FORSCHUNGEN ZUR DEUTSCHEN

GESCHICHTE

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BOUGHT WITH THE INCOME FROM THE BEQUEST OF CHARLES SUMNER, LL.D., OF BOSTON, (Class of 1830,) FOR

“BOOKS RELATING TO

POLITICS AND FINE AMTS.”

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Forſchungen

zur

Deutſchen Geſſchichte.

AUF VERANLASSUNG HERAUSGEGEBEN UND MIT DURCH DIE UNTERSTÜTZUNG HISTORISCHE COMMISSION

SEINER MAJESTAET DES KÖNIGS VON BAYERN MAXIMILIAN II.

BEI DER KÖNIGL. ACADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

Götkingen, Verlag der Dieterichſchen Buchhandlung. 1874,

Inhalt.

Kaiſer Ludwig der Baier, Meiſter Ulrich der Wilde und Meiſter Ulrich ber Hofmaier von ee, Bon Archivar Dr. S. DO. Riezler

8. Die erften Sächſiſchen ee 21 9. Wann wurde af von . / j

10. Weber und der fogenannten Constitutio de ex-

itione Romana, . ; ME Kate

Abt Hugo aus dein Haufe der Welten Markgraf von Reuftrien. Bon Dr. K. v. Kaldftein in Königeberg. -. ». . » 37 Beiträge zur Kritik mittelalterlicher Quellenſchriften.

Kleine Bemerkungen Karolin Annalen. Bon

Der Glofjator der Gesta BE Bon Dr. E. Bern eim in Göttingen. EEE EEE

Die Continuatio secunda Gall. Bon M. Bernheim in Strafbur. . .

Noch einmal Magifter Guntherus. Bon Dr. A. Bannenbor

in Aurid. . . . i Ueber eine Coronica Bas = ver⸗ wandte Quellen zur Geſchichte des dreizehnten und vierzehnten

Jahrhunderts. Bon Prof. H. Ulmann in Greifswald.. 207 Bierzehnte Plenar-Berfammlung der hiftoriihen Commiſſion bei der löniglich bayerischen Akademie der Wiffenfchaften. 1873. Bericht

DE Bis, , ss. a a a Der Bauernkrieg auf dem Gebiete der freien Reichsſtadt Schwäbiſch

Gemünd. Bon Paftor E. Wagner zu Mihelbah. . . . 29

Die Wahl Wenzeld von Böhmen zum Könige. Bon Prof,

. Lindner in Breslaır.

Kritif Thietmars von Merfeburg. Bon Dr. $. Strebitti in Neuſtadt Wir. » » 2 2.

Iv

Kleinere Mittheilungen. Bericht des Herzogs riftian von Braunfchweig über feinen

Stadtlohn. Bon Dr. J. O. Opel in Hall. . S. 369 War Erzbifhof Konrad von Cöln ſchon 1241 licher Legat?

Bon Dr. H. Cardauns in Bonn. . . . : Der Untergang des Schweinfurtjchen Su Bon Aovocat N . Stein in Schweinfurt. RE Ein Erlaß Knuts des Großen. Bon Brof. F auli in

Göttingen.... ..

Bauordnun ber end die erftellung der Stadtmauern von

Worms. Bon Pfarrer Dr. F. Falk zu Mombad. . . . 397 Nacträgliches über Ermenrich von Ellwangen. Bon Prof. €,

Dämmier. in DE „5 28 2 8 2 6% Ein Suevenlönig Veremund. Bon Dr. F. Görres in Düf- feldorf.. » » . Eee Ueber den fogenannten Libellus- de potestate in

Urbe Roma. Bon Dr. 3. Jung in Innsbrud ; . 409 Die Sachſenchronik und ihr Berfaffer. Bon Dr. 8, Beiland in

BEE a a a a a a a Beiträge zur Gefchichte de8 Bauernfriegs in Thüringen. Bon Paft. em. 3. 8. Seidemann in Dresden... - 2 2 2 2 0... z2611 2. Die Unruhen in Langenfalze. Kleinere Mittheilungen. Die Schladht von Döffingen. Von Dr. Th. Rupp in Reutlingen. 551

Eine Leipziger Handjchrift der Summa cancellariae Caroli IV.

Mitgetheilt von Dr. B. Stübel in Leipzig. ä Fragment eines mitteldeutſchen Formelbuches aus - Ende des 13. Jahrhunderts, Mitgetheilt von Dr. M. Berlbad in Königsberg. 22609 = Geſchichte Ton rof. A. Bufjon in Innsbrud. Der Tag des Ausmarſches aus Rom... eu 576

A Urkunden zur Geſchichte Conradins. } 583 Das Gedicht über den Mongoleneinfall. Bon Director w.

berg in Bremen, . . . 2. 5% Haudſchriftliches von Pfarrer Dr. F. gaıt zu Mombad; 2.0 613 Die Landgrafen Hermann von Winzenburg, Bon Prof. 8. Fr.

377

382

560

Stumpf in Iunsbrud. . . u“ TE 621 Angilbert und Hibernicus exul. Bon Prof. B. Simjon in reiburg. 623

Berichtigungen (zu dem ainſebe von Mahrenholt v. XII) bon Dr. A. i en 627

Kaifer Ludwig der Baier, Meifter Ulrich der Wilde und Meifter Ulridy der Hofmaier von Augsburg.

Pon

3. ©. Riezler.

XIV. 1

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Das im Jahre 1372 verfaßte Chronicon de ducibus Ba- variae gibt, um den Streit zwifchen Yudwig dem Baiern und Bapft Jo— hann XXII. zu erflären, folgende merfwiürdige Erzählung zum beiten !:

„Da nun Ludwig al8 römischer König beftätigt war, fehlte ihm nichts von den Erfordernijjen eines weifen Mannes und Herrſchers nur daß er fein Latein verjtand, Dadurch zog er fi unter anderen Uebeln auch den Zorn des Herrn Papftes, des Herrn Johanns XXIL, zu. Das nahın auf jolche Weile feinen Anfang. Ludwig hatte näm— lid einen Kanzler, Namens Meifter Ulrich von Augsburg, dem er fein Siegel und alle Schreibereien und Ausfertigungen getreulich über= fie. Diefer wurde beim König von einigen Vornehmen, denen es Ludwig nicht wohl verweigern konnte der Gerechtigfeit freien, Yauf zu laffen, eines ehrlofen Verbrechens beſchuldigt. Deßhalb nahın fich

der König der Sache an und brachte fie nad) einigen Tagſatzungen dahin (partes suas interposuit et per quedam placita ad hoc perduxit), daß der genanıte Meijter Ulrich ſich mit funfzig Prä- laten von den Vorwürfen reinigen follte. Nachdem dieß in Nürnberg geichehen war, wurde Meifter Ulrich in das Kanzleramt und feine frühere Würde wieder eingefett. Zu derfelben Zeit ſchickte der rö— mifche König Qudwig, um die Gunft des apojtolifchen Stuhls zu er— langen, an die Curie eine feierliche Geſandtſchaft mit einem Schreiben, welches feinen willigen Gehorfam und feine völlige Unterwerfung ent— hielt. Daraus entuahm nun der genannte Kanzler die Veranlaſſung zu einer fchlimmen That, um feine erwähnte Beihimpfung auf falſchem Wege zu rächen; er fälfchte den an den Papſt zu richtenden Brief, jchrieb faljches ftatt wahrem, nannte den Papſt eine aus dem Meer auffteigende Beftie und mehr ähnliches in der Art, wie einjt Petrus de Vineis, alles ohne jegliches Wiljen des Könige. Dadurd) wurde der 2 Papſt gereizt oder vielmehr getäufcht, veröffentlichte gegen den König die Sentenz der Ercommunication und reizte Könige und Fürjten gegen ihn auf. Der Ausſäer jo großer Zwietracht aber fäte fo verborgen, fo liftig und fo lange den Samen feiner Bos— heiten unter die Häupter der Welt, bis er, al8 der König von Rom mo er den Titel der Faijerlihen Würde erlangt hatte zurüd-

r 2 Böhmer, Fontes I, 142 (wiederholter Abbrud nad) Oefele, SS. 40).

1*

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fehrte, durch Fügung der göttlichen Gnade auf dem Todbette feine Dosheit dem Kaiſer perfönlich befannte, und wie er das gethan und angerichtet habe aus Rache deßhalb, weil der König feine Anfläger, von denen oben gefchrieben wurde, nicht jogleich tödten, fondern zur Vermehrung feiner Verwirrung vor Gericht foınmen lief. Wie aber darüber der Kaifer geweint, gejeufzt und geflagt hat, kann niemand bejchreiben. Da er jedoch von den Aerzten erfuhr, daß der Kranfe binnen drei oder fünf Tagen unzweifelhaft fterben werde, jagte er: Obſchon diefer Schurke mit allen möglichen Foltern gepeinigt werden follte, wollen wir ihn doc) dem Urtheil oder der Barmherzigkeit dejjen überlaſſen, der ihn zu Tode getroffen“.

Sagenhafter, einer ungefhidten Erfindung ähnlicher Tann nichts fingen als dieſe Anekdote, die von der genannten Chronik aus in zahlreiche hiſtoriſche Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts überge— gangen iſt!, dieaber bei feinem einzigen gleichzeitigen Geichichtichreiber erfcheint und die Schon Aventin nicht mehr in feine Darftellung aufs nehmen mochte. Man fünnte glauben, daß diefer vorjichtigere For— jcher Hier wieder einmal feine Ueberlegenheit über Vorgänger und Zeitgenoffen gezeigt habe, da er es verjchmähte eine ſolche Fabel twiederzuerzählen.

Und dennod) würde man mit einer völligen VBerwerfung der Sache? irre gehen: die fonderbare Geſchichte enthält einen nicht une bedeutenden Kern hiſtoriſcher Wahrheit, wie durd ein unanfechtbares Zeugniß, durch Kaiſer Ludwigs eigene Erklärung, dargethan wird.

In dem demüthigen Schreiben vom 28. Dftober 1336, weld)es Ludwig durch den Pfalzgrafen Rupert und den Grafen Wilhelm von Jülich Benedift XII. überreichen ließ, find die Zugeftändnijfe des

ı Im wörtlicher Meberfegung aus dem Chronicon de ducibus Bavariae, mit ausdrüdlicher Verweifung auf daffelbe, findet ſich die Erzählung zuerft wie— derholt im Chronicon de princibus terrae Bavarorum des Andreas von Negensburg (Fregberg, Sammlung II, 434) und in deffelben Chron. generale (Pez, Thes. IV, 2, 559); der Kanzler aber heißt hier: Meifter Unih Hangenor von Augsburg. In diefer Geftalt, bald mehr bald minder ausführlich, ift die Erzählung fodann aufgenommen von Sigmund Meifterlin (der einiges eigen- thümliche Hat, unter anderm, daß er das Schreiben an den Papft Clemens ge» richtet fein läßt; Chroniken dev deutſchen Städte III, 123 und, die etwas kürzere lateinische Faffung, 223), von Beit Arnped in feinem Chron. Bajoariae (Pez, Thes. anecd. III, 2, 332) und in feiner deutjchen Chronik (al8 baieriſche Chronik eines Ungenannten bei Freyberg, Sammlung I, 110; vgl. über diejelbe Kludhohn in den Forſchungen VII, 201) und im Chronicon Bavariae des Ulrich Onforg (Oefele, SS. I, 363). Im Chronicon Bavarorum de8 Priors Veit von Ebersberg (Oefele II, 719) heißt der Schuldige wieder nur Sekretär Ulrich von Augsburg, fo daß hier wohl eine unmittelbare Benutzung des Chron. de ducibus Bav. vorliegt. Aventin gibt die Erzählung nicht, obſchon fie ihm aus der einen oder andern der erwähnten Quellen befannt fein mußte, hat fie alfo aus Kritif verworfen. Dagegen hat fie Trithem. (Chron. Hirsaug. II, 176) wieder aufgenommen. Weljer (Augsburgiiche Ehronit II, 101) nennt als Derräther den Augsburger Biſchof Ulrih von Schöneck, Kanzler des Kaijers.

Wie fie unter andern Böhmer ausgeiproden hat, indem er bie Ge- —— für „ſagenhaft“ und „unbegründet“ erklärt (Fontes I, XVII um

5 Kaiſers gegenüber dem Papſte, überhaupt alles, was die Geſandten zu feiner Entſchuldigung vorbringen follten, in langer Reihe verzeichnet, darunter finden fich folgende Puntte:

Item (damus legatis potestatem) ad confitendum vice et nomine nostro et pro nobis, quod in appellatione, quam feci- mus contra quondam dominum papam Joannem continetur, quod juravimus omnia ibi contenta vera esse, cum tamen multa ibidem haeretica et per ecclesiam damnata contineri dicantur eirca paupertatem Christi et apostolorum, multae etiam blasphemiae: et super his nos excusandi primo, quod nos expresse excepimus et diximus, cum dieta appellatio co- ram nobis facta fuit, quod de opinionibus fratrum Minorum de paupertate Christi et de. ecelesiae determinationibus nos immiscere seu intromittere minime intendebamus!, sed de his dumtaxat, quae jus nostrum et imperii tangebant. Item quod nos.nunquam juravimus, licet sic esset scriptum in appella- tione. Item quod reperitur, quod notarius, qui hoc feeit, sei- licet Ulrieus Goildronis malitiose et in vindietam contra nos, dicendo se per nos fuisse laesum, istam appellationem de consilio aliquorum volentium talem divisionem seminare, quod nunquam valeret eam aliquis reparare, fieri procuravit: et hoc confessus est in morte, et? a pluribus asseritur. Item quod illa non ceredidimus neque eredimus fore vera, in quan- tum sunt contra fidem et ecelesiae determinationem: nee sub- tilitates ibidem contentas nee alios articulos intelleximus, cum tales et talium ignari existamus®. Item quod de blasphemiis et falsis ibidem positis dolemus, quod ibi posita fuerunt et publicata *°,

Diefe bisher wenig beachtete, nie genügend gewürdigte Stelle kann fih nur auf die umfangreiche Appellation beziehen, welche der Kaiſer am 22. Januar 1324 in der Deutfchordenscapelle zu Sachſen—

ı Dieß hatte Ludwig fchon 1331 Johann XXI. erklärt. „Ir (Ludwigs Geſandte) mugt auch fürgeben von unſern wegen, da wir unjer Appellation machten unnd offenten, das wir mit Namen außnamen, das wir uns umb der Parfufjen chrieg, den fie von gots armut habent, nichts annemen und auch def nicht fweren wolten, als wir nad) erzuigen, mit unferm rat, ob fein not ge— ſchicht“ Gewold, Def. Lud. 119. Bon dem betrügeriichen Notar ift dagegen hier noch nicht die Rede; deſſen Geftändniß auf dem Todbette fällt aljo zwiſchen 1331 uud 1336.

2 Soll wohl ut heißen.

° Sicut miles heißt e8 an einer anderen Stelle defjelben Schreibens scripturarum et literarum subtilitatum ignari, quia dicebantur me- liores magistri theologiae et fratres religiosi, non credentes nos aliquid contra fidem facere, appellationi eorum consensimus et sibi adhaere- bamus.

* Naynald 1336 8. 33.

5 In den Infteuftionen für die Sefandten, welche im Herbft 1343 mit Clemens VI. unterhandeln follten Attenftücen, die an würdeloſer Selbfter- niedrigung das Schreiben von 1336 noch überbieten findet fi in Bezug

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haufen gegen den vom Papjte cingeleiteten Prozeß an ein allgemeines Gonzil richtete !. Hier wird zum erjten Male in einem Eaiferlichen Aktenſtücke die Streitfrage über die Armuth Chrifti hereingezogen ® und der Papſt wegen der darüber getroffenen Entfcheidung der Ke— gerei bejchuldigt. Die Nürnberger Proteftation vom 18. Dezember 1323°, wenn fie auch ſchon eine Appelfation ans Gonzil enthält, kann doch deßhalb nicht gemeint fein, weil darin der Streit über die Armuth ChHrifti noch nicht berührt, dem Papfte im Gegentheil un= billige Begünftigung der Minoriten in einer andern Sache vorge- worfen wird*. Spätere gegen den Papſt gerichtete Erklärungen des Kaijers können ohnedieß nicht in Betracht kommen.

In Bezug auf diefe Sadhjjenhaufer Appellation läßt nun Ludwig durch feine Gefandten eröffnen: als es fich um die Redaktion der- jelben handelte, habe er ausdrüdlich erklärt, in den rein religiöfen Streit, welcher zwijchen dem Papſt und den Minoriten über die Ar- muth Chrifti geführt wurde, ſich nicht mengen zu wollen; trogdem habe fein Notar, wie er nad) mehrfeitiger Verfichernng auf dem Todbette befannte um eine vermeintliche Beleidigung zu rächen und verführt durch die Einflüfterungen gewiffer Leute (in erfter Reihe offenbar Minoriten), welche den Zwiſt unbheilbar machen wollten, diefen Punkt in die Appellationsichrift aufgenommen; er, der Kaifer, halte die Anfiht der Minoriten in diefer Sache nicht für richtig, verjtehe übrigens als Kriegsmann nichts von diefen Subtilitäten.

Diefe Erflärung ift um fo bedeutfamer, je wichtiger der hie- durch außer Kraft und Glauben geſetzte Abfchnitt der Appellations-

auf obige Punkte ungefähr bdiefelbe Erklärung wiederholt; die den Notar be- treffende Stelle Iautet hier: Item quod nungquam jurabat (imperator), quomodocunque hoc sit, quod ita scriptum sit in appellatione, siqui- dem reperitur, quod notarius, qui nominatus erat Ulricus Groil- donis, istud fecit malo animo et ex iracundia contra illum, quia di- cebat se gravatum esse per eum, et sic conficiebat istam appellatio- nem, ex suggestione quorundam, qui ejusmodi dissensionem volebantsemi- nare, quam nunquam quisquam resarcire posset, et quod hoc confessus est in articulo mortis, sicut hoc ab omnibus asseritur. Gewold 186.

ı Böhmer Nr. 719. Daß das Datum 22, Mai wahriheinlih in der angegebenen Weife zu ändern ift, hat Kopp, Geichichte der eidgenöffifchen Bünde V, 1, 129, gezeigt.

2 Die langathınige, augenſcheinlich von einem Spiritualen verfaßte Erör- terung darüber, die mit den Worten: Non suffecit autem sibi temporalis imperii jura attentare beginnt, ift vollftändig mitgetheilt in dem Abdruck der Appellationsichrift bei Baluze, Vitae paparum Avenion. II, 494; Dlen- ichlager, Staatsgeihichte, Urkundenbuch 127, hat fie übergangen, Raynald (1324 8. 29. 30) nur einen kurzen Auszug mitgetheilt.

3 Bei Gewold 68.

* Durd) letzteren Hinweis beantwortet ſich auch die ofjene Frage nad) der Zeit der erften Verbindung zwiſchen Ludwig und den Minoriten, worüber feine direften Nachrichten erhalten find. Sie fällt zwilchen die Tage der Nürnberger und der Sachſenhauſer Appellation. Es waren aber nod) nicht die vielbeipro« chenen Häupter der Spiritwalenpartei unter den Minoriten, Cejena, Occam, Bonagratia, die damal® Schon an den Faiferlihen Hof kamen. Diefelben haben ſich vielmehr erft 1328 von Avignon aus zum Kaifer nach Italien geflüchtet.

J

ſchrift iſt. Die Gründe des Streites zwiſchen Kaiſer und Papſt lagen zwar natürlich viel zu tief, als daß man dem hier auf kaiſer- licher Seite vorliegenden Eingriff in das dogmatifche Gebiet großen Einfluß auf die fernere Entwidelung des welthiftoriichen Conflictes beimefjen könnte. Handelt e8 ſich jedoch um die Beurtheilung von Ludwigs Auftreten im Kampfe gegen Johann XXIL., fo mußte gerade diefer dogmatische Theil der Appellationsichrift bisher bejonderen An— ftoß erregen. Er ſchien die Reihe jener leidenfchaftlichen und maaß— fojen Schritte zu eröffnen, mit denen der Kaifer im Kampfe gegen den Papit auch jeinerfeit8 den Boden des formellen Rechts verlieh; er lag am Anfange der Bahn, an deren Ende Ludwigs unregelmäßige KRaiferfrönung, die Abjetung Johanns XXIL! und die Erhebung eines Gegenpapftes lagen. Wenn man nun der Angabe des Kaifers Glauben ſchenken darf, jo wird wenigftens einem .der vielen Vorwürfe, die von jeher gegen Ludwigs Kampfweife gerichtet wurden, der Boden entzogen ?.

Dieſen Glauben wird man aber der faiferlichen Erklärung nicht wohl verfagen können. Daß Ludwig den Betrug, oder milder auf- gefaßt: die Competenzüberjchreitung feines Notars erfunden Habe, um durch bequemes Borjchieben eines DVerftorbenen feine Reinigung vor dem Papſte zu erleichtern, jcheint mir eine durchaus unhaltbare An— nahme. In diefem alle hätte der Kaifer feinem Diener vor allem die Berbalinjurien der Appellation zugefchrieben, die er doch hier auf eigene Nechnung nimmt. Daß unbekannte Dritte dem Raifer erfun- dene Bekenntniſſe feines Notars vorgefpiegelt hätten, ift ebenfowenig haltbar. Denn der überlieferte Tert der Appellation enthält ja in der That jenen Punkt, von dein der Kaifer Hier erklärt, daß er ihn nicht aufgenommen wijjen wollte.

Die Möglichkeit einer Täuſchung des Kaifers durch feinen Notar aber wird ſich nicht dadurch erklären, daß der Kaiſer fein Latein ver- Itanden habe wie fich die Ehronijten den Zufammenhang in naiver Weile zurechtlegen —, fondern dadurd), daß er von der endgültigen Redaktion der hochwichtigen Appellation nicht mehr Kenntniß genom— men hat; nur jo fanı er in der Inſtruktion von 1343 jagen: si- quidem reperitur, d. h. wenn der Text der an die Curie über- ſchickten Appellation wirklich jo lautet, wie man ihm verfichert.

Es ergibt fi) aber nun, daß die Erzählung unferer baierifchen Chronif, jo unglaublich fie Fingt, doch ein gutes Stüd Wahrheit enthält. Nur daß hier alles übertrieben ift: daß der Kaiſer fein La— tein verjtand, jchrumpft dahin zufammen, daß er nichts wußte und wiſſen wollte von den Subtilitäten eines dogmatiichen Streites; daß

ı Den angeblid) äufßerften Schritt des Kaijers, die Berfündigung des

Todesurtheils gegen Johann (Böhmer, Reg. Nr. 995) erwähne ich hier nicht,

weil dieß nur auf einer irrthümlichen Auffaffung Böhmers beruht. ©. Kopp, Geſch. der eidgenöffiichen Bünde V, I, 280 Anm. 6.

? Später hat der Kaiſer freilich in wiederholten Erklärungen die dogma- tifche Oppofition der Minoriten auch auf eigene Rechnung genommen.

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der faljche Diener den Zwiſt zwifchen Raifer und Papſt entzündete, dahin, daß er zu feiner Verfchärfung beitrug; daß er den Papſt eime Beſtie des Meeres nannte, dahin, daß er ihn als Häretifer erklärte. Der Schuldige war ferner nicht ein Kanzler, fondern ein Notar des Kaifers, und die Gefchichte hat ſich zugetragen nicht bei einer der de- müthigen Gefandtichaften des Kaifers an die Curie!, fondern früher, in der Zeit der größten Spannung zwifchen den beiden Gewalten. Was die näheren Angaben der Chronik über die durch Eideshelfer bewirfte Reinigung des Notars zu Nürnberg betrifft, jo muß deren Wahrheit jo lange dahingejtellt bleiben, bis es etwa gelingt fie durch ein gleichzeitiges Zeugniß zu befräftigen.

Wer war aber der betrügerifche Notar, der den. Spiritualen zu Liebe feinen Herrn compromittirte?

Die Frage ift weniger an und für ſich wichtig, als weil jie uns zugleich Veranlaſſung gibt, feit Jahrhunderten fortgeerbte Irr— thiimer zu befeitigen, welche das Andenken einiger unter Ludwigs Re- gierung hervorragender Perjönlichkeiten trüben. ine faum glaubliche Berwirrung herrſcht nämlich auf dem ganzen Gebiete, das wir mit diefer Perfonenfrage betreten. Ulrich) Goildronis oder Groildonis; Meifter Ulrich von Augsburg; Meijter Ulreich Hangenohr von Augs- burg; Biſchof Ulrich von Augsburg, Kanzler des Kaiſers; Meiſter Ulrich Hofmaier; Ulrich Laugenohr; Ulrich Hofmann; Ulrich) Hage-

ı An die Gejandtihaft von 1343 hat fid) eine etwas ähnliche, doch rein fagenhafte Erzählung geknüpft, die fich zuerft beim Fortfeger des jogenannten Martinus Minorita (Eccard, Corp. hist. I, 1639) und nad) ihm wieder- holt bei Beit Aruped (Chron. Bajoariae, bei Pez, Thes. anecdot. III, 2, 338) und deffelben baierifche Chronik (bei Freyberg, Sammlung I, 109) findet. Der Kaifer habe damals feinen Gejandten ein leeres, doch mit feinem Siegel verjehenes Pergament mitgegeben. In böswilliger Abfiht und um die Gunft des Papftes zu gewinnen, hätten es diejelben damit ausgefüllt, daß fie ihren Kaifer befennen ließen, er habe den Gegenpapft ungerechterweife eingelegt, er felbft jei ein Keter umd nicht rechtmäßig zum römischen König gewählt, jondern ein Eindringling. Damit hätte der Papft erreicht, was er wollte, und Ludwig ab» gejetst. Der Herausgeber Meifterlins (Chroniken der deutjchen Städte III, 123) reiht diefe Erzählung unter die oben angeführten vom falfchen Kanzler, nennt fie nur „etwas anders gewendet“ ; auch Böhmer (Fontes, I, 486) hat die beiden Geſchichten zufammengeworjen; fie find jedod) nad) Inhalt, Grad der Wahrheit und zu Grunde liegenden Thatfachen verschieden. Hier jollen ungetreue Gefandte ihren Kaifer ohne deſſen Wiffen bejchimpft haben; dort hat ein ungetreuer Kanzler ohne Wiffen des Kaifers den Papft befhimpft. Die Erzählung der baierifchen Herzogschronif ift, was die Hauptjache, den Betrug des faijerlichen Dieners betrifft, richtig, die bei Martin. Minorita dagegen irrig. Das Wahre an der Sadıe ift hier nur, daß die Vollmachten des Kaifers für feine Gejandten von 1343 allerdings jo weitgehend waren, daß fie fi) einer carte blanche näherten. Die Erzählung ift vecht bezeichnend für den Eindrud, den die faiferliche Politit der Reue auf Yudıwigs Anhänger gemacht Hat. Deun von einem eifrigen Anhänger des Kaifers rührt fie jedenfalls her, hervorgehend aus deſſen Unglauben an die That- fache, daft der Kaifer fo erorbitante Zugeftändnifje gemacht habe, oder aus feinem Beftreben, deren Schmach vom Kaijer auf andere abzuwälzen; dabei mag eine dunkle Runde von dem Vorfall mit Ulrich dem Wilden mitgefpielt Haben.

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nauer; Ulrich der Schreiber von Augsburg: die Träger all diefer Namen find von älteren und neueren Hiltorifern in folcher Weiſe vermengt worden, daß, wenn man alle behaupteten Identifikationen gelten liege, die neun erwähnten Namen jammt und jonders nur auf eine einzige Perjönlichkeit zu beziehen und im diefer der ſchuldige Notar zu erbliden wäre. Die Befeitigung der durd die Chroniften ange= richteten Verwirrung kann nur durch Heranziehung des urkunmdlichen Materials gelingen, und obſchon mir nur ein Theil des einschlägigen zu Gebote jteht, reicht diefer doc) Hin, um wenigjtens in den meijten Punkten fichere Ergebniffe an den Tag zu fördern. Wir werden finden, daß fi) unter den aufgezählten neun Namen vier oder fünf verichiedene Perfönlichkeiten verbergen, der richtige Name des jchuldigen Notars aber nicht befindet.

Befeitigen wir vor allem die Annahme, die jid) am leichtejten als Irrthum erkennen läßt, daß der Augsburger Biſchof Ulrid (von Schöne), Kanzler des Kaiſers, die gejuchte Perjönlichkeit geweien!. Ihn fünnte der Kaifer weder al8 Notar, noch als Ulrid) Soildronis bezeichnen ; aud) trat er erſt 1336 als Kanzler in des Kai— jer8 Dienft?. Der Name Ulrid) und die irrige Bezeichnung des Fälſchers durd die Chroniften als Kanzler gab die Veranlafjung zu diefer Verwechjelung.

Ferner leuchtet ein, daß die Namen Goildronis bei Raynald und Groildonis bei Gewold nicht richtig überliefert fein fönnen. Ein— nal wegen ihrer barbarifchen Form und dann, weil ein Notar diejes Namens font nirgend erjcheint. Muſtert man aber die urfundlic) auftretenden Notare Kaifer Ludwigs dur), fo ſtößt man auf einen, von dem es nicht zweifelhaft fein kann, daß in ihm der Fälſcher der Appellation, der Ulrieus Goildronis oder Groildonis, zu ſuchen iſt.

Am 5. September 1325 ericheint als Zeuge de8 Münchener Ver— trages zwifchen Ludwig und Friedrih: Meifter Ulrich der Wilde, oberjter Schreiber des Königs Ludwig? Zu Nom wird am 18. Februar 1328 als Zeuge einer faiferlichen Urkunde genannt: Ma- gister Ulricus, imperialis aule prothonotariust, und am jelben Tage und Orte urfundet der Kaifer nochmal in Bei— jein Ulriei Wildonis, protonotarii sui?. „Der Wilde“ wurde latinifirt in Wildo, Guildo, Gwildo; legtere Namensform

&o bei Welfer, Augsburgiiche Chronif II, 101, auch bei Bzovius im Widerfpruch mit feiner eigenen Annahme an einer andern Stelle (vgl. Herwart 620 und 632),

* 1335, 30. Mai, und 1336, 25. Februar, ift er noch nicht Kanzler. (Böhmer, Addit. II und Nr. 1727). Meines Wiſſens erjcheint er zum erſten Male als folder am 16. Juli 1336, Böhmer Nr. 1779. Da er im folgenden Jahre ftarb, gingen Bisthum und Kanzleramt auf feinen Bruder Heinrich über, * beide Biſchöfe Braun, Geſchichte der Biſchöfe von Augsburg

?* Dlenjchlager, Staatsgeſchichte, Urkundenbuch S. 140,

* Ludewig, Reliquiae mser. Il, 281.

5 1, c. 279,

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liegt offenbar der durch einen Schreib» Leſe- oder Drudfehler cor- rumpirten, überdieß irrig im Genitiv auftretenden Form Groildonis zu Grunde!. Daß das faijerlihe Schreiben von 1336 und die In— ftruftion der Gefandten von 1343 nur von einem Notar fprechen, während Ulrid) der Wilde Protonotar war, kann unferer Namens deutung fein Hinderniß bereiten; denn hier handelte es fich nicht, wie in Urfunden, um genaue Bezeichnung der Würde. In dem ma- gister Ulricus, protonotarius regis, der al8 Zeuge ‘der Appellation von 1324 auftritt?, dürfen wir hienad) ohne Zweifel eben den Fälſcher diefer Appellation, den Meifter Ulrich) den Wilden, erfennen ®,

Das Andenken diefes Mannes war jchon nad fünfzig Jahren völlig verfchwunden, indem man feine Perfönlichfeit mit der eines Namensvetters und Amtsnachfolgers verwechjelte, der viel mehr von fi) reden gemacht hatte. Diefem treten wir nahe, wenn wir die Namen: Meifter Ulrih von Augsburg, Meeifter Ulrich der Hof- maier ind Auge falfen. Hier Haben wir es mit einer der erjten Stüten der faiferlichen Regierung zu thun, mit einem vielbefchäftigten und vielgenannten, hervorragend tüchtigen und gewandten Staats— manne, der e8 wohl verdient, daß man ihm endlich beim rechten Namen zu nennen lerne. i

Meijter d. i. Magifter Ulrid) von Augsburg foll nad) glaub= würdiger Angabe au der Univerfität Paris, wo er ſich wohl aud) den Magiftertitel erworben, gelehrt und die Würde eines Procurators der englifchen Nation befleidet haben*. Der zeitgenöffische Abt Johann von PVictring rühmt ihn al8 ausgezeichneten Decretiften®. 1329 hob Urih zu Nürnberg den am 6. Januar diejes Jahres geborenen Ulman Stromer, den befannten Verfaſſer einer Nürnberger Chronif, aus der Taufe ®,

ı Die Form Goildronis bei Raynald ift noch ſchlimmer corrumpirt. Die beiden Originalterte von 1336 und 1343 der letztere befindet fi) wohl im fönigl. baierifchen Staats- oder im Haus- und Hofardive ftanden mir nicht zu Gebote, thun aber auch nichts zur Sadje; denn ich würde meine An— nahme einer Spentität von Groildonis und Guildo auch dann aufredjt er- halten, wenn auc die Originalterte die Lejeart Groildonis ergäben; ftatt eines Leſefehlers Gerwolds und Raynalds läge dann nur ein Schreibfehler der kaiſer— lichen Kanzlei vor.

Baluze II, 512.

3 Sollte Ulrich der Wilde etwa auch identisch fein mit dem in der Nürn-

berger Proteftation vom 18. December 1323 als Zeugen genannten en ar

lricus prepositus ecelesie st. Stephani civitatis Babenbergensis? (Ge mwold 69). Die Bamberger Urkunden, aus denen fid) Werth oder Unmerth diefer Bermuthung vielleicht darthun Liege, ftehen mir nicht zu Gebote.

* Du Boulay, Hist. univers. Paris. IV, 993. Daß unfer Ulrich ge- meint fei, geht aus feiner Bezeichnung ale fpäterer „Protonotar der Defrete Ludwigs des Baiern“ deutlich hervor. Das Datum 1340 aber für feine Lehr thätigkeit zu Paris iſt, wie aus unſern folgenden Angaben erſichtlich, um min— deſtens 10 Jahre, wahrſcheinlich viel mehr, zu ſpät gegriffen.

5 Böhmer, Fontes I, 415.

s Ulman Stromers Chronit (Chroniken der deutjchen Städte I, 67):

11

Wie das getreue Augsburg eine Hauptjtüge für Ludwigs Macht war !, jo haben ſich auc) des Kaifers Beamte und Vertraute zu einem beträchtlichen Theile aus Augsburg refrutirt. Biſchof Ulrich von Augsburg diente dem Kaiſer als Kanzler?, der Abt Marquard von St. Ulrich und Afra zu Augsburg und dejjen Nachfolger als Ka— plane*, ein Meifter Johann von Augsburg als Schreiber?, unfer Meiiter Ulrih als Sekretär, bald Protonotar.

Mit Sicherheit ift Ulrich erft nah der Rückkehr des Kaijers aus Stalien in dejjen Dienfte nachzuweifen® In den Jahren von 1331-—1343 aber fcheinen wenige andere dem Kaifer jo nahe ge= ſtanden, in Ziele und Wege feiner auswärtigen Politif jo tief einge: weiht gewejen zu fein wie Ulrich; neun oder zehnmal wandert er während diejes Zeitraums in Ludwigs Auftrag nad) Avignon, Paris, Venedig, vielleicht aucd) Antwerpen. Seine Anftellung im kaiſerlichen Dienjte verdanfte er wohl dem Bijchof von Augsburg, das rajche Emporfommen feinen Rechtsfenntniffen und feinem früheren Aufent— halte in Frankreich, die ihn zu Staatsgefchäften, zumal zu Unter: handlungen mit dem päpftlichen und franzöfiichen Hofe bejonders em— pfohlen haben werden.

Im Oftober 1331 übernahm Ulrich eine faiferlihe Botichaft an den Papſt Johann XXI’; in dein Beglaubigungsichreiben wird er genannt: Magister Ulricus de Augusta, familiaris et secretarius noster?. Die bei Yohann gefcheiterten Sühne- verſuche jollte Ulrich bei den Nachfolgern, Benedift XII., dann Cle—

„Mich Hub aus der tauf Her Ulreich, dez kaifers Ludweik kanczler“. Trotz der ir- rigen Bezeichnung Kanzler ift an feinen andern als unfern Meifter Ulrich von Augsburg zu denken; einen faierlihen Kanzler Namens Ulrid hat es 1329 nicht gegeben,

1Bgl. Herberger, Kaiſer Ludwig und Augsburg (im Combinirten Jahres- bericht des hiſt. Vereins für Schwaben und Neuburg für die Jahre 1851 und 1853).

2 —F in Verbindung mit dem Umſtande, daß Ulrich bei den Augsbur— gern als Name des Schutzheiligen ihres Bisthums ein überaus verbreiteter Borname war, Hat dazu beigetragen, die Berwirrung in diejen Perfonenfragen zu befördern.

s Böhmer Nr. 1779.

* Mon. Boic. XXII, 253 und 281.

s Böhmer Nr. 1783.

* Nach einer Bemerkung Buchners (Baierifche Geſchichte V, 255) Toll Raynald unfern Ulrich unter dem (irrigen) Namen Hangöhr als einen der Ver— faffer der Appellationsichrift von 1324 nennen. Daß diefe Angabe, die id) übrigens bei Raynald nicht finde, irrig fein würde, geht aus den unmöglid) damit zufammenzureimenden Gefandtichaften Ulrihs von 1336 und 1343 her- vor. Ferner meint Welfer (Augsb. Chronik IT, 100), Kaifer Ludwig habe den Augsburgerit den zu Pavia ausgeftellten FFreiheitsbrief vom 24. Oftober 1329 „auf Anbringen Ulrichs“ gegeben; die Urkunde jelbft weiß nichts davon (nad; gütiger Mittheilung des Augsburger Stadtarhivars Dr. Ch. Meyer aus einer vidimirten Abjchrift derjelben).

Gewold 124.

s A. a. O. 125.

12

mens VI. erneuern. Am 12. April 1335 finden wir den Ma- gister Udalricus, protonotarius imperatoris, als Mitglied einer an den Hof Benedikts XII. beftimmten faiferlichen Gejandtichaft", apud Balmam Lugdunensis dioecesis weilend ?. Hier ericheint er zum erjten Male urkundlid) als protonotarius, alfo Amtsnachfolger Ulrichs des Wilden. Neuerdings ging „der Broto- notar Meifter Ulrich von Augsburg“ im März 1336 als faiferlicher Gefandter zu Benedift XII.*. Diefe Gefandtjchaft hatte das oben beiprochene Schreiben zu überbringen, worin Ludwig feine Appella= tionsſchrift als gefälicht erklärt. Zur Entſchädigung für die Keife- foften wurde durch Urkunde vom 28. Dftober 1336 „dem oberften Schreiber desKaijers, Meifter Ulrih dem Hofmaier von Augsburg“ die jährliche Steuer der Stadt Augsburg für die nächjten drei Jahre im Gejammtbetrage von 400 Pfund Augsburger Pfennigen angeiwiejen und die Stadt dringend aufgefordert, denfelben der Zahlung zu.verjichern, „weil jonft alle Botichaft, welche der Kaifer zu dem Papite gen Avignon geordnet habe, damit niedergelegt und geirrt würde“ *.

Ende Januars 1338 ging „der HofprothonotarMagiiter Ulrich“ zum Abjchluffe von Verträgen zum Dogen Francesco Dandolo nach Venedig?. In diefem und dem folgenden Fahre fehen wir ihn auch bei den Unterhandlungen mit England thätig. Man ahnt, welche hervorragende Stelle er im Rathe des Kaijers einnahın, wenn man erfährt, daß König Eduard III. ſich von vornherein feinen guten Willen durch Geſchenke im Werth von 200 Gulden zu fichern fuchte ®. Noch dreimal find im Haushaltbuche König Eduards Ausgaben für Meijter Ulrich verzeichnet: einmal 19 L. 10 Sch. fir Gefchenfe im Werth von 130 Florentiner Gulden an „Meifter Ulrich, Klerifer des Kaijers, und die übrigen Klerifer, die unter ihm in Sachen dc8 Königs verfchiedene vom Kaiſer bejiegelte Briefe ſchrieben“ ; dann

! Matthias Nuewenburg., bei Böhmer, Fontes IV, 206. Heinric. Diessenhof. 1. c. 24 und Joh. Victor. 1. c. I, 415. Baluze, Vitae papar. Avin. I, 222.

2 Dlenfchlager, U. B. 186,

8 Urkunde von 1336, März 5. Böhmer Nr. 1733. Der Bapft nennt ihn in feinem Schreiben an Ludwig Ulricus Hofmairus de Au- gusta. Raynald 1336 $. 29.

+ Oberbayerifches Archiv XXI, 214. Am felben Tage ift discretus vir magister Ulricus de Augusta noster prothonotarius Zeuge des Kaifers (Schütz, Corp. IV, 232).

5 Schreiben Ludwigs an den Dogen vom 27. Januar 1338, worin Ulrid) beglaubigt wird. Böhmer (Fider), Additam. tertium ©, 369.

°s Im Haushaltbuche des Königs (heramsgegeben von Pauli, Die Bezie- hungen König Eduards III. von England zu Kaifer Ludwig, Duellen und Erl. zur baierifchen und deutſchen Geſchichte VII, 424) find Geſchenke im Werthe von 400 Fl. verzeichnet, weldye die Meifter Ulrich und Dtto vom Rathe des Kaifers damals erhalten haben.

A. a. O. 429. Clericus wird man Hier nicht mit „Geiftlicher” über: jeßen dürfen; im Munde des Engländers bejonders bedeutete das Wort aud) clere , Notar, Schreiber; fo beionders clerici regis, die Föniglichen Notare, ©. diefen Artikel bei Du Cange.

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36 Sch. zu einem Gejchenfe im Werth von 12 fl. für den „Meifter von Augsburg‘; und wieder 15 L., welche am 28. April 1339 zu Antwerpen dem „Meifter Ulrich, Brotonotar des Kaiſers“ als Gefchenf für feine Mühe und Sorgfalt bei den Unterhandlungen zwiſchen Kaifer und König dur die Hand des Klerikers Eberhard überreicht wurden ?.

Ale Wandlungen der faiferlichen Politit fehen wir den erge— benen Diener getreulic) mitmachen. Am 24. Januar 1341 ift Magister Ulrieus de Augusta zu Bilshofen Zeuge des feierlichen Schwures, mit dem ſich Ludwig dem Könige Philipp von Frankreich verbündet?. Damals wurde feine Miffion an den Hof dieſes Königs in Ausficht genommen, bald wohl auc, ausgeführt. Schon früher jedoch, noch 1339 oder 1340, muß Ulrich auch nad) Frankreich gewandert fein, denn ſchon am 15. November 1340 wur- den die Augsburger benachrichtigt, daß der Kaiſer „einem oberjten Schreiber, Meifter Ulrih von Augsburg“ auf ihre nächite Reichsitener 720 Pfund Heller verschafft habe für die Koft, die er in feiner Botjchaft gen Frankenreich gethan >.

Noch einmal, im Herbſt 1341, ging Ulrich zu Benedift XII. ® und zweimal im November 13427 und Septeutber 1343, zu Cle— mens VI. Bei der Ietten Gejandtjchaft war er Magister Ulricus de Augusta, noster protonotarius et se- eretarius specialis einer der Spezialbevollmächtigten, welche die Unterhandlungen zu führen und im Namen des Kaijers die entehrenden und dennoch ihren Zwed nicht erreichenden Gelöbnifje abzulegen hatten®. Durch faiferliche Urfunde vom 27. Dftober 1345 wurde er für die Bezahlung von 400 Pfund Heller wieder auf die Steuer der Stadt Augsburg angemiefen ?.

Nach einem fo bewegten Leben im Dienfte einer jchwächlichen, wanfelmithigen und erfolglofen Politit mag der faiferliche Diplomat leichten Herzens zur Ruhe gegangen fein. Als er 1346 zu Augs- burg auf dem Todbette lag, ließ er ſich aus Rückſicht auf die päpſt— lichen Sentenzen nur heimlich mit der Wegzehrung verfehen und ord-

ı A. a. 2.481

2 A. a. O. 438.

° Dlenfchlager 207, Böhmer Nr. 2135.

* Böhmer, Addit. primum, Nr. 2843, Urkunde vom 28. Januar 1341, von Wait aus Paris mitgetheilt.

5 Böhmer Nr. 2122. In der Quittung darüber vom 8. November 1341 (Herberger, Kaifer Ludwig der Baier und Augsburg S. 69) wird Ulrich auch erwähnt.

° Joh. Vitoduran. 57. Joh. Vietoriens. 445. Heinr. de Diessen- hoven 36. Bgl. hiezu Stälin, Würt. Gedichte III, 222.

Böhmer, Reg. zum November 1342,

8 Gewold 173.

° Böhmer Nr. 2450. Dieß ift die letzte Erwähnung Ulrichs in einer faiferlichen Urkunde, Als Zeuge ift der faiferliche Protonotar, Magifter Ulrich von Augsburg, am 8. Zuli 1345 zu Rotenburg. Böhmer (Fider), Addit. tertium ©. 378.

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nete an, daß man ihm ohne Gepränge, nicht in der Kirche, wie feinem Range gebührte, jondern auf dem Kirchhofe begrabe.. Sein Biſchof aber fehrte fich nicht daran und ließ die Leiche feierlich bejtatten '.

Pfeiffer hat die Vermuthung ausgefprochen, daß in Meijter Ulrich dem Hofmaier der Verfaffer eines von ihm gefundenen und veröffentlichten allegorifchen Lobgedichtes auf Kaifer Ludwig zu ſuchen fei. Der Dichter bezeichne fich felbit als „Schreiber“, müſſe ein dem Kaifer treu ergebener Mann und ein Schwabe gewejen fein; und die Erfindung einer Gejandtihaft an den Hof der Frau Ehre, wie jie die Fabel des Gedichtes bilde, habe niemandem näher Liegen Fönnen als dem fo oft zwiichen dem Faijerlichen und päpftlichen Hofe Hin und her wandernden Protonotar?. Augenſcheinlich aber genügen dieje Stüten andere laffen fich nicht erbringen noch keineswegs, um der darauf gegründeten Hypotheſe großen Werth zu verjchaffen.

In obigem habe ich alle Zeugniffe geſammelt, welche mit Sicher- heit auf den faiferlichen Protonotar, Meifter Ulrich) den Hofmaier von Augsburg, zu beziehen find. Ich laffe num eine Reihe von Er— wähnungen folgen, bei denen, troß des völlig gleichen Namens, dicje Beziehung nicht in gleichem Grade geſichert, von denen es vielmehr mehr oder minder zweifelhaft ift, ob fie nicht eine oder gar zwei von den Protonotar verjchiedene Perjönlichkeiten bezeichnen.

Zunächſt zeigen uns einige Urkunden einen Beamten gleichen Namens im Dienfte des Bifchofs von Augsburg. 1314 ericheint. Magister Ulricus dietus Hofmaiger als tabellio?, d. i. biſchöflich Augsburgifcher Archivar, 1315 als judex und offieialis curie Auguste’, d. i. Borftand des bifchöflichen geiſt— lichen Gerichtes, der judices curiae, des jpäteren jogenannten Chorgerichtes. Will man annehmen, daß diejer biſchöfliche Rechtsge— Ichrte, wozu ja die enge Verbindung der Augsburger Biſchöfe mit Kaifer Ludwig leicht Veranlaffung bieten mochte, fpäter in Faiferliche Dienfte übergetreten und mit unferem Protonotar identisch jei, jo fteht dem» weder die Chronologie noch ein anderer Umftand geradezu entgegen. Dann wäre der Protonotar ein Geijtlicher geweſen, denn nur von folchen fonnte doch wohl das Amt eines biſchöflichen Offi— cial8 beffeidet werden. Und das wird durch ein anderes Actenftüd ®

ı Heinr. Rebdorf, bei Böhmer, Fontes IV, 528 z. 3. 1346, nad ihm

Aventin lib. VII u. a.

° WPfeiffer, Forſchung und Kritif auf den Gebiete des deutjchen Alterthums 1, 53. Bol. hiezu die Ausftellungen im Literariichen Gentralblatt 1864, ©. 160, und Pfeiffers Antwort (Die Kanzleiſprache Kaifer Ludwigs des Baier, in der Germania IX, 159 und Freie Forihung 361).

3 Mon. Boica XXXI, 1, 389. 391.

* ]. ce. 404.

5 Mon. Boic. XXIIL, 47.

6 Der Güte des Hrn. Domcapitulard Dr. Steichele in Augsburg ver- danke ich eine Mittheilung, welche die ohnedieß faum zweifelhafte Annahme, daß der officialis euriae U. H. ein Geiftlicher gewefen, zur vollen Gewißheit erhebt, da fie uns benfelben als Kanonikus von Feuchtwangen fennen lehrt. 1318,

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beitätigt. Mit diefer Identität läßt ſich dann eine andere nicht ver- einigen: 1330 oder 1331 ftiftet nämlich ein Magister Vlricus dietus Hofmaiger mit Zuftimmung feiner (nicht genannten) Geniahlin ein ewiges Licht im Klofter St. Ulrich und Afra zu Augs— burg!. In dem bifchöflichen Offizial, den faiferlichen Protonotar und dem Ehemann Hofmaier find alfo auf alle Fälle zwei Perſonen auseinanderzuhalten.

Die Verwirrung wächſt noch, wenn im jahre 1338 der Bifchof von Augsburg von einem „Meifter Uri, unfer Hofmaier“ fpricht ?, Denn hier bezeichnet „Hofmaier“ augenscheinlich ein Amt, es ift das eines Oberverwalters der biichöflichen Maierhöfe, eines Domänen- direftor8, dem auch gewiſſe richterliche Befugniffe zuftanden d. Viel— feicht war dieß Aınt in der Familie Ulrich ſchon Länger erblich, fo daß ihr der Gefchlechtsname* darans erwachien war. Ob aber dem faiferlichen Protonotar und Diplomaten feine Kanzlei und feine Reifen nod Zeit gelaſſen haben auch diefes Amt zu führen, ob das Amt für ihn nur die Bedeutung einer Ehrenftelle hatte, oder ob wir es hier wieder mit einer andern Perfönlichkeit zu thun haben, läßt fich nicht entjcheiden.

So bleiben wir auch bei dein Zeugniffe des Augsburger Burger: buchs, wonach Ulricus Hofmeir von Biberach, angeblic) eines Lan— genmantel8 Stieffohn, 1339 zu Augsburg das Bürgerrecht arge- nommen, und bei den mehrfachen Erwähnungen eines Magifter

Juni 5. (feria secunda proxima ante festum pentecostes) Auguste. Fridericus episcopus ecclesie Augtistensis questionem ortam inter pre- positum et canonicos ecclesie Fuhtwangensis, ubi prepositus volens in causis ecclesie necnon canonicorum judicare debeat presidere et quibus assistentibus debeat judicare, cum magistris Ar. plebano, Kraf- tone scolastico, canonicis ecclesie Augustensis, H(einrico) plebano ecclesie Fuhtwangensis, et Ulrico dieto Hofmaier, offieiali curie sue, canonicis ecclesie Fuhtwangensis, tamquam cum arbitris seu compositoribus amicabilibus sententiando diffinit. Aus einer Kopie s. XIV auf der NRüdjeite des Driginal® ber um 1315 dem Stifte Feuchtwangen gegebenen Statuten, NReihsardiv in München, Stift Feuchtwangen, Faſz. 1.

ı M. B. XXI, 75. Die Ueberichrift zeigt das Datum 1330, der Tert 13311 Die judices curiae Augustae haben auf Bitte des Ausftellers ge- fiegelt.

2 1, 0. 110.

s Bon den rechtlichen Berhältniffen des Hofmaiers zur Stadt handelt Artikel XI des Augsburger Stadtrechtes von 1276. Meyer, Das Stabtbud) von Augsburg S. 34—36.

Daß Hofmaier wirklich Gefchlechtsname, nicht immer Amtsbezeichnung war, bemweift 3. B. die Augsburger Urkunde von 1327, mo „Herr Albrecht der Hofmaier, des Klofters St. Ulrich und Afra Reiner” auftritt (Mon. Boic. XXIII, 63). Dadurd) widerlegt fich Pfeiffer entgegengefetste Behauptung, a. a.D. 53.

5 Stetten, Geſchichte der adeligen Geſchlechter Augsburgs 112. (Burger: buch ad h. a.). Nach demfelben hat diefer U. H. „Agnes Gollenhoferin zur Ehe gehabt, mit welcher er Ulrich und Albrecht erzeugt, welcher Ietstere Chorherr bey St. Moriz gemejen iſt“.

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Uri Hofmaier in Augsburger Urkunden! im unklaren, ob dieje Perjonen mit dem faiferlichen Staatsmanne zu identifiziren find. Segen die Identität fpricht die Unwahrſcheinlichkeit, daß Ulrich als faiferlicher Protonotar und vielbejchäftigter Gefandter noch Zeit ge- funden Habe, ji oft in Augsburg und deffen Umgebung aufzuhalten ; für die Jdentität pricht außer dem gleichen Namen der Umjtand, daf die Zeugfchaften oder ſonſtigen urfundlichen Grwähnungen Meiſter Ulrid) Hofmaiers in oder bei Augsburg doc nie in eine Zeit fallen, in welcher der Protonotar ſich auf einer Gejandtichaftsreife befand, und noch entjchiedener, daß mach 1346, dem Todesjahre de8 Proto- notars, auch im Augsburger Urkunden, fo viel ich ſehe, fein Ulrich Hofmaier mehr auftritt. Einige Wahrjcheinlichfeit dürfte wohl jene Löſung beanjpruchen, wonach wir in dem bijchöflichen Tabellio, Of— fizial, Feuchtwanger Kanonifer und fpäteren faiferlichen Protonotar eine, in dem verheiratheten Augsburger Bürger und bifchöflichen Hof: maier eine andere Perfönlichkeit erbliden. Völlig ficher ftellen läßt fic) die Sache nicht ?.

Sicher ijt dagegen, daß Ulrich von Augsburg, Ritter, der 3.8. 1318 und 1324°, und Ulrich der Schreiber (Geſchlechtsname), der 3. B. 1330 und 1333* in Augsburg genannt wird, von Meijter Ulrich dem Hofmaier verjchiedene Perjönlichkeiten find ®.

Sichere Ergebniffe unſerer Unterfuchung find ferner, daß der Protonotar Ulrich nie Kanzler war ®, und daß der Name Hangenohr, mit dem er bisher vorzugsmweife in der Gefchichte gelebt hat, ihm nicht zufömmt. In feiner einzigen der zahlreichen gleichzeitigen Erwäh— nungen wird ihm derjelbe beigelegt; erjt Andreas von Regensburg der Hundert Jahre fpäter gefchrieben hat, nennt diefen Namen”; von hier aus ijt er in viele andere Chroniken und hauptſächlich durd)

ı M. B. XXII 270 3. 3. 1330; M. B. XXIII 90 ;. 3. 1333 (Mag. Ulrieus dietus H. in Augusta); 1. c. 96 3. 3. 1334; M. B. XXXIL, 1, 519, 1328, Juli 7, zu Oberdorf al8 Zeuge; 1. c. 553, 1331, Ianuar 13, zu Augsburg als Zenge Herr U. d. H.; M. B. XXXII, 2, 33, 1333, No— vernber 22, Meifter U. d.9. zu Augsburg; l.c. 103, 1334, September 13, au der Spitze der Zeugen (wohl wegen feines Alters): M. U. 0.9. zu Augs— burg; am Schluffe: Heinrich der Hofmaier; 1. c. 113, 1345, Februar 10, als Käufer von Befitungen zu Othmarshaufen: der ehrbare Mann Meifter U, d. 9. zu Augsburg. Dieß die legte Erwähnung in Augsburger Urkunden (jo- weit fie veröffentlicht find),

2 Die Urkunden der Stadt Augsburg, von denen ich nicht Einficht neh— men konnte, deren Beröffentlihung aber in Bälde zu erwarten fein fol, werben hierüber vielleicht Gewißheit bringen.

® M. B. XXXIL, 1, 425 und 476.

« 1.c. XXI, 265; XXXII, 2, 26.

5 Matürlicd) auch Ulrich der Judenſchriber, M. B. XXI, 152, 3. 9.

7:

°_ Diefer Irthum tritt Schon bei Matthias von Neuenburg und bei Heinrid) von Rebborf (Böhmer, Fontes IV, 228 und 528), ja jelbft bei Ulrichs Pathen Stromer auf.

? Siehe oben S. 4 Anm. 1.

17

die Autorität Aventing auch in neuere Werke! eingedrungen. Die Formen Langenohr ? umd Hagenauer © jind nur Entftellungen von Hangenohr, ſowie Hofmann * von Hofmaier. Die Hangenohr waren eine hervorragende Familie, die der Stadt ſchon 1143 einen Bürger— meijter gegeben hatte?. Zur Zeit Kaifer Ludwigs erſcheinen urkund⸗ lich Johanus und Marquard die Hanganor ®, nirgend ein Ulrich ?, Bon einer etwaigen urjprünglichen Geſchlechtsgemeinſchaft zwiſchen den Tamilien Hangenohr und Hofmaier habe ich nirgend eine Spur ge= troffen.

Leichter al8 die Entjtehung diejes Irrthums läßt fich die jenes andern erklären, der unferer Unterfuchung die Wege gewiejen: der vielfachen Verwechſelung des Protonotars Meifter Ulrich des Hof: maiers mit feinem Amtsvorgänger Meijter Ulrich dem Wilden. beide in der That verjchiedene Perjönlichkeiten find ®, dieß bedarf feines weiteren Beweiſes al8 der Hindeutung darauf, daß Ulrich Hofmaier 1336 und 1343 jene Schreiben an die Curie überbringt, worin Ulrich der Wilde als Verräther und verjtorben bezeichnet wird. Ver» führt durd gleichen Namen und Würde und durch die ungleid) größere Bedeutung und Popularität des Augsburger Hofmaiers hat zuerſt da8 Chronicon de ducibus Bavariae, haben dann die meiften baieriihen Chronijten de8 15. und 16. Yahrhunderts Ulrich den Hofmaier mit feinem Vorgänger verwechſelt und ihm die Fälſchung des kaiſerlichen Schreibens zur Yajt gelegt”.

ı Stälin (Wirt. Geſchichte IIT, 203 und 222) allein Hat den richtigen Namen genannt und dafür von Pfeiffer (Forſchung und Kritit 53) eine völlig unverdiente Zurechtweiſung erfahren,

2 Aventins Chronica (ed. Cisner 1580) 394 und 402, 2; dagegen haben feine Annales (Lib. VII) Hangenohr.

So Bzovius (bei Herwart 632); Pantaleo, Prosopographiae ‚328. * Gewold 118.

5 Mon. Boic. XXVIII, 530.

6-1, ec. XXI, 140. 142. 165. 170.

? Erft hundert Jahre fpäter begegnen wir einem folchen: 1459 wurde Ulrich Hangenohr von Augsburg erſtochen. Chroniken von Augsburg I, 328.

° Was Mannert (Kaifer Ludwig S. 466) leugnet.

® Diefe Verwechſelung lag fo nahe, daß ich einer andern Möglichkeit, die ſich für die Auffaffung diefer Berichte noch darbietet, nur Erwähnung, feines- wegs Bedeutung geftatten will. Es wäre die, daß die Ehroniften doch Recht haben , wenn fie den Fälſcher „Ulrich von Augsburg“ und „Ulrich; Hangenohr“ nennen, daß fomwohl diefer Geburtsort als diefer Geichlechtsname für Ulrich den Wilden zuträfen; „der Wilde” müßte dann als ein etwa wegen unehe- licher Geburt beigelegter Uebername betrachtet werden. Da dieſe Hypotheje in feiner gleichzeitigen Erwähnung eine Stüte findet, wird fie unbedingt zurüdzu- weiſen jein,

XIV. 2

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Kleine kritische Grörterungen. (Fortjegung von Band XII).

Bon

6, Waih.

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8. Die erften Sächſiſchen Pfalzgrafen.

Seit Heydenreich in feinem anonym erfchienenen Entwurff einer Hiftorie derer Pfaltz- Grafen zu Sachſen (Erfurt 1740. 4) die An— ſicht aufgeftellt, daß e8 in der Zeit der Dttonen bis gegen die Mitte des Ilten Jahrhunderts hin eine doppelte Pfalzgrafichaft in Sachſen oder eigentlih in Thüringen gegeben: eine im Norden und Djten, die andere im Süden und Weſten diefes Landes !, hat, troß des ent» ſchiedenen Widerfpruches, den alsbald G. E. Erollius (Bon dem Ur- ſprung und Amte der Provinzialpfalzgrafen in Deutſchland, Abhand- lungen der Churfürftlich-Baierischen Akademie der Wiſſenſchaften Bd. IV, 1767, ©. 54 ff.) dagegen erhoben, diefe Annahme fast allgemein Beifall gefunden. Namentlid) Gervais in feiner Geſchichte der Pfalz- grafen von Sachſen (Neue Mittheilungen des Thüringiſch-Säch— ſiſchen Vereins IV, 3) hat fie fich angeeignet ?, Böttcher (Die Bru— nonen ©. 520 N.) davon als einer befannten Sache geſprochen und eine Reihe willfürlicher Vermuthungen daran geknüpft (S. 705 fi.), Gfrörer (Papft Gregorius VII. und fein Zeitalter I, ©. 184 ff.) dagegen e8 wie eine neue und wichtige Entdeckung vorge» tragen. Es ijt dadurch die richtige Auffaffung wie der Pfalzgrafichaft überhaupt jo Sachſens al8 eines zufammengehörigen großen Stammes gebietS getrübt, außerdem natürlich die Reihenfolge der Pfalzgrafen in Unordnung gebrad)t.

Die Feltitellung diefer ergiebt aber einfach das Irrthümliche der ganzen Annahme. Und fie hat in der That viel weniger Schwierigkeit ?, als man nach der bisher herrjchenden Verwirrung glauben follte,

Dabei ift e8 freilich nothwendig ſich an diejenigen zu halten, welche wirflic) mit dem Namen bezeichnet werden. So bleibt vor allem jener Graf Siegfried zur Seite, der unter Heinrich) I. eine

ı ©. 56 bringt er gar am Ende des 10ten Jahrhunderts drei Pfalzgrafen heraus.

2Ebenſo Pfaff, Geſchichte des Pfalzgrafenamts S. 58.

° Zn der Hauptjache hat auch bereits Gruber , in der Zeit- und Ge— ſchicht-Beſchreibung der Stadt Oöttingen I (1734), ©. 75, das Richtige ge- geben, daun Crollius S. 133, und ebenfo kurz Riedel, De comite palatii ©. 60, dem Dönniges, Staatsreht S. 358 N., folgt. Für nur einen Pfalzgrafen erflärt ſich auch Hüllmann, Geſchichte des Urfprungs der Stände I, ©. 320, meint aber, es fei mit dem zerſtreuten Namen, die überliefert, nichts anzufangen.

22

angejehene Stellung in Sachſen einnahm, den der König einmal all= gemein mit feiner Stellvertretung beauftragt Hatte (j. darüber Jahr— bücher Heinrich I. ©. 108).

Der erjte, welcher in autheutifcher Weberlieferung genannt wird, iſt Adalbero, der mütterliche Großvater des Biſchofs Beruward von Hildesheim, von dem Thangmar, der Biograph diejes, fagt, Vita c. 1, 88. IV, ©. 758: Avus quippe ejus Athelbero palatinus comes vir plurima virtutum laude insignis, qui commissae sibi praefecturae exactionem magis ex debito quam ex in- tentione gerebat. Er war, wie Thangınar berichtet, der Water des Biihofs Folemar oder Poppo von Utrecht, und wie der Name des Sohnes kommt aud) der feine in abgefürzter Form vor. Die Vita Johannis Gorziensis c. 47, a. a. D. ©. 350, berichtet: Forte ibi tune Trajectensis seu Dabentrensis ecclesiae pontifex claris- simus ... domnus Popo adfuerat ... cum suo, id est Popo- ‚nis, genitore, viro in rerum publicarum cura strenuissimo at- que comite palatino, cui nomen Berno. Ueber die Identität der Perfon kann mac dem angegebenen Berwandtichaftsverhältnis nicht der mindefte Zweifel fein.

Diefer Pfalzgraf Berno ift aber auch fonft befannt. In einer Urkunde, welche Otto L auf der Rückkehr aus Stalien im Jahr 972 zu Gonftanz fir das Bisthum Cur ausftellte (Mohr, Cod. dipl. I, ©. 91) wird von einer gerichtlichen Verhandlung berichtet, welche gehalten jei sub nostri praesentia caeterorumque nostro- - rum primatum, Bernonis videlicet comitis palatini, Chuonradi u. f. w. (nod) 9 Namen) comitum. Man Hat geglaubt, hier einen eriten Schwäbifchen Pfalzgrafen zu erkennen (ſchon Cruſius, Schwäb. Chronif ©. 138; daraus Crollius S. 126; Riedel, De comite pa- latii ©. 60; Stälin, Würtemb. Geſch. I, ©. 526 u. a.), obſchon man einen folhen, überhaupt einen Grafen des Namens um diefe Zeit in Alamannien gar nicht nachzuweiſen wußte. Es ijt aber fein Grund zu zweifeln, daß wir den in Staatsgejhäften erfahrenen Sächſiſchen Grafen vor uns haben, der den Kaifer nach Stalien begleitet hatte und hier al8 der erjte unter den Beifigern eines Hofgerichts erfcheint.

Aber noch einmal taucht er auf, in einem Actenſtück von eigen- thümlichem Charakter und Werth. Gruber, in der Zeit und Geſchicht— Beichreibung der Stadt Göttingen (I, ©. 72, 1734, und aus ihm . ohne Zweifel Falfe in den Traditiones Corbejenses ©. 133, 1752) hat das Fragment einer Tradition an das Kloſter Hilwards- haufen veröffentlicht, angeblic) aus d. %. 973, in dem es Heift: Tune venerabilis palatinus comes Bern dietus nomine cum domina Berthilda abbatissa ad regalem curtem Grona per- rexit ibique coram magno et pacifico Ottone imperatore do-

Dagegen läht Gruber S. 76 den Athelbero dem Berno folgen, Gervais ©. 34 fie neben einander in Oft: und Weſt-Sachſen tagen. Neuerdings hat aud) Lüntzell, Geſch. Hildesheims I, S. 132 N., auf den Berno hingewieſen, fannte aber die beweiſende Stelle ber Vita Johannis Gorz. nid.

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mina Helmburg cum filiabus suis in palatio, cunctis coram adstantibus, predietam traditionem omnium consilio corrobo- rando simul firmaverunt. Post in villa cui vocabulum Winithi, post in altera cui nomen Rostorp eandem traditionem in placito prenominati palatini comitis firmando corroboraverunt.

Die Echtheit des Fragments ift von v. Werfebe (Beichreibung der Gaue ©. 11) angezweifelt, und der Gedanke lag nicht fern, daß ein Freund des Altertfums Göttinger Umgebung hier feine dichtende Hand gebraucht Habe. Doch war jo nicht wohl zu begreifen, wie er auf den damald ganz unbekannten Pfalzgrafen Berno gefommen. Wenigftens nur als Graf fannte ihn Gruber aus einer fpäter (Orr. Guelf. V, ©. 7) veröffentlichten Urkunde König Ottos von 970 über eine andere Schenkung an das Kloſter: es ijt aber nicht unge- wöhnlich, dag namentlich in der ältern Zeit die neu emporgekomme— nen Pfalzgrafen nur allgemein als comites in den königlichen Ur— kunden bezeichnet wurden!. Auch die nicht gerade häufige, aber der Zeit wohl entjprechende Bezeichnung des comes als venerabilis und anderes fprach für die Echtheit. Die erwünjchte Bejtätigung derjelben und zugleich allerdings eine Berichtigung und Ergänzung der Publication Grubers hat eine gefällige Mittheilung des Geh. Archivraths Grotefend aus dem Hannoverjchen Archiv gegeben, nad) der die Stelle einer Ur— funde des Yahres 1003 entlehnt ift, ſich aber ohne Zweifel auf die Zeit Otto L, ungewiß welches Jahr, bezieht. ch laſſe die in mancher Beziehung intereffante Urkunde mit feiner Erlaubnis in der Beilage abdruden und füge da einige Erläuterungen Hinzu. Hier bemerfe id) nur, wie wir aus der Urkunde erfahren, daß Bern Vogt des Klofters Hilwardshaufen war und in diefer Eigenſchaft in der Pfalz Grone erichien und die Schenkung an das Kloſter beftätigen ließ. Er empfängt in der Urkunde ein nicht geringeres Yob als in der Vita Bernwardi: inter principes non minimus, inter prudentes prudentissimus.

Bern oder Adalbero ftarb wahrſcheinlich 982, wie die Ann. necrologiei Fuldenses (Leibniz SS. III, ©. 765)? unmittelbar nach Otto dux einen Bern comes verzeichnen. Es ijt nicht unwahr— cheinlich, daß er wie einft den Vater auch den Sohn nad) Stalien begleitete und ebenfo wie der junge Herzog von Schwaben und Baiern, wenn aud) nicht in der Schlacht gegen die Saracenen, bod) bald nachher den Tod fand,

Sein Nachfolger ift Dietrih. Wir finden ihn in einer Urkunde Dtto III. aus dem Fahre 993 (Erath, Cod. dipl. Quedl. Nr. 31 ©. 23) und der Grenzbefchreibung zwifchen Hildesheim und Minden (Lüngel, Didc. ©. 345). Eine neuere Bearbeitung von Bernwards

ı Mit einem Grafen Bernhard, mit dem Wend (Heff. Landesgeſch. IT, ©. 676 N.) ihn zufammenbringen wollte, hat er ebenjowenig etwas zu thun wie mit einem Adalbert im Nordthuringogau, den andere (v. Werſebe S. 170) für den Adelbero der Vita Bernwardi haben halten wollen,

3 Böhmer in feinen ganz willkürlichen und deshalb unbrauchbaren

Auszügen, Fontes III, ©. 157, hat ihn weggelaffen. Gervais ©. 34 ſchreibt 985 und läßt ſich fo die Combination mit dem Zuge Otto II. entgehen.

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Peben ! nennt feinen Vater Thiderid) Markgraf von Balfenffeve und Ningelhen, Befiger der Schlöſſer Sommerfchenburg, Scheningen u. ſ. w., und Gfrörer (S. 189) hat in ihm den Pfalzgrafen finden wollen, der dann ein Schwiegerfohn des Berno gewejen und Amt und Güter mit der Frau empfangen hätte, während andere (v. Werfebe ©. 169; Gervais S. 39; Lüntzel a. a. O.) doch vielleicht wahrſchein— licher in ihm einen Sohn vermuthen. Gegen jene Annahme jpricht, dat Thangmar der Würde mur bei dem Großvater, nicht dem Bater Erwähnung thut, auch Heinrich IL, da er eine Graffchaft, die Theoderih und fein Sohn Syrus (Sibert) befeffen, dem Bernward überträgt (Heydenreih S. 49), dieſen nicht al8 Sohn und Bruder bezeichnet: jene Graffchaft lang im Gau Oftfalen, und war Dietrich der Sohn Bernos im Leingau, jo nahın das Haus in verfchiedenen Theilen Sachſens eine angefehene Stellung ein. Auf eine Verwandt: Schaft mit Bernward weit aber Hin, daß in demfelben Gau auch der Bruder diefes, Thancmar oder Tammo, feine Grafichraft hatte (Lüntzel ©. 133). Seinen Tod berichten die Ann. Quedlinburgenses 995 (SS. III, ©. 73), denen Thietmar folgt Nr 13, ©. 773).

Ehen diefer nennt gleich nachher (VII, 15, ©. 774) bei einem Kriegszug gegen die Yintizen den Pfalzgrafen Friedrih. Die Aus— gabe der Monumenta hat am Rande das Yahr 993 bemerkt, und Sfrörer (I, S. 190) nimmt deshalb an, daß er fchon in dieſem Jahr Pfalzgraf gewejen: e8 Habe aljo damals zwei Palatinate in Sachſen gegeben. Leicht aber konnte Thietmar, wenn jener Kriegszug wirklich 993 ftatthatte, Hier vorgreifend den Friedrich Pfalzgraf nennen, zumal er zwei Gapitel vorher den Tod des Dietrid) gemeldet hatte. Es fteht aber auch keineswegs feit, wann jene Heerfahrt unter> nommen ift; vielmehr fehlt e8 an jedem Anhalt für eine nähere Zeitbeftimmung derfelben (Wilmans, Jahrb. Dtto III. ©. 75 N.). So fanı fein Zweifel fein, daß Friedrich als der Nachfolger Die- trich8 angefehen werden muß; ob aud) durch VBerwandtichaft ihm ver- bunden, muß dahingeftellt bleiben, jedenfalls Fein Sohn, vielleicht ein Bruder. Er fungierte noch bei der Throubefteigung Heinrich II., da diefer zu Merjeburg die Huldigung der Sädhjfischen Großen em— pfing (Thietmar V, 9, ©. 795).

Dann aber fam die pfalzgräfliche Wirde an Burchard. Er wird fchon im einer Urkunde Heinrich II. vom 15. April 1003 fo bezeichnet (Heydenreich S. 29°; Stumpf Nr. 1354) und empfing 1004 die Grafichaft im Haſſegau? (Thietmar VI, 12, ©. 804;

ı Rünkel, Geſch. I, ©. 132 N. Darnad) eine Deutſche Ueberſetzung Thangmars v. 1540, SS. IV, ©. 758 N.

%? Bernhardus bei Leibniz Annales III, S. 836, was Hirſch, Jahrb. Heinrih II. Bd.I, S. 262N., vorzieht, ift offenbar verlefen. Leider entbehren wir fortwährend einer kritiſchen Ausgabe der Halberftädter Urkunden.

° Indem man dies damit in Berbindung brachte, daß man den Grafen Siegfried unter Heinrich I., der wahrſcheinlich die Grafichaft im Hafjegan hatte, für den erſten Sächſiſchen Pfalzgrafen hielt (j. vorher S. 21), kam man dahin, alle Grafen bier für Pfalzgrafen zu erklären.

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vgl. Höfer Zeitſchr. II, ©. 140), und wird dann öfter in Urkunden Heinrich II. und von Thietmar genannt ?: e8 fcheint daß der König ihn al8 getreuen Anhänger zu diefer Würde erhob. Im Jahr 1016 ward er vom Schlag gerührt (Thietinar VII, 30, ©. 850), fcheint aber noch 1017 oelebt zu Haben (Urk. bei Heydenreih ©. 27; Stumpf Nr. 1690); das Merjeburger Todtenbuch hat den Tag feines Todes nicht verzeichnet.

Als fein Nachfolger erjcheint Siegfried, Bruder des Biſchofs Bruno von Minden (Ann. Hildesh. 1038, ©. 102), ebenfalls Graf in Haffegau (Heydenreih S. 31). Er ftarb im Jahre 1038.

Nach ihm wird ein Wilhelm im Jahr 1042 genannt, zu deſſen Grafichaft Merjeburg gehörte?, fo daß auch er den Hafjegau unter ich Hatte. Näheres ift über ihn nicht befannt.

Dann ift ihm jener Dedi nachgefolgt ?, der und deſſen Gefchlecht durch die ſpätere Chronif des von ihnen begründeten Kloſters Gofef jo wie durch die hervorragende Perfönlichfeit des Erzbiichofs Adalbert von Bremen, Bruders der Pfalzgrafen Dedi und Friedrich, fo bes kannt geworden iſt. Der von den Chroniften gebrauchte Ausdruck (e. 9, SS. X, ©. 144) ‘monarchiam palatii a rege promeruit’ hat Heydenreih (S. 62) zu der Erklärung Anlaß gegeben: er habe zuerft die alleinige, das heiße die vereinigte Pfalzgrafichaft erhalten, und Gervais (S. 80) hat das gläubig wiederholt, Gfrörer (S. 191) al8 die einzig mögliche Deutung Hingeftellt*. So hat ein misverftan= denes Wort eines fpätern Chroniften, wie e8 fcheint, nicht zum we— nigjten zu einem fich forterbenden Irrthum Anlaß gegeben ?, gegen den doc) beide Crollius (G. Ch. Crollius, Erl. Reihe der Pfaltgrafen zu Aden S. 48 N.; ©. E. Crollius a. a. D. ©. 63 N. 133) ges warnt ®. Schon jener macht auf den Ausdrud einer Urkunde “mo- narchiam regni tenente duce Theodorico’ aufmerffam, ohne ihn doch ganz richtig zu erklären. Noch näher Liegt die Vergleichung einer Urk. von 1047, bei Van Lokeren, Chartes de St. Pierre Kr. 127 ©. 92: Flandrensium monarchiam moderante Bal- duino glorioso marchiso ; danı Geneal. Fland. SS. IX, ©. 304: eundemque Baldzonem regimini totius monarchiae praefeecit, und einer Stelle, die Gfrörer anderswo anführt (I, S.51) und frei= ih auch zu ganz unglüdlichen Combinationen benußt: ex succes- sione hereditaria in prineipatu monarchiae Flandrensis gratia Dei jam convaluerat; vgl. Gest. Camer. III, 19, ©. 471:

* Er erſcheiut auch als Zeuge in einer Schenkung für Hersſeld, Wenck ‚©. 42.

2 Höfer, Zeitfchrift I, S. 170: in purewardo Merseburc et in co- mitatu Willehalmi palatini comitis. Ebenfo von Siegfried, Heydenreih ©. 31.

® Er wird zuerft 1043 genannt, Mon. Boica XXIX, 1, ©. 80.

* Köpfe in der Note referiert e8 nur.

5 Auch Hüllmann, Stände S, 321, nimmt an dem Ausdrud Auftoß. °e Was Pſfaff a. a. O. bemerkt, ohne zu erkennen worauf es an— ommt.

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qui participium monarchiae Frisonum tenebat. Das Wort ‘monarchia’ bezeichnet einfach) in der jchwüljtigen Sprache mehrerer Autoren: Herrichaft, Würde, und nichts anderes. So iſt es auch ſchon bei Ducange (ed. Henſchel IV, S. 477) erflärt, der noch eine Stelle beibringt, wo es heißt: Qui monarchiam clericatus in pa- latio obtinens etc. und (II, ©. 455) aud) die monarchia palatii ihon im wejentlichen richtig gefaßt hat. Was das chron. Gozec. fo nennt, das bezeichnet die Hist. Brunvillarensis (I, 1, Ardiv XU, ©. 150) mit regalis palatii apicem.

Es ift nicht ummwahrfceinlih, dag Dedi (= Theodoricus) und fein Bruder Friedrid), der ihm 1056 folgte, der Familie des Dietrih und Friedrich) angehören, die im 10ten Jahrhundert die Würde innehatten und nur eine Zeit lang durch Burchard und feine beiden Nachfolger verdrängt waren, und der erjte Pfalzgraf von Sachſen Adalbero oder Berno wäre dann zugleich der Ahnherr der Familie, welche fpäter im Mann- und Weiberjtamm lange die Würde behauptete.

Wie dem aber fein mag: die Reihenfolge der Sächſiſchen Pfalz- grafen unterliegt feinem Zweifel; für eine doppelte Pfalzgrafichaft findet fich Fein Beleg.

Beilnge.

Abkommen zwiſchen dem Blofter Hilmardshaufen und den Honnen

Hildeburg und Zritheburg zu Gandersheim, Töchtern der Helmburg,

über Güter, welche jene aus einer Schenkung der Mutter zu Be: neficium erhalten hatten. 1003.

+ Im nomine Patris et Filü. C. Opera Dei revelare ac glorificare honorificum est, quia sepe per virile, tum etiam per fragile per femineum sexum misericorditer triumphat ac gloriatur. Unde notum esse desideramus omnibus Christi fidelibus, tam presentibus quam et futuris, quod una matrona vidua nobilissimae prolis nomine Helmburhe, quae, quamvis prius virili sociata esset conubio, tamen forti animo in Chri- sti amore flagrabat, uti res ipsa declarat, quid fecit? pro amore parentum suorum et ob animae remedium quiequid predii in locis Vake, Gateredeshusun, Bernhereshusun, Ger- wardeshusun, Thieddecheshusun nominatis cum omnibus rite ad hoc pertinentibus habuit, Christo sanetoque Stephano proto- martyri ad monasterium Hildiwardeshusun per manus ad- vocati sui Thietmari tradidit, et hoc idem fieri, nimium desi- derantibus consentientibusque ac omnimodis confirmantibus quatuor filiabus suis, quarum nomina sunt hec Aethelwif et Maercsuit, Hildibure et Frithebure, quod bene ita poterant, quia unusquisque illarum hereditarium jus ab aliis possidebat,

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quae omnes Deo dicate virgines, due illarum, Aethelwif et Maeresuit, Hildiwardeshusun, due, Hildiburhe et Fridebure, Gandeshem monasterium Deo servientes, bonae ancillae Chri- sti, divinitus afflatae atque spiritali gratia illuminate, pro Christo caelesti sponso, quem corde et animo semper et sem- per adoptabant, mundum et omnia mundana quasi pro nichilo computabant ac despieiebant. Tune venerabilis palatinus co- mes Bern dietus nomine, ejusdem® predieti monasterii Hildi- wardeshusun advocatus, qui inter” prineipes non minimus et inter prudentes prudentissimus, cum domna Berhthilda pre- dieti coenobii venerabili abbatissa ad regalem curtem Grona perrexit‘, ibique coram magno ac pacifico Ottone imperatore domna Helmburhe cum filiabus suis in palacio, cunctis coram asstantibus, predietam tradicionem omnium consilio corrobo- rando simul firmaverunt, post in villa cui vocabulum est Winithi, post in altera cui nomen Rasthorp eandem traditio- nem in placito prenominati palatini comitis firmando corro- boraverunt. Ea scilicet pactione, ut sanctimoniales ibidem Hildiwardeshusun Deo servientes necessaria unde viverent inde habuissent, nec ulla abbatissa aliquid de illo predio in suum servitium assumpsisset aut pro alio aliquo transmu- tando aufferret, et si aliquis in posterum fecisset, in die ju- dieii rationem reddidisset. Tunc due illarum parentibus re- mote atque humanis occupatae, nomine Hildiburhe et Vrithe- burhe, licencia abbatissae atque jam dieti palatini comitis duo loca Gerwardeshusun et Thieddecheshusun nominata“ cum om- nibus rite appendentibus, necessitate, non ulla cupiditate exi- gente, usque dum vivant in suos usus in beneficium recepe- runt. Postea vero, multo jam tempore peracto, regnante Hein- rico rege, prediote sorores Hildiburhe et Vritheburhe, ut sem- per divino igne ferventes, et infirma mundi considerantes, necnon et dolum instabilitatemque hominum tunc temporis habitantium inspieientes, euangelicum illud quod legitur cor- detenus diligentissime tractantes: ‘Qui ista terrena pro Dei amore reliquerit, centuplum aceipiet, insuper cum Christo aeternaliter regnabit’, hec eadem prenominata duo loca Ger- wardeshusun et Theiddecheshusun Christo sanctoque Stephano protomartyris necnon Hrohtgerdae venerabillimae abbatissae, qui tunc ejusdem°® predieti monasterii Hildiwardeshusun Dei gratia mater exstitit, quod in beneficium acceperunt, in ean- dem predictam pactionem iterum reddendo tradiderunt ac sta- tim dimiserunt. Tune venerabilis abbatissa Hrohtgerd, cle- mentissimae ut semper erat benivolenciae, quia sine victu et vestitu humana penitus deficiunt corpora, illarum predic-

a eiiusdem Dr. b quinter Dr. ce perrixit Dr. d nominate Dr. e eiiusdem Dr.

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tarım sororum H. et F. imbecillitatem considerans, nostro eonsilio fundum, quod in villa Fritherikeshusun habuit, ac mansos 17 cum familiis servitium ad integrum in beneficium usque dum vivant illis prestitit. Ad hoc etiam maltes ad quindeeim cervisa et sues 27 in die” sancti Thomae apostoli et 41 malder in festivitate omnium sanctorum et oves 51 quarta decima die ante ascensionem Domini per singulos annos illis dari, omni congregationi astanti ac desideranti, firmiter sta- tutum est. Et quia per omnia ex utraque parte mediatorem nos habuerunt, hanc cartulam in presentia nostri conscribi jussimus, ne aliqua disceptacio in posterum oriatur, sed Deo adjuvante firma perseveret in secula.

Anno dominicae incarnationis millesimo 3, regnante Heinrico rege, an. 3. nostre ordinationis.

Hec cartula scripta erat fre }.

Die Urkunde bietet viel eigenthümliches und manches ſchwie— vige dar. Nach dem Zeugnis de8 Hrn. Geh. Archivraths Grotefend iſt die Schrift gleichzeitig, das Actenſtück wie es liegt Original. Ein von Hrn. Prof. Steindorff jpäter angefertigtes Facſimile ein— zelner Stellen läßt über das Alter der Schrift feine Zweifel; die Da— tierungszeile ift von anderer, aber gleichzeitiger Hand. Die Zeichen am Anfang und Schluß der erjten mit verlängerter Schrift gejchrie- benen Zeile und am Schluß der letzten Zeile haben Hier nur fehr mangelhaft wiedergegeben werden können. Ob das lette in Verbin— dung mit dem vorhergehenden fre den Ausjtellungsort oder den Schreiber bezeichnen foll, muß dahingeftellt bleiben. in Siegel fehlt und ift nicht vorhanden gewejen. Wer als Ausjteller zu denken und in dem letzten Theil der Urkunde von ſich als Vermitteler, feinem Rath u. ſ. mw. Spricht, ift nicht deutlich; man kann wegen des Aus— druds ‘nostre ordinationis’ vermuthen ein Biſchof "oder Abt; e8 läge nahe an Bernward von Hildesheim zu denfen, der dann feinem müt— terlichen Großvater das reiche Lob gejpendet hätte, das der Pfalz graf empfängt. Auch die Schrift zeigt Verwandtfchaft mit der Hil- desheimer Urkunden diefer Jahre. Aber das Fahr der Ordination paft nicht. In nahen Zufammenhang mit diefer Urkunde fteht offenbar die angebliche Otto III. vom 2. Februar 997, Grone, welche Stumpf, Acta 29 ©. 36, herausgegeben hat. Man darf jich durch diejelbe aber nicht verleiten laffen, unter den Hier genannten magnus et pacificus imperator Otto den dritten zu verftehen, den gefchilderten Vorgang in jeine Zeit zu verlegen. Vielmehr ift jene Urkunde offenbar nad) diejer und auf Grund eines ſolchen Misverftändniffes gefälſcht. Vom Jahr 997, überhaupt von der Zeit Otto ILL. konnte man 1003 nicht ſagen: multo jam tempore peracto; damals lebte auch ficher nicht mehr der Pfalzgraf Berno. Gruber hat das Jahr 973 angenommen wegen der am 7. Juni dieſes Jahrs zu Grone ausgejtellten Urkunde für

a So fcheint zu lefen, im Or. ift nad) in ein a durchſtrichen.

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Gandersheim, die er Otto I. zufchrieb. Der war damals todt; die Bezeihnung ‘magnus et pacificus imperator’ würde wohl aud) von dem Sohn gebraucht fein können; doc fcheint e8 mir am nächften zu liegen an den erſten Kaifer zu denfen. Die Zeit deffelben ift für den angegebenen Vorgang nicht zu fern, da die beiden ehrwürdigen Nonnen im Yahr 1003 offenbar ein höheres Alter erreicht hatten (auf ihre imbecillitas wird NRüdficht genommen), alſo 30 Jahr ‚vorher recht wohl Schon ins Klofter eingetreten fein fonnten. Auf den übrigen, auch rechtshiltoriich und topographifch intereffanten In— halt der Urkunde einzugehen, liegt Hier ferne.

9. Wann wurde Hermann von Winzenburg Landgraf bon Thüringen ?

Iſt es früher lebhaft beftritten, daß ein Hermann überhaupt eine gräfliche oder landgräfliche Gewalt in Thüringen gehabt (ic) verweife auf Wend, Heffiiche Landesgeſchichte II, S. 758 ff.; Kofen, Die Winzenburg und deren Beliter ©. 35 ff., der die weitere Literatur über den Gegenftand anführt), fo Haben die Neueren diefen Zweifel meijt wieder fallen lajjen, namentlid) Knochenhauer in feiner Ge— ichichte Thüringens zur Zeit des erften Yandgrafenhaufes S. 90 ff., dem Menzel in einer Anmerkung fich anfchlieft, die Sache als ficher begründet angenommen, und nur die Zeit näher zu bejtimmen ge— fuht. Dafür verwendet er zwei Urkunden, die ihn zu den Refultat führen, daß ſchon unter Heinrich) V. der ältere Hermann, der im Sahre 1122 ftarb, die Würde eines Yandgrafen erhalten und fie auf jeinen Sohn vererbt habe. Ach bin in der Anzeige von Kuochen- hauer8 Schrift (G. ©. A. 1871 St. 17) hierauf eingegangen und habe die Bermuthung geäußert, e8 möge die Erhebung der Winzen- burger mit dem Ausjterben des jüngeren Weimarer Haufes (1112) zufammenhängen, und deshalb nur bezweifelt, daß die eine Urfunde, welche Knochenhauer ins Jahr 1111 fett, hierher gehöre. Die Sache ift aber damit nicht erledigt, und bedarf einer genaueren Darlegung.

Die angeführte Urkunde Adalbert von Mainz (Leibniz SS. I, ©. 705), in welcher ein Herimannus patriae comes genannt wird, ift in der That in ihren Daten und fonjtigen Angaben fo verwirrt und widerfpruchsvoll, dag man e8 aufgeben muß fie für irgend welche Unterfuchungen zu benugen; Kolbe in feiner Schrift, Erzbifchof Adel- bert I. von Mainz und Kaiſer Heinrich V., Hat in einem Excurs ausführlich darüber gehandelt und mit Recht die Urkunde für eine

ı Ebenjo Frand, Die Landgraffchaften des h. Römischen Reichs S. 158, 3 —— Buch gar nicht kennt und den Gegenſtand ganz unkritiſch ehandelt.

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jpätere Fälſchung erklärt. Der Titel ‘comes patriae’ ohne weiteren Zufag fommt auch nicht vor dem Jahre 1137 vor.

Faſt noch ein größeres Gewicht legt Knochenhauer auf die zweite Urkunde vom Jahr 1114, in der Hermann Graf von Thüringen heiße, al8 Treuhänder des eben verjtorbenen Grafen Ulrich von Orla— münde (Weimar) erſcheine. Er folgt der Ausgabe von Guden im Cod. diplom. 1, S. 393. Aber wir befigen feitdem einen Abdruck aus dem Original, Mon. Boica XXIX, 1, ©. 233, und da heißt «8: per manum Hervini comitis de Turingia. Das ift ohne Zweifel der Graf Erwin von Tonna, ber in Thüringifchen Urkunden diefer Zeit öfter genannt wird (Schultes, Directorium 1103—1123).

Hiernach bleibt fein Zeugniß, das den älteren Grafen Hermann irgendwie mit Thüringen in Verbindung bringt; daß er in dem Auc- tarium Claustroneob. 1122, SS. IX, ©. 628, als comes provineialis de Saxonia bezeichnet wird (daraus in den Ann. Reichersp., XVII, ©. 653, nur comes provincialis), fann nur als eine Uebertragung jenes Titel8 von den Sohn auf den Vater angefehen werden; ur— fundlich heißt er wiederholt comes de Saxonia; Mon. B. XXIX, 1, ©. 210. Url. B. d. 8. ob d. Enns. II, ©. 128. Ried, Cod. dipl. Ratisb. I, ©. 171. Fickler, Urkunden ©. 33.

Für den jüngeren Hermann giebt e8 nur die Urkunde Lothars vom 13. Juni 1129, Orr. Guelf. II, ©. 494, die ihn als land- gravius nennt, meines Wiffens feine die ihm irgendwie mit Thü— ringen in Verbindung bringt.

Und fo fünnte man doc) zweifelhaft werden, ob nicht die Bedenken Schumaders, Wends, u. a. begründet feien, welche den landgräflichen Zitel niht auf Thüringen, fondern auf die Sächſiſchen Grafſchaften Hermanns beziehen wollen. Aber mit echt beruft ſich Menzel auf das Zeugnis der jenen unbekannten älteren, diefer Zeit fehr nahe ſte— henden Annales Erphesfurdenses 1130 (SS. VI, ©. 538), wo Hermann als prineipalis comes Thuringiae bezeichnet und Graf Ludwig als fein Nachfolger genannt wird.

Die Frage kann dann nur fein, warın er diefe Würde empfangen. Gieſebrecht hat (Kaifergefchichte IV, ©. 37 N.) die Vermuthung ges äußert, es ſei gefchehen, da er die landgräfliche Gewalt in Meißen nit Konrad von Wettin Habe theilen müſſen, weiſt aber zugleich dar- auf hin, daß auch früher die Markgrafen von Meißen wohl fchon mit einer bejonderen Amtsgewalt über Thüringen befleidet gewefen find. Mir fcheint es aber immer noch fehr zweifelhaft, ob Hermann wirklich im J. 1123 die Mark Meißen erhielt, wie Giefebrecht TIL, ©. 1216 annimmt, ebenjo zweifelhaft freilich, ob Heinemann, Albrecht der Bär ©. 322, die Sade richtig gefaßt hat. Daß Hermann überhaupt eine Mark erhalten, beruht auf einer Stelle de8 Chron. Sampetr. 1123 ©. 18, deren Zeit nicht feftiteht: an die Stelle des verftorbenen Markgrafen Heinrich habe der König zwei Markgrafen eingefeßt, den Wigbert und den Grafen Hermann von Winzenburg. Daraus gejchöpft Haben die Ann. Bosov., SS. XVI, ©. 256, und

al

dann Hermann bejtimmter die Mark Meißen beigelegt, die fie erft im Jahr 1130 bei feiner Verurtheilung auf Konrad von Wettin übergehen lajjen. Dies fcheint aber auf feinen Fall richtig zu fein. Und andere ältere Berichte laſſen Heinrih V. Meißen au Wiprecht von Groitſch geben. Hermann erjcheint in diefen Jahren nirgends als Markgraf; im Jahr 1124 wird er in einer, Urkunde Adalberts von Mainz als Herimannus comes de Winzinbure genannt (Heinemann, Cod. ‚dipl. Anh. ©. 156); die älteren Annalen, die feine Verurtheilung 1130 erwähnen, wiſſen nichts von einer markgräflichen Würde, nennen ihn nur Graf oder, wie die Ann. Erph., prineipalis comes Thu- ringiae. Allerdings giebt ihm dann viel fpäter eine Urkunde des Erz- bischofs Adalbert vom Jahre 1139 den marfgräflichen Titel (Orr. Guelf. IV, ©. 545) ; es ift überhaupt das erjte Mal daß er nad) feiner Berurtheilung wieder auftritt (Kofen ©. 50). Sollte Kon rad III. damals, al8 er den Kampf gegen die Welfen führte, den Winzenburger hergejtellt, ihm vielleicht die Mark des zum Herzog von Sachſen erhobenen Albrecht zugeiprochen haben? Das laffe ic) hier zur Seite. Was aber die Nachricht des Chron. Sampetrinum be» trifft, fo fann man wohl auf den Gedanken kommen, daß die Her- mann damals in Thüringen gegebene Stellung, wie eine folche früher wohl mit der Mark Meißen verbunden war!, den Anlaß geboten habe, von einer Theilung der Mark, Einfegung zweier Markgrafen zu fprechen. Ihm wäre dabei feineswegs ein neuer Titel beigelegt, und er fonnte deshalb nach wie vor im Jahre 1124 als Graf von Winzenburg benannt werden. Die Bezeichnung Landgraf, die eben jetst auffam, fand nur auf ihn wie auf andere Anwendung, welche die alte Stellung der Grafen behaupteten und deren Gewalt ſich von der blos territorialer Grafen unterfchied.

Auch das ift zum Theil nur Vermuthung. Gewiß aber, daß bon dem älteren Hermann als Landgraf von Thüringen nicht Die Rede fein darf, daß der jüngere nicht vor 1129 mit diefem Namen, als Markgraf erjt nad) der Wiedereinfegung in feine Sächſiſchen Güter unter Konrad II. im Jahr 1139 erfcheint, während Ludwig von Thüringen feit 1132? oder 1133 als Landgraf genannt wird.

10. Meber Zeit und Heimat der fogenannten Constitutio de expeditione Romana.

Seit Berk (LL. II, ©. 2) bei der neuen Ausgabe dieſes eigen-

ı Etwas ähnliches hatte ih ©. ©. A. ©. 652 im Sinne, als ich mit bem Tod des Ulrich von Weimar irrthümlich auch eine Erledigung der Mark Meigen in Berbindung bradıte.

2 Menn der Urkunde für Walfenried (Stumpf Nr. 3268) ein echtes Original zu Grunde liegt; 1133 Wend II, ©. 83: regionarius comes.

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thümlichen Actenſtückes e8 mit Rüdjiht auf den Inhalt wie auf die handichriftliche Ueberlieferung in die zweite Hälfte des 12ten Jahr— hunderts geſetzt Hat, iſt man faſt allgemein diefer Annahme beige- treten; nur Nigih (Meinifterialität und Bürgertyum S. 46) hat geglaubt noch Andeutungen einer früheren Zeit in den Beitimmungen über das Heerwejen zu finden’. Neuerdings hat Ficker in einer eis genen längeren Abhandlung (Ueber die Entjtehungsverhältniffe der c. de e. R., Wien 1873, aus den Sitzungsberichten der Wiener. Akademie der Wilfenfchaften befonders abgedruckt) die Frage nad) Zeit und Heimat noch einmal eingehend behandelt und dabei Reſultate ge— wonnen, mit denen ich nicht übereinjtimmen kann.

Zunächſt führt er aus, was für die Entjtehung des Actenftüces in feiner jegigen ©eftalt in der zweiten Hälfte des 12ten Jahr— hunderts fpricht, der Gebrauch des Wortes principes, die vier Hofämter, welche diefen zugefchrieben werden, die Art und Weife wie ministerialis als Erklärung eines andern Ausdruds verwandt, wie die famuli neben den liberi als Inhaber von Yehen bezeichnet find. Dieje Gründe lafjen ſich noch verjtärfen. Cine Hauptjache ift der Ausdrud ‘expeditio Romana’ jelbft : er fommt in einem echten Actenftü nicht vor den Jahre 1154 vor (LL. II, ©. 96); aud) bei einem Schriftiteller, daß ich weiß, nicht vor der Staufifchen Zeit; Trad. Baumb., Mon. B. III, ©. 14, ijt eine jpätere Aufzeichnung über die Zeit Heinrich V.; Yeichtlen Zähringer S. 54 eine faljche Urfunde des 12ten Jahrhunderts. Daß das Wort in der Constitutio in dem weiteren Sinn für jeden Zug nach Stalien gebraucht wird, ijt gewiß mur ein Beweis mehr für die jpätere Abfafjung. Einen ſolchen finde ich auch in der Stelle über die Verſammlung auf den Noncaliichen Feldern: man kann nicht zweifeln, daß fie aus Otto von Freifing entlehnt ift?. Mean vergleiche die Worte:

Otto: qui sine bona voluntate do- minorum suorum domi reman- serint, in feodis condempnan- tur.

Const.: feodo preter hos qui cum gra- tia dominorum suorum re- manserint privetur.

Keiner wird glauben, daß Otto feine Erzählung von den was nach ihm alte Gewohnheit der Könige war aus diefer Constitutio ent- nommen hat.

ı Er sjeßt es im biefelbe Zeit mit „Konrad II. Weifenburger Dienft- recht”. Daß aber dies nicht echt fein, nicht der Zeit Konrad II. angehören fönne, ſchien mir auch vor den Ausführungen Breflaus unzweifelhaft; was Fider S. 26 zur BVertheidigung beibringt, ift jedenfalls unzureichend.

Hierauf bin ih, wenn mid; mein Gedächtnis nicht täufcht, zuerft von Hrn. Prof. Lörſch in Bonn aufmerkſam gemacht, da der vor längeren Jahren einmal eine Abhandlung über die Const. in meinen hiſtoriſchen Uebungen vor- legte. Ich glaube, fie verdiente noch jetzt gedrudt zu werden,

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Daneben darf man auch die ‘rebellia regna’! anführen, ein Ausdruck der wohl in der Zeit Friedrich I. gebraucht werden mochte, ſchwerlich einer früheren Zeit entjprechend gefunden werden kann; feodum läßt fich allerdings vor dem 12ten Jahrhundert nachweifen, faum aber “fructus feodi’, wie hier einmal gejagt wird; “marca’ am Anfang des Ilten Jahrhunderts wenigſtens nur in Gegenden, wohin nicht leicht jemand den Urſprung der Constitutio fegen möchte, in Baiern nicht vor dem 12ten. Auf das rex ‘Francorum et Ro- manorum’ im Eingang will ich fein Gewicht legen, da Ficker diejen ? jelbft für jünger als den Inhalt der Urkunde hält.

Was derjelbe aber von Spuren eines höheren Alten in der Constitutio entdedt haben will, erjcheint von ganz geringem Belang. Er findet e8 auffallend, daß bei den Angaben über die Kriegspflicht der Einzelnen neben den Reiſigen auch die Schildfnappen (scutarii) erwähnt werden: er glaubt darin ein Zeichen zu finden, daß zur Zeit der Abfaffung die Leichtbewaffneten noch eine bedeutendere Stellung im Reichsheer gehabt, und nimmt mit Nitzſch (S. 41) an, daß das im 11ten Jahrhundert der Fall geweien fei. Aber weder wird die fette Anjicht fich behaupten laſſen, noch kann man die scutarüi hier al8 Beweis dafür anführen. Es läuft aud) der Irrthum unter, daß der scutarius der Constitutio und der seutatus anderer Duellen für identisch gehalten wird (Nitzſch citiert felbjt in einer aus Wend angeführten Stelle geradezu scutarii ftatt scutati). Das ift aber offenbar nicht der Fall: scutatus bezeichnet wie lori- catus den reifigen Mann, nicht den Schildträger oder Schildfnappen ; vgl. Ann. Altah. 1042, SS.XX, S.797: cum parvissima manu militum et servitorum, quippe nec 30 habentes scutatorum im ganzen waren e8300; Vita HeinrieilV. c.5, SS.XI, ©. 274: aliquos scutatos ad praedietam obsidionem tendentes obviam ha- buit; Beyer Mittelrh. UB. Nr.338 ©.394: 40 scutatos ex ista parte Alpium ... mittat. In demfelben Sinne wird scutum ge— braucht, gerade wielorica, lancea, die einzelne Waffe für die ganze Rü— ftung; Würdtwein N. S. VI, ©. 314: 4 scutis serviat nobis; Dronfe 749 ©. 359: et in expeditionibus cum 6 scutis mili- taret; Ruodlieb IV, 15, ©. 160. Dagegen finden ſich scutarii neben custodes und tyrones bei Berthold 1080, SS. VI, ©. 325; bei Gosmas II, 39, SS. IX, ©. 94 werden fie den viri bello fortiores entgegengeftelit; vgl. III, 25, ©. 114: pabulantes scutarii; hier find Schildfnappen oder andere in geringerer Stellung gemeint. Noch anderswo bezeichnet das Wort einen Schildmacher. Viel fingulärer ift der Gebraud) von brunia und halsperga für den gewappneten Mann: es fommt in der Weife wie hier in Denfmälern bis zum 12ten Jahrhundert gar nicht vor; das entfprechende “loricae’ ſtatt ‘lorieati’ nır Ann. Weingart. 1135, SS. XVII, ©. 300. Jene

ı Menn man denn mit der älteften Handfchrift “rebellibus regnis’, und nit ‘regni’ lieſt. XV. 3

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beiden Worte find urfprünglic) nicht gleichbedeutend (vgl. Sanmarte, Waffen ©. 34 ff.), werden aber in der Const. offenbar jo gebraucht. Obgleich) Ficker dies anerkennt, meint er doc) den Unterjchied heraus— finden zu können, daß die freien Vaſſallen in der halsperga, die Minifterialen regelmäßig in der Brünne dienten: nur ausnahms— weife habe der Herr auch diefen „das koſtbarere Waffenſtück“ aus „ſeinen Vorräthen“ mitgetheilt. Aber davon ijt in der Const. nichts zu finden, Von denen qui per hominium dominis adhaeserint heißt e8, daß fie, quot decem mansos in beneficio possideant, tot brunias cum duobus scutariis ducant, und ganz ebenjo von der niederen Klaffe: quicungue 5 mansos in beneficio possi- deant bruniam cum uno scutario ducant. Und nun: Et hoc in arbitrio dominorum pendeat, quos ducant, a quibus stipendia accipiant, quibus etiam halspergas concedant; d. h. unter der Gefammtheit derer, die hier in Betracht kommen, wählt der Herr diejenigen aus welche er des reifigen Dienjtes überhaupt für würdig hält. Die Klafje von Leuten um die es fich handelt wird bezeichnet: de ecelesiarum filiis vel domestieis, i. e. ministerialibus, vel quorumcumque principum clientela, qui cottidie ad serviendum parati esse debent. wider hält ſich hier an das Wort Minifterialen und meint, daß nach diefer Stelle die Entwicelung derjelben noch weiter zurückgewefen fei, al8 man im 12ten Jahrhundert annehmen fünne, während der technifche Gebrauch des Wortes doch eben erjt dieſer Zeit angehöre. Allein in der angeführten Stelle ift gar nicht von denen die Rede, welche jpätere Denkmäler und mit ihnen wir vor— zugsweife Minifterialen zu nennen gewohnt find. Diefe find, wie Ficker ©. 15 mit Recht gegen Eichhorn u. a. bemerft, jchon vorher neben den liberi als famuli qui per hominium dominis suis ad- haeserint aufgeführt: foweit fie in den Lehensverband aufgenommen, werden fie den freien Vaſſallen gleichgeftellt. Davon aber find die niederen Diener und abhängigen Leute unterfchieden, die auch Land zu beneficium haben, auch zum Sriegsdienft herangezogen werden fönnen, aber nicht die Lehnshulde leiten. Der Autor verwendet eine Mehrheit von Ausdrüden, um vielleicht die Abftufungen, welche hier noch) vorkommen konnten, zu bezeichnen: ecelesiarum filii, domestici, ministeriales, clientela, qui cottidie ad serviendum parati esse debent. Die letzten find wohl die niedrigft ftehenden; wir finden fie im Straßb. Stadtreht 111: qui necessarii et cotidiani sunt ministri episcopi; Beyer, Mittelrh. UB. Nr. 244 ©. 299: cottidia- nis claustri ministerialibus; Il, ©. 23: eottidiani servitores; Erhard, Reg. Wr. 164 ©. 128: qui cotidie ad curtes serviunt, im Grunde diefelben die als Dagefcalfen im Wormjer Dienjtrecht vor— fommen. ‘“Clientela’ ift ein vieldeutiger Ausdruck, auf höhere und niedere Diener angewandt. Domestiei entfpricht wörtlich den deutfchen „Hausgenoffen“; e8 wird auch anderswo fiir Minifterialen gebraucht, 3. ®. Trad. Garstenses 41 ©. 140; 90 S. 153, während in dem Kölner

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und Ahrer Dienftrecht, die Ficker vergleicht, das Wort noch in einem etwas anderen Sinn, als Genofjen, pares, compares, der Minijte- rialen, gebraucht wird. Der eigenthümlichite Ausdrud von allen ift wohl ‘ecelesiarum filii'. Ich finde ihn in diefer Weife in Frei— finger Urkunden, Zah, Fontes XXX], Nr. 93 ©. 92: de com- mutatione quorundam maneipiorum ex ministerialibus filiis ec- clesiarum suarum ... . giebt quendam filium ecclesiae suae... cum legitimo jure ministrorum, und erhält einen ministrum ; vgl. falihe Urf. Otto I. (Stumpf Nr. 383), ebend. Nr. 34 ©. 33: eosdem filios ecclesiae, wo vorher ministri. Außerdem habe ich den Ausdrud in einer Zrierer Urkunde bemerkt, Beyer Nr. 338 ©. 393: astipulatione cleri, militiae et filiorum ecclesiae no- strae presentis.

Könnte die legte Stelle als ein Beleg für Fickers Anficht geltend gemacht werden, daß einzelne Ausdrüde der Urkunde nad) Lothringen zu weijen fcheinen, jo fprechen die vorher angeführten Urkunden Sreifings und Garſtens doch gewiß eher für eine Bairifche Heimath, wohin die Handjchriften weifen. Außer denen welche Per angeführt, werden ſolche auch in Klofjterneuburg und Negensburg im Befit des Fürften von Thurn und Taris genaunt; Mone Anz. 1838, ©. 346. Die letzte enthält ebenfo wie die Gießener einen Dtto von Freiſing (vgl. SS. XX, ©. 114. 112), dejjen Gesta Frideriei der Autor, wie wir fahen, benutt hat. Dem gegenüber können die allerdings ungewöhnlichen Formen bunuarius, absarius, officinarius, die er gebraucht, wenig beweifen. Klingen fie mehr romaniſch, fo das da- neben vorkommende buringi wenigftens deutſch: Graff III, S. 20 feunt e8 aus Sangaller und Wiener Gloffen für coloni. Wahr: fcheinlich hat der Autor jene Worte, die jo nur er hat, ebenfo will: fürlic) gebildet wie da8 ‘curiam Gallorum’, in das er Rungalle, Roncalia, überjegt. Eine andere Eigenthiümlichfeit, auf die man auf: merffam machen muß, ift der Wechfel in den Worten, den der Ver— fafjer liebt: beneficium und feodum, brunia und halsperga, marca und libra offenbar ganz gleichbedeutend neben einander; no- strum imperium, naddem vorher immer nur der rex geſprochen. Ein wenig paffender Ausdrud, namentlih im Munde eines Kaifers, ift das ‘quod absit’, wo von der Möglichkeit, daß ein Vaſſall meh— reren Yehnsherren verpflichtet ift, die Nede. Alles weiſt auf einen Autor, der auf eigene Hand, ohne officielle Stellung, diefe Ausarbei= tung unternahm. Demſelben Charakter jcheint mir die Reimproſa anzugehören, die Ficker in dem Aktenſtück bemerft, aber, wie ich meine, weit über Gebühr angefchlagen und zur Grundlage mühfamer, aber wenig fruchtbarer Erörterungen gemacht hat. Das ganze Stück trägt deutlih genug den Charakter einer Privatarbeit an fich, bei der es dahingeftellt bleiben muß, ob ihr fo ein bejtimmter Zwed zu Grunde lag, wie Per angenommen hat. Dieje Arbeit auf zwei Perfonen zu vertheilen, ijt, ſoviel ich fehe, nicht der mindejte Grund: die harafteri- ftiichen Merkinale gehen durch das Ganze hindurch, die Spuren einer

3*

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Abfaffung im 12ten Jahrhundert treten faft in jedem Sak hervor. Das Document hat für uns nur deshalb einen gewiffen Werth, weil unfere Nachrichten über das Deutfche Heerweien bis zur Staufifchen Zeit hin verhältnismäßig jo dürftig find. Doc würden wir e8 ohne we— jentlichen Nachtheil entbehren; und der jchädliche Einfluß, den es feit langer Zeit auf die Forſchung ausgeübt hat, jcheint mir jedenfalls den Nuten zu überwiegen, den feine Nachrichten richtig verftanden und benutt haben Fünnen. j

Abt Hugo aus dem Haufe der Welfen

Markgraf von Neuftrien. Bon

8. v. Ralkfein.

Wenige Gefchlechter haben in der Zeit des finfenden Karolinger- reiches jo großen Einfluß geübt und eine fo mächtige Stellung er- rungen wie die Nachfommen des bairischen Grafen Welf. Seine Tochter Yudith, Ludwig des Frommen zweite Gemahlin, trug durch Begünftigung ihres Sohnes Karl des Kahlen den ältern Stiefbrüdern gegenüber am meiften zum Zerfall des fränfifchen Heiches bei. Deren Schweiter Emma war die Gemahlin eines derfelben, Ludwig des Deutjchen. Ihre Brüder Rudolf und Konrad wurden bei der De- müthigung Ludwig des Frommen im Jahr 830 zu Mönchen gefchoren und in aquitanische Klöfter gebracht !.

In den Yaienftand zurücgetreten?, übten fie auf ihren Neffen Karl den Kahlen, durch den Vertrag von Verdun Herricher des weit- fränfifchen Reichs, großen Einfluß, ebenfo nach ihnen ihre Söhne. Konrads Sohn Hugo war Abt mehrerer Klöjter, namentlich von S. Martin in Tours, und bejaß eine Reihe neuftrijcher, das heißt in diefer Zeit zwifchen Seine und Loire liegender Grafſchaften, fein Bruder Konrad erhielt vom Kaifer Ludwig IL. die Landfchaft zwifchen Yura und Alpen, unter deſſen Sohn Rudolf der Mittelpunkt des hochburgundiſchen Reichs.

Des ältern Rudolf Söhne Konrad und Guelfo übten unter den erſten weſtfränkiſchen Königen maßgebenden Einfluß, ſtarben aber kin— derlos. Aus den in Deutſchland zurückgebliebenen Verwandten ſollten ſpäter Männer hervorgehen, die den ſtaufiſchen Kaiſern die Spitze bieten konnten.

Hervorragende Bedeutung für alle aus dem fränkiſchen Reich entſtandenen Staaten erlangte der oben erwähnte Hugo. Durch ſeinen Vater Konrad Grafen von Paris und Auxerre Karl des Kahlen Vetter und Ludwig des Deutſchen Neffe, durch Irmingard die Schweſter feiner Mutter Adelais und Gemahlin Kaiſer Lothar I. ein Vetter

i Nithard I, 3. Ann. Bertiniani 830, SS. I, 424. Dümmler, Ge- ſchichte des oftfränkischen Reichs I, 39 und 422. Wend, Das fränfifche Reich nad; dem Bertrag von Verdun S. 387. Lebeuf, Histoire de l’acaddmie des inscriptions, Serie I, T. XXXVI, ©. 142 ff.

2 Nach Hinfmars Brief bei Flodoard, Hist. Remensis III, 26, lebte Rudolfs Gemahlin nod) Ende 857, mag aber bald darauf geftorben fein, da fie damals trank war.

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der drei Söhne des Kaiſers Ludwig II., Lothar II. und Karl von Provence, fpielte er im weftfränfifchen und lothariſchen eich bis in die Zeit Karl des Diden eine bedeutende Rolle.

Obwohl er unbeerbt ftarb, wirkte er auf die Entwiclung Frank— reichs nachhaltig ein, denn feine Nachfolge befähigte die Capetinger zum Hundertjährigen endlich fiegreichen Kampf mit den Karolingern um die wejtfränfifche Krone. Er folgte dem Stammvater dieſes Haufes Robert dem Tapfern im größten Theil feiner Lehen, erhielt in diefem Gebiet durch eine faft zwanzigjährige Verwaltung das Ge— fühl der Zufammengehörigfeit und hinterließ Roberts Söhnen Odo und Robert die Macht des Vaters erweitert und befeftigt. Daß die durch feine Mutter Adelais, angeblih eine Tochter Ludwig des Frommen, wirklich; des Grafen Hugo von Tours, vermittelte Ver— wanbdtfchaft mit Robert dem Tapfern fpätere Erfindung ift, hat Wend fchlagend nachgewiejen!. Aber unter Hugo wuchjen die von ihm ver: walteten Gebiete zu dem fogenannten Herzogthum Franzien zu— fammen, das die Hausmacht des kapetingiſchen Gefchlechts bildete.

Demnad) bin ich im DVerfolg meiner Studien über die Gefchichte der Fapetingifchen Herzoge? zu einer eingehenden Unterfuchung über diejen Abt Hugo gekommen.

I

Hugos Vater und fein Oheim Rudolf, Laienabt von ©. Ri— quier und Jumièges bei Rouen, Graf eines Gaus an der See, vermuthlich des Ponthien in welchem ©. Riquier lag’, mußten den Einfluß auf ihren Neffen Karl den Kahlen mit den Verwandten ber Königin Yrmintrud, namentlic) ihrem Oheim dem mächtigen Grafen Adalhard theilen ?. ;

Der Gegenfag beider Familien, durch Wends Scharffinn bei der Spärlichfeit der Nachrichten leider nicht vollkommen aufgehellt, zieht fich durch die Gefchichte des Jahrzehnts 856— 866°. 842 tritt, neben dem in Lothars Reich reichbegüterten Adalhard, Konrad als Bevollmächtigter der drei Brüder zur Theilung des Reichs auf; fie überschritten ihre Vollmacht, indem fie Lothars Anfpritchen auf den Landſtrich zwiſchen Mans und Kohlenwald nachgaben ®; wenige Mo-

ı Erhebung Arnulfs S. 84 fi. Das neuefte franzöfifche Werk von Ernest Les comtes de Paris, erſchienen 1809, bringt S. 21 die alten

ärchen.

2 9, Kalckſtein, Robert der Tapfere. Berlin 1871.

® Hariulfi chron. Centulense III, 9, bei Achery Spicilegium II, 316. Gallia christiana XI, 190. Böhmer 1605. 1663.

* MWend, Das franzöfiiche Reich S. 350, weift feinen Zufammenhang mit dem Abt Adalard von S. Dmer und deſſen Bruder Markgraf Eberhard von Friaul ſowie mit dem Kämmerer Bernhard Markgraf von GSeptimanien als wahrſcheinlich nach; die dagegen von Stein, König Konrad S. 52, erhobenen Bedenken find nicht durchichlagend.

5. Das fränfifche Reich S. 307. Erhebung Arnulfs S. 62.

® Nith. IV, 3. Dimmler I, 176.

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nate darauf gewann Karl der Kahle den mächtigen Mann durch die Bermählung mit feiner Schweitertochter Yrmintrud. Aber er gab auch Konrad mehrfach, Beweife feiner Gunft. 849 war er Graf von Paris !,

Als Graf von Aurerre machte er dem SKlojter S. Germain reihe Schenkungen, jchon am 30. Juni 853 ift fein Sohn Hugo dafelbft Abt?. Durch den foftbaren Umbau der Slofterfirche, deren Heiligem er feine Heilung von einer Augenkrankheit zufchrieb, verdiente er fic hohes Lob bei dem Mönch Hericus, dejjen Gelehrſamkeit die dauernde Blüthe der dortigen Schule beweift ?.

Daß ihm Hinfmar Hochmüthiges und eitles, weder ihm nod) Audern nütliches Wilfen vorwirft, jpricht gleichfall® dafür, daß Kon— rad wie feine Schwefter Judith den von Karl den Großen auch unter den Paien des Hofes verbreiteten und von Karl dem Kahlen begün— ftigten geiftigen Bejtrebungen nicht fern blieb.

Er wird daher auch feinen Söhnen, namentlich dem zum Geijt= lichen beftimmten Hugo, eine höhere Bildung haben angedeihen Laffen.

Schon 853 ftand er bei Karl dem Kahlen in hohem Anfehn, denn er beffeidete nach dem Sendbotenverzeichniß des Capitulars von Servais im November das Sendbotenamt in den Gauen Auzxerre, Nevers und Avallon, fein Oheim Rudolf wahrjcheinlich in Orleans, Blois und den umliegenden Gauen“. Sein Vater Konrad mag da— gegen durch die Beſchwerden der kurz vorher im Auguft ftattgefun- denen Synode von Verberie über feine Ufurpation des zu S. Denis gehörigen elſäſſiſchen Klojters Leberau mißgeſtimmt gewefen fein. Da er bei dem Einfall Ludwig des Deutichen 858 nicht genannt wird, wohl aber 862 als hervorragender Rathgeber Yothar II., zog er ſich wohl ſchon damals in dejjen Reich zurüd, wo Leberau und feine Grafihaft Aargau lagen. Der vom Grafen Konrad und Bifchof Chriftian von Auxerre (feit 860) veranftaltete Taufh mit dem Klojter S. Germain wird daher nicht von ihm, fondern von feinem gleichnamigen Sohn vorgenonmen fein. Er erhielt für Perigny das zur Ausftattung des Grafen gehörige Kirchengut von S. Stephan, Teftiniacum, Leſtralium und Gremuiolum. Derjelbe wird auch das den Aebten gehörige Pauligny den Mönchen überlaffen haben ®.

Daß die mißvergnügten weltlihen Großen, die mit Ludwig dem Deutfchen in verrätherifchen Verbindungen ſtanden, 856 Konrads Bruder Rudolf zum Vermittler im Namen Karl des Kahlen auser- fahen, deutet darauf Hin, daß auch er nicht ganz auf Karls Seite

i Mabillon, Ann. S. Bened. II, 755.

®: Quantin, Cartulaire general de l’Yonne I, 66. Böhmer 1868.

® De miraculis S. Germani II, 2 und 3; Labbe, Nova bibliotheca ee I, 556 ff.

LL.

5 LL.I, 421 und Neugart, Codex diplomaticus Alemanniae I, 277. Gfrörers Anficht, II, 176, daß Konrad Herzog von Schwaben war, hat Wend S. 495 Anm. 2 widerlegt. Gall. christ. XII, instrum. col. 98. Böhmer 1830 und 1868.

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ftand!. Durd ihn und andere Große wurde vom Juli bis zum September unterhandelt, dann fam es zu Chartres zu einem fchein- baren Ausgleich).

Aber die Großen harrten nur, bis Ludwig ihren Aufforderungen Folge leiften Fonnte; der König behielt fich vor, die gegebenen Ver: ſprechungen fo bald als möglich zu brechen.

Bald wurden felbjt die Föniglichen Unterhändler Rudolf und Erzbifhof Hinfmar von Reims verdächtigt, gegen den König feind- jelige Gefinnung zu erweden. Nichtsdejtoweniger bemühte ſich Hinf- mar gegen Ende des Jahres 857 Rudolfs Abfall vom König zu verhüten?, Er jchreibt, daß unziemende Befehle (mandata, quae non convenissent) von der Umgebung des Königs ausgegangen feien ; dies läßt darauf fchliegen, daß Rudolfs vermittelnde Vorſchläge nicht mehr geachtet wurden. Er könne darüber Rudolf weder jchrift- lich noch durch Boten etwas mittheilen, ehe fie bei einer perfönlichen Zufammenfunft beredet, was ihnen für den Nuten und die Ehre des Königs erfprieglich ſcheine. Hinkmar wolle, fo fchnelf er könne, zum König gehen und fich bemühen, auf feine Gefinnung und fein Handeln vor Gott Acht zu haben und feine Worte felbft vor denen, die für Freunde gälten, zu hüten. Werner jchreibt er von einer Berfammlung der Getreuen des Königs, von deſſen Gefinnung (direetione ipsius ani- mi), der Spaltung des Reichs und der früher von ihm mitgetheilten Reife der Königin zum König. Er fürchte viel vom König. Die Reife Irmintruds zu Karl und die dann folgenden Befürchtungen Hinkmars hängen wohl zufammen, fo daß von ihr und ihren Ver— wandten die Verdächtigungen gegen Rudolf und Hinfmar ausgegangen waren. Der fteigende Einfluß diefer Sippſchaft, namentlid) Adalhards, ift wahrfcheinlich die Urfache der VBerftimmung, die Hinfmar aus Rus dolfs Brief erfannt. Hinkmar verfpricht, was ihm Rudolf mitge— theilt nad) Vermögen beim König zu betreiben, und wern er wieder an ihm fchreibe, was er auch erfahre, zu melden.

Er bittet ihm aber, ſich durch Vorkommniſſe nicht aufregen zu faffen, die folche bewegen, die Gott nicht fürchten, fondern er folle feinen guten Namen bis ans Ende zu bewahren fuchen. Er (Hinf- mar) fenne den Charakter des Königs, der, wenn er auch über ir- gend etwas aufgebracht fein möge, fobald Rudolf ihn gefprochen und ihm feine Ergebenheit bezeugt habe, fich gegen ihm wie recht und ge— ziemend verhalten werde. Rudolf ſoll nicht unchriſtlich grollen, ſon— dern Karl als Oheim mehr verwandtſchaftliche Liebe und als ſeinem Lehnsherrn mehr Demuth bezeigen.

Hinkmars Rath und die Schwäche des Königs ſcheinen eine

1Dümmler I, 433 ff. v. Kalkſtein, Robert der Tapfere S. 44. LL. I, 444—449.

2 ©. den leider magern und fchmwerverftändlichen Auszug feines Briefes bei Flodoard, Hist. Rem. eccl. III, 26. Die Abfaffungszeit ergiebt fi aus der Erwähnung der Ermordung des Bretonenfürften Erifpoe zwifchen dem 2. und 12. November 857 (Robert der Tapfere ©. 48).

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Berföhnung zur Folge gehabt zu haben, doch blieb Karls Miftranen fo groß, daß er viele Große, darunter Rudolf und Hinfmar, zu Kierfy am 21. März 858 einen neuen Treueid jchwören ließ!. Auf dieje Verſammlung iſt vielleicht in dem Brief Hingedeutet, und mag aus dem Namen der Schwörenden auf die Ausdehnung der mißvergnügten Partei zu fehliegen fein, der Rudolf angehört hatte. Außer ihm und Hinfmar ſchworen Bifchof Yrmenfrid von Beauvais, der 856 mit ihnen gemeinfam eine Vermittlerrolle geipielt hatte, Hinkmars gleich- namiger Neffe Bifhof von Laon, Imino von Noyon und Abt Hil- duin von ©, Denis.

Bon den weltlichen Großen mag Engilfhald Hinkmars Aınts- genoffe vom Jahr 853 in dem Reims, Bar, Chalons und andere Gaue umfajfenden Bezirk, oder Sendbote in dem dritten Flandern benad)- barten Bezirf, wo er felbft eine Grafſchaft bejejjen hätte, geweſen fein. Hunger, vielleicht auch Herluin befleideten dies Amt für Rouen, Ponthieu und andere Rudolfs Abtei S. Riquier benachbarte Gaue?.

Iſembard iſt vielleicht der Sendbote in den burgumdiichen Gauen Autumn, Macon, Dijon und Dsbert in Maine, Anjon, Touraine.

Karls Kämmerer Engelram Graf in einem Flandern benachbarten Gau wird noch mehrfach) zu erwähnen fein.

Ratbod und Hunfrid endlich find vermuthlich diefelben, die mit Hinkmar und Rudolf den Frieden von Coblenz im Jahr 860 unter- zeichneten ®,

Der unter den Eidleiftenden noch vorkommende Odo ijt wohl nicht Dto, der Gejandte der Unzufriedenen an Ludwig den Deutjchen, eher der Graf von Anjou oder ein Großer des untern Seinegebiets, dein viele der Genaunten angehören*. Es ift nicht unwahrjcheinlich, daß Karl gerade die zum Zug mit ihm gegen die Seine-Normannen auf der Inſel Dijfel Aufgebotenen ſchwören ließ, weil ihn das tiefjte Miptrauen gegen Männer befeelte, die großentheils noch vor Kurzem bei ihm in höchſtem Anfehn geftanden hatten ?.

Mit der Sippichaft der Königin hatte der König inzwifchen ent— ſchieden gebrochen, Adalard Abt von S. Amand und Omer ® und

" LL. I, 458; vgl. I, 426.

. * Ein Graf Hungar ufurpirte um 921 das Klofter S. Balery im’ der Diözefe Amiens; Gallia christ. IX, 1235. Rudolfs Nachfolger in S. Riquier und wahrſcheinlich auc feiner Grafihaft Heligaud Hatte einen Sohn Herluin, man kann aljo hier an einen Verwandten defjelben denken (Chron. Centul, III, 10, Achery II, 316). Dody könnte der zu Kierfy Schwörende aud der Graf im fiebenten, die Gaue der fpätern Normandie weſtlich der Seine umfaj- fenden, Bezirk fein, zumal ein Graf Herluin die Pancharte für Rouen am 4. TWERE -.- 1716) unterzeichnet.

* Ann. Fuld. 858, SS. I, 371. Robert der Tapfere ©. 56.

° Sehr unwahrſcheinlich ift v. Noordens Auffaffung (Hinkmar ©. 319) des Eides als freiwillig angefichtse dev Gefahr ausgetaufchtes Verſprechen, das er irrthümlich 857 fett.

® Folquini cartularium Sithiense ed. Guérard, Collection des car- tulaires de France III, 92 und 110,

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Graf Odo, die wir wahrfcheinlich dazu rechnen müſſen, forderten Ludwig in Deutſchland zum Einfall in das weftfränkifche Neich auf, vielleicht eine Folge der Ausjöhnung zwifhen Karl und Rudolf. Diejer blieb bis an feinen Tod ein treuer Nathgeber des Könige, wie Konrad und Hugo in den Burgundifchen Gebieten Karls hochan— gejehen. Dies beweijt feine Verwendung fir das Klofter Monftier Ramey (Arremarense) in der Grafjchaft Troyes! und die Verleihung der Abtei S. Colombe bei Send an feinen Sohn Guelfo. Wahr- fcheinlich damals gab Hinfmar von Laon ohne Zuftimmung feines Dheims von Reims das feiner Kirche von Karl reftituirte Gut Pau— liacum dem König zurüd, um es auf Verwendung Rudolfs und feines Bruders Konrad dem Grafen Nortmann als Lehn zu über—

Die Söhne Konrads, der jüngere Konrad und Abt Hugo von S. Germain, ſchloſſen ſich Ludwig dem Deutſchen an, wurden aber an deſſen Hof gleichfalls der Sippſchaft der Königin Irmintrud nach— geſetzt, weil dieſe ihn von Anfang an unterſtützt, ja Abt Adalard und Odo ihn zuerſt gerufen hatten.

Große Wahrſcheinlichkeit ſpricht dafür, daß Odo 853 Sendbote für Sens, Trohes, Melun und andere Grafſchaften und, da die Sendboten in dieſer Zeit meiſt in ihren Bezirken mächtige Männer waren, der am 25. April 864 erwähnte Graf Odo von Troyes iſt, Nachfolger des am 10. Jannar 859 genannten Aledrams.

Die Wahrfcheinlichkeit erhöht ſich dadurch, daß Karl der Kahle am 11. October 849 einem Grafen Odo die villa Nogent en Othe im Arrondiffement Troyes fchenktet. Odo ſchenkte fie 871 oder 872 durch teftamentarische Verfügung dem Klofter S. Martin in Tours, dem er fchon im Mai 846 mit feiner Gemahlin Guandelmoda Güter in Dunois und Bleſois gegeben Hatte. Diefe Befitungen machen wahrfcheinlich, daß Odo auch Graf von Blois war *, vielleicht ein Sohn des 834 mit feinem Bruder Ddo vor Orleans gefallenen Wilhelm von Blois®,

Diefe Annahme unterftügt Odos Freundfchaft mit Bernhard, dein Sohn des gleichnamigen, mit Odo von Orleans verwandten

ı Hariulfi chron. 1. ec. Böhmer 1720.

2 Gall. christ. XI, 190. Hinfmar wurde zwiſchen 856 und März; 858 Biſchof, Konrad wandte ſich bald Lothar zu. Hincmari opp. II, 699.

® Boug. VIII, 547 (Mabillon, Ann. Benedictini), von Böhmer nicht aufgenommen, aber die Urkunde paßt in Karla Itinerar, der fi) am 9. Januar im nahen Aurerre, am 15. bei Laon aufbielt. Indietio IV ift falfch, aber die Indietions-Rechnung in Karls Urkunden aus diefer Zeit ift unficher, fo daß Bouquet verſchiedene NRegierungsepochen annahm; aud die Urkunde für Der vom 9. Mai des 19. Regierungsjahres aus Pontyon 1. c. ©. 549 wird ins Jahr 859 gehören.

* Böhmer 1720 und 1613. Mabille, La pancarte noire de S. Martin de Tours Nr. L ©. 91.

5 Mabille®r. LIS. 118 und CXLV und Roorden S. 143. Dümmler, I, 96, gegen meine frühere Annahme, Robert der Zapfere a. a. O.

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Kämmerers. Da Odo der Vater der Königin Irmintrud war, wäre unjer Odo, Graf von Troyes, vermuthlich auch Blois, ein Vetter der Königin und Neffe ihres Oheims Graf Adalhard. In Folge des Aufitands wird Karl ihm natürlich feine Beſitzungen abgefprochen haben, und wirflich fehen wir im Mai 865 Robert den Tapfern im Befig der Graffchaft Blois !.

Ludwig der Deutjche eroberte vom September bi8 November 858 faſt da8 ganze wejtfränfifche Neich, hielt ſich namentlich in den Gebieten Odos und der Adalharde auf und vertheilte in Troyes frei— gebig Grafſchaften, Abteien und Lehen, wobei er fie vor Allem bedacht haben wird. Ihr Rath, unterftügt durch mächtige Verwandte am oft= fränfifchen Hof, galt gewiß bei ihm am meiften.

Dadurch entfremdete er fi) Konrad und Hugo, die er zur des flüchtigen Karl nach dem weſtfränkiſchen Burgund geſchickt.

Sie traten mit ihm in Verbindung und ermuthigten ihn zum Aufbruch gegen Ludwig den Deutſchen, der unbeſorgt war und nur wenige Getreue bei ſich hatte. Seine Macht zerrann im Januar 859 jo ſchnell, als ſie gewonnen war ?.

Nächſt der durch Hinkmar beſtimmten Haltung des Klerus dankte Karl den welfiſchen Brüdern die Wiederherſtellung ſeiner Macht. Er bewies ſich dankbar, indem er Hugos Kloſter, den welfiſchen Fa— milienbeſitz S. Germain in Auxerre, reich beſchenkte und am Drei— königstag auf ſeinen Schultern die Reliquien des Heiligen in die von Konrad dem Aeltern mit großem Aufwand erbaute, im öſtlichen Theil mit einer Krypta verſehene Kirche trug. Bald darauf, am 11. September 859, beſtätigte er auf Hugos Bitte dem Kloſter Kö— nigsſchutz und Immunität. Auch verfügte er auf ſeine Fürbitte, daß die für die Kerzen des Kloſters geſtifteten Güter in der Verwal— tung de& Dekans bleiben follten. Werner erhielt Hugo aın 24. März 859 das Klofter des abtrünnigen Abts Adalard, S. Omer, obwohl er nicht Mönch fondern Kanonifer geblieben war®.

Unter ihm hatte das Klofter S. Omer einen Angriff der Nor- mannen zu erleiden. Am Sonnabend Morgen vor Pfingjten, dem 1. Juni 860, drangen fie vom Pontus Iſerä (Mperlemündung) über Terouenne nad dem Klofter vor, deſſen Mönche meift ent— flohen waren. Drei fanden den Märtyrertod, das Klofter wurde theilweife zerftört, aber noch unter Hugos Verwaltung ſchöner wieder- hergeftellt *.

Hugo trifft bei dein Ueberfall feine Schuld, denn er nahm da=

ı Hobert der Tapfere Exkurs IX und Beilage I.

2 Ruod. ann. 858, SS. I, 372. Robert der Tapfere ©. 57 fi.

3 ]Labbe, Nova biblioth. I, 559. Hericus II, 7 fi. Böhmer 1674 und 1683, Quantin, Cart. de l’Yonne Nr. 72,

* Cartul. Sithiense II, 36 ©. 107. .

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mals mit feinem Oheim Rudolf, feinem Vater und Bruder Konrad ! an den Friedensunterhandlungen zwifchen Karl dem Kahlen und Yud- wig dem Deutjchen Theil. Karl gewährte den Abgefallenen die Rück— gabe aller nicht von ihm felbft verliehenen Befigungen, und verjprad) in Betreff der Yebtern auf die fich wieder Unterwerfenden nad) Ver— abredung mit Ludwig Rückſicht üben zu wollen.

Trotzdem fehrten die Schuldigiten, vor Allem Graf Adalhard, noch nicht zurück. Letzterer trat mit allen weitfränfifchen Anhängern Ludwig des Deutichen erft 861 wieder zu Karl über, als feine deut= ſchen Verwandten, nad) Entdedung von verrätheriichen Umtrieben mit Ludwigs älteftem Sohn Karlınann, zum Wejtfranfenfönig flohen und Lothar II., mit Ludwig einverftanden, Adalhard verfolgte. Karl der Rahle, weiblichen Einfluß in hohem Grade zugänglich, wurde fo zu Gunften feiner Schwägerfchaft umgeftimmt, daß‘ er ihnen nicht nur ihre Lehen zurücigab, fondern Graf Adalhard bald darauf zum Er— zieher (bajulus) ſeines älteſten Sohnes Ludwig des Stammlers er—

ob?.

Hugo mußte in S. Bertin am 25. Juli wieder dem Abt Adalhard weichen und war am 14. September 861 auch nicht mehr Abt von S. Germain. Natürlich waren die Welfen durch das Berfahren Karls verlegt und wandten ſich wahrſcheinlich dem Beifpiel ihres Vaters folgend ? nad) dem eich des ihnen gleich nahe ver= wandten Lothar II.

Dem jüngern Konrad übertrug Lothars Bruder Kaifer Lud- wig II. die der Grafichaft des ältern Aargau benachbarte Yandichaft zwifchen dem Jura und den penninischen Alpen. Bor ihm hatte Hufbert der Bruder der von Yothar veritoßenen Thietberga diejes Gebiet bejelfen; er war 860 ins wejtfränfiiche Reich geflohen, wo auch feine Schweiter eine Zuflucht fand, Obwohl er ein verheira- theter Priejter von zügellojem Yebenswandel war, verlich ihm Karl der Kahle 862 die Abtei S. Martin in Tourst. Daß Karl faft gleichzeitig Hufbert in feinen Schug aufnahm und Hugo abjetste, legt die Vermuthung nahe, daß fein. Zerwürfniß mit Letterem mit feiner feindlichen Stellung zu den gleid) nahe verwandten Söhnen Lothars und feiner Mutterſchweſter Irmengard zufammenhing, daß fie Karls PVarteinahme für die zu Gunften der Waldrada verftoßenen Gattin Lothars nicht billigten.

In einer Urkunde Karl des Kahlen für S. Germain in Aurerred vom 2. Dezember 863 wird als Gemahlin eines Grafen Konrad

ı An biefen, nicht an Rudolfs Sohn ift wohl zu denken, weil Hugo und Konrad neben einander aufgeführt werden, LL. I, 469 ff.

2 Ruod. und Hincm. 861.

° Cart.Sith. S. 109, Böhmer 1697 und 1714. Dümmler I, 464. Gall. christ. XII, 373.

* Prudept. 860 und Hincmar 862, SS. I, 454 und 456.

5 Gall. christ. XII, instrum. col. 98. Böhmer 1717.

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Badaldra genannt, aus deren Morgengabe er dem Kloſter Molay in den Gauen Tonnerre und Aurerre gegen andere Güter, darunter Ri— conorum, gegeben habe. Da der Lobredner des ältern Konrad, Hericus, Badaldra nicht erwähnt, ſtets Adelais als dejjen Gemahlin erjcheint, fo iſt wahrfcheinlich, daß Badaldra die Frau des jüngern Konrad war und diejem die Grafſchaft feines Vaters noch bei deſſen Lebzeiten übertragen wurde. Der Name Badaldra, richtiger wohl Valdrada, deutet auf Ver— wandtſchaft mit der Konkubine Kothars hin. Dies würde Hugos und Konrads Ungnade bei Karl dem Kahlen erklären und das Verhalten des ältern Konrad noch begreifliher machen. Diefer fuchte nämlic) bei der Zufammenkunft Karls mit Lothar IL. und dem ihm damals befreundeten Yudwig dem Deutjchen zu Sablonnieres bei Toul am 3. November 862 vergeblich die für feinen Lehnsherru fchinpfliche Veröffentlihung der Beichwerden Karls über Lothar ſchmählichen Ehehandel zu hintertreiben!. Warfen fie doch unter diefen Umftänden aud) auf Konrads Sohn fein günftiges Licht.

Konrad iſt bald darauf gejtorben; doch fällt mit der Beziehung der oben erwähnten Urkunde auf ihn jede Möglichkeit, den Zeitpunkt näher zu bejtimmen.

Das Gut Modolaius aber, eine Schenkung Karls, wurde zum Fis— kus gezogen, was auf ein Zerwürfniß des früheren Befigers Konrad mit dem König fchliegen läßt. Auc die Grafſchaft Aurerre wurde dem jungen Konrad entzogen, denn 865 befitt fie Konrad der Tapfere *. Auf die Grafjchaft Paris, die wir jpäter im Befit feines gleichnamigen Vetters Konrad, Rudolfs Sohn, jehen, mochte Hugos Bruder ebenfalls Anſpruch machen. Mit der Einziehung vieler welfifchen Lehen hängen wohl die Unruhen im wejtfränfifchen Burgund zufammen, wo die Welfen fo große Macht beſaßen, zumal die jegige Beſitzung Konrads, das transjuranifche Burgund dem weitfränfifchen fo nahe lag und Lothar IL. und Ludwig IL mit Karl dem Kahlen geſpannt blieben. Hatte doc) furz zuvor Hufbert verfucht, feine Grafihaft von S. Maurice im Wallis aus wiederzugewinnen, wo er fich als Abt behauptet Hatte. Ende 864 ſchlug Konrad mit feinem Bruder, unjerem Hugo, Hufbert bei dem Kaſtell Orbe. Hukbert wurde die Zunge durchbohrt, und er fiel®.

Karl der Kahle fuchte den geloderten Gehorſam im weftfränfi- ſchen Burgund Herzuftellen, inden er Männer, die dem Hofe nahe standen und, wie es fcheint, nicht in Burgund heimifch waren, dorthin als Sendboten ſchickte und Robert dem Tapfern außer Autun und Aurerre auch Nevers übertrug. Die Graffchaft Autun konnte diefer

ı Hincm. 862, SS. I, 458. Dümmfer I, 484.

®2 Hinem. 865, SS. I, 470. Robert der Tapfere S. 98. Böhm. 1830.

3 Hincm. 864. Regino SS. I, 577. Ann. Xant. 866, SS. II, 231. Foleuin, De gestis abbatum Laubiensium, SS. IV. Diümmler I, 485; II, 318 Anm. 54. Hintmar entfcheidet gegen das von Gingins Ta Sarraz, im Archiv für ſchweizeriſche Geſchichte IX, 88 ff., angenommene Todesjahr 867.

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gegen Bernhard von Auvergne, den Sohn des gleichnamigen Günſt— lings der Kaiſerin Yudith, nicht behaupten. Hugo hatte inzwifchen die Verwaltung des Erzbisthums Köln übernommen.

Erzbifchof Günther war wegen feiner Betheiligung an Lothars Ehehandel vom Bapft Nifolaus I. abgefett, wagte aber mit Ludwig II. nah Rom zu ziehen und zurüdgefehrt am Ofterfeft 864 bifchöfliche Funktionen auszuüben. Lothar wagte dem großen Papjt nicht zu widerftehen und verlieh im Frühjahr 864 die einftweilige Verwaltung von Köln Hugo, obwohl er nur die Weihe zum Subdiafon empfangen hatte und nur durch die Tonſur Geitlicher war. Hinfmar fagt, er habe in Sitten und Yebenswandel nicht einmal einem frommen Laien gleichgeftanden ?, ein Urtheil deſſen Schärfe durch Hinfmars Widerwillen gegen feinen Vater umd gegen den mehr auf Kriegsthaten als auf religiöfe Uebungen gerichteten Sinn Hugos mit bejtimmt war.

Der Annalift. von Kanten neunt Hugo tyrannifch, er fei wie ein reißender Wolf in die Heerde gefallen, Viele jeien von ihm in dem Bisthum getödte. Zum Theil fpricht fid) wohl darin Widerwille gegen einen fremden Cindringling aus. Auch mußte ſich Hugo ge= waltſam Geltung verichaffen, denn Hufbert, gegen den er bald darauf in der Schweiz ins Feld zog, hatte in feiner Abtei Lobbes gewiß nod) Anhang, und Günther hatte fich unter den Kanonifern feines Spren= gel8 durch Freigebigfeit mit Kirchengütern und Privilegien eine große Partei gewonnen‘. Gfrörers Anficht, daß Hugos Einfegung ein ent— gegenfommender Schritt gegenüber Karl dem Kahlen gewejen, ift nad) dem Obigen kaum richtig. Hinkmar berichtet 866, auf Verwendung jeines Bruders Ludwig II. habe Lothar das Erzbisthum Hugo wieder genommen und Günthers Bruder Hilduin verliehen. Da Günther bereits am 17. Januar 866 von Yothar als Erzbifchof anerkannt wird, in deifen Namen Hilduin nur die rein priejterlichen Funktionen verfah, wird es fchon Ende 865 gefchehen fein?. Um diefe Zeit er- öffneten ſich Hugo bereit8 in feinem SHeimathland neue Ausfichten, denn die Verwandten der Königin fielen in Ungnade, und er bejaß noch immer einflußreiche Verwandte am Hof.

Zwar war fein Oheim Nudolf im Januar 866 an der Kolif geftorben *, aber deifen Sohn Guelfo hatte noch bei feinen Yebzeiten

ı LL. I, 501. Robert der Tapfere S. 97 und 103.

2 SS. I], 465.

8 Hincm. 864, SS. I, 465: Tonsura clerico et ordinatione tantum- modo subdiacono, moribus autem et vita a fidele laico discrepanti. Dies, wie Mabillon, Ann. Benedict. III, 112, glei; praecellenti zu deuten, ift offenbar falfch. Die Ernennung fällt wohl vor dem von Hinkmar weiterhin berichteten Reichstag von Piftres im Juni.

Ann. Xant. 866, SS. II, 232. ®frörer I, 369. Mansi XVII, 275. Obenein blieb Lothar Günther geneigt, und Nikolaus mußte ihn im Mai 864 vor jeder Gemeinfhaft mit demjelben warnen,

5 Ann. Xant., SS. II, 232. Hincm, I, 471. Böhmer 706.

6 Hincm. 866 1. c.

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außer S. Colombe die Abtei des Vaters S. Riquier, wahrfcheinlich auch Jumièges, erhalten; für erjteres wirkte er bei Karl dem Kahlen anjchnlihe Schenkungen aus!. Guelfos Bruder ift zwar nicht als Graf von Aurerre, wohl aber als Graf von Paris, Langres und Berberie, vielleicht auc von Sens nachzumeifen ?,

Als fih Lothar Karl dem Kahlen näherte und Robert der Ta: pfere im September oder Anfang October 866 fiel, mögen Rudolfs Söhne Karls Augenmerk auf den tapfern Hugo gerichtet und feine Ausföhnung mit dem König herbeigeführt haben. Ehe Karl zu einer für den 3. November verabredeten Zuſammenkunft mit Ludwig dem Deutſchen aufbrah, ernannte er Hugo zum Nachfolger Roberts in der Grenzwacht gegen Normannen und DBretonen und den meiften feiner Lehen, vor Allem der von Hugos mütterliher Großmutter einjt verwalteten Touraine und mehreren Abteien ®.

11.

Robert Graf von Tours und Laienabt des nahe gelegenen Klo— fters Marmontier hatte 861 ein weites Gebiet erhalten, von jpätern Quellen als ducatus inter Ligerim et Sequanam bezeichnet #, zu welchem außer der Touraine wahrjcheinlich die Grafichaften Blois und Anjou gehörten. Nach letsterer bezeichnet ihn Hinkmar als marchio Andegavensis; die Stellung eines Markgrafen nad) dem Vorbild der Vorfteher der an die Bretonen verlorenen brittannifchen Mark Fennzeichnet Roberts Bedeutung für das weitfränfifche Reich am beiten. Der Titel marchio wird jedoch offiziell in. Urkunden erft unter Kaijer Karl III. für mächtige Grafen, nicht bloß in Grenz- gebieten gebraucht.

Die Mark Anjou gewann durch tete Einfälle der Normannen und Unruhen in Aquitanien, das nad) Unabhängigkeit von den ihm fremdgebliebenen germanifchen Franken jtrebte, erhöhte Wichtigkeit.

864 und 865 dehnte fich, wie erwähnt, Roberts Macht nad) dem weitfränfifchen Burgund aus, bald darauf erhielt er auch die weit berühinte Abtei S. Martin in Zours. Mit vielfach wechſelndem Glück kämpfte Robert gegen Bretonen und Normannen, ohne ftete Vortjchritte der Erjtern hindern zu fünnen.

Dem fühnen und Eugen Fürften Salomo, der 857 durch Ermor- dung feines Vetter Eriſpoe die Herrfchaft über die Bretonen er-

! Chron. Centul. III, 11, bei D’Achery II, 317. Böhmer 1744. 1749 und 1750. Ann. S. Columbae 882, SS. I, 103. Gall. christ. XI, 190.

®2 Dümmler II, 117 Anm. 12; 133 Aum. 58. Daß er Langres beſaß, ergiebt fid) aus Johann VIII. Verwendung bei ihm für das in der Grafſchaft Langres gelegene Klofter Poutieres, Mansi XVII, 157. ; = Hincm. 866, SS. I, 473. Robert der Tapfere S. 109. Dümmler 606. 4 Mobert der Tapfere Erlurs IX. Regino 861, SS. I, 571. 5 Hincm. SS. I, 467. ®end, Das fränkische Reich S. 496.

XVI. 4

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worben hatte, gehorchten feit dem Frieden zum Entrames 863 nicht nur die altbretonifchen Landfchaften und die frühere bretonifche Mark, d. h. die Gaue Rennes, Nantes und Nez, fondern auch Theile von Anjou und Maine bis zur Mayenne und Sarthe, das Klojter ©. Aubin in Angers und wahrfcheinlih die Grafichaft Avranches '.

Der ſchwer erfaufte Friede hatte nicht lange Beitand. Salomo verweigerte den fchuldigen Tribut, behauptete die Unabhängigkeit der bretonifchen Kirche vom Erzbiſchof zu Tours unter einem eigenen von Erifpoes Vater Nominoe eingeſetzten Metropoliten in Dol und fchä- digte vielfach die benachbarten Landichaften. Endlich bereiteten ſogar Bretonen und Normannen, vereint unter Hafting dem Helden nor= mannijcher Sagen, Robert den Tapfern bei Brifferte drei Meilen von Angerd den Untergang?. Hugo wurde die Aufgabe, den tapferı Mann zu erjegen.

Hinkmar jagt, Karl Habe Hugo die Grafjhaften Anjou und Touraine nebjt ber Abtei S. Martin in Tours und andern Klöftern übertragen. Hierunter werden zunächit die von S. Martin abhän— gigen Klöfter Cormery und Billeloin in der Touraine zu verftehen fein; auch die Befigungen des 853 zerftörten Marmoutier mögen auf * übergegangen ſein, da Ludwig der Stammler, dem es von Robert dem Tapfern abgetreten war, inzwiſchen Autun erhalten hatte und Karl ihn im Beginn des Jahres 867 zum König von Aquitanien erhob.

Mehr läßt fih bei Hinfmars Schweigen nicht bejtimmt feſt— ftelfen. Roberts Grafſchaft Aurerre, obwohl einft Hugos Vater und Bruder gehörig, fcheint nie in feinen unmittelbaren Beſitz gelangt zu fein. Wenn Graf Girbold von Auxerre unter Ludwig dem Stanmler gerade Hugo um Unterftügung gegen die Normannen bat, läßt ſich darans vielleicht auf eine gewiſſe militärische Obergewalt über dies Gebiet Schließen 3,

Noch vor Hugos Ernennung war Einer aus dem mit den Welfen rivalifirenden Gefchlecht der Königin, ihr Bruder Wilhelm, von Anhängern de8 Königs in Burgund gefangen genommen und in Senlis hingerichtet worden. Wir find wohl berechtigt, in der rafchen Aufeinanderfolge von Wilyelms Fall und Hugos Erhebung einen Zus jammenhang zu vermnthen und anzunehmen, daß Hugo fchon jet die Graffhaft Orleans erhielt, die Wilhelm wahrſcheinlich als Nachfolger feines Vater Odo befeffen. Denn Hugo ftarb dort auf dem Kranten- bett, ließ 876 als Abt des Klofters S. Aignan in Orleans einen Kleriker frei und verlieh fpäter eine villa defjelben im Gau von Orleans als Brefarie *,

1Robert der Tapfere S. 12. 40 und 83,

* Mobert der Tapfere S. 100 und 104. Auf Gfrörers luftige Hypothefe von einem Bündniß Salomos mit Lothar, I, 423, gehe ich nicht näher ein.

® Adelerii Miracula S. Benedicti j. unten.

* Hincm. 866, SS. I, 471. Böhmer 1005. Gall. christ, XIV, 553 end Boug. VII, 709,

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Nach dem Ausdrud der Quellen ift anzunehmen, daß Hugo im Weſentlichen ganz in die Stellung feines Vorgängers eintrat. Ver— muthlich führte er wie Robert den Heerbann nicht nur feiner Graf» fchaften fondern des Gebiets zwifchen Seine und Loire (Neuftrien) !, wenn auch andere Große, bejonders Gauzfrid von Maine, neben ihm genannt werden.

Wie er 377 dem Regentſchaftsrath Ludwig de8 Stammlers für neuftrifche Angelegenheiten beigegeben wurde ?, wird er auch fonft der hauptfächlichite Nathgeber des Königs für dies Gebiet gewejen fein.

Es finden fic feine Zeugniffe dafür, daß Hugo wie Robert der Tapfere in Anjou, Maine und Touraine die Befugnifje eines Send» boten ausgeübt habe, doc) ift e8 bei der Seltenheit geeigneter Männer und der Tendenz der Zeit auf Ständigwerden zeitweiliger Amtsgewalt wahrjcheinlich, daß er bei der Ausföhnung mit Karl dem Kahlen wieder da8 859 beffeidete Sendbotenamt in den burgundifchen Gauen Aurerre, Nevers und Avallon erhielt. Vielleicht jogar, wie No— minoe in der Bretagne, Boſo in Italien, Reginar in Yothringen, in einem ausgedehnteren Gebiet. Weiſt doch ſchon Stenzel auf die große Aehnlichkeit der Sendbotengewalt und der Herzoglichen hin, fo= wie auf die Entftehung von Herzogthümern aus räumlich begrenzteren Markgrafichaften®. So entjtand auch unter Hugos Verwaltung eine fi) immer weiter ausdehnende territoriale Gewalt.

Hugo zeigte fi der ihm gewordenen wichtigen Aufgabe ge— wachen, in einem für feine Perjönlichfeit pajjenden Wirkungskreis wacker, gerecht und friedfertig. Regino ftimmt mit Andern in ber Bewunderung feiner Macht und Klugheit überein, er nennt ihn fogar humilis, demüthig; dies Lob rechtfertigt feine damals fo feltene, wohl durch feine Ehelofigfeit erklärliche Fernhaltung von ehrgeizigen Plänen zum Schaden bes Königthums. Trotz feiner weltlichen und friegeri= chen Richtung wibderfpricht nichts dem Lob Reginos, er fei omni morum honestate fundatus, von durdaus ehrenhaften Sitten ge— weſen“. Bei mehreren Gelegenheiten rechtfertigte Hugo das ihm von Hericus gefpendete Rob: nomine et officio abbas, de quo quid- quid dixero longe infra meritum ipsius est, indem er eifrig für das Intereſſe der ihm untergebenen Klöfter forgte®,

Tapfer und unermüdlich widmete er fich feiner nächften Aufgabe, Neuftrien gegen Bretonen und Normannen zu ſchützen. Wahrfchein- ih auf Hugos Andringen beſchloß Karl der Kahle 867 einen Zug gegen König Saloıno. Die weſtfränkiſche Geiftlichfeit namentlich

1 Mobert ber Tapfere Exkurs IX. Analoge Beifpiele |. Waitz, Deutſche Berfaffungsgeichichte III, 310, vgl. IV, 548.

* LL. I, 539 c. 15.

8 Mobert der Tapfere S.125. Stenzel, De ducum Germanorum ori-

gine ©. 22. 46; De marchionum origine c. 3. * Regino 867 und 887, SS. I, 587 und 597. Ann. Laubienses,

83. IV, 15.

5 Miracula S. Germani II, 5.

4*

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hatte hohes Autereffe an einem günftigen Erfolg, um in der Bretagne wieder die rechtmäßigen fFirchlichen Zuftände herzuftellen. Hatte ſich doch Biſchof Electraum von Rennes, während die Synode von Soij- jons laute Klagen über Salomo nad) Rom fandte, durch Erzbifchof Herard von Tours und deſſen Diözefane Aftard von Nantes und Robert von le Mans am 29. September 866 kanoniſch weihen laffen, um jeine kirchliche Stellung zu legalifiren!. Daher rüjteten im Juli 867 namentlich die wejtfränfiichen Bischöfe. Am 1. Auguft jollte die VBerfammlung des Heeres, verbunden mit einem Reichs— tag, zu Chartres jtattfinden. in Aufgebot aller Kräfte des weit- fränfifhen Reichs mußte Salomo bedrohlich ericheinen. Karl der Kahle ſeinerſeits Hatte bereits mit Ludwig dem Deutſchen einen vor— läufigen Vertrag über die Theilung der Reiche Yothar II. und Lud— wig II. geſchloſſen und jchaute begehrlic nach Dften, auch hatte er die Schwierigkeit eines Angriffskriegs auf die jett obenein mit den Normannen verbundenen Bretonen erprobt. So fand man beider- jeit8 eine friedliche Vereinbarung räthlih. Geſandte gingen hin und her, und. man fam endlich überein, Paskwithen, Graf von Bannes und Gemahl der Tochter Salomos Proſtlon, jolle um den 1. Auguft zu Karl nad) Compiegne kommen, der feine Sicherheit durch Geifeln verbürgte. Inzwiſchen follte das Volk zu der angekündigten Heerfahrt gerüftet zu Haufe bleiben und, falls e8 beim Scheitern der Verhand- lungen nöthig fei, am 25. Auguft bewaffnet in Chartres eintreffen ?, Wirklich fam es am 1. Auguft 867 zum Frieden mit den Bretonen. Karl übertrug Salomos Bevollmächtigtem Paskwithen für Salomo und dejjen Sohn Wigo außer den bisherigen Lehen noch die Graf— haft Cotentin mit allen königlichen Abteien, Villen und Gütern und jonftigen Rechten und Befigungen mit Ausnahme des Bisthums, deffen Unterordnung ımter das Erzbisthum Dol Karl wahrfceinlic verhüten wollte.

Die weitfränfifchen Großen befräftigten den Vertrag eidlich, und Paskwithen ſchwur in Salomos Namen Frieden, Hülfe gegen die Feinde (zunächſt natürlich die bisher mit ihm verbündeten Loire-Nor- mannen) und Treue gegen Karl und feinen Sohn Ludwig den Stammler. Die nominelle Abhängigkeit der Bretonen vom weftfrän= fiichen eich blieb bewahrt, aber von dem bisher beanfprucdhten Tri— but ijt nicht weiter die Rede.

Schwerlid wird Hugo mit einem Frieden einverftanden geweſen jein, der aus einem mächtigen Feind einen noch mächtigeren zweifel- haften Verbündeten machte. Doc mag ihn fein Antheil an den Rü— tungen und Unterhandlungen in Karls Gunſt befejtigt haben, da diefer am 27. Dezember in Aurerre, wo er mit Hugo Weihnachten

ı Mansi XV, 732. Gall. christ. XIV, 743, Cartulaire de Redon par de Courson ©. 12, vom 12. Auguft 866. * Hinfmar an den Papſt, Mansi XV, 772; Ann. 867, SS. I, 475.

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gefeiert Haben wird, deijen Kloſter S. Martin die Zelle Chablie am Senin im Gau von Zonnerre fchenkte!. Wir können aus Hugos Anweſenheit in Aurerre auf feine Theilnahme an Karls fopflojen Angriff auf den Grafen Gerhard von Bourges ſchließen, zumal fein Gebiet an Berry grenzte. Karl hatte nämlich diefe Grafichaft, ohne Gerhard vor das Hofgericht gefordert zu haben, wie es heißt gegen bedeutende Geldgeſchenke, dem Grafen Affrid verliehen. Diefer ift wahrscheinlich identiſch mit dem Grafen Egfrid, der 862 Karls zweiten Sohn Karl von Aquitanien zur Empörung angetrieben und 864 auf Berwendung Robert des Tapfern Verzeihung erlangt hatte. Nach— dein Graf Ramnulf von Poitou an den bei Brifferte erhaltenen Wun— den gejtorben war, hatte Karl der Kahle Affrid fogar deffen Abtei ©. Hilaire und bedeutende Lehen gegeben ?.

Vielleicht Hing Gerhards Abfegung damit zufaınmen, daß kurz zuvor feine Graffchaft und Bourges ſelbſt von den Normannen ver= heert und geplündert waren, während wir von anderweitigen Erfolgen derjelben im Loiregebiet nichts hören ®,

Da Gerhard ſich weigerte, feine Graffchaft Akfrid zu überlafjen, unternahm es Karl felbjt, diefem zum Beſitz von Berry zu verhelfen. As Karl im Beginn des Jahres 868 bereits heranzog, fand Affrid gegen die Vaſſallen Gerhards feinen Tod. Es galt jet offene Em— pörung zu ftrafen und das königliche Anfehn in Aquitanien wieder- herzuftellen. Am 7. Januar 868 befand fi) Karl in der villa Bellus Pauliacus jüdlid) der Yoiret, und num wurde Berry fo grauenhaft verwüjtet, daß viele Taufende verhungert fein follen, ohne daß Erhebliches erreiht wurde. Selbſt Kirchen wurden nicht ver- Ihont: jo mag auch Léré ein Zufluchtsort der Kanonifer von ©. Martin durch zuchtlofe Kriegerfchaaren gelitten haben.

Wahrſcheinlich fand Gerhard bei andern aquitanifchen Großen mächtige Unterftügung. Wenigftens joll um diefe Zeit auch ein an— derer Zufludtsort von S. Martin, Marfat in Auvergne, mehrfach) überfallen und geplündert worden fein.

ı Böhmer 1745.

2 Fauriel, Histoire de la Gaule mertdionale IV, 352. Robert der Tapfere S. 80 und 90. Mabille, Le royaume d’Aquitaine, Toulouse 1870, zweifelt an der Richtigkeit der Nachrichten Hinkmars, SS. I, 476, die ſich aber aus dem Vergleich von 867 Ende nnd 868 Anfarg ergiebt.

3 ÖGhron. Masciacense, SS. IH, 169. Transl. S. Genulfi e.16. Ann. S. Ordinis Benedicti ed. Mabillon IV, 2, 240 über die Verbrennung des Klofters S. Genon am Judre.

* Hincm. 867. 868, SS. I, 476. Fauriel® Angabe „Beau Pouilly“ Hingt nad) bloßer Ueherfegung. Zu der Lage paßt Beaulieu ſüdlich von Gien, das Sprumer als Pauliacum verzeichnet, nicht das etymologisc näher liegende Pouilly unweit Nevers.

- 5 Die kurze Notiz des Chron. S. Maxentii, Bouq. VII, 229: Carolus Bituricas vastavit fanmıe, begründet nicht die Annahme einer vergebfichen Be— fagerung von Bourges, Fauriel l. e. ©. 353. Die Identifizirung Gerhards mit Gerhard von Bienne ift bei der Erwähnung des Letsteren als feines ge—

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Namentlich Graf Bernhard von Auvergne mag alfo aud auf Gerhards Seite geftanden haben. Wahrjcheinlich ein Sohn Bern- hards, des Kämmerers Ludwig des Frommen, und nad) 858 mit der Graffchaft Auvergne und der Abtei S. Yulian in Brioude belehnt, bat er 864 einen Anfchlag auf Karl den Kahlen, Robert den Ta— pfern und Ramnulf von Poitou unternommen und fi, nachdem ihm feine Lehen abgefprochen waren, wohl wie in Autun auch in Auvergne und Brioude behauptet !.

Wahrſcheinlich unterftütten zwei Namensvettern Bernhards, der Markgraf von Gothien, Neffe des Kanzlers Gauzlin, und Graf Bern- hard von Toulouſe, Hinkmars Verwandter, die Empörung: fie er- Schienen im Auguft 868 mit Bernhard von Auvergne auf dem Reichstag zu Piftres, wahrfcheinlich doch um ſich zu unterwerfen.

Aber Karl der Kahle Hatte wahrfcheinlich bereits Warin mit Grafihaft und Abtei belehnt, der vom September 868 bi8 März 869 in den Urkunden von Brioude genannt wird; aus diefem Grunde mag Bernhard wieder abgefallen fein. Das Ausbleiben der drei Bernharde in Bellus Pauliacus im Januar 869 vereitelte den Zwed einer dort anberaumten Verſammlung, doch wohl die Beruhigung Aquitaniens ?.

Am 21. Juni 870 war Bernhard von ZTouloufe zum Gehor- ſam gegen den König zurücgefehrt, während Bernhard von Auvergne, deſſen ehemalige Abtei Brioude Karl dem Erzbifhof Frotar von

liebten Grafen in der gleichzeitigen Urkunde Böhmer 1746 unmöglid. Bgl. Böhmer 1751 vom 30, (nit 31.) Januar 869.

ı Ein Bernhard Gemahl der Liutgard ift vom Mai 846 bie März 858 Graf von Auvergne und Abt von S. Yulian, Cartulaire de Brioude, Clermont 1863, die Nummern nad) Bruel, Chronol. du Cart. de Br., Bibl. de l’&c. des chartes VI, 2, 498 Nr. 12—16. Letztere Urkunde ift vom 20. Jahr Pipin (des IL.) von Aquitanien batirt; dagegen datirt Graf uud Abt Bernhard, Gemahl der Ermengard, im Januar 864 Nr, 18 nad Regierungs- jahren Karl des Kahlen. Mabille, Le royaume d’Aquitaine ©. 19. 45 ff. (auch als Theil der neuen Bearbeitung der Histoire de Languedoc T. II), hält Ermengard für die zweite Gemahlin des Vorigen und Bernhard, gleichfalls Gemahl einer Ermengard, für den Sohn bes ältern Bernhard und der Liutgard, für deffen Seelenruhe ein gewiffer Peter dem Klofter S. Iulian eine Schenkung machte; dies ergiebt fi) aber aus der Anordnung der Fürbitte auch für den älteren Nr. 37 keineswegs. Wenn der 864 auftretende Bernhard feit April 868 aus den Urkunden verichwindet, brauchen wir nicht auf feinen Tod zu fließen, fondern er kann in Folge feiner Betheiligung an Gerhards Aufftand abgefetzt fein; ich fehe daher den Grafen von Auvergne und Abt von S. Julian im Jahre 864 mit dem 883 genannten, gleichfalls Gemahl einer Ermengard, für identifh an, und unterjcheide ihn von dem Gemahl der Fiutgard ; ber am 31. März 841 geborene Sohn bes Kämmerer (ManualeDodanae, Mab. A. S. ord. Bened. V, 705 und 710) fann fehr wohl nad) Tod ober Abſetzung des Pipin zugefallenen Bernhard (nad) 858) Graffhaft und Abtei erhalten haben. Bol. Robert der Tapfere S. 89.

2Robert der Tapfere Erfur® V. Hincm. 868, SS. I, 480. Flodoard III, 26. Cart. de Brioude 23—25.

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Bourges vor November 869 verliehen Hatte, auf einer im Oktober zu Reims gehaltenen Verſammlung fehlte. Erit 872 erfolgt die definitive Ordnung der aquitanischen Verhältniffe, und Bernhard fpielt fortan in der Umgebung des damals erſt thatfächlic zum König von Aquitanien erhobenen Ludwig des Stammlers eine hervorragende Rolle!.

Die Annahme, daß dieſe faſt das ganze öſtliche Aquitanien be— herrſchenden Großen mit Gerhard verbunden waren, würde bie Er- folglofigfeit des Feldzugs erklären.

Karl traf fofort neue willfürliche Verfügungen. Er verlieh nämlich die Roberts Sohn Ddo und den Söhnen des Grafen Ramnulf von Poitierd noch gebliebenen Lehen an Andere?. Damals mag Hugo die Lehen Odos, wahrſcheinlich die Grafichaft Nevers, vielleicht auch Blois, erhalten Haben. In der erfteren jchlichtete er 878 oder An— fang 879 einen Streit des Biſchofs Abbo mit Rotbert und Roclin, wahrſcheinlich doc in feiner Eigenfchaft als Graf?. Für Blois läßt ſich fein Zeugniß beibringen, aber e8 lag zwijchen Hugos Befigungen an der mittleren Xoire und in Burgund und gehörte 865 Robert bem Tapfern.

Bielleicht fällt in diefe Zeit Hugos Theilnahıne an einer Sy» node zu DVerberie, die dem Klofter S. Baaft eine Reihe von Beft- gungen und Rechten beftätigte und wegen der Unterfchrift des Biſchofs Erchenraus von Chalons vor dem Dezember 868 erfolgt fein muß. Der Abt Vulfo, der gleichfall8 unterfchreibt, wird Hugos Vetter Guelfo fein‘ Im Herbft follte er wieder Gelegenheit zu friegerifcher Thätigfeit finden. Das Bisthum Aftards von Nantes war feit zehn Jahren durch die jtändig darin Haufenden Normannen völlig entvölfert und verwüftet, fo daß diefer e8 längſt verlaffen hatte ®. Aehnlich, wenn auch nicht ganz fo ſchlimm, war e8 den nächſtliegenden Bisthiimern Angers, le Mans und Tours ergangen, überdies war e8 hier noch mehr als anderwärts erforderlich gewejen, durch Berlei- hung von Kirchengut beim Verfall des Heerbanns Vertheidiger zu geroinnen. Namentlich für Aktard, der ſich feine Gunft erworben hatte, fuchte Nikolaus’ Nachfolger im Papſtthum Hadrian II. durch

ı Hincm. 872, SS. I, 493. Böhmer 1766. Hincmari opera II, 181, e. 4. Cart. de Brioude 26 ff.

* Hincm. 868 l. c. Mabille, Le royaume d’Aquitaine ©. 42.

® Jaffe, Regesta pontificum 24—29; Mansi XVII, 99. Vielleicht ift Robert der zweite Sohn Robert des Tapfern, defien Bater wie in Autun auch in andern von ihm verwalteten Grafichaften Allodien bejefien haben wird (Ro- bert ber Zapfere Beilage II). In dem Bicegrafen Odo, der unmittelbar nad) Hugo eine Urkunde für das Klofter S. Aegidius zu Arles auf der Synode von Troyes unterzeichnet, dürfen wir vielleicht den älteften Sohn Roberts fehen.

* Mansi XV, 781.

5 Na dem Jahr 857, wo er in einer Urkunde Erispoes erwähnt wird, Cart. de Redon Nr. 26 ©. 22. Nach vielen Leiden in der bretonifchen Ge» fangenihaft entlam er zur Se. Mansi XV, 800.

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mehrere zwifchen dem 23. Februar ımd 8. März 868 gefchriebene Briefe Erja zu gewinnen!. Bei König Karl dem Kahlen und den zu Zroyes Ende Dftober 867 verſammelt gewejenen Bijchöfen ver- wandte er fich dafür, daß Aftard ein vafantes Bisthum von minde— ſtens gleichen Einkünften wie Nantes überwiefen werde, auch die et= waigen Ueberbleibjel diefer Diözeje jolle er nad) wie vor verwalten und ausjchlieglih der Yurisdiftion des Papſtes unterworfen fein. Diefer verlieh ihm perſönlich das ſonſt nur Erzbiichöfen zuftehende Pallium. Offenbar gedachte er in dem ehrgeizigen und diplomatiſch gewandten Prälaten ein gefügiges Werkzeug gegenüber der noch ihrer Selbjtändigfeit bewußten galliihen Kirche zu haben. Aftard erhielt im folgenden Jahr 869 das Bisthum Terouenne; doch ließ fich das Haupt der weitfränfiichen Geiftlichkeit, Hinkmar, ſchwerlich feine Eremtion von feiner Metropolitangewalt gefallen. Vom Erzbifchof Herard von Zours erbat der Papjt für Aktard ein früher von ihm bejejjenes Klojter, indem er ihm mittheilte, daß er für feine verletten, von Af- tard in Rom verfochtenen Metropolitanrechte bei Saloıno einge— treten ſei?.

Inzwiſchen hatten die Normannen die längere Abwejenheit des Abts Hugo aus feiner Mark benugt, um Sonnabend vor Palın= fonntag (20. März) 868 die Loire bis Orleans heraufzufahren:: un— behelligt konnten fie mit der gewonnenen Beute in ihre Quartiere heimfchren ?.

Diefer neue Einfall bewog Karl den Kahlen, der bisher die Bes fümpfung der Normannen Salomo überlajfen Hatte, an energijche Gegenmaßregeln zu denken.

Zunächſt wurde während der Reichsverfammlung zu Pijtres un— weit Pont de l'Arche im Augujt 868 jedem Großen, darunter ver— muthlih aud) Hugo, aufgetragen, einen Theil einer Burg, bei der dortigen Seinebrüde zu erbauen. 862—864 war hier durch einen Brücdenbau den Normannen die Seine nebft ihren großen Neben— flüffen gefperrt. Die Brüde mußte jedocd) bereits 865—866 wieder: hergeftellt werden und mag damals mit zwei ftarfen Brückenköpfen verjehen worden fein. Da fich die Großen jo viel al8 möglich der Erfüllung ihrer jtaatlichen Pflichten entzogen, mögen die Befeftigungen wieder verfallen fein®. Der Bau wurde diesmal nicht zu Ende ge= führt, vielmehr beabfichtigte Karl einen Zug gegen die von Hafting geführten Yoire-Normannen. Da fandte Salomo einen Boten, er fei

ı Jaffe, Reg. pontif. 2199— 2203.

? Aktards Gütertaufch mit Robert dem Tapfern bei Blois beweift , daß Altard in der Erzdiözefe Tours heimiſch war; ſ. Robert der Tapfere Beilage I; vgl. Gallia christ. XIV, 42.

® Hincm. J. c. ©. 444.

* Hincm. 1. c. Adonis chron. SS. II, 323. Gfrörer II, 10 folgert wunderlicher Weife aus den Worten: Carolus castellum mensurans pedi- turas singulis ex suo regno dedit, Karl habe gegen die Beichlüffe von Pi- * 864 den Großen den Bau von Burgen bis zu einer gewiſſen Größe ge—

attet.

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bereit fie mit einem bretonifchen Heer anzugreifen, Karl möge nicht jelbft zu Felde ziehen, fondern ——— ſchicken. Zum Dank ſandte Karl ſeinen erſten Thürhüter, geheimen Rath und Kämmerer Engelram mit einer gold- und edelſteingezierten Krone und den übri— gen königlichen Inſignien an Salomo und erfannte ihn ſomit als König an. Salomo nennt in einer Urkunde vom 17. April 869 Karl feinen dilectus compater und ſchenkt dem Kloſter Redon ein von Karl wahrſcheinlich durch Engelram überfandtes goldgefticktes Prieftergewand!. Nach einer Handichrift des bretonifchen Kloſters S. Michel hätte Karl Salomo aud) das Münzrecht verliehen und das Erzbisthum Dol anerkannt. Vielleicht veripradh er ihm, beim Papjt für die Anerkennung der beftehenden kirchlichen Zuftände in der Bre— tage zu wirfen, doc, fehlen dafür zuverläffige Zeugnijfe. Salomo jelbjt bemühte fi um eine Ausjöhnung mit dem Papſtthum. Durch den einftimmigen Widerfpruch feines Volks bei der Normannengefahr an einer Reife nad) Rom gehindert, ſchickte er Hadrian 869 reiche Ge— ſcheuke, unter andern eine goldene Bildfäule. Er erhielt zwar auf feine Bitte zum Entgelt Reliquien des Papftes %eo III., erreichte aber feine wichtigeren Abfichten nicht?.

Auc der gemeinfame Feldzug der Franken und Bretonen gegen die Loire-Normannen war erfolglos. Karl der Kahle hatte Prinz Karlmann, obwohl er ihn zum Eintritt in den geijtlichen Stand ge— jwungen, an der Spike einer scara Engelram auf dem Fuße folgen laffen; aber derjelbe vermwüftete lediglich das weſtfränkiſche Neuftrien und wurde deshalb im Herbſt 868 abgerufen.

Salomo lag den Winter über im Felde, er ftand noch am 24. Mai 869 mit dem ganzen Aufgebot der Bretagne bei Glavizac im Gau von Nantes, mußte aber, auf fich allein angewiefen, um die Zeit der Weinernte mit den Normannen Frieden ſchließen und ihnen 500 Kühe liefern ®,

Karl der Kahle traf num Maßregeln zum Schuß der Nordfüfte und des Seinegebiets. In der Faftenzeit oder um Oftern 869 (3. April) erhielt S. Denis, bald darauf S. Vaaſt, die damals unmit— telbar unter Föniglicher Verwaltung jtanden, Befejtigungen von Holz und Stein *.

Auf dem Reichstag zu Piftres 864 hatte Karl die Verpflichtung derjenigen, die nicht die Koften des Heerbannes beftreiten konnten, zum Brüden und Wegebau befonders eingefchärft, doch muß diefe Beſtim— mung wicht durchgeführt worden fein.

Karl forderte jetzt von allen geiftlichen und weltlichen Großen

! Sirmonds Notezur V. Convoionis, Boug. VII, 377. LL. I, 544 conv. Carisiacensis c. 23. Cart. de Redon ©. 190. * Britannicum, Bouq. VII, 222. Cart. de Redon S. 67— ® Hincm. 879, SS. I, 581. Reg. 874. Cart. de Redon &. 189 und 193. * Hincm. SS. I, 481, vgl, 866, I, 473.

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und Königlichen Vaſallen die Einreihung von VBerzeichniffen über die Hufenzahl ihrer Zehen, auf einem auf den 1. Mai, vielleicht nad) Berberie an der Dife, wo Ende April eine Synode jtattfand , feitge- festen Reichstag!. Sie follten dann außer den gewöhnlichen Natu- ralfeiftungen und Sjahresgefchenten auf je 100 Hufen einen freien Zagelöhner, auf je 1000 eine Karre mit zwei Ochſen ftellen, da— mit zunächit die Burg von Piftres vollendet werde.

Nach Erlaß diefer Verordnung begab ſich Karl im Januar, trotz ber Jahreszeit und einer wie im Beginn des Yahres 868 eintre= tenden Hungersnoth, nad) Coneda vicus an der Xoire (Cöne im Gau von Aurerre) zu einer Zufammenfunft mit aquitaniihen Großen. Das Ausbleiben der drei Bernharde erfüllte ihn mit Sorge und vereitelte, wie oben erwähnt, die Beruhigung Aquitaniens. Hugo nahın an der Verfammlung Theil und erwirfte am 30. Januar einen Schugbrief des Königs für die erwähnten Zufluchtsorte feiner Ranoniker Lere und Marſat.

Gewiß erſchien Hugo auch auf dem früheftens Ende Yuni in Piftres verſammelten Reichstag?. Karl der Kahle mahnte die in ftetem Gegenſatz befindlichen geiftlihen und weltlichen Großen, einträchtig zufammen zu wirfen und ſämmtlich zum Schuß des Vaterlands na- mentlic) gegen die Normannen bereit zu fein. Klagte doch felbft Hinfmar über die fchweren das Reich drüdenden Laften und über die en, den Kirchengefegen widerjprechende Theilnahme der Bifchöfe am Krieg *.

Die befonder8 den Rechten der Geiftlichfeit günftigen Beſchlüſſe des Reichstags und die Vertheilung von Schäten an die Kirchen des Reichs im Auguft zu Senlis follten wohl den Klerus für Karls Pläne, namentlich in Hinficht auf die Erbichaft Lothar II., gewinnen. Denn er erfuhr hier den am 8. Auguft erfolgten Tod Lothars, eilte fofort nad) Lothringen und ließ fih in Met am 9. September durch Hinfmar und Bischof Adventius von Met Frönen. Diefer erſte Ver- ſuch eines franzöfifchen Herrſchers die Aheingrenze zu gewinnen gelang indeffen nur halb. Schon am 6. März 870 mußte ſich Karl zu Aachen zur Theilung mit Kudwig dem Deutjchen verftehen, die durd) ben’ befannten Vertrag von Meerjen näher geregelt wurde. Hugo

ı LL. I, 495 c. 27 und 499 ce. 1. Böhmers Notiz zu Nr. 1758. Gfrörer II, 13 vermuthet nicht unmwahrjdeinlich, daß Karl auf diefe Weife auch eine Weberficht über die zur Eroberung Lothringens verfügbaren Streitkräfte ge- winnen wollte.

* Böhmer 1751. Bougq..VIII, 613.

° Am 28. Juni fiellt Karl eine Urkunde zu Baifieur im Gau von Amiens aus, aljo kann der Reichstag nicht vor dem 29. oder 30. ftattgefunden haben. Bielleiht dauerte er noh am 21. Yuli. LL. I, 509-512. Böhmer 1757 1759. Dümmler I, 718 und 719. Wend weift in feiner Kritik der Gfrörerfchen Ausführungen II, 13 fi. nah, daß die Gewährungen und Verſprechungen an die Großen nichts weſentlich Neues enthielten.

* Hincm. 869, SS. I, 481. Mansi XV, 772 Brief an Rilolaus I.

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hatte an dieſen Ereigniffen feinen Theil, fondern war durch den Kampf mit den Loire-Normannen in Anfprud) genommen.

Bereint mit Graf Gauzfrid von Maine lieferte er ihnen im Herbit 869 ein Treffen, in bem fie etwa 60 Mann verloren und geichlagen wurden. Gin den Ehriften befonders feindlicher abtrünniger Mönch wurde gefangen und enthauptet, ein Beweis, daß ſich man— cherlei Gefindel und Abenteurer den Normannen anſchloß. Karl ord- nete jet auch für die Loiregegenden Befejtigungen an und zwar in Tours und le Mans. Dieſe Mafregeln und das glückliche Treffen hatten den Erfolg, daß die Yoire-Normannen gegen eine Geldfummme und Wein-, Vieh- und etreidestieferungen mit den Neuftriern, an deren Spitze Hugo ftand, Frieden ſchloſſen. Durchgreifende Erfolge vermochte aber Hugo fo wenig als fein Vorgänger Robert zu er- ringen, weil es an der nöthigen Unterjtügung durd den König fehlte. Freilich wurde feine Macht im Yahr 870 aufs Neue erweitert. Nach dem Tode von Karls lahmem Sohn Yothar am 14. Dezember 865 Hatte der erwähnte Prinz Karlmann, unter dem ein gewilfer Bofo die geiltlichen Funktionen verjehen zu haben fcheint, die bis 861 von ihm bejefjene Abtei S. Germain in Auxerre erhalten !.

Karlmann wurde aber verrätherifcher Pläne gegen feinen Water beihuldigt und im Juni 870 auf dem Reichstag zu Attigny aller feiner Abteien entjegt. Vermuthlich erhielt dann Hugo das ihm ent— zogene S. Germain wie fein Wetter Guelfo fein früheres Kloſter S. Riquier zurüd. 876 befaß er es ficher, da Erzbiichof Anſegis von Sens von ihm Reliquien für das Klofter S. NRemigius in Sens erbat ?.

An den Mafregeln gegen Karlmann fcheint übrigens Hugo wenig Theil genommen zu haben, denn er fehlte auf einer im Dftober zu Reims gehaltenen Verſammlung, wahrjcheinlic dem kleinern Reichs— tag, der im Herbit ftattzufinden pflegte. Hier ließ Karl, vermuthlich durch die Empörung feines jüngeren Sohnes zur Regelung der Thron- folge beſtimmt, den älteften Ludwig den Stammier als Nachfolger anerfennen ®.

Er wird daher auch fchwerlich den Eroberungszug gegen Vienne mitgemacht haben, der Rarlmann Gelegenheit zur Flucht gab. Diefer ſammelte zahlreiche Spießgejellen und verwüjtete namentlid) die Reimfer Diözefe. Der Auftrag des Königs, die Biſchöfe und weltlichen Großen zufammenzuberufen und mit ihnen gemeinfam Maßregeln gegen ben Empörer zu treffen, verſetzte Hinkmar in Verlegenheit. Karlmann jtand nicht unter feiner, fondern als Diakon von Senlis unter der Metropolitangewalt von Sens, und bei der Nähe des

ı Sickel, Sur un manuscrit de Melk, Bibliotheque de l’&cole des chartes V, 3, ©. 31 ff. Böhmer 1750 und 1763.

» Hincm. 870, SS. I, 487. Gall. christ. XII, 374 und Herici mira- cula S. Germ. II, 5, bei Labbe I, 558;; vgl. Böhmer 1830,

® Conv. Caris. c. 4, LL. I, 538. Hincm. opera II, 181, c. 4.

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Weihnachtsfeftes fonnte feine Provinzialfynode berufen werden. Er trat mit einigen hervorragenden Großen in Verbindung", um zu ver- mitteln; fie jollten nicht jofort das Volk gegen Karlmann zu den Waffen rufen.

Rarlınann fcheint feinerfeitS einen der von Hinfmar um Nath gefragten Großen, den‘ Erzfanzler Gauzlin, und Hugos Vetter Konrad zu Vermittlern gewählt zu haben. Denn Hinfmar forderte fie mit Karlmann oder in deifen Vertretung zur Verhandlung und Anhörung der füniglichen Botichaft auf. Es wurden gegenfeitig Geifeln gejtellt, und Hinkmar riet) Karlmann fich friedlich zu verhalten und feinem Vater bei der Rückkehr von Vienne cum ipsis, d. h. wohl mit den DVermittelnden , entgegenzugehen. Auf das Verfprechen jich zu beffern gab Hinfmar Karlmann fogar den erbetenen Segen? Doch fehrte Karl der Kahle im Beginn des Jahres 871 unerwartet ſchnell zu= rüd, wahrjcheinlid; ehe die Bemühungen Hinkmars feinen Zorn zu bejänftigen Erfolg hatten, und Karlmann verharrte in der Empö— rung; er verwüſtete das Caſtell Mouzon bei Sedan und die Umge— gend. Hinfmar, durd Krankheit an der Vertheidigung des bijchöf- lichen Gebiets gehindert, forderte den Königsboten Harduin und deſſen Bruder Hadebold auf, den Frevelthaten namentlich eines gewiſſen Wipert entgegenzutreten und den königlichen Bajjallen Gaulf oder Grimulf durch Mahnung an die fchwere Verantwortlichfeit, die er dadurd auf fich lade, von dem den Uebelthätern gewährten Schuß in Zukunft abzubringen. Harduin fcheint ſich durch läffige Erfüllung diefer Pflichten eine Anklage beim König zugezogen zu haben. Hink— mar verfpricht ihn, wenn er einen zuverläffigen Boten fende, genaue Auskunft darüber, Rath und Fürfprade?. Karlmann erbot ſich durch vier Gefandte vor feinem Vater erfcheinen und fi) verant— worten zu wollen, wenn er feinen Genofjen das Leben fchenke.

Karl bot feinem Sohn durch zwei feiner Gejandten fo wie durch Gauzlin und Karlmanns Schwager Balduin von Flandern fichere Rückkehr an, aber Karlmann jtellte jett umerfüllbare Forderungen, wahrjcheinlicd) auf Uebertragung von Lehen, die er vorher nicht bean= iprucht, und wandte ſich nach dem ſchon ojtfränfifchen Gebiet von Toul. Karl ließ jett feine Genoffen zum Tode und Gonfiscation ihrer Güter verurtheilen und Ende Januar 871 zu Compiegne durch eine Provinzialfynode unter Hinkmars Leitung exkommuniciren. Defjen Neffe Hinfmar von Laon verließ jedoch vor der Unterjchrift die Synode. Er war bereit8 mit feinem Oheim im verjchiedene

ı Hinkmars Brief an den Kämmerer Engelram, Gauzlin und den Ober» jägermeifter Grafen von Laon Adalelm bei Flod. hist. Rem. III, 26. Hincm. Ann. 869. Dümmler I, 759 fi.

2Hinkmar an Karlmann, Gauzlın und Konrad und an Harbuin 1. c.; Libellus expostulationis adversus Hincmarum Laudunensem c. 20, Mansi XVI, 605 und 611.

® Hincm. 871, SS. I, 491. Flod. 1. ce.

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Streitigkeiten verwidelt, von denen eine näheres Intereſſe für den Abt Hugo hatte.

Hinkmar entrig nämlich dem Grafen Nortmann auf Grund von ihm. erwirfter päpftlicher Briefe das ihm auf Verwendung von Hugos Bater Konrad und Oheim Rudolf verliehene Gut Pau— liacum und vertrieb die im Wochenbett Liegende Frau defjelben mit gewaffneter Hand. Nortmanns Sohn nahın er gleichfall® einen Theil der von ihm ſelbſt übertragenen Lehen. Früher als Haupt der Hof- Geiftlichfeit ein einflußreiher Mann, war ihm beinahe eine völlige Ausjöhnung mit dem König gelungen, obwohl er gegen den ihm ge— leifteten Treueid feine Vafjallen mit Beichwerden nad) Rom gejchickt hatte. Setzt weigerte er fi) auf wiederholte Aufforderungen jeines Oheims der Exkommunikation der Genofjen Karlmanns beizutreten’, mit dem er im Einverjtändniß war. Der Papſt nahm ihn in Schuß und trat auch für Karlmann ein. Er ermahnte am 13. Juli 877 die weitfränfiihen Großen, nicht gegen ihn zu Fämpfen.

Wir wilfen nicht, ob Hugo an der Bekämpfung Hinfmars von Laon und Karlmanns theilnahm, jedenfalls jcheint er ſich der zwei— deutigen Haltung Gauzlins und jeines Vetter Konrad nicht ange- ſchloſſen zu haben.

Wahrſcheinlich hielten ihn die Normannen in feiner Mark zu— rück, wenigftens machte er um die Zeit des Konzils von Douzy im Auguft, auf dem die erwähnten Streitigkeiten behandelt wurden, einen Angriff auf die befejtigte Yoireinjel, wo die Normannen hauften, ver= muthlih bei S. Florent unterhalb Angers. Obwohl fi Gauzfrid von Maine und andere meuftrifhe Großen an dem Unternehmen betheiligten,, mißglückte e8 gänzlih. Nur mit großem DVerluft ent- famen fie von der Inſel. Aber bei der Energie, mit der Hugo ben Kampf gegen die gefährlichen Feinde führte, ift feine unmittelbare Betheiligung an den Wirren im Djten des Reichs und den gleic)- zeitigen firchlichen Vorgängen um fo unmwahrjceinlicher.

Auch wird ihn die Befeftigung von Tours nod in Anfpruc) genommen haben. Diefelbe umfaßte nur die eigentliche Stadt, deren alte Römermauern aus Fleinen Quadern mitteljt mächtiger zwei Fuß fanger Steine ausgebejfert und durch feſte Thürme verjtärft wurden. Diefe Mauer und ein Thurn, tour feu Hugon oder tour du Comte genannt, ftanden noch unter Ludwig XIV. Das Terrain zu diefem

ı Am 1. Februar, 19. April und 5. Mai. Vielmehr Hagt Hinfmar am 1. Juni den Oheim an, den König zu feiner Inhaftnahme in Servais ange- reizt zu haben. Wirklich forderte ihn diefer, als er bei einer Zuſammenkunft zu Solarium bei Suyppes mit dem König, Odo von Beanvais, Graf Eiricus uud Anderen bartnädig blieb, vor eine Synode. Hincm. libellus expostu- lationis adv. Hinem. Laudun. c. 20. 21. 24, Mansi XVI, 605. 618. Aw c. 5, Mansi 650. Hincm. opp. II, 597. Noorden ©. 246

. 285 fl. 2 Jaffe Nr. 2234. ® Hincm. 871. Wend, Das fränf. Reid S. 200.

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Thurm taufchte Hugo nebſt der darauf befindlichen Mauerſtrecke und der Kirche S. Vibert gegen ein glei großes Stück Land von den Ranonikern von S. Martin ein. Letzteres erftredte fi von der rö— mifchen Arena und dem angeblichen Balaft Kaifer Valentinians, sala maledicta genannt, bis an das Ende der ehemaligen „großen“, der Loire parallelen Straße, zu dem Thor von Orleans, jpäter porte feu Hugon'.

Auf dem fo erworbenen Terrain erbaute fi) Hugo nahe dem Loirehafen, port feu Hugon, und dem genannten Thor eine Grafen- wohnung, mit der ein Raum verbunden war, wie ihn die Capitu— larien Karl des Großen zur Abhaltung von Gerichtsverfammlungen verlangten.

Das 864 erlajjene Verbot, ohne Fönigliche Genehmigung Burgen zu bauen, mag in der Noth der Zeit in DBergejjenheit gerathen oder diefe Genehinigung häufig ertheilt fein, denn wir fehen jet Biſchöfe und weltliche Große eifrig damit befchäftigt. 878 wird eine vom Bizegrafen Otto bei Preuiliy im Kanton de la Haye Descartes in der füdlichen Touraine neulich erbaute Burg erwähnt. Auch Biſchof Walter von Orleans ließ fich, wahrjcheinlich belehrt durch die 868 erfolgte Plünderung, die Befeftigung feines Biſchofsſitzes ange— legen fein. Die Einfegung des energifchen Mannes, der mehrfach an Hugos Seite auftritt umd fpäter von ihm zu wichtigen Sendungen verwandt wurde, zwilchen dem 2. November 867 und der von mir 868 angefegten Synode in Verberie, mag nicht ohne Hugos Einfluß erfolgt fein, zumal Walter zu der Geijtlichfeit von Tours gehört hatte. Auch der gewandte Aktard und Biſchof Willibert von Chalons hatten dort ihre Bildung erhalten, was darauf fchliegen läßt, daß die von Alkuin im Klojter S. Martin gegründete Schule noch in der Zeit Karl des Kahlen gute Erfolge Hatte. Befiten wir doch von MWillibert, Walter von Orleans und dem Erzbiihof von Tours Herard 856 bis 871 Gapitularien, durch welche ihrer Geijtlichkeit die Nothwendigkeit geiftliher Bildung und die Verpflichtung zum Volksunterricht eingefchärft wird®,

Nicht ohme heftige Streitigkeiten gelangten Willibert und Aftard zum Bisthum Chalons und Erzbisthum Tours. Geiftlichfeit und Ge— meinde wandten fi) nad) dem Tode des Erchanraus nicht an den Metropolitan Hinkmar, fondern an den König um Betätigung der neuen Wahl. Vielleicht gehörten hierher die Beichwerden einer Sy» node von gallifchen und burgundiichen Bifchöfen über Eingriffe eines dux Gerhard und Grafen Kotfrid in die freie Biichofswahl; wir finden 825 einen Grafen Rotfrid als Sendboten in Reims, Chalons und andern Diözejen, dejfen Sohn al® Graf von Chalons betheiligt

1 Mabille, Bibl. de l’&c. des ch. V, 5, 322. Salomon, L’'amphi- theatre de Tours 1. c. IV, 8, ©. 219.

2 Mabille, Pancarte noire c. 11, ©. 119. LL. I, 434, c. 2.

® Baluze, Capitularia regum Francorum I, 288, c. 17 und II, 1377. Gall. christ. VIII, 1426. Wend, Das fränkiſche Reh ©. 81.

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ſein könnte. In dem Gerhard wäre wohl der vom 7. Januar 868 von Karl dem Kahlen als dilectus comes bezeichnete, wahrſcheinlich der Graf von Vienne zu finden. Willibert war deseriptor regio- rum stipendiorum, etwa Rechnungsführer des Königlichen Hofhalts, und Propft des damals Föniglichen Kloſters S. Vaaſt. Der Streit wurde beigelegt, indem Hinfmar am 3. December zu Kierfy mit einigen Biihöfen eine Prüfung Williberts vornahm und ihn dann im Kloſter Brittaniacus, Bretigny, weihte!.

Als Herard am 30. uni 871 ftarb ?, wählten Geiftlichfeit und Gemeinde von Tours Aktard, damals Biſchof von Terouenne, zu ſeinem Nachfolger. Hugo als Graf wird dabei betheiligt gewejen fein. Karl der Kahle und die Synode von Douzh beftätigten die Wahl und erfuchten den Papſt um Genehmigung, auch Erzbiſchof Hinkmar befürwortete das Geſuch, dem Hadrian in einem Brief an Karl vom 26. De— zember willfahrte. Er forderte obenein die Herſtellung des Erzbis⸗ thums in ſeinem Beſitzſtand durch Ausſtattung mit Krongütern in vor den Normannen geſicherter Lage. Gleiche Fürſorge möge der König Marmoutier, S. Medard? und andern Klöſtern in Tours und Umgegend zuwenden: alle Orte derfelben müßten, wie fonjt Sitte, unter der Gewalt de8 Bisthums ftehen*. Viele mochten wie Mar» moutier und S. Martin felbit an Laien verliehen oder von ihnen ufurpirt fein. Endlich verlangte Hadrian, daß aucd Nantes, wenn e8 in den früheren Stand fomme, Aftard bleiben ſolle. Die allen kirchlichen Geſetzen widerfprechenden Forderungen de8 Papſtes für feinen Günftling, ein neuer Eingriff in die Selbftändigfeit der weſt— fränfifchen Kirche, bewogen Hinfmar überhaupt gegen den auf Grund des Pjeubdoifidor immer öfter ftattfindenden Uebergang von einem zum andern Bisthum aufzutreten. Der Widerſpruch des jest mit Karl vollkommen ausgeföhnten Erzbiſchofs bewirkte wohl, daß Aktard Nantes fofort dem Dekan der dortigen Kirche Ermengar verlieh, während er jelbft biß zu feinem Tode 873 oder 874 Erzbifchof von Tours blieb ®. Eine ftrenge Unterordnung der Klöfter, darunter auch der Hugo ver- fiehenen S. Martin und Marmoutier, erreichte er ſchwerlich.

Mabillon macht wahriheinlidh, daß der König um diefe Zeit Hugo die reiche Abtei S. Vaaft verlieh”. Er mochte dazu durch die bewährte Kriegstüchtigkeit Hugos bewogen fein, die ihn als geeig- neten Vertheidiger des befeitigten Klojters -erfcheinen ließ.

! Baluze Il. c. I, 612. Gall. christ. IX, 867. Noorden ©. 240. Der

Streit fällt aber nicht 867, fondern 868. Mansi XII, 862 und LL. I, 246. Calendarium ber Cathedrale von Angers, Gall. christ. XIV, 42.

s Später ein Priorat von Billeloin. Mabille, Sur les divisions territo- riales de Touraine, Bibl. de l'ec. des ch. VI, 2, S. 343.

«4 MansiXV, 852. Dümmler I, 767. Mabille 1. c. V, 5, 322 N. 1 folgert aus diefem Brief mißverfländlic), Hadrian habe Karl uud Abt Hugo jur ren der Befeftigung vor Tours aufgefordert.

. II, 744. Noorden S. 292 nd Chen. Brittaniae wen "Bong. VI, 52. ! Ann. Benedictini III, 171.

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Nach einer zwifchen dem 20. Juni 871 und 872 ausgeſtellten Urkunde befanden ſich die Reliquien des Heiligen Martin damals in dem ihm gewidmeten Klofter, und fcheint alſo die Befeftigung der Stadt im Wefentlichen vollendet geweſen zu fein !.

Die Grafen Bofo und Bernhard als Teſtamentsvollſtrecker des Grafen Odo übergaben Hugo als Abt von S. Martin für die Geelenruhe Odos und feiner Gemahlin Guandelmoda Nogent en Dthe in dem Pays d'Othe unweit Troyes. Odo, wie oben nach— gewiefen, ein Verwandter der den Welfen feindlichen Wamilie der Kö— nigin Irmintrud hatte feine Grafichaft Blois wahrjcheinlich in Folge feiner Verbindung mit Ludwig dem Deutjchen eingebüßt, mochte aber durch den Vertrag zu Coblenz 860 feine ererbten oder vor Karls Kegierungsantritt ‚verliehenen Befigungen zurüderhalten haben und war 864 Graf von Troyes. Seine Freundſchaft mit Boſo von Vienne und Bernhard von Auvergne unterftütt die Vermuthung, daß er bei jeinem Tod tm füdlichen Frankreich Bejigungen hatte. In Dijon war nämlich 866—869 oder 8TO ein Graf Ddo Sendbote, von dem anzunehmen ift, daß er innerhalb des 853 noch Macon, Chalons, Autun und Langres umfajjenden Bezirks mächtig war ?.

Nun wird in einer Urkunde vom 8. Yuni 871 ein Graf Odo von Macon als ſchon todt erwähnt, deijen Nachfolger wie der Vor— gänger des früher erwähnten Odo von Troyes Aledram heißt. Die Identität Beider ift wahrjcheinlich, zumal das Datum der Tejtaments= vollſtreckung des einftigen Grafen von Troyes 20. Juni 871—872 nit der Zeit von Odos Tod nad) der erwähnten Urkunde überein» Stimmt. Ueberdies gewährte ein Graf Audo an der Saone, wo Macon liegt, den Mönchen von S. Maur bei Angers um 864 Auf- nahme, und Odo von Troyes beſaß nicht weit von dem Klojter in den Gauen von Chateaudun und Blois Befigungen. Um jo wahr= Scheinlicher ift die Identität Beider?.

Boſo und Bernhard, mit denen Hugo durd) dieie Schenkung in Berührung fam, gelangten in derjelben Zeit zu jehr hohem Anjehn und verdrängten bald fajt alle Andern aus der Gunft des unbejtän= digen Königs. Karl der Kahle fette 872 früheftens im Mai feinen Sohn Ludwig, bis dahin nur Titularfönig, wirklich in Aquitanien ein®. Wahrſcheinlich dachte er dadurd dem Unabhängigfeitsjtreben

1 Mabille, Pancarte CXL, V und Les invasions des Normands, pieces justificatives Nr. 1, wonach feine Bermuthung, die Befeftigung jei furz vor dem Aufenthalt Ludwigs des Stammlers in Tours 878 vollendet ge- weſen, hinfällig wird.

2 Perard, Recueil de pieces curieuses pour l’hist. de Bourgogne ©. 141—149. LL. I, 426. Robert der Tapfere ©. 21 ff.

s Mabille 1. c. ©. 118. Auch der Name eines Odo gehörigen Gute villa Mauro kann auf Beziehungen feiner Familie zu S. Maur hindeuten, mo damals ein Odo Abt war. Mabillon A. S. ord. Bened. saec. 1V, 2, ©. 175 ff.

4 Ludwig fanın nicht, wie Dümmler I, 797 meint, ſchon im Beginn des

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des Landes im Hinblid auf die bevorjtehenden Kämpfe um Stalien entgegenzufommen und dauernde Ruhe dort herzuftellen. Denn die Häupter der mißvergnügten Partei, Bernhard von Gothien, den er durch die Verleihung von Autun gewonnen haben mochte, Bernhard von Auvergne und den dritten Bernhard von Zouloufe, dem er nad) Erneuerung jeines Lehnseides Carcaſſone und Rafez verlieh, ftellte er feinem Sohn zur Seite!. Indeß mußte er befürchten, daß dieſe Männer, wie einft feine Umgebung in Neuftrien, Ludwig zur Em- pörung aufreizen könnten. Daher ernannte er Boſo, den Bruder jeiner zweiten Gemahlin Rihilde, Grafen von Vienne, zum Kämmerer und erjten Thürwart Ludwigs und übertrug ihm die Lehen des in— zwifchen wohl gefallenen oder befiegten Gerhard von Bourges. Die Beruhigung Aquitaniens erfolgte für die übrige Regierungszeit Karls durch diefe Mafregeln wirklich, aber die genannten Großen gewannen einen bedeutenden unter Yudwigs Regierung bejonders hervortretenden Einfluß.

Auch einen andern Theil feines Reichs mußte Karl der Kahle zu fichern ſuchen, ehe er weit ausjehende Kämpfe um die Erbichaft Ludwigs II. und um die Kaiferfrone begann. Mehrere neuftrifche Gaue wurden nad) dem mißglücten Angriff auf ihre Inſel von den Normannen noch ſchwerer heimgefucht als bisher. Sie zerjtörten bie Burgen, brannten Kirchen und Klöfter nieder und verwandelten das Aderland in Wüſte.

Nach dem 16. April 872, vielleicht erjit Anfang 873, gelang es ihnen fogar fid) noch tiefer im Innern des Reichs feitzufegen ?,

Die Einwohner von Angers Hatten in Folge fteter Beunruhi— gung durch die Normannen die auf den Bergen des rechten Maine- ufers ſehr fejt gelegene Stadt verlaſſen, die Reliquien der Heiligen S. Albinus und Licinius vergraben.

Noch heute erheben ſich hoch über der Maine unweit der Mün— dung in die Loire und unterhalb ihres Zuſammenfluſſes aus Mayenne

Jahres eingeſetzt ſein, bis zum 20. April hielt fi Karl im eigentlichen Weft: franzien auf (Böhmer 1777--1779. Hincm.). Dann hört er auf dem Weg nad) S. Maurice, daß fi Ludwigs II. Gemahlin Engelberga, mit der er über deſſen Erbichaft verhandeln will, mit Ludwig dem Deutſchen verftändigt hat, und fehrt in Servais um, wo er die aquitanifchen Ungelegenheiten ordnet. Nach einem Zug nad) Burgund vermeilt er am 1. September in Gondreville, alſo kann die Sendung Ludwigs nad; Aquitanien nur vom Mai bis Auguft erfolgt fein. Für einen Aufenthalt Karls in Limoges am 13. Juli (Böhmer 1780) bleibt fein Raum, ſchon Bouquet beargwöhnt die Urkunde. Ann. Vedastini 878, SS. II, 197.

ı Mabilles Vermuthung (Royaume d’Aquitaine ©. 11), der um dieſe Zeit von Baffallen eines Bernhard, Sohn des Bernhard, getöbtete Bernardus Vitellus fei der Sohn des Kämmerers, ift unwaährſcheinlich, da fonft Hinfmar (872, SS. I, 494) an andern Stellen den unterjcheidenden Beinamen anmenden würde.

* Karls Urkunde für die Kathedrale S. Maurice, Böhmer 1719, ſpricht gegen eine frühere Befeung von Angers. Cartul. Sithiense ed. Guerard 116, gleichfalls gegen Regino 873, SS. I, 585.

XIV. 5

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und Sarthe die mächtigen Mauern des mittelalterlihen Schloffes. Die Nähe der ſchiffbaren Flüſſe begünjtigte die Raubfahrten der Nor— mannen, und der feſte Pla bot ihnen Sicherheit gegen die durch be= ftändige Leiden aufs höchſte erbitterte Bevölkerung, die gewiß manchen vereinzelten Trupp erichlug. Daher zog eine ftarfe Schaar mit Weib und Kind in die verlafjene Stadt ein, ftellte Mauern und Gräben wieder her und zog die Schiffe ans Yand!,

Die Beforgniß wurde in den benachbarten Gauen jo groß, daß die Ranonifer von Tours die Reliquien ihres Heiligen vor den Mauern der Stadt nicht für fiher genug hielten, fondern nad) Aurerre und Chablie flüchteten.

Schwerlich dachte der Führer der Normannen, wahrſcheinlich Hafting, wie die mit großer Ortsfenntniß verfaßte Abhandlung von Paillard S. Aiglan meint ?, an eine dauernde Dffupation des Landes, aber wenn die Normannen immer weiter vordrangen,' war dies ale Folge vorauszufehen, aljo ergriff Karl der Kahle endlich gegen fie energifche Mafregeln. Um die Normannen ficher zu macden und nicht in unzugängliche Gegenden entkommen zu laſſen, kündigte er im Auguft ein Aufgebot des gejammen Reiches gegen die Bretonen an. Das freundfchaftliche Verhältniß zu Salomo mochte in Folge der fortbejtehenden firchlichen Differenzen in der letzten Zeit geftört worden fein, aber auch für Salomo war die Anftedlung der Nor— mannen auf ber Grenze bedrohlich, zumal ihm feit 863 die Abtei ©. Aubin in Angers gehörte. Karl bat ihn als Verwandten und Gevatter freundlid um Hülfe, und e8 kam zur VBerftändigung zwiſchen Beiden, zu deren Herbeiführung die Grafen der Mark Hugo und namentlid) Gauzfrid, 858—861 Salomos Bundesgenofje, das Ihre gethan haben mochten 9. Salomo mit vielen taufend Bretonen lagerte jih auf dem rechten bretonijchen Ufer Angers gegenüber, während Rarl die Stadt auf dem rechten Ufer mit einem Wall umfchloß und mit aller damaliger Belagerungsfunjt und neuern Erfindungen ans griff. Salomo fchicte feinen Sohn Wigo mit den Vornehmiten ing fränfifche Lager, um als Thronfolger Karl zu Huldigen *.

Lange Zeit wurde auf allen Seiten tapfer gefämpft, die Nor— mannen wußten, daß ihr Leben auf dem Spiel jtand: die Ein- ſchließung zog ſich ohne Eutſcheidung in die Länge. Da famen die Bretonen auf den Gedanken den Fluß abzuleiten, um fich der nor= mannifchen Schiffe zu bemächtigen ®.

ı Hincm. 813, SS. I, 496, vgl. Prudentius 859, SS. I, 453 und Ro- bert der Tapfere ©. 63.

?2 Bibl. de l’&c. des ch. I, 1, Mabille, Invasions ©. 32.

s Chronif v. S. Brieur. Boug. VII. 220. Cart. de Redon ©. 190. Robert der Tapfere S. 56.

* Baillards Zweifel S. 348 find unbegründet, doch bezog fich die Huldi— —— —— nur auf die Erwerbungen ſeit 856, Robert der Tapfere

*Regino giebt Hier wie anderwärts über die Bretonen genaue Nachrichten, wohl weil fein Klofter in der Bretagne Befigungen Hatte. Das Chron. S

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Dieje Gefahr bewog die VBornehmen unter den Belagerten, Karl gegen freien Abzug ihre Huldigung, eine große Summe Geld und die von ihm gewünfchte Zahl von Geijeln anzubieten.

Anſteckende Krankheiten und Hungersnoth, die in der vermüfteten Gegend bei dem gewiß verfalfenen Trainweſen des fränkiſchen Heeres ausgebrochen waren, und Kampfüberdruß der mur zu kurzem Kriegs- dienft verpflichteten Maunfchaft bewogen Karl den Anträgen Gehör zu Schenken. Auch mochte er aus jchnöder Habjucht den Bretonen feinen Antheil an der Beute gönnen, gegen die er vielleicht in Zufunft wie 862 wieder normannifche Söldner brauchen fonnte.

So folgte er, gewiß zu großem Verdruß des wadern Hugo, Ihlehtem Rathe. Die Führer der Normannen leifteten durch ihren Eid und durch Geijeln Bürgichaft dafür, daß fie an einem fetge- feßten Tage, wahrjcheinlich Anfang Dftober, von Angers abziehen, ihr Leben lang Frieden Halten und auch andern Scaaren feine fernere Plünderung geftatten würden. Dafür erhielten fie Erlaubniß bis zum folgenden Februar auf ihrer Yoireinjel zu verweilen und Markt zu halten. Wer dann bereits getauft fei und wahrhaftig am Chriften- thum feithalten wolle, folle an den Hof kommen, und wer ſonſt nod) Chriſt werden wolle, die Taufe empfangen. Alle Uebrigen follten abziehen und nach dem weftfränfifchen Reich nicht wieder in übler Abficht zurückkehren’.

Abermals hatte Karl die Gelegenheit verfäumt, aus dem fchwer erfauften Bündnig mit Saloıno Nuten zu ziehen, indem er an der Seeräuberfhaar ein warnendes Beifpiel jtatuirte, das ihre Yandsleute vielleicht auf lange Zeit abgefchredt hätte. Die Normannen dachten, al8 die drohende Gefahr vorüber war, nicht an Abzug, ſondern haujten noch Schlimmer und graufamer als zuvor an der Xoire.

Wenigjtens mag er an den Getauften wie furz zuvor am dem alten Normannenhäuptling Rorich eine nützliche Verftärfung feiner Streitfräfte gewonnen Haben. Die normannifche Sage fnüpfte au ſolche Vorkommniſſe an, indem jie Haſting felbjt eine Zeit lang die

Sergii und Nannetense jchreiben ihn bis auf einige Nachrichten eines codex von S. Brieur faft wörtli aus, Bouq. VII, 53 und 220. Argentre, Hist. de Bretaigne, will nod Spuren diefes Kanals bemerkt haben (Depping, Hi- stoire des expeditions des Normands I, 205; die Ausgabe von 1580 ent- hält nichts davon). Bodin, Recherehes sur l’Anjou, t. I, ch. XIX, be zweifelt die Möglichkeit, dem zwiſchen zwei Uferhöhen fließenden Strom eine an— dere Richtung zu geben. Ich muß diefelbe mit Paillard, der aber zu jehr im Detail ausmalt, für die Vorſtadt auf dem rechten Maineufer anerkennen.

ı Hincmar ergänzt Negino, er hat fein tadelndes Wort für Karls Ber- halten, das er fogar als viriliter et strenue bei der Belagerung bezeichnet, und verweilt wohlgefällig bei den frommen Uebungen nad) der Einnahme. Da- gegen verurtheilen ihn die Ann. Vedast., SS. II, 190, wie Regino. ©frörer II, 106 deutet wie gewöhnlich allerlei in die Quellen hinein: Karl ſei mit den Normannen übereingeflommen, daß fie an einer bereits beftehenden Verſchwörung gegen Salomo theilnehmen follten. Pasfwithen nahm jedoch erft im Sriege gegen feinen Nebenbuhler Normannen in Sold. Reg. 874, SS. I, 586.

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Grafſchaft Chartres befigen läßt, während fränkische Sagen aus ihm einen abtrünnigen Bauer aus der Gegend von Troyes machen.

Karl beichloß feinen Feldzug, indem er mit den Bijchöfen und dein gejammten Heer die Reliquien der Heiligen Albinus und Licinius in feierlihem Gepränge in ihre Kirche zurüd brachte und reid) be— fchenfte. Dann ging er nad) le Mans, von wo er zur Belagerung aufgebrochen war. Schon am 12. October befand er fi) dort !.

Auc feine Gattin Richilde hatte ihn dorthin begleitet und ihren Aufenthalt zu frommen Werfen benutt. Vergeblich bat fie Gauzfrid, der zur Unterjtügung feines Bruders nah le Mans gejandt jein mochte, um Reliquien der h. Scolajtica für das von ihr auf Fa— milienbejig errichtete Kloſter Juvigny bei Stenay im Wavregau. Cie wandte fich, als Beide abwejend, vermuthlich weil fie zum Belagerungs- heer geflogen waren, an Biſchof Robert von le Mans, der ſchwer franf nicht an dem Zug hatte theilnehmen Fünnen, und erhielt von ihm den größten Theil?. Als Richilde mit Karl über Evreur und Piſtres nad) dem weſtlichen Franzien zurückfehrte, brachte ſie die Reliquien nad) dem fortan der heiligen Scholajtica geweihten Klojter. Karls Glück bewahrte ihn vor den Folgen, die der einfeitig gefchloffene Frieden für das Berhältnig Salomos zum wejtfränfifchen Reich haben fonnte. Der abermalige Mißerfolg des mit den Franken gemeinjam gegen die Normannen unternommenen Yeldzugs mußte Salomos Herr— ſchaft bei dem leicht beweglichen Geltenvolf erjchüttern. Seine An— näherung an die Sranfen und, gleichfall8 ohne wejentlichen Nuten, an das Papſtthum machte ihn gewiß vielen bretonifchen Großen verhaft, ohne doc die Franken in den eroberten Gebieten mit der Herrichaft eines Stammfremden auszuföhnen. So brad) eine Verſchwörung gegen ihn aus, die feinen Sturz herbeiführte. Ich jehe darin eine ähnliche Reaktion, wie er felbjt fie einſt gegen Erifpoe geübt hatte. Wie gegen Erifpoe verſchworen fich gegen ihn nahe Verwandte und Männer, die hoch in feiner Gunſt gejtanden hatten: Eriſpoes Schwiegerſohn Gurwand, Graf von Rennes, Salomos eigener Schwie- gerfohn Paskwithen und Wigo, Sohn des Rivilin, deſſen Name gleid)- falls auf Verwandtichaft mit Saloıno fchliefen läßt ®.

Zunächſt nahmen fie Salomos Sohn Wigo gefangen, er felbft flüchtete in die Landſchaft Poher in der Mitte der Bretagne nad) der Burg Plebelan.

Hier wurde er am 27. Yuni 874 überfallen und fränfijchen

ı Böhmer 1782. Die Nachricht des Chroniften von Brieur, Bouq. VII, 221, Karl fei bei Nacht in aller Stille abgezogen, verräth gegenüber dem Bericht Hinkmars, wahrjcheinlich eines Augenzeugen, die Erbitterung der von Karl in Stich gelaffenen Bretonen.

? Gall. christ. XIV, 362. Mabillon, Ann. Ben. III, 184.

Baskwithen ericheint in mehreren Urkunden Salomos, neben dem Thron- folger Wigo und ihm am 14. September 868, die beiden anderen Verſchwo— renen am 10. Februar 872; de Courson ©. 18 und ©. 207. Salomos Bater hieß Rivallon, feine Söhne Rivallon und Wigo, ein Graf Rivallon ift unter den Angejehenften in feinen Urkunden.

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Vaſſallen, namentlich einem gewiffen Fulcoald, die er ſchwer gefränft hatte, überliefert. Dieſe blendeten Salomo in fo graufamer Weife, daß er Tags darauf am 28. Juni ftarb!.

Salomos gewaltfamer Tod hatte zur Folge, daß er in Anfnü- pfung an feine Verhandlungen mit den Papſt als Opfer der Ufur- patoren auf den bretonifchen Biſchofſtühlen und als Heiliger ange— fehen wurde.

Das bretonifche Königreich, von jeher durch den Mangel einer fejtbegründeten Dynaftie gefährdet, zerfiel. Zwiſchen Gurwand und Pasfwithen brad) troß einer Theilung des Yandes Bürgerkrieg aus, aud) andere Grafen, namentlich die von Laon und von Golovia (wahrscheinlich Cornuaille), fuchten fich in ihren Gebieten unabhängig zu machen ?.

So verjchwand für das wejtfränfifche Neid) jede Gefahr von der Bretagne her, aud) die normannifchen Schaaren fanden im Sold der Prätendenten oder in der Plünderung der Bretagne auf eigene Hand lohnendere Beute al8 im Kampf gegen den tapferın Hugo.

Diefer wahricheinlich brachte, nachdem längere Zeit iiber Salomos Krankheit oder Tod Gerüchte umgelaufen waren, dem König in Compiegne genaue Nachricht. Mit weitausjehenden Plänen bejchäftigt, benugte Karl jchwerlic; die Gunft zu einem Verſuch das Verlorene wiederzugewinnen. Höchſtens mag er das auf dem bretonijchen Ufer der Maine bei Angers gelegene Klofter S. Sergius damald Hugo verliehen haben ®.

Uebrigens gaben die Unruhen in der Bretagne die Ufer der untern Loire jchutlos den Normannen preis. Sie fuhren wieder nad) Nantes hinauf, und Yandram, der damalige Biſchof, bat Karl den Rahlen ihm einen Ort anzumeilen, wo er den Sommer über ficher- leben fünne. Karl wies ihm Angers an und unterhielt die Geiftlichfeit der Diözefe von den Einkünften der dortigen königlichen Befitungen. Landram verweilte noch unter Raino, der 880 den Biſchofſtuhl be- ftieg, in Angers ®.

Zu diefen mißlichen Verhältniffen famen 873 und noch furdht= barer am Schluß des Yahres 874 Hungersnoth und Veit, die fait.

ı Hincm. und Reg. 884, SS. I, 497 und 586; de la Borderie, Bibl. de l’&c. des ch. V, 5, 396. Die Ehronif von ©. Aubin, das Salomo be- fefien, und die von Anjou aus einer Handidrift von Bendöme, Labbe, Nova bibl. I. 280, entjdheiden gegen den 25. Juni als Todestag, wo Salomo als Heiliger gefeiert wurde und den ber jpätere Chronift Le Baud angiebt. Auch die Nachricht des Chron. Namnet., Bouq. VII, 221, ift zu vermwerfen, die That jei bei Breft an dem jpäter Merzer Salami, Martyrium Salomonis, genannten. Ort geichehen.

3 Regino l. c. Chron. Namn., Bouq. VII, 221.

: Hincm. 1. c. Hugos Name befindet fi im Nefrolog des Kloſters, was bafür ſpricht, Gall. christ. XIV, 643. Da fpäter Alan wieder über S. Sergius verfügte, gehörte es wahrſcheinlich Salomo oder fand doc unter defjen Herr-

% Hist. Brittaniae Armoricae, Boug. VII, 52.

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ein Drittel der Bevölkerung des fränkischen Reiches vdiejjeit der Alpen fortgerafft haben ſollen!.

Mochte fein Volk noch fo fchwer leiden, Karl der Kahle ſann nur auf äußern Glanz und Erweiterung feines Reiches, ftatt feine Kräfte der Heilung jo vieler innerer Schäden zu widmen. Als Kaiſer Yudwig II. am 12. Auguft 875 ftarb und Karl zu Pontyon feinen Tod erfuhr, berief er noch im Auguft feine in der Nähe woh— nenden Käthe und eilte mit unterwegs zujfammengerafften Streitkräften nad Ytalien. Bereits am 9. September 872 Hatte fih Karl von den in Gondreville verfammelten Bifchöfen Rath und Beijtand zur Behauptung des ihm von Gott gejchenkten Neiches und desjenigen, das ihm Gott noch jchenfen werde, erbeten und ſich von den weltlichen Großen treue Hiülfe verſprechen laffen, um zu feinem Reich nod) das zu gewinnen und gegen Jedermann zu vertheidigen, das Gott ihm ver- leihen werde. Schon 869 hatte er Bofo, dem Neffen der verjtoßenen Thietberga und Bruder Nichildes, die Abtei S. Maurice verliehen, die er jedoch gegen Hugos Bruder Konrad oder deffen Sohn Rudolf nicht zu gewinnen vermochte. Diefer behauptete da8 von feinem Bater, Boſos Oheim, Hufbert abgenommene Klojter als Lehnsmann Kaifer Pudwigs II. im Jahr 872, wo alſo Konrad fchon geftorben war? Boſo, fein Bruder Richard und zwei Grafen Bernhard, von denen der eine wohl der mit Bojo engverbundene Graf von Auvergne war, unterftügten aber unter den weltlichen Großen fat allein Karl in feinen italienifchen Unternehmungen. Sonſt herrſchte gegen diefe gleiche Abneigung wie einft unter Pippin gegen Kämpfe mit den Lan— gobarden, während die Ausdehnung des Reichs nad) Weſten bei dem noch immer regen Gefühl der Gemeinjanfeit unter den Franfen auf geringen Widerftand ſtieß.

Dagegen hoffte Papſt Johann VIII. von Karl Schutz gegen die jüditalienifchen Fürften, die Sarazenen und die drohende Herrichaft des fräftigen Ludwigs des Deutfchen über Stalien und ſchmückte den eitlen Fürften Weihnachten 875 mit der Kaijerfrone. Hinfmar erwarb fi) während des thörichten Römerzuges um Karl den Kahlen neue große Berdienite.

Während nämlich) Ludwigs des Deutſchen Söhne Karl von Schwaben und Karlmann von Baiern Karl in Italien entgegentraten, fiel er felbjt, nachdem er Weftlothringen mit leichter Mühe erobert, ins weſtfränkiſche Reich ein. Der flandrifche Graf Engelram, von Bofo und der Königin Richilde aus feinem Amt als Kämmerer und

ı Hincm. 873. Herici ann. S. Germ. Autiss., Bibl. de l’&c. des chr. V. 3.

2 Hincm. 869 und 872, SS. I, 486 und 493; LL.I, 518; Gingins Ta Sarraz, Arch. für fchweiz. Gefchichte VII, 118 Anm. 58: Rudolf übergiebt der gegenwärtigen Gemahlin des Kaiſers Engelberga Befigungen des Klofters in Tuscien zum Nießbraud).

So erkläre ih mir die Erhebung gegen Karl den Kahlen. Noorden, Hinkmar S. 313.

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dem ſtets im Intereſſe des Friedens geübten Einfluß verdrängt, Hatte ihn gerufen; auch unter den Biſchöfen fand Ludwig diesmal Anhang, während fie bei feinem erjten Einfall 858 meift treu zu Karl ge— halten hatten. Auch viele als Anhänger des Prinzen Karlmann ihrer Aemter und Befitungen beraubte werden ſich dem deutjchen König angejchloffen Haben!. Richilde, die mit Ludwig dem Stammler das Reich gegen ojtfränfifche Angriffe decken follte, ließ zwar die Großen fchwören das Reich zu vertheidigen, aber fie plünderten ftatt deſſen eben jo arg als die im Dezember einrücdenden oftfränfifchen Schaaren, oder erzwangen für ihren Beiſtand woiderrechtliche Konzeffionen von Ludwig dem Stammler.

Wie bei feinem erften Einfall verkündete Ludwig der Deutjche, er wolle nur das verlafjene Reich wiederherftellen und vertheidigen, für Frieden und Gerechtigkeit forgen und der Kirche die gebührende Ehre angedeihen laffen, nicht das Reich an ſich reißen.

Da ermahnte Hinfmar feine Diözeſan-Biſchöfe in einem Schreiben, das auch den übrigen Biichöfen und weltlichen Großen mitgetheilt wurde, zur Treue gegen den König und zum Aufgebot ihrer Mann— ichaften, deckte aber auch offen die Gründe der allgemeinen Unzufrieden- heit auf?. Einige Vertraute des Königs, Boſo und feine Freunde werden wir darunter zu verjtehen haben , verfügten faſt ausſchließlich über das Reich zu Gunften derer die ihmen veiche Gejchenfe gaben, während Karl fich gegenüber den früher angefehenjten Männern wan- felmüthig bewies ? und das Reich im Stich ließ, um ferneren Erobe- rungen nachzujagen. Er hielt fich die Möglichkeit der Unterwerfung offen, indem er feine Abwejenheit auf der von Lıldwig zu Soiffons berufenen Synode mit Krankheit entjchuldigte und einen Priejter be— vollmächtigte, an Beichlüffen, die nicht den Kirchengefegen und dem bifchöflichen Amt zuwiderliefen, theilzunehmen *,

In den Bitten vieler Großen, die den oftfränfifchen König be= wogen im Beginn des folgenden Jahres 876 in fein Reich zurüdzus fehren, haben wir wohl das Werk einer vermittelnden Partei zu jehen, welche auf gütliche Beilegung des Streits unter den Farolingiichen Fürften hoffte?. Da Hugo 879 einen Frieden unter Verzicht auf Lothringen bewirkte, fpäter die Berufung des ſchwäbiſchen Karl zum wejtfränfifchen König beförderte, it anzunehmen, daß auch er jett in diefer Richtung thätig war.

Aber Karl der Kahle war nicht gefonnen, ſich mit den ihm durch frühere Verträge, wahrfcheinlich zu Met 867 mit Ludwig dem Deut- chen, zugewiefenen Theilen der italienischen Erbichaft zu begnügen,

1 Hincm. 875, SS. I, 498. Dümmler I, 828.

2 Hincm. opp. II, 158. Flod. III, 26: Dümmler I, 829 ff. gegen Noorden S. 303 fi.

3 So ſuchte Bofo im Jahr 871 einen ihm Genehmen auf den Bildhof- ſtuhl von Senlis zu erheben. Flod. III, 26: Hinfmar an Bofo.

* Flod. III, 23: episcopis ad synodum Suessionis convenientibus.

5 Hincm. 876, SS. I, 498. Dümmler I, 832 ff.

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fondern juchte vielmehr als Nachfolger Karls des Großen noch mehr von deſſen einftigem Neich zu gewinnen. Dafür gewährte er Jo— hann VIII. die von feinem Vorgänger vergeblich erjtrebte vollfommene Unterwerfung der wejtfränfifchen Kirche unter päpftlihe Herrichaft. Schon hatte er am 2. Januar 876 dem Erzbiſchof Anjegis von Sens das Vikariat über Gallien und Germanien übertragen, Bejtre- bungen, die wohl am meijten zu der Verſtimmung Hinkmars und der Mehrheit der weitfränfiichen Biſchöfe beitrugen !,

Karl und Yohann VIII. dachten die Unterwerfung der weſtfrän— fiihen Kirche und. die Anerkennung Karls als Kaifer und Beherricher Italiens auch in feinem Erbreich auf dem Reichstag und der Synode von Pontyon vom 21. Juni bi8 10. Juli 876 durchzuſetzen ?.

Auch Ludwig der Deutſche war wegen feines Einfall$ zur Ver— antwortung gefordert; er erjchien natürlich nicht, jondern forderte in der Situng vom 4. Juli durd) mehrere Gejandte, darunter Adalhard vom Mojelgau, wahrjcheinlih einen Sohn des einft jo mächtigen Grafen Adalhard, den ihm vertragsmäßig zugeficherten Antheil an der Erbichaft Ludwigs IL. Johann und die Synode gingen darauf nicht ein, fondern thaten feine Anhänger und ihn jelbjt in den Bann.

Auh Hugo erichien auf dem Reichstag mit einigen getauften Normannen, die reich befchenft zu den Ihrigen zurücgefandt wurden, aber nad) wie vor gleich ihren heidnifchen Landsleuten Hauften,

In der Sikung am 30. Juni erklärte er mit den Großen aus Franzien, Burgund, Aquitanien, Septimanien, Neuftrien und Pro— vence auf Karls Gebot, daß fie den Kaifer einmüthig zu ihrem Be— ihüger erwählten und beftätigten. Mit den übrigen Bijchöfen und Aebten unterjchrieb auch Hugo nachträglich die Bejchlüffe der italienischen Berfammlung zu Pavia vom Februar 876°. Mit ihnen und den weltlichen Großen unter Hinfmars Vorgang mußte er aufs Neue einen jehr verflaufulirten Treueid ſchwören. Bald follte fich zeigen, wie = die häufige Wiederholung der Eide deren Bedeutung abgefchwächt atte.

Hugos Haltung in einer andern auf der Synode entſchiedenen Frage bewies, daß aucd er mit Karls italienischer Politif wenig ein- verjtanden war, die von Bojo, einem Glied der von ihm in der Perjon Hufberts bekämpften Sippe der Thietberga, hauptfächlich geſtützt wurde und jeinen Neffen Rudolf im DBefig der einen wichtigen Paß nach Italien beherrjchenden Abtei S. Maurice bedrohte. Johanus Hal- tung fand auch unter der römiſchen Geiftlichfeit Widerftand, die in Formoſus Biſchof von Porto einen begabten Leiter hatte. 872 hatte Formoſus als Bevollmächtigter Hadrians II. an der Unterhandlung der Raiferin Engelberga mit Ludwig dem Deutfchen über die italie-

: Noorden S. 300. 309. Mansi XVII, 225. ; = Nicht 21. Januar, Noorden 316. Hincm. SS. I, 500. 501. LL. 8 DL. 1, 533. 534. Dümmler I, 845,

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niſche Thronfolge theilgenommen!. Auch ftand er mit Hinkmar, dem Haupt der weſtfränkiſchen kirchlichen Oppofition, in nahen Beziehungen. Johann klagte ihn auf einer römischen Synode an, er habe als Haupt einer Verſchwörung gegen Kaifer und Bapft ſich ſelbſt auf den päpit= lihen Thron Schwingen wollen, und ließ ihn abjegen und erfommuni- jiren. Dies Urtheil wurde zu Pontyon in der letten Sigung am 16. Juli bejtätigt, was indeß Hugo nicht abhielt, ihm bei ſich Zu— flucht zu gewähren.

Ob Hugo, der fo jelten an Synoden theilnahm, bei jeiner ſehr weltlichen Richtung ſich an der in der erjten Situng nur unter Vor— behalt der erzbifchöftichen Privilegien und der in Uebereinftimmung mit den heiligen. Canones erlafjenen Defrete römischer Päpſte erfolgten An— erkennung des Anfegis als Primas betheiligt habe, ift jehr zweifelhaft.

Allerdings gab Hugo 876 fehr wider Willen der Mönche von S. Germain auf die Bitte des Erzbiſchofs Anfegis von Send dem von ihm kurz zuvor begründeten Klofter S. Remigius den Körper des heiligen Romanus, jcheint aljo in gutem Verhältniß zu dem Ri— valen des feinem Vater fo feindlichen Hinkmar gejtanden zu haben ®.

Bald nad) der Synode verweilte er in feinem Gebiet. Als Abt von S. Nignan in Orleans ließ er den Klerifer Neginald, mit Zu— jtimmung der Kanonifer, zu deren Yeibeigenen derjelbe gehörte, und des Nachfolgers Aftards auf dem erzbiichöflichen Stuhl von Tours Malhard oder Adalald al8 Lehnsheren der villa Appiariae, im Yau von Orleans (in vicaria Lodevensi), wo Reginald gebürtig dar, am 5. October 876 nad) römischen Recht frei ®.

Da Hugo am 5. October in Orleans war, nahm er an dem ejten franzöſiſchen Eroberungszug über den Rhein nad) dem Tode Ldwigs des Deutjchen nicht theil; denn ſchon am 8. October ſchlug d8 Heer eines einzigen der Söhne dejjelben Ludwig von Franken ud Sachſen Karl den Kahlen bei Audernad) ?.

Dagegen mag er, wie jein Better Konrad im Auftrag des Kö— nig vergeblih mit den..am 16. September in die Seine eingelau= fenn Normannen verhandelte, gegen Ende des Jahres mit den Loire: Nomannen zu thun gehabt haben®. Umſonſt hatte Karl der Kahle gega die Seine-Normannen ein Heer aufgejtellt. Von Johann zu einem neua Zug nad Stalien gedrängt, fette er im folgenden Jahr 877

Formofus’ Theilnahme an der Gejandtihaft, die Karl den Kahlen nad)

Italie einlud, ift ſchwach beglaubigt (Mansi XVII, 236). Dümmler, Auri« us nd Bulgarius S. 3, berüdfichtigt Hugos Stellung im folgenden Jahr nit, wenn er in Formoſus' Aufenthalt bei ihm einen Beweis gegen die fonft hervortetende Parteinahme für das oftfränkifce Herricherhaus fieht. Bol. Noorde. 321.

®2 Gall. christ. XII, 374.

® Boug. VII, 709 dvenft an Karl III., die Datirung anno I. regni Karoli mperatoris läßt ſich aber nur gezwungen fo deuten, da Karl III. im erſten Ihr feines Kaiſerthums das weftfräntifche Reich nicht beherrichte.

* Jincm. SS. I, 501. Dümmler II, 57.

5 ınn. Vedast. 876, SS. I, 502.

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die Verhandlungen fort; endlich ließen fie fich gegen 5000 Pfund Silber bereit finden das Reich zu verlajfen. Da das fränkische Pfund nur 367 Gramm fchwer war, würde der Tribut nad) heutigem Ge— wicht 3670 Pfund im Werth von etwa 110100 Thalern betragen. Doch betrug der Durchichnittswerth des Geldes in jener Zeit nad) den Getreidepreifen berechnet etwa das fiebenfache desjenigen um 1850. Dieje Lat fonnte bei der jenjeitS des Rheins fchon weit mehr als in Deutjchland entwickelten Geldwirthichaft wohl nur in Folge der ſchweren Scidjale des Reichs feit dem Ende der Regierung Ludwigs des Frommen fehr drückend erjcheinen. Sie wurde auf dem Reichs— tag zu Compiegne am 7. Mai 877 auf das urjprünglich weitfrän- fische Franzien und Burgund vertheilt!. Auch Hugo al Abt von ©. Germain in Auxerre, vielleicht aucd) als Abt von S. Vaaft und Graf von Nevers, mußte dazu beitragen. Alle weltlichen und geiſt— lichen Großen und füniglihen Vaſallen follten von jeder zum Herren— hof gehörigen Hufe einen Solidus zahlen (von denen 20 auf das Pfund Silber gingen, der Solidus hatte aljo einen Werth von etwas mehr als 1 Thlr. 3 Sgr., 2 Solidi zu Karl des Großen Zeit den Werth einer Kuh). Von jeder freien Hufe follten 8, von jeder Hufe eines Leibeigenen 4 Denare, halb von dem darauf Haftenden Zins, halb: vom Eigenthum des Inhabers der Hufe gezahlt werden (da der Solidus 12 Denare hatte, find dies 22 und 11 Silbergroſchen). Ferner follten alle Priefter nad) Verhältniß ihrer Einkünfte 4 Denarı bis 5 Solidi (11 Sgr. bis 5 Thaler 15 Sgr. 2 Pfennige) beitragen Die Biſchöfe wurden mit der Einziehung von allen, auc den den Kaiſer, der Kaiferin oder füniglichen Vafallen gehörigen Kirchen ihre Diözefe, die Aebte von denen ihrer Abtei betraut. Demnad) hatte aut Bug dafür zu forgen. Die Kaufleute und Städter follten nad) ihrer

ermögen jo Hohe Beiträge al8 möglich zahlen; fpäter auf dm Reichstag zu Kierfy wurde feitgefett, daß die jüdifchen Kaufleute T/e, die hriftlichen */ıı geben follten. Sogar Kirchenschäte mußten ın= gegriffen werden, um die Summe zufammenzubringen, was ſich nohl mit aus der Widerwilligfeit vieler Zahler erklärt. Wir fünnen um Beifpiel aus den Beihlüffen des kurz darauf ftattfindenden Reichsags zu Kierſy vermuthen, daß Boſo, Bernhard, Wido und andere Große ihren Antheil am 14—16. Yunt nod) nicht gezahlt Hatten ?,

Die geiftlihen und weltlichen Großen Neuftriens weftlid der Seine, namentlich aljo Hugo, mußten für die Loire-Normannen wie fie eben fonnten, eine bedeutende Summe zufammenbringen. Es iſt anzunehmen, daß jener durch das Abkommen mit ihnen in Anſpruh ge— nommen zu Compiegne nicht anweſend war. Sicher war er mmu—

ı Hincm. 877, SS. I, 508 und LL. I, 536, vgl. 540, c. 31. Dümmler II, 43 gegen Noorden 335. Bol. über die le arten "Soetbeer, Forihungen Iv, 318.

2 Hincm. 1. c. Ann. Vedast. SS. II, 196. Cap. Carisiac. LI. l, 540, c. 30 und 31.

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thig über Verträge, die ihm gewiß jchwere Yaften auferlegten, während Karl die Loire-Normannen vor wenigen Jahren hätte vernichten können und die Seine-Normannen durch feine Kämpfe mit den oftfränfifchen Herrichern zu neuen Einfällen verlodt Hatte.

Wie Bojo und Bernhard von Auvergne, der alfo wahrjcheinlic) feinen Antheil am Zribut nicht gezahlt Hatte, blieb auch Hugo dem Reichstag zu Kierfy fern!. Karl ernannte hier feinen nunmehr ein= zigen Sohn Yudwig zum Reichsverweſer und ftellte ihm für die allge- meinen Reichsangelegenheiten einen Rath zur Seite, dem unter Atı= dern Hugos Better Konrad von Paris und Abt Guelfo ange— hörten. So oft es mit ihrem Dienft beim König vereinbar fei, ſollten auch Bernhard von Auvergne und Boſo Ludwig Rath ertheilen. Außer dieſem Regentſchaftsrath, von dem der unbequeme Erzbifchof Hinkmar ausgefchloffen war, ernannte Karl noch bejondere Nathgeber des jungen Königs für feinen Aufenthalt in den Yanden jenfeit der Seine und jenfeit der Maas, aljo für Neuftrien und Lothringen. In Neuftrien waren es vor den übrigen Großen Abt Hugo und die Biihöfe Walter von Orleans, Gislebert von Ghartres und Wala von Aurerre. Da dieje Diözefe recht8 von der Seine lag, fpricht Hugos Ernennung für den durch Robert de8 Tapfern Belehnung mit Autumn, Auxerre und Nevers entjtandenen, nun weiter befejtigten Zuſam— menhang diefes Gebiets mit Neuftrien. Mlöglicherweife gab Karl Wala, den Bruder des Primas Anfegis, den andern als feinen Vertrauens mann bei; denn Wala und die Bilchöfe Willebert von Chalons aus Franzien und Arnold von Toul aus Lothringen follten Karl in feitgefetsten Frijten nachreifen, aud) jonjt jollte ihm jede wichtige Nach— richt durch Kuriere gemeldet werden ?,

Karl ftellte den Großen anheim, ihm aus ihrer Mitte Rath: geber zur Seite zu geben, worauf fie jedoch verzichteten. Dies war offenbar ein Compromiß, bei dem fie ſich den Anſpruch, die Hand lungen des Herrſchers zu überwachen, für die Zufunft vorbehielten ®.

Karls Miftrauen gegen die Großen und feinen Sohn beweift das von ihm erlangte Berfprechen, daß Richilde und feine Töchter im Fall feines Todes in ihren Bejigungen gejchütt fein ſollten, daß Richilde frei über ihre Kleine Tochter verfügen dürfe, und daß er, einem etwa noch gebornen Sohn das Recht auf einen Theil des Reichs wahrte (ec. 5 und 6). Dagegen gewährte er den Theilnehmern an feinem zweiten Römerzug eine Garantie, die meifPin zu ausgedehnten Mae als gejetliche Anerkennung der Erblichkeit der Lehen aufgefaßt worden iſt. Sie bezeichnet jedoch nur einen Schritt dazu, indem fie

ı Hincm. opp. U, 181 c. 7. LL. I, 537 ff. c. 12 und 15.

® LL.I, 539, ce. 15. 540, c. 15. Hist. ep. Autissiodorensium c. 39, Labbe, Nova biblioth. I, 434.

s a. a. O. c. 3 6. 537. Noorden S. 336 Anm, und Dümmler II, 44 ff. über die Bedeutung der Beichlüffe von Kieriy.

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für beſtimmte Fälle das oft gewaltfame Beftreben der Großen legi- timirt. Karl verfuhr aud) jo, um die Macht feines Sohnes einzu= ſchränken; denn analog wie die weltlichen Lehen jollten erledigte Bisthiimer behandelt werden. Sie werden unter Obhut des benachbarten Biſchofs und des Grafen gejtellt, bis Karl jelbjt darüber verfüge. Wenn ein Graf oder faiferlicher Vaſſall kinderlos oder während jein Sohn nad) Stalien gezogen, jtürbe, joll Ludwig die Verwaltung feiner Grafſchaft oder jeines Yehens Verwandten oder Bertrauten dejjelben gemeinfchaft- ih mit dem Biſchof und den Beamten anvertrauen, ähnlich bei Hinterlaffung eines ımerwachjenen Sohnes verfahren werden. Sogar ſolchen, die nad) Karls Tode der Welt entjagen und für ihn beten, oder folchen die ruhig auf ihrem Alod leben wollen, wurde die Ueber— tragung ihrer Lehen an Söhne oder Verwandte geftattet, die ihre Pflichten gegen den Staat zu übernehmen vermöchten.

Ein Gegengewicht gegen dieſe Konzefjionen bildete indeß die den Großen auferlegte Verpflichtung gegen ihre Aftervafallen in gleicher Weiſe zu verfahren.

Ferner wurde den nad Stalien Ziehenden für ihre Güter und Lehen der bejondere Königsſchutz zugefihert und demnach) Verlegung ihrer Immunität durch das Fönigliche Heer und durch Andere mit dreifacher Buße bedroht”.

Karl dachte bereitS an die Vererbung der Raiferwürde in feinem aufe, denn er bejtimmte, daß Ludwig nad) feiner Rückkehr einen ömerzug antreten ſolle. Dies Streben bedrohte die Großen mit

langwierigen Kriegen im entlegenen Italien und gab das Reich ſchutzlos oftfränkischen und normanniichen Angriffen preis. Was Half den Großen das Zugeftändniß, bei feindlichen Angriffen folle Ludwig nicht fofort alle Getreuen aufbieten, jondern mit bewährten Männern und erlejener Mannjchaft der Großen, die micht felbjt erfcheinen fünnten, aljo den fogenannten scarae, ins Feld ziehen, erſt in zweiter Linie alle Freien, deren Zahl und Waffentüchtigfeit in erfchredender Weiſe abgenommen hatte? Es wurde illuſoriſch durch die Beitimmung, daß alle Großen, ohne weitere Anordnungen zu erwarten, zu Hülfe fom- men follten, fall8 einer der oftfränfischen Könige Karl !vem Kahlen nach Italien entgegenziche.

Die dazu VBerpflichteten konnten ſelbſt beim beiten Willen die Burgen von Paris, S. Denis, auf beiden Seineufern, namentlich wohl Piftres, und an der Loire, worunter Angers, Tours, vielleicht auch Orleans zu verftehen find, nicht erhalten, wenn das Land von wehrfähiger Mannfchaft entblößt wurde ?.

Die Befeftigung von Karls Lieblingsplag Compiegne, wo furz zuvor die nad) dem Aachener Vorbild erbaute Marienfapelle eingeweiht war, follte vollendet werden.

ı L. c. c. 8-10 und 20. Dümmler II, 45. 2 L.c. c. 26 und 27.

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Der Reichstag ging auseinander, nachdem Gauzlin, einer der Käthe des jungen Königs, als Erzfanzler die vier wichtigften Punkte, Schuß der firhlicen Privilegien und der Rechte der weltlichen Großen und die Beitimmungen in Betreff der Fircjlichen und weltlichen Lehen, nochmals hervorgehoben hatte. Diefe wurden im der nächjten Zeit als Reichsgrundgeſetze betrachtet und von den Königen bei der Krönung beichworen !.

Karl verweilte, wohl zur Ordnung der lothringiſchen Angelegen- heiten vom 9—12. Yuli au der Djtgrenze feines Erbreichs, während fein Sohn mit den nicht am Römerzug theilnehmenden Großen, wor— unter fih auc Hugo befunden haben wird, die Tributzahlung an die Normannen rvegelte und fie zum Abzug nöthigte ?.

Das wird aud) an der untern Loire gefchehen fein; denn Abt Hugo befand ſich, vielleiht um darüber zu berathen, am 12. Yuli in Karls Umgebung zu Pontyon. Diefer beftätigte auf jeine Bitte einen Gütertaufch zwiſchen den nach Chablie geflüchteten Kanonikern von S. Martin und denen der gleichnamigen Abtei zu Autun fowie dem Nonnenflofter S. Yulian in Aurerre.

Noch auf dem Marſch nad) Stalien erwies Karl Hugos Abtei S. Martin eine Gunft, indem er ihr am 1. Auguft zu Monasterio- lum an der Saone mit der Erlaubniß ein mit den Privilegien des Mutterflofters ausgejtattetes Stift zu gründen, die villa Milei im Gau von Chalons verlieh °.

In Stalien gelangte Karl bald durch den Zug des bairischen Königs Karlmann über die Alpen in große Verlegenheit, hoffte aber durch Unterftügung des Markgrafen Bernhard von Gothien und Aus vergne, des Abts Hugo und Boſos fich behaupten zu fünnen. Durd) Bojo, der wahrſcheinlich um perſönlich Verſtärkungen herbeizuführen über die Alpen zurückkehrte, werden die genannten Großen Karls Auf- forderung erhalten und feine Bedrängniffe erfahren haben“.

Hugo und die Genannten leijteten aber die gehoffte Hülfe nicht, jondern traten an die Spite der Mehrzahl der Großen, die mit der italieniſchen Politik Karls unzufrieden waren.

II.

Welche Motive mochten den Abt Hugo bewegen fi) mit Boſo und den beiden Bernhards an die Spite des Aufjtands gegen Karl den Rahlen zu jtellen? Wahrjcheinlich beanfpruchte er al8 Vetter des Königs, zu deſſen Wiederherjtellung er 858 wefentlich beigetragen und dem er feit 866 treu gedient hatte, gleichen Einfluß auf die allge meinen Angelegenheiten des Reichs, wie er früher beim Abjchluß des

ı LL. I, 544. ® Ann. Vedast. 877, SS. II. ° RR Böhmer 1819 und 1822. Melecey nad) Mabille, Pancarte XVIII, * Gingins la Sarraz, Archiv für ſchweiz. Geſch. VII, 130 fi. Hinem. Ann. Vedast. 877, SS. I, 503 und II, 196.

