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Archivalische Zeitschrift

Bavaria (Germany). Hauptstaatsarchiv

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ZEITSCHRIFT.

IIKRAUSGEGKHEN

VON

DR- FRANZ von LÖHER,

K. IUYKK. OmUim fUTH, RKICHHARCHIV OIRELTOR, UKIVtllHITATHl'HUFliWUH. Oftll. MITwLICIi Ill'H AKAI't «H.N UCK WIHSESW 'II At'TKN IN Ml Kl HIN. IIKlUWF.t, rtr

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STUTTGART.

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lur den Buchbinder: Diesem llamle ist n»eh ein Inhaltsverzeichnis!* zu Band II.

beigegeben.

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A.RCH1VALISCHE

ZEITSCHRIFT.

HERAUSGEGEBEN

VON

FRANZ von LÖHER,

K. BAYER. CEHEIJ1K* RATH. REICH8ARCHIT DIRECTOR. UKIVERSITiTS-rROrtSSOR. ORD. MITGLIED DCK AKADEMIE» DER WISSENSCHAFTEN- IS MCXCHEX. BRl'RSEL «te.

m. BAND.

STUTTGART. VERLAG von W. SP EM ANN. 1878.

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Harvard. College Library

Uiniit Coltectioo Henry LllUc 1';«tco Fand ^l..y 7, lswo.

Druck von (lebrüder Kröner In Stuttgart.

Inhaltsübersicht.

Seite

I. Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive. Von Knnigcb 1

11 Notarielle Thätigkeit der Archive. Vom Herausgeber 1!)

III. Ergänzungen zu den Regesta Pontificum Romanorum von Jaffe" und Pott- hast, vornehmlich aus den Quellen des Ktfn. Preislichen Staatsarchivs zu

Münster I W. Von Wilmans . :(1

IV. Zwei mittelalterliche Archivsanlagen In Italien. Von v. Zahn . . 61

V Abriss der Geschichte des S. Ernestlnischen Gesammt-Archives in Weimar.

Von Burkhardt ftp

VI. Geschichte des stadtischen Urkundenarchlvs zu Breslau. Von Markgraf 110

VII. Ein wiedererstandenes Klosterarchlv In Steiermark. Von Wichner . 137

VIII. Das Archiv der Stadt Hermannstadt und der sächsischen Nation in Sieben- bürgen. Von Zimmermann .

IX. Das Hausarchhr Oettingen-Wallerstein als Quelle Ortlicher Genealogie. Von

Krhrn. v. Löffel holz . . 188

X. Geschichte des Kreisarchivs In Speier. Von Schandein 204

XI. Kurze systematische Uebersicht de» Inhaltt der bayerischen Landesarchive 21fi

XII. Eine archivalische Reise nach London. Von Grflnhagen 220

XIII. Das Gehdmniss de» Rflckl'schen Metallabgusses von Siegeln und Medaillen

und deren Sammlungen im Reichsarchiv zu München. Vom Herausgeher 246

XIV. Der älteste Wlrzbltr|er Bbchofakatatoj). Von Schaffler 275

XV. Bne Tempelherrenurkunde von »67. Von Graue rt 294

XVI. Uebertührung von Siebenbürger Archiven nach Buda-Pest :go

XVII. Literaturbericht

L Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der

Staatsarchive.

Von

Dr. Hubert Ermisch,

Archivar am K. Sachs. Hauptstaatsarchiv.

Der alte Streit, was die nächste Aufgabe der Archive sei, ob der Charakter der Behörde oder der der wissenschaftlichen Anstalt vorwiegen müsse *), ist noch immer nicht ausgekämpft und wird auch wol so lange dauern, bis einerseits über die Laufbahn der Archiv- beamten und namentlich über die Vorbedingungen zum Eintritt in dieselbe und andererseits über die Zusammensetzung und Fortbildung der Archive selbst einigermassen einheitliche Principien festgestellt und festgehalten werden. Ob es dazu wol jemals kommen wird?

*) Vgl. v. Loh er: »Vom Beruf unserer Archive in der Gegenwart« in der Archival. Zeitschr. I 4—72. Dazu Ermisch: »Ueber Staatsarchive« in der wissenschaftlichen Beilage zur Leipziger Zeitung 1877 No. 8ti. Mörath in den Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 1876 Literar. Beil. IV. »Ueber Archive und ihre Einrichtung« im Jahrbuch für Gesetzgebung. Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Heich von v. Holtzen- dorff und Oncken. N. F. I 22*" Heft 133. Strasshurger Zeitung vom 18. Jan.. Kölnische Zeitung vom 1. Marz 1877, und andere Blätter, welche sämmtlich Löher's Anschauung beistimmen. Auch Burkhardt im Correspon- denzblatt der deutschen Archive 1 No. 1 »geht von der Ansicht aus, dass unsere Archive in erster Linie der Staatsverwaltung zu dienen haben und jeder Arcbiv- beamte dahin streben muss , diese ursprüngliche Bestimmung der archivalischen Anstalten festzuhalten«. Gegen Löher's Anschauung ein anonymer Aufsatz in der Zeitschrift »Im Neuen Heichc Jahrgang 1877. Seite G84.

ArcbimlUchc Zeitichrift. III. 1

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Ermisch :

So lange sicher nicht, als noch immer viele Regierungen die Archive für eigentlich überflüssigen Ballast halten, als noch immer hie und da Stellen der Archivbeamten wie eine Art Sinecure an Leute vergeben werden, die vom Fache nichts verstehen, als noch immer die Archive gelegentlich als eine Zufluchtsstätte angesehen werden, zu der sich diejenigen zurückziehen, die anderswo nicht mehr recht vorwärts kommen. Wol werden solche Fälle immer seltener; es ist aber schlimm genug, wenn sie überhaupt vorkommen, und dass sie, sehr zum Schaden der Standesehre und der Leistungen der Archive, thatsächlich noch vorkommen, und zwar nicht bloss in kleinen Staaten, das wird Niemand in Abrede stellen, der archiva- lische Personalverhältnisse verfolgt.

Freilich wirken noch andere Momente mit, um eine grössere Gleichmässigkeit der Archivverwaltung und des Archivwesens über- haupt wenigstens in Deutschland vielleicht für immer unmöglich zu machen. Ein grosses Hindernis ist z. B. die grosse Zahl der Duodez-Staatsarchive, deren Verwaltung, wenn sie einmal geordnet sind, nicht immer die volle Arbeitskraft eines archivalisch oder doch wissenschaftlich gebildeten Mannes in Anspruch nimmt; sie wird also als Nebenamt und zwar meist als ein sehr beiläufiges Neben- amt gegen spärliche Remuneration irgend einem Verwaltungs- oder Justizbeamten übertragen, und gewöhnlich wird dann gar nicht oder äusserst dilettantisch darin gearbeitet. Die Folge davon ist, dass solche Archive für die Wissenschaft mehr oder weniger unzugäng- lich sind oder doch lange nicht genug ausgebeutet werden.

Man könnte aber vielleicht an eine Einigung unter den deut- schen Staaten, die im Besitz von einigermassen beträchtlichen Archi- ven sind, zur Bewirkung einer Gleichmässigkeit des Archivdienstes, der Anforderungen an die Archivbeamten und ihrer pecuniären und dienstlichen Stellung denken. Eine solche Einigung würde den grossen Vortheil haben, dass das der Archiv Verwaltung zur Disposition stehende fachmännische Personal ein weit bedeutenderes sein würde, so dass man sich nicht oder nur ausnahmsweise bei Vacanzen zur Wahl von Personen zu entschliessen brauchte, die archivalisch noch un- geschult sind, und dass den Beamten dasjenige, was ihnen meist fehlt, nämlich Gelegenheit zum Vorrücken, geboten würde. Aber frei- lich dürfte bei einer derartigen Einigung die Frage nach der dienst- lichen Stellung und dem Gehalt der Archivbeamten eine brennende werden; es würde sich herausstellen, dass nach beiden Seiten hin

Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive. 3

die Archivbeamten vielfach äusserst stiefmütterlich behandelt werden, und ohne Zweifel würde man sehr oft nicht geneigt sein, Rang und Gehalt nach Maassgabe der Staaten, in denen die Archivbeamten in günstigerer Lage sind, zu normiren. So haben wir noch nicht viel Aussicht, dass eine derartige Einigung je zu Stande kommen werde; leider sind viele unserer Regierungen noch weit von der Ueberzeugung entfernt, die in Frankreich längst und in Italien neuer- dings entschieden zum Durchbruch gekommen ist: dass die Archive ein Stück der Ehre des Staats bilden. Hoffen wir, dass auch bei uns diese Auffassung mehr und mehr an Boden gewinnt!

So lange eine solche Einheitlichkeit nicht erreii ht wird, so lange werden auch die Ansichten über Archive und ihre Beamten aus- einandergehen; der eine wird die letztern mehr zu Staatsbeamten, der andere mehr zu Gelehrten machen wollen, und die Archiv- beamten werden auch thatsächlich an diesem Archive mehr Beamte sein müssen, weil täglich Fragen der Verwaltung und Justiz an sie herantreten, an jenem werden sie sich mehr der wissenschaftlichen Thätigkeit hingeben können, weil weniger Material ins Archiv ge- langt, das gelegentlich amtliche Verwert hung findet. Will ein Archivar aber seinen Beruf ganz erfüllen, so muss er ohne Zweifel in beiden Sätteln gerecht sein.

Es hat bei dieser Sachlage etwas Missliches, sich über allge- meine Fragen auszusprechen, die im Einzelnen in sehr verschiedener Weise gelöst worden sind und gelöst werden mussten, weil eben die Verhältnisse der einzelnen Archive sehr verschieden sind. Wir halten trotzdem, obwol wir sehr dafür eingenommen sind, jederzeit die praktische Erreichbarkeit zum Maassstabe unserer Erörterungen zu machen, die Aufstellung und Besprechung allgemeiner Grundsätze für durchaus nicht nutzlos, selbst wenn sie im concretcn Falle wesent- lich modificirt werden müssten. Ein wenig Idealismus kann nun einmal der Archivar, der über theoretische Fragen schreiben will, nicht entbehren; ganz besonders in unserem deutschen Archivwesen ist noch gar so viel nachzuholen und zu erstreben, und unsere föfete Hoffnung ist, dass in den nächsten Jahrzehnten mancherlei für das- selbe versucht und gethan werden wird. Darum gilt es mehr einer einheitlichen Anschauung über Archive und Archivverwaltung nach Kräften den Weg zu ebnen, als sich ängstlich an die theilweise so mangelhaften Einrichtungen der einzelnen Archive zu halten. Selbst- verständlich gilt diess nur für allgemeine Erörterungen. Sollen im

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Ermisch:

einzelnen Falle neue Anordnungen getroffen werden, so wäre es sehr ungeschickt, wollte man nicht vorsichtig das Vorhandene be- nutzen und das Neue ihm anzupassen suchen; schon manche Archiv- einrichtung scheiterte daran, dass das Bessere des Guten Feind wurde.

Bei der Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit der Archive und der darüber existirenden Anschauungen ist es leider nöthig, wenn man Irrthümer vermeiden will, vor jeder allgemeinen Erörterung dem Leser aus einander zu setzen, was man unter einem Staatsarchiv versteht1). "Wir definieren ein Staatsarchiv als eine Sammlung von Schriftstücken, welche in der Vergangenheit bei den Staatsbehörden entstanden oder auf amtlichem Wege an dieselben gelangt und für ihren laufenden Gebrauch entbehrlich geworden sind, jedoch mit Rücksicht auf ihre praktische Verwendbarkeit in (oft nicht leicht vorauszusehenden) geschäftlichen Fällen und mit Rücksicht auf die politische, Rechts-, Verfassungs-, Cultur- und Kirchengeschichte des Staats aufbewahrt werden müssen. Unter diese Definition dürften auch die oft hochwichtigen privaten Correspondenzen, Tagebücher u. a. Aufzeichnungen von Personen, die für die Geschichte des be- treffenden Staates von Bedeutung waren, zu subsumiren sein; wenig- stens in der Regel sind sie auf amtlichem Wege an die Behörden und von diesen an das Archiv gelangt. Zu diesem Hauptbestande kommen dann in vielen Fällen die durch Säcularisation , Mediati- sirung, Annexion oder auf andern Wegen in dieselben gelangten Archive von weltlichen und geistlichen Fürstenthümern , Klöstern, Stiften, geistlichen Orden u. s. w. ").

Aus dieser Definition schon geht hervor, dass das Staatsarchiv für die Geschichte des innern wie des äussern Staatslebens des Lan- des oder der Provinz, die seinen Sprengel bildet, die wichtigste, ja die einzige authentische Quelle ist. Gleichviel ob die Wissenschaft oder ob das Geschäflsleben eine Frage nach Verhältnissen thut, die

*) Nach Löh er ist »ein Landesarchiv eine Sammlung amtlicher Schrift- stücke, welche in der Vergangenheit entstanden sind«. Vgl. Archival. Zeitschr. I 19 IT. und meinen oben angeführten Aufsatz. Der geehrte Herr Herausgeber der Archival. Zeitschr. ersieht aus dem Folgenden, dass ich auch seine freundlichen brieflichen Ergänzungen benutzt habe.

*) Dass diese zuletzt genannten, dem Staatsarchiv angegliederten Thcile fort- fahren, eine Art Sonderexistenz zu führen, wenn sie auch in sich nach den für das Archiv bestehenden Principien geordnet werden, können wir nur billigen, da sie im strengsten Sinne des Worts nicht zu dem Staatsarchiv gehören. Vgl. Menzel in v. Sybel's Histor. Zeitschr. XXII 281.

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Ueber Vollständigkeit uml Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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in der Vergangenheit liegen und mit dem Staatsleben in irgend welcher Beziehung stehen, es ist Sache des Staatsarchivs und seiner Beamten, diese Frage zu beantworten oder denen, die sie zu be- antworten wünschen, das Material dazu in die Hand zu geben und den Weg zur Benutzung desselben zu weisen.

Selbstverständlich muss deshalb die Verwaltung eines Staats- archivs vor allem nach Vollständigkeit desselben streben. Nicht als ob wir dafür schwärmten, dass jedes geechriebene Blatt der Ver- gessenheit entrissen würde; im Gegentheil, so manche Archive dürf- ten noch ganz bedeutende Cassationen nutzlosen Ballastes vertragen können. Aber durch diese Säuberung darf doch keine Lücke ent- stehen; nur der ist ein richtiger Archivar, der beurtheilen kann, was wesentlich und was unwesentlich für sein Archiv ist.

Das Staatsleben steht nie still. Wenn nach kürzerer oder längerer Thätigkeit eine Behörde ihren Beruf erfüllt hat, aufgehoben wird und ihre Papiere in die Gewölbe des Staatsarchivs wandern, so sind inzwischen eine oder mehrere andere neue Behörden entstanden ; ihre Wirksamkeit aber bildet in ihren Aktenrepositorien den Niederschlag, nach dem sie künftige Generationen beurtheilen können. Der Beamte, unter dessen Händen die Akten entstehen, steht freilich mitten im praktischen Leben der Gegenwart drin; er hat oft genug das Gefühl, dass, sobald die Angelegenheit erledigt ist, die Akten für die Papier- mühle reif sind. Und das ist ja in der That vielfach der Fall; oft aber auch nicht Da ist es eben nur der Archivbeamte, der eine Auswahl treffen kann ; er muss am Besten wissen, was für die politische, Rechts-, Kirchen- und Culturgeschichte von dauernder Wichtigkeit ist ; er muss in den Stand gesetzt werden, dieses Wissen anzuwenden, d. h. keine Behörde im Lande darf irgend etwas cassiren, ohne vorher das Placet der Archivbehörde eingeholt zu haben. Glück- licher Weise ist diese Notwendigkeit auch in den meisten Staaten, über deren Archivwesen wir etwas Näheres wissen, erkannt und eine regelmässige Controle aller Aktencassationen durch die Archiv- verwaltung eingeführt worden.

Nun ist freilich das Durchsehen von dickleibigen Akten Verzeich- nissen, auch wol das Umwälzen ganzer Registraturen ein viel ge- ringeres Vergnügen als die Edition neuer Quellen und andere rein wissenschaftliche Arbeiten. Es ist weitaus bequemer, irgend einen Schlusspunkt, etwa das Jahr 1813, anzunehmen, allem Neuen so lange den Eingang zu versagen, bis etwa die Geschichte einen neuen

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ß . Ennisch :

»Schlusspunkt« macht, und alles, was jemals eine Behörde veranlassen könnte, die wissenschaftliche Thätigkeit des Archivars zu stören, in das Bureau dieser Behörde auf Nimmerwiedersehen abzugeben. Aber es ist eine verkehrte, höchst mechanische Auffassung des Begriffs Staatsarchiv, der einer solchen Anschauung zu Grunde liegt. Soll das Archiv seine Aufgaben ganz erfüllen, so muss es so gut für die Zukunft sorgen als für die Vergangenheit.

Dass eben dieses Streben nach Vollständigkeit die Staatsarchive veranlassen muss, auch Fühlung mit den Archiven der Städte, Pfar- reien, Corporationen u. s. f. zu halten und wie diess zu bewerk- stelligen sei, darüber sprechen wir uns vielleicht bei einer andern Gelegenheit aus.

Für jetzt sei uns nur gestattet, einen andern hierher gehörenden Punkt etwas eingehender zu erörtern. Wir meinen das Bestehen verschiedener staatlicher Archive unter verschiedener Verwaltung neben einander. Sehen wir, wie es sich in dieser Beziehung zunächst bei einigen deutschen Staaten verhält.

Das Königreich Bayern hat ausser den acht Provinzialarchiven drei das ganze Land umfassende staatliche Archive: das aus dem früheren Landesarchiv hervorgegangene »Reichsarchiv« über den Titel wollen wir nicht streiten , das k. geheime Hausarchiv und das k. geheime Staatsarchiv. Diese eigenthümliche Dreitheilung, die aus dem Jahre 1799 rührt, ist bis auf den heutigen Tag auf- recht erhalten worden. Alle Urkunden und Akten, die persönliche und Vermögensverhältnisse des Herrscherhauses oder einzelner Glie- der desselben betreffen, alle Familienverträge, Erbtheilungssachen, Testamente, Vermählungsangelegenheiten und dergl. und zwar aus der frühesten bis zur spätesten Zeit, liegen im Hausarchive, alles, was die Beziehungen zu auswärtigen Mächten sowie zum Reich an- langt, im Staatsarchiv, alles übrige im Reichsarchiv und den acht andern Landesarchiven. Die Archive stehen unter verschiedener Oberleitung: die Genehmigung zur Benutzung des Reichsarchivs er- theilt in Zwcifelsfallen das Ministerium des Innern, wahrend die Be- nutzung des Haus- und Staatsarchivs von der Bewilligung des Königs resp. des Ministeriums des Auswärtigen abhängt *).

In Baden bestehen ebenfalls drei Archive neben einander, näm- lich das allgemeine Landesarchiv, das grossherzogliche Haus- und

>) v. Löher: Archival. Zeitschrift. 1 82. 83. 107.

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Ueher Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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FamiKenarchiv und das geheime Staatsarchiv; sie haben jedoch unter der Bezeichnung Generallandesarchiv eine einheitliche Direction und Verwaltung. Nur bei der Ertheilung der Genehmigung zur Benutzung derselben zeigt sich, dass sie doch nicht zu einem Archivkörper zu- sammengewachsen sind: für die Benutzung des Landesarchivs ist das Ministerium des Innern, für die des Ilausarchivs der regierende Gross- herzog bez. das geheime Cabinet, für die des geheimen Staatsarchivs das Staatsministerium competent »).

Weniger künstlich als diese Dreitheilung ist das Verhältniss da, wo neben einem Staatsarchive ein Hausarchiv steht. So giebt es in Preussen ausser den Staatsarchiven in den Provinzen und dem geheimen Staatsarchiv zu Berlin das königl. Hausarchiv. Wahrend alle übrigen Archive unter dem >Directorium der preussischen Staats- archive« und in letzter Linie unter dem Präsidenten des Staats- ministeriums als Chef der Archivverwaltung stehen, hat das Haus- archiv eine gesonderte Direction und Verwaltung und gehört zum Ressort des Hausministeriums *).

Aehnlich ist das Verhältniss in Sachsen- Weimar; es besteht neben dem geheimen Haupt- und Staatsarchiv, wenn auch unter demselben Vorstand, ein gesondertes Hausarchiv 8).

Auch in Württemberg sind Haus- und Staatsarchiv nur räum- lich getrennt, sie stehen unter einheitlicher Verwaltung; sie gehören hier zum Ressort des Königl. Hauses und der Auswärtigen An- gelegenheiten. Daneben bestehen noch Archive oder doch weit zurück- reichende Registraturen bei den einzelnen Ministerien*).

Am Vollkommensten ist die Vereinigung von Haus- und Staats- archiv, soviel mir bekannt ist, in Sachsen durchgeführt. Sie bilden hier zusammen das Haupts» aatsarchiv und stehen unter dem Ge- sammtrninisterium, das die Genehmigung zur Benutzung ertheilt. Bis zum Jahre 1873 bestand ein getrenntes, sehr umfangreiches Finanz- archiv, das zum Ressort des Finanzministeriums gehörte; man hat es, vollkommen richtigen Principien folgend, in dem genannten Jahre mit dem Hauptstaatsarchive vereinigt5).

') Burkhardt: Hand- und Adresshucb 2. •) Ebendaselbst 98 fg. ») Ebendaselbst 152 fg.

4) S. ausserordentl. Beilage zum Deutschen Beichsanzeiger No. 50 vom 20. Dec. 1875.

') In Sachsen wie anderwSrts herrscht leider der Misbrauch, alle Begistra-

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Crmisch :

Auch in den kleineren deutschen Staaten sind Haus- und Staats- archiv vielfach verbunden, und diese Verbindung ist meist geboten, weil das Material zu geringfügig ist, um eine doppelte Verwaltung zu rechtfertigen. Leider ist hie und da die Folge dieser Verbindung gewesen, dass die Unnahbarkeit des Hausarchivs sich auch auf das Staatsarchiv erstreckt hat.

Was die ausserdeutschen Länder anlangt, so wird Frankreich als der Staat genannt, der in seiner Archivverwaltung die straffste Centralisation durchgeführt hat; ohne Zweifel verdankt Frankreich dieser centralisirten Verwaltung eine in ihrer Art vortreffliche Ord- nung seiner Departemental- , Communal- und Hospitalarchive, die freilich und das ist unserer Meinung nach ein grosser Fehler durchaus schematisch, ohne Rücksicht auf die besondere Geschichte der Landestheile, ohne Rücksicht auf die geschichtlichen Grenzen u. s. w. künstlich gemacht worden ist; das Abbild eines Volkes, das mit seiner Geschichte einmal gründlich gebrochen hat. Merkwürdiger Weise vermisst man diese Einheit in oberster Instanz. Die Ober- leitung der Departementalarchive ist bei dem Ministerium des Innern, während das allgemeine französische Gentraiarchiv im Jahre 1853 dem Ministerium des Innern entzogen und dem Staatsministerium zugewiesen worden ist ,). Daneben bestehen in Paris bei einzelnen Ministerien Archive, von denen z. B. das Archiv des auswärtigen Amts grosse Wichtigkeit haben und bis ins Mittelalter zurückreichen, aber sehr schwer zugänglich sein soll.

In Italien dagegen, dessen Archivorganisation bekanntlich ganz neuerdings eine durchgreifende und theilweise sehr anerkennens- werthe Regelung erfahren hat, stehen seit dem 1. April 1874 sämmt- liche Staatsarchive, nämlich das noch in der Bildung begriffene Reichsarchiv in Rom, die Centraiarchive, d. h. die Archive, welche die Documente der Centralstellen jener Staaten, aus denen sich das Königreich Italien gebildet hat, umfassen, und die nicht centralen Staatsarchive unter der Leitung des Ministeriums des Innern; man hat dort erkannt, wie grosse Ucbelstände die Vertheilung unter ver- schiedene Ministerien im Gefolge hat*).

turen als Archive und wo möglich die Kanzleibeamten, die mit ihrer Verwaltung beauftragt sind, als Archivare zu bezeichnen. Von solchen Archiven sehen wir hier natürlich ab.

') Vgl. H. Pfannenschmid: Das Archivwesen in Elsass-Lothringen. 43. *) v. Zahn: Archival. Zeitschr. I 183. 177.

lieber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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Den vollständigen Gegensatz zu dieser Einheitlichkeit der Ober- leitung bildet der Zustand des Archivwesens in Oesterreich. Hier fehlt es an jeder Centralisation '). Die Archive der einzelnen Kron- länder stehen, soweit sie ständisch sind, unter den Landesausschüs- sen, soweit sie staatlich sind, unter den Oberbehörden der Landes- theile und in einer wol sehr losen Verbindung mit dem Ministerium des Innern2). Das k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das sich jetzt, aber noch nicht sehr lange, unter Arneth's Leitung einer sehr liberalen Verwaltung erfreut, untersteht dem Ministerium des kaiserlichen Hauses und dem des Aeussern; in der Regel reicht die Genehmigung des Directors zur Benutzung aus. Die übrigen Ministerien, das Reichsfinanzministerium, das Ministerium des Innern, das Reichs-Kriegs- und Justizministerium und das Ministerium für Cultus und Unterricht haben ihre eigenen Archive unter eigener, sehr verschiedener Verwaltung. Wiederholt hat man Vorschläge zu einer mehr einheitlichen Organisation gemacht; wir erwähnen nur die Pläne, die Dudik im J. 1856 verfolgte8), und das Gutachten einer in neuerer Zeit durch das Ministerium des Innern berufenen Commission, welches durch v. Meiller, Sickel und v. Zahn aus- gearbeitet worden ist4). Aber die Ausführung dieser Vorschläge scheiterte wol besonders daran, woran leider so viel Erstrebens- werthes im Archivwesen scheitert: an der Geldfrage.

Sehr eigenthümlich sollen Englands archivalische Verhältnisse sein, und es wäre recht dankenswerth , wenn dieselben einmal von kundiger Feder dargestellt würden. Bis jetzt fehlt unsers Wissens eine solche Bearbeitung, und wir sind daher nicht ausreichend orientirt 6). Soviel uns bekannt, bestehen aber auch in London neben dem Record Office, dem englischen Centralarchivc, bei den einzelnen Ministerien Archive.

Wir stellten oben die Vollständigkeit als die wichtigste Be- dingung für die Leistungsfähigkeit der Staatsarchive hin. Der Histori- ker wie der praktische Geschäftsmann wird uns gewiss zugeben, dass das Staatsleben, wenn man es in seiner Totalität erfassen will, wie es in Archiven erfasst werden soll, sich nicht in verschiedene

') Burkhardt: Hand- u. Adressbuch 86. Vgl. Wol ff: Geschichte der k. k. Archive in Wien. Wien 1871.

») v. Löher: Archival. Zeitschr. I 44. ») Wol ff a. a. O. 141. 4) das. 244.

») Vgl. unten »Reise nach London« von GrOnhagen. (Anm. d. Red.)

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Ermisch :

Theile zerreissen lässt. Die Verwaltung eines Staats macht allerdings eine Theilung der Arbeit zur unumgänglichen Notwendigkeit. Aber richten wir den Blick in die Vergangenheit, suchen wir Verhaltnisse und Vorgänge früherer Zeiten zu verstehen, sei es um irgend eine noch für die Gegenwart praktisch wichtige Frage zu erörtern, sei es zu rein wissenschaftlichen Zwecken, immer werden wir gezwungen sein, die verschiedenen Seiten des Staatslebens im Zusammenhange zu erfassen; wir können nie eine einzelne ohne Rücksicht auf die übrigen erörtern, ohne dass wir Gefahr laufen, in Irrthümer zu ver- fallen. Niemand kann die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte eines Staats verstehen , ohne seine Verhältnisse dem Auslande gegenüber zu berücksichtigen; Niemand den kirchlichen oder den ökonomischen Zustand des Landes richtig beurtheilen, ohne die mannichfachen Ursachen und Wirkungen, welche die politische Ge- schichte bietet, in Erwägung zu ziehen. Auch die persönlichen Ver- hältnisse des Herrscherhauses fangen eigentlich erst in diesem Jahr- hundert, seitdem das constitutionelle Princip zur Herrschaft gelangt ist; an, sich von den allgemeinen Verhältnissen des Landes, und auch das nur nach gewissen Seiten hin, zu scheiden.

Es ist daher unserer Ansicht nach nicht zu billigen, wenn die Archivalien, welche die verschiedenen Seiten des Staates betreffen, von einander getrennt aufbewahrt und verwaltet werden. In amt- lichen Fällen, in denen der Staat von seinen Archivbeamten die Erörterung dieser oder jener Staats- oder privatrechtlichen Frage ver- langt, werden zwar ohne Zweifel in den Ländern, wo, wie in Oester- reich, neben dem Hauptarchive gesonderte Archive der Ressortmini- sterien bestehen, diese letztern den mit der Recherche beauftragten Beamten ihre Materialien zu Gebote zu stellen haben. Aber würde dieser Beamte nicht viel leichter und besser seine Aufgabe zu lösen im Stande sein, wenn diese Materialien in einem, ihm vermöge seiner amtlichen Stellung genau bekannten Archive vereinigt sind, als wenn er sie an verschiedenen Stellen zusammensuchen muss und sich dabei auf die Mitwirkung anderer angewiesen sieht , die oft nicht die nöthige archivalische Schulung, nicht die nöthigen Kenntnisse besitzen, um die an sie gestellten Fragen erschöpfend beantworten zu können?

Noch viel schlimmer aber gestaltet sich dies Verhältnis für diejenigen, die aus wissenschaftlichen Gründen die Archive durch- forschen; und bei aller Achtung, die wir vor dem praktischen Be- ruf der Archive und vor ihrer Aufgabe, die Staatsbehörden zu unter-

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Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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stützen, haben, können wir ja doch nicht leugnen, dass sie faktisch weit mehr wissenschaftlichen als amtlichen Zwecken dienen und dass ihre Bedeutung für die Wissenschaft in den meisten Ländern doch wol eine noch höhere ist als die für die unmittelbaren Zwecke des Staats. Was soll man dazu sagen, wenn dem Forscher bei- spielsweise alles Material für die innere Geschichte des Landes mit grösster Bereitwilligkeit zu Gebote gestellt wird, er dagegen auf un- überwindliche Schwierigkeiten stösst, sobald er die äussere Geschichte desselben Staates zu derselben wenn auch Jahrhunderte zurück- liegenden — Zeit, ohne deren Kenntnis sich viele Vorgänge im Innern nicht erklären lassen, zum Gegenstande seiner Untersuchung machen will? Was soll man dazu sagen, wenn er aus den Archiven des Ministeriums des Innern alles Material zu einer Verwaltungsgeschichte des Landes erhält, dagegen das Finanzministerium ihm die doch unumgänglich nöthige Ergänzung dieses Materials einfach verweigert, so dass er zwar aus jenen Akten weiss, was die beiden Ministerien vereinbart haben, vielfach aber nicht weiss, wie diese Vereinbarungen nun auch den untern Landesbehörden gegenüber ausgeführt worden sind? Es sind dies Fälle, wie sie in einzelnen Staaten nicht gar selten vorkommen; wir würden Beispiele anführen können, wenn unsere Kenntniss sich nicht meist auf private Mittheilungen stützte und wir uns deswegen zu einer gewissen Discretion verpflichtet fühlten. Dem Fachmann und dem Historiker gegenüber, der Gelegenheit hatte, sich viel in fremden Archiven umzusehen, werden diese Thatsachen ohnehin nicht neu sein.

Einen Zweck hat eine solche Geheimthuerei in den seltensten Fällen. Es giebt wirklich in den Archiven nicht gar so vieles, was

') In den neun bayerischen Landesarchiven ist entschieden das Entgegen- gesetzte der Fall. Vgl. Archival. Zeitschr. I 2f! ff. Dort heisst es: >Warum aber arbeiten die bayerischen Archive noch immer für Staat und Recht so viel und die preussischen so wenig? Die Ursache kann nur sein, dass Beamte, Advoka- ten und Private, wo es sich um Feststellung von Rechtsverhältnissen handelt, in Preussen sich nicht so häufig an die Archive wenden, als in Bayern. Und wes- halb nicht? Entweder sind sie nicht gewöhnt, in Rechts- und Verwaltungs- sachen die Archive zu benützen, oder diese besitzen nicht genügendes Mate- rial, gerade solche Fragen zu beantworten, oder die Archivbeamten gewähren keine ergiebige Auskunft, weil sie die Archivalien entweder noch nicht haben genügend durcharbeiten können , oder nicht darauf eingeübt sind , sie juristisch sprechen zu lassen. Der erste und zweite dieser Gründe wird wohl überall Platz greifen.« (An in. d. Red.)

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Ermisch :

das Licht der Oeflentlichkeit nicht vertragen könnte, und dieses Wenige wird in einem wirklichen Staatsarchiv von wirklichen Ar- chivbeamten ebenso gut oder besser geheim gehalten werden können als in dem Archiv eines Ressortministeriums.

Aber selbst in den Fällen, in denen die verschiedenen Archive eines Landes auch dem Forscher bereitwillig ihre Schätze zur Ver- fugung stellen, hat er mit allerhand zeitraubenden Unbequemlich- keiten zu kämpfen, wenn er an drei oder vier verschiedenen Orten in drei oder vier nach verschiedenen Gesichtspunkten mehr oder weniger gut geordneten Archiven, hier unter Leitung von sachver- ständigen Führern, dort unter der eines als Jurist oder Kanzlei- beamter vielleicht ganz tüchtigen, aber der Wissenschaft fremd und gleichgUUg gegenüberstehenden Mannes, arbeiten soll.

Wir sind übrigens, und das wollen wir zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich hervorheben, keineswegs ein unbe- dingter Freund der Centralisation der Archive; wir wünschen die Einheitlichkeit nur, so weit sie eine berechtigte und in der Geschichte begründete ist. So geben wir durchaus die Zweckmässigkeit provin- zieller Archive zu, soweit diese Provinzen ehedem eine selbständige Existenz hatten, beziehungsweise jetzt noch selbständige Theile eines Ganzen bilden. Diese provinziellen Archive sind so zu ordnen, wie es ihrer inneren Natur und der Geschichte der Provinz entspricht; dass die beängstigende Schematisirung des französischen Depar- tementalarchivwesens uns wenig gefallen kann, bemerkten wir schon oben.

Aber so wenig wir neben dem provinziellen Archive ein (über den Maassstab einer Registratur hinausgehendes) Archiv des Ober- präsidiums oder wie die provinzielle Oberbehörde sonst heissen mag, billigen können, so wenig können wir bei den Gentraiarchiven eines Landes eine solche Theilung gut heissen. Unserer Ansicht nach sollten alle Ministerien alles, was sie für den currenten Gebrauch ent- behren können, an das Staatsarchiv abgeben und für sich nur eine Registratur behalten. Im Einverständnis mit den Oberbehörden sollte alsdann die Archivbehörde zu entscheiden haben, was von diesem Material der Aufbewahrung werth und was zur Gassation geeignet ist. Ebenso haben alle übrigen Behörden dem Central- bez. den Provinzialarchivcn gegenüber zu verfahren. So würde das Staatsarchiv die ihm zukommende Stellung im Staatsorganismus einnehmen und könnte wirklich Bedeutendes leisten : es enthält dann

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Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive. 13

thatsächlich alles, was die früheren Perioden des Staatslebens aufzu- klären geeignet ist. Wenn ja einmal eine Behörde eines der abge- gebenen Aktenstücke braucht, so ist es ja gut aufgehoben, und es ist Sache des Archivars, jederzeit zu wissen, wo es aufgehoben ist.

Dass uns aus denselben Gründen wie das gesonderte Bestehen von Ministerialarchiven auch die Existenz eines geheimen Staats- archivs neben einem Landesarchiv, wie z. B. in Bayern der Fall ist, nicht zweckmässig erscheint, brauchen wir kaum besonders zu er- wähnen ; ist dasselbe doch im Grunde nichts als ein Archiv des aus- wärtigen Amtes.

Auf weit grössere Schwierigkeiten als die vielfach schon bewirkte Vereinigung des gesammten bei Staatsbehörden entstandenen archi- valischen Materials an einer Stelle dürfte in den meisten Fällen die Verbindung der Hausarchive mit den Staatsarchiven stossen. That- sächlich ist sie gleichwol in verschiedenen Staaten, wie in Sachsen und Württemberg, durchgeführt, und gewiss nicht zum Schaden weder des Hauses noch des Staates. In vielen Staaten wird man uns freilich Familienstatute und Hausgesetze entgegenhalten, die den Bestand eines gesonderten Hausarchivs vorschreiben und leider die Benutzung desselben oft gar sehr beschränken. Mag man nun in manchen Fällen sich beinahe versucht fühlen, an das bekannte »summum jus, summa injuriat zu denken, es wird sich doch, wenn das betreffende Regentenhaus nicht den Willen oder die Macht hat, das fragliche Statut zu ändern, nichts thun lassen.

Auch hat ja ohne Frage jede fürstliche Familie so gut wie jeder Privatmann das Recht ein Archiv zu besitzen, die Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse ihrer Mitglieder beziehen, nach Befinden zu verschliessen und Niemandem einen Einblick in die- selben zu gestatten. Was aber den Staat betrifft, muss auch von Staatsbeamten verwaltet werden und den Zwecken des Staats (und der Wissenschaft) dienen können.

Nun bemerkten wir bereits oben, dass erst unser Jahrhundert eine schärfere Scheidelinie zwischen Staatssachen und persönlichen Angelegenheiten des Herrscherhauses gezogen hat. Wenn man für frühere Jahrhunderte und gar für das Mittelalter zwischen den Finanzen des Staats und denen des fürstlichen Hauses, zwischen Verträgen, welche ausschliesslich die Familie, und solchen, welche daneben auch das Land betreffen, unterscheiden wollte, so würde man bald sehen, dass sich dies nur in sehr unvollkommener Weise

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Ermisch :

durchführen Iässt. Die privatrechtliche Auffassung, die über das Verhältnis zwischen Staat und Herrscher bestand und auf die jene mannichfachen Theilungs- und Erbverträge u. dergl. zurückzuführen sind, macht in der ältern Zeit eine stricte Scheidung zwischen Haus- und Staatsarchiv unmöglich. Wenn Löher eine Abgabe aller Akten und Urkunden z. B. über Heirathen, Familienverträge, Län- dertheilungen, Vormundschaften, Testamente und Erbschaften, Schul- den und Vermögenssachen, aller Correspondenzen und Tagebücher u. dgl., die noch etwa in Staatsarchiven stecken, an die Hausarchive vorschlägt und dagegen verlangt, dass die letztern alles, »was nicht Geschichte und Güterbesitz des Regentenhauses betrifft", umgekehrt den Staatsarchiven übergeben sollen, so wird ihm selbst kaum ent- gehen, dass die Staatsarchive dabei im Allgemeinen sehr schlechte Geschäfte machen dürften; ja wir glauben behaupten zu können, dass eine Durchführung dieser Principien manches Staatsarchiv, wenigstens was seinen ältern Bestand anlangt, total ruiniren würde.

Es ist, däucht mir, das stolzeste Gefühl für ein Regentenhaus, so innig mit seinem Lande verwachsen zu sein, dass die Familien- geschichte sich von der allgemeinen Landesgeschichte gar nicht trennen lässt. Darum sollte man die Hausarchive, die wir ja keines- wegs ganz aufgehoben wissen wollen, auf dasjenige beschränken, was lediglich Privatsache des Regentenhauses ist; oder, wenn man es für nöthig hält, auch auf solche Papiere, die aus irgend einem Bietäts- oder sonstigen Grunde secretirt werden sollen. Hoffen wir, dass die Zahl der älteren Akten und Urkunden, die ihrem Inhalt nach geheim zu halten sind, mit jedem Jahre in demselben Maasse abnehme, als die Wissenschaft der Geschichte und die Oeflentlich- keit des Staatslebens fortschreitet.

Dass eine solche Vereinigung aller verschiedenen Landes-, Staats-, Ministerial- und Hausarchive zu einem Organismus, bei dessen Ord- nung man natürlich nicht willkürlich verfahren darf, sondern überall die Art, wie die einzelnen Theile entstanden sind, berücksichtigen muss, einen ganz enormen Fortschritt des Archivwesens bedeutet, da- für sind die Staaten der beste Beweis, in dienen dies ganz oder theil weise durchgeführt ist. Ich darf dabei wol vorzugsweise auf das k. sächsische Hauptstaatsarchiv zu Dresden hinweisen *), das in der That selbstverständlich mit Ausnahme der Archive der

') Vgl. über dasselbe v. Weber im Archiv für sächs. Geschichteil 1 ff.

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Ueber Vollstfindigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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Städte, der noch bestehenden Stifter und Klöster u. s. w. so ziem- lich alles urkundliche und aktliche Material für die Geschichte des Landes umfasst.

Man wird uns einwenden, dass diese für praktische wie für wissenschaftliche Zwecke gleich vortheilhafte Vereinigung der Archive in einem kleinen Lande weit leichter durchzuführen sei als in einem grossen. Vielfach würde man neue, geräumige Archivgebäude brau- chen; die Verwaltung müsste in vielen Ländern auf einen ganz andern Fuss gebracht werden, man müsste bedacht sein, wissenschaftlich geschulte Beamte anzustellen und nicht mehr, wie bisher nicht sel- ten bei jenen Ministerialarchiven der Fall ist, Kanzleibeamte. Es würde sich bei der Neueinrichtung von Centraiarchiven von Neuem zeigen, was sich bei ähnlichen Gelegenheiten schon oft gezeigt hat, dass es an geeignetem Personal fehlt und zwar darum fehlt, weil die Rang- und Gehaltverhältnisse der Archivbeamten ihre Laufbahn bisher nicht sehr verlockend erscheinen liessen. Ohne alle Frage ist, wenn anders das Archivwesen sich heben soll, eine Abhilfe in dieser Beziehung ebenso geboten, wie eine allmähliche Abschaffung derjeni- gen Archivbeamten, die in früherer Zeit aus Gnade und Barmherzig- keit in den Archiven Beschäftigung gefunden haben, obwol oder weil sie eigentlich zu gar nichts zu brauchen waren. , Aber zu all diesem braucht man Geld; und die Geldfrage ist stets der wunde Punkt. Der Mangel an Verständnis und an Inter- esse, den viele unserer Regierungen den Archiven entgegen bringen, zeigt sich nirgends deutlicher, als wenn wir in ihre Budgets blicken. Die Zahlenreihen, die Löher ») bringt, geben viel zu denken. Allein hier können wir weder rathen noch Abhilfe schaffen, nur hoffen, dass die Zukunft immer mehr richtigen Begriffen über das Archiv- wesen Bahn bricht und dass die Archive in Folge dessen mehr und mehr aufhören, die Aschenbrödel unter den Staatsbehörden zu sein.

Wenn die Staatsarchive jene Vollständigkeit erreichen, so dürf- ten sie auch eher eine selbständige Stellung im Staatsorganismus einzunehmen im Stande sein, wie sie Löher für dieselben ver- langt *). Sie stehen dann als für sich bestehendes Ganzes allen Staatsbehörden, den obern wie den untern, gegenüber. Einen Archiv-

') Archival. Zeitschr. I 30. *) Archival. Zeitschr. I 41.

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Ermisch :

minister, wie die Türken und Chinesen haben, verlangen wir darum doch nicht, sondern halten ihn mit Löher für einen überflüssigen Luxus. Dagegen glauben wir nicht, dass es ganz gleichgiltig ist, welcher Oberbehörde ein solches Centraiarchiv unterstellt wird. Fliessen die Akten aller Landesbehörden an einer Stelle zusammen, so geht diese Stelle die sämmtlichen Ministerien an, und sie alle haben die Berechtigung und Verpflichtung, über diese Stelle eine Art Controle auszuüben, auch über die Arbeitskräfte der Archivbeamten zu ver- fügen, wenn es amtliche Ermittlungen auf Grund archivalischen Ma- terials vorzunehmen gilt. Bei Benutzung des Archivs zu wissenschaft- lichen oder andern privaten Zwecken ist freilich weitaus in den mei- sten Fällen die Einholung einer höheren Genehmigung eine blosse, recht überflüssige Form; es wird doch bis auf wenige Ausnahmefälle nur der Archivar selbst wissen, was er vorlegen darf, ohne das Staatswohl zu gefährden, und wem er es vorlegen darf, und die Oberbehörde wird nur auf Grund des sachverständigen Gutachtens des Archivars entscheiden. Es ist darum auch hier und da diese Formalität, die einem Gelehrten, der oft nur wenige Tage Zeit zur Benutzung eines Archivs hat, unter Umständen recht unbequem sein kann, abgeschafft worden; so haben z. B. im k. und k. Haus-, Hof- und Staatsarchive zu Wien, im kön. Württembergischen Staats- archive zu Stuttgart, im Reichsarchive zu München, im Hauptstaats- , archive zu Dresden die Directoren das Recht, in den meisten Fällen die Genehmigung zur Benutzung ohne weitere Anfrage höhern Orts zu ertheilen, und das Centraiarchiv zu Paris, sowie das Record Office zu London (letzteres wenigstens für Sachen, die vor das > Normaljahr« - 1762 fallen) sind, wie wir hören, sogar ohne vorhergehende Geneh- migung, ganz wie Bibliotheken, zugänglich.

Das ist eine sehr nachahmenswerthe Liberalität. Allein es giebt immerhin Fälle, in denen es dem Archivvorstand selbst erwünscht sein muss, die Meinung bald dieses, bald jenes Ressortministeriums zu erfahren, und es ist vortheilhaft, wenn die über das Archivwesen gesetzte Oberbehörde so zusammengesetzt ist, dass sie der Archiv- verwaltung die erbetene Auskunft bez. Genehmigung ertheilen kann. In kleineren Staaten, z. B. in Sachsen, ist deswegen das Archiv ganz passend dem Gesammtministerium unterstellt; und diese Ein- richtung scheint uns mutatis mutandis auch für grössere Staaten anwendbar, wenn man auch aus geschäftlichen Rücksichten an Stelle der Behörde die Person setzt. Uebrigens ist thatsächlich in Preussen

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Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive.

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das Archivwesen in diesem Sinne geordnet, insofern es dort unter dem Präsidenten des Staatsministeriums steht.

Löher hat übrigens vollkommen Recht, wenn er den Schwer- punkt der Verwaltung des Archivwesens nicht in der obersten Lei- tung sieht. Gewiss wird sich >nicht leicht ein Minister oder Jemand von seinen Referenten zum archivalischen Sachverständigen ausbilden wollene,1) und wo bisher Versuche gemacht worden sind, ohne Mit- wirkung von wirklich Sachverständigen das Archivwesen zu dirigiren und zu verwalten, da sind die Resultate namentlich wenn man sie mit Rücksicht auf die Wissenschaft betrachtet, die zwar nicht den nächsten, aber den weitesten Beruf der Archive bildet meist nicht sehr erfreulich gewesen.

Thatsächlich muss unbedingt die Oberleitung des Archivwesens in den Händen von Fachleuten sein, mag nun aus ihnen eine Gom- mission gebildet werden wie das Archivdirectorium in Frankreich, oder mag ein Einzelner als Director der Staatsarchive an die Spitze des gesammten Archivwesens gestellt werden wie in Preussen, oder mag diese Stellung mit der des Vorstandes des Centraiarchivs ver- einigt werden, wie in Baiern bezüglich der Kreisarchive der Fall ist, oder mag, wie in verschiedenen kleinern Staaten, die nur ein Archiv besitzen, der Vorstand dieses Archivs zugleich Referent für archivalische Sachen im Ministerium sein. Nur der Fachmann wird dem eigenartigen, halb amtlichen und halb wissenschaftlichen Beruf der Archive ganz gerecht werden können: bei jedem andern wird die Gefahr nahe liegen, dass dieselben entweder lediglich als Regi- straturen der verschiedenen Ministerien oder als rein wissenschaft- liche Anstalten behandelt werden, dass die Beamten im erstem Falle die Fühlung mit der Wissenschaft verlieren, im letztern vom hohen Rosse der Forschung herab hochmüthig auf die amtlichen Arbeiten herabblicken, die nun einmal ganz wesentlich zum Beruf des Archi- vars gehören.

Und wie die Oberleitung des Archivwesens, so sollten auch für die Direction der einzelnen Archive wie für alle übrigen höhern archivalischen Posten möglichst nur Fachleute verwandt werden. Dass dies noch gar nicht zur Regel geworden ist, während man z. B. zur Stellung eines Oberbibliothekars an einer grössern Bibliothek kaum einen andern als einen geschulten Bibliotheksbeamten wählen wird,

«) Archival. Zeitschr. I 42. ArchlralJBch« Zeitschrift. III. 2

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18 Ermisch: Ueber Vollständigkeit u. Einheitlichkeit der Staatsarchive.

das halten wir für einen grossen Schaden unsers deutschen Archiv» wesens, so wenig wir übrigens verkennen, dass manche, die, aus andern Stellungen austretend, die Leitung eines Archivs übernommen haben, vorzügliche Archivdirectoren geworden sind und sich um die ihnen anvertrauten Schätze hochverdient gemacht haben. Hoffen wir, dass die Zeit nicht mehr fern ist, in der es genug tüchtige Archiv- beamte giebt, um diesen, nicht Professoren, Verwaltungs- oder Justiz- beamten die Leitung der Archive anzuvertrauen; meiner Ueberzeugung nach würde dies dem Archivwesen nur Nutzen bringen und der Berufsehre mehr entsprechen, als das bisher vielfach beobachtete Verfahren.

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II. Notarielle Thätigkeit der Archive.

Vom Herausgeber.

In der ersten Abhandlung, welche diese arehivalischen Jahr- bücher einführte und überschrieben ist „Vom Beruf unserer Archive für die Gegenwart", legte der Herausgeber dar, dass und wie die Archive, welche von allen überkommenen Instituten aus früherer Zeit am meisten verwahrloset und am wenigsten nach Geist und Forderung der Gegenwart fortgebildet wurden, endlich aus ihrem unerträglichen Halbwesen heraus müssten.

Entweder müsse man sie lediglich als wissenschaftliche Anstalten behandeln, den Bibliotheken anreihen und ganz wie diese der öffent- lichen Benützung übergeben, nachdem zuvor die Akten und Doku- mente, die der Staat zu seinen laufenden Geschäften noch bedürfe oder die sich nicht für die OefTentlichkeit eignen möchten, ausge- schieden und den Registraturen der Behörden zugeleitet worden. Dann könnten die Bibliotheken die gedruckten Bücher, die Archive die Handschriften umfassen, die Archivbeamten aber sich rein der Förderung der Wissenschaft hingeben, unbekümmert fortan durch die Anforderung, Nachforschungen und Berichte und Gutachten in jenen vermögensrechtlichen und administrativen Fragen zu machen, wie sie bei ihrer Vorbildung und Geistesrichtung ganz natürlich das Kreuz und Leiden mancher Archivare sind. Die Archive würden dann, statt bei Provinzial- und Regierungsstellen, ihren Wohnsitz am füglichsten bei den Universitäten nehmen.

Sobald man diesen Weg betreten würde, müssten aber, eben weil er gegen Natur und Charakter der Archive ginge, Schwierigkeiten, Fährlichkeiten und Unklarheiten ohne Ende auftauchen. Nur ein

20 Löher :

herzhafter Schnitt könnte da helfen, der freilich auch kostspielig wäre, und allen Ernstes Hesse sich zuletzt, wenn die Archive zer- hauen wären und Wissenschaft und Staatsverwaltung jede das Ihrige hätten, dennoch die Frage aufwerfen, ob der Staat nun für doppelte Kosten sich nicht geringere Leistungen erobert hätte? ob die Wissenschaft nicht ärger dabei gefahren, da nun aus den Archiven man so Vieles habe in die geheimen Registraturen der Behörden zu- rückschieben müssen? und ob sich nicht über kurz oder lang in den Akten- und Urkundenkammern der Staatsbehörden wieder Zu- stände einstellen würden, welche dem heutigen Archivwesen unge- mein ähnlich sähen?

Lässt sich aber die Erkenntniss nicht abweisen , dass es nicht bloss höchst kostspielig, sondern auch widersinnig und desshalb un- ausführbar ist, das bloss geschichtlich Werthvolle von dem zu son- dern, was für den Staat praktisch unentbehrlich ist, dann muss man auch mit Entschiedenheit den andern Weg betreten und das Archivwesen im Sinne seines alten Charakters wieder beleben, in- dem man es für die Staats- Vermögens- und Familien-Interessen wieder nützlicher und ergiebiger macht. Die Archive müssen wieder lebendige Mittelpunkte praktischer Thätigkeit werden und dem Sorgen und Schaffen der Gegenwart dienen. Nur dadurch können sie sich heraus arbeiten aus ihrer jetzigen gebrochenen Stellung, in welcher sie mit Lokalen Arbeitskräften und Geldmitteln nur zu häufig gar jämmerlich bestellt, die archivalischen Bestände aber hier zerstückelt, dort zusammen geworfen, und zum Theile unbekannt und unge- braucht sind. Erhalten aber die Archive mehr Beamte, die zugleich feiner geschult und besser gestellt sind, als gewöhnlich der Fall ist, und kommen anständigere und passendere Gebäude und Einrichtungen hinzu, so wird auch der Wissenschaft um so vorzüglicher gedient sein.

Die Richtungen, in welcher auf solche Art und Weise die Archive sich wieder eine bedeutendere Stellung erringen und bei Publikum Kammern und Ministerien mehr Verständniss und Entgegenkommen finden können, wurden in der erwähnten Schrift angedeutet. Das Ganze läuft darauf hinaus, dass die Archive sich alles und jeden archiva- lischen Stoffes bemächtigen, der unnütz im Lande zerstreut umher liegt, dass sie die öffentliche Benützung ihrer Schriftmassen er- leichtern, indem sie dieselben zugänglicher und ihren Inhalt durch- sichtiger machen, dass sie endlich Erörterungen und Gutachten daraus ertheilen, welche den täglich auftauchenden Interessen des

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Notarielle Thätigkeit der Archive.

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Staats, der Gemeinden, der Korporationen und Privaten Nutzen ge- währen. Daran schliesst sich die Frage, ob und wie weit die archi- valische Hülfe sich über den Kreis der eigenen Schriftstücke auch auf fremde ausdehnen soll , indem Dokumente, welche nicht in den öffentlichen Archiven beruhen, nach ihrer Glaubwürdigkeit geprüft und nach ihrem Inhalte erörtert werden. Angelegenheiten dieser Art werden hoffentlich die Archivalische Zeitschrift noch vielfach in Anspruch nehmen, denn sie soll vor allem andern der Hebung des Archivwesens dienen. Hier sei nur ein unbedeutender Zweig archi- valischer Thätigkeit der Erwägung unterzogen, der notarielle.

Bekanntlich hat der Notar Recht und Pflicht, nicht bloss Ur- kunden über Verträge Testamente Schenkungen Quittungen und dergleichen aufzunehmen und mit dem Gepräge der Glaubwürdigkeit zu versehen, sondern auch von Schriftstücken beglaubigte Abschrif- ten auszufertigen. Die Archive thun Letzteres in weitestem Umfange, indem sie aus der ungeheuren Menge ihrer Schriftstücke fort und fort einige in amtlichen Kopien hinausgeben oder Abschriften, die von Andern gemacht sind, mit den Originalen vergleichen und durch Aufdrücken ihres Stempels die Uebereinstimmung bekräftigen.

Es gehört dies nothwendig zum Archivrecht. Die Archive sollen ja Schriftstücke, die in ihrem amtlichen Verwahre sind, verwendbar machen, und diese Verwendbarkeit kann in vielen Fällen nur dann Statt haben, wenn die Urkunde im Archiv durch Kopien ausser dem Archiv ersetzt worden. Es könnte sich dabei nur etwa fragen: von welchen Archivalien und für welche Personen Abschriften zu ertheilen? und sodann, ob die Archive dazu verpflichtet sind?

Für die erste Frage liegt die Entscheidung schon in der Er- laubniss oder Versagung der Einsichtnahme. Wenn Archivalien vorge- legt werden, dann wird damit auch das Recht gegeben, sich Abschrift davon zu verschaffen. Will man Schriftstücke nicht ver- vielfältigt wissen, soll man sie überhaupt geheim halten.

Die Antwort auf die andere Frage richtet sich nach dem Zwecke, wozu die Abschriften dienen sollen. Wären die Archive genöthigt, jedem Verlangen dieser Art zu entsprechen, so könnten vielleicht Gelehrte und jenes liebenswürdige und zahlreiche Geschlecht von Dilettanten, das durch seine historischen genealogischen und heral- dischen Forschungen den Archiven soviel Mühe und der Wissen- schaft so wenig Vortheil bringt, die Gelegenheit benützen, sich nicht bloss leichter Weise Kopien umfangreicher Schriftstücke zu verschaffen,

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Lrther :

sondern auch dem Archive beständig die Last aufbürden, diese und jene Stelle zu untersuchen und die Verantwortlichkeit, wie sie gelesen werden müsse, zu übernehmen. Zwei Fälle sind zu unterscheiden. Entweder wird die Sache, auf welche die ' Dokumente sich beziehen, bereits vor öffentlichen Behörden verhandelt, sei es vor Staats- oder Gemeinde- oder Kirchenbehörden oder andern öffentlichen Aemtern, welchen Gerichtsbarkeit in ihrem Gebiete zusteht. In diesem Fall treffen die Voraussetzungen zu, unter welchen der Staat seinen An- gehörigen die Unterstützung durch seine Organe nicht verweigert. Oder es handelt sich bei der Archivbenützung bloss darum, durch Abschriften aus öffentlichen Archiven Bücher oder Privatarchive zu füllen. Da dürfen die Archivbeamten nicht durch fremde Angelegen- heiten gehindert werden, wichtigere Aufgaben ihres Amtes zu be- sorgen. Nur nach Zeit und Gelegenheit können sie die Abschriften, Vergleichungen und Beglaubigungen vornehmen, wobei es sich wohl von selbst versteht, dass kein ehrliebender Archivar in wissenschaft- lichen Dingen die eigene Unklarheit, wie eine Stelle zu lesen, mit der Ausrede bemänteln werde, er habe keine Zeit zum Kollatio- niren.

Nun kommt es auch nicht selten vor, dass an ein Staats- oder Landes- oder Stadtarchiv das Ansuchen gestellt wird, Kopien her- zustellen oder zu beglaubigen von Dokumenten, die nicht diesem Archive, sondern einem Privaten oder einem Genossenschafts- oder Familienarchiv gehören. Die Abschriften und Beglaubigungen sollen theils zu genealogischen Nachweisen, theils zu vermögensrechtlichen, aber auch zu wissenschaftlichen Zwecken dienen.

Die öffentlichen Archive aber haben es nur mit Schriftstücken zu thun, die bei ihnen selbst aufbewahrt sind. Alle andern liegen ausser ihrem Amtskreise. Gleichwohl kann es gar häufig im Inter- esse des Staats und seiner Bürger, auch im Interesse der Wissen- schaft und der Archive selbst liegen, wenn bei ihnen das Recht und die Gewohnheit besteht, amtliche Kopirung und Beglaubigung von Schriftstücken vorzunehmen, wenngleich sie aus Privat- Stiftungs- oder Gemeindebesitz stammen.

Es versteht sich von selbst, dass hier nur von Handschriften die Rede ist, die archivalischen Charakter tragen, d. h. zu deren Ver- ständniss und Kritik es archivalischer Kenntnisse und Uebung bedarf.

Fälle dieser Art sind zum Beispiel :

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Notarielle Thfttigkeit der Archive.

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Eine Genossenschaft oder Stiftung oder Gemeinde hat ein altes vergilbtes Dokument, dessen Satzungen noch etwas entscheiden sollen. Weil man es aber wegen seiner Schrift und insbesondere ihrer Abkürzungen wegen nicht mehr gut lesen kann, so wird eine deutliche Abschrift gewünscht.

Eine Sache, die sich auf alte Schriften stützt, wird amtlich verhandelt, und es erscheint allerseits wünschenswert!! , dass von jenen Schriften klare und sichere Abschrift vorliege.

Stiftungen, Pfarren, Gemeinden oder Private scheuen sich, eine wichtige Urkunde, zumal wenn deren Schrift oder Siegel leicht ge- fährdet werden, zu den Akten eines Gerichts oder einer Verwaltungs- behörde zu übergeben, und es ist ihnen desshalb an einer Abschrift gelegen, die öffentlichen Glauben geniesst.

Von einem Adelsbriefe, einer Stiftungsurkunde, einem Testament oder einer Fideikommisserrichtung wünschen betheiligte Nachkommen des Stifters oder Erblassers beglaubigte Kopien.

Von mehreren Geschlechtern, die einen gemeinschaftlichen Stammvater haben, möchte ein jedes für sein Hausarchiv jene ge- meinsamen Haupturkunden haben, welche entstanden sind, ehe das Geschlecht sich in mehrere Zweige trennte.

Oder es ist ein altes für die Interessen von Familien, Stiftungen und Korporationen bedeutsames Dokument nur einmal vorhanden und es erscheint rathlich, dasselbe in mehreren Abschriften für die Nachwelt um so sicherer aufzubewahren.

Oder endlich die Schrift einer solchen Urkunde ist am Ver- bleichen, das Papier am Zerblättern, das Pergament am Vermodern, so dass es nöthig geworden, Inhalt und Ausstattung des Dokuments durch getreue Kopie und sorgfältige Beschreibung zu retten. Die Schrift kann vielleicht nur durch chemische Hülfsmittel wieder les- bar, das Siegel nur durch sorgfaltiges und geschicktes Abputzen wieder klar werden.

Wer aber soll in diesen und ähnlichen Fällen die Untersuchung an- und die Abschrift und Beglaubigung herstellen? Weder bei einem Notar, noch bei einer andern öffentlichen Stelle oder Behörde ist die fachmännische Fertigkeit vorauszusetzen, wie sie zu allseits richtigem Verständniss eines solchen Dokuments erforderlich. Denn es gehört dazu ein ganzer Kreis von Kenntnissen und Uebungen in Paläogra- phie, Diplomatik, Chronologie, Heraldik, Sphragistik, mittelalterlicher Geographie und Topographie, überhaupt Vertrautheit mit der Ge-

24 Löher:

schichte und ihren Hülfswissenschaften , sowie mit den früher ge- bräuchlichen Sprach- und Ausdrucksweisen.

Der Notar mag vielleicht zur Noth den Inhalt der Urkunde ver- stehen, — allein darf er eine Abschrift davon beglaubigen, wenn er auch nur über irgendein Wort oder Abkürzungszeichen sich nicht ganz klar ist?

In einigen Ländern giebt es Herolds- oder Adelsämter, die sich mit Adelsbriefen befassen. Diese aber befinden sich in derselben Lage wie die Archive, weil ihr Recht, Dokumente zu kopiren und amtlich zu beglaubigen, nicht über die bei ihnen selbst verwahrten hinaus reicht. Vielleicht sind die bei einem solchen Amte Angestellten auch gar nicht in der Lage, sich näher auf alte schwierig zu lesende Urkunden einzulassen.

Nun könnte sich zwar die Partei an einen Kenner alter Urkun- den wenden, z. B. an einen Professor der Paläographie oder an einen bekannten Heraldiker. Allein selbst wenn Diese wirklich sich das Ganze der archivalischen Kunde und Fertigkeit, in welcher der Archivbeamte sich erst nach langer Uebung sicher fühlt, zu eigen gemacht hätten, so stünde ihnen weder ein Recht oder eine Pflicht zur Seite, Abschrift oder Beglaubigung vorzunehmen, noch erhielten Diese amtlichen Charakter.

Irgend eine öffentliche Behörde aber muss doch da sein, die für solche Fälle erstens die sichere Gewähr bietet, dass sie die Doku- mente getreu und sorgfältig kopirt, und welche zweitens auch amt- lich berechtigt und verpflichtet ist, die Abschriften und Beglaubigun- gen herzustellen.

Es giebt Archive, in denen man sich wohl damit hilft, dass man das Dokument vom Besitzer erst im Archive deponiren lässt, dann, gleich als wenn es dem Archive angehörte, die Abschrift und deren Beglaubigung herstellt, und es darauf dem Eigenthümer zurück- giebt. Ein solches Verfahren lässt sich schwer mit Stellung und Würde von öffentlichen Archiven vereinigen.

Mit richtigem Takt aber wendet sich das Publikum in solchen Fäl- len an öffentliche Archive ; denn sie sind nach ihrem Beruf und Cha- rakter nicht bloss vorzugsweise, sondern meist allein im Stande, die hier in Rede stehenden Akte notarieller Thätigkeil zu vollziehen. Sie allein besitzen auch die öffentliche Glaubwürdigkeit, die publica Ildes, auf welche hauptsächlich es hier ankommt.

Wo daher den Archiven Pflicht und Befugniss, fremde Schrift- stücke zu kopiren und zu beglaubigen, nicht bereits zusteht, da muss

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Notarielle Tliäligkeit der Archive.

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sie ihnen als ein Bestandtheil des Archivrechts ausdrücklich durch die gesetzgebenden Faktoren beigelegt werden. Jedoch darf Pflicht und Befugniss hier am wenigsten eine unbeschränkte sein.

Läge den Archiven die Pflicht ob, sich aller fremden Schrift- stücke von archivalischem Charakter anzunehmen, so könnten Be- sitzer alter Urkunden, insbesondere der im Lande zerstreuten Ge- meinde- Stiftungs- und Herrschaftsarchive, die öffentlichen Archiv- beamten dazu anhalten, sie mit zuverlässigen Abschriften ihrer wichtigsten Dokumente zu versehen.

Es ist also auch hier zu unterscheiden, was Pflicht ist und was blosse Befugniss sein darf.

Eine Pflicht zur Kopirung und Beglaubigung von Schriftstücken archivalischen Charakters, die im Besitze von Privaten Gemeinden Korporationen und Stiftungen sind, kann den Archiven höchstens für die Fälle auferlegt werden, wo die Sache, auf welche die Do- kumente sich beziehen, bereits vor Justiz- oder Administrativ- Behörden anhängig geworden, was am füglichsten durch Auftrag oder Ersuchen, welche von Diesen an das betreffende Archiv ge- schehen, nachgewiesen wird. In allen übrigen Fällen kann bloss von einem Recht der Archivbehörden die Rede sein. Sie haben in jedem einzelnen Fall zu erwägen , ob ein so wichtiges genealogisches oder wissenschaftliches oder sonst ein ernstliches Interesse vorliege, dass das Archiv sich der Angelegenheit annehmen müsse.

Wenn aber von fremden Schriftstücken Abschriften, mit oder ohne Beglaubigung, durch ein öffentliches Archiv hergestellt werden, so steht ihm auch das Recht zu, selbst eine Abschrift zu nehmen und zu verwahren. Denn es muss sich ja über jeden Punkt seiner amtlichen Thätigkeit beständig ausweisen können, und die eigene Kopie dient spä- ter zum Beleg, wie das Archiv eine Stelle verstanden hat. Wohl aber kann es in Fällen, wo das Privatinteresse es erheischt, die Verpflichtung übernehmen, keinem Fremden die Abschrift in die Hände zu geben.

Auch ist selbstverständlich, dass bei der Beglaubigung erwähnt werden muss, wer die Urkunde vorgelegt habe und in wessen Besitz sie befindlich, damit man nicht künftig das Original im Archive suche.

Es ist endlich noch zu erwägen, ob und welche Taxen für die notarielle Amtsthätigkeit der Archive zum Ansatz kommen.

Der Staat ist nicht dazu da, den Vertretern rein privater Inter- essen durch die Herstellung von Abschriften, die öfter schwierig

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Löher:

sind und Zeit kosten, ein Geschenk zu machen. Gerade so wie die Gerichte bei Akten freiwilliger Gerichtsbarkeit Taxen erheben, sind die Archivanstalten des Staates auch dazu befugt. Ob die Taxen aber so hoch sein dürfen, wie die neue Archivordnung in Italien sie vorschreibt ? Man scheint dort mit italienischer Geschäflsmanier darauf auszugehen, die Benützung der Archive solle möglichst ihre Kosten decken, *) und besteuert auch die Wissenschaft, wenn sie der Archive bedarf. In Deutschland ist man in dieser Hinsicht feinfühlender, und möchte das Richtige vielleicht Folgendes sein:

Abschriften für ein würdiges Nationalunternehmen liefert jedes Archiv umsonst.

Einfache Abschriften werden von den Subalternen oder jungen Hülfsarbeitern ausser den Amtsstunden angefertigt. Wieviel Honorar dafür zu zahlen, ist Sache privaten Abkommens, und überwacht der Vorstand bloss, dass keine Ueberforderung stattfinde.

Sollen Abschriften von Schriftstücken aus dem Archiv kollatio- nirt und beglaubigt werden, so werden sie in den Amtsstunden ge- fertigt. Dienen sie offenbar zu wissenschaftlichen Zwecken, so findet eine geringe, dienen sie zu vermögensrechtlichen und genealogischen Zwecken, so tritt eine höhere Taxe ein.

Werden dagegen fremde Urkunden vom Archiv kopirt oder be- glaubigt, so ist darauf die Notariatstaxe anzuwenden, deren Ansätze je nach Schwierigkeit und Zeitdauer der Arbeit abzumessen.

Demgemäss würde sich empfehlen, dem Archivrecht eines Lan- des, wo noch kein gesetzliches Herkommen der Art besteht, etwa folgende Artikel einzuverleiben:

1. Die öffentlichen Archive sind ermächtigt, von Urkunden archi- valischen Charakters, die sich im Besitze von Privaten Stiftungen Korporationen oder Gemeinden befinden, Abschriften herzu- stellen oder zu beglaubigen.

2. Sie sind dazu verpflichtet, wenn es sich um Dokumente handelt, die zur Aufhellung einer Sache dienen, welche erweislich vor einer öffentlichen Behörde verhandelt wird.

3. In der Beglaubigungsformel ist zu erwähnen, in wessen Besitz sich die Urkunde befindet und auf wessen Ansuchen sie kopirt und beglaubigt wird.

4. Von den kopirten Urkunden kann das Archiv eine Kopie zu

l) Vgl. Archival. Zeitschr. I 195-19«.

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Notarielle Thätigkeit der Archive.

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seinen Beständen oder Akten nehmen , welche jedoch unter Archivgeheimniss steht, wenn der Besitzer es verlangt, 5. Die Gebühren für solche Abschriften und Beglaubigungen richten sich nach den Notariatstaxen.

Es rauss nun Archivbeamten daran liegen, die gesetzlichen Be- stimmungen zu kennen, welche in Bezug auf Urkundenbeglaubigung die neue Civilprozessordnung vorschreibt, die am 1. Oktober nächsten Jahres im deutschen Reich in Kraft tritt.

§. 400 lautet:

Eine öffentliche Urkunde kann in Urschrift oder in einer beglaubigten Abschrift, welche hinsichtlich der Beglaubigung die Erfordernisse einer öffentlichen Urkunde an sich trägt, vorgelegt werden ; das Gericht kann jedoch anordnen, dass der Beweisführer die Urschrift vorlege oder die Thatsachen angebe und glaubhaft mache, welche ihn an der Vorlegung der Urschrift verhindern. Bleibt die Anordnung erfolglos, so entscheidet das Gericht nach freier Ueberzeugung , welche Beweiskraft der beglaubigten Abschrift beizulegen.

Also auch die archivalische Beglaubigung kann die Thatsache, dass Abschrift und Original vollständig übereinstimmen, noch nicht über allen Zweifel erhaben hinstellen. Das Gericht kann immer noch, wie Art. 259 besagt, unter Berücksichtigung des gesammten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Be- weisaufnahme — nach freier Ueberzeugung entscheiden, ob eine that- sächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten sei.

Allein, wie wir gleich hören werden, fallt der archivalische Stempel doch sehr in's Gewicht. Zunächst aber fragt sich: was gehört dazu, dass die Beglaubigung den Charakter einer öffentlichen Urkunde erhält? §. 380 sagt darüber:

Urkunden, welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grunzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffent- lichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewie- senen Geschäflskreises in der vorgeschriebenen Form auf- genommen sind (öffentliche Urkunden), begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.

Der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, ist zulässig.

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Löber :

Die zweite Hälfte dieses Artikels hat mit der Beglaubigung nichts zu thun. Denn diese soll nicht eine Erklärung der Person, welcher die Urkunde gehört oder welche Abschrift dureh's Archiv verlangt, beurkunden, sondern das Wesentliche ist die Bürgschaft, dass Kopie und Original übereinstimmen. Diese Thatsache aber, dass beide gleichlauten, muss beurkundet werden: 1. durch eine öffentliche Behörde oder Urkundsperson, 2. in der vorgeschriebenen Form. Was die Form betrifft, so wird das Landesgesetz, wenn es überhaupt eine Bestimmung darüber enthält, nichts anderes verlangen, als ein deutlich ausgedrücktes Zeugniss des Archivs über den Gleich- laut von Urkunde und Abschrift. Was aber den Aussteller dieser Erklärung betrifft, so ist ein Landesarchiv unzweifelhaft eine öffent- liche Behörde, und innerhalb der Gränzen seiner Amtsbefugniss liegt es nach ebenso unzweifelhaftem Herkommen, dass es von den Schrift- stücken in seinem amtlichen Verwahr beglaubigte Kopien herstelle. Dass sich damit aber die Gränzen dieser Amtsbefugniss auch auf Urkunden erweitern, die nicht im Archive liegen, dazu muss eine besondere Ermächtigung durch diejenige Stelle gegeben sein, welche überhaupt die Amtsbefugniss der Landesarchive bestimmt. In wie fern diese Ermächtigung durch ein neu zu erlassendes Gesetz gegeben werden muss, hängt davon ab, was bisher in einem Staate Hecht und Herkommen gewesen.

Es fragt sich nun, unter welche Urkunden die vom Archiv ertbeiHe Beglaubigungs-Urkunde einzureihen, und welche Beweiskraft ihr innewohnt? Darüber geben zwei andere Artikel der neuen Givilprozessordnung Aufschluss, nämlich:

§. 382. Die von einer Behörde ausgestellten, eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung enthaltenden öffent- lichen Urkunden begründen vollen Beweis ihres Inhalts.

§. 383. Oeffentliche Urkunden, welche einen andern als den in den §§. 380. 382 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Thatsaehen.

Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Thatsaehen ist zulässig, Sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschliessen oder beschränken.

Offenbar gehört nun die Urkunde darüber, dass Original und Kopie gleichlautend sind, weder zu der ersten in § 380 bezeich- neten Klasse öffentlicher Urkunden, deren Inhalt ein Vorgang ist, noch zu der zweiten Klasse, die gemäss §. 382 eine amtliche Ent-

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Notarielle Thätigkeit der Archive.

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Schliessung enthalten, sondern zu der in §.• 383 gemeinten dritten Klasse öffentlicher Urkunden, solcher nämlich, die sonst eine That- sache bezeugen, nämlich hier die Thatsache, dass die Abschrift mit dem Original verglichen und beide übereinstimmend befunden worden. Die archivalische Beglaubigungsurkunde steht daher auf gleicher Linie mit Beurkundungen des Personenstandes, Protokollen der Gerichtsvollzieher, Wechselprotesten und dergleichen Schriftstücken. Sie begründet also vollen Beweis ; jedoch kann der Gegenbeweis, dass die Uebereinstiramung zwischen Kopie und Original nicht statt- finde, — jederzeit angetreten werden, wofern nicht das besondere Landesrecht aussprechen sollte, die Richtigkeit einer archivalischen Beglaubigungsformel lasse sich weder anzweifeln noch anfechten. Es gehört endlich noch §. 402 hierher, welcher besagt:

Urkunden, welche nach Form und Inhalt als von einer öffentlichen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person errichtet sich darstellen, haben die Ver- muthung der Aechtheit für sich.

Das Gericht kann, wenn es die Aechtheit für zweifelhaft hält, auch von Amts wegen die Behörde oder die Person, von welcher die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Aechtheit veranlassen.

Wenn also Abschrift einer Urkunde vorgelegt wird, unter welcher sich die gewöhnliche Beglaubigungsformel mit Angabe des Ortes und Datums der Ausstellung und der Unterschrift und dem Siegel oder Siegelstempel eines Landarchivs befindet, so wird, wenn sich nicht dringender Verdacht des Gegentheils erhebt, angenommen, die Abschrift sei wirklich archivalisch geprüft und beglaubigt worden.

So wenig aber durch die Aechtheit der archivalischen Beglau- bigungsformel deren Richtigkeit ausser Zweifel gesetzt wird, so wenig erhält dadurch, dass ein Landesarchiv eine Privaturkunde abschreibt und ihre Uebereinstimmung mit der Abschrift bezeugt, die Privaturkunde die Ehren einer öffentlichen. Der Satz, welcher die Kopie beglaubigt, ist und bleibt für sich allein eine öffentliche Urkunde; ob aber das Original es ist, darüber entscheidet lediglich die Art und Weise seiner Ausstellung oder Aufbewahrung.

Im Falle nun durch das öffentliche Beurkunden der Vergleichung und Uebereinstimmung der Kopie ein anderes Exemplar einer Privat- urkunde, so wie sie vorliegt, hergestellt ist, gilt von der Kopie wie von dem Original der

30

Lflher: Notarielle Thätigkeit der Archive.

§. 381. Privaturkunden begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mittelst gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, dass die in denselben enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind.

Ob aber nun die Privaturkunde selber ächt sei, darüber hat sich der Gegner des Beweisführers zu erklären, und wenn die Aecht- heit nicht anerkannt wird, so muss sie erst bewiesen werden, worüber die §§. 129. 404 bis 408 der neuen Givilprozessordnung das Nähere angeben.

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III. Ergänzungen zu den Regesta Pontificuni Romanorum von Jaffe und Potthast, vornelunlich aus den Quellen des Kon. Preussischen Staatsarchivs zu Münster i|W.

Vom

Geheimen Archivralh Dr. R. Wilmans, Staatsarchivar in Münster.

Nachdem Jaffe und Potthast der Geschichtsforschung wie den Archiven durch ihre vorerwähnten Bücher so grosse Dienste geleistet, ist es wohl insbesondere die Aufgabe der letzteren, diese Werke höchsten deutschen Fleisses, welchen kein anderes Land ebenbürtige an die Seite zu setzen vermag, aus ihren Quellen zu vervollstän- digen.

Wer sich mit dem Studium der päpstlichen Briefe, namentlich vom 12. Jahrhundert ab, eingehender beschäftigt hat, wird deren Wichtigkeit auch für die Specialgeschichte der einzelnen Länder, Fürstenthümer, Gebiete und Städte zu ermessen im Stande sein. Welche bisher nicht gehobenen Schätze aber auch die deutschen Archive und Bibliotheken in dieser Beziehung noch in sich bergen, kann ich aus einem in meinen Bereich fallenden Beispiele darthun.

Nach Potthast I. S. 468 umfasst nämlich das im Vatican beruhende Rcgistrum Honorii III. 1216—1227 in 11 Büchern im Ganzen 5144 Urkunden, von denen Potthast aber selbst nur 2545 nach den vorhandenen Drucken verzeichnen konnte. Wieviel neues historisches Material wird nun in den bisher unbekannten 2599 übrigen Bullen auch für die Geschichte Deutschlands enthalten sein! Nun aber besitzt die Bibliothek des Grafen von Esterhazy-Plettenberg auf

32

Wilmans :

Nordkirchen (im Reg.-Bezirk Münster, Kreis Lüdinghausen) eine Abschrift dieses Registrums, welches der geheime Kämmerer Ale- xander VII., Ferdinand von Fürstenberg, später Bischof von Münster (1678-1683) und Paderborn (1661-1683), bei seiner Anwesenheit in Rom bald nach dem Jahr 1655 anfertigen Hess, aus der ich durch Vermittelung des seligen Dr. Rump eine Urkunde dieses Papstes vom 12. Mai 1218 im Westfälischen Urkunden -Buche HI. 127 *) publiciren konnte.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Erörterung einer hiermit zusammenhängenden anderen Frage mir erlauben. Auf meine Bitte haben Ihre Durchlauchten die Fürsten von Bentheim-Tecklenburg- Rheda und von Salm-Horstmar so wie einige andere Personen des alt-ritterbürtigen und des gelehrten Standes eine Zahl antiquarisch wichtiger, für die actuellen Verhältnisse ausser Betracht kommenden Documente unserm Staats- Archiv als ihr bleibendes und jeder Zeit reclamirbares Eigenthum anvertraut, und hierdurch einer allgemeineren wissenschaftlichen Benutzung zugänglich gemacht. Sollten diese Beispiele nicht allgemeine Nachfolge verdienen und in dem vorliegenden Fall für einen so kostbaren Schatz wie die Ab- schrift des Registrum Honorii III. das Münstersche Archiv nicht ein geeigneterer Aufbewahrungsort sein, als das schwer erreichbare Nordkirchen?

Wenn die Staatsarchive der Provinzen ihre nächste wissen- schaftliche Aufgabe allerdings in der Pflege des Materials für die Provinzialgeschichte zu suchen haben, so bietet dasselbe, abgesehen von allem Uebrigen, doch stets auch zwei Berührungspunkte mit der Gesammtgeschichte Deutschlands und der Universalgeschichte dar. Es sind dies die Urkunden der deutschen Kaiser und Könige und die der Päpste.

Meines Erachtens muss jedes Archiv die in seinen Fonds sowohl im Originale wie in Abschrift vorhandenen Urkunden beiderlei Art in einem besonderen Repertorium genau verzeichnet aufzuweisen haben. Wie früher schon unser Material für sämmtliche Kaiser- urkunden, welches die Jahre 771 1794 umfasst, von mir zusammen- gestellt worden ist, so habe ich neuerdings auch ein Repertor über

') Hierbei bemerkte ich , das» in Nordkirchen ebenfalls eine derselben Pro- venienz angehörende Abschrift des Registrum Innocenlii III. super negotio im- perii beruht, aus der die Ausgabe von Baluze geflossen ist.

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Ergänzungen zu den Regesta Pontificum Romanorum.

33

die hier beruhenden päpstlichen Briefe zunächst bis zum Tode Bene- dict XI. (7. Juli 1304), womit Potthast schliesst, ausgearbeitet. Die Durchsicht der Regesten von den darin enthaltenen 213 Urkunden ist schon in der Beziehung ausserordentlich lehrreich, dass diese uns ein treues Bild von der, namentlich im 13. Jahrhundert, in alle Verhältnisse des Lebens in der entschiedensten Weise eingreifenden Thätigkeit der Römischen Curie entrollen.

In der nachfolgenden Abhandlung habe ich nun diejenigen päpstlichen Urkunden zusammengestellt, welche entweder bisher voll- kommen unbekannt und bei Jaffe und Potthast daher nicht ver- zeichnet waren, oder über deren Aechtheit ich besondere Unter- suchungen anstellte oder in Bezug auf welche ich einen verbes- serten Abdruck oder eine neue archivalische Quelle nachweisen konnte.

Wenn ich hoffen darf, dass mein Vorgang einzelne meiner Herren Collegen zur Nachfolge anregen werde, so möchte ich mir erlauben, ihrer Erwägung anheimzugeben, ob sie es nicht auch zweckmässig fanden, sich hierbei der in dem Staats- Archive zu Münster eingeführten Bezeichnungsart der Klöster und Stifter') zu bedienen.

Dass man in der nachfolgenden Zusammenstellung den deutschen Orden nicht vertreten finden wird, hat seinen Grund darin, dass sämmtliche in dieser Beziehung (Msc. VII. 5713) vorhandenen 63 Ur- kunden a. d. J. 1216 1289 von Potthast aus Strehlke's Tabulae ordinis Teutonici Berolini 1869 hatten regestirt werden können.

Münster im Juli 1877.

') Die Tatschen oder zweifelhaften Urkunden sind mit einem * bezeichnet *) Es bezeichnet :

1) & Männerkloster.

2) ? Frauenkloster.

3) $ Männer-Stift, Collegiatkirche.

4) 9 Frei weltliches Frauenstift.

5) J Johanniter-Oommende.

0) J Deutsche Orde ns-Gommende. Der Templcrorden kommt für Westfalen nicht in Betracht.

Archivalbche Zeitschrift. III.

3

34

Wilmans :

1.

* •>

3.

4.

731 bis 741. Juni

30.

799 Dec. 24

872 < »do- tier 15

891 Mai.

ad

Sanc- tum Pau- lum

(Horn).

Erenburf

(Um-

berg oder

BUdt- b»n» In

Kr. Bri- lon)

Gregor III. beglückwünscht den Bischof Bo- nifacius darüber, dass er dureb seine Predigt Sachsen geistig erneut und dessen Fürsten Eo- ban, Rodewic, Wulderic und Dedda für das Evangelium gewonnen habe. Pridie Kai. Jul. »Benedictus Deus«. Den Erweis der Fälschung habe ich Kaiserurkunden 1. 314 sq. erbracht.

Leo III. befreit den von Karl dem Grossen, Kaiser der Römer, eroberten und mit ganz Sach- sen, Gott und dem heiligen Petrus geweihten und dargebrachten Berg Eresberg von jeder menschlichen Gewalt und bestätigt der dort be- gründeten Kirche die von Karl im Umkreise von zwei sächsischen Hasten geschenkten Güter und Zehnten. Vlll Kai. Januarii, anno (pontifi- catus) quarto. »Pie tue intentioni.«

Dass diese Fälschung vor dem Jahre 853 ent- standen, habe ich Kaiserurk. 1. 134 daraus er- wiesen, dass sie bei Abfassung der Urkunde Ludwig 's des Deutschen vom 22. Mai 853 schon vorgelegen hat, wie der daraus fast wörtlich entnommene Satz 1. c. ecclesiam Eresburg, quam avus noster Karolus primus construens in Saxonia deeimis dotavit circumquaque habitan tium per duas Saxonicas rastas beweist.

Hadrian II. nimmt das Kloster Corvey auf Bitten des dortigen Abts Adalgar in seinen Schutz. Idus Octobris; indictione sexta. »Con venit apostolico moderamini«.

JaflV' I. c. hält diese Bulle für unächt ; ich kann seiner Ansicht aus dem Grunde nicht zu- stimmen , weil die Corveyer Mönche dieselbe schon am HJ. Juni 873 König Ludwig dem Deut- schen vorlegten, wie dessen Worte : his omnibus ustipulari recens Adriani apo9tolici praefato ab- bati collatum Privilegium coguovimus, Wilmans Kaiserurk. I. 181; beweisen. Ebenso und in noch viel stärkerem Maasse erhellt ihre Aecht heil aus dem Erlasse der Mainzer Svnode aus dem J. 888 (vgl. Kaiserurk. I. 454) Erhard C. 34 : Super hec etiam cartas duas ostendit (Bovo ihbas Corbeiensis) Rornanorum pontificum Adriani atque Stcphani, wo das Nachfolgende dieser Bulle fast wörtlich entnommen ist, wie denn auch die Bulle Johannes XV. vom 1. Jul 989 Jaffe 2934 dieser Privilegien der Päpste Adrian und Stephan Erwähnung thut.

Stephan V. bestätigt auf Bitten des Bischoff Biso von Paderborn die Stiftung des Klosters Neuenheerse (Nuhersi); in mense Maio, indic- tione nona. »Quanto nos pro piorum<.

Bei der antiquarischen Wichtigkeit dieser Bulle wird es willkommen sein , wenn wir sie hier noch einmal mit den von Jaffe nach dem

Abochr. •. im H»e dr# 8t**Uarcbin in »flmUT TTI, &2ttf fol. 4 <t(U beail Waltferi). Gedr Wilman«

Kmrrurkundrn der

L ««1

N»eh du» früheren Druckro J»H, K'c. Pont Rom.

Litt, «pnrUr 326. Erhard, Regcat* hlttor Veatr.

No. 231. Zurret

gedruckt nach den

Bruchstücken de« Tr*nMurapU in drr

Balle Innoceni IT.

(«ob Uh Mol IM Lyon) Original

St.Arrh. Htmtrr, Fretth. Correy,

0. <Ml bei KnUerurk I. IM.

Abschriften s. XV. Msc. 1. 134. S. 212. s. XVII 1. 147. S. 242, ge- druckt: Erhard R. 44b" Codex 29. Jaffe litt spuriae No. 347. S. 945.

Du »rhr be«chi. <hk.tr Oririnal »iif Fipyiat beruht

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Ergänzungen zu den Regesta Poniificum Romanorum

35

Original gemachten Correcturen veröffentlichen.

Iquod silum est in loco Nuhersi

et per te in eodem veh. mofl. in perpetuum. Quanto nos pro piorum et venerabilium locorutn; statu augmentando sollicitiores existimns et ad eorum utilitates proficiendas perpetuo pastorali- bus vigiliis insistimus, tanto nobis eteme re- munerationis premia eo largiente conquirimus, qui dixit, beatus servus ille, quem cum ueneritj dominus inuenerit uigilantem. Et ideo omnibus sanctae Dei ecclesiae fidelibus atque nostris no- tum fieri uolumus, suggessisse nostro apostola-; tui Bisonem reverentissimum Padrebrunensem episcopum, quatenus predictum vefl. monaste- rium, cui ipsa preesse dinosceris, situm in terri- torio dioceseos suae, cum omnibus suis iuslis pertinentiis et adiacentiis, haius auctoritatis nostrae pribilegio muniremus. Cuius postula- tioni fauere nitentes, precipuae cum omnium sit ecclesiarum cura nobis commissa, hoc apo- stolicum nostrum pribilegium fieri decrevimus, per quod et id ipsum uenerandum mofl. robo- ramus, et apostolica aucloritate inibi ad susten- tationem ancillarum Dei confirmamus omnes res, quae a iure predicti episcopi cum eodem sunt monasterio commutatae l<>galiter, uel quae a fidelibus et Deum timentibus sunt ibi colla- tae ad usum et utilitatem earumdem sancti- monialium, nec non et decimas eidcrn prefato Imofl. annualiler persolui censemus, que de sta- tutis uillis eidem dari persoluique debere epis- copali simul et synodali decreto, immo et con- sultu ut intuiti sumus, statutum est et canonice ordinatum , quod si ita se res habet , infringi non debet, ne synodalis et canotiicus uigor

in prefata sancla Padrebrunensi ec-

clesia, sicut .... tum esse comperimus, cui de eodem ueft. moft. curam esse reperimus statu- entes apostolica cura decernimus, ut nulli fidc- lium fas sit quoquo modo contra huius priui- legii nostrae confirmationis Seriem piae et mi- sericorditer a nobis promulgatam agere aut temerario ausu de omnibus que eidem mon. suaequae congregationi legaliter tradita sunt uel concessa sibeque a modo et deinceps tradenda uel legitimo iure conferenda aliquid minuere uel auferre, sibe etiam deripere, potius autem ad utilitatem Domino illic Tamulantium firma potestate consistant, earum .... quae nunc habcntur vel sunt iuste conquirenda. Nam qui ti- more Dei postposito huic confirmationis nostrae priuiiegio in toto uel in parte contraire repertus,

integriter obseruare distulerit,

sciat (se nisi) cito admonitus resipuerit, apo- stolico mucrone feriendum; qui autem custos füerit et obseruator, a iustn iudice Domino Deo

36

Wilmans :

5.

891 Juni 1

989 Juli 1.

7.

ioor,

Decbr.

8.

*9.

1014. Min,

104«;

Decbr. 29.

nostro misericordiam consequatur. Scriptum per manum Gregorii scrinarii sanctae Romanae ec- clesiae in mense Maio Ind. nona.

t Bene ualete t

datum ....

Stephan V. bestätigt auf Bitten des Bischofs Wigibert von Verden das vom verstorbenen Grafen Waltbert (dem Enkel des Sachsenherzogs Widukind) gestiftete S. Alexanderkloster zu Wialdeshusen im Gau Leri (Wildeshausen im GH. Oldenburg N. von Vechta). Kalendis Junii, indictione nona. »Cum nostro apostolatui.«

Johann XV. bestätigt auf die ihm durch Bi- schof Hildebraud von Hodena vorgetragene Bitte des Abts Thetmar von Corvey diesem Kloster sowie dem Stift Herford die Güter und Privi- legien. Kai. Jul. pont. IV. indict. 11. »Con- venit epischopali auetoritate.«

Johann XV111. nimmt auf Bitten des Bischofs Ki.tarius die Besitzungen der Paderborner Kirche] in seinen Schutz und bestätigt ihr die freie Wahl des Bischofs durch die Mitglieder des Domcapitels. In mense Decembrio, indict. quarta anno . . . Johannis Will, papae tertio. »Sacro saneta apostolica sedes.c

Das Original, das seit dem Jahre 1847, wo der erste Band von Erhards Begesta erschien, spurlos verschwunden war, und von dem ich mich seitdem vergeblich bemühte eine Spur wieder aufzufinden, habe ich das Glück gehabt, im Juni 1877 in dem Archive der Königl. Re- gierung zu Minden wieder zu entdecken. Es ist im Ganzen wohl erhalten und ein schönes Mu- ster für die Schrift der päpstlichen Curie im Beginne des eilflen Jahrhunderts. Die an einer Schnur von Hanf früher befestigte Bulle ist abgefallen.

Benedict VW. nimmt auf Bitten des Bischofs Meinwerc das Bislhum Paderborn in seinen Schulz und bestätigt ihm seinen Güterbesite. Mense Martio, indictione XU. »Desiderium quod ad religiosum.«

Papst Johann bestätigt dem Abte Rudthard von Corvey die Exemtion der Klöster Corvey und Herford von der Diöcesangewalt des Bi- schofs von Paderborn. Data IV Kai. Januar. Anno domini nostri Ihesu Christi MXLVL do- mini Johannis pape primo indict. XV. »Omni- bus sanete Dei ecclesie fidelibus.«

Eine der merkwürdigsten Fälschungen, von der es zweifelhaft ist, ob es noch viele der gleichen in Deutschland geben möchte. Wenn die Fälscher auch aus dem Corveyer Archiv

J.ffe 2M&. K.ch dem WUdethioeener Oopitr Mee. XIV im Be»iU «1« Alter- Ihumetereinl tu M Jl"t. r i, r i| {<••

druckt Wilratoa Kuiaerurkunden I.

IM,

Jafft KU. Erh»rd K 687. Ken tu drucken tuen der HrrforUfT Hdeclir.

•. XIII *>»<J6T11

Jaffe 2934. Nach dem Ori- ginal, jetzt Frsth. Pader- born U. 8h, gedruckt Erhard R. 736 C. 81 z. J. 1006. Ab- schr. saec. XV Msc. I. 118 S. 94.

Vit» Heinwerci ed.

Peru 88. XI. II 7 mit den Varianten der Abfchr. XI Im Cod. Trevirtnu»

froher IJ1. JeUt F. 1K.

13. AufUlt I

ir*«t*llt und be- (Uubift durch den Abt Dietrich und du Corrrjr :

Abtei Herford I', 20». Pergament, mit den noch vor httdt

Cneedruckt.

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Ergänzungen zu den Kegesta Pontificum Romanoruin.

37

die Existenz eines Abts Rudhard im J. 104»i constatiren konnten, so ist doch ein Papst Jo- hann in jener Zeit eine völlig mythische Person. Warum hat man in Corvey es nicht vorgezogen, diese Bulle dem am 29. December 1046 regieren- den Papste Clemens II. unterzuschieben , der von Geburt ein Deutscher, Suidger von Bam- berg, war, und dessen Wahl die Corveyer An- nalen, ed. Jaffe Mon. Corb. S. 39, ja ausdrück- lich gedenken?

Bei näherer Prüfung dieser angeblichen Bulle wirf! man betroffen sein von ihrer alterthüm- lich kirchlichen Sprache. Dies Räthsel löst sich sogleich durch die Wahrnehmung, dass bis auf einen aus der Bulle Hadrians IV. vom 25. Februar 1154 (1155) für Corvey und Herford Erhard C. 301, S. 80, linea 2 entnommenen Satz fiber die Ehrenvorrechte der Aebte von Cor- vey — der ganze Inhalt unserer Urkunde Nichts ist, als eine häufig recht ungeschickt ') gemachte Reproduction des Privilegs der Mainzer Synode vom J. 888 für das Kloster Corvey, Erhard R. 470 C. 34, über welches interessante Docu- ment ich Kaiserurkunden I 454—458 ausführ- licher gehandelt habe.

Die Entstehungszeit dieser Fälschung lässt sich annähernd ermitteln. Die grosse Fehde, in der Bischof Simon von Paderborn unter- legen und in die Gefangenschaft des Cölnischen Erzbischofs Conrad von Hochstaden gefallen war, hatte auf die Verhältnisse Herfords zu Paderborn insofern Einlluss gehabt, als Bischof Simon im Friedensverträge vom 24. August 1256 die Zusicherung hatte geben müssen, dass weder er noch der Paderborner Dompropst ferner Etwas gegen die geistliche Selbständig- keit und Freiheit Herfords thun würden. Als nun die politischen Verhältnisse sich änderten und Bischof Simon mit Engelbert, dem Nach- folger seines früheren Gegners, des Erzbischofs Conrad, durch Vertrag vom 27. Januar 1201 (1262) sich innig verband, Lacomblet 11 511*),

*) So wenn der Fälscher den Papst gegen den Schluss sagen lässt: ut qui- cunque hec temerarie presumpserit, generalitatis nostre sententiis ana- tbematis vineulo obligetur, passt die hervorgehobene Wendung wohl auf den Spruch einer Kirchenversammlung wie die Mainzer Synode, aber nicht auf die Entscheidung eines Papstes.

*) Lacomblet hat übersehen, dass, da Erzbischof Conrad am 28. September 1261 starb, diese Urkunde über den Bund B. Simons mit dessen Nachfolger nur nach der damals in der Erzdiöcese Cöln allgemein reeipirten, das neue Jahr mit Ostern anfangenden Rechnung datirt sein kann, und daher nothwendig in das Jahr 1262 fallen muss. Die sonstigen von Bischof Simon ausgestellten Urkunden be- trinnen allerdings, der Datirunitsweise des Erzsprengeis Mainz, zu dem Paderborn gehörte, gemäss, das Jahr mit dem 1. Januar. Doch hat sich B. Simon in der vorliegenden von ihm zu Cöln ausgestellten Urkunde ersichtlich der Crtl- nischen Sitte anbequemt. Ich habe im Westfäl. U.-Buche III. S. 949 zu No. 1567

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38

Wilmans :

so wirkte Dies auch auf das Verbältniss Pader- borns zu Herford zurück und schon im Februar 1262 musste die Aebtissin Jutta und der Con- vent des Hochstifts Herford sich dazu verstehen, die Exemtionsfrage ihres Stifts der Entschei- dung von sieben, gemeinschaftlich mit dem Bischof erwählten Schiedsrichtern anheimzu- geben. Ihre am 28. Februar 1202 getroffene Entscheidung, Frstthm. Paderborn U. 218, um- fasste, so verwickelt war die Frage, nicht deren ganzen Umfang, vielmehr reservirte sie einen sehr wichtigen Theil derselben dem Endurtheile des Papstes und bestimmte, dass der Bischof] wie die Aebtissin auf gemeinschaftliche Kosten einen Boten nach Born senden und dem Papste durch ihn die Privilegien beider Kirchen cum jsuis rationibus behufs Entscheidung der Streit- frage vorlegen lassen sollten. Die Deductions- schrift für die Herforder Ansprüche ist uns in einer , dein J. 1202 vollkommen gleichzeitigen Handschrift unter dem Titel Bationes pro privilegiis in dem Herforder Manuscript der vita Waltgeri, Msc. Vll. 5208 fol. 30 sq. erhal- ten und wird für die Entstehungsgeschichte dieser falschen Bulle insofern wichtig, als darin ausführliche Auszüge aus der letzteren enthalten sind (z. B. Preterea Johannes papa predecesso- rum suorum exponens privilegia etc.). Dieses FalsiQcat muss also im J. 1202 schon vorhan- den gewesen sein und ist wahrscheinlich da- mals zum Zweck dieses Processes in Corvey nach dem in seinem Archive beruhenden Privi- legium der Mainzer Synode von 888 fabricirt worden. Corvey mochte sich in jener Zeit sei- nes alten Schutz- und Schirmrechts über das mit ihm engverbundene Frauenkloster Herford, welches Hecht seit dem Ende des Xll. Jahr- hunderts auf das Erzstift Cöln übergegangen war, erinnert haben. Denn von Corvey ist. wie wir schon bemerkten, im J. 1348 das Trans- jsumpt ausgegangen und von dessen Abte und Capitel beglaubigt worden.

Die Verhandlungen vor dem Papste (Urban IV. 1 1261 1264 oder Clemens IV. 1265 1208) schei- nen zunächst, um das hier anzuknüpfen, zu leinen i Besultate nicht geführt zu haben. Denn Bischof Simon von Paderborn musste, als er 1207, ,Octob. 18 in die Gewalt Bischof Gerhards von Münstertiel, in dem am 27. Januar 1209 zu Waren-I dorf abgeschlossenen Frieden, Westfäl. Urk.- jBuch 111826 S.431, versprechen: quod sine omni' jinjurioso gravamine dimittemus abbatissam Her- ivordensem et suam ecclesiara, quousque questio 1 super exemptione per sedem aposto-

die Beweise für meine Ansicht über die verschiedenen Jahresanfänge in den Erz- sprengeln Cöln und Mainz dargelegt.

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Ergänzungen zu den Hegestn Pontificum Romanorum.

39

10.

11.

12.

1124 Laie- Sept. rani.

27.

(1125 bis

11291) April 11.

1131 (April 12).

Late- rani.

(Lau- duni.)

licam decidatur. Von einer späteren Entschei- dung dieser Streitfrage durch den Papst ist mir Nichts bekannt.

Calixt II. bestätigt die Hechte und Besitzungen Jaffa 5187. des Klosters Rastede (im GH. Oldenburg) V. Kai. Octobr. ind. 111 pont. a. VI. »Cum piae desi- deriumc. Ich glaube diese von Jaffa aus Lap- penbergs Hamb. Urkundenbucb angeführte Ur- kunde um deswillen erwähnen zu dürfen, weil ich Zeitschr. f. Geschichte u. Alterthumskunde Westf. XXV, S. 249 sq. die Namen der West- fälischen Besitzungen dieses U. geographisch gedeutet u. S. 253 auf eine sehr eigentüm- liche sich hieran knüpfende Fälschung des Klo- sters Liesborn aufmerksam gemacht habe.

Honorius III. nimmt das von dem Grafeni Varnhugen, Temmo gestiftete Marienkloster zu Werbe 'j'Waldeck'sche

Gesch. U. B. S. 4.

in seinen Schutz. III Iduum Aprilis >Desiderium quod ad religionis propositum.« Or. im Fürstlichen Archiv zu Arolsen.

Innocenz 11. bestätigt dem Erzbischofe Nor- Jaffa 5441. bert von Magdeburg auf Bitten König Lothars v. Mülverstedt die namentlich aufgeführten Besitzungen seiner Regesta Kirche »Tunc apostolice sedi«. Jaffa setzt diese archiep. Mag- bei Ludwig Reil. Msc. XU. 3*8 ohne Jahr, Tag «leb. No. 1052. und Ausstellungsort gedruckte Urkunde zu den Jahren 1131 1133. Von derselben liegt Msc.l III. 41 unter No. 5 eine Abschrift und Msc. II. 12. fol. 71 ein kurzes Regest vor mit der Notiz am Schlüsse: anno a Christi nativitate MCXXX1. Hiernach dürfte es keinem Zweifel unterliegen, dass sie in derselben Zeit mit der vom 12. April 1131 aus Laon datirten, Jaffe 5355, ausgestellt ist, worin Innocenz II. auf Bitten Norberts den Prämoustratenser Orden in seinen Schutz nimmt Ich habe S. 130 der Nachträge zu den »Addi- tamenta zum Westfälischen Urkundenbuche 1877 Münster.c diese Verhältnisse erörtert und auf den historisch wichtigen, von Jaffe nicht an- gedeuteten Inhalt dieser Bulle hingewiesen. Denn wenn Innocenz 11. darin die Verdienste Norberts um die Römische Kirche rühmt, dass incan- descente Petri Leonis1) schismate fervor Tuae religionis et discretio prudeutiae animos regis et prineipum et aliorum tarn ecclesiasticarum quam secularium personarum ad catholicae ec- clesiae unitatem et beati Petri ac nostram obe- dientiam frequentibus argumentis et ratione munitis inducere laboraverit, so bestätigt er hierdurch aufs Trefflichste die Angaben, welche sich in dieser Beziehung in der von mir ent- deckten vita prior S. Norberti, Scriptores XU

') In diesen Jahren war Honorius am 11 April stets im Lateran.

Im Fürstenthum Waldeck; es wurde 1155 dem Kloster Corvey incorporirt. *) Gegenpapst Anaclet II.

40

Wilmans:

13. (1186») Sept.

14. ' 1138 Jan. 7 bis 1140 Jan. H.

1155 Jan. 3.

15.

Pisis

1»i 1155 Juli 11.

17.

18.

115H Maill

(1162) Juni

30.

Home apud S. IV- trum.

In ter- ritorio Tuscu- lano.

Late- rani.

Or Kl. Lioborn C. V AWhr i. XTI. TT1 1117 8 4.

im c m

701 finden. Vergl. auch Wattenbach, Gesch. Quellen. 3. Ausgabe. 11. 185.

Innocenz II. genehmigt die Verwandlung des Frauenklosters zu Liesborn in ein Benedictiner Mannskloster. VIII. Kai. Octobr. »Locorum ve- nerabilium cura.«

Die Bleibulle ist mit rothen Fäden angehängt.

Innocenz II. nimmt das Kloster Neuenheerse] mhx «*"tort- in seinen Schutz. »Pie postulatio voluntatis.« C ^^Txr.

■k tu. 4Mo toi.

rrdr Witntni Art- ist t. W. 0. B. Ko. 41.

Hadrian IV. empfiehlt dem Bischof Bernhard Jane Monu- von Paderborn und dem Abte Gi') von Lies- meuta Cor- born den Ueberbringer . einen seiner Kirche Iieiensia beraubten Priester. III Non. Januar. »Latoris S. 570'). presencium.«

Hadrian IV. bestätigt dem Abte Wibald von * Corvey das Schutzrecht über das Frauenkloster xr ««. i im Herford. V Idus Julii. »Quoniam sorores Here- * Vn™*?»** vordcnsis cenobii.«

Hadrian IV. nimmt das Frauenkloster Fisch- i"^iuZ>>Tn beck (Schaumburg , Provinz Hessen) in seinen «»i» ■»«►, „. *, o„. Schutz und bestätigt ihm den Besitz seiner Güter. V Idus Maii, ind. VI. a. pont. tercio. »Pie postulatio voluntatis.c

Cre- mone.

1». (1162).

final eorri*trt. Pfhlt b». Crb«rd J.S. K. 7043 mit (ifl Bcnterknnr : »iffsa chfooolofica »unt eorrnpU *^

R«rctt. **c XTI.

Iba. i tu 8. mo.

AddtUm iam *«t fillwhtn U.-B. HoJO.

Der Gegenpapst Victor IV. wiederholt dem Kloster Corvey die Bestätigungsurkunde Ha- drians IV. vom 15. Juli 1155 über Incorpora- tion des Klosters Werbe (im Frstth. Waldeck). JafTe 6894. Erhard B. 1830. C. 305.

Der Gegenpapst Victor IV, verleiht dem Abte Abschr. s. Conrad von Corvey unter wörtlicher Wieder- XVII. Msc. I. holung der Bulle Hadrians IV. vom 25. Februar 250. Cap. 1154 (1155 nach heutiger Bechnung), JafTe 6«42, XX V ; ge- verschiedene neue Hechte, insbesondere den! druckt Wil- Gebrauch der Mithra und des Binges*) und maus Addit. bestätigt ihm die Zehnten im Bistbum Osna-j No. 52. brück. »Et iusticie ratio exigit.«

') Dies Jahr steht durch Erhards Forschung B. 1572 und durch die Urkun- den bei JafTe No. 5556 sq. fest.

*) Dies muss ein Sch reibfehler im Codex Wibaldinus sein; der damalige Abt von Liesborn hiess Balduin.

') Die von JafTe aus dem Codex Wibaldinus in diesem Werke vom J. 1143 an gedruckten, in den Begesta pontt. nicht erwähnten päpstlichen Bullen und Briefe habe ich nicht berücksichtigt.

4) Doch gewährt unsere Abschrift keine Variante.

*) Dies von dem schismatischen Papste gewährte Privileg bestätigte dann nach Ausweis der folgenden Urkunde Lucius 111. und am 12. December 1203 in Betreff des Binges Innocenz 111. Or. sehr zerstört, Frst. Corvey U. 77a, Potthast 2047 nach Brequigny und Migne.

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Ergänzungen zu den Regesta Ponlificum Komanorutn.

41

20. 1184 ! Octo- ber 29.

21.

22

23.

11*7 bis 1191.

1192 Mai 80.

Verona Lucius 111. bestätigt dem Abte Conrad von ; Corvey den Besitz seiner Kircbe und deren Privilegien. 1111. Kai. Novemb. ind. III. anno in- carn. dorn. 1184. pont. anno 40. »Justicie ratio exigit.«

■ar. II, 70. 8. 2»> and II. HM ». IM

1192

Mai 30.

Schreiben Clemens III. an den Bischof Her- mann von Munster.

Borne ! Cölestin III. bestätigt dem Propste und den apud Canonikern der kleineren Kirche Busdorf) S. Pe-[zu Paderborn ein geschenktes Gut, das Nach- trum, jähr, sowie die freie Wahl des Propstes und

jdie Theilnahme an der Bischofswahl.

,111 Kai. Junii pont. anno secundo. »Piis üliorum

,votis.€

Weder Schalen, noch Erhard R. 2280 und Jaffe 10,379 hatten Zweifel an der Aechtheil dieser Bulle. Ich habe 1. c. erwiesen, dass die- selbe eine Fälschung des Busdorfer Propstes Heinrich von Brakel ist, der mit ihrer Hülfe im J. 1223 seine Wahl zum Bischof von Pader- born gegen den Candidaten der Minorität, den berühmten Scholasticus Oliver durchsetzte, und gegen diesen Vertreter der päpstlichen Partei mit Hülfe König Heinrichs (Vll.) und des Main- zer Erzbischofs Siegfried 11. von Eppstein sich eine Zeit lang im Besitz des Bisthums zu be- haupten wusste. In den Nachträgen zu den Additam. S. 13(3 konnte ich dann noch das positive Zeugniss aus UB. IV. 141 erbringen, dass Honorius III. durch Bulle vom 7. April 1225 das vorliegende Document als falsae Iii terae bezeichnet und die Bestrafung des Prop- stes wegen Gebrauchs dieses falschen Instru ments seiner weiteren Entscheidung vorbehält.

Zu verwundern ist, wie sich trotz dieser päpst- lichen Verdammung das Original der Fälschung im Archiv zu Busdorf hat erhalten können.

d<n AMru. k. .. bt\ Falke Tradd. Corbri 1«! und 7 J3 »or. Wlt aber >chon

Erhard K. 1143 b*-

OMrkt, l.l M an- ■»öclleh. einen Trit

daran, ta marhra.

Jaff« HU. Urbar dan Inhalt der »or- lirri-ndm »ind auch

S. 4a tu

Home apud S. Pe- trum.

Cölestin III. nimmt das $ Fischbeck in sei- nen Schutz und bestätigt ihm seinen Güter- besitz. III Kai. Junii, pont. a. secundo. »Piis religiosarum filiarum.«

Offenbar nur eine Fälschung des bekannten Chroniken- und Urkundenfabrikanten Pauliini, wie dies auch die wörtliche l.'ebereinstimmung mit der vorhergehenden Fälschung, die bei Schaten ja gedruckt vorlag, im Eingang und im Datum beweist. In den zahlreichen Urkunden- abschriften, welche unser Archiv aus dem Nach-

iro Copiar aa*«. XIV. Mae. I. 1 fol. ISS ohn« Anr.br Inhalt«. V«t. Ririna Additam. Mo. 84.

Angebliches Original 5 Busdorf ü. 7, Abschrift, saec. XV. Msc. I, 121. fol. 3; saec. XVIII. 1, 123, fol. 4, gedr. Schaten ad ann. und Wilmans, Addit. No.79.

Gedr. Paullini Bened. hislor. Visbecc. 71, Erhard H. 2281. Von Jaffe weder unter den ächten noch unter den laischen Bullen auf- geführt.

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42

Wilmans :

24.

25.

27.

1195 April 29.

(119Ü).

1197 Juli 19.

1198 Mai 4.

Lnte- rani.

Late-

rani.

Korne apud S. Fe truin

lasse von Mooyer in Betreff des Klosters Fisch- beck besitzt, Msc. VII. 6810, Kndet sich diese Bulle nicht, ebensowenig wie die in dieser letz- teren erwähnten früheren Privilegien-Bestäti- gungen der Päpste Eugen III., Alexander III. und Lucius III. darin vertreten sind.

Wir haben hier also den wohl seltenen Fall, dass eine im 13. Jahrhundert erfundene Ur- kunde die Handhabe geboten hat, danach im 17. eine andere zu fabriciren.

Ob wir auch die Bulle Innocenz III. vom 19. October 120« für Fischbeck, Potthast 289ö, die in der erwäbnten Hdschr. gleichfalls nicht vorliegt und ebenfalls nur bei Pauliini 1. c. S. 75 gedruckt ist, verwerfen müssen, behalte ich einer weiteren Untersuchung vor.

Cölestin 111. beauftragt die namentlich nicht aufgeführten Aebte von Walkenried, Lutter und Marienfeld, Commissare zur Entscheidung des Streits zwischen dem Bischof Bernhard 11. von Paderborn und dem Abte von Helmershausen zu ernennen.

Bei Jaffö weisen No. 10,585 und folgende den Papst am 22. und 27. April d. J. im Lateran auf ; No. 10,588 dagegen ist aus S. Peter datirt vom 29. April dieses Jahrs. Doch kann der Papst sehr wohl an beiden Orten in Rom am nämlichen Tage Urkunden ausgestellt haben. Vgl. No. 123.

Cölestin III. bestätigt dem Abte Hermann Auszug in Pro- von Scheda ( & Prämonstr. 0.) die Privilegien und zessacten des Renten, sowie die Einkünfte seines Klosters aus Kl. Scheda, den Salinen zu Werl. »Religiosam vitam eligen- U. 005, fol. 14, tibus.« hiernach ge-

druckt Wil- mans Addit. No. 82.

Or. FnU Paderborn U »i Roftat n»«h Jm> «hr mttorUm Ori<in»lo. Wllmio« Addit. Ho. M.

Rott« du Original»

C) M»ritnf»)dU.9 lh<cbr. t XIII.

Ik. tu. in«. foU U \y ■. XIV.

1k. i. IM. fol I. fcdr. Brbord B. im, C. VW. rotlhut t«S.

Or. Frst. Pa- derborn. U.84. Regest nach dem sehr zer- störten Origi- nale bei Wil- mans Addit.

No. 80. Vgl. unten Nachträge.

Cölestin 111. befiehlt der Paderborner Kirche die verpfändeten Kirchenornamente wieder ein- zulösen.

Innocenz 111. bestätigt die Güter und Privi- legien des Cistercienser & Marienfeld. IV. Non. Maii ind. prima Incarn. anno 1198 pont . . . . »Religiosam vitam eligentibus.«

') Giebt den Schluss folgendermassen und stellenweis vollständiger an , wie er Msc. I. 100. fol. und im Druck von Erhard sich findet: Ego Innocentius cath. e. ep. Ego Octavianus. Ego Petrus i. t. S. Cecilie presb. cardinalis. Ego Johannes i. t. S. Clementis card. Viterbiensis et Thuscanus ep. Ego Guido trans Tyberim S. Marie i. t. S. Calixti presb. cardinalis (sie!). Ego Hugo presb. cardinalis S. Martini.

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Ergänzungen zu den Reges ta Ponlificum Romanorum.

43

28.

1203 Juli 5.

fFeren- tini »).

Innocenz III. nimmt die Güter und Besitzungen des Cistercienser & Herswitbehusen (Harde- hausen d. Paderborn) in »einen Schutz. Tertio Non. Julii pont. nostri anno sexto. >Cum a nobis petitur.«

Ab«hr. «. XI T. «f. VII, 4MW f. 10 Krer.t | Wilmana,

" \ i, v.o. 1». N«. U mit dem

* *13 J-ti*1"""

2».

1209 Sept. 27.

Ana- gnie.

Innocenz 111. bestätigt der Cölnischen Kirche die Schenkungen an Burgen, Dörfern, Besitzungen, Freiheiten und anderen Gütern , welche Otto dictus Rufus Romanorum rex ihr gemacht, und die in einer, mit einer goldenen Bulle ver- sehenen Urkunde enthalten sein sollen1). V. Kai. Octobr. pont. an. XII. »Justis petencium desideriis.c

Abschr.s.XIV. im über pri-

vilegiorum eccl. Gol. Msr. 1. 178, fol. 9.

Ungedruckt.

30.

1213 April 17.

Late- ran i.

Innocenz III. befiehlt dem Dechanten, dem Scholasticus und dem Canonicus vom £ S. Pa- troclus zu Soest gegen einen gewissen H. und andere Personen der Cölner Diöcese, welche das Prärnonstratenser & Wedinghausen (Arns- berg) in dem Besitz seiner Güter zu Werl stören, einzuschreiten und die Sache ohne Ap- pellation zu beendigen. XV. Kai. Maii pont. a. XVI. »Dilecti hin abbas.«

Die an eine Hanfschnur befestigte Bulle ist abgefallen.

Or. (im klein- sten Format) J Weding- hausen U. 19.

31.

1214 tebr.

25.

Roroe apud S. Pe- trum.

Innocenz 111. bestätigt dem Abte (sie!) Arnul- dus und dem Praemonstratenserkloster (We- dinghausen) in Arnsberg das von den Grafen Gottfried und Heinrich von Arnsberg geschenkte Patronatsrecht Ober die Kirche in Werl. V. Kai. March, pont. a. XVII. >Cum a nobis.«

Die Bulle hängt an einer Schnur von rothen und gelben seidenen Fäden.

Or. t> We- dinghausen U. 23.

32.

1218 Juli 18.

Late- rani.

Honorius 111. nimmt das Gapitel zu Soest mit dessen Gütern in seinen Schutz. XV. Kai. Aug. pont. a. 11.*). »Sacrosancta Romana.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. t5 S. I'a-

troclus zu Soest U. 17.

33.

1222 Januar

Late- rani.

Honorius III. bestätigt dem Propste und dem Convente des Prärnonstratenser 5 Scheda (in ncr unsen. .<i,u t , uas raironai uoer die tvircne zu Mengede. II. Non. Januar pont. a. VI. »Vo- tis petencium.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. £ Scheda U. 4. Abschr. saec.AVl.lnbC. VII. 6116, f. 154.

34.

1223 Januar 11.

Late- ran!.

i

i

Honorius 111. beauftragt die Aebte von Sieg- burg und Deutz sowie den Propst von Siegburg, die Klage des Abts von Hehnerhausen (Prov. Hessen) gegen den Abt von Hardehausen (Bis- thum Paderborn) und den Propst zu Beriche (Frstth. Waldeck), welche den Körper des von Ersterem exeommunicirten Edlen R. von Scho-

Or. Frst. Pa- derborn U. 103, gedr. Wil- mans, West- fäl.Urkunden- buch. IV. No. 109.

') Das sehr zerstörte kleine Gopiar liest freilich Maguntine. ') Von dieser Schenkung ist mir nichts bekannt. ') Die Zahl ist fast ganz zerstört.

44

Wilmans:

35. 1228 Januar 20.

36.

1223 Juli 27.

37.

38.

Sygnie.

1224 Mai 7.

1225 Januar 27.

39.

1225 März 13.

Late- rani.

Late- rani.

Late- rani.

Ute- nuni,

nenberg kirchlich begraben hätten, zu unter suchen. 111. Idus Januar, pont. a. VII. »Quere- lam dilectorum.«

Die Bulle an einer Hanfschnur.

Honorius 111. befiehlt dem Erzbischof (Engel- Transsumpt bert) von Cöln das dem päpstlichen Stuhle un-lin der V, 215

mittelbar unterworfene (Benedectiner) & Hei mershausen in seiner Freiheit und in seinem Besitze gegen Jedermann zu schätzen '). VII Kai. Febr. pont a. VII. »Licet ex iniuncto.c

des Frsttb. Paderborn v. 20. October 1200; gedr. Wilmans, Westf. U.-B. IV. HO.

Honorius III. beauftragt den Bischof von Hil-| Gleichzeitige desheim und den Abt Conrad von Sichern, Ahschr. Frst. früheren Bischof von Hildesheim, die streitige Paderborn Paderborner Bischofswahl zu untersuchen, beide U. 105, gedr. Prätendenten, den Magister Oliver und den Bus- Wilmans, dorfer Propst Heinrieb (von Brakel) nach Rom Westf. U.-B. zu citiren und den Bewohnern des Bisthums IV. 114. zu verbieten, sich vor erfolgter päpstlicher Ent- scheidung für den einen oder den andern zu erklären. VI. Kai. Aug. pont. a. VIU. »Dilecti filii.«

Honorius III. ernennt den Cardinallegaten Or. Frstth. Bischof von Porto, Conrad (von Urach) mit Paderborn zwei Geistlichen zu neuen Richtern in der U. 127, gedr. Sache der streitigen Paderborner Bischofswahl, Wilmans, um dieselbe auf Grund der von beiden Par- Westf. U.-B. teien vor dem päpstlichen Auditor Cardinal- IV. 127. bischof (Pelagius) von Albano vorgebrachten Thatsachen nochmals zu untersuchen. Nonis Maii pont. a. VIU. »Dilectis filiis.« Die Bulle wie ad No. 31.

Honorius 111. befiehlt den von ihm in der Streitsache zwischen Paderborn und Helmers- hausen zu Richtern ernannten Dechanten von S. Ludgeri und Engelbert von S. Mauritz zu Münster die von dem früheren Richter, dem Abte von Reinhausen über das Paderborner Domcapitel ausgesprochene Excommunication wieder aufzuheben und den Process zu ent- scheiden. VI. Kai. Febr. pont. a. nono. »Ex- hibita nobis.«

Or. Kl. Hel- mershausen, früher zu Mün- ster, jetzt im Staatsarchive zu Marburg, gedr. Wil- mans, U.-B. IV, 138.

Honorius III. nimmt den Pfarrer Bernard vonjOr. $ Levern Levern (Diöc. Minden) in Betreff seiner Person, Urk. L sowie dessen jetzige und künftige Güter in seinen Schutz und bestätigt ihm das Plebanat

') Unter dem nämlichen Datum bestätigte der Papst dem Abte von Helmers- hausen den mit dem Erzbischof von Cöln errichteten Vertrag super munitione quadam et oppido iuxta monasterium vestrum constnictis. Potthast 0948. Wl. über das Weitere meine Note zum Urk.-Buche IV 138 und den Excurs S. 205 zu Nr. 304.

Ergänzungen zu den Regesta Pontificum Romanorum.

45

40.

41.

42.

43.

1225 April 7.

Late- rani.

1225 Tibure. Mai 6.

44.

45.

1225 Mai 7.

1227 Dcc. 2L

Tibure.

Late- rani.

(1227) Üec. 15.

1227 Dec. 16.

4C. 1228 Januar

23.

zu Leveren mit seinen Pertinenzien. 111. Idus Marcii pont. anno IX. »Justis petencium.« Die Rulle wie ad No. 31.

Honorius 111. zeigt den Edlen und Ministerialen des Risthums Paderborn an, dass er die Wahl des Magisters Oliver zum Rischof von Pader- born bestätigt habe und befiehlt ihnen, dem- selben den Eid der Treue zu leisten >). VII. Idus April, pont. a. nono. »Auditis et intel- lectis.« Die Rulle ist abgefallen.

Honorius 111. nimmt das Renedectiner £ S. Mauricii zu Minden mit dessen Personen und Gutern in seinen Schutz. Pridie Nonas Maii pont. a. nono. „Justis petencium deside- riis.«

Honorius III. nimmt die Personen und Güter des St. Martini £ in seinen Schutz. Nonis Maii pont. a. nono. »Cum a nobis petitur.«

Gregor IX. empfiehlt allen Rischöfen und Prälaten den Orden der Predigerbrüder wegen ihres bewiesenen Eifers in der Rekämpfung der Ketzereien und im Predigen. Würden sie aber hierbei sich geldgierig erweisen, so solle man sie gefangen nehmen und als Fälscher verur- theilen. IV. Non. Decembr. pont a. primo »Quoniam habundavit iniquitas.c

Gregor IX. bestätigt dem & Scheda das Pa- tronatsrecht über Mengede1). .W ill. Kai. Ja- nuar, pont. an. primo. »Justis petencium desi- deriis.«

Gregor IX. befiehlt den Rischöfen (Conrad) von Hildesheim und (Conrad) von Minden dem Kloster Helmershausen, welches dem päpst- lichen Stuhl unmittelbar unterstehe, das Grisma und das heilige Oel auf sein Ansuchen mitzutheilen und für dasselbe die nöthigen bischöflichen Functionen zu verrichten. XVII Kai. Januar, pont. a. primo. »Sicut intellexi mus.«

Die Bleibulle wie ad No. 31.

Late- ] Gregor IX. nimmt die Aebtissin und den ranL jConvent des Cistcrcienser $ Leveren (Diöc |Minden W. von Lübbeke) für ihre Personen und ihre Güter in seinen Schutz. X. Kai. Febr. pont. a. primo. »Sacrosaneta Romana.« Die Rulle wie ad No. 31.

(Late- rani.)

Late- rani.

Or. Frstth. Paderborn U. 118, gedr.

Wilmans, Westf. U. R. IV. 141.

Absrhr. saec. 16. Msc. 1. 115, fol. 7.

Abschrift s. 17 5 S. Martini in Minden U. 115a.

Transsumpt saec. Xlll med. S Dominica- ner in War- burg U. 1 ; gedr. Wil- mans, Westf. U.-R. IV. 155.

Abschr. saec. XVI. Msc. VII. 6116. S. 140.

Or. Renedic- tiner J Hel- mershausen, früher zu Mün- ster, jetzt im St.-Archiv zu Marburg.gedr.

Wilmans, Westf. U. R. IV. 156.

Or. 2 Leveren U. 14.

') Vgl. Potthast 7389. •) Vgl. oben No. 33.

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Wilmans:

47

1228 Mai 7.

Reale.

Gregor IX. gewährt Allen, die am Feste der Or. geförst. h. Pusinna (April 23) in deren Kirche zu Her- 'Abtei Herford ford ihre Andacht verrichten, einen vierzig-: lT. 37, gedr.

tägigen Ablass. Non. Mai. pont. a. 11. niam ut ait apostolus.« Die Bulle wie ad No. 31.

Quo-

Wilmans. Westf. IVB. IV. ITA.

48

49.

50.

12*29 Juli 13.

1229 Sept. 12.

1230 Mai 10,

Peru-

.sii.

Peru- sii.

51.

12-30 Mai 24.

52.

Late-

rani.

Latc- rani.

12:^0 I Late- Dec. I rani. 23.

53.

1231 April 17.

Late- rani.

Gregor IX. wiederholt in Bezug auf den Pre- Transsumpt digerordeß den wesenthchen Inhalt seiner Bulle saec. XIII vom 2. December 1227, oben No. 43. III. Idus exeunt. Domi- Julii pont. an. 111. »Quoniam habundaviL« inicaner & zu

'WarburgU.2.

Gregor IX. beauftragt den Scholasticus , den Abschr. Cantor und den Magister C. von dem Patroclus <?. XV11I $ 5 zu Soest das Prämonstratenser $ Oeling- Oelinghausen hausen (Kr. Arnsberg) nölhigenfalls durch An- U. 44a. Wendung geistlicher Strafen gegen die Gewalt- thätigkoiten des Edlen H. v. Arnsberg und einiger Anderer aus den Diöcesen Coln, Pader- born und Münster zu schützen. 11. Idus Sept. pont. a. HI. >Dilecti fllii prior.«

Gregor IX. befiehlt auf Anstehen des Deutsch- Or. Frstth. ordensmeislers Hermann (von Salza) dem Pa- Paderborn derborner Domcapilel die 65 Mark Silber U. 125; gedr. welche der verstorbene Bischof Oliver von Wilmans, Paderborn für die Kosten der Begaben zu S. Westf. U.-B. Germano vom Deutschen Orden entlieh und die IV. 175. das Domcapitel behufs Zurückerstattung bei verschiedenen Bankhäusern in Bologna depo- nirte, welche dieselben aber an die Tempel- herrn auszahlten jetzt dem Deutschen Orden zu erstatten. VI. Idus Maii pont. a. IV. »Per vestras nobis.«

Die Bulle an Hanfschnüren.

Gregor IX. beauftragt auf Bitten des 9 Schil- Or. 9 Schil- desche (bei Herford) die Dechanten von S. Peter desche, gedr. und von S. Victor in Mainz die Schlussentenz Wilmans. im Processe zwischen diesem Stifte und den Pa- Westf. U.-B. derborner Domherrn (u. Archidiaconen) Heinrich IV. 118. von Schwalenberg zur Ausführung zu bringen. IX. Kai. Jun. pont. a. quarto. »Supplicarunl nobis.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. nimmt das Prämonstratenser $ Or. <j> Oeling- Oelinghausen mit seinem sämmtlichen Besitze, hausen V. 50. insbesondere den vom Abte und den München des & zu Deutz ihm freigebig übertragenen Hinkünften in seinen Schutz. X. Kai. Januar, pont. a. quarto. »Sacrosancta Bomana cccle- sia.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. beauftragt die Bischöfe (Ludolf) Or. im Fürstl. von Münster und (Engelbert) von Osnabrück Archiv zu den Streit des Grafen Ludwig von Arnsberg Hheda. & mit dem Prämonstratenser & Clarholz (bei Clarholz U. 15.

Ergänzungen zu den Regesta Pontificum Romanoruin. 47

Rheda, Diöc. Osnabrück) in dem Rechtswege zu entscheiden. 15 Kai. Maii pont. a. quinto.

»( Yinvpntim mnnAstprii c

Die Bulle hängt an einer Hanfschnur.

54

1231 Juli 5.

Reate.

Gregor IX. bestätigt die durch seinen Pöni- tentiar Johannes vom Predigerorden im Auftrage des Legaten Cardinais Otto v. S. Nicolai in carcerc Tulliano eingeführte Eintheilung der Diocese Minden in fünf Archidiaconate *) , die

h\'-il«i>t7iirii* dt»r Znhl dpr Domherrn auf 94 um!

die Neubegründung der Cantorei und Propstei am Dom. III. Non. Julii pont. a. quinto. »Hiis que ad decorem.«

Die Bulle ist abgerissen.

Or. Frstth. Minden ü. 1«.

55.

12:31 0^ 1 1 1 1 1

Reale.

(Jregor IX. befiehlt dem Erzbischof Heinrich

vftn ( V'tln H(*n ClnnnnifMiis von S Ppfpr in Rom

.VII V^'III, IJVJII * M4IIVJIIH. US .Uli *J, i 1' 1 III IIIJIII

Gregorius Petri Henrici de S. Eustachio, der vom Paderborner Domcapitel eine Präbende dort erhalten hatte, in den Genuss derselben zu setzen. Kai. Septemb. pont. an. quinto. >DUectus filius.«

T*tnHun|>t in »in«» C. dn Enb. Hrln-

n^ki i .iii { .In vrt Iii

ich Tun wiu »wiii

J'i- Notesubrr 1231. Pr«tlh. Paderborn V IM. fnlr. wo; Wortf. Ü.-B.

IT. »Ol, »fL di.

HoU n 1J3.

56.

1231 Nov. 7.

Reate.

Gregor IX. nimmt die Magistra und die Nonnen des Klosters Leveren ordinis S. Bene- dict! *) nebst ihren Gütern in seinen Schutz.

\11 Iilim Vnvpmlir nniit n ifuintn »Knf*rn-

1 II. IUU3 i.Vf . V III 1 II . liUllL. U. IJUIIlbV/. *Ut\\*l VI

sancta Romana ecclesia.« Die Bulle wie ad No. 31.

Or. 2 leveren

ü. 22.

57.

1231 Nov. 9.

Reate.

Gregor IX. befiehlt dem Schutze des Bischofs (Conrad) von Minden die Aebtissin und die Nonnen des Marienklosters zu Leveren Cisterc. ord. an und bestimmt, dass er gegen dessen weltliche Feinde die Excommunication, gegen geistliche aber die Suspension vom Amte aus- spreche. V. Idus Novemb. pontificatus anno quinto. »Non absque dolore.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. 2 I^everen

T. 23.

sa 59.

1231 Nov. 9.

1381 Nof. 9.

Reate. | Reate.

Gregor IX. ertheilt dem Bischof (Conrad) von Osnabrück •) die nämliche Instruction in Bezug auf 2 Leveren. V. Idus Novemb. pont. a. quinto. »Non absque dolore.

Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. nimmt das 2 Leveren in seinen Schutz und bestätigt ihm insbesondere den Be-

Or. 2 Leveren

17. 24.

Or. ? Leveren U. 25.

') Seine Sendung hat für ganz Westfalen überhaupt eine neue Organisation der Bisthümer, Domstifter, Klöster und Stiftskirchen zur Folge gehabt Vgl. U.-B. IV 170, 177 u. sqq.

*) Falsch; in der nachfolgenden U. v. 9. November 1231 richtig ordinis Ci- slerciensis.

*) Ausgeschrieben: Osnaburgen., wie im 13. Jahrhundert mehrfach, Herr Dr. Fr. Philippi macht mich aber darauf aufmerksam, dass die Herzebrocker Ur- kunde Bischof Wido's von Osnabrück v. J. 109(5. Erhard R. 1272, im Siegel Osenbrugg .... hat.

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48

Wilmans :

00.

1232 Jan.

*20.

Iii.

Reate,

02.

1282 Juli 7

1232 Juli 8.

1233 Marz 1

Spo- leti.

(Spo- leti.)

