderes Holz genommen werden. Die Würzlinge dürfe nur der nelimen, der sie gekauft habe (St.-A. DD 21, 2)

Kaiser Maximilian sUirl) 1519; sein Nachfoiiier Karl V. zahlte gleich nach seinem Hegierungsunt ritte dem Kurfürsten I.udwig V. dem Friedfertigen von der Pfalz das Lösegeld für die Landvogtei mit 80,000 rhein. Gulden, trat sie demselben aber bereits 1530 im Vereine mit seinem Bruder, dem Erz- herzoge Ferdinand, den er 1521 zum Landvogte ernannt hatte, unter der Bedingung wieder ah, dass sie nach Ludwigs Tode zurückgekauft werden dürfe.

Er verschrieb 1521 der Stadt end^^niltig « gerechtigkeit und oberkeit des Kiets und gestöcke so man Jetzt nennt das Schior- rieth . . . das sie dann ald iren Burgbann solichermasz bis an diese zeit genossen gepraucht und herbracht, als wir das von inen glaubikh unterwieset sint » (Batt I, 277).

Sonst sind aus der Zeit Karls V. nur vier auf den Forst bezügliche Urkunden erhalten. Die eine enthalt den Befehl des Kaisers an Landvogt, Meister und Rat aus dem lahre 1521, das Holz für das Schloss, das er in Hoch leid eu ijauen will, im Forste hauen zu lassen und niemand zu gestatten, sie daran zu hindern {B.-A. C 87). Da Hochfelden nicht zur Reichsptle^^e gehörte, war dieser Befehl der Waldordnung zuwider. Trotz- dem wagte die Stadt nicht zu widersprechen, woraus spater der Landvogt Kapital zu schlagen suchte.

Die «weite Urkunde ist ein Protokoll über die Bereitung des vorher abgestellten Sauerbachs durch die drei Waldmeister und vier Förster aus dem Jahre 1523 (St.-A., Slatutenbuch, S. 201 u. IT.). Bei diesem Beritte werden folgende fiir die da- maligen Hechtsveihaltnisse wicliti^en Vorschriften als lierkönim- iiclie konstatiert: Wenn der Bach abgeschlagen wird, erhält

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die Gemeinde Gunstett* c einen oder zween vnschedelich alt bauni durch die försler daz sie die bach abschlaf?en vnd be- halten mögen», cltem die bacii soll an allen orten von einem Staden bisz zum andern vieraefaon schuch weit vnd sieben schuch tief sein.i cltem wer Hatten an di$ier bach hette^ die einen Staden vf ihrem aygenthumb geben> vnd dargegen Staden, forst ist» so soll vnd musz der dessen die matten sein, die beeden Seiten vndt forstsstaden lauhien vnd aufliehen, vnd auch was bruche vnd schlit in füiät gehen v e r ni a c h e n vnd versorgen, dasz das wasser ntl in Waldt breche, vnd mit namen was ausgeraumbt wüi'dt, da sol man den grundt vf den forststaden ziehen» damit das Wasser desto minder in forstt lauffen vnd scliaden tun mögen.» ff Item das Wetterholti bey Surbnrg» so Jnn<^ker Heinridi von Fleckenstein dem freyherrn zustäht» ligt auob vf diser bach» hat einen Staden gegen den forst ire Strat, da lasset der frey- herr seinen Staden durch die seinen machen, den Forst Staden musz der Schultheiss von Eschbach, mit denjenigen, so in sein Berich g-ehiinm machen, von wej^en der Herrschaft, dan gibt man Inen zuuerzeren iiiin Inder oder zwey bCirckens oder von denen düren Spitzingen vnschedeitchen aichen holtz ein bäum oder zween.» Den Eichgraben hat der herrschaftliche Wald- meister nach diesem Protokoll mit denen von SufQenheim geräumt, dazu hat die Herrschaft Wein und Brot hinaus* geführt und der Gemeinde gegeben cvnd hab ich mit den förstem vnd Buettlen verzeret beim Schultheissen 2 S 1 ^ ^ dasz hat der Zinsnieister zahlt ».

Die dritte Urkunde ist eine Aufforderung des Erzherzogs Ferdinand an seinen Forstmeister Wolf Wilhelm von Andlau vom Jahre 1525, das Wildem der Hagenauer abzustellen; die vierte dne Verordnung des Unterlandvogts v. Hörsperg; welche in des Kaisers tOberkait» das Schiessen von Hasen und

> Bei Gimstott teilt sich die Sauer in swdi Arme, die Sauer, die weiter unten den Forst nördlich begrenzt, und den Halbmahlbach, welch letzterer durch den Forst fliesst und im 13. Jahrhundert antiqua Sara hiees und wahrscheinlich das alte Bett der Sauer ist

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Hühnern mit Büchse und Arml rusl sowie das Fanfron der- selben bei o ü S träte und Koufiskatioa des Jagdgeräihes ver- bietet (B.-A. G 87).

- Weit nhlreicher sind die Urkunden aus der Zeit des dritten pftlziscben InteireGrntunSy welches ¥on 1530 bis 1556 währte, in welchem lahre - Kaiser Ferdinand I. die Landvogtei von dem Pfalzgrafen Ottheinrich endgülti^r zurückkaufte.

Ejiie der ersten auf den Forst bezüglichen Amtshandlungen des Kurfürsten Ludwig: V. war die Ernennung des Sebastian Bozheinn, eines sehr energ^ischen Mannes, zum «Oberisten Auf- 8el)^r der försterj». Kaum ernannt, verlangt derselbe mit Rück- sieht auf eingerissene Missbräuche, insbesondere auch in Besug auf die Ausübung dar Jagd, eine Instruktion* Er beantragte dabei unter anderem, dass man wieder jemand eins Einsiedel- husz Im Hagenower Forst gelegen sets der auf das Schiessen achten und ihm sofort Anzeig-e machen solle; auch solle mau ernstliche Streifen machen, damit die Wilderer « ernst spüren » (Ö.-A. G 87).

Die verlangte Instruktion wurde ihm 1531- zu teil ; sie bestimmte, dass die städtischen Förster und Amtsknechte auf sein Verhingen mit« ihm den Wald 2tt bereiten und ihm im Jagdsdiutie und in der Pflege des Wildes su helfen, und wenn sie WiMschfltsen in anderen Cvebieten antreffen, der Obrigkeit derselben Anzeige zu erstatten haben. Gefangene Wildschützen sind nach Hochfelden « zu jrefenknuss und Verwarnung > zu brin<?en. Die Schulllieisseu der urnliegenden D(3rfer haben ihnen hilfreiche Hand zu leisten. Der (Unter-) Landvogt solle die Förster in ihrem Dienste unterstützen und dem Bosheim mit Rat und That beistehen.

« Item es soll nitt gestattet werden Im forst Rechen, hassen oder dergUchen zu jagen oder fohen mit Hunden oder gamen, auch nitt hüner, aber ausserhalb vmb den forstt da es biszhar komen hassen vnd hünei' zu hetzen vnd fohen, auch im forste Jung fögeU auzii heben oder mit dem kürzen oder der- jgUchen fegell Weidwerck das dem Hochwild onschuwlicli vnd onsehedhch Ist zümUcher massen zubruchen, gestatten, doch

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dar In dem kein j^ouenl jrehnicht werden, Als eb einer ein stück Wilds für ein Vo^ell iiiig»... c Unser iantuogt soll auch by vuzeru Vndert honen vmb den forst gesessen vei'- ^'chnfTnn, so sy darhin fairen die hund anheymsch zu lassen damit das wiltpreth nitt geschieht oder beschädiget werd». Bastian und die Förster c sollen macht haben, die Atz in Gldstem vnd D5rffem ziemlichen zu brfichen » (St.-A. DD 55, 1). Ausser^ dem erneuerte der Unterlandvogt Schenk Georg von Erbach das oben erwähnte Verbot des Schiessens von Hasen und Hühnern.

In einem Berichte aus demselben Jahre zeigt Bozheim an, die Hagenauer Sehöüen nalimen das Recht in Anspruch, .auf dem feldbanne der Reichsdörfer zu jagen. Zur früheren pfäl- zischen Zeit und zur Zeit des Foi*stmeisters Andlauer liabe der Landvogt den Schöffen hie und da einen Hasen oder ein Huhn zu schiessen erlaubt, ohne solche spezielle Erlaubnis sei ihnen aber diese Jagd verboten gewesen.

Im Verlaufe einer darüber angestellten Untersuchung wurden verschiedene Zeugen verhört, u. a. der frühere Unterlandvogt von Fleckenstein, welcher aussagt, die Hasen- und Hühnerjagd im Forste sei ganz ai>gestelll worden, seit nach Abgang der Kitterschaft Bürger zu Schöffen gewählt weitlen konnten. «Im Reiche», d. h. auf dem Banne der Reichsdörfer, hätten die vom Adel und die Schdffen von jeher gejagt. Andere Zeugen sagen aus, die Jagd im Reiche sei den Schöffen auf Ansuchen gestaltet worden, während die Förster übereinstimmend er- klärten, seit sie im Dienste seien, hätten sie Auftrag gehabt, in diesen Bannen jagende Schöffen zu pfänden. Diese letztere Streitfrage wurde 153!< durch Vertrag daliin entschieden, dass in Bezug auf das kleine Weidwerk alles beim Alten bleiben solle, d. h. dass das Recht der Schdffen, «im Reiche}» Hasen und Hühner zu jagen, anerkannt wurde (B.-A. G 87).

Endlich verabredete der Kurfürst 1532 mit dem Markgrafen von Baden die Bestrafung ihrer Unterthanen, wenn sie im be- nachbarten Gebiete beim Wildem betroffen wurden ^ (B.-A. G 87).

^ 1548 lieferte der Markgraf auf Gnmd dieser Verabredung swei Hagenatier Bürger aus, welche im Forste gewildert hatten.

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Die Jagd, mit welcher sicli die Urkunden der früheren Perioden, ahgesehen von der Belehniing der Fleckensteiner mit dem Jagdrechte im Jahre 1372 his 1479, so gut wie gar nicht besehaftigteii^ und die insbesondere bei den Streitigkeiten zwischen Landvogt und Stadt bis dahin so gut wie keine Rolle gespielt hatte, war offenbar inzwischen für den KurfOrsten zum ge- schätztesten Teile seines Rechtes am Forste geworden. Er le<rte auf dieselbe einen so hohen Wert, dass er jeden EingrifV in seine Rechte auf das härteste strafte. Berichtete doch der, wie aus spateren Urkunden hervorgeht, von der Stadt angestellte c Gegenschreiber d. h. der Protokollführer auf dem Wald- hause, gelegentlich einer Untersuchung über die Grenzen der Gerichtsbarkeit zwischen Landvogt und Stadt im Jahre 1591 oder 1537, Jagdfrevel bestrafe der Landvogt und der Forstmeister allein, ohne die Stadt; Bozheim habe kürzlich einen Wilddieb nach Hochtelden führen und ihm dort die Augen ausstechen lassen, ohne dass sich die Stadt hinein- gemischt hahe (B.-A. C 87).

Die Ausübung des Jagd- und Forstschutzes scheint damals allerdings mit Schwierigkeiten verknüpft gewesen zu sein. Denn in der nicht datierten Antwort Bozheims namens des Landvogts auf den Ratschlag der Stadt, «wie der forst zum Aufgang zu befürdernn», wahrscheinlich aus dem Jahre 1533, verlangte derselbe, die Stadt solle ihren Burgern verbieten, mit der Büchse in den Forst zu gehen und ihre Hunde laufen zu lassen; kürzlich habe ein Hagonauer mit einer «lang biirst- büchsen » einen herrschaftlichen Förster l^edroht, der einen hanauischen Unterthan beim Abhauen eines Stamms im Frevel, betroffen habe.

In diesem leider, wie es scheint, nicht erhaltenen Rat- schlage hatte die Stadt die Revision der Waldordnung und einige vorübergehende Verordnungen beantragt, auf welche der Landvogt teilweise einging, so insbesondere auch lut den Vor- schlag, dass der Forst auf 8 Jahre ^ für eichen Holz geschlossen, das liegend Holz bis daiiin aufgemacht und dei- Wald gesäubert » werde. Er machte nur den Vorbehalt, dass, wenn der Land-

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vogt Fronholz gebrauche, den Frönern c stehend forlea Holz angewiesen werde». Weiter erklärt Bofheim^ seinem Herrn sei c das berath schlagt pf Unsen nit snwider, das aber ein besonder haüslin oder hütten zur veriiuettung des vsige- zaichneten Pfiansplazs Ime vorste erbanwet vnd ein vfsieher darein gesetzt werden sollt, bedencken Ire gnaden von vnnöten vnd rathsamer sein, Das ein Rath durch den besitzer Des bruderhansz an reichshouerstrass, Desj>leichen der* besitzer des einsidelhausz an Betzdorfferstrasse so Ire gnaden one das wider- rumb vffiEurichten beuelhen^ soUich vfTsehung gegen einen geringen ergetslichkeit eingebunden vnd benolhen werde vff ordnang vnd massz man sich wol verglichen mocht».

Femer schlägt Bosheim namens des Landvogts vor: cDas den Fuolirleuten ein gesetitter lone taxirt werde, vnd als die- selben fuorieul im prauch haben, JJas sie die ü^uten lanngen licü Ijawhöltzer Kurz abschrotten, D nnit sie desto leichter zu fuoren, dass hiemit Inn dieser Declaration vnd gebesserter Ordnung vfzulegenn, das sie schuldig sein sollen, Die schwanken ISO gut zu uerbawen den bawleuten auch heimzufüren, vnnd nit so schedlich for brennholtz mit den aßerschlagen* wie

1 Wie es scheint, bestand damftls die jetzt zur Fahrt nach Reicha-

hofen benutzte Bitscher Strasse noch nicht. Man fuhr auf der jetzigen Wörther, der früheren Morsbrunner oder Eschbacher Strasse, an der das Bruderhans lag, über Morsbronn-Eberbach oder Eschbach- Forstheim nach Reichshofeu.

Wann diese beiden mitten im Forste gelegenen Häuser ent- standen smd, ist urkundlich nicht naehzuweistn. Das Bruderhans, dessen Aecker die Stadt, wie aus einer Urkunde von 1578 herror* geht, später hatte pflfigen und einzäunen Uasen, kam seUiesslich in Privatbesitz und wurde erst 1848 angekauft. Ihts Einsiedelhaas an der Betzdorfer Strasse, wahrscheinlich das am Eberbach gelegene Watzierhäusel der Grenzbeschreibung von 1Ö44, das der Kurfürst wieder aufrichten wollte ist spurlos verschwunden. Um 1533 gehörten beide zum Waldeigentum; unter «Besitzer» ist, wie ans obigem -erhellt, nur der jeweilige Inhaber zu verstehen.

Ä Hier weiden also « Schwanken > und <i Afterschiage « m Gegen- satz gebracht; man scheint damals in Hagenau unter ersterem den dünneren Teil des eigentlichen Schaftes bis cur Er<me, unter letzteren den auesersten Qipfel und die Aeste verstanden zu haben.

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bisher geschehen zuuerhawen. Nachdem auch die ort der ecker- niessnng Im wald der herrscbaft vnd der statt vnderscbiedlicb gesönderl vimd aber bitz anher vff der herrechaft orlhen gar vil mehr bawboltzy Dann vff der statt thail giefelU worden, welches meinen gnedigen herren Landtuogt lennger zugedulden mit

nichten "wil gepuren, vnd verordnen desshalb das ffiro-

hiu liawhültz vfT beedei-thail orthen gleich gehauwen, das auch zween förster, einer der horrs( hait, der aiinder vonn dor Statt Das bawholtz solcher gestail zu weisen vnnd dabey bitz das- selbig gehauwen suuerharren schuldig sein sollen verordnet werden. »

In Bezug auf einen weiteren Vorschlag findet der Land- vogt es unbillig, dass der Landmann, der Eichen nur zu Schwell«! bekomme, 6 ^ für eme Eiche und 3 ^ für eine Kiefer bezahle, während die Bürger und andere Berechtigte nur 4 für eine Eiche und nichts für Kiefern entrichten sollen. Werde gleiches Mass für alle gesetzt, so sei er mit dem Vorschlag der Stadt, die, wie es scheint, die Erhöhung des «Weisgeldes» gegen Einziehung des Rechtes der Förster, die Afterschläge zu verkaufen, vorgeschlagen hatte, einverstanden. Auf letzteren Vorschlag scheint sich auch das sonst einvei^ ständlicfae Verlangen des Landvogts zu beziehen, dass, wenn die Leute das Holz nicht mehr bei den Förstern kaufen dürften, es ihnen auf dem Waldhause verkauft werden solle. Das liegende Holz solle auf dem Waldhause geiieischt werden, das Frouholz nicht. Mit einer ganzen Reihe von mit Nummern, bezeichneten Vorschlägen erklärte sich der Landvogt einver* standen, ohne dass aus der Urkunde ersichtlich wäre, auf was sie sich beziehen. Aus zwei Vorbehalte des Landvogts, dass «das büchin holtz nit für taubholtz geacht, sondern vermög . . . der Waldordnung vorbeheltlich der burgklent und schöffen herkommen verpoten werde», und dass dasselbe gekauft werden müsse, scheint hervorzugehen, das.s die Stadt die völlige Freigabe der Fällung von Taubholz und Brennholz für die Bürger verlangt hatte.

Schliesslich verlangte er aber .ausser dem eben erwähnten

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*

Verhole des Tia^j^ens von Buchsen im Forste, dass der herr- scliartliche AValdmeistei- mit den slädtisclien (bei Bauholz- anforderungen) die Gebäude bcsichtii^e, und dass derselbe zu den Forststiafsitzun^en auf dem Waldliause bestellt werde, damit die Strafen nicht zu hart ausfallen.

Aus dieser im Besirksarcbiv (G 87) aufbewahrten Urkunde sclieint hervorzugehen, dass im Laufe der Zeit der herrschaft- liche Waldmeister immer mehr auf die Seite geschoben worden war und schliesslich zu den Sitzungen auf dem Waldhause gai nif hl mehr eingeladen wurde, und dass die beiden stadtischen WaidiiiüL^itei sowohl die F'orstgericht^harkeit wie die Verhe- scheidung- der Gesuche über Holzabgabe allein ausübten, und endlieh dass sie die Abwesenheit des land vögtischen Vertreters benutzten, um die Hauptlast der Abgabe insbesondere von masttragenden Eichen auf den Teil des Forstes abzuschieben, in. weichem der Landvogt die EIckernutzung, die mit der Weide immer noch die Haupteinnahme des Waldbesitzers lieferte, allein aUi^/unboii bL'rechti<it war.

Sie hatte ausserdem, wie aus einem nicht datierten Be- richte Bozheims aus jener Zeit (B.-A. G 87) erhellt, um deu Forst Grenzsteine setzen lassen, welche nur das Stadtwappen und nicht aucli den Reichsadler trugen, wahrend doch, «wie manniglich bekannt, die hohe und forstliche Oberkheit der Röm. Kais. Majestät vnd dem h. Reiche vnd von Irer Majestät vnd des Reichs wegen einem jeden Oberlandvogt alleinig zuständig». Als Beweis für letztere Aufstellung führt Bozheim auf, dass Calle freuel . . .* wasser gruiult und Boden Zinsz ein Oher- landtvo^t des H. lleichs we^cn oinnimbt und einriphnieii tsall».

Ueberhaupt ist in jener Zeil die Stadt in vielen den Forst berüh- renden Fragen selbständiger aufgetreten, als sich mit den bestehen- den Rechtsverhältnissen vereinbaren iiess. Sie zog sich fast gleich-«

i Das hier fehlende Wort ist in der Urkunde utdeserlich. Wenn dasBelbe nicht eine Einschränkung der Wortes freuel enthält, ist

diese Behauptung Bozheims unbegründet; denn die Strafen für Holzfrevel wurden damals nach dem bereits erwähnten Berichte des Qegenschreibers nach den Vorschriften der Waldordnnng geteilt.

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zeilijf seitens der Herren von Fleckensteiii in Hezui; auf dieBerech- üjfunj^en der Dörfer im Uffriete, die dieselben vom Reiclie zu Lehen hatten» und in Bezug auf ihre eigenen Holzrechte als Burgmänner von Hagenau, sowie] seitens der Gemeinde Surburg bexuglich ihrer Weiderechte Besitsstörungsklagen heim Reichs- kamiAergerichte in Speier zu. Aus der ernten ging sie als Siegerin hervor, weil die ^Fleckenstdn^schen Dörfer cone An- suchen und der Waldförster Weisung» Holz gehauen hatten, die zweite erledigte .sich durch Vergleich, die dritte durch . Verurteilung der Stadt zu einer Entschädigung von 180 rhein. Gulden.

In dem Vergleiche mit den Herren von Fleckenstein von '1538 wird denselben das Recht lEUgesprochen^ für den Bedarf ihrer Besitzungen in der Stadt wöchentlich 21 Fuder, im Jahre also 1020, und wenn man auch 15 Wochen fSir die Winter-

monate al)iechnet, 7iO Fuder, d. h. mindestens 1500 Raunn- ineter zu hcziehon. «Das holz, hau und brennholz für ihren hot als hurgse^sen sol man heischen, die Stadl wird es sogleich anweisen lassen und sie dürfen es durch ire hauren oder unter- thaneni in die statt oder in ihr haus führen lassen; und ausserhalb der statt und des burgbans sol nit begert und nit erlaubt werden. In 8 tag sollen sie nit mehr dann fil fuder brennholz, aber in 8 tag wieder» nach notdurft heischen» (Batt II, 704); in dem Urteil zu Gunsten Surburgs von 1541 (St.-A. DD (33, 2) wurde erkannt, dass die Stadt die von Surimig zu Unrecht durch Ptamieu in dem Besitz der Weide «von dem Dorfe Surburg bitz an den Eljer- » bach und davon weiter bisz an den pfadweg und insonderheit von dem Bezirk des Waldes das Schwarzbruch genant»^ d. h. in der Osthälfte der Struth und dem nordöstlichen Drittel des Burgerwaldes gestört halie.

Von 1535 an war ausserdem beim Kammergericht eine Besitzötörungsklage der Surburger gegen die Stadt wegen ihrer

1 Wie ans spftteren Urkunden kervonnigehen scheint, hatte die Stadt verlangt, dass sie das Holz durch Hagsnaner Bfii^ gegen Bezahlung dm Fährlohnes einfahren lassen.

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Holzrechte anhängig, aber 154(5 eljensowenip^ entschieden wie weitere Klagen der Gemeinden Sufflenheim, Gunstett und Dürrenbach, über deren Objekt die Urkunden keinen Auf* schluss geben.

In all diesen Prozessen war nur die Stadt aUein ohne den Oberlandvogt verklagt, und man betrachtete den letzteren für so wenig beteiligt, dass ihn der Schultheiss Jakob von

Fleckenstein im Namen der Klagenden bitten konnte» sich beim Reichskauiuiergenchte für rasche Entscheidung zu ver- wenden (B.-A. C 87). Ob aus den Besitzstörungsklagen Eigen- tumsklagen entstanden, und wie die letzterwähnten Klagen ent- schieden wurden, ist aus den Urkunden nicht ersichtlich.

Mit den Sufflenheimern schloss die Stadt 1556 (St.-A,, Statutenbuch) vor dem Unterlandvogt einen Vertrag ab, welcher das früher den dortigen Hafnern allein dngeiäumte Recht mt- nur zu Brennholz taugliche Kiefenuifterschläge auf die ganze Gemeinde ausdehnt und der Gemeinde das Reciht zuspriclit, das Recht des Stüterhofs, den sie IV)!) vom Pfalzgrafen gekauft hatte, auf Zaunreis, aber nur für den Bedari dieses Hotes, weiter auszuüben.

Ueberhaupt scheinen die Kurfürsten nach dem ersten An« laufe sieh mit Ausnahme der Jagd wenig mehr um den Forst bekümmert zu haben. Allem Anscheine nach ist nach dem Abgange Bozheims, der als Mithandehider in keiner nach 1532 datierenden Urkunde mehr erwähnt wird, das Waldmeister- amt wieder von dem Zinsmeister mit verwaltet worden. Dieser aber war zu ht^chuttigt, um in W aidsachen Kontiikte mit der Stadt zu suchen.

Nur zwei Beschwerden der Stadt gegen landvögtisebe Beamte aus jener Zeit liegen vor. Die eine von 1542 beschwert sich beim Landvogt, dass der Zinsraeister Schmeltzer drei armen Leuten Haseii abgenommen hahe> die sie im Banne von Hagenau gehetzt hatten, und dass von ihm ohne Zuziehung der Waldmeister eine Eiche zu einem Stejie an die Genjeinde Sufflenheim abgegeben wonieii sei ; die andere von 1543 wendet sich gegen zwei berrschal'tliche Förster, die, vom Rate

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verurteilt, an das Reichskammergericht appelliert hätten, was gegen die Privilegien der Stadt Verstösse. Der Landvogt er- widerte ^ die Stadt solle diese Privilegien in Speier geltend machen«

Dagegen kümmerte sich der Landvogt wenig darum, dass die Stadt durch ihre Beamten wichtige Verwaltungsgeschäfle allein wahrnehmen Hess. So beteili?^te sich keiner seiner Be- amten an dem Grenzheritte von an welchem seitens der Stadt der Stettmeisler Reinholdt, der Altstettiiieister Ritter, die SchötTen ; Altmarschalk Brischlach und Ratsfreund Melcher Sessoltzheim mit Hatern, Hans Wanger» Bartel von Dürienl);ich und Viz Jeger, den 4 Fdrstem teilnahmen (St.-A. DD 44, 11).

Der Rat allein verwies 1543 dem Ackermeister Ulrichs das Ueberpflügen in Forstland längs der städtischen Allmende {St.-A. DD 30, 4), und er allein erlaubte 1545 den Snrburgern, 15 Fuder Kiefernholz /ni' Reparatur ihrer Heerstrasse zu hauen « nicht von Rechts, sondern des ^.--emeines nutzes we^en », verlangte aber, dass die Gemeinde die Strasse zwischen Gruben lehren solle, um die seit 15(K) regelmässig wiederkehrenden Holzahgaben unnötig lu machen (Sl.-A. DD 45^ 3).

Der Landvogt beschränkte sich darauf, seine Beamten zu ernennen und durch sie seine Gefälle eintreiben und die ihm zustehenden Nutzungen ausüben zu lassen. Das letztere geschah bezfiglich der -Weide- und Eckemutzimg unter den Pfälzern durch Versteigerung. So halte 1545 iSuiburf^ die Mastnutzung in der Struth um 8Ö() < und Zubehör * gesteigert, inusste aber um Nachlass bitten, weil es das Geld nicht ganz auf- bringen konnte ; ebenso hatten 1551 sieben andere Gemeinden die Mast im Oberwald für 240 Gulden gekauft, wollten diese aber nicht bezahlen, weil der Eckerich nur für drei Wochen ausreichte.

Selbst die herrschaftlichen Förster übernahmen ihre Aemter

teilweise nnr als NebenaiuU So nahm Ptalz^ial Ludwig; 1531 den Walther Buschmann mit c2 reissii-en gerüsteten Pferden und einem Knecht » « zu allem vnnd yedem vnseren geschäften » mit der Verpflichtung, wenn er für den Landvogt nicht zu

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i-eiten habe, «soll« w tnil dem Boxheim iii den Wald reiiea ; ebenso ernannte er im gleiclien Jahra mit der gleichen Ver- pniehtung den Dietrich v. Motterich zum Schulthetssen to«

Sii01(»nheiiii. 15r>(» rii>eiiru;^ Kurfürst Oltheinrich (lern Scliult- lR'i»tMi Morslieiiner von SuHlenheini ^^lekii/.oiti^ <lte (ieschülte eine?' Försters im Foisie (!i -A. (I 87).

Die Entscheidung' ülxi die Gesuche (der Reichsdörfer und ijonstigen NichtbeiechtiKten) um Abgabe von ßauliolz scheint sich der Kurfürst selbst vorbehalten zu haben. Wenig- stens teilte Kurfürst Friedrich 1551 den Amtleuten mit, dass er kfintlig solclie Gesuche nur zweimal im Jahre, auf Michaeli und Weihnachten, annehmen wenle. Es werde ihm «des An- laufens zu vi» ! » (H.-A. C 87).

Hnti i <liesen l<jjisl;niden war es kein Wnn(h*r, wenn die Stadt, soweit es sich um ihre eigenen Bürger handelte, sich immer weniger um die Waldordnung kümmerte. Kin Bericht des Zinsf Heisters an den Landvogt vom Jahre 1555, « betreffend des Waldes Unordnung» (B.-A. C 87), führt eine ganze Reihe von Uebertretungen der Waldordnung an, welche Hagenauer' Bürger sich zu schulden kommen Hessen, ohne von der Stadt gestört zu werden. Die Küfer, Wa«rnei und Schreiner njaclitcn unj^esrljeut JlauiuMi, Felben iiiul derjfleichen aus Forstliolz; die nur aut Ik'daif l>erechli^ten Klöster holten, da wo der Kurfüisl die Eckernulzung halie, Holz zum Verkauf; die Ziegler der Stadt nilHen Eichen- statt Kiefernholz, die Bui^gleute, Schoü'en und selbst, gemeine Bfii^r stehendes Etcheiilioiz ; die städtischen Förster wiesen solches sogar an ; die letzteren gestatteten den Fuhrleuten, welche tur die von Hagenau Holz fuhren, «las Nach holz, welches doch nur den herrscliattlichen Kroiicrn zuslelie ; damit iialx' sich die Sladl dem liaiidvtijit i;:ieichi;estellt, was niclil {geduldet werden dnrl'e. «Und wiewol die jüngst ordnun^ so durch den re;fierendiMi Landuojfl auch Meister vnd Rath des hrennli(»lz halhen hedacht vUerschlaj^en kiarlich erwist. Das ein Woch ,vmb die andere, die ein eichen, 0ie ander furlen holtz geliauwen vnd gefürt iverden soll », haben doch Meister und Rat und die einzelnen Ratsfreunde in der

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« eichen Wochen » forleii Holz und in der c forien wocken » gar wenig hauen lassen. Während nach altem Herkommen das Bauholz von den herrschaftlichen und stadtischen Förstern gemeinsam gewiesen werden solle, wiesen es die städtischen allein und nuir im landvög^tischen Teile an. In der Strut trieben die Ha^enauer ausser Eckerich so viele Schweine ein, das«? « alle junge keynien so zui' eckerniessuii^ vÖ'kameii, ab^efresse/i vvei deu », ebendorl i^eien die seit unvordenklichen Zeiten ungelegten Grähen seit Jahren nicht geräumt worden, so dass c die halben Haum der Eckerniessung ertrunken » und «tat! lOOÜ nur noch 500 Schweine c geackert» werden könnten.

Er rat deshalb trotz der geringen GeOlle an «habem und Laütgeld > im kurfürstlichen Teile den Vieheintrieb $i;anz einzustellen, bis die .lungeichen erstarkt ^>eien ; die Gräl)en seien aul jj^emeinschaftliche Kosten zu räumen; das Wasser der Sauer sei hei (iunstett auf geaieinschatt liehe Kosten des Liiudvogts und des Bistums Speier durch eiuen Wasserbaum so geteilt, dass die Sauer ein Drei teil, der Biberliach ein Zwei- teil erhalte; trotzdem sei an. der Sauer zu viel^ am Btberbach zu wenig Wasser. Die Sache sei nochmals, aber nicht dui*ch den speierischen Amtmann allein zu. untersuchen : Fehle in der Nähe von Hagenau dGrres Eichenholz; so sollten die Burg-er Küsteriiholz hauen. Endlich sei wieder aul mehrere Jahre das Hauen \on stehenden Eiclieu und Kielern zu verbieten, bis alles liegende Holz aufgearbeitet sei.

Durch den Rückkauf der Landvogtei durch den Kaiser im Jahre 1558 kam diese Beschwerde nicht mehr zur Ent- jjcheidung. Vielmehr entbrannte der Streit zwischen Landvogt oder, wie es jetzt hiess, zwischen der Hofkammer, * welche das Land von Innsbruck aus regieren wollte, und der Stadt heftiger als je zuvor.

Anlass dazu bot der Befehl der Hofkaniniei au die Forst- beamten, im Forste in nächster Nähe von Hagenau einen

1 Unter der Hofkammer in lunsbmck stand der in Ensisheim residierende < Statthalter » für die österreichischen Besitzungen im ElsasB und erst unter diesem die c Landvogtei» Bagenan.

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Thiorjiaifen », 1000 Schritte «in der Vierung» lang und breit aiizulegeti, ihn zu verzäunen und das Holz im Forste um Allerlieiliv^en Ijei abnehmemlein Monde zu hauen (St.-A. DD 17, 1). Der dazu ausersehene Platz lag im « Rennel », in dem nicht unschwer das heutig:e Kendel, östlich der Surburger Strasse und nördlich des Eberbacbs gelegen, zu erkennen ist, d. h. in dem Zentrum des Burgerwaldes, in welchem der Stadt die Maslnutzung allein zustand, und zwar in demjenigen Teile desselben, der vermöge seines Bodens mit am besten für die masttragende Eiche j^eeignet war.

Unter diesen Umständen war kein Wunder, dass sich die Stadt mit aller Macht gegen die Anlage des Tiergartens wehrte. Sie behauptete in ihrer Eingabe an den Kaiser, die Eckemutsung und Weide ertrage im Rennel, der ihr seit ÜSO Jahren (also seit dSlO) zugeeignet sei, wohl viel Geld; die Stadt habe dort Eichen gepflanzt und gesät, was viel Geld gekostet habe. Zum Zaune, der doch nur 10 bis 12 Jahre halle, wenlo man jedesmal 20(K) l)rauchl)are Kichbäume Klauen müssen, da- durch weide der Wald so «liitt<'rj), dass kein Wild darin bleibe und schliesslich müsse man alle Eichen weghauen. Kiefern- holz halte nur drei Jahre« Oer der Stadt zunächst gelegene Teil des Burgwaldes sei derart, dass «er nach dem abhauen sich nit allein nit ersetzt, sondern ob er schon gepflanzt und ^'eheyel wurde, wie denn zum offtenmal zu pflanzen, auch ei* cheln darin setzen, d a zu ettlich ortt einzäunen vnd vor dem vich befriedigt haben, aber es were solchs alles vmbsonst vnnd vergebentlich gewesen vnd betten dieselben gesetzte eichein nie wachsen, noch vlTkommen wollen, onerachtet wir daruil nit

^ In einer späteren Urkunde ist einer anderen Eingabe der Stadt gegen den Tiergarten Erwähnung gethan, in der es beisst: Das Eichenholz wachse sehr langsam und «ungeschlacht». «Sollte dann eine solche zahl bäam Eichenholtz abgehauen werden, möchte in viel lUO Jahren nit an statt wachsen, ward der Steck dftrr, schl&gt nicht wie andere Danbholz wieder ans, das den Nachkommenden zu Qnt kommon möchte. Sobald ein Eichbanm abgehanen wird der Stamm und Stock gleich dürr.»

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ein jferin^»'ii ko>Jten «jewendet»). Der Wuld ^ei üheiliaupl .stuik in Abualune, eine Reilie inastt raffende Eichen seien «durch das übiijre Wasser» ertruniten, in kalten Wintern erfroren un(l 1540 durch anhaltende Hitze verdorrt. Ausserdem gebe man den Fronern Gegenholz und den Bauern aus den Reichsddrfem immer mehr Zaunreis. Die Holzrechte der Stadt könnten nicht mehr befriedigt werden ; die Stadt und die einzelnen Burger haben den Forst nötig wegen Holz und Weide; viele Bür^^er lebten nur vom Holzfahren. Die grosse Einnahme des Kaisers aus Habern und Zins vermindere sicli, die Eckernutzung, die (5000 und 8000 Schweine nähre, nehme ab. Die Stadt liabe keine andere Einnahme aU die aus dem Forste i (St.-A. DD 31, 1).

Gleichzeitig mit dem Tiergarten brachte die HoCkammer eine neue Jagdordnung in Vorschlag, yrildschütien sollen im ersten Falle mit Oeföngnis gestraft und zu dem eidlichen Ver<

sprechf»n, die Wilderei zu lassen, veranlasst werden ; im ersten Wiederholungsfälle «eolle das Gericht zu Huihtelden zuständig sein, a\if Gefängnis, Pranger und Verbot die Büchse zu tragen zu erkennen, und den Wilderer Urfehde schwören lassen, im zwei« ten sei derselbe «vor ein Malefitz zu stellen». Die Käufer ge- stohlenen Wildes und die Wirte der Wildschützen sollen zu gleichen Strafen wie diese selbst verurteilt werden. Jagende Hunde dürfen nicht gehalten werden. Der Forstmeister solle die Zahl der Hunde vorschreiben dürfen, welche in jeder Ge- meinde gehalten werden dürfen ; von Geor^i bis Johanm müssen bei Strafe von iU alle Hunde Prüj.'^el oder ßengel aiipfL ingt haben. Mit gleicher Strafe ist das Mitneiimen von Hunden in den Wald zu verbieten, das Buchsentragen im Walde bei 2 Vt ff*

* in einem Concepte dieber Eingabe ibt augegeben, der Wald sei 8 Meilen lang, an etUchon Oirten 1, an anderen I ij.> und 2 Meilen br«it, zwei Teile stünden der Herrschaft, ein Teil den Bürgern ni Unter den Gründen des Rückgangs ist dort weiter angeführt, daes man den Bauern im Reiche Eichenholz gegeben habe, und als Ein- kommen ans dem Eekerich im Rennet 500 Onlden angegeben (St-A. DD 17).

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Auf fünf iSchrift«' von den « Wildhegen» soll bei 5S Strafe kein Holz gehauen, die Wildschur überhaupt bei 2 Vi Strafe nicht dureh Hauen gestört werden dürfen. Das kleine Weidwerk sei thunlichst zu beschränken.

Auch ^egen die^n Entwurf remonstrierte der Rat bei dem Kaiser. Er sei zu allen Urteilen in Jagdstrafsachen zuständig. Mit den Bestimmungen in Itelrefl' der Hundf^ sei er einver- standen. Üie Strafen für Holzhauen seien rilw.*r in der Wald- ordnung bestimmt. Für das kleine Weidwerk habe er eine Ordnung erlassen < (St.-A. DD 17).

Beide, Tiergarten und Jagdordnung, kamen nach Batt (1, 300) ersterer auf Befehl des Kaisers nicht zu stände. Dieser kam in62 selbst nach Hagenau, wo er mit grossem Pompe empfangen wurde, und gebot dort dem Meister und Uale u.a., «dass man den Wald sorgfaltig behüte, gut l)epllanze, wirt- schaXtlich verwalte und keine Kuppen darin mache, auf dass er aufwachse und gedeihe» (Batt Ii, 708).

Auf Grund dieses Gebots erliessen Meister und Rat 15G4 (St.-A., Statutenbuch, S. 190) ohne Zuziehung der Landvogtei eine Verordnung, dass cniemandtes eines tags mehr holtz auss dem forst füren solle, den zwen kärch vol vnd ob iemandt mit einem wagen föret, nit yber 2 fuder^ , bei Stafe von 10 ß für den Karien uder l ß für das Fuder.

In dieser Verordnung sind ausserdem «lie Rechte der 11 Lichteabergischen Dörfer, wie sie ni dem Vertrag von 1464 festgestellt wurden, mit dem Zusätze veröffentlicht, dass sie ausser Eichen, Buchen, Birken und AffoUem auch kein ßirn- baumholz hauen dürfen, ebenso die Rechte der Sufiflenheinrier nach dem Vertrage von 1556.

Neu ist in dieser Verordnung die genaue AulTührung der Personen, welche für Bauholz Küchen- und Weisgeld zu zah- len liatten un<l welche von dt i" Zahlung des einen oder des andern oder beider entbunden waren. Danach zahlten nur

1 Diese Ordnung des kleinen Weidwerks scheint nicht erhalten, zu sein. Allem Anscheine nach unterschied sie sich wenig von der sp&ter (1606) erlassenen.

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Weisgeld, ah^^r kein Ktichen^^eUl die Milhle zu den 4 Hadern, die Bur^j^leute und Scliöllen in Hagenau für alles, «He BcsiUer von Häusern in Hagenau und die Bürger von Hagenau, welche auswärts Häuser besassen, ^ für Kiefernbauholz, die Mühlen für das Holz für Pfosten und Deiche. Die Klöster Walburga, Sur- bürg und Neuburg, die beiden Spitäler des Johanniterklosters, die Georgskirche und die Burgmühle zu Hagenau zahlten weder das eine noch andere; ebenso die Mühlen für das Holz zu dem laufenden Gescliirre. Das Kloster Königsbrück zahlte nur Küclieni^eld, alle anderen sowohl KücIku- alsWeis^rekl.

Von da an l>eginnen wieder die Beschwerden der Land- vogtei über die Stadt; so berichtet dieselbe 1565 an den Statt- halter> die Stadt halte ihr einen cWüdpretsvorster» gefangen und nbentcbreite ihre Weide- und Eckerrechte (B.-A. C 87), und i566, dieselbe habe den Wald verbauen, einen Platz, an dem man «junge Eichen Stamb» gesetzt, eigenmächtig zur Weide autgelhan und 1565 das Bruderhaus umzäunen lassen (St.-A. AA 208, 15).

Trotz der AtilToixlerung des Kaisers, sich dieser Eingrille in die Rechte des Landvogts zu enthalten, vom Jahre 1570, setzte der Rat bereits 1573 wieder einen landvügtischen « Holz- forster wegen angeblicher Wilddieberei gefangen und bestand 1576 darauf, dass die landvögtischen Förster, wenn sie jemand auf das Waldhaus citieren wollen, immer c den Stettmeister um seinen Stab ersuchen müssen». Das einzige Zugeständnis, das die Stadl in letzterer Beziehung machte, war das, dass ein llatsbote ermäcliti^t wurde, auf Ansuchen der Förster den btab herauszugeben (St.-A. AA 208, 7-11).

Schliesslich wuixlen die iJitlerenzen so gross, dass eine aus dem Bischöfe Joiiann von Strassburg, dem Meister des Johan- niterordens Philipp Flach zur Schwartzenburg und dem kaiser-

« «Ynd ist das die Vraach, dass die landtle&t, gleich den bürgern , desshalb gefreyet seind, dan kein Landtman vf keinem seinem Oat, 80 er in der Stst bat» es seye liegend oder ?erbanrend, einige tfar- zall schlecht, vnd daso sint die bnrger von hagenaw mit den Iren Im Laudt auch soleher maaz gefreyet.»

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Ucben Rate Lasanis von Scbwendi, Freiherr zu Hohenlands- berg, bestehende Kommission eingesetzt werden musste, auf deren Schiedsspruch 1578 ein Vergleich zu stände kam, welcher 1582 von (lern Kaiser Rudolph 11. bestätigt wurde und im weseiUlitlieii tblg:endes festsetzte :

1) Wilddiel)e aus Hagenau sind wie vor alters vor de« Hat zur Aburteilung zu bringen, Strafe bei der ersten Betre- tung 5 flf, Verbot des Ciewehrtragens und Schwur, kein Wild mehr zu schiessen ; bei der zweiten 10 ff und nach Gelegen- heit <(Thuni]»| Verbot des Walfentragens überhaupt und der «cStubengesellsehaft»; bei der dritten Ausweisung aus der Stadt; die Bestimmiinf- der Sliaie l)ei der vierten steht dem Kandvogt und der Stadt frei. Die Strafj^eföile gehören trotz " früherer g^en teiliger Bestimmung dem ]-.andvojrt.

2) Auf den Feldern ist Schlingenstellen auf Hasen erlaubt, aber nicht zu nahe dem Forste.'

3) Im Ober- und Niederwald sowie in der Struth steht dem Landvogt die Kckerniessung allein zu; er darf sie und den Nacheckerich auch «verkaufen».*

4) Die Weide dcirf jeder Teil in seinem Bezirke «ver- kaufen», darf aber die anderen Weideberechtigten dadurch nicht schädigen.

5) Die Stadt soll aus des Landvogts Teil übergelaufene Pferde nicht hetzen und pfänden.

6) In des Landvogts Teil darf die Stadt ihre Herden zum Nacheckerich treiben.*

1 Der Statthalter hatte geklagt, dass die Hagenaner Sehlingen hart an den Forst stellen und Rehe und anderes Wild bineinscheuchen.

s Nach der KlageBchrift des Statthalters hatte die Stadt lo76 «im Lohn» Schweine in Struth und Niederwald eingepfercht und dadurch die Pachter der Hast geschädigt.

* Es handelt sich hier am die sog. Höfler, d. h um die Be- wohner der Hofe um Hagenau, wozu damals auch Schirrein und Kaltenhausen gehörten. Sie waren wiederholt von den Siifflcnheimern, welche die Weide im Niederwald gepachtet hatten, gepfändet worden ; die ersteren nuisbteu ihnen aher bei einer früheren (relegeiiheit U''*^-) die Pfänder zurückgeben, obwohl die nach Behauptung

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7) Das Bruderhaus (an der Heichshofener Strasse), das die Stadt c von langen Jahren her in Verwaltung hat » und seit zwanzig Jahren umzäunt ist, kann bleiben.

8) Die Waldordnung ist heideröeitö ZU halten 1 und nötigen- falls zu verbessern.

9) Die Klage des Statthalters, dass die Stadt seinen Förster Adam Vos zwei Jahre gefangen gehalten habe, weil der Land- vogt den städtischen Förster Guntzels Barthel vcm Kaltenhausen wegen Wilddiebstahls nach Hochfelden geführt habe, wird niedergeschlagen (St.-A., Statutenbueh).

Diese letztere Bestimmung des Vergleiclis zeigt, dass sieb Landvogt und Stadt damals in einem lörmlicben Jviiegszustande befunden hatten.

Der geschlossene Frieden, der den Erlass einer gemein- samen Verordnung von 1578 (Statutenbuch S. 206) ermöglicht hatte, durch welche der Wald in Bezug auf die Nutzung des Zaunreises in vier abwechselnd zu nutzende Tdle* geteilt wurde, war nicht von langer Dauer.

Als 1586 der Zinsmeister auf Befehl des Statthalters Erz- hei20g>« Ferdinand Bauholz 3 für die dem Kaiser gehörige Mühle in Hochfelden hauen und bei Nacht und Nebel abfahren liess, da überfielen die Bürger von Hagenau zweimal in vier Tagen, 40 bis 50 an der Zahl, die Fronbauern, welche sie abfuhren, mit bewaffneter Hand auf der Geleitstrasse, pfön- deten ihnen acht Pferde und wollten sie zwingen, das Holz auf die Ziegelei der Stadt zu fahren.

der Stadt vom Zinsmeister einseitig ausgewählten Zeugen die Be- rechtigung der Höfler im Niederwald in Abrede stellten.

' Der Statthalter hatte sich boschwert, dass die Stadt, diese, dass dio Lrtndvogtci unbefugt Holz au Nichtberechtigte verkaufe; ausser- <U III bollte die btadt junge £ichen, die Landvogtei Steheudes Holz habcu hauen lassen.

< Dieselben waren: 1) der Oberwald bis zur «Ddrreubacher Strasse», 2; das Stück zwischen D&nrenbacher und Sorbarger Strasse! B) das Stück swieehen dieser und den c Pfadewegen » und 4) der Teil unterhalb der letzteren.

s Gehauen waren für die Mühle öO Eichen und 18 Kiefern, davon waren r> Eichen und 17 Kiefern aufgeladen.

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«Der Kaiser hat befunden», heisst es in einem städtischen Berichte an den Anwalt der Stadt (St.-A., Freiheiten), dass damit «in höchstgn. Herzoj^s Ferdinands als Oberlandsvogts

hohe uiiel lorstliche Obrijjkeil und Geleitstras.sen zu viel *;othan », iin<i liess vermerken, das« er « glei^Lwol auf vorlier^ehende Hestitution der abgeplandeten Pferde und gebürlich Abtrag des beschehenen Ein- und UebergrifTs nicht zuwider sein werde, diesen entstandenen Streit zu einer gütlichen Gommission kommen zu lassen».

Die Stadt frug an, «ob und in welcher Gestalt das ein- geschickte kais. Rescript oder Schreiben wiedemm zu beant- worten» und (cob E. E. Rath zu Ha^^enau schuldig sei die vciri^^oschlai^ono ('oiiiinissioii zu aceepliren». Der Anwalt er- widerte, die Stadt nuy^e. an( wollen, das Hauen der Eichen sei^ der Waldordnung und dem Vertrage von 1578 zuwider, der Landvogt dürfe ohne Wissen und Willen der Stadt kein Holz «hinweggeben verkaufen oder wegführen». Dass er Holz zu seiner Notdurft hauen dürfe, sei richtig, aber auf den gegebenen Fall nicht anwendbar, da Hochfelden weder zur Stadt noch zur l.andvogtei •iehöie. Man iiahe nur den Lnndvon^t, der unter der Waldordimiig stehe, « in seinen l^echten halten» wollen. Dass Karl V. 1521 Holz tur Hochfelden erhalten habe, sei richtig; er habe es aber begehrt, und wenn es wieder geschehen wäre, hätte main < sich zu verhalten gewusst». Auf alle Fälle hätte er der Stadt vermelden müssen, dass er Holz nötig habe.

Was den Einwand betreffe, dass ein Waldgenoss den andern nicht zu pfänden pflege, so habe die Stadt von jeher die Uehertreter der Wnldoi-dnung gepHlndet. Die Kulnleute von Hochfelden seien keine Waldgenossen und seien vor iler Versteigerung <ier Pferde aufgefordert worden, gel)ührend Strafe zu zahlen. Die Stadt sei Ixueit, die Sache vor das Kam- inergericht zu bringen; auf eine Kommission könne sie sich aber nicht einlassen, wenn gegen deren Spruch keine Be* rufung eingelegt werden könne, was der Kaiser nicht zu wollen scheine. Auf die vorhergehende Rückgabe der Pferde solle die Stadl <ler Konsequenzen iialber nicht eingehen.

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Die Angelegenheit kam ebensowenig zum Austrag wie der Antrag der «Kanilei» von 1581 auf Revision der Wald* Ordnung im Sinne verschärfter Straffaeatimmungen (St.-A. DD 45, 4).

Trotzdem acMnt 1588 das gegenseitige Verhältnis ein leidliches «gewesen zu sein. Deim ausser den vier stadtischen bete!lij»'ten sich auch Hie vier herrsrlinfthchen Förstor an dem in (hesem Jahre von den Stadtpflegem unternommenen Grenz- beritte.

Aber bereits 1590 begannen die Streitigkeiten von neuem. Die Stadt trieb nach einem Berichte des Landvogts ihre Sehweine zum Nacheckerich in die Teile des tandvdgtischen Anteilig, welche

der « Kfttineisler » eigens för den Nacheckerich seiner Schweine reserviert hatte, und pfilndefn die Sufflenlieimer, als <Ieren Vieh dun h Wölfe in den Burgerwald gescheucht wurde (JSI.-A. DD ti3, U).

Gleichzeitig kam die Stadl auch mit den Burgmannern, d. h. den adeligen Geschlechtem, welche Reichslehen in der Burg zu Hagenau inne hatten, in Streit. Im Jahre 1593 beschwerten sich dieselben beim Rate in corpore über Eingriffe der Stadt in ihre Rechte : 1) « Nach unserer notdurft bau und brennholz zu führen für uns ^^elhst», heisst es in ihrer Ein- gabe (Batt II, Ii), «. . .ist nluT eine vermeint»' Waldordnung darwidor . . sollen das boltz zuerst heisiThen, dann den bau besichtigen lassen; dan wird entweder nur das halb ertheilt oder ganz abgeschlagen, wie mir von Durckheim be> schehen, als min scbaffher Simon Bissinger zu meiner notdurfit allhier, jedoch one mem geheiss, holz auf dem Waldbaus gefordert, das ime abgeschlagen ; weil wir vor etlichen Jahren 30 ß zu Starii^^elt auterlegt worden, ich aljer nit gehen können lind sollen, sondern mich »Mltollen für mich selbst junge stämu) im tbrst setzen /.u lassen; docii abgeschlagen worden. Wäre also unsere freiheil umsonst, dann wir dis orts nils weiter betten als ein jeder gemein Waldgenosse; kann man uns kein Cassation unserer Privilegien vorlegen und die Wald- ordnung vil zu jung . . «» 2) c Muss man das holz durch der

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istalt höfler führen la.ssen, und deswe'r^en kommt das holtz holier Als wenn man es aus dem Schwarzwald kommen liesse.»

Die Stadt erklärte auf diese und eine lange Reihe anderer, nicht auf den Forst bezüglicher Beflchvrerden 1599, dass sie «ich chei habenden besittlichen und wol herbrachten rechten durch rechtmässige erlaubte mittel handzuhaben» gesonnen sei.

Ebenso schlug sie 1607 dem Grafen von Hanau-Lichten- berg, der als Rechtsnachfolger der Herren von Lichtenher^s welche 1349 mit dem Burglehen des Hans von Wasichensteia belehnt worden waren, 1597 Anspruch auf die Beholzi^unijfs- rechte der Burgmänner erhoben hatte, dieselbe mit der Auf- stellung ab, seit 150 Jahren sei das Recht nicht ausgeübt worden, und niemand wisse, wo das Burghaus der v. Wasichen- stein gelegen sei. Wahrscheinlich existiere es überhaupt nicht mehr. Der dem Grafen gehörige Bitscher Hof liege nicht in der Biir^ und sei kein Burglehen. Seit 15() Jahren sei für denselben kein Holz gefordert worden. Wenn der Hof von ^*ineni Schallner bewohnt werde, der Bürger sei, solle er seinen Holzbedarf wie jeder Bürger erhalten. Der Kaiser stellte sich auf Seite des Grafen, indem er durch ein Schreiben von 1615 der Stadt befohl, dessen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Stadt erwiderte jedoch unter Wiederholung obiger Gründe, «dass Euer k. Majestaet und dem Rieh hochschädlich dadurch praejuducirt wurde, angesehen der wald, der heiligre oder hagen- auer forst genant, E. M. und des Reichs ei- iitliumb iuv\ ein stuck ires Cammer^'^uts ist». Der Graf habe « eme starke hofhaltun^, dazu bineben andern requisiten, auch unfüglich viel holz erfordert und gebraucht wurde». Es sei zu besorgen, dass sich der Graf eigens des Holzrechts halber in Hagenau niederlassen werde. Sie verweigerte demgemäss, wie aus wieder- holten, bis ins Jahr 1651 hineinreichenden Beschwerden der Grafen hervorgeht, demselben, trotz des gegenteiligen Befehls des RaiM rs, nicht nur die speziellen Holzrechte der ßurgmänner, sondern auch die sonstigen Vorreclite derselben.

Gleichen Erfolg hatte des wegen einer Menge anderer Punkte mit der Stadt in Streit beündlichen Burgmanns Guno

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ISckbrecht von DQrckheim ' Gesuch aus dem Jahre 1508, die Stadt möge dem lateinischen Schulmeister zu St. Jergen » 8 Enger Holz bewilligen, weit seine S5hne dort in Kost gehen. Motiviert wird die Abweisung damit, dass < man nur im Burg-

haus zu geben s€huliii;^^> (B^itt II, 370).

Wie es scheiul, hat Eckbrecht die ihm abgesclilagenen 8 Enger Holz doch im Walde holen und dem Schulmeister bringen lassen, und ist ihm dann ein Pferd von der Stadt gepßindet worden. Denn in dem Vertrage von 1630, in welchem er dem zwischen ihm und der Stadt beim Reichskammergericht schwebenden Rechtsstreit ein Ende macht, heisst es, «Das pferd das man ihm genommen, des Holzes wegen, so er dem reftori scholae zu^reführl hatte, lässt er ^'•elien ». Dageg^en <?e- steiit iliin die Stadt das Recht zu, das Holz, das er übri^^ens begehren und von den Förstern anweisen lassen muss, von den Höflern oder, «obwohl dies der Waldordnung zuwider»,! von seinen Unterthanen führen zu lassen (Batt II, 372).

Dagegen erhielten die HeiTen von Fleckenstein, denen dieses Recht schon früher zugestanden war, ihre 21 Fuder

oder, wie es später immer hiess, ihre 21 Enger Holz wöchent- lich — nachweisbar bis ins Jahr 1637 nnweifxerlich, obwohl einer derselben i5lK> dem Rate erklart liatte, es uni^eheischen zu holen. Nur einmal 1580 findet sich die Bemerkung in den Ratsprotokollen : c wird zugestanden, aber soll mit dem Ho?z etwas schütziger umgehen».

Am heftigsten waren die Streitigkeiten um die speziellen Forstrechte der Burgmdnner mit den Rechtsnachfolgern der Sigelmann und der Herren von Eschenau, als Inhabern des Dotzelergesasse«, zu welcbem nach der Urkunde von 1347 ein Viertel des damals der Stadt verliehenen Stockv und emiiie Gilter im Schierrieih, insbesondere der t Schürhof» gehörten. Die von Eschenau besassen als Kunkellehen ausserdem die

1 In der Forstordnung von '43 > ist eine solche Bestimmung nicht enthalten. Sie scheint später als besondere Verordnung erlassen worden zn wdn»

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Hälfte von Bischweiler, das 1557 auf die Herren von Schönberg*

ubergin«;, wäliit'iui das Burglehen von diesen znvmi tli.Usäcldicli iu Besitz p:enommen, aber- vom Kaiset als Mannslelien zuerst «tn die Familien Haller und Knod und 1591 dem Arzte Nied- heimer, der zuerst die Pechelbrunner Petroleumquellen nutzbar machte, verliehen wurde. Sowohl die von Schönberg wie Nied* heimer nahmen als Inhaber des Bnrglehens das Recht in An- spruch, nach Belieben Holz im Forste zu fallen, und beide scheinen, nach den Ratsprotokollen zu schliessen, dieses Recht in ausgiebijfsler Weise ausg^eübt zu haben. So ist 1580 konsta- tiert, das8 von Schönbenr, obwolil man ihm 1575 «aus guter nachbarschart» 60 Kielern und Eichen gegeben lial>e, nachher mehrere hundert Wagen nach Bischweiler habe fahren lasseo» Ausserdem wird im gleichen Jahre als Veigdien gegen die Waldordnung aufgeführt, dass von. Seböuberg sein Holz nicht durch die Höfler, sondern durch seine Unterthanen in sein Haus und Burglehen führen lasse.

Kaiser Rudolf H. stellte sich auf seiten der Burgmänner, indem er 151)1 verfügte, dass die Haller und Kuod, deren Lelieu damals schon Niedheimer innehatte, c wie die Eschenau das recht liatten, holz m den orten Steygen * bei der Sulllen» heimerstrass zu hauen» und die ihnen abj^epiandeten zwei Pferde deshalb zurückzugeben seien (Batt II, 5130).

Diese Parteinahme war nicht geeignet, das Verh&ltnis ^swischen der Landvogtei und der Stadt hesser zu gestalten. Die Streitigkeiten nahmen kein Ende ; der Zinsmeister ver- pachtete die Weide im landvöglischen Teile an Dutzende von teilweise 8 Stunden von der Stadt t3ntterule Gemeinden uut finmal, so 1592 an 20 Dörfer, darunter u. a. Marlenheim und Vendenheini, und schädigte so den Wald und die Stadt.

Besonders heftig wurde der Streit zwischen der Landvogtei und der Stadt, als 1604 der landvögiisclie F&rster Meyhreckh

1 Dieses Hecht, in den Steygen Holz zu hauen, bezieht sich wohl nur auf den Spezialfall, indem das Holz gerade dort gehauen wnr. Doss einzelne Teile des Waldes bestimmten Burglehen sage* wiesen waren, ist nirgends erwähnt.

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deu »tadtLschen Bürger Olauss von St. Jacob beim Wildern antraf und in die Achsel scboss. Die Stadt verlangte die Aus- lieferang des Försters; derselbe sei ein « malefitzlscher Miss- hiindler und Uehellhater». Auch wenn Glauss eine Büchse

<rehal)t hätte, liätte ei ilin nicht ohne weiteres niederschiessen liüi ten, sondern vor Meisler und I«af l)rinj^en müsseo, der nach dem Gesetze urteile. Ferner sei von der Kommission (von 1578) Ix^stimmt worden, dass die Föi-stei- die Holzfrevler dem Borst- meister anzeigen, daraus folge nicht, dass er sie auch selb- stfindig strafen dürfe. Auf da^ Verlangen^ dass die städtischen Förster keine langen Büchsen tragen, könne man nicht ein- ;,^ehen ; sie hätten sie nöti«.'. Holzfrevler aus der Stadt an den Landvojrl auszuliefern, habe sie keinen Anlass (St.-A. AA 210).

In demselben .lalire beschwerte sich die Stadt hei den Kideii der Landvogtei, dass ilieselbe MMiY^ über Eichen und viele Kielern hei Nacht und Nebel habe hauen und mit vielen bewehrten Heicbsunterthanen nach Gunstett hnbe fuhren lassen.

Eine weitere Beschwerde von 1607 wurde an den Erz- herzog Max gerichtet und darin geklagt, dass die Landvogtei den Förster Meybrecht nicht ausliefere, und dass sie dem Arzte Niedheiraer (von Wasenburg), der im Foi-ste «gehauen, j^eödet und Licwüstet » hahe, eine iJeschcinig'un^ ausgestellt hahe, dass «iie von der Stadt aus^elührte Ptanduii;^ ohn«» ihr Wissen j-eschehen sei. Diese ßcscbeinigung habe Niedheimer dem Keichskammerj^erichi iu Speier vorlej^en lassen, was die Stadt Itereits lüOO tl. koste. Ausserdem wolle die Voglei den Bürgern die Jagd in den Bftnnen der Reichsdörfer verbieten, und doch sei kein Mangel an Jagdvergnü^^en für den Landvogt. Im letzten Jahre habe er 450 Hebhühner » mit dem vojjel j^efanjren >.

Aul der anderen Seite vei-iill sich die Stadt wieflerum an den H«'aiiden des Landvo^ts, indem sie UiOT den !andv("^^^- tischen Förstern Klein und Grosskopt am Stadtthore ihre Hachsen abnehmen Hess, weil dieseihen einem Ha^'enauer im Forste die seinige abgenommen hatten (B.-A. C 88). Ausserdem legte sie 1(K3 einen Zoll auf die Schweine, welche von den Heichsdörfern in den Forst getrieben vnirden.

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Ein neuer Schiedsspruch, diesmal des Bischofs Philipp Christoph zu Speier, des Johann Brast zu Hohenzollern und einiger anderen Herren, machte 1615 dem Streite ein Ende und entschied :

1) die Hagenauer werden in dem Rechte, ausserhalb des Forstes das kleine Weidwerk auszuüben und im Forste

Krammetsvögel und audeie kloine und geringe VögeJ, al)ei' keine «Uhrlianen, Fas.-^nen, Rel>- und Haselhimer und andere köstlich und liochlliegende Vögeb zu fangen, belassen, dürfen aber Jteinen Handel damit treiben, keine Büchsen mitnehmen und das Hochwild nicht genieren ;

2) die Beschwerde der Stadt, dass die landvögtischen Förster und Räte die Afterschläge missbrauchen, schöne Eich- bäume zu Scheitholz, Planken, Brettstecken und «Serren »

machen lassen und mit Ijt^walTneter Hand des Nachts Buchen- und Kiefernholz nach Gunstett geführt haben, ^v!r(l niedergeschlagen, weil der Landvogt diese Angaben als unwahr in Abrede stellt; ti) in Waldsachen soll kein Teil ohne den anderen Prozesse anfangen oder weiterfuhren;

4) die Grenzberitte sind gemeinsam zu madien;

5) die an Stelle tinigefallener neu zu setzenden Grenz- steine sollen neben der Hose den Reichsadler und die Jahrzahl eihalten ; die alten sollen bleiben, wie sie sind;

6) die Stadtförster dürfen im Forste nur cFäustlin und Knebelspiess aber keine Büchsen und lange Rohre f rng-en ;

7) Windfälie sollen c der fürstlich Durchlaucht oder wheme es dieselben befehlen und gestatten, ohnstreitig gelassen, hingegen der Waldordnung gemäss verkaufst, ver- braucht und genutzt» werden;

8) in betreff der Bauholzabgaben für Stadt und Landvogl soll die Gleichheit gewahrt werden und entweder kein oder je<ier Teil auf dem Waldhause nachsuchen müssen (St.-A., Statutenbuch). .

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Einige Jahre vorher, 1606, iialte die Stadt aus eigener Macbivollkommenheit eine Ordnung des kleinen VVeidwerks erlassen und 1609 erneuert. Dieselbe setzt für alle Vögel, mit Ausnahme der Spatzen und Stare , sowie für den Hasen. Schonzeiten fest, welche für die letzteren von Fastnacht bis 15. Hai, für die Feklhähiier von Fastnacht bis Ulrici (4. JuU), für die übrigen Vögel vom 10. April bis Ulrici dauern, verbietet das Ausheben der Eier aller V^ö|/el, das Erlegen von Lerchen «im Widerstrich» und das Schiessen zahmer Tauben und ver- ordnet, dass das erlegte Wild uur in die Ötadt und nur zu bestimmten Preisen für 5inen erwachsenen, 3 Batzen für einen halbwochsigen Hasen, 3 Plappert für ein Feldbuhn *■ verkauft werden darf. IMe Strafen bestehen in Geld meist 8 p , zeitweiser oder lebens^glicher Entziehung der Jagd- berechtigung, in schwereren Fällen in «Thurm ; ausserdem stellt dem Rate das Reciit zu, jederzeit <die Ai^wonige und alle die mit hievor gemeltem ^Vt idwei ckli vmbgangen, Auch die so im verkauUen, kaulieii uder hin weg schicken verdächtig» vor sich zu fordern und nie aut Eid zu fragen, ob sie die Ordnung eingehalten haben (St.-A., Statutenbuch, S. 212).

Im Jahre 1615 erliess sie gleichfalls ohne den Landvogt eine Verordnung, welche die Preise regelt,* zu welchen das Brennhob in der Stadt verkauft werden soll, und die Herstellung von «Myssholz», d. h. von Daubholz, unter Herabsetzung der Strafe auf 3 S ^gleichzeitig mit der Einziehung der hergestellten VV'are bedroht.

In ersterer Hinsicht ist in dieser Verordnung merkwürdig, dass der Preis für Eichen- und Buchenbrennholz mit gleich- mässig 5 P für den V^agen niedriger angesetzt war als der des «hohen Forlenholzes» mit 6 ß, aber wesentlk^ höher

als der eines Wagens «vol haber stitzl oder gemeine forlen holz mit 4 ^.

< Dms« Fteiss waren zisaiHch bock Die Hagsnauer Batssn von 1604 haben wwa Silbtrwert von 0,31 H., die Straasbargsr Scbilliage von 1Ö88 einen sokben von 0j43, die dortigen Plappert von 1585 einen solchen von 0,19 M.

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40ti4 ei lblii^le dann der Erlass einer Eckerordnung", der die Wahl der Kühiicislei", der Köeho und der Eckerkaeclite, dris deu^eliien zn zahlende Dingj^eld uimI ihren Lohn* «;^enau regelt. Dieselhen hatten eidlicli zu «i^eloben, cA.lles daszjenige äo Küch die Kckerherren befehlen werden, Niemandt eröft'enen, ohne der- selbigen beuelcb, deszgleichen das Viehe So Euch beuohlen vrurdt, getreGwlich zuuersorgen, nach Euerem besten vermögen, So Euch zue Etzen beuohlen, geti'eüwlich, vndt zum besten, so Ihmmer möprKchen vffzuetzen, vndt so Einer oder der Ander Span, j^ardüniien, vndt Vndereinander sich erhöben möchteil, daszelhi^e von den venu diicten Eckerliurren zu ent- scheiden zuloszen. Vndt alle^ Wdüi <ier Stadt nutz zuefürdern, den schaden zuwenden vndt Alle heymiichkeiten bei Euch zu- behalten, bisz vir ein beuelch der Eckerherren.»

Nach den Bekanntmachungen des Hats vom Jahre wurden die Schweine Mitte Januar ausgeschlagen ; jeder Bür- ger musste seine Gebuhr an die Eckerherran zahlen, erhielt da- fAr sein Zeichen und konnte auf Grund desselben eeine Schweine in Kinptan^ nehmen. Dieselben durften Im?] Strafe von 30 ß erst drei Ta^^e später «,^esch lacht et werden. Der Eintrieb von Mohren (Mutterschweinen) war verhüten (St.-A. DD ZuV Herstel-

lung der Pferche stellte die Stadt das nöti«(e Fuhrwerk und die notwendigen Arbeiter, das Holz wurde im Walde gehauen.

Im übrigen sind die Urkunden aus den letzten drei Jahr- zehnten der österreichischen Periode, d. h. aus der Zeit des dreissigjährigen Krieges wie erklärlich wenig zahlreich. Sie be- schrankten sich auf Beschwerden ^^e^^en Uebergriffe des Land- vojjls und ('ntersucliui"i;;en über die Grenzen seiner Rechte uml auf {gelegentliche Demerkungen über den mutmasslichen Ertrag der Mastnutzung.

> Derselbe betrug für die Woche beim Kütmeister 4 ß H ..j, beim Knechte 8^4^, ausserdem je 1 Sester (2U b Kom und dasn wöchent- lich 1 Batzen cKuchengeld». Für das Brennen wurden 2 ^ fftr den Brand bezahlt und gemeinschaftlich verzehrt. Beim Vertragsabschlass

orliicUnii die Angenommenen mit den Förstern ein « Abendzeliren», bciui Einschlagen im Wald ein 'ilml)s besteboiifl ntis Rrot für 1 [i, 4 Mass Wehl und «Kalt gebrattes oder Fleisch utt Jeden Haufen».

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In elfterer Hinsicht von KesondfTer Wicht ijfkeit sind die Vei liandlunjfen filier die Rodung von Wiesen im Forste in der Nähe von Surburg. Die Landvogtei halte dort 1631 eine 12 Manns- matten (3 Hektar) grosse Fläche zur Rodung abgesteckt und umzäunen lassen; die Stadt Hess den Zaun niedenreissen und erklärte auf die Beschwerde der Landvogtei, Rodungen im Forste seien verboten, und die Stadt sei nicht ^resonnen, sie zu

(iuldoii.

Dunh den westtahschen Frieden kam «lie Landvogtei !uit Hagenau nach dem Wortlaute des Vertrags ohne Aenderung ihres Verhältnisses zum Reiche 1648 an die Krone Frankreich, welche dieselbe anfangs durch Oberlandvogte verwalten Hess. Die Kaiser aus dem Hause Oesterreieb, welche eigentlich nur berechtigt waren, dieselbe namens des Reiches zu verwalten oder durch namens desselben ernannte Landvögte verwalten zu lassen, ähnlich wie heule der Kaiser ganz EIsass-Loihringen namens des lieiehes re^ieif, halten das Amt des Oherland- Vügts im Laute der Zeit zu einem ieile ihres erhiirheri Hau5>- guts gemacht und es als solches an Frankreich abgetreten.

Die österreichische Periode war damit auch für den Hagenauer Forst beendet.

Auch während dieser Periode war die Ausnutzung des Waldes, wenigstens in Bezug auf Eichen und Bachen, Bim- und Apfelbäume, eine plänterweise. Gegenstand der Nutzung waren hei diesen vier It l/aiten neben dem wenigstens autangs immer noch inasst hhaft vorhandenen liegenden Holze und Duri-ständern von Hechts wegen nur die abgängigen, keine Mast mehr versprechenden Stämme; nur hei den nicht seltenen unberechtigten Eingriffen Dritter, möglicherweise auch bei den Holzabgaben, welche die städtischen Förster im land- vögtischen Teile machten, und umgekehrt, mögen bei diesen Holzarten auch masttragende Exemplare und eine grössere Zahl von Stämmea aul kleinem Räume zum Hiebe gezogen worden - sein.

Aehnlich mag die Arl der iNutzung hei der Kiefer gewesen sein, nur da^^ hier, der Verwendungswei.se entsprechend, haupt-

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sächlich die Attsmessungen üher die Wahl der zu fallenden Stämme entschieden ; ebenso hei der Birke, während die übrigen Holzarten als Taubholz auch während rlleser Periode lur die zu HolznutzuDgen überhaupt berechtigten Personen voj.^elfrei waren. Erst seit 4578 wurde ihre Nutzung in jährlichem Wechsel jeweils auf den vierten Teil der Gesamtwaldiläche Jbeschränkt.

Samenschlagstellungen^ Durchforstungen und Reinigungs» hiebe sind aus dieser Periode nicht nachgewiesen, wenn auch nicht ausgeschlossen ist, dass geschickte Förster bei der An- weisung des Holzes auf die Bedürfnisse des bleibenden Be- standes Rücksicht nahmen und beispielsweise Kiefern vorzugs- weise da anwiesen, wo sie d^^n Eidien Schaden machten.

Die Fällung des Holzes durch die Empfänger oder ihre Arbeiter blieb nach wie vor ausnahmslose Kegel, seihst da, wo wie bei den Fleckensteinem bestimmte Quantitäten zur Abgabe gelangten. Von einem .Aufisetzen des Hohes in Raum- masse ist in dieser Periode noch nicht die Rede; die Abgabe erfolgte nach Wagenladungen, wobei man rwisehen der Ladung vierräderiger Wägen < Fudern oder Engern > und der von zwei räderigen Karren, und unter diesen nach der Holztaxe von 1615 wieder zwisciien Slellkärchen und f^emeiiien Kärchen unterschied. In den Waldordnungen war ein Fud« r zwei Kar- renladungen gleichgeachtet worden ; in der Holztaxe von 1615 ist die Ladung eines gemeinen Karrens je nach der Holzart auf bis >/$ eines Fuders^ die eines Stell karchs etwa lOofo hoher gescb&tzt«

Die im Anfange der österreichischen Periode häufigen Klagen über die Vermehrung der Feuersgefahr durch die Menge des vorhandenen liegenden Holzes verstummen im weiteren Verlaufe derselben; ob infolge des 1518 und 1531 erlassenen absoluten Verbots, anderes als liegendes Holz zu hauen, oder infolge vermehrter Inanspruchnahme des Waldes durch die wachsende Bevölkerung^ ist urkundlich nicht nachzuweisen. Thatsache ist, dass gegen Ende des 16* Jahrhunderts bei unbe- fugten Holzflillungen konstatiert ist, dass. die Aflerschläge mit abgefahren wurden.

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In diese Periode fällt der erste Nachweis künstlicher Ver- jüngungen, wenn auch nur bei der Eiche. In der oben er- wähnten Eingabe der Stadt gegen die Einrichtung des Tier- gartens aus dem Jahre 1560 ist ausdrficklich konstatiert, dass

die Stadt schon oft Eichensaaten und -Pflanzungen aus^'^eführt hat, ebenso 1.W), (\ds^ die Stadt an einen Platz, auf den man junge « Eiclien Stamb gesetzt» hatte, eifrenrnächtig ihr Vieh ein- ^^et rieben habe. Im Grenzberitte von 1609 ist wiederholt von Eichelgärten die Rede, welche auf Oedflächen und usurpierten Rodflfichen angelegt werden sollten, und von einer derselben steht urkundlich fest, dass sie im Herbste 1612 mit Eicheln besät wurde. 1

Gegen Mitte der Periode scheinen künstliche Kulturen gegen die Weide in Hage gele<,^t worden zu sein ; wenigstens sagte die Stadt in ihier Erwiderung auf die Beschwerde des Landvogts in Bezug auf jenen Yieheintrieb, der betreffende Platz sei drei Jahre «lugethan» gewesen, nach deren Ablauf sei das Verbot nicht erneuert worden.

Trotzdem muss der durch die Vieh- und Schweineweide veranlasste Schaden ein enormer gewesen sein. In einem femelweise bewirtschafteten Walde, in welchem ausser den Herden einer Stadt von G00() bis 7000 Einwohnern und einiger l>erechtigten Dorfer noch diejenigen von 20 Gemeinden miet- weise eingetrieben wurden, konnte, so lange die x\ltersklas?eii nicht örtlich getrennt waren, Jungwücbse um so weniger aut- kommen, als ausser Schafen alle Arten von Vieh, insbesondere auch Pferde und allem Anscheine nach auch Ziegen eingetrieben wurden. Zudem blieben, entgegen den Bestimmungen der Wald- ordnung, die Schweine und zwar in ungeheuren Herden auch im Nacheckerich im Walde, wie beispielsweise die Stadt und der Laudvogt wiederholt die Mastnut zung bis Georgi verpachteten. Auch iindet sicli mit einer einzigen Ausnahme keinerlei Nach-

1 Schon 1544 verlangte der Pfalzgraf von seinem Zinsmeister, er solle ihm aas dem Forst dreierlei Samen, nämlich Eicheln, Bnchehi und cDossen» (?) Ar seinen Wald « Lorcher Hart» liefern (B.-A. C 87).