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Friedens zu Koblenz 860 ihm geiibt Hatte, und wie ihn feine Vettern, Konrad und Guelfo, befaßen. Statt dejjen jehen wir ihn unbetheiligt bei allen großen ReichSangelegenheiten und die Intereſſen feines Bruders und Neffen durch Karls Schwager Boſo mehrfach beeinträchtigt. Ihm hatte Karl der Kahle ein confiszirte® Gut der Vadaldra, Gemahlin Konrads, wahrjcheinlih Hugos Bruders, verliehen; er fcheint damals den Befit der Abtei S. Maurice von Hugos Neffen Rudolf wirklich) erlangt zu haben, denn Karl zog 875 über S. Maurice, doch wohl durch befreundetes Pand, nad) Stalien !.

Boſos Theilnahme an Karls italienischer Politik Hatte ihm, der ſchon Graf von PVienne und Berry war, die Würde eine® archiminister sacri palatii und das Sendbotenamt für Italien mit dem Herzogstitel eingetragen. Auch fein Bruder Richard und vielleicht der mit ihm eng verbundene Bernhard von Auvergne zogen Nußen aus den ita= lienischen Zügen *. Hugos Gebiet dagegen wurde in Folge derjelben von der Reichsmacht ſich ſelber überlajffen und mußte gerade jett un— erichwingliche Laften zum Losfauf von den Normannen tragen.

Auch mochte Hugo Karls Politik gegen die Söhne Ludwigs des Deutschen, durch ihre Mutter Emmta feine Vettern, mißbilligen, denn er ftrebte fpäter ſtets ein friedliches Verhältniß zwijchen dem weft und ojtfränfiichen Fürften an.

Nur widerwillig mochte er bei der Zuſammenkunft mit Karl dem Kahlen in Pontyon die Heerfahrt nach Italien verfprochen haben und, als er Karlmanns Anrüden gegen ihn erfuhr, den Augenblid für gefommen erachten, wo unter dem mildgefinnten Yudwig dem Stammler für das Reich unter Verziht auf Italien bejjere Zeiten anbrechen fonnten und er an der Seite dejjelben den ihm gebührenden Plat einnehmen werde. Aber felbit als Karls rajcher Tod einem Bürgerfrieg vorbeugte, mußte der Verſuch, durch Auflehnung gegen den rechtmäßigen Herricher der Politif des ehrgeizigen Schwächlings entgegenzutreten, das Königthum, die einzige Repräfentation des Staats— gedanfens, im verderblicher Weile jchwächen. Hugos redliches Be— mühen die üblen Folgen wieder gut zu machen war vergeblich, obwohl er fih von nun an als die treuefte Stütze des wejtfränfifchen König- thums bewies. Freilich Fonnte fein Bündniß mit dem gewijjenlofen Antriguanten Bofo fein dauerndes fein.

Nod am 1. und 11. Auguft hatte Karl Boſo feine Gunjt be= wiefen, ihn feinen theueren Bofo, feinen geliebten Herzog genannt, aber Bojo war der Rolle eines ergebenen, wenn auch mächtigen Vas— fallen müde und mochte jchon hoffen, als Gemahl der entführten Tochter Raifer Ludwigs IL. Irmengard, diefelbe mit einer provenzalifch italienischen Königskrone vertaufchen zu können ?. Bernhard von Au— vergne hoffte wohl am Hofe Ludwigs des Stammlers, dem er mit

ı Hincm. SS. I, 498. Böhmer 1830. 2? Sie nahmen an den Beichlüffen von Pavia theil. Mansi XVII, 329 und 330.

s Regino SS. I, 587. Gingins la Sarraz a. a. O. VII, 128.

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Boſo und Bernhard von Gothien fhon feit 872 in Aquitanien zur

Seite jtand, noch höheren Einfluß zu gewinnen, als unter Karl dem

Kahlen, während Bernhard von Gothien von dem zu Kierfy einges

fetten Negentichaftsrath ausgefchlojjen worden war. So traten beide

& Bojo und Hugo an die Spite der Empörung gegen Karl den ahlen.

Die meiſten weltlichen Großen, ſelbſt einige Biſchöfe, ſchloſſen ſich ihnen an. Mußte doch ſelbſt der hervorragendſte Vertreter des hohen Klerus, Hinkmar, auf den ſich Karl ſo oft geſtützt, dem König die Vernachläſſigung ſeiner nächſten Pflichten vorwerfen. Ein Fürſt, der zwiſchen Schwäche und Willkür ſchwankte, deſſen Hauptcharakter— zug Unzuverläſſigkeit war, bot den geiſtlichen wie den weltlichen Großen nur geringe Bürgſchaft für die Aufrechthaltung der zu Kierſy erzwun— genen Zugeſtändniſſe. Selbſt bei dem Thronerben, dem Boſo und die beiden Bernharde nahe geſtanden, rechneten die Verſchworenen wohl auf nur lauen Widerſtand, wenn nicht auf heimlichen Beifall.

Karl der Kahle Hatte Ludwig ſeit feiner Empörung im Jahr 862 mie wieder rechtes Vertrauen bewiejen und feine Wahl zum Nachfolger wahrjcheinlich von der Verſtoßung feiner Yugendgeliebten Ansgard abhängig gemacht !.

Sp jtanden die Dinge auch im Weftfranfenreich fehr fchlimm, als er fi) auf die Nachricht von Karlmanıs Anrüden Anfang Sep- tember mit feiner Gemahlin nad) Tortona zurückzog und die Schredens- funde vernahm, daß jich mit Hugo, Bojo und den beiden Bernharden, deren Zuzug er erwarten wollte, die meiſten andern weltlichen Großen, ſelbſt Bilchöfe, verfchworen hatten und nicht fommen würden.

Mit den ihm gefolgten Großen namentlich werden uns die Grafen Goiram und Pippin und Heribert, die beiden Enfel Bernhards von Stalien, genannt eilte er in fein Erbreid) zurüd, Die Dy- fenterie, die ihn fchon ein Jahr vorher befallen hatte, wurde des tief erfchütterten, von der höchften Stellung in der Chrijtenheit an den Rand des Abgrunds gefchleuderten Kaiſers Herr. Es bedurfte feines Giftes feines jüdiichen Yeibarztes, die am 6. Dftober 877 zu Brio im Arcthal, vielleicht Avrieur am Fuß des Mit. Genis, eintretende Auflöfung feines zerrütteten Organismus zu befchleunigen. Freilich erfolgte die Verwejung fo raſch, daß feine Reſte zunächſt nur nad)

dem Heinen Klofter Nantua in der Brefje am Weftabhang des Jura gebracht werden fonnten ?,

Es blieb dem troß aller Wechjelfälle vom Glück hochbegünftigten

Fürſten erfpart, einen zweifelhaften, wenn nicht hoffnungslofen Kampf

ı Robert der Tapfere Erfurs VII. Dümmler II, 44.

2 Gfrörer II, 154 nimmt an, Karl jei auf Anftiften Karlmanns oder der Berichworenen vergiftet. Dümmler II, 55 und Gingins la Sarraz a. a. O. iprechen über die von Hinfmar und Adelerius, Mir. S. Benedicti, Mabillon A. S. II, 293, geglaubte Vergiftung fein beftimmtes Urtheil aus. Ich ſchenke mit Noorden ©. 345 den Ann. Fuldenses, SS. I, 391, Glauben, die Karl einer Krankheit erliegen laſſen.

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um fein Erbreich kämpfen, wohl gar dem eigenen Sohn erliegen zu müſſen.

Ludwig der Stammler erfuhr den Tod ſeines Vaters in dem Jagdreviere Orreville bei Doullens wohl Mitte Oktober. Er be— mühte ſich durch reiche Vertheilung von Abteien und Kronlehen An— hänger zu gewinnen, reizte jedoch den Regentſchaftsrath, da es ohne Befragung der Großen geſchah und er über Lehen im Beſitz Anderer, wahrſcheinlich Aufſtändiſcher und des Abfalls Verdächtiger, verfügte!.

Zumal nach den zu Kierſy gemachten Zugeſtändniſſen wird ſein Verfahren die mißvergnügte Partei verſtärkt haben, unter der wir auch den Erzkanzler Gauzlin Abt von S. Amand und S. Germain des Pres, vermuthlich auch ſeinen Bruder Gauzbert von Maine und Graf Konrad von Paris finden?.

Mit den Treugebliebenen ging Ludwig über Kierſy und Com— piegne nach der Pfalz Ver auf dem Wege nach Paris. Da ſein Vater inzwiſchen ſchon in S. Denis beſtattet war, zog er ſich auf die Nachricht von der feindlichen Stimmung vieler Großen wieder nad) Compiegne zurül. Zu ihm hielten wahrſcheinlich der Kämmerer Theodoric) , der Oberjägermeiiter Adalelın Graf von Paon und der Ludwig verjchwägerte Graf Aledram? von Troyes und Macon ; denn fie werden unter dem Verſchworenen nicht erwähnt und jtanden bei Ludwig und deifen nächiten Nachfolgern in hohem Anjehn *.

Dagegen jchloß ſich die Kaiſerin Richilde den Unzufriedenen au, die im Beſitz der Kroninfignien und der legtwilligen Verfügung Karls des Kahlen war. Stand doc ihr Bruder Bofo an ihrer Spiße. Sie lagerten, das Yand weit und breit ausraubend, am Mons Vit- marus beim Klojter Avenay >, dann näher an Compiegne zu Casnum, Chesne Herbelot, im Walde Cotia. Hinfmar trug Yudwig dem Stammler den Undanf feines Vaters nicht nad), der ihn zum Unter-

! Hincm. Opp. II, 184 an Ludwig den Stammler c. 9.

2 Hincm. 1. e. c. 7. Noorden ©. 350.

s Am 10. April 868 unterzeichnet ein Graf Aledram eine Gerichtsur- funde für S. Denis, Tardif, Archives de l’Empire, Paris 1866, Nr. 202. Am 8. Juni 871 erjcheint ein Aledram als Graf von Macon, der wahrfchein- lich um diefelbe Zeit die Betätigung von Befitzungen des Kloftere Moutier Ta Celle auswirkt (Böhmer 1775 und Boug. VII, 642 ohne Datum, aber Bodo wird 872 neben Biſchof Dtulf von Troyes genannt, dem er nad 878 folgt. , Gall. christ. XII, 491 und 542). Das in letsterer Urkunde genannte Salvi- niacum ift wohl identifch mit dem Silviniacum, Bouq. VIII, 547 vom 10. Januar 859 und der dort genannte Graf Aledram von Troyes fein Bater (vgl. Böhmer 1726).

Sn den erwähnten Urkunden wird Aledram als dilectus comes et mi- nisterialis bezeichnet, dagegen am 1. Januar 879 (Böhmer 1847) von Ludwig dem Stammler als dilectus propinquus, er wird es aljo durch Ludwigs zweite Gemahlin Adelais na 871 geworden fein.

* Opp. II, 179, c. 1. 4 und 6.

s S. Monod über die Ausgabe der Ann. Vedastini von Dehaisne, Revue critique April. 1872. Mont Aimd in der Gemeinde Bergdres les Bertus, im 15. Jahrhundert zerftört, im 13. Mons Wiomari genannt.

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gebenen des Erzbiſchofs von Sens hatte herabdrücken wollen, fondern gab ihm, durch Kränfheit verhindert dem jungen König perjünlich zur Seite zu ftehen, brieflid) den erbetenen Rath. Vor Allen folle Ludwig auf Verhandlungen mit den Großen eingehen und der Habgier feiner Umgebung Schranken jegen.

Ludwig bewilligte denn auch den Häuptern der Unzufriedenen die geforderten Befigungen. Wahrjcheinlih damals erhielt Boſo die GStatthalterfchaft der Provence und Gauzlin die Abtei S. Denis, Hugo vielleicht die Obergewalt über die burgundijchen Grafichaften Nevers, Auxerre und Langres!,

Terner bejtätigte Yudwig feiner Stiefmutter alle Befitungen,, worauf fie Karls des Kahlen Verfügung über alle jeine Reiche zu Gunften Ludwigs und die Kroninfignien übergab ?,

An demfelben Tage, dem 30. November, gelobte Yudwig der Stammler den Bifchöfen die Geſetze und Regelu der Kirche zu beob- achten und dem Volk alle Gejege und Verordnungen feiner Vor— fahren nach dem gemeinfamen Rath feiner Getreuen zu bewahren ?, Dann Huldigten ihm alle Großen unter Vortritt des Erzbiſchofs Anfegis. Nicht durch eine Berfaffungsänderung, fondern durch die Vorgänge bis zur Krönung Ludwig des Stammlers durch Hinfmar am 8. Dezember 877 in der Marienfapelle zu Compiegne hatte das wejtfränfijche KönigtHum eine weitere Schwädhung erfahren. Ludwig hatte ſich verpflichten müſſen, die Nechte und Bejigungen der Kirche, dem erjten Artifel von Kierfy gemäß, ungefchmälert zu erhalten; auc) die weltlichen Großen hatten ihm nur gegen den wenn auc nicht Ichriftlichen Verzicht auf die freie Verfügung über alle Kronlehen und gegen Gewährung anderer Vortheile anerkannt. Neben dem treuen Kämmerer Theodorich übten namentlic) die Häupter der Verſchwo— renen Hugo, Boſo und Bernhard von Auvergne unter dem frommen mild» und gerechtgefinnten, aber feineswegs energiſchen und ſchon durd) das Gebrechen des Stammelns gemäß in feinem Anſehn geſchmä— lerten Fürjten den maßgebenden Einfluß auf die Geſchicke des Reichs“. Hinfmar Hatte ihm befonders gerathen, ſich mit guten Rathgebern zu umgeben, die Vernachläffigung aufrichtigen und forgfältigen Raths habe ſich unter feinem Water befonders fühlbar gemacht, doch gewann er jelbjt feinen großen Einfluß wieder, zumal ihn Krankheit oft an feine Diözefe fejjelte.

An Ludwigs Weihe mögen ſich nad) Hinfmars Vorſchlag Ver: handlungen über Zujchüffe zum Hofhalt und zur Reichsverwaltung

1 Unten ©. 91.

2 Dümmler II, 116. Noorden 359.

® Hincm., SS. I, 505 unten. Die Eingangsformel: Ludovicus misericor- dia Dei et electione populi constitutus, ſcheint auf einen förmlicdhen Wahl— akt zu deuten, wird ſich aber auf die früher zu Reims erfolgte Zuftimmung der Großen zu feiner Nachfolge beziehen.

* Moorden 353 und 354 Anm. gegen Dümmiler I, 798. Aimoin Mir, 8. Benedicti, SS. IX, 374. Reg., SS. I, 591.

XIV. 6

82

geknüpft haben, die namentlich in Folge des unter Karl dem Kahlen gewiß ſehr verringerten Bejtandes und Ertrages der Krongüter nothe wendig wurden. Dadurch ſtieg aber auc in finanzieller Beziehung die Abhängigkeit des Königthums von den Großen, Hinkmar hoffte wohl von einer regelmäßigen Bewilligung an den König Minderung der jchweren Yajten der Kirche. Dafjelbe Ziel hatten die Viſionen des Reimjer Klerifers Bernold, der Karl den Kahlen, weil er Hinf- mars Rathſchläge nicht geachtet, in den Qualen des Fegefeuers er— blickte!.

Auch die von den kanouiſchen Geſetzen geforderte freie Biſchofs— wahl konnte Hinkmar nicht durchſetzen und bedrohte deshalb Ludwig mit dem Urtheil Gottes. Ludwig erkannte wie ſeine Vorgänger und unter Einfluß des ſchon jetzt mächtigen Abts Hugo nur das Zuſtim— mungsrecht des Erzbiſchofs bei der Wahl von Suffraganen an?.

Dagegen wurden in Hinkmars Sinne, gewiß auch mit Beifall des Abts Hugo, Geſandte an den Franken- und Sachſenkönig Ludwig geſchickt, um ſich wegen der Feindſeligkeiten Karls des Kahlen zu ent— Tchuldigen und Frieden zu erhalten. Der Beicheid war nicht definitiv, aber gewiß nicht ungünftig®. Wir finden Hugo noch im Beginn des Jahres 878 am Hof. Die in Noviniacum vielleicht Noviomacum Noyon —, am 29. Januar ausgeftellte Urkunde zeigt, daß er damals mit Bojo in gutem Einvernehmen ftand. Denn diefer fchenfte feinem Klofter S. Germain in Aurerre das mehrfach erwähnte aus dem Fisfus an ihm gefommene Modolaicus in Tonnerre und Auxerre. Hugo als Abt erhielt wahrfcheinlicd den Niekbraud) de8 Guts, das einft zur Morgengabe der Gemahlin Konrads, wahrjcheinlich feines Bruders, gehört hatte *.

Hugo mag bei diefer Zufammenfunft den König veranlagt haben, zur Herftellung der Ruhe und Ordnung nach Neuftrien zu gehen ®. Er war ſchon im April in Tours und taufchte mit, dem VBicegrafen Atto und deffen Gemahlin Emma Güter. Hugo erhielt Land zu Sanbonne (Weiler in der Gemeinde S. Jean ©. Germain), zu Mazere in der Vicarie Doulus (in der Gemeinde Reignac) und zu Viis superior in der PVicarie Abilly (Canton de la Haye; beide im Arrondijjement Loches). Er gab dafür Atto Land in der lettge= nannten Vicarie, der Billa Preuiliy®. Es ift die erfte Urkunde von ©. Martin, in der, wie fortan häufig, ein Vicegraf erjcheint. Nas türlich bedurfte Hugo, der jetzt oft in Reichsangelegenheiten bejchäftigt

ı Hincm. Opp. II, c. 8 und Flod. hist. Remens. III, 3 und 18. Noorden 352.

2 Moorden 375. Flod. III, 19.

® Hincm. l.c. c. 8. Ann. Fuld. 877,

* Böhmer 1830. Bougq. IX, 399.

5 Hincm., SS. I, 506.

® Mabille, Pancarte noire CI. Die Urkunde fünnte nad) der unge» nauen Datirung auch unter Ludwig III. nad) dem 10. April 879 oder vor dem 10. April 880 fallen, aber Hugo hatte in der unfichern Zeit nad Ludwigs des Stammlers Tode wichtigere Geſchäfte.

83 war, ftändiger Vertreter in feinen Graffchaften. Dies ift aber der ganze Hiltorische Kern der ſpätern chronitiichen Nachrichten, die den Urſprung des angiovinischen Orafenhaufes mit Ludwig dem Stammler in Beziehung bringen. In diefer Zeit fennen wir nur Atto als Bicegrafen von Tours.

Vielleicht läßt fi die Einſetzung folder Beamten auf die Ver- theilung von Lehen in Neujtrien nach dem Math Roberts des Tapfern im Jahr 865 zurüdführen? Die Gewalt der Mächtigeren unter den Großen entwidelte ji eben immer mehr zur Obergewalt in größern Gebieten, zum Herzogthum.

Ludwig der Stamunler folgte nad) den 2. April 878 dem Ruf feines treuen Abts und Markgrafen Hugo, um ihn gegen die Nor— mannen zu unterſtützen und in Neuſtrien geordnete Zuſtände herzu— ftellen ®.

so hatten nämlich die Söhne de8 Grafen Gauszfrid von Maine dem Sohn des gejtorbenen Grafen Odo Burg und Yehen feines Va— ters entriſſen“. Odo war vermuthlich der Jugendfreund Ludwigs und Bruder jeiner erjten Gemahlin Ansgard, dejjen Vater Harduin, in Neuftrien mächtig, wahrſcheinlich Graf von Algia (Pays d’Auge) war. In dem Lande nördlid) von Maine, wo diefe Yandichaft Liegt, oder weſtlich davon werden wir Odos Befigungen zu fuchen haben. Vielleicht hatte Odo Chartres erhalten und Odo, einer der Verthei— Ser ‚von Shartre8 gegen die Normannen im Jahr 886, war jein

ohn?,

a Gauzfrids Unternehmen Hing wahrjcheinlich das Iminos ober Emenos, de8 Bruders des Markgrafen Bernhard von Gothien, zufammen, der durch feine Mutter Bilehild Gauzfrids Neffe war. Derfelbe Hatte ſich Evreux bemächtigt, verwüftete die Gegend ringsum und bedrohte fogar den nahen Gau von Rouen ®,

Schon am 31. Oftober 876 legte Johann VIII. bei Karl dem Rahlen für einen gewijfen Emmenus Fürbitte ein. Er billige feinen ftrengen Ridhterfprud), da ihn aber Emmenus geduldig ertrage und jetst dem Raijer, dem PBapft und vielen Andern nüte, möge der Kaiſer feiner früheren Treue und Liebe eingedent Gnade walten lajjen?.

ı Mabille, Les invasions normandes dans la Loire ©, 34.

2 Hincm., SS. I, 471.

3 Vielleicht in diefe Zeit fallen Hinkmars Briefe an den Grafen Theo- dorich, den wir uns in Ludwigs Gefolge denken müffen, Flod. III, 26. Hint« mar jhidt ihm die Namen der von ihm zum Dienft des Königs Beftimmten und Geldgefchente, während der König in dem von den Normannen verheerten Gebiet meilt.

4 Bielleicht die Grafen Gausbert und Gauzlin. Mabille, Pancarte XVII, CXX und dronologifches Berzeihniß S. 184 Nr. 119.

5 Mobert der Zapfere Erfurs VII. Abbo de bellis Parisiacae urbis I, 645 ff., SS. II, 790.

6 Nach der anjprechenden Eonjektur von Pert, Hincm. SS. I, 506 3. 5, Rotomicum ftatt des unverftändlichen Eiricum.

7 Yaffe 2285. Mansi XVL, 11.

6*

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Außer der perfünlichen Bitte des Emmenus, den ich mit unferm Emeno identificire, hatte wohl feine Theilnahme am erjten Römerzug Johann zu der wahrjcheinlic erfolgreichen Verwendung veranlaft. Seine und Gauszfrids Ansprüche waren vermuthlid) bei Ludwigs Thronbejteigung nicht erfüllt worden, und jie benugten die Schwäche de8 Königthums zu gewaltthätiger Erweiterung ihrer Macht. Wie fein Bruder Beruhard in der Touraine, war wohl auch Emeno hier oder in den angrenzenden Gauen begütert!.

Ludwig der Stammler fonnte zunächit den Empörern nicht ent— gegentreten, deun er wurde durd eine lebensgefährliche Krankheit im Kloster S. Martin gefejfelt. Erſt als er einigermaßen hergeftelit war, vermittelten einige feiner, Käthe, vielleicht auch) Hugo, im In— terefje feines alten Kampfgefährten Gauzfrid. Diefer erichien mit feinen Söhnen vor dem König und übergab Burg nıud Pehen, die er ufurpirt. Ludwig geftand fie ihm dann al8 Lehen zu, ließ aljo im Gefühl feiner unfichern Stellung den Sohn feines Freundes und Schwagers Odo im Stich. Vermuthlich fällt diefer Ausgleich in die Zeit, wo Ludwig nad einer in S. Martin am 31. Mai auf Hugos Bitte dem Mönch Widrad zur Gründuug einer Zelle des Heiligen Flavianus, Notre Dame de Sare Fontaine in der Diözefe Langres, feine völlige Genefung abwartete *.

Ganzfrid fuchte ji) für die fünigliche Gnade danfbar zu beweifen, indem er Ludwigs Macht nach der bretonijchen Seite erweiterte. Karl hatte auf dem Reichstag zu Kierjy beſtimmt, daß die Salomo und feinem Sohn zugeitandene Königswiürde nad dem Tode der Berech— tigten den bretonifchen Herzogen entzogen werden folle. Damals Scheint Hugo die vorher und nachher bretonijchen Herzogen gehörige Abtei S. Sergius und Bahus in Angers erhalten zu haben ®.

Nad) dem am Anfang des 11. Jahrhunderts verfaßten Leben des heiligen Gildas fünnte man annehmen, daß ſchon vor Paskwithens Tod zwifchen dem 12. Juni 876 und 877 Kämpfe zwifchen Franken und Bretonen ftattgefunden hätten. Aus Gregor von Tourst er— giebt fi) aber, daß der Fall eines fränkischen Führers Beppolen, die Flucht eines andern Ebrachar nur gelegentlich der Erklärung des bre= tonischen Namens für den Gau von Barnes, Yand des Waroch, er- zählt werden und ſich gar nicht auf Alan beziehen?.

Dagegen kann man die Nachricht acceptiren, daß Paskwithen durch Meuchelmord gefallen fei. Noch vor ihm erlag Gurwand von

2 Mobert der Tapfere S. 79. Emeno mit Noorden S. 354 für einen Grafen von Poiton zu halten, ift fein Grund,

» Böhmer 1834 fälſchlich im Gau von Boulogne; ſ. Bouq. IX, 402.

® Gall. christ. VIII, 486. Der Netrolog des Klofters giebt auch feinen Tobestag.

* Greg. V, 29. VIII, 31. IX, 13. 18. 28. X, 31.

‚..’ _Mabillon, A. S. I, 139. Reg. 874, SS. I, 586. De la Borderie,

Bibl, de l’&cole des ch. V, 5, 399.

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Rennes nach einem Sieg über Paskwithen einer Krankheit, und es folgte ihm Judicael der Sohn einer Tochter Erifpoes, alfo wahr- ſcheinlich auch ſein Sohn. Diefer fcheint die Bretagne zunächft mit Pasfwithens Bruder Alan getheilt zu haben; doc) brachen zwifchen ihnen bald neue Kämpfe aus. Zumal Alan bald ſchwer erfranfte, war die Gelegenheit günftig, das DVerlorne wenigjtens theilweife wie— derzugewinnen.

Wirklich berichtet Hinfmar, daß Gauzfrid mehrere bretonifche Große bewogen habe, König Ludwig zu Huldigen. Bielleiht war Alan ſelbſt unter ihnen, um Unterftügung gegen Nebenbuhler und die Normannen zu finden. Denn diefer datirt feine Urkunde für Rédon vom 12. Juni 878 nad) dem erften NRegierungsjahr Ludwigs des Stammlers; an demfelben Tage hatte er fich durch den Biſchof Ermengar von Nantes in Mair jalben laffen, jedoch nur als Graf von Vannes, wozu demnach wohl mit Zuftimmung des weitfränfifchen Königs Nantes gehörte!. An die entlegenen Theile der Bretagne ift kaum zu denken, fondern, wenn nicht an Alan, an die Großen der ab— getretenen Theile von Maine und Anjou, Cotentin und Aoranches oder der gleichfall8 zum Theil von Franken bewohnten Grafichaften Rennes und Nantes.

Bei den verworrenen Verhältniffen, die bald über das wejtfräns fische Reich hereingebrochen, iſt e8 natürlich, daß die bretonifchen Großen, die Ludwig gehuldigt hatten, bald das loſe Lehnsband wieder zerriffen, wie Hinfmar mit den Worten andeutet, fie hätten wie Bre— tonen (d.h. treulos) gehandelt. Daher finden ſich feine weitern nad) Jahren fränfifcher Könige datirten Urkunden von Rédon.

Während Pudwig in S. Martin gefährlich krank lag, hielten am 29. Mat 878 die missi feiner Vertreter und Sendboten, des Pfalzgrafen Ragenar und des Erzbiichofs Adalhard von Tours, Theo— dacer und Adalhard in Tours einen Gerichtstag, Sie entjchieden den Streit de8 Kapitels der Kathedrale S. Mori mit dem Stift S. Martin um einen an die Billa Casellae grenzenden Strich Yandes ae Montlouis im Arrondijjement Tours zu Gunften des

tifts ®,

Ludwig “übte alfo bei feiner Anwejenheit in der Touraine bie königlichen Rechte in Bezug auf da8 Gerichtswejen aus, und Hugo befaß noch feine vollfommene Territorialgewalt.

Einigermaßen hergeftellt gab Ludwig Hugo und deſſen Kloſter mehrfache Beweife feiner Gunft. Am 20. Juni fchenkte er ©.

ı Cart. de Redon CCXXXVI ©. 182. De la Borderie, Bibl. de Vécole des ch. V, 5, 404 ff., macht wahrſcheinlich, daß auf diefer mißver— fandenen, falſch datirten Urkunde die Nachricht von zwei bretonifchen Ehronifen (Boug. IX, 83) beruht, daß Alan 879 nad) Bertreibung der Normannen und Unterwerfung aller bretonifchen Großen vom Heer zum Herzog der Bretagne ausgerufen ſei.

%* Mabille, Pancarte OXVIII und Les invasions ©. 49,

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Martin die Villa Merlaus am Indre im pagus Canciacensis (Merlaut im Gau von Changy bei Vitry Te Francais) und legte die Schenfungsurfunde eigenhändig auf das Grab des Heiligen, deijen Reliquien noch in Chablie ruhten. Am 24. Yuli gewährte er den Kanonikern Freiheit von Herberge und Herberggeld, ſowie Immu— nität für ihre damal8 um die Kirche S. Martin in Wiederaufbau begriffenen Häufer , Der König entfchuldigte fi, daß er feiner Kranf- heit wegen felbjt die Geiftlichfeit des Stifts habe in Anſpruch nehmen müſſen.

| Zu dem beabfichtigten Zug gegen die Normannen kam es nicht, da Ludwig auf wiederholte dringende Aufforderungen Johanns VIIL zum Konzil nach Troyes ging.

Johann fuchte bei dem Sohn des von ihm eingefetten Kaifers Schutz gegen feine Bedränger, namentlich die Guidonen von Spoleto und die Sarazenen, und dachte in ihm einen gefügigern Thronkandi— daten für Italien und das Kaiſerthum zu finden als in den Söhnen Ludwigs de8 Deutichen. Schon von Rom aus forderte er ihn auf, fich zur Vertheidigung der heiligen Mutter Kirche zu rüften und die ganze weſtfränkiſche Geiftlichkeit zur Synode anzutreiben. Um nicht nochmals in die Gewalt Lamberts von Spoleto zu gerathen?, floh er ing wejtfränfifche Neid. Am 11. Mai in Arles gelandet, dachte er in yon, wohin ihn Herzog Bofo geleitete, ein Konzil zu halten.

Schwerlich war Ludwig, namentlih unter dem Einfluß des Abtes Hugo, fehr geneigt, fich auf fo weit ausfehende Pläne ein— zulaffen, während im eigenen Reich die Normannen hauften und fich ftetS neue Empörer erhoben?. Wenn auch SYohann die deutfchen Könige und Bifchöfe zum Konzil eingeladen Hatte und Herftellung freundjchaftliher Verhältniffe unter den Karolingern al8 Zwed feines Kommens betonte, waren doch die Söhne Ludwigs des Deutjchen nicht gefonnen auf Stalien zu verzichten und den Papſt als Scied- richter anzuerfennen. Sie antiworteten nicht einmal. Ludwig der Stammler mufte vorausfehen, daß entjchiedenes Kingreifen in die italienischen Verhältniſſe fein Einvernehmen mit den Vettern er— Schweren werde. Daraus, nicht aus feiner Krankheit erflärt fich wohl, daß er lange zögerte, nachdem er vor dem 10. Juni auf Wunſch des Papftes Troyes zum Ort des Zufammentreffens beſtimmt hatte. Johann forderte daher im Juni oder Juli durd) einen fehr fchmeichelhaften Brief den Abt Hugo nochmals auf, mit dem König eilig zu fonmen. Er nennt Hugo den wadern ausgezeichneten Abt von Föniglichem Gefchlecht, feinen geliebten Sohn; mit ihm und Lud— wig werde er die Chriftenheit erhöhen; Hugo möge feine Traurig- feit über fein neuliches Ausbleiben in Pavia (im September 877) lindern und fi) von aller Gemeinfhaft mit den Erzbifchöfen Johann

» Böhmer 1835—37. Mabille, Pancarte LI und LII. °* Mansi XVII, 75. Dümmiler II, 75 ff. ® Unten ©. 88 fi.

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von Rouen, Adalhard von Tours und Frotar von Bourges ſowie von Formojus fernhalten !.

Wir fehn, wie zahlreiche Gegner Johann noch unter der weit fränfifchen Geiftlichfeit hatte. Obenein verlegte er Hinfmar und Ans jegis von Sens, den bisherigen Vikar von Gallien und Germanien, indem er Erzbiſchof Rojtagnus von Arles zu diefer Würde beſtimmte, offenbar um in dem Metropolitan der Provence wie in deren Statt» halter Bojo eine Stüge fir feine Pläne zu gewinnen. Doc, ließ er Roſtagnus bald fallen, der ohnehin nicht die erwartete Gefügig— feit zeigte.

Die Verftimmung des Papftes gegen Frotar, der gegen die ka— nonischen Regeln das von den Normannen verheerte Bordeaur mit dem vornehmſten Erzbisthum Aquitaniens Bourges vertaufcht Hatte und bei Eröffnung der Synode in Troyes nicht erjchien, fcheint Bern= hard von Gothien zur Förderung eigennügiger Pläne benutzt zu haben. Er Hagte Frotar an umd verweigerte ihm den Eintritt in Bourges, wo er ſich ſelbſt feftfeßte. Als Johann dies erfuhr, mahnte er Bern- hard in einem noch jehr fchonenden Schreiben ab *.

Nachdem FZohanır lange vergeblich auf den König gewartet hatte, eröffnete er die Synode am 11. Auguſt. Erſt zwijchen dem 11. umd 18. erichien Ludwig mit dem Abt Hugo. Beide unterfchrieben dem Dur des Papſtes vom letztern Datum für das Aegidienkloſter in Arles ®,

Am 5. September beftätigte Ludwig auf Hugos Verwendung den Kloſter S. Martin alle Befigungen, namentlich die neuerwor= been Milci, Merlaut und den Zufluchtsort Nogent en Othe, audj alle Freiheiten und Immunitäten in feinem Neich*.

Auf der Synode wurde über Hugos Schütling Formofus aber» mals der Bann geiprochen. Er ftellte fich, vielleicht auf deſſen Rath, ſchwor Rom nie wieder zu betreten, noch nad) feinem ehemaliger Bisthum Porto zu trachten und wurde als Laie wieder in die Kir— chengemeinſchaft aufgenommen. Cr blieb unter dem Schuß der Welfer, vielleicht auch des Erzbiſchof Anfegis von Sens, im Wejtfranfenreich und ſchenkte verichiedenen Klöſtern aus Italien mitgebrachte Reliquien, ſo den welfiſchen Familienklöſtern, am 6. Juli 882 S. Colombe in Sens?, deſſen Abt Hugos Vetter Guelfo war, dann dein Kloſter ©. Germain. in Aurerre.

Da Hugo nod im demfelben Jahr feinem Better folgte, For— moſus aber erjt nad) dem Tod Johanns VIII. am 15. Dezember 832 nad Rom zurückkehrte, mag Formoſus noch unter feinem Schuß

ı Yaffs Nr. 2364 umd 2370. Mansi XVII, 223. Hincm., SS. I, 506,

2 Yafie 2383 und 2384. Mansi’ XVII, 87.

® Perg N. 9 zu Hincm., SS. I, 506. Dümmler IT, 85 Anm. 5 gegen Yafls ©. 275. Jaffé 2395,

⁊Jaffé 2397. Bougq. IX, 167.

5 Chron. $; Petri Vivi Senonensis auetore Clario im 12 Yahr« hundert, Boug. IX, 32 ff. Ann. S. Columbae Senonensis, SS. I, 103.

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in ©. Colombe verweilt haben. Johann vermochte Hugo alfo nicht zu feinem ergebenen Anhänger zu machen.

Ludwig erlangte für fein Eingehn auf die Abfichten des Papftes von demſelben am 7. September 878 die zweite Krönung, die in ihm den Großen gegenüber das finfende wie einjt in Pippin das aufitei= gende Königthum der Karolinger mit höherer Weihe umgeben folfte. Aber er konnte nicht durchfegen, daß Johann durd Krönung feiner Gemahlin Adelheid feine zweite unfanonifche Ehe janktionirte. Diefe Weigerung mag zu der anderweit nicht beglaubigten Erzählung Ai— moins beigetragen haben, wonach Ludwig eine dem Kloſter Chelles entrijfene Nonne geheirathet habe !.

Auch lehnte Johann ab, die letztwillige Verfügung Karls des Kahlen über alle Neiche zu Ludwigs Gunften zu beftätigen, aljo feine Ansprüche auf Italien förmlich anzuerkennen, als die Synode eine Urkunde, mwonad Karl ihm S. Denis gejhenft habe, als Fälſchung einiger Biichöfe und Räthe des Königs, namentlich wohl Bofos, er- fannte. Daß Ludwig die von ihm ſelbſt Gauzlin verliehene Abtei dem Papſt fchenfen wollte, beweilt, daß der Erzfanzler in Ungnade gefallen war. Sein Bruder Gauzfrid und feine Verwandten Emeno und Bernhard Hatten fich offen aufgelehnt oder waren verrätherifcher Abfichten verdächtig, Hinfmar fchrieb damal8 an Gauzlin, der ihm al8 Zögling der Rheimſer Kirche nahe ftand, er folle feinen Neffen Bernhard von dem beabfichtigten Aufftand abbringen und wie feinen Bruder Ganzfrid mahnen, daß fie ihrer Väter eingedenf nicht untreu werden möchten. Gauzlin felbft folle fich nicht durch verwandtichaft- liche Zuneigung vom rechten Wege ablenken laffen . Hinfmars Be— forgniß war um fo begründeter, als Gauzlin furz vor dein 14. April 878 mit Bernhard das Klofter Saxiacum (Saiffi les bois in der Diözefe Aurerre oder wahrscheinlicher Seffien im Gau von yon) befucht hatte. Bernhard wird durch den Aufftand des Grafen Miro von KRouffillon und feines Bruders Huncfrid, der aus dem Klofter entflohen war, veranlaßt worden fein, nad) feiner Grafſchaft Gothien, zunächft nach Narbonne, zu gehen *.

Er war alfo damals dem König noch treu, aber Gauzfrids und Emenos Empörung zog auch) ihn in eine Verbindung gegen Ludwig den Stammler, vielleicht weil er auch unter ihm den gehofften Einfluß nicht gewonnen hatte. Bernhard wurde von Frotar, der inzwifchen die Anerkennung feiner Würde durch) den Papft erlangt haben muß, angeklagt, er habe Bourges, eine Graffchaft Boſos, Gegnern des Königs überliefern wollen und feinen Baffallen einen hochverrätheri= ſchen Eid abgenommen. Bernhard und feine Mitfchuldigen, nament-

ı Miracula S. Bened., SS. IX, 374. ® Flod. III. 24. ® Transl.S. Baudelii, Boug. IX, 111. Die Worte quo ut rex ibat erklären ſich aus der Abficht Ludwigs dem Papft entgegenzureifen. en Ei Le royaume d'Aquit. ©. 24 ff. Jafféo 2370. Mansi ‚86.

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(ih ein Vicegraf Gerhard verftelen nad) dreimaliger Ladung nad Schluß der Synode dem Bann. Noch vor ihm wurde in der Schluß— fitzung vom 10. September fein Bruder Emeno erfommunicirt, falls er fich nicht binnen 30 Tagen dem König unterwerfe. Hugo als der mächtigfte Große Neuftriens wird den Urtheilsſpruch vollzogen haben, wir hören von Emeno nichts weiter.

Erzbiichof Adalhard von Tours hatte fich mit Johann zu vers fühnen gewußt, denn, der Papſt fchritt zu Gunften der Metropolitan- rechte von Tours den bretonifchen Bijchöfen gegenüber ein und ftellte feiner Kirche einen Schutbrief aus, wonach namentlic) die Bijchöfe von Bourges, Limoges, Boitiers, Angers, le Mans die Ufurpatoren der Kirchengüter von Tours durch Erfommunifation zur Rückgabe derjelben oder Zahlung der widerrechtlich verweigerten Zehnten und Neunten bewegen follten!. Die Synode hatte im Allgemeinen Räuber und Verwüſter des Kirchenguts gebannt und bei fortgejetter Verſtockt— heit mit dem noch über das Leben hinauswirfenden Kirchenfluch be= droht. Dies wird aber fo wenig den weltlichen Großen wie den Biihöfen der Bretagne gegenüber ohne Hilfe eines Fräftigen welt lichen Armes gefruchtet haben. Der Papſt fuchte, um feine Pläne durchzuführen, den König noch enger al8 bisher mit Boſo zu. ver= fnüpfen, den er ganz im fein Intereſſe gezogen hatte. Boſo vor Allem wird unter den Räthen gewefen fein, auf deren Andringen Ludwig den Papſt am 10. September freundfchaftlich befuchte und zur fetten Situng der Synode begleitete.

In diefer that Johann auch Hugo, den Sohn Lothars II. und der Waldrada, in den Bann. Diefer hattenämlich im nördlichen Loth— ringen, wo fchon der Aufruhr des Prinzen Karlmann günftigen Bo— den gefunden hatte, zuchtlofe Abenteurer verfammelt und Haufte wahrfcheinlich im Pütticher Sprengel und den Nachbargauen plündernd und vermüftend. Man glaubte, er wolle fein väterliches Neich ge— winnen. Vergeblich ftellte ihn Hinfmar im Auftrag Ludwigs reiche Lehen in Aussicht, wenn er von feinen Freveln ablajje®.

Das enge Verhältnig zwifchen dem Günſtling des Papftes und dem König wurde am 11. September durch einen Beſuch Ludwigs bei Bofo befundet. Die Näthe, die ihm begleiteten, werden Hugo, Bernhard von Auvergne und der Kämmerer Theodorich geweſen fein ; fie mögen damals vor Gott einen Freundfchaftsbund mit Boſo ge— Ihloffen haben, an den fie Johann wenige Monate Später mahnte *,

Bofo und Irmingard nahmen die Gäſte glänzend auf, und Ludwig verlobte feinen etwa zmwölfiährigen Sohn Karlmann mit Bofos Toter. Dann verfügten die ihm begleitenden Großen über die Lehen des geächteten Bernhard. Theodorich erhielt die von mehreren Vorfahren bejejfene Grafichaft Autun, Bernhard von Auvergne wahr-

2 Mansi XVII, 93 und 94.

2 Mansi XVII, 385 und 350. ® Flod. III, 19. 23 und 26. * Mansi XVII, 101.

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ſcheinlich Gothien, der Reſt wurde an andere vertheilt. So hoffte wohl Johann viele angeſehene Große für das Intereſſe Boſos zu gewinnen. Er hatte ihn adoptirt, und Boſo, angeblich auf Ludwigs Rath, den Auftrag übernommen, die weltlichen Händel in Italien auszufechten, während ſich der Papſt den göttlichen Dingen widme !. Es ift wahrfcheinlich,, daß Ludwig mit den, was ihm Johann über feine Pläne mittheilte, einverftanden war, da er nidt die Kraft in ſich fühlte, perfönfich eine unmittelbare Herrichaft in Italien zu ges winnen. Mochte Boſo unter feiner Oberhoheit auch unter höherem Titel al8 bisher die ihn bereits von Karl dem Kahlen übertragene Gewalt ausüben, vielleicht konnte Ludwig unter günftigeren Verhält- niffen mit feiner Unterftügung die Kaiferfrone erlangen. Hugo und den anderen angefehenen Großen am Hofe mußte e8 angenehm fein, wenn Bofo außerhalb des weitfränfifchen Reichs Befriedigung für feinen Ehrgeiz fand. Freili waren fie fo wenig wie die meiften andern weltlichen und geiftlichen Großen geneigt, Bofos und Johanns Pläne in Italien, wie der Papſt forderte, mit dem bewaffneten Auf- gebot ihrer Leute zu unterjtügen ?,

Zunächft bewogen fie, während Bofo den Papft nad Italien geleitete, Ludwig zum Frieden mit dem mächtigften der oftfränfischen Fürſten, feinen gleichnamigen Better.

Die Empörung des Baftards Hugo, die auch den oſtfränkiſchen Theil von Lothringen bedrohte, und die VBerwüftungen der Normannen an der lothringifchen Küfte mußten den Franken» und Sachſenkönig zum Frieden geneigt machen.

Nach verschiedenen VBorverhandlungen trafen die Fürften am 1. November zu Fouron, wahrſcheinlich Fouron S. Martin bei Viſé in der befgifchen Provinz Lüttich, zufammen?, Ludwig der Stammler verzichtete auf Oftlothringen und kam mit feinem Wetter überein, dem status quo in den dieſſeits der Alpen gelegenen, d. h. burgundifchen, Landen Ludwigs IL. aufrecht zu erhalten. Weide behielter fi ihre Anrechte auf Italien vor.

Ferner fchloffen fie am 2. November ein Schuß- und Trutz⸗ bündniß gegen Heiden und falfche Chriften, d. h. Normannen und Empörer. Sie verbürgten fich gegenfeitig die Thronfolge ihrer le— benden und noch zu erwartenden Söhne und trafen den Beſchlüſſen des Frankentags von 851 in dem nahen Meerfen entiprechende Be— ftimmungen gegen Friedbrecher und zum Schuß der geiftlichen Güter. Zwar Fam e8 nicht zu der beabfichtigten Verfammlung aller Franfen- fönige zu Gondrevilfe bet Tonl, aber auch eine Fortdauer freundſchaft⸗ licher Verhältnijfe zwifchen dem oft= und weitfränfifchen Ludwig mußte für Beider Neich fegensreiche Folgen haben und wurde ohne Zweifel

ı Haffs 2421 und 2430. Mansi XVII, 97 und 101. Dümmler I,

3 Mansi XVII, 95. 3 LL. I, 545. Dümmler II, 95.

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bon dem auch den Söhnen Ludwigs des Deutfchen verwandten, mit ihrem Vater einft verbündeten Abt Hugo befördert. ine Folge de8 gejchloffenen Friedens wird c8 gewejen fein, daß Biſchof Agilmar von Clermont, der allein den Papft und Boſo nad) Italien begleitet hatte, vergeblich in Johannes Namen um die veriprochene Heeresmacht bat. Daß Boſos Stellung am Hofe eine fchwicrigere wurde, als er ohne Erfolg aus Italien zurückkehrte, beweift auch der Brief des Jo— hannes an Hugo, Theodorich und Bernhard, fie follten Ludwigs Ge— finnung für Boſo unverändert günftig erhalten und ſich jelbjt von ihm nicht durch Zuflüfterungen abwenden laſſen!.

Wir haben nur geringe Spuren von Kämpfen gegen die Nor= mannen und Empörer in der mächiten Zeit. Vielleicht bei einem jolchen plünderten Vafjallen Hugos, namentlicd ein gewiſſer Conterius, die Güter eines Mannes und raubten ihm Pferde. Auf die Klagen des Beſchädigten forderte der Papſt Markgraf Hugo zu energifchem Einfchreiten auf?,

In diefe Zeit müßten ferner die von Adelerius berichteten Kämpfe mit den Loire Normannen fallen? Dieſe follen unter Ludwig dem Stammler raubend und mordend über Orleans bis zum Klofter Fleury vorgedrungen fein. Sie verfolgten die Wagenfpuren der mit allem Werthvollen nad) ihrem Gut Matriniacum im Gatinois geflüchteten Mönde. Inzwifchen kam Hugo mit geringer Mannfchaft aus Bur— gund und war zweifelhaft, ob er einen Kampf zur Rettung ber Mönde wagen dürfe. Graf Girbold von Auxerre bewog ihn dazu, und er richtete unter den Normannen ein großes Gemekel an. Er glaubte, daß ihm die Erjcheinung eines Mönchs im Kampf den Weg gewiejen habe. Trotz diefer als Eingreifen des heiligen Benedikt ge— deuteten Viſion ift der Bericht wohl glaublih. Auf Kämpfe mit den Normannen in diefer Zeit deutet auch ein Brief Johanns VIII. an die Biichöfe Ludwigs, alfo vor deſſen Tod am 10. April 879: fie follten den gegen die Normannen Fallenden für alle Sünden Abfo- lution ertheilen.

Aus. der Erwähnung des Grafen Girbold in Hugos Gefolge, aus feiner vom Papſt angerufenen Verwendung, für das Klojter Pou— tieres in der Grafihaft Yangres, aus Hugos Fürbitte für den Gründer einer Celle in derfelben Diözefe und fiir das Kloſter Moutier Ramey in der Grafichaft Troyes und feinem Eingreifen in Nevers läßt ſich auf eine gewilje Obergewalt Hugos über diefe Gaue, wahrfcheinlich über das ganze wejtfränfiiche Burgund fchliegen, daher erfcheint auch) Hugo in der jpäteren Tradition als dux Burgundiaes.

3 Mansi XVII, 95 und 101,

2 Jaffé 2429. Mansi XVII, 101.

® Mir. S. Bened., Mabillon A. S. II, 393.

Jaffs 2435.

5 De reversione beati Martini und Gesta consulum Andegavensium; ſ. Mabille, Les invasions S. 14. Böhmer 1865 oben S. 84 und N. 2.

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Zwiſchen den Verwandten Bifhof Abbos von Nevers und Ro— bert und Roclin waren Streitigkeiten ausgebrochen. Johann VIIL. forderte Hugo auf, dafür zu wirfen, daß das gejchehene Uebel Tieber durch Fünigliche Gnade als durch Strafe gefühnt werde !.

Im folgenden Jahr 879 wurde Hugo wieder zu Eriegerifchen Thaten berufen. Er fchloß ſich bald nad) Lichtmeß (2. Februar) dem Zug Ludwigs des Stammlers gegen Bernhard von Gothien an, um diefem die Grafſchaft Autumn zu entreißen.

Unterwegs wurde Yudwig fchwer Frank und mußte in Troyes umfehren. Gr übergab feinen höchſtens 16 Jahre alten Sohn der Bormundichaft (bajulatio) Bernhards von Auvergne, der mit dem Kämmerer Theodorich, Boſo und Hugo den Feldzug fortjegen ſollte.

In Compiegne fühlte Yudwig das Nahen des Todes und beauf- tragte Biſchof Odo von Beauvais und den Grafen Albuin vielleicht berjelbe, der einjt feinem Bruder Karl unheilbares Siechthum verur- faht? feinem ältejten Sohn Ludwig die Neicheinfignien zu über- bringen und die genannten Großen zur Weihe und Krönung befjelben aufzufordern.

Gleich darauf am 10. April, Charfreitag Abends, verfchied Ludwig ber Stammler und wurde am folgenden Tage in der Königsgruft von ©. Denis beigefegt. Wenn das von Hinfmar ? überlieferte Ge— rücht, er fei an Gift geftorben, auf Wahrheit beruht, fo iſt wohl Bofo der Schuldige, der fchon feine erjte Gemahlin befeitigt haben fol, als fie feinen Plänen Hinderlic; wurde. Ludwig hatte feinen Zug nad Italien wenig unterftügt, er fonnte fich entschließen, fein Näherrecht auf diefes Land geltend zu machen, oder Boſos Intereſſen dem Frieden mit den oftfränfifchen Vettern zu opfern, zumal er eben jetst Bernhard größeres Vertrauen al8 Bofo bewiefen hatte. Freilich war ja Yudwig ſchon im Jahr zuvor Tebensgefährlih Frank ge— weſen.

Zunächſt übergaben Odo und Albuin, bei dem in Burgund ſte— henden Heer angelangt, die Kroninſignien nicht dem Prinzen Ludwig ſelbſt, ſondern dem Kämmerer Theodorich und kehrten eilig um. Da— mit blieb die Thronfrage offen, und Hugo, Theodorih, Boſo und Bernhard beriefen, nad) Meaux ziehend, die Großen der angrenzenden Landfchaften zur Berathung dorthin. Wahrjcheinlih um Boſo dem königlichen Haufe treu zu erhalten, vermittelte Hugo zwiſchen ihm und Theodorich dahin, daß Boſo die Theodorich beftimmte Grafichaft

1 Mansi XVII, 99.

2 Robert der Tapfere ©. 88. Hincm. 864, SS. I, 463.

s SS. I, 510. Ann. Vedast., SS. II, 197. Gfrörer II, 197. Bet ber faft gleichzeitigen Abfaffung ber Ann. Fuldenses, SS. I, 392, "Tann man nicht wie Gingins la Sarraz a. a. O. ©. 129 eine erfte Gemahlin Boſos beftreiten. Boſos Imtereffe war überdies mehr gefördert, wenn Ludwig der Stammler 878 feinen mindeftens 12jährigen Sohn Karimann mit einer Tochter aus dieſer Ehe, als wenn er ihn mit der früheſtens es 877 geborenen Ingelberga verlobt. Hist. de Languedoc II, ©.

9%

Autun, diefer zum Erfag einige Abteien Boſos in jener Gegend er- hielt, vielleicht unter andern S. Benignus in Dijon und Charlieu in der Grafſchaft Macon !,

Die geringe Ausfiht auf Erfüllung feiner Hoffnungen in Italien mochte Bofo hauptfächlich bewegen, einjtweilen den Karolingern treu zu bleiben. Auch mag hauptſächlich aus Rücdficht auf ihn Karlmann gemeinschaftlich mit feinem Bruder erhoben fein. Durd ihn als zu= fünftigen Schwiegerſohn, fonnte Bojo hoffen, werde fein Einfluß am weitfränfischen Hof noch fteigen ?.

Da er fi jedoch bald der rücdkjichtslofen Verfolgung feiner eigenen Intereſſen zuwandte, wurde Hugo die eigentliche Seele der königlichen Partei. Seine doppelte Stellung an der Spite der Hof- geijtlichfeit, monarchia clericatus in palatio, und feine mächtige Stellung unter den weltlihen Großen verjchaffte ihm den erjten Platz in der Verwaltung des Reichs nach dem jungen feines Raths und feiner Stüte bedürftigen Fürften ?.

IV.

Zunädjit erhielt Hugo durch feinen Eifer und feine Treue inmitten der fchwerjten Gefahren die gefonderte Eriftenz des weſtfränkiſchen Reichs, wenngleich bei vermindertem- Umfang. Die beiden Prinzen, feine Neffen, waren noch jehr jung und ihre Legitimität nicht einmal zweifellos, da-die erjte Ehe Ludwigs des Stammlers von Karl dem Kahlen jpät und widerwillig anerkannt worden war *.

Noch vor der VBerfammlung von Meaur machte fic, eine ftarfe Bewegung zu Gunjten des oftfränfifchen Ludwig geltend. Der Erz« fanzler Gauzlin, Abt von S. Germain des Pres, ©. Denis und ©. Anand, jeit feiner Gefangennahme in der Schlacht bei Andernach in freundfchaftlicher Beziehung zu Ludwig, feiner ehrgeizigen Gemahlin Liutgard und vielen oftfränfifchen Großen, glaubte jett die beite Ge— fegenheit zur Rache an feinen Neidern zu haben, durd) deren Einfluß er in den Hintergrumd gedrängt worden war und beinahe S. Denis verloren hatte, vor Allem wohl an Boſo und Bernhard von Auvergne. Durch Ausfiht auf außerordentliche Macht gewann er aud) Hugos Vetter Konrad, Graf von Paris, Verberie und Langres, vielleicht auch Sens®, der gleichfall8 nicht mehr den in der leßten Zeit Karls des Kahlen geübten Einfluß beſaß.

Beide beriefen möglichjt viele Biſchöfe, Aebte und mächtige Männer nad) Ereil an der Mündung des Therain in die Dife, um

1 Diümmler II, 116 Anm. 8 gegen la Sarraz 125 und 151 N. 244, In den Urkunden für S. Philibert in Tournus wird Bofo nur als ambas- ciator, Geilo als Abt genannt; Boug. IX, 670.

2 Ofrörer I, 202,

® Ann. 8. Columbae, SS. I, 104: ducatum regni post regem am- ministrabat.

*4 Regino 879, SS. I, 590.

5 Dümmler U, 117 Anm. 12. Hincm. 879, SS. I, 511,

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nach Ludwigs des Stammlers Tod gemeinfam über Frieden und Wohlfahrt des Heiches zu berathen. In Wahrheit brachten fie Zwietradht und DVerderben über ihr Vaterland, indent fie die Erſchie— nenen durch die Ausficht von dem König von Germanien, wie Hink— mar Ludwig als den mächtigften der ojtfränfiichen Brüder nennt, die Lehen zu erlangen, nad) denen fie vergeblich gejtrebt, bejtimmten, ihn ing Reich zu rufen. Auch abgefehen von der bereitS zweimal hervor- getretenen deutjchen Partei, zu der gewiß Bernhard von Gothien, vielleicht auch Gauzbert von Maine, Gauzlins Verwandte, gehörten, die ſchon 853 Ludwig als Prätendenten in Aquitanien unterjtütt hatten ?, mochten manche Beffergefinnte ſich von dem fräftigen Fürjten, der damals auch Baiern in Befig nahm, befjere Tage für das Neid) verſprechen als unter den unmündigen Söhnen des Stammlers. Die deutfche Partei verfprad Ludwig und feiner Gemahlin, alle Bi- ichöfe, Aebte und Großen in Met zu ihm zu führen, und 309 unter furdtbaren VBerwüftungen und Plünderungen die Aisne hinauf nad Verdun. Ludwig gedachte nicht mehr der übernommenen Verpflichtung für die Thronfolge der weitfräufifchen Prinzen, fondern vereinigte fich, wahrjcheinli Mitte Mat, in Verdun mit feinen Anhängern. Hink— mar wirft dem deutſchen Heer Gräuel vor ärger als fie die Nor- mannen verübt. Der Chronift- Ludwigs? berichtet, der Lage eines ZThronbewerbers entjprechender, die deutjchen Truppen hätten ihre Be— dürfniffe bezahlen wollen, die abgeforderten hohen Preiſe aber hätten Kirchenraub, Mord, Schändung, Brand und andere unerhörte Frevel zur Folge gehabt, jo daß die ganze Stadt beinahe zerjtört worden fei. Dies iſt um jo wahrjcheinlicher, da bei der geringen Entwidlung der Geldwirthichaft in Deutjchland Zahlungen in Geld den Deutjchen ganz ungewohnt waren.

Die loyale Partei wandte ſich inzwifchen auch an Hinkmar, der jo oft fid) al8 Stütze des wejtfränfifchen Königthums bewährt hatte, und bat ihn brieflich und durch Boten Rath zn ertheilen. Hinfmar that e8 und forderte Biſchof Hildebrand von Soiſſons zur Theil- nahme an der Verfammlung von Meaur auf. Auch ſchrieb er aber- mals an Gauzlin, warum er fich nicht brieflich oder durch Boten an ihn gewandt Habe. Er möge e8 zu Beider Troſt und zur Erhaltung ihrer gegenfeitigen Liebe öfter thun ®.

Gauzlin fcheint Hinfmar mit dem Vorwurf, daß er die Verfü- gungen Ludwigs des Stammlers verletst habe, geantwortet zu Haben. Da Hinfmar jpäter einen Brief Ludwigs an ihn wegen Erhebung beider Söhne erwähnt, hatte derjelbe zu verfchiedenen Zeiten wahr= fcheinlich widerfprechende Verfügungen getroffen ?.

1 Mobert ber Tapfere S.33. Ann.Fuld. Rudolfi 854, SS.I, 369. Er mag in Folge deffen Maine verloren haben, denn Nagnold von Maine, ber 885 fiel, gehört dem Namen nad) zu urtheilen nicht zu feiner Familie,

» SS. I, 392. 511 und Ann. Fuldenses Cod. Monacensis, SS. II, S. 589 N. 2.

® Flod. III, 26 und 24 ad Gozliuum.

* Flod. IH, 3 an Ludwig und Karlmann de objectis sibi a Gosleno

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In einem fernern Brief hält Hinkmar Ganzlin alles Gute vor, das er ihm verdanfe und beſchwört ihn, zum Heil feiner Seele von feinem aufrühreriichen Treiben abzulafjen.

Dieje Bemühungen waren zwar vergeblich, aber dem oftfränfifchen Ludwig hatten die Vorgänge in Verdun nicht geringen Schaden gethan.

Die loyale Partei fcheint außer in Hugos Aıntsbereich Neus jtrien namentlih im weftfränfifchen Burgund ſtark geweſen zu fein, wo der Kämmerer Theodorich, Hugo, Aedram in Troyes und Ma- con, Anjchar wahrſcheinlich als Graf von Duche bei Dijon, mächtig waren! Su der Gegend der Reimſer Diözefe gehörte ferner Goiram dazu. Goiram und Anschar wurden mit Bischof Walter von Or— leans an den oftfränfifchen König gejandt.

Nur durd) ein Abkommen mit Yudwig fchien e8 Hugo möglich, die Selbjtändigfeit des weitfränfifchen Reichs zu erhalten. Er bot ihm ganz Weſtlothringen, wenn er das weftfränfiiche Reich räumen und die Söhne Yudwigs des Stammlers im Beſitz defjelben anerkennen wolle. Yudwig jah die Verheigungen Gauzlins und Konrads nur theilweife erfüllt und hielt daher für gerathen einen großen fichern Gewinn den Wechjelfällen eines weit ausjehenden Kampfes vorzuziehen. Er ergriff Befig von Wejtlothringen und fehrte nah Frankfurt zurüd ?.

Gauzlin und Konrad, mit der ihrer DVerrätherei gebührenden Verachtung von Ludwig fortgewiefen, fonnten kaum auf Ausjöhnung mit der fönigstreuen Partei rechnen , fie nahmen daher ihre Zuflucht zu Liutgard und ftellten ihr vor, wie fehr Ludwig fie getäufcht habe. Yiutgard, ehrgeiziger als ihr Gemahl, warf ihm vor, er würde das ganze Reich gewonnen haben, wenn jie mit ihm gezogen wäre und bewog ihn, Gauzlin und Konrad deutiche Große als Gefandte an die oftfränfische Partei und Andere gleichjam als Geifeln mitzu= nehmen. Er jelbjt eilte auf das faljche Gerücht vom Tode feines Bruders Karlmann nad) Baiern.

Gauzlin und Konrad fehrten mit der Kunde, Ludwig werde fox bald al8 möglich) mit einem großen Heere erjcheinen, unter den ge= wöhnlichen Verwüftungen in das Weſtreich zurüd. Abt Hugo und die Gleichgefinuten hielten, als fie dies erfuhren, für gerathen, die jungen Fürſten durch Salbung und Krönung ein vollfommenes Hecht auf die Herrfchaft gewinnen zu laffen. Sie ſchickten Ludwig und Karlmann mit einigen Bijchöfen und weltlichen Großen nad) bem

super Ludowici regis patris eorum assensu (?) et de litteris Lud. regis ad eum pro filiorum suorum promotione datis. ı Müftenfeld, Forſchungen III, 421. Diümmler, Gesta Berengarii S. 22. Hincm. bei Flod. Il, 26, bejchwert fi über Goirams Eingriffe in Reimſer Kirhengut. Hinem. Ann. Fuld. pars III. Ann. Vedast.; SS. I, 511 und 392 und LI, 197.

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Klofter Ferrieres, wo fie der Erzbiichof der Diözefe Anfegis von Sens zu Königen weihte?.

Sie verpflichteten fih in herkömmlicher Weife fchriftlich die Rechte der Kirche wie der weltlichen Großen zu achten und zu bes wahren. Auch Hinkmar ſtimmte trog aller Drohungen der um Reims wahrfcheinlich meijt der deutjchen Partei angehörigen Großen der von ihm eifrig beförderten Erhebung der beiden Könige zu. Nie— mand jcheint einen Vorbehalt zu Gunften des um diefe Zeit am 17. September geborenen Poſtumus Ludwigs des Stammlers Karl gemacht zu haben, den die jpätere Tradition der Obhut des Abts Hugo an— vertraut fein läßt ?.

Die Lage der jungen Fürſten wurde dadurch noch verfchlimmert, daß Boſo ihre jchwierige Lage benußte, in Burgund ein eigenes Reich zu begründen. Die eigenthümliche ZTitulatur feiner Urkunde vom 25. Yuli 879: Boso id quod sum, weift darauf hin, daß er ſchon damals jich unabhängig zu machen gedachte ?,

Auch verſchiedene Briefe Johanns VIII. geben uns Nachricht von feinen Uebergriffen. Nachdem er noch furz zuvor verjichert, er fei der geheimen Berabredungen mit Boſo eingedenf, muß fich der Papit bald nad) dem 8. Mai 879 befchweren, daß Boſo ein dem Klofter ©. Peter in Poutieres verliehenes Gut Vendeuvre in der Diözefe Langres feinem Vaſallen Arembert al8 Lehn gegeben und die Mönche jo beunruhigt habe, daß fie ihr Yand nicht bebauen fonnten. Wahr: icheinlih machte er die Eigenjchaft der einſt dem Papſt geſchenkten Billa als Krongut geltend. Auch jandte der Papft dem Abt Hugo die Urkunde, die das Klofter unmittelbar dem heiligen Stuhl unter— ordnete, und wandte ſich an Erzbifchof Anjegis und den Grafen Kon— rad, offenbar den von Langres, von deſſen Empörung er nichts wußte *.

Als dies fruchtlos blieb und auf die Mitteilung Hugos und Rudolfs, wahrſcheinlich Hugos Neffen in dem nahen Yuraland, daß Boſo Aremberts Angriffe veranlaßt habe, fchrieb Johann ihnen , daß er Vendeuvre weder Boſo noch Jemand anders als Lehn gegeben habe noch geben werde, und daß er dem Biſchof Iſaak von Langres geboten habe, Arembert zu erfommuniziven, wenn er fi) das Gut noch ferner anmaße.

Wir erfennen aus dem gegen Hugo erwähnten Brief Johanns an feinen geliebten Sohn den ruhmreichen Fürften Bofo, wie fchwer es ihn wurde Boſo ganz fallen zu laſſen. Er mahnte denſelben an feine Liebe zu ihm und den verjprochenen Schuß aller päpftlichen

ı Abweichend läßt der fpäte Alberich von Trois Fontaines im 13. Jahr- ‚hundert Ludwig und deſſen Gemahlin (fonft ganz unbefannt) nur durd) Hugo und einige Biſchöfe frönen (Boug. IX, 57).

Chron. Turonense aus dem Beginn des 13. Jahrhunderte, Bouq. IX, 46; nit unwahrfcheinlidh, wenn gleich wohl aus jpäterer legitimiftifcher An- ſchauung hervorgegangen.

s Gingins la Sarraz ©. 155.

Jaffé 2471. 2502 und 25022, Mansi XVII, 21 und 157.

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Rechte und Beſitzungen und bittet ihm nochmals ohne beffern Erfolg Poutieres in feinem Beſitz zu fchügen!. Auch Hinfinar bemühte fi) vergeblih ihn und Irmengard von Eingriffen in die Rechte an— derer Biſchöfe abzuhalten, während Bojo, wohl um e8 mit dem mäch— tigen Kirchenfürften nicht ganz zu verderbeu?, die Reimſer Kirchen- güter in der Provence jchütte,

Mit diefem Raub, mit Abteien und Krongütern gewann Bofo Anhang in dem burgundifchen Landen und wurde von 23 Erzbiichöfen und Biſchöfen und vielen weltlichen Großen am 15. Oktober zu Maus taille ſüdlich von VBienne zum König von Burgund gewählt. Aus dem urfprünglic) wejtfränfijchen Theil befleidete Adalgar von Autun eine Zeit laug das Amt feines Kanzlers, und die Bischöfe von Macon und Chalons an der Saone betheiligten ſich an feiner Wahl?,

Selbjt an die Gewinnung Staliens, deſſen Eingangsthor Sufa in feinem Beſitz war, fcheint Boſo noch gedacht zu haben t.

Aber feine Hoffnung auf fernere Unterjtügung durd) den Papſt täufchte ihn. Johanu war durd) die Nichtadhtung päpftlicher Nechte in Burgund gefränft und konnte von einem mit allen Karolingern verfeindeten Fürſten feinen genügenden Schu erwarten. Immer mehr wandte er ſich daher dem ſchwäbiſchen Karl zu. Auch die durd) einen Biſchof überbrachte Mitteilung vom Regierungsantritt Ludwigs und Karlnanns beantwortete er mit einem Glückwunſch und der Verficherung, ihnen wie ihrem Vater und Großvater Schuß gewähren zu wollen. Zugleich jchried er an Hugo, Bernhard von Auvergne und Guido. Letzterer wird wie fein Bruder Ansfar von Duce im weitfränfiihen Burgund an der obern Seine zu Haufe gewejen fein; vielleicht war er Graf des benachbarten pagus Portisiorum, wo das von ihm begünftigte Kloſter Savernay lag? Johann lobt fie und die andern ruhmreichen Grafen ihrer Partei für ihre Treue in Schuß und Bertheidigung der jungen Fürſten und mahnt fie, ihrer Vorfahren eingedene auch ferner dabei zu bleiben. Auch forderte Yohann den Erzbiihof Otram von Vienne befonders wegen feines Antheil® an Bojos Erhebung vergeblich) zur WVerantwortung nad) Rom.

Auch Karl von Schwaben, durch die Huldigung des Biſchofs von Yaufanne von Boſo im Befit feines Antheil® an Burgund bes droht, näherte fich den jungen Fürften und kam mit ihnen im October in Orbe ſüdlich vom Neufchateler See zufammen Vielleicht mit Rückſicht auf dieſe Verhandlungen fandte Hinfmar dem Grafen Theo= doric) die bei einer Zufammenkunft der Könige Karl, Ludwig und

Jaffé 2503 und 2504. Flod. III, 26 und 27. LL. I, 547. Bouq. IX, 670 vom 2. Dezember 879.

* Boug. IX, 672. Dümmler II, 126 ff. Der Bruder des Anfamund von Sufa, Biſchof von Eremona, war gleichfalls fein Anhänger. Gingins Ia Sarraz ©. 194 ff.

5 Dümmiler II, 150 und Gesta Berengarii S. 23 gegen Wüftenfeld, Forſchungen III, 429 und IX, 414, Mansi XVII, 213.

ZIV. 7

on» 9

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Lothar, wahrfcheinlich auf dem Frieden zu Koblenz 860 befchlofjenen Gapitularien !, |

Auf der Rückkehr in den Norden ihres Reichs erfuhren Ludwig und Karlınann von einem neuen Naubzug der Poire-Normannen. Biel leicht zerjtörten fie damald bei ihrem Witt über Yand das erft von Karl dem Kahlen gegründete Klofter S. Pierre de Parcé, das fi nie wieder aus feinen Trümmern erhob. Die Touraine durchziehend, marjchirten die jungen Könige wohl auf der alten Römerftraße: ihr Zufammentreffen mit den Normannen an der Vienne würde dann bei dem Uebergangspunft Port de Piles jtattgefunden haben.

Das fränfiihe Heer bradjte den Normannen am Andreastage, dem 30. November 879, große Berlufte bei; eine noch größere Zahl fam in den Fluten der Vienne um ?, An diefem Erfolg hatte Hugo gewiß den größten Antheil. Daß er nicht weiter verfolgt wurde, lag wohl in den Verwüſtungen der Normannen im Norden des Reiche,

Dümmler hat darauf hingewiefen, daß kurz zuvor König Alfred von England von den Normannen in dem äußerten Weſten feines Reichs, in die unzugänglichen Sümpfe von Somerfet zurücfgedrängt war, aber im Mai 878 begann der erfolgreiche Widerjtand der Angels fachjen?. Um fo mehr Grund hatten die Normannen, während vers fchiedene Empörungen und Krankheit Yudwig den Stammler fejjelten, die flandrifchen Küften wieder heimzufuchen. Am 28. Yuli brammten fie das Kloſter S. Omer nieder, dejjen Befeftigung durd Abt Fulko (jeit dein 9. Februar) 878 nicht vollendet werden konnte, und ftörten von nun an durch Naubzüge bis in die Gegend von Reims viele Sahre lang fajt ununterbrochen alle Sicherheit des Verkehrs außer— halb der befeitigten Pläte *.

Mac) dem Tode des Grafen Balduin Eifenarm von Flandern Anfang 879 und während der Wirren nad) Ludwigs des Stammlers Hintritt wurde das Uebel befonders arg. Die Normanıen famen in zahlreichen Schiffen von England herüber und zerjtörten Mitte Juli 879 widers ſtandslos Terouenne, verwüjteten dann den pagus Mempiscus (das alte Menapierland) und Brabant. Hier trat ihnen Yothars II. Cohn Hugo entgegen, dem ich im ſolcher Noth auch der friegeriiche Abt von S. Baaft, Adalhards Sohn, wahricheinlic; Rudolf, angeſchloſſen hatte. Der Abt wurde gefangen, Hugo mußte nad) Verluft der meiften Gefährten mit Schimpf und Schande fliehen ?,

1 Hinem. 879, SS. I, 512 und Flod. III, 26.

2 Hincm. und das mir unzugängliche chron. Maxentii nad; Mabille, Les invasions S. 23.

s Dümmler II, 130. Pauli, König Alfred S. 136 und 142.

* Ann. Blandin., SS. V, 24 und Flod. IV, 1. Fullo an Papft Ste- phan V. Cartularium Sithiense ©. 126.

5 Transl. S. Vedasti, Mab. A. S. V, 571. Ann. Ved. 891, SS. II, 197 und 205a. Lebeuf, Notice raisonnde des annales vedastines, Me- moire de l’acad&mie desinscriptions Serie I, T. 24, Paris 1756, bält ihn für einen Sohn des jüngern Wdalhard vom Moſelgau. Rudolf jeit 883

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Dann fchlugen die Normannen in dem für die Fahrten ihrer Boote nad) allen Seiten trefflich gelegenen Gent Winterquartiere auf und verheerten alles Yaud bis Tournay und S. Vaaſt. Ya Hinkmar klagt Ende 879 oder Januar 880 Hetilo von Noyon, daß die Nor— mannen die ganze Umgegend ausgeplündert und dann von Reims eine unerjchwingliche Loskaufſumme gefordert hätten !.

Zu den immer kühneren Streifzügen der Wikinger gefellte fich im Januar S8O für das unglücliche weſtfränkiſche Reich ein aber= maliger Angriff des oftfränfiichen Yudwig.

Diefer vereinigte ji) mit Konrad und Gauzlin in Douzy bei Sedan und beichied Hinfmar mit feinen Suffraganen nad Attigny. Diefer wagte feine offene Weigerung, ſondern entfchuldigte ſich mit Krankheit, warnte aber Yudwig vor unüberlegten Nathgebern und Ujurpation des Reichs und theilte ihm im Betreff der Erhebung Ludwigs des Stammlers und in Bezug auf feine Gattinnen den wahren Sachverhalt mit. Das Haupt der wejtfränfifchen Geiftlich- feit dachte, obwohl eben erjt in Streitigfeiten mit dem Hof verwicelt, den jungen Herrihern aud) diesmal die Treue zu wahren, und bat Abt Hugo um Rath, was er thun jolle, wenn der ojtfränfiiche König von ihm die Krönung begehre. Er theilte ihm und den Biſchöfen Arnold von Toul und Hetilo die Ludwig gegebene Antwort mit ?, Hetilo forderte er auf, den Königen zu Hülfe zu fommen und mit den Großen zu verhandeln, damit etwas Erſprießliches gegen die Normannen gejchehen könne. Denn viele Klöfter der Diözeſe Hetilos Noyon-Tournay waren niedergebrannt, für den Reſt ein gleiches Schickſal zu fürdten.

Wirklich ſammelte Abt Hugo ein anfehnliches Heer und nahın mit den föniglichen Jünglingen Stellung bei S. Quentin an der obern Somme, zugleich geeignet zur Dedung des Sommegebiets gegen die Normannen und zur DBertheidigung gegen Yudwigs Heer *.

Dieſer rückte zwar mit jeinem Anhang über Ecly am Vauxbach, der in die Aisne fließt, nach Ribemont an der Dife entgegen, ſah fi) aber faft überall als Feind betrachtet. Weberdies bedrohten die Nor— mannen und die troß der Einnahme einer feiner Burgen bei Verdun noch immer anfehnliche Partei des lothringiihen Hugo fein eich, jo daß er definitiv auf feine chrgeizigen Pläne Verzicht leistete und ih mit MWeftlothringen begnügte, in deſſen Beſitz ihn Yudwig III. und Karlmann wiederholt anerfannten. Nach Negino traten fie über- die die reiche Abtei S. Vaaft ab, eine Bedingung, die bei den ver= worrenen Zuftänden jener Gegend, die fid) der Normannen nicht zu

Abt von S. Omer wird jpäter aud) als Abt von S. Vaaſt genannt. Cart. Sithiense ©, 127.

* Flod. III, 26. Im feiner Ehronif berichtet er merkwürdiger Weife erft 882 eine Heimfuhung von Reims und Umgegend durch die Normannen,

2 Flod. III, 20,

8 Unten S. 103 ff. Flod. III, 23. 25 und 27.

* Ann. Vedast. SS. II, 198. Dümmiler II, 132.

7*

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erwehren vermochte, gar nicht zum Vollzug gelangt fein mag!. Bei der perjönlichen Zufammenfunft der Könige in Ribemont im Februar mögen unter Hugos Vermittlung die zu Fouron getroffenen Verabre= dungen zu gegenjeitigem Schuß erneuert fein.

Liutgard forgte dafür, daß den Anhängern ihres Gemahls volle Amnejtie gewährt wurde. Hugo wird darauf um jo eher eingegangen fein, da Graf Konrad fein früher freilich vor ihn felbjt bevorzugter Better war. Er gewann mit den alten Würden und Yehen nicht den vollen frühern Einfluß wieder. Nah) dem Tode feines Bruders Welfo am 19. November 882 erhielt er noch deſſen Abtei Colombe in Sens, jtarb aber nocd in demfelben Jahr, ſchwerlich wie der Chronijt dieſes Familienkloſters jagt, unter großem Kummer und Seufzen des Reihe. Da er feine Kinder hinterließ, wurden Guilo, vielleicht Guido der Bruder Anskars, und Graf Guarin, der einem Geſchlecht des weitfränfiichen Burgund angehört haben wird, feine Erben? Don jeinen Lehen erhielt Hugo die Abtei S. Colombe, in Paris wird Odo der Sohn Roberts des Tapfern Konrad unmittelbar gefolgt fein, an dejjen Einfegung Hugo Antheil gehabt haben mag.

Gauzlin ſuchte durch kriegeriſche Verdienſte feine verrätherifchen Verbindungen in Vergeſſenheit zu bringen, doch wiſſen wir nicht, ob er ſchon damals die Erzkanzlerwürde wieder erhielt, ſeine Abtei S. Germain des Prés erhielt 881 fein Neffe Ebolus*; denn die Regie— rung Yudwigs III. blieb jo ftürmifch, daß uns aus den drei Jahren feine Urkunde erhalten ift. Zwar hatte die Amneſtie bejfern Erfolg als die 860 Karl dem Kahlen abgedrungene : außer durd) Bofo wurde das wejtfränfische Reich in den nächiten Jahren nicht durch Empörer erjchüttert, aber doch gab es ſtets Anlaß zu Kämpfen.

Zunächſt war eine Frucht des Friedens von Ribemont die Mit— wirkung des Abts Hugo an den Kämpfen des oftfränfiichen Pudwig

egen die Schelde-Normannen. Bei Thuin an der Sambre, einem —* des Kloſters Lobbes im Hennegau, ſchlugen Beide ein ſtarkes Heer unter König Gotfrid auf der Rückkehr von einem Beutezug. An 5000 ſollen gefallen ſein, die übrigen flohen in das Caſtell. Bei eintretender Dunkelheit wurde der Kampf abgebrochen, weil Lud— wigs natürlicher Sohn Hugo verwundet in feindliche Hände gerieth. Am folgenden Morgen waren die Normannen nach Verbrennung der Gefallenen zu ihrer Flotte entflohen. Ludwig fand ſtatt des lebenden Sohnes, den er auszulöfen gedachte, nur feine Leiche“.

Bon Thuin wird Hugo nad) Amiens zurücgefehrt fein, wo auf einem Reichstag im März 880 Ludwig und Karlmann, die bisher unter Leitung ihrer Nathgeber, namentlid) Hugos, gemeinfam geherricht

ı SS. I, 512. Dümmler II, 133,

3 Necrol. Autissiodorense. Ann. S. Columbae, SS.I, 103. Dümmler II, 133 Aum. 58,

® Ann. Vedast., SS. II, 200. Ann. S. Germani, SS. III, 78.

* Reg. Ann. Fuld. und Ved. Folcuini Gesta abb. Lobiensium; SS. I, 531, 393. II, 198. IV, 61.

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hatten, die weitfränfifchen Lande teilten. Die zahlreichen drohenden Gefahren mochten das perjünliche Eingreifen eines Königs an ver- ichiedenen Stellen wünfchenswerth erfcheinen laſſen. Die Theilung entſprach dem altgermanifchen Gebrauch und gewiß auch dem Wunſch der fo verjchiedenartigen Bevölferungselemente im germanischen Norden und romaniſchen Süden. Auch konnten mehr Große als bisher auf maßgebenden Einfluß an einem der Höfe hoffen. Ludwig, der ältere, erhielt Franzien und Neuftrien mit den dazu gehörigen Marfen, d. 5. wohl der neujtriichen Mark Hugos und Maine, der Grenzgrafichaft gegen die Bretonen, Karlınann fielen zu Burgund und Aquitanien mit den unter dem Begriff Gothien zufammengefaßten Landſchaften Septie manien und der ſpaniſchen Mark!. Die Großen jedes Gebiets huldigten ihrem Theilfönig. Hugo gehörte durch feinen Befit beiden Reichen an; feinem fortdauernden Einfluß auch auf Karlmann wird es zu danfen fein, daß die jungen Fürften aucd in den nächſten Jahren einträchtig zufammen wirkten ?,

Ludwig wird als wohlunterrichtet gerühmt; der Sinn für die Wiffenihaft war im Haufe Karls des Kahlen nicht erlofchen. Bei feiner Tapferkeit und Nührigkeit und der Erfahrung des Abts Hugo fonnte ſich das vielgeplagte Yand, zumal. bei Fortdauer freundicafte licher Berhältniffe mit den übrigen Karolingern, beſſere Tage ver- fprechen ®.

Leider begannen jedoch, ehe noch die oftfränkifche Partei ſich unterworfen hatte, innere Streitigkeiten anderer Art. Nah dem Zode Raginelms von Noyon Ende 879 hatte fic die dortige Gemeinde herkömmlicher Weife wegen Einleitung der Neuwahlen an den Mes tropolitan gewandt, dieſer übertrug die Verwaltung (visita- tio) dem Nachbarbiſchof Adalbern von Bonlogne*. Gleichzeitig bat er die damals noch gemeinfam regierenden Könige Noyon Wahlfreis heit zu gewähren und fchiefte die Gefandten der dortigen Geiftlichkeit in Begleitung des Bifchofs Berno von Chalons fur Marne an den Hof, um feinen Brief vorzulefen und auf die Könige und ihre Hofe leute zu wirken. Unter der Regierung von Jünglingen, die weſentlich feiner Unterftügung mit die Krone danften, dachte er die volle Frei- heit der Biſchofswahl zumächit in dem vorliegenden Wall durchzuſetzen. Aber den früher oft geübten perjönlichen Einfluß befaß Hinkmar nicht mehr, weil ihn Krankheit und Beſorgniß vor den Normannen jeit

! Ann. Floriac., SS. II, 254. Ann. Lemovic., SS. II, 329 und Ann. Vedast., SS. II, 198. Hincm., SS. I, 512.

2 Moordens Tadel S. 372, die Theilung habe Karlmann aufer Staub gefetst, Boſo erfolgreich zur befämpfen, wird dadurch entfräftet, daß auch bei gemeinjamer Herrſchaft nicht alle Kräfte des Reichs gegen ihn hätten verwanbt werben können.

Angilbert von Eorbie in den Widmungsverſen des Ludwig überfandten Buchs von Auguftiin De doctrina christiana (Mabillon, Vetera Analecta

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" & “Ann. Ved., SS. IL, 197. Flod. II, 28.

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Jahren meift vom Hofe fern hielten, und er täufchte fich fehr in Hugo, wenn er ihn bat feinen Einfluß bei den jungen Königen im Sinn der angeblichen Gewohnheit ihrer Vorfahren bei Einfeßung von Biſchöfen zu verwenden. Hatte doc) Hugo felbft im Auftrag des weltlichen Herrfchers Yothar II. ein Erzbistum verwaltet und war feiner ganzen Xebensrichtung nach mehr deu Intereſſen des Staats als der Kirche zugewandt. Hatten ſelbſt die Firchlich gefinnten Karo— linger das Ernemmmgsrecht ftet8 ausgeübt, fo beruhte jest bei der fteigenden Macht der weltlichen Großen die Bedeutung des König— thums großentheil® auf der Verfügung über die Kirchen und ihre Güter. Obenein hatte Hinkmar ſelbſt die fanonifchen Regeln keines— wegs immer ftreng befolgt, wie das Beiſpiel feines eben geftorbenen Neffen Hinfmar von Yaon bewies, für den er im demfelben Brief Hugo und defjen Vertrante und Untergebene zu beten aufforderte. Co waren denn feine Bemühungen vergeblich, die Könige fchlugen Hinf- mars Verlangen ab.

Da fchrieb er unmmthige Briefe an den Kämmerer Theodoric) und Hugo. Den Erftern mahnt er, da ihm Yudwig der Stammler die Sorge für feine Söhne übertragen habe, wachſam zu fein. Es jet nicht bloß eine große Anmaßung, jondern auch eine große Gefahr, daß einer allein ohne Rath und Zuftimmung der übrigen Großen die Ordnung des Meichs übernehme. Offenbar fuchte Hinkmar Theo= dorich zu bewegen, daß er feinen Einfluß bei den Königen gegen den Alles geltenden Hugo verwende. Yhn bat er aud) jpäter, einem Bi— fchof Zutritt beim König und Erfüllung feiner berechtigten Forderungen zu verichaffen !.

Hinkmar ließ nach den beftehenden Vorſchriften unter Adalberns Leitung Geijtlichfeit und Gemeinde von Noyon Hetilo wählen. Adal— bern follte, wenn er zu dem Könige bejchieden werde, mit ihm ges meinfam überlegen, was weiter zu thun fei?.

Diefer offene Widerftand wurde am Hofe fehr übel aufgenom— men, und Hinfmar fuchte fein eigenmächtiges Verfahren vor den Kö— nigen und Hugo zu rechtfertigen. Auf den ihm durch einen Klerifer Warin überbrachten königlichen Brief erwiederte er fchon im Jahr 880, er fei nicht anders verfahren als während feiner bisherigen 3djährigen Amtsthätigfeit. Die Bifchöfe müßten nicht aus der Pfalz, fondern aus der betreffenden Gemeinde gewählt werden, dem Könige ftehe nach der Entfcheidung des Metropolitans über die Gültigkeit der von Volk und Geijtlichfeit vorgenommenen Wahl nur das Zuftims mungsrecht zu; nach erfolgter Zujtimmung fei dann die Weihe zu vollziehen. Er habe die Wahl nicht auf eine bejtimmte Perfönlichkeit lenfen, fondern nur die Befolgung der firchlichen Regeln fichern wollen. Hinfmar ſcheint aber in feinem Eifer für die Wahrung der

ı Flod. III, 26. Gingins Ya Sarraz ©, 165 beutet Hinfmars Klage über die Macht eines Mannes offenbar auf Theodorich felbft. 2 Flod. III, 23.

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firchlichen Intereſſen nicht genau genug geprüft zu haben; er wirft jpäter dem Priejter Sigebert vor, ihn zur Weihe eines Mannes ver» anlaßt zu haben, der nicht einmal den einem Yaien anitchenden Wandel führen folle, und befchied ihn zu fich, um über die Befferung Hetilos zu berathen, oder fall die Gerüchte unwahr feien, fie als Lüge zu erweifen.

Vorwürfen gegenüber wegen Geftattung der zweiten Ehe ihres Vaters erinnert Hinkmar die Könige an feine Verdienfte um ihre Erhebung. Er weift fie auf den Unterfchied des königlichen und bie ihöflichen Amts hin, deffen Aufgabe e8 fet, die Fähigkeit und Tüch— tigkeit zur Biſchofswürde zu beurtheilen !. Nach Heiligen Autoritäten fündigten fie ſchwer, wenn fie die Weihe des neuen Biſchofs lange verzögerten. Aud) Berno von Chalons mußte die Könige und Hugo drängen, damit die Kirche von Noyon nicht Schaden eide.

Die Könige gaben in ihrer bedrängten Lage nach, zumal ihnen damals ein Angriff von Deutſchland her drohte?.

Nach dem Frieden von Ribemont beſtand wieder Freundſchaft unter allen Frankenkönigen, und man kämpfte gemeinſam gegen die gemeinſamen Feinde. Hugo wird mit Ludwig III. und Karlmann in Compiegne (3. April 880) Oſtern gefeiert und ſie dann Mitte Juni über Reims und Chalons, zur Berathung gemeinſamer Maß— regeln gegen Hugo und Boſo mit dem oſtfränkiſchen Ludwig und Karl von Schwaben, nad) Gondreville begleitet haben?. Ludwig der Jün— gere ſchickte zu der in Ribemont verabredeten Zuſammenkunft nur Geſandte, Karl erſchien, aus dem eben erworbenen Königreich Italien zurückgekehrt, perſönlich. Er mag damals für Anerkennung ſeiner neuen Herrſchaft die Rückgabe Weſtlothringens verſprochen haben, wenn er die Erbſchaft ſeines kinderloſen Bruders antrete. Vielleicht ſteht mit dieſer Zuſammenkunft ein Brief Hinkmars an den Abt Hugo in Zuſammenhang. Er überſendet Hugo einen im Intereſſe der jungen Fürſten an König Karl (alſo vor der Kaiſerkrönung Februar 881) gerichteten Brief und bittet ihn ſelbſt, ſeinen Einfluß dafür auf— zuwenden, daß der gleichfalls kinderloſe Karl einen der königlichen Jünglinge adoptire und durch einen gutgeſinnten tüchtigen Vormund (bajulus) erziehen laſſe, um ihm ſein ganzes Reich oder einen Theil deſſelben zu vererben. Ferner ſolle Hugo von Karl insgeheim er— wirken, daß er die Sache der Knaben und des Reichs ganz auf ſich nehme und ſelbſt ordne was des königlichen Amts ſei‘. Hugo möge

1 Flod. III, 24 und 25.

®2 Gall. christ. IX, 989.

® Hincm. befjer unterrichtet als Ann. Fuld.; SS. I, 513 und 394.

* Hincm. 882. Flod. III, 24 gegen Ende müßte wegen der Ordnung zwifchen den Briefen in der Noyoner Angelegenheit und in Betreff des oftfränfischen Einfalls in den Januar 880 fallen, wo Hinfmar Hoffen konnte an Karl eine Stüge feiner Landesherren gegen Ludwig zu gewinnen, Dümmler II, 201 ff. Böhmer 1106.

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feinen Brief, wenn er den Inhalt für nützlich und verftändig Halte, mit feinem weifen Rath und Elugen Eifer unterjtüten, wenn er etwas anders finde, als es fein müſſe, ändern oder das Nöthige Hinzufügen, was er zu erlangen fuche!,

Dem im Januar 880 ausgefprochenen Wunſch mag Hugo jetzt in gewijfem Sinne nachgefommen fein, indem er die Adoption eines der Fürften vorbereitete und das Versprechen der Rückgabe Wejtlothrin- gend erwirkte. Bei noch engerem Anfchluß an den König von Schwaben und Stalien mußte Hugo jedoch eine Gefährdung feines Einfluffes und der Selbitändigkeit des weſtfränkiſchen Reichs fürchten, ohne von ihm nachdrückliche Unterftügung gegen die Normannen Hoffen zu können. Diefe war cher von dem ojtfränfifchen Yudwig zu er= warten, der abermals ein Heer unter feinem Feldhauptmann Heinrich aus dem babenbergifchen Gejchleht und Adalhard vom Mofelgau zur Unterftüßung feines Bruders und feiner Neffen geichickt Hatte.

Mit ihnen follten Ludwig und Karlmann auf dem Rückweg nad Attigny den Tothringischen Hugo angreifen, der alſo wahrſchein— lic in den Argonnen fein Wefen trieb. Er felbjt fcheint ſich vor der feindlichen Uebermacht zurückgezogen zu haben, dagegen zeriprengten die ojtfränfifchen Schaaren den Kern feiner Macht unter Hugos Schwager Thietbald, dem Führer feines Heeres (princeps militiae). Chrgeiz und Nachfucht hatten den Sohn des Abts Hukbert, den Neffen der unglücklichen Ihietberga, bewogen, die Tochter der Tod» feindin feines Gefchlechts, Waldrada, zu heirathen. Wahrjcheinlich floh der todt geglaubte fchon damals zu feinem Vetter Boſo in die Pro— vence. Sein Sohn Hugo follte in Stalien dem Großneffen des Abts Hugo in langjähriger Nivalität entgegentreten und jo den Kampf feines Großvaters gegen die Welfen erneuern. Der lothrin- giihe Hugo hielt im folgenden Frühjahr 881 für gerathen, gegen mehrere Grafichaften und Abteien fich dem oſtfränkiſchen Ludwig zu unterwerfen ?,

Nach dem Sieg über Thietbald brachen Yudwig und Karlmann mit den oftfränfifchen Hilfstruppen gegen Bofo auf, der ſich Macons bemächtigt Hatte. Auch Karl ftieß zu ihnen, und nicht nur die Fürſten und Heerführer, fondern auch ihre Vaſſallen verpflichteten ſich eidlich den Ufurpator zu vertreiben und zu tödten ®, der ja der gemeinfame Feind aller Karolinger war. Im YZuli rückten die Verbündeten, unter deren Führern ſich gewiß auch Hugo befand, vor und vertrieben zunächſt Boſos Getreue aus Macon. Man kann auf ein Einver- ftändnig mit dem damaligen Befehlshaber Bernhard Plantapiloja fchliegen; ihr Lohn ward dann die Grafichaft‘. Aledram der

ı Flod. 1. c.: vel fi foret necesse quid addere, vel (?) obtinere satageret. % Ann. Fuld.,SS.I. 393; der chronologifcd) ungenaue Regino, SS. I, 593. —————— SS. IV, 14. Gingins la Sarraz IX, 92 ff. Dümmler . ® Boug. IX, 670 vom 2. Dezember 879. Reg., SS. I, 590. * Ann. Fuld., SS. I, 394: Bernhardum qui in ea principatum tene-

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frühere Graf von Macon und Troyes mochte al8 Verwandter ihrer Stiefmutter bei den jungen Fürften nicht in Gunft jtehen, zumal auch in Troyes 882 ein anderer Robert Graf war, vielleicht der Bruder König Odos, deſſen Grafichaft vor dem Negierungsantritt Odos wir nicht fernen. Bielleicht wurde Aledram durch das Verin entichädigt, wo er 885 Pontoife gegen die Normannen vertheidigte, und in deſſen Nähe = Sau von Laon ihm Ludwig der Stammler Schenkungen gemacht atte ”.

Der Kämmerer Theodorich fcheint auf Autun verzichtet zu haben, um dur diefe Grafichaft Boſos Bruder Richard für die fönigliche Sache zu gewinnen, der wie der Biſchof von Autun Adalgar in den nächſten Fahren manchen Gunftbeweis erhielt. Auch Erzbiichof Aurelian von yon, obwohl er Boſo gefrönt hatte und vor Adalgar * Kanzler geweſen war, wird in dieſer Zeit Boſo verlaſſen aben.

Nach ſolchen Erfolgen vermochte ſich Boſo nördlich der Rhone nicht zu behaupten und zog ſich nach dem feſten Vienne zurück, wo ſeine Herrſchaft ſchon ſeit der Ergebung an Karl den Kahlen 870 begründet war. Die oſtfränkiſchen Schaaren ſcheinen ſich damit be— gnügt zu haben, daß Boſo aus dem Felde geſchlagen war; König Karl dagegen mit den Königen der Weſtfranken rückte vor Vienne, deſſen Ver— theidigung Boſo ſeiner energiſchen Gemahlin Irmengard anvertraute, wäh— rend er ſelbſt ſich wohl zu weiteren Rüſtungen ins Gebirge zurückzog?.

Singing la Sarraz, der diefe Kämpfe mit großem Aufwand ſtrategiſcher Phantafie fchildert, giebt einen Begriff von der Feftigfeit des volfreichen Orts am Linken Rhoneufer. Drei jteile Hügel mit ſtarken Mauern und Thürmen aus der Nömerzeit deeften die Stadt nah Djten, von Wejten die Rhoöne. Zur Einnahme durch Belage— rung reichte die fränfifche Kriegskunde nicht Hin, wie ſchon Karl der Kahle erprobt hatte, alfo galt e8 Vienne einzufchliegen und auszu— hungern. Mancherlei andere Gefahren bedrohten überdies die ver= bündeten Fürften, fo daß fie Unterhandlungen mit Bofo anfnüpften. Aber mit. den von der Ufurpation verwalteten Gebieten unter Fränfifcher Dberhoheit, die man ihm anbieten mochte, war Boſo nicht gefon- nen fich zu begnügen, fondern mochte auf die verfchiedenen Intereſſen feiner Gegner rechnen.

Freilich erfommmunizirten ihn die Biſchöfe in dem fränkischen

bat, in deditionem aceipiunt, verglichen mit -Hincm.: ejeetis Bosonis ho- minibus, eum comitatum Bernardo cognomento Plantapilosa dederunt. Auf Grund diefes Beinamens verwirft Bouquet die von Mabille wiederaufge- nommene Meinung, daß Bernhard von Anvergne gemeint fei. Die Annahme Gingins la Sarrazs, VII, 169, Bernhard ſei ein Baffall des Auvergners ge- worden, beruht auf der vorgefaßten Meinung, es habe bereits feftgeichloffene Territorien von großem Umfang, Herzogtbiimer, gegeben. Gall. christ. XII, 495. Ann. Vedast., SS. II, 201. Böhmer 1847,

2 Böhmer 1849 vom 30. November 880: ambasciator in einer dem Bisthum auf Bernhards Bitte gewährten Schenkung, und Böhmer 1860.

® Ann. Fuld. und Hincm. 880.

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Heere, und Johann VIII. fagte fi im Monat Juli durch einen Brief an König Karl offen von ihm los und verſprach demjelben die Raiferfrone!. Gerade dies aber brachte Boſo wejentlichen Nuten. Denn Karl brach etwa Anfang November heimlich bei Nacht gegen jein Verfprechen nad Stalien auf und ſchwächte dadurch weſentlich das Belagerungsheer. Als furz darauf auch Ludwig von Neuftrien, auf die Kunde einer Niederlage des gegen die Normannen an der Echelde zurückgelaffenen Abts Gauzlin, in fein Reich zurücfehrte, mußte die Belagerung aufgehoben werden. Am 30. November war Karlmann zu Neronde in Berry (Cherdepartement). Bernhard von Auvergne, deffen Grafichaften Septimanien und Auvergne an Boſos * grenzten, mag noch ferner Vienne beobachtet und Boſo bekämpft aben !,

Hugo finden wir im Jannar 881 in Neuftrien. Der ma- gister scholae oder Scholaftifus von ©. Martin Amalrid), 849 856 Erzbifchof von Tours, hatte im Auguft 841 feine Güter der Abtei für ewige Zeit zum Unterhalt feiner Amtsnachfolger ges ſchenkt, um die Möglichkeit unentgeltlichen Unterricht8 zu fichern. Karl der Kahle bethätigte auch hier feinen Sinn für geiftige Beſtre— bungen, indem er diefe Verfügung am 5. Januar 845 beftätigte ®. Aber Hugo verlieh im guten Glauben, daß beide Güter ihm zur Verfügung ftänden, die Villa Martigny und ein Feld der Villa Maigne in der Gemeinde Fondettes einem feiner Vaſſallen, deffen Sohn Wil: helm fich durch eine falfche Fönigliche Urkunde im Befit zu behaupten fuchte. Der Dekan des Stifts Guichard führte nun Mittwoch den 17. Januar 881* in dem Grafenthurm an der neuhergeftellten Stadt- mauer von Tours Klage vor Hugos Tribunal, und diefer ernannte Richter, die in der Martinsfapelle an Ort und Stelle die Sache unterfuchen follten®, Auf ihren Bericht entfchied Hugo zu Gunften des Klägers. Wilhelm jelbft follte das Gut und ſoweit möglich den feit der unrechtmäßigen Befignahme genojjenen Ertrag herausgeben. Die er= nannten Richter führten den Spruch noch im Januar in Martigu aus,

Wir jehen, daß Hugo berechtigten Klagen über Eingriffe in das Kirchengut auch da abzuhelfen fuchte, wo fein perfönfiches Intereſſe ins Spiel fam. Aber in dem Streit um die Biihofswahl nad dem Tode Odos von Beauvais am 28. Januar 8831 bewies er aufs Neue, daß er die Verfügung über Bisthümer und Abteien und ihr nicht urkundlich beftimmten Zwecken zugewiefenes Vermögen

1 Ann. Ved., SS. II, 198. Mansi XVII, 184. Dimmler II, 176 ff.

* Gingins la Sarraz a. a. D. Bouq. IX, 339 und 349.

Pr Mabille, Pancarte XXXV und XLVII; letztere Urkunde fehlt bei öhmer.

* Mabille, Pancarte CIX und Les invasions S. 50, datirt 879, aber ber 14. Januar fällt nicht im 2. Jahr Ludwigs des Stammlers, fondern feines Sohnes Ludwigs III, 881, deffen Dominikalbuchftabe A ift, auf Mittwoch.

5 Nicht in S, Martin de Ia Baſoche felbft, wie Mabille, Invasions ©, 51, meint.

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den Königen nicht fchmälern laſſen wolle. Ruhte doch fein eigener Rechtstitel darauf, und die Fürften bedurften deffelben wie Karl Martell und Pippin, um die nöthigen Streitkräfte zur Vertheidigung des Yandes aufzubringen.

Hinfinar Hatte die interimiftifche Verwaltung des Bisthums Beauvais und die Leitung der Wahl Biichof Hadebert von Senlis übertragen und mahnte, da jic) Gemeinde und Geijtlichfeit ſchon vor der Wahl Odos forrumpirenden Einflüffen zugänglich gezeigt Hatten, zur Vermeidung der Simonie !. Nichtsdejtoweniger wurde ein gewiſſer Rudolf gewählt, den Hinfmar jofort für untauglich erklärte; dann Honoratus, deſſen Wahl er gleichfalls nicht zuftimmte.

Er legte die Wahlurfunde der von ihm in der S. Mafrafirche zu Fimes in feiner Diözefe am 2. April 881 verfammelten neujtri= chen Synode vor. Dieſe ſchloß ſich Hinfmars Urtheil an und er— flärte das Wahlrecht des Klerus und Volks von Beauvais für verwirkt.

Die von Hinfmar redigirten Synodalbeichlüffe Tprachen die Beſchwerden der Geiftlichfeit in vollem Umfang und in jchärfiter Form aus. Die feit 858 mehrfach aufgeftellte Behauptung wurde wiederholt, daß die biichöfliche Gewalt höher fei al8 die fönigliche, Der König folle die Kirchen und ihren Beſitz ſchützen und durd) Sendboten gemeinfam mit den Biſchöfen den Wandel in den Klöftern und ihren materiellen Zuftand unterfuchen laſſen. Die jtetS fort: dauernde Ufurpation des Kirchenguts und des Eigenthums milder Stiftungen gab Anlaß eine Reihe kirchlicher und kaiſerlicher Gefete gegen Raub aufs Neue einzufchärfen und zur Rückgabe des Geranbten zu mahnen. Endlich hielt Hinfmar im Namen der Synode Ludwig das Bild Karls des Großen vor Augen, der jtet8 drei feiner weijelten Rathgeber um fich gehabt, und felbjt bei Nacht auf einer Tafel neben feinem Bett Pläne zum Wohl des Reichs verzeichnet Habe, um fie mit feinen Näthen zu überlegen und, auf Neichstagen mehrmals ge- prüft, in Kraft feten zu lajfen. Noch viel mehr müſſe Yudwig, von allen Seiten durch Parteiungen bedroht, mehr dem Namen nach als in Wirflichfeit König, auf erfahrene Räthe bedacht fein, die ihn lehrten Gott fürchten, die Kirche und ihre Lehrer chren und nach Gottes Gebot herrſchen. Wie in feinem Brief an Ludwig den Stamnıler bei deſſen Kegierungsantritt betont Hinkmar die feit Karl dem Kahlen überhand nehmenden Erprefjungen von der Kirche, die Käuflichfeit der Aemter und der Gerechtigkeit, die Näubereien, unter denen das arme, von den Normannen ſchwer heimgejuchte Volk leide, und den Wucher, unter dem es verarme, und verlangt die Abftellung diefer Mifbräuche. Dann werde auch die Kraft zum Kampf gegen die Normannen wie— derfehren.

Leider fehlen uns die Unterfchriften der Biſchöfe, von denen

ı Moorden ©. 51. Briefe Hinfmars an Ludwig von Neuſtrien, Boug. IX, 259. Gall. christ. IX, 400.

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wohl Mancher der Synode fern geblieben war, 3. B. Erzbifchof Adalhard von Tours und dejfen Bruder Naino, ein Kanonifer von S. Martin, der wohl nicht ohne Hugos Einfluß Ende 880 das Bisthum Angers erhalten Hatte!, Walter von Orleans und andere dem Hofe und Hugo nahe ftehende Prälaten.

Wenn and unzweifelhaft Geldnoth und Schwäche des König- thums den großen Vaſſallen gegenüber viele Mißbräuche veranlaßt oder gejtattet haben werden, trugen die Biſchöfe, mißgejtimmt über ihren verringerten Einfluß, gewiß die Karben zu dunkel auf. Hugo fait ftet8 durch die Vertheidigung des Reichs gegen innere und äußere Feinde in Anſpruch genommen, fonnte beim beiten Willen vielfach nicht eingreifen; namentlich litten die Yandestheile, durd welche die Märfche gingen, bei dem Mangel ausreichenden Proviants und der fchlechten Disziplin von Bafjallenheeren, ftetS feit Ludwigs des Frommen Zeit.

Ludwig von Neuftrien und feine Umgebung mußten durch den Ton des Schreibens empfindlich verlegt werden. Der König, vielleicht weil er inzwifchen das Mindigfeitsalter erreicht hatte, ftand damals ohne Hugo den Schelde-Normannen gegenüber. Seine jungen Genoffen, über deren üble Rathichläge Hinkmar fich wiederholt beichwert, brachten ihn fchwerlich von der Anfchanung ab, daß er wie feine Vorgänger frei über die Kirchengüter und Bifchofftühle verfügen könne. Am wenigiten mochte ein von weltlichen Großen und weltlich gefinnten friegerifchen Geiftlichen, wie den Aebten Hugo und Gauzlin, umgebener und von ihrer Unterftütung abhängiger Herricher ſich unbedingt der Seiftlichfeit unterordnen, wenngleih er am 6. Mai durch den Kle— rifer Teutbert Hinfmar feine Geneigtheit ausſprach, mit den Biſchöfen gemeinfam die geiftlichen und weltlichen Pflichten zu erfüllen. Er bes hielt fich den Vorſchlag eines Bifchofs in Beauvais vor und ftellte, um Hinfmar zu gewinnen, den diefem verwandten oder doch naheſte— enden Odaker auf.

Diefer war ein hervorragendes Mitglied der Hofgeiftlichfeit, fer: tigte wahrfcheinlich zuerft am 21. Auguft 875? als Notar Urkunden Karls des Kahlen aus und wurde 877 al8 notarius secundiserinii d.h. zweiter Kanzler, dem Papſt nach Pavia entgegengefchidt. Viel— leicht war er als Verwandter eines Abts Audacher ? in der Touraine dem Grafen von Tours Hugo um fo. angenehmer.

Auch in Beanvais waren Alle Odaker geneigt, und Ludwig fuchte Hinfmar durch das Versprechen zu gewinnen, wenn er beiftimme, feinem Nath zu folgen und ihn mit Gunftbeweifen für feine Ver— wandten und Freunde zu belohnen. Aber vergeblich) war das perſön—

ı Gall. christ. XIV, 554.

2 Bouq. VIII, 643 ift wohlanno XXXVI ftatt XXXIV zu Iefen, wozu ber Ausftellungsort Pontiliacum, Pontaille an der Saone, paffen würde. Böhmer ©. 166

s Schwerlich iſt er identiſch mit dem Verwandten des Lupus von Fer— ridres, der zwiſchen 841 und 868 Abt von Cormery und Villeloin war. Bouq. VIII, 450. 560 und 643, VII, 509, Gall. christ. XIV.

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fiche Entgegenfommen bei der jih im Alter fteigernden Starrheit Hinkmars. Er antwortete durch den Prieſter Altınar ablehnend.

Am 13. Juni jandte Ludwig den Klerifer Warin an Hinfmar, deſſen Botjchaft er noch heftiger und rüdjichtslofer beantwortete. Der Verfaſſer des füniglichen Schreibens hatte behauptet, Hinkmar wolle nichts Anderes al8 der König, Abt Hugo und Graf Theodorich, und wenn er micht beiftimme, jehe der König daraus, daß Hinfmar die gebührende Ehre und die echte feiner Vorgänger nicht anerfenne und feinem Willen in Alleın widerftrebe. Altrams Bericht über die Anficht des Abts Hugo, der aljo damals nicht am Hofe war, und über die gemäßigte Antwort Theodorichs auf die Frage des Königs veranlaßte Hinkmar den Schreiber des Königs geradezu der Lüge zu bejchuldigen. Theodorich fcheint auch hier Hinkmar näher geftanden zu haben, Hugo hatte fich vielleicht in der Form gemäßigter als früher ausgejprochen.

Hinfmar warf dem König ferner vor, daß er unehrerbietig an ihn gejchrieben habe, obwohl nicht er den Erzbijchof zu feinem Amt berufen, jondern Hinfmar mit feinen Amtsgenoſſen und den übrigen Getreuen Ludwig, unter der Bedingung die herfümmlichen Gejege zu beobachten, zum König gewählt habe. Wenn er den Streit durch eine allgemeine fränkiſche Synode entjcheiden laſſen wolle, bange Hinfmar nicht davor. Er fürchte feine Drohungen nicht, möge Gott ihn dur) eine Gewaltthat Yudwigs aus feinem kränklichen, greifen Leibe zu fi) Heraufführen, wenn es fein Wille fei. Yudwig aber möge ſich hüten, daß ihn nicht auf einer allgemeinen Synode ins jenfeitige Yeben hinein wirkende kirchliche Strafen träfen. Cr möge gedenken, daß feit Karl dem Großen jeder Nachfolger fürzer als fein Vorgänger gelebt habe.

Hinkmar erfüllte die im diefem Brief ausgefprochene Drohung gegen Odaker. ALS Ludwig ihm trog verweigerter Weihe die Befigungen des Bisthums überwiefen hatte, deren Unantajibarfeit Hinfmar auf Grund eines Privilegs Nikolaus’ I. behauptete, forderte er Odaker vor eine Provinzialipnode, um die Entjcheidung über feine Wahl entgegen- zunehmen. Odaker erfchien nicht, und die Synode ſprach ihm die Fähig— feit ab, je in der Erzdiözefe Reims ein Priejteramt zu bekleiden !,

Während diefer Streitigkeiten im Sommer 881 oder im fol genden Frühjahr als Karl feinen Bruder Ludwig beerbt hatte, wandte ih Hinkmar an Kaifer Karl und bat ihn die in vieler Hinficht ver— fallene Kirche des weſtfränkiſchen Reichs durch weifen Rath und mäch— tige Hülfe wieder aufzurichten und das getheilte Reich und deſſen Große wieder zu vereinigen *. Offenbar billigte er die im März 880 geichehene Theilung nicht. Wir haben feinen Beleg, daß Hink— mars Forderung an die von Karl den jungen Fürſten zu beftellenden

t Noorden ©. 382, Hincm. opp. II, 381 ff. und 245. * Opp. II, 185 ff.: regni divisionem consolidetis ac primores ip- sius compaginetis. Dümmler II, 200 gegen Noorden 369,

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Bormünder, jenen ſolche Genoſſen fern zu halten, die fie zu Zwietracht unter einander und mit ihren Getreuen verleiteten, und zu jorgen, daß fih) die Brüder gegenfeitig nicht bemeideten noch reisten, jondern in Liebe verbunden ſich unterjtütten, in Zwijtigfeiten zwiichen Yudwig und Karlmann begründet war. Hinfmars Vorwurf, daß ihre Umgebung die Könige zu unbilligen Thaten verleite, trifft natürlic) ihre Ein— griffe in die Nechte und Aufprüche der Kirche. Sein ganzer Groll gegen die maßgebenden Männer fpricht fic in der Aufforderung an einen ojtfränfiichen Yürften aus, was in dem eich wegen innerer Zwiftigfeiten Verkehrtes gejchehe zu befeitigen, und wenn einige Große mehr nad) Willfür als im Intereſſe der Kirche und des Reichs han— delten, jie durch feine Weisheit davon abzubringen oder wenn nöthig mit Macht zu zwingen.

Vergeblich Hatte Hinfmar vom Abt Hugo und Grafen Theodo= rich, dejjen Sohn erjt 885 dem Klofter Fleury das von Theodorichs Bruder Effard vermachte Gut Perrecy zurücdgab ?, Eingehen auf jeine Forderung gehofft : vielleicht wiirde Karl, durch päpftliche Gunſt zum Kaiſer erhoben, auch der weitfränfiichen Kirche das unter Karl dem Kahlen behauptete Anſehn wieder verfchaffen, mochte aud) die Selbjtändigfeit des Reichs zu Grunde gehen. So ftand Hinkmar dem Königthum in offener Auflehnung gegenüber, dein er ein langes Leben hindurch treu gedient hatte, und fehrte zu dem Gedanken des einen abendländifchen Kaiferreich® zurüd. Gin oſtfränkiſcher Karo- linger follte jedem der beiden jungen Fürften reife und erfahrene, ges mäßigte VBormünder geben, die fich nicht über ihre Genojjen erhöben, fondern die Könige durch Wort und Beifpiel die Gerecdhtigfeit lieben lehrten, damit fie feufch und mäßig lebten, die Kirche uud ihre Diener ehrten und deren Rechte und Privilegien, wie die der VBornehmen und aller übrigen Getreuen achteten. Karl muß diefen Schritt in höchſter Verbitterung gethan haben, denn es war ſchwerlich zu erwarten, daß ih Ludwig und Karlmann Karls Bormundfchaft freiwillig unters ordnen würden, jelbjt wenn fie nicht mehr an feinem Bruder Yudwig einen Rückhalt finden fonnten. Auch Hugo und Theodorich hätten nicht gütlich eine ihrem Einfluß feindliche Bevormundung derjelben durch den Kaiſer zugegeben.

Schwerlich war diefer felbft geneigt, auf den voraussichtlich nur mit Gewalt durchführbaren Plan einzugehen, zumal ihn gerade damals der Papft um Hilfe gegen feine italienischen Bedränger bat. Jo— hann VIII. Hatte unter Anderm die Rückkehr der von ihrem Gemahl Kaiſer Yudwig IL jeinem Schuß übergebenen Engelberga zur Bedin— gung der Kaiſerkrönung gemacht und Karl feine Achtung vor den mit den weitfränfifchen Königen geſchloſſenen Verträgen bewieſen, indem er ihre Zuſtimmung vorbehielt. Daher wandte fid) Johann am 12. ——— an Ludwig, Karlmann und ihren einflußreichſten Rath

ugo ?,

ı Gall. christ. VIII, 1544.

2 Mansi XVII, 194.

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Er ſuchte die Beſorgniß zu befchwichtigen, daß bie intriguante Kaiferin Wittwe in Rom im Intereſſe ihres Schwiegerfohns Boſo wirken werde, indem er verficherte, daß er fie an jedem Zumider- handeln gegen das Intereſſe des Kaifers und der Könige hindern, und falls fie ſich deffen jchuldig mache, fie dem Kaiſer zurücjenden werde,

Wir fennen die Antwort der jungen Fürſten nicht, wahrscheinlich waren fie und Hugo mit Beranlajjung, daß die gefährliche und einfluß— reihe Frau erft nad) dem Fall von Vienne im Herbjt 882 aus Ale- mannien nach Nom geführt wurde !,

Hugo befand ſich am 4. Juni, alfo während des weiteren Ver— laufs der Streitigkeiten um die Biſchofswahl in Beauvais, in Pau— liacum (wohl Pouilly in Berry?) in Karlmanns Gefolge und vermit- telte die Schenkung des Klofters ©. Yorenz an der Nielle an Erzbi- ſchof Sigebod von Narbonne, ein Beweis, daß ſich fein Einfluß auch auf die jüdlichen Theile des Reichs erſtreckte.

Vielleicht ſchloß er ſich Karlmanns Zug gegen Bofo an, da wir den König von Burgund und Aquitanien am 29. Augujt in Coſta, wahricheinlic; la Gojte im Gau von Vienne, finden? Trotz jteter Angriffe auf Bojo von verjchiedenen Seiten gelang e8 nie ihn einzu= jchliegen oder gefangen zu nehmen. Seine Anhänger wußte er fo zu gewinnen, daß fie, wir müjjen jagen meiſt, obwohl geächtet und aller Güter beraubt, ihm troß aller Verlockung nie die Treue brachen. So wird aud) diesmal das Belagerungsheer erfolglos von Vienne abge- zogen fein.

Hugo ſtieß wahrscheinlich nicht zu Ludwig von Neuftrien, der am 3. Auguft den glänzenden Sieg von Saucourt über die Nor— mannen erfochten hatte umd ihnen bei einem neuen Einfall an der Grenze feines Neichs im Gau von Cambray, entgegentrat. Er baute auf den Kath einiger Großen in Etrun bei Arras eine Burg von Holzwerf, und die Normannen hielten für gerathen das Land des ta= pfern Fürften zu räumen und zu Elsloo bei Majtricht im Reich des ojtfränfifchen Yudwig Winterquartiere aufzuſchlagen“.

Abt Hugo, der inzwiſchen fein neuſtriſches Gebiet gegen die Normannen geichiigt Haben mochte, wird unter denen gewejen fein, die nach des oftfränfiichen Yudwig Tod am 20. Januar 882 dem neuftriichen Yudwig riethen, die von wejtlothringiichen Großen in ihrer Bedrängniß durd die Normannen angebotene Huldigung nicht anzu— nehmen , fondern den den Kaiſer gegenüber eingegangenen Verpflich— tungen treu zu bleiben. Ludwig jchiete ihnen unter dem Grafen Theodorich eine Heerſchaar (scaram hostilem) gegen die Normannen zu Hülfe?; vielleicht hoffte er wie fpäter fein jüngerer Bruder durch

! Hinem., SS. I, 514.

2 Nicht la Nize im Auxerrois nad) Mabillon, Ann. Ben. III, 217. Böhmer 1746,

3 Böhmer 1854. Hincm. 881 und Regino 874, SS. I, 513 und 590.

* Hincm., SS. I, 513. Dümmler II, 156.

5 Hincmard Worte quasi in adjutorium deuten auf heimliche Pläne

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freundfchaftliche Verhandlungen wieder in den Beſitz Weſtlothringens zu gelangen. Hugo war wohl mit dem neuftriichen Aufgebot allein den Normaunen nicht gewachſen, daher finden wir im Frühjahr 882 beide Könige an der Yoire.

Karlmann befand ſich am 14. Juni zu Lipfiacum in Anjou und mag dann wieder vor Vienne gezogen fein, wo er am 8. Auguft eine Urkunde ausſtellte!. Vielleicht bejtätigte er damals auf Hugos Bitte alle Privilegien und Befigungen von S. Martin ?.

Bermuthlich erjt nach feinem Abzug, nicht fofort nach der Oſter— feier in Compiegne (8. April), brach Ludwig nad) Neuftrien auf, um die Fürften der Bretonen zu empfangen und gegen die Normannen zu ziehen. Wahrjcheinlich lebten damals Alan und Judikael in Frieden und gedachten ſich mit dein tapfern Ludwig gegen die Nor— mannen zu verbinden. Doc, jcheint e8 nicht dazu gekommen zu fein, vielmehr verjtändigte fi) Yudwig mit dem mächtigſten Normannen- häuptling Hafting. Derjelbe verließ im Herbſt wirflid) die Loire, um andere Küften zu plündern ®,

Zum Unheil für das weſtfränkiſche eich endete ein Unfall nod) vorher das Leben des tapferen Normannenfiegers, der zu den beiten Hoffnungen berechtigt hatte. Ludwig verfolgte in Tours in jugend« licher Leidenschaft zu Pferde die Tochter Germunds über die Schwelle des väterlichen Hauſes und verlegte ſich Bruft und Schultern fchwer *. Er ließ fi) nad) S. Denis bringen und jtarb dort am 5. Auguft?,

Die Normannen in Elsloo hatten im Frühjahr vermuthlich, nachdem Biſchof Wala von Met bei Remich am 10. April gegen fie gefallen war, und als Yudwig ſich an der Yoire befand, abermals das weftfränfifche Reid) heimgefucht und einen Theil de8 Spreugels von Reims, Cambray und Arras verwüftet, wo Ludwig für die Burg

Ludwigs, find aber wahricheinlich nur der Ausfluß der erbitterten Stimmung Hintmars. ©frörer II, 229.

ı Böhmer 1858. Sidel, Forſchungen IX, 431,

2 Er ift jpäter nicht mit Sicherheit in Neuftrien nachzuweiſen, die Auf- zählung von Ländern, unter denen ihm Italien und Germanien nie gehörten, wohl eine veraltete Kanzleiformel, beweift nicht, wie Mabille, Pancarte LXXI, ©. 103, unter Angabe eines faljchen Datums für Ludwigs Tod meint, daß die Urkunde nad feinem Regierungsantritt im ganzen Reich ausgeftellt wurde. Dagegen fpricht, daß Karlmann nicht wie anderer Verwandten auch feines Bruders als geftorben gedentt.

s Hincm. und Ann. Vedast., SS. I, 513 und II, 199. Dimmer II, 206 Anm. 17 gegen Lappenberg, Geſchichte von England I, 324 Anm. 1.

*Germund iſt wohl identifch mit dem, weldem Karl der Kahle (nicht Karl der Große; Mabille, -Pancarte S. 79) die Billa Judeis im Gau von Chartres verliehen hatte. S. Beftätigung Kaifer Karls II. vom 24. October 886, Bouq. IX, 351. Böhmer 1004. Die fagenhafte Tradition von Ludwigs Tod Hariulfi chron. Centul., bei Dachery IV, 518, Albericus, Bouq. IX, 57, Dümmler II, 153, Inüpft an den verwandten Namen Guarmund an,

5 Hincm., Ann. Vedast., S. Columbae Senon. und Floriacenses, SS. I, 513 und 103. II, 199. 254, gegen Ann. Lemovicenses und Cont. Ado- nis, SS. II, 251 und 325.

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Etrun feine Befagung hatte finden fönnen, das Kaftell Mouzon bei Sedan niedergebrannt. Als Kaiſer Karl Ende Juli die Erwartungen, die auch Hinkmar bei jeiner Aufforderung, die Zügel im wejtfränfie ſchen Reid) in die Hand zu nehmen, hegte, durch den jchmählichen Bertrag von Elsloo täujchte, mußte man neue Einfälle in vergrößerten Maßſtab fürcten. Daher lagen die meiſten Großen bei Yudwige Tod bereit, gegen die Normannen ins Feld zu vüden Sie forderten unter fo fchwierigen VBerhäitnijfen feinen Bruder SKarlınann auf, unter Zurücdlafjung eines Belagerungskorps vor Vienne und gegen Boſo, jchleunigjt zu kommen und ihre Huldigung entgegenzunehmen, Diefe leijteten die geiftlichen und weltlichen Großen am 9. September zu Kierſy an der Dife, nadydem SKarlınann den Biſchöfen die zu Kieriy von Karl dem Kahlen und von ihm jelbjt in Ferrières gegebenen Zuficherungen ihrer Rechte ! und Privilegien erneuert hatte.

Dbwohl um dieje Zeit die erfreuliche Kunde von der Einnahme Biennes kam und Hafting die Yoire jeinem Verſprechen gemäß ver= ließ?, blieb doc Karlmanns Yage nad) Außen wie nad) Innen jchwer bedrängt. Hugo und andere weile und gute Männer unter den Großen vergaßen daher ihren Groll gegen Hinkmar und baten ihn um Rath, nad) welchen Grundfägen der junge König regieren folle. Hinkmar jtellte der damaligen Verwirrung den Hof und die Verwaltung Karla des Großen und der erjten Zeit Ludwigs des Frommen gegenüber, wie er fie theil8 aus eigener Anſchauung kannte, theils in Adalhards Schrift de ordine palatii dargejtellt fand?. Er wid) feinen Schritt von den in S. Makra gejtellten Forderungen zurüd. Ihm erjchien die Neichsverwaltung Karls de8 Großen als Ideal geordneter Abgren= zung der verjchiedenen Aemter und gerechter und jchonender Behaud— lung aller Stände. Seinem hierardiichen Sinn fagte es zu, daß damals an der Spitze des Hofes ein Geijtlicher, der apocrisiarius, geitanden hatte, dem der erjte Kanzler, gleichfalls ein Klerifer, im Rang folgte. An Stelle des Erjteren war jegt der Erzfapellan ges treten, der zugleich da8 Kanzleramt bekleidet zu haben jcheint, troßdem aber keineswegs mehr der erjte in Einfluß und Würde war. Nennen doch die Annalen von S. Colombe Hugo das Haupt der Hofgeiftlichfeit, wäh rend: im dem ummittelbar vorhergehenden Jahren Gauzlin und Wulfard, Abt von Flavigny in Burgund, Erzfanzler waren. Hinfmar betont, daf damals: die Meitglieder der Kanzlei Fuge und treue Männer ges wejen ſeien, die ohne unmäßige Abgaben und Käuflichfeit die könig— lichen Urkunden fchrieben und Geheimniffe treu bewahrten: offenbar ein Hieb auf die Notare der legten Zeit, unter denen Odaker, der Ufurpator von Beauvais, war. Auch zu den übrigen Aemtern habe man Männer von edlem Herzen und ftarfem Körper, verftändig, ver= ſchwiegen und mäßig gewählt, aus verſchiedenen Gebieten, damit ein

ı 1,1. 1, 59. j 2 Hincm., SS. I, 514. Ann. Vedast., II, 199, 8 Opp. U, 201. Noorden ©. 384 ff.

XIV. 8

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jedes in der Pfalz vertreten fei, während in diefer Zeit befonders burgundifhe Große in hohem Aufehn ftanden. Jeder war mit dem ihm Zugewiefenen zufrieden und bat, wenn erforderlich, feine Genoſſen um Hälfe, ftatt nad) dem Eigenthum und dem nothwendigen Unterhalt Anderer zu begehren. BPfalzgraf und Apokrifiarius prüften, ob die Anliegen von Geiftlihen ımd Laien vor den König gehörten, fo daß von ihm nicht Unnützliches (inutilia) und Unwürdiges erlangt wurde !, Königin und Kämmerer forgten für die Jahresgeſchenke an die Vaffallen, ihren Unterhalt und ihre Pferde, jo daß ber König ftets fein Augenmerk auf die Verhältniffe de8 ganzen Reichs richten konnte. Offenbar liegt hierin ein Borwurf für den Käm— merer Theodorich, da feine Königin al8 Hausfrau am Hofe waltete. Weiter wirft Hinfmar den Räthen des Königs Verrat geheimer Berabredungen mit dem Herricher vor. Ihren ficher oft mit Umge— hung der übrigen Großen gepflogenen Berathungen und den unregel- mäßigen tumultuariichen Reichstagen jtellt er das Verhalten Karls des Großen gegen den Reichstag und die engere berathende Berfammlung im Herbjt gegenüber. Preilic fühlte Hinfmar, daß jene Einrichtungen ſchwerlich in ihrer alten Bedeutung jich wiederbeleben ließen, denn die Leiter de8 Hofes zur Zeit Ludwigs des Frommen waren todt. Dod) lebten ja noch ihre Eöhne, deren Sitten und Eigenfchaften Hinkmar nicht zu feimen vorgab. Sie ermahnte er, in Tugend und Wandel, Weisheit und guten Bejtrebungen der Väter nicht unwerth zu fein, damit fie nach Berdienft deren Stellen und Aemter einnehmen könnten, Offenbar weiſt Hinfmar damit auf den Abt Hugo, Theodorich, Gauzlin, die damals noch lebenden Brüder Konrad und Guelfo hin, deren Väter am Hofe Yudwigs des Frommen bedeutenden Einfluß ge— habt hatten.

Schwerlich werden die von Hinkmar offenbar gewiinjchten weitgreifenden Aenderungen in Bejegung der höchſten Hofämter ein— getreten fein. Karlmanns Kanzler Wulfard, Bruder feiner Stief- mutter Adelheid war inzwijchen gejtorben ?, aber erſt am 14. Auguft 883 wird wieder ein Erzfanzler genannt, und zwar Gauzlin: viel leicht eine Folge von Hinfmars Rath, da Ganzlin ſchwer bei Seite zu jchieben war, aber durd) feine Empörung ſich der früher beffeideten Stellung wenig würdig gezeigt hatte.

Karlmann gab auch unter den damaligen Umftänden in Betreff bes Bisthums Beauvais nach und ließ ftatt Odaker Hrotgar wählen ?, Wenngleich; Hinkmar bei dem drohenden oder bereits erfolgten Einfall der Normannen den Schaden, den Hugos Abwejenheit bringen konnte, vielleicht voraus jah, handelte diejfer doc im feinem Sinn, wenn er fi mit einigen Großen zu dem am 1. Oftober vom Kaiſer in

ı 1.c.c. 19 fl.

2 Zwiichen dem 29, Auguft 881 und 14. Juni 882. Böhmer 1857 und 1858, vgl. 1862.

® Ann. Vedast. 883. Noorden ©. 883;

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Worms gehaltenen Reichstag begab. Zwar erreichte er den eigentlichen Zwed, die freiwillige Rückgabe von Wejtlothringen, nicht, er erlangte feinen bejtimmten Bejcheid. Aber es ijt wohl möglich, daß Karl ILL. den einzig übrigen legitimen Karolinger adoptirte und fir den Yall feines Einderlofen Todes für feine Nachfolge im Reich zu wirken in Ausficht ftelltel. Auch mag Karl auf S. Vaaſt verzichtet Haben, falls dies überhaupt in den Beſitz feines Bruders gefommen war.

Aber Karlmann erhielt nicht einmal Burgund, das Gebiet jeines Vaters, zurüd, Außer den feit dem Vertrag von Verdun zum welt fränfifchen eich gehörigen Theilen mag er die deinjelben zu Meerſen überlajjenen Gaue von Bejancon und auf dem vechten Rhoneufer be= halten haben. Auch die Provence wurde ihm überlajjen *.

Dagegen erfannte Vienne unter Bernhard von Auvergne und Septimanien Kaifer Karls Oberhoheit an, obwohl wejtfräufijche Streit= fräfte das Meijte zur Wicdereroberung beigetragen hatten. Bezeich— nend für die verworrenen Zujtäude der füdlichen Reichstheile ift, daß eine Urkunde Bernhards von Auvergne für die Abtei Conques in Novergue nad) Karls Negierungsjahren als König der Franken da= tirt ijt, eine Gerichtsurfunde aus Garcafjone und die Urkunden von S. Julian in Brioude zur Zeit Karlmanns nad Kaijerjahren Karls , jo daß auch in diefen Gebieten feine Oberhoheit anerfaunt wurde”.

Karlmann verlor in Folge davon das Yutereife an der Fort— führung des Kampfes gegen Bofo, der Beruhard und italienijchen Großen überlaljen blieb.

Er Hatte nähere Sorgen. Denn die Dänen von Elsloo unter dein Seefünig Eigfrid warfen fi) wieder auf das wejtfränfifche Reich und fuhren im Dftober 882 nad) Conde an der Scelde, das fie früher als vortrefflichen Ausgangepunft für ihre Unternehmungen er= probt hatten‘, Mögen fie aud) nicht, wie Hinkmar meint, an die Erobes rung des Reichs gedacht haben, jo verfolgten fie doch wahrjcheinlic) den, Gotfrid an den Aheinmündungen, Gutorm in Djtangeln geglückten Plan ein Küftenland zu ihrem dauernden Beſitz zu machen. Befand ſich doch wahrſcheinlich Rollo, der dies fpäter ausgeführt hat, ſchon unter den Normannen von Gonde >.

Das fränkische Vafjallenheer erwies ſich vollkommen unzulänglich,

1 Stein, Konrad I. und fein Haus, 1872, ©. 68, gegen Dümmler

02.

2 Urkunden aus dem Gau von yon, Gingins fa Sarraz S. 190, und Schenkungen im Gau von Frejus an ein Klofter in Marjeile, Böhmer 1863.

s Gingins la Sarraz ©. 186 ff. Hist. de Languedoc II, 14 umd preuves ©. 20. 21. Cart. de Brioude Wr. 33 ff.

* Ann. Vedast. 882. Reg. 884. Asser. und Chron. Anglosaxon. 883, Ethelwerd chron.; SS. I, 594 und II, 193. Mon. hist. Brit. 1, 368 und 516.

5 Dudo v. ©. Duentin in der neueften Ausgabe von Jules Lair II, 9, ©. 150, Einleitung ©. 56.

8*

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eine weite Grenzftredie gegen ſtets drohende Angriffe erfolgreich zu decken. Obenein liegen mehrere Große den König, dem feine rechte Hand, der Abt Hugo, fehlte, im Stich. So drangen die Normannen durch den Wald Thierache im Duclleugebiet der Dije bis Laon vor und verwüfteten und verbrannten die Gegend ringsumber. Es ver— breitete ji) das Gerücht, dag die ganze Macht mad) Reims ziege und über Soiffous und Noyon zur Croberung des hoch und feſtge— legenen Yaon zurückkehren wolle. Da flüchtete Hinfmar am 8. No= vember bei Nacht in einem Tragſeſſel über die Marne nach Epernay; denn feine Mannfchaft war beim König!. Die Schaar der Nor— mannen, die wirklich nad) Reims zog, mochte in der anjehnlichen, ob= wohl offenen und verlajjenen Stadt einen Hinterhalt fürchten und begnügte ſich mit Niederbreunung der Heinen Ortſchaften vor den Thoren.

Karlmann raffte alle verfügbaren Kräfte zufammen und griff die bentebeladenen Schaaren bei Avaur an der Aisne an. Wie von ihr fanden von dem von Reims Abzichenden viele, im Ganzen 1000 Normannen den Tod? Aber der größere Theil fette fich in Avaux feft, deſſen natürliche Yage einen Angriff mit ungenügenden Kräften wahrſcheinlich nicht räthlich ericheinen ließ. Daher zogen ſich die Weitfranfen gegen Abend langſam zurück und quartierten ji) im den Nacbarorten ein. Die Normannen aber eilten, fobald der Mond aufgegangen war, auf dein früheren Wege nad) ihrem Standquartier Eonde.

Inzwiſchen traf Abt Hugo wieder aus Worms beim König ein, der nad) dem feiten Gompiegne gegangen war, und jammelte auf die Kunde der fortdanernden Verheerung alles Yandes bis zur Dije und der Vertreibung der ganzen Bevölkerung ojtwärts der Seine ein Heer. Beide folgten den von einem Raubzug in den Gau von DBeauvais zurückfehrenden Normannen im Dezember in den WVicognewald bei Gonde?, Aber des Terrains wohl fundig zerjtreuten fich die Nor— mannen und entfamen mit geringem Verluſt nad) den nahen Schiffen.

Sie fuhren den Winter über fort, weil wahrſcheinlich die Vaſſallen nicht zuſammenzuhalten waren, widerſtandslos zu morden und zu jengen, die Bewohner, namentlic) die Geijtlichen, zu vertilgen oder über Mieer zu verfaufen. Was ihrem Schwert entwich, erlag dem Hunger. Um aud in Zukunft feinen Widerſtand zu finden, riſſen fie alle Mauern nieder, Die Klöfter und Kirchen wurden bis auf den Grund zerftört oder, wie Anfang 883 S. Quentin und die Marienkirche in, Arras, in Brand geitedt.

Unter fo verzweifelten Umftänden Hatte Hinfmar aus Epernay an die wohl großentheils zum Feldzug verfammelten Bifchöfe eine

* ı Translatio S. Rotfridi, A. S. Bolland. Octob. I, 170. Dümmler 211. Chron. Remense, bei Labbe Nova bibl. I, 359. Ann. Vedast,, SS. II, 200.

5 Ann. Vedast. l. c., um die Zeit von Hinkmars Tod,

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wicherholte Ermahnung für König Karlmann gerichtet. In diefer feiner letten Kundgebung betonte er nochmals den Vorrang der bi— ihöflihen Würde, die aus feinem weltlichen Beweggrund verliehen werden dürfe, vor der füniglichen. Als Pflicht des Regenten ftellt er hin, alle zu leiten (regere), deshalb müſſe er alle Unbill abftellen und alles Unrecht ohne Anfehn der Perſon trafen und befonders Flüchtlinge, Unmündige und Waifen jchügen. Er ſoll alte, weife und gemäßigte Nathgeber haben, die das Beifpiel guten Wandel8 geben, nicht betrügen und heucheln oder dem Vergnügen nachhängen und uns mäßig find? Wer diefe Pflichten nicht erfülle, müffe viel Unglück feines Neiches ertragen. Der Yandfriede werde oft gebrodyen, der Ertrag des Bodens gemindert und die Laſten des Volks vermehrt werben. Einfallende Feinde verwüſten rings die Provinzen, wilde Thiere zer— reißen das Vieh, felbit die Elemente fchaden den Saaten, Bäumen und Reben. Die Söhne und Enfel des pflichtvergejjenen Fürften erben nicht das Reich; denn wie der König die höchite Stelle im Lande einnimmt, muß ihn die ſchwerſte Strafe für die Vernachläffi« gung feiner Pflicht treffen. Nur dur Furcht und Liebe kann er die Ordnung erhalten, darf feine Frevler zu Freunden haben und nicht feinen Verwandten großen Einfluß gönnen ®. Hier ſcheint Hinkmar auf Hugo zu deuten, der als Haupt der verweltfichten Geiſtlichen feinen hierarchiichen Beftrebungen oft entgegengetreten war. Hinkmars Ver- bitterung gegen die herrichende Partei am Hof muß berüdfichtigt werden, wenn man dieſe düjtere Schilderung der Zuftände im Ges wand der Warnung licht.

Freilich beſaß Hinfmar Mitgefühl fiir die Peiden auch des armen Volks, denn er verlangt, der König folle den Armen Zutritt gewähren, damit fie nicht durch Ungerechtigkeit und Nachläſſigkeit Unterdrüdung leiden. Zu Herzogen und Grafen foll er Männer ernennen, die ohne Gefahr für ihm gerecht und billig regieren, nicht das Volk beherrichen und durch überflüfjige Bauten, Tribut an die Feinde und widergeſetz- liche Heranzichung zu Gerichtstagen quälen. Die Grafen, Vifare, d. h. Hundertichaftsbeamte, und Dekane feßen eine Menge von Ges rihtstagen an, um von den Nichtericheinenden die Buße einzuziehen. Um nicht felbit fir widerrechtliche Ladung Strafe zahlen zu müſſen, wenden fie ftatt der alten Norm der Yadung durch die Partei, ma- nitio nad) Volfsrecht, bannitio an. Je nachdem es ihnen Vortheil bringt *, wenden fie das Volfsrecht, lex, oder das Reichsrecht, capi- tula, an, fo daß Beide oft für nichts geachtet werden. Der Miß— braud) ihres Rechts zu Geldftrafen hat zur Folge, daß, wenn früher

u Be 90 m | es

—12, Opp. II, er ec. 13—15. Sohm, Altdentiche Reichd- und Gerichtsver« faffung ©. 113. 214 ff. und 370 Anm; 40 Hält Hinkmars Beſchwerde für rechtlich unbegründet,

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viele, jett nur noch einige heerbannfähig find. Hinkmar trifft die wun— deſte Stelle der damaligen Zuftände, vermag aber nicht die Mittel zu durchgreifender Abhülfe anzugeben. Nicht das von ihm ſtets em— pfohlene Zujammenwirfen . des Königs mit geiftlichen und weltlichen Großen konnte helfen, denn diefe fuchten in feiner, jene in gröbfter Weiſe nur ihren Vortheil. Selbſt tüchtige und energifche Fürften wären bei der nadten Selbitfucht der höhern Stände fchwerlid im Stande geweſen, dem unglüdlichen Pande zu helfen.

Auch Hinfmar war von Herrichlucht ud Leidenschaftlichkeit nicht frei, aber doc) ftet® bemüht geweſen, nach beiter Erfenntniß für das Wohl des Neichs zu wirken. Seine legte Schrift beweift, mit wel= heim Kummer über die Zerrüttung des Landes er am 21. Dezember 882 fein Yeben in Epernay beichlof.

Die Wiederbefegung des angejehenften Erzbisthums im Reich war natürlich für das Königthum von hoher Wichtigkeit, es galt jteter Erneuerung der von Hinkmar aufgeftellten Forderung vollkom— nıen freier Biſchofswahlen entgegenzutreten und den Einfluß des Hofes zu wahren. Hier verbreitete ſich das Gerücht, bie Geiftlichkeit von Reims und einige Laienvaſſallen hätten, ohne die Anfunft des wahr- Icheinlic; vom König ernannten Bifitators abzuwarten, einen Biſchof erwählt. Gegen diefe von Reimſer Geiftlichen erhobene Beſchuldigung verwahrten fich Klerus und Vaſſallen des Bisthums in einem Brief an Hildebald von Soiſſons und die übrigen Bifchöfe der Reimſer Kirhenprovinz! am 5. Februar 883. Sie fandten den Propft des Klofters Hautvilliers Guntram mit dem Schreiben, deffen Inhalt fie dem Abt Hugo und Bifchof Angeloin (wohl Ingelwin von Paris) mitzutheilen baten. Wir fennen den angeblich Ermwählten nicht, aber die MWahrfcheinlichkeit fpricht dafür, daß der Neimfer Klerus im Sinne Hinfmars einen unabhängigen Mann, wo möglich aus feiner eigenen Mitte, zu erheben wünfchte?. Dagegen erfennen wir in der im März erfolgten Weihe des Abts Fulfo von S. Bertin den Ein- fluß des Hofes, vor Allem wohl des Abts Hugo. Denn Flodoard nennt ihn palatinis assuetus offieiis. Er hatte al8 Mitglied der Geiftlichkeit Karl den Kahlen nach Stalien begleitet, zum Regentſchafts— rath Ludwigs des Stammlers gehört und war mit den einflußreichen burgundifchen Grafen Guido und Anschar verwandt?,

Bald nad) feiner Erhebung empfahl Fulfo dem Papft Marinus König Karlınann, der natürlich für gerathen hielt, das freundſchaft— liche Verhältniß feiner Vorgänger zum Papftthum aufrecht zu erhalten. Auch bei Marinus’ Nachfolger Hadrian, feit Mitte 884, ermeuerte Karlmann durch Fulkos Vermittelung feine Huldigungent. Die ftolze

* Mansi XVII, 414 Abdrud aus Baluze Capit. * Die Gallia christ. IX, 45 meint, man babe bereit? an Fullo ge⸗

dacht. s Flod. IV, 1 und IV, 5. LL. I, 589, c. 15. * Flod. IV, 1.

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Unabhängigkeit der weitfränfifchen Kirche vom Königthum und Papfts thum war mit Hinfmar zu Grabe getragen.

Das dürfen wir auch aus einigen der nächſten Bifchofswahlen ſchließen. So wurde der Propjt des vom Abt Hugo abhängigen Klos fters S. Columba Everard am 28. April 884 Erzbifchof von Sens, und in Beauvais bejtieg nach Hrotgars Tod der von Hinkmar ver= worfene Honorat 883 den bifchöflihen Stuhl, Anfang 884 der ein- flußreiche Gauzlin, damals wieder Erzfanzler, den von Paris!,

Auch dem äußern Feind gegenüber ließ es Karlmann an Thätigs feit nicht fehlen und bemühte ſich dem fchmählichen Raubweſen ein Ende zu machen. Am 22. Februar 883 erlieh er auf einem Reichs— tag zu Gompiegne ein Capitular, wonad) die Frevler für die bisher verübten NRäubereien eine vom König verhängte demüthigende Strafe, die harmiscara, treffen jollte?, Die Yehusherren follen in Zufunft für ihre raubenden Bajjallen beitraft werden, wenn fie die Thäter nicht vor den König brächten. Dies hatte fo wenig wie das Verbot, folchen Aufnahme zu gewähren die ſich dem Gericht nicht geftellt Hatten und deshalb verfejtet jeien (forbanniti), den gewünſchten Erfolg, da die Großen fih an dem Raubwejen jelbjt betheiligten , namentlich; das niedere Volk und die Klöfter heimfuchten. Vermuthlich mit den zu Compiegne verfammelten Großen jtand Karlmann, ohne Erfprickliches ausrichten zu Fünnen, den Normannen gegenüber. Im Frühjahr ver= liegen fie Conde und verheerten den Sommer über Flandern mit Feuer und Schwert, die Bevölferung austreibend?, Hugo mag, an diefen Greignijjen nicht betheiligt, Neuftrien vor erneuten Einfällen der Normannen von der Bretagne her geichütt Haben.

Nah dem Bericht eines Hersfelder Mönchs Diedericus aus dem Beginn des elften Jahrhunderts verwülteten die Normannen unter Karlmaunn abermals die Loiregegenden*. Die Mönche von Fleury erhielten fünf Tage vorher Kunde von dem beabfichtigten Ueberfall ihres Klofters und flohen großentheil® mit den Reliquien ins Kloſter S. Aignan, dein, wie wir willen, von Bifhof Walter befeitigten Orleans. Sechzig oder mehr mit einigen Kirchendies nern Zurücfgebliebene wurden niedergemegelt, alles Werthoolfe ges raubt und ein der Himmelsfönigin geweihtes Bethaus niedergebrannt. In derfelben Nacht fei dem mächtigen Vogt des Kloſters Graf Gislolf der heilige Benedikt erfchienen und Habe ihn aufgefordert die Vernichtung ihres Kloſters zu rächen. Nad vielen durch den Heiligen beichwichtigten Bedenken habe der Graf mit allen Lehns— leuten, die er zufammenraffen fonnte, die Räuber verfolgt, ihnen am dritten Tage bei Angers die Beute abgenommen und mehrere Gefangene befreit. Der König habe die Kunde von folhem Erfolg mit geringer

1 Gall. christ. XII, 27. Ann, Ved. 883. 884, SS. II, 200, 2 LL.I, 550. Waitz, D. Berfaffungsgeihichte IV, 445.

® Ann. Ved.|.c.

* Illatio 8. Benedicti, Mab. A. 8. IV, 2, ©. 364.

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Mannſchaft nicht geglaubt, bis Gislolf ihm verſichert, daß Benedikt ihnen im Mönchsgewand zu Roß vorangekämpft habe. Karlmann ſei mit allen Vornehmen des Reichs nach Fleury gekommen und habe das Kloſter im Lauf eines Jahres wiederherſtellen laſſen. Eine große Verſammlung von Biſchöfen und Aebten habe beſchloſſen, am erſten Adventſonntag, dem 1. Dezember, bei ſtrengem Froſt die Reli— quien von Orleans zurückzubringen. Im Vertrauen auf Gottes Macht habe man ſie trotz ſtrengen Froſtes in der 18 Meilen entfernten Stadt auf ein Schiff geſetzt, und ſie ſeien trotz des Eiſes ohne menſch— liche Hülfe am 4. Dezember nach dem Kloſter gelangt. Trotz dieſer Wundergeſchichten mag der Legende ein hiſtoriſcher Kern zu Grunde fiegen!. Dann wäre Hugo an der Verſammlung von Compiegne und der Belagerung gegen die Schelde-Normannen betheiligt zu denfen und während feiner Abwefenheit der Raubzug an der Loire im Winter 882—883 erfolgt ; zwifchen März und Auguft 883 könnte Karlmann über deſſen Aufenthalt während diefer Zeit uns jede Kunde fehlt ?, nach Fleury gekommen fein.

Am 11. Auguft 8833 befand fi) Hugo in der Umgebung bes Könige zu Melnacum, wahrscheinlich Mianay im Vimen an ber untern Somme, Unter feiner und aller Großen Zuftimmung beitä= tigte Karlmann Bifchof Walter die Privilegien feines Bisthums Or— leand. Es galt abermal® den Schutz des Reichs gegen die Nor— mannen, die Ende Oktober mit Neiterei, Fußvolk und allem Kriegs— geräth gegenüber von Laviers Stellung nahmen? Als auch ihre Schiffe vom Meer her in die Somme einliefen, mußte der König, wahrscheinlich aus Furcht vor Umgehung, fliehen und über die Dife zurückgehen. Die Normannen fonnten in Amiens Mintergquartiere aufichlagen und noch weiter al8 in den letten Jahren bis zur Seine und auf beiden Difeufern verwültend vordringen®. Da man ihren Vortfchritten fein Ziel zu feen vermochte, ſchien e8 räthlich fie durch einen Vertrag zum Abzug zu bewegen. Man wählte als geeianeten Unterhändfer Sigfrid, einen Neffen oder Enkel (nepos) des Dänen fönigs Horich, wohl des 854 gefallenen, der wie fein Verwandter Rorich weitfränfische Lehen erhalten Haben mochte und zum Chriften- thum übergetreten war. Derfelbe ging über Beauvais nach Amiens, ohne zunächit mit feinen Stammgenoſſen einig zu werden. Vielmehr festen die Normannen im Winter 883 ihr furdhtbares Treiben fort.

1 Mabillon, Ann. Ben. III, 200 ff. Die Daten paffen auf den 4 Dezember 883. Doc ift fehr möglich, daß die von Dietrich aufgezeichnete Tra— dition aus der Zerftörung Fleurys im Jahr 865 (Mobert der Tapfere S. 94) und dem Kampf Hugos zufammengeflofien ift.

- 3 Ein anonymer Klofterchronift läßt diefelben Ereinniffe ſich unter Karl dem Einfältigen zutragen; Mabill., 1. c., vielleicht durch die in Fleury ſelbſt ausgeſtellte Beftärigungeurkunbe des Königs vom 30. Oktober 900 veranlaft, Böhmer 1713,

s Böhmer 1862. Ann. Ved.

* Chron. 889. Kihelward, IV, 3; Mon. hist. Britann. ], 359 und 516.

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Auf allen Straßen und in jedem Ort Tagen Leichen jedes Standes, Geſchlechts und Alters, das chriſtliche Volk war bis zur Vernichtung heimgefucht.

Außer Stand gegen fo furchtbare Leiden zu fchüten, verfammelten fih die Großen, die den höchſtens 18jährigen Karlmann noch als Kind anfahen, im Beginn des Jahres 884 abermals in Compiegne und verhandelten, was zu thun fei. Wieder wurde Siepfrid an feine Landsleute gefandt, deren bedeutendfter gleichnamiger Fürſt vielleicht felbft mit ihm verwandt war, um gegen Tribut die Räumumg. des Reichs zu erlangen. Nach vielem Hin- und Herverhandeln verlangten die Normannen endlich 12,000 Pfd. reines und geprüftes Silber nad) ihrem 4 °/o jchwereren Gewicht ? und veriprachen dafür zwölf Jahre Frieden zu Halten. Die Summe berechnet fih auf etwa 275,000 Thlr. Silberwerth, der nad) den unaufhörlichen innern Unruhen und Normanneneinfällen gewiß mehr als das Siebenfache des heutigen betrug (nad) dem Getreidepreis vor 1850). Diefe Zahlung, die größte die den Normannen auf dem Gontinent geleiftet worden, war eine unge- heure Laſt für das verarmte Land. Sehr gewichtige Gründe müffen die Großen bewogen haben, durch folche Opfer längere Ruhe zu er- faufen. Vielleicht gedachten fie in der Zwifchenzeit , namentlich durch Bermehrung der befeftigten Pläte und Sperrung der Flüffe, wie fie Karl der Kahle und bald darauf Paris ausführte, Kraft zur Abwehr weiterer Angriffe zu gewinnen. Wurde für zwölf Fahre eine friedliche Entwidlung ermöglicht, fo konnte man hoffen, wie Alfred der Große den Normannen und fpäter Heinric I. den Ungarn mit beſſerm Er- folg als bisher Widerftand zu leiſten. Zunächſt wurden gegenfeitige Geiseln ala Bürgichaft für einen Waffenftillftand von Mariä Reinte gung (2. Februar) bis zum Dftober 884 geſtellt, dann follte nad) Zahlung des Tributs der Abzug der Normannen erfolgen.

Natürlich nahm Abt Hugo hervorragenden Antheil am Abſchluß des Vertrags, zumal feine Anwefenheit in Compiegne am 2. und 3. Februar urfundlich bezeugt ift. Er und Frotar von Bourges baten Karlmann vor der zahlreichen Verſammlung geiftlicher und weltlicher Großen um Rückgabe der Billa Cilianum im Gau von Frejus an Biihof Berengar von Marjeille und das Stift ©. Bictor?. Am 9. Februar wirfte Hugo beim König einen Schutz- und Immunitäts— brief für das Klofter Alfa (Moutier Namey) in der Grafichaft Troyes and. Hugo nahm daher wahricheinlih auch an den Ver— handlungen eines Theils der Großen im März zu Vernis* Theil.

Auch aus Karlmanns Anrede an die Großen in der Einleitung

! Ann. Vedast., Reg. 884, SS. I, 554 und II, 200. Dimmer I, 859 und 799,

R Ani Ann. Fuld. 882, 88. I, 397. Soetbeer, Forfchungen V, 55, vgl. oben

s Böhmer 1863 und 1865.

* LL. I. 551; nicht Berneuil, wahrſcheinlich Vaines 6 Kilometer mweftlich von Lagny, f. Longnon, Recenfion der M. G. Diplomata, Rev. crit. 1873, ©. 129. Diümmler II, 232,

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dieſes Capitulars ergiebt fich, daß die Peiden des Volks gefteigert wur« den durch fchimpfliche Habgier der Großen, die ihm wie Hinfmar al8 Urfache der Fortichritte der Normannen galt. Die vorgeſchla— genen Mittel zur Abhülfe waren mehr moralifche Ermahnungen als Mafregeln von politifcher Tragweite. Die Pfalz, der Hof folle in Ehrfurdt vor dem König, Gottesfurdht, Eintracht und Frieden befe- ftigt, von dort der Landfriede über das ganze Weich verbreitet werden.

In der Erfenntniß, daß mweltlihe Mittel dazu nicht ausreichten und die Lehnsherren ihre Vaffallen oft im räuberiichen Treiben be= jtärften oder doc; beichütten, fuchen Karlmann und feine Nathgeber hauptſächlich geiftlihe Strafen in Wirkſamkeit zu ſetzen.

Der Biſchof ſoll durch den Presbyter, in deſſen Pfarre der Räuber wohnt, dreimal zur Zahlung des Friedensgelds, zur Beſſerung und Buße auffordern, wenn das fruchtlos bleibt, die Exkommunikation ausſprechen und dem Lehnsherrn und ſeinen Mitbiſchöfen anzeigen, damit der Frevler nicht vor geleiſteter Genugthuung in die Kirchen— gemeinschaft aufgenommen werde. Wenn der Raub nicht in der Heimath, namentlich; auf dem Marſch oder der Hoffahrt verübt ift, foll der Biſchof der fremden Diözefe die Aufforderung vornehmen laſſen, ohne daß der Biſchof der Heimat die Jurisdiftion über feinen Parrochianen übelnehmen fol. Der Frevler darf die Diözefe nicht vor geleijteter Buße verlaffen, fein Lehnsherr und Bischof ihn nicht eher aufnehmen . Eo oft die Bijchöfe ihren Eik verlaffen, follen fie ge— eignete Vertreter zurüclaffen, in entfernteren Orten ältere befonnene Priejter mit Erfüllung diefer Obliegenheiten beauftragen. Sendboten, alle Beamten und des weltlichen Geſetzes kundige Franken follen die Biichöfe, ihre Diener und die Armen felbft unterjtügen, falls fie ſich an fie wenden ?.

Auch die Königsvafjallen werden wegen Raub der Yurisdiktion der Grafen unterworfen, die mit den Sendboten befugt find, fie im Fall des Ungehoriams mit Gewalt zu zwingen. Walls fie vorziehen am Hof zur Rechenschaft gezogen zu werden, bedürfen fie der Bürg— haft glaubwürdiger Männer, ein Vornehmer (melior) muß felbjt ihwören. Der König verzichtet auf den Schuß feiner Vaſſallen, wenn fie im Widerſtand den Tod finden, veripricht aber den Grafen zur Mechenfchaft zu ziehen, wenn er den Gefallenen aus Haß oder Neid, nicht wegen Raubes verfolgt hat. Dffenbar verftanden fich die Großen nur unter jolcher Verklaufulirung zur Ausnahme von ihrer Stellung unter unmittelbarer Gerichtshoheit de8 Königs, zumal auch das Recht der Fehde wegen eines im Kampf gegen die Staatsgewalt Getödteten aufgehoben wurde ®.

Damit Niemand durd) Noth zu Verbrechen gezwungen werde, eın=

c. 56 und 8, L. c. ce. 7 L. c. LL. I, 553, c. 10—11.

1 2 8

123

pfahl das Gapitular den Prieftern Gaftlichfeit. Sie follten auch ihre Parrochianen mahnen, Herberge zu gewähren und nicht theurer als zum Marktpreis zu verkaufen außer mit ihrer Erlaubniß!. Endlich) werden die vom Landvolk häufig geichloffenen Berbindungen zu eigen— mächtiger Selbithülfe (Gilden) gegen Räuber wie früher verboten.

Leider mußten die ernten Bemühungen der einfichtigeren Großen, mit Hülfe der Kirche die Fehden einzufchränfen und dem räuberi= chen Amtsadel und Vaſſallenthum gegenüber die öffentliche Sicher: heit wieder herzuftellen, fcheitern. Die faft allein noch wehrhaften welt lichen Großen und Bafjallen ftanden der verweltlichten, in vielen Be— ziehungen finfenden Kirche zu feindlich gegenüber ; die meift aus ihrem Kreis ftanımenden Beamten bewiefen in Unterftütung der Geiftlichen üblen Willen oder nahmen gar felbit am Rauben Theil. Der jugend» liche König war zu machtlos die Zuftände zu beifern. Obenein hörte dur Karlmanns Tod bald jedes direkte Eingreifen des Königthums im weitfränfiichen Reich auf.

Bermuthlic traf die Verſammlung von Vernis ähnliche Beſtim— mungen wie die zu Kierſy zur Aufbringung des Tributs an die - Normannen von Oftern, dem 16. April, an. Der Klerus wurde beſonders ſchwer getroffen, da die Kirchenschäge eine Fülle edler Me— talfe boten. Nacd den Annalen von Baaft wurden die Kirchen und ihre Güter förmlich geplündert: gewiß wird man bei dem Mangel geordneter Rechtszuftände vielfach ſehr gewaltſam vorgegangen fein.

Zunächſt blieb Hugo in der Umgebung des Königs, der ihm am 11. Juni in Meaur alle Befitungen und Privilegien von S. Ger. main beftätigte, darunter Zollfreiheit und Schenkungen Hugos unter Ludwig dem Stammler, Tilium, ein an das Krankenhaus gefchenktes Gut aus der Ausstattung des Abts Buculiacus und das von ihm gegen ein anderes Gut dem Klofter überlaffene Bandiliacum. Karl-— mann fcheint für den wadern Abt wahre Zuneigung empfunden zu haben, er fagt in der Urkunde, daß erihn wegen feiner ſtets bewahrten Treue wie einen Vater liebe ?, und erfannte ihn als feinen Bormund und den größten Vertheidiger feines Reiches an.

Hugo mag dann nad) Neuftrien gegangen fein, um für Aufs bringung des Tributs zu forgen. Ins Jahr 884 gehört noch eine Urkunde deffelben für den Vizegrafen Hildegar von Pimoges. Diefer gab dem Stift S. Martin das Gut Athee in der Touraine (Canton Blere) zurück und erhielt dafür unter Hugos Zuſtimmung mit feiner Gemahlin Tetberga vom Dekan Galterus gegen 10 Solidi Zins die Billa Brigolium (Brigueil le Chartre, Dep. Vienne, Canton de la Tremouille) als Prefarie?. Wir haben auch von einem Prefarien- vertrag Hugos mit Erzbifchof Adalhard von Tours und dejjen Bruder Raino von Angers, alfo nicht vor Ende 880, Nachricht. Adalhards

ic 12—13. 2 Böhmer 1868. Boug. IX, 435 ff., vgl. 1862. ® Mabille, Les invasions ©, 52, Pancarte OIX.

124

früheres Lehen vom Kloſter S. Aignan Appiariae im Gau von Ors leans hatte Hugo mit Zuftimmung der SKanonifer beiden Brüdern gegen 7 mansi und eine Kapelle der Gottesmutter in der Villa Bra- cidum im Gau von Plois, viearia Ascellum, als Prefaria gegeben. Fir den Zchnten und 5 Solidi Zins an das Hospital des Stifte ſollten Adelhard und Raino beide Güter auf Lebenszeit behalten!. Dieſe Urkunden beſtätigen ebenſo wie Hugos Entſcheidung gegen ſeinen Vaſſallen Wilhelm zu Gunſten der Scholaftifer von ©. Martin, daß er bei aller weltlichen und Eriegeriichen Richtung fich nicht auf Koſten ſeiner Abteien bereicherte, ſondern ihre Güter, unter verſtän— diger Berückſichtigung der Nothwendigkeit, kriegerifche Mannfcaft durch Lehen zu gewinnen, zuſammenhielt und zum Theil aus eigenem Beſitz vermehrte.

Von nun am fehlen beſtimmte Anhaltspunkte über Hugos Auf— enthalt. Wir wiſſen nicht, ob er mit Karlmann und den Großen die abziehenden Normannen im Oktober von Amiens bis Boulogne be— gleitete, um die Verletzung des Friedens zu hindern. Leider ſchei— terten alle Hoffnungen auf eine Dauer deſſelben durch den plötzlichen Tod des jungen Königs, der am 12. Dezember an einer Wunde ſtarb, die ihm durch das Ungeſchick eines ihm auf der Eberjagd zu Hülfe kommenden Genoſſen Namens Berthold im Walde Bezu la Foreß nordöſtlich von Andelys geſchlagen wurde?.

V

Nur ein fünfjähriger Knabe, der nachgeborne Sohn Ludwigs des Stammlers, Karl war noch vom Hauſe Karls des Kahlen übrig, dem ſchwerlich Abt Hugo die Königskrone übertragen wollte, wenn er auch in ſeinem Namen als Vormund wie unter den letzten Königen hätte regieren können?. Bei der ſchlimmen Lage des Reichs, an deſſen Grenzen noch immer die Normannen ſtanden, wäre es thöricht ge— weſen. Der noch fortlebende Gedanke einer Gemeinſamkeit aller frän— kiſchen Reiche und die Hoffnung, von ihm Hülfe zu erhalten, führte die weſtfränkiſchen Großen nach Karlmanns Beſtattung in S. Denis zu dem Beſchluß, dem Kaiſer Karl III. auch die weſtfränkiſche Krone an— zubieten. Hugo ſelbſt mochte durch das Fußleiden gehindert werden, an dem er im folgenden Frühjahr litt, oder gedachte der Fortſchritte der Normannen während ſeiner Abweſenheit im Jahr 882; deshalb,

! Bougqg. VII, 703 und IX, 352. Böhmer 1005. Da erft Karl III. am 27. October 886 den Vertrag beftätigte, ift er vielleicht Furz vor dem Tode Karlmanns oder unter ihm felbft abgeſchloſſen.

Ann. Vedast. Reg. 884; SS. II, 207 und I, 594. Necrol. 8. Remigii bei Dümmler II, 234. Gfrörers Hypotheie, der im Tod Karl« manne, Ludwigs III. und des Oftfranken Lubwig die Hand Kaijer Karls ficht, II, 232. 235 und 263, ift fo wenig begründet als feine Anficht, die Normannen hätten ihre Züge ftets im Dienft eines der farolingijchen Fürften gegen andere Karolinger unternommen.

® Gingins la Sarraz, Archiv für ſchweiz. Geſch. VII, 180, nad) Alberich bon Zrois Sontaines, Boug. IX, 59.

125

nicht als Haupt einer deutfchen Partei, wurde Graf Thesdorih ar den in Stalien weilenden Kaiſer geſchickt.

Inzwiſchen hatte der größere Theil der eben abgefauften Nor— mannen Yothringen aufgeſucht amd in Yöwen Wintergquartiere aufge= ſchlagen. As jie die Kunde von Karlmanns Tod vernahmen, er— nenerten fie ihre Züge ins wetfränfifche Gebiet’,

Da berittene Baſſallenheere im Winter feinen längeren Feldzug unternehmen konnten, Hugo jelbjt ſich zu frank fühlen mochte, ſchickten er und die übrigen Großen Gejandte an die Normannen mit dem Vorwurf, daß fie ihr Verfprechen und die geleitete Friedensbürg⸗ ſchaft gebrochen. Sie erwiderten, ſie hätten mit Niemand anders als Karlmann Bertrag geſchloſſen, und wer auc) in feinem Reiche folge, müſſe ihnen eine gleiche Geldjumme an Zahl und Gewicht (numeri et quantitatis) zahlen, wenn er ruhig und in Frieden herrichen wolle, Ja fie follen die Geiſeln ermordet haben ?,

Karl betrat im Mai 885 das weitfränfifche Gebiet, erjt im Juni Huldigte ihn in Gondreville und Pontyon die Michrzahl der Grogen® In der Nähe des letztern Orts zu Etrepy weilte er bis zum 22. Yuni, und hier mögen auch die Yothringer an dem feftgefegten Tage zu ihm geſtoßen fein, um gemeinfam mit den Weſtfranken die Normannen in Yöwen anzugreifen. Nur Abt Hugo wurde durd ein Fußleiden gehindert, Karl perjönlih zu Huldigen und am Veldzug Theil zu nehmen, der mit Schimpf und Schande endete °.

Der Raifer war am 23. Auguft wieder in Waiblingen. Den Weitfranfen follen die Dänen über ihre langen vergeblichen Kämpfe jpottend zugerufen haben: Warum kommt ihr zu ung, e8 war nicht nöthig; wir wiſſen wer ihr jeid, und ihr wollt, daß wir zu euch zurück— fehren, das werden wir thun. Die Normannen, unter ihnen wahr= Scheinlich auch Rollo, brachen gleich nach dem Abzug der Franfen auf, da fie Schon am 25. Juli Rouen befetten®, Die Vafjallenfchaaren des nächitgelegeneu Sranzien werden zur Deckung ihres Yandes zuſam— mengeblieben fein, denn die S. Vaafter Annalen berichten, daß die Tranfen den Normannen bis Rouen gefolgt feien *. Obgleich ihre Flotte noch nicht angefommen war, wußten fie genug Schiffe aufzutreiben, um: den Fluß zu iberfchreiten und ſich auf dem dort fehr bergigen wejtlichen Ufer zu befejtigenn.

Nicht mehr ein Grenzgebiet, fondern alle Theile de8 Reichs bes drohten fie wie vor 877 von der Hauptverfehrsader der Seine

ı Reg., Ann. Fuld., SS. I, 594 und 400,

2 Reg. 1. c. fidem datam.

® Ann. Fuld. Dem aus der Erinnerung fehreibenden Regino erſcheint diefe Botichaft als Grund zur Berufung Karls,

* Diümmler II, 235 ff. Eidel, Forfchungen IX, 416.

5 Reg. Ann. Vedast. 885; SS. I, 594 und II, 201.

° Ann. Vedast., SS. II, 201 ff. und Dudo II, 13 in der neueflen Ausgabe von Jules Lair ©. 57. Böhmer 992,

126

aus, und die Hoffnung Aller richtete fich in folcher Noth auf zwei Männer geiftlihen Standes, aber friegeriihen Sinnes , die Aebte Hugo und Gauzlin!.

Hugo genoß auch unter Karl III. das höchſte Anfehn im weitfränfiihen Weich, und die VBertheidigungsmaßregeln blieben ihm überlajjen, da aud) ein fräftigerer Herrjcher, al8 der Kaijer war, vom fernen Deutſchland oder Ytalien aus faum hier einzugreifen ver— mocht hätte. Hugos Klugheit, Muth und ZTüchtigfeit, hoffte man, werde wie früher die barbarischen Angriffe abwehren?, Seinen Einfluß auf die Austheilung von Yehen verwandte er wahrſcheinlich wie Robert der Zapfere, bejonders in Neuftrien und Burgund, zur Gewinnung tapferer VBertheidiger?. So erhielt Ganzlin das Bis— thum Paris, jein kriegeriſcher Neffe Ebolus bejaß ſchon eine feiner Abteien S. Germain des Pres, und wird damals aud) S. Denis erhalten haben. Rudolf von S. Vaaſt erhielt 883 das durch Fulfos Berufung nad Reims erledigte S. Bertin. Odo wurde, wie wir vermuthet, nach dem Tode des Welfen Konrad Graf von Paris; aud) fein Bruder Robert befaß damals eine Grafjchaft, vielleicht Troyes ; die tapferen DBertheidiger von Chartres Gotfrid und Ddo waren feine Bajjallen*. In allen diefen Ernennungen werden wir Hugos Ein— Fluß zu erkennen haben. Aber er jelbjt konnte wahrjcheinlicy nur die Aufbietung der Nenftrier und Burgunder bejchleunigen, nicht fie führen, da wir an ihrer Spige Graf Ragnold von Maine fehen, wegen der Wichtigkeit jeine8 Grenzgaus von den ©. Vaajter Annalen dux genannt. Auch er, vielleicht von Hugo an Stelle der Söhne des unzuverläjfigen Ganzfrid gejegt, muß ein waderer Kämpfer ges wejen fein, denn das Heer wurde vollfommen entmuthigt, al8 er mit Wenigen im Gefecht fiel.

Jeder Widerjtand im offenen Felde hörte auf, und am 24. No— vember 885 erjcjienen die Normannen vor Paris?. Sie brachten die von Ganzlin und Ebolus, Ddo und Kotbert wader vertheidigte Stadt in arge Noth, als am 6. Februar 886 die fleine Brüde nad) dem füdlichen meuftriichen Ufer vom Strom’ fortgerijjen wurde. Bis dahin mochte eine wenngleich oft unterbrochene Verbindung mit dem Abt Hugo den Widerjtaud erleichtert haben. Nun ergoſſen jid) die Normannen großentheil® aud) über fein neuſtriſches Gebiet, wurden aber von Hugos Bafjallen Odo und Gotfrid vor Chartres uud ebenjo fpäter bei le Maus mit empfindlichen Verluſt geichlagen. Gegen Orleans, wo wahrjcheinlic Hugo weilte, dejjen Tapferkeit fie fo oft erprobt, wagten fie, wie es fcheint, nicht vorzudringen. Gewiß mit jchwerem Herzen mußte der kranke Held unthätig zufehen, wie Paris nad) dem Tode des Biihofs Gauzlin immer härter bedrängt

! Ann. Fuld. 886, SS. I, 401.

2 Mobert der Tapfere S. 102. Abbo de bellis Parisiacae urbis ]J, 68 und Ann. S. Germani; SS. II, 781 und III, 78,

® Abbo I, 652 ff. wird für belligeri Uddonis consulis zu leſen fein *Hugonis'.

* Dümmler II, 262, .

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wurde, und der Muth der tapfern Bertheidiger fanf,. Daß man auf ihn gehofft, beweift die Erwähnung feines Todes durch einen Mitlei— denden, den Mönch Abbo von S. Germain des Pres!,

In feine legte Lebenszeit wird die Zuftimmung zu dem Tauſch von drei Leibeigenen der Kanonifer von S. Martin gegen den Yeibei- genen des Geijtlichen Aldegar, Namens Yeutard, fallen, da die Bes ftätigung und die bezwedte Freilajiung dejjelben als denarialis erft unter feinem Nachfolger Odo durd Karl den Diden jtattfand ?,

Hugo erlag wahrjcheinlich dem Fußleiden, das ihn ſchon im Frühjahr 885 befallen hatte, am 12. Mai 886 in Orleans ®,

Gewiß war die Trauer im Reich allgemein, als man Hugo bei feinen Verwandten in S. Germain d’Aurerre beifekte.

Eine Urkunde ſeines Nachfolgers Odo jcheint darzuthun, daß Hugo ſchon bei Lebzeiten S. Martin abtrat. Sie iſt datirt mense Aprili rejpective Majo, anno 6. in Italia et in Francia 4, et in Gallia 2, regnante imperatore Karolo*, aber abgejehen da= von, daß bei dem Schreiber, einem Subdiafon von ©. Martin, Ddulrif,- genaue Kenntnig der Negierungsepochen Kaijer Karls faum anzunehmen ijt, war man jelbjt in der Kauzelei Karls in der Zählung feiner Fahre in Gallien unſicher und feine Herrichaft im wejtfränfis hen Reid) wahrjcheinlich erit von der Huldigung durd) die weſtfrän— fiihen Großen im Mai 885 au anerfannt. Dann fallen diefe Ur- finden in den April und Mai 887, um jo wahrjcheinlicher, da in der Urkunde für S. Martin vom 22. Augujt 886 dort fein Abt genannt wird®,

In der Obergewalt über Neuftrien wurde nad) den Annalen von Fulda der Babenberger Heinrich, Karls Feldhauptmann, Hugos Nachfolger, fiel aber am 28. Auguft vor Paris®. Nun verlich Karl die meijten Lehen des Abts, die einjt großentheils Robert der Tapfere gehabt, dem ältejten Sohn dieſes, Ddo, dem Retter von Paris”,

Faft zwanzig Jahre, Ende 866 bie Mitte 886, hatte Hugo über Neujtrien gewaltet, fieben Jahre feit dem Tode Ludwig des Stammlers in Wahrheit wie nad) der jpätern Tradition das weſtfränkiſche Reich regiert. Ihm waren als Geiſtlichem feine leiblichen Erben bejchieden, aber der würdige Erbe feines Geiftes und feiner Macht wurde Odo.

ı II, 68, SS. II, 792.

2 Bouq. IX. 360. Böhmer 1018.

s Bor Abbo, den Ann. Fuld., Vedast. und Lemoviceuses, SS, I, 403 und Il, 202 und 251, fallen Mabillons Zweifel, Ann. Ben. III, 243, über das Todesjahr, als das Regino umd die oft von ihm abhängigen Ann. Laubienses 887, SS.I, 597, angeben, Das Datum ergiebt der Netrolog von Auxerre, Martene Ampl. collectio VI, 704. .

* Böhmer 1006. Bouq. 1X, 352.

Mabille, Les invasions ©. 55 und Pancarte 106. Böhmer 1004, vgl. 1010—12. Sidel, Korihungen IX, 416. 885 jetst aud) das Cartula- rium Sithiense den Anfang von Karls Regierung.

® Ann.Fuld. P. V, SS.I, 403: qui in id tempus Niustriam tenuit.

Ann. Vedast., Reg. 887; SS. l, 597, und Il 203. Böhmer 1005,

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Hugos weltgefhichtlicher Beruf war, dem fapetingiichen Hans die Mege zur Königskrone zu bahnen, die bald Odo jelbjt zu Theil werden jollte. Sreilih war deijen Bemühungen wie die Hugos umſonſt, die Nor- mannen zu vertreiben. Aber Beiden gebührt dennody hoher Ruhm, daß fie in einer wüſten und ſchlimmen Zeit ritterlich und edel blicben, und ihre Yebensfraft daran jegten, in ihrem Vaterland beijere Zeiten, einen geficherteren Rechtszuſtand herbeizuführen. Auch waren fie die Letzten, die, ohne die Kirche willkürlich zu befehden und zu beranben, die Rechte des Königthums den Anjprüden der Hierarchie gegenüber verfochten.

Beiträge zur Kritik mittelalterlicher Quellenfchriften.

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Kleine Bemerkungen zu karolingiſchen Annalen. Bon B. Simjon.

IL. 3u dem Chronieon Moissiacense, den Annales Maxi- miniani und den Aun. breves (Mon. Germ. SS. III, 123).

Es iſt in neuerer Zeit feftgeftellt worden, daß die Grundlage des Chronicon Moissiacense eine Compilation aus Beda, dem Fre— degar und deſſen Fortiegungen u. |. w. bildet, welche bis zum Jahr 741 reiht!. Grhalten ijt diefe noch ungedrudte Compilation in einer Leidener Handſchrift (Scaliger 28). Außer in dem Chron. Moiss. ijt fie auch) in den Annales Maximiniani zu ©runde gelegt, welche, von dem Baron Reiffenberg bereit8 im Jahr 1844 in den Situngsberichten der belgischen Commission royale d’histoire ver= Öffentlicht ?, in Deutſchland lange Zeit unbeachtet blieben, bis Wait ® fie in die Runde der deutjchen Gefchichtsquellen einführte. Und zwar feinen ſich dieſe Jahrbücher von St. Marimin in Trier, auch ab» gefehen von dem aus andern Quellen geflojjenen Zufägen des Chron. Moiss., der gemeinfanen Vorlage noch enger anzujdjliegen als das legtere. Ein Bruchſtück der nämlichen bis 741 gehenden Compilation ſcheint endlich aud) in den Annales breves vorzuliegen, welche in den Mon. Germ. SS. T. 1II S. 123 abgedrudt find. Böhner

1 Siehe Jaffé in Mommfens Ausgabe der Chronif des Caſſiodorus Se- nator (Abhandl. der Lönigl. Sächſ. Gef. der Wiff. VIIL, 1861) S. 677. 680. Wattenbach, Deutichlands Geicdjichtequellen im Mittelalter I, 3. Aufl., S. 164 Anm. 2, Wait in den Nachrichten von der königl. Gef. der Wiff. und der G. 4. Univ. zu Göttingen 1871 (Nr. 11) ©. 310.

2 Compte-rendu des seances de la commission royale d’histoire, Tom. VIII (Bruxelles 1844) ©. 167 ff.

3 Göttinger Nachrichten a.a.D. S. 307 ff., vgl. Wattenbach I, 113, Ob die Ann. Max. wirklich ſchon unter Karl d. Gr. verfaßt find, möchten wir n. a. deshalb für zweifelhaft hatten, weil darin (a. 799 S. 184, Wait ©. 318) die V. Leonis III benutzt zu fein ſcheint, welche jedenfalls crft nad) dem Tode dieſes Papſtes (F 816), nad) den Unteriucdungen von Krofta ſogar erft nad) 829 verfaßt ift (1. F. O. Krosta, De donationibus a Pippino et Carolo M. sedi apostolicae factis. Inaug. Diff. Königsberg 1862, S. 46. Wat« tenbach a. a. ©. ©. 223 N. 2).

9%

132

hatte diejelben aus einer Handſchrift der Münchener Hofbibliothef (cod. lat. Nr. 246) copirt, welche nad) Pergd Angabe aus dem Ende des 8. oder dem Anfange des 9. Yahrhunderts ſtammt und Bedas liber de temporibus enthält!. Gegenwärtig pflegt man diefe kurzen Annalen, welche Notizen aus den Jahren 721— 741 enthalten, auch als Annales Juvavenses breves zu bezeichnen ?, Indeſſen gefchieht dies wohl nur aus dem äußerlichen Anlaß, daß jie an der angegebenen Stelle hinter Ann. Juvavenses gedrudt ftehen, während fie in der That mit Salzburg nichts zu thun haben. Pertz bemerft, daß diefe Notizen offenbar vorzugsweije auf der Fortjegung de8 Fredegar und den Annales Laureshamenses beruhten, überjah auc nicht ganz ihre Verwandtichaft mit dem Chron. Moissiacense®, Wattenbach“* bezeichnet fie jegt al8 aus den Ann. Mosellani und der Cont. Fredegarii gemiſcht. Cine Vergleihung ergiebt indejjen, daß dieſe Annales breves wörtlich mit dem entjprechenden Ab— fchnitt der Ann. Maximiniani (721— (41, Compte-rendu ete. J. c. S. 170-171) übereinftimmen. Sie enthalten die Faſſung der letzteren mit allen Eigenthiimlichfeiten, welche diejelbe von der ver= wandten, im Chron. Moiss. vorliegenden, unterfcheiden?, aud) dieje= nigen Zufäge nicht ausgejchlojfen, welche an die Ann. Mosellani und Laureshamenses anflingen.

Da die Ann. Maximiniani vor der Hand wohl nicht allgemein zugänglich jind, lajjen wir die Zufammenftellung folgen:

Ann. brev.:

Anno ab incarnatione Christi 721. jactavit Eodo Sarracenos de terra sua.

725. Sarraceni Augustidunum eivitate distruxerunt 4. ferıa, 11. Kal. Septembris.

731. Carolus vastavit duas vices ultra Ligere, et Raganfredus mo- ritur.

7132. Carolus pugnavit contra Sarracenos, die sabbati, apud Pec- tavis civitatem.

734. Carolus migravit in Frisia delevitque eam usque ad interni- tionem,

Ann. Max.:

Anno ab incarnatione Christi 721. jactavit Eodo Sarracenos de terra sua.

Anno 725. Sarraceni Augusti- dunum civitatem destruxerunt 4. feria 11. Kaleodas Sept.

- Anno 731. Carolus vastavit duas vices ultra Ligere, et Ragamfredus moritur.

Anno 732. Carolus pugnavit contra Sarracenos die sabbati apud Pıctavis ceivitatem.

Anno 734. Carolus migravit in Frisia delevitque eam usque ad internecionem.

1 Die Annales breves ftehen dort auf fol. 104, f. SS. III, 122. Ob vielleicht die Handſchrift dieſelbe Ueberarbeitung und Fortjegung des Beda ent- hält, die im Cod. Leid. Scal. 28 fteht ?

2 Bol. Wattenbad I, 114 Aum. 2. Wotthaft, Bibl. hist. &. 130.

s SS. III, 1. e.: quas Fredegarii praecipue continuationi et an- nalibus Laureshamensibus inniti atque a. 725 chronici Moissiacensis similitudinem referre, lectores facile advertent.

ı 9.0.0.

5 Bol. Waitz a. a. O. S. 310 fi.

133

Ann. brev.: Ann. Max.:

7391. Papa Gregorius, Romanae | Papa Gregorius Romanae eccle- ecclesiae episcopus, clave (sic) ve- |siae episcopus clavos (sic) vene- nerandi sepulchri sancti Petri et randi sepulchri sancti Petri et vin- vincula ejusdem cum muneribus | cula ejusdem cum muneribus magnis magnis et infinitis legationem ad | et infinitis? legationem ad Carolum Carolum principem misit, quo | prinecipem misit, quo pacto patrato, pacto patrato, ut a partibus im- ut a partibus imperatoris recederet peratoris secederit? et Romano | et Romano consulto* praefato prin- consulto* praefato principi Carolo |cipi Carolo sanciret. Ipse autem sanciret. Ipse autem princeps | princeps magnifico honore ipsam magnifico honore ipsam legationem |legationem recepit, munera pre- recepit, munera preciosa contulit |tiosa contulit atque cum suis nun- atque cum suis nuntiis remisit |tiis remisit Romae.

Romae,

737. Carolus pugnavit contra Sarracenos in Gotia in loco qui dicitur Birra.

Anno 737. ab incarnatione Do- mini Carolus pugnavit contra Sar- racenos in Gotia in loco qui dieitur Birra.

Anno 741, Carolus obiit; filii ejus principatum illius dividunt inter se: Carolomannus Austriam, Alamaniam atque Toringiam sortitur, Pippinus Burgundiam Neustriam atque Provincian ac- cepit.

741. Carolus obiit; filii ejus principatum illius dividunt inter se: Carolomannns Austria, Alaman- nia atque Toringia sortitur, Pippi- nus Burgundiam, Neaustria atque Provintiam accepit.

nn nn

Neben jener bis 741 reichenden Compilation find, wie R. Dorr näher begründet hat, in dem Chron. Moiss. aquitanische (ſüdfran— zöſiſche) Nacdjrichten benußt worden. Dorr verfucht aus denfelben 1) Annales Aquitaniei 711—785, 2) ein ausführlichere® Chro- nicon Aquitanicum, die Zeit vom Weftgotenfönige Witifa bis zum Fahr 812 umfassend, herzuftellen. Die Analyfe de8 Chron. Moiss. mit Hilfe der Ann. Maximiniani hat beftätigt, daß er bei diefer Ausscheidung im Ganzen und Großen das Richtige getroffen hat ®, Jedoch findet fid) die Notiz a. TIL, mit welcher Dorr die Annales Aquitaniei beginnen läßt”: aquae inundaverunt valde, aud) in den Max., die zweite a. 725 über die Zerftörung von Autun am

2 Diefe Jahreszahl ift in den M. G. Hinzugefet, während fie in ber Handichrift, wie ausdrüdtich bemerkt wird, fehlt.

2 Der Herausgeber fchaltet hier in Klammern per ein.

3 Dies ift um fo gewiffer ein Fehler, als aud) Fred. Cont. c. 110 re- cederet hat.

* ji. e. Romanum consulatum, vgl. Fred. Cont. 1. c. Waitz a. a. O. ©. 310. Pertz, SS. III, 123. ®Breyfig, Karl Martell S. 97 Anm. 4.

5 De bellis Francorum cum Arabibus gestis. Inaug. Diff. Kö- nigsberg 1861. ©. 39 fi. F. Dahn, Könige der Germanen V, 240, glaubt hier wohl mit Unrecht eine Benutzung der Epist. Bonifatii zu erfennen,

: a . ©. 309. Wattenbach S. 164 Anm. 3,

[v7 9—

134

22.* Anguft d. J. durch die Sarazenen wenigftens in der Haupt« ſache? in diejen fowie in den Ann. breves.

Andererjeit8 begegnet man Spuren diejer aquitanifchen Nach— richten aud) in einer Chronif von St. Victor in Marfeille, ans weldyer bei Labbe, Nov. Bibl. I, 339, Excerpte abgedruckt find und auf deren alte Bejtandtheile Wattenbad) (I, 220 Anm. 2)3 aufs merfjam macht. Co findet man dort die Notiz von der Uebergabe der Stadt Gerona an die Franken 785, welche fonjt nur das Chron. Moiss. (nad; Dorr S. 43 aus den Annales Aquitanici) bietet, und zwar im ganz ähnlicher Form:

M. G. SS. I, 297: Labbe |. c.:

Anno 785. Gerundenses homines | 785 ind. 8. Gerundam civitatem Gerundam civitatem Carolo regi | homines tradiderunt regi Carolo. tradiderunt.

Unmittelbar hierauf und unter der nämlichen Jahreszahl fährt die Chronif von St. Victor fort: Apparuerunt acies in coelo et signum 7 in vestimentis hominum, et multi viderunt sangui- nem pluere, et mortalitas magna secuta est. Cine große Au— zahl anderer Annalen, darunter aud die Chronit von Moijfac, ver— zeichnet diefe Wundererſcheinungen erft unter dem folgenden Jahr (786). Diefelbe folgt hier den Ann. Lauresham., mit deren Faſſung auch die im Chron. S. Vietoris gegebene im Wefentlichen überein— ſtimmt. Dagegen berichtet ein Chronicon Rivipullense® (SS. I, 297. Abel, Karl der Gr. I, 420 Anui. 1. G.Paris, Hist. poeti- que de Charlemagne ©. 65): Hie Carolus dietus Magnus anno Domini 786. cepit eivitatem Gerundae, vincens in proe- lio Machometum, regem ipsius eivitatis. Et dum cepit ipsam eivitatem, multi viderunt sanguinem pluere, et apparuerunt acies in coelo, in vestimentis hominum et signa crucis ete. Hier ift alfo nicht nur die Uebergabe ber Stadt Gerona in eine Er- oberung derfelben durch Karl den Gr. verwandelt, ſondern e8 werden auch jene Wunderzeichen zu diejem Ereigniß in unmittelbare Beziehung geſetzt. Zu einer folchen fagenhaften Verknüpfung beider Begeben— heiten konnte recht wohl eine Faſſung wie die im Chron. S. Vietoris vorliegende den Anlaß bieten, wo beide unmittelbar hinter einander erwähnt werden.

Außerdem ftoßen wir in dem Chron. S. Victoris aud) noch auf andere Angaben, nämlich:

1 Breyſig a. a. O. ©. 62 fagt unrichtig: am 21. Auguft, fol dies nicht ein bloßer Drudiehler if. Die Quellen haben, wie wir fahen: 4. feria 11. Kal. Sept., und in der That fiel der 22. Auguft 725 auf einen Mittwoch.

2 Iedoch in beiden ohne den im Chr. Moiss. enthaltenen Zufat über bie Plünderung der Stadt: tbesaurumque civitatis illius capientes, cum praeda magna Spania redeunt.

s Mattenbach vermuthet, e8 feien dies vielleicht biefelben Annales Massi- lienses, welche Bethmann (Per, Archiv XII, 268) in einer Handichrift der Bibliothek der Königin Chriftina zu Rom (128) neu entdedt zu haben glaubte. (Sie ftehen jetzt M. G. SS. XXIII).

*% Bom Klofter Ripoll in Catalonien.

135

715 ind. 13. Senia (Sema) rex cum Saracenis ingres- sus est Hispaniam.

801 ind. 9. ‚Introivit Ludovieus in Bareinona, filius prae- libati Karoli, et tulit eivitatem Saracenis, welhe an die entiprechenden, allerdings viel ausführlicheren des Chron. Moiss. (SS. I, 290. 307, nad) Dorr ©. 43 f. 48 aus dem Chronicon Aquitanieum) erinnern. Gleichwohl möchte ich nicht behaupten, daß im Chron. S. Vietoris Auszüge aus den aqnitanischen Quellen des Chron. Moiss. vorliegen. Der Uınjtand, daß daſſelbe die Notiz über jene Wundererfcheinungen vom J. 786, wenn auch an anderer Stelle, doc in der von dem letteren den Ann. Laureshamenses entlehnten Falfung enthält, weiſet darauf hin, daß hier da8 Chron. Moiss. felbjt benugt ijt.

II. Zu den Weberarbeitungen der fränkiſchen Reihsannalen.

Fr. Ebrard und W. v. Giefebrecht haben im XIII. Bande der Forſchungen die fränfiichen Reichsannalen von 741 bis 829 und deren verjchiedene Ueberarbeitungen neuerdings eingehenden Unterſu— dungen unterzogen. Beide ? erwähnen dabei auc jene Compilation über das Leben Karls des Großen in einer Handichrift der Einfiedler Stiftsbibliothef aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, auf welche Bidinger (Bon den Anfängen de8 Schulzwanges, Zürich 1865, ©. 29 ff.) hingewiefen hat. Büdinger meint (S. 34), e8 habe dem Berfajfer eine, die ältere in den von Berk fog. Annales Laurissen- ses enthaltene Aufzeichnung bietende Aecenfion der fränkischen Königs— annalen vorgelegen. Er glaubt (S. 36) jagen zu dürfen, daß hier eine in Reichenau angefertigte Abfchrift der Königsannalen vorliege, welche in Achen für die Zeit Karls des Großen erweitert worden fei. Indeſſen ftellt fi), wie ich meine, als fehr wahrfcheinlich heraus, daß wir die betreffende Vorlage der gedachten Compilation weder in den Reichsannalen felbjt noch in einer ſonſt unbekannten Ueberarbeitung arg fondern in der Chronik des Regino von Prüm zu juchen haben.

Büdinger vermerkt al8 einen wunbderlihen Irrthum der von ihm erörterten Ueberlieferung, daß a. 796 der Ring (die Burg) der Avaren für einen Fürften der Avaren gehalten werde?. Diefe Ver— wechfelung begegnet uns aber fchon bei Regino, in defien Chronik man liejt: Iringum gentis Avarorum prineipem .... expoliavit®.

ı Ebrard a. a. DO. S. 471-472. Gieſebrecht S. 632.

2 ©. 34: „von dem Avarenring heißt es zum folgenden Jahre... .: Ringum Hunorum principem expoliant.

® Mon. Germ. SS. I, 561, vgl. auch S. 182 N. Der Irrthum fcheint durch alle Handihriften zu gehen, vgl. Ermiſch, Die Chronik des Negino bis 813. Imaug. Diff. Göttingen 1871. S. 16 Anm. 4.

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Terner hebt Büdinger! den Zufag a. 799 betreffend die Erwähnung des Grafen Gerold in der Visio Wettini hervor: „Die urfprüngs liche Handfhrift, die unferm Verfaſſer vorlag, hatte den nur in der Recenfion 9 bei Pers ähnlich vorfommenden Zuſatz (S. 186 1. 21): et in visione Wettini Augiensis monachi inter martyres est annumeratus insulae praedietae“. Auch diefer Zufat findet ſich bereit8 bei Regino, SS. I, 562: [et in Augia sepelitur], de quo in visione Witini legitur, quod inter martyres sit adnumera- tus, und ging ohne Zweifel aus ihm in die „Necenfion 9“, d. h. die Annales Mettenses, über. Die andern Fehler, welche Büdinger notirt: Ysaac in deum ftatt Ysaac Judaeum Trasto et em- porio Rerich, mögen auf die benutte Handjchrift des Regino zurück— zuführen fein, vielleicht auf die Karlsruher, welche aus Reichenau ftammt. Die Nachrichten von der Ueberjendung eines Zeltes durch den König Alfons von Gallicien und Ajturien (798) fowie über den Froft im Juli 800, aus denen Büdinger (S. 34) mit Recht folgerte, daß in der gedachten Aufzeichnung nicht die jüngere Umarbeitung der Neichsannalen (Annales Einhardi) bemutt fein könne, in welcher diefe Angaben fehlen, find in Reginos Chronik (S. 562) ebenfalls aus der älteren Redaktion (Annales Laurissenses) aufgenommen.

III. Ueber Benutung des Livius in einer Stelle der Annales Einhardi.

Unter den Zufäten, welche die f. g. Annales Einhardi gegen über den ſ. g. Annales Laurissenses aufweifen, nehmen ein hervor= ragendes Anterejfe einige Nachrichten über Niederlagen der Franken im Sachſenkriege in Anfpruch, welche die ältere Faffung kurz über- geht oder gar in fränkische Siege verwandelt, namentlic) die Berichte von dem Ueberfall zu Lübbecke 775 und der Schlacht am Sintel 782. Dieje Erzählungen gehen in das friegsgefchichtliche Detail näher ein, als es in den Reichsannalen gewöhnlich gefchieht. Sie find, wenn auch in manchen Einzelheiten anerfanntermaßen nicht correft, lebendig und anfchaulich, nicht ohne rhetorifche Kunſt gefchrieben. Gerade in ihnen glaubt man das Bejtreben wahrzunehmen, Stil und Darftellungsweife der alten römischen Gefchichtichreiber nachzuahmen. Indem man von ‘pa- bulatores Francorum’ (775, SS. I, 155), ‘exploratores’ (782, SS. I, 163) Tieft, fühlt man ſich gleichſam in die Kriegsberichte des Cäſar und Livius verſetzt. Auch fonjt finden fich klaſſiſche Reminifcenzen im Ausdrud (fugientium terga insequutus® ne ad nomen Theodericei vietoriae fama transiret ete.) dicht gefäet. So iſt auch die Wendung, mitteljt welcher ausgedrückt wird, daß der Verlujt

ı ©. 35, vgl. Gieſebrecht a. a. O. » 775, vgl. 782: ad fugientium terga insequenda,

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ber Franken am Süntel noch mehr als durch die Zahl durch die Be-

deutung und Stellung der Gefallenen erheblich gewejen fei, die näm—

fihe, welche Livius in feiner Darjtellung eines der Gefechte bei

Placentia ! im zweiten punifchen Kriege (218 v. Chr.) gebraudit: Liv. XXI, 59: Einh. Ann. 782 S. 165:

Sed major Romanis quam| Sed majorFrancisquam pro pro numero jactura fuit,inumero jactura fuit, quia quia equestris ordinis aliquot et|legatorum duo, Adalgisus et Geilo, tribuni militum quinque et prae- | comitum quattuor aliorumque cla- fecti sociorum tres sunt inter-|rorum atque nobilium usque ad fecti. viginti interfecti etc.

Dabei ift nicht zu verfennen, daß nur bei Livius diefer Cat fih an das Vorhergehende logiſch anſchließt. Livius fagt nämlich vorher, der Verlust fei in jenem Treffen auf beiden Seiten ungefähr gleich und nicht fehr beträchtlich geweien (et, sicut aequata ferme pugna erat, ita clade pari discessum est. Ab neutra parte sescentis plus peditibus et dimidium ejus equitum ceecidit). Ungeachtet dieſes numerischen Verhältniſſes bezeichnet er den Verluſt der Römer als einen fehr empfindlichen, weil auf ihrer Seite eine Anzahl von Rittern, Militärtribinen u. ſ. w. fiel. Daß dagegen der Verfaſſer der Ann. Einhardi die Yivianifhe Wendung nachahınt, obwohl er unmittelbar vorher erzählt, es jei in der Schlacht am Süntel faſt das ganze oftfränfifche Heer niedergemadt worden , bis auf einige, die dem Verderben entrannen (paene omnes interfecti sunt. Qui tamen evadere potuerunt etc.), muß als ein Mifgriff angejehen werden. Offenbar verleitete ihn dazu die Analogie, daß er ebenfalls von dem Falle der Führer zu berichten hatte?.

Auch font finden fih in den Ann. Einh. wohl einzelne An länge an Livius, wenngleich weniger auffallende. Im Stil deffelben (vgl. Liv. XXI, 60. XXIII, 26 u. ſ. w.) ift 3.3. die Anfnüpfung: Dum haec in Italia geruntur (774, ©. 153).

1 Nicht zu verwechfeln mit der Hauptſchlacht an der Trebia,

2 Daß man in jener Periode den Livius wohl fannte und ſtudirte, bes weift namentlich die Epiftel des Lupus vor feiner Vita S. Wigberti an den Abt und die Brüder von Hersfeld (Mabillon, A. S. O. S. Ben. IIle, 673): Nec vero cuiquam haec ideo judicentur infirma, quod octingentesimo trigesimo sexto anno dominicae incarnationis, indictione autem quarta decima praesens opusculum cudens, ante nonaginta annos acta re- petere videar: cum profecto, si vel leviter est eruditus, non ignoret, Salustinm Crispum Titumque Livium non pauca quae illorumaetatem longe praecesserant partim auditu, partim lectione comperta narrasse. Lupus erwartet die Belanntfchaft mit den Werfen des Salluft und Livius alfo von jedem, der auch nur auf oberflächliche Titerariiche Bildung Anſpruch macht. Bol. aud Lup. epist. Nr. 34: Illud quod sequitur tangere nolim, donec in Livio vigilantius indagarem ; Nr. 74: T. Livium per hunce ...... agite, quia illo non mediocriter indigemus (Opp. ed. Baluze, Paris 1664, ©. 72. 117); ferner Thegans Epiftel an Hatto, M. G. SS. II, 585: Livius aut Titus secum ferat ipse Catonem.

Der Gloſſator der Gesta Berengarii imperatoris. Don E. Bernheim.

Die Unterfuchungen von Ernft Dümmler in feiner Ausgabe der Gesta Berengarii imperatoris ! haben nicht nur den hiltorifchen Werth dieſes paneghriichen Epos in ein neues Licht gerückt, fondern eröffnen auch einen lehrreichen Einblick in den Bildungskreis italieni« cher Gelehrten zu jener Zeit, aus der uns nur fo wenige literariiche Denfmäler erhalten find. Befonders beachtenswerth find in dieſer Beziehung die dem Gedichte beigefügten Gloſſen, welche Dümmler zum eriten Male vollitändig wiedergegeben hat, und es wird nicht ohne Intereſſe fein, die dort vom Herausgeber aufgedecten Epuren weiter zu verfolgen.

Zunächſt tritt uns die Frage entgegen: verdanken diefe Gloſſen einem einzigen Verfaffer ihre Entjtehung, oder haben fie, nad Art anderer Scholien unter verfchiedenen Händen anwachſend, allmählich ihren jetzigen Beſtand erreiht? Ich verneine das Letztere mit einer geringen Einfhränfung. Wir haben e8 mit einem Manne zu thun, welcher fich die Aufgabe ftellte, das vorliegende Gedicht durchgehende zu commentiren. Das zeigen Aeußerungen wie die Gloſſe I, 122b: haec fabulae velut omnibus notae non indigent nostra expo- sitione, und II, 250°: fabulam de Achille velut omnibus notam praetereo.

Und ebenfo unverkennbar tritt und an den verfchiedenften Stellen eine und diefelbe Individualität entgegen, deutlich charakterifirt durch einen Ton geehrter Selbitzufriedenheit, wie er ſich in den Gloſſen I, 1%. I, 67,. I, 239». III, 241° ausfpricht und befonders charaf- teriftifch I, 123° bei Erklärung des Wortes Acheros: haec talia pro ludo habentur cognoscenti veritatem, sie tamen, ut ipse Indus subtilem indaginem requirat, und I, 194%, wo zu dem Versſchluß arma maniplos’ bemerft wird: Quod quamvis apud antiquos lieitum foret, ut saepe apud Virgilium invenimus, tamen apud nos cacenfaton est.

Nur zu einer Einſchränkung find wir genöthigt. Da wir bie Stoffen wie da8 Gedicht nicht in einer Originalhandichrift befiten, fondern nur in einer Copie des elften Jahrhunderts (vgl. Dümmler ©. 5), fo läßt ſich nicht entjcheiden, ob unſer Gloſſator nicht eine

U Beiträge zur Geichichte Staliens im Anfange des zehnten Jahrhunderts. Halle 1871. äge 3 chich nge zeh hrh

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oder die andere Notiz ſchon vorfand und in feinen Commentar aufs nahm. Wir werden freilich im Paufe diefer Unterfuchung fehen, daß dies nur im fehr geringem Mafe der Fall fein kann; wir werden eine Methode, einen einheitlichen Geift durch den ganzen Commentar erkennen fünnen.

Jener felbftbewußte Ton, von welchen ich ſprach, tft mım um fo auffallender,, je mehr er von dem Tone des Dichters abfticht. Denn wo derfelbe mit feiner Perfönlichkeit hinter dem Epos hervor- tritt im Prolog, II, 10—12 und in den Sclußverfen des Gedichts redet er mit einer gedrückten Beſcheidenheit, die wir nicht ganz und gar für conventionelfe Maske halten fünnen. Sid - alfo Dichter und Gloſſator zwei verichiedene Perjönlichkeiten ?

Dimmler hatte in feiner Ausgabe der Gesta diefe Frage da= hingeftelft ; nach den Bemerkungen von Wattenbad) * und Bannenborg ? bejaht er diefelbe jett in einem Nachtrage zu den Gesta Beren- garii’; nur Echeffer- Boichorft in feiner Kritif in Sybels Zeit— fchrift * vertritt die entgegengefekte Anficht. ch gehe daher nochmals auf dieſes Verhältniß ein.

Pannenborg hat bereit8 auf eine Anzahl von Gloſſen hinges wiefen, welche nicht von dem Dichter herrühren können, weil fie theils kritiſchen Inhalts find, theil® eine irrige Anffaffung des Textes ver- rathen. Zu erfterer Art gehören verfchiedene Stoffen, in welchen mit einem ‘bene dietum est’ oder ‘bene dieit’ dem Dichter zuge— ftimmt wird®, Scheffer -Boichorft meint, diefe8 ‘bene dietum est’ dem Dichter felbit in den Mund legen zu Fönnen, indem er es iiber- fest „mit gutem Grund behauptet“ und dem Poeten eine gewilfe naive Freude über den wohlgelungenen Ausdrud feiner Mufe vindi- eirt. Allein diefe Auslegung ift nicht zuläffig:: erftens ift bene di- cit, bene dietum der folenne Sprachgebrauch ſowohl in den mittel= alterlichen Commentaren tiberhaupt, wie fpeciell in dem Virgilcom— mentar des Servius, von welchem unfer Gloſſator vollftändig ab» hängt (f. unten). Zweitens findet fich aber eine Reihe von Gloſſen, in welchen der Dichter ganz rückſichtslos getadelt wird, wie in der oben erwähnten Notiz zu I, 194, ferner in IL, 472. II, 76e. III, 51b, I, 264%, Iſt e8 denkbar, daß es dem Dichter gefallen Habe, fich feine eigenen Fehler nachzumeiien ? Endlich wird öfter in den Stoffen angemerkt, warın der Dichter Statius oder Virgilius geplün— dert hat. Ich alaube, folchen Selbftverrath darf man einem noch fo befcheidenen Poeten nicht zumuthen.

1 In den Heidelberger Yahrbüchern der Literatur XLIV, ©. 857.

2 In den Göttinger Gel. Anz. 1871, S. 1769.

9 Anfelm der Veripatetifer nebft andern Beiträgen zur Literaturgefchichte Staliens im elften Sahrhundert. Halle 1872.

* Sahrgang 1871, ©. 484,

5 Außer den von Pannenborg citirten I, 164, und II, 278, führe ih noch an: I, 161b. II, 233%, II, 252=, III, 63a. III, 233,. III, 2923,

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Noch entfcheidender find jene Stoffen, welche ein irriges Vers ftändniß des Tertes zeigen. Pannenborg hat hier außer I, 2305 und II, 15° befonders die Note zu II, 101° hervorgehoben !; es laſſen fid) noch einige Fälle der Art anführen. Der Gloſſator bemerft zu den Worten: juvenilis alumnus III, 229%: non a quo nutritus est, sed quem nutriebat. Er hat dabei offenbar diejelbe Erklä— rung vor Augen, welche er I, 21° zu alumnus gegeben hat. Er überfieht, daß dies Wort die Bedentung „Diener, Vaſſall“ Haben fann und vom Dichter in diefem Sinne in Vers 229 angewandt it. Auch) an der berührten Stelle I, 21 jcheint er den Sinn des Gedichts nicht veritanden zu haben. Nachdem dort nämlich im Texte geiagt ift, daß Berengar indireft von Karl dem Großen abjtamme, heißt e8 weiter: Zu:

.... Karoli sed enim nutritus alumni Rite sub imperio, simili qui nomine Romam Postremus Franeis regnando coegit habenis.

Zu Karoli bemerkt der Gfoffator: *Karolum ultimum signi- ficat’, zu simili: ‘pro eodem’, zu alumnus, daß es gleid) nutritor fei; er nimmt alfo alumni als Appvfition zu Karoli und über- fieht, daß ‘simili qui nomine’ eine unleidliche Tantologie fein wiirde, wenn mit Karoli fchon Karl der Dicfe gemeint wäre. Irre id) nicht, fo ſteht alumnus hier in dem erweiterten Einne von „Spröß— ling“, mit Karoli iſt Karl der Große gemeint und der Vers fo zu verftehen: unter der Regierung des Epröflings von Karl dem Großen u. ſ. w.; freilich wird dadurch die hiſtoriſche Anſtößigkeit der Stelle nicht gehoben.

Ferner muß die Gloſſe IT, 94a ein Mißverſtändniß enthalten ; wenigftens kann ich mir die Worte: verumtamen est aliqua in nominibus facta differentia, nicht anders erflären, als daß der Gloſſator meint, e8 fei früher fchon ein Bonifacius anf der Gegen— feite (alterab adverso im Texte) vorgefommen und der an unſerer Stelle fei zur Untericheidiing Bonifacns genannt. Endlich wird das ‘diu cessare duellum’ II, 115 durch die Gloſſe II, 116° auf den Beginn des ganzen Krieges gedeutet, während hier der Dichter nur vom Beginn der Schlacht redet. Da alſo feititeht, daß Irrthümer vorfallen, wird man fich auch der Gloſſe wegen nicht abhalten zu laffen brauchen, Vers II, 125: Campus erat dudum studio damnatus iniquo, als Anfpielung auf Hannibal® Sieg an ber Trebbia zu nehmen, wie e8 die Ausdrucksweiſe und die vorhergehende Erwähnung des rex Poenus in Vers I, 129 nahe legt?.

Trotz folcher gelegentlichen Mifverftändniffe muß man übrigens

ı Den feltfamen Ansbrud ‘per Adriaticum mare furtim ad Li- guriam, quae pars est Italiae, navigantes’ in bdiefer Gloffe erfläre id) aus Schol. ad Luc. Phars. I, 442: Liguria autem est Gallia Cisal- pina, ibi sunt Mediolanum et Tieinum.

2 Bol. Diümmler S. 44 Note 1. Zu Bers I, 129 cf. Isidori Etym. XIV, cap. 8, 13,

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anerfennen, daß der Gloſſator jid) jorgfältig bemüht, dem Dichter überall gerecht zu werden. Cine gedanfenlofe Auffajjung deſſelben fann man ihn nirgends nachweifen.

Wenn e8 nach dem bisher Gejagten als fiher angejehen werden faun, dag Glojjator und Dichter von einander zu trennen find, fo ſcheint zunächſt dadurch jeder Anhaltspunkt zur Beſtimmung der per— ſönlichen Verhältniſſe des Erſteren verloren zu jein. Allein Vers I, 28 mit der Note a giebt ung entfcheidenden Aufjchluß über die Le— benszeit dejfelben; zu den Worten ‘Italus princeps’ im Xerte be= merft hier der Gloſſator: qui nunc est aljo fällt jeine Thätig— feit noch unter die Negierung Berengars, vor das Jahr 924; er ijt ein Zeitgenojje des Dichters.

Man könnte eimwenden: vielleicht fei diefe Gloſſe gerade eine derjenigen, welche unjer Glojjator möglicherweije jchon vorfand; er könne diefelbe mechanisch abgeichrieben haben; es jet aljo fein jicherer Schluß auf feine Yebenszeit daraus zu ziehen. Doc) diejer Einwand widerlegt fich durd die Bemerkung, daß der Gloſſator ſich dem Texte gegenüber nirgends eine derartige Gedanfenlofigfeit zu Schulden fonımen läßt, Zugleich gewinnen wir nun eine Stütze gegen die ' Vermuthung, dag die Gloſſen hiltoriichen Yuhaltes vom Dichter her— rühren.

Es läßt fich freilich nicht entfcheiden, ob der Letztere nicht hier und da die Namen der Perſonen, auf welche er anfpielt, oder andere furze Hinweife jicheren VBerjtändnijjes wegen am ande beigefügt habe, aber daß er längere Glofjen der Art, wie fie uns vorliegen, gejchrieben habe, iſt zunächſt ſchon an und für ſich unwahrſcheinlich; es widerjtreitet der Beſtimmung feines Werfes, welches nad) dem Prolog, Vers 15—22, zu urtheilen, dem Kaiſer jelbjt überreicht werden jollte, um materielle Gunjtbezeugungen von demjelben zu er= langen. Nun jahen wir, daß der Gloſſator gleichzeitig mit dem Dichter lebte, wir fehen, daß auch Gloſſen hiſtoriſchen Inhalts den Stempel feiner perfönfichen Auffaffung tragen (vgl. III, 147°, ILL, 115°) und jeinen den Servius nachgebildeten Sprachgebrauch (vgl. I, 139°: per transitus historiam tangit, und weiter unten (aufs weiſen, wie die üorigen Gloſſen. Wir werden unbedenklich aud) den hiltoriichen Theil des Commentars der Hauptſache nach unjerm Gloſſator zujchreiben müſſen. Ob dadurd die gefchichtlichen Notizen an Zuverläjfigfeit verlieren? Ich glaube im Gegentheil, fie gewin— nen. Denn der Gloſſator jteht den im Gedichte gejchilderten Ereig— nijfen objeftiver gegenüber al8 der Dichter, und bewährt diejen Standpunkt aufs Entjchiedenfte in der angeführten Gloſſe III, 115., wo er zu der Hinrichtung des Grafen Ambroſius, auf Befehl König Arnuljs, bemerkt: Solum Arnulfum hoc loco commemorat, ne Berengarius utpote pius tam dirae mortis conscius esse Vi- deatur.

Es kommt Hinzu, daß der Slojjator ſich als Pandsmann des Dichters zu erkennen giebt. Er jagt von Arnulf; Barbaris gen-

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tibus imperabat (III, 147°), er theilt das Vorurtheil der Italiener gegen die Burgundionen (I, 259»), er überjieht den Irrthum bes Dichters in den Verhältniſſen Deutſchlands (I, 21), dagegen iſt er eingehend vertraut mit den italienischen Verhältniſſen. Beſonders be= fannt fcheinen ihm die Vorgänge und Perjönlichkeiten in Tuscien zu fein; wir dürfen ihn daher am erften dort vermuthen. Gegen ober- italiſche Herkunft fpricht jedenfall® der Ausdrud ‘Liguria, quae pars est Italiae’ in der Gloſſe II, 101°, denn jo wird man nicht ichreiben, wenn man jelbit aus Ligurien ſtammt, und wir fahen oben, daß Ligurien an diefer Stelle gleichbedeutend mit Oberitalien ſteht. Auch dag der Gloſſator ſich in Oberitalien aufgehalten habe, fcheint mir darnach unwahrjcheinlid).

Nachdem id) fo die äußern Verhältniffe des Gloffators dem Dichter gegenüber bejtimmt habe, verfuche ich, das geijtige Verhältniß, in welchem beide Männer zu einander ftehen, zu charafterijiren. Died wird er- möglicht durch einen Blick auf den Standpunkt, welchen fie in ber Metrik einnehmen.

Der Autor Gestorum Berengarii jchreibt vorwiegend wenn man die große Zahl der aus Virgilius und Statius entlehnten Verſe abrechnet in leoninishen Herametern!. Von den 1058 Zeilen de8 Epos weiſen 32 den Reim in der Trithemimeres, 164 in der Penthemimeres, 160 in der Hephthemimercs, einige wenige den Reim in der Senkung auf; der Prolog iſt bis auf 8 Verſe in leoninischen Keimen gefchrieben. Diefe Form theilt der Panegyricus Berengarii mit den meijten dactyliichen Gedichten der damaligen Zeit. Doc) ein Vergleich mit einigen derjelben, etwa mit den Epijteln des gelehrten Salomo von Conjtanz ?, zeigt und einen wichtigen Unterfchied in der Handhabung der Metrif hier und dort. Salomo dichtet treu nad) den Regeln, welche er in jeinen Grammatifern vorfindet; aber das find bei Weiten nicht mehr die Kegeln, nad) welchen Virgil und Dvid dichteten. Die Wechjelwirfung zwifchen Anomalie und Analogie, welche in der ganzen römijchen Literatur ihre Rolle fpielt, Hat fich auch Hier geltend gemacht und zwar in auffallender Weiſe. Man kann jagen, daß alle Anomalien, welche die Dichter der aetas aurea fi) gejtatteten und welche urſprünglich als foldye von den Gramına= tifern hingejtellt waren, in der Zeit nach) Karl dem Großen als voll« berechtigte Regeln erjcheinen. Kein eflatanteres Beifpiel läßt ſich von diejer jeltfamen Entwickelung, welche durch die excerpirende Manier der legten römiſchen Grammatifer ganz befonders gefördert wurde, geben, al8 die Xehre von den syllabae communes. Der Gramma— tifer Diomedes? führt 8 Fälle auf*, wann eine Silbe als anceps

2 Diefer Umftand ift Pannenborg entgangen, denn er zählt in feinen Auffa: Ueber den Ligurinns (Forſch. zur deutſch. Geſch. XI, S. 184) den Punegyricus unter die Gedichte, weldye nicht in Teoninischen Verſen abge» apt ſiud.

m h Canisius, Lect. Antiq. II, 3. ® Grammatici Latini ex recens. H. Keili I, &, 429. * Er zählt nur 7 Fälle, da er zwei zufammenziebt,

x

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gelten kann, doch verfehlt er nicht und mit ihm die ausführli= deren Schriftſteller Probus! und Charifius? bei jedem Falle deſſen bejchränftes Vorkommen Hervorzuheben, ja er ſchließt das Ka- ae über bdiefen Ge —— mit der Bemerkung: ex his omnibus modis uno uti dumtaxat admittunt, qui metrorum rationis sunt admodum perspieui. Donatus dagegen, der Alles aufs Kürzefte zufammenzicht, ftellt diefelben 8 Fälle ohne jede Einschränkung einfach als Regeln hin, und wir ſehen aus dem Umſtande, daß Als fuin diefelben in feiner Grammatik? als wichtigftes Kapitel der Me— trif recipirt, man faßte fie damals in der That als unbedingte Ge— fee auf. So fommt e8 3. B., daß ein Salomo jede furze Silbe lang gebraucht, wenn fie vor irgend einer Cäſur fteht, weil aus den verjchiedenen Bemerfungen der Grammatifer zu Virgils befanntem Vers: Omnia vincit amor et nos cedamus amori, ſich allınählid) Donats Regel entwidelt hat, eine Silbe jei anceps, cum post pe- dem quemlibet una brevis remanserit syllaba de verbo. Wein man ſich gewöhnt, nad) ſolchen Regeln Verſe zu dichten und für cor— reft zu Halten, wie jie Salomo jchreibt ... tale aliquid aut fama susurrit, jo muß überhaupt das Bewußtjein über die Bedeutung der Quantität der Silben jchwinden und endlich jene Projodie ein- treten, die wir fpäter mit Befremden bei den gelehrten Effehard IV. von St. Gallen wahrnehmen.

In ganz anderen Bahnen geht unfer Dichter: wohl fennt er die Weiteren Grenzen der grammatiſchen Metrif, wie ich fie nennen möchte, das zeigen die Abweichungen von der clajjiichen Metrif, die er ſich geitattet: die Vernachläſſigung der Pofition durch sc II, 51. III, 49. III, 18, die Meffung des ablativus gerundii mit furzem o I, 23 und III, 299, umd bie Meſſung des Adverbs modo mit langem Endvofal, endlich die Zulafjung des Hiatus vor con⸗ ſonantiſch geltenden him Prolog Vers 14 und nach dem Eigenna— men III, 80. Aber man fieht aus der geringen Anzahl diefer Fälle, er geftattet ſich dergleichen nur ausnahmsweiſe, wie es ſich die Klaſ— ſiker geſtatten. Durchweg iſt er vermöge feiner nachhaltigen Beleſen⸗ heit in Terenz, Virgil und Statius befähigt*, ſich in den engern Schranken der Elafjiihen Profodie zu halten, und wir irren wohl nicht, wein wir in diejem entwickelteren Formenſinne vorzugsweije den Italiener erkennen.

Iſt unjer Gloſſator ein Mann gleichen Schlages? Keineswegs.

1 Bei Keil IV, S, 258.

2 Keil J, ©. 13,

° Canisius, Lect. antiq. II, ©. Er le ift dort noch ein neunter Hall aus Priécianus (ij. Keil I, ©.

4 Befonders die vielen Neminiscenzen nn daß diefe ihm wie unmille fürlih aus dem Gedächtniß in die Feder gerathen fein müfjen. Außer den zahlreidien Etellen ans Birgil und Etatins, die Dümmler und Pannenborg angeführt haben, verweije ich noch auf einen Anllang an Terent. Eun. II, 2. 5 zu IV, 77

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Er fteht durchaus auf dem Standpunkt der vorhin geſchilderten, ſchul— mäßigen Verslehre, wie er fie aus Donat und vielleicht Marimus Victorinus, größtentheil® aber aus den Notizen de8 Servius zuſam— mengejtoppelt hat, und vertritt diefen Standpunft dem Dichter gegen- über jogar mit einem Gefühl von Ueberlegenheit. Die ſchon oben gelegentlich angeführte Gloſſe I, 194%: quod quamvis apud anti- quos licitum foret, tamen apud nos cacenfaton est, ſpricht das deutlid) aus, und überhaupt bejchäftigt ſich der metrifche Theil des Commentars damit, den Autor auf die Schulregeln zu prüfen I, 8°. I, 28. IL, 10°. II, 51. IL, 120%, IL, 1540. III, 18. III, 51®. III, 80» —, wobei demjelben manchmal recht unhöflih und I, 194% und II, 47 ſogar ungerecht auf die Finger geflopft wird. Gleichwohl finden wir für die complicirteren Gefege der Metrik we— nig Verſtändniß; das zeigt die Gloſſe II, 516 zu dem Versſchluß ‘sustollere sceptris’: Subtrahitur modo s causa metrj, aliquando nee seribitur, ut illud tum laterali dolor certissimu nuntiu mortis. Es läßt ſich kaum etwas Oberflächlicheres über die bei den Grammatifern jo verjchieden und eingehend behandelte Lehre von der Pofitionsfähigfeit des s jagen, als es hier geſchieht. Dem Citat nad) zu urtheilen jtammt die Bemerkung aus der Lectüre des Marie mus Victorinus de ratione metrorum!, doc) felbjt, wenn wir ung nur an die beiden Grammatifer halten, welche unfer Gloffator nach— weislich fennt, Priscian und Donat, jo ericheint dieje Gloſſe als eine dürftige, unklare Reminiscenz, die jchlecht genug zu dem ſchulmei— fternden Zone diejes Kritifers paßt. So ergiebt ſich, daß der Gloſſator nicht nur eine andere Perjönlichfeit als der Dichter ift,. fondern daß er einer ganz andern geijtigen Sphäre angehört als diefer, in weldyem Dümmler einen Geijtlichen erfennt. Er ift wahre fcheinlich einer jener weltlichen Grammatifer, welche damals in italie= nischen Städten Schule hielten, und die folgende Betrachtung wird das befräftigen.

Ich verfuche jetzt nämlich den Wiſſensbereich des Gloſſators, d. h. feine Hülfsquellen und feine Lektüre, zu jkizziren, joweit der vor— liegende Commentar da8 Material dazu liefert.

Zunächſt die Hülfsquellen. Der Kreis derfelben ijt etwas enger zu ziehen, als auf den erjten Blick geboten ſcheint. Dümmler hat zu II, 2°, I, 62® und IV, 18° den Fejtus, bezüglih Paulus? citirt. Indeß ijt nicht anzunehmen, daß diefer Autor von unjerem Gloſſator benutzt ſei. Die Gloſſe IL, 2°, welche sollers erklärt: Solon lingua Oscorum dieitur totum, inde sollers qui astutus est in omnibus et studiosus, fönnte man vielleicht auf freie Be— nugung des Feſtus (ed. Müller S. 298 und S. 292) zurüdführen, wenn fich nicht in der Inkunabel 8? folgende Glofje fände?: Sollum

i Bei Keil, Grammat. lat. VI, &, 217, 2In der Ausgabe von Müller, 3 Ich bezeichne mit s? das zweite, Heinere Gloffar, meldes in dem Augs⸗

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Öscorum lingua dieitur totum, inde sollers qui astutus est in omnibus et studiosus. Unzweifelhaft iſt unjere Gloſſe aljo nicht aus Feitus- Paulus entlehut, jondern aus einem jener libri glosa- rum, in welche ja ſchon früh Excerpte aus diefen Epitomatoren über» gegangen find und deren Hauptmafje die Inkunabel s wiedergiebt. So läßt fid) auch die zweite fraglide Stelle IV, 18: praesagat: praedivinat auf einen liber glosarum zurüdleiten, denn in s! findet ſich: praesagire conjecturare vel praedivinare. Und ebenjo findet fi) die ganze Paulusglojfe über forum, auf die es bei I, 62% anfommt, unverfürzt in s, jo daß fie vom Gloſſator der Gesta Berengarii jedenfall nicht aus Paulus entnommen zu fein braucht. Daß fie es nicht ijt, dafür fpridht der Umjtand, daß ftatt des letzten Abſatzes der Paulusjtelle: sexto fori ete. in unferer Gloſſe eine ganz andere Bedeutung von fori angegeben ijt, verbunden mit dem Suvenalcitat: Hie libros dabit et forulos mediamque Minervam. Somit fcheint auch diejer Abjag einem Gloſſar entnom— men zu fein, denn an Juvenalſcholien werden wir nicht denfen fönnen, weil das Gitat mit ‘quidam’ eingeführt ift, nicht mit ‘Juvenalis’. Auch findet ſich font in unferm Commentar feine Beziehung auf $uvenalfcholien vor; denn zu der Gloſſe Proseucha im Prolog Vers 6 find diefelben nicht benutzt. Dümmler citirt zu der genannten Stelle Juvenalis comment. ed. Cramer ©. 114. Dort wird proseucha erklärt: .... alii (dieunt) locum ad quem convenire solebant mendiei ad stipem petendam, alii tabernam in qua pauperes vivant. JJgoosuyeo#u, enim graece orare dieitur et proseucha locus Judaeorum, ubi orant. Unfere Gloſſe Heißt: JZ7goosvyeodas dieitur graece orare, hine graeco nomine proseucha dieitur casula pau- peris videlicet cappanna, in qua residens_pauper in qua- druvio vel in publico loco petebat stipem. Nun hat Jo— hannes Yanuenfis in jeinem Catholicon (Venetiis 1483), welches ja aud eine indirefte Ableitung von den alten libri glosarum darjtellt, unter proseuca: Proseucon graece latine dieitur orare, deprecari, unde haec proseuca domus paupe- rum et mendicorum in qua &lemosynas petunt etc. und ganz ähnlich) das vor dem Catholicon abgefaßte, aber durchweg weniger ausführliche Lexikon des Papias. Offenbar ſtammt dieje Notiz aus derjelben Duelle, welcher unfere Gloſſe entnommen ift, welche in den Juvenalcommentar mit “alii tabernam’ auftritt und welche ich für einen liber glosarum halte. Außer diefer Stelle findet fich feine Spur von einer möglichen Benutzung der Juvenal— ſcholien; ſomit ift die Kenntniß derjelben für unferen Gloſſator nicht erweislich.

burgiſchen Inkunabeldruche des liber glosarum Salomonis Constantiensis episcopi, bon Kettner in feinen Forſchungen über Placidus mit s bezeichnet, fteht und die Glofjen Abacti Zozommin enthält.

ZWV. 10

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Ebenſowenig darf die Glofje I, 64°: coneinnant: componunt, nam coneinnus dicitur proprie potio multorum pigmentorum, mit Dümmler aufNonius Marcellus (S. 43) bezogen werden, denn dort wird coneinnare durch facere ımd cinnus als potio- nis genus ex multis liquoribus confeetum erklärt ; aljo ijt die Entlehnung gewiß feine direkte.

Welche Autoren bleibeh darnach als Hilfsquellen unferes Gloſſa— tors übrig?

Hier nimmt die Hervorragendfte Stelle ein der Virgilcom— mentar des Servius. Ihm werden die zahflreichiten Worter- klärungen theil® wörtlich, theil8 mehr oder minder verkürzt entnommen ; jeine grammatifchen Notizen find dem Gloſſator jo gegenwärtig, daß er im Stande ift, diejelben jeder Zeit heranzuziehen; den Serviani= chen Sprachgebrauch hat er fi) jo zu eigen gemacht, daß er alle jene technischen Wendungen ‘bene dicit, bene dietum est, figurate dietum, ac si diceret’, ja gelegentlicd) ganze Phrajen, wie I, 139°: per transitus historiam tangit (cf. Comment. in Virgil. Serv. ed. Lion. ad Aen. VII, 51) von Servius übernimmt, Dümmler hat diefe compilirende Thätigfeit de8 Glofjators mit fo ausdauernder Geduld verfolgt, daß ſich kaum ein paar Stellen Hinzu= fügen laffen werden. Zu vergleichen fand ich noch: Serv. ad Aen. I, 58 zur Gloſſe II, 186%; Serv. ad Aen. VII, 49 zur Gloſſe I, 250°; Serv. ad Aen. I, 90 zur Gloſſe IV, 113; Serv. ad Aen. X, 532 Ende zur Gloſſe I, 1744, In einigen Fällen iſt Servius unrichtig citirt:

1) ad Aen. V, 310 zur Gloſſe IV, 55°;

2) ad Aen. I, 343 zu II, 12°.

* heißt es in der Gloſſe: Cartha dicitur a cartino (ſo hat der Soder) oppido. Servius J. ec. jagt aber umgekehrt: Carthago a cartha. Die Yufunabel 8, welde ‘Carta dieta a cartädo op- pido’ hat, führt uns auf einen liber glosarum als Quelle diefer un= ferer Stoffe hin: eine Verjtünmelung von cartada jcheint bei ung in cartino wie bei s in cartado vorzuliegen. |

3) ad Aen. I, 530 zu I, 37%. Die Erffärung von Hesperia ift vielleicht mehr aus Isidori Etym. XIV, c. 4, 19 entlehnt.

4) Statt ad Georg. (rectius Ecl.) I, 63 ift zur Gloſſe I, 49° Schol. ad Lucan. Theb. I, 434 zu citiven !.

2 ch führe hier einige Drudfehler auf, welche ich in den Serviuscitaten

gefunden habe,

Zu II, 279 muß es beißen ad G. III, 223 S. 275. „uU, 2% » ad Aen.1I, 196 36, I, 219» » nn » Ad Aen. I, 487 ©. 156, Prolog.v.3lb ad Aen.I, 310 S. 61. „1, 17386 " n “ad Aen. V, 546 ©. 337, „IL 6 „nn ad Aen 1, 4306 76, U, 201a nn ad Aen. II, 57 ©. 185. IV, 11a nn n ad Aen. 1, 234 © 47, I, 328 „» nn» Ad Aen. VII, 695 ©. 438,

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Es ift faft überflüffig zu bemerfen, daß die namentliche Erwäh— nung des Servius öfter vorkommt und dadurd die direkte Benugung dejjelben in jeder Weile bejtätigt wird.

Das nächſt Servius am Meiſten benutte Werf find Isidori Etymologiarum libri 20, jenes Werk, das in fo zahlreichen und aus— führlichen Excerpten in die libri glosarum übergegangen ift. Unfer Gloſſator, wie das der beichränfte Raum feiner literariſchen Thätigfeit bedingt, zieht die Ausführungen Iſidors notizenhaft zufammen und macht e8 bei der nahen Berwandtichaft, die zwijchen Iſidor und Ser- vius bejteht, dadurd oft faum möglich, zu entjcheiden, ob eine folche Notiz aus diefem oder jenem ſtamme. Außer den von Dimmler eitirten find ficher noc) folgende Stellen aus Iſidor geſchöpft:

1) die Gloſſe III, 292% aus Etym. V, c. 55, 2;

2) I, 37° aus Etym. XIV, ce. 4, 19 ſtatt aus Servius, wie oben bemerft ;

3) zu I, 728 ift Isid. Etym. XX, ce. 3, 1 ftatt des Serpius- eitates hinzuzufügen,

Dagegen iſt nicht aus den Etymologiae die Gloſſe I, 111° zu phosphorus: id est lucifer: fos graece vel lux, phoros ferens. Iſidor fchreibt an der citirten Stelle (Etym. XX, 10, 10): Nam yös lux est, 000g visio dieitur, unde et lueifer graece pwopogog appellatur. Auch Hier hilft "ung die Inkunabel s auf die Spur. Dieſe erklärt Fosfori: luciferi, phos graece lux, foros ferre; hine phospho dicitur lucem ferens, und leitet uns jomit wieder auf einen liber glosarum als Quelle unjeres Gloſſators hin !.

Sntereffant ift die Gloſſe I, 36° Phoebus: novus interpre- tatur, eo quod cotidie quasi novus videtur in ortu. Die dazır von Dummler citirte Notiz des Iſidor (Etym. VIII, c. 11, 54) heißt nämlich: Phoebum quasi ephebum hoc est adolescen- tem, unde et sol puer pingitur, eo quod cotidie oriatur et nova luce nascatur. Schon der Umjtand, daß hier eine ganz an— dere Bezeichnung de8 Phoebus durch dajfelbe ‘eo quod cotidie’ erflärt wird, beweift, daß Iſidor zwei verjchiedene Quellen zuſammenge— fchrieben hat, von denen unferem Glofjator nur die eine vorlag, Das wird erhärtet durch eine Stelle de8 Mythographus tertius bei Bode Nr. 8 8. 4?, wo es von Apollo heißt: Sed et Phoebus i. e. novus vocatur, vel quod revera sol in ortu suo cotidie novus appareatveletc. Hier find durch das übliche ‘vel vel’ die zwei Quellen deutlich geſchieden, und wir jehen in dem erjten Abſatz die urjprüngliche Duelle unjerer Gloſſe deutlic) durchſchimmern. Daß aber wiederum ein liber glosarum vorlag, beweijt die In— funabel s, welche unter Phebus den eigentlichen Kern der Gloſſe bewahrt hat; interpretatur novus vel etc.

ı Bol. damit das bürftig verkürzte Exrcerpt im Papias s. v. phebus: phos i. e. lux, hinc phosphoros lucifer. % Scriptores rerum mythic. Latini tres. Cellis 1834.

10*

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ehrlich ift es mit II, 2065, Hier ift e8 Joh. Januenſis, der durch feine Notiz; lar dieitur ignis, inde in antiquorum proverbio dieitur: vidi larem in laribus, i. e. ignem in do- mibus, zeigt, daß unfere Gloffe, die von Dümmler dazu (unrichtig) eitirte Stelle des Iſidor, und die Notiz de8 oh. Januenſis aus gemeinfamer Duelle floffen, nicht aber eine aus der andern ab» geleitet ift.

Endlich, meine ich, ift II, 33° nicht dem Iſidor entnommen, fondern jener jelben dritten gemeinfamen Duelle, deren deutliche Spuren ſich in der Inkunabel s fowie im Papias unter Olimpus und in Joh. Januenſis unter den Artifeln Olympos, nubes, mons verjtreut finden.

Der Name Yfidors wird übrigens nirgends von unjerem Come mentator ausdrüclich genannt; es läßt fich daher zweifeln, ob ihm Sfidors Werk direft vorlag, oder ob er nur die Ercerpte defjelben in einem liber glosarum benutste !,

Wir find im Laufe diefer Unterfuhung ſchon mehrfach auf eine Duelle unferes Gloſſators geführt worden, in welcher ich einen jener libri glosarum zu erfennen glaubte, die feit dem Beginne claſſiſcher Studien im Mittelalter einen jo wichtigen Einfluß auf das reale Wilfen und den Spracdgebraud aller Gebildeten gehabt haben. Herz, Prof. Studemund, defjen Anregung in Straßburg ich diefe Ar- beit verdanfe, Hat mic) beſonders auf die Bedeutung dieſes Gegen» ftande8 aufmerfjam gemacht, und ic) verweile etwas ausführlicher dabei. Wir fanden nicht nur in Joh. Januenſis und der Inkunabel 8, fondern auch in Iſidors Etymologien und den Scholien zu Ju— venal eine gemeinjame Duelle wieder, welche fich durch ihre alljeitige Anonymität und aus anderen Gründen als ein Gloffar darjtellte.

Wir fehen daraus, daß fchon vor der Abfafjung jener Enchklo- pädien zur und nad) der Zeit Karls des Großen, wir jehen, daß mindejtens fchon zur Zeit Iſidors Gloffenwerfe im Gebraucd waren, welche auc ausführliche Sacjerflärungen enthielten und welche nad ihrer Aufnahme in jene umfafjenderen Sammlungen des 8. und 9, Jahrhunderts verloren gingen. Wie fid) die verjchiedenen jet noch vorhandenen libri glosarum zu diejen früheren Werfen verhalten, das wird fich erjt beurtheilen Laffen, wenn der gemeinfame Grundftod aller diefer Gloſſare aus den verfchiedenen Handjchriften und Druden einmal zufammengeftellt iſt. Außerordentlich reichhaltig aber muß das geſammte Material gewefen fein und zum Theil noch fein, denn Keiner der uns erhaltenen Codices oder Drude ſtellt dafjelbe voLll- ftändig dar. Selbjt in dem fo ausführlichen Coder Bernensis

1 Einige Drudfehler in den Sfidoreitaten bemerke ich hier: Bu I, 36% muß es heißen Isid. Etym. VIII, 11, 54. 1, 239° II, 37, 1.

ee u UT, 21, 28.

I 4 ”„

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sec. IX fehlen überrafchend viele Sloffen, welche wir durch ben liber glosarum Salomonis 8 als alten Gloſſarbeſtand erkennen, Es dürfte daher auch nicht befremden, wenn fid in unferem Commen= tar Gloſſen fänden, welche in feinem der erhaltenen Codices ent= halten wären, und es ift klar, daß wir aus der Verglei— hung der indireften Quellen, Papias, Yoh. Januenſis und Jukunabel s mehr gewinnen werden, als aus ber eines einzelnen beliebigen Coder; denn diefe Drude repräfentiren, wenn auch in mehr und mehr verfürzter Form, Auszüge aus einer ganzen Zahl von GCodices verfhiedenen Beftandes. Mir lag neben den erwähnten indireften Quellen der Berner Coder Nr. 16 mem- bran. sec. IX! vor, der mir durch die vereinte Güte der Herren Oberbibliothekar Prof. Barad in Straßburg, Prof. Studemund und Oberbibliothefar von Steiner in Bern zugänglich) ward. Auf die erfteren indireften Quellen laſſen ſich außer den gelegentlich ſchon er= wähnten nachfolgende Gloſſen zurückführen.

In Koh. Januenſis findet ſich die Erflärung von Endromis (Prolog Gloffe 172): vestis villosa de arietinis pellibus facta, qua induebantur Romani contra frigus?, ferner agitat Prolog 24°: frequenter - agit; und ber Gloſſe III, 136%, wo der Herausgeber Papias citirt, kommt der Wortlaut im Sanuenfis: Frivolus quasi fere valens obulus, noch näher.

In der Snfunabels ftehen die Gloſſen II, 117° labara: vexilla; Prolog 11° agitatur: ventilatur; II, 34* avitus: antiquus; ], 97= bilis: amaritudo; I, 129» aeriae: altae; IV, 1 vixdum: adhue (vermuthlich seil. dum).

Im Papias, den Dümmlet zu III, 131» und III, 136° her- anzieht, findet fich eine größere Zahl von unferen Gloſſen: I, 36° despieit: deorsum aspieit; I, 54* quin: ut non; I, 142° una: pariter; I, 253» malae: maxillae ; I, 118° sedet: placet; II, 145® vieissim: alternatim; II, 183° premit: insequitur; III, 68, radieitus: a radice; III, 225° techna: fraus; IV, 136* sensim: paulatim; ferner mit geringen Abweichungen I, 14° im Papias: stema: genealogia .. . vel filum, quo ligabantur sa- cerdotum capita pro corona ; unde et dieitur ; IV, 98* serta: co- ronae floribus insertae; IV, 160° tuceta: escae regiae; IV, 105° subura: celebratissima via Romae est; IV, 159° setinum: vinum a loco dietum. Vielleicht läßt ſich auch die verftümmelte Gloſſe I, 14. wiederherftellen *, wenn man Papias in Betracht zieht, wo e8 heißt recenseo, ses, Sul, recen- geor recensitus in divinitate; vel a recenseo, sis antiquitus.

2 Bon Kettner mit H bezeichnet.

2 Bol. Papias: vestis est villosa, fortis, hyemalis, qua philosophi utuntor.

s Der Ietste Theil der Gloffe (prisc . . . . utrum) bürfte, mit Rüdficht auf Priscianus in den Gramm. lat. ed. Keil II, ©. 492, 17: censui vero censum, lauten: Priscianus neutrum.

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Der Berner Coder, welcher befanntlich nur die Buchſtaben A—B enthält, weift zufälfig feine der wenigen Sachgloſſen, welche ic innerhalb dieſes Bereiches einem liber glosarum zuwies, 3. 8. Endromis oder Cartha, auf. Zufällig fage ich in dem oben aus— geführten Sinne, denn ein anderer Coder mag diefelben noch heute enthalten. Mit den rein lexikaliſchen Wortgloffen, deren Beftand überhaupt ein gleichmäßigerer in den verjchiedenen Codices zu fein fcheint, liegt e8 etwas anders. Abgefehen von etwa 20 dort und bei ung übereinjtimmenden Wortgloffen, unter denen ich hervorhebe I, 36°; despiciens: deorsum aspieiens, und II, 94* adversas: con- trapositas, ift öfter, wo der Berner Goder mehrere Synonyme giebt, von unferem Gloſſator gerade das voranftehende gewählt, fo z. 2. I, 214° demum: novissime; H hat demum: novissime, postea, und jo noch fünfmal.

Das macht ganz den Eindrud, als habe unfer Gloſſator in diejen Fällen fein Lexikon aufgefchlagen und das fich zunächſt Bietende abgejchrieben; ebenfo wenn er an verichiedenen Stellen diejelbe Ueber— fegung wiederholt, wie 3. B. I, 115° und III, 181° dispendia: damna, oder wenn er gelegentlidy zwei Synonyme anführt, wie I, 87a exeire: exeitare, commovere; cf. H exeita: excitata, com- mota. Kurz wir fehen, welche Rolle diefe libri glosarum in der damaligen Gelehrtenpraris gefpielt haben, wie viel eine fritiiche Durch— arbeitung diefes Yiteraturzweige® zum Verſtändniſſe mittelalterlicher Shhriftiteller beitragen würde.

Ob aud die Stelle aus Hieronymus zu II, 88° fie jteht in Hieron. Commentar. in Ezechielem cap. 16 D ©. 368! aus einem liber glosarum geihöpft ift, muß zweifelhaft bleiben. Dafür fpricht, daß gerade der Kommentar zum Ezechiel öfter als Quelle im Berner Codex citirt wird, 3. B. fol. 59, 1 und 59, 2; dagegen, daß Hieronymus in unferer Gloſſe ausdrüdlich und mit dem Zufat beatus genannt wird. Der vielgelefene Commentar mag immerhin direft von dem Gloſſator gefannt fein, wie e8 ohne Zweifel die damals alfbeliebten Schriftfteller Tulgentins (ef. Gloſſe I, 123°) und? Martianus Capella (ef. II, 154°) find. Aus des erjteren Mythol. III, c. 7 ift noch die Gloſſe I, 244% entlehnt.

Endlich ſcheint die Notiz I, 154 auf Zul. Rufinianus (aus den Rhetores minores ed. Halm ©. 62, 12) Hinzudeuten,, doch zweifle ich, ob der Gloſſator ſpeciell rhetorische Werfe bemutst habe, weil die beiden Gloſſen, worin von Nhetorif die Rede iſt I, 216° und II, 248° auf Isid. Etym. II, cap. 4, 3 zurüdzuführen find.

Ich komme nun zu den Scholien, welche der Gloſſator benutzt hat. Dümmler verweift auf Scholia ad Lucanum zu den Stoffen II, 1002 und IV, 19%. Zu II, 100° ift noch zu vergleichen Schol. ad Lue. Phars. II, 400 ?, woher der erjte Theil der Gloſſe

! Hieron. opera omnia ed. Mar. Victorius T. IV, 2 m der Ausgabe von Weber T. III.

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genommen ift, und ftatt der zu dem letzteu Theile citirten Stelle der Schol. ad Luc. (II, 615) ijt wieder Joh. Januenſis heranzuziehen, welcher dem Wortlaute unferer Stelle näher kommt. “Derjelbe Hat nämlich: Adria vel adros graece, petra latine, hine Adria mare etc. Dagegen find nocd folgende Stoffen aus den Scholien entnommen: I, 17° aus Schol. ad Luc. V, 24; I, 49* aus Schol. ad Luc. I, 434; I, 19° aus Schol. ad Luc. V, 191; I, 134 aus Schol. ad Luc. V, 383 und 389; II, 74* aus Schol. ad Lue. VII, 158. Letztere Gloſſe erflärt in capulo durd in elte; fie ift bemerfenswerth, weil fie, nebft der Gloſſe IV, 143°, das Vor— kommen echt deuticher Wörter in Italien zu der Zeit nachweilt.

Spärlicher, doch ficher, hat unfer Gloſſator Scholia ad Statium benutzt. Das zeigt die Gloſſe II, 119 auf dharafteriftiiche Weiſe. Nachdem der Gloffator nämlich in der Note zu Vers 117 bemerkt hatte, daß von dieſem Verſe an der Dichter viel aus Statius entlehnt habe, ſchlug er ohne Zweifel die betreffende Stelle im Sta- tius (Theb. VII, 139) nad) und plünderte nun feinerfeit8 dort den Scoliaften. Dieſer jchreibt nämlich zu Theb. VII, 139: prae- cipitant: festinant, accelerant, ut tarditatis moras cele- ritate compensant, unfer Gloſſator II, 119%: id est tardi- tatem suam nimia celeritate compensant. Auch der erjte Theil der Stoffe II, 241°: Egeum mare dieitur, ut quidam volunt, ab Egeo patre Neptuni, ift wohl aus Schol. ad Stat. Theb. VI, 45 entlehnt; dort heißt e8: ab Egeo Neptuni filio Thesei patre, und iſt die Gloſſe danach zu verbefjern.

Ferner find Scholia ad Horatium! in folgenden Gloſſen benußt: im Prolog 30® (cf. Schol. ad Hor. de art. poet. 120); im letzten Theil der Gloſſe I, 225%: alii dieunt etc. (cf. Schol. ad Epist. 1. I, 2, 7: duellum proprie estquod a duobus bellum geritur); endlich in III, 297% (ef. Schol. ad Carm. 1. IV, 12, 15: gestire est toto corpore laetitiam ostendere, was dem Wortlaut unferer Gloffe näher kommt, als die dazu von Dümmler citirte Stelle aus Servins).

Endlich wende ich mic zu den grammatifhen Quellen. Abgeſehen von der obenerwähnten einzigen Andeutung, dat Maximus Bictorinus vorgelegen habe, ergiebt ſich die Renntnig des Pris- cianus ımd Donatus feitens des Gloſſators ficher aus deren namentlicher Anführung I, 62® und I, 28%. Doch verräth gerade die lettere Stelle, daß unfer Sloffator den grammatifchen Notizen des Servius größere Autorität zumißt, als jenen beiden Grammati— fern. Diefes Dominiren des Servius iſt bezeichnend genug für die ganze Art jener grammatifchen Bildung. Ich kann hier veralfge- meinern, was ich oben bei Gelegenheit der metrifchen Theorie unferes Scholiaften ausiprad) : von einer einheitlichen grammatiichen An= ſchauung ift nicht die Rede; aus den verfchiedenen Notizen, wie fie

ı Horat. cum comment. Jac. Cruguii. Lugd. Batav. 1597.

152

bald Servius, bald Donatus oder Priscianus bieten, ift feine Weig- heit unorganiſch zufammengefügt; widerfprechenden Anfichten feiner Gewährsmänner fteht er ohne Sit gegenüber, und wenn er fchein= bar ein ſelbſtändiges Urtheil fällt, ift dajjelbe meiſt aus der betreffen» den Duelle abgejchrieben.

iermit habe ic) überhaupt den wiljenichaftlihen Theil uns feres Kommentars, auf den wir jet zurückblicken fönnen, charakteri⸗ ſirt. Wir hatten oft Gelegenheit zu bemerken, wie der Gloſſator innerhalb derſ elben Gloſſe die entgegengeſetzten Angaben verjchiedener - Quellen mit einem ‘vel vel’ oder ‘alii dicunt, quidam volunt’ zufammenfoppelt. Um fo weniger werden wir erwarten, daß ſich in verjhiedenen Gloſſen über denjelben Gegenftand ein einheitlicher Zufammenhang findet. So find 3. B. die Bemerkungen über aftro- nomifche Dinge, deren ſich eine größere Zahl findet, in buntem Wechſel aus Martianus Copella, Iſidorus, Fulgentins, Scholien zum Lucan und Servius zufammengelejen ; und die mythologiſchen Anmerkungen zeugen von derjelben äußerlihen Methode des Stus diums

Vorſchläge zu Aenderungen in den Gloſſen mögen hier Platz finden

1) Die Stoffe I, 65° ift nad) saltatio zu fchließen und dann delicatos (jo hat der Coder) als Gloſſe zu molles zu ziehen (ef. Serv. ad Georg.

2) I, 154 muß statt Antithesis ‘Antiphrasis’ ftehen. Der Coder hat Antiphesis, entjtanden aus der vulgären Form antiphre- Bis (ef, Rhetores minores ed. Halm ©. 62, 12: antiphrasis est figura sententiae, cum ‚quaedam negamus nos et tamen dieimus). Dies beftätigt das in der Gloſſe folgende “figura’, denn antithesis gehört zu den Metaplasmen.

3) II, 120% ijt ftatt enclisis ‘ectasis’ zu vermuthen (cf. Do- nat, bei Keil IV, 396, 14), denn enclisis (cf. Consentius bei Reil V, 374, 12 und Macrobius bei Keil V, 612, 25) iſt Abänderung ber Endſilben durch Flexion.

4) II, 146° iſt ad hune casum in ‘ad occasum' zu ändern; bie Berderbniß iſt aus hoccasum entjtanden; cf. IL, 146°, wo dieſe ſich findet.