Anag- nie.

sitz der vom Bischof (Conrad) von Minden ihm geschenkten Kirche zu Diligin '). V. Idus Novb. pont. a. quinto. »Cum a nobis.« Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. bestätigt auf Bitten der Aebtissin Or. <j> Leveren

und der Nonnen des $ Leveren. die vom Do- minikanermönch Ernst im Auftrage des Car- dinallegaten O(tto) tit. S. Nicolai in carcere Tulliano verfassten Statuten, insbesondere in Betreff der Zahl der Nonnen sowie der einge- führten Clausur. Xlll. Kai. Februar, pont. a. quinto. »Quotiens a nobis.c Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. beauftragt die Dechanten des Doms und des S. Martini 9 sowie den The- saurar von S. Martini zu Minden die Klage des ? Leveren gegen die Frau M. von Vlech- ten und einige andere Personen aus dem Bis- thum Osnabrück wegen Besitzstörung zu ent- scheiden. Non. Jul. pont. a, sexto. »Dilecte in Christof

Die Urkunde ist auf einem auffallend kleinen Stück Pergament geschrieben. Die mit einem Hanfbindfaden früher befestigte Bulle ist ver- loren.

Bulle Papst Gregor's IX. über die Verthei- lung der Präbendaleinkünfte am Stifte S. Petri zu Löwen

r. 2x

Or. $ Leveren

IT.- 30.

Gregor IX. ertheilt allen Erzbischöfen und Bischöfen die Vollmacht, den Brüdern ordinis minorum1) für die Sünden und Vergehen, die sie vor oder nach ihrem Eintritt in den Orden sich haben zu Schulden kommen lassen, auf ihr Ersuchen in seinem Namen Absolution zu ertheilen. Kai. Marth" pont. a. sexto. »Quia proni sunt.« Die Bulle») wie ad No. 31.

£ S. Petri in Löwen,

jetzt in Brüssel. Vgl.

No. 109.

Or. $ t Mi- noriten und Dominicaner

in Soest V. 1.

') Dielingen im N.W. des Reg.-Bezirks Minden.

») Gelegentlich der ersten Erwähnung des Ordens des IL Franciscus in den Urkunden des Münster'schen Staats-Archivs sei es gestattet, hier einer merk- würdigen Entscheidung des Baseler Concils zu gedenken. Durch Bulle vom 26. August 1434 (5 S. Patroclus zu Soest U. 2(J2j verwarf es die von diesem Orden verbreitete Ansicht, dass wer ein Jahr das Habit des H. Franciscus getragen und Ordensprofess gethan habe, nichl über ein Jahr in den Qualen des Fegefeuers zu verweilen brauche, da jener Heilige aus göttlicher Gnade jedes Jahr einmal in das Fegefeuer binabfabre, um die Angehörigen des Ordens des IL Franciscus, die er dort finde, mit sich zu führen zu den ewigen Freuden.

*) Die Bulle ist hier wie bei den Urkunden desselben Fonds vom 19. Sep- tember 1234 und vom IG. Juni 1235 acht, das Pergament und die Schrift aber verdächtig. Nicht minder aber lässt der Umstand, dass alle drei trotz ihres principiell wichtigen Inhalts Potthast unbekannt geblieben und bisher also wohl nicht gedruckt sind, sie in einem höchst zweifelhaften Lichte erscheinen.

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Ergänzungen zu den Kegesta Pontifinun Ronianorum.

49

64.

65.

66.

* 67.

12:54 März 5.

1234 April 20.

1234 Juni

26.

1234 Sept. 19.

Late- rani.

Late- ran i.

Reate.

Peru- sn.

68.

1285 Juni 16.

1235 Juni 16.

Peru- sii.

Peru- sii.

Gregor IX. beauftragt den Dechanten . den Or. $ Leveren Thesaurar und den Scholasticus vom- £ Wil- D. 33. deshausen (GH. Oldenburg) die Klage des Laien Wolfard gegen den Propst Bernard von Leveren wegen Vorenthaltung verpfändeter Güter zu prüfen und zu entscheiden. III. Non. Marcii, pont. a. sepümo. »Wolfardus laicus.«

Die U. ist von kleinem Format und die Bulle mit einer Hanfschnur daran befestigt.

Gregor IX. erlässt an den Propst des 9 ^. S Walburg in Soest das Mandat, die Klape des dinghausen Prämonstratenser t> Wedinghausen in Arnsberg U. 40. gegen die Ritter Hermann und Albert und einen gewissen Rodulf sowie mehrere Personen der Colnischen Diöcese, welche gegen den Willen des Klosters in dessen Pfarre eine Capelle bauen wollen, zu entscheiden. XU. Kai. Maii pont. an. octavo. »Ex parte dilectorum.« Die Bulle wie zuvor.

Gregor IX. bestätigt dem & Wedinghausen Or. $ We- seine Privilegien und Güter. VI. Kai. Julii pont. dinghausen a. octavo. »Beligiosam vitam eligentibus.« U. 41.

Die U. in grosslem Format ist mit «lern Spruch kreis des Papstes, seiner Unterschrift und der von zehn Cardinälen versehen. Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. verleibt den seligen Franciscus. Or. & & Mi den Stifter des Ordens der fratres minores, dem noriten und Katalog der Heiligen ein und befiehlt, ihn am Dominicaner

4. October zu verehren. Xlll. Kai. Oclobr. pont. in Soest U. 2. anno octavo. »Sicut phiale auree.«

Die Bulle wie ad No. 31. Die Urkunde ist verdächtig, vgl. oben No. 63 vom 1. März 1233. Die Heiligsprechung des h. Franciscus soll zudem schon 1220 zu Assissi erfolgt sein. Vgl. auch Gieseler K. G. II. 2.

5. 231. Not. 3.

Gregor IX. gewährt dem generali ministro Or, & & Mi- und den Brüdern des Minoriten-Ordens, um ihre noriten und Unschuld pegen Betrug zu sichern , das Vor- Dominicaner recht, auf Grund keines anderen päpstlichen in Soest U. 3. Erlasses angeklagt werden zu können, der nicht des vorliegenden Privilegiums ausdrucklich Er- wähnung thue. XVI. Kai. Julii pont. a. nunc. «Cum iam per eius.«

Die Bulle wie ad No. :51.

Gregor IX. nimmt das Praemonstr. $ Oeling- Or. ? Oeting- hausen mit seinem ganzen Besitz, namentlich mit hausen U. 60. der Kirche zu Altcn-Büthen (Alderuden), welche es auf kanonischem Wege erwerben wolle, in seinen Schutz. XVI. Kai. Julii pont. si. nono. »Sacrosancta Romana ecclesia.«

Die Bulle wie ad No. 31.

in.

50

Wilmans :

.0.

71.

72

7:j.

1235 Juli 22.

1286 April IL

Peru-

sii.

12:iti Oct. 0.

12: 10 Mai 7

74.

75.

70.

1240 März

:i0.

1241 Jan.

22.

1241

März 7

Viler- bi.

Reale.

Late- rani.

Late- rani.

Late- rani.

Late- rani.

Gregor IX. verkündet allen Gläubigen »1er Or. 2 Leveren

Erzdiöcesen Göln und Bremen einen 20tägigen! Ablass, welche zum Neubau der Kirche und Häuser zu Leveren den Boten des Klosters Beiträge übergeben. Diese Indulgenz solle nach 5 Jahren Ungültigkeit haben und von Wucherern nicht ausgebeutet werden. XI. Kai. Augusti, pont. a. nono. »Quoniam ut ait apostolus.« Die Bulle wie ad No. :tl.

Gregor IX. nimmt das 2 Leveren mit dessen Besitzungen in seinen Schutz, insbesondere darunter auch Dilingen1), was Bischof Conrad von Minden dem Kloster geschenkt, bevor es die Cistercienser Begel angenommen. III. Idu April, pont. a. Decimo. »Cum a nobis petitur.« Die Bulle wie ad No. 31.

Gregor IX. ertheilt auf Bitte der Priorissa und desConvents des Augustiner 2 Oberkirchen (Grfsch. Schaumburg) Allen, die für Herstellung von dessen durch Brand verwüsteten Gebäuden einen Beitrag liefern und dessen Kirche am Tage der Kreuzerhöhung besuchen werden, einen Ablass von 20 Tagen. VII. hlus Octobr. pont. a. decimo. »(Juoniam ut ait apostolus.« Die Bulle ist abgefallen.

Gregor IX. empfiehlt allen Erzbischöfen . Bi- schöfen und den übrigen Geistlichen die Brüder vom Hospital des h. Johannes zu Jerusalem, verbietet, sie zu bedrücken oder im Besitz der- jenigen Güter zu stören, welche ihnen von sol- chen Gläubigen vermacht wurden, die in ihren Hospitälern genesen oder gestorben sind. Nonis Maii pont. a. XIII. »Si diligenter attenditis.« Die Bulle wie ad No. 31.

Ü. 35.

Or. 2 Leveren

V

39.

ür. Prsl. Minden V, 17.

Gregor IX. beauftragt den Üechanten , den Scholasticus und den Thesaurar des Stifts (sae- cularis ecclesia) zu Soest S. Patrocli) dem 2 Oelinj;hausen die unrechtmässig entfremdeten Güter, nfithigenfalls durch geistliche Strafen, wieder zu verschaffen. III. Kai. April, pont. a. XIV. »Dilectorum tiliorum.« Die Bulle an einer Hanfschnur.

Gregor IX. nimmt das Cistercienser £ Her- swidehusen (Hardehausen im Bisthum Pader- born) in seinen Schutz. XI. Kai. Febr. pont. a. XIV. »Justis petencium.«

Die Bulle ist abgefallen.

Or. Johan-

niter-Com- mendezu Her- ford I'. 1. Hegest der sehr zerstör- ten Urkunde

Wilmans, Westf. U.-B. IV. 2*i.

Or. 2 Oeli Ha- hausen U. 02.

ür. i, Harde- hausen U 46.

Gregor IX. empfiehlt das nämliche Kloster Transsumpt

des J. 1207. £ Hardehau- sen U. 48.

dem Schutze der Bischöfe und Prälaten der Mainzer Kirchenprovinz an. Nonis March* pont. a. quarto decimo. »Non absque dolore.«

•) Vgl. oben No. 50.

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Ergänzungen zu den Begesta Pontificum Homanorum.

51

77.

1245 Ocl.27

78.

124-, Lug- Mai 15. diwi.

79.

80.

Hl.

Lug- duni.

1247 Marz

23.

1247 Juni 5.

Lug- duni.

Lug- duni.

124!) Juni 17.

82. ! 12-r.O Juni 30.

83.

Lug- duni.

Lug- (Juni.

1250 I Lug- Juh 9. duni.

Innocenz IV. befiehlt dem Ahle von Alten- Or. $ S. Pa- kamp Cist. ord. den Streit zwisc hen den Stif- trueli zu Soest tem .S. Patrocli zu Soest und SS. Apostoll, zu ü. 26, Göln wegen des Besitzes eines Guts zu unter- suchen und zu entscheiden. VI. Kai. Novembr. pont. anno tertio. »Sua nohis delecti.« Die Bulle an einer Schnur von Haut'.

Innoceuz IV. verleiht dem SS. Peter u. Paul Or. 5 Mars- $ zu Marsherg, dessen Altar von seinem Vor- herg D. 4. ge- gänger dem Papste Leo III. geweiht worden '), druckt Wil- einen Ablass von 40 Tagen. Idibus Maii, pont. mans, Kais.- ann. tercio. >Etsi quelihet.« ») Urk. 1. 133.

Die Bulle ist verloren.

Innocenz IV. bestätigt die durch den Grafen! $ Himmel- Otto von Tekeneburg (Teckleuburg) und dessen! pforte U. 4. Sohn Heinrich bewirkte Stiftung des Gisterc. ? Himmelpforlen (Kreis Soest) X. Kai. April, pont. a. quarto. »Justis petencium desideriis." Die Bulle wie ad No. 31.

Innocenz IV. gestattet auf Bitten des Erz- Or. Fr. Pader- bischols (Conrad) von Cöln dem Paderborner born l'. 174 Domherrn Walter, dem Sohne des im Dienste des Erzbiscliofs gefallenen Marschalls ( von West falen) G(otlfried) neben seiner Domprähcnde und der Pfarre zu Büderich auch andere geist- liche Benedeien zu besitzen. Nonis Junii pont a. quiuto. >Ex parte tua.c Die Bulle ist abgefallen.

InnocemlV. gestaltet dem Gislercienser $ Holl- Hegest Msc. I. hausen bei Büren (dioec. Paderborn) auch in Zeiten 24 2b- S. 113 des Interdicts die Messe bei geschlossenen Thören zu feiern. XV. Kai. Jul. pout. a. sexto.

Innocenz IV. giebt der Aebtissiu und dem Frstl. Archiv Benedictiner <j> Herzebrock (dioec. Osnabrug zu Rheda, bei Hheda) das Privileg, dass sie durch keinen $ Herze- Bel'ehl des Apostolischen Stuhls oder seiner brock. U. 9. Legaten zur Aufnahme von geistlichen Pensio nairen otler Beneliciaten ad reeeptionem . . in pensioiiibus aut ecclesiasticis beueflciis gezwungen werden konnten. 11. Kai. Julii pont. anno So. »Paci et tranquillitati.« Die Bulle wie ad No. 31.

Innocenz IV. nimmt das Benedictiner ? Herzebrock dioec. Osnaburg in seinen Schutz. VII. Id. Jul. iitdict. 9. (sie!) ann. MGGL. pont. a. octavo. •Religiosum vitam eligeutibtis.«

Die Urkunde ist im allergrößten Format und weisl die Unterschriften der Gardinäle auf. Die Bulle wie ad No. 31.

Frstl. Archiv zu Rheda, 9 Herze- brock. I. 10

') Siehe oben No. 2 die U. v. 24. Deceinber 799.

*) Aus derselben Zeit stammt auch wohl das Fragment der Bulle, worin Innocenz IV. jene angebliche Urkunde tao's III. transsumirt. Wilmans L c. S 132.

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52

Wilmans :

84.

85.

80.

88.

69.

90.

1250 Juli 10.

1250 Dec. 18.

1261 Jan. 4

Lug- duni.

April 10.

1254 Dec. 30.

1 255

April

1255 Apr. 22.

Lug- duni.

Lug- dum.

*7. 1252 , Peru-

su.

Nea- I»oli.

Nea- poli.

Nea polL

Innocenz IV. giebt dem Dechanten und dem g S. Joh. u. Capitel des Stifts Enger das Recht, aus den Dionys, zu Händen der Laien Zehnten zu kaufen, unter Herford. U. 9. der Bedingung, sie an die Kirchen, die sie ur-J sprunglich besessen haben, gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben. VI. Idus Julii pont. anno octavo. »Devotionis vestre preeibus.« Die Bulle wie ad No. 31,

Innocenz IV. bestätigt fast wörtlich ') die Ur- Frstth. Min- kunde Gregors IX., oben No. 54 in Betreff der den U. 2:}. Archidiaconate des Bisthums Minden. XV. Kai. Januar, pont. a. octavo. »Decet ut.« Die Bulle ist abgefallen.

Innocenz IV. befiehlt dem Dechanten und dem Or. ? Leveren Scholastie Ufl des £ zu Enger (bei Herford), dem U. tk». Bedrückungen, welche der Bitter Themo de Woswinkele nebst einigen anderen Laien der Diöcesen Osnabrück, Minden und Paderborn1 gegen die Güter des Leveren ausüben, ab- zuhelfen. 11. Ron. Januar, pont. a. octavo »Conquesti sunt.«

Die Bulle ist mit einer Hanfschnur an der sehr kleinen Urkunde befestigt.

Innocenz IV. gebietet dem Erzbischof (Conrad) Transsumpt von Göln auf die Klage des Prior provincialisl des COlni- Alamanniae et fratres sui prioratus, den Domini-|schenOnicials canerorden zu schützen. IV. Idus April, pont. v. J. 1287. a. IX. >luuudans malicia.« Dominicaner

& zu Warburg U. 3.

Alexander IV. widerruft die Bulle Innocenz IV., Transsumpt welche den verschiedenen Orden untersagte, a. d. J. 1279 an Sonn- und Festtagen fremde Pfarrei ngesessene bis 12S7. Do- ohne Genehmigung der betreffenden Pfarrer in minikaner ihre Kirche aufzunehmen. III. Kai. Januar.1 & in Warburg

pont. a. primo. »Xec insolitum est.«

Alexander IV. ertheilt den Nonnen des Augustiner Sj! Paradies bei Soest das Privileg, dass sie ilurch Briefe des apostolischen Stuhls oder dessen Legaten nicht ausserhalb Soest vor Gericht gestellt werden können, bhbus April, pont. a. primo. »Vacantibus amori celestium.« Die Bulle wie ad No. :tl.

U. 4.

Paradies ü. 9.

Alexander IV. bestätigt den Erlass des Gar-jOr. $ Para- dinallegalen H. tit. S. Sabinae2), der den; dies II. 10:

') Den Johannes nennt auch er: penitentiarius noster; der Legal Otto aber wird genannt Portuensis episcopus tunc S. Nicolai in carcere Tulliano diaconus Cardinalis.

*) Im angeführten Copiar fol. 12 u. 13 liepen zwei Urkunden des Legaten Hugo v. 8. März u. 14 März 125:1 aus Luttich für das näinliche Kloster, doch nicht in Bezug auf die Ordensregel, vor. Am 17. Febr. 1252 urkundete derselbe aus Magdeburg, Or. Dominicaner ? Warburg U. 2; am 28. Juli desselben Jahre

<

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Ergänzungen zu den Hegesta Poflltifieum Homanorutn.

53

1 i

Augustinornonnen zu Paradies bei Soest ge- stattet hatte, nach den Regeln des Prediger- ordens zu leben. X. Kai. Maii. pont. a. primo. »Justis petencium.« Die Bulle wie ad No. 31.

Abschr. s. XIV. Msc. VII. 6107. S. 7.

»1.

1255 Aug. 9.

Anag- nie.

Alexander IV. bestätigt die Privilegien des Benedictiner & S. Mauritii zu Minden. V. Idus Aug. ind. 13. inc. dorn. 1255. pont. a. primo. »Religiosam vitam eligentibus.«

Abschr. s. l»j. Msc. 1. 115. fol. 7.

92.

1255 Oct. 7.

Anag- nie.

Alexander IV. verleiht der Kirche des Benedic- tiner & Abdinghof zu Paderborn einen am Khch- weihfeste zu gewinnenden Ablass von 40 Tagen. Xon. Oetobr. pont. a. primo. »Licet is de cuius.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. * Ab- dinghof U. 54.

93.

1255 0cL15,

Anag- nie.

Alexander IV. verleiht dem Paderbomer Dom einen Ablass von 40 Tagen für das Fest der Kirchweihe. Idus') Oetobr. pont. a. primo. »Licet is de cuius.«

Die Bulle wie ad Xo. 31.

Or. Frstth.

Paderborn U. 196, gedr.

Schalen ad ann.P.lu\0ti0.

94.

1255 OeUl.

Anag- nie.

Alexander IV. verleiht der Corveyer Kirche für das S. Veitsfest (Juni 15) einen Ablass von 40 Tagen. II. Kai. Xovembr. pont. a. primo. »in sanciorum iesiiviiaiiDus,*

Abschr. s. XV. Msc. 1. 134. S. 91.

95.

1257 Febr.

25.

Late- rani.

Alexander IV. befiehlt auf die Klage des Bi- schofs Simon von Paderborn , dass das Bene- dictiner J Helmershausen von seiner Ge- walt exempt zu sein behaupte, ohne doch das Exemtionsprivileg aufweisen zu können, dem Dechanten und dem Scholasticus von Wil- deshausen die Sache zu untersuchen und zu entscheiden. V. Kai. Mart. pont. a. tertio. »Petitio venerabilis fratris.«

Die Bulle wie ad Xo. 31.

Or. Frstth. Paderborn U. 204

98.

1257 März 27.

Late- rani.

1

Alexander IV. bestellt den Dechanten von' Or. Frsttii. Deventer, den Scholasticus von Wildeshausen Paderborn V. und den Canonicus Hildeger von S. Jobann zu 'J00. Pottbast Osnabrück zu Richtern, um die vor ihn ge- IG. 7*jo. brachte Klage des Bischofs Simon von Pader- born wegen usurpatorischer Besitznahme von Brilon durch einen früheren Erzbischof (Engel- bert)*) von Cöln zu entscheiden. VI. Kai. April, pont. a. III. »Sua nobis venerabilis.«

Die Bulle wie ad Xo. 31.

aus Toul, Böhmer H. I. 124«- 1313 S. 349. Am 4. Decembcr 1253 fungirte in Lüttich aber schon der Legat Peter.

') Jdus fehlt bei Schaten, weswegen Potthast diese U. überhaupt nur als zwischen den 14. September u. 15. October 1255 fallend datirt.

*) Ich kann aus .1. Ficker, Engelbert d. H. , leider nicht ersehen, ob dieser damals schon heilig gesprochen war. Feber die Beraubung des Paderborner Fürstbisthums durch den h. Engelbert und seine Xacbfolger habe ich Weslf. U.-B. IV S. 47 not. 3 ausführlicher gehandelt.

54 Wilmans:

!t7.

Ij:>7 April 17

Late- ran!.

1)8. 12:»7 Vitcr-

!)«>.

Mai

ao

bii.

im

Juni 17.

Viter- l.ii.

100.

1257 Juni 17.

V itcr-

bii

101.1 12. Hai

7.

Viler- bii,

Alexander IV. beauftragt die Vorgenannten! den Erzbischof (Conrad) von Cflln unter An- drohung der Excommunieation zu zwingen, wegen der dem Bischof Simon von Paderborn (im Friedensvertrage vom 24. August 1250) auferlegten Bedingung, ferner keine Festungen in seinem Gebiete zu bauen '), diesem und sei- nem Domcapitel Genugthuung zu geben XV. Kai. Maii pont. a. tertio. „Ad nostram nove- ritis."

Die Bulle wie ad No. 31.

Alexander IV. befiehlt dem Bischof (Heinrieb) von Hildesheini . den Bischof (Simon) von Paderborn in dem von ihm ertheilten Hechte in seinem Lande Burgen zu bauen, dem Erz- bischof (Conrad) von Cfdn gegenüber Hölingen falls durch Verhängung der Excommunieation über letzteren zu schützen. III. Kai. Juiiii pont. a. tertio. „Venerabiiis frater."

Die Bulle ist verloren.

Alexander IV. befiehlt dem Doincantor von Paderborn, die vom Cardinal Petrus1), dessen Capellan er sei, während dessen zwei Legationen [in Deutschland bei verschiedenen Personen der Diocesen Bremen und Verden niedergelegten Geldsummen einzucassiren, die säumigen Zahler aber vor den Papst zu citiren. XV. Kai. Jul. pont a. tercio ^Exposuit nobis dilectus". Xur an der Ausfertigung für Verden ist die an Hanfschnüren hängende Bulle erhalten.

Alexander IV. erlässt an den Nämlichen einen gleichen Befehl in Betreff Rückzahlung der vom Cardinallegalen beim Erzbischof von Lund dcponirteii Summen. XV. Kai. Jul. |>ont. a. tercio. „Exposuil nobis dilectus." Die Bulle an Hanfschnüren.

Alexander IV. gestattet dem Cistercienser & Bredelar (Kreis Brilon) alle Güter, welche seinen Mitgliedern, wenn sie in der Welt geblie- ben, zugefallen sein würden, zu behalten, mit Ausnahme jedoch der Lehnsgüter. Nor». Maii pont. a. ijuarto. „Devotionis vestre preeibus

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. Frstth. Paderborn U. 307,

Or. Frstth. Paderborn

U. 208.

Or. in zwei Ausfertigun- gen für Bre- men u. Verden Frstth. Pader- born L*. 209.

Or. Frstth. Paderborn f. 210.

& Bredelar

ü. Pott- hast 17,202. regestirt aus

Wilmans, Westf. U -B. III. 633. die

entspre- chende Aus- fertigung für & Marien- feld (Kr. Warendorf).

') Weil die? den herzogliehen Hechten, welche den Erzbischofen von Cfiln über die Diöcese Paderborn (in Folge der Verleihung K. Friedrichs I. vom 13. April 1180. Erhard B. 2081 C. 407) zustand, entgegenlief.

«) Caputius vgl. Potthast II S. 1473.

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Ergänzungen zu den Begesta Pontilicum Bomanorum.

55

102.

12.r>9 Mai 25.

Anag- nie.

Alexander IV. verleiht den Nonnen des Do- minicaner $ Paradies bei Soest das Privilegium, dort aller Rechte zu gemessen, die sie gehabt, wenn sie in der Welt gehlieben , namentlich auch des Erbrechts, mit Ausnahme jedoch in Betreff der Eehnsgüter. VIII. Kai. Jun. pont. a. quinto. „Devolionis vestre."

Die Bulle wie ad No. 81.

Or. ? Para- dies V, 12.

Abschr. s. XIV. Msc. VII. 0107. 8.8.

103.

1259 Mai 20.

Anag- nie.

Alexander IV. ermahnt alle Gläubigen , die bevorstehende Einweihung der Kirche des $ Paradies (bei Soest) zu besuchen und verleiht denen, welche dies am Einweihungs- oder den sieben folgenden Tagen thun würden , einen Ahlass von einem Jahre und 40 Tagen. VII. Kai. Jun. pont. a. quinto. .»Vite perennis."

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. $ Para- dies L'. 13.

104.

1259 Juli 7.

Anag- nie.

Alexander IV. verleiht der Priorissin und den Nonnen des <J> Paradies das Recht, von den durch Andere sündhaft erworbenen GiUem. die an ihre rechtmässigen Eigenthümer nicht zurück- erstattet werden können, bis zur Summe von 30 Mark annehmen zu dürfen. Non .lulii, pont. a. quiuto. „Neccessitatibus vestris."

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. $ Para- dies L\ 14.

Abschr. s. XIV. Msc. V11.0107. S.S.

10',.

1200 Jan.28.

Anag-

nie.

Alexander IV. bewilligt allen bussfertigen Gläu- bigen, welche die Kirche des $ Paradies an dem Einweihungs- oder einem der 7 folgenden Tage besuchen, einen Ablas» von 100 Tagen. V. Kai. Febr. pont. a. sexto: »Vite perennis.«

Die Bulle wie ad No. 31.

Or. 9 Para- dies U. 15.

m.

107.

1200 Mai 15.

1201 Febr. 21.

Anag- nie.

Late- rani.

Alexander IV. bestätigt die Privilegien des Johanniterordens besonders in Betreff der Zehnten. Idus Maii pont. a. sexto. »Cum ab- batet Cisterciensis ordinis.c

Alexander IV. befiehlt dem Erzbischof und allen Prälaten der Erzdiöcese Mainz den Abt und die Mönche des Cistercienser & Breydelar P a d e r b u r n e n s i s ') dioeoesis vor Bedrückun- gen zu schützen und zu sorgen, dass die ihnen bestimmten Vermächtnisse an sie ausgezahlt würden. Villi. Kai. Marth, pont. a. septimo. „Non absque dolore cordis." Die Bulle wie ad No. 31.

Transsumpt

von 1350 ^

Johanniter- Commendc zu Herford

V. 14. Or. £ Hiv- delar V. 78.

108.

1202 Juni 24.

"IT

Urban IV. bestätigt dem Augustiner «j> Fisch- beck (Grfsch. Schaumburg, Prov. Hessen) seine Freiheiten, Immunitäten und Privilegien. Vlll. Kai. Jul. pont. a. primo. „Cum a nobis petitur."

Abschr. Mm. VII. 6810.

') Später zur Diöcese Cöln gehörig.

56

Wilmans:

100.

1203 März

110.

III.

112.

113

12»M

Aug.

29.

apud urbem Vete- rem.

Pera- sii.

Urban IV. beauftragt den Cantor der Kirche S. Mariae zu Antwerpen für die Vollziehung einer Sentenz des Priors zu St. Gertrudis in Löwen in einem Streite des Dechanten und Kapitels zu S. Petri daselbst mit ibrem Propste wegen gewisser Zehnten tu sorgen. III. Non. Marth pont. a. secundo.

Clemens IV. befiehlt allen Bischöfen in Deutsch- land den Verläumdungen Derjenigen, die dort behaupteten, dassdit> Prediger unddie Minoritcu- brüder nicht ohne Erlaubniss des Papstes, der Legaten, der Diöcesanbischöfe und der Parochial- priester dürften Beichte hören und predigen, entgegenzutreten und sie mit geistlichen Strafen zu belegen. IV. Kai. Septemb. pont. a. primo. „Ad audientiam nostram.«

So <)•• Rrprrlor 4M. III. A Xo. 14 ab« dlt im 1. 1SS3 «n ilrn Oenrr»lAr»ht

Frü.w) »om Klüt*. Archi« zu Utottrt »u««»ll»frrtm Vi- knnden £ S.

Tctrl ■< Löwen. Vgl. olwn So. (•!.

Abschr. s. XIV. Mino- riten und Do- minicaner

* cj Soest U. 7.

1267 Juni 17.

1267 Nov. 8

1268 Aprü2.

Viter- bii.

Clemens IV. nimmt die Personen und GüterOr. & Brede-

des Cistercienser & Bredelar in seinen Schutz und bestätigt dem Kloster insbesondere seine Liindereien, Einkünfte, Weinberge und Gärten. XV, Kai. JulH pont. a. tercio. „Saerosancta Romans." Die Bulle wie ad No. 31.

Viter- bii.

Bo- rne1).

lar U. 94. Abschr. s.XV. Msc. V1L 5726 wo die Ur- kunde fälsch- lich auf Cle- mens III. be- zogen wird.

Clemens IV. nimmt das Dominicaner ^ Pa- Abschr. s.XIV. radies bei Soest in seinen Schulz und bestätigt! Msc. VII. ihm alle Freiheilen und Immunitäten. VI. Idus 6107. S. 6. Novembris pont. a. tercio. „Saerosancta Romana| ecclesia."

IV.

bestätigt dem Dominicaner 2 den edlen Herrn Conrad.

Transsumpt des J. 1296 $ Paradies U. 20.

IM.

IIA,

April 12.

Late- ran!.

Clemens Paradies das ihm von

Heinrich, Johann und Gottfried von Boeden berghe (Büdenberg) geschenkte Patronatsrecht über die Kirche in Sweve (bei Soest) IV. Non. April, pont. a. quarto. „Cum a nobis petitur.u

Gregor X. beauftragt den Thesaurar der Frsttb. Pader- Soester Kirche ad S. Patrochnn) die Klage born U. 255. des Paderlwrner Domkämmerers Otto von Bet- berg (Bietberg) pegen die Bürgermeister der Stadt Paderborn wegen der ihm streitig ge- machten Jurisdiction über die Verkäufer von Brod und Wein, richterlich zu entscheiden. U. Idus April pont. a. primo. „Conquestus est nobis." Die Bulle wie ad No. 31.

1273 apud Gregor X. beauftragt den Thesauntr der Kirche Jan.27.]Urbem zu Soest ($ S. Patrocli) das Cistercienser $ Vet. I Fröndenberg (Kr. Hamm) bei der Erhebung

Or. ¥ Frön- denberg U. 29.

') In der angegebenen Zeit war der Papst in Viterbo. Die Urkunde ist über- haupt verdächtig.

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Ergänzungen zu den Hegest» Pontificum Homanoruin.

57

seiner Renten zu schützen. VI. Kai. Februar, pont. a. primo. „Querelam dileetarum." uie ijuiie an einer tianiscnnur.

116.

1274 Jan.2o.

Lug- ilnni.

Gregor X. bestätigt die vom Soester Thesau- rar in Verfolg seiner Bulle vom 12. April 1272 No. 114 gegen die Consulen der Stadt Paderborn erlassene Entscheidung und beauftragt drei Dom- capitulare von Utrecht die Ausführung des Spruchs zu überwachen , die Excommunicalion über die Stadt aber nur nach Einholung "seiner Genehmigung auszusprechen. X. Kai. Febr. pont. a. secundo. „Sua nobis Otto de Retberg.14

Die Bulle hängt an Hanfschnüren.

Or. Frslth. Paderborn.

U. 369.

117.

1274 Mai 9.

Lug- duni.

Gregor X. beauftragt den Domdechanten von Minden die Klage des Paderborner Doincapitela wegen der ihm in seinen Einkünften und seinem Besitz durch einige Laien angethanen Schädi- gung zu untersuchen und zu entscheiden. VII. Idus Maii pont. a. tercio. „Conquesti sunt nobis."

Die Bulle ist abgefallen.

Or. Frstth. Paderborn ü. 270.

118.

1274 Mai 9.

Lug- duni.

Gregor X. beauftragt den Domdechanten von Minden die Klage des Paderborner Domcapitels gegen den Warburger Bürger Conrad von Wethen wegen eines Hofes in Sunriken ') zu untersuchen und zu entscheiden. VII. Idus Maii pont. a. tercio. »Conquesti sunt.«

Transsumpt in einer U. v. 1. October 1274. Frstth. Paderborn U. 271.

119.

1275 Febr.

25.

Lug- duni.

Gregor X. nimmt das Cistercienser ? zu Hamm (Kentrup) in seinen Schutz. V. Kai. Mart. pont. a. tercio. „Justis petencium."

Die Bulle ist verloren.

$ Kentrup U. 2.

120.

1278 Nov. 18.

Rome.

Nicolaus III. genehmigt die Verwandlung der Pfarrkirche in Adledhen an der Aller in eine Collcgatkirche und bestimmt, dass der Pfarrer Reinold deren erster Dechant sein solle. Idus Novembr. „Cum a nobis petitur."

Or. $ Liib- beke U. 2.

121. 122.

1279 Mai 5.

1279 Dec. 5.

Homae apud

S. Pe- trurn.

Home apud S. Ma-

riam maio-

rem.

Nicolaus III. befiehlt dem Propst (von S. Pa- troclus) in Soest die Pfarrer zu Egglachusen und EfTle gegen die Bedrückungen der Ritter Herrmann Voget und Herbold de Melcele (sie!) zu schützen. III. Non. Maii pont. a. secundo. „Conquesti sunt nobis."

Nicolaus 111. befiehlt dem Dechanten des alten Doms, dem Cantor und dem Magister Luppert von dem hohen Dome zu Münster die Streit- sache des Pfarrers Burchard zu Diligen mit dem Minden'schen Cleriker Dethard von Roden wegen der Pfarre zu Diligen zu untersuchen. Non. Decembr. pont. a. secundo. „Conquestus est nobis."

Die Bulle ist abgefallen.

Abschr. saec. 18. ? Oeling- hausen l".44a.

Or. $ Leveren

U. 88.

lJ Vgl. meine Untersuchung zu den Additamenta No. 9.

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58

Wilmans :

1-Ä

124

1280 Mai 7.

1284 Juni 13

125.

1284 •luni

22.

126.

12*:, Juli i.

127.

1289 Mai :>.

12*.

1291 Febr. 12.

|

Nicolaus III. befiehlt dem Abte von S. Michael Abschr. Msc. zu Hildesheim dem $ Fischbeck die entfrem- VII. G810 deten Güter wiederzuverschaflVn. Non. Maii pont. a. tercio. „Dilectarum in Christo."

Home apud sanc- tatn Ma- riam majo- rem ').

apud Martin IV. beauftragt den Uechanten zu St. Or. $ Graven- l'rhem Johannes sowie den Uompropst zu Osnabrück hörst LT. 89; Vete- und den Propst von Wiedenbrück den Streit Abschrift rem. zwischen Johann von Hagen (de Indagine), Msc. I. «J7. welcher vom Erzbischof von Cöln als Metro|)o- litan zum Pfarrer von Riesenbeck ernannt wor- den und dem vom Cistercienser <j> Graven- horst*) als Patron bestellten Priester Weringer Hupe zu entscheiden. Idus Junii pont. anno Iquarto. „Sua nobis abbatissa." Die Bulle au einer Hanfschnur.

apud Martin IV. bestätigt den Weringer Hupe auf Or. ? Graven- I'rhemjGriiiid der von ihm beigebrachten Rechtstitel hörst U. 40. Vete- als Pfarrer zu Riesenbeek (Diöc. Münster). X.| Abschrift rem. Kai. Jul. pont. a. quarto. »Justis petencinm.«' Msc. I. 97. Die Bulle wie ad No. :31. S. 124.

Tibur. \ Honorius IV. befiehlt dem Dechauten von' & Wedinp- Xanten die Klagen des *> W'edinghausen über hausen U. 67. die durch Hermann Wamhastickeie und Bodo (ionofe von Soest dem Kloster zugefügten Be- sitzstörungen zu untersuchen und zu entschei- den. Kai. Jul. pont. a. primo. »Conquesti sunt «

An der U. im kleinsten Format ist die Bulle mit einer Hanfschnur Iwfcstigt.

Transsumpt

Borne. Nicolaus IV. befreit die Nonnenkloster des S. Clären Ordens von allen Abgaben und Prä- stationet) an weltliche und geistliche Behörden V. Non. Maii i>ont. a. secundo. »Ouanlo stu- dio.«

des J. 1349 $ Ciarenberg bei Hörde

ü. o.

Home i Bonifaz Vlll. befreit die Mitglieder des Jo- Transsumpt

apud S. Pe- truin.

haniterordens, wenn ihre Heerden durch das

des .1. 1350 + Johanniter-

Gebiet anderer Herrn getrieben werden, von

der Pflicht an diese hierfür eine Abgabe m,i}

.... Ii i j i . , <M)inineiHle zu

entrichten. II. Idus Febr. pont. ann. tercio. ,, , . ,T ...

»Ex nobis quihbel.« |Herford U' U'

') An demselben Tage urkundete Nicolaus III. auch apud S. Petrum. Polt- hast 21. 710. 21, 711.

■) Im Reg.-Bezirke Münster, aber früher der Diöcese Osnabrück angehörig.

Ergänzungen zu den Begesta Puntificum Hoinanorum.

59

129.

1:301 Jan.

28.

Late- rani.

130. vm

April 2.

lloiuae apud

S. Pe truni.

Bonifaz VHI. bestätigt der Aebtissin und dem r.istercienser Brenkhausen (Kr. Höxter) die diesem von seinen Vorgängern gewahrten Frei heiten, Privilegien und Immunitäten. V. Kai. Febr. pont. a. septimo. »Solet annuere sedes.«

Die Bulle wie ad Nr. 81.

Benedict XI. beauftragt den Erzbisehof von Magdeburg und die Bischöfe von Hildesheim und Katzeburgi die Bruder des Dominicaner- und Minoritenordens in ihrem Bechte zu pre digen innerhalb der Provinz Sachsen zu schützen. Qnarto Non. April, pont. a. primo. »Super egenum nuper.«

Or. Frsttb. Corvey ü. 120.

Transsumpt des J. 1:505. cj Dominica- ner in War- burg U. 48.

Nachträge.

131.

891 Juni

132. 1195 & AP"'

so u. 29.

I

Stephan VI. bestätigt dem Hembil Abte des ^x'um"?!..!«.*' Klosters S. Liudgeri (zu Werden) dessen Privi- "Mi„eh^^Z") legien, insbesondere in Betreff der Unabhängig- nu s uvA§ut keit von fremder Gerichtsbarkeit. Data IUI. Kai. ]*T"kZuI!1 Julii, indict. nona, pontif. anno sexto. »Quocies •un,ii«h»n bim»*

, . * thrk III C«M»I

ea a nonis.« Thtoi. >n iju»n«

JCo J'», gedruckt Kr* h»rd K Mf, C. 43 nich iuit Abpehrift hier'nn t»«. XVII.

Mm. VII. 13 8.10 *) J»Sc if*J iniu

».«.")

Late- | Wichtige Angaben dieser sehr zerstörten Ur- rani. künde Coelestin 111. hat das scharfe Auge des Dr. Fr. Philippi noch zu entziffern gewusst, die nunmehr im IIB. IV S. 205 gedruckt vorliegen, wo ich dieselben im Excurs zur Entwirrung sehr verwickelter Verhältnisse habe verwerthen

können.

133.

1210 Sept.

2«;.

Late- I Innocenz III. nimmt das $ 8. Johannis EvangjOrig. & 8. Jo- rani. zu Minden mit dessen sämmtlichen Besitzungen bann zu Min- in seinen Schulz VI. Kai. Octob. pont. anno XIII. den. U. 1. >Sacrosancta Homana.« Die Bulle wie ad Xo. 31.

') Mitgetheilt durch Herrn Dr. Diekamp, der diese kostbare und auch in andrer Beziehung merkwürdige Handschrift für seine neue Ausgabe der vita 8. Liudgeri hier in Münster benutzen konnte.

*) Die hauptsächlichsten Varianten sind linea 0 der Erhard'schen Ausgabe: Luthuwico sc. et Karolo; lin. 12 quicquam de familiis; 1. 20 ascripta ; lin. 21 decernimus; lin. 31 Amen mit griechischer Kapitalschrift.

') Mit Unreclit. Unser Codex hat nämlich deutlich Julii. Es ist kein Wider- spruch wenn gesagt wird , dass die Bulle im Monate Mai geschrieben und erst am 28. Juni ausgefertigt (data) worden sei.

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fiO Wilmans: Ergänzungen zu den Regesta Pontificum Romanoruiu.

134.

135.

1245 Febr. 17.

1245

Lug-

dnni.

Innocenz IV. nimmt das Kloster Premontre'Abschr. saec. und dessen sämmtlirhe Personen, Guter und XIV Msc VII. Zehnten in seinen Schutz salva in predic- 40 S. 3. Iis deciiuil moderacione concilii ge- neralis. Xlll. Kai. March pont. a II. »Justis petencium desideriis.«

Lug- ' Iunocenz IV. verleiht dem Abte von Premontre Abschr. saec. duni. wegen seiner besondern Devotion für den Römi- XIV Msc. VII. sehen Stuhl das Privilegium, dass kein päpst- 40 S. 3. Pott-

licher Legat, Subdelegat, Execulor oder Conser- vator ohne besondere Vollmacht des Papstes ihn exeomtnuniciren dürfe. II. Non. Maii pont. a. 11. „Apostolice sedis benignitas."

hast 11U54 nach einem Auszuge bei Le Paige mit III. Non. Maii.

>

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IV. Zwei mittelalterliche Archivsanlagen in Italien.

Von

Professor Dr. J. v. Zahn,

Direktor des Steiermark ischen Landesarchivs in Graz.

glorioso

regruntur

miilores personarum

preminm seplus

Von Archivsplänen , Organisationsentwürfen und durchgefürten Archivsanlagen des Mittelalters ist uns bisher nur wenig überliefert worden Warscheinlich würde auch darin Italien eine der tiefst zurückgehenden und reichsten Fundgruben abgeben, falls man In dieser Richtung, und begleitet von Finderglück, suchte.

Zu diesem Schlüsse berechtiget einigermassen die auffallende Thatsache, dass in einer Stadt Italiens und zur selben Zeit des 14. Jahrh. zwei Männer wirkten, wovon der Eine durch eine vollendete Anlage, der Andere durch einen, vermutlich »schätzbares Materiale« gebliebenen Entwurf sich verewigte. Wenn wir noch dazu bemerken, dass wie der Erstere sich durch eine abgeschlossene Einrichtung, so der Andere durrh Blick und Verständniss hervorthat, welche ihn weit über die Linie des Gewönlichen stellen, so liegt darin umsotnehr Veranlassung, von Beiden zu erzälen. Das verschlägt für den Be- richt wol wenig, dass des Ersteren Werk schon geraume Zeit publici iuris ist : das Buch scheint über die Grenzen Italiens sehr wenig gedrungen zu sein. Wer sollte auch leicht aus dem sonderbaren

*) Vgl. Wattenbach: Schriftwesen 532 u. ff., namentlich 542. Uehpr die Herrschaftsarchive des Bisthums Preising Font. rer. Austr. II. :{(», pp. 79. 100. 131.

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62

v. Zahn:

Titel > Thesauri claritas« vermuten, dass darunter die älteste Ordnung des Archives der Patriarchen von Aquileja geborgen sei?

Odorico von Susana l) liebte nämlich geschraubte Aufschriften. Auch seinem »Lucifer Aquilegensis< sieht man es am Titel nicht ab, dass er damit ein Hofstatshandbuch und eine Uebersicht der Bestände des Patriarchates an Rechten und Gütern bezeichnet Mög- licherweise hängt mit dieser Art zusammen, dass wir mit seiner Auf- lassung archaistischer Aufgal>en und mit seiner Durchfürung der- selben lange nicht so einverstanden sind, als mit ersterer bei seinem Collegen vom Fache, bei Ser Ettore Miulitti.

Odorico von Susana, der Sohn des Bürgers Andrea von Udine (Friaul), war Notar, und als solcher Kanzleiangehöriger des Patriarchen Markwart (von Randeck, 1365 81). Als Kanzler wirkte er na- mentlich unter diesem und dessen Nachfolger Philipp (von Alencon); aber auch im Sekretariate des Patriarchen Ludwig (de Latorre, 1359 65) finden wir ihn bereits, doch in keineswegs so hervor- ragender Weise wie Paolino da Modena und Gandiolo da s. Vito *). Patriarch Mark wart scheint seine Registratorseigenschaften erkannt zu haben. Auf alle Fälle hat er sie anerkannt. Aber was Odo- rico damit sich verdiente, ging verloren, als er in die leidige Politik eintauchte, und wider eine sehr entschiedene Gegenpartei im Lande sich für das Patriarchat Philipps erklärte. Diese Verluste schienen auf Beschleunigung seines Endes hingewirkt zu haben, das 1390

') Obwol er aucli öfter „de Susannis* genannt wird, so ist doch nicht Susans zwi.-cben s. Daniele und (iemmia in Friaul gemeint, sondern wol Susana in Ulrien. Von ihm handelt etwas breiter Hubeis: Monuin. eccl. Aquileg. col. 947—48. Dieser gibt Muratuii: Script, rer. IUI. XVI. an, wo Odorico's einzelne Arbeiten zuerst gedruckt sein sollen In Beziehung auf die Werkangabe ist sicher das Citat unrichtig und ist 1. c. 72 7* nur der „Lucifer" aus einer vaticanischen Handschrift daselbst vorlindlioh. Ich benQtze hier die Ausgabe J. Bianchi's, L'dine. 1S47. Handschriften s.ind mehrfach vorhanden: so soll eine auf Per- gament (wol das Orig.V) im Statsarchive zu Venedig sein: auf l'apier und vorn Ende des 14 Jahrh. finden sich welche im Capitelsarchive. dann in der Samm- lung des Kanonikus Cernazai zu l'dine, im Statsarchive zu Wien, und eine Ab- schrift aus dem Iii. Jahrh. von dem bekannten ungemein fleissigen Notar Ant. Bellum angefertiget. aus der Sammlung Firona im Museo (livico zu l'dine.

*) Es ist eine offenbare Verwechslung, wenn Belloni in den Vit. patriarch. Airoilegeus. bei Muratori: Scriptor. XVI. .V. ihn mit Walterpertoldo von Spilim- bergo und Francesco von Savorgnano durch Kaiser Karl IV. zum „comes

palatinus" ernennen lässt, und kann damit nur Odorico di f.Cucanea" (C.ucagna) gemeint sein. Vgl. ebd. 82.

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Zwei mittelalterliche Archivsanlagen in Italien.

63

erfolgte. Sein Sohn Johannes folgte ihm im Amte nach; in archi- vistischer Beziehung scheint der Vater auf längere Zeit Reorgani- sationen überflüssig gemacht zu haben

Wann Odorico seine Arbeit begonnen, ist nicht bekannt. That- sache, von Patriarch Mark wart selbst betont, ist, dass vorher das Patriarchatsarchiv so gut wie nicht bestand : es war an vielen Orten verstreut deponirt, wol zu Aquileja, Cividale und Udine hauptsäch- lich, und hier wieder jeder Vorrat ganz ungeordnet Da war es schwer, Deductionen auf Grund der Documente zu liefern, wenn jene erschöpfend zu geben nötig, und diese ohne System, bald da bald dort hinterlegt waren. Und gerade die ersten Monate der Regierung Markwarts erheischten eine solche Arbeit. Wider die Herzoge von Oesterreich, welche Güter und Rechte des Patriarchates in Stteiermark, Kärnten und Krain an sich gezogen, galt es, instru- mentirte Statsschriflen für Kaiser und Reich abzufassen, welche die Urkunden anfürten, auf denen die guten, aber thatsächlich so gut wie gar nicht mehr bestehenden Rechte des Patriarchats beruhten. Möglich, dass die Mühe dieser Vorlagen den Anstoss zur Begründung der Ordnung abgab.

Wir wissen nur, dass Odorico sein Werk im October 1376 ab- schloss. Welchen Wert der Kirchenfürst daran legte, mag seine Anerkennung dafür zeigen: er belehnte nämlich seinen Kanzler mit einer Anzal Mansen zu Curso, Aevola, san Lorenzo u. s. w. (bei Cormons)') dieselben, welche ihm vier Jahre später, nach dem Tode Markwarts, und kaum durch den Vicedom bestätiget, die gegnerische und mächtigere Partei aberkannte, als er sich zu Philipp v. Alencon begeben 4).

»Adsit principio«, überschreibt er sein Register, »cuius res agitur, virgo Maria ineo.« >Hic est liber,c fährt er dann im Titel fort, >vocatus Thesauri Glaritas, in quo primo thesaurus, scilicet privi- legia et iura sancte Aquilegensis ecclesie collocata in capsa, deinde feuda, et subsequenter iura certa supradictc Aquilegensis ecclesie,

') Vgl. indes* hetr. versuchter Fortfürung unten Seile 07 Note 1.

*) „priuilegia, instrumenta, iura et scripturas ouines inordinatus totaliter et per loca varia dispersa» (alligauit) in unum". Anerkennung v. 1:577. ( »ct., Atjuileja.

*) Beiträge zur Kunde steierm. Üesch.-Quellen VII. 00, Nute 11. Im Be- gister Odorico's scheint diese Belehnung 305. Nr. 1001 eingetragen. *) Manzano: Annali del Friuli V. 335, 350.

64

v. Zahn:

que per me Odoricum Andree de Utino patriarchalem concellarium reperiri hactenus potuerunt, per ordinem ad perpetue claritatis memoriam inseruntur.« Glossirend umschreibt und erklärt er den auffällig gewälten Titel, dessen Worte hier durchschossen in der Glosse wieder erscheinen. Damit sind zugleich auch die Grund- züge seiner Archivseinteilung gegeben.

In der Vorrede zu Gapitel I. macht er uns damit noch etwas mehr bekannt: »ipsius (patriarche Marquardi) singularia monita et mandata in presenti capsa in viginti scrineos euidenter distincta, nobilissimum thesaurum, scilicet privilegia et iura supradicte Aquile- gensis ecclesie, in ipsis scrineis oportuna cura et sollicitudine collo- cavi, illa separando atque ordinando fideliter, prout dcclarant cedule in eisdem scrineis. c

Unter capsa haben wir wol nichts anderes zu verstehen, als was die Italiener heutzutage mit causa, die Deutschen mit Truhe bezeichnen wogegen scrinnis eine Lade, ein Kästchen , ein Fach, das in die Truhe eingesetzt wurde, und im gegebenen Falle betreffs des Inhaltes mit einer Aufschrift (cedula) beklebt war, bedeutet 2).

Der Aufschrift nach sollte die Archivsorganisation umfassen : privilegia, feuda und schliesslich iura certa der Patriarchen von Aquileja. Unter den erstcren hätten wir also zu verstehen die grossen kirchlichen und weltlichen Freiheitsbriefe, Schenkungen, Feststellungen streitig gewordener Rechte, Käufe, Verträge u. s. w. , unter den zweiten die Lehenserteilungen und Reverse, und unter den dritten Documente kleineren Belanges, wie Aufsandungen, Täusche und Verkäufe, Amtsübertragungen und dessgleichen Reverse, Zeugen- aussagen, Urteile u. dgl., welche den Besitzstand und Rechtsumfang des Patriarchates nach unten zu evident stellten. In der That re- präsentirt das Register diesen Inhalt, doch aber nicht scharf ge- glidert, auch nicht in 3 Abteilungen, und endlich keineswegs in chronologischer Folge innerhalb der bestehenden Abteilungen. So wie die Arbeit in der Ausgabe Bianchi's vorliegt, macht sie den Ein- druck einer im Einzelnen fleissigen, im grossen Ganzen dagegen muss der Stoff die Kraft des Kanzlers überragt haben. Vermutlich

') Andere vorkommende Bezeichnungen sind prli is und das deutsoh-lateinischc trueu. - Zur Auswal findet man derlei für England in The ancient kalendars and inventories of Ihe treasury of His Majesty's Krhequer v. F. Palgrave, London, 1836, I. Bd.

*J Vgl. Ducange (Hends<:hel| VI. 12») v. sirinium u s. \\.

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Zwei mittelalterliche Archivsanlagen in Italien

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wäre er ihm eher gerecht geworden, wenn er die Vorteile der Zettel- arbeit gekannt hätte. Daraus hätte sich die Materieneinleilung und mit ihr aucli die chronologische Folg«' der Documente in derselben leichter herstellen lassen. Sie sind jetzt Beide fast ausnamslos im Werke unterbrochen.

Die erwänten 3 Materien der priiilegia , feuda und certa iura zerfallen strenge genommen in 7 Abteilungen. Davon enthalten nur I, V und VII Originale, die übrigen bet reffen Auszüge aus Kanzler- protokollen und gehen wesentlich die feuda an, und zwar deren re- cognitiones oder Reverse ausgenommen Abteilung IV, welche Excerpte mehr gemischter Natur bietet.

Behalten wir diese gedachte Dreigliderung bei, so unterordnen sich die 7 Abteilungen wie folgt:

A. Privilegia.

I. De thesauro, scilicet de privilegiis et iuribus s. Aquilegensis ecclesie in capsa eiusque scrineis collocata.

V. De certis privilegiis, instrumentis et iuribus sanete Aquilegensis ecclesie in partibus Istrie et civitatibus et terris ibidem (91 Posten).

B. Feuda.

II. De feudis domini patriarehe et Aquilegensis ecclesie et eorum recognitionibus, specialiter in Patria Foriiulii et eius confinibus iuxla librorum antiquorum continentiarn et tenorem (232 Posten).

III. De certis feudis sanete Aquilegensis ecclesie atque eorum recognitionibus in partibus extra Patriam Foriiulii iuxta librorum antiquorum tenorem (43 Posten).

IV. De certis recognitionibus feudorum, et refutationibus et iuribus Aquilegensis eerlesie tarn in Patria et pertinentiis Foriiulii, quam etiam extra ipsam Patriam , de quibus apparere debent in- strumenta manu quondam Johannis notarii de Lupico patriarchalis scribe, tempore bone memorie dominorum Gregorii et Raymundi patriarcharum Aquilegensium (206 Posten).

VI. De feudis habitantie castri Vtini datis et consignatis in scriptis bone memorie reuerendo in Christo patri et domino, domino Bertrando dei gratia sanete sedis« Aquilegensis patriarehe, sub anno domini M.CCC.XXX.V., indictione tertia, . . . . ut patet in notis et scripturis Ser Gubertini de Novate tunc patriarchalis scribe (22 Posten).

Arctiivaliiche Zeluchrirt. III. •r»

66 v. Zahn:

C. Certaiura. VII. Rotuli signati A— Z (572 Posten).

Jahresangaben fehlen in Abteilung I. gänzlich, in II. VI. sind sie fast immer gesetzt, in VII. nur zum Teile, und ist darin die Arbeit somit sehr ungleich.

Der Bewegungsraum in der Zeit wechselt nicht minder. Bei I. lässt sich mit Sicherheit angeben, dass die verzeichneten Do- cumente bis in das 14. Jahrh., und wol bis auf den Vorgänger des Patriarchen Markwart sich erstrecken. Beginnen mögen sie mit dem

10. 11. Jahrh. Abteilung V. spielt zwischen 1012 und 1298.

11. zwischen 1212 und 1348, III. zwischen 1275 und 1335, IV. zwischen 1252 und dem Ende des 13. Jahrh., VI. geht nur das Jahr 1335, 30. April bis 8. Mai an, und VII. vom Ende des 13. Jahrh. bis etwa 1339.

Die Feststellung der Materien ist versucht, die Fest- haltung aber nicht gelungen. Man sieht , dass Odorico den Drang fülte, innerhalb gewisser örtlicher Räumlichkeiten, als Landschaften und Amtsbezirke (gastaldie) sind, bestimmten StofT zu glidern. So fasst er in II. nur die furlaner Lehensgeständnisse, in III. nur die a parte imperii d. h. Steiermark, Kärnten und Krain berürenden zusammen. Abteilung V. begreift nur Istrien, aber auch 1. 15 ent- hält dafür bedeutende Stücke. Doch weil der Stoff nicht an einem Orte beisammen, und ein Kanzler oft für intra und extra tenninos arbeitete, ergänzt Odorico die Abteilungen II. und III. noch durch Auszüge aus Giovanni da Lupico, in welchem beide Beziehungen und die Stoffe gemischt sind. Ebenso findet man, dass er in Ab- teilung I. im t. Kästchen die geistlichen oder kirchlichen Privilegien des Patriarchates zusammenzustellen sucht, was er noch im 2. Käst- chen fortsetzt; im 3. Kästchen finden sich ausschliesslich windisch- grazer Urkunden und welche a parte imperii. Allein solche kehren in Kästchen 4, 5, 11, 15, 18 u. a. wider, welche furlaner und istrianer Schlösser betreffen, während grosse kirchliche Privilegien auch im 12. Kästchen deponirt sind. Nicht minder sehen wir in VII , dass er die Rotuli A—Z nach Gastaldien ordnen möchte, aber diesen Plan bei jeder Litera neu bildet und immer wieder durch- bricht.

Was nun die Aufstellung der Archivalien und ihre Ein- lagerung betrifft, so sind wir nur für I. derselben klar. Die Ur-

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Zwei mittelalterliche Archivsanlagen in Italien.

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künden dieser Abteilung sind in Zalen, deren wechselnde Höhe sich aus der Forin der Regestirung nicht sicher erkennen lässt, in Käst- chen gelegt und diese zusammen in eine Truhe. Welcher Art die Aufschriften (cedule) waren, die den Inhalt der Kästchen klar legten, ob etwa widerkehrend die kurzen Inventarisirungen des Registers, ist unbestimmt.

Wie war nun V. behandelt, die bei 100 Originale und Trans- sumte begriff?

Die Originalien u. s. w. von VII. waren kaum anders behandelt, als ihre Aufschrift (Rotuli) andeutet. In der in Italien gewön- lichen Weise waren diese Documente, Notariatskanzleien oder dem patriarchalischen Secretariate entstammend, gerollt, mehrere der- selben in einander geschoben und das äussere mit der betreffenden Littera des Registers bezeichnet. Allein auch die deutsche Art des Faltens war vertreten.

Wie diese eingelagert waren , ist nirgends erwänt. Auf alle Fälle konnte diess leichter geschehen, als bei V., welche Rollen und gefaltete Urkunden gemischt enthielt, über deren Aufstellung Odorico uns gleichfalls die Erklärung vorenthält.

Ueberblickt man das Werk so erkennt man selbst bei flüch- tiger Kenntniss der Materialien des ehemaligen patriarchalischen Archives, dass Odorico keineswegs den gesammten damals erreich- baren Stand desselben in seine Bearbeitung einbezogen. Wir er- sehen aus II., dass er Kanzleiaufzeichnungen benützte, welche weit über jene Zeit zurückreichen, aus der jetzt uns die ältesten erhalten sind , aber mit dem , was er in II. und III. aus Kanzlerprotokollen von 1212 1348 excerpirfe, mag vielleicht der Stoff für die Lehens- reverse »intra et extra« annähernd bezeichnet sein, indess ist dieser

') Zu erwÄnen ist schliesslich, dass dasselbe im Drucke noch ein 8. und 9. (lapitel besiUt ob in den Handschriften , die ich oben genannt (Note 2), habe ich nicht untersucht. Sie beissen (8): >De feudis datis in seriptis et inuestituris eorum tempore . . . Marquardi . . . patriarche de quibus patet in notis et in- strumentis manu olim Ser Johannis nolarii olim Ser Guberlini de Xouate . . (1866, 9. Jan. 1373. 28. Febr., 9<3 St.) und (9) »De feudis datis« u. s. w. »ut inde patent note et instrumenta manu dicti quondam Odorici« (13t>6, 1. Apr. 1379. 19 Jan. (62 Stücke). Die Art der Bearbeitung ist etwas anders und unterscheidet sich von der früheren. Noch mehr aber fürt das »dicti quondam Odorici« dazu anzunemen, dass ein Anderer als Odorico, and zwar nach dessen Tode diese gerertipcl haben müsse. Es scheint somit nach Odorico ein Versuch gemacht worden zu sein, seine Arbeit fortzusetzen.

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68

v. Zahn:

damit nicht erschöpft und der Inhalt des damaligen Patriarchen- arehives schon gar nicht, ja nicht einmal dessen Umfang umschrieben. Das Letztere ist besser in IV. geschehen: in diesem Auszuge Gio- vannis da Lupico lernt man aber auch noch einiges Andere vom Inhalte der Kanzlerprotokolle kennen. Aber wie selbst dieser Rahmen noch viel zu klein, ersieht, wer nicht Studien an Ort und Stelle gemacht, im »Indice dei Documenti per la Storia del Friuli dal 1200 al 1400, raccolti dall Abbate Gius. Bianchic und in Bianchi's »Docu- menti per la Storia del Friuli« '). In II. und III. mögen für die 276 Posten deren Inhalts allerdings Valtero da Cividale, Francesco Masutti, Melioranza da Tiene, Gabriele da Cremona, Eusebio da Romagnano, Gubertino da Novate benützt sein, ohne dass sie übri- gens darin genannt würden, doch scheint Paolino da Modena, Gan- diolo da s. Vito und eine Anzahl Späterer, die sämmtlich der Kanzlei der Patriarchen angehörten, nicht verwertet. Und es erstreckte sich die Benützung wesentlich nur auf Lehensdocumente. Die ungemein zalreichen, in der Kanzlei nie gebrauchten Urkunden anderer Art, die Briefe, Entscheidungen u. dgl. in anderen als Grund- und Boden- angelegenheiten sind vollständig beiseite gelassen. Ueberhaupt ist auch der Protokolle für auslaufende Acten und Urkunden nur in IV.. ihrer als der libri antiqui überhaupt nur in II., III. und IV. Er- wänung gethan. Uns hätte es natürlich interessirt, zu erfaren, welche Kanzleiprotokolle, von welchen Kanzlern und Jahren, vorhanden, und in welcher Aufstellung sie untergebracht gewesen.

Dass nun Odorico seine Aufgabe anders angefasst, mag in dem Zwecke des Unlernemens seine Erklärung haben. Der Besitzstand des Patriarchates an Gütern und Rechten hatte sich wärend Jahr- zehnte durch innere wie äussere Angriffe, durch ncpotislisches Treiben und Nachlässigkeiten in der Evidenzhaltung gelockert. Die Documente, auf denen er beruhte, musslen für seine Revindication hervorgeholt, zusammengestellt und sicherer Aufbewarung zugefürt werden. Daher die Begründung der Abteilungen I., V. und VII. Für die grosse Anzal von Ritter- und Burglehen inner- und ausserhalb Friauls und ihre Constatirung aus den amtlichen Büchern, da viel- leicht die Originale nicht mehr vorhanden, wurden die Abteilungen II., III. IV. und der unfertige Versuch Vf. angelegt. Gegebenen Falles

') Ersteres Werk gedr. Udine, 1877, enthält da« Regcstenverzeichniss einer Uikundensammlung wld. Bianchi's, in 60t>4 Nummern, dermalen im Museo Civico zu Udine. Das zweitgenannte Werk, 2 Bde., erschien 1844-45.

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konnte man nach den Auszügen in den Protokollen der betreffenden Jahre nachschlagen. Aus diesem Grunde geht dann auch die Ar- beit, welche ursprünglich auf Darstellung der Archivsorganisation des Patriarchates veranlagt gewesen, allgemach in das über, was man an manchen Orlen Süddeutschlands einen »Henner« nennt ein flüchtiges Verzeichnis?, einen Hand weiser, angelegt für die Haupt- bedürfnisse der Kanzlei des Patriarchates: das Grosse zu sichern und dem Kleinen für dessen Warung nachgehen zu können.

Ganz anders indess, einheitlicher, planvoller und- sachgemässcr, tritt uns Odorico's Zeitgenosse und. wenn man will, Fachcollega, Ser Ettore Miulitta, entgegen. Auch er war nämlich Notar, und hatte seinen Sitz zu Udine. Seine Familie, zu Anfang des 14. Jahrh. aus Aquileja eingewandert, besass, wie das Prädical Ser andeutet, schon damals Adelsrang, wurde aber später wirklich geadelt, trug den Namen Ettorea und erlosch zu Ende des 18. Jahrh.

Ser Ettore erscheint uns zuerst, wol als Notar der friaulischen Abgeordneten, auf der Provinzialsynodc, welche 1350 in Sachen des furlanischen Bürgerkrieges der Cardinallegat nach Padua einberief1). Von da zieht er mit Patriarch Bertrand heim, und ist Zeuge, wie die aufrürerischen Herren seinen Fürsten auf dem sogen. Heichenfelde am Tagliarnento überfallen und erschlagen. Er selbst wird dabei gefangen *). Später finden wir ihn mit einem sogen. Bäckerlehen zu Udine belehnt5). Das war 1371. Von diesem Jahre an bis 1392 bekleidete er das Amt eines canceUarius oder protonotarius der Stadt Udine , der politischen Hauptstadt Friauls *). Bei dem damaligen Usus in politischen Verhandlimgen namentlich die Beihilfe von Männern zu verlangen, die von Amts wegen der Ver- träge kundig sein sollten, befremdet es uns nicht, den Kanzler der ersten Stadt Friauls bei mehreren derlei Gelegenheiten thätig zu sehen. So 1371 in den Zwisten des Patriarchen Markwart mit den Grafen von Görz, 1377 in der Angelegenheit des grossen Bannes, der über die Friauler Vierstädte verhängt war, 1378 abermals in Sachen der Verträge mit Görz, und 1381 bei dem Bundesabschlusse der Städte Udine, Cividale, Gemona und Venzone wider Venedig5).

') Manzano: Annali del Friuli V. 80 *) Muratori: Script. XVI. 55

') Manzano 1. c. 264, und Thesauri Ciaritas No. 365. 4) Mitteilung des Dr. V. Joppi zu Udine. ») Manzano I. c. 266, 296, 305 u. 827.

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v. Zahn:

In die Zeit nun seiner Thfitigkeit als Stadtkanzler lallt das Operat, davon wir leider nur mehr ein Fragment besitzen und das hier in Note ') abgedruckt ist , und von dessen Aufschrift ich die

') glorioso

reguntur

sudores personarum

premium sepius

et scripturis Comunis

paciuntur huiusrnodi defectum, probacio sicul non integre solicitudiuis, imo curaui ego Hector de mea minima uirlute ordinem utillem, bonum et pulcrum imponere, prout inferins distincte notatur.

Et notatur et intelligatur inde qualibet parte semper si placebunt.

Imprimis in sala de medio domus Comunis in qua tit consilium, in angulo uersus domum Comunis que olim fuit Artiei , habili et com od o ad scribendum faceret fieri canzelariam a sedibus peeinis clausam, largitudinis usque ad medie- tatem cancelli de medio , et longitudinis usque ad secundam jonam solii, fulci- tam circumcircha interius scamnis ut in agendis pro Comuni qnibusübet in re- moto loco traetandis possit conueniri, in qua eciam fiet discus unus de aside de nuce, non solum babilis a«l neccesaria apponenda quando scribitur, verum etiam ad calculationes et percuniarum numerationes. In eadem igitur cancelaria tiat armarium unum forte neccesarium et pulcrum, totum exterius laboratum as- sidibus de nuce fortissimum, in facie uero anteriori nperiatur clausura forte in duabus partibus ad similitudinem ancone, altitudinis usque ad solium, lar(g)itu- dinis uero quantum erit latus ipsius cancelatie, et reponatur a parte inferiori .•iusdem uersus solis occasum vt lucem habeat expeditam, interius autem ipsius armarii sint laborati quinque gradus scriiieorum assidibus pouolariis quia for- ciores et pulcriores quam alie que in dicto armario conuenirent. In quolibel uero gradu ipsorum quinque fient decenv scrinea, unum quoque clausuni paruuncula seratura, itaque uua claui aperiantur omnes.

In diclo aulem armario reponantur per ordinem inferins seriosius declarata cum rubricis exterius seriplis pinello litteris magnis, apertis et legibilibus ad plus quam lieri polest.

In primo gradu ipsorum scrineorum aponuntur proxime inferius annotata.

Primo namque in principio, et in primo ipsorum scrineorum uidelicet pri- uilegia Comunis quam comode poterint baberi et reperiri in Comuni. deinde etiam in eodem omnes constitutiones generali- Coloquii que in Coloquio celehrato mit- tuntur ohseruande ad omnes comunilates Foriiulii, que quidem in bona parte reperientur in Comuni,

exterius in rubrica : Priuilegia Comunis et consti- tutiones generalis Coloquii.

Item in secundo scrineorum ordinamenta Terre Vtinensis queque facta et tienda animo duralura, quia ad cautelam in omni bona Terra liber unus ordi- namentorum in Comuni diligencius seruari debet . alius uero in loco publico, ut ipso per dominium et omnes alias personas ualeat publice uti et uideri, si et quando neccesse est, in quo quidem non solummodo presentia, set et fulura

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übergebliebenen letzten Worte der ersten vier Zeilen als Glossirungs- themata für archaistisches Leben und Streben mottoartig diesem Aufsatze voranstellte.

ordinamenla animo, nt dicitnr duratura in eodein libro diligenter scribantur, et sine inercia ucl pretermissione,

exterius in ruhrica : Ordinamenla Terre. Item in tercio scrineo ornnia instrumenta canzelala debittorum solutorum per <k)inune creditoribus quibus extiterit obligatum, que restituuntur Comuni,

exterius in rubrica : Instrumenta camjelata debit- torum solutorum per Comune. Item in quarto omnes et singnle liiere que de neccesitate sunt conseruande ;td cautelam et rei memoriam perpetuam, vt puta obligalorie destiiiale a magnis nrincipibus et alie promissionum , nec non alie quarum gencracio (V) in exami- nacione ipsarum euidencius |)oterit compendi,

exterius in rubrica: Litere neccesarie conseruande. Item in quinto scrineo unus quaternus in quo diligenter et sine defectu scri- bantur per notarios Comunis omnia et singula banna et bauiti perpetualiter, et ijuibus occasionibus, et generaliter omnes urooessus qui liunl contra dictos, cum millesimis et omnibus aliis solempnitatibus que teneantur ipsi notarii facere eo- rum debito (sub) iuramento,

exterius in rubrica: Liber banitorum. Item in sexto acrineo scribantur ordinate et bene omnes et singuli qui in uicinos reeipiunlur, et securitates per ipsos prestande, cum omnibus solempnita- tibus neccesariis. et in prineipio ipsius epiaterni annolelur per ipsum Hectorem forma sacramenti eis predefTerendi , in quo sunt capitula neccesaria Septem , et in hoc multum uariatur quando defferuntur ipsa sacramenta, et etiam notifleatio de preteritis quod nisi precamine Oomune teneatur, de futuris uero tamquam vi- cino, non est omittenda,

exterius in rubrica: Quaternus memorialium quo- rum reeipiunlur pro vicinis. Item in septimo quaternus in quo diligenter scribantur et notentur omnia et singula protocolla notariorum defunetorum in Terra Vtini encia, et quibus no- tariis sunt comissa, et predicta Oent in preteritis et futuris. Super quo specia- ler fiat ordinamentutn quod quilibet notarius post comissionem sibi factam per dominum nostrum, prolhocolorum infra terciam diem teneatur lleri facere memo- riam in Comuni in dicto quaterno scribendam, et hoc sub certa pena imponenda, exterius in rubrica : Quaternus oranium memoria- lium omnium notariorum defunetorum et quibus sunt comissa. Item in octaua similiter unus quaternus reponatur in quo scribantur et no- tentur omuia et singula registra quaruudibet scripturarum per consilium deliber- ratarum (!), quia sepe et sepius coutingit quod omnino copia scriptnre literaruin et instrumentorum que fiunt, in certis casibus debet remanere in Comuni quorum longa esset naratio,

exterius in rubrica : Quaternus registrorum.

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v. Zahn:

Zum Unterschiede von Odorieo, der ein praktisches Archivshand- buch für Aquileja lieferte, liegt in der Arbeit Ser Ettorcs ein förm-

ltem in nono scrineoruin eciam reponatur unus quaternus in quo cunda bona Comunis diligenter et sine aliquihus diminutione uel omissione. videlicet tria substancialia , primo omnia arnesia que sunt in domo Comunis , machana, spingarde, ferramenta, lignamina, lapides, calcina et alia hedifficia et res mobiles ubicunque sint, sernndo omnia dacia et resta dariorutn solueuda, atque vniuersa debita cuiuscunque condieionis existant, et quibus personis. quomodo et quando. nec non quid eurrat pro centenario, et alia ad similia pertinencia, et tercio omnes et singule condempnaciones que Hunt tarn per vii, quam in conseilio et alio quoquo modo, et generaliter omnia et singula alia bona dieti Comunis, ita quod rotulum vniuersale possit dici, et uocatur qualernus consignationum et 0111- nium bonorum Comunis memoriale,

exterius in rubrica: Quaternus consignationum et omnium bonorum Comunis rotulum.

Iii decimo et vltimo serineo ipsius primi gradus scrineorum apponetur um» alius quaternus in quo omnia exigenda, recuperanda et debenda Comuni per camerarium et procuratores quorum est officium debito saeramento (ne?) aliqua obscuritate et ignoranria posint (!) excusari . quin teneantur ad exigenda et re- cuperanda bona Comunis. Frimo et generaliter in eodem notentur omnes et sin- gule res cuiuscunque condieionis existant , et cuiuscunque modi disperse ... ab his quibus sunt petende , item omnia resta daciorum et exaetiones quecunque tarn in Terra Vtini, quam a Comunibus Moutisfalconi , Ciuidati, Glemone, quam aliis quibuscunque locis cuiuscunque generalionis existant, tercio omnes con- dempnationes que bunt ut predictum est, per Septem, et in consilio et alio quo- quomodo, ita quod retro nec ante uel in aliis scripturis Comunis non habeant laborem senitandi nisi solummodo in predicto quaterno, in quo ueniant generali- ter ut dictum est, omnia per ipsos exigenda, et recuperanda, preterquam guadia- rum actione« quarum exaetionum solicitudo penes rapitaneum babenda est,

exterius in rubrica: Quaternus omnium debendorum comuni exigendorum et recuperandorum per camerarium et procuratores.

In sequentibus uero scrineis. ineipiendo in primo serineo secundi gradus ipsius armarii reponantur ad saltem tres quaterni camerariorum preteritorum magis antiqui et primerani qui inuenientur in Comuni. cum pmnibus aliis scri- pturis preter infrascriptis (!) exceptatis factis tempore ipsorum camerariorum. et specialiter cum impositione milicie si reperietur diclis temporibus fuisse imposita, quod dieli camerarii antiqui raro ueniunt in construcione uidendi, et si uidetur, dictus ordo seruatur de aliis quaternis antiquis et scripturis in dictis scrineis reponendis in quolibet tres usque ad millesimum trecentesimum quinquagesimum quintum , a dicto tempore autem citra usque ad presens solummodo unus repo- natur quaternus cum omnibus scripturis sub quolibet camerario factis et imposi- cione milicie, preter infra scripta, ita quod pro fnturis camerariis deo dante uenturis. reseruentur uacua in ipso armario sennea plus quam poterit que tarnen ex tunc remanere (V debent) uacua circa XXX uel XXV que futuri suc-

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) icher Entwurf vor, wie sein Verfasser sich das Archiv von Udine, das nicht nur städtisches, sondern auch Landesarchiv war, am zweck-

cessores nostri Altissimo concedente, poterint similiter <|uaterni et scripture ad presens nobis recencia mutare superius in superioribus serineis et leuiter euacuare, et loca per eoruni tempore in tlicto armario recuperare, quod annariuni sine dubio usque ad ducentos annos et ultra erit suficiens. In quoll het uero ipsorum scrineorum fiant rubrice exterius nominando noniina literis similibus supradictis camerariorum, et milesima, que omnia uidentur sufficere supradicta in dicto armario ponenda.

In canzelaria nominata igitur ponenda seriosius et distincte inferius per ordinem declarantur.

In ipsa cum tribus uel quatuor maziis pro ut suliciens fuerit, liant de caneuazio fiscula congrua et suficiencia a parte ipsius canzelarie uersus supradictam domtun Comunis que fuit olim Artichi , hahilis locus similiter ad lucem habendam ex- pedilam, et durent ipsa fiscula in muro assidibus antepositis fixa quantum erit latus ipse (!) in quibus proxime inferius declarata repbnuntur.

In primo autem fisculo omnes et singule liiere parui valoris, quia, licet partim operentur, tarnen minima est quautitas scripturarum que de necesitate ueniant lacerande. ymo si rationabile et non dampnum quod posit (!) in futurum uideri redundare, omnes generaliter sunt conseruande , nam casu non cogilato utilitatem possunl conferre,

exterius in rubrica I, i t e r e parui valoris Comuni d i r e c l e.

In secundo fisculorum reponantur omnia et singula nomina officialium et consiliariorum in ringo creatorum temporibus retroactis, illa uidelicet preterita que reperientur in Comuni, futura uero deinceps singula, et in eodem fisculo copie et forma omnium sacramentorum , videlicet camerarii eapitula cuius sunt sex, procuratorum v, notariorum iiii, curatorum vii , officialium in negociis pu- pillorum et prodigorum iiii, tractatorum pacis duo et consiliariorum tria, quorum sacramentorum forma per eumdein Hectorem fiel deo prestantc , que occurrunt in casibus non prouisis neccesaria.

exterius in rubrica -.Nomina omnium officialium et consiliariorum p r e t e r i l o r u m et f u t u r o- rum, et forma sacramentorum eis def- ferendorum.

In tercio autem fisculo reponantur omnes et singule peditum impositiones temporibus elapsis facte quarutn in magna copia reperientur in Comuni, et fiende in futuro, et cum eisdem et in eodem fisculo similiter omnes et singule scripture Je ordinibus solilis obseruari tempore guerrarum, et specialiter quoddam rubri- carium nuper factum per eumdem Hectorem ad hoc (ut V) quando necesse fuerit. quod deus auertat, illico possit haberi,

exterius in rubrica : V r e t e r i t e peditum impositio- nes et in futurum fiende, ac singule scri- pture tempore guerrarum deordinibllB solilis obseruari I o q u e n t i b u s.

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v. Zahn:

massigsten eingeteilt, aufgestellt und eingelagert dachte. Es ist eine ganz regelrechte Organisationsidee, welche sich hier in archicalibm entfaltet, die keinerlei Material übersehen wissen will, und mit dem Tacte eines erfarenen Geschäftsmannes auch dem anscheinend Ge- ringen den Platz sichert, weil die Zeit leicht kommen könnte, wo dasselbe zu Wertvollem würde. Und aus der Idee ist eine klare Vorlage geworden, leicht fassbar für Jeden, handsam in der Durch- fürung, und, es lässt sich wol auch annemen, erschöpfend im Gegen- stande, wenn auch sprachlich etwas schwerfällig.

Sicher ist, dass Ser Ettore die Dinge in der Udineser Kanzlei nicht so fand , wie er sie haben wollte. Und da seine Idee allem Anscheine nach nicht in's Leben trat, so blieben jene auch wie sie waren, und aus diesem Stande, nicht aus seinem Plane haben sich entsprechend Materialien erhallen. Aus seiner Organisation wären der Reste wol mehr Und würdigere uns geworden. So ist das Be- deutendste, was vor ihm schon existirte und nach ihm auch weiter gefürt wurde, die Reihe der städtischen Ratsprotokolle, der sogen. Annali di Udme, welche Communal-, Landes- und Person alangelegen- heiten in Fülle bergen; dagegen sind alle Einzelurkunden älterer

In quarlo fisculo reponantur omnes et singule decene hactenus facte quarum etiam in Comuni reperientur in copia copiosa. et rotula ambasiatorum , et que in futut'o tempore contingent fieri decene et rotula ambasiatorum,

exterius in rubrica : Preteritedecene et rotula am- basialorum et moderna. In quinto fisculo reponantur omnes et singule impositiones fosati , muri, spati, bratanescharuru et generaliter quarumcuuquc aliarum angariarum preter supradictas que facte sunt et fient de nouo in futurum,

exterius in rubrica: Impositiones fosati et om- ni u m aliarum angariarum circa f o r t i f i- cationem Terre. In sexto omnes et singule impositiones domorum et possessionum rusticorum et aliorum forensium in Terra Vtini scituatarum (!) que facte sunt tempore retro- acto et que fient in l'uturo, quarum factarum etiam in numero copioso reperientur in Comuni, et «alcula et officiales super bis eligendi et qui electi sunt, et gene- raliter omnia alia que ad predicta pertinent et sunt conexa,

exterius in rubrica : Preterite et future impositio- nes domorum forensium in Terra Vtini sitarum et eisdem p e r t i n e n t i a.

3 Bll. anfangs 2. Hälfte des 14. Jahrh. ge- schrieben, Udine, Museo Givico, Mise. III.

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Zeit, alle Briefschaften, deren die Stadt in Menge pflog, alle Parla- ments- und Ausschussprotokolle (soweit sie nicht noch in den Annali eingetragen sind, was herzlich selten geschehen) verloren. Erhalten sind indess auch die Kämmereirechnungsbüeher, wie denn überhaupt das bandweise Materiale fast überall mehr geschont wurde.

Ser Ettore construirt in seinem Entwürfe zuerst die Wiege, die receptacula, in welche er die Schriften, alte, neue und künftige, hinterlegt wissen will, und passt sie den Stoffen an, die geborgen werden sollen. Ihm ist und das ist vernünftig zuerst um die allgemeine Einteilungzu thun, in welcher nichts unbeachtet bleibe: ein Register, ähnlich dem Odoricos, lag ihm in erster Linie ferne. Man erkennt aus seinem Plane, dass er die städtischen Angelegenheiten, so zu sagen, »im kleinen Finger« hatte, und mit solcher Ueber- und Voraussicht konnte er wol eine Herrichtung schaffen, welche, wie er annimmt, auf 2 Jahrhunderte hinaus reichen würde. Mit guten Gründen und warmem Gefüle tritt er da und dort für Massregeln ein, welche er als notwendig vorschlägt, da sie vor ihm nicht bestanden zu haben scheinen. So will er, dass förmliche Gopialbücher angelegt würden, »da es ge- schieht, dass von Briefen und Documenten, welche in Sachen der Stadt ausgefertiget werden, eine Abschrift unbedingt bei der Ge- meinde zu bleiben hätte.« Von den Gesetzen und Verordnungen sollen 2 Anlagen gemacht und fortgefürt werden, denn »bei jeder ordentlichen Stadtverwaltung (in omni bona Terra) sollte die eine Anlage sorgfaltig bewart sein, die andere aber für das Nachschlagen offen in der Kanzlei aufliegen.« Den Briefschaften geringen oder nur Tagesbelanges, die sonst zerrissen wurden, weist er sichere Auf- bewarung gleich den wichtigeren zu, »denn die Zal der Schriftstücke, die zu nichts Besserem als zur Vertilgung verwendbar (que de ne- cessitate ueniant lacerande), sei sehr klein, und eines Augenblickes, den man nicht berechnen kann, können sie von Wichtigkeit werden (casu non cogitato utilitatem possunt conferre).« Und praktischen Blick bekundet es nicht minder, dass er die Aufstellung der Schriften gegen Westen gekehrt haben will, des guten Lichtes wegen (ut lucem habeat expeditam).

Ser Ettore schlägt der Stadt Einrichtungen vor, welche sich zwar an das in baulichen Verhältnissen Gegebene anlehnen, doch aber Neuherstellungen verlangen. Es kann sein, dass in jenen be- wegten Zeiten diess mit Anderem zusammen das Project ein solches bleiben Hess. Erhat dabei den Ratssal in der Mitte des damaligen Stadt-

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v. Zahn:

hauses im Auge, und zwar jenen Winkel des Ersteren, welcher nach einem anderen, der Gemeinde gehörigen Hause zu gelegen, das vor- dem eines gewissen Arlico gewesen. Diesen Sal will er für die 3 Factoren des Stadtlebens: den Rat, die Kanzlei und das Publi- cum eingeteilt haben, und schlagt vor, in jener fraglichen Ecke die Schreibgeschäfte zu concentriren , den Raum für diese Zwecke herzurichten und den übrigen den Räten, den ab- und zugehenden Parteien und Zuhörern zuzuweisen. Ich stelle mir den Sal als von mindestens 3 Strebepfeilern in der Mitte getragen vor, abgeteilt durch ein Gitter (cancellus) der Länge nach. In seinem einen Winkel, dass der Schreibraum in der Breite bis an die Mitte des Gitters und in der Länge bis an den zweiten Strebepfeiler (jona) reichte, sollte diese sogen, „canzellaria" eingestellt werden

Der Abschluss nach Aussen sollte durch Slüle von weichem Holze (sedes pecme) geschehen, ihre innere Ausstattung rundum mit Tafel- tischen (scamna), damit man auch abseits (in remoto loco) verhan- deln könne. In der Mitte wäre von Xussholz (de aside de nuce) ein Tisch mit grosser Platte zu stellen, um Schreibgeräte wegzu- setzen, Rechnungen und Geldzälungen vorzunemen u. s. w.

An der Wand will Ser Ettore einen grossen aus hartem Holze gearbeiteten Schrank mit zwei Tiiürflügeln (armarium ad similitu- dinem ancone) und einem starken Schlosse anbringen, bis an die Saldecke reichend, und so breit wie die •„canzellaria" selber. Darin sollen 5 Abteilungen oder Stufen (gradus) der Breite nach sein und jede derselben 10 Fächer (scrinea) enthalten, jedes mit einem Zettel aussen und darauf in klarer, grosser Pinselschrift mit Inhaltsbezeich- nung und einem kleinen Schlosse versehen, alle aber nur mit Einem Schlüssel verschHessbar.

Das wäre das eine Depositorium , die eine Seite des Archives und der Registratur. Wir werden sogleich sehen, «reiche Stoffe Ser Ettore in dasselbe lagerte. Denn er nam noch eine andere, wollen wir sagen „fliegende*1 Art der Bewarung in Aussicht. Das Mittel- alter, ungewont mit grossen, umfangreichen Massen zu hantieren, liebte in archivalibus kleine Behälter, und zog viele derselben einein einzigen grossen vor. Ich kann hier voraussenden, dass oben er-

') ^ u A. Raum für den Fiat. B. für die Kanzlei. C. für !— die Parteien und Zuhörer, D. Schrank.

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wänter grosser Schrank die wichtigsten, kostbarsten und nicht eben häufig für den Tagesdienst bestimmten Schriften bergen sollte. Die letzteren Zweckes müssten leichter zur Hand sein und so unterge- bracht, dass sie auch ohne Schwierigkeit transportirt werden konnten. Nichts wanderte nämlich in früheren Zeiten mehr als Fürsten, Notare und Acten. Da waren denn Archivstaschen (fiscula) sehr bequeme Auskunflsmittel

Solche wollte Ser Ettore gleichfalls angewendet wissen, und ver- mutlich war diess die auch früher schon zu Udine geübte Form. Er schlägt vor, sie an der Wand der Kanzlei, gegen das Haus des gedachten Artico, an Brettern (Stangen?) der ganzen Länge des Schreib- raumes nach zu befestigen, und sollte ihr StofT Ganevas (caneuazium) sein, und ihr Ausmass an diesem 3—4 Ellen (mazii).

Wir haben sonach bei Ser Ettore zwei Locationsweisen , im Schranke und in Taschen, Archiv und Registratur in Beiden vereint.

Im Schranke bringt er (1. Fach der 1. Stufe) unten die Frei- heitsbriefe der Stadt und die Parlamentsacten Friauls, (2. Fach) die Gesetze und Verordnungen in einem Exemplare, während das zweite offen aufliegt, (3. Fach) die Urkunden getilgter Schulden, (4. Fach) die fürstlichen und anderen Briefschatten von Wert, in Ansehung der Person oder der Sache, (5. Fach) das Buch der Ver- bannungen und die Acten der Verbannten, (6. Fach) die Bürger- schaftsaufnamen mit den betr. Acten der Vereidungen, Zeugen- und Bürgschaften , (7. Fach) das Evidenzhaltüngsbuch der Notare und ihrer Nachlässe an Protokollen, (8. Fach) das Copirbuch der Rats- beschlüsse und ihrer Ausfertigungen, (9. Fach) das Inventar der Immobilien und Mobilien der Stadt, der Steuern, Schulden und Geld- strafen und (10. Fach) das Vormerkbuch aller Ausstände, Steuer- reste, Geldstrafen u. s. w.

Von der 2. Stufe des Schrankes an will der Kanzler alle Fächer den Kammereibüchern vorbehalten wissen, und zwar sollen vom 1 . Fache der 2. Reihe an je 3 Bände derselben und der Milizbücher mit den entsprechenden vorfindigen Acten in Einem Fache deponirt werden, bis 1355, von da ab jedoch nur Ein Band sammt den dazu gehörigen Acten. Was seltener gebraucht würde, d. h. mehr

') Das Wort fisculum , us ist das Diminutiv von Fiscus. (Vgl. Ducange ed. Hendsrhl.) Ich kenne diese Taschen aus dem alten Archive des Dom- stiftes Gurk in Kärnten; Wattenbach beschreiht welche aus dem alten Hofkanzlei- archiv zu Pesth (s. oben p. 01 Note).

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v. Zahn:

und mehr dem Tagesbedürfnisse nicht mehr diene, könne von den Nachfolgern nach aufwärts gestellt werden (nobis recencia mutare superius in superioribus scrineis et leuiter euacuare, et loca per eorum tempora in dicto armario recuperare). Von seiner Zeit an rechnet Ser Ettore, dass nach Einstellung der älteren Bücher und Acten bis 1355 und der späteren bis zum Jahre seines Entwurfes von den 40 Fächern der 2. bis 5. Reihe 25—30 frei bleiben würden, und, meint er, der Schrank solle für 200 Jahre und mehr hinreichen.

Darüber lässt sich nun allerdings nicht rechten. In diesem Capitel ist Ser Ettores Darstellung vielleicht besser gemeint als für unser Verständniss gelungen.

Man sieht, dass er den Schrank im Wesentlichen für die Bücher bestimmt, nur die Fächer j, 3 und 4 der 1. Reihe sollten Urkunden und Acten enthalten, und vom 1, Fache der 2. Reihe an Bücher und dazu gehörige Acten gemischt hinterlegt werden.

Neben dieser Localion dachte Ser Ettore sich dann jene der Taschen, welche nur Acten enthalten sollten.

Ihre Erläuterung ist leider nicht vollständig erhalten, denn von der 7. Tasche ab ist unser Entwurf Fragment. Jede Tasche füllt eine Rubrik. Natürlich wäre ihre Zahl innerhalb der Letzteren nach Bedürfniss zu vermehren gewesen. Die Aufschriften hätten wie bei den Schrank lächern den Inhalt klarzulegen, und dieser ergänzt begreiflicherweise in den meisten Rubriken die Materialien des Schrankes.

Es kann, wie überhaupt das alte Kanzleiwesen in seinem gene- tischen Entwicklungsgange der Uebersicht entbehrte, nicht verwun- dern , dass Miscellanea immer mit unterlaufen. So ist es bei Ser Ettores 4. Fache des Schiankes und so auch bei der 1. Tasche seiner Actenaufstellung der Fall.

Diese hatte seinem Plane gemäss alle Briefschaften unbedeuten- deren Inhaltes zu verwaren.

Die 2. sollte die Protokolle der in den Stadtversammlungen (in ringo) gewälten und ernannten Räte und Beamten und ihre Eides- leistungen enthalten , die alten wie die künftigen, also der 6 Käm- merer, der 5 Sachwalter, der 4 Notare, der 7 Geschworenen, der 4 Waisen- und Verschwender -Mundmänner und der 3 poli- tischen Räte (tractatores pacis et consiliarii) , endlich auch die Eidesformeln für die einzelnen Kategorien, welche Ser Ettore sich anheischig macht abzufassen.

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In die 3. halten alle Milizausschreibungen und Waffenrollen, wie überhaupt alle auf Waffenschutz, Fehden und Kriege bezüglichen Militäracten kommen sollen, mit Ausschluss jener für Zeughaus und Befestigungen.

Der 4. waren alle Actenstücke, welche Botschaftssachen, resp. auswärtige Beziehungen der Stadt betrafen, zugedacht. Wenn man die oben erwänten Annali di Udine eingesehen, so weiss man, dass darunter nicht allein Verhältnisse hochpolitischer Bedeutung begriffen waren, sondern auch minder bedeutende im Lande selbst, zwischen Individuen und Corporationen, bei welchen die Stadt als Mittelpunct und Hauptfactor der Landesverwaltung in irgendwelcher Form inter- venirte. Solcher Ambaxiatores waren fast wöchentlich Mehrere in verschiedenen Richtungen auf dem Wege, und die sie betr. Acten waren Instructionen, Aufträge, Berichte, Reehnungseingaben u. dgl.

Dem Zeughauswesen und den Angelegenheiten der Befestigung Udines, resp. den Ausschreiben, Auflagen, Arbeiter- und Be- wachungsrollen, der Verrechnung und dem Inventar, wol auch den Contracten über Anschaffung und Anfertigung von Waffen, Bauten an Mauern, Thürmen und Gräben u. s. w. war Tasche 5 zugedacht.

Die 6. sollte die Ausschreiben, Verzeichnisse und andere Acten für das Haus- und Grundsteuerwesen zu Udine und der dahin Pflich- tigen Unterthanen begreifen

Hier bricht der älteste mir bekannt gewordene Organisations- entwurf für ein Stadt- und Landesarchiv ab. Man wird zugeben, dass in der allgemeinen Anlage und im einzelnen der Begründung Vieles steckt, was entschieden praktischen Sinn und mehr als ge- wonnenes Organisationstalent verrät. Das lässt dann umsomehr bedauern, dass uns der Entwurf nicht in seiner Gänze erhalten ist. Aber für das „Ex ungue leonem" ist genügend davon uns über- kommen.

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V. Abriss der Geschichte des S. Ern estinischen Ge- sammt-Archives in Weimar.

Von

Dr. Burkhardt, grossherzoglicliem (Iberarchivar und Archivrath.

Während ein grosser Theil der deutschen Archive in früheren Jahrhunderten für die Pflege der historischen Wissenschaft schwer oder gar nicht zugänglich war, wurde diese in Weimar schon seit dem siebzehnten Jahrhundert durch die Archive gestützt, indem Friedrich Ilortleder sein allgemein bekanntes Quellenwerk über die Ursachen des deutschen Krieges mit Hülfe jener Archive herausgab und Veit Ludwig von Seckendorf seine vorzügliche Geschichte des Lutherthums mit anerkannt ausgiebigem Material verfassen konnte. Seitdem sind die weimarischen Archive für eine Menge bedeutender Geschichtswerke förderlich gewesen, und wenn jene auch in nicht so unumschränkter Weise, wie für Hortleder und v. Seckendorf sich öffneten und Strömungen sich zeigten, die wie in andern Staaten auf ängstlichen Verschluss der Archive bedacht warert , so bewähr- ten sich diese mehrfach in unserem Jahrhundert durch eine liberale Verwaltung, welche das Ihre zur weitern Verbreitung des alten Ruhms beigetragen hat.

In unsern Tagen gebührt dem Meister deutscher Geschichts- schreibung Leopold v. Hanke das besondere Verdienst, die Bedeutung der weimarischen Archive und zwar zunächst die des Gcsammt- Archivs wieder hervorgehoben zu haben, welches er 1837 zur Ab- fassung seiner deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation benützte. Damals, als die Organisation dieses Archives noch weit

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hinter den von der Neuzeit gestellten Forderungen zurückstand, wo das reiche Material nicht in erwünschter Weise geordnet und für die Forschung so durchsichtig wie heute vorlag, erschien der Reich- thum dem Forscher dennoch bedeutsam genug, um sich in der an- erkennendsten Weise über denselben aussprechen zu können. Ranke sagt in der Vorrede zu seiner trefflichen Geschichte im Zeitalter der Reformation: »Es kann für die bezeichnete Knoche, in der das Erne- stinische Haus eine so grosse Rolle spielte, auch kein inhaltreicheres Local geben, als das Gewölbe, in welchem das Archiv desselben auf- bewahrt wird. Wände und innere Räume sind von den A#ctencon- voluten eingenommen, welche sich auf die damaligen Thätigkeiten und Verhältnisse beziehen. Man hat hier jeden eingegangenen Zettel, jeden Entwurf einer Antwort aufbewahrt. Die Correspondenz zwi- schen Ghurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp von Hessen allein würde eine Reihe von Ränden füllen, wenn man sie publiciren wollte« u. s. w.

Fa»t könnte man vermuthen , dass das Gesammt-Archiv einer völlig ungetrübten Vergangenheit und einer stetig fortarbeitenden Verwaltung sich erfreut habe, die es verstand, die schädigenden Ein- flüsse der Zeiten, in denen sich, wie auch anderwärts, Gleichgültig- keit und Verständnisslosigkeit breit zu machen pflegten, vollständig zu paralysiren.

Dem ist lfcider nicht so! Die Vergangenheit des allerdings noch hoch bedeutsamen Archivs ist eine so trübe, dass man dessen heu- tige Existenz geradezu als ein Wunder betrachten kann.

Versuchen wir in möglichst gedrängter Kürze dieser Vergangen- heit näher zu treten. Die Entwicklung des Gesammt - Archivs ist äusserst lehrreich für die Geschichte des deutschen Archivwesens im Allgemeinen, wie im Besondern für die der Ernestinischen Staaten, die im 16. und 17. Jahrhundert ihre Specialarchive durch die Deci- mirung des grossen chursächsischen Archives begründet haben.

Vor dem Beginn des 15. Jahrhunderts liegen uns fast keine Nachrichten über das Archiv wesen der Wet tiner und das ihrer Lande vor. Wir wissen nur, dass die häufigen Theilungen und brüder- lichen Mutschirungen eine grosse Beweglichkeit der Archivalien zur Folge hatten und schon früh gemeinschaftliche Archive entstanden, von denen uns als ältestes das in Rochlitz begründete bekannt ist1).

') Es wurde in Folge der brüderlichen Mutsehirung vom 4. Januar 1430 be- gründet, die auf 9 Jahre abgeschlosst-n war.

ArchivalUche Zeitschrift. III. o'

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Burkhardt:

Vor der Haupttheilung der Ernestiner und Albertiner liegen nur ver- einzelte Nachrichten von der Existenz verschiedener Archive in Meissen und Dresden, in Weimar und Leipzig, in Coburg und Wit- tenberg, in Weida und Torgau vor, deren Bestände durch die Thei- lung von 1485 sich in drei grosse Gruppen schieden. Es entstanden speciell ernestinische Archive, die decentralisirt blieben, ein wie es scheint in Dresden einheitlich gestaltetes und ein beiden Linien gemeinsam zuständiges Archiv, welches anfanglich in Zwickau ge- gründet werden sollte, später aber in Leipzig mit Benützung des älteren Leipziger Archivs, sein Unterkommen fand. Letzteres ging zufolge des Naumburger Vertrags von 1554 in das zwischen Erne- stinen! und Albertinern gegründete Wittenberger Archiv über, wel- ches bekanntlich 1802 völlig getheilt wurde.

1554 83. Wenn man nun auch ein auf die bessere Organi- sation der crnestinischen Archive gerichtetes Bestreben nicht ver- kennen kann, so entwickelte sich das decentralisirte Archivwesen der Ernestiner weniger günstig, als das der Albertiner. Hauptsächlich lag dies an dem Verluste, welchen die Ernestiner durch die WTitten- berger Capitulation von 1547 an Land und Leuten erlitten. Diese veranlasste eine völlige Umgestaltung des ernestinischen Archiv- wesens, da man genöthigt war, den Schwerpunkt der Landesver- waltung aus dem Churkrcise nach Weimar zu verlegen, wohin auch die zerstreuten Archivbestände in wenig vortheilhafter Ordnung ge- bracht wurden.

Leider wurde die mit möglichster Aufbietung aller Mittel be- triebene Ordnung der Archivalien durch kriegerische Ereignisse unter- brochen, die die Flucht einzelner Archivtheile auf befestigte Schlösser zur Folge hatten. Vor allem aber wirkte der Tod des aus der Ge- fangenschaft zurückgekehrten Churfürsten Johann Friedrich höchst ungünstig auf die Neugestaltung des Archivwesens, da Johann Fried- rich der Mittlere seine Residenz nach Gotha verlegte, einen grossen Theil der Archivalien dahin übersiedelte und die Organisation des Hauptarchives in Frage stellte. Denn weder in Gotha noch in Wei- mar kam es unter den heftigsten Erörterungen über die projectirte Landestheilung unter den Söhnen des Churfürsten zu einer Neu- gestaltung der Archive, deren Bestände namentlich durch die darauf- folgenden Grumbaeh'schcn Händel schwer geschädigt wurden, da die Canzlei des Herzogs in die kaiserlichen Hände gelangte und Chur- fürst August bereits mit lüsternem Auge auf die alten ernestinischen

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Archivbestände sah, auf die er laut Naumburger Vertrag gewisse Anrechte erworben hatte. Als endlich 1572 in dem Erfurter Thei- lungsvertrage bestimmt wurde, dass den Landesportionen der Söhne Johann Friedrichs d. M. die zu jenen gehörigen Archivalien nach vorgängiger Ordnung derselben verabfolgt werden sollten, beurkun- dete Churfürst August ein lebhaftes Interesse für dieselben, da ihm gleichzeitig die Archivalien der 4 assecurirten Aemter, die er über- kam, zufallen mussten.

So war er es, der als Vormund der ernestinischen Vettern sich in vorzüglichem Masse die Neuordnung der freilich schon stark ge- schädigten ernestinischen Archivbestände angelegen sein liess. Von ihm ging zunächst die Gewinnung derjenigen Kräfte aus, denen man die wichtigen Arbeiten übertrug. Von Dresden aus, wo die Schlüssel zu den weimarischen Archivalien ruhten, wurden verschiedene Per- sönlichkeiten abgeordnet, um die grosse Arbeit zu bewältigen. Dass man sie unterschätzt hatte, geht schon daraus hervor, dass das Ar- beitspersonal wiederholt verstärkt wurde. Volle 9 Jahre, vom März 1574 bis in den Mai 1583, war man, wenn auch mit kleinen Unter- brechungen , in den Ordnungsarbeiten thätig, die den herzoglichen Räthen, wie leicht begreiflieh, schon um der bedeutenden Kosten willen, eine mehr als erwünschte Ausdehnung genommen zu haben schienen; während die Registratoren l) auf möglichste Verlängerung der Arbeit, durch die Hercinziehung anderer Materialien, hinzuarbei- ten suchten.

Bedeutendes wäre für das Archivwesen der ernestinischen Lande erreicht worden, wenn man die erzielte Ordnung aufrecht erhalten, sie nicht aber, wie es hier der Fall war, bald darauf völlig aufge- hoben hätte, um das Archiv vielfachen Theilungen zu unterstellen. Dass die Bestände sehr bedeutend waren, erhellt schon daraus, dass man 42 Folianten Repertorien mit 23726 Seiten geschaffen hatte, auf denen Acten und Originalurkunden , freilich in etwas launen- hafter Weise, bald sehr eingehend, bald höchst summarisch ver- zeichnet waren. Das Schlimmste war, dass man über den künf-

JJ Die Namen derselben sind: Mathias Prager, Lucas Weis, Georg Probst, Hiob Magdeburger, Heinrich Schneidewein, Adam Schönickel, Leonhard Fritsch, Sixtus Braun und Stephan Michel. Die Hegistraturkosten betrugen 11171 fl. 12 kr. 5 Pf., welche der weimarische Theil bezahlte. Die in Müllers Annalen angegebene Summe, in der die Schlussarbeiten nicht inbegriffen sind, ist falsch.

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Burkhardt:

tigen Aufenthalt des Archivs1) höchst unschlüssig sich zeigte und am Ende dasselbe in zerstreut liegenden Räumen des weimarischen Schlosses beliess, dessen >Salpeterk a mmer« sogar, wie es scheint, ohne jede besondere Vorsichtsmassregeln, zu Archivräumen bestimmt wurde. Eben so nachtheilig wirkte aber auch der Glaube, dass das geordnete Archiv kaum der Thätigkeit eines einzigen Mannes be- dürfe, auf dessen Bestellung Churfürst August trotz der Einsprache der weimarischen Räthe, denen der Aufwand von 100 fl. jährlicher Besoldung unnöthig erschien, be^ondern Nachdruck gelegt hatte.

1583— IG23. So lange Churfürst August lebte«), war das Ar- chiv — bis auf einige Punkte vor jeder Zerstückelung und Be- schädigung bewahrt geblieben. Aber schon 1593, gelegentlich einer zufalligen Besichtigung, stellten sich die beklagenswerthesten Ver- hältnisse des Archivs heraus, da demselben durch vernachlässigte Dachrinnen das Regenwasser zugeführt zu werden pflegte und be- deutender Salpeterfrass die Archivalien zu vernichten drohte. Noch schlimmer war, was namentlich Churfürst Augusl bisher zu verhin- dern gesucht hatte, dass man jetzt durch neuerdings zu Stande ge- kommene Hausverträge ernstlich an die Theilung des Archivs dachte. Der Suhlaer Vertrag von 1599, 7. August, der nach Ableben des Churfürstcn zu Stande kam und nach welchem Friedrich Wilhelm und Johann, Johann Casimir und Johann Ernst die Theilung des Archivs nach Massgabe ihrer Landesportionen für geboten erachte- ten, bestimmte ausdrücklich, dass nur die unthei Ibaren Documente in Weimar verbleiben sollten. Und wenn die Zersplitterung auch jetzt noch nicht statt fand, so folgte dieselbe doch wenige Jahre nachher, als 1603 die altenburgische und die neu weimarische Linie entstanden, welche sofort in einen mit Heftigkeit geführten Präce-

') Man hatte das Gollegienpehäude in Jena dazu ausersehen.

*) Er liess 1583 die Archivalien üher das Burggrafenlhum Magdehurg und das Orafengeding zu Halle, das Vicarial, üher die Handel mit Lauenhurg wegen de» ('.hui titels und Wappens, die Arten üher die Gehrechen zwischen Sachsen und Böhmen, die Verhältnisse zu Luxemhurg und Plauen, die Wahl und Krö- nungsacteu römischer Könige und Kaiser, endlich die Acten üher Hans von Ponikau's Bestrickung ahführen. Selhstverständlich, dass es nur auf einen Theil dieser Archivalien vertragsmäßig zu hegröndendes Anrecht hatte. Viele dieser Acten sind nach Versicherung der K. sächs. Archivdirection mit den Be- ständen des dortigen Archivs so verweht, dass eine Ausscheidung nicht mög- lich war. Nur die Ponickau sehen Händel sind auf meinen Antrag zurückgegehen worden.

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denzstreit geriethen, der die erste Zerstückelung des Archivs zur Folge hatte.

Dem langen Streite ward erst durch den Vertrag von 161'2, 25. August, ein Ende gemacht, in dem bestimmt wurde, dass jedem Theile diejenigen Archivalien folgen sollten, die ihm nach Mass- gabe der territorialen Verhältnisse zukommen mussten. Als man sich am 8. October 1612 zum Theilungsgeschäfle in Weimar zu- sammen fand, stand man staunend vor der Unordnung. Man requi- rirte einen der Registratoren, der bei der Repertorisirung sich in so hervorragender Weise betheiligt hatte, Namens Hiob Magdeburger, um jetzt als stattlicher weimarischer Gastwirth von Neuem in das Geschick des Archivcs einzugreifen und die Einordnung der zahlreich umherliegenden Acten zu vollziehen.

Mit dem Theikingsgeschäfte meinte man bald fertig zu werden. In den einzelnen Repertorien bezeichnete man mit Buchstaben die jeder Landesportion zusiehenden Acten und Urkunden und die im gemeinsamen Besitze verbleibenden Archivalien Natürlich stellten sich dem Tlicilungsgeschäfte Hindernisse in den Weg, auf die man am wenigsten gefasst war. Schon der äussere Zustand der Acten, die nach Sitte der Zeit in Briefform zusammenge- bunden waren, erschwerte die Scheidung des Materials, welches noch dazu sehr häufig in ungeordnetem Zustande sich vorfand. Indem man das Zusammengehörige nicht fand, die nöthige Ruhe und Geduld, die zu archivalischen Geschäften nun einmal unbedingt nöthig sind, entbehrte, brachte man oft nur Actenfragmente zur Vcrtheilung. Dabei fehlte es nicht an heftigen Erörterungen über das Eigenthumsrecht der Archivalien, die meist wegen ihrer frühern summarischen Behandlung zur Theilung nicht vorbereitet waren. Schlug schon bei ausserordentlich schwierigen Fällen den Abgeord- neten das Gewissen , dass sie den Zustand des Archivs unläugbar durch gewaltsames Zerreissen des wirklich bedeutsamen historischen Materials um vieles verschlechterten, so wurde ihre volle Unfähigkeit klar, als sie an die Theilung der Originalurkunden herantraten, für die sie weder T h ei 1 u n gsg ru nd s ä t ze noch die milbigsten Vor- bedingungen in sich hatten. Sie gestanden ja auch den Regierungen gegenüber, dass sie die »alten Schriften« nicht lesen könnten,

*) A erhielt Altenburg, W Weimar, C Coburg, AWC verblieb im gemein aamen Besitze.

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Burkhardt:

und oft nur den »sensum« der Urkunden errathen müssten! Trotzdem wurden die Urkunden, deren Zahl damals nach vielen Tausenden zählte, in einem einzigen Tage zur Vertheilung gebracht!

Es ist möglich, dass die damalige chursächsische Vormundschaft Kunde von dieser gewissenlosen Theilung eines so höchst bedeutsamen Archives erhalten hatte, und am 5. Februar 1613 das Geschäft momentan unterbrechen Hess. Leider wurde nicht auf immer dieser Thätigkeit ein Ende gemacht, denn bis 1622 dauerte das Theilungs- geschäft mit Unterbrechungen fort, wo man dann endlich inne wurde, dass der Zustand des Archivs trostloser als je sei. Ueberdies hatte das Archiv noch durch den weimarischen Schlossbrand insofern ge- litten, als die Gewölbe baufällig geworden und die eindringenden Wassermassen verheerend gewirkt hatten!

Ohne Folgen blieb die systematisch betriebene Zerstückelung des Archivs nicht. Es setzte glücklicher Weise eine Reaclion zum Bessern ein, die bis auf unsere Tage sich in einer Reihe von Ver- suchen kennzeichnet, das Archiv auf Grund der alten Einrichtungen wieder zu construiren und zu reorganisiren. Sehen wir, welche Wege man dazu einschlug.

1623—1629. Im Anfang waren diese Bestrebungen allerdings von geringen Erfolgen begleitet. Man räumte nur einige von häu- figen Regengüssen schwer heimgesuchte Gewölbe, stellte vorüber- gehend einige untergeordnete Beamte1) an, welche den Transport der Archivalien, deren Reinigung und Durchlüftung besorgten, und ein bereits in Fäulniss übergegangenes Repertorium zu ergänzen suchten. Indess zeigte ein 1627 gestellter Antrag der weimarischen Beamten, dass man verschiedene Archivabtheilungen schon für völlig überflüssig hielt, da der berühmte Hortleder, wahrscheinlich um Platz zu ge- winnen, die durch Nässe verdorbenen Malefiz-, Appellations-, Adels-, Bürger-, Städte und Landschaftsacten (weil sie »für längst erloschen und keine Pergamentbriefe enthielten und zu nichts tüchtig«) ver- brennen oder in das Wasser tragen lassen wollte8). Verschiedene

*) z. B. Dietrich Werner, ein altenburgischer Köchschreiber, der wöchent- lich einen Gulden Lohn erhielt.

•) Viele tausende, z. Th. höchst interessante Actenstücke aus der Criminal- registratur des 15. und 10. Jahrhunderts sind hei dieser Gelegenheit oder später zu Grunde gegangen, da man jetzt die Criminalacten auf einem Handkarren fort- schatTen kann.

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Male eröffneten die herzoglichen Abgeordneten denn eine standig locale Verwaltung war nicht vorhanden das Archiv, zu dessen Besserung man wohl den guten Willen, aber weder die Zeit noch die nöthigen Mittel fand.

1630—1640. So weit war wenigstens die Ordnung des Archivs gediehen, dass es an der Sonne auf dem Schlosshofe getrocknet und sich wieder eingeräumt fand, als die Kriegsgefahren für Weimar in bedenklicher Weise wuchsen. Während die Archive und Registra- turen des platten Landes nach Weimar gebracht wurden, flüchtete man das bereits in Kisten verpackte Gesammt- Archiv nach Erfurt, wo es noch 1635 in dem Augustinerkloster verborgen lag und nach Thunlichkeit verwaltet wurde. Die Rückkehr des Archivs forderte dringend zu dessen Wiederaufstellung auf, die der Herzog Wilhelm von Weimar noch im Herbst des Jahres 1635 vollzogen wissen wollte. Er betonte, dass das Archiv, welches manchmal jahrelang nicht geöffnet und gesäubert worden sei, und in welchem die Documente beständig durch Regen, Schnee und Wassersnoth ange- feuchtet gelegen, der Verdumpfung, dem Verschimmeln, Motten und Ungeziefer entrissen werden müssten.

Wohl erkannte man die Dringlichkeit der Besserung an, aber man war noch weit entfernt, dem Archive eine Verwaltung zu geben, die in fortgesetzten Arbeiten diese Uebelstände zu beseitigen die Aufgabe hatte. Für erst erschien es genug, dass man nach zwei Jahren im Mai 1637 die von Erfurt zurückgekommenen Documente wieder einräumte, wozu noch vorübergehend beschäftigte Beamte der Archivtheilhaber aus Altenburg und Weimar verwandt wurden.

1640 1684. Leider traten nun Ereignisse der bedeutsamsten Art ein , die die Bestände des Archivs aufs Neue in empfindlicher Weise schädigten.

Mit dem Erlöschen des Hauses Coburg- Eisen ach machten sich neue Theilungen nöthig. Weimar, dem */s der Erbschaft zukamen, erhielt Gotha und Eisenach, während Coburg an Altenburg fiel. Die Theilung des Coburgischen Landestheils führte zur Erbtheilung zwischen Altenburg und Weimar, und in Weimar selbst kam es zur Erbtheilung zwischen den drei Brüdern Wilhelm, Albrecht und Ernst.

Auf Grund dieser Theilungen mussten selbstverständlich auch erneute Archivtheilungen stattfinden, die man im Juni 1642 mit einem

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Burkhardt:

gewaltigen Arbeitsapparat *) in Scene setzte. Nichts bezeichnet den Zustand des Archivs besser, als dass Herzog Wilhelm, der dem Theilungsgeschäfte ab und zu beiwohnte, die Fortsetzung der Arbeit wegen »der Übeln Gerüche« für ein Ding der Unmöglichkeit hielt. Möglich, dass man hier einen orientirten Beamten vermisste und die Dringlichkeil eines ständigen Archivars für wünschenswert!) erachtete; kurz das Archiv erhielt endlich 1644 in der Person Gieglings •) einen ersten ständigen gemeinschaftlichen Beamten, dessen Thätig- keit für die bessere Ordnung des Archivs namentlich dadurch in Frage gestellt wurde, weil noch massenhafte Ablieferungen in Folge der Landest heilungen stattfinden mussten, während die Rückgabe der entliehenen Acten nur in höchst spärlicher Weise erfolgte und eine Revision kaum denkbar war. Auch wirkten neuere Translo- cationen des Archivs höchst ungünstig auf den Fortgang der Arbeiten und durch die Theilungen waren allmälig neben dem alten bedeu- tenden Gesammt-Archiv , das natürlich stark decimirt war, noch 3 Archive5) entstanden, von denen mindestens zwei völlig überflüssig waren, wenn man sich nur hätte entschliessen können, die Bestände des alten Gesammt- Archivs aufrecht zu erhalten, und in gemein- schaftlicher Weise verwalten zu lassen. Die Verwaltung der Archive, die local in höchst unvortheilhafter Weise in einander geschoben waren, war höchst erschwert, da z. B. Weimar zu seinem Special-Archive ohne den gemeinschaftlichen Beamten nicht gelangen konnte, bis man dann das Weimarische Archiv 1669 aus dem fremden Verschluss durch Transport herausbrachte. Wenigstens war nun nach dieser Seite dem langen Hader ein Ende gemacht.

An Giegling's Stelle trat 1671 mit dem beneidenswerthen Jahres- gehalte von 25 Gulden Elias Walther, der kaum seine ordnende Thätigkeit begonnen hatte, als eine neue Landestheilung die Bestände des gemeinsamen Archivs alterirte 4), und auch die Verhältnisse der übrigen Archive völlig verschoben wurden. Seit 1680, wo Elias

,) Drei Räthe, ein Secretär, ein Canzlist. Hortleder entwarf die Theilungs- grundsätze. Einer von ihnen hat wegen »U nsauherkeiU der Briefe um Ge- währung eines »Tagelohnsc.

*) Dessen Besoldung hetrug 210 Thaler.

") 1. Das weimarischc Special-Archiv (das jetzige Haupt-Staals-Archiv), 2. da* altenhurg-gothaische, 3. das gotha-weimarische Archiv.

*) 1672 theilten die weimarischen Brüder ihre Besitzungen und es entstan- den nun die drei weimarischen Linien Weimar, Eisenach und Jena.

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Walther in die Specialdienste des Herzogs Bernhard trat, wirkten dann getrennt Weimarische und Gotha ische Beamte. Der hekannte Johann Seb. Müller l) vertrat Weimar, ein Stadtrichter Eckold die Gothaischen Interessen , die wahrscheinlich nicht viel zu besagen hatten, da Gotha nur 50 Gulden Besoldung gab. Viel wurde selbstverständlich nicht geleistet, aber allmählig wurde man in den leitenden Kreisen doch inne, dass auf dem bisher betretenen Wege nichts zu erreichen war. Ks bedurfte eben doch, wie man sich über- zeugte, einer tiefer greifenden Thätigkeit, aber auch grösserer, freilich ungewohnter materieller Opfer. Damit waren wenigstens einige Vorbedingungen erfüllt und nun trat endlich für das 17. Jahr- hundert das Archiv in die Glanzperiode seiner Thätigkeit ein.

1684 1608. Lange konnten sich die Theilhaber über die Anstellung des Saalfeldischen Amtmanns, Tobias Pfanner, der zum gemeinschaftlichen Archivar ausersehen war, nicht einigen, da der zu Gewinnende eine zu hohe Besoldung forderte 2). Erst Ende 1686 trat er in sein Dienstverhältniss ein, in dem er viel Energie ent- wickelte, aber im Geiste seiner Zeit auch dem herkömmlichen Ser- vilismus zu huldigen verstand. Dem Herzog von Gotha machte er seine Aufwartung desshalb nicht, weil ihn, »der nun so viele Jahre unter Bauern in angehaltener Dämmerung gelebt, seine Blödigkeit furchtsam gemacht habe, und er des Lichtes entwöhnt, sich unmög- lich in die durchläuchtenden Strahlen wagen könne«. Nicht sofort setzte die Thätigkeit Pfanners im Archive in gewünschter Weise ein, von dessen Corruption der berühmte Seckendorf nicht genug erzählen konnte. Selbst die Weimarische Regierung äusserte sich dahin, dass mehr als eines Mannes Leben dazu gehöre, um das Archiv wieder in Ordnung zu bringen. Zunächst war Pfanner durch die localen Verhältnisse des Archivs an den Arbeiten gehindert, da das weimarische Special-Archiv erst aus dem Verschluss des Gesammt-Archivs völlig herausgebracht werden mussle. Aber bald griff er die Ordnungsarbeiten an, beantragte ein heizbares Local für dieselben, entfernte die beschwerlichen Schubladen und begann die

') Neben ihm Georg Neumark, der 1078 wegen seiner »flüssigen Leibescon- stitntion« um Entlassung aus dem Dienste bat. An dessen Stelle trat Müller, erst Assistent Neumarks, dann gemeinschaftl. Archivar (1680 13. Jan.).

*) Nämlich 400 Thaler, die man einem von vielen Staaten zu besoldenden Archivar desshalb nicht geben wollte, weil dies die weimarische Hofraths- besoldung jener Zeit war.

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Burkhardt:

Acten, die bisher noch in Briefform auf einander lagen, folioweise aus einander zu legen und diese nach der Seitenzahl der Reper- torien aufzustellen. Minder glücklich war sein Vorschlag, das Archiv nach den Antheilen oder Landesportionen zu sondern und aufstellen zu wollen.

Dass Pfanners Thätigkeit in Mangel einer Unterstützung er- lahmte, lag auch in der verderblichen Richtung archivalischer Bestre- bungen, da man nichts höheres kannte, als gelehrte Deductionen *) in grossem Vorrath ausarbeiten zu lassen, für die momentan ein practisches Bedürfniss gar nicht vorlag. Selbst diese Thätigkeit erzeugte Unzufriedenheit unter den Regierungen, da diese nicht allseitig in den Besitz der Pfanner'schen Arbeiten gelangten. Schon stimmten einzelne für die Entlassung des Archivars, als man sich klar wurde, dass die alten unerträglichen Weitläufigkeiten in Mangel eines gemeinschaftlichen Dieners sich wieder einstellen würden. Man regelte endlich die Besoldungsverhältnisse Pfanners , gewährte ihm 500 Thaler und was fast noch mehr schien, den »Hofrathstitel«. Damit trat er gleichzeitig in die fürstlich weimarischen Dienste über.

Trotzdem sich mancher schädigende Einfluss Pfanners auf die Archivbestände nachweisen lässt *), war er doch der erste Beamte, der ein treffliches Verständniss für eine gründliche Ordnung und Verwaltung des Archives entwickelte. Dessen ungeachtet war an einen geregelten Archivdienst nicht zu denken; weil es an einer genügenden Instruction noch im October 1690 fehlte. Denn auch die übrigen dienstlichen Verhältnisse Pfanners waren wenig erfreu- lich. Dem Zuge der Zeit gemäss blieben seine Besoldungsraten von den verschiedenen Höfen aus; Eisenberg, Meiningen, Hildburghausen und Saalfeld waren schon 1691 mit 260 Thalern im Rückstand. Wäre die Frieden stein' sc he (das ist Gotha) Kammer nicht gewesen* schrieb Pfanner, so hätte er in Weimar längst »crepiren« müssen.

Müde dieser Verhältnisse, die besonders durch die Stellung zu den weimarischen Beamten erschwert waren*), erhielt Pfanner

') Das Weimarische Staatsarchiv zeigt eine ganze Reihe von Folianten Pfanners auf, die, obwohl die Arbeiten auf Quellen beruhen, heute kaum mehr brauchbar sind.

*) z. B. Dass er die TheilungsgelQste vermehrte, in dem er auf diese und jene theilbaren Acten hinwies.

') Es waren die leidigen Rangverhältnisse schuld, die ihn unter den zweiten Schwibbogen der Kirche wiesen!

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endlich 1698 seine Entlassung. Er war ein geborenes archivalisches Talent, dessen Arbeiten noch heute sichtbar sind, und auf denen unablässig weiter gebaut werden musste, wenn die Organisation des Gesammt-Archivs, die natürlich auch ihre Schwächen aufzuweisen hat, nicht völlig in Frage gestellt werden sollte.

1698—1718. Was Pfanner während seiner amtlichen Thätig- keit nicht durchgesetzt hatte, gelang ihm, nachdem er den Dienst bereits verlassen, durch ein Promemoria, in dem er nachwies, dass die Vereinigung der Archivbestände in zusammenhängenden Räumen unabweisbares Bedürfniss sei. Dass man sich nicht über- arbeitete, beweist der Umstand, dass auf die Translocation zweier Archivgewölbe, resp. deren Inhaltes über 3 Jahre hingingen. Mehr noch war zu bedauern, dass Pfanner in einem Schreiber bei der Communflösse, J. A. Eberhard, einen Amtsnachfolger erhielt, dessen Thätigkeit in meist nicht sachgemässen Bestrebungen sich zeigte, da er sich in Anlegung von Specialrepertorien vertiefte, ohne dass die alten Hauptrepertorien mit den Archivbeständen in vollen Einklang gebracht waren.

1718 1756. Nicht minder glücklich war man in der Wahl geeigneter Persönlichkeiten in der folgenden Periode, wo wieder mehrfache Transporte des Archivs stattfanden. Hauptsächlich fehlte das innige Zusammenwirken der verschiedenen Beamten, von denen Eberhard nach einer langjährigen Thätigkeit noch immer auf die Unterstützung der weimarischen Diener angewiesen war. Bald griff dieser, bald jener Missstand ein. Herzog Ernst August verbot geradezu den Transport des Archivs, da die Arbeiter ihm bei öfterem Begegnen nicht die nöthigen unterthänigsten Verbeugungen gemacht hatten. Ja beim Tode des weimarischen Archivars Müller Hess Weimar ?ogar die Versiegelung des Gesammt-Archivs in einseitiger Weise vornehmen, und dasselbe blieb fast ein Jahr namentlich zur Sommer- zeit unzugänglich, während deren die Ordnungsarbeiten in Mangel eines heizbaren Arbeitslocals nothwendig Unterbrechung finden mussten. Ein Bericht an den Herzog Friedrich von Gotha vom 1. Januar 1732 schilderte die Unordnung des Gesammt-Archivs mit den grellsten Farbep. Es heisst darin, dass die meisten Briefschaften am Boden umherlägen und das Archiv .selbst eine Brutstätte der Tauben geworden sei. Nimmt man dann hinzu, dass die un- günstigsten collegialen Verhältnisse zwischen den beiderseitigen Archivbeamten bestanden, die zum Theil völlig unfähig waren,

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92 Burkhard!:

ihrem Amte vorzustehen, so brauchten nicht noch launenhafte erneute Archivtranslocationen hinzuzutreten, um die Besserung des trostlosen Archivzustandes völlig in Frage zu stellen.

1756 1803. Auch die nächsten Jahre entbehrten noch einer sichtlichen Erhebung. Es mag als ein besonderes Glück bezeichnet werden, dass der 1756 bestellte gothaische Archivar H. S. Rentsch trotz Mangel einer genügenden Vorbereitung allmählig festern Boden gewann und Gelegenheit nnhm, seine Fähigkeiten in erfreulicher Weise zu ver- werthen. Auch er war ja auf ein inniges Zusammenwirken mit dem weimarischen Archivar Zollmann bezüglich der Förderung des Gesammt-Archivs angewiesen, der in herkömmlicher Weise fortfuhr, die Arbeiten ins Unglaubliche zu erschweren. Denn dieser hielt nicht allein die Repertorien im weimarischen Archiv verschlossen, sondern verreiste auch, ohne seinem herzoglichen Collegen den Zutritt zum Archiv zu ermöglichen, da die Schlüssel in seiner Verwahrung blieben. Das Ableben Zollmanns (1762 2. Febr.) änderte an den Verhältnissen wenig, da der Amtsnachfolger Heydenreich sich eben- sowenig eines collegialen Zusammenlebens befleissigte und ein syste- matisches, auf die Besserung des Gesammt-Archivs hinzielendes Arbeilen nicht bemerkbar war.

Da trat in unerwarteter Weise die treffliche Herzogin Anna Amalia von Weimar für das Gesammt-Archiv; in die Schranken. Sie wandte sich (1773 29. Januar) an den Herzog von Gotha, und be- zeichnete den Zustand des Archivs als einen höchst beklagenswer- then. Sie beantragte Revision und Ordnung der Archivs unter Hinzuziehung von Hülfskräften, da die beiden Archivare mit andern Arbeiten (doch nicht mit archiva Tischen ?) überhäuft seien! Der Gothaischen Regierung, die seit länger als 100 Jahren einen eignen Beamten bestellt, Zeit und Geld in hinreichendem Maasse geopfert hatte, musste dieser Zustand etwas Neues sein und aufs Höchste befremden.

Iiier zum ersten Male traten in dem von Rentsch geforderten Berichte die Krebsschäden in der umfassendsten Weise zu Tage. Er beklagte „nicht- allein den Mangel aller Verwaltungsactcn , die die Weimarischen Beamten allzeit verschlossen gehalten, sondern constatirte auch, dass sein Amtsvorgänger Penzig nicht ein Blatt solcher Acten hinterlassen habe, während die üble Beschaffenheit des Archivs darin bestehe, dass die Archivzeichen auf die Acten nur gesteckt, in Folge dessen meist mangelten, um von dem wün-

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schenswerthen Heften und Folieren der Acten nicht zu reden. Die Abtheilungen des Archivs waren nicht mehr erkennbar, die Schilder derselben waren unleserlich oder fehlten gänzlich; Alter und Feuch- tigkeit habe einen grossen Theil der Documente zerstört, andere lägen in regelloser Ordnung auf langen Tafeln und am Erdboden wegen Mangel an Reposituren umher. Dazu fehle ein heizbares Arbeitszimmer. Die Hauptcalamität sei aber, dass das Archiv Sei- tens der weimarischen Beamten seit 70 Jahren als „Neben werk41 tractirt, und der Zutritt den gothaischen Beamten nur auf beson- deres Ansuchen gestattet worden sei. Der Gebrauch der von Wei- mar im einseitigen Verschluss gehaltenen Archivrepertorien sei oft ins Unglaubliche erschwert worden."

Auf diesen, freilich erst nach einer 17jährigen Amtstätigkeit eingereichten Bericht ordnete Gotha den Geheimen Secrelair Lichten- berg nach Weimar ab. Er fand noch mehr, als Rentsch berichtet hatte. Das Expeditionszimmer war von Weimar eigenmächtig als Archivraum benutzt, der Ofen war entfernt; die Gewölbe waren zweckwidrig, der Zugang zu denselben theils so finster, dass man bei trüben Tagen ohne Licht kaum zum Verschluss gelangen konnte. In ein Gewölbe, zu dem 20 Stufen hinab führten, pflegte von Zeit zu Zeit das Wasser zu treten. Von 20 Schubladen, in denen die Documente aufbewahrt waren, Hessen sich kaum 3 herausziehen; nicht besser sah es über der Erde aus, wo sich etwa der dritte Theil des regellos umherliegenden Archivs vom Moder befallen zeigte, so dass eine Revision und Ordnung kaum möglich erschien. Häu- figer Transport der Archivalien, ihr gewaltsames „Einstopfen" in die Fächer, anhaltende Feuchtigkeit, und vor allem eine gewissenlose Verwaltung hatten den allmäligen Verfall des Archivs herbeigeführt! Hier war dringende Abhülfe nöthig, die man endlich durch eine gründliche Revision und Ordnung des Archivbestandes zu beseitigen hoffte.

Theils der empfindliche Mangel eines Arbeitsraumes, theils die unvorteilhafte Aufbewahrung der Archivalien verzögerte den Beginn der dringend nöthigen Arbeil, da man nach mancherlei Berathungen sich schliesslich doch in die Notwendigkeit versetzt sah, zum noch- maligen Transport des ganzen Archivs sich bequemen zu müssen. Nachdem die Herzogin Anna Amalia das Hochparterre der Bibliothek hierzu oflferirt und nach der Vornahme der nöthigen Baulichkeiten und Einrichtungen die Translocation des Archivs stattgefunden hatte,

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Burkhardt:

begann langsamen Zuges die sogenannte präpara lorische Revision des Archivs, welche auf die Einordnung der zahlreich umherliegenden Actenmassen hinzielen sollte. Lange Zeit ging auf dieselbe hin, da sie mit geringen Ausnahmen nur im Sommer betrieben wurde; zum Theil war sie kaum möglich, da die Regierungen das vor undenk- baren Zeiten Entliehene oder widerrechtlich Verschleppte nicht restituirten und die beiderseitigen Beamten nicht im besten Einver- nehmen standen. Die weimarischen Beamten betrachteten ohne allen Grund die Repertorien als ausschliesslich weimarisches Eigen- thum und zeigten sich der geraeinsamen Anstalt, der sie doch zum guten Theil die Begründung des weimarischen Specialarchives dank- ten, so wenig förderlich, dass sie die Repertorien vorzuenthalten drohten. Um die Arbeilen zu fördern, stellte die Regierung mehrere Subalterne an '), deren Instruction jedoch hinlänglich bezeugt, dass man damals so wenig wie später eine richtige Vorstellung von dem Umfang der begonnenen Arbeit sich zu machen im Stande war. Fast hundert Jahre nach dem gedeihlichen Wirken Pfanners waren verstrichen, und für die äussere Einrichtung des Archivs war bis- her nicht mehr geschehen, als dass etwa ',3 der Acten äusserlich aus der Briefform in Actenform übergegangen war. Wer vermag zu sagen, wie es um den Inhalt und die innere Ordnung der Acten bestellt war!

Die die Revision berathenden Männer waren eben so wenig der Aufgabe gewachsen, als die Arbeiter selbst, die theils mit be- wundernswerther Schnelligkeit revidirten, theils ganze Abtheilungen übergingen, die sie aus Mangel an historischem Verständniss gar nicht zu behandeln wussten. Noch verderblicher war die Anord- nung, dass man „die sogenannten wichtigen Acten" sofort in Pergament oder Pappe binden liess. Daraus erwuchs mehr Unheil, als das Heil, welches man sich von dieser Manipulation versprach. Ueberhaupt kann in jener Zeit von der Prüfung der einzelnen losen Blätter ihrem Inhalte nach, aus denen heute noch das Archiv in überwiegendem Maasse besteht, kaum die Rede gewesen sein, wenn man z. B. in 5 Tagen 74 Blätter Repertorien bewältigte, zu denen eine gewissenhafte, auf das Einzelne eingehende Prüfung heute viel- leicht mehrere Monate bedarf. Noch toller war der Einfall, die allen, zum grossen Theil gut gearbeiteten Repertorien durch neue

') Accessist Meyer, dann den Sohn des Archivars Rentsch.

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zu ersetzen! Man sieht, dass den Arbeitern jedes Verständniss ab- ging, dass sie nicht einmal der Geschichte des Archivs mächtig waren, aus der sie wissen mussten, unter welchen Schwierigkeiten die erste Repertorisirung des Archivs zu Stande gekommen war.