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weis^ da;Si} mit liuckisiciit auf die Notwendigkeit der Wieder- besainimg Einzelllächen von der Mastnutzung aus*>:esch lotsen wurden, im Gegenteil waren die Kütmeister eidlich verpflichtet« dafür 2U sorgen^ was ihnen czu Etzen beuohlen, getreüwUcb» vndt zum besten, so Ihmmer möglich vflzuetien».

Auch die noch im Anfange der Periode lebhafte Fürsorge für Oflenhaltuii^ der Wass^'rliiule und I Milwä.sseruii^" nasser iStelien -chciiit sjtäter sehi" nacli^jelassen zu haben. Kla;4t doch die Stadt darüber, dass eine Menjje fruchtbarer Bäume cdurch das übrige Wasser ertrunken» >:ei. In dersellieu Ur- kunde ist konstatiert, dass 1540 eine Menge Stämme durch die anhaltende Därre verdorrt seien, während ein Orkan tausende der schönsten Eichen und Kiefern warf (B.-A. G 87).

Neorodungen von Belang sind aus der österreichischen Periode urkundlich nicht nachgewiesen. Diejenigen am Bruder- hans nnd Watzier- oder Einsiedelhaus waren an sich unbe- deutend und stammen möglicbersveij?e aus Irülieren Periotlen. Die von den Landvögtischen versuchte llodung der 12 Manns- matten bei Surburg und das Ueberpflügen längs der städtischen Allmende wurde, wie wir gesehen luiben, von der Stadt ver- hindert ; ebenso wurde bei dem gemeinsamen Grenzberitt von 1609 beschlossen, einen Eingriff der Eschbacher dadurch rückgängig zu machen, dass man die Fläche zu einem Eichel •> arten machte, damit die « Eschbacher klagen müssen », und einem Bauern, der an der Schwabweilernnihle durch Ableitun^f <les Sauerbaclis ein Stück Land vom Forste abgeschnitten liatte, aufgetragen, den allen Zustand wieder herzustellen.

Haben in dieser Periode Eingriffe in das Forsteigentum stattgehabt, so kann das nur bei dem wenig beaufsichtigten Dorfe Mertzweiler und längs des Hagenauer Banns, insbesondere bei dem jetzigen Schirrhofen und Schirrein geschehen * sein, welch letzt eie Ortschat t mit den Herrschaftsrechlen über das Schierrieth die Stadt U)Mj an den damaligen Stettmeister Nied- heimer, dem der Schürhof als lleichsielien bereits zustand, für *250 tl. zu verkaufen gezwungen war. in den letzten Decemnea des 16. Jahrhunderts haben sich, wie wir gesehen haben, dessen

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Yoi'iahren vom Schurhot' aus manche Uebei*;,'rifre zu schulden kommen las$sen» und das c Wüsten und c Oeden » der Be- schwerde von 1607 bezieht sich möglkherweiae au unbefugte Rodungen in jener Gegend.

Die Fflrsorge für die Vermarkung und Erhaltung ' der Grenzen war eine verhältnismäs^^ij? lebhafte ; l^ereits vor 1531 « hat, wie l)ereits erwähn!, die Stadt (Irenzsteine mit den» Stadtwappen versehen motzen lassen ; Grenzhoi itle suiiJ m der österreichischen Perioile drei aus den Jahren 1544, 1588 und 1(509 »achgewiesen, und in dem Ver«(leiche von 1615 ist l^e- stimml, dass dieselben gemeinscbatllich gemacht werden sollen^ was übrigens bei den beiden letzteren bereits der Fall war. Ausserdem wurden 1698 sehr viele Steine gefunden, welche dem Vergleiche von 1615 entsprechend Stadt- und Reichs- wappen und die Jahreszahl 1628 truj^en.

Beim (iren/lieritto von i5i4 fanden sich ausser den mit der Stadtrose be^tMcliiieten bleiaen solche ohne alle Hoheits- zeichen und andere zum Teil heute noch vorhandene vor, welche teilweise sehr ungeschickt (gemachte römische Nummern, z. B. IUI statt IV trugen. Da in den Hagenauer Urkunden die arabischen Zahlen zum erstenmal 1471 auftreten, ander- seits aber in solchen von 1M7 noch römische Ziffern mit in Gebrauch waren, spricht diese Art der Numerierung noch nicht notwendij^ für ein sehr weit zurückreichendes Alter, wohl aher der Umstand, <lass von diesen fast einen Meter tief im Boden steckenden und ebensoviel aus dem Boden herausschauenden grossen Steinen 1544 schon veriiältnismässi^ viele umgefallen und versunken und einzelne, wie im Protokoll ausdrücklich konstatiert, früher vorhandene ganz verschwunden waren, >

1 und zwar spätestens 1528. Bei der generellen Al)steiiiiing von 1698 wurden mehrere solche Steine mit der Juki zahl 1528 vor- gefunden.

* Ton iwei an der Krensung der SchweighaasenrLanbaeh«? mit der Mertzweiler-Eachbacher Strasse stehenden Steinen, welche bei allNi GrensfeststeUungen den Gleometern viel Kop&erbrechen machten, «eil Bie ganz nahe an der Waldgrenze stehen, aber nicht mit den

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Vollständig: vermarkt zeigte sich 1544 nur die Grenze gegen das fremde Waldeigenium insbesondere der Klöster mit Ausnalime von Königsbrück und diejenige gegen die Cremeinden Mielesheim und 'Forstbeim, diese mit teilweise sehr alten Steinen, und endlich die Westgrenze zwischen Bürger- und Niederwald. Die letztere ist eine Berechtigungsgrenze und war bereits 1508 «vndersteint».

Gegen die Feldbänne mit Ausimiime der Grenze gejj^en daij Kloslei \VaiJ)urj^ und die Bruchmühle des Klosters Biblis- heim fehlten 1544 die Steine vollständig. Die Versteinung gegen Laubach erfolgte nach den auf den Steinen eingebauenen Jahreszahlen zu schliessen 1038. Ausserdem fonden sich bei der Grenzfeststellung des Jahres 1698 an der Grenze gegen das Frauenwäldel, das Eigentum der Hagenauer ist^ einige alte Steine. Die Grenze zwischen dem städtischen Burgbann- wald und dem Forste war nicht versteint.

Tn den Gren'/J)ehjchreibungen ist nicht j^esagt, dass ii^end- wo eigentliche Grenzgraben vorhanden waren ; dagejren dienten alte Ent- und Bewässern ngsgräl^en sowie natürliche Wasser- läufe vielfach als Grenzscheiden. Hie und da ist in den Grenz- Protokollen bemerkt, dass Bäume, die 1544 einmal cZtelebdum» genannt werden, die Grenze bezeichnen ; es ist aber nirgends gesagt, dass dieselben irgend ein künstlich angebrachtes Zeichen tragen. Auch Kreuze, «Bildstöcklein» und dergleichen sind hie und da als die Grenze markierend aufgeführt. Eine plan- mässij^e Vermarkung gegeji die Keldbänne hat aber weder in der österreichischen Periode noch in den vorhergehenden jemals stattgehabt. Da niemals zusammenhängende Schläge zur Aus* führung kamen, bildete der höchstens durch Aushieb einzelner Bäume zeitweise unterbrochene Waldsaum mit seiner gegen Feld und Wiese dichten und tie^ehenden Beastung gegen diese eine ausreichend sichere Marke, und wo stauende Nässe oder die Unii uchtbarkeit des Bodens es nicht zui Bildung

Kachbarsteinen korrespondieren, heisst es in dem Orenzprotokoll von 1544, < sie scheiden Forstheimer nnd LaUpach Strass, wie weit die sein soll nnd berühren den Wald nit ».

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eines dichten Waldsaums kommen Hessen, da war in der Regel das Land zu wenig wertvoll, als dass die Gefahr fremder Eingriffe alliugroes gewesen wäre. Wo dagegen ein geschlossener Waldsaum vorhanden war, Hessen sich unbefugte Rodungen

auch nach Jahrzehnten um so leichter konstatieren, als, wie aus dem GrenzfeststeüungsprotokoUe von 1698 hervorsteht, die Rodenden sich nicht die Muhe nahmen, die allenthalheo vor- handenen schweren Stöcke zu entfernen.

£ine £inteUung des Waldes durch künstliche Linien gab es damals im Hagenauer Forste noch nicht. Wohl mehrt sich in dieser Periode die Zahl der Ortsbenennungen einzelner Waldteite, aber nirgends ist eine Andeutung vorhanden, dass und wie sie begrenzt waren.

Ebenso mehren sich die Bezugnahmen auf vorliandeiui Wege ; dieselben waren aber wohl zum allergrössten Teile nicht einmal zwischen Graben gelegt und sicher nicht ver- kiest ; ein nicht geringer Teil selbst der grosse Dörfer mit Hagenau verbindenden Wege hat auch nicht die geringsten Spuren im Walde hinterlassen; seitdem f&rmliche Forst- Strassen angelegt sind und der Wald durch ein dichtes Schneisennetz durchzogen ist, sind diese alten Wei^e, soweit sie nicht seihst als Strassen ausp-eb iut wurden, länjrst wieder 2U Wald f:eworden und werden kaum mehr als Fussptade benutzt. Sie waren eben nichts als die Linien^ welchen die Fuhrwerke auf dem ebenen Terrain zu folgen ptl^en, und unterschieden sich von dem benachbarten Gelände nur dadurch, dass der Verkehr mit dem Fuhrwerk keinen Holzwuchs auf- kommen Hess. Die Reparaturarbeiten beschränkten sich, wie die Holzabgabe an Surburg im Jahre 1545 beweist, selbst bei Heerstnissen auf das Ausfüllen der Schla<rlöeher mit Holz und bestenfalls auf die Ableiiun^r des Wassers durch Gräben.

Ebeasowenifr wie über die Lage und Ausdehnung der einzelnen Forstorte fmden sich in den Urkunden auch nur Andeutungen einer Beschreibung der auf ihnen vorhandenen Bestockung oder ihres Bodens. Die Beschreibung des Forstes von 1560 beschränkt sich auf die Angabe seiner ungefähren

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Läiu^e iiiul Breite in Meilen iirul die Zaitl der Schweine, die er ernährt. Sein Flächeninhalt igt nirgends an^e^^eben und auch niemals ermittelt "worden, ebensowenig ilerjenige einzelner Teile. Selbst die Entfernung der einzelnen Grenzsteine von einander ist auch nicht schätzungsweise angefahrt.

Das Haupteinkommen aus dem Walde lieferte nach wie vor die Mast- und Weidenulzunj? und die lliigeii für Weide- trevel, »lie jetler Teil für sirh vpreinnahmte und buchte, üie auf dem Waldhause vereinnahmten Sti-afgelder für Holzfrevel und Holzgefalle waren so gering, dass ein t^rosser Teil auf dem Waldhause seihst verzehrt wurde. Sie ertrugen 1554» dem ersten Jahr, aus dem eine Abrechnung vorliegt, im ganzen nur 124 flf i8 ß 6 und davon wuixlen 21 4 ß 7 ^ auf dem Waldhaus verzehrt, 1 S erhielt der Schreiber, 33 flf IB ß 5 ^ wuidei) (lern Landvo^rt, 2^2 16 ß 11 der Stadt hera.is- hezahll, d»Mi Best s( heineii die Förster als Weis- uml Hügegeld erhalten zu haheii, und als 1591 der alte Gegenschreiber starb, da zeigte der Zinsmeisler an, derselbe habe niemals Rechnung gelegt und habe die Einnahmen immer a auf sein Gehalt ge^ nommen», ohne eine Aufschreibung darüber zu hinterlassen. Die Einnahme war also wahrscheinlich geringer als das Gehalt des Gegenschreibers, d. h. des dem Range nach vierten der auf dem Waldhause amtierenden Beamten (B.-A. C 88). Da- gegen erlöste die Stadt durch die Verpaclitun;,^ der Mastnutzunj^ in ihrem Anteile 1520 612 Gulden, der Landvogt 1545 lur diejenige in der Struth KJO ß = M S 10 ß, 1551 für <lie Nfast im Oberwald 240 tl., 1503 für den Naeheckerich und die Weide bis Georgi im Niederwald 325 £1., 1578 aus Ecker- und Weidefreveln 7 ff 11 ß« In der Nachweisung, der letztere Zahl entnommen ist, ist angegeben, dass der Defamen für 2 Schweine in 68 Tagen 1 flf 13 ß betrug; für unbefugte Pferdeweide ist eine Stiale von 3 ß für das Pferd angesetzt, für unhetu^tes Auflesen von Eicheln eine solche von 5 ß. 159U wurde «ier Dechein auf 3 Batzen für das Schwein festgesetzt.

1 Die «Zehning so 1539 vff den Eckern im Forst gangen» kostete allein 14 fi^ 10 ^.

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In welcher Ausdehnung die Evkernutzung ausgeübt wurde und van welcher Wichtigkeit dieselbe damals überhaupt war, mag daraus ersehen werden» dass im Mastjahre 1581 die Statt-

lialterei der Landvo^'^toi mitteilte^ dass die Regierung, Kammer und Bür^er!«chat1 des in der Luftlinie über 80 Kilometer von dem Foröt entfenjt»Mi Stä<ltcheus Ensisheim Sehweine die Bürgerschaft 300 Stück in deuseiben gegen Bezahlung ein« treiben wolle, und dass der Herr von Ortenau im VoUmastjahre 1G05 seinen Unterthanen von Achern und OUerschweyher in Baden befahl, ihre Schweine in den Forst einsutreiben, was dieselben jedoch zu thun verweigerten, weil sie fürchteten, die Herden nicht ungefährdet über den Rhein bringen zu können (B.-A. C 88).

Die Vei-\valtung und Recht.spfle^^e hesoij^teii .seitens der Stadt wie vorher zwei Mitglieder des llates, meist Aitstett- meister und Altraarschalke (d. h. ehoniaIi<^e Stettmeister und fieigeordnete), manchmal auch die regierenden Stettmeister und Marschalke im Nebenamt ; sie führten den Titel Waldmeister oder Waldherren; ihnen standen jedoch bereits 15S3 nicht mehr drei, sondern vier Förster zur Seite, Ober deren Besol- dung keine Aufschreihung vorhanden ist.

Die Stelle des 1 iiHlvöglischen Waldmeisters oder, wie er zeitweise» auch j^^en.vnnt wird, Forstmeisters vorwaltote, a]>^r^'seheM von der kurzen Zeit der Wirksamkeit Bozh»Mmsj lies von dem ptälziächen Kurfürsten eingesetzten a obriäten Aufsehers der F6rsteri von 1531, der Zinsmeister. Ihm waren vom Land- vogte gleichfalls 4 Schutzbeamte beigegeben, welche anfangs wahrsch^nlich sämtlich den Titel c Forstknechte » führten, später aber zum Teile Holzforstknechte oder Holzförster, zum Teile <.c\\ iliipretslorstkueclite » oder Wildtorster hiessen. Letztere waren hoiier l>esoldet und iiatten walirscheiiilich auch einen höheren Rang, wenigstens beschwerte sich der oben erwähnte Wildförster Meybreckli 1605, dass ihm der Zinsmeister nur das Gehalt eines Hohtförsters auszahlen wolle.

Die Bestallungen dieser Forstknechte Hessen manchmal lange auf sich warten. Sie wurden in einer Form ausgefeilt»

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Rocky 8 Fuder Hdz^ den freien Eintrieb von 4 Schweinen^ i2 Hühner und verschiedene sonstige auf zusammen 19 fl.

geschätzte Nebenbezüge, und endlich bei Geschäften ausserhall> der Landvojrtei 30 kr. Diäten. Sie waren abei- verpfliclitet, sich ein wohlgerusteles Pterd zu halten und « Füchsen, Harnisch und Knebelspiess und was sonst zu gueter Rüstung gehört » anzuschaffen und zu unterhalten. Es wurde ihnen zur beson- dere Pflicht gemacht, die Holzabgaben abwechsehid aus dem landvögtisdien und städtischen Teil zu machen» damit darii» cain gleichait gehalten werde». Werde diese Gleichheit von den (städtischen) Waldmeistern nicht beachtet, so haben sie dem Zinsmeister Anzeige zu erstatten. Ausserdem \v;tren sie zum Jaj^^dschutz verpflichtet. Die Wildpretsforstivnechte erhielten nach einer Bestallung aus dem Jahre 1573 an Bargehalt^ Sold vnd Kiefergelt, auch Korn, hew vnd Beschlaggeld » 46 rheinische Gulden^ den Gulden zu 63 kr. gerechnet, und sonst die gleichen Bezüge wie die Holzf5r8ter. Ob sie nur Jagdschutz zu üben hatten, ist aus den Urkunden nicht er- sichtlich.

1608 wurden die Geh;iUci beider Beamtenklis^fn um je 0 11, Geld und 4 ß für Hafer erhöht. ' Die Hinterla- enen er- hielten, wie aus der Eingabe einer Försterswitwe aus 159& hervorgeht, noch einige Monate das Gehalt ihres Mannes und später < Provision », ohne auf beides gesefzlicfaen Anspruch zu haben.

Nach einem aus der Zeit zwischen 1490 und 1518 stammen*

den Eidesformulare waren die landvögtischen Förster verpflichtet^ alle Werklage und «zurwillen vff die fiertage oder wan es not- turitig ist oder sif^ ye ^^eheisseii werdent, Es werr den das sie libs nott oder ehaüliger sach daran gerete ) in den Wald zu reiten und keinen Uebertreter der Gesetze zu schonen

^ Die Endabeimer Regierung scheint in der vorhergegangenei> Zeit sehr sparsam gewesen zn sein. Bei jeder Erledigung in den 90er Jahren frag dieselbe an, ob die Stella anch nötig sei. Die Nachbarförater massten dann bis zur Entscheidung den Dienst ver» gehen.

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dem Oberlandvogi als Miteigentttnierm behandelt, wenn audb^, abgeseßen von der dem Kaiser zu Gehdr geredeten einmaligen Bemerkung, dass der Forst Eigentum des Kaisers und dn Teil seines Kammerguts sei, das Wort Eigentum oder Miteigentum nirgends ausgesprochen ist. In einer von landvögtischer Seite ausgehenden Urkunde von 1586 sind beide Teile als Wald- genossen })ezeichnet. Man begnügte sich eben aut i)eiden Seifen mit der Thatsache des Mitbesitzes, oiine sich auf theoretische Erörterungen über die Natur und den Umfang dessell>en einau- lassen, und jeder Teil war bemüht, sich praktisch nötigenfolls mit Gewalt den grdsstmöglichen Vorteil aus dem gemein- schaftlicfaen Besitze zu sichern^ ohne dabei skrupulös die Rechte des Mitwaldgenossen zu wahren.

Die Stadt war ab< r tliatsachlich weit davon entfernt, die Hälfte der Nutzungen aus dem Forste zu beziehen. Die Tagdnutzung und die Strafen für Frevel an Buchen und Birken standen dem Landvogte allein zu, die Eckemutzung und die Strafen für . Weidefrevel, wie wir gesehen haben, die beste Einnahmequelle jener Zeit, hatte er in dem nicht nur grosseren, sondern auch weitaus besseren Teile des Forstes allein su besiehen, und wenn die Stadt aucli dort das Recht hatte, ausserhalb der Maslzeit ihre Herden « iitzLi treiben, so hatte sie doch nicht wie der Landvogt die Befugnis, dort die Weide zu verpachte{i, und selbst von den Einnahmen auf dem Waldmäuse bexog der Landvogt, wie die Abrechnung von 1554 beweist, den grösseren, den der Stadt um die' Hälfte übersteigenden Teil. J>er ideelle Anteil der Stadt an dem Forste betrug in jener Zeit mit an* deren Worten nicht wie jetzt die Hälfte, sondern höchstens zwei Kiiiiiu l desselben.

Die gesetzgebende Tliätigkeit in Bezug aul den Forst be- schrankte sich in der österreichischen Periode auf den Erlass einiger weniger gemeinsamer Verordnungen, unter denen die Vorschrift, dass bei BauhoLmbgaben die Gel&ude vorher besichtigt werden sollen, die wichtigste ist*. Wann sie erlassen wurde, ist nicht mehr nachzuweisen; 1531 bestand sie bereits zu Recht. Die von den Land \ögti sehen wiederholt angeregte Revision der

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Waldordnungen kam nicht zu stände« Die Stadt, als der Teil, der am meisten Gelegenheit hatte, seinen tbatsächlicben Besitz- stand aussudehneB, zeigte keine Neigung, durch Verbriefung des bestehenden ihren Beslrehun;,'t'n eine schwer Oberschreitbare

Schranke m setzen. In jenen unruhigen Zeiten wnr für die am Forst«' j-il/.ende Stadt auf dem Wege der Usui [> aUon mehr zu ('iTei(h«Mi als auf dem Wege der VeHiandlung, in den die Stadt überhaupt nur eintrat, wenn sie ^ioh erworbene neue Rechte verbiiefen lassen wollte. Die Geschichte der nächsten Jahrzehnte hat die Richtigkeit dieser Rechnung seitens der Stadt bestätigt.

Die in den vorhergehenden Perioden ungeman hohen

Strafen für Forst verg^ehon waicn, da sie stets in dem gleichen nominellen lietn-t' t'iiioi)en wurden, gegen Schluss der Periode infolge der zunehmenden Verschlechterung des Geldes und der gleichzeitigen Abnahme seiner Kaufkraft nicht mehr im stände« den Forst wirksam gegen Eingriffe zu schätzen. Eine Strafe von 5 ff, welche in Schillingen von 1436 bezahlt dem Betrage von 64 Mark in unserem Gelde gleichkam, bedeutete in Schillingen von 1648 erlegt wenig mehr als 4 Mark. Die Sirafe betrug also selbst abgesehen von (\ov Abnahme des Geldwertes iGk^ nur noch etwa ein Funtzelmtel der Strafe, welche der Gesetzgeber 1435 beabsichtiget hatte. Trotzdem wurde kein Versuch gemacht, die Gesetzgebung mit dem Münzfuss in Uebereinstimmung zu bringen, oder vielmehr er scheiterte, wie es scheint, an dem Widerstande der Stadt.

Die von dem Rate allein erlassenen Verordnungen regelten in der Hauptsache nur den Verkehr mit Holz und Wild und suchten der Verteuerung lieider in der Stadt mit allen Mitteln vorzubeugen.

Mit der österreichischen Periode war die alte Zeit für den ^^orst «u Ende.

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BEITRAGE

CUR

LAJNDES- UiND VOLKESKUNDE

ELSASS-LOTHRI^GEN

IX. HEFT

KliCHTS UM) WlRTSCliAFTS-N ERI ASSUNG ,

HKS Ain KlUKiJiKTKs MAURSMirNSTKK WÄIIRF.ND DKS MITTEI^At/i KKS

VON

Dr. AUG. HERTZOG,

STRASSBÜRG J. H. Ed. Hcitz (Heitz & MUndbl) r888

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Im Verlage der unterzcieiiiieteu Veriagsliatidluug erscheint unter dorn Titel :

Bh:i i HAGE

ZUR

LANDES- UND YOLKESKÜNDE

VON

BLSASS-LOTUHIK<iEN

in ZNvan«^los(n- VuV^r Abliaiidhiii^U'ii liud MiUlKMiungen aus dem Golnete der (ii.'scliielite mid Litteratiir- geschiclite von Elsass und Ijolhriiigeii, Beiträge zur Kunde der natürlichen ^j' ^ji-aplii sehen BesehaPfen* heit des Landes, seiner Bevölkerung und seiner Bevölkerungsverhidtnisse in de r Gegenwart und in der Vergangenheit, seiner Altorthümer, seiiKT Künste und kunstgewerblichen Ei'zeiignisse; es sollen daneben selten gewordene litterarische Denkmäler durch Neudruck allgemeiner zugänglich gemacht, und durch Veröffentlichung von Krliebungen über Volksart und Volksleben, iihov Sitte und Brau4di der Stände, über A.biTglauhen und üeberlieferungen, aber Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- lotlnnngischen Volkskunde l)erördert werden. Aiier- bidungen von, in den luilnnen gegenwärtiger Samm- Inng sich fügenden Beiträge werden den Unter- zeichneten jederzeit willkmumen sein.

Die ersten Hefte enthciUeii folgende Arbeiten :

Heft I.: Die dmtsch^französische Sprach'^ grenze in Lothrinqen von Gonst. This. %\ 34 S, mit einer Karte (l : 300.000). M 1 50

Hielte U ritte Seite fies UmscMags,

üiyiiizoa by

RECHTS-

UND

WIRTSGHAFTS - VERFASSUNG

DES ABTBIGEBIETKS

MAURSMÜNSTER

WÄHREND DEÖ MlTTiOALTEKS.

VON

Dr. AUG. UE&TZOG.

STRASSBURG h H. £D. UEITZ (H£ITZ & MÜNDEL).

1888.

INHALTSVERZEICHNIS.

Seite

Vorwort , _ ^

Einleitung

Topographie und Geschichte der Mark IQ

Die Hofgenoüöeuschaft 13

Die persönliche SteUnng and das ünterthanenverhültnis der Klosterbaaern

Die Ai-ten des Besitses in dar Hark ^3

Das Allod 20

Die Kolonie 20

r>as Beuefiziuni 93

Die Ansiedlung aud die Güterverteilang 24

Realla&ten 2^

A. Die grandherilicheu Lasten . 26

B, Gmndlasten dee dUentliclien Rechts Bi

Die wirtschaftliche Organiaation der Mark Maaismfinstcr . 35

Der Fronhof ^

Die administratiTe Einnchtong 3g

Die Hofbeumten

Der Marbchaü ^

Der Kümmerer 43

Der Kellerer 44

Der Caucellarius 45

Die Kflnstler nnd Handwerker 46

Die Betriebseinrichtnng der Villa :

Der Maursrnflnsterer Ontsbetrieb 47

Die Gutsbeamten .... 49

Der Meier 5O

Des Meiers Buttel

Die Förster 54

Der Gehalt der Seelsorger 55

Das Markt-, Münz- und Handelswesen m der Mark 56

Weide-, Wald-, AUmend-Ordnnng, Wataer- und Wegebau ... 73

SchnU und Kirchenweeen 7g

Die Gerichtsorganisation der Mark Manremünater 83

Beilagen 95

Das St. Qniriner Hof recht gg

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VORWORT.

Eine Reihe von Vorträgen^ welche s. Z. der Vei^fasser im staatstvissenschaftlichen Seminar zu Strasshurg ah Mit- glied desselben über die bäuerlidien VerliüUnisse der Mark Maursmünster wäJtrend des Mittelalters, auf Anregung seiner hochvereJuien Lehrer und Leiter desselben, gehalten hat, wurden die Veranlassung zur vorliegenden Untersuchung und Darstellung de»* ,y Rechts- und wirtschaftlichen Verfas- sung dieses mittelalterlichen Ländergebietes. Anfänglich sollte sich die Darstellung oUem auf die bäuerlichen Ver- häUnisse in wirtschaftlicher Beziehung beschränken, jedoch im Laufe der diesbezüglichen Studien und Nachforschungen kam der Verfasser zur üeherzeugung, dass die wirlschaft' Uehe Verfassung eines Gebietes nicht erUdahar und ü0r- ständlich ist, ohne auch dessen rechdiehe Verfassung als die Grundlage und Bedingung vider wirtschaftlicher F^r- hälinisse und Einrichtungen erkannt zu haben. Dies ist der Grund, warum auch die Geriehtsorganisation in der Mark zur Betrachtung gezogen wurde,

F&r di^enigen Leser, wdche von vornherein geneigt vmren, in dieser Arbeit bis jetzt noch Unerforschtes erklärt zu finden, mOssen wir gleich im voraus hier bemerken, dass neue, der bishengen Forschung nicht entsprechende Thatsachen und Einrichtungen nicht geboten werden. Wir finden darin nur die überall geltenden Normen und Insti' tutionen des deutschen Privatrechts im Mütdalter, auf Grund lokaler Urkunden aus der Mark Maursmünster dargestellt.

Und das eben war die Absicht, mit ivelciier der Verfasser an diese Dcifstellutig iierangegangen ist»

Manchmal mitsste, nm das atigefangene Bild zu vervoU" ständigen, das Felüende in den Maursmvinster sehen Ur- kunden auf; Dokumenten^ welche von anderen Klostergehieten des Mittelalters herrühren, heranffezogen werden, in der gewiss richtigen Ansehanxmgy da<:< die Organisation überall einheitlich nach denselben Normen durchgeführt worden ist. So viel wie möglich hat jedoch der Verfasser dies zu ver- meiden gesucht und nur diejenigen Gegenstünde behandelt, welche er als sicher bestehend in den betreffenden Urkunden erkennen konnte.

Vollständigkeit nach allen Seiten hin kann natnrUch der Verfasser für seine Arbeit nicht beanspi*uchen, indem er zu gut weiss, dass der reiche Urkundenschatz des alt- berühmten Klosters, lange und eingeliender ausgebeutet, noch mehr dargeboten liätte zur Vervollständigung der hinter- nommenen Darstellung einer mittelalterlichen Ho f mark- genossenschaft ; jedocJi liaben ihn seine bisherigen Beruf s- arbeiten daran gehindert»

Den hochverehrten Lehrern, den Hennen Professoren DDr. Knapp, Br entan ound Schröder, sowie dem Bezirksarchivdirektor Herrn Dr. Wiegand sei hier des Verfassers aufrichtigster Dank dargebracht für die Teil- nahme und Anregung, wodurch sie die unternommene Arbeit merkUch gefördert haben.

Geherschtoeiery im September 1S88.

Dr. AUG, HERTZOG.

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Um die Gegenwarf richtig zu eikeniien, muss man die Vergangenheit auch wissen.

Nicht in Sprun^n geht die Entwickiang ä&f Gesellschaft vor, ein Ereignis bnngt das andere mit sich; von den ältesten Zeiten bis auf unser Jahrhundert hängt alles enge zusammen: Glied an Glie'l .rorciht bildet die soziale K^twicklungsge* schichte eine ununterbrochene Kette.

Manches, was uns heute aus früherer Zeit unseren heutigen Begriffen gemäss widernatürlich, widerrechtlich erscheint, hört anf, diesen Eindruck auf uns zii machen, wenn wir durch die Kenntnis der geschichtlichen, steten und langsamen Ent- wicklung die rechtliche und wirtschaftliche Begründung über^ lebter Institutionen kerinon gelernt hal)»>T)

Nachdem sich die Stürme des vorigen Jahrliundeits und der ersten Jahrzehnte des XIX. gelegt hatten, nachdem diese des Alten gar vieles verwischt haben, war es den Menschen ¥rie beim Erwachen aus einem langen schweren Traume. ESn neues Lehen hatte das alte Leben ersetzt , und man fragte sich nun: Wie war es denn früher? Während des thiitsächlichen Frl«'h«>ns der alten Institutionen durch unsere Voreltern wunle nie gefragt, wie, warum ist es so? Man glaubte fest, es sei immer so gewesen, und es müsse aucii immer so bleiben. Die mächtigen sonalen Erschötterungen einer kräftigen Sturm- und Drangperiode lehrten aber, dass dem nicht so sei. Nachdem Friede und Ruhe räckgekehrt waren, kam auch das sich Be- sinnen : Wns war denn vmher, wie hatte es sich entwickelt und also gestaltet, und warum hat man damit aufgeräumt, und hat man nicht vielleicht in allzugrossem Eifer zu gründlich aufgeräumt mit dem Alten, hat man nicht vielleicht, was jetzt noch gut wäre, zu radikal zu Werke gehend, beseitigt?

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Aus diesem Drange nach Aufklärung der alten Verhältnisse entsprang im Anfang unseres Jahrhunderts in Frankreich ^e

in Deutschland, zuerst aber in dem letzteren Lando^ die ge- achichtlicbe Snhule der Rechts- und Sfaalswissenschaften.

Deutsche Gelehrte wie Grimm, Eichhorn und viele andere, die hier zu nennen zu lange wäre, gaben durch ihre epochemachenden Untersuchungen den stärksten Anstoss zu diesen Studien.

Die Untersuchung der ländlichen Verhältnisse während des Mittelalters bildete einen wichtigen Gegenstand des Studiums vieler Gelehrten. Wir nennen hier nur die herv-orrag^enden Arbeiten Antons, Langethals, von Waitz und Maurers, und anderer mehr.

In Frankreich hat sich Guerard um. die Aufklärun^j länd- licher Verhältnisse im Mittelalter grosses Verdienst erworben durch die Herausgabe des Polyptychon Irminonis, welches er mit einem sehr gelehrten Kommentar begleitete. Seither hat man auch dort über" den Vo'j-osen fortgefahren, diese Fragen der länd- lichen Verfassung- ginindUchen Forschungen zu Grunde zu legen.

Auch unser Elsass hat einen wackern Forscher getunden in der Person des Abb6 Ranauer, der mit wahrem Benediktiner- fleisse die freie Zeit, welche ihm dn' beschwerliches Lehramt bot, verwendete, um die Landesarchive zu durchsuchen und die wirtscliaftlichen Zustände unserer Provinz während der vielen vergangenen JHhrhimdcrte unserer Ge'-cliichte jxründ- lichen Studien zu unterziehen, der auch aiis-ezeichnete Werke über die früheren Bauernzustäude geschiieben hat und, tiamit nicht zufrieden, eine grosse Reihe elsässischar Weistümer publizierte.

Wenn man all diese grossen, mehrbändig^en Forschungen diirrliliest, welche eine reiclie J^'ülle von Angaben und That- saciien entlialten, welche einen aufmerksamen Leser von Land zu Land führen, so entgeht einem wie man ^^agt die <TVue d'ensemble». Besser ül>erblickt mau die Zustände jener Zeil, wenn man diese in den Urkundenschätzen einer einzigen und kleineren Landschaft aufsucht.

Es möchte beinahe überflüssig erscheinen, über Bauern- Verhältnisse, nachdem solche GHlplirte bereits darüber ge- schrieben iiaben, noch melir schreiben zu wollen. Es ist aber gerade die erwähnte Thatsache der Grund unseres Unter- nehmens.* Wir wollen es verbuchen, in dieser kleinen Arbeit ' die Baüemverhältnisse während des Mittelalters in dem Gebiete der Klostermark Maurusmünster darzustellen, deren Archive die vollkommenste Ausbeute an Dokumenten jener grauen Zeiten darbieten.

Wir werden natürlich dem Gelehrten und dem kundigen Laien nichts Neues nutieiien können; aber gerade weil wir ein

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einheitliches, kleines Gebiet unseren Forschungen unterziehen, glauben wir dem Le<fi' unserer Arbeit dies vorerwähnte Gesamtbild bieten zu können.

Unsere Betrachtungen sollen sich auf die Periode vom IX. Ms suin Ausgange des XV. Jahrhunderts beziehen.

Die Quellen, die uns zu Gebote stehen, befinden sich alle handschritUich auf dem Bezirksarchive des Nieder-Rhein zu Strassburjr und sind teilweise abgedruckt in Herrn Han ^iors c Constitution des ciimpagnesd'Alsace, 18ü4» sowie bei Schuepüin, «Alsatia diplomatiai ».

Folgend die Aufzeichnung der benutiten Uri^unden :

1* Charta Weraeri ahbatis v. 1166.

Copia membranacei Anselmi 1 (1146 1154).

3" Eine /wischen dem Abte und dem Vogte vertragamässig festgestellte Markvorffssung von 1163.

4" Ein ausfüln lirlies Güterverzeichnis der Abtei Maurus- munster, in den Auiagen tabellarisch mitgeteilt, aus Schoepflin, c Alsatia diplomatica >, von 112D,

5p Ein Jahresspnicb von 1471, aufgezeichnet mr Zeit Abt» Anastasius von Maurusmfinster über die Bauernrechte des zur Abtei gehörigen lothringischen Klosters St. Quirin, auf dem Bezi rksa rc 1 1 i ve vorge f u ii d e n .

Forner wurden von uns benutzt noch viele handschriftliciu" Urkunden neueren Datums, welche aber ausdrücklich aussagten, dass sie von alters her übernommene Gebräuche und Rechte enthielten, welche wir in den Anlagen unserer Arbeit beilegen werden.

Ein Teil der vorUegenden Markordnungr st nntnt ofTenhar aus dem IX. Jahrhundert, wie dies aus folgendem Zeugnis Herrn Hanauers als erwiesen hervorgeht.

Hanauer sagt: cich durchging eines Tages die Schriften eines Prozesses in dem Archiventbnds Hanau*Lichtenberg (E. 2821); da fand ich zu meinem grossen Erstaunen einen Auszugs aus der Maurusmünsterei* Markverfassung von 828, es sind dies die §§ VI, 4 und 5; XI; V, 17 und 18 unserer Urkunde von IKi.'^. »

Der ^ V bezieht sich aber aul die Dinghofvert'assung, ist somit die c Dincrotel also eines der für unseren Zweck wich- tigsten aller Dokumente.

Das Jahrgeding Abts Anastasius* ist eine der vollkommensten Hofrcchtsurkuuden, die uns aus elsassi-chen Quellen zur Kennt- nis <relan<:ten. Sie ist eine wahre kodiäkation der Bauern- rechte von St. Quirin.

Die uns vorliegenden Urkunden sind beredte Zeugen der Vergangenheit, welche Stürme und Revolutionen im Elsass nicht zu zerstören vermochten ; in ihnen werden gleichfalls die Gestalten der bäuerlichen Ahnen, der geschäftigen Ministerialen

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eines trelflich verwalfrt'Mi KInstei'wesens, iiuf' ihren Griibern hervorgerufen, und sie geben tteni Rufer Gehör, sie erzählen ihm geschwätzig, wie mau zu liueii Zeiten leibl' und lebte. Wir lernen daraus nicht allzusehr alle Freiheit den Revolutionen, die unser Vaterland heimsuchten, zuzuschreiben. Mit welchem Stolze geben nicht die Weistümcr Zeu<,'nis der alten Freiheit des Bauern? Wfirdf^ vielleicht nicht nianclier unserer Bauern, wenn er es noch könnte, vorziehen, unter der milden und ge- rechten Verwaltung des Krummstahes, hei massigen Abgaben, wie wir sie erkennen werden, zu schalten und zu walten auf einigen c Acker» Klostergutes, als auf seinem jetzt freien Eigen^ tume, welches aber in unseren neuesten Zeiten wiederum sehr stark belastet ist.

Die Bauern, heisst es oft, waren «corveables et taillables ä nierci»; unsere Urkunden Maurusmünsters beweisen dies nicht. Die Abgaben sind darin so gut geregelt, so fest geonioet, als sie es heute durch unser Budgetrecht sein können.

Man muss sich deshalb wohl hüten vor Uebertreibung bei der Beurteilung alter Verhältnisse, auS Hass zu Institutionen, die nur in ihrer Degenerierung den Fluch der Nachwelt ver- dient haben, man sei bereit, auch nn diesen überlebten sozialen Formen das wirklich Gute anzuerkennen.

Doch wolle man auch nicht, in zu optimistischer Weise, wie es manchmal Hanauer thut, diese alten ökonomischen Ver- hältnisse zu schön darstellen. Jede Zeit hat andere Masse zu anderen Urteil<>n über die Verhältnisse; die heutigen kann man sehr oft nicht auf die alten Zustände anwenden.

Die ökonomischen Verhältnisse besonders hängen THcht allein von einer Verfassung ab; tausendfach sind die Fakluren, die auf sie einwirken, und anders hei jeder Generation. Nicht ganz so verhält es sich mit den rechtlichen Stellungen, welche die Bauern einnahmen; von diesen ausgehend, lässt sich sehr oft auf unsere Zeit ein richtiger Schluss ziehen, hier dürfen und können wir schon eher sagen : die jetzige Bauemfreiheit ist keine durchs XVIll. Jahrhundert erfundene Idee.

Topographie und G^chiohte der Mark*

Die ff Marca A(|uilejai> so ist ihr fnÜMM-er Name - entspricht nhnpeföhr dem heutigen Kanton Manrusrnünsler im Land^^erichtsln zirk Zabern. Ihr Boden, ziemlich fruchtbar, ist meist ^ebii^ii,^ und waldreich. Einige kleine Bäche durch- fliessen ihr Gebiet, darunter am wichtigsten der Mosselbach, der sich in die Zorn wirft. Dieser be^nenzte die Mark gegen Nord und Nordost. Ihr Hauptort, die Stadt Maurusmfinster, verdankt ihren Ursprung der ältesten Abtei des Elsass. Diese

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wurde gegründet im Jahre 590 durch den heiligen Leobard^ einen Jünger Columbans, der jlas irische Kloster Benkor ver- iiess, um sirli hierzulande in den Vogesen niederzulassen, allwo er mehr le Kloster stiftete.

Chiliiebert II. . machte diesem Hause eine heträchthciie Schenkung mit einem ausgedehnten Siriche Landes, was da- mals noch öde bg. Die Schenkungsurkunde, abgedruckt in Schoepflins cAlsatia diplomatica» (T. I, p* 20) nennt und be- schreibt genau deren Grenzen. (Hierüber zu vergleichen : (Hese Urkun'le sowie ein ^eschicliilirb-topo^q-aphi-rhrr Aufsatz von P. Ristellmliei ivu Bulletin des monuments historiques d'Alsace, Ann6e Iöü4, 2 Livr.)

Unter der Regierung des heiügen Maurus verbrannte das Kloster, wurde durch ihn wieder hergestellt und erhielt von Theodorich IV., König des Frankenreicli- (720 37), eine neue Bestätigung der früheren koni-rürhcn Schenkung.

Nach dem Zcii'^mis dieser Bestati^mn^'^surkunde war die Mark früher eine A\ ildnis, als solche zum « Folcland » gehörig, i»o das.s der König nacii altdeutschem liecht frei darüber ver- fügen konnte.

Von nun an hiess das Kloster nicht mehr cLeobardi Cella»; da Maurus als der neue Gründer der Abtei angesehen wuiMle, gab man dem Gotteshause den Namen Maurimonasterium» welcher aut die ganze Mark überginp^.

Im Jahre 827 verzehrte das Feuer abermals Gebäude uii(i Archive; da wandte sich der Abt Gelsus an den frommen Kaiser Ludwig, der seinen Bruder Drogo, Bischof von Metz, beauftragte, das Gotteshaus wieder herzustellen. Dieser that es auch, unterwarf aber das Kloster Maursmfinster seiner Ober^ herrschaft.

Von da an hatten die Bischöfe von Metz die Pllicht, die Abtei zu beschirmen. Diese übertrugen aber die Schirnivogtei einer mächtigen Dynastenfamilie d^ Wasgaues, den Herren von Geroldseck. Diese Vögte beschützten ihren Mündel so vor» trefflich, dass nach etlichen Jahrhunderten nichte mehr übrig blieb, das man hatte den Mönchen entreisscn können.

Doch im XII. Jahrliuiiderf war man nocli nicht so weit gekorninen. lieber das (lamalij^e Vermö'^en dos Klosteis Itt reichen Aufschluss ein Guterverzeichnis aus dem Jaiiie 1120, mitgeteilt durch Dan. Schoepflin, cAls. Diplom.i, T. I, p. 197.

Nach diesen geschichtlichen Vorbemerkungen können wir jetzt zur näheren Betrachtung der damaligen Agrarveifassung übergehen; es ist dies dif wirfsohaftlichc Verfassung jener Zeit: deren Aufgabe, die Lösung der sozialen l"'ra^»% und diese Frage ist die nach einer richtigen Güterverteilun^^ Die Sachgölcr sind das Blut des nationalen Körpers, sagt Prof. IL Soluo; nur ein wirtschaftliches Gut kennt die alte Zeit, es ist der Grundbesitz;

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die Agrar Verfassung ist die Grundlage der politischen Konsti- tution, die Form aber der l&ndlicbeii Verfitssimg iat die Mark- genossenschaft, die Landgemeinde als TrSgerin des wirtschaft- lichen Lebens.

In der- Mark bildeten die Dorfg-emeinden kleinere Unfer- genossenschatlen mit herausjjenommener Ackerflur, während lan^re noch, und bis in unsere jünjrsten Zeiten hinein, die Waldungen der Mark ungeteilt geblieben sind. Solche Marken waren über das ganze Elsass verbreitet, heute noch findet man Ueberreste davon auf verschiedenen Punkten unseres Landes. Eine solche Mark war auch Maumsmünster; Münster im Greg-orienthal bildet hi? in den Anfang unseres Jahrhunderts hinein mit einigen anderen Dorfschaften eine solche Ttml- gemeinde. Der Grundsatz, auf dem diese Ordnung beruiite, war folgender : Aller Grund und Boden, soweit er occupiert, gehört der Gemeinde, was noch nicht bewohnt ist, dem Könige. Doch konnten diese den cager publicus» nicht ^muz in ihr Privat- vermögen aufnehmen und selbst bewirtschaften; daraus er- klären sich die damali^'-en mirben Schenkungen an Klöster, Kirchen und Grosse des Keiches.

Anfänglich gab es nur Genossenschaften freier Bauern, von der Niederlassung der germanischen . Stämme an bis zur Gründung der Immunitäten durch oberwähnte Schenkungen der fränkischen Könige.

Nach diesen kamen die hofrechtlich orj^anisiorten Marken. In dieser Periode bilden sich die grossen Latifundien, welche einzelnen Herren angehoien, die ihren Boden dann nur mit Vorbehalt des «Dominium directum» dem Verkehre übergeben; die Ökonomischen Bedingungen sind nun verändert,: mit diesen bildet sich auch die gericlitliche Organisation nach und nach um sowie die rechtliche Stellung der Markjienossen. Nun ent- steht eine neue Organisation des landwirtschaftlichen Lebens, aus der Initiative des Klosters hervorgegangen, um die Erträjj^e 2u vermehren. Jetzt haben die Aebte eine intensivere Boden- kultur eingeführt, nach dem Beispiele Karls des Grossen auf seinen eigenen Hofgutern, «Villen»; nun herrscht statt der früheren Zweifeitler- die Dreifelderwirtschaft: Winterkorn, Sornmerkorn und Brache.

Daraus entwickelt sich auch in unserem Kloster die ire- werbliche borrechtliche Or^'^anisation. Die Natur der daniali^reu Wirtschaft, einer durch und durch naturalen Wirtschaft, er- heischte es, dass alles, was zu den Bedürfnissen der Gemein- schaft gehörte, durch diese selbst erzeugt wurde. Dies erforderte also ein technisch gebildetes Arbeitspersonal und schuf mit der Zeit das spätere Haiidwerkertum. Dies geschah, indem man die nun i.'-elernton Handwerke nach Aemtern, ' tninisteria^j, auf dem Hotgute veiteitte, zum Zwecke der Arbeitsteilung, damit

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auch der £ntwick1un>i: der kunst- und regelmässigen Technik. Die « Villa)), der Werdepunkt der späteren Doi fp:eme!nden, war dann von Handwerkern aller Gewerbe und daneben auch von hintersässigen Bauern zur Bearbeitun;! des Feldes bewohnt. Diese «cViUaj!> bildete die Hofgemeinde, welche einer durch den Herrn im Einverständnisse mit den Hintersassen diesen letzteren octroyierten Hofordnung unterworfen war.

Mit dem Entstehen der ungeheuer grossen Gutskomplexe der Immunitäten mussten die Hofgüter mehr in den Vordergrund treten, die hintersassip-e Mark musste naturgemäss hofrechtlich organisiert werden ; der Mittelpunkt dieser Hofgenossenschaften war der herrschafUicbe Hof, ccurtis dominica, curia, casa in- dominicata»« auf deutsch der «IMnghof», Fronhof.

. Die altfreie Markautonomie blieb nur soweit bestehen, als es der Grundherr für nützlich erachtele, in sehr vielen Fällen musste der alleinipre Wille des grossen Ei^aMitümers seinen Hintersassen gei^'^enüber zur Geltunjr gelan<ren , und dieser "Wille wurde als vertragsmässiges, hofrecbtliche:» Markrecht auf- gezeichnet; denn vertragsmtssig musste es sein, weil niemand gezwungen werden konnte, eine Oede anzusiedeln, wenn er nicht Sklave war, und fai^r in Maursmünster haben wir es nicht zu thun mit einem erobernden Grundherrn, der (V\e. ür- bewohner als Hintersassen auf ihrem eigenen Lande ansiedelt, sondern hier haben wir die vertragsmässig an freiwillig hinzu- gekommene Leute sozusagen verdungene Urbarmachung einer vom König geschenkten unbewohnten Waldwüste.

Wir haben es hier also mit einer li< i rschaftlichen Mark zu thun, die Bewohner dieser Mark sind Hintersassen des Klosters ; an der Allmende wie an ihren Huben haben sie nur Nutzungs- recht. Es ist und war nie eine freie Mark.

Welche Ökonomische Bedingungen schaffte nun den Bauern diese hofrechtUche Verfassung? Welcher Art war ihr ünter- thanenverhaltnis? Unter welchem Titel besaasen sie ihre Güter? Und welcher Art dnd die Leistungen und Abgaben, zu denen sie verpflichtet waren? Diese Fragen wollen wir zu beantworten versuchen. Das "Wirtsehaftswesen der Din^höfe und des Klosters werden wir sodann auch zur Betrachtung ziehen.

Alle Rechte des hintersässtgen Bauern der Abtei von Maursmunster entspringen somit in der Hofgenossenscbaft.

Die Hoigenossenschaft

war eine Folge der Grund- und Schutzhdrigkeit und der damit verbundenen Geschlossenheit nach aussen. Und zunächst war es wohl die Gebundenheit an die Scholle voh seiten der Kdon^

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und Schutzhöi i^^eii, was zu (.'iner Annäherung' dieser uiitei- sich und sodann nacli und nach zur BilduQ(|[ einer Geuoäseuscbaft selbst geiührt hat.»

Da ferner noch jeder Fronhot nebst seinem Gebiete nach aussen geschlossen also ohne Konsens oder wenigstens ohne Vermittlung des Schutz- oder Grundherrn keine eheliche Verbindung oder irg^end ein «Gommercium» mit Fremden und :äeit der erlangten Immunität mit den öffentlichen Beamten :$elbst kein direkter Verkehr statthaben konnte, so bildete jeder Fronhof ein tür die Grund- und Schutzhörigen völlig <^e- schlossenes Rechtsgebiet, in welciiem der Grund- und Schulz- herr im kleinen dasselbe ist, was^ der König im grossen für das ganze Reich. Zu dieser Ho^enossenschaft, und dies gewiss im IX. Jahrhundert schon, gehörten fme und unfreie Hinter- sassen. Zwar wurden anfangs die freien Leute nach dem Grund- satze der Personalität der Rechte noch immer nach dem eig^enen JStaniniesrecht l)eurteilt , jedocli verlor sich der Unterschied durch Heiraten der verschiedenen Stammesanfrehörioren und Stände sehr bald, so dass im XII. Jaiuiiundeil, zur Zeit der Aufeochnung unserer Dingrodel, Freie wie UnWe nach dem einzigen Hofrecht beurteilt wurden. Auch die Unfreien 'wurden auf diese Art rechtstahig.

Zudem, um hofrech tsfahig zu sein, war es nun nicht mehr nötig, Guter auf dem grund herrlichen Gebiete zu besitzen, die Hofliörigkeit hing bereits schon mehr mit dem persönlichen Hofvei'haride der Eingesessenen zusammen als mit dem Gruad- besitze, sie war aus einer realen nach und nach eine persön- liche geworden.*

Die persönliche Stellung* und das Unterthanen- Verhältnis der Klosterbauern.

Auch das germanische Recht kannte verschiedene Stel- lungen und Würdigungen der Persönlichkeit. Je nachdem einer höheren oder geringeren Standes war, wurden ihm seine Hechte zugemessen. Im IX. Jahrhundert finden wir in der

Mark Ma»ir;«mrinster drei Stande: den Adel, der aber nicht mehr der alte merowinj^ische Adel ist, nicht lilaues, sondern Bauernblut rollt in dessen Adern, e^: ist ein Beruls-, ein Amts- adel ; die freien Leute, «liben iiDunnes», und die Unfreien, «servi».

Neben den Geburtsständen treten in der fränkischen Pe- riode noch andere auf, welche diese durchkreuzen und teil-

' Vgl V Maurer: Fronhöfe I, pag. 477.

< Vgl V. Maurer: Fionhöfe UI, p. 118, § 451.'

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weise aufheben. Es sind dies die Berufsstände, denen wir in

den Dokumenten des IX. und X. Jahrhunderts begegnen.

Der ei>ste i^t der Hintersaasenstand , die homines , aus

Fivien und Unfreien zusammengresetzt , dt^r spHter den einen iiauernstand ei^eugen wii*d. Für den tVeiea Hintersassen exi- stiert noch im VIII. und IX. Jaln liundert (iie Wehrpflicht und di« Teilnahme am Graiengericht^ beide gehen aher später unter.

Einen sweitan Benifsstand finden wir in Blaursmünster, es ist der Stand der Vasallen, cWassin^ die berittenen Be- dienten des Grundhenn.

Hier auch können Freie und Unfreie sein, und aus diesen Vasallen bildete sich im XII. Jahrhundert der Ritterstand, d(?r in der Urkunde von 1163 ei wahnt ist. Hier sind diese Vasallen auf 24 gezählt : «environ vingt-quati*e Chevaliers et eruyers uui sont ses vassaux». II: Rechte des Bischofs vou Metz, 3.) Ihre Pflichten werden wir weiter unten kennen lernen.

Zu den Frden zähle ich den damaligen Beamten-, Ministe- rialadel, der sicli durch seine soziale Stellung bis zur vollen Freiheit heraufgeschwungen hatte. Die kleinfreien Leute wurden aber bald j^ezwun^'^eii, um sich von immer ^nösser werdenden Lasten zu befreien, sicli g^rösseren Grundbesitzern zu kommen- dieren, d. b. sie ubertrugen diesen das «dominium directum ihrer Güter und erhielten diese selbst wieder zur Nutaniessuug zurück. Dafür fibemahmen sie gewisse Leistungen and Ab- gaben, leisteten dem Ohereigentümer den Eid der Treue, Manneneid; homagium. So hatte sich der freie Hintersassen- «iland geldldet.

Gei^cTi (las TX. und <len AnfariLT des X. Jahrhunderts werden diese Leben erst erJjlicli. Ks ist dies der Zustand, der in Maurs- münster bereits im Jahre 828 vorlierrscht. Also bnden wir drei Arteü von Unterthanen des Klosters, nämlich die sog. «frigen», tfbarones», die schöffenbar- freien Xjeute des Sachsenspiegels, ferner die Kolonen, das sind die freien Hhltersassen, und endlich die Servi.

Diese letzteren heissen nacb der Natur ihrer Dienste oder ibrer Stellung «proprii, dominicales, oder triduani». Die Knecht- scbaft war aber mit der Zeit und unter dem Eintluss der christliclien Kircbe bedeutend erleichtert worden, denn wälaend in den ersten Jahrhun<lerten der fränkischen Pertode man die SerW noch einzeln als «mancipia» verkaufen konnte, kann man dies schon nicht mehr in dem Zeitabschnitt, den wir zur 6e> trachtung ziehen. Während ihnen die «Leges Barbarorum» keinerlei Rechte zugestehen, geniessen sie jetzt des Hofreclites, als Angehönge eines Hofgutes äind sie geschützt und «ge- friedet»).

Sie sind nunmehi «caddicüj» oder «adscriptix» glebae und können nur mit ihrem Boden den Herrn wechseln. Die ad-

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scripti i^^ebae waren nicht ei<^entliche Sklaven mehrj sondern vielmehr eine Art von Piichtern, welche den Boden für ihre eigene ilechnun^ bebauten und freiwillig in dies Verhältnis eingetreten sein konnten. Hier in Maursmünster sind es die Eigenhuber, welche so genannt werden, cweil sy iren lip iinde ir gut St. Martin lidetlichent hant ufigeben».

Die Bauern, welche auf kirchlichem oder klösterlichem Boden sassen, waren auch viel weniger bedrängt, sowie über- haupt alle Por^-^onen , welche im Dienste der Kirche standen ; sie ^^enossen gewisse iievorzu^^urigen als solciie. Obschon sie an sich nicht freien Standes waren, wurden sie doch nicht als Sklaven behandelt. Kirchendi^st war damals soviel als Be- freiung. *

Am Anfange des XII. Jahrhunderts ging hier in der Mark eine Revolution vor sich , welche die Stellung der Servi bedeutend veränderte und verbesserte, so dass sie von nun an sich von den anderen Hintersassen kaum mehr unterscheiden und nur noch den Namen trag^en , der hundert Jahre später selbst verschwinden sollte, bei der Befreiung der Landbewohner, die sieh un XIII. und XIV. Jahrhundert voUsog.

Hier ging diese Reform von statten ohne jede stürmische Bewegung, es waren einfach richtige ökonomische Bedenken und Ansichten, die wir auch heute noch als richtig anerkennen, welche den Abt cAdelo» bewogen, folgende Aenderungen in f?er Stellung der «servilen» Klosterleute vorzunehmen. Einsehend, dass nur die freie Arbeit wahrhaft nutzbringend sei , schaffte dieser einsichtige Prälat im Jahr 1117 die Frondienste der triduani ah und ersetzte sie durch mflssige Geldabgaben, die dazu dienen sollten, den Boden durch Tagelöhner bauen zu lassen.

In der Charta Anselmi I ist der Grund dieser Reform also angegeben : «Deliberato animo, communicato fratrum suorum consilio, pro inutilitate, pro incuria, pro torpore ac desidia curie servientium, triduamun commutavit servitium (abbas Adelo) ea conditione, eo teuere, ut quantum in censu, tantum pro servitio redderetur, sicque tamilloruni pudori, seu inutilitati qpsaa nostre consuleretur sumptuositati.» Zu deutsch heisst dies :

«Nach reiflicher Erwägung, auf den eingeholten Rat seiner Mitbrüder , hat (Abt Adelo) , wegen der Nichtsnützigkeit , der allzugrossen Sorglosigkeit, Trägheit und Faulheit der ilofdienst- leute, d. h. der Leute, die da hiessen . Domimcaies, den drei- tägigen Frohndienst also umgewandelt, dass hinfüro so viel als an «Gensus* (Zins) bezahlt ward , auch fOr den Dienst bezahlt werde, damit auf diese Weise sowohl ihrer Unehrenhaftigkeit oder Nichtswürdigkeit, als unseren allzugrossen Unkosten vor» gebeugt werde.» Hier ist in Bezug auf die Uebersetzung von «Pudorj» durch «cUnehrenhaftigkeit» zu bedenken, ob dies Wort

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nicht besser durch «Ehrgefühl)) zu übersetzen wäre. Es wäre dies ein sehr ehrender Grund für den reformierenden Abt Adelo. Konnte ein frommer guter Christ nicht auch durch die Menschenwürde seiner Servi einerseits und durch die Nichts- nutzigkeit einiger unter diesen überzeugt worden sein , dass diese Reform notw^dinf war zur Airwendung schlimmer Folgen der unentgeltlichen Arbeitsdienste derTriduani fOr das Kloster?

Dies sollte den Leuten jedoch immer nur als eine Gunst erscheinen, deshalb ist ihnen auch keine Verlängerungsfrist zur Entrielitunj^ gewährt wie beim Census ; denn wenn sie es ver- nachläs.sii4:en, m soll ihnen der Meier sofort ohne jefrlichen Auf- schub am füli;enden Tage uiine Hilfe des Vogtes oder des Schultheissen ^ also ohne gerichtliche Handlung, ein Pfand ab- nehmen» denn diese Abgabe soll zur Bebauung der herrai^fl- lichen Reben verwendet werden und wird für den Dienst^ den sie nach früherem Recht leisten sollten, eingezogen.

Von diesem Au^en}>licke an befinden sich alle Unterthanen des Klosters in denselben und gleichen Verhältnissen.

Im Jahre 11Ü3 hoisst es im Vergleiche zwischen Abt Konrad und dem Vogte Otto v. Geroltzecke :

Alle Bewohner dieser Mark sind frei von allem Kopfgelde (Ilalszinse) , nur die St. Martinsleute, die ausserhalb der Mark wohnen, zahlen noch: die Männer 4 Denare und 2 die Frauen. Dies war der Census der halbunfreien früheren Liti sowie der halbfreien Muntmannen, der früheren liberti oder der Ob- laten, wo mit diesen letzteren ein solcher etwa abgemacht ward.

Die Barones, sog. aFrigenj», Ritter und Edelknechte, die in der Mark wohnten ^ hatten för sich nach dem Grundsatze des alt- deutschen Rechtes ein Pairgericht und durften vor kein anderes gezogen werden.

Auch die hofhörigen Hintersassen, freie wie unfreie Leute des Klf^ters, hatten ihre Gericlitsversammlung, es war das so- genannte «zu Hofe sitzeni» ; jeder Hörige war gezwungen, dessen Sitzunjren ohne besondere Einladung beizuwohnen. Die hörigen Unterthanen des Klosters genossen ferner der Freizügigkeit, konnten sich aus der Mark ohne Erlaubnis entfernen. 'Es war die Pflicht des Vogtes, einem «armen Manne beizustehen, wenn er wegziehen wollte, wenn er anderswo sein Glück versuchen wollte». Nur wegen Schulden konnte ein der Mark müder Aus- N^nnderer znrnek^Ydinlten werden nder inusste Plunder hinter- lassen. Wie gross ist hier. der Unterschied zwischen Einst und Jetzt?

Die Civilprozessordnun^ des Deutschen Reichs hat denselben Grundsatz festgehalten bei Aufstellung des § 798: «Der per- sönliche Sicherheitsarrest findet nur statt, wenn et erforderlich ist, um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Yermdgen des Schuldners zu sichern.»

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In Frunkreich wurde die «contrainte |)at covps»' erst abge- schail't durch das Gesotz vom Juli i8()7.

Eine Folge der Freizüi^iirkeit musste auch die freie Ver- heiratun^r jieiu ; fridier dui ile ausser der Mark kein höriger Markgenosse sich veriiiälileii, denn dadurch wurde dem Grund- herrn eine wertvolle Arbeitskraft entnommen, deshalb ward dieser Akt an die Einholung seiner Erlaubnis gebunden.

Vermehrung der Bevölkerung, moralische Bedenken, be- sonders- die Vorschriften der katholischen Kirche mochten dazu l)eiget!'agen haben, diese Freiheit zu ^»■owahi-en. '^ie findet sich erwähnt in verschiedenen aiidcieu durch üerrn Hanauer heraus- gegebenen Bauernweistümern.

Ks gab dann auch gewisse Beschäftigungen, die nur durch Servi erledigt werden konnten j so scheint es nach der oben citierten Charta Anselmi I, dass die Triduani des Klosters Reben bebauten, und diese Thatsache findet man auch erwähnt im Polyptychon Iiminonis aus dem IX. Jahrhundert.^

Diese Bescliaftigungen dci' Servi waren meistens niedrij^ere Verriehtunjren, denen sich ein Freier nicht unt einziehen konnte, uline seineni Stande zu derogieren. Darauf beruht auch der Unterschied der Dienstesleist uugen der «uiunsi serviles» von denen der cmansi ingenui»; denn ursprünglich entsprach der Stand des Besitzers der Bezeichnung des besessenen Gutes.

Spater wurde der Unterschied der .Güter nicht mehr ein- ^^ehalten, so dass ein «litus» einen «mansus ingenuus», ein freier Mann einen cMan^in servilis» und umgekehrt ein Servus eine treie Hube besitzen konnte. Jetzt beruht der Unterschied der Leliubarkeit nur noch auf dem der Dienste und nicht mehr auf dem der rechtlichen Stellung der «homines», Hintersassen.

Nachdem wir nun diese persönliche Stellung der Unter- thanen der Abtei Maursmünster kennen gelernt haben, gehen wir jetzt über zur Betrachtung der Besitzverhältnisse der Kloster- liauern.

Die Arten des Besitzes in der Mark.

In iien Urkunden, die uns vorhegen, linden wir folgende liesitzgattungen erwäimt :

das AUod, als Teil davon das Dominium ; die Kolonie oder terra censilis; das Benefi^iuih.

* Im Oüterverzeichnis der Abtei Maarsmünstcr aus dem Jahic .1120 heisät 08 : « Apiid. Diinzenheim . . . mansa servitoria 28, solvit unamquodqae mansuiu äolidoä 5. De hm seiviaat 10, in con- ducendis foeno et annona, in putandis et fodiendis vineis, pMter hoe nnltmn aliud faciant servicium.»

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Dms AUod.

Das Eigentum des ftvien Mannes, frei von allen feudalen Lasten und nur den ün'entlicb-rechtlichen Verpflichtungen unter- worfen, hiess das Allod.

Die alten Volksrechle verstehen darunter nur das durch Kiiiöchatl aut den Besitzer übergegangene Eigentum. Nachdem aber die nicht erhli( h verliehenen Güter im IX. Jahrhunderl in den Händen der Besitzer erbUch geworden waren, hiessen aucli die Beneflzien AUodes, ja sogar die erblich durch Servi be- sessenen Güter wurden also benannt. Auch in der Charta An- sehni I htessen die Güter l>ereits heredilas , was nur eine Uüherselzung des Werltes Allod ist. Mit der DeiHJSsedierun^'^ der kleintreiea Leute veiscliwnulet das ganz freie Eigenfiun immer mehr. Wie stark dies in jener Zeit in der Mark vertreten war, kann aus vorliegenden Urkunden nicht amuiiiernd angegeben werden, eine approximative Statistik wäre nur auf Grund, ein- gehender Ardiivstudien md^^lich, wie sie unser verehrter Lehrer Batl für das Eigentum der Stadt Hagenau seinerzeit ge- macht hat.

Jedoch würde sie sehr unzuverlässig ausfallen, denn wie viele Urkunden möj^en wohl zei*stört worden sein ?

Neben den Leiuiharkeiten des Klosters konnte ein Hmler- sasse reines Eigen, «merum proprium«, besitzen.

. IKe Grossgmndfaesitser vergaben jedoch nicht alle ihre Güter zu Lehen, sie behielten immer noch einige Aecker zu Hause wie die Bauern oft zu sagen pflegen zum eigenen Betriebe. Besonders die Reben scheinen einen grossen Teil des Dominiunis ausgemacht zu haben, -da die Dienstgelder der Triduani, wie schon erwähnt, dazu verwendet werden sollten.

Dies vurbehaitene Gut bildete das sog. «Dominium», die «Domuine». Dies bedeuten auch die Ausdrücke; «indominica- tus, dominicum, dominicale, dominicatura», denen wir in un- seren Urkunden und in den Fnlyptychen begegnen.

Dies Gut heisst auch die terra salica, d. h. das unmittel- bar zum Hauptjj^ebäude, zum HerrschattslKtnse g:ehörige Gut, das der Ei:-,n>nlümer meistens selbst licwirt-rhallete. Das all- <l( Ut.-5clje Woi t €sala», woher «salica» kommt, bedeutetdas Haus. Es war der Haupthot, dieser heisst in unserer Charta Anselmi I § 1 die «curia dominicalis», er ist der Mittelpunkt der Guts- verwaltung, dahin sammelte man alle Erträgnisse und Abgaben ein. Em solcher Hof, auch Fron- oder Dinghof genannt, stand auf jedem grösseren Gute ; da gewöhnlich ein Hofgut einem Dorfe ent.spricht, so tinden wir die curia dominicalis in jedem Dorfe der Mark.

Wieweit sich die eijfene Bewirtschaftung" des Klosters er- streckte? Die Art und Weise scinei Bowirlsciiaftung werde ich

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darzustellen versuchen auf Grund eines sehr eingehenden Do- kuments, das in D. Schcepflins «Diplomatica» sich abgedruckt findet, eines Güterveizeichnisses näinhch der Abtei Maurs- mönster aus. dem Jfahre 1120, : welehes den . Abt.Meginkardt zum Verfasser hat. (Polyptydion). .. .

Die Angaben der besagten Urkundenquelle lassen uns diese jedenfalls als eine bedeutende anerkennen, wenn wir bedenken, da SS in dpr Heu<$rj[ite jedes Haus, eine« .Schnitter für eiaea Tag stellen sollfe. I

Es konnten jedoch auch Teile vom Dominium getrennt und zur Nut?piessung auf bestimmte Zeit verpachtet werden, ja sogar zu. eigentlichen Lehnhuhen, «üfensen», umgewandelt werden. Auch Teilpacfai war für das Dominium üblich, besonders herrschaftliche Reljen werden an Kolonen verliehen auf Zeit oder auch erblich, um die Hälfte des Ertrages an Trauben.' ,

Die Colonie. 8 fiintersasBsn-Gnter, Terrae censiles und tributariae.

Viele Allodialgüter wurden zu jener Zeit durch Oblation, sei es aus Fi^^mmigkeitsgfünden, sei es weil viele freie Klein- grundbesitzer die üfiehtlichen Lasten , die auf ihrem Boden ruhten, nicht mehr aufbrin«fen konnten, zu Kolonialgütern um- p:e\vandeit. Die terra censilis ist ein dein Kloster durch den Eigentümer gegebenes Gut zu Geschenk uder zu Kauf , j das dieser als Lehn dann zurückemptungt, gegen Bezahlung eines bestimmten Census, nicht so sdbr als Pachtzins als viel- mehr zur Anerkennung des Obereigentums des neuen Erwerbers. So wollt' es Ritter Hartmann von Zehnacker zurückerhalten. Diese Abj^^aben sind oft sehr klein bertM Imet, die Befreiung von drückenden Lasten wurde so liillii: erkauft, und der so «commendierte» g-enoss des Schutzes, des Mundeburdiums des Klosters. Eine Fülle ähnlicher Rechtsgeschäfte findet man auch in tien «Traditiunes Wizjsenburgenses» sowie in allen diploma- tischen Sammlungen des Mittelalters

Diese terrae censiles waren von den hofrechtlichen Lasten befreit, die Abgaben und Leistungen davon wurden durch ^nen Vertrag ad hoc festgestellt und nicht durch das Hofgesetz,

^ Vgl. Codex nombranaceas Auselmi abbatis, apnd Hanauer, Constitations.

2 Vgl. F. V. Schulte : Bechtsgeschichte § 151, Rechte an fremden

Sachen. « Innerhalb des Hofrechts findet sich eine vom Herrn über- tragene Gevverc, welche den Hofeskuten in mannigfaltiger Abstufung bald als widerrufUche Nutznngsgewere, bald als erbliche gegen Erbzins zostaad; vielfach bildete sich aber auch ein obgleich be- schränktes Eigentumsrecht. >

3 Vgl. Polyptyque d'lrminon, ed. Guorard. T. H, 78. '

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Ein Capitulare Ludwigs des Frommea unterscheidet diese von der «terra hihutaria».i

Diese trä^t die liuirecJitlicbea Lasten und ist' anfän^dich meistens, jedoch nicht ausnahmslos, durch nicht ireie Leute be- «essen^ jene aber geMrdhnHch dureb fireie Batieht» deren frohere Eigentümer. Der «M^nsuB ^tribtttaiius»' vererbte iidh in der Familie, die terra censiliis hingt^en = wurde imtner binnen fest- gesetzter Frist wieder zuruckgenommmen durch den Eigen- tümer.

War diese Riickverleihung an den früheren Eigentümer auf ausdrückliche Bittedesselben, das abgetretene Gut <sub cen- sus conditione« zu erhalten, zu stände gekommen, so hiess dieser BesHx* ein iprecariumv

Dies Precarium ist» aber daHn vom altrOmischen tersfchie- den, dass die Ueberlassung der Ausübung des Eigenttims nicht auf beliebigen Widerruf des Verleihers geschieht, sondern es wird in den Urkunden, durch welche Preertrien errichtet wer- den, immer gesagt, die Verleihung solle sub census conditione und für eine bestimmte Zeitdauer geschehen. Man dai t das alte ja nicht mit dem neuei^ Prebarium' verwechseln ; denn nur der Name int g^einr Dies Lehitoescbäft' des Mittelaltcsrs , hat eben nur den Namen von der Bittet d4te 'ei^f€&'B^it^6rs' an den neuen Eigentümer, das Gut als terra censilis erhalten und weiter besitzen an können. Wir dürfen somit das Predarium unserer Klosterurkunden nicht als ein modifiziertes römisches Precarium erklären, wie dies Guerard thut.2' ' ' ' ' *

Em Beispiel eines Precariums bietet § III der Charta An- selmi I: Ein gewisser Ritter Hartman wm Zdinacker Vefrfcabfte an das Kloster ein iUEDd-sum Preises von 50 V Silbers und (t begehrte» es dann, «sub censuä conditiMM^, weiter iu besitzen, doch wurde es ihm nur für Zeitlebens und seinem Sohne auch für sein Leben lang gewährt, mit dör VerpflichtTmg jährlich 12 Solidi zu entrichten; nach dem Tode der beiden Genannten sollte das Gut frei an das Kloster anheimfallen. Es geschah dies im Jahre 1135.3 . f - ^ - . <■ -

Naeh und nach geriet der* Urspruhg der M\ierlteben Lasten in Vergessenheit, so^ dass schon im XII. Jahrhundert der Aus- druck terra censilis für terra tributaria und vice versa zur

1 Cap. qaart Lüdöwiai Aasi 919; 2'4t *

2 Vgl. Pacbta, Pandekten, ^f - 186 pag. 202 ; Gn6rard, Polyptyque dlrmhion, Commentar über die Arten des Besitzes in St-Qennain'

des-Pres.

' ^ Aehnlicbe Geschäfte sind die Urkunden Nr. 35 bei SctioepiÜQ, cA. D.» I, p. 40, Frecaria Herchimldis für Marbach, 768; ferner Precaria Aschirici für Morbach ebenda, I, p. 5B, 784, eine andere ebenda, p. d4, 789.

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Anwendung kommt» indem nun jede Abgabe als Census be- zeichnet wird.

Mit der Zeit musstcn auch alle Hintersassengüler erblich worden ; denn wenn ein Gut in treuen, arbeitsamen HfintJen sich betand, hatte der Grundherr, der Abt, Interesse daran, es nach dera Tode des Besitzers zur Anerkennung seiner Tüchtig- keit den Kindern zu belassen ; so entstand unbemerklich, dui ch NichtausObung des Retraktsrechts von. Seiten der Abtei, ein Gewohnheitsrecht der Vererbung^ aller Hintersassengüter ohne Unterschied.

Schon im Anfange des IX. Jalirbunderts (S^S (in- Maurs- inünster) sind die dnrch <rLiti» und TSer^i» besessenen Lehn- fTüter vererblich, was sie früher «Mit m nd dem Wesen der Servitudo nicht sein konnten, iilitss die Kolonengrüter der ft«ien Hintersassen konnten sich vererben, ähnlich wie im römischen Rechte.

Bei jeder Vererbung musste der Nachfolger beim Abte um die Investitur anhalten und bezahlte bei dieser Gelegenheit den sogenannten «Erschatz», das «Laudemium» ; i der Besitzereiner Lehubarkeit konnte diese auch nicht frei veräussern. Nach altem Rechte sollte niemand sein Krb^ui verkaufen ausser im Falle der Not. Mit der Entwicklung des Verkehrs war dies nicht mehr möglich einzuhalten,- und es blieh nur noch übrig das Vorkaufsrecht der Familie, des Stammes und auf den Hof- gütem das des Grundherrn, des Hauptes der Familie : so hiess die Gesamtheit der Hörigen einer Villa. Dies Vorkiiufsreclit findet sich ei wühnt in- dem bekanntlich von 8'28 herstammen- den 8 V, Nr. 21, 22, 23 der ürk. Nr, 3 der Dinghofrotel von Maursmünster.^

Ausserdem konnte keiner der St. Martinsleute ein einzelnes Stück seines Gutes au^ben oder auflassen, er gäbe denn alles auf, was er vom Kloster innehat. Dies ist eine Massregel gegen die ¥rillkürli< Parzellierung der Huben, gegen die Verminderung der bäuerlichen N ihrung, deren Begriff übrigens die Teilbarkeit oder die /erkleinernng ausschloss. V, Ni-. ^23.)

Die Revolution, welche langsam am Ende der karolin^i- sciieu Epoclie alle nationalen und Stammesunterschieile der Rechte beseitigte, welche auch die Klassenunterschiede der Kolonen, der Liten und der Servitudo aufhob, um aus diesen Klassen einen einzigen Personenstand, den der Hintersassen zu bilden, den der Lenfe lodtcr Hand, bildcie also eine einförmige Art des P*""=it/es, indem sie ewige^' 1^i st*'h<^n und Vererbliclik'Mf Institutionen verlieh, welche trüber nur zeitlich oder lebeus-

1 Urkunde 3, § 1, Nr. il apud iiaiiaaer, Constitutions. Marctie de Marmoutier.

2 Nach Hanaoer eitiert.

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länglich yraren, und verwandelte so den Besitz in faktisches Eigentum.

Als Grumllage der feudalen nosolls( haftsni-u-nn^idion, deren (Irundgedanke in der Treue zum Könij.'^o, zum GrunUlierin, von Seiten der Vasallen, gipfelte, erscheint j?egen das Endo des IX. Jahrhunderls eine andere Art des Besitzes an Grund und Boden, wir meinen

Das Benefttfnin.