5) I, 250, iſt nach dem Worte Terentius das Citat aus dem⸗ jelben, weiches ausgefallen iſt, Pro zupreme Juppiter einzuſchieben (cf. Terent. Ad I, 2, 42). Das ‘pro’ vor ‘summe’ iſt dann als Präpofition in der Bedeutung „anftatt“ anzufehen.

6) I, 49% muß e8 jtatt Araris: Galliae ipse est Sagonna heißen Araris: flumen Galliae, ipse est S. (cf. Schol. ad Lu- can I, 434).

7) Prolog ift ftatt alia zu fchreiben Thalia (ef. 3),

8) III, 278° ift nad) etiam wohl alia einzufchieben.

9) II, 241° iſt nad patre einzufchieben: Thesei filio Ki Schol. ad Stat. Theb. VI, 45).

153

10) III, 18% muß e8 wohl heißen: 8. subtrahitur ftatt allein subtrahitur.

11) II, 231° ift wohl sustentant zu ändern in sustentans.

12) I, 76° ftatt haeret “in haeret'.

Jene äußerliche Art des Wifjens, welche fi) in dem wiſſenſchaft⸗ lichen Theil des Commentars bemerklich machte, tritt uns nun nod) auffallender entgegen, wenn wir die Lektüre unſeres Gloſſators und deren Verwerthung ins Auge falfen. Er nimmt nämlich die Gitate, welche er als Belegftellen anführt, fajt nie aus feiner eigenen Lektüre, fondern entlehnt diefelben zugleich mit den betreffenden Gloſſen aus ihren Fundorten. Dies Verhältniß tritt in Dümmlers Ausgabe nicht deutlich zu Tage, aber es iſt für die Charafterijtif des Gloſſa— tor® nicht ohme Bedeutung. Das Citat aus Horaz II, 132° ftammt aus ber dort exrcerpirten Serviusgloffe. Das Yuvenalcitat II, 276* aus Servius 1. c.; IV, 19° aus Schol. ad Lucan.; II, 47° aus Schol. ad Lucan. VII, 404; Prolog 30° aus Schol. ad Hor. de arte p. 120. Das Terenzeitat II, 263° aus Priscianus 1. VII, 26°; I, 250° aus Servius Aen. VII, 49°; I, aus Priscianus J. c.“ Das Statiuscitat II, 263» aus Priseian.1l, e. Das Pliniuscitat II, 263° aus Servius Il. c. Das Gicerocitat II, 6% aus Priscianus l. XVIII, ©. 281. Nachzuweiſen ift noch das Citat aus Sidonius Apollinaris zu Ca- libes II, 822; ferner die auch ihren Autoren nach unbekannten Ci— tate zu turbo II, 185°, zu domus I, 162°; und endlich der Autor des Verſes I, 261, welcher in der Gloſſe als Francigena be» zeichnet ift.

Aus dem Gefagten ergiebt ſich, daß wir die Lektüre des Gloffa- tors nicht ohme Weiteres nad) feinen Gitaten bemeffen dürfen; nur die Kenntniß derjenigen Autoren fünnen wir ihm mit Sicherheit zu— fchreiben, auf welche er zu Plagiaten oder Neminiscenzen des Dich— ter8 hinweift, denn in dieſem alle muß er die betreffenden geleſen haben. Darnach ergiebt fich ficher die Kenntniß folgender Schrift- fteller: des Virgilius aus 21 Stellen in allen 4 Büchern des Ge- dichtes ; des Statius aus I, 168°. II, 117e. III, 194%; des Te= rentius aus II, 261°; des Sedulius aus III, 1605; des Boethius aus IV, 25°; der Bibel (Genesis) aus II, 9. Das fparfame Vorkommen biblifcher Anspielungen hat Dümmler in der Einleitung zu den Gesta Bereng. S. 9 ſchon hervorgehoben; es paßt in der That ganz zu dem weltlichen Charakter, welchen die Bildung jener italienifchen Grammatifer zum größten Aergerniß der Geiftlichleit an fi) trug. Ferner folgt aus der Benugung von Scolien zu Luca= nus und Scholien zu Horatius die Bekanntſchaft mit diefen Dichtern.

ı Horat. cum comment. Jac. Cruquii Lugd. Batav. 1597.

2 Nicht VII, 24, wie in ber Ausgabe.

° Das Eitat ift aus Terent. Adelph. II, 1, 42 nidt II, 1, 4, * Das Eitat ift aus Terent. Adelph. V, 4, 17 nidt 16.

154

Natürlich ift es nicht erlaubt, den obigen Schluß negativ zu menden ; der Kreis der Lektüre mag noch andere Schriftiteller umfaßt haben, vor Allen wird Cicero noch hineingehören; aber ungefähr ift mit den oben genannten der Umfang der Literaturfenntniß flizzirt, wie er zu jener Zeit in den Schulen üblich war.

Wenn demnach unfer Gloffator mitten in der allgemeinen Bil« dung feiner Zeit fteht, fo darf man wohl die charafteriftiichen Züge, welhe an ihm hervortreten, als charafteriftiich für diefe Bildung gelten Taffen: jenes zufammenhanglofe Nebeneinander von Notizen, jene Unterordnung unter einen ſyſtemloſen Commentator wie Servius, jene unfruchtbare Art der Lektüre, auf der andern Seite eine aus— dehnte Belefenheit, ein bedeutendes Gedächtniß, achtenswerther Fleiß und die gewöhnliche Zugabe zu einer mehr äußerlichen Art des Wiffens, eine Itarfe Einbildung auf die zur Schau getragene Gelehrſamkeit. Frei— lich zeigt uns ähnliche Züge das geiftige Reben des Mittelalters über— all, allein ich glaube nicht, daß wir diefelben irgend fonft in fo fcharfer Ausprägung beifammen finden, wie hier, wo fie durch feine Vertiefung nach idealer, nach religiöfer Seite hin gemildert werden. Ich verweife nur auf den zuletzt genannten Charakterzug, den Eigen dünkel, welchen wir bei unserem Gloſſator fo entwicelt fanden. Die mittelalterliche Welt fühlt fich durchweg den alten Klaffifern gewaltig iiberlegen; man braucht nur die Confutationes rhetorieae, dia- lecticae, grammaticae von Effehard IV. von St. Gallen! zu leſen, um zu erftaunen, wie fehr diefer Mönch das Alterthum ver= achtet, trotdem er e8 unermüdlich und mit Vorliebe ftudirt. Aber er verachtet e8 nur, weil es heid niſch ift, er fühlt fich nur durch feinen Glauben dariiber erhaben; die formale und produftive Ueber— legenheit deijelben erfennt er mit befcheidener Ehrfurcht an. Unfer Stoffator dagegen, umgeben von der frivofen Atmosphäre, welche im zehnten Jahrhundert Italien durchweht, fühlt dem Altertum gegen- iiber nichts al8 die einaebildete Leberlegenheit feiner einenen gelehrten Perfon und verfteigt fich daher bis zu den Ausdrücken faft lächerlicher Arroganz, die ich früher erwähnte, Wir wiffen auch von anderer Seite?, daß nerade diefe Arroganz eine hervorftechende Eigenichaft jener Grammatifer und Pehrmeiiter Italiens war, von deren Wirk— famfeit uns ein direftes Abbild in dem Gloffator der Gesta Beren- garii erhalten ift.

Wenn es mir gelungen ift, diefes Bild richtig aufzufaffen, fo tragen diefe Zeilen ein Weniges bei, zu erflären, warum alle die Gelehrſamkeit Italiens im zehnten Jahrhundert fo geringen Einfluß auf die fittliche und geiltige Energie des italienischen Volkes gehabt, warım al’ ihr Thun faum mehr als eine flüchtige Spur in der Geſchichte der Literatur und der Studien hinterlaffen hat.

1 &, Dimmler in Hanpts Zeitichrift fiir deutiches Alterth. Bd. XIV.

2 S. Gieſebrecht, Gefchichte der deutichen Raiferzeit I S. 357 ff. und des— jelben Abhandlung De litterarum studiis apud Italos. Berol. 1845. ©. 18,

Zur Kritit der Geſchichtſchreiber des erften Kreuzzugs. Bon J. Gurewitid.

Schon feit mehreren Decennien ift die Parifer Akademie mit der Herausgabe der abendländiichen Geſchichtſchreiber der Kreuzziige bes ihäftigt, von denen bis jet in großen Zwifchenräumen nur drei, allerdings ſehr ftarfe Bände erfchienen find, in glänzender typogra= phifcher Ausstattung, mit einem woeitichichtigen gelehrten Apparate verjehen. Es Liegt nicht im meiner Abficht, und e8 würde mir ‚auch das dazu erforderlihe Material fehlen, in eine umfafjende Erörte— rung der hier geleijteten Gonjtituirung der” einzelnen Texte einzutre= ten. Um fo entjchiedener ift ein anderer, nicht weniger erheblicher Punkt zu betonen, der völlige Mangel an einer fyftematifchen Ans ordnung des Stoffes, an jeglicher Unterfcheidung der primären und abgeleiteten Quellen. In erjter Reihe haben die Parifer Herausges ber das Werf des Wilhelm von Tyrus, feiner Ueberſetzer und Fort— jeger abgedrudt, obgleich bekanntlich die erjte Hälfte dejjelben nichts als eine ftylifirende Compilation aus älteren, befannten und vorhan— denen Büchern if. Man fönnte hierbei zur Rechtfertigung etwa be= merken, man habe zur Eröffnung des Unternehmens mit einer ums faffenden, univerſalhiſtoriſchen Darjtellung der Kreuszüge beginnen wollen. Aber aud im dritten Bande, welcher einen Theil der gleich— zeitigen Quellen fiir die Gefchichte des erften Kreuzzugs enthält, fett fi der erwähnte Mangel fort. Urfprüngliche und abgeleitete Be— richte, Originale und Copien ftehen unterfchiedlo8 neben einander; von einer Gruppirung der Berichte nach ihrer Abſtammung iſt feine Nede, und wenn einmal ein folcher Verſuch gemacht wird, verfehlt er, wie wir gleich darthun wollen, das Richtige. Sybels Geſchichte des er- jten Kreuzzugs, welche für diefes Gebiet das Wefentliche geleiftet hat, ift den Herausgebern unbefannt geblieben, wie oft fie auch in den trefflichen (franzöſiſchen) Schriften de8 Grafen Paul de Riant citirt wird. Die bedeutendfte der hierhin gehörigen Quellen ift, wie man weiß, der Bericht eines anonymen normannifchen Pilgers, welchen Bongars unter dem Titel Gesta Francorum publicirt hat, der fhon im 12. Jahrhundert gleich) nach feinem Erfcheinen weite Ver- breitung fand, und vielfache Benutzung und Leberarbeitungen erfuhr. Beitritten ift jedoch für diefen Autor ſelbſt das Verdienft der Origi—

156

talität; zahlreiche Stimmen haben fic für die Anficht ausgefprochen, daß fein Buch nichts fei als die abfürzende Copie, oder gar nur, wie Paulin Paris! ausführte, ein verjtümmeltes Manufeript von ber Relation eines franzöfischen Priefters Tudebod von Sivray. Diefe Meinung wurde vertreten von Besly?, den DBenedictinern der Hi- stoire litteraire?, von Geillier in der Histoire generale des au- teurs sacres et ecclesiastiques +. Die entgegengefette Behaup⸗ tung, daß das Buch des Anonymus die Quelle und Tudebod der Copift fei, wurde in älterer Zeit von Barth ohne nähere Begründung ausgefprochen?, in neuerer von Sybel in eingehender Erörterung bes wieſen ®, dann von Saulcy, unabhängig von Shbel, aufs Neue dar- gethan ”, Ohne von diefer Controverfe irgend welche Notiz zu neh- men, haben jetzt die Parifer Herausgeber fi wieder fiir Tudebods Priorität entfchieden, deſſen Bericht in zwei unweſentlich abweichen- den Redactionen vorgelegt, und die Erzählung der Geſten als dritte, als Tudebodus adbreviatus Hinzugefügt. Nach ihrem Worgange hat neuerlich Pollok in einer befondern Differtation ® nochmals Saul= ch8 und Sybels Beweiſe für die Geften geprüft, und fi) troß der- felben für Tudebod entjchieden.

Die Frage ift num nicht bloß von litterargefchichtlicher Bedeu— tung, jondern, wie man .fehen wird, auch von fachlichen Intereſſe für die gefchichtliche Erfenntniß des Thatbeſtandes. Denn fei der erite Autor welcher er wolle, der Bericht ift nad) allgemeinem Zu— geſtändniß der erheblichite und lehrreichſte unter allen gleichzeitigen Quellen. Zugleich aber find, bei wörtlicher Uebereinftimmung beider Redactionen in dem größten Theile des Buches, die Differenzen zwi- hen ihnen zahlreih und in vielen Fällen erheblich für das Bild einzelner Vorgänge, ja für die Gefammtauffaffung des ganzen Krie— ges. Es verlohnt ſich alfo, die Unterfuhung nochmals aufzunehmen und, wenn möglich, zum Abichluffe zu bringen.

Was Sybels Fritiiche Unterfuchung über Tudebod und die Ge- iten von allen früheren und fpäteren Crörterungen diefer Frage un— terfcheidet, was als der wichtigite und eutfcheidendfte Beweis für die Driginalität der Geften angefehen werden muß, ift die Hinweifung auf das Verhältniß Tudebods zu Raimund von Agiles. Tudebod benutt neben den Gejten das KRaimund’sche Buch, jagt Sybel, er hat mehrere Stellen wörtlich daraus in feine Compilation herüber— genommen. Hätte ihn der Verfaſſer der Geften abgefchrieben, fo

Chanson d’Antioche, introduction I, 27.

Duchesne IV, 773.

T. VII, S. 629.

T. XXI, S. 165.

Reliquiae manuscr. III, 21. 235. 262.

Geſchichte des erften Kreuzzugs ©. 23. 24.

Bibl. de l’&cole des chartes IV, 302.

Carolus Pollok, Quaestionum de IV primi belli sacri historiis, quae sub Tudebodi nomine comprehenduntur, Pars prima.

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157

nicht denlbar, wie nicht cine in deſſen Text übergegaugen fein ſollte !,

Es ift gewiß nicht zu verfennen, daß, wenn der von Shhbel aufgeftellte Sag durch eine eingehende Vergleihung des Raimund’= chen und Tudebod'ſchen Textes bejtätigt wird, damit in der That ein fejter Boden und ein leitender Anhaltspunkt für die Unterfuchung gewonnen iſt.

Nun Hat allerdings Sybel in feiner gedrängten kritiſchen Be— fprechung der Geſten geglaubt, ſich mit der wörtlichen Anführung ei nes einzigen Beiſpiels von der Benugung Raimunds durch) Tudebod begnügen zn können, und gerade diejes Beispiel ift falſch. Die Stelle bei Raimund, von der Sybel annimmt, jie fei von Raimund aus den Geften übernommen, und Tudebod habe diejelbe nicht aus den Geften, fondern aus Raimund gefchöpft, Hat auch Tudebod gewiß aus den Geften abgefchrieben; dies zeigt die unverfennbare wörtliche Uebereinftimmung. |

Tudeb,, Hist. III, p. 22. Gesta Franc., Hist. III, 126.

Mandavit itaque imperator co- Mandavit itaque imperator co- miti, sicuti superius diximus, quod | miti, ut faceret ei hominium et fi- fecisset ei hominii fiduciam, quem- | duciam, sicuti alii fecerant. Et admodum alii fecerant. Et dum/dum imperator haec mandabat, haec imperator mandaret, comes | comes meditabatur, qualiter vin- meditabatur, qualiter vindictam | dietam de imperatoris exercitu ha- de imperatoris exercitu habere | bere posset etc. potuisset etc.

Allein wenn diefe Stelle für die Erhärtung des Sybel’fchen Satzes unbraudbar ijt, fo bleibt der Sat ſelbſt dennoch) unbejteitbar richtig, und findet durc eine Reihe anderer aus Raimund gejchöpf- ter Angaben jeine vollftändige Beſtätigung. Ich ftelle diejelben in furzer Ueberficht zuſammen.

1) Tudeb., Hist. occid. III, p. 13—22 = Raim., H. oce. III, p. 236; die Stelle, die jid) auf den Zug der Provenzalen von Stavonien nad) Conjtantinopel bezieht.

2) Tud., Hist. occ. III, p. 47 = Raim., Hist. oce. III, p. 249; die Erzählung von einer wunderbaren Heldenthat Gottfried,

3) Tudeb., Hist. occ. III, p. 104 Raim., Hist. oce. III, Bi 297; die Bejchreibung der Prozeffion des Kreuzheeres um Jeru—

em.

4) Tudeb., Hist.occ. III, p. 114 = Raim., Hist. oce. II, p. 304; die Erzählung von einem wunderbaren Falle bei der Be— lagerung Aſkalons.

5) Tudeb., Hist. occ. III, p.85—86 = Raim,, Hist. occ. III, p. 262; die Beſprechung des Todes des Biſchofs Ademar und feiner großen Verbienfte um den Kreuzzug.

Die weniger bedeutenden Stellen, in denen die Uebereinftimmung des Berichtes Tudebods und Raimunds nicht fo augenjcheinlich klar, oder nur im einzelnen Strichen hervortritt, find Folgende :

ı Shyhel, Geſchichte des erften Kreuzzuges S. 24—25,

158

) Tudeb., Hist. oce. III, p. 90—91 —= Raim., Hist. occ. III, p. 280; die Epifode von der Erfcheinung des heiligen Andreas.

2) Tudeb., Hist. occ. III, p. 77 = Raim., Hist. oce. III, p. 283; die Beichreibung der Auffindung der Heiligen Lanze.

3) Tudeb., Hist. oce. III, p. 44 = Raim., Hist. oce. III, p. 247; einige Einzelheiten bei der Beichreibung der während der Belagerung Antiochiens vorgefallenen Schlachten. |

Am deutlichiten tritt die Mebereinftimmung Tudebods und Rai— munds in der Beichreibung des Zuges der Provenzalen aus Slavo— nien nad) Gonftantinopel hervor.

Die betreffenden Stellen hier im Ganzen abzudruden, Halte ich für überflüſſig. Ich erlaube mir mur einige Fragmente aus der be= treffenden Erzählung beider Autoren nebeneinander zu ftellen, da in ihnen nicht bloß die völlige Uebereinftimmung, fondern auch die Art und Weife, wie Tudebod den fremden Bericht umzugeftalten beftrebt war, um feiner Darjtellung wenigjtens den Schein der Selbftän- digfeit zu verleihen, recht Kar wird.

1.

Tudeb., Hist. occ. III, p. 183—22. | Raim., Hist. occ. III, p. 206 £. Et inde (id est de Slavonia)| Venimus Dirachium; cre-

pervenit Dirachium, quae|didimus esse in patria no- civitas imperatoris est, cupiens- que jam esset in terra sua, quandoque inimicorum inyasus est pessimorum manu etc.

stra, existimantes imperatorem Alexium et satellites suos nobis esse fratres et coadjutores. Hi vero ritu leonum pacificos inva- dunt etc,

2.

Interea illi (Raim. homines) coe-

Incipimus iter. Habuimus ob-

perunt carpere iter et obviaverunt | viam litteras imperatoris de pace, imperatoris litteris de pace et fra- |de fraternitate et, ut ita dicam, ternitate eo tenente sicuti cum de filiatione; haec autem verba suis filiis etc, tenus etc.

3.

Quadam autem die, dum Po- dieusis episcopus hospitatus fuis- set, contigit forte, quod a Pinei- natis captus est, qui continuo eje- cerunt illum de mula, in qua se- debat, et in vertice capitis vulne- raverunt. Sed quia tantus ponti- fex adhuc populo dei erat neces- sarius, per ejus misericordiam vi- tae reservatus est etc.

In der erjten Stelle ijt das

Quadam autem die, quum es semus in valle Pellagoniae, episco- pus Podiensis gratia convenienter hospitandi, quum paulisper a ca- stris discessisset, a Pincenatis cap- tus est, qui dejicientes eum de mula spoliaverunt et in capite graviter eum vulneraverunt. Sed quia tantus pontifex adhuc populo dei erat necessarius, per ejus mi- sericordiam vitae reservatus est etc.

unflare “cupiensque jam esset

in terra sua’ bei Tudebod nur als eine ungeſchickte Umgejtaltung de8 Raimundſchen: ‘credidimus esse in patria nostra’ zu verſte—

hen.

Der Ausdrud des Legteren befommt durch das Participium

159

existimantes etc. jeine richtige Begründung, die Tudebod aber, weil er eben die ganze Sache gründlich mißverjtanden zu haben fcheint, fortläßt.

In der zweiten Stelle find die Worte Tudebods ‘eo tenente sieuti cum suis filiis’ eine Paraphraje der Worte Raimunds ‘litte- rae, ut ita dicam, de filiatione’ etc.

Man fieht, wie oft die Umschreibung Tudebods zu unflaren, unverftändlichen Ausdrüden führte. Durch das Streben, fein Pla— giat unter einer jcheinbar jelbjtändigen Erzählung zu verbergen, ijt Zudebod, wie aus der dritten Stelle zu fehen iſt, aud) zu einer völlig finnlofen Darftellung gefommen. Dieſer Darjtellung gemäß wurde der Biſchof Ademar überfallen, al8 er jchon einquartirt war, und doch de mula, in qua sedebat heruntergeworfen! Und diefer Unfinn it, wie man fieht, aus der Umfchreibung der Klaren Worte Rai— munds: episcopus Podiensis gratia convenienter hospitandi quum paulisper a castris discessisset ete., entjtanden. Die Vortjetung diefer Epifode, die Angabe nämlich der Umjtände, welchen der Biſchof feine Rettung zu verdanken hatte, iſt bei Raimund aud) viel flarer und volljtändiger als bei Tudebod.

Ebenſo ungeſchickt wie die Wiedergabe der Raimund'ſchen Erzäh- lung, ift num ferner aud die Einfügung derjelben in den Text der Seiten, jo daß hier die Ynterpolation eines fremden Bejtandtheils unverfennbar wäre, auch wenn ung das Original bei Raimund nicht mehr vorläge.

So ſpricht Tudebod unmittelbar vor der Bejchreibung des Zuges der Provenzalen von dem Zufammentreffen Boamunds mit Kaijer Alerius in Konftantinopel und von den zwiſchen ihnen jtattgefunde- nen Verhandlungen: Concordaverunt se ambo, fährt er fort, Imperator quidem permisit Boamundo 15 dietas terrae in longitudiue Romaniae et 8 in latitudine; Boamundus vero fecit ei fiduciam terrae suae, quod non auferret ei neque consentiret auferri!,

Nachdem er dann von dem Zuge der Provenzalen und von dem Zujfammentreffen Raimunds mit dem Kaiſer Alerius erzählt hat, bes richtet er zum zweiten Male, was er vorher von den gegenfeitigen Verſprechungen des Kaiſers und Boamunds gejagt hatte: Fortis- simo autem viro Boamundo dixit imperator, quem valde ti- mebat et in corde suo, quodsi libenter ei jurasset 15 dies eundi terrae suae in extensione ab Antiochia, retro daret et octo in latitudine ?,

Unter den Auterpolationen, denen wir im Texte Tudebods öf— ter8 begegnen, treten bejonder8 Har diejenigen hervor, welche die Neigung Tudebods zum Wunderbaren charafterifiren, und von denen feine einzige bei dem anonymen Autor nad dejjen fühlerem Charakter

ı Tudeb., Hist. oceid. T. II, ©. 18, 2 Ibid. ©. 22.

160

zu finden ift. Diefe Stellen find aber bei Tudebob, wie mehrere andere and Raimunds Bericht entnommenen, bei dem der Wunder- glaube, wie e8 ſchon Sybel bemerkt hat, in einer fo wilden Weife öfter8 hervortritt !,

So erzählt Tudebod an einer Stelle, die im Texte der Parijer Akademie fehlt, die aber in Duchesnes Ausgabe zu finden ift, von einer außerordentlichen, wunderbaren Heldenthat Gottfrieds, der, mit denn Schwerte in der Hand auf die Sarazenen fich ftürzend, einem von ihren Fürften einen ftarfen Hieb beibringt, ut in duas partes ipsum divideret a vertice videlicet usque in sellam equi; dann fährt Tudebod fort, um das Wunderbare noch mehr hervorzu— heben: actumque est ex dei providentia, ut quamvis in duo diseissus ex toto de equo dilaberetur?, Dann wirft fi) Gott- fried auf einen anderen, und auc ihn zerhaut er von der Seite in zwei Hälften (eX obliquo secuit per medium). Das feindliche Heer wird dadurch von einer folhen Furcht ergriffen, daß es in der Flucht feine Rettung fucht, und da ihnen der Weg nirgends of- fen und die vor ihnen liegende Brücke zu enge ift, fo fallen meh— rere Feinde in den Fluß, die anderen werden von den chriftlichen Fürften ins Waffer gejtürzt, noch andere todt gejchlagen.

So lautet der Bericht Tudebods. Diejelbe Erzählung, nur in einer gedrängteren und anders geordneten Form, finden wir bei Rai— mund, Die wenigen Worte: porta clausa est et pons strictus, fluvius vero maximus etc., die bei Raimund der Beichreibung der vn Gottfrieds vorhergehen, find bei Tudebod erft nad) diefer

efchreibung in folgender Paraphrafe ausgedrückt: Locus vero fu- giendi non erat, nisi solummodo per pontem, qui tune illis perangustus erat etc. Au dem Berichte Raimunds iſt gar nicht zu zweifeln, wie e8 die Worte: audivi a multis qui ibi fuerunt, quod 20 Turcos et amplius de ponte in flumine abruissent, beweifen. Dann erjt fährt Raimund über Gottfried fort: Claruit ibi multum dux Lotharingiae. Hic namque hostes ad pontem praevenit atque ascenso gradu pervenientes per medium di- videbat. Es jcheint deutlid), daß diefe Epijode bei Tudebod nichts ift, als eine fehr grobe Umarbeitung des aus Raimund entuomme— nen Materiald: aus der Zerfprengung der Schaar ift die Zerſchnei— dung der Kämpfer geworden.

In Bezug auf die bei Tudebod und Raimund anfcheinend über- einftimmende Erzählung von der Schlacht bei Askalon erklärt Besly daß die Darftellung Raimunds unvollfommen und nur eine Abfür- zung der bei Tudebod ſich findenden feit. “Die Histoire litteraire®

Sybel, Gefchichte des erften Kreuzzuges ©. 16.

Hist. occid. T. II, ©. 47.

Raim, Hist. oceid. T. III, ©. 249.

Duchesne IV, 776: mancum est et imperfectum etc. Bist. litt. VIII, 628.

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161

und die Parifer Akademie ! behaupten fogar, daß die erwähnte Be— ſchreibung bei Raimund ſchon in älterer Zeit von fremder Hand er= gänzt jei, da fie im dem guten Handfchriften des XII. Jahrhunderts fich nicht finde. Besly jagt ganz beſtimmt: Neque primum frag- mentum, ut vocat et putat optimus Bongarsius, debuit dubi- tare esse alterius quam Raimundi ?. Jedoch bei einer genauen Vergleichung der die Schlaht von Asfalon betreffenden Stellen bei Zudebod und Raimund läßt fi) gar nicht daran denfen, daß der leßtere die Tudebod'ſche Darftellung verfürzt oder abgeichrieben habe. Wenn wir alle Einzelheiten diefer Erzählungen bei Raimund, feine eigenthümliche Art und Weife der Darjtellung wie auch die ſprach— liche Ausdrucksweiſe berückjichtigen, fo finden wir alle die charafterijti= ſchen Züge, die fi) auch ſonſt in feinem Buche zeigen, von einem weſentlichen Unterfchiede aber auch nicht die Spur.

Vergegenwärtigen wir uns den inhalt und den Zuſammenhang der bei Raimund an den betreffenden Stellen erzählten Begebenheiten, fo tritt der jelbftändige Charakter diefer Daritellung flar hervor. Zuerft Spricht Raimund von der Wahl des Patriarchen Arnulf und mit einer gewilfen Bitterfeit von feinem Verhältniß zum niederen Glerus; dann erzählt Raimund, wie der Patriarch bei der Bevölke— rung Jeruſalems Erfundigungen nad) dem Kreuz anftellte, welches die Pilger vor der Eroberung Serufalems anzubeten pflegten, wie die Bevölkerung dies herauszugeben ſich weigerte und doc endlich den Ort der Aufbewahrung des Kreuzes anzeigte, und mit welcher Freude ein folcher Bund die Kreuzfahrer erfüllte. Alles diefes findet ſich nur bei Raimund. Dann geht er auf folgende Weife zur Darjtellung der eigentlichen Schladht über: Dumque, sieut superius diximus, de duce Lothringiae ordinatum esset, quod eivitatem reti- nere deberet, nunciatum est nobis, quod rex Babyloniorum Ascalonam venisset cum innumerabili paganorum multitu- dine etc. ®,

Man sieht, daß hier der Anfang der Darftellung von der Schlacht an die vorhergehende Erzählung angefnüpft wird, was jchon ein Beweis dafür ift, daß diefe Beichreibung nicht interpolirt oder bon fremder Hand ergänzt ift. Werner ijt mehrere, was von der Prahlerei des Babylonifchen Königs bei Raimund erzählt wird, we— der in den Geſten noch bei Tudebod zu finden: Sed non his ad- huc contentus similiter Antiochiae et Boamundo facturum se ajebat. Damasei etiam et reliquorum eivitatum diadema ca- piti suo impositurum dicebat. Nihil Turcos, nihil Francos,

ı Hist. occ. III, pröface S. XXIV: Le dernier &pisode, im- prime par Bongars à la suite de son texte, n'est pas de notre auteur, c'est un abreg& du tlıöme XVI de Tueboeuf, qui a été reproduit dans les manuscrits du XIII siecle.

2 TDuchesne IV, 776. ® Raim., Hist. occ. II, ©. 302,

XIV, 1

162

Turcorum vietores esse dicebat, considerata multitudine pedi- tum suorum et militum etc. !

Das Zufammentreffen der Kreuzfahrer mit den arabifchen Hir— ten ift auch bei Raimund viel ausführlicher als in den Gejten und bei Tudebod erzählt . Kurz, ich halte es fiir unmöglich die Erzäh- fung Raimunds von der asfalonischen Schlaht von der betreffenden Schilderung Tudebods abzuleiten. Im Gegentheil, bei einer nähe- ren Betradhtung der Sache erfcheint mir die Vermutung nicht ab- zuweiſen, daß Tudebod feine Bejchreibung auch in diefer Stelle aus den Geften und Raimund compilirte. So ijt bei Tudebod die Vor— bereitung zur Schlacht wie die Anordnung der Schaaren faſt wörtlic) aus den Geften abgejchrieben. Dann aber iſt die Angabe von dem Wunder während der Schlacht augenfcheinlic) eine Abkürzung der be= treffenden Erzählung Raimunds; dann folgt Tudebod in feiner Er— zählung wieder den Gejten.

Ich finde aljo feinen Grund, die Beichreibung der Schladht von Askalon Raimund abzufprechen. Und ſelbſt, wenn dies wegen ihrer Weglaſſung in den ältejten Handjchriften unvermeidlich fchiene, würde damit Tudebods Sache nicht verbejjert. Denn die Vergleichung würde dann feinen Zweifel darüber lajjen, daß fie unter diefer Vorausſetzung viel eher für eine Ableitung aus den Gejten al8 aus Tudebod zu halten wäre, was auch von den Parifer Herausgebern felbjt eingeräumt wird ®,

Daß, wie wir ed in dem Bisherigen ausgeführt, zwifchen meh— reren Stellen Tudebods und Raimunds eine augenfällige Ueberein— ftimmung ftattfindet, können übrigens auch die eifrigiten Verthei— diger des erftern nicht verfeimen. Besly“* und Geillier ® fuchen da= neben Tudebods Selbitändigfeit durch die Annahme zu retten, daß beide Autoren als gute Kriegsfameraden ſich ihre Aufzeichnungen ges - genfeitig mitgetheilt hätten. Pollof ® dagegen ift der Meinung, Rai— munds Bud) ſei dem Priefter von Sivray unbekannt geblieben, ihm feien nur einzelne anonyme Bruchſtücke dejfelben zu Geficht gefommen. Es ijt diejelde Hypothefe, mit welcher ſchon Sybel einzelne Schwie— rigfeiten für die Kritik Guiberts von Nogent und Wilhelms von Tyrus zu erläutern gefucht, und welche dann Paulin Paris näher dahin ausgedrückt hat, es feien einzelne Stüde aus den Berichten der Pilger jonntäglich von den Kanzeln in der Heimath verlefen und jo unter den Gläubigen in Umlauf gefett worden. Man fann dies einräumen und damit Tudebods und Wilhelms Wahrheitsliebe ret= ten, wenn jie bei feitenlanger Benutzung älterer Bücher dennoch erflä= ren, feine frühere Schriften, jondern nur Erinnerungen der Theil=

Ibid. ©. 303,

Ibid. S. 303 -304.

Hist. occ. III, S. 305—307 Note a. Duchesne IV, 776,

Vol. XXI, 166.

S. 31. 33,

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163

nehmer benußt zu haben. Offenbar aber treffen alle diefe Erörte— rungen den Punkt nicht, auf den es uns hier anfommt: das Ver— hältnig Zudebod8 zu den Gejten. Mag Zudebod das ganze Bud) Raimunds oder nur Bruchjtüce defjelben bemugt haben, inner bleibt die Thatfahe, daß in den Geſten feines diefer Bruchſtücke ſich vor— findet, daß mithin Tudebods Erzählung ſich al8 eine Compilation darjtellt, welche in den Text der Geſten Raimund'ſche Stüde einfügt.

Nach der Beichreibung einer kirchlichen Proceſſion während der Belagerung von Serufalem und eines dabei ſich ereignenden Vorfalles bemerft Tudebod: Credendus est, qui primus hoc seripsit, quia in processione fuit et oculis carnalibus vidit, scilicet Petrus Tudebodis, sacerdos Sivracensis '. Hierauf geſtützt ja= gen die Parifer Afademifer, indem fie unter Berufung auf die Hist. litter. Tudebod als den erjten Berfafjer bezeichnen: Cest ce qui lui a inspire la confiance de se donner pour le premier, qui eüt traite ce sujet: “qui primus scripsit’, dit il en parlant de lui même?. Noch Harer ijt dafjelbe bel Geillier ausgeſprochen: Il fut le premier des croises, qui écrivit les expeditions, du moins il le dit en termes formels. Ainsi l’on ne peut le re- garder comme plagiaire?. Außerdem führen die Vertheidiger Tu— debods noch zwei Stellen al8 Grund für ihre Behauptung an: in der einen ift die Rede von einem verftorbenen Bruder Tudebods Arvedus Tudebodis, einem tapfern Srieger, dejjen Beerdigung der Priefter Petrus Tudebodis beimohnte *. In der anderen erzählt Tu— debod von dem Tode eines Arnoldus Tudebodis, der in der Schlacht bei Marrah gefallen ijt? und den Besly aud einen Bruder Tude— bods nennt, obwohl bei ihm fein Grund dafür zu finden it.

Aber welhen Schluß kann man mit Sicherheit aus allen diefen Stellen ziehen? Gewiß nur den, daß ſich Tudebod wirklich ſelbſt an dem Kreuzzuge betheiligt, daß er mehrere von dem bei ihm eingefcho= benen Epifoden, unter anderen die bei der Belagerung von Jeruſa— lem erzählte, jelbft erlebt hat. Daß aber Tudebod mit feinen Brü— dern dem Heere folgte, da8 beitreitet auc Niemand, und das gibt auch Sybel gerne zu. Wie kann man daraus aber auch die Ori— ginalität de8 ganzen Werfes folgern und auf ſolche Stellen geſtützt den Bericht der Geften aus dem des QTudebod ableiten wollen? Dazu gibt wenigjtens die oben angeführte Stelle “Credendus etc.’ aud)

ı Hist. occ. II, ©, 106. Cf. Paulin Paris, Le chanson d’An- tioche, Introd. chap. V ©. 26: Dans le manuscrit de la bibliotheque royale Nr. 5135 sous le titre ‘Historia belli sacri primi’, qui est d’ail- leurs plus correct que les Editions de Bongars et de Duchesne, nous trouvons aussi le nom de l’auteur Petrus Tudebodus sous l’addition du manuscrit de Besly ‘sacerdos sivracensis’.

Hist. oce., preface ©. V.

® Ceillier, Hist. des auteurs sacres T. XXI, ©, 165.

* Hist. occ. III, S. 67.

5 Ibid. ©. 85.

° Sybel, Geſchichte des erften Kreuzzuges S. 23.

11”

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nicht die mindefte Berechtigung. Die Worte “qui primus hoc seripsit’ beziehen ſich augenscheinlich nicht auf das ganze Werf Tudebods, wie es die Parijer Akademiker behaupten, fogar nicht einmal auf das ganze Thema, au deſſen Schluſſe diefe Worte ftehen: fie find nur auf die Beichreibung der Prozeſſion und des fic dabei ereignenden Zufalles zu beziehen, was aus den Worten Tudebods Har hervorgeht. Die Urſache, nad) der Tudebod ſich vollen Glauben erbittet, ijt im den Worten ‘quia in possessione fuit’ ganz deutlich angegeben, und die Auslegung diejer Stelle in der Vor— rede der Pariſer Akademie: Nous croyons, que l’auteur a bien eu le droit de dire en parlant de lui m&me ‘qui primus hoc seripsit’, que cette parole s’applique non pas seulement au contenu du theme quelle termine, mais à tout l’ouvrage ! erfcheint mir demnach als eine völlig willfürliche und unbegründete, Ya wir fünnen hier nod) weiter gehen. - Denn auch an diejer Stelle, wo Tudebod mit ſolchem Nachdruck feine Augenzeugenjchaft befennt, bat er ohne Zweifel die entiprechende Erzählung des Raimund von Agiles vor ſich gehabt und ausgejchrieben, während in den Geſten der ganze Vorfall unerwähnt bleibt. Ich jtelle Raimunds und Zus debods Darftellung zur Vergleichung neben einander,

Tudeb,, Hist. occ. III, 104. | Raim., Hist. occ. III, 297. Quod cum vidissent nostri se-| Placuerunt haec verba(b.h. niores (nämlid daß die Saracenen | die vorhergehenden Erzählungen des die Chriften überall todt jchlugen), ni- | Priefters Petrus Defiverius und des mis irati fuerunt et fecerunt | Bruders des Biſchofs Ademar): Viri

concilıum, in quo episcopi |fratres humiliemur domino et cir- et presbyteri laudaverunt,jcumeamus civitatem Jeru- ut fecissent processionem |salem nudis pedibus princi- circa civitatem. Itaque epi-|pibus et omni populo, et ideo scopi et presbyteri nudis pedi-|publice jussum est, ut in sexta fe- bus et sacris vestibus induti et ria clerici properarent se cruces in manibus ferentes de ec-J|ad processionem cum cru- clesia S. Mariae ad ecclesiam S.|cibus et sanctorum religuiis et Stephani ete. . . . Ülerici quo-|milites atque omnes viri que ita erant induti, milites|fortes sequerentur eos cum et clientes pergebant juxta/|tubis et vexillis atque armati illos armati. Sarraceni hoc|nudis pedibus incederent. videntes similiter pergebant per | Quae omnia secundum jussionem muros civitatie, Mahomet in qua- |dei et principum laetanter dam hasta deferentes uno panno | vimus

coopertum. Christianis pervenien- |sed licet multa praetereamus, hoc tibus ad ecclesiam S. Stephani, | unum praeterire non libuit. Quum etipsi Sarraceni desuper)circumiremus civitatem de muros astantes clamabant|foris cum processione, tu- et ululabant cum buccinis/jmultu Sarraceni et Turei etomne genus derisionis,/jultra civitatem girabant quodcunque reperire potue-/ multi modo nos deridentes, rant, faciebant. Insuper|cruces super muros pone- sanctissimam crucem, viden- bantin patibulis, afficien- tibus omnibus christianis cum tes eas cum verberibus at- quodam ligno verberabant,jque contumeliis,

ı Hist, occ. III, preface ©, VIL,

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et postea, ut majorem christianis inferrent dolorem, ad murum eam frangebant, dicentes alta voce: Franci agip salip (Franci, est bona crux). E

Die Uebereinftimmung diefer Stellen und fogar einzelner Aus— drücke ift nicht zu verfennen. Wenn man Sat für Sat vergleicht, fo fieht man nur eine verjchiedene Auswahl in dem Detail der Er- eigniffe, das Wefentliche aber, der Kern der Erzählung, ift bei Tu— debod und Raimund derſelbe. Die Wiederholung aber einiger Aus— drücke, die fich hier bei Tudebod finden “Itaque episcopi et presby- teri sacris vestibus induti ete.’ und dann wieder ‘eleriei quoque ita erant induti’, zeigt den fompilatorifchen Charakter de8 Werkes Tudebods auch an diefer Stelle. Allerdings könnte man aus mans chen Einzelheiten der Erzählung, die bei Raimund fehlen, den Schluß ziehen, daß Tudebod in diefer Epifode Tediglich ein eigenes Erlebniß erzähle. Wenn wir aber das allgemeine Verhältniß Tudebods zu Raimund und die vielen von ihm Wort für Wort abgefchriebenen Stellen ins Auge fajjen, jo wird die Vermuthung höchſt wahrfchein= fh, daß Tudebod auch hier den Raimund benutzt und nur einzelne eigene Erinnerungen in deſſen ZTert einfchiebt.

Steht es num fo ſchwach und ſchwankend fir den Hauptbemweis, fo ift noch viel weniger Gewicht auf einige Nebenargumente zu le— gen, mit welchen Pollof die Priorität Tudebods erhärtet. Tudebods Erzählung fei in “themata’ getheilt, jene der Geften in Bücher und Capitel, offenbar jei jenes die urfprüngliche Form. Es Tiefe fich hören, wenn jedes Thema einen fachlich abgegrenzten Theil des Greigniffes enthielte: daran ift aber nicht zu denken, die Abfchritte find mit voller Wilffür gemadht. Dann foll Tudebods Styl, der Schlechter und roher ſei als jener der Geften, die Urſprünglich— feit beweifen; man habe hier die erjten rafchen Aufzeichnungen im Drang der Ereigniffe, während der Verfaffer der Geften bei ruhigem Abſchreiben Muße zur ſtyliſtiſchen Vervollkommnung gehabt habe. Die Zeitgenoſſen, Robert, Guibert, Balderich, welche ſämmtlich die Geſten, nicht aber Tudebod benutzten, hielten ihrerſeits den Styl der Geſten für höchſt barbariſch, und in der That wird eine unbefan— gene Vergleichung keinen anderen Vorzug deſſelben anerkennen, als die Abweſenheit jener Entſtellungen und Mißverſtändniße, welche Tude— bod durch ungeſchicktes Compiliren ſich zu Schulden kommen ließ.

Ich habe ſchon früher Beiſpiele ſolcher verunglückten Einſchiebun— gen aus Raimunds Buch angeführt: es ſteht nicht beſſer, wo Tu- debod aus anderweitigen Quellen Zufäte in den Text der Geften einfügt. Dahin gehört fein ganzes achte8 Thema, wo er die Thäs tigfeit des Grafen Raimund von Touloufe für die Bewahrung eines gegen Antiochien aufgeführten Caſtells und ſodann die Ermordung des Rainald Porchet und einiger anderer Chriften in Antiochien er» zählt. Von jener Thätigfeit des Grafen von Touloufe redet auch Rai- mund Agiles, nur nicht fo ausführlich wie Tudebod; über den Märs

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tyrertod Porchets berichtet nur noch eine etwas fpätere Compilation, die Historia peregrinorum. Die Geften erwähnen Beides nicht; aber daß deren Autor hier eine Auslaffung gemacht, daran ift nicht zu denken, vielmehr jchreitet der Verlauf feiner Erzählung gerade an diefer Stelle ohne die mindeite Lücke fort.

Facto igitur castro, jagt der anonhme Autor, mox coepi- mus ex omni parte coangustare inimicos nostros, quorum su- perbia ad nihil jam erat redacta. Nos autem secure ambula- bamus huec et illuc ad portam et ad montanas, laudantes et glorificantes dominum deum nostrum, eui est honor et gloria per omnia saecula. saeculorum. Daum führt der Anouymus als Reſultat der oben angegebenen Stellung des chrijtlichen Heeres zu den Saracenen folgendes an: Jamjamque omnes semitae prohi- bitae et incisae undique erant Tureis, nisi ex illa parte flu- minis ubi erat castrum et quoddam monasterium ete.! Bei Zudebod ift nun vor den Worten ‘Jamjamque omnes etc. die oben angeführte Erzählung, die den Anhalt des VIII. Themas aus— macht, hineingefchoben, und damit, wie feines weiteren Beweiſes be= darf, der wohlgefugte Zufammenhang der Darjtellung plump zer— rifjen.

Eine Ähnliche Interpolation finden wir bei Tudebod bei der Beichreibung der Belagerung von Marrah. Dem Berichte der Ge— ften gemäß waren die Schaaren der Saracenen bei der Ankunft des Kreuzheeres vor Marrah (am Anfange November 1098) fo zahlreic), daß das chriftliche Heer in diefem Monat feinen Angriff auf fie wa- gen durfte. „Da die Fürſten des Kreuzheeres“ , fährt der anonyme Autor fort, „vorausjahen, daß unter diefen Verhältniſſen an feine weitere Unternehmung zu denfen fei, errichtete der Graf Raimund ein ftarfes und hohes hölzernes Gajtell“ *. Tudebod fchreibt an die— fer Stelle, wie faft überall, den anonymen Autor Wort für Wort ab, fchiebt aber feinerfeits cine Epifode ein, wodurd die eben ange— führte kurze und bündige Darftellung unterbrochen wird. Nachdem nämlich Tudebod die Ankunft der Chriften vor Marrah, die Unmög— lichfeit eines Angriffs gegen die ſtarke Maffe der Saracenen und ihre Leiden durch eine furchtbare Hungersnoth berichtet hat, fügt er die Erzählung von einer neuen Erjcheinung des Hl. Andreas hinzu, der fich Peter Bartholomäus wieder zu erfreuen hatte. Der heilige An— dreas ermahnt die Chriſten, in Frieden umd chriftlicher Yiebe unter- einander zu leben und den zehnten Theil von ihrem Hab und Gut für die Geiftlihen und Armen auszuliefern, dann würde der All- mächtige bald die Stadt Marrah in die Gewalt der Chrijten fallen lafjen. Nach diefem fehr langen Zwiſchenſtück fährt Tudebod, den Geften folgend, weiter fort: Non post multum temporis feecit Raimundus s. Aegidii facere quoddam ligneum castrum ete.?—

ı Hist. occ. III, ©. 139. 2 Hist. occ. III, ©. 154. ® Hist. oce. III, ©, 90—91.

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was offenbar nicht als eine confequente Fortſetzung der eben erzählten Epifode erfcheint. Die Epifode von der Erjcheinung des hl. Andreas iſt auch noch viel ausführlicher bei Raimund von Agiles erzählt, Bei Raimund aber ift unter mehreren Crmahnungen des hl. Ans dreas die über die Auslieferung des Zehnten blo8 mit wenigen Wor— ten angedeutet!: De decimis vero bene fecerunt, quod eas, sicut praecepi, dederunt. Multiplicato itaque eos ete. Tude— bod will aber auch von bejtimmten Vorſchriften des Hl. Andreas über die Vertheilung des Zehnten wijfen: quam praediectam decimam partem jussit dividi in quattuor partibus, una quarum detur episcopo, alia sacerdotibus, alia ecclesiis, alia pauperibus ®, Der Autor, wie man fieht, jorgt eingehend für die Intereſſen fei= ner priefterlichen Standesgenofjen, ein Beſtreben, welches bei Tude— bod aud) an einigen anderen Stellen jehr merfbar hervortritt. So 3. B. indem er von dem Tode des Bifchofs Ademar fpridt und feine großen Verdienfte, feine ehrenvolle Stellung und Thätigfeit im Kreuzheere hervorhebt, fagt er von ihm folgendes: Ipseque ordina- bat clericos et praedicabat et submonebat milites et alios divites diceendo: Quoniam nemo ex vobis salvus fieri potest, nisi honorificet et reficiat pauperes clericos, vobisque oportet illos regere et nutrire, quia nesciunt perquirere, neque inve- nire sicut et vos seitis ete.? Raimund von Agiles, mit defjen Bericht die Erzählung Tudebods auch an diefer Stelle eine große Aehnlichkeit Hat *, und Fulcher von Chartres ®, der ebenfalls mit dem größten Lobe von der Theilnahme und der Bertretung Ademars für die Armee fpricht, wiſſen aber nichts von jenen Ermahnungen an die Ritter und andere Reichen, den armen Prieftern Hilfe zu leiften. Davon weiß nur Tudebod allein. Auch der Mönch Robert beichränft fich hier auf die kurze Grmahnung: Episcopus Podiensis consi- lium erat divitum, sustentator debilium. Hie militibus dicere solitus erat: Si vultis esse triumphatores et amici dei, pau- perum miseremini ®,

Wenn wir die Erzählung von der erſten Erjcheinung des hl. Andreas (in Antiochien) bei Tudebod ° und in den Gejten ® verglei— chen, fo erjcheint fie bei dem erjten in viel wunderbarerer Art als in den legten.

In der Darftellung Qudebods führt der hl. Andreas den Peter Bartholomäus nad) Antiochien noch während der Belagerung durch die Chriſten. Da ihm endlich Andreas zu dem Kreuzheere zurückzukeh— ren befiehlt, erwiedert Bartholomäus darauf: O Herr, wie follte

Raim., Hist. occ. II, ©, 280,

Hist. occ. III, ©. 91.

Hist. occ. III, ©. 85—86.

Raim., ibid. ©. 262.

Fulch. Carnot., ibid. ©. 350—351.

Rob. Monachi hist. Hieros., Hist. occ, II, S. 839, Hist. occ. II, ©. 70.

Ibid. ©. 147.

a oa on ww

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ich gehen, da doch die Türken auf der Mauer ftehen, und mid) tödten werden, ſobald fie wich gejehen haben. Darauf jagt ihm der Apoſtel Andreas: Geh’, fürchte nichts! Da fing Peter Bartholomäus an die Stadt angefichtd der Türken zu verlaffen, die ihm denn auch im Wahrheit nichts anthaten. Es ift doch nicht zu verfennen, daß der einfachere Bericht der Geſten die urfprünglide, der gefteigerte des Tudebod die fpätere, ausgeſchmückte Geftalt der Sage zeigt.

Ebenfowenig ſcheint es zu der Annahme, daß Tudebod in— mitten des Kriegsgetümmels ſeine Aufzeichnungen darüber gemacht habe, zu ſtimmen, wenn er bei der Erwähnung der alten Herrlich— keit Antiochiens die fabelhaften Namen der angeblichen 75 Könige der Stadt, Mirgulandus, Ebramdons, Bamurafres ꝛc. ꝛc., gewiſſenhaft aufzäglt!. Wie ſollte ev im Lager zu dieſem Kataloge gelangen, wie die Namen im Gedächtniß behalten? Alles ift erflärlich, jobald man ihn als den Gopijten der Gejten betrachtet, der nad) Haufe zurück— gekehrt deren Text mit ſonſtiger Gelehrſamkeit ausſchmückt.

Diefe Aufzählung der ehemaligen Könige Antiochiens erfcheint noch auffallender, wenn man fie mit einer anderen Stelle bei Tu— debod zufanımenhält. Wörtlic übereinjtimmend mit den Geſten fpricht Zudebod am Anfange feines Berichtes von jenem Theil der Kreuzfah- ver, der feinen Weg durch Ungarn nad Gonftantinopel nahm, und gibt dabei nur einige Namen der Heerführer, wie Peters des Ere— miten, ottfrieds von Lothringen und feines Bruders Balduin, an; dann fährt er folgenderweife fort: Isti prudentissimi milites et alii, quos ignoro, venerunt per viam ete., und um feine Unwiſſenheit zu rechtfertigen, fchiebt er folgende Worte, die in den Gejten fehlen, hinein: penitusque ductore careo ?, was Pollof als einen ficheren Beweis der Originalität Tudebods gegen das von Sy— bel über ihn ausgefprochene Urtheil anführt ?,

Wie fonderbar it e8 nun, daR Tudebod, ein echter Franzofe, die Namen der Fürften, die an der Spike der Kreuzfahrer, die aus Frankreich in Ungarn eintrafen, nicht fannte, und doc) eine folche ſpecielle Kenntniß von den ehemaligen Königen Antiochiens bejaß ! Meiner Anficht nach) ijt dieſer Umſtand nur ein neuer Beweis, daf Tudebod jeinen Bericht aus den Geiten abfchrieb, aber fein Plagiat zu magfiven wiünfchte. Der anonyme Autor, der, wie aus feinem ganzen Berichte klar hervorgeht und von Saulcy ausführlich bewie- fen wird‘, aus Italien ftammte, kannte natürlich) nicht alle Namen der franzöjiichen Fürften, die durch Ungarn ihren Weg nahmen, und deshalb bemerkt er auch ganz offenherzig, ohne ſich feiner Unwiſſen— heit zu jchämen, und um einen Grund dafür anzuführen: quorum

! 'Tudeb., Hist. oce. III, S. 89—90.

? Tudeb., Hist. oce. II, ©. 10.

®° Pollok, Dissert. &. 26—27: Quae verba de Sybeli conjecturam excutiunt, cum nobis demonstrent, Tudebodum omnem swi temporis historiam ignorasse.

* Bibl. de l’&cole des chartres T. IV, I. serie, S. 302—303.

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nomina ignoro. Tudebod aber gibt einen folhen Grund an, meil er damit feine Abhängigkeit von den Geſten zu verhehlen hofft. Der anonyme Autor weiß aber als Staliener die Namen aller Fürften, die durch Stalien und Dalmatien ihren Weg nahmen, und dazu Na= men, die bei Tudebod nicht alle zu finden und die vielleicht von ihm mit Abficht weggelaffen find‘. Ebenſo natürlich erfcheint es, dag der anonyme Autor al8 Italiener jo wenig das Coneil zu Cler= mont berücffichtigt , fonderbar aber, daß Tudebod als Franzofe und dazu Priefter fo wenig davon weiß. Wenn wir jedoch das paffive Abſchreiben Tudebods von den Gejten berüdfichtigen, jo ift auch die fer Umstand jehr erflärbar. |

Mie mit den Einfchiebungen verhält es ſich auch mit den Ab- fürzuugen, welche Tudebod fich gelegentlich gegenüber dem Texte ber Geften erlaubt. Syhbel deutet nur einen, aber jehr charakteriftifchen Zug an, nämlich die Darftellung der Belagerung von Nicäa bei beiden Autoren.

Nachdem Tudebod die Ankunft der von Boamund befehligten Kreusfahrer erwähnt hat, fährt er fort: Hoc autem totum factum est. Omnes itaque (christianae religionis) congregati sunt in unum et sic pervenerunt ad portum (i. e. Constanti- nopolis) omnesque una transfretaverunt bracchium et commu- niter exierunt terram et applicuerunt Nicomiam etc.?. Daf diefe Daritellung durch umd durch falſch ift, iſt leicht einzufehen. Bekannt ift e8, daß in der That die Kreuzfahrer erjt allmählich und die Provenzalen erſt mehrere Tage fpäter als die anderen in Con— ftantinopel eintrafen; es ift ferner aus den Geften, Fulcher und Rai— mund leicht zu erfennen, daß die Kreugfahrer gar nicht zuſammen zur Belagerung von Nicaen eingetroffen find. Zuerft find den 6. Mai 1096 Gottfried und der Graf von Flandern ?, dann ben 9. Mai Boemundt, dann erſt acht Tage fpäter die Provenzalen vor Nicäa eingetroffen ®. Die Belagerung fing erft am Himmel- fahrtötage, das heißt den 15. Mai °, an, und Raimumd, der an die— fem Tage noch entfernt war, konnte erft den 18. Mai feine in der That fehr wichtige Mitwirkung leiften. Robert von der Normandie, Stephan und einige andere find erft Anfang Juli ?, und noch fpäter endlich Roger Barnavilla ® dort angelangt.

ı Hist. occ. II, S. 123: In hac parte fuerunt Boamundus et Ri- chardus de Principatu, Rotbertus Nortmannus comes Flandrensis, Hugo Magnus, Evrardus de Puisatro, Achardus de Monte Merloi, Usuardus de Musione etalii plures. Qgl. Tudeb., Hist. occ. S. 13—14, und Gesta Franc. ©. 123—124.

2 Tud., Hist. occ. III, ©. 22.

Hist. occ. III, ©. 126.

3

4 *

5 Ibid. ©. 20.

8 (test. Franc., Hist. occ. III, 126 und Fulcher Carnot., ibid, ©. 332.

Gesta Frane., Hist. occ. III, 127. 8 Ibid,

170

Da aber Tudebod ſchon vonvorneherein ganz beftimmt fagt, daß die Kreuzfahrer zu derfelben Zeit und zufammen in Conftantino» pel und dann zu Nifomedien anlangten, fo läßt er ferner alles, was in dem Berichte der Geſten dieſer feiner Darjtellung widerfprechen würde, ganz weg.

Sybel glaubt, daß Tudebod die oben angeführte falfche Nachricht aus einer Notiz der Geften oder vielleicht aus einer Angabe Raimunds umgeftaltet habe. Mich dinft, daß Tudebod hier ohne Zweifel aus den Geften und zwar im wörtlicher Wiederholung abjchreibt. Nachdem der anonyme Autor das allmähliche Eintreffen der Kreuz— fahrer bis auf die legten Echaaren und dann die Ordnung, in wel- cher das vereinigte chriltliche Heer die Stadt auf allen Seiten be— drängte, auf die genauefte Weife angegeben, fügt er dann als einen feine Darftellung fchließenden Sat hinzu: fueruntque ibi omnes congregati in unum?, es feien hier bei der Belagerung von Ni- cäa die fämmtlichen Kreuzfahrer zum erften Male zufammengefommen. Daß die angeführten Worte nur diefen Sinn haben fünnen, ift auch aus dem gleich Folgenden Ausruf flar: Et quis poterat nume- rare tantam Christi militiam! Cine folche Auslegung der be= iprochenen Stelle wird noch durch eine Vergleichung mit der betref- fenden Stelle bei Fulcher beftätigt: nachdem er nämlich von dem Ein— treffen der ſämmtlichen Kreuzfahrer zur Belagerung von Nicäa ge— ſprochen, fagt er folgendes: Itaque tanto collegio ab oceidenta- libus partibus procedente paulatim per viam diatim de innu- mera gente concrevit exereitus exereituum undi- que convenientium, ut de linguis quam plurimis et re- gionibus multis videretis multitudinem infinitam; qui tamen in unum exerceitum non sunt congregati, donec ad Nicaeam urbem pervenimus®.

Ungeachtet diefer einzig möglichen Auslegung der eben befproche= nen Stelle der Geften meint doch Pollof, daß fie von dem anony— men Autor aus Tudebod in abaefürzter Form entnommen * und nur an das Ende der betreffenden Grzählung geftellt worden fe. Mir Scheint nicht der mindefte Zweifel daran zu fein, daß hier der um— gefehrte Fall ftattfindet.

Pollok bemerkt, daß Tudebod zwar in Duchesnes Ausgabe alfe Kreuzfahrer, alle hriftlichen Kämpfer fich in Gonftantinopel verſam— meln lafje, daß aber in dem durch die Afademnie feftgeitellten Texte die Worte “christianae religionis’ fehlen, und mithin Tudebod nur von der Vereinigung der normannifchen Heerestheile in Conftantino- pel rede. Iſt diefe Parifer Lesart wirklich die richtige, fo hat dann Tudebod feinerfeits feinen fo groben Schniter gemacht: nur wird man gerade dann am Wenigften behaupten können, daß der anonyme Au—

1 Gybel ©. 24. .

9% Gesta Franc., Hist. occ. III, 127.

® Fulch. Carnot. hist. Hieros., Hist. occ. III, S. 328,

* Pollok, Dissert. S. 30: qui locus in Gestis contractus.

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tor ihn ausgefchrieben, da e8 in vollem Maaß evident ift, daß die— fer nicht von der Vereinigung bloß der italienischen Normannen, fon= dern aller chrijtlichen Heerfchaaren reden will. Hier wie überall ift Alles Kar, wenn man von der Priorität der Geſten, Alles unver— ſtändlich, ſobald man von jener Tudebods ausgeht.

Bongars, Sybel und Saulcy, welche für die Originalität der Seiten ſich ausgefprochen, haben als den charafteriftiichen Zug des anonymen Autors deijen Italiſche Herkunft und Anhänglichfeit an Boamımd betont. Ganz in derfelben Weife. heben aber auch die BVertheidiger Tudebods ihrerfeit8 die Ergebenheit deſſelben an Boa— mund hervor, dem er bis zu der Zeit, als Boamund die allgemeine chriſtliche Sache verließ, treu geblieben feit. Die Parifer Heraus- geber bezeichnen fogar Boamund als den Helden Tudebods, dem er immerwährend folge, bis endlich das chriftliche Heer fich in drei Abtheilungen auflöfe?. DBongars jugeait au style de la piece, fagt die Histoire litteraire, et & l’affeetion que l’auteur y fait paraitre pour Bo&mond, que c’etait la production d’un Ytalien. Mais ces indices sont trop &quivoques pour y Etablir cette opinion, puisque le plagiaire y a retenu le style de Pauteur original et que celui-ci se montre aussi fort affeetionne A Boemond®.

Geillier äußerte fich, diefer Meinung folgend, in derjelben Weife über die vermeinte Aehnlichkeit Tudebod8 und des anonymen Autors in Bezug auf ihr Verhältniß zu Boamund *.

Ich bin dagegen feſt überzeugt, daß nach einer unbefangenen vergleichenden Analyfe der beiden Berichte ein weſentlicher Unterfchied ihrer Verfaffer in dem Verhältniß zu Boamund nicht zu verfennen it. Der Anonymus bleibt in feiner ganzen Schrift ein immerwäh— rend treuer Verehrer der Tapferkeit ımd Klugheit Boamunds, faft niemal8 vergißt er zu feinem Namen das ehrenvolle Epitheton vir prudens oder prudentissimus, oder auch doctissimus hinzuzufügen ; in jeder Stelle fucht er die Thätigfeit Boamunds in erfter Reihe hervorzuheben, kurz die Sympathie und Ehrfurcht des Autors Boa— mund gegenüber bleibt fich immer aleich und folgeredt. Das Ver— hältniß Tudebods zu Boamund erfcheint im Gegentheil unklar, infon= fequent, verwirrt; es läßt fich bei ihm im diefer Hinficht ein Zwie— jpalt feiner eigenen Sympathien bemerfen, der mit dem fompilatori= chen Charakter feines Werfes im engiten Zufammenhange fteht. Bald hebt er, den Gejten folgend, die Klugheit und Tapferkeit Boamunds

ı Hist. occ. III, preface S. III.

° Ibid.: L’histoire accompagne son héros dans son voyage 3 travers l’empire grec. Il est avec lui au sitge de Nicee et lui de- meure attach& etc.

® Hist. litter. T. VIII, ©. 634 - 635.

* Ceillier T. XXT, ©. 166: Ils paraissent l'un et l'autre favo- rables à Boemund, prince d’Autriche; ainsi il n'y a pas raison de conjecturer de la, que l’anonyme 6tait Italien.

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hervor, bald fucht er feine Bedeutung zu vermindern und auf feine Koften Raimund von Tonloufe hervorzuheben. Mehrere Stellen Tu— debods beweifen dieſes Streben, den Ruhm Boamunds von feiner Höhe herabzufegen, indem er entweder die Initiative defjelben gänzlich igno= rirt oder auf Raimund überträgt, oder endlich diefe oder jene That Boamunds als das Nefultat eines gemeinfamen Beſchluſſes fämmt— licher Fürften darſtellt. Dieſes wechſelnde Verhältniß Tudebods zu Boamund iſt aber leicht zu erklären, wenn wir die Geſten als die Grundlage für den Bericht Tudebods annehmen, zu welcher er noch ein fremdes umpaſſendes Element aus dem Berichte Raimunds von Agiles hinzufügte, ſo daß die überwiegende Sympathie des anonymen Autors zu Boamund und Raimunds von Agil zu dem Grafen von Toulouſe ſich in der Compilation Tudebods durchkreuzten.

Vielleicht aber wird man noch einen Schritt weiter gehen können. Denn fo ſtark tritt an manchen Stellen Tudebods Vorliebe für den Grafen Raimund hervor, daß die Vermuthung gerechtfertigt erſcheint, er habe ſich geradezu bei den von Raimund befehligten Schaaren befunden.

Um dies im Einzelnen zu begründen und durchzuführen, müſſen wir wenigſtens die wichtigſten und in dieſer Hinſicht charakteriſtiſchen Stellen bei Tudebod und in den Geſten vergleichen.

Von dieſem Standpunkte aus wird der oben angedeutete Unterſchied in der Beſchreibung der Belagerung von Nicäa bei Tudebod und dem anonymen Autor ſofort erklärlich. Tudebod weiß, daß der Graf Raimund mit den Provenzalen ſpäter als die anderen Kreuzfahrer in Konſtantinopel wie auch vor Nicäa anlangte, ſucht aber dieſen Umſtand, welcher ihm wahrſcheinlich als ungünftig für Raimund er— Ihien, zu verhehlen, und deshalb behauptet er, daf alle Kreusfahrer zufammen die Bosporifche Meerenge überfchritten hätten und vor Nikomedien angelangt feien, und verichweigt die fpätere Ankunft Rats munds. Alles aber, was in diefer Erzählung der Geften zu Gunften Boamunds dienen konnte, alles, was von der nützlichen Thätigfeit Boamunds in Conftantinopel und ferner bei der Belagerung von Nicka erzählt wird, alles dieſes läßt Tudebod einfach fort: Prius- quam autem Boamundus venisset ad nos, jagen die Geften, tanta inopia panis fuit apud nos unus panis venderetur 20 aut 30 denariis. Postquam venit vir prudens Boamundus, Jussit maximum mercatum conduci et fuit maxima ubertas in tota Christi militia!. Werner fpielt auch bei der Belagerung der Stadt nach dem Berichte der Geften überall Boamund die erite Rolle: Boamundus denique obsedit urbem in prima fronte ete.?,

Tudebod verjchweigt diefes Alles, er der nach der Anficht der Parifer Herausgeber unter Boamund den Krieg mitgemacht, der Boamund zum Helden feiner Darftellung erwählt hat.

1 Gesta Franc., Hist. occ. III, 126. 2 Ibid.

173

- Wie vor Nicäa, jo auch vor Antiochien. Bei einen der türki— ſchen Entſatzverſuche forderte nad) dein Berichte der Gejten Boamund, zuerjt über die Annäherung des Feindes unterrichtet, die anderen Fürſten des Kreuzheeres auf, das ganze Heer in zwei Abtheilungen zu theilen: die Weiterei dem Feinde emtgegenzuführen, mit dem Fußvolk aber die Verſchanzungen des Lagers gegen die Stadt zu deden. Den folgenden Zag ſchickte Boamund Kundſchafter voraus, um die Lage des feindlichen Heeres auszufpähen. Dieje fehrten bald zurüc mit der Nachricht, daß die Feinde fchon in der Nähe jeien: Reversi sunt namque celeriter speculatores dicentes: Ecce, ecce veniunt. Igiturestote parati omnes, quia iam prope nos sunt. Dixitque vir sapiens Boamundus aliis: Seniores et in- vietissimi milites, ordinate ad invicem bellum. Responderunt- que illi: Tu sapiens et prudens, tu magnus et magnificus, tu fortis et vietor, tu bellorum arbiter et certaminum judex, hoc totum fac, hoc totum super te sit. Omne bonum, quod tibi videtur, nobis et tibi operare et fac. Tune Boamundus jussit, ut unusquisque principum per se dirigeret aciem suam ordinatim. Feceruutque ita, et ordinatae sunt sex acies ete.!,

So die Gejten. In der Darjtellung Tudebods dagegen gehört die Initiative nicht Boamund fondern dem ganzen Fürjtenrathe : audientes namque nostri majores innumerabilem gentem Tur- corum venisse super nos, ceperunt consilium ete.?, Nachdem fie einige Reiter vorausgeſchickt, um die Yage der Feinde auszufpähen, fährt Tudebod fort: Reversi sunt ergo celeriter nostri (bei dem Anonymus heißt es viel Earer speculatores) dicentes: Ecce, ecce iam veniunt; estote igitur omnes undique parati ete. Divise- runtque nostri inter se et unusquisque ex maioribus ordinat suam aciem per se’. Damm endlich ſetzt QTudebod Hinzu; Flan- drensis comes fuit in primo capite etc. Nicht nur aljo läßt Tudebod die angeführte Acclamation der Fürften an Boamund aus den Seiten weg, jondern erwähnt nicht einmal den Namen Boamunds und, feine wichtige leitende Rolle völlig ignorirend, betont er, daß an der Spite des Heeres der Graf von Flandern ftand.

Wir könnten noch mehrere Beijpiele als Beweife de8 oben aus—⸗ gefprochenen Berhältuijes anführen; wir wollen uns aber nur nod) auf die folgende Stelle bejchränfen, in der die Unbeftimmtheit und Tarblojigfeit der fompilatoriichen Darjtellung fehr deutlich hervor— tritt.

Nach) der Niederlage Kerbogas bejchließt der Sohn des antios Hifchen Fürften, das ihm anvertraute Gajtell den Kreuzfahrern zu überliefern. Tudebod erzählt nun: statim cum magna festina- tione coepit petere Francorum vexilla. Comes s. Aegidii,

i Gesta Franc., Hist. occ. T. II, ©. 136. 2 Tud., Hist. occ. III, 43. ® Ibid,

174

qui in miontanea ante castellum astabat, jussit ei portare vexillum suum. Ille autem accepitillud cum ma- gno gaudio atque laetitia etconcordatus est cum Boa- mundo!. Ganz anders aber erjcheint der Vorfall in den Geften. Hier heißt e8: Comes igitur s. Aegidii, qui illic astabat ante castellum, jussit ei portari suum vexillum. Ille autem acce- pit illud et diligenter misit in turrim. Statim dixerunt Lon- gobardi, qui illie stabant: Hoc vexillum non est Boamundi. Interrogavit ille et dixit: Cujus est? Qui dixerunt: S. Aegi- dii comitis. Accessit ille et apprehenso vexillo rediit comiti. Ipsa vero hora venit vir honorabilis Boamundus, deditque illi suum vexillum; ille autem illud accepit cum magno gau- dio et iniit pactum cum domino Boamundo ?. Pollok muß hier nah jeiner allgemeinen Anſicht über das Verhältniß der beiden Schriftiteller zu dem Schluffe fommen, daß der Anonymus aus Ab— neigung gegen die Provenzalen den wahrhaften Bericht Tudebods willfürlich umgearbeitet habe?: indejjen erhellt, wie ich denfe, das Gegentheil unwiderleglich zunächit aus dem Tenor des Tudebod'ſchen Berichtes jelbjt, bei dem ganz unverſtändlich bleibt, wie nad) der fer— tigen Abfunft mit St. Gilles der Türfe plöglic) nod) einmal mit Boamund pacifeirt, dann aus dem Stillihweigen Raimunds de Agiles, der einen ſolchen Erfolg feines Fürſten, wie ihn Tudebod meldet, ge= wiß nicht umerwähnt gelajjen hätte, endlich aus dem mehrfach be= zeugten hohen Anfehen, welches Boamund damals bei den Drientalen genoß. Es wird aljo dabei bleiben müfjen, daß Tudebod den Bericht der Geſten zu Gunften de3 Grafen Raimund umgearbeitet hat. Pollok glaubt die hier von ihm vermuthete Abneigung der Geſten gegen die Provenzalen durch die Annahme erklären zu können, daß der Autor ein Nordfranzoje, ein Franzöfiicher Normanne, gemwejen fei*. Die Gründe aber, die er dafür beibringt, find nichts weniger als überzeugend. Wenn der Anonyınus von der Rede des Papſtes Ur- ban, die er auf dem Concil zu Clermout gehalten hat, jagt, daß fie animos audientium per universas regiones ac Galliarum pa- trias moverit, fo ift das gewiß noch fein Beweis für die Abſtam— mung des anonymen Autors aus Frankreich; ‘ac Galliarum patrias’ ift hier nur jo zu verjtehen, daß die Rede Urbans in allen Yändern, befonders aber im Vaterlande der Franzofen einen jtarfen Eindruck machte. Hätte der Anonymus damit fein eigenes Vaterland an— deuten wollen, jo hätte er gewiß einfad) fagen können ‘ac per pa- trias nostras’ oder etwas ähnliches. Der Ausdruf mostri Franci’, der bei dem Anonymus zuweilen vorkommt, ift auch fein

Tudeb., Hist. oce. III, 82.

Gesta Franc., Hist. occ. T. III, &, 151.

Pollok, Dissert. ©. 24.

‚* Pollok, &. 25: ut autor ipse Francogallus septentrionalis fuerit ponimus Anonymum Normannum francicum fuisse.

© 2

175

Beweis: für die Saracenen waren alle Kreuzfahrer Franci, wie ja noch heute die Chrijten (Rajahs) von den Türken als Franken be= zeichnet werden. Es genügt hier an den bei Zudebod angeführten Ausruf der Saracenen während der kirchlichen Prozeſſion um Jeru— jalem (Franei agip salip!)! zu erinnern. Sed peregrini ge- neratim Francorum nomen non semper in se converterunt, jagt darauf Pollof?. Ganz gewiß, erwiedern wir, nicht immer, aber manches Mal, wie e8 eben der Anonymus thut. Mit diefen Dingen ift alfo die nordfranzöſiſche Geburt dejjelben nicht darzuthun. Wohl aber gibt es für feine italienische Herkunft zwingende Beweiſe, die wir bei Saulcy zufammengeftellt finden?. Der Anonymus fagt gleic) am Anfauge feines Berichtes: apostolicus namque Romanae se- dis Urbanus ultramontanas partes quanto cus profectus est cum suis archiepiscopis etc. Diejen Ausdrud‘ultramon- tanas’ fonnte nur ein Italiener brauchen, für den Frankreich jen— feit8 der Alpen lag. Sodanı bei der Beichreibung der Ankunft der Kreuzfahrer zu Nicomedien fagt der Anonymus: Ubi divisi sunt Lombardi et Longobardi et Allemanni a Francis, quia Franci tumebant superbia.

Gewiß hätte ſich ein Franzofe nicht auf diefe Weile ausgedrüdt : unfer Autor bleibt ein italienischer Norimanne, felbit wenn es Pollok gelungen wäre, die italienischen Ausdrüde, welche Saulcy in der Sprache deſſelben nachweiſt, auch im Altfranzöſiſchen wieder zu finden *.

Wenn alfo hiermit das angebliche Motiv für die Autipathie des Autors gegen die Provenzalen wegfaällt, jo ift ſchließlich zu jagen, daß dieſe Autipathie eben nur eine Vermutung Polloks ohne that= fächliche Begründung ift. Die Erzählung der Geften zeigt?, daß der Autor im März 1098 die Heerjchaar Boemunds verließ und fich zu den Truppen gefellte, welche Naimund von Toulouſe nebjt Robert von der Normandie gegen Tripolis und Marrah führten. Da hierin ſich nichts weniger als bitterer Haß gegen Raimund ausdrückte, jo vermmthet Pollof weiter, der Autor habe ſich dem bei diefem Zug anmejenden Tankred angejchlojfen®. Es wäre möglid, aber wahr- jcheinlich ijt e8 ganz und gar nicht, da der Autor wohl manche Ein— zelheiten des Zuges gegen Marrah und Tripolis erzählt, des Tankred aber nicht einmal Erwähnung thut.

Wir jehen alfo, wie richtig und unbejtreitbar die von Sybel und Saulch ausgefprochene Meinung über die Originalität der Gejten und wie unhaltbar die vermeintliche Urjprünglichfeit Tudebods erjcheint. Tudeb., Hist. occ. III, 105.

Pollok S. 23 und 24.

Bibl. de l’&cole des chartres T. IV, serie I, ©. 303,

Pollok, Dissert. ©. 5—7.

Gesta Franc., Hist. oce. III, ©. 157: Tunc exeuntes quattuor- decim ex nostris militibus ierunt contra Tripolim urbem. De exitu

vero Raimundi comitis exierunt etc. ® Pollok, Dissert. S. 25.

a @ 1 m

Die Continuatio secunda der Casus $. Galli. Bon M. Bernheim.

Die Klofterchronif Eckehards IV. erhielt befanntlich erft nach ge— raumer Zeit eine Fortjegung, welche die Jahre 975—1203 umfaßt und von %. v. Arr als Casuum S. Galli Continuatio II. in den Mon. Germ. (SS. II, ©. 148 sqq.) herausgegeben ift. Das Ori— ginalmanufeript it verloren, die ältefte Abfchrift bietet der Sangaller Coder Nr. 615, der aus dem zwölften Jahrhundert oder aus den eriten Jahren des dreizehnten ſtammt. Hierin ijt fein Berfafjer ge— nannt, ebenjowenig in drei jüngeren Abjchriften, welche Melchior Goldajt bei jeiner editio princeps ! benußte. In allen dreien ftand am Schluſſe Edehards nur: Finit Ekkehardus junior, ineipit aliud praelogquium de casibus. Nur in einem vierten Manufeript fanden jich) von der Hand des Vadianus? gefchrieben die Worte: Ineipit Burckhardus. Goldaſt jelbjt legt auf diefe Angabe wenig Werth, weil er nicht weiß, aus welcher Quelle fie geſchöpft iſt. Auch der meuejte Herausgeber, v. Arx, weiß nicht mehr über den Autor zu jagen. ch glaube aber nachweifen zu fünnen, daß dieſe ganze Continuatio II. nit von Einem Verfaſſer herrühren Tann.

Im fünften Kapitel erzählt der Chronift, er hätte fich über den Abt Thietpald, der im Jahre 1034 gejtorben fei, bei Greifen erkun— digt, die behaupteten ihn noch felbft gejehen zu haben. Und dann hätte derjelbe Autor das Werf noch bis zum Jahre 1203 fortge= führt? Wären jeine Berichterjtatter wirklich jo alt gewejen, dann hätte er fie gewiß nicht einfach als senes bezeichnet, jondern würde von einem erjtaunlich hohen Alter u. dgl. gefprochen haben. Es würde ums doc, auch ziemlich unmwahrjcheinlich vorfommen, wenn je mand erzählte, er hätte im jeiner Jugend mehrere Leute gekannt, die der Schlacht bei Höchſtädt oder der Krönung des erjten Königs von Preußen beigewohnt hätten.

Verner liefert die Vorrede ein Argument gegen die Einheit des Werks. Diejelbe enthält nämlich) weiter nichts als eine Klage dar— über, daß Eckehard IV. fein Verſprechen, die Klofterchronif bis zum

ı Rerum Alamannicarum SS. I, Einleitung. 2 Ein Sangaller Gelehrter, F 1551. Goldast, Tom, II l.c. Eim leitung.

177

Abt Nordpert zu führen, micht erfüllt, fondern fchon bei Notker (+ 975) geendigt habe; ferner darüber, daß feitdem auc) von feinem an— deren gejchildert feien die benefacta et negligentiae der Aebte Immo (975— 984), Ulrich I(—9I90), Kerhard (— 1001), Burchard II. (— 1022), Zhietpald (1034), Ulrid IL. (1072—1077), Nordpert (1034— 1072, 7 nad) 1077) '. Hiernach wird jeder nur eine Ge— ſchichte bis zum Tode Nordperts erwarten, d. 5. eine Erfüllung des Berfprechens, das Edehard gegeben?. In der Art mittelakterlicher Schriftteller liegt es gewiß nicht, weiter zu gehen, al8 fie in der Vor— rede in Ausficht jtellen.

Das ältefte wie ſchon erwähnt nicht autographifhe und c. 1200 entjtandene Manufeript rührt in feinen Haupttheilen von bdenfelben beiden Abfchreibern her, die die Casus Ekkehardi in demfelben Codex Nr. 615 gejchrieben haben, und zwar geht der— jelbe, der den erjten Theil Edehards (bi8 S. 138 Note 82) ge= jchrieben hat, in der Continuatio II bi8 ©. 153 N. 28, umd bder- jenige, von dem der zweite Theil des Eckehard copirt ift, fette auch unfere Schrift fort, aber nur bi8 ©. 161 N. 99°. An diefer Stelle und ebenfo S. 162 N. 11 fett eine ‘alia manus coaeva tamen’ im Coder Nr. 615 ein, an Punkten, wo zugleich auch im Anhalt ein Abfchnitt ift. Dieſe von einer den darin gefchilderten Ereigniſſen gleichzeitigen Hand gejchriebenen Zufäge laffen, wenn auch nicht mit Nothwendigkeit, doc) mit Wahrfcheinlichfeit auf eine andere Abfajjungs- zeit ſchließen“. Es ift auch wohl möglich, daß für diefe Zufäke un— fere Handſchrift autographiich ift.

Gewichtiger noch al$ diefe äußeren Gründe fpricht gegen bie Einheit des Werks feine innere Beſchaffenheit. Denn es treten an verjchiedenen Stellen fo wejentliche Aenderungen im Styl und im Charakter der Daritellung ein, daß es pfychologifch unmöglich er= Scheint, daß alle Partien der Schrift von Einem Verfaſſer herſtam— men. Im Einzelnen bleiben freilich) Zweifel; doc) aber ergiebt fi) mit voller Sicherheit, daß die wichtigjten Theile der Continuatio, der von Gap. 1 bis Cap. 4 und der von Cap. 7—8, verfchiedenen Ursprungs find. Im Ganzen, glaube ich, find folgende Abſchnitte zu

machen ®: A. Cap. 1—4. B. Cap. 5—6.

ı Daß Ulrich II., der Nordpert in ber Regierung nachfolgt, hier vor diefem aufgezählt wird, findet feine Erflärung darin, daß Nordpert feinen Nach⸗ folger überlebte. Ipse vero aliquibus annis supervixit.

? Mon. SS. II, ©. 78 im praeloquium.

’s Siehe SS. I die Einleitung zu und zur Continuatio II und die citirten Noten. Bgl. auch das Facfim

* 9». Arr gelangt zu dem Schluffe, daß Autor dieſe Zuſätze ſpäter in höherem Alter verfaßt habe.

5 Auf Einzelnes, das in Betracht fommt, hat mich Hr. Prof. Wait auf- merkſam gemacht.

XIV. 12

178

C. Cap. 7—8.

D. Cap. 9 bis Cap. 10 Arm. 99.

E. Gap. 10 Anm. 99 bis Cap. 12 Anm. 11. F. Gap. 12 Anm. bis zu Ende.

Nah den Worten der Vorrede erwartet man zunächſt eine ein— heitliche Darjtellung bis zum Tode des Abts Nordpert, aber auch diefer Schriftiteller Hat offenbar feine Abjicht, das Verſprechen Ecke— hards zu erfüllen, nicht ganz ausgeführt, fondern bricht fchon mit dein Ende des Cap. 4 ab. Bisher ift die Fortführung nämlich in großer Ausführlichfeit und Weitfchweifigfeit, ganz in der Art Ecke— hards gejchrieben, die Reichsgeſchichte erfreut fich eingehender Berüd- fihtigung. Der zweite Theil B Cap. 5—6 ijt weit fürzer behau— delt, die langen Pegierungen Thietpalds und Nordperts werden in wenigen Zeilen befchrieben ohne Benutzung Schriftlicher Aufzeichnungen. Die Berfe ‘Constat Nordpertum’ u. ſ. w. fcheinen aus dejjen Grab— fchrift entlehnt zu fein; jedenfall® aber werden die Nachrichten aus der Reichs- und Kloftergeichichte in den Sangaller Annalen und im Hermann von Reichenau, welche beide im eriten Theil nachweislich benutzt find, jetzt plößlich ganz bei Seite gelaſſen, obgleich fie wich— tiges Material geboten haben würden. Wären die Theile A und B von demfelben Verfaffer, fo hätte diefer doch gewiß die ihm viel näher Tiegende Zeit eingehender als die entferntere und nicht umge— fehrt jene in jo auffallender Kürze gejchildert. Die einfache Erklä— rung hierfür ift die, daß der erjte Autor nicht fertig geworden, und ein anderer, der viel weniger beleſen und jchreibluftig war, deffen Vorhaben raſch zu Ende geführt Hat.

Mit dem Cap. 7 wird Screibweife und Darftelung wieder eine ganz andere. So furz aud) im Theil B die Erzählung aus— fällt, jo ift die Ausdrudisweije ſelbſt dod) nod) breit genug und ge— ſucht; e8 wimmelt im diefen wenigen Zeilen von überflüffigen Syno— men und Reimen; jelbit die Bemerkung, daß Menfchenmord ſchlimmer iſt als Landesverwüjtung, wird der Aufnahme für würdig befunden. Der Autor B fchlieht mit der hochtönenden Phrafe: Quantus autem fletus omnium fuerit, prius dies finiretur, quam in cedula seriberetur; mit den einfachen Worten: Uodalrieus autem successor ipsius ecelesiam nostram quinque annis rexit, beginnt der neue Autor C. Bisher hieß es bei jedem Abtswechfel : loci nostri suscepit regimina. &o einfad), wie fie begonnen, geht von nun an die Erzählung fort, ohne jeden jprachlichen oder rheto= riſchen Aufput ; der Styl ift eher ungelenf als geſucht ?.

Abſolut undenkbar ift aber die Spentität von A Cap. 1—4

‚‘ Possessiones igne, preda et quod pejus est hominum occisione consumptae.

? Man beachte 3. B. nur die Anfänge der Sätze von S. 158, 41 bis ©. 159, 32: inter haece etiam mala; inter haec mala; inter haec etiam mala; inter haec; super haec etiam mala.

179

und C Gap. 7—8; es kann kaum zwei abweichendere Schreibweifen geben. Auf der einen Seite die größte Nedfeligkeit, kleinliche Detail- malerei, Exrelamationen!, Gefühlsergüffe?, Ausframen von Gelehr- jamfeit ®, Hiftorifche Parallelen, Hyperbeln?, Gleichniſſe und Bilder ?, Sprüche trivialer Weisheit über Welt und Menfchen*, Häufung von Synonymen und Hajchen nad, Wortgeflingel; auf der andern Seite ſchlichtes Aufzählen der Thatfachen in ſchmuckloſem Styl. Nur ein: mal finden wir hier eine Hiftorifche Parallele, aber auch diefe aus der biblischen Gedichte. Im Theil C fteht fein Wort über fchrift- liche oder mündliche Tradition, während im Theil A häufig von den Quellen die Rede ift?. Der Theil A liefert mehr eine Abtsge- ihichte, C eine Klofterchronif. Dort erfcheint al8 Hauptaufgabe des Schriftſtellers die Charafterijtif der Aebte, wobei Alles in die zwei großen Kategorien der Heiligen und der bodenlos Verworfenen ge« teilt wird; hier finden wir nur einmal eine Vergleichung des Abtes Uri III. von Sangallen mit Edehard von Reichenau. Aber dies find feine der ftereotypen Mönchsgeitalten des Mittelalters, jondern Männer, wie jie die Leitung fo mächtiger Abteien damals erfor- derte: moribus agiles. Endlich entlehnt der Autor A, wenn bie Geſchichte feines Kloſters durch die Reichsgeſchichte bedingt wird, die legtere fajt wörtlich aus den gangbarften Quellen, und durch das Ausjchreiben gänzlich) irrelevanter Stellen documentirt er feinen une biftoriichen Sinn. Hierin unterfcheidet ſich fein fpäterer Fortſetzer fehr vortheilhaft von ihm, C weiß das Nöthige vom Unnöthigen weit befjer zu jondern. Es iſt doch unmöglich, daß ein Menfch fo viele Gegenfäße in fich vereint.

Mit dem Cap. 9 tritt abermals ein Wechſel in der Daritel- lungsart ein, und der Styl wird gewandter und weniger jchlicht. Den Hauptftoff liefert wieder die Perfon und die Charafterijtif der Aebte?. Zunächſt wird die Nachfolge Werner nicht mit der im

1 23.8. ©. 150, 30: Oquanto in ejus transitu fratres dolore tabe- scebant.

2 3.8. ©. 151, 22: Nunc currentem figimus pedem, prae nimio quippe dolore gesta Kerhardi nos potius provocant ad flendum quamı ad dicendum sqq.

s Er erwähnt Cicero und Boethius, Nero und Cato,

* &.150, 16: Plurima etiam opera sus tanta ammiratione magni- ficata sunt, ut, si regina Austri hocin tempore fuisset, Salomone trans- ito ad Immonem declinasset.

5 3.8. ©. 152, 8: Gleichnis vom Glüdsrad. S. 151, 29 aus Ev. Joh. Kap. 10.

°e ©. 151, 37: Quoniam altissimorum profundior est casus.

©. 153, 54: Set ut facilior pluvia humectat lutum quam sco- ulum. E " 3.8.6. 151, 44: Exinde multiplicatae sunt invidiae, conten- tiones, irae, rixae, dissensiones.

8 S. 149, 37. 150, 3. 21. 47. 151, 11. 154, 38. 155, 5.

® Vielleicht ift Schon der Schlußſatz des Cap. 8 über die Beftattung des Abts Mangold vom neuen Autor D.

12*

180

Theil C üblichen Einfachheit (successit, electus, constitutus, in abbatem promotus est) jondern feierlid, mit den Worten berichtet: Suscepit ecclesiae S. Galli gubernacula cum concordi omnium fratrum electione. Dann folgt eine Schilderung, wie er Eircjliche Strenge erheuchelt und eine heftige Oppofition der Mönche hervor- gerufen habe, wie er ihnen äußerlich Liebe erwiefen, im Innern aber jeinen Haß bewahrt, wie er fich endlich im Alter gebeffert und fogar dem heiligen Leonhard eine Kirche erbaut habe. Endlich wird die Ein- fegung Ulrichs IV. mit großem Pomp berichtet: Post hunc eccle- siae S. Galli regimina suscepit Oudalricus ab omnibus fratri- bus Deo gratias! in abbatem promotus. Hie quia fuit per humilitatis virtutem ad tale culmen deductus, illam sem- per tenuit et numquam per superbiam maculavit,

An diefer Stelle S. 161 Anm. 99 fett im Coder Nr. 615, wie fchon erwähnt, eine nova manus coaeya ein. Es ijt nicht unmwahrjcheinlich, daß das Folgende (Theil E, S. 161 Arm. 99 bis ©. 162 Anm. 11) ein fpäterer Zuſatz ift, denn auc inhaltlich ift hier ein Abſchnitt. Mit den Worten: Hujus itaque mores et ac- tus cum describere cupiam, erfolgt eine weitläufige Charafteriftif Ulrichs IV. Die Darftellung gleicht übrigens ziemlid; der im Theile D.

©. 162 Anm. 11 folgt zum zweiten Male eine nova manus coaeva (Theil F von hier bis zu Ende). Die Erzählung verfolgt weit niüchternere Zwede als bisher; es werden ganz furz die Hof und Kriegsfahrten des Abtes erwähnt und fast nach Art einer Buch— führung die Summen angegeben, die er jedesinal hat aufwenden müſſen.

So iſt alſo dieſe Fortſetzung der Casus Ekkehardi ebenſo wie die Chronik von Petershauſen und die größeren Sangaller An— nalen, die man früher auch für einheitliche Werke anſah in meh— rere Theile zu zerlegen, die zu verſchiedenen Zeiten von verſchiedener Hand abgefaßt ſind.

——

Die Abfaſſungszeit der einzelnen Theile läßt ſich nur annähernd beſtimmen. In ſeiner Vorrede ſagt der Autor A, er wiſſe nicht, ob Eckehard IV. noch eine Fortſetzung ſeiner Chronik geſchrieben, oder ob dieſe verloren ſei. Wenn dies auch nicht gar zu wörtlich genommen werden muß denn dieſer Schriftſteller liebt es überhaupt, die Dürftigkeit der ihm überlieferten Nachrichten zu übertreiben —, ſo müſſen wir die Zeit der Abfaſſung doch wohl auf etwa 50 Jahre nad) Eckehards Chronik, alſo bis ce. 1120, Hinausfchieben !.

Der Verfaſſer B berichtet im Gap. 5, daß er Greiſe geſprochen, die den Abt Thietpald (F 1034) nod) gekannt, und im Cap. 6, daR

ı Neber Edeharbs ig vol. Forſchungen 8b. VIII, Studien zu Edeharb IV, Casus S. Galli von 3. Heidemann, und Dümmler in Haupts Zeitichrift für Dentfches Altertum Bd. XIV.

181

er nicht mehr wife, im welcher Weife Nordpert die Präbende ver— befjert. Beiden Angaben ift ficherlich genügt, wenn wir die Abfaf- fungszeit ec. 1130 anfegen, d. h. 100 Jahre nad) Thietpalds, 50 nad) Nordperts Tode. .

Der dritte Theil C macht ganz den Eindrud, als fei er, wenn nicht geradezu von einem Zeitgenoffen, doc zu einer Zeit gefchrieben, in der die Ueberlieferung noch fehr lebendig war. Jede der vielen Burgen, die angelegt, belagert oder zerjtört find, ift genau aufgeführt. Dabei verfährt der Verfaſſer durchaus nicht ſtreng chronologiſch oder ſyſtematiſch, denn er jchicdt manches voraus, manches erwähnt er nachträglich und mur gelegentlich, fo daß er frei über feinen Stoff zu fchalten fcheint. Auch v. Arx fcheint von diefem Theil der Schrift denfelben Eindrud empfangen zu haben, indem er in feiner Vorrede von einem scriptor contemporaneus der von Gregor VII. anges fachten inneren Kämpfe jpricht. Hiermit ſtimmt denn allerdings fehr ichlecht die wenige Zeilen vorher gemachte Angabe, daß derſelbe Mann ec. 1190 gelebt und bi8 1203 gefchrieben habe. ch glaube, diefer ae C iſt c. 1140 bald nad) dem Tode des Abtes Mangold ent= tanden.

Die übrigen Theile find ebenfalls, wie das Alter des Coder Nr. 615 beweiſt, den in ihnen gejchilderten Greigniffen nahezu gleic)- zeitig.

Was die fchriftlihen Duellen der Continuatio II betrifft, fo Scheint zunächjt der Autor A nidht fo ganz von denfelben entblößt zu fein, wie man nad) feinen wiederholten Klagen glauben follte. Ecke— hards Chronif, aus der er einen Vers auf Notfer citirt, kannte er natürlich; aber auch für die jpätere Zeit fcheint ihm vielfache, nament— lich poetiſche Ueberlieferung zu Gebote gejtanden zu haben. Wenn aud) die Verfe über Immo aus dejjen Grabfchrift ftammen mögen, fo citirt er doch bei der Anklage des Abts Kerhard mehrere Verſe. Bor allem ift folgende Stelle ©. 155, 3 beachtenswerth: Diver- sorum metrorum studia revixerant, quibus cum instantia lau- dabant, transacta jocundissime damnabant. Daraus geht zum mindeften hervor, daß damals Gedichte erijtirten, die die Zeit Ker« hards und Burchards behandelten. Zugleich ift dies wieder ein Be— weis dafür, wie viel uns von der reichen Yiteratur Sangallens ver- foren gegangen ; auch die Verſe in den Annales Sangallenses ma- jores find wol nur Bruchſtücke aus größeren Gedichten. Für feine Angaben aus der Neichsgejchichte hat A die Annales Sangallenses majores bis zum Jahr 984 benutzt.

Casus 8. Galli: Ann. Sang.:

Notkerus abbas defunctus..| 975. Stella cometis tempore au- est. Eodem anno etiam Burchar- |tumni visa est. Mox secuta est dus antecessor suus.. obüt ..|mors abbatis Notkeri et ejus quon- Notkerus etiam medicus..|dam antecessorisBurchardi et Not- moriens.. .sepultus est. Cum enim !keri medici.

182

Casus S. Galli: Ann. Sang.:

stella cometis in autumno visa fuisset, horum mortem et maximam regni turbationem signaverat. Nam inter Ottonem | 976. Orta est hoc anno gravis imperatorem et nepotem|de regno contentio inter Ottonem ejus Henricum ducem Ba- | imperatorem et nepotem ejus Hen- joasriaegravisde regno con-|ricum, ducem Baioariae. tentio orta est.

Hic bene maturo transit pater| 984. Hic bene maturo u. |. w. ille sub aevo u. f. w.

Bon da an find nicht mehr die Annalen, fondern Hermann von Reichenau benukt.

Ann. Sang.: Casus S. Galli: Hermannus:

1002. Otto imperator| Nam Otto impera-| 1001. Otto impe- sine herede defunctusitor dum Italiam lu-/rator Italiam sibi

est, cui successit H. de strat, quaquaversum subdi- regio genere, dux quo- tam lustrat.

que Bajoariorum ter- 1002, Otto imperator tius eo nomine. in Italia in castro

in castro PaternojPaterno immaturo immatura morte de-|obitu decessit. Et cessit. Henricus|H., Bajoariae dux, vero Bajosriae dux,jassumptis insigni- assumptis insigni-|bus regni, rex pro eo bus regni, post ip-ieffetus, regnavit

sum regnavit. annis 23. Kein Anklang an diejet per Veronam Ita-| 1004. Henricus Casus 8. Galli. liam petens, omnesirex per Veronam

illarum partiumiItaliam petens, om- civitates sıbi sub-Ines sibi partium jeeit. Papiamipsalillarum civitates qua coronatus estisubjecit. Papiam dieirrumpens, gla-ipsa qua coronatus dio et igne perdo-iest die irrumpens, muit, et acceptis KR etigne per- obsidibus, Saxo-domuit. Inde, ac- niam reversus adiitceptis obsidibus,. . „in Saxoniam re— versus. spiritu dei repletus] 1007. H. rex summo juxta castrum Ba-'studio apud castrum inberg nobilem/suum Babinberg et divitem episco-nobilem et divi- patum construxit,tem episcopatum construxit. et Benedicto papa| 1020. Benedictus vocato, ecclesiampapa ab imperatore inibi in honore S.linvıtatus Babinberg ve- Stephani consecrari nit ibique ecclesi- fecit. am 8. Stephani de- dicavit. expeditionem| 1021. H. rex in Ita- in Campaniam condixit expeditionem movit,

183

Ann. Sang.: Casus S. Galli: Hermannus:

1022.H.imp. ingraviilHenr. cum exercitul 1022. H. imperator manu Apuliam ingres- Campaniam occu-/Campaniam petens, sus, a Beneventanisipans, BeneventumiBeneventum in- gratulantibus honorificelintravit, Trojamitravit, Trojam op- suscipitur. Trojam,joppugnavit, cepitijpugnavit et cepit, Capuam, Salernam, ur-|Neapolim,Capuam,|Neapolim, Capu- bes imperii sui ad Gre-|Salernam, aliasquejam, Salernam, cos deficientes, ad dedi-Jeorum locorum civi-jaliasque eo loco- tionem coögit, quarumltates in dedicio-rum civitates in Troja u. ſ. w. nem accepit, etdeditionem omnes

Nordmannis qui-laccepit, et Nord- busdam, qui tem-|mannis quibusdam, ore ejus illo con-qui tempore ejus luxerant, quod-illo confluxerant, dam illis in parti-/quoddam, ut ferunt, bus territorium do-Jillis in partibus navit. territorium con- cessit;

Sed circa egressumlsiceque per Romamisicque per urbem Italiae pestilentia ex-|transiens, vietor/Romanam transiens, ercitum ejus aflfecitrrediit in Germa-ivictor rediit in .... Dominus Purch.|Iniam. PestilentialGermaniam. Pesti- abbas, elegantissimumliin exercitu ortajllentia in exercitu S. ecclesiae speculum,|multos exstinxit,orta multos ex- Immo et Purchardusiinter quos Ruod-Istinxit, inter quos bonae indolis adole-Jhardus Constan--Ruodhardus Con- scentesipsa expeditioneltiae episcopus et/istantiae episcopus interierunt. Notker,!Purchardus nosteriet Burghardus ab- Heribert .... Ruod-obierunt. Notke- bas de coenobio S. Galli hardus etiam Constan- rus quoque magi-obierunt.... Not- tiensis episcopus obiit.ister et alii prae- kerus quoque ma-

stantes fratres gister et alii prae-

apud S. Gallum de-stantes fratres

cesserunt. apuıd 8. Gallum decesserunt.

Die Uebereinftimmung der Casus mit Hermann ift hands greiflich Elar, während die VBerwandtichaft derjelben mit den Annales Sangallenses vom Jahre 1002 an lediglid; auf das Abhängigfeits- verhältnis zurüdzuführen ift, in welchem Hermann feinerjeits zu den Annalen fteht. Daher iſt der einzige Quellennachweis?, den die Ausgabe unferer Schrift (SS. II, ©. 155 Anm. 34) giebt, irrig.

Der Autor B, Cap. 5—6, hat ſich wohl nicht mit fchriftlichen Quellen geplagt, und die Verſe über Nordpert aus dejjen Grabſchrift genommen.

Ueber die Quellen des Theils C, Gap. 7—8, läßt fich wenig Pofitives angeben. Die Lokalgeſchichte hat der Verfafjer, wie fchon gejagt, aus eigener Erinnerung oder ſehr junger mündlicher Tradition geichöpft, obwohl -fic die Möglichkeit, daß ihm ganz kurze Aufzeich- nungen vorgelegen haben, nicht bejtreiten läßt. Auch für feine An—

! Quae proxime sequuntur, ex ann. Sang. majoribus a. 1022, flux- erunt.

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gaben aus der Reichsgeſchichte habe ich Feine fchriftliche Quelle ent- deden können. Es ift jedoch ſehr wahrjcheinlih, daß er eine folche benutzt hat!. Jedenfalls ift fie uns nicht erhalten.

Andererfeits muß ich Mone widerfprechen, melcher behauptet, diefer Theil der Casus S. Galli fei von den Casus monasterii Petrishusensis benutt?. Nach dem oben Ausgeführten läßt ſich dieje Annahme nicht mehr einfach durch die fpätere Abfajjungszeit widerlegen, wie Weiland und Abel dies noch durften?. Auch geben die beiden Casus allein den Namen der 1077 belagerten Burg (Siegmaringen) an und Haben allein von den uns erhaltenen Duellen genauere Nachrichten über die Vertreibung Gebhards von Conſtanz. Dies ift aber erftens aus der gemeinfamen Heimath (Schwaben) beider Schriften Teicht erflärlich; zweitens weichen fie in ihrer Erzählung jo weit von einander ab, daß von irgend einem Ab- hängigfeitsverhältnis feine Rede fein kann. Die übrigen Anflänge, die Mone anführt*, zum Theil aus der Natur jeder Klojterge- fchichte Hervorgehend beweifen höchſtens, daß der Mönch von Peters- haufen „angeregt durch da8 Vorbild von St. Gallen“ feine Chronif fchrieb, aber auch nicht mehr.

Die nachfolgenden Theile D, E, F haben fchwerlich jchriftliche Quellen benutzt.

Für die Lofalgefchichte ift unfere Feine Schrift gewiß von hohem Werth, und aud für die Neichsgefchichte kann fie immerhin einige Bedeutung in Anſpruch nehmen. Sie führt uns an dem Beifpiel des einft fo glänzenden St. Gallens die traurigen Wirkungen des Inveſtiturſtreites auf das Kulturleben der deutichen Klöfter recht leb— haft vor Augen. Auch einzelne andere thatjächliche Angaben find nicht ganz unerheblich.

ı Bol, 3. B. die beftimmten Angaben S. 156, 25: pascha Verone mo- ratus; ©. 160, 3: cum Mantuae pascha perageret.

2 Duellenfammlung zur badiſchen Landesgeihichte I, S. 317 Anm.

s Mon. SS. XX, ©. 623.

ı 1.c.©. 113. 141. 151.

5 Morte Wattenbachs, Geſchichtsquellen 2, Aufl. S. 475,

Noch einmal Magifter Guntherus. Bon A. Pannenborg.

Meine Abhandlung in Bd. XIII der Forfchungen, worin als Autor des Yigurinus der Magifter Guntherus, Verfaſſer der Hi- storia Constantinopolitana und des Tractats de oratione jeju- nio et elemosina, denen ich die Historia Peregrinorum meinte beifügen zu dürfen, erwiejen werden follte, hat zwei gewichtige Stimmen zu entfchiedenem Widerfpruch veranlaßt: Gaſton Paris! und W. Wattenbach ? ſprechen den von mir vorgeführten Gründen für die Zufammengehörigfeit der vier Schriften alle Beweisfraft ab, erfterer refumiert dagegen furz die als unwiderleglich bezeichneten äu— feren Gründe, die er in feiner Dissertation critique sur le po&me du Ligurinus näher dargelegt, und wiederholt zum Schluß den aud) von Wattenbach bis auf etwaige neue Handjchriftliche Aufſchlüſſe ge— bilfigten Sag: der Ligurinus wird ohne Zweifel ein anonymes Werf bleiben. Zu der Historia Peregrinorum nehmen beide eine ver= Ichiedene Stellung ein: während Paris geneigt ift fie dem Dichter des Pigurinus zu belaffen, jcheint Wattenbad) „die Hist. Peregr. nit ihren vielen eingeftreuten Verſen weder zu dem Yigurinus noch zu Gunthers Werfen zu pafjen“. Wattenbac Hat hiermit, glaube ich, den fchwächiten Punkt in meiner Ausführung richtig getroffen. Wei— tere Prüfung hat mir klar gemacht, daß die Hereinziehung der Hist. Peregr. meinerfeits ein Misgriff war: die Stelle über das Träu— men auf dem Parnaß gleich im Prolog ift von mir unrichtig gedeu— tet, fie bezieht fich nicht auf frühere Dichterthätigfeit, ſondern auf die Hist. Peregr. felbft?; die Uebereinftimmungen mit dem Liguri— nus und den beiden profaiichen Schriften find bei weiten nicht fo zahlreich uud jo aufs Wort genau wie diejenigen, welche diefe unter einander verbinden, die wirklich auffallenden laſſen ſich aus einer ge= naueren Yectüre des Ligurinus vereint mit gleihmäßiger Schulbildung erklären; die übereinftimmende Charakteriftif Friedrichs Tann daneben

! Revue critique d’histoire et de litterature vom 12. Juli 1873, S. 32—38.

2 giterar, Eentralbl. vom 9. Auguft 1873, Nr. 32, ©. 997.

s Wattenbach hat dies richtig erfannt und in einen Briefe an Herrn Prof. Waitz ausgejprochen.

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zum großen Teil beruhen auf der fcharf ausgeprägten Perfönlich- feit des Kaifers den beide verehrten; der Stil der Hist. Peregr. ijt nachläffiger ; manche technifche Wörter und Wendungen, die aus dem Yigurinus in der Hist. Const. und der Schrift de oratione wie- derfehren, ſucht man hier vergebens, oder es finden fich dafiir an— bere, wie 3. B. ftatt suscipere bei dem feierlichen Empfang hoher Berjönlichkeiten regelmäßig recipere; die eingeftreuten gereimten Verſe ſtimmen nicht recht zu dem Dichter, der die clafjishe Eleganz wieder einzuführen die ausgeſprochene Abficht Hatte kurz, ich bedaure hier auf irreführenden Wegen gegangen zu fein und die Pilgergejchichte dem Dichter des Ligurinus zugewiefen zu haben. Die Befeitigung diefe8 Irrthums ermöglicht nun aber einen Hareren Blid für die Ei- genthümlichkeiten, die in den übrigen drei Schriften hervortreten: die Ueberzeugung von der Identität des Magifter Guntherus mit dem Dichter des Ligurinus hat jid) mir immer tiefer gewurzelt und fejter geftaltet, und um dieſer Weberzeugung allgemeine Geltung zu ver- jchaffen, oder wenn das nicht fein kann, den Gegnern wenigftens eine ſtriete Widerlegung zu erleichtern, führe ich in gedrängter Ueberſicht noch einmal äußere und innere, alte und neue Gründe vor, welde meine Behauptung ftüten.

In der Schlußnotiz unmittelbar unter dem letzten Verſe der Ed.princeps, April 1507, heißt eg: Guntheri Ligurini poe- tae clarissimi de gestis divi Frideriei primi Decem libri foe- lieiter editi: et impressi per industrium ete. Hier zum erften und legten Male in der ganzen Ausgabe findet ſich für den Dichter der Name Guntherus Ligurinus, fonft immer nur Ligurinus, vorher wie nachher. Aus dem Vorkommen des Namens Guntherus nur an diefer Stelle vereint mit anderen Indizien ſchließt Paris, der- jelbe fei von den Herausgebern während der Zeit de8 Drudes er- funden, während ich glaube annehmen zu müfjen, daß in der Sub— feription des Coder der Name Guntherus fi) vorfand. Beide Mög- lichkeiten find zu prüfen.

Die Herausgeber, fo argumentiert Paris!, hielten im Beginn de8 Drudes, für den er den Zeitraum von 1500—1507 in An— ſpruch nimmt, Ligurinus für den Namen des Dichters: fo nannte ihn Geltis in feinem Yobgedicht, jo Peutinger und Genoſſen in der Borrede; bald erfannten fie ihren Irrthum?, und ihr Forfchen nad) dem Namen des Verfaſſers ergab ihnen Guntherus; deshalb am Schluß: Guntherus Ligurinus poeta clarissimus. Aber hier ericheint ja doch wieder der Titel ganz deutlid) als Name des Dich— ters! Der Irrthum, den fie erfannt hätten, ift hier in feiner Weife gehoben ?, die richtige Erfenntniß hätte an die Hand gegeben: Gun-

ı Bol. zu dem Artikel in der Rev. crit. aud) Diss. ©. 14 ff.

® Diss. ©. 14: C’est sans doute dans le courant de l’impression qu’ils s’apergurent de leur faute et essayerent de la corriger, au moins en partie.

® Paris jagt: Ils firent de Ligurinus non plus le nom, mais

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theri p. el. Ligurinus. Zur Entftehung des Namens foll dann nad) Paris den Anlaß gegeben haben der von Sigebert und Trithe- mius genannte Guntherus Elnonensis; ihn hätten die Editoren für den Dichter des Ligurinus gehalten. Aber thatfächlich ift nicht nachgewiejen, daß vor Pithoeus, der im Jahre 1569 in einem fehr confujen Artikel ! den Fehler machte, irgend jemand die beiden Gun- therus ? identificierte; und nichts berechtigt ung Männern wie Peu— tinger, der eine Genealogie des Haufes der Staufer der Ausgabe des Ligurinus beifügte®, den Glauben zuzumuthen, Friedrichs Biograph, den fie al8 Deutſchen erfannten, fei ein franzöfifcher Zeitgenofje Kai— fer Heinrich IV. geweſen: Zrithem fett den Guntherus Elnonenfis ausdrüclich in deffen Zeit mit beigefügter Jahreszahl 1100%. Und

le surnom du poöte, qui aurait pu le recevoir à cause de son ouvrage möme. Alſo Lucanus Pharsalia, Statius Thebais, Aegidius Carolinus!

ı Bol. deufelben Forſch. XII, ©. 272.

2 cd meine den beim Ligurinus genannten G. und G. Elnonensis; denn ſchon 1507 hatte Leontorius in dem Magifter Guntherus von Paris letzteren zu erfennen geglaubt, freilich nicht ohne jenen ins Fahr 1100 zu fegen. Bol. Forſch. XII, ©. 272.

s Gleich auf dem folgenden Blatt nad) der Schlußnotiz, die den Namen Guntherus Ligurinns enthält, nennt Peutinger Heinrih IV. Tochter Agnes, „die Wittwe Friderici senioris Sueviae et Franconiae ducis, imp. caes. Frideriei I. Aug. avi“, und „Mutter Ottos von ie, aus zweiter Ehe mit dem Markgrafen Leopold.“ Weiterhin führt er aus, diefer Friedrich, Groß- vater Kaifer Friedrichs, habe von Agnes, Tochter Heinrich IV., die beiden Söhne Fridericum juniorem et Conradum gehabt, dann fei er geftorben und in cenobio quod erexerat Loricensi begraben. Heinrich V., ihr Bruder, habe zu der zweiten Ehe der Agnes jeine Zuftimmung gegeben :c. „Friedrich der Züngere, Monoculus, wurde Herzog von Schwaben, Conrad er- hielt Franken, wurde nad dem Tode Kaifer Lothars zu Koblenz zum Kö- nig erwählt. Er machte einen Kreuzzug. Seine Söhne von der Gertrud von Sulzbach waren Fridericus alter dux Sueviae, der auf einer Römer- fahrt dem Fieber erlag, und Heinrich, der vor dem Vater ftarb. Friedrich der $üngere, monoculus, erzeugte ex conjuge ejus prima Juditha ... Fridericum Primum Aug.” Augeſichts jolder und nod näherer Angaben, die doch zum mindeften Mar beweifen, daß man damals die Zeiten Heinrich IV. und Friedrich I. durch Heinrih V., Lothar und Konrad III. getrennt wußte, und die von Peutinger, dem Herausgeber der Ed. princ., ſelbſt berrühren, ja die er zur Erläuterung dem Ligurinus beigab, erklärt Paris, Diss. &. 16, der Anachronismus der in der Wahl de8 Guntherus Elnonensis lag, ‘n’avait rien alors de bien choquant'; und warum niht? „Weil“, meint Paris, „auch in fpäterer Zeit der Dichter oft mit Gunther von St. Amand identificiert wurde!” Man hat nicht da8 Recht jenen Männern Irrthümer aufzubürden, die fpäter bei folhen auftauchen, die mit der deutſchen Gejchichte weniger ver- traut waren.

* Barie, Diss. S, 14. 15, nennt die Wahl felbft ‘deraisonnable", die Art wie man dazu fam, eine ‘“maniere enfentine de proce&der.' Er führt dann aus, auf Ehriftian von Mainz habe man gerathen, weil der von Trithem genannte Ehriftian Erzbiihof von Mainz geweſen, andererfeits aus dem Ligu- rinus an verjchiedenen Stellen erfichtlich fei: que l’auteur connaissait fort bien Mayence et ses environs et habitait sans doute cette contree. Aber lediglich von Bebel ift bezeugt, daß er Ehriftian für den Verf. gehalten, als er das Werk noch nicht gejehen hatte, und dann ift ganz Mar, daß ber

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hätten fie den fo ſehr verkehrten Glauben wirklich gehabt, warum änderten fie dann Guntherus Elnonensis in Guntherus Ligu- rinus? Aud der Nachweis, daß die Editoren geſchwankt hätten, welchen Namen fie dem Dichter geben follten, ift nicht beigebracht. Conftatiert ift nur ein Schwanfen Bebels um 1501, zu einer Zeit als er das Werk felbft nicht gefehen und nur fehr oberflächliche Kunde! von demjelben hatte. Damals bezeichnete Bebel den Verfaj- fer der neu gefundenen Gesta Frideriei als: Christianus vel ut alii volunt Guntherus Alamannus. Warum fönnen die “alii’ nicht gerade folche gewefen fein, die den Codex gefehen Hatten, dei Bebel, wie er felbft bezeugt, noch nicht Fannte? Und was berechtigt ung bei Guntherus Alamannus an Guntherus Elnonensis zu deufen? Aus dem Beinamen Alamannus fönnte man doc) höchſtens auf einen Gegenſatz zu letterem ſchließen. Auf Chriftianus zu vathen lag ſehr nahe: in Trithems Scriptores ecelesiastiei fand man diejeın Gesta Frideriei, und fo nennt ja auch Bebel das Werf, zugeſchrieben, während man einen Guntherus zu Friedrichs Zeiten vergeblich juchtee Als Bebel das Werk ſelbſt kennen gelernt hatte, gab er den fid für anonyme Gesta Friderieci fo fehr pafjend dar- bietenden Chrijtianus wieder auf und citierte den Dichter al8® Gun- therus Alamannus ?. Hätten die ‘alii’ feine beſſeren Beweisgründe gehabt, als Sigeberts oder Tritheins Artifel über G. Elnonensis, fo hätte er das nicht gethan. Iſt e8 auch nur wahrſcheinlich, daß jener bei Bebel auftretende Guntherus Alamannus bei den ‘alii’ aus der richtigen Erkenntnis hervorgegangen fei, Ligurinus fei Titel des Ge- dihts? Diefe Erkenntnis, fchon 1501 gewonnen, hätte unmöglic) verborgen bleiben können, und doch erfcheint das “Guntherus Liguri- nus’ der Unterfchrift der Ed. princeps genau fo wieder in Trithems Annales Hirsaugienses, und in dem erften Drud der Chronif

Titel ‘Gesta Frideriei’ ihn auf Chriftian führte. Fir die Wahl Guns thers von St. Amand bei den Herausgebern entdedt er weiter feinen Grund que l’assertion, toute gratuite d’ailleurs, de Tritheme, qui lui attri- bue: metro et prosa quaedam praeclara volumina, de quibusad notitiam pauca venerunt; und diefen Grund Hat er jelbft, Rev. crit. S. 37, wieder hinfällig gemacht durch den Hinweis auf die befannte Thatfache, daß Trithem faft immer ſolche Phrajen feinen Charakterifti- ten beifüge (ich Hatte nämlich Forſch. XIII, S. 331 hervorgehoben, daß im Falle Gunthers Trithem „nun doch“ einmal Recht habe). Freilih, um das zu finden, brauchte man nicht auf die Zeiten Heinrich IV. zurüdzugreifen, Einen Beweis dafür, daß Gunther von St. Armand von den Editoren in dem Explieit gemeint fei, findet Paris in dem von Trithem und den Editoren ge» meinfam gebrauchten ‘poeta clarus’ reip.‘poeta clarissimus’. Auch wer auf ſprachliche Webereinftimmungen mehr Gewicht legt als Herr Paris wird folchen Beweijen wenig Zutrauen ſchenlen. Vgl. unten S. 189 Note 2.

ı Bebels Worte find in extenso abgedrudt Paris, Diss. ©. 7. 8, Er fpriht von 12 Büchern ftatt 10.

2 De veteribus Germanis Encomion c. XIX: Unde Guntherus Alemannus lib. 2 de rebus gestis Frid. Caes. Bgl. Forſch. XI, S. 173, Wann das Werk geichrieben wurde, ift mir unbelannt.

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de8 Nauclerus ! (1516). Erinnern wir uns der früher von Stälin beigebrachten Notiz, daß fchon 1521 Chriftian Tubingius “Gunthe- rus Ligurinus’ mit ‘Guntherus Italus Ligur poeta’ um— jchrieb, fo fcheint die Annahıne berechtigt, man habe ‘Ligurinus’ mit „Italiener“ überfegt und um die deutjche Nationalität des Dichters zu wahren in “Alamannus’ abgeändert. Alfo die richtige Erkennt— nis des Titels des Gedichtes, das man als Gesta Frideriei’ ci- tierte, ift auch bei Bebel nicht erwiefen, viel weniger bei den Edi— toren, die durch ihr ‘Guntherus Ligurinus’ nod) 1507 das Ge- genteil bezeugen; die Hhpothefe von dem Schwanfen der Herausge- ber und der Entftehung des Namens Guntherus aus Guntherus Elnonensis? ift aud) von diefer Seite ohne allen reellen Boden. Ganz anders ftellt fich die Sache, wenn wir die zunächſt lie— gende Annahme ins Auge faffen, der Name Guntherus Yiguri- nus ſtamme aus der Subfeription der Ebracher Handſchrift. Geltis fagte den Augsburger Freunden auf ihre Trage, ob er auf feinen Reifen durch Deutſchland ihnen vorher unbekannte Schriften gefunden habe, se invenisse Ligurinum quendam aegregium poe- tam de rebus gestis per Fridericum primum Cae- sarem. Wir erfennen in diefen Worten bereit8 den misverſtande— nen Titel, den das Werk in der Handfchrift trug. Ueber ſämmtli— Ken zehn Büchern in der Ed. prine. wiederholt fi}: Incipit liber primus (secundus ete.) Ligurini de gestis imp. caes. Fri- derici primi aug., der Titel der Ed. prince. hat: Ligurini de gestis i. c. F. p.a. libri decem. Nun nennt der Dichter jelbft X, 616. 622 jein Werf Ligurinus, und I, 114. 165 erflärt er die forcia gesta, regia gesta Friedrichs befchreiben zu wollen, nichts Hindert uns alfo anzunehmen, daß der Titel: Liguri- nus de gestis Frideriei, vom Dichter felbjt ftamme, daß er in der Handichrift ſich vorgefunden habe. Und da die ohne Zweifel aus der Handichrift genommenen Argumenta die Leber: jchrift tragen: Ineipiunt Argumenta in decem libros Ligu- rini, fo wird das decem libri’ in dem Titel der Ed. prine. eben= falls alt fein. Wir hätten alfo: Ligurini de gestis Fri- deriei libri decem. Die leicht konnte aus einen folchen Titel

1 Mattenbach bemerkt, Kentralbl. a. a. D., daß eine Ausgabe von 1501 nicht eriftiert; damit ift die Möglichkeit gegeben, daß fchon vor 1501 Nauclerus ‘“Guntherus Ligurinus’ jchrieb, da8 dann fiher nur aus dem Coder ſtammen konnte. Möglich freilich nad; dem was Mattenbad) gelagt, daß Camerarius die Stelle einfügte,

2 Schon Köpfe, Hrotivit S. 275, bemerkt: „Kaum zu glauben ift es, daß die Herausgeber deu Verfaſſer ohne Weiteres für jenen Günther, Mönd) von St. Amand, gehalten haben follten, deffen Namen fie bei Trithem fanden, welcher ihn einen poeta clarus nennt, der mancherlei in Vers und Proſa ger fchrieben haben follte; denn ausdrücklich fest er diefen im die Zeit Heinrichs IV. zum Jahre 1100.”

3 Man beachte auch, daß ſchon 1501 Bebel das noch nicht gejehene Wert al8 Gesta Friderici bezeichnet.

1%

die Meinung entfpringen, Ligurinus fei Name des Dichters !, ‘de gestis Friderici’ Titel des Werks, eine Meinung die Schon bei dem Verfaſſer der Argumenta faciih fi vorfindet: Ligurinus carmina seribit. Wie verhält fich dazu die Unterfchrift unter dem Text der Ed. princeps? In ihr ehrt jener Titel, vermehrt um den Namen Guntherus, vollftändig wieder: Guntheri Ligurini poetae clarissimi? de gestis divi Friderici primi De- cem libri foelieiter editi: et impressi etc. Was hindert uns anzunehmen, daß an diefer Stelle im oder ſich der wirkliche Name des Autors erhalten Hatte, der, ſei es durch einen früheren Schrei— ber, der fchon den Irrthum des Verfaſſers der Argumente teilte, ſei es durch Geltis und die Herausgeber, mitteljt des eingejchobenen ‘poetae clarissimi’, mit Ligurini' zu einem Ganzen vereinigt wurde ? Enthielt der Ebracher Coder in der Subfeription: Guntheri Li- gurini de gestis Friderici decem libri?, fo erflärt jic) das Misverftändnis in den Argumenta, bei Celtis und den Her— ausgebern, weiterhin bei Nauclerus (oder Camerarius) und Trithes mius*, fo erklärt es fi, weshalb jchon 1501 Bebel den Namen Guntherus kennt umd denfelben gegen den aus den Scriptores bes Trithemius entnommnenen Chriftianus endgültig accepttert, fo bleibt überhaupt Feine Dunkelheit. Mit dem misverjtandenen Titel und dem durch diefen ſelbſt auch getäufchten VBerfajfer der Argumenta be= zeichneten Geltis und die Editoren auf dein erften Blatt, und Peutinger noch auf den legten Seiten, den Dichter einfad) als Ligurinus; mit der Subfeription jchrieben fie am Schluß des Epos: Gunthe- rus Ligurinus. Ein Widerſpruch zwifchen dem fürzeren und länge— ren Namen war für fie nicht vorhanden. Unter diefem Namen ift dann der Dichter noch bis in die neueſten Zeiten von vielen citiert worden, obgleich jchon der Tübinger Grammatiker Heinrichmann“ und er ijt der erjte von dem wir es bejtimmt wilfen den Titel in dem ihm von Peutinger gejchenkten Exemplar der erjten Ausgabe

1 Hehnliche Misverftändnifje find befanntlih im Mittelalter nicht felten; der Solimarius hatte dafjelbe Schidjal.

2 Aus den oben citierten Worten des Celtis in der.Borrede: Ligurinum quendam aegregium poetam, fünnte man fchließen, daß er da8 ‘poeta clarissimus’ vor Angen gehabt; aber ebenfo nahe liegt der Schluß, diefe Worte feien hier wie dort zwilchen den Titel eingeichoben.

3 So präcifiere ich die von Wattenbah mit Recht als zu beſtimmt be- zeichnete Faſſung Forſch. XII, &.276: Guntheri poete clarissimi Ligurini sive de gestis divi Friderici decem libri feliciter expleti.

* Frithemius fett den Guntherus Elnonensis zu 1100, den Guntherus Ligurinus zu 1184. Nach Paris muß man fic denfen, daß der gelehrte Abt, nad) deffen Artikel über jenen erfteren der letztere erdichtet war, und zwar von ihm nicht fehr ferne wohnenden Freunden, den von ihm unbewußt getauften ganz naiv an der richtigen Stelle in feine Annalen eingefügt habe.

5 Bol. Dümge, ed. 1812, S. LVI. Auch in der Ausgabe von 1531 ift Guntherus von Ligurinus richtig getrennt; Paris, Diss. S. 16, ſcheint anzunchmen, daß erft Pithoeus den Fehler berichtigte.

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ergänzte: Guntheri Alemanni! Clarissimi Poetae (Ligurini de gestis etec.).

Blos der Bolljtändigfeit halber will ich beifügen, daß noch eine dritte Möglichkeit für das Auftreten des Namens Guntherus Ligu- rinus in der Unterjchrift der Ed. prine. vorhanden ift: Guntherus könnte unabhängig ſowohl von Guntherus Elnonensis wie von der Hand ichrift auf literariichen Wege überliefert worden fein. Dies wiirde ebenfalls auf einen Dichter Gunther im der Zeit Friedrichs führen, den für den DVerfajfer des Yigurinus zu halten bejjere Gründe vor= lagen als bei dem für den Verfaſſer von Gesta Friderici gehaltenen Erzbiihof Ehriftian von Mainz. Doc angejichts der vorliegenden Thatſachen erjcheint es überflüffig noch weitere Ueberlegungen anzu= jtellen: eine gut beglaubigte Lleberlieferung, das fteht feit, bietet uns als Verfaſſer des Ligurinus einen Guntherus.

Suden wir nun nad) einem Gunther in der Zeit des Dich— ters, fo tritt uns der Verfajfer der Hist. Const. und der Schrift de oratione entgegen, erjtere abgefaßt 1206, letztere fpätejtens 1210. 1212. Zwiſchen der Abfaffung des Ligurinus (1186) und diejen Schriften liegt ein Zeitraum von 20, bezw. 24. 26 Jahren. Darf man muthmaßen, daß der Gunther des Ligurinus mit diefem iden- tiih it? Der Dichter des Yigurinus giebt fi) als Mann von höch— ſtens 30 Jahren, 1206 ijt Magijter Guntherus gegen 50 Yahr ? alt; diefer iſt Weltgeiftlicher, Magijter und Scolaftifus gewejen, be— vor er ins Klofter eintrat (1202—5): der Dichter des Yigurinus iſt Weltgeiftlicher und erſichtlich Schulmann; feit 1193—95 ift Ma— giſter Guntherus des weltlihen Treibens müde geworden: 1186 nimmt der Dichter lebhaften Anteil an dem was die Welt bietet, aber er weilt hin auf die Unzuverläffigkeit irdiſcher Freuden ? und zeigt iiberall einen ernten Siun; den Magijter Guntherus finden wir im

1 So mit feinem Tübinger Freund Bebel, wohl aus denjelben Gründen.

2 Berüdfichtigt man, daß de orat., fiher nad) der Hist. Const. ver- faßt, jhon 1207. 1209 zu feten fein könnte, jo wäre Gunther, der am Schluß feiner legten Schrift 7 Jahre Mönd war, 1202—1205 ins Klofter eingetre- ten; 10 Jahre vorher, fagt er, fei er der irdilchen Dinge überdrüffig gewor- den, alfo 1192—95. Da er nun vorher Magifter und Scolafticus gewe— fen, auch eine ſehr gediegene Kenntnis befittt von ftaatlichen und kirchlichen Berhältniffen, dazu in der fpäter ausdrücklich zurücgeftellten weltlichen Literatur fehr bewandert ift, darf man annehmen, daß er fi) bis dahin mit allem die— ſem zu befaffen Zeit gehabt, 1192—95 aljo etwa ein BVierziger geweien, Seine Geburt fiele dann 1152-55 (um 1150 fagte ich früher), und 1186 war er 31—34 Jahr alt, 1206 alfo 51—54. Will man den Magifter um 5 Jahre jünger machen, fo ift ev 1186 noch immer 26—29 Jahr; und um weitere 5 Sahre, fo bleibt ein Alter von 21—24 Sahren für 1186, wodurd immer noch der Dichter des Ligurinus nicht ausgejchloffen wäre. Da Magiſter Gun— therus aber 1210 ſchon Prior ift, jo ift dadurd), auch abgejehen von der Un— wahrfcdeinlichteit der MWeltentfagungsgelüfte bei dem Dreißiger, ein veiferes Alter, jo wie wir e8 vorausjegen, an die Hand gegeben.

*Bgl. 3. B. Lig. I, 603: Usque adeo nulla est hominis sincera voluptas.

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Klofter Paris im Elſaß: ins füdmweftlihe Deutfchland gehört der Dichter des Yigurinus; beide find begeifterte deutjche Patrioten, dabei jtrenge Vertreter dogmatifcher und fittliher Reinheit in der Kirche; beide beherrfchen in umfaſſender Weife das Gebiet der weltlichen Liz. teratur, -in der zweiten profaifchen Schrift treten namentlich Citate aus denjenigen Autoren auf, die dem Dichter des Ligurimus geläufig find, unter andern aus dem im Mittelalter fo jeltenen Lucretius diejelben, die wir hier finden; der Stil ijt hier wie dort aufßeror- dentlich fließend, der Magijter Guntherus deutet indireet an, daß er einft auch gedichtet hat, und feine an poetischen Wendungen und Bil- bern veiche Proja bejtätigt dies Gründe genug die Möglichkeit näher ins Auge zu faffen, daß der Magijter Guntherus im Kloſter Paris mit dem Guntherus, von dem die Ueberlieferung des Liguri= nus weiß, identijch fein Fünne. Diefe Möglichkeit fteigert fich zur Gewissheit, wenn ſich zeigt, daß der Ligurinus und die beiden pro= faifchen Schriften troß des nicht geringen Zeitabftandes in Gedanken, Wendungen und Worten in einer Weife übereinftimmen, wie das bei Schriften verfchiedener Verfaſſer bis dahin nirgends beobachtet wor— ben ift.

Dies deutlich zu machen habe id) eine ganze Reihe von Ueber— einftimmungen zwifchen dem Yigurinus und den Schriften de8 Ma— gifter Guntherus zufammengeftellt, aber Paris und Wattenbad), beide vielleicht irregeführt durch die Hist. Peregr., die ic) in gleiche Reihe ftellte, erjierer dazu fichtlich unter dem Einfluß?! feiner Hypotheſe

1 Ich ſchließe das aus der Art, wie Paris meine Gründe befeitig. Er beginnt mit einigen Stellen, denen ich jelbft (S. 252) nur „untergeordnete Bedeutung beigelegt”, verweift ein paar andere, die wichtiger fcheinen, in die Noten. Nicht alles hat er richtig verftanden. Unter der Rubrik: M. P. en decouvre bien d’autres qui parfois deviennent vraiment presque co- miques par la gravite avec laquelle il les signale, erſcheint 3. B. neben meiner Bemerkung über den Solimarius von S. 241, die idy vollftändig auf recht halte (man beachte die Fragen, die ich anjchließe, die Paris iüberfieht), folgende Stelle von S. 261 mit beigefügter Seitenzahl: Si dans le Ligu- rinus Frederic est compar& & Charlemagne, I’H. C. releve trois res- semblances entre l'abbé Martin et le c&lebre saint de ce nom. Dieſe Worte bilden bei mir einen Teil der Einleitung zu folgender Pointe: „und dann jchließt der Berfaffer mit einer Neminiscenz aus dem Ligurinus: qua- propter utrumque debito fine honoris venerari nos condecet; vgl. Lig. VI, 518 ff.: Principis an pape fuerit pars justior, alter, qui melius potuit cognoscere, judicet: at nos Ignari rerum partem veneremur utramque, und die Gegenüberftellung feiner eigenen Mei— nung zu anderen findet fich wiederum entipredhend Hist. Const. c. 19: Vi- derint ergo alii, quomodo hoc factum metiantur, ego in omnibus his etc.” Jetzt füge ich noch bei, dag alii und ego fid) noch genau fo wie im der letzten Stelle wiederfinden Lig. I, 474:

Forsitan hec alii culpent, ego nobile factum Laudo viri; und zu den obigen drei Verſen aus dem Lig. vergleiche man noch d. o. IX, 3: alii vero sive acutiores sive rerum ipsarum diligentius ordi- nem intuentes, rem quodam ornant artificio .. . nos utriusque

193

über die Entftehung des Namens Guntherus, fprechen denfelben alle Beweisfraft Tab. Paris verweilt, um mich zu widerlegen, auf die in Band XI der Forfchungen von mir felbjt zufammengejtellten gemein- famen Eigenthümlichfeiten mittelalterliher Schriftiteller: ich habe in der That auf diefe und ähnliche Sammlungen fortwährend Rückſicht genommen, mir fcheint es aber bei der großen Menge von Ueber- einſtimmungen nicht einmal fehr erheblich in Frage zu kommen, ob die eine oder die andere Stelle auch in diefem oder jenem gleichzei= tigen oder antifen Autor fich wiederfindet; nicht weniger als in ein— zelnen ins Auge fpringenden Stellen liegt die Beweiskraft in der Aus- wahl von Gedanken, Wendungen und Worten, die gerade hier und in gleicher Weife bei feinem anderen Schriftſteller ſich vorfindet.

Hier eine kurze Ueberſicht des Augenfälligſten.

Zu den Gemeinplätzen gehört der Gedanke, daß irdiſche Güter übermüthig machen ?; im gleicher Form und gleicher Verwertung fand ich ihn nur

H.C. e. 11: divine seil. bo-

Lig. 1, 527: nitatis consilium, quod gen- Nec melius stulte furor et |tem illam elatam ex re- superbia plebis rum opulencia.ab illo fastu

Puniri poterat, quam tanta | |suo deprimi et ad pacem et ut causa tumoris | concordiam sancte universalis Eriperentur opes, et quos ? ecelesie revocare hoc or- opulenceia rerum || dire disponebat; congruum quippe videbatur, ut gens illa,

que aliter corrigi non valebat, paucorum cede et rerum tem- poralium, quibus intumue-

rat, amissione puniretur.

Hier kommt zu dem *elatam ex rerum opuleneia’ in fo ei- genthümlicher Weife das “revocare’ hinzu, in dem ‘rerum tempo- ralium quibus intumuerat amissione’ fpricht jo flar jenes “ut

Fecerat elatos, in se re- vocaret egestas.

morem gerere cupientes... illas tractare conabimur, lectoris arbitrio relinquentes, hie ordo an ille pocior an verior sit estimare Noch öfter hat Paris meine Ausführungen misverftanden, wie 3. B. die, wo id) Gunther eine „mehr al® gewöhnliche Kenntnis des Grie- chiſchen“ beifege, die er, tie jeder Lefer des Tractats de orat. erfennt, auch wirklich befittt: nirgends bin ich aber fo meit gegangen ihn griechifche Texte Iefen zu lafjen, vielmehr vermeife ich ſtets auf Tateinifche Bearbeitungen (3. B. bei Homer, Plato und Ariftoteles).

ı Man begreift dabei faum, wie Paris dennod) auf ‘poeta clarus’, vgl. oben ©. 4 Note 1 in fin., und ‘sermone plano atqud palpabili' im Pro— log der Hist. Const., vgl.: stilo tamen humili et plano et sermone pal- pabili im Prol. de orat., vgl. Diss. S. 17 Note 35, großes Gewidt Ie- gen konnte.

® Hist. Peregr. c. 23 wird al8 Duelle Hrabanus Maurus genannt, und bie von ihm citierte Stelle erſcheint auch Joh. de Alta Silva, Dolopa- thos ed. Oesterley ©. 6, '%. Bgl. auch Otto, G. F. I, 5. Hier überall affluencia oder prosperitas ftatt opulencia.

XIV. 13

194

causa tumoris eriperentur opes’, ‘nec melius ..... puniri po- terat’ wiederholt fi) jo unbewußt in “congruum quippe videba- tur ut... puniretur’, daß man, um die Webereinftimmung zu er— Hären, nothwendig Einen Autor annehmen muß, der unwillkürlich feinen Gedanken und Worten diefelbe Wendung giebt.

Dajjelbe zeigt die Ausführung in dem Brief der deutfchen Bi— ihöfe an den Papſt, wo deutlich gemacht wird, daß die Kaijerfrone nicht von diefem, jondern direct von Gott fomme, verglichen mit einer

Stelle in de orat. über das nur an Gott zu richtende Gebet:

Lig. VI, 560:

Excessere modum magnorum munera regum,

Sitantum cuiquam jus in sua regna dederunt;

Sed neque tanta fuit lar- gitio, nec dare quis- quam

Quo caret ipse potest; hujus collatio regni

Autorem sortita deum, con- tingere nulli

Jure potest hominum: collator muneris hujus

Est deus, hoc summis re- gnumconferturab astris.

\tis stulticie . . .

de orat. VI, 7: Quare ad cer- tam personam orationem sem- per dirigi oportet, eteam ta- lem que possit largiri quod petitur. Petere enim ab eo qui dare non potest, vel oceulti erroris est vel eviden- sed neque illa bona...quisquam pre- teripsum (deum) largiri potest, quoniam sunt dona spiritualium graciarum, que anullo hominum...iin alium possunt conferri.

Stellen, wo der Dichter von fich ſelbſt und feinem Werfe redet, heben fi) von Otto und Nadewin jehr deutlich ab:

Lig. IV, 609: hi solide possunt descri- bere gesta, Quos oculata fides simul et presencia facti Instruit.

H.C. e.15: structuram au- tem edificiorum ... vix ullus vel describere potest, nisi qui ea oculata fide cognovit.

Der Gedanke ift, wie man weiß, lanbläufig, ‘deseribere posse’ in ähnlichem Zufammenhang ift häufig, “oculata fides’ aber Habe ich fonft nirgends damit zufammengejtellt gefunden. Dajjelbe gilt von

Lig. X, 611 ff.: Sed quisquis rerum,quas scripserit ille, nitorem Te perhibente leget, pulchri quoque premia facti Noverit, vereint mit I, 141: at si quis summatim car- pere tantum Rem satis esse putat, no- stris(se.scriptis)apponat ocellum.

H. C. im ®rolog: Quis- quis ergo huic niostre pa- ginule manum vel oculum leeturus admoverit, ani- mi quoq.ue diligentem soler-

Xtiam rebus ipsis, de qui-

bus hie agitur, subtiliter intuendis studiosus adhibeat.

it a BZ an nl ——

195

Die Uebergangsformel Lig. III, 342: neque enim reor esse silendum, jteht auch H. C. c. 5: neque illud silendum credi- mus; eine andere Wendung Lig. II, 581: nee mihi cujusdam virtus reticenda videtur, ähnlich d. o. VI, 10: neque tamen hoc loco penitus! erant reticenda?. Und auffälliger nod)

Lig. I, 356: [d.o.IV,1: de quibus omni- Hane ego rem penitus||no reticere quamparum quam dicere paucal)dicere tucius est.

silere _ d. o. XIII, 3: tucius tamen Tueius esse puto. esse credo, und: tucius tamen est. Lig. X, 586 ff.°: \{H. C. c.22°: Libet quedam Hoc quoque me fame, si de-| |inserere, que sola, si alia sint cetera, solum deessent, satis possent Conciliare potest. astruere.

) \d.0.],3: si cetera desint.

Dahin gehören weiter: Lig. VIII, 442: Id poeius...viden- dum, vgl. d. o. II, 1: Illud pocius videndum est. Lig. X, 312: extremamque manum prestare labori, vgl. d. o. XI, 1: et incepto operi supremam * manum conabor imponere. Lig. X, 610 ff.: die weiteren Thaten Friedrichs propositi memo- res ad tempora nostra trahemus; vgl. d. o. x: aliam quo- que expositionem promissi memores prosequi studeamus. Kleine Zwifchenfäge wie Lig. II, 85: imo ut vera loquar, VIII, 474: ut verum fatear, vgl. d. o. VII, 1: sed ut verius lo- quar, ebenfo II, 1; V, 1; liceat modo dicere, Lig. I, 126, l. m. memorare I, 114, vgl. d. o. I, 3: ut ita loqui liceat, zählen nad) Dutzenden; die Steigerung mit imo etiam begegnet bei beiden oft, Lig. I, 43; X, 591; d. 0. 1,4; II, 1; IH, 1; umd Verſe wie

ı Diejes Wort ebenfo Lig. I, 356.

2 Bgl. H. C. Prol.: neque tamen omnino poterimus reticere (ta- cere jagt die Hist. Peregr.); nec reticere libet, Lig. I, 450; II, 532 u. ö.; libet aud) H. C. 22; d. 0. IV, 2; VI, 3; IX, 3.

8 Hierzu bemerft Paris: voila on en arrive par ce systeme d’argumentation & outrance.

* Zu beachten ift, daß der Autor, wie das im jener Zeit allgemein war, mit den Synonymen beliebig abwechielte; vgl. 2. Müller, Ueber den Auszug aus der Ilias des fog. Pindarus Thebanus ©. 13. Auch bei Gunther be- merkt man überall die „Neigung zu variiren“.

5 Meine Bemerkung, Forſch. XII, S. 269, daß ſich derartige Säte fo auch in der Hist. Peregr. finden, beruht auf einer Verwechſelung. Bon den 3. 14—17 genannten Ausdrüden gehören dahin nur: tucius est, necesse habemus, pacem reformare; ftatt des Guntherſchen brevi temporis ar- ticulo’ findet ſich H. P. 2. 34. 42 vielmehr: (in tanto) necessitatis articulo. Gerade in fo unfcheinbaren Kleinigfeiten weicht die Hist. Peregr. ab.

13*

196

Lig. III, 190: non est tractabile sensu

Eloquiove meo, fehren wieder in Stellen wie d. o. VII, 1: quod humane facul- tatis (non est!), quas deus orationes aut suseipiat aut re- pellat vel comprehendere sensu? vel eloquio diffinire.

In der Charafteriftit Friedrich® heißt e8 Lig. I, 192:

Fortis ad instantes casus prudensque futuri

Preteritique memor.

Gegenwart, BVBergangenheit und Zufunft treten ebenfo hervor d. o. VI, 2: deus, qui et tempora condidit (die8 aus Lig. I, 169: qui tempora condidit) . .. nec preteritorum immemor ® esse potest, nec ignarus presencium, nec improvidus futuro- rum, sed preterita quidem memoriter tenet, presencia cernit, futura prenoseit. Ju der Wendung preterita mem oriter te- net, befundet fich ein Anklang an Lucretius * (II, 583; III, 871. 1073):

et memori mandatum mente tenemus, eine Stelle die fajt wörtlih Lig. X, 531:

et memori seriptos in corde° tenemus.

Sehr intereffant für unjern Zwed iſt Lig. I, 299 ff. die Aus- führung, daß nicht hohe Ehrenftellen einen guten Charafter verder= ben, fondern ein von Natur fchlechter Menſch vielmehr die ihn ges wordene Auszeichnung misbrauche. Da heißt e8: .

Immeritique hominem violasse putantur honores,

Quos magis ille malo corrumpit et inquinat usu;

At cuicunque bonum et nullo violabile casu

Ingenium natura dedit, si letus honorem

Forte tulit quo dignus erat, tunc tempore rapto

Illa latens probitas leto pubescere fructu

Incipit, et sese virtutum germina produnt:

ı non est fehlt im Tert, ift aber fchlechterdings nothwendig.

» gl. d. o. IX, 2: ut vix cujusquam mortalium vel sensu capi valeat vel explicari sermone.

s Im einer Stelle bei Otto, G. F. I, 8, ſteht ähnlich: neque enim priorum tuorum meritorum immemor existo nec futurorum ingratus ero. Aber e8 fehlt eben das bei Gunther dabei wiederkehrende “preteritorum' und ‘providus’, und die Nücdficht auf die Gegenwart. Mit jener Stelle bei Dtto berührt fid) Lig. X, 509: nec tamen immemorem forte ingra- tumque putetis.

* Daß im Ligurinus Luerez benutt fei, bat ſchon Rittershuſius bemerft, Noten zur Ausg. ©. 43, wo zu Lig. I, 715:

et eterne laudis monumenta reliquit, der Lucreziiche Vers: Aeternis famae monumentis insita florent, eitiert umd andere Spuren angedeutet find. Weiteres vgl. unten &. 199 Note 4.

° cor und mens find im Lig. und ben beiden projaijchen Schriften ohne

Unterfchied gebraudt.

197

Sie puer a tenero castis qui moribus evo

Floret et hunc habitum nature vertit in usum,

Qualis erit?

Wer erfennt nicht, daß die honores, die ‘malo usu’ beſchmutzt werden, den res medie angehören, von denen Gunther de orat. VI, 6 fagt, daß fie je nad) Umftänden bene vel male utenti- bus bona sive mala efficiuntur, daß da8 bonum ingenium oder der habitus, welchen natura dedit, gleich it dem an Plato und Diogenes d. o. IV, 1 gelobten Gemüthszuſtaud partim a natura datus!, und dem dort behandelten habitus mentis? (ebenfo Lig. I, 7) bene composite, zumal die virtutum germina? ebenfall® wörtlich wiedererfcheinen d. 0. X, 4, und ‘id quod na- ture usus exigit’ d. o. X, 2.

Bon denen die eine Rede Friedrichs Hören wollen Heißt es Lig. X, 497: stantibus arrecta capiendis vocibus aure, und die Wendung * ehrt wieder vor der Kreuzrede Martins H. O. c.3: stabant igitur omnes arrectis auribus. Nicht gefunden it bis jet die Quelle für suspiria, singultus, gemitus, lacrime, Lig. X, 213 ff., die genau im umgefehrter Reihenfolge ftehen H. C. c. 3, und dort wieder verbrämt mit Worten aus anderen Stellen des Ligurinus: videres lacrimas ... per ora omnium largis- sime defluentes, vgl. Lig. IV, 350: et largis ora rigatos fleti- bus aspiceres.

Sogar unter der Rubrik der Firdlichen Feſte bleibt ein Heft, der jich weder aus den Hymnen noch aus anderen mittelalterlichen Schriften belegen läßt. Wo findet fich zu den vom Heil. Geift am Pfingitfeft gebrauchten Worten Lig. V, 228: desuper effuso lin- guas distinxit in igne, eine fo genau entfprechende Wendung wie H.C.c.3: sp. sanctum in linguis igneis super eos effudit ? Fried» rich feiert folche Tage: quanto potuit honore, Lig. IX, 264. 263; und gerade bei Heiligen Handlungen fteht auch H. C. c. 23: qua potuit reverentia, quantas potuit graciarum actiones; d. o. II, 1 fin.: quanta possunt humilitate, und ähnlich) an anderen Stellen.

Betrachten wir ein paar Sätze aus dem 17. Gapitel der H.C., wo die Belagerung Conſtantinopels bejchrieben wird, fo erfennen wir unter der Schablone auch hier fehr deutlich die aus dem Ligurinug befannte Perjönlichkeit:

ı Bol. noch zum Ausdruck Lig. II, 625: natura dederat, und VI, 35: natura dedit.

2 ®gl. d.o. XII: habitum hic dieimus qualitatem mentis. Vgl. Emo, ed. Feith en Stratingk ©. 81. 143,

3 Der Ausdrud ift fehr ſelten.

Bgl. Ter. Andr. V, 4, 30: arrige auris, Pamphile; Pl. Rud. V, 2, 6: Suohic mihi sermone arrexit aures. Dieje Stellen citiert Forcellini s. v. arrigere u. auris. Das ‘stare’ dabei ift bis jet nur iu den ange» führten Stellen des Lig. u. der H, O. nachgewieſen.

veluti quosdam scalarum gradus, per quos animosi jJuvenes ad tuendas naves et hostes desuper impu- gnandos....ascendere pos- sent et descendere....

deinde turrigeris navi- bus quantum fieri po- tuit ad murum admo- tis...

eum qui primus hostiles muros insiliret.... post- quam vero unus inventus est, quiprimus muros in- siluit... tum hostes velut resumpto spiritu tum pudore tum periculo impulsi ce- perunt in quandam respi- rare audaciam, et seipsos mutuo exhortantes, cla- more simul et omni genere telorum eos vehementissime perurgebant.

198

[ Lig. IV, 555: scalarum si-

mulare gradus.

n IX,347: seu gradibus scalarum scandere turres. X,364:scalarumgra- dibus celsas apprendere pinnas.

X,400: belloque furens

animosa juventus!

Fixerat in summi vesti-

gia margine muri.

II, 515: missis et desu-

per implicet hastis.

X,398: Jam quantum

poterant muris acce-

dere turres

Admote fuerant longi-

que ad menia pontes.

X,408: Horum unus...

primus in attonitos sal-

tu se miserat hostes.

X,535:quiprelia primi

Tentare aut murum

conscendere fortiter ausi.

X, 405: insiluisse levi

trepidantia menia saltu.

II, 321 ff.:

Nee minus infausti sum- mis e turribus hostes...

Adiciuntque animos se- que exhortantur in arma,

Urget quippe metus fa- ciuntque pericula fortes.

IX, 358: nec respirare

licebat (vgl. VIIL, 196).

II, 142: et teli quo-

eunque modo.

3

3

S

Be

3

3

S

3

3

Solde Stellen bedürfen feines Kommentars. Unter den Bildern und bildlichen Wendungen ift fehr eigenthüm—

animosa juventus nod) Lig, II, 555.

Wenn in der Hist. Peregr.

animositas u. animosus gebraucht wird, fo fehlt juvenes oder juventus,

vgl. c. 8. 11. 34.

199

ih! “blando spiramine ? solis’, da8 aus Lig. I, 38 in d. o. V, 1 wiederfehrt. An das Bild von den verjchiedenen Flüffen und der einen Quelle, Lig. IV, 367 ff.: uno de fonte ete., vgl. ex uno fonte etc. d.o.IX, 4, fei hier nur noch einmal erinnert, aber das bezeichnendfte von allen führen wir wieder volljtändig vor,

Lig. VII, 182 ff.: \f d.o.IV, 1: Cum enim aura Mox ubi tranquilli al spiritus sancti .... placido tior aura Favoni flatu velut quidam Fa- Ceperit excluso RRITSEeN vonius cepit aspirare, benignius Austro creat mox in ea ceu ver— Protinus ad placidos fla-f\ nos flores bonas quasdam tus sua germina rami mentis qualitates. d. o. III Produeunt solitoque nitent = 5: salubris aure flatus gulta decore. | aspirans. Lig. I, 176: ) tempore verno? flores.

Die ‘aura Favoni’ weijt uns hin auf Lucrez‘, aber vergeblich

ı Auch Paris (Rev. crit. a. a. O.) findet e8 „wahrhaft charafteriftifch.“ Aber er will wetten, daß e8 fi) in einem von beiden Autoren benutten alten Schriftſteller vorfinde. Damit wäre die Beweiskraft der Wendung nicht einmal ganz befeitigt, wenn fie allein fände.

Bgl. Lig. II, 501: Zephirus lasso spiramine und d. o. III,5: venti spiramine; Lig. IV, 189: calidi spiramine celi.

® tempore verno, Lucr. V, 800.

* Bol. Lucer. I, 11:

Nam simul ac species patefacta est verna diei, Et reserata viget genitabilis aura Favoni etc.; flores vorher in Vs. 8. Man könnte an Catull 64, 282 denken (aura parit flores tepidi fa- cunda Favoni), wenn nicht auch fonft in beiden Schriften Lucrez erfennbar wäre. Das ‘genus omne animantum’ Luer. I, 4 erſcheint in d. o. X, 2: omne genus animantis; die Ausführung Lucr. II, 269—271 liegt zu- grunde d. o. IV, c. 2 (bej.: quemadmodum in pueris bi® excitat actio- nes). D. o. III, 2: flabrum spirantis aure simul spirat etc. vgl. Lucr. VI,428: graviter spirantibus flabris; VI, 1128: spi- rantes auras. An die Berfe, aus denen die “aura Favoni’ entnommen, lehnt fi) aud) das Bild Lig. I, 38 ff.; die pecudes Vs. 39 und volucres Vs. 41 ſtehen Lucr. I, 12. 14, und nod) genauer ftimmt Luer. II, 342 ff.: Praeterea genus humanum mutaeque natantes Squamigerum pecudes et laeta armenta feraeque Et variae volucres laetantia quae loca aquarum Concelebrant circum ripas fontesque lacusque etc.

vgl. Lig. I, 39 fi.: Ceu pecudes hominumque genus sic parvula opaci Monstra soli viridesque solent gaudere lacerte, Utque suo volucres celum modulamine mulcent, Sie fruticosa leves quaciunt arbusta eicade.

Intereffant ift e8 zu beobachten, wie mit Luereziſchen ſich Hier Bergilfche Neminiscenzen miſchen: aus letterem ftammen die virides lacerte (B8.40 ui Eel. II, 9) und: arbusta cicade (Vs. 42, vgl. Ecl. II, 13; Georg.

328).

200

wird man jich bemühen, bei der Annahme verjchiedener Verfaffer aus diefer Quelle die Uebereinſtimmung zu erklären.

Das Bild vom Stammler gebrauchen mittelalterliche Autoren gern als Ausdruck der Beicheidenheit für ihre eigenen Leitungen; aber in der Wendung Lig. I, 43:

Imo eciam mos est ut plus cantare laborent,

Qui gravius cantant: et balbi plura locuntur, eine Auffaffung die näher erläutert wird d. o. VI, 1: atque in hoc quoque balbutientes videmur imitari, qui dum preceden- tis verbi defectum sequenti cupiunt emendare, vitio suo in- sistentes balbutire non cessant iſt es unferen Schrif- ten eigenthümlich. Gleich im Proovemium ! des Tractat8 de orat. begegnen uns wieder die *arenae littoreae’ aus Lig. V, 332; bie originelfen Gleichniſſe? von den fchlechten Dienern Lig. III, 255 ff. und V, 175 ff. finden ihre Gegenbilder in den guten und böjen servi, die bei ihrem Herrn ſich anflagen oder entfchuldigen, d. o. VII, 2 u. 10. Die für die Wirklichkeit zu kühne an DVergil und Prov. Salom. 7 fich leicht anlehnende Ausmalung Lig. IV, 309:

Der Diditer will Lig. I, 136: velut e pleno decerptis floribus horto Principe digna suo breviter compingere serta;

vgl. Lucr. I, 927: juvatque novos decerpere flores Insignemque meo capiti petere inde coronam.

Unmittelbar vorher geht bei Lucrez: Juvat integros accedere fontes

Atque haurire; im Ligurinus folgt:

Si quem igitur rerum prolixior ordo fidesque

Incorrupta juvat, doctorum scripta virorum

Consulat atque ipso latices de fonte petitos

Hauriat. Man kann auch nicht zweifeln, daß Lig. I, 11 die den Dichter befeelende ‘spes magna’ ein Anflaug ift an Luer. L 922: acri percurrit tbyrso lau- dis spes magna meum cor. Weiter Lig. I, 24: cui nullum parve priusve spirat in orbe caput, vgl. Luer. Il, 544: Cui similis toto ter- rarum non sit in orbe (vgl. aud) Lig. VI, 109: et toto nulli cessurus in orbe, und IV, 522); Cujusad arbitrium Lig. IV, 520, aus Lucr. II, 281; Si bene promerui Lig. X, 578, vgl. Lucer. I, 62; II, 651: Nec bene prome- ritis (Lig. X, 566 gehört alio meritis bene zufammen); (sol) lucem fundit Lig. V, 581, vgl. Lucr. II, 147 (sol) sua perfundens omnia luce; gran- dia saxa Lig. II, 512 u. Lucr. I, 291; in gleicher Situation wie Lucr. I, 143: et inducit noctes vigilare serenas, fagt der Dichter Lig. X, 639: tot in officio vigilatis noctibus isto; munera militiae X, 582 u. Lucr. I, 30; mortalia corpora Lig. V,517 vgl. Luer. I, 233. 736; II, 906 u. b. Dft bei beiden certum tempus, certus locus, certa ratio; in promptu esse u. dgl. mehr. Dazu vgl. oben S. 196 Note 4.

ı Der ganzen Stelle ift zu vgl. Lig. IX, 112 ff, wo aud) ‘adicere". ? Das Nähere Forſch. XI, ©. 224.

201

et calidam pedibus calcare favillam! Non timet et prunis ardentibus urere plantas, iſt am Plate als Bild d. o. VII, 2: non aliud fere est quam prunas sub einere! latentes nudis calcare vestigiis; die nuda vestigia entiprechend Lig. VIII, 246. Das leßtere Bild tritt nod) einmal fajt wörtlich jo auf d. o. XIII fin., mit dem Zus fat: ut sic quoque proverbialiter dietum est, womit e8 fchon hinüberweift auf die nicht unbedeutende Zahl von fprichwörtlichen Re— densarten, die in den drei vorliegenden Schriften auftreten. Wir übergehen diejelben ebenſo wie die jchönen und fehr ausführlichen Gleichniſſe von Schiffahrt und Mleeresftürmen, die in Lig. und de orat. die Aufmerkſamkeit des Leſers auf fich ziehen. Hier holen wir nur noch nach, daß Lig. X, 632, wo Friedrich und feine fünf Söhne mit der Sonne und ebenfo viel Sternen verglichen werden: elaroque piam cum prineipe prolem Ceu totidem stellas nitido cum sole videbis, erläutert wird dur) H. C. c. 15: quemadmodum in somno Jo- seph per solem et lunam et stellas undecim pater ejus et mater et fratres undecim designati ... reperiuntur.

Genau fo wie Lig. V, 521 ff. werden H. C. c.16 scriptura und usus einander gegenübergejtellt: de nomine certum, Vingevum sceriptura vocat, nil tradidit usus, und H. C: territorium, quod tam moderno usu quam apud veteres scripturas mons Carmeli nominatur. Ob ſich das fonft in Schriften jener Zeit noch findet? Auch in dem Werf d.o. beichäftigt fi) Magifter Gunther gern mit dem usus, einmal mit dem erläuternden Horazifchen Vers, Ars poet. 72: Quem penes arbitrium est et jus et norma loquendi. Sollte es zufällig fein, daß diefer Vers fchon im Ligurinus mehrmals variiert wird in Formen wie III, 257: Quem penes et rerum jus est et tota regende Cura domus,.

Wir werden das hier fo wenig annehmen dürfen wie bei den oben berührten gemeinfamen Citaten aus Qucrez, um fo weniger da der Vers? Ars poet. 97:

Projieit ampullas et sesquipedalia verba, nicht nur zugrunde liegt d. o. VI, 10: quibusdam, ut poetice loquar, verborum ampullis, jondern auch fchon Lig. VI, 143: portantes munera pompe Verbaque mandatis satis ampullosa superbis.

ı fav. u. cin. find in unfern Schriften ftets ohne Unterſchied gebraucht; ebenfo pedes und vestigia, von denen letzteres aber auch in den proſaiſchen überwiegt.

2 Xehnlich Hor. Ars poet. 16 in Lig. I, 127 und d. o. I, c. 1.

202

In folcher ein: dürfen wir noch beifügen das Citat ! aus

Stat. Theb. II, 18

Insultare malis rebusque aegrescere laetis, das anflingt Lig. IV, 124:

gaudens in tanta strage malorum

Insultare malis .. . ait, und d. o. VI, 9: ideo vitam petit, ut possit aliorum eruciati- bus insultare, vgl. H. C.20: misero probris et jurgiis et con- tumeliis insultare.

Der Brennerpaß war Lig. II, 9 ff. bejchrieben: von Trident aus gelange man per anf ractus rigidos, angusta loco- rum, nad) Verona; genau fo H. C. c. 6: das Kreuzheer, von Ba— jel aufbrechend , stratam illam arripuit, que per angustos Tridentine vallis anfractus Veronam ducit.

Man glaubt dem Dichter noch), wenn er von den hohen Raub— ſchlöſſern ſagt, Lig. V, 213:

Predonum castella jugis horrentia summis

Et vix spectandas celsis in rupibus arces; H. C. c. 15 muthet er uns gar zu die Türme der Stadt feien jo hoc) gewejen: educte in tantam celsitudinem, ut quivis in culmen ipsarum aspectum dirigere perhorrescat.

Lig. IX, 499 ift der Mörder: pronus ad alterutrum vel sese subdere morti vel patrare nefas; fo die Krie— ger H. C. e. 14: ad utrumque parati erant vel ad rece- dendum ... velad subeundam mortem

In gleihem Zufammenhange. erjcheinen Wendungen wie Lig. VII, 101: vobiseum dura malo pati et tristes partiri gaudeo casus, vgl. H. C. c. 3: prospera vobiscum et ad- versa partiri desidero. Lig. III, 102: ſchlechtes Waffer vix mediis ex hostibus ense recepta sumimus, vgl. H.C. c. 14: die Krieger müffen, da fie fi) in medio inimicorum befinden, was fie hoffen ab eis gladiis exsecare. Bon Friedrich) heißt e8 Lig. X, 566: meritis bene munera larga erogat; von Gott ſei nicht zu fürchten, leſen wir d. o. XIII (S. 216 Migne): ne merito jam et digno premium sit negatu- rus; qui voluit te mereri, vult utique remunerare me- rentem.

In bunter Fülle und in ganz verjchiedenem Zufammenhange wiederholen ſich Wortverbindungen die ſchon dem Dichter des Ligu- rinus geläufig waren. Dahin gehören:

Lig. V, 538: grande tibi nomien primo nancisceris evo, und H. C. c. 22: grande sibi nomen comparare; Lig. Ill, 372: quem sibi recto-

rem delegit, und d. o. IX, 11: quem tibi regem elegeris; Lig. VIII, 147: proprii mihbi mens bene conscia voti, und d. o. XII, 3: bene

ı Mörtlich findet fi) der ganze Vers Helinandi Sermo IX. in ramis palmarum,, bei Migne, Patrol. CCXI, 556 A. ® Bol. no H.C.c.9: ad utrumlibet parati erant, vel...vel

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sibi mens conscia!; H.C. 20: ille sibi votorum suorum conscius; con- fusa mens Lig.I, 105 und d. 0. IV, 2; Lig. VII, 5: ex diversis venientia partibus agmina, und d. o. XIII, 3; vie ex diversis partibus venientes; Lig. 1I, 70 (vgl. IX, 557; I, 474): Forsitan hos aliquis, und d. o. XI, 3 fin.: Hec forsitan alicui; Lig. IX, 133: nec fuit ambiguum, und d. o. XUI, 1: non est ambiguum?; Lig. VIII, 612: comparare mer- cede, ebenjo d. o. XIII, 3; fehr häufig bona pars ein gut Zeil Lig. IV, 280. 383; V, 425; VIII, 211 und H. C. 21 etc. etc.; daneben öfters bona portio; magna parte sui Lig. X, 45, und H. C. 17: magna sui arte (vgl. Lig. IV, 195: parte sui majore; VI, 330: prima parte sui; I, 465: ne qua parte sui); Lig. III, 263: protulit ortu pestifero, und d. o. VI, 4: pestifero fetu produxit; Lig. V, 550: cassa virum spes utraque lusit, und H. C. 21: cassa fuit spes, dazu wieder Lig. IV, 419: cassa fuit machina fraudis (cassari H. C. 4); Lig. III, 48: studiis nocturna diurnis jungimus, und d. o. VIII, 2: nocturnos diurnis con- tinuare laboribus; Lig. III, 1: mistica cene discipulis statuens convivia, und H. C. 3: cenans cum discipulis suis... instituit sacramentum; Lig. III, 126: exemplum sancire, ebenjo d. o. I, 3; X, 3; fama vulgavit Lig. II, 59. 583; VIII, 93, und ebenfo d. o. IX, 10 u. a.; fortuiti casus Lig. II, 642, und ebenfo H. C. 25; d. o. VIII, 9; ni fallor und ni falli- mur Lig. II. 466; VII, 356; I, 296; V, 536, und H. C. 17; d. o. II, 3. 4 u. ö.; gens illa Lig. II, 350 u. ö., ebenfo H. C. 8. 11 (4 mal) 17; daneben plebs illa; te quoque teste Lig. VII, 151, und: te ipso teste d. o. VIII, 4; hostilis rabies Lig. X, 165 und H. C. 10; reputare pro nihilo Lig. IX, 534, und reputare pro magno d. o. XI, 2; ostentamina vana Lig. II, 312, und ostentatio vana d. o. I, 1; quanto studio .. tanto Lig. III, 471, und ebenjo H. C. 14; stulta supersticio Lig. VII, 664, und ebenſo d. o. VI, 9; miseranda sorte Lig. VII, 97, und misera sorte d. o. XIII, 1; si quid... enorme Lig. VII, 155, und aliquid enorme d. o. XI, 3; vix tandem Lig. X, 104; IX, 153; VII, 655 u. ö,, und ebenjo oft d.o. (XI, 3; III, 5; etc.); Lig. VIII, 486: senium passas leges renovare, und H. C. 16: eivitas quasi neglectu et senio ® defuncta per te . renovanda est; vivendi cause Lig. III, 111, und ebenfo zweimal d. o. V; usu venire Lig. III, 145, und ebenfo d. o. VII, 5; Lig. I, 374: non nisi post longos iterum coitura labores (vgl. II, 12) und d. o. III,5: vix tandem post multum temporis et laboris rediturus, cf. H.C.23; Lig. III, 392: articulos fidei non satis exacta pietate fovere, und d. o. II, T: articulos fidei pervertere; Lig. II, 163: tanto affeetu diligit, und H.C, 13: affectu tanto fovere; omni plena bono Lig. II, 369. 380, und plenus omnibus bonis* H. C.18; d.o. VI, 8; belli jure Lig. III, 74, und H.C. 19;

! mens sibi conscia Lucr. III, 1031; vgl. d. o. XIII, 3: mens boni

* conscia; XI, 1: homo suorum sibi conscius malorum; ebenſo . ©. 20.

2 Bemerkenswert ift, daß der Dichter fi) Lig. I, 734 entſchuldigt, er habe im Solimarius an einer Stelle gejchrieben versu ambiguo, deshalb einen Fehler gemacht; im Prolog der H. C. wird veriprocdhen, nil falsum vel ambiguum folle aufgenommen werden, am Schluß des Tractats d. o. bittet er um Nadjfiht: si quid in hoc opusculo suspectum vel ambi- guum minusve planum occurrerit. Zu den ambigui vultus der For- tuna Lig. I, 4 vgl. die Erläuterung über die ambigue rupes d. o. III, 5.

s senium in demfelben Sinne Lig. VIII, 311:

veteres sarcire ruinas Jussit et annosi senium deponere fati. Bon Menſchen Gotifr. Viterb. G. F. 152. 155. Bgl. noch Lig. III, 334.

* terra referta bonis jagt Gotifr. Viterb. G. F. 396; omne bonum

204

digne satis Lig. X, 504, unb d. o. V, 1; expirat morte Lig. III, 54, und expirare et moriri d. o. II, 2; invadere regnum Lig. VIII, 398 und H. C. 14.

Die Stellen H. C. 18: omnibus bonis uberrimus, und 22: bonis omnibus abundare, bezeugen, daß Lig. II, 99 mit Barth! gegen die Ed. princ. zu leſen ift:

Omnibus ingenuis uberrima rebus abundat.

Weiter: jurgia probra zufawmengeftellt Lig. III, 351, vgl. probris et jurgiis insultare H.C. 20; negocia regni magno pertractans studio Lig. I, 507, vgl. eirca regni negocia studiis ingentibus occupari H. C. 21; publica negocia Lig. II, 353; I, 188. 216, ebenfo H. C. 14; nomen tra- here Lig. II, 95. 10; d. o. V (S. 142); fraudis molimina Lig. IX, 332, ebenjo H. C. 14; alti sanguinis Lig. I, 597. 634; H. C. 14.

Die juriftiiche Terminologie in dem Verſe des Mönches Gunther, d. 0.IX, 4:

Adrogo, qui suus est et habet meus esse necesse, feunt jchon der Poet Gunther, Lig. III, 524:

Dum mea non esses, summo discrimine jussi

Esse meam: nunc, cum mea sis jam facta, relinguam ?

Wie beftimmte Gedanken und Wendungen, fo fehren in dem Epos und in den beiden profaifchen Werfen gewiffe Wörter auffal— lend häufig wieder. Dahin gehört satis, das aber auch fonjt von gleichzeitigen Autoren, bejonders Poeten, im Uebermaß angewandt wird; weit charafteriitiicher ift certus, certe: in dem ganzen erjten Bud von Ottos Gesta Frideriei fand ich e8 nur 5 oder 6 mal, in den 1221 Verſen der Gesta Frideriei Gotfrids gar nit. In etwa derfelben Zahl von Verſen des Ligurinus, beliebig genommen aus Bud) I und IX, zählte ic) e8 18 mal (in den 28 Berjen IV, 479—506 allein 4 mal), in den 26 Gapiteln der Hist. Const. 26 mal und im einem entjprechenden Abjchnitt de8 Tractats de orat. war die Zahl nicht viel geringer. Wie bei Lucrez, der auch Hier zum Mlufter gedient zu haben fcheint, und Vergil wird es in allen drei Schriften gern verbunden mit tempus, locus, ordo, mors, series, doc) auch mit pignus, spes, fides und anderen Wörtern. Ueberwiegend in der Häufigfeit des Auftretens Tiegt die BDeweisfraft für die Zufammengehörigfeit der drei Schriften auch bei den Beiwörtern validus, placidus, precipuus, fedus, manifestus. Uber wer durch die obigen Zufammenftellungen nicht überzeugt ift, der wird auch durch Zahlenbeifpiele diefer Art nicht zu gewinnen fein. Ich will deshalb nur noch betonen, daß der Wortichag in dem Epo8 mit dem der beiden profaiichen Schriften de orat. al theologijch = philofophiiche Arbeit bietet natürlich eine große Zahl von Wörtern, die in Lig. und H. Const. nicht angebracht werden fonnten, und umgekehrt aufs bejte harmoniert. Bemerkeus— wert hervor treten u. a. noch übereinftimmend die Wörter: af- auch 792; plenus fehlt aud) in der Hist. Per., wo e8 ähnlich Heißt c. 15: regio bonis omnibus opulenta; c. 22: bonorum omnium copia; c. 25: bonorum omnium ubertatem, que humane vite sunt necessaria.

! Die Ed. princ. hat acerrima, und fo aud) noch Dümge; ©. Paris acceptierte von Anfang an uberrima, vgl. Diss. ©. 81; ich meinte früher

acerrima fefthalten und “ingenuis’ von ‘rebus’ trennen zu müffen, Forſch. XI, ©, 243,

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fligere, abrumpere, audire obedire, animantia, contemptus, compendia, commercium, deputare, exaggerare, exsuftlare, extenuare, generosus, instrumenta, prodigialis, resarcire, suffo- care, immergere, rimari, tenuare, vexare, vitalis, sibi usurpare.

Gold) ungejuchte durchgehende Uebereinſtimmung zwijchen vers fchiedenen Schriften iſt nicht erflärlicy aus einer Benutzung der ei» nen durch den Berfajjer der andern, nicht daraus, daß fie ein Pro» duct derjelben Schule wären: fie bezeugt die Identität des Berfaf- fer. Wo innere Gründe jo deutlich reden, da muß nöthigenfalls die jo vielen Zufällen unterworfene äußere Ueberlieferung jchweigen. In unſerem Falle aber widerſpricht diejelbe wicht nur nicht dem ges wonnenen Nefultat, fondern jie beftätigt dajjelbe: der Name Guns ther ijt überliefert mit dein Ligurinus, und ummwiderlegliche innere Gründe erhärten die Identität dejjelben mit dein Verfaſſer der Hi- storia Constantinopolitana und der Schrift de oratione.

Was im XIII Bande der Forfchungen über Magijter Guns therus gejagt worden behält aljo in allem wejentlichen feine volle Geltung: nur was fi) an die Historia Peregrinorum anſchloß ift zu entfernen. Trithemius hat wie bei mandjem anderen nun doc) auch) bei Guntherus Recht, wenn er ihm außer den poetifchen pro= ſaiſche Werfe beilegt, und wohl auch wenn er ihn unter die curia- les verfeßt. Gunther, dabei bleibt e8, der gewandte Dichter ? und Stiliſt, der tieffinnige Theologe und ſcharfſinnige Philologe, der für Kaijer und Reich und das deutſche Volk begeijterte Geichichtichreiber, ijt neben Johann von Salisbury der hervorragendjte Vertreter „der auf dem Studium des Alterthums beruhenden Bildung im Mittel» alter.“ Je näher man ſich mit jeinen Werfen befaßt, dejto mehr lernt man ihn jchäßen.

Hier mögen zum Schluß nod ein paar Berichtigungen? und Ergänzungen defjen was früher beigebracht worden Pla finden. Herr Profeffor Dr. Loerſch in Bonn? weift in einer fehr dankens— werten Mitteilung nad), daß der Forjchungen XIII, S. 300 wie: dergegebene Cat Gunthers: „Nach den leges forenses iſt das Gut der förperfichen Freiheit fo groß, daß dafür Feine Wertbejtimmung

ı Paris, Diss. S. 61, fagt von dem Dichter des Ligurinus: Plus libre d’allures que Gautier de Chätillon, plus simple et plus correct que Gille de Corbeil, il prend avec Joseph d'Exeter le premier rang dans ce groupe trop peu étudié de nos jours et qui merite de l’ötre d nouvenu.

2 Die Correctur Martinus licet fl. Martinus Litz, Forſch. XIII, 233, fowie die fünf erftien in Note 2 dafelbft find bereits von Basnage im feiner Ausgabe gemacht. S. 293 3.2 von oben lies oder specificae, ft. uud. ©. 297 gehängt fl. ans Kreuz geichlagen. Vgl. W. v. Giefebreht, Arnold von Brescia S. 29. ©. 251 3. 2 von unten frequentibus (mit MS) fl. sequentibus. opus Solimarium praenotatum bei Trithem, Forſch. XI, 252, heißt „betitelt.“

s Bu der Abhandlung Über den Ligurinus im XI. Bande ber for» fhungen vgl. denfelben in Reuſch, Literaturblatt 1871, Sp. 29.

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gegeben wird (ut aestimationem non capiat)“, nicht nad) dem Sprachgebrauch deutjcher Rechtsquellen mit „Wergeld“ zu erklären ift, fondern daß hier wie überall, wo er auf die leges forenses hinweiſt, Gunther fih eng an den Sprachgebrauch des römischen Rechts an- fchließt. „Die Stellen die ihm hier vorjchwebten“, Heißt es, „Find nämlih: L.1, $.5 und Tin fin. Digest. de his, qui effuderint vel dejecerint, 9, 3. Lex 1,5 lautet: Sed cum homo liber periit, damni aestimatio non fit, quia in homine libero nulla corpo- ris aestimatio fieri potest. L. 7 i. f.: Cicatricum autem aut - deformitatis nulla fit aestimatio, quia liberum corpus nullam recipit aestimationem jene ſtammt aus Ulpians, diefe aus Gajus Schriften. Auch die übrigen a. a. DO. uritgetheilten jurijti= ſchen Ausführungen Günthers würden fich unzweifelhaft ebenfo Leicht aus den Pandecten belegen lafjen“. Die Bemerkung von Loerſch iſt in jeder Hinficht richtig: auch alle die andern verzeichneten Stellen, über Sclaverei, Adoption, Commercium, Stipulationen, und mehr noch finden ſich, meiſt wörtlih, in den Amjtitutionen und Digeften, aus denen auch verfchiedene Stellen im Ligurinus direct erläutert wer— den müſſen.

Aus den Fortjegern von Moreri Dictionaire historique hat Petit-Nadel in der Hist. litter. de France, Bd. XVII, ©. 287 ff., bedauernd daß die Quelle nicht genannt fei, verzeichnet, Gunther jei im März 1223 gejtorben . Das Dietionnaire hat aber wahrjceinlich feine Notiz aus der Vorrede des Ganifius zu feiner Ausgabe der Historia Constantinopolitana entlehut, wo e8 am Schluß heift: decessit anno incarnati verbi 1223, undeeima Marti. Dieje Worte beziehen ſich aber nicht auf Gunther, fondern auf den von ihm im 25. Gapitel genannten Bischof Heinrich Graf von BVeringen. So dürfen wir denn bei unferer Vermuthung bleiben, daß der am Schluß der Schrift de oratione über ſchwere Förperliche Leiden kla— gende Magifter Guntherus bald nach 1212 geftorben fei.

Die Echtheit des Ligurinus ift nunmehr allgemein anerkannt bei den docti,

quorum tutandus amore Atque fovendus erit (Lig. X, 615); möge nun auch in Bezug auf diefe Kundigen der für Kaifer Fried» rich berechnete Wunfch des Dichters ſich erfüllen, daß fie anerkennen: nomen et auctorem (X, 625).

ı Bol. Paris Note 57; Forſch. XIII, S. 275.

Ueber eine coronica principum Misnensium und einige verwandte Ouellen zur Gefchichte des dreizehnten und vier- zehnten Jahrhunderts.

Don 9. Ulmann.

Neue Ausgaben wichtiger Quellen und Bearbeitungen von bes rufener Hand haben neuerdings dunflere Partien in der älteren Ge— ſchichte des Wettinſchen Fürftenhaufes und der demfelben untergebenen Lande aufgehellt. Noch aber ijt erft der Grund gelegt. Hauptſächlich die größeren Werfe find kritiſch unterfucht worden. Noch Harren ‚eine Anzahl Heinerer Aufzeichnungen der eingehenden Prüfung und Berwerthung. Einen Beitrag zu diefer Aufgabe follen nachfolgende Zeilen geben. Nur, auf einen jolhen, nicht auf eine völlig abjchlie= gende Behandlung der einjchlägigen Fragen konnte bei dem Mangel an Hülfsmitteln und bei der weiten Entfernung des Verfaſſers von den literarifchen Schäten der Heimath deſſen Abſicht gerichtet fein.

Mende Hat im zweiten Band feiner SS. rerum Germ. eine in deutiher Sprache verfaßte Aufzeichnung herausgegeben, welcher er den Namen eine® Chronicon parvum Dresdense giebt‘. Er begründet das (praef. X) durch das öftere Vorkommen diefer Stadt. Am Rand feines Coder fteht zwar: videtur esse chronicon Oscha- sense, doc) weilt er das mit Necht zurüd. Die Mendejche Hand» Schrift, früher im Dresdener Archiv, befindet ſich jet auf der könig— lichen Bibliothek dafelbft (I. 46). Sie beiteht aus einer einzigen Yage Pergament und enthält auf Blatt 1—9* eine legendenhafte Erzäh- lung über die heilige Helena. Bon der Mitte des angegebenen Blattes bis Blatt 10% folgt unfere Chronif, von der auf meine Bitte Herr Arhivar von Poſern-Klett eine genaue Abjchrift mir ans fertigte. Mitteljt derjelben kann ich eine Anzahl bei Mende verderbter Stellen herjtellen, wenn auch mehr, Fehler, als ich zuerjt glaubte, auf Rechnung des Abfafjers zu jegen find.

Die Quelle führt den von Mende weggelaffenen Namen: Co- ronica prineipum Misnensium. Der Mendejche Titel

ı ©. 345— 350. Der vollftändige Titel lautet: Chronicon parvum

vernaculum rerum in Misnia ab a. 1175. ad a. 1349, quod non imme- rito Dresdeuse dici posset.

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ift jedenfall8 ungenau. Denn nit 1175 ift das Anfangs- jahr. Es ift das nur die zuerjt vorfommende Jahreszahl. Die Er- zählung beginnt aber mit Konrad dem Großen, aljo, da es fih um feine Gemahlin Handelt, zwifchen 1116—1119. Daß die Chronif in Dresden entitanden ift, daran zweifle auch ich nicht. Syedenfalls it die HS. da zufammengejtellt!. Die Chronik ift fehr durch Fehler entitellt, die ihren Werth zweifelhaft machen. Um jo mehr ift eine Prüfung und Scheidung der weit zahlreicheren, nicht fofort als irrtHümlich erkennbaren Angaben geboten. Wenn es gelänge auf diefe Weife der Vorlage wieder näher zu kommen, fo dürfte dieje Aufzeihnung, die nicht vor dein letten Viertel des vierzehnten Jahr— hunderts gejchrieben iſt, doch einen eigenthümlichen Werth erlangen. Diefelbe ift neuerdings befonders von Wegele? benußt worden, doch, wie mir fcheint, im zu willkürlicher Weife. Aber gerade fein Vor— gang hat gezeigt, an wie manchen Bunkten diefe Quelle unjere Kennt— niß jener dunfeln Zeit fürdern kann.

Die 'Coroniea’ hat es weſentlich mit den Vorfahren und Nach— fommen Heinrichs des Erlaucdhten zu thun. Die Söhne Konrads des Großen werden, befonders in ihrem Klofterftiftenden Eifer, genannt, aber blos Ditos Nachfommenfchaft wird weiter abgeleitet. Die weit- aus meilten Nachrichten betreffen die thüringifch = oberfächfiichen Ge— biete. Nur zu fünfzehn Fahren werden ganz Furze Notizen aus der Reichs- und Kirchengeichichte gegeben. Die meijten derjelben ſiehen in naher Bezichung zu den Geſchicken der Wettinſchen Lande ?., Von

ı Herr v. Pofern-Klett theilt mir brieflich folgendes mit: „Daß die HS. in Dresden entftanden, ergiebt ſich aus einzelnen Cinträgen, der Tödtung der Thüringer auf dem Wiliichen (Wilsdruffer) Thor, verichiedenen Altarftiftungen u.a. m. Da die HS. zum %. 1236 erwähnt, daß Conftancia aus Defter- reich ein Stück des heiligen Kreuzes nad) Dresden gebracht habe (weiches fpäter das größte Heiligthum der hiefigen Kreuzkirche bildete), fo könnte man der Ber» muthung Raum geben, daß die Verbindung der Legende von der heiligen Helena ber Kreuzfinderin mit der Chronik Feine zufällige, daß vielleicht die HS. für die hiefige Kreuzfirche angefertigt worden fei”. Ich muß nur Hinzufügen, daß diejelbe Notiz ſich auc) findet in dem fpäteren Chron. terrae Misnensis bei Menken III, 324.

2 Friedrich der Freidige. Wegele nimmt Angaben auf das alleinige Zeugniß derielben auf, 3.8. zum $. 1305 (S. 265) und verwirft dann wieder die beftimmteften Daten, 3. B. das Jahr 1268 als Termin der Bermählung Dietrichs von Landsberg mit Helena von Brandenburg (S. 355). Letztere Ans gabe ift hefauntlich wichtig für die Frage der angeblichen Verheirathung Kon— radins. Diefelbe, welche ich in den von mir geleiteten hiftoriichen Uebungen an biefiger Univerfität unterfuchen ließ, ‚gab mir die Beranlafjung mid mit dem fogenannten Chron. Dresd. eingehender zu beichäftigen. Vgl. aud) Raumer, Hohenftaufen IV, 407, und Klöden, Waldemar I, 410.

s 1205. Auffommen des Predigerordens.

1206. Aufkommen des Barfüßerordens.

1245. Tod Friedrichs von Oeſterreich (Bruder der Conftancia).

1278. Tod DOttofars von Böhmen.

1292 (sic). Tod Rudolfs von Habsburg, Wahl Adolfs (in den fol- genden Jahren feine Feldzüge gegen die Wettiner).

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Konrad dem Großen bis zum Tode Friedrichs des Ernjthaften werden Geburten, Verheirathungen, ZTodestage der Wettinichen Fürften mit wechjelnder VBolljtändigfeit verzeichnet , dazwifchen Kriege und fonftige Vorkommniſſe, als Yudenvertreibungen, Auftreten der Flagellanten, Hungers- und Wajjersnöthe, Klofterjtiftungen und einzelne Angaben über die geiftlihen Herren in Magdeburg und Meißen. Nicht Yahr für Jahr berichtet regelmäßig die Quelle. Abgefehen von den ein- leitenden Sätzen fommen Zwijchenräume von zwei, drei, ja bis zu zwölf jahren vor. Die Nachrichten find von der Geburt Heinrichs des Erlauchten an mit dem Jahresdatum verjehen, vom Jahr 1270 ab öfter auch mit genauer Bezeichnung des Tages. Die Yahres- zahlen find oft unrichtig, doch vielleicht zum Theil nur durch Ber: fehen des Abjchreibers. Denn, wenn man die Zahl verbejfert, wird es in der Regel nicht nöthig, nun auch die Reihenfolge der chronologiſch folgenden Ereigniffe zu vertaufchen. Freilich find eine Anzahl Fehler, bejonders Namenverwechfelungen , offenbar die des Verfaffers. Denn nicht eine Neihe nad) und nach entjtandener annähernd gleichzeitiger Notizen liegt Hier vor. Das Ganze iſt nad) Schreibart und Haltung offenbar von demfelben Verfaſſer geſchrieben. Diefer muß daher bei der Länge des behandelten Zeitraumes nad) anderweitigen Vorlagen gearbeitet, diejelben, wie c8 wahrjcheinlich ijt, überjegt und excerpirt haben. Die Uebertragung aus dem Latein würde am Beſten manche Fehler, Entjtellungen von Namen, die dem Gefichtsfreis des Lleber- jeger8 fernlagen, erflären!. Der Wunſch, eine bequeme deutfche Ueberſicht zu haben, ‚Hat vielleicht die Entjtehung veranlaßt. Es find uns dadurd eine Anzahl ſonſt verlorener Angaben erhalten geblieben. Welches ift nun diefe Vorlage? Iſt fie erhalten, oder kann man wenigitens auf fie zurücjchliegen ?

Dank den Bemühungen von Wait befiten wir jest eine Ausgabe der jogenannten Annales Veterocellenses, welche die verfchiedenen Beitandtheile diefer vom 9. bis ins 15. Jahrhundert reichenden Quelle genügend fondern läßt. Es ift möglich geweſen, die Hände des 12., 13., 14. Jahrhunderts paläographifch zu fcheiden ?. Ich glaube nun

1297. Adolfs Tod. Wahl Albrechts. 1304, Bergiftung Wenzels von Böhmen. 1306. Ermordung des Königs von Böhmen zu Olmütz; der Herzog von Defterreih nimmt Böhmen ein. 1308. Ermordung Albrechts. Wahl Heinrichs. 1313. Tod Kaiſer Heinrichs. Doppelwahl. 1316. Wahl Papft Johanns XXII. 1322. Sieg Lubwigs von Baiern. 1324. Johann XXI. predigt den Krieg wider Ludwig. 1334 Tod Johanns XXL. 1346. Wahl Karls IV. 2 Auf eine Tateinifche Vorlage deutet diveft nur ein beibehaltenes Wort 3. J. 1258: Dtto prefectus von Donyn. 2 Mon. Germ. hist. SS. XVI, ©. 41 ff. Lorenz, Deutſchlands Ge- Ihichtsquellen S. 141 Anm. 2, möchte fie lieber als notae bezeichnet wifjen, was

XIV, 14

210

nachweiſen zu fönnen, daß eine ziemlich enge Berwandtichaft beiteht zwifchen diejen Annalen und unjerer Chronif. Möglih, daß der Berfajier der letteren eritere direft für jeine Zwecke überjest hat ; wahrfcheinlicher ilt es mir aber, dar Bejitandtheile der Ann. Vetero- cell. bereitS vorher in eine andere Duelle übergegangen waren, aus der der Verfaſſer unjerer Chronif diejelben zujanımen mit Nachrichten anderer Abjtammung herübernahm.

Eigenthümlich iſt es gleich, dag von den ſechs Söhnen Konrads des Großen in beiden Quellen nur diefelben vier, welche die öfter Gelle, Zichillen, Doberlug, Brena geitiftet haben, namhaft gemacht werden. Gbenfo die Gründung von Altenzell 1175: zugleich die erite Jahreszahl, welche in der Coronica vorfommt. Doch fann man darauf und auf eine Reihe ähnlicher, übereinftinimender Angaben über Geburten und Todesfälle, die in localen Chronifen nicht fehlen dürfen und der Natur der Sprache gemäß Anklänge zeigen mülfen, Tein großes Gewicht legen. Diefelben erregen in unjerem Wall nur die Aufmerfiamfeit, weil ihre Anzahl im Berhältnig zu dem übrigen Inhalt der beiden Quellenichriften eine recht große it. So finden fi) in den Ann. Veteroe. gleichzeitige Eintragungen zu den %. 1243 (Zod der Gonitancia), 1246 (Tod Friedrichs von Dejterreich), 1258 (Zod Biſchof Albrehts von Meiken), und von der Hand des vier- zehnten Jahrhunderts zu dem Jahre 1218 Geburt Heinrichs des Er— fauchten, 1220 Tod Dietrichs des Bedrängten, 1240, 1242, dann 1256, 1257, 1260 Geburt Albrechts des Unartigen, Dietrichs des Weifen, Heinrichs von Altenburg, Friedrich des Freidigen und Diez- manns, welche ganz den Angaben der Coroniea entiprehen. Auf— fälliger und entjcheidend find die Berichte über das folgende Jahr— zehnt. Ach muß diefelben gegenüber jtellen?:

1; Annales Veterocellenses: | Coronica princip. Misnens. vulgo Dresd.: 1261... Flagellatores in hac| Alz man schreib 62 vortreb

et aliis terris fuerunt. Hos | bischof Albrecht dy busere dy do episcopus Albertus excommu-|gyngen mit pyczen. nicavit et de terra expulit.

2.

1263 ...6. Cal. Novembris| Alz man schreib 63 langrave Albertus lantgravius et Theoderi- | Albrecht und margrave Fride- cus marchio de Landesberg fratres| rich (sie) von Landisberg stritten congresi cum duce Alberto de | myt herezogen Albrecht von Bruns- Brunswik apud castrum Witin, wig ezu Wyttyn unde vingen yn

auch zur Unterſcheidung von den großen Altenzeller Arınalen bequem wäre. Seinen Zweifel hingegen, ob die Unterfcheidung der Jahre (fol heißen der Hände) verläßlich fei, darf man wohl einfad) übergehen.

\ —— in beiden Quellen mache ich durch geſperrten Drud enntlich.

211

Annales Veterocellenses: Coronica princip. Misnens. vulgo Dresd.: ceperunt eum cum multis arma- |unde myt ym wol ezweyhun- tis; inter quos erant precipuildert man, unnder den waz grave Heinricus comes de Anhalt et co- |Heynrich von Anhalt, Kuncze von mes Gunzelinus de Swerin et filius | Swerin unde syn son unde vil ejus et alii quam plures nobiles. |ander gute lute.

3.

1266. Obiit Albertus Alz man schreib 66 starb bi- m us Misnensis ecclesiae episcopus !schof Albrecht czu Missen. Cal. Augusti. |

4.

1268. 6. Idus Octobris obiüt| Alz man schreib 68 starb mar- marchionissa Agnes. gravynne Angnes; in dem jare 1269.... Fridericus, filiu/nam margrave Ditterich der Theodorieci marchionis de Landes- | wyse dez margraven tochter

berg, nascitur anno 1269. - von Brandenburg, myt der |hatte her margraven Friderich |Tuten. 5.

1270. Margareta nobilis domina | In dem 70 jare weych dy lantgravia Thuringiae, filia jedele vrowe Margarita von War- Friderici imperatoris, fugit die s.|tynberg, keyser Friderichez Johannis baptistae, obiitque 6. Idus | tochter, an sente Joannes tage dez Augusti eodem anno. touferz unde starb darnach an sente

Cyriacus tage.

(Beide Daten fallen auf den 8. Auguft).

Ich bemerfe, daß für den angegebenen Zeitraum mit diefen No— tizen der Text der Coronica erichöpft ilt; die Ann. Veteroc. enthalten noch einige weitere Notizen zur Papftchronologie, eine Sonnenfinfter= niß, die Nachricht über Konradins Hinrichtung und einen in unferm Texte unvollendeten Satz, der etwas über Yeipzig auszufagen fcheint. Dod) treten fie an Länge hinter den ausgezogenen Stellen jehr zurüd !. Dieje werden feinen Zweifel darüber erlauben, daß in die Vor— lage der Coronica die Ann. Veteroe. mit hineingearbeitet waren. Die Abweichungen find meijt unbedeutend oder leicht zu erklären. Unter Excerpt 2 iſt „Friedrich“ einfacher Textfehler für „Die— trich“. Auffälliger it die genauere Bezeichnung der Zahl der Gefan- genen. Diefelbe mag, wie unter 5 die Wartburg, aus anderweitiger Kenntniß Hinzugethan fein. Die weniger umftändliche Perjonenbe- zeihnung und die minder fpecielle Datirung der Coronica- fann nicht auffallen. Schwierigkeit maht nur die Abweichung unter 4. Gerade diefe Stelle dient neben einigen anderen Erfcheinungen zur

1Oben find die Auslaffungen durch Punkte kenntlich gemacht. Dazu im $. 1265 ganz felbftändige Nachricht über Clemens IV.

14 *

*

212

Stüte meiner Anficht, daß nicht in der uns vorliegenden Geftalt die Ann. Veteroe. benutzt worden find. Ich werde darauf zurüdfommen.

Auch nad) 1270 und bis zum Schluß bleibt bei vielen Nach— richten die enge Uebereinſtimmung beider Quellen bemerkbar , außer einer Anzahl blos genealogischer Notizen, 3. B. 1315, 1316, 1325, 1335, 1342, 1346. Zum Jahr 1349 haben

Ann. Veteroc.: Coronica: Dominus Fridericus marchio In demselben jare starb mar- Mysnensis obiit. grave Friderich an sente Ylse- | beten abunde.

Es iſt das einzige Mal, daß der Verfaffer der Coronica genauer datirt als die Annalen. Es bejtärkt diefe Angabe daher die Annahme, daß er den Todestag Friedrichs des Ernſthaften erlebt Hat.

Das Gefagte wird genügen, ſonſt könnte man bei der Kürze vieler einzelner Stellen nod) Gewicht legen auf das jtatiftifch überwiegende Berhältnig der übereinftimmenden Stellen zu den nicht benutzten in diefem Theil der Altenzeller Annalen.

Ich habe oben unter den aus den Ann. Veteroe. ftammenden Stellen eine Anzahl Geburtstage Wettinfcher Fürſten namhaft ges macht, die erjt von der Hand des 14. Jahrhunderts eingetragen find. Es bleibt möglich, daß diefe Angaben aus einem bejonderen genea— logischen Breviarium, wie e8 deren gab, in die Coronica gefommen find. Gerade hier zeigt diefelbe falfche, von den Annales abweichende Sahreszahlen, 3. B. die Geburt Dietrichs von Landsberg zu 1240 ftatt 1242. In diefem Fall wären nur die gleichzeitigen (in den Text bei Perg recipirten) Eintragungen benugt. Diürfte man daraus ſchließen, daß die Vorlage unſerer Coronica entſtanden ſein muß zu einer Zeit, in der jener Interpolator des vierzehnten Jahrhunderts noch nicht Gelegenheit gefunden Hatte, feine Einfchaltungen zu machen ? Es wird num nothwendig, die Trage zu erweitern. Giebt es feine Spur mehr von jener Quellenfchrift, welche die Brücke bildet zwifchen den Altenzeller Annalen und unferer Chronif? Suchen wir zunächft nad) Berührungspunften der letsteren mit anderen Quellen. Ich muß dazu etwas weiter ausholen.

Dpel hat nachgewieſen, daß der von früheren Herausgebern ge— druckte Appendix zur Yauterberger Chronik ein felbjtändiger Libellus de gente comitum Wettinensium fei und als Quelle für erjtere gedient habe!. ‘Derfelbe hat ferner darauf aufmerffam gemacht, daß nicht diefer Libellus ſelbſt, fondern eine Fortfegung dejjelben zur Duelle gedient hat für das große Chronicon Veterocellense, das im Anfang des 15. Jahrhunderts von dem Leipziger Profejjor Tylich zufammengefetst wurde?. Jene Fortfegung, die von Manchen fäljch-

ı 3.08. Opel, Das Chronicon Montis Sereni fritifch erläutert S. 19 ff. Bol. Cohn in den Göttinger Gel. Anz. 1860 ©. 847 ff.

2 ©. 27 und 66. Weber das Verhältniß felbft kann Fein Zweifel fein. Dies Chron. Veterocell. (id) nenne e8 jo zur Unterfcheidung von den obeu

' 213

lich für eine fchlechte Haudfchrift des Chron. Veteroe. gehalten wurde !, ift im recht Liederlicher Weife herausgegeben worden von %. P. de Ludewig unter dem höchſt fonderbaren, offenbar verderbten Titel eines Catalogus brevis lantgravii Thuringiae et archiepiscopo- rum Misnensium ?, Diejer zerfällt naturgemäß in drei Theile: 1) einen Eingang, S. 172—174, enthaltend eine fabelhafte Abſtammung der Wettiner von Wittefind, der als Gründer Wettins und Witten- bergs hier bezeichnet wird diejes iſt das Werf des Verfafjers; dann 2) im einen Rumpf, S. 174—184 oben, der lediglich eine durd) Fehler verunzierte Wiedergabe des Libellus ift; endlich 3) eine Fortſetzung des legteren, ©. 184—186. Der Catalogus im Ganzen umfaßt demnad) die Periode von etwa 785—1346; der letzte Theil, mit dem wir e8 hauptlächlich zu thun Haben, von 1220, dein End» punft des Libellus, bis 1346, beginnt recapitulirend mit Dietrich dei Bedrängten, dem Vater Heinrich! des Erlaudhten, ©. 184. Bon dieſem Dietrich, feiner Vermählung, feinen Kindern war ſchon vorher die Rede (S. 181), wojelbft der Libellus ausgefchrieben iſt (Eckſtein ©. 187). Lebterer ein glänzenderes Zeugniß für feine Gleich— zeitigfeit, wenn es deſſen bedürfte, könnte e8 gar nicht geben weiß, obwohl feine lette Nachricht vom Yahre 1220 ift, nichts von dem 1221 unter Vormundſchaft erfolgten Pegierungsantritt des 1218 geborenen Heinrih. Er nennt ihn gar nicht unter den Kin— dern Dietrihs. Die Fortfeßung mußte daher, wenn fie ihre Vor» lage nicht umarbeiten wollte, den abgerijfenen genealogifchen Faden an diefer Stelle wieder aufnehmen. Dieſe Fortſetzung unterfcheidet fih nun vor allem in Einem von dem urfjprünglichen Libellus: bis zum Jahr 1346 giebt fie die Thatfachen ohne Jahreszahlen, was, wie wir gleich fehen werden, Unrichtigkeiten zur Folge hat.

befprochenen Annal. Veteroc.) umfchreibt die Angaben des Libellus, während jene Fortjegung diefelben wörtlich wiedergiebt. Dazu ändert erftere8 auch zu Gunften feines genealogischen Planes die Reihenfolge, Bon den Söhnen des Grafen Dietrich (F 1034) werden nicht wie im Libellus und feiner Fort] e⸗ tzung die beiden Erſtgeborenen auch zuerſt beſprochen, ſondern die Linie Thie— mos von Brena, der als Großvater Konrads des Großen Stammvater der ſpäteren Wettiner wurde, geht voran.

ı Nicht nur von Adelung, wie Opel anführt, ſondern noch in Potthaſt's Bibliotheca hist. 139.

? Reliquiae manuscr. VIII, 172 ff. Vgl. Archiv für ältere deutiche Ge- ſchichtskunde XI, 382. Die hier beichriebene Hannov. Handſchrift Scheint diefelbe zu fein, die Ludewig von dem Freiherrn v. Plotho erhielt (S. 42). In beiden gehen dem Catalogus zwei fremde Stüde: De Welpone duce Austriae und Quomodo Saxones primo venerunt ad terram Saxoniae, voraus, und es folgt das Chron, Veterocell. nad. Letzteres benutze ich in der Ausgabe - Mendes, SS. rer. Germ. II, 377 ff. Opels in ben „Mittheilungen der deutſchen Geſellſchaft zur Erforihung vaterländifcher Sprache und Alterthümer“ längft gedruckte, aber unbegreiflicherweife durch die Nedaction noch nicht ausge: gebene Ausgabe, auf welche trotzdem Einzelne recurriren durften (3. B. Th. —5— in ſeiner Ausgabe des Nicolaus de Bibera S. 148), blieb mir unzu— gänglich.

2i4

Ich Habe angegeben, daß der Catal. bis 1346, bis zum Tod der Marfgräfin Mathilde (1346) reihe. Was bei Ludewig von 8. 34 an folgt, jcheint mir jpätere Zuthat. Die hier mitgetheilten Thatjahen würden die Abfafjung bis ins Jahr 1431 hinabrüden (Tod Aunas, Gemahlin Friedrichs des Friedfertigen, Cohn Tafel 61): das ijt aber unmöglich, weil ja der Catal. Tylichs Vorlage geweien ijt!. Diefer Verfaſſer des Chron. Veteroc. fennt die Nachrichten de8 Catal. auf) nur bis zum Tod der Mathilde. Die weitere Fortſetzung, die er bringt, jteht mit dem bei Yudewig gedrudten Schluß des Catal. in feinem Zujammenhang, fie Handelt von Friedrid) dem Strengen und jeiner Nachkommenſchaft.

Der Catalogus ſcheint in Altenzell verfertigt zu fein. ©. 185 wird von Friedrid) dem Ernfthaften berichtet: qui edificavit capellamin honore sanctiAndree apostoli et duxit Mechtildam filiam Lodowiei V. imperatoris. Aus dem Chron. Veteroe. Tylichs wijjen wir (S. 415), daß dieſe Kapelle in Altenzell erbaut ward. Nur ein dortiger Inſaſſe konnte jo ohne weitere Orts— bezeihnung diefe Angabe machen. Näheres über das Verhältniß der beiden genannten Quellen würde hier zu weit führen. Uns ins terejjirt nur der Catalogus und vorzugsweile fein letter Bejtand- theil. Ich Halte es für in hohem Grade wahrſcheinlich, daß der lekt- genannte auf diejelbe Duelle zurückgeht wie unfere Coronica prinei- pum Misnensium. {ch jtelle mir das Verhältnig folgendermaßen vor:

Ann. Veteroc. X

Coronica pr. M. Catalogus

Chron. Veteroe.

Unter X verjtehe ich eine verlorene Fortſetzung des Libellus, deren Angaben glei) dem uriprünglichen Theil des letsteren mit ges nauen Daten verfehen gewejen jein müfjen. Die Ann. Veteroc. fünnen nicht hineingearbeitet gewejen fein, weil der Catal. ſonſt dod) irgend eine Beziehung auf diefelben enthalten müßte. Der Coronica ihrer- jeit8 ftanden außerdem noch Dresdener Localnadhrichten zu Gebote. Diefe vorerji bei Seite lajjend, glaube ich den Beweis der gemein- ſamen Abjtammung der Coronica und des Catalogus von X in Folgendem zu erfennen: Fehler der Coronica werden durch Heranzies hung des Textes des Catal. verjtändlih. Es iſt früher gejagt, daß die Einleitung der Coroniea fi) nur mit denjenigen Nachkommen Konrads des Großen beichäftige, welche direft auf Heinrich den Er— lauchten führten. Nur eine Ausnahme wird gemacht zu unten

ı Diejer fchrieb bei Lebzeiten Friedrichs des Streitbaren (FT 1428) und Wilhelms des Reichen (F 1425), Denn er nennt faft am Schluß ©. 415 Friedrich den Etrengen pater principum nostrorum. Den dritten der Brüder, Georg, bezeichnet er ein paar Zeilen fpäter al® Georgium jam mor- tuum. 3

215

Dedos von Rodlis. Eine Tochter deifelben, Agnes, vermählt mit Berthold von Meran, hatte ſechs Kinder; unter diefen eine Tochter, die, wie es der Catal. S. 182 aus dem Libellus ausfchreibt , ver= heirathet ward dem Hinrico duci Slesiae in Polonia. Nur hieraus ift da8 Mifverftändnig der Coronica zu erklären, wenn fie diefe Tochter an den „herczogen von Polen“ vermäplt fein läßt.

Aehnlich ein paar Zeilen weiter. Da berichtet unfere Coronica, Dtto, älteſter Sohn Konrads des Großen, habe Hedwig „hercezoge Albredk tochter von Sachſen“ zur Frau genommen. Ein Blid auf den Catalogus, der auch hier den Libellus ausjchreibt, macht das Mifverjtändnig fofort far. Da heißt e8 S. 180: Hed- wigam fillam Alberti marchionis Brandenburgensis de Saxonia. Tiefe. ung leicht verjtändliche Bezeichnung Albrechts des Bären war dem Berfafler der Coronica unbefaunt , Bon DOttos Sohn Dietrich dem Bedrängten an beginnt nun, wie mitgetheilt, im Catalogus die eigentliche Hortiegung. Von ihm an bis auf die erjte Bermählung Friedrich des Freidigen finden fich die Angaben des Catal. aud) in der Coronica wieder. Freilich find dielelben ſtyliſtiſch jo fnapp, daß eine Evidenz ſchwerlich ic) gewinnen lajjen wird. Auch fehlt e8 nicht an Abweichungen, wie in ven Beinamen, die fi wohl aus den localen Einflüffen erklären, unter denen beide Ableitungen von X zu Stande gekommen find. Dietrich) von Yandsberg heißt im Catal. pinguis, in der Coronica der Weiſe; Heinrich der Er- lauchte dort illustris princeps, hier der milde Fürft?. Dazu fommen in der Coronica offenbare und vermuthliche Leſe- oder Schreibfehler des Verfaſſers. So kann über den Entftejungegrund des Fehlers fein Zweifel fein, wenn 1313 Friedrich von Dejterreic) „Hannus“ von Baiern als Rival gegenübergeftellt wird; denn 1322 wird des Kampfes der beiden Prätendenten unter ihren richtigen Namen gedacht. Ebenſo verhält es ſich mit einigen anderen Namen, 345 Harnsberg Statt Heinsberg’, ebendaf. Heinrich ſtatt Friedrich von Brena; ferner zum Jahr 1256 „dez herezogen tochter von Flozill“ (? Mende: Nozill) ftatt üliam ... dueisSlesiae; 1263 Markgraf Friedrich ftatt Dietrich) von Yandsberg; 1273 Heinrich von Dresden ftatt Friedrich. Nicht deutlich ift e8 mir geworden, welchen Ort 1322 „Yutenriez“ bezeichnen joll, an dem die Verlobung Friedrichs des Ernthaften oder des Jungen, wie ihn die Coronica an diefer Stelle nennt, mit einer Tochter des Königs von Böhmen er—

1 Der Libellus ſelbſt (Edftein 186) hat einfach: marchionis de Saxonia. S. aud Heinemann, Albredht der Bär S. 282.

2 Auch für Fürften, die im Catal. feine Kofenamen führen, hat joldhe die Coronica, und zwar zum Theil von der herfüömmlichen Bezeichnung abwei: ende: Dietrich der Lahme (F 1315) heißt hier der Hinfende; Friedrich der Ernfthafte (geb. 1310) der Magere.

? Der Catal. madıt aus dem Himisberg des Libellus jogar Hunol- desburg.

216

folgt jei’. Auf einfacher Verwechſelung beruhen dagegen wieder die Geburtstage der vier Söhne diefes Friedrih. Diefelben find unter einander vertauscht ?.

Die wenigjten und umbedeutendjten der aufgezählten Fehler fommen übrigens in Betracht für das Verhältnig zum Catal. Nur des Zufammenhangs und der Volljtändigfeit halber habe ic) diejelben hier eingefügt. Auch der Catal. hat Berjehen, die die Coronica nicht fennt, wie die faljche Reihenfolge der drei Frauen Heinrichs des Er— laucjten, die Nennung Dietrich vor Albrecht dem Unartigen. Dod) ift ja von einer direkten Benutung nicht die Rede, nur von einer gemeinfamen Grundlage. Die Annahme einer folchen kann bei der ichlechten Handjchriftlichen UVeberlieferung beider Ableitungen durch eine Handvoll Fehler nicht alterivt werden.

Gehen wir nun zur Vergleihung über. Schon bei Dietrid) dem Bedrängten und feinem berühmteren Sohn Heinrid) findet eine Uebereinftimmung ftatt. Doc) ift diefelbe weniger auffallend, da die Coronica, hierin vermuthlich der Vorlage getreulich fich anſchließend, die Thatfachen chronologiſch auf einzelne Jahre vertheilt. Bon Hein- rihs Söhnen hat die Coronica eine Anzahl chronologisch eingeord- neter Notizen, die zum Theil auch in den Ann. Veteroc. begegnen, welche im Catal. fehlen; der Juhalt der letzteren findet ſich dagegen in der erjteren wieder.

Catalogus $. 32: Coronica p. M.: Theodericus vero marchio de) Alz man screib 68 (f. oben S. 211 Landisberg duxit uxorem He-|den Bergleid) mit Ann. Vet. unter 4) lenam, filiam marchionis Bran- |in dem jare nam margrave Ditte denburgensis, de qua genuit Fre-|der wyse dez margraven tochter dericum marchionem Misnensem !von Brandenburg, myt der hatte nomine Tute. |her margraven Friderich Tuten.

Mit Ausnahme der gleichgültigen in der Coronica fonft fchon genannten Titel und des Beinamens Dietrichs hat jede der beiden Duellen ein Unterfcheidendes. Catal. nennt den Namen der Braut, Coroniea giebt die Jahreszahl. Das Fehlen des Namens in der Coronica fann nicht auffallen. Die Vornamen der zu verheirathen-

! Bol. über die Thatſache Chron. Sampetrinum (ed. Stübel) S. 162, Palacky, Geſch. Böhmens II, 2, 142. Wegele a. a, DO, 340.

2 Bmwei Berjehen ungewöhnlicd ftarfer Art hat auferdem noch die Co- ronica. Böllig unerflärbar ift die Bezeichnung der Gemahlin Dietrichs, Sohnes Konrads des Großen, als „Eudocia dez herczogee tochter von Koborg”, wäh— rend Libellus und Catal. richtig Dobergane von Polen nennen. Sollte eine Verwechſelung mit Dietrich), Enkel Friedrihs von Brena, vorliegen, defjen Ge- mahlin Eudoria hieß? Soweit ich fehe, ift fie die einzige diejes Namens im älteren Wettinfchen Haus. Ferner nennt die Coronica Heinrichs des Erlauchten dritte Fran „Elizabeth dez lantheren tochter geheyjen von Lichtenſteyn“. Der Catal. kennt den Familiennamen nicht. Sie gehörte dem Geſchlecht von Maltit an (Cohn Tafel 61). Bol. Tittmann, Heinrich der Erlauchte II, S. 137, der jener Bezeichnung nicht erwähnt,

217

den oder verheiratheten Züchter werden in derjelben im der Kegel nicht angegeben. Was die Jahreszahl 1268 anbetrifft, fo fehlt die- felbe im Catal. einfach deswegen, weil derjelbe in diefer Partie über- haupt feine Daten giebt. Co fcheint beides trefflich zu ftimmen. Vielleicht ift es aber erlaubt hier einmal einen Augenblid zur Kritik der Thatfachen überzugehen. Es ijt erinnerlich, aus welchen Gründen diefe Jahreszahl ein Stein des Anftopes geworden ift. Nach der früher citirten Stelfe der Ann. Veteroe. iſt Friedrich Tuta 1269 ge» boren. Er müßte demnach, wenn die Heirat) feiner Eltern 1268 vollzogen iſt, das ältejte Kind fein. Nun ift aber beweisbar, daß nicht er, ſondern feine Schweiter Sophia die Erjtgeborene ijt!; es ijt befannt, daß nad) den Forſchungen Wegeles diefe im Yahr 1266 mit Konradin verlobt worden fein fol. Sind Wegeles Gründe jtichhaltend, fo wird natürlich die Jahreszahl 1268 als Hochzeitsjahr der Eltern der Braut unhaltbar. Hat diefelbe aber bereits in der Borlage der Coronica gejtanden, jo gewinnt jie durch ihr Vorkom— men in noch früherer Zeit eine verftärfte Beglaubigung. Erledigen kann ich die Frage hier nicht; aber ich halte es bei fo vielen entge= genttehenden Gründen fir nicht unmöglich, daß jene ominöſe Zahl nicht aus der Vorlage unferer Quelle ſtammt, und daß hier vielmehr ein Irrthum der Coronica, vielleicht eine falſche Kombination ihres Verfajjers vorliegt. Er knüpft feine Angabe an eine andere, die er vorher ins Jahr 1268 verjegt, nämlich den Tod der Markgräfin Agnes? Es kann fein, daß er in den Ann. Veteroec. zum Jahr 1269 die Geburt Friedrich Tutas? notirt fand und deshalb die Ver- heirathung der Eltern dejjelben, welche er ohne Datum in X fand, ins vorhergehende Jahr 1268 verlegte. Zwar finde ich dafür fein weiteres Beifpiel. Doc) fett wenigftens der Verfaffer wiederholt in das Geburtsjahr eines Kindes die Verheirathung, 3. B., wie wir bald noch näher fehen werden, unter 1256, das Geburtsjahr Hein- richs von Altenburg, die Heirath feiner Eltern Albrecht und Marga— rethe (thatſächlich 1254). Oder er giebt erjt zugleich bei der Mel— dung einer Geburt die Che an, jo 1273, 1292, Wenigjtens fcheint mir dies die einzige Möglichkeit die unbequeme Jahreszahl zu befei- tigen. Einen Schreibfehler, wie er fonft gerade in den Zahlen nach—

ı S. die Chronik des St. Elarenflofters in Weißenfels, herausgegeben von Opel, Neue Mittheilungen des thitringifch-fächftichen Vereins XI, ©. 384 und bejonders 386. Dietrich und Helena find die Gründer diejes Klofters.

2 Beiläufig notire ic) bei Cohn Tafel 61 den Drudfehler 1263, den übrigens auch Wegele in feine Gejchlechtstafel der Wettiner aufgenommen hat, obwohl er im Text feines Buchs S. 65 das Datum richtig angiebt.

3 Diefer auch in gleichzeitiger Duelle erjcheinende Beiname gilt als noch nicht erflärt. Wegele 93 (ſ. 143). ©. die Vorrede Opels zu der Anm. 1 angeführten Chronik ©. 382.

4 Der Unterfchied ift hier der, daß es in Fällen der erfteren Art Heißt: „a. nahm M.“, was unter dem angegebenen Jahr falſch ift, während e8 in den Fällen der zweiten Art weniger anfechtbar Heißt: „F. Hatte A.“.

läſſigerweiſe mehrfach vorkömmt,

21

8

kann man hier nicht annehmen,

weil das Todesjahr der Agnes einen unerſchütterlichen Anhaltspunkt

bildet. Doch kehren wir zurück zu

Catalogus $. XXXIII:

Albertus vero marggravius| Thuringiae duxit uxorem Marga- retham, fillam Frederieci II. impe- ratoris, de qua genuit tresfilios, scilicet Fredericum, Henri- cum et Titzmannum. Henricus lantgravius de Aldinborg duxit uxorem Hedwigam, fillam Erici ducis Slesiae, de qua genuit Fredericum cognomine Anelant.

unjerer Aufgabe.

Coronica p. M.:

.. alz man screib 56... langrave Albrecht von Doringen margraven Heynrigis son nam Margareten, keyser Friderichz tochter von Stoufen, mit der hatte er langraven Heynrich von Aldenburg. Derselbe margrave (sic) Heynrich hatte Hedewygen, dez herczogen tochter von Flo-

'zill, mit der hatte er langraven

Friderich geleysen Ane lant.

Ich bemerfe, daß in der Coronica die beiden jüngeren Söhne

an anderer Stelle unter ihrem Geburtsjahr ericheinen.

Dagegen

vermißt man dajelbjt den Namen Eric), der freilich unrichtig ift, und hat die Schon berührte Entjtellung „Flozill“. Die abweichenden Zitel können nicht auffallen, da beide mit denjelben fehr flüchtig und willkürlich umſpringen. Die Stelle über Heinrich von Altenburg und feinen Sohn Friedrid ohne Yand erjcheint um jo wichtiger, da andere Quellen wie das Chron. Veteroe. den Beinamen „ohne Yand“ fälſchlich gleich auf Heinrich beziehen !. Unmittelbar nad) obiger Stelle heißt es

Catalogus: Coronica: Titzmannus lantgravius duxit| Alzman screib 60 wart lant- uxorem Juditam, filiam Bertoldi | grave Tyczeman geborn unde

comitis de Henneberg, et obiit sine herede.

Friderieus _ vero Misnensis marchio duxit uxorem Agnem, filiam ducis Karinthiae, et genuit ex ea Fridericum primogenitum suum, qui obiit sine karode |

hatte Jutten, grave Bertoldus toch- ter von Hennenberg, unde starb ane erben.

Do man czalte 92.... mar- grave Friderich der hatte An- gnisen, dez herezogen tochter von Kerntyn, myt der hatte her mar- grave Friderichden hynkenden.

Noch wären hierher zu ziehen die jchon früher erwähnten Ge— burtstage der Söhne Friedrichs des Ernthaften: Friedrichs, Balthafars, Ludwigs und Wilhelms. Diejelben finden fih in ganz ähnlicher Weiſe fowohl in den Ann. Veteroe. als in dem Chron. Veteroc. Ty— (ich8 verzeichnet. Dieje Autoren ftinnmen hier bald überein, bald weichen fie ab in fortwährender Permutation der Namen und Tage. Ein Gewinn für unjere Frage fcheint mir daraus nicht zu. ziehen.

Ob es mir überhaupt durch das Vorhergehende gelungen ift meine Vermutung wahrjcheinlic; zu machen, muß ich dahingeftelit fein laffen. Naheliegend jcheint mir diefelbe jedenfall, denn da der Li- bellus eine Sammlung chronologifch geordneter genealogifcher Notizen

2 Bol. über beide Wegele a. a. O. 89 f.

219

it, jo hat e& nichts Wunderbares, ſich denjelben in ähnlicher Weiſe fortgejett zu denfen. Die, wie mir jcheint, unleugbare Aehnlichkeit der Coronica und des Catalogus erflärt fi) fo aufs Natürlichite.

Es bleiben ein paar furze, genealogiiche Notizen iiber das ältere thüringiiche Yandgrafenhaus, deren Vorfommen nichts Auffallendes hat. Doch kann mar diejelben nicht aus einer der genannten Quellen ableiten.

Außerdem enthält endlich die Coronica noch eine größere Anzahl von Angaben, die jpeciell die Wettinfche Gefchichte betreffen und, da fie aus feiner vorhandenen Quelle abgeleitet jind, mit feiner auch nur DVerwandtfchaft zeigen, als jelbjtändiger Inhalt anzujehen find. Diejelben reichen zurüd bis in die erjte Hälfte des dreizcehnten Jahr— hunderts, hier freilich noch ſehr fpärlich, und werden gegen das Ende zu immer zahlreicher. Da die Coronica feine Zuſammenfaſſung gleichzeitig entjtandener Eintragungen it, fondern ihre Abſtammung aus anderen jpäteren Niederichriften zum heil nachgewiefen, zum Theil wahrſcheinlich gemacht it, jo müſſen auch die früheren Notizen auf schriftliche Aufzeichnung zurücgehen, während die jpäteren wohl Zuthaten des Verfafjers find. Bon welchen Jahr ab letteres der Fall fei, wage ich nicht mit Bejtimmtheit zu entſcheiden. Bei der Kürze der einzelnen Angaben ift e8 zu gewagt, auf manche £leine Un— gleichheiten Gewicht zu legen. Sonst fünnte e8 auffallen, daß vom %. 1507 an ausnahmlos die Nachrichten mit den Worten eingeführt werden: ‘In dem... . jare’, höchitens daß auch jare' noch weg— fällt und blos die Zahl fteht. Dagegen ift bis zum J. 1270 die Formel: alz (oder ‘do’) man schreyb herrichend, von 1270—1307 werden beide abwechjelnd gebraucht; doch lege ich, wie gejagt, darauf fein großes Gewicht. Ueber die Perfon des Verfaſſers läßt ſich ichlechterdings nichts errathen. Die eigenthümlichen Nachrichten weiſen auf Dresden al8 Ort der Abfaffung. Daß er ein Geijtlicher war, muß aus der forgfältigen Regiſtrirung zahlreicher Klojtergründungen, Stiftungen von Meffen u. ſ. w. geichlojfen werden. "

Der Aufgabe, die dem Verfaſſer eigenthiimlichen Nachrichten ein= zelı zu prüfen und dadurc einen feſten Maßſtab feiner Beurtheilung zu gewinnen, muß ich mich leider entzichen. Mir fehlt hier durch— aus das Material zu einer derartigen Arbeit. Es muß mir genügen, vielleicht eingehender die Aufmerkſamkeit auf diefe immerhin beachtens- werthe Quelle gelenkt zu haben. Diefelbe darf nicht mehr fo be= handelt werden, daß man auf gut Glück einzelne ihrer Nachrichten, die mit anderen zufällig ftimmen, aufnimmt, von weiteren Nach— richten jedoch, auch wenn fie und gerade weil fie fonftigen Berichten widerjprechen, ſich glaubt difpenfiren zu dürfen.

34 7

" "

„m 860

und in der folgenden Zeile:

vortreben.

"„

1280 1288 1292 1293 1294

1997 1304 1315 1316

1321 1322

1324 1342 1349

220

Anhang. Richtigere Yesarten der Handjchrift !. Menken ©, 346 ;. 9. a lies Flozill ftatt Nozill. 1268

Margarita ftatt Margarete.

dem graven ftatt den.

unde hole me lute ftatt un holem luete.

Habilsberg ftatt Habilsburg.

Vroburg ftatt Vroberg.

do her der ftatt do her dy.

alleyne ftatt allegne.

erslug herczoge Albrecht... . koning Adolfz son (?) flat koning Adolfen.

ieht ftatt acht.

gewissere gar ture dri jar ftatt ge- wisser unn gar ture czyt.

yrsten tzu ftatt ursten czu.

vorkaufte Dreseden ftatt vorkaufte ...

sebyn tusent schock ftatt sebyn misener schok.

lebete alle jar ftatt lebete, a. j.

der sulden ftatt dor sulden.

Büling ftatt Bucling.

Friderich dem jungen czu Lutemricz ftatt F. den Jungen .. Luten(n ?)ricz.

Lodewig ftatt Ludewig.

uber ftatt wider.

eyn Dreseden ftatt eyn in D.

buser myt piezen ftatt buser .....

vorbannen unde vortreben ftatt .... unn

ı Nur fahlid) bedeutjame Abweichungen von den Mendefhen Drud 3. 8. drudt Diende ftet8 unn flatt unde u. |. w. Die Kommas find ſämmtlich feine Zuthat.

wurden berüdfichtigt.

Vierzehnte Plenar - Berfammlung der hiſtoriſchen Commiſſion bei der füniglich bayerischen Akademie der Wiljenichaften. 1873.

Bericht des Secretarints.

Münden im October 1873. Die diesjährige Plenarver- fammlung der hijtorifchen Commilfion wurde in den Tagen vom 20. bis 23. October abgehalten. Bon den auswärtigen Mitgliedern nahmen außer dem Vorfigenden, Geheimen Negierungsrath v. Ranke aus Berlin, die Profejjoren Dümmler aus Halle, Hegel aus Er- langen, v. Sybel aus Bonn, Wait aus Göttingen, Wegele aus Würzburg und Weizfäder aus Straßburg an den Berhandlungen Antheil; von den einheimijchen Mitgliedern betheiligten jic) der Vor— Stand der k. Akademie der Wilfenfchaften, Neichsrath v. Döllinger, Dberbibliothefar Föringer, die Profefjoren Cornelius und Kluckhohn, Geheimer Gabinetsrath a. D. Freiherr v. Pilieneron, Reichsarchiv— director dv. Löher, Reichsarchivrath Muffat und der ftändige Secretär der Commiſſion Geheimrath v. Giejebredt.

Der Vorfitende gedachte in der Rede, mit welcher er die Ver— ſammlung eröffnete, der großen Verluste, welche die deutiche Geſchichts— wijjenschaft im den legten Jahren durch das Abjcheiden Georg Ludwigs v. Maurer und Friedrichs dv. Naumer erlitten hat, indem er Beide in ihrer politifchen und literarischen Thätigkeit characterifirte. Worte danfbarer Erinnerung widmete er Juſtus v. Liebig und Wilhelm v. Dönniges, die fi) um die Begründung der Commiſſion bejondere Verdienſte erworben hatten, und ſchloß mit einer eingehenden Würdi— gung Chriftoph Friedrichs v. Stälin, deſſen fürzlich erfolgter Tod in der Commiſſion, zu deren thätigiten Mitgliedern er zählte, eine ſchwer auszufüllende Lücke gelafjen hat.

Ueber die Gefchäfte des abgelaufenen Jahres erjtattete darauf der Secretär den ftatutenmäßigen Bericht. Es find abermals für Die Zwecke der Commifjion zahlreiche Archive und Bibliotheken durch— forjcht worden, und find diefe Arbeiten von den hiefigen und aus— wärtigen Behörden mit derjelben Zuvorkommenheit und Yiberalität unterjtüßt worden, welche die Commiſſion fchon jo oft danfbar anzu= erfennen hatte. Alle Unternehmungen find in unmmterbrochenem Fort— gang, und die Hemmmniffe, welche einzelne Publicationen durd bie Arbeitseinftellung in den Drudereien erfuhren, jett bejeitigt. Trotz jener Hemmniſſe haben feit der vorjährigen Plenarverſammlung im Drud vollendet und dem Buchhandel übergeben werden können:

1) Gefchichte der Wiffenfchaften in Deutjchland. Bd. XII.

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Sm der deutfchen Philofophie feit Leibniz von Dr. Eduard eller.

2) Die Chronifen der deutjchen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Bd. X. Die Chronifen der fränfijchen Städte. Nürnberg. Bd. IV.

3) Briefe und Akten zur Gefchichte des fechszehnten Jahrhunderts mit bejonderer Rückſicht auf Bayerns Fürftenhaus. Bd. I. Beiträge zur Neichsgefchichte 1546—1551. Bearbeitet von Auguft v. Druffel.

4) Bayeriſches Wörterbuch von J. Andreas Schmeller. Zweite, mit des DVerfafjers Nachträgen vermehrte Ausgabe, bearbeitet von ©. Karl Frommann. Lieferung VIII. und IX.

5) Forſchungen zur deutichen Geſchichte. Bd. XI.

Weit vorgefchritten find im Drud, jo daß baldige Publication zu erwarten fteht, folgende Werfe:

1) Deutſche Reichstagsakten. Band IL, herausgegeben von Pro— fejfor J. Weizfäcer.

2) Briefe und Aften zur Gefchichte des dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einfluffes der Wittelsbacher. Bd. II, bearbeitet von Profeſſor M. Ritter in Bonn.

3) Gedichte der Wiffenschaften. Bd. IL. Abth. 2. Die zweite Hälfte der Gefchichte der Chemie in der newern Zeit vom Ge— heimen Hofrat) H. Kopp in Heidelberg.

4) Die Receffe und andere Akten der Hanfetage von 1256 1430. Bd. III, herausgegeben von Dr. 8. Koppmann in Hamburg.

5) Jahrbücher der deutfchen Gefchichte. Die Geſchichte Kaijer Heinrichs III., bearbeitet von Profeſſor E. Steindorff in Göttingen. Erjter Band.

Die Berichte, welde von den Leitern der einzelnen Unternch- mungen im Berlaufe der Verhandlungen erftattet wurden , gaben von dem Fortfchritt der’ Arbeiten nach allen Seiten erwünfchte Kunde.

Die Geſchichte der Wijfenfchaften wird zunächſt eine fehr erfreu— liche Erweiterung erhalten, da die Gejchichte der Nationaldconomie on Geheimen Kath W. Roſcher in Leipzig jetst der Preſſe übergeben werden kann.

Bon der großen unter Profeffor Hegels Leitung veranftalteten Sammlung der deutfchen Stadtchronifen hatte der Drud des fünften Bandes der Nürnberger Gefchichten, gleid) dem vierten von Profeſſor v. Kern in Freiburg bearbeitet, jchon vor längerer Zeit begonnen, mußte aber wegen jchwerer Erfranfung des Bearbeiters unterbrochen werden. Auf diefen Band werden zwei Bände Cölnifcher Chroniken folgen, von denen der erjte, von Dr. H. Cardauns und Dr. C. Schröder bearbeitet, im nächiten Jahre gedrudt werden fol. Wenn die feit langer Zeit erwartete neue Ausgabe der Lübecifchen Chroniken noch immer nicht der Preffe übergeben werden konnte, jo liegt der Grund in den vielen Amtsgefchäften des Herausgebers, Profeljor

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Mantels in Lübeck, doch iſt zu hoffen, daß ihm die Muße zum Ab- ichluß feiner Arbeit jet gewährt werden wird.

Dem im Drud faſt vollendeten zweiten Band der bdeutjchen Neichstagsakten wird fich der dritte alsbald anſchließen; derjelbe wird die Anfänge König NRuprechts betreffen, auf dejfen fpätere Zeiten fich der vierte Band beziehen wird. Die Arbeiten für die Regierungen Raifer Sigmunds und Albrehts IL. find durch Bibliothefar Dr. Kerler in Erlangen jo weit gediehen, daß auch der Drud der Akten diefer Periode für die nächiten Jahre in Ausficht genommen werden fann. Inzwiſchen werden durch Dr. Fr. Ebrard in Straßburg die Vorarbeiten für die Akten in der Zeit Kaifer Friedrichs III. gemacht, um fie künftig ummittelbar au den Abdrud der Akten Albrechts IT. anzuſchließen. Nach den Mittheilungen des Leiters diefer großen Unter- nehmung, Profeſſor 3. Weizfäder, ftehen dem rafcheren Fortgange dejfelben feine Hinderniffe mehr im Wege.

Die Sammlung der Hanfereceffe ift durch die von Dr. K. Kopp- mann tm vorigen Spätjahre unternommene Reife nad) den ruſſiſchen Dftjeeprovinzen erheblich bereichert worden; augenblicklich befindet fich Dr. Koppmann auf einer archivaliichen Reife in den Niederlanden. Die Bearbeitung des vorhandenen Material® wird ununterbrochen fortgefegt , und wird fi) an den Druck des dritten Bandes jogleich der. des vierten anjchliegen.

Die Yahrbücher der deutjchen Gefchichte werden demnächit um mehrere Bände vermehrt werden. Bon der Geſchichte Ludwigs des Frommen, bearbeitet von Dr. B. Simfon in Berlin, hat der Drud de8 erſten Bandes begonnen. Der Schlußband der Geſchichte Hein- rich II., bearbeitet von Dr. H. Breflau in Berlin, ift zum größern Theil vollendet und wird bald dem Drud übergeben werden fünnen. Die Geſchichte der Regierungen Lothars und Konrads III hat Dr. W. Bernhardi in Berlin übernommen. Zu befonderer Freude gereicht es der Commifjion, daß Profejfor Dümmler die durch den Tod Rud. Köpfes unterbrochenen Arbeiten für die Geſchichte Ditos des Großen wieder aufgenommen Hat und der Bearbeitung diefer wichtigen Periode für die Jahrbücher zumächft feine Kraft widınen wird.

Auch die Arbeiten für die Wittelsbachſche Correfpondenz find wieder nach allen Seiten gefördert worden. Für die ältere pfälziiche Abtheilung ift Dr. Fr. dv. Bezold unter Beihülfe des Profejjors Kluckhohn thätig geweſen und hat aus dem hiefigen Staatsarchiv und der hiefigen Hof» und Staatsbibliothek bereits ein fehr reiches Ma— terial für die Correfpondenz Johann Kafimird gewonnen. Für die ältere bayrifche Abtheilung, welche unter Leitung des Reichsarchivdirectors v. Löher fteht, wird Herr Dr. U. v. Druffel die begonnenen Arbeiten ohne Unterbrechung fortfegen. Fir den zweiten Band, welcher die Beiträge zur Reichsgeſchichte 1552 1555 enthalten foll, Tiegt das

Taterial reichlichjt vor und wird von demnächjt zu unternehmenden archivalifchen Neifen noch weitere Ausbeute erwartet. Inzwiſchen haben ſich zahlreiche Nachträge zum erften Bande theil® aus den hiefigen

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Archiven, theil® durch Nachforſchungen in Trient und Caſſel ergeben; auch Haben wegen des Umfangs, welchen der erite Band gewonnen hat, die früher für einen Anhang diefes Bandes beftimmten größeren Aktenſtücke, Protofolle, Memoires u. ſ. w., vorläufig zurückgelegt werden müſſen. Es ift die Abficht, diefe Ergänzungen im dritten Bande mit den gleichartigen Stücken für die Zeit von 1552 bis 1555 zu publiciren, und wird der Drud der erjten Abtheilung diefes Bandes ihon im nächſten Jahre erfolgen fönnen. Die Arbeiten der älteren pfäßzifchen Abtheilung, von Profeſſor Cornelius geleitet, find durch Veränderungen der amtlichen Thätigfeit des Profeſſors M. Ritter mehrfach beeinträchtigt worden, doch find die Arbeiten fir den dritten Band joweit gefördert, daß der Druck deſſelben fait unmittelbar nad) Vollendung des zweiten Bandes wird beginnen fünnen. Die dem Dr. Baumann übertragenen Arbeiten find durch deſſen Berufung an das fürftl. Fürjtenbergiiche Archiv zu Donanefchingen unterbrochen worden. Für die jüngere bayrifche Abtheilung, ebenfalls von Pro— fejfor Cornelius geleitet, war Dr. %. Stieve auch in dieſem Jahre unausgejegt thätig. Das bereit angefammelte Material wurde ver= mehrt und geordnet; nach Ausführung einiger archivaliſchen Reiſen fol der erjte Band diefer Abtheilung zum Drud fertig geftellt werden.

Die Hoffnung, mit dem Regiſter die große Sammlung der deutfchen Weisthümer fchon in diefem Jahre abzuſchließen, hat ſich nicht erfüllt. Zur Nichtigftellung der Texte mußten mehrere Reifen unternommen werden, welche die Vollendung aufhielten. Doc ift gegründete Ausficht vorhanden, daß der Drud des Regiſterbandes, von Brofeffor R. Schröder in Würzburg unter Mitwirkung des Profefjors Birlinger in Bonn bearbeitet, im nächften Jahre ausge- führt werden und damit dieſes Unternehmen zum Abſchluß gelangen wird. Auch die neue Ausgabe des Schmellerichen Wörterbuchs wird vorausfichtlic; im nächften Jahre vollendet werden fünnen.

In der Nedaction der Zeitfchrift: „Forſchungen zur deutjchen Geſchichte“ ift durch Stälins Tod eine Lücke entjtanden, welche durd) Profeffor Diimmler ausgefüllt wurde. Die NRedaction wird demnach in Zukunft aus den Profefforen Waig, Wegele und Dümmler be- jtehen.

Der Drud des erjten Bandes der allgemeinen deutfchen Bio- graphie wurde im Anfange diejes Jahres begonnen, mußte aber theils wegen ber Arbeitseinftellung in der Druckerei theils wegen einer jchweren Erkrankung des Redacteurs, Freiherrn von Liliencron, bald unterbrochen werden. Dieſe Unterbredhung war infofern dem Unter- nehmen förderlih, als noc, einmal das ebenſo umfangreiche wie ſchwierige Werk nad) allen Seiten Hin in reiflihe Erwägung gezogen werden fonnte. Es ſtellte ſich dabei heraus, daß die bisher dem Re— dacteur aufliegende Gefchäftslaft eine übermäßige fei, und es trat deshalb nach dein Beichluß der Commiſſion Profeffor Wegele in die Redaction ein, um die der politiichen Geſchichte angehörigen Artikel zu redigiren.

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Se weiter ſich die Unternehmungen der Commiffion ausgedehnt haben, dejto mehr mußte fi ihr das Bedürfniß aufdrängen, fich nach den ſchweren DVerluften, die fie in letter Zeit zu beffagen hatte, wieder von Neuem zu ergänzen. In der vorgefchriebenen Weiſe wurden deshalb mehrere deutjche Gejchichtsforicher von anerkannten Berdienften gewählt und Seiner Majejtät- dem Könige zur Ernennung zu Mitgliedern der Commiſſion in Vorſchlag gebracht.

Bekauntlich werden im Angenblid über die zufünftige Leitung der Monumenta Germaniae historica Verhandlungen gepflogen. Die Direetion derjelben wird, welche Gejtalt fie auch gewinnen mag, viel= fah auf ein Zufammenwirfen mit der hiftorifchen Commiſſion fic) hingewiefen fehen, deren Aufgaben zwar zum Theil andere find, ſich aber auch vielfach) mit denen berühren, weldye jener Direction geſtellt werden müffen. Auch in diefem Betracht ftellt fich der Fortbejtand der Commiſſion, welche fo viele und fo große Intereſſen der deutjchen Geſchichtswiſſenſchaft vertritt, über die ihr zunächſt geſetzte Friſt hin— aus als höchſt wünſchenswerth dar, und die Commiſſion ſelbſt glaubte der Hoffnung Raum geben zu dürfen, daß es an den Mitteln nicht fehlen werde, um der Schöpfung König Maximilians II., welche ſeines königlichen Sohnes Huld md Freigebigfeit gepflegt und die fic bisher für die deutsche Wilfenfchaft To jegensreich erwieſen hat, dauernden Beitand zu fihern.

Nachſchrift.

Auf Grund der von der vierzehnten Plenarverſammlung der hiſtoriſchen Commiſſion getroffenen Wahlen haben Seine Majeſtät König Ludwig II. von Baiern die Profeſſoren Dr. Theodor Sickel zu Wien und Dr. Wilhelm Wattenbach zu Berlin zu ordentlichen Mitgliedern und den Archivsaſſeſſor Profeſſor Dr. Ludwig Rockinger zu München zum außerordentlichen Mitgliede der hiſtoriſchen Com— miſſion allergnädigſt zu ernennen geruht.

Der Bauernfrieg

auf dem Gebiete der freien Reichsſtadt Schwäbiih Gmünd,

Don

Emil Wagner.

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Eine Veröffentlichung der wichtigften Originalurfunden, welche über die Vorgänge um Gmünd und in Gmünd von März bis Mai 1525 Aufſchluß geben, erjcheint beſonders durch den Umjtaud gerecht- fertigt, daß einige derfelben zwar in Schwabs Nedarfeite der ſchwä— biihen Alb S. 283—289 theils volljtäudig theils im Auszug mit— getheilt find, die dortige Darftellung aber in Folge der Unvollſtän— digkeit des Urfundenmaterial® und unkritifcher Benutzung des Vor— handenen ein verfehrtes Bild der Thatſachen gibt. Dieſes haben dann auch andere Darfteller, 3. B. Grimm, Gejchichte der ehema— ligen Reichsſtadt Gmünd, 1866, ©. 162 ff., aud zum Theil die Beichreibung de8 Oberamts Gmünd, befonder8 ©. 261 ff. wicder- gegeben.

Schwab ſchöpfte aus dem durch fein Verdienſt geretteten und in einen Band gebradjten: „Fasceieulus Actorum über die 126 Ori— ginal- und andere authentifche Urkunden und Beilagen, deren in des heiligen Reichs Stadt Schwäbiſch Gmünd von 1525 bis 1635 ange— dauerte lutherifche Religionstroublen, zufammengetragen 1738“, Der Band gehört dem Gmünder Ardiv an.

Der unbekannte erfte Sammler diejer Urkunden, von denen 13 dem Jahre 1525 angehören, Fonnte einige, auch von Schwab für unlesbar erklärte Stüde nicht entziffern und mit Beſtimmung von Daten nicht umgehen und Hat durd die Art, wie er die zum Theil datumlofen Urkunden mumerirte, die Chronologie verwirrt, zum Theil auc das Verſtändniß durch beigefügte unrichtige Regeſte erichwert.

Diefem Einfluß, welcher die Darjtellung Schwabs, auch älterer Gmünder Chronijten beherricht, fi zu entziehen, war dem Referenten feihter gemacht, nachdem er, gleichzeitig mit dem Fasciculus, im Gmiünder Archiv 93 weitere Urkunden aus demfelben Zeitraum, dar— unter 23 über den Bauernfrieg, vorgefunden Hatte, welche diejelben Ereigniffe betreffen ımd zu denen des Fasciculus eine wefentliche Ergänzung bilden.

Auf dieſes Material und weitere im Augsburger Stadtarchiv vorgefundene urkundliche Belege, deren Benugung mir die Güte der Herrn Bürgermeifter Dr. Friſch und Archivar Dr. Mayer dajelbft in danfenswerther Weife ermöglichte, ſtützt fic) die folgende Mitthei—

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lung. Die Gmünder Urkunden find zum Theil wörtlich, zum Theil im Auszuge wiedergegeben.

Wenn aud) die Hauptzüge diefer Darftellung nicht neu, fondern bei v. Stälin, Wirtembergiihe Geſchichte IV, 1, ©. 292, in ges drängter Kürze ſchon gegeben jind, fo wird doc) die hier vorliegende, nahezu volljtändige Correfpondenz zwijchen den Gmündern und den Führern der dort auftretenden Bauernjchaaren, von der Berichtigung irriger Darftellungen abgeſehen, ſelbſt ein Hijtorijches Intereſſe in Anjpruc nehmen.

Die Urkunden des Fasc. Act. citiren wir, wie fie dort numerirt find, die übrigen Urkunden nad) den Nummern des von dem Refe— tenten geordneten Beilagenbandes.

Seit der Mitte des März 1525, nachdem der ſchwäbiſche Bund durch eine gedrudte Warnung und Abmahnung an das Yaudvolf ſich entjchieden gegen die Bewegung unter demjelben erklärt hatte und nach— dem von Seiten der Bauern die „12 Artikel” aufgeftellt worden waren, wuchs der Bauernaufruhr äußerlich und erjtarfte innerlich durch das Bewußtfein gemeinfamer Intereſſen. Um den 26. März etwa begannen die friegerijchen Angriffe (v. Stälin S. 272—277). In diefen Tagen erhob ſich der Sturm auch in der Uingegend Gmünds, der freien Neichejtadt, von den wirtembergiſchen Vögten zu Lord ängſtlich beobachtt. Man wußte (mac) einem Schreiben von Statthalter und Negenten in Stuttgart an den ſchwäb. Bund, im Augsburger Arhiv) am 18. März in Stuttgart, „daß der Schenken von Limpurg und der von Gmünd Unterthanen ſich aud) eınpört und des Prälaten zu Lord Unterthanen ganz bedrohlichen “erfordert, zu ihnen zu ziehen“. Die Bauern, im Verein mit Yeuten aus der Gmünder „Gemein“ hätten Spraitbah und Schechingen, Dörfer bei Gmünd eingenommen, „des Fürnehmens und Meinung in das Klofter Lorch zu ziehen“. Am 29. wird von 2000 Mann berichtet, die bei Ickingen ſtehen; von Alfdorf jei ein Haufe, 400 Mann ftarf, nach Mecklingen gezogen.

Noch vom 28. ift ein Aufruf der Bauernführer datirt, den wir hier buchjtäblich wiedergeben (Beil. Nr. 1):

„Unnfern freuntlichen gruß und alles guts in Crifto und ewan— gelifch brüderlicher Liebe. Wir hauptleut und gemeiner heller Hauff entbietten euch zu, dem nad) und ſich der Huff verfamelt hat und fic bey ewangelifch brüderlicher verainung alt herfomen der gutt und leyb aigenjchafft, aud) anderer articul nad) laut ains libels und außweyſung des erbern hauffen, darumb ift unnſer fleyſſig und bruderlic bit an euch bei uns zu Yckingen bey Gmund gelegen! uff hinacht nach da= tum des brieffs in aller maß und geftalt als welle er je zumal ein verfprochene ſchlacht zuthun, dasfelbig werden wir uns zu eud) der= maßen verjehn. Wa aber ſolches nit gefchehe, werden wir über euch i 2 ne die Gedichte des großen Bauernkriegs von Zinmermann, 1856, : j

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verhengen und zu euch laſſen greyffen an leyb er und gut, aber in hoffnung ir werden euch dermaſſen halten, das ob got will in bruder= licher liebe gehalten werd, foll nymants unrecht zugefchehen. Geben uff Dinstag nad) Yätare 1525.

An vierlut und ganze gemainfchafft zu Oberbetringen aud) Underbetringen Bargen und Weyler in Bergen, auch anderen umbfaffen zu überantworten und verfiinden.

Mends furt und furt“.

Auch in den Dörfern der nächſten Umgebung wurde alfo verfucht, die Bauern in den Aufjtand Hineinzuziehen, und das mit Erfolg, fo dag auch die Abmachungen der Gmünder Regierung zuerft vergeblich waren, die Bauern behaupteten, fo gern fie fich losjagen möchten ihrer „gedrungenen Pflichten halben“ fünnten fie nicht (Schreiben von DBirgermeifter und Rath an die öftreichiiche Statthalterfchaft in Stuttgart d. d. 29. März, im Augsb. Archiv).

Uebrigens lag es vorerft nicht in der Macht der Gmünder Regierung! etwas Erntliches gegen die Bauern vorzunehmen. Aud) innerhalb der Stadt gab e8 Unzufriedene, welche den Augenblick ge= fommen glaubten, um gewünfchte Neformen, politifche und kirchliche, der regierenden Ariftocratie abzunöthigen. Die Statthalterfchaft zu Stuttgart berichtet unter dem 28. an den fchwäbifchen Bund: „haben auch die Gemein zu G. dem Rath die Schlüffel zu den Stadtpforten genommen“. Hiedurch waren die Bürger in den Stand geiekt, ſich nit den Bauern, foweit e8 ihre Zwecke erforderten, in Verbindung zu ſetzen. Ob wirflih wie man in Schorndorf wiſſen wollte eine größere Anzahl von ihnen an der Einnahme von Spraitbadh und von Schechingen theilnahm, ijt übrigens zweifelhaft; die Panik in Lord, wo man die Gmünder mit den Bauern gemeinfchaftlihe Sache machen und zu einem Ueberfall heranricden ließ, beruhte wohl auf einem blinden Pärm; denn gleichzeitig mußte e8 ein Fiſchhändler von Schorndorf in Gmünd zu feiner nicht geringen Verlegenheit erfahren, daß die Gmünder Niemand zur Stadt hinausließen. Das Mittel der Belegung der Thore und Befeftigungen hatte übrigens, ehe der obige Bericht abging, feinen eigentlichen Zwed erfüllt; denn unter dem 27. März hatte die Stadtregierung der Bürgerfchaft nachgegeben und die Proclamation erlaffen, welche Schwab ©. 286 nad) F. A. Nr. 7 mortgetreu (mur chronologisch nicht an. rechten Orte) mit— theilt?. Der Nath Hatte fich, wie er es darftellt, aus Patriotismus, an den er auch bei feinen Gegnern appellirt, entichloffen, „daß ein ehrbar Rat und eine fromme Gemeinde zufammen ſchwören und verpflichten follen, daß fie einhelfiglich das heilig Evangelium

ı Die aus zwei Bürgermeiftern und einem Rathe von 24 Mitgliedern, einſchließlich 8 Zuchtmeiftern beftand. 2 Daffelbe bei Grimm ©. 166. Unrichtig find nur die Worte am Schluß: „und feiner will das Alles in fein Weile”. Dafür fieht im Driginal: „und keins foviel dei alles gegen den andern rächen noch eiffern im fein weiſe“ u. ſ. w.

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wollen einander Helfen handhaben Leib und Gut dabei bleiben laſſen, auc alle böjfe Ordnung und Satzung diefer Stadt abthun und gut Ordnung auf Helfen richten, wie fi gebührt nad allen ziemlichen Dingen“.