So arbeitete man bis zum 9. Octobcr 1789 weiter. Mit wahrem Wohlgefallen sahen die zum Theil mit 50 Thaler pro Som- mer bezahlten Hülfsarbeiter und deren Chefs ') das Werk ihrer Hände an. Jetzt war die Specialrevision, welche die Regierung ge- nehmigte, eine beschlossene Sache. Ueber jene ist aus Mangel an Quellen nicht viel mehr zu sagen, als dass sie 1803 völlig im Sande verlief.

Inmitten dieser Bestrebungen erhielt das Gesammt-Archiv einen bedeutenden Zuwachs durch die von der albertinischen Seite so eifrig betriebene Theilung des bisher zwischen Ernestinern und Albertinern gemeinschaftlich bestandenen Archivs in Wittenberg. Es bedarf wohl zunächst eines Rückblicks auf diese Anstalt. Ihre Thei- lung bezeichnet so recht das Schicksal, welches ein deutsches Archiv noch im Beginn des Jahrhunderts erleben konnte.

Die Theilung des Wittenberger Archivs.

Nach Uebergang der Kurwürde an die albertinische Linie musste nothwendig auch eine Regelung in den Besitzverhältnissen der Ar- chivalien eintreten, nach deren Theilung ein guter Theil im gemein- samen Besitze verbleiben und mit den Beständen des alten gemein- schaftlichen Leipziger Archivs der Abrede gemäss nach Wittenberg übersiedeln musste. Für dies Archiv halte Churfürst August ein schönes Hochparterre im dortigen Schlosse ausersehen, in welchem die Documente jedoch nur theilweis in guter Ordnung untergebracht wurden, die erst 1558 fortgesetzt ward. Ob die Ordnungsarbeiten völlig zu Ende gediehen, lässt sich kaum bestimmen. Jedenfalls war die Einrichtung des Archivs sehr mangelhaft, und auf die Aus- bildung derselben scheint man ein besonderes Gewicht nicht gelegt zu haben. Die Theilhaber besuchten es, sobald ein Bedürfniss der Benützung vorhanden war, nach vorausgegangener Verständigung. Derartige Besuche, die mit materiellen Opfern verbunden waren, fan- den 1631, 1659 und wie es scheint 1685 statt. Erst im Beginn

') 1778 war weimarischer Seits Eccard, 1783 Voigt gefolgt.

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Burkhardt:

des 18. Jahrhunderts, in dem man erneslinischer Seits auf eine gründliche Revision und die Zurückgabe der nach Dresden seit langer Zeit entliehenen Acten drang, zeigte sich eine Missstimmung über die beiderseitig geltend gemachten Benutzungsrechte. Auch haderte man wegen der von den albertinischen Abgeordneten mehr- fach unrichtig aufgestellten Behauptung hinsichtlich des Mitverschlus- ses l) und nicht weniger ereiferte man sich bei den Revisionen des Archives, denen wohl der nie perfect gewordene Gedanke entsprang, eine Archivverwaltung in Wittenberg selbst niedersetzen zu wollen, für die 1739 sogar in Leipzig eine Instruction entworfen war. Von dieser Zeit scheint das Archiv wenigstens nach Ausweis der ernestinischen Acten bis 1801 nicht wieder eröffnet worden zu sein, wo die chursächsischen Abgeordneten mit Vorschlägen hervortraten, das Archiv gänzlich zu theilen. Trotzdem die weimarischen Ab- geordneten nicht zustimmten, gestatteten sie, dass mit Rücksicht auf den Theilungsvorschlag eine provisorische Revision und Separation der Documcnte stattfinden dürfe. Wie nahe lag doch, was Chur- sachsen damit zu erreichen suchte!

Der Zustand des Archivs, in dem kein Fenster ganz war und sich massenhafter Staub und (Inrath angesammelt hatte, war allerdings geeignet, um eine Theilung einer so schlechten Verwal- tung vorzuziehen. Chursachsen versicherte, dass die Theilung gar keine Schwierigkeiten bereite, und diese nur einen bequemeren Ge- brauch des Archivs zur Folge haben könne. Weimar, welches daraufhin eine schriftliche Darlegung der Theilungsprincipien ver- langte, erhielt diese schon am 4. September, nachdem Chursachsen schon einige Tage während der Revision Notizen über den günstigen Ausfall der Theilung gemacht hatte. Am 22. September traten die Abgeordneten ihre Rückreise an; die Chursachsen wussten jetzt wenigstens, dass wenn man auf die proponirte Theilung überhaupt einging, ihnen noth wendig der Löwenantheil zufallen müsse. Nachdem die Verhandlungen einen günstigen Abschluss, d. h. für

') Die Erneslincr behaupteten, ein Dresdener Abgeordneter Tentzel sei auf churffirstl. Befehl ohne Vorwissen der Ernestinischen Höfe im Archive gewesen. Der Dresdener Zech behauptete : Ginge es der VVittenberger Capitulation nach, so hätte Johann Friedrich Alles hergeben müssen, es sei nur ein Akt kaiserlicher Gnade, dass den Eruestinern die Archivconcurrenz belassen worden sei, und mehr derartig ungereimtes Zeug.

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Chursachsen erreicht hatten, fand man sich gegen Ende Juli 1802 in Wittenberg wieder zusammen.

Für die Geschichte des deutschen Archivwesens ist es von Interesse, einmal sich die näheren Umstände, unter denen die Thcilung stattfand, zu vergegenwärtigen. Man wird wenigstens Angesichts der aufgestellten Theilungsgrundsätze zu der Ansicht ge- langen, dass man mit dieser Art von Staatseigenthum es nicht allzu genau nahm.

Die Bestimmungen lauteten:

1. Bei der Theilung soll auf die Gerechtsame beider Linien Rücksicht genommen werden.

2. Erstreckt sich aber eine Urkunde auf die Gerechtsame beider Linien, so ist das überwiegende Interesse für die Theilung mass- gebend. In zweifelhaften Fällen ist, wenn die Chur- linie dabei interessirt ist, dieser das Document zu- zustellen! Dahin gehören auch die Verträge der askanischen Herzoge mit den Landgrafen von Thüringen und den Mark- grafen von Meissen1).

3. Urkunden etc., welche fremdherrliche Verhältnisse betreffen, werden nach dem geographischen Gesichtspunkte getheilt (»geographische Verbindung«). Daher werden, wie ausdrücklich angeführt ist, der ernestinischen Linie alle französischen, italiänischen, päpstlichen Urkunden, auch die auf die Verhältnisse Venedigs bezüglichen Documente zu- stehen 2).

4. Urkunden, die keinen Theil interessiren, werden durch das Loos zugewiesen.

">. Urkunden etc. etc. von. allgemeinem Interesse, die nicht ge- meinschaftlich aber eben so wenig die einseitigen Gerecht- same betreffen, sind nach gleicher Anzahl zu theilen, in so fern sich aber noch ermitteln lässt, in welchem churfü istlichen oder fürstlichen Landestheile die Aussteller damals gesessen oder ihre Besitzungen gelegen gewesen, so würde dieser Gesichtspunkt für die Theilung massgebend werden.

6. Sind von ein und derselben Urkunde Original und Copie zu- gleich vorhanden, so empfangt der Theil das Original, der am meisten bei dem Inhalt der Urkunde inleressirt ist.

') Warum denn eigentlich!

') Das lautete sehr schön, es stak aber nichts dahinter! ArchiT.lUche Zeitschrift III. 7

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Burkhardt:

7. Fehlende Urkunden werden bei der Theilung in Rechnung ge- bracht, da sich dieselben möglicher Weise noch ausfindig machen lassen könnten.

8. Jedem Theile ist dasjenige anzurechnen, was er auf Schein oder sonst ehedem aus dem Archive erhielt. Acten, die entliehen und die Gerechtsame des Entleihers betreffen, verbleiben dem Entleiher.

9. Alle nicht repertorisirlen Acten sind nach gleichen Grundsätzen wie die Urkunden zu theilen.

10. Findet ein Theil unter den ihm zugehenden ihm nicht zugehörende Archivalien, so sollen diese bona fide dem andern Theile aus- geantwortet werden.

11. Urkunden, welche die jetzt strittigen Gegenstände beireffen, sollen dem zufallen, der mit dem Streite belastet und dem das strittige Object zufallt.

12. Die Benutzung des Getheilten steht jedem Theile sub conditione restitutionis zu.

13. Abschriften sind sofort auf Verlangen anzufertigen.

14. Copialbücher, Rechnungsbücher folgen dem dabei interessirten Theile. Was ohne Nachtheil getrennt werden kann, ist zu trennen, sonst entscheidet bei der Zuweisung das Uebergewicht des Interesses.

15. Auch von diesen Copialien soll auf Verlangen unentgeltliche Abschrift gefolgt werden. Lässt aber ein Theil Alles abschrei- ben, so geschieht dieses auf dessen Kosten.

16. Die Wittenberger Registrande, d. h. die zu Folge der Theilung entstandene, ist von jedem Theile sorgfaltig aufzubewahren.

17. Dieselbe ist doppelt anzufertigen, damit man wisse, wohin das Getheilte gekommen ist.

18. Von Copialbüchern sind zur leichtern Beherrschung von jedem Theile Register anzufertigen.

Abgesehen davon, dass der Theilungsplan der Vollständigkeit entbehrte, und Bestimmungen enthielt, für die sachlich gediegene Gründe nicht ausfindig zu machen sind, war die Theilung bei dem Zustande des Archivs überhaupt nicht möglich. Die un verzeichneten Acten waren nicht einmal in der Verfassung, dass alles Zusammen- gehörige sich beisammen fand; man theilte noth wendig Fragmente, wie sich dies leider bei der Verschmelzung des Materials mit den Beständen des S. ernest. Gesammt - Archivs evident herausgestellt hat. So viel steht fest, dass entweder die mit der Theilung Beauf-

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tragten den geschäftlichen Schwierigkeiten nicht gewachsen waren, oder dass die Theilung nicht mit der Sorgfalt ausgeführt wurde, welche die Scheidung ungeordneter Massen verlangte.

Die Theilung des Wittenberger Archivs nach diesen Grund- sätzen ist und bleibt ein schwarzer Fleck in der Geschichte des sächsischen Archivwesens!

1803—1844. Ein bedeutender Gewinn erwuchs wenigstens dem Gesammt-Archive durch den Zuwachs von diesen Materialien so lange nicht, als die Verwaltung sie unangetastet liegen liess.

Der damalige gothaische Archivar Lübeck hatte sich allerdings einige auf die Förderung der weitern Ordnung hinzielende Aufgaben gestellt. Allein sie waren gegenüber den dringlichen Ordnungs- arbeiten, die sich jetzt mit klarem, historischen Verständniss auf die Einzelheiten hätten erstrecken sollen, so minutiöser Natur, dass an der Lösung dieser Aufgaben in der That nichts liegen konnte.

Am wenigsten liess sich von einer Verwaltung etwas erwarten, die allwöchentlich zweimal die Pforten des Archivs auf einige Tagesstunden öffnete. Uebcrhaupt fehlte den damals wirkenden ältern wie den jüngern Kräften das Verständniss dessen, was Noth that, und daher kam es denn, dass die Verwaltungsperiode bis zum Jahre 1844 für die Entwicklung des historisch hoch bedeutsamen Gesammt -Archivs ohne jede Bedeutung geblieben ist. Nur eines ist bemerkenswerlh und denkwürdig, dass eine in Vorschlag gebrachte Theilung des Gesammt- Archivs nach den Theilungsgrund- sätzen des Wittenberger Archivs glücklicher Weise nicht zur Ausführung kam; nicht etwa, weil die verwerflichen Theilungsgelüste nicht ausführbar erschienen, sondern weil man sich glücklicher Weise vor der jahrelangen Arbeit und wohl auch vor den nicht zu unter- schätzenden Kosten scheute. Nimmt man hinzu, dass ein An- trag Goethes auf theil weise Ueberlassung der Räume des Gesammt- Archiys zur Aufstellung von Kunstgegenständen die Veranlassung zur Ventilirung dieser Frage gab, so ist dies Moment um so betrü- bender, als nachweislich ein Theil dieser weimarischen Kunstkam- mer wegen seiner Bedeutungslosigkeit nicht einmal für würdig be- funden wurde, die Räume des in unsern Tagen neu erbauten Mu- seums auszuschmücken. Der 30. November 1826, an dem die Theilungsgelüste auftauchten, ist glücklicher Weise ohne schädigen- den Einfluss auf dies Archiv geblieben. Glücklicher Weise kam dann

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Burkbardt:

eine Periode, in der eine der Bedeutung des Gesammt-Archivs ent- sprechende Thätigkeit einsetzte, die sich bis auf unsere Tage fort- erhalten hat.

1844—1859. Die seit längerer Zeit entbehrte Orientirung der herzoglichen Höfe über die Lage des Gesammt-Archivs hatte den Be- schluss zur Folge gehabt, dass man vor Anstellung einer geeigneten Persönlichkeit über den Zustand des Archivs klar werden müs?e, der nach Allem, was an, wenn auch unsichern Gerüchten in die Oeflent- lichkeit gedrungen war, keineswegs über alles Lob erhaben sein konnte. Die herzoglichen Höfe ordneten hierzu den altenburgischcn Landesjustizrath Schenk ab, dessen Inspection sich zu einer förmlichen Archivrevision umgestalten musste, wenn er überhaupt eine Basis für seine Vorschläge zur Anbahnung einer bessern Ordnung des Archivs ge- winnen wollte. Hier zeigte sich leider, wie es um das Archiv stand, das ' mit unglaublichen materiellen Opfern seit Jahrhunderten gepflegt war, und nun die bedauerlichste Unordnung in der gesammlen Verwaltung Platz gegriffen hatte. Von Geschäftsacten fanden sich nur spärliche Reste, die theils in volucren Blättern bestanden und ohne Ordnung wie die Empfangsbekennlnisse umherlagen. Das archivalische Material fand sich nur theilweise oder auch nur ungenügend verzeichnet. Die Re- visionszeichen in den Repertorien gestatteten keinen Schluss auf das Fehlen oder Vorhandensein der Archivstücke; speciell erschien als unzuverlässig und mangelhaft, was in der letzten Revisionsperiode, die Schenk nicht mit Unrecht als fortschrittslos bezeichnet hatte, geleistet war. Was diesseits wenigstens die Theilung des Witten- berger Archivs genützt hatte, zeigte sich hier evident, denn die Archivalien lagen in derselben Verfassung, in der sie 1802 ein- gelangt waren *). Für eine so zweckwidrige Archivverwahrung und Verwaltung künftig auch nur das geringste Geldopfer zu bringen, müsse, schrieb Schenk, auf das Inständigste widerrathen werden. Aber dagegen betonte er in erfreulicher Weise auch die histo- rische Bedeutung des Archivs, welches er auf das Dringlichste zu ordnen und der Benützung zugänglich zu machen empfahl.

Seit dem 21. Nov. 1846, wo die ordnende Thätigkeit des Dr. Bernhard Roese, weniger bekannt als Archivar, als durch seine lite- rarischen Arbeiten, begann, ist unter Bctheiligung des jüngst ver-

') 57 Jahre .später hatte ich noch die Ehre, die Wittenherger Arehivalien in die Bestünde des Archivs einzuverleiben!

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Abriss d. Geschichte d. S. Einestinischen (Jesammt-Archives in Weimar. \Q[

storbenen, kenntnissreichen Archivsecretärs Aue an der grundlichen Ordnung des Gesammt-Archivs gearbeitet worden. Manche schöne Erfolge sind bis zu Roeses Tod (24. Oetober 1857) erzielt wor- den, wenn man auch mit dem Gange der Arbeiten sich nicht überall einverstanden erklären kann und manches practischer zu ge- stalten und wissenschaftlicher zu behandeln gewesen wäre. Immer- hin ist eins und zwar in unserm Jahrhundert das Wichtigste er- reicht, dass das bedeutsame Archiv einer Ordnung allmählig ent- gegengeht, wie sie noch in keiner der Revisionsperioden angestrebt worden ist. Vielleicht wäre jene weiter gediehen, wenn die Arbeit im ersten Anlauf hinsichtlich ihrer Dauer nicht so bedeutend unter- schätzt worden wäre; da man den Betrieb der Revision und Ord- nung des Archivs bis 1859 an nur zwei Vormittagen der Woche für hinreichend hielt.

Seit 1859 ist eine wesentliche Umgestaltung in den Verhält- nissen des Gesammt-Archivs eingetreten. Vor allem hat im Laufe der Zeit die Ueberzeugung festen Boden gewonnen, dass die histo- rische Bedeutsamkeit des Archivs einen ruhigen Gang der Ord- nungsarbeiten bedingt, die unmöglich mit der herkömmlichen Oberflächlichkeit betrieben werden dürfen, wenn das wissenschaft- liche Interesse volle Wahrung finden soll. Es ist selbstverständ- lich, dass dieser Umschwung in den Ansichten das Product einer Thätigkeit ist , an der ich einen nicht unwesentlichen Antheil ge- nommen zu haben glaube. Aber eben darum verbietet es sich auch, den Phasen der jüngsten Entwickelungsperiode näher zu treten. Der Darstellung derselben müsste die unliebsame Aufgabe zufallen, hier nachzuweisen, dass das deutsche Archivwesen auch an den hervor- ragendsten Stellen noch vor wenigen Decennien auf der untersten Stufe der Entwicklung stehen konnte. Anderer Seits wäre aber auch zu constatiren, dass, wie ich auch bei anderer Gelegenheit be- tont habe, das Heil der deutschen Archive nicht von oben allein zu erwarten steht, sondern dass Jeder an seiner Stelle in den Kampf für die Entwicklung des Archivwesens mit Zähigkeit ein- treten muss. Dann kommt das Verständniss selbst da, wo es fehlen sollte, für diesen Zweig des Staatsdienstes: denn wo das Verständ- niss einmal vorhanden ist, kann sich auch nie die fördernde Theil- nahme verlieren.

Dieser historischen Darlegung sei nur eine

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Kurze Hebersicht über den Inhalt des Gesammt- Archivs l)

angeschlossen.

Nach den Schicksalen, welche das Gesannnt- Archiv durch Jahrhunderte erfahren, darf man billig fragen, wie es heute um seine Bestände aussieht, die, wie wir nachwiesen, schon im Jahre 1837 den Meister deutscher Geschichtschreibung zur Bewunderung hinrissen. Indem wir eine kurze Uebersicht von dem Inhalte des Archivs geben, bezwecken wir Doppeltes. Es soll in dem Schema der einstige Reichthum des Archivs und sein jetziger Bestand, der eigentlich nur den historischen Zwecken dient, nachgewiesen und ein Anhalt für die Forschung geboten werden , in so weit er über- haupt durch solche Inhaltsübersichten im Bereiche der Möglich- keit liegt.

Registrande A enthält Acten und Urkunden über die soge- nannten „alten sächsischen Händel'', an denen Herzog Wilhelm2), Churfürst Friedrich, Ernst, Albrecht, Johann, Johann Friedrich und Johann Ernst (1532—53, Linie Coburg) betheiligt waren. Die Verhandlungen betreffen die Angelegenheiten dieser Fürsten und deren Verhältniss zu den Albertinern nach der Landestheilung von 1485 und zwar zu Georg, Heinrich und Moritz etwa bis zum Aus- bruch des schmalkaldischen Kriegs.

Von besonderm Interesse sind Acten, betr. die Gerechtsame Herzog Wilhelms an Luxemburg3) 1398—1461, die Vitzthumschen Streitigkeilen 1439-56, die Soesler Fehde 1447—1536, die Hän- del mit den Freigerichten 146 t 1496, der burgundische Krieg 1473 ff.

Reg. B enthält die Materialien über die nachbarlichen Ge- brechen: Mit Churfürst August 1536 c. 1567. Zwischen Sachsen und Brandenburg 1440—1549. Zwischen Sachsen und Hessen 1459 c. 1567. Schriften über den Mühlhauser, Nord-

') Schon Müllers Annalen S. 177—182 gehpu eine solche Uebersicht, mit der indessen der Wissenschaft nicht viel gedient sein kann. Die Abtheilungen, welche mit einem f versehen sind, sind völlig geordnet. Im Uebrigen ist dies nur der Fall, wenn sich specielle Angaben darüber finden.

*) Einiges frühere aus dem 14. Jahrhundert ist bei der neuen Revision hin- zugekommen.

*) Vieles ist vom Churffirsten August weggenommen; manches aus Witten- berg dazu gekommen. Die Archivalien über Wilhelms Gerechtigkeiten an Böhmen (1458—59) sind ebenfalls nach Dresden gekommen.

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hauser und Erfurt 'sehen Schutz 15 —16 .Jahrh. Zwischen Sachsen und Hersfeld 1480—1594. Zwischen Sachsen und Fulda 16. Jahrh.

Sachsen, Mainz und Magdeburg 1404—1567 1). Sachsen und Bamberg 1436—1567. Sachsen und Würzburg 1442—1589. Sachsen und Naumburg 1451—1565. Sachsen und Meissen 1409—1546. Sachsen und Merseburg 1489—1545. Händel mit auswärtigen Bischöfen und Aebten: Passau, Eichstädt, Hildes- heim, Naumburg, Bosau, Brandenburg- Wittenberg, Ratzeburg, Gonstanz, Bremen, Osnabrück-Münster, Lübeck, Cölln, Halberstadt 15. und 16. Jahrh. Sachsen und Henneberg 1460—1567. Hennebergische Angelegenheiten 1347—1555. Sachsen, Hessen und Henneberg 1469—1568. Sachsen und Anhalt 1477—1561 (neugeordnet) cf. Abth. G. Sachsen und Schwarzburg 1448-1605.

Sachsen und Mansfeld 1460 1560. Sachsen und Gleichen 1463 1550. Sachsen und Stolberg 1454— 1566. Sachsen und die Herrn Reussen 1460 1561. Sachsen und Böhmen. Jetzt neugeordnet: Sachsens Verhältniss zu Böhmen *), Oesterreich, Ungarn und der Türkei 1392 1596. Die Schön burgschen Händel des 15. und 16. Jahrh. s). Irrungen in den Aemtern 1490—1567. Irrungen mit den Schenken von Tautenburg 1515 1569 4).

Reg. C enthält: Auswärtige Angelegenheiten, an denen jedoch Sachsen mitunter betheiligt war. Die brandenburgischen Angelegen- heiten 1378 1568; d. h. Acten über die Verhältnisse Brandenburgs zu den verschiedenen deutschen Territorien. Neugeordnet. Acten über den Krieg zwischen Markgraf Albrecht und den fränkischen Einigungsverwandten Bamberg, Würzburg und Nürnberg 1551 bis 1558. Neugeordnet. Die hessische Vormundschaft 1509—25 und die während der Vormundschaft Sachsens im Interesse Hessens ge- pflogene Correspondenz mit andern Territorien. Hessische Ange- legenheiten 1463—1570. Hessen-Nassauische Händel 1506 bis 1558. Französische Angelegenheiten 1524—1574, Angelegen- heiten Oesterreich-Ungarns, Böhmens und der Türkei : Interna 1438 bis 1572. Neugeordnet. Englische Angelegenheiten 1533—1554.

Angelegenheiten Franz v. Sickingens mit Hessen 1512—42. Pfalz-bayrische Angelegenheiten 1452—1572. Neugeordnet. Braun-

') Die Acten Ober die strittige Umfrage 1518—29 in Dresden.

*) Die alten Bestände sind bedeutend durch Churförst August geschädigt worden.

») Fast sammtlich in Dresden.

4) Jetzt in Altenburg, zum Theil im weim. Special-Archiv.

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Burkhar.lt:

schweig-Lüneburgische Angelegenheiten 1462—1471. Neugeordnet.

Die Hildesheimer Stiftsfehde 1518—1524. Neugeordnet. Mecklenburger Angelegenheiten 1484—1560. Neugeordnet. Pom- mersehe Angelegenheiten 1504—1569. Neugeordnet. Lauen- burgsche Angelegenheiten 1519. Neugeordnet. Anhaltinische An- gelegenheiten 1460—1565. Neugeordnet. Liegnitzer Angelegen- heiten 1544—1570. Neugeordnet. Badener Angelegenheiten 1481. Neugeordnet. Schleswig - Holstein - Dänemark'sehe Angelegen- heiten 1464 1571. Neugeordnet. Jülich -Burgundische Händel 1538-1546. Jülieh-Clev'sche Erbfolge 1483—1572. Polnisch- Preussische Angelegenheiten 1466 1555. Sächs.-Hersfeld-Ful- da'sche Angelegenheiten 1407 1566. Theihveis vorhanden. An- gelegenheiten der Herrschaften Sorau, Beskow, Storkow unter d. Wettinern 1472 1541. Biberstein'sche Originalurkunden 1380 bis 1506. Händel des schwäbischen Bundes 1500—1549.

f Reg. D enthält die s|>eciellen Hausangelegenheiten Sachsens.

Heirathsangek>'enheiten sächs. und fremde 1311—1586. Tur- niere, Festlichkeiten, fürstliche Testamente, Inventarien, Acten über fürstliche Todesfalle, Geburten. Lauenburgischc Händel 1443 bis 1541 !). „Sonderbare Händel" (Miscellanea). Vormundschaften, Reichslehen, böhmische Lehen, bischöfl. Lehen; Schriften über das Vicariat 1496-1519 *). Erbsonderungen, Erbhuldigungen, Erb- verbrüderungen. Archivrepertorien (alte). Verpfandung und Ab- lösung der Aemter Gommern, Elbenau, Ranis etc. Angelegen- heiten des Amtes Altstedt von 1324 an *). Stift Petersberg in Saalfeld 1074-1549 4), Amt und Probstei Zella 1474-1577 *).

Reg. E enthält Acten über die Fürsten- und Reichstage von 1400-1576. - (Neugeordnet bis 1521).

t Reg. F enthält Nachweise über die systematisch (schlecht) ge- ordneten Urkunden in Original, die zwar in dieser Ordnung belassen worden sind, über die jedoch, wie über alle sich sonst noch in Acten und anderen Stellen des Archivs findenden Urkunden eine dehnbare chronologische Regestensammlung angelegt worden ist 6).

') In Dresden. ') In Dresden. s) In Altenburg. 4J In Altenburg. *) In Altenburg.

•) Bei den Theilungen stark deeimirt.

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Reg. G. Enthalt Erfurtische Angelegenheiten und das Verhält- hältniss Sachsens zu dieser Stadt, die im sächs. Schutze stand.

Reg. H enthält die Verhandlungen vor und nach der Gründung des schmalkaldischen Bundes 1524 1546. Acten über den Braun- schweigischen Üefensionszug 1542. Schriften, welche nach Er- oberung Wolfenbüttels in der Feste daselbst gefunden worden sind

Schriften, die Bestellung und Regierung des braunschweigischen Landes unter den Häuptern des schmalkaldischen Bundes 1542—1546.

Die Kirchen- und Schulangelegenheiten des Landes Braunschweig unter den schmalkaldischen Bundeshäuptern 1542 1545. Acten über die Schuld- und Pfandsachen des Landes, Begnadigungen und Bestallungen in der Periode von 1542—1545. Erb- und andere Forderungen an das Land Braunschweig und dessen nachbarliche Gebrechen. Briefvfechsel zwischen Sachsen und Hessen über die Braunschweigischen Angelegenheiten. Heinrich Rumors und die Nie- derwerfung seiner Diener. Der Braunschweiger Defensionszug 1545.

Die Sequestration des Landes und die Restitution Herzog Hein- richs und seines Sohnes Victors Erledigung 1543 1545. Rech- nungen der schmalkaldischen Bundsstände 1532 1546. Original- urkundenverzeichniss über den schmalkaldischen Bund 1526 1545.

Reg. I enthält die Verhandlungen der Bundsstände vor und nach dem schmalkaldischen Kriege 1546—1547.

Reg. K enthält die Correspondenzen nach der Gefangennahme Churfürst Johann Friedrichs 1553.

Reg. L enthält ausschliesslich Correspondenzen des gefangenen Churfürsten mit der sächsischen Landesverwaltung 1547—1553.

Reg. M enthält die Liquidationshandlungen mit den Albertinern nach der Schlacht bei Mühlberg 1547—1555. Acten über Hans v. Ponickau's Bestrickung 1547 1551 »). Verhandlungen über das Interim 1547-1550.

f Reg. N enthält die Religionshändel aus dem Zeitalter der Reformation bis 1572 8). Acten und Urkunden zur Geschichte des Bauernaufruhrs 1524—1527 in den Ernestinischen Landen. Acten der Wiedertäufer. Belagerung von Münster 1529—1535.

*) Müller 1. c. sagt zwar, diese wären nicht mehr vorhanden, aher das ist unrichtig, denn sie sind erst in diesem Jahre nach Wolfenhütlei zurückgesandt wor.lon.

*) Von Dresden auf Antrag 2. Fehr. 1864 zurückgegehen. ■j Vieles davon auf iler Gothaischen Büdiothek.

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Burkhardt:

f Reg. 0 enthält die Spalutiif sehen Händel und Schriften, d. h. historische Arbeilen und Gorrespondenzen, insoweit sie nach Weimar gekommen sind *). Acten und Urkunden über die Universität Wittenberg 1502-1547. Ein Abschnitt enthält Einiges über die Uni- versitäten Leipzig, Heidelberg, Erfurt, Cöln. Acten und Urkunden über die Universität Jena 1547—1572. Eheprocesssaehen in den Ernestinischen Landen 15. und 16. Jahrhundert, (c 700 Aetenst.)

Reg. P enthält die Acten über die Grumbach'schen Händel und dem Anschlüssiges, Belagerung von Gotha u. s. w. 1555—1572.

f Reg. Q enthält Landtagsverhandlungen in den ernestinischen Landen 1457—1570. - Einige im albertinischen Gebiete 1470- 1561. Acten über die Landgebrechen 14C0— 1572 *). Gedruckte und geschriebene Ausschreiben in Justiz- und VerwaUungssachen d. 15. und 16. Jahrhundert.

Reg. R enthält Acten und Register über das Wehrwesen der ernestinischen Lande im 15. und 16. Jahrhundert.

Reg. S enthält das Bauwesen in den ernestinischen Landen3) 15. und 16. Jahrhundert. Artilleriewesen der ernestinischen Länder

15. und 16. Jahrhundert. Acten über die Schützenhöfe 15. und

16. Jahrhundert.

Reg. T enthält das Bergwerks wesen in Sachsen und Meissen, Franken und Thüringen im 15. und 16. Jahrhundert. Nachrichten von böhmischen, pfälzischen, branden burg-braunschweigischen, wirtem- bergischen, jülich-pommcrschen, würzburgisehen , hennebergischen, waldeckschen, anhaltschen, hessischen Bergwerken. Ingleichen von den in Schweden, Navarra, Norwegen. Acten über Alchimie und Goldhandel Goldwäsche u. s. w. *)

Reg. U enthält Acten über das Münz wesen des Reichs und der deutschen Territorien des 15. und 16. Jahrhunderts.

Reg. X (V und W sind nicht angelegte Repertorien) enthält Lehns-Acten und Lehnbriefe in Original- und Copialbüchern, die in

') Vieles ist auch in Altenburg und in Zerbst (namentlich Luther'sche Briefe) zu finden.

*) DieAbtheilung ist fast vollständig verschwunden, da sie nach localem Ge- sichtspunkte geordnet war. Sie wurde getheilt.

•) Vielfach getheilt. da die Acten nach localen Gesichtspunkten geordnet waren.

4) Stark bei den Theilungen deeimirt.

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Abriss d. Geschichte d. S. Ernestinischen Gesammt-Archives in Weimar. 107

sächsische, meissnische, fränkische und thüringische zerfallen1). Leibgedingsbriefe.

Reg. Y enthält Leibgedingsbriefe in Acten, Urkunden und Copialböchern, dessgl. Gunstbriefe, Atnts-Dienstbestallungen, Gnaden- verschreibungen.

Reg. Z enthält Nachweise über Bestätigungen, Privilegien, Be- freiungen, überhaupt Urkunden in Copialböchern.

t Reg. Aa enthält Acten und Urkunden über das Activ- und Passivschuldcnwesen von der Landgrafenzeit bis 1572. Daran sehliessen sich culturhistorisch sehr bedeutende Materialien über Hof- und Staatswirthschaft in zahlreichen Correspondenzen der Finanzbeamten des 15. und 16. Jahrhunderts (Güterpacht, Wein- bau, Getreidebau, Hofwesen und Hofbedürfnisse für Küche und Keller, Künstler und Handwerker u. s. w.)

t Reg. Bb enthält Rechnungen: 1. Erbzinsbücher, Lehngeld- bücher, Geschoss- und Frohnbücher. 2. Hauptrechnungen der Aemter. 3. Einzelner Aemter, Pflegen und Voigteien. 4. Der Städte. 5. Der Dörfer, Güter, Vorwerke und Mühlen. 6. Hauptrechnungen der Klöster, Stifter und Ordenshäuser. 7. Einzelner Klöster, Stifter und Comthurhöfe. 8. Gebrechenbücher der Aemter und Stifter. 9. Rech- nungen der fürstlichen Schatulle. 10. Fürstliche Küchbücher. 11. Fürst- liche Reisebüchcr. 12. Fürstliche Lagerbücher. 13. Rechnungen über Kostgelder. 14. Rechnungen der Küchenmeister. 15. Rechnungen der Kellermeister. 16. Rechnungen der Fischmeister. 17. Futterreeh- nungen des Hofhalts. 18. Rechnungen über Hofkleidung. 19. Gestüts- rechnungen. — Ein höchst bedeutsames Material, theilweise aus dem 14., meist aus dem 15. und 16. Jahrhundert.

f Reg. Cc enthält die Materialien über das gesammte Geleits- wesen vom 14. 16. Jahrhundert mit zahlreichen Geleitsrechnungen.

f Reg. Dd enthält die Acten über das Forst- und Jagdwesen.

f Reg. Ee enthält die Materialien zur Geschichte der Grafen und Herrn: Barby, Beichlingen, Bernstein, Burgau, Dohna, Eberstein, Gera, Gleichen, Hanau, Henneberg, Hohenlohe, Hohenstein, Kirch- berg, Landsberg, Leissnig, Mansfeld, Meissen, Orlamünde, Reuss, Schlick, Schönburg, Schwarzburg, Schwarzenberg, Solms, Tautenburg, Ungnad, Weida, Wildenfels. Sämmtliches Material aus dem 14. bis 16. Jahrhundert

») Vielfach deeimirte Ahtheilung.

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108

Burkhardt :

t Reg. Ff enthält die Acten über Aemter und Dörfer1).

f Reg. Gg. enthält die Acten über die Angelegenheiten der Adelsgeschlechter.

f Reg. Hh enthält die Acten über die Stadtangelegenheiten *).

t Reg. Ii enthält die Acten über die Kirchen- und Schul- visitationen des 16. Jahrhunderts.

f Reg. Kk enthält Acten') über die Klöster und Kloster- verwaltungen. Personal- Acten über die Klostervorsteher vor und theihveise nach der Sequestration. Stift Alten bürg, Berger Kloster daselbst, Barfüsserkloster daselbst, Jungfrauenkloster daselbst, Allendorf, Bosau, Bibra, Bürgel und Remse, Buch, Brehna, Cron- schwitz, Crimmitzschau, Coburg (Franciscaner), Cosswig, Creuzburg, Capellendorf, Chemnitz, Clöden, Dobrilug, Eisenach-Stift , Barfüsser Catharinenklosler, NicKaskloster, Eisenberg, Ettersburg, Stift Freiberg, Jungfrauenkloster daselbst, Frankenhausen, Frauenpriessnitz, Gerings- walde, Stift Gotha, Heiligkreuz zu Gotha, Gerbstedt, Augustiner zu Grimma, Gernrode, Georgenthal, Grünhain, Stift Hersfeld, Heusdorf, Herzberg, Ichtershausen, Jena, Jüterbock; Kemberg, Kaltenborn, Leipzig: Pauliner-, Thomaskloster, Langheim, Laussnitz, Laussig, Lichtenburg, Lichtenberg, Capitel Meissen, Capitel Merseburg, Heilig- kreuz Meissen, Magdeburg: Predigerorden, Frauen Kloster, Mergenthal, Memmleben, Milden fürt , Mönchröthen, Mühlberg, Naumburg: Stift, Moritz- und St. Georgenkloster, Nauendorf, Neuwerk vor Halle, Neu- stadt a/O., Nordhausen. Orlamünde, Oberweimar, Oschatz, Pössneck, Petersberg vor Halle, vor Merseburg, im Amte Würzen und im Amte Eisenberg, Pforta, Plauen, Plötzka, Pegau, Reinhardsbrunn, Rissau, Reichenbach, Roda, Roda bei Sangerhausen, Stift Saalfeld, Sitzen- roda, Saalburg, Sittichenbach, Sornitz, Salza, Seusslitz, Sulza, Sonn- feld, Torgau, Utenbach, Veilsdorf, Vessera, Volkeroda, Witten berg, Weida, Weimar, Weissensee, Würzen, Wörlitz, Weissenborn, Walken- rieth, Weissenfeis, Zeitz, Zella in Meissen, Zwickau, Zschillen.

f Reg. LI enthält Acten über die Geistlichen und die Pfarr- stellen des ernestinischen Landes nach der Reformation.

l) Ueberbleibsel jener grossen Archivabtheilung, die einst sehr bedeutend war.

*) Sehr stark deeimirte Abtheilung. Aber trotz der Theilungen noch zahl- reiche Acten von StAdten des jetzigen ernestinischen Gebietes vor 1547.

*) Bezeugt eine Abtheilung die Unvollkommenheit der Archivtheilung, so ist es diese Die grossen unbearl>eiteten Paquct«: Summarische Schriften blieben in der Hegel intact.

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Abriss d. Gesch. d. S. Einest. Gesammt-Archives in Weimar.

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f Reg. Mm enthält die Acten über das Stipendiatenwesen von Wittenberg und Jena.

Reg. Nn enthält die Rechts- und Appellationsacten.

f Reg. Oo enthält die Klosteroriginalurkunden und Copien Vorhanden sind : Brehna, Nimpschen. Gemischte geistliche Urkun- den. Plötzka, Pforta, Naumburg: St. Georgen und Moritzkloster, Capitelsurkunden , Hospital St. Laurentii, Dobrilug, Lichtenberg und Prettin, Lichtentanne. Hieran schliessen sich c. 1000 Acten- stücke über die Aufhebung der geistlichen Güter 1532—1544.

Reg. Pp enthält Acten und Rechnungen über die Veranlagung und Einziehung der Land- und Türkensteuer.

f Reg. Qq enthält die Acten und Rechnungen über die Trank- steuer.

Reg. Rr enthält die Personalacten über das gesammte Beamten- wesen der Wcttiner und Ernestiner. Daran schliesst sich eine grosse Urkundenabtheilung: Die Reversregistrande, welche die Reverse bei Dienstbestallungen, bei Erbhuldigungskäufen enthält. Ausserdem finden sich Schuldreverse, Pfandschaftsreverse u. s. w. vor, 1300-1572.

Reg. Ss enthält die Malefiz- und peinlichen Händel*).

Reg. Tt enthält Ergänzungen zu allen Archivabtheilungen, in welche die Bestände der Reg. Tt stets verarbeitet werden.

An die alten Archivbestände schliessen sich die neuerdings hinzugekommenen Archive: das Archiv des gemeinschaftlichen Bundes- tagsgesandten, und das Archiv der aufgelösten Thüringer Hütten- baugesellschaft. Die Bestände des 1802 getheilten Wittenberger Archivs sind in dem ernest mischen Archiv durch Verarbeitung aufgegangen. Ein besonderes Repertorium weist jedoch nach, wohin das Wittenberger Material durch diese Verarbeitung gekom- men ist.

Die Urkunden des Archivs sind nach der Seitenzahl der Reper- torien aufgestellt, also in nicht chronologischer Folge. Um die chronologische Uebersicht zu gewinnen, ist eine chronologische Regestensammlung angelegt, in der Urkunden in Copie und Original auf einzelnen Blättern verzeichnet sind.

') Von der Theilung stark betroffen, doch haben sich Einzelheiten bei der Revision noch gefunden; die Theilung ist auch hier unvollständig . .. Die Ur- kunden zahlten nach Tausenden.

») Vielfach decirnirt.

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r

VI. Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu

Breslau.

Von

Dr. Markgraf,

Stadlbibliothekar und Stadtarchivar.

Die Geschichte des Archivs unserer Stadt Breslau beginnt im Grunde genommen mit der ersten Urkunde derselben; doch ist gleich hier auf den Unterschied hinzuweisen zwischen den Urkunden, welche nur einzelne Institute der Stadt angehen, wie namentlich Kirchen, Klöster und Hospitäler, und denjenigen, welche die ganze Stadt oder noch richtiger die Gemeinde der ganzen Bürgerschaft, die communitas omnium civium, betreffen. In den Zeiten, wo die Urkunden mehr waren als das was sie jetzt sind, historische Zeugnisse der Vergangen- heit, in den Zeiten, wo sie das geltende Recht im weitesten Sinne dieses Wortes enthielten, waren Institute wie die oben genannten alle selbständig und hatten ihre Urkunden, demgemäss auch ihr Archiv für sich. Und wie ja öfter ein Kloster oder eine Kirche eher dagewesen ist als die Stadt, zu der sie später gehörten, so können auch sehr wohl ihre Urkunden älter sein als die die ganze Stadt betreffenden Urkunden. Nur die letzteren aber bildeten in den Zei- ten, wo sie noch Rechtsgiltigkeit hatten, den Inhalt des Stadtarchivs: ihre sichere und unbeschädigte Erhaltung war ebenso die Pflicht der Stadtbehörde, wie eine umfassende Kenntniss von Allem, was sie enthielten. Je mehr sich die Stadt entwickelte und die Menge der Urkunden wuchs, um so grössere Aufmerksamkeit musste auf letztere verwandt werden, und so entwickelte sich eine zwiefache

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Geschichte des städtischen l'rkurulenarchivs zu Breslau.

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Thätigkeit derjenigen, denen ihre besondere Obhut anvertraut war. Einmal vereinigte man Abschriften der wichtigsten zu zusammenhangen- den, meist nach dem Inhalt geordneten Sammlungen, libri privilegio- rum oder wie man sie sonst benennen mochte, andrerseits ordnete man die Originale ebenfalls in irgend eine sachliche Reihenfolge und versah sie mit Zeichen, welche ihre leichte Auffindung im Augen- blicke des Bedarfs ermöglichten. Indem dazu dann Repertorien und Register verschiedener Art kamen, war dem praktischen Bedürfniss zunächst Genüge gethan, aber auch dem rein historischen Interesse, sobald dieses erwachte, die Möglichkeit seiner Befriedigung gegeben.

Bald entstanden neben den Urkunden und Privilegienbüchern eine Menge anderer amtlich geführter Bücher. Die bei der unge- heuren Ausdehnung des heutigen schriftlichen Verwaltungsverkehrs manchem golden dünkende Zeit rein mündlicher Abwicklung der offen Iiichen Geschäfte ist ja von dem Moment ab unzulänglich ge- worden, wo nicht mehr das Oberhaupt der politischen Gemeinschaft oder diese Gemeinschaft selbst alleinige Quelle alles öffentlichen Rechtes gewesen ist. Mit dem städtischen Recht entwickeln sich städtische Rechtsbücher, es werden über die vor dem Rath oder den Schoppen geschehenen Rechtsverhandlungen Protokolle geführt, es müssen die Einnahmen und Ausgaben verzeichnet werden , kurz es bildet sich in Schnelle der Anfang einer schriftlichen Verwaltung. Die so entstehenden amtlichen Bücher bilden jetzt den zweiten Theil des Archivs. Zu ihnen kommen dann die Chroniken und eine Reihe anderer Bücher, in denen sich praktische und historische Gesichts- punkte mischen. Diese Abtheilung wird mit der Zeit immer man- nigfaltiger.

Mit dem Ueberhandnehmen der schriftlichen Verwaltung ent- wickelt sich das Aktenwesen und damit der dritte Theil des Archivs, der sich dann mit der jetzigen Registratur berührt.

Was jetzt die Registratur der laufenden Verwaltung ist, das ist ihr in früherer Zeit das Archiv gewesen; das Bedürfniss, im Zu- sammenhang zu bleiben mit der Vergangenheit, auf sie zurückzu- gehen und in ihr die Berechtigung für die Gegenwart zu suchen, hat zur Erhaltung seines Inhaltes geführt. Wie weit dabei histori- scher Sinn das praktische Bedürfniss unterstützt hat, ist schwer auseinanderzuhalten, doch sei immerhin das Eine bemerkt, dass bis zum Jahre 1740 in Breslau sich alles so continuirlich entwickelt hat, dass erst nach der preussischen Besitzergreifung ein scharfes

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112

Markgraf :

Bewusstsein des Unterschiedes zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit erwachte. Recht plötzlich wurde damals die ganze Masse von Privilegien und Rechten, in der man hier ein ziemlich selbständiges, aber schon seit 100 Jahren zur Stagnation neigendes Leben führte, in historisches Material verwandelt, und die lebhafte, an Veränderungen so reiche Entwicklung von 1740 ab hat in die- ser Richtung weilergewirkt. So hat sich allmählich die Begründung eines Stadtarchives als eines selbständigen Institutes, abgesondert von der eigentlichen Stadtverwaltung, angebahnt. Indem auch ein Theil der alten kirchlichen Institute, namentlich die Hospitäler, einen ähn- lichen Process durchmachten, ebenso die Innungen ihre für sie werth- los gewordenen Briefe abgaben, flössen ihm auch von dieser Seite eine Menge Materialien zu, die sich noch jetzt immer vermehren.

Wenn so das Archiv zunächst mehr den Zwecken historischer Forschung als dem Bedürfniss der Stadtverwaltung gewidmet er- scheint, so gedenkt es sich letzterem doch keineswegs zu versagen und hofft in Zukunft, wenn einmal ein angemessenes Verhältniss zwischen ihm und der reponirten Registratur hergestellt sein wird, auch in praktischer Richtung nicht unerspriesslkhe Dienste zu leisten.

Wenn im Anfang dieser Bemerkungen , welche für heute nur zur Geschichte des ersten Theiles des Archivs, der Urkunden, ein- leiten sollen, gesagt war, dass die Geschichte desselben mit seiner ersten die Stadt Breslau angehenden Urkunde beginne , so ist diese Urkunde in der ältesten slavischen Zeit Breslaus noch nicht zu suchen; dasselbe wird erst mit seiner Neugründung als deutsche Stadt durch Herzog Boleslaw II., nach der Zerstörung der alten Stadt durch die Mongolen im Jahre 1211, ein mit Rechten ausge- stattetes Gemeinwesen. Eine Gründungsurkunde selbst ist nicht vorhanden, obwohl die Tliatsache durch das Zeugniss des Gründers, Herzog Boleslaw, der sich im Frühling des nächsten Jahres 1242 auf die locatio ciuilatis Wratizlauie quam iure Theutonico locauimus beruft, urkundlich sicher gestellt ist '). Es ist auch die Abfassung einer Gründungsurkunde nicht einmal wahrscheinlich; weder bei Brieg, noch Liegnitz, noch den meisten andern deutschen Städten existirt eine solche, obwohl sie in derselben Weise wie Breslau durch einen einmaligen Akt des Landesherrn als deutsche Städte gegründet worden sind. Auch die Gründung Briegs wird unmittelbar nach

') Breslauer Urkundenljiich , bearh. von G. Korn. I. Breslau 1870. n. 12.

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau.

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dem Geschehen ebenso beiläufig erwähnt wie die Breslaus1); und es wäre immerhin seltsam, dass sich in beiden Städten nicht wenigstens eine Abschrift erhalten hätte, wenn überhaupt ein Original vorhanden gewesen wäre. Zu erklären wäre dessen Verlust in Breslau höchstens durch die Annahme, dass die grosse Mittheilung des Magdeburger Rechtes von 1261, als eine Erweiterung des be- stehenden Rechtes, auch die Urkunden , die den bisherigen Zustand tixirt hatten, als nunmehr werthlos in Vergessenheit habe kommen lassen. Wahrscheinlicher aber ist, dass das Bedürfniss, den bis- herigen thatsächlichen Zustand auch rechtlich zu fixiren, erst 1261, vielleicht in Folge von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Herzog und der Bürgerschaft oder innerhalb dieser selbst, sich gel- tend gemacht hat, ähnlich wie es 1235 bei der kleineren Stadt Neumarkt geschehen war, das auch schon vorher als deutsche Stadt existirt hat8); in jedem Falle sind die Rechtsmittheilung der Magde- burger Schoppen und die von den Breslauer Herzögen Heinrich III. und Wladislaw mit einigen Zusätzen und Abänderungen gemachte Einführung derselben vom Jahre 1261 die ältesten Urkunden der Stadt, die vorhanden sind'). Ihnen schlössen sich nun in rascher Folge andere an, sowohl fernere Rechtssatzungen im engeren Sinne, als zumal Verleihungen der verschiedenen Gerechtsame an die Stadt, wie über den Handel und Gewerbebetrieb, die nach damaliger Rechtsanschauung von Natur ausschliesslich dem Grundherrn zu- standen und von diesem durch besondere Privilegien, und zwar meist gegen gutes Geld, erst der Bürgerschall verstattet wurden, über Fischerei, Mühlen, Weideplätze und andere Stadtgüter, über Verän- derungen, das heisst in der Regel Herabsetzungen von Steuern, Zöllen, Strafgeldern. Um neben der Domschule städtische Schulen errichten zu können, bedurfte es jedesmal der Erlaubniss seitens der geistlichen Gewalt u. s. w. Kurz diese Privilegien waren ja an sich der mannigfachsten Art. Dass ihre Obhut, sobald die Regie- rung der Stadt in die Hände eines Rathcs überging, einem oder mehreren Mitgliedern desselben anvertraut wurde, ist selbstverständ- lich, doch ist erst aus dem Ende des folgenden Jahrhunderts ein

') Korn n. 16 (1251).

■) Urkundensammlung zur Gesch. des Ursprungs der Städte etc. in Schle- sien und der Oberlausitz von G. A. Tzschoppe u. G. A. Stenzel. Hamburg 1832. n. XVI.

*) Gedr. Korn n. 20 u. 23.

Archl ralisclic Zeitschrift. III. 8

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114 Markgraf:

urkundlicher Beweis dafür beizubringen. Indem nämlich in den erst von 1386 ab erhaltenen Libri signaturarum et excessuum, in die alle vor dem Rath abgewickelten Rechtsgeschäfte eingetragen wurden, jedesmal auf einem pergamentnen Vorsetzblatt die Rathmannen des Jahres verzeichnet stehen, zugleich mit der Angabe, wie die Ge- schäfte unter sie vertheilt waren, finden sich regelmässig drei oder vier Mitglieder mit dem Vermerk: Habent claves ad privilegia. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies von Anfang an so gewesen ist, und ebenso, dass diese Privilegien auf dem Rathhause aufbe- wahrt wurden. Wenn in dem ältesten Privilegienbuche von einer Urkunde von 1310 gleichzeitig bemerkt wird, sie läge in cista civium, in der burger käste, so ist man zunächst geneigt, an einen Kasten in der Rathsstube zu denken, der die städtischen Gelder und Privi- legien einträchtiglich geborgen habe. Dagegen hören wir bei Ge- legenheit des grossen Aufstandes von 1418, dass die Aufrührer die königlichen Briefe aus dem „königlichen Kasten im Thurme44, den sie aufgehauen hatten, zum Theil zerrissen oder verschleppt haben. Es wird also damals, seit der Errichtung des neuen prächtigen Ralh- hauses in gothischem Stil, dessen Bau um die Mitte des 14. Jahr- hunderts begonnen ist , das Archiv nicht mehr in der Rathsstube des neuen Gebäudes, sondern im Rathhausthurm zu suchen sein. An irgend welche Ordnung innerhalb des Kastens kann schwerlich schon gedacht werden, von Signaturen war noch keine Rede; die Aufrührer rissen auch ganz beliebige, übrigens nicht viele Urkun- den heraus, die ihnen gerade zuerst in die Hände fielen.

Da sich frühzeitig das Bedürfniss herausstellte, die Privilegien zur Hand zu haben und man doch auf Schonung der Originalien Bedacht nehmen musste, so gelangte man zur Herstellung von Copial- büchern, libri privilegiorum. Das älteste, welches noch vorhanden ist, und das wohl zugleich das erste gewesen sein dürfte, ist bald nach 1306 angelegt. Es ist ein Pergamentcodex in kleinem Folio, der auf den ersten 18 Blättern von einer Hand sehr sorgfältig ge- schrieben 24 Privilegien mit rothen Ueberschriften, aber ohne Num- mern und ohne chronologische Reihenfolge enthält, von denen die jüngsten aus dem Jahre 1306 stammen. Von Fol. 18 b bis 21b folgen dann von anderer Hand 4 Privilegien von 1309 und 1310 und dahinter auf Fol. 22—23 noch 4 weitere von 1318, 1322 und 1323.

Sehen wir uns den Inhalt näher an, so ergibt sich, dass weder

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau.

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die erste grosse Rechtsmittheilung aus Magdeburg von 1261 , noch die Bestätigung von 1283, noch der Zusatz von 1295, noch Hein- richs III. Verordnung von 1263 in dem Buche verzeichnet sind, nur die oben schon erwähnte Urkunde der beiden Brüder Heinrich III. und Wladislaw von 1261, worin sie die für Breslau getroffenen Ab- änderungen an dem von Magdeburg gesandten Rechte mittheilen und dies somit einführen, ist aufgenommen; sie eröffnet die Samm- lung. Man schied also die Rechtssatzungen von den eigentlichen Privilegien, sie gaben Gelegenheit zu besonderer, eifriger und höchst interessanter Bearbeitung *).

Da im 14. Jahrhundert, wo das seit 1335 unmittelbar an die Krone Böhmen gefallene Breslau, namentlich unter Karls IV. kluger Regie- rung, sich mächtig hob, einerseits die Zahl der Privilegien wuchs und andererseits die Bürger den Wunsch empfanden, neben dem lateinischen Texte aucli eine deutsche Uebersetzung zu haben, so wurde 1350 die Anlage eines neuen, ebenfalls noch erhaltenen Pri- vilegienbuches beschlossen. Anno domini M°CCC° quinquagesimo translatus est iste liber de latino in lingwam theutonicam, sie quot unumquotque priuilegium per consequens suam habet exposicionem, primo igitur rescriptum priuilegium super theolonia etc. So lautet hinter dem Register auf Fol. 13 die Ueberschrift der ersten Urkunde; die darauf folgende Uebersetzung hat das Rubrum: Die wider schritt der hantuestin von dem czolle. Und so weiter dann bei allen fol- genden Urkunden. Da ihrer jetzt schon bedeutend mehr waren, so wurden sie oben auf dem Kopf der Seiten mit rothen Ziffern nu- merirt auch die Ueberschriften sind rolh und vorn ein Index darüber angelegt, der ziemlich ausführliche Regesten in lateinischer Sprache von jedem Privileg, sowie dessen Nummer enthält. No. 7, in der Herzog Heinrich IV. die Privilegien seiner Vorfahren bestätigt, die älteste der Privilegienbestätigungen, die sich nun bei jedem Re- gierungswechsel wiederholen und eine stattliche Anzahl bilden, wird als Flos omnium privilegiorum bezeichnet. Dass diesem zweiten Buche das erste zu Grunde liegt, wird aus der Wiederholung der in jenem beobachteten Reihenfolge klar, nur dass auch die erste Urkunde des ersten Buches über die Einführung des Magdeburger

') Vgl. hierüber die höchst verdienstliche Abhandlung von G. Bobertag: Die RechUhandschriften der Stadt Breslau in Band XIV der Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertbum Schlesiens. Hier findet sich auch noch Genaueres Aber die im folgenden besprochenen ältesten Privilegienböcher.

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IIb'

Markgraf:

Rechts noch weggelassen ist, aucli 5 andere fehlen noch. Während die erste Sammlung mit beiden Fortsetzungen doch nur 32 Num- mern zählte, enthält diese zweite Sammlung deren 109 von einer Hand geschrieben, und an diese sind ebenfalls noch im 14. Jahrh. 10 Nachträge von einer zweiten Hand angefügt worden; auch im folgenden Jahrhundert hat man das Buch fortgesetzt, doch mit Auf- gebung der deutschen Uebersetzung , die schon in der ersten Fort- setzung theilweis fehlt, obwohl der leergelassene Platz zeigt, das» ihre Einfügung beabsichtigt war. Von dieser zweiten Fortsetzung ist der Anfang von König Wenzel bis König Ladislaw, von 1404 bis 1455, sehr sauber von einer Hand, also auch erst nach dieser Zeit geschrieben, worauf dann gleich von anderer Hand Urkunden des Königs Matthias folgen, darunter auch eine sorgfältige, aber un- vollständige Abschrift der goldnen Bulle. Späterhin ist der Codex bis in die Zeit Rudolfs II. fortgesetzt worden. Er wird im 16. und 17. Jahrhundert sehr häufig citirt, beiläufig immer nach der Seiten- zahl und nie nach der Nummer der Urkunden, auch lässt sich aus dem Repertor von 1700 ersehen, dass das Buch, „welches die Herren Secretarii haben44, damals noch im amtlichen Gebrauch war. Den einen grossen Werth behält es bis au^ den heutigen Tag, dass es uns 10 Privilegien des 13. und 14. Jahrhunderts, die späterhin verloren gegangen sind, in ihrem Texte gerettet hat. Desgleichen gibt es die Versicherung, dass sonst nichts Werthvolles zu Grunde gegangen ist.

Die Zeit des oben schon erwähnten Königs Matthias Corvinus, dem sich Schlesien, Breslau voran, im Kampfe gegen Georg von Podiebrad schon 1469 in die Arme geworfen hatte, ist wie für die Ordnung des Regimentes, so auch für die der Urkunden, auf die sich Recht und Ordnung gründeten, von Wichtigkeit geworden; ihr verdankt das älteste Urkundenreperlorium , der Liber bueulatus, wahrscheinlich von den Buckeln des Einbandes so genannt, seine Entstehung. Ausdrücklich vom König berichtet wird zwar nur die Anordnung einer Revision der Privilegien über die Landgüter des Fürstenthums, aber da die Anlegung des Repertoriums der städti- schen Urkunden in der Zeit genau mit dieser Revision der ländlichen Privilegien zusammenfallt, so wird auch hierfür eine Einwirkung des Königs anzunehmen sein. Das Buch gibt in der auf der Rückseite des zweiten Blattes dem Anfang gegenüberstehenden Notiz über sich selbst folgende Auskunft:

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau.

117

A. d. 1484 prudentes honestique domini consules vnanimi do- minorum scabinorum accedente consilio pro ciuitatis tocius principatus Wratislauiensis incolarum quocunque eorundem comodo ac profectu vberiori decreuerunt omnium priuilegiorum nec non literarum ad ciuitatem et capitaneatum ') spectancium debitam fieri ordinacionem, qua affuturis temporibus damnis obuiari et ciuitas apud jura sua firmius posset conseruari. Ad quam quidem ordinacionem fiendam prefati domini consules ac scabini honestos ac circumspeetos viros Petrum Crebili Nicolaum Tinczmann consules, Vitconem La wen bürg scabinum et Bartholomeum Buchwald pro tunc camere notarium statuerunt, qui operosa circumspectionis diligencia prehabita singulis seorsum perlectis vniuscujuscunque tenoris effectum clausulatim secundum litterarum sema in modum «fui sequitur fideliter ordi- narunt.

Litere enim capitales rubee secundum ordinem alphabeti in superiori margine locate numerum signant ladularum, in quibus priuilegia modo quo supra dislinctim sunt ordinata Numerus vero in margine desupra positus numerum denotat privilegiorum, quo quodlibet seorsum est notatum.

Hieraus ergibt sich also, dass der Inhalt des Archivs in ein- zelne ladulae, d. h. Schubladen oder Schubkasten vertheilt und diese je mil einem Buchstaben signirt waren: die Urkunden trugen als Bezeichnung diesen Buchstaben und die laufende Nummer in dem Kasten. Bei der Vertheilung in die Schubkasten war zunächst die Herkunft der Privilegien von ihren Ausstellern massgebend ge- wesen, im Uebrigen ohne gar zu ängstliche Consequenz. A und B enthielten die Privilegien der alten Breslauer Herzöge, B hauptsäch- lich die auf das Recht bezüglichen, C päpstliche Bullen, D war für die Briefe des ersten böhmischen Königs Johann bestimmt, E und F für Karl IV., G für Wenzel, H. für Sigismund, J für Albrecht. K für Ladislaw, L für Matthias, den derzeitigen Regenten, M sollte wohl ursprünglich die auf die Schulen , Kirchen und Klöster bezüg- lichen Urkunden aufnehmen, es kamen aber bald fremdartige Dinge in grosser Anzahl hinzu, von N ab wird das Einlheilungsprincip immer undurchsichtiger. P etwa scheint für Vidimus bestimmt ge-

') Die Landeshauptmannschaft über das Fürsten! hum Breslau hat der Batli schon im 14. Jahrhundert einige Male, dann den grfissten Theil des 15.. im ganzen 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis 1630 gehabt.

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Markgraf :

wesen zu sein, die sieh der Rath in der Regel von den Aebten zum Sande und zu St. Vincenz ausstellen Hess, R für die Briefe der böhmischen Könige in Geldangelegenheiten, S für Georg von Podie- brad, dem man oben in der Reihe der Könige keinen Platz gegönnt hat, weil sich die Stadt ihm thatsächlich nie unterworfen hat, in V sind meistens Schöppenbriefe , in Z Zinsbriefe. Die ladulae reichten schon damals bis Z, wobei U, V und W als ein Buchstabe gerechnet wurden, so dass also 23 ladulae waren. Innerhalb der- selben waren die Urkunden offenbar numerirt, wie sie dem Ordner gerade in die Hände gekommen waren, ohne eine sachliche oder chronologische Reihenfolge ZU beobachten. Als dann die Commission zur Redaction des Repertors schritt, konnte sie sich mit dieser Will- kür doch nicht befreunden, sondern beschloss die Urkunden inner- halb jedes Kastens in chronologischer Reihenfolge mit Angabe der links vorn an den Rand gesetzten Nummern zu verzeichnen und kurze Regesten in deutscher Sprache zu geben. Obwohl nun der Widerspruch dieser Ordnung mit der Numerirun^r der Urkunden die Ansicht hervorrufen kann , dass letztere in eine frühere Zeit als die Abfassung des über bueulatus fallt, so geht doch einmal aus der Ver- theilung der ladulae hervor, dass sie erst unter König Matthias, dem noch der Buchstabe L gewidmet ist, entstanden sein kann, und dann spricht auch die Fassung der oben mitgetheilten Vorbemerkung durchaus da- für, dass Peter Crebil und seine Genossen in der Commission die ganze Arbeit, sowohl die Signirung wie die Repertorisirung besorgt haben.

Allem Anschein nach war schon vor dieser Zeit die Obhut und oberste Verwaltung an die Kammer, bez. den Kämmerer übertragen worden. Die Angaben derjenigen, qui claves habent ad privilegia, reichen bis 1438. Von einer Reform der Stadtverwaltung in die- sem Jahre ist sonst Nichts bekannt; der Kämmerer kommt schon früher vor, soweit es die Signaturbücher angeben, seit 1400; er gehört im Anfang zu denen, qui claves habent ad sigilla. Von 1439 ab, wo die Stadt bücher oder libri excessuum et signaturarum die Vertheilung der Schlüssel nicht mehr angeben, wird in der Regel neben dem Senior oder Landeshauptmann nur noch der Kämmerer mit seiner besonderen Function erwähnt, ein Zeichen für die gestei- gerte Bedeutung dieses Amtes, das denn auch längere Zeit in den Händen derselben Person bleibt und mit der Zeit überhaupt feste Inhaber erhält; auch das Amt des zweiten oder Unterkämmerers, der zu den Schoppen gehörte, wurde bald ein ständiges. Die Be-

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau.

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deutung der Privilegien als Werthgegenstände vom höchsten Range lässt ihre Verbindung mit der Kammer als sehr natürlich erscheinen ; und so ist der Commission von 1484 auch nicht einer der beiden Stadtschreiber, welche die Akten und Bücher der laufenden Verwal- tung führten, sondern der Kammerschreiber Bartholomäus Buchwald beigegeben; er wird der Verfasser, wenigstens der Schreiber des über bueulatus gewesen sein. Damit war denn auch die Unterbringung der Privilegien in einem besonderen, der Kammer bequem gelegenen Lokale angezeigt, und es liegt die Annahme sehr nahe, dass der hübsche Erkerthurm an der Südostecke des Rathhauses, wenn nicht geradezu zu diesem Zwecke gebaut, so doch von Anfang an dazu verwendet worden ist. Dass dieser Bau 1471 begonnen ist, erwähnt Eschenloer ; aus dem Umstände, dass auf einer Console seiner Süd- fac,ade das Wappen des Lukas Eisenreich angebracht ist, der von 1475 1486 Senior und Landeshauptmann war, ergibt sich, dass er sich bis in dessen Zeit hingezogen hat, ja der Schlussstein des Ge- wölbes trägt sogar das Wappen des erst nach Matthias 1490 zur Regierung gelangenden Königs Wladislaw; doch könnte das aus Courtoisie nachträglich angebracht sein. Dieses Erkergemach ist nur von dem Lokal der alten Rentkammer aus zugänglich und eignete sich deshalb vorzüglich zum Archivraum , als welcher er im 16. Jahrhundert sicher nachzuweisen ist, und um so weniger zu andern Dingen. Die prächtigen Teppichmalereien der Wände, die erst die Renovation von 1862 unnützer Weise zerstört hat, und die früher an den Wänden stehenden niedrigen Schränke mit hübscher Maserung oder eingelegter Arbeit und nach dem Alphabet geordneten Schub- laden, in denen die Urkunden bis zu ihrer Unterbringung in die Stadtbibliolhek gelegen haben, sind allerdings Werke des 16. Jahr- hunderls gewesen; doch kann der Raum deshalb recht wohl schon in früherer Zeit und unmittelbar nach seiner Herstellung die Urkun- den in ähnlichen einfacheren Laden aufbewahrt haben. Die Existenz von solchen setzt doch die ganze Anlage des über bueulatus voraus, wenn auch nicht mit gleichmässig grossen Schubkästen, wenigstens ist der In- halt der einzelnen Buchstaben nach dem Umfang sehr verschieden. Wenn daneben auch Schachteln, Mesten, Kapseln u. s. w. erwähnt werden, so können dieselben immerhin als einzelne Nummern innerhalb der Schubladen gelegen haben; auch sonst zeigt sich, dass einzelne Nummern ganze Packete von zusammengehörigen Urkunden enthielten. Daneben mag noch Manches auch ausserhalb der Laden herum gestanden haben.

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Der Archivraum war also nur ein Ausbau der Rentkammer und zwar der Schatzkammer selbst, die nach Westen zu in die eigentliche Kämmerei, das jetzige Amtszimmer des Oberbürgermeisters führte, deshalb auch später in den Repertorien als die Mittel kammer bezeichnet wird. Diese Räume stiessen andrerseits an die alte Rath- hauskapelle, den jetzigen Fürstensaal, der ganze übrige Theil des Oberstocks des Rathhauses bildete die prächtige grosse Halle.

Aus dieser Verbindung der Privilegien, für die der Name Stadt- archivum zum ersten Male im Jahr 1700 erwähnt wird , mit der Kämmerei ergibt sich nun zugleich ihre Trennung von den Doku- menten der laufenden Verwaltung, den Stadtbüchern im allgemein- sten Sinne des Worts, und den sich dazu gesellenden Urkunden, Correspondenzen und Akten. Diese bildeten vielmehr die Stadt- kanzlei, auch cancellaria senatus, und standen unter den Stadtschrei- bern, die in ihrem Amtseide die Führung der Stadlbücher nach ihrem besten Vermögen gelobten. Das Lokal der Kanzlei befand sich im Erdgeschoss, unmittelbar neben der alten Rathsstube nach dem Hofe heraus, also dem Rathe immer zur Hand, und die Kanzlei- sachen, namentlich die Bücher, waren auch zum grössten Theil in den schönen Wandschränken untergebracht, die die Wände der Rathsstube noch jetzt etwa in halber Höhe bekleiden. Die Xoth- wendigkeit einer Scheidung der abgethanen und der noch laufenden Sachen führte schon im 16. Jahrhundert die Eintheilung in die alte und neue Kanzlei herbei, und da machte es sich mit der Zeit that- sächlich, dass man die Urkunden der alten Kanzlei allmählich ins Archiv herübernahm und dieses seine ursprüngliche Bestimmung als Sammlung der Privilegien allmählich erweiterte. Andere Sachen kamen in die Registratur, die schon im 16. Jahrhundert erwähnt wird, und die im 17. Jahrhundert das Zimmer neben der westlichen Thür des Rathhauses einnahm. Auch ihr Inhalt ist in neuerer Zeit theilweis in das Archiv gewandert, soweit er nicht früher zu Grunde gegangen war.

Um nun zu den Privilegien zurückzukehren, so haben dieselben in ihrem Erker, dessen sorgfältige Hütung schon die später dafür gebrauchte Bezeichnung als sanetum sanetorum andeutet, fast 400 Jahre ein ruhiges und gesichertes Dasein genossen, und diesem gün- stigen Umstände ist es zuzuschreiben, dass doch verhältnissmässig wenig Stücke verloren gegangen sind. Auch die alte Ordnung der Commission von 1484 ist beibehalten und weiter geführt worden

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Die späteren Ordner sind allerdings noch weniger ängstlich gewesen als die früheren und haben die mittlerweile hinzugekommenen Urkunden oft da hineingestopft, wo sie gerade noch leeren Platz fanden, wo- durch denn die Ordnung immer mehr an Uebersichtlichkeit verlor. Daneben legte man sehr bald neue gleichartige Schubladen an, die man mit dem doppelten Alphabet bezeichnete, also AA für die Ur- kunden des nächsten Königs Wladislaw; in BB fanden zunächst die Briefe aus der Reformationszeit, in CC wieder die päpstlichen Bullen und Breven aus dem grossen Streit der Stadt mit dem König Georg Podiebrad Platz, die in der Reformationszeit ein erneutes Interesse erregten, vermuthlich weil sie zeigten, wie sehr die Stadt vor noch gar nicht langer Zeit dem heiligen Stuhle ergeben gewesen war; und dann so weiter.

Das amtliche Exemplar des liber bueulatus, ein schöner sorg- fältig geschriebener Pergamentband, ist unter König Wladislaw noch mit einigen Nachträgen zum einfachen Alphabet versehen worden; den noch sehr ansehnlichen leeren Raum hat man von 1504 ab zur Anlegung eines neuen Privilegienbuches benützt, das sich etwa an die Fortsetzung des oben erwähnten zweiten Privilegien buches als neue Fortsetzung anschliesst, mit den Colowratischen Verträgen von 1504, welche die Stellung der Geistlichkeit zur Stadt und zum Lande regeln, beginnt und bis 1613 in chronologischer Ordnung, aber mit sehr ungleicher Sorgfalt weiter geführt ist. Daneben hat sich auch das Concepl auf Papier erhalten, und auch dieses gewährt Interesse, weil es bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts fortgesetzt ist und so am deutlichsten die eben besprochene Weiterentwicklung des Archivs erkennen lässt. So sieht man z. B. dass AA 1491, also gleich beim Beginn der Regierung Wladislaws, BB aber erst 1515 begonnen worden ist.

Das nächste Repertorium, ein Pergament band mit starken Holz- deckeln, von denen der vordere die Jahreszahl 1527 trägt, geht dann schon bis EE. Diese tepitome dyplomatum civitatis Wratislavie« ist das erste eigentliche Inventarium , ohne Rücksicht auf ein chrono- logisches oder anderes Princip, wie es der liber bueulatus hatte, ebenfalls mit deutschen Inhaltsangaben, die im Anfang sehr ausführ- lich sind, dann aber immer dürftiger werden. Der Verfasser, der sich nirgends genannt hat, und den aus der Handschrift zu ermitteln noch nicht gelungen ist, hat sowohl ein Concept auf Papier, wie eine Abschrift auf Pergament geliefert, deren Bestimmung zum öllentlichen

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Gebrauch die am Rande befindlichen Handhaben zur Aufsuchung der einzelnen Buchstaben, sowie die abgegriffenen Ecken bekunden. Er hat auch gleichzeitig, wie die erste 1527 gemachte Eintragung beweist, einen systematischen Index zu den Privilegien begonnen, von dem nur noch das Goncept auf Papier vorhanden ist. Aber obwohl man seinen Arbeiten die Vertrautheit mit ihrem Gegenstande überall ansieht, machen sie doch wegen ihrer schlechten und kaum leserlichen Schrift und der ungleithmässigen Behandlung, namentlich in den späteren bis zur Mitte des Jahrhunderts sich hinziehenden Nachträgen, den Eindruck der Liederlichkeit, was um so mehr zu bedauern ist, als die Untersuchung der späteren Repertorien heraus- stellt, dass sie alle auf das seinige zurückgehen.

Das 16. Jahrhundert bekundet sonst eine sehr lebhafte Pflege der städtischen Urkunden. Es war einmal die Zeit, wo gegenüber der mächtig auftretenden und zugreifenden Fürstengewalt, deren erster Vertreter in Schlesien schon König Matthias Corvinus gewesen war, die Stadt ihre hergebrachten Rechte zu sichern eifrig beflissen sein musste ; schon lange war es Sitte, dass bei einem Thronwechsel die Huldigung der Stadt einerseits und die Bestätigung ihrer Privi- legien durch den neuen Herrscher andrerseits Zug um Zug erfolgte. Aber schon Peter Grebil, das Haupt jener Commission von 1484, dessen Verdienste bei Besprechung der Rechtsbücher des Weiteren hervorzuheben sind, hatte den kleinmüthigen Ausspruch gethan: Legen herren priuilegien her, wenne der herre genadig ist, so sind die priuilegia nuteze vnd gut, wil der landis herre abir vngenadig sein, so sint sy wenig nuteze, dorumbe mus man vfte dem landis- hern gebin vnde sich demüttiglich dinstlich irczeigen, vff das man recht vnd priuilegia behalden mag in genade. Die folgenden schwa- chen Regierungen der Könige Wladislaw und Ludwig waren nun allerdings der Selbständigkeit der Stadt günstiger, die Privilegien mehrten sich fort und fort. Schon stand der Rath 1524 mit dem Doctor beider Rechte Johann Taubenhain aus Luckau über die Frage in Verbindung, ob es vortheilhaft sei, und wie man es anstelle, vom König die Erlaubniss zu erhalten, »das wir einen conseruatorem priuilegiorum kysen vnd setzen möchten« 1). Sicherlich war dabei an einen des immer einflussreicher werdenden römischen Rechtes kundigen Juristen, einen Dr. juris utriusque, gedacht; zur Ausführung

') Stenzel, Scriptores rerum Silesiacarum 111., 285.

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ist die Sache nicht gekommen. Wohl aber erscheinen bald darauf Juristen im Dienste der Stadt, der erste Stadtschreiber oder notarius wird zum Syndicus, zum rechtsgelehrten Beistand, wenn auch nicht Mitglied des Raths. Der Uebergang Schlesiens an das Haus Habs- burg nach dem Tode des letzten Böhmenkönigs 1526 war auch nach dieser Richtung hin einflussreich. Wieweit auch die Habsburger späterhin in den auf die Herstellung eines modernen Staatswesens abzielenden Bestrebungen hinter anderen Dynastien zurückgeblieben sind, ebenso weit waren sie doch im Anfang ihren Vorgängern auf dem böhmischen Throne überlegen. Ferdinand l zeigt in der Regie- rung der ihm angefallenen Lande einen entschiedenen modern- monarchischen Zug, entsprechend jener Antwort, die er 1527 den die Bestätigung ihrer Privilegien nachsuchenden Görlitzern gab, indem er sich an die Brust schlug und ausrief: Wir sein euer Schutz').

Mit der Nothwendigkeit, den neuen Ansprüchen der Krone gegen- über die alten Privilegien wohl zu kennen, verband sich nun andererseits ein gleichzeitig mit der Reformation erwachendes, theils durch sie, theils durch den Humanismus erwecktes historisches Interesse an der Ent- wicklung der Stadt, die trotz aller Zwischenfälle immer noch eine aufsteigende war, und deren Rath durch die mit ebenso viel Be- sonnenheit wie Kraft durchgeführte Reformation ein eigentümlich gesteigertes Bewusstsein seiner obrigkeitlichen Würde gewonnen hatte. Es repen sich hier wie anderwärts die Anfänge gelehrter Geschichtsschreibung.

Der Zweck unserer Untersuchung gestattet nur auf einen dieser Männer einzugehen, Franz Koekeritz, gewöhnlich Faber genannt, der am Ende des 15. Jahrhunderts zu Ottmachau bei Neisse geboren war und 1542 am 11. Juni aus dem Schweidnitzer Stadt Schreiberamt in das Breslauer übertrat, das er 23 Jahre lang verwaltet hat. Seine erste Arbeit, zunächst wohl zur eignen Belehrung angelegt, war ein alphabetisches Sachregister, nicht nur zu den Privilegien, sondern auch zu den wichtigsten amtlichen Stadtbüchern, das also lehren sollte, an welchen Orten man über eine die Angelegenheiten der Stadt betreffende Frage das nöthige Material finden könne, eine sorg- faltig angelegte und sauber ausgeführte, noch jetzt nicht ohne Nutzen zu befragende Arbeit. Das in ziemlich desolaten Zustand gekommene Concept ist undatirt, die sehr schön geschriebene und gut gehaltene

■) Script, rer. Lusat. IV. 102.

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Abschrift, übrigens beide von Fabers eigner leicht kenntlicher Hand geschrieben, als Privilegiorum Index bezeichnet, trägt das Datum 1549. Gleichzeitig damit schrieb er den ofllciellen Rathskatalog, den Liber consulura, der 1289 beginnt, ab und versah seine Abschrift mit chronicalischen Notizen. Den Anstoss zu weiteren Arbeiten gab 1554 die seitens des Königs Ferdinand erfolgende Anstellung des Friedrich von Redern auf Ruppersdorf zum Vizthum oder Verwalter der Regalien und namentlich der Einkünfte des gesammten Landes Schlesien eine Stelle, die übrigens nach vier Jahren wieder auf- gehoben und durch die Errichtung einer königlichen Kammer ersetzt wurde. Im Interesse seiner fiscalischen Pläne veranlasste Redern sofort eine gründliche Revision sämmtlicher Privilegien und benahm sich dabei nach Fabers Anschauung, die auch durch anderweitige Nachrichten unterstützt wird, ziemlich »gehässig« gegen die Stadt: er hätte am liebsten, klagt Faber, alle Privilegien »in einen Haufen gestossen«. Einen besonderen Argwohn und Hass erregte er bei- läufig auch durch das Project, den Umfang der von den Mauern ein- geschlossenen Stadt zu messen; er setzte aber seinen Willen durch, und es zeigte sich, dass Breslau 6510 und Wien nur 6041 Bres- lau also 468 Wiener Ellen mehr mass als Wien. Um gegen seine Ansprüche die pergamentnen Gründe gehörig ins Feld führen zu können, Hess Faber die alten Bücher, wie den Liber buculatus und den Liber privilegiorum neu einbinden und legte selbst nicht nur eine systematische Sammlung der Privilegien , abweichend von den früheren und weit vollständiger an, sondern erhielt auch vom Rath den Auftrag »obbemeldte der Stadt Priuilegia, wie die von den aldten fürsten künigen vnd kaisern von au fang vnd aussatzung der Stadt, von iar zu iar, allergenedigist verliehen vnd gegeben, damit diese Stadt, als von trewen vetern von rauher wurtzel erhaben, orden- liche austzüge dauon tzu uerfassen. Welches ich in derselben eyle aus schuldigen pflichten nach vermuegen treulichen gethan, in massen wie derselbe austzug zu Augspurg den 31. Marcii im 1555. iare der Ro. Ko. Mait durch die ehrenuesten vnd hochgelarten herren Stephan Hewgel, Albertum Sawermann vnd doctorem Andream Hertwig, die zeit ewern gesandten, vberantwort vnd von irer Ro. Ko. Mait mit genedigstern wolgefallen angenommen vnd verlesen worden«. Das erste Concept Fabers zu dieser Arbeit steckt jetzt in einem Misch- bande des Archivs mit viel neueren Sachen zusammen. Es ist ein chronologisches Privilegienverzeichniss mit annalistischen Nachrichten

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verziert, so dass es das Aussehen einer Chronik gewinnt, von 1200 bis 1532 reichend. Das Abbrechen bei diesem Jahre ist nicht zu motiviren und gilt wohl auch nur für dieses Concept. Faber legte unmittelbar darauf ein neues Buch über die Zeit des regierenden Königs Ferdinand an, mit seiner Wahl zum böhmischen König be- ginnend, wobei alle auf diese Wahl und auf das Wahlrecht der böh- mischen Krone überhaupt bezüglichen Urkunden mitgetheilt werden, dann ausführlich bis zum Jahr 1555 reichend und von da ab später mit den Ereignissen weiterschreitend, eine documentirte Geschichte seiner Zeit. Auch arbeitete er noch in demselben Jahre bei grösserer Müsse das für den Kaiser geschriebene Buch um, erweiterte es durch Zusätze, namentlich durch eine bis zu den ältesten Nachrichten über Schlesien und seine Bewohner hinaufreichende gelehrte Einleitung und arbeitete das Ende mit der erwähnten ausführlichen Geschichte Ferdinands zusammen, und so entstand die später gewöhnlich unter dem Namen Origines Vratislavienses bekannte Chronik, die sehr vielfach abgeschrieben, fortgesetzt und andern Chroniken zu Grunde gelegt wor- den ist. Die Stadtbibliothek enthält allein 6 Exemplare davon. Noch ist im Archiv das prachtvolle für den Rath gefertigte Exemplar vor- handen, von Faber selbst bezeichnet als Chronicon der Stadt Bres- lau Privilegion: Wie die Slesia in viel fürstenthümer zurteilet, von F'olan an die Cron Behaim khommen vnd was sich beifellig tzuge- tragen vngefehrliche verczeichnus. Die Innenseite des Deckels ist mit dem auf eine Messingplatte geätzten neuen Wappen geziert, welches König Ferdinand am 12. März 1530 der Stadt gegeben und Kaiser Karl am 10. Juli desselben Jahres bestätigt hatte. Trotzdem bricht das Buch im Jahre 1547 plötzlich ab und lässt noch gegen 100 prachtvolle grosse Pergamentblätter leer.

Gleiche den kunstfreudigen und patriotisch stolzen Sinn der da- maligen Bürgerschaft bekundende Pracht verwandte man auch auf die Herstellung eines neuen Liber privilegiorum, der zwar nirgends Franz Fabers Namen nennt, aber deutlich genug durch seine Be- schaffenheit sich als ein Werk desselben bekundet. Er ist leider ein noch unvollständigerer Torso geblieben als das erwähnte Chronicon, da es indess einen neuen Einband aus diesem Jahrhundert trägt, so bleibt zweifelhaft, wieviel davon erst durch die Ungunst der Zeiten verloren gegangen ist. Der erste Theil enthält eine Abschrift des alten liber privilegiorum von 1350, von ihm sind aber nur noch 4 Blätter vorhanden, der zweite Theil enthält die zweite Fortsetzung

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jenes über privilegiorum mit einigen Vermehrungen und geht bis 1528, wo er mitten in einem Privilegium Ferdinands I. abbricht. Beide Theile sind offenbar neben einander geschrieben worden, denn der zweite besteht aus 12 Sexternen, die mit den Buchstaben A bis M gleichzeitig numerirt sind, zählte also für sich, ebenso der erste Theil. Die Handschrift deutet allerdings für beide Theile auf den- selben Schreiber. Bei Herstellung des neuen Einbandes ist diese Einrichtung des Buches nicht beachtet oder nicht verstanden wor- den, denn es ist der Anfang des ersten Theiles hinler das Ende des zweiten gebunden.

Neben dieser doch mehr oder weniger chronologisch geordneten Privilegiensammlung wurde auch Fabers oben erwähnte systema- tische Sammlung eifrig fortgesetzt. Ob er selbst daran noch weiter gearbeitet hat, ist nicht ersichtlich, sein Handexemplar ist nicht mehr vorhanden, und das officielle Exemplar zeigt keine Nachträge. Die bedeutend erweiterte Sammlung ist erst nach seinem Tode zu einem neuen von der Hand des als Schönschreiber und Schreiblehrer wohl- bekannten Bonaventura Rösler sehr sorgfältig und schön, doch auf Papier geschriebenen Codex gediehen, mit der Ueberschrifl : Gemeine Contir- mationes derer Privilegien, so die alden Fürsten und Hertzogen in Schlesien vnd folgend Rom. Kaiser u. Könige, Auch Kö. zu Behem etc. der Stadt Breslau verlihen und gegeben. Die erste Rubrik, die all- gemeinen Privilegienbestätigungen, hat Bonaventura Rösler bis zu der Maximilians II. von 1567 uno tenore geschrieben, die folgenden hat ein zweiter Schreiber Namens Fuhrmann erst 1771 hinzugefügt bis auf die Karls VI. Auf diese erste Rubrik folgen nun zehn andere über die Erbvogtei und das Gerichtswesen, die Rathskur, Fürsten- thums-Canzlei u. s. w. nach einem Eintheilungsprincip, das seinem Urheber hoffentlich praktischer erschienen ist, als es uns jetzt dün- ken will. In jeder Rubrik ist Platz für Nachträge gelassen, und ein alphabetisches Register schliesst das Ganze. Das Prachtexemplar ist nicht mit Nachträgen versehen worden, dagegen ist im 17. Jahr- hundert eine Abschrift davon angelegt und mit unbedeutenden Zu- sätzen vermehrt worden.

Um von Fabers anderweitiger Thätigkeit für die städtische Kanzlei an diesem Ort zu schweigen, sei nur noch erwähnt, dass ihm wahrscheinlich die Einrichtung des ersten Liber Magnus zu ver- danken ist, doch mit der Beschränkung, dass er ein solches am Ende des 14. Jahrhunderts angelegtes, im 15. Jahrhundert fortgeführtes, aber

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zu seiner Zeit, sei es durch blosse Sorglosigkeit oder durch einen Unglücksfall grossentheils zerstörtes Buch vorfand, die Reste dessel- ben sammelte und neu einbinden Hess, wobei denn freilich die chronologische Ordnung durch den ehrsamen Buchbinder arg ver- wahrlost wurde. Dieses Buch wurde darauf von ihm und seinen Nachfolgern als Memorial zur abschrifllichen Eintragung aller wich- tigen Privilegien, Verträge, Beschlüsse, Bestallungen u. s. w. benützt, und es ist so eine Reihe von 10 Libri Magni entstanden, deren letz- tes erst 1837 begonnen ist und mit dem Kaufvertrage zwischen dem Magistrat und dem Militärfiscus über die städtischen Kasernen vom 13., resp. 17. Januar 1866 etwa in seiner Mitte abschliesst. Es ist bei Uebersiedlung des Stadtarchivs in die Stadtbibliothek mit den älteren Bänden zusammen herübergekommen und dann natürlich nicht mehr weiter geführt worden.

Noch bei Lebzeiten Fabers er starb 1565 wurde auch ein Privilegienbuch über die der Stadt gehörigen Landgüter angelegt. Von den Herren Albrecht Sauermann und Jacob Schachmann als derzeitigen Verwaltern der Landgüter ausgehend, wurde es von dem Kanzleischreiber Johann Sturm 1563 verfertigt und am 13. Juli dieses Jahres abgeschlossen. Die Güter sind alphabetisch, die darauf bezüglichen Urkunden chronologisch geordnet, am Ende ist jedesmal das Jahreseinkommen von 1562 angegeben.

Die letzte grosse Arbeit des 16. Jahrhunderts in dieser Richtung fand 1577 statt, bei Gelegenheit der Ankunft des Kaisers Rudolf II. in Breslau und der durch ihn erfolgten Privilegienbestätigung. „Auf befhelich vnd Verordnung eines Erbarn Raths der Stadt Breslaw haben die Edlen Erenuesten herr Hanns Puecher vnd herr Adam Rhödinger beide Camrer vnd Andreas Reuss Secretari, im Aprili des verflossenen 1577 Jahres Gemainer Stadt priuilegia reuidiret vnd dieselben nachvolgender gelegenhait befunden." Noch ist sowohl das Concept des Stadtschreibers Andreas Reuss, der Fabers Nachfolger war, als die amtliche Prachtabschrift vorhanden. Diese Arl>eit ist wie die Epilome dyplomatum von 1527 ein regelrechtes Inventar und beruht auf dieser. Wenn sie bei den fehlenden Stücken, deren Anzahl doch schon bedauerlich gross ist, sich gelegentlich beruft: non est in libro neque in cista (scatulis, ladulis), so ist der liber eben die epitome, die regelmässig diese Nummern ausgelassen hat, ohne darüber etwas anzugeben. Dass die Stücke aber früher da- gewesen sind, lässt sich bei den meisten aus der mit den Nacht rä-

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gen versehenen Papierhandschrift des Uber buculatus erkennen, die dadurch wieder ein neues Interesse gewinnt. Wie sehr das Repertor von 1577 auf dem von 1527 beruht, zeigt sicli darin, dass es nur soweit geht wie dieses, nämlich bis EK 43, in der Fassung der Inhalts- angaben, die gleichmässig kurz gehalten sind, ist es dagegen selb- ständig.

Zu der Revision der Privilegien, die 1577 staltgefunden hatte, kam 1579 auch eine Revision der Kanzlei, und deren Ergebniss bildet dann den zweiten Theil des Repertors, mit der Ueberschrift : Reuision eines Erbarn Raths vnd Gemainer Stadt alte vnd neue Stadt Cantzlei, wie die auff befhelich eines Erbarn Raths durch Andream Reussen Secretarium im Monat Martio vnd Aprili ditz 1579. Jahres sortiret worden vnd also itzo zu befinden ist. Der Anfang, wohl eben die alte Kantzlei, war auch hier in derselben Weise geordnet wie das Archiv, und zwar schon seit längerer Zeit, trotzdem war man nur von A bis E gekommen. Die übrigen Sachen waren auch nicht alle in Laden oder Schränken aufbewahrt, sondern in Schachteln, die frei auf den Repositorien umherstanden, und deren wohl gegen 200 gewesen sein müssen.

In dem nun folgenden 17. Jahrhundert mit seinem religiösen Druck , den Kriegsunruhen , dem Verfall der mächtigen und hoch- gebildeten Geschlechter, die die Stadt im 16. Jahrhundert gelenkt hatten , begegnet uns bis unmittelbar vor seinem Schlüsse auch nicht eine grössere Arbeit über das Archiv. Erst im Jahre 1699 unter dem Präsidium des Hans Sigismund von Ilaunold, >nachdem man vvahrgenomben und erfahren, das* hiesiges Stadtarchiven und die darinnen befindlichen Privilegia wie auch andere Schriftliche Uhrkunden seyder Anno Christi 1572 (dies ist ein Versehen für 1577, wie sich aus dem Vorhergehenden ergibt) bis anhero in zimliche Confusion verfallen«, nahmen die beiden Stadtkämmerer Magnus Antonius von Götz und Georg von Seidel eine gründliche Revision vor und brachten Alles wieder in Ordnung, so dass der Haupttheil in die alten Schubladen im Sanctum Sanctorum und die übrigen Documente in die Almer in der Mittelkammer unter gewisse Nummern gebracht wurden. Dass das damals neu angelegte Repertor übrigens nach Pergament, Schrift und Einband ein neues Prachtstück wieder auf das von 1577 zurückgeht und nach ihm gearbeitet ist, ergibt sich auf den ersten Blick. Es verzeichnet dieselben Lücken wie jenes und leider noch mehr, nur an einigen Stellen hat es die Lücken mit

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anderen Stücken willkürlich ausgefüllt. Den in jenem hinter EE angehäuften Inhalt der cista vel ladulae cancellariae hat es jetzt unter FF untergebracht und mancherlei aus dem 17. Jahrhundert hinzugethan, daran sehliessen sich dann unter GG eine Menge Briefe über Geldleistungen an die Krone aus dem 16. und 17. Jahrhundert, und so geht es dann weiter bis JJ. Vollkommen deckt sich freilich der Inhalt der Kanzlei mit diesen Buchstaben nicht, doch ist vieles davon später in die folgenden Buchstaben aufgenommen, so dass nicht gar viel verloren gegangen scheint. Dem Buche geht folgendes Promemoria voran: Demnach billig vorzusorgen , dass diese mit grosser Mühe unter häuffig eingeschlucktem Staub eingetragene Privi- legien und Dokumente nicht irgendt baldt wiederumb von sammen kommen und zerstreuet werden, Bitten wir künftige Herren Succes- sores Camerae gantz verdinsllich vermögenden Orthes eyfrig darob zu seyn, womit die etwa nöthige Brieffliche Uhrkunden nicht allein unter gewissen Bekändtnuss Zetteln ausgeantwortet , sondern auch richtig wieder eingeliefert und zu Vermeidung aller Unordnung in eben dieselbe Schubladen dem darauf gezeichneten Alphabeth nach, wohlbedächtig eingel»>get und also unser Labor a Confusione befreyet bleiben möge.

Das ist denn auch wohl im Grossen und Ganzen geschehen. Was sie verzeichnet haben, scheint zum allergrössten Theil noch erhalten, auch ist ihr Buch noch bis in dieses Jahrhundert hinein mit Nachträgen und Zusätzen versehen worden. Es war übrigens noch nicht die letzte Arbeit der vorpreussischen Zeit. Gleichzeitig mit ihr wurde noch einmal eine Privilegiensammlung angelegt: Privilegia primo a ducibus Silesiae, postea a serenissimis legibus Bohemiae civitati Wratislaviensi clementissime concessa. Sie ist nicht eine blosse Abschrift des alten Privilegienbuchs, sondern eine selb- ständige, vollständigere und bis auf einige durch Unkenntniss ver- schuldete Abweichungen streng chronologisch geordnete, mit deutschen Ueberschriften bei jeder Urkunde versehene und bis zum Jahre 1694 in einem Tenor schön auf Papier geschriebene Sammlung. Als dann die Ereignisse des Jahres 1741 eintraten, und König Friedrich die Stadt am 10. August zur Aufgebung der ursprünglich bewilligten Neutralität und zur Huldigung für ihn zwang, beeilte sich der Rath zwei Tage später, den König um die bisher übliche Privilegien- bestätigung zu bitten, und liess zu dem Zweck die eben besprochene Sammlung bis zur Privilegienbestätigung Karls VI. vervollständigen,

AnhivHlischc Zeitschrift. III.

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wie sich aus den Fol. 1059 untergesetzten Schlußworten erkennen lässt: Wir Director Praeses und Rath der Stadt Bresslau bekennen und thun kund öffentlich hiermit vor Jedermänniglieh : Dass wir vorherstehende Copeyen der hiesigen Stadt Bresslau von denen Glorwürdigsten Beherrschern des Hertzogthurns Schlesien allermildest verliehenen Privilegien mit denen wahren Originalibus von Wort zu Wort mit allem Fleiss collationiret und solche mit denenselbten in allem vnd jeden gleichstimmig, auch an Unterschriaen, Sigillis und Pergament gantz richtig befunden haben.

Zu Uhrkund dessen haben wir unser der Stadt Insiegel hierauf drucken lassen. So geschehen den vierzehenden Monats Tag Octobris nach Christi Geburth im 1741. Jahre.

So ist also die Sammlung bereits von dem neuen preussischen Rathsdirector, den der König an Stelle des bis dahin die Versamm- lung thatsächlich leitenden ersten Syndicus ernannt hatte, unter- schrieben. Der König befahl seinem Feld-Kriegs-Commissariat, ihm über den Inhalt der Privilegien zu berichten, und da diese ihm unter dem 3. November meldeten, dass Nichts darin sei, was seinen Souveränitätsrechten entgegenlaufe, und dass die Hauptsachen, wie das Recht eigener Garnison nur auf der Gonnivenz des Wiener Hofes beruht habe, so erfolgte unter dem 29. December 1741 von Berlin aus die erbetene Bestätigung, jedoch mit Reservation aller landes- herrlichen Hoheitsrechte. Während Karls VI. Urkunde ein ganzes Buch in rothem Sarnmteinband und 28 Pergamentblättern in Folio einnimmt, beschränkt sich die Friedrichs auf 4 Pergamentblätter, von denen 2 als Umschlag dienen. Später ist von den preussischen Königen eine eigentliche Privilegienbestätigung in feierlicher Form nicht mehr ertheilt worden. Friedrich Wilhelm II. begnügte sich mit folgenden Zeilen auf einem schwarzgeränderten Briefbogen in Quart: Sr. Königlichen Majestät von Preussen, Unser allergnädigster Herr wollen der hiesigen getreuen Bürgerschaft den fernem Genuss ihrer zeitherigen Vorrechte und Privilegien, besonders in Ansehung der Enrollements Freiheit, wie sie solche dermahlen besessen, bestätigen: und haben dieselbe, auf ihre, unterm 12. dieses über- gebene Bittschrift hierdurch benachrichtigen wollen. Breslau den 14. October, 1786. Friedrich Wilhelm.

In gleicher Weise auch noch Friedrich Wilhelm III. unter dem Datum Charlottenburg den 10. Juli 1798. Die spätere Umge- staltung des Staatswesens liess dann auch dieses aufhören.

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Auch das Archiv sollte bald erfahren, dass mit der neuen Regierung ein neuer Geist eingezogen sei. Wie wenig Werth der König auf die alten Pergamente legen mochte, sein Trieb Alles zu regeln und in Ordnung zu bringen, erstreckte sich gleichwohl auch auf sie. Er befahl im Jahre 174(5 der Kriegs- und Doniänenkammer eine Revision derselben. War es Bosheit oder Unkenntniss der beiden Stadtkämmerer, und es waren doch keine geringeren als Friedrich Wilhelm von Sommersberg, der Herausgeber der Scriptores rerum Silesiacarum, und Christian Gottlieb von Riemer, Sohn des hochverdienten Syndicus Daniel Riemer von Riemberg, sie erklärten dem mit der Revision beauftragten Kammersecretär und Registrat or Goldemer von einem Reperlorium Nichts zu wissen, und es blieb diesem vorbehalten, das oben erwähnte Repertor von 1577 in einer Schublade selbst zu entdecken, das von 1700 kam gar nicht zum Vorschein. Die Kriegs- und Domanenkammer war darüber sehr un- willig und verlangte unter dem 12. Mai 1747 durch den Rath eine bestimmte Erklärung von ihnen, was sie von diesem Repertor wüsslen, und ob nicht ein neueres und vollständigeres da sei, >massen, wie sie richtig hinzufügte, »ausser einer solchen Anweisung der Gebrauch des Archivs von wenigem Nutzen sein würde« ; endlich verlangte sie auch eidliche Auskunft von allen Mitgliedern und Dienern des Raths über die bei der Revision als fehlend constatirten Stücke nebst Vorschlägen, wie das Repertor von 1577 completirt, und wie es in Zukunft mit der Ordnung des Archivs gehalten werden solle, wobei sie auch eine Trennung des eigentlichen Archivs von den zu den ordinären Registraturen gehörigen Papieren in Er- wägung zu ziehen gab. Ueber den Erfolg dieser Verfügung zu berichten fehlt es an Material, doch liegt das vom Sekretär Goldemer gefertigte kurze Inventar vor. Signirt waren die Schubladen darnach bis KK, doch lagen ausserdem noch eine grosse Anzahl von Archi- valien in anderen Kasten und Schachteln vor, die man sich vor- läufig mit Kreide zu signiren begnügte.

Die Sache dürfte wohl damit als erledigt betrachtet worden sein. Die bei weitem grosse Mehrzahl der alten Urkunden hatte keinen praktischen Werth mehr, man lebte in einer neuen Zeit mit neuen Ansprüchen und neuen Rechtsgewohnheiten, die Freiheiten der Stadt waren jetzt ungebührlich beschränkt. Erst dem wissen- schaftlichen Interesse an der Vergangenheit der Vaterstadt war es vorbehalten, sie zu neuem Leben zu erwecken, und ein gütiges

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Geschick führte ihnen noch vor Ablauf des Jahrhunderts den Mann zu, der mit der begeistertsten Liebe zu seiner Vaterstadt den rast- losesten Fleiss und namentlich eine bewundernswerthe Geduld im Schreiben verband, Samuel Benjamin Klose, geboren den 27. April 1734, seit 1765 Rector der Schule zum heiligen Geist, den Verfasser der documentirten Geschichte von Breslau In Briefen, von der 1781 1783 hier bei G. W. Korn 5 Bände erschienen, die bis 1526 reichen. Weshalb die völlig ausgearbeitete Fortsetzung bis zum Tode Maximilians II. im Jahre 1576 nicht mehr erschienen ist, bleibt dunkel; vielleicht war es ihr weitläufiger Umfang, der den Ver- leger zurücktreten Hess, denn es könnte diese zweite Hälfte wohl noch 5 andere Bände füllen. Dieser Misserfolg schreckte Klose aber nicht ab; er widmete nach wie vor seine unermüdliche Arbeitskraft der Durchforschung des ihm zur Disposition gestellten Archivs, und als der Rath auf die darin herrschende Verwirrung im Jahre 17iJl bei Gelegenheit verlangter Nachweisung des tituli posessionis der der Stadt gehörigen Landgüter aufmerksam wurde, und ihm unter dem 24. Juni in Gemeinschaft mit dem Registraturassistenten Job. Kar) Roppan eine neue Registrirung des Archivs auftrug, ging er noch am Abend seines Lebens an diese umfassende Arbeit. Sie wurde allerdings nicht durch die systematische Ordnung der Urkunden »in gewisse Hauptabteilungen« und Herstellung eines »vollständigen Realregisters« wichtig, wie es die rathhäusliche Instruction vorschrieb, sondern vielmehr durch Aufnahme aller historisch wichtigen Sachen, die in den verschiedenen Registraturlokalen, im Leiliatnte u. s. w. herumlagen, ins Archiv, dessen Umfang dadurch erheblich vergrössert wurde. An der alten , wenn nicht durch ihre VortrelTlichkeit , so doch durch ihr Alter geheiligten Ordnung änderte er Nichts, er nahm aber durchweg selbständige Regesten über jede Urkunde auf und führte das Repcrtorium durch das doppelte Alphabet ganz hin- durch bis zu n. 55 des dreifachen G. Im Ganzen beläuft sich die Zahl der in dem dreibändigen Repertorium verzeichneten Urkunden auf etwa 10,000. So gut es eben gehen wollte, und offenbar je nachdem er die zusammengehörigen Sachen auch beisammen vorfand, hat er dabei eine systematische Ordnung befolgt, in LEE und FFF hat er über 3000 Schreiben der habsburgischen Könige an die Stadt von Ferdinand I. bis zu Karl VI. in chronologischer Reihenfolge verzeichnet. Im Jahre 1796 hat er dann noch einen vierten Band angelegt, der zuerst unter JJJ sämmtliche auf die Niederlassung der

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau. 133

Jesuiten hierselbst bezügliche Correspondenzen in sehr ausführlichen Auszügen, die sich oft zu vollständigen Abschriften erweitern, im Ganzen 334 Nummern, und dann unter MMM und NNN noch gegen 1000 Urkunden über den Handel, die Niederlage, die Zölle, die Juden und die Kaufmannschaft der Stadt enthält. Die dazwischen liegen- den Buchstaben auszufüllen, hat ihn sein am 18. September 1798 plötzlich erfolgender Tod gehindert.

Blieb so seine Arbeit unvollständig und verscherzte sich sogar ' durch die bei seinem Tode in seiner Wohnung noch vorgefundene grosse Menge ungeordneter Papiere beim Magistrate die ihr mit Recht gebührende Würdigung, so fand auch sein unter dem 6. Juli 1795 gemachter Vorschlag, ihm einen jungen und der lateinischen Sprache kundigen Mann zu adjungiren, den er zum Stadtarchivar wissen- schaftlich heranbilden könne, ein Hinderniss in der Person des er- wähnten Registraturassistenten Roppan, der aus Liebhaberei die Stelle eines Archivars verwaltete. Derselbe war allerdings ein grosser Freund der schlesischen Geschichte und Sammler einer namentlich an Silesiacis reichen Bibliothek, doch ohne eigentliche Fachbildung und schriftstellerische Begabung. Während Klose diejenigen Urkun- den verzeichnet halte, die man damals als zum eigentlichen oder Hauptarchiv gehörig und von unbedingtem Einfluss auf das Staats- oder öffentliche Wohl betrachtete, war Roppan 1791 die Ordnung der weniger in diesem als im rein historischen Sinne noch wichti- gen Schriften übertragen worden. Er verzeichnete also die int Repertorio von 1577 zuerst erwähnten, damals in der eichenen Almer befindlichen 38 Schachteln mit Urkunden, die namentlich für die Geschichte des 15. Jahrhunderts wichtig sind und unter anderm die ganze Correspondenz der Stadt mit der römischen Kurie zur Zeit des Königs Georg Podiebrad enthalten. Dazu fügte er noch andere schon früher aufgefundene Schachteln oder Kasten mit Urkunden, - so dass er die Zahl derselben in seinem Repertorium auf 51 mit etwa 2000 Urkunden gebracht hat. Dieselben sind mit den Num- mern der Schachteln und innerhalb derselben mit den Buchstaben des Alphabets, also umgekehrt wie im alten Archiv und bei Klose bezeichnet, was bei den grossen und vollen Schachteln ziemlich schwerfallig wird, wie denn beiläufig No. 26 bis zum siebenfachen Alphabet kommt. Die Regesten sind ausführlich und zweckmässig.

Trotz beider Arbeiten blieb noch ein stattlicher Rest übrig, auf den man bei einer 183 t vorgenommenen Revision des Archivs

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Markgraf:

wieder «aufmerksam wurde. Der um die schlesische Geschichte bereits durch einige kleinere Arbeiten verdiente Stadtrath Dr. Christian Friedrich Paritius übernahm es, für die noch nicht verzeich- neten Stücke ein neues Repertorium anzulegen, und vollendete die durch seine Kränklichkeit mehrfach unterbrochene aber sorgsam ausge- führte Arbeit am 25. März 1835. Die registrirten Stücke wurden in einem im Vorgemach des Archivs befindlichen Wandschrank in 11 Schubladen untergebracht und mit doppelten Nummern, nach der Schublade und der Stückzahl innerhalb derselben, versehen; es sind ihrer gegen 1000, hauptsächlich dem 16. und 17. Jahrhundert angehörig, für die Besitzverhältnisse der Breslauer vornehmen Familien in dieser Zeit von hohem Interesse, doch kommen auch andere ältere und politisch wichtige Stücke vor.

Kurze Zeit darauf wurden aus der Aktenkammer die älteren Dokumente, Rescripte u. s. w. ausgesondert und dem Rathskanz- listen Scheinig übergeben. So entsteht 1837 das letzte der bekannten Repertorien, ebenso wie die vorhergehenden nach seinem Verfasser bezeichnet, über 4300 fortlaufend numerirte Stücke in sehr dürf- tigen Regesten enthaltend, von denen die meisten Correspondenzen des 17. und in geringerer Anzahl des 16. und 18. Jahrhunderts enthalten. Mitten darunter finden sich auch recht werthvolle Stücke des Mittelalters, namentlich Bücher, wie die ältesten Hand- werksstatuten, die Rcgistra exaecionis von 1403 und 1404, das Concept zum Liber bueulalus u. s. w. Die meisten dieser älteren Stücke hat Klose zur Zeit, als er seine Breslauer Geschichte schrieb, gekannt und benützt, einige werthvollc Sachen sind leider noch als seit 1837 verloren gegangen zu beklagen. Glücklicherweise haben sich dafür andere seit Jahrhunderten vermisste Stücke neuerdings wiedergefunden, so z. B. in einem Packet, das bei Klose's Tode, von ihm noch nicht durchgesehen, in seinem Nachlass verblieben und dann in andere Hände gekommen war, und das vor 20 Jahren mit vielen anderen Sachen erst wieder zurückgekauft werden musste, die schon 1527 nicht mehr am richtigen Orte befindlich gewesene S2, die Privilegienbestätigung des Königs Georg Podiebrad, die einzige, die in der langen Reihe der Privilegienbestätigungen überall fehlt.

Die Verwaltung des Archivs ist in dem Jahrhundert seit 1741 keine gleichmässige mehr gewesen. Wann die oberste Aufsicht von den Kämmerern auf den Syndicus übergegangen ist, ergibt sich aus den Archivakten nicht mehr, es mag bei der 1748 erfolgten Reor-

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Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau.

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^ranisation der rathhäuslichen Verwaltung geschehen sein, jedenfalls war es 1791 und in der Folgezeit der Fall. Die eigentliche Verwal- tung fiel einem Registraturbeamten zu, den Liebhaberei und Ver- ständniss für alte Papiere gerade qualificirt erscheinen Hessen. Seit 1855 kam sie ein Jahrzehnt lang in die Hände des Assessors Linden- berg. Auch er fand noch mehrere Tausend Urkunden, namentlich vom Rath in Verwesung der Hauptmannschaft über das Fürsten- thum ausgestellt, eine grosse Menge Schöppenbriefe und endlich Correspondenzen aus den letzten Jahrhunderten vor, es gebrach ihm indess an stätiger Arbeitskraft, um ein Repertorium darüber abzu- fassen, das sich denen seiner Vorgänger würdig zur Seite stellen kann. Auch das ihm ebenso wie seiner Zeit Klosen instructions- mässig auferlegte Generalregister über sämmtliche Urkunden war er natürlich nicht zu leisten im Stande, doch hat er zu den Repertorien von Klose, Roppan, Paritius und Scheinig gesonderte alphabetische Register angefertigt, die in Ermangelung besserer immerhin von grossem Werthe sind.

Lindenberg erlebte noch 1865 die Uebersiedlung des Stadt- archivs in das von 1860 bis 1865 neu errichtete Stadthaus und die Verbindung desselben mit der den ersten Stock des Stadthauses einnehmenden Stadtbibliothek. Damit wurde auch die Verwaltung beider Institute eine gemeinschaftliche, zunächst und bis zum 31. März 1876 unter der Leitung des Dr. Friedrich Pfeiffer und seit dessen Er- nennung zum ordentlichen Professor in Kiel unter der des Verfassers dieser Breslauer Archivgeschichte. Die gewaltige Arbeit, welche die Auf- stellung, Ordnung und von Grund aus neue Katalogisirung der über 200,000 Bände und Hefte zählenden Stadtbibliothek beanspruchte, gestattete ihm nicht, dem Archiv ebenfalls grosse Thätigkeitzu widmen. Die Urkunden wurden in äusserlich hübscher aussehenden als innerlich praktischen, namentlich viel zu hohen Schränken in der alten Ordnung untergebracht, sodass sie im Fall der Nachfrage bequem gefunden werden konnten. An die Fortführung der alten oder Anlegung neuer Repertorien konnte noch nicht gegangen werden, sie sollen aber in nächster Zeit in Angriff genommen werden, da die Herstellung des gebundenen alphabe- tischen Katalogs der Bibliothek voraussichtlich noch im laufenden Etats- jahr zu Ende geführt und alsdann Zeit für archivalische Arbeiten ge- wonnen werden wird. Zettelregesten sind so gut wie gar nicht vorhanden.

Dagegen hat sich Dr. Pfeiffer ein besonderes Verdienst dadurch

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Markgraf:

erworben, dass er die Hospitäler und Innungen der Stadt wenigsten? zum Theil bewogen hat, ihre Urkunden an das Stadtarchiv abzu- liefern, wo sie zunächst vor den Gefahren der Witterung und sorg- loser Behandlung geschützter ruhen und in hoffentlich nicht zu langer Zeit verzeichnet und somit brauchbar gemacht werden sollen. Der darunter befindliche Stiftungsbrief des Hospitals zum heiligen Geist von 1214 ist jetzt die älteste Originalurkunde, welche das Stadt- archiv besitzt. Auf diese Weise haben sich noch mehrere Tausend Urkunden zu den alten Schätzen des Archivs hinzugesellt, und wenn zum Schlüsse ein Ueberschlag über die Gesammtmasse der Urkunden gegeben werden soll, deren Begriff dabei allerdings durch die Hinein- ziehung der Correspondenzen des 16. 18. Jahrhunderts sehr erweitert ist, so ergeben sich also für die 4 Bände des Repertoriums Klose über 11,000 Stück, für Roppan etwa 2000, für Paritius etwa 1000, für Scheinig über 4300, für die Lindenberg'schen Nachträge und das, was sich noch nach ihm vorgefunden hat, etwa 8000, und endlich für die Hospitäler und Innungen etwa 5000, also doch im Ganzen über 30,000 Stück. Und sollten einst auch die evangelischen Kir- chen sich der für sie wenig nutzbaren Urkundenschätze entledigen wollen, so lassen die von dem 1867 verstorbenen Propst Schmeidler für die Kirchen zu St. Elisabet und St. Maria Magdalena verfassten Repertorien, die das Stadtarchiv schon besitzt, darauf schliessen, dass diese Zahl sich noch um 2 bis 3 Tausend vermehren dürfte.

Demgegenüber sind freilich auch erhebliche,* erst in dem letzten Jahrhundert entstandene Lücken zu beklagen ; so ist z. B. ein grosser Theil der Jesuitica völlig verschwunden; so weist auch ein Katalog von Lindenberg in den andern Theilen des Repertoriums Klose schlimme Verluste nach, aber im Ganzen genommen bleibt das zusammenfassende Ergebniss dessen was sich erhalten hat, nament- lich wenn man die von dieser Betrachtung noch ausgeschlossenen weit über 1000 Folianten zählenden Bücher hinzurechnet, in denen sich die Verwaltungsgeschichte der Stadt durch etwa 4 Jahrhunderte hindurch abspiegelt, doch in der Menge wie in dem Werthe über die Erwartung gross und gibt dem Stadtarchiv billig das Recht, sich ebenbürtig neben die schöne und seit alter Zeit her berühmte Stadt- bibliothek zu stellen und dieselbe Fürsorge der städtischen Behörden zu beanspruchen, deren sich die Stadtbibliothek seit länger als einem Jahr- zehnt in so liberaler Weise erfreut. Es wird dadurch, wie unsere Dar- stellung gezeigt hat, nur in dem Sinne der Vorfahren fortgefahren werden.

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VII. Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark.

Von

P. Jacob W ichner,

Stiftsarchivar uml Bibliothekar zu Admont

Während so viele Klöster, mit denen Oestreichs lachende Fluren ehemals besäet waren, den Anschauungen und Stürmen der neuen Zeit zum Opfer fielen in Steiermark waren es mehr als dreissig an der Zahl hatten einige, sei es in Würdigung ihrer Leistungen oder durch Verwendung mächtiger Gönner, Gnade gefunden und die Aufhebungs- periode überlebt. Zu diesen zählt die Benedictinerabtei Admont an der Erms im steirischen Oberlande. Schon früher nicht unbekannt wurde der Ort seit der Eröffnung der Kronprinz-Rudolph-Bahn Ziel- punkt zahlreicher Ausflüge. Und in der Thal, wenn nicht schon das Stift mit seiner herrlichen Bibliothek und seinem gothischen Dome eines Besuches werth wäre, würde die Natur, welche alle ihre Heize über das Thal verschwenderisch ausgegossen hat, eine zauberisc he Gewalt ausüben. Eine andere Lorelei scheint sich in diesem Thale ihr Heim gesucht zu haben, und aus jeder Felsenspalte, aus jedem Waldesdickicht blickt ihr lockendes Antlitz.

Doch hier reden wir nicht von landschaftlichen Schönheiten, sondern nur vom Admonter Archiv, und da ich mich als Führer durch dasselbe anbiete, muss ich mich wohl selbst erst vorstellen. Da komme ich mir in Gesellschaft von Historikern und Archivaren vor, wie Saul unter den Propheten. Mein Bewusstsein sagt mir: »Du bist kein eigentlicher Fachmann; dir fehlen alle diplomatischen Vor- studien; du hast ja erst, als der erste Schnee auf deinem Haupte sich zu lagern begann, mit schüchterner Hand den Vorhang zu

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P. J. Wichner:

lüften versucht, der die Pforte zum Heiligthum der Wissenschaft verbirgt. c Wenn ich aber bedenke, dass bei einem Monumentalbaue nicht nur Meister und Künstler, sondern auch untergeordnete Werk- leute sich thätig erweisen, so erscheint auch derjenige, welcher zum Tempelbaue historischer Forschung brauchbare Bausteine sammelt, zurechtlegt und hier und da einfügt, auf freundlichen Empfang rechnen zu dürfen.

Der Stand, welchen ich mit freier Wahl ergriff", war der geist- liche im Orden des h. Benedict, und die mir von meinen Oberen zugewiesene Wirkenssphäre war die Seelsorge, in welcher ich mehr als 18 Jahre, mitunter in den abgelegensten Gebirgsschluchten, zu- brachte. Wohl fühlte ich mich schon frühzeitig angeregt, die Ge- schichte meines engeren Vaterlandes Steiermark kennen zu lernen, und als ich das Ordenskleid angezogen hatte, machte ich meine ersten historischen Versuche, indem ich Chroniken von Admonter Pfarren verfasste. Den Stoff schöpfte ich dazu meist aus Druck- werken. An Quellen waren mir nur die Pfarrmatrikeln und einzelne Urkunden und Aklen zugänglich. Wohl wusste ich um die Existenz eines Stiftsarchives zu Admont, allein es gab für einen Landkaplan, von dem man in damaliger Zeit kein ernstliches historisches Forschen erwartete, der Schwierigkeiten zu viele, welche sich der Benützung des Archives entgegenstellten. Als ich im Winter 1859 1860 einige Monate zu Admont zubrachte, betrat ich einige Male das Archiv, an der Hand des strengen und sehr zugeknöpften Archivars, um einige Bände der Archidiakonatsakten in Empfang zu nehmen oder zurück zu bringen. Der Aufenthalt in diesem ehrwürdigen Räume dauerte jedesmal nur einige Minuten, und vor meiner Erinnerung schweben bloss noch bestaubte Aktenbündel und Bullen und Siegel, die man nachlässig hier und dort herabhängen Hess.

Damals wurde mir freigestellt, auch die Ordnung des Archives zu übernehmen, allein ich sollte auch Kanzleidirektor werden. Dazu fehlte es mir an Lust und überdies würde es mir schwer gefallen sein, der Seelsorge Valet zu sagen. Ich machte einen Gegenvorschlag, man möge mir die Leitung des Archives und der Bibliothek über- tragen. Ich war und bin der Ansicht, dass beide Institute sich gegenseitig ergänzen, und dass das Wirken eines Archivars sich fruchtbringender gestaltet, wenn ihm die reichen Hilfsmittel der Bibliothek ohne Beschränkung jeder Zeit zu Gebote stehen. Auch sind in Admont in den Handschriften und auf den Innendeckeln

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Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark.

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der Incunabeln der Stiflsbibliothek zahlreiche Urkunden eingeklebt und historische Notizen eingetragen. Viele solcher Handschriften hätte man ihrem Inhalte nach in's Archiv einreihen müssen. Mein Antrag sollte sich aber erst in diesem Jahre 1878 erfüllen: achtzehn Jahre früher wurde er abgelehnt, und ich ging aufs Land zurück.

Im Jahre 1870 aber, als ich Pfarrer zu Ardning war, überfiel mich ein Herz- und Nervenleiden, welches mich für die Anstren- gungen der Seelsorge unfähig und die Rückkehr in das Stift zur unabweisbaren Notwendigkeit machte. Hier hatte sich aber Vieles geändert. Der schreckliche Brand vom 27. April 1865 hatte nicht nur einen Theil des Marktfleckens vernichtet, auch das Stiftsgebäude sammt der Kirche, die naturhislorischen und Kunstsammlungen (mit Ausnahme der Bibliothek) waren eine Beute des wüthenden Elementes geworden. Das Hauptarchiv ging zu Grunde, ohne dass das Geringste davon geborgen werden konnte. Dasselbe fing erst am zweiten Tage zu brennen an ; entweder hatte man bei dem grossen Unglücke den Kopf verloren, oder im Vertrauen auf die Feuersicher- heit des Lokales sich nicht weiter um das Archiv bekümmert ' das Unheil war nun einmal geschehen. Dass dieser Verlust von mir und meinen Mitbrüdern tief bedauert wurde, bedarf keiner Ver- sicherung.

Nur ein Trost war uns geblieben. Was man sonst als unzweck- mässig anerkennt, nämlich die Zersplitterung der Archivalien in verschiedenen von einander entlegenen Räumen, war in unserem Falle ein Glück zu nennen. Wurde doch dadurch wenigstens ein Theil des werthvollen Schatzes erhalten und konnte als Grundstock bei Organisirung eines neuen Archives verwerlhet werden. Es bestanden nämlich neben dem abgebrannten Hauptarchive zwei kleinere, das Prälatur- oder K apellen archi v und das Thurm- archiv. Wir werden auf Beide zurückkommen, und möge hiereine gedrängte Ucbersicht der Entwicklung des admontischen Archiv- wesens vorausgeschickt werden.

Es war natürlich, dass bei einer Körperschaft, deren Wirksam- keit sich nicht auf die engen Thalmarken der Enns beschränkte, sondern deren Grund- und Gültenbesitz, durch Schenkung und An- kauf bis in das 16. Jahrhundert stätig vermehrt, über ganz Steier- mark, auf Kärnten, Ober- und Niederöstreich , Salzburg, Tirol, Friaul und Bayern sich ausdehnte, im Laufe der Zeit eine Menge von Urkunden und Akten sich anhäufen musste. In den ersten

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Jahrhunderten nach Gründung der Abtei, welche 1074 erfolgte, wurden die schriftlichen Rechtsbehelfe neben den Kirchenkleinoden im Sagrer (Sakristei) hinterlegt und waren der Obhut des Güsters (custos) anvertraut. Für Admont haben wir darüber einen directen historischen Beleg. Als Erzbischor Eberhard II. von Salzburg 1202 die Schenkung der Pfarre Jahring an das Stift erneuerte, erwähnt er ausdrücklich, dass das Original des ersten Donationsbriefes im Sacrarium des Blasienmünsfers aufbehalten sei. »Exemplum quidcm actionis hujus seu traditionis a domino Ghunrado seniore archiepi- scopo quondam factae chyrographum ipsius praesulis sigillo munitum et in sacra rio praefati monasterii repositum.« Darin findet auch die Thatsache Erklärung, dass häufig, anfangs sogar in der Regel, der Güster, als Hüter der Dokumente, die Gerechtsame des Klosters vor der Gerichtsschranne vertreten mussle. Aber auch die sorgfäl- tigste Verwahrung der Membrane konnte nicht empfindlichen Ver- . lusten vorbeugen und das Heiligthum der Kirche war keine Schutz- wehr gegen List und Gewalt. So ist die Stiftlingsurkunde Admonts bei den wiederholten Einfallen des Aftererzbischofs Berthold von Moosburg und des gewaltthätigen Grafen Adalbero des Rauhen zwischen 1078 und 1090 verloren gegangen

Schon im 14. Jahrhundert beginnen auf der Rückseite admon- tischer Urkunden Signaturen in rother Farbe (grosse Buchstaben und römische Ziffern); bei einigen findet sich das Regest verzeichnet, z. B : »Vmb ein chrieg zwischen Alrams ouz dem Steinach vnd dez gotshaus«, ein Beweis, dass eine systematische Beschreibung und Ein- reihung der Pergamente Platz gegriffen hatte. Wahrscheinlich war dieser erste Ordnungsplan ein Verdienst des Abtes Ekhard (1327 bis 1338), aus dessen Regierungszeit auch ein noch vorhandenes Urbar herstammt. Im 15. und IG. Jahrhundert pflegten die Aebte selbst, oder deren Anwälte und Sekretäre die Aufsicht über die Archivalien zu handhaben, welche unter dem Abte Valentin (1545 bis 1568) in »Truhen« verschlossen waren. Abt Mathias Preininger (1615 bis 1628), welcher Kirche und Klostergebäude neu herstellte,

') Dass das heim Stiftsbiande abhanden gekommene und bislang als Stifl- brief angesehene Dokument nur ein um 11Ü0" zusammengestelltes und vom Erz- bisebof Conrad I. gesiegeltes Gflterverzeichniss gewesen sei, habe ich in meiner »Geschichte d. Bened. Stiftes Admont ...«!, 32. 38. 233 nachgewiesen. Auch Zahn »Urkunden buch des Herzogthums Steiermark« I. 95 bekennt sich zur gleichen Ansicht.

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Ein wiedererstandenes Klostcrarchiv in Steiermark. 141

Hess im nördlichen Münsterthurnie ein Lokal für das Archiv ein- richten. Im Jahre 1659 nahm P. Christof Schmuek 744 der wich- tigsten Urkunden in ein von ihm verfasstes Copialbuch auf. Abt Adalbert Heufler von Rasen Hess 1690 durch den Conventualen Anselm Luerzer ein Inventar des Archivs aufnehmen, dabei klebte Dieser kleine Zettel mit neuen Signaturen und Regesten auf die Urkunden. Damals war es auch, dass ein Theil des Archivbestandes, besonders Archidiakonats- und Pfarrakten1), in die Prälatur über- tragen wurde, wo er das Kapellenarchiv bildete. Als Archivare sind ausser Schmuek und Luerzer noch bekannt: Michael Seiz (1751), Isingrin Haslinger (1785) und Edmund Prandstetter (f 1810). Unter dem Abte Benno (1823—1861) waren Bibliothek und Archiv unter einer Leitung. Zwei der verdienstvollsten Männer, Albert von Muchar und Urban Ecker, standen beiden Instituten vor. Muchars Name hat guten Klang in den Kreisen der Historiker; Ecker glänzte nicht vor der Welt, aber er hat vielseitige Spuren seines Fleisses und reichen Wissens hinterlassen. Vor dem Stifts- brande bekleidete P. Barnabas Mauer die Stelle eines Archivars.

Ueberhaupt hat es in der Admonter Brüdergemeinde nie an Männern gefehlt, welche der historischen Wissenschaft einen Theil ihrer Kräfte zuwandten und mit Vorliebe das Feld der Haus- geschichte bearbeiteten. Das Chronicon Admontense (Codex 501 der Bibliothek), die zwei Codices praediorum oder Grundbücher, die Libri traditionum oder Salbücher II., III. und IV. dem 12. und 13. Jahrhundert angehörig, haben einheimische Verfasser.

Das Salbuch I. enthielt die Series abbatum und eine Stifts- geschichte und wurde um 1580 von dem Admonter Mönche Theo- dosius Lang geschrieben. Alle diese Handschriften sind mit Ausnahme des Codex 501 verbrannt. Die Bibliothekshandschrift 475 (saec. XIII.) enthält zahlreiche Urkundenabschriften. Aus dem 15. Jahrhundert ist ein metrischer Aebtekatalog zu nennen, welcher mit dem Tode des Abtes Hartnid (1413) abschliesst. P. Modest Puterer (f 1559) schrieb eine kurzgefasste Ordensgeschichle. Annalen des Stiftes wurden von Benedikt Hammerschall (f 1657\ Michael Seiz (f 1714) und Bonifaz Kuchler (f 1744) hinterlassen. Von Carlmann Vierholz stammt ein Aufsatz »Ortus et progressiv monasterii Admontensis«.

«) Von im bis 1784 fuiiKirten die Aebte von Admout als Archidiakone im Erms-, Palten- und Liesingthale.

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In neuerer Zeit haben Albert von Muchar, Dr. Richard Peinlich, Dr. Gregor Fuchs und Florian Kinnast Erhebliches für die Geschichte des Landes und des Stiftes geleistet.

Den Inhalt des Hauptarchivs vor dem Brande auch nur in allgemeinen Umrissen zu schildern, hat seine Schwierigkeit, weil auch alle Repertorien und Inventare des Urkunden-, Handschriften- und Aktenbestandes in Verlust gerathen sind. Soviel steht aber fest, dass das Hauptarchiv, was den Werth und die Fülle des Ma- tcriales betrifft, manches grosse Landesarchiv übertroffen hat. Die älteste Urkunde dürfte das Confirmationsdiplom des Papstes Pascal II. von 1105 gewesen sein. Ich will es versuchen, auf Grundlage ver- lässlicher Aufzeichnungen die wichtigsten Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts zu verzeichnen. An Bestätigungs- und Gnadenbriefen waren vorhanden jene von Innocenz II. (1139), Lucius II. (1144), Alexander III. (1171), Lucius III. (,1185), Urban III. (1187), Inno- cenz IV. (1247). (Ausserdem noch sieben Urkunden) : von Innocenz III. (1210), Gregor IX. (1230), Alexander IV. (1255, 2 Urk.), Urban IV. (1262), Clemens IV. (1265, 5 Urk.), Nicolaus IV. (1291, 2 Urk.), - Majestätsdiplomc der Kaiser und Könige von Friedrich I. (1184. 1189), Heinrich VI. (1194), Otto IV. (1209), Friedrich II. (1135), Rudolf I. (1276. 1281. 1290), Ottocar von Böhmen (1267. 1270). Die Traun- gauer fanden ihre Vertretung durch Herzog Ottocar VIII. (circa 1180. 1186), die Babenberger durch Heinrich II. (1169), Leopold den Glorreichen (1196. 1227), und Friedrich den Streitbaren (1242). und die habsburgischen Herzoge durch Albrechl I. (1283. 1284. 1290). Wenn wir diesen erlauchten Namen noch Salzburgs Ober- hirten Conrad I., II. und IV., Eberhard I. und II., Adalbert III., Friedrich II. und Rudolf, die Grafen von Görz, Andechs, Wasser- burg und Abensberg anreihen, lässt sich der Werth des leider unwiederbringlich Verlorenen ermessen.

Die Aebtesiegel reichten bis zum Abte Isinnk (1186) zurück, welcher Zeit auch die erste von einem Admonterabte ausgestellte (noch vor dem Brande erhaltene) Urkunde angehörte. Frühere Aebte- urkunden, obwohl nachweisbar ausgestellt, waren schon längst dem Zahne der Zeit verfallen.

An eigentlichen Handschriften sind ausser den schon genannten Sal- und Grundbüchern und den Chroniken die zwei älteren Todten- bücher (Signatur C 543 und 544), dem 12. und 13. Jahrhundert zugehörig, und ein Direktorium antiquissimum Admontense (C 381)

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Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark.

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als verloren zu beklagen. Aus den zwei Nekrologien hat Pez Scriptores II. 199-209 Excerpte geliefert. Das Directorium habe ich in meiner Stiftsgeschichte II. 186—187, 229—238 nach Muchars Abschrift wieder gegeben.

An Kauf- und Schirmbriefen (16.— 19. Jahrhundert) waren bei 25,000 Stücke aufgespeichert.

Wie in allen Archiven haben die Akten den Löwenantheil des Raumes in Anspruch genommen. Sie bestanden in Processen, Rech- nungen, Correspondenzen, Kauf- und Verlasshandlungen, Inven- taren, Archidiakonats- und Pfarrakten. Wieviel des Interessanten, wie manches archivalische Unicum mag das Hauptarchiv geborgen haben, allein die grausame Flamme hat selbst die Kenntniss des Vorhandenseins vertilgt.

Ein grosser Theil des Thurmarchives war vor dem Brande dem Hauptarchive einverleibt worden, allein gewiss nicht Alles. Als der Neubau der Kirche und des Klosters begann, haben die Arbeiter und wohl auch Andere noch Vieles verschleppt und zu Zwecken benützt, welche historischer Forschung ferne liegen. Ich selbst fand, als ich 1870 das Lokal, welches durch den Orgelkasten seinen Zu- gang halte, besuchte, die Repositorien gewaltsam gesprengt," und viele Akten des 16. Jahrhunderts im Staube des Fussbodens liegen. Ein Convolut Akten übergab mir Hr. Oberlehrer Karl Mayr. Auch zu Admont waren »unbrauchbare« Pergamente zum Einbinden von Büchern , zum Verkleben des Blasebalges der Orgel und zu andern »technischen« Zwecken verwendet worden. Im Uebrigen fehlen über den ehemaligen Inhalt des Thurmarchives alle Anhaltspunkte. Das Prälatur- oder Kapellcnarchiv aber, welches der Katastrophe ent- gangen ist, bildet den Grundstock des wieder erstandenen Admonter Archives, welches zu schildern meine Aufgal>e sein wird. Auch dem Prälaturarchive hatte der Untergang gedroht, denn einzelne Fascikel tragen Brandspuren und an nicht wenigen Urkunden sind die Siegel zerschmolzen.

Ich kam, wie erwähnt, im Sommer 1870 wieder in das Stift zurück. Meine erste Sorge war es, mir einen neuen meinen Kräften entsprechenden und zugleich meinem geistlichen Vaterhause erspriess- lichen Wirkungskreis zu erobern. Von meinem Mitbruder, dem leider zu früh gestorbenen Naturhistoriker und Verfasser einer Topographie des Admontthales P. Thassilo Weymayr, erfuhr ich, dass noch »einige« Urkunden und Schriften dem Verderben entronnen seien.

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144 J- Wichner:

Der Zufall, oft der Vater grosser Entdeckungen, war meinen Be- strebungen hold. Im Herbste desselben Jahres traf es sich, dass der steiermärkische Landesarchivar, Hr. Prof. Josef v. Zahn, dem ich vielseitige Anregung und Unterstützung verdanke, Admont berührte, um für das steiermärkische Urkundenbuch und das Landesarchiv Urkunden oder Abschriften zu erwerben. Bei dieser Gelegenheit fügte es sich, dass ich mit ihm und P. Florian Kinnast, Verfasser des Album Admontense und mehrerer historischen Aufsätze, zum ersten Male jenen Ort betrat, welcher den geretteten Archivresten als Zufluchtsstätte diente. Aber in welchem Zustande fand ich das ersehnte Heiligthum ! Im zweiten Stocke dos Südtractes lag ein saal- ähnliches Zimmer, von sechs Fenstern erhellt, längs dessen Wänden 16 Schränke verschiedener Forin und Grösse aufgestellt waren. Die meisten waren versperrt, und auf meine Anfrage nach deren Inhalt wurde mir bedeutet, dass sie leer seien. Die nicht verschlossenen hatten lange und tiefe Schubladen , welche mehr oder minder mit Akten und Dokumenten gefüllt waren. Das Ganze starrte von Staub und Spinnengeweben, altes Gerumpel stand und lag umher, und was dem Gräuel die Krone aufsetzte, war, dass der Stifts- apotheker hier sein Krautermagazin etablirt hatte. Dass die Ver- suchung nahe lag und derselben auch nachgegeben worden war, die »unnützen« Papiere als enveloppes für die Produkte Aesculaps und Hygieias zuverwerthen, davon überzeugte mich spätere Nachforschung. Unsere erste Entdeckungsreise sollte aber nicht resultatlos bleiben. Einige oberflächlich in das Staubmeer gemachte Griffe brachten bei 8 Stück Urkunden des 12. und 13. Jahrb. zum Vorschein.