Hier ;iber niüsscMi wir uns znvor den Unterschied des- Heiieiizi Ullis vor der Feudalilät und des teudalen Benefiziums klarmachen.

Dem germanischen Geiste entsprechend bildete auch im fränkischen Reiche der Grundhesitz die Grundlage der gesell- schaftlichen und politis( heil Verfassung. Der König selbst wurde deshalb der reichste Gutsherr des Land(*s, da alles nicht üccu- pierte I^nd zu seiner Verfügung stand. Um sich dann Getreue zu schaffen, nmsste er auch belohnen, dies fliat er durch (lüterschenkungen ; denn mit einem einfachen Kreuze hätte <ler Germane von damals sich nicht zufriedengegeben. Andere Zeiten, andere Ansichten. Diese . Gnter, aus dem «folcland» herausgenommen, übergab ihnen der König, dass sie sie nutzbar machten (cad excolendum, vel commanendum», Charta Theo- dorici IV regis pro Maurimonasferio, op. Schrepfl. 1. c, p. 29), vei's zu Eigentum, sei's bloss zur Nulznies^tin;^; dies letztere bildete (las J'eiieliziiuTi. Die meisten Klostergüter waren anfang- lich nur lienehzien, erst später wurden sie Allode : dies ist auch der Fall für MaursmQnster.

Diese Besitzühertragung . ivird in den «Formeln» allzeit als eine «concessio usufructuario ordine» bezeichnet. Sie geschah gegen eine Gegenleistung oder für bereits geleistete Dienste, sehr oft auch als Geschenk, aus reiner frommer Absicht, wie es heissl in dem schon ritierten Dokumente ; »quo potius ipsaii> congregationem sanctam melius deichtet, pro stahilitale regnr nostri misericordiam Domini die noclüque ciel)rius exorare».

Nirgends kommen in jener merowingi sehen Zeit feudale Leistungen vor, die daraus .entspringen. So ist das Benefizium nuh nicht der Grund der Pflichten der Antrustionen gegen den König.

Die Benefizien waren deswegen bis ins X. Jahrhundert binein nicht erhlich, erst unter des starken Kaisers Kail schwachen Naclifolgern behaupteten die Grossen des Deiches diese Güterbesitzungen als erbliche in ihren Familien; so ent- stand die mittelalterliche Feudalilät und dafür ein neues Recht : das Lehnsrecht. Nun wird jeder Lehnsinhaher gegen seinen Oberlelmsherrn persönlich verpflichtet; derjenige, der am meisten

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Vasallen tiiin bat, ist der stärkste ; das Königtum ist depos-

beiiiert.

Solche LehuälieDeüzien konnte die Abtei Maursmünster veiigeben ; wir baben oben sdion getdien, dass die 2M ihrer Vasallen sich muf 24 belief, die Gäter, die sie zu Lehen erhielten, waren die Mansi in^eniii, sie werden bexeidmet als cMansi

inbenefK iati». Nur die sojj. «frigen», barones, konnten solche eriialten, und deren Vf ?"pflichtungen waren rein militärische, feudale Dienste. Die Besitzer solcher Güter mussten «lern Abte zu Pferde, ccurn caballis», dienen, denselben aut weite Reisen begleiten oder ihm ihre Pferde leihen. Sie leisteten dem Abte den £id der Lehnstreue, «Homagiamft ; durch diese persönliche Abhängigkeit vom Geber des BeneQziums unterscheidet sich dies vom eigentlichen Ususfructus.

Nachdem wir nun die verschiedenen Besitzverhältnisse in der Mark kennen g^eleint hnhen, hleil)! uns noch übrig, die Reallasten zu eioi tern. Bevor wir dies tliun, werfen wir noch einen Blick auf die Güterverteilung und die Ansied lung der Hintersassen, denn diese Verteilung bildet die Grundlage zur Berechnung der üeallasten.

J>ie An&L^dlusi^ xulö. die Guter verteUua^.

Um die Höfe, um die einzeln stehenden Höfe der grossen Grundbesitzer herum befanden sich die kleinen Wohnungen der HofbMieniy welche m ihrem Unterhalte ein 9tück Acker in der Hofmark erhielten. «Hof» war ursprünglich nur das Herrenhaus, mansus, im Französiohen hat «ich bis heute das Wort «manoir» für dasselbe erhalten, nnd nur weil dem Bruiorn, so vi(A als er bedurfte, Boden vom Herrn verliehen wur ie , so dehnte man den Begrirt' des « mansus » auch aut das bäuerliche Gut aus. Hier in Maursmünster war also lediglich die Organi- sation der Arbeit auf dem hmschdUichen Hofe die Ursache der sich bngtam eniwidtelnden Dorfonsiedlungien. Hitten sich in West&len und in den jetzigen Hofrechtsgegenden nicht» entgegen unseren Gegenden, lauter freie kleine Bau^n erhalten wenn auch Grossbauern nach unserem heutigen Begriffe , so hätten wir dort sicher auch mehr Dorfansiediungen. JSoIch kleine Hofgüter, wie sie dort bestanden und nocli bestehen, im Vergleich einer Villa auf den Latifundienbesitzungen eines Welt- Hellen oder geistlichen Grossen, konnten gewiss nicht au Dorf- ansiediungen ÄnUiAS bieten.

Wir sprechen hier also unsere Ansicht dahin aus, dass nur der Latifundienbesitz , und dieser existierte ««icher schon zu Tacitus' Zeiten in denjenigen Stämmen, wo bereits ein festes monarchisches Prinzip die Grundlage des staatlichen Verbandes

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bildete, dass nur dieser Besitz mit seiner notwendijron Hof- organisation, mit seiner Villa als Mittelpunkt einer weiten Feld- mark Dorfschalten hervorbringen konnte. Natürlich wollen wir dem Verteidi^run^^'^szwecke als Grund einer Dorfansiedlung nicht alle Begründuni^ wegnehmen; aber auch dies Bedürfnis kannte sich nur allmählicb föhlen lassen und nicht gleich zur Dorfansiedlung bewogen' haben. Die meisten unserer elsüssischen Dorfnamen beweisen , dass ursprünglich dort "Wo das heutige Dorf steht, ein herrschaftlicher Hof war. Der einzelnstehende Wiitscliaftshof des Grundherrn auf der zui^ehöri^jen Hofmark, dies ist der Grund der Dorfansiedlung in der Mark Maurs- münster. Von vornherein lag dann das Bauerngut der Hinter- sassen in der Gemengelage.

Dessenungeachtet blieb der Hansus, die Hube, immer die Grundeinheit der Gntorverteiliing. Der Boden, der deti Mansus aumachte, war dem Bauernhofe für ewige Zeiten beigesprochen und zwar nach einem für die belreffonde Gegend für immer fest- gesetzten Flächenmasse. Daraus erklärt sich auch das obener- wähnte Verbot, einzelne Teile der Lehnbarkeit zu verkaufen oder anders davon zu trennen.

^as Wort mknsus wird in unseren Urkünden nur noch als Flächenmass gehraucht , nidht mehr zur Bezeichnung des Hofraumes im engeren Srnru , dafür steht curtis. Die Hube ward und blieb bis heute noch in verschiedeTien Gegenden ein Flächenmass. Wie gi*oss ^ar nun dieser Mansüs? Sein Flächen- inhalt wechselt zwischen 10 und 12 « Bonnaria » (französ. « Ü uHiit rs », das sich in einigen Gegenden Frankreichs bis uu:sere läge erhallen hat). Eine Verordnung Lothars be- stimmt den Inhalt efnei^ Ißrc^aimänsU^ knf 12 Bcoinaria. Nach der BöredmUng des Hern Gü^rard beträgt der Bfansus laSO bis 1536 Areä, der Bonnier zu 128 Ares berechnet.

Herr Hanauer berechnet ihn nach einer gut gewählten Rechenau fiia he , die ihm die Charta^ Wernheri , eine Urkunde der Zeit, geliefert hat, wie folgt: Nach den Angaben dieses Dokuments verfasst durch Abt Wernherr 1166 sind 1 Mansus und 72i|s Acker =3 Mansus Acker. Es ergiebt sich daraus, dass ein Bfansus sO viel ist wie 35 Acker. Der Acker aber variiert zwischen 25 und 35 Ares , der Mansus ist demnach 35 mal 25 bis 35 Ares oder 875—1225 Ares. In runder Zahl also ungefähr 10 Hektar.

Auf den Mansus berechnen sich nun alle

Keaila^ten.

Nach der Nätur ihrer Dienste erkennen wir in Mäuers- münster drei Arten von Lehenhuben : Die freien c mansi in- gönui, ingenttiies > ; die Diensthuben , < mansi serviles , man»a

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servatoiia» (Inventar v. 11:^0), und die tig^nhuben , «111:1 n-i pj oprii, ninnsi fisc^Itis, inansa fiscalia » (ihidem). Nach dieser Natur wurden die Dienste und Abgaben bestimmt. Wie wir 63 oben schon gesehen haben, wurde fiüher das Mass der Prtk- stationen nach dem Stande desJBesitters festgestellt. Nach längerem Zeitablauf bestimmte der Stand dieses tKdiercn Besitzers* die Natur des Gutes selbst, in der Art, dass Güter als freie, andere als börige oder unfreie angesehen wurden. Dies lässt sieb ^war für Maursmünster durch ei«?eno I'rkunden aus solch frü tier Zeit nicht beweisen , da uns Im diese Abtei ein eigentliches Polyptycbon wie das von Abt Irminon fehlt und im Güter- Verzeichnisse von 1120 Jkein sterbendes Wörtchen von den inne- haiienden Bauern und ilirer Stellung gesagt wird. Uebrig-en.«« waren im XII. Jahrhundert liier in Maursmünsler bereits die Servi, die Liti und die Charlularii verschwunden, e^s war bereits nur nur Ii ein einlieitücber hintei^sässiger^ beinahe freier Bauern- stand vorlianden.

Aellere Urkunden uii.<eies Landes und das Polyptycbon Irmiiionifi sowie die Volksgesetze iind die Gapitularien geben uns Beweise, dass allüberall -in allen deutschen Gauen dies- bezöghch ^deiches Recht und ;:!eiche Gewobnheit herrschten.

Das Grundstück balte soruit eine besondere Qualität ange- nommen, !=ein lie^^itz allein heslimmte j<'lzt rlie Verpfliclitun<,'-en <les Besitzers, und es beduilte hier/u keiner besonderu Ab- machung mehr, sie waren auf iinnier festgesetzt.

Von der Zeit an, wo auf den Grundherrn infolge der er- langten Immunität seines Territoriums öffentliche Rechte über- gingen, ihm Regierungsrechte zustandig. wurden, gab es zwei Kategorien von Reallasten, die grundberrlichen hofreclitlichen und die dem öffentlichen Rechte angehörigen Prästationen. Diese bezog aber nicht mehr der Staat, sondern der Grundherr s»'!l}sl, infolge seiner patriinonialen Gewalt über die Hintersassen. Diese öffentlich-rechtlichen Keallasten wurden zwar mit der Zeit auch, als privatrechtliche behandelt, indem sie dem Ver- kehre übergeben wurden.

A. Die gmndherrliehen Lasten.

Durch den Vertrag zwisclien Abt Konrad und <leni \o;,'}.' Otto V. Geroltzeck von werden sie für die verschiedenen

Leiinharkeiten folgendermassen fesl gestellt :

a) Die freien Huben sind nur an Adelige verliehen, dieste leisten keine anderen als £hren- ^d Militärdienste. Herr Gu^rard in seiner Abhandlung über das Maursmünsterer Güler- verzeichnis von 1120 behauptet, dass die Mansen, die dort ohne nähere Bezeichnung vorkommen, « mansi ingenuiles » seien, was aber durch diese Urkunde von 1163 widerlegt wird,

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indem dadurch bewiesen ist, dass nur diejenigeii Huben freie sind, die «cum caballis», zu Pferde, Dienste leisten. Die Be- zeichnung «mansa in j^enere» durch mansi in{2^enuiles wiederzu- ;;ehen, wäre entschieden im WiderspriK lie mit der letzteren Urkunde, die als deutsche Urkutiüe jedenfalls mehr Deutlich- keit für sich in Anspruch nehmen kann als die lateinische. Ueber die Bedeutung^ der Bezeichnun;,' ccmanisa in genere» kann man leider nur Vermutungen aufstellen, diese j^enfälls aber nie durch freie Huben tibersetzen. Ich halte sie för die « fiscal! a», da die (rservilia» genannt sind, sowie die, welche andern Dienst leisten, und dieser ande!"e Dienst ist der rccum cahallis». Zudem beweist die Adiiition der einzeln auC^^ez.'ililteii freien Huben cquae cum caballis serviunt», deren Gesamtzahl in der Marie nach dem Verzeichnisse von 1120 52 72 beträ<{t, dass die « Mansa in genere » nicht als' iiigenuile Huben mit- gezählt sind. In der rechnerischen Probe liegt der trefTendste Beweis, dass Herrn Guörards Vermutung- das Richtige nicht getrotfen hut.^

b) Der Besitzer der Dionsthuben i^iebt eine Rente in Geld. Diese wechselt vermutlich nach der Natur und Gnte des Bodens zwischen 4 und 3 B Silbers. Fernei- sind sie noch zu massigen Naturalleistungen von Korn, Eiern und HOhnern verpflichtet» Sie fronen drei Tage mit dem Pflug, stellen die Schnitter zur Erntezeit, führen die Frucht in die S^cheuneh des Klosters, laden sie dort ab, kümmern sich jedoch nicht weiter darum. Dassellif» thun ic rnif den Trauben, mit dem Heu und mit (lein Heize. Dafür eriialten sie weder Essen noch Trinken imd kehren mit leerem Majjen zurück in ihre Wohnungen. Den

e

1 In dem Verzeichnisse von 1120 sind die UubcO; welche mit Pferden dienen, speziell aufgezählt und ergeben mit der Zahl, der anderen Mansen die Summe 18ö, wie diese in der Becupitulatio chartae sich ergiebt liier folgt diese urkundliche Zasammens^hlnng;

Mausa in genere 120

» servilia 20

Quae aliud faciunt serritium 45

185

Die Gesamtzahl hierin stimmt, jedoch nicht die einzelnen Posten mit den einzelnen An&iählnngen in der Urkunde. Wir haben diese Rekapitulation selbst nachsemacht nnd fanden :

Mansi cum caballis -52i|s

Mansi serviles . 25 -

Andere Hnhen , wabr-^cheinlich dieselben, welche oben < in geuere > bezeichnet sind 107 J/j

Der gute Abt, der oben citieite Rekapitulation machte, scheint 111 der That sich dabei geirrt zu haben. Dies stdsst unsere Behauptung doch nicht um.

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Düng^er müssen sie auch aus den herrschaftlichen Ställen ziehen^ doch nicht wc^fülircMi.

c) Die Eigenhuber müssen Jiiu^^e^^en den Dünger aufliäu teil.

Da .sie sich mit Leib uiid Gut dem Kloster gegeben baben, sind ihre Besitztumer frei von Zinsabgaben sow^e von Zehnten ; sie geben auch keine Hühner noch Eier. Ihre Dienste sind daher {grosser: Sie müssen die Garhen vom Wagen der vor- genannten empfangi^^ sie aufspeichern, dreschen, die Frucht putzen und auffassen. Sie machen das Heu auf den Futterboden, keltern die Trauben und trag-en .den Most in den Keller. Sie l!rin*:en das Holz in die Küche oder zur Bäckerei, «spalten es, zünden das Feuer an und helfen dem iiackci bi^uu Backen des Brotes. Sie begleiten dm Abt^ . wenn er sich auf Reisen begiebt, und endlich müssen sie. noch, die cStrobhüser», ,w«hrscheinli€h

saWa verecundia -7 Abtritte^ lein^en.^ Dafür aber be- kommen sie genüglich zu essen und zu trinken, dorh keinen andern Lohn. So war es in Maursmünster um ii^O herum. Eine lateinische Urkunde von 1143, wovon die Ürkimde von 1 1G3 eine Uebersetzung bietet, sagt von diesen P^enslen folgendes : «Diss wass der alte Dienest hievor von den hub^.»

«Bissen Dienst dotent Sante Martins Lüte .in, der.Markfae von ihrem gute unde von ^rme übe hievor, Sit moles.wart der dienest abgelossen unde wur^ent die., hüben in der Markhe nnde zii den dörffern gezelet, unde wurdent für den vorge- nannten Dienest ufl die buhen dienestpfenninge, unde öch Zins- Pfenninge geschlagen, dass stot an der handtvesten, wie vil der Pfenninge^ ist m^de der hyben ist.J)>; vx i -

Also behufe Feststellung der Geldabgaben, welche d^ alten Dienst ersetzten, mussten die Huben in der ganzen Mark « die hüben in der Markhe» und dorfweise aufgezählt werden. Dies ist gewiss , der Sinn des dunkeln Satzes der Urkunde : «imde wurdent die hüben in der Markhe unde zu den dörflern gezelet». Nicht will es bedeuten, dass die \ uuialigen dienst- leistenden Huben nicht zu den Dörfern gehörten und dann erst zur Dortmark geschlagen w^rden. Dies wlret der Fall, wenn vorher von den Mansi indominicati, von den Herrschaftshuben die Hede, geweseii, wiyre,.'we)ch^>..4M Dienstleute, die ^riduani des Klosters b^ueii mussten^ Diese Aufz&hlung »nut' den Gilten Pflirhten und Diensten, wie sie nach 1117 notwend!«:: wurde, besitzen wir ohne Zweifel im Giiterverzeichnis von lljJO. Von dll7, dem Jalire wo die Dienste der Trid^ani in Geld umge- wandelt wurden, bis zu 1.143, in welchem Jahre difi vorbezeichnete lateinische Urkunde verfasst ward, hat sich also diese Um«- wandlung vollzogen, eine Umwandlung, welche. Jki 4en, .iwei Urkunden von 1143 lind 1163 ausdrücklich als bereits vollendet angegeben wird.

Als fernere KeaUasten für die Besitzer der EUgenbuben

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werden noch angegeben in den Urkunden von 1143 und 1163 folgende Dienstteistungen :

Die Eigenbubner halfen auch das Brot zu backen nnd das Bier zu brauen. tSy sint och schuldig dass sy sulient wechter geben»/ um den Fronhof und das Gefängnis, iden stock »zu hüion und zu bewachen.

Es bildete fernei- in der Mark Maursmünster das Bauen der Mauern an den Herrschaftsgebäuden und das Errichten von Zäunen um den Fronbof sowie der Hage, «sepes», welche zum Schutze der Felder dienten, ebenso auch das Auswerfen der Gräben um die Gewanne, eine hofrechtliche Dienstpflicht für die niansa fiscalia sowie für die mansa servilia, nur die freien Huben waren davon befreit. Gewisse Huben waren dann nocli zum Oiitertranspo»! von der Mark nach entfernten Orfen, z. B. Strassburg, angehalten; auch dieser ] heu st war bereits 1120 für einige Hofgüter durcii eine Geldabgube ersetzt : so zahlten damals in Snaresheim 16 Mansi üscales und 17 Jifansi serviles an Gensus 4 ff, 5 Sol. und pro Angaria 32 Sol«; 60 andere Diensthuben müssen die Fuhre nach Strassburg machen.

Auch die Abgabe von Gewebestücken, esarcile», und soj^ar fertigen Kleidunp:sstücken wiid in dem Gütcr verzoichnis von 1120 erwähnt. Es sclieint dies eine speziellp F^pnll i^t dei servilen Huben gewesen zu sein : so geben in Mai leahciui 28 Dienst- huben je Vs Stack Tuch, 8 solcher Hufen in Zellenberg (Kreis Rappoltsweiler) je 1 Stück, in Egisheim 11 Mansa servilia ebenfalls je 1 Stück Gewebe ; diese Huben liegen aber alle ausser der Mark, aber noch im Elsassgaue; im Saargau (St. Quirin) sind einige Huben aufgezählt, deren jede ein Hemd «Camisiam», zu entrichten hat. In der eigentlichen Mark tindet man die.se Abgaben von gewerblichen Erzeugnissen bereits nicht mehr.

Viele Huben ohne Unterschied ihrem rechtlichen Charakter nach und ebenfalls ausser der Mark gelegen, geben auch noch als Dienstleistung <Axes> und «Axile^»». Die Axes sind grosse

Sparren, welche zur Herstellung der Dacher gebraucht wurden, die AxÜes sind kieinf>r<' Sparren, Latten, welche liber die Axes quer aulj^a-na^^elt wurden, um dann auf den Axiles selbst die liachschindeln anzubringen: cserviant 100 Axiles, 30 Axes» heisst es im Güterverzeichnis von Maursmünster. In der Mark selbst finden wir diese Abgabe nur ein einziges Mal er- wähnt, in der Stadt Maursmünster Leobardi Villa selbst.

Viele Hühner- und Eierabgaben .sind weiter in der Ur- kunde von i i'20 aufgezeichnet. Warum aber die Eiei*- und Hühnerabgabe ?

Damals versammelte der Grundherr die hutliöiigen Bauern in einigen Dörfern des Gebietes begaben sich aucli die

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Freien, ja auch die Hintersassea iieintler llerrea zu der all- gemdnen Versammlung alljährlich za drei allgemeinen Ge- richfslagen, und dann ward nicht nur Recht gesprochen, nach alldeutschem Gebrauche wurde da auch gegessen und getrunken, der Grundherr aber war es, der diese Bankette ausi^Uen musste.

Das Kloster bekam auch selir oft lioheu Besuch , dann musste der Pater Küchenmeister wackef auftragen lassen. Die Bauern dagegen lieferten das Gasthuhn, und auf einigen HuJieu ruhte die Belastung des Beheirbergens der Gefolgsleute des hohen Besuchenden. Hieraus entspringt die jaaitigD -fimquartierupgs- pilicht der Staatsangehörig^en beim Durchmarscli der komg- liehen Truppen. Es ist altdeutsche Rechtssitte, dass der König mit seinem Gefolge und seinen BewalTneten überall beherbei*gt "werden musste.

Das Kioster iiaUe ferner auch die Annen- und Kranken- pllege zu erföllen, und idi will glauben^ dass in jener schönen Blülezeit des Klosterwesens die Klostersuppe noch nicht die sputer so verhasste und sprichwörtlich gewordene Klosterbrühe war.

Das Kloster hatte dann noch vieles Hofgesinde, und für äolch grosse Hauswirtschaften bestanden notwendig auch grosse Bedürfnisse.

In der Anordnung der Dienste bemerken wir auch eine wohldurchdachte üi-ganisation der Arbeit. Nur durch geteilte Arbeit Uisst sich ein so grosses Gut rationell btfwirtachaften : dies haben die damaligen Hofgrundbesitzer so gut gekannt wie unsere Fabrikanten , es war dies der Fortschritt, den die hof- rechlliche Organisation bewirkte. Ferner sehen wir noch, dass hier die Dienj^te fren ui Ivemessen sind, ungemessene Fronden und Abgabefi kuiüiiieii nun nicht mehr vor, ja nicht einmal mehr bei den Leuten servilen Standes. Jeder weiss genau, wozu er verpflichtet ist. Doch scheint es« waren die Leute in dem Wenigen, was man von ihnen damals forderte ^ Weniges nach unseren Begriffen nicht immer allzu gewissenhaft > dies hat unsere Zeit wenigstens mit dem XII. Jahrhundert auch gemein so dass jetzt bereits einige grundherrliche Leistungen üirht mehr in Arljeit begehrt werden. Nun sind alle Kloster- i)auern Zinsleute, der Zins, den sie abstatten, beträgt jetzt 3— (i Ü Sili>er per Mansus, in heutigem Oelde i54,80— 309,(i0 Francs.

Hierin liegt bereits der Anfang zum Uebergang aus der reinen Naturalwirtschaft in die Finanz Wirtschaft. Die Dienste, Fronden^ unentgeltlichen Arbeitsleistungen werden von jetzt

ab nur noch in Geld entrichtet.

Neben dem Census, der in anderen ;jleichzeitigen Urkunden auch «Agrarium» heisst später tcampipars», französisrh «Champar» , fmden wir in Mauersmünster eine Uauser-

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ah^nil)e \o\\ einem Huhn, das m'^. Rauchhuhn» was von jedem Herdlt ui I , von jedem Rauch verlanjrl wurde. Die^s war nicht so sehi ein Hauszins als eine jahrlich erneuerte Anerkeiuiung des Oberei^entuins der Abtei, selbst an den Häusern der Mark.

Die Benutsung der Allmenden, Weidgänge und Wälder ^ war auch an $2^e wisse Abgaben gebunden.

So bezahlte man einen Schweinezehnten als «Pastionaticum» für die Eichebnast der Wälder, die betru^^ 4 Pfennij,^r=0,8C Francs unseres heuti^^en Goldes. Eigentümlich ist hierüber die Be- stimmung, dass auch derjenijre, der seine Scii weine «auf seinem Misthaufen» mästete, dennocli diese Abgabe zahlen musste.

Dies waren die hauptsächlichsten grundherrlichen Real- - lasten; wir gehen nun Aber zu denjenigen des

B. OeffentUchen Rechts.

Als solche sind zu erachten die Leistungen an den Heer- bann , . an die Gerichts- und Vogteiherrschaft und^ dann die durch Staat sgeselze an}?eordnelen Zehntenab^'^alien an die Kirchen.

a) \Venn der König zu F'elde zog, mubäte die Abtei dem liisciiüf von Melz unter dessen Mundium sie selbst stand fQr das Heer eine gewisse Anzahl Wagen liefern, jeder zu 6 Oehsen, mit ^Führern, und einige Saumpferde. Wagen und Tiere wurden aber dem Kloster nach dem Feldzuge zurück- gegeben, und wenn Ochsen oder Pferde unterwegs zu Grunde gingen, inH<sto sie der Bischof dem Abte ersetzen.

b) Jeder Hintersasse des Klosters war verpflichtet, bei An- * drohung einer Geldstrafe, den ungebotenen Huob- und echten

offenen Dingen beizuwohnen. Da diese Pflicht, infolge der Im- munität des Hofgebietes, aus dem ^sitz eines Klosterguts ent- springt, so zählt sie mit Recht zu den dinglichen Lasten.

c) Eigentümliche Bestimmungen enthält die Hofrotel von Maursmüüster über ein sog, «jus cippi*. Recht des Getang- niöses. Nahe ))cim Markte zu Maursmünster war ein kleiner Hof, der nur drei Denare Census zahlte, dessen Besitzer war verpflichtet, so oft einer gefangen waid, den Meier von Garberg davon zu benachrichtigen. Dieser musste den Gefangenen die erste Nacht bewachen, dann der Meier des Maursmünsterschen Dinghofes in der zweiten N i hit^ und die folgenden Nächte thaten es Bauern, welche die sog. «Eigenstochhuben» inne- hatten.

d) Am Bau des Hochgerichts musste sich jedes Dort be- teiligen, je<lem ist dabei seine Leistung festgesetzt. Diese Pflicht tliesst ohne Zweifel aus der Beteiligung der gesamten Gerichts- gemeinde bei der Rechtsprechung, heim UrteiUällen und an dessen Vollziehung.

e) Eine öffentlich-rechtliche Abgabe, d. h. eine solche, - welche früher an den König zu entrichten war, ist auch noch

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diejenige Geldleistun- der Hingabe des besten Stückes, welche gefordert wird aus der Verlassenscbaft eines verstorbenen Hinter- sassen ; (i-js Besthaupt heisst ^ie in unseren Urkunden, sie be- steht in unserem heutigen Staate noch unter der Gestalt der Erbfjchaftssteuer. Dies Recht ist so alt als das gesamte gerr manische Gewohnheitsrecht.

f) Wenn der Sq|in oder sonstige Erbe eines Mannes das Lehn* oder das Hofgut auf sich übergehen machen wollte, musste er diese Erklärung abgeben, er musste um die Investitur anhalten beim Abte, dies nannte man »Muthen». Bei Gelegen- heit der Mulbun'^^, die innerhalb eines Jahres nach dem Tode des früheren Besitzers erfolgen sollte, sowie auch nach jedem Abiswechsel musste der Muther eine Steuer zahlen. Diese Ab- gabe heisst «Laudemium», «Erschalz», und ist für Maurs- münster auf die Hälfte des ersten Jabreszinses berechnet. Es war dies eine periodisch wiederkehrende Anerkennung von Seiten des Erben des Verblichenen, dass die Lehngüter nicht aus sich selbst wie Allode erblich sind, und bildete zudem noch eine Einnahmequelle für den GrundlieiTn. Es ist ein R^chts- in<titut^ das erst durcli das Aufblühen des Benefizialwesens ent- standen ist.

g) Bisher wurde im Laufe unserer Darstellung oft schon von Zehnten gesprochen. Diese Abgabe lastete wie alle mittel- alterlichen Besteuerungen auf dem blossen Bruttoertrage. Es war dieser Umstand, der mit der Zeit diese mittelalterlichen Lasten und Abgraben so verhasst machen musste.

Solange jeder Bauer ^^enug Land besass, um reichlich davon leben zu können, und solange reine Naturalwirtsciiaft vor- herrsciite, Hessen sich noch keine soleii grässlicliea Missstände daraus fühlen. Der Zehnt musste verabgabt werden von allen Früchten, die in der Herrschaft Gebiet erzeugt wurden. Ueber die Art und Weise der Zahlung und Berechnung des Zehnten sowohl auf den Aeckern als beim Vieh giebt der anastasische Jahresspruch von 1471 interessante Vorschriften.

Die zehnte Garbe oder die zehnte Handvoll irgend eines Ackerbauprodukts wurde von einem Stück zum andern und nicht aut jede» einzelne abgezahlt. Die Stücke sind die Parzellen, die einem Hofgute angehören. Jede angefangene Dekade galt als volle Zehn^ und wurde eine Einheit davon weggenommen. Der Zehnt war aber keine ßringschuld, sondern der Grundherr oder der zehntberechtigte Dritte, Stellvertreter oder Nachfolger im Rechte, musste ihn durch seine Zchntknechte auf dem Felde abholen lassen. <^ ehe umlt bevohr die underthane oder bauren das ihrige von den stücken oder platzen heimbführen oder ab- tragen j».

Dieser Fruchtzehnt hiess auch der grosse Zehnte, und mit dem Ertrage dieses war der Grundherr der Mark verpflichtet.

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in den Dörfern da.s Chor der Kirche zu unierhalten, während das Landhaus und der Turm dut ih die Dorfgemeinde im Stand gehalten ^vurden. Di«- Kirche ohne das Chor war früher oft das Genieindt'liaus : in ihr vei-sanirnelton sich die Bitp^^er als in einem Ratliause, von der Kanzel lierah wurden auch alle Üe- kanniniachungen und neue Oidnuni^en und alle landesiierrlichen sowie kirchlichen Gesetze verlesen; der Kirchturm war sehr oft ein befestigtes Gebäude, -worin die Bauernbevölkerung oftmals sich tüchtig wehrte. Daher die verschiedene Unterhaltungspflicht des Grundherrn und der Bürgergemeinde an der Kirche. Der Zehnt gehörte gefsetzlidi immer der Kircli»' zu solcher Ver- wendung wie auch zur Vcrplloi^un^ des Piarrer?.

Nel>en diesem grusstn «»iler Fruchtzehnt hesland noch ein anderes Zehntrecht an den Herden^ dies hiess der cBlutzehent, das ist, wann iemandt in seiner Herrschaft iunge feriin,

sechs Wochen dem Zehntherechtigten anzeigen und mit ihm abteilen. Dabei hatte der Unlerthan aber die erste Wahl; hat ein Bauer in einem Jahre keine zehn Stück dieser jnnjren Tiere, so wird noch ein Jahr abgewartet, dann werden die des vorigen Jahrgangs mitgezählt und das Zehnte herausgenommen, nun hat aber der Abt oder jeder andere Berechtigte die erste Wahl, um ihn seines Wartens zu entschädigen.

Beim grossen Vieh, als Rinder oder Pferde, kann so nicht verfahren werden, deshalb wird von jedem Stück Jungvieh der Zehnte in Geld umgerechnet. Von den jungen Kälbern hat der Zehntherr von jpfhvedcm einen Turnos, «dessentwegen er dann auch denn reidt stier hallen solle».

Auch die Schäler und Hirten waren verpflichtet, von ihren Herden den Zehnten zu geben, und durften nicht mehr Stücke Vieh halten, als ihnen der Abt gestattete. Somit konnte diese Pflicht von niemand umgangen werden, indem auf diese Weise diejenigen, welche ihr Vieh den Hirten übergaben, auch herangezogen wurden.

Dici^e Hirten wuiden von <']pttieinde wep-en ringest eilt und besoldet, mussten aber, wenn das Kloster keinen eigenen an- stellte, wozu das Becht ihm zustand, dessen Vieh unentgeltlich auf ^er Weide pflegen und hüten. Sie mussten des Moigens frühe zuerst vor des Klostertt Thor den Kuhreigen «hürnen», und dafür erhielten sie jeden Sonntag zwei Kloslermütschel Brots. Man verarge uns nicht die gelegenheilliche Digression 1 Das Wort mütscliel hat -i' li in der elsässischen Landessprache bis auf heute erhalten zur Bezeichnung eines kleinen Laibs Brots, es ist gewöhnlich der letzte Teij^, der nicht mehr hin- reicht einen grossen Laib zu machen; hier in unserer Ur- kunde bedeutet es aber als « Klostermütschel » ein typisches Brotmass.

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Der Zeliiil war in dev Thut eine der lä:<lig.slen Abgaben, eine Leistun;,^, welche jed** l^aiiemwirl.^cliuft oft liait tiefleii

niujj-stt', Ij. sondf'rs in Man^«'lj;ilir«.'n. Zum IjA^c .ihcv diT braven Aebte MaursiininstiTs köiiiit<Mi wii- eine Ircdlicia' Hoilie wohl- tliMtiiiO! NacUlä:5i?e V(in Absahen nach sichlochteii Erntejahreii luittciliMi.

Alles was wir bis j*>tzt ztir Erörlerunj^ brachten, Lewis! uns, dass es den Leuten St. Martins in der Mark Maurs* münster zu jenen ZeiltMi, von weblicMi unscro Urkunde» spre( lion, ni( ht jjar zu sclilci lil cr i^ing unter der milden Herr- schall (hv- K r ntrunslabes. Fiüh srhon vcrs» liwirithMt die Slande>- unh'rsrlii«?(i»>, ihm) alle Hauern des Kloster^ uicuies.sen oines iin«! desselben Hint« rsa.ssenrechls. Auch ^e^-en id>ei'müli';e Bedrän;;- niüse vüü seilen {^eldbodürflij^er Könige und Kaiser waren si» geschlitzt durch (iie Immunität des Kloster^ebietes ; die Bauern, welche auf kirchlichem oder klösterlichem Boden sassen, waren bedeutend weniger bedriin;-5t, sowie idierhaupt alle Personen, welche in) Dienste der Kiiche standen, sie genossen gewisser f^tnoj'ziigungen als solche. Obschon an sicli nicht Ireien Standes, wurden sie doch nie als Sklaven, servi, })ehan<lelt, denn <hirch die Kirche w.ird d»M' liegriH der Sklaverei l>edeutend gemildert, und innner verbot diese die Behandlung der Menschen als blosse «mancipia)». Kiivhendienst war damals soviel als Befreiunjr. Nicht oline Einflus** auf di<^ Stellung der klösterlichen Dienst- leute blieb die Umwandlung der Dienste in Geldal^alien, durch welcho nun alle Hintersassen Zinsleutf* gewonlen waren, und mit dem Laute Zeit tmi<<fe die Servililäl, die lirsache der Dienstplennige, ^rnizli« h \er>i liwinilen.

l'crner h.iheu wh bewiesen, «iass die ilcallasten alle ver- tragöniässig lesigesteilt waren, konnten demnach nicht ein^eiti^: von einer Partei erhöht, noch von der andern mit Recht ver- weigert werden, ohne neuen Vertrag. Später aber, mit der Erslarkung der Territorialhcrrschatt, nnter dem Einflüsse dett dieser TendiMiz viellach irüiistigen löniischen Hechts, massten sich viele Fiirsh-n an, die Hauern wirklich als (( rriafiere taillal)!«* ft ( orveable ä merci » anzusehen. Manrsmünslei die Ablei jedt>< It konnte sich nicht auf die Höhe des fürstlich-landesherrlichen Standes erschwingen, es waren im Gegenteil ihre Vögt<\ die auf ihrem Geliiele die Fiirstenrolle spielten. Diese beraubten sie Iteinahe aller ihrer Hechte, und wenn Ii' I^auein der },\:\ik böse Zeiten halten bis zui SlniKic ilucr Erlösung durch die französische Hcvolution, so Iiiigt die Schuld nicht das Klostei. das -selbst gegen die Habsurlif iln-er und seiner He-chnl/.e!- sich iii( li( verteidigen kuunte. Ihiuptscltuld daran liagen ininierhin die unheilv(»llen Kriege der Ludwige Frankreichs, dieser Geld und Menschenlohen verschwendenden Könige, mit ihrem not- wendigen Gefolge von Staatsfronden zur Erbauung von Strassen

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luiil voll labligeii Steuern zum Aiilln iiiLren dvi Kosten des Krieges und ihres Prunkes, <lie Dinie myale. Alles dies liinziij^eieclinet zu den yrund herrlichen, immer noch bestehenden anderen Fronden und Lasten, mu5;sfe die Bruttoertrages des durch Missjahre arg ;44>l>rülten I^ndmannes in hohem Masse verringern, so dass es nii ht mehr wunder nimmt, wenn man erfahrt, dass zu jener Zeit die Sffuereinzieher die Bauern des Hungers todt auf ihren Feldern atdraten.

Die wirtsohaftliche Organisation der Mark

Maursmllnster.

Der Frouhof.

N )( Ii lern wir die hauerlichen 11 rchts Verhältnisse der Mark belrachlet und kennen ^ielernt hahen, ^vr»nden wir uns jetzt /Ui- wirtschaftlic lie?i Oipnnisation dieser ( ii iüidherrschaft. Es ist nicht mIimc Intt'it'v^,., m das Getriebe einer heinahe tausend .lain e allen \Vn Ist liatt hineinzublicken ; manche Lehren lür unsere heutigen Wirtschafter dürften sich in den altbewährten Wirtschatti^regeln khi^fer Mönche vorfinden. Zuvor nun einen ISpHzi« igan*: durch den Fronhof eines Maursmünsterschen Hof- <^utes im IX. Jalirlimidt rt I

Der >f ittelininkt jeder wirtsriiafiliflien Thatigkeit ^vaI• der ^Fronhot», aucii clJinj^hot» j^t naiifit ; um diesen hc»rum befanden sieh urs[>rünglich nur dii- huüiörigen Dienstleute, Knechte, Mägde und andere Arbeiter mehr in «Koseten», tcasadae» an- gesiedelt. Die Gesamtheit dieser Ärbeiterwohnungen und der WirtsehaftsgeMude bildete eine Villa.

Die Grundpiinzipien der Einrichtung eines herrschaftlichen liüfgutes waren während des ganzen Mittelalters die Regeln, welche in Kai l d. - Gidsseii «Capitulare de Villis» aufgestellt waien : ein aui \ i Isi halthchem Gebiete wahrhaft epoche- niacliendes Werk der Gesetzgebung.

Der Fronhof war in früheren wie nocJi in späteren Zeiten der Silz der Haus- und Hofhaltung sowie auch der gesamten Landwirtschaft ; daraus erklärt sich, warum in diesem und um ihn liei uin die Wohnungen der Hofbeamten, Landarbeiter und der Handwerker sich lief;niden. Das Ganze nebst den zuge- hörigen Hofräiimen war nach den alten Yolksrechten schon mit Zäunen umgeben. i

J Vgl. G. Ludw. V. Maurer, Hofverfassung 1, pag. 112, Dor Fron- hof and seine Bestandteile. Wir erinnern hier an die Fronden heim Bauen der Mauern und der Häge um das Gut, deren Erwähnung im vorigen Tfilf geschah ; vgl Rechte des Klosters T. 1143, apud Sclioepäin, « Als. dipl.» T. I.

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Der hervorragendste Teil einer Villa war das H^rrscfaafls- haus, die Wohnung des Herrn oder seines Stellvertreters^ sie hiess c domus, casa und niansus»; um dieselbe von den anderen Gebäuden der Hofhöri*:en zu unterscheiden, bezeichnete man sie mit den Ausdrucken tdomus, <asa dom\nicata, mansus doniinicatus, casa dununica«, bei kuiugliclien Höfen «domus, casa regalis». Der deutsche Name war cFronliot», aucli «Sal-, Sadel-, Sedel-, Sd-Hof>.i

Neben diesem Hauptgehäude hatte der Fronhof noch mebi-ere Wirtschaftsgebäude innerhalb seiner Umzäunung. Diese Gebäude biessen «domtis, casae, aedificia», etc. kurz- weg-. ^0 im Güter Verzeichnis vom .labre 1120.^

Neben diesen Hauptgebäuden halte der Fronhot noch ein- xeln lieprende Wirtscliaftsgebäude.

Die Oekonomiei-ebäude sind : der Stall,3 seuria (ecurie), stabulum (dtable), in der Urkunde von 1120 für Maursmünster sind einzeln stehende KuhstäUe^ «vaocariciaet, erwähnt; femer* die Sc heune, cgranea, granarium, grania, grangia (grange)».«

Häufig bedeutet «jrrangia eine Sclieune oder einen Stall, sehr oft abei- aucli die von frrösseren Fronhöfen abhangigen Vorwcikt', Meiorliöl'e oder Stadel, bloss zur BewirtsehaHun'^^ eines kleineren Gutes bestinuut, daiier ausser Dienstwuiinuageu nur noch Speicher und "Wirtschaflsräume enthielten. So besass z. B. das Kloster Neuburg \.,f^h, 15 solcher «grangiae», und zu einer jeden von diesen ^( hörte eine bestimmte Anzahl von Feldern, Wiesen und Weiden nebst dem gehörigen Anteile am Walde und Wasser (Dipl. v. 1177 bei Scho:'pilin, «Als. dipl.» J, '2&1). Fljenso sind aucli hier in Mauer;^iiunr<fer solche Vorwerke erwähnt, niil zu^^eliörij^em Grund und B ilt n.

Der Speicher, «spicariumjD ; der Keller, ({celiaiiuiu» ; der Pferde- und Kuhstall, cequaritia, vaccaritiaev ;^ femer der Schweinestall, «porcaritia domus», der Schafstall, fovile», und andere Stallungen, «armenta, caulae pecorum»; Kammern, tcamerae, camarae», als Aufbewahrungsmagazine für Produkte und Werkzeuge, als Arheitsräume, fehlen nirgends auf einem Fronbofe.

Ferner finden wir noch erwälint das Kelterhaus, «torcular^ torculanuiii» ; dies zu errichten war eine Reallast einiger Bauern der Abtei.*

1 Von einem solchen Hofe des Klosters Ottilienberg heisst eine Gasse in Oberehuheim «Seihofgasse».

2 «Als. dipl.» 1,1120: «cum aedificiis ac dependentiis >. 9 Polyptychon Fossatense ap. GaSrard I, 10, p. 286.

* VgL Gütei-verzeichnis v. 1120 bei Schcepflin a. a. 0. Statuta Corbeiensia bei Guerard, I, 7, p. 314. ^ Vgl. Güterverzeichnis.

9 Des Klosters Rechte bei Sehoepflm 1144, L

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Alle diese Gebäude waren aus Holz, imr die Kirchen^ die Hen^scbaftswohnungen waren aus Steinen gekaut (casam domini- catam ex lapide optime factam mansiones virorum ex ligno factas alia tecta ex maceria).! Jedes für sich bildeten noch die Küclie und die Bäckerei, ccoquina, pistrinum», ein selbstän- diges Gebäude.

Auch Fischweier waren nicht vei';;es>en ; ^^ü war einer i>eim Kloster Murbacli, er hiess der Vivarius Peregrinorum, und sicherlich fehlten diese bei MaursmQnster ebenfalls nicht. Fische bildeten an Fasttagen immer die Nahrung der Kloster^ leute, und die Fischzucht der Klöster war von jeher berühmt.

Das Ganze wurde durch den Hofbund, den sog, Uofwart, fvewacht. (I.. Bajuv. XIX, 0: canom qui cnHem domini sui (lett ndit, qui Irovawarth dicunt.) Bei Tajjfe war dieser angekettet, nur (los Xarlits Hess man ihn irei herumlaufen. 2

iNacli Kai ls des Grossen Anordnungen sollten diese Gebäude aufs beste eingerichtet sein; alles was zur Wohnung, zum Unterhalt und zur Arbeit nötig, sollte auf dem Fronhofe sich vorßndoii, damit nicht die Ordnun«]: gestört werde im Betrielje. Auch die Klöster hielten hieran fest; so finden wir die Auf- zählung von Gerätschaften in Karls Breviarien sowie in den Statnta Cnrhcirnsia. Karl der Grosse befahl, dnss solclie Inven- tarieii gemaclit werden .-nullten, nicht nur auf seinen eigenen Höfen, sondern aucli auf den Gütern der Kirche und der Klöster, deren Verwaltung er Oberhaupt streng fiherwachte.

Sowie auf den königlichen befanden sicli auch in den Maursmünsterschen Fronhofen die Masse und Gewichte auf- bewaln t, wie es ans der Ordnung des Dinghofs zu ersehen ist.

In f ielen \illen späte!- Dorfschaften befand sich suüaiiii eine Kirche, wie man solche -nicli auf Königshöfen ])ei- nalie immer findet. Zwei reiche Binder hatten dem Klusler einst einen Wald geschenkt, darin gründete Abt Meginhardt (XII. Jahrhundert) ein Dorfchen, allwo er ein Kirchlein erbaute zu Ehren des allt rheiligsten Kreuzes. Im Verzeichnis von 1120 sind 8 curtes dominicae aufgezählt mit Kirchen.

Audi Franenarheitshäuser Hfirj-^l man auf den Fronhöfen der Klöster und wcllliclien H('rrs( iiatten, sie worden jedoch in unseren Urkunden des XII. Jaiirliunderts niciit mehr aufgezählt; die l- rauenaiheiten werden nun meistens, seitdem die Leih- eigenschaft sehr gemildert oder abgeschaflt worden, als Haus- arbeiten verfertigt, wofern sie nicht durch Geldleistungen ersetzt worden sind. Auch haben die Frauenklöster die früheren

1 Vgl. GuSrard, Breviarium Gacoli Hagni, p. 304w Macerla =

Trockeumaucr.

2 L. Sal. VI, 8 nacli Maurer citiert : « castodem domas sive curtis, qui iu die ligari solet.»

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Gyniiceen venlntn-^t iin<l verfertijren jotzt noch immer ilie Arbeiten der FrauHn,irl)eitsli;uisor. Kücksichten der Moi;<litrit jrehoten die Ahschalluiij; dei Gynäceen, aus welchen die alten Chroniken manches nicht tjar so lautere Geschichtchen zu erzählen wissen. >

Das Weben ward mit der Zeit auch immer mehr und mehr ein Handwerk, und mit Stickerei beschäftigten .sich in höchstem Grade die Frauenklöster, deren Arbeiten mit ^'erdienst gerühmt werden. Fraiionl enienaten finden wir im XII. Jahr- hundert nur noch aut den Ritterburgen und am Hole der Grü.ssen.2

Auf den Gütern der xVbtei Maursmünster sind viele liauern- lehen vermerkt, welche unter ihren Diensten und Abgaben je iQO «axiles» und 30 «axes» zu leisten hatten. Die axiles ent- sprechen nach Gaesarius von Heisterbach dem deutschen Wort «Essclinge» und sind die Dachlatten, aufweichen die Dach- schindeln oder Dachziegeln angeheftet werden; die axes die Spanen, auf welchen ;die Dachlalfeen autgenagelt sind. Auch cScindulae», Schindeln, bilden eine häutig vorkommende Real- ubgabe.3

Im früheren Mittelalter waren die Häuser, auch die Kirchen und Herrschaftswohnungen mit Schindeln, einer Art schmaler, kurzer Breitrhen gedeckt, was aus den obenerwähnten Leistungen siclr mit SiciKM'lieit schlies*sen lässt.

Erst im sjtäteren Mittelalter finijr man mit Dachziegeln, die man in Italien kennen lernte, zu bauen an; aus dem Umstände, dass in unseren Urkunden von Maursmünsler aus dem XII. Jahr- hundert keine Abgaben von Schindeln mehr vorkommen, lässt sich der Schluss ableiten, dass jedenfalls die Gebäude des Fron- hofes, im engeren Sinne, der casa, curtis dominica, sowie die Kirchen mit gebrannten Ziegeln gedeckt wurden.

Soviel über die äusserliche bauliche Ordnung der Fron- höfe; wir wenden uns nun zur «

Administrativeii Einrichtung.

Karls des Grossen Anordnungen, sagt G. L. von Maurer, machen Epoche, nicht allein hinsichtlich der Hofhaltung- des Königs und seiner Villen, sondern auch in Ansehung der 6ros.sen des Reichs und der heranstrebenden Gemeinfreien,

1 Vgl. die Geschichte der zwei Brüder im Leben Charls des Grossen vom St. Galler Mönch, bei Pertz. Moiiumeuta historica.

2 Vgl. Nibelungenlied, Gntmn, und überhaupt alle Dichtungen des Mittelalters, worm dieser oft Erwähnung geschieht.

3 Axiles vnlgariter appellamns Essel inge, et scindalas Scundelen, Beg. Frnm. p. 6ö4 bei Gaörard, Folyptyciae dlnuinon.

indem sie ihre Palutial- und Villeoverfassung mehr und mehr

derjenigen des Königs nachzubilden gesucht hal»en.

Ks }^ab Ijcsondors reiche iviichliche Fürsten, die in ihrer Ht)fhaltun;j^ dem Könige nicht nnefr^in^en, ja selir oft mein* Prunk als dieser selbst eniwit kolten. vS( h4)n selir Irüli trellen wir aiü den kinhHc.hen (jutt^n <lie vier obersten Holäniter, wie sie im Capilulaie de Villis au%ezählt sind.

Die Uofbeamten.

Die vier hohen Hotamter wai«n bekanntlich: der «Cubi- cularius» oder wie er untn ihm Karolingern hiess, der «Game* rariusi», der die eigentliche Uoihälluiig, die innere Verwaltung

des Hnn^c-^ besorgt, dieser erscheint auch hiei* in Manrs- im"iii>lri-; «J)a|iil'er» oilcr « Hnisraleus » dei" (Jbtjrküclien-

nicisler, s|>äler « 'l i iii hsess », dein die Sdr^^en um die Küche ubhi;,^en, so in dei Ai)lei Corvey;' der «Pinccrna», «iicantio», Kchanson, in Karolinj^erzeit (Capitulare de VilJis) auch cbuli- cularins» genannt^ hatte die Verwaltung der klüsferlichen Kelh'ieicn unter sieh. Auch dieser befindet sich in unserer Tne(ler<'lsäs>:isehen nene<hklinerahlei. Maursniünster, nach Mül- bach ini Oherelsass das reicliste Stift in unserem Lande, konnte ;ils soh'hc*^ dos Marschalls ni« lit enthehren, dessen Name allein schon die Heschidti^nuiij; andiadet.

Diese höheren Ministerialen verwalteten ilirc Ressorts mit Hilfe von Untei^eoitlneien, «juniores» hiessen diese ;> so soll im Kloster Ck)rvey in Westfalen, nach den Adalardisclien Statuten, ein « cellerarius junior > im Speisesaale jedem der Brüder sein Mass Wei»!-«- vorstellen, aucli sind dort mehn're juniores celle- rarii erwidmt. Daneljcn j^ah es noch viele andere Aemtoi", die «venalores», Jäj^er und .lä^'^ernieister, di«» Falkoniere «laiifi- narii», die Förster tund and«!re nnndervornelune Hotbeanile».^

Zu diesen kleineren Hofbeamten gehören auch noch die Pförtner, « portarii, in-oiKH-tarii », die wir auch in Maurs^ munster finden, und die in keinem Kloster fehlten.

In der Abtei Corvey musste der « portarius senior > für die Armen, Kranken, Heisenden und Fremden f^or^e fragen, «Intiei hatte er auch, wie aus seinem Namen hervorgeht, ilie Aulsicht auf die Pforten.

In den Klöstern, damals die alleinij^^en Reisestationen des Mittelalters auf dem Lande, fehlten die Armen-, Kranken-

1 Vgl. Stat. abb. Corbei. von 822 I, 1 ; II, 5-7 im Polypt. dlnnin. Vgl. Guerard p. H07. /?]S-:»l'i>. H37 n. 3H8 c et ipsi ministeriales, iil est camcrarius, cellcl•;lm^^ et senescalciis >.

* Vgl. Cap. de Villis, passim.

^ Prof. Sohm, Vorlesung über Rechtsgescbichte § 19, 1, die Hof- beamten. 0. L. V. Maurer, HofTerfassong § 85.

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und Herbergshäuser nie,i an deren Spitze standen ^wieder eigene Vorsteher; in Corvey waren es drei geistliche Mitglieder des Kloster e ad domum inürmorum tres » , welche die Reisenden und die Kranken empfinpren und zur Pfle^re hatten. Diesp HeiluT.ui^- und Sj)italvorstelier beis$en c hospitalarii, hüspitaiares, hospitarii, auch ospitaiii ».2

Die Kioslerre^je! will, dass alle Bedüi tnisse aus eigener Arbeit^ aus höchst ebenen Mitteln gedeckt werden sollen. So werden heute noch im Trappistenkloster zu Gehlenberg, nach dieser Hauptregel des Klosters, ora et labora, -ille Lebeiis- bedürfnisse durch eij^ener Hände Arbeit bescJialTt.3 Den da- maligen WirtschafTsverbältnissen ent-pif^chend mussto die Wirt- schaft der Giiindherren eine Na Ii na I Wirtschaft soiii.

Jedes Kloster liatte also innerlialb seiner Fronhofgehäude, cintia monasterium», verschiedene Handwerker, welche gegen ihre Dienste und Ariieit durch das Kloster erhalten ^wurden und als Mitglieder des Hauses eingeschrieben waren. Addalard nennt sie c Matricularii » . In Corvey findet man am Anfang de> T\'. Jahrhuriderts herrschaftliche Bäcker, «pistores dominici», Braumeister, «hratsatore^ dominici». (Gf. Stat, v. 822, Cap. XV, p. 334 bei Gucrard a. 'a. 0.)

Auch in Maursmönster halte man Bäcker und Bierbrauer. Die Handwerker waren in Corvey in drei Arbeitskammern verteilt, jeder Kammer stand ein Handwerksmeister vor. Abt Addalard zahlt folgende Handwerker auf: 5 Schuster, «sutores», 2 «cavalarii», nach v. Maurer Lederarbeiter, 1 Walker, «fullo», G Schmied(\ acfahri prrossarii», '2 Hold schmiede, caurifi(C-». 2 Schildinarhei', «scutarii». 1 Peruaiiieritveil'ortif^er, 1 Schwert- fe;xer (fourhisseur), c sainialur », ein « gararius », nach d'Achery (citiert durch Guerard, Index Gararius) einer der dem Holz- fällen vorsteht, 4 Zimmerleute, ccarpenlarii» (charpentiers), 4 Maurer, c mationes » (raagons), und endlich noch 2 Aerzle, medici ». ^

Alle Handwerkszeuge sollten diese Arbeiter vom Kammerer empfangen, der den Handwerkern vorsteht, «secundum con>

1 Ad hospitalem pauperum. * Stat. V. 822 bei Guerard iV, p. 30.4.

8 Vgl. G. L. V. Maurer 1. c. § 85, p. 252.

8 Wer sich ein lebendiges Bild einer solchen Klosterwirtschaft machen will, wie ich diese jetzt beäciu-eibo, für den lohnt es der

Mühe, wenn er die Reise nach Kloster Oehleuberg bei Reiniiigen hr. Oberelsass antritt. Hier ist noch ganz und gar die mögUchst reino Naturalwirtschaft der Capitalarien und der Addalardtschen Statuten Die Brüder bebauen sogar den Boden selbst, soweit sie ausreichen,

sie verriehten alh' hauslichen Arbeiten ohne Ausnahme selb>t. und alle Handwerke sind darin vertreten ; ihr Getränk, das Bier, bereiten eigene Klosterbiauer. x\u der bpitze der Wirtschaft steht der Pater Schaffner.

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sueludinem communem», so däss hieraus wir für Haurs- munster dassel))e schliessen können.

Anfanglich «luiften die Handwerker, die nicht als niatri- cularii im Kloster siMbst wohnicn und nicht Mitglieder desselben waien, nur IVir den TT^f arl)eiten, doch selir hti'i imission Üare Leis(uii^t'i) dessen Pr lm inisse überöJeig*?n, und die Griuidhcrron frlauhttn ihnen dann iiu ilen Markt zu arbeiten, dies konnte abei nur geschehen, nachdem der Handelsverkehr dui-ch Einsetzung von Märkten sehr zugenommen hatte. Dies zu thun, vernachläs- sigten die Grundherren nie, da hierdurch auch ihre finanziellen Einkünfte hedoufend vermehrt wurden. Für die Erlaubnis, um Lohn zu arlx'itcij, gal» rlann gowohidicli der Fiand werker eine j"ilit Ii' )m' \l>gahe von scifieii ge\veri)hchen Erzeugnissen, welche als J;e;tllasf auf seiner liulte oder auf seiner Wohnun«,»- ruhte, daher eljcn die Abgabe von Pflugscharen, von Gewebe und von andmn Artefakten, die somit den Beweis liefern, dass auch hier in Maursmünster in früher Zeit die Handwerker im .selben Verhältnisse standen wie in Corvey um 820 herum,* Diese ebenerwähnte Einteilung der Handwerker des Klosters in Kammern, Aemter, »r Ministeria » nacli den verschiedenen Beschäftigungsarten <ler Hotleute ward von den (uitsherren eingeführt, nm die Handwerke technisch immer nielir zur kunstgeniassen Ausübung heranzubilden uml so die Arbeits- kräfte jedes einzelnen, auf ein^ einzigen Gegenstand gerichtet, besser auszunutzen, um dadurch die möglichst grossen wirt- schaftlichen Vorteile zu erzielen.

Von dem Amte, dem ein Meister vorstand, erliielt dieser den Namen « Ministerialis *, im Cap. de Villis hoissen sie auch «judices», «seniores» im Ge^rensafze zu den juniores, ibren Untergebenen. Sie hatten daiin- zu sorgen, dass die Arbeiten gewissenhaft und ordnungsmüssig vollbracht wurden, sie mussten dem Herrn gewissenhafte Rechenschaft über ihre Verwaltung ablegen und die aus ihrem Ministerium hervorgegangenen Pro* dukte in der vorgeschriebenen Art und Weise aufbewahren und auf Begehren des Hofes dorthin abliefern ; sie überwachten auch die Ausbildung der ani^elienden Arbeiter, Handwerker, und sollten dafür Sorge trafen, dass nur ^ute, treue, ehrliche Leute in der Villa beschaltigt würden, ferner hatten diese Meister eine beschränkte Stratgewalt über die ihnen unter- worfenen hofliörigen Arbeiter.

Soviel über die innere und gewerbliche Einrichtung im allgemeinen; wir werden nun zu der Betrachtung der speziellen eben besagten Aemter in Maursmünster übergeben. Ueber

1 Solche Abgaben erwähnt im Güterverzeichnis von 1120. Ebenso im Polyptycliou von Weissenburg, Traditiones Wizzcnbarg. £dit. Zeuss, passlm.

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diese finden wir folgende Mitteilungen in der Markvertassung vom Jahre 1163. i

^d. Der Marschall.

Seine Rechte und Pflichten.

Schon der Name dieses Beamfen (niarsliaic= Pferdekneclit) zeij^t .Lienug'end an, was dieser trüiier war. Nur mit der M;udit- und lieiciilumszunaiinit' der grossen Grundbesitzer knunte sich dieser zu so holier Würde, wie er sie im X. .lalirüundert schon iiat, emporschwingen; die Verliältnisse der VasalUiat brachten es ferner mit sich, dass derjenij^e, der Ober die Kriegs- pferde Sorge trug, sehr Ii.ild auch sich ids zum obersten Kriegs- herrn der Territorien erbeben konnte. Bei Ankunft des Vogtes und Mndeier Herren, um ein Ding abzuhalten, musste der Marsciiail ihre Pferde empfangen und ilber ihre Verpflegung wachen, verpflegt wurden die Pferde wohlverstanden nur nut des Abts Futter und Strol», hierfür erhält der Ahl aber den Dünger, um denselben auf seinen Gütern zu verwenden. Der Marschall muss auch des Abtes Pferde warten, er sorfrt fOr die Equipierung der Vasallen, wird deshalb mit der / Ii aiiüh ihr Anführer im Kriege. Er haftet dem Abte für die richtige Voll- führuiig der Arbeit seiner nntcr-^obenen Dienslleute, S(»gar nocrh Wenn dtn Abt einen seiner eigenen Knechte mit diesei* Arbeit beliaiil. Auch niuss er immer sein Pferd bereit halten, um zu reiten, wenn der Abt auszieht «Et ipse marschalcus >, sagt die Urkunde von 1144, «equum Semper paratutn habeat, quem vel ipse cum abbate equitet, vel cui jusserit prestet. * Der « Marsclialk» hatte ferner noch die Anordnung zu treffen, wie und wo die IMerde zur Weide getrieben werden sollen, und <(>r}>te für Herbeiscli ilfung des nötigen Futters. In der Al)toi Müii>lei- im Gregorieiilhal musste «der marsclialk oech ileiij alibas nachtragen sinen Stuhl ze den hochgeziten, wenne er mit cruce gat».i

Der Marschall hatte denn auch, jedoch nur in Kriegszeiten, die Gerichtsbarkeit über das ihm untergebene Heer. Das alte Strassburger Stadtrecht, Cap. 91 bei Grandidier, II, 79, be- auftragt ihn mit der Sorge für die Verpflegung der Fremden und der ti'iti^et'ührten IM'erde. Auf Pioisen begleitet der Marsrhall >cini ii liL'rrn überall ; «Dei* Abl)ns hat einen Marschall, der soll mit inte varn, weiuic er sin bedarf». ^

Ebenso hattt; nach dem obenerwähnten Sladtrecht, Gap. 90, Ul bei Grandidier, II, 79, der Marschalk die Pflicht, den Bischof

1 Urkunde von 1389 über Münster im Öberelsass, bei Schoepflin, «Als. dipl.> II, 164.

2 Ibidem. i

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und seine Gefotgscfaaft zu euipfan^^eu, ihnen ihre Wohnungen anzuweisen in der Stadt, wenn die herrschaftlichen Gebäude nicht ausrcichfeii.

Aber des Marschalls Dienste sind nicht unentg^eltlich, drei

Höfe und eine Hube Landen? (ca. 10 Hrk(ai) in EclioKeswilir sind ihm narii dcni Mauisiiiünsterschnn Horreclit zugewiesen; er und sein Pferd erhielten den Unterhalt vom Kloster.

2. Der Kämmerer.

Dieser hatte, wie InMcit?; nniiedeufct, die eigentliche Haus- haltung unter sich. Hier in Muursniünster sind seine Dienste wie folgt beslinnnt : «Der Kämmerer des herrn Abtes besorgt und bewahrt in den Kammern »ien Tisch und die Tischtücher^ die Bette und Alles was dazu gehört.»

Als der erste und oberste ritterburtige Kammerdiener des^ Abtes hatte er auch diesen persönlich zu bedienen, wenn er zu Bette ging, und des Morgens, wenn er aufstand.

<i Camerai'ius abbatis, rnl)itiim eunti, surgenti in omnibus .sultiniiiistiet; camerai ius abbat is in camiuata mensis, lectisterniis et relique supellectili prc.sitleat.»i

Sein Pferd soll er immer bereit halten, um den Abt auf .seinen Wanderungen zu begleiten ; hier besorgt er dann wieder die Einrichtung der Quartiere des Herrn und der Gefolg- schaft, immer und in allem steht er dem Abte zu Dienste.

Die Markverfassungsurkunde spi icbt von keinem «Dapifer», Oberküchenmeisfei'. Waiiuri stliweigt sie nlier die^^en doch so w'ichtigen Beamten, der sicher in keiner ^lösscren Hollialtung- fehlen sollte? Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, dass bier in Maursmünster die Küchenbediensteten unter der Oberleitung des Kämmerers standen, besorgte und verwahrte doch diiser den Tisch und die Tischgeräte; so erhalt er auch vom Tische des Klosters, was abgetragen wurde. NachgeN\ iesener- masscn war dies !(»fzfere eine Ikd'ugnis, die dorn Tni( li!5esspn, dem Dapifer zustand, wo dieser existierte. So im Stifte Win/.- burg : «Wann der Fürst wieder aufbricht, und aus dem Fekie zeugt, was für Küclienspeise übrig bleibl, es sey lebendig oder todt) ist des Truchsessen. > Dadurch ist meine Ansicht, dass in Maursmunster der Kämmerer zugleich Oberküchenmeister war^ bestätigt.

Diese Befugnis sdicint von vornherein geringfügig; kennt man aber die zaidreiclic (lelolLischatt so reichei- Kirchenfürslen und den Luxus, der gelegenlieitiich enttaltet wurde bei herrs( liaftlichen Mahlzeiten nicht im Klusler natürlich und nicht für die Brüder «les Konvents , .so begreift man leicht,

1 Bechte der Abtei; ap. Scho^ptlin, «Als, Dipl. > I, 229.

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duss diese Emolumente doch ziemlich bedeutend werden

konnten. 1

Der Kümmerer verwalirle in den veiscliiedenen Kammern die anfreferti|Tlen vorratip-en Kleidungsstücke, die Wallen und lUistung«'!! der Kloslerleute, die Handwerkszeuge und jegliches andere Erzeugnis der klösterlichen Gewerbe. Als Schatzmeister nahm er überhaupt den grössten Anteil an der Verwaltung.*

Sein Gelialt bestand in einem Benefizium von 7 Aeckern, seinen Unterhalt und die Nahrung seines Pferdes bezo- er ebenfalls aus des Klosters Hofe; ausser Iftn mussten noch alle Meicr und Amtsleute des Abtes dem Kämnieier ein fiezwnngenes Ge^clienk darJjringen. Die?^ konnte für diesen wohl eine prute Gelegenheit geben [zur Herauzieljuug dieser unteren Beamten- schaft, da diese Geschenke nicht festgestellt wai«n.

Der Abt kleidete auch seinen Kämmerer, also dass er ihm uberall mit Ehre folgen mochte.

3, Der KeUerer, Geiierarius.

Dem Kellermeister, und dies war im Kloster selbst immer ein Mitglied des Ordens, auf den Fronhöfen ein weltlicher Unlerkellermeister, war die Pflege des Klosterkellers zugeteilt, ei- liatte die An t sieht über die Zubereitung des Uieie.«t und an- derei (letiänke. Unter ihm standen die «cellerarii uiinores», die Kelhier. Die Klosterweine waren rühmlich und immer all- bekannt, sehr berühmte Klosierbiere kann man auch leicht die Men^e aufzählen, was die sehr grosse Sorgfalt andeutet, mit der in diesen Anstalten gearbeitet wurde.

Aus verschiedenen Zeugnissen des Mittelalters entnimmt man folgendes ül)er dit; Kellenvir tschaft von damals, die der heutiiren nicht um Vieles nachstellt.

Vor der Weinlese musste der «Geiierarius» alle Gebinde und zur Lese nötigen Gefässe herrichten lassen, das Kelterhaus in Ordnung bringen. Die Weinleser und Treter denn damals

^ Eine fLiorliclie Mahlzeit am bischöflichen Hofe zu Stiassburg wird wie folgt hcschricbeii : « Nach gehaltener Mess, ging der Bischoff mit seiner Herrächaft iu seinen Hoff und man sasz zu Tisch, und trage manch Essen und fremde Tracht auf, unter anderen bracht man dem Bischoff ein Gebackenes, das war ein Schloss und als gross als ein Sester, da thät der Bisehoff an dem Schloss ein Fensterlein auf, da flogen Vögel heraus, darnach thät er ein Thürlein auf, dar war ein Weiher darein gemacht, das lieff toU lebendiger ViBchlein. Aus dem Jahr 1499.»

2 Camerarius, sagt Gu^rard (Index, hoc verbo), qui prae est camerae, inque procuratione est monasterii. cnjns officium singn- los ceusus reditusque pcrquirere ac percipere, aratra, agricultnram, pecora, officinas, vlctum, vestitnm et ommno omnia qnibns usus est monasterio, ezpedire.

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wurden die Trauben alle noch mit den Füssen zerquetscht, wie- wohl es Karl der Grosse aus übertriebener Reinlichkeit auf seinen Gütern verbot wurden bei der Arbeit von den Meiern

überwaihf .

Na« Ii il«T Lese inusste der Kellner ein j?enaues Verzeichnis der erzielten Woinquantitäl»'!» aufstellen; mit Vorsicht leilft«' «^r den Gähriiügspi'ozejj.s, lie-^s die Weine von den Hofen alizieheu und sonderte den trfd)en Wein, der zum Kuchen und auch wohl zur Essighereilung verwendet wurde.

Ihm war zugleich auch die Fürsorge über das Brauhaus aufgetragen. Kr liess die Gerste wässern, keimen, trocknete und dörrte das Malz, nahm den Hopfen in Empfang und führte beim Hrauen die Aufsicht. Er besorgte am h die Wartunj^ des bereiti'teji Bieres und liess es dann in Krügen auf den Tisch bringen. 1

In dei Abtei Corvey hatte der csenior cellerarius» auch gewisse Äufsichtsrechte über die Küche und die Bedienten des Refectoriums^ femer überwachte er die Versorgung des Klosters

mit Fleisch, verteilte, nach der gegebenen Anweisung der Abtes Adtlalard, die Fleisehrationen an die Pfründner des Klosters^ auch halte er die Aufbewahrung der Nahrungsmilte! /u he- soigen.2 Aus diesem gelit hervor, dass die Atf iibutinn<'n eines jeden tlie^ser Beamten nicht für überall feslgestelU werden können. Was hier nur der Kämmerer thut, das ist ander- orts Sache des Gellerariusy die verschiedenen Aemter greifen eins ins andere ein, je nachdem eines sich mehr hervorzuthun wusste als das andere, oder auch, was am meisten der Fall, je nach den Hausregeln der hetretfenden Klöster.

In- Maursrnün^ttT nHis<te jeder Meier bei seinem Amf'-- antrilt , /.ur Gelegenlieit semer Lehnsinvestitur, dem Keüerer ein kleines, aber auch wieder recbtiicU gezsvunj-enes und er- zwingbares Greschenk von 6 Pfennigen entrichten. Hier wenigstens ist es festgestellt.

4. Der Can cel lar i us.

Nur erwähnt sei noch ein Beamter, der in allen Klöstern vorkommt, es ist der Cancellarius, der Notar der Abtei \n früheren Zeiten, berufen zur Verfertig^ung der Urkunden. Ott- fried vou Weissen bur<jf, der Dichter des Christs, war Kanzler der fürstlichen Alitei des Speiergaues von Weissenburg. Mit der Zeit aber wauiiert auch der Notar aus dem Kloster, und die Verrichtungen des früheren Cancellarius gehen über auf

1 Engelmannsbnch, citiert nacli Janssen : Gesch. d. deutschen Volkes I. Aus dem landw. Arbeitsleben, p. 297.

^ Stat. Corb. I, 12, p. 332, bei Guerard, Polyptyque d'lrminon. Appendix Y.

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^itämliye obriijkeitlich eruaiintu und koulirmiertc lierut;<aoUire. ' So ist der Änastasiscbe Jahrspruch 1471 sclion nicht mehr ' durch eiuen «Canceltarius presbyter» niedergeschrieben.

Diese höheren Hofuntci, mit Ausnahme desjenigen des Kanzler^:, wurden jedocii bald zu Ehrenämtern, während da> eij^anilliche Amt durcli einen Stellvei'tref(»r versefien w uide, der Jedoch nicld denseUien J\!hiei)titel ITihrte. So kam es dazu, «las^ in Fj'ank reich die W üide ties Seneciials eine miUtärische üiiar^e wurde und vom alten Dienstamt nur noch die Würde und der Titel bestehen blieb , ja einige Ministerialen nannten sich ^reradezu nach diesen Aemtern, die verschiedenen Familien der Truchsesse in Deutschland zum Beispiel.

5. Die ICünsiler und Handwerker.

Die Künstler und Handwerker ijehörten im Mittelalter aucli, -wie wir schon gesehen haben ^ zu den subalternen Hofdieneru, so in der Abtei Münster im Gregurienthale der Koch, der

Bäcker, der Gärtner, der Fronlischer und andere melii\ die erwähnt sind «lurcli eine Urkunde von 1339, ap. Sch«pflin, II. 1()7. In der Abtei SpMz <olltr der Alit « von einme ieclichen antwei'trke ein ant\vei>;ni;inii halu ti;-. ((irinuii I, 7G3 § Weistümer.) In der Prol)slei Neuweiler in» Elsass lindet mau \ «inen Kürschner^ einen Schuhmacher, einen Bäcker, einen Koch und einen Kaufmann (Grimm I, 754, 755), in Münster ^uch noch den Metzger und einen Ledergerber erwähnt, I

«Ein jeder Abt soll und mag« die Handwerker «setzen (ind ent;^e(zen, nnudern inler mer'en > (eod. T, THt? ^ 33). Damals, und schoti zur '/»mI der \ fi f.issim'^r der Maursiiiiinsterer Dinj^"hot'or(hiung, im IX. .I.ilniiiinderl alsu, durften alle diese Arbeiter bereits Itir den Markl arbeiten, wenn ihr Dienst am ' Hofe versehen war, und dieser war jetzt nicht mehr eine unge- messene Dienstleistung; auch wohnten schon die verschiedenen Handwerker meistens ausserhalb der Klosterhöfe, im Dorfe "Waren sie ansässig gowor l n odei* in dei- Shidt, in Häusern, die ihnen der Grund !if>n' selbst jrebaut hat, oder die sie .selbst, aber auf herrschafllit liern Grund und Hoden erbauten. Daj^ej^eii waren sie dem Giundlierren dienst- und zinspilichtij;. Die ' Aemtei" blieben dessenungeachtet iuiiuer bestehen, und als dann sputer in den meisten Städten die Bürger von der Grundherrschaft des Abtes oder des Bischofes sich befreiten, wui-den die städtischen Zünfte aus diesen vorher .{^n-undherr- liehen Handwerksämtern, welche als ^rnndherrliehe schon, wie alle Genossenschaften des <roi niaii)«;e),(.fi Üechtes, gewisse Selbst» verwaltungsrerhte bes;t>-eii, '.lebüdet.

Die Arbeiterdien.->le Ijcstanden viellach aus Ki'zeupinissen ihres Gewerbes. In der Abtei Munster mussten die Fronlischer

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rlrei Mal in der AYoche für den Abi Hsclien, und in Ei)ers« heiiiimünster bei Schlettstadt, < swas si des tages ^^evabent, das eullent si ze hove antwirten, das sullent tun die fischer die ver- lehent sin von dem j:otshuse». (Grimm I, 668.)

"Wenn der Fisc her kommt (in Münsi» r) mit den Fischen, sf> soll er erlinlton : einen Werken I^rot und eiiipn Trunk Weins, und uKin soll ilm zweimal kl(Mdon, mit seinen Kneciilen ; el>en.so eiiiiolt hier dei' Wei kmeisloi* einen Jlock im Jahre. (Scha'ptl., ((Als. dipl.» 11, 1(>5.) Aehnliclie Belohnungen linden "wir in Ebersheimmünster.

Die Betriebseinrichtung der Villa.

Der Manrsmiinsterer Gotsbetrieb.

Die Fronhoie der verschiedenen Ho%üter standen ihrer- seits unter dem Haupthofe des Klosters, wie auf den könig- Hellen Gütern die Unterhöfe von den königlichen Pfaleen ab- hingen.

Zu jedem Fronhofe jreliörte ein mein- oder minder grosser Güterkomplex, den man einen chscus» nannte, es war die

Hofm:nk.

Ein Teil dieser Hohnark .wuitle an unfreie oder freie Kolonen verliehen, der andeie Teil wurde vom Hofe ausf,^e- nutzt und durch Fronartteiter oder Tagelöhner bebaut.

Dies vorbehalteoe Gut hiess die «terra dominica», auch c terra saHca», es ist dies die eigentliche Domäne.

findet man im Güterver/eichnis von 11 '20 an Fron- iandt rcien, terrae s.ilii ;u\ in der Mnrk Maursmünsler : ')7() Taj^werke liei den Seimn cien, 7!^5 ausser der Mark, ;d>er im KIsass gelegen, 4U «jugera», die im Saargau (hei SI. Quirin) gelegen sind. In verschiedenen andern Ortschaften des Landes zählt das Inventar noch 50 herrschattliche Hulien auf.