„Sie fein in der Stadt wieder eins, haben zufammengefchwo- ren“, fonnte man von Lord) am 31. nad) Stuttgart berichten. Auch die Haltung den Bauern gegenüber war fofort eine andere. Hatten bisher Beziehungen zwiſchen diefen und einer Anzahl von Bürgern ftattgefunden : die Ausföhnung hob ſie auf. Der Rath vermwahrte fi) in Stuttgart (d. d. 29. März) gegen den Verdacht der Bethei- ligung am Banernaufruhr umd feindlicher Abfichten feiner Bürger gegen Lord. Bauern feines Gebiets hätten fich allerdings dem Auf- ruhr angeichloffen und durch Abmahnungen davon nicht abbringen laſſen. Als in diefen Tagen ein Banernhaufe im Abzug be= griffen vor der Stadt erfchien und „begerte, ihnen etlich heraus— zugeben, dann ihnen ein Zufagen geſchehn fei mitzuzichen“, fragte man fie: „Wer die feien ?* „Die wollen fie nit anzeigen“ fie mochten e8 an dem veränderten Benehmen der Städter merfen, daß es nicht mehr räthlich fei, ihre Anhänger zu verrathen (Acten des Augsb. Archivs).

Bürgermeilter und Rath, durch die Ausföhnung mit ihren Bür- gern geitärft, fandten am 30. März den Spitalmeifter mit drei An— deren an den Ausschuß und die Hauptlente der Bauern nad) Hohen- statt; fie überbrachten ein eben eingetroffenes Mandat des ſchwäbi— ichen Bundes fowie eine jchriftliche Ermahnung an die „Hinterjaifen“, welche fie fchon „zwyr durd ihre Nathsbotichaft lajfen abjondern“, die Ermahnung, „nad ihren Pflichten und Eiden fich wieder an— heim zu thun. So wollen wir diefer Handlung gegen euch in Argem nit gedenken“. „Esift zu beforgen daß dei Alles euch zu großem Werderb Leibs und Guts reichen möchte, was wir eure Herrn und Gutthäter aus fondrer Neigung nit haben wollen verhalten“ (F. A. Nr. 8).

Ueber den Erfolg diefer Miffton erfahren wir aus einem Be— richte der Gmiünder Regierung an ihren Gefandten beim ſchw. Bunde in Ulm, Bürgermeijter Egen; datirt vom 1. April (F. A. Wr. 10), daß die Hauptlente den Abgefandten ihre Schriften abnahmen, um diefe, weil heute „der Hauff weinig fei“, morgen demfelben mitzu— theilen. Des andern Tages, 31. März, als die Geſandtſchaft fich wieder auf den Weg machte, um die Antwort entgegenzunehmen und ein neuftes Mandat des Bundes mit einem DBegleitfchreiben (F. A.

1 Der Auszug aus diefem Actenftüd bei Schwab S. 287 ftimmt biemit überein, die folgende Erzählung bedarf einiger Berichtigung. Der zweite bort erwähnte Brief der Gmünder Regierung, dev aber nicht an bie Bauern ge— langte, war fürzer, aber nicht weniger wohlwollend und von einem Bilfet (Beil. Nr. 3) begleitet, worin der Rath die Hinterfafen einladet, ihre etwaigen Be— ſchwerden „frolich anzuzeigen; der Rath wolle ſich gegen einen Jeden erzeigen wie fi gebührt“.

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Nr. 9) zu übergeben, ftieß fie jhon in Schechingen auf einige ber Hauptleute, von denen Jörg Betz ihr den Beſcheid gab: die geftrigen Schriften feien den Bauern mitgetheilt worden, darauf fei „der Hauf abgezogen und anheim“. Es fei darum nicht nöthig, die neuen Schriften zu verlefen. Die Bauern feien „der Sachen uneinig worden“ und auf zwei Haufen „von einander getreten“.

Nach diefem Vorfpiel (nicht wie e8 bei Schwab fcheinen fönnte : Ende) des Bauernfriege, mag in der Nähe von Gmünd eine Paufe eingetreten fein; wenigitens find wir bi8 zum 26. April ohne Nach— richt über die Bewegung auf diefem Gebiet, und in Lord dachte man vergnügt (Schreiben vom 31. März, im Augsb. Ardiv): „Und ift wahr, wo Lord nit befest worden, fo wäre es von ihnen umges nommen und allein um Lieferung willen gefchehen, denn fie großen Mangel haben und fchreien viel von ihnen, man foll ihnen heimhelfen. E8 laufen ihnen bei 200 Weiber nad), und it ein liederlich Volk“,

Indeſſen mußte das Stadtregiment eine neue Umwälzung über fih ergehen laſſen. Wir berichten darüber, foweit e8 zum Ver— ftändniß der fpäteren Verhandlungen mit den Bauern nöthig ift.

Rath und Bürgerfchaft hatten wirkfih am 27. März zufammen- geihworen und ſich Eintracht, Aufrichtung des Evangeliums und Ab— ftellung der Mifbräuche gelobt. Diefe Conceffionen hatte dem Rath eine aus „Bürgern“ und „Inwohnern“ beftehende Partei, ohne Zweifel die Mehrheit der Einwohnerfchaft abgedrungen. Diefelben hatten ſich „mit Eidespflichten zufammenverpflichtet, daß fie einander wollen handhaben und was Einen angang folle den Andern auch be= treffen“ (F. A. Nr. 10 und 14). Dem Ausschuß, welcher an der Spike der Verſchworenen ftand, war ein Eremplar der obenerwähnten Pro= clamation des Raths, gleichſam als Vertragsurkunde, übergeben worden. Derſelbe hielt aber, auch nach erfolgter Ausſöhnung, ſeine Aufgabe, als eine Art Volkstribunat die weiteren Schritte des Raths zu überwachen, nicht für beendigt. Er ſtellte Schon am 1. April an den Bürgermeijter Brauch verichiedene von Mißtrauen zeugende An— fragen. Man traute dem Rath die Abficht zu, mit Hilfe einer bündiichen Beſatzung die verlorene abfolute Gewalt wieder an jich zu reißen. Für jet Tieß man fich befchwichtigen (F. A.Nr. 10). Aber daß die nächiten Wochen die Spannung nicht verminderten, fondern erhöhten, beweiſt die Kataftrophe am 16. April (Diterfeit).

„Es hat fich begeben am heiligen Ofterabend“ (Vorabend, 15. April), erzählt (F. A. Nr. 14), ein Bericht (Concept) an die fpäter zur Vermittelung angerufenen Städte, „daß ein muthwilliger böfer Bub fih Nachts in die Pfarrfirche verborgen, Willens, Nachts darin zu bleiben“. Der Stettmeifter (erfter Finanzbeamter der Stadt) und Pfleger der Kirche Lie denfelben gefangen ſetzen. „Alſo haben ſich etlih unferer Bürger bei nächtliher Weyl zufammengethan und fich entichloffen, daß fie den Buben als ihren Mitgenofjen außer dem Gefängnig wollen haben und alfo um eins nad Mitternacht einen Lärm umgefchlagen und Öffentlich laſſen umſchreien: alle

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die fo verfchienener Weyl zuſammengeſchworen haben, das heilige Evangelium zu handhaben, die follten bei gefchworenem Eid mit ihren Wehren und Harnifh fommen auf den Markt. Und als ber Dürgermeifter folches gewahr worden, ift er zu ihnen in den Haufen gegangen, fie mit gütigen Worten befpracht, fagend, was fie mit jolher Zufammenrottierung ohne Wiffen eines Raths meinen, haben fie frevenlich Antwort gegeben: fie wollen den Gefangenen haben, darauf fie der Bürgermeifter gebeten Geduld zu haben, bis morgen wolle er einen Rath fammeln und ihn ledig laffen. Aber fie fich ſolches Beſcheids nicht fättigen lajfen; alfo Hat der Bürgermeifter den Buben müffen ledig laſſen und alfo die Nacht (in der ganzen Stadt brannten Feuer) mit verwaffneter Hand bis auf den Tag beieinander auf dem Markt geblieben und morgens am heiligen Djter- tag durd ihren Ausschuß an einen Rath begehren, den frommen Mann, den Stettmeilter, Raths zu entjegen“. Ungern und unter Proteftationen des Raths und des Stettmeifters felbit wurde ihnen willfahrt.. „Der Haufe“ nahm aud) wieder die Schlüffel zu den ZThoren, die wurden „Tag und Nacht gewaffneter Hand verwacht“.

Die Aufftändifchen fetten num vor Allem die Anerkennung ihres Ausschuffes als einer Behörde (von Stadtverordneten, |. u. S. 241) durch. Mit Widermwillen geftand e8 der Rath zu, „weil es nicht gut fei, zwei Käthe in einer Stadt zu haben“.

Als die Menge auseinanderlief, brachen Viele ins Prediger- Flofter ein und plünderten Vorrathskammern und Keller.

Der Ausfhuß, wird ferner. berichtet, „hat ſich unterfangen den Rath abzuſetzen“ (d.h. 14 von feinen 24 Mitgliedern, Beil. Wr.23b), „treffliche wohlhabende redliche Perfonen ‚darauf und den Rath mit Andern zu befegen und hat eine neue Ordnung gemacht, wie ins Künftige Rath und Gericht erfett werden folle“, ungeachtet aller Abmahnungen des Raths, der fie auf die für die Stadt zu befürd)- tenden Folgen hinwies und ihnen vorhielt, „wie fie dem Math oft zugefagt, fie werden ihn bei feiner Freiheit und Obrigkeit und bei Recht bleiben laſſen“. „Was fie für Ordnung fürgenommen, dem- felbigen hat müfjen Folge gefchehen, es fei unfer Will gewejen oder nit“. Nur die Zunftmeifter wollten ihnen nicht beitreten‘.

2 Ibige Darftellung erfordert eine Auseinanderfegung mit ber bei Schwab S. 288 nach der Mitte gegebenen. Erftere bafirt auf der von Schwab für um- leferlich erklärten, aber vollftändig entzifferten Nr. 14 des F. A., Ietstere gibt das Regeft des Sammler8 wieder, mit bdeffen Irrthümern. Der Bericht Nr. 14 ftammt vom Juli oder Auguft 1525, und die berichteten Vorfälle ereigneten ſich um Oftern 1525, nicht wie nad) dev Nummernfolge und nad) der richtete fi) Schw. feinen könnte im Jahre 1526. Die Worte des Regeſts: „wollen das reine Evangelium Haben“, „der in der Pfarrkirche geftohlen“, „Klöfter* in der Mehrzahl, „belegen die Stadt mit neuen Steuern“ ſtehen nicht in diefem ganzen ausführlichen Actenftüde. Was das Evangelium betrifft, fo ift Teicht zu erflären, warum die aufftändiiche Partei, die freilich zugleich bie Iutherifche war, dieſe Forderung gerade damals nicht erhob und bdiefelbe in Nr. 14 nicht erwähnt fein kann: die Lutheraner hatten das reine Evan-

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Der ar ſich unbedeutende Vorfall in der Nacht vor Oſteru würde fo weittragende Folgen nicht gehabt Haben, wenn fich micht Rath und Bürgerfchaft zuvor in der höchſten Spannung des Miß- trauens, diefe einen Staatsſtreich, jene eine Revolution von ihren Gegnern befürchtend, gegenübergeftanden wären. So tumuftuarifch nun allerdings das Vorgehen der Bürgerſchaft war, bis fie fich der Gewalt bemächtigt hatte, fo- günftig die Meinung, welche ihr Ver- halten bei den Unterhandfungen mit den Bauern, da8 wir weiterhin beobachten werden, erwedt: wir haben es offenbar abgejehen von den auch diefer Bewegung fich - anhängenden unreinen Elementen bei den Führern nicht mit Feinden der Ordnung überhaupt, fondern mit einer Neformpartei zu thun, die aber zur Ueberzeugung gefom- men war, daß der Syſtemwechſel vom 27. März ohne einen Wechſel in den regierenden Perfonen feine Bürgſchaft feines Beſtandes abe.

j Der Bauernaufruhr, der unterdeffen die nrößten Dimenfionen angenommen hatte, bedrohte nun auch die Obrigfeiten Frankens und Schwabens ernftlich (ſ. v. Stälin IV, 292). Am 16. April erfolgte die Einnahme von Weinsberg mit ihren Gräueln, am 18. die von Heil- bromm!, Am 17. traten die Bauern aus der Herrfchaft Yimburg unter Wolfgang Kürfchenbeiffer, Pfarrer von Frickenhofen, ihrem Ranzler, zufammen, rücdten, durch die Hälfifchen Bauern verftärft, füdwärts über Murrhardt, bis fie am 26. April mit ihrem Haupt- quartier Lorch befetten (f. v. Stälin ©. 292. Zimmermann II, 180). In jenen Tagen ? erhielten fie weitere Verftärfung aus den Dörfern um Gmünd, deffen Lage aus dem Bruchftüi eines Schrei= bens (Soncept Beil. 12) vom 25. April, Nachts 1 Uhr (wahrfchein- (ih) an den Bürgermeilter Egen in Ulm) erhellt: „weyl wir dann alfo belegert und wir taglich8 und all ftund befchedigung libs und guts wartig muffen ſeyn, bitten wir E(ure) Weisheit) wolle ſolichs den ftenden des bunds amzaigen, damit wir folich® laſts entladen mochten werden, das wollen wir im der glichen befchulden. Dat. Inn eyl Aftermontags nach Quasimodogeniti”.

Die innere Lage, die Neigung der revolutionären Elemente, ſich an der Priefterichaft zu vergreifen, und das Beſtreben der neuen Re— gierung, Eintraht und Ordnung im Innern aufrecht zu erhalten, kennzeichnet ein vom 27. April datirter Anfchlag (F. A. Nr. 16):

„Uff dornjtag nad) dem fontag Quafimodogeniti 1525 hat fich die briejterfchafft uff anfuchen ains erbern Rats und des außſchuß

gelium, das ihnen Andreas Althamer ſchon 1524 prebigte, feit dem 27. März 1525 vom Rath nicht mehr gehindert.

ı Eine fehr timides Schreiben von da d. d. 25. April an die Gmünder, Beil. N. 4, zeugt von der Noth der, H. Regierung.

2 Aus welchen die auf einem Blättchen Beil. 17 verzeichnete Erklärung des Pfarrers von Heuchlingen ftammen mag, die wir am Schluß in Beil. 2 mittheilen.

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bewilligt und begeben, das fie ir leyb und gut und alles ir vermögen zu einem erbern Rat und gantzer gemainde fegen wollen.

Darumb fo ijt von einem erbern Rath und dem außſchus ernit= lich verlaßen, das nymant weder geiltlich noch weltlich bejchedige, das ir nemen oder ainen gewalt bewijen foll; wer das uberfert, der wirdet darumb nad) gelegenheit der verhandlung geitrafft an leyb oder gut“,

Aus diefer Verpflichtung der Priefterfchaft, fich der politifchen Umwälzung anzufchließen und fie um den Preis zugeficherten Schutes für Perfonen und Eigenthum anzuerfennen, machen dann fpätere Quellen (3. B. die Dolliſche Chronik und ihr folgend Grimm S. 360 und die Beichreibung des Oberamts Gmünd ©. 263) das Datum und die Zuftände im betreffenden Augenblick verfennend ein Gelübde, den alten Glauben aufrecht zu erhalten, wovon Nichts dafteht und was wenigjtens der Ausschuß gewiß nicht al8 feine Sache betrachtete.

Zwei Tage fpäter, am 29. April, erließ das bäuerliche Haupt» quartier folgendes Schreiben (Beil. Nr. 5):

„An die erfamen günftigen gemeinen Tieben bürger und mit brüder in Chriſto der ganten gemeinfchafft und burgerfchafft Gmiündt.

Wir oberfte hauptleut und gemeiner heller hauff hie zu Lorch entbietten euch unfer freumtlich dient unnd bruderlich treu zuvor. Ginftige lichen brueder in Chriſto. Als wir in bruderlicher lieb bey ainander verfammelt findt uffzurichten das heilig Gvangeli, welches uns langher verjchwigen und undergetruckt geweit ift, zu [ob got dem almechtigen, zu troft unnd nutz dem armen, und aufreuten alfe böfe mifbreuch, fo durch menfchen gedicht wider got und das heilig Evans geli, auch unferm neben menjchen bißhero geichehen ift!: Co ift an euch unfer freuntlich bit und beger, de heilig Evangeli helffen be= halten und auffrichten, bei unns in bruderlicher lieb und treu zu er= fcheinen und ſolch graus befchwer des gemeine volcks von der ober— feit bijfher geliten abzuthon und die zwelff artickell uffzurichten. Als fi) dann die fürjten und bern auch vom adel ſich ergeben und ſolch genant zwolff artidel von den oberjten hauptleuten und helfen hauffen hie zu Lord) angenomen und mit iren hinderſeſſen gericht und geftelt, wollen auch uns folcher meinung genglich in bruderficher Lieb zu euch) verjehen. Wo aber das mit gefchech, mueften wir gegen euch fur= nemen, das wir vil lieber vertragen wolten fein?. Aber ums zweifelt gar nit an euch folche böſs mijhendel abhelffen ftellen „— (ihr Secret fei beigedruckt)). Samftag nad) Quasimodogeniti anno 1525.

Bon uns Hauptleuten und rath des gemeinen hellen hauff jet zu Lord“.

1 Bol. dazır die ähnliche Stelle bei Zimmermann II, 150. » Als Muftration dazu konnten die Gmünder den Brand der Burg Hohenftaufen in der folgenden Nacht anjehen. S. Zimmermann II, S. 186 fi.

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Bon diefen Schreiben, das in der Anrede gewinnend, zulett auch drohend die Gmünder in die Bewegung Hineinzuziehen fuchte, ließ fich die Bürgerfchaft nicht verloden, verınied es aber doch, die in religiöfer Hinſicht Gefinnungsverwandten zurüczuftoßen; fie fandte, mit ihrer Meinung in politieis klüglich zurückhaltend, Tags darauf, 30. April, folgende, wahrjcheinlid in einer Gemeindeverfammlung be= fchloffene Antwort (Beil. Nr. 6, Concept):

„Wir die burger gemainlich und fonderlich der ftat Swabiſchen G. enbietten den hauptlewten rätten und gemainem hellem hauffen, fo jego zu Lord bey einander verfamelt find, unnfer freuntlich dienft zuvor. Ewer jchriben uns von euch geitern ſambſtags ſpat zufomen, haben wir alles feines innhalts horn lefen, und haben mit froden gant gern gehort, das ir des erlichen criitenlichen und loblichen für— nemen® und maynung jeyen, das Hallig evangelium und gottes wort zuhandhaben als frum crijten. Deffelbigen gemuts willens und may— nung wir auch jeyen, haben auch alle jamptlich und fonderlich vor difer weyl einhelligklich zufamen gefworn, das hailig ewangelium und goßwort zuhandhaben, fchugen und ſchyrmen alles unnfers ver= mogens leybs und guts, auch darmider nit zu fein noch handlen, und darbey fterben und genefen, des alles wir euch, den wir zu freuntlichen dienften zu beweyſen genaigt feyen, uff ewer gethan fchrey- ben nit Haben wollen verhalten. Geben uff Contag Mis. domini 1525“.

Darauf wandte ſich das Hauptquartier der Bauern am 1. Mait dieß Mal den legalen Weg einschlagend an Bürgermeijter und Rath der Stadt, „ihre befonders lieben und guten Freunde”, und begehrte Durchzug bei ihnen zu haben, wozu die Gmiünder ihnen „ihr fchriftlich frei, jtrack, ficher (nicht „ehrbar“, wie es bei Schwab heißt), Geleidt durd; die Ueberbringer dieſes unabſchlägig zufchiden und damit Fein Verharrung haben follen ?*,

Ihre Antwort gaben Bürgermeifter und Nath am gleichen Tage, im gewöhnlichen Negierungsftyl ihren Gruß entbietend und das Be— gehren ziemlich vornehm abweifend.

„Dieweill und nit gelegen, auch ganntz nit verantwurtlich ift, euch durch unfer ftat laſſen zutzichen, fo haben wir auch nit macht, yemandt ufferhalb unnjer tat zuvergleiten. So ir aber ye willens jeyen üwern fürtzug umb uns zu haben unnd fürtzunehmen, wellen wir uns zu euch verjehen, ir werden euch geburlich halten, unns, die unfern und all unnfer zugehörigen und verwanten nit beleidigen noch beichedigen. Darnad) haben zu richten“.

ı Bol. auch Zimmermann II, 191.

2 F. A. Nr. 1; während das Actenftiid der Zeit nach hinter Nr. 10 ge hört. Bon der chronologiſchen Ordnung abgefehen, ift diefes und das folgenbe Schreiben wortgetreu abgedrudt bei Schwab S. 283 ff. Die „unleferliche” Stelle S. 284 lautet: „haben wir ünnjer flatt Mein fecret zu rud uffgetrudtem inn- figel“ u. f. w. Eine Correfpondenz vom gleihen Tage mit Hall ſ. Oechsle,

Beiträge zur Geſchichte des Bauernfrieges in den ſchwäbiſch-fräukiſchen Gtenz- landen, Heilbronn 1830. ©. 404.

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Auf dieß hin verfuchten die Bauernführer,, gleichfalls von Lorch aus, durch die Bürgerſchaft und trog dem Rath zum Ziele zu kom— men und erliegen eodem dato einen Tags darauf abgegebenen Brief (Beil. Nr. 7) mit der Abdreffe:

„An ein erfame gemeindt und ewangelifchen bruder zu Gmunbd, unfern lieben bruedern.

Unnfern grues!, freuntliche willige dienft in bruderlicher Liebe zuvoran. Gunftigen lieben und befundere gutte bruder unnd freunde. Nachdem wir in verfamlung bruderlicher freuntfchafft jetiindt zu Lorch begriffen unnd im willeng bey euch fürzug unnd freuntlichß ge= iprech zu haben fürgenommen, auc einen rath darumb begrüeffett, das unns abfchlegig zugefchielt worden, des wir unns zur inen gantz nit verfehen. Aber wie dem allen iſt unfer freuntlich begeren, unfern freuntlichen und bruderlichen willen hellfen zuvolſtreckenn und einss rats troung fein ſchweigung (?) zu forchten, dan wir bei euch und an— dern anhengenden nachbauren zu auffung und merung des wort gotts leib, leben, guth und ere fegen wollen. Damit begeren wir ewer antwort fchrifftfichen verfigelten gleidt, in freuntlicher verfammelter bruderlicher liebe gejprech zu Halten, des wir uns unabfchlegig unnd zu euch vertroften mit begerung ewer jchrifftlichen antwort. Datum montag nach) Misericord. dom. 1525.

Hauptleutth Retthe und gemeiner auffchus des gemeinen hellen hauffen zu Lord“.

Den weitern Gang der Begebenheiten verfolgen wir an der Hand eines für den Geſandten in Ulm beftimmten Berichts vom 3. Mai (Beil. Nr. 12, Concept), den wir in zwei Abſätzen, die darin berührte Correipondenz einfiigend, mittheilen :

„Wir Burgermeifter und Rat ꝛc. embietten unnfer freunt= ichaft zuvor und fuegen E. W. zuvernemen, das ung gejtern von den auffrierigen bauren zu Lorch Tigende ein fchrifft zufomen ift 2 md die wil dan ſolich Schrifft an ein gemeinde geftanden, haben wir fampt dem außichus ein gemainde laſſen zufamen beruffen, folich de8 helfen hauffen fchriben inen für laffen Halten und uns mit inen Be antt(wort) entſchloſſen, die inen in fchrifft zugeſtelt“ (Copie ag bei).

; Diefe „ſchrifft“ Tautete (Beil. 8) im Concept:

„Wir die ganz Gemainde der tat Sch. G. embieten haupt— leuten u. f. w., fo jeß zu Lorch verfamelt jeyen, unnſern grus zuvor. Ewr fchriben uns abermals gethan, des dat mwehfet montags nad) Mife., die haben wir horn lefen. Nun haben ir aber nochermals unnfern herrn B. und R. laſſen fchriben mit beger euch ein durch- zug zuwilligen, auch zuverglaitten, deßhalben auch anttwort gegeben worden, ongezwifelt ewre freuntichafft wiſſend, darbey wir es noch: malen laffen beleyben. Diewil dann ewer gemitt ift ewern fürzug

2 Dies Wort etwas zweifelhaft. 2 ine Eopie berfelben Tag bei.

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bey ung furzunemen, mit uns geſprach zu haben, wollen wir aud) nit abſchlagen, doch mit einem zimlichen außſchuß, wes uns dann verner euch anttwort zugeben gebürn wiirdet, wollen wir uns aller gebur Halten. Doch wollen wir ung verjehen, ir wert euch gegen uns und den unnſern geburlicher weyfe halten (u. f. w.). Geben afftermontag nad) Philippi und Jacobi 1525".

Bon diefer Antwort, die Zeuguiß ablegt von dem nunmehr in Gmünd zwiſchen NRegierenden und Regierten Herrichenden Vertrauen, fagt der oben erwähnte Bericht weiter: „unnd vermaint fie folten fich daran fettigen laſſen, aber des alles unangejehen haben jie iren fürzug uff unnſer ftat fürgenomen !, unnd als ſie zu der freußmulen ? fomen, haben fie irn außſchus fur unnfer ftat geſchickt mit beger inen den außſchus der 15 perfon von ain gemainde verordnet zuze— fchiefen, de8 wir mit verwilligung der gemainde gethon Haben, fie verner begert fie durch unnſer jtat zieh und pajfieren lajjen und ein verfchriben gelait zu geben, darauff wir und die gank gemainde ung entſchloſſen und inen zu autwortt gegeben, das wir es bey vorgebener anttwort lajjen beleyben, darauff fie wider hynder fich gerugft und ivn zug uff Werhain? furgenomen (hier ein naher zu erwähnendes, corrigirtes und zulett ausgeftrichenes Stück) und feyen alſo die ver- gangene macht eins tail8 im clojter und ains tails der groſſe Hauff zu Mutlang gelegen, darnad) uff hewt datum umb fünff hor vormit- tag hat uns der hell hauff wider gefchriben * (Copie lag bei); darauff wir inen fhein anttwort geben“. Ueblicher Schluß. Mittwoch nad) Mis. dom. 1525.

Mit dem gleichem Datum Haben die Bauern von Muthlangen (1 Stunde von Gmünd) noch folgendes Schreiben nad) Gmünd ab- eſendet:

„Den erſamen und furſuchtigen burgern und gemaind der criſtemlichen ſtatt Gmünd, unſern lieben brudern, gehörtt der brieff.

Unſer freuntlich willig dienſtt in Criſto, auch briederlicher liebe. Gunſtigenn lieben brieder und gutte freund. Dem nach und wir jetzund mitt unſer verſammlung zu Muttlangen unſer leger geſchlagen, aber etlich uſſ den unſern, nemlich der hauptmann von Gaildorff der brofoſſ mit ſampt iren mitthelffern, an (ohn) unſer wiſſenn und

ı Bon Lord) nach Gmünd find es zwei Wegſtunden.

2 Eine BViertelftunde weſtlich von der Stadt,

* Merhain jetzt Wetzgau |. Mofer 158; Beichreibung des Oberamts Welzheim. Sie zogen aljo von der weftlid) gelegenen Kreuzmühle nördlich nad) Wetzgau und von da öſtlich nad) Muthlangen, das nördlid) von der Stadt auf demjelben Höhenzuge liegt. Eine andere Abtheilung umging die Stadt nördlich, wahrſcheinlich im Thale, auf dem rechten Remsufer bleibend, und gelangte zu dem öſtlich liegenden Klofter Gotteszell, nahm e8 ein, „und liegen“, heißt e8 in Beil, Nr. 11 vom gleichen Datum 3. Mai, „mit höres crafft in clofter und umb unfer ftat, und muſſen all ſtund forgen, wa fie uns etwas verpfändlich® zu-

gen. * Dies Schreiben fcheint verloren,

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haiffenn in daſſ clofter Gotzzeell den frawen gemalt bewifen, daſſ fur war unff Hauptlent und dem g. 5. hauffen ein trewlich laib ift, auch angeficht diſß brieffs dem brofofenm nach geyltt und nad im mutt zu greiffen und zichtigen, auch alle andere daſo unſs angeznigt werdend. Darumb unjer fraintlich briederlih bitt an euch ift, unſs follichj8 mitt verargen und in fainen weis entgelten lajjenn. Dann wir der mainung gar mitt feind, der ſtatt Gmünd oder den ewren fain überdrang zu thun, ſunder in briederlicher liebe und in ainifait mitt euch handlen, höben und lögen, Daſſ mögen ir euch gögen unſs ver— fehen, daſs wir unſs auch gögen euch trejten. Geben in unferem leger zu Mutlang an Mittwoch nad) Mis. dom. im 1525 jar.

Auch fo ſey euch fundt, dafs wir den hauptınan von Gaildorff ihon in gefängnujs habenbd.

Bon uns hauptleuten und deſs gem. hell. h. ausſchuß und rätt zu Mutlang“. (F. A. Wr. 5).

Hierauf jcheinen die Gmünder von den Bauern ein Geleit- jchreiben verlangt zu haben, etwa, um Unterhändfer zu ihnen fchicken zu können. Der Geleitbrief, den die Bauern unter dem 4. Mai fandten, lautet (F. A. Wr. 4):

„Wir die Hauptleuth rethe unnd außſchuß des gemeinen hellen hauffen igundt zu Mutlangen befennen offentlichn hiemit difem brief, das wir den erfamen und wehjen burgermeijtere, rath unnd ganger gemeynde der ftat Schwebiichen Gemünde uff ir fehrifftliche begerung unnfer frei ſtrack ficher geleidt, von und big wider in ir ficherheit, ge= ben und zugejagt haben, geben und fagen inen das zu wiljentlich mit unnd in crafjt dies Driefs für leib und guth, und des zu warem urfhunt haben wir obgemelte h. r. u. a. des g. h. 5. unſer fecret zu ende diefer fchrifft thun drudhen. Datum ꝛc.“.

* Siegel ſtellt eine Sturmglocke vor, über welcher eine Wage webt).

Das Begleitſchreiben (P. A. Nr. 3) lautet: „Dem furgeachten e. w. burgerm., rath und ganzer gemeinde zu Gemündt, unſern beſundern guten und lieben brudern.

Unnſern freuntlichen grues in bruderlicher liebe zuvor, beſunder günftige und liebe brüder. An euch iſt unnſer gütlich und freuntlich begeren unnd bitt, ir wollent unns unnd unſerm hauffen zu guth auch erjpriejfung und Lieferung wein und brots ewern mitburgern dafjelbig zu unns in unfer leger zu furen vergonnen. Dagegen jedem das fein genugſamliche bezalung gejcheen foll, haben auch in gantzem gemeinem hellem hauffen ernjtlich, auch bei verlierung leib8 und guts verpotten, euch und dem clojter khein uberlejtung zuzufugen, wo aber fi) einer ungehorfamlich dar innen erzeigen wurde, wmecht ir gegen inen handeln unnd furnemen nach ewerm gefallen oder ung die ſel— bigen uberantwortten,, die wir ungeftrafft nit lajjen wollen, geben auch Hiemit allen und jeden unfer frey ſtrack ficher gleidt, unnd be— dorffendt euch nichts anders dan alles gutt® zu unns unnd ges

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meinem 5. 5. getroften, verjehen uns auch zu euch in bruderlicher liebe feines abſchlags. 9. r. u. ganzer g. 5. h. izundt zu Mutlang“.

Gmünder Abgejandte famen, wie wir hernad aus F. A. Nr. 6 erjehen werden, ins bäurifche Hauptquartier, brachten die Beſchwerden der Stadt vor und bezeugten auch die DBereitwilligfeit derjelben, dem Bauern „in dem was friedlich und gut zu handeln, willig und dienftlich zu fein“.

Seltjam nimmt ſich neben dieſen verhältnißmaßig friedlichen Verhandlungen die Nachricht aus, die wir aus den Acten des Augs— burger Stadtarchivs jchöpfen, daß am 5. Mai eine Gmünder Raths⸗ botſchaft zu Ulm einen „kläglichen“ Hülferuf an den Schwäbiſchen Bund gerichtet habe, „wie ſich die Bauerſchaft ob 8000 Mann ſtark für ſie geſchlagen und ihnen das Waſſer abgegraben und zu ihnen hineinſchießen“. Hierbei genügt es nicht, an die Befürchtungen zu denken, welche freilich den Gmündern beim Anblick der zahlreichen Schaaren aufſteigen konnten, nachdem ſie ihnen den Durchzug ver— weigert hatten, ſondern es müßte angenommen werden, daß die An— führer einzelner Bauernſchaaren, welche mit dem Hauptquartier nicht immer einig gingen, ſondern es zu großer Rückſicht auf Gmünd ſpäter (ſ. d. Beil. Nr. 15) offen beſchuldigten, vom 3. auf den 4. Mai eigenmächtig zum Angriff gegen die Stadt geſchritten ſeien. Auffal— lend iſt nur das völlige Schweigen der Correſpondenz zwiſchen Gmünd und den Bauern über ſolche Handlungen, auch an ſolchen Stellen, wo es ſehr nahe lag fie zu erwähnen, z. B. wo von Klagen die Rede it, Entjchuldigungen vorgebradht werden. Deshalb ift man verjucht, in jenem Hülferuf ſchon die Tendenz zu erfennen, die ſpäter nur zu deutlich hervortrat, die aber ein Theil der Gmünder Regie— rung damals jchon Haben mochte, die Noth der Stadt als recht groß, das Bedürfniß bündischer Hülfe als recht dringend erfcheinen zu lajjen um Unterftügung zu gewinnen, nicht gegen die äußere, jondern die innere Revolution. Was man am 4 Mai in Ehingen wiſſen wollte, Gmünd fei nicht nur ſtark belagert, fondern ſchon ein— genommen, war und blieb ein bloße Gerücht. Che noch der Ober» befehl&haber Jörg Truchſeß von Waldburg daran denken Fonnte, (wozu er von Bundes wegen dringend aufgefordert wurde), den Gmündern Hilfe zu bringen, durfte am 6. Mai der bündijche Hauptmann Ulrid) Arzt von Augsburg ſchreiben: „Gmünd ijt nicht verloren, jondern auf gejtern die Bauern (von Muthlangen nad) Gaildorf) abgezogen !“.

Eine weitere Correfpondenz der Gmünder mit dem bäurijchen Hauptquartier verdient, obwohl fruchtlos geblieben, erwähnt zu werden, weil fie zeigt, daß die Neutralität der Gmünder zwar eine, foweit

ı Schon am 3. Mai hatte man die nächft bei der Stadt lagernde Bauern« ſchaar das Remsthal aufwärts abziehen Dt aber dem Frieden noch nicht veht getraut. S. Oechsle a, a, O. ©. 4

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die Umſtände es gejtatteten, ftrenge, aber immerhin wohlwollende war. Soweit mag der Ausdrud der Oberamtsbeichreibung S. 246, vgl. 283, gelten, des neue Kath fei „der Bauernjache freundlich“ gewefen, was nad) dem bisher Berichteten nicht ohne Einſchränkung wahr ift.

Am 7. Mai jandten die Bauern von Gaildorf ein Schreiben an „Erjamen Rath und ganze Commun zu Gmünd“, worin fie von Neuem die Gmünder auf ihre Seite zu ziehen fuchen:

„Gnad fried und ainikait in Criſto Jeſu jampt. briederlicher Liebe und trewe zu for, Erjamen günftigen und weije liebe herrn.

Als ir jungjt im hellen haufenn von uunſs gefchaiden, euch er= botten, wo ir unſs umd dem ganzen helle Huffen was fridlid) und guths zu Handlen, darinn ir willig und dienjtlih uns| fein wollend, darann hauptleut ꝛc. ain ſunderlich gefallen, deſs verhoffen zu ewer weijsheit, fülchen ewern zufagen folg zu thun, daß fich daun gögen ainem erbaren ratt und ganze gemain zu Gmünd mit unterthänigen gefliffen dienft allzeytt willig Hauptleut ꝛc. urbittig zu verdienen und beſchulden. Zum andern fingenn wir ainen e. w. rath u. f. w. unterthänigjt wiſſenſs der ſchmach und Täfterung, jo etlid) der rätt vor gemeinen helle h. gethaun, die einer ganzen jtatt durch den helle h. gejchehen jein follen, dafs wir dann, als fiel uns fund und wiſſend it, verantwurtt habenn. Daran wir verhoffenn, euch begnügen laſſen. Aber dep beger und furtrag eurer armen unterthanen land- ſaſſen, nemlich daj8 Evangelium, dajs biſs hieher Hein und wenig in ewrer ſtatt gehandlutt worden ift; aud) der 12 artidel halben, fo ynzund etlich furjten und herren mitfampt etlichs adels iren unter- thanen brieff und figell geben, biſs uff zufunftig reformation zu hal— ten ?, ift darauff unſer unterthenig bitt und beger, mwöllend das gotſs wortt mit fammt den 12 articlen helffen handhabenn. Alſs wir unſs dan genzlich verjehen, uns ſölchſs bitt und begeren, dieweill daſs göttlich it, nit abjchlagen, wöllen wir mit leib und gut allezeytt umb einen erbrn ratt und ein ganz gemaind mit unferm gebett und dienjten ungefjpartt verdienen. Wo aber ir euch ſolchſs widern wurden, dafs dann unbillich gejcheh, und wir gögen euch ſölchſs nitt verhoffen, den wir ganz nichj8 begeren denn waſs dem gottswort gemäß ift, würden wir uſs göttlicher gerechtigfeit, auch fonhaitt, die wir aus dem wort gottes empfangen habend, gügen euch fürzunehmen als den gotlaußen und feinden gotteſs, dieweyll ir dem wort gottej8 wider feind, daß wir fill lieber wöltten vermeiden. Sölchſs wir euch als unjern gunftigen lieben herrn unterthänigß verjtand nitt haben wöllen verhaltten; ver- hoffen unſs ein fraintlich chriftenliche briederliche antwurtt gen Gail— dorf uff afftermontag nach dato diefes briefs zu geben, wöllen wir alſs arme unterthan willenglih von euch annehmen. Geben am Sontag Yubilatte 1525.

Don Hauptleutten und des gem. Hell. Hauf ausſchuß und rätten zu Gaildorf“. (F. A. Nr. 6).

2 Bol, dazu Oechsle S. 454 fi.

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Am gleichen Tage aber hatten die Gmiünder, welche aus dem Mürtembergifchen für die Bauern bedenkliche Kundſchaft erhalten hatten (ſ. Dechsle S. 409), ein Schreiben an die Bauern abgejchict, in welchem Bürgermeifter, Rath und ganze Gemeine der Stadt Gmünd fich den Bauern al8 Vermittler zu einem gütlichen Vergleich) anbieten, „daß diefe Empörung und Zwietracht dur Güte erlegt möchte werden“.

„Darum wo ihr nachmalen des gemuths wärt und gütlichen bericht leiden möchtet, jo möget ihr uns dejjen bei diejem boten ver- jtändigen, wollen wir bei etlich umliegende ftätt allen möglichiten vleiß haben und furnemen mit den felbigen ftätten, foweit fie auch folichs gemuths feien und das bewilligen wollen, helfen handeln, doc) in alleweg auf willigung und zugeben der ftände des löblichen Bundes zu Schwaben“ (Beil. Nr. 12).

Die Tags darauf dem Boten mitgegebene Antwort der Bauern lautet entgegenfommender, al8 ihr voriges Schreiben erwarten ließ; vielleicht, daß fie bedenkliche Nachrichten dur; den Gmünder Boten oder ſonſt woher empfangen hatten:

„Euer verſchrieben“, antworten fie „den erjamen, w. u. g. lieben herren und briedern ainer gantzen Commun der jtadt Gmündt“ „haben wir mit freunden empfangen und verlefen. ft unfer fleiffig und freundlich brüderlich bitt auf ſolchs erbieten, daß ihr nit feiern wollet, damit fein verzug geichiehet, mehrer fojten und zwie— tracht zu vermeiden, gegen den jtädten eilend botjchaft zu fchreiben. Aber des (Schw.) Bundes halben, achten wir gänglich, daß er uns nit gemäß fei darum je myner ir ung den Bund einflechten, je lieber ung. Nit mer denn der fried Chrifti fei mit uns allen“ (Beil. Nr. 14).

Dem lag von der gleichen Hand das für die Lage, be= fonders auch) für das geheime Einvernehmen des oberjten Hauptmanns für den Gaildorfer Haufen, Philipp Fierler, mit dem Prälaten von a): mit Gmünd und Hall! bezeichnende Billet bei (Nr. 15 der Beil.): .

„Auch weytter euch unverhaltten zu laſſenn, jo ftaund wir hauptleut und gemeiner ausihuß im großer gefärigfeit gegen dein gemeinen mann, und nämlich Georg Hartmann und Jörg Bet; denn fie fagen unverholen,, wir tragen euer ftatt über ruck, auch die von Wöllwart darum bitten wir euch zu Hulden und nich zu ver- ziehen, damit wis den gemeinen mann uffenthalten“.

Das erftere Schreiben der Bauern (©. 244) und das letztere beantworteten Biürgermeifter, Rath und ganze Gemeinde der Stadt Schw. Gmünd zugleich am 9. Mai (Beil. Nr. 16). Die Haupt: ſtellen lauten :

„Sr begeren euch Huldigung zu thun. Nun traget ir unge- zweyffelt gut wifjen, das wir ein ftat des heiligen Reychs feyen, deß—

ı ©. Zimmermann II, 189, XIV. 17

246

halben uns gant nit verantwurttlich noch gebürlich iſt, euch ainiche Huldigung Hinter K. Majeftät, unſerm alfergnädigiten herren, dem Bl. Reych und Löblichen Bund zu Schwaben zu thun, dann uns das an unfern aid 8. Maj. gethan verleglich wäre.

. um andern: als iv begert euch das hl. Evangelium und die 12 articul helfen handhaben dieweil uns dann der 12 art. wes und was fie inhalten nichſs bewißt ift, deßhalben wir diejelben art. nit wiſſen noc) Funden handhaben. Aber das Hl. Evangelium zu handhaben feyen wir urbittig, wollen auch dabei jterben und genefjen defjelben gemüts wir auch feyen gut ordnung aufrichten und boſe abjtellen, wie wir dann vor diefer weyl einhelliglich zuſam— mengejchworen haben, darum wir von euch unbilliglich gottlo8 ge= fcholten werden. Diewil ir euch aber in ewerm ſchriben laßen hören, daß ir von uns und den umliegenden ftetten güttliche Handlung mögen leiden, doc) ausgejchlojjen der ſtende des Bunde, will uns nit gebühren ohn wiljen dijer zu Handlen. So ir aber die ftend mögen leiden, wollen wir allen vleiß fürwenden“. Folgt nod) eine War— nung, des „Reichs verwandte“ nicht ferner zu bejchädigen.

Ob eine Antwort hierauf, welche die Gmünder erwarteten, er= folgte, ijt nicht befannt.

Der Knoten, dejjen Löfung von vorn herein auf ſolche Schwie— rigfeiten ftieß, follte nad) wenigen Tagen zerhauen werden. Am 12, Mai wurde in der Schlacht bei Böblingen der ftärfjte Bauernhaufe vom Oberfeldherrn des Schwäbiſchen Bundes gänzlich geichlagen. Um 20. traf eine bündiſche Schaar von 600 Mann in Hall ein (Oechsle 419 f.). Ehe diefe gegen die bei Thann concentrirten ah Bauern vorrücte, bewog fie der Rath zur Unterwerfung.

as fich nicht unterwarf, zerjtreute fih. Die vom 24, datirte, auch an die Unterthanen der Herrjchaft Limpurg geſchickte jchriftliche Auf— forderung des Truchjeß von Waldburg gelangte nad) Gaildorf und bewog den dortigen Haufen zur Unterwerfung (Oechsle 459). Die Gmiünder Regierung Hatte unterdeg noch mit den Bauern verkehrt, aber wie es jcheint, nur noc) wegen Entlaffung von Gmünder Bür— gern aus ihrem Heere.

Hieher gehören Beil. Nr. 18 und 20. ,

18. „Wir hauptleut ꝛc. zu Gaildorf thun kunth meniklihen daß dieſe nachgenante unjere diener gewefen, mit namen Wolff Hertle Pfeuffer und Veit Bed von Gmünd Trummenſchager mit ver- willigung und redlich von hauptlenten ꝛc. von uns uff dato dieſes abgejchieden“. Siegel. Mittwoc) nad) Cantate (17. Mai).

20, „Bit Jeger Rats Hat angezeigt uff 5. p. Cantate (19. Mai), daß Peter Deg der ftadtbot gefagt: als er zum hellen haufen gefchiet jei worden, Hab Bez Jörg offennlich gefagt, er wolle den Bund aufffnüpfen, und jolt in St. Valentin ankommen“.

Während die äußere Gefahr für Gmünd hiemit ihr Ende er— reicht hatte, ließ die in den Perſonen der Bürgermeifter und eines Theils vom Rath nod) vertretene arijtofratifche Partei dem Bunde

247

feine Ruhe, bis er auch jetst noch ein Hülfscorps ſandte. Mit Hilfe deſſelben wurde zuerft dem „Prädicanten“ Althamer nachgeftellt, bis er ſich durch die Flucht rettete, und dann durch einen Staatsftreich umter der fhonenden Form einer Vermittelung durch Botjchaften benachbarter Reichsſtädte an Bartholomäi, 24. Auguft 1525, der neue Rath gejtürzt und der alte wieder eingejekt.

Ueber die Aufgaben, welche Gmünd bei der Wiederherftellung der Ordnung nad) dem Bauernfrieg zufielen, möchte Referent, bis ihm ein vollftändigeres Material von Urkunden zu Gebote fteht, hauptjächlich auf Oechsle ©. 433 f. verweifen.

Beilage l.

Zur Beftimmung des noch zweifelhaften Datums für die Ver- brennung des Kloſters Lorch gibt eine Stelle in dem oben ©. 241 Anm. 3 citirten Schreiben, Beil. Nr. 11, einen Anhaltspunkt: „— ver- Schienen tagen haben fich unjere und andere bauren umb uns gefejjen zufammen rottiert, das clofter Lord eingenommen, alle profant wein forn und anders verzert, gebeutet und geplündert, und ftet man in forgen, fie werden das verbreunen, wie fie dann das ſchlos Hohen- ſtauffen bey unfer ftat gelegen verprent haben“.

Diefes Schreiben vielleicht das Concept zur Antwort auf bie in Beil. 10 vorliegende Anfrage von Stettmeijter und Räthen zu Hall d. d. 1. Mai, ob an den ihnen gemeldeten Empörungen um Gmünd etwas, und was daran ſei enthält von den Creig- niffen des 3. Mai, von welchem e8 datirt ift, noch Nichts, wird alfo in der Frühe gefchrieben fein. Darum ziehen wir aus obiger Stelle den Schluß : die Verbrennung des Klojters Lorch, aın 3. Mai früh in Gmünd noch nicht befannt, iſt ſchwerlich früher als am 2. Mai Abends erfolgt.

Halten wir damit ferner zufammen, daß in dem oben ©. 240 angeführten Schreiben (Concept) vom gleichen Tage, Beil. Nr .12, wahrſcheinlich um Mittag abgefaßt, an einer durchjtrichenen Stelle die Worte ftehen: „und die das clojter Adelberg und Lorch ver- brent und plindert“, jo ergibt fich die weitere Bejtimmung: die Ver- brennung des Klofters ereignete fih ſchwerlich ſpäter als in ber Naht vom 2. bis 3. Mat, höchſtens in der Frühe des 3. Mai. Sie wurde, wie es jcheint, von der Nachhut des am 2. Mai abzie- henden Bauernheeres verübt.

Demnach wird die Darftellung bei Zimmermann Il, 185 und das Urtheil Mofers, Beichreibung des Oberamts Welzheim S. 189, zu berichtigen fein. Der 26. April ift wohl für die Einnahme, der 2. Mai für die Verbrennung des Klofters das richtige Datum. Da— mit ftimmt ganz gut, eben wenn man die Worte preft, die Erzäh- lung des Abtes Sebaftian von Lord (T. v. Steichele, Beiträge zur Ge- ſchichte des Bisthums Augsburg I, 61 f.), der an den Bifchof von

17*

248

Augsburg Schreibt: „nachdem uns unſer gotzhus von den ufruerigen pauren geplindert und nach geends uff den boden abgebrennd“. Weitere Correfpondenz Gmünds mit Hall ſ. Dechsle S. 406. 8.

Beilage 2.

Im Beilagenband lautet Nr. 17, auf ein fleines Blättchen ge— ſchrieben:

„Ich maiſter Hans Drechſell, pfarrer zu Heuchlingen, befhen mit dilfer meuner handgefchrifft, das mich der hauff volcks Hat gefordert, das Evangelium und die warhait zu predigen. Nach meine beiten verjtand das hab ich gelopt, das helff Gott. Zu warzeichen han ich geben zwu gelten mit wein und funff laib brotts“,

Die „handgefchrifft“ iſt diefelbe wie die des Geleitichreibens Beil. Nr. 18; f. 0. S. 246. Daraus geht hervor, daß Dredjiel fid) fpäter im Hauptquartier der Bauern befand.

Die Wahl MWenzeld von Böhmen zum römijchen Könige,

Von

Ch. Lindner.

Die Wahl Wenzeld von Böhmen ift im neuerer Zeit mehrfach Gegenstand der hiſtoriſchen Unterfuchung gewejen. Die Aetenftücke über die Verhandlungen mit dem päpftlihen Stuhle, welche Theiner im zweiten Bande de8 Codex dipl. dominii tempor. sanctae se- dis 1862 veröffentlichte, machten die alten Anfichten völlig unhaltbar; Höfler verfuchte zuerit, das neue Material zu verwerthen!. Aber erſt Weizfäder hat in den „Reichstagsacten“ mit ausgezeichnetem Scharffinne das richtige Verhältuiß erfannt und das Verſtändniß er— fchloffen ; auf feinen Reſultaten fußte fofort die Dijfertation Henric)s ?. Aber jo forgfältig und fcharfjinnig diefe Arbeit ift, fo leidet fie doch an dem Fehler, daß fie ſich mit felbft gemachten Schwierigfeiten her— umfchlägt; dem Pfalzgrafen Ruprecht wird eine Rolle zugewiefen, die ganz ungerechtfertigt erjcheint, in vorgefaßter Meinung werden ge= waltjame Deutungen in die Vorgänge Hineingetragen. Bald darauf behandelte Höfler ein zweites Mal die Wahl Wenzels?; er verfucht die Dinge im Großen zu faſſen und läßt darüber gelegentlich das Detail allzufehr außer Acht. Die neuejte Unterfuchung, welche Senfner * angeftellt hat, ift fehr unbedeutend; der Verfaſſer fcheint weder die zweite Arbeit Höflers noch die Henrichs gekannt zu haben und giebt ein fehr breites, aber wenig befriedigendes Raiſonnement.

Wenige Herricher Deutjchlands haben fo weitausfehende und wohle berechnete Pläne verfolgt, wie Karl IV.; feine ganze meifterhafte, wenn auch nicht immer ehrliche und in ihren einzelnen Momenten oft nichts. weniger als großartige Politik diente Zweden der Zufunft. Aber grade ihm blieb lange ein Erbe, ein Sohn verfagt, und als dem be= reit8 feit 26 Jahren zuerjt mit der franzöfifchen Blanca, dann mit

ı 8. Karls IV. Ordnung der Nachfolge im Reiche 1376, in Mittheil. bes Bereins für Gef. der Deutfchen in Böhmen. 3. Jahrg. IV. 1865. 101—115.

2 Ferd. Henrich, De Wenceslai regis Rom. electione. Diss. inaug. Bonnae 1868.

° Menzel von Luxemburg Wahl zum römischen Könige 1376, in Si— tungsber. der £. f, Akademie in Wien, phil.hiſt. El. LX, 1868. 649 674.

* Leber die Wahl König Wenzels. Differtation von Hans Jenkner. Berlin 1873 (Hallenfer Diff.).

252

der pfälzischen Anna verheiratheten im J. 1350 ein Söhnlein geboren wurde, ftarb es fchon im folgenden Jahre dahin. Bald folgte ihın die Mutter ins Grab; raſch vollzog der König die dritte Che mit Anna von Schweidnitz-Jauer. Aber fait acht Jahre vergingen, bis jie endlich) am 26. Februar 1361 in Nürnberg Wenzel gebar, „einen fräftigen und wohlgeftalteten Sprößling“ , wie die erfreuten Eltern dem Reiche und dein Papſte jchrieben!. Es war wohl nicht allein „Schwäche für fein Blut“, wie man gemeint hat, wenn Karl den erjt zweijährigen Knaben am 15. Juni 1363 zum böhmischen König frönen ließ; die Nachfolge wurde ihm dadurch einfürallemal ge— fihert. Um fo mehr mußte das dem Kaijer wiünjchenswerth er= icheinen, da er kurz vorher zur vierten Che gejchritten war, nachdem Anna in einem neuen Kindbette gejtorben. Politiſche Rückſichten hatten die Wahl auf Elifabeth von Pommern gelenft, aber vielleicht mag nicht weniger die Niefenftärfe der neuen Gemahlin ? dem Kaifer die Hoffnung erwedt haben, daß er fie nicht jo rajch verlieren wiirde wie die früheren Gattinnen, und weitere Nachkommenſchaft von ihr erwarten dürfe. Und in der That war die Ehe nah Wunſch Frucht» bar, rafch hintereinander gebar Elifabeth ſechs Kinder, vier Söhne und zwei Töchter ?.

So war die Weitereriftenz des Karolinifshen Haufes reichlich ge= fichert; dejto eifriger dachte Karl daran, deſſen Zukunft möglichft glän— zend zu gejtalten. Vor allem lag ihm am Herzen, aud) die deutjche Krone und damit die. Kaiferfrone feinen Kindern zu vererben; denn mochte auch ihr Glanz unendlich verloren haben, noch immer war ihr Beſitz aufjtrebenden Fürftenhäufern von größten Werthe. Wie viel hatte das Gefchlecht der Wittelsbacher, wenn es auch durch Zwietracht ſich jelbjt noch mehr gejchadet hatte, durch die Uebertragung der Kai— jerwiirde an das Haus Luxemburg verloren !

Gewiß Hat Karl ſchon von dem Anfange feiner Regierung an ſich mit dem Gedanken getragen, die deutfche Krone feinem Gefchlechte zu wahren; erſt nach der Geburt Wenzels fonnte er ernftlich daran denken, die Verwirklichung feines Planes in Angriff zu nehmen. Man wird bei Beurtheilung der Handlungen Karls ſchon von 1361 an diefes Moment nicht aus den Augen fegen dürfen. Noch mehr aber mochte die Geburt Sigismunds und Johanns 1368 und 1370 zur Verfolgung des beabfichtigten Planes auffordern. ine Theilung der Erbländer war in Zukunft nicht wohl zu vermeiden, um fo winfchenswerther wurde e8, dem ältejten Sohn durd den Beſitz der deutjchen Krone eine ftarke Stellung im Reiche zu bewahren, dadurd)

Pelzel, Karl IV. II. Urf. 254. 255. Wencker, Appar. 221.

? Chron. Benessii de Weitmil ad a. 1371 (SS. rer. Boh. ed. Pelzel et Dobrowsky II, 409).

Sigismund 1368, Johann 1370, den frihverftorbenen Karl 1372, einen mugenanuten, wohl bald nad der Geburt verschiedenen Sohn im Juli 1377 (vgl. Neues Laufit. Magazin XVII, 1840, S. 100 Anm.; Chronifen ber deutjchen Städte, Magdeburg I, 274), Anna 1366, Margareth 1373, j

253

ihn aber auch den Brüdern gegenüber mit überwiegender Macht hin— zuftellen; jo fonnten am chejten Spaltungen und Zwiftigfeiten, wie fie die WittelSbacher zerrütteten, vermieden werden.

Aber dieſes Ziel war vielleicht am fchwierigiten zu erreichen von allen, welche fi) Karl auf feiner langen Yaufbahn geſteckt. Seit mehr als Hundert Jahren war im Reiche nicht mehr der Sohn dem Bater gefolgt ; der einzige Herricher, der mit Energie verfucht hatte feinem Sohne das Königthun zu bewahren, Rudolf von Habsburg, hatte vor dem entjchiedenen Widerfpruche der Fürften feinen Plan aufgeben müſſen. Die Neichspolitif der Kurfürften, wie fie fich feit dem Interregnum entwicelt hatte, beruhte ja geradezu auf den Grund: jate, daß der Sohn dem Bater nicht fuccediren dürfe; in der gol- denen Bulle hatte Karl ſelbſt die abjolute Wahlfreiheit ftatuiren müſſen. Und eben dajjelbe Reichsgeſetz bot eine andere Schwierigkeit. Wollte Karl die Nachfolge feines Sohnes völlig ficher tellen, fo mußte er erreichen, daß die Wahl unter feiner perjönlichen Einwirkung, zu jeinen Lebzeiten geſchah; ſonſt war wenig Hoffnung auf Erfolg und auf die beſtimmteſten Verſprechen doch wenig Verlaß. Die gol- dene Bulle aber jprad) nur von der Beſetzung des thatjächlich erle— digten Thrones; ein Verhältniß, wie es Karl herzuftellen wünſchte, war in ihr gar nicht vorgejehen und ſchon deshalb von Rechts wegen unmöglid). Freilich war da der Ausweg vorhanden, daß Karl reſig— nirte, das Reich aufgab. Aber in dem thatfächlihen Stande der Dinge wurde dadurd wenig geändert, nur Unzuträglichkeiten gejchaffen. Denn wenn auch Karl den Herrjchertitel niederlegte, das Factum der unmittelbaren Succeſſion des Sohnes bei Yebzeiten des Vaters, alfo der Beginn der Erblicyfeit der Krone, blieb dajjelbe; ebenfo die Machtverhältniffe der Luxemburgiſchen Familie; die etwaigen Beſorg— nijle der Kurfürften konnten dadurch wicht bejchwichtigt werden. Zus dem konnte Karl vorfichtiger Weife erjt vefigniven, nachdem die Wahl wirklich vor fich gegangen, Wenzel als König anerkannt war. Wenn daher gelegentlich bei den Verhandlungen die VBerzichtleiftung Karls als Eventualität ind Auge gefaßt wurde, ernftlic) hat weder er, noch irgend Jemand daran gedacht, Vonvornherein, müſſen wir anneh- men, hat Karl danad) gejtrebt, die Wahl Wenzels zu erreichen, bei

feinen Lebzeiten, ohne daß er refignirte. Gelang e8 ihm überhaupt, die Kurfürften für die Nachfolge des Sohnes zu gewinnen, mußte fic) das Weitere dann von felbft ergeben. -

Freilih war das Ziel nicht auf einmal zu erreichen; langſam und allmälih mußten die Hinderniffe befeitigt, die Fürften gewonnen werden. Zu raſches Handeln konnte verjtimmen und deu Widerjtand verjtärfen. Solange Wenzel noch unmündiges Kind war, fonnte der Kaifer außerdem nicht erwarten und verlangen, daß die Fürſten ih wählten. Wohl waren in früheren Yahrhunderten die föniglichen Sprößlinge ſchon im zartejten Alter zu künftigen Herrjchern erforen

ı Anders Höfler 652,

254

worden; aber dieje Zeiten waren für immer dahin. Mit der Theorie de8 Wahlreiches war cher vereinbar, dag ınan den erwachienen Sohn wählte, al8 ein Kind; letteres wäre doch ein bedenklicher Präcedenz- fall gewejen. Wie große Unzuträglichfeiten konnten ferner entftehen, wenn Wenzel vor den Mindigfeitstermine gewählt wurde, und Karl, bejjen Gejundheit fo ſchwankend war, plötzlich ftarb ?

Noch andere Rückſichten mögen den Kaifer veranlaft haben, mit der Ausführung feines Lieblingsplanes zu warten. Das Abkommen mit Otto von Brandenburg in Betreff der Marf war 1371 wieder in Frage gejtellt worden; eine Zeit lang ſah fih Karl fogar von ernjtlihen Gefahren umgeben. Erjt im Auguft 1373 gab der Für— ftenwalder Vertrag das Land ganz in Karls Hände. So lange aber dieſe Tragen nicht entjchieden waren, ift nicht anzunehmen, daß Karl durch Aufſtellung der Throncandidatur feines Sohnes fie noch mehr verwidelt, ihre Löſung außerordentlich erfchwert haben follte. Und umgekehrt ift mit Hecht bemerkt worden, daß grade die definitive Er— werbung der Mark die Wahl Wenzels für das Luremburgiiche Haus faft zur Nothwendigfeit machte; nur jo fonnte in Zufunft einer et= waigen Oppofition gegen die Vereinigung zweier Kurftimmen in einer Hand oder doch in einer Familie vorgebeugt werden. Es iſt nicht unwahrfcheinlic), daß eben deswegen, weil den Kurfürften ein folches Verhältniß unerwünscht fein konnte, im Fürftenwalder Vertrage die Kurjtimme und das Erzkämmereramt vorläufig Dtto auf Lebenszeit refervirt blieb ?.

Soviel wir wilfen, hat Karl vor dem Ende des Yahres 1373 feine Schritte gethan, Wenzeld Wahl zu ermöglichen. Allerdings hat Weizfäder und ihm folgend Henrich in den Bündniffen, welche Karl felbjt in den Fahren 1367 bis 1370 auf Lebenszeit mit Nürn- berg und zahlreihen anderen füddeutfchen Städten ſchloß und welche durch Verträge mit Wenzel für den Fall von Karls Tode bis zur Neuwahl verlängert wurden, das Beſtreben zu finden gemeint, die Städte für das Nachfolgeproject zu gewinnen ®. Uber ic) glaube doch, daß Hier nur Bündniſſe vorliegen, wie fie zu gemeinfamer Ver— theidigung damals gang und gäbe waren*. Es lag ja überhaupt nicht in Karls Politik, fih auf die Städte zu ftügen, wenn er es auch gelegentlich gethan Hat; immer wieder fucht er fi an die Fürs ften zu halten. Grade im diefer Angelegenheit, bei welcher er ganz auf den guten Willen der Kurfürften angewiefen war, würde ein Einverjtändniß mit den Städten diefe nur abgeneigt gemacht haben. Die Hilfe derfelben konnte zudem nur dann von Bedeutung fein, wenn es der Raifer auf offenen Kampf anfommen lajjen wollte; aber nach allem, was wir über den Charakter der Staatsfunft Karls

ı Höfler 652,

%* Riedel, Cod. dipl. Brand. II, 3, 540; II, 3, 8. : RA. ©. 2. und Nr. 27—37. Henri 8

* Ebenfo Höfler 658 Anm.

255

wiffen, ſchreckte er ftetS davor am meiften zurüd, und es war doch fehr fraglich, ob die Städte felbft dazu geneigt gemwejen wären. Sie wußten am beiten, daß Karl ihnen micht wohl wollte?! und fie nur als eine unerfchöpfliche Finanzquelle betrachtete; der Kaiſer felbft forgte 1373 dafür, daß den Städten darüber feine Täuſchung bleiben konnte?, Nach allem fcheint es durchaus nicht, daß Karl je daran gedacht hat, die Städte für fein Project zu gewinnen.

Die wiederholten ſchweren Erkrankungen des Kaifers legten den Fürften des Reiches den Gedanken an deffen Abfcheiden, an die dann nothwendige Neuwahl nahe genug; nichts natürlicher, als daß man hin und wieder darauf bezügliche Abmachungen in Verbindung mit politifchen Combinationen mannigfachſter Art triffl. So vereinten ih) am 10. Januar 1371 die Herzöge Wenzel und Albrecht von Sachſen und Wittenberg mit Otto von Brandenburg, mit welchem fie zur Groberung Liüneburgs verbunden waren?, zu gemeinfamen Verfahren bei der Königewahl® Aber ihr Bündnig trennte fic) raſch, als Karl wenige Monate fpäter mit Dtto, welcher die Verträge in Betreff Brandenburgs widerrufen, in Krieg gerieth; die fächfiichen Herzöge Hatten allen Grund, zu Karl zu halten, welcher ihre An— ſprüche auf Lüneburg aufs Fräftigfte unterſtützte; ſchon im December 1371 und im April 1372 verpflichteten fie ſich zur Aufrechthaltung der Verträge von 1363, welche Karl und deffen Sohne die Mark zuficherten®. Damit war jene Wahlverabredung abgethan. In der Folgezeit fonnte Karl auf Sachſens Ergebenheit ficher rechnen.

Bon größerer Wichtigkeit fcheint eine andere Abmachung zu fein. Am 20. Juni 1371 verpflichtete ſich Friedrich von Köln gegenüber feinem Oheim Kuno von Trier, welchem er das Erzbisthum verdanfte, bei der Wahl eines römischen Kaifers wie diefer zu ftimmen und ohne deifen Wiſſen feine Zuftimmung zu einer Wahl bei Lebzeiten des Vor— gänger8 nicht zu geben‘. Man fieht, Karls Plan wird in feinem vollen Umfange blosgelegt. Aber doch ift e8 nicht nöthig, daraus zu ſchließen, daß er ihn bereits offen ausgeſprochen; es konnte gewandten Politikern nicht ſchwer fallen, denfelden vonvornherein zu vermuthen und zu errathen ?,

ı Wann er was ain durchaechter der cristenhait. Chronifen der beutjchen Städte, Augsburg I, 42.

oe Geſch. des ſchwäb. Städtebundes 1376—1389, in Forſchuugen

8 Bgl. Riedel II, 2, 507.

RA. Nr. 24.

5 1371 Dec. 18. und 1372 April 4. Riedel II, 2, 525 f.

6 RA. Nr. 9.

Höfler 654 bemerkt mit Net, die Urkunde fei fo allgemein gehalten, daß es nicht nöthig, an Wenzeld Wahl zu denken. Wie Karl damals im Mai 1371 fo ſchwer erfrankt war, daß die Aerzte an feinem Aufkommen verzweifelten, erzählt Benefh a. a. DO. 41l. Droyfen, Geſch. der preußifchen Politik I, 192, beruft fich betreffs der Wahl Wenzeld auf eine Erklärung Kunos von Trier; fie findet fih in der Fortfegung von Detmars Chronik * v. Grau⸗

256

ie ſchon gejagt, erft nach dem Fürſtenwalder Bertrage hat Karl, foweit wir fehen können, bedeutfame Schritte gethan; fie galten der Gewinnung der Mainzer Stimme. Am 4.April 1373 war der dortige Erzbiichof Johann nad) zweijährigen Pontificate geftorben. Er war vom Papite ernannt worden gegenüber dem jugendlichen und ungejtümen Grafen Adolf von Naſſau-Wiesbaden-Idſtein, welchen das Gapitel poftulirt hatte. Für diefen, der inzwiſchen Biſchof von Speier geworden war, entjchied ſich nach Johanns Tode das Mainzer Ca— pitel wiederum; da der größte Theil des jtiftiichen Adels in nahen Beziehungen zu den Naffauern ſtand, gelang es Adolf, fich ſchon im April 1373 in dem Erzbisthum unter dem Titel eines „Adminiftrator Mompar und Provifor“ feitzufegen!. Aber der Kaifer war gegen ihn, ſei es, daß er fürcdhtete, die Familie der Naſſauer könne am Rhein zu mächtig werden, fei c8, daß er Adolf perfönlich für ihm nicht genug ergeben hielt. Er begünitigte vielmehr einen Gandidaten aus einer ihm treu gefinnten Familie, den lebensluftigen Biſchof Ludwig von Bamberg; mit Hilfe des Papites follte deſſen Ernen« mung durchgejetst werden. Yudwig war der dritte der vier Söhne des Landgrafen Friedrich des Ernfthaften von Thüringen-Meiffen. Dieſe Familie ftand wiederum in den engiten Beziehungen und Verwandt- Ihaft zu einer anderen Karl treu ergebenen Familie, den Burggrafen von Nürnberg; als Ludwig nad) Avignon ging, hatte er Friedrich en Nürnberg, feinen Schwager, zum Pfleger feiner Lande be= tellt ?,

Während Ludwig in Avignon weilte, erwies der Kaifer feiner Familie einen wichtigen Dienft.

toff, I, ©. 393. Die ganze Stelle lautet: [Karl] ilde darmede, wo he ene [Wenzel] mochte maken to enen rom. coninghe in sinen junghen jaren. Het loet de korheren det rom. rikes tosamende unde leghede en vore sine begheringhe unde bat darumme, dat se sinen sone wol- den keysen to enen rom. coninge. Des nemen de korheren eren rat. Des weren en deels dar wol to gheneghet dorch gunst willen des key- sers, men des was de olde here mank en, de ersebisscop van Trere, dar se alle raet ane sochten. Ok sprak he: Wo willen gy juwe ere unde juwen eet bewaren? Jo hebbe gy gesworen to alme kore, dat gy willen to enen rom.coninghe kerzen den alder duchteghesten ridder unde den wisesten, de dar ıs in Dudeschen lande; dit is noch en kint, dar nyne wisheit noch duchticheit ane is. Darmede satte he sik up sin pert, unde de anderen alle mit em unde redden en wech; also vorgenk de raet. De keyser Karolus settede enen anderen dach unde brachte se mit listicheit weder tosamende; dar wart de kore vullenbrocht, dat he scolde syn rom. koning. Dit unde mennich an- dere ding bewogede de koreheren in dessen vorbenomeden jaren, dat se den koning van Behemen wolden af hebben. Die ganze Darftel- ung ift völlig unrichtig und unbrauchbar; fie wurde erft nad) Wenzels Abjeung und unter deren Eindrud niedergejchrieben; Detmar felbft hat nichts dergleichen.

2 Guden III, 515.

2 1373 October 12. Mon. Zoll. IV, 249. Bgl. Paul Handloß, Adolf 1. ——— von Mainz und fein Gegner Ludwig, Biſchof von Bamberg. Breslar 1874,

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Der alte Landgraf Heinrich der Eiferne von Helfen hatte nad) dem Tode feines Sohnes Dtto des Schügen feinen Neffen Hermann den Gelehrten zum Mitregenten angenommen. Dadurch jah ſich Otto der Quade von Braumfchweig » Göttingen, des Yandgrafen Enkel, in feinen Hoffnungen auf Heffen getäufcht; er beſchloß, feine vermeint— lichen Ansprüche mit den Waffen in der Hand geltend zu machen, Unfchwer fand er Genojfen, gleich beutegierig wie er ſelbſt; der ges waltige Ritterbund der Sterner unter der Hauptmannſchaft des Grafen Gottfried von Ziegenhain wurde geftiftet; im Januar 1372 begann der Kampf mit allen den Gräueln und Verwüftungen, welche die da= malige Kriegführung bezeichnen. Standhaft leiftete Hermann Wider- jtand, der fich in den Waffen ebenſo tüchtig erwies, wie vordem in den Büchern; aber der Feinde waren fo viele, daß Helfen Bundes— genofjen fuchen mußte. Diefe fanden ſich nun in den thüringifchen Brüdern; am 9. Juni 1373 wurde zu Ejchwege eine ewige Erbver- brüderung zwifchen Heffen und Thüringen gejchloffen. Die faiferliche Beftätigung war notwendig, um jo mehr als frühere Erbverträge zwifchen Meiffen und Brandenburg vorlagen. Hermann begab ſich felbſt nad) Prag; am 6. December reichte ihm der Kaijer die Lehen von Hejjen, am 13. December erfolgte die kaiſerliche Bejtätigung der Erbverbrüderung, welche Wenzel mit unterzeichnete, zum Zeichen, daß jene früheren Verträge erlojchen?.

In diefen Tagen, am 6. December, wurde in Prag die erite Urkunde ausgeſtellt, welche fi auf Wenzel Wahl, wenn auch nicht direct, fo doc unzweidentig bezieht ?. Schon früher hatte Karl als König von Böhmen für ſich und feine Erben mit den Biſchöfen und deren Nachfolgern und Stiftern von Mainz ımd Würzburg ein Bündniß geichloffen; jest war Mainz erledigt, aber von Yandgraf Ludwig mit Hilfe des Kaiſers umworben; Biſchof von Würzburg war Gerhard Graf von Schwarzburg, der mit feinem Stiefbruder Heinrich) die Beſtätigung der heifijch = thüringifchen Erbverbrüderung unterzeichnet hatte. Heinrich aber war der Sohn der Helene von NürnbergeZollern, einer Tante des gleichfall® anweſenden Friedrich, Burggrafen von Nürnberg, wie überhaupt unter den Zeugen die thüringifch-zolfernfche Verwandtſchaft ſtark vertreten iſt. Cs lag dem= nach einerfeit8 nahe, die Mainzer Angelegenheit zu bejprechen, ans dererfeits jah fic der Kaifer im Kreife feiner Getrenen; jo war denn eine Combination vorhanden, wie fie für feine Pläne nicht erwünſchter fein konnte.

In der gedachten Urkunde wird das alte Bündniß zwiſchen Böhmen, Mainz und Würzburg erneuert, zugleich eine Beitimmung über die Königswahl aufgenommen. Die Urkunde hat mancherlei Schwierigkeiten gemacht; man Hat dabei nicht berückſichtigt, daß wir offenbar nur das von Kaifer und König für Würzburg ausgejtellte

ı Rommel, Gedichte von Hefien II, 191. 2 RA. Nr. 1.

258

Eremplar befiten!, während der Gegenbrief Gerhards und der Mainz betreffende unbekannt find. Denn daß auch im Namen von Mainz Briefe ausgefertigt wurden, erjcheint mir unzweifelhaft ; da Ludwig faum gegenwärtig war, wird es durd) feine anmwejenden Brüder ge= fchehen fein. Ludwig war allerdings noch nicht ernannt, deshalb wird auch in der Urkunde der Mainzer Erzbiſchof nicht namentlich be— zeichnet, fondern e8 Heißt: das Stift zu Mainz und fein rechter Vor— mund, wenn es zur Zeit feinen Erzbiſchof geben jollte. Aber der rechte Vormund war für Karl und die in Prag verfammelten Fürften unzweifelhaft Ludwig; nannte ſich doch aud) Adolf von Naſſau feiner- feit8 VBormünder des Stiftes. Wir können daher mit Sicherheit an- nehmen, daß auch von Seiten Ludwigs Briefe ausgeftellt wurden, welche in der Erwartung, daß er Erzbifchof würde, die gegenjeitigen Ver— pflichtungen zuficherten.

Mainz und Würzburg verjprachen demnach unter Anderem, wenn das Neich ledig würde durd) Karls Tod, oder furbazz ledig wirt, wie diek und wie offte daz geschiht, Wenzeln getreulid) be- holffen sein zu der köre? mit aller irer macht; es wird aljo Schon die Möglichkeit einer Wahl bei Karls Lebzeiten angedeutet, jeden- falls Wenzel die Beihilfe von Mainz gefichert.

Ob damals in Prag noch weitere Schritte gethan worden find, ift fraglich. Friedrich von Nürnberg ift vonvornherein al8 gewonnen zu betrachten; dem Herzoge Friedrih von Baiern, welcher fih in Prag aufhielt, um die Angelegenheiten in Betreff der Marf Bran- denburg zu ordnen, und der die Erbverbrüderung zwijchen Thüringen und Heſſen unterzeichnete, wurde damals oder wenig fpäter die Vogtei von Oberſchwaben übertragen, welche bis dahin der Nürnberger Burg» graf innegehabt hatte. War das eine weitere Entihädigung für die Abtretung der Marf, oder follten die Schwierigkeiten, welche Friedrich, auch ohne Kurfürft zu fein, erheben konnte, befeitigt werden, um jo mehr, da fein Oheim Otto noch die Kurftimme führte?

Km Frühjahr brad) Karl nad) der Mark auf, wo er bis zum Auguft verweilte, unabläffig befchäftigt, den neuen Beſitz zu fichern und mit immer fejteren Banden an Böhmen zu knüpfen. ‘Dort er-

ı Daß dem fo ift, zeigt unzweifelhaft die Faſſung von Paragraph 7 und 8 Henrich Anfihten S. 19 find demnach verfehlt, und noch irrthümlicher if feine Meinung, daß Karl IV. Ludwigs Prätendentenjchaft begünftigt habe, um die hairifchen und pfälzifchen Wittelsbacher zu trennen. Sch vermuthe, daf Karl den Pfälzer bewogen, Ludwig zu unterftüßen; allerdings verband Ruprecht da» mit bejondere Abfihten; im Zujfammenhange fteht, daß fein Enkel Ruprecht, der fpätere König, im Juni 1374 die Tochter Friedrichs von Nürnberg, Elifa- beth, welche früher mit Wenzel verlobt geweſen war, heirathete.

» Höfler 652 irrthümlih: zu der kron.

Stälin, Würtembergifche Gefch. III, 314 Anm. 9. Am 8. Februar 1374 urkundete Friedrich als „des Heil. röm. Reichs oberft Landvoigt au Oberſchwaben“. Nach Henrich 15 hätte das Karl freilich nur gethan, um den bairiſchen Herzögen ee der Städte zuzuziehen! Vgl. aud) die Urk. in Reg. Bo. IX,

un :

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ſchien aucd Ludwig, welchen der Papft vor dem 28. April zum Erz biichofe von Mainz ernannt Hatte!; feierlich übertrug ihm Karl im Mai in Tangermünde die Neichslchen; als Erzbiſchof von Mainz und Erzfanzler unterzeichnete Yudwig am 29. Juni die Urkunde, in welcher der Kaifer die Incorporirung der Mark in die Krone Böhmen beftätigte ?.

Im Herbite ging die Fahrt ins Reich; in Nürnberg trafen An— fang October ſämmtliche Wittelsbacher der bairischen wie der pfälzi- hen Linie mit Karl zuſammen. Berjchiedene Abmachungen wurden getroffen, meiſt das brandenburgifche Geſchäft betreffend ; die Wittels— bacher entjagten nochmals ſämmtlich feierlid) allen Anfprüchen auf die Mark; die beiden großen Familien garantirten ſich gegenfeitig ihre Befiungen. Den bairischen Herzögen aber wurde eine neue Bewil- ligung gewährt ; die Landvogtei des Eljajjes wurde ihnen für 30,000 Gulden verpfändet ®.

Bon Nürnberg zog Karl, geleitet von dem Pfalzgrafen Ruprecht, nad) Mainz. Es galt, Yudwigs Ernennung zum Erzbifchofe auch zur Geltung zu bringen. Dein ſchon hatte zwijchen beiden Prätendenten offener Krieg begonnen; jeitdem Adolf ein enges Bündniß mit Dtto dem Quaden von Braunfchweig gejchloffen, verflocht fic) der Bis— thumsjtreit mit dem Kampfe um Heſſen“. Adolf war indefjen im thatfächlichen Beſitze des Erzbisthums; der Adel war ihm ergeben, ebenfo Erfurt, die rheinischen Städte fcheinen ihn geneigter geweſen zu fein, als dem Thüringer. Für diefen wollte nun Karl in Mainz wirfen; war ihm doc) Ludwigs Stimme für die Wahl Wenzels fiher. Ruprecht jtand auf Seiten Ludwigs, fei e8 nun wegen der Berwandtichaft, welche wir oben erwähnten, ſei e8 daß er fich für deſſen Unterftügung große Conceffionen von ihm felbjt wie von Karl verfprach; wie wir jehen werden, ftrebte der Pfälzer danach, Reichs— pfandichaften der Stadt Mainz in feinen Bejig zu bringen. In Mainz erjchienen auch die Erzbiichöfe von Trier und Köln; von er— fterein wijfen wir mit Bejtimmtheit, daß er Adolf Hold war, wenn er ihm auch nicht direct unterftügt zu haben fcheint ®,

1 Reg. Bo. IX, 313. Am 28. April ernannte Gregor Lamprecht an Stelle des auf den Mainzer Stuhl beförderten Ludwig zum Bifcofe von Bam-

tg. 2 Riedel II, 3, 42; vgl. Chroniken der deutjchen Städte, Magdeburg I, 266. 8 Bol. die Urkunden in Reg. Bo. IX, 319 320. Riedel II, 8, 52 ff. Oefele II, 194. RA. ©. 35 Anm. 3. Im Januar 1375 wurde Friedrich ferner die Bogtei von Augsburg übertragen; Reg. Bo. IX, 324

1374 Auguft 30; Sudendorf, UB. zur Gef. der Herzöge von Braun- ſchweig und Lüneburg V, 39.

5 In dem oben erwähnten Bündniffe nimmt Adolf ausdrüdlih Kuno ‘unsern hern und nefen’ aus; vgl. bei Görz, Reg. des Erzb. v. Trier 1375 Februar 4. Chron. Mog. misc. fragm. ad a. 1374, bei Böhmer, Fontes rer. Germ. IV, 373. Es ift bezeichnend, daß im den gleich zu beiprechenden

Abmahungen die Mainzer Frage gänzlic) ignorirt wird,

260

Jedenfalls erreichte Karl feinen Zwei, Mainz für Ludwig zu gewvinnen, nicht; nur wenige Tage fcheint fein Aufenthalt gewährt zu haben. „Denn Adolf fammelte viel Ritter und Knechte und wollte den Kaiſer fangen. Das wurde der Kaifer inne und bat ihn um Geleit; das gab ihm der Biſchof bis aus feinem Lande. Alfo fuhr der Kaiſer mit Schande vom Rhein gen Nürnberg ; dazu wollten ihm die Städte am Rhein feinen Pfennig geben ?*

Gleichwohl war diefer Mainzer Aufenthalt für Karl von der größten Bedeutung; er bemußte das Zufammentreffen mit den rheinischen Kurfürjten, um mit ihnen über die Wahl feines Sohnes zu verhandeln, und der Erfolg war ihm günftig. Alles fam darauf an, Kuno von Trier zu gewinnen. Denn diefer genoß im Reiche und namentlich im Wejten das größte Anfehn; Friedrich von Köln war ihn unbedingt ergeben und ja bereits feit drei Jahren für den Fall einer Wahl verbündet; mit Ruprecht von der Pfalz war Kuno ebenfalls befreundet, während feine Beziehungen zu Karl und den Luremburgern nicht immer die beften gewejen waren. Nur die glänzendften Zuficherungen konnten ihn dem Kaifer willfährig machen ?.

Wir befigen die Urkunden, welche damals zwijchen dem Kaiſer und dem Erzbijchofe ausgetaufcht wurden %; betrachten wir zunächſt das Verjprechen, welche der Erzbifchof in Betreff der Wahl Wenzels gab. Kuno gelobte nämlich, wenn das Reich durch Karls Tod oder Reſignation ledig würde, wolle er Wenzel und Niemand anders zum römischen Könige wählen, bei diefer Wahl verharren und ihm als einem römischen Könige beijtehen. Wenn aber Wenzel bei Karls Lebzeiten, ſolange dieſer noch Kaiſer ſei (alfo ohne daß er refignirte), von den Kurfürſten einftimmig oder von ihrer Majorität, unter welcher ſich Friedrid) von Köln und Ruprecht von der Pfalz befinden müßten, gewählt würde, wolle er ihn auch küren. Wenn aber Wenzel bei Karls YPebzeiten nicht einſtimmig oder nicht von der bezeichneten Ma— jorität erforen würde, folle er auch nicht verpflichtet fein, an ihn feine Stimme zu wenden, doch folle er binnen der Zeit feinen Andern wählen noch der Wahl der anderen Kurfürften entgegentreten. Wenn dann aber Karl ftürbe oder das Neich aufgäbe, jo wolle er nur Menzel feine Stimme geben. Doc müffen in jedem Falle Karl oder Wenzel ihm und Friedrich von Köln vor der Wahl die gemachten Zuficherungen völlig gehalten und ausgeführt haben; ſonſt Fünne er wählen, wen er wolle.

Kuno erklärte fich aljo vonvornherein mit der Nachfolge Wen- zel8 einverjtanden; mur die Frage einer Wahl bei Karls Lebzeiten ohne Reſignation hielt er offen und band fich für fie an die Zuſtim—

ı Nad) den UB. vom 9, bis 14. November.

2 Augsburger ©. 42. Ofr. Chron. Mog. miso. fragm. ad a. 1374 a. a. O. ©. At jeine Stellung handelt gut Henrich 16 ff.

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mung feiner Mitkurfürjten Friedrich) und Ruprecht; da er aber für den Fall, daß einer derfelben fich weigerte und er ſelbſt mit feiner Stimme zurüchalten konnte, doch die Wahl nicht zu hindern ver- ſprach, war dem Kaiſer noch immer die Möglichkeit einer Majori— tätswahl nicht abgejchnitten.

Zunächſt war es erforderlih, aud mit Friedrich und Nuprecht zu verhandeln. Erſterer wird wenig Schwierigfeiten erhoben haben; hatte er doch einft feinem Oheim Kuno gelobt, fich in der Wahl- angelegenheit ganz nach diefem zu richten, und aus der von Kuno gegebenen Urkunde geht hervor, daß Trier und Köln in völligem Ein- verftändnijfe handelten. Leider iſt uns die Urkunde nicht erhalten, in welcher Friedrid) dem Kaijer feine Stimme zufagte; wir fennen den Sachverhalt nur aus der von Karl für den Kölner erlajfenen. In— deifen müffen wir nad) dem damaligen Geſchäftsgebrauche annehmen, daß der Wortlaut jener im wejentlichen mit der letzteren überein— ftimmte. Die Vereinbarungen waren demnach nicht jo complieirter Art, wie die mit Kuno getroffenen: Friedrich verpflichtete ſich, jofort wenn er von Karl oder Wenzel ermahnt werde, ohne Widerrede und Derzug Wenzel zu wählen und zu Frönen; er band fi für alle Tälle !.

Sehr Schwierig ift e8 zu entjcheiden, ob Karl damals bereits mit Ruprecht von der Pfalz angefnüpft hat. Jene Abmachung mit Kuno nöthigte ihn dazu, und da Nuprechten die anderen Verhand- lungen doc nicht unbekannt bleiben konnten?, ift es mehr als wahr- fcheinlih. Aber Feine Urkunde berichtet davon; nach ihnen, wie wir fehen werden, hat der Pfälzer erſt im Februar 1375 feine Zuftim- mung gegeben. Man hat daraus jchliegen wollen, daß Nuprecht den Wiünfchen Karls völlig abgeneigt gewejen, ja daß er felbit nach der Krone geftrebt habe. Namentlich Henri Hat auf diefe Anficht feine ganze Auffaffung von den Vorgängen bei Wenzels Wahl aufgebaut. Aber es findet fich Feine Spur, daß der Pfälzer nad) dem Throne geftrebt. Henrich weiſt darauf hin, daß Ruprecht in dem Streite zwiſchen Karl und Dtto über die Mark Brandenburg auf Seiten der bairifchen Herzöge geftanden?. Allerdings hatte Ruprecht mit Ludwig von Ungarn im Jahre 1369 ein Bündniß geichloffen, das offenbar gegen den Kaifer gerichtet war, leßterer bezeichnete ihn beim Aus- bruche de8 Krieges gegen Otto von Brandenburg als feinen „offen- baren Feind“ und befahl gegen ihn zu rüſten“. Aber nach allem was wir irgend wilfen, ift e8 nicht zum Kampfe zwifchen dem Kaifer und dem Pfalzgrafen gefommen; Ruprecht hat Dtto feine thätige Hilfe geleiftet. Andererfeits war er freilich ebenfowenig gewilft, dem

! RA. Nr. 10.

* Daßer auweſend war, bezeugt nicht nur die angeführte Augsb. Chronik, fondern auch der Fürftenfpruch bei Lacomblet III, 643 vom 9. November.

s S. 12.

* Stälin, Wirtemberg. Geſch. III, 304. XIV. 18

202 Kaifer gegen feine Verwandten Hülfe zu leiften!, und daß die Wit- tel8bacher die Mark einbüßten, kann ihm nicht gleichgültig gewefen fein. Uber wenn demmach eine Zeit lang eine gewiffe Spannung zwiichen Karl und Ruprecht geherrfcht hat, war fie damals gewiß be= jeitigt ; jonft würde Ruprecht nicht Ludwig von Bamberg, das Ge— Ihöpf Karls, unterjtüßt haben. Freilich wäre es irrig, deshalb zu denfen, daß er Karls Pläne für Wenzels Wahl ohne weiteres begün— jtigt Habe; wie alle Anderen ließ er ſich nur durch gebührende Be— zahlung gewinnen. Dieſe aber bejtand, wie wir noch fehen werden, zum großen Theil in der Ueberweilung von Städten und Ortfchaften, welche damals der Stadt Mainz verpfändet waren und welche diefe ungern herausgab. Wir hörten nun oben, daß Karl fchleunigit aus Mainz weichen mußte, weil Adolf gegen ihn zog; nicht unwahrfcheinlich ift e8 ferner, daß auch die Städter, welche ohnehin erjt zwei Jahre früher den jchlimmften Aufruhr gegen Karl erhoben?, von jenem Anſchlage auf ihre Gerechtfame hörten und Karls Page zu einer bes denflichen machten. So iſt e8 denn jehr leicht möglich, daß durch den plößlichen Aufbruch aus Mainz die Verhandlungen mit Auprecht unterbrochen und daher erſt Ipäter zu Ende geführt wurden. Da der Kaiſer ummittelbar darauf in Nürnberg und Eger fo zuverfichtlich auftritt, liegt e8 nahe zu vermuthen, daß er der Zuſtimmung Ruprechts bereit8 gewiß war.

Es erübrigt noch, einen Blid auf die Verheißungen zu werfen, mit welchen Karl die Bereitwilligfeit de8 Trierer Kirchenfürften er— kaufte. Sie find in der That ganz enorm. Karl und Wenzel ge- lobten, nie, um feiner Sache willen, gegen den Erzbifchof und das Stift Krieg zu führen, fondern ihm gegen alle Feinde zu helfen ; fein Bündniß mit Trier oder anderen Städten des Bisthums einzu— gehen und ihnen ohne Wiſſen des Erzbiſchofs Privilegien weder zu verleihen noch zu bejtätigen. Die auf Kuno liegende Ungnade des Papites folle befchwichtigt und dafür Sorge getragen werden, daß der kürzlich ansgefchriebene Zehnten der gefammten deutichen Pfaffheit er— lafjen wirde?, Das Stift jollte von allen weltlichen Gerichten be= freit fein. Mehrere Neichslchen, die Veſten Schönburg und Hammer— jtein, fowie die Herrichaft Yimburg jollten fünftig von Trier zu Lehn gehen, ſechs Neichsdörfer, die an den Grafen von Spanheim verjett waren, Trier zu Pfande gegeben, die Pfandjumme auf Boppard u. f. w. von 50,000 Mark auf 60,000 erhöht, der nur für Kunos Lebzeiten verliehene Moſelzoll dem Stifte ewig gegeben, die Landvogtei in der Wetterau nebſt anderen Aemtern an das Stift fiir 20,000 Marf verpfändet, oder dafür Kuno vor der Wahl 40,000 Gulden ausgezahlt werden. Auch die erjte Bitte in dem ganzen Erzfprengel jolfe Kuno zufallen. Berner jolle Wenzel ohne Karls Willen feine

ı Bol. Riedel II, 2, 529; Fejer, Cod. dipl. Hungariae IX, 4, 543. ? Welzel, Karl IV. II, 851. Chron. Mog. misc. fragm. a. a. O. 373. ° Bol. Sugenheim, Gejchichte des deutſchen Bolfes III, 484 und 487,

903

Regierungsgeſchäfte ausüben, che nicht legterer geſtorben ſei oder ent— jagt habe ’, damit das Reich nicht im zwei oder mehrere Theile zerriffen werde. Endlich folle die Beltimmung der goldenen Bulle, daß die Wahl in Frankfurt geichehe, widerrufen und, „damit die Wahl und Kur frei fein möge“, diefelbe in dem Baumgarten zu Nenje gehalten ? und der Gewählte erjt dann in Frankfurt nach altem Brauche auf den Altar gejetst werden. Che nicht alle diefe Verfprechungen voll zogen, fei Kuno zur Wahl nicht verpflichtet.

Die Verſprechungen, welche Köln erhielt, waren ebenfalls nicht unbedeutend. Friedrich jchuldete dem Papfte noch von feiner Erhebung her 120,000 Gulden. Karl wollte nun bewirken, daß diefe Summe ganz niedergejchlagen wiirde, oder dem Erzbiſchofe 30,000 Gulden auszahlen; außerdem noch 6000 Schock Prager Grofchen. Wenn ein Bisthum oder font eine Kirche ledig würde, nach welcher Friedrich ftrebe, wolle ihn der Kaiſer unterjtügen? In einer weiteren Urkunde nimmt Karl Friedrich zum Tiſchgenoſſen an und fett ihm, da er ihn oft bei Hofe zu fehen wünsche, um fich feines Nathes zu erfreuen, für die Daner feines Aufenthaltes an demfelben ein Wochengeld von 100 Goldgulden aus *,

Der Kaifer ging über Frankfurt nad) Nürnberg, wo er Anfang December eintraf?. Hier gab nun Ludwig von Mainz die bindende Erklärung ab, fobald er dazu ermahnt und e8 ihm angemuthet werde, wolle er Wenzel zum römischen Könige wählen und ihm treu fein ®. Und fchon ließ Karl ſich vom Grafen: Eberhard von Wirtemberg die Erklärung ausstellen, daß er den König Wenzel, wenn er zu Karls Lebzeiten oder nach deſſen Tode von den Kurfürften oder ihrer Ma- jorität zum römischen König erwählt würde, als folchen anerfennen und ihm treu fein wolle”.

Bon Nürnberg zog der Kaifer nad) Eger, wohin er ſchon im vorigen Jahre einen Reichstag ausgejchrieben Hatte, der aber nicht zu Stande gelommen war? Diesmal fcheinen zahlreiche Fürften

ı Henrich macht daraus ©. 22: nec vero electum Wenceslaum ex- templo regem fore Cuno voluit, sed regem designatum.

2 Das that Karl fofort, RA. Nr. 5; fiehe darüber jpäter.

° Wahrſcheinlich ift Straßburg gemeint, wo es nad) der Verſetzung des Biſchofes Lamprecht am 28. April 1374 nad) Bamberg zu einer zwiefpältigen Mahl gefommen war. Wenn Friedrich fpäterhin fi die erften Bitten in ber Didcefe von Straßburg ſchenken und Ausfiht auf die Landvogtei im Elſaß er- öffnen Tief, Scheint der Zufammenhang nirzweidentig zu ſein.

+ RA. Rt, 11.

5 Movember 25, Frankfurt. December 4, Nürnberg. Böhmer, Cod. dipl. Moeno-francof. 738.

° RA. Nr. 2. December 8.

RA. Nr. 38. December 8.

s Riedel II, 3, 7: Etiam imperator statuit certum terıninum elec- toribus et aliis prineipibus imperii veniendum in Egram dominiea proxima post festum sanete Katharine (November 27) ad ejus praesen- tiam etc. Dies kann ſich nicht auf 1374 beziehen, wie Weisfäder, RA. ©. 65 Anm. 1, will. Denn vorher wird erzählt, die Herzöge von Oeſtreich

[8*

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verſammelt gewefen zu fein, welche der Herricher für feine Pläne zu gewinnen wußte.

Dorthin kam vor Allen Derog Albrecht von Deftreich, welcher foeben am 8. December feine Verlobung mit Beatrix, der Tochter des Burggrafen Friedrid) von Nürnberg, gefeiert hatte, nachdem der ener— giihe Einspruch des Papjtes ihn von der beabfichtigten Verlobung mit Violanta Visconti abgebradit. Albrecht legte dajjelbe Gelöbniß ab, wie furz vorher in Nürnberg Graf Eberhard von Wirtemberg; dagegen verſprach Wenzel, jobald er gekrönt wäre, Albrecht und dejjen Erben alle Privilegien zu bejtätigen und die Reichslehen zu verleihen. Karl aber verpflichtete fich, dem Herzoge innerhalb eines Jahres nad) der Krönung Wenzels * 10,000 Schod Prager Groſchen auszuzahlen oder ihm fichere Bürgfchaft darüber zu geben. Albrecht Hatte guten Grund, Karls Freundihaft zu fuchen; jtand er doc mit feinem Bruder Leopold im übeljten Einvernehmen, und der Ausbrud) eines Krieges zwifchen ihnen war täglich) zu befürchten , Doch wird Karl ſelbſt damals beftrebt gewejen fein, auch zu Leopold gute Be— ziehungen aufrecht zu erhalten. Denn leterer war gerade damals be= ——— den Ehevertrag zwiſchen ſeinem Sohne Wilhelm und Hedwig, der Tochter Königs Ludwig von Ungarn zum Abſchluß zu bringen ®, Rarl aber trug ſich mit dem Plane, feinen zweiten Sohn Sigismund mit Ludwigs Tochter Maria zu verloben. Schon war der päpftliche Difpens ertheilt worden ; daher wurde aud) in diefen Tagen (30. Dec.) die Verabredung aufgehoben, laut welder Sigismund dereinft die Tochter Friedrihs von Nürnberg heimführen follte. Aber bereits Tags vorher war eine andere Yamilienverbindung, die ſchon 1368 projectirt worden war, ehe die beiderfeitigen Kinder das Yicht der Welt erblickt hatten, feſtgeſetzt; Friedrichs Sohn Johann follte der- einst das jett erjt zwei Monate alte Töchterhen Karls Margaret ehelichen, wie e8 denn fpäter auch geſchah. Noch mancherlei andere Berabredungen wurden zwifchen dem Kaiſer und dem Burggrafen getroffen, legterer verſprach Hülfe gegen die bairifchen Herzöge, wenn diefe, im Falle daß Herzog Otto ohne Erben ftürbe, die für 100,000 Gulden verpfändeten Ortfchaften Karl nicht wollten auslöfen lajjen. Natürlich gelobte auch Friedrich, Wenzel als König anzuerkennen und ihn als folchen zu unterftügen, wogegen diefer Beftätigung aller Privi— legien und bejonders des Antheiles am Zolle zu Selz zuſicherte“.

Albreht und Leopold feien nad) Prag gekommen, weil fie in Zwietracht Iebten ; diefe habe der Kaifer verföhnt. Das gehört aber ins Jahr 1373. Bol. Birk Reg. 1129 1135, bei Lichnowsty, Geſchichte des Haufes Habsburg IV. Anfang December 1373 war Karl in Prag; Belzel, Karl IV. II, 879.

! RA. Nr. 39. 40; fiehe aud) die Anm.

2 Kurz, Defterreich unter Herzog Albrecht III. Bd. I, 123. Die Urk. bei Birk, Reg. a. a. DO. 1201, nach welcher Albreht am 26. December 1374 in Bien, gameien, gehört zu 1373.

‚Re. a. a. O. 1181. 1209. Am 25. November hatte Karl zu ad gegen Straßburg verfügt; a. a. ©. 1191. * Mon. Zoll. RA. Nr. 41. 42,

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Auch den drei thüringifchen Yandgrafen wurde für ihre fräftige Unter- ſtützung Bejtätigung der Privilegien und Erjag aller Koften, welche fie in Wenzel Dienft zu tragen hätten, verheißen !.

So war ein Erfolg mehr und mehr gefihert ; im Januar 1375 verpflichtete fi) auch der Kurfürft von Sachſen, Wenzel jeine Stimme zu geben. Demnad) erübrigte nur noch, Ruprecht von der Pfalz, fei e8 erft zu gewinnen, oder mit ihm zum Abjchluffe zu kom— men, wie e8 wahrjcheinlicher ift. Zu dem Zweck war Ruprecht in die Nähe des Hofes gefommen; bereits am 4. Februar treffen wir ihn in Amberg?. Wahrjcheinlich erjchien er nicht felbft in Prag, jondern ließ durch Bevollmächtigte die Verhandlungen führen.

Am 12. Februar ftellt Karl in Prag die Urkunden aus, welche den Preis für Ruprechts Stimme bezeichnen; auch diefer war enorm hod). Zunächſt ſchlug Karl 50,000 Goldgulden hinzu zu den 100,000, welche auf Ruprechts Keichspfandichaften jtanden ; er geftattete ihm ferner, Keichslehen zu faufen und zu verpfänden. Werner verlieh der Kaifer Ruprecht I. und feinem Großneffen Ruprecht II. Burg und Stadt Oppenheim und Gau-Odernhein, Schwabsburg, Nierjtein, Ober: und Nieder » Ingelheim, Großwinternheim nebjt den dazu gehörigen Dörfern und die Stadt Kaiferslautern. Oppenheim aber und die andern Ortfchaften waren der Stadt Mainz für 71,000 Gulden ver- pfändet; daher verſprach Karl, diefelben bis zum St. Georgstage oder vierzehn Tage nach demjelben einzulöjen und dem Pfalzgrafen zu über- geben. Ginge Mainz nicht auf die Löſung ein, jo wolle er die 71,000 Gulden Ruprecht Hinterlegen und fofort Feind von Mainz werden, die Stadt in die Reichsacht thun und fie jo lange befriegen, bis fie das Pfandobject herausgegeben. Würde num Wenzel von der Majorität der Kurfürften gewählt, ehe Ruprecht die Städte erhalten oder das Geld hinterlegt wäre, jo ſolle der König doch die Wahl nicht eher annehmen, ehe er nicht den Pfälzer befriedigt, und dann fofort nad) der Krönung den Kampf gegen die Stadt beginnen“. Vorher aber wollen weder Karl noch Wenzel Ruprecht ermahnen, feine Stimme zu geben, wie es leßterer verſprochen. Endlich beftätigte Karl dem Pfalzgrafen und feinen Nachfommen das Reichsvicariat in Deutjch- land, wenn das NeichSoberhaupt „über Berg zieht“; am 14. Fe— bruar gelobte Wenzel bei feiner Krönung alle Freiheiten der Pfalz zu bejtätigen. Des Falles, daß Wenzel gar nicht gewählt wiirde, geichieht Feine Erwähnung.

Am 22. Februar erfolgten die Gegenverfchreibungen der drei Ruprechte in Amberg. Zunächſt befannte Nuprecht der ältere, daß er Briefe gefehen und lejen gehört, in welchen die andern Kurfürften,

ı RA. Nr. 43.

2 Bol. RA. Nr. 25,

3 Reg. Bo. IX, 325.

Es kam zu feinen ernfteren Weiterungen, da die Stadt fid die Auslöfung gefallen ließ. gl. Reg. Bo. IX, 345.

266

Kuno von Trier, Yudwig von Mainz, Friedrich von Köln umd Wenzel von Sadjfen (Brandenburg wird übergangen), jeder beſon— ders verjprochen, Wenzel wählen zu wollen. Da habe er, wie er verpflichtet jei, Nuten und Ehre der Chrijtenheit und des heiligen vömifchen Reiches erwogen und den Frieden der Yande und Yeute und die Eintracht feiner Mlitkurfürften. Und da er nad) beftem Ge- wiffen, das heil. Reich und dejjen Würde zu mehren und zu hand» haben, überzeugt fei, daß Wenzel an Macht und Wiürdigfeit, wie fie einem römiſchen Kaifer und Könige zufommen, in deutjchen Landen der bejte und mützlichjte fei zu einem Römiſchen Könige und zukünf— tigen SKaifer nad) dein Tode Karls oder deſſen Entfagung vom Reiche, jo wolle auch er mit feinen genannten Mitfurfürften oder der Mehr- heit derfelben feine Stimme Wenzel geben. Cr gelobe daher bei fürjtlicher Ehre, fobald er von Karl oder nad) deifen Tode von Wenzel ermahnt werde, diefen ohme jede Widerrede zu wählen und ihm gegen Jedermann beizuftehen. Für den Fall, daß Nupredt I. vor der Wahl ftürbe, verpflichteten ſich zugleich deijen Neffe und Großneffe, dann das Gelübde zu erfüllen.

Man hat die Verpflihtung Ruprechts jo aufgefaßt, daß er die Mahl nur dann vollziehen wolle, wenn Karl ftürbe oder das Reich anfgäbe !. Aber wenn das wirklich der Fall gewejen wäre, jo würden die Worte ‘noch tode oder ufgabe des reiches’ ficher an einer prägnanteren Stelle jtehen; der die Verpflichtung enthaltende Paſſus jagt von einer ſolchen Beichränfung nichts, ebenfowenig das Verjprechen der beiden jüngeren Ruprechte und die Urkunde Karls vom 12. Fe— bruar. Die ganze Stellung der Worte nöthigt vielmehr, fie Lediglich zu beziehen auf die unmittelbar bevorjtehenden ‘zukunfftigem keiser’; und davon, dag Wenzel neben Karl Kaifer würde, konnte ja nicht die Rede fein; die Wahl zum Könige wird durch fie gar nicht tan= girt.

Auffällig iſt dabei, daß, wie es ſcheint, zu gleicher Zeit die drei Ruprechte das Verſprechen gaben, wenn einer von ihnen König würde, wollten ſie doch Wenzel gegenüber alle Einigungen und Bündniſſe halten, welche fie mit Karl eingegangen. Mau hat auf dieſe Urkunde weitgehende Schlüſſe gegründet; Henrich (S. 27) und Höfler (S. 657) glaubten geradezu darin eine Hinweiſung erbliden zu müſſen, daß Ruprecht noch immer Hoffnungen auf die Krone hegte ?. Aber dem ſteht doch die beſtimmte Verpflichtung entgegen, welche alle drei Pfälzer eingingen. Wenn die Urkunde wirklich erſt damals und nicht ſchon früher, etwa im October 1374 in Nürnberg, ausgeſtellt wurde, fo war fie eben nichts als ein Act höchiter Vorficht zu dem Zwede, die Mark Bran-

ı geizfäder in der Ueberjchrift von Nr. 20. Henrid 27. Höfler

? And, Weisfäder, RA. ©. 3, deutet derartiges an. Nach Henrid 27 hätte ſich Ruprecht auf dieſe Verhandlungen nur eingelaſſen, um Karl zum Kriege gegen Adolf zu zwingen, in der Hoffnung, daß der fränfliche Kaiſer den Strapazen des Feldzuges erliegen würde! Ich glaube, daß die Erhebung Ludwigs mehr in Karls Intereſſe als in dem Ruprechts lag, vgl. oben,

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denburg auf alle Fälle dem Yureinburger Haufe zu bewahren. Wenn wirklich Auprecht noch irgend Tolche Pläne gehegt hätte, würde er jie am wenigiten Karl gegenüber jo offen ausgeſprochen haben !. Mit diefem Amberger Acte war Karl der Erreichung feines Ziele fiher. Gleichwohl zögerte er noch ein Jahr, che er zur Voll— ziehung der Wahl ſchritt. Man hat verjchiedene Gründe angeführt, welche Karl zum Hinhalten bewogen hätten: es habe an Zeit gefehlt, andere wieder meinten, Karl jei feiner Sache nocd) nicht völlig jicher - gewefen, ferner habe der Krieg gegen Jugilram von Coucy den Erz— bifchof von Trier und den Pfalzgrafen allzu jehr in Anſpruch genome men; endlich ſei erjt der Widerftand des Papftes zu überwinden ge= wejen?. Aber Karl dürfte andere Gründe zu warten gehabt haben. Wenzel war im %. 1361 geboren, alfo eben erjt vierzehn Jahre alt: nad dem fränkischen Rechte war der König mit fünfzehn Jahren mündig. Freilich hatte Karl in der goldenen Bulle das acıtzehute Jahr als Majorennitätstermin für die Kurfürjten fejtgefegt, aber unzweifelhaft galt für den König noch das alte Recht ?. Erfolgte aber Wenzels Wahl erjt, wenn er volljährig war, jo waren von— vornherein mancherlei Bedenken abgefchnitten. Und täufchen wir uns nicht, jo war ein weiterer Punkt von Wichtigkeit. Es war zu erwarten, daß die päpftliche Curie alle möglichen Hinderniffe ins Feld führen wirde; ihr gegenüber war es nicht ohne Werth, wenn der Throncandidat bei feiner Wahl bereit8 miündig war. Der Gang der jpäteren Verhandlungen mit der Curie zeigt die Nichtigkeit diefer Anfiht.e Zwar erklärte Gregor in jeinem erften Schreiben vom 4. Mai 1376 den defectus aetatis al8 ganz befonderes Hinderniß; ohne Zweifel aber ijt er bald eines bejjeren belehrt worden, daß von Rechtswegen die Jugend Wenzel® nicht urgirt werden fünne. So jehr fid) aud) der Papſt und feine Gejandten bemühten, Schwierig— feiten zu erheben, den Grund, daß er nod) nicht mündig fei, der dod) jo plaufibel geflungen Hätte, bringen fie nicht mehr vor®. Niemals ferner in den geſammten Wahlverhandlungen und Feſtſetzungen ift von der Minorennität Wenzel die Nede; er wird als vollkommen

ı Sämmtliche Url. in RA. Nr. 16—21; vgl. aud) die Anmerkungen.

2 Bol. Henrich 29. 30 in den Anm.

s Kraut, Die Vormundfchaft nad) den Grundſätzen des deutichen Rechtes III, 115 f. Id fann mid) zugleich auf die mündlich eingeholte Autorität von Hermann Schulze berufen; vgl. defjen Abhandlung, Geihichtliche Eutwicklung der deutſchen Hausverfaffungen im Mittelalter, in Zeitfchr. für Rechtsgeſch. VII, 400 ff.

* Nur in den fpäter ausgewechlelten Urkunden d. d. 1376 Diär 6 und Mai 3 (RA. Nr. 87 und 88) heißt e8: licet etate sit juvenis; das heißt aber nicht: unmüudig. Daraus macht das Schreiben des Gegenpapftes Clemens VII. (RA. Nr. 93) allereings: licet tune minoris etatis esses; doch ift es einerjeits nad der Stellung der Worte nicht ganz klar, ob fie nicht auf Wenzels Wahl zum böhmischen Könige zu beziehen find; amndererjeits ift das Schriftftüd nie von Wenzel acceptirt worden (ſ. hinten). Mit Recht er— Härt Weizſäcker die augebliche Correfpondenz zwifchen Wenzel und feinem Bater betveffs der Wahl für Stylproben; vol. RA. S. 125 Anm.

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geeignet bezeichnet und nimmt völlig felbjtändig Regierungshandlungen vor. Man wird daher vermuthen dürfen, daß Gründe diejer Art Karl zum Warten bewogen.

Ym Sommer 1375 entbrannte der Kampf in Mitteldentichland zwijchen Helen, Thüringen und Ludwig von Mainz einerjeits und Dtto von Braunfchweig, Adolf von Naſſau und deren Verbündeten aufs Heftigjte. Adolf war ins Eichsfeld gefommen ; nad) mancdherlei friegerifchen Actionen Hatte er ſich in das jtarfe Erfurt, deſſen Bür— gerichaft und Geiftlichkeit ihn anhingen, geworfen. Die Stadt wurde acht Wochen von einem ftarfen Heere belagert ; jo furchtbar die Um— gegend litt, gegen die Stadt jelbjt wurde nichts erreicht. Da erfchien Ende Augujt der Kaifer, begleitet von feiner Familie, im Heere der Belagerer ; e8 gelang ihm, einen vorläufigen Frieden zu vermitteln. Derjelde fam am 6. September „zu Felde vor der Burg Tonna“ zu Stande, er follte bis Johanni 1377 dauern. Karl hob die Reichs- acht auf, welche er über Erfurt und dejjen Verbündeten verhängt; die Geiftlichfeit des Mainzer Stiftes, mochte fie nım Adolf oder Lud— wig anhängen, jollte in ihren Benificien u. ſ. w. unbeläftigt bleiben ; doc folle Yudwig in der Zwifchenzeit feinen Gegner nicht mit Pro— cejfen oder päpftlichen Briefen bejchweren!. So fam die Ver: mittlungspolitif, welche Karl fo gern einfchlug, auch hier zur Geltung; die Ruhe wurde bis über die Wahl hinaus gewahrt, aber iiber die Rechte und Ansprüche der beiden Prätendenten fein beftimmter Ent- icheid getroffen. So erreichte der Kaifer, daß Yudwig für die Wahl feine Stimme nicht verfagen durfte, während von Adolf, der mit dem Abkommen fehr zufrieden jein mußte, Feindſeligkeiten nicht zu fürchten waren, ein Umſtand, der bei der Nahbarfchaft von Mainz und Frank: furt von großer Bedeutung war. Daher bejchwichtigte, wie wir fehen werden, Wenzel jpäterhin noch mehr den unruhigen Sinn Adolfe. Und endlich foll Karl auch den pefuniären Vortheil nicht vergefjen haben ; bedeutende Strafgelder, welche Erfurt zahlen mußte, floffen in feine Tafche. Durch die Mark z0g dann Karl nad Lübeck, wo er am 22. October eintraf, begleitet von zahlreichen Fürften, unter denen fid) auch Erzbifchof Friedrich von Köln befand, der feit längerer Zeit den Hof begleitete, um faiferliche Hilfe gegen die wider- ipenftigen Kölner zu erlangen ?. Erjt Ende des Jahres war der Kaiſer wieder in Prag.

Als die Verhandlungen foweit gedichen waren, daß Karl von den Fürften des Reiches das Verſprechen einholen konnte, dereinft Wenzel treu zu fein, war es nicht mehr möglich), diefelben vor dem Papſte geheimzuhalten. Wie wird diefer, wie wird die Curie ſich

ı Hist. de Landgr. Thuring. bei Pistorius I, 986. Joh. Rothe During. Chr. ed. R. v. Lilienfron 628, Guden III, 518. 2 SLacomblet III, 672 ff.

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zur Wahl Wenzel8 jtellen? Es ift befannt genug, daß die Wahl Karls IV. ſelbſt Lediglich ein Werk des Papftes geweſen; die maß— lojen Anfprüce, welche Johann XXI. gegen Yudwig den Baiern erhoben, hatten durch fie Anerkennung und gewiljermaßen Berechtigung erhalten. Dagegen jchwiegen fpäterhin die Wahlbeftimmungen der goldenen Bulle völlig vom Papfte. Seit langer Zeit war die Frage, in welchem Verhältniffe der Papſt zur deutfchen Königswahl jtehe, die ja zugleich den fünftigen Kaifer ergab, eine überaus ſchwierige, da fie eben nicht auf Nechtstitel gegründet, fondern eine Machtfrage war, die unter verjchiedenen Verhältniffen die verichiedenartigfte Deu— tung finden fonnte und fand. Es ijt hier nicht der Ort, genauer darauf einzugehen; nur auf die Zuftände des lettverfloffenen Jahr— hunderts mag furz hingedeutet werden. Jedenfalls war, troß aller Theorien der Minoriten und ihrer Gefinnungsverwandten, es nicht möglich, thatfächlich die Königswahl von jeder Beziehung zum Papfte zu löfen; da einmal der deutſche König ſich als legitimen Erben der Kaiferfrone betrachtete, die er doch nur dur den Papſt erhalten fonnte, war e8 in der Yage der Dinge begründet, daß der Stellver- treter Chrifti ein gewijjes Anerkennungsrecht der Wahl beanfpruchen und aud ausüben mußte, mochte man dajjelbe und die Wirkungen dejfelben mehr oder minder ausgedehnt fajfen wollen. Konnte doch bei den Machtverhältniffen des vierzehnten Jahrhunderts Fein deutjcher König hoffen, einen widerwilligen Papft zu zwingen, ihm die Kaiſer— frone zu ertheilen. Schon war für diefen Anerfennungsact die tech- nische Bezeichnung approbatio in Gebrauch gekommen !; aber die rechtlichen Beziehungen derjelben waren überaus ſchwankend und dehnbar. Bezieht ſich diefe approbatio ſchon auf die Königswahl oder mur auf die eventuelle Kaiferfrönung ? bedarf alfo der Erwählte, um über- haupt herrichen zu können, erjt der päpftlichen Approbation ? in wel- chen Fällen kann fie der Papit verfagen ? Co ijt es nicht zu ver- wundern, wenn bei fo ſchwankenden VBerhältniffen die extremften An— fihten zu Tage treten, daß energifche Päpfte, wenn die Gelegenheit günftig fchien, die äußerſten Konjequenzen gezogen; Bonifacius VIII., Johann XXI. Haben geradezu behauptet, daß der Erwählte nicht regieren dürfe, bevor er nicht die päpftliche Approbation erhalten, und Karl IV. Hatte diefelbe erft eingeholt, ehe er fich krönen ließ. Die deutfchen Kurfürften dagegen faßten bei den verjchiedenen Wahlen die Sache fo auf, daß ihre freie Wahl dem Könige die Negierungs« rechte verleihe, und die Gunft des Papſtes lediglich behufs der Kaifer-

1 Schon Engelbert von Köln bedient fich derfelben in dem Bericht über die Wahl Rudolfs an den Papft: processum vero tam rite, tam provide, tam mature de ipso sic habitum gratiose approbationis applausu be- nevolo prosequentes dignemini etc. (LL. II, 394). Sonft wird er in der Regel von den deutſchen Königen und Kurfürften vermieden [nur die Mähler Friedrichs de8 Schönen bitten um approbatio (electionem appro- bare. Dlenfchlager Urt. 66)], während die Päpfte feit Bonifacius VIIL. ftets die fchroffe Form anwenden: personam approbare.

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frone zu erbitten je. So war es namentlich bei der legten Wahl, die in regelmäßiger Weife erfolgt war, der Heinrichs VIL gehalten worden. Und man darf mit Sicherheit annehmen, dag von diefem Standpunkte Karl bei Abfaſſung der goldenen Bulle ausging; die Wahl und Krönung zum Könige wurde als interne Sache Deutſch— lands geordnet und dabei des Papites Einfluß, wie es mit Recht geschehen konnte, ausgeichieden; die Kaiferfrönung aber ward in der goldenen Bulle gar nicht behandelt, hier blieb alfo eine Vereinbarung mit dem Papite offen. Wird nun Karl diefe Anficht durchführen ? Zum erjten Male jeit Erlaß der goldenen Bulle jollte eine Wahl vor ſich gehen; nachdem die Wahl des Vaters in volliter Abhängig- feit vom Papite geichehen war, jollte die des Eohnes frei erfolgen. Es war vonvornherein nicht wahricheinlih, daR die Curie freiwillig darauf verzichten würde, ihre vermeintlichen Rechte zur Geltung zu bringen; die ungewöhnlichen Umstände, daß die Wahl bei Yebzeiten des Vaters geichehen follte, mußten ſie noch mehr ermuthigen, jich jtörend einzudrängen und möglichit große Conceffionen zu erzwingen. Zudem war man in Avignon gewiß nicht jehr mwohlwollend gegen Karl gefinnt, troß der perjönlichen Freundſchaft zwiſchen diefem und Gregor; der Kaifer, der immer fo viel verſprochen, hatte jchliehlich wenig gehalten und mit jeltener Meijterichaft die Erwartungen ge= täufcht, ohne daß man ihn etwas anhaben konnte.

Mit größter Vorfiht und Klugheit hatte hier der Kaifer zu verfahren.

Anfang 1375 mag Karl dem Papjte feinen Plan eröffnet haben, und zwar gleidy in vollem Umfange, daß er, ohne das Reich aufzu= geben, Wenzel zum römischen Könige wählen lajjen wolle. Groß war die Aufregung und Beftürzung in Avignon; dort war man am we— nigften damit einverjtanden, daß in Deutichland eine Familie das Königthum dauernd innehatte und es dadurch wieder Eraftvoller machen fonnte. War doch auf diefem Wege fogar die unwillkommene Aus— jiht eröffnet, daß aus dem jchwanfenden Wahlfönigthume eine feite Erbmonardie ſich entwidelte. Indeſſen ganz und gar ablehnen fonnte man nicht; ſchon der Umſtand, daß der apostoliiche Stuhl wieder nad) Rom zurückverlegt werden ſollte, gebot, Rüdjichten auf den Kaiter und deſſen Wünfche zu nehmen. Und wenn nicht Alles trügt, hat man fih in Avignon über die Stimmung der deutichen Fürſten getäufcht. Denn wenn diefen auch im Anfange der Plan Karls nicht weniger unangenehm geweien fein mag, als der Curie, jo hatte bereits Karls Geihid und Opferwilligfeit die Bedenfen be— jeitigt md den guten Willen erfauft; und jo wenig die Mehrzahl der deutichen Fürſten dem luxemburgiſchen Haufe ergeben fein mochte, noch mehr waren fie erbittert gegen das Papjtthum und dejjen maß— (oje Anſprüche in Geldfahen wie in anderen Dingen. Gene Renfer und Frankfurter Beihlüffe von 1338 entiprangen doch der wahren Herzensimeinung der Deutjchen, und wenn fie auch augenblidlich ve= ſultatlos waren, ihre Grundideen wirkten weiter. Die Mißſtimmum

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war jetzt nicht geringer, als vierzig Jahre früher. Daher konute der Kaiſer, wie wir jehen werden, gerade gegenüber den Ansprüchen der Curie an die deutfchen Fürſten appelliren, während diefe glaubte, die Fürjten würden einen jo energifchen Widerftand erheben, daf Karl ohne die Hülfe des Papftes gar nicht zum Ziele kommen fünne. Man bejchloß daher in Avignon, zwar auf Karls Wiünfche einzugehen, aber dafür fo große Koncefjionen zu verlangen, daß die Gefahren, welche Wenzel8 Wahl bringen konnte, nicht nur beichtworen wurden, fondern aud) der päpftliche Einfluß auf die Königswahl trog der gol— denen Bulle für alle Zeiten gefichert war. Die Art und Weife der Er- hebung Karls IV. follte, zum Gewohnheitsrecht firirt, die Norm für alfe fünftigen Wahlen werden.

Als Gefandter wurde Thomas de Amanatis beftimmt, der er— wählte Biihof von Nimes. Der Papſt fchrieb dem Saifer, feine Abſicht, Wenzel bei jeiner eigenen Lebenszeit und ohne daß er refignirt, zum Könige wählen zu laffen, fei durchaus ungewöhnlich; nicht allein das zu geringe Alter Wenzeld, auch andere ſtarke und inhaltſchwere Gründe ftänden im Wege. Daher habe er, der Papſt, nur mit Mühe das Cardinalcollegium vermocht, überhaupt auf die Sade ein— zugehen; er müſſe daher auf der Erfüllung gewijfer Bedingungen be= jtehen. Wir fernen diejelben allerdings nicht in ihrem Wortlaute, vermögen fie aber aus den jpäteren Verhandlungen zu entnehmen. Karl und Wenzel follten vor Allem perſönlich nach Avignon kommen, dort die Eide leiften, welche einſt König Johann und Karl i. J. 1346 vor des letteren Erhebung gejchworen, dann den Papſt bitten, dag er den Kurfürften erlaube, die Wahl vorzunehmen; wenn dieſe vor fich gegangen, müſſe ſodann die päpftliche Approbation eingeholt und erſt nach diefer dürfe die Krönung vollzogen werden. Ferner müßten beide geloben, daß in Zukunft nie mehr ohne ganz befondere Genehmigung des Papites der Sohn bei des Vaters Lebzeiten zum Könige gewählt werde, und ihre Einwilligung dazu geben, daß der Papſt darüber eine ausdrückliche Conſtitution erlafje!.

Im April 1375 war Thomas auf der Reife; es iſt fehr zu bedauern, daß wir von dem Gange, den die Berhandlungen nahmen, nur ſehr wenig wiſſen. ebenfalls verhielt fich Karl nicht ablehnend ; wie der Papft verfichert, gelobte er die Erfüllung eines Theile der Bedingungen; ficher fagte ev zu, nach Avignon zu kommen. Aber vonvornherein hat er kaum die Abficht gehabt, das Verſprechen zu halten; trat er doc vielmehr Ende Auguft die große Reiſe nach dem Norden an. Gewiß war Thomas vorher nad) Avignon zurückge— fehrt; wir würden fonft feinen Namen bei dem Waffenftillftande von Tonna oder in Lübeck erwähnt finden. In Avignon war man mit den Erfolgen zufrieden; die Bedingungen wurden näher formulirt;

ı Dies folgt aus RA. 61-63, Dazu traten jedenfall® nod) andere, nicht in unmitteſlbarem Zufammenhauge mit der Wahl ftehende Bedingungen, etwa Stalien u. ſ. w. betreffend.

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Anfang Januar 1376 war Thomas wieder in Deutfchland!. Wann nun Thomas den Kaifer getroffen hat, wiſſen wir nicht, ebenfowenig, welche Aufnahme er gefunden hat?; nur zu bald jollten er und feine Auftraggeber über die wahre Meinung Karls aufgeklärt werden. Die ganzen vorhergegangenen Berhandlungen hatten mur den Zweck, die Curie in Sicherheit zu wiegen, fie von vorzeitigen Schritten abzu= halten, um fie dann plötzlich zu überrafchen.

Indeſſen waren in Stalien jehr bedenkliche Zuftände eingetreten ; eine Erhebung in den gewaltigften Dimenfionen war gegen die päpſt— liche Herrihaft ausgebrochen; Florenz jtand an der Spike; der ihlimme Bernabo Visconti, mit dem Gregor faum erſt Waffenftill- ftand gejchloffen, Johanna von Neapel, achtzig Städte traten hinzu ; im November 1375 wurde auch der Kirchenjtaat von der Bewegung ergriffen, am 6. Januar 1376 wurden, wenn auc) vergeblich, die Römer zum Anſchluſſe aufgefordert ?,

Da bedurfte der Papft des Kaifers; im Februar fuchte er drin- gend deſſen Hülfe. Wir befiten nicht den Brief, den Gregor an Karl ſelbſt ſchickte, wohl aber ein Begleitjchreiben defjelben vom 23. Februar, vermuthlih an Erzbiihof Johann von Prag gerichtet, in welchen derfelbe aufgefordert wird, den Kaifer zu thatfräftigem Ein— greifen zu vermögen? Wiederholte Krankheit Karls hatte in Avig— non die Sorge wad) gerufen, daß derfelbe jchnell fterben fünne. Im gegenwärtigen Augenblide wäre der Curie nichts unwillkommener ges weſen; gerade jett, wo man auf die Unterftütung des luxemburgiſchen Haufes rechnete, wollte man diefelbe nicht durch eine eventuelle ftrei= tige Königswahl einbüßen. Daher jchrieb Gregor an Johann zu= gleich, der Cardinal Robert von Genf, der nächſtens in Deutjchland eintreffen werde, habe den Auftrag, wenn während feiner Legation Karl etwas Menfchliches zuftoße, dann die Kurfürften zu vermögen, Wenzel zu wählen ?,

Die Empörung in Stalien mußte auch für Karl ftörend fein, fchon deswegen, weil durd fie die erwünſchte Verlegung des apojto- lifchen Stuhles nad) Rom hinausgefchoben werden konnte; indefjen

I Die Reifen des Thomas ergeben fid aus RA. Nr. 61 und 62; vgl. Reg. Bo. IX, 327 (1375 April 4.) und 338 (1376 Ianuar 1). Am 24. Nov. 1375 bevollmäditigt der Papft Gregor in Avignon Thomas cum te ad Alamanie et Boemie, Polonie et certas alias partes pro quibusdam nostris et ecclesie Romane negotiis transmittamus überall Untercollec« toren für Erhebung des Zehnten einzufegen. Theiner, Vet. monum. Polon. et Lith. I, 726.

: Im Mai 1376 ift er in Baiern, wahrſcheinlich in des Kaifers Uimge- bung. Reg. Bo. IX, 348.

s Gregorovius, Geichichte der Stadt Rom im Mittelalter VI, 453 ff.

* RA. ©. 94 Anm. 1.

5 Ut quidquid legatione durante de imperatore contingeret .. . Dies fteht offenbar nicht im Zufammenhange mit den fchwebenden Berhand- lungen über Wenzels Wahl bei Lebzeiten Karls; dieſe betrachtete man in Avig- non al® geheime,

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konnte er andererjeits durch energiſche Schritte gegen die Empörten den Papſt nachgiebiger ftimmen. Jene Bitte um Hilfe muß etwa Mitte März in des Kaifers Hände gelangt fein, als derfelbe bereits in Nürnberg war, auf dem Wege nad Frankfurt zur Wahl Wenzels. Dort erließ aud) der Kaifer bereit8 am 26. März ein abmahnendes Schreiben an die Florentiner und verhieß, nachdem er ſich in nächiter Zeit mit den verſammelten Fürſten des Reiches berathen, eine feier- liche Geſandtſchaft zu fenden !,

In Nürnberg, wo der Kaifer von Mitte März bis Mitte Mai mit Furzer Unterbrechung verweilte, waren zahlreiche Fürften verſam— melt. Bor Allem des Kaifers Söhne Wenzel, Sigismund, der zum ersten Male den Titel eines Erzkämmerers des heil. röm. Neiches führt, und Johann, die Erzbiichöfe Ludwig von Mainz, Friedrich von Köln, Ruprecht von der Pfalz, Friedrih von Nürnberg und Ans dere; auch die Baiernherzöge werden erfchienen fein? Am 30. März num erließ der Kaifer einen entfcheidenden Brief an den Papft. Die Kurfürften, bei ihm in Nürnberg anwefend, um über die Wahl Wen- zels zu berathen, jeien einjtimmig übereingefommen, daß die Wahl deifelben aın 1. Mai in Frankfurt gefchehen und unmittelbar darauf die Krönung in Aachen vollzogen werden folle. Wenn er früher durch Thomas verjprochen, nad) Avignon zu kommen, fei er jet verhindert durch Fürperfiches Leiden; er ſchicke daher Odolerius Bonizonis, feinen Kaplan, dem er volles Vertrauen zu fchenfen bitte Mit eigner Hand fette der Kaifer unter den Brief: „Heiligfter Vater und zu fürdhtender Herr! Gerne wäre ich jetzt zu Euch gekommen, aber ic) bin noch fehr frank“ ®!

Der Ton des Briefes iſt überaus auffallend; wenn ihn auch Karl durch die Nahichrift etwas verfühte, war er geihäftsmäßig im höchſten Grade; aud nicht ein Wort fteht darin, welches den Papjt zu irgend einer Theilnahme aufgefordert hätte; die ganze Sache wird jo behandelt, als ob fie deufelben nicht im mindeften anginge, Wir werden fpäter fehen, wie eiferfüchtig die Fürften der Curie gegenüber die Freiheit der Wahl vertheidigten; unzweifelhaft war das Inſtru— ment mit ihrem Wiſſen und ihrer Billigung entworfen worden. Es war ein bedeutfamer Wink für Gregor, wie die Dinge ftanden, wie ſehr er Urfache Habe, nicht allzu weit zu gehen.

Aber bald nachdem Dodolerius aufgebrochen, trug Karl Sorge, daß Gregor nicht allzu fehr erbittert wurde. Am 31. März hatte Gregor einen furchtbaren Bannfluch gegen Florenz gefchleudert ; gewiß hatte er den Kaiſer davon rechtzeitig unterrichtet. Dem entfprechend

! RA. ©. 91 Anm. 1.

? Lünig, Cod. Ital. d. II, 221. Daß die Baiern gar nicht erjchienen, läßt fi) nicht beweifen, wie Henrich) 38 meint, Kuno von Trier war nad) Görz Regeften am 7. April in Ehrenbreitftein, wird aljo faum nah Nürn— berg gelommen fein.

® RA. Nr. 60.

* Wahrſcheinlich ift die Meldung zwifchen dem 30. März und dem 5. April in Nürnberg eingetroffen.

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ſprach diefer am 5. April die Neichsacht über die Florentiner aus: fie jelbft, ihre Kinder und Kindesfinder wurden als Sculdige der beleidigten Majejtät erklärt, aller Ehren, Aemter und Würden entjetst, alte ihre Güter und Einkünfte der faiferlichen Kammer zugeeignet, alfe ihre Freiheiten, Nechte und Privilegien vernichtet!. Um des Reiches Nechte zu wahren, wurde Biſchof Yampreht von Bamberg nach Italien gefandt; er follte fich dort dem päpftlichen Yegaten, dem Gardinal Wilhelm Noelleti zur Difpofition ftellen, um von ihm Wei- fung zu empfangen?

Der Bote, welcher diefe Nachricht nad) Avignon bringen follte, nahm zugleich ein Schreiben Karls vom 4. April mit, welches fich über die Wahl Wenzel8 in ungleich zuvorfommenderer Weife erging, als jenes vom 30. März. Da er vom Alter gefchwächt fei, aber doch nicht dem Reiche entjagen wolle, hätten ſich die Fürſten, geilt- liche wie weltliche, entſchloſſen, zu feiner Unterftügung Wenzel zum römischen Könige zu wählen. Er bitte daher feine Heiligkeit, gemäß der Zuneigung, welche der Papft immer dem föniglichen Haufe er- wiejen, er möge der Wahl fein Wohlwollen und feine Beiltimmung zoffen und dem zu Wählenden feine Gnade und Gunft fchenfen. Freilich fieht man den Brief näher an und prüft ihn, fo ift er un— verfänglich genug. Den päpftlichen Ansprüchen fam er in feiner Weiſe entgegen; die ſchönen Worte liefen nur darauf hinaus, daß der Kaifer als Chriſt und als Freund de8 Papites Wohlwollen erbat, von irgend einem Zugejtändnijfe, von Beeinfluffung, Genehmigung oder Betätigung der Wahl ift nicht die Rede ®,

ı Vgl. RA. S. 92 Anm.

?2 Reg. Bo. IX, 345. April 18. Karl befiehlt dem Pfleger zu dem Ro— temberge während der Abweienheit des Biſchofs Lamprecht, der in Reichsange— legenheiten gen Lamparten gefendet wurde, des Bisthums Leute und Güter zu ſchützen. RA. Nr. 67 Paragraph 1.

® RA.Nr. 73. Weizfäder hält den Brief fiir nachträglich ausgeftellt und vom Papfte verworfen, weil in demfelben nit da8 Wort beneplacitum vor— fommt. Uber nad) meiner Meinung ift derfelbe entichieden echt und wirklich am 4. April ausgeftellt. Allerdings ftimmt fein Inhalt nicht mit dem Briefe vom 30. März; Tetsteren aber haben wir als offizielles Schreiben zu betrachten, während hier ein vertrante® Schreiben de8 Kaifers vorliegt, der den völligen Bruch vermeiden wollte, Der Inhalt aber ift, wie im Texte bemerkt, wenig be- beutend und dem Papfte nichts gewährend. Dieſer wollte, wie wir jehen werben, einen Brief, in welchem Karl um ausdrückliche Erlaubniß zur Wahl bitten follte. Das geichieht hier Feineswegs; deswegen fteht der erfte Punkt der capi- tula concordata (RA. Nr. 63) keineswegs der Echtheit unſeres Schreibens im Wege. Man vergleiche dafjelbe nur mit Nr. 87, um den Unterſchied zwiſchen beiden zu bemerken. Noch andere Gründe fprechen für die Echtheit, zunächſt die ganze äußere Form. Weizſäcker jelbft hat bemerkt, daß die Worte ‘quod nos favoribus’ aus dem Edjreiben vom 23, Februar entnommen find; ebenjo ftimmt S. 111 Zeile 5—8 faft wörtlich mit dem Briefe überein, in weichen Karl fpäter dem Bapfte die geichehene Wahl anzeigte (Nr. 81). Die Schlußformel personam vestram ete. findet ſich in allen Briefen Karls an den Bapft und es iſt wohl nicht zufällig, dafs fie gerade in dem untergefchobenen Briefe Nr. 87 fehlt; diefer Umftand weift darauf hin, daß deffen Formular in

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Während der Kaifer Ende April nad) Weiden ging, um dort in zahlreicher Berfammlung brandenburgijcher und meflenburgifcher Edlen feinen jüngjten Sohn Johanu mit der Tochter de8 Herzogs Albrecht von Meklenburg zu verloben, war Odolerius mit dem Briefe vom 30. Mai in Avignon angekommen; e8 fcheint, daß er mit Abficht nicht übermäßig geeilt hat. Man war dort im höchiten Grade über- rajcht über dem entjchiedenen Inhalt des faiferlichen Schreibens; einer Commiſſion von drei Cardinälen, Petrus Corfini von Florenz, Simon Broſſano von Mailand und Guido von Poitiers fiel die Aufgabe zu, die nöthigen Schritte zu erwägen. Man beichloß, vor Allem zu ver= fuchen, ob Karl nicht doc noch beivogen werden fünne, die früher aufgejtellten Bedingungen zu erfüllen; wenn fic) die Wahl aber nicht hindern ließe, jolle wenigjtens bewirkt werden, daß die Krönung erſt nah Einholung der päpftlichen Approbation geichehe. Wir befitgen die Inſtructionen, welche dem Gefandten, dein Propfte Audibert von Pignans zur Richtſchnur übergeben wurden; es iſt intereffant, zu fehen, welche Argumente man gegen Karl ins Feld führte !.

Das Verhältniß zwifchen Karl und Gregor fei von jeher ein fo inniges gewefen, daß der Papft von Herzen wünſche, Wenzels Wahl möge in der pflichtmäßigen und einträchtig verabredeten Weiſe ge— jchehen ?, damit diefelbe guten Erfolg Habe. Da müſſe ſich der Papit wundern, wie Karl ihın nun plößlich jchreibe, er könne nicht fommen, obgleich er dies früher zugejichert. Noch mehr aber wundere er id), dag er ihm dies jo jpät mitgetheilt Habe, da doch in der Wahl ohne vorherige Erfüllung der Bedingungen völliger Niücktritt von dem

der päpftlichen Canzlei entftanden., Wenn diefer Brief vom 4. April „beftimmt war, als nachträgliche Urfache der Bulle vom 7. Mai (Nr. 74) zu gelten“, wie Weizſäcker meint, wirde er ihr wohl mehr im Wortlaute correjpondiren, wie das bei Nr. 87 und 83 der Fall if. Auch die äußeren Verhältniffe weiien auf die Authenticität hin. Odolerius muß von Nüruberg abgereift fein, ehe die Reichs— acht über Florenz ausgeſprochen war; fonft würde der Papft in der Juftrnetion Nr. 62 fie erwähnen. Das gejchieht in den wärmften Worten de8 Dankes erft in der Iuftruction vom Mai 18—20, Nr. 67; dort heißt e8 zugleid; in Para— graph 4: quod in nomine domini fiat de filio electio, prout est a do- mino imperatore petitum. Das würde aber der Papft ohne den Brief vom 4. April nicht haben fagen können; es gefchieht auch nicht in der Inftruetion Nr. 62. Alio muß nad) Odolerius, der den Brief vom 30. März bradıte, bald darauf eine zweite Botichaft mit der Nachricht von der Acht gegen Florenz und dem Briefe vom 4. April abgegangen fein. Die Erwähnung in der Kanzleiaufzeihnung Nr. 86 weift in Teiner Weife darauf hin, daß der Brief nicht authentiich ſei; es foll nur ein Anhalt für die Datirung gegeben werden, welche um drei Monate vor die Wahl gerückt werden jollte; daher hat auch Nr. 87 ftatt 2. non. apr. entiprechend 2. non. mareii. Euplid) ſpricht auch für die Echtheit, daß der Brief ſowohl in Prager als Pariſer Handſchriften enthalten iſt, während er in die die Wahl betreffenden Papiere nicht aufge— nommen wurde, Für Nom hatte ev wegen feines farbloſen Inhaltes feinen Werth, während er anderweitig als bekannt gewordenes Actenftücd aufbewahrt wurde. ı RA. Nr. 62. 2 Per modos debitos et concorditer ordinatos.

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früher Verabredeten liege. Nur mit Mühe habe der Papſt die Car- dinäle bewegen fünnen, daß fie überhaupt auf den ungewöhnlichen Borgang einer Wahl bei Lebzeiten eingegangen fein. Das habe der Biſchof von Nimes mitgetheilt, welchen der Kaiſer gewiſſe übermittelte Forderungen des Papſtes zugejtanden habe. Der Papjt müſſe nun bitten, daß fie Beide kämen und diefe Bedingungen perjünlich er— füllten, da die Cardinäle lediglich durd) die Ausficht auf ihre perſön— liche Ankunft fich hätten zur Zuftimmung bewegen lafjen. Auch aus anderen Gründen wünſche Gregor Karls und feines Sohnes Kommen ; e8 ſei darüber in der ganzen Welt fchon fo viel Gerede, welches nur durch die Ausführung bejeitigt würde. Ueberall fei e8 befannt, daß er fommen wolle; geichähe das nicht, fo würde man glauben, es fei Mißachtung gegen die Kirche oder Gefinnungswechjel gegen Gregor. Bei ihrer Gegenwart würden die fchwierigen Verhandlungen fich leichter führen laffen, e8 würde ſich bei der Gelegenheit ein unlös— liches Band um Wenzel und die Curie fchlingen. Werner fei ja eine ‘bona reformatio in orbe’ durdaus nöthig, da die ganze Welt in Unglück und Aufregung ſei; darüber habe er aber mit Karl zu jpre= hen!. Komme diefer, jo würden viele andere Fürften und Herren fommen und ſchicken, und fo ließe fich viel Gutes ausrichten, , da ja ihnen Beiden die Yeitung der Welt zuftehe?.. Karl möge nicht die Reife für eine zu fchwere Bedingung anfehen; er felbjt jei früher in ähnlicher Angelegenheit gefommen, und die jetzige Sache ſei ja viel bedeutfjamer. Wenn er nicht käme, fee er fich der Gefahr aus, daß Alles, was er in der Angelegenheit thue, hinfällig fei und jpäter ver= nichtet werden fünnte.

Sollten diefe Argumente ihre Wirkung verfehlen, jo war Aus dibert angewiejen, fchärfer aufzutreten. Seine Inſtruction enthält einen Nachtrag, dem ausdrüdlich die Bemerkung beigefügt ift, daß Audibert ihn nicht zufammen mit jenen obigen Gründen vorbringen folle; erjt in einer zweiten Unterredung, wenn die erjte feine Reſul— tate erzielt, follte er davon Gebrauch machen. Wenn Karls Reife nad) Avignon nicht zu erreichen und die Wahl fich nicht Hintertreiben ließ, fo follte er doch abgehalten werden , die Krönung ohne vorher= gehende Approbation folgen zu laffen. rreichte man das, dann war ja noch nicht Alles verloren.

Daher Heißt es in der Inſtruction: Der Papft wundere fi, wie der Kaifer fchreiben fünne, daß der Wahl unmittelbar die Krö- nung in Aachen folgen folle. Denn ehe nicht die Wahl vom heiligen Stuhle confirmirt fei, dürfe der Erwählte weder gefrönt werden, noch fi) König nennen, noch irgend einen Act der königlichen Gewalt aus— üben. Gerade deshalb habe ja Johann XXII. fo fchwere Proceife

ı Dieje reformatio, von ber aud) fpäter die Rede, war wohl nur eine Lodjpeife für Karl und die deutjchen Fürſten.

» Die Berbefferung duos S. 97 Anm. a) ift nicht nöthig, auch mit do- minos, twie der Tert hat, ift der Sinu Mar. Es find eben dominus impe- rator und dominus noster, von denen fortwährend die Nede ift.

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gegen Ludwig erhoben. Auch Karls eigenes Verhalten beftätige das; vor der Approbation habe er ſich nur erwählten römijchen König ger nannt und nicht das königliche Siegel geführt. Die Ehre der Kirche, engagirt durch Johanns Vorgang, dulde nicht, auf ſolches Anfinnen einzugehen; jo möge deun Karl des Weltfriedens willen und überdies wegen der perfönlichen Freundſchaft zu Gregor nicht Urfache fein zum Aergernig der Kirche und Erregung von Zwiſt. Mündlich erhielt Audibert noch den Auftrag, in jedem Falle eine DVerfchiebung der Wahl bis zur Ankunft des Cardinal® Robert zu bewirken !; für den Tall, daß Karl und Wenzel bereit feien die verlangten Eide zu ſchwö— ren, nahm er die Kopien derjelben mit.

Sehr gemefjenen Tone® war das Schreiben gehalten, welches Audibert Karl ſelbſt überreichen jollte; e8 war voll von Vorwürfen und Drohungen. Offenbar verfaßten e8 diejelben Cardinäle, welche die Anjtruction entwarfen: dieſelben Ausdrüde finden fich in beiden. Mit der höchſten Verwunderung habe der Papit Karls Brief, den Ddolerius gebracht, gelefen. Karl werde ſich erinnern, daß Gregor nur unter der Bedingung, daß Karl und Wenzel ſelbſt fänen, um die mit Thomas vereinbarten Punkte zu bejchwören, auf feinen Wunſch eingegangen ſei. Aber jetzt fcheine er Alles umwerfen zu wollen. Das würde dem heil. Stuhle zur Unehre gereichen und des Kaiſers Handlungen ungültig machen. Man bitte ihn, bei der Liebe, welche er immer der heiligen Kirche erwiefen, derjelben ſolche Schande zu erfparen. Was vollends feine Abficht beträfe, der Wahl unmittelbar die Krönung folgen zu laffen, fo fei die noch viel mehr ſtaunenerre— gend, da dies völlig unftatthaft fei. Daher möge Karl durch über- große Eile nicht feine ganze Abficht vereiteln und die Kirche heraus- fordern. „Wir werden unfern geliebten Sohn, den Cardinal von Genf, Deinen Verwandten, welchen wir wegen der Reformation des deutjchen Clerus als Pegaten nach Deutſchland ſchicken wollen, über dieſes Geſchäft unterweiſen, welcher daran Hülfe und Gunſt wenden wird, wenn die pflichtmäßige Ordnung gewahrt wird“. Im Uebri— gen ſchicke er Audibert, der da8 Nähere auseinanderfegen werde ?.

Audibert muß feine Reife, auf welcher ihn der rückkehrende Odolerius begleitete, jchnell vollführt und den Kaijer auf dem Wege

1 Bol. Nr. 64,1.

2 Mr. 61. Der Text B ift ficher der urfprüngliche, Audibert mitge- gebene, er wurde erft fpäter, als Johann v. Agen eine Copie des Schreibens erhielt, in A verändert (ſ, S. 282). B ift vielfach entftellt; im Schlußpaſſus ift ftatt informaremus: informabimus und ftatt informatione: reformatione zu leſen. Daß Audibert bereits ein Genehmigungsichreiben vom Papſte mitbefommen, um von demfelben eventuell Gebraud) zu maden, wie Weizläder ©. 88 meint, halte ich nady dem ganzen Zufammenhange für höchſt unwahr-

einlich. geht unzweifelhaft hervor aus den auch von Weizſäcker S. 106 Anm. 1 angeführten Stellen und ſtimmt volllommen mit dem ſonſtigen Gange der Dinge überein.

XIV. : 19

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von Nürnberg nad) Heidelberg getroffen haben!; am 22. Mai waren feine Verhandlungen bereits zum Abfchluffe gedichen. Wir befiten die Aufzeihnungen, welche er von feinen Unterhandlungen gemacht hat. Forderung und Antwort des Kaijers find gegenübergeftellt.

Der Kaiſer jolle in offenen mit faiferlichem Siegel verfchenen Briefen den PBapjt bitten, daß diefer aus bejonderer Gnade den Kurfürjten ges ftatte zufammenzutreten und Wenzel zum König zu wählen, jo daß diefer, wenn er erwählt und von der Kirche confirmirt wäre, dann nad) Karls Tode oder dejjen Nefignation die Regierung antreten und ſich in herfömmlicher Weile krönen laſſen könne. Karl gab feine directe Antwort, er wich aus, indem er erklärte, es fei ihm unglaublich, daß der Papſt derartiges verlange. Er ber Kaiſer würde damit jeine eigne Ehre vernichten und fich ſelbſt zu Grunde richten, denn die Kurfürften würden ſich für von ihm verrathen halten und ihm vor= werfen, daß er ihr Wahlrecht vernichtet habe. Wenn fie überhaupt etwas davon erführen, würden fie dem Kaifer und jeinem Haufe ewig feind fein und einen ſolchen Aufruhr gegen ihn erregen, daß er fih nicht ſchützen könne. Der Papſt fenne nicht die Bosheit und Nichtswürdigfeit vieler Herren in Deutjchland?; er fei überzeugt, daß, wenn der Papſt ſich nicht in Acht nehme, das Imperium an einen Feind und Rebellen der römischen Kirche foınmen werde. Der Papjt möge ſich überlegen, welche Häufer denn in Deutjchland ihm ergeben wären. Wenn er, der Kaifer, nur ficher wäre, daß man fein

aus nicht feindlich behandle, wirde feiner der Seinen jemals das perium übernehmen.

Der zweite Bunkt: Wenzel möge in feierlichen Briefen bejchwören, baß er weder jelbjt bewirfen noch geftatten werde, daß bei feinen Lebzeiten ohne vorherige Refignation ein Anderer zum römischen König gewählt werde, wurde ohne weiteres zugejtanden. Auch erklärte fich Karl damit einverftanden, daß er und fein Sohn diefelben Eide ihwören wollten, welche einſt bei feiner eigenen Erhebung 1346 ge= feiftet worden waren.

Jetzt trat Audibert mit dem wichtigiten Theile feines Auftrages hervor. Bevor irgend welde Schritte gethan würden, follten Karl und Wenzel perjönlidh, wie fie e8 verjprochen, nad) Avignon kommen, um zu erbitten, zu verjprechen und zu bejchwören alles, was im Vorhergehenden gefordert und zugeitanden war. Wenn fie dann vom Papite die Erlaubniß zur Wahl erhalten, möge man zu ihr fchreiten ; nach verjelben folle der Heil. Stuhl um die Confirmation gebeten werden, wie e8 fonft immer gejchehen, fobald Jemand zum Kaiſer erwählt war. Karl antwortete; „Vor der Wahl fünnten weder ic) noch mein

ı Karl war am 16. Mai nod in Nürnberg; am 23. wirb im Heidel- berg geurtundet. ch möchte hier nicht, wie Höfler und Henrich S. 44 thun, an beſtimmte ru denken; wir haben die Aeußerung wohl nur als Redensart zu etrachten.

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Sohn gehen, weil die Kurfürjten einig find über die Vornahme ber Wahl. Und wißt, daß eine geringe Verzögerung mein Vorhaben für immer verhindern kann, was, wie ich glaube, nicht in des Papftes Abfiht Liegt. Ich kenne fehr wohl die Gefahren, welde drohen; mit allen Mitteln und aller Vorficht, welche ich anwenden kann, ver= mag ic faum das Gefchäft völlig durdyguführen. Aber gewiß, wenn der Papſt das Vorhaben mit meinem Sohne befördert, werde id) perjönlic gehen und verjpreche es hiermit handſchlägig. Ich habe bereit8 zum Könige von Franfreih um jicheres Geleit gefchickt, weil ich jehr wünjche, mit ihm wegen vieler Angelegenheiten zufammenzu= fommen, und jo glaube ich, daß e8 mir und ihm nügen wird. Wenn ich aber merkte, daß der Papft mid) nicht fördern wollte, und wenn ih Schon am Thore Avignons wäre, id) würde nicht eintreten und jogleich zurückgehen. Schreibt ihm jo bejtimmt, auc ich jchreibe ihm fo durch Ddolerius“.

Audibert verlangte ferner die Einwilligung des Kaiſers und des Königs, daß der Papſt eine Konftitution erlaffe, damit nicht die Kur— fürften in Zukunft aus diefen Vorgängen Grund zum Unrechthandeln ihöpfen möchten, daß diejelben eine gültige Wahl nur vornehmen könnten, wenn das Reich thatfächlic erledigt fei, daß aber, wenn der Kaiſer noch lebe und nicht entfage, die Kurfürften bei Strafe des Bannes nur mit Öenehmigung des Papftes zur Wahl fchreiten dürften. Doc wolle der Papſt alle Abmachungen geheim halten bis nad) der Wahl und deren Beftätigung ; auch beftehe er nicht auf der angebotenen Refignation!, Karl entgegnete jehr fein und ironisch: „Der Bapit wird jeine Conftitutionen machen, wie es ihm gefällig ift, und ich werde ge— duldig zufehen und nicht widerjprechen ; auc) braucht der Papſt, mit feiner Erlaubniß, von mir weder Genehmigung noch Briefe darüber, weil jeine Vorgänger dieje nicht von den meinigen erbeten haben, wenn fie ganz andere Conftitutionen erlichen“. Er wies wiederholt Hin auf die feindfelige Haltung der Kurfürften.

So fah denn Audibert feine Abfichten, den Kaifer zur Erfül- fung der päpftlichen Forderungen zu bewegen, faft gänzlich gefcheitert. Er brachte darauf den zweiten Theil feiner Inſtruction vor, welcher dahin lautete, dag Wenzel vor der Approbation weder gekrönt werden noch Regierungsacte ausüben dürfe. Aber mit gewohnter Meifter- ihaft wußte Karl ſich zu Helfen; er legte den Fürften den päpftlichen Brief vom 4. Mai vor. Audibert fchildert jelbit in lebhaften Zügen die Entrüftung, welche derſelbe hervorrief. Man Habe e8 niemals gejehen oder gehört noch ftehe es irgendwo gefchrieben, daß der Papſt die Wahl eines Kaiſers beftätigt habe. Aebte und Biſchöfe könne der Papft confirmiren, nicht Könige; er tafte an die Freiheiten der Kurfürften und die Rechte des Reiches. So mußte denn der Ges

ı Hier liegt wohl eine Flüchtigkeit des Berichtes; Karl wollte ja gar nicht entjagen.

19*

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fandte zufrieden fein, daß der Kaiſer fich endlich bereit erklärte, die Wahl vom 1. Juni bis zum 10., aber nicht weiter, zu verjchieben. Eilboten follten dem Cardinal Robert entgegengefchiett werden, damit biefer feinen Weg bejchleunige und bis dahin eintreffe?.

Bon Heidelberg ging die Reife nach) Oppenheim. ‘Dort ftellte gemäß der Zufage Karls in den Tagen vom 21. bis zum 29. Mai Wenzel eine Vollmacht aus für den Grafen von Valence? und den Caplan Odolerius, dein Papſte zu geloben, daß der König, wenn er bei Xebzeiten Karls von den Kurfürjten gewählt werde, dem Papjte die Eide, welche einft Heinrich VII. und Karl bei ihrer Wahl ge— leiſtet, ſchwören wolle, fobald er dazu aufgefordert würde?. Zugleich nahm Odolerius einen neuen Brief Karls an den Papjt mit, welcher und indejfen nicht erhalten ijt. Sein Inhalt mag ein ähnlicher ge= wejen fein, wie der des Schreibens vom 4. April; indeffen ijt es wahrjcheinlih, daß die gewählten Ausdrüde den päpftlichen Forde— rungen etwas mehr entgegenfamen. In jenem wurde nur in ganz allgemeinen Ausdrüden um Beifall und Zuftimmung zur Wahl und um Gunft und Gnade für den zu Erwählenden gebeten, wahrjchein- lich wurde jet die Bitte etwas fchärfer dahin formulirt, daß des Papftes Beiſtimmung gefucht würde, damit die Wahl gefchehen könne. Darin lag eine fcheinbare Eoncejfion an die Curie, nachdem deren Verlangen, der Papſt jolle erjucht werden, den Kurfürften ausdrücklich die Wahl zu geftatten, abgefchlagen worden war. Und damit die Curie in Zufunft den Schein für ſich habe, als fei ihre Beiftimmung noch zur rechten Zeit gejucht worden, wurde der Brief auf den 26. April zurücatirt *.

Jene Boten, weldje dem Cardinal Robert entgegengeſchickt waren, trafen bereit8 in Baſel nicht diefen, wohl aber einen andern Gejandten

ı Mr, 68. Nr. 64, 1, 2. Cursores, doch wahrjcheinfich die Dechanten Dietrih und Johann, für welche Karl, am 23, Mai Heidelberg, von Straßburg Geleit Heiicht (Nr. 69). Es heißt auch ausdrüdlih: also das unser bot- schafft ungesaumet beleibe; wenn gejagt wird, daß diejelben zum Papfte gehen, ift das nur ein biindiger Ausdrud. Denn wenn fie wirklid mit den Dppenheimer Mandaten (f. weiter) gejchidt worden wären, würden ihre Namen in der Botſchaft an den Papft genannt fein; auch fonft wird nirgend erwähnt, daß fie in Avignon angelommen wären.

2 Diejer war wahrſcheinlich nicht anweſend, ſondern follte von Odolerius unterwegs mitgenommen werden. Da demnach feine Gegenwart in Avignon nicht fiher war, erhielt Odolerius Vollmacht, eventuell allein den Auftrag aus- zuführen. Vgl. ©. 290 Anm. 2,

® RA. Nr, 70,

* Nr. 72, 1. Die Rüddatirung hat Henrih S. 50 gut nachgewieſen, nur irrt er, wenn er glaubt, daß Odolerius gar nicht in Deutichland geweſen, fondern den Brief durd den oben genannten Dedanten erhalten habe. Der Brief genügte der Curie nicht, weil er zu allgemein gehalten war und nidjt das Wort beneplacitum enthielt. Die Bulle vom 7. Mai (Nr. 74, fiehe unten) wird ſich in ihren Ausdrüden im Großen und Ganzen wahrſcheinlich ebenjo an ben kaiſerlichen Brief vom 26. April angejchloffen haben, wie man fpäter Ar, 87 und 88 correjpondiren ließ.

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Gregors an, den Bifchof Johann von Agen!. Denn bald nachdem Audibert Avignon verlaffen hatte, war dort Karls Brief vom 4. April und die Nachricht von feinen energischen Schritten gegen Flo— renz eingetroffen. Dadurch wurde die Stimmung eine mildere, war dody jener Brief in anderem Tone gehalten, als das harte Schreiben vom 30. März. Man beichloß daher gelindere Saiten aufzuziehen. Den Gardinal Robert freilich konnte man nicht ſchicken; die beiden Cardinäle, welche der Bapft mit dem Zuge nad) Stalien betraut hatte, waren erkrankt, und die Kriegsvölfer verlangten ftürmiih, daß ein Cardinal als päpftlicher Legat fie begleite. Gern mochte der kriege— riſche Robert dazu bereit fein; er brah am 27. Mai von Avignon auf? An feiner Stelle fandte Gregor den Biſchof Johann von Agen nad) Deutichland. Auch diefer wurde mit Inſtructionen vers jehen, welche uns erhalten find. Er arbeitete fie felbjt aus nad) der mündlichen Anweifung und legte fie noch einmal dem Papſte zur Billigung vor.

Er ſolle den wärmften Dank jagen für Karls Vorgehen in ber italienischen Angelegenheit und das Ausbleiben Roberts entfchuldigen, welcher indejjen im Herbfte in Deutfchland erfcheinen folle. Aus Liebe zu Karl wolle Gregor von den Forderungen abftehen, melde er durch Audibert erhoben. Da einmal die Kurfürften zuſammen— fümen und Karl deshalb große Ausgaben mache und eine Verzögerung vielleicht ſeine Abficht ganz durchkreuzen könne, fo fei der Papjt einver- ftanden, daß die Wahl vor fich gehe, wie der Raifer ihn gebeten. Doch müſſe Karl alle die Punkte, welche durd; Thomas de Ama- nati8 vereinbart worden, vorher durch gefiegelte Briefe ficher ftellen. Und nur unter folgender Bedingung: nad) der Wahl dürfe Wenzel nicht gefrönt werden und nicht den königlichen Namen annehmen, bevor er nicht vom Papfte approbirt wäre, Andernfall® würde der Papft - protejtiren und ihn niemals approbiren; er würde in jeder Weife der Wahl widerftreben, der Stadt Aachen verbieten, ihn zur Krönung aufzunehmen und den Kurfürften unterfagen, der Wahl und Krönung beizuftimmen. Diefer Punkt erfchien Johann wichtig genug, um ſich noch bejondere Anmweifung darüber zu erbitten. Er fei angewieſen, wenn Karl behaupte, daß Wenzel unmittelbar nach ber Wahl fi frönen laſſen fünnte, dann zu verlangen, daß man unterfuche, wie es früher bei Karls Erhebung in diefem Punkte gehalten worden fei. Wenn nun fi finde, daß Karl vor der Approbation gefrönt worben jei, jolfe er dann darauf dringen, daß Wenzel e8 Hinausichiebe, bis er durch einen Eilboten den Papft benachrichtigt und deffen Antwort erwartet habe? Und wenn er e8 nicht erlangen Fünne, ſolle er dann auf die Eidesleiftung und Austellung der oben befprochenen Briefe beitehen? Wenn ferner der Kaifer fi) auf frühere Vorgänge be= rufe, um die Krönung vollziehen zu laffen, fo wolle dann der Papft

ı Nr. 64,1. » Rt. 67, 3. Baluze, Vitae pap. Aven. I, 1114.

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der Krönung widerfprechen und ihn durchaus nicht approbiren, da er darauf beitehe, daß alles gehalten werde, wie bei Karls Wahl und wie e8 durch Thomas ausgemacht worden fei? Gregor ent» ſchied, daß er allein Bezug nehme auf Karls Erhebung, wenn es auch früher anders zugegangen fein möge; durchaus müſſe darauf werden, daß der Sohn vor jeder Krönung approbirt werde.

Vor der Wahl ſollte ferner, wenn es irgend zu erreichen wäre, Karl zur Verpflichtung bewogen werden, der Kirche zur Wiederer- langung des Patrimoniums beiftändig zu fein; alle Brälaten Deutjch- nn namentlich die Erzbifchöfe von Köln und Trier follten gleiches geloben.

Daß der Kaifer jelbft nad Avignon kommen würde, war nad) diefen Erklärungen nicht mehr zu hoffen; man wünfchte nunmehr, daß dann Wenzel allein nad) der Wahl und vor der Krönung mit feinen Räthen, befonder8 dem Erzbifchofe von Prag, fomme, um die Approbation zu erbitten.

Entjprechend diefen veränderten Inſtructionen wurde Johann von dem Briefe vom 4. Mai, welchen Audibert überreicht hatte, eine etwas erweiterte Faffung mitgegeben. Jener fchroffe Paſſus, daß Karl durch fein nunmehriges Vorgehen die früheren Abmahnungen gänzlich aufgehoben , wurde durch einen Zufat etwas gemildert, und ein Sat eingefchoben des Inhaltes: man hoffe, daß Karl im Som— mer Fräftig genug fein werde, nad Avignon zu kommen; daß, wen die8 aber nicht möglich fein jolle, wenigſtens Wenzel mit feinen Räthen erjcheine und der Wahltermin hinansgeichoben werde. Die Ans funft Roberts wurde noch immer in Ausficht geftellt, aber in etwas fernere Zeit gerüdt!,

Zugleich erhielt Johann zwei Beglaubigungsichreiben an Audi— bert, vom 18. und 20. Mai. Das eine‘, offenbar bejtimmt, Karl vorgelegt zu werden, ordnete ihn einfach Audibert bei, da Robert nad) Stalien beftimmt fei; das andere ermahnte Audibert, zufammen mit Johann und Thomas, darauf zu dringen, daß ſich Wenzel nicht vor der Approbation Frönen laffe, damit nicht das gute Einvernehmen zwifchen der Curie und dem Faiferlichen Haufe geftört werde, im übrigen aber die italienifchen Angelegenheiten geſchickt zu betreiben ?.

Während Yohann ſich auf der Reife befand, war Karl in den legten Tagen des Mai nad Bacharach gereift. Der Stand der Dinge im Mainzer Erzbisthum war feit den Frieden vor Tonna unverändert geblieben; Adolf war dort der unbeftrittene Herr. Am 13. April hatte er mit Hermann von Hefjen ein Abkommen geichlojfen, welches wohl hauptfächlich den Zweck hatte, die Page der Geijtlichkeit in Hefjen erträglich zu machen; im Mat war Adolf unterftütt durch Zuzug von Köln und Trier gegen Speier zu Felde gezogen?, Der

ı Nr. 61. Tert A fiche S. 277 Anm. 2,

2 Nr. 65—68. Bol. Nr. 76.

® NRommelII, 194. Remling, Gejchichte der Bifchöfe zu Speyer I, 651 f.

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Kaiſer mochte ähnliche Gefahren befürchten, wie fie im November 1374 ihn bedroht hatten; da er felbft im gegenwärtigen Augenblice feinen Schritt thun durfte, der irgend gegen Ludwig, deſſen Stimme man bedurfte, gedeutet werden fonnte, wurde Wenzel vorgefchoben, um den Gegner zur Ruhe zu bewegen. Unter Berufung auf das alte Bündniß zwifchen Böhmen und Mainz gelobte Wenzel, gegen Adolf und fein Stift und alle von ihm innegehabten und noch innezu= habenden Schlöffer u. f. w. nicht fein zu wollen, fo lange Adolf lebe, fofern er zu Wenzel halte. Letzterer wolle nie gegen ihn Krieg führen, und wenn er König würde, dies Verfprechen unter königlichem Inſiegel erneuern. Man wird diefe Zufage nicht lediglich als formell zu betrachten haben: daß der fünftige König ihn nie befriegen wolle, war fiir Adolf nicht ohne Werth !.

Dort in Bacharac waren fämmtliche Kurfürften um Karl ver» fammelt: Ludwig von Mainz, Kuno von Trier, Friedrih von Köln, Ruprecht von der Pfalz, Wenzel von Sachen, während Wenzel als König von Böhmen und Sigismund als Markgraf von Brandenburg die Siebenzahl der Rurfürften ergänzen; außer ihnen werden erwähnt Johann Erzbifchof von Prag und Edard Bischof von Worms, Jodocus Markgraf von Mähren, die Herzöge Heinrich von Brieg, Bunzlaus von Liegnis, Konrad von Dels und zahlreiche böhmifche Edle und faiferliche Beamte. Karl war bejtrebt, die Kurfürften bei guter Stimmung zu erhalten; wir fennen Urkunden für den Pfälzer, den Kölner und den Tierer. Ruprecht wurde „zu Beſſerung, Schirm und Frieden der Landftraßen zwifchen Worms und Speier“ ein Geleit verliehen, von jedem Laftpferd ein Königsturnos?. Kuno erhielt die feierliche Beltätigung aller Trierſchen Privilegien, in umfangreiher Urkunde fihert Karl einen Theil jener Verfprechungen zu, welche er dereinft, am 11.November 1374, in Mainz gethan, namentlich die Erhöhung der Pfandſumme auf die Städte Boppard und Wefel und die halbe Burg Sterrenberg, die Vogtei in Hirzenah und das Gericht zu Galgenſcheid von 50,000 auf 60,000 Goldgulden. Die Bewohner diefer Gebiete werden angewiefen, der Trierer Kirche den Fidelitäts— eid zu leilten und von derfelben ihre Lehen zu nehmen, Tetsteres ſolle auch befonder8 denen von der Veſte Schönberg anbefohlen werben. Diefe Pfandfchaften werde er nie einlöfen und in ihnen Kuno gegen Jedermann vertheidigen. Der Zoll von Boppard wurde beſtätigt, und genehmigt, daß die Abter Prüm, deren Einfünfte längft von denen des Conventes getrennt find, durch den apoftoliichen Stuhl mit dem erzbifchöflichen Tifche vereinigt würden ®. Amt zahlreichiten aber find die Urkunden für Friedrih von Köln. Friedrich war feit langer Zeit

1 Gudenus III, 524; vgl. RA. ©. 10 Anm. 1 und die Notiz in bem Frankfurter Stadtrehnungen RA. ©. 87 Beile 30.

? RA. Nr. 23. Mitte April hatte Karl jene an Ruprecht übermwie- fenen Städte Oppenheim u. |. w. von der Stadt Mainz ausgelöft. Reg. Bo. IX, 345.

s RA. Nr. 6 und 7 nebft Aum.

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in dem bitterften Streite mit der Stadt Köln um die erzbifchöflichen Gerechtſame, wiederholt war Karl in der entichiedenften Weife für ihn eingetreten, aber weder Bann noch Reichsacht hatte den Stolz der Etadt gebeugt; fie war zum Kampfe entjchloffen. War hier Sriedrih auf des Kaifers Hilfe angewiefen, fo war auch feine Stel- lung zur Curie eine ungünftige. Für feine Erhebung auf den Kölner Stuhl fchuldete er der Curie 120,000 Goldgulden, welche er nicht bezahlen konnte und wollte; die üble Stimmung, welche in Avignon deswegen herrichte, war noch vermehrt durch den entjchiedenen Proteft des Kölner Capitels vom 14. October 1372 gegen die Zahlung des Zehnten, welchen die päpitliche Kammer verlangt hatte. Deswegen hatte Karl bereits im Mainzer Abkommen Friedrich. feine Vermittlung zugejagt ; aber da Wenzel bisher weder gewählt noch gefrönt war, hatte Karl wahrscheinlich weder Schritte in diefer Angelegenheit gethan, noch die versprochenen 30,000 Goldgulden ausgezahlt. Die päpftliche Kammer hatte daher gegen Friedrich den Proceß angeftrengt; am 6. September 1375 Hatte der päpftliche Kämmerer die Geiftlichen der Kölner Didcefe angewiefen, den Grzbifchof fiir meineidig zu erflären und Interdikt, Suspenſion und Ereommunication gegen ihn auszu= Iprechen!. Wie ſich zeigte, war Thomas beauftragt, diefe fchweren Genjuren nunmehr wirklich zu verhängen , vielleicht war e8 des Kai— ſers Einfluß gewefen, der ihn vorläufig zurückgehalten Hatte, um nicht Störungen in der Wahl zu verurfachen. Nach beiden Richtungen hin erſtreckten fich vornehmlich die Bewilligungen, welche Karl jett gewährte. Karl und Wenzel gelobten, nach Wahl und Krönung bie Privilegien von Köln zu beftätigen, das Neichsvifariat dieſſeits der Alpen auf zehn Fahre und dann bis auf Widerruf zu verlängern ; ferner gewährten fie ihm die erite Bitte in den Didcefen von Köln und Straßburg, das Recht, die an die bairifchen Herzöge verfeßte Landvogtei des Elſaſſes einzulöfen?, nicht zu bewirfen, daß der Papſt ihnen oder Jemand anders einen Zehnten auf die Kölner Diöceje gebe. Ferner gelobte Karl, Friedrich und feinem Stifte gegen die Veinde beizuftehen, fein Bundniß mit der Stadt Köln zu machen, diejer fein dem Erzftifte fchädliches Privileg zu geben und etwa ge= gebene zu wiederrufen; er verbot allen Neichsunterthanen, in den Orten des Erzbiichofes Gemeinderäthe einzufegen oder fich dazu wählen zu laffen oder fich folder Gerichtsbarkeit zum Schaden der Kölner Kirche zu unterfangen ; die geächteten Bürger follten ohne des Erzbi— ſchofes Willen nicht aus der Acht entlajjen und aller Privilegien erklärt werden, wenn ſie Jahr und Tag ungehorſam ieben ,

Als der Tag der Wahl war urſprünglich der erſte Juni be—

ſtimmt geweſen; aber auf Bitten Audiberts hatte Karl fie bis zum 10.

* Enmen, Gedichte der Stadt Köln II, 691. 710. » Diefe follte dann wahrſcheinlich Pfand für die 30,000 Gulden fein, ® RA. Nr. 12—15, Sacomblet III, 682 ff.

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uni Hinausgefhoben. Die Kurfürjten waren bereits vollzählig er- fchienen. Wir erinnern uns, daß Karl früher auf Begehr des Trierer Erzbifchofes die Beſtimmung der goldenen Bulle, welche Frankfurt als Wahlort bezeichnete, aufgehoben Hatte; in Renſe ſollte fie vollzogen werden (S. 263); in dem Briefe au Gregor vom 4. Mai war aber Frankfurt genannt worden. Karl hatte einen Mittel- weg gefunden, welcher ſowohl den Forderungen Trier als den Be— ftimmungen der goldenen Bulle Rechnung trug und zugleid) das Her- fommen wahrte. Schon früher mögen die rheinischen Kurfürften oft in Renſe zufammengefommen fein, um ſich zu berathen. Der Ort lag in der Trierer Diöcefe und ftand unter Kölnischer Yurisdiction; fo dicht jtießen Hier die Gebiete der vier rheinischen Kurfürften zu— fammen, daß man den Klang einer in Nenfe geblajenen Trompete in vier Schlöffern hören fonnte, welche je einem der vier Kurfürften gehörten. Im vierzehnten Jahrhunderte betrachtete man daher Renſe al8 Ort, wo von Alters her die Kurfürften zufammenfämen, um Reichsangelegenheiten zu berathen ; ganz beſonders wurden die Vorbe— ſprechungen vor den Königswahlen hier gehalten. So war e8 zuerft bei der Wahl Heinrich VII. gehalten worden; ehe die Gegenfönige Triedrih und Ludwig erhoben wurden, hatte gleichfalls eine Vorbe— rathung in Renſe ftattgefunden, die freilich zu feinem Nefultate führte ; Karl war endlich in Renſe gewählt worden. ‘Der Raifer felbft ſprach e8 damal8 aus, daß in Renſe die Kurfürften pflegten übereinzulommen, den römischen König zu nennen und zu wählen, wie das Gewohnheit von Alters her geweien. Eben diefer Tradition wegen mochte Kuno darauf gedrungen haben, daß die Wahl in Nenfe gehalten würde; wurde doch dadurch der Glanz der Diöcefe vermehrt und den rheini- ihen Kurfürften ein gewiffer Einfluß auf die Verhandlungen gefichert. Daher wurden auch diesmal dort die Berathungen am 1. Juni ers öffnet und damit der einmal feitgefetste Termin doch aufrecht gehalten !. Wenn uns erzählt wird, die Erzbifchöfe von Köln und Trier feien mit dem Kaiſer „etwas ſtößig“ geworden, jo mag der Streit wohl darum gegangen fein, ob die definitive Wahl oder nur die Vor— wahl folle vorgenommen werden ?,

Der erjte und wichtigfte, wenn auch nur formelle Punkt der

ı Karl erflärte am 11. November 1374 (Nr. 5), die Wahl folle in Renſe gehalten werden: umb dez willen, daz die kur und wale frij sijn muge. Die Fürften mochten auch Bedenken tragen, einen fo wichtinen Act in Mitte einer mächtigen Bürgerfchaft vorzunehmen, welche allerdings leicht einen Drud ausüben fonnte. Berweigerte doch fpäter Kuno nad Frankfurt zu kommen, weil der von der Stadt außgeftellte Geleitsbrief nicht genügte (RA. Nr. 190). Ueber Rene fiche die noch immer brauchbare Zufammenftellung von Er Dav. Köhler, De inclyta sede regali ad Rense. Altorf 1735; die neueren Aufſätze in den Hiftorifch-politifchen Blättern VII, 1841, 273 ff., Rhein. Pro- vinzialblätter N. 5. 1835, I, 3 ff., Lepfius, Kleine Schriften III, 181, find

wertblos. Die Urkunde RA. Nr. 96 zeigt, daß der Königsftuhl erft zwiſchen 1376 und 1398 erbaut wurde,

ET ah Johann Pfaffenlap. RA. Nr. 53. Bgl. überhaupt Nr. 44. 53, 54.

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Berathung wird der gewejen fein, ob man überhaupt zu einer Wahl fchreiten folfe; nachdem dies bejaht war, wurde Wenzel als der wür— digfte genannt. Noch mancherlei andere Fragen waren zu erledigen. Sollte man Ludwig von Mainz für vollberechtigt halten, obgleich er vom Bisthum jo gut wie nichts innehatte? Er felbft hatte einen Entjcheid provociren wollen und war von der Berathung weggeblieben; erjt al8 man feine Stimme für gültig erffärte, holte ihn Pfalzgraf Ruprecht herbei. Zweifel konnten ferner entftehen, wie es mit der Handhabung der Kurftinmen von Brandenburg und Böhmen ges halten werden ſollte. Wie wir wiffen war Otto die erffere referpirt geblieben; wahrscheinlich jedoch hatte er, der gar nicht anmwefend war, vorher feine Einwilligung gegeben, daß Sigismund bei allen Wahl: handlungen Titel und Stimme führte. Freilich war diefer noch mi— norenn; eben deswegen ijt zu vermuthen, daß die Kurfürften in Nenfe ſich erft in der Frage ſchlüſſig machten. Ebenfo mögen fie einig ges re fein, daß Karl, nicht Wenzel die böhmiſche Stimme führen olfe !,

Nah Schluß der Berathung verkündete Kuno von Trier feier- lid) den 10. Juni als Wahltag.

Bon Rense fehrte man nad) Bacharad) zurück, von dort benad)- richtigte der Raifer am 3. Juni die Stadt Franffurt, daß Wenzel einftimmig zum römifchen König genannt fei und den 10, Juni in Frankfurt gewählt und am 24. Juni in Aachen gekrönt werben folfe. Der Bapft habe einen Legaten geſchickt mit der Botfchaft, daß er und die Sardinäle iren guten willen und volbort, sovil und sie an- gehoret’, gegeben. Das war allerdings nur vom Standpunkte Karls, nicht von dem Gregors richtig.

Am 8. Juni, Sonntags Abende, famen der Kaifer, fein Sohn, begleitet von den Kurfürften von Mainz, von der Pfalz, Brandenburg und Sachſen in Frankfurt an; unter Glodenklang geichah der Ein- zug, zwanzig Knechte trugen große Wachsferzen auf Stangen voran, Die Frankfurter wollten Wenzel bereits fönigliche Ehren erweifen, aber Ruprecht verwies das: Wenzel fei noch nicht gewählt?. Am nächſten Tage folgten die Erzbifchöfe von Trier und Köln.

Anzwifchen war Johann Biichof von Agen mit den neuen Auf- trägen des Papftes angelangt. Er erreichte nur, daß der Kaifer ſich bereit erklärte, die auf den 24. Juni angefette Krönung um fünfzehn Tage hinauszufchieben. Er wolle gleich nach der Wahl Gejandte

1 Weber Otto fiehe S. 288. Karl fagt Nr.44: wir kurfursten etec., in Nr. 80 und 81 wird er princeps elector genannt, dagegen Nr. 82 zwei« deutig: nos tamquam rex Boemie et alii principes imperii coelectores videlicet .... Wenec. rex Bo., doch fpridht Karl im weiteren Texte von fi als Wähler. Pal. Ulman Stromer (Ehron. der deutſchen Städte, Nürn- berg I, 34): der kayser der di kur zu Beheym het. Bgl. RA. ©. 121 Anm. 1 und SS. rerum Bohemicarum (ed. Pelzel et Dobrowsky) II, 433.

2 Das war Iebiglich berechtigte Wahrung des Ceremoniells; Henrich S. 58 will auch bier böfen Willen erfennen.

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zum Papfte fchiefen, und da die Dauer einer Reife nad Avignon auf höchſtens fechszehn Tage berechnet wurde, fünne Gregor die Approba= “tion und das fonft Erforderliche noch vor der Krönung vollziehen. Im Uebrigen erklärte er bündig, die Krönung müſſe jtattfinden und könne nicht weiter verfchoben werden. So erreichte der Kaiſer durch) dieje Scheinconceffion, daß die Legaten fich zufrieden geben mußten. Menzel hatte ſchon in Oppenheim fich bereit erklärt, die Eide feines Urgroßvaters und Vaters zu feiften; am 9. Juni gelobte er den beiden päpftlichen Gejandten in Gegenwart des Erzbifchofs Johannes von Prag, des Herzogs Heinrich von Brieg, des faiferlichen Hof- meifter8 Peter von Wartenberg, und einiger Notare Reichsfürften al8 Zeugen hinzuzuziehen, war, gewiß mit Abficht vermieden worden —, daß er, fobald er zum König gewählt würde, die gedachten Eide (eiften würde, deren Wortlaut in die Gelöbnigurfunde bereit8 aufgenommen wurde (Nr. 71). Aber auch hier erhob der Kaifer Schwierigkeiten. Audibert Hatte die Copien der Eide bereit8 mitgebracht, aber die Au— thenticität ihres Wortlautes wurde bezweifelt. Karl und Wenzel fchwuren daher, daR die Eide im ihrem echten Wortlaute follten ge— feiftet werden, und man kam beiderfeitig überein, daß der Protonotar Konrad von Geifenheim, welcher die Approbation in Avignon nad)= fuchen follte, gefiegelte Membranen mitnehme, auf welche er an Ort und Stelle den authentifchen Text fchreiben ſolle. So erreichte der Raifer in unverfänglichiter Weife, daß der Papft feine bindende Ur— funde in die Hand befam, ehe er nicht Karls Willen nachgegeben !,

Am folgenden Tage, Dienftag den 10. Juni Vormittags neun Uhr, erfolgte die Wahl in der Safriftei von St. Bartholomäus nad) den Beſtimmungen der goldenen Bulle, einftimmig und ohne Wider⸗ ſpruch. Der Kaiſer wie die Kurfürſten verkündeten dem Reiche das Geſchehene, jeder in beſonderen Briefen, und forderten zur Huldigung auf; ſie gelobten dem Erwählten Treue und Beiſtand, während Karl und Wenzel gleichfalls verſprachen, ihnen zeitlebens beiſtändig zu ſein. Unter Darbringung reicher Geſchenke leiſtete die Stadt Frankfurt ihre Huldigung; perſönlich nahm dann Wenzel den Eidſchwur des benach— barten Friedberg entgegen, wohin ihn Frankfurts Bürgermeiſter mit fünfzig Pferden“geleitete ?,

Rarl verfehlte nicht, einzelnen Rurfürften alsbald feinen Dank für die Gewährung ihrer Stimme abzuftatten. Noch am Tage der Wahl beftätigte er dem fächftichen Herzoge Wenzel und deffen Descen- benz das Kurrecht, an welches der Neffe deffelben, Albrecht, Anſprüche erheben konnte, und beiden zufammen den Befit Püneburgs; es ift die8 die fogenannte goldene Bulle Sachſens. An Kuno von Trier

ı Nr. 76.

2 Nr. 45—59. Der 1411 entworfene modus regem Rom. electum Francofordie introducendi, bei Würdtwein, Subsidia dipl. I, 120 ff., der zum größten Theile auf älteren Ordnungen beruht (vol. Slen ſchlager, Erläut. Staatsgeſch. Urk. 277), giebt einige auf die Ceremonien bei Wenzels Wahl bezügliche Einzelheiten.

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wurden die 40,000 Gulden ausgezahlt, welche diefem verſprochen für den Fall, daß er die Landvogtei in der Wetterau nicht erhielte!,

Wir bemerften bereits, daß Eigismund die Kurftimme Branden- burgs geführt hatte. Gewiß geſchah das nicht ohne Einwilligung Ottos, deſſen Recht zugleich formell gewahrt wurde. Obgleich er nicht in Frankfurt anweſend war?, wurde doc) eine Urkunde, datirt 10. Juni, ausgeftellt, in welcher er wie die übrigen Rurfürften er» flärte, Wenzel feine Stimme gegeben zu haben und ihm treu und ge= wärtig fein zu wollen (Nr. 48). Wahrjcheinlich wurde diefe Urkunde fpäter ausgefertigt, denn erft am 27. Juni verſprach Karl in gleicher Weife, wie er es vorher den andern Kurfürften gethan, Otto beiffändig zu fein, da er Wenzel feine Stimme gegeben und bejtätigte die Privilegien der Baiernherzöge. Wenn er ihnen damals (Juni 24) die Reichsſtadt Schwäbiih Werd für 60,000 Gulden verpfän— bete, ijt der Preis, welchen er für den guten Willen zahlte, deutlich genug bezeichnet. Wahrjcheinlid) war Friedrid) damals felbft beim Raifer gegenwärtig, er mochte zur Krönung gekommen fein, die ur— ſprünglich am 24. Juni ftattfinden follte; wenigftens ift er dann in Aachen mit eingezogen ®.

Die Wahl war glücklich vollzogen, ohne daß ber Kaiſer des Papftes Genehmigung abgewartet hätte. Die Forderungen Gregors waren nur zum geringften Theil und auch das nur fcheinbar erfüllt worden ; jet fam der Cardinalpunkt derjelben in Frage: die Einho= lung der Approbation vor der Krönung. Es geht Ear aus den ganzen Verhandlungen hervor, daß Karl hierin nicht nachgeben wollte; andererfeit8 fam es ihm darauf an, doch einen Bruch mit dem Papite zu vermeiden. Wir erinnern ung, daß er vor der Wahl fich des Beiftandes der beutfchen Fürſten verfichert hatte, indem er ihnen das päpftliche Schreiben vom 4. Mai vorlegte; noch gingen bie Wogen der Entrüftung hoch, und als Karl jetzt an die Curie Gefandte ſchicken wollte, verweigerten die Kurfürften oder ein Theil berfelben die Briefe über die Wahl, indem fie behaupteten, ihre Freiheit und die Reichsrechte würden angetaftet. Vier Tage gingen die VBerhand- lungen; Karl „erhielt endlich ihre Briefe in der Form, wie er Fonnte und nicht wie er wollte“, verfichert Andibert. Doc dem Kaiſer war die Weigerung der Fürften gewiß willfommen; auf fie geftütt konnte er die Curie hinhalten, während er feinerfeitS den Schein der Ergeben-

ı Nr. 26, Nr. 8.

2 Er wird nie in den Urkunden als Zeuge u. ſ. w. genannt, auch die Urkunden in Reg. Bo. IX, 349 f. zeigen, daß er fi damals in Landehut- Münden aufhielt. i

® RA. Nr. 51; ©. 86 Anm.; S. 170. Bilder a. a. D. Reg. 80. Daß im Namen der vier bairifchen Herzöge am 24. Juni in München geurkunbet wird (Reg. Bo. IX, 350), beweift nicht, daß fie ſämmtlich anweſend waren, ba Friedrih am 5. Juli ficher in Aachen war. Dadurch aber fällt das von Henrich Gefagte zuſammen.

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heit und Gefügigfeit wahrte. Ye länger der Abgang der Gejandten verzögert wurde, deſto weniger wurde e8 möglich, daß in der ohnehin auf knappſte zugemefjfenen Zeit die päpftliche Approbation erfolgte und nad) Aachen gelangen fonnte?; dann aber war die Krönung ohne vorherige Approbation eine Thatſache, mit der den Papſt ſchließlich auszuföhnen immer noch möglich war. So war jener Aufſchub der Krönung, zu welchem fich Karl verftanden hatte, immerhin eine Con— ceſſion, aber doch ohne jeden praftiichen Werth.

Wahrſcheinlich geſchah es in Folge dieſes Widerfpruches der Fürſten, daß die Anzeige der Wahl an den Papft in einer doppelten Form vorliegt. Gewig die erjte Abfaffung iſt in den Briefen ent— halten, welche ganz in dem Zone de8 Schreibens vom 30. März deu Papite furz die Thatjache mittheilen, die verſammelten Kurfürjten hätten Wenzel gewählt zur Unterftügung des vom Alter gebeugten Kaiſers; fie bäten den Bapft, dem einftimmig Erwählten die gewohnte Gnade und Gunft zu erweilen. Wahrjcheinlich gelang e8 dann, wie Audibert verfichert, den Bemühungen de8 Kaiſers, zu vermitteln und eine mildere Sprade und zweite Urkunden zu erreichen. In weit umfangreicheren Schreiben wird die Wahl ausführlid) motivirt und in dem Papjte gewiß willflommener Weiſe namentlid) auf die in Ita— lien drohenden Gefahren Hingewiejen, deren BVejeitigung einen kräftigen Herricher erfordere ; die Vorgänge der Wahl felbjt werden des Wei- teren berichtet. „Daher bitten wir Eure unermeßlice Milde demüthig und ergeben, daß Ihr den Erwählten mit väterlicher Güte umfaffen, ihn König nennen und feine Perſon für pajfend zu einer jo hohen Würde halten möget, dag Ihr zu angemeffener Zeit und angemejjenem Ort ihm die Weihe zu ertheilen und das faiferliche Diadem eigenhändig aufzufegen die Gnade haben möget, wie e8 von Alters her gebräuchlich), damit Alle wiljen und einjehen, daß Euch Gott gefetst hat zur Leuchte der Völker und durd den Entjcheid Eurer Heiligkeit dem Crdfreife nad) dunklem Gewölk der erfehnte Heitere Himmel ftrahle ®*.

ı Ebenfo wurde ein etwa möglicher päpftlicher Proteft vor der Krönung unmöglich gemadıt.

2 Man muß mit Beftimmtheit annehmen, daß ſämmtliche Kurfürften ſolche Briefe ausftellten, wenn fie auch nicht alle erhalten oder befaunt find; die Anficht Henrichs, daß die Briefe der rheinischen Kurfürften in der Form abgewichen (S. 60), ift ganz unftatthaft. Auf den Umftand, daf die Briefe, welche dem Reiche und dem Papſte die Mahl meldeten, theils vom 10., theil® vom 12, Juni datirt find, ift faum irgend Werth zu legen. Das lag einfach an der Kanzlei, welche mit Geſchäften überhäuft war. Gerade die Schreiben der Kurfürften an den Papft im beiderlei Geftalt, von denen wir doch ausdrüd- lich wifjen, daß fie nicht fofort ausgeftellt wurden, find vom 10, Juni datirt, während das längere des Kaifers den 12. Juni trägt. Am wenigften dürfen daraus jo weit gehende Folgerungen gezogen werden, wie e8 Jenkner ©. 47 ff. gethan hat.

® Quapropter vestre immense clemencie cum dietis meis collegis coelectoribus principibus supplicamus tam humiliter quam devote, qua- tenus dictum dominum nostrum Wenceslaum in Rom, regem concorditer

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Es iſt nicht ohne Intereſſe, dem letzteren Paffus einige Auf- merfjamfeit zu jchenfen. Die Formel ift im Wejentlichen für folche Zwede ſchon lange gebräuchlich; in ähnlicher Weife kommt jie fchon bei der Wahl Rudolfs von Habsburg vor !., Fat wörtlich fteht fie in den die Wahlen Heinrich VII. und Yudwigs anzeigenden Schreiben (vgl. die Anm. unten). Erſt in der Wahlverfündigung Karls IV. wurden hinter “amplectentes’ die Worte ipsum regem Rom. nominantes et reputantes’ eingejhoben und damit alfo dem Papfte eine nicht unerhebliche Goncejfion gemacht. Diefe Worte wurden, fogar noch etwas verjtärkt, auc jest aufgenommen, aber das Schlußſätzchen ‘prout extat ab olim fieri solitum et consultum’ neu hinzugefügt; dadurch wurde das echt des deutichen Königs am Kaiferthume ge— wahre. Gewiß wird man annehmen müffen, daß die Worte mit großer Sorgfalt erwogen wurden, und wie die Rurfürften den ver- mittelnden Wünfchen Karls Rechnung trugen, fuchten fie nicht weniger ihren Standpunkt zu wahren. Der ganze Pajjus bezieht fich le- diglich auf die Kaiferfrönung; von einer Approbation ift feine Rede und die Aachener Krönung wird als jelbftverjtändliche Folge der Wahl gar nicht erwähnt.

Die Briefe zu überbringen, wurden der Biſchof Edard von Worms, der Graf Eberhard von Katenellenbogen und der Dekan von Speier, Konrad von Geijenheim, bejtimmt; eine Anzahl burgun— difcher Herren follten unterwegs herangezogen werden, um in Avignon glänzender aufzutreten? Ahnen übergab auch der Erwählte Auf- träge. Sie follten den Papſt bitten, Wenzel feine Gunft und Gnade zu gewähren und ihn nad) Karls Tode oder Refignation mit der

sic electum in imperatorem promovendum paternis affectibus benignius amplectentes, regem Rom. nominare ejusque personamad apicem tante dignitatis ydoneam reputare necnon eidem munus consecracionis ac dya- dema sacri imperiü loco et tempore oportunis per vestre beatitudinis sanclas manus conferre dignemin:, prout extat ab olim fieri solitum et consuetum, ut sciant .... . etc. Nr. 80 und 82, (Die liegend gedrudten Stellen entiprechen den Schreiben bei den Wahlen Heinrichs VII. und Ludwigs), Die Bemerkung Henrihs S. 60, die Kurfürften hätten ihre Zuftimmung no- minacio et electio genannt, damit fi) der Papft nicht diefer Ausdrüde be- dienen könne, ift finnlos.

ı Vos itaque quaesumus, pater sancte, suscipite filium singula- rem ..... eundem, cum vestre sanctitati placuerit et visum fuerit opportunum, ad imperialis fastigii diadema dignemini misericorditer evocare, ut sciant .... etc. LL. II, 394.

2 RA. Nr. 77. Daß alle die genannten Herren nicht in Frankfurt waren, fieht man daraus, daß fie dort nirgends erwähnt werden und man es in Zweifel ließ, ob fie wirklich in Avignon zur Stelle fein würden und die beutichen bevollmächtigte möthigenfall® allein die Aufträge auszurichten. Karl beauftragte feiner Zeit in gleicher Angelegenheit faft die nämlichen burgun- difchen Herren (Ademarum Valentinensem et Amadeum Gebenn. comites, Ludovicum de Sabaudia. Theiner II, 172); vielleiht war es ein onus, ihnen oblag; was weitere Unterſuchung und Vergleichung leicht ergeben önnte.

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Kaiferkrone zu ſchmücken; ferner auf feine Seele zu ſchwören, daß er die Eide leiften würde, wie Heinrich VII. und Karl IV., und melde fonft erforderlich wären. Der Brief, in welchem Wenzel dem Papſte die Aufträge feiner Bevollmächtigten mittheilte, entjpricht wörtlich (natürlich) mit den durch die verjchiedene Zeit gebotenen Abänderungen) dem Schreiben, welches einjt Heinrih VII. am 2. Yuni 1309 an Papſt Clemens V. richtete, mehrere Monate nad) feiner Krönung. Mit volljter Abficht wich alfo Wenzel von dem bei Karls Erwählung eingehaltenen Verfahren ab; dejjen überaus demüthiges und die weitge— hendſten Verpflichtungen gelobendes Schreiben, in welchem fortwährend von der Ertheilung der Approbation die Rede ift, wurde verworfen !, Bon Approbation jteht nichts in der Urkunde, nur, wie in der Voll— madht, von Gnade und Gunſt. Al Zeugen unterfchrieben die Kurfürften von Mainz und von Sachſen; gemäß dem früheren Ver— jprechen bedient fid) Wenzel feines Siegels als böhmiſcher König.

Am 15. Juni etwa traten Audibert und Biſchof Johann, die Gefandten des Papjtes, den Heimweg an; jie hatten gegenüber der gewandten Politif des Kaifers nichts erreicht. Bei Hofe blieb Tho— mas de Amanatis zurück, weldem Audibert die Copien der Eides— formeln übergeben hatte, deren Authenticität aber bezweifelt worden war. In ſeine Hände legte Wenzel am 16. Juni den Eid nieder, daß er, jobald der Papjt ihn approbirt haben würde, die bewußten Schwüre leijten wolle; wiederum wurden die Eide in ihrem vollen MWortlaute aufgenommen; gewiß aber haben Kaifer und König diejelbe Berwahrung eingelegt, wie am 9. Juni, und Thomas feine in gehö- riger Form ausgefertigten Urkunden übergeben ?,

Zur feitgefegten Zeit, am 6. Juli, wurde in Aachen die Krö- nung Wenzels und feiner Gemahlin Johanna durd) den Erzbijchof Friedrich von Köln vollzogen; daran jchlojjen fich die glanzvollen Ce— remonien der Huldigungen?, in heftiger Streit zwifchen dem Kur— fürften von Sachſen und dem Herzoge Wenzel von Yuremburg, wel— cher von beiden das Schwert vortragen dürfe, wurde vom Kaiſer da= hin gejchlichtet, daß er feinen Sohn Sigismund damit beauftragte *, Ueberaus zahlveic; war die Menge der erjchienenen Herren, Won den Kurfürjten fehlte nur Yudwig von Mainz, warum wiſſen wir nicht;

! RA. Nr. 8. Dfenfchlager a. a. ©. 17. Theiner a. a. ©. 173.

2Weizſäcker RA. ©. 90. In dieien Eiden (Nr. 83. 84, vgl. Nr. 71) ſpricht allerdings Wenzel mehrfach) von Approbation; fie find aber im Wort« laute jo genau denen Karls entiprechend, daß Heinrich als ultimus imperator bezeichnet wird, wie Höfler S. 667 bemerkt. Es ift hier nicht der Dit, auf den Inhalt der Eide (Karls IV. 1346, September 19; Heinrichs VII. 1312, Zuli 6) näher einzugehen, und eben der Umſtand, daß Karl und Wenzel gegen ihre Ab- legung feine Einwendungen machten, zeigt, daß fie diejelben als wenig bedeutend betrachteten. In der That waren ja die darin ausgeiprochenen Verpflichtungen theils veraltet, theils dem Papfte, wie die Berhältnifje feit dem Interregnum ſich geftaltet, nicht mehr zu beftreiten.

s SS. rerum Boh. II, 433. RA. ©. 152 ff.

* Dynteri chron. ed, de Ram III, 72,

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fein Bruder Markgraf Wilhelm von Meißen war dagegen anweſend. Alle drei Ruprechte von der Pfalz verherrlichten durch ihre Gegen» wart die Feier, der andere wittel8bachijche Zweig war vertreten durch Herzog Albrecht von Holland, den Echwiegervater des Königs, und Herzog Friedrih von Baiern. Dazu kamen die benachbarten Fürjten, der Herzog Wenzel von Luxemburg, die Grafen von Juülich, von Berg, von der Mark, von Nafjau und wie die Herren alle hießen !,

Das Ziel Karld war erreicht; e8 erübrigte noch, den Kurfürften den Dank abzujtatten und die ihnen gegebenen Verſprechungen zu er= füllen, foweit es nicht bereit3 gejchehen war. Friedrich von Köln erhielt die verfprochene Betätigung der Privilegien durch Wenzel, die zugefagten erjten Bitten in den Diöcefen und Städten von Köln und Straßburg , die ftrengen Sprüche gegen die widerfpenftige Stadt Köln wurden erneuert. Aber wenn Karl früher Friedrich zugejagt, beim Bapfte die Erlajjung der gefchuldeten 120,000 Gulden zu er— wirfen, fo waren diefe Bemühungen, vielleicht weil Karl im Puntte der Wahl zu wenig nachgegeben hatte, vergeblich geweſen; am Tage nad) der Krönung hatte der päpftliche Legat in Aachen felbit das In— terdiet über Köln wegen Nichtbezahlung jener Summe verhängt. Im October entband derſelbe ſogar Köln von allen Verpflichtungen gegen den Erzbifchof; erſt Gregors Nachfolger Urban VI. gab zwei Yahre fpäter den Wünfchen Karls nad, da er des Kaifers freundlicher Ge- finnung dringend bedürftig war, und reducirte die Schuld auf 30,000 Gulden ?. Karl hatte Friedrich Shon in Mainz im November 1374 verfprochen , ihm jedenfalls 30,000 Gulden zu zahlen; jene in Ba— charach ertheilte Erlaubniß, die für die gleiche Summe verfeßte Land» vogtei im Eljaß einzulöjfen,, ftand gewiß im Zufammenhange damit. Wir wiffen nicht, in welcher Weiſe und warn die Schuld getilgt; freilich berichtet eine wohl gleichzeitige Nachricht von 50,000 Gulden , welche Friedrich für die Wahl und Krönung erhalten ®. Die Elſäſſiſche Landvogtei wenigjtens ift nicht in den Beſitz Kölns gefommen; am 14. September 1377 verpfändete fie Karl fir 30,000 Gulden an feinen Bruder Wenzel von Yuremburg und ließ obige Summe am 30. November 1377 den bisherigen Pfandinhabern, den Herzögen Friedrich und Stephan, auszahlen‘. Der Zwiſt des Erzbijchofes mit der Stadt ging weiter und artete fogar in offenen Kampf aus; der

1 RA. Nr. 94—100. Die Namen der Anmefenden ergeben fich theils aus dem großen Privileg für Aachen, tbeild aus den Stadtrehnungen (Herzog —— ©. 170; wahrſcheinlich iſt derſelbe gemeint S. 177 Zeile 5, wo der

rt corrumpirt if. Weizläder ergänzt Herzog Albrecht, dieſer figurirt aber immer als Herzog von Holland). So interefjant die Notizen der Stadtrech— nungen find, dürfte e8 doc kaum möglich fein, aus ihnen ein zujammenhän- gendes Bild der Feftlichkeiten zu entwerfen.

2 Ennen a. a. ©. II, 710 fi.

® Contin. Levoldi a Northoff bei Seiberg, Quellen zur weſtfäl. Geſch. I, 419,

* Publications de la societ6.... des antiquites.... de Luxem- bourg XXIV, 164. ®gl. RA. ©, 36 Anm.

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Raifer beharrte im feiner feindfeligen Haltung gegen die Stadt, deren Privilegien er im ‘December für vernichtet erklärte; erft im Beginn des nächſten Jahres vermittelte Kuno von Trier eine Sühne zwifchen den ftreitenden Parteien.

Auch den übrigen Kurfürjten wurden die Verfprechungen erfüllt und die nöthigen Briefe von Wenzel ausgeftellt, welche zum großen Theil erhalten find. Für Ruprecht wurde nod) das Recht der erjten Bitte in den Städten und Didcefen von Worms und Speier hinzugefügt.

Wenden wir und wieder zur Curie. Wir erinnern uns, daß Ddolerius Ende Mai zum zweiten Mal nad) Avignon aufgebrochen war; er nahm die in Oppenheim in den Tagen vom 24—29. Mai ausgeftellte Erklärung Wenzels, daß er die Eide ſchwören wolle, und den auf den 26. April zurüddatirten Brief Karls mit. Er wird Mitte Juni angelangt fein; zu derjelben Zeit müjjen die erſten Be— richte Audiberts über feine Erfolge oder vielmehr Mißerfolge bei der Curie eingelaufen fein, wenn fie nicht Ddolerius ſelbſt anvertraut waren. Der Papſt und die Gardinäle ſahen, daß die Wahl, die ja bereits gejchehen, jich nicht mehr hintertreiben ließ; man machte zum böjen Spiele gute Miene und fuchte zu retten, was zu retten war. Sener Brief Karls half die Brücken zur Vermittlung ſchlagen; aber feine Form war noch nicht genügend; man wollte durchaus, daß die Curie um die ausdrüdlice Genehmigung zur Wahl gebeten werde. Es follte daher vom Kaiſer ein neuer Brief ausgefertigt werben , in welchen er mit bejtimmt vorgejchriebenen Worten um Gnade, Gunft und Genehmigung zur Vornahme der Wahl bitte; gerade das Wort „Genehmigung“, beneplacitum, auf welches man Gewicht legte, fehlte in den bisherigen Briefen Karls !. Die neue Urkunde follte eben- falls das Datum des 26. April oder ein noch früheres tragen. In Er— wartung, daß dies gefchehe, wurde eine correjpondirende Bulle vom 7. Mai ausgeftellt, in welder auf Bitten Karls die Genehmigung ertheilt wird, daß die Wahl vorgenommen werden könne ; doch jollte diefelbe dem Kaifer erjt dann in die Hände gegeben werden, wenn er den oben gewünfchten Brief ausgefertigt habe. Im übrigen blieb man bei den alten Bedingungen ftehen: Wenzel und Karl follten die bewußten Eide ſchwören und geloben, diejelben acht Tage nad) der Wahl zu erneuern; nach der Wahl folle Wenzel entweder felbjt oder durch geeignete Gejandte die Approbation nachjuchen, vor diejer weder Negierungsgejchäfte vornehmen noch fich krönen laſſen; ferner müſſe Wenzel ſchwören, daß in Zufunft fein Römiſcher König bei Yebzeiten des Vorgängers gewählt werden folle, ohne ausdrückliche Erlaubniß de8 Papſtes. In einem geheimen Zufage zur Inſtruction wird nochmals der Punkt als bejonders wichtig hervorgehoben, dag Wenzel

ı Nr. 72: gratiam, favorem et beneplacitum ad factum electionis adhibere.

XIV. 20

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ohne Approbation fich nicht dürfe frönen lajjen; wenn er aber felbft fomme oder eine Gejandtichaft ſchicke, wolle fie der Papft jofort er- teilen. Karl gegenüber follte hervorgehoben werden, der Papſt wünſche nicht, daß im gegenwärtigen Augenblik irgend ein Streit über die Frage, ob der Gewählte ohne Approbation regieren dürfe, erhoben werde; dad habe Johann XXII. unzweifelhaft entjchieden und gerade auf diefen Punkt Hin feine Proceffe gegen Yudwig den Baiern gegründet. Und wenn Karl fage, daß früher einige Erwählte fofort die Regierung antraten und fi in Deutſchland frönen ließen, jo fei ihm zu entgegnen, daß früher fehr viele Kaifer der römijchen Kirche Unrecht angethan hätten, welches erſt durch fromme Herrſcher, wie der Kaijer felber einer fei, abgeftellt worden. Karl müffe aud) einwilligen, daß der Papit zu gelegener Zeit eine öffentliche Erflärung darüber abgebe, daß bei Lebzeiten des Vorgängers fein römiſcher König erwählt werde ohne den Willen der Curie. Der Papit wolle das noch geheim halten, doc müßten über alle die geforderten Eide heim— lid) Urkunden ausgeftellt werden, die fobald wie möglich dem päpft- lichen Kämmerer zu überweifen wären. Während der erjte Theil der Anftruction dem Kaijer gezeigt werden follte, müjje diejer Nachtrag geheim gehalten werden!,

Diefe Inſtructionen wurden Odolerius anvertraut, welcher fie in Frankfurt den päpftlichen Gefandten übergeben follte. Aber jchon unterwegs in Air traf er diejelben an; da ja die Dinge fi) in ganz anderer Weije entwidelt, al8 man in Avignon geglaubt hatte, und die Krönung ohne Approbation zur Thatſache geworden, waren jene Vorſchriften überflüfjig geworden; Audibert und Johann nahmen fie nad) Avignon zurüc, ebenfo die Bulle. Am 3. Yuli trafen fie dort ein, ihre Reife war noch verzögert worden durch eine Gefangenſchaft von fünf Tagen, in welche fie gerathen waren ?®,

Zu gleicher Zeit mag die faiferliche Geſandtſchaft eingetroffen fein, welche zugleid) mit den Legaten aus Frauffurt etwa am 15. Juni aufgebrochen war. Ihr Empfang wird nicht der freundlichjte gewejen jein, alle Erwartungen der Curie waren ja getäujcht worden. Unter diefen Umſtänden fonnte ſich Gregor nicht entſchließen, die Wahl und Krönung Wenzel8 anzuerfennen und ihm für die Zufunft die faiferliche Krone zuzufichern. Aber Konrad von Geifenheim war ein umfichtiger Geſchäftsmann; da er von dem Papfte nicht die ge= wünſchten Briefe bekam, hielt er es für gerathen, demfelben feine Wenzel verpflichtenden Urkunden in den Händen zu lajjen. Er nahm daher die gejiegelten Pergamente, auf welche gemäß dem königlichen

ı RA. Nr. 72. 74. 75.

2 RA. ©. 115 und 101. Daß Karl der geheime Veranſtalter dieſer Gefangenſchaft geweſen, wie Henrich S. 65 meint, ift ſchon deswegen nicht wahr- ſcheinlich, weil die päpftlichen Gejandten mit den kaiferlichen zufammenreiften. Es läßt fich auc kein Zweck einfehen, da es ja aud ohne dieje Verzögerung nit mehr möglid war, daß etwaige Gejandte Gregors nod vor der Krönung in Aachen anfamıen.

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Auftrage die von Wenzel abgelegten Eide Karls IV. und Heinrichs

I. nun in Avignon gejchrieben worden waren, wieder mit nad) Haufe zurüd, zum großen Aerger der von diefer Vorficht wenig er= bauten Eurie!.

Es ift fehr fchwierig, den weiteren Gang der Dinge zu ver- folgen; wir find angewiejen auf wenige Briefe und Urkunden; wie viel verloren gegangen oder noch unbefaunt ijt, bleibt zweifelhaft. Denn e8 ift nicht wahrfcheinli, daß die vorhandenen Schriftjtüde die einzigen find, welche zwijchen Papft und Kaifer gewechjelt worden find; es ift daher ſehr mißlih, auf fie fichere Schlüffe zu bauen. Aber da jeder Anhalt fehlt, die Lücken zu ergänzen, erjcheint es am gerathenften, nur mit dein Gegebenen zu rechnen.

Soviel ift ficher, daß der Papſt ſich zunächft nicht zur Anerfen- nung Wenzels entſchloß; Gregor hat ihn ſtets nur als Erwählten König bezeichnet. Aber offen gegen die Wahl zu protejtiren und Gewalt— fchritte zu thun, trug er doch Bedenken ; die fchwierigen Verhältniffe in Stalien gejtatteten nicht, den mächtigen Rückhalt am Kaijer zu entbehren. Karl wiederum beharrte auf feiner Anficht, daß der beutjche König nicht der päpftlichen Approbation bedürfe, um zu re= gieren; alsbald nad) der Krönung bediente fic) Wenzel des Titel8 und Siegels als römischer König; im Februar 1377 übertrug ihm Karl officiell die Regierung des Reiches außerhalb der Yuremburgiichen Erblande?, So fehr der Kaifer auch die Anerkennung der Wahl wünſchen mochte, die Koncejfionen , welche er dafür zu machen bereit war, fonnten fid) nicht auf jenen Gardinalpunft der päpftlichen For— derimgen erjtveden; nur auf der Baſis des bereitS Zugejtandenen war er zur Nachgiebigfeit bereit.

Es ift möglich, daß Thomas de Amanatis, welcher in Deutfch- land blieb und gelegentlich in des Kaiſers Umgebung getroffen wird, die Unterhandlungen weiter fortgeführt hat?. Doch erfuhren fie wahr- fcheinlidy eine Unterbrehung durch den Krieg mit den fchwäbifchen Städten, in welchen ſich Karl und Wenzel im Herbfte 1376 vers wickelt fahen, noch mehr durch die Ueberfiedelung der Curie nad) Rom, welche vom September 1376 bis in den Anfang 1377 dauerte; am 17. Januar hielt Gregor feinen Einzug in Rom. Im Mai ver- legte er feinen Aufenthalt nach Anagni; damals fcheinen die Ver- handlungen wieder lebhafter aufgenommen worden zu fein, da jchon Ende April die Ueberfendung der auf die Wahlen Karls und Wenzels bezüglichen Actenftüde aus Avignon verlangt wurde. Erſt gegen Ende Yuni fönnen die in den Händen Audibertd und Yohanns befindlichen Papiere bei der Curie eingelaufen fein,

ı RA. ©. 140 (Nr. 86). Bol. S. XC f.

2 RA. NR. 101.

: 1376 Auguft 14. Nürnberg. 1377 Januar 10. Bamberg. 1377 April 16. Erfurt. Reg. Bo. IX, 355 ff. Er fam am 9. November 1377 nad Rom zurüd. Baluze I, 1200.

* RA. ©. 90 Aum,

20*

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Mir wiffen nicht, von welcher Seite die Unterhandlungen wieder begonnen wurden, aber im Zuſammenhange damit wird ftchen, wenn Karl am 27. Juni in QTangermünde die Gonftitution des Jahres 1359 erneuerte, welche die kirchlichen Freiheiten in den Erzjtiften von Magdeburg, Mainz und Köln wahrte und fchütte!. Gregor trug fi nod) immer mit dem Wunfche, daß Wenzel nad) Ftalien komme und fi) die Approbation perſönlich hole; er jchrieb am 24. Auguft 1377 dem Erzbifchofe Pileus von Ravenna, welcher ſich al8 päpſt— liher Nuntius in Belgien aufhielt, er möge zu erreichen ſuchen, daß der Herzog von Luremburg-Brabant mit feinem Neffen dem Könige im nächſten Frühjahre nad) Italien käme. Es fcheint auch in der That, daß Wenzel folche Abfichten Hegte; aber dann ijt bei dem Standpunkte, den er und fein Vater in der ganzen Angelegenheit einnahmen, zu vermuthen, daß dies nur gejchehen jein würde, nach— dem Gregor vorher ſich zur Anerkennung verftanden ?.

Wie dem nun auch fein mag, in der zweiten Hälfte de8 Sep— tember finden wir als päpftlichen Gejandten den Biſchof Galehard von Spoleto am faijerlichen Hofe in Tangermünde. Es iſt jehr wahrscheinlich, daß wir die Inſtruction, welche er erhalten, in einer päpftlichen Ganzleiaufzeihnung zu erbliden haben.

Vom Kaiſer follte ein Brief ausgeſtellt werden, datirt lange vor der Wahl, in welchen zur Vornahme derjelben von Papſte gracia, beneplacitum et favor et consensus erbeten werde. Dieſem ent= fprechend follte eine päpftliche Genehmigungsbulle gefertigt werden, mindeſtens einen Monat vor der Wahl datirt. Vater und Sohn follten jchwören, daß jie niemals bewirken wollten, daß bei ihren Leb— zeiten eine Wahl vorgenommen werde. Im Geheimen jollten fie ſich einverjtanden erklären, daß eine päpſtliche Satung zu geeigneter Zeit gegeben würde, welche die Vornahme einer Neuwahl bei Lebzeiten des Raifers ohne Erlaubniß des Papftes verbiete. Item habeatur lit- tera super facto regis Franciae. Endlich follten die durch den Biihof von Worms und deſſen Begleiter nad) Avignon überbracdhten

: Bgl. RA. ©. 146 Anm. und quarta vita Gregorii XI bei Baluze *

2 RA. ©, 138 Anm. 1. Vgl. Osio II, 192. 1377 November 27, Guilielmus comes de Axenburg supremus camerarius domini imperatoris ift jedenfalls Wilhelm von Hajenburg, supremus regni Bohemiae dapifer, consiliarius, vgl. Ludewig, Reliq. mscr. VI, 65. Der Name des kaiſerlichen Gejandten Johannes episcopus Carminensis ift verftümmelt, vielleicht foll er Olmucensis heißen. Da erzählt wird, daß diefer Johannes den Vergleich zwi— chen dem Papſte und dem Präfecten von Bico vermittelt habe, muß er Eude Dctober bei Gregor gewejen fein (Gregorovius VI, 478); dann fanıı aber, nad) den was wir fonft wiffen, feine Sendung fid) nicht auf die Anerkennung Wenzels bezogen haben, Die fragmentariiche Notiz aus Avignon vom 17, Juli 1376 bei Osio Il, 183: hie dieitur quod rex Rom. nuper ellectus se preparat ete., bezieht fich wohl lediglicd; darauf, daß man damals bei der Curie ſich nody in der Täuſchung befand, Wenzel würde vor der Krönung nad Avignon kommen,

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authentifchen und gefiegelten Briefe, welche der Dekan Konrad allzu vorfichtig zurüdnahm, dem Papfte wieder ausgeliefert werden (Nr. 86).

Die Nachgiebigkeit, welche der Papſt an den Tag legte, war jehr bedeutend ; die Forderungen gehen im Großen und Ganzen nicht über die von Karl bereit8 früher bewilligten hinaus,

Der erſte Punkt wurde -von Karl zugejtanden; es wurden in der That Urkunden in der gewünfchten Form ausgetaufcht, deren Ori- ginale mit Siegeln noch heute fih im Vatican und in Wien bes finden; die failerliche datirt vom 6. März, die päpftliche vom 3. Mai 1376. Das Formular, welches beiden zu Grunde liegt, ift wahrfcheinlih von der päpjtlichen Kanzlei entworfen worden. Die Genehmigung des Papites ijt im die oben angegebenen Worte gefleidet ; die Form ift möglichſt fcharf gehalten. Daher heißt e8 in der faifer- lichen Urkunde: cum autem ad hujusmodi eleccionis celebracio- nem nobis viventibus procedi non valeat sine vestris bene- placito etc.; in der päpftlichen: et licet electio hujusmodi te vi- vente minime de jure possit aut debeat celebrari, und weiter: per hoc tamen non intendimus eisdem electoribus vel eorum successoribus aliquod jus acquiri nec Romane ecclesie juri et auctoritati prejudieium generari.

Ferner ftellte Karl am 23. September das eiblihe Gelöbniß aus, daß folange er Kaiſer fei oder Wenzel nach ihm e8 wäre, fie nicht bewirfen wollten, daß ein römischer König gewählt werde, ja es nach Rräften verhindern würden?. Eine Einwilligungsurfunde zur beabfichtigten päpftlichen Satzung eriftirt nicht; gewiß gab Karl die- jelbe harte Antwort, die er fchon früher ertheilt.

Wie der Anhalt des Frankreich betreffenden Briefes fein follte, läßt fich nicht errathen, die Conjecturen find müffig, um fo mehr, da wir gar nicht wiſſen, ob ein folcher ausgeftellt wurde. Karl führte befanntlich feine Abſicht, Karl V. in Paris zu befuchen, Ende des Jahres aus; der Zweck derfelben war jedenfall ein politiſcher. Es wird ſich darum gehandelt haben, den franzöfiichen König zu bewegen, daß er feinen Widerftand gegen die Rückkehr der Curie nad) Rom aufgab, die italiichen Berhältniffe wurden jedenfall8 in den Kreis der Beiprehung gezogen. Wir wilfen ferner, daß Frankreich Tebhafte Be- ztehungen zu Ungarn unterhielt, obgleich das Verlöbniß des Herzogs Ludwig von Anjon, des Sohnes Karl V., mit Catharina, der älteften Tochter Ludwigs des Großen, durch den Tod der Braut war getrennt worden; es ift leicht möglich, daß Karl, der die nunmehrige Erbin Ungarns Maria als Gemahlin für feinen Sohn Sigismund in Aus— ficht genommen, auch nad) diefer Seite hin etwaige Hinderniffe zu beſei— tigen wünſchte. Aber wie gejagt, wir kommen hier über Vermu-

ı Nr. 87. 88. Bol. oben S. 274 Aum. 3,

2 Nr. 89. Karl bat offenbar mit Abficht diefe Form gewählt, weil er fo vermeiden konnte, von einer eventuellen Einholung der päpfllichen Gench- migung zu ſprechen.

298

thungen nicht hinaus; wir wiſſen nur, daß Karl feinerfeits in Paris da8 leere Verſprechen, gegen England Beiftand zu Teiften, gegeben und dem Dauphin Karl den Generalvicariat in der Dauphind be= ftätigt hat.

Die Auslieferung jener Eide endlich, welche Wenzel am 9. und 16. Juni 1376 in Frankfurt abgelegt, it wahrfcheinlich damals er- folgt, da fie fich im Vatican befinden und von ihnen fpäter nicht mehr die Rede iſt. Zweifelhaft ift, ob Karl, wie e8 verlangt worden war, ebenfall8 den Eid geleiftet, dem einjt fein Vater Johann 1346 abgelegt. Nach den Ausfagen Audiberts ift es geichehen!, und ob— gleich) die Documente nicht mehr vorhanden, ift e8 doch glaublih.

Gewiß wurde aud damals in Tangermünde im Namen des abwefenden Könige Wenzel ein neues procuratorium an den Papft ausgeftellt. Es entfpricht wörtlich dem von 10. Juni 1376, nur ijt das Sätschen eingefchoben:: et singulariter ad petendum pro no- bis et nomine nostro dietam eleceionem publicari ac literas sanctitatis vestre desuper procurari concedi. Darin lag eine weitere Conceſſion an den Papft, wenn fie auch nicht viel zu bedeuten hatte. Der Brief ift datirt Piſek, den 22. September; den früheren Bevollmächtigten, deren Namen wohl mır aus formellen Gründen genannt werden, wird als thatfächlicher Geichäftsträger der Dekan Konrad von Wefel Hinzugefügt. Um den Papſt, der fi) damals in arger Geldverlegenheit befand, geneigter zu machen, nahm er 40,000 Florentiner Gulden mit, ein Geſchenk an den Papft unter dem Namen des Darlehns ?, |

Stürme und andere Hinderniffe verzögerten die Neife der Ge— fandten; am 4. December war Gregor über den Gang ber Ver— handlungen noch im Ungewiſſen. Er fchrieb damals dem Raifer, er fet bereit, die Approbation zu ertheilen, wenn die von ihm geftellten Bedingungen erfüllt würden ; aber noch habe er feine Nachricht von Galehard erhalten. Klagen über die Florentiner und das Zögern Karls, gegen diefelben energifhe Mafregeln zu ergreifen, Bitten, bei der Zufammenkunft mit dem Franzofenherricher das Wohl der Kirche in Erwägung zu ziehen, füllen den größten Theil des Briefes

rt. 90

(Nr. 90). Am Februar endlich theilte der Papft dem Kaiſer mit, daß Gale— hard angefommen ſei. So warmen Danf er dem Kaiſer für beffen

ı RA. ©, 114,

2 NM. 85. S. 137 Anm. 3. Da bie Gefandten erft kurz vor Februar 1377 nach Rom kamen, ift e8 immerhin möglich, daß fie von Tanger—⸗ münde erft zu Wenzel gereift find und bdeffen Procuratorium zwar fpäter aus- geftellt, aber vorbatirt if. Da indeffen ber Papft fpäterhin die Sadıe fo dar⸗ ftellt, daß Galehard gar nicht mit Wenzel zufammengelommen, ift wohl die im Tert ausgeſprochene Anficht die richtigere. Ob die frühere Gefandtihaft, Bi« {hof Effard von Worms u. f. w., noch beim Papfte weilte, ift zweifelhaft und laſſen fich Gründe für und wider anführen (vgl. Henrich S.85), doch iſt e8 mir wenig wahrſcheinlich.

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freundliche Geſinnung gegen die Kirche abftattet, fo beffagt er fich, dag Wenzel die von ihm geforderte Urfunde nicht mitgeſchickt, obgleich der Biichof diefelbe ausdrücklich gefordert habe. Vielleicht feien fie durch Wenzels Abwejenheit verzögert worden. Gleichwohl werde er zur Approbation mit den gehörigen Feierlichkeiten fchreiten, aber bie Urkunde darüber fo lange zurüdhalten, bis die Wenzels eingetroffen fei (Nr. 91).

Es ift nicht Har, welche literae electi petitae gemeint find. Wenn wir uns an die Inſtruction Galehards halten, kann nur bie Urfunde gemeint fein, im welcher Wenzel geloben folle, folange er Kaifer fei, Feine Neuwahl vorzunehmen. Eine folhe war, wenigjtens foweit wir wijjen, nur von Karl ausgejtellt worden.

Aber ehe! Gregor feine Abficht ausführen konnte, ereilte ihn am 27. März 1378 der Tod. Es erfolgte unter ftürmifchen Scenen die Wahl eines Italieners, des Erzbifchofes Bartholomäus von Bari al8 Urban VI.?, Aber bald gerieth diefer mit den franzöfijchen Car— dinälen in Streit, ſchon Mitte Mai entfernten ſich mehrere derfelben aus Kom und gingen nad Anagni; immer jchärfer fpitte ſich der Conflift zu; am 16. Juli fam e8 bereits zum Kampfe zwifchen den von den Gardinälen in Sold genommenen Bretonen und den Urban anhängenden Römern.

Unter diefen Umftänden mußte Urban Alles darauf anfommen, fih der Geneigtheit Karls zu verfihern. Es ift bei dem maßlofen Temperamente Urban durchaus glaublich, daß er, wie fpäter erzählt wurde, Anfangs nicht geneigt gewejen fei, nachzugeben und die Aner— fennung Wenzels auszufprechen®; aber unter dem Drude der DVer- hältniffe blieb ihm nichts übrig, als im jeder Weife dem Faiferlichen Haufe entgegenzufommen.

Es ijt darüber geftritten worden, ob Wenzel nochmals durch feierlihe Gefandtichaft Urban um Anerkennung erfucht oder nicht; die Ausfagen über diefen Punkt ftehen fich diametral gegenüber. Doch e8 fcheint nicht ſchwierig fie zu einigen : jene Geſandtſchaft vom Sep— tember 1377, deren Führer Konrad von Wefel war, weilte noch in Rom; fo fonnten die Einen jagen, eine Gejandtichaft Wenzels habe die Approbation nachgefucht, die Andern es läugnen“.

Am 26. Juli hielt Urban in Tivoli ein Confiftorium, an wel= chem freilich nur drei Gardinäle können Theil genommen haben, und

ı Bifchof Angelus von Peſaro (Baluze I, 1264) erzählt, Gregor Habe Menzel nicht beftätigen wollen, doch kann er Hier leicht eine Verwechſelung mit ben früheren Vorgängen gemacht haben. Der Bericht ber vita prima Greg. XI (a. a. O. 439) leidet offenbar an Ungenauigkeiten.

S. meine Abhandlung, Die Wahl Urbans VI., in Sybel, Hiſt. Zeitſchr. Bol. die von Henrih S. 85 und 86 gejammelten Stellen.

* Bol. RA, S. 148 Anm. 2,

5 Da fhon am 20. Juli ſämmtliche ultramontanen Cardinäle von Anagni aus die vier italienischen, von denen Franciorus Tibaldeſchi S. Petri in Rom frank lag, zu Berhandlungen auffordern. Rayn. 1378. 40.

300

ſprach die Anerkennung aus. Wir befigen die Approbationsurfunde ſelbſt nicht ; indeifen lautete fie jedenfall wie diejenige, welche jpäter- hin der Gegenpapft Clemens anbot; fie nahm die Einleitung aus jenen fpäter ausgetaufchten Briefen vom 6. März und 3. Mai 1376, während die eigentliche Approbationsformel diejelbe ift, welche bei Karl IV. und in ähnlicher Weife fchon früher bei Heinrich) VII. und Albrecht I. von der päpitlichen Kanzlei gebraucht worden war.

In einem überaus freundlichen Schreiben vom 29. Juli theilte Urban dem Könige das Geichehene mit; jeder Ausdrud, der Anſtoß erregen Fonnte, wird vermieden, der König zu baldigen Kommen ein geladen. E8 fcheint, daf die Anerkennung bedingungslos erfolgte ; alle etwaigen Forderungen der Curie mußten ja jet gegenüber dem drohenden Schisina zurüdtreten; felbit die Wiederholung der Eide Karls IV. und Heinrichs VIL, welche nad) erfolgter Approbation ge= ſchehen folfte, ift unterblieben; wenigjtens Fennen wir fein darauf be= zügliches Document.

Faffen wir noch einmal kurz das Nefultat zufammen. Karl hat den Standpunft der goldenen Bulle mit Glück gewahrt. Denn wenn auch nachträglich Urkunden ausgetaufcht wurden, auf welche die Päpite ein Anrecht auf Einholung ihrer Genehmigung vor der Wahl gründen konnten, fo galt das nur für den auch in der Bulle nicht vorherges jehenen Fall einer Wahl bei Lebzeiten des Kaifers; damit war die Berechtigung des Papftes, in eine unter gewöhnlichen Verhältniffen vor ich gehende Wahl einzugreifen, ausgefchlojfen. Da ferner bie Kurfürften nicht ihre Genehmigung gaben und aucd Wenzel jede dar= auf bezügliche Urkundenausfertigung unterließ, war die Begründung der päpitlichen Anfprüche ſelbſt für diefe Fälle eine ſchwache, und Karl fonnte fpäteren Zeiten ruhig die Sorge überlafjen, auch hier die päpftlihe Anmaßung zurüdzuweifen. Daß aber ber Erwählte vor

I RA. Nr. 92. 93; vgl. S. XCI f. Die blühende Sprache in Nr. 92, an welcher Henrich S. 88 Anftoß nimmt, findet fich auch im anderen Bullen Urbans VI. Ueber das Schreiben Clemens’ VII. fiehe RA. ©. XCIII und Höfler S. 671 Anm. Die Approbation Wenzels wird erwähnt in der meines Wiffens ungedrudten Leichenrede auf Karl IV., welche Adalbertus Ranconis de Ericinio in Boemia scholasticus ecelesiae Pragensis hielt. Consola- tionem etiam magnam in morte nostri cesaris debemus accipere ex eo quod nos orphanos non reliquit, sed nobis de suo inclito germine heredes suorum principatuum substituit sexas utriusque, et specialiter subrogavit nobis pro se jam defuncto seren. prineipem et dn. dn. Wenc. filium karissimum in regem Rom. et Boemorum regnorum, quem etiam in vita sua coronavit et coronis sanctorum regnorum de- coravit, cujus etiam coronationem electionem provisionem et pro im- periali regimine nominationen et que circa personam prefatam in regem Rom. electam et assumptam gesta sunt et geri poterunt in futurum sanctissimus pater noster dn. Urbanus papa sextus una cum dnis. cardinalibus approbavit et approbaverunt, ratificavit et ratifica- verunt, autemticavit et autemticaverunt hiis diebus, propter quod 5 possumus illud ..... .. Univerfitätsbibliothet in Prag. XIV.

*

301

ber Krönung und um regieren zu können der päpftlichen Approbation bedürfe, hat er energifch zurückgewiefen und feine Meinung durchge- fett. Daß der König dem Papfte ſchwur, deifen Rechte im Kirchen- ftaate u. ſ. w. zu bewahren und der Kirche treu ergeben zu fein, daß er ferner um Anerfennung und um die Zufage der Kaiferfrönung bat, war in den Berhältnijfen, wie fie einmal bejtanden, durchaus be— gründet. Mean darf dabei vor Allem nicht vergejfen, daß dadurd) die Stellung als Herrſcher an und für fich nicht berührt wurde: fobald Wahl und Krönung rite vollzogen waren, war der Erwählte wirf- * König; jene Bitte um Anerkennung wurde dadurch zur For— malität.

Man wird daher der Politik Karls, ſo gewunden und künſtlich ſie war, Beifall nicht verſagen können; in ruhiger, klar bewußter Weiſe hat er verſtanden, die Forderungen der Curie abzuwehren, ohne einen Conflict heraufzubeſchwören. Durch die goldene Bulle und ſein Verhalten bei der Wahl ſeines Sohnes hat er die Ver— —— ſeiner eigenen Erhebung nach Möglichkeit gut zu machen geſucht.

Eiko von Repgow und der Sachjenfpiegel. Von

F. Winter.

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1. Die Vorfahren Eilos.

Zum erjten Male tritt und das Gefchleht der Repgows im Sahre 1156 entgegen. Als Markgraf Albrecht zu Wörpzig am 28. December 1156 ein placitum abhielt, erjcheinen al8 Zeugen der Verhandlung: Eyco et Arnolt de Rypechowe !.

Aber wir haben fie hier nicht blos als zufällige Zeugen zu ver—

zeichnen: einer unter ihnen ift ficherlich zugleich als Schöffe zugegen. Ar der Spite der langen Zeugenreihe jteht schultetus Otto und Reynhardus preco ; geſchloſſen wird fie mit Udalrich de Edelristorp, einem Gejchleht, von dem die Vorrede des Sachſenſpiegels bezeugt, daß es zu den Schöffen des Reichs von ſchwäbiſcher Herkunft ge— öre?. Wir haben hier alſo den urkundlichen Beweis, daß die Herren von Repgow zu den ſchöffenbar freien Leuten gehörten; und daß einer unter ihnen thatſächlich daſelbſt auch das Schöffenamt ausübte, dürfte daraus mit Gewißheit hervorgehen, daß wir mit Weglaſſung der Brüder und der zweiten Namen deſſelben Geſchlechts 24 (2>< 12) Zeugen zählen.

Sodann erfcheinen ihre Namen wieder im Jahre 1159. In der zweiten Hälfte dieje® Jahres übergeben Marquard, Eico und Arnold 1’/s Hufe ihres Erbgutes an das Erzitift Magdeburg unter der Bedin- gung, daß fie den Zehnten von ihrem gefammten übrigen Befit (hereditas) in Ripechove vom Erzitift als erbliches Lehen empfangen. Bon dieſem Zehnten jollen dem Eico zwei Theile, dem Marquard und Arnold aber ein Theil zuftehen. Zum Zeugniß darüber itellen fie eine Urkunde aus und bejiegeln fie. Den Vorſitz bei diefer Ver— handlung führte der Erzbiichof Wichmann; Beijiger waren der Abt Arnold von Bergen, vier Dombherren, der Burggraf von Magdeburg und fünf Edle ®.

Die Ausjteller nennen ſich nicht ausdrüdlich Herren von Rep— gow; aber jowohl die Lage ihres Beſitzes zu Reppichau wie die

1 9, Heinemann, Cod. dipl. Anhaltinus I, 312, 2 Homeyger, Eadjienipiegel, 3. Ausgabe, S. 139. s Cod. dipl. Anhaltinus I, 330.

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Uebereinſtimmung zweier Namen mit denen von 1156 fennzeichnet fie unzweifelhaft ald Herrn von Nepgow. Brüder fcheinen fie, wenn man nac) der ungleichen Vertheilung des Zchntertrages fchließen darf, nicht gewejen zu fein.

Die Abficht des Vertrags ijt, den Bejig in Neppichau von dein Zehntrecht zu befreien, das der Erzbifhof von Magdeburg als Did- cefanbifchof, resp. der Dompropft als Ardidiaconus des Bannes Eöthen ausübte". Die Herren von Repgow verfügen in diefer Ur- kunde völlig frei über ihren Beſitz; fein Laudesherr genehmigt oder bejtätigt die Uebertragung der 1'/s Hufe ans Erzitift. Auch hiernach wieder erjcheinen die Herren von Repgow als freie Mannen.

Woher mögen dieje jchöffenbar freien Herren von Repgow wohl gefommen fein? Als urjprünglih im Gau Serimunt angejefjen fünnen fie auf feinen Fall angejehen werden; denn diefer Gau war bis zu den ſächſiſchen Kaifern Hin fo gut wie ganz wendiſch, und big 1100 hatte das deutjche Element nur in fpärlichjter Weiſe fich feitge- ſetzt. Erſt im zwölften Jahrhundert jtrömte das deutjche Leben mafjenhaft ein, und die edlen Herrn famen von allen Enden, um ſich hier und im übrigen Wendenlande feitzufegen. Die Herren von Wulfen find mit den Herrn von Seeburg verwandt, famen alfo wohl aus dem Hafjegau; die Herren von Göthen mit ihrem feltenen Namen Huswart fcheinen einem Geſchlecht Hafeborn entſproſſen zu fein, das denjelben Namen führt; die Herren von Dröbel und Els— dorf find nad) der Vorrede de8 Sachſenſpiegels geborne Schwaben, entſtammten aljo dem Schwabengau. Die Herren von Lupene dürfen wohl als Edle von Schneidlingen angefprochen werden, da Theodulf von Yupene 1147 als rechtmäßiger Erbe des Edlen Friedrich von Schneidlingen auftritt ?.

Ueber die Herkunft der Herren von Repgow giebt vielleicht der feltene Vorname Eifo noch etwas Licht?. Bis jet fteht indeß nur fo viel fejt, daß das Gefchlecht zu den Sachſen gehört. Denn da die Vorrede des Sadjfenjpiegel® die von Repgow nicht unter den Ge— ſchlechtern mit aufführt, die den Franken oder Schwaben entitammen, und hinzufügt, alle andern freien Herren und Schöffen, die nicht auf- gezählt find, ſeien Sachſen, jo zählt diefelbe die Herren von Repgow ihrer Abſtammuung nad den Sadjen bei.

Wenn auf das namensähnliche Dorf Räbke zwiſchen Helmitedt und Schöppenjtedt al8 den Stammort der Familie? hingewiefen worden ijt, kann jet nad) dem Bekanntwerden der bejprochenen Ur— funden jedenfall® nicht mehr davon die Rede fein, daß fie davon ihren

2 Bol. Magdeburger Geichichts-Blätter IT, 64, wo die Kirche in Repes- chowe als unter dem Dompropft ftehend aufgeführt wird.

2 Cod. dipl. Anhaltinus I, 255.

s Der Name Eifo ift uns im 12, Jahrhundert nur begegnet bei den Edlen von Viehringen, den Edlen von Dorftatt und den fchöffenbarfreien Herren von Gatersleben (1156).

* So Conring nad) Homeyer, Sachjenfpiegel S. 6 Anm,

307

Namen trug. Um aber aud) der Annahme vorzubeugen, daß durch die Familie der Name Räbfe auf einen neu angelegten Drt im Wen⸗ difchen übertragen worden fei, fo bemerfe ih, daß die älteſte Na— mensfornm für Räble Redepe feinerlei Aehnlichkeit mit Nippes chowe hat.

2. Die urkundlihen Nahrichten über den Verfaſſer des Sadjenjpiegeld Eiko von Nepgow.

Zu ben ſchon länger befannten vier Urkunden, in welden Eiko von Repgow genanıt wird (von 1209. 1215. 1219. 1233), find in neueſter Zeit noch zwei hinzugefommen (von 1218 und 1224), Diefelben Hat zuerft Beyer in feiner Geſchichte des Ciſtercienſer-Klo— ſters Altzelle in deutjchem Auszuge 1855 veröffentlicht . Sie wurden indejjen von den Nechtshiitorifern nicht beachtet. Erſt als v. Poſern— Klett 1863 in feinen Beiträgen zur Gejchichte der Verfaſſung der Markgrafichaft Meißen im 13. Jahrhundert die betreffenden Stellen im Urterte publicirte und auf das Vorkommen Eifo8 von Repgow aus— drücklich hinwies?, wurden diefelben für die Geſchichte Eikos ver- werthet.

In der Urkunde von 1209 erjcheint Eifo von Repgow auf der Dingftätte der Grafihaft Wettin, in Mettine, einem jegt unbefanuten Orte, der aber auch im Jahre 1208 als Dingftätte vorkommt ?, Friedrich von Krofigk fit dort ausgeſprochener Maßen anjtatt des Grafen zu Wettin zu Gericht; Heinrich Rabil, der Schultheiß der Grafſchaft, erjcheint an erjter Stelle nad) dem Markgrafen Dietrich von Meißen; die Herren von Gniez, Dröbel find ebenjo wie die Nepgows als jchöffenbarfreie Leute befannt: es Liegt daher die Ver— muthung fehr nahe, daß die Zeugen bis zu Eifo von Repgov Hin aud) Beifiger des Gerichtd waren. Dieſe Vermuthung wird Gemißheit, wenn wir nun weiter jehen, daß auf die genannten Namen die Herren von Scfeudig und andere folgen, welche unbejtritten zum hohen Adel gehören und fonft immer vor den erjtgenannten ejchlechtern ſtehen. Es kann demnach Eifo vor Repgow hier feine Stelle vor den Herren von Schfeudig, dem Burggrafen von Kirchberg und dem Grafen von Negenftein nur einnehmen, weil er Beijiger des Graf- ſchaftsgerichts zu Mettine war.

Defjen ungeachtet kann er ebenjowenig wie die Herren von Dröbel zu den ftändigen Schöffen diejer Grafjchaft gerechnet werden. Im Jahre 1208 erfcheint er nicht unter den Zeugen, welche beim placitum in Metene gegenwärtig waren. Ebenfowenig finden wir ihn 1207 und 1222 zu Deligfch beim Landding, al8 dort zugleich die

1 ©. 531 und 533,

ı ©. 29. 80.

® Köhler, Kloſter Petersberg S. 59. Magdeburger Gejchichtsblätter YII, 236. Schultes, Direct. II, 465.

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Schöffen der Grafihaft Wettin mit zugegen find. Auch fehlt er 1214 auf dem placitum, das zwijchen Yandsberg und Brehna ab— gehalten wird !.

Dagegen finden wir ihn am 2. Mai 1224 auf dem Landding zu Delitzſch, das offenbar Landgraf Ludwig abhält. Es Handelt ſich auf demfelben um eine Verleihung des Dorfes Wizk feitens Volrads von Landsberg an das Klojter Altzelle. Der Ort ijt das wüjte Dorf Weiffig bei Delitzſch nach Werbelin zu?. Das Landding wird als für die Grafſchaft Eilenburg (Landsberg) geltend angefehen werden müffen. Eifo von Repgow fteht hier mitten unter foldhen Namen, die wir fonft auf dem Yandding zu Deligfch anzutreffen gewohnt find, und auc) hier wieder läßt fi die Bermuthung kaum abweifen, daß er beim Landding felbjt mit thätig war; aber wir müffen auch bemerken: e8 iſt das einzige Mal, daß er auf dem Landding der Mark Eilenburg zu Delitzſch in anjcheinend richterlicher Thätigkeit er—

eint.

ſch Dagegen finden wir ihn ſchon früher, am 21. Mai 1218, in Grimma thätig. Es handelt ſich nämlich um den Ankauf von Hufen, die zu dem Hofe des Kloſters Altzelle in (Mark) Rauſtedt gehörten, und die in Miltitz und Glaſowe (Lauſen?) gelegen waren, wozu Graf Friedrich von Brehna ſeine Einwilligung geben muß. Die Uebergabe hat am 21. Mai zu Grimma ſtattgefunden. Unter den Zeugen wird nun auch Heiko von Ripchowe erwähnt. Es iſt nicht geſagt, daß in Grimma ein Landding ſtattfand, aber die Zahl und die Namen der Zeugen deuten darauf Hin. Grimma iſt allerdings fein gewöhnlicher Ort für das Yandding, aber ganz unerhört ift er nicht?. Jedenfalls ift Hierbei zu bemerken, daß ſowohl Grimma als auch Nanftedt mit Umgebung der Grafichaft nicht angehörten, für welche Delitzſch Dingjtätte war. Wir finden alfo Eifo in einer dritten Grafjchaft thätig, aber wieder nur dies eine Mal,

Als feftitehend wird bisher angejehen, dag Eifo Schöffe in der Grafſchaft Billingshocd; war, die Graf Hoier von Valkenſtein ver— waltete, und daß Eikos Schöffenjtuhl zu Salbfe ſtand'. Die Ur- kunde von 15. October 1233 jcheint auch feinen Zweifel zu laffen, wird doc Eifo von Repgow ausdrüdlid unter den Schöffen in der- jelben genannt. Und doc) leidet jene Annahme an einem vierfachen Srrthume.

Zunächſt gehörte weder das Dorf Billingsdorf, um das es ſich dabei handelt, noch der Ort der Oerichtsverhandlung, Salbfe, zur

ı Ibidem ©, 57. Gersdorf, Cod. dipl. Saxoniae II, 1, 89. Hennes, Codex dipl. ordinis Teutoniei S. 15 (mit fehlerhaften Namen).

2 Meue Mittheilungen des Thür. Sächſ. Vereins I, 6. Die Urkunde bei Beyer, Altzelle S. 533. v. Pofern= Klett, Zur Geſchichte der Verfaſſung der Markfgrafihaft Meißen S. 29.

PR Heinrich dev Erlauchte I, 120. v. Bofern-Klett 1. c. Beyer . c. Homeyher, Sachſenſpiegel S. 8. Stobbe, Rechtsquellen I, 296 fi.

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Grafſchaft Billingshoch, jondern zur Grafſchaft Mühlingen, die nicht von den Marfgrafen von Brandenburg, fondern von den Fürften von Anhalt zu Yehn ging. Es ift eine ganz faljche Annahme, daß die Srafihaft Billingshod) die ganze Strede des Nordthüringaus zwischen Dhre und Bode umfaßt habe, und daß die Grafichaft Mühlingen nur eine Unterabtheilung gewejen fei. Die Grafſchaft Billingshod) endigte au der Sülze!.

Sodann war nidht Hoier von Falkenſtein hier Graf, fondern Bederich von Dornburg. In jener Urkunde fteht ausdrücklich: in presenecia comitis Bederici de Dorinbure illius terre comitis, und auch font erjcheinen die Grafen von Dornburg ausfchlieglic als Srafen von Mühlingen. |

Drittens war die Brücke bei Salbfe über die Sülze nicht die gewöhnliche Dingjtätte. Es iſt ganz ausnahmsweiſe, daß hier hart an der Grenze der Grafichaft das Grafengericht gehalten wird, und iſt eim zweiter Fall nicht befannt. Die gewöhnliche Gerichtsftätte war Mühlingen. |

Endlih kann ifo von Nepgow micht zu den gewöhnliche Schöffen diefer Grafichaft gehört haben. Ganz auffallend ift feine Stellung Hinter dem praeco. Der Frohnbote hat fonft feine Stelle entweder unmittelbar Hinter dem Schultheißen und dann vor allen Schöffen, oder am Ende aller. Wenn num Hier der Frohnbote vor Eifo jteht, fo deutet das, wie wir glauben, auf eine außergewöhn— lihe Stellung Eifos Hin. Eifo war nur für dies eine Mal hinzu— gezogen. Und in der That finden wir, obwohl wir feit 1209 eine Reihe von Urkunden haben, welde nus die Schöffen der Grafichaft Mihlingen vorführen, Eifo von Repgow unter ihnen jonft niemals erwähnt.

Eifo kann demnach für die Grafichaft Mühlingen feine andere Stellung eingenommen haben, als für die Grafichaften Wettin und Eilenburg. Wir müſſen demnach die Folgerungen Homeyers nud Stobbes, daß Eifo in der muthmaßlichen Zeit der Abfajfung des Sachſenſpiegels dort (ftändiger) Schöffe war, daß er in der Graf: Schaft Mühlingen Grundeigenthum befaß, daß dort alfo auch fein regelmäßiger Wohnfis war, und daß endlich im diefer Yandichaft der Sadjenfpiegel entjtanden fei, als auf irrigen VBorausjegungen ruhend betrachten ?.

Weiter jehen wir Eifo von Repgow bei der Eigenthums-Ueber— tragung durd den Grafen Heinrich von Ajchersleben an das neuge— gründete Stift in Coswig zugegen, und zwar in Gemeinfchaft mit Hoier von Falfenftein. Es wird dem Stifte der Pla, auf dem es jtehen foll, fowie das Eigenthumsrecht über das Dorf Loceke (Yotjchfe, nördlid) von Coswig) gefchenft, und zwar mit Zuſtimmung Hoiers

1 Der Beweis für den Umfang beider Grafichaften wird anderswo ge- führt werden. 2 Homeyer, Sadjjenfpiegel, 3. Ausg., S. 14. Stobbe, Rechtsquellen I, 297.

XIV. 21

310

von Falfenftein der damit belchnt war. Die Urkunde darüber ijt 1215 ausgejtellt (datum) zu Lopene es ijt dies das vormalige Schloß Pippehne, nahe bei Raguhn, das 1205 genommen wurde! —, allein die Verhandlung braucht dort feineswegs jtattgefunden zu Haben ; es iſt wahrjcheinlich, daß die donatio zu Coswig ſelbſt geſchah. ALS testes, qui huie nostre donationi intererant, werden aufgeführt ?: nobilis vir Hogerus de Valkenstein, Odalricus de Vredeberge, Johannes de Gniz, Wernerus de Suseliz, Conradus Makecherf, Heeco de Repechowe, Bertramus et Balduinus de Thornowe, lauter Edele und Freie, die in und meben dem Anhaltiichen anges jeffen waren. Darnad) fommen noch eine Anzahl Männer, welche ausdrücklich als Minifterialen bezeichnet werden.

Daß hier eine gerichtliche Verhandlung ftattfand, ift durch nichts angedeutet, aber auch durch nichts ausgefchlojfen. In der Beſtäti— gungs = Urkunde des Bifchofs Balduin von Brandenburg aus dem Jahre 1216 wird diefe Uebereignung als eine donatio prineipis de Anhalt legitimorum heredum conniventia rite acta be— zeichnet ?, ein Ausdruck, der immerhin auf eine gerichtliche Uebergabe gedeutet werden könnte. Jedenfalls jteht es feit, daß es eine feierliche Uebereignung war, bei der Eiko anweſend ericheint. Ebenſo muß her— borgehoben werden, daß Hoier von Falkenſtein der eigentliche Stifter des Stift war. Er giebt den Grund und Boden, die er zu Lehn hat, zur Stiftung her, er bietet auch die Ausftattung; der Graf Heinrich bejtätigt nur als Lehnsherr. Deßhalb wird dem Grafen Hoier vom Biſchof auc das echt bejtätigt, den Decan des Stifte, der zugleich Pfarrer der Kirche fein foll, zu bejtimmen® Wir fehen aljo Hoier von Falfenftein in und um Coswig augejeffen, und von hier aus war die Berührung mit Eiko eine fehr naheliegende.

Endlich wird Eifo in einer Urfunde vom 2. April (4. Non. Aprilis) 1219 erwähnt. Graf Heinrich von Anhalt giebt darin den Canonicis zu Goslar das Recht, ihre in feinem Gebiet gelegene Meierhöfe verpachten zu dürfen. Bei diefer Verhandlung (actum) find Zeugen: Comes Hoyerus de Valkensten, borchgravius Hermannus de Wetin, Henrieus de Gniz(?), Conradus Maket- serf, Conradus Slichting, Hugoldus de Reder, Eico de Repe- chowe, Conradus dapifer de Waldeser, Olricus dapifer de Welsleve, Helembertus de Hekelinge, Conradus de Maudere®. Was hierbei auffallend it, ijt dies, dak Eiko zwifchen Namen fteht, welche ſonſt zu den Minifterialen gezählt werden. Es ift höchſt wahr— ſcheinlich, ja dürfte durch diefe Urkunde faft als erwieſen angejehen werden, daß Eifo neben feiner Eigenſchaft als jchöffenbar Freier auch

* Magdeburger Schöffendronif, ed. Janicke, S. 127.