Nachdem ich einmal jene Stelle entdeckt hatte, wo der archi- valische Schatz der Hebung harrte, fand ich mich erst beruhigt, als mir die Vollmacht gegeben wurde, Licht in das Chaos zu bringen und nach Möglichkeit das Archiv neu zu gestalten. Der Apotheker bekam die Weisung, sein Herbar an einen andern Ort zu verlegen. Doch Tag für Tag, Woche für Woche floss dahin, die Kräuter be- haupteten ihren Lagerplatz. Da hatte meine Geduld ein Ende. Eines schönen Morgens warf ich die vertrockneten Kinder Floras, wohl nicht in der besten Ordnung, auf den Corridor hinaus. Ein Feind war siegreich bekämpft. Nun wurde der Feldzug gegen Mäuse, Spinnen und Staub organisirt und glücklich durchgeführt. Endlich konnte ich frei und froh auf dem mühselig errungenen Felde schalten und walten. Lade um Lade wurde herausgezogen, und wenn sich

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unter dem Wüste alter Rechnungen ein Schriftstück des 15. Jahrh. oder ein vergilbtes Pergament fand, so pochte mein Herz in freudiger Stimmung. Ueber ein kleines Kistchen mit Glasscherben gefüllt war ich mehrmals gestolpert; schon war ich im Begriffe, dasselbe aus dem Lokal zu entfernen, als mein guter Genius rieth, näher nach- zusehen. Nur ein Archivar kann die Freude würdigen , die ich empfand, als ich unter den Glastrümmern hei 60 Stück Original- urkunden des 13. und 14. Jahrh. hervorlangen konnte. Und als ich die oben erwähnten versperrten Schränke öflhete, sah ich die- selben vollgepfropft von Akten.

Ein System für die Ordnung des historischen Materials hatte ich mir damals noch nicht zurechtgelegt. Es galt zunächst, eine Uebersicht des Vorhandenen zu gewinnen. Mein erstes Augenmerk wandle ich den Urkunden zu und begann die Regesten aller Do- kumente, welche in Original und auf Pergament bis zum Ende des 15. Jahrhunderls sich vorfanden, zu verfassen. Aus dem 16. Jahr- hundert nahm ich nur die wichtigsten auf. Die Zahl dieser Re- gesten beliet sich auf 1071 und ich fügte ein Personal- und Lokal- register nebst historischen Erläuterungen hinzu. Voll Begierde, meinen Namen gedruckt zu lesen , war ich schon gesonnen , diese Erstlinge meiner archivalischen Thätipkeit der Presse zu überliefern. Es war aber sehr gut, dass diese Idee nicht zur Ausführung gelangt ist. Denn die öffentliche Kritik hätte vielleicht meinen Sammelfleiss an- erkannt, aber auch alle diplomatischen Schnitzer und chronologischen Irrthümer unbarmherzig dargethan. Meine Arbeit war indess keine unfruchtbare und leistete mir bei der Ausarbeitung der Stiftsgeschichte erhebliche Dienste.

Der schriftliche Verkehr mit dem Hrn. Landesarchivar v. Zahn und besonders dessen Schrift »Ueber die Ordnung der Urkunden am Archive des st. I. Joanneums in Graz.« (Graz 1867) veran- lassten mich, endlich auch für das Admonter Archiv einen Ordnungs- plan zu fixiren. Ich habe manchen Wink in dem erwähnten Werke berücksichtigt, z. B. die Einrichtung der Regesten, die Art der Auf- bewahrung von Urkunden, muss aber gestehen, dass das von mir gewählte System meinem eigenen Kopfe entsprungen ist. Auch wird man wohl zugeben, dass ein und dasselbe System der Ordnung nicht für jedes Archiv sich praktisch bewährt und dass Quantität und Qualität der Archivalien, mitunter auch die zu Gebot stehenden finanziellen Mittel als massgebende Faktoren betrachtet werden müssen.

Archivali.che Zeitschrift. III. 10

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P. J. Wichner:

Ich theilte meine Archivalien nach drei Hauptgesichtspunkten

A. Nach der Oertl ichkeit: Pfarren, Kirchen und Herrschaften.

B. Nach Ae intern, wie Rent-, Kasten- und Küchenamt. C. Nach Sachen: Armenwesen, Sanitätsangelegenheiten, Jagd- und Fisch - bann. Die innerhalb dieser Hauptgruppen sich ergebenden Unter- abtheilungen wurden chronologisch repertorisirt und aufgestellt.

Mir war es zwar bekannt, dass in den meisten Archiven Ur- kunden und Akten und bei Letzteren die buchförmigen von den ungebundenen strenge geschieden und besonders bearbeitet und ge- ordnet werden. Auch ich war gesonnen, die Urkunden von den Akten zu sondern und für sich zu behandeln. Allein ich stiess auf Schwierigkeiten. Ich wollte nämlich einen eigenen Urkundenkasten für circa 4000 Dokumente hergestellt wissen, wie deren im land- schaftlichen Archive zu Grat im Gebrauche stehen und sich als sehr handsam bewährt haben. Allein es blieb bei meinem Wunsche. Man wollte lange nicht glauben, dass noch nach dem Brande so Vieles und Werthvolles vorhanden sei; man hielt nieine emsige Thätigkeit mehr für Zeitvertreib als ernste Arbeit und war der Meinung, dass bei der Unbedeutendheit der Archivsrestesich kostspielige Apparate nicht verlohnten. Ich muss aber der Wahrheit Zeugnis» geben, dass man nach und nach zu einer besseren Auffassung der Sachlage gelangle, und dass meine Bestrebungen endlich gewürdigt und möglichst unterstützt worden sind.

Um nun dir kostbare Zeit mit Abwarten nicht zu verlieren, beschloss ich, Urkunden und Akten gemeinschaftlich nach ihrer Zu- sammengehörigkeit zu verzeichnen und einzureihen. Eine Ausnahme machte ich nur mit den ältesten Dokumenten, denen des 12. und 13. Jahrh., welche in einem eigenen geschlossenen und leicht trans- portablen Behältnisse verwahrt wurden.

Auf Grundlage der bereits gewonnenen allgemeinen Uebersicht und der fortschreitenden Detailarbeiten war ich bald in der Lage, über Rechtsverhältnisse oder auf Fragen wissenschaftlicher Natur, die an das Archiv gestellt wurden, Auskünfte zu ertheilen. Nun regte sich und wuchs das Interesse für das Archiv und meine Be- mühungen. Man staunte, noch so viel gerettet zu sehen, und be- mühte sich durch Zuwendung von Archivalien die junge Anstalt zu fördern, mich selbst aber dadurch zu erfreuen und zu ermuthigen. Mit Zustimmung meines Obern richtete ich ein Circularc an alle Pfarren und Gutsverwaltungen des Stiftes mit der Bitte, aus ihren

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Archiven und Registraturen Alles einzusenden, was für ihren Amts- bereich keine praktische Bedeutung mehr habe. Ich fand geneigtes Entgegenkommen und es lief Vieles und Bedeutendes ein. Auch aus den Registraturen des Rent- und Forstamtcs wurde reichliches Materiale dem Archive zugeführt, so dass das ursprüngliche Kapellen- archiv um mehr als den dritten Theil an Zuwachs gewonnen hat.

Nun hatte das von mir übernommene Lokal den liebelst and, dass es gegen Feuergefahr keine Sicherheit bot, und dass die Schränke, besonders die Schubladen, sehr unzweckmässig waren. Die Archi- valien mussten auf einander geschichtet werden, eine Partie beirrte die andere, und es kostete stets doppelte Arbeit, wenn etwas einzu- stellen oder auszuheben war. Eine Dislokation war daher angezeigt und der Wunsch nach ihr gerechtfertigt. Der Einzug in ein neues Lokal erfolgte im Juli 1875. Es war nämlich der ebenerdige Tract des südlichen Klosterflügels bislang als Pferdestall benützt worden. Man erbaute einen neuen Stall im Maierhofe und adoptirte den so gewonnenen Raum für die Canzleien. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das Archivaschenbrödel mit einem neuen Kleide bedacht. Das Lokal, neben welchem sich auch das Arbeitseabinet des Archivars befindet, hat nur zwei Fenster, ist aber hinreichend licht und für den Raumbedarf genügend. Das Zimmer ist gewölbt, die äussere Thüre mit Eisenblech beschlagen, die Fenster haben feste Eisen- gitter und sind mit Drahtnetzen verwahrt. Solche Drahtnetze waren es auch, welchen beim Stiflsbrande zum grossen Theile die Ret- tung der herrlichen Bibliothek zu verdanken ist.

Gleichzeitig wurden auch neue Schränke angeschafft , welche längs den Wänden stehen und auch den Mittelpfeiler bekleiden. Da der Plan durchgeführt wird, sämmtliche Archivalien (Urkunden und Akten) in Mappen unterzubringen, welche buchformig an- und hin- tereinander gereiht werden, so mussten die Schränke diesem Zwecke entsprechend eingerichtet werden. Jeder Schrank besteht aus acht Abtheilungen, von denen vier rückwärts und höher angebracht sind. Es stehen stets zwei Mappcnreihen hinter einander, und zwar die vordere tiefer, die hintere höher. Die Mappen selbst haben ein mässiges Folioformat von gleicher Grösse und blauer Farbe, sind nur oben und vorn offen, mit Biindern versehen, und tragen auf dem Rücken die bezügliche Signatur und die Nummernreihe ihres Inhaltes. Der ganze jetzt verfügbare Raum ist für 2000 Mappen berechnet, es können aber seiner Zeit, wenn die Schränke durch-

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gängig um zwei Abtheilungen oder Gestelle erhöht werden, noch bei- läufig 480 Mappen untergebracht werden. Uas Ganze ist leicht zugänglich, erleichtert die Uebersicht und bietet einen gefalligen Anblick.

Innerhalb der oben erwähnten Haupteintheilung nach Orten, Aemtern und Sachen ergaben sich 122 Unterabtheilungen, welche wie im alten Archive mit fortlaufenden Buchstaben A, AA, AAA, Aa u. s. f. signirt wurden. Es wäre zwar, wie in den meisten Archi- ven, die Signatur mit arabischen Ziffern einfacher gewesen, allein eine gewisse Pietät für das Herkömmliche, welche man einem ultra- conservativen Klosterbruder nicht verargen wird, bestimmte mich, dem alten Gebrauche treu zu bleiben. Die Urkunden sind auf der Rückseite, um das Eigenthumsrecht zu kennzeichnen, mit einem eigenen Stempel versehen. Dieser zeigt im Vierpasse das Stifts- wappen mit der Jahrzahl 1874, in welchem Jahre Admont das achthundertjährige Fest seines Bestandes feierte, und der Umschrift : „Archiv der Abtei Admont". Der Stempel wird so angebracht, dass er auf einer Texteszeile der Urkunde zu stehen kommt, daher eine Radirung oder wohl gar Ausschneidung desselben die Legende des Dokumentes verletzen oder gefährden müsste. Jede Urkunde liegt zusammengefaltet in einem Umschlag von Papier, welcher aussen zeigt die Signatur der Archivsabtheilung, die Nummer, das Regest, die Angabe, ob Original, Duplikat, beglaubigte oder einfache Abschrift, ob Pergament oder Papier, und die Zahl der Siegel mit Andeutung, ob angehängt, vorn oder rückwärts aufgedrückt. Die Akten werden nach ihrer Zusammengehörigkeit in grössere oder kleinere Faszikel zusammen gebunden und jeder mit einem Zettel versehen, welcher über den Inhalt Aufschluss ertheilt. Ein oder mehrere dieser Faszikel werden dann, durch einen Umschlag von starkem Papier noch mehr geschützt, in den schon besprochenen Mappen eingetheilt.

Bezüglich der Repertorisirung der Dokumente und Akten machte ich anfangs den MissgritT, mich ganzer Bogen zu bedienen. Da er- gab sich der Uebelstand, dass spätere Funde oder Einläufe nicht mehr an jener Stelle eingetragen werden konnten, wo sie der chro- nologischen Ordnung gemäss hätten ihren Platz finden sollen. Ich Hess mir daher in der Druckerei eigene Zettel herrichten, so dass es nun leicht ist, alllallige Nachträge der Reihe von Regesten- oder Rcpertoriumszetteln einzuschalten.

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Mag aber die Regestirung der Urkunden und die Repertori- sirung der Akten noch so ausführlich über den Inhalt sich verbrei- ten, so gibt es immer noch eine Unzahl von Personen und Orten, von Begebenheiten und Verhältnissen, deren zwar in Dokumenten und Schriftstücken Erwähnung geschieht, die wir aber in den Rt- pertorien vergeblich suchen. Diese repräsentiren zunächst nur das Inventar des archivalischen Besitzstandes und können sich mit Ein- zelnheiten nicht befassen. Das Letztere ist Aufgabe der Personal-, Lokal- und Realregister, deren wohlgeordnete Archive nicht ent- rathen können. Ich hatte wohl früher bei Gelegenheit der Rege- stirung von 1071 Urkunden ein Personen- und Ortsregister angelegt, allein dieses umfasste nur die in den Regesien, nicht aber alle in den Dokumenten selbst vorkommenden Personen und Oertlichkeiten. Am nothwendigsten erschien mir ein Sachregister nach Schlagwor- ten, z. B. Altäre, Brücken, Türken geordnet. Die bezüglichen, bald umfangreichen, bald gedrängten Daten finden sich in mehreren Abtheilungen des Archivs zugleich und würden in den Repertorien dieser Abtheilungen öfter vergeblich gesucht werden. Das Sach- register, wenn es einmal abgeschlossen ist, belehrt mich in wenigen Augenblicken, wo Material, z. B. über Türkeneinfalle, zu suchen ist. Ein solches Register habe ich erst vor kurzer Zeit anzulegen be- gonnen und zwar in nachfolgender Einrichtung.

Adinonter-Archiv.

Grenzen. Sachregister.

Ort. Zeit. Nähere Bemerkungen.

Hall bei Admont . . . 1147 Grenze der Saline des Bis»thums Gurk. A2a.

Freiland bei Deutschlands- 120:} Erzbischof Eberhard II. von Salzburg be-

berg stimmt die Grenze des Gutes Freiland. A15.

Lungau 1207 Admonter Zehentgrenzen. Al<>.

Murthal » » » »

Kärnten '

Admont * Grenze der Pfarre St. Arnand. >

Admont und Gaming . . 1379 Forst- und Jagdgrenzen. A30a.

Ich habe jetzt das Archiv, wie es zur Zeit besteht, nach seinem Inhalte dem fachmännischen Leser vorzuführen.

Die älteste Urkunde (c. 1128) ist das Diplom des Erzbischofs Conrad I. von Salzburg, in welchem er dem von ihm gegründeten Spitale zu Friesach in Kärnten Güter und Zehnten zu Hirt, Metnitz u. n. 0. widmet. Das älteste von einem Admonter Abte ausgestellte Instrument datirt c. 1105, aus Weisskirchen. In

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demselben vergleicht sich Abt Rudolf II. mit Herrand von Wildon bezüglich streitiger Gutsgrenzen bei Obdach. An dieser Urkunde hängt auch das älteste Aebtesiegel, welches zugleich zu den sphragistischen Seltenheiten zählt. Es ist ein Doppelsiegel, die Revers- seite zeigt das Siegel des Wildoners. Ist dieses als Siegel eines Gliedes des niederen Adels aus dem 12. Jahrhundert schon eine .Seltenheit, so nimmt es in Verbindung mit jenem des Abtes als Doppelsiegel das höchste Interesse in Anspruch, weil solche Doppel- siegel sonst nur von Eheleuten gebraucht wurden 1). Sonst ist von Mitgliedern des niederen Adels als ältestes Siegel jenes des Rein- brecht von Mureck (1231) zu nennen. Das älteste Admonter Capitel- siegel hing an einer Urkunde von HOS und hat sich an einem Dokument von 1224 erhallen. Von Admonter Aebten älterer Zeit finden sich Siegel von Gottfried II. (1223), Conrad (1237), und Albert I. (1269).

Ueberhaupt ist das Archiv ziemlich reich an alten und schönen Siegeln. Wir führen an die Bleibullen der Päpste Alexander III. (1271) und Urban IV. (1264); die Siegel des Königs Rudolf I. (1277), von welchen sechs Originalurkunden vorfindlich, der Baben- berger Leopold des Glorreichen (1214) und Friedrich des Streit- baren (1241) und des Habsburgers Albrecht I. (1294). Die steier- märkischen Landesämter sind vertreten durch die Siegel des Landes- hauptmannes Grafen Otto von Eberstein und des Landschreibers Witigo (1248), ferner des Landmarschalls Harlnid von Wildon (1287). An die ungarische Herrschaft erinnert das Siegel des Grafen Stefan von Agram (1257) und an die böhmische Landesoccupation jenes des Bischofs Bruno von Olmütz (1263). Von Angehörigen des höheren Adels liegen die Siegel vor von den Grafen Berthold von Andechs (1161), Friedrich von Pettau (1197), Mainhard von Görz (1232), Conrad von Wasserburg (1245). Wülfing von Stnbenberg (1269) und dem Grafen Heinrich von Pfannberg (1277). Ungemein zahlreich sind die Siegel des niederen Adels. Wir erwähnen Volker von Flaschberg (1232), Erchinger von Landsee (1256) und Kai- hoch von Schrattenstein (1259). Wir begegnen hier den Namen Altlengbach, Perneck, Polheim, Kapellen, Dobra, Treunstein, Ehren- burg, Erl, Falkenstein, Fulenstein, Geul, Gschiess, Hausbach, Lem-

') Mittheil. der k. k. Centralcommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmal. XVIII. 230 und 270.

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bach, Losenstein, Ramstein, Reifenstein, Schlierbach, Stadeck, Stai- nach, Stretweg und Werde. Da Admont auch Beziehungen zum deutschen Ritterorden hatte, so fehlt es auch in dieser Richtung nicht an Siegeln. Wir nennen den Grossmeister Hartmann von Heideringe (1279) und die Gomlhure Ortolf von Traiskirchen (1236) und Conrad von Feuchtwangen (1279). Durch schöne Siegel machen sich bemerkbar die Städte Friesach (1261), Neustadt (1263), Mar- burg und Judenburg (1290).

Die Siegel geistlicher Würdenträger und Corporationen über- wiegen an Zahl im 12. und 13. Jahrhundert alle anderen. Es seien genannt die Metropoliten von Salzburg Konrad I. (1128), Eberhard L (1160), Konrad II. (1168), Adalbert III. (1185), Eberhard II. (1202) und Friedrich II. (1270); das Salzburger Domcapitel (1235); der Patriarch Berthold von Aquilcja (1237); die Bischöfe von Freising Conrad I. (1235) und Conrad II. (1273), Heinrich von Regensburg (1283), Bernhard von Seckau (c. 1282), Dietrich II. (1261) und Hart- nid (1288) von Gurk und das Domcapitel daselbst (1261), Bischof Peter von Passau (1277). An diese schliessen sich die Aebte Erehinger von Reichenbach (c. 1130), Walther von Benedictbeuren (c. 1161), Dietmar von Ossiach (1266), Ulrich von Prüming (1283), Wernher von St. Emmeran (1283), Ofto von Gleink (1284), Gott- schalk von Garsten (1293), Friedrich von St. Lambrecht (1295), die Capitel der Klöster St. Peter zu Salzburg (1228), Mosach (Moggio) in Friaul (1237), der Minoriten zu Graz (1265), Prüfning (1283), Gleink (1284), Seitenstetten (1296) und Kleinmariazell (c. 1297). Hier wären noch anzureihen das Hospital am Semmering (1273) und das Admonter Nonnenkloster, das, um 1 120 gestiftet, schon im zwölften Jahrhundert eine lange Reihe ausgezeichneter Frauen mit Namen aufweiset bis zu der Bibliothekarin Alheid und der Bücher- abschreiberin Irmingard. An Siegeln ist dieses Kloster aber nur durch zwei des Conventes und der Meisterin repräsentirt und hängen selbe an einer Urkunde von 1327. Siegel weltlicher Frauen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts hat das Archiv ebenfalls nur zwei aufzuweisen, nämlich jene der Giburg von Silberberg (1338) und der Herzogin Johanna von Oesterreich aus dem Hause Plirt (1343).

Das älteste Siegel eines admontischen Beamten ist das des Propstes Heinrich von Kirchheim (c. 1236) Pröpste aber wurden die geistlichen und weltlichen Administratoren der grösseren Stiftsgüter (Propsteien) genannt. In diesem Sinne erscheinen auch Pröpstinnen

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zu St. Martin und Zeiring. Das Wappen des Stiftes (zwei Rau- ten neben einander) findet sich zuerst auf dem Siegel des Burggrafen von Gallenstein, Conrad von Peterdorf (1350). Auf einem äbt- lichen Siegel erscheint es erst 1384. Abt Wilhelm war der Erste, welcher sein Familicnwappcn (von Reissberg) neben dem Schilde der Abtei auf seinem Siegel anbringen Hess (1389). Das schon er- wähnte Gonvent Siegel mit den Bildern der Heiligen Maria und Blasius im romanischen Stil war bis zum Ende des 13. Jahrhunderts im Gebrauche. Das spätere spitzovale (gothische) Capitelsiegel ist einer Urkunde von 1327 angehängt und behauptet seinen Platz bis circa 1580.

Die älteste Urkunde in deutscher Sprache datirt vom Jahr 1290, eine um 5 Jahre ältere ist verbrannt. Die erste Urkunde auf Papier ist vorn J. 1361. Investiturs- und Traditionssymbole, wie Erde, Rasen, Holz u. a , welche man als Zeichen der Besitzergreifung eines Gutes zu überreichen und den Dokumenten beizulegen pflegte, sind mir nicht vorgekommen

Die Zahl der Originalurkunden auf Pergament dürfte, wenn wir die sogenannten Schirmbriefe mitzählen, 4000 Stücke erreichen. Davon gehören 19 dem zwölften, 125 dem dreizehnten und 206 dem vierzehnten Jahrhundert an. Sehr gross ist auch die Ziffer der Ori- ginaldokumente auf Papier und der Abschriften aus verloren ge- gangenen Saalbüchern und Urkunden. Die Akten gehen bis zum Jahre 1420 hinauf.

Nun seien ganz in der Kürze die Unterabtheilungen des Archivs erwähnt.

1. Die erste Gruppe umfasst Archivalien über das Stift als sol- ches und dessen Centralverwaltung, wie Schutz- und Contirmations- briefe, Privilegien, Schenkungen, Käufe, Täusche, Verpfändungen, be- ginnend mit dem Jahre 1145. Dahin gehören auch ein Bausteuer- register (15. Jahrhundert), Ghronicon Admontense Amandi Pachler 1667, Regesten und Abschriften aus Saalbüchern uud Urkunden. Fragment einer Hauschronik (1659 1713), Elenchus omnium officia- lium monasterii, verfasst von P. Urban Ecker (1835) und gegen- wärtig noch fortgeführt.

2. Beziehungen zu andern Klöstern von 1297 an. Vertreten sind die Klöster Kleinmariazell, Mondsee, Neuberg, Garsten. Dazu kommen Akten, betr. die Gesellschaft Jesu und deren Colle- gien zu Graz, Leoben und Ingolstadt , wobei ein Originalbrief des

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P. Wilhelm Lamormain (1630), Ossiach, St. Paul, Mönchsberg bei Bamberg, Seiz, Gaming, Spital am Pyhrn, Ottobeuern, Seon, Elchingen, Baumburg, Göttweig, Schlierbach, Thierhaupten, Herzogen- burg, Arnoldstein, Lilienfeld, Vorau, Reun, die Franziskaner zu Mautern und Graz, die Kapuziner zu Irdning und die Carmeliten zu München.

3. Armenwesen. Register, Patente, Gesuche vom 16.'Jahr- h undert an.

4. Oblei. Kaufbriefe über zur Oblei dienstbare .Güter (1318 bis 1553). Urbare und Stiftregisler des 16. Jahrhunderts. Das Obleiamt war 1317 bis 1319 von dem Abte Engelbert gestiftet und hatte die Aufgabe, aus dem Erträgnisse der diesem Zwecke gewid- meten Güter die Pfründen der Klosterherren aufzubessern und be- sonders die nöthige Kleidung zu beschaffen. Viele Geschenke an die Oblei wurden unter der Bedingung eines Jahrtages für die Dona- toren gegeben.

5. Bauten und Kunstwerke. Correspondenz mit Künstlern wie Victor Mayr und Gottfried Goetz in Augsburg, Auerbach und Bellau in Wien, und Bartholomäus Altomonte und des Letztern Handzeichnungen.

6. Bergbau. Hierbei Bergordnung König Ferdinand I. (1553) und Akten, betr. den Gagatbau in der Garns von 1460 bis 1539, und die Bergwerke zu Johnsbach, Kallwang, Dietersdorf u. a. O. Abrisse von Hochöfen. Grubenpläne. Gagat ist eine pechartige Brennkohle. Die Gruben wurden meistens von Kaufnerren aus Esslingen, Gmünd, Kirchheim, Göppingen, auch aus Nürnberg, Eschenbach betrieben. Sie mussten beim Abte um Bclehnung an- suchen und den Bergzehent entrichten.

7. Forste und Weiden. Die Ur- und Hauptdotation der Admonter Abtei bestand in Grund und Boden und davon waren neun Zehntheile Waldungen. Von den beiden Klausen im Selz- und Reitthale auf beiden Seiten der Enns bis in die Frenz einerseits und von da der Salza entlang bis über Wildalpen hinaus anderseits dehnte sich ununterbrochen Waldgebirg, in welchem erst nach und nach Lichtungen entstanden , in welchen sich Kirchen und Orte (St. Gallen um 1152 und Landl 1273) erhoben. Noch jetzt ist der grösste Thcil des Terrains mit Forsten bedeckt, welche zumeist an die Innerberger Actiengesellschaft , als Rechtsnachfolgerin der kk. Hauptgewerkschaft , und an die Grundholden abgetreten wurden.

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Es ist einleuchtend, dass sich in dieser Richtung' ein umfangreiches Aktenmaterial gesammelt hat, welches weit in das 15. Jahrhundert hinaufreicht. Besonders wäre das Verhältniss des Stiftes, als alt- verbrieften Waldeigenthümers , gegenüber den Ansprüchen und Uebergriflen der Radgewerken zu Eisenerz, des landesfürstlichen Kammergutes und der Hauptgewerkschaft ein dankbarer Gegenstand historischer Schilderung.

8. Hammerwerke des Stiftes zu Johnsbach, Klamm, Steg- mühl und Trieben und fremder Gewerken. Urkunden vom 14. Jahrhundert an. Auf Grundlage der noch vorhandenen Urkunden lässt sich die Entstehung und Entwicklung der Eisenindustrie in den Gegenden von St. Gallen, Altenmarkt, Landl, Reifling und Lambach sammt der Reihe der Gewerken nachweisen , aber auch darthun, dass das Kloster bemüht gewesen ist, derlei Bestiebungen Vorschub zu leisten.

9. Nekrologien, Todtenrotel, Conföderationen. Ne- crologium Admontense (1731). Fragmente von Todtenbüchern (14. und 15. Jahrhundert). Die Stiftsbibliothek enthält im Codex No. 184 einen Nekrolog des XII. Jahrhunderts. Codex No. 686 hat einen sol- chen in mehr gedrängter Form (13. Jahrhundert); Codex No. 320 Fragmente (XII. Jahrhundert). Rotel waren um eine Rolle gewickelte schmale, aber sehr lange, auf beiden Seiten beschriebene Pergament- streifen. Auf dem Kopfe einer solchen Encyclica wurden die Namen der zu Admont gestorbenen .Mönche und Nonnen und deren Sterb- tage eingetragen. Ein eigener Bote (bajulus) wurde damit in die verschiedenen Klöster mit der Bitte um deren Suffragien entsendet. Diese Klöster bemerkten dann auf der Rotel die Zeit des Eintreffens des Boten. Solcher Rotel sind noch 14 Stücke aus dem 15. Jahr- hundert vorhanden. Eine davon ist von 333 Klöstern der öst- reichischen und deutschen Länder gefertigt. Contöderationsbriefe finden sich nur mehr in Abschriften (17. Jahrhundert). Aus diesen ergibt sich, dass Admont vom 12. bis zum 17. Jahrhundert mit folgenden Klöstern verbrüdert gewesen ist : Prüfning, Ossiach, Gleink, Lambach, St. Emmeran, Göltweig, .Melk, Seon, St. Peter, St. Lam- brecht, Georgenberg (Möns Oeni, Vieeht), Niederaltaich, Altenburg, Garsten, Aspach, Arnoldstein, St. Ulrich und St. Afra in Augsburg, Vorau, St. Paul, Stainz, Biburg, Fulda, Tegernsee, Rotenmann, Schlierbach, mit dem Domkapitel in Salzburg, dem deutschen Ritter- orden, Orden St. Jago, der grossen Karthause und den Kapuzinern

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zu Waidhofen. Kopialbuch von Nekrologen des Jesuitenordens mit 406 Stücken (1662—1677) und »Litterae funebres originales societatis Jesu« (1700—1716) 399 Stucke.

10. Sakristei (Gustrei, Custodie). Urkunden betr. die zur Gustrei dienstbaren Güter von 1383 an. Urbare des 16. Jahr- hunderts. Inventar des Kirchenschal zes (1659). Das Domcapitel zu Augsburg verkauft im Drange der Schwedenzeit dem Stifte A. eine silberne Ampel im Gewichte von 209 Mark (1636).

11. Sanitätswesen. Abt Johann III. und dessen Vettern Wilhelm und Hans von Trautmannsdorf machen eine Stiftung zur besseren Verpflegung der Armen im Siechenhause (1483). Arznei- buch aus dem Beginne des 16. Jahrhunderts. Eine Masse ärztlicher Tradate und Recepte (16.— IS. Jahrhundert). Pestakten.

12. Wild- und Fischbann. Auch diese Abtheilung zeichnet sich, wie jene der Forste und Weiden, durch die Fülle des Materia les aus. Den Löwenantheil behaupten die Prozesse mit den Verletzern der stiftischen Gerechtsame, Untersuchungen gegen Wildschützen, oft sehr romantischer Natur, und Fürsten- und Kaiserjagden.

13. Stiftskirche St. Blasius. Jahrtagsstiftungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Lichtfundation von 1353. Bruderschaften. Indulgenzen. Privilegirle Altäre. Beschreibung der Kirche (16. Jahr- hundert) und der Feierlichkeiten bei Ueberl ragung einer Reliquie der h. Erentrud (1716). Verträge mit den Goldschmieden Georg und Jacob Friedrich Guttermann (1723) und Franz Thadeus Lang zu Augs- burg (1745). An Beziehungen des Klosters zu den deutschen Län- dern und vorzüglich Bayern fehlte es nicht. Admont besass die Propstei Elsendorf bei Abensberg, sandte im 17. Jahrhundert seine Cleriker nach Ingolstadt oder Dillingen zu den Studien, beherbergte zur Schwedenzeit zahlreiche Flüchtlinge aus bayrischen Klöstern, und verhandelte den im Bergwerke zu Kallwang erzeugten Vitriol nach Nürnberg. Viele Glieder des Stilles gehörten ansehnlichen Familien Deutschlands an.

14. Acta abbatum. Familienpapiere. Beiserechnungen von 1540 an. Landtagskosten. Hochzeitseinladungen von Seite hoher Cavaliere. Empfangsbestätigung des Abtes Anton I. (1487) über einen zu Landshut gemachten Panzer. Instruction des Abtes Valentin (1552) für Kundschafter nach Nordtyrol, um sich über den Einbruch des Moritz von Sacl sen durch die Ehren bergerklause zu orientiren. Verzeichnisse von Büchern und Zeitungen., welche die

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Aebte sicli bringen liessen (16. und 17. Jahrhundert). Correspon- denzen und Notizbücher.

15. Nonnenkloster O.S.B, zu Admont. Urkunden vom 13. Jahrhundert an. Ablassbriefe von 1448. 1453. 1475. Urbare der Frauenkammer (16. Jahrhundert). Zwei Professurkunden von 1501. An Professbriefen des Herrenstiftes gingen 2 30Ö, welche in einer Kiste verschlossen hinter dem Hauptaltare der Stiftskirche aufbewahrt wurden, beim Brande zu Grunde. Dissertatio super vitam inclitae monialis Sophiae, principis Hungaricae (17. Jahrhundert).

16. Nonnenkloster 0. S. B. zu Goess bei Leoben. Urkunde von 1420. Akten über Intervention der Admonter Aebte bei Wahlen und Inventuren der Aebtissinnen (1576. 1596. 1645) und betr. die Einkleidung und Profess der Nonnen (1643 1687). Biographie der nachmaligen Aebtissin Maria Henrika Freiin von Poppen, verfasst 1748 von dem Admonter P. Bernhard Starch. Von 1645 bis 1782 fungirle stets zu Goess ein Admonter Stiftspriester unter dem Titel »Supremusc als Beichtvater und oft auch als Oeconom und Rent- meister. Einer derselben, P. Marcellin Breimann, hat ein handschrift- liches Chronicon Goessense (c. 1650) hinterlassen.

17. Andere Nonnenklöster, nämlich die Benediktinerinnen zu St. Georgen am Lüngsce, Nonnberg und San Cipriano zu Triest und die Dominikanerinnen zu Graz und Studenitz, anbei Visitation dieses Klosters durch Abt Raimund 1673. Briefe der Nonne Katha- rina von Erdödi geh Bathyani.

18. Stift St. Lambrecht in Obersteiermark. Urkunden und Akten über den Streit zwischen Admont und St. Lambrecht bez. der Forst- und Jagdr'ren7.en an der Salza (14. und 15. Jahrhundert). Abtswahlen und Correspondenzen, darunter ein Brief des Admonter Abtes Valentin (1554) an den Lambrechter Abt Sigismund, worin jener den poeta laureatus Caspar Bruschius empfiehlt, welcher »velera monumenta librorum annalesque« zum Behufe der Druck- legung einsehen wolle. Brusch hat wirklich ein Werk des Admonter Abtes Engelbert »De ortu et fme Roniani imperii« 1553 zu Basel edirt.

19. Stift St. Peter in Salzburg. So mannigfaltig auch die Beziehungen Admonts zu St. Peter gewesen sind, da Admont seine erste Ordensgemeinde von da erhalten hat, so gering ist im Archive jenes Kloster vertreten. Ausser den schon in der Abtheilung 1 befindlichen Urkunden über den Streit um das Gut Adamunta sind nur etwa zu nennen: Visitationsprotokolle (1648. 1715), verschiedene

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Hausordnungen und Verrechnungen bez. der zu Salzburg studirenden Admonter Cleriker (1634—1697).

In den Abtheilungen 20 —74 folgen nun die Archivalien der Pfarren St. Nicolaus zu Rotenmann, St. Amand und St. Blasius in Admont, St. Nicolaus zu Altenmarkt, St. Anna am Lavan- tegg, St. Johann Bapt. in Ardning, St. Maria zu Frauenberg, H. Dreifaltigkeit zu Gaishorn, St. Gallen, St. Josef in Garns, St. Maria in Gröbming, Kirche zum h. Kreuz in Hall, St. Bar- tholomäus am Hohentauern, St. Egyd in Johnsbach, St. Os- wald in Kall wang, St. Johann in Kammern, Pfarre zum h. Kreuz in Kleinsölk, St. Georg in Kr au bat, St. Bartholomäus zu Landl, St. Lorenzen im Paltenthale, St. Martin an der Salza, St. Xieolaus in Mautern, St. Michael an der Liesing, St. Andreas zu Oeblarn, St. Oswald in Freiland, Allerheiligen in Palfau, St. Nicolaus in Sausal, St. Nicolaus in Traboch, St. Cunegund in Wald, St. Cosmas und Damian zu Weng, St. Barbara zu Wild- alpen, Allötting bei Oberwölz, St. Egyden und St. Georgen in Windischbüheln, St. Georgen an der Pcssnitz, St. Johann Bapt. zu Haus, St. Peter und Paul zu Irdning mit Donnersbach, St. Jacob in Freiland, St. Jacob in Leoben, St. Jacob in Win- dischbüheln, St. Maria in Jaring, St. Johann am Pressen, St. Johann und Paul bei Graz, Unter-St. Cunegund in Windisch- büheln, St. Jacob in Lassing, St. Leonhard in Windischbüheln, St. Veit in Liezen, St. Maria in Oppenberg, St. Maria in Pols, St. Maria am Rehkogel, St. Achaz zu Schladming mit Pichel und Ramsau, Pürgg, Taupl itz und Mitterndorf, St. Rupert in Trofaiach, St. Andreas zu Witsch ein. Diese Akten und Ur- kunden der Pfarren verbreiten sich wie gewöhnlich über den Erwerb von Gütern, Einkünften, Messstiftungen, Ablässen und dergleichen, enthalten mitunter Verleihungsbricfe selbst aus dem 12. Jahrhundert, Akten über Reformation und Antireformation, Weisthümer, Urba- rien, Kriegs-, Mord- und Nothkalender, und eine Menge Briefe über Landanbau, Wehrbauten an Flüssen, Gewerk und Handel, sowie über die historischen Ereignisse der Umgegend.

75. Markt Admont. 1443 König Friedrich III. bewilligt auf Ansuchen des Abtes Andreas dem Orte A. einen ewigen Wochen- markt. 1565 Erzherzog Karl verleiht dem Admonter Bürger Peter Seibold das Privileg des Speikhandels in Steiermark. Speik (Va- leriana celtica) war damals und noch später ein stark in den Orient

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P. J. Wichner:

gehender Artikel. Schon die Römer kannten diese Pflanze der nori- schen Alpen als Mittel gegen die Kleidermotte und durch ange- nehmen Duft sich zur Räucherung empfehlend. Vestibus interponi eam gratissimum : Plin. histor. nat. lib. XXI. c. 20. Salzhandels- vertrag zwischen den Orten Admont, St. Gallen und Altenmarkt (1660). Feuerlöschordnung (1762).

76. 109. 114. Weingärten überhaupt, und jene zu Lutten- berg und Radkersburg insbesonders. 1290 Ulrich, Friedrich und Heinrich von Stubenberg schenken dem Kloster A. das Dorf Wielitsch mit Weingärten und Bergrechton. (Urk. in deutscher Sprache.) 1563 Erzherzog Carl verbietet dem Johann Darabos, einen gewissen admontischcn Weingarten mit höherem Bergrechte zu belasten. Dieser Weingarten auf der sogenannten Murinsel erscheint in Akten als »ungarischer« Weingarten, und sind diesbezügliche Briefe in ungarischer Sprache (16. u. 17. Jahrh.) vorhanden.

77. 82. Gymnasien, Gonvicte, Schulwesen über- haupt. Das Stift besetzte zu verschiedenen Zeiten mit seinen Mit- gliedern die Gymnasien zu Admont, Leoben, Judenburg und Graz.

78. Zinsregister der Herren- und Frauenkammer, der Gustrei und des Amtes zum h. Geist. (1423—1579.)

79. Adels- und Wappen briefe, Diplome gelehrter und ge- meinnütziger Vereine, Geburts-, Trauungs- und Todtenscheine, Kund- schaften und Atteste verschiedener Aemter.

80. R ü s t w es e n und M i 1 i t ä r s a c h e n. Akten in das 15. Jahrh. hinaufreichend. Wafieninventare, Musterungsregister, Büchsenmeister- und Waflenschmiedrcchnungen , Bestallungsbriefe über Wartgelder und Rüstpferde, Register über Landsknechtsteuer und Türkenhilfe, Befestigungsbauten zu Gallenstein, in der Frenz und Mandling, Akten über Truppentransport und Verpflegung, französische Hilfsvölker, Reichstruppen u. dgl.

81. Documenta mixta. Hier sind Urkunden untergebracht, welche nach ihrem Inhalte und Beziehungen sich nicht leicht in eine der anderen Abtheilungen einreihen lassen, wie z. B. um 1253 befiehlt der Card.-Legat Hugo allen Kirchenvorstehern zu Ehren des von Gregor IX. heilig gesprochenen Dominicus dessen Fest feierlich zu begehen, seinen Namen den Kaiendarien, Martyrologien und der Litanei einzuschalten und das officium proprium zu beten.

83. Handschriften. Fragmente vom 12. Jahrh. an und von Buch- und Aktendeckeln abgelöst. Deutsehe Segenformel (1 5. Jahrh.)

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Beschreibung der Vorgänge bei der Wahl Maximilians II. zum röm. König. (1562. Gleichzeitig.) Anklageschrift gegen Albrecht von Rosen- berg wegen Injurien gegen Bischof Friedrich von Würzburg und Herzog August von Sachsen mit Beziehung auf die Grumbachschen Händel (1565). Manuscripte historischen, poetischen und ascetischen Inhalts von Admonter Kapitularen.

Dieser Abtheilung gehört auch eine Sammlung von Autographen an, welche bis in das 16. Jahrlu hinanreicht. Wir heben hervor: Vollmacht und Instruktion des Kaisers Ferdinand II. (1632. 12. April, Wien) für den Fürsten Johann Ulrich von Eggenberg, mit Wallenslein wegen Wiederübernahme des Commandos über die kaiserl. Truppen zu unterhandeln. Brief Jean Paul Richters an seine Braut Karolina Mayer (1800).

84. Copien von Majestätsbriefen und Privilegien, zum Theile von Behörden vidimirt.

85. Innungen und Zünfte. Handwerkerordnungen (z. B. die der Leinweber zu Graz 1509), Aufdingbriefe, Lehr- und Meister- briefe, Streitigkeiten.

86. Gorrespondenzen der Kapitularen. Darunter bei 800 Briefe des steiermärkischen Historikers Albert von Muchar an seinen Freund Benno Kreil (1809—1849).

87. Urbare, Grundbücher, Güter- und Gültenverzeichnisse. In dieser Abtheilung sind nur die ältesten derselben angeführt. Urb. des Spitales in A. t des Klosters und der Frauenkammer (Perg. c. 1330), des Amtes Obdach (Perg. Ende des 15. Jahrb.), der Güter in Salzburg (Perg. c. 1330, deutsch), der Güter in Oestreich (Perg. 1393-1403), des Amtes zum h. Geist (Perg 1412), des oberen Ennsthales (1424), Prachturbar über sämmtliche Güter in zwei grossen Foliobänden, Perg. mit je 400 Blatt* (1434), Urb. von 1448 (Perg. deutsch), Urbar der Probstei Sagritz aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. Sechs Ilandurbare für den Reisegebrauch der Aebte (1617, Taschenformat).

88. K asten amt. Dieses befasst sich zunächst mit der Auf- sicht über den Getreidekasten, hat aber auch die Leitung der Mühle, Bäckerei, des Gartens und der Salzregie zu besorgen. Kasten- rechnungen von 1435 an. Kaiser Ferdinand III. bewilligt dem Abte Urban und allen seinen Nachfolgern den unentgeltlichen Bezug von 200 Fudern Salz aus der Saline zu Aussee (1648). Dieser Bezug ist wohl zu unterscheiden von jenem des sogenannten Gottesheil-

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P. J. Wichner:

salzes, welches vielen Klöstern aus landesfürstlicher Gnade erlheilt wurde. Admont hatte seine eigentümlichen und seit dem 12. Jahrb. selbstbetriebenen Salzwerke zu Hall und Weissenbach dem Staate abgetreten und daher ex titulo juris eine Entschädigung anzusprechen.

89. Rentamt. Rechnungen des 15. und 16. Jahrb.

90. Kelleramt. Weinleseregister von 1519 an.

91. Küchen amt. Küchendienstregister, Rechnungen, Speise- bücher vom 16. Jahrh. an.

92. Schaff nera mt. Umfasst alle Agendendes Landbaues, der Viehzucht (Gestüte), die Direction der Handwerker und Dienstboten, das Vestiariat und das Alpenschloss Kaiserau.

93. Hofgericht. Ehemaliges Dominium Admont. Steuer- anschlag (1462). Institutio officii in valle Paltina (1427), in Johns- bach (1452). Weichsteuerregister (1467), auch Infel- oder Wahl- steuer genannt. Türkenhilfe (1522). Judensteuer (1497). Schirm- briefe, Inventare, Kauf- und Schuldensachen. Akten über die herr- schaftliche Berainung, über Weg- und Brückenbau, Justizpflege vom 15. Jahrh. an.

94. Admontbüchel (Propstei Obdach), c. 1195 Abt Rudolf II. und Herrant von Wildon vergleichen sich über strittige Waldgrenzen bei Obdach (1 Doppelsgl.). 1214 Herzog Leopold der Glorreiche und Erzbischof Eberhard II. schlichten einen Streit zwischen A. und Reinbert von Mureck um Zehente zu Gamnar (2 Sgl., davon eines ein Doppelsgl.). Urkunden des 13. 16. Jahrh. Steuerregister (1463). Erhebung der 1480 durch die Türken, und 1486 durch die Ungarn den Unterthanen zugefügten Schäden. Verhörsprotokoll über Zauberei.

95. Amt Bruck an der Mur mit dem Mürzthale. 1401. Revers des Jörg Herzog, dass er dem Niklas Zers »im erbern vechten« das rechte Ohrläppchen abgehauen habe. Urkunden des 13. 16. Jahrh. Akten von 1476 an.

96. Admonterhof zu Graz. Urkunden des 14. und 15. und Akten des 16. Jahrh.

97. Gallenstein. Urkunden vom 14. Jahrb., Rechnungen von 1484 an. Fragment eines Urbars des 14. Jahrh. Urbar von 1424. Justizakten von 1521 an, sehr reichhaltig. Banntaidings- verhandlungen 1530-1568. Gerichtsprotokolle 1580— 1771. Corre- spondenzen von 1546 an. Die Abtheilung Gallenstein ist eine der umfangreichsten , sie enthält 116 Faszikel. Die folgenden Abthei- lungen 98—100, 103—107 harren noch der Bearbeitung.

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Ei» wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark. IG!

98. Gstadt im oberen Ennsthale. Urkunden des 13. Jahrb., zahlreicher im 14. und 15. Jahrh. Dokumente von 1457 und 1458 mit Beziehung auf Aeneas Silvius, der Commendatar-Pfarrer zu Irdning war.

99. Jahringhof nordöstlich von Marburg. Urkunden und Akten des 14.— 16. Jahrh.

100- Propstei Kammern. Nur neueres Material.

103. Mainhardsdorf bei Oberwölz. Aelteste Urk. von 1235 der Markgräfin Sophia von Istrien, geborene Gräfin von Andechs. 1264 Bischof Conrad II. von Freising befiehlt seinem Amtmanne zu Oberwölz, die Mauth- und Marktfreiheit der Abtei A. zu respek- tiren. 56 Urkunden des 14. und 15. Jahrh.

104. Marburg, Razerhof. Zwei Urkunden von 1279 betr. den Ankauf von Gütern des deutschen Ritterordens bei Marburg. 1477 Befehl Kaiser Friedrichs III. an Abt Johann von A., dem Ludwig Hausner, weil derselbe »mit veratrey, mit inlassen vnser veint in vnser stat Fürsten velt wider vns gehandelt« , den Razerhof wieder abzunehmen (1 Sgl.).

105. St. Martin bei Graz. Urkunden von 1284 an.

106. Propstei Mautern. Urkunden des 14. 16. Jahrh.

107. Strechau bei Rotenmann mit Thalhof und Grafeneck. 1279. Wülfing von Treunstein stellt dem Stifte einen Hof bei Strechau zurück. Zahlreiche Urkunden des 15. und 16. Jahrh., welche die anwachsende Hausmacht der Hofmanne zu Grünbüi hl und Slrechau illustriren. Die Hofmanne mussten in Folge der Gegenreformation auswandern.

108. Zei ring mit den Gütern im Murthale. 1204. Erzbischof Eberhard II. verbrieft die von Diemut, der Witwe des salzb. Ca- stellans Meingot, dem Stifte gemachte Donation von zwei Höfen zu Weng.

110. Güter in Bayern. Amt Elsendorf. Der einst so gross- artige Güterbesitz der Abtei in Kärnten, Oesterreich und Salzburg ging schon im 16. Jahrh. verloren. Seit der furchtbare Brand 1865 das Stift zerstört hat, gehört der »Reichthum« des Klosters der Geschichte an und man darf auch von Wohlhabenheit nicht mehr sprechen, c. 1161 Walther, Abt von Benediktbeuren, verzichtet auf Güter zu Elsendorf. (Sgifragment). 1161 Berthold, Graf von Andechs, be- urkundet als Vogt diese Güterabtretung (1 Sgl.). 1332 Alhart der Süss, Bürger zu Regensburg, verkauft dem Abte Ekhard einen Hof

ArchiTaltiche Zeitschrift. III. 11

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P. J. Wiehner:

zu Elsendorf (1 Sgl.). 1386 Stefan, Pfalzgraf bei Rhein, und Herzog in Baiern, befreiet die admontischen Güter zu Sauerlach von jeder Vogtei (1 Sgl.). 1560 Abt Valentin und Convent verkaufen gegen Wiederkauf dem Herzog Albrecht von Bayern das Amt Elsen- dorf. Akten von 1431 bis in das 18. Jahrb.

111. Kärnten. Admont besass dort die Propsteien Sagritz (Grosskirchheim) und Reichenau nebst den Aemtern Pisweg, Althofen, Krapffeld und St. Johann am Zosen. Urkunden vom 12. bis in das 16. Jahrhundert. Viele Dokumente ausgestellt von den Grafen von Görz. Akten und Urbare vom 15. Jahrhundert an.

112. Oesterreich ob und unter der Enns. Verwaltung (Hofnieist erei) zu Krems mit den Aemtern Würflach, Arnsdorf, St. Peter in der Au, Winden, Hofen an der Bielach, Welbling, Brunn, Razenberg, Weinzirl und Kirchdorf. Urkunden der österr. Fürsten von 1224 an.

113. Salzburg. Propstei Fritz bei Radstadt mit dem Amte Lungau und zwei Häusern in der Stadt Salzburg. Sieben Urkunden des 13. Jahrhunderts u. s. w. Eine Sammlung von Formularien und ausgefertigten Urkunden. (1550—1576).

115. Acta capituli. Protokolle über Capitelbeschlüsse erst in diesem Jahrhundert beginnend. Wie weit die älteren (verbrannten) zurückreichten, ist unbekannt. Innere Angelegenheiten, Anstellungen, Correspondenzen vom 16. Jahrhundert an. Handschriftliche und gedruckte Mitgliederverzeichnisse.

116. Ecclesiastica, Akten der Dekanate verschiedene Pfarren und Kirchen betreffend. Ueberhaupt Sachen kirchenrechtlicher und liturgischer Natur.

117. Miscellanea. Da mit Miscellaneen weder einem Archivar noch einem Geschichtsforscher geholfen ist, weil die Mühe des Auf- findens und der Zeitverlust in Anschlag zu bringen sind, muss diese Abtheilung nur als eine provisorisch bestehende betrachtet werden, bis für das Einzelne eine anderwärtige passende Einreihung Platz greifen kann. Einstweilen finden sich hier ein Chronicon Admon- tense von Amand Pachler (1667), ein Formel- und Copialbuch (Ende des 15. Jahrhunderts), Confin- und Riegbuch des Gotteshauses A. (16. Jahrhundert), Adressbuch (17. Jahrhundert), Tagebuch des P. Urban Ecker (1820—1840).

118 121. In diesen Abtheilungen sind untergebracht : eine Sammlung von Siegclabdrücken mit 4392 Stück in 32 Kartons sammt

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Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark. Iß3

Register, die Abgüsse in Schwefel, Gips und Thon, 150 Typare nicht über das 17. Jahrhundert hinaufreichend, Bleiplatten aus der Aebtegruft, Kupferstiche, Handzeichnungen, Risse und Pläne, Kupfertafeln zu Vischers Steiermark. Schlösserbuche, eine Zeitungs- sammlung mit 513 Stück, und eine kleine archivalische Hilfsbiblio- thek. In neuester Zeit (Jänner 1878) wurde auch die stiftische Mün- zensammlung dem Archive einverleibt. Zur äusseren Ausschmückung des Lokales dienen alte Gemälde (Porträte der Aebte, Schlösser und Burgen), Grabsteine, Mass werke des alten gothischen Kirchenbaues zu A. (13. Jahrhundert), Waffen und Ilolzsculpturen.

Aus diesem in allgemeinen Umrissen entworfenen Bilde des Klosterarchives zu Admont ergibt sich die Thatsache, dass guter Wille und beharrlicher Fleiss im Stande waren, aus Asche und Trüm- mern ein neues, wenn auch bescheidenes, aber immerhin beachtens- werthes Gebäude zu erheben, welches vielleicht würdig gefunden wird, eine Seitenkapelle in dem erhabenen Tempel historisch-archi- valischer Wissenschaft respräsentiren zu dürfen. Mag man auch die urwüchsige Art und Weise meines Vorgehens und Ordnens nicht überall billigen, so darf ich doch überzeugt sein, dass alle Freunde der Geschichte und ihrer ehrwürdigen Denkmale mein Rettungswerk, und bestände dieses auch nur in der sicheren Aufbewahrung der Pergamente und Papiere, aufmunternd begrüssen werden.

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VIII. Das Archiv der Stadt Hermannstadt und der sachsischen Nation in Siebenbürgen.

Vom Vorstand Archivar Franz Zimmermann.

Der Einsicht der Gemeindevertretung von Hermannstadt, welche seit Jahrhunderten in ihrem Archiv ein unersetzliches Kleinod er- blickte und sich fort und fort die Fürsorge für dasselbe angelegen sein Hess, hat es die vaterlandische Geschichtsforschung zu danken, dass in Hermannstadt heute noch eine solche Fülle historischen Quellenmaterials vor den Stürmen der Zeit bewahrt und der wissen- schaftlichen Benützung zugänglich gemacht ist. Als Archiv des Vor- ortes (der Metropolis) der >Provincia Cibiniensis« oder der Stühle Hermannstadt, Leschkirch, Grosschenk, Reps, Schassburg, Reuss- markt, Mühlbach und Broos, dann weiter der gesammten sachsischen Nation in Siebenbürgen, also auch der Stühle Mediasch und Schelken und der Districte Bistritz und Kronstadt, nahm das Hermannstädter Archiv nicht nur die lediglich auf dje Stadt Hermannstadt Bezug habenden, sondern selbstverständlich auch diejenigen Schriftstücke auf, welche die Hermannstädter Provinz oder auch das ganze Sachsenland betrafen, und unter der Adresse Hermannstadts ein- langten, natürlich auch die Stadt selbst in hervorragender Weise mitberühren. Seit dem vorigen Jahrhundert wendete auch die säch- sische Nationsuniversität das ist die durch Wahl nach Hermann- stadt entsendete Vertretung der sächsischen Nation dem Hermann- städter Archive ihre Aufmerksamkeit zu und über ihre Initiative

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 1(J5

wurde vor einigen Jahren die Neuordnung1) des Archivs, das ein gemeinsames Besitzthum der Stadt Hermannstadt und der säch- sischen Nation bildet, in Angriff genommen. Nachdem das den Jahren 1292—1500 angehörige Material der Urkundenabtheilung, welches, wenn man die bloss in spateren Stücken citirten Urkunden mit in Anschlag bringt, bis zum Jahre 1203 zurückreicht, von der tleissigen Hand des Archivars Wilhelm Wenrieh vollständig neu repertorisirt und zum Theil auch neu geordnet, ferner vom Archivar Gustav Seivert einzelne Actenfascikel des 18. Jahrhunderts verzeichnet worden, üt>erkam Schreiber dieses die Obsorge über das Archiv und setzte die Neurepertorisirung der Urkundenabtheilung im Anschlüsse an Wenrichs Arbeit fort, doch nicht ohne sich früher über den In- halt des Archives im Allgemeinen orientirt zu haben. Die Ergebnisse dieser Orientirung übersichtlich zusammenzufassen und dem geschichts- forschenden und geschichtsschreibenden Publicum zu vermitteln, soll Aufgabe dieser Zeilen sein. Es soll somit eine Uebersicht über den jetzigen Archivbestand geboten werden. Vollkommen klar darüber, dass allein durch Drucklegung der Repertorien die archivalischen Schätze Gemeingut werden können8), glaube ich doch für den Ab- gang gedruckter Repertorien (Inventaires), die auch ich anstrebe, einstweilen hiermit einigen Ersatz bieten zu sollen.

Der ganze Archivbestand gliedert sich in sechs Hauptgruppen: I. Urkunden (im weiteren Sinne des Wortes), II. Acten, III. Rech- nungsbücher, IV. Protocollbücher, V. Handschriften, VI. Repertorien, wovon die erstgenannten fünf Gruppen im Archive selbst, einem geräumigen, trockenen, lichten und feuersicheren Gewölbe, je ihren bestimmten Platz einnehmen, während die Repertorienbände im Amtszimmer des Archivvorstandes aufgestellt sind, gleichwie die Archivhandbibliothek, welche den Benützern des Archives zur freiesten Verfügung steht, jedoch nur innerhalb der Archivlocalitäten, be- ziehungsweise in dem für die Archivben ülzer bestimmten Arbeits- zimmer.

') L)ie älteren Ordnungsarbeiten, so die des .Notars t'oinarius aus dem 16. Jahrhundert, dann die umfassende Repertorisirung aus dem vorigen Jahr- hundert sollen in einer spater zu veröffentlichenden Geschichte unseres Archives berücksichtigt werden.

*) Vfrl. Archivs). Zeitschr. I.

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Franz Zimmermann:

I. Urkunden.

Die Abtheilung der Urkunden (vormals durch »Instrumenta litteralia«, jetzt abgekürzt durch: U bezeichnet) umfasst 6530 Num- mern , begreift aber nicht nur die Urkunden im diplomatischen (engeren) Sinne des Wortes, sondern auch die Briefe, dann mittel- alterliche Rechnungen und Steuerregister, neuere Landtagsacten, Statute der Stadt und Verhandlungen der Stadtvertretung (Gommu- nität) und des Magistrates von Hermannstadt, richterliche Entschei- dungen u. A. m. aus den Jahren 1292—1700. Der Uebersichtlichkeit halber theile ich diesen Zeitraum bei der folgenden Specificirung des gesummten urkundlichen Materials in zwei Perioden: A die Zeit der ungarischen Königsherrschaft: bis 1526, und B die Zeit der siebenbürgischen Fürstenherrschaft , einschliesslich die Zeitdauer des Ferdinand-Zapolya" sehen Thronstreites und die ersten 9 Jahre der Herrschaft des Hauses Habsburg über Siebenbürgen: bis 1700. Der ersten Periode

A. - 1526

gehören 1652 Stücke an, welche unter ebensoviel Nummern im Archiv eingelagert sind. Darunter belinden sich 599 ungarische Königsurkunden, und zwar 564 Originale und 36 Copien, dann 996 anderweitige Urkunden und Briefe, 57 Rechnungen, Steuerregister u. A. Zunächst sei der Urkunden und Briefe und da wieder zuerst der von Weltlichen, nach Ländern geordnet, dann der von Personen und Gorporationen des geistliehen Standes, entsprechend der hierarchi- schen Stufenleiter, gedacht. Weiter sollen Rechnungen, Steuerregister und sonstige Archivalien, welche unter die Urkunden und Briefe nicht subsumirt werden können, besondere Erwähnung finden.

a) Urkunden und Briefe weltlicher Personen und Corporationen. 1. Ungarn und Siebenbürgen.

An erster Stelle sind die ungarischen Königsurkunden zu nennen, deren ältestes Original auf Pergament aus dem Jahre 1306 von K. Otto datirt, während die älteste Königsurkunde auf Papier, zugleich die älteste Papierurkunde des Archivs überhaupt, aus dem Jahre 1359 von K. Ludwig stammt. Das älteste Insert (Transsumpt) ist eine Urkunde K. Andreas II. von 1223, und die älteste Königs- urkunde, welche in einem im Archiv verwahrten Stück citirt er- scheint, ist eine Urkunde K. Emerich von 1 203. In Folgendem sind

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siehenhürgen. 167

nur die Originale berücksichtigt, wogegen am Schluss der Uobersicht über die Königsurkunden in einer tabellarischen Zusammenstellung auch die Anzahl der in Copien oder als Inserte erhaltenen Stücke angegeben werden wird. An K. Otto's Urkunde von 1306, wodurch die von K. Stephan V. und Andreas III. der Abtei Kerz verliehenen Freibriefe confirmirt werden, reiht sich von

Karl Robert die Confirmation dos Andreanischen Freibriefes (von K. Andreas II. 1224 den Sachsen ausgestellt) vom Jahre 1317, die in noch neun landesfürstlichen Bestätigungsurkunden, von K. Ludwig I., Maria, Sigismund (2), Mathias, Wladislaus II , Ferdinand I., den Fürsten Stephan Bathori und Gabriel Bethlen im Archiv auf- bewahrt wird. An diese schliesst sich chronologisch noch eine Ur- kunde Karl Robert's für die Abtei Kerz, von 1339.

Ludwig L ist vertreten durch eine Anzahl Privilegien für die Hermannstädter Kaufleute, welche bereits damals 'einen ausge- dehnten Handel trieben nach Polen, Grosswardein , Ofen, Wien, Prag, Zara und Venedig, ferner durch die Confirmation des Andrea- nischen Freibriefes vom Jahre 1366; im Jahre 1370 nimmt Ludwig Kenntniss von der Erbauung der Feste Landskron durch die Sach- sen, jene Getreuen, »quibus signanter confinia et finitimae partes regni velud sublimibus columnis fulciutiturc , und spricht dieselben von weiteren Dienstleistungen zu diesem Baue frei, zugleich ihre Verdienste um Krone und Reich weiter mit den Worten anerken- nend: »Ideo nos huiusmodi fidelium Saxonum nostrorum fidelitates et servitia, quas et quae iidem ad nos et ad sacrum nostrum dia- »iema Semper habuerunt et habent de praesenti gratas habentes..

Königin Elisabeth urkundet 1382 für die Hermannstädfer Kauf- leute. Königin Maria bestätigt 1383 das »Andreanum« und urkundet 1386 für die Hermannstädter Bürger und Kaufleute.

Von K. Sigismund führe ich vor: die Gonfirmationen des An- drea nums, zahlreiche Schutzbriefe für die Hermannstädler Kaufleute, unter welchen mehrere vom Bürgermeister Johann Ferl ausgewirkt; weiter Aufträge an die Sachsen der »Provincia Cibiniensis« (gemannt kurzweg: Septem sedes, nämlich eigentlich: Gibinium et septem sedes), sie sollen die Bewohner der Kerzer Besitzungen Kreuz, Meschendorf und Klosdorf gegen die Bedrückungen des Abtes von Kerz in Schutz nehmen; von 1424 ein Schutzbrief für Hermannstadt und aus dem- selben Jahr die Verleihung der Probstei des heiligen Ladislaus und ihrer Güter Reussen, Gross- und Kleinprobstdorf , Bolkatsch und

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Franz Zimmermann:

Seiden an die Stadt Hermannstadt. 1432 stellt Sigismund Hermann- stadt und den 7 Stühlen einen Schutzbrief aus gegen die Be- drückungen durch den Voivoden Michael Chaak, wie auch 1435 und 143C, wahrend er 1435 auf Bitten des Bürgermeisters Jacob die im Jahr 1424 erfolgte Verleihung der Güter der Probstei des h. Ladis- laus mit dem neuen Majestätssiegel bestätigt und durch mehrere Urkunden aus den Jahren 1426 und 1435 die Steuerzahlung der Sachsen der sieben Stühle bestimmt.

Albert, römischer Kaiser und König von Ungarn, sichert 1439 den Bürgern und Einwohnern von Hermannstadt zu, sie sollen nicht vor fremde Gerichtshöfe geladen und ihre Waaren und Güter nicht mit Beschlag belegt werden, da nur ihre eigenen Richter dazu com- petent seien.

K. Wladislaus I. bestätigt 1441 den Sachsen der 7 Stühle die von den Königen Geysa, Andreas II., Karl Robert, Ludwig und Sigismund gewährte Zollfreiheit und Sicherheit des Handelsverkehrs und urkundet 145.* und 1456 mehrmals zu Gunsten der sächsischen Kaufleute aus den 7 Stühlen. Im Jahr 1453 wird den Sachsen der 7 Stühle das Recht, sich an bestimmten Jahrtagen von Salzburg Kleinsalz holen zu dürfen, und von demselben Jahre angefangen bedienen sich die Sachsen von Hermannstadt und den 7 Stühlen gemäss königlichen Privilegs bei urkundlichen Ausfertigungen eines rothen Siegels. Das Talmatscher Gebiet, einschliesslich Landskrone, Rothenthurm, Lauterburg und die zugehörigen Ortschaften und Praedien, wird 1453 den Sachsen der 7 Stühle verliehen und 1456 dem vom Adel geschädigten Sachsenboden im Leschkircher , Her- mannstädter und Reussmärkter Stuhl der königliche Schutz und Untersuchung der Beschwerden zugesagt.

K. Mathias stellt 1459 den sächsischen Kaufleuten mehrere Freibriefe aus, erklärt ferner, dass die Sachsen nicht der Gerichts- barkeit der Voivoden oder Vicevoivoden , sondern nur ihren eigenen Richtern unterstehen, und erneuert das Recht des Bezuges von Salz aus den Königlichen Gruben, welches Recht auch 1468 und 1472 wieder bestätigt wird. Im Jahr 1464 erhalten die Hermannstädter Bürger das Recht, den Königsrichter zu wählen, worauf in demselben Jahr von ihnen die Entsendung schweren Geschützes nach Thorda gefordert und ihnen die Erzeugung von Pulver und Büchsen auf- getragen wird. Drei Jahre später bietet Mathias die Sachsen gegen die Türken auf und ermahnt sie, sich kriegsbereit zu halten. Im

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Da< Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Xatiun in Siebenbürgen. 169

Jahr 1469 erfahren die Hermannstädter vom Könige selbst, dass er Böhmens Krone angenommen habe. Bürgermeister, Senioren und Geschworne der 7 Stühle werden im selben Jahr zum Aufsichtsrath über den Kerzer Abt bestellt, in eben dem Jahre den 7 und 2 Stühlen (der Hermannstädter Provinz und den Stühlen Mediaseti und Schelken) die freie Königsrichterwahl »nach alter Sittec zuge- sichert und 1470 den Plebanen der 7 Stühle untersagt, sieh in weltlichen Dingen die Gerichtsbarkeit anzumassen. Die königliche Schenkung der Gebiete von Fogaras und Hamlesch nebst allen dazu gehörigen Dörfern und Xutzniessungen an die Hermannstädter und die 7 Stühle datirt von 1472 und wird durch eine Urkunde auf Pergament vom Jahre 1483 confirmirt. 1474 und 1477 wird die Vereinigung der Abtei Kerz sammt allen ihren Gütern und Be- sitzungen mit der Probstei zur h. Jungfrau Maria in Hermannstadt ausgesprochen. Eine bedeutende Anzahl von Urkunden beziehen sich auf die Steuerleistungen der Sachsen, auf den Grosswardeiner Zoll und auf den Handelsverkehr der sächsischen Kaufleute durch Ungarn. Ein Stück von 1476 erklärt die Egreser Abteibesitzungen Donnersmarkt, Schölten, Abtsdorf und Schoresten als zu den sieben Stühlen gehörig, und 1486 wird das Andreanum von K. Mathias confirmirt.

Beatrix, König Mathias' Gemahlin, fordert 1489 von den Sachsen Wagen und Reitpferde und im Jahre 1490 Subsidiengelder.

Wladislaus II. benachrichtigt 1490 die Sachsen von seiner Er- wählung zum ungarischen König und ladet sie ein, zur Krönung Deputirte zu entsenden. Eine königliche Urkunde von 1491 ruft die Sachsen zur Vertheidigung des Reiches unter die Waffen, eine andere fordert schleunigste Steuerzahlung, während eine dritte aus demselben Jahre dem Ilermannstädler Rath die Kunde bringt, dass zwischen ihm und dem römischen Kaiser und dessen Sohn Friede geschlossen sei Erwähnt seien nun eine Reihe von Bestätigungs- urkunden, so wird 1493 die Sigismund'sche Verleihung der Probstei des heiligen Ladislaus und ihrer Güter Reussen, Gross- und Klein- probstdorf, Bolkatseh und Seiden an die Bürger von Hermannstadt und das Andreanum confirmirt, 1494 der Rath von Hermannstadt im Besitz der Abtei Kerz bestätigt und K. Matthias' Urkunden con- firmirt, in welchen die Vereinigung der Kerzer Abtei mit der Her- mannstädter Probstei ausgesprochen worden war. »Dringender, als sich dies durch Worte ausdrücken lässt,« bedarf der König 1494

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Franz Zimmermann:

sächsichen Geldes und fordert Subsidiengelder von den Sachsen; ähnlich 1495 und öfter in den folgenden Jahren. Eine ganze Serie von Urkunden betrifft die zum Verband der 7 Stühle gehörigen Egrescher Abteibesitzungen Donnersmarkt, Schölten, Abtsdorf und Schoresten, welche beständigen Erpressungen seitens des Adels aus dem Kokelburger Comitate ausgesetzt sind. Mehrfache Aufträge er- gehen an die Voivoden, die Sachsen gegen die Diebstahl, Raub und Plünderung ausübenden Walachen in Schutz zu nehmen. Durch Intervention Hermannstadts bekommt 1500 Heitau das Recht, zwei Jahrmärkte abhalten zu dürfen. Was schon lange zu Recht bestand, wird neuerdings durch das Wort des Königs bekräftigt, indem irn Jahr 1504 die ehemaligen Besitzungen der Abteien Egres und Kerz, die Besitzungen der Hermannstädter und Sehässburger Kirche, dann der Stadt und Kirche Kronstadt, ferner die VII Richter- Herrschaften (d. h. die ♦Hermannstadt und den 7 Stühlen gehörigen Herrschaften) Hamlesch und Talmatsch als völlig frei von der Steuerleistung im Mittel des Adels erklärt werden, welches betreffend die der Hermann- städter Kirche eigenthümlichen Besitzungen noch besonders in einer Urkunde von 1508 wiederholt wird. Gleichfalls nur altes Recht bestätigend wird in zwei Stücken von 1511 und 1514 ausgesprochen, dass die Sachsen nicht verpflichtet seien, vor dem Voivodalgericht zu erscheinen. Neben einigen königlichen Landtag- Einberufungs- schreiben nenne ich noch 2 Urkunden aus dem Jahr 1515, womit den Gemeinden Alvincz und Borberek alle Rechte und Freiheiten, deren sie sich gemäss älterer königlicher Privilegien gleich wie die Städte der sieben Stühle erfreuen sollten, bestätigt werden.

Von Ludwig II. sind sehr viele Urkunden über die Steuer- leistungen der Sachsen erhalten, darunter aus dem J. 1524 allein fünf Stücke betreffend den »Martinszins«. Ansehnliches Material be- zieht sich auf die Münzprägung in Hermannstadt; 1526 urkundet Ludwig II. zn Gunsten der Hermannstädter Kaufleute.

Die Gemahlinnen der Könige Wladislaus II., Anna, und Ludwig II., Maria, sind durch je eine Urkunde aus dem Jahre 1504, beziehungs- weise 1525, vertreten.

Bei dein Jahre 1526 angelangt lasse ich eine Uebersicht über sämmtliche, der früheren Zeit angehörigen Königsurkunden folgen, wobei auch die als Inserte im Archiv erhaltenen Stücke aufgenom- men sind. Das Archiv besitzt von Andreas II. 2 Transsumpte, von Stephan V. desgleichen 3, von denen 2 ihn als rex junior auf-

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 171

führen, von Ladislaus IV. und Andreas III. je ein Transs., von Otto eine Urkunde auf Perg, von Karl Robert 2 Urk. und 6 Transs., von Ludwig L 15 auf Perg., 6 auf Papier u. 7 Transs., von Elisabeth 2, davon eine auf Papier, von Maria 2 auf Perg., 1 auf Pap. und 4 Transs. , von Sigismund 45 Urk. auf Perg., 18 auf Pap., 6 Copicn und 15 Transs., von Barbara 2 Urk. auf Perg., von Albert je eine auf Perg. und Pap., von Wla- dislaus, König von Polen l auf Perg., 3 auf Pap., von Ladislaus V. Posthumus 5 auf Perg., 20 auf Pap., 2 Gop., 2 Transs., von Mathias 16 auf Perg., 120 auf Pap., 13 Gop., 24 Transs., von Beatrix 2 Urk. auf Pap., von Wladislaus IL 13 auf Perg., 203 auf Pap., 10 Gop., 5 Transs., von Anna 1 auf Pap., von Ludwig II. 1 auf Perg., 82 auf Pap., 4 Cop., von Maria 1 Urk. auf Pap., also 654 Urk. von Königen und 15 von Königinnen, im Ganzen 669 Urkunden, davon 105 auf Perg., 459 auf Pap., 35 Cop. und 70 Transsumpte.

An die ungarischen Königsurkunden werden sich sachgemäss am besten die, meist während der Minderjährigkeit der Regenten, von den Gubernatoren oder Reichsverwesern ausgefertigten Urkunden anreihen lassen. Johann von Ilunyad urkundet während der Minderjährigkeit K. Ladislaus V. Posthumus als Gubernator von Ungarn (1446 l), Michael Zylagy de Horogzeg als Gubernator von Ungarn (1458) und dann als Erbgraf von Bistritz und Gubernator von Siebenbürgen (1460), Stephan de Bathor als Palatin »et in ab- sentia regiae majestatis locumtenens« (1522), Emerich Zapolya als Gubernator von Bosnien (1464).

Die Palatine, darunter Stephan de Zapolya, Erbgraf der Zips, Emerich de Peren (1509), Stephan de Bathor (1522), und obersten Hofrichter (iudices cutiae) sind durch zahlreiche Urkunden ver- treten.

Von den siebenbürgischen Voivoden ist eine stattliche Reihe von Urkunden erhalten. Sie beginnt mit dem Voivoden Ladislaus von Zonuk; es folgen Urkunden der Voivoden Emerich Bubek, Frank von Zonuk, Stibor, der beiden Nicolaus, Jacob Laczk, Johann von Hunyad, Johann Pongracz, Johann von S. Georg und Bozyn,

') Das in Klammer beigesetzte Jahr ist, wenn nichts Anderes bemerkt ist, das Incarnationsjahr des ältesten von dem betreffenden Aussteller erhaltenen Stückes.

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Franz Zimmermann:

Blasius Magyar (1473), Gereb von Vingard (1478), Stephan Bathor, Ladislaus von Losoncz, Bartholomäus Dragfi von Belthewk, Peter von S. Georg und Bozyn und Johann Zapolya (1511, König 1526).

Vicevoi voden: Lorand Lepes, Sigmund von Sarthwan, Johann von Zerdahel, Nicolaus der Aeltere von Wyzakna, Dominik Bethlen (1469), Stephan von Telegd (1487), Nicolaus Hagymasi (1494), Leon- hard Barlabassi (1507), Nicolaus Thwroczy (1512) und Stephan Zanyzloffy de Bathor (1521).

Ferner sind Urkunden vorhanden von Barnabas, »banus Zewrensis« (1510), vom Temcser und Salzkammergrafen Pipo von Ozora, vom Temeser Vicecomes Balthasar, vom Zalaer Ober- gespan Nicolaus von Kanisa, vom Raaber Obergespan Stephan von Rozgon, von Johann von Hunyad und Michael Zylagy de Horog- zegals Krbgrafen von Bistritz, von Grafen der Szekler, Reichs- schatzmeistern, Oberstthürhütern, verschiedenen Ober- und Vicegespanen, königlichen Gesandten, Kammergrafen, Kämmerern, Castellanen, Zoll- und Steuerbeamten u. s. \v.

Bedeutendes Urkundenmaterial liefern auch die Landstände, ein- zelne Städte und Municipalbeamte. Das Archiv birgt Urkunden ungarländischer Reichstage und siebenbürgischer Pro- vinci a Hand tage, unter letzteren die Unionsurkunde von 1437 und in gleichzeitiger Gopie die von 1506. Die Gesammtvertretung des Sachsenlandes (universitasSaxonu m), nämlich von I Iermann- stadt, Lesehkirch, Schenk, Reps, Schässburg, Reu-smarkt, Mühlbach, Broos, Mediasch, Schelken, Kronstadt mit dem Burzenland und Bistritz, dann die »sieben und zwei Stühle« (septem et duae sedes: Hermannstadt, Lesehkirch, Schenk, Reps, Schässburg, Rcuss- markt, Mühlbach, Broos, Mediasch und Schelken), die »sieben Stühle« (septem sedes: die ebengenannten ohne Mediaseh und Schelken) hierher gehört die Zunftordnung der sieben Stühle vom Jahre 1376 , die »zwei Stühle« (duae sedes: Mediasch und Sehelken), endlich die Hermannstädter Stuhlsversammlung erscheinen als Aussteller von Urkunden.

Der Her mann städter Rath urkundet 27mal, wovon das älteste Stück, eine Urkunde auf Pergament aus dem J. 1292, zu- gleich das älteste Original des Archivs überhaupt ist. Ich nenne weiter den Rath von Kronstadt, welcher im J. 1429 deutsch urkundet (dies das älteste siebenb.-deutsche Stück des Archives), den Rath von Sehässburg, von Mediasch, von Broos, von Mühlbach (1487), Richter

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und Geschworene von Reps (1481), von Schenk (1508), Hann und Geschworene von Agnetheln (1504), die Communitäten (Gemeindever- tretungen) von Alwincz und Borberek (1510), Richter und Geschworene von Alwincz, von Klausenburg, von Tövis (1468), von Nagybanya (1468), von Feigendorf, Richter und Rath von Ofen, Richter und Geschworene von Grosswardein (1464), von Temesvar (1498), von Szegedin (1496).

Unter den von einzelnen Personen ausgestellten Stücken sind zu erwähnen die Urkunden sächsischer Bürgermeister, Königsrichter, Grafen und endlich der Agenten der sächsischen Nation am unga- rischen Hoflager.

Von deutschen Stücken hebe ich hervor die schon erwähnte Urkunde Kronstadts vom J. 1429, Symon Roth von Clausenburg (1489), Königsrichter Laurentius Han (1492 und 1493), Michael Pixemeister an die Hermannstädter (1494), Sophia von Wald- stein, Gräfin von S. Georg und Bozyn (1500), einige Hermannstädter Bürger (1500), Laurentius Tynck von Noeszen (1509), Marcus Pemfflinger (1526). Damit ist die Uebersicht über die ungar- ländischen und siebenbürgischen Urkunden des Archives erschöpft. Wir kommen nun an die vom Ausland her an den Hermannstädter Rath, respective die sächsische Nation, gerichteten Urkunden und Briefe.

2. Oesterreich

Der österreichische Herzog Wilhelm urkundet 1401 und 1404 zu Gunsten der Hermannstädter Kaufleute, beide Stücke in deutscher Sprache. Bürgermeister und Rath von Wien sind im Archiv ver- treten, so auch Rupert Tannliofer, deutscher Ordenshausmeister zu Wien (1475).

:j. Walachei.

Urkunden der Voivoden Wlad (1457), Radul (1467), Wladis- " laus Dragwlya (1475), Bazarab (1476), Wlad (1492), Radul (1498), Michna (1508), sowie dessen Wittwe Woyka (1511), Wlad (1510), Bozorab (1512) und Radul (1525) sind, in summa 35 Stück, vor- handen, einschliesslich der beiden vorfindlichen Stücke der Wittwe Woyka.

4. Moldau.

Nicht so rege wie der Verkehr zwischen den Sachsen und der Walachei im 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts stellt sich

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Kranz Zimmermann:

aus dem überkommenen Urkunden material der Verkehr mit der Moldau dar. Das Archiv verwahrt nur 4 moldauische Urkunden, nämlich eine Urkunde des Voivoden Elias (1433) und 3 des Voi- voden Bogdanus (1505).

5. Schlesien

wird durch eine Urkunde Emerich Chobor's, des Gubernators de? Herzogthums Troppau (1512), und eine deutsche Urkunde der Bres- lauer Goldschmiedezunft (1515) repräsentirt. Aus

ij. Bayern

ist ein Stück zu nennen, vom Rath von Erding 1499 in deutscher Sprache ausgefertigt.

b) Urkunden und Briefe geistlicher Personen und Corporationen.

Wie schon bemerkt, werden die Stücke dieser Unterabt heilung nach den Ausstellern entsprechend der hierarchischen Stufenleiter aufgeführt, demnach mit den papstlichen Urkunden der Anfang gemacht. Diese sind: von Papst Johann XXII. ein Original aus dem J. 1322 betreffend das Patronatsrecht über die Hermannstädter Pfarrkirche ; von Martin V. (1426) zwei fast gleichlautende Urkunden (die eine Original, die andere Copie davon) betreffend die Aufhebung der Probstei zum h. Ladislaus und Schenkung der Güter derselben an die Hermannstädter Stadtgemeinde (iudici, iuratis civibus totique communitati ejusdem civitatis Gibiniensis), wovon auch mehrere In- serle vorhanden sind; von Eugen IV. 2 Inseile aus den Jahren 1436 und 1438; von Nicolaus V. (1447) ein Original betreffend die Auf- hebung der Probstei zum h. Ladislaus, ein Insert (1453) über einen allgemeinen Kreuzzug gegen die Türken und ein Insert (1454) an die Minderbrüder ; 2 Inserte von Galixt III. (1455), welche die beiden letztgenannten Urkunden Nicolaus V. bestätigen; Pius II. ertheilt im J. 14G2 allen Denen vollkommenen Ablass, welche eine gewisse Türkensteuer leisten, und predigt 14G3 den Kreuzzug gegen die Türken; beide Urkunden sind in Copien erhalten.

Bedeutend ist die Anzahl der von Geistlichen verschiedenen Ranges in ihrer speciellen Eigenschaft als päpstliche Legaten ausgestellten Stücke, worunter Urkunden des siebenbürgischen Probstes Georg Lepes, des Albaner Bischofs Jordanus, des Bischofs von Segni Johann u. a.

Es folgen die Erzbischöfe von Gran: Dionysius (1440), Ladis-

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siebenhürgen. 175

laus »Primas Hungariae« (1526), und von Calocsa: Stephan (1463), welcher aber nicht als Erzbischof, sondern in Verbindung mit einigen Grossen des Reiches, betreffs der ungarischen Königskrone urkundet; Paul de Thomor (1522).

Desgleichen ist der weitaus grössere Theil der von den ungari- schen Bischöfen ausgefertigten Urkunden nicht in ihrer Eigenschaft geistlicher Oberhirten, sondern vielmehr königlicher Würdenträger ausgestellt , und zwar fungiren und Urkunden die ungarischen Bischöfe meist als Oberstschatzmeister (thesaurarii). Von den sieben- bürgischen Bischöfen, die zu Weissenburg (Karlsburg) ihren Sitz hatten, sind selbstverständlich viele Urkunden in Folge ihres geist- lichen Amtes nach Hermannstadt gekommen. Alphabetisch nach Bischofsitzen geordnet stellt sich unser Material an ungarischen Bischofsurkunden fol^cndermassen dar:

Agram Oswald (1466). Csanad Benedict (1321), Albert (1462), Johann (1469), Lucas (1493). Erlau Urban, electus (i486). Fünfkirchen Sigismund (1495), Georg (1513). Gross- wardein Jwanka, im Verein mit Bischof Benedict von Csanad (1321), Johann (1389), Georg (1505). Raab Urban (1481). Veszprim Peter Beryzlo (1513), Paul de Warda (1518). Waitzen Ladislaus Zalcanus (1516). Weissenburg Maternus (nach Wenrich: wahrscheinlich 1396), Stephan (1414), Nicolaus (1464), Ladislaus Gereb (1485), Franz de Varda (1515). - Hieran schliessen sich die Urkunden einiger Üomcapitel, so von Gran, Csanad, Gross- wardein und Weissenburg, welches als »siebenbürgisches Domcapitel« allein durch 50 Urkunden vertreten ist.

Einzelne Urkunden rühren her vom Hermannstädter und Omer Capitcl, vom Küküllöer Archidiakon, vom Hermannstädter Decan. Abt und Convent von Koloszmonostor wie von Kerz schreiben oft nach Hermannstadt.

Ausserdem bewahrt das Archiv noch eine Menge von Urkunden verschiedener Domherren, Archidiacone, Pröbste, Plebane, Caplane, Ordensgeistlichen, worunter auch von den Brüdern des Ordens zum heiligen Geist (den Vorständen des Hermannstädter Spitals), und Notare.

Neben den Urkunden und Briefen sind Rechnungen oder Rech- nungsbruchstücke, dann sonstige Archivalien, die weder Urkunden, noch Briefe, noch Rechnungen sind, der Urkundengruppe einver-

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Franz Zimmermann:

leibt und werden dieselben, soweit sie der ersten Periode 1526, angehören, in Folgendem aufgeführt.

Rechnungsbücher und Bruchstücke aus solchen bis 1526.

Ein deutsch-lateinisches Bruchstück einer städtischen Rechnung aus dem 14. Jahrhundert, ein solches (lateinisch) aus dem 15. und eine deutsche Rechnung über Waaren lieferung aus demselben Jahr- hundert; aus dem J. 1467 ein deutsch-lateinisches Ausgabenver- zeichniss des Provincial- (Hermannstadt und die 7 Stühle) Steuer- sammlers Nicolaus Aurifaber ; aus 1 468 9 Stücke, meist vom Bürger- meister Nicolaus Rwsse, enthaltend vier Hermannstädter Stuhls- und 1 VII Richter- (Hermannstadt und die 7 Stühle umtassend) Rech- nungen, ferner 3 städtische Rechnungen und 1 Darlehensverzeichniss (wohl auch städtische Rechnung); aus 1470 und 1485 je ein, aus 1484 2 Hermannstädter Steuerregister; aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts 7 Bruchstücke von Ausweisen über die Kosten der Hermannstädter Thor wachen ; aus 1485 Bruchstück einer städtischen Rechnung; aus 1494 Rechnung des Stadthannen Peter Rotgen über die Kosten des Aufenthaltes von K. Wladislaus II. in Hermannstadt nebst einem Bruchstück gleichen Inhalts; 3 Steuerregister und zwar Hermaunstadts von 1494, Schässburgs und Mühlbachs von 1495; 7 Foliohefte aus den Jahren 1494 bis 1497 und 1500 bis 1501, enthaltend Rechnungen der Stadt, des Stuhles Hermannstadt, sowie der Siebenrichter oder Sieben Stühle, welche Hefte unter der Signa- tur R. L 1 bis 4 und R. II. 1—3 in einem Urkundenkasten, doch in besonderen Laden untergebracht sind, während alle übrigen vor- genannten Rechnungen unter der Signatur U. dem Urkundenmaterial in chronologischer Folge incorporirt sind. Endlich ist aus den Jahren 1507 bis 1508 ein Bruchstück einer Hermannstädter Zwanzigstrech- rechnung und, auf einem Papierblatt verzeichnet, die »consignatio thelonii porcorum ex sede Szelistje« aus dem Jahr 1514 zu nennen.

Sonstige Archivalien bis 1520.

Nur wenige Stücke gehören hierher, zunächst ein Urkunden- verzeichniss und ein Schriftstück der Fassbinder aus dem 15. Jahr- hundert; aus 1474 Bestimmungen über die Art der Verwendung der Kerzer Abtei-Einkünfte; ein Heft aus 1476 mit Angaben über die Entlassung walachischer Häftlinge; aus dem letzten Viertel des

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 177

15. Jahrhunderts ein deutsches Stück »Anbringen an unsern aller- »gnedigsten Herren den König der Stet und aller Teutschen aus »Sybenburgen«, dann 2 Bruchstücke das Hennannstädter Spital betreffend, aus 1482 Transrnissionalien des Repser Gerichtes, aus 1-499 eine Aufzeichnung über ein Zeugenverhör zu Reps; aus 1490 eine erbrechtliche Entscheidung und aus 1491 Aussagen eines des Diebstahls Angeklagten; aus 1521 das Zeugenverhör in einem Bist- ritzer Proeesse; aus dem Ende des 15. Jahrhunderts ein Verzeichniss über Einlösung von Sessionen in Roosch durch den Hennannstädter Geschwornen Georg Sabo; aus 1492 und 1493 je ein Verzeichniss des Kriegsmaterials der Hermannstädler Zünfte; aus dem Ende des 15. Jahrhunderts »Vormerkungen zu einer Tagfahrt« nebst einigen Rechnungsposten ; um das Jahr 1500 sind abgefasst eine Beschwerde- und Bittschrift der 7 Stühle an den König und das Bruchstück einer Grenzbegehung zwischen Stolzenburg und Reussen. Wir kommen in der Betrachtung der »Urkundengruppe« zur zweiten Periode

B, 1527-1700.

Während die Uebersicht über das Urkundenmaterial aus den Jahren vor 1526 auf Grund der Autopsie der Originale verfasst ist, musste diese für den grösseren Theil der zweiten Periode unter- bleiben, da das Ausheben und Reponiren sämmtlicher noch nicht neuregistrirten Stücke die Arbeit allzu sehr verzögert haben würde. Es ist also dieser zweite Abschnitt der Uebersicht über das Urkunden- material vornehmlich auf Grund der älteren Repertorien ausgearbeitet worden, die aber immerhin einen werthvollen Einblick in den Urkundenbestand des Archives gewähren. Dieser zweiten Periode gehören 4878 Nummern an, von welchen viele mehrere Stücke bergen, so dass sich die Anzahl der Stücke höher stellt. Die Anord- nung des Stoffes ist im Allgemeinen dieselbe wie bei den Stücken der ersten Periode, nur kommen noch einige wichtige Detailgruppen von Archivalien hinzu, als zahlreiche Landtagsartikel, Artikel und Urkunden der sächsischen xXationsuniversität, Verhandlungen der Stadt Vertretung (Communität) und des Magistrates von Hermannstadt, Statute der Stadt wie der verschiedenen Zechen (Handwerker-Innungen), Hattertprocesse, später Actenstücke von der Ilofkanzlei, dem Guber- nium u. A. m., welche in der ersten Periode nur spärlich oder gar nicht vertreten sind.

ArchlvuliBche Zeitschrift. III. 12

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178 Franz Zimmermann:

a) Urkunden und Briefe weltlicher Personen und Gorporationen. 1. Ungarn und Siebenbürgen ')•

Die erste Stelle nehmen die Königsurkunden ein, von K. Johann (Zapolya), dem bisherigen Voivoden von Siebenbürgen (1526); K. Isabella (1540), worunter das Gebot von 1543 »ne novi- tates in religione introducantur« , und ihrem Sohne K. Johann II. (Sigismund Zapolya, 1560), welcher 1570 im Frieden mit K. Maxi- milian II. dem ungarischen Königstitel entsagt. Von ihm als »siebenbürgischen Fürsten« (prineeps) sind hier keine Urkunden vorhanden; er starb bekanntlich schon im Märe 1571, worauf die siebenbürgischen Stände Stephan Bathori zum »Fürsten« wählten, mit welchem die Reihe der sieben bürgisch enFürsten Urkunden beginnt. Stephan Bathori urkundel 1571 als »prineeps«; von ihm hebe ich hervor das Schreiben an den Hermannstädter Rath aus dem Jahre 1572, worin die ausschliessliche Gültigkeit der Augsbur- gischen Confession im Sachsenland ausgesprochen wird, nachdem auf der sächsischen Kirchensynode zu Mediasch bestimmt worden sei, »ut ipsi domini pastores Saxones ubique in iurisdictione Saxonica in suis ecclesiis reiectis et detestatis aliis omnibus impiis et cyclo- picis abusibus et sectis atque Arianorum nefandis opinionibus per inquieta et monstrosa ingenia in ecclesiam invectis et intrusis, ipsam veratn et sacrosanclam atque cum puro verbo dei consentientem Augustanam ut vocant confessionem profiterentur , cui quidem honestae et piae instilutioni et ordinationi ad eorum instantem requisitionem consensimus immo in praesentiarum quoque tenore praesentium consentimus eamque approbamus et ratificamus« ; weiter ein Stück von 1576, in dem er als »rex Poloniae electus«, und von 1576 an mehrere Urkunden, in welchen er als »rex Poloniae« urkundet, so 1583 in der Bestätigung von »der Sachsen in Sieben- bürgen Statuta oder eigen Land-Recht« und in der Confirmation des Andreanums.

K. Stephans Neffe, des Voivoden Christoph Bathori Sohn Sigis- mund Bathori, 1581 zum siebenbürgischen Voivoden gewählt und

l) Die Urkunden K. Ferdinand I. und der späteren Sprossen des habsburgi- schen Hauses, dem Hermannstadt in den langwierigen blutigen Kämpfen Oester- reiebs um den Besitz von Siebenbürgen eine treue Stütze war, sind unter 2. Oesterreich aufgeführt. Eben dort wird auch der von Kaiserlichen Generalen. Behörden ausgehenden Documente gedacht.

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Das Archiv d. Stadt Hermanustadt u. «1. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 179

1588 als Fürst von Siebenbürgen beeidet, ist durch Urkunden aus den Jahren 1584—1599 vertreten; die Fürstin Maria Christina durch Stücke aus den Jahren 1596—1598.

Der folgende Fürsl , Cardinal Andreas Bathori, urkundet nur wenige Monate hindurch als »prineeps«, indem er noch im Jahre 1599, nach dem Kampfe gegen den \va lachischen Voivoden Michael bei Schellenberg (28. Oclober), auf der Flucht getödtet wurde.

Unterstützt vom magyarischen Adel nimmt Sigismund Bathori im Jahre 1601 neuerdings die siebenbürgische Fürstenwürde an; von ihm (1601), von seineu Nachfolgern Stephan Borskai (1605) und Sigismund Rakoczy (1605) sind Urkunden vorhanden.

Gabriel Bathori urkundet 1608 als Fürst und in den folgend, n Jahren; 1611 und 1612 betreffend dreier Zehentquarten der sächsi- schen Geistlichkeit.

Von Fürst Gabriel Bethlen (1613) nenne ich die Contoderation zwischen ihm und Gabriel Mogila (1619), dann 2 Stücke von 1620 und 1621, in denen er als »electus Hunsrariae rex«, respective als *Hungariae rex« urkundet. Su^anna Karolyi ( 1619) und Katha- rina von Brandenburg (1630), Bethlen's Gemahlinnen Urkunden als »prineipissae«.

Weiter sind im Archiv vertreten; Georg I. Rakoczy (1630): Georg II. Rakoczy; Franz Rakoczy (1657); Achatius Barcsai (1657 bis 1660); Johann Kemeny (als Fürst: 1660—1661); Michael I. Apafi (1661 1689): endlich die Fürstin Anna Bornemissa (1673). Es beginnt die Zeit der dauernden Verbindung Siebenbürgens mit Oesterreich.

An die siebenbürgischen Fürstenurkunden reihen sicli die der sieben- bürgischen Voivoden: Peter de Peren (1527), Stephan Bathori de Somlyo, Stephan Maylath (dieser auch als: capitaneus generalis Transsilvaniae), Emerich Balassa de Gyarmath, Andreas Bathori de Somlyo (1552), Franz Kendi und Stephan Dobo (1554), Johann Pongraez (1569), Christoph Bathori (1576, von diesem aus dem Jahre 1579 Urkunden für Ileltauer Gewerbsleute), Moyses Szekely (1603), endlich von Stephan Bethlen de Iktar als: gubernator Trans- silvaniae (1621).

Als Vice voivoden Urkunden noch: Nicolaus de Macedonfa (1527), Alexius de Bethlen, Ladislaus Mikola (1557). In der Fürsten- zeit werden weder besondere Voivoden noch Vicevoivoden bestellt,

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Franz Zimmermann:

sondern ist deren Amt wie auch das des Szeklergrafen in der Pei-son de* Landesfürsten vereinigt.

Eine erhebliche Anzahl von Stücken rührt von verschiedenen königlichen und fürstlichen Beamten, von Obergespanen, Castel- lanen u. A. her; so von dem Sekretär der K. Isahella Antonius Verantius.

Das von den Ständen und Städten ausgehende Material flieset viel reichlicher als in der Zeit vor 1526. Zunächst sind da zu nennen eine Reihe von Landtags-Einberufungsschreiben, von den Ständen selbst (so 1601), von den Fürsten oder endlich vom Gubernium (der von Oesterreich eingesetzten siebenbürgischen Landesregierung); dann Landtags Verhandlungen aus ver- schiedenen Jahren, wovon auch mehrere sich gegenwärtig in der Abiheilung der »Protokollbücher« im Archiv befinden. Hierher gehören ferner die Unionsurkunden (Vertragsurkunden zwischen den 3 ständischen Nationen Siebenbürgens, der Sachsen, Ungarn und Szeklcr) von 1531 und 1601, diese gegen den walachischen Voivoden Michael gerichtet; 1605 fordern Ungarn und Szekler die Sachsen zur Union auf; 1627 verbinden sich die drei ständischen Nationen, nie gegen das Haus Oesterreich zu kämpfen, welcher Vertrag 1630 erneuert wird; weiter die Unionsurkunde von 1686, dann die sogenannten »Nationalaceorde« von 1692, geschlossen zwischen den Sachsen und den beiden anderen ständischen Nationen. Endlich sind zu erwähnen Eidesformeln aus der Fürstenzeit (etwa um 1620) und dem Jahr 1691, in welchem Jahre die siebenbür- gischen Stände dem Kaiserhaus den Eid der Treue leisteten.

Von der Gesammt Vertretung der Sachsen gehen aus: Sententia universitatis Saxonum (1539; Articuli universitatis Saxonum in congregatione regnicolarum propositi (15-42); Gravamina Saxonum contra Rocskaianos (ein Fascikel, 1605); Articuli universitatis Saxonum (1613); Unio seu Li^a nationis Saxonicae (Schutz- und Trutzbündniss der Sachsen unter einander) vom Jahre 1613, erneuert im Jahre 1636; Unio nationis Saxonicae (1657, erneuert 1675); die sächsische Nation an den Kaiser (1614, dann 1695); Copia literarum nationis Saxonicae ad d. Absolon intuitu status miserabilis nationis Saxonicae (1695); Originalia desertorum et combustorum sedium Saxonicalium (1695): die sächsische Nationsuniversität über die Dislocirung der kaiser- lichen Regimenter in Siebenbürgen (1699). Bedeutendes Material ist vorhanden zur Geschichte des Steuerwesens.

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Da«? Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in SiehenhQrgen. 131

Von den einzelnen sächsischen Stühlen sind vorhanden: Querelae incolarum sedis Rupas (Reps, 1547); Statuta quaedam sedis Mercuriensis (Reussmarkt, 1627); »Instnictio postarum« fin- den Mühlbächer Stuhl (1634).

Von einzelnen Ortsvertretungen, vorzugsweise von Städten gehen aus: zahlreiche Urkunden von Hermannstadl, Mediasch, Schäss- burg, Kronstadt, Bistritz, Broos, Mühlbach, Reu-sniarkt. Leschkirch, Grosschenk und Reps als den Vororten der sächsischen Stühle und Districte; dann von den sächsischen Stuhlsortschaften Heitau, Ham- mersdorf, Hahnbach, Alzen, Magarei, Heizeldorf; von dem auf Comi- tatsboden gelegenen Tekendorf; von Salzburg, Klausenburg, Maros Vasarhely (Szekely Vasarhely), Saard im Unleralbcnser Comitate, Karansebes, Szathmar, Pressburg (1666); Constitutiones inter Hun- garos et Valachos zu Freck (1532); desgleichen zu Szakadat (1582); Artieuli civitatis Schaesburgensis (1630); Regest rum census quo- tannis ex sede Szelisliensi (16(>4); Connumeratio eolonorum ex Szecsel (1672); Urkunden betreffend die Salzburger Salzwerke; Sup- plica Birthalbiensium ad universitatem Saxonum (1690 und 1607); Considerationes de ruina civitatis Bistriciensis (1697); Copia statu- torum pro magUtratu et communitate Sabaesiensi (Mühlbach, 1699j; >Inquisitiones« über den kläglichen Zustand der Hermannstädter Stuhlsgemeinden Heitau, Michelsberg, Zood, Reschinar, Poplaka, Westen und Moichenj dann Guraro, Orlat und Szelistye: endlich über Abtsdorf, Burgberg, Neudorf, Rothberg, Thalheim, Kaslenholcz und die Comitatsgemeinde Korneczel (särnmlliche Stücke aus dem Jahre 1700).

Die Stadt Hermannstadt allein betreffen zunächst Ver- handlungen und Beschlüsse der Stadt Vertretung und des Magistrates: Complanatio inter magistratum et com- munitatem Cibiniensem (1614); Decreta senatus et centum virorum (1614); Postulata communitatis (Gemeindevertretung) aus den Jahren 1614, 1615, 1634, 1662, 1666, 1676, 1677, 1683, 1686, 1687, 1690; Postulata communitatis cum resolulione magistratuali aus den Jahren 1623, 1625, 1678, 1679, 1681, 1682, 1684, 1688, 1690, 1693, 1695, 1696; Resolutiones magistratuales ad postulata com- munitatis aus den Jahren 1631 1634; Magistratus et communitatis limitatio victualium (1628); Postulata civitatis Cibiniensis ad impera- torem unacum resolulione desuper (1691). Daran reihen sich Statute, Amtsvorschriften, Nachbarschaftsartikel und derlei

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182

Franz Zimmermann:

Schriftstücke: Constitution«*! civitatis von 1541, 1545, 1584, 1 un- datirt aus dem 16. Jahrhunderl, dann von 1700, respective 1698; 1 Bruchstück der Statute (Constitutiones) vom Jahre 1588: Ordinatio ceharum (1556); Articuli circa decimationem observandi (1580); Actio duarum vicinitatum platearum : Reispergasse et Salzgasse (1581); Articuli a communitate conclusi (1597); desgleichen von 1630: Catalogus centum virorum (1556 und 1683); Articuli pro custodibus portarum (1567); Vorschriften für die Stadtreiler aus den Jahren 1652 und 1691: Kleiderordnungen von 1653 und 1689; Instruction für den Marktrichter (1687), desgleichen für den Feld- hüter (1691), dann für Todtengräber, Stadtreiter, Musikanten und Marktrichter von 1637 und 1662; Articuli a magistratu et commu- nitate intuitu emtionis domoruin conclusi, dann Nachbarsehafts- artikel von 1693; Nachbarschaftsartikel betreffs Hochzeiten und Leichenbegängnisse (1685 und 1696); Constitutiones für den neuen Königsrichter (Gotzmeister 1612 und Seraphin 1634). Von Rech- nungen und Bruchstücken solcher, welche die Stadt allein betreffen, linden sich in dieser Abtheilung: Consignatio expensarum civitatis (1545); Regestruin solutionum vigesimarum (1537 1545); Consignatio erogativorum in aedificatione novae bastionis factorum ( 1 544) ; Regestruui pereeptorum et erogativorum ex pertinentiis de Kerz (Stadtgut) von 1543; Percepta et erogata ex lucro cementi (1565 bis 1572): Consignatio activorum capitalium Cibiniensium (1578); Rege- strum super debitis activis civitatis (1655); Percepta et erogata fundi hospitalis (1671). -

Schliesslich haben noch folgende Stücke auf die Stadt Hermann- stadt Bezug: Regestrum frumenti et munilionum civitatis (1560); Inventarium bonorum Bojeronum Cibinii relictorum (1569); Consig- natio armorum in turribus ceharum (1575): Regestruin szabadasio- rum (Polizeidiener) von 1579; Inventarium pharmacopolii Cibiniensis (1609); Vita Valentini Seraphin iudicis reg. Cib. (1636); Urkun- den betreffend die armenischen und griechischen Kaufleute aus den Jahren 1635, 1649, 1653, 1656 und 1671; Inventarium instrumentorum musicalium Cibiniensium (1660); Connumeiatio villarum et villanorum in suburbiis Cibiniensibus ( 1673): Specificatio advenarum (1681); Specificatio visitalionis propugnaculorum et munitionis civitatis (1681); Connumeratio villicorum Cibiniensium (1698). -

I-:- passl nicht in den engen Rahmen dieser Inhalts-Uebersichl

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadl u. d. sächsischen Nation in Siebenhörgen. 183

ins Detail einzugehen, und so sei kurz erwähnt, dass eine Menge von Urkunden und Briefen von den verschiedenen sächsischen Nationsgrafen (iudices regii, comites), Hermannstädter Bürgermeistern (magistri civium, consules provinciae Cibiniensis), Königsrichtern der übrigen sächsischen Stühle, Agenten bei dein Wiener Hof und der Pforte herrühren; ein bedeutendes Quellenmaterial ist da angehäuft zur inneren Geschichte Ungarns und Siebenbürgens im 16. und 17. Jahrhundert, zur Geschichte der Türkenkriege und der Kämpfe des Hauses Hab.sburg um den Besitz von Siebenbürgen. Nicht unbe- deutend ist die Zahl verschiedener Privaturkunden: Kauf- und Tauschverträge, Processschriften, Testamente, die von den betreffen- den Parteien der Sicherheit wegen im Archiv deponirt worden sind.

Als besonders wichtig für die Geschichte der Gewerbe hebe ich die Zunft Urkunden der sächsischen Handwerksinnungen hervor, als der Bäcker, Barbiere, Böttcher, Csismen- (Stiefel-)macher, Drechsler, Fischer, Fleischer, Gerber, Goldschmiede, Kaufleute, Kürschner, Messer- schmiede, Radmacher, Riemer, Scheidenmacher, Schneider, Schuh- macher, Seifensieder, Töpfer, Weber, Ziegelstreicher (tegularii), Zimmerleute.

Schliesslich sind noch die vielen auf Hattert- (Flur-) Processe und Grenzbegehungen- (Hattertreambulationen) bezüglichen Ur- kunden (Metales) erwähnt; so aus dem 16. Jahrhundert betreffend die Gemeindegebiete (Hattert) von den Hermannstädter Stuhlsgemein- den Abtsdorf-Birthälm, Girelsau-Talmatsch, Grossau-Kakova, Grossau- Iteussdörfel, Grossau-Szelistye, Grossscheuern-Hahnbach, Heltau-Her- niannstadt, Kastenholz-Thalheim, Klosdorf-Kreutz, Klosdorf-Meschen- dorf, Kerz-Wal. Neudorf, Kerz-Skoren , Marienburg- Wal. Neudorf, Neudorf- Korneczel-Rothberg, Neudorf-Thalheim, Rothberg-Korneczel, Reussen-Stolzenburg, Szakadat-Freck, Szakadat-Nucsed, Thalheim- Korneczel; von den Leschkircher Stuhlsgemeinden Alzen-Bägen- dorf, Holzmengen-Nucsed, Holzmengen-Ziegenthal, Lesehkirch- Mar- xöd, Sachsenhausen-Wal. Neudorf; von den Mediascher Stuhls- p'emeinden Marklschelken-Schaal, Waldhütteu-Halvelagen; von den Schenker Stuhlsgemeinden Braller- Gürteln, Buchholz- Kaltbrunnen, Jacobsdorf-Propsdorf, Jacobsdorf-Schönberg, Martinsberg- Wal. Neu- dorf; — von den Repser Stuhlsgemeinden Halmagen-Schönen, Stein- Weisskirch; von der Schässburger Stuhlsgemeinde Trapold- Wol- kendorf; — von den Reussmärkter Stuhlsgemeinden Grossleogdes-

Franz Zimmermann:

Alanior, Urwegen-Kelling; von den Möhlbächer Stuhlsgemeinden Kelling-Reichau und Petersdorf-Reiehau. Aus dem 17. Jahrhundert sind zu nennen: von der Leschkircher Stuhlsgemeinde Hochfeld- Gainar; von den Schässburger Stuhlsgemeinden Dunnesdorf- Lasslen, Mehburg-Radeln, Hendorf-Neithausen ; von der Brooser Stuhlsgemeinde Lammdorf-Schebeschel.

2. Oesterreich.

Die hier erhaltenen Urkunden des habsburgischen Herrscher- hauses beginnen mit K. Ferdinand L (1527), und sind ferner Maxi- milian II. (1555), Rudolph II. (1595), Mathias (1604) und Leopold I. (1670) vertreten. Von Kaiser Karl V. (1548), dann von Erzherzog Ferdinand, an A. Huet (1595), und Erzherzogin Maria (1595) ist je ein Stück vorhanden. Da Siebenbürgen erst unter K. Leopold I. Regierung dauernd mit Oesterreich vereinigt wird, häufen sich natür- lich erst von dieser Zeit an die vom kaiserlichen Hof, von den kai- serlichen Generalen und Civilbehörden ausgehenden Documente, doch bewahrt das Archiv auch mehrere solche Stücke aus früherer Zeil, so von Johann Baptist Gastaldo (1552), General Basta (1602), dann von den kaiserlichen Abgesandten Paul von Kraussenek und Georg Holtmann (an die Sachsenstädte Hermannstadt, Kronstadt, Mediasch, Schässburg und Mühlbach 1604). Aus der Zeit Leopold I. datiren die Stücke von den Generalen Carafla und Veterani (1686), Heiss- ler (1690), Markgraf Ludwig von Baden (1690), Graf Castell (1690), Rabutin (1697).

Von 1687 an ist eine lange Reihe von Schriftstücken vorhan- den über die seitens der sächsischen Nation und speciell der Stadt Hermannstadt den kaiserlichen Truppen an Geld und Natu- ralien geleisteten Contributionen. Zu dem Jahr 1697 werden da folgende Regimenter genannt: Gondolian, Sachsen-Gotha, Neuburg, Derbeville, Pfefferhoven, Baron de Truchsess, Hohenzollern und Uhl- feldt. Weiter enthält das Archiv: Regulamentum militare (1697 bis 1699); Tabella numerum militiae in Transsilvania hibernantis conti- nentia (1698); die schon erwähnte Aeusserung der sächsischen Nationsuniveisität über die Dislocirung der kaiserlichen Regimenter in Siebenbürgen (1699) und dazu Fasciculus dislocationum militiae caesareae per Transsilvaniam et sedes Saxonum (1700).

Im Jahr 1690 ladet der Landesgouverneur Georg Banfil zur Be- schickung des Landtages ein und vom 7. Juni 1692 datirt die erste

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Das Archiv d. Statlt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siehenhörgen. 1$;,

»Commissio gubernialisc , das erste vom Clubern ium (der neuen Landesregierungsbehörde) ausgehende Schriftstück des Archives: zwei Stücke aus dem J. 1698 betreffen die Errichtung eines »Commis- sariates« in Siebenbürgen (Behörde für Einquartierung und Ver- pflegung der kaiserlichen Truppen); aus dem J. 1700 ist vorhanden ein Rescript der »siebenbürgischen Hofkanzlei« und »Copia resulutionis regiae intuitu functionis cancellariae Transsilvanieae et facullatis in expeditionibus «

Der Wiener Stadtrath urkundet Barbiere und Chirurgen betreffend im Jabr 1560.

3. Walachei.

Es sind Stücke vorhanden von den Voivoden Moyses (1529), Radul (1541), Peter (1541), Wlad (1551). Mirche (1553), Alexander (1572), Peter (15*3), Michael (1593), Radul (1604), Stephan Bezarab (1619), Alexander (1626), Michael (1658) ; endlich von der walachi- schen Fürstin Helene (1653). Die

4. Moldau.

ist vertreten durch Urkunden der Voivoden Alexander (1556), Aaron (1593), Georg Stephan (1653, Geleitsbrief für einen Georg Aussei) aus Bingen am Rhein).

5. Türke i.

Hierher gehört die Ernennung Stephan Bocskai's zum Fürsten von Siebenbürgen durch Mehmet Pascha (1604 ) und ein Stück eines Tartaren-Chans (1658).

6. Polen.

K. Sigismund urkundet 1546; im J. 1576 erscheinen polnische Abgesandte bei dem Fürsten Stephan Bathori : Ludovica Carolina, Fürstin von Curland, urkundet 1654.

7. Kaiern.

Die Städte Augsburg und Nürnberg Urkunden beide im Jahre 1560 Barbiere und Chirurgen betreffend. Aus

8. W ö r 1 1 e m b e r g

ist da eine Urkunde von »Vogt, Bürgermeister und Gericht der Statt Haiden heim« aus dem J. 1614.

186

Franz Zimmermann:

9. Sachsen

stellt eine Urkunde des Kurfürsten Johann Georg IL von 1668, und endlich

10. Brandenburg eine Urkunde des Kurfürsten Georg Wilhelm vom J. 1630.

b) Urkunden und sonstige Schriftstücke geistlicher Personen und

Corporationen.

Das evangelische Glaubensbekenntniss. speciell die Augsburgische (Konfession, fand ungemein rasch allgemeine Verbreitung unter den Sachsen Siebenbürgens, so dass die meisten hierher gehörigen Stücke von der evangelischen Kirche ausgehen oder von derselben handeln. Ich lasse also zunächst die die

1. Evangelische Kirche

betreffenden Nummern, chronologisch geordnet, folgen: Reformatio ecclesiarum districtus Coronensis (1543); ein Stück des sächsischen Reformators Johann Hontems ( 1547); Exemplum articulorum paro- chis ecclesiarum Saxonicalium exhibitorum (1559); Articuli inter . politicum et ecclesiasticum ordinern confecti (1560); Artikel über die Einsetzung Johann Auner's als Hermannslädter Stadtpfarrer (1565); Responsio dominorum provincialium de quibusdam articulis pastorum ecclesiae Saxonicae (1574): über arianische Häresie unter den Sach- sen 2 Nummern (1575); Bestimmungen über die Taxen für Kirchen- gruften (1581); Pastorum Saxonicorum protestatio ratione eonser- vationis fidei, observationis illorum privilegiorum nccnon assumtionis novi calendarii Gregoriani (1590): Gonsignatio arendarum proven- tuum decimalium et solutionis capituli Bistriciensis (1609); Univer- sitas ecclesiastica ad universitatem saccularem intuitu restitutionis arendae per princippm (1615); zwei Stücke betreffend die Hennann- städter Stadtkirchen-Orgel (1W1 und 1672): Postulata capituli Ci- biniensis (1684); die Klausenburger evangelische Kirchengemeinde an den Hermannstädter Königsrichter (1694); endlich eine Anzahl Stücke der Capitel von Bistritz, Bolkatsch, Burzenland und Her- mannstadt. —

2. Katholische Kirche,

über welche nur wenig Material vorhanden ist. An Bischofsurkun- den sind zu nennen :

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Da» Archiv d. Stadl Hermannstadt tu d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 187

Agram - Nicolai» Olah (1544). Gran - Nicolaus Olah 1554). Gross wardein Georg Martinuzzi (1541). Raab Johann Listhi (1575). Weissenburg (Karlsburg) Nicolaus Gerend (1527); Jo- hannes Slatilius (1541); Paul Bornemissa (1555). Wien Melchior Khlesl an den Legaten Daroczi in Siebenbürgen (Copie, 1615).

Mehrere Stücke betreffen die Unitarier in Klausenburg. Vorn walachischen Bischof Athanasius sind Schriftstücke da »intuitu con- tributionis popparum ex Kakovat (1698) und bezüglich des walachi- sehen Popen von Kleinprobstdorf (1699). Hiermit ist die Ueber- sicht über die I. Hauptgruppe unserer Anhivalien, die Urkunden- abt heilung, beendet.

(Fortsetzung folgt.)

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I

IX. Das Hausarchiv Oettingen - Wallerstein als Quelle

örtlicher Genealogie.

Von

W. Frhrn. v. Löffelholz, fürstl. Oettingischen Arcliivvorstand zu Wallerstein.

Bei einem Hause, das in den ältesten Zeiten schon im Besitze einer Grafschaft gewesen, und unter allen Wechselfallen im Mittel- punkte dieser Macht Jahrhunderte hindurch bis zum Verluste der Reichsunmittelbarkeit sich behauptet hat, muss sich über seine und seiner Angehörigen Erlebnisse, sowie über ihre Rechts- und Besitz- verhültnisse eine Fülle von schriftlichen Zeugnissen ansammeln. Es hat sich aber auch das fürstlich Oeltingische Hausarchiv bei allem Unglück, das in kriegerischen Zeitläuften oder durch Brand und sonstige Verwüstung dieses und jenes Schlots oder Kloster und die darin aufbewahrt gewesenen Pergamente und Akten betroffen hat, doch in der Hauptsache erhalten.

Das Fürstengeschlecht Oettingen blühet noch in zwei Linien, von Wallerstein und von Spielberg. Von den Söhnen des Grafen Fried- rich des Frommen (f 1423) begründete Ulrich die Flochbergische und Wilhelm der Aeltere die alle O et ti 11 gi sehe Linie. Einer von Wilhelms Urenkeln, Friedrich (f 1579), ist durch Heirath mit der Erbtochter des letzten Herrn der Flochbergischen Linie in deren Erbe eingetreten, und durch das Missgeschick, welches Vater und Bruder i ri Folge ihrer Theilnahme am schmalkaldischen Bunde ereilte, in den Besitz der ganzen Grafschaft gelangt und ist Begründer der Alt-Wallenstein'schen Linie geworden. Erst nach langjährigen Ver-

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Das Hausarchiv Oettingen-Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie. 189

handlungen und Auseinandersetzungen konnte sein Bruder Lud- wig XIV. (f 1569) zu seinein väterlichen Erbe gelangen. * Dieser wurde Stammvater der neuen Oettingischen (protestantischen) Linie, die im Jahre 1674 in den Reichsfürstenstand erhoben, im Jahre 1731 mit dem Fürsten Albrecht Ernst II. erloschen ist. Jenes Friedrichs drei Enkel, Wilhelm der Jüngere (f 1600), Wolfgang (f 1598) und Ernst (f 1626), stifteten dagegen die drei katholischen Linien Spielberg, Wallerstein, Baldern, von denen letztgenannte mit dem Grafen Franz Wilhelm im Jahre 1798 zu Grabe gegangen ist und ihre Besitzungen, die Grafschaft Oettingen - Baldern und Kotzenstein, sowie die Söterischen Herrschaften im Kur-Trierischen auf die Vettern zu Oettingen-Wallerstein vererbt hat. Das durch den Tod des Fürsten Albrecht Ernst II. verwaiste Fürstenthum Oettingen-Oetlingen ist nach langjährigem Streiten im Jahre 1781 durch den sog. Hauptpräliminar- Vergleich zu einem Drittel übergegangen an das Haus Spielberg, das 1734 und 1765 in den Fürstenstand erhoben wurde, und zu zwei Dritteln an die Grafen von Oettingen- Wallerstein, deren damaliges Haupt, Kraft Ernst, die erbliche Reichs- fürstenwürde im Jahre 1774 erhalten hatte. Von allen diesen Linien und ihren hier nicht namhaft gemachten Zweigen, die mehrere Generationen nicht überlebt haben, sind urkundliche und sonstige handschriftliche Denkmäler zurückgelassen, die sich als Quellen zur Geschichte des Gesammtgeschlechtes Oettingen und seiner Glieder wie ihrer Heimath, ihrer Angehörigen und Zeitgenossen darstellen, und alle die kleinen und grösseren Rinnsale solcher Ueberlieferungen haben sich allmälich in die Archive der beiden Hauptstämme ergossen, welche alle die anderen Zweige und Stämme überdauerten. So hat sich ein Oettingen-Spielbergisches und ein Oellingen- Wallersteinisclies Archiv gestaltet, in welche erst vor wenigen Jahren, nach dem Beschlüsse beider Linien durch Theilung, das bis dahin unter ge- meinschaftlichem Verschlusse zu Oettingen aufbewahrt gewesene ansehnliche Archiv der erloschenen fürstlich Oettingen-Oettingischen Linie aufgenommen worden ist.

Man hat von jeher den Oettingischen Archiven viele Aufmerk- samkeit zugewendet, theils im Bewusstsein ihres vielfach erprobten Werthes als wohlausgerüsteter Rechts-Arscnale, theils in friedlicherem Sinne und zwar schon seit dem 16. Jahrhundert, als Lust und Eifer erwacht war, die geschichtlichen Erinnerungen oder auch nur die Geschlecht-folge des Grafenhauses festzustellen, und den Nachkommen

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W. v. Löffelholz:

zu überliefern, ein Streben, welches gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts besonders lebhaft wurde und durch eine eigene kleine Litteratur theils in Druckwerken, grösstenteils in Handschriften bestehend !), beurkundet ist.

Waren die früheren Arbeiten, sowohl im historischen als beson- ders im geneologischen Gebiete, noch sehr fabelreich man merkt es ihnen an, dass sie von reichlichen Einblicken in die Archive noch nicht befruchtet wurden, so geben spätere recht rühmliches Zeugniss davon, dass dem zuverlässigen und befähigten Forscher die sonst so ängstlich hinter Schloss und Riegel gehaltenen Schätze zugänglich gemacht worden , und mit Gewissenhaftigkeit und in mehr oder weniger vorurteilsfreier Weise benützt worden seien. Es wird hier nur an die z. Th. trefflichen Arbeilen eines Jakob Paul Lang *), Oheims des bekannteren Karl Heinrich Lang erinnert, welcher der erste bayerische Reichsarchivdireklor war und selbst in seinen zahlreichen Schriften oft Gelegenheit hatte zu zeigen, dass ihm die Oettingischen Archive nicht fremd seien, ferner an Johann Jakob Heinrich Strelin 3) , an Karl Friedrich Bernhard Zinkernagel 4), der sich durch sein bekanntes Handbuch für angehende Archivare und Registratoren besonders verdient gemacht und auf verschiedenartigen Gebieten seine Feder versucht hat, dann an Franz Xaver Frey, der jedoch, weil sein gediegener handschriftlicher Nachlass mehr für die inneren Bedürfnisse des Archive* und der Rechtsgeschäfte bestimmt war und dcsshalb Dicht gedruckt worden, ausserhalb der Heimath unbekannt geblieben ist. Hier treffen wir überall aufmerksame Augen und fleissige ge- schickte I lände, die sich nicht vor den ungewöhnten Charakteren frühe- rer Jahrhunderte in verblasster Schrift gescheut, und nicht nur den darübergelagerten Staub tüchtig abgeschüttelt, sondern auch die Oettingische Geschichte und Genealogie von unzähligen Fabeln gerei-

l) Vgl. (i. A<lani Michel: Oettingische Hibliothek. 3 Theile. 1758 IT. und dessen Beyträge zur Oettintrischen politischen, kirchlichen und gelehrten Geschichte. 3 Theile. 1772-1779.

*) Vornehmlich an die Materialien zur Oettingischen älteren und neueren Geschichte, 5 Hände 1771 1775.

3) Genealogische Geschichte der Herrn Grafen von Oettingen im mittlem Zeitalter. 1799. 1. Theil (der zweite Theil, die spätere Geschichte der Grafen und Fürsten, ist im Manuscripte vorhanden).

4) Historische Untersuchung der Grenzen des Hiesgaues und seiner Grafen in den Zeiten des Mittelalters. 1802.

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Das Hausarchiv Octtingen-Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie, lyi

nigt haben, während ihre Vorgänger, die jedoch mit Fleiss gesammelt und vorgearbeitet haben, in ihren dickleibigen Bänden es mit urkund- licher Begründung ihrer Behauptungen mehr als leicht nahmen. Es gilt das für den alten Johann Hauchpar ') (f 1651) mit seinen wclfisch-bayerisch-öttingischen Phantasieen, für Johann Melchior Wild- eisen8), P. A. Vogelsang8), Georg Kessler4) und den fruchtbaren, aber ganz unzuverlässigen Johann Heinrich von Falkenstein 5), wäh- rend Friedrich Oefelin6), der den andern mit Ausnahme seines Vorgängers Hauchpar zur Quelle gedient hat, aus der auch noch Lang und Strelin geschöpft, bei seinen knapp gehaltenen Mittheilungen viel sorgfaltiger zu Werke gegangen ist, als seine weitschweifigen Xachtreter.

Von den genannten kritischen Benutzern der Oettingischen Archive waren zwei auch Archivare selbst , Hofrath Zinkernagel von 1787 bis beinahe zu seinem 1813 erfolgten Ableben, und Hof- rath Frey von 1812 bis zu seinem Tode 1836, und beide hinterliessen sehr werthvolle Spuren einer tüchtigen Wirksamkeit. Von Letzteren) sind Verzeichnisse, die den grössten Thetl der Urkunden umfassen, vorhanden, dazu eine Reihe von Foliobänden mit Rechlsdeductionen und sogenannten »Analysen der Documente von nutzbaren Hechten in Bezug auf die Oettingischen Lande und die herrschaftlichen Besitzungen in denselben«. Auch Zinkernagel's Hand hinterliess Urkundenverzeichnisse, und unter ihm und von ihm wurde das ganze Archiv nach einem vom k. preussischen geheimen Rath Spiess auf- gearbeiteten Plan geordnet und nach dessen vielgliederigem Systeme verzeichnet. Doch diese Reperlorisirung war zu frühe; sie gestaltete sich nicht zu einem abgerundeten übersichtlichen Ganzen, weil all-

') Oetlingische Geschlechtsbeschreibung Stemmatographia Catularia Alle- manno-Germaniea .... Herausgegeben von J. P. Laug. 177*».

') Oettingiseher Palmen- und Lorheerkranz. Starker Fol.-Hand. Msc.

■) Entwurf einer Hoclifflrstl. und Hocbgräfl. Gelting. Geschichte- und Ge- schlechts-Historie. Fol. 1750. Msc.

*) Durch viele fleissig zusammengetragene handschriftliche Sammelbände vertreten, die aber wegen überall feblender Quellenangabe einen grossen Theil ihres Werthes eingebösst haben.

*) HochfGrstliche und Hoch-RpirhsgräflieheOettingische Staats- und GeschlechU- historie in 5 grossen und starken Foliobänden. Msc. (war zum Druck be- stimmt).

•) Historiologia Uttingana. in zahlreichen Abschriften vorhanden und dureb J. P. Lang (IV. Band der Materialien) in' Druck gegeben.

W. v. LofTelholz:

niälig durch die Unigestall ungeu, welche in der Verwaltung des Fürstenthums vor sicli gingen, je nach dein Interesse der lei- tenden Kreise für die Vervollständigung des Materiales, dem Archiv in verschiedenen Zeiten allerlei Registraturen zugeführt wurden, die man in den Repertorien nur ganz einfach nachtrug, ohne an syste- matische Verschmelzung dieser Nachträge mit der* ersten Bestands- aufnahme zu denken.

Zudem ist in Zeiten eines und des anderen Interregnums, wo die neuen Zugänge von nicht wissenschaftlich gebildeten Registratoren repertorisirt worden sind, die Eintheilung nach den Fächern und Gruppen des Planes nicht immer eine richtige und logische gewesen, so dass die früheren Arbeiten, wenn auch immerhin als sehr dankens- werte, doch nicht als den Bedürfnissen entsprechende bezeichnet werden müssen. Die xNachfolger jener wackeren Männer blieben noch lange Zeit einer grossen Thätigkeit in der nämlichen Richtung durch- aus nicht enthoben.

Die Neuzeit aber hat dem Octtingen-Wallersteinischen Archive principiell eine von der früheren ganz und gar verschiedene Aufgabe gestellt. Sie hat eine Seite seines früheren Zweckes und Bestandes zur Richtschnur für die gesummte Anordnung gemacht. Das Archiv ist in vollem Sinne des Wortes ein Haus- und Familienarchiv geworden, und alle seine Bestandteile müssen mit sehr wenigen, jetzt als zufällig erscheinenden Ausnahmen in Beziehung entweder zur Hausgeschichte und -Genealogie oder zum Hau^besitze gesetzt werden, einerlei ob dieser Besitz noch jetzt an das Haus gebunden ist, oder früher demselben gehörte und deshalb von seiner Geschichte nicht zu trennen ist.

Bezüglich einzelner grösserer oder kleinerer Klosterarchive, welche mit den Besitzungen der Stifter dem Oeltingischen Hause zugefallen sind, dachte man die nämlichen Grundsätze durchzuführen. Jedoch besteht darin, was namentlich ihrem Urkundenschatze gilt, insofern noch eine Inconsequenz, als die Urkunden der zur Zeit der Kirchen- reformation säcularisirten Klöster Zimmern (Cisterzienser Frauenstift) und Christgarten (Karthäuser Ordens) schon längst mit dem Haupt- archiv sowohl räumlich als repertorisch vermischt worden sind, wäh- rend die Urkunden der Benedictiner-Abteien zum Heiligen Kreuz in Donauwörth und Deggingen, des Minoritenklosters Mayhingen und des Cisterzienser Frauenklosters Kirchheini belegen im ehemals Oet- tingischen Gebiete , die erst <lurch den Reichsdeputationshaupt-

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Das Hausarchiv Oettingen-Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie. 193

schluss vom Jahre 1803 Eigenthum des fürstlichen Hauses geworden sind, als gesonderte Gruppen aufbewahrt und repertorisirt werden. Bei der im Zuge befindlichen Anfertigung neuer ausführlicher Rcgesten, von denen weiter unten zu reden, müssen aber diese Klosterurkunden gerade so behandelt werden , als wären sie auch räumlich dem älteren Materiale einverleibt, und sie reihen sich auch ebenso wie die von Christgarten und Zimmern um so füglicher ein, als die Klöster selbst ja, sei es durch ihre ursprüngliche Stiftung oder durch spätere Wohlthaten, oder durch VTogtei- und Territorial- verhältnisse, in ununterbrochener Beziehung und Abhängigkeit zu und von Oellingen gewesen sind.

Von dem Archive des grossen Benedictinerstiftes St. Mang in Füssen, welches von jenem Incorporationsjahr bis 183S im Besitz des fürstlichen Hauses geblieben ist, befindet sich nur noch einiges abschriftlichc Material im Archiv.

Für einige kleinere Urkunden-Gruppen aus ehemals fremdherrschafl- lichen, weltlichen Besitzungen gilt das Nämliche wie für die Kloster- archive. Der D a c h s t u h 1' s c h e Selecl aber, aus einigen Hunderten, mit 1345 beginnenden Urkunden bestehend, welcher das Archiv der früher von Fleckensteinisrhen Herrschaft, die von dem Kurfürsten Christoph von Sötern zu Trier für das von ihm gestiftete Familicn- fideicommiss gekauft wurde, nebst anderem enthält, sieht, obgleich wohl verzeichnet, noch besonderer Bearbeitung entgegen. Die ge- nannte Herrschaft ist, nachdem bald darauf das Söterische Geschlecht im Mannesstamme erloschen war, durch Verehlichung des Grafen Notger Wilhelm von Oettingen-Baldern von der Kotzensteinischen Nebenlinie mit der Erbtochter Marie Sidonie von Sötern im Jahre 1644 an das Haus Oettingen-Baldern, und nach dessen Aussterben bei Ableben des Grafen Franz Wilhelm im Jahre 1798 mit der ganzen Grafschaft Baldern an die Linie Oettingen-Wallerstein gelangt, durch den Frieden von Luneville aber Frankreich zugetheilt worden, wogegen Oettingen-Wallerstein die erwähnten geistlichen Stifter St. Mang, Heilig Kreuz, Deggingen, Mayhingen und Kirchheim als Ersatz erhielt.

Die oben ausgesprochenen Grundsätze, nach welchen das Archiv in seiner Gesammtheit, wie es factisch ein Oettingisehes Hausarchiv ist, auch in seiner Gliederung und äusseren Darstellung als solches erscheinen soll, haben natürlich zu manchen Abweichungen von den früheren Ordnungs- und Repertorisirungs weisen genöthigt, und die

ArchivalUchc ZclMchrift. III. 13

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W. v. Löffelholz:

Umwandlung wird noch längere Zeil im Flusse bleiben. Jedoch ist und wird dabei sorgfältig darauf Bedacht genommen, die alten Ver- zeichnisse sowohl über die umfangreichen Actenbestände, als über die Urkunden in Brauchbarkeit zu erhalten, und diese Brauchbarkeit sollen sie auch dann nicht ganz verlieren, wenn die neuen Arbeiten einmal durchgeführt sein werden.

Es würden letztere wohl entweder der Vollendung nahe gebracht oder doch viel weiter vorgeschritten sein, wenn die Arbeitskraft, welche noch weit grössere Aufgaben in den fürstlichen Kunst- und wissenschaftlichen Sammlungen (Bibliothek , Kupferstichsammlung, kleinere andere artistische Sammlungen, Mineraliencabinet, Waffen- saal etc.) zu Kloster Mayhingen seit mehr als 30 Jahren zu lösen hatte, eben desshalb nicht eine getheilte wäre und lange Zeit hin- durch — während die Zustände des Archives ungehinderten Gebrauch seines Inhaltes möglich machten nicht hauptsächlich jenen gleich- falls sehr werthvollen Sammlungen hätte zugewendet werden müssen. Dies um so mehr, als ihr Zustand das kräftigste Eingreifen und die ausdauerndste Thätigkcit dringend erforderten, wenn sie dem Verfall entrissen und behufs leichter und sicherer Benützung in ihren Be- standteilen allseitig klar gelegt werden sollten.

Hat dies auch die Fortschritte im Archive sehr erheblich Auf- gehalten, so bietet doch die Personalunion der beiden, wenn auch räumlich weit von einander getrennten, Anstalten auch grosse Vor- theile, von denen derjenige, dass das Archiv recht wohl ohne eigne Bibliothek und andere Hilfsapparate bestehen kann, noch der geringste ist. Die Erspriesslichkeit ihrer durch eine Mittelsperson stetig erhaltenen gegenseitigen Beziehungen zeigte sich in dem Maasse wohlthätiger , als die Ordnung und eingehendste Verzeichnung jener Sammlungen, besonders der grossen Bibliothek, der Vollendung ent- gegenging.

Dabei ist noch darauf hinzuweisen, dass eine Abtheilung der Bibliothek in einem sog. Oettingischen Museum besteht, welches alles, was an Handschriften, Druckwerken, Kunstgegenständen sich auf die Haus- und die ehemalige Landesgeschichte bezieht, und nicht durch eigentlich archivalischen Charakter in das Archiv verwiesen wird, aufzunehmen bestimmt ist, wobei ja strengste Ausscheidung nicht möglich ist.