Auch Reben, Wietzen und Waldungen gehörten auf den Gütern Maursmünslers zu den Saalländereien.

Das Klostei" hesass in verschiedenen Dörfern des Elsass denn weit zerstreut lagen die Desitin n^''en dieses reichen Gotteshauses Iiei»en mit einem Kiliane 15*2>'2 T.asteu

Weines; die Fuhie \Vein wird nun gemeiniglich zu 11 Hekto- liter angenommen , somit herbstete das Kloster 152 y^ii := 1627 Hektoliter. Nehmen wir nun den mittleren Ertrag per Hektar zu 50 Hektoliter an, so entspricht der Gesamtertrag der Klost«M rehen einem Hehhergsareal von .Ti,44 Hektar.

Wiesen waren in den versrfiiedenen Hotmarken so viel, liass davon 20!i Wa;^«'n Heu gesclmitten W(»rden konnten, ferner aildt das Inventar noch 72^/2 Tagwerke Wiesen, welche den Mönchen zugeschrieben waren. Im Jahre 1120 war, wie es

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scheint, hier in Maursmünster das Gut üei Konventualea auch schon von dem des Ahtes geschieden, wie es im Laufie der Zeit in allen Kidstern geschehen nvar. Sobald der Abt mehr oder minder fürstlich auftrat« wurde dies notwendig^. Diese Wagen Heu waren zu 4 Pferden bereclmet ; zählt man jetzt für eine bergige Cejxend wie unsere Mark 10 Centner Heu auf je ein Pferd, so lud man auf dem Wagen eine Last von -40 Centiier, zusammen gerechnet erhält man die Summe von 'il,7'20 Ceiitner geendeten Futters. Ein Hektar gut unterhaltener Wiesen trägt nun ca. lÜO Ceutner Heu, somit ergiebt sich annähernd ein Wiesenareal von 120 Hektar Wiesen auf dem Gebiete der Mark, welche Saalländereien waren.

Ferner zählt das besagte Inventar W^aldungen auf, in welchen 600 Scliweine gemästet werden konnten. AVieviei davon terra salica war, lässt sich nicht ermittehi, solche dem Abte vorbehaltene Wfdder werden nur angegeljen als so^'^enanntes c Kammerholz» der Buchberg und die Aue ; liierin duifte niemand holzen als der Abt oder derjenige, dein er es erlaubte, nicht einmal der Förster konnte es thun ohne Er- laubnis. Nur wenn ein Baum vom Alter oder vom Winde fiel, erhält der Förster, was übrig bleibt, nachdem der Abt vom Stamme sieben Fuss vorweg crenonuiien hatte.

Auch die Garten ^^ehörteu zu den Saalländereien, wie dies in Corvey der Fall, so dass wir in den dortigen Statuten genaue Vorschriften fanden über den Gartenbau und über die verschiedenen Gewächse, die darin gepflanzt werden sollen, i

In Maursmünster sind aber au^h 147 Dienst- und Eigen- huljen, «qui in dominico praestant», welche aus der Mark des Hofes ausgeschieden woiden sind, um zu den Saalländereien geschlagen zu werden. Die Ursache dieser Bannlegung können riir^nni^'-taltigc sein: Aussterl^eti <:'iner Bauern f;im die, Austreibung eines Mannes wegen Verhi f < linns oder Tieuebruchs, wegen Nichterfülhiug seiner Hofes^ilhciiten ; ausgeschlossen war nacli Hofrecht die willkürliche Vertreibung des Besitzers eines Gutes durch den Grundherrn, Aber Saalländereien wurden auch wieder verlehnt oder verpaditet. Inwieweit dies der Fall, kann nicht angegeben werden.

Die L<'ute, welche zur Bewirtschaftung der eigentlichen Hofländereien nötig waren, wohnten entwpflpi- als eigentliches Hausgesinde in dem Hole seihst, um daselbst Hofdiensle zu leisten, oder sie wohnten ausserhalb des Fronhofes; die ersteren Messen « mancipia infra domum», sie waren die innere Familie des Hofherrn, cfamilia intus»*, die zweiten, ausserdem Hofe in Koseten um diesen herum wohnend, nennen die

^ Ygl. Statuta Corv, 832. De HortolaniB, «benso : Capitolare de Villis.

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Urkunden tlie « bervi conjugati el in niansis maneutes», und diese mren hier schon sehr früh Zinsleute geworden, sie wohnten auf ihrer Hube sur la Gense , sie bildeten die äussere Familie, cfemilia i'oris» ; hierzu gehörten die Hühlen- besitzer, die Winzer, die Gärtner, die Schäfer so^e auch alle anderen Gulsheamten d*'< Klosters.

Das innere Gesiiule lf*hte <:t'meinschaftlicli miteinander in den ihm angewiesenen lüiunien nach einer desindeordnung, die jedem bekannt war, und die auch jedes Jaiu- an bestimmtem Tage gemeinschaftlich vorgelesen wurde.

Die Ontsbeamten.

«Alle die herrschaftlichen Ländereien waren voi allem zur Bestreitim-^ des lierrschalt liehen Haushaltes bestirnnit. In allen Herrscliatten war daher ganz genau vorgeschrieben, was täg- lich, was wöchentlich, und was jährlich, an den verschiedenen Festtagen an den Hof geliefert werden sollte. Dies war in den Klöstern auch immer der Fall; so mussten auch hier auf den Gütern der Abtei an gewissen Festtagen von den Vor- stehern eines Hofgutes, den Meiern, Fische zur Küche geliefert werden.

Das Fangen dieser Tiere war eine Reallast der Brin},^- ptlichtigen, und wenn sie keine hngeu, mussten sie dies eid- lich versichern, da ward es ihnen nachgelassen ohne Entsdiä- digung.

Zur Bewrirtschaftung dieser Fronländereien, zur Einziehung

der Gefälle , zur Erzwingung der Prästalionen , der Fron- arbeiten sowie zur Bewachung des klösterlichen Eigentums und des Besitzes der Leute St. Murtins waren aber besondere Be- amten notwendig, von denen die Rede sein soll. AVir wenden uns jetzt zu den Rechten und Pflichten dieser Leute.

Alle Beamten einer Gutidierrschaft mussten vor ihrer Amts- einsetzung dem Grundherm den Diensteid leisten, dies ge- schah bei der Amtsinvestitur, welche unter gewissen Feierlich- keiten vor sich ging: so mussle hier der Schullheiss dem Ernannten den Eid sefzen, hei niederen Dorfbeamten thal dies der Meier; die Schuitheisse und Meier wurden von dem Alite selbst investiert, der Vogt nahm ihnen alsdann den Eid ab und übergab ihnen den Stab ihres Herrn. Bemerken muss ich noch, bevor ich auf die einzelnen Beamten eingehe, dass hier des Sciiultheissen nicht Rede sein wrird, da dieser Beamte hier m Maursmünster kein Wirtschafts-, sondern nur Gericht s- beaniter war. Von diesem wird gehandelt werden bei Betrach- tung der gerichtlichen Organisation der Mark.

1 Vgl V. Maurer, Fxonhdfe I, p. 258.

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Die Gul5*vorstehei- liei-^sen in den lateinischen Urkuiideii der Zeit auch nocb cpraepoäiti» (le prevdt), es sind die Meier.

i. Der Meier.

Dieser war, wie wir liiu schon im Gapitulare du Villis kenDen lernen, ein Wirtschaftelieainter. In diesem Gapitular sowie in unseren latetniadien Urkunden heisst er «YilHcus».

Zur Unterstützung war ihm ein Bote als Getiilfe Ijeip^egeben, um seine Anordnunjren d«*n Lpiilen zu übermitteln. Die Pflichten düiy .Yilliriis warcfi : AutVechlhaltung der Ordnung innerhalh seines Spion^eLs, der Villa ; or hatte damals wie noch heute der tMaire» in unseren Doriern die eben nur die Nach- folger der gutsherrlichen Ortsvorsteher sind, und viele ihrer Attributionen noch behalten haben die örtliche Poliiei aus- xuüben.i

* Es dürfte für unserr Leser nicht unintpreBsant sein, über die « Majores > aus anderen und zwur gau^^ üemden üu^eudea etwas zu er&hren. Die nachfolgenden Angaben sind aus einer aohr guten französischen Arbeit über die Entwicklang des « Pouvoir municipal » von M. C. Leber gesogen. Wir wollen dem Verfasser selbst das Wort lassen :

«Dom Rninart dans une des notes snr Qr6golre de Tonrs, dit qu'on appelait maires, , domestici villae regis', des personnes em-

ployßcs an servico des maisons de campagne dn voi. Ici le titro de , major* indii^uait la superiorite qae ces sorte^ de regmseurs excer- ^aient aar les antres personnes attachees ä Texploitation des terres ^alea, ou la direction qa'ils avaieut de plusieiirs domaines.»

Dasselbe lässt sich aucli von den hiesigen Meiern sa^rni, hier auch gab es mehrere Hofgüter, die znsammen eine Meierei bildeten.

D'aprt'ä les capitolaires de Charlemagne, les pr^tres ne pon- Taient Mare admis anx fonctions de maires on de jnges. Le resaort d'nne mairie ne devait point s'^tendre au>del& dn oercle qne le maire poavait parconrir et surveillcr en un jour. Los seignears anssi eurent ensnite leurs maires, qa'ils revßtirent du double caractere d^intendant et de juge.»

Genau daaaelbe sehen wir auch auf unserer Mark.

« Ces maires avaient Tadministration des vfliages de leurs Seigueurb, et jugeaient les causes legeres entre les serfs qni eu d^pendaient. BientAt cet office s'iufeoda. Le maire devint un vassal pour aon seigneur; il en re^nt une maison d%abitatioB et une certaine 6tendue de terre. qu'il tint a foi et hommage.>

Audi in Maursmünster ward es so gehalten, der Hof des obersten Guts Verwalters heisst deshalb Mciernof.

cSa diguit^ s'appela mairie^ et aon domaine fat un fief de maiiie, avec droit de moyenne ou haaae juatiee. A la mort d*un maire. Ic seigneur dominant nommait ordinairement a sa place un des enfants du d^funt, et sUl n'en avait point, uu de ses freres.>

Auch hier in Mauramiknster waren mit der Zeit die A^aater erblich geworden. Im XII. Jahrhundert waren sie ea jedoch noch nicht Ton Rechts wegen, de facto dftrfte «a anch TCKkommen.

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Li luusä unter seiaeai Eid die Eigeii^'ulei und Krblehen des Klosters verpachten und vergeben, ohne Gunst noch Hass für irgend jemand , was jedo(»i wohl nicht immer ^er Fall M ar ; auch soll er seinen eigenen Ntttien und Vorteil daljei i)icht suchen. Ein cvir inieg^errimus» also musste der Meier sein. Der Meier ist hier in Maursmünsier beauftragt mit dem Eioziehon dos «Census» der verlehnten (jrüter, er war zugkich auch JJüüiaiieiiieijdant.

Bei der Ernte, im Heuet und in der Weinlese musä der Yillicus durch seinen Boten die froodpflicbtigen Dorfbewohner

« Peu Ii peu les mairics se perp^tuerent dans les familles, comrae les anciens ben^fices militaires, et eniin elles devinrent b^r^ditaires. Les 6v^ae8 avaient en des maires longtcmps avant rinstitation de

fiefß en earent aussi qui reraplacerent les chanoioes et les roligietix dans la perception de leurs revenus. Ces maires pretaient serment au chapitie de s'acquitier fidelement de leurä iuiicüoiis, et promet* taient qnUls ]i*y priteadrairat «acu droit hCfMitaire, sons peioe d'amende on de privation de la mairie > Dies wurde auch bier so gehalten. Dafür wurden alle Aemter ledig bei jedem Abtswechsel.

< Leurs droits consistaient dans les amendes, les confiscations, les 6pavee. Par rapport h, la jnstiee, ils remplSasaient des fonctions telles qu'en ont exerc^ depuis les procnreurs fiscanx. Iis avaient dans les droits seignenriatix les gants les depois (droit de mutation de propnete fonciere), les bornemeuts, les saisines, les droits de foire et de march6, et ea g^nöral tous les droits de r^pk:e de cenz qu^ou nommait ,oiiUieB'».

Diese Rechte stehen dagegen in der Mark MaonBaofilSter allein dem Scbultheissen als Gcrichtsbeamten zu.

«Comme ils commandaient les babitauts du territoire pour les Gorv^» wie oben im Texte soeben eiw&liiit «les seignenrs lemr abandonn^rent tons les droits qn^ils percevaient snparavaiit sur lenrs scrfs ; par oxemple, certaine taille, le droit de nooe » z. B. das Hecht, in einem Weistum der Abtei Muri m der bcbweiz 9 4 : «imd so das hoehzit zergot, so sol der brutgam dtts nmK bi sinem wip lassen ligen die erste nacht oder er sol si Iteen mit 5 Schill. 4 pf. » ' la premi^re pinte de vin de cbaque tonneande cabaret. » Hier in JMauismünsier erhält dies der 3obiilze. «Le rouage autre imjpot sur le vin.»

Es ist dies der «fürwm», den mt in nnsern Ufkimden finden, der aber hier durch den Zöllner für die Herrschaft eingezogen wird.

« Et la faculte de prelevor nne portion de chaque denr^e. Iis poufaient exiger deä etiaugers qui p^saient aar ies terres de leurs Seignears «n droH de travecs.»

Hier wird dies Recht nicht erwähnt.

C'6taienf CHX qui devaient condnire ia majriAe an moqatier on

mostier, le jour de la noce.»

Dies Kecht entspringt aus dem Hnndinm des Grundherrn Uber seine Hintersassen, er hatte väterliche Gewalt über deren Kinder und konnte sie rrchtlidi nach seinem Gutdittkin SiriMinton. Ohne seine Erlaubnis durften sie es nicht thnn.

abbayes possesseurs de

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zur Arhoit zusammen kommen lassen am Morgen, und die Arbeit i^elhst aucl» fiberwachen im Ranne der Dorfes.

Er soll auch Uarül^er wachen, duss niemand vordem Kio<t<r anfange zu muhen, ernten oder zu lesen. Das Kloster hatte in allen drei Fällen das Recht, einen Tag vorher- anzufangeo. Es ^r dies gewiss eine Massr^el, um sich die Arbeit zu sichern von seiten der Frond Pflichtigen. Er überwacht auch die Kulturarbeiten in den Klosterreben^ dass nichts geschehe^ was der Abtei Stbaden zufügen könnte.

Wenn er seine Pflichten nicht treu erfüllt, so kann ihn der Abt entsetzen, nach Ueberweisung von seiner Schul }, und ihn durch einen andern dem Kloster und den Leuten g^etieiiiiieQ Mann ersetzen. i

Jeder Meier hatte als Entgelt seiner Leistungen einen Mansus zum Benefls» «nicht den besten, nicht den schlech- testen», aber einen von mittlerer Güte und von mittlerem Werte. Von ihren Benefizien gaben die Meier der Mark keinen Zehnten, nur für den Villicus von LochwiUer wird eine Aus- nahme gemacht, weil dieser mehr irehte- Wiesen innehatte. Der Garber^er lifeier hatte 2 Huben, weil seine Meierei grü^^er war als diejenige seiner Kollegen.

Jeder Meier musste alljährlich dem Klo fei an Weihnachten ein kleines Geschenk machen, das ihm wahrscheinlich anläss- lich dieses Festes, wo alles sich beschenkt, durch Gegen- geschenke oder auch vielleicht durch ein reichliches Festessen wieder vergolten wurde. Dies Weih nacht sg^eschenk be?jtand in einem 1 Schilling wertigen Schweine, 8 Broten und 4 Sesteiu Weins. Die Natur des Geschenkes lässt mich auf das oben be- sagte Festessen gelangen. Beispiele , wo die Geschenkbrihger und Zinsabträger mehr zurückbekommen ^ als sie abgeben^ findet man häufig in den Weistumern.

Die Meier und ihre Ang:eliörigen waren auch frondfrei. Solche Befreiung der «Ambalitlüte» findet man allenthalben aut allen Grundherrschatten. Da diese meistenteils die Arbeiter selbst überwachen und leiten mussten, erheischte es ja schoji die Zweckmässigkeit, dass sie des Mitarbeitens befreit seien. Im August zahlten sie aber 6 Denare für Fische und' ebenisoviel an Martini. An diesen kleinen fieträgen sieht man wohl, dass diese Abgaben weiter nichts waren als Anerkennung ihres Di^mstvorhällnisses zum Gnmdlierrn , das sie wegtun ihrer sonstigen Diensleistungen leicht vergessen hätten mögen. Ihre Investiturabgabe an den Kellermeister des Klosters und an den Kämmerer wurde weiter oben bereits erwähnt. Als hil»aber

1 V^l. Constitiitio S. Qairim, ap. Hanauer, p. 91 snb 4«; Boa-^ heimer üiiif^iotel : Der Meier, sab Nr. 64, 65, 66, 67, 68. Droits des maires de St-Mai-tin et du couvent^ § X de l'Accord, p. 77.

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einer gewissen Polizeigewalt in seinem Dorfe liatle der Meier auch gewisse Frevel zu richten^ kleinere Vergehen^ die nicht Yom Schultheissen, nicht durch das Hauptding gerichtet wurden, •an ahnden. In diesem Falle bezieht er dann einen Teil der auferlegten Busse. Der Rest wurde gewöhnlich im Dorfgericht durch die Herren fieisita^Klen lustig verzehrt.

Wie der Schultheias für den Bereich seines Amtsgerichts seinen Büttel hatte> so auch der Meier. Der Dorfweihel musste die Dorfbewohner zu den gebotenen Dingen (Placita) bieten, in Angelegenheiten des Dorfes und der Dorfmark, die auch wieder ein kleineres, in sich selbst geschlossenes Ganze bildete, eine Bauerngenossenschaf!, die «Burschaft», ausmachte, und selbst einige autononiische Verwaltungsrechle besass. Zu diesem Zwecke sollte er sich von Haus zu Haus hegeben, hingegen der Büttel des Schult beissen, der Gerichtsbote, entbot zum Gerichte, indem er durch die Dörfer ritt mit seines Herrn Stab und mit Hornklang.

Der "VWüiel halte forner «liejenigen vor den Meier zu »ent- bieten, welclie auf den Gütern des Klosters sich eines Frevels schuldig gemacht hatten, der durch diesen Beamten geahndet werden konnte. Alle Befehle, sagt die Rosheimer Dingrotel, die ihm der Meier im Namen des Klosters erteilt, soll der Büttel auch getreulich erfüllen. «Er ist auch schuldig, alle die eide zügenende, die man in dem Dinge sweret«» i Wenn die Ernten reif sind in den Aeckern und Relien, soll er thatig sein bei deren Leber wach un<r, damit dem Kloster Zehnte und Anteile hchttg zu teil würden.

Während der Ernte und der Weinlese muss er dem Meier in allen seinen diesbezüglichen Verrichtungen beistehen^ er be- gleitet auch die Arbeiter, wo man sie hinschickt.- Des Abends soll er sich in den Reben befmden, um die abgehenden Arbeits- leute zu übersehen , <ium allen möglichen Schaden abzu- wenden >>. 2 Dafür erhielt er vom Abt eine Wohnung und ein Bolenyut zu Lehen , wurde vom Kloster aus ijekleidet, und gewisse Bauern niubbten ihm zu seinen Botenreisen Schuhe geben. Der Garberger Weibel hatte wie sein Meier ein grösseres Lehngut t/4 Mansus cweil er schwierigeren -Dienst hat, ' indem er auf schlechtem Wege die Vogesen durchwandern muss», sagt die vorliegende Hofrechtsurkunde der Mark.

' < eide zügebende> bedeutet jemandem den Eid setsen, den

^sprechenden Eid deuthcli vorzusagen.

2 Rosheimer Di!i<?rotel, ap. Hanauer, 0. C Sttb Nr. 87—%; vgl, § X, Accord. 8ub Kr. 1, p. 77.

2. Des Meiers Büttel (Weibel).

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3. Die Förster.

Zur Hüfnn^r <\eT Kloster- und Mark^valdun^'^en musste der ' Abt 6 Försier ijestellen. Diese halteten liir den Schaden, der im ilolze gemacht wurde, wenn sie den Thäter nicht ausUiidig machen konnten, dis wenn sie selbst den Frevel be^an^en hätten. Wenn im Walde ein Baum abgehauen wurde und der Förster davon keine Anzeige maehtet aucli wenn er den , Delinquenten gar nicht kannte, so war er als der Schuldige I anerkannt und wurde dafür bestraft. Es war dies jerlen falls ein wirksames Mittel, den Förster zu zwingen, die Anzeij^e des Deliktes zu machen, um so dieses Beamten Habgier seihst zu hindern, dm zur Untreue zu verleiten. Jedem Frevler, den <ler ' •Förster «flagranti delicto» eftappte, sollte er einen Pfandge^en- stand abnehmen, um ihn so seines Vergehens am nächsten Ge- , riehtstag zu uberweisen.

Die Förster konnten auch dem Holzfrevler in seine Wohnung nachgehen und ihm dort, MY>nn nötig, mit Hilfe des Scliult- heissen ein Pfand al»ti*'iimen. Die Pfander, wehh<' der Förster abnimmt, darf er fiir sich helialteii, w(^nn nicids Anderes Ije- stimmt ist. Von jedem, der Bauliulz in den Markungen hauen wollte,' erhielt er eine kleine Abgabe von 4 Pfennigen. Wenn i ein Baum altershalben oder durch den Wind fiel^ waren die Aeste und der Stamm bis auf sieben Fuss Dickstamm, der dem ' Abte war, Antheil des hef reffenden Revierförsters. |

Wenn die Eichelmast «äcker» (heute noch äkert hit' und | da benannt) geraten war, sollten es diese Forstbeamten vor ' Michaelistag (29. September) ankündigen, atit dass alle die- jenigen, die Fronddienste leisteten und welche ein Rauchhuhn , an Ostern gaben, ihre Säue zur Eichelmast treiben konnten. Die Förster mussten auch die Waldweide bäten, sie hatten darauf ' zu achten^ dass kein Unbefugter Gebrauch von derselben machte, dnss auch keine Eicheln heimlicher- und diebischerwei<!e gelesen - wurden ; wen sie dabei eri'assten, der ward als Dieb gerichtlich belangt und bestraft.

Ihr Gehalt bestand nach den vorliegenden Dokumenten in einier Dienstwohnung mit Hof und einein kleinen Gute, das sie bewirtschaften konnten ; jeder Forster hatte in der Mark Maursmünster 2 Hektar Boden zur Nutzniessung und Kultur zugewiesen, dazu die verschiedenen GelegenheitseinkunDe und Alii^^hen, so dass sie die F<irsfer mit ihrf»?i Familien von ihrem Amte recht gut leben konnten. Das Holz zum 15auen und das Brennholz erhielten sie aus dem Fotsfp, so da^s sie ohne grosse Darauslagen in jener Zeit von Naturalwirtschaft alle ihre Eedörfnisse auf ihrem Fdrstersitze selbst decken konnten.

Neben diesen drei erwähnten findet man noch in der Mark MaursmQnster eine Anzahl niedriger Beamten : so die Schaf«

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hirteü fberbicarii), die Kuhhiitea (vaccarii), Schweinehirten (porcarii), ^nrakfae alle für ihren Unferhalt vom Kloster oder auch von der betreffeiiden Gemeinde kleine Stficke Ackers und

eine Schäferwohnung erhielten, neben «^elegm^ttichen Abjjaben, die ein jeder ihnen zu leisten halte, der ihre Dienste in Anspruch nahm. W;\s der Kuhhirt vom Klo^^ter erhielt und seine Ver- pflichtuniien wurden )>ereits früher erwinint.

Auch die Handwerker erhielten oft Boden zur Belehnung und bezahlten dann an Zins eine Abgabe aus Produkten ihres Gewerbes; daraus erklären sich die Leistungen von Pflug- scharen , Eisen y Gerätschaften , die in der Hofeswirtschaft vonnöten waren. In Münster (Oberelsass) sind Hufen der Schmiede, auch Felder und Wiesen der Werkmei^tei- erwähnt. Kben^o hatte der Fhumwart auch ein Amtsbenefiziun).

Alle diese Beamten wurden unter den freien oder unti eien Hörigen des Klosters durch den Abt ernannt und konnten wegen Untreue und Amtsvergehen von ihm auch ihres Amtes entsetzt werden.

Wiewohl ihre Rechte und Pflichten festgestellt waren, konnten diese Leute doch gewiss ihre Gewalt auch missbrauchen, sei es auf Kosten der Herrschaft, sei es auf Kosten ihrer Unter- gebenen, um sicli dadurch zu bereichern, und die Ge*^r}iichle weiss von strafbaren Erpressuiij^en , deren Andeni\en in den Volkseraäiiiungen oft lauge, ja bis auf unsere Tage sich erhalteii hat. Die Vögte, Meier und Schulzen zogen manch- mal den Volkshass auf sich durch ihre willkQrlichen, rücksichts* losen Handlungen, durch ihre unersättliche Habgier und Reich- tumsgelüste, so dass die Erzählungen von feurig umherlaufenden Schulzen und Amtmännern lieute noch tteissi;^: im Volksmonde kursieren. Auch von den Bannwarten und i orslern sa^t der Volkswitz : «die Güter seien besser gehütet gewesen, wenn diese zu Hause blieben j>. Es ist dies eine alte Erfahrung, die man sehr oft noch in unseren Tagen machen kann.

Alle diese Aemter waren nicht vererblich, jedenfalls recht- lich in keinem Falle, und um dies zu verhindern, musst< n l)ei jedem Abtswechsel durch die^^en alle Aemter neu besetzt oder die alten Beamten neu investiert weixien Wenn der eine starb, wählten Abt und Gemeinde im Einverstandnisse einen neuen, ei)enso bei Absetzung eines derselben. Der Abt durfte keinen ernennen, der die Gunst und das Wohlwollen der Gemeinde nicht besass.

Der Gehalt der Seelsorger.

Wir haben nun ^a'selien, wie für alle Beamten })is auf den niedersten in der Keilie aut <len Gütern der Mark gesorgt war. Wie geschah dies nun für die Geistlichen, welche die Dörfer

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der Abtei mit dem nötigen Gottesdienste versahen? Dies aucii erfahren wir aus der Markordnun<(. Nach dem geltenden Recht musste damals der Grundherr, welcher auf seinen Gütern Kirchen erriehtele^ diesen zum Unterhalt des Seelsorgers min- destens einen Mansus als Dotation zuwenden, Bas Capitular Aquisgranense vom Jahre 816, cap. 10, von Ludwig dem Frommim promulg'ierf, g^ebielet, dass es im pfanzen fränkischen Reiche keine Kirclie <^eben dürle, die nicht ein Gut von inindestpn- einer Hube besässe das jetzt sogenannte, in vielen Dürieni | noch existierende Pfarrgut. Jeder Herr, der eine Kirche auf i seinem Gebiete erbaute, sollte dem dabei angestellten Geistlichen ' diese Zuwendung machen. Dies ist in der That der Fall in der I Mark unserer niederelsässischen Abtei. |

"Wir kennen das schon erwähnte Vermächtnis jener awei . Brüder, die dem Kloster einen Wald geschenkt haben zu ihrem Seelenheile, wir wissen ferner, dass Abt Meginbardt ein kleines | Dörfchen da ansiedelte, Villa Sancte Crucis nannte er es und | zierte es mit einer Kapelle^ c:Capellulam», um seinen Einwohnern den Gottesdienst zugänglicher zu machen. Dem Priester wies er zu seinem leiblichen Unterhalte eine Hube, c Mansus», Landes zu. Diese Hube blieb von allem Gensus befreit^ doch was der Pferrherr mehr hesass, war allen Abgaben unterworfen. Diese Anordnung entspricht ganz den Vorschriften der Capitularien- gesetzgebung, insbesondere dem Cap. Caroli Calvi tit. 52.

Diese Pfarrhube musste auch nach karolingischer Vorschrift ; 12 Boiiiiaria umfassen, dass also ihr Inhalt durch den VS^illen der Grundherrn zum Nachteil des Kirchendiensles und der Seelsorge nicht allzusehr einschrumpfe.

Das Mar^t-, Münz- und Handelswesen in der

Mark.

Diese diei Gegenstände sind entscliieden von der grössten Ökonomischen Wichtigkeit, sie sind auch in den Urkunden ziemlich eingehend b^andelt; wir werden deshalb dabei ver- weilen, diese Dokumente bis ins Detail analysieren, um daraus eine so viel als möglich vollkommene Darstellung der mittel- alterlichen hofrechtlichen Organisation des Handels 7u ireben. i

Um das Kloster herum entstand nach und nacli der Urt I Maursmnnster ; seine Lage an der Strasse von Zabem nach dein k(>niglichen Oite Marlenheim musste ihm eine gewisse Bedeutung verleihen in Bezug auf den Handelsverkehr. Schon sehr frühe erhielt der Ort einen Markt, um das Jahr 890 ; wenn wir in Betracht ziehen, dass unsere Hofrodel aus dieser Zeit herstammt, existierte bereits hier ein Markt. Damals schon hatten also die Gewerbtreibenden - des Klosters das Recht, für eigene Uechnung und auf Bestellung für andere zu arbeiten.

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Wo Markt, wo Handelsverkehr bestehen, da müssen auch

Vorschriften vorkommen, die diesen regeln ; solche Vorschriften finden wir in der Villengesetzgebung Karls des Grossen, und auf den Gütern derKlö^t^r sowie der übrigen weltlichen Grund- hcrren wurde Karls Beispiel nacli<reahmt. Wenn wir diese Ver- ordnungen durchlasen, müssen wir gestelien, dass es den braven Aebten jener Zeit uiclit allein um iltr und der Kloster- brüder Wohlergehen und Wohlsein zu thun war, sondern auch das Heil und zwar das weltliche ihrer Hintersassen ihnen angelegen war. Die Mönche waren ins Land gekommen, um <li-^sf»lbe sittlich und damit auch materiell zu heben, durch die Kintuhrung neuer Grundsätze, durrh di*^ Beeinflussung der Verkeinsverhältnisse mit den christlichen Vorschriften gegen- seitiger Brüderlichkeit. Die Geschichte und unsere speziellen Urkunden geben genügend Zeugnis dieser heilvoilen Mission der Klöster» in einer Zeit» wo das Christentum der alleinige Träger der alten rdminchi n Bildung geworden und als solcher aus den Stürmen der Völkerwanderung und aus den Trümmern der alten römischen Gesellsch ift herausgegangen war.

Wann die Errichtung einer Marktstätte dem Kloster be- willigt wurde, kann nicht gesagt werden, jedenfalls hatte das Kloster dies Recht schon bei den Karolingern. Besonders Lud- ^vig der Fromme war ein grosser Wohlthater des Konvents, erbaute er doch die Kirche aus höchsteigenen Mitteln nach dem Brande von 827.

Der Markt hatte einen besonderen Frieden, er genoss ferner des besonderen Schutzes des Königs und grosser Freiheiten, um den Handel, den Verkehr zu fördern. In jener Zeit roher Gewalt war es notwendig, dem Volke den Marktplatz als Gott geweiht darzustellen, deshalb standen auch die Kreuze da, wie wir ein solches zu Maursmünster antreffen. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, cdass in diesem Zeichen eine Be* Ziehung auf die tiefere religiöse Grundlage alles Friedens auf Erden zu suchen ist». Dies war auch die Meinung der braven Mönclic und Missionare, wenn sie, das Kreuz in der Hand, ihre civilisatorischen Wanderungen durchs wilde Land antraten.

Hier in Maursmünster sollte das Kreuz stehen, seine Arme gegen das ob^re und das niedere Thor gerichtet, um anzuzeigen, dass hier niemand das Recht hatte, Zölle und Umgeldeinnahme- stellen zu errichten. Nur dem Abte stand dies Recht zu.

Am St. G«)rgi-Tag war in Maursmünster grosse Messe, ein Jahrmarkt, wie diese alljährlich wiederkehrenden Messen hiessen nnd jet/t noch 'genannt wei'den. An diesem Tage hatten die Bcsiiclier i)esüudere Freüieilen, weiche durch die Hofrodel erwalint werden ; so sollte jeder in Frieden hin und her gehen, sogar die Gerichte sollten an jenem Tage niemand belangen, es sei denn wegen eines schweren Verbrechens.

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Im Interesse des Verkehrs hatte der Jahrmarkt die ^rösst- mojrlichen Freiheiten, ja sojjar wird tiir jedermann. Fremden wie Einheimiijchen , Zollfreiheit statuiert. Es war dies ein*:- jener Massre^eln, welche dazu dienen sollten, den Handels- und Fremdenverkehr auf einen bestimmten Ort zu konzentrieren, deren wohMsätigi» Wirkung auf die wirtschaftliche SfeHnng ' der Stadtbewohner nicht ausbleiben konnte, und deren wir ' solche in den verschiedenen Stadtrechten des Mittelalters mehr noch zu bemerken Oole'^^enheil haben. Zolllreiheit der Jahr- ' messen, der darin verkauften Marktwaren trifll man oft zu jenen Zeiten an.

Die Aebte von Maursmünster mussten sicher «iaraui bedacht gewesen sein, darch Erleichtening und verständige Regelung, Beschfitzung des Marktverkehrs ihrem Ktoster sowie auch ihren Untergebenen Vorteile zuzuwenden. Für das Kloster selbst bot die Ausübung des verliehenen Zollrechtes grosse Ein- künfte und Vorteile; auf dem Markte allein konnte diesen Zollgesetzen genügt werden. Deshalb ist zu jener Zeit dann auch beinahe jegliche andere Verkaufsart verpönt , Fremde konnten in keinem Falle andeis verkaufen, da das Kunden- aufsuchen gänzlich verboten war, und zwar den ausländischen wie den inländischen Gewerbe- und Handeltreibenden. Zu Markte mussten sie an ihnen bestimmt angewiesenen Plätzen zum Verkaufe stehen und die Kunden erwarten. Und auf dem Markte konnten dip Waren nm booten besteuert werden, dort konnte man unmOglicii die slienge Kontrolle des Klosterzöllners umgehen.

Alle, die auf dem Marktplatze zu Maursmünster kaufen und verkaufen, alle, die ausser der Mark gekaufte Waren ein- führen, sind schuldig, dem KlosterzoUner. ihren Zoll abzustatten,

und dies sonst niemand.

Nur der Verkauf und der Kauf, der eigentliche Handel, sollte besteuert wenden, und dies bedeutet auch schon die formel- hafte Wort fassung unserer Klosterurkunde: dass wer in der Mark «kauft und verkauft» Zoll erlegen solle. Es ist ein Nach- klang der Capitulariengesetzgebung in der Hofrodel. Der Zoll, sagt Waitz, erscheint wesentlich als Abgabe von allem feilen Kauf.

Für seine eigenen Waren, die das Kloster durch seine eigenen Leute transportieren liess, genoss dasselbe der völligen Zollfreiheit im ((g-an/cn dentsclien Reiche, zu Wasser nn'l 7U Land»'.), wie die grosste Zahl der Kloster und Knchenluisten dies Meclit besassen.

Es bestanden damals auch noch Abgaben an den könig- lichen Fiskus« denen auch die Klöster von Rechts wegen unter- | worfen waren; unter diesen ist sehr svirhiig diejenige, die vom Salz erhoben wui*de, cmochte es zu Markt gebracht oder auch

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nur in andere Geji^enden vertuiirt weiden». Auch eine Salz- produktionssteuer wurde von den Salzpfannen erhoben. Von diesen zwei Salzsteuem war aber Kloster Maursmünster befreit auf Grund von den Königen erhaltener Privilegien. Diese Freiheit wird in einer Bestätigungsbulle von Papst Alexander III. vom Jahre 1179 erwähnt für die Pfonnen^ cPatellae», die das Gottes- haus zu Marsal besass. i

Eine der heilvollsten Einrichtungen des iriittelalterlichen Marktwesens waren entschieden die Gastgerirhti". Zwar genossen die Fremden in manclier Hinsicht nicht derselben Rechte wie die Bürger der Stadt, wie die Angesessenen in der Mark; aber. rechtlos und schutzlos durften diese nicht bleiben.

«Schon das Wort ^Gast'», sagt W. Stieda, «steigt ein freund- liches Entgegenkommen an. Man stiess den von auswärts Kommenden nirht als fremd zurück, sondern lies«; alle möfrliche Hilfe ihm angedeihen, und wenn man ihn auch in i-echtlicher Bezit ljunij: den Bürgern nicht gleichachten konnte, so war man wenigstens bemüht, ihm selbst gegen einen Bürger rasch recht- lichen Schutz zu gewähren.»

Man war deshalb auch sorgsam darauf bedacht, dass in Handelsstreitigkeiten schnelle gerichtliche Entscheidung^ niögli<^h und auch vcrwirkliclit wenle. Deshalb war der Zöllner zum Handelsrichter ernannt für diejeni^^cn Klagen, welche er von Freitn-r Abend bis Samstaj^ Ahend erledigen könnte. Er konnte dann den nächstbesten Biedermann um das Hecht fragen ; was er nicht zwischen diesen Zeiten zu schlichten vermochte» wurde dann erst an den Schultheissen verwiesen« Der Markt fand also in MaursmOnster nach einer ganz alten Sitte noch am Samstag statt.

Was nun die Existenz eines aktiven Münzprivilefriums für (ii^^ Alifci betriß't^ so ist diese Frage sehr kontrovers und schwierig bestimmt zu beantworten. Hatte die Ahtei das Münziecht?

Dies zu prüfen ist nicht ohne einiges Interesse. Es dürfte deshalb nicht überflfissig sein, dies Thema hier etwas ei nge)iend zu behandeln und den Yersucii zu machen, diese Frage so weit als möglich zu beantworten.

Die Urkunden selbst sind ziemlich schweigsam hierüber, und Münzen von Maursmünster sind keine vorhanden, bis jetzt auch in unserer Zeit tlurch die Münzforscbuug keine an den Tag befördert worden.

ßerstett in seinem Versuche einer Münzgeschichte des Elsass spricht zwar in einem besonderen Artikel über Maurs- münster, lässt es aber unentschieden, ob dies Recht existierte oder nicht. £r begnügt sich damit, einen Passus aus einer Ur*

I Bulle von Alexander III. 1179, Bezirksarchiv H Ö41, N' ö : «Patellas cum omni libertate.»

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künde von 1144 nnitzqteilen , die ich liier in ihrer deutsciien Ueberselzun;^^ von IKk] wicdcrj^eben will : «was er (der Ab* öch des weliselö i;enief>.>?et, das iat das zvveiteil emes abbele? uiide das dirteil eines vQtes.» Weclisel wird in der lateinischen Urkunde als cmutatio monetae» bezeichnet, und wir werden bald erfahren, was hierunter zu verstehen ist. Aus diesem Satze können natürlich weder für noch gegen das Münzrecht Behaup- tungen aufgestellt werden. Nun heisst es aber in denselben Urkunden, einige Zeilen vorher : «wenne so eine nüwe münze usgot, daz niehian sol sitzen zuo weselde ane eines ab}>etes urlop>>, dann noch an einer weiteren Stelle : «die Wandelun^^e iler Münzen (inutalio monelarum) die soll der Abbet s>etzea oder Lihen», hieraus besonders wollen einige, so Um Hanauer, für die afißrmative Antwort als die wahr^eu&lichste sich erklären und wollen den Schluss ziehen, dass, wenn der Abt das Recht halte, das VVechselsilzen zu verbieten, er auch das Münzregal, das Recht Münzen selbst in eigener Werkstätte prägen zu lassen, haben musste.

Warum würde dann die Urkunde nur sagen : «wenne so eine nüwe münze u-sgot^;, und nicht deutlicher: wenn hierorts eine neue Münze ausgegeben wird? Dieser erstere Ausdruck lässt hier gar keine aktive Beteiligung des Abtes an der Mfinz- Slnderung vermuten. Femer ist das Münzrecht ein Regal gewesen, und zwar ein wichtiges Hoheitsrecht, ein sog"enanntes " F'p'p ile essenliale», auf welches Städte, Landschaften und Klöster luiiiier sehr stolz sein konnten und es auch waren. Dies Hecht *»tand nur dem Könige zu und konnte dann von diesem an Vasallen verliehen werden. Ueber eine solche Verleihung wurde sorgtaltigst eine Urkunde ausgestellt, und niigends findet sich «ine solche für Maursmfinster.

Ein solch wichtiges Privileg würde doch auch sicher in den Bestätigungen der Klosterrechte durch Päpste und Kaiser erwfdmt werden ; '\l)er in keinem derjenigen, welche von uns auf dem Be/.irksarrlüv durchgelesen wurden, wird diess Recht erwähnt, ja nicht einmal angedeutet. Aus allem diesen glaube ich schliessen zu können, dass Maursmünster das Mfinzrsckt nie hesass, und diese meine Ansicht wurde in mir noch bestärkt durch Mitteilungen, die mir mündlich durch den Herrn JBibliothekar Dr. Müller an der Strassburger Universitätsmünz- sammlung gemacht worden sind. Dr. Müller glaubt nicht an die Exi.stenz eines solchen Rechts für unser Kloster, besonders liätte es nicht existiert in jener fi ühen Zeit, in welcher die zwei besagten Urkunden verfasst worden sind.

Weissenburg und Murbadi* Lüders hatten dies Regal, welches faktisch durch Vorhandensein von Münzen bestätigt wird, für letzteres datiert das Möi^privüeg erst aus der ersten Hälfte des XVL Jahrhunderts, aus dem Jahre 1544; es wurde

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lim verliehen, damit es die auf seinen Besitzungen gefündenen Sdelmetall-Lager günstig ausbeuten könne. Ueber das Weissen- □urger Münzrecht ist zu bemerken, dass die älteste Urkunde,

lie dessen erwähnt, von 1275 datiert ist, die oigentliche Ver- U'iliunj^ dürfte hier wohl bis in die 7eif der Uttüiien hinauf- ^erückt werden. Wenn diese ob iioi walmteu Abteien, deren eine j?efürstet war, und die bedruiend wichtiger waren als Maursmünster, ei-st spät das Münzregal bekamen, so ist niclil anzunehmen, dass es Maursmünster früher schon besessen liabe, besonders da nirgends auf seinem Territorium Gold- oder Silbergruben vorhanden waren, damit es mit Vorteil dieses Regals hätte Gehrauch machen können. Dann ist noch zu be- merken, <1;»ss die ältesten Münzstätten, wie Strassburg z. B., schon als könii^liclie Münzstätten bestanden und ersl später bischöflich, nocii später städtisch wurden. Nun besitzen wir aber karolingische Urkunden^ welche alle damaligen Münzstätten, vrorin allein geprägt werden konnte, aufzählen, und auf dieser Liste findet sich Maursmünster* nicht, wohl aber Marsal, das später als Münzstätte aufhörte zu existieren. Hier in Maurs^ münster ist aUo der Uebergang einer köni-^^lichen Münzstätte in eine kiösterlicln' Münze unmr);,dich irewesen.

Nach MiUeilnn^^en des Herrn iJoiukanonikuö Strauh sowie des eben genannten Gelehrten existieren bis jetzt Mauis- münstersche Münzen in kdner Münzsammlung weder des In* noch des Auslandes. In der gesamten einschlägigen Litte- ratur sei noch nie einer solchen Erwähnung gewesen. Aus diesem glauben diese Herren auf die Nichtexistenz dieses Rechts für die Abtei schliessen zu können od»M' doch bis auf w^eitcres die Fra^c unentschieden lassen zu sollen, da sie vielleicht inlül;j:e unerwarteter Entdeckungen bestimmt beantwortet werden könnte (Domherr Straub).*

Die Vorschriften der zwei Urkunden von li44 (bei Schcepf- lin) und von 1163 (bei Hanauer, Constitutions) sind rein hof- rechtliche Regelungen des Münzverkehrs, wie sie heute durch die Gewalt des Staates ausgeübt wird, damals al>er durch den GruDfihf rrn zum Schutze seiner Untertiianen ^^ejjen Üeber- vorteiiuii},'eji durch schlechte Münzen ausgeübt werden musste. Dies Recht des Verlxits des zu Wechsel-Sitzens entspringt schon aus der patriarchalischen Gewalt des Grundherrn während des Mittelalters, und um solche Verbote zu erlassen, brauchte der Aht nicht notwendig das Münzregal gehabt zu haben. Jede Gemeinde konnte ja damals, kralt ilirer Autonomie, gegen irgend welche Münze sich schützen durch deren Einfuhrverbot in ihr Gebiet, und wir sehen Gemeinden, die kein Münzrecbt hatten^

1 Den soeben genannten Herren sei hier f&r ihre gütigen Mit- teilungen der verbindlichste Dank des Verfassers erstattet.

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sich an Münzkonventionen beteiligen. Dies koQQta ^lich der HeiT der Immunität von Maursmunster.

Die Münzwechsler waren also der Urkunde nach, da sie keinen Px'otit am Wechsel für sich machen durften, blosse Beamten des Klosters, gelegenheitlich und vorflbei)gj^nd bloss angestellt; es waren Ministerialen des Abtes, die mit der Funktion der Einlösujog der verrufenen Müinzen beauftragt wurden.

Da ferner die Urkunde von 1163 sag^t : «Wenn eine nüwe Münze usgoli», nur derjenige zu Wechsel sitzen solle, dem es der Abt erlaubt hat, so j^ing die Ansicht des Herrn Dr. Müller dahin, daas dies von einer Veirufung der Münzen desjenigen Münzgebiets, zu dem das Kloster gehöre, gemeint sei, und dass, wenn im Gegenteil die Munzanderung vom Abfe selbst aus- gegangen wäre, dies jedenfalls in der Urkunde deutlieh besagt worden wäre.

Die Nützlichkeit dieser Massre^rel erhellt schon daraus, dass es historisch nacligewiesen ist (siehe bei Hanauer, Etudes economiques : Moanaies), dass im Laufe der Zeiten der Münz- fuss immer ein schlechterer ward; es lag also im Interesse jedes Grundherrn eines Mönzgebietes , die älteren mehr-

lösen zu lassen ; deshalb mussten und durften auch nur von ihm Beauftragte zu Wechsel sitzen. Durch das* Monopol des Münzwochsels iloss natürlich aller Proüt desselben in den Schatz des Grundherrn.

W'as übrigens den Geldverkehi- anbelangt, so konnte dieser kein sehr reger sein, da grundsatzlich durch die Gesetzgebung 4es Mittelalters das Zmsennehmen verboten war und zudem die damals herrschende weitgehende Naturalwirtschaft den Gdd- verkehr nicht in sehr hohem Masse benötiffte*

Was a})er thaten nun Klöster und KircTien, um ihre Gelder zu verwerten ? Sie mussten entwedpr riüter odei- Ilenten dafür kaufen ; das ist so viel, als dem Kajut d einen Naturalertrag abweifen machen, denn nur Naturaiproduivte konnten in der damalige Wirtschaft gut verwertet werden. Der Rentenkauf war aber die Form, unter wdcher das Darlehen versteckt wurde.

Wenn jemand Geld biauchte, so ging er zu den einzigen

Kapitalisten der Zeit, zu den Klöstern und Kirchen, bot ihnen einen jährlichen Gensus an, der auf einem Grundstücke lastete. Man schuf somit vertragsmässig eine neue Ui^aliast, und die gesetzliche Bestimmung gegen den Wucher ward so um- fangen. "

Sicher waren aber hier auch wied^ Missbräuche möglich,

gierige Kapil ten konnten hier auch wieder den dürftigen iCntlehner empfindlich schädigen, indem sie den Kapitalwert der

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Iteiitü »o viel hinunter schraubten, als es rnanclimal die (gedrückte La^jfe des Bittenden »^»^estattete. Anderseits aber konnton aucti wieder liederliche Wirlr^cliafter so viel Kenten auf ilire Güter setzen, bis ilir Ertrag ^ranz von den Henten autgezehrt ward, und dies war gewiss nach langen vielen Jahren der Fall. Dies war mit ein Grund der scbHinineii Lage der Bauern bis kurz vor der Revolution, die alle ReallaaCen^ deren Begründung ui- kundiich nicht mehr nachzuweisen war, kurzweg aufhob und alle anderen ablösbar ei'klärle.

!)ie Vorschriften nbcr Munzvv»'s<^n, HandrK- utkI Markt- verktihr, wt^lcho in den Klostei^''l)i*'teu aulgestellt wurden, Jiängen Ix'kannllicb mit den Capituiarvorschriflen enge zu- sammen^ ja man kann sagen, sie sind aus denselben hervor- gegangen, da diese in den klOslerlicben Territorien als Kdnigs- gutei überall zur Gellung und zur Anwendung kamen.

Zabimche Vorachriflen, um Tauschungen )>eim Handel zu vermeiden, kommen schon in den frnlie.sten (ifMtfsdien Gesetz- gebungsurkunden vor. Immer hielten es die Kaiser Kii- ihre heiligste Pflicht, Treue, Fllirlichkeit in Handel und Wandel zu schützen ; Kirchen und Klöster uaterstüUten sie in dei Erreichung ihrer Zwecke durch kanonische Strafondrohungen. Aus den Capitularien gingen diese Schntumaasregehi in daa durch die GrundiieiTen octroyierte Hotrecht über. Hier wie in den ver- schiedenen Sladtrechten findet man dieselben Strafen, dieselben Anordnungen zur Wahrung eines ehrlichen Gütertausches, wie sie schon in der kaiserlichen Gresetzgebuog des IX. Jahrhunderts erscheinen.

So sollte bei Nachl kein Handel mein abgeschlossen werden ; hatte zu Maursmönst^ am Jahrmarkte des St. Georgentags die Vesperglocke geläutet, so mussten die Stände geräumt

werden .

Auch Preisfestsetzungen liegegnei man in den Capitularien, infolir«* dossen der Gewährung eines bestimmten Profits, wie es in den spateren Maursmün^Jter.schen Urkunden ebenfalls noch geschieht. Der Preis des Getreides wird wiederholt von Staats wegen festgesetzt und dessen Ueberschreiteu mit Sti'ale bedroht. Dasselbe fiAden wir in unseren Urkunden von Maursmünster, wie wir dies speziell auf dem Gebiete des Weinhandels bemerken werden.

Nach der karoliti^isehcn Gesetzge!>Mitn sollte ferner überall gleiches Mass und gleiches Gewicht zur Auwendun^'^ kommen, und zwar diejenigen des Kaisers , wie sie dieser in seinen Pfalzen anwendete. Mit gleichem Gewichte sollte man nehmen und geben, aus- und einnehmen.

Karl setzte für Korn und Flüssigkeiten erwiesenermassen ein neues Mass fest, und dies sollte in allen Klöstern zur An- we.ndung kommen. Das KtostermasSy das wir in den Urkunden

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vorfinden, ist demnach kein anderes als des Kaisers Karl Mass,

«Kaiser Karls Loth».*

Dies Klostermass wird dann im Hofiecht und in ver- schiedenen anderen Urkunden nieiir immer als typisches an- gegeben. Das Mass sollen sie die Bauern im Kloster holen, so heisst es oft ; oder : so tind so viel Hafer, Wein etc. Klostermass. Dies trat später an ' Stelle der Kaiserl. Masse und Crewichte, sowie die Polizeigewalt des Monarchen anf den eiLemten Gebieten auf den Grimdherrn übergegangen war. Nicht immer dürften zwar auch die Klöster ganz gewissenhaft bei Anfeifi^^ung ihrer Aichgeräte vorgegangen sein ; dies zu schliessen ans den Klagen hierüber, welche öftere Erneuerungen vorerwähutei Bestimmungen benötigten.

Karl der Kahle sagt in seinem Edikt von Pitres, anno 864, c. 20, p. 402: cEt mensuram secundum antiquam consnetudinem de Palatio nostro accipiant» ; ein von mir auf dem nieder- elsässischen Bezirksarchiv zu Strassburg, Fonds Maursmünster, H. 677, Nr. 2 eingesehenes, noch nicht gedrucktes Weistum von St. Quirin drückt sich hierüber lolgendermas^en aus : «Den olnnen und das maass soll ein Propst zu St. Quirin im Saargau, Lothringen von Maursmünster, den sester aber und das Gewichte von Sarhurg holen.»

Diese Worte und diese Vorschrift erinnern einen sehr stark an den Wortlaut des karolingischen Gesetzes und bestä- tigen, was wir oben schon gesaiit, nämlich dass die Vorschriften, die sich hierauf beziehen, aus der Gapitulariengesetzgebung hervorgegangen sind.

Wir kennen nun die Gebote und Verbote der Gapitularien- gesetzgebung und anschliessend daran der Hofrechtsurkunden von Kloster Maursmünster, auf dem Gebiete des Verkehrs, welche bezweckten in demselben Treu und Ehrlichkeit zu erhalten. Es ist aber notwendig , * dass solche Gesetze auch wirklich befolgt werden, und daraus entspringt als Folge die l^eberwachunr^ des Han'lels- und Marktwesens , teils durch f^i'^'^ns dazu angestellte Beamte, teils durch das dabei interessierte l'uijlikum selbst.

Deshalb konnte jeider, dem eine Fälschung zur Kenntnis gelangte, dieselbe am nächsten oifenen echten Dinge angeben und war sogar gesetzlich dazu verpflichtet; that er dies aber nicht und wurde es bewiesen, dass es absichtlich geschali, wurde er auch bestraft. Die Hälfte der Strafzahlung wird durch Pippins Gapitular von 754 dem Denunzianten zugesprochen,

* Vgl. Capit. eccl. c. 73, p. 65, nach Waitz citiert : Ut aequales meusnraä et rectas et pondera justa et aeqnalia omnes babeanti siYe in civitatibns siye in monaBteriis, siTe ad dandnm in illis shre' ad accipiendum.» So noch in mehreren Gesetzen«

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dies musste natürlicli sehr stark zur Anklage anziehen^ liad es i>t wahrsclieinlich, das?> dieses Rechts auch nicht immer der gewissenhaltesfp Gebrauc h j^einachl wurde.

Das Jahri^eding Ahls Anastasius von 1471 für St (Juirin anerkennt denselben Grund^iatz, indem es bestinunt: <iver- schweigt nuhu iemandt etwas Unrechts, und zeigt solches auf vorgemelte tage nicht an, so ist derselbe gleich dem frevel- bahren in des Probsts willkflhrige straffe gefallen, sobald solihes offenbahr gemacht wirdt.»

Die Beamten, welche das Markt- imd Handelswesen über- wuchten, waren besonders die Zöllner und eigene Geschworen^', welche diese Aut'gah*3 hatten. Das Kdictuni Piätense, 8G4, von Karl dem Kahlen, nennt im 20. Kapitel solclie «jurati», welche Aber Meinkauf und FatschmOnzerei Acht haben und diese zur RQge hringen sollen. Sie sollten aueh strenge darüber wachen dass keine Waren über dem gesetzlich festgesetzten Preis verkauft werden. Derselben Geschworenen mit denselben Atlributionen "erwähnt auch wieder das Jahrgeding von St. Quirin, indem es von denselben sagt : «Die geschworenen jurati sollen im nahmen des Probsts sehet zen, fleischj hrodt, Wein, hier undl dergleichen, 60 naclier St. Quirin zu verkauffen gebracht wirdt denen einheimischen sowohl, als denen aus- wendigen niehmanden zu lieb noch zu leid, nach altem gebrauch, herkommen undt gewohnheit, davon denn iedeneit dem Probste sein recht undt gebühr solle gejj^eben werden.» So wurden neben dem Inteif^<o und den Vorfeilen der Käufer und Konsumenten auch diejenigen des Fiskus bezweckt, und nur diese innige Verbindun;; der Interessen der Staats Wirtschaft oder richtiger gesagt, der Wirtschaft des Königs oder der Grundherren mit denen der privaten Wirtschaften konnte den Massregeln, die dazu getreuen wurden, wirksamen Einfluss gewähren und wirksame Erfüllung bewirken.

Immer , in der Capitulariengesetzgebung sowie in den hofrechtlirhen spateren Bestim muntren, wird besonderes Gewicht darauf jrelegt, dass diese Autsichtsbeamten ihren Ptlichten getreu nachkommen sollen, ohne Ansehung der Personen und etwaiger eigener Vorteile. Das Wohlsein des ärmeren Mannes wird immer besonders betont, kirchliche und weltliche Strafen werden den Zuwiderhandelnden angedroht, i

Alle diese Beamten übten ihj^ Gewalt aus im Auftrage des Gerichts, das heisst der im echten Ding-e versammelten Markgemeinde. In jenei Zeit kannte man noch nicht die inten- sive Teilung der Gewalten, wie man es heuti<ren Tages fre- wohnt ist. Die Gerichtsversaaimlung war zugleich berufen, um

I Denselben eharakteristisehen Zug beobachtet man auch in allen städtischen ZunftroUen des Mittelalters,

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Recht zu sprechen und um Verwaltungssachen vorzunehmen.

Das Gericht übte durch seine Beamten und durch die Geschwo- renen die Aufsichtsgewalt aus über den Markt- und Handels- vei kehr, es sorj^te dafür, dass Treue und Ehrüchkeit iin Ver- kehr bestehe durcli die Ausübung und Verwirklichung- ol^ii^er Anordnungen. Es unterzog; Mass und Gewicht einer alljüliriichen Prütunif und bestrafte die Zuwiderhandelnden. Beim eciden Dinge, wo der Jahrspmch verlesen vwd, musste jeder Mder den cBürsester» mit sich bringen, um ihn pi ufen zu lassen. Dieser Sester war deijenige Sester, welcher in jeder cGrebühr- schatt», Dorfgemeinde, Bauerschaft, als Aichmass gehalten werden musste, nach diesem sollten alle Privatmasse gemacht und ^^eaicht sein, er diente als cEialon]», wie es heule noch auf allen Dorfschaften üblich ist.

Jeder Bauer («gebür))) musste auch seine Massgefasse zur Nachaichung vorstellen, und die Herrschaftsbeamten konnten ausserdem, so vielmal sie es für nötig hielten, in Begleitung von 2 «Heymbur^ern» die erwähnten jurati der Gapitulare, die «Rachimburgi» der alten fränkischen Gesetze und von 2 weiteren Lands!eut(Mi die Gefässrevision vornehmen. Alle diejenigen, welche im indiler eil'unden wurden, hüssten es mit einer GeUlstrafe, sie sind nach dem St. Quiriner Jahrspruch des Propstes Willkür dann verfallen.

Der Anastasische Jahrspruch verurteilt ferner die Backer sowie alle Handelsleute, welche falsch Ge^vicht geben, zu fünf- undzwanzig damaligen Franken Frevelgelde^ oder zur Kcmfis- i kation ihrer Ware.

Aus den Vorteil ritten der Maursmünstei sehen sowie der- St. Quiriuschen Hofrodelu geht klar und deutlicii der holVecht- liche Gliarakter der Handel- und Gewerbetreibenden heivor. Jedes Gewerbe, aller Handel wurde anfanglich auf Redbnung und Vorteil des Grundherrn betrieben, was durch die Arbeiten und Forschungen Schmollers und Stiedas über das mittelalter- liche Gewerbewesen zur Genüge bewiesen wird.

Erst mit der .dlmählichen Erweiterung des Verkehrs konnten die bände)- und gewerbetreibenden Dienstleute eines Grund- herrn tüi' den Markt zu ihrem tMgenen Vorteile arbeiten, und diese Freiheiten erkaulten aie durch jährUclic feststehende Abgaben, wie wir diese auch im ältesten strassburgischen hof- rechtlichen Stadtrechte (ca. 1150) vorfinden.!

Auch in unseren Maursmünsterschen Urkunden hat sich •< der hofre( htliche Charakter der Gewerbe bis in sehr 8i»le Zeiten hinuntei- erhalten.

So werden im Jahr^^eding von 1471 die Wirte immer des Propstes Wirte genannt, der Propst erlaubt einem Manne die

> Siehe dies bei Gaupp: Stadtrecbte des Mittelalten, t ^

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Ausübung einer Wirtschaft und g^iebt ihrn Vorsciu illeii uber die Ail und Weise dei Ausübung seines Rechts, .setzt die Preise fest und den Profit, den der Wirt dabei nehmen darf^ und auf- erleget ihm gewisse Leistungen zur Anerkennung seines Unter- thanen Verhältnisses , in welchen die hofrechtliche Natur klar zum Vorschein kommt. Da>;selbe geschieht auch für Bäcker, Metzger und andere Hnndelsleute.

Der Wirt durfte niemals ohne Wein .sein, die Bücker nie ohne Brot und die Metzger auch nie ohne l^^leisch, ccundt solches zwar umb der frembden Undt bülgern (Pilgern) Wegen». Die Bewirtung «der frembden undt bülger» war früher eine Aufgabe des Klosters selbst ; mit der Zeit aber wurde der Ver- kehr grösser, so dass diese Gasipflege die Klostergeistlichen von ihrem Berufe m sehr abwendig machen konnte und auch musste, deshalb übergaben dann die Klöstei- lukrative Höck- sichten dürften wohl hier auch auf <iie Wa^ h ile gekommen sein die Herbergen hosteriae, osteriae, Irz. liötellerie an Dienstleute ihrer Grundherrsehaft gegen vereinbarte Dienst- leistungen. So oft einer dieser Gewerbetreibenden gegen obige Anordnungen verstiess, und es angemeldet ward, so war er dem Propste mit fönt Franken Strafe verfallen, dasselbe Jahr hiiuiutch durfte er dann das Gewerbe nicht mehr treiben, es sei denn dass ilue WMgen oder Leute aut Reise sich eben befänden, um Waren zu holen.

Die Wirte wurden immer auf ein Jahr konzessioniert und waren verpflichtet, das Jahr auszumachen ; während des Jahres durften sie nicht aufhören, das Geschäft zu betreiben. An gewissen Festtagen, wo der Fremdenzudrang sehr gross wurde, konnten ■mrh Nichtwirte vom Prior die Erlaubnis erhalten, WVine au zusclienken, ein Schild anzuhängen, aber nur während 24 Sfuncien, nach Verlauf dieser Zeit durften sie nicht weiter im Detail verkaufen, es sei denn dass sie dem Herrn gegen- fther diesen Wunsch erklärten und sich dann verpflichteten, das ganze Jahr hindurch Wein zu verzapfen. (Oitlnung der Wirte zu St. Quirin, Bezirksarchiv, H 677, Nr. 5.)

Am St. Quirins-Tag musste jeder Wirt, der Wein oder Bier in St. Quirin zum Verkaufe darbot, eine Abgabe von 2 Mass W^ein und Brot im Werte von einem halben Batzen dem Propste, sowie dem Vogte ein Mass des zu verkautenden Getränkes entrichten ; dafür erhielt er dann an diesem Tage grossen Fremdenzudrani^es die Erlaubnis, seine Ware etwas teurer zu verkaufen. Dieselbe Freiheit hat auch jeder Mebu^, jeder Bäcker, wenn er dem Propste ^ Pfund seiner verkäuflichen Handelsware entrichtet. Die Ausübung: des Verkaufens auf dem Markte hinp von der P>P7ahlnriL'- einer Standgehfilir von einem halben Bntzen ab ; diese wurde dem Propste überant- wortet und iiildete keine unerhebliche Einkunftsquelle» beson-

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ders in solchen Orlfichallen, wo das Heiligtum eines grossen Heiligen aufiie wahrt wurde und scharenweise Fremdei Handels- leute und Pilger an den Ort heranzog, wie es für St. Quirin

der Fall ist. Der heilige Märtyrer Quirinus war wahrend des ganzen Mittelalteis sowie heute noch angerufen um Heihmg- der ekelerrej{enden und unheiiijaivn Quirinusbusse. Heute noch ist am Tage des Heihgen der Zudrang gross in St. Quii in.

Ein anderes Recht hiät sich der Propst seinen Wii ten gegenüber vor, es ist das des billigeren Einkaufes, wenn er bei ihnen Wein oder Bier zu kaufen n 'tigt war; auch der Vogt von Türckelstein sowie auch die Wöchnerinnen gemessen dieses Rechtes. Zu Gunsten dieser letzteren findet man öfter in den Weislümern solche rücksichtsvolle Anordnungen.

Die Wirte w^ren dann ferner verpflichiet, den Propst, die Geschworenen, «einmal im Jaiae zu gastieren i!>.

«cDanunb», heisst es in der Urkunde, cdass er ihre Obrig- keit undt Herr ist» undt ihnen die Wirthschaft zu treiben erlauben kan oder nicht, die geschworae aber mit ihnen ein gantz iahr lang des Scholzens wegen bescheftigt sein.»

Bei jedem Einkaufe, bei jedem Anstich eines neuen Fasses mussten die Geschworenen den Wein verkosten und dessen Verkaufspreis feststellen. In der eigentlichen Mark Maurs- münster that dies der Schultheiss im Beisein von geschworenen Zeugen.

Diese Geschworenen mussten dann genau verzeichnen, wie viel Wein die Wirte zum Verkaufe braäiten, denn von einer

jeden Mass war der Wirt schuldig, eine Steuer im Betrage eines halben oder ganzen Blanken (Albus) nach des Propstes Belieben und Festsetzung zu entrichten; diese Steuer hiess das Ungelt und wurde von dem Propste zur Hälfte an das Chor und zur Hälfte durch die Bürgerschaft an die Kirche oder SEur Unterhaltung des Beinhauses verwendet. Mehr als einen halben Blanken durften die Wirte nicht an ihrer Ware pro- fitieren . 1

Mit den Herrschaftsbefugnissen des Abtes in der Mark hängt auch die iiofrechtliche Anordnung des Weinhandels zu- sammen.

Die Klöster waren im Elsass die ersten Rebenpflanzer nach der Völkerwanderung und der Zerstörung der römischen Kultur in unserem Lande; die Reben bilden eui^ sehr grossen Teil der Saalländereien und wurden durch Hörige servilen Standes gebaut. Nun wurde aber, wie wir wissen, 1117 die Fronljearheitung der Reben abgeschafft und durch freie Arbeit ersetzt. Bis dahin waren sicher wenige Keben durch das Kloster

1 Vgl. Mass- und GewichtsrevisionsprotokoU Tom 29. April 1731, mit der Weintaxe. (Archiv, H 677, Nr, 5.)

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als Lehengut vergeben, so dass aus diesem Umstände allein mag geschlossen werden, dass das Kloster damals dei* alleinige Weinverkfmfer var in der Mark. Daraus erklärt sich auch der Woinbann des Grundherrn, welches Recht ihm ge<tatt^M♦', in seinem Gebiete nur von seinem eij^enen Weine zum Verkaufe zu bringen oder anderen zu verkauten zu gestalten.

Um daa XII. lahrhundert Gnden wir aber bereits zahlreiche Urkunden hier und anderwirts, weldie beweiaen, dass damals schon viele andere Leute Besitzer von Relien waren, und zwar von Klosterrehen, die ihnen zu Lehen übergeben wurden. Eine Urkunde aus dem Jahre 1170 besajr» , da«s der Abt von Maursmünster zweien Bur^'^ern von (^^uatzenheim 4 Acker Boden zu Erblehen überlassen iiabe, mit der Bedin^un^^, dass Reben daraus gemacht würden ^ und vom elften Jahre ab ihres Bestehens deren halber Ertrag an das Kloster abgegeben werde.i

Das Güterverzeichnis führt nur wenige Leistun^^en von Reb- besitzern auf, die Zahl der anderen Besitzer als das Kloster war damals, was das Flächenverhällnis anbelangt, keine bedeutende. Als Rebenzins wird dort die geringe Zahl von !22 Siklen \\ * in ^s aufgezeichnet.' Diese Reben befinden sich aber ausserhalb der eigenlliclten Mark, in dieser selbst zahlt das Inventar auf : «(Reben wovon 12 Lasten Weines geemtet werden können»; die Last Ii Hektoliter beie« hnei (nach Hanauer), trugen die Kloster^ reben in der Mark 133 Hektoliter.

Von iler Zeit an, wo die Klosterbauern auch Reljbesitzer geworden waren, waren sie der Abtei Konkurrenten im Wein- handel, und ihre Interessen erheischten, dass auch sie ihr Ge- wächs an den Mann bringen konnten. Dies nmsste notwendig zur Beschränkung des Weinhaunes führen, sowie auch noch der Umstand, dass das Kloster mit seinen nun kleiner gewor- denen Rebbesitzini^en des ausschliesslichen Weinverkaufsrechts nicht mehr bedurfte, welches Recht durch die Urkunde von 1144 bereits als althergebrachtes auf einen Monat des Jahres festgesetzt wird.

Zufrleich wird dem Abte zur Entschädi«?ung eine Wein- abgal>e zugestanden worden sein, die Abgabe des Umgelts von den Wirten «md diejenige des sogenannten Zolles von dem en ^ros verkauften Weine durch die Rebbesitzer und sonstigen Wein- verlcäufer.

Jeder zu Verkauf gebrachte Wein , sei er ausserhalb oder

in der Mark gewachsen, /;)hlte eine Steuer, in den l'rkunden «Zoll» 'rTenannt, von 6 Pfennigen auf das halbe i' uder, ca. 5 bis 6 Hektoliter; dies Recht der Weinsteuererhebung dauerte von

t TgL die ürlrande abgedruckt bei Hananer, Constitiitions. * Siela = 82—^95 Liter oder ein halber Ohmen.

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st. Martins-Tag an, 10. November, bis zur Weinlese nächsten Jahres. VVähieiui der Weinlese war der Weinverkauf zollfrei ; dies erlaubte daiiu den kleinen Bauern, iliren Wein besser zu verkaufen und im Verzapf in kleineren Quantitäten in Geld zu verwandeln.

Der Wembann des Abtes ist nun auf einen Monat« den

August, festgesetzt ; während dieser Zeit darf kein Wirt anderes Gewächs als das des Klosters verwirlen, und die Leute waren so gezwungen, ihren Bedarf in diesem Artikel während dieses Monats bei diesem oder beim Kloslerkellner zu holen. Dies ist noch das letzte Ueberbleibsel des alleinigen Weinveikaufs- rechts des Klosters, und hat es nun den Charakter eines holieit- rechtlichen Privileg's angenommen ^

Jeder Bauer^ der während der Lese neuen Most zum Ver- zapf bringen will, muss davon dem Schultheissen die Erklärung machen und entrichtet an diesen eine Abgabe von 4 Mass Weins. Jeder, der nach dieser ersten Tariflerung de-^ Weines durch den Schultheissen mehr begehren will, giebt dann dem- selben Herrschaftsbeamten auch wieder dasselbe Quantum. Dies ist keine Weinsteuer, sondern nur eine Entschädigung an den Schulzen für dessen Zeitverlust und Mühe bei der Weinabschätzung, beim Schlagen des Weines wie di( se Tariflerung damals hiess; dieser Ausdruck kommt noch im XVITI. Jahrhundert vor.

Dieser feste Preis, den zu übersteigen ohne vorherige Vr- klärung an die Obrigkeit nicht erlaubt war, heisst in Doku- menten und Chroniken der ^ Weinschlag».

Der Wein sollte ferner auch durch den Schulzen und die Geschworenen auf seine Realität und Qualität geprüft werden, er sollte rein^ unverHUscht zu Markte gelangen; wenn dal)ei hinsichtlich der Qualität etwas auszusetzen war, besserte der Eigentfimer oder jeder andeie Verkäufer 30 Schilling «demme abbetc, (lonmie schultheissen «nde demme voute».

Da (iieser Anschlapf immer beim Anstich eines neuen Fasses gewöhnlich vorgenommen ward und zum Anstechen besondere Beamten verwendet wurden gewöhnlich waren sie Küfer so erhielten diese Beamteten der Gemeinde in allen Wein- gegenden den Namen cWeinsticher i. Die Weinsticher ge^ horten zu den Geschworenen unserer Urkunden von Maurs- münstei und vermittelten dann auch 'die Verkäufe zwischen Kebbauer und Käufer, sie waren also beeidigt, und ihre Mit- wirkung bei den Verkäufen war von Rechts wegen gefordert, durch sie erhielt der Käufer die Garantie der Qualität des Weines und der Verkäufer einen zuverlässigen Zeugen, dessen Aussagen oder schriftliche Aufzeichnungen vor Gericht allein Gültigkeit hatten und in Streitsachen den Ausschlag gaben; so wurden die «jurati» des alten Rechts die Weinsticher des Mittelalters und

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. die Weinkomnii-^sionäre der heuti^^en Zeit , welche jetzt noch Weiiisticher <;tMiaMnt werden, obwohl sie jetzt nur mehr Weniges mit dem trüherea Geineindebeamten, dein Weinsticher gemein haben.

Das Weinsticheramt wurde zu Gunsten der Gemeindekasse auf ein Jahr an den Meistbietenden versteigert ^ ebenso das Amt eines. Brotverkäufers und eines Bäckers des gemeinen

Ofenhauses, denen wir in einer alten Dorfordnung von Olters- "weiler bejjegnen. (Bezirksai-chiv, If 567.)

Jährlich am Moiita*,^ nach Martini wind»' das Amt aus- gelioten ; die an der Stei^ierunj; öich lieteili^t^iulen durtleu nicht mit mehr als einem Schilling draufbieten, und derjenige, welchem das Amt verblid)^ musste der Gemeinde Bürgschaft stellen und drei Hilfsweinsticher zu sich nehmen. Kam ein Fremder ins Dorf, um Wein zu kaufen, musste ihn der erste Wein- sticher, zu dem er <,^ol?mgle, in den Kellern herumführen, sollte aber nicht mit ihm in sBine eigenen Kellereien gehen, bevor er in drei anderen ^^ewesen war. Dass «lie Weinsticher Küfer waren, besveisil die Bestimmung, dass sie den Kebleuten die Weine abzulassen haben : nur diejenigen, welche ihr eigen Ge- schirr hatten, konnten es selbst thun. Der Weinsticher sollte sich nicht ohne Erlaubnis des Schultheissen aus dem Banne entfernen.

Bei ihm mussten die Wirte der Mark sowie ihres Dr^rfes kaufen, und so lanj^^e noth W^ein in der Mark zu liaben war, sollte nicht auswiirls gekaut"! werden. (Ibidem )

Um grösseie Gewäln zu leisten hinsichtlich des «Fechtens» (eis. Au^ruck fär Aichen, an verschiedenen Orten auch: cFechen, Fachen»; |»art. praet. «gefochen, gefochten»), durften die Weinvägen nur auf emem besonders dazu bestinmiten Platz verladen weiilen. Dieser Ort hiess der «Weinmarkt», wie in Strassbuj'j^ , oder auch «Sinne», wie überall im Oberelsass. Das Verbum «Sinnen» bedeutet i-lttMifalls Aichen. Da dies Sinnen durch geschworene «Lader» (von Laden) geschah, so halte dies denselben offiziellen Charakter wie heute die gesetz- liche Aichung der Masse und Geivicbfe, die beim Handel vor> geschrieben ist.

So ward es auch dem Zöllner möglich, liie Weintransaktionen zu kontrollieren und zu überwachen. Der Zoll musste bezahlt werden, bevor der W<m(i vofn W i^en ah^^eladen war, es müsste denn der Zöllner läniicic i'Vist gewährt lialien.

Eine andere, ebenfalls wichtige Einkommensquelle landen die grossen Grundbesitzer auch noch in den Mühlen und sonstigen Wasserbetriebswerken .

Der Gi undlieir war alleiniger Besitzer der Gewässer und der Wasseriäufe (aquarum aquarumve decursus); als solcher konnte er auch die Wasserkräfte nach seinem Beünden ver*

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wenden und industriell nutzbar machen. Als reicher, viel ver -

möf^endcr Mann, der einzige in der Mark, hatte er auch die Mittel in der Hand , derartige industrielle Anstalten, wie Walk-, Schleif-, Oel- und Mahlmühlen anzulegen , seine Hintersassen hätten dies von Anfangs an nicht gekonnt. Der Herr, das Kloster hier in Maursmünster, verfehlte auch nicht, dies zu thun und diese Mühlen zu seinem Vorteile auszubeuten. Aus dem alleinigen Eigentum des Grundherrn an den Ge* wässern entspringt auch sein ausschliessliches Hecht, solche Anstalten zu errichten, und sein ausschliessliches Fischerei- recht, wo nicht vertragsmässig Anderes festgestellt wurde. Das St. Quiriner Jahrj^eding von 1471 sagt, dass das Kloster das Recht hat, allerhand Mühlen anzulegen, in oder ausserhalb St. Quirin, auf seinem eigenen Grund und Boden oder auch auf dem gemeinen Boden ; diese kann es, wenn es will , selbst betreiben oder sie an Muller verlehnen um einen gewissen Zins. Im Güterverzeichnis von 1120 sind Mühlen mit folgen- den Zinsahgaben aufgezeichnet: eine mit monatlich «2 modia» Frucht, 1 eine andere Muhle, welche monatlich « 4 modia » be- zahlt, wieder 2 Mühlen mit €2 modia frumenti» pro Monat Abgahe an den Grundherrn.