? Bedmann, Hiftorie von Anhalt I, 312.

3 Ebenda 314.

* Ebenda S. 313.

ER ent, Becmamus enucleatus ©. 216. Die Eigennamen find nad) gütiger Mittheilung des Herrn v. Heinemann verbefiert.

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im Miniſterialen-Verhältniß zu den Fürſten von Anhalt ſtand. Er hatte wohl neben ſeinem reichsfreien Beſitz zu Reppichau Lehnsgut von dieſen angenommen!, wie denn in der nächſten Zeit (1244) Jo— hannes von Repgow unzweifelhaft als Miniſterial der Fürſten von Anhalt erſcheint? Da nun die Urkunde von 1219 mit Beſtimmt— heit nicht auf einem Grafending ausgeftellt ift, der Graf Heinrich) von Anhalt vielmehr hierin als Yandesherr verfügt, fo ift es ſehr erflärlich, werhalb Eifo unter den Zeugen als Minifterial erjcheint.

Wenn dagegen in den übrigen Urkunden feine Eigenschaft als ihöffenbar Freier nicht füglich bezweifelt werden kann, jo fragt es ji: in welcher Thätigkeit erjcheint er dort? v. Pojern - Klett ant- wortet darauf?: „Es ift ebenfo denkbar, dag ihn fein Auf als Rechts— fundiger jeweilig in die Umgebung unferer (dev Meißnifchen) Fürſten führte, als dag die Namilie von Repgow jchon damals in der Dit- marf angefejlen war“. Schon Homeyer hat die lettere Möglichkeit unmahrjcheinlich gefunden und die erjtere Erklärung vorgezogen *. Daß Eiko durch Beſitz hervorragend gewefen fei, davon iſt weder bei ihm noch bei dem fpätern Geichlecht eine Andeutung vorhanden. Was ihn an fo verfchiedenen Gerichtsftellen erjcheinen läßt, das ijt fein Ruf als rechtserfahrener Mann. Den Befit Eifos wird man faum anderswo als im Gau Serimunt juchen dürfen. Es ijt fein Beweis dagegen, daß wir Eifo nicht auf dem Grafending des Gaues Serimunt als Schöffen thätig finden;_ wir haben leider aus jener Zeit auch nicht ein Beispiel von der Abhaltung eines folchen.

Nun wiſſen wir überdies, daß Eikos Vorfahren ihren freien Befig in Neppichau hatten. Wo anders follen wir für Eifo das Gut, das praedium libertatis suae, das ihn ſchöffenbar frei machte, fuchen, al8 da, wo es feine Vorfahren befaßen, in Neppichau? Und auf diefem Freigute müſſen auch noch fpäterhin, als einzelne Zweige de8 Gejchlechts bereits in das Miniſterialitäts-Verhältniß übergetreten waren, Nachfommen Eikos »al8 freie Mannen gejeffen haben. Wir fehen das bis zur Evidenz aus der Urkunde von 1287, laut welcher die Fürften von Bernburg ihren Bejig in Reppichau an das Stift Coswig verfaufen. Es geht daraus hervor, daR nicht das ganze Dorf verfauft wird, fondern nur ‘bona omnia in campis et in villa Reppechowe ad nos olim pertinentia”. Vor allen Dingen machen wir darauf aufmerffam, daß das Kirchlehn ganz unerwähnt bleibt, offenbar weil dies in den Händen der Familie Eifo8 war. Die Zahlung des Kaufgeldes fand ferner auf dem placitum ftatt, und als auf demjelben anweſend werden an erjter Stelle genannt:

ı Das wiirde ihn freilich noch nicht zum Minifterialen machen, Fonnte aber wohl dazu führen ih zu diefen zu ftellen, wie denn Hugold von Redern und Konrad Schlichting nur ale Minifterialen vorfommen.

2 Bedmanı, Hiftorie von Anhalt III, 315.

s Zur Geſchichte der Verfaſſung dev Marfgrafihaft Meißen im 13. Jahr: hundert S. 30.

Sitzungsbericht der Berliner Afademie vom 29. October 1866.

21°

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Ghero senior de Reppechowe, Bernhardus de Wulve milites, Bruno schultetus de Aquis generalis in distrietu nuncius, qui vulgo vronebode dieitur. Diefe drei Herren find als ſchöffenbar freie vorangeftellt, und nun erft folgen andere, welche die Fürſten als milites nostri, alfo als ihre Minifterialen bezeichnen !.

3. Die Vorrede von der Herren Geburt. a. Die Zeit der Abfaffung.

„Der geichichtlich wichtige Aufſatz, welcher die Herkunft der im Lande zu Sachſen wohnhaften Herren angiebt, ijt der älteften Ord— nung der Handjchriften noc) unbekannt **. So Homeyer. Im weitern Berfolg feiner Ausführung kommt er, indem er auf die dort er= wähnten PBerfonen eingeht, zu einem abjchliefenden Reſultat darüber sicht, ob diefe Vorrede noch dem Eifo beizulegen, oder fpäter zugefügt fei; doch neigt er mit Klöden (Gefchichte einer altmärfifchen Familie ©. 36 ff.) zu erjterer Annahme.

Stobbe äußert ſich in feiner Geſchichte der Nechtsquellen (I, 303) ähnlich: „Die Vorrede von der Herren Geburt jteht jeltener in den Handjchriften und fcheint der zweiten Hälfte de8 13. Jahr— hunderts anzugehören“.

Die Frage kann nur durch genaue Specialfenntniß der edlen und jchöffenbar freien Geſchlechter in Dftfachjen entjchieden werden, und einen Beitrag dazu foll das Folgende liefern.

Der Berfaffer fchließt jeine Aufzählung der Geſchlechter: Unde darto (sint geborne Sassen) alle die vrien herren unde sce- penen, die to Sassen wonehaft sint unde de me kündich sint bi miner thid, sunder de hir Yore benümet sint (nämlid) von ſchwäbiſcher oder fränkiſcher Herkunft). Werner gebraucht er bei

! Bedmanı, Hiftorie von Anhalt I, 321.

Das Dorf Reppichau hat jetzt fein Nittergut, auch fein Freigut unter dem Bauernhöfen. Das nicht unbedentende Dorf umfaßt 29 Aderhöfe mit größerem oder geringerem Befit. Dagegen lebt in der Bolfstradition noch die Erinnerung an dag einft vorhandene große Freigut, das am DOftende des Ortes lag, hart neben der Kirche, deren fchöner vomanischer Thurm aus dem 12. Zahr- hundert ſtammt. Aus diefem großen Gute find im Laufe der Zeit fünf oder ſechs Aderhöfe gebildet worden, welche noch jetzt die größten im Orte find. Auf dem bedeutendften derjelben war, wie mir mitgetheilt wurde, der Tette adliche Befiter ein Herr von Selhow. Weit ausgedehnte Gärten und große Filchteiche Ichloffen fi in früheren Zeiten diefem alten Nitterfig an. Bon alten Gebäuden, welche einem Nitterhofe angehört hätten, Konnte ich nichts entdeden; dagegen find auf dem Areal defjelben mehrfach Alterthümer wie Streitärte u. dgl. ge— —— worden. Mit Wall und Graben iſt der Ritterſitz nicht befeſtigt ge— weſen.

2 Homeyer S. 53.

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der Aufzählung ſtets das Präfens, 3. B. under den vrien herren sint Suavee etc. Danach kann es feinem Zweifel unterliegen, daß der Berfafjer nur ſolche Gejchlechter aufgezählt hat, welche zu feiner Zeit noch blühten. Können wir demnach nachweifen, daß einzelne von den genannten Gejchlechtern im Yaufe des dreizehnten Jahrhun— derts ausgejtorben find, fo muß nothwendig die Abfaffung der Vor- rede vor jene Zeit fallen.

Unter den Edlen, welche ſchwäbiſcher Abfunft find, werden auch de von Osterburch, de von Aldenhusen genannt. um fteht e8 feft, daß um 1242 dies Gejchlecht mit Graf Siegfried von Oſterburg und Altenhauſen ausgejtorben ift!. Vor 1242 muß denmad) dieje Borrede abgefaft fein.

Ferner werden als geborne Schwaben die von Amersleben er- wähnt. Auch dieje jterben um jene Zeit aus. Don dem letten männlichen Sproß Walter jagt das Todtenbuch des St. Bonifazius- ftift8 in Halberjtadt: Walterus nobilis de Amersleve oceisus eontulit ecelesie nostre 2 mansos in Strobeke ?, und zum 19. März: Hoc die translata sunt corpora prepositi Werneri et fratris sui Walteri nobilis viri et Drutkindis uxoris ipsius Walteri, de Bossenleve. Walter war ebenfo wie feine Gemahlin und fein 1216 geitorbener Bruder Werner, der Dompropft und Propft von St. Bonifazius war, im der letztgenannten Kirche bes graben. 1240 wurde nun das Bonifaziusftift von feinem bisherigen Plage in Bofjenleben in die Stadt Halberjtadt hinein verlegt, und da die Glieder der Familie von Amersleben noch in Bofjenleben be— graben waren, jo wurde die Ueberführung der Yeichen nach dem neuen Stift angeordnet ?. Demnach muß das Gejchlecht von Amersleben im Mannsſtamm fpäteitens 1240 ausgeftorben fein. Walter fann aber aud nur erjt 1239 oder 1240 getödtet worden fein. Denn im Jahr 1239 erjcheint er noch im Gericht der Grafen von Regen— jtein, oder fall8 dies früher gejchehen fein follte, jedenfalls in diefem Fahre vor dem Biſchof Yudolf von Halberftadt, um zu erklären, daß feine Tochter feinen Rechtsanſpruch au den bereit früher dem Klofter Walfenried überwiefenen Gütern in Schauen habe“. Daraus folgt mit Nothwendigfeit, dag die Vorrede von der Herren Geburt jpäte- jtens im Jahre 1240 abgefaßt ift.

Unter den edlen Gefchlechtern von ſchwäbiſcher Geburt kamen ferner vor: de burchgreven von Gevekenstein. Auch diefes Ge— ichlecht erlojch um dieje Zeit. In gedrudten Urkunden findet ſich der lette Sproß diejes Geſchlechtes 1229 verzeichnet, der Burggraf Johann von Giebichenftein?. Wenn das Jahr 1229 nun auch kei—

I dv. Raumer, Brandenburger Regeften, Stammtafel XI.

2? 9. Grote in der Zeitfchrift des Harzvereins III, 920.

® Ebenda.

* Wrkundenbudh des Hiftor. Vereins für Niederfadhfen Il, ©. 164 mit Acta sunt haec 1239. Als Todestag Walter8 wird im Todtenbuche des Bo— nifaciusftifts 7. Idus Augusti angegeben.

5 Magdeburger Geidhichtsblätter VII, 241.

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neswegs das Jahr des Erlöfchens bezeichnet, jo muß das Ausſterben dejjelben doc) nicht lange darauf erfolgt fein. Da fowohl Johann wie jein Bruder Walter bereits im Jahre 1207 vorkommen, fo ift es nicht wahrjcheinlich, daß ihre Yebenszeit fi über das Jahr 1250 hinaus erjtredt hat. Ein gleiches gilt von den Domwögten von Halberſtadt.

Wir vermögen aber auch unter den namentlich genannten ſchöffenbar freien Mannen mehrere nachzuweiſen, deren Lebenszeit und Thätigkeit jedenfalls theilweiſe in die Zeit vor 1240 fällt. Einen Heinrich von Schneidlingen hat man merkwürdiger Weiſe bisher nur für die Jahre 1255 bis 1257 nachgewieſen, und man hat es über— ſehen, daß Henricus et filius suus de Snetlingen bereits 1223, und zwar zu Aſchersleben in placito provineiali als fungirender Schöffe, jedenfalls als jchöffenbar freier Mann erjcheint !,

Ebendort erjcheint auch ein anderer in der VBorrede als des Keiches Schöffe genannter Mann in gleicher Stellung: Anno de Irinegistorpf, im Sachjenjpiegel Anne de Ireckestorp, Jerkestorf, Jerchinstorff u. f. w. genannt, eben im Jahre 1223 ?.

In eben derfelben kommt aud) Teoderieus de Sedorp als Schöffe vor, dejjen Geſchlecht die Vorrede ebenfalls als jchöffenbar frei be— zeichnet.

De voget Albrecht von Spandowe mitten unter den Herren von Schneidlingen vorfommend und dieſem Gefchlechte erwieſener Magen angehörig ijt bereits von Kopp, Niedel und Klöden in den Jahren 1209—1235 nacgewiefen. Wir find aber in der glüd- lihen Yage ihn mit dem hart daneben vorfommenden Alveric von Snetlinge al8 Bruder und al8 in Schneidlingen angeſeſſen nachweifen zu können. In einer ungedructen Urkunde von 1233, welche fich im Archiv zu Wolfenbüttel unter den Originalen des Klojters Mi— chaeljtein befindet, beurfundet der Abt Konrad von Konradsburg, daf er vier Hufen mit vier Höfen in Snetlige a domino Alverico et Alberto fratribus erworben habe. Ja auch 1223 erfcheint uns in dem Albertus prefeetus (judieii oder de Spandowe) et Con- radus frater suus ein Bruderpaar der Herrn von Schneidlingen gemeint zu fein, eben der Vogt Albrecht von Spandau und fein an— derer Bruder Konrad °.

Ergiebt ji) alfo aus dem Erlöſchen des Gefchlechtes der Edlen von Amersleben mit Evidenz, daß die Vorrede von der Herren Geburt jpäteftens im Jahre 1240 abgefaßt fein muß, fo machen die übrigen angeführten Thatjachen die Abfaffung derfelben in den Decennien von 1220—1240 in hohem Mafe wahrjcheinlic).

Fragen wir nun, ob fi) nicht auch ein frühfter Zeitpunkt für die Abfaffung der Vorrede gewinnen läßt.

I Bedmann, Hiftorie von Anhalt I, 177.

? Bedmann 1.1, mit der falichen Namensform Vrinegestorp. Das Ori- ginal lieſt Irinegistorpf (gütige Mitteilung des Prof. v. Heinemann).

° Bedmann 1. 1.

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Vier hat nachgewiejen, daß der Sachjjenfpiegel nicht jpäter als 1235 und nicht früher als 1224 abgefaft fein fönne!. Wenn wir uns diefem Reſultate al8 einem, wie wir glauben, fichern anſchließen, fo ift damit auch die Möglichkeit befeitigt, daß die Vorrede von der Herren Geburt vor 1224 entjtanden fein fünne. Denn daß die Vor: rede vor dem Sachſenſpiegel niedergefchrieben ei, wird doch im Ernft Niemand annehmen.

Für die Feftjtellung des Jahres 1235 als äußerſten Termins für die Abfaffung des Sachſenſpiegels fällt ganz bejonders ins Ge— wicht, dag Eifo das im Yahr 1235 gegründete Herzogthum Braun— ſchweig⸗Lüneburg unter den Fahnlehen im Lande zu Sachſen nicht er- wähnt? Dagegen hat nun die VBorrede von der Herren Geburt gerade die Herzöge von Lüneburg mit aufgezählt: De hertoge von Lüneborch unde sin geshlechte sint geborne Sassen. Danad) liegt es fehr nahe, anzunehmen, daß für die Vorredte 1235 ale frühftes Abfaſſungsjahr jtatuirt werden könne.

Indeſſen als einen vollgültigen Beweis dafür fünnen wir diefe Erwähnung der Herzöge von Lüneburg doc nicht anfehen. Etwas anderes ijt e8, das Herzogthum als Fahnlehn des Reiches aufzählen fönnen und etwas anderes von den Nachfommen Heinrichs des Löwen als von Herzögen von Yüneburg fprechen. Diefelben nennen ſich in Urkunden auch vor 1235 zwar nicht ausschließlich, aber doc für ge— wöhnlich: dux de Luneborg oder de Brunswik®. Der Berfaffer

ı Fider, Entftehungszeit de8 Sadjienfpiegels. 1859.

2 Fider 1.1. Homeyer ©. 12. ,

3 Mir geben Hier eine Zufammenftellung‘, wie Dtto das Kind zwiſchen 1215 und 1230 genannt wird; wir verdanken dieſelbe der Freundlichkeit des Herrn Archiv» Secretärs von Echmidt- Phijelded in Wolfenbüttel, Otto das Kind wird genannt:

1215. Otto de Luneborg (Or. Guelf, IV, 97).

1221. Otto dux de Luneborg (vom Könige von England. Suden—

dorf, Guelfenurfunden des Tower Nr, 47).

1223. Otto dux de Brunswik (vom Pfalzgrafen Heinrid. Or. Guelf.).

1224. Otto dominus de Luneborg (Or. Guelf. IV, 102 und 103).

1224. o. de Luneborg (Orig.Urk. von Michaelſtein in Wolfen:

üttel).

1225. Otto dux de Luneborg (Or. Guelf. III, 700. IV, 103).

1225. Otto dux in Luneborg (Or. Guelf. III, 701).

1225. Otto dominus de Luneborg (Or. Guelf. II, praef. 87).

1226. oo de Luneborg (Riedel A. XXI, 90 Nr. 7 und 91

r. 9)

1226. Otto dux de Brunswik (Riedel A. XXI, 90, Nr. 8. Or. Guelf. IV, 104).

1227. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 105).

1228. Otto dux de Luneborg (vom Dänenlönig Waldemar. Or. Guelf. IV, 111).

1228. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 112).

1229. Otto dux de Brunswik (vom Könige von England, Sudeu— dorf, 1. c. Nr. 48—53).

1229. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 118 und 130).

316

der Vorrede kann jehr wohl dem Sprachgebrauch des Volkes ſich anbequemt haben, und das um fo mehr, als er fie von den vorher genannten Edlen von Lüneburg durch den Zuſatz „Herzog“ am beften unterjcheiden konnte.

Troßdem wir die Erwähnung der Herzöge von Lüneburg als einen ftrieten Beweis für das Jahr 1235 als frühjten Abfaffungs- zeitpunet nicht anzuerfennen vermögen, wollen wir doc) nicht ver- ichweigen, daß diefer Umstand jo ganz gleichgültig nicht ilt. Der Verfajfer des Sachſenſpiegels lebte in Gegenden, im denen nur po— litifche Gegner Heinrichs des Löwen und feiner Nachkommen herrichten. Soweit uns befannt ift, hat derfelbe auch nur in welfenfeindlicher Umgebung ſich bewegt. Sollte diefer Umſtand nicht auch dem Ver— faffer der Borrede eine gewiffe Scheu eingeflört haben, von Herzögen von Lüneburg vor 1235 zu fprehen? Die Möglichkeit, daraus das Jahr 1235 als frühjten Termin der Abfafjung unjerer Vorrede feitzuftellen, bleibt jedeufalls offen.

Wenn wir nun die Abfajfung der Vorrede vor 1240 nachge- wiejen haben, fo haben wir damit die Entftehungszeit hart an die urkundlich beglaubigte Lebenszeit Eifos gerückt, und es iſt ein trif- tiger Grund nicht vorhanden, dem Eiko die Abfafjung diefer Vorrede abzujprechen.

b. Der Umfreis der Runde Eifos.

Obwohl Eifo das Necht der Sachſen, alfo de8 gefammten ſäch— fiihen Stammes behandeln will, jo läßt es fich doch nicht leugnen, daß er eine perjönliche Erfahrung für diefen weiten Umfang nicht gehabt hat. Richtig ift es, daß er die allgemeinen Verhältniſſe von ganz Sachſen (Weftfalen, Thüringen und die Marfen einges ihlojjen) kennt; es find ihm ſämmtliche Bisthümer Sachſens und der Marken befannt, er nennt die Fahnlehne Sachſens und die Fürjten dejjelben. Allein fpeciellere Kenntniß hat er nur von Oſtſachſen ges habt. Insbeſondere darf der Sprengel von Halberftadt und Magde— burg als der Kern feiner perjönlichen Kunde angejehen werden, und an diefen Kern lehnt ſich nur das Uebrige an.

Schon die urfundlichen Zeugnifie weifen uns Eiko vorwiegend in dem Bereich diefer beiden Sprengel auf; mur zweimal weilt er außerhalb derjelben, einmal in Coswig, das nur durd) die Elbe von der Magdeburger Didcefe getrennt ift, und einmal in Grimma, nicht a von dem füdlichiten Endpunfte derjelben Diöcefe, bei Eilenburg, entfernt.

Schen wir von den Fürften ab, fo liegen die Heimathsorte,

1230. Otto dominus de Luneborg dux Saxoniae (vom König von England. Subendorf, 1. c. Nr. 54).

1230. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, praef. 89).

1230. Otto dux de Brunswik et dominus de Luneborch (Or. Guelf. IV, 119).

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von denen die edelen und jchöffenbar freien Gefchlechter der Vorrede ihre Namen tragen, faft alle in den Sprengeln von Halberftadt und Magdeburg oder doch nahe bei ihren Grenzen. Außerhalb diejer Diöcefen liegen Spandau, Klöden (zwijchen Eljter und Elbe), Cottbus, Yüneburg, Poppenburg, Lichtenberg, Dobin (bei Wittenberg). Von fajt allen diefen Gejchlechtern werden wir aber nachzumweifen vermögen, daß fie ihren Urfprung oder ihren Wohnfig in dem Bereiche der Sprengel von Magdeburg und Halberjtadt hatten.

Eifo führt ja allerdings nur Gejchlechter namentlich) auf, welche nicht ſächſiſchen Urſprungs find, und es iſt deßhalb Ichwer, den Be— reich ſeiner Kenntniß zu controliren. Auch wird man ſagen können, daß es Geſchlechter ſchwäbiſcher Abkunft anderswo in Sachſen nicht gab, als in dem Bereiche des Schwabengaues, dem Sitze der Nord— ſchwaben, und deſſen nächſter Umgebung. Ganz undenkbar iſt es in— deß, daß Thüringen und die Marken Meißen und Oſterland, welche letztere einen nicht geringen Theil ihrer Coloniſten aus Franken em— pfingen, der edlen und ſchöffenbar freien Geſchlechter fränkiſcher Geburt ganz ſollten entbehrt haben. Hier bleibt eben nur die Annahme übrig, daß dieſe nicht in den Bereich der Kunde Eikos gekommen ſind.

Mit einer Anzahl der von ihm genannten Edlen hat Eiko nach— weisbar perſönliche Berührungen gehabt. Wir ſehen ihn in Urkunden der Markgrafen von Brandenburg, Meißen, der Landgrafen von Thüringen, der Grafen von Anhalt und von Brehna. Von Edel— herren erſcheinen mit ihm zugleich als Zeugen: die Herren von Kro— ſigk, die Burggrafen von Giebichenſtein, die Edlen von Arnſtein, die Grafen von Regenſtein, die Herrn von Suſelitz, Gniez, von Dobin. (Domherr in Magdeburg), von chöffenbar freien: Offo von Dröbel. Eine ganze Anzahl anderer edler Gefchlechter, die mit Eifo zuſammen in den Urkunden erjcheinen, wird man um deßwillen, weil er fie nicht namentlich aufführt, als Edle ſächſiſcher Abſtammung mit Bejtimmt- heit recognoseiren müſſen.

Ein Zweifel an der Vollzähligfeit in der Aufführung der edlen Geſchlechter ſchwäbiſcher und fränfifcher Abkunft innerhalb des Hal- berjtädter und Magdeburger Sprengels könnte dadurch entſtehen, daß man einige jolcher Gefchlechter nicht mit verzeichnet findet, die ihren Namen von Orten des Schwabengaus tragen. Als ſolches Gefchlecht nenne ich bejonder8 das der Grafen von Dorndburg und Mühlingen, das zugleich die Burggrafichaften Brandenburg und Arneburg und die Herrichaft Belzig innehatte. Es war dies nachgewiefener Maßen eines Stammes mit den Edlen von Mehringen bei Ajchersleben. Nun führt Eifo allerdings ein jchöffenbar freies Gejchleht von Mehringen, das durch Hermann von Mehringen repräfentirt wird, als fchwäbi- cher Herkunft auf, erwähnt aber die obengenannten Zweige mit feinem Worte. Unbekannt fönnen die Grafen von Mühlingen u. f. w. ihm nicht gewejen fein, da er ja ſelbſt als Schöffe unter dem Vorſitz des Grafen von Mühlingen einmal fungirt. Dies Geſchlecht muß viel- mehr al8 ſtammesverſchieden von dem angejehen werden, welches der

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Ichöffenbarfreie Hermann von Mehringen zur Zeit Eifos repräfen- tirte und die- Edelherren, welche zu feiner Zeit eine jo hohe Stellung einnahmen, waren nicht Schwaben, obwohl fie ihren älteften Namen von einem Orte im Schwabengau tragen. Sit doch felbit das Ge- fchlecht der Grafen von Falfenjtein von Eiko als ein nicht ſchwäbiſches bezeichnet, obwohl feine nachweisbar älteſten Site, Konradsburg und Balkenftein, im Schwabengau lagen.

Ein wohlberechtigtes Bedenfen würde ferner davon herzunehmen fein, daß von fchöffenbarfreien Geſchlechtern ſchwäbiſcher Herkunft nur jo wenige namhaft gemacht werden, während uns dod) eine Urkunde von 1156 deren eine viel größere Anzahl zeigt. In diefer Urkunde, in welcher Markgraf Albrecht auf dem Landgerichte zu Afchersleben Zuwendungen an das Stift Simonis und Yudä zu Goslar bejtätigt, werden folgende al8 Zeugen namhaft gemacht: Ruodolfus de Snet- lingen, Burchardus comes de Valkenstein, Frithericus de Ha- “eaburnen, Liuderus de Grobene, Volmarus de minori Ane- gremesleve et ejus fili Conradus, Gero, Otto, Ruothardus de Snetlingen, Erpho de Snetlingen et ejus frater Wichelmus, Liuderus de Snetlingen, Widekinus de Snetlingen et alii eo- rum consimiles, Bruno de Sethorp et alii ipsius consimiles, Friderieus de Widestorp et alii liberi de Widestorp et de Dalthorp, Everhardus de Reinsteden et alii liberi in eadem villa manentes, Thiderieus de Aschersleve, Arnoldus de Re- dere, Burchardus de Gersthorp et ejus filius Ruotholfus, Fri- therieus de Gatersleve et Eico ejus coneivis, Elvericus et Gevehardus et alii scephenen de Winnengen, Fridericus de Hardestorp, Huswardus de Hacaburnen, Heinricus de Amen- dorp, Fritherieus et ejus frater Liuderus de Eilwardestorp, Bernardus de Wilmarstorp, Otto et ejus frater, Conradi filius Wieoch et ejus frater, Sigelogus et Adelgogus et alii nobiles, Bruno de Gittenstein, et Bernhardi filii de Segelingen, Iso et Adelbertus frater ejus de Querenbeke !,

Es find hier gerade vorzugsweile Ichöffenbarfreie Gefchlechter auf- geführt, und, abgejehen vom Grafen Burchard von BValfenjtein, Fries dric) von Hakeborn (und Linder von Gröben), gehören fie unftreitig alle in diefe Kategorie, zumal da die fonjt als mobiles bezeichneten erjt nachher und nach einem erfennbaren Zwiſchenraum folgen.

Man wird nicht fagen fünnen, daß hier eine Anzahl Geichlechter ſächſiſchen Urfprungs dazwifchen fei. Wenngleich ſolche nicht fehlen, wie das Vorkommen Burdards von Valkenſtein zeigt, jo bilden fie doc) auf dem Landgericht des Schwabengaus gewiß nur eine fleine Minderzahl. Biel mehr Wahrfcheinlichkeit hat es für fi), daß eine große Zahl diefer urfprünglich fchöffenbarfreien Mannen in der Zeit von 1156 bis 1230 in das Minifterialitäts-Berhältnig getreten find. So ijt e8 nachweisbar bei den Herrn von Redern gejchehen. Cbenfo

! v». Heinemann, Cod. dipl. Anhalt. I, 303.

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ift das Gefchlecht des Husward von Hafeborn bis dahin in dag Mi— niſterialitäts-Verhältniß getreten. Bei vielen andern wird fich das bei näherer Nachforſchung ebenfalls erweifen laſſen.

ec. Die Gruppirung der Öejdledter.

Schr verwunderlich erfcheint die Anordnung der Gefchlechter, welche Eifo aufzählt. Im erjten Abjag zählt er die Fürften, im zweiten die freien Herren, im dritten des Keiches Schöffen von ſchwä— biicher Abfunft auf. So weit it die bejte Ordnung, und auch der vierte Abſchnitt, welcher die Edelen fränfischer Abkunft bringt, ijt na= türlih. Nun folgen aber im fünften und jechsten Abjchnitt wieder Edle ihwäbifcher Abſtammung, während ein fiebenter Abjag den Herzog von Lüneburg und alle die nicht genannten freien Herren und Schöffen zu den gebornen Sachjen weiſt. Was Hat e8 fir einen Grund, fo fragt man, daß im fünften und jechsten Abſatz noc einmal Edle von ſchwäbiſcher Abfunft genannt werden, -die ſich jcheinbar von den freien Herren im zweiten Abſatz nicht unterfcheiden? Daß Abjag fünf und fechs ein Nachtrag ſei, muß entjchieden bejtritten werden; Eifo faın ad 2 die viel bedeutenderen Geſchlechter ad 5 und 6 nicht überfehen haben. Man Fan fi auc damit nicht helfen, dag man etwa in den einen Gruppen Gejchlechter aus dem Nordihwabengau, in den andern jolche von den füddeutichen Schwaben eingewanderte Familien fieht. ifo denft bei den Schwaben immer an die Nordſchwaben, und die Ge— ſchlechter ad 6 gehören urjprünglic) unzweifelhaft den Nordſchwaben an, auch bei den ad 5 dürfte e8 nicht zweifelhaft fein. Wir glauben den Grund in der verichiedenen Stellung der Gejchlechter in den ver- fchiedenen Gruppen zu erfennen. Die Qualität der in der fünften und jechsten Gruppe genannten Gejchlechter als mobiles ift unbe: jtreitbar; allein es ift uns zweifelhaft, ob Eifo ihnen das Prädicat „Freie Herren“ Hat geben wollen. Die Hauptbedeutung diefer Ge— Schlechter lag darin, daß fie Orafichaften, Burggrafichaften, Burg— warde, Vogteien von Fürften, Bilchöfen und Stiftern zu Lehn ge— nommen Hatten; fie waren alfo in ein Dienftverhältnig getreten, während dies bei den freien Herrn von Hafeborn, Gniez und Mücheln nicht der Fall gewejen zu fein fcheint. Wir find wenigftens bei den von Hafeborn und Gniez bis 1230 Hin irgend ein Abhängigfeits- verhältniß zu andern Herrn nachzuweifen nicht im Stande, während e8 bei den übrigen faum eines Nachweifes bedarf.

Sollte ſich aber auch dieſe Unterfcheidung nicht als richtig er— weiſen, eine andere Gruppirung beherricht unbejtreitbar die Anord- nung der Aufzählung: die Zufammenftellung nad) Geſchlechtsſippen. Schon bei der Fürjtenlifte tritt das hervor; zuerft werden die drei Linien des Ballenjtedter Geſchlechts genannt: die von Anhalt, Bran— denburg und Orlamünde ; dann folgen die beiden Pinien der Wettiner :

ı Beitichrift des Harzvereins III, 984,

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die von Meifen und von Brehna. Bei den fchöffenbaren Geſchlech— tern haben wir jchon auf die fippenhafte Zufammenftellung des Vogts von Spandau mit feinem Bruder Alverih von Schneidlingen oben hingewiefen. Am evidentejten erjcheint diefer Grundſatz aber bei der Aufzählung der edlen Geſchlechter.

Um vom Befannteften auszugehen, jo bedarf die Stammesge= meinfchaft der Grafen von Negenftein und von Blanfenburg, welche hier neben einander jtehen, feines Beweiſes.

Ebenſowenig ilt ein Beweis nöthig, um nachzuweiſen, daß die Grafen von Oſterburg und Altenhaufen (bei Neuhaldensleben) eine Sippe bildeten ; fie find dem Geichlechte der Edlen von Beltheim ent— jproffen!. In gleicher Weiſe evident ift die gemeinfame Abſtam— mung der Domvögte zu Halberjtadt und der Gdelherren von Su— ſelitz. Es genügt dafür folgende Stellen anzuführen: 1190. Lu- dolfus advocatus major et frater ejus Wernerus de Suseliz. 1186. Ludolfus advocatus et Wernerus frater ejus. 1194. Liudolfus advocatus und hinter ihn Wernerus de Suseliz ?. Suſelitz oder Seufelit, von dem ein Zweig dieſes Gejchlechtes feit 1185 jeinen Namen trägt, ift nicht, wie Schlemm will, im Meißni— ſchen zu ſuchen, jondern ift der Burgwardsort Suselzi, die civitas Siusili, in Urkunden von 965, 1004 und 996 im Gau Nifizi er- wähnt?. Diefe Burg muß nahe dem Zufammenflugß der Mulde und Elbe gelegen haben, und eine Urkunde von 1314, worin von der Wiſche zu Sufelit die Rede ift, bejtätigt, daß der Ort hart an der Elbe lag. Diefe Burg mit ihrem Bezirk hatte alfo ein Zweig der Halberjtädter Domvögte wahrjcheinlih von den Herzögen von Sachſen (Bernhard) zu Lehn genommen, und von diefem wichtigen Beſitz nannte es ſich nun. Daher treffen wir denn auch das Ge— Schlecht, abgefehen vom Halberjtädter Lande, befonders an der unteren Saale und der Elbe, während e8 mit den Markgrafen von Meißen jo u wie feine Beziehungen hatte.

Mit Recht fpricht Eifo in der Einheit von „dem Dumvoget von Halberjtadt“. Bon der Hauptlinie diejes Gejchlechtes Tebte da— mal® nur noch ein männlicher Sproß, Dietrid), der 1226 die Domvogtei an den Biſchof von Halberjtadt verfaufte, und 1232 zu= letzt urkundlich erwähnt wird. Die Hauptlinie muß um 1240 aus= geitorben fein, während die Nebenlinie der Edlen von Suſelitz noch bis ins 14. Jahrhundert hinein blühte?.

Für gleichen Stammes halten wir auch die von Eifo unmittel—

I 9. Raumer, Brandenburger Negeften, Stammtafel XI.

2 Beitjchrift des Harzvereins V, 429. I, 278. V,429. Bgl. dazu Schlemmi, in vd. Ledebur Allg. Archiv XIII, 121 fi. Magdeb. —— vl, 217.

3 v. Heinemann, Cod. dipl. Anhalt. I, 75. 68. 76.

* Bedmann, Hiftorie von Anhalt III, 329. In dem Siezlitzer Berg zwiſchen der Elbe (lintes Ufer) und dem Kapen - Graben ift noch eine Reminis- cenz an jene Burg erhalten.

5 Sclemm 1. 1. 131. 143.

321

bar darauf genannten Herren von Lichtenberg. Lichtenberg, eine noch in Trümmern fenntlihde Burg liegt 2—3 Meilen wejtlid) von Wolfenbüttel an der Grenze des Braunfchweigichen und Hildeshein- ichen Gebiets, und ift Schon zu Heinrichs des Yöwen Zeiten eine an— jehnliche herzogliche Burg. Nach diefer Burg benannt erfcheint zu= erſt 1190 Wernerus de Lichtinburg?, ſodann erjcheint er wieder zwifchen 1194 und 1198 in einer Urkunde Konrads, erwählten Bi— ihofs von Hildesheim?. Es ijt jehr bemerfenswerth, daß Werner von Yichtenberg nie im Urkunden der rechtmäßigen Eigenthümer diejer Burg, Heinrichs des Yöwen und feiner Söhne, erjcheint, jondern ſich ausſchließlich auf Seiten der Biſchöfe von Hildesheim und Halberjtadt zeigt. Ferner Hat derjelbe, ſoweit man fieht, durchaus feinen Grund beit innerhalb der Welfiſchen Lande gehabt. Er dürfte alſo ſchon danach als Sproß eines auswärtigen edlen Geſchlechts anzuſehen ſein, der von der Staufiſchen Partei auf die von ihr einige Zeit hin— durch innegehabte Burg Lichtenberg geſetzt war und davon den Namen annahm. Werner von Yichtenberg erſcheint bis 1212 in Urkunden. Nach ihm tritt Siegfried von Yichtenberg auf, wohl fein Sohn. Diefer lebte erjt der Abficht, Geijtlicher zu werden, und trat zu dem Ende in das Hildesheimer Domcapitel*. Später aber fehrte er in den weltlichen Stand zurück, verheirathete fi) mit Margarethe von Kranichfeld, des nachherigen Biſchofs Volrad von Halberjtadt Schwe— jter. Er erfcheint im Halberjtädter Urkunden 1238, 1242, 1243. Nach feinem finderlofen Tode heirathete deſſen Wittwe den Edlen Malther von Arnjtein, den fie ebenfalls überlebte. Das Gut, welches jie als Heirathsgut von ihrem erjten Gemahl Siegfried erhalten hatte, 3 Hufen zu Anderbed, 2 Hufen zu Vedenjtedt und 7 Hufen zu Quenſtedt, jchenfte fie vor 1272 an das K dloſter Marienberg bei Helmjtedt ?. Damit verfchwinden die Edlen von Lichtenberg aus der Geſchichte.

Dieſelben haben nicht nur die Namen mit den Edelvögten von Halberjtadt gemeinfam, Tondern fie pflegen in Urkunden auc) neben ihnen und ihrer Sippe zu jtehen. So 1190, 1207, 1211, 1212, Außerdem Haben fie auch da Beſitz, wo wir die Domvögte von Halberjtadt umd Herren von Suſelitz begütert finden. 1208 macht da8 Burchardikloſter in Halberjtadt Ankäufe in Afpenftedt, Quenftedt und Werftedt von Werner von Sujeliz, Domvogt Yudolf und Werner von Lichtenberg. Es erhellt daraus, daß die Edlen von Yichtenberg in diefer Umgegend begütert waren, ſpeciell in Quenſtedt und Vecken— jtedt. Nach dieſem Allen dürfte es kaum einem Zweifel unterliegen,

1 Beitichrift des Harzvereins I, 429. 2 Ungedrudte Stederburger uriunde. —8 Gülige Mittheilung des Herrn Archiv⸗Secretärs v. Schmidt- Vhiſeldec in Wolfenbüttel. * Urkunde von 1210 im Archiv von Wolfenbüttel. - 5 Yrfunde vom 18. März 1272 in Wolfenbüttel. 6 Leuckfeld, Antig. numariae 119.

322

daß die Edlen von Pichtenberg mit den Dommwögten von Halberjtadt den Gefchlechte der Edlen von Quenſtedt entiproffen waren, als deren Ahnherr Beringer von Quenſtedt 1114 ericheint.

Auch die von Eifo unmittelbar nach denen von Lichtenberg ge= nannten Edlen von Dobin halten wir für ftammverwandt mit den genannten Gejchlechtern; diefelben tragen ihren Namen von der Burg Dobin, eine Feine Meile nördlich von Wittenberg, deren Spuren in dem gleichnamigen Dorfe noch heute wahrzunehmen find. Dobin . wird als Burgward zuerft um 1187 erwähnt!. Bereits früher ins deß ericheinen deren Inhaber in Urkunden unter den Edelherren. Zus erit tritt Dtto von Dobin 1179 in einer Urkunde des Biſchofs Ulrich) von Halberftadt unmittelbar hinter dem Domvogt Yudolf und vor (dem Burggrafen) Konrad von Wettin auf?. Sodann erjcheint 1182 Otto de Thobin et filius ejus Borchardus?. Otto von Dobin ftarb vor 1197 und hinterließ vier Söhne, Dtto (jchon 1190 Domherr zu Hafberftadt), Burchard, Werner und Albert, die in Watenftedt und Stöckeim begütert erjcheinen®. Unter diefen ift der Edelherr Werner vielleicht identiih mit Wernerus de Stokcheim, der 1185 unter den nobiles erfcheint®, oder mit Wernerus de Dobin, der 1194 als Zeuge in einer Urkunde Herzog Bernhards 1215 auf einer Brandenburger Didcefan-Synode zu Ziefar auftritt 6. Möglicher Weife hieß auch der Sohn, der früher nach Stödeim ſich nannte, nach des Vaters Tode Edelherr von Dobin. Späterhin find es befonders drei Domherren, die uns ans diefem Gefchlechte noch entgegen treten: Dtto von Dobin, Domherr zu Halberjtadt (wohl der— felbe, den wir bereitS 1190 und 1197 und noch 1232 in diefer Würde finden), und Dietrih von Dobin, Domherr zu Magdeburg 1229, 1231, 1233, 1236 °; endlich) erfcheint im Jahre 1262 Otto de Dubin al8 Domherr in Magdeburg? Jedoch findet fic) auch noch 1249 Wernerus de Dobyn unter weltlichen &dlen ®,

Den Edelherren von Dobin ijt mit den Domvögten von Halber- ftadt , den Edlen von Sufelig und den Edlen von Lichtenberg der Name Werner und Dietrich gemein. Feſt Steht auch, daß fie in der Halberjtädter Didcefe begütert waren. Diefe Beweife genügen freilich) nicht, um eine VBerwandtichaft zu conjtatiren. Geltend machen darf man dagegen wenigſtens nicht die Entfernung Halberftadts von Dobin. Siedelte ein Zweig des Gejchlechts nach Sujelig über, To war es bis zum Burgward Dobin nur ein Schritt.

Riedel, Cod. dipl. Brand. I, 10. 76.

Wolf, Chronik von Pforte I, 159.

Ludewig, Rell. man. V, 5.

Annales Stederburgenses, Mon. Germ SS. XVI, 228. Zeitichrift des Harzvereins I, 278,

Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 441. 313.

Lude#ig, Rell. man. V, 28. 84. Abel, Chronil von Walbed. Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 470.

Riedel 1. 1. I, 10, 336,

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323

Eine gleichfalls ftammwerwandte Sippe, deren Stammort int Schwabengau noch nachgewiefen werden kann, bieten uns die vier vorher genannten Geſchlechter: Die von Arnjtein (ſüdlich von Aſchersleben an der Eine, jetzt noch als Ruine vorhanden), die von Biejenrode (Dorf etwas weiter ſüdlich an der Wipper), die von Amersleben (Dorf Hamersleben weſtlich von DOfchersleben), die Burg- grafen von Giebichenjtein (Burg bei Halle).

Da wir für diefe Stanımeseinheit, die auch v. Ledebur nicht ahnt, den Beweis zu erbringen haben, jo beginnen wir mit den Edlen von Biefenrode und Amersleben.

Zunächſt finden wir dieſe beiden Familien, wenn. fie in Urkunden zufammen genannt werden, auch neben einander ftehend; jo 1226 Waltherus et Wilhelmus fratres de Amersleve, Albero de Bisenrodhe?. 1213. Albero et Albertus fratres de Bisenrodhe. Walterus de Amersleve°.

Keinen Zweifel läßt indeß an diefer Stammesgemeinſchaft eine Urkunde des Dompropftes Werner von Halberjtadt, worin diefer den Kämmerer A. und Allbert) von Bieſenrode, beides Magdeburger Doms herren, feine Brüder, jowie Walter und Wilhelhn von Amersleben feine Bettern (fratrueles) nem, um 1203% Wenn wir nun über- dies noch jehen ?, daß beim Ausjterben des Gejchlehts Walter von Amersleben im Bonifaciusſtift zu Halberjtadt ein Jahrgedächtniß für fi, feine Gemahlin, feinen Bruder Werner (Dompropft und Propft zu St. Bonifacius) und den Yaienbruder (laicus) Albert von Bieſen— rode ftiftet, jo fann an der Stammesgemeinſchaft .diefer beiden Fa— milien füglich nicht gezweifelt werden.

Die Edlen von Hamersleben finden wir nun aber weiter in engiten Beziehungen zu den Edlen von Arnjtein. In Urkunden, welche die verwandten Gejchlechter mit großer Sorgfalt in den Zeu— genreihen zufammenzuftellen pflegen, finden wir beide Yamilien hart neben einander genannt. So 1156: Waltherus de Arnstede et Conradus et Albero filii patrui sui, Willehelmus et Othelri- cus de Amersleve® Dieje Stammesgemeinfchaft äußerte ſich auch in gemeinfamen Thaten. 1213 erbauten Walter von Barby fowie Sriedrih und Wilhelm von Amersleben zufammen die Unfeburg bei Egeln und raubten von da aus im Yande ?,

Nicht minder treffen wir die Edlen von Bieſenrode in Gemein— Ihaft mit den Herren von Arnjtein au. Jener 1156 genannte Al— bero, Better Walters von Arnftein, dürfte Niemand anders fein als der ſonſt unter dem Namen Albero von Biefenrode vorkommende,

I». Ledebur, Die Grafen von Valdenftein S. 88 ff. 2 9, Ledebur, Archiv XIII, 154.

® Erath, Cod. dipl. Quedl. 133.

* Malfenrieder Urkunden-Buch I, 43.

5 Beitichrift des Harzvereins III, 921.

° Cod. dipl. Anhaltinus I, 303.

" Magdeburger Schöppendronif, ed. Janide, S. 137.

324

Ferner fteht 1188 Hart neben einander: Waltherus de Arnestein, Walterus de Bisenrode !.

Endlich ijt die Stammesgemeinschaft der Burggrafen von Gie- bichenftein mit den Edlen von Arnjtein eine Thatſache; von Mül— vertedt im feiner Abhandlung über die Burggrafen von Giebichen- ftein? glaubt fih mit dem Nachweis des Zufammenhangs diefer (etstern mit den Edelherren von Spören begnügen zu müſſen. Diefer Zufammenhang dürfte unbejtreitbar fein; aber da aud) die letteru doch gewiß fein eingebornes Edelgeichleht waren, jo ift die frage noch unerledigt : woher kamen beide Familien? Gr ijt auf der rich— tigen Fährte, indem er aus dem einmal vorfommenden Familien— namen Walter und dem beiden gemeinfamen Wappen, Emblem des Adlers, auf eine Zugehörigkeit zu den Edlen von Arnftein hinweiſt ?. ZTrotdem ſtellt er diefelbe in Abrede, weil die andern Vornamen Konrad und Yohann den Arnfteiner fremd find, und weil dieſe letz— tern feinen Grumdbefig in den Gegenden von Bitterfeld und Zörbig haben. Nun fommt aber der Name Konrad in der That im Arn= jteinifchen Geſchlecht vor (1156). Was weiter den Grundbejig anbe- trifft, jo lag der Hauptbejig der Arnfteiner im 13. Jahrhundert, der Barby und Walter » Nienburg an der Elbe umfahte, viel weiter von der eigentlichen Heimath ab, als der Beſitz der Burggrafen von Giebichenſtein und Edelherren von Spören. 1156 ftehen denn aud) Walterus de Arnenstide, Conradus de Givekenstein in einer Urkunde, welche eine lange Reihe von edlen Geſchlechtern aufzählt, unmittelbar neben einander *.

Wir haben es hier aljo mit einem vielverzweigten Gejchlechte zu thun. Die Abzweigung der einzelnen Familien fcheint in der erjten Hälfte des 12. Jahrhunderts ftattgefunden zu haben. Um 1120 treten uns nämlich Adelbert, Adalbero, Anno und Walter von Arne jtedt entgegen, welche v. Yedebur als Brüder in Anfprud nehmen möchted. Wir find in der Yage, diefe Vermuthung zur Gewißheit zu erheben. In einer noch ungedructen Urkunde des Klojters Bergen bei Magdeburg von 1107 wird beurfundet, daß matrona quaedam Juditha eum filio suo Annone campsionem cujusdam posses- sionis S. Johannis bapt. (8. Bergen), Rode nominatae, tam studiose quaesierit, ut praedietus ejus filius cum Heinrico archiepiscopo campsionis licentiam a rege Heinrico quinto acceperit. Quam possessionem cum ecelesia et cum omni jure insuper et in villa Schmalbek 2 curtes ei praefatus ab- bas concessit. Addita sunt ei quoque 10 talenta ab eodem patre (dem Abt), pro quibus omnibus ipse ab eis predium 8

Cod. dipl. Anhalt. I, 485. Stumpf, Reichskanzler III, 240. Magdeburger Geichichtsblätter VII, 224 fi.

Ebenda S. 248.

Cod. dipl. Auhalt. I, 311.

v. Ledebur, Die Grafen von Balfenftein S. 89.

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325

mansorum quod jacet in villa Stemmer dieta recepit. Hace enim omnia ab ipso Annone et fratribus ejus Waldero, Wernhero, Adelberone et Adelberto confirmata sunt. Leider iſt der Gefchlechtsname nicht angegeben, aber die genaue Ueberein— ftimmung der Namen mit denen, welche um 1120 in der Familie der Edlen von Arnftedt vorfommen, läßt darüber feinen Zweifel ob— walten, daß wir es hier mit Gliedern dieſes Gejchlechtes zu thun haben. Anno war vicedominus in Magdeburg, und als folder kommt er mit feinem Bruder Walter 1110 vor Cuno von Wippra und 1121 vor Dietrich von Ammensleben vor’; er gehörte demmach un— zweifelhaft einem edlen Gefchlechte an. Nehmen wir noch die 1156 vorfommenden Namen Konrad, Wilhelm und Ulricd Hinzu, jo haben wir hier fänmtlihe Vornamen, welche in dem weitverzweigten Ge— Schlecht mit Vorliebe gewählt werden.

Den genannten Gefchlechtern voran fteht das der Grafen von Bernigerode. Bode hat in einer interejfanten Abhandlung es zu einer großen Wahricheinlichkeit erhoben, daß der geichichtlich nachweis- bar ältefte Befit diefer Grafen in der Diöcefe Hildesheim lag, und daß der ältefte Ahnherr, der zuerjt feinen Namen von Wernigerode führt, Adalbert (feit 1121), identisch fei mit dem 1117 erwähnten comes Adelbertus de villa Heymbere?. Aber felbjt wenn dies richtig ift, würde das Gefchlecht nicht als ein eingebornes des Hildes- heimfchen Sprengel® gelten fünnen, da die Vorrede des Sachſenſpiegels es ausdrücklich als „ſchwäbiſcher Abkunft“ bezeichnet.

Wir möchten genealogiſchen Forſchern folgende Punkte zur wei— teren Beachtung geben: die Grafen von Wernigerode ſtehen in der Vorrede zum Sachſenſpiegel dicht neben dem Geſchlecht der Herren von Arnftein und haben mit diefem den Vornamen Adalbert gemein. Außerdem mache ich auf folgende Stelle aufmerfjam: Im Jahre 1199 brachte die Aebtijfin Agnes von Quedlinburg Güter in Hoym und Habenrode wieder ans Stift, welche Berthold von Hoym und deffen Töchter als Erbgüter anjahen. Dabei heißt e8: Interfuit etiam prediete dispensationi comes Albertus de Werningero- the et Albero de Bisenrothe, ubi haec omnia resignarunt ®, Es jcheint faft, als ob diejelben nicht blos al8 einfache Zeugen zu— gegen waren.

Bon den Vögten von Braunfchweig foll nur bemerft werden, daß fie zu der vielfach vorkommenden Familie von Dalem oder Menden gehörten. Dahin dürften auch die von Lüneburg zu zählen jein. Die Grafen von Boppenburg an der Leine trugen von den Biſchöfen von Hildesheim eine Grafichaft zu Lehen, waren aljo Yehns- grafen wie die von Blankenburg, Wernigerode, Djterburg.

Wenden wir und nun zu den Gefchlechtern fränkiſcher Abkunft.

I Ungedrudte Urkunden des Klofters Bergen. Cod. dipl. Anh. I, 151. ? Beitjchrift des Harzvereins IV, 32 - 34. ° Erath, Cod. dipl. Quedlinb. ©. 108.

XIV. 22

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Hat man fchon bei den schwäbischen Gejchlechtern die „widerfinnigen Abftammungen des in Sachſen wohnenden Adels“! befämpft, jo findet man die fränfifche Abjtammung von Gejchlechtern, die zur Hälfte einen wendiichen Namen tragen, noch viel bedenfliher. Zunächſt ift dagegen zu bemerken, daß die adlichen Gefchlechter im ehemals wendi— chen Gebiete meiſtens eingewanderte deutjche Adelsfamilien find ; gerade hier iſt daher die Anfiedlung fränkiſcher Edlen am natürlichiten. Prüfen wir nun an der Hand der Urkunden, wie weit die Angaben Eifos ſich bewahrheiten, und beginnen wir mit den Edlen von Kroſigk.

Hier haben wir zunächſt die Lesart feſt zu ſtellen. Gute Hand— ſchriften haben auch die Lesart: de von Druzke. Nun giebt es in der That Edle von Droyſſig (bei Zeitz), die von 1190 an in bedeut— famer Stellung vorkommen? Trotzdem glauben wir, daß die Edlen von Kroſigk gemeint find, und daß zu leſen ift: de von Crozuc®. Der Ort, von dem diefes Edelgejchlecht feinen Namen trägt, liegt am Petersberge bei Halle, aber feinen Urjprung vermögen wir bis hart an die Grenze des fränfifchen Gebiets zu verfolgen. Guncelinus de Crozuc, der zuerſt 1143 auftritt, iſt noch bi8 1154 zu Bruftedt bei Gerode im Eichsfeld begütert, und zwar befitt er dort ein freies Eigen. Ebenderſelbe ericheint 1155 als erfter unter den judices auf dein placitum zu Seligesbach, al8 es fi) um Zumendungen an das Klofter Lippoldsberge an der Weſer Handelt*. In jenen Ge— genden, nahe der heſſiſchen Grenze und in Heffen würden demnach die eigentlichen Stammgüter der Familie zu fuchen fein.

Bon dort her muß ſchon früh ein Zweig des Geſchlechts in die Saalgegend übergefiedelt fein und am Fuß des Petersberges in und um Kroſigk wichtigen Beſitz erhalten haben. Um 1116 bat der ge= ächtete Wiprecht von Groitfch den Dedo von Kroſigk um Aufnahme. Diejer Dedo, welder 1103 als Teto de Crossue urfundlich vor= fommt °, war mit Dia von Harbfe vermählt, und fein Sohn war der oben erwähnte Gunzelin?. Zwijchen 1240 und 1250 ging die Herrichaft Krofigk in den Beſitz des Erzitifts Magdeburg über, und feit jener Zeit fcheinen die Edelherren von Kroſigk in die Minifteria- fität herab gefunfen zu fein. Noch 1250 erfcheint indeß Johann von Krofigk unmittelbar hinter Hoier von Balfenftein ®.

Der Verfaſſer der Nachrichten zur Gefchichte des Gefchlechts

ı Kopp, Bilder und Schriften der Vorzeit I, 134. F Schultes, Directorium II, 669 sub voce Drozie. Kopp

° Die Form Crouzke fommt urkundlich nicht vor.

* Cod. dipl. Anhalt. I, 219. 298. 301.

° Annales Pegavienses, SS. XVI, 232 ff.

°°Repfius, Biichöfe Naumburgs ©. 235.

Annalista Saxo, SS. VI, ©. 685; vgl. R. v. K., Nachrichten zur Ge- ſchichte des Gefchlechts von Krofigt S. 51 und 174.

®° Erath, Cod. dipl. Quedlinburgensis 182,

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von Kroſigk fpricht die Vermuthung aus (S. 78), daß die 1212 vorfommenden Heinrich und Gebhard von Kroſigk vielleicht bei der dazumal geringen Stabilität der eben entjtandenen Bamilien=- Namen denfelben gegen den einer neu erworbenen Befitung gewechjelt haben. Da nun der Sacdjfenfpiegel unmittelbar Hinter den Herrn von Krofigf de von Gotebuz (Kotebus) nennt, jo wollen wir darauf hinweijen, daß im Sahre 1222 Henrieus de Chotebuz in hervorragender Stelle als Zeuge zu Propftheida, anjcheinend in richterlicher Thätig— feit vorkommt, zufammen mit Männern, die ihrer Heimath nad) dem - Lande öſtlich der Saale zugehören!. Ohne damit den Zufammenhang beider Gefchlechter als ſicher hintellen zu wollen, möchten wir dod) diefen Fingerzeig zu weiterer Nachforihung geben. Die Herren von Kottbus kommen zuerſt 1156 vor, wo Heinricus castellanus de Chotibuz unter den nobiles und Burggrafen erfcheint, in deren Gegenwart Markgraf Konrad feine Waffenrüftung zu Meißen ab- fegt. 1199 fommt ein Thymo von Cottbus vor, wenn hier nicht Colditz zu leſen ift?. Endlich) das Vorhandenfein diefes edlen Ges ichlechtes zu Eikos Zeit beweift der oben bezeichnete Heinrich von Cottbus.

Die Burggrafen von Wettin, welche ebenfall8 unter den Edlen fränfifcher Abkunft genannt werden, erfcheinen zuerft unter dem Namen „von Schodwit“. Als erite Vertreter erfcheinen 1133 Gero et frater suus Odelrieus de Scochwize, ebenjo 1144*, Syn dem leßtgenannten Jahre treten auch ſchon Söhne Ulrichs auf, nämlich) der Halberjtädter Domherr Gero (der fpätere Biſchof) und fein Bruder Hugold®. Ein dritter Bruder war Bodo von Schochwitz, der als weltlicher Edelherr nocd) lange vorfommt®. Cie ſämmtlich werden als viri nobiles in den Urfunden bezeichnet. ine Linie diefes Gefchlecht, wahrjcheinlic) die Söhne Geros, oder vielleicht diejer ſelbſt ſchon, überfamen nun von dem Wettiner Fürftengefchlecht das Burggrafenamt zu Wettin. Schon am 30. November 1156 er- fcheinen in diefer Würde: Odelricus castellanus de Witin et filii ejus Odelrieus et Cuonradus, und unmittelbar nad) ihnen folgt Bodo von Schochwitz“. Auch 1181 jtehen wieder «dicht neben ein- ander Othelrieus de Witin, Bodo de Scochewitz®. Die Edel— herren von Schochwitz verichwinden gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Aber auch fie waren in Lehnsverbindung mit den Grafen von Wettin getreten und Hatten von denfelben einen bedeutenden Beſitz um

Codex dipl. Saxoniae II, 1, 86.

Cod. dipl. Anhalt. I, 311. Schultes, Direct. dipl. II, 123. Schelt, Gejchichte der Yaufi 495.

Zeitichrift des Harzvereins I, 256. Codex dipl. Sax. II, 1. 51. Zeitichrift des Harzvereins I, 262.

Ibidem 277.

Cod. dipl. Anhalt. I, 311.

Köhler, Klofter Petersberg S. 52—54,

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22*

328

Schweinit an der fchwarzen Elſter erhalten!. Dorthin fiedelte im 13. Sahrhundert auch die Linie der Burggrafeu von Wettin über, und diefe waren lange Zeit das erjte Adelsgejchlecht in der Yandichaft an der ſchwarzen Eljter und den weftlichen Theilen der Niederlaufit ?, Bertreten ijt das Gejchlecht zur Zeit Repgows durd) die Burggrafen Hermann und Ulrich von Wettin ®.

Zwifchen den Burggrafen von Giebichenftein und den Herrn von Kroſigk ftehen: de von Klodene. Bei den verjchiedenen Orten diefes Namens, welche es in den früher wendijchen Yandestheilen giebt, ift e8 zweifelhaft, von welchem Orte die von Eifo genannten Edlen den Namen trugen. v. Klöden nimmt in feiner Gejcichte einer altmärkiſchen Familie ©. 28. 29 das Dorf Kläden im Kreife Stendal dafür in Anfpruch, welches in der That in fpäteren Jahr— hunderten im Beſitz einer adlichen Familie von Klöden erfceint. Allein die dort erjcheinende Familie findet ſich nur im Stande der Minijterialität, während Eifo nur edle und freie Gejchlechter aufzählt. Schon nad) den Landjchaften, in denen die ältejten Herren mit dem Namen „von Klöden“ erfcheinen, iſt es faum zweifelhaft, daß wir e8 mit zwei ganz verjchiedenen Gejchlechtern zu thun haben: einem in den füdlichen Marken, den Wettiner Yanden, dem Stande der Edel- herren angehörend, und einem Meinifterialengefchlecht in den nördlichen Marken, den Brandenburger Landen. Das erjtere Geichlecht ift es, welches Eifo im Auge hat, und diejes kann nur von dem ehemaligen Burgfleden Klöden unweit Pregich, dem Site einer zum Meißner Sprengel gehörigen Propftei, feinen Namen tragen. Clotnie fommt als Burgward ſchon 981 vor*. Und einen Burgward zu Lehn zu tragen, entſprach der Bedeutung eines edlen Gejchlechtes, welches Eiko mitten zwiichen die Burggrafen von Wettin, die Edelherren von Krofigt und die Gajtellane von Kottbus jtellt. Ein Petrus de Clodene er— Scheint zuerjt zur Zeit des Markgrafen Otto von Meißen und ver- fauft an Kloſter Altzelle jech8 Hufen in Ojtrau unweit Meißen. Ob die Brüder Chriftian, Emmerih, Waremund und Werner, von denen das Klofter ebenjo ſechs Hufen in Oftrau für den gleichen Preis kauft, auch Herren von Klöden waren, ift zwar nicht gewiß, aber auch nicht vonvornherein in Abrede zu ftellen?. Es ift uns indeß zweifelhaft, ob diefe Herrn von Klöden zu dem von Eifo gemeinten Gejchlecht ge— hören; vielleicht Haben wir es hier mit einer eigenen Meißniſchen Pinie zu thun, deren Nobilität Feineswegs fejtiteht.

Bon dem hier in Frage kommenden Geflecht tritt ung zuerft im Sahre 1131 Wernerus de Cludene in einer Urkunde des Mark—

! Ludewig, Rell. man. V, 1 ff.

2Scheltz, Geſchichte der Lauſitz S. 502.

® Medlenburger Urfundenbuch I, 329. Scleswig-Holft. Urkundenbud I, 202, 467. Scultes, Dir. dipl. Il, 703.

* Cod. dipl. Anhalt. I, 54.

5 9. Klöden, Gejchichte einer altmärf. Familie S. 122. Beyer, Klofter Aftzelle 290. Märker, Burggrafentbum Meißen S. 169.

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grafen Otto von Brandenburg unter den Edlen, und ſodann 1201 im Gefolge des Herzogs Bernhard von Sachſen als erſter weltlicher Zeuge entgegen bei der Einweihung der Kirche in Wörlig!, 1233 ericheint jodann dominus Rembertus de Clodene an der Spike der Burgmanten von Belzig, durd) das Prädicat dominus vor den übrigen al8 in hervorragender Stellung befindlic) bezeichnet. Da— gegen jcheint 1286 Heyse de Clodene bereits in das Minifterialen- Verhältuig herabgefunfen zu fein; doch ift er Nitter?. Bei der Fa— milie von Klöden ift ein Verwandtichaftsverhältnig mit den andern Familien fränkiſcher Abkunft, welche der Sachſenſpiegel aufführt, nicht völlig nachweisbar, aber doc) jehr wahricheinlid).

Wie im Sachſenſpiegel das Geſchlecht von Klöden hinter dem der Burggrafen von Wettin erwähnt wird, fo jteht 1181 in einer Urkunde hart neben einander: Conradus de Witin, Wernherus de Cludene®. In einer Urkunde des Herzogs Bernhard von Sachſen von demjelben Jahr finden wir nun weiter folgende Zufammenitellung : Othelricus de Within buregravius, Conradus frater ejus et Wernherus frater ejus®. Syn diefem leßtgenaunten Bruder des Burggrafen Ulrid von Wettin, der unter dem Gefchlechtsnamen „von Wettin“ nicht weiter vorfommt, find wir geneigt Werner von Klöden zu juchen.

Wenden wir und nun zu den „freien Herren“ und zu „des Reiches Schöffen“ von ſchwäbiſcher Abjtanımung. Die freien Herrn von Hafeborn tragen ihren Namen von dem Dorfe Hafeborn am Hafel unweit Egeln. Ihr ältejter bekannter Ahnherr iſt Swicher von Hafeborn, der 1116 und 1118 mit feinem Erben Bruno vor- fommt®. Diefer Bruno von Hafeborn erfcheint 1118—1151', Sein Sohn war Swideger de Hakeborne®. Derfelbe hatte vom Raifer den Burgward Kleutſch jenfeit der Mulde zu Lehn, welchen er 1144 an das Klofter Nienburg verfaufte?. Wenigjtens dürfte es nicht gewagt fein, unter dem nobilis vir Suidiger eben jenen Frei= herrn von Hafeborn zu fuchen. Ein Sohn oder jüngerer Bruder dejjelben war Friedrid; von Hafeboru (1155— 1197), der nad) Cohn mit einer Gräfin von Wippra verheirathet war. Deſſen Sohn Al- brecht (1189—1231), verheirathet mit einer Gräfin von Ziegenhain, ift e8, der zu Eikos Zeit lebte !°,

Bedmann, Hiftorie von Anhalt III, 396. Cod. dipl. Anh. I, 545. Eilers, Belige Chronik S. 270. v. Klöden, 1 . 1. 188. Codex dipl. Anhalt. I, 446. Ibidem 447. Cohn, in Neuen Mittheilungen des Thür. Sächſ. Bereins XI, 154. Denn Cohn ihn nod 1178 vorkommen läßt, jo überfieht er, daß diefe Erwähnung zu 1151 gehört. Vgl. Zeitjchrift des Harzvereins I, Tl. Cod. dipl. Anhalt. I, 263.

® Tbidem 222.

ı° 1189 fommt er vor, Zeitjchrift des Harzvereins I, 274; 1231, For— ſchungen XIII, 624.

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Wie bereit aus diefer kurzen Zufammenftellung erhellt, nehmen die Edlen von Hafeborn eine hohe Stellung unter dem Adel ein. Sie treten durch Verheirathung in Verbindung” mit fürftlichen Ge— Ichlechtern und befigen Neichsgut. Im Fahre 1195 erjcheint Friedrich von Hafeborn unmittelbar nach Herzog Bernhard von Sachſen und vor den Lehnsgrafen!. Friedrih von Hafeborn war Schultheif in der Grafichaft Aſchersleben; als judieii praefecetus fommt er 1174 vor. AS die Markgrafen von Brandenburg ferner dem Erzbiſchof Yudolf von Magdeburg ihre Güter im ducatus transalbinus zu Yehn auftragen, erjcheint im Gericht Friedrih von Hafeborn wiederum an einer Stelle, daß man in ihm den Schultheißen vermuthen muß ?.

Die freien Herren von Gneiz, Gneß, Gniez, Gnys (wie die bejjern Yesarten im Sadjjenfpiegel lauten) müſſen ihren Namen von dem Dorfe Gnieft bei Kemberg haben, wenn nicht vielmehr ein unter- gegangener Ort in der Saalgegend ihnen den Namen gegeben hat. Uns iſt dies Geſchlecht erft in der Zeit Eikos in Urkunden entgegen getreten. Und zwar finden wir die Freiheren von Guez grade mehr- fach zufammen mit Eifo felbft genannt. So erjcheinen 1207 Jo- hannes et Heinricus de Ginehz (Gniehz?) zwiſchen den Edlen Werner von Ampfurt und dem jchöffenbar freien Offo von Dröbel mit Eifo zugleich”. Ebenſo ijt 1215 Johannes de Gniz in Coswig mit Eifo zufammen; er jteht zwijchen den Edlen Ulrid) von Friede: burg und Werner von Sufelig?. In gleicher Weife ijt Henricus de Gnez zufammen mit Eifo Zeuge in der Urkunde des Grafen Heinrich von Anhalt für das Stift Simonis und Indä in Goslar?. Am 29. Januar 1222 erjcheint fodann Henricus de Gnets zu Leipzig bei einer richterlichen Verhandlung ®; er jteht auch hier un— mittelbar hinter Edelherren.

Die Freiherren von Mücheln haben ihren Namen von der Stadt Miücheln unweit Merjeburg. Zwar giebt e8 aud) ein Dorf Mücheln bei Köthen und bei Wettin, allein da diefe Herren zuerjt im Urkunden der Biihöfe von Bamberg erjcheinen, fo kann e8 feinem Zweifel unterliegen, daß die dem Hochitift Bamberg gehörige Stadt dem Gejchlecht den Namen gab. Zuerſt treten in einer Urkunde des Biſchofs Engelbrecht für Klojter KölbigE von 1144 auf: Anno, Bucco, Isenhart, Adel- brecht de Muchil?. Der Biſchof erzählt, daß das Bisthum bei Mücheln in Sachſen eine waldbewachjene Fläche ohne Ertrag gehabt habe, welche e8 habe roden und urbar machen laſſen. Auf diejer Rodung fei das Dorf Adelbrehtisrod entitanden, offenbar benannt von einem Adelbrecht von Mücheln, und dies übereignet er dem neu=

Zeitichrift des Harzvereins V, 430.

Cod. dipl. Anh. I, 524. Magdeburger Geſchichtsblätter V, 252, Schultes, Dir. dipl. II, 465. Magdeburger Gejhichtsblätter VII, 236. Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 312,

tens, Becmannus enucl. ©. 216 mit der faljchen Lesart Gratz. Cod. dipl. Saxoniae II, 1, 86.

Cod. dipl. Anhalt. I, 228,

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gegründeten Prämonjtratenferflojter Kölbigf, das ebenfalls dem Bis— thum Bamberg zujtand. Aus der Umgebung diefes im Schwabengau gelegenen Kloſters wird auch wohl das Geſchlecht der Edlen von Mücheln entiprojjen geweſen fein und dort fein Handgemal gehabt haben. So fommt denn aud) 1162 Otto de Mochile in einer Ur— funde des Erzbiihof Wichmann von Magdeburg mitten unter Edlen aus den Anhaltiichen und Magdeburgiichen vor!. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts muß das Gefchlecht ziemlich zahlreich gewejen und theilweis ganz im der Nähe von Bamberg fich niedergelaſſen haben, So ſteht Heinrich von Muchele als letter unter den Freien in einer Urkunde B. Ottos II. von Bamberg für Klofter Yangheim ?. 1199 ericheinen in einer Urkunde des B. Thimo von Bamberg, die aber in Magdeburg ausgeitellt iſt, Albertus et Anno fratres de Mou- chele, item Waltherus et frater ejus de Mouchele unter Edlen, zufegt fommt noch Friderieus de Mouchele?. Schon vorher finden wir 1197 Anno de Müchele unter den Schöffen zu Schfölen, 1190 Albert von Muchele in einer Urkunde des Yandgrafen Hermann, 1196 Albert und Annas von Mluchele unter Edlen in einer Urfunde des Grafen Dietrid” von Weißenfels. Aus dem 13. Jahrhundert no= tiren wir 1203 und 1204 Anno de Muchil, 1206 Albertus de Muhchele, 1208 Friedrich von Muchele, 1216 und 1218 Heinrich von Muchele (Domherr zu Meerjeburg), 1239 Heinrich von Muchele (Schwiegerfohn der Yucardis von Studnig aus dem Gefchlechte der Edlen Schenken von Saalek)?, alle in Thüringen und feinen Marken auftretend und in einer Stellung, welche jie als Freie erjcheinen läßt.

Bon den Schöffen, welche die Vorrede ald Schwaben bezeichnet, haben de von Trebüle ihren Namen vom Dorfe Dröbel öſtlich von Bernburg. Rodolphus de Tribuli erjcheint unter den Schöffen zu Wörbzig 1156°. Offo de Tribul ift zufammen mit Eifo Schöffe zu Mettine in der Grafichaft Wettin?,

De von Edelerestorp haben ihren Namen von Elsdorf nörd- (id) von Köthen. Udalrich de Edeleristorp fommt 1156 unter ihöffenbar freien Herren vor und ijt beim placitum in Wörbzig gegenwärtig’. Einen zu Gifos Zeit lebenden Herrn diefes Geſchlechts vermögen wir für jett nicht nachzuweijen.

Es folgt die Reihe der Herren von Schneidlingen, genannt von dem nördlich” von Aichersleben gelegenen Orte. In diefem Dorfe jagen eine Anzahl freier nicht verwandter Gejchlechter. 1155 kommt

ı Cod. dipl. Anhalt. I, 347.

3 9. Reitgenftein, Regeften der Grafen von Orlamünde ©. 65.

s Ibidem ©. 67.

* Cod. dipl. Anhalt. I, 526. Wolf, Klofter Pforte I, 197. Scultes, Dir. dipl. II, 343. 379.

5 Scultes, Dir. dipl. II, 419. Beyer, Aitzelle 524.531. Rein, Thur, sacra II, 122. Wolf, Klofter Pforte I, 309. II, 34.

s Cod. dipl. Anhalt. I, 312.

* Magdeburger Gejchichtsblätter VII, 237.

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an der Spitze von Zeugen, die auf dem Yandgericht zu Aſchersleben find, zunächſt Rudolfus de Snetlingen vor, ein Mann, der aud ſonſt unter den Edlen ericheint. Außerdem aber finden fich dort noch unter den ſchöffenbar Freien: Ruothardus de Snetlingen,, Erpho de Snetlingen et ejus frater Wichelmus, Liuderus de Snet- lingen, Widekinus de Snetlingen et alii eorum consimiles !. 1174 ericheint ebendort Heinriecus de Snetlinge unter den Edeln, Wedekinus de Snetlinge und Fridericus de Snetlinge unter den Schöffen?. 1223 fteht an der Spite der Zeugen auf dem Yandge- richt Albertus prefectus et Conradus frater suus, wahrſcheinlich Herren von Schneidlingen, und zwar der erjtere als Schultheig ; nachher fommt noch Henricus et filius suus de Snetlingen unter den Schöffen? Rudolf von Schneidlingen darf 1155 wohl mit Beitimmt- heit als Schultheiß im Grafengeriht zu Ajchersleben angeiprochen werden. Während dann nad) ihm Friedrich von Hafeborn als Schult= hei fungirt, ſcheint Albreht von Schneidlingen, der zugleich Voigt von Spandau war, wieder die Schultheißen-Wiürde gehabt zu Haben.

Es wird dann Serapen kind von Jersleve genannt. Das Seichleht trägt ſeinen Namen von Giersleben an der Wipper im Schwabengau. Thidericus de Jersleve et frater ejus Arnoldus ericheinen 1174 unter den Schöffen im Pandgericht zu Afchersleben *.

Anne von Jreckestorp ſcheint jeinen Namen nicht von einem Orte des Schwabenganes zu führen, fondern von dem Orte Jerdingsdorp, einjt Ardidiaconatsfig, jett Vorwerk bei Wormsdorf im Nordthüringau. edenfalls it die Heimath diefes Geſchlechts der Schwabengau. Borchardus de Irinestorp ijt 1174 auf dem Yandtage zu Ajchersleben unter den Schöffen, Anno de Irincegstorf 1223 ebenfo.

Herman von Meringe trägt feinen Namen von dem Dorfe Mehringen jüdöftlih von Ajchersieben an der Wipper. Urkundlich vermögen wir dies Geſchlecht nicht cher nachweiſen als 1269, wo Henricus de Meringe in einer ungedrudten Urfunde des Marien- flofter8 zu Ajchersleben vorfommt.

Die von Winningen tragen ihren Namen von einem noch bejtehenden Orte im Schwabengau. Auch hier jagen mehrere jchöffen- bar freie Gejchlechter neben einander. 1155 werden uns aufgezählt: Elvericus et Gevehardus et alii scephenen de Winnengen. 1174 erjcheint bei dem Yandgericht in Ajchersleben Albertus de Winninge.

Die von Seedorf haben ihren Namen von einem eingegange- nen Dorfe, welches am Ajcherslebener See lag. In der Urkunde von 1155 erjcheint Benno de Sethorp et alii ipsius consimiles

Cod. dipl. Anhalt. I, 303. Ibidem 404,

Bedmann 1. 1. I, 177. Cod. dipl. Anhalt. I, 404.

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333

1174 ift Conradus de Sedhorp und 1233 Teodericus de Sedorp auf dem placitum in Aſchersleben. Noch 1268 führen die Grafen Dtto und Heinrich von Anhalt unter ihren Schöffen Arnoldus de Sedorp auf".

Homeyer hat in feiner Abhandlung „Ueber die Heimath nach altdeutjchem Recht“ nachgewiefen, daß die Heimath eines Gejchlechts von der Yage des Handgemald abhängt, d. h. dem freien mit einem wehrhaften Wohnfige verjehenen Grundſtück eines Vollfreien, dem praedium libertatis, welches als Haupt- und Stammgut der Fa— milie galt. Und zwar beſtimmt ſich danach nicht blos die Stammes— angehörigkeit für den Beſitzer ſelbſt, ſondern auch für einen gewiſſen Kreis ſeiner Angehörigen, namentlich für die nicht zum Beſitz gelan— genden jüngern Söhne?. Da nun nach der Stammesangehörigkeit das Necht des Einzelnen fich beſtimmte, fo mußte c8 für die praktische Rechtskunde fehr wichtig fein, zu wiſſen, welches Recht für den Ein- zelnen anzuwenden war. Schon um defwillen muß ſich für den Sadjenfpiegel jehr bald die Nothwendigfeit fühlbar gemacht haben, eine Zufammenftellung der Gejchlechter zu Haben, auf welde das Sadjfenredyt nicht oder nicht ganz Anwendung fand. Aber zugleic) erhellt daraus, wie die Zufammenftellung der Sippen, welche ein Handgemal hatten, ſich von ſelbſt ergab.

4. Die Sprade in der Heimat) Eikos.

Bekanntlich ift e8 noch eine Streitfrage, in welcher Mundart der Sachſenſpiegel urfprünglich abgefaßt ift. Die nachfolgende Unter— juhung will die Frage nicht entjcheiden, aber doc) einen Beitrag zu deren Löſung bringen.

Der Schauplag der Thätigfeit Eikos wird von der Sprachgrenze zwifchen Mittel- und Niederdeutich durchichnitten. Die Grenze felbft ijt in der Litteratur indeß jo wenig feſt geitellt, daß es ich Lohnt, zunächit der Frage näher zu treten, welches heut die Sprachicheide zwijchen den beiden Mundarten ſei. Schaumann behauptet, daß man in den Gegenden vom Harz nad) der Elbe zu feinen der beiden Dia- lecte vein reden höre. Er nimmt den Breitengrad von Eisleben als Scheide an, nördlich deifelben fei ein Hinneigen zum Niederſäch⸗ ſiſchen, ſüdlich hingegen zum Hochdeutſchen?. Bernhardi in feiner verdienftlihen Sprachkarte von Deutſchland“ (S. 109) nennt als die nördlichiten Hochdeutfchen Drte Meisdorf, Harferode, Sanders- leben, Güften, Staßfurt, Calbe a. d. Saale und Barby an der

I Ungedrudte Urkunde des Marienklofters zu Aſchersleben. 2 Bol. Schulze, Das Erb- und Familienrecht der deutſchen . 24, s Schaumann, Geſchichte des Niederſächſiſchen Volles S. 531.

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Elbe, Niederdeutfch find dagegen, wie er fortfährt, Benefenjtein, Blankenburg, Neinftedt ſammt allen an der Bode liegenden Ort— ſchaften bis Egeln einjchlieglih, Gernrode, Ermsleben, Cochſtedt, Salze. Er fügt indeß vorſichtig hinzu: „Bevor eine hiſtoriſche Er— läuterung verſucht werden kann, muß dieſe Grenze erſt auf einer Specialkarte ergänzt und berichtigt werden“. Dies iſt in der That ſehr nöthig, da die Notizen vielfach falſch ſind.

Es kommt uns hier nur darauf an, den öſtlichen Grenzzug feſt— zuſtellen, und wir fangen da an, wo die Sprachſcheide auf die Bode ſtößt: es iſt dies bei Staßfurt. Während Heklingen und die jetzt zu einer Stadt verſchmolzenen Orte Stadt Staßfurt (ſüdlich der Bode) und Alt-Staßfurt (nördlich der Bode) noch niederdeutſche Mundart haben, ſprechen Neuendorf und Hohen Erxleben bereits mitteldeutſch. Zwiſchen dieſem letzteren Orte und Staßfurt überſchreitet die Sprach— grenze die Bode und überweiſt die an der Bode liegende Orte Löobnitz, Hohendorf und München-Nienburg der mitteldeutihen Mundart, wäh— rend die nördlid) davon gelegenen Dörfer Förderſtedt, Uelnitz und Brumby platt reden. Indem jo die Sprachſcheide nördlich von Nien— burg auf die Saale ftöht, wird diefer Fluß von da an bis zu feiner Mündung die Grenze beider Mundarten. Wedlitz, Wispitz, Schwars, Trabitz, beide Rofenburg find mitteldeutfch, die auf dem linfen Saal— ufer liegenden Orte niederdeutfh. Allerdings find in Barby nad) den mir gewordenen Mittheilungen feine oder ganz geringe Reſte von niederdeutjcher Yautjtufe mehr vorhanden, allein die Sprache iſt nicht mitteldeutich, fondern ein unvollfommenes Schriftdeutich, und die Klangfarbe der Sprache ift ausgeprägt plattdeutjch. Ebenſo find in der Stadt Calbe nur wenig Reſte von der niederdeutfhen Mundart vorhanden, aber die hart anftopenden Dorfgemeinden Schloßvorſtadt und Bernburger VBorjtadt haben eine fo ausgeprägt niederdeutiche Volks— jpradje, daß man fie von den benachbarten Dörfern weſtlich davon nicht unterſcheiden kann. Da nun Städte für die Bejtimmung der Volksmundarten nicht entjcheidend find, fo muß man die Saale bis zu ihrem Ausflug als Spracdgrenze annehmen.

Bon der Miindung der Saale bildet die Elbe nad) Often zu die Sprachſcheide bis zur anhaltiichen Grenze bei Griebo. Hier verläßt fie die Elbe, und in einem Bogen geht fie die Landesgrenze hinauf, indem fie Apollensdorf, Wittenberg, Dobin, Nudersdorf, Euper und Zahna dem mitteldeutichen Sprachgebiet zuweiſt!.

Mas den Unterfchied zwifchen Nieder- und Mitteldeutich aus— macht, ift ja in erfter Linie und hauptfächlich die Differenz der Yaut- ſtufe; und hierbei muß conftatirt werden, daß ins Niederdeutfche wohl einzelne Wörter in Hochdeutfcher Form eingedrungen find, daß ſich aber im mitteldeutichen Sprachgebiet jet faum ein Wort findet, welches die niederdeutjche Lautſtufe vepräjentirt. Für den, welcher

! Stier, Die Abgrenzung der Mundarten im ſächſiſchen Kurkreife. Pro- gramm des Wittenberger Gymnafiums von 1862. _

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ein geübtes Ohr für die Verjchiedenheiten der Mundarten hat, giebt e8 aber noch ein zweites Merkmal, worin er niederdeutjches und mitteldentsches Idiom mit ziemlicher Sicherheit unterfcheidet, nämlich die Klangfarbe der Sprade. Während das Niederdeutiche tonlos ift, eine gewifje Härte verräth, und das Magdeburger Platt in dem Rufe steht, vecht grob zu fein, jo hat das Mlitteldeutiche einen weicheren Ton und ift in der Ausſprache gefärbt. Diefer Unterfchied tritt jeden, der über die Bode ind Anhaltiihe kommt, entgegen, und die Stammes— unterfchiede zwifchen Nordthüringern und Schwaben machen fich hier, wie in manden andern Dingen, jo auch beſonders in der Sprache geltend,

Eine andere Frage ift e8 nun, ob zu allen Zeiten die oben be— jchriebene Sprachgrenze als Scheide zwiſchen Platt- und Mitteldeutjch galt? Es ift dies von zwei Seiten im ganz entgegengejetter Weife verneint worden. Stobbe (R. Q. I, 314) behauptet, daß in der Nähe von Magdeburg das Oberfächliiche im Meittelalter vorgeherricht habe, wie die Magdeburger Rechtsquellen zeigten (?). Homeyer da= gegen behauptet, daß im 13. Jahrhundert alle Gebiete, denen irgend die Herkunft oder die Thäthigkeit Eikos beigemefjen werden mag, der niederſächſiſchen Sprache angehörten. _ Dies gelte nicht nur für das jest wie damals plattdeutiche Nordthüringen, fondern auch für den ganzen das Anhaltiiche einjchliegenden, jett theilweife hochdeutichen Landſtrich zwifchen Wittenberg, Halle und Quedlinburg !.

Wir müſſen geftehen, daß die Anficht Stobbes jedes Anhaltes entbehrt. Mehr Grund hat die Aufitellung Homeyers für fih. Die Beweife, welche Homeyer anführt, können und müffen wir noch um eine Anzahl vermehren.

Beginnen wir bei Aſchersleben, einer Stadt, die heut wohl auf der Scheide beider Mumdarten Liegt.

Hier haben wir im Mittelalter das entfchiedenfte Vorherrichen des Platten. Als der Kath von Ajchersleben um 1440 die Klage: punfte aufſetzt, welche er gegen die Grafen von Schwarzburg und Stolberg vorbringt, thut er dies niederdeutich: Dit is unse schel unde ghebreken, so we.borgermeister unde radmanne der stad Aschersleven hebben unde meynen to hebben van der genanten unser stad jegen unde wedder disse nagheschreven heren, so hir na volgende is?. Die Urfunden des dortigen Non— nenflofters find im 13. Jahrhundert alle lateiniſch abgefaßt; wir fönnen daraus mur folgende Namensformen notiren: Wedestorp, Reinstede, Sedorp, Akkenborch, Ninstide, Ekenthorp, gogreve, Arnesten, Warmestorp°.

Südlich von der Bode, alſo im jegigen mitteldeutfchen Sprach— gebiet, liegt an der Wipper Kölbick, ein früheres Prämonjtratenfer=

ı Homeyer, Sachſenſpiegel I, 3. Ausgabe, S. 15. 2 Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, ed. Sanide I, 351. * Urkunden des Klofters im Staats-Arhiv zu Magdeburg.

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kloſter. Schon der Name Kolbecke fcheint die plattdeutjche Wortform beke fir Bad) in fich zu fchliefen. Doc) fünnte e8 auch aus einem Havischen Kolbig germanifirt fein. Won diefem Klofter liegen uns num eine Anzahl Urkunden aus dem 14. und 15. Jahrhundert vor, welche in der ältern Zeit vorwiegend plattdeutſch abgefaßt find. So 1354: Vredehelm, Otto brodere und riddere heren zu Plozke bekennen, dat wy vorkoft hebben! (dem Kloſter) 1 werder holtes ... Wer ock, dat de vorbenomede werdere grotere worde van waters wegen, also sullen se on hebben. 1355: Hennung und Hinrick brodere, beseten in dem dorpe Ilver- stede, bekennen, dat wy vorkoft hebben drei verndel landes up dem felde Colbeck dem gotshuse tho Colbeck. 1357: dat se (die Mönche) holden schollen alle weken twe missen in sunte Nicolawes capellen in ohreme kloster; dan wille wy vor geven eine marcke geldes zu Rapmestorpff uppe Smal- tes gude, ader tein marck Brand. sulver tho betalende up winachten, de nu thokomende sint. Dagegen jtellt Fürſt Bern- hard zu Anhalt 1393 zu Güften eine Urfunde mitteldeuticd aus, ohne daß aud nur ein Anklang von plattdeutichen Formen darin wäre, Ebenſo 1394 Chone van Alenburch (Altenburg, Nienburg gegen= über): das ick verkouft habe, 2 mark jerliker gulde vogetgel- des uf 2 hubyn uf dem velde zu Plotzkow. Disse hoven haben in bruchk. Hans Klocke gift van 1 hofen ete. Sn der Folgezeit find bis 1450 hin die Urkunden meift noch überwiegend ‚platt, ſodann aber werden fie fajt ausſchließlich mittelhochdeutich, be= ſonders auch die vom Convent felbjt ausgegangenen Schriftjtüce !.

Bon ganz befonderem Intereſſe find Spracdproben aus Afen wegen der Nähe von Reppichau. Glücklicher Weije find wir nun in der Yage aus einem jekt im Magdeburger Archiv befindlichen Aken— ichen Stadtbuche noch aus der Zeit des 13. Jahrhunderts Proben geben zu können.

Actum est Anno incarnationis domini M. cc. Lx.VI sub prefecto Vr..

Hence vor * dore gaf Hermanne van Kotene ein let imme kophuse.

Tiderie die suarte unde sin wif gaven Bussen up dem markete ein erve, dat Sivekens des kremeres was.

Tamme die klocgetere und sine kindere gaven Jane und Greten sime wive und irme kinde ir erve, swelk ir lenger levede, dat die behalde.

Hinrie van Parleve und Conrat und Bernart gaven He- neken Schelen und Aleyde sime wibe die rosmolen und dat

* Kopialbud; von Kölbigk im Archiv zu Cöthen aus den 16. Sahrhundert, das leider ſehr incorrect ift.

2 Auf das Stadtbuc hat ſchon Homeyer, Situngsbericht der Berliner Akademie (philoſophiſch-hiſt. Elaffe) vom 29. October 1866 bingewiejen.

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erve, swelk ir lenger leve, dat it des si; und her Hinrik gaf sin deil des silberes Conen und Bernarde; swelk ir lenger lebe, dat des si.

Hwilleken van Stitoiz und sin wif gaven Gereken dem kolnere ein leit in dem kophuse.

Beatre Bertoldes wif des roden gaf ir radeleve und al ir kleder tu dem godeshusen und to voren eine halve mare tu unser Vrowen, und einen ferdine dem perrere; und swat des anderen is, dat sal man delen gelike tu den kirken und tu de[m] spetale, dat untfine Jordan.

Reineke des vogedes svager gaf Greten sime wive, dat he hadde an dem erbe, dat des vogedes [was].

Albrecht van Lucie gaf Gereken dem kolnere ein leit in dem kophuse.

Lucia und Aleid gaven Johannes dem smede tvei erve, die hern Mer | tines waren. Die selve Jan sal | aleyde vif mark geven und sal | sie halden tu iren jaren. Die sel | ve Johan gaf Lucien sime wive an dem erven und an sime bereden | gude tuelf mark; swelk ir lenger lebe, dat dessi'.

Ryde Tene vorteich des erves, dat sines vaters was.

Jan die bedere gaf Henninge Korn[ijken eine word bi Andreas.

Johan die bedere gaf sime wibe Gerderude und Johan- nen und Aleyden sinen kynderen sin erve und al sin gut]; swelk ir lenger leve, dat des si, und sie solen sine seult gelden na sime dode.

Rubeken de wantsnidere gaf Soffien sime wive xL mark an sime redesten gude; swelk ir lenger leve, dat des si.

[H]encen wif des langen und Herman gaven Greten dat erve, dat Meinekens des smedes was.

[Hleideke die timberman gaf Ditmare dem kremere und sime wive dat erve bi Segeboden; svelk ir lenger leve, dat des si.

Ditmar der kremere und sin wif gaven Conen (?) Woste- huven und Johannen sime wive ein erve; svelk u. f. w.

‚Arnolt Tegelere und sin wif gaven Godeken dem tol- nere (und sime wive) dat erve, dat hern Heinen van Stie- boie was.

In Wittenberg fehen wir im 14. Jahrhundert niederdeutjche und wmitteldeutiche Mundart mit einander ringen. Kine Urkunde des jüngern Rudolf von 1354 ii überwiegend niederdeutih : Wyr herezoge tuo Zassen bethugen oppenbar in disme oppene brife, dat wy hebben vorkoft ledich unde vrie gegheven unser stad tuo Wit- tenberg den overghen lettins, den wy hadden boven achte

ı Es ift der Rand etwas verlegt; ich Habe daher das Ende der Zeilen mit Strichen bezeichnet, wie ich anderwärts die Ergänzungen in Klammern ge: Ichloffen habe.

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mark, dy de stat vore het. Eine andere Urkunde aus der Zeit nad) 1356 ift fait ausſchließlich mittelhochdeutih: ezuo, daz, vor- buozzen, breche, gewantmecher. _ Ein gleiches Ringen beider Mundarten finden wir in dem Stadtbudhe: 1377 Claws Prambalg und Margrite syne eliche husfrawe synt gekomen vor geheite bank und habin gegebin Hanse Mughin al yre gudir, dy sy habin nach yrem tode, uszgenomen ezen Bemische schog, det (wohl der?) sy bede macht solen habin thu vorgebin wenne und weme sy wollin. 1385: Boldeke Becker unde Gese sin swester hewin vorlatin tu orre stiffmudir hant gesin di Boldeke Beckirs husfrouwe ist gewesin, alle dat on ange- storfen ist van oren vadere!. Sn fpäterer Zeit, bejonders jeit dem Ausjterben der Herzöge aus dem Ballenjtedter Haufe tritt hier das Mittelhochdeutiche in den Urkunden ausſchließlich auf.

Während nun alle die genannten Orte nahe dem Rande des heutigen plattdeutichen Gebietes liegen, ftehen zwei Städte mit ihren niederdeutichen Schriftſtücken ganz ifolirt da: Gönnern und Halle.

Aus Cönnern iſt uns das Bruchſtück eines Stadtbuches über die Jahre 1434 bis 1438 erhalten, und dies bietet uns ein fo reines Plattdeutfh, daß es mitten im niederfächfiichen Sprachgebiet nicht correcter hätte abgefaßt werden fünnen. Wir geben nur eine furze Spracdyprobe: To orkunde hebbe we vorgeschreven radmann dat laten schrifen in unser statbok anno domini 1434, unde ok dat de upgenante Meyne mit alle den synen geloved het unde gesworn, dat land unde dat gerichte to Alsleve unde Conre to mydene up 2 mile w eges na°.

In gleicher Weiſe finden wir in Halle die älteſte Stadtordnung niederdeutſch. Dieſelbe wird von Förſtemann in den Anfang des 14. Jahrhunderts geſetzt? Um auch von dieſem reinen Plattdeutſch eine Probe zu geben, ſetzen wir folgende Stelle her: Ok willekore wie durch vrede und eindracht unser stad, uppe dat, dat iemant dorve spreken oder denken, dat die goddis gave und die geniet, die von den bornen velt, in der bornemeistere oder iemandes sunderliken vromen kome, sunder in der stat vro- men gemeyne, so scal mant umme die bornemeister ammecht ewichlicken also halden. Dabei mag erwähnt werden, daß mur dieſes Stadtreht von Halle plattdeutich iſt, alle andern find mittel= hochdeutſch. Dagegen find die ältejten Stadtbücher ebenfall® nieder- deutih. Von 1266 bis 1400 überwiegt darin das niederdeutjche Element jo, daß die mitteldentichen Formen kaum in Betracht kommen ; von 1400 an indeß überwiegt das mittelhochdeutiche Clement ent= ichieden, und die niederdeutichen Formen bilden die Ausnahme. Wir geben daraus folgende Proben:

ı Stier, Die Abgrenzung der Mundarten im Kurfreife S. 19. 20.

3 u a8 Brudjftüd ift herausgegeben von Förftemann, Nene Mittheilungen I, 4, eat, 2, 62 fi.

BE

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In deme jare von goddes gebort over dusent jar und twei hundert jar und ses unde sestich jar bi des byscop Ro- prechtes tiden unde bi des borchgreven tiden heren Borchardes und bi des jungen scultheten tiden hern Janes von Halle, do worden unse herren de scepenen von Halle des tu rade mit der borger wilkore, dat se bescriven leten alle de gave, de vor gerichte und vor den scepenen gegeven worde, der stat gemene, armen und dem riken tu eren und tu vromen und tu nut.

(1265): Har Everhart und har Frederie von sente Mau- ricies quamen on geheget dhing, unde de marc geldes, dhe dat goddes hus von sante Maurieius hadde an dheme hove haren Kapardes kindern, leten sie wedher op denselven kin- deren haren Kapehardes von dhes goddes wegene.

(Um 1318): Hans Molle elagete over Prierowen, dat he sete up sines vader und sines vedderen erve: dar antwerde Prierowe also tu, hi sete von der junevrowen weghene up deme erve!.

Nach dem Allem fcheint es unzweifelhaft zu fein, daß Homeyer mit feiner Annahme der Verbreitung der plattdeutichen Mundart bis tief in das jeßige mitteldeutiche Gebiet hinein völlig Recht hat. Man müßte demnach ein jehr bedeutendes Zurückweichen des Plattdeutjchen jeit dem Ausgange des Mittelalters annehmen.

Nun ift e8 in der That eine unbejtreitbare Erſcheinung, daß in unferer Zeit die niederdeutſche Mundart an Terrain verliert. Es ift nachgewiefen, daß ſüdlich von Jüterbog die niederdeutjchen Wortformen früher ftärfer vertreten waren als jeßt, und daß dort am ande des plattdentichen Sprachgebiets die Mundart mit mitteldeutjchen Elementen fid) ftark durchjeßt zeigt ?. Ebenfo ift in der Gegend von Wittenberg ein Vorrücken des Mitteldeutichen auf Koften des Plattdeutichen nach— gewiejen, welches noch in das Bewußtſein der heutigen Generation fältt?. In gleicher Weiſe nehme ich eine Zurückdrängung des Platten für die nördlich der Bode gelegenen Orte Löbnitz, Hohndorf und Nienburg an. Aber in allen diefen Fällen Handelt es ſich nur um den Verluft eines Grenzitriches von höchitens einer Meile Ausdeh- nung. Berner find hier nachweisbare Gründe vorhanden, welche diefe Unmandlung herbei führten. Um auf das lette Gebiet einzugehen, jo it bei Nienburg als einer Stadt und bei der jahrhundertlangen politischen Berbindung mit dem vorwiegend mittelhochdeutichen Anhalt das Verschwinden des Platten jehr erflärlich. Hohndorf ift mit dem jüdlih der Bode gelegenen (alſo urſprünglich mittelhochdeutfchen) Gattersleben zu einem Dorf verwachjen; es hat überdies in neuer

I Dreyhaupt, Eaalfreis II, 478. 480. Die Schöffenbücher find jetst auf ber Univerfitäts - Bibliothek zu Hal, eins in Wernigerode. Sind die Proben bei Dreyhaupt wohl ganz correct?

2 Winter, Die Sprachgrenze zwifchen Platt» und Mitteldeutich im Süden

von Süterbog, in Neue en des Thür. Sächſ. Vereins IX, 2, S.1 ff. 8 Stier a. a. O. S.

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Zeit aus dem mitteldeutichen Gebiet eine große Menge Berg: und Vabrifarbeiter erhalten, und jo ijt auch hier die Umwandlung fehr erflärlih. Löbnitz endlich) bildet mit dem genannten Orte ein Kirch— ſpiel. Endlich wiljen wir ja, daß im leßten halben Yahrhundert die Schule, die verallgemeinerte hochdeutſche Spradbildung, die focialen Berhältniffe der Conſervirung des Plattdeutichen nicht günftig geweſen find: aber was hat jchon im Mittelalter, was in dem Jahrhunderten nad) der Reformation eine ſolche Unwandlung der Volksſprache be= wirft, daß weite Landſtriche dem Plattdeutichen verloren gingen? Bei der Zähigfeit, mit welcher unfer Volk, befonders die Yandbevöl- ferung, an feinen Sitten hängt, und in früheren Jahrhunderten viel mehr hing, ift e8 undenkbar, daß es im vergangenen Zeiten, in denen die Volfsdialefte ja noch eine größere Gleichberechtigung hatten als jetst, feine miederdeutihe Mundart in einem Gebiet von vielen Duadrat-Meilen follte aufgegeben haben.

Wir glauben nicht, daß jene urfundlichen Beweije darthun, daf das Niederdeutfche als Volksſprache bis Halle Hin geherricht hat. Wenn in dem Klojter Kölbigk die älteften Urkunden vorwiegend nie— derdeutſch abgefaßt find, jo it zu bedenken, daß die Abfaſſung faft alfer Urkunden von Mitgliedern eines Konventes erfolgte, der aus ver— Schiedenen Gegenden, und nicht am jchwächiten aus den Gegenden des Halberftädter und Magdeburger Landes ſich ergänzte. Die Klöſter der Magdeburger Prämonjtratenfer Kongregation lagen überdies alle bis auf drei (Klofterrode, Ilfeld und Mildenfurt) im oder dicht am niederdeutjchen Sprachgebiet, und bei jtattfindenden Verſetzungen mußte nothtvendig das miederdeutjche Clement die überwiegende Mehrheit bilden. Wenn man dazu nimmt, daß das Haupt der Congregation das Klofter U. 2. Frauen in Magdeburg war, fo wird man in der That die niederdeutfchen Urkunden des Klofters Kölbigk nicht für einen Beweis anfehen fönnen, daß die platte Volksſprache weiter nad) Eüden über die Bode und Wipper Hinausreichte als jett. Ueberdies find ſämmtliche plattdeutfche Urkunden mit mitteldeutichen Formen durd)= flochten, und darf vielleicht gerade darin ein umwillführlicher Einfluß der das Kloſter umgebenden mitteldeutichen Volksſprache erblickt werden.

Wenn nun in dem altgermanifchen Lande weſtlich der Elbe und Saale feit den allerfrühjten Jahrhunderten unferer geichichtlichen Kunde eine jtabil bleibende Sprachgrenze wird angenommen werden müffen, und zwar im Ganzen diejelbe, die noch heut bejteht, Yo Liegt die Sache in den Gebieten der deutjchen Golonifation öftlich der Saale anders.

Zwar haben auch Hier die deutichen Volksſtämme im Ganzen parallel fi) nach Oſten vorgejchoben, aber nicht in einer mathematijc) geraden Yinie und nicht ohne vielfache Durchbrechung ihres gegenfeitigen Coloniſations-Gebiets. Den Sachſen it fait ausichlieflich das Yand nördlich der Elhe bis zur Oſtſee Hin al8 Colonijations= Gebiet zuge— fallen, während das Mansfelder Land und Thüringen den Ueberſchuß

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feiner Bevölkerung in da8 Gebiet warf, das in weiten Bogen von der Elbe umfpannt und durch die Saale begrenzt wird. Volksart, die Mundart, befonders aud) die Sprachfärbung, vielfach die Tradıt, der Urfprung der meijten adelichen Gefchlechter, welche wir im Mittel- alter hier angeſeſſen finden, alles deutet auf eine Herkunft der Bevöl— ferung aus mitteldeutfchen Sprachgebiet hin. Daneben aber find auch beftimmte Nachrichten von niederdeutfchen Anfiedlungen vorhanden, und e8 muß im dreizehnten Jahrhundert in diefem fonft mitteldeut- ſchen Gebiet niederdeutfche Sprachinſeln gegeben Haben. So find nad) urfundlichen Nachrichten an der untern Mulde um Dejfau im zwölften Jahrhundert Anfiedler nad) flämiſchem echte angeſetzt worden, aller Wahrjcheinlichfeit nad) darum aud) Niederländer mit nieder- deutfcher Mundart. Noch jett ijt in der Sprache um Deffau eine gewiſſe Breite fenntlich, deren Urfprung wohl auf niederländifche Co— lonifation zurüdzuführen fein dürfte. Ein Orts- und Volkskundiger berichtet mir aus Woderode, daß dort eine breitere Sprache herrjche als in Reppichau. Die Bevölkerung hat ein ruhiges, phlegmatifches Weſen und dabei eine ungemeine Ausdauer und Zähigfeit in der Ar— beitsfraft. Von niederdeutſcher Lautftufe jollen dort feine Reſte mehr zu finden fein. Unterfcheidende Worte: gaensch, Reppichau: ganse- rich; lüke, Reppichau: lauke; kraut, Reppichau: kohl.

Ebenſo halten wir Afen für eine niederländifche Colonie, welche den Namen der Stadt Aden hierher an die Elbe verpflanzt hat. Aken kann erft gegen Ende des zwölften Jahrhunderts entjtanden fein, und zwar aller Wahrfcheinlichkeit nad) auf gerodetem Wald- boden. Jetzt jedoch Herricht dort ebenjo wie in dem benachbarten Reppichau (Repke, Ripke, im Volksmunde) ausgeprägtes Mittel» deutfch, das fich in beiden Orten von einander nicht unterfcheiden ſoll ſowohl in der Lautjtufe wie in der Tonfärbung. Als Eigenthüm— lichfeit heben wir hervor, daß das r meiſt fcharf ſchnarrend gefprochen wird, und daß in gefchloffenen Silben e zu a wird, 3. B. Zarbst (Zerbft). Als Sprachprobe geben wir folgende Wörter aus Neppi- hau: röchen (rauchen), brauchen, zön (Zehe), löfen (laufen), allehöfe (allzuhaufe, allefammt), fellen (Fohlen), waon (Wagen), klie (Klee), enkein (entgegen), hennig (ja nicht), wecke meine er (güfte Vieh), aege (Egge), stöwe (Stube), stewel

tiefel) ?,

In gleicher Weife könnte man geneigt fein, bie urfprüngliche Bevölferung von Halle und Cönnern als niederfächfifche Colonien an— zufehen. Dieje Annahme würde ja dadurch einige Wahrfcheinlichkeit für fi) haben, daß beide Drte von früh an zum Erzftift Magdeburg gehörten. Allein felbjt angenommen, e8 jei dies jo gewefen, daß der

1 9, Heinemann, Albrecht der Bär S. 219. 260.

2 Als Euriofum berichten wir, daß da8 Dorf, welches durch den Ber- fafier des Sachſenſpiegels weithin Berühmtheit erlangt Hat, im der Umgegend als „dumm Mepte” verjpottet wird,

XIV. 23

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erfte deutfche Stamm, welcher das ſtädtiſche Gemeinwejen deutjch ein- richtete, niederſächſiſchen Urjprungs geweſen jei, jo iſt e8 doch durch— aus nicht denkbar, dag unmittelbar an der Grenze des mitteldeutichen altgermanifchen Yandes und in mitteldeutfcher Umgebung das Nieder- deutfche die herrichende Volksſprache ſollte geblieben fein, bejonders in

alle, da8 an den Hauptitraßen lag, welche durch mitteldeutiches

prachgebiet führten. Cs fommt dazu, daß, abgejehen von der ältejten Stadtordnung, alle andern ohne Ausnahme mittelhochdeutſch abge= faßt find !,

Es giebt indeß noch eine andere Möglichkeit für die Erflärung der niederdeutjchen Abfajjung der Stadtbüchher zu Halle und Gönnern: das Niederdeutiche war, nachdem das Yatein feine Alleinherrichaft ver— foren hatte, im dreizehnten und theilweis im vierzehnten und fünf— zehnten Jahrhundert die amtliche Sprade für die Rechtspflege im Gebiete des ſächſiſchen Rechts, ganz befonder8 aber im Bereich des Erzitifts Magdeburg, ebenfo wie das Mittelhochdeutiche im dreizehnten Jahrhundert die Sprache der Poeſie war. Bon Magdeburg holten die Städte ihre Enticheidungen, und die Magdeburger Schöffenur- theile wurden niederdeutich gegeben. Aus Magdeburg, der Mutter- ftadt für das ſächſiſche Recht der neugegründeten Städte, mag aud) mancher rechtskundige Mann in die jungen Städte geholt worden fein, um dort die Schöffenbücher zu führen, und wie von jelbjt war damit der Gebraud des Niederdeutichen als amtliche Rechtsſprache ge— geben.

Wir find denn aud in der Lage, nachzumeifen, daß bereitS im dreizehnten Yahrhundert in der Landichaft zwiichen Halle und der Fuhne das Mitteldeutiche als Volksſprache galt. Das Chronicon Montis sereni braucht zwar durchweg die Form dorp, indeß dieſe Form geht ziemlich) weit nad) Süden hinauf und ift fein Beweis für die niederdeutſche Volksſprache, während allerdings die Form dorf dem Plattdeutichen unſeres Wiſſens völlig fremd if. Dagegen ge= braucht das Chronicon niemals die Form borch, fondern immer burg, bure, burch. Wir nemmen ferner die Orte Richenbach, Salzemunde, Valkinstein, endlich die Form heimece für Himten ?. Ferner in der über die Gerichtsverhandlung zu Mettine von Friedrich) von Kroſigk ausgejtellten Urkunde von 1209 fommen die Ortsnamen Brunistorf, Winitorf, Prozzindorf vor?. In einer Urkunde von 1181, welche bei einer Provinzialiynode auf dem Petersberg ausge—

1 Hertberg (in dv. Hagen, Die Stadt Halle I, 10) jchreibt: „Was die deutſche Bevölferung angeht, jo ift diefelbe ihrer großen Mafje nad) wohl von dem niederfähfiihen Stamme ausgegangen; wenigftens ift der ganze Typus der Halliihen Bevölkerung bis nad) dem dreißigjährigen Krieg herab viel mehr dem Niederfähhfiichen ala dem Thüringiſch-Meißniſchen Weſen verwandt”. Uns will e8 indeß fcheinen, als ob nur das Patriciat vorwiegend niederdeutſch war.

2 ed. Edftein S. 111. Die Namen fiehe im Regiſter. Wenn S. 183 Sulta und Willebeke vortommt, fo ift zu bemerken, daß die Stelle aus Thietmar entlehnt if.

® Magpdeb. Gejchichtsblätter VII, 236.

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ftelft ift, beißt es: nisi publico clamore, id est wafenheiz, venire cogantur, und ebendarin wird Beierstorf genannt!. Aus der Urfunde vom 30. November 1156, die auf dem Petersberg beim Eintritt des Markgrafen Konrad ins Klojter ausgeitellt wird, notiren wir die Namenformen: Mulendorph, Tsempendorph, Giveken- stein, Ruchtendorf *. 1324 verjchreibt Ritter Konrad von Redern, zu Oſtrau geſeſſen, wmittelhodhdeutih den Bürgern von Halle feine Hüffe. Heinrih von Merwig jtellt 1367 feinen Lehnsrevers über jeinen Hof Merwig in Giebichenftein ebenfalls mittelhochdeutih aus *.

Ya Halle jelbft bietet uns jchlagende Beweije dafür, daß die Abfaſſung der oben erwähnten älteſten Willfür und die niederjäd- fiihe Mumdart der ältejten Stadtbücher feinen endgültigen Nachweis für die Volfsiprade liefern. Gegenüber jener oben angeführten äl- tejten Stadtordnung aus dem Anfang des vierzehnten Fahrhunderts in en Sprache haben wir auch eine Willfür von 1316,

welche mittelhochdeutich abgefaßt iſt. Ein Stück, das auch in der nieder⸗ deutichen Bearbeitung enthalten iſt, lautet hier jo: Ouch willekoren wir, weme der rat eyn gebot tete, wer das nicht hilde unde das breche frevelich unde der stad ire busse nicht engebe, des frunde sal der rat besendin unde sal yn sagin, das sie iren frund anwisen, das er der stad gebot halde, adir die busse gebe*. Allerdings ift diejes Stüd in einem Transſumpt enthalten, welches Biſchof Nicolaus von Merjeburg 1420 in mittel- hochdeutſcher Sprade abfaßt. Mean fönnte jagen, er habe die urſprünglich niederdeutihe Faſſung mittelhodhdeutih wiedergegeben. Allein abgejehen davon, daß die Faſſung der Willfür in Orthographie und Formenbildung fi) von dem Mittelhochdeutich der Urkunde unter- jcheidet, jo wird auch ausdrüdlich geiagt, dat in der Abichrift „feine Schrift, Buditab, Wort oder Sinn des Buches verwandelt oder ge= ändert ift“. Unter diefen Umjtänden iſt es jehr fraglih, ob die ältejte Willfür von Halle niederdeutich geichrieben war.

In Betreff der vom Rathe in Halle ausgejtellten Urkunden machen wir folgende Bemerkungen: die älteiten, die wir aus dem Anfange des vierzehnten Jahrhunderts befigen, find plattdeutich, jo die Urfunden von 1324. 1327. 1328. 1333. 1339. 1341. 1343. 1345°. Dieſelbe Erſcheinung finden wir bei den Klöſtern der Stadt. Neuwerk ftelit 1343 und 1344 niederdeutiche Urkunden aus®. Vom Morigflofter finden wir eine jolde von 1338, vom Kloſter der Ma— rienfnechte zwei aus dem Jahre 1339°. In der zweiten Hälfte des -

ı Köhler, ae Peteräberg ©. 48.

2 Ebenda 5

: Drenbaupt Saaltreis IT, 208. 922. * —— Mittheilungen des Thür. Sachſ. Bereins II, 336; vgl. mit Dreybaupt, Saallreis I, 56.63. II, 853. 877. 854. 252. Reue

? Drenhaupt ). 1. I, 759. 777. 778. 23%

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vierzehnten Jahrhunderts treten nun aber auch ebenjo ausnahınlos die mittelhochdeutichen Urkunden auf; jo 1386. 1390!. Ebenſo finden wir vom Kath in Cönnern bereit$ aus dem Jahre 1364 eine mittelhochdeutjche Urkunde, während die Schöffenbücher noch im fünfzehnten Jahrhundert plattdeutic geführt wurden ?,

Mit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts tritt im der anıt= lichen Sprache im Gebiete des Erzbisthums Magdeburg ein unver- fennbarer Umſchwung ein, der mit der Belegung des erzbiichöflichen Stuhls zufammenhäng.. Bis auf Erzbiihof Burchard II. und Heidenreihh waren die Kirchenfürften fait ausnahmslos aus dem Schooße des eigenen Domcapitel8 hervorgegangen. Waren fie auch jehr vielfach Familien entjprofjen, welche im mitteldeutichen Sprach— gebiet ihre Heimath hatten, jo waren fie doc durd ihren längern Aufenthalt in Magdeburg jo in die niederſächſiſchen Traditionen ein— gelebt, daß das Niederfähjiiche für jie und ihre Kanzlei, foweit darin nicht das Yatein herrichte, Amts- und Verkehrsſprache war ?. Das änderte fi) mit Erzbiichof Otto jeit 1327. Von jet an werden nad einander dem Erzitift durch den Papſt und den Kaiſer eine fort- laufende Reihe von Erzbifchöfen aufgedrängt, welche alle dem Süden angehörten. Und als jpäter da8 Domcapitel wieder zu einiger Selb- ftändigfeit in der Wahl fam, waren es wieder ausnahmslos fürſt— liche Gefchlechter des Südens, deren Söhne die hohe Würde eines Magdeburger Metropoliten befleideten. Von num an wird unter dem Einfluß dieſer Erzbiichöfe, die ihre Notare aus dem Süden mit- braten, das Mittelhochdeutiche die Kanzleifprache in den erzbiichöf- lichen Urkunden. Die niederfächjiichen Städte des Magdeburger Landes lajjen ſich freilich dadurd nicht beirren: fie ftellen ihre Urkunden nad) wie vor bis zur Reformation niederdeutich aus. Allein in den mittel- deutichen Städten fam nun das Mitteldeutich der Volksſprache auch in amtlichen Schriftjtüden je länger je mehr zur Geltung, zumal da bis dahin und bejonders, feitdem die Bevölferung nad) der Peſt von 1349 ſich neu ergänzen mußte, das ſporadiſche niederdeutiche Clement öftlich der Saale jo ziemlich) ganz überwunden gewefen fein wird.

Selbit da8 Magdeburger Domcapitel unterfcheidet fich darin von der erzbiichöflichen Kanzlei, daß es feine Urkunden noch lange Zeit mit Vorliebe niederdeutſch abfaßt. inen recht jchlagenden Beweis bieten die Willfüren der benachbarten Städte Schönebed und Safe. Obwohl diejelben faſt aus einer Zeit find, jene von 1490, diefe von 1470, iſt die erjtere doch niederdeutich, die letztere mittelhochdeutjch abgefaft. Der Grund liegt natürlich nicht in einer Verjchiedenheit der Volksſprache, da die Gleichheit der plattdeutichen Volksſprache in beiden Städten zu jener Zeit unmibderleglich feitjteht, ſondern er

2 NMene Mittheilungen II, 319. Dreyhaupt II, 254.

2 Dreyhaupt II, 828.

® Die beiden älteften deutjchen Urkunden der Erzbiichöfe von Magdeburg find von 1299 und 1305; beide find niederdeutich; ſiehe Magdeburger Geſchichts— blätter V, 408, 409.

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beruht einfach darauf, daß die Stadt Schönebeck unter dein Domca- pitel, Salze aber unter dem Erzbifchof ftand, die erftere Willfür alfo vom Domcapitel, die letstere vom Erzbifchof gegeben, resp. beftätigt wurde !.

Faſſen wir die gewonnenen Nefultate über die Spraͤchentwicke lung zuſammen, ſo ſind es folgende:

1. Die Sprachgrenze zwiſchen Mittel- und Niederdeutſch war im altgermaniſchen Gebiet zu Zeiten des Mittelalters im Ganzen die= jelbe, wie in der heutigen Zeit.

2. In den germanifirten Mendenländern hat das Gebiet zwi- ichen Elbe und Saale vorwiegend feine Colonifation aus dem mittel deutjchen Sprachgebiet empfangen. Trogdem aber diefe Landſchaft dem Gejammtgepräge ihrer Sprade nad) vonvornherein zum mittel- deutichen Sprachgebiet gehört hat, fo hat es darin im zwölften und dreizehnten Jahrhundert eine Anzahl plattdentiher Spradinfeln ge— geben; ja es iſt die Möglichkeit nicht ausgeichloffen, daf der Nordrand diejes Gebiets, d. h. das jüdliche Elbufer von Elſter bi8 Barby, eben- jo viel niederdeutiche wie mitteldeutiche Elemente gehabt Hat.

3. Das Niederdeutiche, die Sprache des ſächſiſchen Volksſtam— mes, galt im Bereich des Erzitifts Magdeburg und der angrenzenden mitteldeutichen Gebiete al8 die amtliche Rechtsſprache, und fie wird als jolhe auch noch gepflegt, feitdem in der erzbifchöflichen Kanzlei von 1327 an das Mittelhochdeutiche zur alleinigen Herrichaft gelangte.

Wenn dieſe unfere Annahmen und Folgerungen richtig find, fo dürfte die Frage nach der urfprünglichen Sprache des Sachſenſpiegels um ein gut Theil ihrer Löſung mäher geführt fein. Hat ſich das Niederdeutiche als die Nechtsiprache des Volkes ſchon früh Geltung in den germanifirten Gebieten zwijchen Saale und Elbe verichafft, fo würde die Abfaſſung des Nechtsbuches des ſächſiſchen Volfes in der Sprache diefes Volkes, dem Niederdeutichen, ebeufo nothwendig fein, wie e8 natürlich war, daß die Reimvorrede fi) in die Sprache der Poefie, das Mittelhochdeutiche, Eleidete. ?

* Wilſtüren finden ſich in den Magdeb. Geſchichtsblättern VIII, o 2 Mir benuten diefe Gelegenheit, um einige urkundliche Notizen über Hoier von zuſammen zu ſtellen, welche erſt neuerlich bekanut geworden find:

1214 iſt Graf Hoier von Valkenſtein erſter weltlicher Zeuge in einer un— gedruckten Urlunde des Biſchofes Friedrich von Halberſtadt für das Johaunis— kloſter daſelbſt.

1216. 22. Juni. Auf dem Falkenſtein. Hoierus de Valkensten beur- ge daß er den Stiftsherren zu St. Marien in Coswig 28 Hofftätten und

a Hufen dajelbft übereignet habe. Neue Mittheilungen IX, 2, 49.

1220. 10. Auguſt. Hogerus comes de Valkenstien Zeuge in einer Urkunde des B. Friedrich von Halberftadt, anicheinend auf einer Diöceſanſynode. Ibidem ©. 36, aus dein Original von v. Heinemann mitgetheilt.

1231. 17. Juli. Fulda. Hoyerus de Falekenstein Zeuge in einer Ur- funde des Königs Heinrich VII. für Klofter Bergen. Forſchungen XIII, 624.

1254. Comes Hogerus de Valkensten erhält durch den Erzbiichof Rudolf von Magdeburg die Zufiherung, daß das Klofter Bergen ihm, a. lange er lebt, 40 Dark jährlih zahle. Neue Mittheilungen IX, 2, 37. Ob nod derjelbe Hoier?

Zur Kritik Thietmars von Merfeburg.

Bon

Ioh. Strebihki.

1. Itinerarium Thietmars.

In meiner Diſſertation: Thietmarus episcopus Mersebur- gensis quibus fontibus usus sit in chronicis componendis quaestiones criticae. Regimonti 1870, behandelte ic die ſchrift— lichen Quellen der Chronik Thietmars von Merſeburg. Ich wies darin nach, 1) daß Thietmar im erſten Theile ſeiner Chronik bis zum Jahre 997 die Annales Quedlinburgenses benutzte (S. 7—11), daß er den Anhalt der.vita Udalriei fic) durch Lektüre erworben und das für ihn Einfchlägliche frei aus dem Kopfe reproducirt habe (©. 12—13), daß er den Widukind excerpiert habe (S. 13—20), daft er Ruotgers vita über Bruno von Köln zwar gefannt, aber nicht benutt habe (S. 20 22), daß endlich Thietmar vom 20. Capitel de8 vierten Buches die Annales Quedlinburgenses nicht benutt habe (S. 20— 22). Ich befchäftigte mich darauf feine übrigen Quellen feitzuftellen und gewann die Weberzeugung, daß er außer jenen vorzugsweife mündliche Quellen benutt habe. Um diefe nad) Zeit und Ort feitzuftellen, ſchien ein Itinerarium dieſes Schrift- ſtellers nöthig. Zwar befiten wir die Negeften der Merjeburgifchen Bifchöfe zufammengeftellt von Wilmanns im Iten Bande des Archivs für ältere deutſche Gefchichtsfunde. Aber da die auf Thietmar be= züglichen auf Grund der Abhandlung Lappenbergs in den Monumenta Germaniae SS. III, ©. 723—30 gearbeitet find, diefe Abhandlung aber nicht ausführlich ift, fo find fie für eine genaue Unterfuhung der Chronif Thietmars unzureichend. Ich machte mich alfo daran ein möglichſt vollftändiges Itinerar Thietmars zu bearbeiten und veröffent- liche e8 im Folgenden, weil ic) glaube, daß es einen bis dahin ent- behrten Wegweifer durch die oft verwirrte Chronologie diefer Chronif bieten wird. (W. zeigt die Data an, die ſchon Wilmanns a. a. O. gegeben hat).

975 (?), Geburt Thietmars!,

ı Mit großer Webereinftimmung giebt man 976 als das Jahr ber Ge burt Thietmars an (vol. Lappenberg, Einleitung zur Ausgabe Thietmars, Mon. Germ. SS. III, S. 724), ebenfjo Wilmanns in den Negeften der Merſe— burger Biſchöfe (Archiv für ältere deutiche Gefchichtsfunde, Bd. XI, S. 150) und hierauf fußend Wattenbach, Deutſchlands Geſchichtsquellen, 3. Aufl. S. 261, und andere. Doc fcheint mir diefe Angabe nicht richtig zu fein. Bon allen

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989, 1. November, Thietmars Einverleibung in das Klofter St. Moriz zu Magdeburg ?!,

994, Thietmar in Stabe ?.

1002, 7. Mai, Uebertragung der Probftei Walbel?,

wird zum Beweiſe für das Jahr 976 Thietmars eigene Ausſage, chron. III, 4 (Mon. Germ. ©. 724) ceitiert. Hier handelt Thietmar von Dtto II. und zwar III, 1 und 2 von deſſen erften Regierungsjahren; c. 3 fpridt er vom zweiten Negierungsjahre Dttos II. und giebt dann auch das Jahr 975 als das an, von welchem er Facta berichten will. Im 4. Eapitel giebt er folche Facta und fügt dann am Schluffe des Capitels die Notiz hinzu: Tempo- ribus hiis ego natus sum 8. Kalendas Augusti mense Julio. Daß Thiet- mar wohl faum 976 als fein Geburtsjahr bezeichnen will, geht, wie mir fcheint, daraus hervor, daß er gleich nad) diejer Geburtsangabe das nädhfte Eapitel mit den Worten beginnt: Anno vero dominicae incarnationis 976. Henricus etc. Wenn man diefen Zufammenbang betrachtet und das ‘vero' in feinem dem Borhererzählten gegenüberftehenden Sinne fat, wie es wohl nicht anders gefaßt werden kann, fo liegt auf der Hand, daß Thietmar vor 976 geboren if. Man ift num wohl verleitet worden, das Jahr 976 als Thiet- mars Geburtsjahr aus dem Grunde anzufetsen, weil kurz vor diefer Notiz der Todesfall Brunos von Verden angegeben wird, der, wie wir aus andern Duellen wiſſen in das Jahr 976 fällt (vgl. Potthaſt, Bibl., Reihenfolge der Berdener Biichöfe), doch Icheint mir ficher, daß Thietmar diefen Todesfall nicht genau dem Jahre nad) Fannte. Einen andern Beweis, daß wir 976 nidht als Geburtsjahr Thietmars angeben können, fondern daß wir fagen müſſen, Thiet- mar wußte felbft nicht genau, wann er geboren war (und dies fcheint mir fhon ans der ziemlich vagen Angabe ‘hiis temporibus’ hervorzugehen), bietet uns eine andere Stelle VIII, 8: Iste annus quo hunc attitulavi librum (er meint 1018) nativitatis meae quadragesimus est primus vel paulo amplius. Wenn diefe Angabe Thietmars richtig wäre, fo wäre er erſt 997 geboren, er wußte e8 aber felbft nicht genau.

ı Gern hätte ihn fein Bater im Klofter St. Johannes untergebracht, doch diefes gelang ihm nicht, und deshalb wurde er der Mauritiusbrüderſchaft einverleibt. Lappenberg a. a. O. ©. 724 erflärt die Sache anders, er jagt, weil ber Bater ihn zum Eanonifus bei St. Moritz nicht erheben fonnte, ließ er ihn als Hilfsgeiftlichen bei diefer Kirche eintreten. Er bezieht alfo in dem Satze IV, 11: Ibi (nämlich zu St. Johannes) tresannos ego conversatusin omnium festi- vitate sanctorum ad sanctum Mauricium, quia ad altare hoc me dare non potuit, fraternitatis consortio ab eo junctussum, ‘altare hoc’ auf die ca- nonici, fraternitatis consortium auf die Hilfsgeiftlichen bei St. Mauritius, Doch jcheint mir diefe Erflärung deshalb eine falfche zu fein, weil altare hoc und fraternitatis consortium beide auf St. Mauritius bezogen feinen Gegenfat bilden, aud) die canonici gehören zum fraternitatis consortium. Ich fafle daher da8 ‘hoc’, wie das Thietmar öfters hat, im Sinne von illud und beziehe e8 auf St. Iohannes, dann kommt eine einfache ungezwungene Weber: fetsung heraus. Bol. Laurent, Ueberſetzung Thietmars S. 95.

2 Bal. Thietm. IV, 16.

3 Diele Uebertragung hat fiher am 7. Mai 1002 ftattgefunden, denn wenn auch Thietmar VI, 30 ein anderes Jahr als diefes genannt haben follte, fo bleibt uns noch eine zweite Beftimmung für diefes Faetum. Thietmar jelbft fagt VI, 30, er fei in Walbek 7 Jahre, 3 Wochen und 3 Tage praeposi- tus geweſen. Da er nun im den Yetsten Tagen des Mai 1009 nachweislich in Walbek war, um die PVrobftei niederzulegen, fo folgt daraus, daß ihm Anfangs Mai 1002 die Probftei übertragen wurde. VI, 30 (M.G. SS. II, ©. 819) heit e8: ac ejusdem ecclesiae, cujus tunc fui paterna traditione servus

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1002 1003, Reife nad; Köln !,

1003 (?), 21. December, Allftedt (Weihe zum Presbyter)?. 1004, März, Augsburg ®.

1004, Palmfonntag, Gernrode®.

1004, Oftern, Magdeburg ®.

1008, Frühling, Süterbof *,

1009, April, Rotmerslevo ®.

1009, 10. April, Magdeburg ®.

1009, 19. April, Augsburg ®.

1009, 20. April, Augsburg, Inveftitur®. 1009, 24. April, Neuburg, Ordination ®,

dominicae incarnationis anno millesimo 2. Nonas Mai custos effectus sum, annuente id antecessore meo ob acceptam commutationem sibi placitam. Webefind (Noten III, 10. Heft, S. 254) will num Tefen: anno millesimo Non, Mai custos effectus sum, und fagt, indem er custos im Gegenfat zu praepositus nimmt (vgl. VI,30: Inde ad Wallibizi, ubi tunc prepositus annos ac tres ebdomadas et tres dies rexi): Thietnrar wurde am 6. Mai 1000 Euftos und am 31. 1002 Probft zu Walbek (vgl. Wedekind a. a. O. 255). Es ftimmt aber nicht der 31. März 1002, wenn wir 7 Jahre 24 Tage Hinzuzählen, mit Thietmars Angabe (VI, 30) über die Niederle- gung diefer Würde, Mir fcheint alfo an jener obigen Gtelle für ‘anno millesimo 2. Nonas Mai’ anno millesimo secundo Nonis Mai zu leſen zu fein. Wir erhalten dann den 7. Mai 1002 als Datum, an dem Thietmar Probft von Walbek geworben ift, und wenn wir dazu 7 Jahre 24 Tage hinzu addieren, genau die Zeit (Ende Mat 1009), in der Thietmar nachweislich diefe Würde niederlegte. ı VI, 30

2 Ganz beftimmt, wie Lappenberg (a. a. O. S. 725), meint ift das nicht. Wir können nur fagen früheftens war e8 1003, denn fir Heinrich II., der bei der Weihe zugegen war, ergeben die Urkunden, daß er 1000 und 1001 in Italien, 1002 in Regensburg um diefe Jahreszeit war (vgl. Böhmer und Stumpf, Re- geften a. 1000, 1001, 1002). Daß Thietmar am 19, März 1004 zu Kempten bei der Einweihung einer Marienkirche war, kann troß der Behauptung Lappen- bergs nicht aus dem Merfeburger Todtenbuche ad h. d. ermiefen werden. Bgl. Das Merſeburger Todtenbuch, in Förſtemanns neuen Mittheilungen,

s VI, 1—3. VI, 24.

5 Die Daten erhalten wir aus VI, 27. Sonntag nad Oftern war am En April, Oftern am 17. April, Balmfonntag am 10. April. Ueber das Jahr vgl. unten.

® Bol. VI, 27. Hier wird nur der 24, April angegeben und daß es am Sonntag nad) Oftern war. Ebenfo in dem Chron. episc. Merseb., M.G. SS. X, ©. 174, das auch nod) nicht das Jahr zu wiffen fcheint. Aus dem Bufammenhange des VI. Buches bei Thietmar kann das Jahr nicht beftimmt werben. Dtte (Neue Mittheilungen von Förftemann, Bd. V, Hft. 2, S.141) bat daher, da man, wie er meint, das Jahr der Ordination aus Thietmars eigenen Schriften nicht nachweifen könne, aus den Angaben, daß diefer Tag auf den weißen Sonntag und den 24. April gefallen fei, das Jahr 1009 ausge— rechnet. Doch kann man das Jahr auch aus Thietmars Chronif VIII, 8 be- flimmen. Hier fagt er, indem er das Jahr 1018 zur befchreiben beginnt: Iste annus, quo hunc attitulavi librum, nativitatis meae quadragesimus

est primus vel paulo amplius, in mense vero Aprili 5. Kalendas Mai

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1009, Mai, Regensburg !,

1009, Mai, Malein!,

1009, Mai, Stari!,

1009, 21. Mai, Merjeburg, Inthronifation 2,

1009, 22. Mai, Merfeburg ?.

1009, 23. Mai, Merfeburg ?,

1009, 25. Mai, Magdeburg ?,

1009, 26. Mai, Magdeburg ?,

1009, 31. Mai, Walbek, Niederlegung der Probftwürbe®, W.1009, 5. Juni, Merjeburg *.

1009, Juni, Magdeburg 5, W.1010, 28. Juli, Merjeburg®.

1010, Spätjommer, Belegori?,

1011, Januar, Merjeburg ®. W.1011, Januar, Liubufua ®,

1011, 2. Februar, Liubnfua ®. W.1012, 6. Mai, Bainberg ?. W.1012, 1. Juni, Merfeburg !°.

1012, 12. Juni, Merfeburg !1, W.1012, 14. Juni, Grona!t,

1012, 15. Suni, Grona !!,

1012, 21—23, Juni, Magdeburg ''.

1012, 24. Suni, Klofterbergen ',

decimus ordinationis meae introivit annus. Folglich war 1009 fein Or— dinationsjahr. Ueber den Ordinationstag vgl. auch Höfer, Ein Kalender der Merfeburger Kirche, Archiv für ältere deutſche Geſchichtst. Bd. IV, und Dümm— ler nn ©. 233.

2

2 Das Datum erhalten wir, wern wir den Zufammenhang ber c..29—31 in lib. VI genauer betradhten. Bor Pfingften, d. h. vor dem 5. Juni diefes Iahres, war Thietmar in Walbek, er reifte dorthin ungefähr am 27. Mai (vgl. VI, c. 29 Ende). Himmelfahrt war er in Magdeburg, an den vorherge- benden Bitttagen, d.h. den 23. Mai, noch in Merjeburg, Sonnabend vorher war feine Inthronifation, d.h. am 21. Mai.

° Aus dem Zufammenhange von c. 29—31, lib. VI, ergiebt fi), daß diefe Niederlegung der Probftwürde Ende Mai 1009 war, nehmen wir nun das ©. 350 Anm. 3 ausgeführte Datum der Annahme der Probftei den 7. Mai 1002 an, fo erhalten wir, wenn wir nad Thietmars Angabe VI, 30, 7 Jahre 3 Wochen und 3 Tage Hinzuzählen, genau den 31. Mai 1009 als den Tag der

Niederlegung. * VI, 31. s VI, 32, s Für diefen Ort haben wir in Thietmars Chronik feine Belegſtelle.

Wilmanns führt am a.a.D. nad Höfers Zeitfchrift fir Archivfunde I, 160 eine Urkunde zum Beweiſe au, nad) der Heinrich II. am 28. Juli 1010 der Kirche Thietmars einige Hörige gejchenft hat (Stumpf Neg. Nr. 1538).

Bol. VI, 38, 8 Bal. VI, 39,

®° VI, 40, 10 VI, 41.

11 Bei der Beſtimmung dieſer Data, die zum Theil in dev Ausgabe der

1012, 24. Juli, Zribenz !,

1012, Ende Juli, Belegori !.

1012, 7. Auguft, Merjeburg ?.

1012, 8. Auguft, Merfeburg ?.

1012, 8. Auguft, Giebichenftein ®,

1012, 10. Auguft, Merfeburg ?,

1012, 12. Auguft, Giebichenftein ®.

1012, 12. Auguft, Koniri®,

1012, 13—14. Auguft, Magdeburg . W.1012, 22. Auguft, Magdeburg’. W.1012, 21. September, Seehaufen ®.

1012, 22, September, Magdeburg ®.

1012, Ende September Ende October, Merfeburg ®. W.1012, 13. November, Wolmirftedt ”,

1012, 14.—15. November, Walbek?. W.1012, 25. December, Bölde®,

1013, Januar, Merjeburg?,

1013, 25. Mai, Merjeburg !°,

1013, 21. September, Merjeburg U.

W(?)1013, 22. September, Balgftädt '?,

Chronik Thietmars in den Mon. Germ. a. a. O. am Rande gegeben find, muf; man von der Angabe Thietmars VI, 41 ausgehen, daß Tagino der Erzbiichof von Magdeburg am Montage (feria secunda), d. h. am 9. Juni, geftorben ſei, drei Tage nad) jeinem ZTodestage ift fein Begräbniß, aljo am 12. Juni. Sonn- abend darauf ift Thietmar in Grona, ebenjo Sonntag den 15. am Feſte des Heil. Vitus. Sonnabend und Sonntag den 21. und 22, ift Thietmar bei Ge- legenheit der Inthronifation und Salbung Walthards in Magdeburg, den 23. Juni une diefe Stadt, am 24, ift er in Klofterbergen.

ı ‚45.

2 Thietmar fam am 7. Auguft erft nad) Merjeburg, nicht wie Wilmanns a. a. D. meint, jhon am 3. Auguſt. Vgl. VI, 45. Wilmanns mag zu biefer Angabe durch die Notiz Lappenbergs a. a.O. ©. 726 verleitet worden fein, der aber nur jagt 3. Aug. Merseburgum rediit, mas aud) nicht ficher nachge— wiejen werden kann.

s VI, 45. 4 Bol. VI, 46, s VJ, 4.

°s VI, 49—5]. yLB5l.

8 VI, 53. Nicht aus VI, 51 läßt fi dies, wie Wilmanns auf Grund von Lappenbergs Notizen angiebt, ſchließen. Lappenberg giebt auch feine Be- Iegftelle au. Die Gegenwart Thietmars in Pölde können wir nur aus den Worten c. 53 fließen: Walkerus .... nobis inde euntibus ibidem

reliquitur.

® Bol. VI, 54. 10 VI, 55. 12 VI, 56.

12 Bol, VI, 56, wo e8 heißt: Rex... iterum ad nos repedavit; et inde 11. Kalendas Octobris discedens ..... . Da der König aljo am 21.

September von Merfeburg aufbrad), am 22, aber nad) Höfer, Zeitichrift für Arhivfunde a. a. O. J, S. 163, der Merjeburger Kirche in Balgerstedi ein Erb» lehn ausſetzte (Stumpf Nr. 1586), jo ift wohl anzunehmen, daß Thietmar ihn dahin begleitete, doch ift das nicht, wie Wilmanns a.a.D. S. 151 meint, fidher,

354

1014, November, Helpithi! (Helpte).

1014, November, Walbet !,

1015, März, Magdeburg?.

1015, 6. April, Merfeburg ?.

1015, 10, April (Oftern), Magdeburg?. W.1015, 18. Mai, Merjeburg *.

1015, 24. Juni, Klofterbergen .

1015, 8. Juli, Sclancisvordi®, _ W.1015, September, Merjeburg ”.

1015, 8.—22. October, Meißen ®.

1015, 25. Dectober, Mucdjerini®,

1015, 25. October, Eurbizi®, W.1015, 1. November, Walbet?,

1016, 18. März, Merjeburg !°, W.1017, 22. Sebruar, Magdeburg U.

1017, 31. März, Meißen 12,

1017, 8.- 11. Juli, Leizkau '8,

1VII, 4. 2 VII, 25.

3 Bol. VII, 25. Der Bericht an diefer Stelle widerſpricht nicht dem in VII, 6 Erzählten, wonad) e8 fcheinen könnte, Thietmar habe Oftern in Merje- burg gefeiert, doch ift an letsterer Stelle der Ort gar nicht genannt. Daß an der hier eitirten Stelle VII, 25 nur vom Jahre 1015 die Rede fein fann, nicht, wie Lappenberg meint, von 1016, wird jpäter bewiefen werden.

* VII, 8 und Chron. episc., M. G. SS. X, ©. 176 und 177.

s VII, 25. "WILL; VL, 15 Auf,

8 VII, 15. ®° VU, 16.

Vgl. VII, 19. Aus diefem Jahre fünnen wir über Thietmar nichts mehr berichten. Lappenberg jedody in der Einleitung zu Thietmars Chronif, 0.0.0. ©. 726, behauptet, daß Thietmar 1016 von Oftern bis Johannis in Magdeburg gewejen jei, auf Grund von VII, 25. Indeß der Bericht des c. 25 muß nothwendig in das Jahr 1015 geſetzt werden. VII, 23 will Thiet- mar ſich mehrerer Vergehn aus früherer Lebenszeit anklagen. Da erzählt er dann c. 25 fein Benehmen gegen Probft Reding in Magdeburg und theilt bei diefer Gelegenheit mit, daß er ſowohl Oſtern als aud) Johannis im defjen Todesjahr mit ihm zufammengeweien if. Daß nun aber Probft Reding 1015 am 5. Auguft jchon geftorben iſt, kann ficher nachgewiejen werden. Thietmar meldet nämlid einmal, daß Probft Reding am 5. Auguft geftorben fei unter dem vom Jahre 1015 erzählten Faktis; vgl. VII, 13. Dann aber berichtet er VII, 44, daß Reding Johannis 1012 zum Probft erhoben worden fei, und VII, 25 fügt er hinzu, daß er 3 Jahre und 6 Wochen diejes Amt verjehen hat. Aus diejen beiden Angaben geht mit Sicherheit hervor, daß Reding am 5. Auguft 1015 geftorben iſt. Demnach ift das in VII, 25 Berichtete 1015, nicht 1016 geichehen, uud Lappenberg bat ſich Hier in der allerdings oft ver— worrenen Chronologie Thietmars geirrt.

ı VII, 37 ı3 VII, 89

is MWilmanns hat feinen Ort angegeben, Auf Grund einer Urkunde vom 10. Juli 1017 fteht aber feft, daß Thietmar Zeuge einer Schenkung des Kaifers an das Bisthum Paderborn gewejen fei. Bol. Wilmanns a. a. O. Da nuu Kaifer Heinrich II. am 10. und 11. Juli in Leizfau war (Stumpf Nr. 1687. 88), auch Thietmar VII, 42 den Zug des Kaifers nad) Yeizfau vom 8. Juli

355

W.1017, 1. October, Derjeburg !, W.1017, 3. November, Allftedt !, 1018, 17. Februar, Magdeburg ?, 1018, 17. März, Salbozi ?, 1018, 2. Mai, Rohren ®, 1018, 2. Mai, Rodlit t, 1018, 3. Mai—9. Mai, Kohren 5, 1018, 1. December, Todestag ®,

an genau bejchreibt, jo folgt daraus, dag auch Thietmar in diefer Zeit dort ge- wejen if. Die Notiz von Wilmanns, daß Thietmar im November 1017 wie- derum im Leizlau gewejen fein foll, für die er Vita Meinwerei c. 42 citiert, ift ganz unſicher. Die Vita Meinwereci giebt gar fein beftimmtes Datum, wahrjcheinlich meint fie die Fürftenverfammlung zu Leizkau im Juli.

ı Bol. VII, 48. 2 VII, 6.

3 VII, 7. « VII, 10.

5 VBgl. VII, 10. Er verweilte aljo die längfte Zeit in Kohren, nicht in Rochlitz, wie dies Wilmanns a. a. O. S. 151 behauptet. Thietmar jagt VIIL, 10: rectoque itinere ad Rochelinzi tendens paucos illie confirmavi ... Tune redii ad curtem supra memoratum .... alfo nad) Rohren (Chorun), wovon er foeben geiprodhen hatte. Rochlitz ift auch nicht Thietmars curtis, fondern gehörte dem Markgrafen Effehard von Meißen.

© Meber das Todesjahr ift man nod) nicht ganz im Heinen. Wilmanns 0.0.0. ©. 151 und 152, Dtte in den Neuen Mlittheilungen, Bd. V, Heft 2, ©. 141, Ufinger, Forihungen IX, S. 359, und auf Grund diejer Wattenbach, Ge- ihichtsquellen, 3. Aufl., ©. 262, geben 1019 als das Todesjahr an, Lappenberg und Adolf Cohn, Forſchungen VIII, ©. 161 f., 1018. Meiner Anficht nad) fann nur 1018 die richtige Angabe fein. Wenn wir die Quellenangaben für diejen Punkt heranziehen, jo haben wir als gleichzeitige Quelle hiefür die Quedlinburger Annalen, welche 1018 angeben (vgl. M. G. SS. III, ©. 84). Die fecundären Quellen Annalista Saxo und die Annales Magdeburgenses geben 1019, hiemit ftimmt ſcheinbar aud) das Chronicon episc. Mers., M. G. SS. X, S. 177, überein, welches jagt, Thietmar habe als Biſchof annis 10, mensibus 7, diebus totidem regiert. Dttes Beweisführung für 1019 ift uun die, daß er zum 24. April 1009, dem Tage, an dem Thietmar nachweislich, zum Biſchof ordiniert wurde, diefe Zeit Hinzuzählt und fo den erften December 1019 her— ausfindet. Wilmanns a. a. O. Hat ſich diefer Argumentation angejchloffen. A. Eohn dagegen hält ſich an die Angabe der gleichzeitigen Quedlinburger An— nalen, was mir das einzig Richtige zu fein fcheint, und weift a. a.O. ©. 161 nad, daß alle Ereigniffe, die vom Duedlinburger Anmnaliften unter das Jahr 1018 gefetzt find, wirflic dahin gehören. Das Zeugniß dev Merjeburger Bi— Ihofschronit will A. Cohn dadurch entfräften, daß er durch den Nachweis, Thietmar fei nicht, wie fie behauptet, 42 Jahr alt geftorben, die Sicherheit ih- rer Angaben überhaupt zu erſchüttern jucht. Einen andern Beweis für das Jahr 1018 findet Eohn in der Thatſache, daß Thietmars Chronik nicht über das Jahr 1018 in ihren Berichten hinausgeht. Beide Beweife Cohns bedürfen jedoch noch der Ausführung. Denn was die Lebensdauer Thietmars angeht, fo fönnen wir nur aus einer abweichenden Angabe über diejelbe, da uns fein Ge- burtsjahr nicht ficher befannt ift, wie oben S. 349 Anm. 1 fj. nachgewiefen ift, nicht die Unglaubwürdigfeit der Merſeburger Biſchofschronik nachweiſen. Daß aber diefe fich im der Angabe, Thietmar Habe annis 10, mensibus 7, diebus totidem auf dem Biſchofsſtuhle gejeffen, geirrt habe, fcheint mir unzweifelhaft daraus hervorzugehen, daß gerade dieje Duelle jelbft in der Vita des dem Thiet« mar folgenden Biſchofs Bruno 1018 als das Todesjahr Thietmars angiebt

356 2. Meber die Familie Thietmars,

Thietmar ift aus edlem Gefchlechte entjproffen!. Seine beiden Urgroßväter waren Grafen, der eine aus dem Gejchlechte Walbek, der andere von mütterlicher Seite aus dem Geſchlechte Stade. Beide Urgroßväter fümpften im Heere Heinric) des Erften gegen die Slaven und fielen 929 in der Schlacht bei Lenzen?. Auch die beiden Groß- väter väterlicher und miütterlicher Seit8 waren bedeutende Perfonen im Neihe. Sein Großvater väterlicher Seits, Liuthar Graf von Walbek, Hatte im Fahre 941° an einem Complott gegen König Otto I. Theil genommen, wurde aber, nachdem er ein Jahr verbannt gewejen war, fchon begnadigt und erhielt nicht nur feine vom Könige einge= zogenen Güter zurüd, fondern noch andere dazu‘. Zur Sühne ſei— nes DVergehens erbaute Graf Liuthar von Walbef an einem Orte Wallibizi ein Klofter?. Sein Großvater mütterlicher Seits war Graf Heinrich von Stade, der unter König Dtto II. im Jahre 975 und 976 auf dem Feldzuge gegen die Dänen eine höchſt bedeutende Stellung als dejfen Nathgeber einnahm® Thietmars Water, der Sohn Liuthars von Walbef, war Graf Siegfried, der fid mit der Tochter des Grafen Heinrich von Stade Kunigunde vermählte. Aus diefer Ehe war Thietmar der zweite Sohn, der ältefte war Graf Heinrich, der dritte Friedrid) Burggraf von Magdeburg, der folgende

(vgl. Chron. episc. Mers. ed. Wilmanns, M. G. SS. X, 178), welche Jah: reszahl nur von einer jüngern Hand in 1021 verändert worden ift (vgl.a.a.D. Anm. des Tertes c). Auch der zweite Beweis Cohns ift zu erweitern. Thiet— mar berichtet in c. 17 des achten Buches, daß Kaifer Heinrich II. von feinem Zuge nad) Burgund zurücdgefehrt fe. Da nun nad) den Regeften Heinrichs IL. (Stumpf Nr. 1712) feftfteht, daß der Kaifer am 2, September 1018 in Züri) (Thurego) war, jo geht daraus hervor, daß Thietmars letzte Berichte im Oe— tober 1018 niedergeichrieben find. Denn hätte Thietmar noch das Jahr 1019 erlebt, fo hätte er, ein fo fleißiger Sammler, gewiß nod) Manches hinzugefett, da er VIII, 6 e8 ganz offen ausfpridt, daß er nur auf Neuigkeiten für feine Chronif warte (Interim dum fama velox aliquid- novi ad describen- dum deferst mihi, hominum vitam piorum ... explanare nunc ardeo).

1 Bol. die Stammtafel in den Mon. Germ. SS. III, ©. 723.

2 Bol. Thietm. I, 6: Ex nostris duo abavi mei, uno nomine, quod Liutheri sonat, signati, milites optimi et genere clarissimi, decus et solamen patriae, Nonas Septembris cum multis aliis oppeciere. Daß Thietmar von feinen Ahnen nicht zu viel rühmt, zeigt der Bericht der Quedlinburger Annalen, der unter a. 930 bei der Erwähnung diefer Schladht die Liutheri namentlich hervorhebt, und ebenfo die Notiz bei Widufind I, c. 36: Ceciderunt etiam ex nostris in illo proelio duo Liutharii et alii no- biles viri nonnulli.

Thietm, II, 14. Ueber die Zeitbeftimmung dieſes Complottes Annal. Quedlinb. a. 941.

* Thietm. II, 14.

° Thietm. VI, 30: Unde monasterium qui dieitur Rivus silvati- cus in honore sanctae Dei genitrreis construxit, d.h. in Wallibizi (oder Walbek in der Grafſchaft Mansfeld).

° Thietm. III, 4,

897

Biihof von Verden, und der jüngfte, dem Thietmar jein Chronikon dediciert hat, Siegfried zuerjt Abt von Klofterbergen, dann Biſchof von Miinfter. Die Familie Thietmars war fehr reich, das geht einmal aus den in feiner Chronik erwähnten ihm gehörigen Beſitzun— gen Netmerslevo ?, Egisvilla?, Haslinga* u. ſ. w. hervor, dann aber auch aus einem Geſchenke, welches er und feine drei Brüder Siegfried, Abt des Kloſters Bergen, Heinrich der Markgraf und der Burggraf Vriedrih dem SKlofter zu Bergen machen. Siegfried fchenft ein Kreuz verziert mit Gold und Edelgeſtein, einen goldenen Altar und eine Menge werthooller Kirchenutenfilien, außerdem eine Bibliothef. Hierzu fügen Thietmar, Heinrich und Friedrich drei Hufen Landes >, Einen weitern Beleg hiefür bietet die Unterhandlung Heinrichs II. mit Thietmar in Bezug der Merfeburger Bifchofsftelle, bei welcher der Raijer verlangt, daß Thietmar das ihm zur verleihende Bisthum Merjeburg mit einem Theile feines Vermögens unterftüßen folle ®.

3. Ueber die Abfafjungszeit der Chronik Thietmars.

Einen Bericht über die Abfaffungszeit der Chronif Thietmars haben wir in folgender Notiz der Merſeburger Biſchofschronik: Anno vero decimo ordinationis suae, nativitatis vero 41”°, divertit ab oneribus seculi hujus dorsum ejus faciemque mentis in tranquillitatem quietudinis instituens ac animo tribulos solli- eitudinis evellens, fructus permanentes novae plantationis ger- minavit. Scripsit enim cronicam per quinque regum tem- pora digestam, incipiensque ab Heinrico humili, qui primus hoe imperii nomine et hujus narrationis ordine ab Ottone magno, secundo et tertio, vieissim sibi succedentibus, ad Hein- ricum pium, nostrae eccelesiae reparatorem ac exaltationis au- torem, progreditur'., Doc) diefe Notiz, die alſo angiebt, daß Thiet- mar erjt ein Jahr vor feinem Tode die ganze Chronif abgefaßt ha- ben foll, kann aus dem natürlichen Grunde nicht richtig fein, daf Thietmar in diefer kurzen Zeit eine jo umfaſſende Arbeit neben ſei—

1 Die Brüder finden wir aud einzeln in Thietmars Chronif erwähnt, Heinrich und Friedrid; IV, 26, Bruno IV, 47 (vgl. Ann. Hild. M. G. SS. III, a. 1034), und Siegfried gleich in der Widmung. Alle Söhne des Grafen Siegfried von Walbef werden mit Ausnahme Brunos als Wohlthäter des Klofter8 Bergen in einer Handſchrift Nr. 32 der Hamburger Stadtbibliothek erwähnt (vgl. Archiv Bd. IX, ©. 439). Außerdem hatte Thietmar noch einen Bruder Willegis (vgl. VI, 31), den er fratrem meum ex patre nemut, der alſo wohl ein umehelicher Sohn Siegfrieds war.

* 7 2 VI, 29 ⁊VIII, 8.

14. ‚29. Bgl. Archiv IX, 438 440. e VI, 27: Postera die vocatus interrogabar ab eo jussu regis, si aliqua parte hereditatis meae eclesiam vellem adjuyare meam. " 88. X, ©. 176.

XIV. 24

358

nen bedeutenden Amtsgeſchäften nicht angefangen und vollendet Haben kann. Bethmann! hat nun die Sache näher unterfucht und behaup- tet, daß Thietmar im Fahre 1012 die erften fünf Bücher und den größten Theil des fechiten, und zwar im letten Monate diefes Jahres, den Reſt des fechften im Jahre 1014, das fiebente am Ende des Yahres 1017 oder anfangs 1018, die erſten fieben Gapitel des 8. Buches im April 1018 verfaßt habe. Diefen Behauptungen Beth- manns, die auf höchſt fcharffinnigen Unterfuchungen beruhen, muß ich) doch Einiges entgegnen. Ginmal glaube ich nicht, daß Thietmar im Sahre 1012, und zwar nach dem Tode der Lindgard, der am 13. November erfolgte, die umfaffende Arbeit diejer ſechs eriten Bücher angefangen und vollendet haben fol. Am 15. November ijt Thiet- mar noch in Walbef und am 25. December fchon in Pölde?, und hätte aljo diefe Arbeit in etwa 4 Wochen gemacht. Das ift nicht gut möglich, ich glaube vielmehr, daß Thietmar die Stelle, die vom Tode der Liudgard handelt ®, und welche Bethmann, da diefer Todes» fall erit am 13. November 1012 ftattgefunden hat, zum Beweiſe für den Beginn der Arbeit Thietmars genommen, erjt fpäter einge- fügt Hat. Daß Thietmar überhaupt eingefügt, fteht feit*, aber auch) der ganze Charakter diefer Stelle, die mit den Worten: Sed quia duo vel tres ad unum sufficiunt testimonium, haec quae no- vellis nostris evenere temporibus seripsi, beginnt? und mit den Worten: Et ego repetam longius aberrata, ſchließt, fcheint dafür zu fprechen. Werner glaube ich, daß man vom Ende des jechjten Buches bis zum Anfange des achten wicht gut ein bejtimmtes Jahr für die Abfaffung jedes einzelnen Buches ſetzen fann, wie dies Beth- mann thut, jondern daß man richtiger annimmt, Thietmar habe, jo= bald er etwas Neues hörte, dum fama velox, aliquid novi ad scribendum deferat mihi’, wie er felbft VIII, 6 fagt, gejchrieben, und zwar das Ende des fechiten und den Anfang des fiebenten Bu— ches, worin die Jahre 1013 1018 behandelt werden, gleichzeitig mit den Greignifjen, ebenfo das achte Bud), dejjen erfte 7 Capitel er im Mai 1018 vollendet hatte.

4. Die mündliche Meberlieferung in Thietmard Chronik.

Thietmars von Merjeburg Chronik fcheidet ſich in Bezug auf ſchriftliche Quellenbenugung in zwei Theile. In den vier erjten Büchern verwandte er zu feiner Darftellung eine Reihe auch ung befannter Quellen der jächfischen KRaiferzeit®. Im zweiten Theile

ı M. G. SS. III, ©. 727.

* Bol. oben 353.

® Thietm. I, e. 7.

* M.G.SS. III, ©. 729.

° M. G. a. a.O. ©, 738.

° Thietmar benutzte die Annales Quedlinburgenses, die Vita Udalrici,

309

dagegen that er dies nicht, nicht einmal die ihm fehr leicht zugäng- fichen Quedlinburger Annalen find von ihm Hier bemußt worden !, Doc nicht allein aus schriftlichen, fondern aud) aus mündlichen Quellen hat Thietinar geſchöpft. Wie er dies that, werden wir aus der zweiten Hälfte feiner Chronif nicht erkennen können, da hier nicht zu unterscheiden ift, was aus Autopfie, was aus münbdlicher Quelle ge— floffen ift. Nur die Unterfuchung der erſten Hälfte wird in diefer Richtung zu einem Ergebnig führen. Daß Thietmar mündliche Quellen für feine Darjtellung benuten wollte, geht aus I, 2 hervor 2. In der That fetten ihm eine reiche Yamilientradition ®, fein Aufent- halt in den Klöftern zu Magdeburg und feine vielen Reifen in den Stand zuverläffige Nachrichten für feine Chronif zu erhalten. Diefe mündlichen Berichte charafterifieren ſich äußerlich auf dreifache Weife, entweder werden fie durch die Anführung eines beftimmten Gewährs- mannes oder durch ein allgemeines Gitat angekündigt, oder der In— halt der Stelle verräth aud) ohne das eine mündliche Quelle. Nach diefen drei Gefichtspunften werde ich im Folgenden die mündlichen Quellen in den vier erjten Büchern zu fondern fuchen.

Mündliche Quellen mit beftimmten Citat, d.h. ſolche Quellen» berichte, welche von Thietmar auf einen bejtimmten Gewährsmann zurückgeführt werden, finde ich im erften, zweiten und vierten Buche. Die erjte Stelle ift I, c. 7. Hier erzählt Thietmar eine Wunderge- ichichte des Biſchofs Balderich von Utrecht, die er von der Tochter feines Baterbruders, von Brigitta, der Aebtiffinn des Laurentiusklo— ſters in Magdeburg, gehört zu haben verfihert . Im zweiten Buche c. 8 erzählt Thietmar die Gefchichte einer Viſion bei Gelegenheit des Berichtes über die Beſetzung der Magdeburger Kirche durch Gifiler. Er führt für diefe Erzählung Dodico (mit anderm Namen Waltherd), den nachmaligen Biihof von Magdeburg and. Am Ende deſſelben Capitels folgt wieder eine Traumgefchichtserzählung, die ihm fein

ben Widukind u. ſ. w., aber nicht den Auotger, wie dies noch bei Wattenbadh, Geſchichtsquellen, 3. Aufl. S. 263, behauptet wird. Vgl. meine oben angeführte Differtation: Thietmarus quibus fontibus usus sit ete., ©. 21 ff.

ı Mattenbady a. a.O. S. 262 hält dies durch meine Abhandlung (S. 21 ff.) noch nicht für vollftändig erwieien. Sämmtliche annaliftiiche Stellen find aber dort bon mir verglichen worden. Während ſich nun nach einer Fritiichen Vergleichung des erften Theiles der Chronit (I— IV) die Benutung der Annales Quedl. fofort ergiebt, fommt im Thietmar V— VII feine einzige Stelle vor, die mit diefen Annalen irgendwie übereinftiimmt, ja manche Stellen bei Thietmar, 3. B. VI, 49, find bei weiten genauer, als die Angaben der Annales Quedlinbur- genses (cf. a. 1012).

? „... quia antiquorum sagaci memoria certum indagare ne- queo, nec per scripta invenio.... M. G. SS. III, ©. 734.

3 Bgl. die Stammtafel M. G. a. a.O. ©. 723.

* Hoc ego cum subsequenti die nepti meae, quae Brigida dice- batur, ... referrem, ... tale percepi responsum. M. G. a.0.0. ©. 738.

5 Post mortem quoque ejus Walterdo sibi dileeto, qui et Dodico vocabatur, ut ipse mihi pro vero narravit etc. M. G. a. a.O. ©. 762.

24*

360

geiftlicher Mitbruder Husward berichtet Hat!. IL, ec. 11 citiert er für eine Wundergefchichte den Capellan Meftwins Avico?. Im vier- ten Buche bei der Erwähnung einer Viſion führt er Meinswith (wahrjcheinlid) einen feiner geiftlihen Mitbrüder) als Bürgen an?, ce. 44 feinen geiftlichen Mitbruder Husward * und c. 45 Marquard?, beide Male bei der Erzählung eines Traumgefichts.

Sehr oft hat Thietmar das von ihn Berichtete nicht von einem Gewährsmann, fondern von vielen, dann citiert er, allgemein, entwe= der furz mit ‘audivi’ 'oder ‘a veracibus testibus accepi’, oder er führt die Bewohner einer Gegend ald Zeugen auf. So erzählt er gleich im Anfange feiner Chronif (I, c. 2), er habe ſich über die Herricher Merfeburgs von Chriſtus bis auf feine Zeit bei den hoch— betagtejten Yeuten erfundigt, aber nichts erfahren können.

Die Gejchichte der Duelle Glomuzi bei Chemnitz, deren Localität er genau kennt, ihre wunderbaren Erjcheinungen, und wohl auch die Gejchichte des Biſchoffs Arn von Würzburg (I, c.3), der dort den Märtyrertod erlitt, hörte er von den dortigen Bewohnern, wie er jelbjt jagt®. Für eine Wundergefhichte aus Magdeburg eitiert er die Ausfage zuverläffiger Zeugen und wiederholt diejes Citat noch ein= mal in der Mitte deffelben Capitel8 (I, ce. 7). Im erſten Buche c. 8 erzählt Thietmar, König Heinrid) I. jei aus Neue über eine Schuld nad) Nom zur Buße gewallfahrtet. Diefe Erzählung führt er nur mit dem Worte faudivi’ ein®. I, c. 9 kommt Thietmar bei Gelegenheit des Berichts über Canuths Bekehrung zum Chriftenthum auch auf die Schilderung der heidnifchen Opfer derjelben, die er ge- hört hatꝰ. Eine Wundergefchichte berichtet Thietmar IL, c. 10 mit

er i Confrater meus nomine Huswardus, ut mihi retulit. M. G.a.a.D. S. }

°? Et id mihi indicavit Avico, capellanus tunc ejus (Mestwini) et spiritualis frater meus postea effectus. M. G. ©. 764.

® Quae (mater Ottonis III) talia, ut mihi Meinswith post retulit, sicut ab ipsa percepit, in somnis vidit. M. G. ©. 770

* Nec lateat te lectorem cujusdam fratris mei constantia Hus- wardi, von dem Thietmar eine Bifion erzählt und dann hinzufeßt: nobis om- nibus et antecedens ac consequens intimavit. M. G. ©. 786 u. 787.

5 Nec taceam Merquardi visionem confratris nostri. Hic, utipse mihi gemens retulit.... M. G. ©. 787.

° Ut incolae pro vero asserunt oculisque approbatum est a multis, ©. 735. Daß die num folgende Gejchichte über den Tod des Biſchofs Arn auch aus derfelben Duelle geflofen ſei, jcheint mir unzweifelhaft aus der Notiz hervorzugehen, der Biſchof habe dort feinen Märtyrertod gefunden, wo heute no in der Nähe der Duelle oft brennende Lichter erblidt würden (ubi hodie sepe accensa videntur luminaria, S. 735).

Sicut a veracibus accepi testibus ... . und fpäter: ut idoneum in multis approbat testimonium, cujus magnam partem scio, majorem autem ignoro, sed veracibus testimoniis credo. M. G. ©. 738.

® Audivi, quod hic (Henricus) Romam causa orationis petens plus pedibus quam equo laboraret, et a multis interrogatus, cur sic ageret, culpam profiteretur. M. G. ©. 739.

° Sed quia ego de hostiiseorundem antiquis mira audivi, haec in- discussa preterire nolo.. M. G. ©, 739.

361

bem allgemeinen Citat: „wie ich gehört habe“ !. II, c. 16 fällt Thiet- mar ein gutes Zeugniß über die Thätigkeit des Biſchofs Gero von Köln nad) der Ausfage feiner Zeit?, IV, c. 19 erzählt Thietmar von dem Tode des Biſchofs Bernward von Achaja, durch den Gott noch jet viel Wunder thue, „wie viele verfichern“ *.

IV, c. 22— 25 erzählt Thietmar die Gefchichte des Grafen Ansfried und feiner Frau, namentlich des erjteren Wunderthätigfeit, al8 er nad) dem Tode feiner Gemahlin Biſchof von Utrecht geworden war. Am Schluffe der Erzählung citiert er für diefelbe „höchſt glaub- würdige Leute“*, und diefe fcheinen nad) einem vorhergehenden Gitat die Utrechter gewefen zu fein? Das würde dafür fprechen, daß Thietmar in Utrecht gewejen fei. Doc, fünnen wir dies nicht nach— weifen, am weiteften nad) Welten war er nachweisbar in Köln. Da nun Bruno von Köln in der Erzählung eine nicht unbedeutende Rolle al8 Erzieher des Ansfried Spielt ®, jo könnte man annehmen, daß dies in Köln ihm erzählt fei, und zwar auf Grund der Ausfage der Ut— rechter ; denn daß eine Erzählung von Augenzeugen vorlag, geht aus dem Detail hervor, das Thietmar giebt.

IV, ce. 46 berichtet Thietmar über feinen geiftlichen Mitbruder Günther, was andere ihm erzählt haben '.

Alle diefe Stellen mit beſtimmtem oder unbeſtimmtem Citat häu— gen alfo (mit Ausnahme der Stelle in I, ec. 2, wo Thietmar über die Urgefchichte Merfeburgs berichten will) mit Wundergefchichten und Zraumerfcheinungen zufammen. Bei folden Berichten war Thietmar alſo am genaueiten und fügte, wenn er nur fonnte, ftetS die Duelle Hinzu, aus der er die Erzählung entnommen. Diefe Strenge ift aber nicht nur eine Eigenthünnlichfeit Thietmars allein, fondern jenes gan— zen Zeitalters, das fich aus Wundergefchichten erſt die Profangefchichte zu erklären fuchte.

Obgleich; wir nun in feinen fonftigen Berichten über Profange-

= —— autem, quod de ejus clerico audivi nomine Poppone. M.G. a. a.

ı U hodie declaratur, nomen et offitium Deo hominibus accepte, dum vixit, tota mentis devotione portavit. M. G. ©, 751.

® Per quem quia plurima Deus faciat mirabilia, plures affirmant. M. G. ©. 776.

* Bol. Ende IV, c. 24: Post translationem corporis sacri fragancia miri odoris percepta est in via, quae ultra tria miliaria veracissimo- gr sicut ipsi testantur, nares perfudit et pectora. M.

. 778.

®° Quod dum niterentur, corpus a Trajectensibus sustollitur et levissime, sicut ipsi jurant, ultra aquam ducitur. G. ©. 778.

IV, c.22: a patruo, seilicet suo equivoco, 15 comitatuum comite strennuo domino Brunoni archiepiscopo Agrippinensi traditur ad res militares. M. G. S. 777.

Hoc vidi et de caeteris audivi, quod vir justus et bene timo- ratus fuit, mitis et castus, et sicut hii, cum quibus modo requiescit, asserunt, zu 'valere aput Deum, ut signis probatur in multis. M. @. ©,

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fchichte nirgends das Citat eines Gewährsmanns finden, fo können wir doch mit Sicherheit annehmen, daß er auch in diefen Partien hie und da mündliche Berichte benußte; nur fügte er für diefes bei aller Bedeu— tung ihm nebenfächliche Hiftorifche Material nicht die Quelle Hinzu. An einzelnen Stellen wird e8 uns aber möglich fein aus dem Cha— rafter der Erzählung auf eine mündliche Ueberlieferung zu fchließen.

Mindlihe Nachrichten ohne Citat, wohl aus Familientradition gefloffen, finden wir in der erjten Hälfte der Chronif Thietmars an manden Stellen. Zuerſt wird ein folcher Bericht wohl IL, c. 14 fein, wo die Verſchwörung de8 Großvaters Thietinars gegen Raifer Dtto I. erzählt wird. Auch II, ec. 18 u. 19 beruht auf folcher Familientradition, hier wird das Verhältnig des Großvaters Thiet- mars, des Grafen Heinrich von Stade, zu Herzog Hermann von Sachſen gejhildert. II, c. 19 wird über die Schlacht bei Cidni be= richtet, in der Thietmars Vater Siegfried mitfämpfte. III, c.4 hat ebenfalls einen folchen Charafter, Hier wird der Feldzug Kaiſer Ottos IL gegen die Slaven bejchrieben, bei dem der Großvater Thietmars zu= gegen war. III, e.7, wo der Streit der Grafen Gero und Waldo und das Gottesgericht zwijchen beiden gejhildert wird, ift aus Fa— miliennachrichten: der Vater und ein Oheim Thietmars waren zuge= gen. III, c. 10 wird ein Zraumgefiht, das Thietmars Vater ge- ſehn, erzählt. Diefer Pafjus und der darauf folgende Bericht über einen Zug gegen die Slaven, auf dem Thietmars Vater activ war, rühren von diefem her. Ebenſo hat Thiemar den Bericht über den Kampf Mieskos von Polen gegen Boleslav von Böhmen im Jahre 990 aus gleicher Quelle, denn fein Vater jtand damals auf Seiten Mieskos!. IV, ec. 11 wird ein Traumgeſicht mitgetheilt, das fein Vater gehabt. IV, ec. 16 berichtet Thietmar über die Gefangennahme feiner Oheime Heinrid), Udo und Siegfried von Stade. Auch dieje Nachrichten ftammen aus Yamilientradition. Ueber den Kampf des Biihof Gifiler bei Harnaburg (Arneburg) gegen die Slaven erhielt er Nachricht von feinem Oheime, dem Mearfgrafen Liuthar, der den Biſchof von feinem Poſten ablöfte ?.

Es ift das Verdienſt von W. Giejebrecht zuerjt darauf aufmerf- fan gemacht zu haben, daß die Chronif Thietmars Spuren ausge- bildeter Sagen in ſich trägt. Er hat dies für eine Stelle des drit- ten Buches nachgewiefen, für den Bericht Thietmars über die Schlacht in Galabrien (982)? Es ilt anzunehmen, daß Thietmar noch an anderen Stellen jagenhafte Partien Hat, und glaube ich einige zu der Gieſebrechts Hinzufügen zu können.

Die Sage zeigt fih uns ihrem Urfprunge nad immer münd— (ih, fie motiviert jofort da8 Ereigniß, während die Annaliftif nur

1 Bol. den ausführlichen Bericht über diefen Kampf im 9. Kapitel des vierten Buches.

2 Bol. IV, c. 25.

3 Bol. Thietmar III, c. 12. Miüllenhoff und Scherer, Denkmäler, 2. Ausg. S. 337.

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kurz dafjelbe notiert. Später erweitert fi der ganze Stoff und wird bis in die Eleinften Details ausgemalt!. Solche Sagen bildeten fich jedod) nicht nur im Volke allgemein aus, ſondern auch in einzelnen Kreifen, jo namentlich, wie ich glaube, in den Grenzen eines Bis— thums, in der Umgebung des Königs oder eines Biſchofs. Der- artige jagenhafte Partien, die weniger Gemeingut des ganzen Vol— fe8 als beſtimmter Kreife waren, finden ſich auch bei Thietmar. Sie werden aber nicht auf die Unzuverläfjigfeit des Schriftfteller8 deuten, fondern gerade auf eine große Genauigkeit aud) im Sammeln folcher Nachrichten, und vorjchnell iſt e8, aus diefen Gründen bei einem fo gewilfenhaften Schriftiteller wie Thietmar anzunehmen, daß er hie und da fabelte, wie dies Dönniges auf Grund einer ihm unerflärli- chen Stelle der Chronif Thietmars behauptet ?.

Die erite jagenhafte Stelle bei Thietmar fcheint mir I, c. 3 zu fein. Hier wird die Geſchichte des Apoftels Kilian erzählt, der von den Schotten fommend bei Würzburg das Cvangelium predigte ®, dort aber durch die Gemahlin des Herzogs Gozbert mit feinen Ge— fährten Kolomann und Zotmann den Märtyrertod fand. Eigenthüm— (ic) wird diefer Bericht dadurch, daß Hinzugefügt wird, der Küchen— meijter (magister coquorum) habe dies vorausgefehen und feine Zög- linge durd) folgende Worte ermahnt: Nolite tardare, sed quae vobis sunt credita diligenter et sine mora operamini. Dominus enim noster Kilianusinclita ex se nunc agit signa absque omni mora. Der magister coquorum ijt aber in jener Zeit eine denk— würdige Perfönlichfeit, er ftand in großem Anfehn beim Volke ımd hatte etwas Heiliges an fih*. ine ähnliche Rolle fpielt er auch in der Efbafis®. I, c. 13 wird erzählt, daß Karl von Lothringen Heinrih) I. um Hilfe gegen einige Empörer gebeten habe. Während Midufind I, ec. 30 bejtimmt fagt, Heinrich habe dies nicht gethan, fagt Thietmar mit emphatifchen Worten: Nec mora inclitus miles

ı Bol. Döllinger, Bapftfabeln ©. 34 ff., und in den Nachrichten der König. Gefellichaft der Wiffenfchaften zw Göttingen 1863 die Abhandlung über die Vita Ezonis von Wait, S. 10, wo der Berfafjer mit Recht behaup- tet, daß folche größere aufgezeichnete Sagen aus Liedern gefloffen feien, die der Schreiber aus dem Munde des Volkes entnahm Das bemeift auch eine Stelle bei Thietmar V, 1. Hier heißt e8 über Heinrih IL: De quo (Henrico II.) post mortem imperatoris cuidam venerando patri revelacione divina sic dietum est: Recordaris frater, qualiter cecinit populus: ‘Deo nolente voluit dux Heinricus regnare’, nunc autem debet Heinricus divina predestinatione regni curam providere. Treffend überfetst Laurent (Gefchichtjchreiber der deutſch. Vorzeit XI. Jahrh. I, S. 140) diefe Stelle: Erinnerft du dich, Bruder, daß einft das Volk fang: ,

Herzog Heinrich wollt’ regieren, Unfer Herrgott wollt! e8 nicht?

2 Bol. Dönniges, Jahrbücher des deutfchen Reichs unter Otto J. ©. 30 ff.

= Bol. Wattenbach a. a.O. ©. 97.

* Bol. 3. Grimm und A. Schmeller, Lateinifche Gedichte des 10. und 11. Sahrhunderts ©. 386.

5 Bol. ebendafelbft ©. 251 u. 252,

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invietrieibus se armis eircumeingens, proximum laborantem visitat etin erepeione ejusac restitucione dignus operator mer- cedem suam promeruit et honorem pristinum sibi suisque successoribus in tantum adauxit, eine Schilderung, die von der fonft einfachen Erzählung Thietmars auffällig abweicht. An Ddiejen beiden Stellen vermuthe ich) eine fagenhafte Ueberlieferung. Unzwei— felhaft jcheint mir aber eine folche vorgelegen zu haben in I, ce. 14. Hier erzäglt Thietmar eine Klatihgeihichte von König Heinrich und feiner Gemahlin Mathilde. Am grünen Donnerstage habe nämlich der König einmal feiner Frau beigewohnt; da habe Satanas bewirft, daß der fo gezeugte Sohn, der nachmalige Otto I., die Folgen diejer Berfündigung gegen die Heiligkeit der Charwoche habe tragen müſſen, denn unter ihm fei nie ein ficherer Friede im Reiche geweſen. Dieſe Erzählung ijt bis in die Kleinften Details von Thietmar ausgemalt, ohne Angabe einer Quelle; hätte er fie von einer beſtimmten Perfon erfahren, jo hätte er, wie er ja jonjt eine große Kigorofität bei Wundererzählungen beobachtet, namentlich da fie dem föniglichen Ge— ichlechte einen Vorwurf macht, jedenfalls den Gewährsmann citiert. Sie jcheint aber dem Thietmar jo feitzuftehen, daß er das Citat un terläßt und mur durch eine andere Ähnliche Begebenheit zu erflären ſucht. Die ganze Sage iſt aber jedenfalls erft unter Otto I. ent- ftanden, als man jich die fortwährenden Kriege unter diefem Könige erklären wollte md nad) damaliger Anfchauung als Strafe Gottes auffaßte.

Ebenso finde ich in II, c. 15 entſchieden die Spur fagenhafter Ueberlieferung. Hier wird erzählt, auch Erzbiſchof Bruno habe ſich einmal eine Untreue gegen feinen föniglichen Bruder Otto I. zu Schulden fommen lajjen. Bruno habe nämlich als dux Lotha- ringiae, wozu er von Otto I. im Jahre 953 ernannt wurde, dem Könige von Francien die lothringifche Königsfrone verſprochen, ihn and am Djtermorgen zu Köln Erönen wollen, doch da habe fich fein Herz gewendet, und befonders durch die Rede feines Geheimfchreibers Folkmar fei er von feinem böjen Wege zurücgefehrt. Dönniges ? verwirft diefe ganze Geſchichte als fabelhaft. Doch fünnen wir mit Beitimmtheit jagen, Thietmar bringt nie Fabeln, er hat diefe Erzäh- fung dem Munde bejtimmter greife entnommen, die ein unbe— deutendes Faktum, über das vielleicht mit Abficht Nuotger in feiner Vita Brunonis nicht8 bringt, weitergejponnen und ausgemalt haben ®.

! ®Bgl. Ruotgeri vita Brunonis c. 20. Flodoardi Annales a. 953 und Cont. Reginonis a. 953.

2 Dönniges, Jahrbücher des deutjchen Reichs unter Dtto J. a. a. O.

3 Daß Bruno bei manden Geiftlichen jener Zeit in nicht beſonders gutem Rufe ftand, fcheint mir aus Thietmar Il, c. 10 hervorzugehen. Hier wird ein Traumbild des Faiferlichen Kapelans Poppo erzählte Diejer habe einmal im Zraume fi) in den Himmel verfetst gefehen. Hier ſei Bruno von Köln wegen nichtiger und eitler Anwendung der Philoſophie verklagt, aber von St. Paulus mit Erfolg vertheidigt worden. Siehe SS. III, ©. 748. Bekanntlich ftellte

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Dieje Stellen beweifen, daß Thietmar an mehr als einer Stelle Sagen in feine Chronif aufnahm.

Nicht überall wird man in Thietmars Chronifon genau nad)= weijen fönnen, ob mündliche oder schriftliche Quellen zu Grunde liegen, doch wird man von einigen Berichten mit ziemlicher Beftimmt- heit den Ort nennen können, von dem fie herrühren. Solde Be- richte Stelle ich im Folgenden zujfanımen. I, ec. 4 erzählt Thietmar die erfte Ehe König Heinrichs I. mit der Hatheburch der Tochter Erwins aus Magdeburg. Dieſe Erzählung hat Thietmar ganz allein, ſelbſt bei Widukind wird nur des aus dieſer Ehe entſproſſenen Soh⸗ nes gedacht!. Der Ort, an dem die Werbung ſtattfindet, iſt Mer— jeburg. Auch nad) der Heirath halten ih Heinrich und Hatheburd) hier auf. Der Vater der Hatheburd) ift ein Mann, dem ein großer Theil Merfeburgs gehört *. Alle diefe Angaben fcheinen ficher Mer— jeburg als den Ort der Quelle zu bezeichnen. I, ce. 8 berichtet Thiet- mar, wie Heinrich I. auf der Flucht vor den Ungarn in die Stadt Büchen fi rettete und fo dem Tode entrann. Da Püchen fpäter zur Diöcefe Thietmars gehörte, auch ganz nahe Merfeburg lag, fo kaun man mit Sicherheit annehmen, daß Thietmar von dort diefe Nachricht erhielt?. Das fcheint auch der Zufag, den Thietinar macht, zu bejtätigen, daß nemlich die Einwohner von Püchen ſich noch jetzt der Rechte erfreuen, die Heinrich I. ihnen damals ſchenkte“. I,c. 12 erzählt Thietmar die Gejchichte des Biichofs Sigmund von Halber- jtadt. Aus der Hinzugefügten Beichreibung feines Grabmals geht hervor, daß Thietmar es ſelbſt gejehen, und man darfwohl annehmen, daß er ſich an Ort und Stelle über das Leben des Biſchofs erfun- digted®. Einiges mag ihm auch Biſchof Hilliward von Halberftabt mitgetheilt haben, der Thietmar getauft und confirmirt hat®. Andere Nachrichten, die Thietmar von feinen geitlihen Mitbrüdern zu Mag- deburg und Merjeburg erhielt, zeigen fi II, c. 5, wo Thietmar ge— nan die Gründung der Abtei Magdeburg erzähft, ebenfo II, ce. 11,

Bruno das Studium ber fieben freien Künfte wieder ber. Vita Brunonis von Auotger c. 5: oblitteratus diu septem artes retexit. Ueber jeine philofophierende Zhätigfeit c. 6: Saepe inter Graecorum et Latinorum doctissimos de philosophiae sublimitate aut de cujuslibet in illa flo- rentis diciplinae subtilitate disputantes doctus interpres medius ipse consedit.

ı Bol. Widukind I, ce. 21.

Xhietmar jagt I, c. 4: Haec erat filia Ervini senioris, qui in urbe predicta (Merfeburg), quam antiquam civitatem (Altftabt) nomina- mus, maximam tenuit partem. M. G. ©, 735.

° 'Thietm. VII, 16.

* Urbanos majori gloria, quam hactenus haberent vel compro- vinciales hodie teneant, et ad haec muneribus dignis honorat. M. G.

. 789.

° Positum est autem corpus prefati presulis in dextera parte altaris protomartiris in gradu prejacenti, ut ipse antea premonstravit, non jacendo, sed supra cathedram sedendo. M. G. ©, 741.

6 'Thietm. IV, 12.

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wo die Uebertragung der Gebeine des heil. Mauritius nad) Magde- burg gejchildert wird. Aus Merſeburg jcheint ferner II, c. 12 her- zurühren, wo die Geſchichte des Biſchofs Boſo von Merfeburg, eines Borgängers Thietmars, erzählt wird. Die Beichreibung, wie Erz= biſchof Ethelbert bei Merfeburg erkrankte und ftarb, ift jedenfalls aus Merſeburg. Thietmar weiß ganz genau anzugeben, wo Ethelbert in der Nähe der Stadt ftarb und bei wen er fi) zuvor aufgehalten at!,

2 Berichte, die er auf feinen Reifen erhielt, verrathen auch einige Stellen in den vier erften Büchern. I, c. 19 wird die Zerftörung von Lebus unter Heinrich I. erzählt. Dies hat Thietinar wahrſchein— li) an Ort und Stelle erfahren, da er fid) nachweislich einige Zeit in Lebus aufgehalten Hat?. Die genaue Nachricht, daß Berengar nad) Bamberg verbannt und dort auch gejtorben jei, verdankt Thiet- mar auch wohl feinem Aufenthalte dort?, ebenfo feinem Aufenthalte in Regensburg * die genauen Angaben über die Bijchöfe Günther und Michael von Negensburg (IL, c. 17), die Gefchichte Geros von Köln feinem Aufenthalte in Köln?,

Die Refultate der vorftehenden Unterfuchung in Bezug der münd- lichen Duellenbenugung Thietmars find aljo folgende:

1) Thietmar citiert bei feinen mündlichen Quellenberichten nur bei der Erzählung von Wundergejchichten und Bifionen, er führt dann entweder einen beftimmten Gewährsmann oder die Ausjage meh- rerer an.

2) Thietmar erhielt feine mündlichen Nachrichten von feinen geiftlichen Mitbrüdern, von den Bewohnern eines Ortes oder von feinen Verwandten.

3) Thietmar nahm fagenhafte Partien in feine Darftellung auf, en die überlieferten Erzählungen gewijfer Kreife, er citiert auch hier nicht.

4) Bei vielen Berichten über Profangeſchichte, die nicht mit Wundern zuſammenhängen, in denen auch keiner ſeiner Verwandten activ auftritt, können wir zwar nicht ſagen, ob ſie aus ſchriftlicher oder mündlicher Quelle gefloſſen ſind, doch annähernd den Ort, wo— her der Bericht gekommen iſt, nach ſeinem Itinerar beſtimmen.

! Thietm. III, 8: proximamque noctem cum Hemusone venerabili

laico laetus duxit. ° Thietm. VI, 39. ® VI, 40. VI, 27. 5 VI, 30.

Kleinere Mittheilungen.

Bericht des Herzogs Chriſtian von Braunfchwei über 8 Rückzug nad) Stadtlohn. ö

Bon 3. O. Opel.

In meinem Buche „Der niederfächfiich- dänische Krieg“ Bd. I, S. 540, habe ic) bereit8 auf einen Bericht Chrijtians von Braun ihweig an Mori von Oranien über feinen Rüdzug nad) Stadtlohn aufmerfjam gemacht, welcher auszugsweile in Wilfons History of Great Britain 242 ff. enthalten iſt. Unmittelbar nach der Schil— derung der Schlacht Iefen wir hier nämlich folgende Stelle: The re- liques of this broken army tbat scaped, the author saw at Eltem on the hill in Cleveland, and this relation was made by the duke of Brunswick to Maurice prince of Orange for his own vindication. And from a French copy that the duke gave to theearl ofEssex, he! translated it then into English, that some of our nation there might partake of the true knowledge of his misfortunes. In deutjchen Archiven fcheint diefer Bericht des Herzogs nicht mehr vorhanden zu fein, wenigftens bin ich ihm nirgends begegnet. Dagegen habe ich wenigjtens ein Stück deifelben, und zwar in franzöfiicher Sprade, in der Gamerari- fhen Sammlung zu Münden?, deren Durchficht ich der Yiberalität des Herrn Directors Halm verdanfe, angetroffen. Er ijt natürlich ihon als ein Driginalbericht des jtürmifchen, Eriegerifchen Herzogs von Wichtigkeit. Allein er verdient auch wegen feiner Ausführlichkeit und der lebhaften Schilderung, in welcher der Herzog die Schuld des Mißlingens ausfchlieglic den Heerführern beimißt, Beachtung. Die abgefürzte Beichreibung, welche Wilfon, von dem Rückzuge gibt, wird erſt durch die bejonderen Angaben des Originalberichts recht ver- jtändlid).

Bevor wir jedoch das Bruchſtück denn als folches jtellt es ſich heraus mittheilen, wollen wir den Eingang der Beichreibung, wel- chen nur Wilfon, und zwar alfer Wahrfcheinlichkeit nad) nicht ohne Zufäte, darbietet, vorausichiden?:

1 Gemeint ift doch wol ber Berfaffer, the author. 2 Collectio Camerariana XLVII. Cod. Manh. Bl. 264—266. :s Wilſon a. a. O. S. 242,

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The commanders in chief of this army under the duke of Brunswick were duke William of Wimar, marshal- ge- neral of the field, count Stirum, general of the horse, count Isenbourg, general of the ordnance, and Kniphuisen, sergeant-major - general, men acquainted with war and danger. But whether the divine fate had laid a mouldring hand upon this gallant army, or ‚whether the enemy with a full hand had charmed some of these great officers (as by the carriage of the business may be suspected) to be of his party, was not discovered; but the ruin of it was as strange for the manner as unknown for the means. For after Brunswick had taken a resolution at Kettington! in Brunswick-land to joyn with the prince of Orange, he de- clined all occasions of encountring with Tillie, the imperial general, who was with an army at a good distance atten- ding Brunswicks motion, not knowing (as may be conjectu- red), whether he would bend his course into the palatinate or into the Low-countries, so that upon Brunswicks march he left him in his reer. And lest Tillie should follow him? too close and interrupt him in his army into three brigades: the van-guard was commanded by duke William, in which was three regiments, his own, colonel Mayers and colonel Frenkes; Kniphuisen, the serjeant-major-general had the or- dering of the batail, the collonels under him were Guertsken and Spar. And the count de la Tour brought up the with duke Bernard of Wimars regiment, the Rhinegrafs an colonel Spees, with direction that these three bodies should keep equal distance and observe this order: that having in their march the enemie at their backs, if the rear-guard made a halt, the battail should to the same, and consequently the van-guard (according to the best diseipline), attending with firm foot the cause of the halt, thatthey may be ready to put themselves in order for service, if occasion were pre- sented. The army thus coming to pass any passage, while the van-guard did advance, the battail and rear-guard should make a stand with the front towards the enemy. The van- guard being past, also should do the same for the rear-guard, that they might be ready upon the approach of an enemy to assist one another.

With this order and direction they began to march into Westfalia, Brunswick trusting to Stirem, Kniphuisen and Frenck, who being natives of the country gave him assu- rance of the save conduct of his army by wayes short and commodious. And he commanded especially the general of the horse, to sent out parties of horse every way, that he

1Es fann nur Göttingen gemeint fein. 2 Wilfon ©. 243.

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might have intelligence of the enemies motions, who gave him assurance, that the enemies army was not within thirty English miles, when by other hand at the same time he had certain notice, that the enemy was within three English mi- les with his whole power. This miscarriage made Brunswick hast away to Newburgh, the next town, where resting a little he took a resolution to march all night, to recover time and ground again, that Stirums negligence had made him lazily lose. And to that end he commanded Kniphuisen and count Isenbourg to make the baggage march at eleven o clock at night, the cannon at midnight, and the army two hours after. But Brunswick getting up at three o clock in the morning, hoping to find his commands obeyed and the army in a good forwardness of advance, found nothing done and these great officers in their beds. This disobedience of his officers troubled Brunswiek much, but he was con- strained to diligence as well as patience. And hastening them away, they pretended forwardness, but made it light of the clock in the morning, before the rear-guard stirred out of their quarters.

Bon hier haben wir dem franzöfifchen Texte des braunfchweigifchen Berichts die englifche Ueberarbeitung zur Vergleichung beigefügt. Aus ber Ueberfchrift des erjtern geht hervor, daß vornehmlich der Eingang bes franzöſiſchen Originalberichts verkürzt oder verftümmelt ift. Auch der Schluß jcheint mir nicht ganz volljtändig zu jein.

Colleetio Camerariana XLH. Cod. Mon. 397. H. Chriftianus’ von Braunjdweig Klag wider den Oberjten Kniphauſen.

Lordre donne de marcher estoit tel.

1. Apres que le bagage, canon et toute l'infanteri fu- rent hors du troisiesme passage, marchants au quatriesme, il me fut dit, que lennemy marchoit en bataille un quart de lieuö de nous, partant allay vers ma cavallerie arrestee nay- ant passe aucuns destrois, et commenday au comte Stierem,

Wilson ©. 243 ff.

1. From Newburgh to Statlov bridge (a place of security) was but fourteen English miles, and there were in that way seven passa- ges or straits, where a few men might oppose an army. The bag- gage, cannon and munition (except six pieces with munition, that marched with the rere-guard) had past them all(?) and the foot three of them without disturbance, but count Stirum with the horse witered still behind at Newburgh, which caused Brunswick to make the whole army face about and stay for the horse sending a striet com-

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general d’ycelle, d’advancer en bon ordre et n’arrester pour aucune chose, quoiqu’il survienne quelques escarmouches. Puis restournay a liinfanterie au quatriesme passage et vo- yant que ladite cavallerie n’avancoyt, luy envoyay dire quelle marchast et se joignist a l’infanterie, pour repousser l’ennemy qui se voulait jetter sur la queu@ des nostres, a cause que les passages (distans seullement l’un de l’autre d’un quart de lieue) ne furent gardez par ceux qui en avoyent eu charge. Ce qu’entendant restournay au troisisme passage, commendant a Stierom d’envoyer de ma part 500 mousquetaires, pour retirer les engagez des nostres par la faute de Knyphaus, sergent-general de Ja bataille et chef de l’arriergarde. De rechef m’en viens ici au quatriesme passage, ou attendis ma cavallerie qui estoit en desordre, et fis halte avecq toute l’in- fanterie plus de trois heures. Soudain quelg’un madvertit que lennemy estoit passe a la queu@ de ma cavallerie et qu’il s’aprochoit en haste. Croyant quelle fust engagee, ju- geay nessessaire de l’aller regevoir avecq l’arriergarde de Vinfanterie pour le quatriesme passage, faisant donc tourner face et approchant trouvay Knyphaus, a qui demanday si elle estoit engagée, le quel respondit que tout alloit bien.

Toutefois advanceant je recogneus le contraire, car l’en- nemy l’avoit ja attacque. Enfin fallut dilligenter dela joindre a linfanterie pour meilleure asseurance et la desangaiger par la faveur de deux milles mousquetaires. Or arrivay au quatriesme passage (tres commode pour nous) un certain cavallier, le demanda en sa protection sur sa vie et qu'il Vavoit bien recogneu. Knyphaus toutefois le print en la sienne par nostre accord avecq les 2000 mousquetaires.

mand to Stirum with all speed to come up and joyn with the foot and not to skirmish with the enemy at any rate. But he stayed so long that the enemy began to charge him in the rere, before he ad- vanced to the third passage, so that he sent to Brunswick for five hundred musqueteeres to amuse the enemy, till he had passed the third passage. The duke sent these musqueteers according to Sti- rums desire, and advancing his army forward, he passed the fourth passage, and there made the rere of his foot face about, the better to favour and receive his horse. Which having done, he speeds back towards Stirum, to see how the business went with him, and incoun- tring Kniphuisen, he asked him what the enemy had done? Who answered: ‘Nothing, all is well. But Brunswick going forward, found the contrary, for the enemy had made a great slaughter, laying almost a thousand horse upon the ground.

This perplexed Brunswick exceedingly, so that whith some passion he sent a command to Stirum to advance his horse towards the body of the army, who had stayed three hours for tlem at the fourth passage,. whither the duke returned to secure the same, planting two peeces of demicannon at the mouth of the passage, and leaving two thousand musqueteeres to guard it for the assistance of the horse, if

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Ainsi que cheminions, Stierom avoit la main droicte, le quel entra dans le bois et laissa l’infanterie a. descouvert sans nulle ayde, et Knyphaus, a qui javois laisse deux regiments de cavallerie, sur le passage bien muni de fosse, bois, hayes et autres les laissa.

2. Puis venant au cinquiesme trouvay led. Kniphaus en chemin et luy demanday, si son ordre estoit bien garde, qui dit tresbien, a linstant survindrent quelques cavalliers disant que les 2000 mousquetaires a luy laissez se retiroyent, quoy oyant linterrogeay de plus, si le lieu estoit conserve, respondit qu’ouy. Les cavalliers oyant cela sapprocherent et luy demanderent, comment il estoit conserve, aux quels il advoua estre delaisse, et que l’ennemy lavoit passe en haste. Lors il luy dirent, que cestoit un zele de bon service, et a moy, que j’estois desgeu quil m’eust aſsseuréeé deux fois dud. lieu) redoublant luy demanday: ‘comment est-il possible, que l’ennemy ayt desja passe’? Et l’envisageant pour scavoir le vray, dit quil ne pouvoitresister a une armee entiere. Lors me tournay vers les cavalliers, et leurs dis: ‘que ne m’avez-vous donne plustost advis’! et dis: ‘“trahison, trahison , je suis trahy’. Que voyant Knyphaus tout trouble me dit: ‘Monseigneur, jay recogneus que ce passage respond

the enemy should come to charge them at the entrance, and so he marched forward with the rest of the army. But Stirum drew the horse into a body ander the side of a wood, which was in the middle of a spacious plain betwixt the two passages, and that brought the enemy to a stand: for they suspected, the whole army stood in batte- lia behind that wood, and therefore did not advance, which shewed, they watched only for advantages.. And Stirum seeing the enemie at a stand, drew his horse towards the fourth passage, which the enemy observing made allthe haste after that could be, to pelt them in the rere, but the horse passed the fourth passage, before the enemy came up.

2. "Then Brunswick drew off his cannon and marched away to the fifth passage, leaving Kniphuisen (who undertook it voluntarly) with two thausand musqueteers, to make good that passage, which was of that advantage, that half the men might have done it, and twoo regiments of horse were left to give assistance to the foot, to bring them off, when they should retire and joyn with the army. But the van -guard to Brunswicks army had scarce entred the fifth passage, but he discovered some musqueteers running towards a wood, that was on thisside and not far from the fourth passage, and riding back to see whether all stood firm, he met Kniphuisen and askt him if the p e was made good. Who answered: “Take you no care, trust me’. But presently discovering some of the officers that had command of the musqueteers, running towards the army, he took a more lively apprehension, that the passage was lost, and meeting Kniphuisen with some head: told him, he had betrayed him. But Kniphuisen excused himself that he could not keep it against an army, and complained tbat the horse had abandoned him. ‘But, said

XIV. 25

374

au. einquiesme, et quil est en moy le deffendre contre toute force, laissez le moy doneq en ma charge avecq un regiment, et si je ne le conserve, faictes moy esquarteler. Quoy oyant jJugeays bon luy donner un regiment complet d’infanterie a son choix, demy quart d’heure apres me dit quil le pou- voit garder avec 100 mousquetaires. Lors luy dis estre grande difference dun regiment a 100 mousquetaires, neant- moings il en prit 500.

3. Comme nous eussmes passe le cincquiesme, on mad- vertit d’attendre Knyphaus, parce que plusieurs cornettes en- nemyes marchoyent de lautre cost& pour attacquer le ba- gaige de l’avantgarde (chose neantmoins inaueree (?)). Je- stois encore alors abandonne de ma cavallerie, qui faisoit halte une heure et demye dela le bois, en fin recogneus venir aud. passage le regiment de cavallerie du prince Alten- bourg, auquel feis commandement passer et se teniren main senestre pour conserver le bagaige. Puis manday au comte Stierom, qui (?) vint vers nous en bon ordre et que suivit la queue de l’infanterie, affın dempecher les pretensions de l'en- nemy. En ceste fagon je demeurois aux abois dicelle et de larriere garde. Mais voyei venir Knyphaus, a qui deman- day, silgardoit le cinequiesme passage, qui me dit fort bien. Sur ces propos japerceus approcher les soldats en nombre, qui tornoyent visage vers nous, luy demanday, si cestoit des nostres. Il me respondit estre ceux qui gardoyent le passage. Lors je luy dis: ‘il nest pas possible, car ils soui- vrent(?) et tournent vers nous’. Les quels advances passerent au cincquiesme come au quatriesme, faute destre gard& par Knyphaus, qui senfuyit sans attendre un coup de mousquet et quitta ce lieu comme les autres. Or lennemy approchant je eriay: ‘A tout, A tout’, et mis ordre que la cavallerie sadvance faisant bracquer deux pieces my-canons affın d’em-

he, the next passage is of as great importance as the last, and i will undertake to keep that upon forfeiture of my head, to redeam my eredit again’, and to that end he desired an entire regiment of foot, which the duke granted him, but assured him, he should answer it, if any ill succeeded by his default,

3. Whilest the army was passing thefifth passage, the duke sent to know, whether the horse, placed according to his direction in the rere, made good their station, and he had intimation, that the horse were retired close to a wood, and by that means discovered the foot to the enemy. And the army was no sooner passed the fifth passage, but Kniphuisen quitted it tho the enemy, without so much as a mus- quet shot forward them. And the more to weaken his force (before he quitted the passage) he comes to the duke and tells him (but it was not true), that the enemy with thirty cornets of horse struck towards the left hand, to cut away to the baggage to possess that. And Brunswick looking about perceived within a little wood not far off a body of horse, which proved to be the prince of Ouldenburgh (?),

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eischer l’assaut. Voyant ma cavallerie jointe je mesjouys Gore de petite duree), car elle se retira aussitost dans le bois et abandonna l’arriere garde.

4. Peu apres Stierom me fit dire que les mousquetaires ennemys blessoyent nostre cavallerie. Enfin restant presque seul en campaigne je fis tirer les deux my-canons, qui re- pousserent lennemy a grand haleine, et larriere garde se retirant en la bataille, nous allasmes au sixiesme passage en bonne heure. Lequel fut donne en garde a Kniphaus avecq 500 mousquetaires. Affın de donner temps a lavantgarde et armee, l’arriergarde nous devoit suivre pour nestre presse, mais elle fit halte avecq Knyphaus. Comme nous advancions oultre, je recogneus sur le chemin du septiesme passage une campaigne vaze (? vas&?), marescageuse, estimant que l’en- nemy ne pouroit nous joindre avecq sa cavallerie, doncq ren- gees en bataille, j’aperceus l’ennemy, qui estoit esparts par nos canonades. Je posay davantage descadrons en bataille, nous tenans prets pour attacquer de nuict, que je croyays nous estre favorable, puis advancer les deux ou trois lieues de reste et nous asseurer par ce moyen.

Passant nostre chemin arrive lennemy (que mon arriere garde eust aisement battu) au sortir dun champ labourable, et mesme que ma cavallerie le touchoit pres du bois, si elle ne se fust escartee de rechef encore une heure et demye de moy et fut trois heures absente de nous. Je fis doncq ad- vancer quelques escadrons et manday maintefois a Stierom, quil fit dilligence pour retirer mon arriere garde et infanterie, le quel s’excusa a cause des marras. Je luy fis dire quil suive nos pas, mais pour toute mes instances neffectua rien. Javois aussi adverti Kniphaus de se haster vers la bataille et avantgarde, pour s’assurer du bois, dou il pouvoit mettre en desroutte lennemy: ce qu'il negligea.

En apres commenday au conte d’Isenburg de dilligenter avecg six pieces de canon (?), pour mettrel’ennemy en fuitte: mais la cavallerie Knyphaus ny le comte d’Isembourg ne sui- virent l’ordre, tellement que l’ennemy voyant nostre desordre

who was colonel of a regiment of a thousand horse, whom he sent to resist the enemy, if they should attempt upon the baggage.

4. And advancing his army to the sixth passage, he passed that also before the enemy came to it; but here was Brunswicks error in trusting Kniphuisen the third time, which was only as he said to re- deem his former faults, for he gave the keeping of this sixth passage to him also, which he delivered to the enemy at their first approach, as he did the others. Anddrawing therere-guard out of the way on the right hand (contrary to Brunswicks commands) and the general of the ordnance striking out on the left hand with his body and cannon, and Stirum, sheltring himself in the woods with his horse, the enemy advanced freely (seeing them thus scattered) and charged

25*

376

et appercevant l’arrieregarde recardee!, vient au sixiesme passage, comme es autres sans difficulte, et enfl& de gloire se servit de l’occasion attacquant mon arrieregarde en un champ command& dun bois.

Moy voyant cela priay et suppliay la reste qui maccom- paignoit, d’aller en secours, et redoublay mes prieres avecq grand instances m’offrant daller le premier au combat, mais personne ne voulut advancer.

Bref appercevant le desordre de mon arrieregarde com- manday a la bataille qui marchoit en mouvais ordre, de s’advancer pour deffendre. Laquelle tourna le dos de sorte que tout le corps de l’armee sespouventa et prit la fuitte. Les cheffs premiers quitterent leurs esquadrons, quoyque l'ar- riergarde ne fut encore du tout deffaicte, et que Kniphaus senfuivant (?) vers lavantgarde lespee nue en main, moy le voyant viens a luy la larme a leuil, et luy dis: ‘sont cela les effaicts de vos promesses? Me trahissez-vous en telle facon ?” Respondant dit, quil se retiroit et avoit faicte le deu de sa charge; sesquartant demoy un demy quart dheure me fit dire, que jenvoyasse informer de luy a larrieregarde. Ainsi tout fut mis en routte par luy, qui sergent general dar- mee chef darriergarde mancqua a son devoir.

on all sides with his whole power. But little resistance being made (the general officers leaving the field) every one shifted for himself: Some escaped over Statlov-Bridge, many were drawned in the river, the slaughter and ruin was great, so was the confusion and fear,

ı rebardee (?).

War Erzbifhof Konrad von Cöln fhon 1241 päpftlider Regat ?

Von H. Cardauns.

Daß der Cölner Erzbifchof Konrad von Hoftaden 1249, 14. März von Papjt Innocenz IV, zum Legaten für Deutjchland ernannt wurde !, war eine längſt befannte Thatſache. Neuerdings hat nun Scirr- macher ? nachzumeifen verfucht, ſchon Papft Gregor IX. habe furz vor feinem Tode dem Erzbifchof Konrad die Pegation übertragen, und eine andere Autorität auf dem Gebiete der ſtaufiſchen Geſchichte Hat diefe Annahme als richtig adoptirt®. Für die deutſchen PBarteiver- hältniffe während des Kampfes Friedrichs II. mit der Curie würde dieſes Reſultat von nicht unbedeutendem SYntereffe fein. Die Füh— rung der deutſchen Fürften-Oppofition würde dann nicht Mainz, jondern Cöln zufallen.

Schirrmacher ftügt fi) auf einen undatirten Bericht*, welchen der magister H. dietus portarius Spirensis, nuneius et clericus vester, dem Erzbifhof Konrad als apoftolifchen Legaten über feine ungünftige Aufnahme bei den bayrifchen Biſchöfen erftattet. Nach Schirrmaderd kann diefer Bericht nicht 1249 gefchrieben fein, „da die Biichöfe von Negensburg und Freifing (1249) auf Seite der Curie ftanden, auch war Biſchof Sigfrid (von Regensburg), von dem die Rede ift, ſchon 1246 geftorben“.

Man könnte zum Beweiſe des Gegentheils anführen, es fei auffallend, daß der Nuntius H. den Legaten archiepiscopus nennt, ein Titel, den Konrad von Cöln erjt jeit 1244 führte‘. Auffallen- der noch würde e8 fein, daß Gregor IX. 1241, anjtatt feines eifri- gen Anhängers, des Erzbifchofs von Mainz und ehemaligen Neichs-

Baluze, Miscell. (ed. Paris. 1715) VII, 495. Albert von Poffemünfter 115 ff. Winkelmann in v. Sybels hiſt. Zeitſchr. XXVII, 161. Er ſteht im Miſſivbuch Alberts von Poſſemünſter, bei Höfler, K. Fried⸗ . ©. 405 und Bibl. des Stuttg. liter. Ber. XVI, 60. Albert v. Poſſem. 120 Note. Archiv f. d. Geſch. d. Niederrheins VII, 221.

3 x eo owm

378

verweſers Sigfrid von Eppftein, den Cölner Konrad mit der Legation betraut haben foll, der damals noch nicht einmal das Pallium er- halten hatte, daß ferner 1241 ein Nuntius des Cölners in Bayern wirfen follte, während dort noch Albert von Poifemünfter als päpft- licher Legat in voller Tätigkeit ift, daß die Cölner Annalen von der angeblichen Legation 1241 nichts wiljen, daß auch Albert von Poſſe— münfter derfelben feine Erwähnung thut, und was der allgemeinen Bedenken mehr find. Den durchſchlagenden Gegenbeweis aber liefert die Beantwortung der von Schirrmacher felbft angeregten Frage: wird in dem Bericht de8 Nuntius H. wirklich der 1246 verftorbene Regensburger Bischof Sigfrid erwähnt? Ich finde im Gegentheil einen deutlichen Hinweis auf dejjen Nachfolger Albert von Pütengau. Der Nuntius fagt nämlih, er Habe den Biſchof von Negensburg wegen feiner Widerfpänftigfeit fufpendirt, feinen Bruder aber, den Vicedominus von Regensburg !, abgefest. Regensburger Vicedominus “aber war bis 1250, in welchem Jahre er Biichof von Paſſau wurde, Berthold Graf von Sigmaringen, und diefer war Alberts von Pü— tengau Bruder?. Der frühere Vicedominus Rapoto von Ortenburg ftand meines Wiffens mit Biſchof Sigfrid nicht in verwandtichaftli- chem Verhältniß. Mithin ift der Bericht de8 Nuntius H. unter Biſchof Albert, alfo nad) 1246, gefchrieben.

Daß der Biſchof von Freifing 1249 auf Seite de8 Papftes ftand, wie Schirrmacher hervorhebt, ift richtig. Aber der Bericht des Nuntius H. fpridt auch nicht von einer Oppofition des Frei- finger8 gegen die Curie, fondern jagt nur, derjelbe habe die Man— date des Erzbifhofs Konrad verfpottet, und der Negensburger habe feine Qualität al8 Legat beftritten: asseruit vos esse ... non solum a legatione remotum, verum et ab.honore episco- pali omnino deponendum. Wahrjcheinlich war dem Erzbifchof Konrad er nennt fich zulett April 1250 apoftolifchen Legaten F die Legation entzogen worden, und er verfuchte trotzdem, diefelbe in Bayern noch geltend zu machen. Dazu ftimmt, daß fein Agent für Defterreih und Steiermark, der Propit Konrad von St. Guido zu Speyer, mit Albert von Pofjemünfter in heftigen Conflict fam. Forderte doch letzterer Juli 1250 den Abt des Wiener Schottenflo- fter8 auf, die Legation des Propftes für erlofchen zu erklären und ihn im Falle der Widerfetlichfeit gefangen nehmen zu laſſen“. Uns mittelbar dahinter findet fich im Miſſivbuch Mlberts eine Weifung deffelben an den Bfterreichifchen Theil des Paffauer Didcefanklerus, dem neugewählten Paſſauer Biſchof Berthold dem bisherigen Vi— cedominus von Negensburg nit dem 1250, 17. Febr. abgefeß-

I Schirrmadher 120 fagt irrig: „feinem Bruder und dem Regensb. Vicedominus.“

2 Schirrmacher 159.

® Bol. die unten beigefügten Regeſten. * Alberts Miſſivbuch, Bibl. des lit. Ber. XVI, 137. Bol. Schirrmacher

379

ten Rüdiger zu gehorchen!. Die Sache fcheint Kar: Erzbischof Kon— rad verfuchte, den Rüdiger im Beſitz feines Bisthums zu halten, der Paffauer erfcheint im Bericht des Nuntius H. als der einzige bayrifche Biihof, mit dem der Nuntius auf gutem Fuße fteht?, Wie wäre dies Verhältnig 1241 zu erklären, wo der Paffauer auf Seite des Raifers ftand und deshalb durch Albert von Pofjemünfter ercommus= nicirt worden war ?

Schirrmacher ? hat die angebliche Legation von 1241 mit einer Notiz des Matthäus Paris in Verbindung gebradht, nach welcher Erzbifhof Konrad 1242 auf der Rückreiſe von Nom gefangen wor= den fei. Früher Hatte Schirrmacher ohne Zweifel ridtig angenommen, dies beziehe fi auf die Gefangennahme Konrads durch den Grafen Wilhelm von Jülich, die Februar 1242, allerdings nicht auf der Rudreiſe von Rom, ſondern in einem Treffen bei Lechenich erfolgte“. Jetzt meint er aus jener Nachricht entnehmen zu können, Konrad fei vielleicht gerade bei ſeiner Romreiſe mit der Legation be— dacht worden, wahrſcheinlich ſei die Reiſe 1241 zwiſchen 29. Mai und 10. Sepib. zu ſetzen, da aus dieſer Zeit keine Urkunden Kon— rads vorhanden ſeien. Letzteres iſt irrig. 1241, 27. Juni ſtellt Konrad eine Urkunde für das Capitel zu Vreden aus’, eine Laacher Urkunde von 11. Juli trägt fein Siegel, mense „Augusto beftätigt er eine Urkunde des Grafen Heinric) von Say ' und 1241 in octava assumptionis b. Marie vidimirt er eine Urfunde apud Nussiam®. Seine einzige mir befannte Reife nad) Rom fällt 1239.

Mit unferem negativen Nefultate ftimmen denn auch die zahl- reihen Urkunden, die Konrad als apoftolifcher Legat austellt ®.

1249 Apr. 10. 8. beftätigt dem Cölner Urfulaftift die SIncorporation der Pfarrficche zu Kelz. Lacomblet, Urfb. II, S. 175 Note. Iunil3. An das Eapitel von Osnabrüd. Möfer, Osnabr. Geſch. III, ©. 381. Iuli 7. Für den Edelherrn Gotfrid von Eppenftein. Joannis, Spi- cileg. ©. 280. . 11. Für das Klofter Düfferen. Lacomblet a.a.D. ©. 185.

ı Bol. Schirrmacher 157 ff.

2 Bericht des Nuntins H., zu Ende,

3 Albert von Poſſem. 116 Note.

4 Bol. Annalen des hift. Vereins für den Niederrhein, Jahrg. 1870, ©. 275. Annal. S. Pantaleonis, Mon. Germ. SS. XXII, 537. Weber den an⸗ Gefechtsort Badua vgl. Winkelmann in v. Sybels Zeitſchr. XXVII, 162

s Niefert, Miünfterfche Urkundenfammi. IV, 193.

ee Günther, Cod. dipl. Rheno-Mos. II, ©. 191.

7 Drig. in der Bibl. der kath. Gymnaſien zu Cöln.

s Lacomblet, Urkundenb. II, 57.

oDas Jaht wurde in Konrads Canzlei mit Oftern begonnen, Bol.

nnal. d. hift. Vereins 1870, 272. Daraus erklärt fi, daß einige Uxff. jo- ern 1250 als 1251 angefetst werden könnten.

1249 Juli 22,

Aug. 28.

Sept. 6.

1250 Ian. 1.

1250 Zebr.19.

”„

= ER März21.

23.

27.

7] 31. ww +++

Apr...

380

Für Eornelimünfter. Quix, Cod. dipl. Aqu. ©, 81.

Für das Klofter Himmelspforten, Seibertz, Weftfäl, Urk.⸗B. I, 258.

K. vidimirt eine Urkunde bes Grafen Adolf von Walded, Alf- terfche Urkundenfammlung (Bibl, der kath. Gymnaſ. zu Eöln) XXIV, 145.

An Decan und Scolafter zu Fritlar, Alfterſche Urkunden- fanmlung XIX, 174.

. An die Stadt Attendorn. Fahne, Urkundenb. d. Geſchl. Me-

ſchede ©. 8.

. Für das Klofter Marienforft bei Bonn. Crombach, Annal.

Colon. (Hdſchr. im Stadtard). zu Eöln) III, 961.

Für den Grafen Dtto von Geldern. Alfterfche Urk. S. XXIV, 191.

An das Eapitel von Heiligenftadt. Acta SS. Boll. 16. Jun. II, 81.

Für die Dominicanerfirhe zu Frankfurt. Boehmer, Cod. Moenofranc. ©, 82.

Für die Dominicaner zu Würzburg. Lang, Reg. Boica II, 423.

Für das Hofpital zu Andernad. Günther, Cod. dipl. Rheno- Mos. II, 237.

Für das Kölner Stift S. Maria ad gradus. Alfterſche Samml. XI, 231.

Für das Klofter Gnabenthal. Orig, der Univ.-Bibl. zu Bonn. Für den Eölner Burggrafen Heinrih und Gerhard Herr von Wildenberg. Fiſcher, Gefchlechtsregifter der Häufer Runkel ꝛc. Urkunden ©. 49.

Betr, die Kirche zır Styven. Pusch, Diplom. sacra ducatus Styriae, ed. Froelich, I, 321.

Für die Juden zu Dortmund, Fahne, Grafihaft und freie Reichsſtadt Dortmund, Urk⸗B. ©. 30. Könnte auch 1251 geſetzt werben.

Betr. Güter des Stifts zu Soeſt. Seibertz, Weſtfäl. Urk.B. I, 260.

Für das Mpoftelftift zu Eöln. Liber rub. SS. apost. 28- Stadtarchiv zu Eöln.

Betr. Güter des Hofpitals zu Neuß. Lacomblet II, 189. Könnte auch 1251 gefetst werden. !

Wir befigen aljo aus den Jahren 1249 —50 nicht weniger als 23 Urkunden, die Konrad als päpftlicher Legat ausftellt, aus

Ganzʒ vereinzelt fteht die Urk. 8.’8 Coloniae a. D. 1250 Nonis Febr., die nur 1251 angeſetzt werden könnte; Möſer, Osnabr. Geſch. III, 384.

381

früherer Zeit Feine einzige. Nur zwei Urkunden mit offenbar vers dorbenem Datum bilden eine fcheinbare Ausnahme. Die eine, für das Klofter Deut !, iſt datirt 1240, 9. Fehr. Sie erwähnt aber fhon ein Privileg Innocenz IV., der 1243 Papſt wurde. Es ift alfo zu leſen entweder 1249 mense Febr. oder 1249 9. kal. Febr. Die andere, für den Propſt von Varlar, ift datirt 5. kal. Sept. a. D. 1240 et primo?, Hierzu ift zu bemerfen: 1) daß Konrad 1241 nod) nicht archiepiscopus war, wie er fid) in dieſer Urkunde nennt, fondern den Titel ecclesie Colon. minister führte ; 2) daß in Konrads Urkunden fonft nirgendwo die Einer den Zehnern * et beigefügt werden. Auch dieſe Urkunde iſt zweifelsohne 1249 zu ſetzen.

Die Annahme einer Legation Konrads im J. 1241 ift alſo un— zuläſſig.

1 Crombach, Annales III, 933. 2 Möſer III, 332,

Das Ende des markgräflihen Hauſes von Schweinfurt. Don Fr. Stein.

In einer früheren Abhandlung über die Herkunft des Marf- grafen Lintpold I. von Dejterreich * habe ich die Anfänge der von Schweinfurt benannten Markgrafen feitzuftellen geſucht, deren Reihe man mit Berthold, dem Vater de beſonders durch feine Empörung wider König Heinrich II. befannten Markgrafen Heinrich oder Ha— zilo beginnt, mit deſſen Sohne Otto von Schweinfurt, Herzog der Schwaben, diefe Linie bereit8 im Mannesftamme erlofjh 27. Sep- tember 10572. Nach feinem Tode geriethen Ottos Befitungen in die verfchiedenften Hände durch die Heirathen feiner Töchter. Dies Ende des marfgräflihen Haufes von Schweinfurt, bisher eines der reichiten und mächtigften in Deutfchland, hat die Geichichtsforicher wiederholt beichäftigt, da die Angaben über Ottos Töchter und deren Gatten und Kinder nicht übereinftimmen und unvollftändig find.

Sehr befannt ift die Stelle des Annal. Sax. a. 1036 ®, welche al8 Töchter Ottos außer der Aebtiffin Eilica noch Judith, Beatrix, Bertha und Gifela nennt. Die bereitS mehrfach benutzten Angaben in der Reimchronif des Klofters Kaftel in der Oherpfalz von deſſen Abte Hermann (1322—1336)* übergehen die Eilica und Yudith, nennen die Beatrir Petrijfa, wie fie auch in einer wohl unächten Ur— funde von 1090 hHeißt?, die Bertha aber Perht. Statt der Gifela nennen fie eine Sophia und fügen noch Gertrud, die Halbfchwefter berjelben aus einer weiteren Ehe von Dttos Wittwe, Hinzu. Den Dtto felbft nennt Abt Hermann Otto von Ammerthal nad) diefer zwifchen Kaftel und Amberg gelegenen Burg, die in der Gefchichte der Markgrafen Berthold und Hezilo als deren Eigengut vorkömmt.

Vergleicht man diefe Angaben mit den urfundlichen Zeugniffen, fo ergiebt fi, daß abgefehen von der Eilica vier Töchter Ottos

2 Korfchungen XII, 115 ff.

2 Ekkehard. Uraug. chron. a. 1057 und andere Belegftellen bei Stälin, Würtemb. Geſch. I, 492 RN. 1.

® Mon. Germ. SS. VI, 679.

+ Bollftändig abgedrudt bei Mori, Geichichte der Grafen von Sulzbach II, 120— 158.

5 Menue Mittheilungen des thür.ſächſ. Vereins zu Halle X, 1, 135.

383

Audith, Beatrir, Alberada und Gifela in den Urkunden erfcheinen, von welchen Beatrix einen ſchwäbiſchen Edeln, die drei übrigen aber in bayrifche Gefchledhter heiratheten. Es ergiebt fich ferner, daß alle diefe Töchter Kinder Hatten, gleichwohl aber nur die Söhne der Gi- ſela zu einem größeren Theile der Güter Dtto8 von Schweinfurt ge= langten und dadurch der Grund gelegt wurde zu einem nach feiner jpäteren Vereinigung mit dem Burggrafthume Nürnberg bedeutenden Territorium des deutfchen Reiches.

1. Judith war nad) dem fächfischen Annaliften zuerft mit dem 1053 abgefetten Herzog Konrad von Bayern vermählt, dann mit dem unter feinen Anhängern erjcheinenden Botho in Kärnthen!. Diefe zweite Heirath ift urkundlich bejtätigt. In dem Dotationsbriefe des von Botho dotirten Klofters Theres am Maine oberhalb Schwein- furt d. d. Würzburg 2. September 1094 ift ein Gedächtniftag für feine Gemahlin Yudith und deren Vater und Großvater Otto und Heinrich bejtimmt?. Ferner fagen in einer Urfunde aus der Zeit des Biichofes Embrico von Würzburg (1125—1147) Minifterialen bes Würzburger St. Stephansflofter8 aus, daß fie Minifterialen jeien aus der Clientel des Herzogs Otto von Schweinfurt, deijen Enfelin Adelheid, Tochter des Grafen Botho und Gemahlin des Herzogs Heinrich von Pimburg, fie dem St. Stephansflofter über- geben habe?. Andere Kinder der Judith, als diefe Adelheid , fennen wir nicht.

2. Beatrix war vermählt mit Heinrich) von Hildrizhaufen in Schwaben, wie wir aus dem Codex Hirsaug. erfehen* und dadurd) bejtätigt finden, daß Hildrizhaufen im Beſitze der Enkel der Beatrix, der Grafen Gottfried und Dtto von Kappenberg, erjcheintd. Wohl durch feine Heirath mit Beatrir Fam er zu dem Titel eines Marf- grafen, den Namen feines Burgfites läßt der ſächſiſche Annalift aus— fallen, die Reimchronik des Abtes Hermann nennt den Markgrafen Heinrich nach der erheiratheten Burg von Schweinfurt. Diefe Burg befaß urkundlich Beatrir®. Außer einer Tochter Beatrir, nachmaligen Gräfin von Kappenberg, fennen wir drei Söhne aus bdiefer Ehe: Dtto, Eberhard und Konrad’, Nach dem Tode des Markgrafen Heinrich) Hatte feine Wittwe Beatrix die Burg Schweinfurt abge- geben, wie e8 fcheint, an ihren Sohn Dtto®, der aber erblindete und

ı Kleimayrn, Juvavia Anh. 239. 240.

2 Mon. Boic. XXXI, 372. 373.

93 Schannat, Vindem. liter. I, 78.

* Cod. Hirsaug. ©. 58. Gieſebrecht in den Gitungsberichten der Münchener Akademie 1870, S. 576.

5 Mon. Germ. SS. XII, 529.

® Urk. vom 5. Februar 1100 in den Neuen Mittheilungen des thür.- ſächſ. Vereins zu Halle X, 1, 129—131.

? Cod. Hirsaug. S. 58. Ekkehard. Uraug. a. 1104 (Mon. Germ. SS. VI, 226).

8 Der Name ift in der Urkunde vom 5. Februar 1100 (eitirt in Anm. 6) ausgefallen.

384

Mönch zu Hirfchau wurde!, Da ihre beiden anderen Söhne fich dem geiftlihen Stande gewidmet hatten, befchloß Beatrix, ihren Bes fig einer Kirche zuzumwenden, und mit ihrem bisher defignirten Nach- folger übergab fie nad) Urkunde vom 5. Februar 1100 denfelben an die Magdeburger Kathedrale, wo der damalige Erzbifchof Hartwig deſſen Beſitz bis zu feinem ſchon 1102 erfolgten Tode behauptete ?, Konrad, jüngster Sohn der Beatrix, verließ aber den geiftlichen Stand, und zwar doch wohl nur, um fein Erbe zu fordern, konnte es jedoch nicht antreten, da er fchon 1104 als Jüngling im Kriege fiel. Beatrir ftarb bald darauf, Am ihrer Erben Eberhard und Beatrix Hand kamen nun die von Magdeburg zurücfgeholten Güter Schwein- furt, Königshofen und andere. Eberhard, welcher 1098 Biſchof zu Eichjtädt geworden war, wandte fie jodann mit Zuftimmung feiner Tamilie dem Bisthume Eichftädt zu *.

3. Alberada wird zwar vom fächfifchen Annaliften und vom Kafteler Reimchroniſten, aber niemals in Urkunden Bertha genannt. Die Identität der urkundlich genannten Alberada, Stifterin des Klo— fter8 Banz am Maine oberhalb Bamberg, mit der Bertha des An— naliften und Reimchronijten läßt ſich trog der von Schöpf? und Morig ® erhobenen Einwürfe zur Evidenz nachweifen, wozu freilich etwas eingehender von den fie und ihren Gemahl Hermann von Habs— berg betreffenden Duellenftellen gehandelt werden muß.

Alberada hatte nad) der Banzer Klofterchronif eine Tochter, welche einer ihrer Minifterialen, Schenk von Ratenburg, entführte und mit fi) vermählte, ohne daß eine Ausfühnung mit den gefränften Aeltern erfolgte”. Ebenſo fagt der ſächſiſche Annalift von der Bertha, daß einer ihrer Minifterialen ihre Tochter Judith zu feiner Ge— mahlin mit unfeligem Erfolge gemacht habe. Werner iſt Alberada nad dem Nefrologium des Michaelisberger Klofter8 bei Bamberg, in welches fie fich zurückgezogen hatte, am 1. Januar gejtorben®, und ebenfo fagt der Reimchronijt von der Bertha, fie fei gejtorben, „da das

ı Cod. Hirsaug. 1. c.: Eberhardus Aystetensis episcopus pro fratre nostro Ottone ceco, Heinrici marchionis filio de Hiltershusen, dedit Biberbach —, quia frater ejusdem Ottonis erat.

% Chron. Magdeburg. ap. Meibom SS. II, 320.

® Mon. Germ. SS. vi, 226.

* Liber pontific. Eystett. (Mon. Germ. SS. VII, 250). Schultes, Geſchichte von Henneberg I, 84. Falkenstein, Cod. dipl. Nordgav. 78.79, und einige ungedructe Urkunden im ftädtiichen Archiv zu Schweinfurt. Bol. Sar, Geſchichte des Hochftiftes Eichftädt 123. Die Rechte des Reiches und Eihftädts in Schweinfurt regelte Rudolf I. 29. Juni 1282 endgültig (unge drudte Urkunden im Schmweinfurter Archiv).

5 Oftfränf, Geich. II, 45. Dagegen Gruner, Opusc. I, 180.

s Geſchichte der Grafen von Sulzbach II, 18.

Ludewig, SS. rer. Bamberg II, 49.

8 Schannat, Vindem. liter. I, 47.

385

Jahr anhebet*. Der Gemahl der Alberada Heigt urkundlich Hermann ? und wird auf feinem Siegel unter dem Banzer Stiftungsbriefe Marf- graf Hermann von Banz genannt, Er ftarb nad) der Banzer Klo— jterchronif eines gewaltfamen Todes, indem er bei einem Qurniere getödtet wurde?, Der Todestag Hermanns fiel nad) dem Micaelis- berger Nefrologium auf den 4. October?. Der Kajteler Reimchroniſt nennt den Gemahl der Berfha zwar Friedrich) von Kaſtel und giebt ihm außer einem Sohne Otto von Habchesperg dem ganz nahe bei Kaſtel gelegenen heutigen Habsberg, das der ſächſiſche Annalijt Havefesberg in Bayern, d. i. im bayerifchen Nordgau, nennt noch einen Sohn Hermann, aber es ijt leicht nachzuweijen, daß er diefen letteren Hermann um eine Generation zu tief gejett hat und derfelbe der Gemahl der Alberada ift.

Triedrih von Kaftel und fein Sohn Dtto find die urkundlich bezeugten Stifter des Klofters Kaſtel 1103. Derjelbe Abt Hermann, welcher die Kajteler NReimchronif verfaßte, hat al8 Vorarbeit eine la— teinische Klofterchronif gefertigt, welche bloß aus Nachrichten über das Ableben der Glieder der Stifterfamilien, der Aebte, der Kaiſer und einiger Päpſte bejteht. Sie beginnt mit der Klofterftiftung : M. C. III. Iste locus Romane ecclesiae fit tributarius, und fährt dann fort: Dominus Fridericus comes monasterii hujus fundator viam universe carnis ingressus est 3. Idus No- vembris, sepultus est in monasterio suo, quod ipse construxit. 4. Non. Jan. Bertha comitissa, uxor domini Friderici funda- toris, obiit. Non. Kal. Octobr. Hermannus comes, filius Fri- deriei fundatoris, oceiditur. Augenfällig hat Abt Hermann hier, wie bei den folgenden Angaben der lateinischen Klofterchronif ein im Kloster befindliches Nekrologium bemutt, welches, wie e8 bei den Ne- frologien die Regel bildet, die Todestage ohne Beifügung der Jahr— zahlen enthielt; denn die von Abt Hermann in der lateinischen Chronif den Todestagen der Glieder der Stifterfamilien von Sulzbach, Kajtel und Habsberg, die unter ſich verwandt find, beigefeßten Yahrzahlen, denen er zum Theil ſelbſt circiter' vorgefett hat, find ſämmtlich, foweit wir fie durch die Angaben anderer Quellen kontrolliren kön— nen, faljh ®, während die Todestage genan angegeben find. Es ift nicht glaublih, daß im Jahre 1103 faft gleichzeitig Graf Friedrid), Gräfin Bertha und Graf Hermann nad) des Chronijten Aus— legung Gemahl, Gemahlin und Sohn verftorben ; der Chronift hat diefe Perfonen erjt unter diefes Jahr zuſammengeſtellt und ift

I Urkunde von 1069 bei Mainberg, Epist. cens. ad Schannat 108, Ussermann, Episcopat. Wirceb. Cod. prob. 21. 22.

2 Ludewig |. c. 48.

8 Schannat |. c. 55.

* Urkunde des Papftes Paſchalis 9. Mai 1103, bei Mori, Geſchichle der Grafen von Sulzbach II, 141 Note.

s Sie ift abgedrudt bei Morik 1. c. II, 103—116.

6 So die Jahrzahlen 1123, 1176, und 1177, 1181, 1226 u. ſ. f.

j

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ebenfo willführlich in der Anweifung ihrer genealogifchen Stellung verfahren, die in Nefrologien ebenfall® nicht angegeben zu fein pflegt. Wenn er zu Bertha comitissa obiit fegte uxor domini Frideriei fundatoris und zu Hermannus comes oceiditur fette filius Fri- deriei fundatoris, fo ftimmt dazu der päpjtliche Bejtätigungsbrief der Klojterjtiftung zu Kaftel nicht, worin Friedrich mit feinem Sohne Dtto allein genannt ift, und es ift aus den beigefügten Daten flar zu entnehmen, daß nicht nur Bertha die Alberada, jondern auch Her- mann (vermuthlich Friedrichs Bruder) der Markgraf Hermann von Banz, ihr Gemahl, ift. Die hier angegebene Todesart: Hermannus comes oceiditur, ift die nämliche, welche die Banzer Klojterchronif von dem Gemahle der Alberada Hermann erzählt, der in einem Tur— niere getödtet wurde. Endlich aber fiel aud) der für Herimannus marchio im Mlichaelisberger Nekrologium angegebene Todestag 4. Non. Oct. mit dem Todestag de8 Hermannus comes tm Kaſteler Nekrologium nicht minder zufammen, als die Angaben über den To— destag der Alberada und Bertha. Denn e8 jchreibt der Kafteler Chronift die Zodestage der Bertha und des Hermann jo: 4. Non. Jan. Bertha comitissa. Non. Kal. Oct. Hermannus comes. Augenſcheinlich ift nun Hier das ‘Kal.’ vor Hermannus, nachdem ſchon die Non. hier ftehen, zu tilgen und es zeigt fid) daraus, daß der Schreiber der Chronik irre geworden war zwifchen Non. und Kal. Das ‘Kal. gehörte zur vorherftehenden Bertha, nicht zu Hermannus, dagegen die Zahl 4 vor dem zu tilgenden “Non. bei Bertha zu ‘dem Non. bei Hermannus. So ergiebt fi) nad) Hebung diefer Ver— wechſelung in völliger Uebereinjtimmung des Kajteler und Meichaelis- berger Nefrologiums für erjteres: Kal. Jan. Bertha comitissa. 4. Non. Oct. Hermannus comes oceiditur, für letzteres Kal. Jan. Albrat conversa. 4. Non. Oct. Herimannus marchio.

Alberada und ihr Gemahl Hermann erfcheinen in Urkunden von 1069 über die von ihnen geftifteten Klöfter Heidenfeld am Maine unterhalb Schweinfurt und von Banz am Obermaine und in einer weiteren Urkunde über Banz von 1071!. Eine frühere, jchon meh— rere Jahre vor 1058 eingegangene Ehe der Alberada mit einem uns befannten Gemahle anzunehmen, wurden die Gefhichtsforfcher beſtimmt dadurh, daß Schannat die Kapitel 60a und 66 des oder des Mönches Eberhard von Fulda? unter die von ihm herausgegebenen Fuldiſchen Traditionsurfunden eingeftellt Hatte?. Erſt die Herausgabe des Eberhardiſchen Coder durch Dronfe hat gezeigt, daß man es hier nicht mit Urkundenterten zu thun hat, jondern Eberhard die angeb— lichen Anfprüce Fuldas an die Klöfter Banz und Theres begründen will, wobei er mit Thatſachen und Yahrzahlen in der Weije ums

1 Diefe Urkunden find zufammen abgebrudt bei Gruner, Opuscul. I, 209— 218.

2 Dronke, Trad. et antiquit. Fuld. ©. 138 sq. 144. sq.

3, Schannat, Corpus tradit. Fuld. Nr, 608 und 612.

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fpringt, die ich fhon früher in Bezug auf das Klofter Theres be— ſprochen habe!.

Außer der durch ihre Mißheirath bekannten Tochter Yudith fennen wir feine Kinder Alberada® und Hermanns. Der jpäte Berfaffer der Banzer Klofterchronif berichtet, dag auf einem Weih- rauchfaſſe des Klofters die Namen Otto und Heinrich jtänden, die er für Söhne der Stifter hält, obwohl fie auch den Vater und Groß— vater der Alberada anzeigen Fünnten, jedenfall feien fie bald ver- ftorben.. Ihre Güter verwendete Alberada zu Klofterftiftungen in Heidenfeld, Banz und (Langen-) Selbold an der Kinzig, einem Erb« jtüde von ihrer Großmutter Gerberga, Tochter des Grafen Heribert vom Kinziggau; viele Güter am Obermaine außer den Banzer Klo— ftergütern erhielt da8 Bisthum Bauberg von ihr ?,

5. Giſela Heißt beim fächfischen Annalijten die lette Tochter Dttos von Schweinfurt, vermählt mit dem Grafen Wichmann von GSeeburg, Mutter Geros und Großmutter des Erzbiichofes Wichmann von Magdeburg; in der Kafteler Reimchronif dagegen heißt die letzte Tochter Ottos Sophia, Gemahlin desjenigen Grafen von Andechs, welcher der Vater Bertholds und Großvater des Bijchofes Otto von Bamberg gewejen. Wenn wir bisher die Angaben des jächjifchen Annaliften betätigt fanden, jo ift dies hier entjchieden nicht der Fall, denn in einer ſeit länger befannten Urkunde nennt der Erzbifchof Wichmann von Magdeburg die Mutter feines Vaters Bertha?. Der vom Reimchroniften bezeichnete Vater Bertholds und Großvater des Biſchofs Dtto von Bamberg ift Arnold von Andechs. Bon defjen beiden Gemahlinnen hieß aber feine Sophia, jondern die erfte war Irmingard von Scheyern, die zweite hatte den Namen Gifela *, deren Geſchlecht unbefannt ift, wenn fie nicht aus dem Schweinfurtifchen Haufe fein ſollte. Würde fie diefem Haufe angehören, fo bliebe es zwar noch unerflärt, wie der Annalijt zu feinem Irrthume gefommen wäre, wenn nicht etwa erweislicd) würde, daß Gero vor der Ma— thilde von Wettin eine Stieftochter der Giſela geehlicht und mit ihr die Herrjchaft Gleuß und die Bezeichnung als Glied eines bayerifchen Haufes erlangt hätte, wo dann der Annalift, wiſſend, daß Gero hierzu durch eine Zochter der Irmingard gefommen fei, die Tochter der Irmingard von Scheyern und die Tochter der Jrmingard, Ottos Gemahlin, verwecielt und die Tochter der Lebteren, den Altersver- hältnifjen entjprechend, zu feiner Mutter gemacht haben würde. Im— merhin fteht ſchon jegt die Thatfache eines auf Seite des Annaliften vorliegenden Irrthumes, urkundlich nachgewiejen, feit.

1 Forſchungen XII, 127. 128. Ludewig 1. c. I, 81. II, 48. ° Mäheres darüber Cohn in den Neuen Mittheilungen des thür.-ſächſ. Bereins XI, 137 ff. * Mon. Boic. VIII, 297. 302. Mon. Germ. SS. XVII, 328. °_ Seiner GStief- Schwiegermutter konnte Gero felbft den Neverenztitel Mutter geben,

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ı Die nenerdings mehr und mehr Anerkennung! gewinnende An- gabe der Kaſteler Reimchronik, dag die Mutter Bertholds von An— dechs, des Vaters von Biſchof Dtto zu Bamberg, die legte Tochter Ottos von, Schweinfurt Gifela war, läßt ſich in einer meines Er— achtens kaum mehr einen Zweifel zulaffenden Weife begründen, wo— bei die Berwechjelung der Namen Gijela und Sophia in der Reim chronik um fo weniger ins Gewicht fällt, als jener Berthold zwar nicht eine Mutter, aber eine Gattin des Namens Sophia Hatte, die indeß als eine Tochter Poppos von Yitrien und der Richardis von Spanheim und Lavant ihrem Gemahle nichts von Schweinfurtifchen Erbe zubringen konnte. In diefem Erbe tritt aber Berthold ſchon jo frühe auf, daß er damals auch noch kaum mit Sophia (7 1156) vermählt war.

Das Schmweinfurtiihe Haus hatte zur Zeit des Lebens der Töchter Ottos fast alle Orte im Thale der Wern zwiſchen Schwein— furt und Gemünden inne. So erjcheinen in der Dotationsurfunde von Klofter Theres mit Gütern der Judith 1094 die Zubehörungen zum Gute Rounfeld, die in Weringewe liegen ?, und namentlich kömmt Dattenfol im Werngrunde vor. In dem UWebergabsvertrage des Be— fige8 der Beatrix an das Erzitift Magdeburg 1100 werden aud) die Schweinfurtiichen Baffallen übergeben, die zum Theile als Zeugen dienen und worunter mehrere dem Wernthale angehören, zu Thüngen, Büchold, Wilprehtshaufen (jet Wüftung) bei Arnftein, Euffenheim?. Hier hat num zwifchen den Jahren 1106 und 1113 Biſchof Erlung von Würzburg von dem Grafen Berthold von Andechs ein Gut zu Gänheim nächſt Arnftein erworben*, und die Nachfolger Bertholds befaßen hier noch Arnftein, und ebenfo neben dein früher Schwein- furtifhen Aura a. d. Saale und Sulzthal noch Ramsthalꝰ. Im nördlichen Theile des Nadenzgaues, wo der Schweinfurtiiche Befit befonders ausgedehnt war, hat schon diefer Berthold von der am Obermaine gelegenen Burg auf dem Blaſſenberge bei Kulmbad) den Namen eines Grafen von Blaſſenberg erhalten, den auch ſein Sohn Berthold führte. in anderer Sohn des älteren Berthold war Dtto, welcher Bischof zu Bamberg wurde, und er hatte aud) eine Tochter Giſela, die den Namen ihrer Großmutter geerbt Hatte. Nach dem Reimchroniſten hatte Berthold der Aeltere noch einen Bruder Friedrich, wohl identifchh mit dem 1112 mit der Benennung von Am— merthal vorfommenden Friedrich) '.

ı Morig, Geſchichte der Grafen von Sulzbach II, 136 N. Neue Mit- theilungen des thür.ſächſ. Vereins XI, 139. XII, 254. Mon. Boic. XXXI, 372.

Meue Mittheilungen des thür.-fähl. Vereins X, 180,

* Mon. Boic. XXXVI, S. 36. Erlung war 1106 Bischof geworden, Ar- nold von Andechs 1104 geftorben.

5 Urkunde von 1204 bei ar Geſchichte J, 244.

8 Mon. Boic. XXXVII, ©. 6

* Schultes, Hiftor. Schriften L Ay "ud hatte er einen des Großvaters Dito Namen tragenden Bruder (F um 1120); Mon. Boic. VIII, 297.

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Nach dem Eintreten Bertholds , des muzweifelhaften Sohnes des Grafen Arnold von Andechs und feiner Gemahlin Gifela in Schwein— furtifches Erbe kann man kaum anders, als auf feine genannte Mutter, die eben dadurch als Ottos von Echweinfurt Tochter gekenn— zeichnet wird, den Umjtand zurüdführen, daß fortan die bayerijchen Grafen von Andechs das an Befig und Macht vorherrichende Ge— ichleht im Radenzgau und in anderen Theilen Franfens waren, fo daß man fie ſchon längſt als Schweinfurtiſche Nacherben erkannt hatte!, ohne den genealogiſchen Zuſammenhang conſtruiren zu können. Ihre Herrſchaft Blaſſenberg bildete das einzige größere Bruchſtück aus den Beſitzungen weiland Herzogs Otto von Schweinfurt in welt— licher Hand, und fie wurde der Kern eines Territoriums in Franken, das fpäter den Burggrafen von Nürnberg zuwuchs.

Dies war der Ausgang des marfgräflichen Haufes von Schwein- furt, das unter feinen Gliedern Berthold, Heinrid) und Otto an Gü— tern und an Würden mit den erften Häufern Deutſchlands ſich ver— gleichen durfte, aber durch die Heirathen, Schickſale und Verfügungen von Ottos Töchtern in kürzeſter Frift die Zerfplitterung und Ent— fremdung faft aller Hausgüter und den Verluſt einer bevorzugten Stellung im Reiche für die Nacherben Dttos erfahren hat.

1So Seidel, Köhler, Schöpf, Schultes und befonders Gensler, Geſchichte bes Grabfeldes II, 296—301.

XIV. 26

Ein Erlaß Knuts des Großen. Bon R. Pauli.

Bor einiger Zeit jchrieb Herr William Stubbs, Profeffor der Geſchichte in Oxford, die nachfolgende, bisher noch nicht veröffentlichte Urkunde aus einem dem Kapitel der Kathedrale von York gehörenden Codex ab. Er theilte fie mir in einer Copie von feiner Hand mit und ließ fie darauf aud) in usum amicorum möglichſt getreu ſammt dem Verſuch einer englifchen Ueberſetzung abdruden. Nach den brief- lichen Anmerkungen des Herrn Stubbs enthält der Coder durchweg von einer Hand des eilften Jahrhunderts die angeljächjischen Evan— gelien, Gebete und Berzeichnifje von Reliquien der Fostermen Aelfries, einige Predigten des Erzbischofs Wulfitan von York (II, 1005— 1023) und Achnliches, das nächjtens wohl in den Sammlungen der Early English Text Society erjcheinen wird. Auch die Sprade ift wie die Schrift den Tagen Knuts gleichzeitig. Der Coder aber fcheint jowohl B. Thorpe, dem Herausgeber der Angeljächjifchen Ge— jege für die Record Commission, wie J. M. Kemble für feinen Codex diplomatieus aevi Saxonieci entgangen zu fein.

Die Urkunde begegnet unter jenen Zuthaten der Evangelien. Sie ijt demnach nicht Original, fondern Copie, aber allerdings eine nach Zeit und Form dem Original fehr nahe ftehende Abjchrift. Nichtsdeftoweniger ergeben ſich bei näherer Prüfung mehrere Verſtöße, die der Flüchtigkeit des Abjchreibers zur Laft fallen. Er hat mit- unter Wörter ausgelaffen und einmal geradezu den Sinn verwirrt. Die Heritellung des Textes ijt außer der trefflichen Wiedergabe des Herrn Stubb8 ganz befonders der freundlichen Beihilfe meincs Col— legen des Herrn Profejlors Theodor Müller in Göttingen zu vers daufen. Daß die Urkunde weder datirt ift nod) Unterjchriften von Zeugen hat, wird man indeß dem Abjchreiber nicht in die Schuhe jchieben dürfen, da die Natur des intereffanten Documents dergleichen nicht erfordert. Als litera patens an Yedermann gerichtet beruht es offenbar auf dem Beihluß eine® Witena Gemot oder einer Synode.

Auch auf eine bejtimmte Berfammlung läßt es fich nach feinen eigenen Angaben jehr wohl zurücführen. Aus dem Yahre 1018 wird das Witena Gemot von Oxford erwähnt, auf welchem Dänen

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und Engländer über DBefolgung der Gejege König Eadgars einig wurden. Im Jahre 1019 fuhr Knut auf Jahresfriſt nad) Däne— marf. Der Erzbiſchof Lyfing von Canterbury, welcher 1020 ftirbt, ift noch am Leben, und jeines Nachfolgers Aethelnot) wird noch nicht gedacht. Thurkyl, Earl der Oftanglier, des Königs lang— jähriger Waffengenofje, welcher im November 1021 verbannt wird, aber 1023 als Knuts Statthalter wieder in Dänemark erjcheint (vgl. Freeman, History of the Norman Conquest I, 474), fteht noch in vollem Anfehn. Nun Heißt e8 unter dem Jahre 1020 in den Angeljächjischen Jahrbüchern und bei deren Ueberſetzer Florenz von Worcefter, Mon. Hist. Brit. I, 594, unmittelbar nach der Notiz von der Rückkehr Kuuts aus Dänemark: and pa on Eastron was micel gemot xt Cyrenceastre et in paschali festivitate apud Cirenceastram magnum consilium habuit, fo daß man auf diefe Verſammlung jchliegen fünnte, wenn nicht eine ſpätere Zu— ſammenkunft während defjelben Jahrs noch bejjer paßte. Die An— nalen, ſpeciell Ms. Cott. Tiber. IV, fahren nämlich fort: and on pisan geare for se cyng and purkyl eorl to Assandune and Wulfstan arcebiscop and odre biscopas and eac abbodas and manege munecas and gehalgodan paet mynster »t Assandune. Drei Handichriften der Chronik knüpfen hieran die Notiz vom Tode de8 Erzbiſchofs Ayfing. Dazu gehört dann wieder Florent. Wigorn. l. c.: Eodem anno ecclesia, quam rex Canutus et comes Tur- killus in monte qui Assandun dieitur construxerunt, illis prae- sentibus, a Wulstano Eboracensi archiepiscopo et multis aliis episcopis cum magno honore et gloria dedicata est. Bei As- sandun aber, Ashington im Norden von Eifer, hatten die beiden gemeinfam im jahre 1016 den Aetheling Eadmund Eifenfeite end» gültig befiegt. Durch die Erbauung diefer Kirche befiegelten fie nun— mehr recht eigentlich) ihren Llebertritt zum chrijtlihen Glauben. Freeman I, 473 fnüpft daran die Bemerkung, daß diefer Tag gleich: falls die formelle Verſöhnung zwijchen dem dänischen Könige und jeinen engliichen Unterthanen bezeichne, daß fortan auch) in den oberen Aemtern Dänen durch Engländer erjegt würden. Unfer Document, das ihm unbekannt geblieben, jagt noch beſtimmter, daß König Knut bereits im voraus die ärgſten Friedenjtörer in die Heimath zuricgeführt habe. Außerdem aber ſtimmt alles Wefentliche zu den Tage jener Kirch: weihe in Aſſandun. Erzbifchof Wulfjtan von Norf vollzicht fie, und feine Predigten gerade begegnen mit der Urkunde in der gleichzeitigen noch in York aufbewahrten Handſchrift. ES find viele Kleriker, Biichöfe Aebte und Mönche zugegen. So war e8 die erjte und günftigfte Gelegenheit, un mit dem mächtigen Herrſcher die fanonifchen Grund- finien der Beziehungen feines Staats zur Kirche zu vereinbaren. Der feierliche Erlaß, der mit einer Echlufformel der Liturgie und dem Amen endet, gibt fic gleicdyjam als der erfte Entwurf der ohne alle Frage doch erft fpäter vollendeten Gefeßgebung Knuts zu er- fennen. ch möchte im diefer Beziehung auch au die einfache Titu—

26*

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latur Cnut eyning erinnern, während es in der Leberfchrift ber Gefete Heißt: Cnut eyninge ealles Englalandes eyninge and Dena cyninge and Nordrigena cyninge (Thorpe I, 358. R. Schmid 250). Lappenberg, Geſchichte von England I, 467, macht darauf aufmerffam, daß diefer volle Titel für ein fpäteres Jahr - spreche, als Knut Norwegen wieder erobert und den Peterspfeunig neu eingeführt hatte, von dem $. 9 der Kirchengefetse handelt. Dem ſchließt ſich Freeman I, 480 Anm. 2, an gegen Schmid und gegen Kemble, The Saxons in England II, 259, von denen der erjtere das in jener Ueberfchrift erwähnte Witena Gemot von Winchefter zu Weihnachten in das Jahr 1018, alfo nad) dem befanuten in Oxford abgehaltenen , der andere zwijchen die Jahre 1016 und 1020 ſetzt. Der Inhalt und die Datierung unferer Urkunde gibt Yappenberg und Freeman Recht, um jo mehr als das Geſetzbuch erjt nach der Rom— fahrt und der Unterwerfung Norwegens und aljo jpäter als 1028 ab- gefaßt fein kaun. |

Mir haben demnach die Reichs- oder beſſer Synodalbeſchlüſſe von Aſſandun vor uns, ausgefertigt in einem königlichen Erlaß, den fih) der Erzbifchof von York, der höchſte geiftliche Wiürdenträger, welcher zugegen war, in fein Evangelienbudy eintragen lief. Das Document ijt nicht nur durd) die perjünlichen Beziehungen, deren es gedenkt, werthvoll, fondern der König erfcheint aud) bereits in Ver— fehr mit Nom, fieben Jahre ehe er dort mit Konrad IL. zuſammen— trifft. Er hat ſich völlig der Lehre und der Ordnung der Kirche angejchloffen, die durd) feinen Mund im Ton der Zeit ſpricht. Staat— (ic) tritt er ganz als König von England auf, der die Gefeke feines Borfahren Eadgars betätigt und jich auf das Witena Gemot von DOrford im Jahre 1018 beruft, wo ein ſolcher Beſchluß gefaßt wurde. Die ehr auch durd ihm die Willkür der Krone und eine ariftofra- tische Verwaltung des Reichs gejteigert wurde, die alten Formen der Berathung mit den geiftlichen und weltlichen Großen ſchimmern dod) jehr hell aus den Zeilen auch diejer Urkunde hervor, zu der aller- dings die von Kemble zur Regierungsepoche Knuts geſammelten Do— cumente feine nähere Erklärung bieten.