Den Beginn aber der neuen Ordnung im Archiv machte das Ausscheiden und die gesonderte Auflegung sämmtlicher mit den Acten

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Das Hausarchiv Oeningen- Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie. 195

und sonstigen Schriftstücken vermischt gewesenen Urkunden, die ja, wie oben erwähnt, schon von den Archivaren Zinkernagel und Frey einer Aufzeichnung unterzogen waren. Eine weitere Sichtung der grossen Papiermassen war principgemäss durch die Notwendigkeit geboten, alle diejenigen Acten, Briefschaften und sonstigen Schriften, welche zur Beleuchtung der persönlichen Geschichte einzelner Herren und Frauen des Oettingischen Hauses dienlich sind, zu einer beson- deren Abtheilung der eigentlichen Familienacten zu vereinigen. Diese haben ihre gesonderte Aufstellung erhalten und werden ganz eingehender Behandlung unterzogen, mit schon äusserlich bemerk- baren Bezeichnungen für jede einzelne Persönlichkeit, z. B. N. N. Geburt Erziehung (mit Unterabtheilungen) Reisen Aufent- halt am N.'schen Hofe Vermählung Regierungsantritt Hul- digung etc. Militärdienst (bei Nachgeborenen auch wohl : Ein- tritt in eine geistliche Würde) Familienstand Hofhaltung mit Unterabteilungen Kunst und Wissenschaft Jagd Wühl- tätigkeit — Gorrespondenz mit N., mit N. N. u. s. w. Privat- rechnungswesen — Schulden Krankheit Tod Begräbniss, Begängnisse u. s. f. je nach Umfang und Mannigfaltigkeit des Materials. Ueber alle diese Persönlichkeiten und ihre Rubriken werden beson- dere Verzeichnisse geführt, und der Stammbaum bildet gleichsam das Hauptrepertorium, weil in demselben bei jedem einzelnen Namen die Bezeichnung von Kasten und Fach beigesetzt ist, wo dessen Archivalien zu finden sind. Letzteres ist ganz durchgeführt, die Scheidung je nach den Einzelbetreffen noch im Gange.

Die ganze übrige Actenmenge, über deren Inhalt viele Reihen von starken Foliobänden Auskunft geben, steht und bleibt mit diesen alten Repertorien in Beziehung, allein das Auffinden oder vielmehr das Auf- suchen ist bei der obberührten Art und Weise, wie ganz allmählich und unchronologisch verschiedene Registraturen noch bis in die letzten Jahrzehnte zu dem älteren Hauptkerne gesellt worden sind, sehr zeitraubend. Der neue Anwachs ist eben immer wieder nicht in einschaltender, sondern in anschliessender Weise in die noch zur Auf- nahme fähigen Schränke eingelegt, und ebenso sein Inhalt in die Reperto- rien zwar unter den bezüglichen Rubriken, nicht aber mit Berücksichti- gung der betreffenden Zeiten nachgetragen worden, so dass oft das Durchlesen mehrerer Bände unerlässlich ist, um auf das Gesuchte zu stossen. Schon dieser Missstand hätte eine Abänderung der Ein- richtung wünschens werth gemacht. Allein mit der Feststellung des

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W. v. Löffel holz:

mehrerwähnten Zwecks und Begriffes des Archives mit eoncentrirtem hausgeschichtlichen Charakter hat sich von selbst in der Hauptsache eine andere Richtung, als die nach den Kategorieen des Spiess'schen Plane?, aufgedrängt.

Abgesehen von den schriftlichen Hinterlassenschaften etlicher besonderer Verwaltungszweige und Rechtsausübungen, die ihre eigene Geschichte haben, wie das ansehnliche Oettingische Lehen wesen, das gleichfalls nicht unbedeutende Münzwesen, die geistlichen An- gelegenheiten, — deren Acten theils schon ausgeschieden sind, theils noch ausgeschieden werden, ist nunmehr die topographische Rück- sicht zum Hauptgrundsatze der räumlichen Aufstellung wie der Rc- pertorisirung gemacht. Erst in zweiter Linie sollen die alten Kate- gorieen, von denen die Mehrzahl ja gar nicht oder nur in seltenen Fällen noch Veranlassung zu Xachsuchungen zu geben pflegt, mit denen aber die neue Anlage immer noch die Beziehung zu den alten Repertorien unterhält, bei jeder einzelnen Oerllichkeit zur Gel- tung kommen. Mit der Durchführung ist der fürstliche Archiv- registrator beschäftigt. Es leuchtet ein, dass man auf diesem Wege in viel kürzerem Anlaufe und mit weit wenigeren und sichereren Griffen zum Ziele gelangen werde, als bisher, und ganz besonders, dass diese, dem alten Systeme gegenüber umgekehrte, Ordnung unter den jetzigen Verhältnissen dem historischen Principe weit vollkom- mener entspreche.

Wie aber mit der Registrirung der Urkunden, die, wie oben erwähnt, sämmtlich von den zuletzt betrachteten Archivalien geson- dert aufgelegt sind, verfahren wird, ist noch kurz zu beschreiben.

Nicht nur die Art, wie sie zum Thcil je nach Ursprung und Zeit der Einverleibung in gesonderte Abtheilungen verzeichnet waren, sondern noch mehr die Kürze der Inhaltsangaben in den Reper- torien drängle zu einer neuen Bearbeitung. Jedes Regest soll doch so- wohl eine einigermassen erschöpfende, wenn auch in knappster Form gehaltene, Angabe der Thatsachen, die in einer Urkunde vorkommen, enthalten; es soll auch alle betheiligten Persönlichkeiten, sowie alle darin genannten Oertlichkciten berücksichtigen. Hierin lassen aber die Regesten früherer Zeit viel zu wünschen übrig, womit jedoch ihren Bearbeitern, den fleissigen und tüchtigen Grundlegern und Bahnbrechern im Archivwesen, nicht im mindesten ein Vorwurf gemacht werden soll; denn ihre Ziele sind andere als die heutigen gewesen. Ihnen kam es darauf an, in Zeiten, wo jene Urkunden

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Das Hausarchiv Oettingen-Wallerstein als Quelle Ertlicher Genealogie. 197

von weit vorwiegendercr praktischen Bedeutung waren, möglichst be- schleunigte Uebersicht ihres Inhaltes herzustellen.

Es wird freilich , so lange Rechte gelten und Rechtsnachweise Beachtung finden, dem Archive stets eine hochwichtige praktische Bedeutung innewohnen, und es wird das dem fürstlichen Hause durch höchste EntSchliessung vom 24. Februar 1836 bestätigte Archivrecht seinen vollen Werth behalten. Nur darf die historische Seite des Archivs nicht mehr so in den Hintergrund gedrängt blei- ben, wie in früheren Zeiten. Ihr Hervortreten ist eine unabweis- liche Forderung der Neuzeit.

Es versteht sich von selbst, dass bei Neuordnung des Urkunden - archivs die massgebenden Grundsätze nunmehr verlangten, dass die Namen der Glieder des Oettingischen Hauses, welche in den Urkun- den als Haupt- oder Nebenpersonen bei den Thatsachen erscheinen, deren Kunde durch eben diese Urkunden in der Geschichte erhalten sind, die Ringe sein müssen, an welche sich die grosse Regesten- kette in chronologischer Folge zu reihen habe. Es handelt sich vor- läufig um Zettelregesten folgender Einrichtung: oben links vollstän- diges Datum nach Angabe der Urkunde und nach der Uebcrsetzung in unsere Zeitrechnung; darunter in der Mitte der Blattbreite der Name der Person, die Gemahlinnen der Grafen mit ihren eignen Namen unter demjenigen ihrer Eheherrn. Kommen mehrere Grafen oder Gräfinnen von Oettingen in der nämlichen Urkunde vor, so widerfährt diesen ihr Recht durch kurze Rückweise unter ihren eigenen Namen auf denjenigen der Hauptperson mit betreffendem Datum. Die concise, aber doch möglichst vollständige Wiedergabe des Haupt-Inhaltes der Urkunden bildet den Körper des Regestes. Für jedes Glied des Geschlechtes werden nun nach der Zeitfolge sämmt- liche seinen Namen an der Spitze tragenden Regesten zusammen- gestellt.

Dass die zum Archive gehörigen zahlreichen Diplomatare und andere Copien Sammlungen bei der Regestenherstellung jedoch mit Angabe dieser Quellen nicht übergangen worden, ist wohl selbstverständlich. Man sucht aber auch je nach Zeit und Gelegen- heit die Regesten aller andern Urkunden, welche die nämlichen Personen betreffen, aus gedruckten Regestenwerken, Urkundensamm- lungen, Geschichtswerken und sonstigen glaubwürdigen Miltheilungen zu sammeln und zwischen die eigentlich archivalischen Regesten ein- zuschalten.

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\Y. v. Löffelholz:

Auf solche Weise wird die ganze Reihe der Regesten zu einer getreuen und vollständigen Illustration der Oettingischen Geschlechts- folge, Biographie und Geschichte, und zugleich zur Quelle, aus wel- cher für jede Angabe gleich zur Berichtigung zu schöpfen ist. Auf Grund der Regesten ist die Neuherstellung des Oettingischen Stamm- baumes mit Documentirung jedes einzelnen Familiengliedes und seiner Abkunft und Stammesfolge im Werke und schon über die erste Grundlegung hinaus gediehen.

Die im Verhältnisse zur Gesammtheit geringe Anzahl von Ur- kunden, in welchen kein Oeningen genannt, oder auf keinen eine klar erkennbare Beziehung genommen ist, werden, wenn die Stelle der Hauptperson ein Kloster oder sein Vorsteher, eine Stadt oder ihre Vorgesetzten, ein Glied eines angesehenen Geschlechtes der Gegend einnimmt, je unter dem betreffenden Namen dieses Klosters, dieser Stadt oder dieses Geschlechts, die übrigen Urkunden aber unter dem Namen der Oertlichkeit aufgeführt, auf welche sich der beurkundete Akt hauptsächlich bezieht. Die hierdurch gewonnenen Excerpte werden in die Nebenregesten je an ihrem Orte eingetheilt.

Mit jenen Hauptregesten nämlich durfte man sich nicht begnü- gen. Um das Möglichste zu leisten, was nur ein verhältnissmässig beschränktes Archiv allgemein nützlich machen kann, so entsteht eine grosse Anzahl von Nebenregesten

1) für die in den Urkunden vorkommenden Namen aus dem hohen Adel und souveränen Geschlechtern,

2) für diejenigen des niederen Adels,

3) für bürgerliche und bäuerliche Familien,

4) für geistliche Stifte jeder Art, sowie auch für die Ritterorden,

5) für jede Oertlichkeit: Stadt, Dorf, Weiler, Einöde, ja bis auf vorkommende Flur- und Waldnamen; endlich wird

6) auch, was sich in sprachlicher, kultur- und insbesondere auch rechtsgeschichtlicher oder anderer Beziehung als beachtungs- werth aufdrängt, in Regesten aufgelesen und gesammelt.

Dieses Verfahren, das wie gesagt nur in gegebnen Verhält- nissen möglich, weil umständlich, übrigens auch keineswegs neu ist, hat schon die besten Dienste geleistet, und muss es auch, wenn es wahr ist, dass jedes Archiv, jede Sammlung in dem Grade dienstfähig sei, als sie durchsichtig, d. i. in den einzelsten Bestandteilen be- kannt und so eingerichtet ist, dass sich jedes Stück, um welchen Betreffes sich auch handeln möge, leicht auffinden und ausheben lässt.

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Das Hausarchiv Oettingen-Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie. 199

Die Nebenregesten werden natürlich auch auf Zettel geschrieben, so kurz als möglich, mit abgekürzten Daten, den Namen an der Spitze. Der Name aber der Person oder Oertlichkeit oder das Schlagwort, welches eine sprachliche, kulturhistorische oder rechts- geschichtliche Frage bezeichnet, erhält nach dieser Beziehung hin eine ganz kurze Andeutung mit dem Rückweis auf Namen und Datum des Hauptregestes, indem Alles, je nach den oben angedeu- teten Kategorien und innerhalb dieser alphabetisch-chronologisch zusammengefasst wird.

Es erhellt, dass man mit solchen Regesten verschiedenen histori- schen Rücksichten entgegenkommt, da sich die Zettel ja wie Spiel- karten trennen und je nach Bedürfniss wieder zusammenlegen lassen. Der Zweck dieser Zeilen und der vielleicht zu umständlichen Be- schreibung des Verfahrens ist aber der, der Ueberschrift dieser Darstellung entsprechend eine Seite hervorzuheben und anzudeuten, wie das Hausarchiv nicht nur für die Stammesgeschichte seiner Be- sitzer nach jeder Richtung hin, sondern auch für die ganze örtliche Genealogie als Quelle benützt werden kann. Daran müssen alle ein- geborenen und zugezogenen Familien des Gebietes theilnehmen, hier zunächst des ehemaligen Oettingischen Landes und seiner Nachbar- schaft, aber auch thoilweise anderer Gegenden, wo Oettingische Lehengüter lagen.

Leicht wäre es, ohne es gerade zur Archivaufgabe zu machen, auch die Nebenregesten, so wie es bei den Hauptregesten geschieht, aus Urkundenwerken und historischen Schriften, wenigstens soweit die alten Ortsgeschlechter in Betracht kommen, zu erweitern. Aber auch ohne diese Zugabe wird bei der grossen Menge der Namen und ihrer urkundlichen Nachweise immerhin der Geschichte, wie insbe- sondere der Genealogie der vorbezeichneten Landschaften kein ganz unerheblicher Dienst geleistet sein.

Das ganze Regestenwerk ist bis jetzt etwas über die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts gediehen, jedoch in raschem Fortschreiten begriffen.

Nachschrift des Herausgebers. Das fürstlich Oettingen'sche Haus- und Familienarchiv ist mir in all seinen jetzigen Bestandteilen längst nicht genugsam bekannt, als dass ich ein Urtheil darüber wagen möchte, in wie weit das von seinem geehrten Vorstande hier geschilderte System der Neuordnung, wenn es in allen Theilen und

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W. v. Löflelholz:

Gruppen des Archivs wirklich bis auf den Grund durchgreifen sollte, überall das allein angemessene sei. Jedes Archiv trägt ja das Gesetz seiner inneren Gliederung in sich selbst.

Ohne Zweifel aber muss für ein standesherrliches wie für jedes Familienarchiv oberster Grundsatz sein, es auch als solches zu behandeln, also seinen gesummten Bestand einzuteilen und zu ordnen je nach der Genealogie und dem Besitze des Hauses, so dass das Archiv in Wahrheit den schriftlichen Niederschlag und Nachweis der Geschichte und Bedeutung des Geschlechtes bilde von seinen ersten Anfangen all die Zeiten hindurch, wo es sich ausbreitete oder zu- sammenzog, an Macht und Besitzthum gewann oder verlor, bis zur Gegenwart.

Wenn aber ein Geschlecht, wie das hier in Rede stehende alle reichsfürstliche Haus, mit seinem Namen ganze Landschaften mit ihren Städten Ortschaften und Klöstern umfangt , so werden sich diese Städte Ortschaften und Klöster im Archive mit ihren Urkunden Codices Amtsbüchern und Akten ebenso standhaft als besondere Körper geltend machen, als sich die Akten einer früheren Re- gierungsbehörde zerreissen lassen , um ihre Stücke hier und dort unterzubringen. Ohnehin ist im fürstlich Oettingen- Wallerstein- schen Archiv , dessen Neuordnung uns hier so lehrreich und an- ziehend beschrieben worden, durch allumfassende Haupt- und Neben- regesten dafür gesorgt, dass auch jene Sondergruppen bei ihrem Rechte bleiben.

Wie vollständig aber, wie genau und sorgfaltig auch die Neben- regesten gemacht sind, dess zum Beweise greife ich aus den mir gütig zugestellten Uebersichten bloss aus dem Buchstaben B nur fünf Namen heraus.

Bayern. Herzog Ludwig, urkundet zu Kadolzburg 1267. Otto und Heinrich, Pfandschaft von Lauingen 1330. Ludwig Markgraf von Brandenburg, Verpfändung der Feste Steinhard 1349. Stephan, Bestätigung der Freiheiten des Klosters Heilig-Kreuz zu Donauwörth 1379, Fischereistreitigkeiten dieses Stifts 1405. Ludwig, Streitigkeiten mit seinein Vetter Heinrich 1406. Johann, Hofgerichtsurteil in Sachen v. Laber gegen Juden 1435. Otto, Vormund seines Vetters Ludwig als Schiedsrichter zwischen Oettingen und Pappenheim betr. Geleits- sachen 1440. Albrecht, Kommissär in Sachen Oettingen gegen Ulm 1448. Heinrich, urkundet zu Landshut 1448. Margarelh, nimm Heilig-Kreuz in Schulz 1451. Ludwig, Anleiter der Stadt Lauingen

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Das Hausarrhiv Oettingen-Wallerstein als Quelle Artlicher Genealogie. 201

gegen Oettingen 1454, vergleicht diese Irrungen 1455, teidigt zwi- schen Oetlingen und Nördlingen 1459, Schiedsrichter zwischen Oettingen und Nördlingen 1465.

Birkenfels von. Ulrich von Witersbach der Braun genannt, belehnt 1401, 1404. Georg, Lehnslrägcr für Fritz Birkenfelsers sei. Kinder, siegelt 1441. Hans und sein Bruder Ulrich, belehnt 1441. Stephan Lehnsträger und Hans der Junge, Fritzen sei. Sohn, be- lehnt 1449. Wilibald, desgleichen 1444. Hans und Stephan, desgl. 1448. Wilibald, siegelt 1451, desgl. als Schwager von Sigmund, Sixt und Hans der Sorgen 1458. Hans, Lehnsträger der Margarethe von Seckendorf und seine Hausfrau 1478. Wilhelm, Sohn der Ursula geb. v. Crailsheim, belehnt 1482, 1484. Hans zu Illesheim, belehnt 1487. Wilhelm, bei. 1488. Hans zu Lehrbach, bei. 1490. Ursula, Hansens Witwe geb. v. Crailsheim, bei. 1492. Eustachius und Georg Brüder, bei. 1492. Hans und seine Vetter Melchior und Stephan zu Illes- heim, bei. 1523. Melchior und Stephan, bei. 1530. Sigmund, desgl. 1531.

Bopfingen von. Wallher, offieialis de B., Zeuge 1281. Hedwig, Ehefrau des Friedrich von Sweninpaeh 1280. Walter, Ritter und Mini- ster civitatis in B„ Zeuge 1298. 1299. 1303. Walter der Junge, Zeuge 1319. Derselbe, Vetter der Frau Adelheid, Diemars von Zipplingen Ehewirthin 1322. Derselbe, Bürge 1324. Derselbe, siegelt 1331. 1333. Derselbe, stiftet Jahrtag 1336. Ulrich Ritter und dessen Wirthin Adelheid von Güssenberg, Güterkauf 1332. (Ulrich kommt schon 1319 unter den Lehnsleuten vor.) Ulrich Ritter gesessen zu Werd. nennt die Klosterschwestcr Mye die Schenkin (v. Stein) sein Ge- schwister, Schenkung an Kloster Kirchheim 1334. Walter Chorherr zu Feuchtwangen, Zeuge 1332. Derselbe, Bürge mit Ulrich 1340. Walter Abt zu Neresheim, das Oettinger Schirmrecht über das Klo- ster betr. 1340. 1350. Ulrich, siegelt 1347, stiftet nach Kloster Kirchheim , wegen seiner Tochter Schwester Elisabeth , eine Wiese 1348, leistet Verzicht wegen einer Schenke 1353, bürgt 1354, stirbt auf Lichtmess 1565. Philipp, Holzverkauf 1350. Rudolf, bürgt 1350. Sein Vetter zu Bopfingen geses-en 1354. Ulrich der Jüngere, bürgt 1365. Heinz und Elslin, Rudolf sei. zu Tuttenstein Kinder 1368. 1372. Rudolf der Jüngere zu Bopfingen gesessen 1370, bürgt 1387, Lehngerichtsbeisitzer 1389. Frau Sophie zu Kirchheim gesessen, Wiesenkauf betr. 1387. Ulrich, belehnt 1386. Heinrich zu Esels- burg gesessen, Wiesen verkauf betr. 1392, Pfleger des Willi. Adei- mann 1408. Rudolf und Walburg v. Merkingen, seine ehel Wirthin,

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W. v. Löffelholz:

Gutsverkauf betr. 1400, gicbt Kundschaft, nennt den Hans Han seinen Vetter 1404. Frau Agnes Aebtissin zu Kirchheim 1405. 1406. 1407. 1409. 1410. 1411. 1412. U20. 1422. 1423. 1425. 1427. 1430. Rudolf und Walburg und Ulrich ihr Sohn , Güterkauf betr. 1406, dieselben und ihre Kinder Ulrich Heinrich Anna, Güterkauf betr. 1410. Ulrich, siegelt 1416. 1423. Rudolf, belehnt mit Utz- wingen 1426. 1434. 1438. Ulrich Lehnsträger der Barbara v. Hop- pingen geb. v. Reichen 1423, kauft einen Hof 1426, ist Vogt zu Baldern 1428, leistet Bürgschaft 1438, siegelt 1431, verkauft Kah- lenhof 1444. Heinrich siegelt 1433. 1439. 1446. Heinrich und seine Hausfrau Margareth v. Schopfloch verkaufen ein Gut 1440. Siegmund 1436. Hieronymus, teidigt und siegelt 1447. Ulrich, siegelt und nennt seinen Vetter Rudolf 1444, Lehnsträger der Barbara Heintzen's v. Zipplingen Hausfrau 1452, siegelt 1453 zu Utzmaningen gesessen, heisst des Moritz Auracher und der Barbara Pfefferbeigin Schwager 1463. Heinrich, siegelt 1451. Margareth v. Schopfloch genannt Bopfingerin des Heinrich Eeman zu Bopfingen Ehefrau, welcher den Heinrich v. Bopfingen seinen Vorfahr in der Ehe nennt, Jahresstif- tung 1479. Rudolf Vogt zu Ellwangen, Lehngerichtsbeisitzer 1513. Seitenlinie der Hanen (Galli) v. Bopfingen mit dem nämlichen Wappen. Heinrich Han (Gallus) v. Bopfingen, Schenkung an Kloster Kirchheim 1310. Heinrich und sein patruus Albrecht Burger zu Bopfingen, Wiesenverkauf 1311. Heinrich der Han Bruder der Frau Adelheid, Diemars v. Zipplingen Ehewirthin 1322, bürgt 1335. 1348. Albrecht, bürgt 1322. Hans Amman zu Bopfingen, siegelt 1366. 1382. Hans der Junge, siegelt 1387. Anna Hansen des Jungen sei. Wittwe, siegelt 1389. Hannes Han sei., wird von Rudolf v. Bopfingen Vetter genannt 1404. Eine bürger- liche Familie v. Bopfingen genannt zu Bopfingen und Nördlingen sieh unter Einküm. Cämmerer v. Bop- fingen sieh unter Cämmerer.

Brotzer, Protzer. Heinrich Bürger zu Nördlingen, Güter- kauf 1345. Hans, siegelt mit den 3 Aehren 1379. Hans und Kon- rad Brüder, siegeln 1389. Konrad, desgl. 1393. Cunz Bürger des Raths zu Nördlingen, siegelt mit dem Brackenkopf 1394. 1395. 1396. 1402. 1406. 1407. 1411. 1412. Konrat Bürgermeister zu N. J409. 1430. Hans Stadtamman, siegelt 1423, teidigt 1424. 1429. 1438. Jakob teidigt 1451, der Markgrafen zu Brandenburg mitsampt an- deren Statthalter zu Onolsbach siegelt 1472, zeugt 1478, Lehn-

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Das Hausarchiv Oettingen-Wallerstein als Quelle örtlicher Genealogie. 203

gerichtsbeisitzer 1484. Wilhelm Pfleger und Lehnsträger der Kinder des Otto Vetter 1485.

Burgau Markgraf von. Heinrich mit zwei Söhnen, zeugt und siegelt 1238, bestätigt eine Schenkung 1244, eignet ein Gut 1289. Heinrich Schwiegersohn weiland des Grafen Albrecht v. Haier- loch, Kirchensatz zu Memmingen betr. 1312. Burgau von. Al- brecht Ritter, Händel mit Kloster Fültenbach 1393. Albrecht, siegelt 1395. Burgau von, genannt Wyglin. Georg, mit dem Bracken- kopf 1404, Lehnsaufgabe 1408. Hans Bürger des Raths zu Werd, Wasserrechte an der Donau betr. 1484, wird als vormaliger Lehns- träger der Elsbeth Marschalkin v. Donnersberg genannt. Hans, be- lehnt 1487. Martin, Hans, Wilhelm, bei. 1497. Hans, desgl. 1510.

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X. Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

Von

Ludwig Schandein, k. Kreisarchivar der Rheinpfalz. (Schluss.)

Dem Lyzealprofessor Georg Rau in Speier wurde die Vorstands- verwesung des Archives übertragen. Seiner Amtsleitung verdankt die Anstalt, welche damals »Königliches Archivkonserva- torium« benannt wurde, des Guten gar manches. Rau zeigte ein richtiges Verständniss der dienstlichen Aufgaben wie einen allezeit praktischen Blick. Die baulichen Bedürfnisse des Hauses wurden geprüft und wo möglich gemindert; manche zweckmässige Ver- änderung erfolgte in der Einrichtung der Räume. Was aber besonders hervorzuheben, in die Anstalt kam Ordnung und ein gewisses geistiges Leben. Dies bezeugen alle seine Arbeiten : innerer Beruf war bei Pro- fessor Rau vorhanden neben gediegener archivalischer Bildung. Seine Berichte und sonstige Schriftstücke, zumal jene organisatorischer Natur, erschliessen in ihrer gründlichen, klaren und knappen, der Aufgabe entsprechenden Fassung einen Reichtum der sorgfaltigsten Vorstudien. Auch in wissenschaftlicher Beziehung hat Rau manches Schöne veröffentlicht. Seine topographische Arbeit über die ehemalige Pfalz, anfanglich Atlas, später im Vereine mit A. Ritter herausgegeben als Karte, bleibt ein verdienstliches Werk Dem Vorstände zur Seite arbei- tete der Archivsekretär Indest mit unverwüstlicher Arbeitskraft und un- ablässigem Fleisse, indem er Akten und Urkunden ordnete und ver- zeichnete. Was aber, höre ich sagen, leisteten andere Männer und ihre Vorgänger am rheinpfälzischen Archiv für die Wissenschaft ? Im Archivwesen soll ja auch die Wissenschaft fröhlich gedeihen und zur Geltung gelangen. Ganz in der Ordnung. Allein ist es nicht eigen, wenn die unkundige Welt gerade nur vom Archivbeamten verlangt, dass seine sorgsam behüteten Schätze er auch literarisch

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Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

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verwerte? Hat denn der Archivbeamte nicht auch einen laufenden Dienst, unter Uniständen einen Dienst, der seine Kraft auf die Dauer und über die Maszen beschäftigt? VVol keinem anderen Beamten, selbst nicht den höchsten des Staates, wird literarische Werkthätig- keit angesonnen.

Und dennoch lässt diese Frage sich nicht ohne weiters abweisen. Es sei hier nur, eine einzige Seite berührt. Unverkennbar hat in der Neuzeit die germanische Sprach- und Altertumswissenschaft sehr erheblichen Fortschritt gemacht. Nicht minder die altklassische Philologie. Die germanische Sprachwissenschaft hat aber ihren Ge- bietskreis nicht nur bedeutend erweitert, die Forschung hat sich auch mehr vertieft und überraschende Früchte erzielt. Dieser erspriesslichen Strömung des Geistes kann eine verwandte Anstalt wie ein Archiv ist sich nicht verschliessen , um so weniger ein wichtiges Archiv, welches glänzend bedacht ist mit erlesenen handschriftlichen Schätzen. Wer soll diese Dinge am besten verstehen und kennen? Jedenfalls doch derjenige, der sich mit ihnen lagtäglich befasst? Um sie aber von Grund aus verstehen und auslegen zu können, Unit bei deut- schen Handschriften vor allem not eine gründliche Kenntniss der germanischen Sprachunterschiede: nur mit ihrer Hilfe wird die urkundliche Lesung erleichtert und die arehivalische Aufgabe zuver- lässig gelöst. Nicht die Erfarung allein gibt hier den Ausschlag.

Wir sehen also, sprachliche Kenntniss, überhaupt archivalisch- wissenschafUiche Vorbildung als solche ist erforderlich zu literarischer Thätigkeit des Archivisten , wie zur Uebung der ihm obliegenden Amtspflicht. An den baierischen Archiven leisten und leisteten wissenschaftliebende Männer anerkannt Tüchtiges: gleichwol wird es schwer halten, sämmtliche neun Archive forlwärend mit ebenso prak- tisch gewandten als wissenschaftlich strebsamen Kräften ausgerüstet zu wissen, so sehr auch die jetzige Oberleitung darauf dringt, und so sehr auch die heutzutage gehobene Bedeutung des Archivwesens und das Ansehen seiner Beamten es verlangt.

Vorstand Rau verblieb bei dem pfalzer Archive bis ger'en Herbst 1868. Am 2. November genannten Jares hatte der Ver- fasser dieser Zeilen dessen Leitung übernommen. Er wusste es wol, dass er in eine angestrengte Arbeit, in eine teilweise Umgestaltung des Archivwesens eintrete. Denn seit Frühling 1864 waltete der Vor- stand des Allgemeinen Reichsarchives in München, der Herausgeber dieser Zeitschrift, zugleich als unmittelbarer Vorstand der acht Kreis-

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Schandein:

archive in Baiern, und der Verfasser halte bereits seit vier Jaren im Reichsarchive mit den umfassenden Arbeiten, die mehr oder weniger jedes Archiv trafen, sich vertraut machen können.

Genaue Konstatirung und leichte Uebersichtlichkeit des Materials, das im Archive vorhanden, ist ja die Grundbedingung, sozusagen die greifliche Seele eines Archives. Die Buchführung aus früherer Zeit zeigte aber nicht die hier so sehr notwendige Sicherheit. Archivstücke gingen nur kurzerhand, nicht einmal gehörig verzeichnet, auch vielmals ohne Empfangschein an die Referenten bei den k. Stellen und Behörden hinaus. In der Rheinpfalz jedoch hatte man bereits in den fünfziger, dann anfangs der sechziger Jare die Reklamation schon entschiedener be- trieben. Jetzt wurde sie noch einmal allseitig und gründlich vorgenommen und war der Erfolg, dass von den zurückverlangten Archivsachen mindestens zwei Drittel zurückkamen, darunter sehr schöne Karten und Pläne. Mehr Beruhigung und sichere Gewär für die Zukunft bietet jetzund die Einführung eines „Ausleihebuches" für die zwei ersten Jare des Archivalienausslandes, sowie eines „Schuld buche?" für die folgende Zeit. Dadurch sind wiedererwonnen längst aufgegebene Archivteile und kaum ist irgend ein nachweisbarer Ausstand von 1861 bis zurück zu 1817 übersehen. Unser Schuldbuch zält nur nocli wenige, jedoch gesicherte Numern.

Diese allgemeine Reklamation der hinausgeliehenen Archivalien war die erste Arbeit. Allein schon in früheren Jaren wäre es Aufgabe gewesen, die klaffenden und grossen Lücken im speierer Archiv auszufüllen, sei es aus den Archiven der umliegenden Staaten, wo pfalzer Archivalien trotz der pariser Friedensbeschlüsse zurückgehalten wurden, sei es ausden Amts- und Gemeindearchiven der Pfalz selbst oder aus den übrigen baierischen Archiven, dann womöglich durch Ankäufe und Schenkungen von Privaten. Im Herbste 1853 gelang es dem Verfasser, der da- mals noch am Reichsarchive in München war, im Bade Gleisweiler bei Landau, von einem Verwandten des Dr. Lobstein ein damals noch kurzes Verzeichniss pfälzischer , in Strassbui"g beruhender Archivalien zu erhalten. Hievon wurde gleich nach Rückkunft in München berichtliche Anzeige erstattet, allein ein erwünschtes Ergeb- niss schien sich in die Länge zu ziehen. Der jetzige Obervorstand brachte es nicht nur mit Frankreich, sondern auch mit den anderen bezüglichen Staaten zu einem gegenseitigen, vertragsmässigen „Archivalien- austausch". Allerdings waren schon früher mehrmals und mehr- seits wichtige Archivteile nach Speier verbracht: allein eine plan-

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Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

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massige, allumfassende und zugleich abschliessende Betreibung erfüllte sich erst unter jetziger Leitung. Indessenfolge wurde pfäl- zisches Archivgut unablässig, wo es auch stecken mochte, ausge- forscht und nach und nach wieder hereingeleitet.

a) Von ausländischen Archiven

1. extradirte Grossherzogtum Baden (Gcnerallandcsarchiv in Karlsruhe 1868—1873) an Baiern über 2000 Pergamenturkun- den (wovon ungelar ein Drittel dem Reichsarchive), betreffend überwiegend Stifter, Klöster und Ortschaften des Hochstiftes Speier u. a. m. ;

2. Frankreich extradirte aus Strassburg 5 Kisten mit Archival- akten (410 Liasses), hierunter über 200 Urkunden vor 1401: aus Metz Urkundenabschriften (1422—1812); anderes kam aus Kolmar;

3. vom Grossherzogtum Hessen (Darmstadt) kamen 187") hanau -lichtenberger Urkunden (11 Faszikel) nebst anderen und eine grosse Reihe von Akten betreffend die Landvogtei Elsas«:

4. Preussen extradirte aus dem koblenzer Archive im Jar 1875 Pergament- und einige Papierurkundon betreffend Kurpfalz, Zweibrücken- Veldenz und viele andere ehemalige Herrschaften der Pfalz nebst beglaubigten Urkunden-Abschriften. Hieher zu rechnen sind auch die in Speier vom Archivvorstand gefertigten, amtlich beglaubigten Abschriften von Urkunden und Akten des koblenzer Archives, umfassend eine grosse Reihe von Urkunden und v. d. Leyen'schen Verordnungen, von Stammtafeln mit Wappeuzeichnungen (v. d. Leyen'sches Geschlecht), von Rege- sten und anderen Arbeiten.

Hingegen von Speier wurden ausgeliefert an

1. Baden (1868): eine Reihe älterer Akten Briefschaften der Grafen von Tübingen sowie Akten der Markgrafschaft Baden nebst UrKunden:

2. Frankreich (1868): Rappoltsteiner Akten, Urkunden und Literalien betreffend Bärenlhal und andere elsässische Ort- schaften;

3. Hessen-Darmstadt (1875): Akten des Amtes Sprendlingen u. s. w.

4. Preussen (koblenzer Archiv): 1855 die auf Preussen bezüg- lichen Reichskammergerichlsakten (29 Faszikel); ferner 1870 und

208

Schandein :

1871 sponheimer Archivalien (2 Kisten); dann 1873 auf die sponheimer Grafschaft bezügliche Akten (136 Faszikel); inzwi- schen Urkunden und beglaubigte Urkundenabschriften.

Ii) Aus inländischen Archiven kamen nach Speier und zwar

1. vom Reichsarchiv (1864—1877): Lugerbücher von Burweiler und Dunzweiler, eine Reihe kurpfälzischer Akten, herzoglich zweibrückener Reskripte, Akten und Ordnungen;

2. aus den Kreisarchiven München (1873): einige Urkunden; Bam- berg (1876): Pergament- und Papierurkunden; Landshut (1877): Herzog Slephan's Lehen und Renten, eine grosse Reihe her- zoglich zweibrückener Verwaltungsakten und dergleichen (in 8 grossen Kisten).

Von Speier abgegeben wurden an das

Reichsarchiv (1849-1853): etwa 400 Urkunden vor 1401 und deren ein weiterer Teil, die sehr interessante Sammlung der pfälzischen Weistümer; (1866—1877) eine Sammlung kurpfalzi- scher Verordnungen, Familienakten betreffend Herzog Max von Zweibrücken, Sickingen'sches Kopialbuch, etwa 800 Urkunden vor 1401, dann eine Reihe von Reirhskammergerichlsakten.

c) Inländische Stellen und Aemler.

1. Die k. Kreisregierung der Pfalz übergab (1863—1874) ältere Urkunden und Renovationen, viele Karten und Pläne, Akten der gemeinschaftlichen Landesadministration betreffend Saline Phi- lippshalle bei Dürkheim), topographische Beschreibungen aus der französischen Zeit (mit Plänen), eine Reihe von Aktenkonvo- luten, die Archivalien- und Aktenbewegung verschiedener Staaten betreffend;

2. von Bezirksämtern kamen (1859—1875) aus

Spei er: Aeltere Akten betreffend die Liquidationen der Gemein- den mit Frankreich; (später) neuere Akten verschiedenen Inhalts; aus Frankenthal: Pergamentlibell betr. Haingeraiden; Akten aus der französischen Zeit; aus Kirchheimbolanden: rhein- gräfliche Originallandesverordnung;

3. vorn Landgericht Wolf stein (1854): Akten des kurpfalzischen Unteramtes Wolfstein;

4. vom Bezirksgericht Kaiserslautern (1855—56): Archivalakten des kurpfölzischen Oberamtes Kaiserslautern;

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Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

209

5. vom Rentamt Homburg (1872): eine Reihe von Erbbestands- briefen u. s. w.

d) Gemeinden und Genossenschaften.

1. Blieskastel. Bereits 1840 wurde in 12 Kisten ausgeliefert ein Rest des gräflich von der Leyen'schen Arehives und bildet dieses, erweitert durch die letzte Ablieferung aus Koblenz, einen sehr willkommenen Archivteil;

2. Pirmasens. I86S erfolgte die hier beruhende Registratur des ehemaligen Amtes Lemberg u. s. w. in 26 Kisten eine Masse von Aktenbänden. Hierunter sind besonders zu beachten die Kirchen- und Schulsachen.

3. Zwei brücken. Bei der protestantischen Kirchenschaffnei wurden noch verwart lange Serien Konsistorialakten aus den Zeiten der Reformation und Gegenreformation, die zu den wich- tigsten und umfangreichsten historischen Zeugnissen gehören. Daran schlössen sich eine Menge Urkunden, Amtsbücher, Reichs- tagsakten und andere aus früherer und späterer Zeil. Im Ein- verständnisse mit der Kirchenschaffnei repertorisirt jetzt ein Accessist aus dem Reichsarchive in Zweibrücken diese Archi- valien , dann wird das rein historische Material in das pfal- zische Landesarchiv kommen, das übrige aber der Kirchen- schaffnei verbleiben.

e) Geschenke.

Seit dem Eintritt des jetzigen Amtsvorstandes erhielt das Archiv Geschenke von Gemeinden und Privatleuten in erfreulicher Anzal. Sie bestehen in Pergament- und Papierurkunden , Karten und Plänen, kirchlichen Akten, Zunftordnungen, Gerichtsbüchern, Weis- tümem, einem Mäderinnungsbuch u. a. m. Gerne wird Dank aus- gesprochen den Gemeinden Hördt, Hagenbach, Schifferstadt, Neur hofen u. s. w., nicht minder einer Reihe von Geschichtsfreunden der Pfalz.

.f) Angekauft

aus dem literarischen Nachlass des Pfarrers Lehmann zu Nussdorf wurde eine Reihe Papier- und Pergamenturkunden der Reichsstadt Speier nebst fast 700 von allwärts her gesammelten Urkundenkopien.

Das Ausforschen, Verzeichnen und Hereinbringen dieser Archivalien war jederzeit mit grosser und zeitraubender Arbeit verbunden. In-

Archiv»ll»che Zeitschrift. III. 14

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210

Schändern:

dessen bei einer Menge von Schriftstücken, die nicht zu erwerben gewesen, insbesondere von wichtigen, nicht selten umfänglichen Archi- valienverzeichnissen, war man in die Lage versetzt, wenigstens Ab- schrift zu nehmen. Selbst Kauf und Geschenke bedurften einer ge- wissen Vermittelung.

Das Gesammtergebniss all' dieser Archivalienbewegung stellt sich nun folgendermassen. Mehr oder minder vollständig sind die Archivabteilungen (B. II. 115) A. Reichsständische Territorial- herrschaften :t 1—16; B. von den reichsunmittelbaren Herrschaften 17. 18. 19 nur stückhaft 20. 25. 26 die übrigen aber teil- weise. C. Isolirte unmittelbare Besitzungen: 27—39 nur in Beziehung mit anderen Herrschaften. Endlich 40. 41 als selbständige Gruppen; 42. 43. 44 mit anderen behandelt. Neu kamen hinzu die Archiv- abteilungen wärend und nach der französischen Herrschaft.

Innig verwandt mit dieser Archivalienmehrung ist die Ordnung und Verzeichnung der pfälzischen Ortsarchivalien, solcher nämlich, die in der Pfalz vorhanden, aber nicht in das Archiv gekommen. Den Bürgermeistereien schliessen mit ihren Schriftstücken sich an die Pfarrämter; später die Kirchenschaffneien, Kirchenfabriken, Wol- thätigkeits-, überhaupt alle Anstalten, welche ältere Handschriften besitzen. In Anbetracht, dass nicht allein in unruhiger Kriegszeit, sondern dass sogar mitten im Frieden so manche kostbare Hand- schrift leichtsinniger Weise zugrunde gegangen, kam Verfasser auf den Gedanken: alles in der Pfalz noch gerettete ältere Schriftwerk amtlich verzeichnen und das Ergebniss dem Kreisarchive übermitteln zu lassen. Die Vorteile eines solchen Unternehmens sind zu ein- leuchtend, als dass weitere Erläuterung nötig.

Ohne amtliche Unterstützung war aber nicht viel zu beginnen: denn auf dem Lande thut das Volk in der Regel nicht mehr als was es muss. Ein Rundschreiben, in diesem Sinne an die Bezirksämter des Kreises gerichtet, fand nachdrückliche, dankwerte Unterstützung durch das Regierungspräsidium der Pfalz. Jetzund wurde gewirkt und geschafft in fast allen Gemeinden. Ja ein geschichtfreundlicher Bezirksamtmann hatte eigenhändig vorzeichnet den Archivalienbe- stand seiner Gemeinden. Die Ausbeute des neustadter Bezirkes war überraschend, Neustadt selbst lieferte ein umfängliches Verzeichniss wichtiger Urkunden und Akten der Stadt. Andere Bezirksvorstände waren gleichfalls um die Sache werkthätig bemüht. Das Ergebniss ist nach allen Seiten erfreulich.

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Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

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Das Kreisarchiv besitzt nun eine grosse Reihe von Verzeich- nissen der zerstreuten Ortsarchivalien. Hervorzuheben sind die Ge- meinden Annweiler, Edenkoben, Offenbach, Bergzabern, Kaiserslau- tern, Frankenthal, Winnweiler, Freinsheim, Odernheim, Hassloch, Kirchheimbolanden und viele andere; dann die Pfarrämter Ann- weiler, Bergzabern, Finkenbach u. s. w. Manchen Verzeiclmissen waren bisweilen Originalurkunden angefügt. Auf unmittelbare Zu- schrift an die Bürgermeister und die Pfarrämter der Pfalz erfolgte dann weiterer Zuwachs. Völlig geschlossen ist die Sache noch nicht, neues steht noch immer bevor. Dann kommt die Zeit ein „Ge- neralverzeichniss" dos in der Pfalz zerstreuten Archivmaterials fertig zu stellen. So viel scheint aber gewiss: wäre durch dieses Unter- nehmen nichts weiter erreicht als die Erweiterung geschichtlichen Forschens, so ist doch auch der leichtsinnigen Verschleuderung dieser Dinge einigermassen ein Riegel vorgeschoben. Sie stehen einmal verzeichnet und die Ortsverwaltung ist verantwortlich gemacht für den ungeschmälerten Bestand. Ob ein solches Unternehmen allge- meiner Nachahmung empfohlen werden darf?

So viel über das in den letzten zehn Jahren hereingebrachte greifbare Archivmaterial. Alles nachzuweisen und zu erläutern wird uns unmöglich. Allein eine andere Frage thut sich auf: wie wird aus diesem Gesammtarchivmaterial ein schönes, planvolles Ganze gebildet? Und wie kann das zu allgemeinem Nutzen geschehen? Hierüber bestehen verschiedene Ansichten. Der eine Teil sagt : wo- zu denn eine wissenschaftlich gegliederte, systematische Einteilung des Archivmaterials? Die Hauptsache bleibt doch immer die, dass man das Gesuchte gleich greift. Hiezu aber der kürzeste Weg sei ein alphabetisch eingerichtetes Register mit den etwa nötigen Unter- numern. So ein Archiv solle hergestellt sein wie eine Apotheke, oder wie eine gewöhnliche Amtsregistratur. Klappe nur die Buchstaben- bezeichnung — was willst du noch mehr? Jedenfalls erweise sich diese praktische Einrichtung viel besser als ein noch so fein ausge- dachtes System! Dann auch werden die Archivaliensuche nicht so zeitraubend und mühsam, und der Dienst koste den Staat lange nicht so viel Geld! . . . Iiiergegen bemerkt der andere Teil: das wäre ja ein Durcheinander trotz scheinbarer Ordnung! Wer liest und er- klärt uns den Inhalt uralter, schwerverständlicher Handschrift? Wer erkennt ihre Echtheit, wo diese fraglich geworden? Wer liefert unter eigener Verantwortung buchstäblich treue Abschrift? Wer bearbeitet

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Schandein :

einen neuen Archivalienzuwachs aus älterer Zeit, wenn auch nur in alphabetischer Behandlung ? Was immer mit Archivalien geschehen möge das Verständniss des Inhaltes ist die erste Bedingung: ohne dieses ist nicht das geringste auszuführen. Und ist der Archivbeamte nicht ein blosser Registrator, ist er wirklich gebildet, besitzt er nicht lediglich ein bruchslückliches , sondern ein innigzusammenhangendes, organisches Wissen : dann thut er sich ja ebenso leicht, sein Archiv betrachten zu können als das zeitörtliche Bild des bezüglichen Lan- desgebietes. Immerhin übt eine solche Archiveinrichtung weit mehr Anziehungskraft auf den Forscher.

Letztere Ansicht herrscht in den Erlassen der Archivzentral- stelle in München. Vor allem ist in ihnen betont die zweckmässige Scheidung des Archivmaterials in Aktenarchiv, Amtsbücherserien, Plankammer und U r k u n d e n s a m m 1 u n g. Auch hier verschiedene Ansicht. Bei grossen, schwerübersehbaren Archiven ist allerdings diese Sonderung, zumal die der Urkunden von den Akten dringend geboten, jedoch in dem Masze nicht bei kleineren Archiven. Hier genügt vor allem die rasche Bedienung und wird die Ausscheidung der Urkunden nicht gerade zur Notwendigkeit. Denn nicht selten zeifct sich der Inhalt der in einem Aklenfaszikcl liegenden Urkunde so innig mit diesem verwachsen, dass man durch deren Heraus- nahme das schöne Ganze nur beeinträchtigen würde. Allein auch wie häufig, zumal bei Papiersachen jüngerer Zeit, ist ein durch- schlagender Ausscheidungsgrund nur schwer zu bestimmen. Solche Fälle ausgenommen wird jeder Archivar, der seinem Amtsberufe mit Liebe anhängt und darin eine geistige Beschäftigung findet, seiner Archiveinrichlung wo möglich auch allen mechanischen Anstrich zu benehmen suchen.

Im Kreisarchive Speier wird nun seit einigen Jaren diese Aus- scheidung vollzogen. Aus den mehr oder minder dicken Aktenfas- zikeln, in welchen sie eingeschnürt und eingepresst lagen, werden entfernt Pergament- und Papierurkunden, Karten und Pläne, Lager-, Sal- und sonstige Amtsbücher. Bereits sind fertiggestellt die grös- seren Archivabteilungen: Hochslifter Speier und Worms, Nassau- Weilburg und Nassau-Sarbrücken, Geistliche Administration Heidel- berg u. a. m. Die ausgehobenen Urkunden wurden regestirt und geordnet, die Karten und Pläne der bestehenden Plansammlung ein- gefügt und die Amtsbücher, deren verhältnissmässig nicht viele, eigens für jede Gruppe zusammengestellt. Schliesslich bedarf jede Einzcl-

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Geschichte des Kreisarchivs in Speier.

213

gruppe auch eines ergänzten, oder besser gesagt eines neubearbei- teten Repertoriums um so mehr, wenn der neuerdings erwartete reichliche Archivalienzuwachs gehörigen Orts seine Einverleibung ge- funden. Eine neue Urkundengruppe werden dann bilden die beim Rcichsarehive noch beruhenden „Weistümer der Pfalz", welche ihrem ganzen Wesen nach dem Kreisarchive in Speier zustehen, inzwischen auch durch Geschenke unter dem Vorbehalte vermehrt worden sind, dass diese in der Pfalz auch wieder verbleiben.

Diese systematischen, das ganze Archiv umfassenden Alisschei- dung»-, Ordnungs- und Repertorisirungs- Arbeiten erfordern viele Zeit, sie werden jedoch öfters und länger unterbrochen durch den laufenden Dienst in seiner wechselreichen Vielfältigkeit. Besonders wichtig sind hier die Archivalienrecherchen zu rechtlichen Zwecken; sie erheischen alle Aufmerksamkeit wegen der eigentumlich ge- schichtlichen und politischen Verhältnisse der Pfalz: eine einzige Recherche nimmt nicht selten fast sämmtliche Archivabteilungen in Anspruch. Zur Erleichterung dieser Aufgaben hat nun der Amts- vorstand ein zeitsparendes „Generalrepertorium" in ziemlicher Aus- führung gefertigt, zugleich als einen Wegzeiger in die bezüglichen Archivaliengruppen.

Viel wurde schon daran gearbeitet, mit dem Aktendepot der Regierung, welches seit einer langen Reibe von Jaren im Kreis- archive untergebracht ist, völlig aufzuräumen. Bei dem grossen Platz, den es einnimmt, wurde die fortlaufende Aufstellung zusam- mengehöriger Archivalienbestände gestört; das Depot wird nun und zwar ganz sicher entfernt, sobald der bei der Regierung begonnene Neubau vollständig fertig dasteht. Die Oberverwaltung der bayerischen Archive geht nämlich von den Grundsätzen aus, dass ein Staats- archivar nicht der Registrator einer andern Stelle oder Behörde sein könne.

Von derselben höheren Auffassung des Archivwesens getragen vollzog sich eine andere Reform. Aus den früheren blossen Akten- vorlagen sind nunmehr arehivalische Gutachten geworden, die auf Grund eigenen Studiums der Akten und Urkunden gründlich zu er- örtern haben, inwiefern durch sie die Frage, um welche es sich handelt, bejaht oder verneint oder unentschieden gelassen wird.

Auch eines andern wichtigen Punktes, dem man gewöhnlich wenige Beachtung schenkt, nämlich der Reinheit der Sprache in jetzigen amtlichen Schriftstücken, sei hier noch gedacht. Ein Hauptgrund

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Schandein :

aller Bildung bleibt doch Kenntniss und Kunde der eigenen Sprache: wer richtig versteht was er liest, der kommt aus sich selber vor- wärts und übt seine Kraft nach den vortrefflichsten Mustern. Allein die Nach wehen vernachlässigter Uebung des Wortes verraten sich nicht selten in Leistungen, wo man es gar nicht vermutet. Wie schön, wie vollgiltig schön und angemessen sind die amtlichen Berichte und Schreiben aus französischer Zeit! Es war darum auch sehr an der Zeit, dass die Staatsregierung die Vereinfachung des amt- lichen Geschäftsstiles sowie des Geschäftsganges dringend empfohlen.

Wir übergehen nun, was im letzten Jahrzehnte an strengerer Ordnung und Verzeichnung der Dienstgeschäfte geschah, womit auch die Neugestaltung der Ilandakten-Sammlung (Manual-Registratur) zusammenhing, und berühren nur noch die Frage nach Rang und Stellung der Archivbeamten. Noch in den fünfziger Jaren hatte der Archivpraktikant zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Diesen unerquicklichen, übrigens im Zuge der Zeit liegenden Verhältnissen gegenüber ist für einen wackeren jungen Mann die heutige Aussicht ein lachender Himmel ! Auch der Stand der Archivbeamten hat sich in der öffentlichen Anerkennung gehoben. Die unzuträgliche Benennung „Königliches Anhivkonservatorium44 und „Archivkonservalor44 ist seit 1876 gewandelt in „Kreisarchiv44 und in „Kreisarchivar4'; denn dieser ist wirklich Beamter des ganzen Kreises. Das rheinpfalzische Volk konnte sich ohnedies nicht gewöhnen an jenen „artlichen" Namen. Möchte sich nun zu dem Namen auch endlich ein der schönen Rheinpfalz würdiges Kreisarchivgebäude gesellen! Das jetzige zeigt ja der offenkundigen Nachteile zu viele.

Soweit unser Versuch einer Archivgeschichte, welcher grössten- teils auf Aktenstücke sich stützt. Es sollte darin an einem Bei- spiel nachgewiesen werden, wie eigentümlich selbst ein bescheidenes Archiv sich bilden kann, und wie mühsam es ist, dem Gang dieser Bildung zu folgen. Nicht das literarische Interesse ist es allein, was uns zu dieser Arbeit gezogen : der Anreiz lag noch melir in dem dienst- lich praktischen Nutzen, welchen eine solche Darlegung dem nach- folgenden Beamten gewärt zur rascheren Kenntniss seines Archives. Manche sonst immer von neuem beginnende Studien werden da- durch erspart.

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XI. Kurze systematische Uebersicht des Inhalts der bayerischen Landesarchive.

(Fortsetzung.)

VI. Kreisarchiv Nürnberg.

(Akten, Kodizes, AmtsbOcher. Rechnungen, Urkunden und Abschriften, Pläne.)

I. Fürstenthum Ansbaoh (Onolzbach).

A. Fürstliche und staatsrechtliche Verhältnisse.

1) Brandenburger Haus- und Familiensachen: Der Burg- und Markgrafen persönliche Verhältnisse , Korrespon- denzen, Privilegien etc. (1138—1808), Hausverträge, Erb- folgen, Landestheilungen etc. (1403—1796), Vermögen und Schulden (1400—1802), Hofordnungen, Hofhaltung etc. (1439 bis 1805).

2) Landesgeschichte, Kriegs- und Religionssachen: Herrschaftliche und Kopialbücher, historische Akten und Schriften (1281-1802), Kriegs- und Fehdesachen (1411-1795), Re- ligions- und Reformalionsakten (1436—1684).

3) Reichs- und Kreissachen, nachbarliche Verhält- nisse: Reichstage (1529-1664), Reichsgerichte (1550-1788), Kreis- und Unionstage (1439—1773), Beziehungen der Mark- grafen zu den Reichsständen und dem Ausland, dann nach- barliche Differenzen, Verträge etc. (1272— 1806), Gesandt- schaften und Agenten (1467—1725).

4) Markgräfliche Besitzungen und Rechte: Die fränkischen und schlesischen Fürstenthümer und die übrigen Brandenburgi- schen Besitzungen (1273—1806 bezw. 1817), Reichs- und

216 Systematische Uebersicht d. Inhalts d. hayerischen Landesarchive.

andere Lehen (1210 -1779), Oettingen'sche Pfandschaflen (1521—1559), Landvogtei im Elsass (1283—1470), Herrschafl Limburg (1421—1808), Reichsgrafschan Geyer (1401—1793), kaiserliches Landgericht des Burggrafenthums Nürnberg (1253 —1671), das markgräfliche Geleitsrecht (1386-1798).

B. Landesregierung.

1) Allgemeines: Generalien und Verordnungen (1404 1804), Aemterorganismus und Beamten (1407 1806), Rechts-, Polizei-, Zunft- etc. Ordnungen (1397—1796), Finanzwesen, Zölle, Schulden (1400—1797), staatswirthschaftliche Gegenstände (1334 bis 1795), Justizsachen und Urfehden (1403—1794), Pfarr-, Kultus- und Schulsachen (1487- 1794 bezw. 1818), Juden (1411—1784), Gemeinbücher (1373—1686), Aemterbeschrei- bungen, Sal- etc. Bücher (14. Jahrb. bis 1778).

2) Einzelne Aemter und Orte: Die Oberämter Ansbach, Burgthann, Cadolzburg, Golmberg, Crailsheim, Creglingen, Feucht wangen, Günzenhausen, Hohentrüdingen, Roth, Schwa- bach, Stauf, UfTenheim, Wassertrüdingen und Windsbach, mit den darin gelegenen Kasten-, Vogt- und andern Aemtern; dann die 1803 von Bayern an Ansbach abgetretenen Orte und Güter (1351—1808).

3) Klöster, Stifte und Klosterverwaltungsämter: An- hausen, St. Gumbertusstift in Ansbach, Auhausen, Stift Feucht- wangen, Heilsbronn, Heidenheim, Solenhofen, Spalt, Sulz, Wülzburg (ca. 1300-1797).

II, Beichsstadt Nürnberg.

A. Staatsrechtliche Verhältnisse.

1) Hoheits-, Reichs- und Bundessachen: Landeshoheit (1514—1796), Privilegien, Rechte und Freiheiten (1219—1800), Verhältnisse zu Kaiser und Reich (1313 1806), Reichstags- akten und Korrespondenzen über die Reichstage (1340— 1806), Akten, die Wahl, Krönung, Personalia, Durchreisen, Aufent- halte etc. der römischen Könige und Kaiser, sowie anderer fürstlichen Personen betr. (1442 1806); Reichshofrath (kaiserl. Hofpericht) und Reichskammergericht (1398—1806); staats- rechtliche Beziehungen zu den Reichsständen und dem Aus-

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Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive. 217

lande (1350-1806); Evangelische Unionsakten (1609—1629); Verhandlungen wegen der Reichsun mittelbarkeit (1796—1806).

2) Kriegssachen: Urkunden und Akten über allerlei Fehden (1401—1590), den Hussitenkrieg (1422—1431), den mark- gräflich Brandenburger Krieg (1446—1623), den Burgunder- krieg (1474 1476), den bayerischen Krieg (1504 1509), den Bauernkrieg (1525—1527), die Kriege mit Frankreich (1562 bis 1815), den 30jährigen Krieg (1619—1650), den spanischen Erb- folgekrieg (1701 1715), die preussischen Invasionen und Occu- pationen (1756—1803), den 7jährigen und folgende Kriege (1757—1790).

3) Innere und allgemeine Angelegenheiten der Stadt und ihre Beziehungen zu den Benachbarten, dann ihre Geschichte, Befestigungen, Häuser, Gärten, 'Lehen- und Steuerwesen , Ver- träge, Rechte und Verbindlichkeiten der Privilegirten und Bürger, Stiftungen u. s. w. , sowie deren Differenzen mit Brandenburg, Pfalz und Bayern, Bamberg, Koburg, Deutsch- orden etc. (1349—1800).

B. Stadt- und Land Verwaltung.

1) Bücher allgemeinen Inhalts: Kopial-, Gesetz-, Schuld-, Bürger-, Sal- etc. Bücher, Aemter- etc. Beschreibungen, Gerichts-, Zunft- und andere Ordnungen, Chroniken, Geschlechts- und Wappenbücher etc. (1219—1810), Brief- (Concept-) Bücher (1404-1738), Rathschlag- (Rechtsgutachten-) Bücher und Streit- schriften (1509—1806), Verlassbücher des innern und des geheimen Raths (1449—1808).

2) Verwaltungssachen aller Art (1361—1820), Mandate und Verordnungen (1491—1806), Beamten und Diener (1396 bis 1808), Stadt- und Acmter-Rechnungen (1377—1807), Aemter- Untersuchung (1 797-1806), Aerarial- Verfassung (1 785-1807), Streitigkeiten mit der Kaufmannschaft (1716-1791).

3) Aemter: Losungsamt mit dem Pflegamte Gostenhof und dem Richteramte Wöhrd (1317-1806), Lehenhof (1396—1811), Landsteueramt (1516 1801), Kirchen- und Vormundamt (1659—1808), Bauamt (1452-1808), Landalmosenamt (1401 bis 1602), Kriegs- und Zeugamt (1462—1807), Landmarsch- kommissariat (1700—1795), Wasseramt (1548—1802), Rent- kammer (1608-1806 bezw. 1828); das Landpflegamt mit den

218 Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesaichive.

Pflegämtern Altdorf, Betzenstein, Engelthal, Gräfenberg, Hers- bruck, Hiltpolstein , Hohenstein, Lauf, Lichtenau, Reicheneck und Velden (1405-1806).

4) Kirchen- und Stiftungssachen, Klöster: kirchliche Re- formation (1520— 1656), Verwaltung geistlicher Güter auf dem Lande (1401—1602), Kirchen- und Gotteshäuser in Nürnberg und auf dem Lande, dann Probstei Hersbruck des Klosters Bergen (1401 1800), Todtenbücher der Stadtpfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz (1410-1522 und 1564—1791), hl. Geist-Spital (1401 - 1056), Stillungen etc. in Nürnberg, die Klöster in Nürnberg, Engelthal und Pillenreuth (1379—1807 bezw. 1810).

5) Familiensachen: Adelige, Patrizier, bürgerliche Familien 1401—1806), Gi vi IprozesS- Akten (17. und 18. Jahrh.).

III. Reichsstadt Rothenburg an der Tauber.

1) Reichsstädtische Angelegenheiten: Verhältnisse zu Kaiser und Reich, nachbarliche Beziehungen, Rechte, Be- sitzungen, Geschlechter, Chroniken, Gerichts- und Urfehdebücher, innere Angelegenheiten, Uebergang an Bayern (1274 1803).

2) Kirchen wesen: Evangelische Unionsakten (1606—1622), Kirchen- und Konsistorial-Akten (1514—1804), Kirchen, Bruder- und Schwesterhäuser, Klöster, Hospital und Deutschordenshaus zu Rothenburg, Kloster Dettwang (1401 1796).

3) Fürstlich H o he n 1 oh e'sch e Herrschaft Kirchberg (1398-1563).

IV. Reichsstadt Dinkelsbühl.

1) Stadt: Privilegien, Verträge, Reverse, Gerichts- und Rechts- bücher, Besitzungen, Familie Drexel (1403—1618).

2) Hospital und Klöster: Urkunden (1414-1732).

V. Reichsstadt Windsheim.

Verhältnisse zu Kaiser und Reich und Nachbarn, Fehden, Gerichts-, Finanz-, Religions- und Kirchensachen, Ortsurkunden (1401—1793).

VI. Von Württemberg abgetretene Aemter.

1) Stift Komburgisches Amt Gebsattel (1555—1786).

2) Amt und Schloss Weiltingen (1360—1788).

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Systematische Übersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive. 219

VII. Klöster, Ordens- und Stiftsämter.

1) Klöster: Birklingen im Fürstbisthum Würzburg 1404 bis 1802), Marienstein im Fürstbisthum Eichstädt (1409—1802).

5) Deutschordens-Kommenden : Nürnberg mit dem Vogtei- amt Eschenbach: Oettingen (1242—1805).

3) Johanniterordens-Kommenden Rothenburg und Reichards- roth (1278—1808).

4) Bamberger Domprobsteiamt Fürth (1431 1745).

VIII. Reichsritterschaft, Herrschaften, Adelsgeschlechter.

1) Reichsritterschaft Frankens und Ritterschaft insge- mein: Ritterort Altmühl (1727), Ritterort Gebürg und Fräu- leinstift desselben (1547—1808), Ordnung des gemeiner Ritter- schaft Ausschusses zu Lauingen (1460).

2) Herrschaften: Oettingen'sche> Herrschaftsgericht Mönchs- roth; Rittergüter Alten- und Neuenmuhr (1721—1808).

3) Adel: Adelige Familien (1349—1808); Familienarchive der v. Rieter auf Konburg etc. (1402 1798), der Muffel von Eschenau (auch Reichslehen Eckenheid) 1401 1783) und der Murr- Schlümbach (1383—1850).

IX. Antiquar-Begistraturen, königl. Stellen und Behörden.

1) Staatsschuldentilgungs-Spezialkasse Nürnberg: Akten, Bücher, Rechnungen etc., auch Akten über das Schulden- wesen und die Tontinenanstalt der Reichsstadt Nürnberg (1426 bis 1861/62).

2) Kreislandwehr-Kommando von Mittelfranken: Akten (1807-1869).

3) Aeussere Aemter: Akten, Rechnungen, Bücher etc. der meisten Landgerichte, Bezirksämter, Rentämter etc. Miltel- frankens (1234—1861).

X. Deponirte Gemoindearchive.

Altensittenbach (1494-1715), Bieswang (1584-1774), Einers-

lieim (1620-1795), Engelthal (1706), Frauenaurach (1758-1776),

Mörnsheim (1582- 1677), Nenzenheim (1458), Ottensoos ( 1464—1629),

Reichelsdorf (1633—1844).

(Fortsetzung folgt.)

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«

XII. Eine archivalische Reise naclT London.

Von

Dr. G. Grünhagen, Staatsarchivar in Breslau.

(Mit einem Plane der Londoner Archivbaulichkeiten. ')

Die nachfolgenden Blätter wollen Nichts weniger sein als eine Abhandlung über englisches Archivwesen, auch nicht die Schilderung einer auf dessen Erforschung abzielenden Reise. .Mein Ausflug war nicht oftlciell, nicht officiös. Ich schickte mich selbst hin auf meine eigenen Kosten, und der Zweck dieser Mission hatte mit meinem Amte durchaus Nichts zu thun; ich ging hin, wie es eben ein Hi- storiker thut, um zum Zwecke einer wissenschaftlichen Arbeit Quellen, die sich mir in den Londoner Archiven darboten, zu be- nutzen.

Auf der andern Seite ist es natürlich, dass einen Archivbeamten, der vier Wochen auf einem auswärtigen Archiv historischen For- schungen obliegt, das Interesse für seinen Beruf antreibt, die Augen aufzuthun, um die Einrichtungen de? Instituts möglichst kennen zu lernen. Die Resultate dieser Beobachtungen würden noch ausgie- biger geworden sein , wenn ich weniger Ursache gehabt hätte, im Interesse meiner historischen Studien mit der mir zugemessenen Zeit zu geizen. Zu einer gründlichen Orientirung über englische Archiv- verhältnisse hätte ich es allerdings auch dann schwerlich gebracht. Wer Etwas von englischem Wesen kennt, der weiss, dass hier alle Insti- tutionen nicht konstruirt, sondern gewachsen sind und sich daher oft als recht kuriose Gebilde darstellen, deren Wesen man nicht im Handumdrehen erforscht, und der Eingeweihte rechnet mir vielleicht

') Ami Schlüsse des Bandes.

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Eine archivalische Reise nach London.

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meine vorsichtigere Zurückhaltung schon als Symptom einer fort- geschritteneren Erkenntniss an.

Sowie im Uebrigen meine Studien auf dem Archive den eigent- lichen Zweck meines Londoner Aufenthaltes bildeten, so gedenke ich auch meine archivalischen Beobachtungen in den Mittelpunkt meiner Schilderungen zu rücken, nur nebenher mag dann auch das Moment der Reise zu seinem Recht kommen. Ganz unterdrücken mochte ich dies nicht, sondern glaube daran festhalten zu dürfen, dass auch eine archivalische Reiseschilderung so gut wie jede andere um an- zusprechen ein gewisses Mass von fortschreitender Bewegung, von Farbe, Scenerie und Staffage nicht zu entbehren vermag, dass der Leser geradezu den Anspruch hat, erst eingeführt zu werden in den Kreis, wo die besondern Erfahrungen gemacht wurden, welche den Hauptgegenstand bilden sollen. Und auf der andern Seite, legt denn wirklich der archivalische Charakter die Verpflichtung auf, auf das zu verzichten, was sich sonst kein Reisebeschreiber nehmen lässt, auf den Versuch, einen Leserkreis für die persönlichen Erlebnisse mit zu interessiren 'i Ich denke nein, um so weniger, da doch auch diese letzteren Kollegen zu Gute kommen können, die ein ähnlicher Zweck gleiche Wege führt. Auch fürchte ich nicht, dem streng fachwissen- schaftlichen Charakter dieser Zeitschrift zu nahe zu treten, wenn durch diese Blätter einmal eine Reiseschilderung hindurchschreitet, stellenweise leichter geschürzt, wie es eben einem Wanderer ziemt. Vielleicht erscheinen auch meine archivalischen Beobachtungen weni- ger unzulänglich, wenn sie als Früchte aus den grünen Blättern von immer noch frisch erhaltenen sonstigen Reiseeindrücken hervor- spriessen.

Nach London.

Es war keine beneidenswerthe Stimmung, in der einst bei mir der Entschluss zu dieser Reise feste Gestalt gewann. Im trübseligsten Grau lagen die vier Wochen vor mir in der übelbeleumundeten Weltstadt. Wie sollte ausserhalb der Stunden, welche die Arbeit auf dem Archive ausfüllte, die Zeit vergehen unter den wildfremden querköpfigen Leuten, wie schwer konnte die Tyrannei der Sitte, welche selbst das Labsal einer Cigarre aller Orten missgönnt, drücken, wie fühlbar werden am Abend der Mangel eines traulichen Zusammenseins mit Freunden. Wohl wurden die seit manchem Jahrzehnt liegengelassenen englischen Conversationsphrasen wieder

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C. Grünhagen:

vorgesucht, doch seit ich das erste Mal meinem Lehrer das Wort world nachzusprechen fruchtlose Anstrengungen gemacht, schwand jede Illusion über mein englisches Sprachtalent dahin.

Dagegen ward Anstalt getroffen, mir die Zulassung zum Archiv zu sichern. Eine kunstreich komponirte Anfrage bei dem deputy keeper of the Rccords, Mr. Duffus Hardy, brachte bald eine ver- bindliche Antwort auf einem mit dem Stempel des public Record- Office's versehenen winzigen Sedezbogen, der von unserem officiellen 33Centimeterpapier wunderlich absticht. Darin aber fand sich die Zusicherung, dass ich die gewünschten diplomatischen Correspon- denzen nicht nur durchlesen, sondern auch nach Belieben excerpiren dürfe.

Wenig im Einklänge mit diesem schnellen und günstigen Er- folge stand das, was mir auf der Durchreise durch Berlin ein Historiker über Erfahrungen, die er erst in neuerer Zeit mit den Londoner Archivbehörden gemacht, mittheilen konnte. Man habe ihm, berichtete er, einen Stoss loser Papiere (diplomatische Corre- spondenzen aus dem XVIII. Jahrh.) vorgelegt, aus welchen er, ohne vorläufig Etwas niederschreiben zu dürfen, diejenigen Stücke aus- sondern sollte, von denen er nähere Kenntniss zu nehmen wünsche. Diese habe dann ein Archivbeamter zur Prüfung in Empfang ge- nommen, um festzustellen, ob sie ohne Bedenken historischer Be- nutzung überlassen werden könnten. Nach Verlaufe mehrerer Wochen war diese Arbeit immer noch nicht beendet, und als der arme Ge- lehrte mit erklärlicher Ungeduld auf eine Entscheidung drängte, ward ihm mit Missbilligung bemerkbar gemacht, dass man zu solch wich- tigem Geschäft reifliche Ueberlegung verlange.

Das waren trübe Aussichten. Doch, ich pochte auf meinen Schein und flog gefasst dem fernen Westen entgegen, und als ich dann am zweiten Osterfeierlage auf dem kleinen Boote, welches die Post von Ostende nach Dover hinüberbringt, der »Comtesse de Flandrec, in den Ganal hineindampfte und nach Ueberwindung eines vorbeigehenden Schwindels auf dem Verdecke vergeblich nach den Delphinen ausschaute, welche mir Bädecker versprochen hatte, durchzog mich mit dem frischen Hauche der Seeluft ein Gefühl von Reiselust, wie ich es lange nicht empfunden, und ich sah mit Spannung, aber ohne Banjriskeit dem entgegen, was mir die ferne Küste bringen würde. Die grosse Wasserstrasse, die ich mir als immer von zahl- reichen Schiften belebt vorgestellt hatte, fand ich auffallend still. Ein Schiff, das mit vollen Segeln nahe an uns vorüberrauschte, blieb

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Eine archivalische Reise nach London.

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lartge Zeit die einzige Begegnung, bis dann der Dampfer, der zu gleicher Stunde wie wir drüben von Dover ausgelaufen, unsern Weg kreuzend die Hälfte der fünfstündigen Fahrt bezeichnete. Eine Weile sah man nun zwei Nebelstreifen, einen zur Linken, die Küste Frank- reichs, und einen rechts, die Englands. Aus dem Letzteren hoben sich dann allmälig immer deutlicher die Kreidefelsen Albions hervor, bald unterschied man die Zinnen und Thürme des Castells von Dover. Die Schiffsglocke tönte, und an dem hohen Pier, dem weit ins Meer vorgeschobenen Steindamm, hielt das Schiff. Aut dem Damme harrte schon der Schnellzug des Soulh-Eastern Railway, der, nachdem auch der Calaiser grössere Dampfer angelangt war, nach London abfuhr. Eine Strecke lang ging es dicht am Meeres- ufer hin durch mehrere Tunnels, welche den in Shakespeares Lear ver- herrlichten Felsen durchbrechen, dann rastlos weiter durch die grünen von zahlreichen Heerden beweideten Wiesenflächen der Grafschaft Kent mit wahrhaft schreckenerregender Geschwindigkeit, ohne auch nur einmal anzuhalten. In den ausgefahrenen Geleisen hin- und herschwankend, über die Weichen der zahlreichen Bahnhöfe stolpernd und polternd rasete der Zug unaufhaltsam vorwärts. Auf einen Augenblick zeigten sich einmal in der Ferne die hohen Wölbungen und der minaret*rtige Thurm des Krystallpalastes, dann tauchte vor uns die Riesenkuppel des Paulsdomes auf. Soweit das Auge reichte, sah man nur Dächer und über diese die massenhaften dünnen Schornsteinröhren sich erheben. Auf gewaltiger Brücke überschritt der Zug die Themse, die ich mir breiter vorgestellt hatte, und hielt im Bahnhof von Cannon-Street, um die Passagiere für die City und Umgegend abzusetzen. Bald legte sich die Lokomotive wieder vor, es ging zurück über den Fluss und auf dem südlichen Ufer noch ein Stück nach Westen, um dort abermals die Themse übersetzend auf der Charing-Cross-Station das Ende der Fahrt zu finden.

Schnell genug wickelte sich die Auseinandersetzung mit den Zollbehörden ab, und einer jener eleganten Einspänner (Handsomes), die nach vorn geöffnet bequemste Ausschau gewähren, während der Kutscher oben am hintern Rande des Verdecks seinen Sitz hat. führte mich durch immer stiller werdende Strassen nach dem Boar- ding-house, das ein deutscher Gelehrter mir empfohlen (49 Doughty- Street W. C.) und bald tauschte ich mit dem freundlichen alten Herrn Meier, einem Dänen, Händedruck und deutsches Gespräch.

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C. Grünhagen:

Doughty-Street.

Vom westlichen Ende der City ein wenig nach Norden zu, also nicht in einem abgelegenen Winkel, sondern so ziemlich im Gentrura der Riesenstadt liegt die Doughty-Street, eine breite, stattliche Strasse, aber von überraschendster Stille. An beiden Enden sperrt sie, für den Fahrverkehr wenigstens, ein eisernes Gitterthor, das allerdings nur des Nachts wirklich geschlossen ist, kraft eines verjährten Rechtes der Familie Tichburn (wenn ich nicht irre). Auf dem breiten Fahrdamm treiben die Kinder ihre Spiele, und ein Hund, der sich dort sonnt, erhebt sich nicht leicht, wenn je ein Wagen daher kommt, sondern erwartet, dass dieser sich einen andern Weg sucht, da der Raum dazu hinlänglich gross ist; zwischen den Steinen aber sprossen grüne Halme. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist der ganze Häuserkomplex irgend wann in diesem Jahrhundert von zwei Grundbesitzern, einem Herzog X. und einem Mr. Y., an ein Consortium von Bauunternehmern gegeben worden durch einen Vertrag, der uns wunderlich erscheint, wenn er gleich in England, wo eine wirkliche Veräusserung von Grundeigenthum besonderen Schwierigkeiten unterliegt, nicht selten vorkommt. Ihm zu Folge haben die Eigenthümer sich für 99 Jahre aller ihrqr Rechte begeben, nach deren Ablaufe aber das Ganze mit Allem, was darauf gebaut ist, ohne Weiteres an die Grundbesitzer zurückfällt, eine imposante Zuversicht, welche dem Enkel oder Urenkel die angenehme Perspek- tive auf Millionen eröffnet.

Die Unternehmer hatten dann mit der mathematischen Regel- mässigkeit, mit der einst die locatores der deutschen Städte in Schlesien ihre Gründungen machten, ihren Raum vertheilt und auf beiden Seiten die neue Strasse mit Häusern besetzt, jedem das gleiche rechtwinklige Grundstück zugetheilt: einen kleinen Hof, kleines Gärt- chen, drei Fenster Strassen front, zwei Stockwerk hoch mit einigen Mansarden darauf, alle Häuser gleich und selbst von dem nämlichen Anstrich und zwar einer Farbe, die ich mich überhaupt nicht er- innerte auf dem Gontinente je an irgend einem Dinge gesehen zu haben, solch eine verzwickte Mischung von schwarz, braun und grün war das. Wenn bei uns Jemand sein Haus so anstreichen lassen wollte, würde vielleicht der Stadt -Physicus Veranlassung nehmen, nähere Erkundigungen einzuziehen, ob selbiger Me- lancholicus sonst unschädlich sei; und in der That müsste eine

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Eine archivalische Reise nach London.

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so gefärbte Strasse, wenn sie nicht eben sehr breit und die Häuser höher waren, zum Fürchten düster aussehen, hier aber erhielt man doch nur den Eindruck einer gewissen ernsten Solidität.

Eine Mannigfaltigkeit kommt in die Eintönigkeit der Front da- durch, dass wenigstens bei dem Anstrich der Fensterrahmen weiss, rosa und eichfarben abwechseln, auch bei der Konstruktion der Hausthüren hatte man sich ein wenig Freiheit gegönnt, und wäh- rend ein Theil der Mehrzahl der unsrigen ähnlich (nur dass sie einflügelig sind) ein einfaches Rechteck darstellen, hatten andere Thüren, wie z. B. meine No. 49, über sich einen freundlichen Rund- bogen gespannt, einige auch noch Höheres erstrebt, indem sie oben darauf ein flaches Giebelfeld mit vorstehenden Platten legten und an die Seiten der Thür zwei imitirte Marmor- oder Porphyrsäulen stell- ten, so dass das Ganze so trübselig feierlich aussah wie der Ein- gang in eine Familiengruft.

VTor jedem Hause aber befindet sich eine Area, d. h. ein viel- leicht etwas üher einen Meter breit ausgeliefter Raum, der, unter das Niveau des Trottoirs herabgehend, den Fenstern des Sousterrains Licht giebt. Zwischen dem Gitter, das ihn umgiebt, und dem des Nachbarhauses bietet dann eine grosse Steinplatte den Zugang zum Hause, und wenn ich diese Art Brücke betrat , dachte ich immer an den englischen Spruch: »mein Haus ist meine Burg«, und wun- derte mich im Stillen, dass jene Brücke nicht des Abends wenig- stens aufgezogen wurde, und dass nirgends Schiessscharten sichtbar waren. Uebrigens werden ebenso wie die messingenen Thürklopfer auch jene Zugänge auf das Peinlichste rein gehalten, und wenn ich des Morgens ausging, sah ich auf den meisten der Brücken weib- liche Gestalten auf den Knieen liegend und das Gesicht von mir abgewendet emsig die Platten scheuern.

Auf der ganzen Doughty-Street aber giebt es keinen Verkaufs- laden, es wohnen da stille, respektable Leute, die ihr Haus mit allen seinen Räumen um etwa 1400 1500 Mk. unsers Geldes jährlich miethen auf Grund von Verträgen, die immer auf 7 Jahre laufen und Steigerungen nicht fürchten lassen. Wo die Mittel knapper sind, ^iebt man gern ein oder mehrere Zimmer an einen Herrn oder eine Dame ab, die dann auch meistens an den Muhlzeilen Theil nehmen.

Doch wenngleich dies Alles auf den Charakter der archivalischen Gebäude und Gebräuche in England vorbereitet, will ich von dem, was im Innern des Hauses auffallen mochte, Näheres nicht berich-

ArchlvHlUche Zeitschrift. III. 15

226 c- Grünhagen:

ten, von den Thüren, welche nicht aufgeklinkt, sondern durch Drehung eines faustgrossen Knopfes geöffnet werden , von den Fenstergardinen, welche schmäler und in dichtere Falten gelegt als bei uns oben nicht zusammenstossen dürfen , von den Guillotinen- fenstern, bei welchen der untere Theil über den obern sich hinauf- schiebt (Doppelfenster kennt man nicht), eine Einrichtung, der Luft- erneuerung im Zimmer äusserst günstig und im Vereine mit dem Kamin entschieden geeignet, einer Verweichlichung wirksam entgegen zu arbeiten. Mit meinem Hinterzimmer mochte ich, so schmucklos auch seine Ausstattung war , wohl zufrieden sein , es ging auf ein kleines freundliches Gärtchen, und nahe vor dem Fenster machte eine mächtige Silberpappel die ersten schüchternen Versuche, sich zu begrünen. Vor Allem aber sagte mir das Haus sonst zu, die Ver- pflegung war gut, die starre Orthodoxie der englischen Küthe ward durch die dänischen Traditionen unserer Wirthin wohlhuend gemil- dert und unserem Verständnis* näher gebracht. Auch die Abende verloren jetzt ihren Schrecken. Es sass sich gut in der Sophaecke unten im Speisezimmer bei einein Glase trefflichen Ales, und Mr. Meier war bis zu später Nachtstunde immer bereit zu plaudern, Er- kundigungen zu beantworten und Rath zu geben. Die Times lagen zur Hand, und gegen 8 Uhr Abends brachte der Postbote die aus- ländische Post, Briefe au*: der Heimath oder wenigstens sicher die Schlesische Zeitung vom zweiten Tage vorher, wo dann auf dem Kreuzbande der nie vergessene Name des Absenders stillschweigend einen Gross von Haus und Familie einschloss. Ich war kaum dank- bar, wenn mich etwa die Einladung eines Deutschen in die Dreher'schc Bierhallc auf dem Strand beschied. Wohl war dort Alles deutsch, das Bier, die Kellner, die Gäste, aber das Lokal, einem langen schmalen Corridor ähnlich} war wenig anmuthend, und was das Bier anbetrifft, so geb ich unsrem Haustrunke den Vorzug.

Handschriftenzimmer des britischen Museums.

Gleich am ersten Morgen meines Londoner Aufenthaltes suchte ich das britische Museum auf, unter dessen Handschriften ich die Goncepte der Depeschen, welche ich auf dem Reichsarchive studiren wollte, voraussetzen durfte.

Das weltberühmte Institut liegt in einem hässlichen Theile der inneren Stadt, abseits an einer unscheinbaren Strasse, welcher die

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Eine archivalische Reise nach London.

Flügel der Vorderfront, die ein wenig vorgebaut sind, näher kom- men. Das eiserne Gitter, welches die.se Seitenflügel in der Linie der Strassenfront verbindet, schliefst einen höchst schmucklosen gepfla- sterten Hof ein, und in solcher Umgebung kann die stattliche an antike Master sich anlehnende Architektur nicht zur Geltung kom- men. Mit seinem schwärzlichen Tone sieht der Bau recht finster und mürrisch aus, gar nicht wie eine Stätte heiterer Kunst.

Ich schritt die mächtige Freitreppe hinauf und versagte es mir links in die herrlichen Säle zu gehen , wo ja z ß. die von Lord Elgin hierher geretteten Skulpturen des Giebelfeldes des Parthenons sich finden, ging auch nicht geradeaus, um einen Blick in das so oft beschriebene Reading-Room, das Ideal aller Lesezimmer der Welt, zu weifen , sondern darauf brennend in die mir vorgesetzte Arbeit hineinzukommen, wandle ich mich hinter der Treppe rechts in einen stattlichen Saal, den bis hoch hinauf Bücherreihen erfüllten , in der Höhe durch Gallerien zugänglich gemacht. Zu beiden Seiten stan- den in Glaskasten typographische Raritäten ausgestellt. Als ich ein- trat, kam mir von der andern Seite her eine Anzahl halbwüchsiger junger Mädchen entgegen, Backfischlein würden wir sie nennen, die sich unter den Armen gefasst haltend und so fast die ganze Breite des mittleren Durchgangs füllend soldatischen Gleichtritt probirlen und damit in dem lauthallenden Räume ziemlichen Lärm erzielten. Als ich mich lächelnd an ihnen vorbeidrückte, lachten sie .lustig mit, und ich erhielt hier die erste handgreifliche Probe der weitreichen- den Privilegien, welche das schöne Geschlecht in diesem Lande geniesst.

Der daranstossende Ecksaal mit Oberlicht enthält eine Reihe interessanter Autographen grosser Männer und Urkunden englischer Könige in Glaskasten ausgestellt, darunter auch das Original der Magna Charta von 1215. Ein Theil dieses Saales ist bis zur Höhe von etwa zwei Metern abgezweigt durch eine Holzwand mit einge- setzten grossen Scheiben matt geschliffenen Glases. Auf die Thür dieses Verschlages zusteuernd ward ich durch einen hier stationirten Schreiber aufgehalten, aber als ich einen Empfehlungsbrief an einen der Beamten des Instituts produzirle, hineingeführt und in ein klei- nes Zimmer geschoben, wo mich ein distinguirt aussehender Gentle- man mit ausgesuchter Höflichkeit empfing und, als ich Platz ge- nommen, mit einer längeren Anrede beehrte. Wie wohllautend klang seine Rede! Was ich später in der Kirche und im Thealer wieder-

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C. Grünbagen:

holt bestätigt gefunden habe, diese Sprache, die ich immer für recht hässlich gelialten, ist des Wohllautes wohl fähig, und wenn wir an dem Italiener den musikalischen Tonfall, an dem Franzosen die Vo- iubilität der Zunge, an dem Polen die Fähigkeit gehäufte Consonan- ten vibriren und klingen zu lassen bewundern, so nöthigt uns der Engländer durch die virtuose Tonerzeugung der Vokale und Halb- vokale, deren er eine ganze chromatische Scala hat, Anerkennung ab. Man hat den Eindruck, als verfüge er über ein Sprachinstru- ment von neuerer verbesserter Gonstruktion mit mehr Klappen als unsereins.

Vielleicht war es die Bewunderung dieser phonetischen Leistung, welche damals meinen Sinn so gefangen nahm, dass meine sonst viellach bewährte Fähigkeit, aus einzelnen glücklich aufgefangenen Worten den Sinn dos Ganzen zu kombiniren, hier betrüblich ver- sagte. Jedenfalls habe ich von dieser ersten von einem Eingebore- nen an mich gerichteten längeren Ansprache gar keine und von der ganzen Scene nur niederdrückende Erinnerungen; ich entsinne mich nur, dass mein geehrter Gönner schliesslich in einem Excesse von Höflichkeit zu dem verzweifelten Mittel griff, selbst deutsch zu spre- chen, und als auch dieses resultatlos blieb, weil sein schönes Instru- ment sich auf diese Tonart durchaus nicht eingerichtet zeigte, mich mit entschlossener, aber immer preisenswerther Freundlichkeit in den er- wähnten Verschlag zurückgeleitele und einem Gollegen überantwor- tete, der mir dann in einer Reihe prachtvoll gedruckter und gebun- dener Bücher die Signatur der gewünschten Handschrift aufzusuchen anheimstellte. Unter No. 11366 des Nachtrags fand sie sich, und als der Foliant vor mir lag und ich darin geblättert hatte, löste sich der grösste Stein von meinem Herzen. Mochten jetzt auch jene schwarzen Berliner Weissagungen sich erfüllen, hier war Etwas, an das ich mich halten konnte, ich hatte nicht ganz umsonst meinen Magen der Unsicherheit einer Seefahrt und meine Gliedmassen den Fährnissen englischer Schnellzüge ausgesetzt.

Kaum hatte ich aber zu arbeiten begonnen, so ward ich auf die Schulter geklopft und von einem der Beamten mit mildem Ernst belehrt, es sei streng verboten, das eigene Heft auf das Manuskript zu legen. Auf meine Bitte gewährte man mir ein Pult zum An- lehnen des Letzleren, es war höchst standhaft gearbeitet, bequem zu stellen und oben daranwaren Schnüre durch Bleigewichte beschwert zum Niederhalten der Blätter. Für besonders kostbare Handschriften

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Eine archivalische Reise nach London.

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standen auch Glaskasten bereit, die als Pulte aufgestellt werden konnten.

Der nicht allzuweite Raum enthielt etwa drei grosse und breite Tische. Es herrschte tiefes Schweigen, doch von jenseits des Vor- schlages her drang die oft laut genug geführte Unterhaltung der Besucher herüber. Einer derselben versuchte sogar einmal eine Melodie zu pfeifen; vom Aufseher zur Ordnung gerufen verstummte er zwar, Hess sich aber von seinem musikalischen Drange zu einem erneuten Versuche verleiten, worauf dann eine lebhaftere Auseinander- setzung zu folgen schien.

Durch die Post erhielt ich dann, ohne dass ich darum gebeten, eine Erlaubniss zur Benutzung der Bibliothek zugesendet.

Umgebung des Record-Office.

Die Idylle von Doughty- Street setzt sich noch in der südlich daran stossenden kurzen James-Street fort. Am Ende derselben steht man vor einem mächtigen Eisengilter, in welchem sich auch ein Eingang findet, durch welchen ein breiter Weg die Fussgänger in eine Allee von stattlichen Ahornbäumen führt. Zur Rechten be- schatten sie eine hohe Mauer, zur Linken aber sehen sie über ein Gitter hinweg, hinter welchem sich in gewaltiger Ausdehnung ein Garten erstreckt, der anscheinend eben Nichts enthält als eine un- geheure, übrigens äusserst wohlgepflegte Rasenfläche mit einzelnen Bäumen darauf. Fragt man nun, wer wohl der Mann sein mag, für den das Geld so wenig Werth hat, dass er ganz nahe der Lon- doner City, wo der Quadratfuss mit durchschnittlich 700 Mark bezahlt wird, sich einen Grasgarten von solcher Ausdehnung hält (einen Park wird dies wohl Niemand nennen), so hört man, es sei der Garten von Grays Inn , und dies sei eine juristische Corporation. Allmälig erkannte ich, dass hier der nördliche Anfang einer ganzen Zone von grünen Oasen inmitten dieser hässlichen Riesenstadt sei, die sich von da südwärts in der Ausdehnung von vielleicht 4 Kilo- meter bis zur Themse hinziehen. Ich habe sie an verschiedenen Punkten betreten, aber niemals ohne ein gewisses Staunen und ein Gefühl, als hätte es mit ihnen eine besondere zauberhafte Bewand- niss. Der Contrast ist in der That allzugross. Du befindest dich auf einer jener grossen Verkehrsadern, die den merkantilen Osten mit dem aristokratischen Westen verbinden; dich umbraust ein

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C Grünhageu:

lärmendes Treiben, wie du es nirgend sonst in der Welt gehört oder gesehen; ein doppelter nie abreissender Strom von Fuhrwerken macht jede Ueberschreitung der Strasse zu einem Wagniss. Und aus diesem tollen Gedränge trittst du durch einen engen Durchgang und mit einem Schlage ist es, als hätte dich ein Geist meilenweit vor's Thor entführt. Nicht als ob die Häuser aufhörten, wohl aber die Strassen, du siehst da und dort noch Fronten von Gebäuden, aber aller Plan, alle Regelmässigkeit scheint aufgegeben , es ist wie in einer Sommerfrische, wo jeder sich sein Haus, wo es ihm beliebt, hinsetzt. Da sind wunderliche Höfe, weite Rasenflächen, Baumgär- ten, aus dem Grün erhebt sich .ein grossartiges Gebäude im schön- sten gothischen Stile mit gewaltigen Spitzbogenfenstern , und fast enttäuscht hörst du, wenn du nachfragst, was das bedeutet, es sei das Speisehau-? von Lincolns Inn.

Am Merkwürdigsten ist es im Süden dieser Zone, in den ver- schiedenen Quartieren des Tempels. Da sind wirkliche Parkanlagen, lauschige schattige Plätzchen, hohe mächtige Bäume, verschiedene interessante gothische Kirchen und Kapellen (die eigentliche Tempel- kirche, zum gröSSten Theile noch in romanischem Stil gebaut, mit den Lei- chensteinen der allen Tempelherrn lässt kein Fremder unbesucht), da ist der Garten, wo zuerst die weissen und rothen Rosen gebro- chen wurden, die Symbole so blutiger und schwerer Kämpfe. Da ent- deckte ich einst eine Art Burg, zum mindesten eine Art Jagdschloss mit kühn geschwungener Freitreppe, wie ich es auf einen der Wald- berge des thüringer Waldes hätte hinzaubern mögen. Und das Alles in einem scheinbar ganz planlosen Durcheinander, noch romantischer gemacht durch den Abfall des Terrains nach der Themse hin, zu welcher man immer wieder auf steinernen Freitreppen hinabsteigt und an den Balustraden der oberen Terassen malerische Ausblicke geniesst.

Nach den verschiedenen Baulichkeiten, wie interessant sie auch scheinen mochten, zu fragen, gab ich bald auf, es schien am Ende doch wenig darauf anzukommen, ob das die Library des mittleren oder inneren Tempels sei. Genug diese ganze Wunderwelt gehört 4 grossen juristischen Communitäten , die also einen Grundbesitz haben nu'i-sen , der an Geldwerth hoch in die Millionen geht. Die Advokaten, angethan mit schwarzen Talaren, wie bei uns die evan- gelischen Geistlichen, und kurzen Perücken, die zugleich als Kopf- bedeckung dienen müssen, bilden die Hauptstaöage dieser Gegenden.

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Eine archivalischc Reise nach London.

Beamten.

Auch das Staatsarchiv oder, wie es hier heisst, das Public Record-Office steht auf juristischem Grund und Boden. Einer der vielen Gärten dieser Region, der des Rollenhofes, ist ihm geopfert worden, und noch heut bildet das Archiv thatsächlich den der Oefifentlichkeit geweihten Appendix eines Gerichtshofes, der dann und wann die Rollen zu juristischen Zwecken gebrauchen mag. Der Oberl ichter dieses Gerichtshofes, der Master of the Rolls, ist zugleich wenigstens nominell der oberste Chef des Staatsarchivs, in dessen Verwaltung er allerdings nicht einzugreifen pllegt. Auch steht ihm das Recht der Ernennung des eigentlichen Direktors dieses Instituts zu, des Deputy Keeper of the Rocords, und er ist bei dieser Wahl nicht auf die Archivbeamten beschränkt, wenn gleich in praxi das Aufrücken eines derselben zur Direktorstelle das Gewöhnliche ist.

Das Record-Office verfugt über ein ungemein zahlreiches Be- amtenpersonal. Die Direktion führt, wie schon erwähnt, der Deputy Keeper of the Public Records (Gehalt 1000 Pfund Sterling). Auf ihn folgt der Sekretär (700 Pfund), dann 6 Assistenten (500—600 Pfund), 12 ältere Clerks (250—400 Pfund), 16 jüngere Clerks. Diese 36 sind die eigentlichen Archivbeamten, sämmtlich, wie wir sagen würden, studirte Leute, welche sämmtlich als junior Clerks eintreten und dann vorrücken mit einem jährlich um 10 bis 15 und 20 Pfund steigenden Gehalte. Auf sie folgt dann noch eine Schaar von 50 Workmen (Dienern, Aufwärtern, Bindern, Reparatoren etc.), an deren Spitze ein Oberaufseher, Superintendent of Workmen, steht mit einem Gehalt von 150 Pfund. Wenn man hiezu noch die 13 Polizisten rechnet, welche täglich, wie ich noch zu erzählen haben werde, für die Baulichkeiten des Record-Office zur Ueberwachung namentlich vor Feuersgefahr kommandirt werden, so wird man zugeben, dass wohl kein Archiv der Welt über solch ein Personal zu gebieten hat.

Recht zur Archivbenutzung.

Chancery Lane (den Namen von einem richtigen Londoner sprechen zu hören, ist ein besonderer Genuss) ist die eigentliche Juristenstrasse und von so beunruhigender Enge, dass die umher wimmelnden Advokaten gewiss alle ihre Gewandtheit brauchen, um nicht von den grossen Omnibus, welche hier unvorsichtiger Weise kursiren, überfahren zu werden. Ziemlich am südlichen Ende der

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C:. GrQiihagen:

Chancery Lane gelangt man ostwärts in den Rolls Yard. Die die- sen verbauten Hof umgebenden unansehnlichen Gebäude enthalten ausser den Amtslokalen des Master of the Rolls und seines Gerichts- hofes auch die Bureaus der Oberbeamten des Archivs, und hier suchte ich auch den Depuly Keeper zuerst auf.

Der alte Herr empfing mich freundlich, schien aber die schrift- lich ertheille Erlaubnis vergessen zu haben und fragte, aus welchem Jahre ich diplomatische Correspondenzen einsehen wolle. Dann führte er mich über verschiedene schmale Gänge in ein Zimmer zu zwei andern alten Herren, mit denen er leise konferirle und mir endlich wiederum die Erlaubniss ertheilte.

Eigentlich hätte ich eine solche gar nicht bedurft; denn 1760 (früher 1688) gilt jetzt als das Normaljahr, bis zu welchem die Be- nutzung des Archivs vollständig freigegeben ist und zwar der Art. dass jeder anständige Mensch Archivalien, die der Zeit nach vor 1760 gehören, im Arbeitszimmer sich zur Benutzung geben lassen darf, ebensogut wie ein Buch in einer öffentlichen Bibliothek.

Zur Benutzung von Archivalien aus späterer Zeit ist eine be- sondere Erlaubniss des Staatssekretärs, also des Ministeriums not- wendig, und in solchem Falle mag Einer dann so unliebsame Erfahrungen machen können, wie sie mir der Berliner Historiker geschildert hatte.

Uebrigens ist trotz der Fülle archivalischer Schätze, welche im Record-OfTiee aufgespeichert sind bei der Eigenart der Eng- länder gar nicht daran zu denken, dass eine streng durchgeführte Gentralisation hier aus dem ganzen Lande die Zeugnisse der Ver- gangenheit zusammengebracht haben könnte. Als das neue Archiv- gebäude gegründet ward, wurden hier vereinigt die vom auswärtigen Amte gelieferten State papers, die Kronurkunden und Rollen aus dem Tower, die geistlichen Dokumente der Westminster Abtei, die Rollen der Juristen-Gommunitäten und die aus Carlton Lane im St. James Park.

Einrichtung.

Wenn man durch das erwähnte hässliche und verbaute Haus in den Hof der Rollen eintritt und durch seine Corridore sich durch- windet, steht man plötzlich vor einem stattlichen Bauwerke im Tudorstil, dem 1856 ganz aus Stein und Eisen errichteten Archiv- gebäude, das allerdings hier in überaus hässlicher Umgebung und

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Eine archivalische Reise nach London.

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direkt zugänglich nur von der unansehnlichen Fetter-Lane gar kei- nen Eindruck macht. Die Schwierigkeit überhaupt einen Standpunkt zur Betrachtung zu gewinnen, hat es wohl bewirkt, dass thatsächlich noch keine Photographie davon zu haben ist, was ich um so leb- hafter bcdaure, da ich ganz abgesehen von dem näheren Interesse, das sich für mich an die Stätte täglicher Arbeiten knüpfte, der Kunst, die hier auf ungünstigem und winkligem Bauplatze einen harmonischen Bau geschaffen, meine Bewunderung nicht versagen konnte

Beim Eintreten fragt dich ein Policeman nach deinem Begehr, lässt sich aber zufrieden stellen, wenn du ihm deinen Stock oder Regenschirm ausantwortest, und weist dich sogar rechts in den langen Gorridor, an dessen Ende du dann in ein düsteres grosses Gemach trittst, wo mehrere Herren schreiben, die von dir nicht die mindeste Notiz nehmen. Du darfst das erwidern, denn du hast hier Nichts zu thun als deinen Namen, Herkunft und Londoner

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Adresse in ein grosses offen ausliegendes Buch einzutragen, eine Pflicht,, die du auch bei täglichem Besuche immer wieder von Neuem erfüllen musst, um bei der Controle, welche der würdige Senior des Archivdienerpersonals gewissenhaft anstellt, zu bestehen. Hast du es gethan, so darfst du dann in das anstossende round room oder searching room, das eigentliche Arbeitszimmer, eintreten, die Perle und den Stolz des ganzen Gebäudes. Es ist ein runder Saal mit einer aus dem Zwölfeck konstruirten Glasdecke und stil- voller Ornamentik. Zur Verzierung dürften auch zwei mächtige Kamine zu rechnen sein, da mit Wasserdampf geheizt wird, und auch ein kleiner, schön gothisch geschnitzter Katheder, auf welchem der beaufsichtigende Beamte thront, umgeben von einigen Bücher- regalen, welche die Repertorien des Archivs soweit dieselben gedruckt sind (z. B. Verzeichnisse der State papers bis auf neuere Zeit herab) und auch die Publikationen des Archivs in prachtvollen Ein- bänden enthalten.

In bequemer Entfernung von den Seitenwänden geht nun um das ganze Gemach, einen vollen Kreis beschreibend, ein gürtelför- miger etwas über einen Meter breiter polirter Tisch, an vier Stellen von Durchlässen unterbrochen. Gerade der Mitte des Tisches ent- lang laufen rundum zwei spiegelblank geputzte parallele Messing-

') Vergleiche den Plan der Archivbaulichkeiten am Schlüsse dieses Bandes.

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C. Grünhagen :

stangen etwa einen Fuss von einander und anderthalb Fuss über den Tisch erhoben. Der Zweck dieser Einrichtung ist doch wohl kein anderer, als die Hüte der Besucher zweckmässig zu tragen, so dass die Krempe auf den Messingstangen ruht und der Hut selbst dazwischen herunterhängt, falls die Besucher nicht vorziehen ihn * einfach auf dem Kopfe zu behalten, was ihnen hier wie in den sonstigen öffentlichen Instituten Londons durchaus freisteht.

Höchst sinnreich sind die Dintenfässer angebracht. Zur Rechten jedes Platzes lässt sich aus der Tischplatte ein kleiner, aber stand- haft aus Holz gearbeiteter Schieber ein Stück herausziehen, der fest eingefügt ein kleines Dintenfass beherbergt und ausserdem noch eine Vertiefung für eine Feder. Es kommt uns schwer genug an, aller Gewöhnung entgegen die schreibende Hand zum Eintauchen rückwärts statt vorwärts zu führen; jedoch die Vortheile der Ein- richtung springen in die Augen, die Möglichkeit eines Umstossens des Tintenfasses ist absolut ausgeschlossen, und eine Ungeschicklich- keit des Schreibers beim Eintauchen bedroht unter keinen Umständen das vor dem Schreiber stehende oder liegende Manuskript , son- dern nur dessen Schreiberei, seine Beinkleider, und höchstens den Fussboden.

Man fordert das Gewünschte durch Ausfüllung eines der Zettel, die auf dem Tisch bereit liegen, und die man dem Beamten auf dem Katheder zu präsentiren hat. Die Diener holen dann das Be- treffende herbei. Vor dem Schlüsse der Dienststunden (Nachm. 4 Uhr) pflegen dieselben dann sich zu erkundigen, ob man die Archivalien noch weiter zu behalten wünsche. Ist dies der Fall, so kommt man am nächsten Tage sehr schnell zu dem Seinigen, diese Diener müssen sich trotz der Menge der Besucher die Physiognomien gut einzuprägen verstehen; ohne jede nähere Angabe habe ich am nächsten Tage das Gewünschte wieder erhalten können.

Archivbesucher.

Als ich antrat, war ich in gewisser Weise stolz aus den Citaten in Räumers Beiträgen ') gleich die Signatur aufschreiben zu können,

') Bezüglich dieses Buches will ich hier gelegentlich bemerken , dass man sich darauf keineswejf«. unbedingt verlassen kann. Auch wo es ipsissima verha zu gehen erklärt, mischt es Eigenes hinein und fas>t . um seine Extrakte besser

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Eine archivalische Reise nach London.

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doch erfuhr ich, dass diese Angaben inzwischen obsolet geworden, und notirte mir nun aus dem gedruckten Verzeichnisse der Staats- papiere die jetzt geltende sogenannte rothe Nummer. Die state pa|>ers sind nach den Staaten, die sie betreffen, geordnet, und inner- halb dann chronologisch eigentliche Staats Verträge in besondern Bänden. Was mir vorlag, waren sämmtlich gebundene Bücher, in rothem Leder mit Goldschnitt. Diese Munda sind -ehr schön geschrie- ben und in jenem so sehr bequem verständlichen, stark romanisch gefärbten Englisch des XVrIII. Jahrhunderts, das von der jetzigen vorwiegend angelsächsischen Schriftsprache doch noch ganz anders absticht als unser Schriftdeutsch von dem Geliert's.

Nach acht Tagen war ich auf dem Archive heimisch geworden, die Diener kannten mich, der Clerk auf dem Katheder Mr. Walford D. Selby nickte seinen Gegengruss freundlicher als im Anfang und gab sich grosse Mühe, ein Wort, dessen Versländniss mir Schwierig- keiten machte, zu umschreiben ').

Nun fing ich an mich mehr umzusehen, auf das Thun und Treiben der andern Besucher zu achten. Der Besuch war zahlreich genug: bei der Eröffnung (10 Uhr) allerdings meist spärlich, doch nach 12 Uhr stieg die Zahl oft hoch über 20. Was sie Alle trieben, kann ich nicht sagen: meine Vermuthung aber ist, dass es hier nicht anders geht wie auf unsern Archiven, wo die Edelleute, welche den Pfaden ihrer Vorfahren nachspüren, einen ansehnlichen Brueh- theil der Besucher bilden. Ein Nachbar, mit dem ich eine Unter- haltung begonnen, zeigte mir mit Stolz den Namen eines Ahnen in einem Documente des XIII. Jahrhunderts.

Wenn ich von den Bekanntschaften mit meinen Nachbarn nicht mehr Vortheil gezogen habe für meine eigne Information, so lag der Grund wahrlich nicht in der hochmüthigen Unnahbarkeit, die den Engländern nachgesagt wird, von welcher ich aber keinerlei Proben zu verzeichnen habe, sondern nur in der Erkenntniss, dass solche in dem hier allein zulässigen Flüstertone gegebene Auskunft von mir doch nur zum kleinsten Theiie würde verstanden worden sein.

abzurunden, nicht selten den Inhalt Linderer Sätze in sehr willkürlicher Kürze zusammen.

') Ich kann gar nicht genuir die Freundlichkeit rühmen, mit welcher dieser Herr meine immer erneuten brieflichen Aufragen beantwortet hat. Wenn ich hier irgendwie nähere Auskunft Ober das Londoner Archiv zu guhen vermocht habe, so verdanke ich das in erster Linie seiner Güte.

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G. Grünhagen:

Uebrigens zierten auch Damen nicht selten die Gesellschaft des Searching-room, meistentheils wohl als helfende Genien an der Seite von Gatten oder Vätern. Sehr regelmassig stellte sich eine Dame von reifen Jahren ein, die in schwerem schwarzen Atlas mit man- cherlei Geschmeide behängt ein herrauschte an der Seite eines Gatten mit einer Physiognomie, wie wir sie bei uns wenigstens eher bei einem landwirtschaftlichen Feste als auf einem Archive zu sehen erwarten würden. Ich sass nie nahe genug, um erkunden zu können, was das Ehepaar trieb, aber eine? habe ich beobachtet, dass Er, sowie er zu arbeiten begonnen, auf die Tischplatte neben sein Buch ein Ding legte, welches einer jener flachen ordinären Glasflaschen, wie sie bei uns der Maurer auf dem Bau zur Herzstärkung in der Brusttasche bei sich führt, zum Verwechseln ähnlich sah. Es wäre vielleicht höflicher gewesen, wenn ich es als ein schmuckloses Flacon von ungewöhnlicher Grösse bezeichnet hätte, aber auch dann hätte ich als gewissenhafter Berichterstatter doch nicht verschweigen dürfen, dass der Gentleman, so oft er es brauchte, was nicht selten geschah, das Biechfläschchen jedesmal unter, nicht über dem Schnurr- barte ansetzte. Dass seine atlassene Hälfte den Genuss mit ihm ge- theilt hätte, habe ich nicht wahrgenommen. Daraus aber, dass die ganze Procedur so gar keine Verwunderung zu erregen schien, schloss ich, dass die als so tyrannisch verschrieene Sitte hier doch in man- chen Stücken duldsamer ist als bei uns.

Rollenwesen.

Wer übrigens hier eigentliche urkundliche Studien machen will, hat es unbequem genug wegen der vorherrschenden Rollen- form. — Ich weiss nicht wie alt ich war, als ich zum ersten Male den Don Juan sah und darin Leporello vor Donna Elvira die be- kannte lange Rolle über die halbe Bühne werfen. Das weiss ich aber, dass ich damals bereits erwog, wie unbequem doch der ge- treue Diener es sich mit der Aufzeichnung seiner statistischen Notizen gemacht habe, und dies Urtheil blieb, als ich selbst auf Archiven solche Rollen ganz ähnlich konstruirt, nur von Pergament, in die Hand bekam und sogar selbst studiren musste, wie denn auch unser Breslauer Archiv einige solche mehrere Meter lange Pergamcntrollen, kanonistische Processe des XIV. Jahrb., besitzt. Diese unbequeme Rollenform ist nun aber hier die vorherrschende für öffentliche Do-

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Eine archivalische Reise nach London,

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cumente und zwar, wie es scheint, bis auf den heutigen Tag; we- nigstens zeigte man mir unter den Cimelien des Archivs die Holle, in welcher die Königin Victoria durch Namensunterschrift ihr Ge- löbniss auf die Verfassung des Reiches beurkundet hat Es war eine Rolle von so enormer Länge, dass sie, glaube ich, als Fries um das Archivarbeilszimmer hingereicht hatte. Ziemlich in der Mitte fand sich der königliche Namenszug, dann folgten die der ungezählten sonstigen Zeugen des Aktes.

Rollen von so excessiver Länge besitzt nun das Archiv viele, man versicherte mich, dass manche eine Ausdehnung von 30 Meiern hätten. Natürlich reicht um solche Rollen zu excerpiren der Raum auf dem gewöhnlichen Arbeitstische schlecht hin, und man muss zu dem riesenhaft grossen runden Tische in der Mitte des Gemachs seine Zuflucht nehmen.

Besonders schwer traktabel ist dann aber eine Art von Rollen, bei welchen viele schmale Streifen Pergament nicht immer von gleicher Länge an ihrer schmalen Seite zusammengeheftet sind, wo sie dann wie ein Notenheft von ungewöhnlicher Länge und geringer Höhe erscheinen , jedoch so beschrieben , dass die Schrift der schmalen Seite parallel läuft. Wie es mir schien, waren es mittelalterliche Besitzurkunden, für einen bestimmten Distrikt in dieser Weise zu- sammengesetzt, wie dies bei uns etwa die Landbücher oder Privilegien- register enthalten. Wer sich mit einem solchen Dinge zu plagen hat, sucht sich einen Eckplatz, also an einem der Durchlässe, und rückt sich dann eins der Institute heran , die besonders dazu bereit stehen, und am Meisten noch einem Ofenschirm zu vergleichen sind. Auf den obern Rand wird die Naht gelegt und durch eine darüber befindliche Eisenstange festgeklemmt , wo dann das erste Blatt vor dem Benutzer herabhängt, der, wenn er es heruntergelesen, mit mächtigem Schwünge das Blatt über die obere Stange hinüberwirft und so Blatt 2 vor sich hat.

Die Zahl der Rollen ist eine ganz ungemein grosse. Von den 3 grossen Serien derselben, den Pipe-, Patent- und Close-Rolls, um- fasst die letztere allein 12000 Stück. Dieselben verbriefen die Besitz- verhältnisse in fast ununterbrochener Folge von den Zeiten des Königs Johann (Anfang des XIII. Jahrh.) bis auf die Gegenwart.

Die Rollen jeder Art werden dem Benutzer in einer bewunderns- würdig kompressen Gestalt vorgelegt, in welche sie nach dem Ge- brauche wieder zurückzubringen nicht eben leicht ist. Das Geheim-

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C. Grüuhagen:

niss dieser Kunst hat lange Ucbung den Archivbedienlen gelehrt, und es ist in der That ein wunderlicher Anblick, dessen man alle Tage theilhaft werden kann, zu sehen, wie in der letzten Dienst- stunde die Diener eifrig beschäftigt sind, auf dem Riesentische in der Mitte wie auf einem grossen Nudelbreite die Massen von Perga- ment zu drücken, zu kneten, zu wickeln und zu rollen. Wohl hat man ein Recht zu zweifeln, ob solche starke Friktion wiederholt angewendet, nicht die alte Schrift verletzen und abreiben müsse. Doch bleibt der Trost, dass die wichtigeren öfter gebrauchten wohl abgedruckt sein werden, ehe sie allzuarg mitgenommen sind. Wenig- stens sind in dem imposanten Verzeichnisse der Reeord Publications, d. h. der vom Archive ausgegangenen Veröffentlichungen, ein Ver- zeichniss, welches im Abdruck 32 Seiten grössten Lexiconförmates füllt, bereits eine grosse Anzahl jener Rotuli, soweit sie den früheren Zeiten des Mittelalters angehören, abgedruckt, wahrend auch eine stattliche Reihe von Chroniken vorliegt, und ebenso eigentliche Staats- papiere nach gewissen Gesichtspunkten zusammengefassl vom Be- ginne des XVI. Jahrb. an bis gegen das Ende des XVII. fortgeführt sind. Diese Veröffentlichungen haben mit dem Jahr 1857, also un- mittelbar nach der Errichtung des neuen Archivgebäudes begonnen, und die Inschrift der seit 1867 im Rundziinmer aufgestellten Büste des Johannes Baro Romilly Rolulorum Magister rühmt diesen als den, »qui historiae Britannicae fontes aperuit nec non scripta perve- tusla publici juris fiori fecit.«

Stein und Eisen.

Mein Wunsch an einein der letzten Tage meines Londoner Aufenthalts das Record-Oflice im Innern zu sehen ward gerne ge- währt. Einer der oberen Beamten des Instituts, der zugleich das Amt des Schlüsselbewahrers bekleidet, Mr. Kingston, erklärte sich freundlich bereit mich herumzuführen.

Bei der Gründung des Hauses war die erste Rücksicht die der absoluten Sicherheit gegen Feuersgefahr, eine Rücksicht doppelt ge- boten bei der Wahl des Platzes inmitten enger winkeliger Strassen. Man baute es in der That von Stein und Eisen ; der Fussboden und die Decken, die Fenster- und Thürrahmen und die Thüren selbst sind von Eisen.

Von den über 200 Zimmern, die zellenartig zu beiden Seiten

Eine archivalische Heise nach London.

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der langen Corridore liegen, wurden mir einige aufgeschlossen, welche sämmtlich ausschliesslich Rollen beherbergten. Es waren zweifenstrige Stuben von massiger Grösse, die im Innern ganz den Eindruck von Menagerien machten. Sie enthielten in drei von der Thür zu den Fenstern laufenden Doppelreihen von Gitterkäfigen, zwischen denen nur ein schmaler Zwischenraum durchführt und ein weiterer längs der Fenster, signirte Rollen über einander geschichtet.

Rei dem feuchten Klima Englands, setzte mir mein Cicerone auseinander, sei die Ventilation überall nothwendig. Da die Zimmer, wie er mir versicherte, unter Verschluss gehalten werden, so muss das Amt des Schlüsselbewahrers ein sehr beschwerliches sein, um so mehr, da wohl Archivalien, nicht aber Personen durch Aufzüge in die verschiedenen Stockwerke hinaufgeschafft werden. Vielleicht eben dies sein Amt liess meinen Führer sehr eilig erscheinen, so dass ich nicht für alle Fragen, die mir am Herzen lagen, Auskunft erlangen konnte.

Mir wurden dann noch die besonderen Kostbarkeiten des Archivs gezeigt, so das noch in die Zeiten Wilhelms des Eroberers hinauf- reichende Domesday-Rook , so die Untersuchungsakten der Pulver- verschwörung von 1605 mit dem berühmten anonymen Billete, welches dieselbe denunzirte, so noch verschiedene interessante Urkunden und Briefe früherer Herrscher.

Ob Nachahmungswerthes?

Wenn ich nun über das ganze Archiv mit seinen Einrichtungen ein resumirendes Urtheil abzugeben versuche, so glaube ich dasselbe auf die Frage beschränken zu müssen : in wie weit diese Einrich- tungen für uns nachahmenswerth erscheinen? Da möchte ich nun glauben , dass wir nicht eben viel für unsere Verhältnisse praktisch zu finden vermögen. Ich möchte nicht ein neues Archiv nach dem Plane wie das Londoner gebaut sehen.

Was die Feuersicherheit anbetrifft, so werden wir es doch wohl vorziehen, das Archiv in der Weise zu sichern, dass wir auf der einen Seite jede Möglichkeit hindern, wie ein Feuer im Innern ent- stehen könnte, indem wir aus dem eigentlichen Aufbewahrungshause jede Heiz- oder Erleuchtungsanstalt entfernen, so daas in diesen Räumen thatsächlich niemals auch nur ein Streichholz entzündet werden darf, nach aussen hin aber dadurch, dass wir das Haus von

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C. (irünhagen:

allen Seiten durch eiserne Laden und eiserne Thüren schützen. Haben wir das gethan, so wird es dann als eine Frage von ge- ringerer Bedeutung erscheinen, ob wir im Innern noch vielleicht hier und da die Holzkonstruktion an den Repositorien durch Eisen er- setzen können.

In London hat man diese unsere Vorsichtsmassregeln nicht an- gewendet, das Haus hat keine eisernen Fensterladen, wohl aber finden sich darin Gas- und Feuerungsapparate. Dagegen ist einerseits das Material ein ganz besonders massives und Holz so gut wie ausge- schlossen. Die Fenster mit eisernen Rahmen enthalten nur kleine achteckige Scheiben von Diamantglas. Andrerseits sind die gross- artigsten Löscheinrichtungen getroffen, und die Controle der Sicher- heit überlässt man gar nicht dem Personal, sondern es sind 13 Po- lizisten Tag und Nacht mit der Bewachung des ganzen Häuser- komplexes betraut, die Gebäude des Rollenhofes eingeschlossen, und eine gedruckte Instruktion regelt diesen Sicherheitsdienst auf das Ge- naueste und Peinlichste. Auch die Einrichtung der unter einander nicht zusammenhängenden Zellen hat ja hauptsächlich den Zweck, einem etwa doch ausbrechenden Feuer die schnelle Verbreitung zu wehren.

Bei unsern abweichenden und mehr präventiven Sieherheits- einrichtungen weiden wir kaum geneigt sein, das Londoner Zellen- system einzufühlen, welches den ganzen Geschäftsverkehr und vor- nehmlich auch das Lüften der Aufbewahrungsräume unbillig er- schwert. An die Einführung der Gitlerkäfige werden- wir ebenso wenig denken, da wir eben andere Objekte der Aufbewahrung haben.

Was den Londoner Round-Room, das Arbeitszimmer, mit seinem Oberlichte anbetrifft, so sieht das allerdings stattlich und schön aus : ob ich es aber nachahmen würde, erscheint mir auch fraglich. Der wesentlichste Vortheil des reichen und überall gleichmässigen Lichtes lässt sich doch aucli auf andere Weise erzielen. Das Benutzungs- zimmer des Breslauer Archivs, ein geräumiges Eckzimmer mit sehr grossen Fenstern an einem freien Platze gelegen, nimmt es in Bezug auf die bis in die äussersten Winkel hin dringende Helle mit dem Round-Room unzweifelhaft auf, und solch ein grosses Glasdach hat doch noch seine besonderen heimlichen Tücken. Dass das Londoner bei einem kräftigen Gewitterregen gar manchen Tropfen durchlässt, kann ich aus eigenster Beobachtung versichern. Wie grosse Schnee- massen dorauf wirken, weiss ich nicht. Aber der Himmel möge

Eine archivalische Reise nach London.

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verhüten , dass es auf besonders schwere Proben gestellt würde, wenn etwa ein grosser Brand wie einst der Hamburger die engen Gassen von Chancery Lane und Fetter Lane , zwischen denen das Record Office liegt, in ein Feuermeer verwandelt und vielleicht ein heftiger Sturmwind brennende Holzstücke durch die Luft wirbelt.

Kurz Alles zusammengefasst beschränkt sich abgesehen von den Besoldungen, welche für nachahmungswürdig zu erklären ich nicht anstehe, und dem beneidenswerthen Reichthum an Arbeits- kräften — schliesslich das, was ich etwa bei uns importiren möchte, auf die bereits besprochenen so äusserst sinnreich angebrachten Dintenfasser.

Heimkehr.

Unmöglich kann ich jetzt das Buch zumachen und mich selbst im Rundzimmer des Record-Office sitzen lassen. So gut wie der Held einer Erzählung die Verpflichtung hat, beim Schlüsse entweder zu sterben oder sich zu verheirathen , so muss auch der Reisende dem Leser, den er für seine Schicksale zu interessiren unternommen, die Beruhigung verschaffen, ihn seinen Penaten zurückgegeben zu sehn, und ich dürfte mich dieser Verpflichtung um so weniger ent- ziehen, da ich noch eine archivalische Station vor mir habe.

Es kam der Tag, wo ich dem Diener erklärte, den betr. Folianten nicht mehr zu bedürfen, Mr. Selby einen schriftlichen Dank an den Chef anvertraute, ihm die Hand schüttelte und die Stufen hinabschritt mit dem nachdenklichen Bewusstsein, dass ich dieselben wohl kaum noch einmal im Leben hinaufsteigen würde. Zum letzten Male schritt ich durch die Wunderwelt der Tempel- region und tauchte in die Unterwelt hinab, um mich von dem immer von Neuem angestaunten Institute der unterirdischen Eisenbahn eine Station themseaufwarts bringen zu lassen. London sollte einem flüchtigen Scheideblicke noch einmal das Schönste zeigen, was es birgt, die Aussicht von der Westminsterbrücke auf die Themse, das Parlamentsgebäude, dessen Alles überstrahlende Herrlichkeit in Lapidarzügen den Geist der englischen Verfassung illustrirt, den Platz mit dem Wunderbau der Westminsterabtei, wo jetzt auch die Nadel der Cleopatra ihren Platz finden soll, wie ein Liebespfand, welches das längst umfreite Pharaonenland verheissungsvoll dem be- gehrlichen Verehrer sendet, dann die Westminsterstrasse entlang, wo vor Whitehall einst das Haupt Karls I. fiel, vorüber an den

ArchivalUche Zeitschrift III. 16

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C. Grünhagen:

Curiositäten der zwei reitenden Schildwachen, welche unter steiner- nen Schilderhäusern unbeweglicli haltend das Kriegsministerium be- wachen, bis zu dem schönsten Platze Londons, dem Trafalgar Square, der von hier aus sich am Besten ausnimmt, wo er mit der schlanken Nelsonsäule und den beiden Riesenspringbrunnenbassins sanft ansteigt bis zu dem antiken Tempel der Nationalgallerie.

Nun im Verein mit einem hierher bestellten deutschen Gelehrten noch einen Abschiedsbesuch im British-Museum. Wir durchwandern Aegypten und Assyrien , sehen die Tafel von Rosette , welche die Welt zuerst die Hieroglyphen entziffern gelehrt, und die Alterthümer von Halikarnass, und bewundern noch einmal die ewig junge und selbst in Trümmern noch schöne Kunst des Phidias in den Elgin Marbles.

Doch es muss geschieden sein. Zum letzten Male umfangt mich die Stille von Doughty-Street. Nach der Henkersmahlzeit in Eng- land lässt es sich Mr. Meyer nicht nehmen, mich nach Bishopsgate- Station zu bringen, ganz im Nordosten der City.

Man könnte sich hier schon halb in Deutschland fühlen. Am Schalter für den Continental-Train sitzt ein Deutscher, zwei deutsche Kaufleute, Bekannte von Mr. Meyer, wollen die Reise mitmachen, das dichtgefüllte Rauchkoupe zweiter Klasse haben ausschliesslich Deutsche besetzt, und doch liegen von Harwich aus noch 12 Stunden Seefahrt zwischen da und Rotterdam.

Der Zug braust dahin, im Abendnebel verschwimmt die Riesen- kuppel von St. Paul, noch bevor die ewigen Dächer und die un- zählbaren Spargelstengel der Schornsteinröhren uns zu umgeben aufhören. Wiederum ohne Anhalten geht es zwei Stunden im schnellsten Tempo fort. Endlich halten wir unter einem gewaltigen hölzernen Schuppen, und vor demselben liegt ein Dampfer, nicht eine Nussschaale wie in Ostende, sondern das schönste und grösste Schiff, das zwischen England und dem Gonlinente fahrt, der Claude Hamilton. Eine grosse Menschenmenge fluthet über die Brücke, und drängt sich die enge Kajütentreppe herab und sucht noch eine Koje zu erlangen, die Viele schon telegraphisch bestellt haben. Ich komme zu spät und muss mich mit dem Salon und seinen Ross- haardivans begnügen. Als ich mich hier installirt und wieder aufs Verdeck stieg, verglommen schon in der Ferne die Lichter der eng- lischen Küste, die des Himmels aber spiegelten sich in sanft bewegter Meerfluth, und die des Schiffes zitterten auf dem weissen Wellen-

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schäum, der aus den gewaltigen Schaufelrädern des Dampfers her- vorsprühete. Bald wurde es still, Alles suchte die Lagerstätten. Aus einem unruhigen Schlummer weckte mich ein klirrendes Ge- räusch, der Salon mit allem seinem Mobiliar hob und senkte sich, und die Hängelampen pendelten in seltsamen Schwingungen, eine Morgenbrise hatte sich erhoben. Der hier unten einreissenden, mehr als gedrückten Stimmung zu entgehen, suchte ich das Verdeck auf, doch auch hier war wenig Trost zu finden. Keine Spur des ersehn- ten Landes, nichts als Himmel und Wasser, und eins so hässlich aussehend wie -das Andere, in der fatalen Stunde des Zwielichtes. Das ungeheure Verdeck war wie gekehrt, selbst das Steuerruder ge- horchte einer unsichtbaren Hand. Ich stieg wieder hinab, suchte mein Lager, und erkämpfte mir endlich den Schlaf. Als ich erwachte, hingen die Lampen still und manierlich. Schnell richte ich mich auf, ein Blick durch das Fensterchen, richtig ein grüner Streifen auf der Seite, wir waren im Süsswasser. Der junge Sonntag stieg so strahlend empor, wie er es eben nur in der Mitte des Wonnemonds vermag. Warmer Sonnenschein glänzte auf den hellbegrünten Wiesenflächen der Ufer und spielte auf den Flügeln der Windmühlen, die der Ost- wind umtrieb, er glitzerte auf den Wellen des breiten Stromarmes und auf den geschwellten Segeln der zahlreichen SchifTe, die uns ent- gegen die offene See suchten.

Der massive Hauptthurm von Rotterdam rückte näher und näher, das Gewühl der Schiffe vermehrte sich mit jeder Windung des Stromes. Endlich tönte die Schiffsglocke, und der Gontinent war erreicht. Alte Stadt des Erasmus, es ist fast Schade, dass ich nicht mehr Zeil habe von Dir zu erzählen. Dem Standbild des alten Herrn habe ich meine Reverenz gemacht und gedacht, dass wenn er heut hier leben sollte, er sich wohj etwas vereinsamt fühlen würde; denn die Stadt sieht nicht darnach aus, als könnte hier ein Cultus der Pallas Athene gedeihen, Hermes und Plutos scheinen sich allein in die Herrschaft zu theilen. Die spitzen Häusergiebel neigen sich vielfach allen Gesetzen des Schwerpunktes spottend in bedenklichster Weise einander zu, als wären sie altersmüde eingeschlummert und nickten nun immer weiter vornüber. Die Eingebornen versichern, es sei noch nie eins dieser hangenden Häuser eingestürzt, sie hielten viel besser als die modernen.

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G. Grünhagen:

Ueber Hannover und Berlin.

Der einzige Zug, welcher direkten Anschluss nach Berlin hatte, führte mich Nachmittags weiter gen Osten in einem Tempo, welches allerdings von dem der englischen Schnellzüge arg abstach. Zuerst ging es durch reiche Marschgegenden, wo zu beiden Seiten der Bahn Ileerden auf zahlreichen regelmässig von Wassergräben umhegten und begrenzten Weideflächen grasten, bei Arnheim konnte ich einen Blick auf die holländische Schweiz werfen, freundliche Hügel mit schmucken Landhäusern. Was dann folgt auch jenseits der Grenz- pfuhle des deutschen Reichs, kann man nicht wohl als Gegend be- zeichnen, die Berge der Porta Westphalica verhüllte schon der Schleier der Nacht. Mit grösstem Behagen suchte ich das spät gefundene Nachtlager in Hannover.

Es ist eine hübsche freundliche Stadt mit ihren reinlichen in munterer Abwechselung prangenden Backsteinbauten. Weniger kann ich als Bauwerk das Archivgebäude rühmen, das hinter dem Kgl. Schlosse an einer Seite des grossen Waterlooplatzes sich hinzieht und hier an dem Exercierplatz eher für ein militärisches Magazin ge- halten werden kann. Auch das Innere ist unscheinbar genug und für Ordnungsarbeiten noch ein weites Feld offen. Aber die Schätze sind ausserordentlich gross. Welches andere Provinzialarchiv unsrer Monarchie vermöchte für die gesammte neuere Geschichte solch gross- artiges Quellenmaterial aufzuweisen, wie es das zu Hannover in den diplomatischen Gorrespondenzen dieser Zeit besitzt? Aus diesen Goldbarren werden noch viele Historiker münzen können. Auch ich war dieser Schätze benöthigt, doch die Liberalität unsrer Archiv- behörden gestattete die Zusendung an das heimische Archiv; und so bedurfte es hier nur einer kurzen Orientirung und einer leichten Verständigung mit dem liebenswürdigen Gollegen, der hier das Scepter führt. Der Abend fand mich bereits in Berlin.

Mit einer gewissen patriotischen Genugthuung ward ich mir der Schönheit der Fahrt bewusst, welche mich vom Lehrter Bahnhof durch die grossartigen Anlagen an der Alsenbrücke, ein Stück Thier- garten, an der Siegessäule vorbei durch das Brandenburger Thor die Linden heraufführte. Solch eine Fahrt kann dir London in all seiner Herrlichkeit nicht bieten. Und auch sonst kann sich unsere Reichshauptstadt neben der an der Themse sehen lassen. Man braucht die unvergleichlichen Schätze des British Museums nicht

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Eine archivaliscbe Reise nach London.

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herabzusetzen, noch den gewaltigen Eindruck sich zu verkümmern, welchen das köstliche Kensington Museum namentlich in der feen- haft splendiden Abendbeleuchtung machen muss, und kann doch die Frage aufwerfen : wo fände sich in London eine Kunstsammlung, die von Aussen dem Besucher in so unvergänglicher Schöne ent- gegenlacht wie unser altes Museum, wo etwas Aehnliches wie das Treppenhaus des neuen? Wie viel Schönes auch englischer Reich- thum zusammengebracht, eine Sammlung moderner Bilder, deren Durchschnitt auf so hohem Niveau stände wie unsre Nationalgallerie, suchst du dort vergebens. Ich musste unwillkürlich immer an die grosse Londoner Kunstausstellung denken, die royal Academy, welche neben manchem Guten doch eine so unglaubliche Menge von mittel- mässigen ja schlechten Bildern enthält, dass die Durchschnittsskala des Kunstwerthes hier eine sehr niedrige Ziffer zeigen würde. Das Prinz Albert-Monument ist seiner Anlage nach grösser, kolossaler als unser Friedrichsdenkmal: als harmonisches Kunstwerk aber steht Rauchs Meisterschöpfung hoch über jenem. Selbst der Berliner zoologische Garten, den ich an jenem Tage seit seiner Umgestaltung zum ersten Male sah, verdient neben dem Londoner genannt zu werden. Steht er diesem in der Fülle und Seltenheit der Thiere etwas nach, so übertrifft er ihn unbedingt im Punkte landschaftlicher und dekorativer Schönheit, wie denn auch der Thiergarten es mit jedem der Londoner Parks aufnehmen kann.

Doch nun genug die Spanne Raum, die Berlin noch von Bres- lau trennt, überwindet unser Tageseilzug mit rühmenswerther Schnellig- keit. Als die Thürme von Breslau auftauchten , war ich sehr weit davon entfernt, meinen Reisebegleiter, den Sekretär des Prinzen Hassan von Egypten, um seine grosse Reise zu beneiden , und mit Freuden das umfangend, was mir die Heimath schon auf den Bahn- hof entgegensendete, begann ich willig von Neuem den engen Kreis- lauf des täglichen Berufes, nur das Eine bedauernd, dass die Erleb- nisse, die hinter mir lagen, und die mir die Seele so mächtig gefüllt hatten, nun so schnell in die Peripherie rücken, und, wie ich es bei dem Niederschreiben dieser Erinnerungen recht inne ward, von Tag zu Tage in immer blasser werdendem Blau am fernen Horizonte verdämmern.

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XIII. Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln und Medaillen und deren Sammlungen im

Reichsarchiv zu München.

Vom Herausgeber.

Was von Thier und Pflanzen stammt, ist dem Loose unauf- hörlicher Veränderung unterworfen. Ist die Zeit seines Sichbildens und Wachsens vorbei, so beginnt, einerlei ob es noch in oder ausser seinem Organismus sich befindet, die Zerstörung. Jedes Stück nimmt fort und fort Organismen niederer Art in sich auf, und die Zer- setzung schreitet unaufhaltsam fort, bis die Auflösung in die ursprüng- lichen Atome vollendet ist.