Die Abgabe von 2 Muth ist die allergebräuchlichste und scheint in der Mai'k auf sehr altem Gebrauch zu beruhen. Weiss man nun, dass der Muth 500 Liter fasste, also im Jahre von einem Mühlenanwesen an den Herrn wenigstens l!2,000 Liter ahp:in}2:en, so muss man 'gestehen, dass eine solche Mühle, bei dem immer gleichl>leihenden Gebrauchswerte des Getreides, eine sehr ergiebige Einkunftsquelle bildete. Eine Fruchtabgabe sciiwankte in ihrem Gebrauchswert« nie so sehr als eine immer gleichbleibende Geldrente. Und diese Einkunftsquelle wusste man sich zu wahren, indem man diese Betriebe zu Zwangsmühlen erklärte, dadurch sicherte man aber auch das Einkommen des Müllers. ((Diese mühlen», sagt das schtin oft angeführte Weist- tum, (Tscindt schuldig zu gebrauchen alle underthane undn hinder^^esessene sowohl in dem Dorfe, als auch auf den hüllen mit mahlen, stampfen, olilmachen undt dergleichen, wie vot alters hero ieder Zeit gebrauch gewesen, dahero dann niemand erlaubt in anderer Herrschaften mühlen zu fahren undt zu mahlen, bei straffe fünfT francken frevel, so oft undt vieimahl solches geschieht.» Die Instandhaltung der Herrschaftsmühlen geschah durch Fronarbeiter der Bürger und Hofleute, jeder war hierzu verpflichtet, wenn es nötig, so oit es der Prior

befahl.

t Uodiut = 500 Liter. Maids, deutsch Math.

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Weide-, Wald-, Allmend-Ordnung. Wasser- und Wegebau.

Das Land, damals noch nicht so dicht bewohnt wie später und jetzt, war deshalb auch nicht so intensiv kultiviert. Der

Bauer produzierte damals an Ackerprodukten nur die zur Deckung seines eigenen Bedarfs und ^e^ner allernächsten Um- gebung,' nötigen Körnerfrüchte, der liest der übrigen Flur wurde zur Weide liegen ^^elassen, denn VieJizuclit war dazu- Wd\ noch der Hauplerwerbszweig der Bauern. Mit dem Zu- nehmen der Bevölkerung inus^^te abei* immer mehr Weide, und zwar ständige Weide, Alimend, zu Ackerland un^wandelt und in die Flur aufgenommen werden. Auf den Aeckem herrschte Dreifelderwirischaft, hier auch wurde das dritte Jahr, die Brache, als Ackerweide den Markgenossen überlassen. Es ist die Weide ein j;elir wichfipfer Ge«:en<tnnd, der auch durch die Dingrhofrot*«! sehr im Minzehie |,reheii(i j^erejxelt wird; Zwiste blieben deshall) doch nicht aus, so dass \\u im Archivenfunds unseres Klosters aus späteren Zeiten häufigen Markherren- bescfalössen begegnen, welche die Streitsache^ oft gegen der Buiiger und Bauern Protestatien und Einreden, erledigten.

Der Maursmünstersche Jahrspruch bestimmt, dass niemand in der Mark nach dem ersten Futterscbnitt «eine Wiese ein- frie<i'^ii <olle, um Ohmet darauf zu mähen, die Matten '^'»llten nach dem Heuet eine gemeine Weide bildm , den Miti^liedern der Mark- oder Üorfgenossenschaft zur freien Benutzung über- lassen sein. Nur eine Ausnahme ward für eine Klosterwiese gemacht, welche als terra salica eingehegt werden konnte und 80 aus dem Markverbande herausgenommen wurde und somit auch nicht an die GemeiDdebeschlüsse ^^ehunden war. Dies war das P»eclit des Bifan^rs, das für die Markgenossenschaften später einer der stärksten auflösencieu Faktoren wurde, da der Bifang des Fiurzwangs befreit war und infolge dessen ein grosser Feind des Gemeindeeigentums sowie der Gemeinde- rechte an der Allmend ward. Aber nur die Grossgrundbesitzer konnten ihn thatsächlich in Anwendung bringen, und es ist auch in den Weistümem dies Recht der Ausschliessung von der Mark für gewisse bestimmte Güter der Grundherren be- stätii,rt und anerkannt. Mit den Fortschritten einer intensiveren Kultur sahen aber die Grundherren bald ein, das>4 dies Becht ihnen von grossem Nutzen sein könnte, und traciileU n deshalb, es auf möglichst viele Güter, besonders auf Wiesen auszudehnen, um deren Ertrag und ihre Einkünfte zu vermehren. Dagegen protestierten aber immer die Markgenossen, doch ihre Pro* testationen wurden nicht immer anphört. Der Herrentag^ als Versammlung der Grundherren der Mark, lieschloss fiber Mark-

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ordnunjr und Weide- sowie Eckerrecht, die gemeinen, Leute hatten dagegen das Narhsohen.* '

Es durfte auch nieniidid in der Mark, ausser dem Abte, einen eigenen Hirten i>estellen, jeder war gehalten, sein Vieh der Gemeindeherde beizutreiben. Die Herde des Klosters hatte auf den Gütern der Klosterunterthanen das Recht zu weiden, es war dies das Recht der Hutung oder das « Goppel- recht», wie es in der Ordnung^ der Pferdeweiden heisst. Die Zahl der Pferde, die der Al)t auf die Goppel schicken durfte, war bestimmt auf 42 Stück, er konnte anfangen, wann er wollte, die Tiere auf die Weiden zu treiben bis zum Heuet ; damit aber fürderhin keine Zwistigkeiten entstehen sollen, wird in dem Kapitel Ober die Rechte und Befugnisse des Marschalken jedes Greländ festgesetzt, wo der Marsteller die Pferde hintreiben kann, ebenso auch wird die Zeit bestimmt, wie lang er die Rosse dor t weiden lassen darf.

So \ iiiile es gehalten im XII. Jahrhundert, in einer Zeit, wo das Kloster noch allein Herr in der Mark war, wo dessen Vögte sich noch nicht die Befugnisse der Abtei angeeignet hatten und diese noch grösseren Anteil an der Mark besass als in den sp&teren Jahrhunderten ; denn durch Entäusserungen bekamen mehrere weltliche Herren Besitzrechte an Teilen der Mark, und diese Markherren legen in den Urkunden, die sie uns hinterliessen, nicht immer dieselbe Sorgfalt und Rück- sicht an den Tag *rc<?enii})er iliren Unterj^chenen, wie es die l iHven Aehie der früheren Jahrhunderte thaten. Das Kloster selbst war vor ilucr Habgier nicht gesicliert.

Markgenossenschaft bedeutet auch Wald- und Allmend- genossenschaft. Da aber hier die Mark hintersässig Ist dem Kloster gegenüber, so können die Markgenossen ebensowenig frei über Wald- und Allmendnutzung verfügen. Die Hintersassen haben nur ^^ewisse vertraj^snuis^isj- r»»^t<:estellte Rechte an Holz und Alliii* nden, welche dem Gutleijhause angehören. Wie .tut Aeckern und Wiesen, i>o haben sich die Aebte auch auf den Bergen bestimmte Waldkomplexe ausschliesslich der Rechte eines jeden Andern vorbehalten.

lieber die Forstordnung wurde schon an anderem Orte gesprochen in Verbindung mit den Rechten und Pflichten der Forster, ebenso war .schon die Rede von dei- Eichelmast in den Waldunfren des Klosters untl der Mark, als von den Abgaben gespiiM hen wurde. Wir werden uns jetzt nielit mehr dabei aufliallen, sondern geben zu einem Gegenstande iü)er, der bis jetzt noch ganzlich von uns ausser acht gelassen ward, zu einem Gegenstande, der gar oft zu zahlreichen Prozessen Anlass

1 Vgl. eine Markordnang von 1616, am EingaDge des Dokn- ments. Bezirksarchiv, H d61, Nr. 7.

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gegeben hat zwischen dem Kloster und den anderen Mit- oigentumern, den anderen, weltlichen Herren der Mark, wir meinen nunilich die Jagd die Fischerei.

Jagd und Fischerei i^elioieii zu den Regahen, sie wurden durch den König veriielien, und in den exeniieii Gebielen tritt der Grundherr an die Stelle des Regenten, der Grundherr bat mit der Zeit die Regalien an sich gebracht, dies ist auch der Fall in der Mark Mauismünster. Der Abt haUe im ganzen Gebiete seiner Gutsherrschaft den «Zwing und Bann», er hat^ wie die Urkunde des Abtes Anastasius 1471 sich ausspricht, «alle törstliche rechte, wildtbahn, und iachtsgerechtigkeit in Wäldt nndt Veldern, bergen undt tliälern, nr>atten und garten, in undt ausserlhalb des dorlls undt der Ilüflejo. Alles Wild hat er die Refugnis und das Recht zu erjagen, nicht nur das grosse, sondern auch cdas kleine oder niedere Wild- präht, niedere Weydtwerk, feder Wildpräht^ undt andere vogel gros undt klein». Er kann es ferner «nägen, iagen, schiessen^ fangen, mit hunden undt vöj^eln, mit gamen, stricken, seilen oder netzen, in fallen oder auf beerden».

In Ausübung der Jagdrecljte hatte der Abt oder Propst noch besondere Befugnisse und besondere Dienste von seinen Leuten zu beanspruchen ; so konnte und durfte er die auf der Jagd nass geworaenen Game und Netze zu Freyburg im Saar- gau auf einer dort befindlichen verschlossenen Rrucke zum Trocknen aufhänfren ; so hatte er das Privilegium der hohen Standespersonen, die mit üirn zur Jagd gingen, an der Seite ein Jagdhorn und einen Hirschtanger zu tragen, sowie das Recht,, Windspiele oder sonstige Jagdhunde mit &ich zu führen, so viel er deren für nötig hält.

Der Abt kann Forst- und Jagdordnungen aufstellen auf seinen Gebieten nach seinem Wohlgefallen, er kann das Jagen verbieten und untersagen, wenn er will, er verbietet das un* erlauljte Ahhauen fruchtbarer Bäume in den WildfTdirten , das heisst in denjenigen Distrikten, wo das Wild besonders gehegt werden soll.

Seine Unterlhanen müssen auf ihre Hunde aciiten , dass sie nicht, selbst ohne ihr Wissen undZuthun, in die Jagdreviere hineinlaufen, um so das Wild zu verscbeuchen ; dies zu ver- hüten, mussten die Leute zu St. Quirin ihren frei herumlaufen- den Hunden Bengel anhängen, "Wodurch sie verhindert waren> im Dickicht durchzuschlüpfen.

Das Beherbergen sowie die Anleitung der Wilddiebe zum Jagdfrevel waren den Unterlhanen des Klosters strengstens^ verboten, auch sollte niemand Wildbret von solchen Leuten kaufen oder zu (beschenk annehmen.

Mit Büchsen durfte niemand durch den Wald , es sei denn dass er der Notwehr halber bewaffnet sei; aber dann darf er

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nicht vom üblichen Wege sich entfernen. Wer in diesen ob- gesagten Freveln betroffen ward, zahlte in St. Quirin dem Propste

fürs ersff Mal eine Geldbusse von fünf Franken ^ fürs zweife büsste der Frevler fünfzig und am dritten Frevel hundert Franken.

Die Geldstrafen pind zwar im Recidivfaüe sehr hoch gesetzt ; aber von den haiten, imbarmberzijren Stiaten, deren sich die Bauern in so manchen Heri schatten zu beklafren hatten, bereits am ersten Tumultus ruslicanus (14'25— 14^X)j, üudet man gar

St. Quinn.

Änlasslich der Jagden konnten der Abt von MaursmOnster und der Propst von St. Quirin gewisse Frondienste fordern:

jeder Insasse wrir gezwun^^en , zwei Ta^ des Jahres Jagdfron- den zu leislen ; diese bestanden darin, dass «ein iedweder so zum iagen undt schiesseii bequem undi dienlich, soll mit einem guten robr, pulver undt bley versehen auf bestimbte Zeit undL ort erscheinen, die hunde^ netz oder garne, undt was femers zu einer ordentlichen iagt von nöhten^ helffen leihen, führen undt tragen}). Sie raussten beim Jagen und Treiben behilflich sein und alles dabei verrichten, was man ihnen gebot; dafür erhalten aber die^e Fröner an Martini oder Fastnacht ein «Mitschel» Roo^geiibrot , «ein pfundt fleisch undt ein maass weissen Wein», die Meier und Forstmeister erhielten das Doppelte.

£ine Urkunde von 1481 spricht von der Pflicht zur Er- nährung der Jagdhunde der jagdberechtigten Grundherren. i Aber auch die « Armen Leute » durften auf dem Gebiete der Abtei Maursmünster, in der Propstei St. Quirin zum Beispiel, des edeln Weidwerks pflegen. Die Hofordnung^ kennt hier nicht das absolute Jagdverbot für die Hörig^en , ja dies Jagd- recht der Bauern ist im Vergleiche zum heutigen sehr liberal erteilt und bemessen ; heute noch würde sich jedes Bäuerlein darob freuen, durfte er dann und wann einen selbst erjagten, nicht erfrevelten Hasen im Topfe haben, wie damals anno 1 171, am Ausgange des berüchtii^ten Mittelalters, wo die Menschen- rechte so blutwenig respektiert waren. Beweis davon der Ana- ^tasische Jahresspruch, dem wir diese interessanten Angaben entnehmen.

Die Leute der Propstei zu St. Quirin «haben auch recht in den Tflrckelsteiner Wälder zu schiessen undt zu fangen : behren (Bären), wilde Schweine, hirsche, rehe, wölfTe undt füchse mit dem beding, das sie von iedwederm stucke den Kopf undt den rechten Fuss auf Schloss Türckenslein, das eine Hinter viertel aber dem Probste nach St. Quirin liefern sollen»,

1 Tgl. Urkunde auf dem Besirksarehiv, H 548, Nr. d.

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-weil sie dies Recht nur vom Kloster aus erhalten haben auf Gnade, und dies sollen sie durch genannte Abgabe aner- kennen.

In St. Quirin selbst dürfen sie in den Aeckern und Gärten nur Wölfe, Füchte und Hasen erleiden, also Tiere, welche dein Landwirte oft grossen Schaden zufügen; alles andere Wild zu jagen ist ihnen hier untersagt. Zuwiderhandelnde erlegen die- selbe Busse, wie sie oben angegeben wurde.

Ganz dieselben Bestimmungen und diesellMO Strafsätze galten auch für die Fischerei.

Aueh hier wird durch die Sflirifl fe^t^-^esetzl, vv»'lf he Banne und Crewanne der Grundlierr aii>s( h]ie>:;iich für .sii h voi lteliallen hat. Ohne Erlaubnis des Heirn konnte in diesen Gewässern niemand die Fischerei betreiben, der Grundherr dagegen «hatt recht undt macht in allen Wässern gross undt klein seiner Herrligkeit zu fischen mit garnen, angelen, reisen, und auf welcherley weise er will und b^hrt)».

Er kann dies sogar thun in der Schonzeit, «im leichen, im steigen, oder auch ausserhalb denselhenj»^ bei Tag wie hei der Nacht.

Dies das mittelalterliche Jagd- und Fischerei recht der Mark ManrsmQnster I

Die Mark bildete auch hinsichtlich des Wasser- und Wege- baues eine Oenos.senschaft. Alle Gewässer, alle Wege wurden gemeinschaftlich durch die Markherren und Hintersassen unter- halten. Diesem Zweige der Verwaltung standen in der eigent- lichen Mark Maursmünster die Herren « liaunieistei d vor. waren dies aber keine technisch gebildeten Leute, wie man etwa aus dent Namen entnehmen möchte, es *war immer einer der grösseren Markherren, welcher dies Amt versah.

In dem Gebiete der Propstei St. Quirin waren es die Heimburger, welche den W^asser- und Wegebau unter sich hatten. Die eigentliche Unterhaltung der (iewässer- und W\'ge- einrichtu nn;en wurde durch gemeinschaftlich ausgeführte Fiö»- dearbeiten erzielt. Jede Dorfgemeinde liatte für sich allem die Aufgabe, diese Arbeilen an Wasserläufen, Wegen, Brücken und Stegen auszuführen, wie es die Herrschaft anordnete und für gut befand. Wenn ein Weg oder ein Steg nicht in be- friedigendem Zustande durch die dazu Verpflichteten erhalten wardy so wurde nach dem St. Quiriner Weistum der Heim- burger der betreffenden Gemeirnle durch den Propst nach Ue- lieben zur Strafe genommen. Dies wurde also nicht durch das Marktrericht gestraft. Der Grundherr hatte eine gewisse Dis-^ zipiuiargewalt über diese Gpmeindebeaniten. Dies Üecht konnte ihm zustehen als Grundherrn , wohl aber auch infolge der immer mehr umsichgreifenden Auflösung der Markgenossen* Schaft gegen Ende des Mittelalters.

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Na( Ii einer Urkunde vom Anfange des XVII. Jahrhunderts üind die Baumeister in der Mark BfeLursmilnster meistens

adelige Gi undbesitzer, als solcho von der Zustimmung der Gemeinde befreit, deifn Beamter, der Heimlnirger, ilie Befehle der Herren «Baumeistern pünlvtlich auszutuhren hat. Hier ist zu bemei*ken, dass diese Baumeister der späteren Urkunden des XVI. und des XYIL Jahrhunderts dieselben Leute sind, welche ältere Schriftstöcke cBauermeister» nennen, somit ist nu!i erklfu licli, wa^^massen diese Beamten die Oberaufsicht über die Weiden, Wege, Gewässer, über den Brücken- und Stegebau sowie ni)( r die Aecker hatten. Ihr Name Baumeister ist die verdorljene Schreibweise des Wortes «Bauermeister»: den «Bur- meister» tritrt man häutig' in den Weistümern an.

Eine Markorduun^j, deren Redaktion in das Jahr lOlO tälit, ;$agt gelegenheitlich des Nacheckers in den Markwaldungen : ncundt endet sich der Eckher strich aufF St. Joannis tag, nach Jedes Orth üblichem brauch; undt gelegenheit des Wetters, wo etwan Krieg, hungers oder Krankheiten, wass Gott ab- wenden wolle, schickhte, steths bey Elinem verständigen herm Bauwmeister . . . zu moderiren.»

Scliul- und Kirohenwesexi«

Wir haben bis jetzt die Organisation des Wirtschaftslebens dargestellt ; um das Bild einer grundherr lieben Mark nach allen Seiten hin zu liehen, können wir nicht undiin, auch das Geistesleben jener Zeiten, soweit es unsere Urkunden «,^estatten, in giobeii Umrissen mitzuteilen , denn düritig tliessen die Angubequellen über diesen gewiss sehr interessanten Gegen- stand aus dem sozialen Leben einer bauerlichen Gesellschaft aus dem Mittelalter.

Kirchendienst und Schulwesen oblagen dem Geiste der Zeiten gemäss (Imd! Kloster, aber nicht nilein in seiner Eigen- schaft einer siM ziIiscli chrisüichen Einriclilung für Gottesdienst und Erziehungszwecke, sondern auch in seiner Eigenschaft eines Grundherrn der Mark, der als solcher ein Patronatsrecht über alle Kirchen und Schulanstalten der Mark besass. Das Lehramt hingegen lag ausschliesslich damals in den Händen des Klerus und der Kirchendiener» ein solcher war selbst der Schullehrer.

Bei jeder Kirche mussie der Grundherr das Kloster Maursmfm'-tf r und die Propstei St. Quirin einon Geistlichen anstellen, demseil)en auf die schon dargestellte Art und Weise den nötigen Unterhalt verschaffen. Der Abt resp. der Propst ernannte die Pfarrer und Kaplane. Das St. Quiriner Jahrgeding spricht dem Propste dies Recht ausdrücklieh zu. Der Propst hatte czu setzen und abzusetzen einen Gapellan», dieser sollte

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Ihm im Kircltendienste cbeispringen» und Hilfe lei^^ten. Dieser Capellan, - sagt die Urkunde, soll gute Achtung haben auf die

Kirche und auf die Ordnung der ankommenden Pilgerzuge, cdamit die Wahifahrth desto mehr befördert werde». Dieser

Priester soütt' riuch drn Srliulinoister ülHM'waclien, ob der- selbe seine Piliciilen gut erfülle , er sollte lii«poktionsrechte in der Schule haben, wie dies Inspeklioiisiecht in vielen \Än^ dem tlen Pfarrern heute noch zusteht. Der Kaplan sollte auf den Schulmeister acht haben, cdamit die Kinder in der wahren Furcht Gottes im betten, im lesen, schreiben undt singen mögen aufgezogen werden».

Hier wollen wir noch bemerken, dass selten urkundliche Naehrirliteii über Schulen auf dem platten Lande ausserhalb dev Städte in so fiüher Zeit den Forsehern l)ep:c^^nen, und wäre es j^ewiss keine undankbare Arl)eit, das Wenij^e über Schulwesen des Mittelalteis in unserem Vaterlande ant unseren Archiven aufzusuchen und kundiumachen : man würde wohl daraus entnehmen können und darlegen, dass wir oft das Mittelalter mit grossem Unrecht die Zeit des geflissentlichen Obskurantismus nennen, und dass besonders die Klöster sich in jenen Zeiten um das Land vfM<)lent g^eniaeht haben durch Errirliluny von Volkssdiulcn. die <leii ärmsten wie den reichsten Kiniiern aus dem Volke ihrer Hintersassen leicht zugänglich waren.

Nirgends in Gebieten weltlicher Fürsten findet man so frühe Nachrichten über das Schulwesen, wie wir dieselben hier im St. Quiriner Weistum auflinden. Hier haben die immer- währenden Krie^'^e vieler weltlichen Herren dieselben al)gehalten von einer rationellen Pfle;4e des Srhuhvesens. Die (liesbezüjj:- liehen, ins einzelne Ziehenden lieslimniun^^en des Jalirspruches von St. Qniiin sind der Mitteilung in diesen Dlättern wert. Man sieht darin, wie die weltliche und die geistliche Gewalt des Grundherrn zusammen in Wirksamkeit gesetzt werden, um die religiöse und wissensehafllic he, mit einem Worte, die ge- sammte intellektuelle Erziehung des Volkes zu machen. Nicht als sollte und könnte dies jefzt noch geschehen an de-sen Möglichkeit zu denken wäre Irauni und Utopie , sondern als Zeugnis des Geistes der Zeit und zugleich auch der wohl- wollenden Fürsorge geistlicher Grundherren sollen diese Be- stimmungen in unserer Darstellung des Hofirechts von Maurs- münster einen ehrenden Platz einnehmen.

Der Kaplan sollte also die Kinder «Wann sie zum Zwölfften iahre kommen seindt» zur Beichte hören «cundt zum hoch- wirdigen sacrament des abcntmahl^ fültreno. Fr soll ferner die Knaben und Mädchen, die zum Sakrament des Altares i^^p'/ang^en sind, einstlich sich eines guten, braven und fleissigen Wandels 7u befleissen ermahnen in den sonntäglichen Christenlehren.

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ffMehr soll er sie dahin halten, dass sie allesambt zwev uadt zwey knaben bey knabeii umiL lua^del bei niägdeb auf die Hauptfestiage des kirchlichen Jahres cden proc^ssionen bey- wohnen, ihr gebett lu gott undt dem lieben Hey Ü gen Quinn darinnen verrichten undt um die göttliche Gnade undt Huldt für das liebe Vatterlandt trewlich bitten». Diese jungen Leute sollten auch die Heiligenttilder und den Reliquienschrein des heiligen Quirinus, Kreuze und Fahnen tragen, dieselben Heilig- tümer «undt endtlich sich selbsten iedesmahls mit allerhandt Kreutzlein und blumen ziehren», die Knaben sollten ferner noch die Glocken läuten an diesen Festtagen ; dafür erhielten Knaben und Mädchen vom Propste «auf Mailini oder Fastnacht» jeder und jedes «ein halb pftindt mitschel brodt, ein halb pfundt fleisch und halb m^iss weissen Wein». Fehlte einer oder eine diespr junj^^en Leute oder war säumig bei Vorrichtung- dieser iJienste, «so soll solches in selhi^'^em iahre seine portion nicht alieine nicht bekunuiien , sondern vielmehr eine gute straffe nach belieben eines Probstes in die Kirche geben».

Kirchendienst wird also hier förmlich rechtlich zu einem hofrechtlichen Dienste der Jugend gestempelt. Es war ein Recht der Kirche, welches man alljährlich im Jahrspruch mit dem übrigen Hofrechte der Gerichtsversammlung vorlas und somit immer neu bestätigte.

Dasselbe galt auch für die Flurumgänge, welche früher rein privatrechtlichei Natur, iml rein rechtlichen Formen und Handlungen vollzogen und erst später zu einer kirch- lichen Oeremonie umgewandelt wurden» wobei jedoch die Pflicht des ^ri{<^eiiens als Recht des Hofes oder des Dovfes bestehen bliel). Diese Umgänge hatten früher den Zweck, die Ge- markunp-sgrenzen zu be^icblif^'^^'n, dieselben zu beobachten, um festzustellen, ob sie niciit ir^eudwo iVevelhatl gerückt worden waren. Der Zweck des Umi^'^anijs ist nun vergessen, der Umgang aber besteht heute noch in allen katholischen Gemeinden als sogenannte Bannprozession.

Der Oorfschulmeisf er war ein Gemeindediener: die Gemeinde erwählte und besoldete denselben «ohne Zuthuung eines Probstesj!) aus eigenen Mitteln. Aber die Wahl *der Gemeinde ist an die Genehmigung des Grundherrn des Abtes oder Propstes gebunden.

«Welcher dem Frohste nicht gefallt, oder nicht geschickt gnueg ist zu diesem Dienste, so kan ihn der Probst hiewieder- umb absetzen, so oft und viel mahl ihme solches helibig undt hergegen einen anderen ahn nehmen, der ihme gefeit undt geschickt ist, wieder mennigliches Wiederreden.»

Der Schullehrer that auch zujuleich Küsterdienste in der Kirrbf., wie dies bis in heutige Zeit hinein auf kleinen Dorf- schallen noch der Fall ist, «Dieser muss einem Probste ahnge-

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loben untU mit einem ayUt beiahen gelrew, aufrecht undt mi- lichen zu dienen, der Kirchen nichts zu nehmen oder etwuti darinnen versäumen, die altartficher zu waschen, die Kircbe zu seüberen, in die messe leüten, zu altar dienen so oft es von nöhten, undt endtlichen alles was ihme darinnen zu verrichten ahnbefohlen wirdt, mit allem Fleiss verrichten, und dieses zwmi- bey verliehrung seines Haabs undt guts, ehren undt guten nahmens.»

Es war dies wahrlich keine angenehme Stellung, und man kann leicht begreifen, dass eben darum die Lebrerstellen gewiss nicht immer mit guten Schulmeistern besetzt waren, und dass die damalige Schule des Dorfes weit hinter den gemeinsten unserer Volksschulen zurückbleiben musste.

Die prosse Ahhrin^i<rkeil des Lehreis vom Geistlichen gai» auch j4e\viss oft zu Unzutn» -2^! ich keilen Anlass, und es dai f nicht wunder nehmen^ wenn man die Rolle des Schulmeistej s dem Pfarrer gegenüber in den Volkserzählungen, wo Pfarrer und Schulmeister zusammen handelnd auftreten, wenn man, sagen wir, dieses Beamten Rolle als die eines «Bossels» Bossel nennt der Elsässer einen Menschen, der einem anderen immer dienstfcrtip:, sog-ar bei Verrichtungen, die unter seiner Würde und seiner sozialen Stellung stehen, hei Seite steht, ihn unikreisel, ein oft witziger Famulus i»ezeiciiüet. Selbst die aufmerksame Sammlung solcher oft sehr launigen Geschichtcheu dürfte nicht unwichtige Dienste leisten zur Darstellung und Charakteri- sierung der früheren Dorfschulmeister und Sigriste. Ausser dem Lesen- und Schreibenh'hren musste der Schullehrer an den Sonntagen, wo der Kaplan daran verhindert war, «die Kinderlehre halten»; er sollte aucli «die iungen Knaben im Choralgesang trewlich nn<]< rweisen, damit sie das ambt der Heyligen Messe desto zieriit her helffen singen können».

Mannigfaltig waren die PÜichten des schlichten Dorfschul- meisters und karg oft der ihm gewährte Gehalt. Der Dorflehrer war ein armer Schlucker. Die Volkseizählungen stellen ihn als solchen trefTlich dar. Mit einer grossen Familie gesegnet, mit kleinen Einkünften zu ihrem Unterhalte, lernen wir darin den Dorfsclmlnieister oft als einen Menschen kennen, der sogar zu kleinen L rieiiilichkeiten {greift, um die NahrungsmitLel für seine Familie zu beschallen, und neben seinem Lehramte nocli ein anderes Handwerk treiben muss.

Ein Brief des Jerg Baumhawer, Stadtschreihers zu West- hofen, an Abt Johann von Maursmünster, 1566 September 27, besagt, dass dem Schulmeister von Westhofen insgemein drei Fuder Weins jährlich zu zahlen sind, wobei sich der Graf von Hanau-Lichtenberg und der Abt von Maursmiinster zu gleichen Teilen beteiligen. Gewöhnlicli pne}j,t das Fudei- halb in Wein, halb in Geld geliefert zu werden. Demnach beteiligten sich in

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diesem Falle von Westlioten die Grundherren an der Besohl uM<r des Sdiullehiei's;, was in St. Quirin, wie wir jfcsehen, nicht der Fall war. lYivse drei Fuder Weins, {(leich 3r{ Hektolitern heii- tij^en Masses, konnten unmöglich den ganzen Gehalt des Lehrers })ilden. Siclier niussten auch die Bürger der Letreffenden Gemeinden ilireu Beitrag leisten, i

Die Gericiitsorganisation ciei" Mark Maurs-

münster.

Der Träger der Gericlit s Verfassung nach den karolingischen* Ket'ormen war die Hundertscliaft, die Gentena franz. Canton der Franken. Der Richter war der r.iaf. In je*ier Hundert- schaft war ein Ijestinnnter Ort zur Gei icliüialtung, der Mall)erg, Mallohergus; die Galgenberge hezeichiieten die Dingstatt, das Hochgericht. Mit dem Aufkommen der Emunitäten ging die Gerichlsgewalt des Grafen auf den Herrn des exemten Landes- teils über; so werden die Achte der Klöster die Gerichtsherren ihres Gebietes, so auch die Bischöfe diejenigen ihrer Sprengel.*

Die Bannloihe erhalten sie jedoch in die.ser Zeit noct» immer vom König, erst später ward auch die Gerichtsverfassung feudalisiert.3

Es giebt zwei Arten von Gericlilen: echte Dinge, «Placita legitim», mallus legitimus^», und das gebotene Ding,*

Hier in der Mark Manrsmünster gab es drei echte Dinge

im Jahre, entsprei hend der karolingischen Gesetzgebung. Das erste fand statt am Montage nach den Drei Königen. Alljährlich wurde an diesem T.i^e das flofrechf von Maursmünster in aiigenieiueii» oflent'n Diu.u vei ieseji ; man nannte diese Zu- sammenkünfte der Maikgetiossen den Jahrspruch, die Hof- rechtsurkunde seihst, die mau dort verlesen hörte, heisst oft der Jahrspruch. Das zweite echte Ding kam am Montag nach der Osterwoche zusammen und das dritte Mitle Mai. SteU- vertret(M- des Bischofes oder des Abtes hei Ausübung der grund- herrlichen Gerichtsgewalt ist der kirchliche V<^t, von dem weiter unten noch die Bede sein wird.

Die echten Din«^(' sind nicht mit den Huvthdini^^in zu ver- wechseln, von dejien vvii auch noch mehr sagen wenlcn. Das Huohding, das Hofgericht, ist jectoch nur eine Abzweigung des

1 Siehe diese Urkunde im Besirksarchive fäts Niederelsass.

H 54« Nr. 12.

2 Auf Oiund dor sogenannten Ottonischen Privilegien von 9Ö0 bis 1150. (Vgl. Sülun, Vorlesung über Rechtsgeschichte § M.)

« Vgl. Sohm, ibid. § 26.

* Mallns s Sprache, Bespreehnng. Bichtie nennt der Franzobe die Gerichte dea alten Regime: Parlements, Plaids.

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öfitmtUchen Gierichts und kein eig^tUches Ho^erieht. Diesen ecliten Dingen mussten alle Mark-< resp. Hofgenossen unbedingt beiwohnen, oime besonders dazu aufgeboten zu werden.

Anwesend sollten sein bei den tria placita legitima anuuu :

der Al)t, <pin Schullheiss und ein freier Vop^t, Ii Schoflen sollten (ieiii Hofe sein Recht weisen. Nichterscheineiide Schöffen zahltMi zur Busse 5 Schillinge dem Abte, dem Schultheissen uülI dem Vogte. In diesem «Ding und Ring» werden alle An- gelegenheiten, privat- wie öirentlich-rechtliche, zur Verhandlung und Aburteilung herangezogen. Damals war man noch nicht gewohnt, die Sor^^e öffentlicher Angelegenheiten, die Verwaltung einer eig'ens })cstellten Regierunjrsbchörde zu nberlassen : die GerichtsveisamfrilimL: \v,ir •lueh ein Verwalliingskürpcr, die Gesaintlieit der Genieindean^ieliont^en musste dabei zug-eji'en sein, sie beschloss übei" wirlschaftliclie Gutsbetriebsweisen, sie ordnete Wiesen- und Waldnutzung sowie über Allmend- gebrauch von Seiten der Markgenoesen , die Gemeindever- sammlung iasste Entscheidungen über Grenzstreitigkeiten, über die Abgrenzung der einzelnen Dorlmarken sowie ü])^'r den \Yc^^el)nu und die W^ässeninp der Wiesen. Dies jedoch nur innerhalb der durch den Grundherrn octroyierten Markordnung; denn die Mark Maursrnfinster ^var ja von Anfang an eine hinlersässige Mark des Kloster.s. Jeder Markgenosse war dann gehalten, me gefiissten Beschlüsse zu beobachten.

Im Gegensatze zum offenen echten Dinge brauchte bei den Huobdingen der Vogt nicht zugegen sein. Die Anwesenheit des Schultheissen genügte, es war dies ein Gericht niederer Instanz zur Aburteilung leichter Frevel. Der Schultheiss war hier an Vogtes Stelle, der Meier da in des Schultheissen Platz, der Buttel war der Vollstreckungsbeamte. Bei den Märkerdingen denn so wollen wir nun die drei olTentlichen Jahrgedinge nennen mussten alle Märker ersehenen, bei den Huobdingen dagegen nur diejenigen, welche zum betreffenden Ho&ute (villa, Dorf) geborten. Das Huobding war die ungebotener Zusammen- kunft der Hofliorigen, um des Hofes Recht sprechen zu hören. Diese Dinge fanden in den ;ilt<'sten Zeiten und noch bis gegen das XV. Jahrhundert hin unter freiem Himmel statt. Von Hof- dingen auf freien Wiesen abgehalten spricht unsere Maurs- mfinsterer Dinghofrodel: «So man die Matte, die do heisset frehte meyet zu ^tcrist unde zu Ritenburg so soll der schult- heiss zu Ding do sin, unde wass do zu richtente ist, dass sol er richten unde bessern, unde sol der Meyer ime unde sinen zwen gesellen einen ersamen Dienst geben, dasselbe sol man ime tun zu Wiler, und zu Sweinheim, so man die frehten do meyet.» Khen solch ein Ding sollte nach derselben Ho<le) gehalten weiden nach dem Heuen (U'i Brühlmatte, die des Abtes Wiese war.

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Alle die «Ambahtlüteji) sollten dann jeder zwei Viertel Weins und 6 Hennen zu Hofe bringen. Diese Hühner und dieser Wein wurden nach gehaltenem Din^e premeinschaftlich und luslig verzehrt, und wären unsere Urkunden etwas ^eschwätzijrer, so würden Fiedel- und Flötenklänge hindurchklinj^en , lustFi^'^en Sang und der Bauern Reihenlänze hörte und siUie man auf der frischgemähten Wiese; aber sieber würden auch durch- bleute Rücken und zerschlagene Nasen des Abends sich zeigen. Manches unserer heutigen Erntefeste kann seinen Ursprung also bis in diese grauen Zeiten hinauf verfolgen ; aber wer weiss dies heute nocli ?

Bei Rechtsgeschäften, wie: Verkäufe, Tausch, Schenkungen und bei Heiratsverträgen die Bestellung eines Wittuius für die BVau mussfe das Gericht thätig mitwirken, zu diesen Rechts- geschäften sowie zu Prozessen, welche nicht um «Ehr und

Eigen» statt hatten, konnte dann nicht immer das Jahrding

und solche sind die Märkerdinge und auch die vorgenannten Huobdinge abgewartet werden. Zur Vornahme ausserordent- licher Prozesse und Rechtsgeschäfte trat dann alle drei ÄVochen

ein gebotenes Ding zusammen, ja wenn nötig je'le WocIk^

woraus das Wocliengeriehl wurde ; hierbei rniissten nur einige Schaffen und die betreffenden Parteien zugegen sein. Beim echten Dinge der Mark, beim Landgericht, sassen 14 Schöffen zu Recht neben dem Vogt von Geroltzecke, der Schultheiss war hier nur Vollstreckungsbeamter und nicht Gerichts vorsitzend er wie im untergeordneten Huobding. Das Schöffenamt war obiigatoiiscli, aber die SchölFen genossen des- halb verschiedener Privilegien, so z. B. waren sie befreit von der Wiesenfronde auf dem Brügel. Das Schöffenamt war ein lebenslängliches, aber nicht erbliches Ehrenamt.

Wenn Altschöffen cihgegangen oder gerben waren, sollte der Schult heiss des Abtes nach den übrigen senden, um die Wahl der Ki - il/n rinner vorzunehmen. War dies geschehen, so gingen die alten und die neuen Schöffen in feierlichem Zuge vor das Münster im Kloster, wo die «gestuhlten» Schöften auf einer Seite sich aufstellten, die (cungestuhltenjö auf der anderen Seite vor ihren Stühlen stehen blieben, während die Altschöffen sich setzten. Das Angesicht gegen das Mdnster gekehrt er- warteten sie allda den Prälaten, der aus der Kirche koihmend im Ornate gegen die Schöffen zukam. Der Abt nahm hierauf den neuen Schöffen ihren Huldigimgseid ah, nachdem er ihnon jedenfalls zuvor eine kleine Anrede über die Wichtigkeit des Richteramts gehalten iiatte. Die neuen Schötlen sollten da «mit uffgehabten zweien 1 ingei n, und in gelerten Worten, schwören : St. Martinas Stift, dem Herrn Abt, und dem Convent getreu und hold zu sein, ihren Nutzen zu fördern, schaden zu warnen und zu wenden, und Recht zu sprechen nach Inhalt der alten

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Rodel, iiaoh Klag und Antwort, auch nach Ihrem hessem Veiv' Ständnisse, » Alsdann sollte vor allen Anwesenden die Rodel verlesen werden. Nach gesprochenem Eide führte sie der Vogt wieder an ihre Stuhle und hiess sie niedersitzen. Auf Befehl des Ahfs standen 5^ie dann auf un(i bef,^aben sich ins Refek- toiiimi des Konvents, allwo iliiien ein (dmbiss» aul^etragen ward, der «eine ganze Stunde» dauern sollte. Der Vogt zu Geroltzecke war dann seinerseits verpflichtet, dem Herrn Prälaten, seinem Oherschultheissen sowie zweien Dienstleuten des Klosters und «einem Hunde» mit einem Gastmahle aufzuwarten. Bei unseren Altvordern löste sif Ii also jede wichtige Rechts- oder Gerichtshandlung in ein Pflichtessen auf. Diese rpvpmonie rinnnt eine vorliegende handschriftliche Urkunde aus dem Bezirksarchive des Niederelsass : Das Stuhlen eines neuen Schöffen.

Da das Schöffenamt ein wichtiges, ein heiliges Amt war, wurde der ganze Vorgang mit einer gewissen imposanten

religiösen Handlung verbunden, welche auf wahrhaft gläubige Gemüter ihren Einfluss nicht verfehlt haben wird. Dadurch wurde den Schöffen ans Herz gelebt, ihre Urteile zu bilden, ihr ileeht zu schöpfen, ohne Rücksicht zu nehmen auf Mit- menschen, «echt und recht» zu sprechen, «Niemandem zu Liebe, Niemandem zu Leide». Dass dies geschehe, muss der Beweggrund ein mächtiger sein. Nur die reh'gidse Handlung bei der Eidesleistung konnte diese Wirkung ausüben auf die Gemüter der Handelnden, besonders noch in jenen Zeiten, wo geringere Bildung und roheres Gemüt leicht die Leidenschaften und Interessen mit giossem Gewichte in die Wa*ischaie fallen lasst 11 konnten. Dies traf desto elier zu in jenen Zeiten des festen Glaubens unserer Vorfahren, eines Glaubens, den wir bei den jetzigen Generationen im allgemeinen vermissen.

Das Verfohren vor Gericht ist das altdeutsche Gerichts- verfahren, bis spät noch ins XYI. Jahrhundert hinein ; erst gegen das XML Jahrhundert zu wurden die Volksgerichte all- mählich durch die herrschaftlichen, landesherrlich* 'n Beamten- gerichte verdrängt und einsetzt, das frühere öfTentlich-mündÜche Verfahren der Volksgerichte durch das schriftliche Verfahren des römisch - kanonischen Prozesses ersetzt. Der Ort des Gerichts ist bei den Huobdingen, wie unsere Hofrotel von 1103 nachweist, ehi offener Platz auf fHschgemähler Wiese. Die Märkerdinge wurden durch den Vogt präsidiert, an seiner Seite der Schultheiss und 14 Schöllen, (fie das Rocht Huden mussten. Nur auf Antrag wurde der Richter tliätig. Antrag- steller konnte sein bei Verletznnjj^ des öffentlichen Friedens der Grundherr oder einer seiner Beamten, auch jeder, der von einem Vergehen wusste, war in Maursmünster gezwungen, es beim echten Dinge anzugeben; that er es nicht, und wurde es

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doch kuiid und seine Versaumung erwiesen, so wurde er hestmft, als ob er die TIi;it selbst begangen hätte. In privaten Sachen wurdo aber nur auf Antrag des Verletzten das Gericht in Thätigk*M't gesetzt.

Die Ladung der Parteien geschah durch den Gerich tsbQttel. Wer das Gericht brauchte, gab diesem eine gewisse Summe Geldes^ dafür musste der Fronbote die nötigen Vorladungen vornehmen. Binnen 14 Tagen musste man der Vorladung Folge leisten. Nichterscheinen vor Gericht war nach germanischer Anffa!=;Runp: ein Vergehen gegen das gesamte Volk, etwa eine Auflehnung g^?!^<-n dip Volks-SouveränitAt. Wer nicht erschien, ohne ehriiaile (rnindci zu habon, zahlte eine festgestellte Straf- summe. «Swer es» das allgemeine oflene Ding «mit fi^vel abersitzet, zu der botschöfte^ die ist über zwo wuchen, so sol er hie sin, kummet er denne nüt, so het er donoch süben tage frist, kummet er aber zu deme dirten mole nüt, so sol man imo hergebitten, ist er denne zu deme Tage nit hie so ime her i'^t gebotten, so sol men sin bitten \\h<T iincht, che er diese gel)otte alle verabtet, iinde die gehorsam vei . umliet, so sol men mit reht unde mit ehafftem gerihte sinen Lip unde sin gut mit rehter frönden unde öch mit dem steche twingen, also lange untze er dem Abbete, dem föte, den rihfem «nde deme gerihte gebessert.:» Ungehorsam ivaixl also gestraft. Dieser Passus aus der Maursmünsterschen Dinghofrodel beschreibt das Ungehorsamsverfahren, wie es anno 1163 gehandbabt wurde.

Wenn ein Totschläger der Ladung vor das eclite Ding^ nicht Gehör leistete, wurden seine Mobihen dem Grundherrn zugesproclien, mit Ausnahme eines gewissen Teils, welcher seiner Frau zugewiesen wurde; die Immobilien erhielten seine nächsten Anverwandten. «Merckhe wer dch dass kein (ein) man in der Marckh begriffen wurde, der den Lip verto])et hette,i den sol men etwürten dem obersten fote von Geroltzeckhe unde tien scböffen des obeisten gerilltes in der Marckh die snilent urteilen unde richten vor des Abbetes sduiltbeissen. der fot sol och dasz gerillte schirmen, dass inie kv'in Unlüst geschehe also es von alter herkummen ist, uiidt wass deme gerihte vellet von demme urteilten manne do ist ein Teil, dess Abbetes, dass anderteil des schultheissen, das dirte teil des fotes.» (Die- selbe Urkunde von li(i3.) Was den nichterscheinenden, un- gehorsamen Frevler anbetrifTt, so wurde sein Körper den Vögeln zugesprochen und seine Seele der verdienten Strafe in der anderen W^elt, er kommt «Uss dem friden in den Unfriden », in die Acht. Nun ist er vogeUrci, bat keine Heimat mehr, er ist ein «ellenderj) Mann, jeder, der ihn findet, kann an ihm recht- lich das Urteil vollstrecken.

> Den Lip vertobet =s den Leib, das Leben verwirkt '

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Erschien der Beklagte^ so kam es zur mündlichen und öffentlichen Ve^handlun^^ Di»'^f^ prnprt sich aus «durch scharf ahgeiiies>jene Rede und Widerrede der Parteien, welche jeiles- Mial durch Bitten an den Kichler jjfewonnen wird, ferner da- durch, dass über alle und jede Punkte und Abschnitte, über jedwede Frage durch ein vom Richter den Schöffen abzufragendes ' Urteil entschieden werden musste». Dieser formelle GtMg der Verhandlung liat sich hier in Manrsmünster durchs ^anze Mittelalter hindurch erhalten, ja wir be^^c^neten ihnn noch in Urkunden aus dem XVII. Jahrhundert. Die lioffengerichte in <ler Mark Maur.sniünster sind noch mit Be.slnnintheit im An- fang des XVII. Jahrhunderls nachzuweisen. Das alte Bauernrecht hat sich im Elsass noch lan^e gewehrt gegen das römische. Erst durch die Revolution von 17§9 wurden die alten deutsch- rechtlichen Institutionen samt und sonders ubern Haufen ge- worfen, um einem einheitlichen Rechte Platz zu machen, welches dem Geiste der Zeiten mehr entsprach.

Die VoUstreckungslH'arnten des Gerichts waren der Schult- heiss und sein G<'iiille, der Ft(tid)()te. Die Todesurteile wurden durch den Vogl selbst verkündet und unter seiner Anwesenheit vollstreckt. Der Herr von Türckelstein hatte als Vogt der Propstei zu St. Quirin im Saargau, eines zu Maursmünster zugeliörigen Klosters, «die criminal iusÜtz oder hlut Jjann, das ist, nialeliz recht, oder halsgerichtliche gerechtigkeit daselhsten, durch welche er macht hat, die vier hauptrügen oder hohe nialefiz frevel, als mordt un<lt todschlag, beweister B ml) undt diebstahl, noht- zwang undt hrandt, mit einem Worte zu sagen, kundbare nialeliz talle, so nicht aut inquisitiou beruhen, zu stralTen, iedoch aber mit dem austrncklichen vorbehält, das gedachter Herr oder dessen Vogt keine malefiz person zu St. Quirin ahnzu- greiffen oder zu fangen macht habe, sondern muss solche vor dem Doi fTe beim Greulze erwarten, bis sie ihnie von des Probsts ambtlenthen daseihsten geliefert undt übergeben werde, ;dsdann kann ei' rechtes mit ihme verfahren, wie er verdient hat undt werdt i.st, dahero er dann auch stock undt galgen auf dem galgenberge auf die felsen undt nicht in den grund oder boden St. Quiriner Herrschaft) aufzurichten hat» mus auch selben auf- recht erhalten undt nit niederfallen lassen,»* bei Verlust seiner Rechte, die ihm vom Kloster gewährt wurden als Entfielt seiner V()gtespflichtigkeiten. «Was die uncösten, so auf die übelthäter i:angen betrifll, wieviel deren auch seindt, ist er der Vogt aucli schuldig zu zahlen, dahingegen aber halt er das recht, das er des übelthäters gütler durUc aimj^reiHen, undt sulche in seinem besten nutzen kehren undt wenden, wann solche der

1 Jahrsprnch von St. Quirin von 1471. Mannsetipt foL 24reeto. Im Bezirksarchiv zu Strasabarg, U 677, Nr. 2.

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bohlen Zinse wegen dem Clost» i nicht zuvor verfallen oder arider- werti^^er 5?chulden wejieii versetzt seiadt, sousten mus er sich mit den scliuldeuern vergleichen.»!

Die Personen des Gerichts waren : der Vofft als Vor- sitzender, als Richter, als Urleilsverkünder ; der Schultheiss als Vollstreckunj^sbeamter und sein Gehilfe, der Fronbote , ferner die beisitzenden Schoflen, welche das Urteil schufen, das Recht fanden. Von diesen wurde weiter oben ausführlich verhandelt, es eriibrij^t uns jetzt noch etwas vom Vogte und vom Schult- heiss«'n der Mark Maursmünster mitzuteilen, um damit unsere Darsteliuiiy des Maursmünsterschen Hofrechts abzuschliessen.

Mit der Bildung der Landeshoheit, sagt F. v. Schalters war der zum Landesherrn gewordene Graf, Bischof u. a. w. aus dem könijrlichen Beamten, Benefiziaten oder mit der Grafen- }?ewalt betrauten Immunitatsbesitzer infolf>ie seiner tenitorialen Gewalt zum Inhaber des Gerichts, zum Richter /u eigenem Rechte jjreworden. Diesen Landesherren allen stand dn- k5ni«r- liche Gerichtsbann in vollem Umfan}j:e zu. Die Geibtiiclieti hatten aus demselben Grunde das Gericht, hingegen fand bis ins XIV. Jahrhundert hinein eine direkte Belehnung der Vogte seitens des Königs mit dem Blutbanne statt, weil das kanonische Recht die persönliche Ausübung desselben den Geistlichen ver- bot. Sie .sollten keinen Anteil nehmen an der Bildung eines Spi uches, df^i- mf Todesurteil Inntefe. Seit der vollen Ausbildung" ihrer Fürsientünier wur<le es nicht mehr als eine Teiluahme am Blut«(ericht anjresehen , wenn die gei.stlichen Fürsten den Blutbann ihrem Vogte erteilten. Dies hatte zur Folge, dass ihnen einzeln der Blutbann für immer zur Weiterbelehnung an ihre Vögte verliehen wurde. So holieh der Propst von St. Quirin den Vogt von Türckelstein mit dem Blutbanne für die vier Hauptrügen im Gebiete der Piojtstei. Am einem Beschützer (h^- Klosters, aus dessen ifi I m vor Gericht, ward ein Ricliter. Schon sehr früh iiatten die Kirchen und Klöster besondere Vögte, die sie beschützen sollten. Da die Kirchen und Klöster anfanglich meistens auf Königsboden sich erhoben, so war natur- gemäss der König ihr geborener Beschützer. Der König konnte aber diese Vogtsgewalt nicht überall ausüben, darum ernannte er den Kirchen und den Klöstern einen Vogt, «Advocatus». Später iring das Ernennungsrecht des Vogtes auch auf andere Herren über; so geschah es, das*< der Bischof von Metz dies Amt einer adeligen Familie des KIsass übergab für das Kloster Maurs- münster, es waren die von Geroltzecke, deren ältester immer

1 Ibidem. Dies St Qairiner Jahrgedi ng von 1471 fand statt sa St Quirin < in dem Closter oben in der grossen Stuben». Also nieht mehr auf freiem Felde.

s Dessen Eechtsgeschichte, p. 352 ff.

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des Klosters Schirmvogt sein sollte. In St. Quirin waren Vögie die jeweiligen Herren auf Türckelstein.

Der Vo^l hatte als Entgelt seiner Leistungen (\:\< Schloss Geioldseck am Wasichen, ein Drittel aller Bussen und Kecht auf bestimmte Naturalleistungen.

Der Vogt von St. Quirin, «c ein Herr von Türckelstein, hatt auch reclit zu St. Quirin, das ihme ein iedwedes Haus, da fewr undt rauch innen ist, aus^enohmen das Gloster undt seiner Zugehörig^en liaüser, alle iahr an dem nechsten sontag nach Martini gebe ein simmer haber, drey hüner undt dreizehn heller gelts , welche rendte ein Wittwer undt einf AVittAve , so lange als sie in ihrem Wittwenstaude bleihen, nulu- zum iialben t heile zu gehen schuldig. Diese rendte nuhu sollen ihme der Meyer undt gericlits leühte zu St. Quirin einsamblen und vor das dorff bis unders Qre&ts liefern, darfür er ihnen ein imbs zu gehen schuldig ist.» Wurde er von einem nicht bezahlt, so konnte er durch den Meier pfänden lassen oder dem Schuldigen <rseine thür ablegen, welche dann niehmandt aufheben, noch einhencken soll», bis derselbe heznhl! hatte. Auch sind die Büiger von St. Quirin dem Äugte Irondpllichtig mit Fuhren und Handarbeit, je nach ihren Mitteln. Als Wachtgeld auf dem Schloss Türckelstein giebt dem Vogte die Gemeinde des Jahres cfünfT Lothringische gülden».

Der Schultheiss ist der Exekutionsbeamte des echten Dinges. Als solcher hat er einen Drittel Anteil an allen Straf- zahlung-en, die dem Abte zukomn^ien. Ei- ist auch der versitzende Richt(M' in den untergeordneten Huobding^'n, wo kleinere Sachen und leichte Frevel zur' Aburteilung gelangen. i Jedes Jahr erhält er als sein Gehalt 2 Schillinge vom Weinbanne, ein Schilling debt ihm auch der Flurscbütz der Stadt. Er uberwachte auch den Weinhandel in der Weise, yfie oben nditgeteilt wurde, er muss den \\rkaufspreis des Weines festsetzen, den Wein schlagen, jedoch darf er ihn nicht zu niedrig anschlagen. Er ist ffM'ner des Vogtes Beisitzer im Hochgericht. Er installiert die niederen Beamten des Landes (Meier, Bannwarte, Förster imd die Einnehmer des Kopfg^eldes). Sein Anteil an den Bussen, Geschenken, welche die Beamten darzubringen hofrechtlich ver- pflichtet sind, eine Wemsteoer, die er für sich bmm Verkaufe erhebt, das sind des Schulzen Emolumente. Daneben ist er von allen Fronden und Abgaben befreit sowie auch seine zwei Adjunkten, die cccomites», Gesellen, Underschultheisse, wie sie in Urkunden heissen.

Das ist. was wir über die Gerichtsverfassung (h^r Mark Maursmünster ab urkundlich belegt mitteilen konnten und

1 Er präsidieit auch die geboteneu Dinge, placita vetUa, die eigentlichen Schulsengerichte.

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wollten. Die Sache ist nicht (^rschöpiend behandeil , tlas wissen wir woh! , Hesse sich mit Znzi<'lmng andeiei* hot'rechtlicher und bauerniechtiich*'!' L'rkuiuleu des Elsass ein viel voil- kümmeneres Bild dei- Gerichtsverfassung sowie des Gerichts- verfahrens darstellen. So haben wir vom Verfahren in Klagen um Eigen, um Gut, um Schuldforderungen gar nicht gesprochen, und dies absichtlich, weil wir nur Maursmünstersche Ur- kunden benutzen wollten zu unserer Darstellung. Ueber diese letzteren Punkte kann übrigen? jedes Lehrbuch der deutschen Hechtsf^eschif lit(^ Aufsclduss ^^üIkmi. Das Verfaliren war zwar nicht überall dasselbe, so dass Angaben aus anderen HüiVei hten in Bezug auf die Mark Maui'smünster nicht als absolut zu- treffende hätten gegeben werden können. Deshalb zogen wir vor. Ober Gregenstande , die wir nicht in den uns vorliegenden Urkunden erwähnt fanden , zu schweigen. Nur so konnten wir etwa daraus entstehende irrige Rückschlüsse vermeiden.

Aus dem , was wir bis jetzt über die Gerichtsverfassung der Mark Maursmünster mitgeteilt haben, g^eht klar hervoi-, <lass die Grundlagen der Geriehtsverfassung in der Mark «dun h- weg die öfTentlich - rechtliclien wenngleicli die Gerichte in <]ie Gewalt des Hofherm abergegangen sind tria placita legi- tima, von welchen das Huobgericht (das Budinc) und das ge- botene Schultheissengericht abgezweigt sind:». Diese echten Dinge, wiewohl von den Märkerdingen begrifflich unterschieden, erscheinen doch in den uns vorliegenden Urkunden mit den Gegenständen, die das Märkerding regelte , beschäftigt, sowie sie nicht in der alleinigen und ausnalnnsweisen Kompetenz des Abtes und der übrigen Grundherren lagen.

Hieraus erklärt sich aiidi das allein dem Grundherrn zu- stehende Recht der Erlassung von Weide-, Wald- und Jagd- ordnungen im Gebiete der Mark ; denn da die Mark von vom-» herein nur eine hintersässige des Klosters war, sJo konnten iirifurL'tMnäss die MarkgenossJMi hiont!)er nicht bestimmen und umändern als mit Verlaub des Abtes und später der übrigen Grundherren. Das eigentliche Markenlin^i, das sich, wie üblich, auf freien Marken auch mit Betriebsfragen beschriftigte, wären wir somit eher geneigt im gemeinen Markherrentag zu erblicken, und Vollstreckungsbeamte dieser Versammlung sind , wie wir schon erwähnt, die «ßauwmeister». Auf dem Gebiete der Propstei zu St. Quirin linden wir keinen gemeinen Marklierren- taji ; dies ist dadurch erklärlich, dass doi t der Propst der alleini-«' Besitzer der Mark ist und allein die Befugnisse des Markliei rentages in liezug auf Weide-, Wald-, Wasser- und Wegehauordnung ausübt, die Vollstreckungsbeamten seiner Beschlüsse in diesen Angelegenheiten sind die Heimburger.

«Das Huohdinc ist als solches kein Hofgericbt, sondern eine Abzweigung des öffentlichen Gerichts, wozu auch freie

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Leute geladen werden kdnn^. Es ist mit dem ,budinc' oder |)la< ituiii de heriditatibus identisch. >i Nach A. Heusler^ ist das Buding* eine Abzweii?unji vom Vogtsgericht in der Weise, dass der Aht ohne den Vogt zu (lericlit sitzt in Fällen, welche bislang vor «las offene Üiii^ ^fliört leihen, welche aber einer- seits der aut die drei ungelM)teiien i)iiige zurü( k;^edrMn«rte Vogt nicht mehr alle erledigen kann^ anderseits der Al»t vor sich gezogen hat und direkt entscheidet, weil sie nicht an blutige Hand gehen.

Ein Beispiel dieses Verfahrens enthält <leutlich folgender Passus des St. Quiriner Jahresspruches von 1471 : «Item ein Proln! liatt mehr ledit iindt "^ewaldt , wann streit undt Zwie- spalt z\vis( heil seinen underthaneti oder auch der auswendigen undt trenilxlen der guter wep^en entstünde , als nemhliclien acker, gärten, matten und der gleichen in St. Quii ins Herrlig- keit gelegen, so kann er die streitige Parteyen vor sich be- scheiden, sie anhören und einem i^lichen wo müglich zu seinem rechte verhelffen, will er al>er solche mühe waltnngen nicht auf sich nehmen , alsdann kann er solche parteyen auf das iahrgedin'^"^ vm- gericht bescheiden, und ihnen dio stroiii^e Sachen voi7.ul)nti;^en befehlen , was alsdann vor tVevel darvun verfeit, der gehört dem Probste und diesem zwar alleine zu», im Gegensatze zu den Fällen, wo er die Parteien nicht vor sein eigenes Gericht beschieden hatte.^ Dies Verfahren hatte also wohl den Zweck, die grösseren Prozesskosten den Par- teien zu ersparen.

Ferner heisst es in derselben Urkunde n(>ch : «And»'!»' nii'^ffwsi^e undt '^treitipfe häiidel , als sr}dag<»n, haweii, sle<'iien, s( iiH»ss«;n, so nicht auf den todt ^eliet, sclielten, schmehen, gottsiestern, undt andere, wie hievoinc hey de» Probsts rechten weiter zu sehen, betreffend, sie mögen nahmen haben wie sie wöUen, nichts ausgenohmen, neben und mit- sambt der hohen mittel undt nieder Ol)erkeitlichen undt civil- sachen helt sich das Oloster gentzlichen bevor soweit sich sein

1 Hierüber briefliche Mitteilungen des Prof. Dr. tSohm, wofür dem hochverehrten Lehier hier unser innigster Dank ausgesprochen sei.

* Der ürspmng der deutscheu Stadtverfassung, p. 133— 136.

3 bft = hereditas. praedium rasücam, buteil = Erbteil. Vgl. Haltans, Glossar, Wteil. Grimm, B. Alt., p. 364 in fine. Nach A. Hensler citiert.

* Weistümer von Prüm, Eohtsmach, St. Maximin: « qnicqnld

in tribus placitis advocatornm qui!?(|nf» rcns vadiaverit, arbitrio abbatis vel prepositorum aut viliicorum et meliornm disponatur, lüde due partes abbati, tercia advocatis tribnatar >, im Bnding heisst es, wie Mr St. Qnirin: «omnia abbatia emni.»

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grundt undt boden erstreckt, m dorff und zu Veidt, auf der

«Irassen, undt überall.»*

Hier heisst es aiicli in dem Abschnitte Frevel etc. l)e~ lan}fend , das>s der Propst über obenerwähnte Saclien und Streitigkeiten, die alle g^enau aufgezählt sind, zu urteilen, die- selben zu «[ vergleiclieii, beyzul^en, undt der gebühr nach entweder mit gelt oder gefeuguuss ahzustrafifai die Macht hat». ^ Wir glauben, dass hier das Gericht des Propstes somit ein Hofgericht ist im eigentliclien Sinne dieser Bezeichnung, und dass dessen Kompetenz durch die Zuständigkeit des Budinc erweitert ist. Diese Ansicht teilt mit uns unser werter Lehrer Prof. Pi. Sohm aus Strassburg.

Kiue St. Maximiner Urkunde von 1050 weist ebenfalls ^wohl dem placitura advocati als dem placiUim abhatis id est budingun die publicatio bonorum et praedionim zu. Im XII. Jahr-* hundert ist das Buding auch an den viUicus oder scullettts übergegangen : es ist dies der Zustand, den wir in der Maurs- innnsterschen Hofrodel von 4163 vorfinden, wo wir das Huob- dinc als Schultheissengerichl, und zwar als ungebotenes Jahr- ding antreffen. Nicht finden wir dies Schulzendin*i auf dem Gebiete der Piopstei St. Quiim, liier besitzt der Piopst dat^ Budinc noch in seinem alten vollen Umfange. In den iura eccL Trevir. von 1220 heisst es: cvillicus habet unum budinch sine advocato in eurte monasterii.» Auch in der Urkunde von Maurs- inünster wird dasselbe gesagt. Hier ist der Schultheiss der Richter des Huohdings.

Mit der Uel>erlassung des Budings au den Meier oder Schiiltheissen, sagt A. Heusler, i.st eine wichtige Schranke zwischen Ceiiüualen und lioihörigen Unti*eien gefallen, und zwar in der für die erstem ungünstigen Richtung, dass ein hervor- ragendes Stück der Yogtsgewalt dem GruiMiherm bedingungs- los übei-antwortet wurde. So wurden Gensualen und hoflidnge Unfreie gleichartig rechtsfähig.

Mit der Zeit dehnte sich das Abtsgericht mehr und mehr aus, dem Vogte bliehiMi nur seine drei echten Dinge und auch diese regelmässig nicht niit ihrem althergebrachten Geschäfts- kreise, sondern in Beschiänkung auf schwere Kriminalfälle, auf die Kriminaljustiz^ wie das St. Quiriner Weistum sich klar ausspricht. Weiter soll der Vogt nur eingreifen, wenn der Abt seiner bedarf und ihn zu Hilfe ruft.

Um den Frieden und die Kuhe des Festes des heiligen

1 Vgl. erwähnte Urkunde. Mannsci ipt fol. 24 verso. unter Rubrik : Gerechtigkeit so der herr von Türckelstein oder dessen Vogt St. (Quirin hat. Die erste Stelle, foL 16 verso. Ausfuhrhcher und höchst interessant ebendaselbst der Abschnitt : Frevel etc. belangend, fol. 11 recto u. ff.

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Quirinus zu waliren, die durch das Auftreten bewaffneter Leute des Vogtes gest5rt würde» so bestimmt der Anastasisehe Jahr* Spruch » dass, sobald am Vorabende des Tages das Fest ein- geläutet ward, «wann etwas von den vier hauht rügen, al& mordt, (liebstahl, noht Zwan«:^ imdt brandt, sicli solle zutragen oder befraTi«Ten werden, kann (irr Probst solches vor <]<h nehmen undt abstraffen, nachdeme der thäter verdient ii.il I, Weichs so lange dauret und wehret, bis bemelte freyheit ein ende hatt, hierane soll ibne niehmaudt hinderen noch irren, derowegen dann soll ein Vo^ von Tfirckelstetn umb dieselbe Zeit als ein Schirmherr mit einem Knechte sambt einem vogeU hunde in der Probstey erscheinen, den feürtag sambt den underthanen helffen hüten, damit dorn Closter r\n seinen gerechtigkeiten undt gütern kein eintrag noch schaiK n £r(»- schehe», wofür ihm der Propst Kost giebt; «hatt nun ein Pi ohöt mehr hüilie von nöhten, so zeige ei* solches dem Vog^e aJini).

Die alten Gentgericbte sind somit durchaus herrs<^afUiehe Gerichte geworden, in welchen die öfTentlicb-recfatliche und die hofrechtliche Gerichtsbarkeit des Immunitätsherrn vei einigt sind.

Wir finden also hier in Maursmünster die Gerichtsbarkeit des Vogtes, des Abtes oder Propstes und die des Schultheissen in ganz denselben Verhältnissen zu einander, wie diese auf dem Gebiete der Abtei von St. Maximin durch A. Heusler vorgefunden und dargestellt worden sind.

Das Vogtsgericht ist mit dem fränkischen Grafengericht identisch, die drei echten Dinge sind die tria placita legitima der fränkischen Gerichtsverfassung. Was im öffentlichen echten Dinge gewettet ward, ^quidcjuid reus vadiaverit», das wurde durch den Schulthf^r^sen zwan[;s\veise eingeptTnidet, und ein Drittel war des Al)ies, ein Drittel des Schul thcüssen und ein Drittel dem Vogte. Dies deutet an, dass im Grafengericht der Schultheiss, wie bereits oben ausgeführt, der Vollslreckungs- beamte der Urteile dieses Dinges war. Er sitzt neben dem Grafen im Grafendinge zu Gericht.

In einigen Gegenden verschwindet der Schultheiss und wird durcii den hofrecliflichen Reamten, den Meier ersetzt. Dies geschah aber nie auf dem Gebiete der Abtei Maurs- inünster. Der Schultheiss wurde hier nie ein blosser Verwalter und Eintreiber der herrschaftlichen Gefälle, dies that immer der Meier, und rückständige Gkrandzinsen konnte dieser pfänden ohne Hilfe des Schultheissen.

Vogt und Schultheiss sind zwei Beamte, die man nicht als Hofbeamte ansehen darf, wir haben sie auch darum nur in Verbindung mit der Gerichtsverfassungsfrage in Betracht gezogen, als öffentlich-rechtliche Beamten,

ünseie aus dem Studium der Urkunden geschöpfte daliin- gehende Meinung hierüber finden wir ganz und gar durch

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die schonen Forsclmn^^en A. Heuslers bestätijjl. Der Schultheiss ist der alte Gentenar der tiänkischtm V'olksg'e richte.

Ueber Vogt und Schultliciss bagl Heubler:

«Dass der Vo^^t nicht nur nicht eine Gewalt des Hofrechl«, {Sondern g^erade im Gegenteil der geschworene Feind des Hof- rechts ist, d. h. dass er ein in das Hofrecht getriebener Keil, ein ihm durchaus fremdes Element ist, berufen zui' Vermittlung . der Hofverfassung mit d«^ni Staat, dessen Repräsentant er ist, das kann schon aus dem 1 bisherigen klar geworden sein.» Dies ist die Ursache von Kompetenzkonflikfen zwischen Vojrt und Ahl, welclie den Vertrag von 1163 zwischen Graf Otto V. Geroltzecke, dem Vo^e Maui-smünsterb, und dem Ahte des Konvents hervorriefiai, um die streitigen Gegenstände ein für aUemal festzustellen.^

«Ferner», sagt Heusler, «ist auch <ler Schultheiss seiner Herkunft nach nicht hofrechtlicher Beamter, und gerade seiner charakteristischen SfelUmfr nach, hinsichtlich seiner Banngewalt, verleuj,niet er seinen Ursprung aus den Verhältnissen des öffentlichen Reichsrechts nicht.»

* Siehe diesen Vertrag ni den Beilagen.

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BEILAGEN.

OUterverzeiclmis der Abtei. 1120.

Abkftrsangen :

S = Libra. p. = Pulli.

Sol, = Solidus. ov. = Ova.

A = Denaiius. axL = Axiles.

De. s Uneia. ax. » Azet.

Villae

MauB

Servitia faciant:

laosi tm ftihaüi« Her* Tieatu.

Leob. Villa

Rittenburg bigu. Christi Damphelstal Salahendal Hemmingsbiiivn Sueinheim Bofiron Suabwilare Godenhusen Othervillare •t isjtin diet. ril.

Sunt

Sninma

Dilliiiscella Scaphusa Doiniim Petram Sindeneshofa Sornam

20

^ vel Bershüling, p. 15 ov.

100 axl. aO ax. etiam inter duos angartam inter

Maretallo et Argentinam.

Idem faciant servitimn

reddnnt 2i(i He

Plennin fadnnt aerrttinm

SiO

25

132» Ii

185

2

1

Faciont plennm servitioin ex ilUs .'S reddant in censn Sol V Hic sunt inter ministerialcs . . , SServilia, etiam servitoria dicta d p. 80 ov.

reddunt in cenan 2 Sol. aut

1 Sarcik'

Becapitiilatio Chartae : Mansa ingenere 120

« servilia 20 Qaa« aliud facinnt aerv. 45

186

Oellnlne abi jHvent vaceuru iae. Servilia

» prata ad catradaB 20 » > » » 12

10,

molendiu, 1 unde exouiit iii mense modia 2

Silva ad 250 saginandos porcoB (ad decimam). Reddant de ipsa syla forestarii :

frumeuti modia 30, p. 250, ova, mod. 1 1/4. Vinee ad 12 camdaa vini.

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Das St. Quiriner Hof recht. 1471.

In Gottes nalimeii Amea.

fol. Ir. Kundt nndt zu wissen seye allen denen so dies ofifen inBtini<- ment sehen, lesen oder hören lesen das in dem iohr nach Christi unsers lieben Herrn aud Seligmachers gebart, daaseut vierhundert ein und siebenzig, rederung des aUerluiliu^sten m Gott Yatters nndt Herm, Hwm Sixti des Vierten Bapsts dieses nahmens in seinem fionfften iohi-e, Krönung undt regirung des Allerdtirc!ileichtigsten, gross- mechtigsten nndt ünüberwindtligsten Fürsten undt Herrn, Herrn Fiideriühs Römischen Kcysers zu allen Zeiten mehreru des Reichs in Germanien und Ertzherzog zu Östereich und unsers Allergnedlgsten Herms, seiner regirung des Römischen Reichs im zwantzigsten iohre, auf montag nach dem Sontag Exaudi^ den neünzehenden des mondts may vor mittag umb sieben uhren ungefehrlich, der Ehrwürdig in Gott Andächtige Herr Herr Anastasins Abbt des Gotteshanses Manrs- mAnster mitsambt dem Ehrwürdigen Herrn Benedict Probsten des Gottshans Sanct Quirin, anch die Ehrbahren Ambtleüte, Meyer, fcJchöft'en undt gantze Gemeinde des dorfFs Sanct Quirin in dem (fol. Iv.) Closter nach altem löblichen gebrauch, undt gewohnheit, ein iahrgeding zn halten, erschienen, und als sich dann iederman gehorsamb erzeigt, gab gemclter Herr Abbt mir hierunder geschrie- benen offenen Notarien in beysein nachgemelter insonderheit hierzu erbeteneu getzcigen, Meyer, Schöffen undt der gautzen Gemeinde daselbst, ein pergament libell, darinnen das iahrgeding wie das Tor nhralten Zeiten gehalten worden, und noch gehalten soll werden, schrifftlich vcrfasst, öffentlich zu lesen« von Wortt zu Wortt lant undt, nachfolgehudts inhalts.

Dami tnt^unandt wieder ßt. Quirins Gottshans, dessen Probst nndt Herr, wie auch seine rechte undt gerechtigkeii^ so dann seine gfltter, liegende und fahrende, wie die nnhmen haben mögen nndt gelegen geindt, leichtliclien irren undt fehlen könne, so haben wier den Weg der Gerechtigkeit, wie früher von uhralten Zeiten bisanhero unver- flUscht ist gehalten worden, k&rtzlichen veifassen nndt damit ans- trftcklichen begreüfen wollen.

fol. 2r. Jahrgeding.

1. Erstlieh ist zu wissen, das ein Probst zu St. Quirin in nahmen Herrn Abbts zu ManrsmfuiBter als Oberherrn recht uudt macht hatt znm Wenigsten dreymahl im iohr freveltage oder iohrgeding zu halten.

Das erste vor St. Catharinen ia^. das ander gegen fastnacht undt das drine nach seiner gclegenheit Hierinnen kau ein iedweder sowohl underthaii als frembder, so etwas iu St. Quirins Herligkeit zu suchen sein beschwerntls vorbringen, nnd seine gegen partey zwey oder drey tage zuvor durch der bittel darauf gebieten lassen, hatt er nuhn etwas im ersten oder andern vergessen, so kan er solches im dritten anzeigen, sonderlichen was frevel bahre Sachen seindt, so in St. Quirins Herrligkeit vorgangen, damit solches der gebfihr nach abgestrafft,

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undt dadnrch die rechte erhalten werden, yerschweigt niihn iemandt etwas Unrechts, undt zeigt solches auf vorgemelte tage nich 80 ist derselbe gleich dem frevelbahren in des Probsts willkührige strftffe gefallen, so bald solüies offenbalir gemacht wirdt

fol. 2y. Porstrecht oder die Wildtfuhre bctreffendt.

2. Zum andern hatt ein Probst zu St. Quirin in seiner gantzen Uerrligkeit, zwing nndt bann von fomen ahn bis hinden aus alle förstlic hf . rechte, wildtbahn, lagt undt iagta gerechtigkeit in W&ld nndt Vt Idern, bergen nndt thiilern, matten undt gürten, in undt auspcrthalb des dorffs undt der Höffe, also undt der gestalt. daf» er nicht alieme das hohe, grobe, grosse, schwartz undt rohte Wild» präht, sondern auch das kleine oder niedere Wildpräht, niedere Weydtwerk, feder Wildpräht, undt andere vögel gros undt klein, nichts ausgenohmen, recht, macht und gcwaldt halt zu hagen. iagen, schiessen, fangen, mit hundeu undt vögeln, mit garnen, stricken, eeiloi oder netsen, in fallen oder aof heevden, in summa in nnd auf alle mittel undt Wege, wie es ihme, seinen förstem oder iägern am besten undt Tcrtregligsten zu sein scheinet undt vorkombt, darahn soll Ihne niehmandt hindern, irren, noch den f?eringsten eintrag thun, wiedrigen fals, klagt er es dem Vo^t von 1 ürckelsteiu, so soll er ihme wieder menniglichen verhftUlhch sein, undt ihne bey seinen ubralten gerechtigkciten erhalten.

fol. Br. Item er hatt euch macht undt recht mit seinen iügern zu iagen, zu schiessen undt zu fangen hoch undt nieder gewildt, gesiegelt undt ungeöiegelt mit hnnden undt gamen an allen denen orthen, wo ein Herrschaff zu Metz macht hatt zu iagen, zu schi essen undt zu fangen, in Türckelsteinrr Hrnsrhafft, Wälde undt Veldern bis nach ireyburg, undt wann seine garne nass worden seindt, so kan er dieselbe auf der Terschlossnen brücken zu Freyburg auf- hencken undt truckenen.

Item das er neben hohen undt nirdrrstandts personen, geist- undt weltlichen Herren an seiner oder seiner iäger Seiten, ein iag- hörnleiu, hirschienger undt windtspiele oder iagthonde mit oder ohne stricke kan fähren nach belieben undt gefallen, so viel er will undt von nöhten hatt.