Ich Habe dem Text eine möglichjt wortgetreue Ucberjegung, einige Emendationen und thatſächliche Erläuterungen beigegeben.

Cnut cyning gret his arceb; Knut König grüßt feine Erz- and his leodbiscopas, and biſchöfe und Suffragan-Biſchöfe, Thureyl eorl!, and ealle his | und Thurkyl Earl und alle jeine

1 Des Königs Waffenbruder, Earl der Oftanglier feit Knuts NRegierungs- antritt 1017, nad) Dänemark verbannt um Martini 1021, Angeljähf. Chronik: Her on dissum geare to Martines mzsssan Cnut cyning geutlagode purkyl eorl. Florent. Wigorn., Monun.. Hist. Brit. I, 595: Canutus rex Anglorum et Danorum ante festivitatem S. Martini Turkillum saepe- dietum comitem cum uxore sua Edgitha expulit Anglia. Bgl. Lappen- berg I, 472 und Freeman I, 473,

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eorlas, and ealne his leod- Earle und all fein Volk, Edle und scype, twelfhynde and twy- | Gemeine, Geweihte und Laien, in hynde !, gehadode and laewede, | England freundlich; und ich finde on Englalande freondlice; and Euch, daß ich holder Herr jein Ic ceythe eow thæt ic wylle will und nicht weichend von Gottes beon hold hlaford and unswi- | Rechten und rechten weltlichen cende to Godes gerihtum and | Geſetz. Ich nahm mir in Erin— to rihtre worold lage. Ic nam nerung die Schriften und die me to gemynde tha gewritu | Worte, welche der Erzbifchof Lyfing and tha word the se arceb. | mir von dem Papſte aus Rom Lyfing? me fram tham papan ? brachte, daß ich jollte überall Gottes brohte of Rome, thæt ie scolde | ob erheben und Unrecht nieder- æghwær Godes lof uparzseran legen und vollen Frieden wirken and unriht aleegan, and full | mit der Macht, die mir Gott geben frith wyrcean be thsre mihte | wiirde. Nun achtete ich meiner the me God syllan wolde. Nu Schätze nicht, dieweil euch Un— ne wandode ic na minum | friede an der Hand war. Nm sceattum tha whille the eow ich mit Gottes Hilfe das zer— unfrith onhanda stod. Nu ie | theilte mit meinen Schäten, da mid Godes fultume that to- | fündete man mir, daß und mehr twsmde mid minum scattum, | Harm zuwuchs, als und wohl ge— tha cydde man me that us fiel, und da fuhr ich jelbit mit mara hearm to fundode thonne | den Mannen, die mit mir fuhren, us wel licode, and tha for ie nach Dänemarf, von denen auch me sylf mid tham mannum | anı meijten Harm fam, und das the me mid foron into Den- | habe ic) mit Gottes Hilfe voraus mearcon the eow m&st hearm | verhindert, daß euch niemals fort- of com’, and thaet hæbbe an von da irgend ein Unfriede be) mit Godes fultume forene | zukomme, dieweil ihr die Menfchen orfangen, thæt eow nzxfre in rechter Weije haltet und mein heononforth thanon nan un- Leben dauert. Nun danfe ich dem frith to ne cymth, tha while

the ge men rihtlice healdath

and min lif bytu. Nu thancige

1 Befauntlid) nad) dem Wergeld von 1200 und 200 Edilling.

2 Erzbiſchof von Canterbury 1013—1020,

3 Benedict VIII. 1012—1024.

+ Bon feiner Ronmfahrt ift nichts weiter bekannt. Er ift wohl zu unter— fcheiden von Living, Abt von Taviſtock, feit 1027 Biſchof von Erediton , durd) welchen Knut feine eigene Romfahrt Papſt Johaun XIX. aufündigen ließ; Florent. Wigorn. 596.

sAugelſächſ. Chronif 1019: Her gewende Cnut cyng (mid IX sci- pum, Ms. Cotton. Tiber. B. IV) to Denmearcon and por wunode ealne winter. 1020: Her com Cnut cyng to Englalande. Florent. Wigorn. s. a.; vgl. Adami gesta Hammaburg. eccl. pont. II, 63, Pertz, SS. V, 329: ipse aliquando visitans Danos, aliquando vero Nortmannos, sae- pissime autem sedit in Anglia. Freeman I, 465. 469.

Fehlt im Manuscript.

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ic Gode »lmightigum his ful- | alfmächtigen Gott für feine Hülfe tumes and his mildheortnesse, | und feine Barmherzigfeit, daß id)

thaet ic tha myelan hearmas the us to fundedon swa gelo- god habbe, that we ne thur- fon thanon nenes hearmes us asittan', ac us? to fullan ful- tume and to ahreddingge gyf us neod byth. Nu wylle ie that we ealle eadmodlice Gode Aelmihtigum thancian thære mildheortnesse the he us to fultume gedon hæfth. Nu bidde ic mine arceb. and ealle mine leodb., that hy ealle neodfulle beon ymbe Godes gerihta zle on his ende the heom betaht is; and cac minum ealdorman- num ic beode, that hy fylstan tham biscopum to Godes ge- rihtum and to minum kyne- scipe and to ealles folces thearfe. Gyf hwa swa dyrstig sy, gehadod oththe laawede, Denise oththe Englise, that ongean Godes lage ga and ongean minne cynescype oth- the ongean worold riht, and nelle betan and geswican «fter minra bisceopa tæcinge, thonne bidde ie Thureyl eorl and eae beode, that he thene unriht- wisan to rihte gebige gyf he mæge. Gyf hene mage, thonne wille ie mid. uncer begra erefte, thet he hine on earde adwæsce otlthe ut of earde adrefe, sy he betera sy he

wyrısa. And eac ic beode eallum minum gerefum be minum freondseype and be

eallum tham the hi agon and

den großen Harm, der uns zu— wuchs, jo beichwichtigt habe, daß wir von da feines Harms ung beforgen,, jondern uns getröften dürfen voller Hilfe und Errettung, wenn ung deran Noth ſei. Nun will ih, daß wir alle demiüthig Gott dem Allmächtigen danfen für die Barmherzigkeit, die er ung zu Hilfe gethan Hat. Nun bitte ic) meine Erzbiichöfe und alle meine Suffragan=Bifchöfe, daß fie alle aufmerkſam feien auf Gottes Rechte jeder an feinem Ende das ihm befohlen iſt; und auch meinen Ealdormannen gebiete ich, daß fie beiftehen den Biſchöfen zu Gottes echten und zu meinem Königthum und zu alles Volks Bedarf. Wenn Jemand jo dreiſt fei, Geweihter oder Laie, Dänifc oder Englifch, daß er gegen Gottes Geſetz gehe und gegen mein Königthum oder gegen weltliches Recht und wolle nicht büßen und nachgeben der Lehre meiner Biſchöfe, dann bitte ih Thurfyl Earl und auch ge- biete, daß er den Unrechtweifen zu Net wende, wenn er könne. Wenn er nicht könne, dann will id) mit unfer beider Kraft, daß er ihn auf Erden vertilge oder von Erden austreibe, fei er bejjer fei er fchlechter. Und auch gebiete ich allen meinen Vögten bei meiner Freundſchaft und bei Allen was

: Ein Verbum asitan kommt nicht vor, asettan einjegen gibt feinen Einn; es wird onsittan fürdten zu fchreiben fein mit pleonaſtiſch vefleri-

vem us.

* Hinter us ift das Verbum ausgefallen hycgan oder hyhlan, hoffen,

ſich getröften.

395

be heora agenum life, that hy ' fie haben und bei ihrem eigenem æghwær min fole rihtltee heal- | Ycben, daß fie iiberall mein Volt

dan and rihte domas deman be thæra scira bisceopa ge- witnesse, and swylce mild- heortnesse thaeron don swylce thære seire bisceope riht thince, and the! man acuman mzxge. And gyf hwa theof frithige oththe forene? forliege?sy he emsceyldig with me tha the theof scolde, buton he hine mid fulre lade with me ge- elensian mæge. And ie wylie thaet eal theodseype, gehadode and lawede, fastlice Eadgares lage* healde, the ealle men habbath gecoren and to ge- sworen on Oxenaforda’, for tham the ealle bisceopas sec- gath, that hit swythe deop with God to betanne, that man athas oththe wedd tobrece, and eac hy us furthor lærath, thet we sceolon eallan ma- gene and eallon myhton thone ecan mildan God inlice secan lufian and weorthian and le unriht ascunian, that synd mægslagan and morthslagan and mansworan and wiecean and wieleyrian and æbrecan? and syblegeru. And eac hy° beodath on Godes Aelmihtiges naman and on ealra his ha-

ı Ms. se.

2 Ms. forene. 3

recht halten und rechte Sprüche Iprechen bei der Shire-Biſchöfe Zeugniß, und ſolche Barmherzig— keit daran thuu, als den Shire— Biſchöfen Recht dünket, und die man erreichen könne. Und wenn Jemand einen Dieb ſchirme oder vorher verlengne, ſei er mir gleich ſchuldig dem was der Dieb ſchulde, außer daß er ihn mit vollem Ge— leit bei mir reinigen könne. Und ich will, daß alles Volk, Geweihte und Laien, feſt Eadgards Geſetz halten, das alle Männer gekoren und zugejchiworen haben in Oxford. Denn alle Biſchöfe jagen, daß es jehr tief fei gegen Gott zu büßen, daß man Eide oder Pfand breche, und auch lehren fie uns ferner, daß wir mit aller Macht uud allem Nermögen den ewigen milden Gott gleichweife fuchen, lieben und würdigen und jedes Unrecht ſcheuen follen, als da find Verwandten mörder und Todtjchläger und Mein eidige md Heren und Walfyrien und Ehebrecher und Ungzüchtige. Und auc gebieten fie in Gottes des Allmächtigen Namen und aller

Forliegan, fornicarı ganz unfinnig an diefer Stelle, vom Abjchreiber dem fpäteren Zufammenhang entnommen,

Sollte niht forlygne ftehen müſſen?

* An König Eadgars (959 975) Geſetze fchließt die Geſetzgebung Knuts überhaupt an; vgl. Stubbs, Select. Chartres ©. 13, uud Freeman], 462. 482, 5 Angeljähf. Ehronit 1018: And Dene and Engle wurdon sam-

mwsle at Oxnaforda (to Eadgares

lage, Ms. Cotton. Tiber. B. IV).

Florent. Wigorn.: Angli et Dani apud Oxenafordam de lege regis Eadgari tenenda concordes sunt effecti. Mon. Brit. Hist. I, 594. ° Hier ift is oder beo ausgefallen.

Für ewbrecan. 8 Ms. the.

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ligra, thet nan man swa dyr- | feiner‘ Heiligen, daß fein Mann stig ne sy, thæt on gehadodre | fo dreift fei, daß er geweihte Non nunnan oththeon munecenan?! |nen oder Mönchinnen zum Weibe gewifige. And gyf hit hwa |nehme. Und wenn es einer gethan gedon hebbe, beo he utlah | habe, fei er von Gott ausgeftoßen with God and amansumod |und von aller Chriftenheit gebannt fram eallum Christendome, and | und gegen den König jchuldig with tbone eyning seyldig | alles des das er habe, außer daß calles tes the he age, nn lieber nacgebe und um fo he the rathor geswice and the tiefer gegen Gott büße. Und wir deopplicor gebete with God. |ermahnen nod ferner, daß man And gyt we furthor maniath, des Sonntags Feierzeit mit aller that man sunnan dæges freols ? | Madıt Halte und würdige von mid eallum mægene healde | Sormabends Mittag bis Mon— and weorthige fram Szeternes | tags Frühlicht, und fein Mann jei dæges none oth Monan dæges | jo dreijt, daß er entweder Kauf- lyhtinge, and nan man swa | handel treibe oder eine Verſamm— dyrstig ne sy, that he athor | lung anſage an dem heiligen Tage. oththe eypinge wyrce oththe | Und alle Leute, arm und reich, znig mot geszce? tham halgan | folfen ihre Kirchen fuchen und um "ze. And ealle men, earme |ihre Sinden dingen und alfe ge=

Uxe* and eaige, heora cyrcan se- |botenen Faſten gern halten und

cean and tt, heora synnum |die Heiligen gern würdigen, welche thingian and »le”goden fa- | uns Die Meffepriefter gebieten sten? geornlice healdan »,‚and ſollen, daß wir mögen und müjjen tha halgan georne weorthian| le ſammt durd des ewigen the us mæsse preostas beodan Gottes Barmherzigkeit und feiner sceolan, thæt we magan and en Dermittlung in des Hin- moton calle samod thurh thas | melrei Seligfeit Tommen und ecean Godes mildheortnesse | mit ihm Wohnen, der IR Mm and his halgena thingr&dene | regiert ewig ehne Eude. Amen to heofena rices myrthe becu- \ man and mid him wunian, the leofath and rihxatı a butan ende. Amen. \

J

TR 43 Knuts Kirchengeſetze 8. 6 Bei Thorpe, Ancient 127° and Institu of England I, 364 unterfcheiden ebenfalle munecas and Funecena, eapas

nicas and nunnan. 2

And healde mon ælees sunnan dges freolsun oe rd * dieges lihtinge; Ruuts Kirchengefehe $ ie And »unnan dsges cypi S wle fole gemot; $. 15. 7. c. FPIDgoR wo Torbobdad ao eoron

Ms. faestan. feinen ° And pet man wle beboden festen healde; $. 16, 1. c, F

Biihöflihe Bauordnung, betreffend bie Herftellung der Stadtmauern von Worms,

Bon F. Zalt.

Einen wichtigen Beitrag zur Geſchichte des ftädtifchen Weſens am Rhein, zunächſt der Stadt Worms, Liefert die bald dem Bifchofe Theotolah (891— 914), bald dem Bijchofe Burchard (1000— 1025) zugefchriebene Bauordnung, welche die Wiederherftellung der Mauern der genannten Stadt zum Gegenjtande hat.

Dem Bifchofe Burchard fchreibt fie zu Zorns Wormfer Chronif ©. 39, und zwar nad) einem „alten Buch in dem Stift Neuhaufen gefunden“. Werner der über feine Duelle ſich nicht äußernde Schannat, Ep. Worm. I, 211. Den Bifchof Theotolach nennt der Abdruck bei Böhmer, Fontes II, 209, und darnach Mon. Germ. hist. SS. XVII, 37. Böhmer nahm feine Abfchrift von einem Eremplar einer Zorn= ſchen Chronif auf dem Wormſer Stadtardhive, zu welchem ein Unbe- fannter um die Mitte des 17. Jahrhunderts Ertracte ex veteri ma- nuscripto libro latino chronicorum Wormatiensium beige- fügt Hatte.

Gehört die Bauordnung dem Bifchofe Burchard an, fo ift fie eine ſpecielle Ylluftration zu der in der Vita Burchardi (Mon. SS. IV, 835) in fräftigen Zügen gefchilderten Bauthätigkeit des Bifchofs !.

Veber ähnliche Bauordnungen der Nachbarftädte Mainz, Coblenz, Speier, Trier, vgl. Bodmaunn, Rheing. Alterth. S. 23. 24.

Ich folge bei dem Abdrud dem etwas weiteren Zornfchen Texte, welchem ic) die Schannat'ſchen Varianten mit Sch., die Böhmer’fchen

dem mit B beifüge. Bei der weiteren Behandlung ift mit Uebergehung des hiſtoriſch⸗juriſtiſchen Momentes mehr die topographifche Seite dejjelben iberüerporgehoben. Im Allgemeinen diene als Vorbemerkung, daß dem heinlaufe entlaug die Bewohner von Oppenheim bis Ludwigshafen für en Mauerring der Stadt Worms aufzukommen hatten. Bon Oppen- kad

Bgl. Hirſch, Heinvich II., im II. Bde Ercurs VII über die flädtifchen Berhältwiffe gegen Ende des 10. Jahrhunderts; Arnold, Freiftädte I, 84.

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heim nördlich begann die Pflicht für Mainz, von Ludwigshafen füdlich die für Speier. ö

(Der Böhmer’sche Text leitet ein: Descriptio Wormacien- sis eivitatis facta a Theodelacho episcopo Wormaeciensi anno DCCC. LXX. III, qui obiit in Neuweiller anno DCCCC. X. IIII. Kal. Sept., episcopatus anno quadragesimo primo).

De loco qui dieitur Frisonenspira usque ad Rhenum ipsi Frisones restauranda muralia procurent.

Ridelsheim (Sch. Riedelesheim, : B. Rudolscheim), Gims- heim (Sch. Vuinesheim, B. Gunsheim), Eichana, Ham (B. Hamum), Ubersheim (fehlt bei Sch.), Durkheim (fehlt bei Sch., B. Turkheim), Alsheim (fehlt bei Sch.), Mettenheim a supra- dieta Frisonenspira (Sch. Frisonum-Spira) usque ad locum, qui Rhenispira vocatur, provideant.

In eodem latere eivitatis familia S. Leodegarii portam quandam reaedificare debent.

Deinde usque (B. u. ad) Pawenportam (Sch. Pavonum portam) urbani qui heingereiden (Sch. heingeriden, B. heim- gereiden) vocantur, operando pervigilent.

Hine usque ad angulum meridianum Bobenheim, Ligris- heim (Sch. Ligrichesheim), Roxheim, Agresheim (Sch. B. Agersheim) et omnes juxta Rhenum habitantes usque ad Hemmingersheim (B. Hemmingesheim) praevideant (B. pro- videant).

Media pars de Rucheim et sie omnes ab alia porta Rheni (Sch. parte Rheni, B. ab alia parte platee Rheni) ha- bitantes usque ad fluvium, qui Karlebach vocatur, in occeiden- tali angulo terminum operis ponant.

De quo angulo incipientes ab (B. ex) utraque parte Kar- lebach (Sch. ex utraque Karlebach) usque ad Kircheim et us- que ad S. Andreae portam.

Abhine omnes ex utraque parte fluvii qui Isara (Sch. B. Ysana) vocatur sedentes usque ad Mertesheim muros eivi- tatis usque ad portam Marfini procurent. !

De qua omnes juxta utramque fluvii partem, qui Prymma vocatur, quousque Malesbach eundem fluvium influit, usque ad jam dietam Frisonenspiram (Sch. Frisonem-Spiram) provideant.

Praeterea de media parte Muntzenheim usque ad Dien- heim tam hi quam omnes qui (qui fehlt bei Sch. B.) infra am- bitum praedietorum fluviorum et villarum habitatores (Sch. habitantes, B. fügt hier eandem eivitatem bei) cum propu- gnaculis et omnibus necessariis, prout tune temporis locus exe- gerit, incessanter insistant.

Frisonenspira, Frisonum Spira, d. i. Spira der Friſonen. Wie in Mainz, wo der bejte Theil der Stadt der von riefen be=

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wohnte war, welcher um Meitfaften 886 abbrannte (Ann. Fuld. ad h. a.), fo hatten fi) auch im Worms Friefische Händler feitgefett. Die Friefen zu Worms kommen jchon im 6. Sahrhundert vor. Die Kaijer Ludwig und Lothar ftellten gemeinfam 830 eine Urfunde aus, in welcher fie die Schenkungen ihrer Vorfahren bejtätigen, nämlid) die der Frankenkönige Dagobert, Sigebert und Hilperich, welche zuge= ftanden Hatten, daß, was immer für Kaufleute oder Handwerker oder auch Frifionen zur Stadt Worms kämen, der ganze Zoll, von woher- font, ob in der genannten Stadt oder aud) in den Burgen Yaden= burg und Wimpfen der Fiskus ihn einnehme, ganz dem Wormfer Dome zufallen folle (ut quanticumque negotiatores vel artifices seu et Frisiones apud Vangionem civitatem devenissent, et in castellis Lobedunburg et Winpina exigere poterat etc. Schannat II, 5. 18). Es fuhren aljo die Friefen auc den Neckar hinauf. Es bleibt Hierbei unentſchieden, ob Sigebert (geft. 575) oder erſt Chilperich (gejt. 584) die Zolleinnahme ſchenkte. Dagobert jchenkte anderes Beſitzthum und andere Nechte dem ‘Dome.

Bei der Beichreibung der Pfarrgrenze von St. Paul aus dem Jahre 1081 kommt der Ort nochmals vor. Nos parrochiam S. Pauli terminamus a porta S. Martini deorsum usque ad por- tam Judaeorum sive usque ad Frizenspira et sursum contra Renum usque ad portam panis ete. (Schannat II, 60).

An die Stelle Friefenjpira ſchloß ſich aller Wahrfcheinlichkeit nad) die Sriefenftraße, welche in einer Urkunde des Jahres 1141 vorkommt, wonad) das Stift St. Andreas einen eine Unze Zins abwerfenden Hof in diefer Straße befaß: curtis una in foro superiori solidum a alia (sc. curtis) in platea Frisonum unciam (Schannat u, 73).

Zu einer befriedigenden Erklärung de8 Wortes spira waren die benutzten Mittel nicht ausreichend. Gleichwohl können wir fagen, daß die riefen in Worms ein eigenes Viertel beſaßen, das am heine lag und von einem Stadtmanertheil begrenzt war, deſſen Herjtellungs- pflicht den Nachbarn felbjt oblag: in loco Frisonspira ipsi Frisones procurent. In der Abgrenzung der St. Paulspfarre heißt es, die Grenze gehe von der Martingpforte nach der Judenpforte oder and) Sriejenfpira und von da den Rhein hinauf zum Brodthor, alfo lagen Judenthor und Frieſenſpir dicht beiſammen, welcher Annahme der Hamann’iche Stadtproipect von 1650 entſpricht. Faſt möchte ich im Hinblide auf Rheniſpira das Wort Spira mit einer befondern Aus» gangsthire deuten (gleih Sperre), da nach demjelben Stadtprofpect bei der AYudenpforte und der Manerefe an der Stadtfront hinauf das Rheinthor (Rheni porta) verzeichnet ift.

Ridelsheim, ehedem bei Oppenheim gelegen. In Urkunden kommt der Ort vor als Rudelshein, zuerft 765 als Rudolfesheim. Vgl. Wagner, Wüftungen Rheinhejfens ©. 138. 139.

Gimsheim ſammt dem vorgenannten und allen folgenden Orten liegen ſämmtlich dem Rhein entlang zwiſchen Oppenheim und Worins.

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Eichana heißt nun Eich, Ubersheim jett Jbersheim; Dürkheim erhielt zum Unterfchiede von Dorn » Dürkheim den Beinamen Rhein— Dürkheim. Der legtere Ort liegt Worms am nächften.

Alsheim und Meettenheim haben nod) dieſelbe Schreibart.

Die familia S. Leodegarii hatte in eodem latere civitatis, d. h. auf der dem heine zugefehrten Seite, ein nicht näher bezeich- netes Thor (portam quandam) herzuftellen. Es wird wohl die porta panis (Brodthor, in welches die, Brodgafle mündete) fein, welche in jener die Pfarrgrenze von St. Paul betreffenden Urkunde von 1084 vorfommt. Die Familie des h. Leodegar ift die des Kloſters Mur bad) im Elſaß, das aljo ohme Zweifel in der Gegend von Worms Beſitzungen hatte.

Die Pawenporta, Pfanenthor, hat noch bis ins 17. Jahr— hundert ihren Namen bewahrt nach Ausweis des Hamann'ſchen Pros jpects. Sie jtand jedoch nad) Hamanı nicht mehr in der Pangfeite, jondern auf der Schmaljeite des länglichen Vierecks (der Stadt-Grund- plan gleicht nämlich einen Länglichen Vierede, deſſen eine Yangjeite dem Rheine ſich zufehrt).

Nahe beim Pfanenthor bog die Stadtmauer um die Ede: angu- lus meridianus, Südecke oder genaner Südoſtecke. Don hier an hatten die füdlich von Worms gelegenen (jetst ſämmtlich rheinpfälzi= chen) Ortichaften einzutreten. Es werden genannt Bobenheim, ferner Ligrisheim, ein ausgegangener Ort zwijchen Bobenheim und Worms da, wo jett der ſogenannte Nonnenbufc (ein Hofgut in ehemaligen Beſitze des Nonnenflojters Maria-Münfter vor Worms) liegt. Nur Wenige fennen ihn unter dem Namen Littersheimer Hof. Unter diefem Namen führt den Hof der Scematismus de8 Bisthums Speyer nad) dem Stande des Yahres 1864 auf. Wagner, Wü— itungen Rheinheſſens S. 153, verlegt irrthümlich reiche Notizen iiber die Firchlichen Verhältniffe unjers Orts nad) dem ausgegangenen bei Dffftein gelegenen Lindrisheim (Yandrichesheim).

Dicht bei Bobenheim liegt Roxheim. Das darauf folgende Ageresheim ijt das heutige Oggersheim. Ueber die Geſchichte und Wortummandlungen diejes alten Orts j. Widder, Beichreibung der Pfalz II, 354.

Usque ad Hemmingersheim, war am Rhein gelegen. Der Ort hat fich nicht erhalten, mur fein Name in Hemshof, und zwar bei Friejenheim am heine. Hemingesheim fennt ſchon Cod. dipl. Lauresh. II, Wr. 956. Bol. Widder II, 369,

Media pars de Rucheim, der Halbtheil von Ruchheim, einem ehemals Dalberg'ſchen Dorfe bei Fuß-Gönheim, und alle wejtlic) vom Rheine bis zum Flüßchen Karlebach, das jest nod) feinen Namen trägt, haben die ganze Schmaljeite von der Südoſtecke bis zur Süd— weſtecke zu beforgen.

Don da an bis zur Andreaspforte bauen die beiderfeitigen Au— wohner des Karlebach bis hinauf nad Kirchheim, jett Kirchheim an ber Ed, Filial zu dem katholiſchen Pfarrort Neu-Leiningen.

401

dach dieſen kommen die Anwohner der Isara, bejjer Isana, des durch Worms durchfließenden, urkundlich oft genannten Eisbaches bis Mertesheim bei Grünftadt; fie bauen vom Andreasthor bis zum Martinsthor, welches Thor jest den Namen des abgeriffenen, weiter nad) Mainz gejtandenen Mainzer Thors geerbt hat.

Ihnen folgen die Anwohner der Pfrimm, welde vor Worms die Malesbach, die Mühlbad), aufnimmt und unterhalb Worms in den Rhein fließt. Die Pfrimm-Anwohner bauen bis zu dem Ausgangs» punft Friejenpira.

Darauf haben die vom Halbtheil Muntzenheim, d. i. Monzen- heim (micht zu verwechfeln mit Monsheim) bis zu Dienheim bei Oppenheim die Pflicht. Alle dieje felbft wie auch die im Umkreiſe der vorgenannten Flüffe und Dörfer Wohnenden müflen die Stadt mit propugnacula, Weghäufern, Wehrthürmen, und allem Nothwen- digen je nach Orts- und Zeitverhältniffen verfehen.

Bon Dienheim gegen Mainz und ins Land Hinein begamı die Baupflicht für Mainz.

Noch verdient bemerkt zu werden, daß fid) eine Wormfer Vor— jtadt suburbium bereits im 10. Jahrhundert nacjweifen läßt. Kine Urkunde von 985° umnterfcheidet zwifchen der Zolleinnahme intra ur- bem Vangionensem vel in suburbio, welder doppelte Zoll dem Dome bejtätigt wurde. In derjelben Urkunde folgt ein anderer Aus— druck dejjelben Sinnes: intra ductum novae et antiquae urbis. Da die Urkunde aber nur eine Beftätigung einer Urkunde Ottos IL. enthält, jo reicht unfere Kenntniß noch weiter hinauf.

Das Centrum diefes Euburbiums war eine uralte Kapelle, aus der Später der Wallfahrtsort und das Stift Piebfrau entjtand. Kaifer Heinrid) II. hatte diefe ecclesia sita in suburbio ex proprio 1006 dem Dome gejchenft (Schannat II, 36. 37). Das Alter diejer durch chriftlichen Cultus geheiligten Stätte ergiebt fid) aus den nahe dabei gemachten Funden von chrijtlichen Grabjteinen des 7. bis 8. Sahrhunderts, welche jetzt da8 Mainzer Mufeum zieren ?,

Bon gleichem Antereffe dürfte die Kenntniß der kirchlichen Gintheilung der Stadt in vier Pfarreien fein. Deun jo frühe wie in Worms hat fie fi) wohl in feiner rheinischen Stadt voll- zogen. Burchard nahm fie vor noch vor dem Jahre 1016 (Schannat II, 41. 42). Bifchof Adalbert bezeugt 1084, daß ihm die Stadt al8 von jeinem Vorgänger Burchard I. in vier Pfarreien getHeilt überfommen ſei: eivitatem nostram ab ipsis (Burchardo et Ar- noldo) divisam in quatuor parrochias accepimus (Schannat II, 60). Adalbert beftimmte die Grenze vom Pfarrbezirk St. Paul

! Schannat II, 26. 2 Falk, Das Gnadenbild U. 8, F. in der Vorſtadt Worms, in Marien- rofen 1871. Heft Febrnar und März. Jnnsbruck.

402

folgendermaßen : Bon dem Martinsthor bis zum Judeuthor oder auch Srigenjpira, von da den Rhein hinauf zum Brodthor und von diejem durch die Brodgafje bis zum Haufe des Ebo, und von da mitten durch die Straße der Stadt bis zurück zum Meartinsthor. Heute werden wir jagen: Vom Mainzerthor die Promenade hinunter bis zum heine, den Rhein Hinauf bis zum Fiſchmarkt, von da hinauf durch die Peterftrage zum Marfte au die Rhake'ſche Buchhandlung und die Kämmererftraße hinunter bi8 zum Mainzerthor !.

Die andere Pfarrei auf der Nordfeite der Stadt war St. Lam— bert bei St. Martin. Beide Pfarreien find nun zu einer ver= ihmolzen, haben aber gegen die zwei übrigen Stadtpfarren heute noch ihre Grenze bewahrt: ein feltenes Beiſpiel. Die nächjte Pfarrei war St. Johann am Dome und St. Magnus, welches zur Stiftskirche St. Andreas gehörte. St. Magnus, jegt der evangelischen Gemeinde zugehörig, kann als der ältejte Firchlihe Bau von Worms betrachtet werden *.

ı Das alte Mainzerthor lag vom Martinsthor hinaus die Mainzerftraße entlang im äußerften Mauerbering. Seit Abbrud) des alten Martinsthors (am Ausgange der Martinsftrage) benannte man die Stelle nad) dem jetst auch nicht mehr beftehenden Mainzerthor.

° Falk, im Organ für hriftliche Kunft 1872. Nr. 6, ©. 70,

Nachträgliches über Ermenridh von Ellwangen.

Bon E. Dümmler.

Nachdem ich Gelegenheit gefunden die oben (S. 476) erwähnte St. Galler Handſchrift von dem Leben des h. Solus ſelbſt einzuſehen, bemerke ich, daß dieſelbe ein ſelbſtändiges Stück des nur zuſammen— gebundenen Codex 571 bildet, das oben auf S. 235 als liber S. Galli bezeichnet in der That noch den 9. Jahrhundert angehören könnte. Am Schluſſe von ©. 263 hinter dem Hymnus trägt e8 die Unterjchrift: Marco. P. adest || Et. 1.C.L.M. Augustinus servus dei, die ic) nicht zu erklären vermag. Merfwürdig ijt, daß der etwas hat. Auf S. 235 fteht epistola ASG diaconi ad Grm. dia- conum, ebenfo kehrt dies ASG auch weiterhin wieder und nur am Schluſſe auf S. 262 heißt e8: Finit sermo Ermi diaconi et mo- nachi u. ſ. w. Berner nennt der Schreiber mit willfürlicher Aende— rung Nabanus durchweg Erzbifchof, fo in dem erften Briefe ©. 236: venerabilem archiepiscopum domnum Rabanum und salvo domni archiepisceopi privilegio, in dem zweiten ©. 238: domni- que archiepiscopi patrui mei licentiam defero, in dem Texte ec. 6 ©. 250: domnus Rabanus archiepiscopus, mur in c. 10 ©. 258: dominus meus beatissimus abba (dahinter eine Lücke). Man wird in diefen Abweichungen nicht etwa nachträgliche Verbefje- rungen des Autors ſelbſt erfennen dürfen, denn diefer fonnte un: möglich (in c. 6) den Erzbifchof Naban als Vorſteher des Kloſters Fulda bezeichnen, ſondern igenmächtigkeiten des Cchreibers, der Raban in feiner Zeit als Erzbifchof von Mainz (847—856) fannte und daher glaubte, ihm den gebührenden Titel beilegen zu müſſen. Eine weitere Eigenthümlichfeit des ſonſt, abgefehen won manchen Feh- fern, mit den Münchener Handfchriften meiſt übereinſtimmenden St. Gallers ijt die, daß er einige Male für Solus die im Volksmunde gebräuchliche Form anwendet: S. 237 Suali beati monachi, 241 sancti Suali, 242 (in den Gapiteln) beatissimus Sualus, 244 beati Suali, 247 ec. 3 Solum quam Sualonem et cellam ipsam cellam beati Suoli quam cellam Sualonis, 250 beatus Sualus; weiterhin nicht mehr. Die Berufung auf ein Gemälde inc. 8 fehlt

404

nicht. Die Stuttgarter Haudjchrift der Vita Hariolfi gehört nicht (S. 480) in das 11., jondern nad) einer gefülligen Angabe des Hr. Archivraths Dr. Paul Stälin erjt in das 12. Jahrhundert.

Zu den jeltenen Worten, welde Ermenrid gebraucht (S. 484 Arm. 3), wäre ans dem Briefe Gundronus nod) prologum scarpsi- nans (scrapsinans: cod. S. Galli) hinzuzufügen gewejen, da Du Gange den Ausdrud gleichfalls nur aus diefer Etelle kennt!.

In der epistola Ermenriei bitte id ©. 42 3. 5 den Drud- fehler seilicat für seilicet zu berichtigen. Die Verſe Habe ich, wie fie in der Handichrift überliefert werden, faft durchweg unberührt ge lafjen, weil ihre Fehler theils jchwer zu heilen waren, theils der Art, dag man bisweilen zweifelt fann, ob fie dem Verfaffer oder dem Ab— fchreiber zur Lajt fallen. Ich erwähne noch, daß es ©. 20 in dem eriten Verfe aus Lukrez divinitus heißen müßte, ©. 45 v. 66 di- cere bei Aufonius. Lücken, durch welche die Verſe fünffüßig gewor— den find, finden ſich ©. 40 v. 1, 44 v. 4, 45 v. 56, dagegen ift ©. 41 v. 23 fiebenfüßig. ©. 46 v. 93 ſchlägt Wattenbady für das unverftäudliche risum risu vor: Perspieit ettalem cum risu doctus Homerus. In den Verſen an Grimald (S. 35—37) hat, wie id) erjt Fürzlich entdeckte, Ermenrich außer Theodulf noch einen andern bisher ungedrudten Dichter aus der Zeit Karla des Großen mehrfad) geplündert, der uns unter dem Namen Naſo ein in Gefchäftsform abgefaßtes Lobgedicht auf den großen Kaifer Hinterlaffen hat. Aus einer Londoner Handfchrift wird dajjelbe demnächit in der Zeitichrift für deutfches Alterthum veröffentlicht werden. Ungewöhnlich ift in dem Gedichte Ermenrichs (S. 45 v. 70) die Bezeichnung der Waal al8 Wandalus und wenigftens felten (v. 73) die der Normannen, welche feit 834 die Rheinmündungen häufig heimjuchten, als Markomannen, obgleich fc, diefer Name gerade auch bei Rabauus findet (De inventione- linguarum: Marcomanni quos nos Nordmannos vocamus; Gol- dast, SS. rer. Alamann. II, 69). Vgl. außerdem die Ann. Mascia- censes a. 865 und 873 (Mon. Germ. SS. III, 169) und weſt— fränfifche Urkunden bei Tardif, Monuments 132, und bei Bouquet, Recueil des hist. des Gaules IX, 460.

ı Für das von ihm aus unſerer Vita c. 7 citierte calculosum Iefen die Münchener Handfchr. clanculum, die St. Galler cancalum.

Ein Suevenkönig Veremmud. Bon F. Görres.

Das neueſte Buch von Emil Hübner (Inscriptiones Hispaniae christianae, Berolini 1871) enthält eine ſtattliche Anzahl von Ju— feriptionen des chriftlichen Spaniens, durch die das etwas bürftige Duellenmaterial für die Gejchichte der Germanenherrfchaft auf der phrenäifchen Halbinfel in der erfreulichiten Weije ergänzt wird.

Beſonders intereffant ift folgende Weihinfchrift (vgl. Hühner ©. 43, Nr. 135): In n(omin)e d(omi)ni perfectum | est tem- plum hunc (sie \ per M | arispalla | d(e)o vota | sub die XIII k | (alendas) Ap(riles) er | (a) DXXIII reg | nante sere | nis- simo Ve | remundu (sic!) re | x. Aera 523 p.Ch. 485, 20. März. Diefe Infeription wurde im Bezirke von Braga (Conven- tus Bracar-augustanus), alfo im nordweftlichen Theile de8 heutigen Portugal, aufgefunden. Hübner (a. a. O.) äußert fich des Näheren über den Fundort, wie folgt: In coenobio S. Salvatoris de Vai- r%o S. Benedicti, in pariete domus o celleiro dietae versus meridiem juxta dormitorium novum, in lapidibus septem juxta positis. Hübner hat unferen ‘titulus dedicatorius’ an Ort und Stelle nicht einfehen können. Gleichwohl hält er, und das aus trif— tigen Gründen, an der Echtheit deffelben fett für die Authenticität läßt fich unter Anderem die bei allen Weihinfchriften des chriftlichen Spaniens (in fpäterer Zeit) vorkommende Cingangsformel In no- mine domini anführen —, ja er räumt fogar ein, der Titulus könne der Zeit angehören, wie fie die bezügliche Datirung befagt (vgl. Hübner a. a. D. und praefatioS. VIII). Die Frage ift: Was für ein Herricher war der in unferem Titulus erwähnte König Ve— remund? Börftemann * ift über die Perfon diefes Fürften volfftändig im Unklaren: er nennt ihn einen „unbekannten König“. Anders Hübner; er bezeichnet jenen Veremund wiederholt (S. 110. 112) als „Weftgothenfönig*. Daß aber auch er noch erheblichen Zweifeln Raum gibt, befunden deutlich folgende Worte (S. 43): Veremundi

ı „Altbentche Namen aus Spanien“ in der von Adalbert Kuhn rebigirten Zeitihrift für vergleichende Sprachforſchung u. |. w. Bd. XX, Berlin 1872, Het 6, ©. 433,

XIV. | 27

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regis hujus regnum quemadmodum conjungi possit cum tem- pore, quod in titulo indicatur, incertum est. Ein Weftgothen- fünig war nun Veremund freilich nicht; die Weftgothen wurden viel- mehr zur Zeit der Abfaffung unferer Inſchrift (20. März 485) be— fanntlich von dem großen Eurich beherricht, dem übrigens noch vor September dejfelben Jahres fein Sohn Alarich IL. (reg. 485—507) in der Regierung folgte (vgl. Dahır, Könige V, S. 101 Anm. 4; ©. 102. 233). Da der Titulus, wie vorhin erwähnt, unweit von Braga (Augusta Bracara), der alten fuevifchen Hauptjtadt, alfo auf ſue— pifchem Gebiete (vgl. v. Spruner-Menfe, Lieferung II, Karte 14), gefunden wurde, fo repräfentirt die Anfeription ein ung aufbewahrtes Stück der ſueviſchen Gefchichte; mithin haben wir den Veremund als einen um 485 regierenden König der fpanifchen Sueven aufzufaſſen. Diefes Nefultat ift um fo ermwinfchter , als uns das Jahr 485, wie es eben die Anschrift aufweift, in eine Periode der ſueviſchen Ges fchichte verfetst, über die uns fo zu fagen alle authentischen Nachrichten fehlen. Nachdem nämlich Sfidor von Sevilla in feiner Suevorum historia unter Zugrundelegung der Chronif des Idatius eine kurze Ueberficht der älteren ſueviſchen Gefchichte gegeben und zulett erzählt hat, wie König Nemismund die Mehrzahl feines Volfes zur Härefie des Arius verführt habe, bricht er plötlich mit dem Jahre 468 ab und fertigt eine faft Hhundertjährige Periode arianifcher Herricher von Remismund bis Theodomir I. (468—c. 560) mit folgenden dürren Worten ab (ef. Isid. Hisp. Suevor. histor. ed. Areva- lus VII, ©. 136 Nr. 90): Multis deinde Suevorum regibus in Ariana haeresi permanentibus, tandem regni potestatem Theudemirus suscepit. Mit Hülfe unferer Anschrift dürfte alfo wenigſtens einer der jener dunflen Periode angehörenden ſueviſchen Könige der DVergeffenheit entriifen fein. Alle weiteren Verfuche, für die Zeit von 468 bis c. 560 ſueviſche Königsliſten aufzuftellen, find aber bei dem gänzlichen Mangel des bezüglichen authentischen Quellen— material8 als verfehlt zu betrachten. Mit Necht hat alfo fchon Fer— reras (Spanien, Deutfh von Baumgarten II, S. 295. 242) zweien zwifchen Remismund und Theodomir eingefchobenen Suevenfünigen Namens Rechila und Thendemund die Hiftorifche Eriftenz abgeſprochen. Man wird ferner Dahns Kritik adoptiren müſſen, wenn diefer For— ſcher (VI, ©. 569) auch den Hermenerich II. und den Ricilian, zwei weitere zwiſchen 468 und c. 560 eingefchobene Suevenfürften (vgl. Acta s. Vincentii Legionensis abbatis in den Acta Sanctorum Boll. T. VII, mensis Martii T. II [Venetiis 1735], ©. 62 .63), für apokryph Halten möchte. Aus der Datirung des Titulus geht hervor, daß Remismund, deffen Gefchichte Idatius und (nach ihm) Iſidor bis 468 verfolgen, das genannte Jahr nicht allzu lange über- (ebt hat. Veremund wird, wo nicht der unmittelbare, jo doch einer der nächften Nachfolger Remismunds gewefen fein. Intereſſant ift noch die Titulatur serenissimus rex, die Veremund in der Inſchrift erhält ; fonft läßt fich das Epitheton gloriosissimus als Prädicat der Sue—

407 n. nachweifen (vgl. die betreffenden Quellenbelege bei Dahn VI, . 581).

Was den gleichfall8 in unferer Aufeription vorkommenden Namen Marispalla anbelangt, fo ift Hübner (praef. S. VIT) geneigt, den- jelben für gothifch zu halten. Gothiſch iſt er aber ficher nicht; es handelt fi nur darum, ob wir ihn als ſueviſch oder genereller aus— gedrückt als deutfch, oder ob wir ihn als romaniſch auffaffen müſſen. Förſtemann ift zweifelhaft. Sehr mit Recht erblickt er aber in dem Worte einen weiblichen Namen: für diefe Annahme fpricht das ale Appofition grammatiſch zu Marispalla gehörende deo vota. Viel- leicht läßt fi) zu Gunſten der deutfchen (ſueviſchen) Abftammung Marifpallas der Umjtand geltend machen, daß der regierende Sueven- fönig ausdrüdlih in unferer Inſchrift erwähnt wird. Ob wir e8 hier mit einer Arianerin oder Katholikin zu thun haben, diefe Frage bleibt freilich troß der Datirung nad) dem arianischen Germanen- fürften umentjchieden. Nach der überzeugenden Argumentation Xe Blants (Manuel d’epigraphie chretienne d’apres les marbres de la Gaule [Paris 1869] S. 185—188) zeigen nämlid) die In— feriptionen des Occidents im fünften und fechiten Jahrhundert alfe nur den allgemein chriftlihen Typus, laſſen aber feinerlei unterfchei= dende confefjionelle Merkmale der Orthodorie oder der Härefie (Aria— nismus) erfennen.

1 Er äußert fich über den Namen S. 435: „Iſt der erfte Theil deutſch, fo fügt fi der Name gut zu Namenb. I, 911; der zweite Theil freilich läßt fi) bis jest noch in feiner Weife als deutfch erweiſen“.

Ueber den jogenannten Libellus

de imperatoria potestate in Urbe Roma.

Bon

3. Jung.

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Das merkwürdige Actenftüd, das von Per ‘Libellus de im- peratoria potestate in urbe Roma’ genannt worden ift, wurde zuerft herausgegeben von dein befannten Magdeburger Genturiator M. Flacius Illyrieus in feinem Catalogus testium veritatis, Straßburg 1562. Bd. I, 89 ff. As Vorlage diente ihm, wie er feloft anführt, eine Handfchrift de Eutrop, d. 5. wol der Historia miscella, der am Ende der unbekannte Autor beigebunden war!, Die Ausgabe wurde daher überjchrieben: Eutropii appendix , wor- aus ſich dann unter den Gelehrten der Zeit die Fabel entwickelte, Eutropius, ein ‘presbyter Langobardus’, fei der Verfaſſer ge— weſen. Die zweite Edition gab Goldast, De Monarchia Imperii I. unter dem Titel: ‘de juribus ac privilegiis Imperatorum in Imperio Romano’, wobei er einige Emendationen anbrachte; aud) die fpäteren „verbejjerten und vermehrten“ Auflagen des Catalogus testium veritatis hatten deren bereit mehrere verfucht; nad) einer der letzteren erfolgte dann der Abdrucd in den Mon. Germ. historica 2, Die Handfchrift felbit, die Flacius benugte, ift verloren gegangen.

ı Slacius a. a.D.: Habeo exemplar manuscriptum satis vetustum Eutropii et adjunctorum scriptorum in XXVI libros distributum. In ejus fine est quaedam vetusta historiola ... .

2 Die Editio princeps zeigt in Folge deffen einige bemerfenswerthe Ab- mweichungen von dem Texte der Mon. Germ. SS. III, 719—723.

Editio princ.: Mon. Germ.: In palatium Papae In palatium Papiae lateratus Lateranis solvebantur. solebat (mo Perg richtig emendiert).

Auch die Interpunction differirt einigemale:

Editio princ.: qui praeerat regia vice ante Romanis, videretur post esse subjectus.

Mon. Germ.: qui praeerat regia vice ante, Romanis videretur post esse subjectus.

Goldaft und in einem Eitat der anonyme Berfaffer der Schrift: Ot- tonis III. Imp. donatio Sylvestro II. papae facta (1607) S. 32 ff. emen- dieren nicht ungeſchickt ad' (reip. in) dedecorem imperii, fir ad decorem des lacius (und Mon. Germ.).

Auch andere Berbefferungen erlaubt fi) der Anonymus 1. c.:

quatenus is ft. quatenus ut is (Flacius, Mon. Germ.).

prae ft, pro. Das mußte feitgeftellt werden, um über die Zuperläffigkeit unferer Aus- 28*

412

Wenn man den Inhalt des Libellus wir wollen diefe ihon geläufig gewordene Bezeichnung beibehalten näher betrachtet, jo begreift man die Freude, die der Genturiator über feinen Fund hatte; von den Päpften wird darin nicht mit befonderer Liebe und Hochachtung geſprochen; zugleich würde diefer Umſtand unferen Ver— dacht rege machen glei) das nächſte, was der Catalogus bringt, ift die verdächtige Vorrede zum ſog. Heliand —; doch werden diefe Bedenken dadurd) völlig befeitigt, daß wir jett wiljen, wie bereits im zehnten Jahrhundert der Libellus anderweitig benugt worden ift ein Umftand, den Flacius noch nicht kannte, und der erft durch die Herausgabe der Chronif Benedifts von S. Andrea auf dem Soracte in den Mon. Germ. hist. offenbar geworden ift.

Ich ftelle die betreffenden Abfäe de8 Chronicon und des Li- bellus zujammen. .

Libellus SS. III, 720: Benedict. Mon. Germ, SS. III, 712:

Tanta nempe imperialis| Imperator Lodvicusin tanta virtus ibi vigebat, ut siin legali | virtus in Italia extitit, judicio minoris vel inscii causa postponeretur, et ille alicujus con- silio pedes teneret legati impera- toris, petens ab eo justam legem et missus adjuraret principes Ro- manorum, dicens: ‘Per eam fidem, quam domino imperatori debetis, facite huie homini justam legem', nemo erat ausus declinare neque ad dexteram neque ad sinistram, etiam si a propinquis ponti-

ficisillataessetinjuria. Multotiens |]ut sanguinium pontificis

vero non ante apostolicum, sed in judicialiloco ad Lateranis, ubi quidam locus dicitur ‘Ad Lupam’, quae mater vocaba- tur Romanorum,ibi judiciariam legem finiebant.

Si aliquis iram incurrebat im- peratoris episcopus aut judex Ro- manus et licitum esset caesari ve- nire Romam, veniebat; sin autem, mittebatur dix Spoletinus, com- prehendebatur offensor et ducebatur in exilium.

Romani a legibus non po- tuisset erueret. Abebat au- tem in palatioLateranensis judices preordinati per sin- gulos dies, a locus ubi dici- tur a Lupa, quod est mater Romanorum,

ut populum Romanum per distric- tum placitum a dux Spoletinus Aciprandum nomine discutiendum.

Zu dieſer Hauptjtelle kommen noch einige andere, weniger be=

beutende.

Der Libellus fpridht von drei beſtimmten Reichsabteien und

ihren Verpflichtungen; Benedict dehnt dies (S. 712) noch auf einige andere Klöfter aus. Erſterer berichtet über die Enthauptung von dreihundert Römern in campo Lateranensi bei Gelegenheit des

gaben und die Tragweite von allfälligen Aenderungen, die fid) Editoren er- laubten, Klar zu werden,

z 413

Aufftandes gegen Leo III.; Benedict folgt ihm darin wörtlich (S. 711). Die Phrafe: Roma per patriecios prineipabatur, des Libellus (S. 719) gibt der Mönch in feiner, wie gewöhnlich), aller Grammatik Hohn fprechenden Weife wieder, indem er princi- pabantur fest, den Plural für den Singular. Nach dem Tode K. Ludwigs IL. bemerkt Benedict; regnum fraudatum est a Karulo neptus ejus (S. 713); was dem Sinne des Libellus entſpricht, nicht aber der fonftigen Parteiftellung des Chroniften.

Aus all dem geht hervor, daß diefer den Libellus benutte, aber nicht gerade in der verftändigiten Weiſe. Iſt er gewöhnlich Abbreviator wie an jener größeren Stelle —, fo fördert er, wenn er mehr geben will al8 die Vorlage, in der Regel eine Unrichtigfeit zu Tage; wie 3. D., wenn er einen bejtimmten Herzog Aciprand von Spoleto an— führt, wo der Libellus feinen Namen nennt; im ganzen 9. Jahre hundert hat es feinen Herzog diefes Namens gegeben.

Aus der Schreibart der beiden Autoren ergibt ſich zugleich, daß es Männer von ganz entgegengefetter Bildungsitufe geweſen fein müjfen. Der Libellus ift in gutem Latein abgefaßt; Benedict zeigt eine große Unkenntnis der Sprachgefege und fchreibt eine höchſt vul= gäre Mundart.

Außerdem befigen wir eine Urkunde K. Dttos III für Papit Sylveſter II., welche den Libellus fennt und ihn ausjchreibt. Es handelt fih um ein Privileg Karls des Kahlen für das Papftthun, das man faiferlicherfeits nicht gelten laſſen will. Die betreffenden Stellen lauten:

Libellus S. 722: Urfunde Ottos III. M. G. LL. II, 162.

Qui (Carolus Calvus etc.) veniens] Haec sunt etiam commenta, qui- Romam, renovavit pactum cum | busdicunt, quendam Carolum sancte Romanis: perdonans illis jura | Petro nostra publica tri- regni et consuetudines illius, | buisse. tribuens illis sumptus de tribus supradietis monasteriis, i. e. Do- mini Salvatoris et beatae Mariae semper virginis in Sabinis atque sancti Andreae juxta montem So- ractis, et de caeteris quam pluri- mis monasteriis fiscalia patrimonia.

Patrias autem Samniae et Cala- briae simul cum omnibus civita- tibus Beneventi eis contulit; insu- per ad decorem (l.: dedecorem) regni totum ducatum Spoletinum cum duabus civitatibus Tusciae, quod solitus erat habere ipse du, id est Aricium et Clusium: qua- tenus utis, qui praeerat regia vice ante Romanis, videretur post esse subjectus. Removit etiam ab eis

! 2gl. Fatteschi, Duchi di Spoleto ©, Tl,

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Libellus ©. 722: Urkunde Ottos III. M. G. LL. IIv, 162. regias legationes, assiduitatem vel praesentiam apostolicae electionis.

Quid plura? Cuncta illis contu-}| Ergo quod non habuit, non de- lit, quae voluerunt, quemadmodum | dit; sic dedit, sicut nimirum dare dantur illa, quae nec recte ac-|potuit, utpote qui male acqui- quiruntur nec possessura|sivit et diu se possessurum sperantur. non speravit.

Die Abhängigkeit beider Schriftſtücke tritt noch mehr hervor durch den Umftand, daß beide vdenfelben Fehler begehen, Karl den age auf der Flucht vor Karl IIL, ftatt vor Karlmann, fterben zu aſſen.

Libellus: Urkunde Ottos IIL: Fugato itaque isto Carolo prae| Ipsum Carolum nihil dare jure metu alterius Caroli. potuisse, utpote jam a Carolo

meliore fugatum, jam desti- tutum et annullatum.

Aus der Vergleihung der Urkunde mit den betreffenden Sätzen de8 Libellus ergibt ſich mit ziemlicher Sicherheit, daß erjtere diefen vor Augen gehabt hat; man muß in der That den Autor zur Hand nehmen, um zu verjtehen, was unter dem „ehr großen Theil des Neiches“ und unter den „Rechten“ dejjelben eigentlich gemeint ift. Erheben ich feine fonftigen Bedenken gegen die Echtheit der Urkunde, jo haben wir e8 hier mit einem der nicht ganz feltenen Fälle zu thun, wo eine Urkunde einen Schriftiteller ausjchreibt; eines der in= tereffanteften Beifpiele davon ijt, daß K. Friedrich I. einmal zwei Kapitel aus der Chronik Dttos von Freifing in ein Privilegium ein= rücen ließ, um dadurch die Authenticität von des Hl. Bartholomäus irdischen Ueberreften verfchiedenen Anfeindungen gegenüber feftzuftellen !. Nach mittelalterlichen Begriffen lag in einem folchen Verfahren durch— aus nichts Anſtößiges.

Aus diefen verfchiedenen Benutzungen des Libellus ergibt ſich zugleich beiläufig die Zeit feiner Entftehung. Die Datierung der Urkunde fehlt zwar; da aber Benediet von ©. Andrea ficherlich ſchon früher geichrieben Hat, ift dies für unferen Zweck gleichgültig. Be— nediet fchrieb nämlich offenbar unter dem gewaltigen Eindrude, den die Wiederherftellung des Kaifertums durch Otto den Großen auf ihn gemacht hatte: die Vermählung Dttos II. mit Theophano wird noch erwähnt, dann bricht er ab mit einem Fluche auf die Sachſen, die Kom und die Kirche unterdrückten. Das verräth den Zeitge— noſſen *,

2 Urkunde vom 6. Auguft 1167 bei Böhmer, Acta imperii selecta I, Nr. 125. Der Kaifer citiert: annales predecessorum nostrorum catholi- corum imperatorum revolvimus in ipsorum annalium sexto libro invenimus. Es folgt dann Ottonis Fris. Chron. VI, 24—26, über die trans- latio des S. Bartholomaeus von Benevent nah Nom durch K. Otto II.

2 Die bei Benediet ftchende Phrajc ‘usque ad presentem diem’

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Aus dem lapsus memoriae, den fi dan der Verfaſſer des Libellus felöft zu Schulden kommen läßt, indem er die beiden oſt⸗ fränkiſchen Prinzen Karl und Karlmann mit einander verwechſelt, werden wir zugleich auf einen jenen Ereigniſſen zeitlich ferner jtehenden Autor ſchließen müffen, zumal wenn er fich fonjt gut unterrichtet zeigt '. Mit Ruckſicht auf diefen Umftand wie auf die Benugung durch Benedict, würden wir die Zeit, innerhalb deren der Libellus ge⸗ fchrieben fein müßte, allenfalls zwifchen dem Anfange des zweiten und = Ende des dritten Viertels des zehnten Jahrhunderts abzugrenzen haben.

Das ift denn auch die jetzt Herfchende Annahme. Pagi? wollte diefe Zeitgrenze bis 1020, Perg? im Zufammenhange mit jener Ur— funde Ottos II. bis 1000 vorrüden die Chronif Benedicts kannte jener nicht; diefer hielt den Chroniften mit dem Verfaſſer des Libellus für identiih —; alfein feit Wilmans in einem Exceurje der Ranke'ſchen Jahrbücher“ die Unzuläffigfeit von Per’ Suppofition gezeigt hatte, fette man mit ihm die Entftehung der Schrift in die Zeit um das Yahr 950.

Bezüglich der näheren Beſtimmung aber giengen die Meinungen auseinander. Maurenbrecher ® behauptete, der Libellus fei auf Be— fehl Ottos I. nad) feiner Kaiſerkrönung verfaßt, um deſſen Mapregeln gegen Rom und das Papſtthum zu vertheidigen ; auch) Pertz hatte in demfelben eine kaiſerliche Parteifchrift gefehen; die übrigen aber nah- men an, es drücke fi) im Libellus das Verlangen nad) Wiederher- ſtellung der alten Faijerlichen Gewalt aus; jo namentlid) Giefebrecht ©

dauere dies und jenes: c. 14 (S. 712) irritum magnum inter Beneventos et ejus succedentia et Salernum et divisio usque ad praesentem diem; ©. 712: ablatum est regnum Aquitanie a Francis usque in praesentem diem; ebenda bei Erzählung der Niederlage K. Ludwigs II. gegen die Saracenen: propter hoc populi Romani in derisione abuerunt Franei usque in hodiernum diem; endlich S. 713: propter hoc amplius rex Francorum non regnavit usque ad presentem diem, würde an und für fich feine genauere Beftimmung ermöglichen; als jubfidiären Beweis mag man fie immerhin gelten laſſen.

ı 3,8, Verwechſelung von Karl II. und Karl III. fonımt bei Liutprand, Widukind, dem Fortſetzer Ados vor. Dändliker, Hiſt. Zeitſchr. XXVIII, 238. Beim Panegyriſten K. Berengars, bei dem es ungleich ſchwerer wiegen würde (wie Dümmler bemerkt), ſcheint dies Verſehen noch nicht vorzufommen. Bgl. Anſelm d. Peripatetiler S. 108 die Nachträge zu den Gesta Berengarii im- peratoris.

2 Critica ad Baronium, ad a. 875.

s Mon. Germ LL. IIb, 162. SS. III, 696. (Daran hat fid neuer dings Bethmaun⸗Hollweg, Civilproceß V, 244. 10 gehalten). a * Bd. II, Abth. 2, Exe. XI ©. 235 ff.

5 De historicis deeimi saeculi, qui res ab Ottone gestas memoriae tradiderunt, 1861. S. 57.

° Kaiſerzeit (4. Aufl.) I, 344. 782,

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und Wattenbach!; auch Gfrörer?, nur daß er ihm zugleich gegen das wüſte Treiben der römischen Großen gerichtet fein ließ.

In der That kann eine nähere Beftimmung der Entftehungszeit nur im Hinblid auf die Tendenz, in der das Schriftſtück abgefaßt ift, vorgenommen werden.

Wir müſſen zunähft an die Löſung der Frage gehen: welche Stellung nimmt der Libellus den großen politifchen Ereigniffen feiner Zeit gegenüber ein, welches ift feine Tendenz ?

Da ift nun, wie ic) glaube, vor Allem darauf aufmerffam zu machen, daß der Autor unferer Schrift eine nicht geringe Animofität gegen das Papftthum zur Schau trägt.

Es tritt dies bereit8 in der Einleitung derfelben offen zu Tage, welche die Ereigniffe vor Karl d. Gr. kurz refumirt. Es läßt ſich daraus für die beglaubigte Gefchichte unmittelbar Nichts gewinnen ; man fieht vielmehr, wie nebelhaft diefe den Späterlebenden erfchien ; ja in unferem Falle werden wir fagen müffen, der Verfaſſer hat es abſichtlich auf eine Täufchung abgefehen; in tendentiöfer Weife ver- dreht er die Ausfagen der Quellen, auf die er fich ftütt.

Es find dies erftend Drofius, der chriſtlich-orthodoxe Hiftorifer de8 5. Yahrhunderts, der damals die Heiden und die feterifchen Impe— ratoren allein für das Unglück verantwortlich gemacht hatte, das den Orbis Romanus betraf: der Libellus citiert ihn, um anfchaulich zu machen, was einjt die Kirche, die römische zumal, fi) von den Kaiſern habe gefallen lafjen, ohne dagegen zu murren oder Oppofition zu machen.

Die zweite Quelle, welche den hierauf folgenden Ausführungen zu Grunde gelegt wird, ift das römifchePontificale felbft, und hier fönnen wir fehen, wie unfer Autor Greigniffe, die mehr als dreißig Fahre auseinanderliegen, verquidt und die Erzählung ſelbſt in ten— dentiöfer Weife fich zurechtlegt.

Das Papftbuch berichtet in der Kebensbefchreibung des Silverius ®, der von 536 an auf dem römischen Stuhle faß, daß diefer mit der Kaiſerin zerfiel; in Folge deffen ließ die Monarchin den Papft durd) falſche Zeugen des hochverrätherifchen Einverftändniffes mit den Gothen bejchuldigen. Der Patricius Belifar fonft dem Silverius ge= wogen, aber durch Befehle gebunden heißt diejen zu fich in den Palajt fommen; dort macht ihm noch Antonina, die Patricia, heftige Vorwürfe; dann wird ihm das Pallium abgenommen, feine Entjeßung dem Volke verkündet *.

Diefe Erzählung des Papftbuches verknüpft nun der Libellus mit jener anderen von Narfes, der die Pangobarden ins Land gerufen, während die Römer felbft und ihr Bifchof dem byzantiniſchen Regi—

ı Deutihlands Gefchichtsquellen (3. Aufl.) I, 311.

2 Papſt Gregorius VII. und fein Zeitalter V, 77—79. 118. 180. 182. Er Hatte von dem Werthe des Libellus al8 Geſchichtsquelle (nebenbei bemerkt) unter allen Hiftoritern die höchfte Meinung.

s ed. Vignoli I, 209 ff.

* Liber pontif. ed. Vignoli I, 227 ff.

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mente Oppofition machten. Die Bejtrafung läßt der Libellus noch ſchärfer ausfallen als das Papſtbuch!.

Zugleich ergreift der Verfaſſer des Libellus die Gelegenheit ſich über das damalige Verhältnis der römiſchen Kirche zur Staatsgewalt auszuſprechen: wie der Papſt nur für Kirchen und Kleriker zu ſorgen gehabt; wie er hingegen vom Staate ſeine Einkünfte bezog; wie er Unterthan des Kaiſers war, deſſen Befehlen er Folge leiftete, auch wenn er gewiß wußte, daß man ihm ins Exil Schicken würde,

Die ganze Ausführung erinnert ſehr an die Streitichriften, die nachher zur Zeit des großen Kirchenftreites von faiferlicher Seite gegen die Gregorianer gerichtet worden find,

In derfelben Weije, wie der Libellus begonnen, fährt er aud) fort. Nachdem die Griechen durch die Pangobarden aus dem Felde geichlagen waren, ‘cessavit imperium ab urbe Roma usque ad Francos’, weil die neuen Ankömmlinge durch Könige regiert waren; merfwürdiger Weife läßt der Libellus ihre Herrichaft auch auf Rom fi) erftreden. Aber auch gegen fie intriguirt der Bapft; er weiß den Frankenkönig Karl mit den Langobarden zu verfeinden, indem er ihm das imperium verjpricht. Als diefer dann wirklich das Neid) eingenommen, müſſen die faiferlichen Beamten vor allem dafür forgen, daß auch die Verwandten des Papites zur Redenfhaft gezogen wurden, wenn fie Unrecht thaten ?.

Papft Nicolaus verfolgt treue Diener des Kaifers, wie den Erz- bifhof von Ravenna; zuletzt wird das Reich unter dem Vorwande der Freiheit der Kirche (al8 ob fie Jemand unterdrüdte!)? feiner ihönften Provinzen beraubt. ;

Alſo gegen die Päpſte und ihre Verwandten richtet fich die Tendenz des Libellus, wie wir fehen; und um diefen Kern gruppieren fich) die übrigen Factoren der römischen Stadtgefhichte: für die Rö— mischen Großen im Allgemeinen hat unjer Autor Worte freundlicher Anerkennung *; Hingegen das niedere Volf, die Maffe der Römer treffen zugleich feine Vorwürfe; mit ihm ift das Papftthum verbindet, ihr Intereſſe wird identificiert ®.

Wir fönnen weiter gehen und fragen, aus welchem Grunde denn der Pibellift dem Papſtthum und feinem Anhang feindlich entgegen-

ı (Narsus) fecit eum comprehendi et tonsorari, vestemque mo- nachicam induere, necnon sedentem asino ad monasterium s. Sabae perducere. Bon dem letsteren fteht in Lib. pontif. fein Wort. Die Pa- tricia heißt im Libellus Polyxena.

° Etiam si a propinquis papae illata esset injuria.

s Die Päpfte an Karl den Kahlen: er folle ‘de servitutis jugo ad propriam libertatem reducere suam ecclesiam, ut quasi per vim ab aliquo esset oppressa),

* (8, Ludwig IL) habens strenuos viros ejus urbis, scientes antiguam imperatorum consuetudinem, et intimantes caesari etc.

5 Karl der Kahle, nachdem bisher die Päpfte mit ihm unterhandelt hatten: renovavit pactum cum Romanis, tribuens illis u. f. w.

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tritt? Auf welchen Schluß hat es der Autor mit feinen Ausfüh- rungen abgefehen? Gibt er eine “invectiva in Romam’ wegen theologifcher Differenzen, oder eine ‘Antapodosis’ wegen perfönlicher Kränfung, oder beklagt er vielleicht den fittlichen Verfall der Hauptftadt der Chriftenheit ?

Quid plura ?” Die große Shenfung Karls des Kahlen, die Aufgabe aller NReichsrechte in Nom und feinem Gebiete; die Entſa— gung der Einflußgnahme auf die Papftwahl; die Abtretung der drei Neichsabtein S. Salvator, ©. Maria (Farfa), S. Andrea am Berge Soracte u.f. w., desgleichen der Landichaften (patriae) von Samniumund Calabrien fammt den Stadtbezirken (eivitates) Bene— vents; endlich die Unterwerfung des Herzogs von Spoleto (mit Chiufi und Arez30) unter den Papft: das ijt der Gegenstand, der den Zorn des Libelliften erregt hat; in der Zurückweiſung der Nechtsverbind- lichkeit eines Pactums, das ein Ufurpator, weil er nichts rechtmäßig hatte, auch nicht geben fonnte, darin gipfelt die ganze Ausführung unferes Schriftitüds.

Und weiter: e8 beflagt, daß feiner der fpäteren Kaifer oder Kö— nige den erlittenen Schaden wieder gut gemacht habe (nemo impe- ratorum, nemo regum acquisivit); e8 fehlte die Tüchtigfeit oder die Erfenntnis (aut virtus defuit, aut scientia); daraus hätten fih) für das eich die bejtändigen Bürgerkriege und Gewaltthätigs feiten al8 nothwendige Folge ergeben (unde multa praelia, dela- tiones et rapinae fuerunt in regno).

Damit bricht der Libellus ab; in dem Leſer aber läßt er den Eindruck zurüd, daß, um Ruhe und Ordnung wiederherzuftellen, nichts weiter nöthig fei, al8 jenes Pactum Karls d. K. zu negieren und wieder auf die Zuftände unter den früheren Kaifern, wie fie die Schrift des weiteren auseinandergefett hat, zurüczugehen.

ft nad) dem bisher Gefagten die Tendenz des Libellus gegen die Bildung eines felbftändigen römischen Gebiete8 unter der Herr— ichaft des Papſtes (und feiner Verwandten denn gerade diefen Zug werden wir nicht vergejfen dürfen —) gerichtet, jo wird man zum zweiten die Frage aufwerfen, zu weſſen Gunften der Autor fchreibt, wen feine Sympathien gelten.

Bekanntlich wurde bisher gewöhnlich eine directe Beziehung zur Neftauration des KRaiferreiches durd; Otto d. Gr. angenommen , fei e8 daß deren Intereſſe verfochten, ſei e8 daß deren Eintritt dadurch vorbereitet werden ſollte. Schon die üblichen Benennungen, die durch Goldaſt und Pertz vorgefchlagen waren, leifteten diefer Annahme Vorſchub.

Wenn wir aber näher zuſehen, ſo ergibt ſich denn doch, daß dem nicht ſo ſei. Nicht ſowol das Kaiſerthum an und für ſich iſt es, wofür der Libelliſt eintritt; vielmehr iſt es die „Ehre des König— reiches“, für die er fchreibt; vor dem regnum!’ tritt das “im- perium’ zurüd; und wenn er fi) doch eingehender mit dent leß= teren bejchäftigt, fo ift e8 micht die univerfale Monarchie der erſten

*

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Rarolinger, fondern das italienische Kaiſerthum Ludwigs II., was als Seal Hingeftellt wird.

Unfer Autor ift ein Anhänger des italiſchen Einheitsftaates ; gerade die darauf bezüglichen Beftrebungen des letztgenannten Kaifers haben ſeinen beſonderen Beifall; er habe auch Benevent und Calabrien ſich zu unterwerfen gedacht, weil es eine Provinz Italiens ſei“ (quod provincia esset Italiae, volens totius regni fines suae vendi- care ditioni). Und aus demfelben Grunde beflagt er die Aufgabe Roms und feines Gebietes durch Karl den Kahlen als eine Schmad) für das Reich (dedecus regni): er will feinen Kirchenftaat innerhalb defjelben dulden. Er gibt fid) ung zugleich ziemlich deutlich als Lan— gobarden zu erfennen; denn dies Volk ift für ihn zur Herrfchaft über Stalien berufen. Um dies auch aus der Gefchichte darthun zu können, nimmt er nicht Anftand fie zu fälfchen; fo 3. B. erzählt er, daß nah dem Sturze der biyantinifchen Herrichaft in Nom die Lango— barden regiert hätten; nach Pavia läßt er von Rom Tribut zahlen ?; bezüglich des Ueberganges des Königreiches an die Franfen drückt er fi) genau fo aus, wie andere langobardiiche Gefchichtsjchreiber ?; der ganze fpätere Nechtszuftand wird auf die Langobardenepoche zurückge— führt, fo die Stellung der Herzöge von Spoleto zu Rom u. f. w.

Damit fommen wir auf einen weiteren Punkt zu fprechen, der dem Berfaffer des Libellus befonders am Herzen zu liegen fcheint. Rom folle dem italischen Könige (Raifer) unterworfen fein, diefer dort die altherfömmlichen Hoheitsrechte ausüben; aber als Statthalter des Königs oder Kaiſers Hat nad der ftaatsrechtlichen Theorie des Libellus dort in den früheren Zeiten, die er al8 maßgebend hinftelft, immer der Herzog von Spoleto fungiert; er datiert dies Verhältnis, wie bemerft, bereit in die Epoche der Langobardenherrſchaft zurüd, und läßt es durch die ganze Karolingerzeit forteriftieren und fogar weiter ausbilden t; vor allem die Intervention bei den Papftwahlen, die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit über die Römer.

1 Das erzählen übrigens auch andere Chroniften, wie 3. B. das Chron. Novalic., Mon. Germ. SS. VII, 81.

a Constituebant autem annualia dona in Papiae palatium per- ducenda, auri libras decem, argenti centum, pallia optima decem, exceptis privatis donis.

Die Editio princ. hat hier allerdings “in Papae palatium’; alfein der en ſcheint doch die Faffung der jpäteren Ausgaben zu rechtfertigen.

Bgl. 3.8. Chron. Salernit. c. 2 (Mon. Germ. SS. III, 472): Per idem tempus invidia diaboli Stephanus papa Romanus inter Lango- bardos et gens Francorum, Allamannorum, Burgundionum supersemi- navit zizania, hoc ordine, quod inferius declaramus, worauf in bie Erzählung bes Bapftbuches eingelenkt wird, Ebenfo der Libellus: (Pontifex) seminans inter reges discordias etc.

* &.720 3.20 ff.: Spoletanorum duxRomae constitutus est vice regis, tali pacto, ut quando apostolicus obiret, interesset dux praefatus electioni futuri pontifieis, accipiens plurima donai in partem regiam. autem lites inter Romanos surgebant, ex primatibus regis

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Da nun in der ganzen Darlegung nur weniges richtig, dies aber fehr übertrieben ift, fo werden wir auch Hierin eine der tenden- ziöfen Entftellungen des Libellus zu fehen haben. Nach dem Aus— gange der Karolinger waren in der That die Spoletiner mächtig em— porgefommen, Hatten fogar die Raiferfrone errungen und dann in Rom gefchaltet und gewaltet; in der Piteratur mag fi) das immerhin jo geltend gemacht haben, daß man zur Legitimierung diefer Zuftände diefelben in die früheren Zeiten zurückdatierte. Und unter dem Einfluffe ei Tradition ſcheint der Verfaſſer des Libellus geſchrieben zu

en !,

Nah dem Ausgange der MWidonen war die Macht des Herzog- thums zurücdgegangen; doch fpielte Marfgraf Alberich, der e8 neben Gamerino wol innegehabt haben wird, in Rom als Freund und Bundesgenoffe P. Johanns X., dann als Gemahl der Marocia, eine bedeutende Rolle. Damals brachte die Sippe der letteren hier alle Gewalt an ſich; nach Alberichs Tode vergab fie mit ihrer Hand die Herrichaft über die Stadt: das Papftthum, das formell diefe inne— hatte Münzen und Urkunden trugen feine Signatur —, wurde die Apanage ihrer Kinder.

Das italienische Kaiſerthum Berengars (915—924) hatte hier wenig eingegriffen, da fein Negiment fih kaum über Mittelitalien hinaus erftreckte; mit Johann X. Hat er in gutem Einverftändnis

adveniebat missus cum eodem duce, ad deliberandas causas et lega- liorum judieia. Dann fpäter in der fränfiichen Kaiferzeit S. 72 3. 4 f.: Si enim aliquis iram incurrebat imperatoris episcopus aut judex Ro- manus, et licitum esset caesari venire Romam, veniebat; sin autem, dux Spoletanus. Karl der Kahle gibt auf: totum ducatum Spoletanum cum duabus civitatibus Tusciae, quod solitus erat habere ipse dux, id est Aricium et Clusium: quatenus ut is, qui praeerat regia vice ante Romanis, videretur post esse subjectus.

I Bur Bergleihung mögen hier die Stellen ftehen, nad) denen ber Herzog bon Spoleto während ber früheren Karolingerzeit wirklich in die römifchen Berhältniffe eingriff.. Im Jahre 799, als Leo III. aus Rom entfliehen mußte, a Winigiso duce Spoletino, qui audito hujusmodi facinore festinus Romam advenerat, susceptus, ac Spoletum deductus est. Einh. ann. ad a. Im Sabre 815 bei einer ähnlichen Gelegenheit, Bernhardus rex missa manu per Winigisum ducem Spoletinum et seditionem illam sedavit, et eos ab incepto desistere fecit, quaeque gesta erant, per legatos suos imperatori nunciavit. Einh. ann. ad a. 9m Jahre 846, als die Sara- cenengefahr drohte, Gregorius (vielmehr Sergius II.) papa legatos misit a Quido marchione, ut veniret et succurreret civitatis Romane ecclesie sancte et dona amplissima reciperet. Perrexit igitur marchio Quido cum omni exercitu gentis suae Langobardorum in urbem Romanam, ingressi ceperunt pugna ineipere .... Sie fiegen, worauf Quido mar- chio accepta dona amplissima et gratias Romanum populum in pro- pria est reversus. Benedicti chron., Mon. Germ. SS. III, 713 (vgl. Dümmler, Oſtfr. Reich I, 289. II, 19). 867 kam H. Lambert von Spoleto zur Confe- fration Hadrians II. nad) Rom. Vita Hadriani c. 20 (ed. Vignoli III, 231). Man vgl. hiezu noch die Briefe Johanns VIII., in denen biefer gegen Lambert polemiftert, 3. B. Jafle 2353. 2355.

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geftanden ?; auch mit Alberich jcheint er ſich vertragen zu Haben ?, Zuscien, Spoleto, Rom bildeten damals eine engverbundene felbitän- dige Gruppe auf der Halbinfel.

Erſt König Hugo hat die Beftrebungen, diejelben mit Stalien vereinigt zu fehen, wieder energifch aufgenommen; befonder8 war auf Rom ſelbſt fein Augenmerk gerichtet. Er hatte durch feine Vermäh— lung mit Marocia, die jeit dem gewaltfamen Tode Johanns X. (928) ganz über die Stadt zu verfügen fchien, zum Ziele zu gelangen gefucht, aber ein Aufjtand der Römer vertrieb ihn; während dort nun Alberich II. zur Herrichaft fam, zog Hugo eine Reihe von Jahren hindurch gegen die Stadt, ohne fie aber nehmen zu können: weder die Berheerung des Gebietes, noch die Beſtechung der Bürger führte eine Uebergabe herbei; Liutprand jchreibt e8 den verborgenen Rathſchlüſſen Gottes zu?. Zugleich fieng der König an, wie Tuscien, fo nament- lich auch Spoleto und Camerino mit ergebenen Anhängern, zum Theil feinen nächiten Verwandten, zu bejegen; wurden fie ihm verdächtig, jo wußte er fie wol wieder aus ihrer Stellung zu entfernen; fo folgten fich) hier Theobald, Anfcharius, Sarlio, Hubert.

Das war die Stellung, welche die beiden Parteien, die fich gegen- überftanden, nämlid) Rom und Italien, zu einander einnahmen. Bald fuchten fie diefe noch durd weitere Mittel zu verftärfen; und da waren es die alten Keichsabteien, die damals zuerjt wieder nad) langer Verödung als Achtung gebietende Factoren den politiichen Schauplatz betraten: ein Moment, das für uns befonders in Betracht fommt, weil der Libellus neben dem Herzogthum Spoleto gerade auf die drei Klöfter der Sabina, indem er fie zu wiederholten Malen nennt, das größte Gewicht zu legen fcheint ®.

Seit den Zeiten der Langobarden und der Franken die Rarolinger hatten hier zuerjt auf italienischen Boden fejten Fuß ge— faßt® hatten diefelben ihre volle Immunität zu wahren gewußt,

ı ol. Dümmler, Gesta Berengarii Imp. ©. 53. 58.

2 Ym Diplom Berengars für Farfa von 920 (Murat. SS. IIb, 460) wird auch beftätigt: quidquid Albericus marchio in idem monasterium aliaque inscriptione condonavit in comitatu Firmano. Bgl. aud) Dümmler a. a. O.; Gregorovius, Geſchichte der Stadt Rom III, 279. 301.

8 Antapod. V, 3.

* Bol. Fatteschi, Duchi di Spoleto, 85 ff.; vgl. Liutprand IV, 8, V,4 ff. III, 20.

5 Erant denique monasteria in Sabinis, domini Salvatoris et sanctae Dei genitricis Mariae necnon et monasterium b. Andreae apo- stoli juxta montem Soractis, seu caetera fiscalia patrimonia intra Ro- manos fines ad usum imperialem (©. 719). Sie haben ben Faijerlichen missus in Rom zu erhalten (S. 720), Als 8. Ludwig II. in Rom war, de praedictis quoque monasteriis cotidiana exigebantur servitia per di- versos apparatus (S. 721). Unter dem, was Karl d. 8. den Päpften über- liefert, werden die sumptus de tribus supradictis monasteriis, i. e. domini Salvatoris et b. Mariae virginis atque s. Andreae juxta montem So- ractis zuerft genannt (S. 722).

6 Vgl. Cod. Carol., epist. 23. (Jaffe, Bibl. rer. Germ. IV, 97) und

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befonders den Beitrebungen der Püpfte gegenüber, welche fie als zum Patrimonium gehörig für fih in Anfpruh nahmen. Bezüglich) Farfas fünnen wir diefe Händel genauer verfolgen. Der Chronijt deffelben zieht daraus die Lehre, daß zwiſchen der römischen Kirche und feinem Stifte ‚feine Freundichaft möglich feit. Won welcher Wichtigkeit aber da8 dominium über eine ſolche Abtei war, zeigt uns Hugo von Farfa durd die Schilderung der Herrlichkeiten feines Klo— fter8 vor dejjen Zerjtörung durch die Saracenen im J. 882. Wie eine nicht unbedeutende Stadt nahm ſich Farfa von Ferne aus mit feinen Thürmen und Wällen, den fünf Kirchen, den zahlreichen Oeco— nomie- umd fonjtigen Gebäuden: für den Kaifer ftand ein eigener Palaft zur Verfügung, wenn er zum Befuche fam?,

Und nod) bejjeren Einblid in diefe Verhältniffe erhalten wir aus Gregors von Latina riefigem Werfe, dem großen Hhypothefenbuche des Kloſters. Die Befizungen Farfas lagen quer durch die ganze Halbinfel in dreizehn und mehr Komitaten zertreut, von Meer zu Meer. In der Stadt Rom jelbft beſaß man einige Häufer und zwei Kirchen bei den Alerandrinifchen Thermen; deswegen war man im Slojter über die dortigen Vorgänge ſtets genau unterrichtet. Tauſende von Hörigen waren von der Abtei abhängig: fleißig hat Gregor ung die alten Berzeichniffe derjelben, welche zugleich) Notizen über ihre Fa— milienverhältniffe, ihre Brauchbarfeit u. ſ. w. enthalten, aufbewahrt ?. Aus ihren Eigenleuten und Pächtern ftellte die Abtei wol in ſtürmi— ihen Zeiten ein Heine Heer auf; während des Inveſtiturſtreites hat fie jo den benachbarten Grafen und Edelherren gegenüber, die nach den Reichthümern des Kloſters vonjeher lüftern waren, meift bewaff= nete Neutralität einzuhalten gewußt.

Man fieht hieraus, von welcher Wichtigkeit dieſe Abteien waren ; Kleine Kirchenftaaten, im denen geiftliche und weltliche Herrfchaft ver=

epist. 42 (S. 140) bezüglich der Soracteflöfter, Auf S. Andrea war befannt- lid Pippins Bruder Karlmann Mönch gewefen, bis ihn die große Zahl der bejuchenden Landsleute nad) Monte Caſſino vertrieb,

Nachdem unter anderem aud) die a pontificibus Romanis eorum- que actionariis restitutas vel ablatas possessiones aufgeführt find, bemerft Gregor: Haec omnia ideirco hic adnotare curavimus, ut cunctis intimaremus, nos a sancta Romana ecclesia multotiens sustinuisse in- commoditates; et non benevolentiam, sed potius invidiam; non benig- nitatem, sed contradictionem; non augmentum, sed minorationem; non justitias, sed praejudiceia; non diligentiam, sed calumniam; non aug- mentum, sed amplius detrimentum in nostris bonis frequenter ab eis. Mur. SS. IIb, 459. Immer wieder werden neue Sachen und Perfonen ver- zeichnet, welche der hi. Maria von Farfa gehören, aber ihr von den Beamten (actores) der röm. Kirche entriffen worden feien, ©. 418. 451. 452. 453.

2Bgl. Historiae Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 532.

8 Muratori, SS. rer. It. IIb, 428 fj.: De servis hujus monasterii et substantiis eorum. S. 435 Subsequitur enumeratio aliorum servo- rum. Viuratori verzweifelte daran, fie vollftändig wiederzugeben. Das erfte Verzeichnis ift um das Jahr 800 abgefaßt, da H. Winigis (791— 821) darin als lebend erwähnt wird,

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einigt war; Gulturcentren in der wüjten Barbarei, die ringsum herrichte. Nicht umfonjt macht Gregor von Gatina geltend, daß der Abt nicht allein ein frommer, jondern auch ein politifcher Mann jein müſſe.

Diefe Klöfter nun lagen am Anfange des zehnten Jahrhunderts alle noch in Trümmern: Farfa, S. Andrea, S. Salvator! waren ſämmtlich von den Saracenen zerftört worden.

Acht und vierzig Jahre dauerte für Yarfa die Zeit der Zerſtö— rung; erſt im dritten Decemium des zehnten Jahrhunderts begann allmählich die Neftauration. Der Sieg am Garigliano, den im Jahre 916 die Fürften Mittel- und Unter-Ftaliens über die Saracenen er— fochten Hatten, bezeichnet den Anfang der neuen Epoche. Aber nur langfam jchritt das Werk vor.

Innere Zwiftigfeiten unter den Mönchen waren namentlich die Urſache diefer Hemmung. Nur wenn eine fräftige Hand hier ein- griff, die fich über die Parteien ftellte und fie beherrichte, Konnte die Wiederaufrichtung der Abteien erfolgreich durchgeführt werden.

Es war Alberich, der glorreiche Fürjt der Römer, dem dafür die Chroniften dankbare Anerkennung zollen, der ſich diefer Aufgabe unterzog.

Zunächſt wurde die Reftauration von S. Andrea am Berge So— racte in Angriff genommen. Alberich fette über diefes Kloſter den Priefter Leo, der zugleich Arzt war; eine in Rom ſehr angejehene Perjönlichkeit, die uns auch fonft in Urkunden der Zeit begegnet ?. ©. Andrea ward wieder aufgebaut; Alberich bedachte das Klojter reichlich mit Befigungen; zugleicd) wurden dem neuen Abte die übrigen Klöfter auf dem Soracte, ja zulett eine Zeit lang Farfa felbft unter: geordnet.

Hier Hatte unterdeß König Hugo eingegriffen und einen feiner Verwandten zum Abt eingefett, einen weltflugen Mann, der fich aber um die Mönchsregel wenig fünmerte?; im Jahre 936 vergifteten ihn einige feiner Untergebenen; Campo, der eine von ihnen, erhielt von Hugo die Inveſtitur und theilte dann mit dem Genoſſen feines Verbrechens, Hildebrand, die Beſitzungen der Abtei *.

Nachdem aber Alberic einmal angefangen hatte, die Klöfter des römischen Gebietes zu reformieren und fo in ftaatsfluger Weife die firchlichen Intereſſen, was für feine Stellung von befonderer Bedeu— tung war, zu wahren er ftand dabei mit Cluny in enger Ver—

2 Bezüglich des letztgenannten vgl. Ann. Farfenses ad a. 891, SS. XI, 588: Monasterium sancti Salvatoris a p@ganis incenditur.

2 Der Leo presbyter et medicus in einer röm. Urfunde des J. 927 (bei Galletti, Del vestarario ©. 46) ift ficherlich identifch mit unferem Abte bei Benedict, chron. c. 33 (Mon. Germ. SS. III, 716). Es ift dies infofern von Jutereſſe, als die Nachrichten Benediets über die römijchen Berhältniffe jener Zeit wol auf diefe Mittelsperfon zurückgehen mögen, 3 Mon. Germ. SS 534.

* Ebenda ©, 535.

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bindung —, kam auch an Farfa die Reihe; als Campo fich wieder- fette, ward er vertrieben und ein neuer Abt Dagibert aufgeitellt ; fo daß das Farfenſer Gebiet nun drei Vorftände Hatte: Dagibert in Farfa ſelbſt, Campo in Reate (wohin er fich zurückgezogen hatte), Hildebrand in der Mark Camerino.

Es war eine tolle Wirthfchaft, die da angieng; und auch in der

Politik fpielten die Theil» Aebte eine Rolle. Als Sarilo, durch R. ugo veranlaßt, im Jahre 940 dem Anfcharius das Herzogthum poleto entrijjen Hatte, feste ihn der König zugleich über alle Ab- teien in demfelben!; aber Hildebrand erhob fich dagegen mit feinen zahlreichen und mächtigen Vaſſallen? und hielt fih, da Sarilo bald jtarb, in feiner Macht bis auf K. Dtto I.

Man fieht, die Abteien fiengen an wieder eine impofante Stel= lung einzunehmen, und die zeitweiligen Machthaber fuchten fich derſelben zu vergewijjern. Durch den Zwiejpalt zwifchen Nom und dem übrigen Stalien waren fie, wie wir an Yarfa fahen, auf das innigjte berührt.

Namentlid) da S. Andrea im Libellus wiederholt genannt wird, ift wohl nothwendig anzunehmen, daß diefer nach dejfen Reſtauration geſchrieben ift.

Da auch die Verhältniffe de8 Herzogthums Spoleto am ehejten für diefe Zeit pajffen denn die Nachfolger K. Hugos ſchloſſen mit Alberich, dejjen Stellung ſchon eine fetere geworden war, Frieden; als Johann XII. mit Berengar und Adalbert brach, jtand Herzog ZTheobald zu ihm gegen die Könige —, werden wir die Entjtehung unferer Schrift wol in die Zeit der dreißiger oder den Anfang der vierziger Jahre zu feen haben. Eine nähere Beitimmung fcheint nicht möglich zu fein; namentlich der bemerfenswerthe Zujat des Libellus von den zwei Städten Arezzo und Chiufi, welche der Herzog von Spoleto innegehabt haben fol, läßt ſich nicht weiter controllieren?. Bisher fuchten wir im Allgemeinen Tendenz und Entjtehung des Libellus nachzuweiſen; es ift derjelbe nun noch als Literarisches Erzeugnis einer Epoche im Zufammenhange mit der ganzen Cultur— entwiclung derjelben zu betrachten; dadurd) können wir den bisher darüber aufgejtellten Anfichten gegenüber manche Bunkte genauer präci= fieren und zu größerer Klarheit bringen.

Wodurch unterfcheidet fi denn unfer Schriftſtück von ähnlichen anderen? Wir find im Beſitze einer Reihe von Auseinanderfegungen zwifchen imperium und sacerdotium aus der Zeit des jchon ent= brannten Kampfes zwifchen beiden Gewalten. Wir fehen, wie darin die ganze Angelegenheit behandelt wird. Es ift gewöhnlich ein Con—

1 Preposuit eum supra cuncta monasteria regalia, que erant in- fra fines Tusciae et Firmanae marchiae. 4. a. O. ©. 537.

2 Militibusque, quos plures et magnos habebat. Ibid.

s Als im Jahre 866 bei Gelegenheit des Kriegszuges gegen die Gara- cenen Miffionsiprengel abgegrenzt wurden, werden zufammengeftellt: Florentia, Volterra et Aritio einer-, Clusio und Sena andererjeit8 Mon.Germ. LL.1, 504. Das kann wohl für nichts beweijend fein,

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glomerat von Gitaten aus geiftlihen und weltlichen Gefegen; zur hie ftorifchen Deduction wird höchſtens noch das Papſtbuch herangezogen. Es ift eine Ausnahme, wenn 3. B. Wido von Osnabrück in feiner Streitfchrift gegen Sregor VII. aud) nod) die <quaerimonia Roma- norum’ über die Creignijje de8 J. 864 auführt!.

Man fennt die Gontroverje, die ji) kurz vor dem vollendeten Ausbruce des Inveſtititurſtreites in Italien unter den beiden Par— teien erhob: ob wol nicht Schon der Antichrijt geboren fei, da das Kaifertfum aufgehört Habe zu erijtieren, meinten die Gregorianer ; das Kaiſerthum habe ja nicht aufgehört, aljo fei auch der Antichrift nicht geboren, verfocht Wibert von Ravenna, Hildebrands großer Gegner ?,

Petrus Craſſus, der Navennater Yurift, machte es nicht anders. Die Anklagefchrift gegen Gregor VIL., die er im J. 1080 Heinrich IV. überreichte, überjchüttet den Gegner mit Stellen aus den Kirchenvätern und dem römischen Recht 3.

Die ‘orthodoxa defensio imperialis’, die damals in Farfa zu Gunſten der Juveſtitur gejchrieben wurde, enthält jo wenig hifto- riiches Detail, daß man bisher es nicht der Mühe werth erachtete, fie herauszugeben ®.

Dafjelbe beklagt für frühere Zeiten Diümmler, bei Beiprehung der Fiteratur, welche durch die Angelegenheit des Papftes Rormofus und der von ihm ertheilten Weihen hervorgerufen worden ift?,

Im ſtricteſten Gegenjate hierzu verfidt der Libellus nicht das Raiferthum im allgemeinen, jondern ganz detailliert die Gewalt, welche die Beherrſcher Staliens aud im römischen Gebiet von je her aus— geübt hatten; und wir werden jehen, daß er hiezu hiſtoriſche Quellen von Michtigfeit benutzte. Daß er diejelben nicht blos compilierte, wie das fonft bei den Autoren der Zeit gewöhnlich war, fondern auch verarbeitete, und zwar einer beftimmten Tendenz gemäß, wurde bereits auseinandergejeßt.

Indem man der Frage nad) dem allfälligen Entſtehungsorte des Libellus nachgieng, wurde wol die Anficht aufgejtellt, e8 ſei derjelbe in Rom oder in einer der drei mehrfach genannten Reichsabteien ges ichrieben worden‘, Was nun das erjtere betrifft, fo iſt vorher gezeigt, daß unſere Schrift gegen die Römer nicht jehr freundlich gefinnt ift; man hat für jene Annahme überhaupt gar feinen Halt. Und

ı Bol. Cod. Udalrici (Jaffe, Bibl. V), ©. 339 ff.

2 Bei Lami, Novelle litterarie (Firenze, 1768), S. 803.

3. Nunmehr wieder abgedruckt bei Fider, Forſchungen zur Meichs- und Rechtsgeſchichte Staliens IV, 106 ff.

* Bol. Bethmann im der Einfeitung zu feiner Ausgabe der Historiae Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 558.

5 YAurilins und Vulgarius, Onellen und Forſchungen zur Gejchichte des Papſtthums im Anfange des 10. Jahrhunderts ©. 35.

° Vgl. Wattenbach, Geſchichtsquellen I, 3. Aufl., ©. 311.

XIV. 29

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was das letztere angeht, fo ftimmen damit die allgemeinen Verhält— niffe jener Abteien, die wir ziemlich genau Fennen, wenig überein !.

Bor Alten Farfa befand jich damals in einem höchſt verwahr- (osten Zuftande. Das „Hurenregiment“ hat nicht blos in Rom ge- herrſcht, es hatte ſich auc Hierher erjtredt. Wie dort die Päpfte, jo begründeten in Farfa die Aebte fürmlihe Dynaftien. Hatte doc) der gerade damals (936— 962) regierende Campo von mehreren Frauen, mit denen er lebte, fieben Töchter und drei Söhne, die mit ihrer ganzen Sippe vom Kloftergute zehrten. Und wie der Hirt, fo die Heerde. Auch die Mönche Heiratheten und richteten ſich ala Bauern ein. Mit dem Golde der Meßgewänder ſchmückten fie ihre . Weiber. Während der Woche verweilten fie bei diefen in den Dörfern, nur Sonntags famen fie ins Kloſter hinauf. Und fo behaglich fanden fie dieſe Lebensweife, daß fie abjichtlic) deſſen Baulichfeiten verfallen ließen, um niemals wieder dorthin zurückkehren zu müſſen. Das ift die Idylle von Yarfa, wie fie uns Abt Hugo in einfach ſchlichter Erzählung überliefert hat?. Zum Biücjerjchreiben hatte man unter ſolchen Umjtänden in Farfa weder Zeit, nod Luft, nod) auch Gelegenheit.

Ueber die Verhältniſſe der zweiten Abtei, die Hier in Betracht fonımt, S. Andrea am Berge Soracte, find wir ebeufall® durch die Chronik Benediets genauer unterrichtet. Daſelbſt hatte, wie wir wiſſen, unter der Aegide Alberichd die Reform, wie fie damals von Cluny ausgieng, zuerjt feiten Fuß gefaßt. Hier hätte man fich am wenigjten für die Tendenz begeijtert, die der DVerfajfer des Libellus vertrat. Das Kaiſerthum Ottos de8 Großen, das diefe Ideen jpäter verwirf- lichte, wird gerade deswegen von Benedict fo angefeindet. Es ijt nicht richtig, werm man ihm dabei nationale Motive unterzuſchieben gejucht Hat?. Der Chronift fteht vor allem auf dem Standpunkt der allınfalfenden Kirche, die über jede Nationalität erhaben ift. Er nimmt Partei gegen die Yangobarden, jo Lange diefe die Orthodorie und den römischen Stuhl bekämpfen“. Er nimmt Partei gegen die Franken, jobald diefe nicht mehr im Stande find, die „Mutter aller Kirchen“ gegen die Anfälle der Saracenen zu vertheidigen?®. Der römische Adel fteht in fchlechter Gunft bei ihm, weil er gegen die

ı Schon Gregorovins, Gejdichte der Stadt Nom III, 544, kamen Be— denfen.

2 Mon. Germ. SS. XI, 535 f.

3 Maurenbredier, De histor. decimi saeculi scriptoribus ©. 66 f. und Hift. Zeitichrift V, 125.

* Bol. 3.8. c. 12 Mon. Germ. SS. III, 700, über die „Beftialität“ diejes Volkes; c. 17. c. 19. ce. 22. (l. ec. 703. 704. 706) über die “persecutiones”, welche fie gegen die Kirche verhängen. Der Papſt tritt c. 18 ein ‘pro populo Romano et sanctae ejusdem ecclesiae defensione'. Wegen der justitia s. Petri’ entbrennt dann der Krieg zwifchen Langobarden und Franken,

s 0.256. 712,

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kirchliche Herrfchaft confpiriert!. So fehr er jonft Alberich erhebt, dennoch tadelt er ihn, weil er ein jo jchweres Joch auf das Papit- thum gelegt habe. Freilich erwähnt er dabei auch mit Befriedigung, daß damal8 „weder ein Langobardiicher nocd ein transalpinijcher König“ in Rom etwas zu jchaffen gehabt habe?; und er beflagt in der Folge die Fremdherrichaft der „Sachſen“: aber es kommt dies Moment erft in zweiter Linie zur Geltung, wie das Mittel zum Zwed, d. i. der „Freiheit der Kirche“, und der Fall Noms wird be= flagt, weil e8 aus einer Herrin aller Völker nunmehr zur Sflavin geworden jei ?.

Für die weltlihe Herrihaft der Päpfte ift Benedict jehr einge- nommen. Er fennt die Schenkung Gonftantins und führt fie öfters an; ebenfo fpäter die Beſtätigung der Privilegien der römiſchen Kirche durch die Könige und Kaiſer. Für ums ift da befonders zu beachten, daß diejelben im allgemeinen vielleicht die allerdings jehr confufe Angabe bezüglich der Pippinfchen Schenkung ausgenommen, in die er, wenn wir recht verjtehen, aud) Benevent, Salerno, Capua, Neapel, Gampanien mit einbegreift, nur auf den Umfang bezogen werden, welchen die terra 8. Petri nad) dem pactum von 817 eimmahın *;

ı «Viri scelerati Romani’ c. 8. c. 17 (S. 698. 703). ie bildeten nad) einander die gothijche, die Jangobardijche, die faiferlidhe Partei in Rom,

3 0.34 €. 717.

3 0.39 ©. 719: Celsa tuarum triumphasti gentibus, mundum calcasti, jugulasti regibus terrae; a Saxone rege expoliata et men- struata fortiter u. ſ. f.

* Ich führe die betreffenden Stellen an, meil fie nicht ohne In— terefje find: die Schenfung Conftantins wird zuerft erwähnt c. 9 ©. 699, fie befteht aber nur de Pentapolim et de Tuscie finibus. Bgl. c. 17 ©. 704, wo der Pangobardenfönig omnia Pentapolim et Tuscie fini- bus et quieqnid a sancte Romane ecclesie videtur illi restituit, c. 19 S. 704 über die Echenfung Pippins: magis magisque de justiciis s. Petri confirmavit, ut stabilis permaneret, quos antea promiserat, et insuper Ravenna cum Pentapolim et omnem exarcatum conquisivit, et per precepto s. Petro tradidit. Ebenjo c. 20 S. 706: cuncta ejus cives Romana et Tuscie finibus et cuncta Pentapolim et Cottia- rum montes in ecclesia b. Petri apostoli constituit. C. 21 ib.: Et erux Domini, que in suis cervicibus appendebat, in venerabilis cenobio concessit, seu Beneventani principatus et Salerni Capuagque et tota Neapolim finibus, et quiequid Campanie destitutım est, in suo sacramento constituit. Et cuncta Pentapolim et omnia Tuscie finibus apostolicis Pauli et suo jure concessit. Bon Karl d Gr. c. 228.708: fecitque rex Karolum, filium Karoli, vindietam de Romani, et omnia Tuscie finibus et Ravenne Pentapolim a summo pontifice constituit. Ib. ebenfalls von Karl d. Gr.: omni Tuscie finibus seu Pen- tapolim Ravenne in apostolicis Leonem constituit. C. 23 ©, 711: ordinataque Urbe, et omnia Pentapoli et Ravenne finibus seu Tuscie, omnia in apostolici potestatibe concessit. Bon Ludwig d. Fr. c. 24 €. 712: omnia Pentapolim atque Tuscie finibus in pontificis con- stitnit. Ebenda von Ludwig II.: Pontifex Gregorius s. sedis apostolice quiequid a Constantinus imperator concessa fuerat Ludovicus im- perator concessit. Bon Otto I. eudlich c. 36 ©. 718: Ordinata cuncta

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mindeftens von Spoleto ift nie die Nede. Zur Zeit, da Benedict ſchrieb, war alfo kirchlicherfeits von Anfprüchen darauf nichts mehr befannt.

Macht es das Geſagte ſchon in hohem Grade unwahrſcheinlich, daß ein Mönch von Farfa oder S. Andrea oder auch Salvator denn dies theilte mit den beiden anderen alle Schickſale der Autor des Libellus geweſen ſei, ſo läßt ſich noch ein Schritt weiter thun und behaupten, daß in feiner der Abteien das nöthige Material vor— handen war, um die Schrift, wie fie vorliegt, abzufaffen. Es jah nämlich mit dem Bücherjchäßen derjelben, foweit wir dies controllieren fünnen, überhaupt und noch in&bejondere in der Zeit, die hier in Be— tracht fommt, keineswegs jehr glänzend aus.

Ein Verzeichnis ans der Zeit, da Farfa durch die Fahrläſſigkeit jeiner Bewohner an den Rand des Verderbens gebracht wurde, er- gibt beiläufig folgenden Beſtand: Kirchenväter, wie Cyprian und Au— guftin (de eivitate dei); Erklärungen der Evangelien Johannes und Lucas; desgleichen eine der Genejis u. ä. m. Bon eigentlichen Sefchichtswerfen wird nur die Langobardengeichichte de8 Paulus Dia- conns und “historiarum liber unus’ genannt,

Als dann Farfa eine Zeit lang dem Abte von S. Andrea unter- geben wurde, machte diefer nach Hugos Bericht ſich um das Klofter namentlich auch durch Wiedereinführung von Büchern jehr verdient ?.

Aus den Gitaten Gregors von Gatina in der großen Yarfenjer Chronik erficht man, was fpäter noch hinzugekommen war: für die älteften Zeiten wird Oroſius eingehend benutt?; ſpäter Liutprand von Cremona den man überall hatte —; zur großen Ausführung gegen die Anfprüche des Papſtthums dient vor allem, wie regelmäßig auch ſonſt, der Liber pontificalis und der daran ſich ſchließende Bapftcatalog (Watterih I, 64 ff.); dazu Pſeudo-Iſidor umd einiges andere. Die constitutio Tieinensis Ottos IL. über das Kirchengut, die man auch beſaß, citiert Gregor in Folge deſſen dreimal; um die Anſprüche auf das Kloſter S. Vinzenz am Volturno geltend zu ma— chen, wird fleißig Pſeudo-Iſidor herangezogen; denn die Argumente, die man von der römiſchen Kirche ausgehend bekämpfte, wandte man gegen Schwächere ſelbſt an.

Im Uebrigen wird aber von den Aebten, die ſich um die Bi—

Tuscia et Pentapolim finibus in aecclesia apostolorum prineipis et Leoni papa concessit. Auffallend ift die Hervorhebung von Tuscien, ins fofern damit nicht blos der römiſche Antheil gemeint wäre. Dort hatten die Soracte-Klöfter ihre Befigungen; S. Silvefter, das ältefte derfelben, führte feinen Beſitzſtand ebenfalls auf K. Eonftantin zurüd. Bened. chr. e. 1. 2. ı Historiae Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 536. Ib. 532 werben nur bie foftbaren Meßbücher, ihre Zahl und ihre Onalität, gerühmt, l. c. 538: compassus illius (monasterii) desolationi , in aliquo de suis beneficiis in libris et aliis rebus. Bol. Ozanam, Documents inddits 189. Im Gegenfate zum Libellus wird hier Droſius zu einem kritiſchen Exenrje über die Gothenzeit ſehr geſchickt verwerthet.

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bliothef verdient gemacht Hatten, diefer Umstand ſtets hervorgehoben ; jo ſchon von Abt Benedict (um 800) '; beſonders aber von Almeric) (dem Lehrer Heiunrichs ILL.) in der erjten Hälfte des 11. Jahrhun— derts: diefer Habe 42 größere und kleinere Werfe „angehäuft“; es waren diejelben jedoch nicht Hijtorifchen Inhalts, fondern befaßten ſich mit der Kunſt der Grammatik und mit der Auslegung der hl. Schriften?.

Gerade damals wurde auch in Monte Caſino, wo die Dinge vielfach ähnlich lagen, dem Mangel an Büchern, der ſich fühlbar machte, abgeholfen?. Unter den Werken, die der Abt Theobald (1022—1035) abjchreiben ließ, ift aud) hier die hiſtoriſche Literatur ſpärlich genug vertreten.

Es waren jene Jahre überhaupt eine Zeit des Aufſchwunges für die großen Klöſter Italiens; in einer Reihe von dieſen können wir gerade damals ähnliche Beſtrebungen nachweiſen“. Wie theuer übrigens manchmal literariſche Erzeugniſſe auch hier zu ſtehen kamen, zeigt unter anderem der Umſtand, daß in deu Rechnungsbüchern von Farfa aus der Mitte des 10. Jahrhunderts neben den anderen Er— werbungen des Kloſters einer=, den Bergabungen zu Zins andererjeits auch der Kauf eines Ritual- Buches erwähnt wird, das, wie aus ber Anmerkung erfihtlih, auf eine erkleckliche Summe Geldes gefchätt und fchlieglih mit einem Stück Wald bezahlt wird®.

Unter folchen Umftänden ift e8 leicht zu erklären, daß man ſich durch Enchelopädien zu Helfen juchte: in eine Kloſterchronik ward regel— mäßig Alles aufgenommen, was die Bibliothek an Werfen (mwenig- jtens an hiltorifchen) in ſich faßte.

Aus S. Andrea beſitzen wir feine directe Nachricht darüber: aus Benedictd Chronicon lernen wir aber ficherli den ganzen

ı In libris et altaris vestibus atque diversis utensilibus con- struendis nimis sagaeissimus. Muratori SS. IIb, 358.

2 Eecclesiastica quoque ornamenta et librorum volumina in hoc monasterio studiosissime auxit. Ferturautem, quod artis grammaticae et scripturae divinae libros 42 majores minoresve hic accumulare curavit. Murat. SS. Ib, 571.

® Bgl. Leo Ostiens. chron. II, 51. 52: Codices quoque nonnullos, quorum hic paupertas maximua usque ad id temporis erat, describi precepit, quorum nomina indicamus u. f. w. Darunter finden fi) Paulus Diaconus, das Papftbud) u. a. Bgl. übrigens Giesebrecht, De litterarum studiis ap. Italos ©. 28 ff.

* Bol. bezüglich Pompojas Wattenbah, Schriftweien des Mittelalters ©. 334; den Büchercatalog von Bobbio (Muratori, Antiqu. III, diss. 43 S. 818' fi.); dazu Ozanam, Documents inedits 36.

Muratori SS. Ib, 468: Item pro uno libro, qui appellatur ‘Comes’, valente solidos 30 et insuper solidos 20 dedit in gualdo novo modios 30. Nach Muratori ein Lectionarium, das Baluze tom. II. Capitular. reg. Franc. edierte und das auch fonft in den Catalogen der Zeit öfters erwähnt wird; z. B. Muratori, Antiquit. III, 836. Man vgl. was Watteubad) a. a. O. 297 ff. über den Buchhandel des Mittelalters jagt.

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Borrath an geichichtlicher Piteratur fennen, den man damals auf dem Berge Soracte befaf. Man war reich) an Heiligenlegenden: die Le— bensbefchreibungen von S. Pigemius, ©. Martin, S. Barbatıs, die Translation des hl. Bartholomäus von Lipari nad) Benevent waren da. Dazu famen dann man ift hier beijer verforgt ge= wejen, als anderswo das Papjtbuc und feine Fortfegung (li- bellus episcopalis citiert Benedict e. 37), Bedas des Chrwürdigen Shronif, die vorſcher Annalen, Einhards Leben Karls d. Gr.; der Langobardiſche Edictus man lebte in den NeichSabteien nad) Lan— gobardenrecht —; endlich unfer Yibellus von der Raifergewalt in Rom und feinem Gebiete!. Das übrige Material, das Benedict verar— beitete, bejtand aus den eigentlichen Archivalien feines Klofters. Und man fennt den ungeheueren Reichtum, der 3. B. Farfa, Monte Gafino, fpäter Ya Cava in diefer Hinficht auszeichnete; aus Benedict erfehen wir, daß er die vorhandenen Privilegien, Schenkungsurkunden u. ſ. w. fleißig benutzte.

Nach diefen Quellen arbeitete dann der mönchiſche Hiftorifer feine Chronik aus. Zugleich) Hatte man natürlich auch die Tendenz, den eigenen Wohnſitz möglichſt hervorzuheben. Die Farfenſer und Monte-Cafiner Chronif verfolgen ja ausdrüdlid) den Zwed , zugleid) die rechtliche Deduction für den gefammten Befigftand jener Klöfter zu geben. Und ſelbſt wenn man Univerſalgeſchichte ſchrieb, konnte man fich von dieſer Einſeitigkeit nicht losmachen. So ift es z. B. Benedict vom Monte Soracte ergangen. Fleißig verzeichnet er die Züge der Kaifer nad) Stalien; aber dabei pajfiert es ihm, daß er Urfahe und Wirkung verwechlelt: er führt jene Züge auf das Be— jtreben der Herricher zurück, dem Heiligen feines Klofters oder aud) der römischen Kirche die althergebradhten Privilegien zu beftätigen.

Daneben waren Wunder md Reliquiengefchichten fiir folh einen Univerfalhiftorifer von weltgefchichtlicher Bedeutung und wurden mit behaglicher Breite in die Erzählung mit eingeflodhten. Es ent— ſtanden, inden politische Ereigniſſe dann mit den Yegenden fich verbanden, Sagenchelen, in denen das ganze Mittelalter fortan lebte und webte. So berichtet befanntlich Benedict zuerjt von einem Kreuzzuge Karls d. Gr. nad) dem Drient?. Es ijt faum zu bezweifeln, daß einer der Gründe, welche den Chroniften zur Aufnahme der fabulofen Geſchichte bewogen, der war, das Vorhandenfein eines Stückes (aliquantulum) vom Leibe de8 hf. Andreas in feinem Klofter zu erklären. Denn diejer befand ich in Conftantinopel.

Dorthin hatte denfelben eine große Haupt- und Staatsaction gebracht. S. Andreas befand fic nämlich vor den Zeiten des Kaiſers Yuftinian fo erzählt Agnellus, der treffliche Berichterftatter zu Ravenna. Aber bei Lebzeiten des genannten Kaifers, war man in

ı Bol. Perk, Vorrede zur Ausgabe Benedict®, Mon. Germ. SS. III, 62, 2 Chron. S. Andreae c. 23, Mon. Germ. SS. III, 709 ff.

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Byzanz felbft nad) der Neliquie begierig. „Das alte Rom hat den einen Bruder, wir wollen den anderen haben; es ijt billig, daß die zwei Schweftern fich in die beiden Brüder theilen. Wo der Sit des Reiches, muß auch der Peib des Apoftels fein“. „Und wäre ©. Andreas in Ravenna geblieben“, fo fchließt Agnellus, „jo würden ung die römischen Bifchöfe niemals fo unterjocht haben *.

Warum ich dies anführe? ES fcheint nicht zur Sache zu ge- hören. Und doch, ſolche Züge gerade charakterifieren die Zeit und den allgemeinen Zuftand der Dinge; hätte man ſich diejelben vor Augen gehalten, fo würde man den Gegenfag, in dem fich der Li- bellus gegen derlei mönchiſche Diatriben befindet, gewürdigt, jchon aus diefen allgemeinen Gründen den Autor dejjelben nicht in einer jener Abteien gejucht Haben.

Aber auch ganz abgeiehen davon, e8 wirden ©. Salvator, S. Maria zu Tarfa, S. Andrea am Soracte keineswegs auf fo gutem Fuße mit einander geftanden haben, daß etwa das Mitglied irgend einer derjelben zugleich für die Wohlfahrt der anderen ge= jchrieben hätte,

Wir find darüber ziemlid) genau unterrichtet. Zwiſchen den Klöftern Mittel-Jtaliens hat zu allen Zeiten ein veger Verkehr ftatt- gefunden; der literarische Nachlaß des einen ift zugleich Quelle für die Gejchichte des anderen. So 3. B. fennen wir die Abtreihe von ©. Salvator nur aus einem Berzeichnijfe, das fic) davon in Su— biaco erhalten hat?. Aus Monte Cafino fuchte Abt Hugo Mönche heranzuziehen, um in Farfa zu reformieren. Mit S. Vincenzo am Bolturno ftritt man hier am Ende des 11. Jahrhunderts wegen des Dominiums, das Farfa in Auſpruch nehmen wollte u. |. w.

Bor allem fommt S. Salvator bei Neate im Regiftrum von Varfa ungemein häufig vor; beide Abteien waren wenige Stunden entfernt, und e8 fand zwifchen ihnen ein lebhafter Verkehr ftatt; da freuzten fich denn ihre Intereſſen in mannigfaltiger Weife: wir fehen aus den Documenten, in denen die Grenzen der Grundftücde angegeben werden, wie ihre Güter neben und durd einander lagen. Da werden dann Kaufverträge abgefchloffen; es kommen Tauſche zu Stande; es

! Quod prima unum tenet Roma fratrem, istum vero secundum teneat (Conftantinopel. Ambae sorores, et hi ambo germani.... ubi sedes imperialis est, expedit et ibi corpus esse apostoli. Agnellus, Liber pontificalis Rav. ed. Bacchini II, 93 f.

? Revera fratres, quod si corpus Ändreae germani Petri aposto- lorum principis hic humasset, nequaquam nos Romani pontifices sic subjugassent. Ebenda.

3 Bgl. Mabillon, Annal. Benedict. IV, 267 : Constantius, Landoinus, Berengarius, Petrus, Berardus, Ingizo. (Möglicherweife bezieht fich übrigens diefe Angabe auf S. Salvator am B. Amiate; Mabillon wirft dies aud) fonft gewöhnlich irrthümlicherweiſe mit unferem S. Salvator ‘in territorio Reatino, juxta montes Letiniano seu Bogiano’ (wie es Benedict ©. 712 näher bezeichnet und e8 aud) im reg. Farf. Heißt), zufammen.

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ereignet fich mitunter, daß auf einen alten Sünder, der dem Ende nahe war, beide Klöfter eine fürmliche Hetzjagd veranjtalteten: der ihlug dann wohl die Mittelftraße ein und theilte fein Gut unter die beiden Rivalen. Einmal ift c8 auch vorgefommen, dag der Be— treffende, um das bejtändige Drängen (08 zu fein, dem einen Kloſter eine Urkunde über Dinge ansftellte, die er dem anderen bereits geſchenkt hatte: das gab dann zu VBerdrieklichkeiten und zu Procejjen Aulaß!. Denn jo eutſprach es eben dem Genius der Zeit.

Kam dann der Kaifer nach Farfa, fo eilte der Abt von ©. Calvator herbei, um aud für fih die Privilegien beftätigen zu laſſen. Yudwig II. hat das im J. 872 in einem Document für beide Klöjter gethan?; ein Beweis, daß in der That zur Zeit der famojen Schenfung Karls d. K., deren der Libellus er- wähnt, diejelben vereint ihre Rolle fpielten.

Das dritte Glied in diefem Bunde war S. Andrea. Aud) dies Klofter fehen wir in ähnlichem Verhältuig zu Yarfa, wie ©. Sal: pator; fie waren Grenznachbarn; doch haben fich feit den dreifiger Jahren des zehnten Jahrhunderts ihre Beziehungen weniger freund— lich geftaltet : politiſche Verhältniſſe entfremdeten fie einander.

Wir wilfen, daß Alberich, al8 er die Abteien reorganifierte die alte Reichsgewalt über fie ansiibend —, Farfa auf einige Zeit dem Abte Leo von S. Andrea unterjtellte. Nun muß man die Eiferfucht diefer Abteien kennen und wie fie einander mit Argus= augen beachten, um zu begreifen, wie empfindlich) e8 die Yarfenfer berührte, unter einem fremden Krummſtab jtchen zu müſſen. Ab— gefehen von allen hämifchen Bemerkungen, die fie fich gegenfeitig in den Chronifen jagten: in dem „Verzeichnis der Befigungen, die dem Klojter Farfa geichenft worden und die dafjelbe bis zu feiner Zer— ſtörung unangetaſtet beſeſſen, nachher aber durch die Hinterlijt böjer Menfchen verloren hat?“, fteht auf dem Inder der „böjen Menjchen auch der Abt von S. Andrea.

1 Zuerſt erfcheint S. Salvator in den Urk. von Farfa im 3. 752 (Gal- letti, Gabio 101 Aum. 3); die anderen hier vorgeführten Fälle fommen vor bei Galletti, 1. c. 91; Del vestarario 46. 100. 103; Muratori SS. IIb, 356. 360 (um das J. 800). 419.451. 462. 467 (Mitte saec. X); Antiquit. It. V, 699. (3. 3. 807); Galletti, Primicero 200; Fatteschı, Duchi di Spoleto 323 (3. $. 1028) u. a. ©.

Muratori SS. IIb, 402 fi.: cum sancto die pentacostes in mo- nasterio sanctae dei genitricis Mariae, quod situm est in territorio Sabinensi, moraremur, et per basilicam atque refectorium simul cum monachis ejusdem cenobii, nec non et de monasterio, quod est proxi- mum in honore domini et Salvatoris nostri, reverentiae causa deam- bularemus, complacuit, .. . quatenus horum coenobiorum presentes abbates, Anastasius scilicet et Johannes u. j. w.

® “Ineipiunt res huic monasterio legaliter collatae, et jure anti- quitus possessae ante ejus destructionem, quas postea perdidit iniquo- rum hominum sublatione’. Murat. SS. IIb, 418 ff. Darunter ©. 419: In loco, qui dieitur Corolianus, tenet abbasS. Andreae ipsum locam

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tie hätten ſich alle drei Abteien der Sabina erforderlichen Falls zu einer gemeinjamen VBertheidigungsjchrift entſchloſſen: fie würden es ſich gegenfeitig nicht gegdunt haben. Das war eben im Cha— rakter des Mittelalters begründet, daß der zünftige Gorporationsgeift jedes Recht war ja privilegiert Alles beherrighte. Ein Privat: mann, der in Rom jchrieb, kümmerte ſich in der Kegel nicht um die Neichsabteien; dieje noch weniger fid) um die Angelegenheiten der Geijtlichfeit von Ravenna; hier wieder wußte man nichts von Spo— feto und von den zwei Städten Arezzo und Chiufi, „die einjt dazu gehört Hatten“; am allerwenigiten interejfierte man ſich für die Schenkung ganz Unter = Ftaliens an die Römische Kirche: jo lange man nur jelbjt ungejchädigt blieb. Eine Schrift zu Gunften aller jpeziellen Antereffen des Reichs nicht für diefes im Allge— meinen zu jchreiben, überließ man getrojt dem Reiche ſelbſt. Darauf beruht die Eintheilung, die Wattenbah „Deutjchlands Ge— ſchichtsquellen“ Hat angedeihen laſſen.

Zunächſt ſei noch eines der Denkmale, die wir dem ſchier uner— ſchöpflichen Urkundenſchatze von Farfa verdanken, Erwähnung gethan, weil wir dadurch noch einen Schritt weiter geführt werden dürften.

Wir beſitzen nämlich einen Brief des Abtes Hugo von Farfa des bekannten Geſchichtſchreibers ſeines Kloſters an Landoin, den Abt des benachbarten S. Salvator, aus dem zweiten Decennium des 11. Zahrhunderts!. Wieder iſt es eines der gewöhnlichen Tauſchge— jchäfte, welches die beiden Kollegen zu einer eingehenden Correſpondenz veranlaßt.

Man erinnere fi), was bereit über die Beziehungen, welche die klöſterlichen Nachbarn mit einander pflogen, auseinandergefett worden ift, und man begreift, wie Hugo ſich bewogen findet, ad captandam benevolentiam cine längere Einleitung zu maden: er thut dies in Form eines hiſtoriſchen Rückblicks, der beweijen ſoll, daß ihre Intereſſen jchon von Alters her auf das engfte mit einander verbunden geweſen feien. Als Beweis dafür führt der Briefſteller unter anderem jene Urkunde K. Yudwigs II. von 872 an, die für beide gemeiuſam die Privilegien bejtätigt habe: dem Hugo ift fie

cum pertinentiis suis, juxta ipsum Corolianum terram et vineam, quas in isto monasterio dedit Supo presbyter de Mozano, et modo tenet minister ejus et soror et filius ejus (einer der verheiratheten Priefter, deren in diejem Verzeichnis ziemlich viele vorfommen; auf derielben Seite filius episcopi Benedicti, filius Leonis presbyteri; Jobannes presbyter cum eonsortibus suis u. ſ. f.).

! Hugonis abbatis Farfensis epistola ad Landuinum abbatem monasterii sancti Salvatoris Reatini de permutatione terrarun inter eos facienda; bei Mabillen, Annal. Bened. IV, 706 (app.). Die Da— tierung würde beiläufig auf das Sahr 1019 treffen: was Hugo in feinem Briefe vorfchlägt, ericheint damals im Reg. Farf. als vollzogen, Vgl. Muratori, SS. IIb, 527, wo Aum. 18 das Schreiben wiederholt ift.

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wieder unter die Augen gefommen, als er neulich die Papiere feiner Kirche ordnete !.

Vom Libellus fein Wort, der doch auch für ihre gemeinfamen Opntereffen eingetreten war. Was fchon die Auseinanderjegung über die Bücherfchäge der Neichsabteien zu zeigen jchien, diirfte damit wol zur Gewißheit erhoben werden: in Yarfa und S. Salvator hat man von dem Libellus und den Kämpfen, die fi daran fnüpften, nie etwas erfahren . Bon den letteren fcheint man fi) auch auf dem Berge Soracte feinen Begriff gemacht zu haben, wo man den Libellus aller= dings beſaß: er wird aber nur als Gejchichtsquelle für das 9. Jahr— hundert, vor allem die Zeit K. Ludwigs (wobei der erfte und zweite diejes Namens zufammengeworfen worden) benutzt; worauf der Autor dejjelbeu bejonders Gewicht legt, wozu der Libellus überhaupt ge= jchrieben zu fein Scheint, die (angebliche oder thatfächliche) Schenkung Karls d. K. übergeht auch DBenedict mit Stillfchweigen ; andere Duellen meldeten davon eben nicht.

Co kämen wir denn ſchließlich nod) auf die Frage zu ſprechen, wer denn etwa der VBerfafjer des Schriftſtücks ſein möchte; auf Namen wird dabei wohl von vorn herein zu verzichten fein; aber die fonftige Bildung und Lebensftellung des Mannes dürfte aus feiner Yeiftung fi) wol erfennen lafjeı.

! Lucidius exquirentes cartas et tomos sive menıbrana nostrae ecclesiae, authentica munimina reperimus et antiquissima, quae pro certo continent, quod ab olim inter ipsum istumque conventum magna est concordia, et dilectio continua extitit, et de nostris ad vos et de vestris ad nos eundiet redeundi, cuicumque libuit, semperque licuerit, nullique aliquando abnegatum fuerit. Quapropter tempore hiemis vel aestatis familiariter ac domestice uterque conventus multotiens permanere consueverat. Unus etiam imperator, cum die pen- tacostes ad hoc monasterium devenisset, et huic loco et domno Johanni nostro abbati ipsique monasterio d. Sal- vatoris et d. Anastasio praeceptum insigne optimae li- bertatis de omnibus bonis acquisitis et acquirendis dignissime fecit. #olglih, jchließt Hugo, absque aliquo dubietatis scrupulo nostras explere valeamus placitas commutationes cum utrius- que monasterii proficuo. -

2 Mas Farfa betrifft, jo ift das wol unumſtößlich. Bei der groken Aus- einanderjegung gegenüber den römiſchen Anfprüchen am Anfang des 12, Jahr- hunderts, Mon. Germ. SS. XI, 567 - 577, wird in der bereits charakterifierten Beife gegen die Schenkung Eonftantins und das Privileg Ludwigs d. Fr. po- lemiſiert; der BVertheidiger des Klofters entnimmt feine Argumente der Geſchichte und den Rechtsſatzungen. K. Ludwigs Il. Verhalten gegen die Päpfte wird nad) dem Liber pontificalis augeführt; derielbe S. 576 mit Ludwig dem fr. verwechielt; die Händel zwiſchen Silverins und Belifar S. 569 ebenfalls nad) dem Papſtbuche berichtet. Murat. SS. II, 416 f. handelt Gregor v. Catina iiber die Zeiten des Verfalles feines Klofters und die Verlufte, die e8 durch die ſchlechten Aebte (mali rectores) des 10. Jahrhunderts erlitten hat: placuit autem nobis in hoc opere ad utilitatem legentium sive audientium a veridicis historiographis descriptis regum, imperatorum ac Roma- —7 pontificum uti temporibus; im folgenden wird Liutprand ausge

trieben.

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Gr wird, namentlich wenn man feinen Stil mit dem DBenedicts von ©. Andrea vergleicht, wol einer der in den Grammatiferjchulen des oberen oder mittleren Italiens gejchulten Männer gewejen fein, die damals in der Piteratur eine Rolle fpielten.

Dabei ift e8 beachtenswerth, daß unfer Autor doch über die rein formale Seite jener Bildung, womit die zeitgenöjfiichen Gram— matifer fich jo fehr zu brüften pflegten !, fich zu erheben den Anfchein gibt: er fpottet, wenn ich recht verjtehe, über Karl d. K., „der ein Philofoph gewefen bei den Büchern“ ?, dafür aber fein Neid) von diefer Welt den Römern und den Päpften preisgegeben habe.

Denn gerade jene „Philofophie* , die in völlige Sophiftit und Haarjpalterei ausgeartet war das ift das Urtheil, welches wir jelbit aus den Schriften jener Periode, die auf und gefommen find, ung gebildet haben? —, hat damals, von Seiten der Praftifer eine manchmal jchroff genug ſich äußerude Oppofition hervorgerufen. Es genügt in diefer Hinfiht nur an den Ausspruch Gregors d. Gr., der in der Folge fo oft wiederholt wurde, zu erinnern: das Wort Gottes brauche ſich nicht den Kegeln des Donat zu unterwerfen; oder wie jener päpftliche Yegat Leo dem gelehrten Gerbert gegenüber gel= tend machte: S. Peter habe ſich aud) nicht um das „Vieh von Philofophen“ gekümmert und fei doch Pförtner des Himmels ge— worden *,

In ähnlicher Weife mögen auch fonft die Politifer auf die Schulgelehrten herabgeblict haben. Yiutprand felbjt, der fich mit diefen Kreifen aufs engite berührte, wenn er aud) aus denfelben weit hervorragte, läßt hier und da feinen Wit in diefer Richtung fpielen ?; doch jtellt auc er die Gefchichtfchreibung neben der Komödie als eine Art Erholung von der wichtigeren und mehr auftrengenden Beichäftigung mit Grammatik und Poetik Hin 6,

1 Bol. E. Bernheim, Forſchungen zur deutichen Gefchichte XIV, 154 u.a.

2? ‘“Quia erat in litteris quasi philosophus’. v. Noorden, Hincmar v. Rheims 299, der eine andere Kombination verſucht, Scheint mir die feine Sronie, die im Ausdrud liegt, zu mißverftehen. Man muß den ganzen Abjat leſen, bis zu: ecclesiam, ut quasi per vim ab aliquo esset oppressa.

s Bol. darüber namentlid) Dümmler, Aurilius und Bulgarius S. 45 f., Anfelm der Peripatetifer ©. 6 u. a.

* Bol. Ozanam, inédits S.7, und Wattenbach, Geſchichts— quellen I, 3. Aufl., S. 2

Man vgl. V, 21 über die griechiſchen Mönche: coenobita-

rum multitudo pbylosophabatur; dahın wollen die Verſchworenen auch den K. Romanos bringen: philosophandum ; dieſer entfommt und ftedt dieſelbeu nun feinerfeits ins Klofter philosophandum. Und gleih in der Einleitung zum berührten Werte heißt e8: phylosophy ydropicorum more, qui quo amplius bibunt eo ardentius sitiunt, quo sepius legunt eo avidius nova queque perquirunt.

° Antap. c. 1: plane mens achademicorum, peripatheticorum, stoicorumque doctrinarum jugi meditatione infirmatur, sinon aut utili comoediarum risu aut heroum delectabili historia refocilatur.

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In Bezug auf die Politit Ftaliens Nom gegenüber ſtimmen der Bifchof von Gremona und der Berfafjer des Libellus in ven meilten Bunkten überein. Auch Yintpraud betrachtete K. Ludwig den Zweiten als Bertreter der italifchen Gejammtjtaatsidee, wie er in Konstantinopel geltend macht ; dort erforderten es dann freilich die politifchen Rückſichten, den Byzantinern ihr Verfahren gegen die Päpfte zur Zeit ihrer Herrihaft in Nom vorzuhalten; Otto I. aber wird von ihm „gerechtfertigt durch den Hinweis auf das Weiberregi- ment und die Tyrannis Alberihs, des Kerfermeifters der Päpite!: ein Zug, den der Libellus nicht hat. Don den Grichen ſcheint übrigens der legtere eine ebenſo chlechte Meinung gehabt zu haben, wie Pintprand 2,

Das wiedererſtehende Kaiſerthum hatte die Politik, die der Li- bellus verfochten, eben wieder aufgenommen und zur Durchführung gebracht, wenn auch nicht in der Form eines National-, jondern in der eines Univerjalreiches.

Schen wir ung nunmehr den Inhalt des Libellus näher an. Bon der legendarifchen Einleitung dejjelben wurde jchon früher ge— ſprochen; es zeigt diefe eben diefelbe Konfujion in der Auffaſſung der itaatsrechtlichen Verhältnijfe der früheren Zeiten, die uns 3. DB. in Graphia urbis Romae? begeguet: ohne daß übrigens beide Schrift- jtüde in Abhängigkeit von einander wären. Und da zugleich gegen die politischen Beſtrebungen der Päpite Oppofition gemacht wird, ver— wahrt fich der Berfaffer gegen den Vorwurf der Heterodorie ebenfo energiſch, wie das furz vor ihm Aurilius in feiner Streitihrift zu Gunften des Formofus gethan hatte *.

Nachdem fo das Bekenntnis des Primates Petri voransgefchickt, hingegen den Kaiſern und Königen gegenüber ihre Unterthanenpflicht betont, die Misachtung derjelben herbe Eritifiert worden, werden die Zuftände in Nom unter den erjten Rarolingern dargelegt; ohne daß dabei die Negierungen der einzelnen Herricher von Pippin bis Lud— wig IL. unterſchieden würden: auf Karl d. Gr. wird alles zurückge— führt: die Befreiung des P. Zadjariad aus den Händen der Yango= barden, das pactum der römischen Kirche, die constitutio Romana vom J. 824.

Auf die lettgenannte constitutio gejtügt, entwirft ſodaun der Berfaffer ein Bild von der Faiferlichen Gewalt in Stadt und Ge— biet. Es wird uns das Doppelregiment von Kaifer und Papit vor= geführt; die Ausübung der Gerechtigfeitspflege durch die römischen judices und duces. Als oberjter Yuftizbeamter, der eine dem by—

! Bgl. Legatio ce. 5. c. 60.

* Bei Erzählung der Vorgänge von 864 von den Mönchen und Nonnen, die gegen den Kaijer beteien: projecerunt cruces et iconas, quas porta- bant, sicut mos est Grecorum. Das ift wol eine Anfpielung auf die Bilderftürmerei.

3 Mol, Ozanam a. a. D. S. 165 f.

* Bei Dümmler, Auxilius und Bulgarius ©. 59.

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zantinijchen praefectus urbi analoge Stellung einnimmt, fungiert ei jtändiger missus im Namen des Kaiſers die einzige Kunde, die uns davon erhalten ift, die aber inmmerhin glaubwürdig genug ift!.

Ueber die Dertlichfeiten, an denen Recht geſprochen?, über die Formeln, die dabei gebräuchlich waren?, weiß unfer Autor befonders gut Beſcheid; wo wir ihn controllieren können, zeigt er ſich genau unterrichtet. Wir werden daher auch die ihm eigenthümliche Nad)- richt, daß außer den gewöhnlichen Gerichtsfigungen, die in Gegenwart de8 Apoſtolicus abgehalten wurden was die erhaltenen Urkunden bejtätigen —, aud) jolde am Yateran „bei der Wölfin“ ftattfanden, annehmen dürfen: Benedict von S. Andrea, der mit römischen Ver— hältniffen fehr vertraut ift, hat diefe Stelle aus dem Libellus in jeine Chronik aufgenommen t.

Es wird dann weiter von der Wirkſamkeit der jährlich zur Con— troffe eintreffenden anßerordentlichen missi und der faiferlichen judices, die fie begleiteten, Erwähnung gethan; wie die Compoſitionen zwijchen dem päpftlichen und dem faiferlichen missus getheilt wurden, während die Confiscationen dem Kaifer allein zufielen; wie diefem denn aud) die höhere Strafgewalt durchaus vorbehalten war. Den Unterhalt für den Faiferlichen Beamten in Nom bejtritten, wenn die Einnahmen

ı Bol. Giefebrecht, Kaiferzeit I, 865. Simſon, Jahrbücher Ludwigs d. Fr. T, 226 Anm. 3, macht dagegen geltend, daß zur Prüfung der Papftwahlen von 827 und 844 befondere missi abgejchictt worden wären (Einhardad ann. 827 ©. 216. Prudentii Tree. ad ann. 844 S. 440), was unverftändlid; wäre, wenn ein faiferlicher in Rom gewefen wäre. Darauf läßt fid) erwiedern, daß die ftändigen missi der Zeit auch fonft nur rihterliche Functionen übten, zu politifher Eendung „wandernde” Boten gebraucht wurden. Vgl. Fider, gt. Forſchungen II, 50 fi. und 127, wo defjen Stellung indeß ebenfalls zu weit aufgefaßt fein dürfte; der Libellus jagt einfach: (inventum est), ut suus (sc. imperatoris) missus omni tempore moraretur Romae, ad deli- berandas litigiosas contentiones. Alle weiteren Befugniffe wer- den dem Herzog von Spoleto zugefchrieben. (Im demſelben Berhäftwiffe ftanden Anfangs des 11. Jahrhunderts der praefectus urbi und der patricius zu einander).

2 Morabatur quippe in palatio s. Petri (sc. missus). Dort fteigt ‚auch 8. Ludwig II. ab, da er nad Rom kommt. Nod) im Anfange des 11. Jahrhunderts wird ein Placitum abgehalten: ad basilicam b. Petri apostoli in palatio domni Karoli imperatoris ante praesentiam domni prefecti. Farfenſer Urk. von 1017, Galletti, Primic. 254.

s Der Libelluserwähnt, daß, wenn Unzutömmlichkeiten in der Rechtspflege vorfamen, dann missus adjuraret prineipes Romanorum dicens: ‘Per eam fidem, quam domino imperatori debetis, facite huic homini justam legem’. In einer Gerichtsurtunde von 829 fragen die zwei (auferordentlichen) missi in finibus Spoletanis seu Romania ad singulorum hominum causas audiendas et deliberandas, die Zeugen per ipsum sacramentum, quod domno imperatori factum habebant; worauf diefelben ebenfo antworten: ‘Per ipsum sacramentum, quod domno imperatori factum habemus’. Bei Galletti, Del pri- micero 185.

ı ©. oben ©. 412,

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des Fiscus Hierzu nicht ausreichten, nad) dem Libellus die drei Reichs— abteien S. Salvator, S. Maria (Harfa) und S. Andrea am Eoracte.

Es find, wie ſchon gejagt, diefe Züge, welche der Libellus au— führt, durchaus den Geſetzen des Jahres 324 entlehnt!, durch welche die Stellung des römischen Gebietes und feiner Enclaven (dev großen Abteien, die im Domininm des Neiches ſtanden) innerhalb des frän— fisch-abendländifchen Imperiums endgültig geregelt worden war.

Sowohl die constitutio Romana als auch die Privilegien der Klöfter muß der Berfaffer des Libellus gefannt haben. Bei jener üt dies Gegreiflic), denn fie iſt auch fpäter immer als das Grundgeſetz für „Romanien“ anerkannt worden: als jolches hat fie in den Liber Papiensis Aufnahme gefunden ?, war alfo den langobardijchen Yegiften wohl befannt.

Was die Privilegien der Abteien betrifft, fo hat der Libellus einen Paſſus, der unverjtändlich it, wenn man nicht annimmt, der Autor Habe jene vor Augen gehabt und eine Bejtimmung derjelben Schlecht wiedergegeben. Karl d. Gr. hatte nämlich bei Eroberung Staliens 774 Farfa diejelbe Stellung zugefichert, welche die großen Abteien des Franfenreiches einnahmen: beiläufig daffelbe fagt der Li- bellus; nur wäre c8 für feinen Zweck nicht nöthig gewejen, der Sache Erwähnung zu thun ®.

Zeigt ſich über all diefe Verhältniffe unfer Autor im Ganzen ſehr gut unterrichtet, jo wird es von Jutereſſe fein, ihn nunmehr auch über den Umfang des römischen Gebietes und die Art der Re— gierungsgewalt, die in demjelben der Bapft ausübte, zu vernchnen ; eine Frage, die von jeher jehr controvers war und für die jede Ein— zelheit, die uns nähere Auffchlüffe gibt, willkommen iſt.

Man fennt die Bedingungen, unter denen einft der Bund der Karolinger mit dem römischen Etuhl zu Etande gekommen war: die Verheißung Pippins von Onierzy (754) und ihre Bejtätigung durch Karl im %. 774: wie dann die ganze Unklarheit der Faſſung, die Schwerkraft, welche die althergebrachten Verhälmijfe ausübten, die ganze Politik, die das neu entjtandene Weltreich nothwendig befolgen mußte, zu weiteren Abmachungen führten, deren Inhalt uns durd) das pactum vom %. 817 bekannt iftt: damit jtimmen durchaus alle

1Schonu Fider, It. Forſchungen II, 352. 2, hat dies bezüglid) der Con- stitutio Romana bemerft.

* Mon. Germ. LL. IV, 545 546.

® Das Priv. v. 774 bei Muratori, SS. II, 350, das dann 824 durch Lothar beftätigt wurde (l. c. 386), nachdem 817 Farfa fi) dem Vapſte zu unterwerfen genöthigt geweſen war (J. c. 366), beftimmt: qualiter ipsa casa Dei sub tali privilegio esse deberet, sicut cetera monasteria Li- rinensium , Agaunensium et Luxoviensium . . . Der Libellus bingegen jagt: Non solum autem in Italico regno, verum etiam in Francia pro- ficiscebantur monachi, ferentes vectigalia, vina et alia donaria juxta virium posse.

* Bol, über die ganze Frage Fider, It. Forfchungen II, 299 ff. 332 fi.

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Angaben, die uns anderweitig überliefert find. Schon in der Thei— fungsurfunde von 866! wird die “terra s. Petri’ als abgefondertes Ganze Hingeftellt, deſſen Integrität durch die Theilung felbft nicht angetajtet wird: der Erardjat und die Pentapolis einer-, das römische Gebiet im engeren Sinne (Ducat von Rom, Campagna, Sabina) andererjeit8, verbunden durch einen fchmalen Streifen Yand bei Pe— rugia, Civita Caftello, Gubbio lagen innerhalb der ‘“termini s. Petri’ und unterftanden deffen Nachfolger, dem römischen Papſte: von an— deren Gebieten, die einft die „Verheißung“ umfaßt, wie Tuscien und Spoleto befam er jenen Theil der Einfünfte, der bisher an den König nad) Pavia abgeführt worden war ?,

Andere Denkmale zeigen uns ſodann die Stellung, die der Papft al8 Inhaber jenes Territoriums innerhalb des Kaiſerthums einnahm. Die Münzen tragen den Namen des Papjtes und des Kaiſers: als Karl d. Gr. Benevent fi) unterwarf, mußte der Herzog in gleicher Weife dejjen Namen neben den feinen jegen. Noch nähere Aufjchlüjje gewährt uns ein Kapitulare Kaifer Lothars vom %. 846, das erit neuerlich befannt geworden ift?,

Kom hatte damals eben durch einen Weberfall von Seite der Saracenen jehr gelitten; die Petersfirche ſelbſt war zerftört worden ; Lothar befiehlt nun durch einen Brief und jeine missi dem „Apo— ſtolieus“, die Kirche durch eine Mauer zu befeſtigen“. Zugleich ift für das nächſte Jahr ein Feldzug nach Unter-Italien gegen die Sa— racenen in Ausficht genommen; und hierzu ward auch der Papit als Fürft des Neiches aufgeboten. Man bedurfte einer Flotte; diefe Hatte für die Pentapolis der Apoftolicus, der Doge Peter von Venedig aus beizujtellen ®.

Man jieht, ſowohl was die Rechte als was die Pflichten be- trifft, Stand der Inhalt des pactum der römischen Kirche nicht mur auf dem Pergament, fondern war thatfächlid) in Kraft. Die Zuſammen—

343 ff. (über die Iuterpolation in Gregorianifcher Zeit). Die formellen Be- denken Sidel®, Acta Carol, II, 381 f. 434, auf die Simfon, Zahrb. Ludwigs d. Sr. I, 80 Anm. 7, zurüctommt, lafjen eine anderweitige Erklärung zu, und die innere Kritif entjcheidet zu Gunften des Privilegs, mit Ausnahme der Stelle über die Anfeln, die fpäter interpoliert fein wird.

Mon. Germ. LL.1, 141. Fir das Nähere vgl. Fider a. a. ©. 349.

2 Dol. Fider a. a. O. 299 ff.

8 Aufgefunden von Maafen im Kapitelardhive zu Novara, vollftändig wieder abgedrudt und bejprochen von Blume, Zeitjchrift für Nechtswifjenichaft 1873, 9. 2, S. 258 ff.

* Decernimus et hoc apostolico per litteras nostras et missos mandamus, ut murus firmissimus eirca ecclesiam b. Petri construatur. c. VII, 1. c. ©. 260.

5 Similiter apostolico et Petro Vaenaeciarum (sic) duei (manda- mus), ut adjutorium ex Pentapolim (sic) et Venecia navali expeditione faciant ad opprimendos in Benevento Sarracenos. ce. XII, ]. c. ©. 262. Hiermit entfallen die Bedenken Fiders a. a.O. III, 448 Nachtr. zu II, $. 352, das römische Gebiet nicht Kriegsdienft zu leiften gehabt hätte,

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ftelfung des Apoftolicns und des Dogen in dem angeführten Kapi- tulare ift auch infofern fehr zutreffend, al8 Venedig wie Nom inner- halb des Reiches eine ziemlid) ähnliche, aber eigenthümliche durch ein pactum geregelte Stellung einnahmen. Dieſe Analogie wiirde fogar noch) zutreffender fein, wenn jene eigenthünmliche Nachricht des Libellus begründet wäre, Nom habe nad) Pavia jährlid) einen Zins von 10 Pfund Gold, 100 Pfund Silber, 10 fojtbaren Mänteln zu liefern gehabt, wie Venedig in der That zu ähnlichen Peiftungen verpflichtet geweien ift. Doch meldet das pactum von 817 davon nichts; die Leſung der enticheidenden Stelle (Papae oder Papiae) ift unficher, und fo müſſen wir die Sache auf ſich beruhen laſſen!; bemerfenswerth. ift jene Angabe bei einem ſonſt jo gut unterrichteten Autor auf jeden Fall.

Im übrigen aber bildete „Nomanien“, wie es wol aud) genannt wurde, unter der Herrichaft des Papjtes eine der großen Provinzen, in die Stalien eingetheilt war: Yangobardien, Romanien, Benevent, Zuscien, Venetien zählt einer der Faiferlichen Erlaſſe auf?.

Das war im allgemeinen die Yage der Dinge bis zu dem Mo— mente, da K. Lothar nach der Sitte der fräufiichen Dynaſtien das ohnedies fchon mehrfach getheilte Kaiſerreich nochmals theilte und hierbei feinem älteften Sohne Yudwig II. Italien und die Kaiferfrone zufiel.

Damit hing es zuſammen, daß munmehr der Kaifer öfters in Kom verweilte; war dies aber der Fall, jo mußte vor ihm der Be— herrfcher der “terra s. Petri’ nothwendig in den Hintergrund treten.

Und für diefe Situation und für das Verhalten des Papſtthums in derjelben ift grade unfer Libellus die Hauptquelle; fein Held ift, wie wir wiffen, Kaifer Pudwig II.

In Rom waren die Großen immer bereit, gegen das päpftliche Negiment fich aufzulchnen; namentlich national = öfonomifche Gejichts- punkte famen dabei in Betradht; die Kirche juchte möglichjt allen Grundbefig im ihrer Hand zu vereinigen, und wenn ihr das gelang, jo war der Adel ruiniert. Dieſer fuchte gegen die Uebergriffe der Kirche am Kaiſerthum einen Rückhalt; die constitutio Romana von 824 war eben durch einen ſolchen Couflict hervorgerufen worden >.

Bon diejer Partei wurde der Gedanke, Nom wirklich zum Sitze des Neiches zu machen, mit Sreuden ergriffen: jie ermunterten Ludwig (jagt der Libellus) die alte (byzantinische) SKaifergewalt zu er— neuern“.

Aber die Idee der Freiheit und Unabhängigkeit der römiſchen

ı Rolf. Waitz, Deutſche Verfaſſungsgeſchichte IV, 95.

2 Mon. patr. XIII, 348 aus dem $. 861: omnibus fidelibus nostris in partibus Langobardiae, Romaniae sive Beneventi atque Tusciae nec non Venetiae.

3 Bol. die Belege bei Simfon, Jahrb. Ludwigs d. Fr. I, 62,

* Hie quia magis Italiam habitare elegit, vieinior factus est Romae ; ubi et ampliori quadanı usus est potestate, babens strenuos viros ejus

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Kirche Hatte im Abendlande bereits zu tiefe Wurzeln gefchlagen: „die Ehrfurdt vor den Hl. Apofteln hielt Yudwig IL. ab, jenen Plan zur Ausführung zu bringen“ !.

Und jchon ergriff das Papſtthum die Offenfive; e8 war die Zeit feiner großen Erhebung unter Nicolaus I., der gegen die Franken— fönige einſchritt, als fie das Sittengebot übertraten, der in Byzanz jelbft den Primat Petri zur Geltung brachte, der gelajjen die pſeudo— ifidorifche Frucht pflückte, die auf einem anderen Stamme gewachſen war.

Gerade um der Grundfäge willen, die Pfeudoifidor vertrat, ent— brannte auch in Stalien der Kampf des Papal- mit dem Metropo- litanfyften; das lettere fand Hier an Johann, dem Erzbifchof von Ravenna, feinen Vertreter, der feinerjeitS ebenfalls am Kaifer einen Rückhalt ſuchte. |

Es ift hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten einzugehen ?. Als Papft Nicolaus ſich um die kaiſerliche Regierung nicht im geringften fümmerte, gegen ihre Abgejandten vielmehr mit firchlichen Zwangs— mitteln vorging, erfolgte der völlige Bruch zwifchen beiden Gewalten. Gerade darüber num ift der Bericht des Libellus interejfant und für die ftantsrechtliche Stellung der ‘terra 8. Petri’ und des Papftes im Reiche fehr bezeichnend, bisher trotzdem gewöhnlich vernachläffigt.

Gegen Nicolaus wurde nämlich zulegt wie gegen einen aufrühre- riſchen Neichsfürften vorgegangen: in der Pentapolis ward die Re— ——— verhängt und die geſammte Verwaltung der römiſchen

irche abgenommen, bis auf die Abgaben, welche die Schiffe zahlten (wenn ich den Ausdrud des Libellus recht verftehe)®. Hier wie in der Campagna wurden die Patrimonien confiscirt und die Einkünfte zum Nuten des Kaiſers und feiner Getreuen verwendet*, Das ftimmt genau zu dein, was wir aus dem Capitulare von 846 erfahren haben: an einer Stelle, wo wir feine Angaben prüfen können, bewährt fich die Glaubwürdigkeit des Libellus vollſtändig. Was man gegen diefe vorgebracht, weil der Autor erſt verhältnismäßig ſpät gefchrieben habe, erfcheint nicht als ftichhaltig.

urbis, scientes antiquam imperatoris consuetudinem et intimantes cae- sari. Qui suggerebant illi, repetere antiquam imperatorum domina- tionem. („Eine fehr anjchauliche an deren Wahrheit nicht ge— zweifelt werben Tann“. Köpfe, Zeitjchrift für Geſchichtswiſſenſchaft VI, 44).

ı Et nisi ob reverentiam beatorum apostolorum dimitteret, pro certo faceret.

2 Der Libellus einer-, das Bapftbuch (Vita Nicolai c. XXI ff. ed. Vignoli 183 ff.) und die Alten einer römischen Synode vom Nov, 862 andererfeits find dafür umfere einzigen Ouellen. Beide vertreten hierbei entgegengeſetzte Standpunkte. Bol. Dümmler, Oftfr. Reid) I, 495.

® Pentapoli beneficiales ordines suis distribuit, praecipiens, nul- lam administrationem impendere Romae, exceptis suffragiis navali deportatione.

* Fecit etiam occupare nonnulla patrimonia in Campaniae par- tibus regio usui suorumque fidelium. Man vgl. über folhe Mafregeln Ficder, Das Eigenthum des Reiches am Reichslirchengute S. 104 f.

XIV. 30

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Der Kaiſer reifte jelbft nad) Rom ab, um die Sache feines ver— trauten Freundes, des Erzbiihofs von Ravenna (von diefem allein fpricht der Libellus) zu führen. Und Hier erfolgte endlich die denf- würdige Rataftrophe des %. 864.

Die kaiferlihen Soldaten erfüllten die Stadt; ihnen gegenüber entwicfelte die ftreitende Kirche ihre Schaaren. Der Papft ordnete öffentliche Bittgänge an „gegen Fürſten, welche übel handeln“. Durch zwei und fünfzig Tage dauerte diefer Zuftand, und die Stimmung ward immer erbitterter. Zuletzt fam es zmwifchen den Soldaten und einer der genannten Procefjionen zu einer Schlägerei; Kreuze und Re— liquien wurden zerichlagen, Mönche und Nonnen mishandelt; dieſe flohen nach allen Richtungen.

Damit hatte aber auch die Krife ihren Höhepunkt erreicht; als— bald trat eine Verſöhnung ein. Aber der Ruf jener Vorgänge hallte durd) ganz Europa wieder. Noch in den Tagen Gregors VII. hat man fid) daran erinnert; aus der Yiteratur der Zeit erficht man zu= gleich den Stand der öffentlichen Meinung. Außer unferem Libellus nimmt alles gegen den Kaiſer Partei, fo die Schrift ‘De querimonia Romanorum’!, fo Erchempert von Monte Cafino ?, der alles Unglüdt, das in der Folge den Kaifer traf, darauf zurücführt. Auch Hincmar von Rheims, fonjt fein Freund des Papftes Nicolaus, erklärt fich gegen den Raifer?. Dabei intereffiert fih Hincmar für die ganze Sache nur, infofern damal8 auch die Angelegenheit feiner beiden Kollegen von Köln und Trier zum Austrag hatte gebracht werden follen.

Wie gejagt, der einzige Libellus nimmt entfchieden für den Kaiſer Partei; ihm zufolge ward der Papft nad) jenen Auftritten „zahmer“ und konnte nur durch inftändiges Bitten den Kaifer ab- halten, ftrenger gegen den römischen Klerus vorzugehen *.

Zugleich ftellt der Libellus im Gegenfag zu allen übrigen Be— richten durchaus den Erzbiſchof von Ravenna in den Mittelpunft des ganzen Streites. Das ift nicht ohne Intereſſe. Man erinnere fich des einfeitigen Charakters, den die mittelalterliche Hiftoriographie an fich zu tragen pflegt.

Aus jenem Hervorfehren Johanns von. Ravenna dürfte wol ein Schluß zu ziehen fein bezüglich des Ortes, woher der Verfaſſer des Libellus feine Quellen jchöpfte. Denn daß die ganze Erzählung auf fie Aufzeichnungen zurüdgehen muß, kann nicht wol zweifel-

aft fein. hef Ich denke, wir haben es hier mit Ravennater Ueberliefe— rungen zu thun. Erzbiſchof Johann, ſagt der Libellus, war der ver-

ı Bei Wido von Osnabrück, Cod. Udalrici (ed. Jaffé, 340).

%. Mon. Germ. SS. III, 253.

3 Annal. ad. a. 864, Mon. Germ. I, 462 ff.

* Imperator graviter est promotus in iram, et pro qua causa apostolicus mitior effectus est. Profectus est denique idem pontifex ad s. Petrum, rogans imperatorem pro suis talia patrantibus, et vix obtinere valuit.

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traute Freund K. Ludwigs II. (serviens imperatori familiarior erat). Ravenna war gerade zu den Zeiten, von denen hier die Rede ilt, häufig der Verſammlungsort der Neichstage, die Reſidenz der Kaifer: unter ſolchen Umſtänden ift im Mittelalter ſtets die Lo— calgefhihtfhreibung in die Reichshiſtoriographie über- gegangen. Zudem hatte man zu Ravenna alle Urſache auf den allge— meinen Gang der Begebenheiten, namentlich auch auf das Verhältnis des Kaiſerthums zum Bapftthum fein Augenmerk zu richten; nur wenn erfteres ftarf genug und zum Schuße bereit war, konnte die Kirche des hl. Apollinaris fich der Uebergriffe der Kirche des Hl. Petrus in dem Geifte erwehren, den man aus dem Pontificalbuche des Agnellus fennen lernt.

Berfolgen wir weiter die Entwidelung der Dinge, wie fie uns der Autor des Libellus vorführt; wir fommen hierbei zu den Vor— gängen nad) dem Tode Kaiſer Ludwigs IL, da das Papſtthum wieder die kirchliche Action mit der politifchen im großen Stil vertaufchte und durchaus in den Vordergrund der Ereignijje trat.

Auf das Jahr 864 war eine Zeit der Ruhe gefolgt. Der Raijer war anderweitig bejchäftigt; die Päpfte, Nicolaus und Hadrian II., fein Nachfolger, fahen für fi) den Moment noch nicht gekommen, be= reiteten ihn aber vor. Ludwig IL. war kinderlos und nad) feinem Tode mußte fi) naturgemäß die Frage erheben, wer fein Nachfolger in der Raiferwürde fein werde, Die beiden anderen Linien der Karo— (inger, die oſt- wie die weſtfränkiſche, ftrebten nach der Erbichaft.

Rad) dem Libellus, dejjen Angabe durch die Karlmanns felbft beftätigt wird, Hatte Ludwig IL zuletzt feinen deutjchen Vettern die Nachfolge zuwenden wollen; in Rom war man entjchloffen, die Kaiſerkrone Karl dem Kahlen zuzuwenden, wenn er nur auf ihre Be- dingungen eingehen wollte. Und zwar hatte, wenn wir Johann VIIL Glauben fchenfen dürfen, ſchon P. Nicolaus J. der Po— (itif der römischen Kirche diefe Richtung gegeben ?:; nur gegen Er- füllung der „VBerheißungen“ Pippins und Karls von 754 und 774 follte der König der Weſtfranken fein Ziel erreiden.

Zu der That muß es zuleßt zum befriedigenden Abfchluffe der geheimen Verhandlungen gekommen fein: im Mai 872 fchreibt Ha— drian II. au Karl d. K.: niemals werde er freiwillig einen anderen al8 Herrſcher in alien und als römiſchen Kaifer anerkennen, als ihn?®,

1 Bol. Dümmler, Oftfränt, Reich I, 779 Anm. 23. 824 Anm. 14. dv. Noorden, Hincmar dv. Rheims, 295 Anm. 1, will das nicht gelten laſſen, ohne daß man bei dem Mangel anderer Nachrichten den Grund davon einſieht.

' 2 Johann VIII. zu Ravenna 877: Et quia pridem apostolicae me- moriae decessori nostro papae Nicolao id ipsum inspiratione coelesti revelatum fuisse comperimus, elegimus hunc (farl d. 8.) merito et approbavimus. Mansi XVII, App. 172.

s Jafis Mr, 2241: ut sermo sit secretior, et literae clan-

30*

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So weit waren die Dinge gedichen, als im J. 875 Ludwig IL ftarb. Die Kaiferin-Wittwe fandte fofort an Karlmann nad, Deutſch— land; Johann VIII. nad) Franfreih!; und in der That gelang es Karl d. K. zuvorzufommen; zu Weihnachten 875 ward er vom Papite zum Kaiſer gekrönt. Um den Preis feiner Würde hat er nicht länger gemarft; wie aus dem Folgenden mit Nothwendigfeit hervorgeht, hat er das Document unterfchrieben, das ihm päpftlicherfeits nach Ueberein- funft unterbreitet wurde. Doch blieb der Vertrag vorläufig geheim ?; die zeitgenöffifchen Annaliften berichten von ihm nichts, mit Ausnahme des Libellus, deſſen Glaubwürbigfeit wir aber gleichwohl zu erhärten im Stande find. |

Es ift nicht unfere Aufgabe, die Unternehmungen Johanns während des nächſtfolgenden Jahres ausführlicher zu verfolgen. Karl hatte ihm den Herzog Lambert von Spoleto und deſſen Bruder Guido „zur Hulfeleiſtung wie Erchempert von Monte Caſino es aus— drückt? beigegeben. Damit kriegte der Papſt gegen Neapel; mit größter Grauſamkeit gieng er vor; die Gefangenen wurden geköpft, der Magiſter militum Sergius ſelbſt ſo barbariſch geblendet, daß er daran zu Grunde gieng. Johann VIII. ſchickte ſich an, die neuen „Schenkungen“ zu erobern. Da ſcheiterte er an dem Widerſtande des Herzogs von Benevent und Lamberts von Spoleto. Der letztere war nämlich zu den Gegnern der päpſtlichen Politik übergetreten und fieng an, die Patrimonien der römiſchen Kirche zu beunruhigen, ohne ſich um Johanns Verſuche, ihn an ſich zu feſſeln“, im geringſten zu fümmern. Zugleich wurden im Süden die Saracenen wieder furcht— bar; in Rom felbjt rührte fich eine Gegenpartei, die mit Lambert in Berbindung trat und die Rechte der ojtfränkischen Karolinger der Ufurpation Karls d. 8. gegenüber wahrzunehmen behauptete: kurz der Verſuch, durch Diplomatie und Anathem fid) Mittel- und Unter- Stalien dienftbar zu machen, war gefcheitert und Johann in der größten Gefahr, feinen Gegnern zu unterliegen.

destinae nullique nisi fidissimis publicandae ..... nunquam ac- quiescemus, aut sponte suscipiemus alium in regnum et imperium Romanum nisi te ipsum.

ı Die Angaben des Libellus flimmen durdjaus zu denen der Urkunden; fein anderer Autor weiß fonft über diefe Dinge Beſcheid. Vgl. Dümmler, Oſtfr. Reich I, 824 Anm. 12 und 14.

2 Dem Klofter Farfa wurden von Karl d. 8. damals feine Privilegien beftätigt; Muratori, SS. IIb, 405. Da die Vereinbarungen mit der römijchen Kirche nachher doch nicht in Wirkfamfeit traten, fo ift e8 begreiflih, wie man in den Klöftern von benfelben nichts erfuhr.

5 Cum Carlus filius Judittae sceptrum insigne Romam suscepisset, Lambertus ducem et Guidonem, germanum illi, Johannis papae in adjutorium dedit. Hist. Langob. c. 39, Mon. Germ. SS. III, 253.

* Bol. den Brief des Papftes an Lambert vom 14. December 876, Mansi XVII, 20 (J. 2302): honorem atque tuum profectum nostram gloriam esse putamus. Das Detail der Berhandlung follte geheim geführt werden. Latores vero praesentium missos apostolicae sedis ad tuam pobilitatem direximus, ut hi, quod pagina reticuit, viva voce edicant,

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In diefer Stimmung find die Briefe an Karl d. 8. gefchrieberr, welche diefen in den ftärkjten, faft drohenden Ausdrüden zur ſchleu— nigen Ylfeleiftung „gegen Heiden und fchlechte Chriſten“ auffor- derten !.

Schon mußte man darauf bedacht fein, das bisherige Beſitzthum der römischen Kirche ficherzuftellen: die WBegehrlichfeit der Großen richtete fich bereit8 auf daffelbe; fo fam im Sonmer 877 die Sy— node von Ravenna zu Stande, welche den alten Rechtszuſtand aufs neue befejtigen follte.

Zugleich ergriff Hier Johann VIII. die Gelegenheit, für das Kaiſerthum Karls d. K. in die Schranfen zu treten ?: in feinen An— fpielungen gibt der Papit das Verhältnis zu erkennen, in dem er zu letzterem jtand; er preijt feine Demuth und Unterwürfigfeit unter die Kirche. Nicht anmaßend habe er fich bemommen, um feine Würde zu erlangen?. Er vergleicht ihn mit Karl d. Gr., dem fiegreichen Kaiſer und Freunde aller Kirchen, und der römischen zumal, die er ſtets in den alten Stand und die alte Ordnung zurüdzubringen bemüht ge- wejen jeit; mit Ludwig d. Fr., der in diefer Beziehung durchaus in die Fußitapfen des Vaters getreten fei?. Alle feine Ahnen aber habe Karl d. K. übertroffen; indem er ſich nicht damit beguügte, ein- fad) die überfommenen Zuftände aufrechtzuerhalten, habe er in edlem Wetteifer noch ein Uebriges gethan und die Kirche befchenft und die Priefter geehrt®. Wegen dieſer Eigenſchaften allein habe ihn der Papſt zur m berufen 7.

Man fieht: offen Scheint man noch immer nicht hervorzutreten gewagt zu haben. Die Ausführung des neuen pactum verzögerte fi) mehr und mehr. Ende 877 starb Karl d. K. auf der Flucht vor Karlmann, der heranzog, feine Rechte auf das Kaiferthun geltend zu machen.

ı Yohann an Karl, 877 Februar 10, Mansi XVII, 27 (J. 2306) und Mai 25, Mansi, XVII, '47 (J. 2327). Bol. aud) J. 2307—2310.

a Dal. feine Rede bei Mansi XVII, App. 171 ff. (über Zeit und Ort derjelben Jaffe, Reg. pont. ©. 269).

a Neque enim sibi honorem praesumptiose assumpsit, ut impe- rator fieret . . humiliter ac obedienter accessit.

(Carolus magnus), qui cum omnes ecclesias sublimasset, semper hoc ei erat in voto, semper in desiderio, sicut in gestis, quae de eo scripta sunt, legitur, ut sanctam Romanam ecclesiam in antiquum statum et ordinem reformaret. (Wohl eine Anfpielung auf den Bericht des Papftbuches zum 3, 774).

Ludovicus patrium solium adeo religione imitatus, ut erga praelatam principalem ecclosiam libertatis insignia pius natus aequi- pararet et roboraret.

6 Karolus vero, de quo Schle sermo est, non solum monu- menta progenitorum alacriter acquiparavit, verum etiam omne avi- tum studium vieit, et universum paternum certamen in causa reli- atque justitiae superavit, ecclesias videlicet domini opibus

itans, sacerdotes ejus honorans.

Nisi enim nos talem ejus cognovissemus intentionem, nunquam animus noster fieret tam promptus ad ipsius promotionem.

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Das verfchlimmerte übrigens Johanns Lage nicht viel. Der Weft- franfe, der nicht die geringfte Thatkraft bejeffen Hatte, war ihm feine Stüte gewefen. Als gewandter Diplomat, der er war, wußte fid der Papft gleich zu faffen: er bot nunmehr feinerjeit8 dem neuen Prätendenten die Kaiferfrone an, wenn er auf feine Bedingungen eingehen wollte. Legaten überbrachten da8 Document, das der Fünftige imperator zu unterzeichnen hätte!.

Für feine Perfon wäre vielleicht Karlnann zu beftimmen ges wefen, dem Papfte den Willen zu thun; die Partei aber, die ſich nad) ihm nannte, war feineswegs gemeint, fich dies gefallen zu laffen; das hätte ja geheißen, fich ſelbſt aufgeben.

Rarlmann kehrte, von unheilbarer Krankheit ergriffen, nach Baiern zurüd, ohne feine Abficht erreicht zu haben.

Aber im Frühjahr 878 drangen Yambert von Spoleto und Wido von QTuscien mit gewaffneter Hand in Rom ein, und ließen Karl— mann, als fünftigen Kaifer Treue ſchwören?; e8 wiederholten fich die Auftritte von 864; die Proceffionen, die wieder in Scene gejetst werben follten, wurden auseinander gejagt; durch dreißig Tage blieb Rom in diefer Weiſe beſetzt; dann zogen die Herzoge wieder ab®.

Man fieht, in welche verzweifelte Lage die römische Kirche durch die Bolitif ihrer Vorfteher gerathen war; aus den Händen der Kaiſer, welhe Rom „aus Ehrfurdht vor den Hl. Apofteln“ immer doch mit einem gewiſſen Anftande behandelt hatten, war man in die der Großen gefallen, deren Triebfeder vor allem der Eigennutz war: ftatt Eines Herrn hatte man ihrer viele, die fih nun in den Patrimonien per as et nefas einzurichten fuchten ®.

ı Johann an Karlmann November 877, Mansi XVII, 53: De causa sane vestriad nos adventus vestraque sublimissima promissione, Romanae ecclesiae super omnes, qui fuerunt ante vos, ejusdem exaltatione: legatos ex latere nostro ad vos solemniter dirigemus, cumque pagina, capitulariter continente, quae vos matri vestrae Romanae ecclesiae vestroque protectori, b. Pe- tro, perpetualiter debetis concedere.

?2 Bgl. die Ann. Fuld. ad a. 878 (Mon. Germ, SS.I, 392), die hier fehr gut berichtet find.

Bol. den Brief des Papftes an Fohann von Ravenna, Mansi XVII, 72. Es ift intereffant, den Bericht befjelben mit dem des Libellus über das 9. 864 zu vergleichen.

* Sohann VII. auf der Synode von Ravenna 877: interdicimus, ut amodo deinceps nullus quilibet homo petat patrimonia sanctae nostrae ecclesiae: Appiae vid. et Lavicanense, vel Campaninum, Ti- burtinum, Theatinum, utrumque Sabinense et Tusciae, porticum sancti Petri, monetam Romanam, ordinaria et actionarica publica, ripam, portus, et Ostiam; c. 15. (Mansi XVIl, 339). C. 17 S. 340: ut amodo et deinceps nullus homo monasteria, cortes, massas et salas, tam per Ravennam et Pentapolim et Aemiliam, quam et per Tusciam Romanorum atque Langobardorum et omne territorium s. Petri a stoli constitutas praesumat beneficiali more, aut scripto aut aliquo- libet more petere, recipere vel conferre.

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Aber mit der ihm eigenen Zähigkeit hat Johann die einmal eins geichlagene Politik bis aufs äußerste feitgehalten: fobald er wieder frei mar, interdicierte er Rom und hinderte die Wallfahrt zu den Schwellen der Apoftel, was die ganze chriſtliche Welt in Aufregung verſetzen mußte; dann ſchiffte er ſich nach Frankreich ein, um wie im vorigen Jahrhundert Stephan, Zacharias, Hadrian von dort mit einer Armee zurückzukehren, welche den Zwecten der römiſchen Kirche ſich dienſtbar machte und ſeine Gegner vernichtete !.

Faſt ein ganzes Jahr hat der Papſt dann im Intereſſe ſeiner Politik in Frankreich zugebracht.

Um den Einen Grundgedanken gruppirt ſich ſein ganzer Brief⸗ wechſel: die „Verheißungen“ Pippins und Karls mit Dir eines ber Könige durchzuführen, dem er dann dafür die Kaiferfrone zuwenden wollte. Zu diefem Zwede galt e8 vor allem, die Herzöge von Tus— cien und Spoleto, die auf eigene Fauſt die alte Kaijerpolitif fort- jegten, zu demüthigen und desgleichen denjenigen Theil des römischen Klerus, der mit Johanus Politik nicht einverſtanden war, öffentlich und feierlich durch eine Synode verdammen zu lafjen.

Der Papſt unterhandelte zu gleicher Zeit mit Yudwig, dem Sopne Karls des Kahlen, und den ojtfränfischen Königen: fie alle wurden mit ihren Biſchöfen zu einer großen Kirchenverfammlung entboten?. Ne— benbei ward gegen Lambert und Wido gehebt; jener Ludwig aber nod) befonders ermahnt, in die Fußitapfen feines Vaters zu treten, des Gönners der römischen Kirche?.

Aber in Deutfchland war man taub gegen die Bitten und die Befehle des Papftes; weder antwortete man auf feine Briefe, noch kam man der Einladung auf die Synode, die am 1. Auguft 878 zu Troyes zufammentrat, nad).

Sp mußte diefe mit den Weftfranfen allein abgehalten werben. Mit großem Pomp ward fte gefeiert; K. Ludwig ward gekrönt, um jo die Analogie mit den Vorgängen des 8. Jahrhunderts noch auf- fallender zu machen. Dann ward zum Streiche ausgeholt, der alle Gegner Johanns VIII. mit einem Male niederjchlagen follte. Durd) geſchicktes Diplomatifieren wußte der Papſt von der Synode eine völlige Billigung feines bisherigen Verhaltens zu erlangen, ohne daß die verfammelten Bifchöfe fich defjen ſelbſt Har geworden wären €,

Lambert von Spoleto und Wido von Tuscien wurden als Feinde der Kirche verdammt und ercommuniciert ; jehr allgemein hatte Johann die Anklage geitellt, und ebenfo allgemein ließ er darüber bejchliegen:

ı Zohann felbft fpäter an Berengar von Friaul: In Franciam ivimus, quaerentes tranquillitatem atque auxilium, ubi nostri antecessores quaesiere pontifices. Bei Mansi XVII, 97.

2 J. 2364—2366.

®° Mansi XVII, 75. (J. 2364).

* Die Aeten der Synode bei Mansi XVII, 345 fi.

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um wenigſtens die Seelen zu retten, ſollten ſie ſchon zeitlich geſtraft werden !,

Es kamen dann allgemein Firchliche Verhältniffe zur Sprache: Nachwehen des großen Streite8 zwiſchen Metropoliten und Suffra- ganen, der noch immer nicht beigelegt war ?,

Zum vierten wurden die ‘pervasores eccelesiarum’ excommuni⸗ ciert und die darauf bezüglichen Gebote Gottes neuerdings in Erinne— rung gebracht ®.

‚Darauf wurde die Verheißung der Könige ver- lefen und die Eidfhwüre, welche Pippin und Karl dem hl. Betrus geleiftet Hatten *“.

Es folgen noch andere Beichlüffe: die Verdammung des Biſchofs Formofus von Porto, des vornehmften Gegners Johannes in Rom, ward bejtätigt u. f. w.; aber alles gejchieht nur mehr, um die Aufmerf- famfeit der Verfammlung von dem Punkte abzulenken, auf den es dem Papfte zunächſt und vor allem anfam. Denn daß dies der Fall war, zeigt der Umitand, daß Johann gerade darüber zu gleicher Zeit mit den Söhnen Ludwigs des Deutfchen unterhandelt; in einem der Briefe an Karl III., die dabei gewechfelt wurden, jagt er, indem er die Abwefenheit der oftfränfifchen Karolinger von der Synode beflagt, e8 geradezu heraus: er jei von Nom nad Frankreich gefommen, um fie alle zufammenzuberufen, auf daß fie in Erfüllung brächten, was ihre Väter und ihre Großväter der römifchen Kirche verheißen hätten ®.

Das ift deutlich genug; es ift ganz die Sprache, die durd) die Briefe des Codex Carolinus geht, al8 der erjte Hadrian mit Karl dem Gr. um diejelben „Verheißungen“ Unterhandlungen pflog, Nur tritt Johann VIII. weit ftürmifcher mit feinen Forderungen hervor, als dies einft fein Vorgänger gethan Hatte.

Uebrigens erreichte der Papft feinen Zweck nit. K. Ludwig erfranfte und ift bald darauf geftorben; fo fam der Zug nad) Ita— lien, der projectirt war, nicht zu Stande. Mit Hilfe Boſos von Provence trat Johann den Heimmeg über die Alpen an. Es be— durfte feiner ganzen Schlangenflugheit, um glücklich durch das Gemwühle der Parteien, das Ober-Italien erfüllte, hindurchzulavieren; einen Gegner hetzte er gegen den anderen, ben Biſchof von Pavia gegen den Erzbifchof von Mailand, die Navennater gegen den „verfluchten Lam—

ı TUt digna ultione temporaliter puniti spiritu salvi sint in die domini nostrı Jesu Christi ; 1. c. 348.

2 Actio III»

8 Actio IVa,

* Deinde promissio regum lecta est, et sacrämenta, quae Pippinus et Carolus obtulerunt b. Petro, lectasunt; l. c. 347.

5 Mansi XVII, 92 (J. 2412): ab urbe et Romana sede in Fran- ciam venimus; omnes vos convocare, ut pactum, quod avi et patres vestri sanctae Romanae ecclesiae jurejurando promiserunt, adimplere contenderetis.

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bert u. ſ. w., während er zugleich mit beiden Theilen freundfchaftliche Briefe wechfelte. So kam Yohann wieder nah) Rom zurück.

So viel Hatte er gefehen, auf eigene Fauft werde er nimmer— mehr durchzudringen vermögen. Jetzt nach dem Tode Ludwigs von Weitfranfen, wo in defjen Weiche völlige Anarchie eintrat, ſuchte er fi) der oſtfränkiſchen Partei zu nähern: nur auf ſeinen Bedingungen beſtand er mit eiſerner Conſequenz.

Als im Sommer des Jahres 879 Karl III. über die Alpen zog, die Erbſchaft des Bruders anzutreten, kam ihm der Papſt bis Ravenna entgegen, auf daß ihm die Zugeſtändniſſe Karla d. K. er— neuert würden !.

Aber auch Rarl III, mochte er num perjönlich wollen oder nicht: gab er den Anträgen Yohanns Gehör, fo Hatte er feine eigenen An= hänger gegen fi. Indem er diejelben abfchlug, erlitt feine Krönung zum Kaiſer einen Aufſchub. Das ganze folgende Jahr vergieng noch unter Verhandlungen ?; fie führten zu feinem Ziele.

Endlich ermannte fid) Karl und that, was der Papft längſt ge- fürchtet hatte. Ohne fid) um deſſen Forderungen weiter zu kümmern, marjchierte er Anfangs 881 auf Rom los. Wergebens fchickte ihm der aus feiner Ruhe aufgefchredte Johann feine Legaten entgegen: er folle nicht wagen die Grenzmarken S. Peter8 zu überfchreiten, bevor nicht die näheren Verbindlichkeiten feftgeftellt feien; vergebens war es, daß er diefe „in Kapitel eingetheilt *" es war noch immer das alte Document gleid) beilegte ; der König ließ ſich nicht Tänger aufhalten; er rücdte in die Stadt ein, und Johann mußte ihm nun wider feinen Willen zum Kaifer frönen (Februar oder März 881).

Das pactum Karls des Kahlen ift nicht mehr erneuert worden ; er wurde von der neuen Regierung als Ufurpator betrachtet: Karl IIL ſowohl wie die Spoletiner* und Arnulf, der lette der Karolingiſchen

* Yohann an Karl zu Anfang 880 (vgl. Dümmler IT, 112 gegen Jaffe, Reg. 2507) Mansi XVII, 161: a longo jam tempore vos ad culmen im- perii volentes perducere vocavimus, ac postmodum ad vos Ravennam pervenimus, sperantes honorem s. Romanae ecclesiae severitatem com- primere; sed quia de his nihil apud magnitudinem peregimus, rever- tentes (Romam) prioribus pejora reperimus. Karl hatte die Herzöge von Spoleto und Zuscien mit der Beſchützung der römischen Kirche beauftragt (J. 2539), womit Johann allerdings nicht gedient war,

» J. 2542. 2545. 2548.

s Johann an Karl, 881. San. 25, Mansi XVII, 191 (J. 2556): susceptis literis gloriae vestrae, quibus vos monstratis ad limina apo- stolorum precipiti gressu et; velle convolare, attoniti, vel magis stupe- facti legatos sane a latere nostro plene instructos direximus, qui- bus omnia ad purum credere non ambigatis in his, quae verbotenus et scriptis capitulariter dedimus in mandatis. (Bgl. oben 446 Anm. 1). Die bisher entichieden ablehnende Haltung des Föniglichen Hofes man hatte die Forderungen Johanns für „abjurd” erklärt erzürnte dieſen befonders: Quod jussionem nostri pontificii ingenti praesumptione ‘absurdam’ posuisti, omnimodis temet ipsum proprio jaculo en i.

BVBgl. die Synode von Ravenna 898, Mansi XVIII, 23

450°

Raifer T, die einander zur Herrſchaft kamen, ſuchten die alten Kaiſerrechte in vollem Umfange zu üben.

Aber ſchon war der ganze frühere Rechtszuſtand durch die Er— eigniſſe der letzten Jahre über den Haufen geworfen: der römiſche Adel, die Herzöge von Spoleto und Tuscien hatten während jener kaiſerloſen Zeiten, die dem Tode Ludwigs II. folgten, ſelbſt ihre Sache geführt; was fie gewonnen, wollten fie nicht mehr herausgeben.

Papft Johann VIII. felbft fiel zuletst feinen Gegnern zum Opfer ; feine eigenen Verwandten haben zum Morde die Hand geliehen.

Das war das Ende eines Papſtes, der mehr Politiker als Priejter gewefen war, der ebenbürtige Nachfolger von Nicolaus I. und Hadrian II, von deſſen raftlofer Thätigfeit und den Zielen, die er verfolgte, wir faft nichts wiffen würden, wenn nicht das Geſchick, oder wenn man will der Zufall?, zwei Monumente derſelben Hinter- lajjen hätte: feine Briefe und den Libellus.

Und zwar fo, daß fich beide Quellen ergänzen: ber Libellus lehrt uns den Schlüffel der Situation kennen, durch den allein wir im Stande find, in dem Briefwechjel Spreu vom Waizen, den wirfe lichen Gehalt vom diplomatischen Flosfelwerf zu fcheiden. Diefer zeigt uns hinwieder, durch welches Labyrinth von politifchen Schadhzügen P. Johann VIII. einen höchſt einfachen Gedanken zu realifieren den Verſuch machte.

Dies Verhältnis ift bisher nicht, oder doch nicht fcharf genug firiert gemwejen. Ueber die Glaubwürdigkeit der Angabe des Libellus herrichten Zweifel. Eigentlich) hat fie zulest nur Gfrörer ver- fochten®; freilich mit Hinblid auf die Verhältniffe von Capua, was feineswegs beweijend wäre*. Giefebredht nahm die Schenkung beiläufig als geichehen an; aber jehr entichieden ſprach ſich dagegen Dümmler aus®; er erklärte diefe Nachricht eines „fpäteren Schrift- jtelfers“ für „Sicherlich außerordentlich übertrieben“ ; fein Zeitgenoffe berichte darüber.

Dabei war nur überfehen, daß diefer jpätere Autor auch fonft über Dinge unterrichtet ift, welche anderen zeitgenöffiichen Ehroniften un= befannt geblieben find, und dann, wie ſchon einmal angedeutet, das (ocale Moment, das in der Hiftoriographie des Mittelalters fo fehr in die Wagfchale fällt. In Fulda, Rheims, Trier fonnte man recht gut über Dinge im Unklaren bleiben, die man zu Ravenna 5. D.

1 Bol. den Eid, den er die Römer ſchwören ließ, Ann. Fuld. ad a. 896, Mon. Germ. SS. I, 412.

2 Sohanns VIII. Eorrefpondenz ift uns nur in einer einzigen Handjchrift (Eopie des XI. Jahrhunderts aus Monte Eafino) erhalten. Vgl. Gieſebrecht, Allg. Monatſchr. 1852, ©. 107,

3 Zuletzt Gregor VII. Bd. V, 78.

+ Bol. Ficker, It. Forſchungen II, 357 RN. 7.

5 Kaiſerzeit I, 450.

° Bol. Oftfränf. Reich I, 835. Vgl. aud) Gesta Berengarii imp., 135 Am, 2; Augilius und Bulgarius S. 7 f.

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genau wußte. Denn hier handelte e8 ſich um die nächften Intereſſen, während man dort nur für dem großen Gang der Creigniffe einen Sinn hatte. Ä

Die Angabe des Libellus ftimmt völlig zu dem, was die Reden und die Briefe P. Yohanns VIII., die Hauptquelle zur Geſchichte dejjelben, da das Papſtbuch verjfagt, uns Fund thun. Der Inhalt de pactum von 875, wie ihn der Libellus gibt, ergänzt jo ziem— ih das alte pactum der römischen Kirche, das auf die Bejtim- mungen von 817 und 824 zurücgeht, zu dem Umfange der „Vers heißungen“ von 754 und 774, wie wir diefelben aus dem Codex Carolinus fowol, wie aus dem Berichte der Vita Hadriani des Liber pontificalis! fennen. Nur daß hier den unbejtimmteren Ausdrüden der ‘promissio’, welche immerhin verjchiedene Deutung zuließen, jetzt eine fehr beftimmte Exegefe zu Theil geworden war ?,

Wir jehen, worauf alles anfanı; der Libellus gibt die Differenz- punfte zwifchen den päpftlichrömifchen und den faiferlichen (königlichen) Anfprüchen: die Legationen, die Beauffichtigung der Papſtwahl, die eremte Stellung der Abteien in der Sabina; hierzu das Verhältnis, in dem das Herzogthum Spoleto, das inmitten der ftreitenden Parteien gelegen war, beiden gegenüber fi) befand. Mindeſtens zur Zeit, da der Libellus gejchrieben wurde, Hat man darauf wieder das größte Gewicht gelegt; wenn man bedenkt, welche Rolle die Spoletiner jene ganze Zeit hindurch in der Geſchichte Roms gefpielt Haben, wird man dies vollkommen gerechtfertigt finden.

In dem Kampfe, der die Anfänge des Kirchenftaates erfüllt, handelte e8 fich immer wieder um den Inhalt jener Verträge, die wir hier beiprochen haben. Auf Seiten des Papſtthums ftütte man jich hierbei zunächſt auf jene Preisgebung der Neichsrechte duch Karl den Kahlen; in den fpäteren Zeiten erft gieng man wieder direct auf jene „Verheißungen“ zurüd. Der Kaifer Hingegen nahm die Rechte in Anfpruch, welche ihn kraft der Constitutio Romana vom %. 824 zuftanden; daneben famen die fonftigen Bejtimmungen des Privilegs der römischen Kirche vom %. 817, das von den fpäteren Herrichern erneuert zu werden pflegte, in Betracht.

: II, 193 ed. Vignoli. Was hier gejagt ift, hat bereit8 Borgia, Breve historia del dominio della santa sede ©. 48 ff., nachzuweiſen geſucht. Si riduca pertanto il detto di Eutropio, ancorch® alquanto intraleiato e confuso, ad una ampia conferma della donazione di Carlo M., e questa senza riserba ed alla cessione delle consuetudini de’ messi e giuramenti e tutto sar& chiaro e manifesto; ©. 60.

2 Das Haben weder Delsner, Jahrbücher Pippins 497 ff., noch Abel, Korfungen zur Deutichen Geſchichte I, 469 ff. und Jahrbücher Karls d. Gr.

131, bei Beſprechung der „Verheißungen“ beachtet. Bol. übrigens Ficker, It. Forſchungen II, 8. 346 und den Nachtrag hierzu im 3. Bande, Borgia a. 0. D. ©. 61 meint wohl nit mit Unrecht: Da si fatta maniera di scrivere quasi se ne potrebbe arguire che Eutropio avesse alle mani una qualche copia dei diplomi, che Carlo allora diede al Pontefice.

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„Darum drehten fich die Aufprüche und die Gewährungen und die Kämpfe der folgenden Jahrhunderte.

Noch einmal taucht in der Gejchichte der Libellus auf; es ift dies in einer höchſt merkwürdigen Urkunde K. Ottos III. für P. Sylveſter II., der das Programm des Namens, unter dem er ©. Petrus’ Stuhl beftiegen hatte, zur Wahrheit machen wollte und zur Begründung feiner Ansprüche auf die Schenkung Conftantins und auf das pactum Karls des Kahlen fich berief.

Das Document, um das e8 fich hier handelt, ftammt aus den päpftlichen Archiven felbft. Man fennt die Wanderungen, die ein großer Theil von dieſen in Folge der Veberfiedelung der Curie nad) Avignon durchzumachen gehabt Hat. Als man dann wieder nad) Nom zurückkehrte, blieb manches Actenſtück aus Unachtfamfeit in Frankreich zurück. Und in diefe Klaffe gehört auch die Urkunde Ottos III. für Sylveſter II.

Im %. 1339 ward von P. Benedict XII. der Notar Amelio nach Aſſiſi geſchickt, um Abfchriften von Aftenftücen zu nehmen, die man gerade nöthig hatte!. Die Abfchriften follten notariell beglaubigt werden, um vor Gericht diefelbe Geltung zu Haben, wie das Original. Die Commiſſion fand bei ihren Nachforſchungen auch ein Privileg, an deſſen Pergament eine Beibulle hieng. Diefe trug auf der einen Seite die Umfchrift “Ottho Imperator Romanorum’, auf der an= deren ein Menfchenhaupt ‘cum pilis erispis et cum spatulis’ mit der Umfchrift ‘Aurea Roma’,

Daher war die Urkunde wieder befannt geworden. Dietrich von Niem hat fie einmal angeführt, und auch der Franzofe Bodin fannte fie wenigftens im Auszuge aus den Negeitenbüchern des Vatikans. Eigentlich ans Tageslicht gezogen aber wurde fie erft am Anfang des 17. Jahrhunderts durch Baronius und einen ungenannten Autor, der im %. 1607 darüber eine Monographie veröffentlichte, die von ihn polemijch gegen das Papjtthum zugefpist und dem Dogen von Ve— nedig gewidmet wurde.

Zugleich fprac ſich Baronius gegen die Authenticität des Do= cumentes aus; denn die Schenkung Conjtantins, jo behauptete er,

Bol. die Vollmacht des Papftes: Cum certis privilegiis, registris, libris et scripturis ecclesiam Romanam tangentibus, quae in thesauro ejusdem ecclesiae, qui conservatur in civitate Assisi, existunt, pro qui- busdam incumbentibus ad praesens ecclesine memorate negotiis egea- mus u. ſ. w. Bol. Bethmann, Arch. der Gefellichaft XII, 203.

2 Bericht Amelios bei Baronius, Ann. eccl. ad a. 1191, und dem Anonymus von 1607 S. 1 fi. Auf die Abdrücke diefer beiden Autoren gehen alle fpäteren der Urkunde zurücd. Dem des Anonymus folgen Goldast, Constit. imp.I, 226; Lünig, Reichsarch. XV, 140; Leibniz, Ann. imp. Ill, 721. An Baronius Schließen ſich an Pertz, Mon. Germ. LL. IIb, 862; Watterich, Vit. Pontif. I, 695. Die hauptfächlichfte Abweichung befteht darin, daß die erftere Recenfion als Ausftellungsort ‘Romae’ angibt, während die zweite die Datierung fortläßt. Stumpf fetst fie nad) Ravenna auf den 24. April 1001.

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jei von Seite des Papſtthums zuerjt von Leo IX. vorgebracht worben ; zudem ftieß er jich an jener Stelle, welche den einen Karl durd) einen zweiten vertrieben werden lieg den Libellus kannte Baronius nicht. Auch die Aeußerlichfeiten der Urkunde erwedten ihm Be— denfen. j

Der Anonymus widerlegte diefe Einwendungen mit guten Gründen; er wies nad), daß Dtto III. aud font Bleibulfen be- nußte und desgleichen den Zitel ‘servus apostolorum’ führte, Zu— gleich machte er auf die Uebereinjtiinmung der Angabe des Libellus mit jener der Urkunde aufmerkſam, ohne aber auf eine Abhängigkeit beider von einander Schlüffe zu ziehen !.

Seitdem ift die ganze Trage noch öfter erörtert worden. Perk ließ die Urkunde und den Libellus gleichzeitig unter Otto III. ver- faßt fein, letzteren nämlich als Apologie des Inhaltes der erfteren ?; Wilmans kam wieder auf die Anfichten des Baronius zurüd und hielt die Urkunde für gefälſcht mit Zuhülfenahme des Libellus; dafür hat ſich noch neuerdings Olleris erklärt”, jo daß Baxmann wieder alles dahingeftellt fein ließ“. Doc ift zulet bei den bedeutendften Vorfhern ? die Echtheit der Urkunde anerfaunt, diefelbe von Stumpf in die Negeften der Kaifer als authentifh und unverfälfcht aufge nommen worden ®,

Denn allerdings, meint Giefebrecht, müſſe e8 befremben, dag man in der Faiferlichen Kanzlei den Libellus gebraucht habe, um eine Ur- funde zu concipieren. (Daß dies am Ende doch nicht fo befremdend ift, zeigt ein früher angeführtes Beiſpiel). Gleichwol fei es unmög— li eine Fälſchung anzunehmen; denn diefe müßte dann fehon zu Ottos III. Zeiten, oder unter den Augen Sylvejter IL felbjt ge- jchehen fein, zu welder Annahme nichts berechtige; der Fäljcher hätte außer dem Libellus auch noch die Gerbertiche Briefſammlung und die Geheimniffe der Kanzlei Dttos III. fennen müffen?,

So fpreden äußere wie innere Gründe für die Echtheit der Urkunde. Die Sonderlichfeiten, die in derfelben vorkommen, muß man eben den originalen Naturen, die damals Papſtthum und Kaiſer— thum vertraten, zu Gute halten ®,

! Othonis III. Imp. Donatio Sylvestro II. papae facta, S. 31 ff. 2Mon. Germ. LL. IIb, 162. SS. III, 696. ® Öeuvres de Gerbert, 1868, ©. 551.

*Politik der Päpfte II, 68,

Bgl. Gfrörer zuletzt Gregor VII. Bb. V, 892. Giefebrecht, Kaiferzeit I, 727 f. 851; ©regorovius, Geſchichte der Stadt Rom III, 502 f.; Döllinger, Kirche und Kirchen, Papſtthum und Kirchenſtaat S. 502; Fider, St. Forſchungen I, 319 Anm. 6. Wegen der Erwähnung der Schenkung Conftantins und ihrer Ausftattung mit Soldichrift vgl, Döllinger, Papftfabeln, 70 und Wattenbach, Schriftweſen 150.

° Reichskanzler II, 1, Reg. Nr. 1256.

Für uns würde die Urkunde zunächſt dafjelbe Intereffe haben, wenn fie eine Falſchung wäre: gerade wegen ihrer Beziehungen zum Libellus.

Wilmans, Jahrb. Otto III. ©. 242, nahm an dem Ausdruck ordinare,

den der Kaifer gebraucht, Anftoß; aber diefelbe Phrafe findet fid) bei Schrift.

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Wenden wir uns zum Inhalte der Urkunde, fo fällt es auf, wie manches in Form und Zuhalt an den Libellus erinnert. Wieder finden wir die feierliche Ginleitung, in der der Ausjteller fich zur Orthodoxie befennt; der fatholifche Staat des Mittelalters kündigt fih) an; die Frage, um die es ſich handelt, it die gleiche; auch hier fagt der Kaifer dem Papftthum bittere Wahrheiten; aber zuletzt wird doc) eingelenft, und wozu Otto III. fich jchon früher bereit erklärt hatte?, führt er jett aus, indem eran Sylveſter die acht Comitate der Pentapolis vergibt.

Nur ward den Ansprüchen des Papftes gegenüber, die fich auf

die Schenkung Conftantins und auf jene® pactum, das einjt Karl der Kahle geichloffen, jtüten und das Kaiſerthum als eine auswärtige, höchſtens coordinierte Macht betrachteten, die in Bezug auf das Papft- thum wohl Pflichten, aber feine Rechte hatte diefen Ansprüchen gegenüber ward von Otto III. energifch betont, daß Rom und fein Gebiet Boden des Reiches fei, daß er den Papft eingejettt hätte, daf er hier verleihen und auch wieder nehmen könne; wenn er jene Graf- fchaften dem hl. Petrus übergebe, fo gejchehe dies nicht, weil er etwa hierzu verpflichtet wäre, fondern aus freiem Entjchluffe, aus Liebe zu feinem „ehren, dem Papſte, zur Ehre Gotte8 und des Apoftel- ürften *, Es entſprach das ganz der Politif der Ottonen und des Kaiſer— thums, das fie begründet hatten. Das deutiche Königthum war im engften Bunde mit dem Episcopate des Reiches erjt der Herzöge Herr geworden; um aber auch der Biſchöfe Meifter zu bleiben, mußte man nothwendig das Haupt der abendländifchen Kirche, den römischen Papft, in feiner Gewalt haben; man mußte die Rechte wieder an fid) nehmen, welche einft die Karolinger über denjelben gelibt.

Innerhalb diefer Grenzen konnte man dem Papſtthum immerhin jegliche Freiheit geftatten; der Wiederherftellung der terra s. Petri, wenn nur die Faijerlichen Hoheitsrechte über diejelbe gewahrt blieben,

ftellern wie Lintprand, Gesta Ottonis c. 8. Ebenſo fpäter bei Bo— nitho und Peter Damiani; vgl. Lorenz, Papſtwahl und Kaijertfum ©. 73. Johanu VII. gebraucht fie in umgefehrtem Sinne und erwähnt Karls d. 8. ‘a nobis electi et ordinati principis’; Mansi XVII, 236.

2 Bol. feinen Brief bei Olleris, Oeuvres de Gerbert epist. 217. (Dlleris interpungirt, nebenbei bemerkt, wie Fider, It. Forſchungen II, 318). Man vgl. aud) epist. 220 über die allgemeinen Abmachungen bezüglich der Herr- ſchaft im kirchlichen Gebiete.

Ex nostra liberalitate s. Petro, quae nostra sunt, non sibi, quae sua sunt, veluti nostra conferimus; octo igitur comitatus pro amore Silvestri papae s. Petro offerimus et donamus, ut ad honorem dei et s. Petri cum sua et nostra salute habeat et teneat et ad incrementa sui apostolatus nostrique imperii ordinet. Daß dabei der Libellus citiert wurde, zeigt eben, daß die Staatsdoltrin der Dttonen bezüglich des Kirchen⸗ ftaates durch denfelben ihren beften Ausdrud fand. In der That hat Dito III. dem Gegenpapfte, den die Nömer erhoben hatten, jo ziemlich diefelbe Strafe an— laſſen, welche nach dem Berichte des Libellus einſt Silverius durch

eliſar erlitten hatte.

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ftand in diefer Hinficht nichts im Wege. Kaijer Otto I. hatte das Privileg der römischen Kirche von 817/824 bejtätigt; im J. 967 jtellte er demgemäß auch wieder ihre Hoheit über Navenna und an— dere lange verloren gegangene Befigungen wieder her!; freilich gieng „bei der Sorglofigfeit und Unwiſſenheit“ der folgenden Päpſte wie Otto III. bemerft Alles wieder verloren, indem fie „nicht nur was fie außerhalb der Stadt beſaßen verkauften und verjchleu- derten, fondern aud in Rom felbft, um fid) leichter gehen lajjen zu fönnen, S. Peters Eigen für Geld Hingaben“. So ward die Beftä- tigung der päpftlichen Privilegien illuſoriſch gemacht ?.

Wie daneben dennoch die Fabel von der Schenkung Conjtanting und die Erinnerung an das pactum Karls d. 8. fi) erhielt, haben wir eben gejehen.

Es iſt fehr merkwürdig, daß man im Zeitalter Hildebrands und feiner nächſten Nachfolger, da das Papſtthum aufs Neue fich erhob und alle jeine Rechtstitel, die auf jene Zeit überliefert waren, wieder zur Geltung brachte, ſich dabei wohl auf Konjtantin, auf die „Ver— heißungen“ Pippins und Karls, auch auf das pactum Ludwigs des Frommen berief, niemal® mehr auf die Schenfung Karls d. K. Rücfiht nahm, weder auf kirchlicher noch auf faiferlicher Seite?:

1 gl. Contin. Reg. ad a. 967, Mon. Germ. SS. I, 628.

2 rk. Ottos III.: non solum quae extra urbem esse videbantur vendiderunt, et quibusdam colluviis (colludiis, Anonymus v. 1607) a lare s. Petri alienaverunt, sed si quid in hac nostra Urbe regia habuerunt, ut majori licentia evagarentur, omnibus cum vindicante (mediante, Anon.) pecunia in commune dederunt .... Confusis vero papaticis legibus u. |. w.

s Namentlich für das Herzogthum Spoleto würde fich hierbei ein wichtiger Präcedenzfall ergeben haben; denn die Anficht von Fider, It. Forſchungen II, 321 f., der aud) Janus ©. 151 beiftimmt die Autorität Dümmlers veran- lafte, von den Angaben des Libellus völlig abzufehen —, daß feit deu Tagen Karls d. Gr. bis auf Gregor VII. nie von päpftlicher Seite auf Spoleto ein Anſpruch erhoben worden wäre, ift zu modificieren. Die drei Pontificate Nico- laus I., Hadrians III., Johanns VIIL find in jeder Hinficht als die Vorläufer und die Vorbilder Hildebrands anzufehen: in der firhenftaatlihen nit weniger als in der firhlihen Politik. (Auch daß Silvefter II. auf das, was einft Johaun VIII. erreicht Hatte, zurückkommt, ift zu beachten). Daß auch S. Salvator unter den alten Anſprüchen der römischen Kirche mit inbe- griffen war, zeigt aber das Zinsbuch derjelben, wie e8 damals vom Cardinaf Deusdedit zufammengeftellt, nahmal® von dem Kämmerer Cencius in feine Re— daction übernommen wurde: Item monasterium Sublacense et Salvatoris apud Reate et Farfense juris b. Petri sunt, quoniam in ejus pa- trimonio et territorio sita sunt. Borgia, Dominio della santa sede, App. ©. 4. Muratori, Antiqu. V, 828 f. Bgl. Murat. ©. 901 bie no- mina abbatiarum et canonicarum regularium sancti Petri in Italia, wo an der Epite von den Soracteflöftern S. Sylveſter mit aufgezählt wird: Monasterium s. Silvestri in monte Soracte. Monasterium Farfense. Monasterium s. Salvatoris in Reate. 6, Andrea am Soracte ſcheint erft im zehnten Jahrhundert in den Vordergrund getreten zu fein; wo wir e8 aus dem Libellus und Benedict kennen lernen; das möchte wol für das Zurüdgehen jener päpftlichen Aufzeichnungen auf das Ende des 8., den

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der Libellus blieb von da an vericholfen. Hätten wir noch bie Handihrift, die einjt dem Flacins vorlag, jo wiirde vielleicht aus deren Alter und ihrer Herkunft in diefer Beziehung fi ein Schluß ziehen laffen ; denn an das Licht gekommen ift unfer Schriftſtück erft wieder, als neuerdings eine große Partei gegen das Papftthun ich erhoben hatte und für ihre Oppofition nad) Rechtstiteln in der Ver— gangenheit ſuchte. Habent sua fata libelli.

Anfang des 9. Jahrhunderts beweifend fein, daS. Sylvefter au im Cod. Carol. als Hauptllofter am Soracte erſcheint. Bei Borgia fteht furz zuvor (S. 3), daß Adrianus papa obtinuit a Carolo rege Francorum et patricio Roma- norum, was Pippin „verheißen“, darunter necnon et cunctum ducatum Spoletanum, seu Beneventanum,. Es waren durdaus bie Anjprüche ver Karolingerzeit, die man wieder ermeuerte,

Die Sachfenchronit und ihr Verfaffer.

Bon

£. Weiland.

XIV. 31

r \

Im dreizehnten Bande der Forfchungen Habe ich verjucht der Kritif der Sachſenchronik durd eingehende Erörterung mehrerer feit her nicht Herangezogener Quellen eine neue Grundlage zu fchaffen. Daß diefe Grundlage, da mit unbefannten Größen, den verlorenen Lebensbeichreibungen der Magdeburger Erzbifchöfe und der verlorenen Chronik Albert von Stade, gerechnet werden mußte, eine recht un= genügende, ſchwankende für die Sicherung weiterer Fritifcher Reſultate jei, konnte ich mir damals fchon nicht verhehlen. Und in der That find diefer Umftand fowie der faſt unbegreiflih wirre Zuftand der verjchiedenen Handfchriftlich erhaltenen Recenſionen des Werfes die Hauptgründe, welche mich zu bejtimmten, befriedigenden Reſultaten über Kompofition, Abfafjungszeit und Verfaſſer nicht haben gelangen laſſen. Es ſchien daher geboten, die Unterfuhung über diefe Punfte eingehend darzulegen, feine Schwierigkeit zu verfchweigen, um mit der troftlofen Frucht langer Arbeit zu fchließen: daß wir nichts wiſſen können. Sollte e8 Anderen gelingen, mit Hülfe der bier gegebenen Anhaltspunkte zu beftimmteren, annehmbareren Refultaten zu gelangen, jo würde ic) befriedigt jein, nicht vergebens gearbeitet zu haben.

1. Verſchiedene Recenfionen.

Um zur Klarheit zu gelangen über das ——— der verſchie⸗ denen Recenſionen der Sachſenchronik (8.), ſoll von den augen— fälligſten Unterſcheidungsmerkmalen ausgegangen werden.

In Bauſch und Bogen betrachtet ſcheiden ſich die vorhandenen Handſchriften leicht im drei größere Gruppen, innerhalb welcher ſich jpäter wieder Heinere zufammengehörige Kreife abfondern werden:

A. fürzefte Recenfion. Dieje enthalten:

Wolfenbüttel Aug. 23,8. (Mafmann WW!) Münden germ. 55. (M.) Wien 2695. (w!.) elberg 525. (h.) anffurt. (F.) Münden germ. 327. (m? und M?.)

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31*

460

7. Auffeß, jett nicht mehr aufzufinden. (A.)

8. Münden 3959 (nicht 570 wie Maßmann angibt) enthält nur den Anfang bis Yulius Cäſar. (m!.)

9. T. D. Weigel in Leipzig.

10. Wolfenbüttel Aug. 83,12. (W®.) 11. Berlin germ. 4°. 284. (b.) 12. Hamburg hist. univ. 10°. (H.) ine Abſchrift diefer Handſchrift ift Wien 2917. (w?.). B. Mittlere Recenfion enthalten in:

13. Petersburg. Fragment umfaffend Marimian, Diocletian und einen Theil von Conftantin, abgedrudt bei Minzloff, Die alt- deutſchen Handjchriften der kaiſ. öffentl. Bibliothek zu St. Petersburg, 1853, ©. 82—88. (p im Verzeichniß, P in den Varianten).

14. Kopenhagen 1978. 4°. (K!. 15. Leipzig 1308. Lateinische Ueberfegung. (L.) 16. Bremen a. 23. (Br.) 17. Berlin germ. fol. 129. (B.) C. Weiteſte Recenfion enthalten in: 18. Dresden J. 54d. (d. 19. Hannover XI, 674 (von Maßmann nicht gekannt). 20. Straßburg, untergegangen. (S. 21. Bommersfelde 2723. (P.) 22. Kopenhagen AKS. 457. (K?.) 23. Wolfenbüttel Aug. 44, 19. (W?.) 24. Gotha I, 90. (G.) .

Der durchſchlagendſte Unterfchied zwifchen A. und B. einerfeits, und C. andererjeit8 num findet ftatt bei dem Texte der Kaiſer Hein- rich V. bis Friedrih I. bis zum Jahre 1177. Gegenüber der Maffe, welche hier C. in ziemlich genauem Anfchluffe an die Pöhlder Annalen (P.) oder Effehard (E.) geben, ift die Faſſung von AB. geradezu dürftig zu nennen. Dieſes Verhältnis beginnt ſchon in der letzten Zeit Heinrichs IV. Wait! hat mit fchlagenden Gründen gegen Schöne dargethan, daß der Tert von C. hier original fei; weiter be— hauptet er, daß AB. hier nur einen Auszug geben. Lebtere Anficht vorläufig al8 richtig angenommen, ift zunächſt zu conjtatiren, daß AB. jedenfall8 fein Auszug aus C. fein können. Sie haben troß ihrer Kürze Nachrichten, welche C. nicht enthält und deren originaler Cha— rafter nicht abzuftreiten ift, da fie fich theilweife auf diefelben Quellen zurücführen laffen, welche aud in C. benugt find. So z. B. die Nachricht von der Zujammenfunft Friedrihs I. und Heinrichs des Löwen, welche id? der verlorenen Chronif Alberts von Stade zu— weifen zu müſſen glaubte.

In einzelnen Fällen zeigt die Faſſung von AB. troß aller Ver— fürzung engeren Anſchluß an Ekkehard als C. Die Erzählung der

VUeber eine ſächſiſche Kaiſerchronik S. 10 ff. 2Forſchungen zur Deutſchen Geſchichte XIII, 176.

461

Kämpfe Heinrichs IV. mit feinem Sohne Heinrih V. (Maßmann 377 fi. Schöne 50 ff.) ift in AB. ein großes dronologifches MWirrfal und, wie es ſcheint, ein Verſuch die reichhaltigen Nach— richten Effehards und der Pöhlder Annalen auf engem Raume zu— faınmenzuziehen. Die Wahl des Sohnes zum König (1105) fchließt ſich mittel8 eines großen Sprunges an den Tod des Gegenpapftes Wiprecht (1100) an. Mitten in die Erzählung der Kämpfe fchiebt - fih ein Sat des Inhalts, daß der Kaifer habe predigen laſſen, er wolle feinem Sohne das Reich lajjen und das Kreuz nehmen, der Creigniffe de8 Jahres 1103 meldet, welche ausführlicher C. in rich tiger zeitlicher, Einreihung (Schöne 48°) gibt!. Weiter folgt in AB. ein Sag, welchen man ſchwer unterbringen fann: Se (de vorsten) worden to rade, dat se to Megenze makeden enen hof, unde dat se dar worden to rade, wat se to desen dingen deden. Zweifello8 geht diefe Nachricht auf den Weihnachten 1105 abgehal- tenen Hoftag, findet ſich aber in C. gar nicht, und in E. wenigftens nicht in folder Faſſung?. Glaubt man hier das Walten eines jelb- jtändig denfenden Geiftes zu erfennen, jo wird diefe Hoffnung gleich) zu nichte, wenn man fieht, wie ungefchict ſich jener Sag mitten in die Erzählung der Kämpfe am Regen hinein ſchiebt. Diefe find E. entnommen und ftimmen, wenn auch kürzer, mit C. im allgemeinen überein. Nur überwiegen hier AB. durd) die Notiz, daß der Herzog vou Böhmen auf der Seite des Kaiſers geweſen, dieſem aber gegen den Sohn nicht habe helfen mögen. Dies findet ſich in C. nicht, geht aber auf E. zurück.

Nocd bedeutender ijt die Uebereinjtinnmung von AB. und E. gegenüber C. bei der Erzählung von dem Hoftage zu Mainz felbft (M. 381. Sc. 51’. 55). C. berichtet hierüber: To demeselven hove quam oc de alde keiser, unde berouwen in sere sine bosen dat, dehegedan hadde, unde begonde wenen unde dro- vich wesen. He segede, dat ime geschen were, dat were van sinen sunden. He vel to vote sinen sone unde vor de vorsten alle unde oc vor des paveses boden unde san genaden. Bon den Worten unde begonde wenen’ an jtimmt diefer Bericht wörtlich mit den Hildesheimer Annalen? überein, ift alſo jedenfalls aus P. genommen. Wahrjcheinlih fällt dann diefen auch der hiſto— riſche Verſtoß zur Laft, daß dies zu Mainz gejchehen jei, während die Hildesheimer Annalen richtig Ingelheim angeben. AB. folgen hier dem zuverläfjigeren Berichte von E. 1106: De keiser wolde do to Megenze komen, de herren baden en, dat he to Ingelheim bleve, wante se vrochten, of de vader unde de sone tosamene

1 9m AB. ſowohl als in C. geht dies auf EP. zurüd.

2 Anlaß zu der Notiz könnte allenfalls nur der Sat in E. 229, 36 ge- geben haben: Mogontiam atque colloquium curiale, quod ab uni- versis regis principibus super presenti negocio condietum in nat. Do- mini expectabatur.

® 88. II, 110 zu 1106.

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quemen, dat dar en strit worde. Der letzte Gedanke ift ziemlich frei aus den Worten von E. gebildet: propter cavendum tumul- tum vulgi, suae (imperatoris) potius quam filii parti favere solentis —, das ganze überhaupt mit gutem Verftändnis aus E. gearbeitet.

Wenn AB. (M. 397. Sch. nn berichten: De paves sande do twene cardinale an Dudesch lant; se maneden sere den keiser, dat he Godes gedachte (1122), fo erfennen wir hierin eine freie Umfchreibung von E.!: Ostiensem episcopum cum duo- bus cardinalibus, qui nichilominus a sede s. Petri ob recon- ciliationem regni et sacerdotii missi fuerant. C. hat nichts von den beiden mit dem Biſchof von Oſtia gefandten Cardinälen.

Neben E. jehen wir dann auch P. in einigen Kleinigkeiten ge— nauer in AB. benugt, als in C., z. B. M. 401. Sc. 62° ent- jpriht: he wan oc de borch to Nurenberch, befjer dem ca- strum Norenberg in P. 1127, als C. (M. 552. Cd. 64), wo nur von Norenberch die Rede ift.

Für andere von C. abweichende Nachrichten in AB. ſucht man vergebens Dedung bei E. und P. So überfegt C. einfach P. 1119: Do hadde de paves Calixtus en coneilium to Remis, dar ne- was de keiser nicht verre, he wolde horen, wat dar geredet worde. Van niner sone neward dar geredet, wan dat men in tobanne dede. AB. dagegen führen aus: De paves Kalixtus makede do en conecilium to Remis, dar waren des keiseres boden, de scolden vorevenen den paves und den keiser. Des nemochte nicht geschen, wante de keiser newolde nicht vor- tien des sattes in den biscopdomen. Also wart de keiser in der stunt to banne gedan. Do irhof sich aver allet led. Lag dem Schreiber hier E. vor, jo müßte die Vorlage jedenfalls jehr frei und willkürlich verarbeitet fein: ubi et colloquio suo (impera- toris) domni papae legatis concesso, tandem inducias denuo propter generale colloquium cum principibus haben-

um, pro investituris scilicet ecclesiasticis, quas tantopere cogebatur amittere. Von einer Erneuerung de8 Bannes weiß E. nichts, und fo ift die Faſſung in AB. vielleicht doch wol nur als eine Ausführung des von P. Gegebenen anzufehen. Aehnlich ift der Bericht von P. 1130 in AB. ausgeführt.

C P AB.

Do starf paves Ho-| Honorius papa obiit, De paves Honorius norius, unde worden tolet Rome duo pape eli-|starf; it worden twene Romegekoren twe pa-iguntur; deinde conci-|pavese gekoren, dar- vese. Do makede Eu hai 16 episcoporum aivan wart grot koning en concilium rege Lothario Wirciburg'strit. Van der not van 16 bischopen to, congregatur, cui affuit|wart deercebiscop van Wirzeburch, dar was archiep. Ravenne,aplice Ravene to deme ko- de erzebischop van Ra- sedis legatus; ibiqueninge Ludergesant

1 ©. 259, 7.

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©. P. venna; de strit ward dar/dissipata lite, Innocen-|v: gescheden, unde wardjcius ab omnibus collau-|ning Luder samnede gestadeget Innocencius/datus confirmatur. do en grot concilium to pavese. Ivan 16 biscopen. Dar waren oc de boden van Rome; dar wart gescheden de _strit twischen den pa- vesen, also wart ge- stedeget Innocencius de paves.

Höchſt wahrſcheinlich ebenfalls freie Phantafie ift e8, wenn AB. zu 1117 eine Hungersnoth ftattfinden laſſen. C. führt bier nad) P. eine Anzahl Wunder und Zeichen auf; AB. faffen diefelben zu— jammen in die Worte: It gesca och an den tiden wunders vele. Dar wart och ertbevinge, darvan vordarf ludes vele, jeßen dann aber noch zu: It wart och grot hunger, wovon weder P. noch E. etwas wiljen.

Woher AB. die Nachricht haben, daß Lothar III. auf dem Concil zu Lüttich) 1131 die Beſetzung der Bifchofftühle wieder: in feine Hand bringen wollte, weiß ich nicht. Ebenſowenig läßt fich zu 1142 der Sag in AB.: Do vortech oc marcgreve Albrecht des hertochdomes to Sassen, auf eine beftimmte Quelle zurüdführen. Man ift verfucht dieſe letzteren und einige andere unbedeutendere Nachrichten, durch, die fihh AB. vor C. auszeichnen, auf die vollſtän— dige Chronik Albert® von Stade (St.) zurüdzuführen, doch laſſen bei jenen Nachrichten die jetigen Stader Annalen fowol als ihre nod) erreichbaren Quellen, die Rofenfelder und Magdeburger Annalen und Helmold, im Stiche.

Ergab ſich ſchon bei einigen der betrachteten Stellen, daß AB. manchmal genauer unterrichtet find als C., fo find in diefer Bezie— hung noch ein paar Stellen heranzuziehen. C. nennt in der aus E. 1085 oder P. 1086 entnommenen Erzählung die Gräfin Mathilde marcgraven Ekbertes suster van Bruneswik, welcher unbhiftorifche Beifat AB. fehlt. .

Zu 1119 erzählt C. nad) P. ausführlich die Ereignijfe diejes Yahres. Dabei finden ſich zwei Verftöße gegen die Vorlage: He (de keiser) quam van Langbarden an dat lant to Swaven, und : he stadede ener gemenen sprake to Wormeze. P. (und E.) geben hier Germaniecis regionibus und apud Triburium. AB. nun überjegen in ihrem viel kürzeren Berichte im erjten Yalle richtig an Dudesch lant, dann laſſen jie relativ genauer den Ort des Hoftages ganz weg.

Haben wir fo erwiefen, daß AB. in dem Theile von Heinrich IV. bis Friedrich I. fein Auszug aus C. fein können, fondern auf eine principiell verichiedene Recenſion zurüdgehn müffen, jo ift e8 unnöthig aus den Theilen vor und mad diefen Zeitraum weitere Beiſpiele

AB. van Rome. De ko-

464

heranzuziehen. In diefen Theilen geben, abgefehen von den anfchei= nend fremdartigen Einfchiebjeln in C.!, AB. fo ziemlich diefelbe Fülle des Stoffes. Neben mannichfacher Weglaffung von einzelnen Sätzen finden wir aber auch im erjten Theile vor Heinrich IV. Stellen in AB., welche auf ſelbſtändige, ja erfchöpfendere Benutzung Effehards zurüdgehen. Nach 1177 ftimmen A. und B. vielfach, in ftiliftiichen Wendungen gegen C. überein; fachliche Differenzen treten weniger hervor. Zu bemerfen ijt bei der Achtung Heinrich® des Löwen, daß C. hier gibt: do dede in de keiser to achte dur den marc- greven Diderike, AB. dagegen: dor des marcgreven Diderikes klage; C.: egen "und len, dat len in de koninglike walt; dat len al sinen herren en AB. ſetzen beim zweiten Male das Lehen vor das Eigen”. C. läßt 1182 Heinric den Löwen to sente Jacopes missen ? nad) England fahren, AB. dagegen to paschen.

Auch in dem erften Theile (vor Heinrich IV.) finden wir an einzelnen Stellen eine andere Faſſung in AB. als in C. Unter dem jüdiſchen Richter Aoth haben fie gemeinfam den Zufat: Bi den ti- den wart dat grote orloge twischen Israhelis slechte und Benjaminis durch er nichtelen, de behorit was vor Gabaon

en dot, eine Nachricht, die fih am diefer Stelle fürzer in P. findet, in St. dagegen ähnlicher: Hujus tempore fuit bellum inter populum Israel et Benjamin propter uxorem levitae apud Gabaon constupratam‘.

Unter Caligula AB. ſtatt des kurzen Satzes von C.: He makede Herodem den jungen to koninge, eine ganze Reihe von Nachrichten: He was och Pilato also swar, dat he sich selven dodede. He vorsande och Herodem den a ngen to der stat to Leun uppe der Rodene. Sin wif Herodiadis vor eme na, und vordorven beide jamerliken in deme ellende. Dit was de andere Herodes, de Johannem baptistam sloch unde an unses heren martere was. Gajus de keiser makede den dridden Herodem in Judea to —— Beide Faſſungen gehen auf E. zurück.

Eine andere, verſchiedenartige Claſſe von Unterfcheidungsmerf- malen zwifchen AB. und C. fcheint den Charakter fpäteren Zuſatzes

1 Bon melden unten zu handeln fein wird. 2 Und kommen fo der Fafjung des Sächſ. Landrechts I, 38, 2 näher. Bol. Ueber die Entſtehungszeit des Sachſenſpiegels 71.

So auch P., deren Benutzung von 1174 an ſeither nicht angenommen worden iſt. Ich ſehe aber keinen! Grund ihre Benutzung für den Frieden von Benebig in C. 1177 wegzumeifen und in Confequenz davon ihuen auch die obige Zeitbeftimmung zu vindieiren. O. wäre bier P., wie auch fonft, im Ge— genjat zu AB. gefolgt. Daß der Berfaffer überhaupt von 1177 an P. weniger zu Rathe zog, ift einfach daraus zu erflären, daß ihm von da an andere, reidh- haltigere Duellen zu Gebote ſtanden: vor allem die Gesta archiep. Magdeburg.

SS. XVI, 285, 50. Die Nachricht geht auf die Imago des Honorin® von Autun zurüd, welche, was Lappenberg entging, wie in anderen ſächſiſchen Quellen aud in der Stader Chronik vielfach benutzt ift.

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in O. zu tragen. Hierzu gehören die aus der größeren (nicht mehr erhaltenen) Chronif des St. Michaelisflofters in Lüneburg, aus der Kaiſerchronik und irgend einer anderen fabel- und Tegendenreichen Quelle entnommenen Nachrichten, welche den Text von O. in aus— giebiger Weife gegenüber AB. vermehren. In Beziehung auf erjtere hat ſchon Waitz! darauf aufmerffam gemacht, daß man fie al8 Zu— fa zu dem urfprünglichen Werke faffen fünne. Und in der That ift nicht abzufehen, wie ein Abfürzer gerade immer folche Stellen weg- gelaffen Haben follte, welche auf die Michaelschronif zuridgehen. Diefelben find aber nicht alle roh in den Text hineingefchoben ; bei einigen wenigjtens zeigt ſich das Beſtreben die Nachrichten der neuen Quelle mit dem aus EP. entnommenen alten Texte organiſch zu ver- fnüpfen. Zweifellos gehört hierher die Erzählung der dänischen Ver— hältniffe unter Dtto 1.?, die fich in der erhaltenen Chronif von St. Michael nicht findet und auf Helmold I, 9. 15. 11. 12 zurückgeht?. AB. geben hier die Belehrung der Dänen durch den Pfaffen Poppo nah P. mit dem @ingang: In den tiden worden de Denen kristen, dat gescha aldus. C. erzählt die Belehrung des Könige Godfrid (nad) Chron. S. Mich.), behält aber die Erzählung von P. bei mit dem veränderten Eingang: Oc schude do en grot teken, und fchließt dann daran noch mehreres aus Chron. S. Mich. über Sueinotto.

Einfchiebungen eines Fremden anzunehmen könnte man geneigter fein bei den Zufügen von C. aus der Kaiſerchronik und der anderen Tabelquelle. Vorab hegreift man nicht, wie der Verfaffer, dem man doch einen beftimmten Plan unterlegen muß, der auch überall zu Tage tritt, Später diefem fo untreu hätte werden, fich zu folchen Geſchmack— lofigfeiten hätte verirren können, wie fie diefe Einfchiebfel mit ſich bringen. Am kraffeften tritt dies zu Tage, wenn zwifchen Nero und Galba in ©. die lange Gejchichte des Gollatinus aus Trier und des Zarquinius Superbus aus der KRaiferchronif eingefchoben wird, mit dem zur VBermittelung ungefchietten Eingang: Under den alden ko- ningen to Rome was en de het Tarquinius, und dem zur Ent- ſchuldigung wenig befriedigenden Schluß: Dit mere is gescreven buten der tale, de men den keiseren toscrift. Aehnliche Redens- arten finden fih am Sclufje ſolcher Einfchiebfel mehrfah: Dese is buten der keisere tale; Dises herren (de8 fabelhaften Kaifers Fauſtinian, eines angeblichen Bruders und Nachfolger8 des Claudius) jar scal men reden an de jar, de Claudio sin togescreven sinen broder. Scheint aus ihnen wirflich der Verfaffer zu fprechen, fo könnte doc auch ein Bearbeiter dergl. Entfchuldigungen feiner be= mußten Gejchmadlofigkeiten gefchrieben haben.

1 ©. 20.

2 ©. darüber Forſchungen XIII, 196.

2 As Berfchlecdhterungen und meitere Ausführung Helmolds find zur be- merfen ber Name bes Dänenkönigs Godefrid für Harald und die Sage vom Ditenfund, Beides ftand wohl fchon fo im alten Chron. S. Mich.

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Gänzlich ungeſchickt und unmotivirt find die Zufäge von O. über Karl den Großen, welche fi) erft an den Bericht von feinem Tode anhängen und nur zum Theil auf die Kaiferchronif zurückgehen. Sie führen zur Wiederholung der Aufzählung ') der von Karl in Sachſen gegründeten Bisthümer, welche hier um Kovende (jpäter Berden), Merjeburg, Minden, Zeig, Osnabrüd vermehrt erfcheinen, während Halberitadt fehlt; zur Wiederholung der Erzählung von der Blendung des Papftes Leo und der Race Karls an den Rö— mern; ja fogar zum direften Widerſpruch gegen. die frühere Angabe, dag Widukind von Karl aus der Taufe gehoben fei; hier fchlägt ihn Herzog Gerold todt?. Da hier auf Grund der Kaiſerchronik gejagt wird: Men vint oc gescreven an eteliken boken, dat paves Leo were koning Karles broder, jo muß fic) vorher der gemeine Text (aus P. ‘Leo de grote’) in C. die Correftur gefallen lafjen : Leo des groten Karles broder. &8 ſcheint geradezu undenkbar, daß der BVerfaffer fein Werk derart verunftaltet haben jollte.

Im Gegenfag zu diefen roh zufammengejtoppelten Stellen tritt anderwärts das Beftreben unverkennbar zu Tage, die Nachrichten der Kaiſerchronik u. a. mit den aus EP. entnommenen (urfprünglichen) Nachrichten organisch zu verbinden. |

Unter Tiberius geben AB. nad) E.: Pilatus umbot Tiberio van dem dode und van der upstandinge Jesu Christi und van sinen jungeren; dat unfeng he wol; he brachte it vore de senatores mit groteme vlite. C. jchiebt hiervor eine lange Er- zählung von der Heilung des Tiberius durch das Schweißtuch der Beronica ein, in der Pilatus fchlecht wegfommt?; der Eingang ber Stelle paßte aljo nicht mehr, und fo ändert denn C. hier: Tiberius brachte dat mit grotem vlite vor de senatores.

Da C. aus unbefannter Quelle den Leichnam Tibers in ben Tiber werfen Täßt, welcher davon den Namen erhalten, jo paßte die Angabe von AB., daß der Raifer in Campanien vergiftet worden fei, (aus E.) nicht mehr recht und wird meggelaffen.

Achnlich bei Galba, wo C. einigen Notizen aus der Raifer- chronik zu Liebe die Charafteriftif Galbas (in AB. aus E.) wegläft.

Der erfte Theil des Kaifers Heraclius ſcheint in. recht eigent- (ich aus dem Texte von AB. (aus P.) und einer fabelhaften Vor— lage über die Kämpfe des Kaifers mit Cosdras von Perfien, welche mit der Legenda aurea cap. 137* durdaus übereinftimmt, zu= fammengearbeitet. Angaben von P. und jener Vorlage mechjeln hier förmlich ab, überall iſt das Beſtreben unverkennbar beider Nachrichten zu combiniren.

Unter Kaiſer Martian laffen AB. die Auffindung des Hauptes

1 Die Duelle diefer Nachricht ift mir unbelannt.

2 Mach Kaiſerchronik 14877.

Trotz einzelner Abweihungen und Erweiterungen ſcheint diefe Erzählung doch der Kaiſerchronik entnommen.

* ©, 606 der Ausgabe von Gräfe.

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Johannes des un . Nachricht auf E. zurückgeht ?) gefchehen : in den tiden (=E.); C. hat hier geändert : Bi keiser Theodosii des ersten tiden, welche Zeitbeftimmung der Kaiferchronif 6448 eutſpricht.

Wenn nun auch ſelbſt die letzterwähnten Stellen die Annahme eines bald geſchickter bald ungeſchickter operirenden Interpolators nicht ausſchlöſſen und demnach ohne große Schwierigkeit ausgeſchieden wer⸗ den könnten, zeigen andere doch noch einen anderen Charafter, ſodaß man bei ihnen entweder an eine Kürzung in AB. oder an eine vom Verfaſſer ſelbſt vorgenommene eg in ©. denfen muß.

Unter Conftantin dem Großen, wo C. jehr viel mehr gibt als AB., find diefe Vermehrungen wohl ficher original. Alle drei Recen- fionen erzählen die fabelhafte Taufe Conftanting durch Papft Silveſter nach den falſchen Akten des heiligen Silveſter“; ferner die Conſtan— tinifsche Schenkung mit Berufung auf die Decrete, und eine Fabel von dem Traum Gonftantins, welcher den Kaiſer veranlafte das ver- fallene Byzanz wieder aufzubauen? In unmittelbarem fachlichen Anſchluß folgt dann, nur in C., die Erzählung von der Liſt Eonftan- tins, durch die er die Frauen der römischen Ritter veranlaßte, ihren Eheherren nach Gonftantinopel nachzufolgen?, dann auch nur in ©. eine lange Erzählung von der Disputation Silveſters mit den Juden mit zweimaliger Berufung auf die Vita Silvestri, alfo derjelben Duelle wie das Vorhergehende in ABC. entnommen, was auch eine Vergleihung mit Vincenz rechtfertigt. Danı folgt in C. die Bän- digung eine® Drachen in Rom durch Silvefter, welche ſich ebenfo in Vincenz XIII,53 aud im Anfchluß an die vorhergehende Erzählung findet, ſowie bie Entjtehung diefes Drachens“. Da allen diefen Er- zählungen von C. wohl ficher die Acta Silvestri zu Grunde liegen, jo rühren diefelben gewiß auc vom Verfaſſer her.

Nach einem aus E. entnommenen Abfchnitte über Artus und die Päpfte nad) Silvefter, welcher ABC. gemeinfam ift, folgt in O. eine lange Erzählung von der Auffindung des heiligen Kreuzes durch Helena, welche aus der Historia ecclesiastica des Ruſinus (X,7.8) und den Actis S. Judae-Quiriaci ® componirt ift. AB. geben dafür nur die furze Notiz: In den tiden de koninginne Helena Con- stantini moder vant dat heilige kruze under der erde. Dar was over maket Veneris belde den kristenen to schanden,

ı Ihr lateinifer Text foll in Mombritius, Sanctuarium, gedrudt jein, welches Buch ich nicht einfehen konnte, Als Erfat diente Vincentius Belvac, XIII,47 ff., der fie ausgiebig abgejchrieben hat. Weſentlich abweichend von diefen Alten ift die bei Surius gedrudte Vita Silvestri. Die Kaiſerchronil, welche jehr mweitläufig über Eonflantin handelt, hat S. hier keinenfalls benutzt. Kaif. hat ähnliches aber doch fehr abweichend. Die Nachricht gehört auch den Actis Silv. an, gleichwie da8 folgende in C. Wenigften® gibt Althelmus, De laude virginum (bei Canisius, Ant. Lect. V, 2, 814), der ebenfalls die Acta at, dieſe Erzählung auch.

8 Welche ſich in Vincenz nicht findet. Kaiſ. weicht auch hier, wie überall ab.

* Act. Sanct, Bolland. Mai. I, 445.

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welche man zunächſt al8 aus der etwas längeren Angabe in E. 112,15 gefloffen anfehen möchte. Der Zufat aber: Dat vint men al ge- screven. De dach is in deme meie, beutet bejtimmt darauf hin, daß derjenige, der ihn fchrieb, einen größeren Bericht vor fich Hatte, d. h. hier entweder die Erzählung von O. oder deren Quelle in einen Auszug brachte. Verſtärkt wird diefe Annahme ficher noch dadurch, dag auch C. als felbjtändigen Zufag das Sätzchen enthält: Dise hochtit beget men in deme meie. ferner dadurch, daß die Hi- storia ecclesiastica dem gemeinen Texte befannt ift; fie findet fich eitirt in der fogenannten geiftlihen Betrachtung oder Predigt vor Eonftantin dem Großen, welche Handichriften aller drei Necenfionen geben ! und die alſo dem urfprünglichen Werke nicht abzufprechen fein wird. Nach der Erzählung von der Findung des Kreuzes folgt in C. eine Nachricht von den Reliquien, welche Helena nad) Trier fandte, die recht gut auf die Kaiferchronik zurüdgehen Könnte und dann vielleicht dem urfprünglichen Texte abzufprechen wäre. Es folgt dann in C. eine fabelhafte Erzählung von der Herkunft des Kreuzholzes, das bon einem Baume herrührt, der aus dem von der Taube Noahs ge- brachten Zweige erwachjen.? Joſephus, der hier citirt wird ®, gibt weder im Jüdiſchen Krieg noch in den Alterthiimern hierüber etwas, wohl aber finden wir einen Theil der Erzählung wörtlich in der Historia scholastica des Petrus Gomeftor* wieder. Da die Hist. schol. mehrfach im gemeinen Texte benußt ift, ziemt es wohl auch) jene Fabel dem Verfaſſer zuzufprechen.

Aehnlich verhält e8 fich mit der Erzählung von dem Jüdiſchen Kriege, der Belagerung und Zerjtörung Jeruſalems. AB.5 behan- dein diefes Thema ziemlich kurz mit Berufung auf Joſephus und

egefipgus: Dit scref vollichlike Josephus und och Egesippus.

hr Eurzer Bericht läßt fich auch durd) EP. ſchlecht decken. C. nun vertheilt die Gefchichte unter Nero und Veſpaſian, beginnt mit den Worten Effehards: (Alse hi vore gescriven is,) Nero an deme 13. jare sines rikes hadde gesant Vespasianum over mere in Judeam ®, und erzählt dann ſehr weitläufig die Gejchichte des Krieges wirklich nad) Joſephus, mehrfacd allerdings weiter ansführend, und auch öfter die Vorlage misverftehend. Auch der Kampf Veſpaſians mit Vitellius wird nad) Joſephus gefchildert, jowie der Tod bes

ı A: 1—7. 9 hat menigftens den Anfang; B: 16. 17. 13 Hat einen Heinen Theil; C. 18. 19, 21-24.

° Eine ähnliche doc) vielfach abweichende Fabel gibt die Legenda aurea cap. 68, ed. Grässe S. 304. Das Holz ftammt hier von dem Baume der Erkenntnis im Paradis.

® Hirvan spricht Josephus.

* Ev. 81, über den Engel, der über den See Bethesda fliegt, wodurch diejer Heilkraft erhält.

Zu bemerken ift, daß A. diefe Nachricht jchon unter Bespafian fett und nod etwas kürzer ift als B, welche diefelbe erft unter Titus gibt.

° E. 101,48: 13. a. Neronis. Vespasianus dux exercitus adver- sum Judaeos a Nerone missus.

469

legteren: Sine viande namen ine van deme capitolio und slo- gen in an der strate dot und togen ine durch de strate. Den win den he getrunken hadde, de vlot van ime ummate. Letsteren Gedanken finden wir nicht bei Joſephus, wohl aber bei Hegefippus !, mit dem fonft die Darftellung feine Verwandtfchaft zeigt: perimitur et vina simul et sanguinem fundens et eruc- tans crapulam. Das Citat in AB. erhärtet alfo hier die Urfprüng- lichkeit des Textes von C., und wie ſich auf der anderen Seite hier zeigt: der kurze Text von AB. rührt ebenfalls vom Verfaſſer felber her. Daſſelbe Verhältnis fcheint bei Yulianus ftattzufinden. Zunächit ließe jich hier ohne Schwierigkeit al8 Interpolation ausfcheiden eine längere Erzählung in C., wonach Julianus als Pfaffe eine Wittwe um zehn Pfund Gold betrügt und fih dann dem Abgott Yupiter verfchreibt . Dann folgt eine Gefchichte, welche auch E. 114,15 fürzer kennt, wie eine in einer Stadt für die Kampffpiele aufgehängte Krone zufällig dem Julianus aufs panpt fällt, worauf er zum Kaiſer ausgerufen wird, ferner fein Verhalten gegen die Chriften, das ſich auf Feine beftimmte Duelle zurüdführen läßt, und endlich) die Geſchichte der Heiligen Johannes und Paulus mit Verweis auf ihre Paffio, die ihr Mörder Terrentian gefchrieben habe?. Sie ift denn auch diefer Legende *, gleichwie ſchon einiges im vorhergehenden ent- nommen. AB. nun haben dies alles viel kürzer, ſchließen ſich aber in einem Punkte enger an die Passio an, indem fie mit diefer den Kaiſer zu den beiden Heiligen fagen laffen: Je hebbet an iuwer scrift: Celum celi domino u. f. w., während C. weniger genau dies überhaupt allen Chrijten jagen läßt. Nach einem ABC. ge- meinfamen Abfchnitte aus P. und E., deſſen letter Theil über die Verbrennung der Gebeine Johannes des Täufers durch Julian han— delt, fährt C. allein mit der Nachricht fort, daß es nicht möglich ge— weſen die Finger de8 Täufers zu verbrennen, mit denen er auf Chriftus gewiefen habe?, und erzählt darauf ausführlich den gefchei= terten Verſuch Yulians, Jeruſalem durch die Juden wieder aufbauen zu laffen. Da diefe Erzählung durchaus auf Hist. eccles. X, 35. 37—39 zurüdgeht, nehme ich feinen Anftand, fie für original zu alten. y Bedenklicher fteht e8 mit der Erzählung von dem Ende Julians und deffen Verhältnis zum heiligen Bafilius. AB. haben hier einen furzen Bericht, der im weſentlichen auf P. zurücgeführt werden kann ; was diefen fehlt, der Name der Stadt Cäfaren fowie am Ende bie

ı IV, 32.

2 Aehnliches in Kaif. 10653 ff. Doc find Hier die einzelnen Züge an— ders: ftatt 10 Pfund Heißt e8 nur scaz, und der Abgott Mercurius. C. ift aud) eiwas weiter ausgeführt.

s He scref oc ire passionem.

4 Act. Sanct. Bolland, Jun. V, 159.

5 Die Duelle diefer Notiz fenne ich nicht.

470

Berufung: Dit vint man also vullichliken gescreven in Vita sancti Basilii, ift wohl aus den fürzeren Berichte in E. 114,50 ergänzt. Wichtig wird hier Bafilius Biſchof genannt. O. nun, die ſich am Ende ebenfalls auf die Vita Basilii beruft ?, macht ben Bafilins zum Abte, führt die ganze Erzählung fehr aus und zwar mit wörtlihen Anflängen an die Kaiferchronil. Dabei Hat C. aber doch einzelnes aus P. bewahrt und mit den der Kaiſerchronik ent- nommenen Angaben organisch verbunden; 3. B. den Ausruf Yulians : Vieisti Galilee, der fi in Kaif. nicht findet, ferner daß der hei- lige Mercurius up enen blanken orse gefommen fei. C. gibt ferner die Nachricht, da der Heilige Mercurius unter Decius ent- hauptet worden fei, während die Kaif. ihn von Julian ſelbſt ent= haupten läßt. Da die Zeitangabe in C. auf P. zurückgeht, ſich aber in AB. nicht findet, jo müſſen wir, aud nad) Ausjcheidung des der Raif. angehörigen, in O. einen "etwas reicheren Text ans nehmen.

u Neben den eben behandelten und den Lüneburger Vermehrungen in C. finden fich zweimal folche aus der Historia Romana des Paulus, welche, da diejelbe an zwei anderen Stellen im gemeinen ZTerte benutzt ift, für original gelten müſſen.

Verhältniß von A. zu BC. A., obwohl im allgemeinen B. gleichftehend, iſt vielfach noch kürzer als diefe Kecenfion; BC. ge= ben vielfach übereinftimmend Nachrichten, welche fih in A. nicht fin- den; dann zeigt auch A. Abweichungen und Vermehrungen. dem letten Theile nach 1177 zeigen ſich BC. gegenüber A. haupt- ſächlich durch ſolche Nachrichten vermehrt, welche ſich mit hoher Wahr- Scheinlichfeit auf die volljtändige Chronik Alberts von Stade zurüd- führen laffer. Nimmt man die Ausgabe von Schöne zur Hand und betrachtet von Seite 72 an das einfach eingeflammerte, jo enthält dies vorzugsweife norddeutjch- dänische Nachrichten, welche zum Theil noch in den jeßigen Stader Annalen Dedung finden. Der größte Theil derfelben ift fo lofe in die übrige Darftellung eingefchoben, daß der Charakter fpäteren Zujages nicht ausgejchlojjen ſcheint. Wie follte aucd) ein Abkürzer nur immer gerade ſolche norddeutiche Nach— richten weggelaffen haben ?? Einige diefer Zuthaten unterbrechen fogar ziemlich auffällig die Zeitfolge. So ſchieben BC. zwifchen die Ab- reife Heinrich8 des Löwen nad England (1182) und den Dortag zu Mainz (1184) ein: Darvore was sente Thomas geslagen van Cantelberge *; und ward dat lant to Rujan lovich (1170). Do ward oc sente Knut gehaven up van Denemarken’°.

ı Nos autem in libro Vitae sancti Basilii Caesariensis episcopi certum legimus.

* Dit vint men gescreven in Vita Basilii.

s Einem Süddeutſchen Tagen Magdeburg, Onedlinburg u. ſ. w. ebenfo fern al8 Hamburg und Bremen.

* Bol. Ann. Stad. 1171.

5 Dies geſchah 1171 nad) den Ann. Ryenses.

471

Verner nad der Darjtellung des dritten Kreuzzuges: Twe jare er des keiseres dode tovorde de hertoge Heinrie Bardewie!. Unter Heinrich) VI. erfcheint in BC. die Nachricht: He schop oe, dat de vorsten sinen sone Vrederike to koninge loveden und dat se eme sworen?, erjt unmittelbar vor des Raifers Tod und außer Zufammenhang mit feinem Erbfolgeplan. Den Charafter jpäteren Zufates oder Randgloſſems trägt auch unzweifelhaft der in BC. unter die einzelnen Kaifer vertheilte Katalog der Erzbiſchöfe von Bremen-Hamburg, welcher den Gang der Darftellung meift in fehr ungejchiefter Weile unterbricht. Die Anfänge der beiden Bisthümer gehen zweifelsohne in letter Linie auf Adam von Bremen zurüd und finden in St. durchaus genügende Dedung. Der Synchronismus der Raifer und Erzbifchöfe weicht freilich verfchiedentlihh von dem in St. ©. 328 gegebenen ab. Doc) ftehe ich nicht an, alle diefe No- tigen der Chronik Alberts zu vindieiren. So wird denn auch ein Zufag in BC., der theilweife wenigſtens durch P. Dedung findet, nicht diefen Annalen, ſondern ebenfall® St. zuzumeifen fein. Die Darftellung des Yahres 1080 unterbrechend, erzählen BC.: Bi den tiden was bischop Albrecht to Hamborch und to Bremen, na ime ward Liemarus bischop, darna ward bischop Hum- bertus. Bi den tiden marcgreve Ude wan den Weneden af Brandenborch. Do ward oc dat closter to Hersevelde ge- stichtet. P. geben die beiden legten Nachrichten zu 1100 und 1102 (nad) Ann. Rosenveld); St. allerdings nur die letzte zu 1100, aber den Namen in Vebereinftimmung mit BC., während er in P. Roſſe— veld Iautet. Die Driginalität aller diefer Zuthaten in BC. erhält alfo durd St. eine nicht geringe Unterjtügung; eine weit größere frei- li wird ihr durd) den Umſtand zu Theil, daß fich diefelben gleichmäßig in zwei fo grundverjchiedener Recenſionen, B. und C., vorfinden.

Sind wir im allgemeinen geneigt, alle diefe Nachrichten, insbe— fondere die Bremer, für fpätere Zufäge oder Randgloſſen des Ver— fafjers zu Halten, jo finden ſich doc auch ein paar Stellen, bei "denen A. eher den Charakter eines Auszuges zu tragen ſcheint. So zu 1181°: Griedrich N) buwede Hartesburch unde vor mit groteme here to [derElve, unde de hertoge brande sin selves hus Erteneburch. De keiser vor over Elve vor] Lubeke unde gewan dat. [Dar quam de koning Waldemar van Denemarken unde sin sonede koning Knut unde worden beide des keiseres man unde] he geweldegede den hertogen Bernarde des her- tochdomes, dat he ime in der vasten darvore gelegen hadde. 3u 1203:

1 Bol. St. 1189.

2 Bor Schluß des Jahres 1196, ſ. Toeche S. 444, Ann. Stad. geben feinen Anhalt.

3 Das in Klammern eingefchloffene geben nur BC.

472

BC. A. Do gewunnen de Dudischen unde | Do ward Constantinople van den de Walen Constantinople unde na- | Latinen gewunnen. men dar vele gudes. De van Ve- nedie namen dar oc grote cyrode.

Ganz ähnlich ift das Verhältnis bei Erzählung der Gefangen- nahme Waldemar von Dänemark durch Heinrih von Schwerin 1223 und der Theidung zu Bardewif 1224; ferner der Löſung des Dänenkönigs 1225, der Schlacht bei Bornhöved 1227. A. hat aud) bier jo ziemlich diefelben Worte wie BC., gibt aber weniger Details. Doch ijt augenfcheinlich Hier nirgends die Annahme ausgejchloffen, daß der Verfaſſer felbft bei Anfertigung einer neuen Ausgabe den Wort» laut der früheren aus denfelben Quellen vermehrt habe.

Und daß A. gegenüber BC. eine eigene originale Recenfion re= präjentirt, nicht etwa bloß als eine weitere Verkürzung von B. an— zujehen ift, zeigt fich an folgendem. A. ermangelt zunächſt einiger biftorifcher Verftöße, welche fi) BC. zu Schulden kommen laffen. Unter Raifer Lothar I. geben ABC. nad) E.: In denselven tiden wor- den de Ungeren kristen, wozu BC. allein fügen: de hadden do enen koning de het Stephen. Bei Erzählung der Schlacht auf dem Lechfeld nennen BC. als eigener Zufag zu E. unter den deutfchen gerzogen ganz unrichtig auc den Herzog von Sachſen, den wir in

. nicht treffen. Es müßte fchon ein in der Gefchichte recht bewan- derter Abfürzer gewefen fein, der folcherweife die Vorlage verbeferte. Die Gleihmäßigfeit von B. und O. erweift aber hier, daß diefe Ver— ſtöße dem Verfaſſer ſelbſt zur Laſt fallen; ähnliches haben wir oben in C. gegenüber AB. bemerkt: mit der Fülle des Stoffes wuchs eben die Unfähigkeit denfelben zu beherrfchen, dann wohl leider auch bie Luft am Ausmalen, am Fabelhaften. Noch wichtiger ift anderes. Unter Balentinian geiat A. felbjtändige Benutzung von E., ſchließt deſſen Nachfolger Valens, E. 119 folgend, ohne Yahrszahl als Appendir an BValentinian an, ſodaß man hier feinen neuen Kaijer vermuthen möchte. BC. holen dann das Verfäumte nach und entnehmen aus E. 130 das erfte Jahr der Regierung des Valens nach dem Zode ſeines Bruders. Nach Erzählung der vergeblichen Unterhand- lungen König Heinrichs um die Löfung des Dänenkönigs 1224. Sept. Det. !, berichten BC. den Zug des Grafen Adolf und des Erzbiſchofs von Bremen nad) Holjtein an sente Thomases avende (Dec. 20.) ?, welchen A. wegläßt, und fchliegen daran mit dem richtigen Uebergang Tohant darna die Schladt bei Mölln. In A. erjcheint hier, da beim Wegfall des vorhergehenden Satzes diefe Zeitbeftimmung un— richtig fein würde, der jelbjtändige Uebergang: Na des koninges gevencnisse over anderthalf jar. Die Berechnung ift annähernd

. dier ift A. zuletzt formell reicher al BC.: Des karde de koning Heinric [unde der bischof van Colne A.] weder. 2 Bol, St. 1225

475

richtig 1; ein fremder Abkürzer, dev den vorhergehenden Sat wegließ, würde ganz außer Stande gewefen fein diejelbe anzuftellen. Ganz jelbftändige Faſſung zeigt A. gegenüber BC. zu 1227.

BC. | A.