Also auch Wachs und Harz und Meel, die Hauptstoffe, aus welchen Urkundensiegel bestehen, leiden unter diesem Gesetze der Zerstörung, und wie entsetzlich rasch sie unter den alten Siegeln um sich greift, erkennt man deutlich an denen, welche im vorigen Jahrhundert sorgsam abgebildet wurden, wenn man ihr jetziges Aus- sehen mit jenen Abbildungen vergleicht. Erst entstehen auf der Oberfläche der Siegel kleine Schimmelflecken, die sich dann allmählig vergrössern, weiter ausbreiten und Bild und Schrift verdunkeln. Dieser Schimmel besteht aus feinen Pilzchen, die immer tiefer in Pasta, Lack und Wachs eindringen, bis die Masse zerbröckelt und allmählig in Staub zerfallt.

Erstes Kapitel.

Mittel gegen den Untergang der Siegel.

I. Unzulänglichkeit.

Bekanntlich suchte man früher die Siegel vor Zerstörung dadurch zu schützen, dass man sie in weiches, aber dichtes Leinen einnähete.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 247

Oeffnet man jetzt diese Leinpäckchen, so riesein nur zu häufig Körn- chen und Blättchen von Wachs oder Harz hervor, in welche sich in der Umhüllung das Siegel ganz oder theilweise aufgelöst hat. Auch das Einschliessen in kleine Holz- oder Blechkapseln schützte die Siegel wohl vor Abbröckeln und Zerbrechen bei Handtirung mit den Urkunden, nicht aber vor dem Siegelfrass, der unmerklich beginnt und in der Stille sein zerstörendes Werk fortsetzt. Und gar erst die in Oblaten aufgedrückten Siegel! Wie oft, wenn man Korrespondenzen und Gültbriefc aus dem fünfzehnten Jahrhundert entfaltet, fallt die kleine Papierdecke heraus, in welche das Siegel ein- gepresst war, weil die Oblate darunter verzehrt worden.

In neuerer Zeit hat man erkannt, dass den Urkunden und ihren sämmtlichen Bestandteilen nichts wohlthätiger , als helles Licht und trockene Luft, gleichwie nichts schädlicher, als Dunkelheit und Feuchtigkeit. Man sucht jetzt den Urkunden möglichst Licht und Luft zukommen zu lassen, allein das hält die Zerstörung nur auf, verhindert sie aber nicht. Beinahe lässt sich schon berechnen, wieviel noch von den alten Siegeln nach einigen Jahrhunderten übrig sein wird. Selbst in Luft und Licht scheint eine fortwährende Strömung zu sein, die ganz leise an den organischen Stoffen reibt und zehrt.

Man dachte desshalb der Siegel Bild und Legende dauersam für die Folgezeit herzustellen, indem man sie auf Blättern abbildete oder in Masse nachformte. Abbildungen aber können niemals die Originale ersetzen, selbst wenn photographische Treue gewährleistet und das Bild von verschiedenen Seiten genommen ist. Man will eben das Stück selbst in Händen haben und wenden und kehren, um es vollständig zu würdigen und hinter seine etwaigen Räthsel zu kommen. Diesem Bedürfniss kommt viel näher das Abformen oder die Herstellung eines Abbilds in Masse. Allein die verschie- denen Arten von Siegellack, die Mischungen aus Harz und Wachs, Kitt, Pasta und Guttapercha bleiben eben organische Stoffe, und besitzen ausserdem heutzutage nicht entfernt mehr die Haltbarkeit, wie das alte Siegelwachs des Mittelalters. Greift man nun zu mineralischen - Stoffen, so ist Gips leicht zerbrechlich ; dabei bedarf es, wenn er nicht sehr sorgsam bereitet ist, nur wenig Zeit oder Handtirung mit den Gipsabgüssen und es zeigt sich sofort ein Verwischen und Abreiben der feinen Züge. Blei und Zink leiden unter rascher Oxydirung; welche ihre Oberfläche verdunkelt. Ausserdem ist weder die Gips-

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Löher:

blässe noch der matte Zinn- oder Bleiglanz besonders forderlich, um auf den Abgüssen zierliche Buchstaben , Wappenthiere, und Verzie- rungen zu erkennen. Das härtere Metall der Bronze endlich lässt sich schwer handhaben: zu seiner Herstellung sowie zu den Ab- güssen selbst muss man sich an kunstreiche Erzgiessereien wenden, und sind die Bronzeplatten hergestellt, so können sie bei Herabfallen zerbrechen.

II. Röckrscher Abguss in Erz.

Nun wollte der Chemiker Herr Albert Röckl in München sich eine grosse Sammlung von Siegeln, Medaillen und Münzen in Origi- nalen, oder wo diese theuer zu haben, in Abgüssen anlegen. Die Sammlung war für künstlerische wie historische Zwecke berechnet Allmählig sollte sie vereinigen, was es auf diesem Gebiete Schönes, Seltenes und Lehrreiches gäbe. Lange Zeit ersann und prüfte Röckl Metallmischungen einer- und Gussformen andererseits, um eine Methode zu finden, die erstens den abzugiessenden Stücken in keiner Weise schade, zweitens ohne besondere Kosten und Umstände sich leicht ausführen lasse, und drittens ein Erz liefere, das hart wie Bronze, zähe wie Wachs, und bildsam und eindrucksfähig sei wie feines Siegellack.

Es gelang ihm zuletzt, ein Verfahren, welches in der That all diesen Anforderungen entspricht, zu entdecken.

Röckl's Art und Weise, von den Siegeln erst einen Abdruck in Gips zu bilden, greift weder ihre Oberflache noch ihren Körper an, vielmehr ist dies Abformen in Gips der beste Reinigungsprozess. Staub, Schimmelflecken und anderer Unrath werden weggenommen, Bild und Legende treten in ursprünglicher Klarheit wieder frisch hervor.

Das Metall aber, aus welchem mittels der Gipsform der Abguss hergestellt wird, ist so hart und zähe, dass es sich weder abreibt, noch bei Umherwerfen springt oder zerbricht, und zugleich so weich und geschmeidig, dass es sich während des Gusses den feinsten Formen und Linien ein- und anschmiegt. Der Abguss giebt daher das Gepräge der Siegel, Münzen und Medaillen getreu und scharf wieder, und da Röckl auch ein leichtes Verfahren anwandte, das Erz nach dem Abguss zu bronziren, so verschwand damit die Licht- und Schattenwirkung auf der Oberfläche, und Bild und Legende erscheinen deutlicher auf dem Abguss, als auf dem Original.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 249

Endlich das ganze Geräth, um Gipsform und Abguss herzustellen, ist so einfach und klein bei einander, dass es sich in einem Körbchen leicht hin und her schaffen lässt und weder besondern Heerd oder Ofen, noch eine Ciselirung erfordert.

III. Ansammlung im Reichsarchiv zn München.

Als Röckl vor mehr als dreissig Jahren seine Abgüsse dem Kultusministerium, der Akademie der Künste, und dem Reichsarchiv in München vorlegte, erkannte man sofort, dass hier ein Mittel gefunden sei, um Siegel, Medaillen und Münzen herzustellen aus unzerstörbarem Metall und klar und sohön in treuer Nachbildung. Lebhaft wurde der Gedanke ergriffen, nach und nach eine Staats- sammlung der seltensten und wichtigsten, sowie der künstlerisch am reichsten ausgestatteten Siegel und Medaillen zu bilden. Man hatte dabei einen doppelten Zweck im Auge, einerseits den Nutzen, wel- chen Urkunden- Siegel- und Wappenlehre, Chronologie und Geschichte, insbesondere kunst- und kultur-historische Studien aus einer reich- haltigen Sammlung von solchen Siegelabgüssen schöpfen, andererseits den Vortheil für Künstler, wenn sie die Portraits Trachten und Ornamentik, wie sie auf alten Siegeln und Medaillen erscheinen, sich zum Muster dienen lassen.

Bereits im Jahre 1851 wurde mit der Sammlung begonnen: im Reichsarchiv wurden die Siegel ausgesucht und berechnet, in der k. Akademie der Künste die Abgüsse niedergelegt. Unglücklicher Weise bekam der Erfinder des Metallgusses ein Augenleiden, das allmählig mit völliger Erblindung drohete. Die bayerische Staats- regierung beeilte sich daher, ihm seinen Unterhalt und der Wissen- schaft seine Erfindung zu sichern. Im Vertrag vom 16. August 1871 überliess Röckl dem Staate sein Verfahren des Metallabgusses ohne Ciselirung für Zwecke des Staates und der öffentlichen Sammlungen, behielt sich selbst zwar das Recht vor, Abgüsse zu verkaufen, ver- pflichtete sich aber, über das Verfahren eine Beschreibung zu verfassen und die ihm vom Staate zugewiesenen Schüler darin zu unterrichten. Beide Verpflichtungen wurden später seinem Schüler, dem Chemiker Herrn Dalbez, zugewiesen, und dieser schliesslich als Sachverständiger bei dem Reichsarchiv angestellt, um gegen Jahresgehalt, Wohnungs- und Materialentschädigung fort und fort Abgüsse zur Vervollständigung der Sammlung zu machen.

250

Löher :

Dabei erschien es nach allen Seiten hin am räthlichsten, die ganze Sammlung von Abgüssen und Gipsformen, wie Röckl sie zusammengebracht hatte, anzukaufen und dem Reichsarchiv einzu- verleiben. Dies geschah vor zwei Jahren, und nun wurde sie rasch und bedeutend vergrössert und systematisch aufgestellt

Auf Grund der in hochherziger Weise vom k. bayerischen Staatsministerium für Schul- und Kirchenangelegenheiten gegebenen Anregung veröffentliche ich nun im Interesse der Geschichts-, Urkunden- und Siegelforscher, ferner der Archivbibliotheken, Museen, polytechnischen und höheren gewerblichen Anstalten, sodann der Kunst und des Kunstgewerbes das Röckl'sche Verfahren und mache be- kannt, auf welche Weise man sich darin nähere praktische An- weisung, sowie Abgüsse aus den Sammlungen im Reichsarchive ver- schaffen kann.

Zweites Kapitel.

Abgussverfahren. I. Reinigung: des abzumessenden Stuckes.

1) Das Erste ist, dasselbe behutsam von Staub und Moder und jeder Art von Unrath zu reinigen.

2) Ist es ein Siegel von Wachs oder Lack, so giebt es keine Reinigung, die vollständiger ist und zugleich weniger die Substanz angreift, als das Siegel erst ein- oder ein paarmal in Gips abzu- giessen. Der Gips zieht nämlich die Unreinlichkeit an sich. Man muss bei alten Siegeln das Abgiessen so lange wiederholen, also wohl drei- oder viermal, bis der Gips ganz weiss und rein erscheint: dann ist auch das Siegel vollständig rein geworden. Selbstverständ- lich sind aber diese ersten Formen nur Blindformen und zu weiter nichts zu verwenden, keinen Falls zum Metallgusse.

3) Ist dagegen das abzugiessende Stück ein Bleisiegel oder eine Goldbulle oder eine Medaille oder Münze, so taucht man ein weiches Bürstchen von Dachshaaren in Alkohol (reinen Weingeist) und bürstet sie damit gründlich aus, bis die feinste Linie, die noch vorhanden, vollständig hervortritt.

') Vgl. Primbs Sammlung von Siegel- und Medaillen-Abgüssen im Reichs- archiv zu München in der Archivalischen Zeitschrift II 262— 273.

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Das Geheinmiss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 251

II. Glpsbereitung.

1) Man nimmt feinen gestossenen und getrockneten Gips (hydrau- lischen Kalk); Alabastergips ist natürlich vorzuziehen, jedoch thut auch gemeiner Gips seinen Dienst, wenn er nur durchgehends sauber und gleichartig ist.

2) Dieser Gips, auch der Alabastergips, wird noch durch ein feines Haarsieb gesiebt, damit man das reinste Gipsmeel erhalte.

3) Dann giesst man destillirtes Wasser in eine ovale Schale von Porzellan oder Steingut, und überstreut es mittels eines Löffels langsam und gleichmässig mit dem Gipsmeel so lange, bis sich kein Wasser mehr auf der Oberfläche zeigt. Dann wird mit einem Löffel von Bein oder Holz die Masse wohl durcheinander gemengt, indem man mit dem Löffel in der ovalen Schale, ohne abzusetzen, von rechts nach links fahrt, bis der Gips anzieht, d. h. fest wird, ohne jedoch aufzuhören flüssig zu sein.

III. Grundplatte.

1) Man bereitet nun eine Platte von ovaler Form, dreimal so gross als das abzugiessende Stück. Es ist einerlei, ob die Platte von Gips, Thon, Eisen, Glas oder auch von Holz ist, nur muss sie auf beiden Seiten ganz glatt und an den Rändern scharf sein. Am besten passt es zu der ganzen Vorrichtung, wenn die Platte aus Gips und wenigstens drei Centimeter dick ist.

2) Auf diese s. g. Grundplatte legt man das Siegel und zwar auf das obere Drittel ihres Raumes, so dass zwei Drittel für die Gussrinne frei bleiben. Dann umgiebt man das Siegel ringsum mit Glaserkitt, der überall etwas über den Rand des Siegels hervor- steht. Ist es ein Wachssiegel alter Art, so muss es gleichsam in ein Bette von Kitt gesetzt werden, bis es ganz gerade und fest steht. Soll eine Münze oder Medaille abgegossen werden, lässt man besser die untere Hälfte ohne Kittwand, damit sie leichter sich wieder herausheben lässt, wenn man die andere Seite abformen will.

3) Rings um den Rand der Platte wickelt man einen geölten und gefirnissten , also festen Papierstreifen von der doppelten Breite des Randes und steckt ihn mit einer kurzen, aber dicken Nadel fest, so dass die äussere Form der Platte fast das Ansehen einer ovalen Papier-Schachtel erhält.

252

Löher :

IV. Gussplatten.

1) Will man nun das Gepräge des Siegels in Gips, d. h. die eine Hälfte der Gussform, erhalten, so wird das wohl gerei- nigte Stück vermittels eines weichen Pinsels (s. g. Fischpinsels) mit Pflanzenöl (Leinöl oder Rüböl, nur nicht Petroleum) bestrichen, wobei darauf zu achten, dass das Oel genau in alle Schrift- und Bildzüge und Vertiefungen hineindringt. Ist dies geschehen, wird das Siegel mit Baumwolle, die aber stets möglichst rein sein muss, so lange behutsam abgetupft, bis nur noch ein Hauch von Oel auf der Bild- und Schriftfläche bleibt Darauf wird der übrige Raum der Platte leicht mit demselben Oel bestrichen.

2) Nun trägt man vermittels eines grösseren Pinsels von Dachs- haaren die flüssige Gipsmasse erst auf den abzugiessenden Gegen- stand, so dass der Gips in alle Vertiefungen wohl eindringt und alle Linien und Erhöhungen wohl umzieht. Dann wird die ganze Schachtel, das ist also der leere Raum auf der Grundplatte, welcher von dem überstehenden festen Papier umzogen ist, bis oben hin mit Gips vollgefüllt und dessen Oberfläche glatt gestrichen. Fettigkeit und Steife des Papiers verhindert, dass die Feuchtigkeit des Gipses hin- durchdringt.

3) Ist der Gips erhärtet, so liegt auf der Grundplatte eine neue Gipsplatte, in welcher das Siegel eingeprägt ist, geschieden von der Grundplatte durch die leichte Schicht Oel auf der letztern. Man nimmt den Papierrand weg, hebt behutsam die obere Gipsplatte ab, schneidet sie mit einem im Griff feststehenden Messer an den Rän- dern glatt und oben kantig, und holt in der Mitte, laufend von dem Siegelabdruck oben bis zum untern Ende der Platte, eine Gussrinne aus, je nach der Grösse und Dicke des Stückes 1 2 Gentimeter breit und tief, das Mundstück, d. h. die Oeffnung nach aussen hin, etwas grösser zum bequemeren Eingiessen des Metalls.

4) Die Grundplatte hat jetzt ihren Dienst gethan und wird bei Seite gelegt. Ueber der Gussplatte aber wird eine neue, d. h. die andere Hälfte der Gussform, ganz in der vorigen Weise gebildet, nur mit dem Unterschied, dass der Siegelabdruck jetzt mit Kitt, den man mit einer Nudelwalze glatt und eben walzt , zuvor ausgefüllt wird.

5) Hebt man nun die neu gebildete Platte ab, an welcher ge- wöhnlich der Kitt kleben bleibt, und legt beide Gussplatten über-

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Das Geheimnis* des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 253

einander, so befindet sich in den Höhlungen dazwischen die Guss- rinne und genau Raum und Abdruck des Siegels.

6) Es erhellt daraus, dass, um ein Siegel, wenn es zwei Seiten hat, gleichwie eine Münze und Medaille vollständig abgiessen zu können, in der zweiten Gussplatte sich der Abdruck der Kehrseite befinden muss. Um diesen zu erhalten, wird aus der Grundplatte das Siegel oder die Medaille herausgenommen, und auf die erste Gussplatte in die Vertiefung das ist den Abdruck der abgeprägten Seite gelegt, und zwar mit dieser nach unten. Darüber wird dann die zweite Gussplatte gemacht, und wenn sie abgehoben ist, von der andern das Siegel oder die Medaille wieder entfernt.

V. Gussform.

1) Die beiden Gussplatten müssen nun vollständig zusammen passen, und damit sie das um so besser thun, bezeichnet man sie durch Striche oder besser noch durch Einschnitte, die über beide Ränder hinlaufen.

2) Darauf werden die Gussplatten wieder auseinander gelegt und auf einem Ofen oder in der Durchsicht eines Zimmerofens ge- trocknet, wobei jedesmal die Schriftseite oben zu liegen kommt. Damit das Austrocknen gründlich vor sich gehe, ohne dass die Platten zer- springen oder sich krumm ziehen, ist auf schwache, jedoch stunden- lang andauernde Wärme zu halten. An ihrem mehr oder minder hellen Klang erkennt man, ob die Gipsplatten genügend ausge- trocknet sind.

3) Ist dies geschehen, so werden diese zwei Gussplatten, welche zum selben Schrift- und Bildzeichen gehören, zwischen zwei Brett- chen über einander gepasst, und entweder durch feste Umschnürung, oder besser durch eine Schraubenzwinge oder kleine Presse zusammen- gehalten, dann ist die Form zum Giessen fertig, und es handelt sich nun darum, das Gussmetall zu bereiten.

VI. Metallmischung.

1) Bloss Zinn und Wismuth (Bismuth) bilden die beiden Bestand- theile, die man jedoch suchen muss möglichst rein zu bekommen. Das harte und spröde Wismuth muss durch Zinn zäh und ge- schmeidig werden.

2) Je nach der Güte von Wismuth muss man Zinn zusetzen. Das Wismuth ist nur zu häufig mit Eisenerz verfälscht. Wenn man

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254 Löher:

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es abbricht und die Bruchfläche röthlich spiegelt, ist das Wismuth gut, wenn bläulich, schlecht. Das Zinn ist um so besser, je kräf- tiger man bei dem Beissen darauf den eigenthümlich knirschenden Ton, das s. g. Zinngeschrei, vernimmt. In der Regel werden 3 Theüe Wismuth und 4 Theile Zinn nach dem Gewichte gemessen die rechte Mischung geben. Ist das Wismuth besonders gut, so genügen 2 Theile davon zu 3 Theilen Zinn.

3) Beide Metalle schmelzen leicht, fast so leicht wie Blei. Man bedarf desshalb nur eines gewöhnlichen Schmelztiegels über starkem Kohlenfeuer, wie man es in jeder Küche und jedem Kochofen bereiten kann. Zuerst wird das Zinn geschmolzen, und wenn es flüssig geworden, das Wismuth nach und nach in Stücken von 3—4 Gran zugesetzt.

4) Von Zeit zu Zeit wird die flüssige Mischung umgerührt, damit, was im Metall noch an unreinen Stoffen vorhanden, in Schlacken auf die Oberfläche kommt, wo es entfernt wird. Das Umrühren sowie das Abnehmen der Schlacken geschieht am besten durch einen Span oder ein Breitstäbchen von gut ausgetrocknetem Buchenholz. Erst wenn gar keine Schlackenbildung mehr erfolgt, ist die Masse zum Gusse recht.

Man hüte sich aber vor zu starker Glühhitze, weil dabei das Wismuth sich leicht verflüchtigt und von diesem theueren Metall zuviel verloren geht. Sobald die Oberfläche der Mischung sich mit einem gelben Häutchen zu überziehen anfangt, ist nur noch Zinn darin: dann hat sich das Wismuth theilweise verflüchtigt und das Oxyd davon liegt auf dem Grunde der flüssigen Masse, die nun zum Gusse nicht mehr zu gebrauchen ist.

VII. Metallguss.

1) Damit man mehrere Stücke auf einmal abgiessen könne, muss die Metallmischung flüssig erhalten werden. Dazu genügt aber, dass man sie in ein Pfannchen oder einen Gusslöflfel von Eisen giesst und über eine grosse Weingeistlampe stellt. Man kann dazu das Geräth brauchen, wie gewöhnlich zum Kochen von Thee und Kaffee im Zimmer.

2) Ist das Metall wie Wasser flüssig, so giesst man es durch die Gussrinne in die Form, wobei darauf zu achten, dass das Ein- giessen langsam, damit sich alle Theile der Form wohl füllen, jedoch ohne jedes Absetzen geschehe, damit der Abguss überall sich ganz gleichmässig zeige.

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Das Geheimnis» des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 255

3) Nach dem Gusse wartet man das Erkalten des Erzes ab, welches daran zu erkennen, dass der Gusszapfen, welcher die Guss- rinne füllt, wenn er mit einem Wassertropfen benetzt wird, nicht mehr zischt.

4) Alsdann legt man mit möglichster Sorgfalt die Gipsformen auseinander, nimmt den Abguss heraus, und putzt ihn vom Gips rein, der gewöhnlich daran hängt.

5) Mit einer Metallsäge wird der Gusszapfen abgeschnitten, und mit feiner Feile ringsum der Rand bearbeitet, bis er überall sich schön glatt darstellt. Das Alles lässt sich mit der Hand und ohne Schraubenzwinger bewerkstelligen. Ciselirung ist nicht nothwendig.

Till. Bronzirung.

1) Das Erz, wie es aus der Gussform kommt, hat einen matten Glanz, der zwischen Zinn und Silber spielt. Man kann ihm aber mit Leichtigkeit eine andere Farbe geben , welche der des Originals näher kommt. Das gefalligste Aussehen erhält es von Bronzirung. Durch diese wird zugleich die Lichtwirkung gleichmässiger gemacht, während alle Linien und Züge deutlicher hervortreten. Des Stu- diums halber ist desshalb Bronzirung anzurathen. Sie ist auch leicht herzustellen.

2) Man löst zu gleichen Theilen Messing und Gold, am besten vergoldetes Messing, in Salpetersäure mit einem ganz kleinen Zusätze von etwa fünf Prozent Salzsäure auf.

3) Ist die Mischung völlig ruhig geworden, giesst man Brunn- wasser hiezu, und zwar so lange, bis von der blauen Färbung nur noch ein ganz schwacher Schein (eine Art Trübblau) übrig bleibt.

4) Alsdann wird diese Mischung mittels einer Bürste auf den von Gips ganz gereinigten Abguss übergetragen, wobei darauf zu merken, dass sie überall sich gleichmässig vertheilt.

5) Darauf wird der Abguss mit einem wolligen Handtuch ab- getupft, damit alle überflüssige Säure entfernt werde.

6) Endlich legt man ihn an's offene Fenster zum Trocknen.

IX. Blei-, Gold- und Silberglanz.

1) Auch den etwas in's Grauliche spielenden Bleiglanz kann man dem Abgüsse leicht geben. Man braucht ihn nur mit Pflanzenöl zu bestreichen, dieses einige Zeit darauf haften lassen, und dann das Erz wieder abzutrocknen.

256

Löher:

2) Vergoldung und Versilberung dagegen ist durch einen Gürtler und Galvanoplastik zu machen.

X. Unterricht im Abgiessen.

Uebung macht den Meister das gilt auch von dieser Kunst des Gipsformens, Abgiessens, und Bronzirens. Aber wie jedes prak- tische Verfahren hat auch dieses seine besonderen Handgriffe und kleinen Vortheile und Uebelstände, deren Unkenntniss verursachen kann, dass die Sache wider Wunsch und Erwarten geräth und man erst dahinter kommt nach vielen Versuchen und Kosten, insbe- sondere nach Vergeudung von theuerem Wismuth.

Es wird desshalb allerwegen gut sein, bei dem Sachverstandigen das ganze Verfahren von vornherein praktisch zu erlernen. Als ein solcher Sachverstand iger ist von der bayerischen Staatsregierung der Chemiker Herr Dalbez aufgestellt, welcher fort und fort Abgüsse zur Vervollständigung der Sammlung des Reichsarchivs in München zu machen hat, und welchem die Befugniss ertheilt wird, sowohl in München als auswärts in seiner Kunst Unterricht zu geben.

Zwei bis drei Tage unausgesetzter Lehre und praktischer Uebungen reichen hin, des Verfahrens völlig sich zu bemächtigen. Besser ist freilich, und desshalb den in München Wohnenden anzu- rathen, jede Woche nur einige Stunden darauf zu verwenden.

Die Bedingungen sind folgende:

1) Die Anmeldung geschieht bei dem k. allgemeinen Reichs- archiv in München, welches darauf hin nähere Anweisung ertheilt.

2) Die Beamten und Schüler bayerischer Staatsanstalten, als da sind die polytechnische Hochschule, die Kunstgewerbeschulen in München und Nürnberg, die Central-Fortbiklungsschule in München, das Nationalmuseum, die Bibliotheken, die Universitäten, zahlen an Honorar und Materialentschädigung zwanzig, alle Uebrigen fünfzig Mark.

3) Was bei dieser praktischen Einübung an Wismuth, Zinn, Gips, Pinseln, Bürsten und sonstigen Geräthschaften verloren geht, wird nicht berechnet. Was aber Jemand an Metallabgüssen oder Gipsformen als Eigenthum behalten will, ist nach den weiter unten (im Kap. 3 Ziff. V 4) folgenden Ansätzen zu vergüten.

4) Dasselbe gilt auch bezüglich der daselbst (Ziff. V 5) erwähnten Entschädigung für Reisekosten, wenn der Sachverständige nach aus- wärts zu reisen hat, um Unterricht zu ertheilen.

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Das Gebeimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 257

Drittes Kapitel.

Sammlungen im Reichsarchiv.

Wir wenden uns nun zu den Sammlungen im Reichsarchiv. Um beizutragen, dass dieselben für Wissenschaft, Kunst, und Genea- logie noch mehr, als es bis jetzt möglich war, nutzbringend werden, möge hier soviel darüber veröffentlicht werden, dass man sich an andern Orten eine Vorstellung darüber machen kann, was im Mün- chener Reichsarchiv vorhanden ist und was man daraus zu eigener Verwendung sich verschaffen könnte.

Der grosse Grundstock der Sammlung an Metall-Abgüssen und Gipsformen rührt von Röckl her. Als er darüber aus war, die Stücke zusammen zu bringen , leitete ihn halb Zufall halb Absicht bald zu diesem bald zu jenem Archiv oder Sammelpunkte von Ur- kunden und Medaillen. Wo ihm dort oder wenn ihm sonst Stücke unter die Hände kamen, die ihm beachtenswerth erschienen, beeilte er sich, davon eine Gussform in Gips zu machen, indem er den Metallguss auf gelegene Zeit verschob. Die Anzahl dieser Gipsformen wuchs in die Tausende, während die Metallgüsse an Siegeln und Medaillen zusammen genommen nicht ein Zehntel dieser Anzahl betrugen.

Als ich bald sind es fünfzehn Jahre die Leitung des b. Reichsarchivs und seiner acht Provinzialarchive übernahm, liess ich vorläufig das Sammeln und Abgiessen von Medaillen, namentlich der neuern, aussetzen, und betrieb desto mehr das der altern Siegel. Zugleich suchte ich in das planlose Anhäufen von Siegeln System zu bringen, hielt zunächst auf Ergänzung der Reihe der Kaisersiege!, theilte dann auch die übrigen Gruppen ab, und wandte das Augen- merk auf solche Siegel:

1) die sich entweder durch ihr Alterthum auszeichneten, wess- halb alle aus der Zeit des Mittelalters bis 1300, wenn sie gut er- halten waren, Vorzug erhielten. Sodann bekamen ihn diejenigen, die

2) entweder ehemals von historisch bedeutenden Personen ge- führt worden, oder

3) sonst in geschichtlicher, namentlich kulturhistorischer, Be- ziehung werthvoll erschienen, oder

4) ihrer Pracht und Schönheit wegen zu Muster und Anregung für Künstler dienen konnten, oder endlich

5) irgend etwas zur Lösung der Frage beitrugen, welche Ver-

ArchlvalUche Zeitschrift III. 17

I

258 Löher:

änderungen im Laufe der Jahrhunderte mit den Siegeln vor sich gingen?

Nach diesen Gesichtspunkten müssen, wie ich glaube, die Samm- lungen nach und nach ergänzt werden , wobei nur die Knappheit der Geldmittel zu beklagen, die für die Vermehrung der Abgüsse bewilligt sind.

Insbesondere bedarf es, was den fünften Gesichtspunkt betrifft, noch eines reichlichen Auswählens und Ansammeins. Erst wenn man mehrere Einzelgruppen , wie Kaisersiegel , oder Siegel eines bestimmten fürstlichen oder adelichen Geschlechts, oder einer geist- lichen oder bürgerlichen Genossenschaft, in ununterbrochener Folgereihe vor sich liegen sieht, lässt sich dem Gesetze näher treten, nach welchem die Siegel von einem Menschenalter zum andern sich veränderten. Desshalb ist auf diejenigen Werth zu legen, welche sich durch ihre Seltenheit auszeichnen; denn es musste ja eine durch- greifende Ursache da sein, wesshalb man diese Art wieder fallen Hess.

Soll die Sphragistik eine ächte Wissenschaft werden, so muss sie das historische Gesetz der Veränderungen und ihre Gründe auf- klären. Dann aber wird sie durch die Kulturgeschichte rothe Linien ziehen. In nichls Anderm wollten ja Geschlechter und Genossen- schaften etwas von Geist und Charakter ihrer Epoche und ihres Selbst so scharf und kurz abprägen, als in den Siegeln, die sie unter die Dokumente setzten.

Dann aber wird sich auch die ganze Bedeutung der Sphragistik für die Urkundenlehrc und insbesondere für die Urkundenkritik ent- wickeln. In erster Linie ist ja die Sicgellehre ein Theil der Urkun- denlehre, denn der Urkunden wegen waren die Siegel da, und gerade deshalb ziehen Genealogie, Heraldik und Chronologie, und sodann auch Trachten- und WafTenkunde , sowie die geschichtliche Orna- mentik, Symbolik und Architektonik aus den Siegeln Belehrung und Berichtigung.

An den Siegelabgüssen im Reichsarchiv soll dem Forscher ein leichtes Mittel gewährt werden, zweifelhafte Siegel mit ächten zu vergleichen. Um aber auch dafür, wie Stoff, Form, Bild und Um- schrift , sowie die Art und Weise der Bestempelung und Befestigung beschafTen, gleich den Beweis bei der Hand zu haben, müssen die Abgüsse vorzugsweise von Siegeln genommen werden, deren Urkun- den im Reichsarchive beruhen.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 259

I. Siegelabgüsse.

Ihrer sind gegenwärtig gegen zwölfhundert, und zwar ist diese Anzahl in Erz vorhanden, nur noch sehr wenige finden sich bloss io Gussformen. Sie sind hier, damit Jeder sich für seine Samm- lung oder Lehrzwecke das Erwünschte auswählen könne, in mehreren Gruppen zusammengestellt, und es wird genügen, wenn bei den meisten Gruppen Aussteller und Jahreszahl (die Wiederholung der letztern bedeutet zwei verschiedene Siegel aus einem Jahr), ange- geben und bei den Gruppen des Adels, der Städte, und der geist- lichen Genossenschaften bloss die wesentlichsten Stücke zur Kenn- zeichnung hervorgehoben werden.

1. Deutsche Kaiser und Könige.

Karl der Grosse 777. 794. 807.

Ludwig der Fromme 814. 823. 834. 834.

Ludwig der Deutsche 831. 832. 833. 837. 844. 846. 851. 874. 874.

Karlmann 876. 878.

Karl der Dicke 882. 883. 883. 884.

Arnulf König 888 Fragment. 890. 895.

Arnulf Kaiser 896. 898. 898 Fragm.

Ludwig das Kind 903 Fragm. 906. 911.

Konrad L 911. 912. 918.

Heinrich L 927.

Otto L 940.

Otto II. 973. 973. 976. 976.

Otto HI. 993. 993. 993. 996. 999. 999. 1001.

Heinrich II. 1002. 1002. 1003. 1008. 1009. 1009 Fragm. 1010.

1011. 1014. 1015. 1018 Fragm. 1018. 1019. 1021. Konrad II. 1025. 1025 Fragm. 1025. 1025. 1025. 1029. 1032 Fragm.

1034. 1039. Heinrich III. 1039. 1043. 1048. 1055. 1055. Heinrich IV. König. 1057. 1061. 1062. 1068. 1079. Kaiser

1089. 1103. Heinrich V. König 1109. Kaiser 1111. 1121. Lothar von Supplinburg 1125. 1129. 1134. Konrad III. 1144. 1146. Friedrich I. 1155. 1157. 1157. Heinrich VI. König 1189. 1189. Kaiser 1194. Philipp von Schwaben 1200. 1203.

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Löher:

Otto IV. 1209. 1209. 1212.

Friedrich II. 1220. 1227. 1224.

Heinrich König 1223. 1234.

Conrad König 1243.

Heinrich Raspe 1246.

Wilhelm von Holland 1256.

Richard von Cornwales 1258. 1261.

Rudolf von Habsburg 1273. 1277 Gegensiegel. 1281.

Adolf von Nassau 1293.

Albrecht I. 1298. 1313.

Heinrich VII. 1309. 1313.

Ludwig der Bayer 1314. 1331. 1340 mit Gegensiegel. Margaretha Kaiserin 1349 Gegensiegel. Friedrich der Schöne 1321. Günther von Schwarzburg 1347.

Karl IV. 1348. 1356. 1358. 1370 Gerichtswege! mit Gegensiegel. Wenzel 1375. 1397. Ruprecht 1401.

Sigmund 1410. 1411. 1413. 1431 Gericht ssiegel mit Gegen- siegel. 1431 desgleichen. 1437. 1437. 1437 Doppelsiegel. Albrecht II. 1438.

Friedrich III. 1443. 1443 mit Gegensiegel. Desgl. 1482. Desgl.

1482. Zwei Doppelsiegel ohne Jahr. Zwei andere Siegel

ohne Jahr. Maximilian I. 1513.

Karl V. 1521 Thron-S. 1521 böhm. S. 1523 kleines Adler- siegel. 1538 Geg.-S. 1546 mittleres Adlersiegel. Ferdinand I. 1528. 1558. Maximilian II. 1568. 1568. 1576. 1576. Rudolf n. 1583. 1588. Mathias 1616. 1616. Ferdinand II. 1619. 1620. Ferdinand III. 1638.

Leopold I. 1667. 1690. 1703. Ein Siegel ohne Jahr.

Joseph I. 1705. 1706.

Karl VI. 1713. 1724. 1730. 1733.

Karl Vn. 1743.

Franz von Lothringen 1758.

Joseph II. 1769. 1784.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 261

Leopold n. 1791. Franz IL 1792.

Das Reichssiegel von des jetzt regierenden Kaisers Majestät, welches dem Vernehmen nach zuerst bei dem Berliner Friedensver- trag gebraucht worden, wird hoffentlich nicht lange mehr in der Sammlung fehlen.

Vollständigkeit wird in dieser wichtigsten Reihe erst dann er- reicht sein, wenn nicht bloss von jedem Kaiser oder König ein achtes Siegel, sondern all die Siegel, auch die Geheim- und Ring- siegel vorhanden sind, deren Jeder sich bedient hat während seiner ganzen Regierungszeit. Man muss sie von Jahr zu Jahr verfolgen und bestimmen können , wie lange das bisherige Siegel im Gebrauch war und wann ein neues angenommen wurde.

Es wäre von vorzüglichem Interesse, wenn sich möglichst voll- ständig auch eine Sammlung anreihen Hesse der Reichszeichen, welche als solche von den Reichsfürsten, den Reichsbeamten, z. B. den Schult- heissen und Landrichtern, und den Reichsstädten in Siegeln geführt wurden.

2. Päbste.

Eugen D. ohne Jahreszahl. Clemens III. desgleichen.

Die Folgereihe der meisten Pabstsiegel wäre unschwer herzustellen, grösstentheils aus München allein. Einerseits jedoch bleiben die Blei- bullen sich ungemein ähnlich, und andererseits giebt es zur Zeit noch sehr viele andere Siegel, die wichtiger und lehrreicher sind.

3. Könige anderer Lande.

Böhmen. Ottokar 1253 Doppelsiegel. 1262.

Heinrich 1314. Johann 1323 mit Gegensie?el. 1331 Münz- siegel. 1331 Reitersiegel. Wenzel 1375. Georg 1465. Wladislaus 1489.

Dänemark. Christoph 1444. 1445 mit Kleinsiegel. 1445 mit Gegen- siegel.

England. Richard Löwenherz 1397, und ein Siegel ohne Jahres- zahl. Elisabeth 1558. Karl L 1G25. Anna 1702.

Frankreich. Franz und Maria 1559. Ludwig Dauphin 1409.1409 mit Gegensiegel.

Jerusalem. Balduin I. und Johann von Brienne, beide ohne Jahreszahl.

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Löher:

Oestreich. Maria Theresia 1749. Spanien. Karl und Johanna 1521.

Philipp Maria 1554 Doppelsiegel. Türkey. Mustapha 1697.

Ungarn. Agnes 1313. Ludwig 1367. Wladislaus 1489. Venedig. Andreas Vendramin 1746.

Lediglich der Zufall, der auf besonders schöne oder seltene Siegel stossen Hess, entschied für die Auswahl dieser Königssiegel. Gerade in dieser Reihe finden sich daher viele Prachtsiegel.

4. Bayerische Herzoge. Adolf Pfalzgraf 1324.

Agnes Pfalzgräfin, Gemahlin Otto III. 1320. 1320.

Albrecht L von Holland 1365. 1376. 1385.

Albrecht II. von München 1438.

Albrecht Dl. desgleichen 1476. 1477. 1490.

Beatrix, Gemahlin Johannis von Neumarkt 1446.

Katharina von Görz, Gemahlin Johann II. von München 1380.

Christoph 1472. 1473.

Elisabeth von Cleve, Gemahlin Stephan III. 1399.

von Sponheim, Gemahl. Friedrich I. 1416, von Flandern, Gem. Ruprecht II. 1358. Ernst 1409. 1428. Ferdinand 1590. Ferdinand Maria 1658. Friedrich I. Pfalzgraf um 1166.

I. von Landshut 1376.

I. Kurfürst 1454. 1463.

II. Kurfürst 1508. 1510. 1532. 1549. Georg der Reiche 1490.

Heinrich der Zänker 970. » VI. 1045. » IX. 1125. » XI. 1160. 1172.

» I. von Niederbayern 1255. 1256. 1281.

II. 1318. 1322. 1326. 1333. » III. 1314. 1317. 1322. 1331. 1333. » der Reiche von Landshut 1448. Helika, Gemahlin Pfalzgraf Otto I. 1166.

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Das Geheimniss des Höckl'sclien Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 263

Johann II. von München 1376.

> von Neumarkt 1418. 1426.

» HL von Straubing-Holland 1425.

» IV. von München 1460. Karl Ludwig Kurfürst 1659. Karl II. von Sponheim 1543. Judith, Gem. Stephan I. von Niederbayern 1307. Leopold 1140.

Ludmilla, Gem. Ludwig I. 1233. Ludwig I. der Kelheimer 1190. 1224.

» II. der Strenge 1280.

» III. von Niederbayern 1295.

> IV. Kaiser 1306. 1311. 1314. » V. der Brandenburger 1346. i VI. der Römer 1347. 1355.

» der Bärtige von Ingolstadt 1399. » III. Kurfürst 1416.

» der Höckrichte von Ingolstadt 1427. 1434. » der Reiche von Landshut 1457. 1458. 1477. » I. von Veldenz 1453.

> IV. Kurfürst 1483.

> V. » 1508. » VI. » 1583.

Mainhard von Brandenburg 1361. Margaretha Maultasch 1354.

» von Brandenburg, Gem. Stephan II. (mit der Fibel) 1377.

> Gem. Ludwig d. Höckrichten 1446. Max I. Kurfürst 1606. 1628. Max Emanuel 1680. Otto I. der Aeltere 1179.

» VTI. Pfalzgraf 1207.

» II. 1224. 1233. 1240.

» III. von Niederbayern 1295.

» IV. » * 1322. 1326.

» V. » Brandenburg 1363. 1379. Otto von Mosbach 1490.

Ott Heinrich, 1535 Gemeinsiegel. Kurfürst 1535. 1594. Philipp I. Kurfürst 1483. 1486. 1489. 1490.

264

Löher

Philipp II. 1535 und Gemeinsiege! mit Ottheinrich 1535- Philipp Ludwig Kurfürst 1611. Philipp Wilhelm Kurfürst 1656. Rudolf I. Kurfürst 1306. 1307.

» n. » 1329. 1334. 1338. Ruprecht I. Kurfürst 1334. 1358. 1367. II. » 1358. 1367.

> III. Kaiser 1399. Sigmund 1460. 1473. 1473. Stephan I. 1295 Gemeinsiegel. 1296. 1308.

» II. (mit der Fibel) 1357. 1364.

» III. 1399. 1404. Weif 1101.

> in. ii83.

Wilhelm m. 1409. » IV. 1509. V. 1580.

Wolfgang Wilhelm Kurfürst 1615.

Es liegt nahe, wcsshalb die bayerischen Fürsten besonders be- dacht worden, und sie bilden deshalb auch hier eine Gruppe für sich. Nur die Siegel aus neuerer Zeit, weil sie am häufigsten in den bayerischen Archiven vorkommen, fanden eben deshalb noch keine Aufnahme. Vollständigkeit in dieser Gruppe wird erst dann erreicht, wenn der ganze Stammbaum des Hauses Wittelsbach ver- treten ist.

5. Andere deutsche Fürsten.

Anhalt, Bernhard 1320. 1531. Böhmen, Friedrich um 1197.

Brandenburg, Johann 1273. Heinrich 1310. Ludwig der Bran- denburger 1338 Braunschweig, Otlo 1323. Rurgund, Karl 1526. Görz, Heinrich 1447.

Hessen, Heinrich 1296 Geg.-S. Hermann 1399. Philipp 1531.

Hohenzollern, Burggrafen. Conrad 1235. 1240. 1246.

Friedrich 1246. 1257. Elsbcth von Meran 1265. Conrad 1278. Friedrich 1296. Johann 1296. 1298. Agnes von Hol- lach 1299. Helene von Sachsen 1302. Friedrich, Gerichts-S. 1320. Conrad Gemein.-S. 1332. Johann 1333 Gem.-S. 1342.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 265

Elsbeth von Henneberg 1342. Sophia von Henneberg 1367. Margareta von Kärnthen 1343. Albrecht 1348. Johann 1348. Albrecht 1357, Ger.-S. 1358. Friedrich 1357. 1360 Ger.-S. 1364. 1369 Reit.-S. Johann 1374. Elsbeth von Meissen 1375. Friedrich 1390. 1395 Reit.-S. 1397. 1398. 1398. Johann 1405. Elisabeth von Bayern 1410. 1434.

Kurfürsten. Albrecht 1486. Friedrich, ohne Jahrzahl. Georg 1535. Kärnthen, Ulrich 1257.

Lothringen, Friedrich 1292. 1292. Nikolaus 1471. 1471. Renatus 1489. 1489. Anton 1534. 1534. Karl 1546. 1546.

Meran, Hermann Markgraf von Banz 1071. Otto Herzog 1223.

Nassau, Anna 1334. Gerlach 1310. 1328. 1329.

Oesterreich, Leopold um 1200 Reit.-S. 1203 Reiter-Doppel-S. Agnes 1248. Albrecht Graf von Habsburg 1281 Reit.-S. Elsbeth 1282. Albrecht 1294 R.-S. Friedrich 1312 desgl. Otto 1337 desgl. Albrecht 1337. Rudolf Münz-S. ohne Jahr. 1359 R.-S. 1362 R.-S. Albrecht 1383. Leopold 1408. Al- brecht 1420. 1459. Ferdinand 1523. Maria Theresia 1749.

Pommern, Anna 1374. Swantibor Stettin 1399.

Reuss, Vogt von Plauen, Heinrich 1257. Heinrich 1294. 1309. 1335.

Sachsen, Adelhaid 1180. Albrecht 1273. Rudolf 1308 Gem.-S. 1310 desgl. Ernst 1486. Johann 1531. Johann Friedrich der Aeltere 1553, der Mittlere 1553, der Jüngere 1553. Friedrich Wilhelm 1586.

Schlesien, Agnes 1338.

Schwaben, Friedrich 1166. Heinrich 1220.

Schwarzburg Heinrich 1375 Gem.-S. 1298 R.-S. Heinrich 1741.

Thüringen, Friedrich 1347. 1376. Margaretha 1374.

Slavonien, Margaretha 1357.

Tyrol, Albrecht 1263. Albrecht, Vogt v. Aquileja 1263. Margaretha 1363. Württemberg, Ludwig 1445.

Auch für diese Gruppe kam es meistens nur darauf an, ob sich gerade Gelegenheit fand, ein schönes oder seltenes Siegel zu erwerben. Der Letzteren sind nicht wenige. Vollständigkeit wurde nur einiger- massen bei den Häusern Habsburg und Hohenzollern in's Auge ge- fasst. Die Sammlung kann nicht entfernt alle deutschen Fürsten- siegel besitzen : wohl aber sollen nach und nach diejenigen beschafft werden, deren Inhaber einst hervorleuchteten.

266

Löher:

6. Kardinäle und Legaten. Heinrich von England 1427. Johann Jakob von Parma 1473. Theodor von Montferrat 1473. Beatini 1473. Latinus Ursinus 1473. Georg von Ostia 1473. Johann von S. Lucia, ohne Jahreszahl. Markus von Aquileja 1474. Franz von Gonzaga 1477. Roderich von Albano 1477. Pileus Campeggio 1479. P. v. Campofregoso 1492. St. Eustach von Siena, ohne Jahrzahl. Cirio von Benevent 1492. Georg von Portugal 1492. Olivier von Neapel 1493. Campeggius 1524. Caspar Campeggio 1541. Ludwig Madruz von Trient 1613.

Nur aus dem fünfzehnten Jahrhundert treten hier Kardinäle auf und je einer aus den beiden folgenden Jahrhunderten, während aus allen Epochen, wo päbstliche Legaten und Kardinäle unheilvoll oder heilvoll auf Deutschland einwirkten, die Bedeutenderen darunter müssten vertreten sein.

7. Patriarchen Erzbischöfe und Bischöfe.

Aquileja, Patriarch Ludwig 1438.

Augsburg, Heinrich 1505. Christoph 1529.

Bamberg, Eberhard 1040. Hartwig 1054. Otto 1139. Ekberl

1224. Wülfing 1308. Johann 1313. Albrecht 1399. Wei-

gand 1535.

Eichstädt, Kunrad 1157. Bertold 1357. 1361. Friedrich 1397.

Wilhelm 1477. Freysing, Emicho 1301. Philipp 1512. 1524. Halberstadt, Albrecht 1328. Köln, Engelbert 1225. Wilhelm 1356.

Mainz, Konrad 1189. Heinrich Gerlach und Johann, ohne Jahrzahl. Berthold 1486. Albrecht l516. Sebastian 1555. Wolfgangl595.

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Das Geheimnis» des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 267

Newburg, Engelhard 1225.

Pas sau, Reginhard 1139. Manegold 1215. Otto 1257 Gem.-S.

Leonhard 1432 Gem.-S. 1445. Wolfgang 1542. 1557.

Ernst 1527. Urban 1563. Prag, General vikar 1518.

Regensburg, Hartwig 1161. Kuno 1174. Konrad 1201. Seyfried 1228. 1238. Albrecht 1253. Nikolaus 1314. Johann von Moosburg, ohne Jahrzahl. Friedrich 1344. 1357. Johann 1426. David 1569. Franz Wilhelm 1649 Doppel-S. Salzburg, Konrad 1136. Eberhard 1161. Ekkehard 1246. Richard

1314. Ortolf 1341. Johann 1437. Speyer, Mathias 1472. Trier, Johann 1486. Würzburg, Embricho 1130.

Unter den bayerischen Bisthümern sehen wir hier zum Glück drei der ältesten ausgezeichnet, nicht minder das wichtigste unter den Erzstiflen. Fehlen aber sollte keines der Stifter und Erzstifter Deutschlands, und von wenigstens einem geistlichen Kurfürstensitz und zwei Bisthümern sollte wo möglich die ganze Reihe der In- haber zu vervollständigen sein.

8. Aebte. Benediktbeuern, Heinrich 1257. Birkenfeld, Anna 1370. Eichstädt, St. Walburg, ohne Jahrzahl. Himmelskron, Anna 1373. Kempten, Johann Adam 1598. Klattau, Wilhelm 1415. Molk, Albrecht 1449. Neu bürg, Margaretha 1518. St. Lambert, Johann, ohne Jahrzahl. Sonnefeld, Äbtissin 1260.

Sodann Pröbste von Schwabecke 1294, Solenhofen 1229, Spalt 1228, und ein Franziskaner Provinzial ohne Jahreszahl.

Bei der Menge der Klöster darf man sich begnügen, wenn nur die wichtigsten sich zeigen. Jedoch d iejenigen Aebte, welche sich in der Geschichte einen Namen gemacht haben, sollten wenigstens einmal vorkommen.

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268

Löher

9. Hochmeister. Tempelherren 1168. Deutschherren 1324.

Nur ein glücklicher Zufall führte das erstere Siegel her. Aus den Siegeln des deutschen Ritterordens und der einst in Deutschland be- güterten Tempelherren, sowie der später auch nach Deutschland versetzten Malteser, ist noch reichlich der Sammlung beizusteuern.

10. Hoher und niederer Adel.

In dieser zahlreichen Gruppe sind zur Zeit 225 Geschlechter vertreten, und zwar mit ganz wenigen Ausnahmen nur Deutsche.

Vorzugsweise finden sich viele, die jetzt untergegangen, aus dem dreizehnten und Anfang des vierzehnten Jahrhunderts.

Ein unbekanntes und zweifelhartes Siegel mit der Jahreszahl 1096 abgerechnet sind die ältesten Ott von Lohdeburg 1186, Lud- wig von Oettingen um 1190, Hartmann von Dillingen um 1194, Konrad von Piayen um 1200. Schon das fünfzehnte Jahrhundert ist weniger beachtet. Aus dem sechszehnten zeigen sich in der Sammlung einige wenige Siegel, aus dem siebzehnten bloss eines.

Meist ist von jedem Geschlecht nur ein Siegel da, die Dietrich- stein von 1327 bis 1594 zählen jedoch 27, die Ortenburg 13, die Sponheim 12, die Toerring 7, die Abensberg 4.

Es kann nun nicht Absicht sein, vom ganzen deutschen Adel Siegel zusammen zu bringen, nur die geschichtlich berühmtesten Namen dürfen in einer solchen Sammlung mitzählen. Insbesondere ist bei der Vervollständigung der Sammlung darauf zu sehen, von ein paar Geschlechtern eine ununterbrochene Folgereihe der Siegel zu erhalten, vom ältesten bis zum jüngsten, um die Veränderungen anschaulich zu machen, die im Laufe der Zeiten auch die Siegel betrafen.

11. Städte.

Es sind vorzugsweise Siegel von Reichsstädten, die aus Bischofs- und Fürstenstädten bilden nur ein Drittel. Das älteste Siegel ist ein Würzburger 1211 J Regensburg, München, Weissenburg, Nördlingen, Weilheim reichen mit ihren Siegeln ebenfalls noch in die erste Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zurück.

Da überhaupt erst 39 Städte vertreten sind, so hat hier der Sammlerfleiss noch viel zu thun, um diese kulturgeschichtlich frucht- barste Entwicklungsreihe nur einigermaßen darzustellen.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallahgusses von Siegeln u. Medaillen. 269

12. Weltliche Genossenschaften.

Wie mannigfach lehrreich sich diese Gruppe gestalten lässt, zeigt das Beispiel der sechszehn Zünfte zu Speyer, deren Siegel sämratlich vorhanden sind und zwar aus den Jahren 1327 oder 1352. Alle andern Korporationen warten noch auf Vertretung.

13. Geistliche Genossenschaften.

Die Domkapitel von Augsburg 1221, Bamberg, Eichstädt, Mainz, München, Passau, Regensburg 1228, Salzburg, Speyer, die Dekane der Domkapitel in Bamberg 1251 und Passau die Konvente von drei Klöstern in Augsburg, von je zwei in Regensburg und Hof, femer von Eberbach, Himmelsthron, Kempten, Klattau, St. Zeno die Bruderschaft in Landskron, zwei Sponheimer Canonici in Aachen 1314 und Mainz, ein anderer zu Regensburg 1259, ein Pfarrer von Taitbach 1302, das sind die noch wenig zahl- reichen Siegel in dieser Gruppe. Jedoch haben wir darin die Siegel von 13 Regensburger Domherrn beisammen, nämlich des Probstes, Scholasters, Dekans, Archidiakonus, des Cu.stoden und der Canonici, und zwar sämmtlich aus dem frühen Jahr 1228.

14. Gelehrte.

15. Künstler.

16. Sonst historisch merkwürdige Personen.

Aus diesen drei Gruppen findet sich Manches unter den. Me- daillen, nicht unter den Siegeln, und gerade hier möchte es sich lohnen, eigentümliche und seltsame Siegel zur Kennt .niss von Per- sonen und Epochen zu vereinigen.

II. Medaillen.

Wohl darf man die Frage aufwerfen, ob Medaillen in's Archiv gehören? Gewiss nicht, wenn man Annalen und Chroniken da- von ausschliesst. Denn was sind Medaillen? Es sind münzähnliche Zeugnisse von geschichtlichen Thatsachen in Erz. Wer aber Annalen und Chroniken im Archiv bewahren will, muss auch Medaillen darin herbergen lassen; denn eine Medaillen-Sammlung ist nichts anderes, als eine verkürzte Zusammenstellung von Dokumenten in Erz über geschichtliche Persönlichkeiten, Handlungen, und Zustände. Vergleicht man aber Siegel und Medaillen in Bezug auf den Beruf der Archive,

270 l^h":

so springt sofort die viel grössere Bedeutung der Siegel in's Auge. Siegel sind integrirende Bestandteile der Urkunden, Abgüsse von Siegeln gehören also nirgendwo anders hin, als in's Archiv. Immer- hin dienen auch Medaillen dazu, Geschieht liches und insbesondere Portraits und Jahreszahlen festzustellen.

In's Reichsarchiv sind einmal mit den Röckl'schen Sammlungen auch seine Metallabgüsse und Gipsformen von Medaillen gekommen, der Abgüsse waren freilich nur etwas über hundert, der Formen fast vierzigmal so viele. Unter ihnen finden sieh in Menge die herr- lichsten Stücke, die für die Kunstgeschichte, aber auch für das Studium des bildenden Künstlers das höchste Interesse haben.

In den folgenden Verzeichnissen können jedoch nur so viele und solche Medaillen namhaft gemacht werden, als geeignet sind, an- nähernd eine Vorstellung vom Reichthum und Werth der Sammlung zu geben. Verdienstmedaillen, Jubiläums- oder Bürgermeister-Me- daillen und andere unwichtige Stücke sind ausgelassen.

I. Kaiser, Könige und regierende Fürsten.

Bayern, Albert III., Albert IV. und Maria, Sigmund Albert, Wil- helm V., Max Emanuel, Max Joseph und Karoline: Besuch der Münze. Wilhelm Herzog und Maria Anna. Friedrich V. und Elisabeth, Johann Wilhelm, Johann Anton, Ludwig und andere pfalzische Kurfürsten.

Brandenburg, Friedrich Wilhelm: Schlacht von Fehrbellin.

Cleve, Johann 1449.

Dänemark, Christian IV., V., Friedrich Christian.

Deutsches Reich, Kaiser Friedrich III., Karl V. Dessen Gemahlin Isabella. Ferdinand I. Dessen Gemahlin Eleonore. Max II. Mathias und Anna. Karl VII. und Maria Anna.

England, Karl II. Maria, Elisabeth. Viktoria.

Frankreich, Heinrich IV. Ludwig XII. und Gemahlin. Ludwig XIV. Ludwig XVI. und Maria Antoinette. Maria Augusta. Lud- wig XVIII. Napoleon I.: Frieden von Schönbrun, Einfüh- rung der Posten, Stiftung eines Ordens, Einschiffung auf dem Bellerophon, Landung zu Boulogne, italienische Feld- züge, Schlachten von Marengo, Smolensk, Moskau. Josephine.

Moden a, Leonellus von Este.

Moldau, Sturdza.

Navarra, König Anton und Elisabeth.

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 271 Neapel, Königin Karoline.

Niederlande, Max und Maria von Brabant. Statthalterin Marga- retha. Wilhelm HL

Oesterreich, Maria, Kaiser Karl V. Toehter. Ferdinand und Maria. Rudolf und Max. Verlobung von Franz Joseph und Elisabeth.

Oranien, Wilhelm.

Orleans, Familie.

Polen, Johann III. Maria Kasimira Katharina. Sigmund II.

Preussen, Friedrich der Grosse. Prinz Wilhelm: Verlobung mit Maria. Friedrich Wilhelm IV. : Huldigung, Trauung, Erwäh- lung zum Kaiser 1848.

Russland, Peter der Grosse. Nikolaus I.: Krieg mit der Türkei, Friede mit der Türkei, Gründung der Sternwarte.

Sachsen, Johann Friedrich. Bernhard: Einnahme von Breisach.

Schottland, Maria Stuart.

Schweden, Gustav Adolf und Eleonore. Desselben Siege, desselben

Tod. Karl Gustav: Uebergang über den Belt. Spanien, Philipp II. Karl III.

Toskana, Medici: Cosmo I. Maria Magdalena. Violanta Beatrix. Türkei, Mahmud Padischah. Ungarn, Ludwig und Maria. Venedig, Christoph Mauro. Memmo. Württemberg, Maria Herzogin (Jeanne D'Arc).

2. Geistliche Fürsten und andere Geistliche.

Abt Hofmann von Admont. Benediktbeuren. Calvin und Alasko. Jaroslaw, Wallfahrtskirche. Landshut, Grundsteinlegung der Jesuiten- kirche. Krakau, Bischof Peter Myskowsky. Luther. Mainz. Albrecht von Brandenburg. Melanchthon.

Päpste. Pius V. Dominikaner-Orden, Clemens XI.: Fabianskirche.

Leo XII.: Capella subterranea. Pius IX.: Immaculata conceptio. S a von arola. Würzburg, Julius Echter.

3. Adelige und andere Personen.

Albano. Alfieri. Aretino. Bacon. Beranger. Bernini. Boccac- cio. Bramante. Burckmaier. Vittoria Colonna. Cornelius. Davalos d'Inigo. Eck. Fanny Eisler. Erasmus. Euler. Ferguson. Freunds- berg. Göthe. Charlotte von Hagen. Hanemann. Holzschuher und

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272

Löher :

Gemahlin. Jamnitzer. Keppler. Kreller. Lafayette. Lassaulx. Leuch- tenberg. Jenny Lind. Linne. Liebig. Mansfeld. Magliabechi. Mauro- michalis. Metternich. Michel Angelo. O'Gonnel. Oefele. Ortenburg. Paracelsus. Paumgartner. Peutinger. Pyrcker. Radziwil. Raphael. Herzog von Reichstadt. Gräfin Reifferscheid. Rubens. Schiller. Schwind. Sickingen. Tetzel. Thorwaldsen. Wallenstein. K. M. v. Weber. Welser. Westenrieder. Zamoysky.

4. Orte und Länder.

Adrianopel, Einnahme. Aegypten, gelehrte Expedition dahin. Antwerpen, Belagerung durch die Franzosen. Bayern, landwirtschaftlicher Verein. Belgien, Revolution von 1830. Brüs- sel, Industrie-Ausstellung. Göln, Dom. Dornik, Kirche. Elbing, Stadt-Jubiläum. Gent, Rhetorische Gesellschaft. Graz, Versammlung der Naturforscher u. Aerzte. Hof, Studienanstalt. Kaiserslautern, Medaille für Gewerke. Liverpool, Rettung. London, Industrie- Ausstellung, Paulskirche. Loewen, Kirche. Mecheln, Kirche. Mün- chen, Akademie, Monument König Ludwig. Navar in, Seeschlacht. Nürnberg, Dürer und Beheim, Schützenfest. Paris, Notre-Dame, Erstürmung der Bastille, Juli-Revolution, Industrie-Ausstellung, Obe- lisk v. Luxor, Attentat auf Louis Philipp, Erlöschung der Cholera. Polen, Revolution. Prag, Brücken thurm. Rom, Kapitol, Kirchen, Kolosseum, Errichtung der Klöster, Wasserleitung. Turin, Empfang Karl Albert's. Venedig, Eisenbahnbrücke, Leuchtthunn. Versailles, Museum. Wien, Bibliothek, Kongress.

III. Amtsstempel.

In das Reichsarchiv ist aus den letzten drei Jahrhunderten eine ausserordentliche Menge von Amts - Stempeln der verschiedensten Stellen und Behörden aus dem jetzigen bayerischen Gebiete zusammen- gekommen. Sie dienen dazu, erforderlichen Falls die Aechtheit eines amtlichen Siegels zu prüfen.

IV. Siegel an Urkunden.

Vielleicht ist das Reichsarchiv zu München bei seiner halben Million Einzelurkunden die siegelreichste Anstalt in Europa. Die fünftausend Adelsgeschlechter, die Menge der fürstlichen Territorien, Reichsstädte, Bisthümer, Klöster, Ritterbünde und Orden, deren

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Das Geheimniss des Röckl'schen Metallabgusses von Siegeln u. Medaillen. 273

Dokumente in diesem Archiv niedergelegt sind, haben sie mit Siegeln wohl versehen. Dazu kommen noch die anderthalb hunderttausend Urkunden in den acht bayerischen Kreisarchiven, nicht gerechnet die im Geh. Haus- und Staatsarchiv befindlichen. Aus dieser grossen Zahl und Mannigfaltigkeit lässt sich nicht wenig hervorsuchen, was trefflich zur Ergänzung der Abgusssammlung dient. Bereits sind zu diesem Zwecke so viele Siegel vorgemerkt, dass der Vorrath für die nächsten Jahre ausreicht.

Die bayerischen Archive aber werden stets auch andere wissen- schaftliche Anstalten und Sammler an diesen Schätzen durch Nach- bildung Theil nehmen lassen.

V. Wie Abgüsse aus München zu erwerben.

Gleichwie diese Veröffentlichung den Zweck hat. das Ganze des Röckl'schen Abgussverfahrens zum Gemeingut der wissenschaftlichen und Künstler- Welt zu machen, so ist auch das Reichsarchiv gern bereit, Exemplare seiner Abgüsse von Siegeln und Medaillen an die Anstalten für Wissenschaft, Kunst und Kunstgewerbe zu übermitteln, sowie Abgüsse von eingesendeten oder im Bereich der bayerischen Landesarchive befindlichen Siegeln für Andere herstellen zu lassen.

Die Art und Weise ist folgende:

1) Man wendet sich an das Reichsarchiv und bezeichnet die Abgüsse, von denen man Exemplare, oder die Siegel, von denen man Abgüsse wünscht.

2) Sind es eigene Siegel, so können sie ebenfalls an das Reichs- archiv zum Abgiessen in Metall eingesendet werden.

3) Das Reichsarchiv wird sodann dem bei ihm angestellten For- mator die nöthigen Anweisungen crlheilen.

4) Was die Kosten betrifft, so fallen die Ein- und Versendungs- kosten dem Besteller zur Last, und hat er für Formen, Giessen, und Material bei Bestellungen von Abgüssen in Erz im Gesammtgewicht von 1 Pfund und darüber für das Gramm 6 Pf., bei geringeren Bestellungen für das Gramm 8 Pf. zu vergüten. Für blosse Gips- abgüsse aber von Siegeln und Medaillen werden je nach der Grösse der Aufträge 1 M. 20 Pf. bis l M. 50 Pf. für das Stück in Ansatz gebracht.

Die grössere oder geringere Schwierigkeit des Gusses selbst bleibt dabei ohne allen Einfluss.

Um sich zum Voraus über diese Preise zu orientiren, wird be-

ArchlralUche Zeitschrift. III. 18

274 Löher: Das Geheimniss d. Röckl'schen Metallabgusses v. Siegeln u. Medaillen.

merkt, dass das Reichsarchiv an Röckl für einen Metallabguss der Kaiser- siegel a) von Karl d. Gr. bis auf Heinrich II. und von Heinrich VI bis Otto IV. durchschnittlich 5 Gulden zahlte; b) von Konrad II. bis Friedrich I. 6 oder 7 fl. ; c) von Rudolph von Hab?burg bis Karl IV. 8 fl. ; d) von späteren Kaisern 10 fl. ; e) von einem Erzabguss von Siegel- fragmenten für den einen nur 1 fl. und für den anderen 4 fl. gezahlt hat. Nach Gewichtsschätzung kommt die Rechnung anders zu stehen. Die Erzabgüsse der Siegel von Karl dem Grossen bis Otto I. wiegen nur 40 bis 60 Gramm. Von Otto II. an wiegen einige 80 Gramm, die meisten aber 120 bis 160, nur von Heinrich IV. und Ludwig dem Bayer giebt es einige Siegelabgüsse von 200 Gramm und darüber. Von Maximilian II. an hält sich das Gewicht in der Regel von 200 bis 250, einige wenige kommen auf 400. Die Doppelsiegel aber von Sig- mund, Albrecht, und Mathias erreichen ein Gewicht von 420 bis 930 Gramm.

5) Falls gewünscht wird, dass der technische Sachverstän- dige von München anderswohin komme, sei es um Unterricht zu ertheilen oder dort befindliche Siegel abzugiessen, so kann auch das ge- schehen, insoweit er durch seine Arbeiten an andern Orten nicht zu lange seinen Verpflichtungen am Reichsarchiv entzogen wird. In diesem Falle ist ihm, wenn er Unterricht zu ertheilen hat, das Honorar wie oben (im Kap. 2 unter Ziffer X, 2) angegeben, ferner für besondere Metallabgüsse die vorher (unter 4) bezeichnete Material - Entschädi- gung, endlich für die Reise ein Taggeld von 9 M. sowie Bahngeld zweiter Klasse und Gepäckfracht zu vergüten.

6) Von jedem Erzgusse eines Siegels oder einer Medaille steht dem Reichsarchiv zu München frei, seinen Sammlungen ein Exem- plar einzuverleiben.

VI. Oeflfentliche Bitte.

Zum Schlüsse erlaube ich mir, an Archive, Bibliotheken, Museen und Private die Bitte zu richten, das Reichsarchiv auf solche Siegel in ihrem Besitze aufmerksam zu machen, welche vorzugsweise dazu dienen, die Münchener Sammlungen in der Weise, wie oben (zu Anfang des Kap. 3) angegeben, zu vervollständigen. Werden auf Ersuchen alsdann Siegel oder Urkunden an das Reichsarchiv zum Abguss geschickt, so trägt dasselbe die Ein- und Rücksendungs- Kosten.

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XIV. Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

Kritische Studie von

Dr. August Sehäffler,

königl. Kreisarchivar in Wirzburg.

Im k. b. Kreisarchiv zu Wirzburg wird als sogenanntes Wirz- burger Standbuch Nr. 272 ein Pergamentcodex mit 141 (neu bezif- ferten) Blättern in Folio verwahrt. Schon bei einer flüchtigen Be- trachtung wird man gewahr, dass derselbe kein einheitliches Ganzes ist, sondern aus drei, durch Inhalt, Entstellungszeit, Art und Format des Pergaments wesentlich von einander verschiedenen Theilen besteht, die erst im 15. oder 16. Jahrhundert zusammengebunden worden sind.

Der erste, älteste Theil (jetzt Blatt 4— 98r), zu Ende des 13. Jahr- hunderts geschrieben, enthält Kopien von hochstiftisch wirzburgischen Urkunden aus den Jahren 788 bis 1278, die jedoch nicht sonderlich genau gefertigt sind. Im zweiten Theile (jetzt Blatt 100 107) ist von einer Hand des 15. Jahrhunderts ein »Directorium privilegiorum »imperatorum et regum in hoc libro contentorum et descriptorum« und dazu ein »Directorium episcoporum empeionum, vendicionum, »contracluum et commutacionum successive factorum«, beide in alphabetischer Reihenfolge, zu finden, während der dritte Theil (jetzt Blatt 108 141), ebenfalls von einer Hand des 15. Jahr- hunderts geschrieben, ein Repertorium des im Jahre 1407 auf dem Schloss Marienberg ob Wirzburg eingerichteten hochstiftisch wirz- burgischen Urkunden-Archives enthält.

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276

Schäffler:

Weil dieser Codex im ersten, im Haupttheile, Privilegien enthält und in weisses Schweinsleder gebunden ist, hat er in späterer Zeit den Namen erhalten, der heute noch auf seinem Rückenschilde prangt: »über albus privilegiorum«. Darin ist nun auf dem früheren zweiten Vorsetzblatle Seite 2 und auf dem dritten, Seite 1 und 2 des ersten und ältesten Theiles (jetzt Blatt 2r— 3') ein Katalog der Wirzburger Bischöfe bis zum Tode des Bischofs Christoph Franz von Hutten (f 1729) eingeschrieben. In der Handschrift steht »Kathalogus . . . episcoporum Herbipolensium« als Ueberschrift, und zwar von der Hand aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, die den ältesten Theil schrieb.

Die Verschiedenheit der Schriften kennzeichnet den Katalog als das Werk Mehrerer, als eine Aufzeichnung, die nicht in einem Zuge und nicht in einer Zeit entstanden. Eine Hand aus der Zeit um 1350 trug zuerst Notizen über den hl. Kilian und die Bischöfe Burkard bis Emehard (bis 1105, beziehungsweise bis 1104) ein. Mehr als hundert Jahre blieb dieser Katalog, wie er war. Niemand setzte ihn fort dass eine Hand aus dem ersten Drittel des fünf- zehnten Jahrhunderts unter den ersten Eintrag über den Martyrertod des hl. Kilian schrieb: »anno MCCCCXXV erant DCC et XXMI anni«, und nach dem letzten Eintrag über Bischof Emehard beifügte: »iste fuit comes de Rotemburg« ist doch wohl nicht als Fortsetzung zu bezeichnen. Erst unter Bischof Johann von Grumbach (1455 bis 1466) machte sich ein Beamter der hochstiftisch wirzburgischen Kanzlei, wo der über albus privilegiorum verwahrt wurde, daran, eine Fortselzung zu liefern. Dürftig genug ist, was er bietet. Bischof Rupert ist gar nicht erwähnt ; von Bischof Erlung bis Johann von Grumbach sind die blossen Namen der Bischöfe eingetragen. Dazu hat eine andere Hand, gleichfalls aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, hinter die Namen : Andreas de Gundelfingen, Got- fridus de Hoenloch und Albertus de Hoenloch das Wörtchen »baro«, vor den Namen Gerhardus de Swartzburgk das Wörlchen >comes« und hinter diesen Namen: »obiit anno domini MCCCC° IIIÄ post Martini«1), hinter den Namen: Gotfridus Schenck de Limpurg

') Nach dieser Notiz wäre Bischor Gerhard feria terfia post Martini, also am 1<5. Noveniher 1400 gestorben. Üiess ist unrichtig; er starb laut der noch erhaltenen Grabsteiuumschrifl im Dom zu Wirzburg und nach einem offiziellen Eintrag im Uber feudorum Johannis de Eglofstcin (St.-B. Nr. 353) fol. 1 im Jahre 1400 feria tercia ante diein st. Martini, also am 9. Nov. 1400. J. O. Salver gibt

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Der älteste Wirzburger Bischofskalalog.

277

die Bemerkung: »baro et Semper frei« und endlich hinter dem Namen: Johannes de Grumbach die Notiz: »vixit XI annos« eingezeichnet. Sechs verschiedene Hände aus dem 15., 16., 17. und 18. Jahr- hundert führten dann diese einmal begonnene Fortsetzung weiter. Bei Rudolffus de Schernberg ist dessen Todestag und die Zeildauer seines Pontificates und darunter in Zeilen ein Panegyricus auf diesen vortrefflichen Kirchenfürslen eingetragen. Hinter den Namen Laurencius de Bibra ist Tag, Monat und Jahr der Wahl eingeschrie- ben, von dessen Nachfolger jedoch, Conradus de Tüngen, nichts als der blosse Name. Von Conradus de Bibra bis Philippus Adolfus ab Ehrnberg ist das Jahr der Wahl und das Jahr des Todes, hinter Johannes Philippus de Schimborn das Wörtchen »Vivat!« und darnach Tag, Monat und Jahr seiner Wirzburger Bischofswahl und dass er im Jahre 1647 auch Erzbischof von Mainz geworden, und endlich von Johannes Ilartmannus a Rosenbach bis zum letzt eingetragenen Christopherus Franciscus ab Hutten (f 172D) mehr oder minder voll- ständig Zeit der Geburt, der Wahl, d«s Todes eines jeden Bischofs vermerkt.

Schon aus diesen kurzen Andeutungen wird man entnehmen, wie wenig Ausbeute dieser Bisehofs-Kalalog verspricht, wenn man auf die Einträge aus dem 15. bis 18. Jahrhundert ein Hauptgewicht legt. Und weil eben diese späteren Fortsetzungen, die sichtlich nicht systematisch sondern nur gelegentlich und dazu nicht einmal von den berufensten Händen gemacht wurden, so unendlich dürftig sind: so hat man wohl auch dem ersten Theile dieses Katalogs, den um 1350 eingeschriebenen Notizen, bisher nicht die rechte Beachtung geschenkt.

Ich jedoch lasse all' die Forlsetzungen bei Seite und mache nur den ältesten Katalogtheil bis zum Jahre 1 105 zum Gegenstand meiner Untersuchung. Den Wortlaut der Einträge, der nun folgen sollte, führe ich absichtlich hier nicht an, sondern erst am Schlüsse meiner Arbeit in der Rubrik I der Beilage. Ich thue es desshalb, damit die volle Fassung jedes Eintrages dem Leser bei den nöthig werdenden Vergleichungen stets am passendsten zur Hand liegt. Um diese

in seinen »Proben des hohen Teutsehen Reichs-Adels« S. 249 an, es stünde auf dem Grabstein: feria tercia in die saueti Martini. Das ist ein Lesefehler. Auf dem Grabsteine steht: afi die = ante diem. Stunde auf demselben, was Salver drucken lässt, so müsste im Jahre 1400 der Martinstag auf einen Dinstag gefallen sein, wahrend er auf einen Donnerstag fiel.

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278

SchäfTler :

Vergleichungen und die Rückweise zu erleichtern, sind auch vor den einzelnen Absätzen des Katalogs fortlaufende Nummern in eckigen Klammern beigesetzt worden.

Es fragt sich nun in erster Linie : Ist dieser Wirzburger Bischofs- katalog, der mit dem Tode Bischof Emehards schliesst, ein Werk dessen, welcher denselben um das Jahr 1350 auf das Vorsetzblatt in dem liber albus privilegiorum eingeschrieben oder nicht?

Ganz abgesehen davon, dass kein rechter Grund zu finden, warum ein Autor aus der Mitte des 14 Jahrhunderts mit Bischof Emehard sein Werk hätte schliessen sollen, da er sich über die Wirzburger Bischöfe des 12., 13. und 14. Jahrhunderts bis etwa zu Otto von Wolfskehl damals doch sicher noch verlässigere und weit ergiebigere Nachrichten hätte beschaffen können als über die Bischöfe der früheren Zeit ist dieser Katalog, wie ich weiter unten im Einzelnen nachweisen werde, von Geschichtschreibern aus dem 12. Jahrhundert so zweifellos benützt worden, dass derselbe schon um desswillen nicht erst im 14. Jahrhundert gefertigt worden sein kann.

Auch daran ist nicht zu denken, dass unser Katalog erst im 14. Jahrhundert aus Geschichtswerken des 12. Jahrhunderts heraus- geschält und in die Form, in der er uns jetzt vorliegt, gebracht worden ist. Wer kannte denn im 14. Jahrhundert in Wirzburg die Chroniken und Annalen des 12. Jahrhunderts, aus denen dieser Bischofskatalog entnommen sein müsste? Sicher Niemand. Und dazu hat unser Katalog Nachrichten, die wir vergeblich bei den Chronisten und Annalisten des 12. Jahrhunderts suchen. Ich ver- weise hier auf Absatz [8] und [25].

Eines muss ich hier jedoch berühren. Ein einheitliches Ganzes, von einem Verfasser in einem Zuge geschrieben, scheint mir der Katalog mit seinen Absätzen [1] bis [25] nicht zu sein. Ich glaube vielmehr: ursprünglich standen nur die Absätze [1] bis [23] und zwar der letzt genannte Absatz in folgender Gestalt: »Adelbero >successit et mansit in episcopatu annos XLV, menses III, dies VII »et obiit II. Non. Octobris anno incarnacionis domini MXG., substi- »tutis tarnen duobus, Meginhardo juniori et domino Einharde«

Die Worte: »in predio patris sui, scpultus in monasterio suo »Lambach, ubi in pace requiescat«, welche sich in unserer Abschrift im liber albus privilegiorum noch finden, halte ich für einen späteren Zusatz. Sie sind ungeeignet zwischen dem Sterbetag und dem

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Sterbejahr Adelbero's eingefügt, tragen nach meinem Dafürhalten den Charakter einer früher am Rande beigeschriebenen, später durch einen Abschreiber in den Text gerathenen Bemerkung an sich, und Exemplare des Katalogs hat es gegeben, in welchen die obigen Worte fehlten; ein Blick in die Annales St. Albani beweist diess.

Auch die Absätze [24] und [25] halte ich für später beigefügt. Deren Inhalt und Diktion sticht wesentlich von denen der früheren Absätze ab. Während in diesen niemals die Zeit des Pontificats- antrittes näher bezeichnet, sondern immer erst durch Rechnung zu gewinnen war, ist selbe in Absatz [24] mit der Angabe des Jahres, in Absatz [25] mit der Angabe von Jahr, Monat und Tag einge- schrieben. Während der Autor, welcher die Absätze [1] bis [23] verfasste, sichtlich bestrebt war, in allen möglichen lateinischen Wendungen die Uebernahme des Pontificats eines jeden Bischofs auszudrücken, sind in den Absätzen [24] und [25] dafür die ganz gleichen lateinischen Phrasen angewendet. Aus dem Wechsel aber des Ausdruckes »anno domini« statt »anno incarnacionis domini« ist hier kein Schluss auf den Wechsel des Verfassers für die Absätze [24] und [25] zulässig; denn anno domini ist auch in den Absätzen [2] und [3] geschrieben.

Wenn aber auch die beiden Absätze [24] und [25] stilistisch ganz gleich abgefasst sind, von einem Verfasser und zu derselben Zeit sind sie nicht nachgetragen. Ein Zeitgenosse kann den Absatz [24] beigefügt haben, den Absatz [25] sicher nicht. In dem letzteren steckt in der Angabe des Sterbejahrs und demgemäss auch in der der Pontificatsdauer ein Fehler, den ein Zeitgenosse wohl nicht gemacht hätte, und dazu kommt, dass Absatz [24] von Geschicht- schreibern des 12. Jahrhunderts benützt worden ist, während sich keine Spur zeigt, dass Absatz [25] in seiner vollen Fassung denselben je bekannt gewesen. Ein bestimmtes Jahr oder auch nur ein bestimmtes Jahrzehnd anzugeben, in dem dieser Absatz [25] unserem Katalog beigefügt worden ist, halte ich für ganz unmöglich; soviel mag aber nach meiner Anschauung behauptet worden können, dass es noch im 12. Jahrhundert geschehen.

Ferner bin ich der Ueberzeugung, dass in unserer Abschrift im Uber albus privilcgiorum , wenn auch stilistisch überarbeitet, doch sachlich der reinste Text des ältesten Wirzburger Bischofskatalogs vorliegt, natürlich nur, was die Absätze [l] bis [23] und letz- teren ohne den oben erwähnten späteren Zusatz anlangt.

280

Schäfller:

Wenn ich sodann noch die Quellen der Geschichtschreiber des 12. Jahrhunderts^ soweit selbe Wirzburger Bischofskataloge gewesen sein können, auf ihren Gehalt und Bestand prüfe und mit der Fassung des Katalogs im Uber albus privilegiorum zusammenhalte, so dünkt es mir nicht unwahrscheinlich, dass der älteste und reinste Text der Absätze [lj bis [23] unsers Katalogs schon zu Anfang des 12. Jahrhunderts und ehe derselbe den Chronisten und Annalisten dieses Säkulums bei ihren Arbeiten vorgelegen, verschiedenartige Erweiterungen erfahren hat, dass also schon frühzeitig mehrere erweiterte Wirzburger Bischofskataloge, die sich aber alle auf der gleichen, alten Grundlage aufbauten, in Umlauf gewesen.

Darf ich im Hinblick auf diese Erweiterungen und auf die spä- tere Beifügung der Absätze [24] und [25] eine Gruppirung der erweiterten und mit Zusätzen versehenen Wirzburger Bischofskataloge versuchen, so entscheide ich mich für folgende:

Die erste Gruppe hat wohl Kataloge enthalten, welche aus den Absätzen [1] bis [23] in der Fassung unserer Abschrift im über albus privilegiorum bestanden.

Die zweite Gruppe hat Kataloge in sich begriffen, welche Absatz [1] bis [24] ganz in der Fassung, wie sie im über albus privilegiorum abschriftlich hinterliegt, zeigten.

Zur dritten Gruppe mögen wohl Kataloge gehören, welche in Absatz [4] den Zusatz: »IV. Non. Febr. den Sterbetag Bischof Burkards , in Absatz [12] den Zusatz, dass Arno »in Saxonia« »inter missarum sollemnia« getödtet worden sei, enthalten haben, aber sonst mit der Abschrift im über albus privilegiorum Absatz [1] bis [23] übereinstimmten. Möglich ist auch, dass in dieser und in der folgenden Gruppe auch in der Angabe der Sterbejahre und der Pontifikatsjahre einzelne Varianten gewesen.

Zur vierten Gruppe dürften Kataloge zählen, welche in den Absätzen [4] und [12] die gleichen Zusätze wie die Kataloge der dritten Gruppe enthielten, in den Absätzen [5], [7] und vielleicht auch [9] »Wirziburct als Sterbeort beigesetzt hatten, in Absatz [19] den Zusatz: »in insula Euboea, et sepelitur in monasterio, quod »dicitur Politica« zeigten, den Absatz [23] in seiner ältesten Fassung, das heisst ohne Angabe des Sterbe- und Bestattungs-Ortes des Bischofs Adelbero, jedoch mit der Tagesangabe aber ohne die Jahresangabe des Pontifikatsantrittes wiedergaben, diesen Absatz [23] auch mit den Worten : »Domnus Adalbero 20U8 post beatum Burchar-

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»dum sacrosanctae Wirziburgensis ecclessiae episcopusc einleiteten und endlich auch noch den Absatz [24] unserer Abschrift aufwiesen.

Von Katalogen der fünften Gruppe wage ich nur das Eine zu behaupten, dass sie Absatz [1] bis [24] unseres Katalogs ent- halten haben, in welcher Fassung und mit welchen Zusätzen lässt sich nur für Absatz [23] feststellen. Derselbe wird flautet haben: »Adelbero vicesimus post Burchardum sacrosanctae Wirciburgensis >ecclesiae episcopus 3. Kai. Julii constitutus, vixit post [acceptum] >episcopatum annos 45, menses 3, die* 7, substitutis tarnen duobus »episcopis Meinhardo iuniore et Emerhardo; obiit 2. Non. Octobris »anno domini 1090 in predio patris sui, sepultus in monasterio suo »Lambach, ubi in pace requiescit«.

Zur sechsten Gruppe zählten die Kataloge, welche die Absätze [1] bis [25] enthielten. Welche sonstige Zusätze Kataloge dieser Gruppe enthielten, lässt sich nicht feststellen. Ich setze selbe dess- halb an letzte Stelle, weil Absatz [25) unter allen Zusätzen wohl der späteste ist.

Von den Katalogen der verschiedenen Gruppen besitzen wir nur mehr die Abschrift eines einzigen im Uber albus privilegiorura. Vielleicht fördert ein günstiges Geschick noch andere zu Tage und bekräftigt meine Aufstellung.

Wer aber an unserem Bischofskatalog bis zum Tode Emehards gearbeitet und, wo derselbe abgefasst wurde, diess mit Sicherheit darzuthun, ist unmöglich. Nahe liegt die Vcrmuthung, dass er im Burkardskloster jenseits des Mains zu Wirzburg entstanden; denn dort herrschte gerade zu Ende des 11. und Anfang des 12. Jahr- hunderts eine gewisse Regsamkeit auf dem Gebiete der Geschicht- schreibung, die nachweisbar ihre Wellen selbst in weitere Kreise trug l). Auch im Stephanskloster zu Wirzburg könnte unser Katalog verfasst sein. Dort sind auch später verschiedene Wirzburger Bischofskataloge geschaffen worden *), und zwar immer auf Grund unseres Katalogs wie ich später an einem Beispiele schlagend nachweisen werde.

Ein Werk der bischöflich wirzburgischen Kanzlei was wohl

') Dr. Hb. Jaffe\ l'eber die Rosenfelder Annalen im Archiv der Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtkunde. Bd. 11, S. 8.r>0 ff.

l) P. Jg. Gropp, Collectio novissima scriptorum et rerum Wirceburgensiuni. Tom. I, S. 817 - 819 : 821- 829 ; 829-831. Dr. W. Schum, die Jahrbücher des Sanct-Albans-Klosters zu Mainz (Göttingen 1872), S. 126.

282

Schäffler :

am nächsten läge ist nach meiner Ueberzeugung der Katalog nicht. Keine Spur deutet darauf hin, dass man sich dort an der Wende des 12. Jahrhunderts irgend wie mit geschichtlichen Dingen beschäftigte. Aber auch ein äusserer Grund bestimmt mich zu der Annahme, dass nur eine Abschrift desselben und zwar erst im 14. Jahrhundert in diese Kanzlei gelangt und in den s. g. Uber albus privilegiorum eingetragen worden ist. Es finden sich nämlich in letzterem von einer Hand, die zeitlich sehr wenig von der verschie- den ist, die den Bischofskatalog der Nachwelt überliefert hat, in unmittelbarer Nähe desselben auf dein ersten Vorsetzblatt Seite 2 (jetzt Blatt T) die Stiftungen Michaels von Löwen für das Neumünster (gedruckt bei Böhmer Fontes I S. 451) und die Karthäuser Regel (1. c. S. 454 und 455) eingeschrieben und dann auf dem zweiten Vorsetzblatt Seite l (jetzt Blatt 2) die Nachrichten über Gründung und Begabung des Klosters Comburg (1. c. S. 451—454). Es sind diess historische Findlinge, deren Geburtsstätte wohl nicht mehr zu erweisen, die aber insgesammt in einer Beziehung zu dem eifrigen Sammler und Historiker Michael von Löwen stehen. Kann nicht auch unser Katalog, der in ihrer Gesellschaft auftritt und, wie be- merkt, von einer Hand eingeschrieben ist, die sich zeitlich so wenig von der unterscheidet, welche jene Notizen eintrug, ein solcher histo- rischer Findling sein, den ein Geschichtsfreund des 14. Jahrhunderts in einem Manuscript, sei es des Burkardsklosters, sei es des Stephans- klosters in Wirzburg, aufspürte? Ja, kann der Katalog nicht erst auf Anregung eben jenes Michael von Löwen, des Protonotars der Wirzburger Bischöfe Otto von Wolfskehl und Albrecht von Hohen- lohe, in den über albus privilegiorum der bischöflichen Kanzlei ein- getragen worden sein? Ich wenigstens halte diess für sehr wahr- scheinlich.

Eine andere Frage, die mir zu beantworten obliegt, ist die, welchen Werth hat nun dieser Bischofskatalog? Im Allgemeinen und im Besonderen ist derselbe zu würdigen.

Als Ganzes betrachtet ist er offenbar von Wichtigkeit. In ihm sprudelt ja eine bisher verborgene geschichtliche Quelle, aus der wie später im Einzelnen dargethan werden soll Geschichtschreiber des 12. Jahrhunderts ihre Nachrichten über Pontifikatszeit und Tod der Wirzburger Bischöfe zum allergrössten Theile geschöpft haben.

Prüft man jedoch die Angaben im Einzelnen, so halten eigent-

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lieh nur die Notizen über die Todes t a?e der Wirzburger Bischöfe, und auch diese nicht alle, vor der Kritik Stand. Selbe sind wohl in erster Linie damals noch vorhandenen Memoriensteinen und Grab- steininschriften im Wirzburger Dome und dann älteren, jetzt leider verlornen Wirzburger Nekrologicn entnommen, Nekrologien, von deren früherem Vorhandensein das Wirzburger Standbuch Nr. 5, der Liber copiarum A, das sog. Corpus Regulae1) des Wirzburger Domstifles im kgl. Kreisarchive zu Wirzburg, durch die Art der Einträge für den Kenner verfolgbare Spuren enthält.

Die Angaben über die Sterbejahre und die Dauer des Ponti- fikates der Bischöfe sind nicht zuverlässig. Aber nur bei einzelnen lässt sich die Unrichtigkeit des Ueberlieferten schlagend belegen. Bei den andern muss man sich einfach damit bescheiden, auf Wider- sprüche hinzuweisen oder die abweichenden Angaben anderer Quellen- schriften zu registriren.

Es sei sogleich hier bemerkt: eine unanfechtbare Wirzburger Bischofsreihe bis zu Anfang des 12. Jahrhunderts aufzustellen, ist ^bei dem heutigen Stand der Ueberlieferung und wo das unerschütter- liche Fundament der Urkunden ganz fehlt, überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich will nun Absatz für Absatz des Katalogs mit Hilfe der vor- handenen verlässigsten Quellen prüfen, lasse dabei aber selbst- verständlich all' die Annalisten und Chronisten ausser Ansatz, die ihre Angaben unmittelbar oder mittelbar aus unserem Katalog entlehnt haben.

ad [1]. Was hier über den Martyrertod des hl. Kilian und seiner Gefährten gesagt ist, steht im vollen Einklang mit der älte- sten Ueberlieferung und entbehrt noch all' der späteren legenden- haften Zusätze. Das älteste Zeugniss über das Martyrium des Kilian und seiner Genossen findet sich von einer Hand noch aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in ein Martyrologium Bedas (Wirzburg. k. Universitäts-Bibliothek Theol. fol. 49, cfr. F. Dümmler, Karolingische

') Dieses in seiner Art einzige geschichtliche Denkmal hat vor Kurzem Prof. Dr. Fr. X. Wegele in Wirzburg in den Abhandlungen der k. h. Akademie der Wissenschaften III. Gl. XIII. Band. III. Ahth. S. 1 fT. mit Erläuterungen unter dem Titel: »Corpus Regulae seu Kalendarium Domus S. Kiliani Wircehurgensis saecula IX. XIV. amplectens« herausgesehen. Meine CUtate sind nach den Sei- ten des Originals. Sie lassen sich hei Wegele leicht finden, da in seiner Publi- kation die Seiten des Originals am Hände vermerkt sind.

284 SchäfTler :

Miscellen in den »Forschungen« Bd. VI. S. 116 und 118) ein- geschrieben. Dasselbe lautet: »VIII. Idus Julii = 8. Juli. Eodem »die sanctus Ghilianus episcopus in caslro Vuirziburgo cum sociis »suis Totmanno presbitero et Golmanno diacono sub Gozberto duce martirizavit.« Das Zweitälteste Zeugniss ebenfalls einfach und schmucklos und ohne all das Beiwerk, das die spätere Zeit um den Schotten Kilian und die Ursache seines Martiriums geschlungen verdanken wir dem Hrabanus Maurus (f 856), dem berühmten Schüler Alkuins. Es findet sich in dessen Martyrologium (Canisius lect. antiqu. ed. nova II, 2 p. 333). Schon in dem Martyrologium von Notker (San-Gallensis) (+ 912) (Canisius 1. c. 3, p. 150) keimt der erste Ansatz zur späteren Legende empor, die alsbald wie Epheu- gerank die alte einfache Wahrheit umspann und kaum mehr er- schauen liess (cfr. Dr. Fr. W. Rettberg, Kirchengeschichte Deutsch- lands, Bd. II. S. 303 —307 und J. B. Stamminger, das Leben der Heiligen und Seligen des Frankenlandes (Würzb. 1878. S. 58 ff.).

Das Todesjahr des heiligen Kilian lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Gewiss dürfte nur das Eine sein, dass er zu Ausgang des 7. Jahrhunderts den Martyrertod erlitten. Da jedoeü der Verfasser der Annalcs st. Albani und Fortsetzer von Wirzburger Bischofskatalogen, welche unsern Bischofskatalog unabhängig von einander benützten , übereinstimmend als Todesjahr des hl. Kilian DLXXXVII angeben, so ist es leicht möglich, dass DLX XXXVII, was unsere Vorlage bietet, ein Schreibversloss des Kopisten aus dem 14. Jahrhundert ist. Die älteste Quelle (s. o.) hat VIII. Idus Julii = 8. Juli als Tag des Martyriums, auf welchen Tag auch das Cor- pus Regulae (S. 63) das Fest Kilians und seiner Gefährten ansetzt.

ad [2]. 751 als Zeit der Ordination Burkards, wie auch die Annales st. Bonifacii (SS. III. S. 117) haben, ist falsch. Sie fallt auch nicht in das Jahr 747, wie es in den Annal. Lauriss. minore? (SS. I. S. 115) heisst, auch nicht in das Jahr 746, wie Enhardi Fuldensis Annales (SS. I. S. 346), dann die Annales Quedlinb., die Annales Weissemb. u. Lamberti Annales (SS. III. S. 35) berichten und ebenso wenig in das Jahr 745, wie die Annales Monasterienses (SS. III. S. 153) angeben, sondern sie lässt sich auf den Herbst 741 berechnen. Burkards Bestätigung durch den Papst Zacharias erfolgte am 1. April 742 und im gleichen Jahre am 21. April durch Karltnann auf dem sog. Concilium germanicum ').

l) Die beste Zusammenstellung der Literatur über Bonifazius und was mit

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285

ad [8]. Hier ist die Erhebung der Reliquien des hl. Kilian und seiner Genossen an der Stätte, wo selbe der Legende nach getödtet und verscharrt worden waren und die Uebertragung derselben von dort in die Kirche auf den Marienberg ob Wirzburg gemeint. Das von dem Verfasser des Bischofskatalogs hier angegebene Datum dieser Uebertragung (752) ist sicher unrichtig.

ad [4]. 79 t als Todesjahr des hl. Burkard ist ganz gewiss falsch, und gerade der Autor unseres Bischofskatalogs scheint diesen weitverbreiteten, folgenreichen Irrthum in die Geschichte gebracht zu haben. Dass Burkard nicht erst im Jahre 791 gestorben sein kann, sondern, wie ich mit Rettberg (1. c. D. S. 316) annehme, im Jahre 754 aus dem Leben geschieden, ist dadurch zu belegen, dass uns glaublich überliefert ist, dass Burkard vor Bonifazius (f 5. Juni 754 oder 755, cfr. Will loco cit. I Bonifatius Nr. 125) gestorben ist (Liudgeri vita Gregorii Trajectensis episcopi bei Mabillon AA. SS. o. ?. Ben. s. HI. 2, S. 326) und auch durch das Auftreten seines Nach- folgers als Bischof (cfr. die Bemerkungen zu [5]).

Spätere fügen als näheres Sterbedatum Burkards »IV. Nonas Februarii« = 2. Febr. bei. Das kann richtig sein; eine Controle nach dem Corpus Regulae ist unmöglich, weil die Partie, die dieses Datum nachweisen müsste, uns nicht mehr erhalten ist. In einem Martyro- logium Bedas, angelegt noch im 9- Jahrhundert (Wirzburg. k. Uni- versitäts-Bibliothek Theol. Fol. 50 cfr. Ernst Dümmlers Karolingische Miscellen in den Forschungen Bd. VI. S. 119) findet sich der Ein- trag: »II. Id. Oct. = 14. Okt. Eodem saneti Burchardi Wircibur- gensis episcopi.« Zu diesem Eintrag ist »translatio« zu ergänzen; es ist damit der Tag bezeichnet, an welchem im J. 986 die Uebertra- gung seiner Reliquien aus dem Neumünster in das neugebaute Bur- kardskloster jenseits des Mains statthatte. Das Corpus regulae (S. 111) und ein hochstiftisch wirzburgisches Kalendar aus dem 14. Jahr- hundert (Wirzburg, k. Kreisarchiv, Wirzburger Standbuch Nr. 7, Fol. 50') haben zu II. Id. Oct. auch »Burchardi episcopi« einge- schrieben; es ist damit natürlich auch nicht der Tag des Ableben Burkards, sondern der der Uebertragung seiner Reliquien bezeichnet.

ad [5]. Ist Bischof Megingaud am 26. Sept. 794 gestorben und hat er 3 Jahre 11 Monate und 25 Tage den Krummstab geführt, so müsste er am 1. Okt. 790 Bischof geworden sein. Das ist un-

ihm zusammenhängt bei Com. Will, Kegesien zur Geschichte der Mainzer Erz- bischöfe. Einleitung S. VIII ff.

286 Schäffler:

möglich. Bonifaz, der im Jahre 754 oder 755 abdankte, hat Mcgin- gaud noch zum Bischof von Wirzburg ordinirt, Wunibald hat den- selben im Jahre 758 bei einem Besuche in Wirzburg als Bischof an- getroffen, im Jahre 765 war Megingaud als Bischof auf der Synode von Attigny und im gleichen Jahre unterschrieb er eine Fulder Schenkung (die Beweisstellen bei Rettberg L c. II. S. 316); er muss daher jedenfalls 754 oder 755 Bischof geworden sein. Um das Jahr 785 wurde er abgesetzt (Mabill. AA. SS. o. s. B. s. in, 1. S. 715). Dass er VI. Kalendas Octobris = 26. Sept. gestorben, ist aucli durch das Corpus Regulae (S. 102) und das Galendarium Merseburgense (herausgegeben von Dr. Lud. Hesse in Höfer- Erhard-Mederns Zeit- schrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte. Bd. I. S. 122) belegt ; dass er im Jahre 794 das Zeitliche gesegnet, wenigstens nicht unwahrscheinlich.

ad [6]. Vor Allem sei bemerkt, dass im Sterbetag Bernwelfs Kai. Octobr. ein Schreibfehler des Kopisten aus dem 14. Jahr- hundert vorliegt, wenn man nicht die kleine Lücke, die sich in unserer Vorlage zwischen den Worten »obiit« und »Kaiend.« findet, dahin deuten darf, dass der Kopist aus dem 14. Jahrhundert den Katalog, der ihm vorlag, an dieser Stelle nicht mit Sicherheit ent- ziffern konnte und daher Platz für eine spätere Ergänzung Hess, die er aber nicht vornahm. Es muss statt »Kai. Octobris« = 1. Okt. heissen »VI. Kai. Octobris«, = 26. Sept. Die Chronisten und Anna- listen des 12. Jahrhunderts, welche unsern Katalog ausschrieben, haben übereinstimmend »VI. Kai. Octobris«, ebenso heisst das Sterbe- datum in dem Corpus Regulae (S. 102) und im Calendariura Merse- burgense (1. c. S. 122); dass Bern weif im Jahr 800 gestorben, wird wohl richtig sein. Da aber dessen Vorgänger um das Jahr 785 ab- gesetzt wurde, so muss dessen Pontifikatsantritt auf diese Zeit und nicht, wie unser Katalog will, auf den 26. Sept. 794 angesetzt wer- den. Demnach rektifizirt sich auch die Zeitdauer seines Pontifikates.

ad [7]. Da Luderich« Vorgänger am 26. Sept. 800 gestorben und von einer früheren Resignation desselben Nichts bekannt ist, so kann Luderich nicht schon wie der Verfasser unsers Katalogs will am 27. Sept. 799 Bischof von Wirzburg geworden sein. Dessen Ernennung wird wohl zu Anfang des Jahres 801 fallen (Usser- mann, Episcop. Wirceburg. S. 17). Ob Luderich wirklich III. Kai. March* = 27. Febr. 803 gestorben, lässt sich weder belegen, noch bestreiten; irgend eine andere Quelle berichtet darüber nicht

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287

ad [8J. Ist Egilward am 24. April 810 gestorben und war er 7 Jahre, 1 Monat und 23 Tage Bischof, so muss der Tag seiner Ernennung oder Weihe der 1. März 803 sein. Andere sagen, Egil- ward wäre am 16. Juni 803 oder 804 zum Bischof erhoben worden. Meines Erachtens lässt sich bei dem Mangel aller urkundlichen Be- helfe ein sicherer Entscheid nicht treffen. Statt »VIII. Kai. Maie = 24. April, gibt das Corpus Regulae (S. 25) »IX. Kai. Maii« = 23. April als Sterbetag an.

ad [9). Ist Weifger am 12. Nov. 832 gestorben und hat er 22 Jahre, 6 Monate und 11 Tage die bischöfliche Würde besessen, so muss er am 1. Mai 810 zu derselben gelangt sein. Spätere z. B. Lorenz Fries geben an, dass er am 12. Mai 810 Bischof geworden. Ich sehe keinen zwingenden Grund zu dieser Aufstellung, wenn ich auch wohl weiss, dass der 12. Mai 810 ein Sonntag war und an Sonntagen in der Regel die Bischofsweihen vorgenommen zu werden pflegten. Eine besondere Erlaubniss gestattete aber die Bischofs- weihen auch an anderen Heiligentagen >).

Der 12. Nov. als Sterbetag ist belegt durch eine von einer Hand noch aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in einem Martyro- logium Bedas eingeschriebene Notiz (Wirzburg. k. Universitätsbiblio- thek Theol. fol. 49, cfr. Ernst Dümmler, Karolingische Miscellen in den Forschungen. Bd. VL S. 117) und durch den gleichen Vermerk im Calendarium Merseburgense (I. c. S. 125).

ad [10]. Ist Humbert am 9. März 842 gestorben und war er 10 Jahre, 3 Monate und 8 Tage Bischof, so müsste er am 1. Dez. 831 den Stuhl des hl. Burkard bestiegen haben. Das ist nicht mög- lich; denn dessen Vorgänger ist erst am 12. Nov. 832 gestorben, und aus einem Briefe des Abtes Eginhard (Ussermann 1. c. S. 21) wissen wir, dass nach dem Tode des Bischofs Welfger Sedisvakanz eingetreten. Der 9. März als Todestag ist verbürgt durch eine Notiz von einer Hand noch aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in einem Martyrologium Bedas (Wirzburg, k. Universitätsbibliothek Theol. fol. 49, cfr. Ernst Dümmler in den Forschungen, Bd. VI. S. 116). Das Corpus Regulae verzeichnet den Todestag dieses Bischofs gar nicht und im Kai. Necrol. b. Mariae virginis in monte Fuldens. (Böhmer, Fontes IV. S. 451) ist angegeben, dass er VI. Id. Marl. = 10. März gestorben.

') Cfr. H. Hahn, Noch einmal die Briefe und Synoden de9 Bunifaz in den Forschungen. Bd. XV, S. 49.

288

Schattier :

ad [11]. Ist Gozbald am 20. Sept. 855 gestorben und ist in unserm Bischofskatalog die Dauer seines Pontifikates richtig mit 13 Jahren, 5 Monaten und 18 Tagen angegeben, so muss er am 2. April 842 Bischof geworden sein. Dass Gozbald 'am 20. September ge- storben, ist unter Anderen auch in dem Corpus Regulae (S. 99), im Calendariutn Merseburgense (1. c. S. 122), im Kai. Necr. b. Mariae in monte Fuldens. (Böhmer 1. c IV. S. 454) im Necrologium minus ?t. Galli (cfr. das St. Galler Todtenbuch und Verbrüderungen, her- ausgegeben von Ernst Dümmler und Hermann Wartmann, in den Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte herausgegeben vom hist. Verein in St. Gallen, Neue Folge, l. Heft fSt Gallen 1869) S. 63 u. 72) gleichlautend überliefert. 855 als Todesjahr nennen Ruodolfi Fuldensis Annales (SS. L S. 369). Die Zeitdauer des Pontifikates ist im Chronicon Wirziburg. und in den Annales st. Albani (siehe unten) theil weise anders, als in unserem Katalog angegeben; beide haben menses X und dies VIII statt menses V und dies XVIII, nach ihnen müsste daher Gozbald am 12. Nov. 841 Bischof geworden sein. Mir dünkt die Angabe im Chronicon Wirzib. und in den An- nales st. Albani, wenn derselben auch alle neueren Forscher gefolgt sind, unwahrscheinlich. Ist, wie unser Katalog will und wie ihm das Chronicon Wirzib. u. die Annales st. Albani nachgeschrieben haben, der Vorgänger Gozbalds Bischof Humbert am 9. März 842 gestorben, so kann, da von einer früheren Abdikation Humberts Nichts überliefert ist, Gozbald nicht schon am 12. Nov. 841 Bischof geworden sein. Dazu kommt, dass der 12. Nov. 841 nicht, wie Dümmler (Geschichte des Ostfränkischen Reiches, Band I, S. 159, Anmerk. 5) angibt, ein Sonntag ist, wo die Bisehofsweihen gemei- niglich stattzuhaben pflegten, sondern ein Samstag, während der 2. April 842, den unser Katalog aufstellt, ein Sonntag ist.

ad [12]. Ist Bischof Arno am 13. Juli 89t gestorben und kommt ihm ein Pontilikat von 36 Jahren, 7 Monaten und 12 Tagen zu, so müsste er am 1. Dez. 854 Bischof geworden sein Da aber dessen Vorgänger, Bischof Gozbald, nicht resignirt hat und erst am 20. Sept. 855 gestorben ist, so kann Arno erst im Jahre 855 zur bischöflichen Würde gelangt sein, wie es auch Rudolfi Fuldensis Annales (SS. I. S. 369) berichten.

Arnos Sterbejahr ist in unserm Katalog falsch angegeben. Arno starb nicht im J. 891, sondern im J. 892, wie übereinstimmend Regino (SS. I. S. 605), Thietmar Chron. Lih. I (SS. III, S. 735), die

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Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

289

Annales Hildesheimenses (1. c. S. 50), die Annales Weissemburgenses (1. c. S. 51) und Lamberti Annales (1. c.) berichten. Der 13. Juli als Sterbetag ist uns durch eine Inschrift im Wirzburger Dome (Eck- hart, Franc. Orient. II, 730), durch das Corpus Regulae (S. 65), durch das Calendarium Merseburgense (1. c. S. 117), durch das Ne- crolog. Fuld. majus (Böhmer I. c. III, 153) verbürgt. Das Necrolog. b. Mariae in monte Fuld. (Böhmer 1. c. IV. S. 453) vermerkt III. Kai. August i = 30. Juli als Sterbetag.

ad [13]. Ist Rudolf am 3. August 908 nach einem Pontifikat von 17 Jahren, 12 Monaten (sie!) und 2 Tagen gestorben, so müsste er am 1. August 890 Bischof geworden sein. Das ist geradezu un- möglich, denn dessen Vorgänger Arno fand erst am 13. Juli 892 seinen Tod und früher hat derselbe seine bischöfliche Würde nicht niedergelegt. In der Angabe der Pontifikatszeit steckt ein Fehler. Streicht man auch aus der seltsamen Bezeichnung von 17 Jahren 12 Monaten und 2 Tagen die übrigens das Ghronicon Wirzi- burgense gläubig nachgeschrieben hat auch die 12 Monate, so kommt man doch zu keinem richtigen Pontifikatsanfang , weil der Verfasser unsers Katalogs Bischof Arnos Tod auf den 13. Juli 891 irrthümlich angibt. III. Non. Augusti = 3. August als Rudolfs Sterbe- tag ist auch durch das Calendarium Merseburgense (1. c. S. 118) und das Kai. Necr. Weissenburg. (Böhmer 1. c. IV. S. 311) beglaubigt. 908 als Todesjahr überliefern auch die Annales Alemannici (SS. I. S. 54) und die Annales Einsidlenses (SS. III. S. 141).

ad [14]. Ist Thiodo am 15. Nov. 932 nach einem Pontifikat von 24 Jahren, 2 Monaten, 14 Tagen gestorben, so muss er am 1. September 908 Bischof geworden sein. Dass er XVTI. Kai. De- cembris = 15. Nov. abgeschieden, hat eine Hand aus dem 10. Jahr- hundert in ein noch im 9. Jahrhundert angelegtes Martyrologium Bedas (Wirzburg, k. Universitäts-Bibliothek Theol. Fol. 50, cfr. Ernst Dümmler, karolingische Miscellen in den Forschungen, Bd. VI, S. 119) eingeschrieben. Das gleiche Datum geben auch das Corpus Regulae (S. 123) und das Kai. Necr. b. Mariae in monte Fuld. (Böhmer 1. c. IV. S. 455) an, während das Calendarium Merseburg. (1. c. S. 127) XVIÜ. Kai. Jan. = 15. Dez. wohl irrthümlich als Sterbetag hat. Das Sterbejahr ist von dem Verfasser unsers Katalogs irrthümlich auf 932 statt auf 931 angegeben; denn Thiodos Nachfolger, Burkard II., war schon am 1. Juni 932 auf dem Concil zu Erfurt als Wirzburger Bischof anwesend (Ussermann 1. c. S. 32/33).

ArcblvalUcbe Zeitschrift. III. 19

290

Schaff! er :

ad [15]. War Burkard II. 9 Jahre, 3 Monate und 23 Tage Bischof und ist er am 25. März 941 gestorben, so muss er am 2. Dez. 931 den bischöflichen Stuhl bestiegen haben. Villi. Kai. Apri- lis = 24. März lässt ihn das Calend. Merseburg. (1. c. S. 111) und das Kai. Necr. Weissenburg. (Böhmer 1. c. S. 311) gestorben sein, während das Kai. Necrolog. Augiense recentius (Böhmer I.e. S. 141) dessen Todestag bei X. Kai. Aprilis = 23. März vermerkt. Das Cor- pus Regulae verzeichnet dessen Ableben gar nicht.

ad [16J. Ist Poppo I. am 15. Febr. 961 nach einem Pontificat von 20 Jahren, 10 Monaten und 14 Tagen aus dem Leben geschie- den, so müsste er am 1. April 940 Bischof geworden sein. Da aber dessen Vorgänger, Burkard II., erst am 25. März 941 das Zeitliche gesegnet hat und von einer früheren Abdankung desselben Nichts be- kannt ist, so ist in unserem Bischofskatalog dessen Pontifikatszeit zu hoch angesetzt. Es sei bemerkt, dass sich Poppo als königlicher Kanzler noch in einer Urkunde vom 23. April 941 (s. Stumpfs Reichskanzler Nr. 95) findet, als Bischof von Wirzburg jedoch zum ersten Male meines Wissens in einer solchen vom 13. Dez. 941 (M. B 281 S. 178) erscheint. Dass er XV. Kai. Martii =

15. Febr. gestorben, ist auch im Necrologium st. Galli saec. X— XI (cfr. das St. Galler Todtenbuch und Verbrüderungen 1. c. S. 33 und 73) und im Kaiend. Necrol. montis st. Michaelis Babenberg. (Böhmer 1. c. IV S. 501) angegeben. Der Theil des Corpus Regulae, in welchem dieses Sterbedatum verbucht sein müsste, ist uns leider nicht erhalten. Der Continuator Reginonis (SS. I S. 624) lässt ihn

16. Kai. Martii = 14. Febr. 961 gestorben sein.

ad [17]. Sass Poppo II. 23 Jahre, 4 Monate und 21 Tage auf dem Stuhl des hl. Burkard und ist er am 22. Juli 984 aus der Welt geschieden, so lallt seine Ernennung zum Bischof auf den 1. März 961. Dass er XI. Kai. Augusti r= 22. Juli gestorben, geben auch das Corpus Regulae (S. 70) und das Kaiend. Necrol. Augiense recentius (Böhmer 1. c. IV S. 143) an, während das Necrologium st. Galli saec. X XI (cfr. das St. Galler Todtenbuch und Verbrü- derungen 1. c. S. 47 und 73) und das Calendarium Merseburg. (1. c. S. 118) XII. Kai. Augusti := 21. Juli wohl irrthümlich als Sterbetag bezeichnen.

ad [18J. Nach unserm Katalog ist Hugo 6 Jahre, 7 Monate, 28 Tage Bischof gewesen und am 29. August 990 gestorben. Seine Erhebung zum Bischof berechnet sich daher auf den 1. Jan. 984.

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Der älteste Wirzburger Bischofskalalog.

291

Der Richtigkeit dieses Ansatzes widerspricht, dass dessen Vorgänger, Poppo II., ohne dass von einer früheren Resignation desselben etwas bekannt ist, erst am 22. Juli 984 gestorben ist. Die Pontifikatszeit Hugos hat daher der Verfasser des Katalogs unrichtig berechnet. Ist auch in das Corpus Regulae Hugos Todestag nicht eingetragen, so verbürgen uns doch IUI. Kai. Sept. = 29. August als solchen eine im 17. Jahrhundert im Wirzburger Dom noch vorhanden gewe- sene Steininschrift (Wirzburg k. Kreisarchiv, Wirzburger Standbuch Nr. 201 Fol. 109w), das Calendarium Merseburgense (L c. S. 120) und das Kaiend. Necrolog. Wehsenburg. (Böhmer 1. c. IV S. 313). II. Kai. Sept. = 31. August lässt ihn das Necrolog. sancti Galli saec. X.— XI. (cfr. das St. Galler Todtenbuch und Verbrüderungen S. 51 und 73) gestorben sein. 990 als Sterbejahr verzeichnen auch die Annales Einsidl. (SS. III S. 144).

ad [19]. Bernward soll nach einem Pontifikat von 5 Jahren, 8 Monaten und 19 Tagen am 20. Sept. 995 gestorben sein, also fiele der Antritt seiner bischöflichen Würde auf den 1. Jan. 990. Von einer Resignation seines am 29. August 990 verlebten Vor- gängers Hugo ist Nichts überliefert, daher ist wohl die Pontifikats- dauer in unserem Katalog unrichtig angegeben. XII. Kai. Octobris =? 20. Sept. als dessen Sterbetag ist durch das Corpus Regulae (S. 99) und durch das Calend. Merseburg. (1- c- S. 122) bezeugt, 995 als dessen Sterbejahr durch Lamberti Annales (SS. III S. 91) nachgewiesen, während Thietmar in seinem Ghron. Liber IV (SS. HI S. 776) und die Annales Quedlinburg. (SS. III S. 73) 996 als Todes- jahr angeben.

ad [20]. Ist Heinrich I. 23 Jahre, 5 Monate und 22 Tage Bischof gewesen und ist er am 14. Nov. 1018 aus dem Leben ge- schieden, so müsste er am 23. Mai 995 auf den bischöflichen Stuhl erhoben worden sein. Da aber dessen Vorgänger Bernward nicht früher abgedankt und erst am 20. Sept. 995 die Augen geschlossen hat, so kann die in unserem Katalog vorgetragene Pontifikatsdauer unmöglich die richtige sein. XVIII. Kai. Dcccmbr. = 14. Nov. als Sterbetag ist beglaubigt durch eine im 17. Jahrhundert im Wirz- burger Dom noch befindlich gewesene Steininschrift (Wirzburg, k. Kreisarchiv, Wirzburger Standbuch Nr. 201 Fol. 109b), durch das Corpus Regulae (S. 122), durch einen Reliquienzettel aus dem 12. Jahrhundert (siehe meinen Vortrag: Gründung und erste Ent- wicklung der Stadt Wirzburg [Wirzburg 1876] S. 32, Anm. 1),

292 Schäffler:

durch das Necrolog. St. Stephani Wirz. (Wegele, zur Literatur und Kritik der fränkischen Nekrologien S. 67). 1018 nennen auch die Annal. Quedlinburg. (SS. IH S. 84) und die Annales Einsidlenses (SS. III S. 144) als Sterbejahr.

ad [81]. Da Meginhard L am 22. März 1034 nach einem Pontifikat von 15 Jahren, 2 Monaten und 21 Tagen gestorben, so ist er am 1. Januar 1019 Bischof geworden. Im Corpus Regulae ist Meginhard I. Sterbetag nicht eingetragen, jedoch geben XI. Kai. Aprilis = 22. März als solchen übereinstimmend an: das Kai. Necrol. Weissenburg. (Böhmer L c IV S. 31 1), das Kaiend. Necrol. b. Mariae virginis im monte Fuld. (Böhmer 1. c. S. 452) und das Kai. Necrol. eccles. Metrop. Salzburg (Böhmer 1. c. 578). 1034 als Sterbejahr überliefern auch Lamberti Annales (SS. III S. 99).

ad [22]. Bischof Bruno starb am 27. Mai 1045 nach einem Pontifikat von 11 Jahren, 1 Monat und 14 Tagen, dem gemäss wurde er am 13. April 1034 Bischof von Wirzburg. 1034 als Jahr seines Pontifikatsantrittes überliefern auch Lamberti Annales (SS. III S. 99) und die Annales Augustani (SS. III S. 125). Als Kanzler Kaiser Konrad II. erscheint er zum letzten Male in einer Urkunde vom 8. März 1034 (Stumpf 1. c. Nr. 2053). Dass er VI. Kai. Junii = 27. Mai aus dem Leben geschieden, ist vielfach beglaubigt. Es besagt diess eine Inschrift auf dessen Sarg (Wirzburg k. Kreisarchiv, Wirzburger Standbuch Nr. 201 Fol. 109r), das Corpus Regulae S. 42, das Wirzburger Standbuch Nr. 8, II. Abth. Fol. 24, das Kai. Necr. Weisscnburgense (Böhmer 1. c. IV S. 311), das Kai. Necr. b. Mariae virg. in monte Fuld. (Böhmer 1. c. S. 453) und das Kai. Necr. eccl. Metrop. Salzb. (Böhmer 1. c. 579). Dass Bruno im Jahre 1045 aus dem Leben geschieden, ist in den Annal. Corbeiens. (SS. III S. 6), in den Continuatio Annal. Weissenburg. (1. c. S. 70), in Lamberti Annales (1. c. S. 99) und in den Annal. Augustani (1. c. S. 126) zu lesen.

ad [23]. Adelbero starb am 6. Okt. 1090, nachdem er 45 Jahre, 3 Monate und 7 Tage Bischof gewesen; dessen Ernennung fallt daher auf den 29. Juni 1045. Bei dieser Angabe der Ponti- fikatszeit hat aber unser Verfasser ausser Ansatz gelassen, dass Adelbero schon 1085 abgesetzt wurde und dass er 1088 resignirt hatte; es ist einfach die Zeit von Adelberos Pontifikatsantritt bis zu seinem Tode gerechnet. 1045 als Jahr der Ordination ist beglaubigt durch eine Urkunde de dato 1057 März 3 (Mon. Boica 37,

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Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

293

5. 25—28), in welcher es heisst: »presidente eodem episcopo Adel- »berone XII. ordinationis sue anno feliciter.« II. Non Oct. =

6. Okt. als Sterbetag Adelberos ist auch durch das Corpus Regulae (S. 107) bezeugt.

ad [34]. Bischof Meginhard II. schied am 20. Juni 1088 nach einem Pontifikat von 3 Jahren und 26 Tagen aus dem Leben, er wurde daher am 25. Mai 1085 als Gegenbischof Adalberos aufge- stellt Dass er XII. Kai. Julii = 20. Juni das Zeitliche gesegnet, überliefern uns auch das Corpus Regulae (S. 54), das Necrologium ecclessiae Metropolitanae Moguntinae (Schannat Vindemiae I S. 3), das Kai. Necr. b. Mariae in monte Fuldensis (Böhmer 1. c. IV S. 453) und das Kai. Necr. canonicor. Babenberg. (Böhmer 1. c. S. 506).

ad [25]. Nach unserem Katalog wäre Emehard im Jahre 1089 am 24. Juli als Gegenbischof Adelberos aufgestellt worden, hätte 15 Jahre, 7 Monate und 3 Tage die Bischofswürde besessen und wäre am 27. Febr. 1105 gestorben. Das Todesjahr Emchards ist aber wohl 1104. So gibt es das Kai. Necr. mont. st. Michaelis Babenb. (Böhmer 1. c. IV S. 501) an, und Emehards Nachfolger, Rupert, erscheint schon im Jahre 1104 als Wirzburger Bischof auf der Synode zu Regensburg (Usserman 1. c. S. 57). Es ist dem- gemäss auch die Pontilikatsdauer falsch angegeben. III. Kai. Marti i = 27. Febr. gibt auch das Kai. Necr. b. Mariae virginis in monte Fulden. (Böhmer 1. c. S. 451) als* Sterbetag an, während das Kai. Necr. mon. st. Michaelis Babenb. (Böhmer 1. c. S. 501) ihn DU. Kai. Martii = 26. Febr. verschieden sein lässt.

(Schluss folgt.)

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XV. Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

Von

Dr. Grauert, Reichsarchiv-Akzessist in München.

Unter der Rubrik: Ritterorden, Abtheilung Tempelherren ver- wahrt das allgemeine Reichsarchiv zu München eine Originalurkunde, deren genaue Gopie folgende:

In nomine sancte et individue trinitatis patris et filii et spiritus sancti amen. Notum sit universis tarn presentibus quam futuris quod ego Bertrandus per dei gratiam milicie templi magister totius capituli communi assensu et approbatione sine omni contradictione libere et quiete trado et tradendo comfirmo othoni comiti palatino maiori et eius heredibus iure perpetuo predium othmarshart et liuchental cum familia et Omnibus pertinentiis suis et quiequid iuris in eo habere domus templi militum videbatur, ea libertate et inte- gritate qua prefata domus eum habebat tenendum et possidendum in perpetuum. Et ut hec venditio et mea et totius capituli concessio rata et illibata permaneat sigilli mei appositione presentem paginam corroborari iussi; et hoc predium delego in manu et in custodia fratris sui friderici palatini comitis conditione tali ut ipse fideliter illud servet predicto fratri suo 0., ipso autem non superstite uxori et filiis suis. Huius rei testes sunt frater W. de guirchia, frater Walterus de berito, frater hugo de corbuil, frater petrus bellus occulus, frater Bonefatius lonbardie preeeptor qui preeepto magistri et totius capituli hanc venditionem fecit. De seculo testes sunt : Dux welpho de rabenspurch et herman de ramunge ministerialis

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Eine Tempelherrenurkunde von 1107.

295

suus. Trageboto de moringen , perhtolt de cella, Rudolf tileman Rogerius de ezemansmitte ioculator *) ; sunt homines supradicti welphonis . henricus burchgravius ratisponensis Rogerius de chadols- torf, hartvit (sie) de hergesingen, Wernher de lugeperch, henricus maare, Coonrat (sie) spisarius, sunt homines bruxgravii (sie). Hademar de ahebusen, Reinboto de mosebach, Chuno de hovedorf, Wilehart de trune, Rudof (sie) de milenhoven, herrant de ergoltingen et walchon skiche, hartwicus de altheim, perhtolt de aha, Uto de starcholsthoven , Heinricus de emphembach (sie) , Osericus (sie) de valchenberch et homo suus heitvolch de emmendorf. Heinricus parvus de phefenhusen. Sifrit de wartemperch, Godefridus eitersteim, Ekehart de lengendorf et frater suus ulritus (sie), Willebolt de gisebac, Wernher skerio de northoven, Meingoz de cheminaten, harman (sie) de Schillinges vist (sie) pernhart de gredingen, Tageno de othmars- hart, Rogerius de linthahe iunior, Conrat athare, Conrat ploch de dornburch, Fridericus de rohelingen, Sagelin ioculator, ernestus de lirendorf, sibant de arbenhoven, hartwic clachel, iunior gotefridus suevus, Wezilo de ardingen, merboto de ebes. Factum est hoc Privilegium anno incarnatonis (sie) dominice MCLXVIII mense aprili V. kal. maii, feria V, luna V, anno IUI. Amalrici ierosolimorum Regis;. latinorum vero Amalrico patriarcha in iherusalem.

Die Urkunde ist mit den Arehivbeständen des ehemaligen Ci- stercienserklosters Waldsassen in der Oberpfalz in das Reichsarchiv ge- langt. Das (italienische) Pergament ist 45 Gentimeter hoch und 25 Gentim. breit. Die Schrift, die in der Richtung der schmaleren Breitseite verläuft, ist eine feste, schöne und deutliche minuscula crecta, die dem 12. Jahrh. wohl entspricht. Die mit verlängerten Buchstaben geschriebene Invoeationsformel füllt genau die erste Zeile. Besonders reich verziert ist die Initiale J des ersten in, sowie das auslautende n des amen und das anlautende n des die folgende Zeile eröffnenden notum. Im Texte findet sich hie und da, aber durchaus nicht regelmässig, schon das Strichelchen über dem i. Mit ehemals rothseidenen Schnüren befestigt hängt an der Urkunde an Stelle des Siegels eine Bleibulle, etwa von der Grösse eines preussi- schen Thalers, die auf der Vorderseite das bekannte Wappen des Tempelherrenordens, zwei Ritter mit eingelegter Lanze auf einem

') Das i ist dem t übergeschrieben, daher vielleicht trileman zu lesen.

») = vigil, speculator, sie dictus quod cornu sonat so DuCange Glossarium.

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296

Grauert:

einzigen Pferde reitend und auf der Rückseite einen Kuppelbau, den Tempel zu Jerusalem darstellend, zeigt. Die Umschrift lautet auf der Vorderseite: SIGILLVM | MILITVM und auf der Kehrseite (QRISTI i DE i TEMPLO. Bemerkenswerth ist, dass die drei senkrecht übereinander stehenden Punkte, wie in der Siegelum- schrift an den bezeichneten Stellen, so auch in der Invocationsfonnel jedem einzelnen Worte folgen. Auf der Rückseite des Pergaments findet sich ausser den älteren Registraturnotizen der Anfang einer deutschen Uebersetzung des lateinischen Urkunden textes von einer Hand, wie es scheint , des 15. Jalirh. , die aber bereits stark abge- blasst und daher nur noch theilweise leserlich ist.

Lang hat im ersten Bande der Regesta Boica p. 264 zum Jahre 1168 auch diese Urkunde regestirt. Durch das beigefügte >suspectat gibt er indessen Zweifel an der Echtheit derselben zu erkennen, freilich ohne sie zu begründen. Der Recensent von Raumer's Gesch. der Hohenstaufen in den Wiener Jahrbüchern für Literatur Bd. 40 Jahrgang 1827 hat daher auch keinen Anstand genommen, die Ur- kunde L c. p. 123 in der Note als Beweis für das frühe Vorkommen von Besitzungen der Tempelherren in Deutschland abdrucken zu .lassen, allerdings mit vielen, namentlich die Datirung verwirrenden Fehlern. Und auch Huschberg erwähnt in seiner Aeltesten Ge- schichte des Hauses Scheyern- Wittelsbach p. 320 unser Diplom und gibt ibid. p. 321 Note 18 ohne nähere Würdigung von Lang's Be- denken einen theilweisen Abdruck desselben.

Da Urkunden von Grossmeistern des Tempclherrenordens zu den diplomatischen Seltenheiten gehören *) , da fernerhin das vor- liegende Stück, seine Echtheit vorausgesetzt, einerseits für die Ge- schichte des Hauses Wittelsbach, andrerseits für die Chronologie des Mittelalters nicht ohne Bedeutung ist, so mag ein neuer verbesserter Abdruck sowie eine genauere Prüfung der Urkunde wohl gerecht- fertigt erscheinen *).

*) Von anderweitig erhaltenen Originalen solcher Urkunden ist meines Wissens hisher nichts bekannt geworden. Nach dem Cartularium der Kirche des heil. Grabes zu Jerusalem veröffentlicht Roziere Cartulaire de l'eglise du saint sepulcre ä Jerusalem Paris 1849 unter No. 75 u. 76 zwei Urkunden von demselben Tempel- herrengrossmeister Bertrand; beide sind ohne Datirung; weiter unten werden wir auf dieselben zurückkommen. Briefe einzelner Grossmeister, sowie Urkunden von Provincialvorstehern des Ordens kommen häufiger vor.

*) Nachdem diese Abhandlung bereits geschrieben war, veröffentlichte neuer- dings Herr F. H. Graf Hundt unsere Urkunde unter seinen Bayr. Urkk. des XI.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

297

Der Inhalt derselben ist kurz der, dass der Grossmeister des Tempelherrenordens Bertrand mit Zustimmung des Ordenskapitels ehemalige Ordensbesitzungen in Othmarshart1) und Liuchental *), die der frater Bonefatius Praeceptor des Ordens in der Lombardei im Auftrage des Grossmeisters und Kapitels dem Pfalzgrafen Otto dem Aelteren von Wittelsbach verkauft hat, übergibt und zwar so, dass er sie in manu et in custodia des Pfalzgrafen Friedrich delegirt, ut ipse illud servet fratri suo 0. Nach dem Wortlaute des Textes (namentlich den Worten: ipso [seil. Ottone palatino] non superstite) müssen wir annehmen, dass der Pfalzgraf Otto bei diesem Akte und auch bei Ausstellung der Urkunde nicht zugegen ist, wohl aber der ihn vertretende Bruder Pfalzgraf Friedrich, sowie der dux Welpho und der Burggraf Heinrich von Regensburg nebst den übrigen als Zeugen genannten Ordensrittern, Ministerialen und sonstigen Leuten aus dem Gefolge der erwähnten drei deutschen Herren.

Die Schriftzüge der Urkunde können, wie schon angedeutet, kein Argument gegen die Echtheit abgeben, ebensowenig die Be- siegelung. Die oben beschriebene Bleibulle stimmt vollständig über- ein mit einer anderen, welche an einer dem Jahr 1190 angehörenden Urkunde hängt, die frater Gerbert us citramarinorum templariorum humilis procurator ausstellt s), und die Abbildung einer gleichen Bulle findet sich auch bei Paoli Godice diplomatico del Sacro ordine Gerosolirnitano I. tab. V No. 51 *).

Dagegen kann der Verdacht der Unechtheit sich gründen auf die allgemeine Erwägung, dass Besitzungen der Templer in Deutsch- land durch anderweitige urkundliche Belege erst für das 13. Jahrh.

u. XII. Jahrhunderts in den Abhh. der bayr. Akad. der Wissenschaften. III. Gl. XIV. Bd. DL Ahth. Sep.-Abdr., p. 97. Graf H. theilt Lang's Zweifel gleichfalls nicht, geht aber auf eine genauere Prüfung der Echtheit auch nicht ein. Die kleinen Abweichungen unseres Textes von dem Hundt'schen glaubten wir nach nochmaliger Einsicht des Originals aufrecht erhalten zu müssen.

*) In der Pfarrei Indersdorf, Gemeinde Hied. Bezirksamt Dachau, Bavaria V, p. 85.

') Das Leukenthal zwischen Lofer und Wörgl in den Tyroler Alpen. Walther. Topische Geographie von Baiern, p. 82 u. 93.

•) Perard, Becueil de plusieurs pieces curieuses servant a l'histoire de Bour- gogne, p. 263.

*) Die letztgenannte hängt (in piombo wie Paoli sagt) an einer Urkunde des apostolischen Delegaten Pelagius d. d. 15. Oct. 1221, laut welcher dieser einen Vergleich zwischen den Templern und Johannitern herbeiführt. Paoli Godice diplomatico I. Nr. 57 p. 113

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29S

Grauerl:

bezeugt sind, weiterhin auf das wenigstens deutschen Diplomen ge- genüber auffallige Protokoll unserer Urkunde, auf die zahlreichen Fehler in Schreibung der Zeugennamen und endlich auf die Wider- sprüche, die das Datum zu enthalten scheint.

Dass die Templer auch auf deutschem Boden einen ziemlich ansehnlichen Güterbesitz gehabt haben, wird durch eine gar nicht geringe Zahl von Urkunden aus dem 13. Jahrh., die theils von den betreffenden Donatoren, theils von den Vorstehern der deutschen Ordensprovinz ausgestellt sind , hinlänglich bewiesen *). Auch in Böhmen und Mähren hat der Orden frühzeitig sich angesiedelt1). Die frühesten sicheren Zeugnisse für das Vorkommen von Templer- besitzungen in Deutschland, von der in Frage stehenden Urkunde des Grossmeisters Bertrand abgesehen, sind, so weit mir bekannt ge- worden, eine Urkunde des Herzogs Otto von Lüneburg vom Jahr 1215, laut welcher er dem Orden Güter in Santersleben schenkt3) und eine Urkunde des Bischofs Conrad v. Halberstadt vom J. 1208, welche einen Tausch zwischen den Tempelherren und Cistercienser- Nonnen in Halberstadt bestätigt *). Wilcke gibt freilich in seiner Gesch. des Tempelherrenordens I, p. 88 an, dass schon Kaiser Friedrich I. im J. 1180 den Templerorden in seinen kaiserlichen Schutz genommen habe 6) ; es ist das aber ein Irrthum, da die be- treffende Urkunde nicht die Tempelherren, sondern die Johanniter- ritter nennt 6). Und die von fast allen die Geschichte des Tempel- herrenordens behandelnden Schriftstellern gebrachte Notiz 7), das* schon König Lothar III. im Jahre 1130 den Tempelherren Güter in

') Eine gute Zusammenstellung der Templer -Besitzungen im Königreich Preussen gibt v. Ledebur im Allgem. Archiv für Gesch. des preuss. Staates XVL p. 97 ff., 242 ff., 289 ff. Beispielsweise citire ich Gercken, Cod. dipl. Brandenb. 1, p. 45 u. 212, Dithmar, Genealog.-Histor. Nachr. von den Herrenmeistern des Johanuiterordens p. 9, Note p, Guden, Cod. dipl. Magunt. IV, p. 984, Acta Acad. Theod. Palat. I, p. 67, Schannat, Histor. episcop. Wormat. I, praef. u. Siegeltafel V, No. 5 und v. Schmidt-Phiseldeck, Hermaea p. 1 u. 2. Das Siegel an den bei- den letztgenannten Urkunden, die von Vorstehern der deutschen Ordensprovinz ausgestellt sind, zeigt einen mit der Dornenkrone umflochtenen Christuskopf.