Item er kan Waldt undt Forstordnung machen und verkündigen, das exercitium des Weitwercks wenniglichen verbieten undt abschaffen.

Item das unzimbliche abhawen m den Wildtfnhren der frucht- baren bäumen, das eichel undt Wildtobs aufheben, undt endtlich dem rindtviehe zu Zeit des eckerichs die Weide in den Wfilden verbieten.

fol. iiv. Item er hatt seinen underthanen zu befelil* n, das sie ihren Hunden bengel ahnhenkeu, keinen Wildprehtsdieb beherbergen, aufhalten undt ahmeitung geben, auch kein Wildpre^, wie gering undt klein es auch seye, von ihnen kauffen.

Item das sich niehmandt von ihnen mit büchsen, röhren oder armbrüsten weder bey tag noch nacht, frühe oder spath in den Wfilden undt matten finden lasse, es seye dann sache, das iemandt unueherhait wegen ahn frembde drter durch 8t. Quirins Hemchafit gewisser gescheffte wegen reisen, undt den geraden Weeg ohne einigen abweeg undt ai^enthalt hindurch reisen wolte, wiedrigenfals soll er dem Brohste vor das erstemal funff francken, vor das ander- mahl fünfzig undt vor das dritte mahl hundert frandken frevel geben.

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100

Item seine undcrthane seindt ihme auch zu zweyen underschied- lichen mahlen im iahrc nach seinem belieben die iagt und forstdienste, ohne welche die iagten nicht können verrichtet noch gehalten wpt don, (fol. 4r.) zu thuen schuldig, als nemblich einiedweder so zum lagcu andt schiessen bequem oudt dienlich, soll mit einem guten r<Mir, pulver undt bley versehen auf bestimbte Zeit iindt ort erscheinen, die huiule. netz oder garne. undt was fernors zu einer ordentlichen iagt von uöiiten helffeu leihen, fülu-en undt tragen, undt alle das ienige, 80 ihnen sn thnn undt zu errichten ahnbefohlen wirdt, treuiich undt mit allem fleis verrichten, darum!) dann er iedem absonderlich, so dem iagen beygewohnet, ieder iohrs nemblich Jahrs auf Martini oder fastnacht ein mützel rocken brodt, ein pfundt fleisch undt ein maass weissen Wein zu. geben schuldig ist, dem Meyer aber undt forstmeister dubbelt.

fol. 4v. Fiseherey undt was dersselben anhängig betreffend.

H. Zum dritten ein Probst zu St. Quirin hatt auch recht undt macht in allen Wüs&ern gros undt klein seiner UerrJigkeit zu hscheu mit garnen, netzen, angelen, reisen und auf welcherley weise er will undt begehet, im leichen, im steigen, oder anserhalb denselben, bey tag undt bey nacht, ohngehindert menniglich, Undt zwar erstlich hatt er zu fischen drey bänngewände : das erste zu Cappe, das ander zu dem dannenstege, undt den dritten zu Bruchhansen.

Item er bat zu fischen drey frohnweege) den einen zu Lördungen^ den andern zu Birsingen, undt das dritte zu Berrweiler.

Item er hatt mehr recht zu hagen an den fürten undt zu ti>( In a einen Staden bis nach Ewersweiler zu der mühlen. Mehr von der brücken einen staden bis zu den Zweysseln. Mehr in der WoUfes- bacli einen Staden bi^ ir. Ii'' lunkclbach.

Item er hatt macht zu tischen in der dürren Saare beyde Staden bis oben aus. Mehr gehe er in die mittel undt fische auch beide Staden bis oben aus

fol. ör. Item er hatt macht zu fischen von dem Erlenstege ahn bis in den beltzebach einen Staden undt nicht den andern.

Dies sindt die Wässer, so ein Probst zu fischen hatt. Wer also an diesen vorgeschriebenen orten ohne erlaubnus eins Probsts fischen undt darüber ergriffen oder ahngeben werden solte, der soll den Wildprä tbsdieben in dem frevel undt straffe gleichförmig gehalten' werden.

fol. öv. Hotl'l)eding.

4 Zum Vierden ein Probst hatt atich drey frohnhöffe, die mag er besitzen wann er will, iindt wann er die besessen hatt. so soll er gemessen alle die rechte, die ein icglicher man geniest, der dage- sessen ist: den einen hoff hatt er zu Newkirchen, den andern au Wilsslingen undt den dritten Walperschweiler.

fol. 6r. Mfiitlreclit.

5. Zum tunffteii hatt er recht allerhandt mühlen, als mahlmühlen, seegmnhlen, Walch-, dhl-, stampf« undt schleifmühlen zu bawcn, in oder anserhalb St. Quirin auf seinem eigenen gmiidt tuult liodpn, oder aber auch auf dem gemeinen, für sich eelbsten zix behalten

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nndt zn gdbranclieii, oder aber andern sn verleimen nmb einen

gewissen Zins oder gilt. Bawt er auf den gemeinen grnndt nndt bodeu so ist er den vierdten theil Zinses oder gülts davon schaldig zu geben dem Vogt von Türckelstein. Diese mahlen seindt schuldig zn gebrauchen alle St. Quirins underthane nndt hindergeseeeene sowohl im dem DorfFe, als auch auf den höffeu mit mahlen, stampfen, ohlmachen undt dergleichen, wie von alters hero ieder Zeit gebrauch gewesen, dahero dann niehriiandt erlaubt in anderer Herrschaftsmühlen zu fehlen nndt zn mahlen, bey straffe fOnff francken frevel, so ollt nndt vielmi^l solches geschieht.

foL 6v. Wälde undt Weyde.

ß. Zum sexteu ein Probst hatt auch Wälde undt Weyde auf seinem eigenen nndt auf dem gemeinen grnndt nndt bodoi die mag er Terlehnen undt niehmandt änderst, so gutt er kan nmb einen

gewissen iährlichen Zins wenn er will. Verlehnet oder verkauft er etwas aus dem gemeinen Walde, es sey holtz, ecker oder Weyde, so ist er den Vierden theil geldes einem Vogt von Türckelstein zu geben schuldig, dieweü sein Herr den vierdentiieil an dem Walde hatl

Item er hatt drey bannhöltzer in welchem niehmandt von seinen nnderthanen recht hatt Holtz zu hawen, weder zum brennen, noch zum bawen, viel weniger auf andere Weise Das erste auf Sittert, das ander im Zwisselthal, nndt das dritte im Ischeit. ^

Item er hatt noch einen Waldt, der freye Niederwaldt genandt, diesen soll auch iedermenniglich in alle Wege meiden nndt keines Weges gebrauchen, es scy dann sachc, das er etwas darinnen gekaufft hatt, Sollte uuhu iemaudt in obgeinelteii Wüldeu holtz zu hawen sich understehen, und ergriffen werden, der soll dem Frohste für iedes mahl fflinff nndt zwantzig francken hüssen.

BTwiUlliing eines Capellans. Heye» nndt geriehtslefithen

betreffSendt.

fol. 7r. Zum 7, cm rrobst halt auch recht, so bald er von dem Abbte zu Manrsmünster (Welcher St. Quirins Herrschaft samht allen

seinen zugehörungen, gericht, recht undt gerechtigkeiten, geist- undt weldtliche eigenthumblichen erkanfFt und seinem Gottshanse einver- leibt hatt, auch dahero Oberherr darüber ist) gesetzt, undt denen Underthanen vorgestellt ist, so sollen gemelte underthane ihme in geI:)ott undt veihott, bey dag undt bey nacht underthenig, getiew undt gehorsam sein undt alles das ienige, was er ihnen nach aufweisung seiner documenten undt iahrgedings befehlen thut, aufs fleissigste verrichten, dahero er dann ihnen gute Ordnung undt gesatz vorzuschreiben hatt, das gute dardurch zu vermehren, undt das böse abzustrafTcn.

Item er hatt zu setzen undt abzusetzen einen CapeUan, so ihme in der Kirchen undt Verrichtungen geistlicher dingen beyspringen nndt helffe. Dieser Capellan soll gute achtung haben auf dde Kirche und bilgern, damit die Wahlfarth desto mehr befördert werde, mehr auch den schnelmeistor, <lamit die Kinder in der wahren Fnrr-lit gottes, im betten, im lesen, schreiben undt singen mögen auferzogen werden, undt Wann sie zum Zwölfften ialue kommen seindt, so soll (fol. 7v.) er sie beichte hören undt zum hochwirdigen sacrament

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des abeutmahls führen. Mehr soll er beyde Knaben andt mägdien 80 viel ihrer znm Hochwürdigen sacrament des ftltars gangen seindt, ernstlich dahin halten, das sie allesambt zwey undt zwey knaben bey knaben undt mägdal bei mägdel anf St. Quirins tag, in der Creutz- wochen, auf Anffarts tag undt Unsers Herrn froiinleichnamstag denen proceseionen beywohnen, ihr gebett zu Gott nndt dem lieben Heyligen Qoirin darinnen verrichten undt umb die göttliche gnade undtHuldt für das liebe Vatterlandt treulicli bitten. Damit aber solches zu desto grösserer ehre Gottes undt seines lieben Heyligen Martp'ers Quirin i geschehen möge, so sollen besagte mägdel sowohl Creütz undt fahne, als auch das bildtnus undt kästen des lieben Heyligen Quirini, undt endtlich sich selbston iedesraahls mit allerhandt Krentzlein undt Mnmen ziehren, darfür ihnen dann der Probst auf Martini oder fastnacht iedem absonderlich zu geben schuldig ist, ein halb pfondt mitschel brodt, ein halb pfundt fleisch nndt ein halb maass weissen Wein. Die iungen Knaben betreffendt, sollen nicht alleine anf vorberührte tage die Kirchen und Capelle mit aller- handt grünen streichen undt meyen zieren, sondern auch die glocken ahnziehen nndt leüteo, dafär ihnen dann der Probst gleich den mägdien schuldig ist. Solte nun wieder verhoffen iemandt von vor- (fol 8r.) gemelten Knaben oder mägdlein auf tag und Zeit in der procession nicht erscheinen, und die diensto wie gesagt ist, nicht ver- richten (worauf dann der Capellan undt schuelemeister ücissige achtnng haben sollen) so soll solches in selbigem iahre seine portion nicht alleine nicht bekommen, sondern vielmehr eine gute straffe nach belieben eines Frohstes in die Kirchen geben.

Item ein Probst hatt auch macht undt recht, wann die gemeinde einen sehnelmeister oder sigristen ahngenohmen (welchen sie die gemeinde ohne Zuthnnng eines Frohstes zu besolden nndt zu erhalten schuldig ist, dioweHen er ein gemeiner diener ist) welcher doni Probste nicht gefallt, oder nicht geschickt gnueg ist zu diesem Dienste, so kan ihn der Probst hiewiederumb absetzen, so oft und viel mahl ihme solches belibig undt hergegen einen anderen ahnnehmen, der ihme gefeit nndt gescliickt ist, wieder nKMinigliches Wiederreden Dieser mus einem Probste ahrigeloben undt mit einem aydt beiaheu getrew, aufrecht undt redlichen zu dienen, der Kirchen nichts zu nehmen oder etwas darinnen versanmen, die altart&cher zu waschen, die Kirche zu seüberen, in die messe leüten, zn altar dienen so oft es von nöhten, undt endtlichen alles was ihme darinnen zu verrichten ahnbefoiilen wii'dt, mit allem vleis verrichten, und dieses zwar bei ▼erliehrnng seines Haabs nndt guts, ehren nndt guten nahmens. über dieses soll der sehnelmeister anch ahneeloben die Kinder in der schule zu nnderrichten in abwesenheit des Capellans auf Son- täge die Kinderlehre halten, und die iungen Knaben im Choral- gesang trewlich underweiscn, damit sie das ambt der lleyligen Messe desto zierlicher heMFen singen können.

foL 8t. Mehr hatt er auch zu setzen undt wiederumb abzusetzen alle ambtleüte zu St. Quirin, als nemblichen einen Meyer, zween Schöffen, einen fiscal, Schreiber, büttel undt geschworne, welche alle der vorgeschriebenen Ordnung nach leben nndt in weldtlichen geschefften sich sollen gebrauchen lassen iedoch aber ohne Wissen Updt Willen oder geheis eines Probsts nichts richten noch schlichten.

Der fiscal soll in nahmen des Frobsts die straffe, wan iemandt

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eine verdient hat, setzen nndt bey derselben verbleiben, daferne ■eiche durch des Probsts gnade nicht gemiltert wirdt.

Der Schreiber soll den gerichtlichen sachen beywohnen ondt wa» sa eehreiben TOifelt, mit allem vieis verrichten, keinen brief oder contract aber becrefftigeii, als mit des Probsts Wissen undt Willens wie auch seines insiegels undt vorgesetzten pittschafts, wiedrigenfalls sie keine krafft noch bestandt haben sollen.

Der bfittel soll der Herren ihr gebott' thnn, lo oflt es von nöthen nndt der Probst solches ihme befeligt ihre reehte dadurch za erhalten.

Die geschworeneu sollen im nahmen des Probsts schetzen fleisch, brodt, Wein, hier nndt dergleichen, so naeher Sl Quirin bq Ter- kanffen gebracht wirdt denen einheimischen sowohl, als denen ans* wendigen nichnianden zu lieb noch zu leid, nach altem gebrauch, herkommen, undt gewohnheit. davon dann jederzeit dem Proste sein recht undt gebühr solle gegeben werden, thete nuhu icmaudts etwas darwieder nadt yerkanlRe etwas ohngeschetst oder höher ondt tewrer ohne des Probsts austrücklichen erlaubnns nndt befelch, so ist er (fol 9r.) dem Probstc das erste mahl fünflf francken, da«? r^ndermahl fünff undt Zwantzig undt das dritte mahl fonffzig francken frevel schnldig, neben Terliehrung seines verkaiiflichen gnts und Wahre. Den ohmen nnd das maas soll ein Probst von Maui*8mün8ter, der sester aber nndt das gewichte von Sarburg holen, nndt f^m < inhei- mischen sowohl^ als den answendigen damit ihr recht und genügen thun.

Diese Ämbtle&hte nnn, wann sie vielleicht misfftren nnd etwas

Übels wieder den Vogt von Türckelstein tbeten. sollen nicht von dem gemclten Vogt ahngegriffen oder beleidigt werden, sondern der Vogt soll solches dem Probste, als ihrer vorgesetzten Obrigkeit anzeigen nndt klagen, der soll Ihme recht verschaffen, damit er sich soll l^gnngen lassen.

fol. 9v. Wirthe, Metzger, becker undt Handebleühte

betreifendt.

Item es hatt auch ein Probst mehr recht seiiirn Wirtben zu befehlen, das sie niehmale ohne Wein, die becken nie ohne Brodt undt die metzger nie ohne fleisch seiu sollen, undt solches zwar nmb der frembden Undt bfilgeren Wegen, thete nun iemandt ans ihnen darwieder, so soll er dem Probste, so offt solches geschehen, iedesmahls fünff francken büssen, und selbiges iahr keine Wirdt- schafft mehr treiben, es sey dann sache das ein Wirth seine Pferde auf der Strassen hette, Wein damit zn holen.

Mehr soll ein ied weder Wirth, er sey zu St. Quirin wohnhaft oder nicht, wann er Wein oder hier daselbsten vcrkaufft. n ie Wenig es auch seye, zwo massen und ein (ßk) Vogt von Türckelstein eine neben einem halben batzeii brodt iu die Probstey behausung geben, und solches zwar iärlieh anf St, Quirins tag, oder wann der Probst solche fordert, dabero sie dann so lange die freyheit selbigen tages oder fests wehret, mit erlaubnns des Probsts, den Wein etwas tewrer verkanffen können. Eben diese freyheit hatt auch einiedweder metzger nndt becke, wann er einem brobste zwey pfandt fletsch oder zwey pfnndt brodt gibt.

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fol. 10 r. Mehr haben alle Kramer undt handels . leühte diese freyheit, wann sie einem Probate einen halben batzcn, mehr o^Tm- weniger, nachdeme sie kaufmans Wahre haben, undt platz daizu erfordern, standt gelt geben. Ist nun iemandt unter diesen obbemeben Handelslefithen, so fauch maass, gewichte, ehlen oder dergleichen gebrauchte, worauf die geschworene vleissige obsicht haben so'len, undt darüber ergriffen werden solt.o, der soll dem Probste fünff andt zwantzig francken frevel geben, oder seine Wahre verlohreu habea.

Mehr hatt ein Probst das recht, das ihme die Wirthe das maass Wein, wie viel er auch bey ihnen kaufft und holen lest, einen b!anken wohlfeiler geben, als andern leühten, welche gcrechtigkeit aich ein Vogt von Türckelsteiu undt Kindtbetterin aus gnaden eines Frohstes hmn.

Mehr seindt die Wirthe, so ein gants iahr lang die Vi^rttschaft

treiben, dem Probste undt seinen geschwornen leühten ^^chaldig ein- mahl im iahre zu gastieren, daramb das er ihre Obrigkeit andt Herr ist, undt ihnen die Wirtthschafft za treiben erlauben kan oAer nicht, die geschworne aber mit ihnen ein gantz iahr lang des schetzens wegen besche£ftigt sein.

fol. 10 V. Item seindt die Wirtthe au(;.h schuldig von einer iedwedern maass Wein einen halben oder gantzeu blancken, nach des Probsts belieben, ungelt zu geben, welches zum halben theil yon dem Probste an den Chor, und der ander halbe theil v^on der bnrgor- schafft an die Kirche oder beinhausel soll verwendet werden, hierauf sollen die geschwornen guite obsicht haben, damit wieviel Wein von den Wirtth«i Terkanfft worden, wissen mögen, andt darflber ordent- liche rechnunge thun können. Damit sich aber die Wirtthe hierüber nicht zu beschweren haben, so soll ihnen der Probst das maas Wein iederzeit erlauben einen halben blancken tewrer zu geben.

NB. Dieser punct ist von Hrn. Abbt Jacob Schreier reuovirt worden iüOö.

fol. Hr. Frevel oder firoTeiidtliclie Sachen belangendt.

Item es hatt auch ein Probst mehr recht, macht andt gewaldt

zu dorff, Strassen undt feld, so weit sich sein grundt undt boden erstreckt, alle müstössigc nndt streitige händel, als braun uiult blaw schlagen, bawen, stechen, schiessen, werffen, kratzen, stossen, rMiffen, ▼erwanden, yerbottene messer oder ge-wehr tragen, stielten, schmehen, iniuriren, fluchen, schweren, gottsTästeren, ehrabschnaden und tibels nnrhrpdoii, hadern undt ZanckoTi, plündern, rauben undt stehlen, Hur- undt schelmerey treiben, ehebrechen, falschen eydt thun, falsch maas, undt gewicht geben ondt darza alle sachen, darumb einer an seinem laib, leben, oder gliederen mit billigkeit undt ordentlichen rechten peinlich nicht c:cstrafft werden mngc, zu vergleichen, beyzulegen, undt der gebühr nach endtweder mit gelt oder gei'eugnus abzustraffen.

Item er hatt mehr recht abzostraffen gel&mbde leibs sch&den, fliessende 'Wunden, freventliche l)etrewungen, vermessene fürwarten oder fürnehmeu, der beschedigung ^um todt oder zu hoher vcrderb des nechstens, es wehre mit brandt, fürgreiffung des lebens oder andern.

fol. llv. Item er hatt auch mehr recht undt gewaldt. so bald als St Quirins freyheit zn dem fest mit den glocken eingeleitet

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wirdt| welches dann seschicht zu mittag vor dem heyligen tage des Hefligen martyrers Quriniy wann etwas von den vier £inbt rügen, als mordty diebstahl, nohtzwang undt brandt, aidi solte zutragen

oder bopr^ngen werden, kan er solches vor sich nehmen undt abstraffen, nachdeme der thäter verdient hatt, Weichs so lange dauret undt wehret, bis bemelte freyheii ein ende hatt, hierane soll ihne nieh- mandt hinderen noch irren, derowegen dann soll ein Yogi von Türckelstein umb dieselbe Zeit als ein Schirmherr mit einem knechte sambt einem vogelhunde in der Probstey erscheinen, den feürtag sambt den ondeithanen helfifeu hüten, damit dem Closter an seinen gerechtigkeiten nndt gütem kein eintrag noch schaden geschehe^ wovor ihme dann der Probst auf diesen tag die cöst undt das l a;er (fol. 12 r.) zu geben schuldig ist; hatt nun ein Probst mehr hülffe von nöhten, so zeige er solches dem Vogte ahn, damit er ihme mehr hülffe verschaSe, undt also voix aller gefahr undt ahnfecLtungen beschützt nndt beechirmbt werde.

Item er hatt auch mehr recht, macht undt gewaldt abzustraffei> über fahrung eins gegen des andern guter, als mit überackern, über- zeünen, liberhawen, über sichtige markt, heimliche aufwerfunge der Bemerk, bott nndt verbott, so derhalben geschehen, auch mit setznng der marksteine.

fol. 12 V. Item hatt auch macht, da iemandts seinen nahmen, wapen, gemarcke, Zeichen, stocke oder pfähle dem andern zum schaden verändert, aufropft oder hinweg wirfft, sein gut dadurch es sey acker, matten oder gärten zn erweitem, der geb^r nach abzn* «traffen. Mehr wann einer ein ding zweyen verkaufft oder versetzt.

Item hatt er auch zu strafen alle Hausfricdtbrüchige, thüren brechern, feusterbeschedigern, es geschehe solches durch aufschlagen oder ansschlagen oder answerffen.

Item er hatt ouch femers macht seine be&mbte, welche umb gifft, gaben oder verhcissnnge wegen etwas thun, das nicht recht ist, oder das lassen das sie hotten thun sollen, abzustraffen oder von ihren Diensten abzusetzen.

Item er hatt auch macht zn straffen die ienige welche solche briefe einen andern zu schaden machen oder machen lassen etc.

fol. 13 r. Aydt nndt Burgrecht betreffendt.

Item ein Probst hatt auch recht, das einiedweder, so nicht ans der Herrschafft iSt. (Quirin gcbiirtiLr ist. oder auch so von danuen

gezogen undt sein burger recht xii laiii und tag, nicht wieder besessen att, d^nrch dann dem Probste sein gebühr nnd frohndienste nicht erstattet und geleistet worden, wann er wieder zu einem bürger begehrt auf undt ahngenommen zu werden, der soll einem Probste zu burger recht sex francken, und der Gemeinde einen ohmen Wein oder einen franken dorfnr geben, nndt dem Probste einen leiblichen eydt schwören ihme aUersey It getrew nnd gehorsamb zn sein, seinen nutzen zn befördern und den schaden zu wenden.

Item wann ein nnderthan aus der Herrschafft St. Quirin eine frembde Weibsperson heüratLet, und sie nacher St. Quirin zu Wohnen bringen will, so soll er erst einem Probste durch genügsame Zeüg- nussen darthun und beweisen, das sie mit keiner leibeigen schafft, noch mit Sebalden beladen ist, damit nacbgehendts ihren leibserben

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und kindern dadurch kein schaden nndt unheil entstehen möge, als dann soll sie sich mit sex fiancken von dem Frohste in das hurger (fol. 13 V.) recht laßsen eiuveileibeUj undt der Gemeinde gleich einer numtpersone die Schuldigkeit ablegen.

Bnrgereydt.

Ihr werdet ewer trew gehen undt darzn einen leiblichen eydt zu gott un'U icn Heyligen schwören dem Ehrwürdig, etc.: als ewrem einzigen natürlichen Herrn undt Probst, nndt sonsten aaserhalb seines gl. Herrn Abbts zu Maursmünster niehmandt änderst, getrew, hold, gehorsam nndt gewertig zn sein, ihr Ehrwfirden undt der Probstey schaden zu warnen undt wenden , frommes undt bestes getrewlich allzeit werben, fürdern, undt in keine sache noch versam- lung kommen, da etwas es sey wenig oder viel wieder das bemelte Oottshans Maursmünster ood der Probstey 8t. Quirin, sambt oder sonder getrachtet oder gehandelt wirdt, sondern alles zu thon, das getrewen underthanen ihrem natürlichen Herrn zu thnn gebürt undt sonst aus herkommenden Übungen recht undt gerechtigkeit flchnldig undt pflichtig seindt, getrewlich nndt ongefehrOch.

Darauf erfolgt die erstattmig des Eydts, so der ander- than schwören soll, in massen hernach folgt

Wie mir fürgelesen, undt ich gehört, auch wohl verstanden, undt meine trew darauf gegeben habe, solchem allem getrewliclL steht undt vest nachsnkommen, schwöre ich ab mir Gott heUf nndt alle seine Heyligen.

fol. 14 r. Die frohnde der bnrger und der hoffieühte

betreffendt.

Item hatt ein Probst auch recht, das ihme einiedweder barger 2U St. Quirin oder auch hindei'ses, er seye wer er wölle, niehmandt ansgenohmen, der ochsen oder pferde gebraucht, im iahre awey gantzer tage damit frohnet, in welcher Zeit undt arbeit er es begehrt, ausgenohmen der Meyer, darfür gibt er ihnen hausmans cost. Die handtfröner aber, so weder ochsen noch pferde haben, seindt dem Probste drey gantzer tage, zu welcher Zeit er es befilcht, zu frohnen «chublig. Ebensoviel frohniHcnste hatt auch ein Vogt von Türckel- stein zu St. Quirin, icdoch soll des Frohstes frohne allezeit vor- gehen, die weilen die underthano des Probsts undt nicht des Vogts seyn. Das gebott aber soll beyden von dem büttel zu St. Quirin undt von keinem andern geschehen So offt derowegen auf vor- gehendts gebott icmandt der frohnde wegen sich ungehorsamb erzeigen solte, undt das lenige so ihm aluibefohlen worden nicht verrichtet hette, der soll dem Probste fünff francken frev^ erlegen undt die Grohnde duppelt verrichten.

fol 14 v Die hoffieühte zu Lohr, Heel, Girsingen undt rohtwasser betreffendt, sollen iedweder absonderlich mit ihren rossen oder ochsen, schiff- und geschirren, wann undt wo es der Probst von nöhten hatt nndt befehlen thut. acht gantzer tage frohnen, mit ackergehen, Heue oder frucht heimbführcn nndt dorglcichon.

Mehr sein sie schuldig iärlichen, Kraut, rüben und dergleichen auf zwo meilen Weeges zu holen nndt in die Probstey zu liefern.

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Mehr ist iedweder besonders schiddig aween geladene Wägen

endtweder nacher Manrsmünsier oder Zabern, und von dorther wieder nach St. Quirin zu führen schuldig, doch das der Probst ihnen die cost gibt ondt den Zoll abricht.

Mehr seindt sie sdmldig zum Kirehentarmb nndt mahl mühlen zu frohnen, so offt es von nöhten ist nndt der Probst solches befehlen thut.

Mehr seindt diese hoffleüthe auch schuldij^; den iagten bey zu wohnen, so offt solches ihnen ahnbefohleu wiidt zu welchem ende sie dann auch iedweder absonderlich zwene rftgen oder grosseügt bunde halten sollen.

Thete nun einer von diesen ho£fleüthen obbemelte frohndienste undt schaldigkeiten nicht vleissig nachkommen und verrichten so (fol. 15 r.) hatt solcher seine lelmunge verwürckt, oder soll zum wenigsten der willknhrigen straffe eins Probsts nnderworffen seyn.

Zehendt recht grosz undt klein.

Item ein Probst hatt auch recht, das er von allen, sowohl Sommer als Winter fruchten, sie haben nahmen wie sie wollen, welche in seiner herrschafft ahugeseet seindt worden, es seye korn, weitzen, gersten, haber, bonen, erbsen, linsen, reebs, flachs, hanff, undt dergleichen, die zehende garbe oder handtvoU von einem stücke oder acker zu dem andern, und keinen absonderlich gezehlt, nehme, undt solche zwar durch seine eigene hausgenossen oder anderwertige darzn beaydigte lenhte abzehlen lasse, ehe undt bevohr die nnderthane oder bawren das ihrige von den stücken oder platzen lieiml)führen oder abtragen, hierinnen solle ihne niehmandt irren, viel weniger betriegen ; wiedrigenfalls hatt der Probst gutt erlangt recht, macht undt gewalt die thäter nach belieben abznstraffen

Item er hatt auch den blnt Zehenden, das ist, wann iemandt in seiner Herrschafft innge ferlin, lemmer oder Zieglin hette, der soll ihrae solches innerhalb sex Wochen ahnzeigen und mit ihme ab- theileu, also undt dergestalt, das der imdert^an die erste wnhl undt der Probst die andere ans dem hanffen heraus nehme, welche ihme beliebt undt gefeit, hatt aber der nnderthan in einem iahre nicht zehen ferlin, lemmer, oder zieglin. so soll der Probst das ander iahr hernach auf die vorige zchlen, bis das das Zehende erfüllet ist, und alsdann die erste Wahle haben.

Die iungen kelber aber belangendt, davon hatt der Probst von iedwederm absonderlich einen turnus das ist, drey albus oder blancken, dessentwegen er dann auch den reidt stier halten f^nllc

Es sollen auch die scheffer und hirten von ihrem viehe den Zehenden geben, tmdt nit mehr sfehaffe haben ak ihnen der Probst vergönnen wirdt

fol. 15 V. Lehenrecht.

Item ein Probst hatt auch recht undt gewaldt, weile seine underthane undt umbliegende nachbawren in öt. Quirins Herrligkeit, Zwing undt bann nichts eigenes haben, sondern alle ihi'e gütter,

klein undt gros, viel oder wenig umb einen gewissen iährlichen Zins oder gült von ihme zu lehen tragen, das wann eyner, er seye wer er wolle ie dreyen nacheinander verflosseueu iahren seine ge-

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bürende Zinse, gült oder landtrecht nndt Schuldigkeit nicht abgericht nndt völlig bezahlt hette, er solches gutt an sich ziehe, vor sich behalte oder andern wiedemmb verlehne, nndt das darumb, dieweilen solches gntt von St. Quirin herkombt nndt er darftber grandtihorr nndt ol«igkeit ist.

Item so offt ein Probst mit todt abgehet, nndt ein ander an seinen platz erwöhlt wirdt, so soll ein iedv^der, sowohl einheimischer als auch frembder, weldier in Si Qninns Herrschafft gütter hatt, solche gftttor Ton dem newen Probste mit sex blancken wiedernmb empfangen, so einsetznng oder erkantnus genendt wirdt, thete nnbn einer solches nicht, nndt es dem newen Probste gesagt, oder ahn- gezeiget wirdt, so hatt er gntt macht solches gutt an sich zu ziehen, nndt den lehner seiner versanmnns wegen davon zn straffen.

fol. l(ir. Item ein Probst hatt auch mehr recht, das so oft einer von seinen underthanen ein gutt m Sf. Quirins Herrschafft gekaufft oder gedauscht hatt, oder wann er solches erbs weise, oder durch freiwillige schenknnge flberkommen, es seye solches gntt klein oder gros, viel oder wenig, so mus er dem Probste sex blancken, dem Meyer drey und beydcn Schöffen auch drey blancken geben, damit solches gntt vom newen wieder in das gefengnüs buch eingeschrieben werde, im wiedrigen ist der accordt ungültig, gefeit nnn solches gutt dem Probste, so kan er solches nechst den blntsfreinden lösen oder aber einem andern sein erlösnngsrecht übergeben, war zn er dann iahr nndt tag Zeit hat, daromb das er grnndther ist.

Es Ican aber keiner ein gntt kanffen nnd behalten, er habe dann znvor dem Probste alle darauf stehende boden Zinse oder gülten bezahlet, wiedrigenfalls hatt ein Probst gutt fug und recht, solches an sich zn ziehen und in seinem bessern nutzen zn wenden wieder mennigliches ahnsprach und Wiederrede : den Weinkauff belangendt ist in der Zeit von einem francken ein blancken zn verdrincken gestattet worden, es sey denn sache das solches zwischen beydcn parteyen hoher verglichen werden.

Die auswertigen undt frembden aber, so in St. Quirins Herrlig- keit gfttter kaniron oder anf eine andere Weise an sich bringen, seindt ansstatt der sex blancken einem Probste drey francken zu geben schuldig, im übrigen wirdt es mit ihnen gehalten, gleich wie mit den underthanen zu St. Quirin.

Item ein Probst hatt mehr recht nndt gewaldt, wann streit nndt Zwiespalt zwischen seinen nnderthanen oder auch den auswendigen nndt frembden der güter wegen entstünde, als nemblichon ficker, gärten, matten nnd der gleichen in St. Quirins Herrligkeit gelegen, so kan er die streitige Parteyen vor sich bescheiden, sie anhören, nnd einem ieglichen, wo mnglieh zu seinem rechte verhelfTen, will er aber solche mühe waltungen nicht auf sich nehmen, alsdann kan i fol. 17 r.) er solche parteyen anf das ialirgeding vor gericht beschei- den, und ihnen die streitige suchen vorzubringen befehlen, was alsdann vor. frevel darvon verfeit, der gehört dem Probste zn.

fol. 17 V. Todtfall ohne Hinderlassnng Iiibseiben.

Item ein Probst hatt auch recht, wann ein underthan ans seiner Herrschafft ohne leibserben mit todt abgehet, das er dessen gutt, es sey liegend oder fahrend, viel oder wenig zu hoff oder an sich ziehe, solches nach seinem besten nutzen gebrauche oder verlehne.

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fol. 18 r. Todfall mit hindeiiassung leibserben.

Mehr hatt ein Probst auch recht, wann iemandt in seiner Herr- ächaüt gestorben uudt erben hinderlas^Bii, so sollen solche erben in mondts tnvt sich anmelden, dem Frohste, wie nahe oder weit sie dem versiorhenen verwandt gewesen, genagsamblich beweisen, alsdann das gutt von ihme empfaiia:en, sich in das gefengnüs buch einschreiben lassen und die gerechtigkeit wie vorgemelt erlegen, wollen sie nun solches nach empfangener erbsehallt Tcrtbeilen oder verkanffen, so mas solches wieder mit des Pro'bsts Wissen and Willen geschehen, Tind abermahlen in das gofcngnus buch geschrirbon werden, theten sie nun solches nicht, so hatt der Probst macht solches gutt an sich zu ziehen, ondt damit zu schalten wie ihme beliebt, fol. 18 y. unheschrieben.

fol. 19 1. Von begrebnusseii undt dessen ahngehöruugeu.

Item hatt der Probst mehr rechte wann iemandt in seiner Hen-- schafft stürbt undt darinnen will begraben sein, so kan solches nicht geschehen, es hahe dann der Probst solches zuvor erlaubt, den grundt za einem grab zu eröffnen befohlen, undt dafür sex blancken, wann er ein underthan ist, empfangen; ist er aber kein underthan, so raus zuvor mit dem Probste überkommen werden sowohl des grundtö als auch des leütens wegen. Will uuhn iemandt in die kirche begraben undt gelegt sein, er seye underthan oder nicht, so mus er zuvor dem Probste seinen Willen darumb machen, sonsteu , ists keinem als alleine den Pröbslen undt geistlichen Herrn erlaubt. Eben also auch soll keinem abgestorbenen die klockeu gelitten werden, es habe dann solhes der Probst zuyor erlaubt, ist nun der todte bey seinen lebzeiteu zum nachtmahl gangen, so sollen ihme drey Zeiclien mit den glockcn gelitten, ist er aber nicht zum abend- mahl gangen so sollen nuhr drey Zeichen mit dem kleinen klöckel gelitten werden.

Wann ein Abbt zu Manrsmünster oder ein Probst zu St. Quirin

stirbt, so sollen die underthane alle tage drey tinderschiedliche mahl, (fol. 19 V.) des morgens, mittags undt abendts iedes mahl eine halbe stunde lang mit allen klockhen zugleich leüten sex Wochen lang, darumb das sie gmndtherren seyen undt die Herrschafit St. Quinn sambt denen un^rthanen ihr eigen seindt

fol. 20 r Bcker recht.

Item ein Probst hatt auch recht, das wann ein ecker in seinen w&lden gerfthtety undt die underthane ihre schweine, die sie duiehs ialir in ihren eigenen steUen Selbsten erzogen haben, darein schlagen

wollen, so sollen sie von einem iedwedern stücke es seye gros oder kloin. iung oder alt durch die eckerfurth dem Probste geben einen tuiuub, oder drey albus; wami sie aber die Schweine nicht Selbsten erzo- gen, sondern kaufTt betten, undt zwar nach St Jacobs tage, so sollen sie mit dem Probste zuvor übereinkommen ehe sie solche einschlagen undt gleich einem frerabden gehalten werden, iedoch soll kein under- than mehr schweine einschlagen, als er blöslich in selbigem Jahre zu seiner Haushaltung von n^Shten hatt, thete einer nun darwieder so soll er nicht alleine die eingeschlagene schweine verlohren haben, sondern auch dem Probste einen guten frevel geben.

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Item der Probst hatt auch recht, das er allentbalben sowohl in

Beinen eigenen, als auch gemeinem Walde vor seine so wohl, als

anch ahnofnommene frembde schweine darff pferchen machen nndt dieselbe übernacht in der Wälder lassen, die underthane aber müssen ihre schweine allen abend in ihre stelle heimbtreiben, oder aber mit dem Probste des pferche wegen ftberkommen.

fol. 20 V. Von diesem obgesagten ecker recht ist der Meyer frey nndt sonsten niehmandts, weilen er neben des Probsts förstern den ecker in den Waiden zu. besichtigen undt dem Frohste gewissen bericht davon zn geben schuldig.

Die eckerhirten belangendt sollen ieder Zeit ehe und bevor sie die eckerfarth ahnfangen undt die schweine auftreiben in die Wälde, einen leiblichen eydt schwören üeissig zu sein, getrew zu handien nndt keinen schaden mit dem lewr zn thnn^ wiedrigenfalls seindt sie in des Probsts willkfirige straffe gefallen.

fol. 21 r. Gemeine Hirten belangendt.

Item hatt auch der Probst das recht, das die Gemeinde die hirten in ihren eigenen cösten halten, nnd des Probsts viehe, es sey viel oder wenig, undt wie solches mag genandt werden, yergeblich hütten, wiedrigen fals so ist der Probst dar ftemeinde nicht schnldig den Weidtgang zu vergönnen vor ihr viehe, dann er sein ist

Die hirten aber belangendt damit sie desto Üeissiger seindt und desto bessw anf des Probsts Tieh achtung haben, anch des morgens * frinhe.zu erst vor des Closters thore hörnen nndt blasen» haben alle sontag zwey closter mutschel zu empfangen.

fol. 21 T. Stege und Wege, wie auch brünne etc. belangendt.

Item hatt ein Probst mehr recht, wann er befindet das ein mangel an stegen nndt wegen ist, so dann anch an brünnen und wässeren so allen nntz nnd dienlich, so soll er alsobald nach dem

heimbnrger schicken, ihmc anbefehlen, das solcher mangel undt fehler ergentzt undt verbessert werde, thete er nun solches nicht, so soll ihn der Probst nach belieben straffen, fol. 22 nnd 23 nnbeschrieben.

fol. 24 r. Gerechtigkeit so der herr von Tfirckelätein oder

dessen Vogt zn St Quirin hat.

Zu wissen ist, demnach das Closter zu St. Quirin den herrn von Türckelstein zu einem Schutz und Schirmherrn ahngenohmen, hat es ihme anch die criminal institz oder blnt bann, dtw ist, malefitz» recht, oder halsgerichtliche gerechtigkeit daselbsten übergeben, durch welche er macht hat die vier haubt rügen oder hohe malefitz frevel, als mordt undt todscblag, beweister raub undt diebstahl, nohtzwang imdt brandt, mit einem Worte zn sagen, knndtbahre malefitz fälle, so nicht auf inquisition beruhen, zu straffen, iedoch aber mit dem mi'^friirklirhcTi vorbehält, das gedachter Herr oder dessen Vogt kerne malehtz person zu St. Quirin ahnzugreiffen oder zu fangen macht habe, sondern mus solche TOr dem dorfTe beim Creütze erwarten, bis sie ihme von des Probsts ambtleüten daselbsten geliefert nndt übergeben werde, alsdann kann er rechtes mit ihme

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III

verfahren, wie er verdient hat andt werdt ist, dahero er daim ancb stock undt ^ralgen auf <1era galgen berge auf die felsen nndt nicht in den gruud oder boden St. Quirins Herrschaft, aufzurichten hat, rnus anch selben aofrecht erhalten undt nit niederfallen lassen, verlirt (fol. 24 v.) sonsten sein recht, so ihme zu St. Quirin von dem Closter übrrgrben worden, daferne er ihne in dreien nechstfolgendrn iahren nicht wieder aufrichten lest. Was die uncösten, so auf die ülielthäter gangen betriift, wieviel deren auch seindt, ist er auch schuldig zu saUeii, dahingegen aber hatt elr das recht, das er des übelth&ters gntter dörffe ahngreiffen, nndt solche in seinen besten nutzen kehren undt wenden, wann solche der bodcn Zinse wegen dem Closter nicht zuvor verfallen oder aaderwertieer schulden wegen versetzt seindt^ sonsten mos er sich mit den sehnldenem vergleichen.

Andere mistössige undt streitige händel, als schlagen, hawen, stechen, schiessen, so nicht auf den todt gehet, srhnlten, schmehen,. gottslestern undt andere, wie hievorne bey des Frobsts rechten weiter zu gehen, beireffend, sie mö^eu nahmen iiabcn wie sie wollen, nichts ansgenohmen, neben nndt mit sambt der hohen, mittel nndt nieder Oberkeitlichen undt civilsachen halt sich das Closter gentz- lichen bevor so weit sich sein grundt undt boden erstreckt, zu dorff undt zu Veldt, auf der Strassen undt überall.

fol. 25 r. Mehr hatt ein Herr von Tfirekelstein auch recht za St. Qnixin, das ihme ein iedweder haus, da fewr undt ranch innen ist, ausgenohmen das Closter undt seiner zugehörigen häuser, alle iahr an dem ncchsten sontag nach Martini gebe ein siramer haber, drey hüner undt drcizehen heller geits, welche reudte ein Wittwer nndt eine Wittwe, so lange als sie in ihrem Wittwenstande bleiben, nuhr zum halben theile zu geben schuldig. Diese rendte nuhn sollen ihme der Meyer und gerichts leühtc zu bt. Quirin einsambien und vor das dorff bis unders Creütz liefern, darfilr er ihnen ein imbs zu geben schuldig ist. Wehre es nnn sache das er von einem oder dem andern nicht könne bezahlt werden, so kan er mit erlaubnus des Probsts denselben durch den Meyer undt ambtraan pfenden lassen, oder aber seine thür ablegen, welche dann niehmandt auf- heben, noch ein hencken soll, bis er bezahlt hatt, undt wann dieses alles geschehen ist, ' nndt gegeben worden, so haben die von ' St. Quirin das ihrige gcthan. ihre schafft undt bette geben, also das man sie nicht höher treiben kan. Mehr ist ihme auch einied- weder burger, so führe hatt durchs iahr vier halbe tage, ein handt- fröhner aber drey gantzer tage, wie dem Probst«, doch das des Probsts frohne allezeit vorgeht, zu frohnen sehnldig.

fol. 25 V. Mehr t^iht ihme auch die gantze gemeimle für drxs wachtgelt auf dem schioss i'urckelstein durchs iahr auf Weyhenachten fünff Lothringische gülden. Von allen diesen vorgeschriebenen rendten undt beschwerden aber ist der Meyer nndt büttel, wie auch ein breitigam im ersten iahr frey, die zwey schöffen aber, vierzehen schützen undt ein bannwarter seindt nur von dem habex-, dreyen hünern undt dreizehen hellem frey, das übrige seyndt sie gleich andern zu thnn schuldig, undt za geben.

Damit aber nun der Herr Yon Tfirekelstein oder dessen Vogt auch eigentlichen wisse das erstbemelte rendte vom Closter St. Quirin herkomme undt schuft undt schirmb wegen ihme übergeben worden, 80 ist er schuldig, so offt er diese rendte empfangen will, das des

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dorffs büttel das sester ans mehr bemeltem Closter, womit der haber soll gemessen werden, neben einem sacke hole, nndt den ersten sester habem den er empfangt, in des Probsts sack schilte andt (fol. 26 r.) ihm« wieder in die Probstey schicke zn erkandtnns das diese reiKlte vom Closter herkomme. Dies seindt die recjite, so ein Vogt von I iirckelstein in nähme seines Herriis zu St. Quirin hatt undt soll darüber weiters nichts begehreu, wann er anderster sein lecM nicht verliehren will.

Ex ipso originali glavbwftrdig gesogen nndt lautet gleichförmig

Sic attestor

HeinricJi WAidts kayserlL Notarins zu Zabern im Elaass.

fol. 26 t. Unbeschrieben.

fol. 27 r. Dies ist der Gemeindt recht zu St. Quirin

so sie yom €9oster daselbsten hatt zngemessen.

Erstlich haben die er bahre leühte zu St. (Quirin dies recht undt freyheit, das Sie mögen tms der Herrschafft St. Qnirin hinweg stehen

in die Marek Maursmünster oder wohin sie wollen, bey tag oder bey nacht das ihrige entweder verkauffen oder aufladen und mit sich nehmen, iedocE das solches geschehe mit vorwissen undt Willen eines Probsts nndt ihren creditoren, undt wann sie also abscheidt genehmen haben, undt den Vogt von Türckelstein zu ihrem Abzog ruffen, so soll der Vogt mit ihnen faliren nndt sie begleiten bis zu St. Martins steine, undt wann ihnen ein radt auf dem Wege aus- gienge, so soll der Vogt absteigen, undt mit seinem gesinde solches . recht wieder helffen einstossen.

Zum andern haben sie recht, wenn einer von ihnen aus der Herrschafft St. Quirin gezogen wehre, undt in iahr undt tag sich wieder einstellete oder zum Wenigsten sich wieder bey dem Probste nmb das bnrgrecht ahnmeldete, so kann er wieder einkommen, wann undt zu welcher Zeit er will ohne einzig Yerhindemus oder endtgeltiiü« thete er aber solches nicht, so hatt er sein burgrecht vor sich uudt seme kinder verzogen, undt wirdt gleich einem . frembdling gehalten, wann er sieh schon förterhin wollte wieder einstellen.

fol. 27 V. Zum dritten haben sie das recht, wann sie wollen haüser, schewnen oder stalle bawen, schindel oder dexel nehmen lassen, so mö^en sie in den Wald, auserthalb Littert, Zwisselthal, Ischeit nndt Niederwaldt, fahren, undt das bawholtz darzu hawen, was sie von nöhtcn haben, davon seindt sie niehmandt nichts schul- dig, als alleine dem fürster. so solche baüme 7>cirhnet. von den ersten vier stocken vier turuus oder zwölff albus zu geben.

Zum Vierdten haben sie mehr recht, das sie mögen windtGlUe zu brettstecklen ausmachen, keinen aufrecht stehenden bäum aber, er seye grüne oder dürr darzu umbhavven. Des gleichen haben sie auch macht daub oder unfruchtbar holtz nach ihrer nohturfft in ihren haHseren zn verbrennen sn holen, iedoch das sie der obge> nauten freyen Wälde müssig gdien undt gar nichts daraus holen, sollen sonsten nach willknriger straffe des Probsts heimbgesnchi werden.

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. Zum lüufften haben sie repbt, das sie vor ihr eigen liudt viehe nach ehieB iedwed«» nottoxlft nndt behueff in Wfildeii imdt feldern bis za der Hofen banne nndt gerechtigkeit anter einem gemeinen

hivten die (»ffone Weyde gebrauchen können, dergestalt doch, das sie umb dieser treyheit Willen des Probsts viehe frey nndt franck wie- viel dessen anch seye, hüten undt handthaben sollen.

fol. 28 r. Znm sechsten haben sie recht, wann dn ecfcer gerahtet, Ro kan einiedweder, so viel Schweine er in seinem eigenen stalle erzogen nndt zu seiner gewönlichcn haushaltung iärlich von nöhten hatt, darein schlagen, davon sie durch die gant2>e ecker tert za sahlen nicht mehr schuldig seindt als Ton einem iedwedem stücke einen turnas. Solte sich aber einer von ihnen gelüsten lassen, sich mit fiembden schwoineii viel oder wenig zu beladen, und sie ohne vorwissen undt Willen eines Probsts in den ecker zu schlagen, oder aber auch nach St. Jacobs tag kauffen, einschlagen und hierüber ertapt werden, der soll die schweine verlohren haben nndt dem PrODSte einen guten frevel geben.

Zum siebenden haben sie auch recht in den Türckelsteiner Waiden zu schiessen undt zu fangen, behren, wilde schweine, hirsche, rehe, wölffe nndt fftchse, mit dem beding, das sie von iedwederm stücke der köpf undt den rechten fues auf Türckelstein, das eine hinder Yicitcl nber dem Probste nach St. Quirin liefern sollen, der Ursache wegen, weilen 'lus»} gerechtigkeit seines Closters wegen ihnen zugelassen worden. Zu St. Quuixi haben sie aber anderster (fol. 38 v.) keine freyheit za sehiessen als in den ackern nndt g&rten, nndt zwar nur alleine Wölffe, fachse undt hasen, des andern wildt* prets aber allesampt nichts ansgenobmen sollen sie genfzlich müssig gehn, im wiedrigen fall wirdt einer erdapt, so soll er dem Frohste daa erste mahl llhiff franeken, das ander mahl fünffzig, undt .daa dritte mahl hundert francken frevel geben ohne eintaig gnad nndt barmhertzigkrit einem andern zum Exempel.

Zum 3( Ilten haben sie auch das recht, wann ein man oder fraw miisfuhre uudt Übels thete, so soll man sie nicht aus dem dorffe gefenglich hinweg fahren, wann sie anderster gnte Sicherung geben, ea sey dann sache, das sie den leib verfallen haben, alsdann soll der Probst sie durch seine amptleüte undt ünderthane aus dem Dorffe bis zum Creütze in des Vogts von Türckelstein Uände liefern nndt übergeben.

* fol. 29 r. ündt als nuhn ietzt gehörts iahrgeding publice verlesen,

undt gnugsamb verstanden wardt, hati obberührter Herr Abbt dem Meyer befohlen an ein Schöffen undt darnach au die gantze gemeinde zu setzen nndt erkennen zu lassen, ob solch verlesen iahrgeding dermassen, wie vor altem her kommen, fflrterhin gelesen nndt gehalten ^i:erdcn sollte oder nit, welches beschehe, nndt ist einhel- liglicli durch die schöfFen nndt gantze gemeinde erkant worden, das das Jahrgeding, wie von altem her undt ietzo gelesen worden, also auch hiufüro solle gehalten werden. Nach ietztberahrtem gesprochenen urteil, hatt der gemelte Herr Abbt mich hieunden bemelten offenen Notaren nachfolgender gestalt ahngesprochen undt erzehlt. Nachdem wier menschen alle strrblirh undt abgenglich, die alten burger abgangen, undt iunge au ihre statt gewachsen, auch tugUck trembde barger zu St Quirin einkommen, damit dann die alten rechte nit gemindert, sondern desto besser mögen gehalten werden, nndt umb

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das auch desto ein stattlicher schein andern zu berichten vorhanden, so erfordert er mich in beysein hie under berührter Zeigen, in gegenwärtigkeit des Meyers, der schö£fcn undt gantzei gemeinde Yörgeldsen iahrgeding, sambt gegebenem nrtcil, in ein offen instm* ment ta begrdffen, dasselbe darüber erigiren, pobliciren undt con- firmirön, rmdt soviel ihnie von nöhten sein würde mitzutheilen, anf (fol. welches ernstliches ansinnen offtgenanntes meines Herrn

Abbts babe ich hiemiden geschriebener Notarias ietatgedachtem Herrn, dem Clostcr undt Probst zu St Quirin dies offene instrnment für testinioniales undt gezcichnns boschehoner handhing iahrgcdings undt Urtheil auf seiner Würden ansuchen, erfordern nndt begehreu, aufgericht undt gegebeu; undt seindt diese dinge geschehen zu St. Qturin in dem Closter oben in der grossen stuben, im iahr, nmndt, tag, stundt, indiction bäpstUch undt keyserUch regierang, und allen anderen wie obsteht.

Im beysein der Ehrsamen, Achbaren undt fürnehmen Herren Joban Spies Schnltbdss sa Sarbarg, Nicolas Crnso ?on blanckealrtirg, hasche dominie undt Joban Erle beyde handehleate von LörchingeD, alle viere zu zeigen (zu gegen der gantzen gemeinde) insonderneit bierza erbeten undt gebeten.

ündt dieweil i<m Jacob Frey von Strassbarg Ton b&pstlicher beyligkeit nndt keyserlieher macht offener Notarias, sambt diesen ' obgeschriebenen gezeigen bey obgedachtem Jalir^rr^dinge confirmation desselbigen, nndt offtgemeltes Herrn Abbts begerung, mit bitt der erection der instrumenten gegenwertig gewesen bin, solches also geschehen, gebort nnd geseben, babe ich dieses gegenwertig offene (fol 8<'r.^ iustruraent selbst newlich geschrieben nndt anderschrieben, auch mit meinem gewöhnlichen nahmen, zniiahmen undt zeichen bezeichnet, undt in diese offene form bracbr iiudt gestylt, zu glauben und zu seignas aller obgescbriebenen dingen, sonderUch hierzu bemfn^ erbeten mdt erfordert,

Also nnderschrieben nndt Yerzeicbnet Jacob Frey Argentinensis

Notarins.

Ex ipso originali glaabwiirdig gezogen nndt lautet gleichförmig. Sic attestor

Heinrich Wlirdts Notar»

Traduit Ix Colmar ce 6* Bfiij.l7S2.

foL 30 t bis 89 t.. nicht beschrieben.

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BBRIGHTIGUNGEN.

Seite Id, von oben Zeile 17 zu lesen: Beamten- statt Beamte-. » 15^ » » » 25 » » und leisteten etc.

l^t » > 26 so streichen : Maiineneid, homagium.

> \bf » unten > 16 » » die achöffenbar-freien Leuio

deB Sachsenspiegels.

» t9f > oben » 5 nach: Eigentum, ist zu lesen: Später

hiess dann jedes freie Eigentum, ohne Bezog auf den Titel des eigen- thümlichon Besitzes. Aliud, so näm- lich anch (las frei eicrono Klostergut.

» 21, » » » 13 ff. ist überall die Frecuria, ein.> Precaria

zu lesen statt; das, ein Frecanuui.

« 22, > > ^ 8 statt: Retraktsrechts ist sn lesen : Heim-

faüsrechts.

» 31, > nnten > 2 an littera e) ist zu bemerken, dass an-

dinglich anch die hier unter littera e)-

und f) als (U m öffentlichen Rechte angehörenden Angaben reinen privat- reciitlichon Charakters waren, diese nahmen demnach den eigentlichen öfFentlich-rechtlic heil Charakter erst nach der vollen Ausgestaltung dpi Landesherrschaften an. Ihr pnvut- rechtlicher Ursprung geriet mit der Zeit ganz in Vergessenheit. Darum anch erklärte sie die Revolution von 1789 ohne Entschädigung an die Be- rechtigten als abgcschi^t.

> 32, > oben » XO zu streichen : dies nannte man «Muthen».

Nach Bei ist einzufügen: dieser.

> 32, » > > 11 zu streichen: der Muthung.

» 48, » unten 1 statt : Koseten ist zu lesen : Kotten, so

heissen die kleineu Wohnungen des ländlichen Arbeiters.

* 67, > > »14 hinter: zu suchen ist, wolle man ein«

fügen: Das Kreuz stand hier anch als Zeichen der Königsherrschaft, des Königstriedens, dessen die Märkte teilhaftig waren.

» 62, » üben » 17 statt: in ihren Sprengein, ist zu lesen:

in den ihnen verliehenen Grafschaften. Die Immunität allein gewährte nur die niedere, die eigentliche Hofge- richtsbarkeit.

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BEITRÄGE LANDES- UND VOLKESKUNDE

VON

ELSASS'LOTHRiNGEN

X. HEFT

GOETHE UND HEINRICH LEOPOLD WAGNER.

EIN WuRi DER KRITIK AN UNSERE GOETHE-FORSCHER.

VON

Dr. JOH. FROITZHEIM.

STKASSBÜRG J. H. Ed. Heitz (Hbitz & MttNi>EL)

1889

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}

\m N'erlage der unterzeichneten YciiagsUaiidiuiig ersclieiiieii unter dem Titel ;

BEITRÄGE

ZUR

LANDES- UND YOLKESKUNDE

'■•VON.'.- •' '=

ELS&SS-LÖTllkMEN

in zwangloser Folge Abhandlungen und Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte und Litteratur- gesehichte von Elsass und Lothringen, Beiträge zur

Kunde der natürlichen geographischen Beschaffen- heit des Landes, seiiiei' Bevölkerung und seiner Bevölkerung:.\erhältnisse in der Gegenwart und in der Vergangenheil, seiner Alterthürner^ seiner Künste lind kunstgewerbUchen Erzeugnisse; es sollen (lanel>eii selten gewordene litterarische Denkmäler durch iNeudruck all.üeiiiciner zugänglich gemacht und durch VeröfTeritlichung von Erhebungen über Volksart und Volksleben, über Sitte und Brauch der Stände, über Aberglauben und Ueberlieferungen, über Singen und Sagen der Landesgenossen deutscher und romanischer Zunge das Interesse an der elsass- lothringischen Volkskunde befördert wei*den. Aner- bietungen von in den Hahmen gegenwärtiger Samm- lung sich fügenden Beiträge werden den Unter- zeidmeten jederzeit willkommen sein.

Die ersten Heft(i enthaUen folgende Arbeiten:

Heft I: Die deutsch^französischs Sprachcjrenze in Lothringen von Const. This. 8^. 34 mit einer Karte (1 : 300.000). 1 50

Heft II : Ein andecht 'uj geistliche Badenfahrt des hochgelerten Herren Thomas Murner. 8*. 56 S. Neudruck mit Erläuterungen, ins- b«;sondere über das altdeutsche Badewesen, von Prof. Dr. E. M;Li tin. Mit (i Zink- ätzungen nach dem Original. J6 2

sJehf ilrlttr Seife des Uniscltlags,

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Auf vielfachm Wunsch hol die Vertagshand" lung Hich entschlossen die Uef'le der Beiträge zur Landes- und Voikeskunde von LlHaHa-Loth^ ringen ' in BOtiden zuscwunenzu/assen und von Jetzt ah zu Je vier bis fünf Heften einen Ge* samttitel und ein Inhaltsverzeichnis zu geben, Titel und Inhaltsverzeichnis der beiden ersten Bände liegen diesem Hefte bei. Elegant halb- franz, gebundene Exemplare sind von der Verlagshandlung durch Jede Buchhandlung zu /jczieken. Der Preis von Band l und II beträgt Je Jb

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BEITRÄGE

ZUR

LANDES- UM) \ OLXlvSKUXDE

VON

ELSASS-LOTHKINGEN.

ERSTER BAND. (Heft I-V).

STRASSBÜRG

J. H. ED. HEITZ (HEI TZ & MÜNDEL).

1889.

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Stxassbarg, J. U. Ed. Ueitz (Heitz & Mündel).

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Inhalt.

Heft I. ThiB, Constaiit. Die deotBch-fraiizösi&che Sprachgreiute in Lothnngen. 34 S. nebst einer Karte.

Helt n. Badenfahrt yon Thomas Mnmer. Nendrack nach der Aus- gabe Strassbnrg 1514. Mit Erläuterungen, insbesondere über das altdcutsclie Badeweseu von Kruät Martiu. 44 S. Mit sechs Zinkätzungen.

Heft UL Wiegand Wilhelm. Die Alamannenschlacht vor Strassbnrg 357 T. Chr. Eine kriegsgeschichtliche Stndie. 46 S. Mit einer Karte und einer .Wegskizse.

Heft IV. Froitobeim, Joh. Lenz, Qoathe und Cleophe Fibich von Strassbnrg. Ein nrknndlieher Kommentar m Gksthes Dichtung und Wahrheit. Mit einem Bilde Araminta^s nnd

einem Facsimile aus dem Lenz-Stammbuch. 96 S.

Heft V. This, Constant. Die deutsch-französische Sprachgrenze im Elsass. 48 S. Mit einer Karte nnd acht Zinkätzongen.

BEITRÄGE

ZDR

LANDES- A^OLXESKUNDE

VON

ELSASS-LOTIIllINGEN.

ZWEITEH UAND. (Heft VI-X).

STRASSBÜBG

J. H. ED. HEITZ (HEI TZ & M.ÜNUEL).

1889.

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StraBsbaig, J. H. Ed, Heitz (Hcitz iL Müiidel;.

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Inhalt.

Heft Tl. Qollaender, Alciiiii. Strassbnrg im fraiizd8i«ch«ii Kriege 1652—61.

Heft YU. Froitzheim, Job. Zu Strassburgs Sturm- nnd Drang- periode 1770 177H. Urknndliche Forschungen nebst einem angedrackten Briefwechsel der Strassburgexiu Lonise König nnd Karolinc Herder ans dem Herder- und Böderer Nachla&s. 87 S.

Heft "VIEL Nejt ^ Oesehiclite des heiligen Forstes bei Hagenau im Elsass. Erster Teil: Vom Eintritt des Forstes in die Gesdiichte bis znm Westphälischen Frieden (1065 1648). 114 S.

Heft IX. Hertzog, Aug. Ke(-hts- und Wirtschafts-Verfassnng des Abteigebietes Maursmün&ter während des Mittelalters.

114 a

Heft X. Frottshelm, Joli. Goethe nnd Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort an unsere Goethe-Forscher. 68 S.

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*

GOETHE

UND

HELXUIGH LEOPOLD WAGNER

EIN WORT DER KRITIK

AN UNSERE GOETHE-FORSGHEil

VON

Dr. fOH. FROITZHEIM.

SXRASSBÜRG 1. H. Ed, HEITZ (HEITZ & MONDEL)

1889.

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VORWORT.

I

*

Goethes (.(Dichtung und Wahrheit y> galt bisher für ein Geschichlüwerk , in welchem die Wahrheit nur insofern verändert schien, als die kiinstleHsche Gruppierung der Thatsnchen es gebot. Wenn ich dagegen auf Grund offen- kundiger Zeugnisse den Beweis antrete, dass jene Goethesche Selbstbiographie zum Teil Tendenzschrift sei, so bin ich mir der Scfnvierigkett meiner Aufgabe umsoniehr beimisst, du ich an gewissen Punkten auch den persönlichen Charakter des jungen Goethe der Kritik unterwerfen musste. Irgendwelche Feindschaft oder VoreingenonnnenJieit lag mir, der ich mit Muhe das eclde Goethe-Ha'xs in Strus.-yinirg sucitte und fand (ind dessen würdige .^rJnni><'J:ung reranlassle, volhtändig fern. Im Gegenteil kann ich sagen, dass sich meine Be- wunderung des grossen Kit n Stiers steigerte, während mein Ver- trauen in den Me)isc1ie)i durch Tfiatsachev erschüttert wurde.

Meitie Untersucliung erstreckt sieh notgedrungenenreise auf denjenigen Teil der Selbstbiographie, wo vorhandene Dokumente eine Prüfung der Ereignisse ermöglichten. Dass ich dabei auf das Verhältnis Goethes zu seinem S>trassburger Studiengenossen Heinrich Leopold Wagner geriet, war Zufall. Es lag mir deshalb fern, ei)ten wissenschaftlichen Streit mit Herrn Prof. Erich Schniidt in Berlin vom Zaun zu brechen; vielmehr erkenne icJi es dankend an, dass seine Mono- graphie i'iber Wagner mich zu selbständigoi Forschungen anregte. Indessen, je tiefer ich in den Gegenstand eindrang^, umsomehr musste ich mich überzeugen ^ auf welch schiefer Ebene sich die heutige Auffassung von Goethes Jugendleben

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und Charakter bewegt. Hier auf Chrund unzweideutiger Zeug- niese ein energiiches HaU I auszurechen, ist die Pflicht des parteilosen Historikers,

In der Einleitung hohe ich durch einige der Strass- burger Zeit entnommene Beispiele^ die ich leicht wrmehren könnte, die Autorität von Dichtung und Wahrheit'» im allgemeinen zu erschüttern gesucht. Der zweite Abschnitt liefert meines Eraehtens den Beweis, dass Goethe die «t*-> sprünglich von ihm selbst verfasse Posse Prometheus, Deu- kalion und s^ne Recensenten » auf seinen Freund Wagner geschoben hat* In bezug auf das Verhältnis von Wagners Kindermörderin t zu Goethes a Faust"» habe ich den schon von Erich Schmidt erbrachten Beweis, dass an ein Plagiat Wagners in unserem Sinne nicht tu denken sei, weiter zu f ühren gesucht. Leider konnten meine Forschungen, da die Strassburger und Pariser Justizakten nicht mehr vorhanden sindj gerade in diesem Punkte nieht vcUständig ihr Ziet erreichen. Hier Hegt die Schuld nicht an mir, sondern an denjenigen Gelehrten, welche Nachforschungen anzu^dlen versäumten zu einer Zeit, wo noch AtMsicht auf Erfolg ge- geben voar» Aber auch diejenigen Fkmde^ welche ick zu maxthen Gelegenheit hatte, sind bedeutend genug^ so dass ich allen jenen Behörden, weiche mir die ihnen unter* steüten Archive zu benutzen verstatteten, hiermit meinen tiefempfundenen Dank ausspreche,

Strassburg, im Januar

Dr. Joh. FROITZHEIM.

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EINLEITUNG.

i' ür die Bourleilunj^ des Dicliters Heinrich Leopold Wagner, Goethes Jugendgenossen geboren 19. Febnirir 1747 zu Strass- burg, gestorben 4. Miirz 1770 als Advokat zu Frankfurt a. M. ist als klassischer Ausgangspunkt stets die bekannte Charak- teristik in Goetlies Dichtung und Walirheit angesehon worden, aber mit TJnrechl. Denn jene Goethesche Selbstbiographie ist eine verdächligc bistorisclie l^rkunde. v. I.oepers Urteil: Dich- tung und Wabriieit ei hel)e .si( Ii ilber den (iharakter persönlicher Denkwürdigkeiten zu euiein Geschichtswerke, zu einer histori- schen Erfordernissen genügenden Biegraplne, steht schon mit dem Titel des "Werkes in Widersprucli . Viel zutreirenderj weil dem Titel entsprechender, äussert si( Ii der Aesthetiker Viseher : Es sei gefahrhch, wenn ein Dichter sein Lelien l)esc]ireibe. Art lasse nicht von Art ; er werde schwer dem Reize wider- stehen, zu erlinden, liinzuzudichten. v. Loeper hält dies Urteil für ungeieciit : Es wäre Goethes Walirhelts- und Healitätssinne, meint er, unmöglich gewesen, aut die iatei seines eigenen Lebens falsclie ZifTern zu sebreiheu. Allein v. Loeper verwechselt dichterischen und geschichtlichen Wahrbeitssinn. Wenn er aber l)etonl, die l>itteraturhisloriker hätten Goethes Buch stets als Gesciiiclifswerk benutzt, so l>ostätigt er damit nur einen weit verbreiteten Irrtum, der darin bestand, einem Werke grösseres Gewicht beizulegen, als ilim, dem Titel gemäss, der Verfasser selbst gegeben wissen wollte.

Dass Goethe Thatsarhen seines Lebens vollständig ertunden haije, wird nieniand s<> tliöricht sein, zu behaupten. T"^eberdies geht V. Luepers ungemein üeissiger Kommentar den Ereignissen,

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auf Ta«? und Sluiide nach und prült ür- laulsi lieiMe der lian— deliideii Personon. Anders aber viTiiull es sicii mit der Art und Weise, wie Goethe .seinen Lelx'iis^anjj darj^estellt hat. Hier* hat der Dichter der Versiidiunpr iiii lit widprslanden, die Wahr- heit zu seinen Gunsten ini Keine zu verändern, deshalb aber weitgehenden Verwürten von \orTili('rein durch den Titel «Dichtun*^ und Wahrlieit» vorzubeugen gesiirlit.

Solche Verdi eluini^en der Wahrheit narli/uweisen, ist all Or- ding-? ein schwieriges und vielfach undarddjares Unternehmen. Einerseits sind, besonders da Goethe seine Ju*(endpapien> ver- nichtete, die Beweisrnini 1 im Laufe von mehr als 100 Jahren vielfach abhanden ^ek(»mmt'n, andererseits vermag- Voreinge- nommenheit, (h'e für unseren ^n-össten deutschen Dichter, wenn niclit entscliuhiiiar, so dodi erklüHich ist, fast jeden dem j^raden Menschenverstände stichbalti^-^ i'rscheinenden Beweisgrund für kürzere oder län<rere Zeil durch schiefe AnlTiissung in Fra^^e zu stellen; aber alle «Imm bedenken köinien nun einmal den Trieb nach Wahrheit nichl Ii inrneii. Selbst di(i Bibel hat menschliehe Kritik ul)er sich ergehen lassen müssen ; um wie viel mehr ein Werk, dessen Titel allein sjchon durchgängige urkundliche Wahrheit ausschliesst. »

Schon das dichterische Streben, sich überall in den Mittel- punkt der Handlun;; zu stellen, verleitet Goethe ilazu, seine IVrson über Gebühr zu erliöhen, indem er in tendenziöser Weise Antichten uud Urteile anderer als sein alleiniges Eigen- tum beansprucht.

Sehr anziehend liest sich seine Schilderung über die un- geschickte Auswahl jener Golielins im Empfangspavillon der Dauphine Marie Atdoinelte. Beim Anblick dieser Bilder, welche die Geschichte von Jason, Medea und Kreusa, also ein Beispiel der unglürklichsten Heirat, darstellten, erwachten in Goethe.^ Busen alle Grundsätze, welche er sich in Oesers Schule zu eigen gemacht iiatte.

«Dass man Christiim und die Apostel in die Seitens&le einea Hocbseitsgebiiicfea gebracht, war schon ohne Wahl und Einsicht ge- Bchehen; nun aber ein Miaigriff wie der im grossen Saale brachte mich ganz aus der Fassung, und ich forderte lebhaft ujul heftig meiiio Gefährten zu Zeugen auf eines solchen Vorhrechens gegen Geschmack und Gefühl. ,Was!' rief ich aus, oluie mich um die Umstehenden zu bekümmern, ,ist es erlaubt, einer jungen Königin das Beispiel

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der grässliclisten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen worden, bei dem ersten Schritt in ihr Land so unbesonnen vois Auge za bringen! Giebt es denn unter den französischen Architekten, Deko- rateuren, Tapezierern gar keinen Meascbeii, der begreift, dass Bilder etwas ▼orstellen, dass Bilder auf Sinn nnd Qeföbl wirken, daes sie Eindrücke inachen, dass sie Ähnnngen erregen. Ist es doch nicht andersi als hätte man dieser schönen, und, wie man hdrt» lebens- lustigen Dame das abscheulichste Gespenst bis an die Grenze ent- gegengeschickt' Ich weiss nicht, was ich noch Alles weiter sagte ; genug, meine Gefährten sachten mich zu beschwichtigen und ans dem Hanse zu schafFeu, damit es nicht Verdruss setzen mochfe. Alsdann versicherton sie mir, es wäre nicht jedermanns Sache, Bedeutung in den Bildern zu suchen ; ihnen wenigstens wäre nichts dabei eingefallen, nnd auf dergleichen Grillen würde die ganze Popnlation Strassburgs und der Gegend, wie sie auch herbeiströmen sollte, so wenig als die Königin selbst mit ihrem Hofe jemals geraten. >

Gerade die grosse Lebendii,rkeit der Darstellung macht diesen 40 Jahre nach den erlebten Ereignissen verfassten Be- richt sehr verdächtig. Das Unpassende, solche Bilder in den Empfangssaal einer Verlobten zu hängen, war denn doch zu handgreiflich^ als dnss es eines Goethe bedurft hätte, um die Genossen, die Bevölkerunj^^ Strassburgs, wie sie auch kerbet" strömen sollte^ oder die Daiiphine und deren Hofstaat auf jene Unschicklichkeit aufmerksam zu machen. Erzählt doch die Baronin von Oberkirch, welche als IBjiiln i^cs Mädchen beim Empfang der Daupbine zugegen war, in ihren hingst vor Dich- tung und Wahrheit {geschriebenen Memoiren I, S. 35 :

<0n uvait eleve, pour rccevoir rarchiduchesso, un pavillon compoee de trois parties dans Tlle du Rhin. Je ne sais qni imngina d*yplaeer de softes tapisseries representaiit Mcdee et Jason avec leurs massacres et leurs quorcUes de menage. La princesse en fut Irappee et sa snite autant qa'elle. Ah! dit la jeane dauphine a sa femme de chamhre allemande, voyez qnel prognosticl»

Wenn Marie Antoinette, ein i4jährige.s Mädchen , das Unpa5?<;ende solcher Bilder empfand, um wie viel mein* die ur- leilsfahig-eren Studiengenossen Goethes ! Uebrigens ist die Aehn- lichkcit zwisclien den Goetheseben Schlussworten und dem Satze «La princesse en fut frappäe et sa suite autant qu'elle» zu ^ross^, als dass wir nicht irgend eine Wechselbeziehung zwisclien beiden annehmen mfissten. Dann aber hat Goethe sibh nicht gescheut, die Beweismittet für seine Widerlegung

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in Stiitzi'u für seiue eigene Pi^'hauptung zu verwandeln, ein allzu kühueü \'erfahreii, dem wir noch weiterlÜD beg^^ea werden.

^Vährend Goethe in der genannten Er/ahlung nur insofern tendenziös verlahrt, als er T^rteile anderer sich allein zuei^^n^ f, wird sein Verfahren in dem Bericht über den Misserfolg seiner Dissertation schon bedenklicher.

Bekanntlich liatte Goethe das Thema gewählt, dass der Gesetzj-eher nicht allein berechtigt, sondern verpllichtet sei. einen gewissen Kultus festzusetzen, von welchem weder die Creistlichkeit noch die Laien sich lossagen dürften. «Ich ging" bei dieser Ariieit um so kCdiner zu Werke», schreibt Goethe, «als ich sie eigenllich nur meinen Vater zu befriedigen schrieb und nichts sehnlicher tounschitt und hofU, als dass sie die Censur nicht passiren möchte.» Nun wahrhaftig 1 eine Selhstgenügsan)keit, die man einem Greise, nicht aber einem Jüngling von Goethes Selbstbewusstsein zutrauen darf 1

«Ich überreichte nim meine Hefte der Faknitäti und diese be- trag sich glücklicherweise so klug als artig. Der Dekan, ein lebhafter» gescheiter Hann, fing mit vielen Lobeserhebimgen meiner Arbeit an, ging dann zum Bedenklichen derselben über, welches er nach und nach in ein Gefahrliches zu verwandeln wnsste nnd damit schloss, dass OS nicht rüthhch sein möchte, diese Arbeit als akademische Dissertation bekannt zn machen. Der Aspirant habe sich der Fakultät als einen denkenden jungen Mann gezeigt, von dem sie das Beste hofTen dürfe; sie wolle mich gern, um die Sache nicht aufzuhalten, über Theses disputiren lassen. Ich könne ja in der Folge meine Abhandlung, wie sie vorliege oder weiter ausgearbeitet, lateinisch od» in einer andern Sprache herausgeben, dies würde mir, als einem Privatmann nnd Protestanten, überall leicht werden, nnd ich hätte mich des Bei&lls um so reiner nnd allgemeiner alsdann zn erfreuen. Kaum verbarg ich dem guten Hanne, welchen Stein mir sein Zareden vom Herzen wälzte ; bei jedem neuen Argument, das er vor- brachte, um mich durch seine Weigerung iiiclit zu betrüben oder zu erzürnen, ward es mir immer leichter im Gemüth und ihm zuletzt auch, als ich ganz unerwartet seinen Gründen nichts entgegensetztCj sie viel- mehr höchst einleuchtend fand und versprach, michinAllemnach seinem Hath und nach seiner Anleitung zu benehmen.»

Auch hier macht die Lebendigkeit und feine psychologische Elitwickelung dem nüchtern Denkenden den Bericht verdächtig. Zudem hat Goethe die Zurückweisung seiner Dissertation allzu-

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sein- als eigenen Wunsch hinzustellen ge.suchl, als dass wir nicht deshalb schon gegen die Glaubwürdigkeit desselben miss- trauisch werden s(^lten. Eine Kontrolle der Goethescben Erzäh- lung besitzen wir lufölligerweise an dem bereits im Auszug^e von Erich Schroidl (Im neuen Reich 4877 II S. 4M) mitge- teilten Briefe des Strasshurger Professors Elias Stöber an seinen Vetter, den Hofirat und Prinzenei-zieher Ring.