Do starf oe de hertoge Heinric!| Do starf oc hertoge Heinrie de van Brunswich, des keisers Otten |leste van Brunswich, unde hel- broder,unde wartdembiscope den de statdeme rike unde vanBremendestatunde dat deme hertogen vanBeieren lant to Stade. Do wan och de | (nämlid die Bürger.) Do gewan se hertoge Otte van Luneborch de |de hertoge Otte van Lunenborch stat to Brunswich unde stridde in mit der marclude helpe van der stat mittes keisersluden unde Brandenborch unde stridde

behelt den sege. | mittes keisers luden in der stat.

Beide Faffungen fcheinen auf die Stader Chronik zurüdzugehen, . vielleicht auf zwei verfchiedene Necenfionen derjelben. Die Ann. Stad. haben hier: Heinricus dux et palatinus comes Reni sine filio obiit, et Bremensis archiepiscopus comitatum Stadensem obtinuit. Heinricus, imperatoris filius, eivitatem Brunswich, pro eo quod imperator eam a majori dieti prineipis filia comparaverat, emptionis titulo impetebat, et dux Bawarie pro eo quod ejus- dem junior filia suo filio nupserat, jus hereditarium allegabat, cum interim Otto dominus de Lunenborch portas Brunswich irrupit et eam in deditionem recepit.

Hat A. in dem letzten DBeifpiele jchon einiges vor BC. voraus, jo finden fich ſeit König Philipp mehrere Nachrichten, welche BC. gar nicht kennen. Dieſe meiſt oberfächfiiche, magdeburgiſche Verhält— niſſe berührenden Zuſätze ſtehen in ſo genauem Zuſammenhange mit der ganzen Darſtellung des gemeinen Textes, daß man ſie unmöglich als Interpolationen faſſen kann, vielmehr für original halten muß. Auch glaube ich ihre Quelle in den auch im gemeinen Texte benutzten Gestis des Magdeburger Erzbifhofs Albrecht gefunden zu haben ?, Ale diefe Zufäge find aber auch in ſolch richtigem Zufammenhange, dag man fie lieber in BC. fpäter vom Verfaſſer jelbft weggelafjen, als in A. fpäter von demfelben zugejett halten möchte, Neigte ich jeither unjere Anficht jedenfalls mehr zu der Annahme, daß A. früher als BC. abgefaßt fei, fo fprechen die oberfächfiichen Zufäge von A. jicher nicht dagegen.

Zur Charafterifirung von A, erübrigt e8 noch fein Verhältnis zu B. ins Auge zu faffen in der Partie non Heinrich V. bis 1177. Beide Necenfionen ftimmen hier, wie gefagt, im großen und ganzen gegen C. überein. Doc hat B. aud) hier wieder mehr: die Erz- bijchöfe von Bremen (unter Heinrih V. und Friedrich L.); unter Konrad III. die Verzichtleiftung Albrechts des Bären anf Sadjen,

ı Maldemar wurde gefangen am 7. Mai 1223, die Schlacht bei Mölln fand höchſt wahrſcheinlich im Januar 1225 ftatt; ſ. Ufinger, Deutjd- dänifche Geſchichte 337.

2 Forſchungen XII, 190 ff.

XIV. 32

474

den Tod des Grafen Rudolf in Ditmarfchen,! den Rachezug des Erzbiihofs Hartwig dahin; ferner unter Friedrich I. den Hoftag zu Merjeburg 1152 und die übrigen dänischen Verhältniſſe, den Wendenzug Heinrichs des Löwen 1164, die Translation Karls des Großen. Alle diefe Nachrichten, mit zwei Ausnahmen, finden fich auch in O. und laffen fi) mehr oder minder durch St. decken?, ge= hören aljo in die oben? berührte Kategorie.

Dann hält aber aud) A. hier feinen Standpunkt als ſelbſtändige Recenfion feſt durd ein paar Heine Zufäge. Von Heinrich IV. heißt es nad) dem Hoftage zu Ingelheim: De keiser vor do to Ludeke und was dar*. Der Tod Heinrichs des Stolzen findet fih in B. nicht, wol aber in A. in demſelben Zufammenhange, in dem ihn auch O. gibt. Zulett gibt A. den Ort der Zuſammenkunft Frie= drichs I. und Aleranders III. (Venedig) an, den B. wegläßt. Einen weiteren Zujat glaube ich überhaupt aus dem Texte ausjcheiden zu müffen. Er betrifft den Wendifchen Kreuzzug des Yahres 1147, findet fi) nur in den Handfchriften 11. und 12. und enthält die falſche Nachricht, daß damals der Graf Adolf von Schauenburg ges blieben fei, ift alfo ficher Zuja eines unmijjenden Interpolators.

Suden wir ung nad) dem erörterten ein vorläufiges Bild der Compoſition der drei Necenfionen zu conftruiren, jo möchte vielleicht folgende Annahme allen Gründen für und wider am meiſten gerecht werden. Der Berfajjer jchrieb zuerft ein weniger umfangreiches Werf A; die Darjtellung der einzelnen Kaifer follte Hier ziemlich gleich; an Umfang fein, daher war es nöthig unter Heinrich V. bie Friedrich I. die Fülle des Stoffes der Vorlagen E. und P. unge— mein zufammenzuziehen; es ift ihm aber hier nicht überall gelungen fi) präcife auszudrüden und die hronologijche Folge zu wahren. Bei einer zweiten Ausgabe feines Werfes (B.) behielt er A. im ganzen al8 Grundlage bei, vermehrte fie aber vielfach, zumeift aus Nach- richten, die er der Stader Chronif entnahm und von welchen wol ein Theil urfprünglid) am Nande Pla fand; einige hiſtoriſche Ver— ftöße liefen hier mit unter ; anderes wurde verändert; verdrängt durch diefe neuen Nachrichten wurde ein Theil der alten, jo bejonders die oberſächſiſchen Süße. Bei der dritten Ausgabe genügte dem Ver— faffer die jo gejchaffene Grundlage überhaupt nicht mehr, er wollte in umfaffender Weife den vorhandenen Stoff für fein Werk ver- werthen. Daher ausgiebige Benutzung des Joſephus, der Historia ecclesiastica, der Acta Silvestri, des Paulus u. f. w., bejonders aber Neubearbeitung der Partie von Heinrich V. bis 1177 in engem Anſchluß an P. Einiges, das die früheren Necenfionen boten, wurde

1 Beides fehlt in C. und ift auf Feine beftimmte Quelle zurüdzuführen, Vgl. aber St. 1141. 1144,

2 Bol. Forſchungen XIII, 176.

:s ©, 471.

i * Mol nad) E. 236,19 und entfprechend C,: He vor do to Ludeke wider.

475

fo von den Schwall des Neuen weggefhweuunt; einige Kleinigkeiten, welche B. überjehen und weggelafjen Hatte, wieder zu Ehren gebracht. Die Vermehrungen von B. blieben zum größten Theil erhalten; die oberfächfiichen Zuſätze verloren. Zweifelhaft muß es noch bleiben, ob in diefer dritten Ausgabe der Verfaſſer jelbjt neue Quellen: die Lüneburger Michaelischronif, die Kaiſerchronik und eine andere fabel= hafte Quelle heranzog, oder ob hier die Hand eines fpäteren Inter— polators waltete.

Eine Betrachtung der Texte der einzelnen Handjchriften der Re— cenfion C. jcheint in letter Beziehung weiter zu führen, jchafft aber nur neue Schwierigkeiten, die ſchwer zu löfen fein dürften. Dieſe Necenfion fcheidet fich zunächit in zwei Gruppen: 18. 19. 21—23. auf der einen, 24. auf der anderen Seite. Die Zufanmengehörig- feit der erjten Gruppe zeigt ſich: erſtens darin, daß ihre fünf Vertreter eine gemeinfame Yortjegung bis zu Rudolf von Habsburg geben!; zweitens haben fie in der Partie von 1125 bis 1177 vielfach we— niger als 24. In diefer Partie, wo C. durchweg nicht viel anders iſt al8 eine Ueberjegung von P. lajjen die fünf Handfchriften überein- ftimmend ganze felbftändige Sätze oder Nebenjäge weg, ohne dag dem Sinne Eintrag gejhähe, aber auch ohne jegliches Syſtem?. Es fei fürs erjte dahingejtellt, ob hier Kürzung des urjprünglichen Textes oder für 24 Vermehrung durch den Verfaſſer jelbjt vorliegt. Jeden— fall8 werden wir auf gemeinfame Vorlage für die fünf Handjchriften geführt.

Berwidelter jedoch wird die Sachlage dadurd), daß in vielen anderen Beziehungen ſich die Handichriften von C. in diefe Gruppen fondern: 18. 19 (c*.) und 21—24 (e.). Die beiden Handjchriften 18.19. find in vieler Beziehung fo merkwürdig, bieten aber auch der Kritik jo viele Schwierigkeiten dar, daß wir fie im Zufammenhange mit den feither gewonnenen Hejultaten eingehender betrachten müſſen, zumal ihnen feither überhaupt noch Feine Wirdigung zu Theil ge= worden ijt. Sie find aus einer und derſelben, ſchon mitteldeutfchen Vorlage gefloffen und ftimmen bis auf Kleinigkeiten durchaus mit einander überein. Vielfach Hat die Vorlage den niederdeutjchen Text Ihon misverjtanden oder in Unverjtändliches manchmal durch recht fühne Veränderung Sinn Hineinzubringen verjucht: Verhältniffe die uns hier weiter nicht interejjiren. Dann ijt der Text vielfach durch Sätze aus der Chronif Martins von Troppau?, doc) nicht maſſen—

2 Heransgegeben nad; 23 von Waik in den Forſchungen IV, 599.

2Bemerkt jei übrigens, daß die erfte diefer Auslafjungen zu 1125 noch in einen Abfchnitt fällt, für den E. und P. gleihmäßig als Duelle gelten fünnen; jowie daß zwei derfelben Säte betreffen, die nicht P., fondern wahr: fheinfih St. zur Quelle „haben. Zu 1145 fehlt der Rachezug Hartivigs von Stade nad) Ditmarſchen, den 24. in Uebereinftimmung mit B. gibt; zu 1168 ber Sat: darna wart bischop Sivrid, de was broder des hertogen Bernardes, welden Sat B. übereinſtimmend mit 24. gibt. 8 Recenfion C.

32*

476

haft, interpolirt, Zufäte, die leicht auszufcheiden find, einige Male allerdings auch originale Sätzchen verjchludt Haben !.

c*. repräfentirt, troß aller Uebereinftimmung mit e, eine eigene Recenſion. An vielen Stellen ift in c*. Effehard in Kleinigkeiten ausgiebiger benutzt als dies c., BA. thun. Ich hebe nur einiges heraus. Auguftus heißt in c*.: von deme vatere Octavio unde sin mutterlich gesleehte Abenen E. 91, 43: Hie Octavio patre senatore genitus maternum genus ab Aenea sorti- tus est. Nerva erhält den Beinamen Coctenis für Coccejus E.; ebenfo Severus: der hiez ouch Lucius Animus; Yeo Bessica ; Balencian ift von einer stad Cybala = E. de Cibala civitate; Opilius regiert mit sime sone Dyademecio; die Braut des Con— ftantin Leonis ift Tochter Karls d. Gr. unde Hildegardis der koninginnen ; vn III. zweite Gemahlin Agnes heißt richtig nach) E.: herzogen Wilhelmes tochter u. a. m. Cinige Male ijt das Latein der Vorlage noch nicht abgejtreift: der Mörder des Helius Pertinar, Yulianus Salvius erhält nad) E. das Epitheton juris pe- ritus; Yeo Beſſica ernennt zum Kaifer sinen neven (richtiger Enfel) Leonem, ex Ariagie (Ariagne E.) filia, Zenonis filium.

Neben folhen baaren Zufägen aus E. findet jich auch einige Male jelbjtändige Verarbeitung diefer Duelle. Unter Nerva fteht - ftatt des gemeinen Textes: He kos to deme rike Trajanum enen edelen man. Darna starf he mit groten eren ebenfall® E. entnommen: In den geziten schreip Johannes de ewangelia. Unter Nero, nad) deſſen Regierungszeit, fchiebt c*. Folgendes ein:

a) Aus E.: Der Nero was Agrippinam bruder (filius E.), wenne Claudius sin wip totte, genant Messalinam, unde nam Agrippinam, unde iren son Domiecii nam her zu eime sone. Nero als her keiser wart, wart her also bose, daz von siner bosheit schande zu sagen ist. (Wegen des letzten Satzes läßt dann c*.-im fpäteren gemeinen Texte weg: Sine bosheit de was also grot, dat si umminschlie to seggende is).

b) Wenne her lies sich von den erzten swanger machen. Symon magus in siner geinwertikeit vorging.

ce) Aus E.: Unde lies Rome an vier enden an enpornen. Petrum ceruzigete her, Paulum lies her enthoupten. (Wegen fetsteren Satzes wird ſpäter ein ähnlicher des gemeinen Textes weg- gelajjen).

ı Daß diefe Interpolationen fchon fehr früh erfolgt find, zeigt die Erzähs fung von den Kurfürften unter Otto III. 18. 19 geben hier genau nad) Martin: Alz nu disse dri Otten von gesipe halbin nach enander keisere wor- den, da wart furbas gemacht unde gesazt, daz man den kiesen solde, unde nemlichin die in kiesen solden, alz der bischof von Menze, der bischof von. Trire, der bischof von Colne, der margrave von Branden- burg, der phalzgrave von Rin, der herzoge von Sachsin unde der konig von Behemen; fügen dem aber zu: Der ist von rechtem alder zu der kore nicht, sunder her ist nuwelich darzu geschigket. Dies ſcheint bald nad) der Wahl König Adoljs gejchrieben zu fein,

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d) Bi den geziten schreip Lucas daz ewangelium.

x Aus E.: Jacobus der kleine wart von den Joden ge- steint. Zu den geziten lebeten Lucanus unde Josephus die meistere.

Es tritt aljo hier erftens eine felbftändige Behandlung von E. zu Tage, zweitens find damit eigene Notizen verbunden, vor denen die sub d fih in St. ad a. 70 findet: Lucas evangelium seripsit!. Betreffs der beiden sub b mag einjtweilen darauf hinge— * werden, daß die Kaiſerchronik dieſe Geſchichten ausführlich erzählt.

Auch P. findet ſich dreimal ausgiebiger benutzt. Unter Lothar J. hat der gemeine Text: Bi des koning Lodewikes tiden regendet dre dage und vier nacht blut van dem hemele in ener stat to Langbarden; c*. gibt hier: zu Brixin der st. t. L. Unter Dtto I. fügt c*. nad) der Regierungszeit aus P. zu: In sime an- ‚deren jare buwete her Meideburg; ferner zu 968: Ez was ouch des selbigen jares eclipsis solis.

Slaubten wir oben ſchon eine Spur felbjtändiger Benutzung von St. zu erfennen, jo fcheint in einem anderen Falle diefe Quelle jehr umfaſſend verwerthet zu fein. Statt eines langen Abjchnittes nämlich des gemeinen Textes?, welcher das Ende der Yüdifchen Kö— nige Joachim und Sedechias, die Geſchichte Nabuchodonofors, Bal— thafars, Cyrus, Aleranders des Großer und der Sachſen Ankunft enthält, gibt c*. nad) Erwähnung des Sedechias nur die Namen und Negierungszeiten aller babylonifchen und perfiichen Herricher ſowie der Ptolemäer bis auf Cleopatra. Da nun St. nad) Erzählung des Unterganges des Reiches Juda? die Gefchichtsdarftellung au die Neihe der babyloniichen, perfiichen, ägyptiſchen Könige knüpfen“, jo glaube ic) troß einzelner Abweichungen in den Zahlen, die fich leicht durch die Nachläffigkeit der Abfchreiber erklären laſſen, daß St. Hier von c*, zur Grundlage genommen wurden.

Dies wird genügen in c*. eine felbjtändige Necenfion zu er— fennen. Das Verhältnis von c*. zu ce. ftellt fi mın fo. c*. hat zunächit alle Erweiterungen von e., welche aus der Raiferchronif und den anderen legendenartigen Quellen genommen find. Nur einmal, bei dem geſchmackloſen Einfchiebfel der Gejchichte de8 Tarquinius und des Gollatinus zwiichen Nero und Galba, gibt c*. nur den Eingang derjelben und verweift dann zurück: Alz man daz vindet geschre- bin vor den dietatores unde den senatores geziten. Ferner ijt unter Numa Pompilius der Abjchnitt von den Wochengöttern, den c.

Dieſe Notiz ift, wie vieles andere in St., ber Imago des Honorius von Autun entnommen.

: Mm. 49—70: Josias de hadde dre sone unde buweden oc borge in deme lande to Sassen.

s SS. XVI, 287.

* St. entnehmen dies theils Beda, theils der Historia scholastica, theils läßt fi die Quelle nicht nachweisen.

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vielfach mit Beibehaltung der Reime der Kaiferchronif entnahın, ir Proſa umgeſetzt und gekürzt; jtatt der in c. folgenden Gefchichte vor den klingenden Bildjäulen auf dem Capitol ? findet ſich hier der Sag: Wer dissis dinges mer habin wolle, der lege vor sich Gesta Romanorum unde lese dy, do vindet her nach mancherley ynne. Mir ift nicht zweifelhaft, daß dieſe beiden Divergenzen auf einen fremden Weberarbeiter zurüdzuführen find, daß die mittelbare Borlage von c*. in beiden Fällen mit ec. übereingeftimmt hat?.

Auch die Liineburger Zufäte kennt c*. Bemerkenswerth ift je= doch hier, daß c*. die beiden erjten diefer Zufäte noch wegläßt und hier durchaus mit dem Texte von AB. übereinftimmt; die Verände- rung, welche wegen Einjchiebung des erjten c. am gemeinen Texte vornahm, hat c*. nicht?. Auch den folgenden Zufag über die Grün— dung des Erzbistums Magdeburg und über das Herzogthum Sachfen läßt c*. aus und gibt conjequenter Weife dann zu Ende Ottos I. mit AB. die Nachricht: He stichte och dat biscopdom to Mege-- deboreh van sime unde van des rikes gude, weldhe e. um die Wiederholung zu vermeiden; hier wegläßt, c*. bildet alſo hier den Uebergaug von AB. zu e.; die Annahme bloßer zufälliger Aus— fälle oder willfürlicher Kürzung in der Vorlage von c*.* reicht zur Erklärung nicht aus.

Willfürlihe Kürzung möchte man geneigt fein anzunehmen beim Tehlen einiger Bremer Zufäte: die Erzbiſchöfe Nimbert, Adalger, Hoier, Unni, Mabrand und Friedrich find fo in c*. nicht aufgeführt. Vorher und nachher und zwiſchendurch ericheinen die anderen Bremer Zufäte. Doch kann hier auc noch ein anderes Verhältnis gedacht werden. Wie wenn diefe Zufäge im Originale der Recenſion c*. am ande ftanden ? Leicht konnte e8 jo kommen, daß in der Abjchrift einige derfelben verloren gingen.

Ein Zufammengehen von c*. mit AB. gegen e. findet auch häufig statt in gleichen Zufäten und Auslaffungen, welche ich ihrer geringen Bedeutung wegen nicht einzeln aufführen mag. Doc lohnt es dar—

1 Welche auf eine andere Duelle zurücgeht.

2 Das Citat der Gesta Roman. paft aud nicht recht; die Tateinifchen kennen weder die Gedichte der Götter noch die der Bildfäulen mit den Schellen ; letztere werden Furz erwähnt in Cap. 21 der deutichen Gesta, aber abweichend

in ABe. beigeichriebenen Conftitutionen, welche c*. bis zu Damaſus mwegläßt. Denn daf diefe in der mittelbaren Vorlage geftanden, ergibt fid) unter Dionyfus, wo ABe. geben: An den. tiden vorscheid Dyonisius de 22. paves, de besched to Rome den presteren parrochias; c*. hat dies fo verballhornt: An paves unde der prister prochias. Willfürliche Kürzung ift es auch wohl, wenn in c*.-da8 Ende der Königsregierung Karls d. Gr. fehlt, M. 250— 252: In deme silven lande vant de koning Karle groten scat Nu kome we weder to der ceroneken.

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auf aufmerffam zu machen, daß im dem beiden oben! aufgeführten Stellen unter Aoth und Caligula c*. die Zufäge von AB. gibt; ferner daß c*., gleihwie AB., unter den von Karl d. Gr. geftifteten Bisthüimern auch Bremen aufzählt. Andere Stellen zeigen jicherer einen Uebergang, eine Verquickung von AB. und ec. Unter Tiberius ? folgt c*. durchaus c., hat aber die Nachricht von AB., daß der Kaifer in Campanien gejtorben fei, zurücbehalten. Unter Galba gibt c*. die Erweiterung von c. aus der Raiferchronif, hat aber auch die Cha- rakteriftif Galba8 (= AB.) bewahrt, läßt jedoch danad) einiges weg, da8 ABc. aus E. gemeinfam haben.

Am wichtigſten ift, daß c*. auch in der Partie von 1106— 1177, wo AB. fo fehr von ec. abweichen, vielfach) Berührungen mit jenen Recenfionen zeigt. Beim Kampfe Heinrichs IV. mit Heinrich V. geben ABC. gemeinfchaftlih: It was oc en bose bilede den kin- den wider de vadere, dann gehen fie auseinander : |

AB. C. (jedenfalls nad) P.)

Do wart grot orloge twischen | Do de vader disse mere vornam, deme vadere unde deme sone, men |he wolde den sone hinderen unde vorbrande dat lantin allenthalben | nemachte iedoch des nicht don. undetovorde klostere und kerken.|Do wart verbrant dat lant in al-

lenthalven unde tovort klostere unde kirken.

c*. nun ſchiebt vor die Faffung von c., der es font durchaus folgt, noch den mit AB. übereinftimmenden Sat: Wenne da wart gros orleige zwischen dem vater und dem sone.

Den Tod des Grafen Dietrich III. von Katlenburg im Yahre 1106 erwähnen AB. nad) dem Tode des Kaiſers: Darna starf de greve Diderich van Catelenborch in deme here vor Colne. e. nun erwähnt denjelben zweimal: zuerft im Zufammenhange der aus E.? entnommenen Erzählung: Dar (vor Köln) starf greve Diderik van Katelenburch, de des koninges truweste vrunt was. Dann nad Zwifchenfchiebung verichiedener Nachrichten, nach dem Tode des Raifers: Na sineme dode des viften dages starf greve Diderik. Diefe Nachricht iſt P. entnommen, in deren Quellen, den Hildesheimer (und Paderborner *) Annalen, fie fi) aljo findet: Quinto abhine die comes Theoderieus de Embike Aquisgrani moritur. Die Identität des Grafen von Einbeck mit dem Katlen— burger muß dem DVerfaffer bei Abfaffung der Necenfion e. alfo aus dem Gedächtnis gefchwunden fein, trogdem er bei Abfaſſung von AB. den Beinamen zugefügt hatte, denn E. hat denfelben nicht®.

ı ©, 464.

2 ©. oben ©. 466,

8 ©, 236.

4 Bei Eheffer-Boihorft S. 115. Zu beachten ift im diefer Beziehung, daß AB. unter Lothar IIT. die Katlenburger als Stifter von Einbed erwähnen, welche Stelle C. fehlt. Ob die Notiz vom Tode Dietrichs in AB. aus E. oder P. ift, dariiber läßt ſich zweifeln:

a

480

c*, nun fett bei der zweiten Erwähnung die Worte von AB. von Catelenborg in dem here vor Colne zu ein Verhältnis, welches, wenn wir die zeitliche Reihenfolge AB. c*. e, fejthalten wollen, doch wohl nur jo zu erklären fein dürfte, daß der Verfafjer bei Abfaſſung von c*. nocd mehr feine eigene frühere Ausgabe zu Rathe zog, bei der Abfaffung von ec. dagegen mit Beifeitefegung derfelben die Quellen jelbft allein vornahın und fo über die Identität der beiden Grafen getäufcht wurde.

Die Vertreibung des Gegenpapftes Burdinus durch die Römer im Jahre 1119 leitet ec. ganz dem Wortlaute von P. entiprechend ein: Do de keiser dannen vor!, de Romere u. f. w. AB. weniger wörtlih: De keiser vor do van Rome, de Romere u. ſ. w. c*. hat beides: Der keiser fur da von Rome; da der keiser dannen fur, die Romer ı. f. w.

Den Zug Herzog Lothars und Hermanns von Winzenburg gegen Münfter im Jahre 1121 erzählen ec. und AB. übereinstimmend (letstere etwas verkürzt) nach P. Vorher erwähnen AB. aber auch ſchon diefe beiden dem Kaifer feindlichen Fürften im Zufammenhange der Erzählung des Jahres 1119: De biscop (Adelbert von Mainz) orlogede weder den keiser; de hertoge Luder unde de greve Herman van Wincenborch de waren oc sere weder den keiser. Die Nachricht, welche ich auf feine Quelle zurüdführen kann, fieht, wenigitens was Yothar und Hermann anlangt, aus, wie ein aus Verſehen verirrter, doppelt gejetter Paljus. Auffallend, dag c*. feinen Bericht über Münſter damit beginnt: Hertoge L. unde greve H. v. W. de waren ouch sere widder den kei- ser unde voren mit eme starken here to Munstere, dat se wider satten bischop Thiderike u. ſ. w. wie c., welches das geiperrt Gedructe, das aud in P. feine Begründung findet, wegläßt.

ec. erzählt die Vorgänge auf dem Hoftage zu Bamberg 1124 ansführlih und genau nach) EP., befonders aud den Abjchied des nach Pommern aufbrechenden Biichofs Otto. AB. geben hier viel fürzer, ohne wörtlichen Anflang an EP., nur: De keiser makede do enen hof to Bavenberge, dar nam de biscop Otte orlof van deme keisere unde vor do predegenin dat lant to Pomeren, dat bekarde he to Gode. Die geiperrten Worte num fügt c*. im den Bericht von e. ein (nad) den Worten baden ime gudes gevelles). Den Gedanken dat bekarde he to Gode finden wir in EP. hier überhaupt nicht, wol aber in St. 1118 (aus Helmold I, 40): gentem illam convertit ad Do- minum.

Zu 1131 führen AB. das Concil zu Lüttich ein mit den Worten: De paves quam do toDudescheme lande unde makede

für P. wiirde fprechen, daß fie nad) dem Tode des Kaifers ericheint, für E. der Beifat in dem here vor Colne. ! Discedente igitur cesare.

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en coneilium; O. mit Ausnahme von c*. gibt die gefperrten Worte nicht, welche auch in P. feine Begründung haben.

Zu 1148 gibt c*. den volljtändigiten Tert, der, c. und AB. combinirend, mit P., wenn auch nicht wörtlich, übereinſtimmt.

AB. ce. c*.: Do de koning Conrad genas (diefer Satz fehlt P.), he vor to deme heiligen grave (to Jerusalem ce.);

AB. c*.: he moste oc deme keisere loven, dat he weder (fehlt c*.) queme to Constantinople unde hulpe eme orlogen uppe den koning van Pulle.. Do quam de koning Conrat to Jerusalem !,

AB. c. c*.: unde besat? (de stat to AB.) Damasch.

c. c*.: Dar vertech sin de patriarcha unde de koning van Jerusalem mit untruwen, unde he ne gewan de stat nicht.

AB. e. c*.: He vor? wider to Constantinople, alse he gelovet hadde, unde swor (aver AB. c*.), dat he deme keisere helpen wolde wider den koning van Pulle (Roeziere c. c*.).

AB. c.: Mit der rede quam he wider to Dudischeme lande.

Statt de8 letzten Sätschens hat c*. die wohl auf freier Phantafie eines Abjchreibers beruhende Nachricht: daz her ouch selbir mete hervarten solde. Daz geschach. Sie zogen gein Pullen, unde also quam koning Conrad widder zu lande.

Bergleichen wir hiermit P.: Rex Conradus subplere deside- rans itineris sui detrimenta, raro milite convocato Jerusalem adiit, sepulerumque Christi debito honore veneratus, collecto undecunque populo Damascum obpugnaturus expeciit, qua robur gentilium exerevisse didicerat. Ubi cum res [ita esset], ut seeundum spem obsidentium posset obtineri castrum, pa- triarcha et rex Jerusalem, placati clam castellanis, acsi de- monstraturi commodiorem urbis aditum, ab inchoato devotius opere jamque prospere consummando manum pugnatorum cal- lide retraxerunt. Sie bona tantum regis voluntate manente, quam solus pensat Deus verus, de reliquo cassum laborem habuit in omnibus. Quoniam autem obligaverat se Juramento reversurum Constantinopolim, regreditur et cum rectore civitatis adversus Rozierum consilia molitur. Grecus vero non ante dimisit regem Romaunorum, quam iterato firmaret juramento, cum oportuerit contra pre- fatum ducem sibi auxilio futurum.

Es ergibt jich, daß e. im ganzen der Vorlage am treuejten ges folgt if. AB. und c*. ordnen den in P. beiläufig erwähnten erften

! Donuk.C. gein J. quam, her. c*. 2 Her gewan c*. irrig. ° Do vor he AB.

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Schwur des Königs felbftändig chronologifch ein und geben ihm als weiteren Inhalt den Gegenstand des zweiten Schwures!.

Auch dem eigenen Zuſatz von AB. von der Verzichtleiftung Al— brechts des Bären auf Sadjjen? finden wir in diefer Partie in dem= jelben —— in c*. wieder.

Nod mehr: c*. ftimmt in einer Reihe von Fällen mit A. gegen Be. überein. Zunächſt in Auslaffungen, auf die ic) fein allzu großes Gewicht legen mag, von denen ich aber doc einige der bedeutenderen namhaft machen will. Unter Domitian heißt e8 im gemeinen Terte: Sente Dyonisius wart do mit sinen gesellen gemarteret bi Paris, wozu Be. noch fügen: unde droch do sin hovet twe Walsche mile, dat nu het to Sente Dynise, welcher Sat in Ac*. fehlt.

Wichtiger it, daß c*. gleich) A. den Herzog von Sachſen nicht auf dem Yechfelde erfcheinen läßt ?,

Weiter zeigt fich Uebereinſtimmung von c*. und A. in gemein Ihaftlichen Zufägen. Unter Claudius II. fügen beide Necenfionen aus E. den Sat zu: He let och slan Aureolum, de Galienum erslagen hadde, c*. etwas früher als A. Unter Anaftafius wiſſen beide, daß der Langobardenfönig Liutprand den Leichnam des hl. Auguftin von Sardinien nad) Pavia übergeführt habe, welche Ortsbeitimmung Be. fehlt. Sie ftammt wie der ganze Sat aus E. Zu 1225 geben nur A. und c*, den Namen des ermordeten Erzbi- ihofs von Köln an.

Am wichtigjten erfcheint, daß c*. einen Theil der oberfächfiichen Zufäße von A. gibt. Bei einigen derjelben zeigt ſich aber eine von A. verfchiedene Stellung, bei anderen eine Verquickung mit der Faſ— fung von Be. An derfelben Stelle wie A. hat c*. den Zuſatz vom Brande Magdeburgs 1207; die Urfache de8 Todes Ottos IV. (van der rore); die Vertreibung der Aebtiffin Sophia von Quedlinburg 1223.

Eine Vermiſchung mit dem Texte von Be. resp. Umſtellung der Zuſätze von A. findet in c*. ii an folgenden Stellen. Schlacht bei Remkersleben 1213:

Be. A.

De bischop quam weder enemit| De bischop quam eme tojegen den sinen bi Remkersleve unde mit den sinen, unde stridden bi ward vluchtig, unde de keiser vieng | Remkersleve. De keiser behelt des bischopes lude vele. den sege unde vieng der riddere

vele.

Do vieng her Vrederich van Kare En bischop unde vorde en up to Gronen- berch; dar wart he eme ge- weldeelichen afgewunnen.

2 Mol aus flüchtiger Betrachtung der Worte: et cum rectore ceivitatis adversus Rozierum consilia molitur, al® ob dageftauden: moliturum.

2 ©, oben ©, 473,

® Bol. oben ©. 472.

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c*,. hat folgende Faffung: De bischop quam weder ene mit den sinen biR. unde ward vluchtig, unde de keiser behelt den strit unde vieng des bischopes lude vele. Darnach vieng u. f. w. wie A.

Unter Otto IV. zu 1215 gibt A. ftatt einer Reihe der Stader Chronik entnommener Nachrichten in BC.: Do wart och grot wa- tervlot in deme Nortlande, dat land unde der lude erdrunken wol 36000. Darna wan der hertoge unde der greve sin bro- der Swedekumme de burch. Do wart och Lopene vorraden deme marcegreven van Misne. BC. nun gedenfen der Waſſer— flut fpäter ! nad) einem St. entnommenen Sate alfjo: Do wart oc du grote watervlot, de lude unde lant irdrenete wol 360002, c*. ſchiebt dann hier nach watervlot, gleich A., in deme Nortlande ein und gibt danach noch die anderen Nachrichten von A.: Darnach gewan der herzoge Sindekume unde wart Luppe vorraten deme margraven von Missen.

Zu 1220 erzählen BC. zuerft den Tod des Markgrafen Albrecht von Brandenburg (Februar 24), darauf den Hoftag zu Frankfurt, auf dem des Kaifers Sohn Heinrich zum König gewählt ſei (April 23).

A. jtellt den Hoftag, im Wortlaute ganz mit BC. übereinftim= mend, voran und führt dann rückgreifend fort: Darvor was de maregreve Albrecht van Brandenburch dot, und fügt felbjtändig hinzu: unde och de abbet Gernant van Nienburch geblant®. Do wart och Anehalt verloren unde tohant weder gewunnen. c*. num hat die Reihenfolge und den Wortlaut von Be., jchiebt aber die Blendung des Abtes und die Eroberung Anhalts (im Wortlaute gleih A.) nad) dem Tode de8 Markgrafen ein.

Zwifchen die Nachrichten des Jahres 1225 jchieben BC. ein: In dem anderen jare darma (aljo 1226) ward grot hunger. A. läßt diefem Sate vorhergehen: In deme selven jare wart grot sterfde van ve over alle lant, van rinderen unde van schafen, und folgen eine jelbjtändige Nachricht von einem Nathe des Grafen Sifrid von Blankenburg zur Linderung der Hungersnoth*. c*. hat den Wortlaut von c., fügt aber chronologisch unrichtig, wenn wir die Chronologie in A. als richtig annehmen, Hinzu: unde vihe- sterbin°.

ı Chronologisch richtiger nad) den Ereigniffen des Jahres 1218, denn die Fluth fand ftatt 1219 Jan, 16 nad! Emo von Werum, SS. XXIII, 488.

2 Die Nachricht geht alfo hier vielleicht auch auf St. zurück.

s Dies geichah ſchon 1219. Vgl. Chron. Mont. Sereni.

+ Einen ähnlichen Rath legt die Magdeburger Schöppencdhronit 143 bei diefer Gelegenheit dem Grafen Hoier von Falkenftein in den Mund, Beides ftand wol in den Gestis Alberti.

5 Bon den jog. oberſächſiſchen Zuſätzen von A. fehlen alfo in c*, nur zwei: ımter Otto IV. up dat leste sin selves broder de hertoge Heinrik; unde de hertoge Albrecht eme gestunt alene, des hertogen Bernardes sone, wante an sin ende, und der über die Hochzeit Albrechts von Sachſen unter Friedrih II. Dazu fommt der oben zuletst erörterte,

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Einige andere Stellen zeigen ein Ähnliches Verhältnis zwifchen A. und c*. Unter Heinvich III. fchliegt der gemeine Text die aus P. entnommene Erzählung von dem Zimmermannsjohne Hildebrand mit den Worten: He. ward monic, he vor mit sineme abbede to Rome und ward to hove lef, und ward to jungest paves lange darna. Die beiden letsten Worte, welche in P. feine Be— gründung finden, läßt A. weg, jchließt dann aber hier einen Sag an; Dit is de sevede Gregorius, de allererst weder des keiseres willen paves wart, he dede och den keiser Heinrik to banne. c*. läßt ebenfalls die Worte lange darna oben aus und fügt zu: Dis ist der sibbinde Gregorius, der allererst wedder des kei- sers willen babist wart darnach lang. Unter Heinrid) IV. num geben Be. zu 1074 ähnliches: Dit is de sevede Gregorius de paves, de dede oc den koning Heinrike to banne, im Zus fammenhange der aus P. entnommenen Darjtelung und hier auf diefe zurücgehend. A. läßt hier den Sat weg; c*. aber hat ihn hier gleichfalls.

Zu 1191, Gefchichte des dritten Kreuzzuges, geben

BC.: A. ftellt um:

Des keiseres begrof men en del Wat ir genas de voren to An- to Anthioc, dat ander del vorde |thioc und darna to Akers. Des men to Surs und begrof it dar mit | keisers eren. De hertoge Vrederic

roten eren. De hertoge Vrederic | des keisers sone starf vor Akers.

es keiseres sone und de pele- grime, swat ere genas, de voren to Anthioce und darna to Akers. Dar starf de hertoge Vrederic vor Akers.

c*., das die Stellung von Be. beibehält, fchiebt vor deren Faſſung aber noch den Sat ein: Was ir genas die furen gein Anthioch, hat alfo denfelben zweimal.

In der oben S. 472 angeführten Stelle über die Schlacht bei Mölln, vor welcher c*. die Zufäge von Be. bewahrt hat, leitet es mit Kombination der Worte von A. und Be. über: Na des ko- ng vangnisse over anderthalf jar (= A.) tohant darna = Be.).

Beſonders dieſe drei letzten Stellen und auch einige der früheren, welche Vermifchung von c*. mit A. oder mit AB. zeigen, find der— artig, daß man zunächſt wohl an eine ungejchiette Verbindung, Zu— fammenfchweißung zweier verjchiedener Necenfionen durch einen Frem— den denfen könnte. Doc) halte ich dies nicht für wahrſcheinlich. c*. zeigt ſich, abgejehen davon, daß es unzweifelhaft in den zu allererft betrachteten, von ec. abweichenden Stellen auf eine felbjtändige Aus— gabe des Berfaffers hinweist, im großen und ganzen an Umfang mit e. conform. Wie follte es jemand in den Sinn gefommen fein, diefes ausführliche Werk, dem gegenüber A. und auch B. auf den erjten Blick nur als ein Auszug erfcheinen, mit den mühſam aus diejen

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Recenfionen herausgefuchten Sätzchen zu ergänzen, welde c*. zufällig nicht enthielt. Ich denfe, die durch Berührung mit zwei Recenfionen (ec. und A. oder c. und AB.) auftretenden Wiederholungen in c*. find vielmehr fo zu erklären, daß c*. urſprünglich vom Berfaffer über eine A. ähnliche Faſſung übergearbeitet worden iſt; ein Exemplar diefer diente al8 Grundlage, Radirungen wurden maſſenhaft vorge= nommen, der Rand ganz vollgefchrieben, ganze Quaternionen wurden eingefchoben, um die Maſſe der Veberjegungen aus P. u. ſ. w. aufs zunehinen , dabei wurde manches der alten Recenſion überfehen, ges rieth bei der Reinſchrift an falſche Stelle.

Eine Verwandtichaft in Einzelheiten zeigt c*. mit dem Texte der Handſchrift 10., welche innerhalb der Recenfion A. eine etwas diftinguirte Stellung einnimmt, Hier finden wir nämlich gerade einige der charakteriftiichen Zufäge von c*. wieder. So bie oben aufgeführten von der Erbauung Magdeburgs und der Somnenfin= jternis (aus P.). Die Eroberung des heiligen Yandes durch Sa— ladin beftimmt der gemeine Text zeitlich aljo: Twe jare na der hochtit (zu Mainz 1184) Saladin gewan u. ſ. w. c*. und 10 geben Hier iübereinftimmend, noch irriger: In deme jare na der hochzit zu Menze der soldan gewan?. 3u 1225, Ermordung Engelberts von Cöln, fügen von allen Handſchriften allein c*. und 10, dein Texte: wante he sin man und sin mach was, den Sat bei: unde hatte mit im des tages gessin®. Darumbe so wart her vortrebin unde alle sine husere* zubrochin. Aud in dem Theile von 1106—1177 zeigt fi) einmal Berührung von c* und 10. Am Ende der Negierung Konrads III. fügen beide zu: Nach ime wart gekoren der herzoge Frederich von Swabin; 10. hat aber hier noch mehr als c*.: sines brudir son. Bi des ziten wart die dritte zweiunge schuschen deme stule zu Rome und deme riche. Die erste was bi deme keisere Heinriche deme ubelen, der vortreben wart von sime sone, der wedir sinen vater zu konige gekoren wart; die dritte zweiunge wart bi keiser Vrederiche, die werte sechzen jar. Den leiten Satz möchte ich in Anbetracht, daß ſpäter in allen Handjchriften die Dauer des Papſtſchismas unter Friedrich J. auf zwanzig Jahre angegeben wird, für Interpolation halten, zumal der Text von 10, fid) auch fonft vielfach Umgeftaltungen hat gefallen laſſen müfjen ?.

2. In Beſchaffenheit iſt z. B. die Originalhandſchrift des Martin von Troppau A.

2In dem jare darnach gewan oder ähnliches (ohne Menze und soldan) geben auch die Handſch. 1—6.

Unde mit im geßen hadde unlange desselbin tages 10.

* vestene 10.

Durd) die ganze Handſch. geht die Hand eines Eorrectors, vielleicht die- jelbe wie die des Schreibers. Sie tritt mafjenhaft befonders unter Friedrich I. auf und hat oft ganze Sätze itberichreibend geändert. Doch ift der Tert der Zeile immer der urſprüngliche. Daß fid) 10. vor allen anderen durch Hinzu-

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Trotz diefer Hebereinftimmungen von c*. und 10. wäre die Att- nahme nicht gerechtfertigt, daß erjteres über lettere sei gear= beitet fei. 10. fchließt fich im übrigen enge an den Text der anderen Handjchriften der Necenfion A. an; fie fennt nicht die umfajjendere Be— nugung Ekkehards, wie folche in c*, im Gegenſatz zu allen anderen Texten zu Tage tritt. Es bleibt eben, um fi) ein annehmbares Bild _ der Kompojition der verfchiedenen Kecenfionen zu machen, aus diefem Wirrſal nur der einzige Ausweg anzunehmen, daß der Verfaſſer jehr häufig Umgeſtaltungen feines Werkes bei neuen Ausgaben vornahm, ee einer dritten dag wieder wegließ, was er bei einer zweiten zu= gefügt .

Einen Uebergang von einer Necenfion zur anderen gibt auch der Text der Handihrift 14. zu erfennen. Aus Martin von Troppau und im erjten Theile mafjenhaft aus einer mit der Legenda aurea in Verwandtſchaft jtehenden Duelle interpolirt, deren Erzählungen mehrfach mit denen in O. Berührung zeigen, aber ausgejchieden werden müſſen, zeigt diefer Text, der fonjt die Bermehrungen von B. ebenfall® hat, in einzelnen Lesarten häufig Uebereinftimmung mit A. AS jelbjtändige Arbeit des Verfajjers zeigt fich 14. in feinem Schlußſatze über die Errichtung des Herzogthums Braunſchweig-Lüne— burg, der von BC. abweicht, zu welchen dann der Text von 15. und weiter der von Detmar überlieferte den Uebergang bildet?. Ferner bei der Aufzählung der Fürfien des erjten Kreuzzuges, wo jtatt des unbeſtimmten Ausdrudes aller übrigen Haudjchriften: unde en bi- schop van Walscheme lande, 14. allein: unde de biscop van Poye jett?, was jelbftändige Benutung der hier vorliegenden Duelle, des in der Handjchrift der Pöhlder Annalen enthaltenen Auszuges von Effehards Hierfolymita?, vorausjegt. Wir müſſen uns alfo jeden= fall8 den Verfaſſer bei der Entjtehung der einzelnen Texte thätiger denfen, als dies auf den erjten Anblick fcheinen mag.

Ungelöjt und in Bezug auf die Originalität oder Nichtorigina— fität der Einjchiebfel aus der Kaiferchronif in C. wichtig ift noch die Frage, die wir oben nur berührten, nad) dem Verhältnijfe des Gegen— fates der Gruppen 18. 19. 21—23. zu 24. und der Gruppen 18. 19. 31 21—24. Wie fhon erwähnt, unterfcheiden fi) 18. 19. 21— 23. von 24. dur gemeinfame Auslaffungen in dem Theile von 1125—1177, ferner durd) eine gemeinfchaftliche Fortfegung bis 1275. Am einfachjten löſte ſich die Zwitterftellung von 18. 19., wenn man

fügung von Jahreszahlen namentlih in dem fpäteren Theilen auszeichne, wie Waitz ©. 53 angibt, fann ich nicht finden,

ı Ein Analogon bietet die Chronik Richards von Cluny, über deren ver- ſchiedene Texte ic) im Archiv der Gejellichaft XII, 43 ff. gehandelt habe. (Ebenfo bie Ehronif Korners).

2 Bol. Forichungen XII, 185 Anm. 1 und Waik S. 29. Den Tert biefer Stelle in 14. f. im Archiv der Geſellſchaft VII, 650.

s Auch 15. hat hier nur: quidam episcopus de Gallia.

#* Episcopus Podiensis,

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diefe Forſetzung dem Verfaſſer felbjt vindicieren dürfte. Dagegen er- heben fich aber doch die gewichtigjten Bedenken. Ganz abgejehen da— von, daß nad) Ausweis anderer Beobachtungen der Verfaſſer dann über 40 Jahre mit feinem Werfe bejchäftigt gewejen fein müßte, ift an der Vollendung der verjchiedenen Necenfionen vor dem Tode Kaifer Friedrichs IL. fejtzuhalten. Die Handjchriften geben nämlich feine Re— gierungszeit in der verichiedenften Weile an. Eine bloße Lücke geben hier 15. 16.1; eine von fpäterer Hand mit der Zahl 32 ausgefüllte Lücke 17.; desgl. eine mit 37 ausgefüllte 1.; 24. gibt von fpäterer Hand 33, wie e8 fcheint auf einer Raſur; 23. corrigiert 33 in 32; ain jar und 36 jJargibt 2.5; 37: 3.; 33: 4—T. und 9.; 36: 10.; 30; 11. 12.; 34: 14.; 32: 18. 192, Es wird alfo fein anderer Ausweg übrig bleiben als eine durch einen Fremden vorgenommene Uebertragung diefer Fortſetzung von einer Recenſion im die andere anzunehmen. Mit der Annahme einer foldhen Uebertragung ift es nicht abgethan, da die Handjchriften 18. 19. 21—23. ebenfalls die Kleine Fortfegung der der fo verfchiedenen Clajje B. angehörigen Hand- fchrift 16. bi8 zum Jahre 1260 enthalten. Halten wir an der Ab- fajjung des Werfes vor 1250 feſt, jo ftellt augenſcheinlich der 16. 18. 19. 21—24, gemeinfchaftliche Text (alfo bis zum Ende von 24.) die äußerſte Grenze dejjen dar, was wir dem Verfaſſer ſelbſt zueignen dürfen. Den Schluß bilden Hier in richtiger chronologijcher Folge die Wahl Wilhelms von Holland (1247 Oct. 3), die Einnahme von Achen (1248 Oct. 18), eine beabfichtigte Heerfahrt der Fürften von Brandenburg, Sachſen, Braunfchweig nach Böhmen mit Angabe de8 Datums to sente Mertines missen (1248 Nov. I1)?, ein Donnerwetter am 25. December und zulegt Sturm und Meeresflut in der Nacht der unfchuldigen Kinder, Dee. 28%. Vor diefen Nach— richten nun findet ſich, die font genau eingehaltene chronologijche Ordnung unterbrehend, die Erzählung der Empörung Abels gegen feinen Bruder, den König Erich von Dänemark, und deren Sühne, ſowie die Unterftügung, welche die Lübecker dem Herzoge zu Theil werden ließen: reignifje, welche, 1247 beginnend, bi8 in das Jahr 1249 reihen?. Ich Habe diefelben ſchon früher mit St. in Parallele ge= ftellt: vermuthlich find fie einer der Zufäge, welche, wie wir mehr— fah fahen, der Verfaſſer aus St. feinem Werke fpäter beifügte, vielleicht am den Rand ſchrieb. Die Handjchrift 16. nun hängt in

ı 16. fett bis 1260 fort.

®? Gar nit in Betracht kommen bier 21. 22,, welche den ganzen Sat durd) einen aus Martin entnommenen evjett haben.

s Sonſt nirgends überliefert. Bol. Palady, Geſch. von Böhmen II, 1, 132,

* Die Flut erwähnen auch St. zu 1248, was nad) unſerer Zeitrech— nung 1247 fein würde. Doc fteht das Jahr 1248 umferer Zeitrechnung ficher durch Menfo, SS. XXI, 542. St. ift befonders im letzten Theile in den Sahrszahlen jehr verwirrt. Bol. 3. B. Lappenberg Anm. zu 1249 und 1251.

5 Bol. St. 1247. 1249 und Detmar 1249,

° Forfhungen XI, 173. Ergänzend bemerfe ich noch, daß aud) bie Seeräuberei der Lübeder St. 1247 erwähnt wird,

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engem fachlichen Zufammenhange dieſem Einfchiebfel noch glei ar die Ermordung Erich durch) Abel (1250 Aug. 9) und den Tod des letteren (1252 Juni 29). Berner ift fie am Schluffe noch nit folgenden furz gehaltenen Nachrichten vermehrt: Gerücht vom Tode Friedrichs II. (1251); Hochzeit Wilhelms von Holland (1252 San. 25); Kampf defjelben mit der Gräfin von Flandern (1253 Yuli 4); Tod Wilhelms (1256 Ian. 28); Enthauptung der Her— zogin von DBaiern (1256 Yan. 18); Tod des Erzbifchofs Rudolf von Magdeburg 1260 am Margarethentag (Yuli 13). Alle dieje Nachrichten, ſowohl die eingejchobenen als die angehängten, finden wir nun auch in 18. 19. 21—23. wieder. Was ihre Provenienz an— langt, jo Halte ich es nicht für unmöglich, daß auch fie einem Exem— plar der Chronik Alberts entftammen, mit welcher fie alle, mit Aus— nahme der letten, Verwandtſchaft zeigen!. Yeicht Fonnte man in Hamburg, wo die Handich. 16. in dem achtziger Fahren des Jahr— hunderts gefchrieben ift, dazu fommen, ihren Text noch mit einigen einer weitergehenden Recenſion Alberts entnommenen Notizen zu ver— mehren. Daß nämlich diefe in 16. urfprünglic), in 18. 19.21—23. übertragen find, fchließe ich daraus, daß fie, mit Ausnahme der ein- gefchobenen über Erich) und Abel, in diefen Handichriften an eine falfche Stelle gerathen find: fie folgen hier gleic) auf die Eroberung von Achen und trennen von diefer die drei letten mit 24. gemein famen Nachrichten des Jahres 1248? Derjenige, welcher übertrug, hatte jie alfo wohl an den Hand gefchrieben. Kaum enticheiden läßt ji) dann, ob dieje Forſetzung bis 1260 zuerſt auf 18. 19. und von diefer Kecenfion weiter auf 21—23. übertragen worden ift, oder um— gekehrt. Daſſelbe gilt von der weiteren Fortſetzung diefer fünf Handſchr. bis 1275, welche ich mir zumächit einem ſchon mit der Fortſetzung von 1260 vermehrten Eremplare beigejchrieben denfe, von welchem fie in die aus diefem direct abgeleiteten Handſch. derjelben Claſſe iüberging und auf die gemeinfame Vorlage der anderen über= tragen wurde. Zwei Differenzen zwifchen 18. 19. einer= und 21— 23. andererſeits tragen augenscheinlich zur Entjcheidung nichts aus, Zuerft nämlich jchieben 18.19. zwifchen den Tod Rudolfs von Mag— deburg und die Schlacht an der Marc) 1260 (welche ſchon der zweiten Fortſetzung angehört) einen Sat über den Tod des Herzogs

ı Bol. Forſchungen XIII, 143. St. haben ebenfo wie S. den Srrthum, daß König Wilhelm felbft den Sieg über die Gräfin von Flandern davonge- tragen; er erjchien vielmehr erſt fpäter, nachdem fein Bruder Florenz gefiegt hatte, j. Böhmer, Reg. ©. 26 und dazu Ann. Erford.

2 Diefer Annahme fcheint faft entgegenzuftehen eine Heine Vermehrung, welche 18. 19, 21—23. gegenüber 16. geben, Sie laffen den Erzbiſchof von Magdeburg alle gaies dodes fterben, welche Worte 16. fehlen. Doch ſcheint mir dies gegenüber dem Grunde für obige Anordnung von geringem Gewichte; leicht konnte der Weberarbeiter, der in der Vorlage fand, daß der Erzbiichof über Tiſch geftorben fei, dieſe überflüſſige Bemerkung Hinzufügen. Auch lönnen dieje beiden Worte zufälliger Ausfall in 16. fein, wenn wir noch ein Zwiſchenglied annehmen,

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Dtto von Braunfchweig (1252 Juni 9) cin, welcher in 21—23. fehlt. Man möchte denjelben nun bei der Mebertragung auf 21—23. ausgefallen halten; doc, könnte er auch in 18. 19. ein jelbjtändiger Zufaß, oder in der gemeinjfamen unmittelbaren Vorlage von 21—23. zufällig ausgefallen fein, während ihn das Original, aus weldem auf 18. 19. übertragen wurde, hatte. Mit der zweiten Differenz verhält e8 fid) umgefehrt. 18. 19. laſſen bei dem an unrichtiger Stelle ges ftellten Sate über die Heerfahrt der morddeutichen Fürjten nach Böhmen den Anfang weg?, ohne dem Sinne zu ſchaden. Möglicher- weije fiel dies bei der Uebertragung aus, kann aber auch zufällige Weglaffung in der unmittelbaren Vorlage von 18. 19. fein, welche ja auch ſonſt vielfach verwirrt geweſen ijt.

Abzuweiſen ijt noch die Annahme, daß außer der Lebertragung der Fortſetzung bis 1260 auch noch andere Uebertragungen von 16. aus ftattgefunden. Nimmt man nämlid für 18. 19. die Priorität diejer Uebertragung an, jo drängt fi) die Betrachtung auf, daß die oben bargelegten Vermifchungen diefer Necenfion mit B. vielleicht eben- falls aus Uebertragung entjtanden fein Fönnten. Doc abgejehen da- von, daß, wie jchon oben bemerkt, ein Interpolator ſchwerlich müh- fam die verhältnismäßig geringfügigen Abweichungen von B. Heraus gefucht und mit dem fo viel reicheren Texte von c*. verbunden hätte, würde eine folhe Annahme zur Erflärung des eigenthümlichen Textes von c*. durchaus nicht ausreichen; die Vermiſchungen deffelben mit A. wären immer noch ungelöft.

Ein anderes, das fi) hier aufdrängt, ift die Frage nach der Originalität der Zufäte aus der Kaiferchronik und der anderen fabel- haften Quelle. Da diejelben die beiden fo verjchiedenen Necenfionen c. und c*. gleihmäßig haben, fo ift e8 ficher zumächft Forderung der Logik, diefelben dem Verfaſſer zuzufchreiben. Bedenft man aber, daf eine Uebertragung zwifchen diefen beiden Recenſionen notorifch ftatt- fand, fo ift die Erwägung jedenfall® gerechtfertigt, ob nicht auch diefe Einfchiebjel mit übertragen fein könnten. Auf diefe Weiſe ließen fich diefelben auf eine Necenfion befchränfen, und es ftände dann nichts mehr im Wege, fie als fremde Zuthat auszufcheiden. Eines nur Steht einer folchen Annahme entgegen, und dies ſcheint wirklich aus— ichlaggebend zu Gunjten der Originalität jener Zufäge: die Verwandt- haft von 18. 19. und 21—23. gegenüber 24. erſtreckt fich weiter als auf die durch Uebertragung zu erflärende gemeinfchaftliche Fort: fegung. Jene fünf Handichriften laſſen, wie fchon oben erwähnt, gegenüber 24. vielfach Sätze aus, welche ficher original find. Da dies 18. 19. und 21—23. gleichermaßen thun, jo gehen diefe Aus- laſſungen fiher auf den DVerfaffer zurüd, und 21—23, repräfentiren aljo doch gegenüber 24. wieder eine eigene Recenſion defjelben. Die Logik diefer Folgerung wird fi durch nichts wegdifputiren laſſen.

ı [Darna to sente Mertines missen de marcgreve van Branden-

burg] de hertoge van Bruneswic unde de hertoge van Sassen voren mit groteme here to Behem wart. Das eingellammerte fehlt 18, 19,

XIV, 33

4%

Undenfbar nämlich fcheint folgender Ausweg. Angenommen, daß die gemeinfame Vorlage von 21—23., welche ſchon um die beiden Fort— jegungen vermehrt war, in jenen Säben willkürlich von einem Fremden gekürzt worden fer, jo Könnte vielleicht Yeınand auf die Vermuthung kommen, daß derjenige, welcher diefe beiden Fortfegungen und die Einſchiebſel aus der Kaiferchronif (welche letzteren 21—23. als In— terpolationen ſchon aus der ihnen mit 24. gemeinfamen Vorlage über- fommen hätten) auf 18. 19. übertrug, nun auch aus dem urſprüng— lich reicheren, 24. gleichitehenden Texte von 18. 19. die betreffenden Säte herausgeworfen hätte. Augenfcheinlich eine Vermuthung, über deren Abjurdität Fein Wort zu. verlieren ift.

Solange aljo nicht neue Hilfsmittel der Kritik eröffnet werden, müſſen wir übel oder wohl an der Urfprünglichfeit diefer fatalen, die geiftige und Literarische Fähigkeit des Verfaſſers fo ſehr herabjegenben Einſchiebſel feithalten. Für diefe Anficht läßt fi) dann auch noch manches geltend machen. Zunächſt die organiiche Verbindung , in welche einzelne diejer Zufäge mit den aus E. oder P. entnommenen Theilen gebracht ſind!. |

Es iſt dann nicht außer Acht zu laffen, daß aud) der gemeine Text einige Male Spuren der Bekanntſchaft mit ähnlichen Fabeln zeigt, wie fie in C. jo maſſenhaft auftreten, Freilich tritt hier theil= weile wieder das Verhältnis zu St. helfend ein, deijen weitere Re— cenfion vielleicht in noch umfangreicherer Weife dergleichen Fabeln aufgenommen Hatte. So fchien e8 mir jchon Früher gerechtfertigt, die in O. eingerücte Legende von der Auferwedung des Hl. Maternus durch den Stab Petri für original zu halten, da wir hier eine auf- fallende Uebereinſtimmung mit einen aud) von St. gegebenen Ge— danken fanden *, Auch den Stader Annalen, wie fie jetzt vorliegen, waren folche Hiftörchen nicht fremd. Die Sage von der Sachſen Herkunft Habe ich ebenfalls hierher ziehen müffen?. St. kennen ferner die auch in der Kaiferchronif verwerthete Sage* von Curtius (in Kaiſ. Jovinus genannt), indem fie dem aus E. entlehnten Hiftorijchen Berichte zufügen: Dieunt quidam, quod per hoc allectus fuerit, quod data ei licentia fuerit, infra annum faciendi in Urbe quicquid vellet, ut anno expleto insiliret. Desgl. finden wir in St. 807 die Legende von Karl dem Großen und dem Hl. Egidius ®, welche ebenfalls die Kaiſerchronik verarbeitet hat ?.

ı S. bejonders Tiberius, Galba, Yulians Ende, Eraelius u. a. oben berührte.

; St. 47, ©. 300, 60: A tali casu papa baculo non utitur. Bgl, Forſchungen XIII, 174,

8 Bol. ebenda.

* Aus diefer in C. übergegangen.

5 ©. 288, 19.

6 Eigene Zuthat des Berfaffers zu den aus E. genommenen Nachrichten diefes Jahres, fie wäre daher im der Lappenbergifchen Ausgabe nicht Petit zu drucken geweſen.

7 Aus welcher fie C. in dem Anhängſel zu Karl d. Gr, aufnimmt,

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Adgefehen von der Sachſen Herkunft! finde ich in folchen jagen- haften Stellen des gemeinen Textes nur einmal eine leife Berührung mit St. Unter Otto III. wird vom Papfte Silvejter erzählt: Dit is de paves, van dem dumme lude wanet, dat sin graf swete, alse en paves sterven sole?; wante it is maneges stenes art, dat he nat wirt. St. mın halten im Papftfatalog? das Grab Silvefters wenigftens fir erwähnenswerth, während dies bei feinem anderen Papſte jtattfindet: Sepulchrum ejus in ecclesia s. Salva- toris in meridionali latere est de marmore albo. So fünnte alfo vielleicht in der reicheren Recenſion Alberts die Sage vollftändig geftanden haben. Denfelben Nothbehelf könnte man denn auch für drei andere fabelhafte Stellen des gemeinen Textes herbeiziehen. Unter Beipafian heißt e8 (allerdings nur in BC.): Men seget oc dat he gesunt worde van den wispen, de an sineme hovede waren, van deme antlate unses herren, dat dar hetet Vero- nica*, wozu dann C. noch fügt: dat Tiberius hadde gehalet laten van Jerusalem, dar van ime bat was worden van ener groten suke, ohne zu bemerken, daß mit dem Namen BVeronifa hier das Bild des Schweißtuches, vorher aber unter Tiberius die Be— figerin dejfelben bezeichnet wurde. Unter Cäſar heißt e8: He or- logede oc do in Britanniam (nad) E.) unde vor mit gewalt want an Borcesare. De berch wart na ime Borcesere ge- nant, dat quit to Latine Portus Cesaris?®. Danad) folgt die Niederlage des Craſſus nad) E. und darauf: Julius Cesar buwede uppe des Rines stade Ducen de burch unde in Dudischen landen manege burch, mit den besatte he dat lant unde vor wider to Rome. Steine bdiefer drei Sagen findet fich in St. ange— deutet; die lette derjelben gibt die Kaiferchronif ausführlicher (Vers 379. 455), und es ijt Pflicht darauf hinzuweiſen, daß wenigftens eine Stelle im gemeinen Texte exiſtirt, für welche Benutzung diefer Dichtung wahrjcheinlich gemacht werden fan. Ob die anderen, wie fo manches in C., auf St. oder eine andere Fabelſammlung zurück gehen, fönnen wir bei der allgemeinen Unficherheit unferer Reſultate füglich dahingeftellt fein laſſen.

ı In A. ift diefe Nachricht verfürzt.

2 Die Sage fennt auch Bincenz von Beauvais XXIV, 107.

:s ©, 298, 36.

* Ueber das Vorkommen diefer Sage vgl. Maßmann, Kaiſerchronik III, 583. Die Handihrift 14. hat darüber eine weitläufige Interpolation, gedr. in Zeitfchrift für deutiches Altertum N. 5. V, 147,

* Der fabelhafte Ort Borcesare erſcheint aud) in der Kaiſerchronik umter Karl d. Gr. und ift aus diefer in das Anhängſel in C. übergegangen. Er ift zu unterjcheiden vom Porta Cesaris Kaiſ. 14959; vgl. Mafmanı III, 1013, Es ift vielleicht darunter zu verftehen Cap Bares in Gallicien, von den Emo, 88. XXI, 478 jagt: portum habens flexuosum turre sublimi presignata a Julio Cesare constructa.

33*

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2. Abfaſſungszeit.

Zur Beitimmung der Abfaffungszeit der Chronif und ihrer ver- ſchiedenen Recenſionen ift e8 nöthig die einzelnen Gruppen innerhalb der letsteren näher ins Auge zu faſſen. Innerhalb A. ergeben fich vier Gruppen, deren charakteriftiiche Unterjcheidungsmerfmale ich Eurz notire.

a. 1—8. bis 1225 Schlacht bei Mölln (bi sinen ome den koning van Denemarken). Reimvorrede fehlt, Predigt unter Con— ftantin dem Großen ijt da. Die Handſch. find alle oberdeutfch und gehen auf eine gemeinfame, jedenfall auch ſchon oberdeutiche Vorlage zurück, welche vielfach willkürlich gekürzt hat und welcher fchon einige Blätter gefehlt haben müſſen, da der ganze Anfang Heinrichs IV. bis zum Concil zu Oppenheim 1076 in allen Handſch. fehlt. Die Genealogie diefer läßt fich mit Ausnahme von Handſch. 8. mit zweifellofer Sicherheit beftimmen.

Einzelne Lesarten und Satzſtellung nähern diefe Gruppe der Handich. 10., ohne daß ſich deren charakterijtiiche Eigenthümlichkeiten fünden, und umnterjcheiden fie von 11. 12,

b. Handſchr. 9., oberdeutfch, beginnt erjt mit Chriftus und endigt etwas fpäter, gleichfall® 1225, mit dem Reichstag zu Nürnberg und dem dort paffirten Unfall (unde auch anderswo lanck dornoch von dem selben gedrange). Sie läßt mafjenhaft willfürlih aus, fodaß viele Merkmale der Unterjcheidung verloren gehen; doch fteht fie augenjcheinlich 11. 12. ferner al8 den Handſch. 1—8. Von der Predigt hat fie wenigftens den Eingang.

c. Handſch. 10., mitteldeutih, in Thüringen gejchrieben, endigt noch etwas fpäter, aber ebenfalls noch 1225, mit der Löſung Walde- mars von Dänemarf (unde syner sone drye blebin gevangen czue gysele deme grefen Heynriche von Czwerin). Reimvor— rede fehlt; Predigt ijt da. Die Eigenthümlichkeiten diefer Handſch. und ihre Berührung mit 18. 19. find oben beſprochen.

d. 11. 12. endigen 1230 mit dem Tode Otafars I. von Böh— men (starf de alde koning Odaker van Behem). 11. ijt nieder- rheinifch, 12. oberdeutſch in Oeſterreich geſchrieben. Neimvorrede ijt da; Predigt fehlt. Vielfach ſchließt fi) 12. dem gemeinen Texte enger an, wo 11. abweicht, ſodaß diefe Abweichungen als willfürliche zu be— trachten find.

Sunerhalb der Recenfion B. fcheiden fic) folgende Gruppen:

e. 13. 14. niederdeutih. Die Zugehörigkeit des Fragments 13. zu 14. zeigt fich dadurch, daß beide in gleicher Weile aus Martin von Zroppau interpolirt find?, Die Neimvorrede, fowie die Predigt fehlt 14.; von legterer jcheint 13. wenigjtens einen Fleinen Theil ge—

ı Hierdurd wird aufs neue erhärtet, wie voreilig Schöne verfahren ift, ber in 11. den urfprünglichften Tert gefunden zu haben glaubte, 2 Bol, Maßmann 168 Anm. 6,

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Habt zu haben. Ende 1235, Errichtung des Herzogthums Braun—⸗ ſchweis, kürzer und abweichend von den folgenden Gruppen.

. 15. lateiniſche Ueberſetzung, ohne Reimvorrede und Predigt, endigt 1235 wie 14., doch iſt der Endbericht etwas erweitert. Zwi— Ichen dieſem und dem folgenden Texte fteht dann der von Detmar bis 1238 benutzte.

g. 16. 17. niederbeutfch, Tettere am Ende verftümmelt; mit Reinworrede und Predigt. 16. endigt wie die Recenſion C. Ueber die Fortfeßung f. oben ©. 488.

Die Gruppen der Recenfion C. find ſchon oben erörtert worden. Bemerkt jei noch, daß die untergegangene Straßburger Handſch. 20. durch 21. 22. vollkommen erfett wird. Alle drei Haben faſt den ganzen Martin von Troppau und die halbe Kaiferchronif in ſich auf- genommen.

Haben wir ſo die Handſchriften nach dem verſchiedenen End— punkte, mit den am früheſten endenden beginnend, gruppirt, ſo iſt dieſe Gruppirung feine a priori nad) dieſem Geſichtspunkte gemachte. Es zeigt ſich bei genauerer Betrachtung der Lesarten, abgeſehen von Unregelmäßigkeiten z. B. bei 10., daß die verſchiedenen Texte wirklich, dem regelmäßigen Fortſchreiten der Endjahre entſprechend, eine regel— mäßige Veränderung zeigen. Die verſchiedenen Endpunkte ſind alſo wohl keine zufälligen, willkürlich von Fremden durch Weglaſſung am Ende! oder Ausfall in den Handſchriften ausgehende. Ich glaube in der That, daß diefe verfchiedenen Abjchlüffe von dem Verfaſſer jelbjt Herrühren. Schien die Annahme am plaufibeljten, daß der Verfaſſer, vom fleinen zum großen fortjchreitend, die erjten Ausgaben feines Werkes fürzer faßte, daffelbe allmälich vermehrte und an Um— fang anjchwellen ließ, jo find die am früheften endenden Texte als die fürzeften auc für die zuerft abgefaßten zu halten. Damit ift freilich noch nicht erwiefen, daß das Schlußjahr auch ungefähr den terminus ad quem der Abfaffungszeit enthält ?; der Verfaſſer konnte jehr wohl in den dreißiger oder vierziger Jahren eine Ausgabe ver- anjtalten, die nur bis 1225 reichte. Bei der Maſſe des zu bewäl- tigenden Stoffes fonnte Ermüdung eintreten, das Streben das Wert jo raſch als möglich der Deffentlichkeit zu übergeben. Sicher ift je denfalls nur, daß bezüglich des terminus ad quem für alle Texte da8 Jahr 1250 oder 1251 feitzuhalten ift. Was den terminus a quo anlangt, fo fehlen im den früheft endenden Texten, denen der Recenſion A., alle und jede Anhaltspunkte denfelben hinauszuſchieben; nirgends finden ſich fpätere Ereigniffe vorgreifend erwähnt.

Anders in den beiden anderen Necenfionen BC. Fider hat zu= erjt darauf aufmerkſam gemacht, daß in diefen zum Jahre 1218 der

18 begreift ſich auch nicht leicht, daß ein Abſchreiber, wenn er aud) fonft fürzte, gerade das für ihn Intereffantefte, den Schluß der Chronik, megge- lofien haben jollte,

2 Aud) von Fider, Entftehungszeik des Sachſenſpiegels 77, hervorgehoben.

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Tod des jungen Königs Waldemar III. von Dänemart (1231 Nov. 28) vorgreifend erzählt wird; daß ferner in B. zu 1219 eine Urkunde Friedrichs II. für Bremen vom März 1232 erwähnt wird. Freilich ift mit diefen Stellen im ganzen nichts gewonnen, da die Recenfion C. erjt mit dem Jahre 1249 und die Fürzeften Texte von B. (14. 15) erſt mit 1235 jchließen.

Mafgebend fir diefe Fragen ift unzweifelhaft das Verhältnis zu den benutten Quellen, den Gestis der Magdeburger Erzbiichöfe und der Chronik Albert von Stade. Beide find, wie id) erwiefen zu haben glaube, in allen Recenſionen benutt. Erſtere anlangend jo würde dadurd) der terminus a quo aud der am frühejt endenden Texte bi8 1232, in welchem Jahre Albert von Magdeburg jtarb, hinausgefchoben, wenn wir feine Pebensbefchreibung erjt nach feinem Tode gejchrieben annehmen. Aber letsteres ift nicht außer Zweifel; wahrfcheinlich vielmehr, daß diefelbe zu feinen Lebzeiten aufgezeichnet wurde und das Jahr 1230 nicht überfchritt!. Sicher iſt dann alfo der terminus a quo nur bi8 1230 hinauszufchieben.

Noch unficherer fühlen wir uns der verlorenen, reichhaltigeren Chronik Alberts gegenüber. Wüßten wir bejtimmt, daß der Abt erjt 1240 die erfte Ausarbeitung feines Werkes abgefchloffen, fo fünnten auch die Terte mit dem frühejten Endjahre erjt nad) diefem Jahre abgefaßt fein. Doc) jcheint eine Ableitung des Werkes, die Bremer Annalen, zu beweifen, daß eine Recenſion dejjelben nur bi8 1227 reichte, alſo dreizehn Jahre vor 1240 abgefaßt fein kann. Weiter fommen wir hiermit aber auch nicht, es müßte denn bewiefen werden, daß der Verfajfer der Sachſenchronik verjchiedene Wecenfionen der Stader Chronik für die verfchiedenen Necenfionen feines Werkes be= mußt habe. Für unmöglich halte ich dies allerdings nicht. Nimmt man an, ihm Habe nur eine Necenfion zu Gebote gejtanden, dann fönnten auc die früheſt endenden Texte erit nach dem Jahre ge= Schrieben fein, in welchem die letzte Berwandtichaft von St. mit irgend einem Texte ftatthat. Die letzte ſichere Berührung habe id) zum Jahre 1234 finden zu müſſen geglaubt, bei einer Nachricht des Jahres 1236 (in St.) war ic) jchon zweifelhaft?. Vermuthlich gehört aber noch eine von mir überfehene Nachricht des Jahres 1237 hierher, die in St. zu 1236 verzeichnet ijt?.

8. M, 486. Sch. 89. Desselven jares to herremissen | Facta est maxima strages pere- voren de pelegrime van Liflande |grinorum in Livonia circa festum uppe de Lettowen unde worden ge- | Mauricii. slagen twe dusent der pelegrime.

St. 1236,

« : ©. Forihungen XIII, 194.

2Forſchungen XII, 172.

3 Daß dieje Niederlage wirklich 1237 ftattfand, glaube ic; nad) der Ein— ordnung in S. und nad) den Ann. Dunamund. et Sambiensis canonieci (SS. XIX, 703. 709); Bonnell, Ruſſiſch-Livländ. Chronologie, ſetzt fie, geſtützt auf St. 1236, St. find aber chronologiſch nicht genau.

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Und felbft Nachrichten der Jahre 1247 bis 1249 kann man mit demſelben Nechte den St. binbieiren , mit welchen ich dies bei mans chen anderen gethan habe!. Ueberall aljo Unficherheit. Undenkbar freilih), daß alle die verfchiedenen Texte den Fahren 1249—1251 ihre Entjtehung verdanken, was doch der Fall fein müßte, wenn der Verfaſſer nur nad) einem Eremplar der Stader Chronik, das bis 1249 reichte, gearbeitet hätte. Ich möchte daher lieber annehmen, daß die Benugung von St. überhaupt nicht über 1234—1237 hinaus- reicht; dahingeftellt bleiben muß, ob der frühere Schluß der fürzeften Texte der Recenſion A. durd) die Abhängigkeit von früher endenden Necenfionen von St. motivirt oder der Willfür des Verfaſſers zuzu— ſchreiben ſei. Mit jenen Jahren ftimmt denn auch ungefähr der Schluß der Fürzeften Handſch. der Recenſion B. (14. 15.), welche mit der Errichtung des Herzogtums Braunſchweig 1235 abbrechen. Ein Zufat in 14., welchen wir Feine Urjache haben nicht für original zu halten, weijt auf 1236 als terminus a quo der Abfaffung diefes Textes ?,

; Weiter hat Ficker aus einer Stelle zum Jahre 1219 in Re— cenfion O. gefolgert, daß diefer Theil diefer Neceufion vor 1232 ab- gefaßt fein müßte Bei Erzählung der Abtretung der Grafichaft Stade durd; den Pfalzgrafen Heinrih an Bremen gibt nämlich C. den Zuſatz: Do spraken ettelike lude, dat he’t nicht don ne machte ane erven lof, ettelike dat he’t don mochte sunder erven lof. Dar ward enes ordeles umbe gevraget. Do vant men to rechte: were he en Swavei, he mocht’ it wol don. Dat is wol witlik, dat he nen Swavei newas, wane en recht Swaf van allen sinen alderen. Statt dieſes Sates mm gibt B.: Dese gift, de de hertoge gaf deme godeshuse, de stede- gede keiser Vrederik mit siner guldenen hantveste lange darna to deme hove to Ravene. Es ijt dies die Urkunde Frie— drichs IL. vom März 1232°. „Statt der Nachricht von der 1232 erfolgten faijerlichen Beftätigung der Vergabung finden wir alfo in C. einen Zweifel an der Rechtmäßigkeit derfelben ausgeiprochen. Die Stelle in C. iſt unzweifelhaft die urjprünglichere; es liegt fehr nahe, daß der Berfaffer diefe durch die Nachricht über die faiferliche Beſtä— tigung erjette, während das umgekehrte Vorgehen unerflärlich fein würde. Dann wird aber auc weiter zuzugeben fein, daß der Ver— fajfer die Stelle in C. früher gejchrieben haben wird, als ihm die faiferliche Beſtätigung bekaunt war, alfo etwa vor der zweiten Hälfte des Jahres 1232, was dann natürlich auch für die früheren Theile der Chronik maßgebend fein würde“. So Fider‘. Diefe Deduction

ı ©. Forſchungen XII, 173.

2 Beim Tode der hl. Elifabeth (1231) jegt 14.3u: Dar wart se sedder upgehaven (1236 Mai 1) unde canonizeret (1235 Juni 1). Do me se upnam, do was keiser Vrederik dar unde mennich eddele man.

® Bölımer, Reg. Frid. Nr. 714.

167%

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Scheint fchlagend. Es würde durch fie das ganze. Bild, das wir ums von der Compofition der verjchiedenen Recenſionen zu machen ver= jucht Haben, über den Haufen geworfen. CO. wäre zeitlich früher zu ſetzen als B., wenigftens die früheren Theile bis 1219 etwa. Une möglich ift das freilich nicht ; der Verfaſſer könnte ganz gut nad) Ab— folvirung von A. die größeren Ausgaben in die Welt geſetzt haben, um dann wieder zu der Anfertigung kürzerer (B.) zurüdzufehren. Die lesten Theile von C. bis 1249 wären dann als fpätere Fort— jeungen zu betrachten. Doch kommt noch eine andere Erwägung in Betracht. Die ganze Erzählung von dem Bertrage des Pfalzgrafen mit Bremen 1219, die fi) nur in BC. findet, geht dod wohl un= zweifelhaft auf St. zurück! und ift augenscheinlich nad) der betreffenden Urkunde ſelbſt gearbeitet ?, deren Einficht dem Stader Abte leicht zu= gänglich war. Schon der Eingang ift mit der Urkunde überein ſtimmend.

Do wart versont dat lange or-Notum sit quod discordia, loge twischen deme stifte to Bre- | que diu duraverat inter ecclesiam men unde deme hertogen Heinrike | Bremensem et Heinricum ducem van Bruneswic. Saxonie, sic est conposita.

Der materielle Theil de8 Vertrages in BC., bejonders die präcife Unterfcheidung zwiſchen dem Eigen in der Grafichaft Stade und dein Comitate ſelbſt, entjpricht ebenfall8 genau der Urkunde. Daß der nach 1230 jchreibende Verfaffer, der feine Kenntnis diefes Vertrages aus St. fehöpfte und vermuthlic) doc in der Gegend von Magdeburg zu Haufe war, aus eigener Kenntniß und Erinnerung einen damals gefüllten präjudiciellen Urtheilsfpruch beigefügt haben follte, ift mir höchſt unwahrscheinlich, während dem Stader Abte ein ſolche Ausfüh— rung wol anftand. Daß derartiges damals ftattgefunden, bezweifele ich nicht, denn die Schenfung von Eigengut ohne Zuftimmung der Erben (im dieſem Falle des 15jährigen Neffen Dttos des Kindes) fteht einzig da und ift durchaus gegen das geltende Recht?. Auch fcheint die Urkunde felbft dergleichen anzudeuten, wenn fie jagt: Hec donatio palatini facta est sub banno regio in oppido Stadensi et per sententiam ibidem confirmata. Mit ordelen aljo wurde die Schenkung zu Stade beftätigt, d. h. auf Frage erkannt, daß fie zu Necht habe jtattfinden fünnen. Wol mochte der Abt, der vielleicht jelbjt bei der Verhandlung zugegen war, fi) erinnern, was der Inhalt der Frage gewejen, über die Urtheil erging. Der letste Sat: Dat is wol witlik u. f. w. wird dann wohl allerdings dem Berfaffer von ©. felbft zuzuschreiben fein, deffen Heimath in der Nähe des ſächſiſchen Schwabengaues zu fuchen ift. leicherweife wie den Bericht über diefes Urtheil, möchte ich aber auch den über die Be—

ı ©. Forſchungen XIII, 171, 2 Hamburger U. B. 375. 3 Bol. Sadjjenfpiegel I, 52.

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ftätigungsurkunde Kaiſer Friedrichs der Stader Chronik zumeifer. Die Kenntnis von fpecielle Dinge betreffenden Urkunden? Habe ich font nirgends in der Sachſenchronik angetroffen; der Abt von Stade dagegen hatte die Urfunde wohl felbft gejehen und ſich überzeugt, daß eine Goldbulfe daran hing. Die beiden Süße in C. und B. fliegen fih ja auch nicht gegenfeitig aus; fie fonnten beide zufammen von Albert gefchrieben fein. Der Verfaſſer der Sachſenchronik verfuhr dann mit der Vorlage, wie auch fonft mehrfah: er nahm in eine Recenfion einen Sat derfelben auf, in die andere einen anderen ®, In Anbetracht diefes unficheren Bodens, glaube ich, ift e8 gerechtfertigt diefen Stellen Fein entſcheidendes Gewicht bei der Beſtimmung der Abfaffungszeit von O. zuzulegen.

Eine andere Frage, die Ficker amdeutet, ijt die: wie weit der übereinftimmende Text von C. und 16. noch dem erften Verfajjer an— gehören dürfte, „Ueber 1242 (M. 491) dürfte er ſchwerlich Hinaus- gehen“. Schon die Webereinftimmung der beiden fo grundverſchie— denen Mecenfionen in dem ganzen letzten Theile fpricht gegen eine folhe Annahme. Ein anderes wäre, ob überhaupt zu 1242 (d. 5. doc) wohl nad der Erzählung von der Verbrennung der jüdischen Bücher zu Paris) ein Abfchnitt zu machen ift, ob der Berfafjer, der bis dahin etwa gleichzeitig aufjchrieb, hier abbrach, um etwa fpäter, 1250 oder 1251, die Greignijfe der Jahre 1243 bis 1249 nachzu— holen. Dazu fehe ich aber wirklich feinen triftigen Grund. Die Erzählung ift fchon früher (feit Heinrich) VI. etwa) ziemlich chro— nologiſch gehalten, auc in den Partien, wo die Benutzung der St. und ber Gesta archiep. Magdeburg. überwiegt; fie wird es gegen Schluß der Handſchr. 11. 12. (1230) immer mehr, obgleid) fih hier ſchon große Partien finden, deren Quelle wir nicht nach— weifen können. In dem folgenden C. und B. gemeinschaftlichen Theile bis 1235 fchreitet fie gleichfalls ftetig und chronologisch ziem- lic genau dahin; der Umfang deffen, was unter den einzelnen Jahren erzählt wird ijt fogar ziemlich gleich, wenigjtens zeigen ſich feine auf: fallenden Bernachjläffigungen einzelner Jahre. 14. 15. emdigen mit einem Ereignis vom 15. Auguft 1235, C. und 16. fahren mit einem jolhen vom November dieſes Jahres fort. Danad) folgen in guter Ordnung Greignijfe der Jahre 1236 und 1237 bis zur Schlacht bei Gortenuova, im Anſchluß woran gleich der Auffnüpfung des Po— deita von Mailaud 1238 (des anderen jares) gedacht wird’. Dann folgt: Darna legede de keiser enen hof to Berne, dar let he bidden de Dudischen vorsten unde de herren. Der Hoftag, ur-

‚.., ol die Kenntnis allgemeiner, das ganze Reich betvefiender, 3. B. das Reichsfriedensgefeh von 1235. 2 Ein Beifpiel derart ift oben S. 473 aufgeführt. ®° Diefe Auffnüpfung feßen die Ann. S. Pantaleonis, SS. XXII, 533, erft zu 1240; die Ann. Veron. Parisii de Cereta, SS. XIX, 10, weldje fie auch haben keine nähere Zeitbeſtimmung, ſondern leiten den Bericht mit einde ein.

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fprünglich auf den 1. Mai 1238 beftimmt, wurde alfo vermuthlich im Anfange des Jahres 1238 ausgefchrieben ?.

Daraus nun, daß zwiſchen diefer Nachricht und der fpäter fol= genden von dem Verlauf des Hoftages zu Verona andere Nachrichten zwijchengejchoben find, hat Ficker“ „auf allmäliche, faſt gleichzeitige Weiterführung“ gejchloffen. Diefer Schluß wäre doch nur dann be= rechtigt, wenn diefe zwiſchengeſchobenen Greignijjfe in die Zeit von Ende 1237 bis 1238 Mai fielen. Statt dejjen finden wir aber zu— nächſt die chronologiiche Ordnung verlaffen durch Erzählung allge— meinerer Art. Bi desselven keiser Vrederikes tiden erhof sic diu kristenheit to Prucen; zur Zeit feines Vaters Heinrich wurde Livland bezwungen ; das Auffommen der Bettelorden , deren Stifter canonifirt wurden (1227 und 1234); dann Tod des Biſchofs von Bamberg vor Wien 1237 uni 5; des andern jares darna Tod des von Köln und Osnabrüd, 1238. März 26 und December 30; in demselven jare (aljo 1238) Gefangennahme Ottos von Bran= denburg durch den Bischof von Halberjtadt. Diefe Art und Weife entjpricht ganz dem auch ſonſt vielfach zu beobachtenden Berfahren des Verfaſſers, die chronologifche Ordnung durch allgemeinere Süße zu durchbrechen und auch zeitlich früheres nachzuholen. Dann find die Ereigniffe der Fahre 1239 bis 1242 in ziemlicher Ausführlich- feit und gut chronologiſch erzählt bis zu der oben angeführten Stelle. Hierauf wird wieder zurüdgegriffen, um die Päpfte der Zeit an— zubringen, wie wir dies in den früheren Partien de8 Buches regel= mäßig jehen. Es hat dies alfo nichts auffallendes. Do starf de paves Gregorius (1241 Aug. 21) unde wart gekoren Celestinus (Oct. 26), de starf an deme 17. dage (Nov. 10). Do stunt Rome ane paves in dat dridde jar. Do wart gekoren Inno- ceneius (1243 Yuni 25) mit des keiseres willen. De helt densilven ban, den de paves Gregorius an den keiser hadde gedan; sich erhoven do degedinge twischen en twen, de to- gingen also, dat deme keisere besceden wart to Genewe; dar newolde he nicht komen, wante he der borgere vigent was? Der Abbruch der Verhandlungen erfolgte 1244. Die Jahre 1243 und 1244 find alfo hier etwas jtiefmütterlich behandelt. Auch von folgenden Jahre wird nur des Concils zu yon ausführlich ge= dacht, woran ſich dann gleich ganz natürlich die Erwählung Heinrichs von Thüringen (1246 Mai 22), fowie die Schladht bei Frankfurt ſchließt (Aug. 5). Dann folgt wieder rücgreifend der Krieg der Sultane von Aegypten und Damaskus, Schlaht bei Gaza (1244

ı ©, Böhmer 180.

? Die Quellen laſſen hieriiber im Stid).

ı6©.78.

* Daß der Papſt dem Kaifer zugemuthet nad) Geuua zu kommen, finde ich weder im den gleichzeitigen Duellen noch in den Aktenftücken angedeutet. Es ift auch unwäahrſcheinlich, da fonft der Kaifer wohl nicht verfänmt haben würde, es in feinen Bertheidigungsichriften zu erwähnen.

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Oct. 17); dann wieder Ereigniffe von 1246; die Fehde Erichs und Adels von Dänemarf 1247—1249; die Wahl Wilhelms von Hols land (1247 Sept. 29) und die anderen oben ſchon aufgeführten Er- eigniffe bis zum Schluß. Im großen und ganzen ift die Art und Weiſe der Compofition diefes Theiles von 1243 an dod) nicht anders als die des früheren, und die Kürze der Nachrichten der Jahre 1243 und 1244 fünnen mich allein nicht beſtimmen, zu 1242 einen Ab— ſchnitt anzunehmen. Finden wir doch auch ſonſt die bedeutendſten Ereigniſſe mit Stillſchweigen übergangen, wie z. B. die Heerfahrt des Kaiſers gegen Friedrich von Oeſterreich 12371, den Bann Gregors IX., der nur beiläufig erwähnt iſt, die Seeſchlach des Jahres 1241 md die Gefangennahme der Gardinäle, die Schlacht bei Parma 1248 Februar 18. Ueberhaupt machen die legten Theile (von der Charafterifirung der früheren, wo noch nachweisbare Quellen benutzt find, fehe ich ab) troß einzelner vorzüglicher Nachrichten einen jehr aphorijtifchen Eindrud; es überwiegt allerdings die Reichsge— hichte, doch treten dazwiſchen auc andere höchſt unbedeutende oder fernliegende Ereigniffe auf. Immer wieder tritt die Verſuchung heran zur Annahme, der Verfaſſer habe bi8 zu Ende eine Quelle ziemlich ſyſtemlos excerpirt ?,

Iſt fomit die Annahıne eines Abfchnittes zu 1242 wegzuweiſen, jo fragt e8 fi), wie die Uebereinftimmung von C. und 16. bis zu Ende zu erklären fei, wenn wir annehmen, daß die Vollendung von C. erft zwifchen 1249 und 1251 ftattfand, die der Recenſion B. im allgemeinen aber früher. Ich glaube, der Verfaffer hat nad) Vollen- dung von C. einem Gremplare von B., das er nod in Händen hgtte, die Fortjegung jener Recenſion nachträgli noch zu heil werden lajjen.

An ficheren Refultaten haben wir alfo nur zu verzeichnen, daß alle Kecenfionen nad) dem Jahre 1230, vielleicht erſt nad) 1232, und vor dem Bekanntwerden de8 Todes Kaifer Friedrichs II. in Deutfchland, 1251, abgefaßt find; möglich ift, daß fie allefammt erft nach 1240 entjtanden find, wenn wir für alle die Benutzung der einen in diefem Jahre endenden Kecenfion der Stader Chronik an- nehmen. Für die fpäter als 1230 endenden Texte fchiebt ſich dann der terminus a quo mindejtens über das Endjahr hinaus, für Handich. 14. wahricheinlich über den 1. Mai 1236; die Vollendung der Texte der Recenfion ©. hat in den Fahren 1249 bis 1251 Anz fang ftattgefunden. Achtzehn bis neunzehn Jahre wäre alſo der Ver: fafjer mit Anfertigung verfchiedener Ausgaben befchäftigt gewefen.

ı Daß der Berfafjer davon Kenntnis hatte, beweift der Beifat zu dem Tode des Bischofs von Bamberg: in der hervart to Wene, fowie 1240: davore gewan de hertoge van Österrich des keisers hulde unde wart eme Wene weder.

2 (Doc; wohl cher aphoriſtiſch ihm zufommende Nachrichten

G. W.)

500

3. Berfaffer.

Stiegen wir bei Betrachtung fowol der Compofition al8 der Ab- faffungszeit der Sachſenchronik auf eigenthümlihe Schwierigkeiten, welde eine präcife, endgültige Beantwortung diefer Fragen aus— le jo ift dies nicht minder bei der Frage nad) dem Verfaſſer er Fall.

Daß feine Heimath im niederdeutichen Sprachgebiete zu ſuchen, unterliegt feinem Zweifel: die niederdeutjchen Handichriften des Werkes find wie die ältejten, fo auch die urfprünglichiten, die mittel- und oberdeutjchen die übertragenen. - Bei der Forſchung nach der engeren Heimath find vor allem auszufcheiden alle lokalen Bezüge, welche fich in den früheren Theilen finden und mit Sicherheit oder Wahrjchein- lichkeit auf benutzte Quellen zurückgeführt werden fünnen. So vor allem die auf die Michaelschronif zurückgehenden Lüneburger Nach— richten, alles auf den Bereich der Hamburg- Bremifchen Erzdiöcefe, auf Hofjtein u. ſ. w. bezügliche, welches aus der Stader Chronik abgeleitet ift; wenn ferner bis gegen 1230 häufig Magdeburg und feine Umgebung: Quedlinburg, Gatersleben, Staßfurt, Calve, Afen an der Elbe, Anhalt, Lopen zwifchen Raguhn und Jeßnitz im Her— zogthum Anhalt ? Hervortritt, jo macht die erwiefene Benutzung der Gesta archiep. Magdeburg. jeden hieraus zu entnehmenden ört- lichen Hinweis werthlos. Der fette Theil etwa von 1230 au, welcher doc) vermuthlich als felbjtändige Arbeit des gleichzeitigen Verfaſſers gedacht werden muß, behandelt, abgefehen von den St. noch zuzuwei— jenden Partien, vornämlich Neich®- und allgemeine Geſchichte. Daß Nachrichten wie der Tod Liutpolds von Dejfterreih, die Heerfahrt Wenzels von Böhmen nad) diefem Herzogthume, der Tod Otafars I. (alles 1230), die Ermordung des Herzogs von Baiern (1231), die Heerfahrt des Böhmenkönigs gegen Mähren und die Eroberung von Brünn (1233), der Tod Friedrichs des Streitbaren von Dejterreic) in der Ungarnſchlacht (1246) zur Localbeftimmung nicht herangezogen werden fünnen, liegt auf der Hand: es waren dies eben jo bedeutende Greigniffe, daß fie überall in deutfchen Landen, wo ein denfender Kopf die Feder führte, intereffirten. Prägnante Details ericheinen auch hier nirgends. Dafjelbe gilt von dein Tode einzelner Biſchöfe: Halberſtadt 1236. 1241; Bamberg 1237; Köln und Osnabrüd 1238. Mit Borliebe nehmen alfe mittelalterlichen Chroniften diefe Todesfälle auf, wo fie ihrer habhaft werden können. Nach Ausſcheidung diefer und alfer Reichsnachrichten fallen einzig auf die Nachrichten über die Kämpfe der Markgrafen von Brandenburg mit den Bifchöfen von Hals

ı Bol. Anm. Ianides zu S. 127 der Ausgabe der Schöppenchronik. Die Sotsmann - Schropp’iche Karte des Herzogthums Magdeburg, entworfen * und revidirt 1813, weiſt zwiſchen Raguhn uud Jeßnitz noch ein Le— ehna auf.

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berftadt und Magdeburg zu 1238. 1240 und 1241'. Trotzdem daß dies rein locale Fehden zwijchen Lehnsheren und Vaſſall geweſen find, weiß der BVerfaffer hier ſolche Details, dag wir ihn gleichzeitig und in der Nähe des Schauplates dieſer Ereignijje jchreibend an— nehmen müffen. Der Schauplatz iſt aber das Herzogtum Magde— burg (Alvensleben, Calve, Hadmersleben), Fürſtenthum Halberjtadt (LZangenftein), die Altmark (Biefe), die Mark (Plane, Köpnid, Mitten- walde). Der Berfaffer fennt hier die beiden Dienftleute, denen es endlich gelang, den Frieden herbeizuführen: Godfrid von Weddingen ? und Borchard von Srrleben?. Bei allem Detail iſt die Darſtellung diefer Kämpfe fo objectiv, daß ein Parteiftandpunft des Verfaſſers uicht zu Tage tritt; ebenfogut ein Magdeburger wie ein Branden- burger könnte fie gefchrieben haben*. Für einen Brandenburger könnte vielleicht noch geltend gemacht werden, daß zu 1242 die Gefangen- nahme des Biſchofs von Brandenburg durch den von Havelberg er- zählt wird, fowie die Uebergehung der Magdeburger Biſchofswechſel in den Jahren 1232 und 1235.- Freilich hatten die Markgrafen, abgejehen von der Altmark, auch rechts der Elbe Bejigungen (Had- mersleben, Alvensleben) und Bafjallen.

Die NReimvorrede der Chronik unbefangen aufgefaßt, läßt feinen Zweifel darüber, daß einer von Repgau der Verfaſſer des Werfes jei. Die Originalität diefer Vorrede ift durch ihr Vorkommen in allen drei Necenfionen erhärtet ; ihr Fehlen in einer Anzahl Hand- Ichriften ijt ganz natürlid), zumal wenn man beachtet, daß es ober— deutjche oder fpäte Handfchriften find. Es war den Schreibern jeden- fall8 bequemer die alten, unverjtändlichen niederdeutjchen Reime weg— zulajjen al8 in ihre Sprade umzugießen. War es nun der Repgauer Eife, der Verfaſſer des Sachſenſpiegels, der die Chronik fchrieb ? Die Zeit jeines urkundlichen Borkommens 1209—1233 ftünde diefer Annahme nicht im Wege, da er, wie jchon Fider ? bemerkt, nod) manches Jahr nad) 1233 fchreiben konnte. Seine perfönlichen Be— ziehungen zu den Fürſten Norddeutſchlands er erjcheint urkundlich in der Gejellichaft des Fürſten Heinrich I. von Anhalt, der Mark» grafen von Brandenburg, des Grafen Hoier von Balfenjtein, der Grafen von Dornburg und Reinjtein, des Tpäteren Erzbiſchofs Wil- brand von Magdeburg, des Markgrafen Dietrid) von Meißen, des

ı Die Schladht vor Brandenburg zwiſchen dem Markgrafen und Albrecht von Magdeburg 1229 heranzuziehen, wage ich nicht, da hier nod) die Gesta des letsteven benutt fein fünnen.

Die drei Pfarrdörfer Ofter-Rangen- und Alten-Weddingen liegen 12 Meilen ſüdweſtlich von Magdeburg.

s 1./, Meilen nordweftlih von Magdeburg.

* WBartei zur nehmen ift überhaupt nicht des Verfaſſers Sache und Zweck. Man vgl. die Darftellung deffen, was über Friedrich IT. und die Päpfte erzählt wird, ar die Nachrichten über die Wahl der Gegenkönige, 5 [2 74.

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Landgrafen Ludwig von Thüringen! lajjen ihn als wohl befähigt erfcheinen, die Reichsgeſchichte feiner Zeit zu fchreiben. Werthlos als Argument für die Autorfchaft Eifes ift zunächſt die Neimvorrede der fog. Weichbildchronik: Got gebe siner selen rat, der diz buch getichtet hat: Eike von Repchowe .... Herrn Eiken wort meren, Wenn von der genaden sin Ist diz buch worden min. Unter diz buch verfteht Schöne? die Sachſenchronik, aus der die MWeihbildchronif excerpirt ſei; ficher unrichtig. Abgejehen davon, daß der Berfafjer der Weichbildchronif no aus anderen Quellen, dem ſächſiſchen Landrechte, einem Katalog der Magdeburger Erzbiſchöfe, ercerpirte, fo könnte er doch die Worte: der diz buch getichtet hat, trog der ausbündigften Bejcheidenheit gegenüber feinem Verdienſte an jeiner Compilation, deren beiten Theil er Eifen (dem Berfajjer der Sachſenchronik) verdanfte, doc auf diefen gewiß nicht anwenden. Die Erwähnung des DValfenfteiners aber, auf dejjen Bitte ınan das Bud in Deutſch ſähe, paßt doch nur auf den Sachſenſpiegel und ſchöpft feine Kenntnis aus dejjen Neimvorrede. Homeyer hat hier fiher das Richtige getroffen, wenn er urtheilt?, daß das Gedicht eher als Epilog zum Sachſenſpiegel denn als Prolog zum Weichbild (oder deſſen Chronif) paſſe. Das Gedicht Hat mit diefem eben nichts zu thun, jeine Verbindung mit demfelben erkläre ich mir ganz äußerlich: der Verfaſſer der Weichbildchronif hängte fein Werf einem Ereuplar des Sachſenſpiegels an, weldem das Gedicht al8 Epilog beigegeben war, jpätere mechanische Abjchreiber behandelten e8 als Einleitung zu jener®. Noch weniger aber hat das Gedicht mit der Sachſeuchronik zu thun, mit welcher es auch nicht einmal äußerlich) verbunden er= cheint. ZTrefflih pafjen auf Eife die oben aus der Sachſenchronik ge= ſchöpften localen Beziehungen. Eike iſt Schöffe, freier, Grund— eigenthümer in der Grafichaft Billingshohe?, deren eine Dingjtätte, Salbfe an der Elbe oberhalb Magdeburg, 1—1'/e Meile von den 1 ©, Homeyer, Sadjjenfpiegel I, 6 ff.; fiir die beiden letzten Pofern-Klett, Borftudien zur Geſchichte der Berfaffung der Marf Meißen im 13. Jahrhundert ©. 29. 30 (vgl. Homeyer in den Monatsberichten der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften 1866, S. 630 ff.). 2 ©. 15. Aehnlich Fider ©. 73, Die deutfhen Rechtsbücher des Mittelalters 29. % Auf die anderen von Schöne gegen die Auffafjung disses buches ale Sachſenſpiegel aufgeführten Gründe gehe ich hier nidht ein; fie find aber fo nichtig, wie faft alle Behauptungen dieſes Herrn. Dabei bleibt die Annahme —— daß der Verf. der Weichbildchronik zugleich der Dichter des Epi— 0 : Eee der Grafſchaft Mühlingen; vgl. Winter oben S. 308, defjen Gründe gegen die Anfäffigkeit Eifes in diefer Grafſchaft mir nicht ausreichend zu jein ſcheinen.

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drei Dörfern Weddingen entfernt liegt. Die ganze Grafichaft gehört den Stifte Magdeburg, die Markgrafen haben fie von diefem zu Lehen, von diefen wieder die Grafen von Dornburg und Valkenſtein. Auf der einen Seite alfo örtliche Beziehungen zu Magdeburg, auf der anderen Beziehungen zu den Markgrafen als unmittelbaren Lehns— herren des Gomitatsinhabers, in deren Gegenwart er 1233 zu Salbfe des Schhöffenamtes waltet. Eife war fo recht im Mittelpunfte des Terrains angejejfen, auf welchem ſich die gejchilderten Kämpfe ab- fpielten. Unzweifelhaft war er mit den beiden benachbarten Mini- fterialen von Weddingen und Srrleben perſönlich befannt. Borchard von Irxleben erfcheint mit Eike als Zeuge der Urkunde der Marf- grafen von Brandenburg 1233, neben Liudgar, Dietrid) und Heinrich) von Weddingen !.

Freilich können mit demfelben Fug und Recht diefe Beziehungen aud) für einen Anverwandten Eifes, einen Sohn oder Bruder, ſprechen; und ein gewichtiges aus dem Inhalte der Sachſenchronik hergenom- mened Moment fcheint die Autorjchaft Eifes direct auszuschließen. Unter Conftantin dem Großen tritt im verjchiedenen Handfchriften, recht geihmadlos für eine font nüchtern gehaltene Weltchronif, eine lange Betrachtung über die Kindheit der Chrijtenheit vor Couftantin auf, gegenüber welcher bejonders die Hab- und Herrſchſucht der zeit- genöffiichen Geiftlichen herbe getadelt wird. Der Verfaſſer diefer Be— trachtung documentirt ſich mit den mehrfach wiederholten Worten: We geistiken lude, als Geiftliher, und da die Betrachtung in allen Necenfionen erjcheint, fünnen wir nicht umhin den Verfaſſer der Chronik für einen Geiftlichen zu erklären. Dies jchliegt aber Eife aus ?, der ftetS unter dem weltlichen Zeugen, als liber, als Schöffe urkundlich ericheint. Bei diefem NRejultate werden wir uns zu— nächſt beruhigen müffen. Zwei Auswege böten ſich allerdings dar: einmal fönnte Eife fpäter geiftlich geworden fein und erjt im diefem Stande die Chronik verfaßt haben. Sein Nichterfcheinen in Urkunden nah) 1233 mag man hiermit zujammenhalten. Dann könnte die ganze geiſtliche Betrachtung aus einer der benutten Quellen überfett ſein?. Analoga für ein fold) mechanijches Verfahren ſelbſt bei be= deutenden Chroniften fehlen ja nit. Da möchte man denn am alfererften an die Chronif Albert von Stade denken. Noch die Stader Annalen, wie fie jet vorliegen, weifen ja dergleichen fremd- artige Einfchiebfel zur Genüge auf: abgejehen von dem Verzeichnis der römiſchen Conſuln“, der Kaiſer und dem Papitfatalog, die Zeichen des Thierfreifes, Excerpte aus den Schriften der Hl. Hildegard und

! Riedel, Nov. cod. dipl. Brandenburg II, 1, 14.

2 Mas gegen diefen Schluß Maßmann ©. 667 ff. vorbringt, zu wider« fegen, kann niemand verlangen. et ° Auch Fider 73 berührt jchon diefe Hypothefe, ohme fie weiter auszu⸗ ihren,

4 Diefes Verzeichnis ift der Imago des Honorius von Autun ent nommen,

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befonder8 den langen Dialog der beiden Schüler Firri und Tirri. Dem Abte Albert, der fein Klofter, in welchem nach dem zweifelsohne von ihm eingegebenen Schreiben des Papftes Gregor IX.! „das Heil der Seelen nicht ohne Schändung des göttlichen Namens hintange— fest wurde“, vergeblid) nad) der Regel von Eifterz zu reformiren trachtete und fich endlich nach vierjährigem fruchtlofem Bemühen, um wenigftens die eigene Seele zu retten, dem DBettelorden der Minder- brüder in die Arme warf, ihm ftand es wohl an, gegen die Ver— weltlihung der Geiftlichen feiner Zeit zu eifern, gegen ihren Befit an großen Dörfern, Höfen und Land, an Dienftmannen und Eigen leuten, gegen ihren reichbefetten Tiſch mit Wein, Meth und Dide- bier, gegen ihre jchönen Kleider und jtolzen Rojje, gegen ihr Trachten nad) weltlihem Ruhm und nach der falfchen Lober Lob; ihnen als Spiegel vorzuhalten das Leben der erften Chrijten, denen alles, was fie hatten, gemeinjam war, unter denen es feine Armen gab, da ihnen das wenige, das fie hatten, genügte. Wäre diefe Predigt für fi) als Denfmal des 13. Jahrhunderts überliefert, jo wirde wol niemand anstehen, fie einem Mlitgliede eines der Bettelorden zuzumeifen, welche ja gerade durch den Kommunismus der Armuth das Heilige Yeben der eriten Chrijten wieder verwirklichen wollten. Spuren einer Ueber- feßung aus dem Lateinischen fehlen in der Predigt nicht: die Bibel— fprüche werden zuerſt latein, dann deutſch mitgetheilt; bei den Eigen- namen finden ſich Lateinische Cafusendungen; einmal leſen wir de heilige ecclesia. Dod) kann ich hierauf fein Gewicht legen, da der Berfafjer der Chronik auch unabhängig von feinen lateinischen Quellen dgl. gebraucht ?.

Auf der anderen Seite fprechen wieder die deutfchen Reime : It is nu alsus gedan, we moten vore de heiligen kerken stan, ofte se mot togan nicht gegen eine lateinifche Vorlage, da der Verfaffer, auch fonft mehrfach, Luft am Reime zeigt”. So überjett er unter Theodofius I. frei nad) Effehard und bringt die Reime an: Na deser dat quam de keiser to Meilan und wolde in dat munster gan Herre keiser denke des du hevest gedan, du nemacht mit blodeger hant vor godes altare nicht stan. Bei der Erzählung vom Hl. Maternus, der jedenfall auch eine lateinische Quelle zur Vorlage gedient hat: He bekarde mit der godes lere manegen Romere. Am auffallendjten zeigt fich bes BVerfafjers Freude am Reimen, fein Selbftgefühl auf feine Fä— higfeit, wenn er, der Kaiſerchronik folgend, deren Reime verſchmähend, aber doch wol durch die Vorlage angeregt, jelbftändige Reime vor=

ı Ann. Stad. 1240 ©. 366,

2 Beſonders charafteriftiih ift im diefer Beziehung die Form Romani, wo die überſetzte Vorlage, Effehard, populus Romanus gibt, unter Tarquinins Superbus, Mafmann 83, 3. 2 v. u. Ein anderes Beifpiel derart gibt ſchon Waitz ©. 18.

5 Daß er im Neimen nicht ungelibt war, zeigt ja ſchon die Reimvors gebe.

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bringt. So bei der Erzählung von Tiberius und Veronica; Tibe- rius vrowede sik sere, he gaf dem bilde michele ere; bei der Erzählung von Severus und Abelger: Der storm wart dar vile grot, der Romere bleven sestich dusent dot; hier ift neben den Neimen auch der ganze Gedanke der Kaiferchronif fremd, während die vorhergehende Schilderung unzweifelhaft auf diefe zurückgeht. Terner bei der Erzählung vom weißen und jchwarzen Dietrich (unter erh Ich genas aleine und quam an en sant, dar mich

e vischere vant; unter Karl dem Großen: Do richte koning Karl mit eren algelike armen und riken; dat recht let he do seriven, allerhande manne und wive. Das Vorkommen der deutjchen Keime in der Predigt wäre alfo fein Grund gegen die Zurüdführung berfelben auf eine lateinische Vorlage,

Auch eine eingehende Vergleihung des Sachſenſpiegels mit der Chronik führt uns'nicht weiter, ja fcheint in einzelnen Fällen direct gegen die Annahme eines Verfaſſers zu ſprechen. Daß in der Chronik „der Mann des Rechtes“ ſich geltend mache, wie Mafmann ! angibt, kann ich nicht finden, jedenfall® würde e8 noc nicht viel für Eife beweifen. Zu dieſem Behufe müßte gezeigt werden Können, daß die Chronit mit Vorliebe Redts- füge, die im Sp. erfcheinen, an Hiftorifche Vorgänge anfnüpfte, befonder8 auch ihre Entftehung durch ſolche motivirte. Und letteres kommt nur in drei Fällen vor. Einmal die Entjtehung der Vererbung des Hergemwätes, welche ja im Sfp. eine nicht unbe: deutende Rolle fpielt, unter Heinrich I: De koning gebot oc, dat de eldeste broder in dat here vore; dat se dat herewede nemen, dat ward do recht?. Wichtiger find zwei andere Stellen. Don Erzbiſchof Wichmann wird unter Heinrih VI. erzählt, daß er zuerft das Recht abgefchafft, daß Dienftleute von freien Weibern feine freien Töchter gewinnen konnten, und daß diefe Neuerung zuerft bei den Scwefterkindern Gumprechts von Alsleben praftiich geworden fei. Hierzu fteht vortrefflih Sip. III, 73, worin zuerft gejagt wird, daß die Kinder aus Ehen fchöffenbarer Frauen mit Landfaffen und. BDiergelden der ärgeren Hand folgen, und fortgefahren wird: Dit selve recht hadden och die denstman went an den biscop Wichmanne von Megedeburch®, dat die sone behielt des

ı ©, 670; ähnlich Fider,

2 Allgemeineren ftaatsrechtlichen Charakters find höchftens folgende Stellen: Hofbieten des Herzogs von Baiern unter Heinrich I; dann findet der Rechtsſatz Sſp. III, 57, 1, daß der Papft den Kaifer nur um dreier Dinge willen bannen dürfe: of he anme geloven twiflet, oder sin echte wif let, oder

odes hus tostoret, zweimal in der Chronif Anwendung, bei Lothar II. em Ludwig IL): wante he sin wif hadde gelaten, und bei Friedrich I: Dese Alexander dede den keiser to banne, wante he sin wif gelaten hadde und genomen ene andere. Die erfte Stelle ift aber E. entnommen und bei der zweiten wenigftens Einfluß von P., welche den Gedanken in an- derem Zuſammenhang geben, nicht ausgeichlofjen.

3 Hier fcheint mir zu ergänzen: de stadede do, de satte do, ober der⸗ gleichen. Anders ſcheint mir kein Sinn in die Stelle zu bringen,

ZIV, 34

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väter recht und die dochter der muder, und hotden na ih, of sie (d. h. der Vater im erften, die Mutter im zweiten Wall) dienstlude waren. Der game Artikel im Sſp. iſt Zuſatz erfter Hand, wohl noch von Eife ſelbſt, und Fider ninmt an, daß Die Chronik auf denſelben ſchon eingewirft haben fünne!. Jedeufalls ſchöpft Hier diefe nicht au8 Sſp., aber auch die Selbftändigfeit dieſer Stelfe ift zum mindeften zweifelhaft: die Gesta Wichmanni fchei- nen hier Quelle zu fein? Ebenfalls Einwirkung der Chronif auf einen Zujag in Sfp. I, 3, 3 nimmt Ficker an für die Nachricht von der anf dem Lateranconcil ertheilten Erlaubnis, in der fünften Sippe zu heirathen, unter Otto IV. Diefe Satzung geht aber das Yand- recht gar nichts an?; cher em Geiftlicher als der ſächſiſche Schöffe mochte fich für fie intereffiren. Zwei weitere Stelfen, welche vielfach fhon herangezogen find, tragen noch anderen Charakter und bürften genau genommen eher gegen die Autorichaft Eikes ſprechen. Weber die Dürjtellung der Verurtheilung Heinrichs des Löwen in S. habe ic in anderen —— gehandelt * nnd dieſelbe größtentheils der Stader Chronik zumeifen zu müſſen geglaubt. Doc feugne id hier nicht Einfluß des Sfp.°, welcher zur Verwirrung des Sadjver- haltes und zur unpaſſenden Zufügung eines Sates über das Ver— haltniß der Erben zum Eigen geführt hat. Es hält in der That fchwer, den Verfaffer des Rechtsbuches, ben in Anwendung der Rechts- füge geübten Schöffen, einer ſolchen Konfufion für fähig zu halten. Die zweite Stelle zu 1219, in der des Unterfchiedes der Nord— ſchwaben gedacht wird, habe ich oben ebenfalls der Stader Chronik vindieirt. Das damals zu Stade Eee Urtheil ftreitet aber di— rect gegen die Definition des Sſp. I, 19, wonach da8 Recht der Nordſchwaben fih von dem ſächſiſchen nur im Urtheilfchelten und dadurch unterſcheidet, daß der Schwabe een und Erbe auch tiber die fiebente Sippe hinaus, foweit er jene Schwertmagſchaft er— mweifen Tann, in Aufpruch nehmen darf. In Bezug auf die Zu— ftnmmang der Erben zur Uebertragung von Eigen aber gilt aud) für den Schwaben der allgemeine Sat I, 52, 1: Ane erven gelof und ane echt ding nemut nieman sin egen noch sine lude geven. War 8 für den, der mit ſolcher Beftimmtheit dieſe Sätze Yingeftellt, der felbjt ganz in der Nähe des Schwahengaus zu Haufe war, nicht fo zu fagen nothwendig, bei Erzählung des Stader Ur- theils, nicht nur einzuwenden, daß defjen materielle Grundlage (näm« lich daß der Pfalzgraf Heinrich ein Nordfchwabe fei) irrig, ſondern daß auch die Stader Schöffen des Schwäbifchen Rechtes gänzlich un- fundig waren ?

Auf der anderen Seite können einzelne Anklänge in der Chronif

ı ©. 75. Für die Autorſchaft Eifes ift dies augenſcheinlich irrelevant, ° ©, Forſchungen XIII, 189,

8 Was ja and) Sip. I, 3,8 direct ausgefprodyen wird.

Forſchuugen XHI, 181 ff.

7 a.

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anden Sip. gleichfalls nichts für die Autorfchaft Eifes beweifen, voraus- gejett, daß man au der früheren Abfaffung diefes, an feiner Benutung in der Chronif feithält. As auffallend bemerfe ih in der Reim— vorrede der Chronif 11. 12: unde jewelichen man sines rechten godes gan Praef. rythm. 20: jegeweme ich rechtes gutes gan. Chronif M. 7: Dit was de erste dach, de je gewart, den hete we och sunnendach Sſp. II, 66: de sundach was de erste dach, de je gewart.

Daß die Hiftorifchen Angaben de8 Sſp. nit in die Chronik übergingen, felbft wenn Eife der Verfaffer lekterer war, dürfte an— dererjeit8 auch nicht auffallen, da er bei Abfaffung letterer durchweg an der Hand zufammenhängender Quellen fchrieb!. Auch bei der Hauptftelle, welche man in Zujammenhang mit dem Sp. gebracht hat?, und welche der Sachſen Ankunft behandelt, glaube ich eher Benutung der Stader Chronif annehmen zu müſſen?; die Stelle zeigt, wie ſchon Wait* bemerkt, Feine wörtlichen Anklänge an Sip. III, 44, 2 und gibt aud einen Gedanfen mehr als diefer: nämlich, daß die Sachſen Burgen in dem neu eroberten Lande gebaut?.

Ziehen wir die Summe, fo dürften die Gründe, welche gegen die Autorfchaft Eikes fprechen, die gewichtigeren fein. Nur künſtlich ließen ſich einige derfelben befeitigen, andere vielleiht nur nad) Ent- deckung neuen handſchriftlichen Materials, wozu freilich; fehr geringe Ausfihten vorhanden find. So muß fich bei diefer Frage, gleichwie bei denen nach der Compofition und Abfaffungszeit der verfchiedenen Necenfionen der Sachſenchronik die Kritif leider befcheiden, die Gründe für und wider Scharf darzulegen, auf die Schwierigkeiten hinzuweiſen, welche einer allgemein befriedigenden, präcifen Löſung im Wege ftehen.

Anhang. Der Sachſen Herkunft.

Das Verhältnis ber Quellen, in welchen die Nachricht von der Sachſen Ankunft vorkommt, zu einander bedarf auch nad) den Er- örterungen von Bider® und Wait noch der jchärferen Faſſung. Beide nehmen nad) dem Vorgange von dv. Daniel8® an, daß Sip.

ı Ich rechne hierher Sp. III, 7, 3: Josephus weder den koning Ve- spasianus, do he sinen sone Titus gesunt makede von der jecht. Eine ausführliche Erzählung dieſes Borganges ſ. Zeitichr. f. deutich. Altertum N. F. V, 157. Sſp. III, 42, 3 Belegung der drei Welttheile dur) die Söhne Noahs. Die III, 44, 1 erwähnten vier Weltreiche ftimmen ja allenfalls mit ber Chronik.

2 Ficker 75.

s Ann. Stad. 917, ©. 311; vgl. Forſchungen XIII, 174.

ı ©, 22 Aum.

5 Ueber das Berhältnis der Onellen, in denen diefe Nachricht überhaupt vorlommt, zu einander vgl, den Anhang.

6 _ Entftiehungszeit 55. 76.

34*

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III, 44, 2 hier das Künige buoch alter und niuwer & (Ausg. von Mafmann in v. Daniels, Land- und Lehnrehtbuh I, ©. CXXIII) benutt habe. Diefe durchweg die Geſchichte durch Fabeln fälfchende Chronik beruht im zweiten Theile auf der gereimten Kaifer- hronif, von welcher fie auch in ihrem Schluffe (Konrad III.) ab: hängig ift, im erften Theile auf einem ähnlichen Gedichte des alten Bundes. Da fie als Einleitung zum Schwabenfpiegel, ein Theil der alten & (bis Nabuchodonofor) als Einleitung zum Deutfchenfpiegel er- fcheint, jo möchte man vonvorneherein eher geneigt fein, anzunehmen, daß fie, gleichwie diefe beiden Kechtsbücher, fpäter als der Sp. ge- fchrieben fei. In der That kann ich bei näherer Betrachtung der von Ficker geltend gemachten Paralleljtellen Feine zwingenden Gründe dafiir erfennen, daß das Verhältnis ein umgekehrtes jei, daß Sip. aus Kb. geichöpft habe. Daß Eife in der Praef. rythm. 235 dem, der fein Nechtsbuch fälfche, den Ausfag des Yezi an den Hals wünscht, fann nicht auffallen, da wir dergl. fromme Wünſche in zahlreichen Urkunden des Mittelalters auch finden; daß er hierbei nody Naamans gedenkt, der von dem Ausſatz erlöit wurde, ijt ein überflüjjiger Ges danfe, der ihn aber, aud) ohne daß er die weitläufige Erzählung des 8b. XLVILL vor Augen gehabt zu haben brauchte, in Folge feiner Kenntnis der bibliſchen Geſchichte, in die Feder gekommen fein kann. Die Angaben über Konftantin d. Gr. im Sp. text. prol. und III, 63, 1 jtehen überhaupt nur in ſehr entferntem, formellem Zuſam— menhange mit Kb. CXLIHI. Während im text. prol. überhaupt nur davon die Rede ijt, daß Konſtantin Satungen gemacht, welche jetst noch in Sachen Geltung haben, fpricht III, 63,1 zunächft von dem weltlichen Gewedde, das Konftantin dem Papſte Silvefter ver- fiehen, wovon ſich im Kb. nichts findet, und erwähnt ferner im All- gemeinen die Verpflichtung des geiftlichen und des weltlichen Gerichts, einander zu unterjtügen (vgl. I,1). Sicher bezieht ſich diefe Rechtsan— ſchauung, wie aud) jchon Homeyer anführt, auf die in vielen Reichsge— jegen des 12. und 13. Jahrhunderts! wiederkehrende Beſtimmung, daß Acht den Bann und Bann die Acht nad) fich ziehen folle. Im Kb. wird die Einfegung diefes Rechtsſatzes auf Konftantin zurüd- und präcife dahin ausgeführt, daß ein Zeitraum von ſechs Wochen und einem Tage erforderlich jei zum ingreifen des anderen Gerichtes?. Da num aber auch der Dip. 317 diefe Beitimmung (allerdings ohne Be— ziehung auf Konftantin) dem Texte des Sfp. zufügt, fo fcheint es mindeſtens ebenjo wahrfcheinlih, daß Kb. feine Kenntnis deffelben diefem entnommen, als daß Eife den präcifen Nechtsfat des Kb., ber doc) das Landrecht jo enge angeht, in jenen allgemeinen Sat aufgelöft Haben follte,

1 Zuerſt, ſoweit ich fehe, 1187 in der Const. de incendiariis, Leg. II, 184.

2 Nach dem Geſetz von 1187 und der Treuga Heinrichs (VII) von 1230 (Leg.II, 268) jcheint da8 zweite Gericht unmittelbar nad) Bekanntwerden des Urtheils des erften eingreifen zu ſollen; im Geſetz Friedrichs II. 1220 Nov. 22 ift ein Jahr Friſt (Leg. II, 235). Die Geſetze Friedrihs 1220 Apr. 26 4Leg. II, 235) und Konrads IV. von 1240 (Leg. II, 334) haben 6 Wochen,

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Einen fehlagenden Beweis für die Urfprünglichkeit des Sſp. und die Mittelftellung des Dip. glaube ich zu finden in der Angabe über die vier Weltreihe, Sp. III, 44,1. Dip. 282 Hat diefe Stelle aus demfelben herübergenommen, hat hier aber aus Misverjtändnis der nieberdeutfchen Sprache: Den (Darius) versant (für vor» segede, befiegte) Alexander. Kb. CXXI adoptirt dieſen Fehler nicht nur, fondern fügt zur Erklärung aus eigener Phantafie zu: daz nie nechein man innen wart, war er je bekaeme. Die weiteren Ausführungen des Kb. an diefer Stelle find auch recht un— geſchickt: De jungiste Darius der nam ez (daz riche) hin ze Constantinopel, daz lit in Kriechen.

In der Stelle von der Sachſen Herkunft deutet aber jchon der Eingang im Kb. CXXIII auf Verallgemeinerung, auf das Mittel glied des Dip. Hin. Die Sage ift ja doch, wie aus Widufind und den Quedlinburger Annalen erfichtlich, nicht deutſche National- ſon— dern ſächſiſche Stammesfage, als folche hält fie der Sip. feit; der Dip. 282 will fie, ohne eine Aenderung am Texte des Sip. vor— nehmen zu müſſen (da er ja ein Spiegel aller deutjchen Yeute fein will), wohl auf alle Deutfchen bezogen wife. Das Kb. fagt dies beftimmt: Wanne tiutsche liute komen sint, daz sullen wir iu sagen. Alſo fortichreitende Verfchlechterung, angejichts deren es ſchon fchwer hält, den Sp. aus Kb. abzuleiten. Dann läßt Kb. die Thüringe ganz beifeite; fie pafjen ja aud nicht mehr hierher, wenn die Anklömmlinge die Vorfahren aller Deutichen fein follen. Einzelne weitere Ausführungen im Kb. beweifen gewiß nichts für die Ableitung des Sfp. aus demfelben. So der Untergang der Schiffe bis auf 54 durd) die nachſetzenden Feinde. Es lag nahe, da in der Vorlage über die Urſache diefe8 Untergangs! nichts zu finden war, dies einzufügen. Werner die Schilderung der bäuerlichen Laften, welche Kb. von diefer Eroberung Deutſchlands Herleitet, auch eine Ausführung, deren Nichtvorhandenjein im Sfp. nichts gegen dejjen Urjprünglichkeit beweijen kann. Der Schlußſatz im Sip.: Von den laten, die sik vorwarchten an irme rechte, sint komen dagewerchten, den Dip. noch beibehalten, ift im Kb. aus Mangel an Verftändnis in das nachläſſige: Man seitouch von einer hande liute, die heizent tagewurchen, verwäffert. Nach diefem Ergebnis ſcheint e8 mir nicht zweifelhaft, daß die Lesart Rujan des Sip. die urfprüngliche if. Rügen neben Preußen entipricht der fächjifchen Sage und ift außerdem noch dur) die Ann. Stad. beglaubigt. Bechaim wäre für die fächfifche Sage unfinnig, da man dahin mit Seejhiffen nicht gelangen kann. Der oberdeutiche Verfaſſer des Dip., der Rujan nicht unterzubringen wußte, verballhornte eben diejen Namen in Bechaim, und Kb. fchrieb dies getreulich nad).

ı Es ift doch wahrfcheinlich als Urſache Sturm gedacht, wie ſich in ber ähnlichen, im einzelnen aber vielfach abweichenden Erzählung des Chron. Holtzatiae, 88. XXI, 257 findet.

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Gleichwie alfo der Dip. eine Veralfgemeinerung des Sip. auf alfe Deutfchen ift, ebenfo wurde durch ihn zuerft die ſächſiſche Stam— mesſage zur deutjchen Nationaljage umgeftempelt und fand als folche Eingang in Kb. Durch diefes einfache Verhältnis wird dann auch die Annahme eines älteren Kb. überflüſſig. Möglicherweife haben wir den Verfaſſer des Dip. auch für den Verfaffer des Kb. zu halten.

Die Benugung des Sip. durch die Sachſenchronik hat fchon Wait in Zweifel gezogen, und ich glaube wenigftens wahrfcheinlich gemacht zu haben, daß eher die Stader Chronik zur Vorlage gedient hat.

Aber auch die Benugung des Sſp. von Seiten diefer glaube ich wegweifen zu müjfen. Albert hat beider Erzählung, wie fi) noch in den jegigen Ann. Stad. zeigt, offenbar zwei Berichte combinirt: einmal den aus Widufind und der Translatio S. Alexandri zu= jammengefetsten des Effehard!, dann aber einen anderen, deffen Nach- richten jich doch nicht alle im Sſp. wiederfinden. Abgefehen davon daß Sip. die Sachſen herto lande, die Ann. Stad. aber ad Albiam fommen lafjen, findet jich im Anſchluß an die Landung Hier die Nachricht, daß die Anfajjen eines der Schiffe über der Elbe den Wald angebaut und gerodet hätten, in welchem fie fpäter vorgefunden und Holzaten genannt worden fein. Will man nicht noch einen dritten Bericht in It. benutt annehmen, jo muß man auch in der folgenden Erzählung von der Vertreibung der Thüringe einiges von Effehard Abweichende dem zweiten zuweilen. So vor allem die Etymologie des Namens der Sachen von der Waffe mit dem beut- jhen Spruche: Nemet iuwe saxes?. Die theilweife fehr genaue wörtliche Verwandtichaft zwifchen Sp. und St. macht es allerdings jehr wahrfcheinlich, daß beide eine gemeinfame Vorlage benutzt Haben, daß diefe eine deutjch gefchriebene gewefen, iſt, wenn auch nicht unbe— dingt nothwendig, fo doch wahrjcheinlich, wie der deutſche Spruch, die nur im Deutjchen verftändliche Herleitung des Namens Holtaten von silva (holt), fowie der litones quia ab eis vivere sunt per- missi? darthut. Möglich, daß auch ein Theil des auf Effehard Zurüdzuführenden fchon in diefem Berichte Aufnahme gefunden, die Erzählung ift in St. fehr zufammengezogen und läßt vielfach wört— lichen Anklang an Effehard vermifjen. Die Sage war jedenfalls zu diejer Zeit in Sachſen weit verbreitet, und fo darf es nicht wundern, wenn Sfp. und St. diefelbe felbftändig aufnahmen. Die Benutzung von Sſp. IH, 57, 2 in St. 1240 (die Kurfürften) wage ich nicht in Zweifel zu ziehen.

ı SS. VI, 176 ff. $ider 67. 68 irrt wenn er bier einen felbftändigen aus Widufind, der Translatio und Ekkehard combinirten Aufjag als Duelleannimmt, der im Anfange der Gothaifchen Handfchrift der Sachſenchronik deutſch erhalten jei. Diefer Anhang ift eben auch nur eine Ueberſetzung Effehards.

2 Diefer Ausfpruc findet fi) auch in der verwandten, aber doch im ein- zelnen abweichenden und fpätere Sagenbildung verrathenden Erzählung des Chron. Holzatiae, SS. XXI, 257.258; zuerft wol im Nennius c. 46.

s do lieten sie die bure sitten ungeslagen dar af quamen die late Sſp. Bon Peer 67 wird dies mit Recht gegen die Herleitung des Sſp. aus St. geltend gemacht.

Beiträge

zur Gefchichte des Bauernkriegs in Thüringen. (Fortfegung von Bd. XI).

Don

Joh. Karl Seidemann.

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2. Die Unenhen zu Rangenjalze.

Wichtiger noch als für Mühlhauſen find, bei der größeren Ar— muth an anderweitigen Zeugniffen, die Akten des Dresdener Archivs für Langenſalza.

In Salza war bereit8 1523 die ganze Gemeine in aufrühreri= ſchem Sinnen auf dem Auguftinerficchhofe verfammelt gewejen, aber doch wieder friedlich auf gejchehene Vorftellungen aus einander ge= gangen. Die Unzufriedenheit mit dem Beftehenden und die Gährung dauerten an. Der herzogliche Amtmanı Sittih von Berlepſch war unbeliebt. Die herzoglichen Erlaſſe wider da8 Tutherifche Weſen machten erbitterte, ftillingrimmige Herzen. Dazu fam, daß Finanzerei, welche der gemeine Mann ſich auf gut deutſch als Schinden und Schaben verdollmetfchte, wie allerwärts, fo auch hier vielfeitig geiibt wurde. Einzelne Salzaer waren. in Alljtädt gewefen und hatten Münzer pre- digen hören; Valtin Trötfchel ging vielmals nah Mühlhaufen zur Predigt. Liborius Gleifberg, Anton Belam fammt feiner „faft muth— willigen und vorwißigen Hausfrau“ Hatten das Gelüfte, mit den Reichen zu theilen und rothe Schauben ! zu haben. Claus Hufener, Zelihmüller oder Silichmüller genannt, ein Töpfer, pflegte zu äußern, wenn er den Leuten Defen machte: e8 würde noch werden, daß er umfonft Defen machen und man ihm ohne Geld Fleifch aus den Bänfen, fo er darnach fchicte, jenden werde. Im Auguftinerklofter gab e8 etliche lofe Brüder, die haben viel Lutherei im Klofter ge— halten und Melchior Weigand und andere fih mit den Mönchen etwas berathichlagt. Der alte Bornheinric las fleißig in der Bibel und anderen Büchern, und Freunde famen zu ihm, ihn vorlefen zu hören. Hier und da af man Fleiih an den Fafttagen, wie 3. B. Born- heinrichs Eidam Albrecht Steinbrüd, ein „Löber“ (Lohgerber) in der Neuftadt, der hat, al8 er auf felbem Handwerk Obermeifter gewejen, auf des Handwerks Kerzen auf das Felt Corporis Chrifti nicht, wie üblich, Lichter machen lafjen und ift fammt feinem Schwäher martinifch).

Da fam der Jahrmarkt, den Salza feit 1482 hielt, wieder,

1 Schauben find lange Leibröde; e8 gab deren für beide Geſchlechter. Friſch unter diefem Worte.

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Sountag Quaſimodogeniti, 23. April 1525, mit ihm viele Fremde aus der theilweis ſchon in Aufruhr gejesten Umgegend. Die herr- chende Stimmung war dem Nathe der Stadt wie den Amtleuten und Befehlshabern Georgs an jenen Orten fein Geheimnig mehr. Diefe letsteren, nämlich Sittich von Berlepſch, der Amtmann Filipp Reibiſch zu Herbsleben, Hartmann Goldader zu Uffhofen, Dr. Dietrich von Werthern zu Wiehe u. a., hielten daher den 24. April eine Berathung zu Weißenfee, namentlich in Bezug auf Erhaltung der Ruhe in Saba. Zwar ftimmte für Kampf Hartmann Goldader, deſſen Bruder Hans zu Uffhofen gefährlich frank lag, ſchon als er auf dem Wege nad) Weigenfee bei Ganglofſömmern mit Filipp Reibiſch und vielen andern vom Adel zufammentraf und Neibifch erzählte, wie er von des von Beichlingen Schöffer glaublich berichtet fei, daß eine große Empörung im Gericht Kraienberg vorhanden wäre, die der Schöffer gejehen habe, und gedächten alfo fürder zu rücken und hätten etliche Edelleute, fonderlich den Ludwig von Bömelburg und andere, gedrungen, mit ihnen zu ziehen; zwar fuchte er noch in Weißenfee den Amtmann Reibiſch und den Dr. Dietrich von Werthern zu bewegen durch drin= gende Mahnung und Bitte, daß fie von des Herzogs wegen möchten den Glockenſtreich laſſen angehn, ehe die Kraienberger Motten ins Land ihnen fielen; zwar erbot er ſich, jelbft wenn er nur 200 Pferde hätte, den Empörern entgegen zu rücken, ber Zuverficht, fie mit gött— licher Hilfe zu fangen oder zu trennen, weil fie feinen reiſigen * hätten. Aber es war vergeblich, Mahnungen wie Bitten fielen na— mentlich bei Dietrich von Werthern in taube Ohren. Nur folgende Artikel wurden durch die herzoglichen Räthe zu Weißenſee für das Befte angeſehen, nach Geſtalt der Läufte zu handeln, belangend die Empörung des fremden Volks jenes Fürſtenthums:

„Zuerſt dem Herzoge Georg ben Handel, fo das fremde Volk verurſacht, nad) der Länge durch eilende Poft aller Nothdurft nah zu melden und ben Grafen und Nittern hierorts zu fchreiben, daß jeder daheim bleibe und fich rüfte, um dem zu erwartenden Befehle Georgs zu geleben. Sodann: Ob vom Rathe zu Salza Ansuchen geſchähe, weß man fid) in diefer Sache halten folle, oder ob fein Anfuchen geſchähe, fo foll man ihnen anzeigen und, weil fie ſich allıwegs dem Willen Georgs gehorfam gehalten haben, melden, daß diefer die Berfamumn- Inng fremden Volks belangende Handel durch eilende Poft dem Herzog zuge: fchrieben fei in der Hoffnung, feine f. G. werde ihr Gemüth hierin aufs Förder- lichſte gnädiglich zu erkennen geben. Das foll dem Rathe zu Salza angezeigt, auch mit den Biertelsmeiftern und den Oberften aus den Handwerken befchei- dentlih, mit Erinnerung, wie gnädiglich fich der Herzog bisher in allen Sachen gegen fie bezeigt habe, gehandelt werben. Weil auch Berathichlagung dieſer Sachen noth, follten Herr Ritter Apel von Ebeleben, Herr Georg von Hopf« garten, Herr Hans Goldader, als feiner f. G. Räthe, und fonft drei oder vier vom Adel ins Amt bejchieden werden, fi von wegen Herzog George im Beifein des Raths zu Salza davon zu berathen. Es follten auch die Heimbürgen aus den Pflegen ins Amt fchleunig gefordert, und mit denen auch befcheidentlich ge- handelt werden von diefen Dingen. Actum zu Meißenfee Montags nad) Qua— fimodogeniti Anno 2c, 25”,

In Salza flüfterte man ſich an diefem Tage das Gerücht zu,

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der Amtmann Sittich von Berlepich gehe zufolge herzoglichen Befehls damit um, acht Wagen voll martinifch geſinnter Bürger nach Rochlitz! abführen zu laffen. Der Barbier Hand Schuchert, der allerdings fpäterhin von dergleichen nichts wiffen wollte, follte vom Bürgermeifter Fenſterer gehört haben, daß der Amtmann gejagt habe: mich erbarmt des armen Volks, daß man fie noch fo jämmerlich wird wegführen. Diefes Gerücht, vielleicht völlig unbegründet, wirkte verderblich, denn mehrere Bürger, Hans Krohn oder Krohme, Hans Lofinke, Hans Zigiller fonft Hans Melchior genannt, Dietrich) Gans, deifen Vater 40 Jahre lang Bürgermeijter und Rathmann zu Sala und Thams- brück gewefen war, jchliefen diefe Nacht nicht mehr in ihren Häufern; und damit war der Anlaß zum Ausbruch der Empörung gegeben. Schon feit zwei Jahren nämlich war man in Salza aud mit einem Aufruhr umgegangen, zu deffen Erhebung ſich allmählich einzelne Bürger zufammengefunden hatten. Am Weidenborne pflog man der Unterredung darüber; wenigitens war Steinbrüd dort mit dem alten

offemann im Spital, Kunhard Waltern in der Salzgajje, Hans

rötfcheln und Silihmüllern, die aber dort nichts Widerwärtiges ge— redet zu haben behaupteten. Hans Beidder, der Kannegießer in der neuen Pforte, Hans Melchior, Hans Schützemeiſter, der 1525 nad) Gotha entkam, Baftian Sattler machten 1523 Anfchläge, Pfeifern nad) Salza zu bringen, daß er da predigen follte, und gingen des— halb nad; Mühlhauſen. Zufammenfünfte ferner hatte man gehalten in des Bäder Hans Wetftein Haufe in der Judengaſſe, in des Ceiler8 Haufe auf dem Krautmarkte, in Claus Heinzens, Hans Kro= mens, Hans Lofinks, Hans Melchiors Häufern; da ſaßen die Freunde des gewaltfamen Fortichritts immer bi8 Mitternacht beifan- men, und fam 3. B. Albrecht Steinbrüd nad) Haufe, dann redete er graufam von der Sache, wie daß ein großer Haufe Hundert Taufend jtarf bei einander liege, die wollten den Dom zu Mainz umfehren und darnad) aller ins Land ziehen, würden allhier auch Unluft ma— chen, und ſagte, folche Botichaft hätte Kilian, der Bruder von Kro— mers Weibe, gethan, derfelbe, welcher den Bürgern etliche Mal auf dem Bergfirchhofe gepredigt hatte. Namentlich aber ftanden zwölf Man in einer Secten, die evangelifche Prediger haben wollten: Wolf Bornheinrich, des alten Boruheinzen Sohn, Meldior Wigand, Baftian Setteler, Albrecht Steinbrüd, Hans Kromen, welcher, als

ı Das Gerücht Tantete fogar dahin, der Amtmann hätte in berfelben Nacht das Landvolk in die Stadt bringen wollen, um durch daſſelbe die acht Wagen voll Bürger wegbringen zu laffen. Münzer fcheint demnach ungenau berichtet gewefen zu fein, wenn er feinen lieben Brüdern in Thüringen fchreibt: „Siehe, da ich die Worte fchreibe, fam mir Botſchaft von Salza, wie das Volk deu Amtmann Herzog Georgens vom Schloß Tangen wollen, um deswillen, da er drei hab wollen heimlich umbringen“. Altenb. III, F. 134, welder Brief aljo vom 25. April ift. Zu denken ift an die „Rochliger Jupen“, ge- fürchtete Gefängnißthürme des Rochlitzer Schloffes; wer die anhabe, deu friere nicht, ſagte das Sprichwort.

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die Empörung nun flott war, zu Wenigenvargula äußerte, er fei fammt feinen Gefellen feit zwei Jahren auf Aufruhr bedacht geweſen, Claus Heinze, Valtin und Claus (Hufener) Töpfer, Nicolaus Som: mering, Johann Auerbah, Hans Wepftein der Bäder, und Hans Ranngießer bei der neuen Pforte; oder, wie der junge Jacob Bornheinrich fpäter diefe Zwölf bezeichnete: Hans Krome, Baltian Setteler, fein Bruder Wolf Bornheinrich, Albrecht Steinbrüd, Claus Beine, ya Wetftein der Bäck, Johann Netell, Johann Auerbach, aspar Nickel, Chriftof Stiefel, Melchior Wigand, Claus Heufener. Wolf Bornheinricd) ging ſchon am Montage, 24. April, mit feiner Büchfe von Salza weg, um „den ſchwarzen Haufen!“ zu fuchen, aber fein Vater ſchickte ihm nad) und ließ ihn wieder heim— holen. Am Morgen des Dienstages aber, 25. April, famen Krohn, Lofinf, Hans Melchior und Gans zu Melchior Wigand, der eben got fpaltete, und beſprachen mit ihm die Gefahr, die ihnen dem erüchte nad) vom Amtmanne drohen follte, denn Amtmann und Rath feien diefe Nacht beifammen geweſen. Wigand, ein „Schuh läpper“ (Schuhflicer), der früher den Kriegen nachgegangen war “und, nachdem er zu Salza in ehelihem Stande geſeſſen und mit Wolf Bornheinrich verfchwägert war, fid) da mit Fechten und an— derem leichtfertig gehalten hatte, fchritt alsbald zur That. Er holte, begleitet von Rotermund, der kurz zuvor von Tonna herüber gezogen war, die Trommel? auf dem Thurme beim Hausmanne, ohne von

ı Späterhin behauptete der Rath, Wolf Bornheinrich fei acht Tage vor der. Empörung aus der Stadt gelaufen und habe den Haufen im Klofter Reins- born und fürder zu Mühlhaufen gereizt, gen Salza zu kommen. Dietrid Gans ſollte eine halbe Stunde vor dem Lärmſchlagen feinem Schwager, einem Schneider, gefagt haben, es folle ein Bote von den Schwarzwäldern gefommen fein, ber wäre allbier zu Salza und brächte Botfchaft, die Schwarzwälder würden fommen, und man würde bald färm ſchlagen. Gans felbft jagt darüber in feinem Bitt« ſchreiben an den Herzog v. 3. 1525: „Ungefährlidy eine Halbe Stunde zuvor habe id; von dem Melhior Wigande mit befchwertem Gemüth erfahren, wie daß man bald würde Lärm fchlagen. So denn berjelbige Wigand vor zwei Jahren (da aud ein großer Haufe auf dem Auguftinerlicchhofe verfammelt ge— weien) zu mir gefchidt, habe ich ihn damals unterwiefen, daß der Haufe zu Friede geftellt worden ift und fidh zu feiner Empörung erhoben hat. Derwegen io abermals, als er bei mir geweſen, mit ganzem Fleiß ihm das Lärmſchlagen, die Aufruhr zu erwecken, aufs Heftigfte widerrathen und ihm zuvor gejagt alles Arge, wie das denn fintmals alles ergangen. Antwortete mir aber, ihrer wären dritthalbhundert und mehr, die ſich zufammen verpflichtet, und die Sache fei fo ferne an den Tag gelommen, daß fie nicht könnte zurücgewandt werden. Und als ic ihm darüber mit Erzählung vieler Erempel mwiderftanden, ift er in Zorne von mir gefchieden, drohend, daf er mit feinen Brüdern merken wollte alle, die ſich zegeln würden“.

* Die Trommeln jener Zeit waren von gewaltiger Größe, wie Bier- tonnen, die Pfeifen jehr lang; vgl. den Holzſchnitt bei Lienhart Frönſperger Folio VII, Asmus Hutter eutſchuldigte fich in feinem Bittichreiben um Wiedereinlaß gen Salza zu Frau und Heinen Kindern vom 18. Juni 1527 bei Georg: „Gezwungen flug ich die Pauken und Trommel, denn ich dem Rathe vorher vielmal® mit der Pauken Gehorjam leiften mußte”. Ein Pfeifer fand

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dejfen Sohne ſich abhalten zu laſſen; ein Trommelfchläger, Asmus Hutter, Wigands Nachbar, war bald zur Hand. Mittags 12 Uhr begann das Lärmfchlagen, und es wurde das erwähnte Gerücht laut ausgefchrieen und der Auf gehört: „Wer da will bei der Stadt Salza jtehen, der fomme vors Schloß!“ Vorauf lief Wigand, mit ihm feine Nachbarn auf dem Korn- und Srautmarkte, Yudwig Noter- mund eine Hellebarte tragend, Henz Herlip Schreiner, Georg Schmidt der Büttner; ferner Dietzel Walter mit einer Art bewaffnet, Daniel Wenke, kurz vorher aus Gotha nad) Salza gezogen, Hans Buttjtädt, Pfaffe, Hans Krohme, Hans Fiſcher, Vinz Spetter, Augſtin

ommering, der früher auf den Gaſſen in Salza zu predigen, bie Geiftlihen und Andere freventlic zu verfprechen pflegte und durch vieles Gefängniß doch nicht zur züchtigen geweſen, (leugnete aber fpäter, beim Ausbruche der Empörung daheim gewefen zu fein), Berlt Schroter, Kaspar Aisfeld, Claus Töpfer, Baſtian der Seiler, Simon Porz, Hans Wigand, Henz Hafenberg, der vorhin Kinder und alte Leute betrübt und beleidigt und zwölfmal ‚Stadtgefängniß erlitten hatte, Georg Hain, Hans Venus alias Seifart, Andreas Seifert, Hans Tylo, ein lediger Gejell, Klaus Wald, Hans Zigiller, be- holten, fich früher wider feinen Vater, feinen Bruder einen Priejter, auch in Verfanmlung des vollen Handwerks muthwillig erzeigt zu haben, Heinz Holle, Chrijtof Stübner, Hans Wetzſtein, Heinz Lerch, Günther Hilbrand unter dem Berge, kürzlich von Mühlhauſen herge— zogen, der Wagner in der Yudengaffe, Hans Melchior alias Ziegler, der vor dem Ausbruche geäußert haben jollte: e8 würde noch feltiam zugehn und jo wild, daß darnad) einer den andern fragen würde: wo haft du dich die Zeit enthalten? u. a. Eilenden Yaufes ging e8 durch die Gaſſen der Stadt unter Trommelſchlag. Noch aber zögerten viele, fi) dem Haufen anzufchließen; andere liefen erft heim, wie er Meifter, um den Harniſch anzulegen und dann fich zu jtellen;

einz Herlip der Schreiner, zu dem ein Bürger in die Werfftätte trat und ihn aufforderte mitzugehn, fchickte den alten Geiß auf das Rathhaus nach Kunde, ob das auch des Raths Wille fei, und erjt als diefer nicht, wohl aber der Bürger wiederfam und ihn bedrohte, e8 gelte das Leben, z0g er mit. Da eilte Melchior Wigand auf den Donifaciusfichhof, auf weldem neben der Kirche die große Glode hing, und läutete Sturm, um die ganze Gemeine zujammenzubringen.

fid) jpäter in eben dem Sohne des Hausmanns, den hernach Konrad Bitthum von Edftedt und Gangolf von Heilingen zum Trompeter für ihre Neifigen an— nahmen, die der Herzog nad) dem Aufruhre in Salza einlegte; er Tebte unange- fochten als Tediger Gejcll bei feinem Vater auf dem Thurme, und blies den Neitern zu Tiihe und ſonſt. Als Fähnrid gab ficd den Salzaerır für ihre Ipäteren Züge Diegel Schmidt Her, ein lediger Gefell, der ſich jedoch weigerte, das Fähnlein weiter zu tragen, als des Herzogs Befehl, heimzufehren, verlefen wurde. Göſchel 1. 1. II, 108: „Die unruhigen Rebellen follen fi) in der Nebellsgaffe veriammelt haben, und davon foll diefe ihren Namen erhalten haben“. Sie hie aber ſchon 1434 jo; Seidemann, Geſch. d. Familie Gute bier Bd. I, 40.

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Das gelang. Vergebens fuchte e8 der Nath zu hindern, vergebens fandte er den tobenden Läufern feine Nathsdiener, ſelbſt Rathsper— ſonen unter Augen, vergebens Tieß er ihnen anfagen, von ihrem Vor— nehmen abzuftehn, und ob fie an etwas Mangel hätten, möchten fie aufs Rathhaus kommen, fo follten fie wie gebührlic gehört werben und guten Beſcheid finden; vergebens denen, die fich durch den Anblick des Haufens und durch da8 Gejchrei aus den Hänfern gethan hatten, gebieten, in ihre Häufer zurüczugehn, denn dies Vornehmen fei ohne des Raths Befehl erhoben. Es wurde ſelbſt Widerftand geleitet. Der Stadtdiener Andreas Kecht redete in der Neuftadt bei der Oel— mühle den Trommelfchläger Asmus Hutter einhaltend an; alsbald that fih mit anderen Hans Meldior Ziegler von Hans Niethens, ‚der die Zeit Bier ſcheukte, Haufe zu ihm und ftach nad ihm mit den wüthigen Worten: Du Böjewicht, Du follft fterben! alfo, daß Kecht ihm entfallen müjjen, wie diefer nachgehends eidlich betheuerte. Die Rädelsführer gaben zugleich der Herbeiltrömenden Menge als Zweck ihres Unternehmens an, Waſſer und Weide freizu haben, den Wucher, Zins, Zoll und Zehnten abzuthun; miederfäufliche Zinfen follte man nicht mehr geben. Meifter Baltin, der Seiler im Plan, Claus Zöpfer vor dem Erfurter Thor und Diekel Walter Hatten ihr Vor— nehmen, alle Dinge eigen zu haben. So führte man die in gehar- nifchter Wehre verfammelte Gemeine auf da8 Rathhaus, woſelbſt fie die Thüren allenthalben verjperrten und verwahrten, und fie forderten nun die Schlüffel zu den Stadtthoren, auch, daß man die Perfonen, jo von wegen ber Gemeine beim Rathe fiten, zu ihnen fommen ließe, worauf fie alsbald alle und jegliche Thore fperrten und mit ftarfer Hut aus der Gemeine beftellten, aljo, daß ohne ihren Wijfen und Willen niemand zur Stadt aus- noch eingehen konnte; zugleich mußten die Stadtdiener und Schwertfnechte ihre Wehr von fich legen. Als nun die Gemeine in Harnifh und Wehr, mit Handbüchfen und angezündeten Lunten faft beifammen war und die Thür am Rath— haufe inmwendig, daß niemand davon fommen möchte, auch das Rath: haus auswendig und die Stadtthore mit Gewappneten beftellt waren, erklärten fie, fie wollten die Schlüffel zu den Stadtthoren bei den Zwölfen, die aus der Gemeine in den Räthen ſäßen, forthin wiſſen und laſſen und jett noc zwölf Männer aus ihrer Gemeine Eiejen, ‚die neben denen im Rathe figen und ihre Sachen antragen und han— deln follten. Da fendeten die drei Räthe diejenigen von den zwölf Gemeindeverordneten, welche bei der Hand waren, in den Haufen vor die Rathsſtube umd gaben ihnen den Stadtjchreiber Georg Höpfner ! bei, der auch mit füglichen Worten den Haufen erinnerte, diefer Meinung: „weil fie alle und ihrer ein jeglicher ohne Zweifel wohl wiffen und ohne Zweifel ſich erinnern, daß des Rathes Regi— ment, wie e8 bisher gehalten, von dem Landesfürften verordnet und beftätiget fei, der Rath und Näthe dazu gehörige Pflicht gethan und

ı Göfchels Chronik II, S.180 f. Seidemann, Fam. Gutbier I. Regifter S, 99,

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bie von der Gemeine alfenthalben dem Nathe fürder, als anftatt des Landesfürften, Gehorfam gelobt Haben, jo wolle dem Rathe nicht leidlich fein, und ihnen, der Gemeine, aud) nicht fügen, mehr Per— fonen in den Rath zu ftellen, viel weniger fich alſo, wie fie vorge— nommen hätten und gegenwärtig wären, zu verfammeln; darum fei des Nathes und der Näthe gütlich Begehren, mad) gehörten vorerin- nerten Pflichten, zufrieden zu fein und ſich andeim zu fügen, mas und worin fie aber Beſchwerung hätten, ſolches in Verzeichniß ftellen u laffen, wogegen der Rath ſich aller Gleichheit in Aufſchreibung Shrer Antwort wollte vermerken laſſen, und ob man um egliche Ar— tikel joeben nicht zufammenftimmen würde, folle der Yandesfürft fie beiderjeit8 darin gmädiglich zu weifen haben“. Damit jedod, waren die Berfammelten keineswegs zufrieden. Hans Melchior, auch Ziegler geheißen, entgegnete jofort: „Ei, Herr Stadtichreiber, das vergelte euch Gott! Wolft ihr uns aljo abweilen? Nein, wir find zufams mengefommen und wollen nicht von einander, es ſei denn gefchehen, was wir wollen“. Und als er ſich zu der Gemeine wenbete mit der Frage: „Ihr Brüder, iſt's nicht euer Wille“ ? da fchrieen Alle: Ya. Unter mannigfaltigen ungeftümen Läjterungen und Schmähworten wider den Rath wählten fie ftrads unter fi) noch zwölf Männer, verzeichneten fie auf einem Schieferftein und ließen ihn in die Raths— ftube tragen mit dem Begehren, man ſolle die aljo hinein figen Lajjen und derjelben Namen ihnen abzeichnen. Das mußte der Rath, wie billig, dulden und thun. Hierauf kündigten die Unrupejtifter an, fie wollten fich etlicher Beſchwerung bedenken und die verzeichnet übergeben, auch die Antwort des Rathes darauf und die Abftellung diefer Be— ſchwerungen Haben, ehe fie fi von einander ſchieden. Alſo Haben fie die Zwölf angezeichnet und in die Rathsſtube zu den Räthen geſetzt. Da ward es Abend; die Gemeine zog vom Nathhaufe und legte ſich im Harniſch im etlichen Haufen Hin und wieder in die Stadt und beftellte, wie es ihnen gefiel, die Wache jehr ſtark. Die Namen derer, welche am diefem Tage aus der Gemeine dem Nathe beigegeben wurden, find folgende: Hans Fifcher, Andreas Dreicher, Hans Mel- hior, Hans Lofink, Ludwig Rotermund, Dietri Gans, Hans Schmidt, Hans Tuta der Schänfe am Berge, Yudwig Therner, Ans tonius Spiler, Hermann Dorhoff der Aeltere, Antonius Fuldener der Wirth am Plane. Regierender Bürgermeifter war Heinrich Stuhler.

Der Bericht über diefe Dinge, den Dietrich Gans i. %. 1527 in feiner Bittfchrift um Einlaß an den Herzog Georg gibt, wird kaum gänzlich unwahr jein. Er behauptet:

„Der Rath hat uns Zwölf gebeten, anzunehmen, auf daß Friede würde, E. F. ©. und der Gemeine zu Gutem. Georg Höpfner, damals Stadtjchreiber, jetst Bürgermeifter, ift damals unter den Haufen getreten, als wir geforen wurden, und hat gefagt, fie follten nun ihre Mängel und Gebrechen den Herren

ı Göfdel IL, ©. 137 Verzeichnis der Rathsglieder, aber unvollſtändig.

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von der Gemeine und den Zwölfen zu erkennen geben und des andern Tags früh dem Rathe fchriftlich üderliefern. Allda wurde derſelbige Stadtſchreiber, al8 ein Gemeindediener, erfordert, daß er diejelbigen Artikel fchreiben follte. Er wegerte e8 aber und ſprach: ob er gleich ihre Sachen zum aller beften ausrichte, jo würden fie doch feinethalben immer Sorge tragen, wenig trauen, alles, was durch ihn gemacht jei, ummenden, und er werde alfo. nur vergeblide Mühe ausrichten. Und fo zeigte er mid ihnen an, daß ich's ihnen fchreiben follte. Ich Habe es aber aud) abgefchlagen und die Urfachen aus einander geſttzt, die mir jet zu Handen kommen. Es jagte aber der Stabtichreiber, das follte mir aus allem Schaden fein, und hat mich von megen der drei Räthe, auch feinet- halben gebeten, damit willig zu fein; die Räthe follten def allewege gegen mich im Guten gedenfen. Auch der Rath hat uns flehentlich gebeten, folches nicht zu verfagen, denn fie wüßten fonft keinerlei Weife die Empörung zu ftillen; auch wollten fie uns E. F. ©. verantworten, wie daß wir folche® auf ihre Bitte, ganzer Gemeine und folgende E. F. ©. zu Gute gethan und uns nicht aus eignem Frevel dazu gemöthiget hätten, und als fie uns de ihre Brief und Siegel angeboten umd gegeben, haben wir ums zur Annahme überreden laffen“.

Dietrid) Gans fchrieb die Artikel der Gemeine noch diejelbe Nacht in des alten Hermann Dorhoffs Haufe.

Den folgenden Morgen, Mittwoch nad) Quafimodogeniti, 26. April, trat der Kath zeitig zuſammen, und Meldior Wigand ver— hehlte feine Freude nicht, als er über die Zwölf, welche gejtern die Gemeine geforen hatte und die nun mit in der Ratheftube ſaßen, feine Blicke ſchweifen ließ; denn troß des Altars, der dort ftand, ging e8 laut und wild Her, und Wigand lief, gleid) anderen, feines Be— liebens aus und ein; er fagte an diefem Morgen in der Rathsſtube öffentlich: „Diefe Sache habe ich erhoben und viele Mühe gehabt, ehe ichs dahin gebracht Habe, e8 ijt um den Kopf zu thun!“ Die Gemeine erjchien nämlich wieder im Harnifch auf dem Rathhaufe und ließ ihre zwölf Artifel, wie fie während der Nacht abgefaßt worden waren, in die Rathsſtube tragen, wartete auch mit großem Ungeftüm auf die Antwort, die der Rath aufjegte und der Gemeine übergeben fieß, diefes Lautes:

„Erſtlich fagen die Räthe, fie feien nicht bedacht noch geliebet, die Bürger oder Jemand bei unſerm gnädigen Herrn dem Landesfürften zu verunglimpfen, daraus einige Unbilligteit zu vermerken möchte fein. So haben fie auch in Wahrheit fein Wiffen, daß jetzt jemand follte verunglimpft oder vorhanden fein geweſen, etliche Wagen voll oder irgend Einen mwegzuführen, denn fie je dazu fein Geliebens, auch das Hinfürder ungern erfahren und ſehen wollten. Auf den erften Artikel begehren die Räthe, anzuzeigen, an welchen Predbigern allhier Beihwerung. Darauf wollen fie alsdann neben denen von der Gemeine beim Herzoge auf das Allerbittlichfte und Unterthänigfte Anfuhung thun, daß ſ. F. G. uns als hriftlichen Leuten gelehrte und verftändige Prediger aus Gnaden ober um ziemliche Befoldung allher beichaffen wolle, die das heilige Evangelium laut ſ. 5. ©. Befehls und des Artikels dem Volke allhier predigen möchten. Auf den andern Artikel find die Räthe Hochgeliebet, daß der Aufruhre halber, die in Landen vorhanden find, aufs Befte Auffehen gehabt und davor getrachtet werde, dak wir von Fremdlingen nicht überzogen, fondern uns Allen zu Nute und Gute Veberfall möchte verhütet werden. E8 haben aud) die Räthe geftern, als fie zufammen davon gerathichlagt, für gut befunden, Thore und Thürme und andere Nothdurft dazu zu beftellen, deſſen fie auch noch aljo bedacht, denn ihnen aud Etwas daran gelegen, und wollen der Bitte der Ge—

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meine nad) fleißig und fo viel möglidy mit ihrer Hülfe davor trachten , denn fi) die Gemeine alles Schutes, Schirmes und guter Förderung zu den Räthen verjehen follen, fofern ihnen Leib und Gut vermöglicht, def ſich auch wiederum die Räthe zu der Gemeine alfo verfehen und verlafien wollen. Auf den dritten Artifel fagen die Räthe, daß ihnen gar nicht geliebet, die Bürger leichtlih in den „Steig“ jeten zu laffen, wollen auch hinfort ſich gegen die Bürger aller ziemlichen und gleihen Strafe mit dem Gehorſam gegen die be- jeffenen Bürger, und fonft gegen andre, nad Gelegenheit der Verwirkung, gegen einen jeglihen Verbrecher nicht anders, denn nad) Erfenntniß des fitenden Raths und Beifein derer von der Gemeine im Rathe zu halten wiffen; es wären denn Sachen, jo eilend, daß man den Kath nicht haben möchte. Dennoch wollen fie fid) darin auch nicht wider die Billigfeit erzeigen. Auf den vierten Ar- tifel jagen die Räthe, fie mögen der Fremdlinge halben Anzeiquug leiden. Wo denn jemand allhier wäre, der nicht aus jonderlichem des Landesfürſten Schub und Geleit oder mit ziemlicher Kundſchaft eingefommen wäre, gegen die will man ſich Inhalts der Stadt Gebote aud) hinfort gegen jedermann alſo halten. So ift Herren Daniel Röſten feiner widerwärtigen Schrift Borhaltung gethan wor— den, wiewohl er auch geſaget, fich alſo in die Sachen zu richten, damit der Stadt und Gemeinde fein Nachtheil zur befahren ſei, worauf er folgends weggezogen Und man will ſich jo viel immer möglich fleißigen, die Beichädigung durch unjers gun. Herrn und der Stadt Feinde? aufzuhalten und zu verflommen. Auf den fünften Artifel: Der Stadt Thirme, Manern und Steine? halber mögen die Räthe Anzeigung feiden, worin der Gemeine zu Berdrieß gehandelt ei. Darauf wollen dann die Räthe fi) alſo darin halten, daR der Stadt Schade nicht Soll vermerkt werden. Auf den jehsten Artikel wollen die Räthe, fo Aufgebote oder Heerzüge gejchehen follten, ſich, wie der Artifel meldet, dem Armen wie den Neichen ganz unverdächtig zu halten wiffer, jo daß, ob Gott will, feine Ungleichheit foll vermerkt, auc) feine Murmelung derwegen vonnöthen werden. Auf den fiebenten Artifel fagen die Räthe, fie wollen fich gegen alle verdächtige Handlung und Perſonen bei Geiftlichen und Weltlichen Inhalts unſers gnädigen Herrn Befehls und der Stadt Gebot halten, wie fie denn darin allbereits Schrift und Befehl getan, auch fonderlid Hanfen Krämer ifo mit einer Schrift außen haben, wie Hierneben Kopei zu hören, und wollen den fürftlichen Befehl unverrüdt handhaben. Auf den achten Artikel fagen die Näthe, ihnen fei felbft entgegen, daß der Amtmann die Wochenmärfte, wie an« gezeigt, verhindern follte. Es ift aud) hievor vom Mathe derhalben, als e8 in der Stadt rüchtig worden, beſprochen, Hat er nicht geftanden, daß er das Ver— bot dermaßen wollte gethan haben. Er hats aud) in den Kirchen widerrufen

ı Stitz, Stüß, Stieß (Steige), landfhaftlich, nod immer im Munde des Bolts für Feine, unbehaglice Wohnung. Lenz, Gemeinnütige Naturge- fchichte, Gotha 1835, Bd. II, ©. 312: „Am beften ift es, fie in fogenannten Gänjeftiegen zu mäften“ ꝛc. „An beften ift e8, wenn der Stieg in einem ganz ruhigen Stalle fteht”.

2 „Claus Heufenere Vaters halben ift ber Töpfer Hans Tolde E.F ©. Stadt Salza Feind geworden, daraus jein Vater und die Seinen lange Zeit hier in der Gemeine merflichen Unwillen und Verdrieß geurſacht“. So berid)- tete nad) dem Aufruhr der Nath über Heujenern an Georg. Das Fehdeweſen ftand noch in guter Blüthe, umd in ihm findet der von den Bauern geübte Fug und Unfug aud) mit feine Erklärung.

3 Die Gemeine hatte ſich in ihrem fünften Artikel beffagt, daß der Math dem Amtmanne hinter der Gemeine Wiffen Steine geichenft habe. Die Ar- tifel der Gemeine find nicht zu finden. Beim Berlejen derjelben ftand Matthes König, ein Bäder, Kasper Königs in Salza Sohn, neben Hans Meifter in ber Rathsſtube und „hat mehr denn andre mit freveligem Gefchrei alfe Artikel ge- reizt und verſpitzt“. N

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faffen, und wollen die Räthe all ihres Vermögens die Märkte beffer zu machen befleißigen. Auf den neunten Artifel wollen die Räthe dem Amtmann anzeigen, daß er Hinfürder in dem Brauhaufe der Stadt der Gemeine zu Nad)- theil Brauens ſich enthalte!. Auf den zehnten Artikel fagen die Näthe, fie wollen fid) der wiederfäuflihen Zinje halben und womit fonft die Bürger möchten zu ſchwer beladen fein, bei den Einnehmern allermöglichft befleißigen, die auf ziemliche, trägliche Mittel zu handeln, und Hierin der Bürger Nutz und Nothdurft bedenken, wie denn unſer gnädiger Herr darin aud Befehl gethan hat. Was auch befunden wird, daß fies nicht jchuldig, davor will man fie hüten und vertheidigen?. Zum Eilften fagen die Näthe, wenn, was man der Gemeine Gebot und Verbot verfündigt hat, die von jemand aus den Räthen oder den Ihren verbroden oder übertreten würden, jollen diejelben Webertreter mit aufgejettter Pön und Buße unverichont, gleich denen aus der Gemeine, In— halts derjelbigen Gebote geftraft und verbüßt genommen und darin niemandem gefährlich verichont werden. Auf den zwölften Artikel will man mit dem Amtmanne reden, die Bürger an Enden, da man von Alters her gefticht, defjen nun nicht zu verhindern, derhalben und jonft auc die Bürger mit ungeſtümigem Zorne und Schmähworten nicht zu belaften; denn ohne das würden wirs unferm gnädigften Herrn nicht verhalten. Auf das Letzte jagen die Näthe, fie feien bedacht und wollen mit der Hilfe Gottes, wie auch frommen, criftlichen Re— genten gebührt und wohl anfteht, fi hinfort in allen ziemlichen, gehörigen Saden fonft aller Gleichheit und Billigfeit gegen die Bürger halten. Ob aber jemand, einer oder mehrere, darin wider den Nath Beſchwerung zu haben fich bedünfen ließe, wollen und mögen Kath und Näthe diefer Stadt, als die ge- horſamen Unterthanen ihren Pflichten gemäß, unfers gnädigften Herrn Weifung um folhe Beihmwerung und diefe obgemeldten Artikel, was und fo viel feiner F. Gn. darin gefällig, dulden, und bitten wir hiermit einen jeglichen Bürger, ſich Hierin and) aller jchuldigen Billigfeit, daran wir denn nicht zweifeln, halten zu wollen ®,

Als diefe Antwort des Nathes der Gemeine vorgelefen wurde, ward jeder einzelne Artikel von vielen mit muthwilligen Worten und höhnischer Deutung „artieulirt* und folche Ungejtümigfeit dabei ge- hört, daß die Räthe in der Rathsſtube ſich alles thätlichen Ueber— falfens verjehen und befahren mußten, denn die in der Gemeine Tießen etliche Mal durch ihre Verordneten hinein jagen, yamentlic) aud) durd Melchior Wigand, es wäre nichts mit den Artikeln, die fie ge— jetzt hätten, nichts mit des Rathes geitellter Antwort, die Gemeine habe noch viel mehr und anderes vorzubringen, und das wollten fie allenthalben geändert haben, che fie fich von einander ſchieden. In diefer Weife wurde Hin und her geredet und verhandelt, gejchrieen

ı In ihrem neunten Artikel hatten die Verfaſſer der Gemeindeartifel ge» jagt: der Amtmann Berlepfch folle entweder fein Hofbier oder das Geld dafür nehmen und das Gelbftbrauen laſſen.

? Ueber den Zinsfauf vgl. Weller, Altes aus allen Theilen der Gejchichte II, ©. 266; Hoffmann, Oſchatz I, ©. 412. Man betrachtete das Kapital, das man auslich, als das Kaufgeld, die Zinfen aber als die Waare, die dadurch erlangt ward.

®_ Dieje zwölf Artikel waren es, melde Nath und Gemeine zu Salza an Georg einjendeten, jener wohl in dem Bewußtſein, Georg werde nichts ges währen, diefe in Hoffnung, Georg werde fie annehmen und Ja dazu fagen. Bon dem Artifelbriefe der Bauern, den fie in einem Abdrude fpäter, den 5. Mai, einſchickten, wagten fie gar nicht, das zu erwarten. Und mit Recht!

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und getobt bis Nachmittag um Besperzeit. Da verbreitete ſich das Gerücht, e8 kehre fich ein großer Haufe Kriegsvolfs von Mühlhauſen nad der Stadt, und von demfelben ſei ein Zeddel an die Gemeine zu Salza geftellt worden. Diejer Zeddel hatte die Unterfchrift : „Der Bruder von Mühlhaufen ꝛc.“, und meldete, fie hätten erfahren, daß die Gemeine zu Salza riftliche Meinung vorhabe, wo man nun der von Mühlhauſen bedürfte, wollten fie ihnen zu Hilfe kommen. Nun traf ſichs, daß diefes Schreiben durch der Gemeine Verordnete zuerft an den Rath gelangte, und beide antworteten in Eile:

„Unferm lieben Bruder zu Mühlhaufen zu Handen. Lieber Bruder, Wir haben Euer Schreiben und Erbieten verfianden , bedanken uns Eures Erbietens freimdfich, wollen, ob Gott will, unſre Sachen unter uns zu gutem Friebe wirfen. Damit feid auch Gott befohlen. Datum am 26. Tage Aprilis Anno 1525. Die riftlidie Gemeine zu Sala“.

Zugleich; wurden vom Rathe Dietric) Gans und Hans Schenk am Berge al8 Gemeindeverordnete entjendet, um an den Mühlhau— fenern zu hören, warum ſie gefommen wären oder was gegen Salza ihre Meinung fei. Die lagen nämlich) vor dem Oberthore etwa 600 Mann ftarf und führten ein weißes Fähnlein, worin ein Negenbogen prangte!, und ftanden unter Pfeifers Anführung. Pfeifer machte mancherlei Anforderungen, begehrte aber ganz befonders die Tödtung des Amtmanns Sittich von Berlepfch, derjenigen, die von Mühl— haufen entwichen waren, und der Barfüßer zu Salza; dod) ließ er endlich durch Gans ſich vorläufig beichwichtigen und zum Abzuge be- wegen. Bon den, was andere erzählen, daß man dem Haufen zwei Faß Salzaifches Bier verchrt habe, welches auf dem Gotternjchen Riede verzehrt wurde, und daß Pfeifer mit feiner Schaar diejelbe Nacht in Höngeda geblieben, am Donnerstage nad) Germar gezogen jet und dort auf dem Kirchhofe ein Lager gemacht habe, um die Nacht darin zuzubringen, Jo wie darüber, daß Münzer mit in dieſem Haufen vor Salza geweſen fei, jhweigen die Hier benutzten Berichte; fie deuten nur ‚an, daß Melchior Wigand den Zuzug des Mühlhau— jener Haufens vermittelt haben dürfte, wogegen diejer ſpäterhin jede Bekanntſchaft mit Münzer, den er nie gejehen habe, verneinte. Dieje Gefahr wäre aljo glücklich befeitigt gewejen, wären nur die Gemüther nicht gleichzeitig durc) das Gerücht aufgeregt worden, daß ein andrer großer Haufe von Eiſenach herein auf dem Wege wäre. Daher liegen noch denfelben Abend die aus der Gemeine durch ihre Verord— neten dem Rathe anfagen: fie wollten ftrads, daß die Priejter in der

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ı Natürlich war, ſchon um bes Anftandes willen, das Fähnlein von Seide; Münzer ließ deren in Mühlhaufen. fleißig ftiden, Die Fähnlein jener Tage ftanden im Verhältniß zu Trommel und Querpjeife und waren fo groß, daß ein Mann ſich bequem Hinein wideln konnte. Lienhard Frönjperger 1. c. Blatt XXX: „Die Schanzbauern follen ein Fähnlein haben, ift ohne Noth von Seiden, fondern von Leinwand, darein gemalt Hauen und Schaufeln, dazu einen Trommelſchläger, ohne einen Pfeifer“,

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Stadt Bürger würden und „faffen“ und wachen und Geſchoß geben müßten wie andere Bürger auch; desgleichen wollten fie die Mönche und Nonnen aus den Klöftern, e8 auch mit der Kirche Aemtern jo bejtelit haben, wie man e8 zu Gotha und Eiſenach hielte; wolle das der Rath nicht alsbald thun, jo würden fie felber es durchfegen, und der Haufe von Mühlhaufen, der noch im Felde lüge, wolle ihnen dazu helfen; das Silberwerf und die Stleinodien in Kirchen und Klöftern . muſſe man auf das Rathhaus in Verwahrung nehmen. Man jiceht, das Ericheinen Pfeifers und feine Hilfsanerbietungen hatten gewirkt, und viele jahen nur ungern ihn unverrichteter Dinge hinwegziehn. Durd großes Bitten und Flehen erlangte an jenem Abende der Rath faum, daß die Gemeine mit Erfüllung ihres Be— gehrens bis auf den Tag ſich vertröften ließ, auf daß die armen Jungfern und Mönche! gegen die Nacht nicht dürften ver— elendet und die Klöfter ſo erbärmlich geplündert und zerbrochen werden. Aber länger als bis den folgenden Morgen um 5 Uhr wollte die Gemeine nicht verziehn noch Zeit geben, Mund noch an ı diejem Abende mußten (die Vorftcher der Klöfter? und) die vom S. Peterpauls- ftifte auf dem Rathhauſe fich jtellen, um den über fie gefaßten Be— ſchluß zu vernehmen,

Am Donnerstage, 27. April, wurde folder Beihluß beiten Glimpfs nad) Gejtalt der drangfeligen Umftände durch die Räthe im Beijein der Gemeindeverordneten ausgeführt, während die Gemeine den ganzen Tag im Harnifch zu bleiben und in der Stadt hin und wieder fich) zu lagern fortfuhr. Die Nonnen vertheilte man in unbe— ſcholtene Bürgerhäufer; den Mönchen fagte der Math wiederholt, es ſei der Wille der Gemeine, in ihrer Stadt einige Sammlung geift- licher Klofterleute nicht zu wiljen, doc) finde man an ihren Perfonen feine Schuld. Der Barfüherguardian Frater Andreas Judicis ent- faın bald nad) Yeipzig. So ward denn auch der Gottesdienjt, wie er bisher nad) altem Kirchenbrauche mit Meſſen, Vespern und der= gleichen ftatt gefunden hatte, eingeftellt, den Geiſtlichen angefonnen, unter weltlichen Gerichtszwange zu leben, zu frohnen, zu kaffen, zu wachen, Heerfahrt zu leijten und zu heirathen. Zwei martinijch ge: finnte Prädicanten fingen wenige Tage hernach an, die Firchlichen Handlungen zu verjehen: Johann Zeigfuß, der verheirathete Pfarrer

ı Das Jungfrauenklofter S. Bonifacii zu Salza war Marienmagdalenen- ordens, befaß 1 Hufe Landes, 7 Ader Wieſenwachs, welche Ietstere dem Prediger überlaffen wurden, 50 Ader Hol, 3 Badhäufer, von welchen (i. J. 1539) der Prediger des Klofters Brode befam, 178 alte Schod und wiederkäufliche Zinfen, und etwas Getreide. Des Probftes Wohnung lag hart am Kloſter. Im $. 1539 gab das Klofter einen Zufhuß zur Unterhaltung der evangeliſchen Geift- lihen. Die Auguftiner bejaßen 96 alte Schod an Gelde, 24 Malter 4 Scheffel Waizen und Hafer, 11 Malter 6 Scheffel Gerfte, 71, Malter und 6 Scyeffel Hafer jährliches Einfommen, 106 Ader Sol, 8 Ader Weinwachs, 3 Acer Weide, 30 Ader in der Harth, 20 Ader in dem Steingraben und 4'/, Ader Wienſewachs. Urkundlich. Bol. Fam. Gutbier I, 76 Regifter.

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von Kirchheilingen, und Herr Kratz, ein vor vielen Jahren ausge- laufener Mönd. Teigfuß war ungefähr. ſchon acht Tage, bevor der Aufftand zu Salza ausbrah, in der Stadt eingetroffen. Albrecht Steinbrüd, der jett, um feine Verachtung der Gebietenden recht ficht- bar an den Tag zu legen, immer einen Schaubhut auf hatte, kannte ihn, denn er erzählt in feiner Bittfchrift an Georg v. J. 1527:

„Der Prediger ift zu uns gefommen auf der Brüder Kirchhof, da hat ein Auguftinermönd gepredigt. Da habe ic) ihn gebeten, weil ic, ihn gefannt habe, mit mir zu effen, als gut mirs Gott hätte befcheeret. Darauf ift er mit dem, der predigte, ins Klofter gegangen und hat mit ihm gegefien. Abends aber ift er zu mir geflommen. Hat mein Weib mir einen Boten gejchict, ich ſolle heim— tommen, ich habe einen Gaft. Bin ich heimgegangen, hat er des Abends bei mir gegefien, mid) um Herberge gebeten und ift die Nacht bei mir geblieben. Darnad) ift er aufgenommen worden zu einem Prediger zu Salza zu ©. Bo- nifacio ohne mein Bewußt“.

Daß Teigfuß eine Nacht in Steinbrüds, zwei Nächte in des alten Bornheinrich® Haufe geherbergt habe, bejtätigte die Ausſage des jungen Jacob Bornheinrichs, dejjen Yehrmeijter und Schwager Stein= brüd war!.

Den Freitag, 28. April, redete der Nath mit der Gemeine Ver- ordneten und erflärte, es wolle ſich nicht anders leiden, man müſſe diefe Sachen Herzog Georgen zu erkennen geben. Wirklich vereinigte man ſich über eine Zufchrift an den Herzog, von welcher aber her— nach der Rath Flagte, daß jie nicht jo ausgefallen ſei, wie fie die Räthe gern gethan hätten, jondern wie die Gemeine fie hätte haben wollen. Sie lautet:

„Durdlauchter, Hochgeborner Fürft und Herr! Euern fürftlihen Gnaden find unfre unterthänigen Dienfte im ſchuldiger Pflicht allezeit zuvoran bereit. Gnädigfter Fürft! Es ift leider allhier zu Ninge um uns ber, auch Hinfeits Eifenady und weiter foldhe Empörung und Handlung vor Augen, daß allhier zu Salza, nachdem nädhftvergangnen Sonntags ein Jahrmarkt allhier gewesen und viel fremdes Bolt in die Stadt gelommen, fid) den folgenden Dienstag auch ein Aufruhr begeben, dadurd die Gemeine verjammelt worden. Hat fid) wohl etwas unluftig und beforglid) angelaffen, aud weiter ein Haufen Kriegs— leute mit einem weißen Fähnlein mit einem Regenbogen, wie man die gejehen, bei 600 ftart, aus Mühlhaujen bis an dieje Stadt gethan, und fonft das Ge- rücht geweſen, daß ein andrer großer Haufe von Eifenady herein auf dem Wege wäre, dadurch das Volk jo gar verivret, daß man ſchwerlich ohne größeren Schaden eine Stillung maden fünnen. Nachdem denn auch das Klofter Hom- burg bei uns durd andre viel fremde, dieman nicht kennt, die Zeit jämmerlich ausgeplündert, was darinnen zerriffen und zerichlagen, die Herren. daraus ver- drumgen , desgleihen Sanct Georgenthal und mehr Klöfter aljo verftört, haben wir Rath und Gemeinde im Beften aus Nothdurft die Kleinode und Gejchmeide allhier aus den Klöftern auf das Nathhaus in Verwahrung genommen und die Perjonen, damit fie nicht mit unziemlihem Stürmen weiter betrübet, daraus

ı „Sie haben uns darauf bisher die Kirchen verſchloſſen und aller Ge: zeiten zu halten verhindert, einem Mönch, welcher, vor vielen Jahren verlaufen, eines ungeiftlichen Lebens ift, und einem ehelichen Dorfpfaffen, jeicht gelehrt, die, ärger denn Jutherijch, wie der Alftädter zu Aufruhr reizen, das Predigtamt be» fohlen“. Brief des Kapitels zu Salza vom 15. Mai 1525 an Georg.

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in der Bürger Häufer gehen laſſen. Man Hat aud) zu Sättigung des Bolts zugejaget, den alten Gebrauch der Kirchenämter, inmaßen es damit zu Gotha und Eifenady! gehalten wird, zu verändern, Haben aud wir, die Gemeine, etliche Artifel wider den Rath, und wir, der Rath, unfre Autwort darauf, wie E.F. Gn. hier inliegend gnädiglich zu vernehmen, geftellt. Weil wir denn aud) E. F. ©. Zukunft vertröftet, haben wir das der Nothdurft E. F. ©. nicht zu verhalten wiſſen, diejelbe €. F. ©. als unjern gmädigen Fürften und Herrn unterthäniglich bittend, E. F. ©. wollen fid) folder Nothdurft allher verfügen und dieje Empörung nad) E. F. ©. hohem fürftlihen Verſtaude auf gnädige Mittel wirken. Sind wir erbötig, das über fchuldige Pflicht in aller Unter: thänigfeit zu verdienen. Datum jehr eilend Freitagg nad) Duafimodogeniti Anno 1525, Bitten E. F. ©. gnädige, tröftliche und fchriftliche Antwort bei gegenwärtigem Boten €. F. ©. unterthänigen drei Räthe und ganze Gemeine zu Salja“.

Der unterthänigft erbetene Beicheid ward von dem befümmerten, aber ungebeugten Yandesfürjten fchriftlich gegeben und ging unter Au— drohung von Strafe einfach) und ſehr amtlich dahin, fie follten die alten Gottesdienjte wieder anrichten, die Nonnen, die am Beten in ihren Zellen aufgehoben wären, und die Mönche wieder in ihre Klöfter bringen, die Kleinode wohl verwahren. Auch hatte der Rath dejjel- bigen Tags noch auf Andringen der Gemeineverordneten diefen eine Verſchreibung unter der Stadt Secret auszuftellen, daß beide gemein ſchaftlich die Klofterjungfern und Mönche aus den Klöftern hätten ziehen lajjen. Daraus z0g man nacgehends eine unbegründete Fol— gerung und wollte behaupten, man habe fich beiderjeits eidlich ver— bunden, bei einander zu jtehen. Dieſe Verjchreibung mußte dreimal umgefchrieben werden, che fie angenommen wurde; auch ftellte man fie auf den Donnerstag, folgenden Inhalts:

„Zu wiffen, daß auf Willen und Gefinnen der Gemeine wir, die Räthe zu Salza, neben den Zmwölfen von der Gemeine, als diefelbe Gemeine iko für fi verordnet haben, damit fie geftillet und der Fremden halben nicht diirfen MWeiterung gewarten, die Kleinod und Gefchmeide aus den Klöftern auf das Rathhaus in Verwahrung geftellt, und haben wir, die drei Näthe, fammt den zwölf Berordneten und der ganzen Gemeine, wie obgemeldet, die Geiftlichen aus den Klöftern ziehen laſſen. Zu Urkunde haben wir der Stadt Secret bier aufgedrüdt. Gegeben am Donnerstage nad) Ouafimodogeniti. Anno 1525”.

Bis hierher, fo ſchlimm auch die Dinge innen und außen ftanden, war doch alles recht Leidlich abgewicfelt worden, und e8 der gemäßigten Partei, den Gemeineverordneten, die alle Urfache hatten den Räthen zu mißtrauen, gelungen, heftigere Ausbrüche und gröbere Thätlich- feiten niederzuhalten. Die böfejten Tage aber waren noch zu erwarten. Den Sonnabend früh, 29. April, nachdem der ganze Haufe in der Stadt auf dem Auguftinerficchhofe ſich verfammelt hatte, ließ er durd) feine Verordneten den Kath wiſſen, „der Hauscomtur Antonius von

ı Fu Gotha predigte damals der befannte Friedrich MYyconius, Mekum, der Luthern im Geficht fo ähnlich ſah. In Eifenad) der bekannte Dr. Jacob Strauß. Es ergiebt fi), daß Salza auch in diefem Punkte noch der Mäßigung huldigte.

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Harftall zu Neilftädt (Nägelftädt) hätte herein fagen Lafjen, e8 wären folche große Haufen und Verſammlungen vorhanden, daß er Nägel- jtädt und den Vorrath darin nicht wüßte zu vertheidigen; da denn doc Fremde alles nehmen würden, jo gönnte er e8 lieber denen von Salza. Nun hätten fie Homburg (gejtürmt den 26. April) verfäunt, das durch Fremde geplündert worden fei. Wo fie Nägeljtädt aud) verfäumten, wirden fie e8 an dem Rathe fuchen“. Da Hatte der Kath gut Vorftellungen thun: „fie wühten ja, was der Amtmann allpier zu Salza mit Zufchidung der Schrift des Comturs gejtern Abend allher am den Kath und die Verordneten der Gemeine ge- ichrieben habe, was gar”anders Elinge; ſollte aber der Komtur doch fo, wie fie jagten, fchreiben, dann hätte man fich darauf immer noch weiter zu bedenfen“. Die Gemeine entgegnete mit ihrem gewöhnlichen : „Flugs, flugs! es muß alfo fein und nicht anders; fie wollten ſtracks hinaus, und man könne es nicht wehren!“ Geſagt, getan! Dom Kirchhofe weg zogen fie mit der Trommel nach dem Nathhaufe und weiter, Johann Teigfuß als Prediger an der Epite, nad) Nägeljtädt. Weil der Rath jah, daß er nicht im Stande fei diefes Vornehmen zu wehren oder zu wenden, jo fagte er den Berordneten, fie möchten doc) eilends Hinausfragen lajfen, was die Meinung des Comturs wäre, damit fie, wo die Sache eine andre Geſtalt hätte, nichts Thät- liches vornehmen liegen. Während nun der Haufe draußen beichäftigt war, kam Ludwig Terner, der vielleicht zuvor aus der Verordneten Geheiß hinaus geritten fein mochte, herein und erzählte, der Komtur hätte den Vorrat), aus angezeigter Noth und aus Furcht vor den Tremden, denen von Calza in vieler Leute Gegenwart übergeben. Die Gemeine führte demnach das Getreide und anderes herein, brachte alles in den Neinhardsbrunner Hof, in welchen es, nachdem fie et= liches Korn unter ſich vertheilt Hatte, bejchloffen und verwahrt wurde, nöthigte auch Knechte und Mägde mitzuziehn. Bei diefer nachbarlich freundlichen Uebernahme holten die Salzaer aus der Kirche zu unfrer lieben Frauen und ©. Sebaftian in Nägeljtädt alle Kelche, Meßge— wänder, Kreuze, Monjtranzen, jilberne Kleinodien ſammt aller Kirchen- zier, zerbrachen und entfremdeten drei Sloden, zerfchlugen Thurm und Fenſter, braden Boden und Dad) der Scheine auf, und führten z. B. außer anderem hinweg 200 Spedjeiten, 60 Eimer Weins, aus dem Brauhaufe Hopfen, Malz und alles Geräth, von 415 Nöffern! die Wolle, 42 melfe Schafe, 170 erfurter Malter Waizen und Roggen, 34 erfurter Malter Gerjte, 60 Malter Hafer, 3

ı Nöffer. Grimm, Deutiche Rechtsalterthümer S.765: ‘nosser (armenta)'. In einem Erbzinsbucde des Nonnenklofters Rohrbach, Kreyſigs Beiträge zur Hiftorie der Sächſ. Lande III, S. 302, werden genannt 50 Rind-Nöſer und 900 Schaaf-Nöfer. Das Wort hängt mit Nuten zufammen, und Nöffer, im Gegenfat zum gelte ftehenden Vieh, find Nuten gebende Vierfüßler. Hans Ziegler Melchior, Berlt Molsdorf und Dietrid) Gans hatten kurz vor der Em— pörung vom Comtur zu Neilftädt für eine gute Summe Gerfte geborgt, „vielleicht der Meinung, fie nicht zu bezahlen“.

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Malter Rübſamen, von der Scheune und dem Steiuhaufe 350 er- furter Malter Waizen und Roggen, ferner den von beiden Pfarren zu Mühlhaufen gekommenen Vorrath an Getreide und anderem. Anz tonius von Harftall jah bei der freiwilligen Hingabe diefer Güter wohl auch zugleich die fommende Entjchädigung dafür mit voraus. Andere, wie z. B. der Homburger Abt, verfuhren als Eluge Haus- halter gerade jo. Dieſe Yeute alle befagen die Gabe „des zweiten Geſichts“, die freilich den Bauern, zumal Münzer, abging.

Deſſelben Sonnabends Vormittags famen zwei Männer von Großengottern, Hans Fache, der alte Heimbürge, und Kurt Mar— fchall, der Bauermeijter, zu den Gemeineverordneten mit Botjchaft von dein großen WWeberjtädter Haufen.

Wie es in Gottern ftand, zeigt der Brief diefer Gemeine an Herzog Georg vom Dienstage nach Jubilate, 9. Mai:

Der Herzog wife den Aufruhr allenthalben und daß fie bisher al8 arme Leute fi) nad jeinen Gebote gehalten hätten und gar nicht beirren laſſen. Uber am Freitage nad Duafimodogeniti (28. April) habe ein Haufen ihre Feldnachbarn, Ritter, Ehrbarleute, Bürger und Bauern überzogen und an ihre VBereinung angenommen; foldyer Haufe habe auf einem Feldwege bei ihnen ge= ruht, fie aber hätten aus Furcht etliche aus ihrem Mittel an diejen Haufen abgeordnet, um defjen Gemüth zu erfahren, und zur Antwort erhalten, man wolle eine Zehrung halten in ©ottern. Darduf hätten fie beim Amtmanı in Salza um Rath und Hülfe angelucht, die aber nicht erhalten, und feien alfo ohne Troſt oder Hilfe als die Schafe unter den Wölfen verlaffen gemeien. „Folgenden Tags find fie mit großer Macht bei uns erichienen, haben mit Ernft uns vorgehalten, ob wir beim Wort Gottes und den zwölf Bauerartifeln ftehen und bleiben wollen, worauf wir neantwortet: Beim Worte Gottes zuvörderft find wir alle Chriften ſchuldig zu bleiben, und jo die zwölf Artikel der Billig. feit und des Landesfürften Obrigfeiten nicht entgegen , jo wollen wir diejelbigen neben dem Evangelio aud) gern annehmen und halten“.

Das melden, freilich erit am 9. Mai, unter den demüthigſten Grbietungen von Unterthänigfeit, Gehorſam, Zireue, und mit der Bitte, der Herzog möge ihnen jeine fürftliche Gnade ja nicht ent- ziehen, die Heimbürger, Vormünder und ganze Gemeine zu Großen- gottern an Georg (demn Kurt Krug hatte 20 Knechte als Rottmeiſter aus Gottern angeführt und einige Tage beim Mühlhaufischen Haufen im Felde gelegen), der ihnen von Weißenfel® aus den I1. Mai er- widerte:

„Wir haben euer Schreiben und Entihuldigung diefer aufrührigen Empö- rung halben ſammt eurer Bitte, euch vor Gewalt zu [hüten und zu ſchirmen, alles Inhalts hören leſen, und zweifeln nicht, ihr wißt, wie wir eud) und andre unfrer Unterthanen allezeit in gnädigem Schuß gehalten und uns gegen euch als der guädige Landesfürft mit allen Gnaden bewiefen, derhalben wir uns wiederum unterthänigen Gehorfams allezeit zu euch verfehen gehabt. Weil ihr euch aber wider euer Pflicht, damit ihr uns verwandt feid, dem aufrührifchen Haufen anhängig gemadıt und aus unſerm Gehorfam getreten, damit ihr uns zu dieſem Zug bewegt, und aljo in große Schäden, Unkoſt und Mühe geführt, wo ihr nun uns darum Abtrag zu thun bedacht, mögt ihr etlidhe aus euch, in Bollermadt der andern, aufs Förderlichfte zu uns, wo wir anzutreffen jein, ſchicken umd abfertigen, unfern Begehr, Willen und Meinung anzuhören, euch darnach zu richten”.

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Jene zwei Männer brachten, wie erwähnt, Botfchaft, und be= richteten, der große, gewaltige Haufe, der zu Mülverftädt und Weberftädt liege, und die Edelleute zu Wangenheim (denen von Yichtenhain zuftändig), ingleichen die von Hopfgarten zu Weberjtädt und die’ Soldader zu Uff- hofen in feine Brüderfchaft gebracht habe, zu denen fie mit andern Dörfern fi) auch hätten verſprochen, habe ihnen befohlen, denen zu Salza anzuzeigen: fie hörten, daß in der Stadt das chrijtliche Regi— ment auch follte vorgenommen fein, darum wünschten fie zu wiljen, ob ſich die Salzaer aud) al8 chrijtlihe Brüder halten wollten. Der Rath wies diefe Boten ab; die aber wendeten fich an den Haufen, der auf dem Schloſſe lag, wo fie bereitwilliges Gehör fanden und Anfichten, die von denen des Rathes abwichen, der jedoch, weil ihm genauere Nachrichten über die Yage der Sachen draußen vorenthalten wurden, zwei Kundſchafter abjchiekte, die aber erjt den folgenden Tag zurücffehrten umd ausjagten, der Haufe draußen fei bei 2600 Mann ftarf und ziehe gen Großengottern und habe ihnen befohlen, dem Rathe zu vermelden, wo fich derjelbe nicht in die zwölf Artifel, von denen fie einen Abdruck mitjendeten, bewilligen würde und bei dem Worte Gottes zu ftehn und das helfen zu vertheidigen, fo wäre der Haufe aljo gejchidt und wüßte den Anhang und Hilfe, den Rath dazu zu bringen. Die Kundſchafter erzählten ferner, der Haufe wolle zu den Grafen von leihen zu Tonna, die fi) auch in die Artikel und ihm einen Trunk zu fchenfen bewilligt hätten, bei welcher Ge— fegenheit er vor Salza vorbeizichn werde, und es wäre der Haufe ihon auf dem Wege. Bon diefen Dingen hatte die Gemeine in Salza bereit8 den Sonnabend genaue Nachricht und drang darauf, man folle fic dermaßen zu dem Worte Gottes halten und die zwölf Artikel bewilligen, wa8 man auch, „dieweil das Gedrängnig größer von der Gemeine in der Stadt gewejen, denn man von den Fremden gelitten, hat aljo von Raths wegen miſſſen mit bewilligen und dem Haufen zu erfennen gegeben“. Abdrüde der zwölf Artikel waren in Salza vorhanden; die Merrlebener Anführer ihres Aufftandes liegen durch Frig Schrötern einen ſolchen „Artifelbrief“ daſelbſt Faufen.

Den Sonntag Mifericordias Domini, 30. April, langte der gewaltige Haufe, der deu Freitag und Sonnabend zu Miülverftädt und Weberjtädt vorm Hainich, wo er die Edelleute Farnroda u. a. in feine Brüderfchaft gedrungen Hatte, verſammelt gewejen und den Sonnabend nad) Grofengottern gezogen war, mit ihm die Edelleute, vor Salza an; Sebajtian Roſt von Thamsbrüd war Trommel— ichläger im Haufen, Die Gemeine und deren Verordnete verlangten die Erlaubnig zum Durchzuge für den Haufen draußen durd) die Stadt und fendeten Yudwig Ternern an das Thor, da denn der Thor— wart auffchloß und der helle Haufen hereinfluthete. Der Rath, bei welchem am ?Freitage, 28. April, ein Schreiben der Grafen von Glei— chen um Beijtand vom 26. April eingegangen war, das er nicht be= antwortete, fonnte weder diefen Durchzug, noch auc) das verhindern, daß viele Salzaer fich der Fahrt nad) Tonna anſchloſſen. Zwar

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hatte er Vorkehrungen treffen, den Hartmann Goldader von Uffhofen hereinzufommen bitten, mit ihm allenthalben die Straßen befichtigen und berenten lajjen, zu etwaiger Gegenwehr, aud Claus Heufenern, Diesel Walthern, Hanfen Pfannfchmidt zum Geſchütz, und aus Nach- giebigfeit gegen die Gemeindeverordneten, Yudwig Ternern und Hanfen Scheffener, der dies Jahr beim Nathe von Seiten der Gemeine ge— jeffen, Zeugmeifter zu fein bejtellt. Aber die Gemeine, die wie un— finnig in der Stadt, auf dem Rathhauſe und vor der Rathsſtube tobte, feste ihren Willen, der Anschluß, nicht Widerftand beabjichtigte, durch. Die Salzaer famen, nachdem in Uffhofen Halt gemacht und das Geſchenk der dortigen Gemeinde, zwei Faß Bier, getrunfen worden war, bei 200 Geharnifchter mit Büchjen, Hellebarten und Spießen und mit zwei Schlangenbüchlen, geführt vom Schneider Fiſcher und Melchior Wigand, der den Webel machte, vor Tonna an, während den Bauerhaufen Albrecht Menge von Großenbehringen, ein Mann von ebenmäßiger Yänge, fenntlich durch eine Schramme int Baden, feines Gewerbes je nad) Umftänden ein Franzofenarzt oder ein Bars bierer oder auch Tuchjcheerer, Herrmann Tunkel aus Weberjtädt und Jacob Krauje leiteten. Da die Grafen Filipp, Ernft, Sigmund und Johann zögerten in die große Brüderichaft zu treten, ſchickten die Salzaer zu den Ihrigen heim, um andre große Büchſen gegen das Zonnaer Schloß und mehr Volks kommen zu lajjen. Claus Heufener führte als Büchjenmeifter, auf einer Büchſe fitend, das größere Ge— Ihüs mit dem Zimmermeijter Dießel Walther, der auch der Gemeine Büchfenmeifter war, bis zum Siechhofe zu Tonna, woraus die Gra— fen den Ernft vermerkten und die Artikel eingingen, während die Füh— rer im Namen des Haufens dagegen bei Treuen und chrijtbrüderlicher Liebe zufagten, es folle fein Schade gethan, nichts im Schloſſe ge— brochen, genommen oder zerjchlagen werden; nur Aetzung und Trank hätten die Grafen brüderlich zu reichen. Allein verſprochen iſt überall jchneller, als gehalten. Man eröffnete da8 Gefängnig des Thurmes und zerfchlug darin den Stod, brad) einen Keller mit Gewalt auf, in dem über 200 Eimer Rhein- und Franfenweine lagen, räumte die Speiſe- und Fleiſchkammern, die viel dürres Fleiſch bargen. Die Salzaer namentlich fijchten einen Teich), und führten eine gräfliche Steinbüchſe und zwei Tonnen Pulvers mit fort, und nur ein Schmalz— fchwein verehrte denfelben der chrijtlihe Bruder Graf Filipp frei willig!. Indeſſen dies den Sonntag in Tonna vorging, liefen zu Salza viele vor das Schloß, forderten den Amtmann vor, begehrten, er jolle mit nad) Tonna, denu der große Haufe habe das aljo ange- fonnen, und drängten ihn in Folge einer Schrift, die Münzer her an die Gemeine gethan Hatte, daß er bewilligte, morgenden Montags mit gen Tonna zu ziehn. Dafjelbe, nur weiter ausgedehute Begehren fagte die Menge derer, die fchon an diefen Sonntage von Tonna

ı Sagittarii Hiftoria der Grafſchaft Gleichen S. 398 f. (28. und 29, April in diefem Schreiben der Gemeinden).

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zurückfehrten, in Sala an: alle Priejter, der Aıntmann und der Bürgermeijter Stuhler müßten den Montag früh hinaus gen Tonna gehn und die Artifel geloben, ſonſt würde der Haufe fie holen und dazu bringen. Das gedachte Schreiben Münzers, der an diejem Tage zu Ebeleben lag, lautet folgendermaaßen:

„Unjern lieben Brüdern, der ganzen Gemeine zu Salza. Göttliche Gunft, Freude im heiligen Geift zuvor. Allerliebften! Es ift vor uns erichollen, daß ihr nicht allein das Reich Saulis, jondern aud das ſchandbar Negiment Hagag mit Euern verkehrten Häuptern anrichtet. Deß tragen wir Brüder alle feinen Gefallen, Nachdem Ihr durch Euere Berurfahung uns erregt!, müßt Ihr Euch nicht alfo kindiſch fiellen. Den wieder angenommenen Böfewicht follt Ihr durch unjere Bitte peinigen oder aufs wenigſte (?!), fonft würdet Ihr wider die Warnung Gottes im Schooß eine Schlangen erwärmen und aus dem Wolfe ein Schaf machen. Auch hütet Eudy vor den faljchen Predigern, Iſt unfer Chriftlicher eruftlicher Begehr. Den Helbolt haltet zu Recht. Damit unſerm Könige Iheſu Chrifto befohlen, Amen. Geben aus dem Felde zu Ebeleben im Fahr Ehrifti 1525 Mifericordia Domini“,

Aufſchluß aber über das Loos der nad) Tonna Vorbejchiedenen vermittelt die Klagichrift, welche den 15. Mat durch Dechant Johann von Erfa, Kapitel und Vicarien Sanct Peters, Pauls und Stefans Kirchen zu Salza, an Georg aufgejegt wurde:

„Wiewohl uns die Mannſchaft zu Oberndorla, Langala und Niederdoria unſre Zinfe in das vierte Jahr und heute noch wider aufgerichteten fürftlichen Rezeß, mannigfaltige darauf geichehene Befehle und ihrer Junfern, der Ganerben zu Treffurt, Gebot jelbftgewaltig vorenthalten haben, wie denn ſolches mehrmal an E. 5. ©. klagweis gelanget, davon wir nicht Heinen Mangel erduldet und mittlerzeit weiigers nicht die göttlichen Kirchenamt vollendet; jo hat fi) dod) eine Rotte aus den Bürgern zu Salza durch beſchloſſene Conſpiration verfammelt und Dienftag nad) Duafimodogeniti mit der Trommel Lärm gejdjlagen, den ehrbarweijen Rath in Furcht und Bewilligen ihrer angegebenen Artikel ge drungen, die Nonnen und Mönche ausgetrieben, in unjern Häufern unſern Vor— rath zu Efjen und Trinken dienend verzehrt. Des folgenden Mittiwochens find wir aufs Rathhaus zu Salza erfordert, ift uns, ungeachtet gegebener Freiheit Herzog Wilhelms feliger Gedächtniß und daß wir nicht weltlic ſchoßbare Güter haben, angejonnen worden, Bürger zu werden und alfo unter dem Gerichtszwange weltlicher Obrigkeit zu leben, zu frohnen, fafjen, wachen, wie ein auderer Bürger Heerfahrt zu leiten, welches doch ein unprieſterlicher Handel ift, irregularitatem zu tragen. Zum Andern wollten fie den einzelnen oder den Eheftand von ung, und zum Dritten binfort feine Meffe, Vesper oder andere, wie fie e8 geheifen, dergleichen Kädelet von uns gehalten haben. Sie haben uns darauf bisher die

1 BVerbächtiget waren Melchior Wigand, dei erften „Mühlingichen“ Haufen unter Pfeifer „erregt“, Dietrich Gans, eine Schrift nad) Mühlhaufen erlafjen zu haben, Daher jagt Gans im einer feiner vielen Bittjchriften an Georg um Einlaß zu feiner Frau und feinen acht Fleinen Kindern: „Auch joll ich der Schrift halber, jo gegen Mühlhauſen gefchehen, im Verdacht fein, ich) fage aber auf Grund der Wahrheit, daß niemand je Schreibens dahin der Sachen halben von mir begehrt, auch ich durch mich felbft dahin zu fchreiben nie gedadjt oder vorgenom- men babe, fonft auch in diefer Sache nichts gefchrieben, denn was dem Rathe und den Zwölfen wiſſentlich“. Die näheren Umftände bleiben dunkel. Bon Münzers Hand ift obiger Brief nicht, er fcheint aber in die Feder gefagt, denn Hagag ift doch wohl Ahab. Der wieder Angenommene iſt Berlepſch, Helbolt vieleicht der Prediger von Gotha (?).

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Kirchen verichloffen und aller Gezeiten zu halten verhindert, einem Mönch, welcher, vor vielen Jahren verlaufen, eines ungeiftlichen Lebens ift, und einem ehelichen Dorfpfaffen, feicht gelehrt, die, ärger demm Iutheriich, wie der Alftädter, zu Auf: ruhr reizen, das Predigtamt befohlen. Zum letzten ift uns angemuthet, ihnen alle unfre Erbregifter, Privilegien, Briefe und Eiegel zu übergeben, damit fie die Zinfe, deren wir nicht viel zu Salza, jondern allermeift in den obangezeigten Dörfern haben, ganz niederfchlagen und tilgen wollen. Doch hat der Rath folde unfre jura aus fonderlicher Wohlmeinung in der Sacriften und Kaften ©. Steffens Kirchen bis anher in Verwahruug fteben laſſen, die vier Artikel aber haben wir angenommen, weil fie mit Mord, zum Kriege geihidt!, wären gegenwärtig geftanden, und haben gejagt, fie wollten uns wohl dazu bringen, Eo waren wir aud) zuvor durch fromme Leute gewarnt, auf alles zu willigen und feinen Borbehalt zu machen, damit wir nicht über den Verluſt unfrer Güter auch noch erichlagen würden, denn dieweil die Thore zugeiperrt, modten wir nicht entfliehen. Dabei e8 die Erheber ſolches Aufruhres nicht gelafien, und uns fammt €. F. ©. Amtmann Sittidh von Verlips?, dem Abte zu Homburg, etlichen Auguftinern, Barfüßern, der ganzen Priefterfhaft und einem jetzt re- gierenden Bürgermeifter, Stuler genannt, vor Tonna in das Heerlager unter die Bauern geführt, einem unächtigen Albrecht Mengen, ihrem Hauptmannte, der auch ein Bauersmann aus Behringen ift, überantwortet, der ums allen gleidy einen folchen Eid, diefe Meinung einhaltend, geftabet: „Daß ich bei dem heiligen Evangelio und den zwölf Artifeln, die in der Schrift gegründet find, mit Leib und Gut halten will, das ſchwöre ih, als mir Gott helfe und die Brüder oder Brüderſchaft“. Und wiewohl E. F. ©. geichrieben hat, die Geift- lichen zu reftituiren, jo haben dennoch die Aufrührer darnad) vor Tennftädt und Weißenfee kriegsweiſe ausgezogen, etliche von der Priefterichaft und andere dem Handel nicht geneigt dazu befonder8 ermählet und nicht nad der Ordnung oder nad) dem Looſe erfordert, def wir höchlich befchweret. Wir bitten, E. 5. ©. wolle dazu thun und E, F. ©. Stift, das über 500 Jahr befteht und allein mit den zwei Stiften zu Erfurt und dem Stift Jechaburg jonderliche Juris» dietion hergebracht hat, erhalten“.

Nun dürfte e8, ehe die nächſten Ereignijfe weiter verfolgt wer— den, Zeit fein, hier einzufchalten, was über das Scidjal des Amt- manns Sittich von Berlepſch fi) glaubwürdig darthun läßt, denn offenbar falſch ift vieles, fehr zweifelhaft einzelnes von dem, was über fein damaliges Loos erzählt zu werden pflegt?. Leider jind

ı Der Rath felbft Hatte viel zu dulden. Hans Melchior Ziegler pflegte in die Nathöftube mit geladener dreirohriger Büchſe und brennender Lunte zu gehen, kam auch fo ins Nonnenklofter. Desgleihen jaß Ludwig Notermund auf diefe Weiſe bewaffnet unter den Verordneten. Berlt Moledorf, Wolf Born heinrich, Hans Wetzſtein Tiefen häufig in Harniic und Wehr in die Rathsſtube.

2 Mamentlid) waren es Notermund und Terner, die am Sonntag Abend von Tonna heimfehrend anjagten, daß die Priefter, Berlepih und Stuhler hin: aus nad Tonna müßten. Henz Futterer und Berlt Schröter forderten, be- gleitet von einer großen Menge, den Amtmanı vom Schloſſe. Doch jahen jpäter zu Gotha gefangen Franz Schudart und Johann Sommering, Bürgers- ſöhne von Salza und Auguftinerapoftaten, die aud) den Aufruhr haben helfen anrichten.

3 Streif J. 1. ©. 72 f. erzählt: „Seine Abwejenheit benußten die Auf: rührer zu einem Angriff auf dag Schloß, den Wohnfits des Amtmauns. Diejes wurde erftürmt, geplündert, die Habfeligfeiten des abwejenden Beamten wurden ausgeräumt, und jett follte auch deffen kleines Kind, Ehrid), welches man den Händen der Amme entriffen, zum Fenfter hinab geftüirzt werden, als bie Geiſtes—

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eigenhändige Berichte darüber von ihm nicht vorhanden, weil er höchſt wahrscheinlich mündlich dem Herzoge Auskunft gab, und der Rath zu Salza, der für ſich hinreichend zu thun hatte und hernach, weil es doch mit über den eignen Sädel ging, zudeckte und ausschied, wo er fonnte, behilft jich immer damit, daß er jagt, der Amtmann wijje davon am Beſten felbjt zu melden. Urkundlich beglaubigt er- Scheint nur Nachitehendes. Sittid) war noch am 24. April mit zu Weißenfee in der Beratung der fürftlichen Befehlshaber gewejen und nad) Salza zurücgefehrt. Von Dienstag, 25. April, an ward er im Schloſſe belagert, und er fcheint fi in einen Thurm des Schloſſes zurücgezogen zu haben. Daher fchrieb Reibiſch den 27. April an Dr. Dietrid) von Werthern:

„Der Amtmann zu Salza Hat abermals einen Boten insgeheim kei mir gehabt und anzeigen laffen, daß er fih wohl noch ein Tager vier mit Gottes Hülfe auf dem Thurme enthalten wolle, und mid) fleißig gebeten, daß ich Euch das anzeige, und daß hr bei Euren Herren und Freunden, wie ich auch thun möge, Leute aufzubringen Euch fleifigen wollet ihm zu Hülfe. Es fcheint mir gut, ein Gerücht im Lande zu machen, um die von Mühlhaufen in Furcht zur jagen ſammt andern, denn jonft wird ſich das ganze Landvolf in Aufruhr be= geben, und ich werde mid auf die Länge hier auch nicht enthalten können und, wo ichs jo gut haben werde, flüchten müffen. Der Amtmann zu Salza bittet auch, Ihr wollet die Sache fchleunigft an Herzog Georgen gelangen laſſen. Wollet heifen auf gute Wege tradhten, dadurd) dem muthwilligen Haufen ſchleuniger Widerftand gethan werde“.

Und den 28. April:

„Die Gemeine zu Ealza hat wiffen wollen, was wir, nämlich Ihr, Ber- lepſch umd ich diefer widerwärtigen Läufte halben jüngft zu Weifenfee mit einander fiir Unterrede gehabt, Da hat ihnen Berlepſch wie inliegend zur Ant« wort gegeben. Darauf haben fie, wie ic) aus ihren auf mein Schreiben an mid; gethanen Schriften, auch ans Berlepſchens mündlichem Zuentbieten ver: ftanden, heute eine Bereinigung mit ihm machen laffen, wovon ich Euch, unfers Zuſammenkommens, ob Gott will, wohl weiter unterrichten will. Dod) darf Ber- lepſch ihnen noch zur Zeit nicht viel vertrauen, aud) aus der Stadt nicht kom: men. Auch ſollen fie, wie ich höre, an Herzog Georg geſchrieben und fich der

gegenwart bes Weibes mit dem PVorgeben, es fei ihr eignes Kind, den zarten Säugling und in ihm dem Vaterlande einen fpäterhin hocdjverdienten Staats- beamten rettete. Die Bemühungen des bald darnad) zurüdgefehrten Schloß— hauptmanns, den Aufruhr zu dämpfen, waren vergebens, und er jah fic) ge nöthigt, vor den Rebellen in einen feften Thurm des Schlofjes ſich zu flüchten, wo er aber aud) bald entdedt und ergriffen wurde. Man führte ihn auf einen freien Plat, in einen von der Menge umjcloffenen Kreis. Hier wurde ihm die Wahl geftellt, entweder zu fterben, oder zu ſchwören, daß er die Stadt auf immer meiden wolle er wählte das Letztere und ward aus der Stadt gebracht”. Vgl. ©.100.102. Zimmermann, 2. Aufl. II, S. 425, nennt die Bauern von Urleben als die, welche den jungen Eric) Volkmar, Sittichs Söhnlein, hätten herabftürzen wollen. Bol. Schumann - Sciffners Lerilon XII, S. 88 unter Uhrleben. Sittich, Filipps von Berlepſch Sohn, geb. 1480 F 1544, hatte von 2 Ehefrauen 19 Kinder, Johann Lezneri Berlepiche Chronica cap. 25. Olearii Rerum. Thur. Synt. II, 235.

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bemeldten Unterrede zu Weißenſee! erkundigt haben, weshalb mir Berlepich in- liegendes Berzeihniß zugeſchickt und Euch daffelbe fortan zu überſenden gebeten hat, darnach wir uns ſämmtlich zu richten haben“.

Ferner bald darauf an den Herzog:

„Der Amtmann zu Calza ift noch gefangen, und ich weiß ihn nicht zu erledigen“.

Ganz abgefchnitten war alfo Sittich8 Verkehr nad) außen An— fangs nicht. Aber Binz Spetter in Salza fing des Amtmanns von Herbsleben Boten, der in der Empörung einen Brief an Sittich brachte, auf, nahm ihm den Brief ab und fagte: „Hie fommt der Rechte, der Briefe bringt, uns wegzuführen!“ So klagt denn nun der Thamsbrücder Rath am 10. Mai dem Herzoge:

„Wir hätten vorhin wohl gern E. F. G. Amtmann zu Sala um Rath angeſucht, wüßten wir ihn ficher zn finden“.

Auch jagt die Gemeine zu Schönftädt noch den 7. Juni 1526 dem Herzog Georg, zu dem Amtmanne Berlepſch hätten fie damals im Aufruhr nicht durchfommen fönnen, weshalb fie vier Mann an den Rath zu Salza gefchiet hätten, um anzufragen, wie fie dem Haufen entkommen möchten; der Rath habe ihnen gejagt, er könne ihnen nichts helfen: „ihr Habt einen Yandesfürjten, den bejucht; iſt euch der zu weit, jo habt ihr da einen Amtmann, zu dem geht!“ Der aber jei ja gefangen gewefen. In einem Bittbriefe an Ber— lepſch, vom 20. Yuli 1527, ſich feiner beim Herzog anzunehmen, er- zählt Dietrich Gans, der von ihm viel Gutthat genoſſen zu Haben befennt:

„So denn auch Euer Geftvengen den Tag zuvor (25. April) an die Ge- meinen gejchrieben, und Heinz Holle, dergleichen fein Bruder Lucas, auf dem Auguftinerkicchhofe vor der ganzen Gemeinde bittlic) vorgetragen haben, daß man Eure Unjchuld hören und Euch zur Antwort wollte fommen laffer. Und wiewohl Andreas Dreicher, ich und andre gute Freunde allda Euer Beftes ge- redet, ift doch alles mit ungeftümen Worten abgeſchlagen und ganz unfruchtbar gewejen. Des folgenden Tages, als ich mit den drei Räthen zu den Barfüßern im Kapitelhaufe geweien, hat mid) obgedadhter Lucas Holle aus dem Kreuzgang heiſchen lafjen und mir angezeigt, wie er bei Euer Geftrengen auf dem Schloſſe gewejen jei, und hat mir Eurer Unfchuld Klagen und Erbieten erzählt, und wie Ihr in großer Angft und Beſchwerung wäret, daß man Eud) nicht wolle zur Antwort fommen laffen, und wie Ihr ihm befohlen hättet, daß er nochmals gute Freunde anriefe, Teinen Fleiß zu fparen, bis Ihr zur Antwort fämet. Darauf hat er mich um Gottes willen gebeten, mic) def zu unterwinden. Habe ich defjelbigen Abends (27. April) in Neichweins Haufe die Zwölf darum an- fprochen und ihren Willen dazu erlangt. Darauf bin ic) die ganze Nacht von einer Rotte zu der anderu gegangen, habe allwegs einen oder zwei, zu denen ich mic Gutes verjehen habe, in Eurem Beften angefprochen, bei den anderen dazu zu verhelfen, daß Euer Geftrengen zur Antwort möchten fommen. Früb bei Tagesanbrud; habe ic die Zwölf geweckt, fie auf dem Weinfeller verfammelt, ihnen gelagt, fie Tollten nicht die ganze Gemeine, fondern nur die Rottmeifter in Eurer Sadje hören, was fie und der Stadtichreiber gebilligt haben. Das

ı Aud) Hans Meifter fagte Zieglern vom Todtfcdlagen des Amtmanne und der Barfüßer,

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ift denn auch gefchehen, die Rottmeiſter Haben ſich beredet und die Antwort ge bracht, Ihr follet vor den Nottmeiftern zu Antwort gelafjen werden. So bin ih, Euer Geftrengen vielleicht unbewußt, Euer guter Förderer geworden und bitte, Euer Geftrengen wollen nun aud) meiner fih annehmen“.

Schade, daß Berlepſch dazu dem Herzoge nichts weiter zu ſchrei— ben hat, als:

„Was Ganfens Uebung geweſen vor und im Aufruhr, wird der Rath beffer denn ich zu berichten wilfen. Ic fende aber doch E. F. ©. in Abichrift fein Schreiben an mid), woraus zur erfehen, wie derjelbigen Gefellichaft Gemüth gemejen ift“.

Viel gefährlicher, als die chriftlichen Brüder zu Salza, waren für Sittich die theologischen Mühlhaufener. Daß Pfeifer feinen Tod, Münzer feine Peinigung, beide aus altem Groll, forderten, haben wir oben gejehn!. Den 27. April ſtand Münzer zu Volkerode ud empfing dafelbft Botjchaft aus Merzleben, das durd) Claus Niceln anfragen ließ, weh fie ſich halten follten. Münzers fchriftliche Ant- wort ließ auf dem Anger in Merzleben Frik Schröter durd den Pfarrer vorlejen; fie enthielt: fie jollten auf den Amtmann zu Salza, den Tyrannen, den Bluthund, gut Acht haben, dag er nicht hinweg— fäme, denn fonft würde es nicht gut werden, oder ihn todtjchlagen. Auch nach Salza ſchickten die Merglebner, und zwar Schrötern und Dietel Bucnern, mit gleiher Anfrage an die Zwölf der Gemeine, und erlangten die Weifung: fie follten jich nach dem richten, was Salza thue; wenn die zögen, follten jie auch ziehn, und fonft wohl zufehn, daß der Amtmann nicht wegfäme, denn man verfähe fich, er würde über die Brüde zu Merrleben feinen Weg nehmen ?. Aeuferft erbittert auf den Aıntmann war Merten Salzmanı von Merzleben, weil Sittich deſſen Vater, den der Weberftädter Haufen endlich be= freite, lange gefangen gehalten Hatte, jo daß Salzmann oft vor vielen Leuten, auch dem Haufen von Weberftädt jagte, man jolle den Amt— mann erjtechen oder todtichlagen. Noch einmal war Sittich, jo viel befannt ift, im Lebensgefahr, vor Tonna am 1. Mai. Die Merr- febener nämlich hatten Volkmars und Heinrichs von Kreuzburg Güter in Beſitz genommen und endeten fi) mit dem Begehren an die Hauptleute des Weberjtädter Haufens, ihnen diefe Güter zuzufprechen. Bon den Hanptleuten deshalb an die zwölf Gemeindevertreter Salzas gewiefen, hörten fie von diefen als Sciedsleuten, im Beifein des Amtmanns Berlepſch, den Spruch: Heinrich Kreuzburg fei chriftlicher Bruder geworden und ihm fein Beſitzſtand umverfümmert zu lafjen. Da redete Volkmar Weber von Merxleben, der Krieger geheifen, Ze— liar Webers Sohn, öffentlih: Hätte der Amtmann um der Güter Kreuzburgs willen wider fie mit Worten gejträubt, jo wollte er ihn unterm Haufen erjtochen haben. Sittich juchte die Tage feiner

ı . 531.

2 Schiffners Staats-, Poſt- und Zeitungs-Lexikon von Sach— ſen Band VI, S. 443: „Beim Dorfe geht eine Brücke über die Unſtrut,

welche ein bedecktes Thor hat und der Engelspaß heißt. Sie iſt ganz ſteinern und im Jahre 1545 erbaut“. Fam. Gutbier, Reg. S. 140.

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Ohnmacht zu vergejfen, nicht aber milder und jomit beliebter zu werden. "

Nachdem des Montags Nachmittag, 1. Mai, der Salzaer Heer- zug aus Tonna heimgefehrt war, ziemlich voll von dem genofjenen gräflichen Weine Claus Heufener fuhr wieder auf feiner Büchſe fitend herein —, fingen ihrer viele an, in der Stadt umzulaufen, die Gefängniffe im Schloſſe und Nathhaufe ohne Wilfen und Be— willigung des Rathes zu eröffnen, die Stöcke herauszufchaffen, zu zer— ichlagen, zu zerhauen, die Weinmaße (ein Zehentmaß) aus dem Stadtfeller auf die Gafjen zu tragen, zu zeriwerfen, zu zertrümmern, das fürjtliche Weinzollvappen an eines Bürgers Haufe, etliche Tafeln, Bilder, des Amtmanns Yeichenftein und Epitafium zu den Barfüßern zu zerfchlagen u. |. w. Ein Haufen bei 100 Mann ftarf, darunter Wolf Bornheinric, Matthes König, Balzar der Schuſter, Barthel, der Knecht der Antonius auf dem Plane, ſchlugen Bartholomäus Brühls, der damals Gangolfjümmeringen vom Herzog pfandweije inne hatte, Haus auf und nahmen ihm etliches Silbergefhirr, das Melchior als Hauptmann bei ſich behielt. Hans Beidder wüthete wider des Hauptmann Yeichenftein im Kloſter und rief, der jei eine Abgötterei, man jolle ihn wegthun. Hier ſah man Binz Spettern, wie er zu den Barfüßern Sanct Kaifer Heinrichs und Kunigundis Hiltorien, die auf ein Tuch gemalt waren, an einer Hellebarte aus der Kirche trug und ins Waffer warf. Dort jchaute ein „frommer“ Bürger, den der Nath hin beordert hatte, um aufzuachten, wie Silich- miüller, einer der erjten ins Kloſter und in die Kirche, im Chore um fi) ſchlug und zerbrah, als wäre er unfinnig, fonderlic) aber eine Tafel auf einem Altare, die einft, wie die Sage ging, ein Hirt follte geichnitst haben, von Keinen Bildern im Gedächtniß des Yeidens Chriſti, gar zertrümmerte. Bei den Bildern der Heiligen waren fer= ner rührig Hans Großholt ein Tagelöhner, Hans Naub, der zwei Heilige zum Gejpött in der Stadt herumtrug!, Haus Hajenberg, Baltin Töpfer, Valtin Zrötichel ein Wagner und einige Jahre Stadtdiener an einem Thore, Kunz Koppe, Hans Ziegler, Stefan Ludolf. Albrecht Steinbrück behauptete fpäter, er ſei allerdings mit zu den Barfüßern gewejen, habe aber mit Hänfel Tröticheln die Tü— cher von den Altären abgeräumt, damit jie nicht genommen werden follten, und fie in eine Kite Hinter S. Annen Altar gelegt; und der alte Hänfel Trötichel gab an, er jei in die Kirche gefommen, um feinen Sohn Valtin zur Heimkehr zu bewegen. Die Weinmaße im Stadtkeller holten Haus Ziegler und der junge Hans Keßler, und erfterer half auch das vom Herzog verordnete Tuchzeihen in Marx Kulens Haufe wegichaffen, und rief, als die Stöde auf dem Rath— haufe zerhauen wurden: „Bürgermeiſter Stuhler, fomm, fee mic)

1 In feinem Bittichreiben um Einlaß nad) Sala vom 26. Juni 1527 tröftet Raub ſich und den Herzog darüber durch die Bemerkung, die Bilder feien ja wieder zurecht gekommen.

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nun wieder in den Stod; in dem Yoche habe ich Hievor geſeſſen!“ Beim Zerfchlagen diefer Stöde waren ferner gefchäftig Herr Vincenz Erfing, der Mönch von Homburg, Baer Kraberg, ehemaliger Ge— richtödiener und Stadtfuccht !, Andres Seifert, Hans Wenfe, Claus Wald u. a. Die Stöde auf den Schloffe zertrünmmerten Chriftof Steffel, Balzer Ebelin, Hans Kraula ein Müller, Balzer Kraberg, Friedrich Rudiger, Kranz und Binz Spetter, Hans Yutterodt in der Neuftadt, Kaspar Schröter, Dorfelds Sohn der Schufter, der junge Hans Seifart, Wolf Bornheinrih, Peter Ferbers Sohn, Henz Verche, Henz Broſius, Hans Auleb, den man zum Stedenfnecht ge- foren, erwählt und gekleidet hatte. Arbeit Schärft Hunger und Durft. Die Priefter mußten der Gemeine zu eſſen und zu trinken geben, und der Dechant Johann von Erfa wurde vom DBergthurme, wohin er ji zurücgezogen hatte, heruntergeholt und mußte ihnen Yebensmittel reichen; darüber erfchraf er jo, daR er von dem Augenblicke an nie wieder recht gefund wurde und 1529 ftarb?. Hans Auleb Tief ſich der Gemeine zu Gefallen in der Priefter Häufern willig mit Zapfen ‚von Mein und Bier brauchen. Hans Beidder aber gerieth auf dem Schlojje zu eifernen Büchjenfugelt, die er nahm, um fie zum Ges Ihüte zu brauchen.

Die folgenden Tage über blieb die Gemeine in gleicher, „muth— williger“ Empörung und ließ, objchon der Rath ihnen aufgab, der Prediger halben auf de8 Herzogs Zuſchickung zu warten, den Johann Zeigfuß, einen Prediger, den der Amtmann früher der muthwilligen Predigt wegen von Kircchheilingen aus feinem Amte verjagt Hatte, auf dem Auguftinerfirchhofe und in S. Bonifaciusfirchen ohne weiteres Anfragen und ohne Wilfen und Willen des Nathes predigen. Der hielt denn auch deutſche Meſſe und predigte „ungefcheut alles, was zu Aufruhr reizt“. Als der Kath um alles Guten willen dem Rathe zu Gotha um einen Prediger, der das Wort Gottes in gehörigen Frieden bis auf George Ankunft predigen möchte, gefchrieben und ein jolcher fich auch eingefunden hatte, der die wahrhaftige Schrift, die auf allen Frieden gegründet ift, beftändig anzeigte, da beunruhigten ihn Teigfuß und feine Anhänger in der Kirche, ja Teigfuß lief zu ihm hinauf auf den Predigtjtuhl, als wüßte er feine Predigt zu widerlegen, ließ aber doch nichts Beltändiges hören, ſondern fchalt

1 Kraberg oder Kratsberg erzählt dem Herzoge in feinem Bittjchreiben um gnädigen Einlaß von 2. November 1526: „Ich bin im Aufruhr gewaltig gezwungen und mit Berluft meines Lebens bedroht worden. Ich fragte in jol- der Bedrängniß den Schultheißen um Rath, der mir fagte: ic) ſähe, wie fie jelber geziwungen und genöthigt wirden, ich jolle ihm aud) jo thun“. Der Mönch Erfing follte jpäterhin fi) nad) Noclits gewendet haben, denn Haus Kürfchner zu Salza, der ihn gefänglich einbringen ſollte, hatte ihn gewarnt.

2Göſchel II, S. 120. Er ftarb 22 Dezember 1529. Er bejaß eine Vicarei in der Pfarrtirche zu Treffurt. Probft der Stiftlircdhe zu S. Stefan in Salza war 1527 Zohaun von Stein, Domherr zu Mainz und Augsburg, und hatte als ſolcher die Pfarre in Oberdorla zur verleihen.

XIV. 36

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nur wider Obrigkeit und Regenten, als ob alles zu Trümmern gehn müßte.

Am Donnerstage Nachmittag, den 4. Mai, langte die herzog- fihe Antwort auf das Schreiben der Salzaer vom 28. April an, welches vorgelejen und dabei die Gemeine unterrichtet wurde, weil dies eine gnädige Antwort fei, jo gebührte ſich auch, daß die Gemeine zufrieden wäre und in umterthäniger Stille auf de8 Landesfürften Zufunft wartete; weil jedod) die Gemeine feit jenem erjten Schreiben an den Herzog mit Annehmung der gedructen Artikel und durch an deres, jo ſeitdem ergangen, weiter verjchritten Hätte, jo wäre gut, daß man folches, wie es ergangen, dem Herzoge auch unterthänig an— zeigte, und daß dies mit perjönlicher oder jchriftlicher Vermeldung ge— Ichähe, ungezweifelter Hoffnung, feine F. Gn. würden nach Gelegen- heit der Yäufte ein gnädiger Herr fein. Darüber ging die Gemeine zur Berathung zuſammen und ließ ſodann durch ihre Verordneten dem Rathe anjagen:

„weil in unferes gnädigen Herren Antwort berührt ift, daß e8 feine F. ©. bei dem alten Kirchengebraudhe wollen bleiben laſſen, aud, daß diejenigen, welche gejagt Haben, der Amtmann hätte etliche Wagen voll aufladen und ge fänglih wegführen wollen, angezeigt werden follten, damit f. 5. ©. ſich mit gehöriger Strafe zu halten wife, jo wollen wir def gar nicht erwarten, fon- dern alsbald ausziehn und jehn, wo wir bleiben“.

Die Käthe freilich fuchten das wieder zu verhüten, baten aufs fleißigfte die Erbitterten und jtellten vor, das wolle fid) gar nicht fügen, und fie würden dadurd ihre Sachen auch ärger machen. Aber das Half alles nichts. Die Gemeine ließ aufs neue Yärm fchlagen. Daniel Wenfe fchrie durch die Gafjen: „Wer beim Worte Gottes ftehen will, der komme heraus; wer nicht kommt, den werden wir holen“! Sammelplat war der Auguftinerfirchhof, wo man fich über das Ausziehn und die, welche mit hinaus follten, vereinigte. Won da aus ließen fie dem Mathe vermelden, das folle man dem Herzoge Schreiben, ihnen aber die Schrift zuvor leſen. Diefes Schreiben an Georg vom 5. Mai, „mit bejchwertem Gemüthe erlaſſen“, lautet:

„Durchlauchter, hochgeborner Fürft und Herr. Euern Fürftlihen Gnaden find unfre unterthänigen Dienfte allen Fzleißes zuvor. Gnädigfter Herr. Eurer 5. ©. Antwort auf vorige unjer Schreiben, wie fi) die Sachen allhier ber geben, haben wir unterthäniglic verftanden. Weil dann €, F. ©. Gemüth daraus vermerkt, bei dem alten Brauch zu laſſen und, gnädiger Herr, feit um« ferm vorigen Schreiben ſich der Handel aljo zugetragen, daß am nädjftvergang- nen Sonnabend ein großgemwaltiger Haufen um Weberftädbt, Mülverſtädt und Großengottern ſich gelagert, dem alle die Bauern und andere hierumlang zu— gelaufen, diefelben diefe umfeßhaftigen Edelleute in ihre Brüderſchaft der zwölf Artikel, laut inliegenden Abdruds, und fonderlihe Zufage, bei dem Worte Got- tes und heiligen Evangelio zu ftehen, genommen, die auch mit ihnen in ihre Ordnung getreten, von dem Haufen an uns dergleichen auch gelonnen 2c., da— mit wir num diefe E. %. ©. Stadt und unfer aller Leib und Güter nicht in ganzen Berderb und Verluſt geftellt, haben wir folche Artikel und Berbrüderung, jammt €. F. ©. Amtmann, aud) angenommen und mit dem Haufen gen Tonna zu den Grafen von Gleichen gezogen, diefelben Grafen aud in die Artikel umd Brüderjdaft getreten. Weil aud) von den Hauptleuten deffelben großen Haufens,

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nad Willen deffelben,, angezeigt, e8 müſſen die Stöde aus den Gefängniſſen getban und zerhauen, auch Hinfort feine Geleite, Zölle, der Zehnte und der» gleichen Ungeld gefordert noch eingenommen werden, ift folches allenthalben all bier durch den Haufen auch abgelegt. Und ift noch ein großmächtiger Haufe, der fi) aus Mühlhaufen und andern Enden verfammelt, der aud) Volkerode, Ebefeben, Almenhaufen, Suffera, Keula, Neifenftein und mehr Flede und Klö- fter und Schlöſſer verftöret, wie man fagt 11 oder 12 Zaujend ftarf, noch bei— fammen, der etzliche Mal an unjre Gemeine gejonnen diefer Meinung: Wo bie Artikel und chriſtliche Verbrüderung, wie angezeigt, allhier nicht gehalten und gehandhaber würde, will derjelbe Haufe weiter dazu thun. Alfo jagt man, daß um Arnſtadt aud) ein mächtiger Haufe, desgleihen um Schmalfalden ein großer Haufe bei einander; darum wir davor nicht zu weigern. Dod) nicht der Mei— nung, €. F. ©. gehörigen Oberfeit uns zu entwirfen, fondern angezeigten Ar— titeln gehörige Folge zu thun. Dermaßen etlihe aus unfrer Gemeinde itst aud) ausgezogen. Unterthäniglich bittend, E. F. ©. wollen uns die in gnä— diger Bedacht, weil doch im letzten Artikel berührt, ob was dem Evangelio ent: gegen, nichts fein joll 2c., zu feinem Ungehorfam, anders denn aus berührter Gelegenheit geſchehen, achten. Das wollen wir in fchuldiger Pflicht zu ver— dienen fleißigen. Datum unter der Stadt Secret Freitags nad) Mifericordias Domini Anno ꝛc. 25. Bitten E. %. ©. gnädige Antwort. E. F. ©. unter» thänigen drei Räthe und ganze Gemeine zu Salza“.

Diefes Schreiben wurde zu fichererer Weberbringung zweimal ausgefertigt und mit zwei verjchiedenen Boten abgefendet. Der Her- zog jagt in feiner Antwort aus Leipzig vom 6. Mai:

„Wir möchten leiden, daß die Sachen mit euch anders geftaltet und unfrer nächften euch zugeichriebenen chriftlichen Wohlmeinung nachgegangen wäre. Da wir aber dafür halten, daß ihr in die eingegangenen Artikel zwänglich geführt feid, fo müffen wir es dieſer Zeit auch dabei bewenden laffen, des zuverfichtli- hen Bertrauens zu euch, ihr werdet euch bei unjerm zu euch Anfommen gegen uns eurer ſchuldigen Pflicht nad) alles Gehorſams, auch mie euch geziemt und ihr von Alters bisanher gethan, halten“,

An jenem Donnerstage, den 4. Mai, ſammelte fich die Gemeine auch vor dem Schlofje, nachdem fie ihren Hauptmann Melchior Wi- gand, ihren Fähnrich und Webel geforen Hatten, und jtellten die An— forderung, der Rath jolle ihnen einen Kriegsmeifter nebjt Knecht mit- geben. Hartmann Goldader, chriſtlicher Bruder geworden, redete fie im Beifein des Bürgermeifters Stuhler und mehrerer andrer vom Mathe an und befahl ihnen, fie follten niemandem etwas nehmen, niemand befchädigen, auch ſonſt fich ziemlich Halten. So erhob ſich die Gemeine Freitags den 6. Mai, ohne dem Rathe Lebewohl, ohne was ihr Vornehmen ſei oder wohin fie wollten zu jagen; nur fo viel liegen fie vermerken, daß fie diefe Nacht zu Tenuſtädt liegen wollten. Sp wie der Rath den Kriegsmeifter fammt Knecht mitgeben mußte, fo mußten auch die Grafen von Gleichen, Amtmann Berlepſch und Heinrich von Kreuzburg mit hinaus,

Die Tennftädter Unzufriedenen nämlich hatten ſich an die Gleich—

1 Wigand fagte fpäter aus, Hans Schmidt und Hartmann Goldader bätten ihn gebeten, die Hauptmannsftelle anzunehmen, babe er geantwortet: ihr wäret beffer dazu gefchidt, denn ich. Alſo hätte man ihn ausgerufen zum Hauptmann im Beifein des Bürgermeiſters Stuhler.

36 *

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gefinnten zu Salza, der Kath, dafelbit aber an den Salzaer um Rath und Beiltand gewendet. Als der Kath zu Tennjtädt um Erfundigung nad) Salza ſchrieb und der Kath zu Salza ziemliche Antwort ftellte, die man den zwölf Verordneten lejen mußte, ftand Hans Lofink in der Rathsſtube auf, lief bis an den Tiich, jchlug mit einer Fauft auf die „Sidelbanf“ und fagte: „Ihr Herren, man muß nicht alfo Linde mit der Sache umgehen, ihr müßt gejtrads jchreiben, daß man ſich zu dem Worte Gottes verbunden hat und dabei zu ftehn; das Wort Gottes leidet nicht ſolche Heuchelei; ihr dürft uns nicht jo geringe achten, Gott hat uns auch Verſtand gegeben“. Damit reizte er die andern, daß man eine andre Schrift ihres Willens an Rath und Gemeine zu Tennſtädt unter der Stadt Secret jchreiben mußte. In diefelbe Zeit fällt nun wohl auch die Aeuferung, welche Matthes König wider Einen des Rathes that: „Da gehet aud) der Heuchler Einer!” Yojt Weiland, Hans Rübe und noch zwei famen von Tenn— jtädt herüber, pflogen der Unterredung mit dem Hauptmann’ und den PVerordneten der Gemeine, und fo wurde endlicdy gemeinfchaftliche Sache gemadt. Die Bemühungen des Herbslebener Amtmanns Rei— biſch, Tennſtädt in Stillftehen zu erhalten, waren alſo umjonft. Die Nädelsführer zu ZTennjtädt waren Joſt Weiland, Hans Rübe, aud) Kleineberlt genannt, der ſich oftmals zum Allftädter begab, Hans Leimenkloß, der junge Thomas Run \, der junge Hans Fügefpan Kiftner oder Käftner, Wendel Mench, Tafchens Sohn, Hans Schenf der Handſchuhmacher, Michael Becks Sohn, der alte gewejene Schäuf Bollmar, Stefan Töpfer, Yudolf Balbirer, Morichen, Hans Folker.

ı Thomas Höpfner ward 1527, zu Großenfahner, das den Brüdern Otto, Hans und Yobft von Seebach gehörte, gefangen am grünen Donnerstage, vom Tennftädter Rathe beſchuldigt, das Herzogliche Zollzeihen am Geleitshofe zu Tennſtädt abgejchlagen zu haben. Ferner: als der Haufe Herrn Merten Tham- rot um 3 Faß nordhäuſiſch Bier büßte und das trank, ift Höpfner unterdeß auf der Gaſſe auf und nieder gegangen, bat fich ganz unſchicklich geftellt; trotzdem daß der Rath in demjelbigen Biertrinfen vor alle Tiſche ein Verbot anjagen ließ, Hat Höpfner trommelnd und dazu pfeifend den Haufen nah Wenigentenn- ftädt geführte, dem Pfarrer dort ein Meffer auf die Bruft gefeßt und ihn ge— zwungen, ihm Geld zu geben; der Pfarrer gab ihm 3 ßv., die Höpfner auf des Pfarrers Bitten an ſich genommen zu haben behauptete, Nad) langer Haft und peinlicher Frage, in der Höpfner alles ftandhaft Yeugnete bis auf die Ueber— nahme des Geldes, die er bejahte, und nachdem ein Heidelberger freifprechendes und ein Leipziger verdammendes (!) Nechtsurthel eingeholt war, liefen ihn die von Seebad (ein Ehriftof von Seebad) war Hauptmann zu Erfurt) im Sahre 1529 aus Fahner entichlüpfen. Andres Höpfner, Bürger zu Gotha, war jein Berwandter. Dian hatte 1527 deshalb erft nad) Thomas Höpfnern gefahndet, weil ex zu feiner Schwiegermutter in Tennftädt, die e8 heimlich anzeigte, gejagt haben follte: er wolle etlichen des Tennftädter Raths einen vothen Hahn aufs Haupt ſetzen. Im Jahr 1529 beklagte ſich der Tennftädter Nath beim Her— zog bitter über die zahlreichen Priefterföchinnen, die ihr Weſen fo ungejchent trieben, daß viele andre liederliche Mägde und Weiber nach Tennftädt zogen, die Ehemänner verführten, und, wenn der Rath die Zucht aufrecht erhalten wollte, ſich auf die Priefterföchinnen beriefen, Natürlich famı mit der Reaction auf die alte, gute Zeit wieder,

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Beſonders Rübe ſoll den Zug der Salzaer nach Tennſtädt bewirkt haben.

Den Freitag Abend, 5. Mai, rückten die Salzaer Brüder zu Tennſtädt ein. Am Sonnabende, 6. Mai, erliegen fie folgendes Sendſchreiben:

„An die Chriſtlichen Räthe und Chriſtliche ganze Gemeine der Stadt Weißenſee, unſern lieben Brüdern: Alle Chriſtliche Brüder von Salza mit— ſammt andern Brüdern anhangende. Unſern Chriſtlichen brüderlichen Dienſt in brüderlicher Liebe allezeit bereit. Lieben Freunde. Euch iſt ungezweifelt wohl wiſſentlich, wie daß wir von Salza aus göttlicher Verleihung und um des heiligen Evangeliums willen ausgezogen, und etliche Artifel, aus der heiligen Schrift gegründet, allenthalben zu Halten und Folge zu thun, auch fonft andre Artikel, durch melde jetst mande Stadt, Dörfer und Pflege beichwert, melde man euch (wann wir zu euch fommen) unterrichten und vorhalten wollen, wann wir auf heute Sonnabends zu Abend, will Gott, willens find, bei euch mit— fammt unſern chriftlichen Brüdern, die zu uns fommen und kommen find, Derhalben an euch unjer freundliche Begehr, mwollet euch als Brüder (als wir def ganz zu euch verjehen) erzeigen und alsbald fchleunige Antwort wiederum bei diefem Boten jchiden, auf daß wir uns darnach wifjen zu Halten. Wollet euch gutwillig erzeigen. Wollen wir als Brüder wiederum willig gerue ver- dienen. Datum eilend Sonnabend nad) Mifericordia Domini Anno ze. 25.“

Weißenſee ſchrieb zurüd:

„An die Chriſtlichen Brüder zu Salza ſammt ihrem Anhange, unſern guten Freunden. Lieben Brüder. Euer Schreiben haben wir Jnuhalts verleſen und bedanken uns folcher Erinnerung; Hoffen, wiewohl wir ohne Sünde nicht leben mögen, haben uns bisher anders nicht gehalten, denn frommen Chriften- leuten zuftehet. Würden wir aber mit Grunde ein Befferes unterrichtet, woll- ten wir uns gern weiſen laſſen. So find wir aud im ungezweifelter Hoffe nung, under gnädiger Herr, der Laudesfürft, werde uns, was Beſchwer wir haben, als wir denn dei feiner F. On. Gejdidten mündliche Bertröftung, gnädiglich entladen. Derhalben fo wifjen wir uns igund im nichts weiter zu begeben, fondern bei dem Worte Gotte8 und unſerm gnädigen Herrn, dem Landesfürften, wollen wir, fo weit unfre Leiber und Güter reichen, feiben und leben. Haben wir euch zu Antwort nicht verhalten wollen und find euch zu dienen willig, Datum Sonnabends nah Mifjericordia Domini Anno ꝛc. 25. Chriftlicher Rath und Gemeine zu Weißenſee“.

Gleichzeitig mit obenſtehendem Schreiben der Salzaer war früh 7 Uhr eine Zufchrift George vom 5. Mai in Weißenfee eingegangen, des Inhalts:

„Euer Schreiben au Chriſtof von Faubenheim (Amtmanı zu Freiburg) haben wir in deffen Abwefenheit erbrodhen und gelefen. Wir ftehn in Arbeit, uns zu rüften. Wollet euch manulich und ehrlich halten und unfere täglid) nähere Zufunft erwarten, Daß ihr bisher alle bei einander als die frommen, Unterthanen treulich euch bei uns gehalten, wollen wir in Gnaden bes denfen“

Auf diefe Zufchrift meldeten die vom Adel’, auch Rath und die

ı Chriftoph von Taubenheim Hatte in Weifenfee einen. Edelmann und feinen Diener Meldior von Sondershanfen zurüdgelaffen. Außerdem lagen hier: Frig Steiger mit 4 Pferden; Barthel Bruel zu Gangolfiomerden 4 Pferde; Ehriftof von Haufen zu Lütenfomerden 3 Pferde; Volkmar von Kreuz- berg zu Merrleben 2 Pferde; Erhart Zenge zu Uttenhauſen 3 Pferde; Werner Na zu Gangolfſömmern 2 Pferde; Nidel Schuetz zu Weftgreußen 2 Pferde;

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Berordneten der Gemeine zu Weißenfee eilend denfelber Sonnabend dem Herzoge:

„Wir haben E. F. Gn. Schreiben von geftern mit Freuden iiber feine Ber: tröftung empfangen. Aber gleich diejelbe Stunde fommt uns von denen von Salza Schrift zu, die wir ganzer Gemeine vorgelefen haben, welche mit auf geredten Fingern veriprochen hat, bei E. F. ©. zu ftehen. Unfre Antwort an die Salzaer legen wir in Abichrift bei. Wir beforgen aber alle Stunden, fie werden uns überziehen. Wir bitten, E. F. ©. wolle mit Hilfe kommen. (Zeddel: Die von Salza haben ſich geftern Abend, Freitags, gegen Tennftädt begeben, gedenken heute Abend fich gegen Weißenfee zu wenden; fie jollen auch, wie bas Gerücht ift, etliche Geſchütze haben“.

Den ferneren Berlauf der Ereigniſſe Ichren die nächſten Schrei— ben aus Weißenfee. Zuerſt an den Grafen Ernjt von Mansfeld zu Heldrungen, 6. Mai:

»Heute Abend, Sonnabend, um 5 Uhr ift der Safzaer aufrührifche Haufe vor Weißenfee gerüdt und hat begehrt, Geſpräch mit uns zu halten, welches wir ihnen zu weigern nicht gewußt und dafjelbe von ihnen angehört, worin fie an uns gefonnen, daß wir uns zu dem heiligen Evangelio und in Wahrheit auch zu zwölf Artikeln, jo in der heiligen Schrift follten gegründet fein, zu hal: ten, uns zu ihnen verbinden follten, dann wollten fie uns als chriftliche Brüder unbedrängt und unbeichädigt aller unfrer Habe und Güter annehmen, in An- ſehung, daß joldyes unjerm gnädigen Herrn, dem Landesfürften, auch feiner F. ©. Landen und Leuten zu gutem Gedeihen foll gereihen und gelangen; wo wird nicht thun würden, fo fäme der ungeftimige Mühlhaufiiche Haufe, der itsumd im Eichsfeld die beften Schlöſſer, und zwar deren viel, zerftürmt und zerbrochen habe, welcher Haufe ihres Verſehens jetst gegen Nordhauſen! ziehe oder bereits drinnen liegen würde, und der würde uns um Leib und Gut bringen; aud jeien fie felber gefandt, uns zu dringen, daß wir uns an fie begäben. Da ha— ben wir mit großer Mühe und Arbeit, jolches an die Edelleute, den Rath und die Gemeine gelangen zu laffen, bi8 morgen früh um 5 oder 6 Uhr Hintergang erlangt und die Gemeine gebeten, bis dahin Antwort zu geben. Wir bitten €. ©. und die vom Abel, die E. ©. find als des Herzogs Hauptleute, um ſchriftlichen Rath und Bedenken ohne Verzug, und ob E. ©. zu Hilfe fommen und ums entjetsen wolle. (Nachichrift:) Sie haben uns berichtet, daß fich der „Molliſche“ Haufe bis in die 18000 Diann erfirede, auch merkliches und treff- liches Geihüt habe, welches uns Graf Ernft von Gleichen, der Amtmaun zu Salza und andre zween Hauptleute, deren einer der Pfarrer von Kirchheilingen, Johann Teigfuß genannt, mitgeteilt haben, und hat der Hauptmann Berlepſch das Wort von der hriftlichen Brüder wegen? geredet umd angetragen. (Nach—

Friedrih Wolfedorfs dafelbft 1 Pferd; Albrecht Zeige daſelbſt 2 Pferde; Andres Elingesore zu Uttenhanfen 1 Pferd; Hans und Heinrich Natza 2 Pferde; Hans von Greufen zu Kutzleben 2 Pferde; Degen vom Hof zu Kannewurf 2 Pferde. „Summa 31 Pferde“, :

ı 68 ift ein Schreiben Herzog Georgs an Nordhaufen vom Freitag nad) Erandi, 2. Juni 1525, aus Salza vorhanden, worin er fagt: Auch in ihrer Stadt werde, wie in dem eroberten Mühlhaufen gefchehn, das gemeine Bolf durch ungeſchickte Prediger nicht in Heinen Irrtum geführt; daher mahne er, die nicht zu leiden, fondern fromme Prediger zu halten und driftliher Kirchen Ordnung nachzugehn; dazu wolle er rathen und helfen.