•) Graf, Gesch. der Tempelherren in Böhmen, p. 56.

*) Gercken, Cod. dipl. Br. [V, p. 864.

4) v. Ledebur, Allgem. Archiv XVI, p. 255.

*) Ebenso auch v. Ledebur 1. c. p. 330 Note 299.

*) Miraei, Opp. dipl. III, p. 60 ; vcrgl. Stumpf, Kaiserurkunden No. 4438.

T) Auch Giesebrecht übernimmt sie in seine Gesch. der Kaiserzeit IV, p. 328, ohne Quellenangabe.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

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der Grafschaft Supplinburg übertragen habe, scheint zum mindesten nicht auf zeitgenössischen Zeugnissen zu beruhen. Soviel ich habe ermitteln können, geht diese Angabe auf Rethmeyer's Braunschweig- Lüneburgisehe Chronik zurück. Da diese aber weder auf der hiesigen Staatsbibliothek noch auf der Universitätsbibliothek vorhanden ist, kann ich vor der Hand über Rethmeyer's Quellen diesen Punkt be- treffend ein sicheres Urtheil nicht abgeben l).

Indessen wird man trotz alledem gegen die Möglichkeit, dass schon um die Mitte des 12. Jahrb. der Templerorden auch innerhalb der Grenzen des heutigen Deutschland mit Güterbesitz ausgestattet war, an und für sich nichts einwenden können. Wenigstens liegen für die Grafschaft Brabant, die damals doch noch ein Glied des deutschen Reiches war, diesbezügliche urkundliche Zeugnisse aus den Jahren 1142, 1160 und 1181 vor Und wie auch aus dem übrigen Deutschland fromme Palästinafahrer sich beeilt haben, den christ- lichen Stiftungen im heil. Lande Güter in der deutschen Heimath zuzuwenden, zeigt eine interessante Urkunde aus dem Jahre 1142, laut welcher ein gewisser Bertoldus natura über et ingenuus omnia quecunque presenti die iure possideo tarn in agris quam vineis, villis et hominibus vel quibuscunque aliis possessionibus iure Suevorum libere omnia sicut ego ea possideo der Kirche zum heil. Grabe in Jerusalem überträgt, indem er gleichzeitig die derselben Kirche von ihm schon früher geschenkte Kirche in Denkendorf in der Diöcese Constanz bestätigt 8).

Wollte man annehmen, dass die Urkunde des Grossmeisters Bertrand in Deutschland ausgestellt ist, so müsste zunächst einmal die Invocationsformel : »in nomine sancte et individue trinitatis patris, filii et spiritus sancti amenc zum mindesten auffällig erscheinen, und auch das »factum est hoc Privilegium anno etc.« würde Bedenken erregen. Für jene dürften weitaus die meisten deutschen Diplome der Zeit das einfachere

*) v. Ledebur 1. c. p. 254 zieht die Nachricht entschieden in Zweifel. Hund's in der Metropolis Salisburg. II, p. <K) gebrachte Notiz, dass zwei Grafen v. Rietten- burg im J. 1155 den Tempelherren das Kloster Altmüh hnönster überwiesen hätten, wird gleichfalls durch keine Urkunde gestützt. Was Havemann, Gesch. des Aus- gangs des Tempelherrenordens p. 161 über sonstige deutsche Templerbesitzungen aus dein 12. Jahrhundert sagt, l&sst er ganz und gar ohne Beleg.

«) Miraei. Opp. dipl. II, p. 1164, III. p. 51 u. 61.

') Roziere, Cartulaire de l'eglise du saint s^pulcre No. 83 und ibid. No. 20. Daraus aufgenommen in das Wirtemhervr. Urkundenbuch II. 17—19, wo auch die falsche Lesart Roziere's »den Kendorf« corrigirt ist.

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Grauert:

in nomine domini oder in nomine sancte et individue trinitatis, für dieses das fast allgemein übliche actum et datum oder allein actum resp. datum bieten. Sieht man aber Urkundensammlungen wie Paoli Codice diplomatico del ordine Gerosol. und Roziere Car- tulaire genauer durch, so findet man, dass die Formeln unserer Ur- kunde im heil. Lande ganz gewöhnlich sind. Für die vollere Invo- cation citire ich nur beispielsweise Paoli Codice I, No. 3 p. 3 v. J. 1112, No. 4 p. 4 v. J. 1112, No. 5 p. 4 v. J. 1115, No. 8 p. 8 v. J. 1125, No. 17 p. 18 v. J. 1136, No. 34 p. 36 v. J. 1157, No. 165 p. 208 v. J. 1163 und Roziere Cartulaire No. 75 u. 76. Factum est hoc Privilegium finde ich in Paoli Codice I, No. 25 p. 27 v. J. 1149, No. 68 p. 68 v. J. 1180, No. 99 p. 104 v. J. 1214, No. 100 p. 105 v. J. 1214; factum est autem et confirmatum hoc Privilegium in No. 101 p. 106 v. J. 1215 u. No. 102 p. 107 v. J. 1215; facta est haec scedula in No. 157 p. 201 v. J. 1133, facta est haec (ista) carta in Beugnot Assises de Jerusalem II, p. 479, Paoli Codice I, No. 2 p. 2 v. J. 1110, No. 6 p. 6 v. J. 1118, No. 18 p. 19 v. J. 1139, No. 193 p. 238 v. J. 1145, No. 38 p. 39 v. J. 1163, No. 165 p. 208 v. J. 1163, x\o. 199 p. 242 v. J. 1174.

Ueberhaupt ist die Uebereinstimmung des ganzen Eingangs unserer Urkunde mit dem der schon erwähnten desselben Gross- raeisters Bertrand bei Roziere Cartulaire No. 75 unverkennbar. Hier heisst es: In nomine sancte et individue trinitatis Patris et Filii et Spiritus sancti amen. Notum sit omnibus tarn futuris quam pre- sentibus quod ego Bertrandus per Dei gratiam magister militie Templi communi assensu et voluntate tocius nostri capituli Nicholao etc. Etwas mehr Abweichungen, die aber nur beweisen, dass man sich nicht sklavisch an dieselbe Formel hielt, zeigt Roziere 1. c. No. 7b: In nomine Sancte et individue Trinitatis Patris et Filii et Spiritus Sancti amen. Universitati omnium tarn posterorum quam presentium notum fieri volumus quod ego Bertrandus militie Templi Dei gratia dictus magister et omnis prefate militie conventus etc. Beide Bei- spiele belegen auch, wie man sieht, das B. per dei gratiain mi- litie templi magister, das übrigens auch in Briefen desselben Bertrand an den König Ludwig von Frankreich wiederkehrt l).

Gehen wir dazu über, zu untersuchen, ob die in unserer Ur-

') Bongars. Gesta Dei per Francos p. 1176 fT., Bouquet, Recueil des histo- riens des Gaules XVI, p. 36 ff. und Wilcke, Gesch. des Tempelherrenordens I, p. 223 ff.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

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künde genannten Personen um die Zeit vor oder nach Ausstellung derselben sich auch anderweitig constatiren lassen , so dürfen wir für den Grossmeister Bertrand auf das Vorstehende verweisen. Es ist Bertrand v. Blanquefort, der nach Art de verifier les dates ed. S. Allais tomeV, p. 542 dem Orden von 1153 bis 1168 als Gross- meister vorstand. Indem wir die Pfalzgrafen Otto und Friedrich (v. Wittelsbach), den dux Welpho und den Burggrafen Heinrich v. Regensburg vorläufig bei Seite lassen, treffen wir auf die als Zeugen fungirenden Ordensritter und zwar zunächst auf den frater W. de Guirchia. Ihn finde ich in Urkunde des Königs Balduin m. v. Jerusalem & d. 29. Nov. 1160 unter dem Titel Guillelmus de Guerchia Commilitonuni templi senescalcus als Zeugen unmittelbar hinter Bertrammus de Blancaforti Militic Templi Magister aufgeführt l). Wahrscheinlich ist mit ihm auch identisch der Willelmus senescalcus, der in den beiden undatirten Urkunden des Grossmeisters Bertrand an der Spitze von 18 anderen Ordensbrüdern als Zeuge figurirt *). Frater Walter de berito erscheint als frater Galterius resp. Gauterius de Berito unter den Zeugen in Roziere Cartulaire No. 56 u. 59 beide d. d. XIX. Kai. Februar 1155 und ibid. No. 75 u. 76. In den beiden letztgenannten Nummern lese ich in der Zeugenreihe auch einen frater Hugo de Corbelio, in welchem wir natürlich unseren frater hugo de Corbuil wiedererkennen. Den fr. petrus bellus occulus und den fr. Bonefatius lonbardie preeeptor kann ich anderweitig nicht nachweisen.

Herman de ramunge, Ministerial des Herzogs Weif begegnet zwischen den Jahren 1155 und 1160 als Zeuge bei einer von dem dominus Welfo dem Kloster Wessobrunn gemachten Schenkung s) und wird in einem der Zeit von 1166 bis 1172 angehörenden Ver- gleich des Klosters ausdrücklich ministerialis ducis genannt *). Die folgenden vier homines des Herzogs mögen noch niedrigeren Standes als der eben genannte Ministerial Hermann v. Ramunge gewesen sein ; von ihnen ist mir nur der Rogerius de ezemansmitte ioculator anderweitig noch aufgestossen ; in den kürzlich von L. Baumann in der Ztschr. für Gesch. des Oberrheins XXIX Heft 1 veröffentlichten Acta S. Petri in Augia heisst es nämlich I. c. p. 52 unter der Ueber-

») Paoli, Codice diplomatico I, No. 86, p. 37. *) Roziere, Cartulaire No. 75 u. 76.

*) Mon. Boic VII, p. 850; er wird hier Hermannus de Rammingen geschrieben. «) Ibid. p. 355.

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Grauert j

schrift »de Hezmanismittenc dass Rodegerus quidam ioculator . . . predium in Hezmannesmittun . . . tradidit ecclesie S. Petri in Augia (= Weissenau bei Ravensburg) . . . Facta sunt autem hec coram multis cum nobili duceWelfone ad cuius dominium supra- memoratum predium spectabat MCLXXX.

Von den Mannen des Burggrafen von Regensburg halte ich Rogerius de Chadolstorf für identisch mit Roudiger de Chadoltistorf, der sich bei einer in recordationem pie memorie Ottonis (f 1139) et Eilberti (f 1146) Babenbergensium episcoporum dem Kloster Prüfening gemachten Schen- kung als Zeuge findet1). Die folgenden vier Namen entziehen sich einer anderweitigen Nachweisung. Die stattliche Zahl der weiterhin auf- geführten Zeugen scheint das Gefolge des Pfalzgrafen Friedrich ge- bildet zu haben. Hademar de ahebusen ist offenbar Hademar de ahusen , der in einer Urkunde Kaiser Friedrichs I. für Regensburg d. d. Ulm 1157 hinter dem Pfalzgrafen Otto und dem Burggrafen Heinrich v. Regensburg als Zeuge auftritt *), und in dessen Hand Pfalzgraf Friedrich, als er vor seiner zweiten Pilgerfahrt nach dem heil. Lande sein Testament errichtete, zwei Mühlen an der Donau übergibt *). Bei derselben Gelegenheit erscheinen als Salmannen Herrand de Ergoltingen und Heinrich de Emphenbach, die beide ja auch in unserer Urkunde genannt werden *). Reinboto de Mosebach ist vielleicht der in den Traditionen des Klosters Scheftlarn aus der Zeit von 1164—1200 vorkommende Ratpoto de Mousebach 5). Chuno de hovedorf ist Zeuge in Urk. des Bischofs v. Regensburg d. d. 1145«) und ebenso in Urk. d. d. 1171 7). Perhtolt de aha könnte füglich mit Pertold de Owe in Urk. des Bischofs v. Passau d. d. 22. Sept. 1160 identificirt werden 8). Ein Uto de Starcholsthoven begegnet um das Jahr 1190 in den Mon. Boic. X. p. 403. Dem Osericus de Valchenberch stelle ich Oulricus iudex de Valchenberch, Ministerialen des Pfalzgrafen Friedrich gegenüber9). Sifrit de Warten- perch erscheint in einer Scheftlarner Tradition M. B. VIII. p. 399

') Mon. Boic. XIII, p. 40b.

») Ried, Cod. dipl. Ratispon. I, No. 248, p. 229.

•) Mon. Boic. X, p. 243.

*) Ibid. p. 240 u. 242.

») Mon. Boic. VIII. p. 469.

•) M. B. XIII, p. 173.

') Ried, Cod. dipl. Ratisp. I, No. 266, p. 244. •) Ried 1. c. No. 252, p. 233. •) Mon. Boic. VIII, p. 438.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

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mit dem Sohne des Pfalzgrafen Otto als Zeuge. Eckardus de Lengen- dorff tradirt in den Jahren 1160 bis 1164 ein Gut an das Kloster Scheftlarn *). Rogerius de linthahe iunior hängt jedenfalls zusammen mit dem Roudger de Lindahe, der in den Scheftlarner Traditionen aus 1164—1200 mehrere male, einmal mit dem Pfalzgrafen Friedrich zu- sammen vorkommt •). In eben denselben Traditionen begegnet auch Sibant de Arbenhoven und zwar gleichfalls einmal in Begleitung des Pfalzgrafen Friedrich5). Dürfte man den Wezilo de ardingen in Wezil de arbingen ändern, was bei der äusserst fehlerhaften Schreib- ung der deutschen Namen in unserer Urkunde nicht gar so kühn ist, so finde ich ihn um das J. 1160 als Zeugen für eine Tradition an das Kloster Baumburg4.)

Die übrig bleibenden hier nicht genannten Zeugen muss ich ohne Belege lassen.

Dagegen kommen wir nunmehr zu den Hauptzeugen, resp. Contrahenten von deutscher Seite, den beiden Pfalzgrafen Otto und Friedrich, sowie zu dem dux Welpho und dem Burggrafen Heinrich v. Regensburg. Dass alle vier zur Zeit der Ausstellung unserer Ur- kunde gelebt haben, ist allbekannt; bei dem dux Welpho könnte man vielleicht zweifelhaft sein , ob es der alte Weif, der Oheim Heinrichs des Löwen, oder sein gleichnamiger Sohn ist.

Wie schon oben gesagt worden ist, haben wir den Pfalzgrafen Otto bei Abfassung der Urkunde als abwesend zu denken 5). Sind nun die anderen drei um genannte Zeit an irgend einem Orte, wo die Urkunde möglicherweise ausgestellt sein könnte, vereinigt nach- zuweisen ? Der Appendix zu Ragewins Gesta Friderici gibt uns hierüber den gewünschten Aufschluss. Es heisst da zum J. 1168: Welfo sen. et Heinricus burgravius et Fridericus palatinus comes Hierosolimam petunt. Diese interessante Nachricht, die noch dazu in ihrer Zeitangabe mit der Urkunde vollständig übereinstimmt, scheint jeden Zweifel an der Echtheit der letzteren ohne weiteres auszu- schliessen. Die genannten drei deutschen Herren sind danach im

') Ibid. p. 407.

") Ibid. p. 427 u. 463.

•) Mon. Boic. VIII, p. 463 u. 464.

4) M. B. III, p. 52.

*) Ich vertnuthe, dass er zu Anfang der Sechsziger Jahre des 12. Jahrhun- derts, wo er mehrfach im Auftrage oder im Gefolge des Kaisers in Italien weilte, den die Ordensbesitzungen in Othmarshart und Liuchental betreffenden Kauf- vertrag mit dem frater Bonefatius lombardie preceptor abgeschlossen hat.

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Grauert:

J. 1168 geraeinsam zum heil. Lande gepilgert; dort hat der Gross- meister des Templerordens Bertrand dem Pfalzgrafen Friedrich die betreffenden Güter für seinen Bruder Otto übergeben und ebenda- selbst ist auch im unmittelbaren Anschluss an die Tradition die Urkunde ausgefertigt, natürlich von einem Schreiber des Ordens, einem Italiener, Franzosen oder Spanier *), dem wir es nicht so arg verübeln dürfen, wenn er die ihm barbarisch klingenden deutschen Namen nicht richtig geschrieben hat.

Doch so leichten Kaufes kommen wir über die Schwierigkeiten noch nicht hinweg. Schon Roger Wilmans, der Herausgeber der gesta Friderici macht in seiner praefafio Mon. Germ. hist. SS. XX. p. 345 auf Ragewins chronologische Irrthümer aufmerksam, die merkwür- digerweise zumeist darin bestehen , dass er das betreffende Jahr um 1 zu hoch ansetzt. Und so schlägt Wilmans im Text des Appendix für die unter dem J. 1168 aufgeführten Nachrichten, darunter also auch die uns speciell interessirende eine Besserung des 1168 in 1167 vor; ganz sicher ist er dabei freilich nicht; er setzt wenigstens hinter das 1167 noch ein Fragezeichen. Nun ist aber anderweitig mit absoluter Be- stimmtheit nachzuweisen, dass die Pilgerfahrt der drei Herren in der That nicht im J. 1168, sondern wirklich im J. 1167 stattgefunden hat.

In der historia Welforum Weingartcnsis *) heisst es nämlich, nachdem unmittelbar vorher von Ereignissen, welche ausdrücklich in das Jahr 1166 gesetzt werden, die Rede war: In subsequenti vero hieme circa epiphaniam (also 1167) Guelfo senior Hierosolimitanum iter aggreditur et in Italia imperatorem repperiens ac filium cum omnibus ad se spectantibus graciae eius commendans, pascha sanetum apud sepulcrum Domini celebravit.

Wird hier das Jahr 1167 auch noch durch die für das Früh- jahr 1 168 durchaus nicht passende Zusammenkunft des alten Weif mit dem Kaiser in Italien gewährleistet, so wird weiterhin die Richtig- keit desselben über allen Zweifel erhoben durch die in derselben historia sich findende Nachricht, dass der alte Weif auf der Rück- kehr aus dem heil. Lande um die Mitte des Monat Juli mit seinem im Heere des Kaisers dienenden Sohne in Rom zusammengetroffen sei »). Da der junge Weif am 12. Sept. 1167 in Italien durch die

*) Einen französischen Notar des Ordens vermuthet auch Graf Himdt 1. c. Sep.-Ahdr. p. 42, Note 4 als Schreiher unserer Urkunde. *) Mon. Germ. hist. SS. XX, p. 470. ») Mon. Germ. hist. SS. XX. p. 471.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

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Pest, die dem Römerzuge des Kaisers ein so unglückliches Ende bereitete, hin weggerafft wurde *), so ist hiernach das Jahr 1167 für die Palästinafahrt des alten Weif, des Pfalzgrafen Friedrich und des Burggrafen Heinrich v. Regensburg vollständig gesichert.

Wie aber stimmt zu diesem Ergebniss das Datum unserer Ur- kunde ? Es lautet ganz zweifellos : Factum est hoc Privilegium anno incarnationis dominice MCLXVIII mense aprili, V. Kai. maii, feria V. luna V. anno IUI. Amalrici ierosolimorum Regis, latinorum vero Amalrico patriarcha in iherusalem. Im Allgemeinen ist hier zunächst wieder zu bemerken, das< die Fülle der Zeitangaben, wie sie hier entgegentritt, dem anderweitig für das heil. Land bezeugten Kanzlei- gebrauch durchaus entspricht. Die Angabe des regierenden Königs und des gleichzeitigen Patriarchen von Jerusalem kommen in Paoli's Codice diplomatico I, und Roziere's Cartulaire so häufig vor, dass ich einzelne Urkunden gar nicht zu citiren brauche. Mondalterangaben habe ich gefunden in Beugnot Assises de Jerusalem II, p. 479 v. J. 11C3, Paoli Cod. dipl. I No. 18 p. 19 v. J. 1139, No. 193 p. 238 v. J. 1145, No. 38 p. 39 v. J. 1163, No. 41 p. 42 v. J. 1165.

Soweit wäre die Sache also wieder ganz in der Ordnung, wenn nur nicht das J. 1168 schon aus dem oben angegebenen Grunde hinderlich wäre. Dazu kommt noch, dass mense aprili, V. kal. maii, feria V., luna V. = Donnerstag den 27. April, ein Tag, der an und für sich zu dem oben wiedergegebenen Berichte des Anonymus Weingartensis , wornach der Herzog Weif das Osterfest 1167 = 9. April am heil. Grabe gefeiert habe, ausserordentlich gut passt, mit dem Jahre 1168 nicht in Einklang zu bringen ist. In diesem Jahre war der 27. April ein Samstag, er konnte also nicht als auf einen Donnerstag fallend, wie in unserer Urkunde, bezeichnet werden. Wohl aber stimmen alle Tagesangaben und zwar genau für das Jahr 1 167 ; hier ist der 27. April in der That ein Donnerstag ge- wesen, und er war wirklich der 5. Tag seit dem letzten Neumond. Daher muss nach allen Regeln der Diplomatik das Jahr 1168 un- bedingt weichen und dem früheren 1 167 Platz machen. Man könnte geneigt sein, die Sache auf einen Schreibfehler zurückzuführen. Allein Ficker scheint mir vollständig im Rechte zu sein, wenn er neuer- dings in den Beiträgen zur Urkundenlehre I, p. 41 diese Art der Erklärung bei einer zu grossen Jahresziffer in Originalurkunden für

«) Frutz, Friedrich I. Bd. II. p. 90. Archivalüche Z^ltichrift. III. 20

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bedenklich erachtet. Im vorliegenden Fall liegt, glaube ich, ein an- derer Ausweg viel näher und zwar der, dass hier der calculus Pi- sanus angewendet ist, wonach bekanntlich das Jahr mit dem 25. März, dem Tage der Verkündigung Mariens gewechselt und der Anfang der ganzen Aera um volle 9 Monate 7 Tage vor den Beginn der aera vulgaris gesetzt wird, so dass die Jahreszahlen für die Zeit vom 25. März bis 1. Januar nach Pisaner Berechnung stets um 1 grösser sind als nach der gewöhnlichen. Dass diese Art der Jahres- zählung auf Pisa nicht beschränkt geblieben ist , darf als bekannt vorausgesetzt werden. Art de verifier les dates ed. S. Allais tome I, p. 12, 13 u. 14 weist das Vorkommen derselben in Frankreich für das 11. u. 15. Jahrh. nach. Nach Jaffe Reg. pontif. Rom. Einleitg. p. VII. findet sie sich in päpstlichen Aktenstücken in der Zeit von 1088 bis 1145 promiscue mit der vulgären und der sogen. Flo- rentiner Rechnung. Und auch im heil. Lande ist sie zur Anwendung gekommen: Actum Accon in Domo Hospitalis in Palatio Magistri ... Anno ab incarnatione Domini secundum cursum Pisanum 1271 secundum vero morem Patriarchatus Hierosolimitani 1270 in- dict. XIV quinto idus Martii heisst es in einem Notariatsinstrument bei Paoli Codice diplom. I, No. 151 p. 192—194.

Es erübrigt nunmehr noch den letzten Theil des Datums : anno quarto Amalrici ierosolimorum Regis; latinorum vero Amalrico patriarcha in iherusalem, einer Betrachtung zu unterziehen.

Beide Amalriche haben allerdings sowohl im J. 1167 als auch i. J. 1168 der eine als König, der andere als Patriarch in Jerusalem regiert. Nur fragt sich, ob das Jahr 1167 aer. vulg. in der Thal das 4. Regierungsjahr des Königs Amalrich ist ? Nach den bisherigen Ueberlieferungen von dem Regierungsantritt Amalriehs ist auf diese Frage mit einem Nein zu antworten. Art de verifier les dates ed. S. Allais V, p. 60 sagt, König Amalrich I. sei seinem am 10. Febr. 1162 verstorbenen Bruder König Balduin HI. am 18. Februar desselben Jahres in der Regierung gefolgt. Das 4. Jahr seiner Königsherrschaft wäre also schon mit dem 18. Febr. 1166 abgelaufen und der 27. April 1 167 würde streng genommen schon in das 6. Jahr ge- fallen sein.

Es bedarf keiner Erwähnung, dass eine derartige Abweichung allein und für sich genommen nicht den geringsten Beweis für die Unechtheit unserer Urkunde liefern könnte ; ähnliche Fehler werden sich in Hunderten von ganz unverdächtigen deutschen und anderen

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167.

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Urkunden nachweisen lassen. Zum Ueberfluss mag es gestattet sein, zu untersuchen, wie es mit der Zuverlässigkeit jener Angabe, die den Regierungsantritt Amalrichs I. auf den 18. Februar 1162 setzt, bestellt ist. Die einzige Quelle für das betreffende Datum ist die Geschichte des heil. Landes von Wilhelm v. Tyrus1), welchem in diesem Punkte fast alle späteren Historiker gefolgt sind; so ausser dem Art de verifier les dates auch Pagi in der Critica chronologico- historica zum J. 1163, Wilken Gesch. der Kreuzzüge III, Abth. 2 p. 74 u. 75, Havemann, Gesch. des Ausgangs des Tempelherrn- ordens p. 24 und Reuter Papst Alexander III. Bd. III, p. 568 ').

Nun ist der Todestag des Königs Balduin HI. mit dem 10. Febr. entschieden richtig angegeben Ä). Gegen das Jahr 1162 müssen sich aber berechtigte Bedenken erheben, wenn man erwägt, dass König Amalrich, der nach Wilhelm v. Tyrus 1 1 Jahre 5 Mte. regiert haben und am 11. Juli 1173 gestorben sein soll4), im J. 1174 noch zweimal urkundet, am 18. April und im Monat Juni 6), ferner, dass eine von Eschiva Tabarie Domina ausgestellte Urkunde in der Datirung die Notiz hat: carta ista facta est 1174 regnante Amalrico Rege quinto Iherosolimorum e), und dass endlich die erste von König Amalrichs Nachfolger Balduin IV. uns erhaltene Urkunde vom 13. Dec. 1174 datirt ist

*) Recueil des historiens des croisades, ecrivains I, Abth. 2, p. 880.

') Während Wilhelm v. Tyrus I. c. den Tod Balduins III. auf den 10. Febr. 1162 setzt und ibid. p. 884 nur 8 Tage später Amalrich schon succediren lässt, heisst es 1. c. p. 883: Successil ei (Balduino) Amalricius millesimo centesimo sexagesimo tertio a liberatione vero eiusdem Deo amahilis civitatis sexagesimo secundo. Da aber Amalrich, wie Wilhelm 1. c. p. 884 schreibt, 11 Jahre und 5- Monate regiert und nach I.e. p. 1001 am 11. Juli 1173 stirbt, so ist auf p. 888 eine leicht erklärliche Verwechselung der Zahlen eingetreten und hat Wilhelm offenbar sagen wollen: Successit . . . 1162, a liberatione . . . civitatis 63.

•) Cfr. das Schreiben König Amalrich's an König Ludwig VII. von Frank- reich d. d. 8. April (leider ohne Jahr), worin jener Mittheilung von dem am Tage der heil. Scholastika = 10. Febr. erfolgten Tode seines Bruders Balduin macht, Bongars, Gesta Dei per Francos, p. 1178, Bouquet, Becueil des histor. des Gaules XVI, p. 36.

*) Diese Angabe wird wiederum von allen oben genannten Schriftstellern ohne Widerspruch angenommen.

») Paoli, Codice dipl. I, p. 243 u. 244. •) Ibid. p. 242.

T) Ibid. p. 245. Der hier aufgedeckte Irrthum Wilhelm's ist um so auffallen- der, als er selbst Kanzler des Königs Balduin IV. war. Gerade die eben citirte Urk. ist data per manum Guillelmi Tyrensis Begis cancellarii.

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Grauert :

Einer ähnlichen Unrichtigkeit macht Wilhelm sich in dem Be- richte über das Todesjahr des dritten Königs von Jerusalem Fulco und demgemäss auch bezüglich der Thronbesteigung des nachfolgenden Balduin III. schuldig. Fulco soll nach Wilhelm 1. c. p. 702 und 707 am 10. Nov. 1142 gestorben sein: Aber am 10. Januar 1144 erwähnt ihn Papst Cölestin II. in einem Schreiben an die Brüder vom heil. Grabe als einen noch Lebenden und erst in dem Privi- legium des Papstes Lucius II. d. d. 14. Sept. 1144 für dieselbe Kirche wird dem dux Godofridus und den beiden Königen Balduin (I u. II) auch Fulco rex als egregie memorie vir und somit als bereits Ver- storbener zugezählt *).

Da mir fernerhin kein einziges Diplom bekannt geworden ist, welches Amalrich als König von Jerusalem schon für das Jahr 1162 nachweist, da vielmehr die ersten urkundlichen Erwähnungen des neuen Königs dem J. 1163 angehören8), so kann ich mich der An- sicht nicht verschliessen , dass Wilhelm v. Tyrus, wie in den oben aufgeführten Fällen, so auch in dem Jahre des Ablebens Balduin's III. und der Thronbesteigung Amalrich's I. geirrt hat, dass beides nicht auf den 10. resp. 18. Februar 1162, sondern auf die betreffenden Tage des Jahres 1103 zu setzen ist.

Die Datirung der von uns besprochenen Urkunde des Gross- meisters Bertrand wird mit dieser Annahme bezüglich des anno IUI. Amalrici nicht ganz fehlerfrei hergestellt; für den 27. April 1167 wäre auch danach streng genommen das 5. Jahr Amalrich's anzu- geben gewesen. Indessen kann diese kleine Differenz die Unechtheit der Urkunde auf keinen Fall begründen.

>) Roziere, Cartulairc No. 19, p. 27 : das Schreiben hat nach Florentiner Stil das J. 1143; da Cölestin II. am 26. Sept. 1143 gewählt wurde und schon am 8. März 1144 starb, kann die Florentiner Datirung für jenes Schreiben nicht in Zweifel gezogen werden.

*) Roziere, Cartulaire No. 22, p. 33. Damit stimmt auch üherein die Dati- rung einer Urk. der Königin MiüsendiB bei Paoli, Codice dipl. I, No. 2<3, p. 28: Actum est hoc 1149 ind 12. Hegnante lilio meo Duo Balduine Hege Ihero- solimorum. Anno equidem Hegni eius quinto. Der diesbezüglichen Angabe VVil- helm's v. Tyrus sind die meisten Schriftsteller nicht gefolgt, indem die einen 1143, die anderen 1144 als Todesjahr Fuloo's annehmen.

», Paoli. Codice dipl. I. No. 164, p. 207 und No. 165, p. 208; die letztere, eine Urk. des Grafen Raimund v. Tripolis sagt in der Datirung ausdrücklich: facta est haec carta anno ab incarnatione Domini 1163 Regnante in Iherosolymis Rege Amalrico anno primo regni eius; leider fehlt das Tagesdatum.

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Eine Tempelherrenurkunde von 1167. 309

Dagegen hat die ganze Untersuchung ergeben, dass weder gegen Inhalt noch Form unserer Urkunde berechtigte Bedenken erhoben werden können. Dieselbe muss daher als zweifellos unverdächtige am 27. Apr. 1167 aer. vulg. höchst wahrscheinlich im heil. Lande ausgestellte Originalurkunde eines Tempelherrengrossmeisters an- gesehen werden.

Bei dem tragischen Geschick, das am Anfange des 14. Jahr- hunderts den Orden betroffen, mögen auch seine Dokumente und Aktenstücke theilweise zu Grunde gegangen sein, und so darf das Münchener Reichsarchiv vielleicht sieh rühmen, mit den Pergamenten des Klosters Waldsassen ein archivalisches Unicum übernommen zu haben.

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XVI. Ueberführung von Siebenbürger Archiven nach

Buda-Pest

In Budapest besteht seit 1875 unter der Direktion Dr. Julius Pauler's (der seinem Studiengange nach geprüfter Advokat) ein Landes- archiv, das zusammengesetzt ist aus den Archiven der ehemaligen ungarischen und siebenbürgischen beiden Hofkanzleien, der ehe- maligen ungarischen Hofkammer und des siebenbürgischen Thesau- rariates, aus dem früheren siebenbürgischen Fiscal -Archive, aus dem Archive der bestandenen Statthalterei (consilium locumtenentiale), aus dem Palatinsarchive, und dem Archive des bestandenen sieben- bürgischen Guberniums. Mit diesem neuen Landesarchive in Buda- pest sollen nun auch das Archiv des Karlsburger Kapitels in Karls- burg und das Archiv des Kolosmonostorer Konvents in Klausenburg auf Grund blos eines ministeriellen Befehles trotz des von dem aus Geistlichen und Weltlichen bestehenden obersten Vertretungskörper der Katholiken Siebenbürgens (Status Catholicus) dagegen erhobenen Widerspruches vereinigt, beziehungsweise aus Karlsburg, dem Sitze des römisch katholischen Bischofs, und aus Klausenburg, dem Sitze einer laut Gesetzartikel XIX vom Jahre 1875 »auf Grundlage des Principes der Lehrfreiheitc (§. 1 dieses Gesetzes) errichteten Universität, nach Budapest überführt werden. Der Innerminister Koloman von Tisza erklärt in seiner Antwort auf den, gegen die Vereinigung der ge- nannten beiden siebenbürgischen Archive mit dem ungarischen Landesarchiv erhobenen vorerwähnten Protest des römisch-katho- lischen Status, dass die Errichtung des Landesarchivs auf dem Gesetzartikel 45 vom Jahre 1723 beruhe. In diesem Artikel heisst es allerdings: »statutum est §. 1. ul universale archivum regni pro

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Ueberfuhrung von Siebenbürger Archiven nach Buda-Pest. 31 1

iuterim in libera et regia civitate Posoniensi et in domo dominorum regnicolarum institualur.« Aber dieser Gesetzartikel galt und konnte staatsrechtlich, weil lediglich von der Gesetzgebu ng Ungarns erlassen, auch nur für den Umfang Ungarns gelten; zur Rechtsgiltigkeit in Siebenbürgen, welches in Folge der Schlacht bei Mohacs im Jahre 1526 von Ungarn getrennt war, fehlt es dem von Tisza bezogenen 45. Ungarländer Gesetzartikel vom Jahre 1723 an der rechtlichen Grundlage, und zwar um so mehr, als das Recht des Domkapitels zu Karlsburg und des Kolosmono- storer Konvents auf die >cura et custodia archivorum Albensis vide- licet et Colos-Monostoriensisc im 7. siebenbürgischen Gesetzartikel des Jahres 1744 eine neue Verbriefung aufzuweisen hat. Nun hat Siebenbürgen im Jahre 1867 allerdings aufgehört, ein von der Ge- setzgebung des Königreiches Ungarn unabhängiges selbständiges Land zu sein; allein aus der zur Thatsache gewordenen staats- rechtlichen Vereinigung beider Länder folgt rechtlich keineswegs die Ueberführung der mehrgenannten Archive aus Karlsburg und Klausen- burg nach Budapest. Sind doch das Kapitel zu Karlsburg (Capitu- lum Albense) und der Konvent zu Kolosmonoster als loca credibilia in jener Zeit, als die Könige aus dem arpadischen Mannstamme Ungarn regierten, entstanden und haben seit der Zeit während des wechselvollen Laufes von Jahrhunderten diese Archive nicht auf- gehört, als loca credibilia d. h. als öffentliche, mit amtlicher Glaubwürdigkeit versehene Archive in Wirksamkeit zu sein. Erst der am 12. December 1874 sanetionirte XXXV. Gesetzartikel »über die königlichen öffentlichen Notare« beschränkt ihre Wirksam- keit, indem der §. 214 dieses Gesetzes verfügt: »die loca credibilia »dürfen von den unter ihrer Obsorge befindlichen Urkunden auch »künftighin beglaubigte Ausfertigungen ertheilen, aber zur Aus- »stellung und Verwahrung neuer beglaubigter Urkunden sind sie »nicht mehr berechtigt.« Eine Bestimmung darüber, dass irgend ein Archiv eines locus credibilis nach Budapest zu überführen und dem dort errichteten Landesarchive einzuverleiben sei, enthält die mitgetheilte Gesetzesstelle nicht. Eine solche specielle Bestimmung wäre aber um so unerlässlicher gewesen, als die vom Minister Koloman von Tisza ins Werk gesetzte einseitige Anwendung des ober wähnten 45. Ungarländer Gesetzartikels vom Jahre 1723 blos auf die beiden siebenbürgischen Archive zu Karlsburg und Klausen- burg durch §. 12 des Gesetzartikels XL1II vom Jahre 1868 »über

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312 Ueberführung von Siebenbürger Archiven nach Buda-Pest.

die detaillirte Regelung der Vereinigung Ungarns und Siebenbürgens c geradezu ausgeschlossen ist, indem es hier heisst: »Die Anwendung »jener Gesetze, welche vor der Vereinigung der Gesetzgebungen »Ungarns und Siebenbürgens auf dem abgesonderten Reichs- ttage Ungarns geschaffen worden sind, wird hinsichtlich des sieben- » bürgischen Gebietes, in wie ferne es nöthig sein wird , im Wege »der Gesetzgebung bewerkstelligt werden. c So willkürlich, weil gegen das formelle Recht getroffen, so einseitig, weil unter den vielen loca credibilia blos die genannten siebenbürgischen Archive zu Karlsburg und Klausen bürg herausgreifend und blos ihre Ver- einigung mit dem Landesarchive in Budapest verfügend, demnach der in Rede stehende Erlass des Ministers Koloman von Tisza ist, ebenso lässt derselbe die berechtigten Ansprüche an eine gute Ver- waltung ausser Acht. Diese Archive sowie die übrigen loca credi- bilia in Ungarn sind durch das Bedürfniss in's Leben gerufen worden (siehe Martin v. Schwartner Statistik des Königreichs Ungarn II. 165 169. Anton von Viroszil Staatsrecht des Königreichs Ungarn II. 315) und haben von jeher als so wesentliche Rechts- institute gegolten, dass auch die neue, mittelalterlichen Einrichtungen im übrigen abholde Civilprocessordnung (Gesetzartikel LIV vom Jahre 1868) es mit Rücksicht auf den Hauptinhalt dieser Archive nicht vermeiden konnte, gleichfalls die Bahn älterer siebenbürgischer und Ungarländer Gesetze zu wandeln und im §. 214. 558 zu verord- nen: »Die öffentlichen Behörden und beglaubigten Orte sind »verpflichtet, ohne Requisitionsauftrag sowohl auf einfaches »Ansuchen einzelner Parteien, als über Anlangen der »Gerichte, beglaubigte Ausfertigungen von den unter ihrer Obsorge »befindlichen Urkunden bei Vermeidung einer in jedem einzelnen »Falle zu verhängenden Geldstrafe von fünfhundert Gulden auszu- »folgen.« Während gemäss der im Wege des Gesetzes nicht ab- geänderten gesetzlichen Einrichtung die Archive zu Karlsburg und Klausenburg im Lande, dessen Bewohner und Gerichte ihr Inhalt vorzugsweise berührt, sich befanden, also mit wenig Mühe und ge- ringen Kosten zu erreichen waren, sollen nun in Folge der vom Minister Tisza im Wege der Verwaltung verfügten Ueberführung derselben in das Landesarchiv nach Budapest die betreffenden Parteien und Gerichte sich nach Budapest wenden, beziehungsweise dahin eine kostspielige Reise machen. In gleicher Weise werden durch die Wegführung dieser Archive aus dem Lande die Interessen der

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Ueberführung von Siebenbürger Archiven nach Buda-Pest. 313

Wissenschaft geschädigt, indem dadurch die Benützung bedeutenden, eben für den siebenbürgischen Boden vorzugsweise werthvollen historischen Quellen materials einer zahlreichen Intelligenz sehr erschwert, den wenig Bemittelten fast unmöglich gemacht wird. Namentlich fallt die Rücksicht auf die Wissenschaft hauptsächlich bei Klausenburg in's Gewicht, wo sich in Ausführung des bereits oben erwähnten XIX. Gesetzartikels vom Jahre 1872 eine Universität befindet, welche nach §. 3 dieses Gesetzes auch eine »philosophische, sprach- und gcschichtswissenschaftliche« Facultät hat. Die Mitglieder dieser Facultät haben unstreitig das Bedürfniss und den Beruf, die historischen Hilfswissenschaften tüchtig zu vertreten, sich um die vater- ländische Geschichtsquellenforschung verdient zu machen, und müssen es schmerzlich empfinden, dass durch die vom Minister Tisza ver- fügte Ueberführung des bisher unangefochten in Klausenburg aufbe- wahrten Archives diese ergiebige Gelegenheit zu historischen Quellen- studien ihnen entzogen wird.

Was Siebenbürgen in dieser Richtung vom ungarischen Minister des Innern Koloman von Tisza erfahren hat, lässt sich gar nicht vergleichen mit der Behandlung von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt a. Main und Elsass-Lothringen , die noch dazu in einem Kriege erworbenes Land darstellen; alle diese Territorien sind im ungestörten Besitz ihrer Landesarchive geblieben, nach dem Grund- satze, dass die Archivalien an dem Boden haften, auf dem dieselben entstanden sind und dessen Geschichtsquellenmaterial sie mehr oder minder vollständig repräsentiren.

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XVII. Literatlirbericht

1. Julius Ficker, Professor an der k. k. Universität zu Inns- bruck, Beitrage zur Urkundenlehre. II. Band. 550 S. 8'. Innsbruck, Verlag der Wagner'schen Universitäts-Buchhand- lung. 1878.

Der zweite und Schlussband der Beiträge, dsssen Vorlaufer wir im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift augezeigt haben, bestätigt das Urtheil, dass ein für die Urkundenlehre so epochenmacbendes Werk seit langer Zeit nicht mehr her- vorgetreten ist. Ja noch mehr: in der Kritik unserer mittelalterlichen Ge- schichtsquellen überhaupt wird ein einzelnes Buch kaum je eine Umwälzung von ähnlicher Ausdehnung und Wichtigkeit herbeigeführt haben. Und diess ist um so erfreulicher, als die Umwälzung einen überwiegend conservativen Charakter trägt, als wir viele vermeinte Fälschungen nun als echt betrachten dürfen. In- dem der Verfasser das im ersten Bande eingeschlagene Verfahren fortsetzt, ver- folgt er den Gang der Beurkundung in seinen einzelnen Stadien, immer er- wägend, welche Angaben der Urkunde durch dasselbe beeinflusst sein und wie sich Widersprüche daraus ergeben konnten. Die Behandlung ist derartig, dass dabei einerseits ein gutes Stück von einem förmlichen System der Diplomatie für Königsurkunden erwächst, anderseits Echtheit oder Unechtheit zahlreicher Urkunden in concreto festgestellt wird. Um einen raschen Ueberblick zu ge- statten, hat der Verf. vor dem alphabetischen Begister am Schlüsse ein Ver- zeichniss aller Urkunden zusammengestellt, welche er mit einer für historische oder diplomatische Zwecke beachtenswerten Besprechung bedachte. Zunächst erhalten wir den Nachweis, dass die Dauer der Beurkundung, d. h, der Zwischen- raum von dem Beurkundungsbefehle des Königs bis zur Ausfertigung der Urkunde und ihrer Uebergabe an die Partei ein sehr beträchtlicher sein und dass sich verschiedene Theile der Urkunde auf verschiedene Zeitpunkte der Beurkundung beziehen können. Der Text freilich ist fast immer einheitlich, anders aber liegen die Verhältnisse beim Protokoll und bei den Zeugen, welche Hr. Ficker als dritten Hauptbestandteil der Urkunde weder zum Protokoll noch zum Texte ziehen will. Zur Erörterung kommen hier der Unterschied zwischen Briefen und Privilegien, die Bedeutung des dictare, die Entstehung des Concepls. Con-

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Literaturbericht.

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cepte älterer Königsurkunden haben sich nicht erhalten; auch aus Privalarchiven vermag der Verf. kein älteres aufzuweisen, als das einer Urkunde des Erz- bischofs von Mainz 1185. Copien von Concepten liegen besonders im Registratur- buche Kaiser Karls IV. vor; Auszüge aus Concepten im Regest Friedrichs II., zum Theil wohl auch in den beiden Stücken der Registratur K. Ludwig des Baiern, welche in Oefele's Scriptores veröffentlicht sind; überwiegend aber schei- nen diese letzteren Stücke Auszüge aus bereits vorliegenden Urkundentexten zu enthalten.

Weiter wird von der Durchsicht und Gorrectur des Conceptes durch einen höheren Beamten gehandelt, vom Befehl zur Fertigung der Reinschrift, vom persönlichen Eingreifen des Königs, von seinem Handzeichen, dem Monogramm und dessen Vollziehungsstrich. Es folgt der wichtige Abschnitt über die Zu- fügung der Zeugen, von denen man nur sagen kann, dass sie während der Dauer der Beurkundung, keineswegs aber, dass sie an irgend einem engeren Zeitpunkte der Beurkundung sämmtlich am Hofe waren. Die Verlesung der Urkunde sollte dieselbe entweder zu des Ausstellers oder zu öffentlicher Kennt- uiss bringen. Häufiger als die Verlesung wird in den Königsurkunden die Be- kräftigung durch den Bann erwähnt. Das Eingangs-, wie das Schlussprulokoll können vorausgefertigt oder nachgetragen sein. Durch beides lassen sich Wider- sprüche erklären, in denen man bisher Kriterien der Fälschung suchte. Zur Zeit der Datirung verstorbene Personen werden wohl im Text als lebend voraus- gesetzt, in derselben Urkunde folgt auf ein königliches Eingangs- ein kaiser- liches Schlussprotokoll, das letztere wird in Abwesenheit des Herrschers nach- getragen u. s. w.

So auffällig es ist, so glaubt der Verfasser kaum bezweifeln zu dürfen, dass Goncepte zuweilen Jahre lang gelegen sind, bis sie ausgefertigt wurden, Rein- schriften, bis man sie mit mit dem Protokoll versah. Weit einfachere Verhält- nisse bieten die Privaturkunden, die wohl mit verschwindend geringen Ausnahmen in allen ihren Theilen gleichzeitig entstanden sind, so dass hier die Veranlassung zu ähnlichen Unregelmässigkeiten fehlt. Die Kapitel über die Zeile des könig- lichen Namenszeichens, die Rekognitionszeile und die Besiegelung schliessen den Abschnitt über die Beurkundung.

Ihm reiht sich an der umfänglichste des Bandes, der von der Datirung, d. i. Eintragung der Angaben von Zeit und Ort handelt. Datum bedeutete nach Annahme Fickers ursprünglich die Uebergabe der Urkunde an den Empfänger, die Aushändigung der fertigen Urkunde an die Person, für welche sie bestimmt war. Mindestens bis in das 13. Jahrhundert, glaubt F., sei man sich «lieser eigentlichen Bedeutung des Wortes noch durchaus bewusst gewesen. Bis auf den Ausgang des fränkischen Hauses sind in den Königsurkunden die Zeit- angaben unter datum, der Ort dagegen unter actum gegeben. Auf diese »ältere Datirungc, wie sie der Verf. nennt, folgen Uebergangstormeu, unter Friedrich I. aber wieder eine feste, die sogenannte »staufische Datirung«. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen der feierlichen Form, welche unter actum die Jahres- angaben, unter datum Ort und Tag verzeichnet, und der einfachen, welche alle Angaben in einer einzigen Formel, entweder unter datum oder unter actum oder unter actum et datum gibt. In der nacbstaufiscben Zeit wird diese einfachere Datirung und zwar mit actum et datum zur alleinherrschenden. Was nun die

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Literaturbericht.

Beziehung der Datirung auf die verschiedenen Stadien der Beurkundung betrifft, so gelangt F. zu einem nichts weniger als einfachen Ergebnisse. Die ein- heitliche Datirung kann sich hienach beziehen auf die Uebergabe an den Em- pfänger, auf den Fertigungsbefehl oder auf den Beurkundungsbefehl, die nicht- einheitliche überdiess auf die Fertigung des Gonceptes oder die Fertigung der Reinschrift.

In anderem Zusammenhange legen die Schlussbemerkungen die Ergebnisse nochmal übersichtlich dar, indem hier der Verfasser von den einzelnen in den Urkunden vorkommenden Widersprüchen ausgeht und angibt, auf welche Weise sich dieselben gestaltet haben können. Dieser kürzere Abschnitt des Buches wird wohl mit Vorliebe von Historikern und Archivaren studirt werden: auf den vielverschlungenen und holperigen Wegen der ersten Untersuchungen dürften den Verfasser ausser den Diplomatikern von Beruf wohl nicht Viele mil Aus- dauer begleiten. Fickers Art ist es nun einmal nicht, dem Leser etwas von der Mühe zu verbergen, die es den Forscher gekostet hat, oder ihm die Unter- suchung in knapper und gefälliger Form vorzulegen. Aber es wäre kleinlich, daran zu mäckeln bei der Fülle von Belehrung, die uns geboten wird und die zum grossen Theile nicht erst an den Zielen, sondern schon an den Wegen der einzelnen Untersuchungen erwächst.

Das Hauptergebniss des hochgelehrten Werkes ist nun, wie sich schon nach dem ersten Bande beurtheilen liess: dass zahlreiche Urkunden, die man bisher auf Grund von Widersprüchen als Fälschungen verurtheilte, für echt zu halten sind. Diess bleibt auf alle Fälle gesichert, mag weitere Forschung auch in manchen Einzelheiten zu anderer Auffassung führen. Mit Freude verzeichnen wir da eine Bemerkung des Verfassers zu Gunsten der so oft und leider mit so guten Gründen angefochtenen Monumenta Boica. Die Herausgeber der Königs- urkunden nämlich in denselben haben sich oft vor einem Verwerfnngsurtheile gehütet , das eine spätere Richtung auf Grund einer vermeintlich überlegenen Kritik verhängte, und schon sie haben manche Widersprüche der Urkunden durch Annahmen erklärt, welche nun durch Ficker Rechtfertigung und erst wissenschaftliche Begründung erlangen. Fortan wird der Beweis der Unechtheit von Urkunden namhaft erschwert sein. Sicher kenntlich bleiben als Fälschungen, wie der Verfasser bemerkt, zunächst nur mehr 1. die rohen, ganz selbständigen Machwerke, bei welchen eine echte urkundliche Vorlage überhaupt nicht zur Hand war, und bei welchen sich die Fälschung durch den Gesammteindruck ergibt, und 2. jene Stücke, bei denen eine ächte Vorlage für eine Fälschung an- geblich früherer Entstehungszeit benutzt wurde. Zum Schlüsse betont der Ver- fasser die gesteigerten Anforderungen, welche nach seinen Aufschlüssen nun an die Herausgeber von Königsurkunden und Bearbeiter ihrer Regesten herantreten. Schon ihnen obliegt es, die Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, welche sich aus der möglichen Beziehung der urkundlichen Angaben auf verschiedene Zeitpunkte ergeben. Selbst die geringfügigsten Einzelheiten müssen in dieser Hinsicht beachtet, insbesondere die graphischen Verhältnisse müssen berücksich- tigt, Verschiedenheit der Schrift und Tinte, Vorkommen von Gorrecturen und ähnliches muss angezeigt werden. Schon der Herausgeber aber hat auch darauf zu achten, ob nicht innere Widersprüche den Verdacht erregen, dass der Text nicht in einem Zeitpunkte entstanden sein könne, und in diesem Falle bedarf

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Literaturbericht. 317

es auch einer ausdrücklichen Erwähnung, wenn die äussere Erscheinung der Urkunde eine einheitliche ist. Hiezltr.

Italienische Archivsliteratur.

L Gli Archivi di Stato toscani alla Esposizione universale di Vienna. Memoria. Florenz, Cellini, 1872. 8°. 65 S.

2. F. Trinchera: Degli Archivi napoletani relazione a S. E. il Ministro della pubblica Istruzione. Neapel, Fibreno, 1872. 8°. 696 S., mit 1 Situationsplan.

3. II Regio Archivio Generale di Venezia. Venedig, Naratovich, 1873. 8°. 463 S., mit 3 Ansichten, 4 Situationsplänen und 1 Chiffretafel.

4. G. Siluestri: Sul Grande Archivio di Palermo, e sui lavori in esso esseguiti del 1865 al 1875. Palermo, Virzi -Puler,

1875. 8°. 18 S.

5. T. Toderini B. Cecchetti: L' Archivio di Stato in Venezia nel decennio 1866—1875. Venedig, Naratovich, 1876. 8°. 211 S.

6. Notizio generali e numeriche degli atti conservati negli Ar- chivi giudiziario, amministrativi e finanziari del Regno. Rom,

1876. 8°.

7. Della Libreria legislativa nell" Archivio di Stato in Ve- nezia. Venedig, Naratovich, 1877. 8°. 14 S.

8. Sul progetto di Legge per lordinamento degli Archivi nazio- nali. Memoria del Comitato permanente notarile italiano a S. E. il Ministro Guardasigilli. Rom, Cecehini, 1877. 8°. 14 S.

Referent hatte bereits in seinem Aufsatze, der »die neueste Organisation der Staatsarchive in Italien« (I. 174 dieser Zeitschrift) bespricht, Gelegenheit, auf die verhältnissmässig reiche archivistische Literatur Italiens hinzuweisen. Einiger der Werke, die hier oben angefärt sind, ist auch dort schon gedacht. Seit der Zeit sind aber nicht allein neue PublicaÜonen zugewachsen, sondern es ist auch von den hervorragendsten der früheren wenig Kenntniss in Deutschland genommen worden. Archivare und Historiker haben aber gleiche Veranlassung, die noch immer nicht behobene Schwerfälligkeit unserer buchhändlerischen Ver- bindungen mit Italien zu beklagen. Die Dinge von dort rücken Einem warlich nur näher, wenn man ihnen auf mehr oder minder sichere Anzeigen hin nach- läuft, und dann noch bedarf es (wie bei No. 7 u. 8) zuweilen noch guter Freunde, um sie zu haschen. Dem Historiker erwächst aus manchen der oben

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Literaturbericht.

citirten Bücher eine wahre Handhabe zur Benutzung der betreffenden Archive, und wird der Stoff, entsprechend zu seiner Riesenmässigkeit , manchmal recht bequem vor Einem ausgehreitet. Den Archivaren aber muss die Correctheit einer- und die Unverdrossenheit anderseits gefallen, mit welcher die italienischen Collegen in Beziehung auf die Entwicklung ihrer Schriftmassen vor der Oeffent- lichkeit vorgehen. Freilich haben sie es der Mehrheit nach mit Acten ver- flossener Dynastien und Regierungen zu thun, und sind desshalb weniger behin- dert. Allein anderseits ist die Arbeit dort wie hier mühevoll, nur wird sie dort weit weniger bezall, und es heischt alle Anerkennung, dass trotz der weniger günstigen Situation als in Deutschland, der Eifer nicht ermüdet.

Die oben erwänten Werke sind guten Teils sehr umfangreiche. Die wich- tigsten derselben beschäftigen sich nicht nur mit dem Detail von Uebersichten, sondern auch mehr oder minder ausfürlich mit der Geschichte ihrer betreffenden Archive, mit den Studien der Heranbildung, deren jetziger Organisation u. s. w. Dazu kommt noch, dass die nord- von den süditalienischen Archiven in Bezu? auf die Geschichte, und sonach die Einteilung des Stoffes, endlich betreffs dieses selber so grundverschieden sind, dass für eine gemeinsame Betrachtung kein Faden sich finden lässt. Es wäre aber zu viel, an Einem Orte diese bedeuten- den Fachpublicationen ihrem inneren Werte nach zu behandeln, und kann Referent füglich nur an deren leitende Ideen sich halten. Dagegen möge es ihm für ein andermal gestattet sein, von einem oder dem anderen dieser ita- lienischen Hanptarchive zu erzälen.

Die drei erstgenannten Werke verdanken ihren Ursprung der Wiener Welt- ausstellung von 1873. Es war nicht das erste Male, dass italienische Archive bei solchen Gelegenheiten auftraten. So war es wenigstens 1862 bei der Lon- doner Ausstellung und 1867 beim statistischen Congresse zu Florenz, und irrt Referent nicht, so hatte auch der archäologische Congress zu Bologna (1871) auf das Archivwesen bezügliche Fragen gestellt. Die italienische Regierung hatte ihre Archive für Wien ganz besonders aufgefordert, und thatsachlich haben die- selben daselbst in ihrer Branche grosse Ehre eingelegt, Wir aber haben den Vorteil, Einblick dort zu gewinnen, wo ohne jene Gelegenheit, ohne jenen Ehr- geiz und Eifer uns derselbe wol auf lange vorenthalten geblieben wäre.

Am kürzesten ist der Florentiner, resp. loscanische Bericht (No. 1, von Bonaini) abgefasst. Er gibt für sein Schema nur Andeutungen und Nachweise, und geht nicht in die sogen, synoptischen und andern Uebersichtstabellen ein. Man hat eben in Florenz gute Gelegenheit, die Archivsinventarien als besondere Suite der Amtspublicationcn zu veröffentlichen. Sehr detaillirt sind die Berichte 2 (Trinchera) und 3 (Toderini) von Neapel und Venedig abgefasst. An beiden Orten ist das Staatsarchiv wirklich der Spiegel der Geschichte beider Staaten, soweit er sich in Aemtern und deren Individualisirung im Archivsschema aus- prägt — von dem Inhalte der Acten ganz abgesehen. Am wenigsten bekannt scheint das neapolitaner Archiv, und zugleich, dass es die älteste Organisation in ganz Italien besitzt, und wie es scheint, eine treffliche, an deren Hand viel gearbeitet wurde. Von hohem Interesse sind die Studien, Abhandlungen und Bei- lagen von No. 3 für Venedig. Wer am dortigen Archive wissenschaftlich sich beschäftigen will, kann nicht gut ohne dieses Werk und ohne No. 5 es betreten. Wollen wir auch etwas Zahlencultus treiben, dem wir wegen No. 6 doch nicht

Literaturbericht.

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entgehen können, so müssen wir erwänen, dass die toscanischen Archive (Flo- renz, Siena. Lucca und Pisa) 203.750 Pergamenturkunden vom 8. Jahrhundert ab besitzen ; in Neapel erreicht wie es scheint die Zal nicht 70,000. aber dafür sind zal reiche Registratur- oder Gopialbücher vorhanden, und besitzt auch Neapel keineswegs eine Centralisation ähnlich der venetianischen. Ebenso ver- hält es sich mit dem Inhalte des sog. Frari- (Stats-) Archives zu Venedig.

Obgleich nicht für dieselbe Gelegenheit geschrieben, ist doch No. 4 ganz nach dem Vorbilde der Nummern 1—3 gearbeitet. Dieses Parlemitaner Archiv besitzt eine Aufteilung in 94 Glassen vom 11.— 19. Jahrhundert, und an Fasci- keln und Registern die respectable Zal von 822,426.

Sämmtliche diese 4 Berichte behandeln zuerst die Geschichte oder die Gründung ihrer Archive, die Reglements, die Archivsarbeiten, die Archivsschulen, die Benützung für wissenschaftliche und andere Zwecke, die Zuwüchse, die Lo- calitäten, die Einteilung u. s. w. In Bezug auf Archivgeschichte hat der vene- tianer Bericht entschieden alles Interesse für sich und vor den andern voraus, und löst auch seine Aufgabe würdig. Er enthält auch die genauesten Ausweise betr. der wissenschaftlichen Benützung. In Palermo scheint die Benützung für Privatzwecke sehr fleissig: so weisen die Jahre 1870 74 nicht weniger als 16,000 Recherchen nach, für welche die Beamten 32,560 Seiten beschrieben und 14,657 Lire einnamen.

Aehnlich den genannten Berichten, ist No. 5 für Venedig gearbeitet, doch nur ähnlich, denn sein Zweck ist ein anderer. Es sollte einen Ausweis nicht so sehr de* Archivsinbaltes, als vielmehr der Archivsthätigkeit für 10 Jahre geben. Daher enthält es in No. 3 bezüglich der Stoffe nur einen Auszug, ist aber für die rein inneren Angelegenheiten und den Verkehr mit dem Publikum desto reicher ausgestattet. Es ist im Ganzen ein Rechenschaftsbericht, der recht gute Indices bringt und namentlich eine sehr dankenswerte allgemeine archi- vistische Ribliogaphie. Aus seiner Statistik wollen wir erwänen, dass die 2 auf- gehobenen Klöster, welche das Staatsarchiv occupirt, demselben 199 Localitäten abgaben, worin 121 Archivsabtheilungen für die Zeit von 883 1797 und 189 für jene von 1797—1869; an Urkunden mögen etwas über 60,000 sein, an Re- gistern und Fascikeln aber 200.000.

Das Venetianer Archiv geht auch No. 7 an (verfasst vom Director Gecchetti), welches für Anlage einer so viel als möglich allgemeinen Gesetzessammlung am Staatsarchive plaidirt und darin an alte venelianische Gepflogenheit anschliesst. >Solevauo,c heisst es p. 11, »gli ainbasciatori e i residenti veneziani presso le Corti d'Europa, unire ai disparei, che dirigevano al Senato della Republica, gli editti o le publicazioni legislative emanati dai Governi, presso i quali erano accreditati. L'importanza storica universale che ha il nostro Archivio, , . . inspiro il deliderio di veder, in qualche modo, continuata la tradizione dei diplomati veneziani.« Der Gedanke hat entschieden Vorteile und ist empfehlens- wert.

No. 8 ist ein Art von Protest, welche das permanente ital. Notariatscomitf zu Rom gegen gewisse Auffassungen und Anordnungen des Ministeriums in Sachen der Staatsarchivsorganisation ausspricht Die Letztere, oder vielmehr das organische Gesetz vom 25. Juli 1875 tritt den Notariatsarcbiven und eventuell dem Notariate sehr uahe. Das Eine verlangt die Ablieferung sämmtlicher No-

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Literaturbericht.

tariatsarchi Valien bis 1851 und das Notariatsgesetz dagegen, dass die No- tariatsarchive sich selbst aus ihren Kanzleieinkünften erhalten. Nun fliesst aber der bedeutendste Betrag aus den Gopien u. s. w., welche von Acten vor 1850 ausgefolgt worden. Est ist eine Art von Kampf um's Leben. Dass die Staats- archive die Einverleibung der Schätze aus den Notariatsarchiven verlangen, ist nur gerecht; denn die Conser Valoren und die Locale und sonstigen Einrichtungen der Letzteren passen in der Regel nicht für Archive, aber man scheint in Italien gelegentlich grausam, nicht achtend gegen thatsächlich erworbene, herkömmliche, wenn auch nicht verbriefte Rechte der Individuen vorzugehen, nur um ein Schema so rasch als möglich auszufüllen. Das ist ein Unrecht, und im besten Falle fürt es zu erzwungenem Einhalten in der ausgesprochenen Richtung, da sich gewönlich die Umstände als machtiger erweisen, denn die überhastenden Pläne Einzelner. Von einzelnen Widersprüchen in dieser Richtung hat Referent bereits in dem eingangs berürten Artikel (des Bd. I) gesprochen.

Für Freunde von Zalen mag No. 6 ein Meer von Wonne abgeben: es ist die numerische Zusammenstellung der Fascikel und Register in den neueren Archiven oder Registraturen aller politischen, Gerichts- und Steuerämter des Königreiches. Die Motive der Publicatiou sind nicht angegeben: es liegt eine trockene Zalenanhäufung vor, in der jede Uebersicht. jede Beleuchtung, jede Modelung nach dieser oder jener fragwürdigen Richtung gespart wurde, und die also nur Materiale bleibt. Italien bat 10 Provinzen, welche zusammen 864 hohe und niedere Staatsämter zälen, und jedes derselben hält eine Registratur, und von jeder Registratur sind die Fascikel bis 1878 gezält. In dieser Zal von 864 sind aber einige nicht mehr bestehende Aemter, resp. deren Registraturen mit- gezält. Man begegnet da merkwürdigen Ziffern, die sämmtlich annemhar wenigstens, denn die Zeitangaben sind nicht durchgeffirt das 19. Jahrh. an- gehen und Summen, gegen welche das so reiche Archiv ai Frari zu Venedig recht bescheiden sich ausnimmt und doch hält diess Acten von mehreren Jahr- hunderten. So soll z. B. das Appellgericht zu Genua 157,242 Fascikel besitzen, die Präfectur von Neapel 259,982 u. s. w., das Tribunal daselbst 108,674, blos von 1809—1873! Die Präfectur von Ghieti, das doch kein sonderlich bedeuten- der Ort, hat von 1820—73 nicht weniger als 77,562 Fascikel und die Unterprfl- fectur von Lagonegro, das selbst in Italien die Wenigsten auch nur dem Namen nach kennen, 95,029 von 1806—73. In Neapel allein sollen die Staatsämter 603,063, in Genua 294,655, in Turin 235,335 und in Brescia 221,183 Fascikel aufweisen. Vermutlich sind aber nur Hefte gemeint, und zwar von Einzel Ver- handlungen, welche ja auch gegebenen Falles nur mehrere Blätter zälen können. Dagegen hat sich vom obersten Gerichtshofe von Massa aus den Jahren 1817 bis 1833 nur 1 Fascikel (nach den damaligen und dortigen Verhältnissen wol ein sehr inhaltsreicher!) erhalten. Da die Publication in verschämter Weise eine allgemeine Uebersicht nicht bietet, hat Referent eiue Zälung vorgenommen, und nicht weniger als 3,064,938 Fascikel (Hefte) gefunden. Wenn eine entsprechende Anzal derselben gut verwendet wird, kann manch Schönes aus diesem Wüste hervorgehen. Zahn.

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Literaturbericht.

321

3. A leveltärakröl tekintettel a magyar ällam leveltär- ügyre szekfoglalö ertekezes, olvasta 1874. nov. 2— an Jakab Elek 1. tag. Kiadja a m. tud. akademia. Buda- pest, 1877. 190 Seiten. (Alex i us Jakab über Archive, mit Rücksicht auf die Angelegenheit des ungarischen Staats- archives, Antrittsdissertation, gelesen am 2. November 1874. Herausgegeben von der ungarischen Akademie der Wissen- schaften.)

Im Interesse der Wissenschaft wie nicht minder der guten Verwaltung soll dem bisher mehr nur dem Namen nach bestandenen Landesarchiv zu Budapest ein möglichst grosser Umfang gegeben werden. Dies die Tendenz der vorliegenden Schrift. Nach einigen einleitenden Worten beginnt der Verfasser den histo- rischen Theil seiner Arbeit, eine historische Skizze des ausländischen Archiv- wesens in früheren Jahrhunderten. Um hierüber überhaupt etwas sagen zu können, bat er sich denn an mehrere hochachtbare Archivbeamten im Ausland um Auskunft gewendet und die solcher Gestalt gesammelten Nachrichten über das ausländische Archivwesen ohne jedwede Berücksichtigung der einschlägigen Literatur zusammengestellt. Der Verfasser greift bis in das Alterthum zurück, gibt eine Uebersicht der griechischen und lateinischen Namen von »Archiv«, wie sie in den Lexicis zu finden sind, und citirt einige die Archive betreffen- den Stellen der Justinian'schen Gesetzgebung. In dem Abschnitt (III) über das mittelalterliche Arcbivwesen macht Jakab die Leser mit einer Verordnung Karl des Grossen bekannt des Inhalts, es sollten im ganzen Beicbe Archive errichtet werden. Jakab bat offenbar keine Kenntniss von Th. Sickels Acta regum et imperatomm Carolinorum und dem darin I. 9 fl. enthaltenen Capitel »Archive«. Es folgen nun weiter die Abschnitte »Vatikanisches Archiv« (nach Dudik's Her Romanum), die Archive Englands (nach Ewald's Our public records, a brief hand- book to the National Archives), Frankreich (nach Inventaires et documents pu- blies par la direction generale des archives nationales, Paris 1871). des römisch- deutschen Kaiserthums, Preussens. In diesem letztgenannten Abschnitte macht Jakab ziffermässige Angaben über die Archivalienbestände einzelner deutscher Archive oder nenntauch nur Namen solcher. Bezüglich des preussischen Archivwesens bemerkt er, die beiden Schriften Gollmert Ober die preussischen Staatsarchive, und Lancizolle's Denkschrift über die preussischen Staatsarchive trotz aller Nachsuche nicht erhalten zu haben, und reproducirt eine Stelle aus einem Privatbrief des ge- wesenen Staatsarchivdirektors Max Dunker, wonach das Berliner Staatsarchiv aus der Neuzeit allein 30,000 Archivalien-Fascikel besitzt, und bedeutende Urkunden- massen sich in den Provinzialarchiven zu Düsseldorf, Coblenz und Münster (je 200,000 Stück) und zu Hannover, Magdeburg und Königsberg (150,000 Stück) befinden. Abschnitt VIII ist dem bayerischen Reichsarchiv in München gewidmet und besteht aus einer magyarischen Uebersetzung der beiden ersten Seiten der unter Z. 11974 ddo. München 8. Juni 1873 lithographirten Schrift von v. Löher: >Das bayerische Archivwesen.« Dabei unterlaufen einige Unrichtigkeiten: die angezogene Schrift wird als vom 18. Juni 1871 datirt bezeichnet; statt J. Georg ArchhralUchc Zclttcbrifl III. 21

*

322 Literaturbericht.

von Lori wird Georg Low, und statt des 23. December 1784 wird der 21. Dec. gesetzt. Die Abschnitte IX. bis XII. sind dem K. K. Haus-, Hof- und Staats- archiv zu Wien (ausschliesslich nach G. Wolf s Geschichte der K. K. Archive in Wien, Wien 1871), den Archiven von Venedig und Neapel, der Schweiz und Schwedens gewidmet. Betreffs der Schweiz gibt Jakab die in Burkhardt's Hand- und Adressbuch der deutschen Archive (Leipzig 1875) enthaltenen Daten, und bezüglich Schwedens wird die allgemein bekannte Thatsache gemeldet, das« durch die Heereszüge der Schweden während des 30jährigen Krieges namentlich aus Oesterreich viele Archivalien nach Stockholm kamen, und werden die Stand- orte der bedeutenderen Archive genannt. Die Entwicklung des ausserungar- ländischen Archivwesens im 19. Jahrhundert ist einem besonderen Abschnitt (XXI.) vorbehalten.

In den Abschnitten XIII bis XVUI behandelt der Verfasser die Archive nach ihren Eigenthümern, ihrer Bestimmung und ihren Gegenständen, dann die Wichtigkeit der Archive in Ungarn, besonders rücksichtlich ihrer Bedeutung für die Verwaltung, nationale Geschichtschreibung und für das Staatsrecht; der Verfasser geht den ältesten Spuren eines ungarischen Landesarchives nach und gedenkt der Versuche des vorigen Jahrhunderts, ein allgemeines ungarisches Staatsarchiv zu gründen. Das ungarische Kammerarchiv, das siebenbürgische Thesaurariatsarchiv, die ungarischen und siebenbürgischen Konvents- und Ka- pitelsarchive werden in den Kreis der Betrachtung gezogen. Auf den schon er- wähnten Excurs über das ausländische Archivwesen in diesem Jahrhundert (XXI.) folgt als XXII. und letzter Abschnitt: Die Entwicklung des ungarischen Archivwesens und sein heutiger Stand.

Der angezeigte Inhalt ist keineswegs in einer Weise verarbeitet, welche den nach dem heutigen Stande der Archivwissenschaft zu stellenden Anforderungen entsprechen könnte. Der Verf., der seit mindestens 15 Jahren Archivbeamter ist und vom Jahre 1867 bis zur Ueberführung des siebenbürgischen Gubernial- archivs in Klausenburg nach Budapest (1875) als Direktor dieses bedeutenden Archivs fungirt hat, legt durch diese in der ungarischen Akademie der Wissen- schaften vorgetragene Arbeit Zeugniss ab von einer staunenswerthen Unkenntniss der archivalischen Literatur, so dass kein Leser seiner Schrift in dem Verfasser einen alten Archivbeamten vermuthen wird. Die epochemachenden Werk«1 von Wattenbach (Schriftwesen) und Sickel (Acta regum et imp. Karolinorum). die Arbeiten von Gachard (Ies Archivs du Vatican), Ghampollion-Figeac (manuel de Tarchiviste), Pfannenschmidt (das Archivwesen in Elsass-Lothringcn) hat der Verfasser gänzlich mit Stillschweigen übergangen. Während Sickel das sichere Resultat langjähriger Forschungen gibt, tappt Jakab bezüglich des Karolinger Archivwesens im Dunkeln herum. Während Wattenbach und Gachard sichere Nachricht geben über das älteste päpstliche Archivwesen und letzterer die Ge- schichte desselben bis in unser Jahrhundert verfolgt, bietet Jakab dem Leser nicht mehr als Dudik in seinem Iter Romanum. Aber sogar im eigenen Hause unterlässt es Jakab ordentlich Bescheid zu ertheilen. Die der Geschichte des ungarländischen und siebenbürgischen Archivwesens gewidmeten Abschnitte sind keineswegs fachmännische Arbeit, sondern enthalten, wo nicht Kemeny (Notitia historico-diplomatiea archivi et literalium capituli Albensis Transsilvaniae) Hilfe bringt, nichts weiter als eine oberflächliche Zusammenstellung mehrerer älterer.

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Lileraturbericht.

323

auf das Archivwesen bezüglichen ungarländischen Gesetzesstellen. Wer über das ungarische Archivwesen früherer Zeit schreiben will, muss sich schlechterdings der Aufgabe unterziehen, in eingehender Specialuntersuchung die Entstehung und Wirksamkeit und die Bedeutung der »loca credibilia« d. i. derjenigen Kon- vents- oder Kapitelsarchive darzulegen, welche die Befugnis* hatten, rechtskräftige Urkunden resp. Urkundenabschriften oder -Bestätigungen auszufertigen, welche Befugniss bekanntlich erst mit dem Inslebentreten des Notariatsgesetzes (Ungarl. Gesetzartikel XXXV vom J. 1874) aufgehört hat. Die Untersuchung hätte auf das Studium der bezüglichen Konvents- und Kapitelsurkunden basirt zu werden, unter steter Bücksichtnahme auf die gleichzeitige vaterländische Gesetzgebung. Kurz gesagt: Jakabs Buch repräsentirt eine durchaus ungenügende Leistung.

n.

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Berichtigung.

Seite 208, Zeile 2 von oben ist zu lesen: 1167 statt 1168.

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JXV7 XH3JXVII.1

T 2

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Inhaltsübersicht,

•die

1. Zur Orientirung. Vom Herausgeber 1 ,

II. Ueber Vertrauen bei Archivbenützung. Vom Herausgeber .... 12

III. Leibni« Ober Archivwesen 21

IV. Ueber Urbarien und Urbarialaufzeichnunqen. Von v. Inama-S ter negg 26

V. Ueber die Hofzahlamtsrechnungen im K. Kreit-Archiv für Oberbayern. Von Rftth. . SA

VI. Zur „Series Episcoporum". Von Hoth v. Schreckenstein ... 70 VII. Regesten der Bischöfe von Konstanz. Von Roth v. Schreck e natein . 84 VIII- Geschichte de« KAIncr Stadtarchiv». Von Eimen 89

IX. Geschichte des Kreisarchivs in Speyer. Von Sc ha ml ein . . . , 110

X. Die archlvalischen Sammlungen aut Schiost Miltenberg in Bayern. Von r.nt«» 146

XI. Gatterer's Lehrapparat in Luzern. Von v. Liebenau 204

XII. Das «tadtische Archiv In Kon stanz. Von Marmor 227

XIII. Die Archive In Altenburg. Von v. Braun 241

XIV. Da« Archiv der Stadt Eger. Von Pro kl 249

XV. Das finsrhlnrhtftrhurh dn« Knnrad Mailar. Vrm Hoinrich .... 9JU

XVI. Sammlung von Siegel- und Medaillen-Abgüssen Im Reichsarchiv zu Mün- chen. Von Fr im hm . . Sfi3

XVII Kurze systematische Uebersicht des Inhalt« der bayerischen Landesarchive 273

XVIII. Aut «tadtitchen Archiven Altbayern«. Von Rapp und Mayr . . . 281

XIX. Fragmentarische Erinnerungen eines alten Archivare. Von Spach . . 292 XX. Da« neue Staatsarchivgebäude zu Breilau und seine Einrichtung. Von

Doehner . Ülfl

XXI. Ueber die Anwendung des Schwefelammonium bei verblichenen Urkunden.

Von Götze H24

XXII. Uteranirtterieht 32fi

XXIII. Kleinere Mittheilungen 335

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Inhalt des dritten Bandes,

fielt«

I. Ueber Vollständigkeit und Einheitlichkeit der Staatsarchive. Von Krim I

II. Notarielle Thätlgkelt der Archive. Vom Herausgeher 19

III. Ergänzungen zu den Regcsta Pontificum Romanorum von Jaffe und Polt- hast, vornehmlich aus den Quellen des Kön. Preussischen Staatsarchivs zu Münster I W. Von Wi I ma ns

IV. Zwei mittelalterliche Archivsanlagen in Italien. Voll V. Zahn w

V. Abriss der Geschichte des S. Erncstinischen Gcsammt-Archives in Weimar.

Von Burkhard! 8Q

VI. Geschichte des städtischen Urkundenarchivs zu Breslau. Von Markgral 11" VII. Ein wiedererstandenes Klosterarchiv in Steiermark. Von Wichner 1 .7

VIII. Das Archiv der Stadt Hermannstadt und der sächsischen Nation in Sieben- bürgen. N im Z i in in i' r ina Ii ii . . . . . . . .

IX. Das Hausarchiv Oettingon-Wallcrstern als Quelle örtlicher Genealogie. Von

Frhru. v. LöTfelholz

X. Geschichte des Kreisarchivs in Speier. \ ii Schaudern 204

XI. Kurze systematische Uebcrsicht des Inhalts der bayerischen Landesarchive 215

XII. Eine archivalische Reise nach London. Von Grünhagen

XIII. Das Geheimniss des Röcklschen Metallabgusses von Siegeln und Medaillen

und deren Sammlungen im Reichsarchiv zu München. Vom II e ra u sg e hei 240

XIV. Der älteste Wirzburger Bischofskatalog Von Schäffler

XV. Eine Tempelherrenurkunde von 1167. Von G m u »• 1 1

XVI. Ueberlührung von Siebenbürger Archiven nach Buda-Pest ...

XVII. Literaturbericht

Neuer Verlag von W. SPEMANN in Stuttgart.

GERMANIA.

Zwei Jahrtausende deutschen Lebens.

Ku Iturgcsch ich II ich ge*« Ii Urlerl von

JOHANNES SCHERR.

34 Lieferungen ii M. i. 50.

Dies ist der Titel einci i n Ih-ntMlicn KuHui^scIiiclite für den Fainilh-u-

kri'is, welche (Iii- ^eMreiche Feder de- herühiulcu Verfassers im Vereine mit den ersten deutschen Künstlern hier hielct. Si.- M-hildeil uns. in Wort und Hild dir Ar|n'it unserer Vorfahren in I Inns iiihI Feld, im Frieden und Krii j:. in Staat und Kirche, in Kunsl und Wisscnsi hall . alle die Wandelungen von Sit t.» und Ilrauch, das Land- und Stadllcheu, die häuerliche, bürgerliche, adelige und fui-t- liche Daseinswei.se, das deutsche Dielden und Trachten. Meinen und Minnen, Wissen und Wollen. Somit verdient die »Germania« im edelsten Sinne .I.- Wortes ein nationales P ra c h t werk, ein Fatn ii ienhuch zu beissettj geeignet, vaterländisches Fühlen und henken /u wecken und wachzuhalten, den (ieist deutscher Geschichte verstehen zu machen, die Geiuülher von ParteileideiV schaft zu reiuigeu und in allen Herzen da> heilige Fem-r wahrer Vaterland-! ii zu entzünden.

Preis des Werkes in Original-Prachtband M. 70.

lirurk ton «IcluOJtr KrOocr. Stull;»n

ARCIIIVALISCIIE

Z EITSCHRIFT.

HERAUSGEGEBEN

von

FKANZ vom LÖH KR.

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IV. BAND.

STUTTGART.

V ER LM.1 von VV. SPEMA N N 1879.

AECHIVALISCHE

ZEITSCHRIFT.

HERAUSGEGEBEN

VON

DR FRANZ von LÖHER,

I. BAT CK. OEHEJBKX RATH, M1CH8ARCHIT.DIRECTOR, UKITERSITiTS-FRüfERftOR, ORD. «ITUUED DER AKADEMIEN UtSL WWSISÜCHAirrBfi IN HCNCSI«. HRÜ88EL «U

IV. BAND.

STUTTGART. VERLAG von W. SP EH ANN.

1879

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Harvard College Library

BUmt CoUrctlon nenry LUllo Pierco Fand AJ..y 7, IM*

Druck von Oebrü.lcr Kröner In Stuttgart.

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Inhaltsübersicht.

Seile

1 1 Iphpr Arrhivhpni]f7nnn vnn Pr iva tnn in VprmKnpnccarhnn Wim 1 1 n r a n c o »» 1 1 p r

1

II. Maximen in verschiedenen Ländern

3

Ü

11

IV Verhandlungen der haveri^rhen Kammer der Ahppnrdiipten

13

V. Untersuchung vom Standpunkte des Hechts .

26

VI. Untersuchung vom Staudpunkte des allgemeinen Nutzens

29

VII. Untersuchung von» Standpunkt der öffentlichen Moral und der

31

33

38

42

II. Weitere Ergänzungen zu Jaffas und Potlhast's Regesta Pontificum Romanorum.

46

50

IV. Nlunch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv. Von Lflwen feld . . .

66

V. lieber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel in den Jahren 1378- 1400.

150

174

VII. Die Archive in der Oberlausitz, sowohl der sächsischen, als der preussischen.

219

224

IX. Das Archiv der Stadt Hermannstadt und der sächsischen Nation in Sieben-

237

X. Das Archivwesen im skandinavischen Norden. Von Secher

249

XI. Kurze systematische Uebersicht des Inhalts der bayerischen Landes archive

'260

XII. Zum Rheinischen Bund von 1254. Von Weizsäcker

268

XIII. Ueber das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg. Von Ural" Hundt. .

282

XIV. Geschichtliches über Tinte und sonstige SchreibbedUrfnissc in Bayern. Von

293

XV. Historische Entwicklung des Stammwappens der Fürsten zu Schwarzenberg.

306

318

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I. Ueber Archivbenützung von Privaten in Vermögens- sachen.

Vom Herausgeber.

I. Zur Einleitung.

Wem sind die Archive zu öffnen, und in welchem Umfange soll es geschehen? Das ist zweifellos eine Hauptfrage für das ge- sammle Archivwesen. In seiner seehszehnjährigen Archivierung hat sich der Herausgeber dieser Blätter bemüht, in die verschiedenen Seiten der Archivbenülzung von Fall zu Fall Klärung zu bringen, damit auf Grund von praktischen Erfahrungen, die in wieder- kehrender Reihe slets so ziemlich zur gleichen Bcurtheilung führten, Grundsätze aufgestellt werden könnten, welche den Archivbeamten wie dem Publikum zur Richtschnur dienen und gleiches Recht für Alle schaffen. In wie liberaler Weise dies vom k. Slaatsministerium in Bayern im laufenden Jahrzehnt geschehen ist, wie eine Menge Schreiberei dadurch unnöthig geworden, dagegen auch eine ausser- ordentliche Steigerung der Benützung bayerischer Archive und da- mit der Archivgeschäfte selbst, sowie der Verantwortlichkeit der Be- amten erfolgte, ist Jedem, der Archivverhältnisse in Deutschland kennt, auf den ersten Blick im ersten Band dieser Zeitschrift •) klar geworden.

In wissenschaftlicher Beziehung ist allmählig in ganz Deutsch- land Oesterreich und der Schweiz, und auch in Belgien Holland und den skandinavischen Ländern, in Italien und Frankreich der Bann des Geheimnisses durchbrochen, welcher die Archive umfangen hielt. Wo es noch nicht in erwünschter Weise geschah, steht doch

') Archival. Zcitschr. I 135-147.

ArchivalUche ZtlU.tirift. IV.

i

2 Löher:

mit gutem Grunde Nachfolge zu hoffen, und zwar zu Gunsten der Ordnung in den Archiven selbst. Die Wissenschaft trilt hier und da als unbequeme Mahnerin auf, dafür zahlt sie auch mit immer reicherer Frucht ihrer Arbeiten. Mit fast jeder solcher Arbeiten, die auf archivalischen Forschungen beruhen, ist es aber zur Zeit noch derartig bestellt, dass sie eine andere hervorruft, und es lasst sich daher leicht absehen, dass wir erst im Beginn einer Epoche wissenschaftlicher Archivbenützung stehen. Diese muss noch ge- raume Zeit mit jedem Jahrzehnte mehr anschwellen, und das wird auch auf die Stellung der Archive und ihrer Beamten von wesent- lichstem Einflüsse sein.

Anders als mit wissenschaftlicher Archivbenützung steht es mit solcher, die nachgesucht wird im Vermögensinteresse: bei dieser findet sich in verschiedenen Staaten verschiedener Brauch, der von Inhalt und Bestimmung der Archive abhängt.

Je nachdem die Archive selbst bleiben, was und wie sie sind, oder sich ihrem Berufe gemäss in Zweck und Zuflüssen ändern, wird ihre vermögensrechtliche Benützung entweder mit der Zeit sich erschöpfen oder verstärken und andauern.

Wahrscheinlich aber werden die Archive sich fort und fort mehr mit solchen Urkunden Akten und Amtsbüchern anfüllen, aus denen sich auch bezüglich des Vermögens des Staates, der Ge- meinden, Stiftungen und ihrer Verwaltung Raths erholen lässt. Ein äusserer (3fund dafür liegt schon darin, dass die höhern und nie- dern Landcsstellen und Behörden sich fort und fort verändern und # neu sich bilden, dass daher aus dem Wust der alten Registraturen das Bedeutendere von Sachverständigen muss ausgewählt gesammelt und systematisch geordnet werden , dass daraus nur diese Sach- verständigen, d. h. geschulte Archivare, für bestimmte Fragen Vor- Ingen und Gutachten geben können.

Es wird deshalb die Frage, wie die Archivbeamten sich gegen- über der Privatbenützung der Archive in Vermögenssachen verhalten sollen, mehr und mehr an Bedeutung gewinnen und klare Lösung fordern. Für den Herausgeber dieser Zeitschrift aber lag eine be- sondere Anregung, auf diese Frage näher einzugehen, in deren leb- hafter Erörterung, die um Mitte vorigen Jahres in der bayerischen Kammer der Abgeordneten erfolgte.

Es möchte nun zum Zwecke dienen , zuvor einen Blick zu werfen auf die Behandlungsweise, welche die Frage in verschiedenen

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lieber Archivbenülzung von Privaten in Vormögenssachen.

3

Ländern , insbesondere in Bayern , zur Zeit erfahrt , sodann das Wichtigste aus jenen Kanimerverhandlungen mitzuLheilen, darauf die Standpunkte der Rcurlheilung zu beleuchten, und endlich zu erörtern, wie etwa diese Angelegenheit geordnet werden könnte.

II. Maximen in verschiedenen Ländern.

Es sei ganz kurz, ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu machen, nur das Wesentlichste über die Grundsätze erwähnt, welche bei Arehivbenützung in Vermögenssachen in den Staaten des deutschen Reichs, in Oesterreich, ferner in den drei angränzenden kleineren Staaten, endlich in Frankreich und Italien befolgt werden.

1. Preussen.

Chef der preussischen Archivverwaltung ist der Präsident des Staatsministeriums: seine besondere Genehmigung ist jedoch nur nöthig, soweit es sich um Benützung der geheimen Zentralarchive in Berlin handelt, und ausserdem für Ausländer, welche in Provinzial- archiven Forschungen anstellen wollen. Bei wichtigeren Aktenstücken wird die Zustimmung des bctheiligten Ressortministeriums eingeholt. Bei den Staatsarchiven in den Provinzen aber findet die Benützung nur Statt nach vorgängiger Genehmigung des Oberpräsidenten, dem ein schriftliches Gesuch vorzulegen ist, in welchem die Ausdehnung der gewünschten Benützung möglichst genau angegeben sein soll.

Was den Modus der Archivbenützung betrifft, so enthielt die Instruktion für die Beamten der Staatsarchive in den Provinzen vom 3t. August 1867 noch folgende Vorschrift: »Die Auszüge, Notizen und Abschriften derer, welchen eine Archivbenützung ge- stattet worden ist, müssen vor jedem weiteren Gebrauche dem Archiv vorstände vorgelegt werden, und werden erst dann frei ver- fügbares Eigenthum, wenn der Archivvorstand den weiteren Ge- brauch für zulässig erklärt hat. Diese Bedingung der Archiv- benützung ist Jedem, dem dazu Erlaubniss ertheilt worden, vor Vorlegung der bezüglichen Archivalien von dem Archivvorstande zu eröffnen, und dass dies geschehen sei, in dem Benützungsjournal, welches dem Archivar zu führen obliegt, zu bemerken.« Diese Be- stimmung ist, soviel wir vernommen, in neuerer Zeit weggefallen. Mit Recht aber gelten für die preussischen, wie für alle anderen Archive die Vorschriften:

4 Löher:

»Den zur Benützung des Archivs Verstatteten dürfen die be- züglichen Archivalien nur in dem genehmigten Umfange und zwar im Arbeitszimmer der Archivbeamten und unter deren Aufsicht vor- . gelegt werden.«

»Die Vorlegung der Repertorien des Archivs findet ausseramtlich niemals und an Niemand Statt.«

2. Sachsen.

In Sachsen hat auf Gesuche um Mittheilung von Akten oder Abschriften und Nachrichten in Parteisachen und über privat- rechtliche Ansprüche aus Archiven aufgehobener Behörden, die an das Hauptslaatsarchiv in Dresden gelangt sind, dessen Direktion zu befinden, ob ein Bedenken obwaltet oder nicht. Im letzten Falle ert heilt sie selbst die Bewilligung, im ersten ist die EntSchliessung dem betreffenden Appellationsgcricht oder der Kreisdirektion, je nachdem der Gegenstand unter ihr Ressort gehört, zu überlassen. Ebenso können durch die Direktion genealogische und andere Nach- richten, welche Gegenstände des Staatslebens und der öffentlichen Verwaltung nicht berühren, an die Interessenten milgelheilt werden.

3. Württemberg.

In Württemberg ist jede Benützung des Haus- und Staats- archivs in Stuttgart und seiner Filiale in Ludwigsburg für Gemeinden und Private abhängig von besonderer Ermächtigung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. Lagerbücher jedoch und soge- nannte gemeinschaftliche Dokumente kann die Archivdirektion Ge- meinden und Privaten vorlegen. Dies geschieht aber in der Regel nur in Auszügen und Abschriften, und auf Grund eines schriftlichen Gesuchs, welches von dem Oberamt, das dem Bittsteller vorgesetzt ist, mit Bericht an das Archiv einzusenden. Dabei wird auch vor- ausgesetzt, dass über die Legitimation des Nachsuchendon zur Sache und über die Eigenschaft der betreffenden Urkunde als einer für (lenscll>en rechtlich gemeinschaftlichen kein Zweifel bestehe. Im Zweifelsfall ist an das Ministerium des Auswärtigen zu berichten.

Auch ist der Archivbeamte, in dessen Referat der Gegenstand einschlägt, berechtigt zur Beantwortung rein historischer Fragen über spezielle Punkte (Erlass, Datum, Zeugen einer Urkunde u. s. w.) mit Beschränkung auf Urkunden von älterer Zeit als das Jahr 1700, ferner berechtigt zu mündlicher Auskunflertheilung über Vorhanden-

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üeber Archivbenfltzung von Privaten in Vermogenssachen.

sein von Urkunden über einen bestimmten Gegenstand, hinsichtlich dessen die Entscheidung über die Mittheilung nicht dem Ministerium vorbehalten ist, oder über Berechtigungen und Verpflichtungen von Gemeindemitgliedern und ihren Grundslücken, die durch einfaches Nachschlagen in Lagerbüchern oder gemeinschaftlichen Dokumenten sich ergeben, überall vorausgesetzt, dass die Sache ganz unprä- judizirlich ist. Wo aber irgend ein Bedenken obwaltet, erfolgt eine Berathung der Archivbeamten und die Einholung der Zustimmung des Archivdirektors oder auch des Ministeriums.

4. Oesterreich.

Das Geheime Haus- und Staatsarchiv in Bayern ist Sammel- stätte von Urkunden und Akten, die sich auf die regierende Dynastie und auf den Staat, als Ganzes genommen, insbesondere auf seine Vertretung nach aussen beziehen. Eine ähnliche Stellung hat in Oesterreich das Haus- Hof- und Staatsarchiv zu Wien. Diese um- fangreiche bedeutende Anstalt umfasst aber zugleich Archive, die dem ehemaligen deutschen Reiche angehörten: diese sind das Archiv des Reichshofraths, der deutschen Reichskanzlei, des Reichskanzlers ; in das letztere sind Archivalien des Kurfürstenthums Mainz und des kurrheinischen Kreises eingemischt. Durch diese eigenthümliche Ver- bindung hat das k. k. Haus- Hof- und Staatsarchiv eine Stellung bekommen, die mit keiner andern vergleichbar. Dasselbe steht unter •lein Minister des kaiserlichen Hauses und der auswärtigen Angelegen- heiten. Noch bis zum Jahre 1868 galt die ministerielle Vorschrift : »Vor der Einsichtnahme ist alles auszuscheiden, was als ausschliess- lich die Privatangelegenheiten des Kaiserhauses betreffend sich nicht zur Veröffentlichung eignet, was aus Rücksichten der Schicklickeit, der Opportunität, oder im Interesse des Rechtes dritter Personen gar nicht oder doch nicht unbedingt veröffentlicht werden darf .... Bei Arbeilen zu wissenschaftlichen Zwecken muss die wissenschaft- liche Befähigung der Partei hinlänglich bekannt oder ausgewiesen sein.« Im genannten Jahre aber legte der Minister das Recht der Ertheilung oder Versagung zu wissenschaftlicher oder sonstiger Archiv- benützung in die Hand des Archivdirektors. Jedoch bleibt es Diesem freigestellt, in zweifelhaften oder in solchen Fällen, wo er die Ver- antwortung nicht auf sich nehmen zu können glaubt, die Entschei- dung des Ministers einzuholen. Und ebenso kann Derjenige, dem

6 Löher:

die Benützung vom Archivdirektor abgeschlagen ist, an den Minister appelliren.

Das gesammte übrige archivalische Material, insbesondere das- jenige, aus welchem in Vermögenssachen Aufschlüsse zu erholen, lagert in Oesterreich noch bei den Ministerien, den verschiedenen Landes- und Provinzialstellcn, den Landständen, Herrschaften, Städten, Klöstern und Stiftungen. Deren Vorstände haben in der Kegel unbeschränkte Bcfugniss, ob sie bezüglich ihrer Archive und Registraturen Einsichtnahme und Mittheilungen gestatten wollen oder nicht.

Wohl aber ist man in Steyerrnark Mähren Böhmen Tyrol und in andern Ländern Oesterreichs sowie in Ungarn am Werke, werth- vollere alte Schrillen zu sammeln und zu ordnen. Wenn gleich dies hauptsächlich zu historischen Zwecken geschieht, so kann es doch nicht fehlen, dass sich auch Akten und Urkunden darunter befinden, die für vermögensrechtliche Ansprüche Ausbeute gewähren.

5. Belgien.

Aeusserst vorsichtig drückt sich das ältere belgische Archivgesetz von 1851 im Art. 22 aus. »Lorsques des actes sont susceptibles d'affecter les inlerets d'un tiers, les conservateurs n'en donnent communicalion, extrait ou expedition, qu'autant que celui qui la demande, justifie qu'il est lui-meme interesse en norn direct ou ä titre d'heritier ou ä celui d'ayant-droit«. Das neuere Gesetz vom 31. Januar 1870 hat in den Art. 24 und 48 i* Fegard des actes d'un interet privr diese Beschränkung, deren Mass zu ermessen der Archivbeamte ein Jurist und beinahe auch Richter sein muss, nur wiederholt. Es findet sich hier im Art. 34 noch eine andere Mass- regel der Vorsicht: »Tonte personne qui Iranscrit des piöccs dont i) lui a ete donne conuiiunication, est tenue de remettre la liste des pieces transcriles ä l'einployc de servicc«.

Die Gesuche um Archivl)cnützung aber sind an den archivistc general zu richten, bei welchem die Entscheidung stellt. Ohne Zweifel wird er in Fällen, wo das Staalsinteresse in's Spiel kommt, sich bei dem Ministerium Raths erholen.

6. Holland.

In Holland, dessen Archivwesen gleichwie das belgische sich vorzüglicher Ordnung erfreut, haben die Archivare zwar das Recht,

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üeber Archivbenützung von Privaten in Veimfigenseaehen.

7

die Archivbenützung zu gewähren, jedoch müssen die Benutzer ihnen als glaubwürdig bekannt sein »by hen bekende en verlrouwde personen,« und ferner dürfen Archivalien, die für einen Zweig der Staatsverwaltung oder für Dritte besonderes Interesse haben, nur Solchen vorgelegt werden, die erweislich ein Recht dazu besitzen. Der betreffende Art. 9 des Gesetzes vom 26. Juni 1856 lautet: >De stukken, welke niet geschikt zijn, om licht over de geschiedenis te verspreiden , doch welker inhoud enkel van belang kan zijn voor eenigen tak van administratie of wel voor besondere personen, worden niet anders ten gebruike gegeven, dan aan hen die kunen bewijzen, daartoe gerechtigd te zijn«. Der Archivar also entscheidet, ' welche Schriftstücke historisches Material enthalten und welche nicht. Wer aber ist nun zur Einsicht der letzteren berechtigt? Derjenige, welchem unmittelbar ein Recht zusteht an den Archivalien selbst, oder auch Der, welcher aus ihnen den Beweis eines Anspruches erst folgern will?

Die holländischen Archivbeamten folgen dabei einer Regel, die durchgreifend ist. Zu den archives anciennes d. h. allen Schrift- stücken, die vor der Restauration von 1813 datiren, versagen sie Niemand den Zutritt, es sei denn eines sehr wichtigen Grundes wegen. Verweigert der Archivar die Benützung des Archives, so steht dem Abgewiesenen die Beschwerde frei an den Minister des Innern in Bezug auf das Rcichsarchiv im Haag, an die Provinzial- slände in Bezug auf die Provinzialarchive.

Fast alles aber, was an Akten Urkunden und Amtsbüchern nach 1813 entstanden ist, beruht noch bei den Hof- Justiz- und Verwaltungsstellen, deren Chefs die Benützung erlaul>en oder ver- weigern können.

7. Dänemark.

Das k. dänische Geheime Archiv zu Kopenhagen war ursprüng- lich, wie so viele andere Zentralarchive, das Ilausarchiv «1er könig- lichen Familie: es wurde aber schon seit Jahrhunderten viel und vielerlei historisches Material einverleibt, das für wissenschaftliche Forschungen unentbehrlich, dagegen von sehr geringem Belange ist für die Staatsverwallung. Dieses historische Material gehl, soweit es nicht das Regentenhaus betrifft, auch jetzt nur etwa bis zum Jahre 1750. Wer nun im Geheimen Staatsarchiv Forschungen an- stellen will, wendet sicli an den Kultusminister, dem dasselbe seit 1848

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8

Löh er:

unterstellt ist , oder an den Geheimen Staatsarchivar, der sich die erforderliche Ermächtigung verschafft und selten die Benützung ver- weigert.

Schriftstücke, die nach 1750 bei den Behörden entstanden, sind noch mit diesen vereinig!. Nur das frühere Rentenkammer- Archiv macht eine Ausnahme, welches auch aus früheren Zeiten solche Akten und Urkunden enthält, wie sie jetzt gewöhnlich zum Gebiete der Ministerien der Finanzen und des Innern gerechnet werden. Im Uebrigen besitzen die vier Ministerien des Kultus, des Innern, der Finanzen und der Justiz für ihre alten Akten und Dokumente ein gemeinschaftliches Archiv, das mit seinen Angestellten dem Kultus- minister untergeordnet ist. Die Genehmigung zu jeder Benützung- dieser Archive eil heilt oder verweigert nach Gutbetinden der be- treffende Minister.

Was sich sonst in Dänemark, und zwar reichlich an alten Schriften und Amtsbüchern findet, ist mit Ausnahme einiger älteren Sachen, die aus freien Stücken dem Geheimen Hausarchiv übergeben worden, noch im Lande zerstreut, hier in den Stiftsamts- und Bischofs-, dort in den Amts- und Härder-Archiven. Wer Zulassung zu denselben begehrt, hat sich an die betreffenden Behörden Stiftsamtmänner, Bischöfe, Amtsmänner, und Hardervögte zu wenden, die ebenso frei und selbstständig darüber Winden, gleich- wie hier und aller Orten die Magistrate in Bezug auf Benützung der Gemeindearchive durch Privatleute verfügen.

8. Frankreich.

In Frankreich hängt, wie es scheint, die Zulassung sowohl zum Nationalarchiv, dem aber noch Vieles fehlt zur Vollständigkeit eines Reichsarchivs , sowie zu den Deparlcmenlalarchiven im Wissentlichen von dem Krmessen ihrer Vorstände ab. Diese be- folgen, soweit sich hierüber etwas Allgemeines aufstellen lässt, fol- gende Maximen.

Bezüglich der auswärtigen Angelegenheiten verfahrt man bei Mittheilung von Aktenstücken, die sich auf die Politik Frankreichs in den letzten drilthalb Jahrhunderten beziehen, höchst behutsam, namentlich gegen Fremde, selbst wenn der rein wissenschaff liehe Zweck der Forschung nicht zu bezweifeln ist. Viel grössere Liberalität ist die Regel, wo es sich um Schriftstücke bezüglich der inneren Politik und Verwaltung handelt. Jedoch stellt man sich in Ange-

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Ueber ArchivbenOtiung von Privaten in Vermögenssachen.

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legenheiten des Vermögens des Staates und der Stiftungen auf den privatrechtichen Standpunkt, und pflegt auch sorgfältig die Inter- essen der gegenwärtigen Verwaltung zu wahren.

Dagegen sind beinahe alle Urkunden Akten und Amtsbücher, die vor dem Jahr 1789 entstanden, sofern sie nicht zum Archiv der auswärtigen Angelegenheiten gehören, der öffentlichen Benützung frei gegeben. Jetlermann darf nach Belieben daraus schöpfen, bei- nahe ohne andere Beschränkung, als wie sie etwa vom Drange des laufenden Dienstes den Archivaren auferlegt wird.

Was insbesondere das Nationalarchiv in Paris betrifft, so hat sich dieses gebildet aus den alten Registraturen, soweit sie bei den höheren Staatsstellen vor 17S9 entstanden, aus den Archiven sämmtlichcr geistlichen Anstallen, die im genannten Jahr in der Diözese Paris unterdrückt wurden, aus einer Menge von Schrift- stücken und Kodizes von rein historischem Werth , wie sie in Folge des Konventsbcschlusses von 1794 gesammelt wurden, aus bedeutenden Zusendungen gleichen Inhalts durch die Fürsorge und Liberalität von Privaten und Genossenschaften, endlich aus den Registraturen von verschiedenen Ministerien seit der Revolution. Ueber die Zulassung entscheidet der Directeur general des archives nationales, und wie man uns schreibt : les refus de Communications sont rares et uniquement fondes sur les inconvdnients, que pourrait offrir la publicite de certaines pieces.

Wer in den Departementalarchiven etwas einsehen will, schreibt unter kurzer Begründung sein Gesuch auf ein gedrucktes Formular, wie sie zu diesem Zweck bei den Archiven hinterliegen. Der Archivar berichtet über jeden Fall an die Präfektur. In gewöhn- lichen Sachen ertheilt oder verweigert der Generalsekretär die Ge- nehmigung. Handelt es sich dagegen um Angelegenheilen von Familien oiler Personen, so muss der Präfekt selber die Entscheidung geben. Die Verweigerung aber muss schriftlich ertheilt werden, dann kann der Betheiligte sich bei dem Präfekten, dem Minister des Innern, und in gewissen Fällen bei den Sländcn des Departements be- schweren.

Was nun die Grundsätze betrifft, nach welchen man bei Archiv- benützung in Vermögenssachen in den Departementalarchiven ver- fährt, so muss das rechtliche Interesse nachgewiesen werden. Ist dies vorhanden, so werden in der Regel die Schriftstücke vorgelegt, auch wenn es sich um Kollision von Staatsvermögen und Privat-

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Lflher:

ansprächen handelt. Verschlossenheit waltet aber, wo sich in den Akten Nachrichten über Familiengeheimnisse, Skandalgeschichten, Kriminalsachen, Verschwörungen und dergleichen ergeben. Da würde das weitverbreitete französische Gefühl der Wohlanständigkeit es jedem Archivar verübeln, wenn er nicht aufs Aeusserste vor- sichtig wäre.

9. Italien.

Für dieses Reich, das sein Archivwesen vor vier Jahren einer neuen Organisation unterzog, gilt 1815 als das Normaljahr. Alles was vor diesem Jahr an Schriftstücken in den öffentlichen Archiven vorhanden, auch wenn es äussere Politik und Staatsverwallung, also auch Staats vermögen betrifft, soll Jedermann einsehen dürfen, die Verwaltungsakten schon, wenn sie dreissig, die Kriminalakten je- doch nur, wenn sie siebenzig Jahre alt sind. Zur Benützung anderen Archivinhalts ist Genehmigung des betreffenden Ministeriums nöthig, ausserdem bei jedem Gesuche um Archivbenützung in Vermögens- sachen die Darlegung des rechtlichen Interesses.

Eigenthümlich sind die früheren Bestimmungen, von denen hier ein paar Platz finden mögen. Das Turiner Hegolamento von 1872 bestimmte: »I particolari dovranno enunciare nclla domanda il motivo di tali ricerche e l'uso dclla copia richiesta, )a natura e la data cerla o presunta dei documcnli. Mancando di alcuna di queste indieazioni non si darä corso alla domanda: ond'essa sia ammessa

si richiede l'assenso del direttore capo, il quäle in casi eccezionali la puö negare, e quando oecorra deve referirne al ministeroc. Das .Mailänder Statut von 1871 gab dem Direktor, o chi ne fa le veci, das Recht, »colle opportune cautcle« Privaten Archivalieneinsicht zu gewähren, fügte aber im Art. 39 hinzu: »Se perö gli atti richiesti sono interni d'uflicio, riservati, o di materia criminale, in allora e riservata al solo direttore la fatoltä della relativa concessione. In caso di dubbio egli dovrä ri{>ortare lautorizzazione del ministero«. Für das Staatsarchiv zu Palermo wurde 1871 angeordnet: >Le private richiesle per ricerche e copie di documenti sono vistate dal direttore e indirizzate all' cconomo i>el corrispondente deposito a conto dei dritti liscali, giusta la tariffa. Dali' economo, dopo essersene presa nota nel relativo protocollo, sono passate al capo di sezione che destina l'ufficiale incaricato per la eseeuzione, e saranno quindi annotate in altro apposito registro«.

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üeber Archivbenötzung von Privaten in Vennögenssachen.

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III. Verfahrungsweise in Bayern.

Das k. allgemeine Reichsarchiv zu München ist Zentralstelle für acht Filialen in den acht Kreisen des Königreichs, die Kreisarchive zu Arnberg, Bamberg, Landshut, München, Neuburg, Nürnberg, Sj>eyer, Würzburg, und es wurde die Benützung dieser neun Archive in Rechtssachen für Private der Art geordnet, dass

1) dem Reiclisarchiv, an welchem man den Gesammlinhalt der Landesarchive überschauet und ihre Verwaltung nach gleich- massigen Normen leitet, auch jede Frage der Archivbenützung zu erörtern obliegt und zu entscheiden; dass aber

2) wenn politische oder administrative Interessen des Staats in's Spiel kommen, das Reichsarchiv Gesuche zwar abweisen, jedoch ohne ministerielle Zustimmung nicht genehmigen kann; und dass

3) in Fällen, wo das Staatsvermögen berührt wird, die fiskalische Behörde jedesmal gehört werden muss, das Reichsarchiv aber, weil es einen freieren und allgemeinereu Standpunkt einnimmt, an das fiskalische Gutachten noch nicht gebunden ist, und im Falle es damit nicht übereinstimmt, die Entscheidung in den Händen des Staatsministeriums liegt.

Jedermann kann sich nun mit Gesuchen um Archivalienvorlage an das Reichsarchiv oder eines der Kreisarchive wenden. Im letztern Falle hat das Kreisarchiv die Sache zu erwägen, und findet es von vornherein besondere Bedenken, von der Zentralstelle sich Verhaltungs- massregeln zu erholen. Gewöhnlich aber macht das Kreisarchiv sofort seine Recherchen, und kann, wenn dazu Grund vorhanden, auch andere Kreisarchive ersuchen , sie anzustellen und ihm die nöthigen Mittheilungen zu machen. Bei umfassenderen Fragen wird die Angelegenheit in der Regel gleich anfangs an das Reichsarchiv gelangen, und dieses die Untersuchungen in den verschiedenen Archiven systematisch und übersichtlich anordnen und leiten.

Sind die Archivalien , welche zur Aufhellung einer vermögens- rechtlichen Frage dienen, sämmtlich gefunden, verzeichnet, und nach ihrem Inhalt durchgegangen und erörtert, so wird, wenn derselbe sich auch über Rechte und Pflichten des Staalsvermögens erstreckt, die nächste Kreisregierung, Kammer des Innern, von der Sach- und Rechtslage in Kenntniss gesetzt und zwar erforderlichen Falls unter Zusendung der in Rede stehenden Archivalien. Von der Fiskal-

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Löher:

behörde erhält das anfragende Archiv sodann ein Gutachten, ob und welche Archivalien dem Gesuchsteller können vorgelegt werden.

Alsdann, wenn nicht schon früher, kommt die Sache an den Reichsarchivdirektor. Dieser ernennt, wenn er nicht gleich selbst entscheiden will, unter den Rathen Assessoren und Sekretären des Reichsarchivs einen Referenten, der die Sache bearbeitet und, wo es ruthlich erscheint, mit ihm erörtert. Jeder Referent, möge er am Reichs- oder an einem Kreisarchiv sich befinden, hat einen die Sach- und Rechtslage erörternden Bericht, in welchem ein bestimmter Antrag begründet wird, zu den Akten zu geben und mit seinem Namen zu unterzeichnen. Die Entscheidung aber erfolgt, da das Reichsarchiv keine Kollegialstelle ist, durch den Direktor unter seiner Verantwortung.

Die Prüfung am Reichsarchive erstreckt sich über die beiden Fragen: ob die Recherche sachgemäss und vollständig? und ob oder in wie weit die Einsicht der Archivalicn durch den Gesuchsteller zu gestatten V

Ist in erster Beziehung noch etwas nachzuholen, was mit Hülle der Reperlorienabschriflen aus den acht Kreisarchiven, die sich bei der Zentralstelle befinden, um so leichter zu erkennen ist, so erfolgt an das betreffende Archiv Auftrag, in welcher Weise die Ergänzung Statt zu finden habe. Wo es zur Aufklärung beiträgt, werden die Archivalien dem Reichsarchive eingesendet.

In der andern Beziehung ist zu prüfen: ob die Persönlichkeit des Gesuchstellers etwa des Vertrauens, ohne welches in der Regel Archivbcnülzungen nicht Statt finden, unwürdig oder doch eine solche ist, dass besondere Vorsichtsmassregeln räthlicli erscheinen? ob die Rücksicht auf konfessionellen Frieden und öffentliche Moral, je nach dem Zweck, welchen der Archivbenützer wahrscheinlich im Auge hat, nicht Zurückhaltung gewisser Schriftstücke erfordert? ob Ehre und Rechte lebender Familien durch Preisgebung von Archivalicn gekränkt werden ? ob Bedenken politischer oder administrativer Natur sich in den Weg stellen? ob insbesondere das fiskalische Interesse durch Vorlage der Archivalien an den Ge- suchsteller gefalirdet ist?

Will nun das Reichsarchiv trotzdem , dass Staatsinteressen politischer oder administrativer Natur berührt werden, die Einsicht- nahme der Archivalien gestatten, oder hält es, wenn das Gutachten der Fiskalbehörde auf Zulassung lautet , diese für bedenklich , oder

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Ueber Archivbenützung von Privaten in Vermögenssachen.

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wenn auf Abweisung, diese für zu ängstlich, so wird ein Bericht dem k. Staatsininisleriuni des Innern unterbreitet, welches, und zwar in fiskalischen Sachen in der Hegel unter Zuziehung des Finanz- ministeriums, den Fall prüft und die Entscheidung dem Reichsarchive zufertigt.

Dieses erlässt nun die erforderlichen Weisungen und Eröffnungen an Kreisarchive und Gesuchsteller, und wenn durch die höchste Entscheidung irgend ein Grundsatz ausgesprochen ist, so geht das Reskript in Abschrift zu dem Generalakt über Archivbenützung, um in ähnlichen Fällen wohl erwogen zu werden. Eine Menge solcher Grundsätze sind bereits gesammelt, die den Archivbeamten zur Richtschnur dienen. So lässt die Verjährung eine grosse Menge Akten als unbedenklich erscheinen. Eine lange Reihe von Rechts- verhältnissen, die aus früheren Zeiten herüberreichten, sind gegen- wärtig durch die Gesetzgebung abgemacht, wie Zehnt- Jagd- Grund- und Gerichlsherrliche Rechte. Dahin gehört auch fast das ganze Gebiet der Lehnssachen. Endlich liegt ein weitgreifender Grundsatz, der für Freigebung von Archivalien spricht, in ihrer gemeinschaft- lichen Natur, wie sie nicht bloss in Prozessakten und richterlichen Entscheidungen, sondern auch in Amts- Saal- Lager- und Hypotheken- büchern sich kundgiebt.

IV. Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten.

Nach diesen Grundsätzen hatte das Reichsarchiv zu München ein Gesuch des k. Advokaten Hrn. Hartmann zu Nürnl)erg behandelt. Nachdem am dortigen Kreisarchiv eine Reihe von mehreren hundert Akten faszikeln und Bänden durchgeforscht und ihr Inhalt erörtert war, trat die Archivzentraldirektion der Ansicht von Kreisarchiv und Fiskalbehörde bei und lehnte die Vorlage ab. Auf Beschwerde des Gesuchs tellers gab das Staatsministeriuni des Innern den Archiv- beamten Recht, und nun brachte der k. Advokat Herr Hartmann die Sache an die Kammer der Abgeordneten.

Seine Petition lautete: .

Hohe Kammer der Abgeordneten! Mittelst Vorstellung vom 13. April- 1877 suchte ich Namens der Kirchengemeinde Poppenreuth lieim hiesigen Kreisarchiv um die Bewilligung zur Einsichtnahme jener Urkunden nach , welche für den Beweis einer im altnürnbergischen Gebiete über die Hand-

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liöher :

und Spanndienstpflieht der Eingepfarrten bostohonden Observanz sachdienlich erscheinen. Ich inotivirte diese Vorstellung damit, dass diese Urkunden für einen zur Zeit im zweiten Rechtszug schwebenden Rechtsstreit der Kirchengomeinde Poppenreuth gegen den k. Fiskus von rechtlicher Bedeutung seien.

Nachdem mir unterm 8. Mai mitgethcilt war, dass die Vcr- bescheidung dieses Gesuches erst nach längeren, sehr langwierigen Recherchen erfolgen könne, mir unterm 3. Oktober auf meine An- regung und am 21. November ohne dieselbe von Amts wegen er- öffnet worden war, dass dieselben noch nicht beendet seien, wurde ich unterm 28. Januar L J. verständigt, dass mein Gesuch laut Erschliessung des k. Reichsarchives vom 18. Januar abgewiesen sei.

Obwohl die mir bekannt gegebene Entschliessung den Grund für diesen abweisenden Bescheid nicht enthielt, so ist dennoch der- selbe unschwer zu erkennen.

Besteht doch, wenn nicht auf Grund bestimmter Instruktion, so doch auf Grund einer feststehenden Praxis die Uebung, dass in allen Fällen , in welchen das fiskalische Interesse oder richtiger Gegeninteresse an der Einsichtnahme von Archivalien erkennbar herantritt, die Archivbehörden ihre Bewilligung zur Einsichtnahme der Urkunden von dem Gutachten des Krcisfiskalates abhängig machen.

Ein derartiges Verfahren erscheint jedoch als eine nicht zu ver- kennende Beeinträchtigung der Rechtsgleichheit.

Ist es billig, dass der Vertreter des Fiskus darüber entscheide, ob seinem Gegner die Einsichtnahme einer Urkunde zu gestatten sei, das rein fiskalische Interesse also den Massstab bildet, welche an die Zulässigkeit eines derartigen Gesuches angelegt wird?

Entspricht es überhaupt den Forderungen der Gerechtigkeit, dass das Archiv nur denen geöffnet wird, welche in Streitsachen lediglich solche Urkunden suchen, deren Benützung dem Fiskus niemals nachlheilig werden kann?

Eine historische Wahrheit muss sonach im Archiv begraben bleiben p wenn ihre Publikation möglicherweise das vermögens- rechtliche Privatinteresse des Staates gefährdet ; sie darf nur dann den sie bergenden Riegel des Archivs sprengen, wenn eine solche Befürchtung ausgeschlossen ist. Das ein derartiges Verfahren sank- linnirende geheime Reglement eine officiellc Instruktion über die Bcnütung der Archive , von den hierüber nichts enthallenden

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Uebcr ArchivbenMzung von Privaten in Vermögenssachen.

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organisatorischen Verordnungen abgesehen, ist meines Wissens noch niemals publicirt worden kann nur auf einer Verkennung des Wesens und des Zweckes der Archive, auf einer unzulässigen Vermengung der allgemeinen öffentlichen und reinpri ratrechtlichen Interessen des Staates beruhen.

Eine Sammelstätte von amtliehen der Vergangenheit angehören- den Urkunden, wie es das Archiv ist, wird von dem Staate kraft seines Kulturberufes errichtet und unterhalten mit allgemeinen Staatsmitteln.

Die urkundlichen Schätze, welche er dort ansammelt , sollen der wissenschaftlichen Forschung und den Forderungen des praktischen Geschäftslebens, keineswegs zunächst aber den privaten Vermögens- interessen des Staates dienen.

Es ist desshalb eine gewiss nicht glückliche Parallele, die zwi- schen einem staatlichen Archiv und der Registratur eines Privat- mannes gezogen wird (vergl. v. Löher 's archivalische Zeitschrift Bd. I. S. 142)*). Die Privatregistratur dient dem ausschliesslichen Interesse desjenigen , der sie mit seinen eigenen Mitteln unterhält, das öffentliche Archiv gewiss nicht den exklusiven Zwecken des Fiskus, sondern den höheren Culturzwecken , die der Staat durch Errichtung von Sammelstätten historischer Denkmale anstrebt.

Ein Institut, das von der Gesammthcit unterhalten wird, muss auch der Gcsammtheit zugänglich sein , soferne nicht höhere Rück- sichten, allgemeine Interessen des Staatswohles, wohl zu unter- scheiden von dem spccicll privatreetylichen dies verbieten.

Nimmermehr erscheint es aber mit der allgemeinen Bestimmung der Archive, mit den Forderungen der Gerechtigkeit vereinbar, dass der Fiskus nicht nur das Recht der Benützung der öffent- lichen Archive für sich vorweg in Anspruch nimmt, sondern die- selben für seine Zwecke ausschliesslich in Beschlag nimmt und zur Abwehr gegen eine Benützung von Privaten dann gewisscr- inassen einen formlichen Kordon um dieselben zieht, wenn er eine Gelahrdung seiner Interessen hievon befürchtet.

Keiner Prozesspartei, am wenigsten dem k. Fiskus steht es zu,

*) Anm. des Herausgebers. Hier ist die massgebende Beschränkung aus- gelassen: Die Stelle in der Arch. Zeitschr. lautet: „Für die Vermögens- interessen des Staats sind seine Archive dasselbe, was für jeden Staatsbürger seine Registratur."

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16 Lölier:

die Quellen für eine geschichtliche Wahrheit gewaltsam zu ver- stopfen , dieselben dem Richter bei Schöpfung des materiellen Rechtes zu versehliessen und mit solchen Mitteln um den recht- lichen Obsieg zu kämpfen.

Noch weniger kann es aber der Beruf einer allgemeinen Staats- anstalt sein, sich in einem solchen Kampfe zum Nachtheile der einzelnen Staatsbürger , die sie mit ihren Mitteln, mit ihrer Steuer- kraft unterhalten, auf Seite des Fiskus zu stellen, und nur dann die Einsicht der Urkunden zu gestatten, wenn eine offenbare Be- rechtigung wie das Verhältniss der Gemeinschaft für dieselbe spricht.

Für den gegebenen Fall erscheint aber die Verweigerung der Einsichtnahme der Archivalien um so weniger gerechtfertigt, als es sich um die Ermittlung eines partikularen Gewohnheitsrechtes in einem bestimmten Recht sgebiete handelt, zu dessen Ermittlung nach Art. 321 der Prozessordnung das Gericht von Amtswegen sogar mitzuwirken hat, als sonach die Lösung einer rechlswissen- schanTichen Frage von allgemeinem Interesse in Frage steht, deren rechtskräftige Entscheidung möglicherweise eine Reihe anderer Pro- zesse selbst zum Vortheile des k. Fiskus abschneidet, als endlich das Gesuch um die Ermittlung dieses lokalen Herkommens von den Angehörigen desselben Rechtsgebietes gestellt wurde, welches ersteres beherrschte.

Nach dieser Darlegung glaube ich wohl mir die ehrfurchtsvollste Bitte gestatten zu dürfen:

Es gefalle einer hohen Kammer d er Abgeordneten bei der k. Staatsregicrung dahin zu wirken, dass die Benützung der Ar- chive in Rechtsstreiten nach Grundsätzen geregell werde, welche eine Unterscheidung zwischen fiskalischen und nicht fiskalischen Streitigkeiten nicht zulassen, und der Kirchengemeinde Poppenreuth die Einsichtnahme der sammtlichen in Frage stehenden Archivalien gewährt werde.

Ehrfurchtsvollst! Einer hohen Kammer der Abgeordneten

ehrerbietigst gehorsamster

Hart mann.

Es folgen die Unterschriften der Angehörigen der Kirchenver- wallung Pop|)cnreuth und der Kirchengemeinde und von sechs Bürger- meistereien.

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Uel>er Arcliivhcnützung von Privaten in Verinogenoachen.

Im Petitions- Ausschuss der Kammer sprachen der Vertreter der Staatsregicrung und mehrere Mitglieder die Ansicht aus:

dass in formeller Beziehung für die Editionspflicht und für die Berechtigung zur Einsichtnahme derartiger Urkunden, wie sie hier in Frage stehen, nur die Grundsätze des Civilprozesses über die Edition von Urkunden massgebend sein können, dass diese bisher massgebend waren, und dass dies auch in Zukunft* nur nach den Grundsätzen des in nächster Zeit einzuführenden Reichszivilpro- zesses geregelt werden könne. Demgemäss erscheine im vorliegen- den, wie in allen ähnlichen Fällen es für die betreffende rechl- suchende Partei geboten, das betreuende Prozessgericht mit förm- lichen Anträgen anzugehen, und dieses Prozessgericht habe dann über den Antrag, je nachdem er dem Prozessgericht begründet erscheine oder nicht, zu entscheiden. Eine Bitte und ein Antrag, wie der vorliegende, welcher diesen prozessualischen Vorschriften widerstreite, erscheine als ein Eingriff in die Competenz der Ge- richte, ja er müsse als ein Antrag auf Abänderung der Prozess- ordnung betrachtet werden.

In materieller Beziehung wurde hervorgehoben, dass ein Archiv wohl zu historischen und literarischen Forschungen benülzt werden könne und den Staatsangehörigen frei offen stehe, nicht aber für >Gegner des Staates«, um etwa aus dem Archiv Rechtsbehelfe und Rechtstitel gegen das Interesse des Staates heraus zu finden. Es wurde insbesondere noch gesagt, der Fiskus vertrete eben das »Privatinteresse des Staates«, und es könne das Staatsarchiv zu Zwecken, die diesem Privatinteresse des Staates zuwiderlaufen, elK?nsowenig benützt werden, als das Archiv jeder andern Privat- person, zum Beispiele ein fürstliches Hausarchiv.

Die Majorität des Ausschusses war dagegen der Ansicht, es handle sich nicht um Erörterung und Anwendung von prozessuali- schen Bestimmungen über Einsicht und Edition vor» Urkunden, son- dern es liege ganz unabhängig von dem betreffenden Rechtsstreit ein Gesuch vor um Gestaltung von Nachforschungen , ob über- haupt in dem Archive Urkunden sich vorfinden, welche für gewisse Rechtsverhältnisse von Staatsangehörigen massgebend seien. Das aber sei eine rein administrative Frage, gerade so als wenn es sich um Forschungen handle zu historischen und literarischen Zwecken.

AirhivaliHche ZHts.brirt IV. O

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Lßher !

Der Referent des Ausschusses, Herr Abgeordneter Dr. Beckh, gab in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 17. Juli vorigen Jahres zu vernehmen:

In materieller Beziehung sind wir im Ausschusse mit über- wiegender Majorität der Ansicht gewesen, dass in Anlehnung an den Vortrag des Herrn Petenten vor Allem ins Auge zu fassen sei, dass die Archive Staatsanslalten sind, welche aus dem all- gemeinen Staatssäckel unterhalten, welche im Einverständ- niss mit der Landesvertretung und dem Lande unterstützt und aufrecht erhalten werden. Es muss daher unseres Erachtens, wie bei allen anderen Anstalten des Staates, so auch hier jedem Staatsbürger die Einsichtnahme offen stehen , die Benützung einer solchen StaaLsanstalt ermöglicht werden, natürlich, meine Herren, unter den entsprechenden Cautelen. Es müssen dieselben Gautelen vorhanden sein bezüglich der Persönlichkeit und der Verhältnisse des Antragstellers , wie sie vorhanden sind bei den Vertretern des Fiskus. Und wir haben gerade diesen Punkt besonders ins Auge gefasst, indem wir sagen: wie der Fiskus, der natürlich eine ver- trauenswürdige Persönlichkeit ist, berechtigt erscheint, Einsicht zu nehmen, so muss es auch vertrauenswürdigen Persönlichkeiten, welche nicht Fiskale, sondern Staatsangehörige sind, gestattet werden, in den Archiven nach Urkunden zu suchen, welche Rechts- verhältnisse ebenso gut betreffen als historische oder literarische. Es soll aber andererseits, wie schon bemerkt, namentlich verhütet werden, dass etwa fiskalische, rein fiskalische Interessen, welche mit dem Wohle des Staates als einer völkerrechtlichen Corporation nichts zu thun haben, sondern blos vermögensrechtlich untergeordnete Interessen betreffen, es ermöglichen dürfen, eine solche Benützung reinweg zu verhindern. Es soll dabei natürlich nicht ermöglicht werden, dass für jede vage Interpella- tion, für jedes vage Volbringen die Staatsarchive sich öffnen, sondern sie sollen nur dann offen stehen, wenn Ansprüche in der Weise begründet und geltend gemacht werden können, wie sie eben auch auf Seite des Fiskalates in solchen Fällen begründet und geltend gemacht werden. So gut aber, wie bemerkt, der Slaal freiwillig und ungezwungen die historischen Forschungen gestatlet, so soll er den Staatsangehörigen auch gestatten, ihre Rechtsverhältnisse aus Archiven zu erforschen und demgemäss geltend zu machen.

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üeher Arrhivbenntznnft von Privaten in Vermoponssachen.

Eis dient ja doch auch zum Wohle des Staates, wenn dio Staats- angehörigen ihre wohler Worten en und verbrieften Rechte auch ge- wahrl sehen.

Das Wohl der Staatsangehörigen steht ebenso hoch, als das Wohl des Staates als Ganzen, und es steht jedenfalls höher, als das rein fiskalische Interesse, bei dem es sich vielleicht darum handelt, ob einige Hunderte oder Tausende in dem betreffenden Fall etwa erspart werden können und das zuweilen, meine Herren, nicht ans rechtlichen Gründen, das heisst nicht aus Gründen des materiellen Rechtes, sondern nur aus solchen des formellen Rechtes, weil es den Rechlsuehenden , die auf der andern Seite stehen, nicht ermögliehl ist, ihr Rechlsverhällniss gehörig zu be- gründen.

Dieser Gesichtspunkt, meine Herren, dass das materielle Recht zur Geltung kommen solle, ist ein Gesichtspunkt, der auch über- all in der neueren Gesetzgebung der durchschlagende war und ist. Und ich glaube, es steht dem Staate wohlan, wenn er sagt, wir, der Staat als moralische Person, legen den höchsten Werth darauf, dass in der That nur das wirkliche Recht zur Geltung kommt. Wäre das überall der Fall, dann erst würden wir in einem wahren Rechtsstaate lelxm. Der Staat ist aber verpflichtet , in dieser Beziehung das beste Beispiel zu geben. Also nicht das fiskalische Interesse im engeren Sinn darf unseres Erachtens massgebend sein für die Benützung der Archive, nicht der etwaige Gewinn, der mit Recht oder mit Unrecht, das will ich unerörtert lassen, für den Staat herausspringt, wenn eine Urkunde nicht ans Tageslicht gezogen wird, sondern das wirkliche Recht. Und es ist wohl unrecht, wenn von »Gegnern des Staates« gesprochen wird in einem Falle, da es sich nur darum handelt, für Staatsangehörige das wirkliche Ifecht ans Tageslicht zu bringen. Meine Herren! Wer das wirkliche Recht ans Tageslicht fordert und das ernstlich und redlich zu thun l>csfrebt ist, kann nicht als Gegner des Staates angesehen werden. Justilia fimdamentum regnorum. Demgemäss beschloss der Ausschuss: diese Petition der kgl. Slaatsregierung zur Würdigung hinüber- zugehen mit dem Ansuchen, bezüglich der Benützung der Archi- valien Vorschriften zu erlassen, wodurch jedem Sl aal sangehörigen ermöglicht werde, solche in gleicher Weise wie der kgl. Fiskus zu benützen.

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Löh er:

Zwei Abgeordnete machten dazu den Verbesserungsanlrag: das solle nur Statt finden bei bescheinigtem Recht si n te r es se.

Der Staatsniinister des Innern, Herr von Pfeufer Exe, er- klärte hierauf:

Meine Herren! Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass, meiner Auffassung nach, einerseits dem kgl. Advokaten Herrn Hartmann nicht Unrecht geschehen ist, und dass andererseits die kgl. Archiv- behörden nicht anders handeln konnten, als sie gehandelt haben. Der kgl. Advokat Hartmann stellte an das Archiv in Nürnberg zwei Bitten, erstens, alle jene Urkunden auszuhändigen, welche sein Vorgänger bei dem Prozess in I. Instanz bereits benützt hat. Dieser Bitte wurde sofort entsprochen. Die zweite Bitte des kgl. Advokaten Hartmann ging dahin, es möge ihm Einsicht ge- stattet werden von solchen Dokumenten , welche für den Beweis einer im altnürnbergischen Gebiete und speziell in jenem des dor- tigen Lindalmosenamtes bestehenden Observanz der Leistungen der Hand- und Spanndienste durch die Parochianen erheblich seien. Dieser Bitte wollte das Kreisarchiv Nürnberg sofort ent- gegentreten, weil dieselbe ganz allgemein gehalten und jene Ur- kunden nicht bezeichnet seien, welche zur Prozessführung allenfalls nöthig wären. Das Reichsarchiv ging einen Schritt weiter und veranlasste das Kreisarchiv, in der Richtung des Antrags Er- hebungen zu pflegen. Die Erhebungen, welche Monate lange Zeit in Anspruch nahmen, wurden gepflogen und das Ergebniss der- selben war die Aufstellung von Verzeichnissen, in welchen alle jene Urkunden Aufnahme gefunden haben, welche möglicherweise auf diese Verhältnisse Bezug hätten. Um aber Gewissheit zu er- zielen, wäre die Prüfung von 213 Foliobänden nöthig gewesen, eine Aufgabe, die man, wie die Sachlage sich gestallet hat, doch wohl den Archivbehördrn nicht zumuthen wird können. Nun kommt der Aussehuss und stellt den Antrag: Es möge die Petition der kgl. Slaatsregierung zur Würdigung hinübergegeben werden, mit dem Ansuchen, bezüglich der Benützung der Archivalien Vor- schriften zu erlassen, wodurch jedem Staatsangehörigen ermöglicht werde, solche in gleicher Weise wie der kgl. Fiskus zu lienützen. Derartige Vorschriften, meine Herren, sind bereits im Jahre 1876 und zwar unter dem 11. März erlassen worden, welche sich auf die Benützung der Archivalien in rechtlicher Beziehung beziehen. In der Erschliessung des kgl. Staat^niinisteriums des Innern vom

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Ueber Archivbenützung von Privaten in VermögensMchen.

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11. März 1870 wird hinsichtlich der Benützung der Archivulien durch Private, Gemeinden und Stiftungen zu rechtlichen Zwecken im Einverständnisse mit den übrigen Slaatsministerien Nach- stehendes verfügt:

1) Die Bescheidung der Gesuche von Privaten, Gemeinden und Stiftungen, welche die Ermittlung und Klarstellung von Rechtsverhältnissen bezwecken, hat fortan durch das kgl. all- gemeine Reichsarchiv in eigener Zuständigkeit zu erfolgen.

2) In allen jenen Fällen , in welchen Interessen des Staates politischer oder administrativer Natur berührt erscheinen, bleibt Berichterstattung und Erholung ministerieller Ge- nehmigung erforderlich.

3) In jenen Fällen, in welchen das fiskalische Interesse erkenn- bar hervortritt, mögen darüber Rechtsstreite bereits anhängig sein oder erst in Aussicht stehen, wie z. B. in Kultusbaulast- Sachen, Forstrechts-Differenzcn etc., haben sich die Archiv- behörden unmittelbar mit der betreffenden Kreisslelle (Kreis- fiskalal) oder Centralstelle in das Benehmen zu setzen, worauf nach Massgabe der abgegebenen Erklärungen das kgl. all- gemeine Reichsarchiv das Gesuch zu bescheiden hat.

Glaubt das kgl. allgemeine Reichsarchiv einem auf Will- fährde wie auf Ablehnung des Gesuches gerichteten Gut- achten nicht beitreten zu können, so hat es ministerielle Entscheidung zu erwirken.