Magister Friedrich Dominikus Ring, ehemals Abend-Prediger an St. Wilhelm in Strassburg, später Markgraflich Durlachi- scher Hofrat in Karlsruhe, hatte sich behufs Besetzung zweier Hofmeisterstellen in adelichen Häusern an seinen Vetter und früheren Kollegen Stober um Auskunft über die Herren Silvius und Goethe gewandt. Auf diese Anfrage antwortet Stöber aus Strassburg den 4. Juli 1772 :

« Von dem H. Sylvius habe ich hier keine genaue Kundschaft ein- ziehen können, ich weiss mich aber, wiewohl nur gleichsam wie aus einem Traum zu erinnern^ dass er bey dem II. Prof. Silberrad sei. einen freien und frenndscluiftlichen Zutritt gehabt^ davoiiich glaube, ein Zeuge, auch sogar bey seinem Tische, gewesen zu seyn. Daraus lassen sich xnanche ▼ortheilhafte Schlüsse fär ihn machen . wie es jetsnnd um ihn stehe, wird sich am besten zu Basel erfaliren lassen. Der H. Göthe hat eine Role hier gespielt, die ihn als einen überwitaigen Halbgelehrten und als einen wahnsinnigen Religions-Vevächter nicht eben nur ver- dächtig, sondern ziemlich bekannt gemacht. Er muss, wie man fast durchgängig von ihm glaubt, in seinem Ubeigebäude einen Spanen zu viel oder zu wenig haben, üm davon augenscheinlich übeizeuj^t zu werden, darf man nur seine vorgehabte Inaugural-Dissertation de Legislatoribus lesen, welche selbst die Juristische facultat ex capite religionis et pmdentiae nnterdrftckt hat; weil sie hier nicht hätte können abgedruckt werden anders, als dass die Professores sich hätten müssen gefallen lassen mit Urtheil und Recht abgesetst sn werden.»

IVtu^ niuss darauf um Anj^abe anderweitiger Kandidaten und <'in<' nähere Ikij^ründunj: des über Goethe so j^chnöde jie- fälltiMi l'iteils ^^ebeten liaben, denn Stöber antwortete am 7. August 1772:

«Für jetso fällt mir nichts anders ein» als dass ich Ihnen, aller-

werthestor Freund, zwei Candidaten nennen und enq»fehlen kann, mit welchen Sie die Stellen wohl versorgen könnten, zu welchen d, H. Silvius und Göthe sollten berufen werden, falls etwa diese nicht zu haben wären. Der eine von jenen, die sich zu vornehmen Hof- meister Stellen schicken mochten, ist Ii. Wagner T'and. jnr. von hier, der in der tranzösiscben Sprache, in der Fhilosophie und in Huma-

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I.

Prometheus« Beukalion und seine Recensenten.

Die bisher aufgefQhrten gewichtigen Zweifel an der ge-* sdiichtlichen Glaubwürdigkeit der Goetheschen Erzählung» welche ich leicht vermehren könnte, lassen sich mit dem Titel cDich- tung und Wahrheit» recht wohl vereinigen ; schwerer jedoch wiegeii die Bedenken, die ich in bezug auf Goethes Verhältnis zu Heinrich Leopold Wagner erheben inuss, da hier auch von cDichtung und Wahrheit» unabhängige Zeugnisse Goethes aU' gefochten werden sollen.

In neuester Zeit hat zum ersten Male Erich Schmidt jenem Studiengenossen Goethes eine eingehende Monographie gewidmet, allein die wichtigsten Voraussetzungen derselben scheinen mir nicht vorurteilsfrei geprüft worden zu sein. Wenn vor allem Erich Schmidt S. 39 meint, dass Goethe nach dem Erscheinen jener Spottschrift »(Prometheus, Deukalion und seine Recen- senten» im April 1775 mit Wagner als «einem überlästigen CumpauÄ) gebrochen habe, so stehen dieser Behauptung schwere Bedenken entgegen.

Wagner blieb bis zu seinem am 4. März 1779 erfolgten frühen Tode mit den Eltern Goethes in freundschaftlichem Zusammen- hang, «in wirkUcher Hausfreundschaft», wie Erich Schmidt 5?elbst zugiebt. Den 12. April 1776 meldet v. Seckendorf aus Weimar» dass wie Lenz, der bereits ein^jetrüflen sei, demnächst auch SLolberg, Herder und Wagner erwartet würden ; also war doch von oder vor Goethe von dieser Möglichkeit gesprochen worden. Zudem belehren um jetzt die Auszügei die C. A. H,

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Herrn v. BreUchneider gestützt, der als Goethf*9 Ordenshruder

in Wetzlar gleich nach Erscheinen jenes Spott «»etlichleg fü!«r,»nde sehr einj^ehende Berichte an BViedr. Nicolai in Berlin gelangen Hess :

Usingen 11. April 1775: « Göthe, der den Promethens verlaugnet und sich sogar gegftn mich selbst so erniedrigte, dass er sagte ,die Canaille, die ihn verteitigt habe, sey selir fiiisichiig zu Werke ge- gangen' ist mit Deinet gar sehr über den Fuss gespannt, denn die Qans ist Deinets werthe Pefson ; ich könnte Göthen am besten über* weisen, wenn ich Lust nnd Beruf dazn bfttte, denn ich weiss den Fonnsehneider zu Offenbach, der die Figuren Ar ihn geschnitten hat.»

28. April 1775 : < Göthe hat den Promethens anf einen gewissen Wagner geschoben, den ich kenne nnd der dazu ganz und gar nnAhi^^ ist, sich aber grosse Ehre daraus maclit, dadurch bekannt zn werden, der arme Teufel braucht anch Geld In OfFenbach kann man erfahren, wer die Holzschnitte dazu hoste! It hat. und »las war Gotlio. »

15. Juli 1775: «Sie verlaugten den Namen von dem Form- schneider der die Vignetten zu dem Prometheus geschnitten hat, er heisst Dounhäuser u. wohnt in Offenbach, die erste Ausgabe ist un- atreüig in Deinets Bnchdmckerei verüertigt. Denn ich besitze ein gewisses satyr. Blatt anf einen Hendrich Lender im Hessischen das darin gednickt ist n. den nehmlichen Bnchdmckerstock am Ende hat wie der Prom. nehmlich einen Bock in einer Einfassung wie die [Octaeder]. Ich habe Deineten beide Abdrücke gegeneinander gehalten nnd ftberwiesen. >

Nicoini, welcher sell)st als Oraii^»--Oulan;{ im « Piometlieus » verhülint woideii war, hath; deslialh nalieic Auskunft von Hörnt V. Bretschneider erbeten, um Goethe wej^en jener gedruckten Verleu^unj; der Autorschaft oirenllicii Ldji^en zu strafen. Dies giebt dem Berichte v. Bretschneitlers •grossere Be*leutung. Darauf schrieb Nicolai in seiner All^renieinon deutscln ii I^ihliothek 20, 207 bei der Besprechung des «Proiiieliieus» die unzweideutige Bemerkung: :

« Ob Waffner oder ein anderer der Verfasser sey, steht indessen doch noch dahin, und möchte nm sichersten bey dem Formscinieider Dannhüuscr in Offetibach zu ertahren seyn, der am besten wissen wird, wer die Holzschnitte zu diesem Possenspiel bey ihm bestellt hat, und für wen sie gewesen sind. Ist Wagner der Verfasser, so hat er sich wirklich in wenigen Monaten gar sehr gebessert, nnd da er schnell ein so ungemeines Genie xeigt, kann er gewiss, wenn ihm nnr erst wird der Bachantensahn ausgebrochen, die Börner abgestossen, die Glieder behobelt, nnd das Salz der Weisheit anf die Zunge gestreut worden seyn, ein recht wackerer Borsch werden. >

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fiefriedij^ von <lieser unverl)lüinten Abtertigunpr Goethes und AYMpfDors, s< iu<eibt v. Bretschneider weiter an Nicolai den i6. Okiober 1775:

c Ich bosnclie die Officin Deinets fleissig, wenn ich in Frankf. bin und mache manche Entdeckung all a. 6. die mit dem Form- schneider Donnhensser, welchen ich aar Zeit, als der Prometheus hvf Deiuct ist gedruckt worden, ])oy ihm aas und eingehen sah und daraxis

die Wahrlioit schloss, die sich itzo so par schon bostätigt. Der Passus mit fl«^in Namen dieses Mannes in Ihrer Recension macht erschreck- liclies Antseheu in hiesiger Gegend und zwar um so mehr, weil Göthe in eigner hoher Person die Figuren selbst gezeichnet und bei Doiiu- heussern in Offenbach ohne sich einmahl einem Bedienten anzuTer- tränen alle Beatelinngen selbst verrichtet hat. Nie hat noch etwas Göthes noncbalance so bestürmt. Er zankt mit Donnheueern und Ikinet nnd schilt sie Verräther. Ueberhanpt kann nichts in der Welt passenderes und geschickteres gemacht werden, um ihn zur raison ZU bringen, als Ihre Becemion des Prometheus. Ich und alle sind be- . gierig wie er sicli verlialten wirrl. denn nun wird er mit hadiniren nichts mehr ausrichten und erjisthaft kann er sich in allem Betrachte nicht verantwortt^n Wagner wird von jedermann ausgelacht und für einen schlechten Mensehen gehalten der für baares Geld aich zu allem branchen lässt. Er ist es der Göthes Sprache in den Frankf. gel. Zeit, nachäfft. Donnhensser längnet gar nicht dass 65the die Formen bei ihm bestellt hat »

Und am 28. Januar 1 776 : « Glanben Sie nnr gewiss, datt Göthe der Verfasser des Prometheus ist. >

Schliesslich am 27. März 177(i : < Wenn Sie ein neues Drama die Kindermörderin sehen, so merken Sie sicli. das«? es von Leop. Wa?ner ist. Er will aber verborgen bleiben, weil das ganze Stück eine i^okal Satyre aut .Strassburg. seiner Vaterstadt seyn soll. Er schreibt auch einen Euman, den Gebhard in Frankfurt verlegt. Dieser Wagner ist der vorgeschobene Yevt von dem PromethenSi war ehe- dem Prenssischer Grenadier nnter der Gamiwn in Magdeburg und lebt itzo in Höchst nnweit Frankfurt bloss von seiner Feder. >

Eiidi S«'hnii»lt wirfl alh; dit's«; ciii^ehiMuleu Bericht" »'in- farli als Ivhtfscb ühcT Bord und .<uclit die Gl.iuhwin-di^'^k 'i t ile.s HoriTi V. I>i hTi«Md(M', d»M- <\oc\\ in dor l Jobci lulinm:-: Deuicts iialou<;r''a>'«^" .Si h.n t'^iiiti Ixnvif^^rji, dndiiicii zu iiiit(MV'';il»'n. »la^S er ihn einen « ink<'l?;iin^ei w ikmihI. siMiir Mittt'ilun<r über G(jethe und Lili lind <c'\\u' Xofi/., \Va;;ner .sei Grenadier in Magdeburg |jewe.<?en, ;ds ini^ liinsbdlf.

Wms zunärlisl \V;i;;ner> ani^eblic.ben Dienst bei iUmi l^i eiissen J)etrilIt,so wäre die;^ eine Aufgabe für unsere LiUeraturhi-storiker^

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«rkundlich festzustellen, was an der Sache wahres ist. Man \vende nicht ein, diese Fraj^e sei zu unl>edeutend. Meines Dafür- haltens werden heutzutaii:e nützliche KräCle in viel geringeren Untersuchungen zersplittert. Dass die damaligen Krallgenies den Kriegerstand als den einzig anständigen Bevui des freien Manuos hetrachteten, sehen wir an Klinkers Dienst hei den Kaiserlichen und an Lenz, der den Mangel der Statur durch taktische Kenntnisse zu ersetzen suchte. Erich Schmidt gesteht selbst zuj dass wir für das Jahr 1774 in Wagners Biographie nielnrach auf Vermutungen angewiesen sind. Hier also wäre Platz füi' ein vorühergeheudeii Vorkommnis der Art. Aher wenn sich auch v . Bi etsclmeider in hetreff der VergangenlitiL Wagners eine Verwechslung hätte zu schulden kommen lassen, jeni^ Notiz ist an und für sich so geringfügig und so ausser jedem Zu- sammenhang mit den eingciieiid(Mi Berichten über den Autor des «Prometheus», dass die allgemeine Glauhwürdigkeil <les Mannes durch solchen Einzelirrtum nicht in Frage gestellt wird.

Auch der Beiicht v. Br(?lschnei(lers über Goethe und Elise Schüiiemanns Mutter ersclieinl nicht so unglauljwürdig, als uns Erich Schmidt glauben machen will. Freilich poclisch ist er nicht und passt daher auch nicht in «Dichtung m l Wahrheit»; im Gegenteil ist es sehr lealistisch, darum aher gerade dem Historiker von höherem Werte :

V, Brctschnoider an Nicolai, Usingen 5. Februar 1776: c Goethe ist in Weimar. Ein Umstand, den ich noch nicht gewnsst habe, und der ihn bewogen haben soll, eine Zeitlang sich zu entfernen, ist dieser. Es ist iu Frankfnrt eine reiche Banquierswittwe Schünomannin, rcfor- mirter Religion, die eine artige Tochter hat, mit welcher sich Goethe schon lange Zeit fuhrt. Er hielt endlich förmlich um sie an, die Matter bat sich Bedenkzeit aus, Hess nach einigen Wochen Goetheu zum Essen einladen und deklarirte in einer grossen Gesellschaft Öoethe*8 Atisnehen mit der Antwort, dass sich die Heirath wegen der Verschiedenheit der Religion nicht wohl schicke. Eine Grobheit, die Goethe freilich sehr übel nehmen mnsste, weil sie ihm diese wohl hätte allein sagen können ; die Frau sagt aber, sie hätte, der Sache auf einmal ein Ende za machen, kein besseres Mittel gewusst und sich hei einer Zusammenkunft tite-ä-tete vor seinem IHsputiren ffe- fürddct. >

Und was schliesslich den Schmähtitel « Bänkelsänger » he- triffl, da v. Bretschneider «Werthers Leiden» in einer Mord- geschicbte travestiert hatte, die er durch einen Wetzlarer Bänkel- sänger absingen Hess ^ die Allgemeine Deutsche Biographie

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spricht von einem « prächtigen » Bänkelsangerlied * so darf man solchen Geniestreich nicht nach dem Massstabe der heuti<^en Schickiichkeit bemessen. Wenn erst einmal eine Geschichte der Satire in der Geniezeit geschrieben sein wird, wird man erstaunen über das Mass des Erlaubten in jener Zeil, Auch Lenz fiel sofort ohne Grund über seines Freundes Wagner «Kindermörderin» mit derbem Spottgedichte her, und wejin Goethe den 8. März 1776 an Merck schreibt : «Wir machen des Teufels Zeug» so meint er damit jene Matin^es^ mit denen damals in Weimar einer den andern verhöhnte.

Also was P>ich Schmidt gejren die Glaubwürdigkeit des Herrn v. Bretschneider ins Feld führen kann, reicht nicht im mindesten hin, dieselbe zu erschüttern. Herr v. T?rf Ischneider war kein Bänkelsänger)». Wenn Erich Schmidt schreibt: c Ich gebe den ganzen Bretschneider'schen Klatsch in den Anmer- kungen, auf die Gefahr hin, dass nun doch einige Freunde schlechter Gesellschaft lieber mit dem Bänkelsänger, als mit Goethe wandeln werden », so ist das eine jener glänzenden Phrasen, an denen unsere moderne Litteraturgeschichte immer reicher wird. Dieselbe mag furchtsame Gemüter schrecken, njcht aber solclie, denen es ohne Rücksicht um die Krlbrschung der Wahrheit zu thun ist.

Hat Erich Schmidt sich auch recht erinnert, wer Herr v. Bretschneider rrcwesen, den er in der Zeitschrift für deutsches Altertum 1870 <iBernrilter d nennt? Dei- bekannte Krlanger Historiograph Job. Georg Mcusel hat in seinen ((Vermischten Nachrichten und Bemerkungen historischen und litferarischcn Inhalts» Erlangen 1816 dem gcist- und kenntnisreichen Manne, den er persönlich schätzen gelernt hatte, einen Lebensabriss gewidmet, der dem Charakter und der Urteilskraft des Ge- schilderten das denkbar günstigste Zeugnis ausstellt. Derselbe schreibt :

1 Man vergleiche die Recension in der Allgemeinen JeuLödien Bibl. 1777 p. 772: «Ein diolligtes Schlemperhed, worni der wakrc Bäukelsängerton getroffen ist. Der vortreflfUctie Verfasser der Leiden Werthers kann es so wenig übelnehmen^ als der tiiamplÜMnde Jm* perator die Spottgesange seiner Soldaten, die nichtsdestoweniger ihr Leben f fir ihn anüsetssten. Uebrigens schreibt t. Bretschneider selbst 8. Januar 1776 zu seiner Entschaldigang an Nicolai : «Ich habe mich durch die abendtheuerhehe Gelegenheit verf&hren lassen, die Leiden Werthers schlecht genug zu travestiren.»

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«Heinrich Gottfried v. Bretschneider, geb. 6. März 1 739, besuchte das Gymnasinm in seiner Vaterstadt Gera und zeichnete sich schon in seiner Jugend durch besondere, mit brennender Wissbegierde ver- bundene Begabung aus. Die Schlacht bei Kolin machte er als acht- zehnjähriger Kornet mit, später lebte er in Frankfurt, von wo ihn der bekannte ßeichshofrat Friedrich Karl v. Moser, ein Freund der BretscbDeiderschen Familie, in NasBamsche Dienste empfahl. Er worde 1767 Landestiauptmann, 1769 Major zu Idstein, wo er sich yerheiratete, machte dann Eeisen ins Ausland, auf denen er Tom französischen Minister Vergennes zu verschiedenen Missionen gebraucht wnrdei kam später (durch v. Gehlerts Empfehlung) in dstreichische Civil- dienste, wurde 1776 Kreishauptmann im Temesvarer Banat, 1780 Kaiserlicher Rat und Bibliothekar in Ofen, 1784 k. k. Gnbernialrat in Lemberg und starb pensioniert 1810 zu Karlsbad. »

«Der GrundstofT seines Charakters war ein unerschöpflicher Fonds von geistiger Heiterkeit und herrlicher Laune, die sich fast immer gleich blieb, selbst bei körperlichen Leiden iu den letzten Jahren. Wie bei anderen dergleichen beneidenswürdigen Personen waren damit verbanden: Jovialit&t, Gesprächigkeit, Geselligkeit, Gast- freyheit, Lentseligkeit, Henschenfrenndlichkeit, Hildthätigkeit Von Ansübnng der letzten war Ich mehrmahls Zenge. Ein wahrer Wohl- thäter der Dürftigen, unterstützte er gern, und soweit es seine Finanzen zuliesscn, verschämte Arme. Als scharfer Beobachter und Schäts'pr des Jicditcs und Unrechtes, äusserte sich hey ihm nheraU strenge Gereehtiffkritsliebe Daher nahm er sich ^orn. selbst unaufge- fordert, der gedi'ücktou Unschuld an und vertheidigte sie. Von Eigen- mds war er weit entfernt. Betrügern und Heuchlern riss er die Maske ■ohne Gnade ab. »

«In so vielerley, oft heterogenen Lagen, in denen wir ihn erblickten, nnd durch Umgang mit Fürsten, Adel und allen Yolks- klassen, hatte er sich eine seltene Welt* und Menschenkenntniss erworben. Er wnrde zu vielen, znm Theil wichtigen nnd verwickelten Geschäften gebraucht ; wobey ihm seine Gewandtheit und Gegenwart des Geistes ungemein zu Statten kam. Sein heller Kopf verschmähte alles, was Vorurtheil, Aberglaube und Schwärmerey heisst Mit Geistersehern und Betrügern, mit scheinheiligen nud tücluschen Leuten lag er atets in offener Fehde.«

Meusel citiert mehrere Beispiele, denen zufolge v. Bret- schneider Hexenkönstler, welche damals gleich Gagliostro in Menge die Welt berückten, durch Scharfsinn und Kalthlütigkeit entlarvte.

So MeuseK Wahrhaftig, wenn man sieh eine Persönlichkeit erdenken sollte, die imstande gewesen wäre, Goethes jedenfalls sehr heimlich gehaltenem Prometheushandel auf die Spur zu

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kotiimen, so musste man dies('ll)e mit der krilisclien Begabung V, Breischneiders ausstatten. Man wende nicht ein, dass Meusel nur den alternden Mann iieschildert halu'. v. Bretscluieider stand zur Zeit des Prometbeusliandels })L'reits im 37. Lebens- jalii c, alsü in einem Alter er war Major , in welchem sich die Charakteieigensciiaften des Menschen ausj^^eprägt zu halben pflegen. In unseicin kritischen Zeitalter wütde man allerdings ein Uebriges ^'olhan und die Aussage lianuliausers durch Protokoll oder Zeu^iMi l'eslj^eslellt haben. Allein für jene Zeit lial V. Bretschneider unlcu^'^bare Akribie bewiesen. Der Nach- weis, dass die Gans tDeinets werte Person)) sei, trilTt den Na};jel auf den Kopl', während man noch bis in die neueste Zeit unsicher auf die Golhaische gelehrte Zeitung abirrte.

Bei unbotangener Beurteihrny ist also die genaue und wiederholte Aussage eines Mannes, wie v. Bretschneider, für Goethe veinichtend. Freilich, wenn üiaii, wie Eiiili S(hmi«lt, behauptet «Ohne Goethes Ehre anzutasten, darf man an der mannhaften Erklärung ,ohne mein Wissen, ohne mein Zuthun' nicht drehen und deuteln», dann ist man mit dem entgegen- gesetzten Beweise schnell fertig. Aber dasjenige als Voraus- setzung hinstellen, was man erst beweisen soll, verstösst gegen die Grundsätze der Kritik.

Und Erich Schmidts Beweisführung hat ein wichtiges Moment ganz ausser acht gelassen, ich meine das Benehmen Goethes vor jener gedruckten Erklärung des April, da.sjenige Deinets vor und nach derselben und das Benehmen Wagners, als jene nicht zu missdeutende Erklärung Nicolais mit der aller- dings i:sehr wirksamen^ Anspielung auf den Ofl'enhacher Form- schneider Dannhäuser in der viel gelesenen «Allgemeinen deutschen Bibliothek» Nicolais erschien.

Schon vor dem 28. Mäi-z schreibt Diehl in Frankfurt, dass Wagner der Verfasser der Farce .sei, und der «scharfsichtige» Goethe will erst kurz vor dem 9. April auf deriselben verfallen sein? Und wie will er jene Entdeckung gemacht haben, cdie zu einem solchen Beweis seiner Spurkraft Gelegenheit gegeben» während er doch an Johanna Fahimer schreibt : «Werde mir auch um den Autor keine Mühe geben». «Als ich», so erzählte er, «in meiner Stube auf und abgehend mir das Büchlein lüut vorlas, hörte ich an den Einfallen und Wendungen ganz deutlich die Stimme Wagners.»

Wenn man abrechnet, was Wagner «in einer geistreichen

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Gesellschaft an verliandeltem Scherz sich zur Verwertung^ gc- merkt haben sollte», so bleiben in dem kurzen Machwerk über- haupt sehr wenig Ijesondere Einfälle und Wendungen übrig. Und musste nicht Goethe beim ersten Blick der vom Frank- furter abweichende Strassburger Dialekt des Epilojrs auf die Sprünge helfen? Wahrhs^ig, das ^^anze Aufgelx)t psyirljologi- schen Scharfsinns, welches Goethe in einer all/uIaD^en SelbsU Verteidigung im i5. Buche von Dichtung und Wahrbeit ent* wickelt, vermag nicht jenes von Erich Schmidt selbst betonte Beweismittel zu beseitigen, noch die Behauptung «der unbe- kannte Verfasser wusste sich gut zu verstellen» glanbwurdig zu machen.

Was aber geschah von Seiten Wagners, als in dem ersten Halbbande der Allgemeinen deutschen Bibliothek des Herbstes 1775 jener blamierende Angriff auf seine litterarische und per* sönliche Ehre mit der ^wirksamen* Anspielung auf den Form- schneider Dannhduser erschien? Kein öffentliches Wort der Er- widerung! Vielmehr eine neue plötzliche und verzweifelte Flucht aufs Land, wohin er einem Briefe an Ring zufolge bereits nach dem Erscheinen der Farce zeitweilig fibergesiedelt war. Erich Schmidt muss mit Naivetät gestehen (Zeitschrift für deutsches Altertum 1876, S. 373), dass er über die Ursache jenes «mysieriöienit Aufenthaltes in Höchst keine Aufklärun^^ zu i,'eben wisse. Hand aufs Herz! so frage ich den unbefangenen Leser, Hegt nicht hier der dringendste Verdacht vor, da v. Bretschneider berichtet, Wagner werde seit Jener Rezension des Prometheus in der Allgemeinen deutschen Bibliothek, die erschreckliches Aufsehen in Frankfurt mache, von jedermann ausgelacht und für einen schlechten Menschen gehalten, der fftr bares Geld sich zu allem brauchen liesse , dass Wagner, sage ich, sich schliess- Ikh vor dem allgemeinen Sturm zu retten gesucht habe? Und ist nicht der eifrige Briefwechsel Goethes mit Wagner gerade im September und Oktober 1775 auflall ig und aus der Dring- lichkeit eines besondem Zwischenfalls leicht erklärlich?

Und wie benimmt sich Hofrat Deinet, in dessen Druckerei, wie V. Bretschneider mit Scharfsinn nachweist. Jener c Prome- theus» das Licht der Welt erblickte? Ohne Zweifel hat er in Goethe den wahren Verfasser gekannt, sich aber, da w mit dem vielversprechenden Autor in Geschäftsverbindungen stand, irt keine Streitigkeiten einlassen wollen. Das hinderte ihn Jedoch nicht, gegen seinen guten Freund Ring in Karlsruhe, der;j:cgen

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Unwaln lieit em{)(in(lli( Ii «gewesen zu sein sclieint, die Maske zu lüften. ((Was .^aiien sie zum Prometlious?» schreibt er am 5. April '1775 nn Hiiiji. also nuih bevor Goetli«' seine öffent liebe Erkläninjr erlassen, « Kloj.. stock soll unireundlich dazu gesehen liahen.» Und nun lol^tMuien Zusal/, den Erich Schmidt H. L. Wai^ner S. 40 versrhweij^f : «Ar logierte diesmal wie andere ehrliche Levte en auberge und ganz incognito.y> Also haltt' Klopstock diesmal, itn Mär? 1775 nicht, wie im ver- j^an^eueij Hcrltste, in Goethes Haus».' Wohnung genommen. Der Grund, und <las ist das Ausschlaji^j^ebende, war Deinet^ dem Verleger des Prometheus, einleuchtend!

iJeinct, (l<M' in den Frankfurter Gelehrten An/.eipMi seiner Zeit v('rs( li;init ,L:ciirfoil1 , »-'er habe das Glück nicht, mit Wertliern zu s\ iiijialliisitM vn», nnisste sicli nl)ri|i"eus selbst nachträglich über (jocthc är^ei ii; dcnii da ei" sich wohl al>si( htlich inn den Di-iick jener ]\in-e in seinei' W'crkslätte wenii; oder gar nicht ^rekümmcrt hatte, sah er, wie v. Üretsi Imcidei* am 11. April 1775 treüend bemerkt, zn spät ein, dass man ihn selbst als Gans persifliert hatte. Dehlialb schreibt er wrilirend GiX'thcs Schweizerrcise den 10. Juni 1775 foljiendes rrfed an RiiiLi, das Kri( li Schmidt im Kinjjsclien Nachlasse j^anz üheisehen zu haben scheint :

c Göthe werden Sie von Angesicht zn Angesicht gesehen haben. Ein [zn] bewundernder Werther Kopf. Ich möchte aber niebt in einer Stadt wohnen, deren dritter Theil Einwohner so dttehten wie er. »

AVeini iJeiiiet, der Veile}2er de* PcDnielheus, seine frühere Veruiieilujiji Goethe \Yer!lieis niil so slarken Ausdrücken besiälijiend wiedeiholte, so l,is<l das in Hezupr auf den da- niali^MMi Pronielheu>h:»ndei vermulheii, daas er sich durch Goethe bdeidi<j( v'ussfc. b h meine, schon die ersle von Krich Schmidt überji i Hielte Aeussernnjif Deinels ist tür Goethes Autorschaft Beweis genug. Und Tiin«i, der noch am 18. April 1775, also neun Ta-^e narh GofUies ^ediiu kter J-jklänniLi. an Wajjner schrieb, daiauf alter durch seine besonderen Karjäie von dem eijicnllii lii'u Autor Kunde ci liallcn haben nnu hte. brach seitdem mit seinem Sclnd/Iin<i \\'a>;ner aid' immei', nicht, wie Kricli Schmidt knn-tlii h .^clihessen will, weil er ihn prüde als den Verfass(»r <ier oiinnösen Farce vci aljsrheute, sondern, wie mir natürlicher scheint, weil er als Geistlicher einen so unwahren Menschen, als der ilun Wajjner erschien, nicht weiter als Er-

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zieher empfeUen koiinte. Wagner will sich ausdrücklich vregen des Prometheus vor seinem Gönner verantworten; allein Bing schweidrt <iQch auf einen zweiten, sehr anschmeichelnden Brief vom 6. Juni 1776 und zeigt dadurch^ dass er jedwede Vertei- digung von vorneherein für unwahr hält.

Ausser jener absprechenden Erklärung, dass man an Goethes Ehre nicht rütteln dürfe, 1^ Erich Schmidt nach Heinses Vorgang den Hauptnachdruck in seiner Beweisführung auf den Innern Umstand, dass die Prometheus-Farce für Goethe zu schlecht sei. Auch ich und jeder andere wird die Ueberzeugung teilen, dass. ihr trotz einer gewissen Genialität der Konzeption die Hauptpointe des Witzes fehlt. Aber nimmt nicht auch der Schuljunge, der seine Arbeit einem minder begabten Kameraden zur Abschrift leiht, vorsichtig die Glanzsiellen heraus, die ihn verraten können? Und hat nicht Goethe selbst, der in Dichtung und Wahrheit von Tieren spricht, «die den Bildner in seiner Werkstadl irre zu machen suchen, während dieser, ohne sonderlich Notiz zu nehmen, seine Arbeit eifrig fortsetzte und dabei nicht ver8chwie>;, wie er es überhaupt zu halten denke» wovon in dem uns Oberlieferten «Prometheus» kein Sterbens- wort steht ich sa^e, hat nicht Goethe selbst der dringenden Vermutung Raum gegeben, dass. ihm wider Willen die ur- sprünglich witzigere Fassung in Erinnerung schwebte, die nur ihm bekannt sein konnte?

Ja, hätte Goethe selbst ii^endwo mit einiger Entrüstung erklärt, wie Unrecht man ihm gethan habe, ihm ein so geringes Machwerk an die Rockschösse zu hüngen, so würde ein solches Geständnis zweifelsohne grosse Bedeutung erlangen und alle Gegengrunde, wenn nicht tilgen, so doch einigermassen malt setzen. Allein er hat nirgends an der Qualität jener Spottschrift Aussetzungen *geniacht, vielmehr mit den ausdrücklichen Worten «ja, man hätte das Werklein für meine eigene Arbeit halten sollen», den relativen Wert derselben bezeugt. Wo aber Goethe selbst die Vateis( haft iit aus ^lriin(i<Mi der Qualität <les Pro- duktes zuiürk weist, wei- k;nin sicli da eitlrei.sten, ihm dieselbe aus eben diesen Gründen al)/.nstreiten ?

Goethe hat wahrscheinlich die Schhisspointe aus der Farce herausgenonimen, als er sie Wagner zur Herausgabe lieh. Die Worte:

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Den Spektakel auf einmal zu rnden, Hätte freylich Prometlieus die iiittol in Händen, (den Feuerbrand!] Doch da er zn gross denkt, Insekten zu jagen Mag ihnen Epilogus d'Meinnng noch sagen

weisen allem Anscheine nach darauf hin, dass Goethe seine Ver* teidij^ung sowie die Herausgabe des Spolfp^edichts (iem Strass- bur«5^er Freunde Wagner überliess-. Allerdinffs entledigte sich derselbe .seiner hanswurstlichen Aufgabe nicht mit dem Ge- schicke der grossen (^Isüssischen Satiriker der Refot mationszeit, denn jener platte Schluss fällt gegen den frischen Anlauf der Scene:

Fort! marsch! in d'Welt hinein,

Was soll das ewig Stabenhocken sein? u. s. w.

bedeutend ab.

Meine Ueberzeugung geht also dabin, dass Goethe im wesentlichen der Verfasser der Farce Prometheus ist, sie aber verstümmelt Wagnern ubergeben hat, der sie dann mit Motto^ er citlert dasselbe sf^ter wie sein Eigentum , einem Prolog und Epilog seiner eigenen Feder versehen» auf sein Konta übernahm. Nur mit diesem Ergebnis lassen sich die wider- sprechendsten Angaben : dass Wagner sich bis 1777 als Verfasser geriert, dann (joethe genannt habe, dass nach Heinse die Faro» für Goethe zu schlecht, nach Bretschneider und Höpfner für Wagner zu gut sei vereinigen.

Kr frai^t sit li nur zum Schluss, wie Cfoethe nach (\em \iel- verheissenden Kmpfanfr Ix'i dem Weimarer Piiiizen in Mainz, Bezembei' 177i, und naelulem er von dort .sogar einen ver- söhnli( hcn Ürief nn <les?en Erzieher Wieland {rosfluiebeii, dazu kam, fiu plolzlich wieder ins Gegenteil um /.uschlagen und sich «lurcli einen neuen impertinenten AngriÜ unklugerweise den Weg nach Weimar zu verhauen.

Die Antwort auf die>e Krage ist folgende: Goethes Farce ist unmittelbar dem Aerger ül>er Nicolais cFreuden des jungen Werther» entsprungen (Briefe an Merck 18.'35, S. 66^ und 18^i7, S. 110), die Anfang 1775 erschienen und so bissig waren, den» Werther von Seiten Alherts im entscheidenden Augenhhck eine mit Hnlmeihhit ^jeladene Pistole unterschieben zu lassen, woraus denn kein Uniieil, aber ein schmutziger Spektakel erfolgte.

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Man muss sich das Ei-scheinen einer so groben Satire vorstellen, um das leidenschafUiche Aufwallen des jugendlichen Goethe^ der launenhafter war^ als ihn der alternde auch bei dieser Gelegenheit im 13. Buche von u. W. uns darstellen will) zu begreifen. Nicolai hatte Merck gebeten, die tLeiden- des jungen Werther» wie seine cFreuden» für die Allgemeine deutsche Bibliothek zu rezensieren (Briefe an Merck 183*% S. 67), Merck aber bittet nachträglich seine Rezension zu unterdrücken (Briefe aus dem Freundeskreise 1847, S. 118):

«Es geschieht mir dadurch ein wahrer Gefallen, weil mich Goethe gewiss erkemit, und in seiner eigenen Sache so blind ist , dus ilm auch das kttlteste seinem Gegner gegebene Lob auf- bringen kann. Ein Genie ist einmal ein böser Nachbar, und ich mochte, wie Sie leicht einsehen, es mit ihm nicht gerne verderben.»

Nicolai sollte in jenor Güctheschen Spolt;?( In it't als Oran<i- Outan^ verhöhnt, (iaiieix'ii ahcr auch den fibiiy;oa Weriher- Kritikern, st-ll si (l(?n Freunden Goetiies, in Tier- und anderen Ocistallen (Pa[»a^ei Weyjrand, Gans Deinel, Esel— ( i*)f'/f', Nachteul«» und Fiösclie Matthias Claudius, Reuter ohne Kopf Wittenhei^jr, Lüvve^ Hand)urgis(;her Korrespondent, Staarniatz V. Breiten bacti, Iris Jacobi} eine gründliche Abferli^nnp: für ihre zum Teil sehr einfältigen Beurteilungen des Goethesctien Meisterwerkes zu teil werden.

Auch Wieland hatte soeben wieder im ücz(Mnl)erheft 1774 des «Teilt sehen Merkur» durcli eine Kritik von VVerthers Leiden sowie Itesonders im Januarheft 1775 durcli masslose An«^r'fTe auf den damals mit (ioetlie heralich verbundenen Lenz, <les.sen «Anmerkungen übers Tiieater» Goethe selbst zum Druck befördert hatte, Goethes jugendlichen Zorn aufs neue gereizt.

Der Ton von Wielundä Kritik gegen Lenz war liöchst gehässig :

cDer YerÜMser der Anmerkungen übers Theater mag heissen wie er will, trann! der Kerl ist 'n Genie und bat blos för Genien ^

wie er ist, geschrieben, wiewohl Genien nichts solches nötbig haben. Sollt ihm dies aber nicht erlaubt gewesen seyn? Dürft er doch schreiben, was gar niemand^ toas er t^tst nuM verstünde n. s. w. (S. 06.)

Hätte Wieland die Absicht gehaJit, neue Händel im Genie- lager zu suchen, so konnte er nicht gewaltsamer verfahren. Wie hätte er sonst jene masslos heftige Kritik, als «Zusatz des.

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Herausgebers» überschrieliPii und mit soincin Nauiensbiichstaben Tintorzpicbnet, der voranstehonden, schon abtalli^a'ii Erörterung des re^'^<>lmr)ssi;(en Brzonsenten foljreri lassen dürfen!

Wenn Lenz, dei damals. Foliruar 1775, wie ich nnch- ?"ewiesen (<. Zu Strassbur«(S Sturm- und Dran;i:[)enode, Strass- bur^ I8KS, S. 75), die Feder zur Verherrlichung^ Goethes in seinem « Pamiaemonium gerinanicum » ergriiT, von Goetbe schr<Mht :

«Ein Gelehrter : Es scheint der Mann will gar nielit rezensirt sein. »

«Ein Bürger: Ihr Narren! weini ov fucli freien Willen liess, er würde bald unter die Füsse kommen. Und er streitet nicht für sich allein, sondern auch für seine Freunde.»

80 klingt <las, als ob Lenz, der bekanntlieh gleich darauf Hen <r Proinefheusi) in einem Briefe an Lavater •Goethes glück- lichste Sadrc» nannte, von seines Freundes Goethe Absiebt, eine Streitschrift zu seinen eigenen und Lenzens gunsten zu verfassen, nntorricbtet gewesen sei.

Wie Goethe damals einerseits mit Lenz befreundet, anderer- seits gegen W'ieland aufs neue heftig erbittert war, beweist er durch folgende Briefe an seine Freundin Jobanna Fablmer:

«Hier Tante ein Zweig ans Lenzens Ooldnem Herzen. Wie werth ist mir^s Ihnen so einen guten Morgen bieten za können.»

Und gleich darauf an dieselbe :

<A,Vic stehtV llmeii ! krieg ich Len/.en.s Liebes Worte wieder. Wieland ist und bleibt ein Sch— kerl vid. pag. 96 beygebeudcn Mer- kurü. Ewige Feindschaft sey zwischen meinem Saamen nnd ihrem Saamen. Ich bin ganz nneririglich. Und dämm fleissig an sinnlicher Arbeit. Ich kann nicht kooHnen. Geb Ihnen Gott was zu treiben. Mit mir nimmts kein gut Ende» Ade. G.» ^

(rh will nirlil so si hai f.sinnig sein, die naheliegende Ver- niuiung aur/JiJ?tt.'lit n, jene «< sinnlii lic " Arbeit «lürfe sich auf die /eicbninig der l^ilder zum «ProniellKMisi» bezieben. Allein der Scbluss des Hri» ^ drulet entscbicden auf eine berautbesi liworene Verwickelung, die Gnetbe wenn nicht vürhängnibvoll, so doch un-

l Diese beiden undatierten Briefe gehören noch in den Januar oder in den Februar ITT'i. da die Ausgabe der Merknrheftc schon Mitte des laufenden Mouats zu erfolgen ptiegte (Ansgew. Briefe Wiclands III 212 ff .

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angenehm [zu werden drohte. Denn die Worte «Ewige Feind- schaft» u. 8. w. lassen eher auf erneuten Kampf als auf. Waffenstiiktand schliessen. KeinesfaUs aher hat Goethe damals schon» wie man aus Erich Schmidts Behauptung schliessen muss, neue Angriffe Lenzens auf Wieland verhindert. Diese Bemiihung ist erst später nachweisbar, als Lenz an Lavater meldet: «G5the hat mir ein Zettelchen aus Weimar geschrieben und ist sehr zufrieden mit Wielanden. Bindet mir auch ein, ich soll ihn ungeschoren lassen», frühestens aber im Sommer 1775.

Dass Goethe seit seinem Besuche bei den Weimarer Prinzen in Mainz ein für alle Male allen Händeln entsagt habe, wie Erich Schmidt meint, ist eine unbewiesene Behauptung. Man verwechsle doch nicht immer den bedächtigen Goethe der späteren Zeit mit dem ju<>:endlichen Feuerkopf.

«Von deiii Augenblick, da er dccidiert war, sich dem Herzog' and seinen Geschäften zn widmen», schreibt Wieland den 24, Juli 1776 an Merck, «hat Goethe sich mit untadeliger atocppoaü'//] und aller geziemenden Weltklngheit aufgeführt, aber noch in den ersten Monaten seines Weimazer Anfenthaltes oft durch seine damalige Axt zu seyn, scandalisirt und dem Diabolns prise über sich gegeben.»

Dass er mithalf, in Matiuees des Toulcls Zeug zu machen^ habe ich schon oben erwähnt. Diese Gewohnheit, sich an anderen zu reiben während er doch nach Böttiger.s, Hufelands, Ber- tuchs u. a. Urteil selbst ;jeir*'n jeden Spott äusserst verwundbar war hatte er nach Weimar mi(;^rel)ra(ht und auch noch später cj-eleirentlich Macht über sicli i^ejxeben. Seine Annaj^ehinp: des Jacobi.si iien Romans « Wohlemai*» im Jahr 1779 i.st bekannt und seine Eiit<r)iuldi^^unj^- «mit den nicht scJionenden 1 iniii^^en Momenten voni^:! !* /«Mten» weist auf seinf juj^ciittliclie (ieiitlogen- heit zurück, die übrigens eine Gewohnheit jener ganzen Genie- zeit gewesen ist.

Zum Ueberfluss hositzen wir seit 1877 (Deutsche Rundschau S. 517) durcli A. Sctioll Kenntnis von einem Briete Knebels an Rertnch, der, unmittelbar nach jener Mainzer Zusammen- kunft, den 23. Dezember 177i ril)er das Verhältnis Goethes zu Wieland ^geschrieben, so recht zeigt, welch «.(toller Kerl» der jugendliche Goethe war, und wie geringer Zündstotf bei ihm hinreichen mussle, um trotz scheinbarer Versöhnung seine Wut gegen Wieland und Konsorten aufs neue zu hellen Flammen zu entfachen. Diesen Brief nicht wenigstens im Auszuge mitzuteilen, sondern^ wie Erii^li iSchmidt tliut, mit wenigen Worten abzu-

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machen, heisst eine wichfig^e historische Urkunde nicht nach Gebühr ««chätzeo.

«Goethes Kopf ist sehr viel mit Wielands Schriften beschäftigt. Bfther kommt es, das^ sio sich reiben. Goethe lebt in einem beständigen Krieg und Aufruhr, da alle Gegenstände aufs hoftigsto auf ihn wirken. Daher kommen die Ausfälle seines Geistes, der Muthwillen, ^ der gewiss nicht aus bösem Herzen, sondern aus der Ueppigkeit seines Genies. - Es ist ein Bedürfniss seines Geistes, sich Feinde zu machen, mit denen er streiten kann; und dazu wird er nun freylich die schlecliteBteii nicht aussuchen. Er hat mir von allen denm Personen, anf die er losgezogen ist, mit ganz besonderer HochacMimg ge- sprechen. Aber der Babe ist kampflustig» er hat den Geist eines Athleten. Wie er der allereigenste Mensch ist, der vielleicht nur ge- >nresen seyn mag^ so fing er mir einmal des Abends in Maynz ganz traurig an : ,Nun bin irh mit all den Leuten wieder gut Freund, den Jacobis, Wieland das ist mir gar nicht recht. Es ist der Zustand meiner Seele, dass, so wie ich etwas haben muss. auf das ich eine. Zeit lang das Ideal des vortrefflichen lege, so auch wieder etwas für das Ideal meines Zorns. Ich weiss, das sind lauter vortreffliche Leute; aber jnst deshalb; was kann ich ihnen schaden? Was nicht Stroh ist| bleibt doch, nnd die Woge des Beyfalls, wenn sie sich auch eine Zeit lang abgewendet hat, f&Ut doch wieder cnruek.»

«Ichmusste herzlich über seine Naivetiiten dieser Art lachen, cf^n <ler Rekiificirgeist tat hey ihm übel angebracht,^ Genug, ich konnte mich in die Möglichkeit seines Falles setzen und lachte ihn damit aus- Den ältesten Jacobi lieht er über alles. Er that mir sogar die Ehre, ausserordentliche At imliehkeit mit ihm bey mir zu finden. Indessen hat er eine Schrift auf iim gemacht, die er mir versichert, dass es

1 Man vergleiche den Brief dos Aktuars Salzmann an v. Knebel, Strassburg den 12. April 1775: «An Goethe werde ich übermorgen schreiben, und ich denke nicht übel zu thun, wenn ich ihm Ihre und Ihres besten Prinzen Empfindung über seine Satyre ganz mittheile. Er ist, wie Sie wissen, jung und mulhicUUg, und vielleicht wird ihn dieses vorsichtiger machen,» n. s. w. (s. H. Dfintzer, Znr deutschen Litteratnr n, Geschichte I, S. 29.)

s Aehnlich, wenn anch stärker, Lavater über Lenz : cich lerne den wackem Jangen immer von neuen Seiten kennen. Ich kannte seinen Geist der Intrigae und seine Zerstörungskraft nicht. Ich sagte

immer nur von ilim: ,/vV verspritzt fast vor Gen^*» (A. Stöber, J. G. Ilüdercr S. 86.) «Intrigae» bedeutet hier in besserem Sinne so

viel wie «Satire».

3 K hon so Frau Schönomann: Sie habe sich vor seinem Dispw iirm gefürchtet.

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'du böstf^ seye, was er in dieser Art gemacht habe. Sogar ein Frauen- aillimer in Frankfortb, das mit Jacobi liirt ist, hat er hinein gebracht [die oben mehrfach erwähnte Johanna Falilmer]. Sic liat ihn bey Ällcm beschworen, ihr die Schrift lesen zu lassen und hotheuert, dass sie nichts übel empfinden wolle. Er hat ihr aber geradezu versichert, -dass es unmuglich sei, dass irgend ein Francnzimmer in der Welt die Stellen nicht übel empfinden sollte, j^iuu wartet er bis Jacobi nach Frankfurth kommt; dem mass er es vorlesen, und dann will er es ^erreiBsen.»

«So viel von Goethe! Aber lange noch das geringste. Die emsüiafte Seite seines Geistes ist sehr ehrwürdig. Ich habe einen Hänfen Fragm^tc von ihm, anter andern zu einem Doctor Faust, wo ganz ausnehmend herrliche Scenen sind. £r zieht die Manuskripte ans allen Winkeln seines Zimmers hervor,» n. s. w.

In Goethes Wesen lagen demnach während seiner Jugend- periode — ähnlich wie bei seinem Freunde Lenz, nur getrennter neben einander zwei verschiedene Naturen, diejenige des Künstlers und diejenige des PasquiUanten« Der Pasquillant gab vor, nur einen imaginären:» Hass zum Ausdruck zu bringen, während der Beleidigte diesen Unterschied des c imaginären und c realen Hasses unter Umständen wir würden sagen: wenn der Spass über die GemüUichkeit ging nicht gelten lassen wollte. Das war das ganze « Unglück » des Dichters Lenz in Weimar und der viel hesprocheno und nie ermittelte Grund seiner Entfernung von dort; docii darül)er anderwärts!

Gewiss hat Goettie Jene ol)en erwähnte Parodie « Das Un- glück der Jacobi's» niemals drucken lassen, wenn er sie auch an Klopstock zur Einsiclit sandte. Allein die l)ei(leii Jacobi und deren vorlrefTliche Tanle Johamia l'ahlmer hatten iim aber auch mit keinem Worte beleidigt.

Anders aber war sein \'erbällriis zu Wielnnd. Hier stiess Goethes Giiechen- und Siiakespeareverebrung mil »Icr Lobpieiftfung gallischer Kultur ieiixllidi zusammen. Hatte Goethe sction im Frühjahr 1774 Lenz die Kriaubnis zur Drucklegung seiner Farce «Götter, Ik'ldüu und \Viül;ind» gegeben, so ist nichts natür- lirher, als dass er, weim auch bei dem Mainzer Besuch wider seineu Willen gegen Wieland für den AufTciibbc k zur N ei söhnung umgestimmt, doch nach Hause zurück-ickelut, durcli dit; ihm zu Gesicht kommende Kritik desselben über die «Anmerkungen)) seines FruuHlcs Lenz auts neue Iieftig erzüinl, dem alten Feinde, dem i'v sieb in der Freundschaft seines Prinzen auf einmal weit überlegen glaubte, in jugendlichem Uebermute doch noch

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eins zu versetzen trachtete. Die ausserj^ewöhn liehe Grohheit des Tones an jener Stelle im «Prometheus») und der Mangel jeder Rri(^ksiclitnahmo :iuf den Erhprinzen lasst sich durch das damals umlaufende Gerücht, Wielands Verhältnis zu seinem ehemah«xen /6t^hn«f sei erschüttert (v^rl. Briefe an Merck 1835 S. 05), welches erst nach dem Erscheinen des Pron.etheus m weichen, begann, erklären. »

Wielaiid hat «leshalh auch mit richtigem Instinkte stets in Goethe seinen Feind gewittert.

«Goctlio ist 'n feiner Bursche, schreibt Wieland an Gleim den 24. April 1775, hat einen Lampenkerl gefmi lp i, der Vater zu. seinem Bastard sein will' Sie haben doch das Billet schon bekommen, das er an seine Freundi- licrumschirkt, um zu deklariret». dass nicht, er,

sondorn ein gewisser Leopold Wagner den Prciiir t heus ge habe.

\Vüileii 'm doch den Gefallen thun nnd tbuu, als ob wir es glauben.»

Auch als Goethe bereits nach Weimar berufen war, heharrte Wieland noch hei seiner Ueberzeuj^unjr , wenn er auch als kluger Mann, in der Voraussicht, mit dem Günstling des Herzogs auskommen zu müssen, Lavater, dem Freunde Goethes, gegen- über seine Ausdrücke zu mildern weiss.

Weimar, den 27. October 1775: «Auf warten wir hier sehn-

lich seit 8—10 Tagen, von Tag zu Tag, von Stande sn Stande. Noch ist er nicht angelangt und wir besorgen nun, er komme gar nicht Ich möchte wotil wünschen, dass Sie mich genug liebten, um mir in Ihrem Nächsten Ihres Herzens Gedanken über das Herz und den Charakter dieses ausserordentlichen Sterblichen zu sagen. Unterdessen verlangt mich zu sehen, ob ich durch persuuhciie Bekauutschaft so- weit kommen werde, besser als itst an wissen, was kk von dem Manne denken soll, der als Shakespears Nebenbuhler so gross ist and doch !&hig war, ohne dnrch einen Gedanken von mir beleidigt zu seyn, in so bösartigen Pasquinaden als CföHeTf Hdäm Wieland und Prametheua ist (denn es ist gewiss, dass er oucft dirsni ncmacM Mt), alles ansawenden, um mich meinen Zeitgenossen verächtlich zu machen.»

1 Während Wieland im «Merkur« Lenz und die Genies mit Spott überschüttete, schrieb er gleichzeitig 13. Januar 1775 au Knebel in Strassburg : «Ja, mein Bester, Sie müssen mein BVeund sein, und Wenn die Klopstocks, die Lenge, die Herder und wie die Genien alle heissen, nicht auch unsere Freunde sind, tant pis pour eux !• Solche Gesinnungslosigkeit war wohl geeignet, den Erbprinasn von Weimar, der damals mit Knebel einen Besuch bei Lens machte, gegen ' seinen Lehrer zu verstimmen«

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So urteilt Wieland, noch bevor er Goethe geseh<*n. Aliep Tiach der ersten Bekanntschaft schreibt er den 10. November 1775 an Lavater voU fintbiiaiasmus :

«Yflndehteii Si« doch meinen leisten Brief, worin, glaube ich, albemes Zeug Ton Qoethe steht. Ich sehe wol, man mnss einander * von Angesicht zu Angesicht sehen, um einander recht kennen zu lernen. Bcy Menschen von Goethens Claese ist's wenigstens schlechter« dings nöthig.» (Archiv f Lit 187Ö«)

Daaa Wieland in dieaea Worten, wie Erich Schmidl glauben laast, seine Ansicht, Goethe sei der Verfosser des Prometheus, -widerrufen habe, ist keineswegs zu folgern. Wieland ist von Goethe entzückt und froh, mit ihm sieh verstehen zu können. Deshalb will er, sozusagen, das Kriegsbeil ein für alle Male begraben und bittet Lavater zu diesem Zwecke seinen letzten Brief zu vernicliten, als hätte er ihn nicht geschrieben. Nur so viel und nicht mehr lässt sich aus seinen Worten schliessen. Für Wielands Ansicht, obGoetlie der Verfasser des« Prometheus gewesen oder nicht, sind dieselben völlig belanglos.

Wäre Goethe, wie £rich Schmidt mit Stolz hervorhebt, «der Mann gewesen, altein auszuessen, was er sich eingebrockt hatte», so hatte er nicht in spateren Jahren die Schuld an der Herausgabe der Farce cGötter, Helden und Wieland» in so gi^ssiger Weise auf Lenz schieben dürfen. Ueberdies hatte er jenes Spottgedicht «Nicolai auf Werthers Grabe» gedruckt an seine Freunde gelangen lassen^ mithin, da er dasselbe aus den Händen gab, ohne eine Indiskretion verhindern zu können, keineswegs zur c<lt7len und wwerfäng liehen Rache)) verfasst. Ich kann deshalb, wenn ich zum Schlüsse Beweise und Gegen- beweise abwäge, nach den Grundsätzen historischer Kritik nur zu dem Resultate gelangen, dass Goethe an der Herausgabe des Prometheus beteiligt gewesen ist.

Um übrigens nochmals auf den Vorwurf Erich Schmidts zurückzukommen, dass man, ohne Goethes £hre anzutasten, an seinen Worten nicht deuteln dürfe, so erkläre ich ausdrucklich, da$s hier eine Verwechslung der Begriffe vorliegt:

Wer will unseren heuligen Begriff von Ehrenhaftigkeit in der Wissenschaft, der die mühsame Errungenschaft einer grossen kritischen Epoche unseres Jahrhunderts und nicht zum geringen Teile der Beschrifti<^un^ mit den exakten Wissenschaften ist, mit jener angeblichen Wahrhaftigkeit vergleichen, wie sie bei den Dichtem und Schöngeistern des vorigen Jahrhunderts galt t

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Heutzutii^^e briclit man auf immer mit dem Menschen^ 'von dem man oininal hinterganj^cn Avurde. In jetier Zeit, -wo besonders- « die Vcriniiielung Ireßicher Frauen » die heterogensten Mäaoer- Charaktere zu veisuluion suclitis fand man rasch einen modus vivendi, ja eine öllentlictie Werfsiliätzun;? des rio-rncrs, Ober den. iiKin im sfill»'n die Acli.sel zuckte. So spöttelt Wieland noch am l'i. April 1770 in einem Briefe an Merck: « Cioetliens Charakter ist noch nicht hekannt. C*est k dire der Charakter, den ihm' der Herzog gehen wird. »

Lenz hatte gewiss an seinem Freunde (inet he ein Vori^ild, al> rr Klinger bat, die Autorschaft der Soldaten» wegen der liaclie der Slrassburger Offiziere auf seinen Namen zu nehmen. Und Keiner von denen, die noch später in Goetlie den ei^rent- hchen Verfasser von «Prometheus^ Deukalion und .seine Rezen^ < seilten » erkannten, wie Ii. Sprickmann oder Merck, liat seinen Abscheu vor Goethes Wortbruch offen zu erkennen gegeben., ein Beweis, dass man dies Vergehen nicht im mindesten so streng bell rli'i Ii e, als nach unseren heutigen exakten Forderungen der Moral bei ahnhchem Vorkommnis gcschelien mösste.

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II.

r

Wagpners «Kindermörderin» und Goethes «Faust».

Wir koiiuacii zu eiaeiii zweiten, iiiclit minder oft erurtci teiv Thema, ich meine jenes Pla«!:iat, welches Wagner an Goethes noch unvolleiidelcMn cFausL* b(;|^'^angeii haben soll.

tWeil ich aus allem, was ich vorhatte,» schreibt Goethe im 14. Buche von Dichtung und Wahrheit, «kein Geheimnis machte, bo er- zählte ich ihm wie Andern meine Absicht mit ,Fanst*, besonders die Katastrophe von Gretchen. Er fasste das Sujet auf und benutzte es für ein Trauerspiel ,die Kindesmörderin'. Es war das erste Mal, dkss- mir Jemand etwas tob meinen Yors&tzen wegsclinappte ; es Terdross nucli, ohne dass ichs ihm nachgetragen h&tteT*

Auch hier ist die 6ros9mut Croethes, die nach der angehtich- von Wagner verschuMeteii Promet heus-Puhlikatioti niemaoid für nOiig, jedermann für aufTallend erklären muss, sehr verdächtig !

Wir besitzen von Wagners Kindermörderin in neuester Zeit zwei Kommentare, und zwar von Erich Schmidt in seinem' H. L. Wagner, wozu der von ihm besorgte Keudruck in Seufferts cLiterattirdenkmalen» mit Einleitung zu rechnen ist, und von/ A. Sauer in der von Kürschner heraus<j[e^ebenen «Nationai- Literatur». Seltsamerweise hat keiner dieser beiden Litteratur-: historiker sich der Mühe unterzogen, urkundliche Forschungen* in den Strassburger Archiven zu unternehmen, um den Vor-*** wurf Goethes auf seine Haltbarkeit zu prüfen ; der Versuch^' wenigstens hatte gemacht werden müssen«

Zudem begeht Erich Schmidt, der doch seinen H. L.' Wagner in Strassburg verfasst hat, in jener Ausgabe der

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«Kindermöi'denn» S»VIII das merkwürdige Versehen» den Magister in dem in Strassbuiig spielenden Stücke für einen katholischen Geistlichen zu erklären und den jüngeren Lessing ausdrücklich deshalb su tadeln» weil derselbe aus ihm einen protestantiacheii Geistlichen gemacht habe, ohne die Erwähnung des c Klosters » überall zu tilgen während es doch in Strassburg bekannt ist, dass die evangelischen Theologen des Gollegium Wilhelm!- tanum nur deshalb c Klosterer» genannt wurden, weil das von ihnen bewohnte Stiflagebäude vor der Reformation ein katho- lisches Kloster gewesen ist. > Oder sollte wohl iürich Schmidt» so frage ich, die Schüler des Berliner Gymnasiums « Zum Grauen Kloster welche in Berlin gemeiniglich c Klosteraner» genannt werden» für Studenten der katholi^hen Theologie erklären wollen?

Ich würde Jenes Versehen so nachdrücklich nicht betonen» wenn es nicht auch für den ausserhalb Strassburgs wohnenden Leser handgreiflich wäre, dass ein katholischer Klosterbruder wohl schwerlich im Akt das verschämte Cveständnis ablegen kann : « Frau Baas^ ich weiss, Sie sinds überzeugt^ dass ich ihrer Jungfer Tochter gut bin^ Sie machten mir selbst einst ffofnung»^ wählend der Strassburger Leser bedenklich dazu den Kopf schüttelt, dass ein katholischer Theologe dem Gottes-

i Im * Kloster zu St. WüheJm> liiolf nach dem Protokoll die denf- sche Gesellschaft zu Stra?sbnrg ihi e letzte Sitzung (s. meine Schritt: Zu Strassbuigs Sturm- und Drangpenode S. b'6).

In der «Kindermörderin» Akt II Sc. 1, sagt Metzger II umbrecht : «Sc, wird davor alle Jahr sweimal far Euer Kloster au den Kirch- thür«ii kollektlerti Hol mich der Teufel, wenn ick noeh einen Sola in die Sehüssel werfe.» Ich vezwexse dabei auf J. Türckheim, Ah- kandlimg, das Staatsrecht der Stadt StraBsbuig und des Elsasses überhaupt betreffend, Strassb. 11 Sd S. 116, wo es bei der Besprechung der protestantischen Stiftungen der Stadt heisst: «Das Kollegium von St. Wilhelm, welches die Ptianzschule der künftigen Diener der Altäre ist, könnte sich aus semen erbärmlichen Einkünften nicht erhalten, wenn es nicht durch ein jährliches Almosen, das in den sieben Pfarr- kirchen eingesammelt wird, unterstützt würde!» Diese Kollekte fand Mweimal im Jahr, an Ostern (Gründonnerstag) und Weihnachten statt Die Grfindonnerstagkollekte, welche stets ergiebiger anafiel, betrag beispielsweise im Jahre 1770 539 liv. 6 3 3 Pf » die Weih- saehtskoUekte 289 liv. 4 3 lOi/g Pf. (Qfttige lütteilnng des jetsigen Torstands des CoUegimn Wilhelmitanam, Herrn Direktor Erichson, ans den Akten.)

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<)ienstc in der evangelischen Nikolauskirche beigewohnt haben ^sollte.

Da Ki-iclj Sciiniidt scllisf ri('htit( betont, ilass die Metzj^er- iamilie llumbrecht oine Alt-Stiassbui^^er Familie von echtem Schrot und Korn sei, so ist es, sozusagen, eine falsche Aut- lassun^,^ des ;,^1r^/en Stückes^ sich in dieser evanfreHschen Familie Meister Huinbieclit nennt sie selbst so einen katholischen Verwandten zu denken. Nein, der Maj^ister des evangelischen Collegium Wilhelmitanum, der fast ebenso vor- rü<ili(h dem Lel)en abgelauscht isl wie Meister Hnmbreelit, vn tritt Ltoiienüher dem st;n'ren Lutiiertum, das in der einge- t^esM'jien liüi'^erscbatt win;- 'Itr und in Prof. Lorenz und Reuchlin ?:eiru' Hauptstützen sah, dn- |ihiloso|»lii-i he und philantropische Autklarunj4 der jüni^ereu studieren(ien (ieneration; auch die Nase- weislieit jener jiinj^eri studierten Herr<'ii,(lie sich in alles mischen und, Mio im Stücke, in l>estt'r Alisiclit oft schlimmes Unheil anrichten, ist Wai/ner tret'tlich zu zeichnen gelungen.

A. Sauers Koiunienta?-, dor sicli im wesi'ntliehen an Erich Schmidts \ orarhcit anlehnl, lassj, jeile s('ll)slänfli<,'e Forsrhnnjf vermissen. Wahrliattijr, A. Sauer a halte sich die Arbeit nicht _yar so bequem zu machen yebraucht.'»

Dnss der geiet>enlhch ^^enannte Osterried nicht vom italie- nischen ostiere Wirt, osleria Wirtshaus abzuleiten, sondern ein damals leben ilc Kalleesii dei jenes Namens jjiewesen sei, konnte ich bereits anderwäi t^ (l.enz, Goethe und Gleophe Fibich S. 83) aus den Kopulationsalvlen von St. Nikolaus, in welcher i't'arrei di«.« «Kindermörderin» spielt, zu meiner Freude nach- weisen. Auch der Irrtum, dei- im ersten Akt genannte Sauv(^ur sei wohl Goethes Tanzlehror in Strassburg {gewesen, kehrt i»ei Sauei ohne selbständige Prülun-^ wieder. AV. v. Biedermann hätte wahrhaftig keinen Grund j^ehabt, zu l»edauern (Archiv f. Lit. VII. 53G), dass ilun v. Loeper in Anm. 4%} seines Kom- mentars zu 1). u. \V. jene Kntdeekuri;; vorweg'^^enonimen habe. Anton Sauveur, dessen vier Kindel sich sämtlich im Taufregister von Jnng-St. Peler linden, hat keine Tochter Lucinde oder Emilie jemals besessen. Er w^ar Ballet rnei'^tei' am Sti'a.ssburger Theater^ leitet^ die glänzenden Nachtbälle daselbst/ die den

> Ungedrucktes Tagebuch des Erbprinzen Karl Angast ron Sacbsen-Meiningen :

r? Februar 1775: « Ura 12 Uhr Nac hts fangt der Bai de nuit in Komödienh aase an. Das Parterre wird in die Höbe gescbraabt

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Strasshuiv'tM- Hihgei lii.tiii liea so verderblich wurden, mid hatte, wie V. (Hunin^seck strenj; {^oscIiichlliL-h heineikl, wahrend tva II Miii)recht iiiK^ii «*ijjrenen Unterricht bei deiii-selben vor dem kiiiidijren Leser diircli einen ganz hes<3ndereti Zufall zu «^klären ITir nöli^'^ ündet, <i iiiiiaor viel Jiiil Grafen und H;)ronen zu tliuni; iiucii die l*rinzen von Mein in;5en j^enussen im .laluv 1775 seinen l'nterricld . Anton Sauveurs, des «Employe ä la eoui 'die frau- raise* alterte Tüciiter Anna Theresia, geboren 16. Juli IT.jO, hei- latete am November 1770(Jiin<( St. Peter M. (35) den Baron Cressonnier tle Boauplan aus Paris. Dap^e^'^en sa^t Goedhe, «üe« brigens schien der Vater nicht viele Kunden zu haben, und sie führten ein eiubanies LebouA>. Schon dies Geständnis, welches mit v. Giörnngsecks Worten unvereinbar ist, hätte v. Riedtjunann auch ohne archivah.sche Suche abhalten müssen, «Lu( inde>) und «^Kmiliej* Sauveur bis auf weiteres feierlich unUr den Frauen- geslallen aus Goethes Leben aufzuführen.

Dass Wagner den GoetJieschen Vorwurf des litterarischeo Diebstahls nicht verdient, dass vielmehr Groetbe und Wagner /um Teil diese) i)en Quellen benutzt haben, ist mir hei genauer Prüfung zur Ueberzeugung geworden.

Früher glaubte man allgemein, Wagner spuke zur Strafe für litterarischen Diebstahl als der trockene Schleicher gleichen Namens in Goetties c Fauste». Allein diese Vermutung von Gervinus und anderen ist längst dadurch als Irrtum nachgewiesen worden, dass der Famulus Wagner schon dein Volksbuche des 16. Jahr- hunderts angehört. Neuerdings hat aber £rich Schmidt dera Groetlieschen Vorwurf eine andere Stütze zu geben gesucht, in- dem er behauptet, Wagner sei schon von Jung-Stilling im Jahre

und mit dem Theater gleich gemacht und duraiis entsteht ein grossw ^aal, welcher durcli 6 Kronleuchter und eine Menge anderer Lichter erleachtet wird. Es waren über 1000 Menschen beisammen, die Damen von Condition sind nllo maskivt. die andern mögen es machon wie- ßio wollen, und so haben auch alle Chapeaux dio Froilieit sicli zu raaskireu oder nicht. Sonst sind sehr viele gemeine Leute auf dem bal de nuit und darnuu u unterscheidet er sich auch von der Redoute, auf welcher lauter Leute von Condition sind. Die Maitres de la Danse dirigiren den Ball und zeigen jeden Tanz mit allen Tooiok und Pas an die, die es noch nicht wissen, so kann niemals eine Confiision entstehen. Die vornehmsten T^nsmeister heissen Sauveur, Le Fi nnd Le Grand. »

...... ^le

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1770 als Pla^iatoi' {gekennzeichnet worden. Erich Schmidt schreibt U. L. Waipner S. 8 :

«Wenn Jnng-StiUing in seiner Selbstbiographie schildert, wie er zum ersten Hai an den Mittagstisch bei den Jangfexn Lanth in Strasabarg tritt and nachdem er Goethe, Waldberg, Melzer, Lerse

genannt hat, fortf&hrt: ,Noch einer fand sich ein, der sich neben Ooethe hinsetzte, von diesem will idi nichts mehr sagen, als dass er ein guter Rabe mit Pfauenfedern war*, so kann ich diese Stelle nur auf den Verfasser der ,Kindermürderin' beziehen. Walirscheinlich nicht auf diese selbst, nur darauf, dass Wagner, dir in Goethes Kreise für nicht sehr bedeutend galt, gern mit fremdem Kalbe pflügte. »

Diese Deutung, ivelcher schliesslich auch v. Loeper Annu 422 gefolgt ist^ scheint heute widerspruchslos angenommen. Dar ^^e^en bemerke ich, dass Wagner als Strassburger Kind, dessen Eltern beide noch lebten, an den Mittagstisch der Jungfern Lauth nicht hingehört. Erich Schmidt nennt diesen Einwurf pJatt, aber berechtigt und sucht denselben durch künstliche Mittel, durch die Annahme einer von Jung-Stilling geübten fi-eieren Oestaltung oder eines nur gelegentlichen Erscheinens, welches er den Worten «noch einerfand sich ein* entnehmen zu dürfen glaubt, zu beseitigen.

Allein, dass Jung-Stilling mit den Erlebnissen seiner Strass- burger Zeit dichterisch frei geschaltet habe, kann ich nicht zu- geben. Ueberau, wo ich ihn prüfte, habe ich ihn durchaus zuverlässig gefunden. So kam ich noch jüngst in die Lage, eine ganz beiläufige Angabe wie folgende S. 160: €Des Dienstags vor Pfingsten hatte der Sohn eines Professors Hoch* zeit, deswegen waren keine Kollegia» durch die genau auf den 14. Mai 1771 fallende Hochzeit des praktischen Arztes Dr. Joh. Jacob Spielmann, eines Sohnes des bekannten Professors der Chemie Jacob Reinbold Spielmann, mit Frl. Margarethe Salome V. Türckbeim, einer Tochter des Banquiera Joh. v, Türkheim und spateren Schwägerin von Goethes Lilii, aus den Kopulationsakten der Neuen Kirche M. 115 fol. 194 b. bestimmen zu können. Auch ein «rgelegentliches» Einfinden müsste durch ganz andere Beweismittel als durch die selir unsichere Deutunji eines Zei^ Wortes, das ebenso gut die entgegengesetzte Erklärung verträgt, erhärtet werden.

Da also weder Wagners Anwesenheit am Lauthschen Mittags- tische wahrscheinlich, noch aucli die Verniutung Erich Schmidts^

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*

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^HL'v luö'^ti srlion im Juhre 177U im Goettjesclien Kreisfe als Pla- giator ge^follon haben, durch ii-^icnd fiiu' Andeutunff bestfiti^'t ist, so sind wir ^«^ezwun^en, eine andere Krklürungzu versuchen, was in «lern jicij^ebeuen K.illt? nicht s( liwer wird.

Bei tier Autzählunj^ der l o^^einiassi^ren Tischfj^iiJite nius- » s uns nänilirh aufl'allen, dass Junj^-Stillin^i als Mediziner seinen Sliidien;^^en()sseii Johannes Nfeye«,' (ioeihe nii orxter Stelle nennt nnd dem er eine sehr eni^eliende Clhaiaktei i tnlderun^ zu teil N\ erden hissl, nidd erwrdmt linlien .sollte. Auch Mever konnte cem guter Habe mit Pfiiuan federn)) lieiiannt wei(l«-n, weil i'v sich n.u li (ioelhes Erzäldui!;^ mit dci Gelehrsamkeit d»'r Profes icri /u hrüsten wusste, deren Vorträj^e er bei seim m ungluublictien Gedächtnis an der Mitlagstatel in buntscheckiger AJawechselun^»" zu wiederholen ptle>ite.

Und wenn diese Dciitun;^^ au( h wcmjfer glänzend zu sein scheint, so wird sie doch durcli lolyeiidc Erwägung wesentlich unterstützt :

Der Tatlei, welelier in der Anwendung des Citafs aus Lesbings, beziehun<isweise Phädrus Fabel auf jemanden besteht, war damals und ist heute allgemein bekannt. Wenn also .In n?- Stillin^ von jenern Genossen aniclds mehr sa^en will», so liat er ullenbai' nehen dem allj^eniein kenid liehen Vorwurfe noch einen schlimmeren auf dem Herzen, den er rncht au.ssprechen will. Yer-clieiis mm suchen wir einen derartij,'"en Vorwurf ji;-ej;en VVa;^nGrs (^liaiakter zu erheben; da;i(v<'ii erwälint Gopfhe von Meyer naclidnu Uii h, dnss derseli)e ((unbändig liedi.rU chy> j^ewesen sei, was jener in einem llriele an den Aktuar Sal/- iiianii mit «gewissem Cynismns selbst eingesteht. Yergieicheu wir damit die I »arstelluii;^- Jnnjx-Stillinfrs.

Soeben hal .luiii^-Stillin^', ohne einen lastefhaften Mensclien mit Namen zu nennen, von Leise erziddt, dass er die .seltene Gabe besfs-^oii habe, mit trockener Miene die tieirendste Satire in (Jej^enwart des Lasters liin/.nwerfen ; unmittelbar darauf nennt er jenen Anonymus. \V(>mi also .lun^^-Stillinji" versöhnlich und milde schi-eibt: «Von diesem Mill i( Ii nichts mehr sa^^^n, als dass er ein ^iü*m' Kabe mit Ptauenfedein war», .so will er Meyers LiederlichkeU, die sein reines Gemüt otl nach jungei*

1 Mediziner-Matrikel: d. 2. Oct 1770 Johannes Meyer Linda- vicnsis. d 12. Mart 1771 disputavit de fistala ani, d. 26. Sept. 1771 abseus Doctor Medicinae.

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Mediziner Weise durch Untläligkeiten bei Tische empört haben mochte, mit dem Mantel christHcher Nachsicht bedecken und. nur die ausserordentliche Nachäffungs^ahe des Studiengenossen -— flahei' woh! :iucli der Rabe statt der Krähe der sich gern mit tremder Weistieit brüstete, het voilieben.

Dies ist meine Uelicrzeuji^ung von dem Sinne der oft be- sprochenen Stollo in Junti:-Stiinni,'s «Wanderschaft)). Sie ist >voni«i^er «ilruizeiid, aber, wie mir seheint, ungez wun^enor als die lleutunjf Erich Schmi(]t<. D'h Ii (ües wird eine vorui'teilslose Kritik entscheiden; jedenlalls ^lauhe ich meine Deutunjjf durch ^ute Gründe so weit jiestützt zu hahfn, dass das Urteil Erich Schmidts tZu Meyer kann nur die Half osigkeii yreifen» auch wieder einmal zu jenen mit magistraler Siclierlieit vorjretra^^enen Behau ptTmn^en der moderucn Litteralurliistoiie zu rechnen ist, auf welclie ich aus ^uteu (Iründen gar keinen Wert lege.

M;ni wende nicht <'in, dass es sich Ijei jt-uer Stelle in Jung-Stilhngs Wautlei schaft um eine nebeusächliciie Notiz handle. An und für sieh ist es ja gleicligiUtig, ob unter dem «guten Haben mit Pfauenredern» Wa^^ner oder Mover zu ver- stehen sei. Niclit <zleir li;^ühig aber ist die Deutuii;^ auf Wagner, wenn Frich Schmidt durch sie seine Wriiiutuii^, dass Wagner schon im SalzJiiannschen Kieise als l'la;^ialor gekermzeichnet gewesen sei, unterstützen \vil!. Diese Stütze ist Jetzt durch meine Kritik hinf;'dl!^% weil traL;li( Ii, geworden, so dass nun die Diskussion über die Hereehtigung des (loethesclieu Vorwurfs wiederaufgenommen werden kann, ich muss zu. diesem Zwecke allerdings etwas weiter ausholen.

Was zunächst die Abfassnng.szeit des Wagnerschen Dramas l)etrif1't, so erklärt Erich Schmidt S. 71 : «Wir können nicht üxieren, wann das Stück begonnen unil geendet wurde.» Da- gegen bemerke ich, dass dasselbe im Winter 1775 177(> ver- fasst wnrde. F]rich Schmidt hat es, wie gesagt, ganz ver-säunif, sich in den Strassbuiger Archiven gehörig umzusehen und auch das Pariser Nationalarchiv zu Kate ziehon.