2 Mas Streif 1.1. S. 100—108 über diefe Vorgänge berichtet, iſt ziemlich unbrauchbar. Er theilt die Worte, die Berlepſch geiprochen haben joll, mit und jagt dann ©. 105: „ALS die Abgeordneten immer no Anftand nah- men, eine beftimmte Antwort zu geben und zur Berathung in die Stadt ſich zurücbegeben wollten, fetste der von Berlepfc noch folgende merkwürdige Worte

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ſchrift.) Wo uns allein eine Tonne Pulvers von E. ©. und Geftrenge möchte füglich mit dem Morgen zugebracht werden, wollten wir uns bis auf €. ©. und Geftvengen Hilfe, die aber in Kürze gefchehen muß, eine Weile aufhalten, wo anders uns die Gemeine Beiftand thun wollte, weldhe8 wir vor Morgens nicht wiffen mögen. Datum ut fupra“.

Indeß fiel der Salzaer Haufe, da Weißenfee feine Thore ge— fperrt hielt, in DOttenhaufen ein, dejjen Heimbürgen jo eben zu Weißenſee beim Schöſſer Matthes Pottinger, der Nitterfchaft und dem Nathe waren mit der Bitte um Entjegung für den Fall, daß ſich die von Salza in ihr Dorf begeben würden, aber zur Antwort erhielten: „Dir können euch Armen nicht entjegen; wollet ihr aber zu ung herein kommen, ſo follen euch die Thore geöffnet werden, und wir wollen euch gern zu uns einnehmen“. Als die Heimbürgen im ihr den Junker Georg Haak gehöriges Dorf zurüdfamen, wirthichaftete ſchon der Haufe darin, deſſen Hauptleute die verdrieglichen Worte der Einwohner, wie dieje nachmals behaupteten, nicht achten wollten. Dei dem Haufen in Ottenhaufen waren auch die Dörfer Herbsleben, Ge— befee, Eichenberga, Großbalnhauſen, Wenigenbalnhaufen, Schweritedt, Strausfurt, Tunzenhaufen, Herrenfchwende, Giünftädt, Nauſiß, Grü— ningen, Merzleben, Nägeljtädt, Klingen, Hentſchleben, Kutzleben, Gangloffümmeringen, wo Hans, Heinz und Werner von Naba, die da wohnten, Schädigung erlitten. Dem Erhard Zenge zu Ottenhaufen fielen Salzaer und Zennftädter bei 30 Mann ftark in feine Behau— jung, übten an einem Grucifire, das er gegen feinen Tiſch hängen hatte, das Allertrübfeligite und zerjchlugen es, wornach fie ihm den andern Morgen Ofen und Fenſter zertrümmerten, Fleiſch, Hühner, Sped, Käje, Butter nahmen, ein großes Feuer im Haufe machten, zu kochen anfingen, Haus und Hof in Brand zu ſtecken drohten, Zengens Gefinde und ihn jelbit, den fie in den King forderten, durch viele Schmähworte hart anließen und auf 40 FI. Schaden verur— fachten. Die DOttenhaufener aber Hatten auf Befehl des Schöffers gleih) Anfangs das Hausgeräth des Kloſters auf das Weißenſeer Schloß geführt, alle Kleinode und Gefchmeide des Klofters hingegen mit Bewilligung des Abtes von Homburg und der Aebtiffin in ihrer Dorfkirche verwahrt und fo erhalten. Die Aebtiffin hieß Gertrud, die Priorin Clifabeth Laubartin; fie ftellen gegen einen jährlichen Zins von Korn und Gerfte ihre Mühle zu Uttenhaufen nebjt 2 Eſeln und einem Kornfajten dem Meifter Konrad Teihmüller auf 15 Jahre zu, Dienstag S. Dorotheä, 6. Februar 1526. Nur Aebtiffin und Priorin waren noch im Slofter geblieben. Am Tage Nativitatis Mariä, 8. September 1525, zog auf Georgs Erlaubniß die Aebtiffin Katharina aus Bonroda ſammt Convent im Kloſter Uttenhaufen an,

hinzu: „Thut auf meine Rede, was Ihr wollt. Ich bin zu alledem gezwungen und wollte lieber, daß ich erftochen wäre; denn mir ift der Landesfürft nie un— gnädig geweſen, fondern hat mir immer wohlgewollt. Jetzt bin ich mit Weib und Kind fo arm, wie nur irgend Einer“. Daß Sittich jo dachte, ift ficher, daß er fo geſprochen, kaum glaublich.

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wo fie noch 1530 verweilten ; Vorfteher wurde 1526 Hans Potſtatt, wohnte im Vorderhaufe des Klofters, befam jährlid) 6 Lawen und 2 Fuder Neisholz aus dem Klofter, im %. 1530 Johann Vollmund. In Bonroda war 1525 Friedrich Hopfe, Schwager des ehrenfeiten Heinrich Zengen, Kloftervorftcher gewejen.

Ein zweites Schreiben der Weißenfeer ift ıumter dem 9. Mai an den Herzog gerichtet, worin jie, nachdem fie bemerft haben, daß jie gleichen Inhalts wie an Graf Ernft von Mansfeld vorhin ſchon an Georg geichrieben hätten, ſagen:

„Bir haben denjelben Haufen diesmal abgewendet; da er aber gezeigt bat, daß er E. F. ©. folches wollte zur erkennen geben, ift e8 uns nicht mißfällig geweſen, daß fie joldes E. F. ©. durd ihr Schreiben oder durch Jemand von ihretiwegen zujdiden. Sie haben and) den Amtmann Berlepſch, Dietrich Frie: fern, Georgen Höpfner und etlihe von der Gemeine zu Sala, dergeftalt bei E. 5. ©. um Gnade anzufuchen, abgefertigt, welche aber auf Heldrungen ge ritten umd da durch Graf Ernften von Mansfeld gefänglich angenommen worden find, was uns nicht wenig erjchredt hat, weil dies Salza und alle umliegende Fleden und Dörfer wiederum aufrühriſch machen wird und wir im jchmerer Gefahr ftehn. Graf Ernft hat bei Brand geboten in die Aemter Weißenſte und Sachſenburg, daß die Leute Proviant von Beichlingen gen Heldrumgen holen follen, welcher geſchwinden Schrift wir uns in diefen Läuften zu feiner Gna— den in feinem Falle verfehen hätten. Derhalben befahren wir uns wieder höchlich des Weberziehens, und wiſſen uns alsdann nicht zu halten, denn uns E. F. ©. Hilfe und Beiftand nicht möglich fein will, Graf Ernft hat ums damals mit Hilfe auch verlaffen, als die von Salza hier waren und wir ihm geichrieben haben, und hat uns nur gejchrieben, daß er Heldrungen zu befeten und zu befeftigen gedädhte, das möchten wir mit Weißenfee auch thun bis auf E. F. ©. Zukunft. Das aber haben wir ſchon gethan und wollen es nod gern thun. (Nahichrift:) So eben beim Schließen des Brief3 fommt uns glaublihe Nachricht, daß der Salzaer Haufe, vielleicht in Folge des Gefängnifjes ihrer Abgeordneten fich wieder jammelt. So foll Graf Ernft diefe Nacht den Unterthanen obengenannter Aemter, jo fie Proviant nicht Holen, ernftlich mit Brand gedroht haben. Sollten wir, die wir fihon jo in Gefahr find, mit den armen Leuten verbrannt werden, jo Hätten wir daran nicht wenig Bejchwer. Auch erfahren wir, daß die von Frankenhauſen geflern Abend von der Sachſen— burg mit 4000 Mann und etlichen Geihüten nach Beichlingen übergegangen find, was aber ihr Vornehmen fein wird, ift uns nod) verborgen. Auch be: ſchweren ſich die Leute, Proviant für Graf Ernften zu Beichlingen oder anderswo zu holen; aber wo €. %. ©. des Orts fommen, wollen fie fid) in dem und anderem als die Gehorjamen halten und E. %. ©. Proviant und anderes, was €, F. ©. begehren, zuführen”.

In Salza langten Sonnabend Abends, 6. Mai, aus Weißenjee Kopieen etliher Schriften und Befehle, die der Herzog nad) Weißenſee erlaffen und darin fich hatte gnädigen Troftes vernehmen laffen, auf fein Geheiß an, deren Empfang ihm der Kath und die Gemeine verordneten zu Sala unterm 7. Mai meldeten, mit der Anzeige, daß fie diefelben dem Ausgezogenen nachgejendet und fie daneben durch ein eignes Schreiben heimgefordert hätten. Dieſe Briefichaften wurden zweimal an die Heerzügler geſchickt. Das erjte Mal wirkten fie nur jo viel, daß der Haufe dem Grafen und dem Amtmanue die Erlaub: niß gab, heimzufehren, wobei fie dein Amtmanne eine Antwort, die ihm vom Herzog Georg zugefommen war, vorhielten, ohne daß fie

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jedoch dem Rathe hätten zuentbieten laffen, ob fie ſelbſt heimkehren wollten oder nicht. Das andere Mal fertigte der Rath dieſe Schrei— ben dem Haufen zu durd zwei der Gemeindeverordneten, von denen er vorausſetzte, daß fie ihnen noch am Erjten gehorchen follten. Es waren Hans Yofinf und Hans Melchior, die zu den Ausgezogenen hinausritten und bei Greußen fie antrafen. Lofink überredete den Haufen zum Umkehren, indem er Hinwies auf die Wohlthaten und Gnaden, die der Yandesfürjt ihnen allen immer erzeigt habe, obgleich) e8 ſchon mehr die feige Furcht, al8 die wagende Hoffnung war, welche den Ausgezogenen die Heimkehr anrieth. So hatte Wolf Bornheinrihs und Matthes Königs Gegenrede Feine Kraft auf die Herzen. Beide traten mit noch zweien oder dreien bei Greußen aus dem Haufen und fprachen: „Wer beim Wort Gottes ftehen und das helfen will handhaben, der trete zu uns und den Unfrigen, wir wollen fürder ausziehn gen Frankenhauſen“. Aber die Menge blieb mit Angefiht und Schritt nad) Salza gewendet, das fie wohlbehalten am Montage Jubilate, 8. Mai, erreichten. Def waren die Weiber herzlich froh, und die Kinder auch. Schon am 7. Mai hatte fich der Rath mit dem Amtmanne vereinigt, den Herzog unterthänig zu erjuchen und ihm von dem eigentlichen Hergange zu unterrichten. Der Amtmann, dejjen Geltung von nun am wieder im Steigen begriffen war und blieb, willigte um fein jelbjt willen gern in die Bitte des Nathes, ſich in diefer Sache mit brauchen zu laſſen, und jo gab man ihn dejjelben Tages etliche vom Rathe bei, den Bürgermeifter Fen— fterer, den Kämmerer Schermberg, den Stadtjchreiber Höpfner und zwei aus den Gemeindeverordneten, den Andres Drejcher und Lud— wig Terner, damit man füglicher zum Ausreiten und zur Bericht: erjtattung fommen möchte. Dieje Gefandtjchaft nahm Graf Ernit von Mansfeld gefangen, weshalb die drei Näthe und ganze Gemeine zu Salza fid) bei Georg in einem Schreiben vom 11. Mai be- jchweren:

„Nächftvergangenen Sonntag gegen Abend Haben wir neben Sittih von Berlepſch abgefertigt Dietrich Fenfterern, unfern Bürgermeifter, Konrad Schern— bergen, Kämmerer, Sorgen Hopfener, Stadtichreiber, Andres Dreichen und Ludwig Terner, der Gemeine Berordnete, E. F. ©. perfönlid zu erfuchen und unsre und gemeiner Stadt Nothdurft und Anliegen ſammt unferm unterthäni- gen und gehorfamen Erbieten E. F. ©. anzuzeigen. Die find von Graf Ernft von Mansfeld im Felde vor Heldrungen durch feine Reiter gefangen genommen und auf das Schloß dafelbft gebracht worden, wir wiffen nicht, weshalb, Wir bitten, €. F. ©. wolle verfügen, daß fie des Gefängniffes ledig werden und zu E. 5. ©. ziehen dürfen. Auch bitten wir um gnädige Antwort bet gegenwär— tigem Boten, und erbieten uns, wo Graf Eruft uns zu bejprechen hätte, wollen wir vor E. F. G. Antwort ftehn. E. F. ©. wolle unſer gnädiger Landesfürft und Herr fein. (Zeddel:) Auch gnädigfter Fürft und Herr, e8 hat uns E. F. G. Scöffer bei uns zu Salza (Antonius Trötichel) nächten Mittwochs ange- zeigt, e8 würden unfre gnädigen Fürften und Herren dev Landgraf zu Heſſen, Herzog Eric) und Herzog Heinrich zu Braunihweig mit 2000 gerüfteten Pfer- den und 5000 Fußknechten diefe Woche zu Salza einfommen und ihr Lager zc. da haben wollen ꝛc. Bitten wir ganz unterthäniglih, was wir uns hierin halten und thun jollen, gnädiglich zu vermelden. Denn wir uns gegen E. F.

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G. al8 unfern natürlichen Herrn und Landesfürften alles Gehorfams bezeigen und fleißigen wollen. Datum eilend Donnerstags nad) Jubilate“.

Darüber berichtet Graf Ernft von Mansfeld aus Heldrungen dem Herzoge Montags nad) Zubilate, 8. Mai, eigenhändig:

„Seftern find die von Salza mit etlihen hundert Mannen vor Weißenfee gezogen und haben fie durch Sittichen von Berlepih, der das Wort hat reden müfjen, mit harter Drohung wollen dahin bringen, fi) zu ihnen zu thun. Wo ſolches geichehen wäre, wollten fie denen von Frankenhauſen zugezogen fein und fi) mit ihnen hier vor gelagert haben, Nachdem aber die von Weifenfee, zu— vörderft der Adel, etwas hart gehalten und ſich dareim nicht begeben wollen, find fie wiederum abgezogen, haben im Abzuge etliche vom Adel geplündert und großen Schaden zugefügt. Eo ift der Haufe aus Mühlhaujen auch von einander und find jett zur Zeit des Orts Feine Haufen mehr bei einander, denn der zu Franfenhaufen, deren eine große Anzahl ift, ihun Hin und wieder großen Schaden, find geftern in Wallhaufen und Brüden gefallen, haben da geplündert und viel Guts weggebradjt, treiben großen Uebermuth. Nachdem id) denn weder mit Neißigen oder Fußvolk geſchickt, ift mir nicht möglich, ihnen Abbruch zu thun, wie E. F. ©. zu bedenken; wo mir aber von E. $. ©. Zu- ſchickung, wie id) vielmals angefucht, geichehen, fo verhoffte ich zu Gott, id wollte die Wege gejucht haben, damit die Empörung des mehrern Theils jollte geftillt fein worden, welches alio mit großer Mühe nunmehr zugehn wird. Es find mir von denen, jo E. F. ©., auf heute hier einzulommen, bejchrieben, nicht über 30 Pferde zugelommen, beforge mich, ohne was mein Bruder (Hoier) und Bettern nod) ſchicken möchten, daß es faft dabei bleiben wird. Es hat mir der Amtmann von Sangerhauſen gleich in der Etunde gefchrieben, daß die Einwohner der Stadt des Orts auch wollen aufftehn, mit Bitte, ihm von €. 5. ©. wegen 200 Pferde und etliches Fußvolk zu Rettung zu fchiden; wo es nicht geichähe, jo würden fie diefen Abend ihrem Vornehmen Folge thun. Die- weil ich denn deren nicht gehabt, ifts unterlaffen. Wollen nun E. F. ©. die: fer Empörung vermittelft göttlicher Hilfe vortommen, fo müffen E. $. ©. ohne weitern Berzug dazu trachten. Dies wollen €. F. ©. gnädiglid) von mir ver» ftehn, wie ich denn E. F. ©. anzuzeigen fhuldig. E. F. ©. haben mir jüngft geichrieben, Provifion zu ſchaffen. Solches wollte ich gerne thun; was ich habe, will ih E. F. ©. gern famt meinem Leib und Gut mittheilen. Nachdem aber E. 5. ©. Gemüth nicht ift, daß ichs tragen foll, wär mir auch nicht möglich, jo bitte ih, €. F. ©. wollen E. F. ©. Amtleuten gnädigen Bejehl thun, zu verichaffen, was zu Erhaltung des gemeinen Haufens Noth fein will. E. 5. ©. Perjon, und die, jo E. F. ©. bei ſich haben, will ich, als viel mir mög- lich, gern, das Befte ic) habe und vermag, verihaffen. Ic) habe Herren Hanſen von Werthern um Provifion, nachdem feine Häufer wohl veriehen, gejchrieben, welches er ſich zum Theil erboten, bedäucht mid) aber, er follte wohl ein Meh— reres thun können. Wie ich ihn denn angefucht, ift er etwas ummillig auf. Ob id) verklagt würde, wollen mid E. F. ©. zu guädiger Antwort fommen lafjen. Ich habe E. F. ©. Unterthanen des Amts Sadjfenburg und Weißenfee bei dem Brande, als heute etliche hundert Mann zu E. F. ©. Nothdurft auf €. 5. ©. Befehl herzufchiden, geichrieben; ift ihnen verdrießlich geweſen, gedenten e8 auch nicht zu thun. Ob nun, dieweil ich feine Hilfe habe, nichts ausgerichtet, €. 5. ©. wollen des feine Ungnade auf mid) haben und meine Entihuldigung hierin gnädiglich beherzigen. So habe ich die Räthe, ausgejchloffen Filipp Rei— bijchen, denen E. F. ©. neben ihm und mir Befehl gethan, keinen bei mid) bringen mögen. Es find heutigs Tages Sittich von Berlepfch, Fenfterer von Salza, der Stadtichreiber, und noch Einer des Raths, dazu drei von der Ge- meine, hier vor Heldrungen über gezogen, des Gemüths, als fie vorgeben, €. F. ©. zu beſuchen. Dieweil denn von denen von Salza als ungebührlich gegen E. 5. ©. gehandelt, habe ic; hinaus gefchickt, die lafen fangen, Sitlichen und

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die vom Rathe in einer Stuben (dev Hofftube) betagt, aber die von ber Ge- meine in den Thurm gelegt, denn mic, bedeucht, es Sollen die rechten Meut- macher fein, habe bewogen, dieweil alfo wider E. F. ©. gehandelt, und follte nicht, dieweil man fie Gaben möchte, ein Ernft gegen fie gebraucht fein worden, daß e8 E. F. ©. und auch mir, als dem der gemeine Haufe nach meinem Leib und Leben trachten, fchimpflich fein follte und auch nachtheilig, Verhoffens, €. 5. ©. werden darin fein Ungefallen haben, darum ich unterthänig will gebeten haben. So habe ich auch jonft Urfache darin gehabt, weldhe ih E. F. ©. nod) wohl berichten will, Berhoffens, es joll €. F. ©. zu mehrerem Nuten denn Nachtheil gereichen. Naddem mir Herr Hans von Werthern auf mein An— ſuchen und E. F. ©. zu Gefallen etlichen Hafer und Getraide feinen Leuten berzufahren geboten, haben die Berfammlung zu Franfenhaufen ihnen ſolches zu thun verboten und haben, als heunt gegen Abend, 1500 gerüfteter Mann nad) Beichlingen gefhidt; was die ausrichten werden, ift mir verborgen“,

Auf diefes Schreiben des Grafen antwortete der Herzog zweimal. Zuerft am 9. Mai:

„Bis Donnerstag wollen wir uns hier erheben, bis Sonnabend zu Nacht in Sangerhaufen eintommen, wohin wir die brandenburgiichen Reiter auch be— ſchieden. Landgraf Filipp wird Sonntags oder Montags auch bei uns zu Thü- ringen anfommen. So verjehn wir uns, der Kurfürft von Sachſen werde ſich auch freundlicy gegen uns erzeigen. Dann wollen wir, wie wir ſchon lange gerne gethan hätten, alle unſre Bertröftungen erfüllen“.

Und am 10. Mai:

„Morgen, will Gott, wollen wir uns hier mit aller Macht erheben und den erften Tag zu Weißenfels, den andern zum Eckersberg, den dritten zu Sangerhaufen unfer Lager nehmen. Begehren derhalben gnädiglich, ihr wollt unfern Amtmann von Sala Berlepfchen und den enfterer von Salza be» firiden, daß fie fi) aufs Allererfte zu uns, wo fie uns antrefien mögen, be geben. Wollet auch die Bauern, welche den Proviant zu Beichlingen haben holen follen und nicht geholt haben, nicht brennen, auf daß die ander zu wei— terem Aufruhr nicht verurſacht werden.“

Das Ende diefer Sache ergiebt fi) aus dem Schreiben Graf Ernjts an Georg vom Samstag nad) Cantate, 20. Mai:

„Ich habe Sittichen von Berlepih auf eine altglirfried in E. %. ©. Hand losgezählt, die andern, fi) gegen Sala auf das ß einzuftellen, 6 Wochen lang betagt“.

Er Hatte nämlich den Amtmann und enfterer verftrickt, ſich, wenn fie vom Herzoge abreiten würden, wieder in Heldrungen zu ftellen; die von der Gemeine zu Sala faßen am 12. Mai immer noch im Thurme zu Heldrungen, und Graf Ernft rieth an dieſem Tage bein Herzoge, fie ernftlich befragen zu laffen.

In der guten Stadt Salza herrſchten bange Erwartung der fommenden Dinge und unheimliche Furcht. Die legten, vergeblichen Anftrengungen, den begrabenen Eifer für Gewalt wieder zu erweden, machten der nothfejte Melchior Wigand, Wolf Bornheinrich und Hans Wetzſtein. Yetstere beide redeten im Harniſch den Bürgermeifter jtolz= lid) an: man folle gedenken, den Landgrafen nicht einzulaffen, man müßte auc die Gemeinde mit dem Lärmfchlagen wieder zuſammen bringen.

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„Und wo aud auf die Zeit, als ber Landgraf fam, durch ſonderliche Schidung des allmächtigen Gottes, die Gemeine durch höchſtes Ermahnen des Naths nicht gewendet worden wäre, hätte fi Melchior Wigand unterftanden mit feinem Anhange, den Landgrafen nicht einzulaffen, wollte fi) auch zu Felde legen, einen Haufen, wie er fagte, mit 1500 Wagen, die er wüßte auf- zubringen, verfammeln und dem Landgrafen entgegenziehn, wodurch die Stadt und Alles darin zu Grunde wäre verderbt worden“.

Landgraf Philipp Fam den Freitag oder Sonnabend, 12. oder 13. Mai, von Eijenad) ein.

Kleinere Mittheilungen.

Die Schladht von Döffingen. Bon Th. Rupp.

Der Bund, welchen die fchwäbiichen Städte zum Schuß ihrer Intereſſen gefchloffen und 1384 auch auf die fränkischen ausgedehnt hatten, hat ſich nur wenige Jahre aufrecht erhalten; die fränkiſchen Städte waren es, welche der Verbindung zuerft entjagten. Ohne Zweifel hat das die Niederlage der Städte bei Döffingen in Schwa— ben herbeigeführt.

Der Hergang der Schladht ift, wie natürlich, im Lande des Sie— gers vielfach zu deſſen Verherrlihung ausgeſchmückt und mit der be= fanuten Mähre von der Kriegsliit des Grafen Eberhard von Wirtem— berg verwoben worden.

Die Auffindung und theilweife Veröffentlichung weiterer Auf— zeichnungen aus den Ende des 14, und dem Anfang des 15. Jahrhunderts Laffen indejjen faum einen Zweifel darüber, daß der Anführer der fränfiihen Städte Graf von Hennenberg, ein naher Berwandter des Grafen Eberhard, deſſen Frau eine von Hennenberg war, die Städte verrathen hat, indem er im Rücken der Städter die Flucht ergriff und dadurd) die Niederlage herbeiführte.

Unterfuchen wir die Aufzeichnungen der Zeitgenoffen, welche im Stande waren die Wahrheit in nächſter Nähe durch unparteiijche Perfonen zu ermitteln, fo finden wir, daß 3. B. die Zwiefalter An— nalen jo wie das Ellwanger Chronifon (beide bei Berk SS. XII) ſich auf die Angabe bejchränfen, Graf Eberhard habe bei Döffingen am Tage vor Bartolomäi (23. Auguft) 1388 über die Städter ges fiegt und fein Sohn Ulrich fei dabei umgefommen, Die Conjtanzer Chronik (bei Mone, Quellenfanmlung I) führt außer dieſen That— ſachen auc den befonderen Verluft der Konftanzer und den Umstand an, daß kaum 100 Mann auf der Wahlftatt todt gefunden worden, die meijten aber auf der Flucht geblieben feien.

Die Jahrbücher des Stifts zum heiligen Kreuz in Stuttgart (Annales Stuttgartienses), jo wie der weiter von Stälin (III, ©. 344 N.) angeführte Coder der Stuttgarter Bibliothek enthalten neben diefen Angaben noch die Gejammtzahl der von den Städtern Gefalle- nen und Oefangenen, mit dem Bemerfen, daß die Städte eine große Summe Geldes als Entihädigung an Eberhard bezahlen mußten. Ueber die Kriegslift ift aljo in diefen Quellen und foviel mir befannt

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in Würtemberg überhaupt, feine Aufzeichnung aus der Zeit de |

Schlacht erhalten geblieben !.

Die erften Würtemberger, welche von dem Ereigniſſe eingehender und zwar übereinjtimmend fprechen und die Kriegsliſt erwähnen, find Sc. Küng und Gabelfover, aus dem 16. Jahrhundert. Der Letere war Yeib-Medicus de8 Herzog Yudwigs von Würtemberg und fol feine Geſchichte des würtembergiichen Fürftenhaufes auf Ur- funden des herzoglichen Archivs gegründet Haben. Seine Erzählung (Hdſch. der Stuttg. B.) lautet: „ALS Sie nun baiderjeitS einander anfichtig worden, und nicht wenig auf einander erbittert gewefen, iſt das Treffen erftlihen hart angangen. Dann Graff Ulrich im erften "Anlauf gleich erichlagen worden, jambt Graff Albrechten vor Löwen- ftein, einem Graffen von Werdenberg, einem Graffen von Zollern und vilen (60) von Adel. Als nun die übrige anfahen zu weichen und die Neichjtättiiche anders nit vermeint, dann fie haben das Tel ſchon allerdings erhalten, hat Graff Eberhardt al8 ein beherzter Held, den feinigen zugeſprochen, daß fi mannlich Fechten, und dern Fein— den, die auf der andern Seiten ſchon anfahen zu weichen, dapfer zufezen follen, dazu auch der von Winnenftein mit feinen Yeuten fom- men; als nun die Neichjtättifche Graff Eberharts Stimm gehört, dat die ihrige fliehen, und ſich darnad) umgejehen, auch frifche Pferd Schon herzu eilen, Haben fie ernftlich anfangen zu flihen, und jind in der Flucht 600 gefangen, und 1800, theils jagen nur 1000, theil8 1500, getödet worden“.

Steinhofer, der in feiner Neuen Wirtembergifchen Chronif ? Ga- belfhover zum guten Theil abjchreibt, fand feiner Aufgabe entfprechen: der Graf Eberhard den Geinigen zurufen zu laſſen: „Erjchredet nicht; Er ift wie ein anderer Mann: Stehet tapfer! fiche die Feinde fliehen“, und fügt Hinzu: „das fagte er und rennte zugleich voll tapferen Muths auf die Feinde und mit ihm der Graf von Bitſch“ u. ſ. w.

Mit ungefähr denjelden Worten berichtet Cruſius (get. 1607) in feiner Schwäbiſchen Chronif II, 3 den Verlauf der Schlacht. Nach feiner Angabe hat er Nauclerus, Münfter, Mutius und gefhriebene Nachrichten benükt.

Die Erzählung findet fich in der Hauptſache ſchon bei Königs— hoven. Er jagt über diefe Schlacht (Chron. der deutichen Städte S. 840: „Und zehant wart der junge herre grofe Ulrich von Wurtenberg er- flagen, und ein grofe von Loweſtein, einre von Zolre, einre von Werdenberg und uf 60 rittere und edelfuehte die in nachvolgetent. und wart der erjte drug des ftriteS den herren anegewunnen, das bi verzaget worent. do jterfete der alte von Wurtenberg und

! Die Chroniei Moguntini fragmenta, bei Böhmer Fontes IV, 381, jagen in diefer Beziehung nur: tamen invaserunt eos et diviserunt exer- eitum eorum cum magno labore et captivaverunt eos u. f. w.

®? Ehre des Herzogtums Wirtemberg in feinen Durchlauchteften Regen— ten I, 105. (Er folgt wohl bejonders Naucler, bei dem die Worte ed. 1516 ©. 1029, lauten: Quid trepidatis, state viriliter, ecce fugam. G. W.).

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ſchrey die herren ane und ſprach: „Sehent, wie die jtette fliehent ! vechtent unerjchröfenliche, find zehant alle unfer“. do wondent et= liche die Hyndenam bi dem ftriteworent, e8 were alfo, und beguns dent fliehen. under difen dingen jo kument die herren von Bitſche und der vougt von Roſenfelt zugerant mit 100 glefen, die worent gerumet und entworchtent der ftette her. do wart zehant den ftetten der drug Wieder anegewunnen, das ſü underlogent. aljo gefigetent die herren und behubent das velt. hHiemitte was der jtrit ergangen und wurdent der von den ftetten erjlagen uf tufent man und uf 6 hun— dert gefangen. die andern entrunnent. aber in der herren her wart erjlagen der junge von Wurtenberg und andere... dirre ftrit beſchach an eime ſunnentage fruge an fant Bartholomewes obende, noch got gebürte 1388 jor“.

Daß der fiegende Theil die erſte und ausführlichfte Kunde von dem höchſt wichtigen Erfolg verbreitet hat, verjteht ſich wohl von ſelbſt und, daß Graf Eberhard oder die ihm im Kampfe nahejtehen- den DVertrauten das perjönlid) Geleiftete oder Nichtgeleiftete zuerſt be- richteten, Fan wohl feinem Zweifel unterliegen,

Wenn nun Königshoven al8 Zeitgenoffe den Bericht von diefer Schlacht mit allen Einzelheiten, wie diefe nad) ihm gäng und gebe wurden, zuerjt in feiner Elſäſſiſchen Chronik mittheilt, jo ift der Zeit nach, im welcher diefe Nachrichten von ihm niedergefchrieben werden konnten, anzunehmen,‘ daß diejelben aus erjter Hand ftanımen, und zwar in der Form, im welcher der Sieger fie aufbewahrt haben wollte. Was aber aus diefer Duelle hervorgegangen, ift, wie wir aus dem Wortlaut und den ſchon angeführten und den fpäter erwähn— ten Aufzeichnungen erkennen werden, mehr al8 anderthalb Jahrhunderte fpäter nachgefchrieben, und auf die Autorität von Königshoven, wenn diefer aud) nicht genannt wird, als würtembergifche Gefchichte wieder- gegeben worden !.

Der Weg, auf welchen die erwähnten Berichte dem geiftlichen Herrn von Könighoven zukommen Eonnten, liegt jehr nahe.

ı Sattler (Geſchichte des Herzogthums Wirtemberg unter den Grafen) bringt in feiner Fortfegung I, Beilage 2 eine ältere Mittheilung, nämlich den Abdrud eines um das Jahr 1480 erjchienenen Büchleins. Diejes erzählt unter wenigem anderen die Schlacht bei Reutlingen und daun die Schlacht bei Döffingen mit folgenden Worten:

„Bon dem Stryte zu Wyle.

und injunder jo drat d’jung Herr von Wirtemberg mit etwievil graven und edler für die andern an den ftrit; dagegen ftalt ſich d’ftet volf zu were u. ſ. w. und ward der erft trud des fiytes den herren angewunnen, das fi nad) vertagt waren, do fterft fie der alt von Wirtemberg und fchrey die herren an, und ſprach: Sehent wie die ftet fliehent, herumb vechtens uner- ihrodenlich, fi find zu Hand all unſer. Alſo wonten etlid von dem ftetten die dahinden waren, e8 were alſo, und begunden zu fliehen. Im dem famen die Herren von Bitſch und der Vogte von Rojenfeld mit Hundert glienen (glieven) zugerant und waren geruwet, die zerfiranten der ftet here, aljo das zu hand den ftetten d’trud wider angewunnen ward” u. |. w.

xiv. 37

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Der Dechant des oberjten Stiftes in Straßburg war ein Herr von Ochjenftein, den Graf Eberhard, als derfelbe von dem Straf: burger Capitel zum Biſchof erwählt worden war, unterm 24. Februar 1375 „ünfer Deheim“ nannte und empfahl.

Neben diefem gewiß treuen und fräftigen Bermittlungsorgan waren die Räthe des Grafen Eberhard in der Yage, ſowohl perjön- lic) al8 durch Untergebene vielfach mit den Einwohnern Straßburgs zu verfehren. Eberhard hatte verjchiedene Befiungen in der Nähe Straßburgs, die zum Theil jchon fein Vater Ulrich III. erworben !, und auf welche auch die Biſchöfe Straßburgs gewijje Anfprüche gel tend machten. Wahrjcheinlic fam er unter anderem dadurd) in den Fall, welchen Königshoven 1392 unter Eberhards Nachfolger be- rührt ?, Gülten und Zinfe nad) Straßburg bezahlen zu müſſen, die eben wegen der bijchöflichen Rechte ohne Zweifel den geiltlichen Stif- ten gehörten. (Zufällig war in der Zeit Eberhard des Greiners geit. März 1392 Königshoven Pfleger mehrerer folder Stifte).

Außerdem iſt anzunehmen, daß der Tochtermann des Grafen Eberhard des Greiners, Herzog Johann von Lothringen, nicht unbe— theiligt an der Verbreitung der Nachricht geblieben ift, welche geeignet war, den Ruhm feines Schwiegervaters bei Grafen und Fürften jehr zu erhöhen; uud da der Verkehr der Stadt Straßburg mit dem Lothringer Hofe ein jehr lebhafter war, jo hatte man auch Gelegen- heit zur Genüge, an geeigneter Stelle der erwähnten Darjtellung von dem Hergang der Schladht Gehör zur verfchaffen.

Unfer Gefchichtfchreiber war faiferlicher Notar, dabei ein jehr fürftlich gefinnter, gelehrter Geiftlicyer, der die zu feiner Zeit ume fajjendite und bei weiten am meijten benügte Chronif, vom Anfang der Welt bi8 auf 1415, deutſch gejchrieben hat.

Aus feinen Aufzeichnungen geht hervor, daß cd ihm weniger um Erforſchung der Wahrheit al8 um eine gedrängte Darjtellung ge: Ihichtlic) geglaubter Ereignifje zu thun war, und er überhaupt von dem Berufe eines Hijtorifers einen ſchwachen Begriff hatte.

Was die gleichzeitigen, auswärtigen Geichichten betrifft, fo fchrieb er, ohne Kritik, in gern gelejener Forın nieder, was er in Straßburg erfahren konnte (vgl. Chroniken der deutjchen Städte VIII, Ein- leitung 182). |

Wenn wir nun diefem in Hinblid auf unfern Gegenjtand bei- fügen, daß er neben feiner antiftädtischen Gejinnung ein Straßburger Bürger war, fo fönnen wir ihn, in Beziehung auf die Sache der Städte, um fo weniger für unparteiiich halten, als befanntlid Straß: burg (dur feine Edlen und Weifen) nad) Königshovend eigenen Worten ? gegen die Hilfe ſich ausſprach, welche der rheinijche Städte:

ı Stälin, Wirt. Gefchichte III, 177. 283.

2 Königshoven, Chroniken der deutichen Städte IX, 684.

® Chroniken der deutichen Städte IX, 836: „do hettent die ſwebeſchen ftette gerne me helfe gehebent, und trugent ane mit den von Strosburg

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bund dem ſchwäbiſchen in dem vorliegenden Kriege leiſten wollte und theilweiſe auch geleiſtet hat’.

Die weit verbreitete Chronica von Königshoven wurde vielfach wörtlich benütt. So nahm unter andern auch Konrad Yujtinger, der im Jahre 1420 von dem Kath der Stadt Bern den Auftrag er— hielt die Geichichte der Stadt zu fchreiben, was er von Deutſchland mittheilt, auch den eben angeführten Bericht über die Schlacht bei Döffingen, in feine Berner Chronik auf.

Betrachten wir nun diefe Nachrichten, welche, wie oben ange— deutet, al8 aus der nächſten Umgebung des Siegers jtammend ange» nommen werden fünnen, an und für fich, jo finden wir, daß die— jelben aller Glaubwürdigkeit entbehren.

Die Niederlage der Städter wird dem liftigen Ausruf Graf Eberhards zugeichrieben: „jehent wie die jtet fliehent!“ Aber wer floh? „die hyndenan bei dem jtrite worent“, jugt Königshoven und die Beilage von 1480.

Wenn wir nun aud) Graf Eberhard mit der gewaltigen Stimme des Aegypters begabt glauben wollen, welcher im Heere des Darius an den Ufern der Donau den Milefier Hiftiäus zurücgerufen hat, können wir doc) nicht zugeben, daß fein Zufpruch oder fein Ausruf bei einem Zufammenftoß von vielen Taufenden, unter dem Geflirr der Waffen, dem Wiehern und Stampfen der Pferde, dem Gefchrei und Getünmel der Kämpfenden gerade von denjenigen feiner Feinde gehört worden jei, welche ihm am entferntejten jtauden, und daß diefe dadurd zuerſt und in dem Augenblide zur Flucht veranlaßt wurden, in welchem fie ihre Genofjen im Kampfe fiegend vordringen ſahen.

Graf Eberhard war nicht einmal in der erjten Reihe wenig— ſtens berichtet das niemand —, mo vielleicht die vorderften der Etädter ihn hätten hören fünnen; er war in der Mitte feiner Rampf- genofjen, wo er als Feldherr fein konnte, oder, wie von anderer Seite behauptet wird, im Rüden der Seinigen, was auch der Umftand an—

und mit andern fetten die in dem ryneſchen Bunde worent, das fidh foltent verbünden zu den fwebeichen ftetten. do widerrietent e8 die edeln und die wijen zu Strosburg und fprochent, e8 were eine berte jache: “oltent die von Strosburg und die rynefchen ftette helfen den Swoben ire Triege alle ustragen die von alter ber gehebet hettent, men möhte fin kumen in groffen fchaden und fumber. und fprochent fürbas: ſiü hettent von ihren vordern den alten und den wiſeſten dicke gehoert jagen, das die ryniſchen ftette foltent feinen bunt madjen über Ryn zu den Swoben oder zu andern, anders fili gewünnent niemer vume. das half alles nüt“ u. ſ. w. (1383).

Mit Genugthuung fügt diefer Mittheilung Königshoven bei: „Do dis bie grofen von Wurtenbery enpfundent, do trugent ane mit vil fürften und das die ouch mahtent under in einen bunt“, unter Angabe ihrer

amen.

1Straßburg wurde wegen des erwähnten Widerſpruchs, nach Abſchluß des Friedens, von der zur bezahlenden Eutſchädigungsſumme freigeſprochen, viel— leicht wurde eine Betheiligung bei der Flucht der Franken (ſiehe S. 556 Burkhard Zenf) ach berücdkfichtigt.

37*

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zugeben fcheint, daß er den Tod feines Sohnes nicht ſah, jondern nur hörte. Die Flucht war alſo nicht Folge des Rufs.

Die wirkliche Urfache der Flucht, welche durch ſolche Geichicht- en von ritterliher Bravour und Selbjtverleugnung in Vergeſſenheit gebracht werden follte, it indejfen im ihrer nackten Wahrheit von nachbarlichen Zeitgenofjen erhalten worden, welche durch ihre Dar: jtellung nur Thatjachen der Nachwelt überliefern wollten.

Die Chronif von der Gründung der Stadt Augsburg (Chro- nifen der deutjchen Städte IV, 314) fagt 3. B. „und der grauff von Henmperg nam gelt von dem von Wirttenberg und macht ain flucht under den jteten, wanıı er was ir hauptman, er tet unerlich“. Der Augsburger Burdhard Zink! (Zingg von Memmingen geb.) bes richtet (ebend. V, 40): „es iſt zu wißen, daß gar große untreu under den jtatjoldnern was und verrätterichaft, und infonderhait Hetten die von Nürmberg ain hauptmann, hieß der von Hennenperg, der macht ain Flucht uud etlic) jüldner vom Nein mit im, damit mueßt der jtett volf niderligen, und wer des nit geſchechen, daß der valjch verrätter und die mit im fluhen die Flucht nit gemacht hetten, der ftett volf wer den herren allen obgelegen, und als das nun gejchehen was, da fam die Flucht in der jtett volk und zertranten ſich und flohen“. In gleihem Sinne fpredyen die Augsburger Chronif von 1368 bis 1406 (ebend. IV, 86), Wahraus (IV, 248) und andere.

Aus dem Fragment einer Chronik in einem Sammelband P.I. 1 der Lindauer Stadtbibliothef vom Anfang des 15. Yahrhundert, welches Stälin in den Wirtenbergiihen Yahrbüchern von 1864 veröffentlicht Hat, erfahren wir: „do nament die Franken die flucht ?, das warend die von Niürenberg, von Wottenburg an der Tuber und ihr jüldner, das was ob 300 fpieien. Anders die jtette hettent dozemal das feld behept. Das was ein grauff von Hennen— berg, der Franken hoptmann, der was dem von Wirtenberg hoch er= boren und nac), und der machet ouch die Flucht unter den ſteten“.

Mülich (gejt. 1486), deſſen Augsburger Chronik Stälin erwähnt, fpricht von taufend Gulden, welche dem Hennenberg von Graf Eber- hard verjprochen, aber wegen zu jpäten Aufbrechens nicht gegeben worden fein jollen. Stälin findet diefe Quelle indeffen zu jung und für die Städte parteiiich.

Wenn wir nun auch zugeben müffen, daß die Stellung der Ge— Ihichtsfchreiber nicht immer ohme Einfluß auf ihre Darjtellungsweife geweien fein wird, fo iſt doch zu berückjichtigen, daß dies von beiden Parteien angenommen werden muß, der Verrat aber doch von bei weiten den meilten Berichterjtattern mitgetheilt wird, bei denen ein gegenjeitiges Abjchreiben nicht wohl angenommen werden kann.

* Chronik des Burkhard Zink von 1368 bis 1468, eines der vorzüglichften biftorifchen Denkmale des 15. Sahrhunderts. 2 Bon der Kriegslift des Grafen Eberhard ift aud hier feine Rede,

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Sehr von Bedeutung für die Annahme eines Verraths, glauben wir, iltdas, was Ulman Stromer mittheilt, nicht weil er den Verrath wörtlich bejtätigt, was nicht der Fall ift, fondern weil er ihn den andern Berichterftattern gegenüber auf eine Weife umfchreibt, welche die Abficht erkennen läßt, den Namen der Stadt Nürnberg von der gefchehenen That fern zu halten. Ulman Stromer jaß nämlich in der vorliegenden Zeit im Nathe der Stadt Nürnberg und Hatte wicht nur das Bündniß für Nürnberg mit den Städten 1384 mit abgeichloffen, fondern ohne Zweifel auch Hennenberg als Hauptmann der Nürn— berger mit bejtellt. |

Wie wir gleich fehen werden ignorirt er Hennenberg in jeinem Beriht, ebenfo die Kriegslift und den Verrath, obgleich der Ver: dacht hierüber gewiß ſchon auf der Wahlftatt ausgejprochen, durch die Heimfchrenden in ganz Süddeutſchland und der Schweiz verbreitet, auch nad) dem von Graf Ulrid) 1246 gegebenen eclatanten Beifpiel, geglaubt werden konnte. Er jagt in feinem Büchel, von meinem ge= jlechet und von abentewr von 1349 bis 1407 (Chronifen der deut= ihen Städte I, 42): „der von Wirtenberg ward erjlagen und mit im ein graff von Werdenberf u. ſ. w. alzo daz di jtet mit dem erjten den ftreit gebummnen beten. do waz graff Eberhart von Wir— tenberg zu roſſ und Hinten an dem hawffen! und flug und traib daz volf, daz ſich daz weren muft, alſo daz die ſtet den ftreit verluren. und der burden zu tod erjlagen bey 300, fo burden ir gefangen bey 200. alſo fagen die jtet auf denfelben tag der nyder uud verluren den jtreit“.

Der Herausgeber der Chronif von Ulman Stromer ftellt die Führung der Franken durch Hennenberg in der Schlacht bei Döffingen in Abrede (vgl. Chronifen der deutjchen Städte I, Beil. 4, ©. 187), indem er auf die ſtädtiſchen Rechnungen Niürnbergs hinweiſt, in wel- hen Hennenberg von 1387 an nicht mehr al8 Hauptmann, dagegen ein Ulrih von ZTreutlingen bis zum sten Mai 1388 und damı ein Apel Fuchs als folcher vorkommen. NAuffallenderweife ijt diefer An— gabe beigefügt: (Auguft 1388) „St. ded. hern Appel Fuchs 100 guld., die im die burger ſchankten“.

Da die Abrechnungen der Zahlmeijter, jowie fie dem Rathe der Stadt übergeben werden mußten, nicht al8 primitive, mit den Vor— fommmilfen gleichzeitig fortichreitende Protofolle, fondern nur als periodiche Angaben der Zahlmeifter betrachtet werden fünnen und folglid) unnachweisbare Veränderungen zuliegen, fo ift c8 nach dem Ausgange der Schlacht ſehr wahrfcheinlich, daß die Nürnberger ihren Anführer im diefem Schmählichen Kampfe nicht für Jahrhunderte aufs gezeichnet wilfen wollten, und er darum im diefen Angaben fehlt. Zudem widerfpricht eine andere Führung der Tradition, auchdem Wort— laut der oben erwähnten gleichzeitigen Chroniken ; auch kommt der Umstand in Betracht, daß Ulınan Stromer die Angabe anderer Berichterjtatter,

ı &o konnte die Lift, weil unmöglich, umgangen werden.

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welche Hennenberg bei diefer Gelegenheit einen Verräther nennen, nicht mit der Neunung des wirklichen Namens entfräftigt und damit ſchon die Wahrheit ihrer Mittheilungen verdächtigt hat, wenn dies überhaupt hätte geichehen können.

Das Nihtvorfommen des Namens Hennenberg als Hauptmann in den Zahlungsregijtern beweijt auch nicht, daß er neben Apel Fuchs als Hauptmann der Stadt zu dem Zug nah Echwaben von den Niürnbergern nicht befonders bejtellt worden ijt, da Fuchs bei dem gleichzeitig vorbereiteten Einfall der Nürnberger in das Gebiet des Burggrafen Friedrich (Chroniken der d. Städte I, 42. 43), bei wel- chem diefem mehrere Feitungen, Städte und Dörfer weggenommen und zeritört wurden, verwendet werden fonnte.

Uebrigens hat das Gejchenf, welches die Bürger Nürnbergs dem Hauptmann Fuchs machten, auffallend den Charakter einer nt: fyädigung, eben weil dafjelbe von Bürgern, und nicht won ber Stadt gegeben wurde. Auch ijt die Ernennung Hennenbergs zum Hauptmann für die Hilfstruppe in der ſchwäbiſchen Fehde, trotz dei: fen Verwandtichaft mit dem alten Greiner, bei dem Widerwillen der Nürnberger an den Kriegen der Städte gegen die Herren Theil zu nehmen, nad) ihrem damaligen Streben durchaus nichts auffallendes.

Der Einwand, daß der Gedanke eines DVerrath dur) Hennen- berg erjt fpäter entjtanden fei, ift unhaltbar, da ſolche Gedanken ſchon aus dem Gefühl der Schuldlofigfeit und treuer Pflichterfüllung gleic nad) der Niederlage entjtehen und bei dem Befauntjein des Führers der Franken als Kampfgenofjen hier jedenfalls fofort entjtehen mußten.

Die Flucht der Nürnberger beftätigt noch der Bericht der ſogenann— ten Klingenberger Chronif, die nicht auf Seiten der Städte ſteht!.

In diefer Chronif, welche Henne 1861 nad) den von Tſchudi und andern benütten Handichriften herausgegeben hat, lautet der Be— richt der Schlacht bei Döffingen S. 146 alfo:

„St in demfelben zit anno dni 13883 ward erjlagen graf Uolrich von Wirtenberg, und vil herren, ritter und knecht mit im vor Wil in Swaben, von den richitetten und ihren helfern. Do gelagent die richitett deffelben ftrit8 darnider, und gelag der von Wirtenberg ob, - und fchuoffent das die von Niüremberg, die nament zum erften die

ı Wie der Ehronift in Bezug auf die Beftrebungen der Städte dachte, möge ferner das Klagelied bezeugen, mit dem er feine Beichreibung der Schlacht bei Sempach (1386) ſchließt, S. 121:

„O Sempady, wie fhantlich fi din trüwe brach, Bon dem dir nie laid geſchach!

Fürbas geb dir got ungemad),

das ſye Hinfür din beftes tach,

war difes übels biftu ain urſach,

und ift nu doch din geftalt ze ſwach.

Wie fan man das genuog verklagen,

daß von den finen ift erjlagen

der edel fürfte hoch erboren,

und bi im fo mänig from man hat verloren !’

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flucht; und Hettint fi das nit tuon, fo wär den ftetten wol gelungen. Sibradent od) zum erjten den pund und fwuorent den landtfrid wider den pund; das geſchach nad) dem ftrit an fant Bartolomeustag des porgenanten jars. Die aidtgenofjen erfchrafent übel, und was ihnen laid, daß die ftett nidergelagent, wan fi hattent guoten troft an ainandern, die richitett und die aidtgenoffen, wan fi tatent den qidt- genofjen menge guote warnung und jtarfktent fi die haimlich“.

Die Niederlage von Döffingen war von der weittragenditen Be— deutung, Weniger wegen des VBerluftes an Mlenjchen, al8 wegen des nachhaltigen Mistrauens, welches durch die ſchlechte That zwiichen die Städter geworfen worden war, auf alle mögliche Weife genährt und von den Gegnern ausgebeutet wurde.

Eine Leipziger Handfhrift der Summa cancellariae Caroli IV. Mitgetheilt von B. Stübel.

Die Anzahl der aus der Kanzlei Kaifer Karls IV. hervorge- gangenen Formelſammlungen, die im allgemeinen unter dem Namen Summa cancellariae Caroli IV. befannt find, ijt eine ziemlich be deutende. Nocinger! hat aus Perks Archiv mehrere handjchriftliche Ausgaben aufgeführt, ſodann Hat Böhmer? eine Wiener und Neus mann? eine Görlitzer beichrieber und Proben daraus mitgetheilt. Woll- jtändig publicirt worden iſt bis jetst nur eine ſolche Sammlung, nämlich die von dem faijerlichen Notar Yohann von Geylenhaufen entworfene und als Colleetarius perpetuarum formarum bezeichnetet. Mader? Hat nur 24 Brief- und Urkundenformeln aus einer Helmftädter Handfchrift ab- drucken laſſen; beinahe ebenjoviel Hat Pelzel in dem Urkundenbuche zu feiner Gejchichte Kaifer Karls IV. aufgenommen, und zwar mit Zus grundelegung der im der Bibliothek des Prager Domcapitel8 befind- lichen Handjchrift (sign. I. 26) der Summa cancellariae®, Werner jind von Mende aus einem Coder der Peipziger Univerfitätsbibliothef, der unter andern auch ungefähr 200 Brief-- und Urfundenformeln aus Karls IV. Kanzlei enthält?, 37 Nummern der leßteren veröffent- licht worden?, Erwähnt jei noch, daß ein Brief des Biſchofs Johann von Peitomifchl an einen Ungenannten neuerdings aus der jchon er- wähnten Wiener Handſchrift (phil. 71) in Böhmers Acta im- perii seleeta ©. 754 Nr. 1060 abgedrudt worden ift.

Zu den bisher noch jo gut wie gänzlich unbefannten handichrift- lichen Ausgaben der Summa cancellariae Caroli IV. gejellt fich num noch eine, die gleich) der von Mende benusten im Befit der Leipziger

1 Veber Formelbücher vom 13. bis 16. Jahr). S. 175. 176.

2 In Haupts Zeitihrift Bd. VI, ©. 27 ff.

Neues Lauſitziſches Magazin g. 1846, Bd. XXIII, ©. 147 ff. I, * in J. W. Hoffmauns Sammlung ungebrudter Nachrichten Br,

fi

5 Gervasii Tilberiensis Commentatio de imperio Romano S. 86—117.

°eS. Bd. I, Vorberidt. Sodann Palady, Ueber Formelbücher in den Ab- bandlungen ber 8. Böhmischen Gefellichaft der Wiffenihaften N. F. Bd. V, ©. 4 und 5.

In Perg Archiv Bd. VI, ©. 219 unter dem Titel CarolilV. Rescripta quamplurima angeführt.

8 Scriptores Rerum Germanicarum III, ©. 2010 ff.

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Univerfitätsbibliothef ift!. Es ift eine Papierhandichrift in Folio aus dem Ende des 14. Jahrh., fauber und gut von einer Hand ge- ichrieben, die auf der Vorderfeite des Kinbandes die Auffchrift ‘Formule quedam litterarum missilium’ führt. Sie enthält von fol. 5 bis fol. 111 im ganzen 330 Briefe, Urkunden und Theile von Urkunden (Arengen 2.) und gehört zu den reichhaltigiten hand» Schriftlihen Ausgaben der Summa cancellariae. Geylenhaufens Sammlung befteht bloß aus 315, die von Pelzel benutte Prager Handihrift aus 279, die von Neumann befchriebene Görliger aus 214 Nummern,

Unter den Briefformeln befinden fih nun etwa 60, deren Driginale von dem langjährigen Hoffanzler Karls IV., Johann von Neumarkt, erſt Biſchof von Leitomiſchl (1353 —1364) und fodann von Olmütz (1364 1380)?, an verjchiedene Perſonen ausgejtellt find; die übrigen nmebjt den Urkunden rühren mit wenig Ausnahmen von Karl her. Mit der Geylenhaufenfchen Sammlung verglichen, fo find 51 Nummern derfelben auch in unferer Handjchrift vorhanden. Die von Mader publicirten Formeln find bis auf drei volljtändig hier enthalten, ebenfo der bei weiten größte Theil der von Neumann aus der Görliger Handjchrift angeführten Stücke?. Auch in der für Pelzels Urkundenbuch benugten Summa cancellariae finden wir eine Reihe von Formeln in der Leipziger Haudjchrift wieder. Verſchieden von dieſer iſt dagegen die andere Leipziger Handſchrift, aus der, wie oben erwähnt, Mencke 37 Nummern hat abdrucken laſſen; keine einzige derſelben iſt in der unſrigen vorhanden.

Wir theilen nun im Folgenden einige bis jetzt noch nicht edirte Formeln aus der Leipziger Handſchrift Nr. 1273° mit,

I. (fol. 107-—- 108)

Rex quidam rogat papam ut confirmet cesarem.

Orbis terrarum et universi, qui habitant in eo voce festive joeunditatis exultent, assunt festa celebra, assunt sacris fidelibus et alumpnis imperii nova redivive letitie gaudia post suspiria etlamenta. Nam omnipotens et misericors Dominus, quamquam ad expiationis interdum exterminium fideles suos patiatur affligi, mira tamen sue celementie modestia didieit oblivisei, et ob hoc mox cum percusserit suspenso flagelli aculeo pro- pieius consolatur. Exsurgit et ecce imperii facies, quam in- clite recordationis domini H. Romanorum imperatoris genitoris

ı Nr. 12738 in Berk Archiv Bd. VI,S.219 als Caroli IV. epistolarum volumen bezeichnet.

2 ©, Lorenz, un Geſchichtsquellen S. 230, und Böhmer in Haupts Zeitſchrift Bd. VI, S.

3 Neumann hat 35 ah vollftändig publicirt und von den übrigen nur die Weberjchriften nebft Anfangs» und Sclufworten wiedergegeben.

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nostri decessu nebula luctuosi meroris obduxerat radio successivi sideris in accessu, Serenissimum prineipem domi- num K. Romanorum regem novum patrem suscitans pro defuncto, ipsum qui a teneris annis morum et virtutum lumen amictus sicut vestimento in candore justitie et prudentie precelleneia adolevit, pre consortibus unctus oleo letitie super thronum regni sui. Verum quia ad prosecutionem tanti assumpti negotii S. v. auxiliam et juvamen predicto domino K. est permaxime oportunum, S. v. humiliter supplicamus, quatenus aspirantes hujusmodi ipsius causam, ymmo totius reipublice nee non sancte ecelesie dignemini adjuvare ipsumque vestris in omni semper promptitudine mandatis jugiter pari- turum ad imperii de sacrosanctis vestris susecipiendum manibus dyadema, cum se facultas obtulerit, benigniter evocetis. Specialem ete.

IT. (fol. 107)

Littera missa pape per cancellarium et episcopum Olomucensem.

Sanctissime pater et domine metuendissime!

Quantum vobis in eterne letitie et gaudiorum attulerit quantisve celaritatibus corda nostra respersa fuerint, dum scripturas S. v. suaves tamque dulces et paterne benignitatis delinitas studio videremus, quas serenissimo et invictissimo prineipi et domino, domino K. etc. illustri domino gratioso S. v. provisio decrevit transmittere, et quantam consolationem inde sumpserimus, novit ille qui nichil ignorat et cui sunt abdita quevis humanarum mentium consilia manifesta; et revera, sanctissime pater, merito de tractivis sermonibus, quibus filii Belial, seminatores discordie, aures beatitudinis vestre fatigare presumunt, fidem non curatis apponere, pre- sertim in hiis, que prefatum dominum nostrum imperatorem conspieiunt, cum ipse ab ineuntis etatis sue primordiis virtuti et devotioni deditus, sanectam Dei ecclesiam et ejus anti[sti]tes tam piis quam etiam frequentibus fuerit promotionum et favorum beneficiis prosecutus, sicut etiam hujusmodi sue no- bilis intentionis initia grati[ils quidem continuavit mediis(?) et sollieitudine cottidiana produeit et auctoritate domini cunctis etiam futuris temporibus prosequetur. Et quia, sanctissime pater, juxta sanctissimi et salutaris vestri mandati conti- nentiam ad hoc frequenter totius mentis studio inniti volumus, qualiter erga sedem vestram et sanctitatis vestre honorem domini nostri conservetur affeetus, promoveatur voluntas, augeatur devotio et filialis dileetio roboretur, ideirco dignetur eadem $S. vestra hujusmodi vanis relatoribus, dum et quoties

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talia scandala vobis referri econtingerit, non solum non credere, ymmo audientiam penitus denegare, ut prefatus noster do- minus fiat erga S. v. de filio devoto devotior, de prompto promptior et benignior de benigno, et nobis humillimis cappellanis vestris sit de tam suavi orbis prineipum conver- satione solatium et etiam exinde universalis ecelesia con- solaretur.

Diefer Brief de8 Biſchofs Yohann von Olmütz, feit 1364, an den Papft bezieht ſich jedenfalls auf die wegen der Wahl Wenzels zum Römischen Könige im Jahre 1376 zwijchen dem Kaiſer Karl und Papſt Gregor XI. (1370 1378) entitandenen Zerwürf— niffe (j. Jenkner, Ueber die Wahl König Wenzels, Halle 1873 ©. 18 ff.).

Die folgenden vier Briefe Kaiſer Karls betreffen deſſen im im Anguſt und September d. J. 1360 unternommenen Feldzug gegen die rebelliſchen Grafen Eberhard und Ulrich von Würtemberg (ſ. Pelzel, Bd. II, ©. 644 ff.).

II. (fol. 92)

Imperator mandat cuidam ut cum paucis familiaribus ad eum veniat.

Karolus ete. Fidelis dileete. Fidelitati tue injungimus et presentibus seriose mandamus, quatenus aliis postpositis tuis negotiis cum paucis familaribus et equis apud nos in Nurem- berg sis in dominica!.. absque more diffugio omnimode con- stitutus. Nam ex tunc tuo et aliorum baronum regni con- silio, quos ad eundem terminum vocamus, quedam necessaria auctore Domino tractabimus commodum nostrum et regni nostri Boemie continentia et honorem. Nullam in eo, sicut reetum ejusdem regni honorem diligis, negligentiam commissurus. Datum et cetera.

IV. (fol. 92)

Imperator hortatur quosdam, ut cum amicis suis veniant ad expeditionem.

Fidelis dileete. Propter gwerram, quam auctore Deo illis de Wirtemberg potenter movere nostra proponit serenitas, tuam presentiam cognoscentes nostre celsitudini oportunam, seriose te requirimus et vocamus, quatenus statim visis pre- sentibus cum ceteris consanguineis, quos potesadducere, armis et

ı Mad; Nürnberg, wo er am 20. Juni 1360 eintraf und bis Ende Juli verweilte, hatte der Kaifer die Grafen von Wirtemberg vorgeladen.

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rebus ad hoc necessariis expediti ad nos, omni excusatione cessante, cum alia gente nostra de Boemia procedatis. Scrip- simus siquidem venerabili episcopo ete., ut tibi velit cum curru ad expeditionem, cum equis, vietualibus et aliis ne- cessariis bene munito ad necessitatem talis itineris sub- venire.

V. (fol. 92)

Item rogat, ut quidam veniat cum tota sua potentia ad expeditionem.

Fidelis dileete! Vidimus et sane intelleximus tuarum eontinentiarum litterarum fidelitatem, sieut pridem petivimus, sic iterato attentius requirentes, quatenus ad diem et locum tibi per nos aliter designatos cum tota tua potentia talium quidem hominum, quos apud nos manere delectet, non qui petunt cottidie se remitti, ad nostram se transferre presentiam non obmittas. Hoc enim quamplurimum affeetamus, tam propter tue fidelitatis fidele consilium et auxilium hiis temporibus oportunum, quam etiam propter barones alios, quos exemplo tuo sieut ad obsequendum nostro culmini non ambigimus animari, sie per contrarium sua nobis sentiremus obsequia recordari. Nee tibi sit grave nos adire, licet cum sumptibus et impensis ; seiturus, quod super hiis ab omni te volumus dispendio indempniter relevare ete.

VI. (fol. 92) Item hortatur quendam, ut veniat ad curiam celebrandam.

Karolus ete. Princeps et avuncule carissime! Postquam debite pacis federa cum illustri.. tali ete.! aliisque prineipibus Alemannie, annuente Domino, reformata existunt , curiam generalem in Nuremberg in octava talis festi instantis? favente Deo intendimus celebrare. Verum quia nobile et excellens imperii membrum revera censeris, tuaque presentia eirca dietam curiam celebrandam quamplurimum oportuna existit, dilectionem tuam sincera fiducia deprecamur, quatenus antedictam curiam in prefato termino personaliter visitare nullatenus pretermittas, regie celsitudini et honori gratam in hoc complacentiam ostensurus.

ı Gemeint ift hier jedenfalls der Herzog Rudolph IV. von Defterreich, des Kaiſers Schwiegerfohn, der fich bekanutlich mit den Grafen von Wirtemberg gegen Karl verbunden hatte,

2 Diefe Verträge wurden Anfangs September d. 3. 1360 zu Eflingen geſchloſſen. S. Pelzel Bd. II, ©. 651 u. 652,

3 Nad) Beendigung des Feldzuges in Schwaben hielt der Kaifer erft einen Reichstag in Mainz und traf jodann am 16, Dftober in Nürnberg ein, wo— jelbft er bis zum Mai d. J. 1361 verblieb. ©. Glafey, Anecdota ©. 410 ff.

565 VII. (fol. 92—93)

Item hortatur episcopum !, ut statim arripiat iter versus Romanam curiam.

Princeps, eonsiliarfiJe et devote dilecte! Cordi gerentes quamplurimum et plenis desideriis affectantes, ut viam, quam ad Romanam curiam te nostra providit serenitas tuaque spopondit devotio transituram, absque more dispendio statim arripias et arripiendo proficias et consumas, eandem tuam devotionem affectuose requirimus et attenter rogamus, desi- derantes, ut statim visis presentibus ad presentiam nostre celsitudinis iter arripias, veniendi ita dispositus sieque sar- einulis tuis in domo tua dispositis, prout jam te hujus rei tempestive hec previdisse nequaquam ambigimus, quod in nostre sublimitatis presentia mox versus predietam curiam transeundi dirigas gressus tuos, nec illud te moveat quomo- dolibet ad morandum, quod dieta legatio apparet non esse taliter expedita, quia, hoc non obstante, sed considerato quod in majori parte effeectum quem desideramus est sortita, iter tuum valde te petimus et concupiscimus maturare. Ne vero nulla te surripiat ex eo perplexitas, quod nuper adversus illos de Wirtemberg certam gentis armate militiam ? a te duximus postulandam et nune velud actenus ad tale iter te providi- mus destinandum, ecce hoc ultimo a te benigne contenti, de diete gentis armate militia te presentialiter habere decernimus excusatum, sperantes indubie, quod presens negotium ita tibi sit cordi, sieut de dilectione qua nostros honores amplectaris a nostro culmine signanter volueris commendari. Datum ete.

VII. (fol. 87) Item scribit Delphino Viennensi? de statu suo.

Karolus ete. Illustris nepos* carissime! Scire velit tua dileetio, quod per Dei gratiam nos cum Serenissima et cum

1 Vielleicht ift hier der Biſchof Dietrich von Minden (1353— 1361), Erz. bifhof von Magdeburg (1361— 1367), der als Diplomat, Feldherr und Finanze mann bei Karl in hoher Gunft ftand, gemeint. S. Palady, Geld). v. Böhmen Bd. II (2), ©. 354.

2 malitia Cod.

s Karl, der nachmalige König Karl V. von Frankreich (1364 1380), der Schn König Johanns (1350—1364). Er wurde i. J. 1337 geboren und empfing 1349 das Delphinat.

* Kaifer Karls Schwefter Jutta war an König Johann von Frankreich vermählt.

von Schweidnitz, ſeit 1353 mit Karl vermählt, ſt. d. 11. Juli 1362, oder Eliſabeth von Pommern ſeit April d. J. 1363 mit Karl vermählt.

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dilecto filio ! nostro ac filia ? plena corporis ac animi sospi- tate gaudemus et in omnibus nostris et imperii sacri negotiis feliciter prosperamur, id ipsum de serenissimo principe geni- tore tuo ac fratre nostro ac de te audire cordialiter affectan- tes. Ideirco rogamus tuam dilectionem presentibus seriose, quatenus de prefati genitoris tui ac tuo statu felici et pro- speris vite successibus nos velis tuis litteris pro singulari gaudio erebrius informare. Nam vestra corporalis sanitas et successuum vestrorum jocunda prosperitas parat nostri cordi letitiam singularem etc.

IX. (fol. 87—88) Item scribit @. de Medioluro® de stalu suo.

Karolus ete. Fidelis earissime! Auctore benignissimo do- mino Jesu Christo sua benignitatis clementia illud disponente, feliciter una cum liberis nostris corporis incolumitate gaude- mus et in omnibus agendis nostris eirca partes Alemannie et regni nostri Boemie ac vieinarum regionum optata pro- speritate potimur; de te nee non dilectis consanguineis nostris, tua consorte', filio tuo? et conthorali ipsius ® dulces novitates et placidas semper desiderantes audire et potius propris oculis intueri; et de sinceritate tam constantis et solide dilee- tionis et fideiÄ, quibus, sicut nobili familiare tuo referente cognovimus, erga personam nostram et sacrum Romanum imperium indesinenter afficeris, multum contentatur nostra serenitas tibique grates inde referimus, volentes Dei adjutorio non solum tibi verbis aut scripto respondisse pro talibus, sed oportunitate nacta, et dum conditio tue sortis illud exigerit, hujusmodi tue dilectionis et fidei meritis gratis beneficiorum fructibus, celarissimis etiam operum indieiis gratiosius respon- dere, desiderantes attente et hoc a te specialis hortiminis studio deposcentes, ut nos de tuo consortis tue nec non filüi tui et ejus uxoris, neptis nostre, statu et successu felicibus velis ad singulare solatium tuis litteris multoties informare. Nam tua et ipsorum corporalis sanitas et prosperitas disposi-

ı Menzel, der nachmalige Römiſche König, geboren an 26. Februar 1361.

2 Elifabeth, geboren den 18. März 1358. Dieſer Brief müßte aljo hier: nach zwiichen den Jahren 1361 u. 1364 geichrieben fein.

3 Galeaz II. Bisconti, Reichsvilar. Er wurde i. 3. 1372 mit der Reicht: acht belegt. Schon i. 3. 1368 fämpfte er mit feinem Bruder gegen ven Kaiſer.

Blanca Maria von Savoyen.

5 Johann Galeaz geb. 1357.

° Iſabella, Tochter des Königs Johann von Frankreich, jeit dem Jahre 1360 mit Joh. Gaieaz vermählt. Da num der Kaifer in diefem Briefe nur feine Kinder, nicht auch feine Gemahlin erwähnt, fo ift anzunehmen, daß er ihr zwiichen dem 11. Juli 1362 und April 1363 (f. oben ©. 565 Note 5) ge jchrieben habe.

567

tione Dei jocunda cordi nostro procul dubio paruit letitiam specialem, nee te moveat prefati familiaris tui diuturna ab- sentia, si forte ultra creditum sibi tempus moram traxit in nostri presentia, cum preter voluntatem suam ipsum tenueri- mus ad hoc specialiter, ut de nostro statu et successibus te ipso redeunte possemus plenius et-sufficientiusinformare, sicut etiam ipse de hiis, que vidit et expertus est in tempore demorationis, quam fecit, te debebit et poterit luculentius docere. Datum ete.

X. (fol. 80) Imperator restituit R. de Warth pristinas libertates, eo quod propter excessus patris etc. !

Karolus quartus ete. Nobilitas innate nobis clementie in hac precipua et in evidenti claritate refulget et cesaree benignitatis claret mansueta proceritas, si miseremur excessi- bus et illis indulgemus obnixe, qui non proprio sed alieno reatu laborant, et tanto nostri creatoris fiducialius imitari speramus exemplum, quanto benigniore consilio subjectorum nobis fidelium excessibus miseremur. Sane cum nobilis R. de Warth, nunc familiaris consiliarius domesticus et commen- salis, fidelis noster dileetus, propter excessus notabiles olim R. de Warth genitoris sui, qui dive recordationis Albertum quondam Boemie regem depravate sortis malitia occidisse refertur, adeo jura sua, perdiderit, ut per sententiam diffini- tam celebris et recolende memorie divi H. quondam Romani imperatoris, avi nostri karissini, una cum suis fratribus reus Judicatus fuerit eriminis lese majestatis, nos attendentes, qua- liter publice fame docente relatu idem R. junior, ut premit- titur, tempore patrati sceleris et dum pater ejus talem reatum committeret minorennis extiterit, consideratis etiam moribus et laudabili conversatione dieti R. familiaris nostri, satis evidenter nobis sue virtutis exempla demonstrantis, eum circa paternos conatus non debere culpari, qui probitati et virtuti- bus frequenter nititur, sicut hoc cottidianis ipsius actibus experimur. Quapropter maturo prineipum baronum et procerum nostrorum accedente [consilio], animo deliberato, non per errorem aut improvide, sed de certa scientia ac de plenitudine impe- ratorie potetastis, predictum R., heredes et successores suos ad omnia jura, privilegia, libertates, status, conditiones et gratias, quibus progenitores eorum jure et observata consue- tudine freti sunt actenus, plene reducimus, decernentes, quod omnibus juribus, privilegiis, libertatibus, statu, conditionibus et gratiis potiantur et gaudeant, quibus ante patrationem dieti excessus paterni gaudebant, quodque excessus hujusmodi

I Bergl. hierzu die Urkunde Nr. 510 bei Glafey, Anecdot. ©. 636.

568

eis in vitium imputari non possit seu valeat, de plenitudine dicte potestatis cesaree presentibus declaramus, non obstanti- bus legibus, constitutionibus in contrarium, quibus omnibus, si et in quantum presenti nostre restitutioni et declarationi in aliquo obviare censentur, penitus derogamus, supplentes omnem defectum, si quis ex defectu solempnitatis obmisse obscura vel dubia interpretatione verborum sive quovis modo alio compertus fuerit in premissis. Nulli ergo homini liceat hance paginam infringere seu ei ausu quolibet temerario contraire sub pena 1000 marcarum auri purissimi, quas ab « qui contra fecerit toties quoties contra factum fuerit irremi- sibiliter exigi volumus et earum medietatem nostri imperialis erarii sive fisci, residuam vero partem injuriam passorum usibus applicari etc.

Fragment eines mitteldentichen Formelbuces aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Mitgetheilt von M. Perlbad).

Die im folgenden bejchriebenen Fragmente eines Formelbuches jtehen auf zwei Pergamentblättern, mit denen die Innenſeite der beiden Deckel einer Basler Ausgabe der Legenda aurea von 1486, auf der Bibliothek zu Königsberg !, beflebt war. Beide waren gefaltet und bildeten die äußeren Glieder einer Yage, deren innerſtes Blatt fehlt: es ergiebt fich dies, abgejehen von dem Inhalt, fchon daraus, daß das eine Blatt, feltfamerweije auf der Innenſeite?, mit XXXIIII und XXXIX, das zweite mit XXXV und XXXVIII (ebenfalls innen) fignirt it: fol. XXXVI und XXXVII dagegen fehlt. Auf jeder Seite ftehen auf braunen Linien in 2 Spalten 46 Zeilen, ſämmtlich von derjelben Hand, die Ueberfchriften find in roth ausge: führt. Die Schrift gehört dem 14. Jahrhundert an.

Der Inhalt giebt ſich jofort als Formelbuch zu erfennen, zeichnet ſich aber dadurch auf den erjten Blid vor allen übrigen bisher pu— blicirten derartigen Stüden aus, daß durchgängig je 2 Briefe (mur aus jolchen befteht das Fragment) al8 Auftrag refpective Anfrage und Antwort zujammengehören. 26 folder Paare find volljtändig erhalten, 2—14 und 16—29°: von 1 ift nur die Antwort vorhan- den, von der Anfrage nur eine Zeile, von 15 fehlt die Autwort, von 16 die Aufforderung, beide bildeten Anfang und Schluß der fehlenden fol. XXXVI—XXXVIT; 30 befteht nur aus einer Zeile.

Leider gehört unfer Fragment zu derjenigen Klaſſe von Formel— büchern, deren Benutung für den Hiftorifer eine precäre ift, da bie Namen faſt ganz ausgelajjen find: nur zweimal 17a und b und 19a wird der lantgravius Thuringie, das erfte Mal G., das zweite H. genannt. Wichtiger ift die Ueberfchrift von 21: princeps prineipi ut bona Moguntine ecclesie restituat; gleid) darauf ift von einer langen Sedisvacanz der erwähnten Kirche die Rede.

1 Incunab. Nr. 1457 (altes Zeichen Zz 63.): Legenda sanctorum alias Lombardica historia. Am Ende: impressa Basilie et felieiter consummata per Nicolaum Kesler sub anno domini millesimo qua- dringentesimo octogesimo sexto die vero 25. mensis Junii.

2 Mir bezeichnen daher die äußeren Seiten mit XXXIIII. ꝛc.

3 Die Zahlen Haben wir der Weberficht megen zugeſetzt.

XIV. 38

570

Am längiten war der Mainzer Stuhl im Mittelalter, ſoweit es für uns in Betracht fommen kann (13.—14. Jahrhundert), nad) dem Tode Werners von Eppenftein, nämlid) vom 2. April 1284 25. Mai 1286, erledigt !; Nr. 21. dürfte alſo in die nächjte Zeit nach dem Mai 1286 nad) dem Antritts Heinrichs von Isny fallen. Damit haben wir wenigftens einen feiten Punft gewonnen.

Ein beftinmter Plan in der Anlage unjerer Sammlung ift un- ſchwer zu erfennen: fie war für die Curie eines weltlichen Fürſten beftimmt. Schon äußerlich theilt fie fih in 2 Abfchnitte, deren Uebergang leider fehlt: Correipondenz des Fürften mit einen Grafen, 2—15, und Schreiben an Fürften 16—27 ?, Es beziehen fich ferner 1 und 2 auf die Beſchützung der Geiftlichkeit; 3, 4, 8 und 9 auf die Belehrung von Bajjallen; 6, 11, 12, 13, 14, 16, 17 u. 21 auf den Streit eines weltlichen Bürjten mit einem Biſchof oder Erz biſchof; 5, 10, 15, 22, 23 handeln vom Kriege zwifchen zwei Fürjten überhaupt, 24 von dem eines Fürſten mit einem dux; in 18, 19, 25, 26, 28 u. 29 ijt von Beläftigungen der Unterthanen durch Nachbarfürjten die Rede. Ganz allein ftehen 7, 20 u. 27 da: in 7 fordert der Fürſt einen Grafen auf für befjere Verwaltung feines Erbtheils zu forgen, in 20 bittet er einen Fürſten um Nachrichten über die Abfichten des Königs auf gewilfe Länder, in 27 verfpridt ein Vater feinem vertriebenen Sohn Beiltand.

Die einzige Gruppe, welche einen Anhaltspunft gewährt, ijt die dritte, die Streitigkeiten mit dem Bischof. Wir werden wohl nicht irre gehen, wenn wir gejtütt auf Nr. 21 diefen durchgängig für den Mainzer halten *, im Streit mit ihm ift nach 16® und 17® ein dus, der fich felbft Al. nennt: damit dürfte wahrfcheinlich Herzog Albrecht der Große von Braunſchweig-Lüneburg gemeint fein, der in langen Hader mit dem Erzbischof Werner von Mainz lag’. Faſt Hat es den Anschein, als ob ſich Nr. 17 auf einen Vorfall aus dieſein Streite, der urkundlich bezeugt iſt, bezieht: der Erzbiſchof, berichtet der Land» graf von Thüringen einem Markgrafen, Habe einen von ihm felbit vorherbeftimmten Termin zur Briedensverhandlung nicht eingehalten unter dem Vorwand, die von den Parteien anerkannten und vom Könige eingejetsten Schiedsrichter habe er nicht angenommen. Wir wifjen aus einer Urkunde, daß der Erzbifchof in der That 1269 am Montag vor Petri Stuhlfeier (18. Febr.) auf einem Tage in Caſſel

1 Potthast, Bibliotheca Supplem. 354.

2 Bei 1, 23—30 fehlt die Ueberjchrift.

° Dazu jcheint auch Nr. 22, die ſich an 21 anichließt, zu gehören: die rebelles in 21 find wohl mit den profugi in 22 identiſch.

* Daß er häufig nur episcopus genannt wird, flört nicht: ift doch in Nr. 21 jelbft nur dom dominus episcopus die Rede, in 17b wird diejelb: Perſon zuerft als archiepiscopus, fodann als d. episcopus bezeichnet.

5 Bgl.- Ropp, Werner v. Mainz S. 139. Auf die Siglen ift jedod fein Gewicht zu legen: jo heißt der lantgravius in 16b u. 19% (Thhuringie) H., in 176 G. (Thuringie), der marchio in 17° u, 18% Jo., in 176 H. der dux in 16b Al., in 18b H.

571

ausblieb !: der König, zu dem ich nach 17 alsdann der Herzog begab, wäre demnach Richard von Gornwallis gewefen, der urkund— lic) bei einer neuen Appellation des herzoglichen Geſandten in Mainz, Pfingften 1269 anweſend war *.

Einen weiteren Anhalt giebt Nr. 20: ein Fürſt bittet einen an— deren, ihm die Pläne des Königs mitzutheilen, ob er ein gewiſſes Pand für das Weich durch jeine Beamten verwalten lajjen wolle ®: er befommt die Anwort, daß dies in der That die Abficht des Königs fei, er wolle die Verwaltung einem Hauptmann anvertrauen. Die Bermuthung liegt nahe, diefes Schreiben auf König Rudolfs erften Zug gegen Ottofar von Böhmen zu beziehen, 1276. Wir hätten demnach für Nr. 17: das Jahr 1269, Nr.20: 1276, und Nr.21: 1286 (f. oben) gewonnen. Docd ijt damit nicht bewieſen, daß wirf- (ic unferer Sammlung authentifche Briefe zu Grunde liegen. Schon die fortlaufende Neihe von Schreiben und Antwort muß mindeftens dies fraglid) machen; ein ſolcher Briefwechjel ift wohl faum im da= maliger Zeit erhalten. Dazu kommt, daß ſich der Styl eines und dejjelben Schreiberd nicht verfennen läßt: auffällige Wendungen fehren mehrfach, wieder, jo der Gebrauch von emuli für Feinde, potesta- tiva violencia rejp. presencia u. 20°, pacem reformare (ſehr oft), strepitus disceneionis und strepitus guerrarum 28° u. 24* u.a. m. Die Form, in der uns diefe Briefe jet vorliegen, ijt daher wohl eine freie Bearbeitung; bei einigen aber dürfte, wie wir nachzuweifen verfucht haben, ein Bezug auf die zeitgenöffifche Politik vorhanden fein.

Die Ueberlieferung unſeres Fragmentes ift feine zufriedenftellende. Abgejehen von mehreren Löchern im Pergament %, liegt uns nur eine fehlerhafte Abjchrift vor, wie die zahlreichen Irrthümer, Echreibfehler, Auslaffungen, Verwechſelungen, bejonders vester und noster, dar- thun. Unſere Abfchrift gehört dem 14. Jahrhundert an, das Original kaun alfo wohl noch ins 13. fallen.

Ueber den Ort, wo unſer Formelbuch zufammengeftellt ift, laſſen ſich kaum Vermuthungen ausſprechen. Mainz und Thüringen werden genannt, Braunjchweig glauben wir ergänzen zu können; in Mlittel- deutjchland wird alfo die Kanzlei zu juchen fein, für die es ange— fertigt wurde.

Der Fundort gewährt leider auch nicht den geringften Aufſchluß hierüber. Es läßt fich nicht einmal feftitellen, warn die betreffende Incunabel Eigenthum der Königsberger Bibliothef geworden iſt,

! Orgines Guelf IV, I2 N.

2 ib. 14 MN. o

s ut ipsam terram occupet, oceupatam usibus imperii deputet et deputatam per officiorum suorum preseneiarum potestativam ab hostili- bus incursibus tueatur,

“Mo wir diefelben ausfüllen konnten, ift dies durch Klammern an— gedeutet.

38*

572

ebenso fehlt jedes Merkmal eines früheren Befiters!. Nur das if far, daß erjt nad) 1486 die Fragmente Bejtandtheile derjelben ge— worden fein fönnen.

Da ein Abdrud des Ganzen kaum gerechtfertigt fein würde, find hier nur die durch die bejprochenen Namen bemerfenswerthen Nr. 16—21 mitgetheilt, die zugleich eine Probe von dem Charafter der ganzen Sammlung geben.

XVI.

....ꝰ affini® suo karissimo H. lantgravio Al. dei gracia dux de . . dilectionis et sincere amicicie inerementum. Cum dominus archiepiscopus super reformande pacis articulos una nobiscum in arbitros consenserit et arbitrio promulgato super singulis et omnibus in eo contentis fideliter et inviolabiliter observandis omnimodam voluntatem obtulerit*, approbante multorum nobilium testimonio, miramur, quo consilio sedue- tus in promisso inveniatur negligens et remissus. Verump- tamen non attendendo °, qualiter in hoc facto se res habeat, ad celebracionem colloquii prenotatis die et loco, veluti postulastis, vita nobis comite honorifice veniemus.

XVII. Princeps principi ut sibi scribat tractatum colloquii.

Preclaro prineipi lantgravio Thuringie Jo. dei graeia marchio .. ad quevis beneplacita sincere promptitudinem voluntatis. Quia minus bene ab aliquibus prineipibus possit eredi, ne dominus archiepiscopus tante humilitati animum suum submiserit, ut ad satisfactionem super emundacione offensarım se paratum offerat tali prineipi, vestram sinceri- tatem petimus intimo ex affectu, quatinus, si rei geste modum nostre aperiatis noticie, finalem tractatum colloquii habiti inter predietum archiepiscopum et ... ea precipue racione, ut, si indeterminatus recessus a colloquio aliquid odii vel rancoris videtur ingerere, super qualitate eujusdam negocii diligens serutinium habeatis.

ı Der Band ift in ftarfe Holzdedel, die mit Leder überzogen find, gebunden, in letzteres find beraldifche Lilien eingepreßt. Nandbemerkungen finden fich nur ganz unmefentliche, fo fol. 1 von einer Hand sec XVI. primus sexternus, fol. 160* mantel schief, fol. 162‘ humiliter, omnino, fol. 163 non ä.

2 XXXVIIL, Sp. 1.

® Veber die Lücke |. Einleitung.

* obtulerint Msc.

5 attendo Msc.

573

Glorioso prineipi H. marchioni .. G. dei. graeia lant- gravius Thuringie ad beneplacita se paratum. Convocatis ex parte dueis multis nobilibus ad confirmandum feliciter traeta- tum colloquii, ceujus diem et locum dominus archiepiscopus prefixerat, pro ordinanda inter ipsum et predietum ducem sponsione amicabili, omnia et singula, que tenor continet ar- bitrii promulgati, revocare conabatur. dominus episcopus, af- firmans se non consensisse in arbitros elecetos et constitutos ! per potestatem regie majestatis. Hiis auditis dux assumptis arbitris ad regis accessit presenciam, proponens que propo- nenda fuerant de arbitrii articulis per dominum episcopum nullatenus attemptandis. Rex vero moleste ferens et de se(!) delusum dolens, contra archiepiscopum graciose in partem dueis subito se convertit.

XVII. Princeps principi, ut homines suos detineri non faciat.

Illustri duei de... Jo. dei gracia marchio .. paratum animum complacendi. Nunciantis fame eloquio accepimus, quod per incitamenta vestrorum civium, qui per distrietum nostrum noeturno tempore transeuntes rerum suarum passi sunt dispendia, nostros detineri jusseritis® homines, per quorum detensionem (!) eonsequatur recuperacio ablatorum. Quod considerantes improvide factum, vestram amicieiam de- precamur, quatinus nichil acceptamenti transferri jubeatis in molestias et dampna nostrorum hominum, quare si cives nostri eorum injurifa]tores in terra nostra deprehenderint, i[psils exhibebimus habundanter justicie complemfentum].

Inclito marchioni .. H. dei gracia [dux] de ... sincerum in omnibus affeetum ........ nolentes a nostris eivibus proteetionis nostre graciam pro restituendis bonis eorum ablatis in jurisdietionis vestre terminis, inquisicionem per nostri mandati rigorem fieri petimus diligentem. Recepit enim verisimilitudo, quod extraneorum hostilis incursus in distrietu nostro spolia non presumat committere ignorantibus vestris advocatis, qui subditis vestris per vestram potestatem sunt prefeeti. Super impedimento ordinando vestris hominibus respondemus, quod a recepeione preseneium infra 9 mensium spacium vestris ciibus per terram [nostram] liber patebit ®, spe prorogata de restitucione plenaria ablatorum.

1Sp. 2.

2 inseritis Msc.

3 So) im Msc.

* transitus fcheint zu ergänzen zu fein.

574

XIX. Princeps principi, ut indebite usurpaciones restitui faciat.

Excellenti prineipi duci.. H. dei gracia lantgravius Thuringie sinceritatis affeetum. Nostrorum fildelium] molesta relacione accepimus, [quod] ad[vocaltus! vester in tali distrietu per vestram magnificenciam constitutus ursurpacionis manum non cohibet a subditorum nostrorum possessionibus, quas curie vestre adjudicat, juris ordine pretermisso. Cumque nee deceat nec expediat, ut nostrorum hominum injuriosa dispendia vultu dissimulacionis pretereat vestre magnificencie sublimitas, placeat vobis retractare, quod per vestrum advoca- tum factum est illieite, ne insufficientes ad nostrorum pre- sidia censeamur.

Cognitis hiis que contra advocatum nostrum proponit vestre querele continencia et comparente advocato didieimus, quod bona que adjudieata dicerentur? nostre curie, quondam possedit quidam nostrorum fidelium, qui ea a manu nostra tenuit tytulo feodali, quo mortuo et nullo herede superstite vestri advocati, eo quod metis vestris essent contigua, vestro applicabant dominio, nostrorum officialium negligencia ad- mittente. Unde revocacionem predietorum bonorum illieitam non [nomilnetis, cum justa de causa facta 'sit [revo]cacio eorundem.

XX. Princeps prineipi, ut sibi.......... regiam? voluntatem.

Multorum nobilium tenet credulitas, quod regalis potestas suos processus intendat committere ad partes ea racione potissime, ut ipsam terram occupet, occupatam usibus imperii deputet* et deputatam? per officiorum suorum presenciam potestativam ab hostilibus incursibus tueatur. Denique cum de statu regalis eurie plena vobis ® sit noticia, eo quod ne- gociorum prolixitas vos’ in ea detinuerit, petimus intimo ex affeetu, quatinus super regie voluntatis finali proposito hesi- tanti nostro animo aperiatis certitudinem, üt nostre patule aures a multiplici rumorum tedio conquiescant °®.

1 pn. XXXVIO. Sp. 1.

* dicantur ausgeftrichen Msc.

3 Loch; denunciet wird zu ergänzen fein. * deputetur Msc.

5 deputatum Msc.

® nobis u. nos Msc.

detinuetur Msc.

8 conquiviscant Msc.

575

Quamvis diffieile sit occulta regum perserutari lucide et aperte intelligere sue voluntatis propositum, ad [satis]facien- dum tamen vestris desideriis [vobis] dfux]jimus declarandum, quod regalis ' intentio ad hoc plene dirigitur, ut terminos terrarum, quibus tales prineipes predominantur sue subiciat dcminationi, et postquam rex terras predietas sibi subjugaverit, capitaneum in eisdem substituat, coram quo ventilentur liti- gia et cause, sicut consuetum erat, in presencia prineipum, quando sua dominia gubernabant.

XXI Princeps principi, ut bona Moguntine ecclesie restituat.

Post diutinam vacacionem dominus dignatus est provi- dere ecclesie de pio pastore et ydoneo, qui seit potest et vult viduatam diu ecelesiam juri suo restituere, proscriptis rebellibus et fidelibus, quos injuriosa violencia compulerat ? experiri exilium, ad sinum pacis et gracie revocatis. Sane cum pro? illieita detentacione bonorum ecelesie contra vos * sit mota questio coram rege per dominum episcopum, consul- tum et utile estimamus, ut amicabilis composicionis interve- niente formula restituatis que restituenda sunt ecelesie prenotate.

Hortamentis vestre affeetuose sinceritatis nolentes con- traire in aliquo, juxta vestre dominationis consilium reformari volumus, petentes omni studio et affeetu, ut in taliloco et die nostram exspectetis presenciam, quia de bonis restituendis ecclesie prediete vobiscum specialem tractatum habebimus, quid expediat vel deceat in premissis.

I galis Sp. 2.

3 compleverat Msc. ® per Msc.

*“ nos Msc.

Zur Geſchichte Conradins.

(Fortfegung von Band XI!) Bon A. Buflon.

3. Der Tag des Ausmarfdies aus Rom.

Die Frage, an weldhem Tage Conradin an der Spite feines Heeres zum Entjcheidungsfampfe gegen Karl von Anjou Rom ver: ließ, ijt im nenefter Zeit mehrfach ventilirt worden. Es Handelt fid um die beiden Daten 10. oder 18. Auguft, um die Angabe Billanis auf der einen, des Ptolemäus von Lucca auf der andern Seite. Während die älteren Darjteller, unter den neneren auch noch re: gorovius und Keumont, durchweg den Ptolemäus bevorzugen und mit ihm den 18. Aug. al8 Tag des Ausmarfches annehmen, entichied ſich Del Giudice, wie früher bereits Böhmer ?, für Villanis (refp. des noch als echt geltenden Ricordano) Angabe, für den 10. Auguft ®. Daſſelbe that, durch die gleichen Gründe bejtimmt, auch Schirr— macher *. Gelegentlich hat ſich auch Sceffer-Boichorft für den 10. Auguft ausgefprocen ®.

Trotzdem glaube ich, daß die ältere Anficht das Wichtige ge- troffen hat, und daß der 18. Auguft als Tag des Ausmarfches ganz entfchieden feitzuhalten iſt ©.

Del Giudices Gründe, die, wie bemerft, von Schirrmacher adoptirt wurden, mögen hier vollftändig Plat finden”: mon mi sembra verosimile, che essendo Corradino uscito di Roma il

2 Zu dem Forid. z. D. G. XI, 135 Beröffentlichten über den falſchen Eon- radin trage ich Hier nad) die Stelle Ann. Basil.M.G. SS. XVII, 194, zu 1270: Per Basileam transivit quidam Stochieinus nomine, qui dicebat se esse Conradinum, filium regis Conradi, quem Carolus frater regis Francie cum 3 nobilibus fecit decollari.

? Reg. Conrads Nr. 55b.

® Cod. dipl. Ang. Ilse, ©. 186,

Letzte Hohenftaufen, S. 571 Anm. 4.

5 Archiv der Gefellich. XII, 466 u. Anm. 1. v. Sybel, Zeitihrift XX VIII, 438.

° Mid veranlaft auf diefe Detailfrage hier einzugehen eine im Innsbruder hiftorifchen Seminar vorgelegte Arbeit von Herrn Anton Nagele, die zur dem meiner Anficht nad richtigen Reſultat gelangte, ohne daß id) die dafür geltend gemachten Gründe alle billigen konnte.

"Aa. O. ©. 186 Anm.

577

18. con tutto il suo esercito (meglio che sei mila cavalli oltre i fanti) avesse potuto trovarsi pronto alla battaglia nel 22. Agosto nei campi Palentini. In questa lettera che Carlo scrisse al pontefice, leggesi, che l’Angioino per tre giorni e per tre notti (anzi per quattro, come dalla lettera à Padovani) segui passo passo le mosse dell esereito Alemanno, il quale giä giunto & confini andava cercando il luogo, onde potesse piü sicuramente entrare nel regno. Se per tre giorni l’ esercito di Corradino vagffö per la regione Marsicana, si deve dire, che era giä giunto a confini nel 19. Agosto; e si può credere, che ciò avesse potuto avenire, partendosi il 18. da Roma?

Die Gründe diefes Naifonnements find für mich durchaus nicht überzeugend. Die Strede von Nom bi8 auf die palentifche Ebene, auf der am 23. Augujt gejchlagen wurde, ijt doc Feineswegs jo groß, daß fie nicht vom Conradinifchen Heer in den fünf Tagen vom 18—22, Auguft mit größter Bequemlichkeit, alle Schwierigfeiten des nöthig werdenden Gebirgsübergangs in Rechnung gezogen, hätte zurückgelegt werden fünnen!. Aa man wird gerade umgefehrt bei Anfegung des Ausmarjches auf den 10. Auguft an dem Umſtand den größten Anjtoß nehmen müſſen, daß Gonradin, für den bei Lage der Dinge alles auf Schnelligkeit anfam, auf den Eurzen Weg von Nom fo lange, foftbare Zeit vergeudet Haben fol. Man müßte, um diefe Zeit auszufüllen, entfchieden mehr Raſttage als Marſch— tage annehmen?. Meiner Anficht nach) Sprechen die innern Gründe möglichit entfchieden für den 18. Auguft als Tag des Aufbruchs aus Rom.

Indem ich die Gründe, die Del Giudice dem von ihm oben er- wähnten Brief Karls für feine Anficht entnehmen zu können glaubt, vorläufig unberücjichtigt laffe, wende ich mich zunächſt zu den in Betracht fommenden Quellenjtellen. Ich beginne hier mit der Nach— richt, die mir für die Trage unbedingt entjcheidend zu fein fcheint, mit der, die uns die ftet8 gut unterrichteten * Annales Placent. Gibellini bieten*: Et motus rex Conradus a civitate Sene .

1 In diefer Beziehung fcheinen mir die auf perfönliher Durchforfchung der in Frage kommenden Gegend beruhenden Ausführungen Naumers, der jelbft den Ausmarſch Conradins auf den 18, Auguft anſetzt, durchaus maßgebend zu jein, Hohenftaufen 2. Aufl. IV, 555 ff.

2 Darauf hat in anderer MWeije jchon Naumer IV, 555 Anın. 1 hinge— wiefen: „Nach Malefpini c. 192 brach Conradin bereits am zehnten Auguft von Rom auf, und müßte fi) dann freilich) zu Tange in Tivoli aufgehalten haben; Raynald, Ann. 8 29, hat dagegen den 18, was mit der Entfernung und der Ueberrafhung Karls beffer paßt und, wie es jcheint, auf ardivalifchen Nachrichten beruht“.

8 Allerdings bat Del Giudice gegen einzelne Nachrichten der Annalen Zweifel erhoben, jo Cod. dipl. IIs, ©. 149 Anm. 1, S. 160 YAum. 1, wos

egen Scirrmader a. a. U. ©. 567 Anm. 95 die Annalen vertheidigt, dann

5. 155 Anm. 1, wogegen wieder Scirrmader ©, 568 Anm, 98 zu ver- gleichen problematiſch S. 214 Anm. 1.

S. 528.

578

equitavit Grossetum ... Et die 24. mensis Julii intravit Romam cum tota gente sua ... et mora facta in urbe per 26 dies, habito consilio dieti senatoris et prineipum Romano- rum .. cum rex Conradus non posset per pontem de Ce- perano iter facere, per terram de Bruzio cepit festinare gres- sus suos. Durch die Angabe des Tages der Ankunft und die An— gabe der Dauer des Aufenthaltes wird der Tag des Ausmarjches hier beſtimmt aber leider, wie zugejtanden werden muß, im nicht vollkommen unzweidentiger Weiſe. Schirrmacher ? bezieht die Angabe der Annalen auf den 19. Auguft er zählt die 26 Tage der Annalen vom 25. Juli und nimmt den 26. Tag als Tag des Aus— zugs an. Mit demjelben Recht kann man aber aud) die 26 Tage Aufenthalt buchjtäblich nehmen, indem man weder den Tag der Ans funft noch den des Ausmarfches in fie einvechnet dann käme man auf den 20. Auguft als Tag de8 Auszuges. Oder man kann aud das von den Annalen gegebene Datum der Ankunft, Juli 24, in bie 26 Tage mit einbeziehen ?, und käme damit auf den 18. Auguft als Tag des Auszugs?.

Um jeden falfchen Eirfel möglichit zu vermeiden, wollen wir uns zunächit auf das von diefen Möglichkeiten unabhängige Reſultat be= Ichränfen, daß nämlich diefe durd) die Zuverläffigfeit ihrer Angaben ausgezeichnete Quelle durch die Mittheilung der Dauer von Conradins Aufenthalt in Rom die Annahme des 10. Auguft als Tag des Auszugs bejtimmt verbietet, und vielmehr je nach der verfchiedenen Zählung auf die Tage vom 18.—20. Auguft verweilt. Neben den Ann. Placent. verdienen andere Quellen, die in mehr oder weniger unbe=

ı 9%. a9. ©. 571 Anm. 4.

2 So redynet Del Giudice a. a, DO,

3 Eine fefte Negel, wie in ſolchen Fällen die Annalen zählen, wird fid kaum ermitteln laſſen. S. 563. Montag, 22. Juni ftirbt Papft Innocenz V., Samftag, 11. Juli wird fein Nachfolger Adrian V. gewählt, et die martis 18. Aug. obiit. Adrians Tod wird S. 564 nochmals erwähnt mit dem Zu- fa: qui vixit 38 dies dabei ift entweder der Wahltag, oder der Todes- tag mit eingerechnet.

©. 564, Dienftag, 8. September wird Sohann XXI. gewählt, ©. 568 fein Tod zum 20. Mai berichtet mit der Bemerfung: vixit.. 8 menses et 13 dies. Bei den 13 Tagen ift der 8. Mai und der 20. Mai, ber Todes⸗ tag, mitgezählt.

©. 569. Die Neuwahl erfolgt Nov. 25, et cessavit apostolatus sex menses et 6 dies dieje ſechs Tage ergeben fi, wenn man den 20. und 25. in fie einrechnet.

©. 572. Nicolaus III. ftirbt Donnerftag 22. Auguft, vixit.. per duos Bet et 8 menses et 23 dies hier hat der Annalift ſich offenbar verzählt.

. 573. Die iovis 4. mensis Sept. dietus marchio .. venit ad ———— ad Meregnanum, deinde in guastis Laude, et stetit ibi per 15 dies, et die Mercurii 17. Sept. recessit. In dieſer Stelle werden die 15 dies offenbar analog dem italieniſchen quindici giorni gleich unfern „vierzehn Tage” gebraucht.

579

ftimmten Ausdrüden von einem kurzen Aufenthalt Conradins in Nom reden, kaum Beachtung !.

Mit dem jpäteren Ausmarſch fteht nun aud) der Brief Karls von Anjou, den Del Guidice für den 10. Auguft geltend machen zu fünnen glaubte, gewiß nicht im Widerjpruch, vielmehr im jchönjten Einklang. Es iſt der furze Bericht Karls an Clemens IV. über die Schlacht und feinen Sieg?. Die hier in Betracht fommende Stelle lautet: Noveritis igitur, quod manu domini, que mei tutrix est et patrona justitie, meos feliciter et salubriter dirigentes progressus, postquam Corradinus ejusque sequaces? regni mei finibus propinquarunt* querentes foramina per que possent latenter ingredi seque conjungere Saracenis, ego ipsos de passu in passum per tres dies totidemque noctes sequens °® et persequens, tamdem percepto quod dieti hostes per Tittui ® partes ingressi sperabant per Mareiana ? rura descendere et pervenire Sulmonam ®, quodque inter Sculeule et Curti montes in quadam planicie sua infelieia castra defixerant die mereurii, ocetava videlicet assumtionis B. Virginis, de cujus potissime sperabam auxilio, de pratis Ovinali secus lacum Fuchini et villam ad necem!! aciebus instructis, divina me gratia comitante demum procedentes !? ad quemdam collem

! &o bie von Schirrmadher angeführten Ann. Cavens. und Thomas Tuscus: diebus paucis ibidem exercitu recreato, dann die verlorenen Gesta Florentinorum, deren Benuter Ptolemaeus Lucensis jagt: quievitque aliquibus diebus pro apparatu de gente facienda. Bergl. über Anfänge bei ihm an Thomas Tuscus: Sceffer, Archiv XII, 443. Durdaus unver- ftändlich ift mir, wenn Schirrmacher meint, die Annahme des Auszugs am 18. Auguft erwiefe ſich als eine Unmöglichkeit, „zumal die Nömer das Heer per duas dietas begleiten durften“. Diefe von Saba Malaspina, Del Re II, 274, erzählte Begleitung per duas dietas fonnte dody bei einem Ausmarſch am 18. ebenjo gut ftattfinden, wenn nur die Römer ſich zu einem etwas ſchnelleren Tempo verftanden, als bei dem „immer langjam voran“, das wir mit dem 10. Auguft in den Kauf nehmen müfjen.

2 Noch am Schlachttag felbft, 1268 Aug. 23, erlaffen, zuletzt gedruckt Del Giudice Ile, S. 185 Nr. LVII. Zum Bergleid) muß ftets der am 24. Aug. an Padua gerichtete Brief, ib. 190 Nr. LVII herangezogen werden,

3 Der Brief an Padua macht den Senator Heinrid) namhaft.

* An Padua: appropinquarunt,

5 An Padua: insequentes.

6 Barianten: Tieleri, Tecli.

? ®arianten: Martitana, Marsiana.

° An Padua: quod dicti hostes per Sculcule partes ingressi spera- bant libere pertransiti via recta descendere et venire Sulmonam et exinde ire Luceriam.,

® So wäre im Tert zu leſen nad) einer Variante ftatt Scultule,

Variante: Tanoii.

11 Dazu theilt Del Giudice die Varianten mit: Avizani, Avezini, die ge nugfam zeigen, daß hier Avezzano gemeint if. Das letztere beftätigt der Brief an Padua: villam Anzanii.

12 An Padna: maturis gressibus procedentes

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prope Albam, qui per duo parva milliaria distabat ab hosti- bus, ex quo campus Placentinus se explicat, iter meum prosequendo perveni et hostium exinde castra prospiciens, quia gens mea et equi potissime pro labore nimio faticati, deliberavi, et jussi castrametari in eodem colle exercitum christianum.

Taffen wir zunächſt die allgemeine Lage ind Auge. Conradin war der bequemfte Weg ins Königreich, über Geperano nämlich, ver— jperrt. Er mußte alfo über das Sabinergebirge, oder dajjelbe auf weiten Umweg im Norden umgehend feine Bereinigung mit den Auf— ftändifchen im Königreich, zunächit mit den Saracenen von Yuceria fuchen. Dieſen Hauptzwed Conradins hebt Karls Siegesbericht an den Papſt jehr bejtimmt hervor.

Aus der hier in Frage kommenden Stelle diejes Siegesberichts haben nun Del Gindice fowol wie Schirrmader Dinge herausge- fejen, die im demfelben abjolut nicht ftehen. Se per tre giorni Vesereito vagò per la regione Marsicana, si deve dire, che era giä giunto a confini nel 19. Agosto, e si puö credere che ciò avesse potuto avenire, partendosi il 18. da Roma, meint Del Giudice. Aber Karls Brief fagt von einem dreitägigen Schweifen Conradins in der Marjicana feine Silbe; der ganze auf diefe willführliche Annahıne gegründete Schluß zerfällt alfo in Nichts. Schirrmacher fchreibt!: „Drei Tage und drei Nächte folgte Karl den Dperationen des Heeres, dann verlor er die Spur“. Da darf man wol fragen, hatte Karl denn überhaupt eine Spur, um diejelbe ver- lieren zu fünnen? Es genügt ein Blid auf die Karte, um zu zeigen, daß die Angabe des Briefes von einer Verfolgung durd) drei Tage und drei Nächte ? nicht im ftrengen Sinn wörtlid) genommen werden darf. Die beiden feindlichen Heere find durch das Gebirge getrennt, von einer Fühlung zwiſchen beiden kann feine Rede fein, darum aud von feiner eigentlichen „Verfolgung“. Auf die Kunde, dag Conradin feinen Marſch gegen das Königreicd) angetreten, beginnt auch Karl feine Bewegungen. Conradin fucht einen UWebergang über das Ge— birge querentes foramina per que possent latenter ingredi in feinem Schladhtberiht an Padua fpecialifirt Karl das latenter’

9.0.0.6. 373.

2 Der Brief an Padua fpricht von viertägiger Berfolgung: nos eos de passu in passum per quatuor dies et noctes totidem insequentes et etiam persequentes. Del Gindices und Schirrmaders Verhalten diefer ab- weichenden Angabe gegenüber ift nicht zu billigen; Schirrmacher Del Giudices Anficht oben im Tert meint ©. 571 Anm. 4: „übrigens ſpricht Karl in feinem Brief an die Paduaner fogar von viertägiger Verfolgung“, Es hat nicht die geringfte Wahricheinlichkeit, daß Karl im zwei woejentlich gleich conci- pirten Briefen ſich einen ſolchen Widerjpruch feiner Ausjagen hat zu Schulden fommen lafien. N wird e8 heißen entweder oder, und da wird man fidh nad) der handfchriftlichen Weberlieferung für den Brief an den Papft und feine drei Tage entjcheiden müfjen, da der zweite nur aus dem Chron. Paduanum

befannt ift,

581

nod) weiter: foramina per que sine ullo nostrarum virium obice possent ingredi. Karls Aufgabe fonnte nur fein, Conradin bie BVerbindungslinie mit den Aufftändifchen im Königreich zu verlegen. Er weiß nicht, wo der Feind den Uebergang verfuchen wird, er muß daher fo zu jagen überall zugleich fein. Dazu die raftlofen Märfche, drei Tage und drei Nächte lang. Dieſe ganze Situation fchliekt jede Möglichkeit einer „Verfolgung“ und, darf ich Hinzufegen, eines „DBerlierens der Spur“ aus.

Es hat denn auch wirklich nicht viel gefehlt, und alle An— ftrengungen Karls wären vergeblich gewefen. Ich kann nämlich Schirrmacher nur beiftimmen, wenn er jagt!: „Karl fcheint ſich in der Täuſchung befunden zu haben, den Feind im Aternothal erwarten zu müſſen“ benn er fommt wirflih, al8 er die Kunde vom ge= Iungenen Gebirgsübergang der Gegner erhalten hat tandem percepto ... quod per Titui * partes ingressi von Norden ber, von Dvindoli gegen den See von Avezzano herangezogen, um in geringer Entfernung vom feindlichen Heer, das bei Scurcola ftand, zu lagern, Mittwoch) 22. Auguft. Daß Karl ſich zu Dvindoli bes funden habe, als er zuverläffige Kunde von der Lagerung des Feindes bei Scurcola erhielt ?, ergiebt ſich aus der oben mitgetheilten Stelle ſeines Briefes unmittelbar wenigjtens nicht. Die weitere Angabe Schirrmaders, daß es Conradin gelang, am 21. Auguft nad) Scur- cola zu kommen, ijt nicht zu belegen. Nach den Ann. Plac. Gib., deren Wortlaut leider nicht ganz unzweideutig ift, ſchiene Conradin im Gegentheil erſt am 22. Auguft Hier angefommen zu fein ®. Auh da Karl am Morgen des 22. Auguft von Ovindoli auf- gebrochen, ijt eine durch nichts zu begründende Annahme Scirr- machers, die außerdem in Widerfpruch fteht mit der bejtimmten An— gabe der Gesta Ludov. IX., Karl habe um die Abenddämmerung feine Stellung in geringer Entfernung vom Feind erreicht, können wir dennunmöglich bei der großen Eile Karla annehmen, daß er zur dem furzen Marſch von Ovindoli bi8 auf das Schlachtfeld den ganzen Tag von Morgens bis Abends verfchwendet hat ®.

Nimmt man die Angaben des Briefes, jo wie fie find, ohne Fremdes in fie Hineinzulefen, jo geben fie nicht nur feinen Anhalts—

ı 9.0.0.6. 378. i

? Eine Erflärung, welche Dertlichfeit damit gemeint, fehlt bei Del Giudice und Schirrmacher, und aud ich vermag fie nicht zu geben, wenn nicht etwa nad) den oben mitgetheilten Varianten an eine bloße Korruption für Sculcule gedacht werden darf.

s So Schirrmacher a. a. O. ©. 378,

S. 528: Et cum fuisset in valle Albe 10. exeunte Augusti, Karulus cum gente sua ultra aquam cui Riale dieitur apparuit.

° Duchesne Ser. V, 379: .. contra hostes intrepide iter arripuit. Vix enim portionem requiei militibus suis et equis deputans, in tantum continuavit laborem itineris, donec circa horam crepusculi prope inimicorum tentoria, segregante cos tantum parvi fluminis alveo, castra fixit

582

punkt für die Annahme des zehnten Auguft als Tag des Ausmarjches, ſondern fprechen ganz entjchieden für dem achtzehnten. Am 22. Auguft jtehen fich die beiden Heere gegenüber an der Stelle, wo am folgen- den Tage die blutige Entjcheidung fallen ſollte. Karls dreitägige Märfche füllen entweder die Tage vom 19—21., oder 20—22. August; beſtimmte Entiheidung, ob fie am 19. oder 20. begonnen, wird bei dem mitgetheilten Wortlaut des Briefes faum möglich fein. Daß die Kunde von Conradins Aufbruch gegen die Grenzen des Königreich finibus propinquarunt in einem Tage zu Karl gelangt jei, wie man annehmen muß, wenn man den Beginn von Karls dreitägigen Märjchen auf den 19. anjegt, zwingt zu der Ans nahme eines vortrefflihen Sicherheitsdienftes auf franzöfiicher Seite, zu deifen Organijation aber Gonradins langer Aufenthalt zu ont Zeit genug gelajjen hatte. Daß aber für Conradins Marjch von Kom bis in die palentinifche Ebene fünf Tage vom 18—22. Auguft vollauf genügten, wäre meiner Anficht nach unzweifelhaft auch ohne die ausdrücdliche Bemerkung der Ann. Plac. Gib., daß Conradin Schnell marſchirte cepit festinare gressus suos.

Den 10. Auguft als Tag des Ausmarfches geben uns zwei Benuber der verlorenen Gesta Florentinorum, Billani ! und Si— mone della Toſa?. Dagegen nennt Ptolemäus von Yucca, ein anderer Benutzer der verlorenen florentiner Quelle, zweimal, in feinen Ann. Lucens. und in der Hist. eceles. den 18. Auguft?. Da nun aber die zwei Stellen des Ptolemäus fich auf eine redyciren, weil die Annalen jchon in der Sirchengeichichte benußt find, da weiter der jehr nah verwandte Wortlaut der Annalen und Della Tojas verbürgt, daß hier von beiden die Gesta wiedergegeben werden, weiter aber auch Billani den 10. Auguft nennt, jo nahm Sceffer an, daß in den Gesta der 10. Auguft angegeben war, und der 18. des Ptole— mäus auf einem Schreibfehler beruhe. Bei feiner weiteren Be— merfung abert: „Ihm mit GCherrier, Gregorovius und Reumont den Vorzug geben, iſt ebenſo jehr ein kritiſches Verjehen, als e8 Ueberfluf, gegen Ptolemäus und, wie Schirrmader . ., zugleich gegen Jordanus zu Felde zu ziehen“, jtellt ſich Sceffer zu einjeitig auf den Boden der florentiner Weberlieferung allein. Selbſt ganz abgejehen von dem möglichen Spiel des Zufalls, ein und derjelbe Coder der Gesta mit dem falichen Datum 10..Augujt Habe Billani und Della Toſa in die Irre geführt, Ptolemäus aber aus einem andern Goder derjelben den richtigen 18. Auguft einfach abgejchrieben, und angenommen, die Gesta haben wirklid) den 10. Auguft gehabt, ic glaube nicht, daß

ı VII, 25.

2 Sceffer, Archiv XIL, 465. Paolino di Piero und der ſ. g. Anony- mus Florentinus geben feinen Zag an.

s Daß jein Abjchreiber Jordanus neben ihm nicht, wie von Schirrmacher geichehen, beionders in Rechnung gebracht werden darf, hat Sceffer a. a. ©. und bei v. Sybel a. a. O. ©. 435 hervorgehoben.

1 A. a O. XU, 466 N. 1.

583

fie irgendwie die bejtimmte Angabe der Ann. Plac., für die alle innere Wahrfcheinlichkeit jpricht, zu entfräften vermögen. Zugleic) wird man bei diefer Annahme Sceffers den „Schreibfehler“ des Ptolemäus wohl eher unter den Gefichtspunft einer „Eorrectur“ bringen dürfen. Endlich darf Hier am Schluß unferer Ausführungen gerade wegen diefer Angabe des Ptolemäus das als wahrjcheinlich be— zeichnet werden, dem amı Anfang ausgewichen werden mußte, daß nämlich die 26 Zage der Ann. Plac. fo zu zählen find, daß fie auf den 18. Auguft führen.

4. Hrkunden zur Geſchichte Conradins.

Schirrmacher veröffentlichte! neuejtens das Fragment einer Ur— Funde, das bereit8 früher aus demjelben Turiner oder ? durd) Dönniges befannt gemacht war ?, und bezog daffelbe, zweifellos richtig, auf Eonradin *,

Das Aftenftüd, dem dies Fragment angehört, findet fic) voll ftändig in einem Cod. chart. saec. XIV. zu Florenz, Magliabech. XXV, 341. Ich laſſe daſſelbe nad) Fickers mir mit gewohnter Sreundlichkeit zur Verfügung gejtellter Abjchrift Hier zunächſt im Wortlaut folgen, um einige Bemerkungen zur Grläuterung jpäter beizufügen. _

Corradus secundus dei gratia Romanorum in regem electus, Jerusalem et Sicilie rex, dux Suevie. Prineipibus °, marchionibus, comitibus, comunitatibus® omnibusque totius imperii fidelibus suam benivolentiam et gratiam cum salute. Requirit imperatoria celsitudo, que nutu divino interposito nostris humeris admietenda, quod fideles imperii requiramus et res fiscales in omni suo robore confirmentur. Expectans expectavi jam diutius a venerabili papa domino Clemente et Urbano ? memorie bone predecessore suo sancte Romane ecclesie, quam semper matrem et dominam recognosco, ad imperii electionem regnique Sieilie et Apulie cessionem *®, quod attenus fuit Romani imperatoris domini Frederigi et Corradi regis Sicilie bone ®? memorie, scilicet patris nostri, post obi-

ı Die Testen Hohenftaufen S. 597.

® Msc. Bibl. Taurin. f. 70 durch Elaretta.

° Dönniges, Geſchichte des Deutſchen Kaiſerthums I, 335.

* Die Anmerkung Schirrmachers zu feinem Abdruc des Fragments: „Seit- dem mir das ganze Fragment vorliegt, kann ich es nicht, wie ich gethan Habe, auf Conrad IV. beziehen“, verftehe ich nicht, da das Fragment in ganz gleichem Umfang von Dönniges herausgegeben war.

5 Der jehr fchlecht geichriebene Codex hat: principalibus.

6 oder: comitatibus,

? oder: verbis.

s Es fehlt das Verbum.

° Fehlt im Coder.

584

tum cujus Manfredus, vir! nobilis et illustris, natus olim ipsius domini Frederigi, vietoriosissimus retinebet *. Ad illam potius aliquam et cum non ® prenominata venditam rationem pertineat*, quamquam a talibus concessionibus sim dejectus. Video namque pontificem sancte matris ecclesie tramitem excedere rationis, que quidem sunt verba incredibilia et inaudita, nequaquam aliqua ratione inspecta, jus et justitiam concennando cui dedeceat, alii supervenienti, fratri ® regis Franeie, locaverit rengnum meum. Heu qualiter dormivit amor domini, imposita Petri sedi® et mundi cardinalibus pietas est obsconsa! Cui preberi debet justitia, ei judieium exibetur, Italicorum et Alamanie principes conculcando, ut ex toto perdereut dingnitatem et in Gallicos imperialis ex- cellentia deveniret. Non enim tantum vereor nec rengni doleo cessionis, quantum mortis Manfredi, viri nobilissimi, sum afflietus et christianorum mangnatum, qui propter honorem Ligurie et Alamanie dingnitatem se ipsos exposuerunt ad mortem. Contra quos crucem quemadmodum contra hereticos et paganos universaliter predicari fecerunt, ut ejus ingenio’' destruerent® gentem nostram. Accedite ergo et videte grande perieulum et abhominabile scelus, ferventium crudelitate ne- fandam ®? presumptionem, quod non permiserunt tantorum !' mortuorum corpora seppeliri, sed potius dimiserunt avibus feris et bestiis devorari, de quo celum palescere, terra tre- mere debuerunt, et solis radii '! nube tegi. Cum igitur ad partes vestras venire disponam!? potentia violentia et nutu divino Alamanie prineipes in mei favoris suffragium potentissime sint parati ad rengnum ’? recuperandum Italicorumque "

1Coder: vir Manfredus.

2 E8 fehlt das Object.

® nisi?

Es iſt mir nicht gelungen diefen offenbar ganz corrupten Eat zu emendiren,

5 Coder: fratis.

6 ftatt sede des Kober.

So ber Coder.

® Coder: destruerunt.

® Koder: ferventiam crudelitate nefandi.

Bon hier an war das Aftenftüc früher gedrudt.

11 So der Eoder; Dönniges: radius, Schirrmader: radiis.

12 Eo die früheren Drude, der Eoder das durch die Eonftruction verbotene disponamus.

13 Statt diefer im oder und den früheren Druden übereinftimmenden Stell wäre vielleicht zu emendiren: potenter, voluntate et nutu divino.

14 Die früheren Drude: suffragio.

15 Die früheren Drude Hier und im ähnlichen Fällen ſtets die correct: Form regnum und dergl.

16 Die Drncke: Italicorum

585

honorem et Alamanie dingnitatem, ideirco ! fidelitatem ? et universitatem® vestram monendo requiro*, quod in adventu mei sollicite ac attenti auctore domino taliter existatis?, quod mecum prineipes recipiantur a vobis et alii singuli venientes, vos autem equis et armis ita paratos valeam ° invenire man- gnifice, quod videatur nostra sopita potentia vigilare, et quod assolet® diutius non dormitet, sieque” possidentes agrum Sieilie rengni mei'’ et usurpantes!! indebite aliena corrigan- tur in eorum excessibus, sicut!? decet nostrumque dedecus vindicando!”. Nempe si divinam nequeo fugere'* ultionem, nullatenus est mirandum, cum hiis, quibus sunt divina per scripturam commissa, non solum suffieit, quod mihi rengnum Ytalie subtraxerunt, sed conantur!® assidue addere !’ mala malis, injurias inculcare injuriis, contra me anathematis sententias '” fulminantes. Quid enim peccaverim, deus novit, ingnoro, nec quod culpam aliquam misteriis ?? dei et’ ecelesie commisserim ??, nulla me conscientia reprehendit, verum ex quo in Urbe non invenio auditorem ?®, qui inter dexteram et sinistram justitiam et judieium ventilaret, ap- pellare ab eo ?* promoveor coram illo, cujus sunt sententie finaliter judicande, dum ejusdem tam iniqui processus ap- pellatio et querimonia non auditur ?®,

1 oder: ideico, Fehlt in den Druden.

? Coder: felicitatem.

8 Fehlt in den Druden.

* oder: requirimus,

5 So die Drude, Coder: insistatis.

° Die Singularform des Verbums übereinftiimmend mit der de8 Subjects bier auch im ober.

?” oder ftatt deffen in.

8 Eoder: quod assolet et.

9 Coder: sic quod.

10 Codex: nostri.

11 Codex: usurbantes.

12 oder: sicud.

13 nostrumgue dedecus fehlt in den Druden.

14 Die Drude: effugere.

15 So die Drude, Coder: scriptura.

18 So Codex, die Drude: conatur.

17 So ift zu verbefiern ftatt addicere im Eoder und den Druden.

18 Fehlt bei Schirrmacher, Dönniges hat e8, aber vor injurias wie aud) Schirrmacher: et.

19 Die Drude: sententiam,

20 Die Drude: quod,

21 Die Drude: ministeriis.

22 Gober fo.

23 So die Drude, Eoder: adjutorem.

24 Soder: ab ea, die Drude: appellare alta promoveor voce.

25 So die Drude, Coder: fideliter.

20 Diefer Sat fo in den Druden, im ober corrumpirt und ſchwer leſerlich.

XIV. 39

586

Die vollftändige Urkunde beftätigt, abgefehen zunächft von dem für Conradin unpafjenden Titel “in Romanorum regem electus’ aufs beftimmtefte Schirrmachers Beziehung des Fragments auf Conradin.

Zugleich aber wird es ſehr fraglich erfcheinen auch hier wiederum zunächſt von dem Titel abgejehen —, ob wir das Aften- ſtück als eine authentische Urkunde anfehen dürfen. Die Form bietet im Ganzen wenig Anftößiges. Die eigenthümlide DOrthograppie, rengnum, mangnatum, ingnoro, fällt wohl nur einem Abfchreiber, vielleicht dem Schreiber des Florentiner Coder zur Laſt, da das Turiner Fragment überall die correcten Formen bietet.

Befremdlich ift dagegen die einmal vorkommende Bezeichnung Italiens als Ligurien, auffallend auch der an anderer Stelle vor: fommende Ausdrud rengnum Italie, der nad) dem Contert doch nur als eine Bezeichnung für Sicilien genommen werden fan. Es wird weiter faum zu viel behauptet fein, daß der Sat: Italicorum et Alamanie prineipes conculcando, utex toto perderent dingni- tatem et in Gallicos imperialis exellentia deve- niret, in einer echten Urkunde nicht ſtehen kann. Die überaus günftige Beurtheilung Manfreds in dem Sag: Non enim tantum vereor nec rengni doleo cessionis, quantum mortis Manfredi viri nobilissimi sum afflietus, und vorher: vietoriosissimus retinebat, contrajtirt aufs jchroffite ınit dem harten Urtheil, das Con radin bei anderer Gelegenheit über Manfred geiprochen. Allerdings ift zu beachten, daß unfer Aktenſtück, wie Schirrmacher bezüglich des Tragments mit echt hervorgehoben Hat, als ein Manifeſt an die Staliener anzufehen ijt. Sm einem folchen wird man gewiß ein milderes Urtheil über Manfred erwarten dürfen, als das, welches Conradin den Deutjchen aussprechen konnte. Auf diefen Umftand hat mit Recht Schirrmacher bezüglich einer anderen Urfunde Conra— dins aufmerkſam gemacht!, auf die ich weiter unten zurückkommen werde. Hier begnügt Conradin fi, ftatt weitere Vorwürfe gegen den Fürften von Tarent zu erheben, mit der einfachen Bemerkung: qui princeps etsi predietum regnum de jure non tenebat. Dod wenn wir auch dieſem Umjtand gebührend Rechnung tragen, werden die überfchwänglichen Lobeserhebungen Manfreds immer noch als ein - Argument gegen die Authenticität unferes Aktenſtücks betrachtet werden dürfen.

Das oben erwähnte harte Urtheil Conradins über Manfred findet fi in der |. g. Protestatio *. Diefe ijt ein weitläufiges Manifeft an die deutjchen Fürſten, mit ausführlicher Darlegung der Rechte Conradins, feiner Verhältniffe zu Manfred und der Curie, ſowie der Ujurpation feines Reiches durd Karl von Anjou. Es

Wa O. 6. 550 Ann. 2; ©. 477 Anm. 1 über Conradins Briefe an die Zorriani Ann. Plac. ©. 523, % Reg. Eonradins 46,

587 erfcheint geboten, zur Würdigung unferes Aktenſtücks einen Vergleich) dejjelben mit der wefentlid) analogen Protestatio anzuftellen,

Die Form der Protestatio!, die in höchſtem Maaße rhetoriſch gehalten, bietet manches auffallende?. . Dahin rechne ich Wendungen wie: Innocentius, nocuit innocenti decoraverunt ornatibus et diversis decoribus ornaverunt terras nostras munifice distribuere cepit in suos consanguineos et nepotes, velut qui corrigias partitur amplas in corium alienum filium suis curis expositum sine cura postposuit, qui filium innoxium sive obnoxium potius exheredationis pena perperam condem- navit solent ad insolentias alterare fide si fidem ha- buerat in perfidiam permutata sophisticans in eo se do- minum offensio nascitur unde defensio sperabatur domino Urbano qui nobis extitit inurbanus Clemens non clementiam sed inclementiam potius operatus in nobis

ferens abhominabilem vitam nostram et verens in nostris juribus injuriam juraverunt defecit in potestate auctoritas et in auctoritate potestas penes vestram con-

scientiam habeatis nostram innocentiam excusatam. Weiter das häufige Vorkommen der Erelamation: Ha Deus! und die nicht minder häufige Anwendung von Fragefägen, alles Dinge, die ebenfo ungewöhnlich für eine authentifche Urkunde find, wie gewöhnlich für eine Stilübung, der ein gewandter Dietator ſolche Pointen und Gegen- füge als höchften Schmud einfliht. Aber ausnahmsweife könnte doch, zumal in einer Kanzlei, die wir uns wohl als nicht allzu vollendet denfen dürfen, auch eine echte Urkunde in diefen ungewöhn— lichen Wendungen abgefaßt fein. Selbft wenn die angeführten Einzel: heiten genügen jollten, die Protestatio als bloße Stilübung zu er— weifen, ihre Bedeutung für die Gefchichte Conradins würde fi) da— durch kaum vermindern. Die Protestatio fann nämlich, mag nun ihr Verfaſſer die Feder officiell für Conradin angefet, oder aus eigenem Antrieb das Aftenftüc als bloße Stilübung concipirt haben, ganz gewiß nur von einem außerordentlich gut unterrichteten Zeitgenofjen abgefaßt fein. Dafür bürgt die genaue und richtige Darftellung aller in ihr berührten Verhältniffe, dafür bürgen aber auch die Nachrichten, die wir theils ganz, theil® mit anderweitig nicht befannten Einzel— heiten ihr allein verdanken, Nachrichten, welche die höchſte innere Wahricheinlichkeit für fi) haben. Dahin rechne ic) die Nachricht über Unterhandlungen, die Alexander IV. durch den Biſchof von Deroli mit Conradin geführt hat ®, die Nachricht über Conrad IV. Zeftament und Uebertragung der Vormundjchaft über Conradin an

1 Ich benuße den Abdrud Ecod. msc. bibl. Athenaei Taurin. mit der falfhen Nummer: n. III. f. 10 fie follen richtig lauten D. 38, Dönniges Geſch. d. d. Kaif. I, 314 bei Dönniges Acta Heinriei II, 246.

* Schirrmader, der fie a. a. O. ©. 338 im Tert benußt, hat eine ge- nauere Erörterung derfelben nicht gegeben, fondern nur ©. 550 Anm, 1 ihre Abfaffungszeit beftimmt mit Gründen, denen ich mid) nur anſchließen kann.

3 Bergl. Schirrmacher a, a. DO. ©. 201 u. 488 Anm. 28.

39 *

588

ben Papft, die auch durd; Jamſilla beftätigt wird!; auch die An- gaben über die Unterhandlungen zwijchen Urban IV. und Manfred wird man hieher ziehen dürfen ?.

Zu einem Vergleich unſeres Aftenftüds mit der Protestatio fordert nicht nur der erwähnte Umftand auf, daß beide als Gegen— ſtücke bezeichnet werden Fünnen, jondern auch der weitere, daß beide Urkunden in demjelben Turiner Coder fich finden 9.

Der Bergleich der Protestatio mit unferem Aktenſtück fällt durd- aus zum Nachtheil des letzteren aus. Statt des reichen thatfächlichen Inhalts der Protestatio, der in einzelnen Punkten felbft eine weſent— liche Bereicherung unferer Hijtorifchen Kenntniſſe bietet, giebt uns

unfer Aftenftüc im der Hauptfahe nur Phrajen ohne Details. An

den wenigen Stellen, wo Anläufe zu concreteren Mittheilungen ge macht werden, find diefe fehr fragwürdiger Qualität. Der Sat: Expectans expectavi jam diutius a venerabili papa domino Clemente et Urbano memorie bone predecessore suo . . ad imperii eleetionem regnique Sicilie et Apulie cessionem_ [se. vocari], verräth eine totale Unfenntniß der wirklich beftehenden Ver— häftniffe und der Haltung der beiden genannten Päpſte in der ficilifchen Frage, wie wir fie in einer authentifchen Urkunde Conradins unmög— lich vorausfegen dürfen. Die Behauptung, quod non permiserunt tantorum mortuorum corpora seppeliri, sed potius dimiserunt avibus feris et bestiis devorari, enthält nur Unrichtiges, fogar unter der Vorausſetzung, daß dem BVerfajjfer die Ausgrabung und Wieder: beerdigung der Leiche Manfreds durch den Biſchof von Cofenza vor: geſchwebt habe*. Sie find nur geeignet unfere oben ausgejprocheue Meinung zu unterftügen, daß wir es mit einer Stilübung zu thun

aben.

u Zugleich aber fcheint es nach diefem Vergleich nicht unmöglid, daß der Verfaſſer unferes Aktenſtücks die Protestatio gefannt und für daffelbe benutzt habe. Es finden fich zwilchen beiden mehrfache Leber: einſtimmungen, deren jede einzeln für jich nichts beweiſt, die aber in ihrer Geſammtheit doc) wohl der legten Vermuthung zur Unter: ftügung dienen werden.

Protestatio : Die Stilübung:

Salva tamen in omnibus ecclesie] ecclesie Romane, quam semper catholice sanctitate, quam cultu | matrem et dominam recognosco. sacro et debita reverentia toto corde et corpore veneramur.

ı Schirrmader S. 70 u. 424 Anm. 1.

2 Schirrmader ©. 220 n. 449 Anm. 50.

3 Vergl. Dönniges, Geſchichte des Deutichen Kaiferthums I, 314 ff. Der oder, dem vor dem Fragment unferer Urk. fol. 70 mehrere Blätter fehlen, ift geichrieben „größtentheil® gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts”. Die jehr zahlreich vorlommenden Toskaniſchen, Bolognefiihen, Ravennater u. ſ. w. Stüde fönnen als Fingerzeig dienen, daß diefer in feinem Inhalt fonft fehr bunte Formularis urſprünglich Mittelitalien angehört haben mag.

* Bergl. Schirrmader a. a. DO. ©. 296 u. 534 Anm. 33,

——— ———

589

Nam Saracenos Lucerie, contra uos dominus papa crucen sumen- m fecerat predicari et in quorum gentes excidium seducte fuerant et abducte, salvos illesosque ser- vavit; et christianos miseros non solum exhausit rebus, sed occidit innumeros et afflixit mille generibus tormentorum. Aperite oculos et videte, qualiter isti sub recti specie mundum decipiunt et elu- dunt; et_videte, si eis iterum in eodem negotio sit credendum, vi- dete,quomodo cruceChristi fallaciter in christianorum perniciem abutuntur. dum nos intra sepem imperii la- teremus, quasi jacentes humiliter attoniti vel absconditi sub obscuro intendebat .. contra nos .. ex- communicationis sententiam fulmi- nare,non reputans esse satis,

quod contra deum et omnem justi-|..

tiam ablatum fuerat nobis regnum.

Adhuc etiam idem pater a per- secutionum instantia non desistens, sed omnem viam et modum ex- cogitans, quibus nos posset per- petuoconculcare, si diei liceret, extendit ad illicita manus suas, et falceem mictens in nostram messem, prefatum Carolum per univer- sam Ytaliam Romani vica- rium imperii statuit in no- stram injuriam manifestam, ut com- modius vires nostras reprimeret et accessum nostrum ad regnum facilius impediret.

Quidunquammalifecimus, o sancta mater ecclesia, quod in nos tuum devotum fillum olim pu- pillum tue tutele comissum per tuosrectores sic aspere novercaris ? In quo te unquamoffendimus, o ve- nerande pater, quod ita conversus in vitricum nos multimode pro- sequeris et injuste? Forte verum- tamen gravem offensam reputas, quod vivimus super terram. Cum sciat deus, nos aliam nesci- amus.

Contra quos crucem quemad- modum contra hereticos et paganos universaliter predicari fecerunt, ut ejus ingenio (vielleicht in signo ?) destruerentgentemnostram. Accedite igitur et videte grande periculum et abhominabile scelus.

quod videatur nostra sopita po- tentia vigilare et quod assolet diutius non dormitet.

nonsolum sufficit, quod mihi rengnum Ytalie subtraxerunt, sed conantur assidue addere mala malis contra me anathematis senten- tias fulminantes.

Heu qualiter dormivit amor do- mini, imposita Petri sedi et mundi cardinalibus pietas est obsconsa, cui preberi debet justitia, ei ju- dieium exibetur, Italicorum et Alamanie prineipesconculcando, ut ex toto perderent dingnitatem et inGallicosimperialisex- cellentia deveniret!.,

Nempe si divinam fulminan- tes. Quid enim peccaverim, deusnovit, ingnoro, nec quod culpam aliquam misteriis dei et ecclesie commisserim, nulla me conscientia reprehendit.

Es zeigen jich hier bei einzelnen auch wörtlichen Anklängen mehr-

ı Iſt meine Annahıne begründet, fo zeigt gerade dieſe Stelle beſonders ſchlagend, wie ungeſchickt in unſerm Altenſtück die von der Protestatio gebotenen

Anhaltspunkte verarbeitet find.

590

fache Uebereinftimmungen im Gedanfengang. Nehmen wir dazu die fteten Beziehungen unjeres Aktenſtücks auf die deutfchen Fürjten und ihre fir Conradins Sache bereite Unterftügung, fo wird man vielleicht die Annahme, daß der Verfaſſer unferer Stilübung die Protestatio, die fi) an die Deutjchen wendet, gefannt und benußt habe, um ihr ein an die Italiener ſich wendendes Gegenftüd an die Seite zu ftellen, als wenigſtens nicht ganz unbegründet gelten laſſen.

Demfelben Cod. Magliab. XXV, 341 entnahm Ticker noch eine zweite Urkunde Conradins, die hier ebenfalls Platz finden möge.

Corradus secundus dei gratia Romanorum in regem elec- tus ete. Noverit ille per quem vivimus et cui nichil estat incognitum, quod semper ! hodie, qua versus partes Italicas cepimus iter nostrum pro recuperatione hereditatis regni nostri, tenaciter in corde gessimus per Ytaliam statum ponere paci- ficum et concordiam generalem, sedare discordias et utramque? partem comuniter et singulas in equitate favere, ut non cen- seamur ® partialis dominus, sed comunis, et justitie ministrator ubilibet judicemur, ut Ytalieis sedatis malitiis et minis gaudeat unusquisque salutifero dominii nostri statu. Etsi* actenus preteriti conditione poscente emulo nostro Karulo Provineie comiti adhesistis, dum recolimus, quod id non potuit per vos® salubriter caveri®, molestum non gerimus nee miramur, cre- dentes indubie, quod ad subjacendum tam impio domino tamque”? injusto non voluntas, sed potius violentia vos coegit. Verum si amodo, quod potestis tam perfidum et iniguum do- minum evitare, quia videtis, quam mangnifice quamque miri- fice divina potentia tuetur causam nostram, in quantum pro- movet statum nostrum, sublimat et dirigit actus nostros, con- terit et anulat hostem nostrum et per omnem partem impedit actus suos, in eo quod hominis cor non possit hodie cogitare nec actenus potuisset, staretis in contumacia in nostris ser- vitiis et honore, miraretur excellentia nostra valde, et non sine causa graviter moveretur; propter quod devotionem vestram requirimus et ortamur rogantes, quatenus, dimisso errore, in quo dudum stetistis inviti, voluntarii et celeres® re- deatis ad fidei nostre cultum nostraque ? servitia et honores,

1 €8 fcheint vor hodie zu fehlen usque.

2 Soder: utranque.

3 oder: censeatur.

So ftatt Eoder: salutifero domini nostri statuet si. 5 Gober: nos.

8 Coder: cautam.

? &oder: tam.

8 Coder: celebres.

9 Eoder: nostramque.

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opponentes vos! sine mora qualibet predieto Karulo hosti nostro tam viriliter quam potenter, Provinciales et Francigenas et Picardos et aliam gentem suam, qui se in vestra ? potentia receperunt, facientes viriliter, realiter et personaliter detineri, ut ex hoc grandi servitio et accepto, quod a nostra memoria perpetuo non labatur, inveniatis omni tempore gratiam nostram vobis benevolam et paratam. Quidquid autem super hiis...? vestra prudentia faciendum, hine ad diem sabati proximam per totam diem nostro culmini * nuntietis, ut vostra congnita voluntate mangnificentia nostra discernat, qualiter erga vos tam de gratia quam de jure nos gerere debeamus. Nam fecimus has litteras in quaternis mangne nostre curie re- gistrari; igitur, si transierit terminus predicetus a vobis rex- ponsione non accepta et inde aliquod ingratum vobis acei- derit, non nobis sed vobis et vestre negligentie solumodo reputetur.

Abgeſehen zunächſt auch hier wieder von dem für Conradin un— pajjenden Titel eines erwählten römischen Königs, bietet die Urkunde meines Erachtens nichts, was gegen ihre Authenticität befonderen An— ftoß erregen fünnte. Wohl aber finden fich Einzelheiten, die gegen die Annahme, auch diefe Urkunde fei bloße Stilübung?, ſich geltend machen lajjen. Dahin wird man rechnen dürfen die genaue Zeitbe- ftimmung des dem Adreſſaten zur Abgabe feiner Erklärungen ges ſetzten Termins: hine ad diem sabati proximam. So etwas wird ein Stilift nicht leicht frei erfinden. Auch die Bemerkung am Schluß: Nam fecimus has litteras in quaternis mangne curie registrari, dürfte kaum als das Erzeugniß ftiliftiicher Phantafie anzufehen fein.

Unter der Vorausſetzung aber, daß wir e8 hier mit einer echten Urkunde zu thun Haben, wird fic der Adreffat und die Zeit des Schreibens genauer ermitteln laffen.

Im Allgemeinen ergibt ſich ſchon aus dem Anhalt felbft, daß die Urkunde der erften Zeit von Conradins italienischen Zuge angehört : hodie qua versus partes Ytalicas cepimus iter nostrum. Die überaus ſelbſtbewußte Sprache Conradins quia videtis, quam mangnifice quamque mirifice divina potentia tuetur causam nostram, in quantum promovet statum nostrum, sublimat et dirigit actus nostros, conterit et anulat hostem nostrum et per omnem partem impedit actus suos widerfpricht diefer Annahme nicht, da die guten Nachrichten über die Fortfchritte feiner Anhänger jowohl im Königreich wie in Rom fie fehr erklärlih machen, befon- ders wenn wir annehmen, daß die Urkunde erlajfen wurde, nachdem

1 Coder: nos.

3 ober: nostra.

® Im Cod. ein umnleferliches Wort, vielleiht decreverit.

* Coder: culmine,

5 Der Eoder enthält nah Fickers Mittheilungen meben offenbaren Stil- übungen auch nicht wenige echte Urkunden,

592

der thatenlofe Aufenthalt in Verona beendigt und der Weitermarſch, zunächſt nad) Pavia, angetreten war.

Unzweifelhaft ergiebt jic weiter aus dem Inhalt, daß wir dem Adrejfaten in Keichsitalien, nicht im Königreich zu fuchen haben: tenaciter in corde gessimus per Ytaliam statum ponere pacificum et concordiam generalem, sedare discordias et utramque partem comuniter et singulas in equitate favere.

Weiter aber folgt aus dem furz bemefjenen Termin am Schluß, daß der Adreffat von dem Ausftellungsort der Urfunde nicht weit entfernt geweſen fein kann.

Die Urkunde verlangt von dem Adrefjaten, unter dem wir nad) dem ganzen Inhalt am eheiten eine Stadt vermuthen dürfen: qua- tenus .. . opponentes vos... . predicto Karulo hosti nostro tam viriliter quam potenter, Provinciales et Francigenas et Picardos et aliam gentem suam, qui se in vestra potentia receperunt, facientes viriliter realiter et personaliter detineri. Diefe Stelle legt ung die Frage nahe, wo etwa in Oberitalien, an das wir zunächit denken müjjen, zu folcher Aufforderung Beranlafjung gegeben war? Sie läßt fi in erwünſchter VBolljtändigfeit beantworten mit Hülfe der ghibellinichen Annalen von Piacenza. Aus ihnen er— fahren wir, daß Karl von Anjou in der Lombardei, wo er ben Städten Piacenza und Cremona die Podejtäs fette, ein kleines Corps von 400 Mann unter dem Befehl feines Vicars Wilhelm L' Etandard unterhielt !.

Dieſe Truppen verweilten, wie uns die Annalen weiter belehren, zu Piacenza? Wir werden unter diefen Verhältniſſen vorläufig wohl an Piacenza als Adrejjaten unferer Urkunde denken dürfen.

Nach dem früher über den kurz bemejjenen Termin Bemerkten muß der Ausstellungsort nicht zu weit von Piacenza gejucht werden. Conradin hatte, am 17. Januar von Verona aufbrehend, am 20. Pavia erreicht, wo er bis zum 22. März blieb’. Ohne weitere Anhaltspunkte jogar würde die Vermutung kaum zu gewagt er- Icheinen, daß unfere Urkunde zu Pavia erlaffen fei. Glücklicherweiſe aber bieten die Annalen der Anhaltspunkte fo viele, daß wir nad ihnen mit einer an Sicherheit ftreifenden Wahrfcheinlichfeit den bisher ausgefprochenen Vermuthungen gemäß die Urkunde einreihen Fönnen. Die dominico 3. exeunte Januario, erzählen die Annalen ?, mi- licia regis cum Papiensibus ceperunt et combuxerunt Laudem regiam, et tunc rex misit suos nuncios adcivitates et marchiones, ut obedirent, set nullus de Lom- bardia excepto Alberto marchione Malaspina obedire voluit.

! Ann. Plac. ©. 524: Eodem tempore (1267) Cremonenses et Pla- centini acceperunt per comitem Karulum potestates; et erat Guillel- mus Standardus vicarius istius comitis in Lombardia cum 400 militibus Provincialibus.

% Ann. Plac. ©. 525.

® Ann. Plac. ©. 524 u. 526.

4 ©. 524.

593

Eine Aufforderung ut obedirent mit einer für Pincenza pafjenden Specialität ift unfer Brief. Nach dem Wortlaut der Annalen bleibt. e8 allerdings zweifelhaft, ob das ‘tune’ beſtimmt ſich auf den vorher- genannten Tag, Sonntag 29. Januar, beziehen fol, oder nur appro= rimativ gebraucht iſt. Man wird alſo nicht beſtimmt den 29. Ja— nuar als Datum unferer Urkunde bezeichnen dürfen, wohl aber, da der in ihr gejtellte Termin „bis zum nächſten Samftag“ nur den Spielraum einer Woche nennt, den in der Urk. genannten Samftag auf Samftag 4. Februar beziehen dürfen. Als wahrſcheinlich mag - daneben bezeichnet werden, daß der Urkunde das Datum Pavia, Sonntag 29. Januar, zufomme.

Schon aus der zuleßt angeführten Stelle der Annalen wiffen wir, daß die Aufforderung Conradins zum Gehorfam ohne Einfluß auf die Entſchließungen der Piacentiner geblieben if. Die Annalen beftätigen das noch im Einzelnen durch ihren weiteren Bericht: Die jovis, secundo mensis Februarii, comes Ubertinus de Lando, qui erat ad rocham suam de Bardi, eivis Placentie, cum 70 militibus forestatis de Placentia de parte sua intravit civi- tatem Papie ad regem Conradum, jurando ei fidelitatem et eonsilium ejus, et domnus rex confirmavit ei totum comitatum Bonafrie, adjuncto sibi comitatu Murisii!; bejonders aber durch eine folgende Meittheilung, daß die am Ende unferer Urkunde für den Tall des Ungehorfams von Conradin ausgefprochene Drohung wirf- (ich, freilich ohne Erfolg, ausgeführt worden ift: Die Mercurü 8. mensis Februarii comes Ubertinus de Lando cum 100 mi- litibus forestatis de Placentia et 1000 militibus Theotonieis et milieia Papie ad tractatum prepositi de Fontana et Guido- nis et Zagni fratrum ejus, qui nuper de civitate Placentia exierant vielleicht auf Conradins Schreiben Hin? equitavit nocte silenti usque ad portas eivitatis Placentie. Guido de Fontana habebat cum militibus pennonum pinetum ad arma sua, et Zagnus ejus frater cum navibus et populo cum alio pennono per aquam ire debebat; set populus Papie noluit ire, sieut ordinatum erat a Monticellis infra; bene enim intrassent omnes in eivitate absque ? aliqua contradietione; fuerunt milites usque ad portas eivitatis, quod intrinseci non perpen- derunt, magnus enim timor et tremor fuit in ceivitate. In defensione cujus eivitatis erant 400 milites Provinciales pro comite Karulo.. Unde cum viderent, quod non possent ibi aliquid facere, reversi sunt homines et bestias capiendo et domos quam plures comburendo.

! Molisii.

2 So corrigirt die ed. pr. zweifellos richtig da® in M. G. SS. XVII beibehaltene ab.

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Es erübrigen noch ein paar Worte über den fir Gonradin na— türlich unpaffenden Titel ‘Romanorum in regem electus’, den er in den beiden befprochenen Urkunden führt. Am nächiten liegt wohl die Vermuthung, daß ein fpäterer Abfchreiber der Urkunde, verleitet durch den gleichen Namen des Ausftellers, die Titulatur der Urkunde vorgejegt Habe, deren fich bekanntlich Conrad IV. ſtets ausſchließlich bedient. In der erjten Urkunde, die ich als bloße Stilübung dar— zuthun fuchte, dürfte auch die ganze Arenga: Requirit imperatoria confirmentur, die zu dem Anhalt des Altenſtücks abjolut nicht paßt, ähnlicher Herkunft fein. Diefe näherliegende Annahme erfcheint mindejten® viel wahrjcheinlicher, al8 etwa die Vermuthung, daß ein Späterer bei Einreihung der beiden Aftenftüce in einen Formularis nach dem Inhalt derjelben fich berechtigt geglaubt habe, dem Ausjtelfer den Titel eines erwählten römischen Königs beizulegen. Ich erwähne der letteren nur, als ja wirklich an Punkten der Art in beiden Stüden fein Mangel ift. Gleich) am Anfang der Stilübung fpricht Conradin von feinem langen Harren auf die päpftliche Berufung ad imperii electionem, ein Ausdrud, der, nebenbei bemerkt, nicht jehr für die Klarheit des Stiliften in ftaatsrechtlichen Dingen ſpricht. Auch die zweite Urkunde wendet ſich ganz abgefehen von dem oben gewonnenen Refultat offenbar an Bewohner von NReichsitalien und nicht des Königreiches. In dem oben verfuchten Nachweis, daß die erjte Urfunde nur eine Stifübung fei, habe ich diefe Punkte ab— fichtlich bei Seite gelaffen, da fie für die dort ventilirte Frage neben— ſächlich find. |

Daß Conradin und feine Umgebung wirklich) hochfliegende Pläne verfolgt haben, ift befannt. Sicilien war nur ihr erjtes Ziel, ihre Träume gingen weiter auf das Kaiſerthum. Conradin, der Spröß— ling Faiferlicher Ahnen, der felbft die Erwartung ausſprach: ut illud magnificum genus nostrum, quod jam longis et antiquis tem- poribus imperavit, nostra non degeneret in persona®, durfte ſolche Hoffnungen um fo eher hegen, als er ja zweimal, 1262 und 1266, ZThroncandidat in Deutfchland war °, vielleicht auch ſchon in den Wahlverhandlungen vor der Doppelwahl von 1257 fein Name genannt worden iſt“. Martin IV. hat jpäter Conradin offen des

1 Daß ber Florentiner Coder keine Urkunden Conrads IV. zu enthalten ſcheint, vermag dieſe Vermuthung natürlich nicht zu erſchüttern.

2 Protestatio a. a. O. S. 250.

3 Forſchungen z. D. ©. XI, 135 und Anm. 5. 6.

+ Meitere Conceifionen als dieſes „vielleicht“ Tann ich nach wiederholter Prüfung der Sache den Erörterungen von Schirrmacher a. a. O. ©. 453 Anm. 20 nicht machen. Feſtere Formen Hat das Wahlproject, gegen das Schirrmacher Alerander IV. Brief gerichtet anficht, ganz gewiß nicht ange- nommen gehabt, da die Eurie fonft, wie die analogen Fälle von 1262 und 1266 zeigen, den concreten Fall gewiß deutlich genug bezeichnet haben würde. Statt meines früheren Ausdruds „Präventivmaßregel für alle Fälle“ wäre wohl ridh- tiger zu fagen wegen des Zwifchenraums von 6 Monaten zwiſchen der Thronerledigung und dem Erlaß des Briefes „eine Mafregel vielleicht veranlaßt durch Gerüchte von einer beabfichtigten Erhebung Eonradins‘.

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Strebens nad dem Kaiferthum geziehen !, und zwar, wie verfchiedene Urkunden Conradins zeigen, mit Recht?. In einer Urkunde, auf die ich hier etwas näher eingehen möchte, jagt Conradin, während er fonft nur feine Hoffnungen für die Zukunft zum Ausdrud bringt, in Bezug auf das Kaiſerthum fehr beftimmt: cum .. nobis assi- due consulatur, quod, antequam progrediamur ad recupera- tionem regni nostri, provinciam Lombardie jugo imperii suppo- namus, und wirft am Schluß den Adreffaten ausdrüdlich vor: quoniam adhuc rebelles fuistis imperii. Ich Habe früher bezüglich diefer Urkunde im Allgemeinen meine Bedenken geäußert ?, dann dieſelben dahin fpecialifirt, daß in derfelben Urban IV. als Urbanus tertius bezeichnet wird, und Gonradin von quibusdam regibus unter feiner Begleitung Spricht. Auh Schirrmacher hat von dem letzten Sat gemeint, daß er „nicht aus Conradins Feder jtammen fann“ 5, wenn er auch im Text das Aktenſtück wie ein authentifches benutzt ®. Zur Dequemlichteit des Leſers möge das Altenjtüd hier vollftändig Plat finden ',

Et tunc rex Conradus, dum esset Tridenti, episcopo Cumano et fratribus misit litteras continentes ita:

Conradus secundus Dei gratia Jerusalem et Sicilie rex, dux Suevie, venerabili viro Raymondo de Lature episcopo Cumano, Napolioni et Fransisco ejus fratribus, universis etiam de cognatione® predicta spiri- tum consilii sanioris.. Novit enim mundus, nec est, ut credimus, & vestra noticia peregrinum, in quantum Urbanus tertius episcopus urbis Rome diu = tum odium erga parentes nostros tunc effuderit contra nos, quum hereditatem nostram, videlicet regnum Seicilie, filiis contu- lerit alienis. Qui non solum hoc fatiens propriam ipsiusconscientiam lexit, verum etiam contra voluntatem omnium cardinalium tunc tem- poris fratrum ejus memoratum perpetravit excessum. Tandem super- venit novissimus Clemens, cujus nomen ab effectu non modice distat, qui electionem factam de regno per predietum Urbanum in personam Karuli Provineie comitis adeo funditus executioni mandavit. Cui pre- dicto Karulo regri ipsius imposuit diadema, eidem suggerens, quod tam regni quaın corone collactio ad Romanam ecclesiam pertinebat. Ipse vero invasor publicus in facinore confortatus, in tantam pervenit audattiam furoris, quod non solum regnum Seicilie, verum etiam principatum Taranti invasit, occisso Manfredo quondam prineipe Ta- rentino. Qui princeps etsi predictum regnum de jure non tenebat, quia tamen per ipsum nulla fiebat comiti injuria, non spectabat ad ipsum, vindietam sumere de eodem. Cum igitur simus Tridenti cum quibusdam regibus et nonnullis principibus, ducibus, marchionibus, comitibus et aliis militibus infinitis, et per eos qui juxta nostrum latus militant nobis assidue consulatur, quod, antequam progrediamur ad recuperationem regni nostri, provinciam Lombardie jugo imperii supponamus, ideirco vobis mandamus et tam corporis quam anime

1 Korichungen XI, 135 Anm. 6.

Reg. Eonradins 36. 44 u. 55.

8 Korfhungen XI, 135 Anm. 6.

* Kopp, Reihsgeihichte Bud V, S. 123 Anm. 6. s A.a. O. ©. 650 Anm. 2.

°e%.a.0D. S. 338 u. 339.

? Nach Ann. Plac. ©. 523.

8 Der Text hat cognitione beibehalten.

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consulimus ad salutem, quatenus nostris vellitis parere mandatis; quod facientes, inter alios Lombardos confratres vestros vos habebi- mus cariores. Alioquin in proximo nostrum expectetis triumphalem adventum, quia militibus et peditibus sic nostram vallabimus civi- tatem !, quod illi quos hactenus offendistis de vobis tute poterunt sumere ultionem. Nec quisquam vestrum miretur, si vos in princi- pio litterarum nostrarum non salutavimus. Non est moris, quoniam hucusque rebelles fuistis imperii, quos et hodie eadem labe polutos credimus, nisi que vobis mitimus faciatis. Non igitur a rege salutari meretur, qui contra regem tociens sit molitus. Data Tridenti etc.

Ich glaube jetzt noch entjchiedener wie früher annehmen zu dürfen, daß wir es auch hier nur mit einer Stilübung zu thun haben. Könnte man Urbanus tertius auch als Verſehen des Ab- Ichreibers paffiren lafjen, jo bleiben doc) die quidam reges als eine, wie gefagt bereit8 von verjchiedenen Seiten al8 unüberfteiglich be— zeichnete Klippe. Aber auch die bereits angeführte Stelle: quod Lombardie provinciam jugo imperii supponamus, und die ana— loge Stelle am Schluß möchte ich doch jet nicht mehr für fo unver— fänglich halten, wie ich das früher gethan habe. Zwiſchen diefem Gedanken und den jonjt in Conradins Urkunden ausgeiprochenen Hoffnungen auf das Kaiſerthum ift doch ein großer Abjtand, der billig gegen dieſe Stelle in ihrer Vereinzelung mißtrauifch machen muß.

Man kann mir einmwenden, daß die richtige Nennung der drei Brüder Della Torre als Adreffaten gegen die Annahıne, der Brief fei nur eine Stilübung, ſpreche. Dem Einwurf kann ic) Bedeutung nicht verfagen, glaube aber ihm gegenüber eine Vermuthung aus— fprechen zu dürfen, wenn ich auch überzeugt bin, daß ein Beweis für diefelbe nicht zu erbringen fein wird,

Die Politif der Zorriani war dem Unternehmen Conradins gegenüber eine zweideutige. “Die Annales Placent. Gibell., unfere ftet8 fich bewährende Hauptquelle für die Dinge in Oberitalien, be= richten darüber allerdings nichts; Conradin, heißt es, pervenit apud sanctam Christinam, nemine sibi obviante neque contradicente, licet Mediolanenses magnum fecissent apparatum cum carro- cio contradicendi sibi et obviandi?, Dieje Stelle wird man ficherlich nicht durch fubtile interpretation fo deuten dürfen, als ob die Bemerfung den guten Willen der Mailänder contradicendi et obviandi verdächtigen wolle. Bejtimmt erheben dagegen den Vor— wurf einer zweideutigen Politik gegen die Torriani die fpäteren Mais länder. Gualvaneus Flamma? fagt von Gontadin: a Turrianis non est impeditus, eo quod ecelesiam persequebatur. Scärfer noch drücken fich die Annales Mediolanenses * aus: Et intrans (Sonradin) comitatum Mediolani, Turrianis oceulte faventibus. Diefe fpäteren Mailänder benugten alte uns verlorene Aufzeihnungen, jo daß es mindeftens ſehr wahrjcheinlich wird, folche Vorwürfe eines

1 &o ber Text. » ©. 524

8 Muratori Ser. XI, 698. * Muratori Scr. XVI, 708.

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zweidentigen Verhaltens jeien gleichzeitig ſchon gegen die Torriani erhoben. it das aber der Fall gewefen, jo waren die Torriani bei dem raſchen unglücklichen Ausgang des Unternehmens Conradins, in diefer Nichtung compromittirt, in einer gewiß nicht angenehmen Lage. Karl von Anjou wie der Papft waren über den geringen Widerftand, der Conradins Zug durd die Lombardei geleijtet war, in fehr ges reizter Stimmung. Karl verlieh derjelben ſchon Ausdruck in feinem Brief ! an Wilhelm L'Etandard, feinen Vicar in der Yombardei, und zwar in recht bitteren Ausdrücken?. Später, als Conradins Durd- zug nad) Toskana gelungen war, hat Clemens IV. ebenfalls über die Lauigkeit der Lombarden in ihrem Widerftand gegen Conradin jchwere Klagen erhoben ®.

Bei diefer Lage der Dinge glaube ich den Verdacht ausfprechen zu dürfen, ob wir in unferer Urkunde, die id) aus angeführten Gründen für eine authentifche nicht Halten Fann, nicht am Ende mehr zu leſen haben als eine bloße Stilübung, nämlich eine Fälſchung im Intereſſe der Torriani. Jedenfalls war eine folche Urkunde, wenn fie aud), wie wir ſehen, mehrfache Mängel hatte, der beſte Beweis, den die Torriani produeiren konnten gegen die Vorwürfe, die man ihnen wegen ihrer zweideutigen Haltung Conradin gegenüber machen Fonnte, vielleicht gemacht hat. Der bejondere Nachdruck, mit dem Ende der Urkunde auf die fehlende Salutatio Hingewiefen wird, hat mid) in meinem Verdacht nur beitärfen fünnen, zumal der Eingang: spiritum consilii sanioris, der in päpftlichen Urkunden an Excommunicirte oder Genfurirte jehr oft gebraucht wird, in Königsurkunden der Zeit mir nicht befannt ift.

Dem von mir geäußerten Verdacht darf ich Hinzufügen, daß der Verfaffer der Ann. Plac. das Aftenftüd doch wohl bona fide

% Ann. Plac. ©. 525 zwiſchen Ereigniffen vom 8. Februar und 22, März

* = er al8 nod zu Pavia anweſend voraus. Auch Del Ginpdice s, ©. 103.

2 Et bene vellemus, quod Lombardi amiei nostri ita facerent pos$e suum in servicio dei et ecclesie atque nostro et suo proprio, sicut facimus posse nostrum et sicut faciunt inimici in servicio diabuli stando in excommunicatione et in servicio Conradini. Nam Papienses et Veronenses et homines Burgi sancti Dompnini sunt soli in Lom- bardia, nichilominus cum Pisanis et parte Senensium et aliquibus pau- peribus Gibillinis nutriunt Conradinum et militiam suam, et nostri Lombardi nullam militiam extraneam suis expensis habere voluerunt. Quare facta sus minus valent et possent adhuc minus valere, nisi provideant sibi melius, quam fecerint usgquemodo. Unde mandamus tibi, quatenus loquens cum legato et inducas eum, ut convocet eos sine mora omnes de Lombardia, ut mitant ambaxatores eorum ad par- lamentum generale in Placentia u. j. w.

3 Brief vom 15. Mai 1268, Martene et Durand Thes. II, 597. Del Giudice IIa, &©.150: Sane si Lombardos puduerat, Conradino perdi- tionis filio de Verona venienti Papiam nullum obstaculum prestitisse: longe magis pudere nunc potest, a te monitos et vocatostranseuntem ejus militiam per viscera Lombardie, nedum ut tu volueras, impedisse, sed nec etiam terruisse,

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aufgenommen Hat. Denn wenn er aud einmal ebenfo wie das Alktenſtück einen Diſſens zwifchen Papſt und Gardinälen betont, jo thut er e8 bei ganz anderer Gelegenheit!. Aud das Vorkommen defjelben Wortfpiel® mit dem Namen Clemens: cujus nomen ab effectu non modice distat, in der früheren Erzählung der Annalen? wird ung nicht berechtigen, den ausgeſprochenen Verdacht der Fälſchung auf diefen fo außerordentlich zuverläffigen, gewiſſenhaften Geſchicht⸗ jchreiber auszudehnen.

2 Ann. Plac. ©. 521 wird bemerkt, daß die Sendung der Truppen burd

den Papft nad) Florenz absque conscientia cardinalium erfolgt. 2 Ann. Plac. ©. 517,

Das Gedicht über den Mongoleneinfall. Bon W. Herkberg.

In Bd. XU, ©, 645 ff. diefer Zeitfchrift wird von Herrn Profeſſor Wattenbach ein lateinifche8 Gedicht aus der Mitte des 13. Sahrhunderts auf den Einfall der Zartaren in Ungarn nad) einer von Herrn Prof. Dümmler genommenen Abjchrift aus dem Salz— burger Ms. des Stiftes zu St. Peter, Cod. IX, 2, mitgetheilt.

Dafjelbe trägt deutliche Spuren eines italienischen Urfprungs : ch vor e und i um den harten Laut des c zu bewahren, während im andern Fall (dreimal vor u) das urjprünglide ch in e ver- wandelt ift; die romanische Elifion von se (Pron.) vor feinem Ver- bum; der unklare Gebraud) de8 h im Anlaut (habundant; dagegen irsuti); ftatt th überall t; zabulus ft. diabolus (S. Diez’ Gr. I, S. 228), vielleiht aud) gramula in Anlehnung an das it. gramola. Auch die metrifche Behandlung der accentuirten und tonlofen Silben jpriht für den romanifchen Urfprung. Anderes im weiteren Verfolg diefer Bemerkungen. So erfcheint denn das Gedicht in Verbindung mit dem gleichfalls von Wattenbach mitgetheilten ermunternden Brief der römischen Curie an König Bela IV. gewiffermaßen als eine poetifche Beigabe, eine epistola consolatoria an die bedrängten Ungarn. Natürlic) haben wir in der Salzburger Hoſch. nicht das Autographon des DVerfafferd vor und. Das verbietet ſchon der äußere Zuftand derfelben. Denn nach Herrn Diümmlers Bericht find die Verſe auf der Innenſeite des Einbanddedel8 des erwähnten Cod, gefchrieben. Aber durd) viele Hände find fie auch nicht gegangen ; font würde der Tert mehr Gorruptionen zeigen. Wir dürfen ans nehmen, daß unfer Ms. die unmittelbare Copie des Originals ift.

Bon dem Gedichte felbft urtheilt Herr Wattenbad), daß, wenn e8 gleich weder poetifch uoch metriſch jehr zu loben, auch nicht überall verftändlich fei, e8 doc) einige charakteriftiiche Züge von diefen wilden Feinden enthalte,

Es fei mir gejtattet, dies Urtheil des hochverdienten Gejchichts- forfchers und ausgezeichneten Kenners der mittelalterlichen Schriftſchätze in etwas zu wmodificiren.

Allerdings ift das Gedicht weder nad Form noch nad Inhalt ein Meifterwerk; aber jene von Wattenbach in ihrer Hiftorischen Be— deutung hervorgehobenen conereten Züge, von einer zeitgenöffifchen Hand entworfen, geben demjelben zugleich ein poetifch warmes Colorit

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und eine friſche Gegenjtändlichfeit, wie die Tateinifchen Poeſien des Mittelalters (mur zu häufig phrajenhafte Centonen aus Virgil, Ovid und Statius) jie nur felten bieten. Cine originelle Yndividualität wenigftens ift diefer Production nicht abzufprechen.

Ferner zeigen die Verſe felbjt in ihrem bunten Rhythmen— wechjel, der ſich meift mit richtigem Gefühl dem Anhalt anfchmiegt, eine gewijfe wilde Grazie, die eine nicht ganz gewöhnliche poetifche Begabung des Verfaſſers verräth. Wir machen, un anderer Stellen nicht zu gedenfen, nur darauf aufmerkſam, wie eindrudsvoll B.130 ff. der Tag der Rettung und Vergeltung in dem herrlichen Rhythmus des ‘Dies irae’ angekündigt wird, der uns wie Pojaunenflang des jüngjten Gerichte8 gemahnt.

Auch find die Verje bei genauerer Betrachtung nicht fo regellos gebildet, wie es bei der erjten Lejung erjcheinen mag.

Alles Gründe genug um unſer Intereſſe an dieſer eigenthüm— lichen Production und den Verſuch zu rechtfertigen, auch über die minder verftändlichen Partien ins Klare zu fommen. Ich glaube, daß fich dies Reſultat durch eine richtige Interpunction des Textes und mit Hülfe einiger ſich leicht bietenden Emendationen annäherungs- weife wird erreichen lajjen. Zuerjt aber werfen wir noch einen Blick auf die metrifche Form.

Es find ſ. g. rhythmiſche Verſe, d. h. fie find nicht nach den Gefegen der antiken (quamtitirenden) Profodie, fondern nach dem Accent gemeſſen, am Schluß und oft auch in der Mitte, in theilweife fünftlihen Verſchlingungen gereimt.

Im allgemeinen trifft der Wortaccent richtig auf die Arfis; doch hat der Verf. fich von diefem Gejege nicht wenige Ausnahmen erlaubt; nämlich an folgenden Stellen: M. 6. tartära. 10. stimülum. 11. obsitis. 12. Cönsumptis. 16. necät. 21. 23. im Reime auf viam: Ruscyam Turchyam, Gorgyam (i. e. Georgiam) , wo— bei die eigenthümliche Orthographie zu beachten ijt, nad) welcher der Berf. das lange i durch ein y bezeichnen zu müſſen geglaubt hat (wohl um ein Doppel-i auszudrüden nad) Analogie des italienifchen Schluß-j). 23. Vastäns; Persidam. 30. Currens. 32. Indös. 33. Tartärus. 35. Contra orbem. 45. cerüoris. 50. Doeti. 51. Subito; dominum. 54. Ferri. 56. Terrä. 68. 69. Sue (i. e. suae). 70. Longe. 71. More. 74. Femina. 79. Armis. 81. sägitta. 82. Ledit. 85. Fortis, arte, sitü. 91. Parit. 128. morte. Man beachte übrigens, daß von bdiefen 34 Fällen mehr als die Hälfte (18) dem erjten Fuß angehören, in welchem aud die deutfche Metrik eine Umkehrung des Rhythmus wenigjtens bes Jambus in den Trochäus geitattet.

Die durch gleiche Reime verbundenen VBerspaare und vierzeiligen Strophen haben ſtets diefelbe Meffung. Nur dreimal it im Jambus die Anakrufis ausgefallen. V. 13. Tartarus,. 95. Cöhors. 120. C&lum. Innerhalb der Verſe ift aber diefe Negel jo genau beobachtet, daß ich mich für berechtigt Halte, die einzige Ausnahme (V. 87) reserve-

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tur als einen Schreibfehler zu betrachten und ohne den Sinn irgend zu alteriren, dafür servetur herzuftellen.

Der Hiatus wird, wie in allen rhythmiſchen Verſen, nicht be— achtet. Nur ein einziges mal findet ſich (V. 51.) die (wie fchon oben erwähnt) durch den Gebraud der romaniſchen Sprachen ge— läufig gebliebene Eliſion: s'ingerunt, allerdings nicht durch die Schrift ausgedrückt.

nn Versſchemata find folgende:

Je vier Verſe durch gleiche Reime am Schluß und in der Cäſur zu Couplets verbunden.

V. 13—16: (mit Ausnahme des um die Anakruſis verkürzten ihon oben erwähnten V. 13): in zwei NReimpaaren.

V. 17—20 wie 1—12.

V. 21-24: ||.

Mit gleichem Neim am Schluß und in der Cäſur.

V. 25—29 wie 1—12; aber die Reime in der Cäſur nur paarweis ſich entſprechend.

V. 29—36 wie 13—16; aber im erſten Couplet die Reime nur paarweis, im zweiten fich durchgehende entſprechend.

V. 37-40: —.

Reime paarweis.

. 41—44: ⸗—— —. Hier iſt der Verſuch eines Anapäſtes im rhythmiſchen Vers zu beachten, der in V. 43 wahr- Icheinlich in die zweite Stelle gerückt ift, da Sed sanguis pro vino sumitur ſich befjer fo: —— —— als nad) dem obigen Schema lift. Reime paarweis.

45-47: —— —. Hier zeigt fich derfelbe Verſuch mit einem Daktylus, der V. 48 auch in der erjten Stelle auftritt: _.— —. Der gleihe Reim geht durch alle vier Verſe.

V. 49. 50: ——— |.

V. 51. 52: —— | --—.

Diefe 4 Verſe find außer den paarweifen Neimen am Ende noch unter ſich in der Cäſur durch vier gleiche Reime verbunden.

535—56 wie 13—-16; aber der Schlußreim durchgehend.

57--60 wie 37—40; Reime paarweis.

65—74 wie 13—16; Reime paarweis.

75—76 wie 1—12: auch dem Heim nach, aber nur auf ein Verspaar beichränft.

77. 78 wie 51. 52.

79—82 wie 13—16.

83--84 wie 1—12.

85—92: |... Durch ie vier gleiche Endreime zu Couplets verbunden. Zn h Auch ne ñ ⸗ñ —.

XV. 40

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(Mit Ausnahme des oben erwähnten, um die Anakrufis ver- fürzten V. 95). Vier gleiche Endreime. . 97—98 wie 1—12.

99—100 wie 51—52; aber ſämmitliche vier Verfe durch gleiche Endreime verbunden.

101—104 wie 13—16.

107—109 wie 13—16.

110—112 wie 105—106.

113—115 wie 13—16.

116—117: ———..,

Unter diefen Verſen (101— 117) findet aber eine äußerft künſt— liche Reimverfhlingung ftatt, indem V. 101 —104, 107 109, 113—115 fänmtlih unter einander, 103, 107, 108, 109, 113, 114 auch nocd durch‘ einen Doppelveim, und wiederum 104, 109, 113 durch denfelben Binnenreim, endlich auch 105, 106, 111, 112, 116, 117 durd) den gleichen Endreim verbunden find. |

118—121 wie 51.52; paarweis gereimt. Wegen Celum j. oben.

122—125 wie 49, 50, mit gleihen Schlußreimen; aber nur das erite Paar aud) in der Cäfur gereimt.

126—129: —— |

Durch alle vier Verſe derſelbe Reim am Schluß und in der Cäſur (alſo 8 mal), ſo aber, daß die Cäſuren unter ſich und die Versſchlüſſe unter ſich noch durch Doppelreim verbunden ſind.

130—137 wie 37—40; aber durch je 4 gleiche Reime in zwei Couplets geordnet alfo der Rhythmus des ‘Dies irae’,

134—141: , mit gleichen Schlufreimen.

Aus der obigen Analyje, die einen fo reihen Rhythmenwechſel aufweift, wie er fich faum in einem zweiten mittellateinifchen Gedichte wieder finden dürfte, ergibt fi von ſelbſt, daß die Eintheilung des Abdrucks (ob auch de8 Ms. ?) in vierzeilige Strophen einer ſtarken Beihränfung bedarf. Es ijt möglich, daß der Dichter fie urfprünglich beabfichtigt hat, er ift aber durch den Schwung jeiner Berfification über diefen engen Rahmen hinausgetrieben.

Den Anhalt betreffend, hebt da8 Gedicht mit einem an Pfalnı 7, 12, 13 ſich anlehnenden Bilde an. Gott der Rächer und Richter ſchwingt fein Schwert; die Poſaune erklingt; er ruft durch Propheten mund die Menjchheit vor feinen Stuhl. Er hat zur Geißel den Tartaren auserjehen (der ſchon durch feinen Namen feinen Ur— fprung aus dem ZTartarus erkennen läßt); durch ihn ftraft er die Böſen und läßt die im Herzen DBerhärteten (duros) fofort der Hölle (tartara) übergeben. Es folgt Strophe 9—13:

b extremis finibus api sibilavit, Ad stimulum plebibus muscam praeparavit, Que obsitis sepibus valles occupavit, Consumptis segetibus speciosa pavit.

Man fieht, die Tartaren fommen wie ein Heuſchreckeuſchwarm (fo faßt der Dichter musca), die über die Fluren verwüftend

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berfalfen und „alles Schöne abfreſſen“ (pascere in diefem Sinne jelbft der claffischen Latinität nicht fremd; ſ. Tibull II, 5, 25). Aber was will die feltfame und auf den erjten Blick ſiunloſe Wendung: api sibilavit —? Es drängt ſich faft von jelbft die Ver— muthung auf, der Verf. habe gejchrieben: abisieitavit, d. i. abyssi eitavit. Damit würde auf das gefälligfte ein Pafjus in dem gleich— falls von Wattenbach mitgetheilten, mit unferm Gedicht in demſelben Ms. vereinigten Sendjchreiben der römischen Curie an König Bela IV. zufaınmenftimmen: Pontifices et prelatos neenon quamplures de genere levitarum vix satisfeeisse voragini gladiorum, quos gentes extere quasi locuste de ore abissi erumpentes intingere minimum reputarunt sanguine caet.

Doch e8 bedarf weder diefer Conjectur, wie verlodend fie auch erfcheint, noch irgend einer andern. Denn der Dichter hat unzweifel— haft die Stelle de8 Jeſaias vor Augen gehabt, die in der Vulgata (7, 18 ff.) jo lautet: Et erit in die illa: Sibilavit Dominus muscae, quae est in extremo flumine Aegypti, et api, quae est in terra Assur, et venient et requiescent omnes in torrenti- busvallium et in cavernis petrarum et in omnibus frutetis et in universis foraminibus. Das Pfeifen oder „Züfcheln“ (wie Luther überſetzt) verftehen die Erflärer des Jeſaias von dem eigen- thümlichen Ton, mit welchen der Zeidler die Bienen zum Schwärmen lodt. Man fieht, der Dichter hat zwar die Fliegen zu Heu- ichreden (offenbar einem pafjenderen Bilde) umgedeutet, daneben aber doc, dem Propheten zu Liebe, die Bienen bejtehen laſſen.

In der folgenden Strophe (V. 13—16):

Tartarus a tartaro

Averni eclaustra barbaro

Plutonis fert insignia

Rex qui necat tot milia hat Wattenbah mit Recht elaustra durch ein parenthetifches sic angezweifelt. Es wird elaustro zu jchreiben fein; der Singular, ſchon in der claffifchen Latinität nicht ohne Beispiel, ijt dem Mlittel- alter, zumal in der Bedeutung eines eingefchlojfenen Ortes (dann „Klojter“) völlig geläufig. Der Tartarus wird demnach der „graufe Verſchluß des Avernus“ genannt, da fein Eingang von diefem Ge— wäſſer umflutet ift. Oder, wenn man diefe übrigens aus Virgil billig genug zu fchöpfende Eleganz unferem Dichter nicht zutrauen will, jo fajje man Avernus als Unterwelt jelbft; dann wäre der Genitiv zu elaustro der Gafus der Identität.

Rex im letten Verſe ift die allerdings etwas ſpät fommende Appofition zu Tartarus; e8 ift zunächſt Batu Khan jelbjt ge— meint; was aber von ihm gilt, gilt von feiner ganzen Horde. Unter insignia wird man das ganze äußere Anjehen des Höfllenfürften, alſo namentlich die frazzenhafte Gefichtsbildung der Mongolen zu verftehen haben. Doch läßt fi) der Gedanke kaum zurüchveifen, daß der Dichter noch fpeciellere insignia gemeint habe. An Standbildern des Pluto, ſelbſt mit Unterfchriften konnte es in Nom nicht fehlen,

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Die Identificirung des Gottes mit Tod und Teufel mußte auch das Intereſſe einer chriftlihen Bevölkerung an demfelben rege erhalten. Es fann nicht bezweifelt werden, daß aus dem zweizadigen Scepter des unterirdifchen Zeus die famofe Dfengabel in den Händen des Satanas geworden ift. Ob in der Ausjtattung des Tartaren-Khans fi) ein Analogon dazu bot, weiß ich nicht, bezweifle e8 au. Da— gegen erinnert der Modius auf Plutos Haupt entfchieden am die Zartaren-Müte. Ferner wird der Tod auf antifen Sarkfophagen ſehr häufig als Schüge mit Bogen und Pfeilen dargeftellt (der harakteriftifchen Waffe der Mongolen). ine weitergehende Gelehr- famfeit traue ich unferm Dichter felbjt nicht zu. Sonft wäre der mit dem griechiichen Pluto identificirte römijche, oder vielleicht genauer, etrusfiiche Vejovis Heranzuziehen (Martian. Capell. II, 9), der auf dem Capitol mit Bfeilen in der Hand dargeftellt war (A. Gell. N. A. V, 12. Vergl. Müllers Etrusf. Th. I, ©. 59 ff.). In der Strophe V. 29—32:

Coceitus duleis glareis

Currens cum Stigis flammeis

Produxit istos Cielopes

Indos, Mauros, Etyopes, vermuthet Wattenbach ftatt duleis: duris (zu glareis), da aller dings duleis als Attribut zu Cocytus unerträglich ſcheint. Ich jelbft Hatte eine, wie ich glaubte, den Zügen des Originals näher- fommende Conjectur verfucht, unterdrüde fie aber jegt gern, da mein gelehrter Freund, Paſtor Manchot, dem ich noch manchen andern Fingerzeig zur Interpretation diefes Gedichtes verdanfe, mid) darauf aufmerffam macht, daß wir es auch hier mit der Paraphrafe einer alttejtamentlichen Stelle zu thun Haben. Die Vulgata läßt Hiob (21, 33) fagen:

Duleis fuit glareis Cocyti et post se omnem ho- minem trahet et ante se innumerabiles. Man follte auch hier ſchon erwarten: Dulces ei fuerunt glareae C., denn die LXX_ giebt den Tert: "EyAvxdvinoav adıd yalızes xaımabbov za Orılca avrwv nüs Edvdomnog arslslostn, xal Zungoodev vol Avapidungov. Welche Schwierigkeit aber diefe Stelle, welche erjt durch die neuften Interpreten des Hiob zu einiger Klarheit gebradt ift, vonjeher den Hermeneuten gemacht, erhellt aus den verjchiedenen Ueberjetzungen des hebräifchen Textes. Luther giebt fie wieder: „Es gefiel ihm wohl der Schlamm des Bachs, und alle Menfchen werden ihm nachgezogen“. Die englifche Ueberjegung hat: Theclouds ofthe valley shall besweetunto him, andevery man shall draw after himself.

Es iſt ſchwer zu ſagen, wie Hieronymus ſich die Sache gedacht

hat, noch ſchwerer aber, wie unſer Dichter, der die Conftruction des lateinischen Textes wieder in eigenthiimlicher Weife verdreht. Man wird faum umhin können zu der immerhin gefährlichen Gr: klärung feine Zuflucht zu nehmen, daß er duleis ironifch gefaßt habe. Es bleibt noch flammeis, als Adjectiv mit einem ergänzten glareis

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ehr ungefüge. Ich glaube daher, daß biefer abl. plur. von einem fubftantivifchen flammeus oder flammeum abzuleiten fei, das der Dichter gleich) famma zu gebrauchen gewagt habe.

Vers 37—40: Tartarorum gens brutalis,

Spurca crueis eruentalis Ursa, parda et leena Carnes vorat ut hyena.

Hier ijt erueis im 2 V. ſehr auffallend und auch von Watten- bad) durch ein sie in Parentheje hervorgehoben. Ich glaubte ſchon dem Dichter den Solöcismus trucis trux zutrauen zu dürfen; aber bei näherer Erwägung wird fid) das handjchriftlihe erueis doch noch beſſer jchügen lajjen, wenn man nämlihspurca cauſativ faßt spur- eifieus, spurcans, aljo das Kreuz bejudelnd und verhöhnend ein Charafterzug der gottesläfterlichen Heiden, den man beinahe ungern in diefer Schilderung vermiffen möchte. Ob das Adj. eruentalis mit feiner wuchernden Ableitungsfilbe alsdann zu erucis (das blutige Kreuz des Herrn) oder zum Subject zu beziehen fei (blutdürftig, blutbeflect, graufam) muß dahingejtellt bleiben; im letteren Falle wäre nad) erucis ein Comma zu fegen.

B. 49—52:

Equorum greges nutriunt qui dominum sequuntur,

Docti bellis inserviunt, parati obsecuntur.

Subito marti se ingerunt, dominum eircumdant.

Tesauros istos congerunt, talibus habundant.

Hier hat Wattenbac) subito im 3. Verſe durch ein Fragezeichen angezweifelt. Sch fehe feine Schwierigkeit darin, fobald man subito adjectivijch mit marti (Kriegsgott für Krieg, Schlacht) verbindet. Die Pferde find jo gut zum Kriege abgerichtet, daß bei einer plößlich fi) anfpinnenden Schlacht fie fi) fofort um ihre Herren drängen und in den Kampf ftürzgen ob mit oder ohne Reiter, bleibt zweifelhaft; wahrjcheinlich iſt doch aber ertere® gemeint. Sollte das Fragezeichen dem Versmaß gelten, fo erinnere ich an das im diefer Beziehung oben Vorausgefchidte.

Strophe 53—56 ift in der Handſchrift defect:

Est silex equi ungula Ferri oa... .: gerula

Terra ... . et gramula. Für den erjten Vers verweift Mandot auf Jeſaia 5, 25: ungula equorum ejus ut silex; im dritten rejtituirt Wattenbad) fehr richtig pabula. Ich wage die weitere Ergänzung: | Ferri, clavi non gerula. Radices his sunt pabula Terrae fruges et gramula.

Die Hufen der Pferde find feit wie Kiefel; fie fino daher weder mit Eifen nod) mit Nägeln bejchlagen (das Ajyndeton ferri, clavi ift unferm Dichter fo geläufig, daß jede Strophe dafür Beifpiele bietet). Für fruges geftehe ich ein befferes Wort zu winfchen, da

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darin eben Fein bejonderes Zeichen von der Genügjamfeit der Zartarenrojfe liegt. Mehr als Früchte des Feldes verlangt fein Pferd. Dürfte ic) daher vorausjegen, daß Herr Dümmler das et nad) der Lücke nicht genau gelefen hat, und daß darin ein Reſt von at ſteckt, jo wiirde ic) mit größerer Sicherheit vorschlagen : Terra si negat (oder non dat) gramula.

„Die Pferde freſſen Wurzeln, wenn die Erde ihnen fein Gräs- chen bietet“. Das ſehr anomal gebildete Deminutiv gramulum (von gramen) lajje ich unangetajtet.

V. 57: Arcus tendit plus quam gentes ift ſehr fonderbar gefagt. Ich nehme Arcus al8 acc. plur. und ergänze als Sub— ject zu tendit den Tartaren felbjt, der ja das ftilljchweigend gedachte Subject de8 ganzen Gedichtes ift; gentes bezeichnet dann alle andern Bölfer, und der Sinn des Verſes ift: der Tartar ſchießt mit dem Bogen weiter al8 alle andern Menfchen. Diefe Interpretation wird bejtätigt durd) V. 66 ff.

Sagitte volant eminus Sue, sed nostre cominus. Sue, non nostre, sauciant, Cum longe nostris jaciant.

In dem leiten Vers fteht longe ungenau aber unverkennbar

jtatt longius. Vers 71 ff. More pardorum feriunt, Sagittas post se jaciunt it pardorum für Parthorum gemeint; ob die Sünde dem Abjchreiber zur Laſt fällt, ift fraglich, da die Eigennamen auch fonjt bei unjerm Dichter eigenthümlich verſtümmelt erfcheinen. Daß er nicht an Leoparden gedacht, ijt Elar genug. V. 77 ff. Sagittat jacens Tartarus lancea prostratus, Non servat fidem barbarus hostibus prelatus. iit das legte Wort fehr unklar; doc) möchte ich) aus verjchiedenen Gründen es nicht in servatus ändern, was der Sinn zu erheifchen icheint. Die Hinterlift des Tartaren wird auf doppelte Weile be- zeichnet: Er jchießt noch, wenn er fchon von der Yanze durchbohrt niedergeſtreckt Liegt, er fchießt auch noch, wenn ihn Schon Pardon ge— geben ift. Dies wird der Dichter, um das ſchon einmal gebrauchte servare zu vermeiden, durch praelatus haben ausdrüden wollen, denn in der Schonung eines Beſiegten liegt eine Bevorzugung, zumal in fo wilden Zeiten. Vers 81 ff. Hec sagitta resiliens Ledit nec ensis feriens, möchte ich ftatt Hec: Nec lefen, was bei einem unzialen N oder H faum eine Gorrectur zu nennen ift. Sieht man jedoch Haec wegen der Beziehung auf das ®. 79 vorhergehende armis vor, fo muß in dem erjten Gliede ein nec ergänzt werden eine Freiheit, die auch der claſſiſchen Yatinität nicht völlig fremd iſt. In der Strophe 89—92 : Sed servant ex his omnibus electsm juventutem,

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Que fortiter si dimicat, non efferunt virtutem.

Perit: si cedat, ceditur; non amant servitutem,

Nee virginem, quam violant, post servant ad salutem. find befonder8 die beiden mittleren Verſe dunkel. Ich glaube fie fo verstehen zu follen. In der vöthergehenden Strophe war gejagt, daf die eingenonmmenen Städte gejchleift und alle Einwohner vertilgt werden. „Nur“, fährt der Dichter fort, „die ftreitbare Jugend wird (zunächit) verfchont und (was man allerdings Hinzudenfen muß) in die vorbderften Reihen des Zartarenheeres gejtelit. Kämpfen fie dann tapfer, fo erhalten fie fein Lob und feinen Lohn für ihre Tapferkeit, werden vielmehr (alsdann) getödtet ; weichen fie aber in der Schlachtreihe, jo werden fie von den dahinterftehenden Tartaren niedergemacht ; überhaupt lieben diefe nicht Sclaven zu halten (non amant servitutem), daher fie denn auch die Yungfrauen, nachdem fie diefelben entehrt haben, niedermegeln“.

In Strophe 93 -96:

Decurio, centurio, pentarcus,

Dux, miles, procer, comes, cyliarcus,

Cohors, falanx, legio, exarcus,

Stat, pugnat, silet, imperat monarcus. muß nad) silet eine ſtarke Interpunction eintreten; dann ift der Sinn: Alle vom Gemeinen bis zum höchſten Befehlshaber müffen gehorchen, ſchweigen und kämpfen; nur der König Hat zu befehlen.

Die nächſte Strophe (97—100) leidet auch etwas an Dunkelheit.

Precursorum milia currunt, paucos ledunt. Que secuntur media elaudunt, sic procedunt, Dum subito preveniunt et securos reddunt, Ne fugiant: effugiunt nulliÄ, omnes cedunt.

Ich faffe den Sinn fo: Eine leichtberittene Schaar fchwärmt vor dem eigentlichen Heereskörper voraus, ohne den Feind wefentlich zu verlegen, der dadurch ficher gemacht wird und nicht flieht. In— zwifchen ift, durch die Tirailleurs gededt, da8 Gros des Heeres an- gerückt und macht alles nieder, jo daß Feiner entfommt.

Die folgenden Berfe 101—-117 bedürfen zu ihrem Verftändniß einer dirchgängigen Veränderung der Interpunction. Sie lauten in dem Abdruck:

Et euruum currilium Velut tempestas imbrium, Inundans ut diluvium Currentium torrentium. 105 De montibus in planum Collegium prophanum Ut tigrium et dencium Feralium mordencium. Seindeneium fundencium 110 Sanguinem humanum Ut pecudum ut canum, Hoc proelium insanum.

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Est gentium fremencium Pugnantium cedencium 115 Necancium tot milium Hominum in vanum, Juvenem et caflim.

Zunächſt Hat im erften Verſe bereits Wattenbach für curuum curruum rejtituirt; currilium aber dur ein anzweifelndes Fragezeichen notirt. Doc hat unfer Dichter gewagtere Adjectivbil- dungen als diefe, wozu fi) die gleichbedeutende Nebenform currulis bereit8 bei Appulejus findet, abgejehen von dem claffischen curulis, das nach einer (allerdings fraglichen) Elymologie gleichfalls auf eurrere zurücgeführt zu werden pflegt; eurrilis ſelbſt aber findet fid) in der Vulgata, Reg. 4, 26. Hier find allerdings curriles (sc. equi) Wagenpferde. Aber e8 hindert auch nichts fie an diefer Stelle jo zu falfen.. Dann muß man nur hinter curruum ein Comma jegen und das unſerm Dichter fo geläufige Aſyndeton (jt. curruum et eurrilium) ftatuiren. Daß ferner die Abtheilung in bierzeilige Strophen hier nicht an der Stelle ift, haben wir fchon früher angedeutet; nicht nur der Reim, jondern auch die Verszahl wehrt fic) dagegen, und der Zufammenhang des Sinnes wird vollends dadurd; zerriffen. Wir ftellen diefen durch folgende Interpunctions— änderungen her. Nach torrentium (104) das Punktum zu ftreichen, nad) planum (105) ein Comma zu fegen, nad) mordencium (103) ftatt des Punktes ein Comma zu jegen, hinter canum V. 111 einen Punkt jtatt des Commas, hinter insanum das Punktum zu ftreichen, desgleichen hinter vanum das Comma.

Hiernach ergiebt fi) der Sinn in möglichjt wörtlicher Leber- ſetzung: „Von rolfenden Wagen erhebt fich gleihjam ein Regenjturm, der überftrömt wie eine Siündflut von Sturzbächen, die fi) von den Bergen in die Ebne ergießer, eine jchnöde Sippichaft ! wie von Ti- gern und mit tödtlichen, beißenden, zerfleifchenden Zähnen, die Menfchenblut vergießen, ald wäre e8 Blut von Bieh und Hunden. Dies ift der wahnfinnige Kampf von tobenden Völfern, die ftreiten und würgen und von fo vielen taufend Menfchen Yünglinge und Greiſe morden“.

8.118—121: Dum celum tonat fulgurat, mittit contra celum Sagittas, pelli murmurat fulgur propter telum. Celum celi domino, ei terra cedit In sue sortis termino, gens misella credit.

Hinter tonat im erften ®. ein Komma zu jeßen; das fchon öfter8 bemerkte Afyndeton. Sinn: Wenn der Himmel donnert und blit, fendet er feine Pfeile gegen den Himmel und murmelt, der

ı Menn e8 hart ericdeint collegium profanum als Appofition zu tempestas curruum zu faffen, fo erwäge man, daß nad) einer befannten Met- onymie bei currus an die in den Wagen Sitenden gedacht wird und tem- pestas c. nur eine weitere Anwendung derfelben Figur if. Wirklich Hart, aber doch unzweifelhaft ift die Verbindung der zwei völlig ungleichartigen Genitive tigrium et dentium,

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Blitz werde verfcheucht durch fein Geſchoß. Der Himmel gehört deut Herrn des Himmels, ihm gehört die Erde als Gebiet feines Antheils, glaubt das elende Volk (in termino ce. ftatt in terminum c.)

Etwas dunkel erfcheint auch die folgende Stelle V. 122—125:

Quam plurimi continuis congressibus se cedunt, Incendiis et spoliis ad invicem se ledunt. Heretici apercius securius incedunt,

Seismatici apostate judieium non credunt.

Ich verstehe fie dahin, daß bei der allgemeinen Verwirrung und Auflöfung der bürgerlichen Ordnung, die durch den verwüſtenden Einfall der Barbaren herbeigeführt ift, die Einwohner des Landes jelbft in einem bellum omnium contra omnes einander zu ſchädigen und zu vernichten anfangen und Keter und Scismatifer das Haupt erheben, da fie in diefer Calamität das Gericht des Herrn nicht er= fennen wollen.

Die größte Schwierigkeit aber bieten die dem Schluß vorher» geheuden Verſe, die ich fanımt dem Schluß ſelbſt gleich nach der mir nothiwendig erfcheinenden Interpunction gebe:

Hec sunt quadricornua orbem ventilencia. Seindunt corda fatua pactum facientia Cum morte perpetua Zabula versucia; Acherontis pascua colent cum tristicia.

130 Fabri quatuor parantur, Ad tremendum isti dantur, Christi vestibus ornantur, Arma lucis induantur,

Ut ab ira imminente 135 A furore irruente

Liberemur nune repente;

Convertamur tota mente

Ad elementem dominum,

Qui est pater luminum, 140 Tergens noxas eriminum,

Maculas peccaminum.

Hier ift nun zwar zumächft foviel Har, daß unter dem quadri- cornua die Tartaren verjtanden werden, Ungeheuer, welche Gott ges jandt Hat, um durch fie die Welt zu fichten, die Spreu von dem Waizen zu fcheiden und die Böſen der Verdammniß anheimzugeben. Aber warum nennt der Dichter fie quadricornua? Es liegt nahe, darin eine Anfpielung an eine apofalyptifche Viſion zu fuchen. Aber die gehörnten Thiere und Unthiere der Offenbarung Yohannis find theils zehuhörnig, teils fiebenhörnig, theils zweihörnig. Die Species quadricornua ift nicht unter ihnen vertreten. Dagegen verweilt mich Manchot auf dern Propheten Sadarja II, 1—4 (alias ], 18—21), deſſen Worte in der Faſſung der Vulgata ohne allen Zweifel unferem Dichter vorgefchwebt haben:

(1) Et levavi oculos meos et vidi et ecce, quatuor

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cornua. (2) Et dixi ad angelum qui loquebatur in me: Quid sunt haec? Et dixit ad me: Haec sunt cornua quae ventilaverunt Judam et Israel et Jerusalem. (3) Et ostendit mihi dominus quatuor fabros. (4) Et dixi: Quid isti veniunt facere? Qui ait dieens: Haec sunt cornua quae ventilaverunt Judam per singulos viros, et nemo levavit caput suum; et venerunt isti deterrere ea, ut dejiciant cornua gentium, quae levaverunt cornu super terram Juda ut dispergerent ea.

Wie die wiljenfchaftliche Kritif diefe Stelle zu deuten hat, küm— mert ums natürlich nicht. Uns geht nur an, wie der Dichter fie verftanden und zu feinem Zweck verwandt hat. Zunächſt hat er die abftracten Hörner, zu denen beim Propheten feltjamer Weife der Kopf fehlt, auf dem fie gewachien, zu einem charakteriftifchen Schmud vierhörniger Wefen gemacht; er fagt nicht mehr quatuor cornua fondern quadricornua. Solche vierhörnige Dämonen find ihm die Tartaren !

Alsdann hat er ventilare, wofür die LXX oxopnilsw, Luther zeritreuen fett, ficherlich nicht in diefem letzten Sinne gefaßt, fondern in dem gut Haffifhen: worfeln, mit der Wurfichaufel fichten, vielleicht mit der (ebenfall® noch klaſſiſchen) Nebenbedeutung de8 Beunruhigens, Quälens, Aengftigens.

Aber die Macht der Dämonen hat bei Sadarja ſowohl wie bei unferem Dichter eine Schranke. Nachdem fie die Unverbejjerlichen, die von des Satans Liſt verführt mit dem ewigen Tode, d. i. der Hölfe, einen Vertrag zu machen gedenfen, in die Unterwelt und ewige Verdammniß gefandt haben, erheben fich gegen fie, damit fie dem Frommen nicht ferner fchaden, vier fabri (V. 130), die al8 Engel des * die Guten, welche Buße thun, befreien und zu Gottes Thron führen.

Was hat ſich aber der Dichter unter den fabri gedacht? Luther überſetzt: „Schmiede“, die LXX: zexıoves, die engliſche Bibel: carpenters. Sind e8 die Zimmerer, welche die zerftörte Welt wieder aufbauen und ein neues Zion gründen follen? Zu folder Auffaffung, die ein tiefere Verſtändniß feines Textes vorausfegt al8 dem Dichter zuzutranen ift, giebt der Zufammenhang feiner Worte nicht den ge= ringften Anlehnungspunft. Warum denn aber, wenn er uns nur Engel des Lichts im fiegreichen Kampfe mit den Kindern der Finfter- _ niß zeigen wollte, fuchte er ftatt hundert anderer Stellen gerade diefe myſtiſchen fabri in der entlegenen Vifion des Sacharja aus? Ohne Zweifel, weil er in ihnen fchon font ihm vertraute Geftalten wieder zu erfennen glaubte.

Als Solche aber bieten fich uns ungezwungen die vier artifices

ı Db in der damaligen Kopftracht, vielleicht im Helmfchmud, der Tartaren etwas lag, das diefem Ausdruck noch eine fpeciellere Beziehung gab, weiß ich nicht; wir bebiürfen derfelben auch nicht. Denn wenn, aus gleich zu erwähnen- den Gründen, der Dichter der fabri als Retter bedurfte, jo war ihm die Geftalt ihrer Geguer durch Sadarja von felbft gegeben.

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metallici dar, die Quatuor Coronati, jene vier Steinmegen aus Bannonien, die nach der fchönen, durch Wattenbach wieder ans Licht gezogenen Legende! von Diofletian gezwungen werden follten, ein Bild des Mesculap zu fertigen und, da fie fich dejjen weigerten, den Märtyrertod erlitten. Allerdings ijt die Sage ſchon früh mit dem Martyrium von vier römischen Cornicularii verſchmolzen, deren heilige Gebeine mit den ihrigen angeblich im derfelben Kirche auf dem Cälius beigejegt waren, und die mit ihnen den Tag des Heiligen= falender8 (8. November) theilen. Ya, da die Zahl der Steinmeßen durch Hinzufügung des von ihnen erſt befchrten Genojfen (Simpli= cius) auf Fünf vermehrt wurde, fo ift der Name der „vier Ge— frönten“ gleichfalls fehr früh auf die Cornicularii im Gegenfaß zu den Steinmegen übertragen.

Gleichwohl haftete Name und Zahl durch das ganze Mittel- alter und vorzugsweife, wie aus der handichriftlichen Fortpflanzung der Legende zu erhellen fcheint, vom XII. bis XV. Jahrhundert an den pammonifchen Steinhauern und ift auch Heute noch nicht in dieſer Bedeutung verfchollen ?.

Nun weift aber alles darauf hin, daß das vorliegende Gedicht

ı Passio Sanctorum Quatuor Coronatorum, zuerft in den Situngs«- berichten der Wiener Afademie X, 115—137 und nochmals nad) Hfchr. revidiert in Büdingers Unterfuchungen zur Römischen Kaifergeihichte III, S. 321—338,

2 Es ift für unfern Zwed vollftändig gleichgültig, ob der von uns oben bingeftellte Hergang der Sagenverfchmelzung der richtige ift, oder ob, wie ſich durch Büdingers neufte Unterfuhung (a. a. O. ©. 357 ff.) herauszuftellen jcheint, die Cornicularier einen älteren Anfprucd auf den Namen der „vier Gekrönten haben. Ich bin nicht in der Lage den gelehrten Argumenten und Iharffinnigen Conjecturen entgegenzutreten, durch melde dieſer Foricher das höhere Alter ihrer Legende und ihre frühere Verehrung in Rom nachzuweifen * Ich führe zur Unterſtützung der obigen Darſtellung nur folgende That— achen an:

1) In den älteſten Berichten, in denen die Benennung Quatuor Coronati in Verbindung mit Heiligennamen vorkommt, find es immer die Namen der Steinmegen, nicht die der Cornicularier. So in der (c. 650 verfaßten) anonymen Stadtbejchreibung bei Wilh. von Malmesbury und Beda (+ 755). ©. Büdinger a. a. O. ©. 360 ff. Allerdings in dem Martyrolo- gium Hieronym. nad) D'Acherys Abdrud findet das umgekehrte Verhältniß ftatt. Aber Büdinger felbft bezeichnet denjelben al8 ungenau. Bon etwas Späteren: Wandalbert (bei Büdinger S. 370 Anm. 3) und in den Sermones de Sanctis cod. lat. Monac. 5854 (daj. S. 363 Anm. 2).

2) Die Ueberfchrift der echten Legende in den meiften Handfchriften bezeugt, daß wenigftens vom 12. Sahrh. an die Pannonier al® die 4 Coronati gelten.

3) Nad) den Mirabilia ff. 56, 6, Parth. follen die 4 Coronati die Thermen des Diocletian ausgemalt haben, eine Verwechſelung, die fich begreift, wenn fie Künftler, nicht wenn fie Militärchargirte betrifft. S. Büdinger a. a. O. ©. 370 Anm. 3.

4) Der in diefen Dingen ſehr zuverläffige Reumont, welcher das Berhält- niß der Legenden fo auffaßt, wie e8 oben dargeftellt ift (Geſch. d. Stadt Rom Th. II, S. 71), berichtet, daß die Märtyrer durch Kronen mit eifernen Epiten getödtet feien. Diefe Tradition, die den Stempel des Alterthums trägt und den Namen der Coronati lebensvoller und concreter erflärt als die phrajenhafte von Engelskronen, die fonft im Schwange ift, hat nur Sinn, wenn man fie auf die Eteinmetsen bezieht, als höhniſche Belohnung ihres Kunſtgeſchicks.

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in Stalien und zwar in Rom verfaßt ift. Seine Verbindung mit dem Sendichreiben der Curie macht es zu mehr al8 einer bloßen Bermuthung, daß der Glerifer, der es gefchrieben, in naher Bes ziehung zu dem Confiftorium ftand. Dann war ihm auch aus eigner Anſchauung die Kirche der Quattro Coronati in nächſter Nähe des Laterans befannt, in deren ftattlicher Pfarrei ſelbſt Päpſte refidirt und päpftliche Gäfte vielfach Herberge gefunden hatten (S. Reumont a. a. O. ©. 272. 414. 562). Es war fomit ein naheliegender und gewiß fein unglücklicher Gedanke, daß er die gefrönten Heiligen aus dem Ungarlande ihren Landsleuten als Netter von den mongo— lifchen Unholden verhief. Es fcheint darauf auch der Umftand Hin- zudeuten, daß der Dichter B. 21 ff. bei der Aufzählung der von den Zartaren verwüſteten Länder ganz gegen die hiſtoriſche Keihenfolge, alfo recht mit Abjicht Pannonie in erfter Stelle nennt und dicht daneben Hungaria, durch eine Art Ev da dvoiv damit verbunden, wie denn ſtaatlich beide Yänder es längft waren.

V. 128 ſchlägt W. zabuli ftatt zabula vor; dem Sinn nad) gewiß ganz richtig; aber unfer Dichter ift ehr ungenirt in Wort- bildungen und fonnte daher zabulus wohl als Adjectivum gebrauchen ; es iſt faum gewagter als Romula vincla bei Properz.

131 ad tremendum isti dantur, empfängt feine Er— flärung aus der Stelle de8 Sacharja: venerunt isti terrere ea, wenn nicht vielleicht geradezu terrendum zu corrigiren; auf jeden Fall ift die Meinung, daß die Feinde vor ihnen erbeben follen.

Die Erklärung des ganzen Schluffes nad) unferer Auffaffung ergiebt fi) aus der nachitehenden möglichſt wortgetreuen Ueberjegung:

„Dies find die Vierhörnigen, welche den Erdfreis fichten; fie zerreißen die bethörten Herzen derer, welche durch teufliiche Schlaupeit einen Vertrag mit dem ewigen Tode machen wollen; fie werden die Gefilde des Acheron in Trauer bewohnen.

Vier Werkleute werden bereitet; fie werden gefandt um Schreden zu verbreiten, fie ſchmücken fi) mit den Gewändern Chrijti, fie waffnen fich mit den Waffen des Lichtes, auf daß wir von dem drohenden Zorn, von dem hereinbrechenden Grimm auf der Stelle befreit werden und und mit ganzem Gemüth zu dem gnädigen Herrn wenden, welcher ift der Vater des Lichts, der die Schuld der Ver— brechen, die Flecken der Sünden [von uns] abwäſcht“.

Daß von V. 136 am der Verf. die erfte Perfon Plur. eintreten läßt, kann nicht befremden, wenn man fie auf die ganze Chrijtenheit bezieht, die insgefammt das göttliche Strafgericht erkennen und ſich zu Herzen nehmen ſoll. Die Wendung würde aber noch einen präg— nanteren Sinn durch die Annahme gewinnen, daß der geiftliche Dichter ein in Rom heimiſch gewordener Ungar war.

Handſchriftliches. Mitgetheilt von F. Falk.

Eine Handſchrift des königlichen Archivs in Hannover, Bode— manns Satalog XVIII, 1003, Eccardi Seligenstadensia, Papier in Quart, enthält unter anderen !;

Recordatio fratrum defunctorum inter mona- chos Seligenstadenses fraternitatem habentium.

Quoniam vigilanti consideratione mentis est attendendum, ne nos in hoc loco Deo militantes negligentes simus aut desides in recordatione fidelium defunetorum, necessarium vi- detur et utile, per scripta adnotare, quid cuique nostrorum ex debito sit agendum pro fratribus defunctis, nobis frater- nitate adsociatis ob hoc maxime, ne quis se de ignorantia potuerit excusare.

Igitur de congregatione S. Albani?, cum quis obierit no- bisque per sceripta denunciatum fuerit, pro eo septem missae communiter a nobis explebuntur et 30 verba mea.

Similiter de S. Jacobo*, de S. Nazario°, de Michelen- stad®, de S. Michaele Babenberch?, de S. Maximino®, de 8. Petro in Salevelt, de S. Paulo Trajectensis civitatis, de S. Burchardo?, de S. Stephano !', de sanctimonialibus Mo-

ı 1) Epistola Congregationis S. Benedicti in Monte Cassino ad Ka- rolum M.Regem, in veteri codice ms. Seligenstadiensi Regulae S. Be- nedicti praemissa. Inc. ep. Congr. 8. Bened. ad K. regem Francorum de privatis eorum moribus. 2) Recordatio etc. 3) Exc. e martyrol,

2 Gt. Alban ord. s. Bened. zu Mainz,

3 Mit diefen Worten beginnt der fünfte Pjalm.

St. Jacob in monte specioso zu Mainz, ord. s. Bened.

5 Lorſch an der Bergftraße, 1 St. von Bensheim,

° Im Odenwalde, Propftei unter Lorfcher Obedienz, |. Fall, Kloſter Lorſch ©. 100.

Et. Michael bei Bamberg, Stiftung Biſchof Ottos (1103—1139).

Trierer Klofter.

° Abtei bei Würzburg.

ı In Würzburg feit 1057,

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guntiae!, de Godesowa?, de Elofstat?, de Amanaburch‘*, de Amarbach’, de S. Bonifacio Fuldae, de Slutere ®, de Breidingun, de Winvolo(?), de S. Euchario Treviris, item de S. "Udalricho et de S. Afra Augustae; similiter de Lorecho ’’, de Eschebrunna®, de Ahusun’, excepto hoc solum, quod nomina eorum non in regula, sed in libro vitae tantum seribuntur. Fratribus de S. Vito!’, de Tharissa!! 7 offieia, 30 verba mea in conventu explemus. Id ipsum fratribus de S. Michaele in Clinga'?, necnon et fratribus de Selseburch, item fratribus de Eberaha '?, simili modo fratribus de monte S. Disibodi'*. Fratribus de Spanheim plenariam et mutuam fraternitatem, de Vruwa, de Selbolt, de Eberbach'®, de sanc- timonialibus in Kizzingum !’; simili modo sororibus de Nie- rolde, fratribus de Nuenstat eundem, quem inter nos habe- mus communem fraternitatis modum, plane per omnia debe- mus. Simili modo fratribus de S. Albano plene etper omnia; similiter fratribus de Spanheim et de monte S. Joannis"®, Fra- tribus de Blidinstat!?” eundem, quem inter nos habemus com- munem fraternitatis modum, per omnia debemus. Fratribus autem de Kamberch ?®’ 30 dies verba mea et septem officia in conventu, et quisque presbyterorum missam privatam; re- liqui vero minoris ordinis unusquisque 50 psalmos; conversi psalmos ignorantes 50 pater noster. In eadem autem die quando obitus pronuneiatur in capitulo, praebenda super men- sam abbatis ponatur. Similiter de S. Willibrordo, excepta

1 Wohl die Nonnen zu Altenmünfter, einer Stiftung der 5. Bilhildis saec. VII.

2 Gottesau bei Karlsruhe, Hirſchauer Colonie im ehemaligen Speirer Sprengel. .

s Ilbenſtadt, Godefrids von Kappenberg Stiftung, in Oberheffen, nördlich von Frankfurt, 1123 gegründet; die Infaffen waren Prämonftratenfer.

4 Amöneburg, im ehemaligen Kurfürftenthum Hefjen.

5 Amorbad, bei Miltenberg am Main.

s Schlüchtern ander Kinzig im ehemaligen Kurfürftenthum Heffen. Dehn- Notfelfer und Lot, Baudenkmäler im Negbez. Caſſel S. 239.

7 Bei Schwäbiih Gmünd.

8 Eſchelborn? bei Sinsheim bei Wimpfen am Nedar?

Anhauſen, 958 geftiftete Abtei im Eichftädtifchen.

In Corvei oder Ellwangen?

1 Kloſter Theres bei Haffurt am Main?

12 Klingenmünfter in Rheinbayern. Remling, Abteien und Klöfter im Rheinbayern I, 88.

13 Am Rande fteht: Eberacha. Die befannte Abtei im Würzburgifchen. Difibodenberg bei der Nahe. Remling ©. 14, 15 Sponheim bei Kreuznad). Eiftercienfer Klofter im Rheingau.

7 Am Rande die Variante: Kizzingen, bei Würzburg.

18 St, Zohannis (auch Bichofs)berg im Rheingau, deffen kurze Geſchichte in Dahl, Rheiniſch. Antiquarius ©. 151.

Kerrutinsklofter und Stift zu Bleidenftadt bei Wiesbaden,

20 Im ehemaligen Herzogtum Naſſau? oder Abtei Comburg?

>

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praebenda. Fratribus de Sigeberch 7! officia in conventu, et 30 verba mea. Privatim autem unusquisque presbyter 3 missas, religui vero minoris ordinis 1 psalterium. Fratribus de cella S. Mariae de Fezera tria tantum officia in communi peraguntur. Fratribus de Lintburch ? 7 offieia in conventu, et pro verba mea ex voce mea unusquisque presbyter 3 missas; reliqui vero minoris ordinis 1 psalterium. Simili modo fratribus de Sconowa°. Item fratribus de Heride* 7 officia in conventu, et quisque presbyterorum unam missam, reliqui minoris ordinis 50 psalmos.

Die Aufzeihnung jcheint dem 12. Yahrhundert anzugehören.

Der große Gewinn aus der Kenntniß diefer Recordation bejteht darin, daß fie uns einigermaßen Einblid in den gegenfeitigen Ver» fehr der Klöfter gewährt. Die Todtenlifte wanderte von Klofter zu Klofter glei) einem Poftbrief, es folgten hierbei gewiß noch andere Mittheilungen, in welden mir den Stoff zu allerlei hiftorifchen Aufzeichnungen finden.

Für Tranfreid) liegt eine Unterfuchung vor über die rouleaux des morts du IX. au XV. siecle, recueillis et publies par la societe de Y’histoire de France (L. Delisle). Paris 1866. 8.

II.

In Mainz befinden ſich zwei Pergamenthandfchriften, deren Kenntniß von Intereſſe it. Die eine enthält die Vita b. Godefridi Cappenbergensis, die zweite die Vita b. Ludovici comitis in Arnstein.

Die erfte Handjchrift mit dein Leben Godefrids von Cappenberg ſtammt aus der Stiftung Godefrids felbft, nämlich aus Kloſter Ilben— ftadt in Oberhejfen, wo ein Theil feiner Gebeine ruht. Einer der Klojterherren nahm in Folge der Klofterauffebung die Pfarritelle zu St. Quintin in Mainz an, wohin er unter anderm aud das in Nede ftehende Manufeript mitnahm. Augenblicklich Liegt diefelbe im bifhöflichen Seminar zu Mainz. Der Coder befteht aus 27 Blättern von 17 Gentimeter Höhe und 12 Gentimeter Breite. Der Einband datirt laut eingepreßter Zahl aus dem Jahre 1614. Die Innen— feiten des Einbands find je eine mit einem Bildniffe St. Georgs

1- Siegburg.

2 Limburg an der Haardt. Nemling ©. 114,

s Es gibt drei Schönau: 1) bei Heidelberg, welches hier gemeint fein muß; es gehörte zum Wormfer Eprengel und befolgte die Benedictinerregel; 2) Schönau im Trierer Sprengel, jest im Naſſauiſchen, befannt durch Efifabeth von Schönau, war Nonnenklofter; 3) Schönau an der Saale im Würzburgi— ſchen, war gleichfalls Jungfrauenkloſter.

Herrieden, vorher Haſenried, im Eichſtädtiſchen.

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beffebt. Das eine trägt die Einfchreibung: Reverendo in Christo patri ac d. domiuo Georgio Conradi hujus monasterii prae- posito admodum dignissimo, ad felieissimum novi anni MDOXII ...... hanc imaginem offerebat F. W. D. S. Die letzteren Anfangsbuchſtaben Hat “eine neuere Hand ausgeſchrieben gegeben: F. Wendelin Dierle subprior. Das andere Bild hat die Dedication: Admodum reverendo d. d. Georgio Conradi praeposito Ilbenstadiensi, obsequii ergo F. Matthias Nieren- bergius Confluentinus, prior Romariae Villae. Anno 1615 17. Augusti.

Der Schrift nad) gehört die Handfchrift in die erfte Hälfte des 13. Jahrhunderts, fie ift gut und leferlich gejchrieben.

Die Vita beginnt; Inestimabilem beneficiorum dei magni- tudinem, und endigt comitis Simonis de Tytneburg. Nad) letzterem Worte fängt unmittelbar (ohne Trennung durd Aline, Großbuchſtaben, rothen Strid) eine Heine Vita an, welche beginnt : Compunctus est paupertatis spiritus. Die größere ift die, welche auch die Bollandiften mittheilen, unfere Handjchrift Hat aber noch Capitelüberjchriften. Die Eleinere, gleichfalls von den Bollandiften gedrudt, erweift ſich als ein Extract aus ber Vita b. Norberti. Den Schluß diefer Handichriften bilden Notizen über den Giftercienfer- orden, die ich mittheile für die Wahrfcheinlichfeit, daß fie noch nicht im Drude wiedergegeben find.

Anno millesimo centesimo vigesimo secundo pluviam vo- luntariam benedictionis divine hereditati sue rege celesti de largifluo miserationum suarum secretario uberius infundente, aput locum qui dieitur Cistereium ordo monachorum inchoa- tus est Griseorum sub abbate venerabili nomine Stephano.

Anno domini 1113. a constitutione domus Cistereiensis 15. servus domini Berhardus annos natus eireiter 23 Cister- cium ingressus cum sociis ferme 30, sub memorato abbate Stephano suavi jugo Cristi collum submisit. Ab illa autem die dedit dominus benedicetionem, et vinea illa domini Sabaoth usque ad hec tempora raro habitatore exculta per visitatio- nem sancti spiritus et tam celebris viri industriam dedit fruc- tum suum, extendens palmites suos usque ad mare et ultra propagines suas. Isdem dei famulus Berhardus Clarevallensis cenobii primus abbasaliorumque amplius quam centum sexa- ginta monasteriorum pater tercio decimo kalendas Septembris inter filiorum manus obdormivit in Cristo. Acta sunt hec regnante in Romanorum imperio Friderico illustri hujus no- minis primo.

Diefe Handſchrift ift um fo wichtiger, weil fie die einzige ge= rettete zu fein fcheint, denn die Perg’shen Monumente haben die Vita b. Godefridi aus dem ‘Drud der Acta 85. entnommen. hat der Bollandiſt Gamans dieſe Handſchrift vor ſich gehabt.

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Die Handihrift Hat einige Nachträge von jüngerer Hand, die mit blafferer Dinte jchrieb.

Am Ende des Abjchnitt8: Anno dom. incarnationis 1148. indiet. 11. presidente sedi apostolice, welder ſchließt: perpetuo stabilitatis et pacis forent tuicio, ftehen die Worte: ossorium construxit Beatrix anno 1120 (Rand ijt abgejchnitten).

In dem Abjchnitt, der endigt: regionis Westphalie lumen effulsit, findet fid das Anhängjel: qui dedit nobis omnia bona propria in Elofstad !,

Die Kleinere Vita endet mit dem DBeigejchriebenen: in capella Elofstadensi constructa a Beatrice Anno 1120,

Die andere Handihrift gleichfalls in Pergament, befindet fich gegenwärtig in der Bibliothek des bifchöflihen Haufes, welcher fie durch Biſchof J. %. Colmar, gejtorben 1818, 15. December, ein⸗ verleibt wurde. Die Innenſeite des Vorderdeckels hat den a: de la bibliotheque de Mr. l’Evöque de Mayence, f J. Louis.

Der fleine, modern gebundene Codex bejteht aus 56 Pergament- blättern von 10 Gentimeter Höhe und 8 Gentimeter Breite. Die Schrift liejt ſich ohne Mühe; Ueberfchriften, Anfänge der einzelnen Abſätze find in rother Farbe gegeben.

Die Vita beginnt; Inter diversas mundialium rerum va- rietates, und endigt: Ad hanc perfectionem et coronam regni qui nos invitavit, post mortem carnis inducat Ihesus Christus dominus noster. Amen.

Darauf das Epitaphium Ludovici comitis et fundatoris in Arnstein.

Messuit hunc florem etc.

Das legte Blatt belehrt uns beftimmt über die Zeit der Ab- Ihrift, indem e8 jagt: Reverendissimo in Christo patri, illustris- simoque principi electori ac domino, d. Jacobo Trevirorum? archiepiscopo, domino suo clementissimo

Henricus humilis abbas in Arnstein summa cum reve- rentia hoc opusculum offert.

Auf derjelben vorlegten Seite beginnt ein neueres Inſeript: Post mortem domini cancellarii de Sohler, in revisione ejusdem ‚bibliothecae, hie libellus reductus est in Arnstein per admo- dum reverendum et eximium dominum Hubertum Wolff, ss. theologiae doctorem, qui poslon Romae obiit, 1716.

Wie die Handichrift aus des Letzteren Befi in den Colmars kam, darüber beſteht in Mainz keine Ueberlieferung, auch keine Muth— maßung.

Potthaſt kennt nur eine Handſchrift mit der Vita Ludovici in Deutſchland, nämlich zu Trier s. XVII; eine zweite zu London, Brit. Muſ. s. XI.

ı ©, oben S. 614 Anm. 3.

* Sacob I. von Sierk regierte 1439—56,

IV, 41

618

III.

| Die Sammlung des hijtorifchen Vereins für Afchaffenburg und Unterfranken befitt eine Handſchrift, welche der Katalog S. 299 Nr. 1166 betitelt: Sammlung verjchiedener hand» und drudjchrift- lichen Dokumenten über die Stadt Worms aus dem 15. und 16, Jahrhundert.

Die Handſchrift liegt vor mir und birgt unter ihrem Titel eine feither nicht beſprochene Wormſer Chronif von Zorn mit Re— baction von Wilk!.

Der eigentlichen Chronik find mehrere Blätter mit Hiftorifchen Notizen (Stellen aus Druckwerken über Worms, VBocabularium, Namen etliher Kapellen und Gafjen der Stadt) vorgebunden. Die Chronik Telbft bekundet ſich durch den breitfpurigen Titel als das was fie ilt:

„Chronologia ? der uhralten freyen Keyſerlichen Reichsſtadt Wormbs, aus bewerten Annalibus, glaubwürdigen Diplomatibus, wahren Hiftorien und denfwürdigen Actis zufammengefchrieben durch den würdigen, achtbaren und wolgelerten Herrn M. Fridericum Zornium, der Stadt Schul zu Wormbs wolverdienten 4öjehrigen Rectorem. Descripta et absoluta ab Andrea 'Wilkio Sleusingensi, Wormaciensium Ecclesiaste.e. Anno Domini MDCXIII*.

Die Xitelfeite enthält das Inſcript mit Blafferer Dinte: Jo- 'hann Jacob Lasser j. u. dr. Unter der Yahrzahl 1608 das weitere Inſeript: Chriſto. rang von Huttin (futtin?) 1713.

Auf der Rückſeite des Zitelblatts ſteht:

Epitaphium doctissimi viri Domini M. Frideriei Zornij, scholae patriae Reipub. Wormatiensis Rectoris fidelissimi ad annos 45, qui pie in Christo obdormivit die 7. Octob. anno Christi 1610, eum vixisset annos 72, menses 7, dies 7.

Hac jacet in tenui Fridericus Zornius urna, Doctrina claris notus ubique viris:

Praesertim ante alios constanti pectore fidus, Magne Chytraee, tuus semper amicus erat,

Qui titulos docti dedit Heidelberga magistri, Aonidum casto condecorata choro.

Qui quadragenos quinosque fideliter annos Vangionum patria rexit in urbe scholam:

2 Arnold kennt dieſe in feiner Ausgabe, Stuttgart 1857, nicht, erwähnt über ©. 2, daß Wilk dem Zorn die Leichenrede hielt. Eine andere Haudſchrift findet fi in Münden, Deutſche Handiriften Nr. 1247. XVII—XVIU. Jahrh. fol. 1006 S.: S. 1— 907 Friderici Zornii Chronologia der Stadt Worms, descripta et absoluta anno 1613 ab A. Wilkio Sleusingensi ' am ecclesiaste. Schannat, Epist. Worm. I, 212, fennt das Werk.

: 2 u der Titel in der Frankfurter Handigrift E, in Arnolds Aus gabe ©, 7,

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Erudiens blanda teneram gravitate juventam, In linguis, studiis, moribus inque bonis.

Historicos sacros evolvens atque profanos Perlegit vigili sedulitate libros.

Optato tandem decessit fine beatus, Commendans animam, Christe benigne, tibi:

Cum vitae satur et mundi pertaesus iniqui Annos vixisset septuaginta duos.

Hic male non moritur, DOMINUM quieungue timere, Et verbo didieit fidere, CHRISTE, tuo.

Seriptum ab Andrea Wilkio Ecclesiaste,

Andreas Wilk redet im Laufe der Chronif mehrmald von fich, fo Blatt 333 ad annum 1583: „Id Andreas Wilf (der diß ges ſchrieben) hab felber ein halb Fuder Wein faufft umb 7 fl." DI. 370 heißt er parochus d. Andreas Wilckius; Bl. 372 lutheri— ſcher Prädicant Andreas Wilckius genandt.

Die legten Einträge betreffen die Jahre 1614 und 1615.

Wilfens Arbeit erweiit fi) auf Grund häufiger Vergleihung nicht einfach als bloße Abfchrift der Zornfchen Chronif mit eigener Weiter- ſondern als eine mehr ſelbſtändige Arbeit, welche auf Zorn aſirt.

Während Zorn über den religiöſen Zwieſpalt, wie er vom zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts an in der Stadt tobte, faſt gänzlich ſchweigt, gibt A. Wilk nicht unerhebliche, objective Thatſachen zur Aufhellung diefes innern Theils der Gefchichte der Stadt.

Ferner ftanden noch Wilk alte Quellen zu Gebote, deren Berluft wir heute beffagen. So muß er die Chronica clericorum gehabt haben, denn ich finde bei ihm zwei daraus citirte Stellen, welche ich in Zorn vergebens fuchte.

Blatt 45a. Chron. elericorum. Burchardus praepositus S: Vietoris Moguntiae, Franconis frater, 6. Id. Martii ordina- tus. Obijt a. 1024. 13. Cal. Septemb. Hic muris eivitatem eircumdedit. Sepultus sub altari S. Laurentij: tandem ex- humatus, cujus ossa in quadam cista antiqua et pieta depo- sita sunt, quae habetur supra altare majus in posteriore parte, et singulis annis monstrantur in anniversario ejus re- liquiae.

Blatt 152a. Ex veteri chron. sacerdotum '. Anno 1281. decreverunt capitulares majores ecclesiae, ne quis filius bur- gensis, propter vim aliis concanonicis illatam, nempe Jacobi cantori, Wernhero parochiano, et illis de Stockheim, in con- fractione domorum, ullo unguam tempore ad canonicatum aliquem vel ad praelaturam assumatur, nisi adeo devotos et obsequiosos cum parentibus ecelesiae se reddiderint, quod de

"Abweichend von der gewöhnlichen Benennung, aber doch wohl identifch mit clericorum.

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communi omnium canonicorum consensu, ne üno eorum con- tradicente, procedere videatur assumptio eorum. Huie decreto appenderunt sigilla Friderieus episcopus ete.!. Hanc bullam Gregorius papa 14.Cal. Januarij, pontificatus sui anno primo eonfirmavit. Fehlt bei Zorn, welcher S. 129 den Anhalt deutich gibt und die Namen derer, die gefiegelt haben.

Bon manden Stellen, die Zorn wörtlih aus ungenannten Quellen allegirt, gibt Wilk feine Duelle deutlih an. So Zorn S. 28 unten: Ludovicus IL. rex Rom. communicato consilio ete., Mile gibt denfelben Pafjus und zwar: ex vetusto chronico ms. Blatt 156 Hat eine Stelle über einen großen Herbſt 1291, Blatt 164 über den Urfprung der Wormfer Juden, Blatt 227 über den Domprediger Joh. v. Wefel, und zwar alle8 ex antiquo chron. - Das Wirzburger Exemplar zeichnet ſich noch durch eine andere Eigenthümlichfeit aus. Am verfchiedenen Stellen finden fich ftarf vergilbte Blätter beigebunden, jowie vorn Drudicriften aus Franz von Sickingens, Huttens, Luthers und der Neformatoren Zeit und deren Beziehung zu Worms.

ı Mit diefem zc. bricht der Autor ab, ohne die Namen der derjenigen, die gefiegelt haben, zu geben.

Die Landgrafen Hermann von Winzenburg. Bon K. Fr. Stunpf'.

Die Auseinanderfegung über Hermann von Winzenburg (oben ©. 29) hat mich nicht überzeugt. Sch glaube, daß doch aud) der Vater Schon als Landgraf angefehen werden muß. Daß in den Quellen jener Zeit die Uebertragung eines Titeld von dem Sohne auf den Vater vorfäme, ift wenigftens mir völlig unbefannt; wol fommt aber da8 Gegentheil wiederholt vor, daß die directe wie auch angeheirathete Descendenz fich der Titel der Vorfahren bedient (wohl in vermeintlicher Berechtigung?). So z. B. der Pfalzgrafen- Titel vom Rhein: Wilhelm in Reg. 3233—3239 (und faum nad) Gieſe— brechts Auslegung) oder gar Otto von Rinegg in Reg. 3352. 3336. 3354 u. f. w. Ich könnte daher die jedenfalls ſehr beachtenswerthe Stelle im Auct. Claustroneob. faum in diefem Sinne interpretieren, ſelbſt wenn feine weiteren unzweifelhaft echten urfundlichen Beftätigungen fi für diefelbe finden Tießen. Dem ift aber nicht jo, fondern es ftehen uns zur Bekräftigung derſelben auch Urkunden zu Gebote. Abgeſehen von der Urfunde Herzog Heinrichs des Löwen von 1168 Juni 2 (Orr. Guelf. III, 505 ex or.), wo Heremannus provin- cialis comes genannt wird, gibt es ein noch viel älteres Zeugnig, welches umfomehr ins Gewicht fällt, weil e8 von den beiden Söhnen Hermanns I. (Winzenburg) und von Ludovicus landgravius de Tyring unterfertigt ift und noch dazu ausgeftellt ward zur Xebzeit des erften Abtes von Reinhauſen, Reinhards, der dem Mitgründer feines Klofters, dem ältern Hermann, gewiß nahegeftanden hat. Das ift die unzweifelhaft echte Urkunde K. Konrads III. von 1144 Oct. 16 zu Hersfeld Reg. 3480 (bei Martene Coll. II, 600 ex or.), worin e8 ausdrücklich heit: ab inelytae recordationis Herimanno patriae comite. Alſo ein Titel gebraucht, der wenigſtens da— mals vollftändig identifch mit lantgravius galt.

Am Hinblid auf diefe Data, deren Nichtigkeit fi kaum be— zweifeln läßt, dürfte der Hermannus patriae comes in der mit Recht als interpoliert gehaltenen Urt. Erzb. Abdelberts I. für Rein-

1 Aus einem Brief an Prof. G. Waitz.

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haufen bei Leyser, Hist. Com. Eberst. 17; Harenberg, Hist. Gand. 1520 und Leibniz, SS. Br. I, 705) faum unbedingt abgemiejen werden, Gewiß iſt in jener Urk. manches gefälſcht, wie Kolbe S. 139 ff. richtig bemerkt; allein dem hiſtoriſchen Berichte in derſelben (verglichen mit dem der Urk. Reg. 3480 und der Urk. Erzb. Heinrichs von Mainz 1148 bei Leyser, Hist. Com. Eberst. 85, wie der Urf. Abts Reinhard bei Leibniz, SS. Br. I, 703) liegen ſicherlich echte Nach— richten zn Grunde. Außer einer ältern Urf. über die Reinhaufer Stiftung (wahrscheinlich aus dem erſten Decennium des 12, Yahrh.) ift gewiß auch eine Urf, Erzbifchof Adelbert I. ‘sedis apost. legatus’ vorhanden gewefen, und zwar vom Jahre MO(XVILI) ind. X, welche dann fpäter interpoliert worden ift. Daß übrigens Her— mann I. in den übrigen Urkunden nicht als ‘comes patriae’ oder ‘Jantgravius’ ete. zeugt, fällt deßhalb nicht ins Gewicht, weil er dies nicht vor 1113 geworden fein konnte; bis dahin finden wir ihn ſtets als comes de Saxonia oder comes de Winzenburg atıgeführt (außer in den a.a. O. citierten Fällen, aud) Reg. 3055. 3057. 3060. 3085. 3086 u. f. w.), bei feinem nächften urfundlichen Auftreten im Jahr 1114 finden wir ihn bereit8 als marchio de Saxonia (Reg. 3110. 3111, und wol auch in 3116): denn daß diefer Hermannus marchio de Saxonia fein anderer al8 unfer Hermann I. von Winzen= burg (Vater) ift, läßt fih (im Widerſpruch p Wenck II, 718 Note m., wo freilich irrigerweife Hermann II. gemeint ift) ba= durch erhärten, daß uͤm jene Zeit unter alfen ſächſiſchen Magnaten es nur einen Hermann (bisher comes de Saxonia) gegeben hat, nämlich den Winzenburger, der überhaupt hier in Betracht kommen könnte. Ich fehe ſoeben, daß auch Gieſebrecht (III, 845 und 1194) dieſelbe Anſicht theilt, deſſen weitern Folgerungen ich allerdings nicht zuſtimmen kann. Was für eine Markgrafſchaft Hermann I. inne⸗ hatte, läßt ſich freilich nicht feſt beſtimmen, wahrſcheinlich dieſelbe, von der fpäter fein Sohn bis zu deſſen Entſetzung 1130 als mar- chio genannt wird; nach meinem Dafürhalten der weſtliche Theil der marcha Misnensis, zwiſchen Elbe, Mulde und Saale, den wir als marcha orientalis Saxoniae fennen. Der Sohn ift eben in den Beſitz der Güter wie Würden des Vaters eingefegt worden. Auf dieſe Weife erhärtet den ‘comes patriae’ des Vaters allerdings des Sohnes landgravius in Reg. 3245; vgl. auch Ann. Stad., Mon. Germ. SS. XVI, 319 Zeile, 29 und die Annales Erfurt, Mon. Germ. SS. VI, 578 wo aber itrig prineipalis comes ſteht offenbar ftatt provineialis comes; vgl. aud) Ann. Stad., SS. xVI, 326: comit. provine. Thuringie]; wie andrerfeits wieder des Sohnes Marchiat durch des Vaters uͤrkundlichen marchio de Saxonia Er- gänzung findet.

Augilbert und Hibernicus exul. Bon B. Simſon.

Wattenbach! hat gerügt, daß in meinem Auffage über das ger möhnlich dem Angilbert zugefchriebene Gedicht auf die Zuſammenkunft Karls des Großen und Papſt Leos III. in Paderborn (Forſchungen XU, 567—59%0) die Bergleihung der Sprade und Verskunſt mit anderen Gedichten jener Zeit gänzlic) verfäumt fei. Zu meiner Ent— ſchuldigung könnte ich jagen, daß ich nicht beabfichtigt und beansprucht hätte eine erfchöpfende Würdigung diefes Gedichts zu geben, fondern nur gewiffe Bemerkungen ausjprechen wollte, die fid) mir über diefen Gegenjtand aufgedrängt hatten. Vornehmlich wollte ich die zwar fchon längft wahrgenommene, jedoch einigermaßen in Vergeſſenheit gerathene Abhängigkeit des Poeten von älteren Vorbildern wieder in Erinnerung bringen und noch näher im Einzelnen nachweifen. Indem ich zugleich darzuthun verfuchte, daß der Dichter diefe Mufter keineswegs immer geſchickt benutzt habe und feine zwar lebhaften Schilderungen im Grunde ebenfowenig lebensvoll als originell feien, gab ich der Anficht Ausdrud, daß das jeinem Werke gezollte Lob einiger Ein- fchränfung unterliegen dürfte. Ach wies darauf Hin?, daß andere gleichzeitige Poeten, von dem feinen geiftreichen Biſchof Theodulf von Orleans bis herab zu dem plumpen Ermoldus Nigellus, obwohl ihre Werke dem diefes Dichters in formeller Hinficht zum Theil weit nach— ftehen, unvergleichlich anfchaulichere Vorftellungen von den Verhält- niffen und Perſonen des farolingijchen Hofes in dem Leſer hervor- rufen, ein lebendigeres Mitgefühl der damaligen Zuftände erzeugen. Auf eine DVergleihung ihrer Sprache und Verskunſt mit der feinigen bin ich allerdings dabei nicht eingegangen, während Wattenbachs Mei- nung offenbar iſt, daß eben dies der Maßitab fei, welcher an feine Leiſtung angelegt werden müffe, und fich zugleich auf. diefem Wege am eheften Anhaltspunkte für die Löſung der Frage nad) der Autor— Ichaft finden lajfen würden. Jedenfalls fommt mir weniger darauf an, den mir gemachten Vorwurf abzulehnen als ihn einigermaßen gut

1 -Dentichlauds Gejchichtsquellen im Mittelalter ‚I, 8. ‚Aufl. S. 186 290.06, 580,

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zu machen. Sch verfuche dies, indem ich das gedachte Gedicht wenig- ſtens einer Vergleihung mit demjenigen unterziehe, welches ihm nad) Gegenftand und Form am nächiten jteht und alſo zu einem folchen vorzüglih auffordert. Ich meine das herametrijche Gedicht jenes ‘Hibernicus exul’? auf den Abfall und die Unterwerfung des Baiern- herzögs Zaffilo im Jahr 787, welches zuletzt (1833) Angelo Mai (Classicorum auctorum e Vaticanis codieibus editorum T. V, ©. 405 ff.) aus einer dem zehnten Jahrhundert angehörigen, an alten Gedichten reichen Handſchrift der Vatikaniſchen Bibliothek her— ausgegeben hat ?.

Die Aehnlichkeit zwifchen diefen Poefien befchränft ſich nicht darauf, daß beide in der Form des Heldengedichts Thaten Karls des Großen behandeln, fondern fie zeigen aud) fonft in Gedanfengang und Ausdrucdsweife eine gewiſſe Uebereinftimmung. Wie hier der Zwift zwifchen dem Franfenfönig und dem Baiernherzog, wird dort die Empörung gegen den Papſt Yeo und dejfen graufame Mißhandlung der Eingebung der böſen Schlange (des Satans) zugefchrieben, welche von jeher Zwift und Unheil in der Welt gejtiftet habe. Zwar ijt diefe Darlegung in dem Gedicht auf den Abfall Taſſilos bei weiten ausführlicher, aber am beiden Stellen Hat fie doch ganz den näm— lichen Sinn und bewegt fi) aud in ähnlichen Wendungen :

Hibernicus exul, Mai l.c. S. 406— | 407:

Die igitur modulans nutrix mihi maxima vatum,

Quis pacem eximiam conatus fran- gere patrum?

Quis frustra egregiam commovit in arma quietem?

Quae pestis tetigit servum per cuncta fidelem,

Ut domini faciem meruisset cer- nere tristem ?

ı Man hat die anfprecjende, wenn aud) keineswegs fihere Annahme auf- geftelft, es ſei der geehrte Ire Dungal, welder um 825 als Lehrer in Pavia wirkte und zuletzt Mönch im Klofter Bobbio an der Trebia gewejen zu fein fcheint. Siehe über denfelben Lothars Capitular von Corte Olona 825 c. 6, LL. I, 249; Tiraboschi, Storia della letteratura Italiana III?, 180 ff. Neiffericheid in Ber. d. Wien. Afad. LXVII, 563; Wattenbad, a. a. D. und ©. 121, fowie Geſchichtſchr. der deutſchen Borzeit IX, 3, ©. 4 N. 1; Jaffé Bibl. IV, 631. (Monach. Sangall.I, 1); Vl, 714 N. 2 (ad Alcuini epist. Nr. 217); Abel, Karl der Gr. I, 325 N. 2. Bon Dungal von St. Denis (vgl. Dümmler im Archiv f. Kunde öfterreih. Gejhichts-Ouellen XXI, 282— 283. 289) wird man ihn doch wohl unterjheiden müffen,

2 De defectione Dasilonis ducis Bajoariorum. Xeltere Ausgabe in Martene et Durand, Veterum SS. ampliss. collect. VI, 811—814; aud) bei Bouquet V, 405. Bol. Wattenbad) 1°, 118 N. 3; Bähr, Geſch. der Röm. Literatur im larolingiſchen Zeitalter S. 90 ff.; Abel, Karl der Gr. I, vn a n > N. 4; Waitz, Deutſche Verfaſſungsgeſchichte III, 104 N. 1;

I ® [

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Hibernicus exul, Mail. c. &. 406— | Angilberti Lib. III, v. 346 fi., M. 407: G. SS. II, 399 (ed. Orell. ©. 33).

Lubricus hoc serpens profudit

ab ore venenum, nam serpens saevus et Idem qui quondam miseris edixe- atrox, -

rat anguis Qui solet unanimes bello com- Conjugibus mortis mortales pec-| mittere fratres,

tore voces, Semina pestiferi jactare nocenda Qui geminos saevo laniavit vul-| veneni,

nere fratres Suasit in innocuum caecatis men- Et qui germanas maculavit san-| tibus omnes

guine palmas, Saevire . +. Fraternum foedus letales vertit in

iras, Quique pietatis nescire suasit

amorem

(Hinc natus delirans patrium de- risit honorem)!,

Qui populos dudum docuit consoen- dere turrim

Et dominum servis jussit nescire tonantem.

Hic solus scindit perfectae foedera pacis

Et populos saevis gaudet com- mittere bellis,

Ut nullus Christo digne famuletur in orbe,

Mortiferis suadet verbis consurgere lites,

Seminat et rixas, ubi pacis sola jubentur

Foedera, perpetui quis dantur praemia regni.

Invidus hic serpens temptavit frangere pacem,

Qua rex egregius Karolus duxque inelytus una

Dassilo perpetue tenebantur jure beato.

Man vergleiche ferner Hibern. ex. J. c. ©. 406: Et celer aequoreas ventus dum verberat undas mit Angilb. v. 7; ©. 408: Feliei eursu dietum transnavigat amnem In- elytaque innumeris tremuit Germania turmis mit Angilb. v. 415. 423; At rex Francorum stipatus milibus altis mit Angilb. v. 431; Ad quem haec rex placidis deprompsit dieta loquellis mit Angilbert. v. 382 (placidam depromens voce loquellam); ©. 409: Oscula tum libans genibus praeduleia regis mit Angilb. v. 459. 498. Auch Ausdrud und Formen wie sacro stipante metallo? (Mai l. c. ©. 405), donis

2 Diefer Vers könnte eine fpecielle Beziehung auf die Empörung Pippins des Budligen gegen Karl den Großen (792) haben und fpäter hinzugefügt fein. » Bol. Angilb. v. 189. 206. 243.

XIV. 42

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opimis! (©. 408), inelytus (S. 407. 408)2, Ast? (S. 406. 408. 409) u. f. w. erinnern an das dem Angilbert zugejchriebene epiiche Fragment.

Außerdem zeichnen ſich beide Gedichte, wenn wir nicht irre vor den weiten andern Erzeugniſſen der damaligen Poefie dur Klarheit de8 Ausdruds und einen regelmäßigen und fchnellen Fort— chritt der Erzählung aus. Beide find verhältnigmäßig leicht ver- jtändlih. Auf der andern Seite leidet die Schilderung des Hiber- nieus exul an derfelben Oberflächlichfeit und Inhaltsloſigkeit, die fi) in dem vermeintlicd) von Angilbert herrührenden Epos unter glän- zenden Farben umfonft zu verbergen fucht. Beweis und Folge deffen iſt der äußerſt dürftige Ertrag, welchen beide für die Ges Ihichte und Sittenfunde jener Zeit abwerfen. Weniger fommt in Betracht, daß die Anlehnung an Bergil, welche bei dem angeblichen Angilbert fo ſtark hewortritt*, auc bei dem irischen Sänger Bier und da nicht zu verfennen ift. Berückſichtigt man jedoch, daß das Feld der Vergleihung ein ziemlich eng begrenztes ift, da von dem einen Gedicht, dem auf Taſſilos Abfall, nur noch ein bürftiges Bruchſtück vorliegt’: fo wird man die hervorgehobenen Uebereiu— jtimmungen als nicht unerheblid) anerfennen. Sie geben einigen Grund zu der Vermuthung, daß beide von dem nämlichen Verfaſſer herrühren, in welchem Fall die Antorſchaft Angilberts in Betreff des größeren Epos bejeitigt wäre. Dagegen würden wir, felbjt wenn diefe Vermuthung zutreffen follte, nicht annehmen, daß beide Geſänge zu ein und demfelben Ganzen gehört haben. Man könnte darauf verfallen, da beides Fragmente find und beide Begebenheiten aus ber Geihichte Karls des Großen in epifcher Form behandeln. Wie ich bereitS früher auszuführen verfucht habe®, ift e8 jedoch überhaupt ungewiß, ob das größere Ganze, deſſen dritten Geſang das Gedicht von der Zufammenfunft des Könige mit dem Papfte in Paderborn gebildet zu haben fcheint, durchgehende den Thaten Karls gewidmet war; der unmittelbar vorhergehende Theil dürfte mindeftens nicht au feinem Hofe gefpielt haben. Das Gedicht über den Abfall und die Unterwerfung Taffilo8 war dagegen, nad) feinem Eingange zu jchließen, ein felbjtändiges Ganzes für fih. Der Dichter bringt e8, wie er mit einer bei den Poeten jener Zeit auch fonft üblichen Einfleidung jagt, dem Könige ftatt der Jahresgeſchenke dar, welche demfelben die Großen und Bermögenden überreichen. |

! Bal. Angilb. v. 60. 64. 166. 186. 196. 203. 386. 468. 482. Fors ſchungen XII, 589 N. 5.

3 Bol. Angilb. v. 63. 72. 267.

3 Bol, Angilb. v. 76. 103.

* ©. Forſchungen XII, 570—575.

5 S. Martene et Durand |. c. col. 813. Mai ]l. c. ©. 408. Wat⸗ tenbad, a. a. O.

° Forfhungen XI, 585.

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Beridhtigungen.

Der Aufjag von R. Mahrenholg über Johann von Victring, Bd. XII, ift Gegenftand einer Beurtheilung von A. Fournier in der Zeitihrift für d. Defterr. Gymn. 1873, ©. 717, geworden, in der auf einige erhebliche Verſehen des Verf. aufmerffam gemacht ift. So ilt z. 2. ©. 544 die Belagerung Berns auf Verona bezogen, ©. 547 von einem Heirath&bund zwifchen Brabant und Naſſau ftatt geſprochen; S. 558 von der Beſtattung ſtatt Abſetzung (depositio Friedrich II. die Rede. Die von M. in Zweifel gezogene Benutzung des Martin von Troppau iſt überzeugend dargethan, der Zweifel gegen die Abhängigkeit von Ottokars Reimchronik als großentheils unbegründet nachgewieſen. Hr. Fournier hat der Redaction außerdem eine Anzahl kleinerer Berichtigungen zugeſtellt, die fie ſich verpflichtet hält hier mitzutheilen.

©. 538 3. 10 v. o. ſtatt: und 194 zu lefen: und 193, „nn Bu0 668 „673. „nn „n 12vu 269-280 „269-279. —4806b. u. 161 „162. „Ss4l,„ 620 um bis „nn Tmo iſt ©. 283 zu ftreiden.

„nn 8». 0. ſtatt: 13—18 zu lefen: 15— 18. ee o. 388 23.

„rn Bu. 58 u

190 v. "GE : „297. „nn. iIiuıu. Mae Konrad. „542 200.0. 82 84 va 7 296.

u... BED 86867 „285. „nn 272.0 „Eduard » Edmund. „543, 1500 107 104-107. „54, 600. 190 188.

ya BEE: 208 28.

„545 180.0 co. 358 ec. 3593—359. „on Mlvu ec. 288—299 e. 288-300. „ua. Iiuwm 581 551.

„546 110.0. 818 818. „547, 100 ce. 447 . 537. „nn 21v. o.„ 559-560 554-560. „nn 3800. Würzburg Salzburg. „548 21v.0. 502 „682. „549, 80m 7087| 0 7f. „550 16». u Defenftein » Aufenftein.

"nn 6ov.u.ift (cum) zu ftreichen.

„51. 17 vu. flatt: S. 343 zu lefen: ©. 341. „552 190.0. 825 und 826 824 f. und 828. „258, 16 v. u. S. 340 6. 335,

11 v. 15 v.

14 v. 16 v. 13 v. 19 vd. 22 v. 12 v. 13 v. 11 v. 4 v.

Bzesppeer

628

: 1335 zu lefen: 1334.

de jure se nulli facere debere joll e8 heißen: se nulli de jure debere facere.

regho zu leſen: regni.

378 372.

©. 481 68. 381.

Marbad „» Mauerbad).

Neuburg Neuberg.

Neukirchen „Neunkirchen.

Neukirchener „Neunkirchener.

Albrechts „Ottos.

Toloſa „Toledo. Göttingen,

Druck der Dieterich'ſchen Univ.-Buchdruckerei.

W. Fr. Käſtner.

APR 1 1884 J——— | \PR 261884 |

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