Am 27. März 177() sclireiht v. !.t ftschneider an Nicolai : «W^enn sie ein neues Drama ,(tie Xiudermörderin* sehen, so merken Sie sich, dass es von Leop. \V-^<iner ist. Er will abor verborgen bleiben, weil das ganze Stuck eine Lokalsatyre auf Strassburg, seine Vaterstadl, sein soll.» v. Bretsclmeider ist auch hier ^enuu unterrichtet; wimmelt doch das Stück von lokalen

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Anspiel un;j[en. ] Wassel zoll und die Metzf^erau, das (Wil- lielmer) Kloslej und die Klaus-Kiirhe, das Hotel zum Raben, die Mefzijr, die als Militärjreningni'^ benutzten Gedeckten Brücken (Ponts couxerts), das Haspeihaus, die Wasclipritschen auf der III, das Bo< ks'|^n«;srlipn, die Lan<,'strassp, das .ludenthor und die Huprechtsau sind hckamile Slrassburger Oertlitdikeiten, \vährend (\ev yji Anfan«;^ des 3. Akts ;(enannte aMarschalU nur Marschall (^ontadcs soiii kann, ih'v bis 1788 fast ein Mensdienaltei* als (iüuverneur des Elsass lu Strassburjj^ wohnte, und aut Ii Bärker Michel unter d»»r Grossen Gewerbslaube un<l Ijjjetzj^ermeister Hunihnnh! in iiKMnrM' Sfbrift «I^enz, Goetbe und Cleophe Fibich» S. als wirklit li existiorond von mir narhgewiesen

wurden. Viel hediMitendrr al)»'r als allo dif^se äusserlichen An- spielunj]fen ist tolf»:eiHioi urkundliche Beleg zur ErziUilun*,^ der Frau Martbau im (I. Akt, den ich ziirn ersten Mai den Akteii des Strassburger Ihonias-Art hivs enthelie :

Protokoll des Kin hcukonvents 1773 S. 0 : «Conventus III d. 4. Febr. Extraoniinuria : Bev. doni. Stuber brarlile ad no- liliaiu einen Casum tragicum, davon das Original hier Nr. 2 beigele<j[t ist und also lautet» : *

« Philipp Jacob Ott, ein lediger Bachbinder-Meister albier bielte sich bei seiner Matter Anna Catharina gebomer Bückin auf, einer

Wittwe weyl. Georg Friedrich Ott, des Burgers und Rothgerbera alhier. Er lebte mit ihr in steter Uneinigkeit, weilen sie ihm das väterliche Vermögen, dns sie zum Gennss hat, nicht in seine ver- schwendcrisrho Hände befei'ii woltf» noch konnte. Den lü. Jenner 1773 wolte er ihr mit einem .Scheermesser die Kehle abschneiden, und brachte so in die Gegend des Gesichtes und Halses starke Schnitte bey. Er kam in obrigkeitliche Verhaft, wo er aack satt- samem Yorhdr nnd Geständnis« den 22. Jenner sich selbst erbenkte. Den 2d. dito wurde der Körper durch die Stadt geschleift nnd anfs Rad gelegt. Die Mutter ist noch am lieben nnd wieder hexgestellet. Strassbnrg, d. 4. Homung 1773. Staber Diac. zu St Thomft. »

Da Frau Martban sieb erinnert, dass diese Geschichte «vor <'iu Jahrer zwei oder drei» {geschehen sei, so lallt die Abfassung" des Dramas vor den Februar 1776. Zudem :>( l)reil)t der Dichter Lenz in Strassburpr Ende 1775 seinen «Zerbin», in welcher Novelle er seine kui'z zuvor in den «Soldaten^) verwotelen Er- lebnisse im Fibichsclien Hause nochmals in selu- lockerer Weise mit der Geschichte einer als KiiitiMnorderm hingei ichteten Maiid in ^'e^bindung setzt. Diese Novelle hat Lenz kurz vor dem

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18. Januar J776 zur Aufnahme ins ^«Deut.sclio Museum» an Büin geschickt, wie dieser an Bürger sc lireibt ; im März 1776 wurde an Horselben ^^edruckt. Endlich las ain *2. November 1775 auch dci' später als Gesandter Napoleons berühmt f^ewoidene .luiist (Jllo in der von Lenz ^^eleiteteii Deutschen (if^elUcliatt zu Stiasshur^ einen Vortrag über die «Unvollkommeniieit der Kriniinalj'eselze».

« Diese Sdirift ». protokolliert Lenz. « interessierte die (tesell- Schaft um su viel nudir, als t-inige ganz frische Beyspielc in diesen Gegeiidcji dorn warmen und geniereichen Ausdi'ack des Verfasser» mehr (iewicht isu geben scheinen. >

Eine überklu^^c Kritik mrurhte es ladein, dass ich diese pinz allgemein gehallene Notiz dcis Lenzschen Protokolls ohne

weiteres auf einen Kindsmord beziehe; flagc^en bemerke ich (ol*?endes. Wenn Lenz im «Zerbin» schreibt : «Nach den Ge- setzen ist eine verhehlte Schwangerschaft allein liinlünglich^ einer Weibsperson das Leben abzusprechen, wenn man auch keine Spur einer Gewallthäti^keit an dem Kinde gewahr wird»,. >^o ist ihm no( Ii der Vortra;^ Ottos geg:enwärtig, der die «Un- voUkommenheit» der Kriminal^j^esetze darin erkennen musste> dass zwischen wirklichem Kindsmoni und verhehlter Schwanger- schaft keinerlei Unterschied gemacht wurde. Auf l>eiden, doch so himmelweil verschiedenen Vergehungen stand die Todes- strafe, weh'he Heinrich II. von Frankreich im Febniar 455(3 durch das Edikt (Recueil d'Ordonnauces du Roy, Colmar 17381 4m S) verhängt hatte :

<Que tonte Femme qni se trouvora defiement aiteinte ei convaincue d^avoir cel6, convert, et occnlt^ tauf sa Grossesse que son enfantement, sans avoir dcclart- Tun ou Tautre et avoir prins de Tun ou Tantre temoignage süffisant, meme de la vie ou mort de son Enfant, lors de l'issae de son ventre, et apres se tronvc VEnfRiit avoir ^-t^ prive, taut du Saint Sacromont de BaptT^rie 'juo Soiniltuie pabUque et aücüutumeo, soit teli© Femme tenuc et rcputee d avüir homkidi ton Enfant, et poar nparation, puwk de mort a demier mppUee, et tsUe rignenr qne la qnalit6 partienlMre da cas le möriteni. >

Dies Edikt, welches Heinrich II. alle drei Monate in den Pfarrkirclien <les Konij^reiches bei der Pretligt vorzulesen ver- ordnete, \vurde durch eine Ordonnanz Ludwi;j;.s XIV. vom 25. Februar 1708 (s. Recueil d ürdonnaiK es I S. -461) in seinem ganzen Umfang wieder eingeschärft und im Jahre 1717 auch

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vom protestantischen Kirchenkonvente in Strassburj^ anj^enommen, wie das Protokoll dieses Jahres besaj^t :

« 4 Martii 1717 wurde von max. ven. dn. Praeside proponiert, wie der ]L Lic. Kniebs demselben im Nahmen unseres gelibten. Herrn dasjenige edikt, welches in Frankreich schon vor lano:em wieder diejenige Weibspersonen so ihre Schwängerung verbalen, herauskommen, eingehändiget habe, mit dem beyfügen, dass dassel- bige künftigen Sonntag in allen 7 pfarrkirchen öffentlich nach der Predigt abgelesen, damit alle 4teljahr continuiert und ein solches auf denen, von der Stadt Strassbnrg dependierendcn Dorfschaften observiert werden soll. » Dazu im Index dieses Jahres : « Die Verle- sung des edicti Regii von den Weibspersonen wird eingeführt.»

Indessen pllegte iti praxi, wenn aucli der Wortlaut des Gesetzes bestehen blieb, die Todesstrafe nur im Falle einer Totgeburt, wo der Verdacht eines Verbrechens vorlaj^, verhänj^t zu werden. So schreilit Friedrich Rudolf Salzmann in seiner anonvm erschienenen «Schriftlasche auf einer neuen Reise durch Teutschland, Frankreich u. s. w. j^esammlet» Frankfurt und Leipzij^^ 1780 über die Zustände .seiner Heimatstadt Strass- imr^ S. '201 :

< Die gefallenen, und gefällige Mädchen thun keine Kirchen- bnsse. Nur müssen sie ihre Schwangerschaft, sobald sie sie gewahr werden, bei dem Fiskal angeben. Wenn sie es versäumen, so verfallen sie bei einer todton Geburt in die Strafe des Edikts Heinrich II. and worden als Kindermördorinnen hingerichtet. Dieses Edikt, und das wegen des Hausdiebstahls * werden auf Befehl des Königs alle drey Monate von allen Kanzeln abgelesen, damit sich niemand mit der Unwissenheit entschuldigen könne. »

Wenn demnach Lenz im «/erbin» Marie wegen nur ver- meintlichen Kindsmords, nämlich wef{en verhehlter Totj^eburt, liinjferichtet werden lasst, so verfährt er im realistischen Sinne der Stürmer und Dränjf<?r strenjj: juristisch und historisch und hat keinesweg^s den Tadel verdient, den ihm Ericli Schmidt, Wajrner S. und Lenz und Klinj*^er S. 46 von einseiti«; künstlerischem Standpunkte, ohne Kenntnis und Würdigunj,^ der thatsächlichen Verhältnisse, zu teil werden lässt.

Wahrscheinlich hat Lenz im ccZerbin» einen jener Fälle im Xui^c jfehabt, der «in der Gegend» von Slraseburg vorge- kommen ist, denn die Delinquentin ist eine Schulzen tochter

A Le vol domestique sera puni de mort, Ordonnanz Ludwigs XV. vom 4. März 1724 s. Recueil d'Ordonnances S. 719.

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aus einem benachbarten Reichsdorfe» deren 40 an der Zahl zur Hagenaiier Landvogtei gehörten ; Ottos Vortrag vom 2. November 1775 dagegen scheint unter anderen auch einen Strassbufger Vorfall im Sinne gehabt zu haben. Wir schlagen deshalb das Protokoll des evangelischen Kirchenkonvenls auf und finden :

Conventas 46. a. 1775 d. 7. Dec. y. 79; « Kev. dorn. Frater ün. seit zeigte schriftlich an, dass er bey Gelegenheit einer nnnmehra seit 8 Tagen in einem hiesigen Gefänguis verhafteten und des Kindes Hoids angeklagten Maleficantin, welche er bei ihrem 6 Woche langen in dem Hospital an der Kette gehabten Aufenthalt auf dasiger Kind* better Stub nach seiner Gewohnheit tägl. 2 mal Amtswegcn besncht hatte» auf dero, gleich bey ihrem Eintritt in das Gefängniss, einge- legten Bitte an Hr. Ober-Secretarium bey hiesiger Vergicht, der Üömist'h Catholischer Religion zu gethan ist, dass solche Seelsorgl. Amtsbesuchungcn auch in solchem Gefängniss bei ihr fortgesetzt werden dürfte, von henicUltem Hrn. Secretar, die geneigte Erlanbnus dazn ganz willig und freundlich, jedocli mit uuiidruek. lieber Ein- schränkung nur auf seine Person und sonst Niemand anders, wer es auch seye, erlanget. Welche Amts-Besuchung er dann täglich 2 mal anter vielem göttlichen Seegen fortgesetset »

Die Verhaftun«( war Ldemnach Milte Oktober 1775 er«- folgt, worauf Otto am 2. Novembei' in der Deutschen Gesell- schaft seine Stimme zu gunsten der Unglücklichen erhob. Den Namen der Delinquentin, den das Kirchen protokoll verschweiget, fand ich da die Strassburger Tribunalakteii jener Zeit bei der Beschiessung der Stadt im Jahre 1870 verbrannt sind glücklicher Weise nach längerer Suche im Archiv des Strass* ^ bui'ger Standesamts auf den Blattern 58-78 des «KirchenproUH kolls vor die JSvangeUficheii im Arbeil s-Hauss zu Strasshurg D 73», auf welchen ein gewissenhafter Getangnisgelstlicher ein sehr genaues Vei-zeichnis der ov;ing(;lischen lutherischen Ge- fangenen von 1769*1788 angelegt hat. Daselbst steht geschrieben ;

1776 Leipoldm, M, 8(^» weä. Jch, IViedr. Metjfjfers Mwrgers und 8t*s. Mariae Lobsieinm ßia aetatis 22 j. ob Kütätr*, mMtrim mm sckwerd eomkmmrt, a Imdovico 16 ogyroUaiap ad di«$

Da der nächste Eintrag den 1 . Februar, der darauf folj^ende den 30. Mfirz aufweist, so ist die Ablieferung'^ ins Haspeüiaus, ■wohin die als Kinderniörderin Eingetürmte hei ihrer Be^adigrunj^ zu Jebeiislanglichein Gefängnis verbracht wurde, im Januar 177(> erfolgt. Mit dieser Zeitangabe stimmen fol^eiuie ilegistranda des

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Pariser Nationalarcliivs, welche mir, leider mit dem Bemerken, die Aktenstöcke selbst seien sämtlich nicht mehr vorhanden, der Direktor Herr Jules Servois mit grosser Bereitwilligkeit mitleilte :

Begistr« Yi 650 ann^e 1775 lettre S fol. S Eegistre criminel de la grande chancellerie < Strasbourg 3. noY. 1775 : La nommte Ley- poldin, fiUe d*nn boacher, poomiiTie ponr »uppreuüm de par Mes- aienrs da grand S^nat, poar surseoir et eavoyer ct^ie de la proc4-

Aure. » fait part u M. de Maleaherbes. » «Ressort.» «Voir au sccan

•do fövricr 1776.» « joint nnc repons-o dos ]M*otpnrs et maj?istrat de Strasbttur;:. > «;!<) «li'-cciiibie ITVö : comtniinifiuo l;i prot«''clure :i M. de Malcslu'rbfs. püur savoir ce «jn il eii jxMise. * * H jaiivier 177(i Bon pour < uuimutation de lu pciue de mort eii cell« de detentiou ii pei- jpetuit^' dans uno maison de force pro Deo »

Hic!' onfilicli hnlx'ij wir j«'nf Mr»tzgerstocliter, deren Schick- sal Wai^iicr Zill- Ahtassung seiner « Kindormördorin» anrejite, wenn er aiit li ihren Nnmrn in Eva Hurnl)rei Iii vertauschte niid ilir in dei- PtTsrin des dani.ils leitenden Mefzgernjeij^ler:> Huin- breclit. den er ;j:etreu ( opiei t zn haben scheint, einen Vater j^eg-eben hat. So genan liat sii h Wajj^ner an die Zeit gehalten, «la^s.s er die Niederknntt der Kva Hunibrecht nach Michelstai^ {Akt. VI) .setzt, so g^enau an die Lokalität, da er «die Kindei- niörderin» l)ekanntli( h in d<'r Nikoiausptarrei spielen lasst, dass ich nur in den TaulVegistern dieser Pfarrei N. 114 zu suchen hatte, um ihren Geburtsakt zu finden :

« a. I75'i Donnerstag den 12. April ward ein eheUches Töchter- lem geboren, Samstag den 24 seq. getauft und Maria Sophia benahmt

worden. Parentcs : Job. Krierlr. liPypold Motzjr»'!- n. Burfrer allhier n. Anna Maria, gel) Lüljstcinin.> Folgen die Fatheii : Joli. Weiler, Metzger u. B , Fr. Maria Sophia. H. Job. Jacob Lauth E. E. grossen Raths ulten Beysitzeis u. Beckers allhier Ehefrau, Fr. Maria Martha, H. Joh. Friedrich Schneeganss des Metzgers u. B. allhier Ehefran. »

Aus den Namen der Eltern und Taufpaten die Lobstein, Lauth und Schnee<,^ans (gehören noch heute zu den gekanntesten Strassbui^er Familien ersehen wir, dass Marie Sophie Ley- pold zum guten alten, d. h. deutschen Börgferstande Strassburgs die Familie stammt aus Wunsiedel gehöi te. In jenen einfacheren Z<'iten, wo als Tanf- und Trauzeugen der Professor und sein Bruder der Handwerker untci'zeichnet sind, kommt es weniger auf den Stand als nnf die Verwandtschaft an." Ein naher Verwandter dieses LeypolU war jedenfalls auch der he-^

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kanritf, von Lenz dnutiatisierte Magister .loh. Loypold vom Slrassljur^^er Gymnasium, der in seinem Sterbeakt vom 16. Auj^'^ust 1792 (Neue Kirche) ebenfalls Sohn eines Metzgers genannt wird. Der Grund also, weshalb Pfoner Unselt und das Protokoll des Kirchenkonvents den Namen der Delinqueatin verschweigea, ist in gewisser RQck.sichtnahme zu suchen.

\Vagn«'r8 < K nidermoixlcrin » ist also nicht vor dem November 1775 entstandea, denn sie ist durch den Fall der Sophie Leypold. im Leben gerufen worden, wp1( Ikt allgemeine Sensation erregt liaben muss, da derselbe eine Bürgerstochter aus guter Strass- bui^er Familie betraf. Fräiich hat Wagner den Fall Leypold, bei dem es sich nur um «suppression », also verhehlte Schwanger* ^KJial't mit (?) Totgeburt handelte, mit einem älteren Vorgang verquickt, der auch der Gretchenkatastrophe Goethes zu Grunde liegt, allein die Aufregung in Strassburp war gewiss niclit minder gross nls hei wirklichem Kindsmorde, ja vielleicht noch grösser, da das rigorose Gesetz Heinrichs IL noch in Geltung war. Die Gesetze waren überhaupt für jenes Zeitalter der Auf* klurung viel zu streng. In jenen Protokollen finde ich mehrere Fälle, dass Mädchen wegen Hausdiehstahls gehenkt wurden.* Man vcr-^^egenwartige sich dabei die Umständlichkeit der öffent- lichen Exekutionen, wie sie uns Rudolf Reuss in seinem Buclie «La Justice criminelle ä Strasbourg» so anschaulich beschrieben hat. Die letzte Kindermörderin Margaretha Magdalena Lentz,- weil. Joh. Lenfzen gewesenen Schuhmachers und Bürgers, zii- Strassbui^ hinterlassene Tochter, war am '24; Februar 1764 geköpft worden. Das Protokoll des Kirchenkonvents tautet darüber mit Salbung:

«Rev. Da. Fr. Mfthlbergor, welche mit rev. dn. Fr. Klein die «un schweTdt Terurtheilt« Kindermörderin für Morgen Tom Leben zum Todt bereitet, referirte, daes diese Maleficantia ihr todies ürtheil standhaftig angehört den Zusprach demüthig annehme, ¥or dem Todi,

nicht erschrecke und sich also schicktich zu bereiten Hesse, woraoft den Herren Deputatis fernerer Seegen, der Maleiicantin aber beharr*« lieber göttlicher Gnaden Beystaad angewünscht wurde.*

Man muss sich in jener Zeit die Fuhllossigkeit veralteter' Gesetze und die Empfindsamkeit der aufgeklärten jüngeren Ge- neration vor Augen stellen, um die Aufregung zu ermessen, die damals Otto, Lenz und Wagner zur Feder greifen Hess« Da« alle anderen Mittel bei der Starrheit der staatlichen Zustände versagten, ao glaubte die ideal gesinnte deutsche Jugend, wie«

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so oft, dun h litt(M'iiris<^^ie h^ inonstrationen wv\ wenn sie auch yy'ie Wa^^ner d'w Vt^vinlirmv^ in ihrer iiai kltisteii Gestalt zeigen solll-' «lie V'erfüluiM zu brand marken und eine Milderung l>arl)ai ischer Straff^rsetze herheifnliren zu können.

Man hat an jene Dranialikei der Sturm- und DraiiLrpi riode .ulets einen falschen Masssi.il) ^^ele^^t. Nicht um künstlerische Vollendun^^, sondern um Sens-ttion, um sociale Ileformen ist es denselben in erstei- Lini«' zu thun, und insofern sind sie ledig^- lieh Vorhuten einer grossen Revolution. \Va<fner will, wie er .--Rh selbst verteidifi^t, seine c Kindei m*mlerin » fürs Kahinet, für denkende Leser ^geschrieben haben, Lenz iresteht einmal in einem J^rief«» an (lottcr: «Ob meine Stücke spielhar s!!)d, be- kümmert nn'ch nicht, so liocli ich ein spielbares Stück sehätze, wenn es gut ;,'er.(fen isti>, und verteidigt die Tendenz seiner Dramen ^e^en Sü{fhie La Roclie nüt den Worten: ^ Ich wilk nichts als dem Verdei'hnis der Sitten entgegen arbeih'n, das von den glänzenden zu d<'ii niedrij^en Ständen hinahsehleicht, und wogej.^en diese die Hillsmittel nicht haben können als Jene. »

Diesmal ei r<*ichte rechtzeitij»e, ener«>:ische Fürsprache in Ver- sailles einen vollkommenen Erfolg. Der Minister Malesiieibes liess sich die Proz(»ssakten des Falles einsenden, und Ludwig XVL verwandelte das Todesui teil in lebenslängliches Gefilngnis. Auch Wagners Drama lässt bereit- lie Möglichkeit einer Begnadigung" durchblicken. Bei Sophie Leypold müssen aber die Milderungs- gründe besonders schwerwi^end gewes( n sein. Denn neben der oben an;;efülirten Mitteilung ihrer B<'gnadigung zu lebens- länglichem Gelangnis steht von der Hund des Geistlichen die sonst imerhörte Randbemerkung: «d. 14. Aug. 4788 durch einen königlichen Briet auf freien Fuss j^eslellt», womit folgende Registranda im Natiorjalaichiv zu Pai i.^ ül»er«nnstimmen :

Registre 661 ann^e 1788 lettre L fol. 9 : Registre criminel 4e 1a grande chancellerie : cLeopold ou Leypold> «19 jam>. «Detenüe dans la maison de force de Strasbourg depais Vann^e 1776, en vertu des lettres de oommatation de peine. » < Demande sa libert^.» «Bon povr lettres de d^charge de la petne de d^ntion. » «F«it pvt k M. Gtoird, prftteur royal k Strasbourg». «M. Poursin de Grandehamp seci^taire du Roy. » < SoeU« le 23 juillet 1788. »

Dass das französisclie Militär es war, welches einen entsitt- lichenden Kinfluss auf die Strassburger Mädchen au-nl^te, spiegelt sich in Lenzens «Soldaten» und Wa-ners « Kindennorderin » übereinstimmend ab. Ks musste in dieser hinsieht in Strassbur^^

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weit gekommen sein, dass Frie<li\ Rud. Salzmann a. a. 0. S. 103 schreiben konnte : c( Den Ofticieren der Garnison wird in keinem Bürgershaus der Zutritt verstattet ; man fürchtet die ühlen Nachreden.» Nach jenem Protokoll des Raspelliauses sind die weibüchen Insassen um ein starkes Drittel zahlreicher als die inännlichen, und ist als Hauptursache dci Inhatlnalinie jener die Prostitution angegeben. Diese Zustände, welrho immer wieder in crschfittcrnden kriminellen Vorfallen Itt n nach dem

l*rotokoU der deutschen Gesellschaft lagen < mehrere frische» vor konnten den nach einem Ausweg suchenden, sensiblen Lenz im November 1775 auf den seltsamen Gedanken bringen, Sei- <latenweil)er auslosen zu lassen, damit die Bür^erstöchter ver- schont blieben, cc 0, ich wünschte,» lasst er den Obei*sten in den ,Soldaten* sagen, fMÜesen Gedanken bei Hote durchzutreiben, ich wollte ihm schon Quellen entdecken», und im Februar 4776 jneldet er Herder im Gefühl körperlicher Hinfälligkeit allen Ernstes: «Ich habe eine Schrift über die Soldatenehen unter Händen, die ich einem Fürsten vorlesen möchte, und nach deren Vollendung und Durchtreibun^ ich wahrschemUchst wohl sterben werde.ji^

Wie viel Wagner für seine Kindermörderin, welche im Winter 1775 1776 entstanden ist, dem Fall Leypold entlehnte, lässt sich, seitdem die Prozessakten in Strassburg verbrannt «md, nicht aichr sagen. Vielleicht gehört ihm die Episode mit der verlorenen Schnupftabaksdose an, welche Wagner in der Vorrede seiner Ausgabe von 1770 aus besonderen Gründen nicht missen zu wollen erklärt ; alles übrige aber, die Verführung des fiurgermädchens durch den Junker, dem ein Bösewicht als Helfer zur Seite steht, den Schlaftrunk der Mutter, der jene ermöglicht, den Tod derselben, das Duell bei Wagner in ein Gl sprach verflüchtigt die Ohnmacht in der Kirche, die Wahnsinnsscene und das Wahnsinnslied , teilt W^agner mit Goethe, der jedenfalls die meisten dieser Sceuen bereits am 7. November 1775 nach Weimar mitbrachte.

Indessen wenn auch Wagner alle diese Einzelheiten aus dem Goetheschen Faust gekannt haben muss, was bei dem innigen Verkehr beider Dichter in Frankfurt nicht zu verwundern ist, so verliert doch der bekannte Goethesche Vorwurf den ej4featlichen Kern seiner Bedeutung, weil Wagner, wie wir an einigen Punkten nachweisen können, dieselben Quellen, wie

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Goethe, in selhstaiuli^rer Weise benutzte. Wenn (ioetlie 1780 Lavater bittet, seine «Blumen und Kräuter» keinon prätendie- ^nden Schriflsteller seh.n zu lassen, «die Buben h-ihcu mich von jeher aus und nachgeschrieben und meine Manier vor dem Publiko lächerlich und stinl%end proma« lit i, so ist, besonders da Faust damals nocli nicht «rcdruckl war, keineswegs an Wagner, dessen t Kindermörderin » Kricb St hmidl sell)sl na( h Gebühr iüchätzt, sondern eher an Lenz zu denken, der unler anderen den Grundjfedanken von Goethes Stella, die Doppelehe des Grafen TOii Gleichen, in seiner Komödie «Freunde machr-tt den Philo- sophen» nufb der Weise der Stürmer und Bränger in lealistischer "Weise wiederholte.

Wer will überhaupt in jener Zeit von lilteran-<( hein Dieb- stahl sprechen? Die Dichter jener Periode suehen d,re diarna- tischen Motive ilberallher zusammen. Sie glriehen dann eirri-en Lokalberichterstattern, welche sich alle l'nglucks- und Kiitninal- fölle' einer grossen Stadt jrewisscrihai'l für die Spalten ihrer Zeitung notieren.

«Was war wohl der Bewe^:-i 11,1.» schreibt ein launiger Kritiker im Strasshurger Bürgerfreand 1777 S. 490, < der erste Trieb, der diese Entwickclung der Genies veranlasste :^ Mich deucht, ich sehe ^nige WityJingc, die ein paar Dutzend Histörchen aus der Stadt aammeln. geschwind auf das Papier brnigen und dann eine Portion Äergliederter Wörter, so sie für neu ausgeben, darzwischon schmeisseii.V

Auch Goethe nimmt, wo er findet, wenn er auch ;ds grase,«,- fcüttstler die Motive dichterisch umzugestalten weiss. Die erste Begegnung Fausts mit Gretchen beim Kiichgang entlehfit er dem damals viel gelesenen Pelrarka, kleine, aber wirkungsvolK». Zuge hat er, wie ich anderwärts nachgewiesen, Lenz abgelauscht, anderes wiederum den Tagesereignissen entnommen, bo ^vird imÜrfaust bereits in den Scenen cc Trüber Tag » und «Kerker»^ auf den Tod Valenüns hingedeutet, wenn auch die Duellscene selbst erst später ausgeführt wurde.

Auch Wagner erörtert wenigstens die Berechtigung des Duells in jener langatmigen Erzählung des Majors Lindsthal im 3. Akt, die der jüngere Lessing in seiner faden Bearbeitung des Wagnerschen Kraftstückes von künstlerischem Stand{)unkte ganzriehiig als .(albernes, linkes Tabagiegeschwütz t) bezeichnet, ohne zu bedenken, dass es den Stürmern und Drüngern in erster Linie nicht um künstlerische Vollendung, . sondern um sociale Ueformen zu thun ist.

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Zu den sensationellen- Strassburger Ereignissen des Jahres !1775 gehörte aber auch die Kontroverse über die Berechtigung <ies Duells, /«««lehes deshalb' neben der Kindsmordsgeschichte der Sophie Leypold in allen Kreisen lebhaft besprochen wurde, ■weil ein interessanter lokaler Fall vorlnjr.

« C'etait l'annee des catayti ophes,» schreibt Frau v. Oberkirch I ö8 sehr bezeichnend vom Jahre 1775. «II y cut un duel a Strasbourg, auqacl nous primes beancoap de pari, connaissant fort la partie in- - t^resste. Le baroa de Fiieh, d^ime haute faniUe de Pomfeanie, 6tait :pa8s6 au service de France pliuienrs ann^es avant cet ^vfoement, ayaot qnittft celai de Prasse, ponr des raisons qae jMgnore. C*6tait an homme d*an grand mörite, d*ane Inatraction immense et destin^ ■Ii un bei avenir ; il a compos6 plnsieiiis oarrages de tactique fort estimes. II 6tait alors capitaine au rSgiment d^Anhalt, en garnison a Strasbourg; un de ses camarades, jaloux, assure-t-on, de ses talonts et de ses Protections, lui chercha quereile et le blessa dangereusement. II n'en mourut pas iieanmoins et son adversaire n'cn recueillit que la honte et les reproclies de tous ceux qui le connaissent. Cette rage <le duel a fait couler bien des larmes en France».

Gootlie i>:t stets der "^ros.se Künstler, Wnprner Heforin-T<Mi- denzler. JtMici nimmt das Duell, welches ilmi Kiänloiii Henriette AYaldner v. Fi oiinrlstptn (Fi'aii v. Ohci kii * Ii ) ocier Her mit dem Kapitän V. Pircli betreundete Lenz bei seiner Anwesenheit inStrass- Iiiül; im Sommer 1775 erzälilf haben ma^, als solches in sein Urama auf; dieser g^laubt seinen lieruf jianz erfüllt m haben, "wenn er die damali«ie Kontroverse in bür-ierlichen und soUla- "tischen Kreisen Strassbuij's über die Berechtijjnnij; des Duells in jenem hitzigen Disput des Magisters mit dem alten Haudegen "Major Lindsthal sich abspiegeln lässt. Dass er dabei wahr- scheinlich die Details des Falls Pirch veränderte, musste atis Rücksicht auf die Strassburger Offiziere geschehen. Aber die äussere Veranlassung zur Kinflechtung jener Kontroverse in sein Drama gab ihm ersiciitlicb jener sensationelle Fall Pirch. Ziehen 'wir den Schluss, so steht Wagner mit seinem Disput den wirklichen Verhältnissen jenes Vorganges inr»merhin näher als Goethe, kann mithin nicht aus Goethes Faust entlehnt haben.

Ganz entscheidend für die Entlehnungsfrage ist aber ohne Zweifel die Ohnmacht in der Kirche. Während bekanntlich im % Faust» Grelchen beim Zureden des Bösen Geistes, ihres Ge^ Wissens, der ilir die Schuld gegen die Mutter vorhält, in Ohn- tnaclit sinkt, wird Eva Humbrecht in der Nikolauskirche ohn« mächtig, als, wie quartatiter au geschehen pflegt> - nach der

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Katerhisintispredigt die königlichen Verordnungen wegen der Duelie» des Hausdiebstahls und des Kindsmonis von der Kanzel verlesen werden. So berichtet der Magister ausföhrlichy der den ganzen Vorgang von der Kanzel verfolgt hat.

Schon oben habe ich atu den Protokollen des Strassburger Kirchenkonvents den Beweis erbracht, dass die Erzählung des Magisters geschichtliche Elemente in sich birgt. Vom Jahre 1717 durch das ganze 18. Jahrhundert bis in die französische Revo* lution kehrt in jenen Protokollen Jahr aus Jahr ein kurz vor öder nach dem Ersten jedes Quartals der Wortlaut wieder: cKünfligen Sonntag ist statt des ordentlichen Evangeliums dae ~ Hauptstück des Gatechismi zu erklären und nach der Predigt sind die Edicta regia zu verlesen.» Dass jene Edikte «die Ver- behlurij^ der Schwangerschaft lediger Personen und den Haus- diebstahl betreffen^j sagen die Indices der Jahrgänge 1742 und 1743 ausdrücklich.

Erich Schmidt, der alle diese Dinge nicht kennte obwohl er doch seinen Heinrich Leopold Wagtier in Strassburg verfassi bat, behauptet hei jener mit Goethe übereinstimmenden Qiin'- jnacht in der Nikolauskirche S. 80: «dass sich bei Wagner jeder feine Zug vergröbert^ jeder innerliche veräusserlicht, be« darf nicht der Erinnerung; er will etwas ahnen lassen und winkt gleich mit dem Zaunspfahl.»

Dagegen muss ich gestehen, dass ich eine solche Ingnorie^ rung der Grundregeln historischer Kritik bedauere. Jeder, der vorurteilsfrei zu urteilen vermag, wird mir beistimmen : nicht dass der reale Vorgang ^ wie ihn um Wagner bietet, aus dem idealisierten bei Goethe geschöpft, sondern dass vielmehr der yiealisierte bei Goethe atts dem realen vergeistigt ist!

Beide Dichter, Goethe und Wagner, haben demnach aus derselben Quelle geschöpft, die dem Strassburger Wagner n&ber gelegen hat als Goethe.

Die Vermutung, dass jener Vorfall in der Nikolauskirche kriminalistische Bedeutung gehabt habe, ergiebt sich fast von selbst. Die Ohnmacht in der Kirche hat nur dann wirklich Sinn, wenn Eva Humbrecht bei der Verlesung des königlichen Strafedikts von dem Schuldbewusstsein des bereits begangenen^ nicht erst zu begehenden Verbrechens überwältigt wird, Goethe hat sich in dieser Hinsicht auch näher an die Thatsache gehalten^ indem er mit leichter Veränderung des Historischen Gretchen im Schuldbewusstsein der an der Mutter begangenen Unthat m

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Boden sinken lässU Bei dem zu Grunde liegenden wirklichen Vor- ^'ang in der Nikolauskircbe kann nach ärztlichem Eingreifen und beim Gerede der Leute mit der körperlichen Ohnmacht auch <das Verbrechen entdeckt worden sein. Die unmittelbar nach Creburi und Verbrechen erfolgte Ueberführung der Sophie Leypold ins städtische Hospital^ wo sie sechs Wochen an der Kette ihr Wochenbett aushalten musste, läast sich mitzuMhem Ausgang wohl vereinigen. Auch folgende von dieser Erwägung l^anz unabhängige Berechnung führt zur Vermutung, dass die Ohnmacht in der Kirche keinem anderen als dem Falle der Sophie Leypold angehört.

Schon jener Urfaust, den Goethe am 7. November 177Sr nach W'eiinar mitgebracht hat, weist trotz seiner gedrängten Kürze auffallender Weise hinter einander swei religiöse Scenen «Zwingerj» und «Dom» auf. Die erste Sceno klingt mit den Worten ^dai Sehwert im Hrrzen^ Mit tauben Schmerzen Blickst du auf zu deines Sohnes Tod!» an die Stelle in Goethes Brief an Sophie La Roche vom 11. Oktober 1775, tdass da$ Schick- sal den MiUteim solche Schwerter nach dem Herzen zückt» ^ was wiederum durch Goethes gleiclj zeilige Worte an Merck, 4ihab an Faust viel geschriebenit gestützt wird. Unmittelbar darauf wird in Frankfurt oder Weimar die zweite religiöse Scene «Dom» mit der künstlerischen Verwertung jenes Aufsehen erregenden .Sfrnssburger Vorfalls, den ihm Wagner bei seiner damals sehr eifrigen Korrespondenz aus den Briefen seiner Strassburger Verwandten gemeldet haben mag, hinzugefügt worden sein.

Aber verlassen wir das Feld der Vermutungen, auf die ich streng genommen keinen allzugrossen Wert lege, so viel ist, glaube ich, nach meinen Untersuchungen sicher, dass in betreff ■der Ohnmacht in der Kiiche Wagner einem realen Vorgange näher steht als Goethe. Damit ist der Beweis gebracht, dass Wagner an dieser Stelle nicht Goethes Faust als ursprungliche <}uelle benutzt liaben kann^ und dies ist für meine Beweis^ Führung hinreichend.

Ich schliesse hiermit im wesentlichen die Akten über das Verhältnis zwischen Goethes «Faust» und Wagners «Kinder« mdrderin», indorn ich nochmals hervorhebe, dass, wenn auch ■WagneT) was bei so grosser Uebereinstimmung der beiden Dramen ersichtlich ist, Goethes Faust im Wortlaut gekannt haben muss, er doch dieselben Quellen wie Goethe, und zwar als viel geringerer Geist, im engeren Anschluss an dieselben,

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für 5iein })urjrerli(li krirniju'lk's Triiu» rspiel b^ut2te. Der Vor- "wurf Gi)ctln's wiitl (hiinit ein (ifiin^e^ heschränkt. Selbst A. Sauer, dei* doch, wie Kiicli Schmidt, den Ding:en keines- Avc^s iiacii Möjrliehkeil auf den Grund gegan}]fen ist, urteilt, nach dem allgeiueiueii Kindnick : «Soweit die Uebereinslim- iiiuM^^eii jetzt vorliegen, kann von eine)' direkten Entlehnung nicht die Rede sein!» Und Erich Si hnii<lt meint: «Wäie Faust beinv Erscheinen der Kindermörderin im Herbst 1776 schon j»edruckt gewesen, so würde Wa^nier kein Tadel trellen.» Allein, so trage ich, konnte dieser wissen, dass (iitethe mit der Heraus- ^abe seines Werkes, nach dessen voilendeleju Drucke schon Köderer in einem unjjedruckten Briete an Leu/, in Weimar den

Mai 1770 sich erkundigte, über den Sonnner 1776 hinaus zögern würde, und hätte er vielleicht, da er schon im 3*1. Jährt? am i Marz 1779 das Zeilliche se;;neii nius^le, (Inellie alter seinen i anst eist M*M) hei ausgab, sicli aut eine Publikutiou seiner Arlieii Iiis ins Elvsiuni verlrösten sollen?

Niclit uninöglich, dass W^agner als Strassburgei' seinen» Freunde Goethe manchen Zug an die Hand gegeben und daher das ganze Thema nachträglich für sich in Anspruch nehmen zu dürten geglaubt halte. AVahrscheinlich auch, dass wenigstens- der Kern der Gretciientrag(Kiie bereits in ii*gend einer Verarbei- tung Allgemeingut geworden war, auf welches Wagner, auch ohne die Erlaubnis Goethes einzuholen, Anspi'uch erheben konnte. Diese Vermutung hat alles für sich. Die oHenl)are Verwandtschaft der fKindeiinörderin» mit Lejizens schon int Sommer 1775 vollendeten «Soldaten» hier wie dort <ler Verführer ein Offiziei' von Adel, die Verführte ein Düi'^ei- uiädclien, das seinen Eitern entlauft, während ein verschmähter Freier zur Seite steht - ja, die Beziehung des «Faust» zu Lenzen« sclion 1774 eiscliieneiiem «Hornieisler» hiei" wie dort ein «Gn tel) und ein altes Weib «Alarthu» sprechen uiiwiderleij^lich dafür.

Jenem älteren Vorgarigo urkundlich näh<M' zu treten, wäre einem August Stöher, Ludwig Spach oder Gustav Mühl vor dem Jahre 1870 leichter gewesen. Damals waren die Tribunal- akten des vorigen Jahrhunderts in zwei Zimmern des Strass- burgei- Juslizgehäude- wohlgeordnet vorhanden. Aber wie es auch mit d«'iti l"ri<Mieiikeu-Nachlass erging, der nach glauh- würdigem Zeugnis erst nach dem Tode des letzten Anverwandten

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Im Jahre 1859 im Pfarrhaus zu Meissenheim bei Lahr ver- brannt Warden ist, keiner der Gelehrten von nah und fern hat «ich um jene Dinge gekümmert. So bleibt denn heute, da auch die Paiiser Archive, auf welche ich die letzte Hofl'nung setzte^ -versaj^en, nur ein schwacher Versuch ubri^, der indessen den t^hteier soweit lullet, dass wenijfstens ein ganz allgemeiner Kinhiick gewonnen werden kann.

Indem ich jenen älteren Vorgang suchie« fiel mir zunächst tlie Notiz in L. Steinhrenners «Bemerkungen auf einer Reise durch einige teutsche, Schweizer und französische Provinzen,» Gi'itfiugen 17bl I, S. 264 auf: «Herr Prosektor Glaussner hatte die Getälligkeit, mir das anatomische Theater in Strassburg zu zeigen ; der Kopf des schönsten Mädchens von Strassburg, die ihr Kind umgebracht hat, wird auch da aufbewahrt.»

Ein solcher Mädchenkopf, wahrscheinlich derselbe, den noch Steinbrenner gesehen, wird nach den im Thomasarchiv befind- lichen Akten der medizinischen Fakultät in dem vom Prosektor Hummel im Jahre 1737 angefertigten Katalog der kunstreichen Präparate des verstorbenen Proeektors May aufgeführt:

Sectio prima continet Praoparata qnae in liquora conservaatnr : darin N. 12 : Virginis eaput integrum, injecttone snbtiliore ita ze- ^letmn, ac si adhoc in vivis esaei»

Die medizinische Fakultät hatte die Anschaffung dieses Museum anatomicum Majanum, als Grundstock eines zu errich- tenden anatomischen Theaters, dem Rat der Stadt Strassburg um die geforderte Summe von 3500 livres in einem noch vor- handenen Gutachten drin*^end anempfohlen :

« zumahlen aach die acqaisition und beybehaltung diaser wohl •laborirten and wohl conservixten Stacke aar Zierde and woklatandi des Pabllci, nicht weniger an mehrerer aufnahm und natsen des all* kiesigen Theatri Anatomici sehr vieles beytragen würde. »

Das Sclireiben setzt hinzu :

«Dieses könnte zwar den Werth in etwas vermindern, daaa an besorgen, es möchten erstgemeldte Fraeparata Anatomica, besonders ^ drei Menschenköpfe in einem steinernen und swej kapfemen ge* schirren wie auch diejenige, so nicht in liqaore aufbehalten worden, in dengenigen atandt, in welchem sie dermahlen sind, nicht beständig verbleiben, sondern nach verfliessung mehrerer Jahre in ihrer Schön- heit einigen abgang Toy^ien, allein es ist im Gegentheil auch zu ver- hoffen, dass wofern auf dero conserration die nöthig(^ Sorgfalt und aufsieht angewf^ndet wird, sie eine geraume Zeit dauern and in gntem Zustand erhalten werden können.»

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Goethes Beschällifiiiig mit der medizinischen Wissenschafl in Strassburg ist aus Dii^tung und Wahrheit zur Genfjge be-' kannt. Uebrigens war dies keine besonders dastehende Neigung

Goethes, da an den anatomischen Demonstrationen des he* rühmten Professors Lobstein stets sehr viele Nicht-Medisinep teilnahmen. Es gehörte . gewissermassen zur allgemeine»

Bildung, sich dieses gerade in Strassburg in hervorragender Weiae darbietende Belehrungsmittel nicht entgehen zu lassen* Meldet doch auch Professor Oberlin an Hofirat Ring, dass die Prinzen von Weimar üiren Strassburger Aufenthalt zu ver- längern gedächten, um einem Kursus Lobsteins äber die Ana- tomie des menschlichen Kopfes beiwohnen zu können.

Dass im anatomischen Theater zu Strassburg, dem Fr. Kud. Salzmann a. a. O. S. 176 eine eingehende Beschreibung^ einseht, der Kopf jener Slrassburger Schönheit auch Goethe gezeigt wurde, ist nicht zu bezweifeln. Nehmen wir an, dass das Greschick der Hingerichteten dabei vom Anatomiedienep erzählt, in jener empfindsamen Zeit in ein Lied gebracht oder sogar schon auf dem berühmten Strassburger Marionetlentheater dramatisiert vorgeführt wurde, dann allein begreifen wir die Uebereinstimmung zwischen Goethe, I^enz und Wagner, die deshalb so auffallond ist, weil^ie räumlich getrennt lebenden Dichter Lenz und Wagner in dem Umstände, dass die Ver- führte zur alten Marthe entläuft, sich näher berühren, als die räumlich verbundenen Goethe und Wagner,

Solche Lieder existierten« cSie singen Liedger auf mich)», klagt Gretchen in der Kerkerscene des «Urfaust», und Lenz sagt übt T don ihm vorschwebenden Fall in soinom «Zerbin» : «Man schrieb Gedichte und Abhandlungen über diesen Vorfall.)» Zur Dramatisierung aber war beim Bestände des Strassburger Marionettentheaters ein einziger Scliritt. Es wäre wenigstens seltsam, wenn diese Bühne, ^^ I he der Dichter Fried, v. Matihison in seinen «Erinnerungen II, -221 rühmt, sich einen so zeitge- mässen, weil sonsationollen Stoff hätte entgehen lassen.

Während das Theater auf dein Broglieplatz nur französischen Aufführungen dient» , die dem Volke unverständlich waren, eine '^'elogcntli( Ii im Theater in der Tucherstuhgasse auftretende deuts(;ho Truppe sich niemals langn li.ilten konnte, weil sie den vierten Teil aller Einnahmen an den Direktor der französischen Komödie abgeben mussto, fand das der französischen Sprache unkundige urdeulseho Bürgertum Strassburgs beständige fie-

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friedigung im tPüppelspieh, einem Volkstheater, wo nur die heimatliche allemannische Sprache galt und Hanswurst zuweilen dem Ge&Ror ein Schnippchen zu schlagen wussle^ indem seia; Witz wenig^ns die kleinen Schäden des Stadt- und Staat»- regimentes traf.

«Das Marionettentheater zu Strassburg«, schreibt Fr. v. Matthissoa im Jahre 1803, «verdient in seiner Art vollkommen genannt zn werden. Die Puppen sind über halbe Lebeusgrösso und werdea mit dei takt- festeste Prieidon dirigirt. If aa gab die Aleeste, die sieh hier mit «inem Dolche das Hers durchbohrt uad sodann Tom Teufel durch die Luft entfahrt wird. Hanswurst hielt ihr die Parentatioii und Uber- traf sich bei dieser Gelegenheit selbst. Im dritten Akte erblickt man die Gemahlin Admets in den Flammen der Hölle, wo sie zum üeber- fluss noch von einem Dutzend Teufeln gemartert wird, bis Herkules erscheint, den Pluto im Duell erlegt, alle Teufel in die Flucht jagt imd AIcesten wieder zur Oberwelt befördert. Hier ist Admet indess ¥or Gram ein Eroinit geworden Hanswnrst, sein Kammerdiener, hat ihn auch ui der Einöde nicht verlassen. Das Stück endet nun mit «iner zweiten splendiden Vermfthlnngsfeier, wobei Hanswurst f&r seine seltene Tieue zum Kammeijunker erhoben wird. Der ElsSsser Dialekt that in diesem heroischen Drama eine ganz Torzftgliche Wirkung.»

Iii Strasshurf): vollzojr sich bekanntlich Goethes lyrische und dramatische rmkeln . Wahrscheinlich, dass an der letzteren auch das Stiasshurj^er Pnppelspiel einen bescheidenen Anteil hatte. Bot dasselbe docli dem ii);/endlichen Diainatikci , der zu benutzen verstand, einen uiijiehobenen Sr hatz ^resunden iiuinors und packender Motive. Der Strassburger Gelehrte J'iiedr. Wil- helm Berg-mann hat uns in seinen orStrassburpfer \olksj^e- >[ ! n iien 1873» ein «Brunne-Gschhrüch» aus dem vorig^eii Jaiir- liundert erhalten, welches wortlich an die Brunnenseene iiu «Faust» anklingt. Seine Tleberschrift lautet : «Verträulis Brunne- Gschbrfich zwische vier Strossburjerisclie Dienst-Maidle Lissel« Süsel, Küttel, GredeL ull^eseizd vonn Hans Jerri Wer(l<\ der Schildwaachd die d'si Hemols am Brunne gschdande isch, sins Zeiciies e Stri ssliurjer Kind.»

Gretchen und Lieschen, im Fausf, besprechen am Brunnen wie Gredel und Lissel ir» diest tu Gespräch die traurige Ge- ^hichte eines gefalleneu Mädchens.

Süsel

*Sletscht hawi uf 'm wsj *s Drschel angedroffe.

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OredeL

Mer bot mer g^said, €« lei mit atm wieschd »ngeloffo« 1 Kftttel

Jo ! ich bab ebbs g^bftrt; sie sa&e es iscli g'sJkbickd, n. s. w.

Dass dieses Gespräch, wie Bergmann vernnutel, dem Dichter Goethe in der liltfMiu is( heii Gesellschaft beim Aktuar Salzraann^ im Beisein Herders in Stiassl»urg, als populäres Kuriosum zur Kenntnis gekommen sei, ist bei der ^fewiss jjrossen Summe derartiger Volksdiciilungen jener Zeil eine etwas gezwungene Annahme. Wahrscheinlichei* docli, dass solche Frauhasenge- »spräche, wie ähnliche im Kölner Hännesihen-Theater, die Entr'acts des Piippelspiels bildeten und aut diese Weise zur unmittelbaren Kenntnis Goethes und Wagners gelangten. Denn auch Wagner hat in seiner Kinder mordet in eine Magd «Lissel» verwendet, die in ihvor treuherzigen Elinfali der gleichnamigen Kollegin in jenem Sliasshurger Brunnengespräche näher stellt als der Goetheschen Magd. Diese ist tugendslolz und hartherzige von jener sagt Bergmann selbst : «Lissel ist ein Mädchen ge*^ wissenhalt, treu und innig liebend, anspruchslos, im ganzen zufrieden mit GoU und der Welt, wenn sie nur ihren Geliebten fest vM hallen vermöchte.»

Das Sfrasshurger Puppelspiel war den Dichtern bekannt. Lenz erwähnt es in seinem in Strassburg 1773 verfasslen «Neuen Menoza». Der Umstand, dass Guslchen im tHofnieister» von der alten Marlhe auf «'innial ohne erkennbaren Grund «Gretel» angeredel wiid, scliemt aut eine Erinnerung Lenzens an eine solche volkslümliche Dramatisierung, wie sie später er .seihst, Goethe und Wagner bi'nulzlen, zurückzuweisen.

Goethe gesteht selbst, dass er die Faustsage durcli eii\ Puppenspiel in sich aufgenomMwn hahe. Alles führt uns darauf, «las Gleiche für die Grelchenlragödie anzunehmen. Die 55. These seiner Licentialenpromotion : «An foemina partum recenler edi- tum trucidans (tapite plectenda sit ? quaestio est inter Doctore:^ confroversa» heweist, dass Goethe gerade in Strassburg für jenes damals vielfa<di erörterte Kindsmordlhema, das er später liünsllerisch verwertete, interessieit war.

Jene Kindsmörderin, deren Geschick Goeiiio vorschwebte, zu finden, habe ich die Mühe nicht gescheut, alle Jahrgänge- der Protokolle des evangeli.schen Kirchenkonvents rückwärts bis un den Anfang des 18. Jahrhunderts durchzusehen, aber er-

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fuhren müssen^ dass, besonders vor Errichtung des Findel hausen durch Prätor KlingUn im Jahre 1749, die Zahl der we^en Kinds- inords hingerichteten Mädchen auch eine Margaretha ist darunter sehr gross ist, so dass man auf einen besonderen Fall mit Sicherheit nicht schliessen kann. Dazu sind die im Bezirksarchiv aufbewahrten bischöflichen Kriminalakten, wie es sciieinl, nicht einmal vollständig.

Es bleibt somit, l)ei dem ewig beklagenswerten Verluste der Archivalien, nichts anderes übrig, als auf alle gedruckten Puppenspiele und Mortigeschichten jener Zeit zu fahnden, denn dass auch di«; Uebereinstimmung des Wahnsinnsliedes hei Goethe und Wagner dem Kerne nach auf gemeinsamer Be- nutzung eines Refrains solchen Uedes und nicht, wie Erich Schmidt behauptet, nur auf ein unmittelbares Plagiat Wagners an Goethes Faust zurückzufahren sei, darf wohl aus der erwiesenen Thatsache, dass Wagner auch die Ohnmacht aus sclbsti'indiger Quelle schöpfte, sowie auf Grund einer ge- wissen Parallele in Sprickmanns Ballade «Ida» bis auf weiteres- angenommen werden.

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Schluss.

Nach meinen Untersuchungen wird das Bild, welches uns Erich Schmidt und mit ihm die ganze neuere Litteraturgeschichte von dem Strassburger Dichter Heinrich Leopold Wagner ent-

woifeii hat, wesentlich verändert. Wagner war, wenn auch, "wie die damali^o' iitterarische Jugend überhaupt, selbstbewusst, ja übermütig uiul kaiiipflustig und wie hätte sie bei den grossen Ideen jener Zeit j^ogenüber venolleten litterarischen, socialen und politischen Zust.indeii anders sein können doch als Slrassbur^^er Kind eine ^«^ute Seele. Dass er einmal im < Sudelkocli » Goetlies anonyme Wut ^egen alles unbequeme Rezensenten Wesen anonym bekämpfte, war sozusagen Masken- Ireiheit jener Zeit und ist ihm, so viel wir wissen, selbst von Goethe niemals übelgenommen worden. iMtel war Wag:ner; die Meinung A. Sauers aber, es habe sich mit dem egoistischen, schadentrolitMi und skandalsüchtigen Menschen schwer lehen lassen, ist eine Phrase, die der Verfasser nicht verantworten kann!

Goethe sa;^l .selbst, (iass Wagner ein ^fu^cr Gesc/Ze gewesen und treulich an ihm gehalten habe. Miller meldet seinem Freunde Kayser den 28. Au^^ust 1775: tBei Wagnern bin ich vier Tage gewesen und hal)e den treuen Jwngen recht lieb ge- wonnen.» J)ep von Goethe aufs beste belcunmndete Strassburger Theologe Johann Gottfried Röderer, welcher Waprner von Kindes- beinen an kannte, sei treibt in ungedruckttn Briefen an Lenz in Weimar von Wagner, dass er «sein lieher Freunde und auch von Schlosser «sehr yeliebt» sei, und mit Goethes Eltern blieb VYagiifT bis zu seinem Tode in !\virkliclier Hausfreuad- schaft verbunden. Am 1. März 1779 klagt Frau Rat Goethe:

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<Eb ist doch eine lumponwirtschaft unter diesem Mond. Aber

trosts ists doch allcmahl wenn die Leute die man lieb hat, noch mit ans von emer äonne beschienen werden, wenn sie nnn gar in die EliafiiBchen Felder Marschiren, der gute Docter Wagner steht nah dran, ich glaube nicht dass £r noch 3 Wochen lebt,»

Wagner hat den Pakt, den er in betreff der Farce «Pro- metheus» heimlich mit Goethe {^geschlossen, treulich gehalten und erst kurz vor seinem Tode, als Goethe sich längst in Weimar "^festigt hatte, Sprickmann die Wahrheit bekannt. Um sich vor Indiskretion zu bewahren, ist er gleich nach dem Erscheinen jener Farce im April 1775 von Frankfurt aufs I.and gezogen. Gegen seinen Gönner, Hofrat Ring in Karlsruhe, der scharf- sichtig gewesen zu sein scheint, sucht er sich mit besonderer Anstrengung zu verstellen. Seine Flucht .lufs Land bemäntelt er naehträglich 1 mit dem Vorp»^el)en, dnss er bisweilen aus Sparsamkeit «Natur» geniesseii müsse, und sueht ciejj Ar^^wohrt des Gönners durch die plumpe Selbstanklage u Gnade Gott den» Verfasser de.s Prometheus, wenn er sich auf einem fahlen Pferd erwischen lässt» einzuschläfern. Vergebens! Ring, <ler seine Fäden überall hatte, wusste jedenfalls um den Prometheushandel Bescheid und bragh jeden weiteren Briefwechsel mit seinem früheren Schützling ab.

Als dann im September 1775 die vernichtende Recension in Nicolais Allgemeiner deutscher Bibliothek mit der twirksamen*^ Anspielung auf den Offenbacher Formschneider Dannhäuscr erschien, die so erschreckliches Aufsehen in Frankfurt und Umhegend machte, flüchtete Wagner aufs neue Hals ülier Kopf nach Höchst mit Hinterlassung eines Zettels, «dass er in seinem Leben nicht wiederkommen wolle». Die 50 Gulden Srhnlden, die er nebenbei zurückgelassen hatte, hält Agnes Klinger nicht

* Wenn Erich Schmidt zur besseren Stütze seiner Ansicht H. L. Wagner S. 41 behauptet, dieser Brief Wagners an Ring falle schon in die zweite Hälfte April 1775, so scheint er ixar den Anfang des Briefes: «Nadi «iaer so langen Fasten hat mir Ihr freimdscliafllielies Schreiben vom 18» Aprü doppelt gut geschmeckt» nicht aber die Btelle im Yerlanf desselben: «Ooethes Operette Erwin nnd Elmire, di* £le entweder einzeln oder in der «Iri8> schon werden gelesen haben^ wurde den 26. May, wie ich gehört habe» mit dem grössten BeyiaU hier anfgetohrt» gelesen an haben.

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für die alleinige Ursache seines Ausieissens. < GoU w^iss «ckreibt sie^ « was ihn forlgelrieben hat. »

Waj^ner war in der Prometheus- Anjyelegenheit en^. mit Goethe verbanden, so dass er die einmal ergriffene Rolle allen Anfeditungen zum Trott zu Ende .spielen mussle. Vielleicht rührt der GtMlank«^ an eine solche Farce von Wagner her, »her (loeihe, der dessen Machwerk zu dürftig fand, schob ihm seine Arbeit unter. Nur so ist folgende sehr jjowichtige Be- merkung Karl Wagners, tles Herdusgel>er.s der Briete an und von Joh. Heinr. Merck, Darmstadt 1838, S. '286 verständlich:

«Ein in dieaem Fache sehr nnterrich teter Mann sprach gegen mich seine feste üebenengnng dahin ans, das Wagner der Yerfasser des Prometheus nkM sein könne. Zwischen dem ächten Wltse, woran

^eses Stück so reich, und der trivialen Posse, die ihm Wagnet iät

seine Arbeit vor geleiten und zur Absehrift gegt^fen habe, sei ein zu starker Kontrast. Merck habe es Göthen gegenüber mit Bestimmtheit behauptet, dass er (Göthe) und kein Anderer der Verfasser sei nnd sein müsse, und habe seinen Freund derb ansgoscliolteu, weil er es nicht habe gestehen wollen. ^Vagne^ habe sich dagegen angelegent- lich als Autor gerirt und noch Jalir und Tag nach dem Erscheinen des Prometheus die Recensionen über denselbeu auf seinem Tische ausgebreitet.»

Beide Dicht«M\ Goethe und Wagner, glaubten also ihre Ueclinung bei dem Prometheushandel gefunden zu haben. Schon am 28. April 1775 sagt v. Bretschneider^ in Uebereinstimmung mit jenem ungenannten Gewährsmanne, dass Leopold Wagner sich grosse Ehre daraus mache, durch den Prometheus bekannt KU ^Verden. Goethe dagegen hatte Wieland für die Recension im .Januarboft 1775 seines Merkurs» gezüchtigt und behielt trotz- dem die Strasse nach Weimar frei, da sdn guter Freund Wagner ihm die Steine beseitigen half» die Goethe selbst deshalb wohl sclireibt er: «Mit mir nimmt's kein gutes Ende» sich in den Weg geworfen hatte.

Ob Wagner, wie v. Bretschneider wissen wollte, von Goethe tnit Geld unterstützt wurde, ist nicht unwahrscheinlich, wenn äucK nicht im Sinne einer Bestechung zu verstehen. Wag;tiers pekuniäre Lage hatte sich immer mehr verschlechtert, woher wohl ein gewisser pessimistischer Zug seines Wesens erklärt werden kann. Bei des Dichters Geburt und spater war der Vater scheinbar in guten Verhältnissen. Er wird im Taufakt (Neue Kirche N. 229, fol. 240) Handelsmann genannt ^ ebenso

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\)0] der (leliurt des jüi){,^steii Tüclilen hens 1763 was nach <lein ij^ew 'hnlic}»en Sprachgebrauche Jener Zeit einen «Gross- handler» bedeutet. Des Sohnes Taufpaten waren Banquier Keller und des Rektor Ma}(niricus Dr. Graueis Ehefrau. Leopold stu- dierte nach Ahsolvierung des Strassburnfer Gymnasiums ^Heich- leii'ig mit Goefhe .Jurisprudenz und scheint nach Elias Stöhers Zeuijni*: sehr Üeissi},^ ^rowesen zu sein, fn der Matricula genernlis ivonnle Ki ich Schmidt (s. U. L. Wagner, S. 8), wie ich neben- bei bemerke, seinen Nnmon deshalb nicht finden, da dieselbe ei st vom .lalire ITGü an rrhallen ist, zu welcher Zeit der Acht- ^Äelmjahrige nacli damaliger Sitte die Universität Strassburg Jüngst bezogen liatte. Da^^egen hat Erich Schmidt in seiner Biographie folgende Angaben der im Sladfarchive erhalteneir Kandidatenmatrikein und Protokolle der juristischen Fakultät ijanz übersehen:

13. Der. 1770 Dissertatio praeliminaris Dm, Wagneri: Dn. Heu- ricus Loo})oldas Wagner, Argentinensis, Positionos controversas ex universo jare sab Fraes. Consult. Dn. D. Ehrlen strenue defendit. (Protokoll.)

5, Aug. 1776 lieiiricus Leopoldus Wagner Argentinensis. (Eigen- hSndiger Einti-ag in die Kandidatenmatrikel.)

6. Aug. 1776 Dom. Wagner in primo Examine promte et apte respondenti resolvendi dati snnt textos :

L. Cnm apad. 20 cod. de Teatib. C. Si quis I X de foro compct. 8 Aug. 177n Dom. Wagner Examen alterum maseale saetinuit

•et voniam t>btinuit absqae Praoside dippnfnnd:

>?8. Aug. 177Ü Dom. Wagnor Dissert. niauguraloni de Aurea Bulla, non solornm Electonim sed onniinm Stataam consensu condita, cum insigni Auditorii applauäu propugnavit.

81. Aug. 1778 Testimouiom Licentiae ^ Dom. Wagner scriptom «8t. (Protokolle.)

' Hierdurch erledigt sich der Irrtum Erich Schmidts. H. L. Wagner S 20 und von Loepcrs D. u W. Anm. 402, als ob Wagner Thkior (Un- Ucrlito ;>e\vorden sei Die Erlangung der Doktorwürde war, wie ich aus den vorhandenen Satzungen der Stias.'^burger juri- stischen Fakultät ersehe, lediglich eine Ceremonie, aber eine sehr kostspielige, nnd kommt deshalb im vorigen Jahrhundert bdchst selten tot. Eine wissensckaftliclie Arbeit oder ein hdheres Examen mr daca nicht Torgeschrieben. Znm Doktor der Rechte konnte jeder promoTiert werden, welcher anf Orond mündlicher nnd schriftlicher Prüfungen und einer öffentlichen Disputation über Thesen oder eine IHsseHation die Wahl war frei gegeben Lieentiat geworden war.

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Anfang 1772 scheinen sich nach einer Andeutung die Ver- nogensverhültnisse der F'amilie Wag^ner erheblich verschlechtert lu haben. Von Mitte Februar 1773 bis Mai 1774 war Leopold auf Empfehlung des Amtmanns Schöll, des Oheims der Friederike^ Brion, Hofmeister der Söhne des Präsidenten von Günderrode in Saarbrücken, siedelte darauf nach kurzem Aufenthalte in Griessen nach Frankfurt über und suchte sich hier, wie v. Bret- fvchneider richtig erkundet hat, mit den Ei rungenschaften seiner Feder kümmerlich durch die Welt zu schlagen. Von Hause hatte er wohl nichts mehr zu hoffen. Deini Tode der Mutter am 29. Sep- tember 1776 (N. K. I). 186, fol. IGOb) wird der ül)eHo})end«* Vater, welcher früher den Titel eines conseiller de cuniuicrce de S. A. S. Mgr. de I^ndgrave de Hesse-Darmstadt geführt hatte, «dermaliger Beamter in allhiesigem Umhgeldt» genannt^ ein Beweis, dass derselbe nach dem Zusammenbruch des eigenen Geschäftes die Steile eines Diätar in städtischen Dien^sten an- genommen haben muss; unter den ständigen Beamten des Um- geldes führt ihn kein Jahrgang der gedruckten « Begiments- Verfassung der Stadt Strasshurg,» auf.

Es ist ein edler Zug in Goethes Charakter, dass Geld nie- mals eine Wirkung auf ihn geübt hat. Seine Freunde hat er stets aufs grossmütigste unterstützt. Dass er Klinger fast erhielt, wissf^n wir jetzt aus einem Briefe desselben an Lenz. Auch Wagner wird manche Gutthat von ihm genossen haben, wie «iinsf nuch in Strassbui'g der arme Jung-Stilling, der von Groethe rühmend srhreil)t : « Schade, dass .so wenige diesen vortrefflichen Menschen seinem Herzen nach kennen Allein neben diesem

Ich verbeeaere mit dieser Angabe auch einea Ton mir (zu Strass- burgs Sturm- und Drangperiode S. 111 begangenen Irrtum, indem.

ich nämlich, anf v. Loepers Anmerkung fassend, glaubte, Goethe babe sich iiach Zurückweisuiir' sr iner Dissertation mit einem niedrigeren Grade, nämlich der Licentiatenwürde, begnügen müssen. Dass der Titel der Dissertation Wagners zum Unterschiede von demjenigen der «Posi- tionea juris» Goethes ausser den <summos iu uUuque jure honores* Boeh diie cprivilcgia dootoralia» erw&hnt, hat keiiia Badentung.

Bine der sehr selteiiien Doktorpi^motionen in der. jnristiBcheB Fakultät finde loh den 9. Sept 1776: «Deeanva in ConTentn Faenltatia refert viros Consultissimos Professores Dom. Job. Dan Reisseissen» Job. Dan. Braun, Chistoph. Quil. Koch qui lAcentiam Summos in uiroqua Jure honores capessendi pridem obtruuerant« petere nt doctoralea iranorea solenni a<:ta ipeis conferantoi.»

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Edelmut la^ in Croethes Charakter auch ein rack&ichtsloser ]Sgoismiis da, wo er seine pei*s5nlicliai Zide verfolgte. Er war in dieser Beziehung übel beleumundet. Jung-Stilling nimmt ihn

* ohne Xwdfel gegen die damals herrschende Meinung in Schutz, und auch der Altertumsforscher Zo<>ga meint mit Rücksicht auf jenes Urt^l Jung-Stillings : «Goethe wird hier von der Seite des Herzens gelobt, und ich (tlhle eine Ueberzeugunp: in mir,* dass der Mann die Wahrheit sagt, wenngleicli fast die ganze Welt das Gegenteil behauptet ein Beweis, dass damals (1778) die öffentliche Meinung überwiegend gegen Goethe gestimmt war, wie denn auch sein eigener Schwager Schlosser in Emmen« dingen an den in Weimar gestürzten Dichtem Lenz und Klinger gut zu machen suchte, was Gioethe an ihnen verschuldet hatte, Goethe ist gegen dieselben Freunde, wdche er grossmütig unterstützt luitte, nicht nur nach ihrem Tode, sondern auch bei

. ihren Lebzeiten ungerecht verfahren, wenn er seine Zwecke dadurch erreichen konnte. Wagner hat den «Prometheus* auf sanen Namen genommen und seine undankbare Bolle mit Pudeltreue gespielt. Wie dankt ihm dafür Goethe?

«Der Wag^ier. von dem da^ Blattchen sagt», schreibt er in seiner Rechtfertigung an Klopstock den 15. April 1775, «ist eben die JPersoiiage, die Sie einen Augenblick auf meiner Stabe des Morgens Baben, er ist lang, hager, Sie standen am Ofen. Adieu.»

Man kömile vielleicht über jenen Prometheusliandel die Akten schliessen und sagen: Was lie^l ira Grunde der Liltera-^ turgeschichle (iman, ob Goethe oder Wagner der Verfasser jener Posse istl '/ii«,^egebea, Goethe ist der Verfasser, denn die Verdachtsmomente sind erdruckend : Wird Goethes Charakter durch den VersiiL-h, die Autorsehaft einer von ihm verfassten litterariscben l'ehdesclirift von sich abzuwälzen, verunglimpft? Heisst das nicht viel zu streng, ja ungerecht geurteilt?

Diesen Standpunkt hat schliessHch Merck, Goethes vertrau- tester Freund, in jener viel besprochenen Frage eingenommra« Auch Merck ist der Ueberzeugung, dass Goethe der eigentliche Verfasser sei.

«Goethe s( lieint die l'olgen schon zu empfinden», schreibt er Nikolai, « weil er sogar gegen mich als Herzensfreund auf Ehre und Treue leugnet, dass er der Verfasser des Prometheus sey. Aus einer gedruckten Erklärung werden Sie gesehen haben, dass ein gewiiser Wagner der Veifuser da^on ist, eb ieh^s gleich nicht gUahe.^

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Als aber Nicolai die Meinunj^ äussert, Goothe möge sogar einem ge;;en ihn i,^eii( lit('teu Pa&quill «Ouran- Outangn» nahe stellen^ nimmt Merck seinen Liebling; mit Fiter ia Schut/ :

Za rachsüchtigen Absichten, deren Ausgang Pasquillen und Trät&chereien wären, dazu hat Goethe ernstlich nicht die Seele und zweitens nicht die Zeit, weil sein Kopf voll immer neuen Träumereyen Bdnrirbelt Von dem neuen Pasquill hsb* lek nirgends kein Wort geli5xt und luain anf meine Elire veniebeni, dass ich Nichts daTon weiss. ~ Goethe folgt gaas seiner Lanne, nnbekfimmert Aber die Folge Ihrer Moralität; allein was er auch über Sie gesprochen nnd ge* schrieben haben mag, so ist Nichts als fmmischer MuihwiUm.»

Merck zieht damit seiner früheren Ansicht^ dass Goethe der Verfasser jener Posse sei, kein Jota ab und nimmt den- selben (jHeichwohl gegen die Annahme in Schutz, als liessen sich aus der Verleugnung der Autorschaft ungünstige Schlüsse gegen Goethes moralischen Charakter sieben. Dies spricht zwar Merck nicht mit deutlichen VTorten aus; aber seine Partei- nahme für Goethe schliesst solche Folgerung in sich ein.

Man könnte vielleicht sagen : dieser Standpunkt ist der Standpunkt eines Mannes, der über kleiner« Dinge grosse besichtspunkte nicht verliert und an Goethe auch guten Seiten nicht verkennen will. Dagegen bemerke ieh zunächst c Wenn man jenen Standpunkt für richtig hfllt, so soll man andererseits der Wahrheit die Ehre geben und o0en erklären, dass Goethe an der Herausgabe der Posse beteiligt gewesen ist. Aber die Autorschaft Goethes leugnen und zu diesem Zwecke der offenkundigen Ueberlieferung durch beständiges Absprechen Gewalt anzuthun, wie Erich Schmidt und die ganze neuere Goethe-Schule versucht, widerspricht den Gesetzen der Kritik und schadet Goethe mehr, als es ihm nützen kann. Mögen sich doch jene Merck zum Beispiel nehmen! Die ge- druckte kategorische Erklärung Goethes gegen Wagner ficht ihn nicht an, ein Beweis, dass dergleichen litterarische Lüge in jener Zeit keine moralische Sünde in unserem strengen Sinne .war, und was Goethe in seiner Selbstbiographie Langes und Breites geschrieben, um Wagners Autorschaft zu beweisen, könnten sie durch den Titel «Dichtung und Wahrheit» rechtfertigen.

Dieser Standpunkt wäre konsequent ; aber ich muss gestehen, dass es der meinige nicht ist.

Mag auch Goethe nach der Gewohnheit seiner Z^t ent- sdiuldigt werden, dass er die Farce in seiner Jugend einem

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anderit suschob; nicht tu rechtfertigen ist es, dass er als SechziiQlhriger ohne äussere Veranlassung jene Unmhrheit nochmals, wiederholte und in einem Werke, das zu seiner Verherrlichung dienen sollte, so rücksichtslos mit dem Andenken verstorfoener Freunde verfuhr. Der Titel, cDichtunj; und Wahr- heit» kann diesen Vorwurf in der Hauptsache nicht mildern !

: So wird es denn auch mit jenem angeblichen Plagiat an seinem Faust eine gans andere Bewandtnis gehabt haben, als Goethe uns glauben machen will. Hätte Wagner wirklieh Goethen das Siyet enfioeiidel, so wäre einerseits sein geduldiges Ausharren in der Prometheusaffaire, andererseits die innige, und ungetirfibte HausfreundschaCt Goethes Eltern, die in: «Faust» mit Stolz ihres Sohnes Meisterwerk erkennen mussten, nicht recht m vmtehen. Möglich ist es daher, dnss man in Goethes Jugendzeit die selbständige Benutzung gleicher Motive gar nicht als Plagiat empfand, möglich auch, dass Goethe, um Erlaubnis gefragt, seine Einwilligung zu einer realistischen Benutzung gleicher Motive Wagnern ausdrücklich gegeben hat. Man wende mir nicht ein, dass diese letztere Ansicht, welche Goethes Erklärung in cDieiituiii; und Wahrheit gerade/u wider«^ sprüclie, auf jeden Fall zu verwerfen sei. Der Titel «Dichtung und Wahrheit» birgt noch viel seltsamere Widersprnclie. Hier eine Probe aus meiner demnächst erscheinenden Arbeit Aber Lenz:

Goethe und Lenz waren bekanntlich im Sommer 1771 Mitglieder der Salzmannschen Gesellschaft.

«Will Jemand unmüMbar erfUifen, was damals in dieaer leben- digen Gesellschaft gsdacht, gesproehsn und verhandelt worden,» schreibt Goethe im 11. Buche, « der lese den Aufsatz Herders ülMNr Shakespeare in dem Hefte ,Von deutscher Art und Kunst/ ferner Lenzen s ,Anmerhmrjen übers TJieater,* denett eine Debersetsong von Love's labours lost hinzugefügt war».

Nach dieser deutlichen Erklärung hatte J^nz seine «An- merkungen welche dem regelmässigen französischen Theater den Krie^^ erklärten, im Sommer 1771 in Strasshin ;^ vorgelesen, bevor noch «Giötz von Berlichingcni»^ welcher 1773 erschien, geschrieben war. Was aber sagt Goethe von eben diesen «An- merkungen]» am Anfing des 14. Buches?

«Kaum war Götz von Berliolimgett erschienen, als mir Lenz •inen wettlinftigen Aufsats znaandte. Diese Blätter waren betitelt

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,Über uusere Ehe'. Das Hanptabsehen dieser weitläuftigen Schrift war mein Talent und das seiiiige nebeneinander zu stellen; bald äcluen er sich mir zu subordiniren, bald sich mir gleich zu setzen. Ich erwiderte sein Vertrauen freundlichst, und weil er in seinen Blättern uui die innigste Verbindung drang, so teilte ich ihm von nun an alles mit, sowohl das sehon Gearbeitete, als was ich vorhatte ; er sendete mir dagegen nach vnd nach seine Mannscriptei den |Bof- meister', den »Neuen Menosa', die »Soldaten*, NadibUdnngen des Plantns und jene Übersetzung des englischen Stücks als Zngabe an. den Anmerkun«;en über das Theater. Bei diesen war es mir einiger- massen auffallend, dass er in einem lakonischen Vorbericht ^ sich da- hin äusserte, als sei der Inhalt dieses Aufsatzes, der m\f Heftigkeit gegen das re^jel massige Theater gerichtet war, schon vor einigea Jahren als Vorlesung einer Oosellschaft von Litevaturfreunden be- kannt geworden, zu der Zeit alüo, wo Götz noch nicht geschrieben gewesen. In Lengens Stranburger Verhältnissen schien ein Uterarischer Zirkdf dm nidil Iteime» sotfie, 0^1009 j^ro&femalisd^; allein ich lies» es hingehen und versehafKte ihm zn dieser, wie za seinen übrig«» Schriften Verleger, ohne auch nnr im mindesten zu ahnen, dass er midi zum vorsQi^chsten Gegenstande seines imaginären Hasses und znm Ziel einer abenteuerlichen und grillenhaften Verfolgong ans* ersehen hatte.»

Der Vorwurf Goclhes hat nur duuii Sinn, wenn Goethe beslreiten will, dass Lenz seine «Anmerkungen üheis Theater» heieits im Sommer 1771 in Strassburj^ vorj^^elesen habe. Aber oben hat Goethe selbst das gerade Gei^enteil t i/dilt. Wnhr- liafti;^, hier hat CK>ethes «Diclitunj^» sich in euitm unlusöaren Widerspruche gefangen!

' «Dit so Schrift ward zwey Jahre vor Er!?cheinmig der deutschen Art und Kunst un l des Götz von Berlichin^eii, m emer Gesellschaft guter Freunde vorgelesen. Da noch manches für die heutige Bei- literatur drinn seyn möchte, das jene beyden Schriften nicht ganz ftbeiflftssig gemacht, so fheilen wir sie wenn nicht anders als das erste nngehemmte Biaonnement eines nnpartheysehen OÜottanten nnsem Lesern Rhapaodienweis mita

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