4) Bei Würdigung der Gesuche und bei Auswahl der zur Ein- sicht zu stellenden Archivalien ist auch hier das Interesse der Religion, der Sittlichkeit, und der Staatsordnung sorgsam zu wahren.

5) Persönlichkeiten, welche hinsichtlich ihrer vollen Verlässigkeit Anlass zu Bedenken geben, bleiben von der Benützung der Archive ausgeschlossen.

(>) Die Archivbenülzung im Vollzuge gerichtlicher Requisitionen (z. Z. nach Art. 392 der Civilprozessordnung) wird durch gegenwärtigen Erlass nicht berührt. In dieser letzten von mir verlesenen Ziffer G scheint nun die Lösung jener Zweifel zu liegen, die von Seiten Ihres Petitions- ausschusses angeregt worden sind.

Es ist nach unserer Civilprozessordnung der Private nicht besser und nicht schlechter gestellt wie der Fiskus:

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Löh er:

Will eine Partei Akten eines andern Gerichts oder in den Händen einer sonstigen öffentlichen Behörde befindliche Urkunden zu ihrer Beweisführung benfitzen, so hat sie an das mit dem Rechtsstreite befassle Gericht unter möglichst genauer Bezeichnung der betreffenden Aktenstücke und Ur- kunden das Ansuchen um deren Herbeisehaffung zu richten.

Das Ansuchen kann mittels einfacher Vorstellung oder bei Gelegenheit einer in der Sache statltindenden Verhandlung mittels Antrags gestellt werden.

Das Gericht hat , wenn es den Gesuchsteller zur Be- nützung der bezeichneten Aktenstücke und Urkunden be- rechtigt erachtet, dem Gesuche durch Anordnung der ge- eigneten Requisition zu entsprechen.

Letztere wird durch den Staatsanwall vollzogen und die eingekommenen Akten werden auf der Gerichlsschreibcrei zur Benützung hinterlegt.

Das sind Bestimmungen, meine Herren, die den Privaten wie den Fiskus gleichmässig treffen, und es ist ein Unterschied zwischen einem Privaten und dein Fiskus durchaus nicht staluirt.

Eine Aenderung der von uns im Jahre 1876 aufgestellten An- ordnungen bezüglich der Benützung von Archivalien scheint sohin nach Massgabe des Art. 31)2 der Civilprozessordnung in Verbindung mit dem Art. 380' nicht veranlasst, und eben desshalb dürfte auch der Antrag Ihres Ausschusses gegenstandlos sein. Das kgl. Slaats-

minislerium des Innern befindet sich daher nicht in der Lage, die Eingabe des Advokaten Harlmann einer weiteren Würdigung unterstellen zu können.

Einer der beiden Abgeordneten, welche den Verbesserungsaritrag gestellt halten, Herr Dr. Max Theodor Mayer, setzte mm auseinander: dass er aus dein Wortlaut des Ilartmann'schen Petitums habe ent- nehmen müssen, es handele sich vorzugsweise um die Einsicht von Urkund« in in einem bereits anhängigen Prozesse, worüber das Prozess- gericht zu entscheiden habe. Anzuerkennen aber sei der allgemeine und prinzipielle Standpunkt , von welchem aus die Majorität des Petit ionsausschusses die Sache gewürdigt habe.

Der Staat muss bei einein Rechtsstreit, über den beiden Parteien stehend, das materielle Recht erkennen, und es führt das bisherige System, wie es beobachtet worden ist, zu vielen Härten. Es sind uns Mittheilungen gemacht worden, wonach Gemeinden, vorzugs-

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lieber Arcbivbenützung von Privaten in Vermögenasachen.

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weise Kirchengemeinden und Kirchenstiftungen , die Beweisstücke vorbehalten worden sind, so dass sie dun Rechtsstreit verlieren rnussten oder überhaupt nicht den Rechtsstreit beginnen konnten. Ich habe in meinem praktischen Leben als Richter schon öfter die Erfahrung gemacht, dass Gesuche um Urkundenedi lion vom Gerichte nach den bestehenden Gesetzen abgewiesen werden rnussten, weil die Urkunden nicht naher bezeichnet werden konnten, und sie konnten nicht näher bezeichnet werden, weil die Einsicht- nahme von Archivalien verweigert wurde. So bewegt man sich in einem Zirkel, in welchem die Gegenpartei des Fiskus noth wendig unterliegen musste. Ferner linden ja die civilprozessualen Be- stimmungen doch nur auf anhängige Rechlsstrcitigkeiten An- wendung, während die Sache oft nur daran liegt, dass die Partei, ehe sie den Rechtsstreit beginnt, die Urkunden einsehen kann, aus denen sie entnimmt, ob es klug und gerechtfertigt ist, einen Prozess zu beginnen.

Aus diesen Gründen bin ich mit dem Antrage des Petitions- ausschusses in der Hauptsache einverstanden. Allein er bedarf noch einer Verbesserung. Wenn es heisst: »wodurch jedem Staats- angehörigen ermöglicht wird, solche in gleicher Weise wie der Fiskus zu benützen« , so ist das zu allgemein. Es könnte jeder Neugierige an die Archive sich wenden, ja es könnte sogar aus unlauteren Motiven verlangt werden , dass ihm die Archive zur Disposition gestellt werden. Es würde dadurch jede Ordnung im Archive gestört werden müssen, und es könnten erhebliche Ge- fahren daraus entstehen. Es ist meines Erachtens nothwendig, dass nach dem Worte »Staatsangehörige« eingeschaltet werde »bei bescheinigtem Rechtsinteressc«. Derjenige, welcher die Einsicht- nahme von Urkunden begehrt, muss ein rechtliches Interesse glaub- haft machen. Es ist ja nicht gefordert, dass er einen strengen Beweis seiner Berechtigung führt; aber sein rechtliches Interesse rnuss er glaubhaft machen, und das ist ausgedrückt in dem An- trage, welchen ich mir in Verbindung mit meinem Freunde llauck zu stellen erlaubt habe, dass nach dem Worte »Staatsangehörigen« eingeschaltet werde »bei bescheinigtem Rechtsinteressc«. Es isl ja allen Juristen bekannt, was unter dem Ausdruck »bescheinigt« zu denken ist, nämlich die Glaubbarmachung. Der Abgeordnete flerr Gunzenhäuser bemerkte: Wir können nicht verkennen, dass es mehrfache Gattungen von

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Löher:

Urkunden gibt, die in den Archiven verwahrt sind. Es gibt eine Reibe von Urkunden, welche in der Thal der Staat verwahrt nicht als Wahrer des Hechtes und als Wahrer der allgemeinen Ordnung, sondern die er verwahrt gerade als Repräsentant des Fiskus, Urkunden, die nur im fiskalischen Interesse aufgenommen sind, Urkunden, die der Fiskus gerade der Prozesse wegen, die er führt, aufbewahrt. Für diese Urkunden, für diese Gattung von Urkunden reichen aber die Bestimmungen des Civilprozcsses vollständig aus, und nur in diesem Sinne halte ich den Art. 392 in Verbindung mit dem vorausgehenden Art. 386 der Prozess- ordnung für vollkommen zureichend. Aber diese Urkunden sollen auch nicht als solche betrachtet werden, welche allgemein zur Einsichtnahme für das rechtsuchende Publikum bereit gestellt werden sollen, ausser dann, wenn der Staat als Gegenpartei in seinem Interesse die fraglichen Urkunden aufgenommen hat und er durch gesetzliche Vorschriften zur Vorlage der Urkunde ver- halten wird.

Es können dem Vertreter des Fiskus Urkunden hinausgegeben werden, auch solche, deren Geheimhaltung im staatlichen Interesse liegt, weil der Fiskus als Beamter hiezu unter allen Umständen verpflichtet ist, aber es kann nicht angehen, ohne besondere Cautclen sie auch Privaten vorzulegen, und es kann wieder nicht angehen, jeden Staatsangehörigen in derselben Weise zur Einsicht dieser Akten zuzulassen wie den Beamten; es ist desshalb bereits von dem Herrn Referenten vorgeführt worden, dass dies nur unter Cautelen zugegeben werden kann.

In der Rede des Abgeordneten Herrn Russwurm wurde unter Anderm hervorgehoben :

Der Staat ist der Vertreter der Rechtsordnung, und wenn es sich um materielles Recht handelt, muss der Fiskus in den Hinter- grund treten, weil der Fiskus und der Staat nicht eine und die- selbe Person sind. Der Fiskus vertritt die finanzielle Seite de? Staates, aber der Staat vertritt die Rechtsordnung und er muss dem materiellen Rechte zum Siege verhelfen, auch in dem Falle, dass ein oder mehrere Hundert Mark aus dem Staatssäckel zu bezahlen sind.

Dem Vertreter des Fiskus ist zu jeder Zeil das Archiv offen, er kann die Urkunden einsehen, wie er will, aber dem Vertreter der Partei ist es niemals erlaubt, hineinzugehen ohne ganz be-

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lieber Archivbenützung von Privaten in Vermögenssachen. 25

sondere Erlaubniss. Nun soll man dann beim Civilgerichte ganz genau angeben , welche Urkunden man haben will. Ja , das ist unter tausend Fällen nicht einmal möglich, dass man sagen kann: diese Ziffer, Nummer so und so viel ist es; welche ich haben will. Man muss zuerst Erlaubniss hal>en, das Archiv selbst einzusehen ; man muss die Urkunden durchlesen dürfen, dann erst kann man die Urkunden bezeichnen, die in einem Falle gerade mass- gebend sind.

Meine Herren ! Ich will nicht darauf zurückkommen, auf welch«' Weise diese Archivalicn, welche in den Füllen, die ich angeführt habe, massgebend sind, in die Hände des Staates gekommen sind. Heut zu Tage muss man vorsichtig sein, solche Vorkommnisse auch nur zu erwähnen ; sie kamen in die Hände des Staates, der damals Ansichten huldigte, welche gegenwärtig mit aller Gewalt ausgerottet werden sollen und zwar mit vollem Hecht.

Nur das Recht des Stärkeren war es, das die Urkunden und zugleich das Eigenthum der Kirchen und Stiftungen in die Gewalt des Staates brachte. Die Rechtstitel, welche Stiftungen und Pfarreien auf bauliche Unterhaltung ihrer Gebäude durch den Staat haben, sind sicher viel heiliger und mehr begründet, als das Hecht des Staates auf die Archive und auch auf das Stiftungs- vermögen, das damals eingezogen wurde.

Der k. Ministerial-Gommissär Herr Bischof betonte, dass die Vertretung des Staatsärars bei Gesuchen um Herausgabe von Ur- kunden stets mit der grössten Liberalität vorgegangen sei, dass man sich aber, wenn es sich um Prozesse gegen den Fiskus handele, nur auf den gesetzlichen Standpunkt stellen könne.

Nehmen Sie den Fall, dass dem Fiskus einmal beitiele, nach Anhängigwcrdung eines Prozesses von seinem Parteigegner zu verlangen, dass ihm derselbe alle Urkunden, die in dessen Händen sind, zur Verfügung stelle, damit der Fiskus nachsehen könne, ob er etwas für seinen Zweck Dienliches darin linde. Ich glaube, da würde man dem Fiskus erwidern, das wäre widergesetzlich.

(Zurufe: »Staat«.) Ich spreche hier Namens des Fiskus, weil ich der Vertreter des Fiskus bin.

(Wiederholte Zurufe: »Wir sprechen hier vom Staat.«) Nun werde ich wohl verlangen können, dass mit gleichem Masse gemessen wird; was dem Einen Recht ist, ist dem Andern

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Löher:

auch: Recht, und es wird nicht darauf ankommen, ob eine Partei A und die andere Partei B heisst.

Nachdem der Unterschied, welchen man In der Kammer fast allgemein zwischen Staat und Fiskus machte, hier so drastisch auf- getreten, wurde in der Beschlussrede des Ausschussreferenten Hrn. Abg. Dr. Beckh die Hauptfrage dahin zusammengefasst :

Die prinzipielle Frage, um die es sich handelt, ist also die, ob wir überhaupt in unserem Hechtsslaate gestatten wollen, dass, wenn irgendwie fiskalische Interessen in Aussicht stehen, den Staatsangehörigen verboten werden kann, die Staatsanslallen zu benutzen. Das ist der Kern der Sache.

Ich, meine Herren, bin der Ansicht, dass der oberste Hechts- grundsatz heisst : »Gleiches Hecht für Alle«, und dass diesen der Staat überall zur Gellung bringen soll, auch wenn er ihm zu Schaden gereichen könnte.

Der Beschluss des Hauses ging dahin:

diese Petition der k. Staalsregierung zur Würdigung hiruil>er- zugeben mit dem Ansuchen, bezüglich der Benützung der Archi- valien Vorschriften zu erlassen, wodurch jedem Staatsangehörigen bei bescheinigtem Hechtsinteresse ermöglicht werde, solche in gleicher Weise wie der k. Fiskus zu benützen.

V. Untersuchung vom Standpunkte des Rechts.

Soviel von den Verhandlungen der bayerischen Abgeordneten- kammer. Ks waren vier Gesichtspunkte, die sieh mehr oder weniger deutlich darin kundgaben: das Hecht, das Gemeinwohl, die öffent- liche .Moral, die Geschichte. Sehen wir zu, wie sich die Sache nach diesen Gesichtspunkten für den Archivar darstellt.

Da meldet sich zuerst das juristische Gewissen an. >Dass in der Hegel Niemand verpflichtet sei, seinem Gegner im Prozesse die Beweismittel gegen sich in die Hände zu geben, ist ein Gesetz des gesunden Menschenverstandes, welches auch das |>ositive gemeine Hecht im Prinzip anerkennt« Leidet dieses Gesetz des gesunden Menschenverstandes für die Staatsarchive im Prozesse mit dem Fisku- eine Ausnahme? Kann überhaupt nach strengem Hecht irgend

') S puffert Archiv der Entscheidungen der ohersten Gerichte in den deutschen Staaten III 145.

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Ueber Archivbenatzung von Privaten in Vermögenssachen.

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Jemand, der nicht Staatsbeamter ist, fordern, dass ihm seines Ver- mögensinteresscs willen die Landesarchive geöffnet werden?

Welche rechtliclie Natur hal)cn Archivalien? Sie sind Perti- nenzen der Schlösser und Höfe, der Slädte, Klöster, Hospitäler, Hochschulen und ähnlicher Anstalten und des daran hängenden Ge- biets oiler Amtes, und gleichwie die Pertincnz an Hecht und Schicksal der Hauptsache thcilnimmt, so gehören auch Archive, wenn bei einem Eigenthumsübergang nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden, dem Eigenthümer der Hauptsache.

Fiel also dem Staate das Gebiet oder Amt oder Institut anheim, so erhielt er damit auch das Eigenthum der zugehörigen Archivalien. Er bekam über sie das vollständige Verfügungsrecht, konnte sie in ihren bisherigen Behältnissen belassen, an andere Orte bringen, oder auch durch ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung von der Hauptsache abtrennen. Letzleres geschah z. B. wenn das Kloster- gut verkauft, dessen alte Urkunden und Kodizes aber bereits in die Landesarchive verbracht waren und dem Käufer nicht mit über- geben wurden.

Wie stellen sich nun heutzutage Landesarchive dar? Fast ein jedes als eine Vereinigung von vielen kleinen Anluven, die früher jedes für sich bestanden. Die Archive des Landesherrn, der allen Landes- ämter und der neuen Staatsbehörden, der säkularisirten Bisthümer, Klöster und andern geistlicher Stillungen, der medial isirten Fürsten, Grafen und Herren, der Reichsstädte und Ritterorden sind mit dem Grundbesitz und der Verwaltung, wegen deren sie entstanden, an den Staat übergegangen. Der Staat ist Rechtsnachfolger all der früheren Besitzer und damit Eigenthümer ihrer Archive geworden.

Auf welche Weise er es geworden, ob das Vorgehen der Staaten in der Epoche der Mediatisirung und Säkularisirung blosse Gewalt und Willkühr war oder durch zwingende höhere Rücksichten ge- boten, das ist gleichgültig in Bezug auf die Frage, ob jetzt Eigen- tum des Staates vorhanden ist oder nicht. Dieses Eigenthum selbst steht nach Staats- und Völkerrecht wie durch Verjährung un- antastbar über allen Zweifeln, gerade wie jedes andere wirkliche Eigenthum.

Hat sich nun die rechtliche Natur jener Archive seitdem irgend- wie geändert? Durchaus nicht, sowenig als sich die Natur des Eigen- thums änderte, mit welchem sie als dessen Pertinenzen an den Staat übergingen. Die Ordnung, Zcrtheilung, und Benützungs weise

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Lflher:

mag sich geändert haben, das Eigenthum seihst ist mit allen dar- aus hervorgehenden Folgerungen dasselbe geblieben.

Nun vertreten aber das Staatsvermögen die mit der Verwaltung derselben betrauten Staatsbeamten: folglich haben auch nur diese Anspruch darauf, die im Landesarchiv vereinigten Schriftstücke durchzusehen und zu benützen, und ausser diesen Staatsbeamten kann nur Derjenige das gleiche Hecht erhalten, welchem die Staats- gewalt es förmlich zugestanden hat.

Die Archive sind also wirklich, soweit es sich um den Bestand des Staatsvermögens und die damit zusammenhängenden Hechte und Pflichten handelt, nicht anders zu betrachten, als wie das Archiv oder die Registratur jedes Grossgrundbesitzers. So wenig dieser verbunden ist, irgend einen Andern hinein zu lassen, so wenig lässt sich vom Standpunkte des Hechts ein solcher Anspruch an das Landesarchiv erheben, einerlei ob ein Staatsbürger oder ein Fremder ihn erhebt.

Mit Bibliotheken, Museen, Gemäldegallerien und ähnlichen An- stallen lassen sich daher Archive nicht auf gleiche Linie stellen. Jene errichtet und unterhält der Staat, weil er Wissenschaft Kunst und überhaupt höhere Bildung zu pflegen hat, die Archive aber deshalb, weil die Dokumente Darlegungen und schriftlichen Ver- handlungen, die bezüglich seines Vermögens Bestehens und Fort- schreitens im Verkehr mit den eigenen Staatsbürgern wie mit andern Staaten erwuchsen und noch fort und fort enlstehen, stets geordnet zur Hand sein müssen, um daraus Beweise Behelfe und Aufklärungen zu entnehmen.

Sehr erfreulich ist es, wenn sich aus Archiven mit leichter Mühe geschichtliche und insbesondere rechtshistorische Ausbeute ergiebt: die erste und hauptsächliche Bestimmung archivalischer Anstallen ist aber, dem praktischen Gcschäflsleben des Staats, der Gemeinden, Stiftungen, Pfarren, Genossenschaften und Privaten zu dienen. Gewiss ist der wissenschaftliche Werth und Zweck der Archive hochbedeutend, und jedes einsichtige Ministerium wird auch diese Seite ihrer Bestimmung eifrig pflegen und fördern: allein sie ist doch nur Folge, nicht Ursache des Daseins der Archive. Ist in einem Lande das Archiv wesen in Ordnung, so wird es den Archi- varen einerseits nicht an Freiheit, an Anregung und Mitteln fehlen, wiederholt Heisen in die nächste und entferntere Umgegend zu machen, um Archivalien aufzuspüren, auszuscheiden und für die

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Landesarchive, nöthigenfalls durch Ankauf, zu erwerben; anderer- seits aber wird dafür gesorgt sein, dass die Registraturen sämmt- licher Behörden des Staates fort und fort an die Archive solche wichtigen Dokumente Akten und Geschäftsbücher abgeben, deren sie selbst zum laufenden Dienste nicht mehr bedürfen, die aber für Gegenwart und Zukunft Kunde geben von Recht und Geschichte, beides im weitesten Sinne genommen. In Bayern ist Letzteres in ausreichender Weise der Fall. Die Ausscheidung ans sämmtlichen Registraturen, die dem Staate gehören, ist fortwährend im Gange, und das Reichsarchiv sowie sämmtliche acht Kreisarchive enthalten in Menge Akten Urkunden und Amtsbücher, (leren Entstehung in die letzten Jahrzehnte fällt.

Schon mit Rücksicht hierauf ist auch die Meinung zu würdigen, es müssten sich die Archive jedem Rechtssuchenden öffnen, weil ihre Beamten und Gebäude aus dem Staatssäckel unterhalten würden. Diese Behauptung ist auch wohl kaum ernstlich gemeint gewesen. Beziehen nicht alle Justiz- und Verwaltungsbeamten ihre Besoldungen und sonstigen Amtsbedürfnisse aus der Staatskasse? Und sollen sie deshalb ihre Registraturen Jedermann Preis gelxm, der einen Prozess oder eine Beschwerde oder nur ein Gesuch an Staatsbehörden im Sinne führt? Oder wenn die Archive sich müssten durchstöbern lassen, warum nicht auch die Akten der vom Staate angestellten und unterhaltenen Fiskalbehörde selbst? In diesen würde sich ja bei Prozessen gegen den Fiskus das allerbeste Material auf kürzestem Wege finden.

VI. Untersuchung vom Standpunkte des allgemeinen Nutzens.

Wir sehen also, mit dem Geschütze des strengen Rechts lässt sich keine Bresche legen, durch welche man nach Wunsche in die Archive hinein schlüpfen könnte. Im Gegenthei), mit der Pflicht, das Staats vermögen zu wahren, ist auch die Pflicht verbunden, die Mittel dafür zu behaupten, und eines der wichtigsten Mittel zum Schutze des Staatsvermögens liegt eben darin, dass die Archive nicht preisgegeben, und Anreiz und Gelegenheit nicht vermehrt werden, in ihren Dokumenten nach Titeln und Ansprüchen zu suchen, die Aussicht gewähren, Vermögen und Einkünfte des Staats zu mindern und ihm neue Lasten und Ausgaben aufzubürden.

Würde dagegen mit der Öffnung der Archive zu Gunsten

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Löher:

oinos Jeden, der ein Recht sinteresse glaublich macht, die allgemeine Wohlfahrt gesteigert, das heisst der Vortheil eines Jetten, der an der grossen Genossenschaft der Staatsbürger theilnimmt, vermehrt: so müsste jeder Staatsmann dahin trachten, diesen Gewinn seinen Mit- bürgern zu verschanen. Allein das Gegentheil ist der Fall. Den Gewinn würden immer nur Einzelne ziehen, den Schaden aber Alle empfinden.

Ein Beispiel wird das sofort klar machon. Die meisten Uni- versitäten werden heutzutage theils aus Staatsmitteln, theils aus den Einkünften ihres alten Stiftungsvermögens unterhalten, lieber Herkunft und Verwaltung des Stiflungsvormögens besitzt die Uni- versität ihr kleines Archiv, ihre Registratur, ihre Kanzlei, oder wie immer man die Sammlung zugehöriger Schriften nennen will. Lässt sie diese Sammlung von Denen durchstöbern , die auf Grund alter Stiftungen und Rechtsgewohnheiten an die Universität etwas leisten oder von ihr etwas beziehen: so kann leicht die Folge für die Uni- versität sein eine Vermehrung von Prozessen und Kosten und eine Beeinträchtigung der Einkünfte. Jede Einbusse aber an Bestand und Nutzungen des Sliflungsvermögens muss durch Zuschuss aus den Staatsmitteln gedeckt worden.

Nun denke man sich die kaum ülxrsohlichc Menge vielver- schlungoner Rechtsverhältnisse, die dem Staate erwachsen sind durch frühere lehns- und landesherrliche, guts- und gorichlsherrliche Rechte und Pflichten, durch Gemeinde- Piitronals- und Stiflungssachen, durch neuere Anlagen Bauten und Unternehmungen, lieber all der- gleichen beruhen Akten und Urkunden und Amtsbücher in den Archiven. Wären diese genöthigt, sich von Reehtssuchonden durch- stöbern zu lassen, welch ein artiger Strauss von Prozessen würde den Verl rot ern des Staatsvermögens erblühen, welch ein weites Feld wühlerischer Thätigkoit würde sich manchem Advokaten eröffnen! Gerichte wie Archive bekämen mehr Arbeit, und das würde schliess- lich dem Staate nur mehr Kosten verursachen. Müssten aber gesetz- licher Weise die Archive dem öffentlichen Gebrauch anheimfallen, so wäre kein triftiger Grund vorhanden, davon auszuscbliessen die in sämmt liehen Amtsregistraturon des Staats beruhenden Akten, höchstens diejenigen ausgenommen, die politischer Natur sind. Das aber hiesse denn doch Ordnung und Sicherheit in der Staatsver- waltung geradezu verwirren und gefährden.

Würden aber schliesslich in Folge von möglichen Wendungen

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Heber ArchivlxHuitzunp von Privaten in Vermogenssaehon. Hl

und Ansichten bei den Gerichten ungünstige Entscheidungen gegen den Fiskus erstritten, so würden die Prozesssieger dadurch hereichert, die Gesamnitheit aber um ebensoviel ärmer werden. Der Ausfall an Erträgnissen des Staalsvermögens sowie die Vermehrung von Pflichtigen Leistungen des Staats müssten durch Steuererhöhung gedeckt werden.

Vif. Untersuchung vom Standpunkt der öffentlichen Moral und der

Geschichte.

Es sprechen also ebensowenig Gründe des allgemeinen Nutzens als des strengen Rechts für die Oeftnung der Archive in fiskalischen Angelegenheilen. Gleichwohl liegt in der Vorstellung, der Staat müsse in Vermögenssachen handeln wie ein Privatmann , irgend etwas, das dem öffentlichen Gewissen widersteht. Niemand wird es dem Privatmann verdenken, wenn er seine Dokumente verschliesst, um sich vor Prozessunruhe und Verlusten zu schützen : der Staat aber steht höher und hat erhabenere Ziele. Nur (heil weise sind seine Grundlagen das Privatrecht und der gemeinsame Nutzen: er ist eine historische Genossenschaft, die noch von andern Ideen lebt und ihre Mitglieder zu edleren Gefühlen und Bestrebungen erzieht. Der Staat soll immerdar Recht und Wahrheit schützen und sorgen, dass sie allezeit oben bleiben, und gleichwie er zu Zeiten von der Vaterlandsliebe mehr fordert, als seine Gegenleistung vielleicht werlh ist, so soll er auch eine Minderung des gemeinsamen Vermögens hinnehmen, wenn er Recht und Wahrheit nicht anders zum Siege verhelfen kann. Vor allem aber darf der Staat selbst nichts besitzen, was nicht strenge Untersuchung vertragen kann. Sein Eigenthum muss so blank und klar sein wie das Sonnenlicht.

Gedanken dieser Art lassen sich nicht abweisen, sobald die Mög- lichkeit vorliegt, es könne irgend ein Recht darunter leiden, wenn der Staat sein Vermögen und dessen Schulzmittel wahrt.

In vorliegender Frage aller redet mächtig eine historische Erinnerung mit, die Erinnerung daran, wie das jetzige Staatsvermögen sich gebildet hat, durch welche Mittel es geschah und unter welchen treibenden Ideen.

Nicht im Wege friedlichen Kaufs oder Tausches, oder der frei- willigen Abtretung, auch nicht im Wege erzwungenen Entgelts für werthvolle Gegenleistung erfolgte in der Regel Säkularisation und

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Mediatisirung und so manche Hereinziehung von Gütern und Ein- künften, die ehemals als besonderes Domanial- und Amtsvermögen betrachtet wurden, in das allgemeine Staatsvermögen. Ohne Druck und Gewalt des Stärkeren wäre sicher auch keine Scheidung von Lelms- und Gerichtsverhältnissen , keine Ablösung von Grundlasten dergestalt erfolgt wie sie wirklich stattgefunden.

Wo aber jene vielartigen Herrenrechte an den Staat über- gingen, Rechte, mit denen in der Regel auch gewisse herkömmliche Leistungen verbunden waren, sollen da die Pflichtigen, die ehemals einem persönlichen Herrn zinseten und frohndeten, aber von ihm auch Gutes empfingen, nun schlimmer daran sein, da die grosse Körperschaft, von welcher sie selbst mitberechligte Genossen sind, der Staat der Guts- und Gerichtsherr geworden? Damals stand durch Herkommen fest, welche Leistungen auf jedem Hof und jeder Gemeinde hafteten zu Gunsten sei es des Grund- und Gerichtsherrn, oder der Kirche, Schulen und Stiftungen, oder der Hahnen und Drücken, und welche Rechte zustanden auf Wald und Weide, Weg- und Wasserlauf, See- und Flusserträgnisse, und welche Gränze Hof- und Herrengut, Forsten, Gemeinde- und Privatland schieden. Da- mals war durch periodisch wiederkehrende Uebung und mannigfache öffentliche Kundgebung jenes Herkommen in aller Leute Wissen und Gedenken. Jetzt ist im wirren Lauf unsers Jahrhunderts das alte Herkommen getrübt und verdunkelt, und jetzt soll der Staat Schlösser und Riegel vor die Archivgewölbe legen, welche die Mittel zur Auf- klärung bieten, wie die alten Rechte und Pflichten beschaffen waren?

Was aber war die Grundanschauung, welche im unauf- haltsamen Gange der Staats- und Rechtsenlwicklung in Mittel- europa — die mittelalterliche Staats- und Gesellschaftsordnung lockerte und auflöste? Sollte nicht die eine kraftvolle Staatsgewalt an Stelle der vielen patrimonialen Gewallen, das eine gleichmässigc Recht an Stelle zahlloser Statuten und Weislhümcr, OefTent liebkeit und Mündlichkeit an Stelle des geheimen Verfahrens, kurz, sollte nicht der Staatsbürger an Stelle des Unterl bans treten? Darin lag die historische Berechtigung all jener Säkularisationen Medial isirungen und von oben her diklirlen Ablösungen. Und sollte sich darauf nicht auch Derjenige berufen dürfen, der rechtssuchend an die Pforten der Archive klopft, um zu erforschen und darzulegen, was sich aus früheren Jahrhunderten an Rechten und Pflichten in unsere Zeit herüberschleppte?

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Ueber Archivbenfitzung von Privaten in Vermögenssachen.

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VIII. De lege ferenda.

Dieser geschichtliche Hergang, die Anschauung, auf welcher er beruhte, und die ganze Art und Weise, in welcher er erfolgte, gibt vielleicht einen Fingerzeig, wie eine Frage zu l)ehandeln, in welcher man vom Gesichtspunkte des Rechts und allgemeinen Nutzens nicht weiter gehen kann, als schon geschehen ist, gleichwohl aber das öffentliche Gewissen das Weitergehen verlangt.

Auf dem Wege der Ordnung des prozessualischen Verfahrens lässt sich der Sache nicht wohl beikommen, trotzdem das Gesetz für den Zivilprozess im deutschen Reich in dieser Beziehung so weit vorgegangen ist, als möglich. Es besagen:

§. 265. Das in einem andern Staate gellende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gerichte unbekannt sind. Bei Ermittelung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschrankt; es ist befugt, auch andere Erkenntnissquellen zu benützen und zum Zwecke einer solchen Benützung das Erforderliche anzuordnen.

§. 271. Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Die Entwürfe zu Urtheilen Beschlüssen und Verfügungen, die zur Vorbereitung derselben gelieferten Arbeiten, sowie die Schrift- stücke, welche Abstimmungen oder Strafverfügungen bet reffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgetheilt. Allein der erste Paragraph bezieht sich nur auf Rechtsnormen und zwar eines andern Staates, als zu welchen das Prozessgericht gehört, und der zweite Paragraph spricht nur von Akten, welche mehr oder weniger die Natur von gemeinsamen haben, und schliefst auch hier von der Einsichtgewährung alles aus, was sozusagen zu dem Häuslichen des Gerichts gehört.

Für die Archivbeamten wäre es freilich am bequemsten, wenn ein Gesetz bestände, der Rechtsuchende habe bei Gericht seine Ansprüche auf die Einsicht gewisser Archivalien glaubhaft zu machen, sei es durch Darlegung der Sachlage und deren eidliche Erhärtung oder andere Beweismittel, sei es vor oder in einem Prozess, und wenn, sobald das Gericht das rechtliche Interesse als vorhanden erklärt, darin der Befehl für die Archive läge, die verlangte Einsicht zu ge-

Arcblv»llm-he ZelUcbrlft. IV.

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stalten. Allein das Gericht könnte doch immer nur im Editions- verfahren vorgehen, und zu diesem gehört ausser dem audiatur et altera pars nothwcndig, dass Gewissheit bestehen muss, die Dokumente seien vorhanden, und dass sie wenigstens insoweit müssen kenntlich gemacht werden, um sie mit anderen nicht zur Sache gehörigen nicht zu vermengen. Möge man datier die in den §§. 387—399 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit g. 266 vorgeschriebenen Erfordernisse noch so erleichtern, ihre wesentlichen Grundsätze wird man nicht ändern können.

Auch das Gesetz zur Ausführung der Reichszivilprozessordnung in Bayern konnte im Artikel 3 über »Urkundenedition durch öffent- liche Behörden« keine anderen Bestimmungen treffen, als folgende: Von Urkunden, welche sich bei einer öffentlichen Behörde be- finden, hat diese, unbeschadet der Vorschriften in den §§. 394 und 397 der Zivilprozessordnung, sowie vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen, Vorlage und Einsicht zu gewähren und beglaubigte Abschrift zu ertheilen, wenn die Zustimmung desjenigen, auf dessen Antrag oder in dessen Interesse die Ur- kunde bei der Behörde errichtet oder hinterlegt wurde, l)eigcbrarht oder seine Verpflichtung hiezu rechtskräftig ausgesprochen ist. Es werden aber in diesem Artikel »l>esonderc gesetzliche Be- stimmungen vorbehalten«. Diese könnten im Wege administrativer Verordnungen oder als förmliche neue Gesetze erlassen werden.

Was den ersten Weg betrifft, so wird es dem Gesammt- inhalte der bayerischen Archive gegenüber kaum möglich sein, die Sache anders anzufassen, als wie sie in der oben verkündigten Ministerialenlschliessung vom 11. März 1876 geordncl worden. Das Slaatsinteressc ist gar mancherlei, und die Beeilte Dritter sind eben- falls zu bewahren.

Als in der Sitzung des besondern Ausschusses der bayerischen Kammer der Abgeordneten zur Berathung der durch die Ausführung der Reichsprozessordnungen und des Reichs -Geriehtsverfassungs- geselzes veranlassten Gesetzentwürfe am 9. Noveml>er vorigen Jahres der Abgeordnete Herr Dr. Max Theodor Mayer l>cantragte, dem oben hergesetzten Artikel 3 am Ende beizufügen:

Die Einsicht von Urkunden, welche sich in einem Archive des Staates befinden, ist jedem Slaalsangehörigen, der sein rechtliches Interesse an deren Einsicht glaubhaft macht, zu gewähren konnte man am Minislertische nicht umhin, den gegen den Antrag

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lieber ArchivbenQlzung von Privaten in Vermögenssachen.

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sprechenden schweren Bedenken wiederholt Wort zu geben. Der k. Staatsminister des Innern Herr von Pfeufer Exc. erklärte:

Abgesehen von der Frage, wie das rechtliche Interesse glaubhaft zu machen sei, vermisse er eine Bestimmung, wie es denn ge- halten werden müsste, wenn in demselben Dokumente oder Akte, dessen Einsicht man verlange, nicht nur rein fiskalische Interessen, sondern allgemeine Staatsinteressen , Interessen des öffentlichen Rechts, in Frage kamen ? Sollte hier das Interesse des Einzelnen dem des Staates vorangehen? Oder wolle man jedem Einzelnen die Befugniss zusprechen, die Archive zu durchstöbern? Das würde den Zustand derselben und ihre Ordnung geradezu auf den Kopf stellen. Unter allen Umständen werde man die Genehmi- gung der Archivbehörden sowie des k. Staatsministeriums des Innern und der übrigen Ministerien, soweit ihr Interesse hiel>ei in Frage komme, nicht umgehen können. Sei dies aln?r der Fall, so komme man wieder auf den alten Standpunkt zurück. Uebri- gens wiederhole er ausdrücklich, dass die Einsichtnahme in libe- ralster Weise gestattet werde.

Der k. Staatsminister der Finanzen Herr von Riedel Exc. hob hervor :

Um das materielle Recht klar zu stellen, werde man gewiss niemals die Einsichtnahme von Akten oder Urkunden erschweren. . Als Vertreter des k. Fiskus genire ihn der Antrag gar nicht; er halte denselben jedoch, abgesehen von der Frage, ob er hieher gehöre, was auch er verneine, für die Verwaltungs-Ministerien überhaupt für bedenklich. Was solle man unter Urkunden im Sinne des Antrags und unter Archiv verstehen ? Gehörten dazu auch die Registraturen der Ministerien oder nur geschichtliche Dokumente? Was solle man unter rechtlichem Interesse ver- stehen? Es liesse sich eine Reihe von Fällen konstruiren, in denen es den Staatsministerien ganz unmöglich sein würde, den Ai- tikel zu vollziehen, weil vom Standpunkte eines höhern Staats- interesses Collisionen eintreten könnten. Er wolle nur den Grund- satz des Amtsgeheimnisses anführen; was von Zeugen gelte, müsste doch auch von Urkunden gelten, und bei ersteren sei der Grund- satz adoptirt, dass Beamte nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörden Mittheilungen machen dürften.

Redner führte mehrere Beispiele an, in denen, abgesehen von fiskalischen Interessen, eine Einsichtnahme der Akten nicht

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3G Löher:

gestattet werden könne, obwohl ein rechtliches Interesse be- stehe.

Kr wolle keinen Kunstgriff bei Wahrung des materiellen Rechts des Staates; er müsse aber als gesetzlich verpflichteter Vertreter desselben die Rechte des Staates den Privaten gegenüber soviel als möglich wahren.

Endlich der k. Staatsminister der Justiz Herr Dr. v. Fäustle Exc.

machte auf den §. 169 des Gerichts Verfassungsgesetzes, welcher lautet: Die in einem Bundesstaate bestehenden Vorschriften über die Mittheilung von Akten einer öffentlichen Behörde an ein Gericht dieses Bundesstaates kommen auch dann zur Anwendung, wenn das ersuchende Gericht einem andern Bundesstaate angehört

aufmerksam und erörterte:

Der §. 169 sei allerdings so gefasst, dass die Frage, welche hier Lösung erheische, nicht unmittelbar unter die Bestimmung desselben falle. Nach den Verhandlungen und dem Geiste des Paragraphen habe das Reichsrecht in keiner Weise in die Frage eingreifen wollen, welche Urkunden überhaupt zu ediren seien, das bemesse sich nach dem Staatsrecht der einzelnen Länder, aber als politischer Grundsatz gelte, dass die Bestimmungen, welchen die Unterthanen eines Bundesstaates unterworfen seien, auch für die des andern Bundesstaates gleiche Geltung hätten. Man stünde also der Frage gegenüber, ob man in Bezug auf Be- nützung von Archiven einen Unterschied zwischen Bayern und Nichtbayern machen könne. Ganz unhaltbar sei der Antrag, wenn nicht in demselben ein Vorbehalt bezüglich der staatlichen Interessen gemacht werde; müsste aber ein solcher erfolgen, so sei wieder Alles in das pflichtgemässe Ermessen der Verwaltungs- behörden gestellt. Daher sei er der Ansicht, dass der Antrag nicht hier erledigt, sondern einer besondern Behandlung vor- lx>halten werden müsse. Auch der Antragsteller, Herr Dr. Karl Theodor Mayer, verkannte

die Schwierigkeien nicht, die in der Frage liegen, und erklärte

wiederholt :

Er wolle mit seinem Antrage auch nicht in die Fälle eingreifen, in denen ein öffentliches Interesse Schaden leiden würde; in diesen Fällen könnte ja die Abweisung der Einsichtnahme damit moli- virt werden, dass ein solches Interesse obwalte, und desshalb die Einsicht nicht gewährt werden könne. Immer würde das Mini-

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lieber Arcbivbeniitzung von Privaten in Wnnflgcnssacbeii. 37

sterium des Innern zu befinden haben. Kr sei zufrieden, wenn festgestellt werde, dass die Einsichtnahme nicht verweigert werden dürfe bloss aus dem Grunde, weil der Fiskus im entgegengesetzten Interesse als Prozessgegner betheiligt sei. Nach seiner Intention handle es sich allgemein um vermögensrechtliche, bereits anhängige oder anhängig zu machende Streitigkeiten. Wenn man frage, wie das Interesse glaubhaft gemacht werden könne, so müsse nach seiner Ansicht eben der ganze Sachverhalt in der Vorstellung klar gelegt werden, so dass die Behörde entscheiden könne, ob der Gesuchsteller ein Interesse an der Kenntnissahme der Urkunde habe oder nicht. Auch dürfte dann nicht Jeder Alles durchstöbern, son- dern nur die einschlägigen Akten ; diese aber selbst dann, wenn, wie gesagt wurde, deren eine erhebliche Anzahl vorhanden wäre. Man könne ja immer nur unter Aufsicht die Einsicht gestatten. Offenbar klingt durch alle diese Erörterungen die grösste Ge- neigtheit, die Archive soweit es irgend thunlich zu öffnen, aber auch die Erkenntniss, dass die Gränze der Thunlichkeit juristisch schwer zu ziehen sei. Der k. Finanzminister Herr v. Riedel gab die Erklärung: Er wolle für den Fiskus keinen Prozess geführt haben, wenn er nicht überzeugt sei, dass demselben das materielle Recht zur Seite stehe. Mit diesem Grundsatze habe er seine Thätigkeil be- gonnen und das sei auch die Ansicht der Herren gewesen, welche in der Kammer für den damaligen Antrag gestimmt hätten. Könne man diesem Gedanken mit einer gesetzlichen Vorschrift Ausdruck geben, so sei er einer solchen Vorschrift sicher nicht entgegen. Hoffentlich können auch in anderen deutschen Staaten die Finanz- minister so auftreten. Wie aber lässt sich eine gesetzliche Vor- schrift abfassen, welche den Fiskalbeamten hindert, einen Prozess zu führen, wenn er nicht die volle Ueberzeugung hegt, dass Fiskus im Rechte? Könnte man etwa durch Gesetz feststellen, es seien jedem Prozesskläger gegen den Fiskus nach rechtskräftig ausgemachter Sache sämmtliche sie berührende Archivalien vorzulegen, und ihm der Regress gegen die Fiskalbeamten vorzubehalten, die leichtsinniger Weise das klare Recht bestritten P Allein, abgesehen von dem Vor- Iheil, welchen der Besitz der Archivalien vor und im Prozess dem Fiskus brächte, würde es vielleicht möglich sein, einem fiskalischen Beamten nachzuweisen, dass er unrecht gehabt, unmöglich aber, dass er von seinem Unrecht überzeugt gewesen. Die kasuistische und prinzipielle Anschauung eines Falles kann ja sehr mannigfach

38 Uher:

sein, und bei der Unvollkommenheit menschlicher Dinge wird kein bescheidener Richter behaupten , sein Ausspruch, der formell das Recht feststellte, erschöpfe auch das wirkliche Recht.

Bei so viel Wagniss in juristischer Beziehung kommen wir auf den rechtshistorischen Standpunkt zurück, der überhaupt einem Archivar am nächsten liegt.

Wir sahen oben , wie in verschiedenen* Staaten ein gewisses Normaljahr gilt, in Württemberg 1700, Dänemark 1750, Frankreich 1789, Holland 1813, Italien 1815. Archivalien, die vor dem Nor- maljahr entstanden, werden in der Regel unbedenklich vorgelegt. Liesse sich nicht auch für Deutschland ein solches Normaljahr finden ? Könnte man nicht alle Archivalicn, die vor der grossen Säkulari- sation*- Mediatisirungs- und Ablösungs-Periode entstanden, einfach als rechtshistorisches Material betrachten, und Jedermann erlauben, dass er gleichwie zu wissenschaftlichen, auch zu vermögensrechtlichen Zwecken darin Forschungen anstelle? Das Gesetz würde dann lauten:

Urkunden, Amtsbücher und Akten, die vor dem Jahre 1802 entstanden, sind im Sinne des §. 387 der Zivilprozessordnung

als gemeinschaftlich zu betrachten, soweit

Die Entslehungszeit, nicht die Natur und der Inhalt der Archivalien, auch nicht der Ort der Aufbewahrung wäre das Entscheidende. Das Normaljahr würde nicht bloss für Archivalien, die bereits im Archive sind, gelten, sondern auch für solche, die noch in Amls- registraturen umher stecken, von Rechtswegen aber längst in den Archiven sollten gesammelt und systematisch geordnet sein.

IX. Notwendige Beschränkung.

Soweit . . . Ohne solchen l)eschränkenden Zusatz lässt das Gesetz sich kaum abfassen. Auch durch die liberalsten Maximen, wie sie in Bezug auf Archivbenützung für verschiedene Länder oben skizzirt wurden, schimmerte deutlich das »est modus in rebus« hin- durch. Kein Staat gibt in Bezug auf Benützung seiner Archive den (Grundsatz der Opportunität völlig auf, selbst nicht für solche ArchivaliengrupjKjn , deren Entstehung hinter einem Normaljahr zu- rückliegt.

Was nun Alles unter dem beschränkenden Zusätze zu dem hier vorgeschlagenen Gesetze zu fassen, das zu erwägen und festzustellen

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l'eber Arthivbenülzunp von Privaten in Vennögenssachen 39

ist Sache des einzelnen Staats. Inhalt und Bestimmung seiner Archive, Stand der Ordnung der lehns- grund- und gerichtsherrlichen Ver- hältnisse, sowie der Feststellung von Forst berecht igungen und von Lasten für Unterhaltung der Kirchen Schulen und milden Stif- tungen, Brücken Wege Kanäle und anderer öffentlicher Anstalten, und noch viel mehr dergleichen wird auf die legislative Erwägung von wesentlichem Einflüsse sein. Vielleicht lassen sich bestimmte Gruppen von Archivalien bezeichnen, die von der öffentlichen Be- nützung auszunehmen, vielleicht wird vorläufig keine andere Fassung sich darbieten, als »soweit nicht ein höheres Staatsinteresse entgegen steht«.

Hier aber können wir die Frage nur von allgemeinem Gesichts- punkte betrachten. Von diesem aus möchte, da das fragliche Gesetz doch einmal so gestellt werden muss, dass es auf Jedermann passe, eine Beschränkung hinreichen, nach welcher die Archivalien als gemeinschaftlich zu betrachten,

soweit nicht ein Staatsinteresse politischer oder sittlicher

Natur entgegensteht. Es wäre ein politisches Staatsinteresse vorhanden, wenn es sich um Verhandlungen mit anderen Staaten, um besondere administrative Massregeln, um dienstliche und amtlich persönliche Fragen, überhaupt um Amtsgeheimnisse handelte. Was zu seiner res domestica gehört, muss jedes Amt für sich behalten dürfen. Ethische Rücksichten aber würden das Bekanntgeben von Dokumenten und Zivil- Krimi- nal- und Disziplinarakten verbieten, welche zu Gehässigkeiten gegen Konfessionen und Familien, oder zu missliebiger Blossstellung des Vermögensstandes Dritter benützt werden könnten !).

Jede Möglichkeit dieser Art erheischt sorgsame Beachtung von Seile des Archivars. Findet er z. B., dass bezüglich gewisser Ur- kunden und Aktenstücke auch andere Familien betheiligt sind, so könnte ihm Bedenken entstehen, ob sie ohne deren Einwilligung vor- zulegen? Bei näherer Erwägimg aber wird er sich sagen müssen: welche sind denn diese Familien, wo ist ihr Wohnsitz, und wie weit reicht ihr rechtlicher Anspruch auf Geheimhaltung oder Mittheilung der Schriftstücke? Soll etwa die Archivalbehörde durch eine Prokla- mation mit Präklusivfrist, wie in erbschaft liehen Liquidationsprozessen geschieht, unbekannte Bethciligte auffordern, ihren An- oder Wider-

•) Vgl. Archival. Zeitschr. I t>5— GO.

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40

spruch geltend zu machen? Der Archivar hat doch nur zu ragen, ob der Gesuchsteller ein rechtliches Interesse hat, die bezeichneten Archivalien einzusehen. Ist dieses Interesse vorhanden, so kann er, wenn im Uebrigen kein Bedenken eintritt, Dem, der sich zuerst darum meldet, die Dokumente vorlegen und ruhig abwarten, ob auch Andere sich melden werden.

Ueberhaupt ist Gefährdung berechtigter Interessen durch Archi- valien, die älter als achtzig Jahre sind, selten mehr zu befürchten. Ks versteht sich auch von selbst , dass ohne besondere Erlaubnis* vom Minister des regierenden Hauses Niemand der Zutritt offen steht zum landesherrlichen Hausarchiv, welches ja die Eigenschaft eines Familienarchivs nicht verloren hat.

Dagegen lässt sich das Verlangen, der Hechtsuchende solle in den Archiven gleich dem Fiskus behandelt werden, unmöglich durchführen. Auch wenn auf Einsichtnahme aller Archivalien, die vor 1802 entstanden, Jedermann ein Recht erhielte, würde sich dennoch in Jedermanns Behandlung eine Ungleichheit gegenüber dem fiskalischen Staatsbeamten herausstellen: der Archivar könnte geradezu nicht anders handeln.

Er muss zuerst die persönliche Vertrauenswürdigkeit prüfen; denn in der Regel bleibt Archivbenützung Vertrauenssache x). Die fiskalischen Beamten sind und bleiben eben Staatsbeamte, sie sind von vornherein als vertrauenswürdige Personen anzunehmen, ihnen gegen- über keine besonderen Vorsichtsmassregeln nöthig. Ihnen steht also das ganze Archiv offen, einerlei wann die Archivalien entstanden sind, und von ihnen ist zu erwarten, dass sie nicht bloss das vermögens- rechtliche, sondern auch jedes sonstige Staatsinteresse wahren werden.

Es kann aucli keine Versendung von Archivalien zu Gunsten eines Privaten erfolgen, sondern er muss sie auf dem Archive und unter Aufsicht eines Archivars einsehen. Fiskalische Beamte ar- beiten dagegen gleichwie die richterlichen in Regierungsgebäuden, in welchen bei Zusendung von Archivalien besondere Bürgschaft besteht, dass sie unter Verschluss und in voller Integrität verwahrt und pünktlich an das Archiv zurückgesandt werden. Das k. Haus- und Staatsarchiv zu Stuttgart versendet an Gemeinden und Private Lagerbücher und sogenannte gemeinschaftliche Dokumente, in der Regel übrigens nur in Auszügen, wenn über die Legitimation des

') Archival. Zdtschr. II 12-20.

Ueber Archivben Atzung von Privaten in Vermfigenssachen.

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Nachsuchenden zur Sache und über die Eigenschaft der betreffenden Urkunde als einer für Denselben rechtlich gemeinschaftlichen kein Zweifel besteht. Aehnliehe Vergünstigungen finden auch wohl an anderen Archiven Statt.

Abschriften dagegen können für Private nur insoweit gefertigt werden, als der sonstige Archivdienst Zeit und Kräfte nicht in An- spruch nimmt.

Endlich fragt sich, inwiefern der Archivbeamle einem Privaten, der nicht im Interesse der Wissenschaft, welches ein allgemeines isl, sondern zu seinem Vermögenszweck Forschungen macht, Dienste leisten soll? Stellt eine Staatsbehörde in Hechts- oder Verwaltungs- sachen eine Frage an's Archiv, so wird ein Archivar, der seine Pflicht und Stellung wahrnehmen will, die Archivalien, die zur Aufhellung der Frage dienen, nicht bloss zusammen suchen und vor- legen, — das wäre ja nur der Dienst eines Registrators. Der Archiv- beamte hat sich vielmehr als legitimen Sachverständigen des Staates zu betrachten, der besser als ein Anderer die alten Schriften zu lesen und ihren Inhalt auszulegen versteht und eben desshalb verbunden ist, mit seinen Kenntnissen den übrigen Beamten zu Hülfe zu kom- men, damit das Staatswohl, zu welchem sie alle zusammen arbeiten, auch in solchen Angelegenheiten möglichst gefördert werde. Der Archivar wird desshalb die Archivalienvorlage mit seinem schriftlichen Gutachten begleiten, in welchem er von diplomatischer und philo- logischer, von historischer und juristischer Seite das zum Ver- ständniss der Dokumente nöthig Scheinende beibringt, dabei die Punkte, worauf es ankommt, erörtert und damit schliesst, was oder inwieweit seiner Ansicht nach die Archivalien auf jene Frage ant- worten. Soll aber der Archivar auch für Private solche Gutachten verfassen? Das hiesse den Staatsbeamten zum Rechtsanwalt der Parteien machen und die Archive mit Opfern an Zeit und Mühen zum Besten von Einzelnen beladen. Nothwendig und beträchtlich müsste der Archivdienst darunter leiden. Wohl aber möge der Archivbeamte auch dem Forscher in Vermögenssachen, soweit der übrige Archivdienst ihm dazu Zeit gewährt, mit seinen besonderen archivalischen Kenntnissen aushelfen, soweit diese zum Verständniss der Dokumente unerlässlich sind. Jede übertriebene Forderung dieser Art aber ist zurückzuweisen ,).

») Archival. Zeitschr. I. 34-35. 130 - 135.

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Lrther :

X. Nothwendige Ergänzung.

Lässt* sich nun so manche Ungleichheit in der Behandlung, welche der fiskalische Beamte einer- und der Private andererseits in Archiven erfahren, nicht beseitigen, so ergibt sich ein noch grösserer Vortheil für Jenen durch die bessere Kenntniss des Inhalts der Archive.

Wir setzen hier voraus, dass der rechtschaffene Archivar sich gleich viel Mühe gibt, einerlei ob Fiskus oder Private die Recherche verlangen. Nahe läge es freilich, wenn mancher Archivbeamte sich zunächst als Staatsbeamten und, wo es sicli um das Staatsinteressc handelt, zu besonderer Sorgfalt angetrieben fühlt, alles nöthige archivalische Material heraus zu forschen. Für den Fiskus wird ihm dies in der Regel auch leichter von Statten gehen, weil die Archiv- lienützung durch den Staat fort und fort geht und dadurch den Archivaren die betreuenden Archivalien bekannter und handlicher werden, während ein Privater nur hier und da mit einer besondern Forderung auftritt, die häufig erst Nachdenken verlangt, was Alles dazu gehöre.

Nun sind aber die fiskalischen Beamten selbst mit den Archiven besser vertraut, als ein Privater, und wäre es auch ein vielbeschäftigter Rechtsanwalt, es kaum jemals werden kann. Sie wissen, in welche Archive gewisse Gruppen gewandert sind; sie kennen oder vermuthen deren Entstehungszeit; sie verstehen es insbesondere, die Frage an das Archiv so zu stellen, dass es eine bestimmte Antwort geben muss.

Ausserdem lässt sich Staatsbeamten in Staatsarchiven im Be- dürfnissfall die Vorlage von Repertorien und Regesten nicht ver- weigern , während sie zu Gunsten von Privaten in der Regel nur dann erfolgen kann, wenn es sich um Verzeichnisse von Archivalien rein historischen Werthes handelt. Im Uobrigen besieht wohl in allen Archiven eine ähnliche Vorschrift, wie sie für die preussischen Staatsarchive in den Provinzen am 31. August 1867 gegeben wurde, lautend: »Die Vorlegung der Repertorien des Archivs findet ausser- amtlich niemals und an Niemand Statu.

Der Grund für solche Massregel besteht nicht bloss in der Be- sorgniss, Privatpersonen möchten durch diese oder jene Stelle in den Verzeichnissen, die sie nur halb verstehen, angezogen zahllose Archivalien verlangen und den Archivl>eamten unsägliche Arbeit machen. Auch die andere Besorgniss darf nicht Platz greifen, ein

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Ueber Archivheniitzung von Privaten in Vermögenssachen. 43

Archivbenützer könne sich und Anderen sehr unnöthige Kosten und Mühen bereiten, wenn man ihm das Spüren nach allerlei Archivalien erleichtere. Freilich werden die Archivbeamten oft genug behelligt mit der Jagd nach fabelhaften Testamenten und nach Beweismitteln für vermeinte Ansprüche. Das aber gibt noch kein Recht, in solchen Fällen die Archive zu verschliessen ; denn das hiesse den Archivar zum Prozessrichter machen. Der Grund, wesshalb einem Privaten Repertorien nicht vorzulegen, liegt überhaupt darin, dass sie die Schlüssel zum Archive sind, und so lange noch ein Archivgeheimniss besteht, so lange umfasst es vorzugsweise die Repertorien.

Woher aber, wenn ihm die Repertorien vorenthalten werden, soll der Private sich Kunde über den Inhalt der Archive verschaffen?

Vor Gericht muss er als Beklagter wie als Kläger bestimmt angeben, dass und wo die Urkunde, welche er als Beweismittel beruft, existirt. Denn eine unbestimmte Beweisantretung ist keine. Der §. 389 der Zivil prozessordnung verlangt vielmehr:

Der Antrag soll enthalten: 1) die Bezeichnung der Urkunde; 2) die Bezeichnung der Thatsache, die durch die Urkunde bewiesen werden soll; 3) die möglichst vollständige Bezeichnung des Inhalts der Urkunde; 4) die Angabe der Umstände, auf welche die Be- hauptung sich stützt, dass die Urkunde im Besitze des Gegners sich befinde; und 5) die Bezeichnung des Grundes, aus welchem die Verpflichtung zur Vorlegung der Urkunde sich ergibt. Der Grund ist glaubhaft zu machen.

Der Referent in der bayerischen Kammer bemerkte dazu: Mit diesen Bestimmungen kann man Studien in Archiven, um Rechtsverhältnissen auf die Spur zu kommen, die man erst eruiren will, absolut nicht machen, und diesem Ue beistände wollen wir entgegentreten.

In der That ist der Rcchtsuchendc, wenn er zum Archiv kommt, öfter übel daran. Er muss an den Scliriftstückcn , deren Vorlage er fordert, sein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Eine vage Behauptung, es sei ihm die Einsicht von gewissen Schriftstücken zum Behuf einer Klage oder Einrede nöthig, kann nicht genügen, sondern es muss die Sach- und Rechtslage dargestellt, insbesondere die gemeinschaftliche Natur der in Rede stehenden Archivalien an- gedeutet werden. Es besagt aber der §. 387 der Zivilprozessordnung: Als gemeinschaftlich gilt eine Urkunde insbesondere für die Personen, in deren Interesse sie errichtet ist oder deren gegen-

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Lfther :

seitige Rechtsverhältnisse darin bekundet sind. Als gemein- schaftlich gelten auch die über ein Rechtsgeschäft zwischen den Betheiligten oder zwischen einem derselben und dem gemeinsamen Vermitteler des Geschäfts gepflogenen schrift- lichen Verhandlungen. Darf nun der Archivar ebenso wie der Richter verlangen, der Reehtsuchende solle die Urkunden oder Akten oder Amtsbücher genau bezeichnen? Der Private konnte ja das Archiv nicht durch- forschen, kann also die erwünschten Schriftstücke auch nicht genau angeben. Eben so wenig kann er in's Blaue hinein Archivalien vor- fordern, um auszusuchen, was er braucht.

Es muss also für die Archivbehörde hinreichen, wenn eine be- stimmte, örtlich und sachlich abgemessene Archivaliengruppe, und wenigstens ungefähr ihre Entstehungszeit angegeben wird. Dann ist es Sache des kundigen Archivars, die Archivalien herauszufinden und sie zu durchforschen, um zu wissen, ob die Vorlage unbedenk- lich sei. Solchergestalt für das Beste der Staatsbürger zu arbeiten, dazu sind die Landesarchive, wie sie einmal geworden sind, berufen.

Bei alledem ist die Ungleichheit nicht gehoben, welche zwischen Fiskus und Privaten in der Erleichterung der Archivalienkenntniss besteht. Dieser Ungleichheit lässt sich nur dadurch abhelfen, dass wir dem Beispiel der Franzosen folgen und über das, was unsere Archive enthalten, handliche Uebersichten veröffentlichen !).

Soweit die kurzen systematischen Uebersichten des Inhalts der bayerischen Landesarchive durch die Archivalische Zeitschrift ver- öffentlicht worden, haben sie bereits, wie Beamte Anwälte Pfarrer und Geschichtsforscher wiederholt erklärten, gute Dienste geleistet.

Wie könnte es auch anders sein? Die Archivalien sind in der französischen Revolutions- und Kriegszeit hin und her geworfen, sie mussten sich aus einem Behältniss in das andere vertreiben lassen. Massenhaft wurden sie verschleudert, klaffende Lücken entstanden. Wer nicht selbst Archivbeamter ist, macht sich ebenso häufig eine falsche Vorstellung von dem, was sich Alles in den Archiven finden soll, als er wiederum würde überrascht werden, könnte er über- blicken, wie viel sich noch erhalten hat.

Wie eine solche Uebersicht, welche den wissenschaftlichen und vermögensrechtlichen Bedürfnissen des Publikums wenigstens einiger-

•) Archival. Zeitschr. 1 68-70.

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lieber ArchivbentHzung von Privaten in Vermögenssachen.

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massen entgegenkommen soll, abzufassen, wird dem sachkundigen Archivar nicht schwer werden. Eine Anordnung des Stoffes, nach welcher man sich leicht zurecht findet, ist das erste Erforderniss. Inhalt und Bestimmung des Archivs entscheidet, ob die Veröffent- lichung in der Weise eines allgemeinen alphabetischen Orts- Personcn- und Sachregisters, oder nach systematischer, oder rein historischer Vertheilung des Stoffes erfolgen soll. Jede? besondere Gruppe oder Serie der Archivalien muss mit ihrem Schlagwort, das den Inhalt kennzeichnet, und mit ihrer Entstehungszeit aufgeführt werden.

Freilich, um solche Arbeiten zu liefern, müssen wohl die meisten Archive in Deutschland erst in eine systematische lichtvolle Ordnung gebracht und alle Schriftstücke verzeichnet werden. Das ist das Nächste, was den Archiven obliegt. Dazu bedarf es Zeit und reicherer Geldmittel und einer grössern Anzahl von wohlgeschulten Beamten, als in der Regel deutschen Archiven zu Gebote stehen.

II. Weitere Ergänzungen zu Jafle's und Potthast's Regesta Pontificum Komanorum.

Vom

Geheimen Archivrath Dr. R. Wilmans, Staatsarchivar in Münster.

1) Auf die von Seiten des hiesigen Staatsarchivs unter dem 14. October 1878 an S. I). den Herrn Fürsten von Salm-Horstmar zu Coesfeld geric htete Ritte, un* behufs Fortführung meines Werkes über die Kaiserurkunden Westfalens die auf die kaiserlichen Privi- legien des Klosters Borghorsl ') bezüglichen Schriftstücke seines Archivs mitzutheilen, hatte der Director der Fürstlichen Rentkammer, Herr Kramer, am 29. d. M. die Güle, unserer Bitte zu willfahren, seiner Sendung aber auch ein auf Borghorst bezügliches Transsumpt vom Jahre 1310 beizufügen, das zu meiner Freude einen ganz vor- züglichen Text der Band Iii. S. 39 Nr. 12 Iwsprochcnen wichtigen Urkunde Innoccnz' II. vom Jahre 1131 für den Erzbisehof Norbert von Magdeburg enthielt.

Wir lassen dieselbe zunächst hier folgen, indem wir bemerken, dass Alles was unser Transsumpt im Vergleiche mit dem einzig vorhandenen Abdrucke bei Ludewig Heliqq. Manuscriptorum XII 388 verbessert oder neu hinzufügt, mit gesperrter Schrift gedruckt ist. Man wird daraus sehen, wie corrumpirt und lückenhaft der bisher bekannte Text dieses historisch so wichtigen Documents war.

') Das in Folge des Reichsdepulationshauptschltisses von 1803 an «las fürst- liche Haus Salm -Horstmar gelangte.

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Weitere Ergänzungen zu JafTe's u. f'otthast's Hegesta I'ontilicum Romanorum. 47

Archiv des Frauenstifts Borghorst Nr. 198 K bei der Fürstlich Salm* Horstmar'schen Rentkammer zu Coesfeld.

Infrascriplum Privilegium ecclesie Magdeburgensis datum est per eopiam sub sigillo reverendi patris domni Borcbardi archiepiscopi ecclesie antedicte:

Innocentius episcopus servus servorum Dei venerabili fralri Norberto Magdeburgcnsi archiepiscopo ciusque siiceossoribus cano- nici subslituendis in perpetuum. Turin apostolicc sedi et Romanis pontifieibus honor integre conservatur, si unieuique ecclesie sua dignitas custoditur; fratruni etenim nostrorum gloriam nostram propriam iudicamus. Romane siquidem ecclesie consueta benig- nilas et discrota bumililas, quos devotos et mansuetos filios reperil, alios dignitalibus et honoribus sibi amplius facit obnoxios, alios familiaritatis et dilectionis prerogativa sublimat. Equum etenim et rationabile est, ut quorum beneficia et obsequia nos suseepisse recolimus, eorum devotioni non mensura pari nec quanlitate equali, sed exhabundantis gracie benivolentia, libenti animo respondero curemus. Ceterum quam firma perseverantique constantia causam matris tue sanete Romane ecclesie, venerabilis frater Norberto Magdeburgensis archiepiscope , incandescente Petri Leonis srismato, fervor tue religionis et discretio prudentie suseepit defensandam et se murum inexpugnabilem pro domo Dei opponens, animos regis ac prineipum et aliarum tarn ecclesiaslicarum, quam secularium personarum ad catbolice ecclesie unilatem et beati Petri ac nostram obedientiam, frequentibus argumentis et ratione nnmitis, inducere laboraverit, magna, que1) ecclesie Dei et nobis provenit, ulilitas man if es tat. Ideoque, karissime frater, quem plena in Domino karitate diligimus et in familiari sedis aj>ostolice gromio detinemus, karissimi filii nostri, illustris et gloriosi regis Lotliarii, et tuis ratio- nabilibns postulalionibns assensum prebentes, possossioncs et bona, que juste et legitime possides, tibi et successoribus tuis et per vos Magdeburgensi ecclesie, auctorilale apostolica confirmamus et pre- sentis privilegii pagina communimus, in quibus hec propriis nomi- nibus duximus annotanda: in Magdcburgf-nsi videlicet 2) dioce^i abbatiam beati Joannis Rapliste, wlosiam beate Marie, ecrlesiam

') Der Druck fügt inde hinzu. *) Fehlt im Drucke.

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Wittnaus:

beati Johannis ewangeliste , ecclesiam sti Nicolai, ecclesiam que dicitur Gratia Dei, abbatiam Haldesleve, praeposituram Sancte Marie Halle; in episcopatu Hosemburgcnsi ecclesiam de Engari; in Monasteriensi episcopatu abbatiam de Burchurst *) etc. Ad hec predecessorum nostrorum sanetorum virorum Johannis, Benedicti et Leonis Romanorum pontificum vestigiis inherentes, crucis et pallii prerogativam et dignitatem metropoliticam, quemadmodum in eorum continetur privilegiis, vobis concedimus et super civitates Cyce videlicet, Missne, Mersburch, Brandeborch, Ha- velberch, Poznanum ab eis ecclesie Magdeburgensi concessam, in quibus predecessor tuus bone memorie Adelbertus arch iepiscopus episcopos consecravit, archi- episcopalem dignitatem vobis nichilominus roboramus. Que- cunque pretcrea in futurum liberalitate reg um, largitione prin- eipum, oblatione fidelium, seu aliis iuslis modis, prefata ecclesia largiente Domino poterit adipisci, Firma vobis de cetera et illibata permaneant. Decernimus ergo, ut nulli omnino horainum liceat, prefatam Magdeburgensem ecclesiam temere perturbare, aut ejus possessiones auferre vel ablatas retinere, minuere vel aliquibus vexationibus conturbare, sed omnia integre conserventur , tibi tuisque successoribus in perpetuum profutura. Si qua igilur im- posterum ecclesiastica secularisve persona hanc nostre consti- tutionis paginam sciens contra eam temere venire temptaverit, soeundo tertiove commonita, si non satisfactione congrua emendaverit, posteslatis honorisque sui dignitate careat, reamque se divino judicio existere de perpelrata iniquitate cognoscat et a sacratis- simo corpore ac sanguine Dei et Üomini redemptoris nostri Jesu Christi aliena fiat, atque in extremo examine, districte ultioni sub- iaceat. Gunctis autem eidem loco justa servantibus »), sit pax Domini nostri Jesu Christi, quatenus hic fruetum bone rationis pereipiant et apud districtum judicem premia eterne pacis inveniant. Amen.

Datum Altisiodori pontificatus domni Innocentii pape anno secundo.

Data vero copie istius: anno Domini 1310, V. Kai. April, anno pontifiralus archiepiscopi supradicti secundo.

Noch ein Theil des Siegelriemens ist erhallen.

') Der Druck fügt hinzu in Moguntinensi diocesi etc. *) servientihus das Transsumpt.

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Weitere Ergänzungen zu Jaffe's u. Pottliast's Regesta Pontilicum Romanorum. 49

Meine Bd. III. S. 39 sowie in den Additain. S. 136 dargelegte Ansicht, dass diese Bulle dem Jahre 1131 angehört, wird nun zwar durch das hier zuerst, wenn auch unvollständig erscheinende Datum bestätigt, nicht aber meine weitere Annahme, dass sie von Inno- cenz II. zugleich mit dem Protectorium für den Prämonstratenser- Orden an Norbert am 12. April 1131 zu Laon verliehen worden sei.

Der Papst war während seines zweiten Pontifnaljahres (vom 23. Februar 1131 bis 22. Februar 1132) zweimal in Auxerre (Altis- siodori), nämlich in der Zeit vom 26. Juli bis 24. September und vom 28. November bis 30. December 1131.

Dass unsere Urkunde nur dem letztern Zeitraum angehören kann, erweisen historiographische Zeugnisse. Wir wissen nämlich, dass Erzbischof Norbert im Auftrage König Lothar's sich zum Concile von Rheims begeben und dort am 26. October 1131 dem Papste dessen Briefe überreicht hat. Jaffd K. Lothar S. 116. Wenn nun die älteste Biographie Norbert's Hon. Germ, SS. XII. 697 bei dieser Gelegen- heit bemerkt: Aderat ibidem (auf dem Concile zu Rheims) Nor- bertus archiepiscopus, qui inter multa universalis ecclcsiae negotia privatis ecclesiae suae necessitatibus consulcns, super plerisque utilitatibus privilegiorum sedis apostolicae robur obtinuit, so ist un- zweifelhaft hiermit unsere Urkunde gemeint l). Dies dürfen wir mit um so grösserer Bestimmtheit annehmen, als in der jetzt vorliegen- den Fassung darin auch der Metropol itan-Rechte des Erzbisehofs und ihrer Ausdehnung gedacht wird. Nur ist dies Privileg nicht auf dem Concil zu Rheims ausgestellt worden, sondern wenige Zeit nachher zu Auxerre, wo lunocenz II., wie gesagt, vom 28. November bis 30. December 1131 verweilte und wo nach dem Inhalt der Urkunde auch Norbert persönlich anwesend war.

2) Die unter Nr. 25 erwähnte Urkunde Coelestins III. von 1190 für das Kloster Scheda vom Jahre 1196, welche ich in den Additam. Nr. 82 zum wesentlichen Theil aus Processacten publicirt habe, ist wie ich sehe, aus Grüters monasterii Scheidensis initium et progressus voll- ständig gedruckt in Seilxrtz Quellen der Weslfäl. Geschichten VI. 473 und trägt daselbst das Datum: Non. Martii 1196 Laterani.

') Die zweite Vila amplificirt tlies fblgendergestalt: I. r. atlulerat namque M»runi ecclesiae suae pfivÜPgia vetustissima et fere a vermibus consumpta, quae cuncla Romano munimine fecit renovari et corrigi.

ArcbtvaliKche ZeiU.hrifl. IV.

4

III. Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

Kritische Studie von

Dr. August Schäfflcr, königl. Kreisarchivar in Wirzburg.

(Schluss.)

Ich will nun den Nachweis versuchen, dass und wie unser Katalog überhaupt benutzt worden.

Er ist in erster Linie Grundlage für verschiedene Wirzburger Rischofskataloge späterer Zeit geworden. Ich will von diesen hier nur einen einzigen erwähnen und untersuchen. Derselbe liegt ge- druckt vor, er enthält die Angaben unsers Katalogs am unver- fälschtesten, und Jeder ist im Stande, meine Angaben zu controliren.

P. Ignat. Gropp hat in seiner Collectio novissima scriptorum et rerum Wirziburgensium Pars I pag. 817 819 einen Galalogus Episcoporum Wirceburgensium unacum Serie Regum et Imperatomm Romanorum ex Cod. MS. ßiblioth. S. Steph. Wirceburg publicirt.

Das Original dieses Katalogs kann ich nicht mehr finden, und da Gropp nicht angibt, ob seine Vorlage von einer Hand geschrie- ben war oder von mehreren Händen und welcher Zeit der oder die Schreiber angehörten , die an der Abfassung desselben bctheiligt waren, so wissen wir nur das Eine, dass der letzte Eintrag in dem von Gropp veröffentlichten Kataloge nicht vor dem Jalire 1497 ge- macht sein kann.

Lässt man das rein Aeusserliche ausser Ansatz, dass uns näm- lich im Gropp'schen Katalog Randvermerke über das Auftreten von Päpsten, Kaisern und Königen begegnen, die unser Katalog nicht

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Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

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hat, so wird man, wenn man näher zusieht, alsbald einer frap- panten Aehnlichkeit zwischen den Einträgen im Gropp'schen Katalog von Kilian bis Emehard und den Einträgen [1] bis [25] unsers Katalogs im über albus gewahr, einer Aehnlichkeit, die uns zur Gewissheit macht, dass gerade unser im 12. Jahrhundert fertig- gestellter Bischofskatalog im Stephanskloster zu Würzburg als Grund- lage und Ausgangspunkt für einen Bischofskatalog bis zu Ende des 15. Jahrhunderts benützt, mit einigen meist nur stilistischen Aenderungen versehen und durch einzelne Nachträge und Einschie- bungen erweitert worden ist. Nur an ein paar Stellen kann eine Auslassung constatirt werden. Das Varianten-Verhältniss beider Kataloge ist in Kürze folgendes:

Es heisst:

im Katalog ans dem liber albus privileg.:

fl] DCLXXXXVII

[2] sub anno domini

[3]

f4 ) sanctus Burkardus episeopus ....

[5| Et Meigingandus accessit ad epis-

copatum et vixit

anno incarnacionis domini . . .

[6] Kai. Oclobris

.... anno incarnacionis domini . . . . . . successit et tenuit .... . . . anno incarnacioni.s domini .... . . anno incarnacionis domini . . . ... II. Idus Novembris .... . . . anno incarnacionis domini . . . .... tenuit .... .... anno incarnacionis domini . . . [11 1 .... anno incarnacionis domini .... |12) ... etoccisus est III. Idus Julii . . .

.... anno incarnacionis domini

[13| Hudolfus

annosXVII.mcnsesXII,diesll...

anno incarnacionis domini . . . .

[71

[8]

1101

im Katalog bei Gropp:

DCLXXXVII sub anno

.... sanctus Burkardus

Dabei findet sich am Schluss der Zusatz: obiit in Hoemburg

Meygengandus accepit episcopatum et

rexit

.... anno domini. III. Kai. Octobris . . .

.... anno domini

.... successit et rexit .... .... anno domini .... .... anno domini. .... II. Non. Novembris . . . .... anno domini .... .... tenuit eum .... .... anno domini .... .... anno domini

. ... et occisus est in Missen propter

justiciam III. Idus Julii .... .... anno domini .... RudolfTus ....

.... annos XVII, menses XII ... . .... anno domini ....

Nun bat der Gropp'sche Katalog eine Einscbaltung. Sie lautet:

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Schaffler:

im Katalog im Katalog

aus dem Uber allms privileg.: bei Gropp:

„Dracholffus eligitur et nescitur, quando „mortuus e9t, sed sub Gunrado Romanorum „rege primo anno domini DCGCGXII rexit. „Et ad modicutn tempus vixit, quod patet „intuenti librum privilegiorum."

Ueber diese Einschaltung sei in aller Kurze bemerkt, dass es einen Wirzburg^r Bischof dieses Namens nie gegeben, son- dern dass Dracholf Bischof von Preising und Abt von Schwarzach bei Dettelbach in Unterfranken gewesen ').

1 14) et tenuit .... et rexit

anno incarnacionis domini anno domini ....

[15 1 .... annos IX ... . .... annos X . . . .

.... anno incarnacionis domini anno domini ....

[16] Pobpo accepil potestatem et mansit Boppo aeeepit pontifleatum et mansit in ipsa in eo . . . .

.... et obiit XV. Kai. March et obiit XV. die Kaiend. Marth ....

.... anno incarnacionis domini anno domini ....

[17] . . . . successit potestati et tenuit . ... successit et tenuit episcopatum

annos XXIII XXIII annos....

et obiit XL Kaiend as Angusli et obiit X. Kalendas Augusti.

|18| Buk episcopatum aeeepit Hugo aeeepit episcopatum

.... anno incarnacionis domini anno domini ....

[19] anno incarnacionis domini anno domini ....

[20 1 .... anno incarnacionis domini anno domini ....

[21] ... annos XV, menses II .... annos , menses II ... .

,...i;t obiit XI. Kai. Aprilis anno ....et obiit XI. Kai. üclobris anno

incarnacionis domini .... domini

[22] anno incarnacionis domini anno domini

[23] ...ubi in pace requiescat, anno ubi in pace requioscit, anno Do-

incarnacionis domini MXG. substi- mini MLXXXX substitutiv cum *) lutis tarnen duobus Meginhardo duobus Meginhardo juniori et domino juniori et domino Emhardo. Einhardi.

') Zu vergleichen ist: I* Fries bei Ludewig Geschichl-Schi eiber von dem Bischofflhiim Wirlzburg S. 431, Eck hart Commentarii de rebus Pranciae orien- talis II, S. 821—8215 und besonders Friedrich Hektor Graf Hundt Die I'rkunden des Bisthums Freising in den Abhandlungen der historischen Klasse der k. bayer. Akademie der Wissenschaften Bd. III, Ablh. I. S. 49-55.

*) Hier liegt ganz entschieden ein Lesefehler Gropp's vor. In der Vorlage stand unzweifelhaft tn = tarnen. Gropp las dieses Gompendium für cu und löste es irrthürnlich mit cum auf und änderte substitutus statt substitutis.

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Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

53

im Katalog aas dem Uber albus privileg.:

im Katalog bei Gropp:

Darnach steht im (iropp'schen Katalog der Zusatz: „Iste posuit monachos ad „sanctum Stephanum de monaslerio in „civitate Anspach et canonicos de mona- „sterio saneti Stephani posuit ad civitatem „supradictam propter instanciam march- .graviae," ein Zusatz der sehr der ur- kundlichen Belegung bedarf.

[24]

[25J Emehardus

. .

Einhardus

»

Die Einträge im Gropp'schen Katalog über die Bischöfe Rupert bis Lorenz von Bibra sind als geschichtliche Quelle betrachtet bei- nahe werthlos, für unsere Untersuchung jedoch sind sie nicht ohne Bedeutung.

Vergleichen wir nämlich die Notizen von Rupert bis Lorenz von Bibra im Gropp' sehen Katalog mit dem, was unser Katalog im liber albus privilegiorum von Rupert beziehungsweise Erlung bis zum Jahre 1497 bietet, so kommen wir zu folgendem wichtigen Ergebniss:

Abgeschnitten ist zwar auch im Gropp'schen Katalog wie in dem Uber albus privilegiorum die Reichhaltigkeit der Einträge mit dem Tode des Bischofs Emehard; meist nur dürftige Notizen, oft bloss die Namen der Bischöfe folgen sich hier wie dort, aber was im Stephanerkloster von Bischof Rupert bis zum Jahre 1497 als Fortsetzung niedergeschrieben wurde, stimmt nicht im Geringsien mit dem, was in der bischöflichen Kanzlei zu Wirzburg im über albus privilegiorum die Forlsetzer von Ru|M?rt beziehungsweise Erlung bis 1497 mittheilen. Es sind also an verschiedenen Orten und ganz unabhängig von einander Fortsetzungen von Wirzburger Bischofs- katalogen entstanden, aber überall im Anschluss an den gleichen, alten, im 12. Jahrhundert abgeschlossenen Wirzburger Bischofs- katalog. —

Schon wiederholt habe ich mich im Laufe meiner Untersuchung dahin ausgesprochen, dass Geschichtschreiber aus dem 12. Jahr- hundert unsern Bischofskatalog gekannt und benützt.

Ich trete nun den Beweis dafür an. Aber nur diejenigen Autoren werde ich dabei berücksichtigen, welche aus unserer Quelle nachweisbar direkt geschöpft haben.

54

Sctaäffler:

In erster Linie ist da der Verfasser des Chronicon Wirzibur- gensc zu nennen. Ich verweise zur Vergleichung auf die Beilage, Rubrik I und II. Dieser Geschichtschreiber hat rein stilistische Acnderungen lasse ich ausser Ansatz - unsern Bischofskatalog in den Absätzen [2], [10], [13], [14], [15], [16], [17], [18], [19], [20] und [22] förmlich ausgeschrieben. An vielen Stellen weicht er jedoch von dem im Katalog Mitgetheilten mehr oder weniger ab. So in erster Linie in manchen Angaben der Todesjahre der Bischöfe. Es berechnet sich nämlich nach unsers Chronisten Angaben das Todesjahr Burkard's (769 + 23) auf 792 - im Text selbst gibt er jedoch ausdrücklich wie es unser Katalog Absatz [4] hat, das Jahr 791 als solches an. Ebenso berechnet sich nach seinen Auf- stellungen der Tod Bischof Bernwelfs (769 + 32) auf 801, der des Bischofs Luderich (769 -f- 35) auf 804, der des Bischofs Wolfger (815 -f- 18) auf 833, der des Bischofs Arno (888 -f- I) auf 889, der des Bisehofs Meginhard (1024 -\~ 9) auf 1033, während unser Katalog Absatz [6] 800, Absatz [7] 803, Absatz [9] 832, Absatz [12] 891 und Absatz [21] 1034 hat. Den hl. Kilian lässt unser Chronist im Jahre 688 nicht wie in unserer Katalogsabschrifl Absatz [1] steht im Jahre 697 den Martyrertod erleiden. Aus Absatz [3] des Katalogs hat er die Angabe »cum sociis suis« nicht übernom- men. Absatz [4] des Katalogs hat er durch den Beisatz von »4. Non. Febr.«, des Sterbetages Bischof Burkard's, erweitert.

Statt 3 Jahre, 11 Monate und 25 Tage, wie es im Katalog Absatz [5] heisst, lässt er Megingaud 3 Jahre, 10 Monate und 25 Tage Bischof sein. Den Bischof Bernweif lässt er 6. Kai. Oct. = 26. Sept. und nicht, wie irrthümlich in unserer Katalogsabschrifl Absatz [6] steht, Kai. Oct. = 1. Oct. gestorben sein. Den Absatz [8] unsers Katalogs hat er auffallender Weise in sein Chronicon gar nicht ver- arbeitet. Dass Wolfger 22 Jahre, 6 Monate und 11 Tage Bischof gewesen, wie in unserm Katalog Absatz [9] vermerkt ist, hat unser Chronist ganz unerwähnt gelassen. Die Pontifikatszeit Bischof Goz- bald's setzt er auf »annos XIII, menses X, dies VIII«, während unser Katalog Absatz [11J demselben eine solche von >annos XIII, menses V, dies XVIII« zutheilt, eine Verschiedenheit, die sich aber, nebenbei ge- sagt, als Lese- beziehungsweise Schreibefehler, sei es des Chronisten, sei es des Copisten des Katalogs und auch graphisch leicht erklären lässt. Zu Absatz [12] unserer Katalogsabsihrift hat der Chronist als Erweiterung: »in Saxonia« und »inter missarum sollemnia«.

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Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

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Endlich hat dein Verfasser des Chronicon Wimburgense, das uns wohl nicht mehr vollständig erhalten ist, wahrscheinlich auch Absatz [23] unsers Katalogs und zwar in der erweiterten Fassung unserer Katalogsabschrift mit der Angabe des Sterbe- und Bestat- tungs-Ortes des Bischofs Adelbero vorgelegen. Ich schliesse Letzleres daraus, dass Ekkehard in seinem Chronicon universale (cfr. SS. VI S. 207), der ganz auf unserer Chronik fusst, auf die Mittheilung von Zahlen aber wenig Werth legt, schreibt: »A. D. 1090 Adelbero Wirciburgensis de sede sua iam diu depulsus in Baioaria inoritur, ibique in monasterio suo Lambahc sepelitur.«

In zweiter Linie ist der Autor der Annales st. Albani zu nennen. Zur Vergleichung beziehe ich mich auf die Beilage, Rubrik I und III. Unser Annalist hat von rein stilistischen Aenderungen sehe ich auch hier ganz ab unsern Katalog in den Absätzen [2], [10], [14], [15], [16], [17], [18], [20], [21], [22] und [24] ausgeschrie- ben. Die Angabe »cum soeiis suisc, welche sich in unserm Katalog Absatz [1] und [3] findet, lässt der Verfasser der Annales weg. Er setzt auch das Martyrium Kilians in das Jahr 687 und nicht, wie im Absatz [1] unserer Katalogsabschrift, in das Jahr 697. Absatz [4] unsers Katalogs ist sogar mit Beibehaltung der Phrase »migravit ad coelum« in die Annales aufgenommen und als Erweiterung wie im Chronicon Wirziburgense »4. Non. Febr.«, der Sterbelag Burkard's, beigesetzt. Während im Katalog Absatz [5] annos tres, menses XI, dies XXV als Pontifikatszeit Megingaud's angegeben wird, haben die Annales st. Albani ebenso, wie es im Chronicon Wirziburgense heisst, annos tres, menses 10, dies 25, und ist in den Annales »Wirciburc« als Sterbeort beigesetzt. Die Angaben unsers Katalogs in Absatz [6] sind von unserm Annalisten voll verwerthet, nur hat er, wie es auch im Chronicon Wirziburgense der Fall ist, als Sterbedatum Bischof Bernweirs »6. Kai. Oct.« = 26. Sept., statt des gewiss unrichtigen »Kai. Oct.« = 1. Oct. , das unsere Katalogsabschrift in dem gleichen Absatz bietet. Nach Absatz [7] unsers Katalogs ist Luderich im Jahre 803 gestorben; die Annales lassen denselben im Jahre 802 verschieden sein und nennen »Wirzi- burc« als Sterbeort. Die Angaben unsers Katalogs Absatz [8J sind wie von den» Autor des Chronicon Wirziburgense, so auch von dem Verfasser der Annales st. Albani seltsamer Weise gar nicht benützt worden, was bei dem Annalisten von St. Alban um so auffallender ist, da er in seinem Geschichtswerk von Burkard bis einschliesslich

56

SchRfTler :

Adelbero bloss 19 Bischöfe aufzählt und doch diesen letztgenannten in Absatz |23] als den zwanzigsten seit Burkard bezeichnet. Der Inhalt des Absatzes [9J unsere Katalogs ist in den Annales voll- ständig wieder gegeben, nur ist als Sterbeort (?) »Wirziburcc beige- setzt. Nach Absatz [11J unsere Katalogs wäre Gozbald 13 Jahre, 5 Monate und 18 Tage Bischof gewesen, nach den Annales nur 13 Jahre. Aus Absatz [12] unsere Katalogs ist nur das Sterbejahr Arno's 891 in die Annales herübergenonnnen. Die Angaben des Sterbetages und der Pontitikatsdauer fehlen; dafür haben die An- nales die Erweiterung, wie sie im Ghronicon Wirziburgense steht, dass sie statt dem »occisus est«, was der Katalog hat, »in Saxonia occisus est inter missarum sollempnia« schreiben. Absatz [13] unsere Katalogs gibt dem Bischof Rudolf eine Pontifikatsdauer von annos XVII, menses XII, dies II. Im Ghronicon Wirzibur- gense ist das getreulich nachgeschrieben, unsere Annales st. Albani lassen jedoch das auffallende menses XII fort und verzeichnen ein Pontifikal von annos XVII, dies II. Absatz [19] unsere Katalogs ist von dem Verfasser der Annales vollständig benützt, nur nennt er den Bischof Brunwardus statt Bernwardus eine Aenderung, die sich graphisch als eine Verwechslung des Zeichens für ur oder ru mit dem für er oder re leicht erklären lässt. Dazu hat unser An- nalist den Zusatz: »in insula Euboea et sepelitur in monaslerio, quod dicilur Politica.« Was der Verfasser der Annales st. Albani über Adelbcro's Pontifikal szeit und Sterbedatum beibringt, stimmt mit dem, was unser Katalog Absatz [23] vermerkt; auch die Zeil des Pontilikatsantrittes ist dieselbe, welche sich aus den Angaben unsere Katalogs berechnet. Weggelassen ist, was unser Katalog im gleichen Absatz bietet, nämlich: »in predio patris sui, sepultus in rnonastcrio suo Lambach, ubi in pace requiescat« Ausserdem haben die Annales statt des einfachen Namens Adelbero: »Domnus Adelbero 20" post beatum Burchardum sacrosanetae Wirziburgensis aecclcsiac episcopus.«

Vergleicht man nun die Angaben im Ghronicon Wirziburgense und die in den Annales st. Albani unter einander und dann auch mit der Abschritt des Katalogs im über albus privilegiorum , so kommt man zu folgenden Resultaten:

I. Ist auch, wie im Ghronicon Wirziburgense, so in den An- nales st. Albani in unerklärlicher Weise Absatz [8] unsere Katalogs nicht verwerthet, stimmen auch beide in den Absätzen [2J, [3J, [10],

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Der älteste Wirtburger BischofskaUlo*.

57

[14], [15], [16], [17 1, [18], [20] und [22] sozusagen wörtlich mit einander überein, verrathen auch die Absätze [1], [5], [7], [11] und [19] eine nahe Verwandtschaft: so hat doch der Verfasser der Annales st. Albani seine Nachrichten über Pontifikat und Ableben der Wirzburger Bischöfe nicht aus dem Ghronicon Wirziburgense entnommen. Ein Blick auf die nachstehend verzeichneten Absätze beweist dies. So haben die Annales st. Albani die Phrase: »migravit ad coelum« dem Absatz [4] Ulisers Katalogs entnommen, während das Ghronicon Wirziburgense an dieser Stelle »obiit« setzt. Den Tod Bischof Bernwelfs setzt unser Annalist von St. Alban mit unserm Katalog Absatz [6] in das Jahr 800, während sich aus den Angaben des Verfassers des Ghronicon Wirziburgense dafür das Jahr 801 herausrechnet. Aus Absatz [9] unsers Katalogs ist in den Annales st. Albani die An- gabe der Pontilikatsdauer Bischof Wolfger's herübergenommen, während das Ghronicon Wirziburgense eine solche gar nicht ver- merkt. In Absatz [12] unsers Katalogs findet sich angegeben, dass Arno im Jahre 891 ermordet worden ist; das Gleiche berichten auch die Annales st. Albani, während das Ghronicon Wirziburgense dies im Jahre 889 geschehen sein lässl. Aus Absatz [13] unsers Katalogs hat das Ghronicon Wirziburgense die Nachricht entnom- men, dass Rudolf »annos XVII, menses XII, dies II« Bischof gewesen; die Annales st. Albani lassen das auflallende »menses XII« hinweg. Den Bischof Mcginhard lässt der Verfasser der Annales st. Albani im Jahre 1034 wie es in unserm Katalog Absatz [21 J heisst gestorben sein; nach dem Ghronicon Wirziburgense wäre dessen Ableben in das Jahr 1033 zu setzen. Absatz [23] desjenigen Katalogs, den unser Annalist benützte, hat sicher eine andere Fas- sung gehabt, als der, welcher dem Verfasser des Ghronicon Wirzi- burgense vorgelegen. Absatz [24] können die Annalcs st. Albani nur aus unserm Katalog und nie und nimmer aus dem verlornen Theil des Ghronicon Wirziburgense entnommen haben, das ist aus dem, was Ekkehard, der, wie erwähnt, das Ghronicon Wirziburgense ausgeschrieben, in seinem Ghronicon Universale (cfr. SS. VI, S. 206 und 207) zu den Jahren 1085 und 1088 überliefert, ersichtlich. Aus diesem Allen geht ferner hervor,

II. dass der Verfasser des Chronicon Wirziburgense und der Autor der Annales st. Albani unabhängig von einander einen Katalog der Wirzburger Bischöfe benützt

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58

Schäffler :

haben. Dieser Katalog hatte aber nicht die Fassung, in welcher er uns im liber albus privilegiorum überliefert ist; er war auch für beide Geschichtsehreiber nicht in allen Angaben gleichlautend, son- dern dem Verfasser des Ghronicon Wirziburgcnse lag ein erweiterter Katalog aus der oben erwähnten dritten Gruppe und dem Autor der Annales st. Albani ein solcher aus der vierten Gruppe vor. Ein drittes Geschichtswerk aus dem 12. Jahrhundert, das uns freilich nur noch fragmentär erhalten ist, muss hier auch beige- zogen werden. Es sind dies die Annales Rosen veldenses (gedruckt in SS. XVI S. 99-104). In denselben heisst es: (1085) Synodus Magoncie habetur, et Meynardus Adelberoni

substiluitur (L c. S. 101). (1088) Meynardus iunior Wirciburgcnsis obiit 12. Kai. Jul. (1. c. S. 101).

(1090) Adelbero vicesimus post bealuin Burchardum sncrosancle Wirciburgensis ecclesie [episcopus] defuneto domno Brunone 3. Kai. Julii constitutus, vixit post [aeeeptum] episeopatuni annos 45, substitutis tarnen duobus episcopis Meinhardo iuniore et Emerhardo; obiit 2. Non. Octobris in predio patris sui, scpullus iti monasterio suo Lambach, ubi in pace requies- cit (I. c. S. 101).

Die ersten beiden Absätze sind zum Theile aus unserm Katalog Absatz [24J entlehnt, der dritte ist weder aus dem Ghronicon Wirzi- burgense, noch aus den Annales st. Albani herübergenoramen, sondern entstammt einem erweiterten Katalog der Wirzburger Bischöfe, der nach meiner Aufstellung der fünften Gruppe angehört.

Endlich lässt sich noch ein vierter Geschichtschreiber aus dem 12. Jahrhundert nachweisen, der wenigstens theilweise unsern Katalog benützt hat.

Wir besitzen bekanntlich eine ältere und eine jüngere Lebens- beschreibung des ersten Wirzburger Bischofs Burkard.

Die ältere ist wohl vor dem Jahre 984 gefertigt (gedruckt in Acta Sanctorum Oclober VI S. 573—575). Ihr Verfasser kann, wie begreiflich, unsern im 12. Jahrhundert abgeschlossenen Katalog nicht benützt haben, wohl aber möchte ich annehmen, dass die in unserm Katalog Absatz [3J erwähnte erste Translatio saneti Kiliani und die Phrase ad celum migravit in Absatz [4] aus dieser älteren Vita stammt.

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Der Älteste Wirzburger Bischofskatalog.

59

Unter dem Burkarder Abte Pilgrim (circa 1130 bis 1146) wurde aber die ältere Lebensbeschreibung Burkard's umgearbeitet und erweitert, und so entstand die sog. jüngere vita st. Burchardi (ge- druckt in Acta Sanctorum October VI S. 575—594). Als Verfasser nennt Trithemius einen gewissen Egilward, er ist uns aber für die Richtigkeit seiner Aufstellung den Beweis schuldig geblieben.

Dieser Verfasser der jüngeren vita st. Burchardi hat nun unsern Bischofskatalog gekannt und auch theilweise benützt. So hat er das Jahr des Pontifikatsantrittes, die Dauer des Pontifikates und das Todesjahr Bischof Burkard 1. (1. c. S. 581 und 590) aus unserm Katalog Absatz [3] und [4], die Dauer des Pontifikates der Bischöfe Luderich, Ilumbert, Thiedo, Burkard IL, Poppo I. und Poppo II. (I. c. S. 592 und 593) ebenfalls aus unserm Katalog Absatz [7], [10], [14J, [15 j, [16J und [17] entlehnt.

Wiederholt jedoch weicht er von den Angaben in unserm Katalog ab, ohne dass uns die Gründe dafür bekannt sind oder die Quellen, auf welche gestützt, er dies thut. So lässt er den hl. Kilian nicht wie in unserm Katalog Absatz [1] steht im Jahre 697 beziehungsweise 687 den Martyrerlod erleiden, sondern im Jahre 685 (1. c. 581), dem Bischof Megingaud gibt er ein Ponti- fikat von 15 Jahren (I. c. S. 591), während unser Katalog Absatz [5] ein solches von 3 Jahren, 11 Monaten und 25 Tagen verbucht; Bernweif lässt er 7 Jahre Bischof sein (I. c. S. 592), während unser Katalog Absatz [0] von ihm ein Pontitikal nur von 6 Jahren über- liefert; Egilward hätte nach ihm 6 Jahre, 1 Monat und 23 Tage die bischöfliche Würde besessen (I. c), nach unserm Katalog Ab- satz [8] aber 7 Jahre, 1 Monat und 23 Tage; Wolfger wäre 22 Jahre und 6 Monate (I. c.) , nach unserm Katalog Absatz [9] 22 Jahre 6 Monate und 11 Tage Bischof gewesen; bei ihm ist Arno 36 Jahre, 6 Monate und 12 Tage auf dem Stuhl des hl. Burkard gesessen (1. c. S. 592), nach unserm Katalog Absatz [12J 36 Jahre, 7 Monate und 12 Tage; Rudolfs Pontifikat berechnet er auf 17 Jahre, 3 Tage (I. c. S. 592 und 593), während unser Katalog Absatz [13] dafür 17 Jahre, 12 Monate und 2 Tage ansetzt, und endlich lässt er Hugo 6 Jahre, 7 Monate und 21 Tage Bischof sein (1. c. S. 593), während unser Katalog Absatz [18] 6 Jahre, 7 Mo- nate und 28 Tage als dessen Pontifikat szeit vermerkt. Gozbald's Pontifikat erwähnt der Verfasser der jüngeren vita Burchardi gar nicht.

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60

Schattier :

Damit sehliesse ich meine kritische Studie! Hier auch noch die Geschichtschreiber einzeln vorzunehmen, die später nur mittelbar unsern Katalog benutzt, dem Vater desjenigen Katalogs nachzu- spüren, der unserm Lorenz Flies hei seiner Arbeit vorgelegen, das unterlasse ich. Es liegt ja ausser den Grenzen meiner Arbeit, die sich nur zum Ziele gesetzt, auf die älteste Quelle über die Wirz- burger Bischöfe hinzuweisen, selbe auf ihren Gehalt und ihre Ver- liissigkeit zu prüfen und die Gcschichtschreiber namhaft zu machen, die unmittelbar aus derselben geschöpft.

Beilage.

Kathalogus . . episeo- porum Herbipoleüiim,

(im hl 'it albus privilegio- rum Blatt 2').

II.

Chronicon Wirzibnrgense, (gedruckt bei Pertz Scrip- tae Bd. VI, S. 17-31).

in.

Annale« st. Albani, (als Annales Wirzibur- genses gedruckt bei PerU SS. II. S. 259 - 246).

1 1 1 Sanctus Kylianus cum (f,88) Sanctus Kylianus 087 Sanctus Kylianus mar-

. . soeiis suis marti- riuni aeeepit sub anno incarnacionis doinini DCLXXXXm

1 2 |SanctusBurkardusepis- copatum accepil sub anno domini ÜCCLL et possidet XL annos.

\'.\\ Translacio saneti Ki- liani cum soeiis suis anno domini DCCLIL

[4 JSanclusBurkardusepis- copus ad celum migra- vit anno incarnacionis domini DCCXCI.

cum soeiis suis pas- sus est anno videli- cet Domini (\S8l). I. c. S. 25.

(751) Sanctus Burcbardus aeeepit pontificalum anno Doinini 751, sedil 40 ann.

1. c. S. 2G.

(752) Translalio saneti Kyliani.

1. c.

(792) 4. Non. Febr. sanctus Burchardus obiit anno Domini 791. I. c. S. 27.

tyrizatur.

L c S. 239.

751 Sanctus Burcbardus aeeepit pontificalum. in (|Uo sedil annos 40.

L c. S. 240.

752 Translatio saneti Ky- liani.

L c.

791 Sanctus Burkardus migravit ad coelum 4. Nonas Februarii.

L e.

') DCLXXXVII corr. DCLXXXVUl.

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Der älteste Wirzburger Biscbofskatalog.

Gl

L

Kathalogus . . episco- porum Herbipolensiam, (im über albus privilegio- rum Blatt 2').

[5] Et Meigingaudus ac- cessit ad episcopatum et vixit annos tres, menses XI et dies XXV et obiit in VI. Kalendas Octobris an- no incarnacionis do- mini DCCXCJIII.

IL

Chronicon Wirziburgense, (gedruckt bei Berte Scrip- tores Bd. VI, 8. 17-31).

(794) Ü. Kai. Octobr. Me- gingaudus episcopus obiit anno Domini 794; sedit ann. 3, menses 10, dies 25.

I. c.

in.

Annales st. Albani, (als Annales Wirzibur- genses gedruckt bei Bertz SS. II. S. 239-246).

79 i Megingaudus episeo- pus obiit 6. Kai. Oc- tobr. Wirziburc. Sedil annos tres, menses 10, dies 25.

I. c.

[6] Bernwelfus episcopus efticitur et tenuit annos VI et obiit *) Kalen- das Octobris anno in- carnacionis DGGCL

(801) G.Kai. Ort. Bernwel- fus episcopus obiit; sedit annos 6.

I. c.

800 Berenvelfus episcopus obiit G. Kai. Octobris. Sedit annos G.

L c

17] Ludericus successit et tenuitannos III et men- ses V et obiit III. Ka- lendas Marrii anno incarnacionis domini DCCCUI.

(804) 3. Kai. Mar. Luderi- cus episcopus obiit; sedit ann. 3, men- ses 5.

I. c.

802 Liudericus episcopus obiit 3. Kai. Marl. Wirzibure. Sedit an- nos tres, menses 5.

I. c.

[8] Egilwardus successit ad episcopatum et pos- sedit annos VII et men- semunumet XX III dies et obiit VIII. Kalemlas Maii anno incarnacio- nis domini DCGCX.

[9] Wolfgerus accessit et habuit episcopatum annos XXII et menses VI et dies XI et obiit II. Idus Novembris an- no incarnacionis do- mini DdCCXXXlI.

(833) 2. Idus Nov. Wolf- gerus episcopus obiit.

832 Wolfgerus episcopus Wirzibure obiit 2. Id. Novemb. Sedit annos 22, menses G. dies 11.

L c.

*) Hier ist eine kleine Lficke in unserer Vorlage.

62

Schlfflcr:

I.

Kathalogns . . episco- pomm HerMpolenBiom, (im über albus privilegio- rum Blatt 2*).

[10] Humbertus presula- tum accepit et tenuit annosX etmensesIII et dies VIII et obiit VII. Idus Marcii anno incarnacionis domini ÜGGGXUI.

[11] Gozbaldussuccessitet erat ponlifex annos XIII, menses V, dies XVIII et obiit XII. Kaiendas Octobris anno incarnacionis domini DGGCLV.

[12] Arn successil pote- stati et obtinuit annos XXXVI, menses VII, dies XII et occisus est III. Idus Julii anno incarnacionis domini DGGCXCJ.

|13J Rödolfus successil potestati et mansit in ea anuos XVII, men- ses XII, «lies II et obiit III. Nonas Augusti anno incarnacionis domini ÜGGGGVIII.

II.

Chronicon Wirziluirgense, (gedruckt bei Pertz Scrip- tores Bd. VI, S. 17-31).

(842) 7. Id. Mar. Humber- tus episcopus obiit; sedit ann. 10, men- ses 3, dies 8.

I. c.

(855) 12.Kal.Oct.Gozbal- dus episcopus obiit; sedit annos 13, m. 10, d. 8.

L c. S. 28.

(889) 3. Idus Jul. Arn Wir- eiburgensis episco- pus in Saxonia oc- cisus est inter mis- sarum sollemnia; sedit ann. 30* , m. 7, d. 12.

L c.

(908) 3.Xon.Aug.Huodol- fus episcopus Wirci- burgensisobiit; sedit ann. 17, in. 12, d. 2.

I. c.

IIL

Annale« st. Albani,

(als Annales Wirzibnr- genses gedruckt l»ei Pertz SS. II. S. 239-246).

842 Humbertus episcopus Wirziburgensis obiit 7. Idus Martii. Sedit annos 10, menses 3, dies 8.

I. c

855 Gozbaldus Wirzibur- gensis episcopus obiit 12. Kai. Octobris. Sedit annos 13. 1. c. S. 241.

891 Arn episcopus Wirzi- burgensis in Saxonia occisus est inter mis- sarum sollempnia.

I. c

908 Ruodolfus episcopus Wirziburgensis obiit 3. Xon. Augusti. Sedit annos 17, dies 2.

I. c.

932 Tbiedo episcopus Wir- ziburgensis obiil 17. Kai. Deeembris. Sedit annos 24. menses 2. dies 14.

I. c.

|14| Thiodo episcopalum accepit et tenuit an- nos XXIII! , menses II, dies MIM et obiil XVII Kaiendas Deeembris anno in- carnacionis domini DGCGGXXXU.

(932) 17. Kai. Dec. Thieto Wirciburgensis epis- copus obiit; sedit ann. 24, m. 2, dies 14. 1. c. S. 29.

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Der älteste Wirzburgej- Bischofskatalog.

I.

Kathalogus . . episco- pornni Herhipolensiom, (im liber albus privilegio- rum Blatt 2').

[15] PostericusBurkardus accepit episcopatum et vixit annos IX, menses III, dies XXIII et obiit VIII. Kalen- das Aprilis anno in- carnacionis domini DGCCCXLI.

[10] Pobpo accepit po- testatem et mansit in ipsa annos XX, menses X, dies XIII I et obiit XV. Kalen- das Marti i anno in- carnacionis domini DCCCCLXl.

1 171 Iunior Boppo succes- sit potestati et tenuit annos XXIII, menses IUI, dies XXI et obiit XI. Kalendas Augusti annoincarnacionis do- mini rx:<£f:LXXXIIII.

II.

Chronieon Wirzibnrgense, (gedruckt bei Pertz Serip- tores Bd. VI, S. 17-31).

(941) 8. Kai. Apr. iunior Burebardus Wirci- burgensis episcopus Obiit; sedit ann. 9, m. 3, d. 23.

1. c.

(901) 15. Kai. Mar. Pobbo Wirciburgensisepis- copus obiit; sedit ann. 20, m. 10, d. 14.

I. c.

(984) 11. Kai. Aug. iunior Pobbo Wirciburgen- sis episcopus obiit; sedil ann. 23, m. 4. d. 21.

I. c.

63

III.

Annales st. Albani,

(als Annale» Wirzibur- genses gedruckt bei Pertz SS. II. S. 239-246).

941 Junior Burchardus Wirziburgensis epis- copus obiit 8. Kai. Aprilis. Sedit annos 9, menses 3, dies 23.

I. c.

901 liobbo Wirziburgensis episcopus obiit 15. Kal.Martii. Sedit an- nos 20, menses 10, dies 14.

I. c. S. 242.

984 Junior Poppo Wirzi- burgensis episcopus obiit 11. Kaiend. Au- gusli. Sedit annos 23. menses 4, dies 21.

I. c.

990 lluc episcopus Wirzi- burgensis obiit 4. Kai. Septembris. Sedit an- nos 6, menses 7. dies 28.

I. c.

|1S| Huk episcopatum ac- (990) 4. Kai. Sept Huc cepit et possedit an- Wirciburgcnsisepis- nos VI, menses VII, copus nbbiit; sedit

dies XXVIII et obiit ann. 0, m. 7, d. 28.

Uli. Kalendas Sep- I. c.

tembris anno in- carnacionis domini IXOT.Xf..

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04

Schäffler:

L

Kathalogns . . episco- porum Herbipolensium, (im über albus privilegio- rum Blatt 2').

119) Bernward us successit et inansil V annos, menses VIII, dies XIX et obiit XII. Kalendas Octobris anno in- carnacionis domini DUOGCXCV.

n.

Chrunicon Wirziburgense, (gedruckt bei Pertz Scrip- tores Bd. VI, S. 17-31).

(995) 12. Kai. Oct. Be- renwardus Wirri- burgeusis episcopus obiit; sedit ann. 5, m. 8. d. 19.

I. c.

III.

Annale* 8t. Albani. (als Annales Wirzilmr- genses gedruckt bei Pertz

SS. U. S. 239-246).

995 Brunwardus Wirzi- burgensis episcopus obiit 12. Kai. Octo- bris — sedit annos 5, menses 8, dies 19 in insula Euboea, et sepelitur in mona- sterio, quod dicitur Politica.

1. c.

(20) Heinricus episcopus ordinatus est et te- nuitepiscopatum an- nos XXIII, menses V, dies XXII et obiit XVIII. Kalendas l)e- cembris anno in- carnacionis domini MXVIU.

(1018) 18. Kai. Dec. Hein- ricus Wirziburgensis episcopus obiit; sedit ann. 23, m. 5, d. 22.

I. c.

1018 Heinricus Wirzibur- gensis episcopus obiit 18. Kai. Decembris. Sedit annos 23, men- ses 5, dies 22.

I. c.

(21) Meginbardus episco- patum accepil et eum gloriose rexit annos XV, menses II, dies XXI et obiit XI. Ka- lendas Aprilis anno incarnacionis domini MXXXIIII.

(10:13) ll.Kal.Apr.Megin- hardus Wirciburgen- sis episcopus obiit ; sedit aiiu. 15, m. 2, d. 21.

1. c. S. 30-

1034 Meginbardus Wirzi- burgensis episcopus obiit U. Kai. Aprilis. Sedit annos 15, men- ses 2, dies 21.

1. c. S. 243.

[22] Bruno polestatem ac- cepil et mansit annos XI, mensem I, dies XIIII et obiit VI. Kalendas Juni] anno incarnacionis domini MXLV.

(1045) 0. Kai. Jim. Brun Wirciburc episcopus obiit anno domini 1045; sedit ann. 11, m. 1, d. 14.

I. c.

1045 Brun episcopus Wir- ziburgensis obiit 6. Kai. Junii. Sedil an- nos 11, mensem 1. dies 14.

I. c. S. 244.

Der älteste Wirzburger Bischofskatalog.

65

I.

Kathalogus . , episco- porutn nerbipolensitiiii, (im über albus privilegio- rum Blatt 2').

[ 23 1 Adelhero successil et IDailflH in episcupatu annos XLV, menses III, dies VII et obiit II. Hon as Octobris in predio patris sui, se- pultus in monasterio suo Lambach, ubi in pacerequiescat.anno incarnacionis domini MC, substitutis ta- rnen duobus, Megin- bardo juniori et do- mino Emhardo.

[241 Meginbardus accepit pontificatum anno domini MLXXXV. et sedit annos III, dies XXVI et obiit XII. Kalendas Julii anno domini MLXXXVII1.

|25] Emehardus accepit pontificatum VIII. Ka- lendas Augnsti anno domini MLXXXVII1I. et sedit annos XV, menses VII, dies III et obiit DL Kalendas Mareii anno domini MCV.

II.

Ckronicon Wirziburgensc, (gedruckt bei Tertz Scrip- tores Bd. VI, S. 17-81).

DL

Annale« it. Albani,

(als Annales Wirzihur- genses gedruckt bei l'ertz SS. II. S. 239 - 246).

10W Domnus Adelbero 20"* post beatum Burchar- diim sacrosanclae Wirziburgensis aec- clesiae episcopus 3. Kai. Julii constitutus. vixit in episcopatu annos 45, menses 3, dies 7. Obiit 2. Nonas Octobris.

I. c. S. 244».

1085 Meginbardus Wirzi- burgensis episcopus eonstituitur.

I. c. S. 245.

1088 Meginbardus iunior, Wirziburgensis epis- copus, obiit 12. Kai. .Itilii. Sedit annos tres, dies 20. 1. c S. 245 IL 240.

108!) Oonsütnuntnr epis- copi, Ituotbardiis Mo- gontiacensis , Heri- mannus Coloniensis, Emebardus Wirzibur- gensis 8. Kai. Augusti. I. c S. 240.

Berichtigung.

Im Band III, S. 284, Z. 23 von oben ist stall DLXXXVII und DIA'XXXVIl zu lesen: DCLXXXVII und DCLXXXXVIl.

Arthlvaliaclie Z*iU.hrift. IV. r

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IV. Munch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv 1 ).

Aus dem Dänischen übersetzt von

Dr. S. Löwenfeld.

Vorwort.

Von eigenen Anmerkungen in der deutschen Ausgabe Abstand zu nehmen, dazu bestimmte mich vor Allem der ansehnliche Um- fang der vorliegenden Abhandlung. Ich habe mich mit Hinweisungen (L.) begnügt, die in wenigen Worten die Stellen angeben, wo man entweder eine nähere Ausführung des von Münch nur Angedeuteten, oder eine entgegengesetzte Meinung vertreten findet. Im III. Bande der (von ßrieger herausgegebenen) Zeitschrift für Kirchengeschichte, S. 139 IT., habe ich selbst einige von den Muncirschen Resultaten abweichende Ansichten zu begründen versucht.

Ueber die Abhandlung berichtet ihr Herausgeber, Herr Professor Dr. Gustav Storni, Folgendes: »P. A. Münch ') schrieb sie im Jahre 1860 während seines Aufenthaltes in Rom und sandte sie von dort aus an die Akademie der Wissenschaften zu Christiania, woselbst der Reichsarclüvar Lange in den Sitzungen vom 5. Oktober und 16. November des genannten Jahres über sie referirte. Nach seiner Rückkehr deponirle sie Münch im Reichsarchiv mit der Bestimmung : dieselbe dürfe nicht veröffentlicht werden, so lange der Archivar am vaticanischen Archiv, Pater Theiner, am Leben sei. Nach dessen Tode wandte ich mich an Herrn Reichsarchivar Birkeland; das Manuscript wurde mir zum Abdruck in den »Samlede Afhandlinger« ") ül>erwiesen und zugleich der Wunsch ausgesprochen, dasselbe auch

') I'. A. Münch Oplysninger 0111 det pavelige Archiv og dets Indhold, for-

nemtiiidig Heyesterne og disses Indretning, samt om del lfdhytte, heraf er at

IhmiI«? for Nordens ng isa«T Norges Historie, udgivet af t)r. (Justav Storni. Christiania 1870. ') IV. 42:} (T.

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Munch's Aufschlösse Aber das päpstliche Archiv.

G7

getrennt als Broschüre erscheinen zu lassen. Diese Ausgabe sowohl, wie die der »Gesanunelten Abhandlungen« verdankt die gelehrte Welt einem Beschlüsse des Reichstages auf Antrag seines Präsidenten, Herrn Sverdrup. Die wenigen in Klammern [ J beigefügten Noten stammen von mir.«

Herrn Professor Storm, der in liebenswürdigster Weise die Uebersetzung nach dem Originalmanuscript des Verfassers corrigirt und so die deutsche Ausgabe von einigen, nicht unwesentlichen Fehlern der dänischen Ausgabe befreit hat, statte ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ab.

Der Uebersetzer.

Das päpstliche Archiv nimmt zur Zeit mehrere Stockwerke eines weitläufigen Flügels in dem westlichen Theile des vatican i- schen Palastes ein; es stösst an die Bibliothek, hat aber seinen Eingang auf der entgegengesetzten Seite. Früher, vielleicht noch vor wenigen Jahren, wurde ein Theil desselten in der Engelsburg aufbewahrt. Im Uebrigen versteht es sich von selbst, dass es mit Ausnahme der Zeit, wo es auf Befehl Napoleons nach Paris ge- schafft und dort zurückbehalten wurde *), sich immer am Orte der päpstlichen Hauptresidenz befand. In den Tagen, da der römische Hof seinen Aufenthalt in Avignon nahm, war also auch das Archiv dort; ja sogar nach dem Aufhören des Schismas und der Rückkehr der Curie nach Rom blieb noch ein grosser Theil davon in Avignon liegen und wurde erst später und allmählich, in langen Zwischen- räumen, nach Italien zurückgeführt; die letzten Stücke nicht eher als 1792, gerade noch zur rechten Zeit, um der Zerstörungslust der Revolutionäre zu entgehen. Es ist wahrscheinlich, dass die Archivlokale vor dem Avignonischen Exil nicht im Vatican, sondern im Lateran auf der Göliushöhe gelegen haben , welcher bis dahin als eigentlicher Wohnort der Päpste gegolten hatte und zumeist auch in Wirklichkeit gewesen war.

Da die Statthalter Christi nicht allein Oberhäupter der Kirche, sondern auch Fürsten von einem Stücke Italiens waren, so ist es klar, dass ihr Archiv Sachen enthalten muss, welche ihre Regierung in jener wie in dieser Eigenschaft l>eleuehten. Aber die zahlreichen

') [Vgl. Gaehard Les archives du Vatican, Uruxelles 1874.) L.

08

Löwenfeld :

Dokumente und Aufzeichnungen, welche in die letztere Kategorie gehören, sind naturgcmass nur für Den von Wichtigkeit, welcher sich mit italienischer Geschichte im Allgemeinen oder mit der Ge- schichte des Kirchenstaats und der angränzenden Länder im Be- sonderen beschäftigt. Für die Geschichte des übrigen Europas, namentlich des Nordens, haben sie nur insofern Interesse, als sie geeignet sind, allgemeine Aufschlüsse über Sitten und Gebräuche im Mittelalter zu gewähren, vielleicht hier und da personalhistorische Fragen zu beantworten oder ein Licht zu werfen auf die politische Stellung des päpstlichen Hofes, die ja nicht selten auch auf die Angelegenheiten der Kirche ihren Einfluss äusserte. Leider hat man diese zwei Ilauptklassen von Archivsachen nicht so streng auseinander gehalten, als man wohl wünschen möchte. Die origi- nalen Dokumente bieten hierin freilich keine Schwierigkeiten dar, aber in allen Copialbüchern finden sich die das geistliche wie das weltliche Gebiet der Päpste betreffenden Sachen so durcheinander gemischt, dass man jene nicht durchnehmen kann, ohne sich auch zum grossen Theil mit diesen befassen zu müssen.

Diejenige Klasse von Archivalien, welche uns zunächst inter- essirt, und welche man am besten die »kirchliche« nennen kann, besteht, wie das in der Natur der Sache liegt, theils aus Original- dokumenten, theils aus Copien, die man zumeist in dazu bestimmte Protokolle eingetragen findet. Man begreift leicht, dass diese Ein- theilung beinah»' zusammenfällt mit der in »eingegangene« und »abgegangene« Schriftstücke. Denn die von der Curie ausge- gangenen Originalbriefe sind nur dann wieder nach Rom zurück- gekehrt, wenn sie das weltliche Territorium der Päpste betrafen: die andern dagegen, als Ausflüsse des geistlichen Regiments, sind rund herum in den Archiven Europas zu suchen; von diesen wurden nur Copien in Rom zurückbehalten; die originalen, kirchlichen Sachen, welche man im päpstlichen Archive findet, sind fast nur Rriefe oder sonstige Dokumente, die von den verschiedenen katho- lischen Ländern in und ausserhalb Europas eingelaufen sind. Als Ausnahme muss hier bemerkt werden, (worüber weiter unten das Nähen? zu sagen ist), dass man die ankommenden Rittschriften, be- vor sie dem Papste zur Entscheidung vorgelegt wurden, auszuziehen und diese Auszüge in besondere Copirbücher einzutragen pflegte; hier gehören also auch eingelaufene Rriefe zu den Copien; ferner, dass am päpstlichen Hofe oder in seinen Verwaltungsbureaux Schrift-

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Millich 's Aufschlüsse üher das päpstliche Archiv. ßQ

stücke verfasst oder Protokolle geführt wurden, welche den Hof oder die Bureaux selbst betreffen, und, obsehon sie nicht von ausserhalb eingegangen sind, doch zu den »Originalia« gerechnet weiden müssen. Umgekehrt sind noch viele originale Entwürfe (Concepte) für al>- gegangene Urkunden aufbewahrt, die gleichwohl unter die Copien gehören. Die Eintheilung kann daher am bequemsten auf (olgende Weise geschehen:

A. Originalia.

1) Eingegangene Briefe von geistlichen und well liehen Personen ausserhalb der Curie, officielle Abschriften von Traktaten, Concor- dalen u. dgl., Berichte von päpstlichen Nuntien und Legalen mit beigefügten Aktenstücken, z. B. einem Zeugenverhör, Schuldscheinen u. s. w., Processakten u. dgl.

2) Dokumente oder Protokolle, in der Curie selbst abgefasst, z. B. Rechenschaftsberichte der Zehent- oder Annal-Collectcure; Quitlungsbücher über die eingelieferten Gelder der Bischöfe und anderer Prälaten ; Conti über Einnahmen und Ausgaben in gewissen Verwaltungszweigen, Protokolle über die Hinterlassenschaft der ge- storbenen Päpste etc. etc.

B. Copien, theils

1) der abgegangenen Schriftslücke, zu denen ich auch, der leichtern Uebersicht wegen, die Concepte hinzunehme; theils

2) der eingelaufenen Bittschriften ; beide in der Hegel in die direct dazu gehaltenen Copirbücher eingetragen.

Was die Abtheilung lit. A. 1 betrifft, so ist es klar, dass, wenn dieselbe vollständig wäre oder man wenigstens die wichtigsten der Schriftstücke besässe, welche Jahr für Jahr aus den verschie- denen katholischen Ländern bei der Curie einliefen, sie nicht nur den grössten, sondern auch den für ausseritalische Nationen wichtigsten und interessantesten Theil des Archivs ausmachen würde. Es liegt ja in der Natur der Sache, und wir erfahren dies auch zur Ge- nüge aus allerlei schriftlichen Aufzeichnungen aus dem Mittelalter, dass sowohl zwischen der Geistlichkeit wie den weltlichen Grossen eines jeden Landes und der Curie eine unablässige und sehr leben- dige Correspondenz geführt wurde; bald bat der, bald jener Bischof oder Prälat um Verhaltungsmassregeln in gewissen Fällen oder theilte irgend eine wichtige Angelegenheit mit, bald führte er über Collegen, Untergebene oder weltliche Fürsten Klage, während auch diese ihrer- seits über die Geistlichkeit oder weltliche Widersacher sich beschwerten ;

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70

Lftwenfeld :

bald liefen von Geistlichen wie Weltlichen Gesuche ein um Dispen- sationen, Indulgenzen, Privilegien, Protection«] u. dgl. m. Und hierzu kommen noch alle die Schreiben, durch welche die päpstlichen Send- boten die Curie über den Zustand der betreffenden Iünder unter- richteten, ihr eigenes Verhalten rechtfertigten, und Instruktionen für speeielte Fälle erbaten. Man begreift, dass besonders während der Periode der päpstlichen Allmacht, von Innocenz III. bis zum Schisma hin, jährlich, ja täglich unzählige Massen solcher Schreiben bei der Curie eingelaufen sein müssen. Aber gerade diese Menge ist wohl die nächste Ursache gewesen, dass verhältnissmässig so wenig auf- bewahrt ist, wenigstens vor dem Schisma, oder richtiger vor der Reformation. Man merkte nur zu bald, dass Archivlokale, wie man sie im Mittelalter zu bauen pflegte, in keinem Falle Alles zu fassen vermöchten, (und selbst heutigen Tages würden manche Lokale nicht dazu hinreichen), und dass es desshalb geboten sei, zu ver- nichten, was nicht bleibendes Interesse hatte oder in Zukunft noch Bedeutung erlangen würde. Man hat dies Verfahren augenscheinlich beständig beobachtet, indem man, sobald eine Sache abgethan und ihre wichtigsten Momente was immer geschah in der end- gültigen Resolution angeführt waren, alle hierher gehörenden Doku- mente vernichtete, sehr oft wahrscheinlich in der Weise, dass man die Schrift abwaschen oder abkratzen Hess, um das Pergament, eine jeder Zeit kostbare Waare, von Neuem benutzen zu können. Man dachte in jenen Tagen nicht daran, dass diese Stücke im Laufe der Zeiten ein historisches Interesse erlangen ; es war ja ausserdem nicht Sache der Curie, für die Historiographie anderer Länder Sorge zu tragen, wenn diese selbst es nicht thaten, indem sie Copien der interessanteren Schreiben zurückbehielten. So weit man sehen kann, war es auch in andern Ländern Sitte, abgethane Sachen oder solche, denen man für die Zukunft keine Wichtigkeit beilegte, nicht in Ar- chiven aufzubewahren. Was man im päpstlichen Archiv an Origi- naldokumenten jetzt findet, sind entweder Sachen, deren bleibender Werth in die Augen Rillt, oder Stücke, die durch Zufall der Zer- störung entgingen, da sie in dem einen oder andern versteckten Winkel so lange liegen blieben, bis im Moment der Entdeckung schon ihr Alter ihnen Interesse verlieh. Die Dokumente, deren Ver- nichtung man besonders beklagen muss, sind Berichte der in ganz Europa zerstreuten päpstlichen Sendboten, oder Briefe anderer hoch- stehender geistlicher und weltlicher Personen, oft wird in den

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Munch's Aufschlüsse über das pfipstliche Archiv. 71

Schreiben der Curie auf sie hingewiesen, welche unschätzbare Nachrichten über die politischen Zustände der einzelnen Länder ent- halten haben müssen. Welches Licht würden nicht z. B. alle die Briefe, welche während des Slreites mit König Sverrir von den nor- wegischen Bischöfen an die Curie abgingen, aur manche dunkle Stelle in seiner Geschichte werfen, wie sie die von einem einseitigen Standpunkte aus verfasste Saga (Sverrissaga) überliefert hat. Wir kennen nur einen einzigen Brief dieser Art; er ist uns aufbewahrt in den Schriften des heiligen Abtes Wilhelm, der ihn für den land- flüchtigen Erzbischof Erich von Nidaros (Drontheim) im Jahre 1190 verfasste '), aber sein Inhalt beweist zur Genüge, wie unendlich viel wir in den übrigen verloren haben. Unter den Briefen Innocenz' III. befindet sich einer vom 7. Juni 1211 an die Bischöfe Norwegens; er behandelt den Friedenssehl uss zwischen den Königen Jngi und Philipp (1208) und enthält eine kurze Darstellung der Verhältnisse auf Grund, wie ausdrücklich hervorgehoben ist, norwegischer Be- richte *). Ja man würde kaum eine zuverlässige Kunde über den Streit zwischen König Sverker Karlsson und Erich Knutsson (um 1204) besitzen, wenn nicht ein Brief desselben Papstes (1208) mit kurzer Recapitulation schwedischer Berichte Auskunft darüber gäbe3). Wie reicher würde unsere Kenntniss jener Tage sein, wenn in allen diesen Fällen die Originalberichte aufbewahrt worden wären ! Das Schicksal war hier dem Norden ungünstiger als andern Ländern, über deren Zustände doch wenigstens einzelne alte Gesandtschaftsberichte sich erhalten haben. So gibt es deren für Polen zwei ausführliche und höchst interessante vom 19. Juni 1337 und 21. September 1338 aus der Feder des jwpstlichen Nuntius Galhardus de Carceribus, (jetzt in Theiner's grossem Urkundenbuch zur Kirchengeschichte Polens im Mittelalter gedruckt) *). Allein für den Norden findet sich nichts Derartiges; nur hin und wieder gewähren die Rechnungsbücher der Nuntien einige Aufschlüsse. Wie aber, wenn man all' die Briefe und Berichte gehabt hätte, welche, um ein Beispiel anzuführen, Car- dinal Wilhelm während seiner Sendung nach dem Norden (1247 u.

') S. Langebek SS. rer. Dan. VI, 20, 21; [jetzt auch in Dipl. Norv. VI, Nr. 3]; vgl. Münch, riet N. Folks Hist. III. 258 , 267. *) Früher gedruckt in Baluze, Ep. Inn. III, XIV, 73, vgl. Münch III, 537 , 538, | jetzt auch Dipl. Norveg. VI, No. 12J. 3) Baluze I. c. XI, 174. [Dipl. Suec. I, Nr. 134J. *) [Mon. Hist. Fol. I. 391, 416 J L.

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72

Löwenfeld :

1248) noth wendigerweise eingesandt haben muss! oder das Tagebuch, das er geführt haben soll ! Nicht zu reden von den Relationen des Le- gaten Stephan von Orvieto (UC4) oder Nikolaus von Albano (1 152). Ja nicht einmal der Vertrag, den der Letztere zwischen der Kirche und der Norwegischen Krone zu Stande brachte und von dem doch wenigstens eine Abschrift bei der Curie gewesen sein muss, ist mehr vorhanden. Erst seit den Tagen der Reformation scheint man am päpstlichen Hofe begonnen zu haben, die Nunciaturberichte sorg- lältig aufzubewahren, denn es finden sicli von der Zeit ab sehr aus- führliche in grosser Anzahl. Aber diese Berichte sind für die Ge- schichte des Nordens nicht mehr von unmittelbarem Interesse. Auch auf die Bewahrung der Briefe von weltlichen Grossen scheint man seit dieser Zeit Gewicht gelegt zu haben, später wurden sie sogar in besondere Gopirbücher (literae prineipum) eingetragen. Unter den wenigen Schreiben nordischer Fürsten habe ich nur einige von Christian II. und Gustav Wasa gefunden.

Die meisten noch vorhandenen Originaldokumente der Abthei- lung lit. A. 2, wenigstens soweit sie für die Geschichte des Nordens in Betracht kommen, betreffen die Einforderung der päpst- lichen Einkünfte, wie der Annaten, des Peterspfennigs (denarius S. Petri, Rumaskaltr), des Zehnten, der bei verschiedenen Gelegen- heiten der Geistlichkeit auferlegt wurde, u. A. m.; im weitern Sinne lassen sich auch die Rechnungslegungen, welche die ausgesandten Nuntien nach ihrer Rückkehr einlieferten, hierher zählen. Das älteste Dokument dieser Art ist ein Bericht über das Resultat der Einsammlung des »sechsjährigen Zchntenc, welcher zum Zwecke der Entsetzung des heiligen Landes vom Concil zu Lyon auf alle Ein- künfte der Geistlichkeit gelegt war; sie begann 1275 und dauerte bis 1286, oder vielleicht 1287, wo der 1286 eingetroffene Collector und Nuntius, Iluguitio von Castiglione, seine erste Rimesse veran- staltete. Das Schriftstück enthält unter Anderm eine genaue und ausführliche Specification der vom Erzbischof Johannes während eines Jahres im Erzbisthum Nidaros eingesammelten Gelder, welche jetzt erst auf Huguitio's Veranstaltung an den Papst geschickt wurden

») S. Münch, det N. F. H. IV. 2 p. 57. .r>8. Eine Abschrift des Dokuments wurde seiner Zeit von Mallet für Dänemark erworben , sie befindet sich im dänischen geheimen Archive; dagegen war jetzt das Original im Valican nicht zu finden.

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Munch*s Aufschlüsse Aber das päpstliche Archiv.

73

Diesem zunächst steht, der Zeit nach, der Rechenschaftsbericht, welchen die beiden päpstlichen Nuntien und Collectoren, Johann von Seron, Prior des Dominikanerklosters in Figeac bei Cahors, und Bernhard von Orteuil, Pfarrer in Novaux im Bisthum Alet (Ber- nardus de Ortolis, Rector ecclesiae de Novalibus, dioec. Electensis) ablegten; sie waren im August 1326 nach Schweden und Norwegen geschickt worden, um den auf dem Concil zu Vienne (1312) aus- geschriebenen sechsjährigen Zehnten von der Geistlichkeit einzufor- dern, und hielten sich bis 1329 im Norden auf. Ihr Rechenschafts- bericht ist vollständig erhalten und bildet ein ziemlich grosses Foliohefl, worin zuerst die Rede ist von der in jeder Diöcese er- hobenen Summe, dann von deren Umsetzung in Gulden und An- weisung durch Wechsel auf verschiedene Bankhäuser, besonders auf tlorentinische Handelscompagnicn , und endlich von den damit ver- bundenen Ausgaben. Der letzte Theil enthält durch die Specifi- cirung der Reisespesen einen kurzen Bericht über die Ortsver- änderungen, das Verhalten und die Unternehmungen der Nuntien während ihrer Mission, der bei dem Mangel ausführlicher Relationen als nicht unwichtig betrachtet werden darf1). Von andern Doku- menten, welche diese Nuntien betreffen oder auf deren Veranlassung entstanden sind, findet sich, soweit man sehen kann, nichts, ausser einem langen Zeugenverhör über Verhältnisse im Bisthutn Linköping vom Jahre 1328; dagegen gar nichts, was sich auf Norwegen bezieht.

Dem Rechnungsheft dir erwähnten Nuntien folgt das ihres un- mittelbaren Nachfolgers, Peter Gervais, zuerst Canonicus in Annecy, s|>äter in Viviers, der im Jahre 1330 als apostolischer Nuntius nach dem Norden geschickt wurde, theils um die kirchlichen Verhältnisse zu ordnen, theils um den Rest des sechsjährigen Zehnten, des Peters- pfennigs, der Annalen u. dgl. einzufordern. Länger als drei Jahre blieb er im Norden ; der die Rcisespesen enthallende Theil seines (übrigens ganz wie das seiner Vorgänger eingerichteten) Rechnungs- buches ist etwas ausführlicher abgefasst und gibt daher mehrere interessante Aufschlüsse über die damaligen Verhältnisse des Nordens. So lernt man z. B. daraus, dass 1332 das richtige Todesjahr des Dänenkönigs Christopher Erichssons ist, nicht 1333, wie bisher von

') [Oetlruckt in: »Pavelige Ntintiers Hegnskabs- og Daghö^er l:\M-. af P. A. Münch (18<»4) S. 14-6<>].

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Löwenfeld:

den Meisten angenommen wurde. Auch von Peter Gervais finden sich jetzt im päpstlichen Archive keine weiteren, den Norden be- treffenden Originaldokumente vor ').

Der folgende Nuntius, dessen Originalschreiben wir besitzen, ist Johann von Guilbert, Geistlicher in Narbonne, der aus Anlass des 1343 ausgeschriebenen dreijährigen Zehnten und einer Menge anderer Collectionsangelegenheiten als Nuntius nach dem Norden ging. Bis gegen das Jahr 1360 suchte er das Land nicht weniger als drei Mal heim und erhielt inzwischen Aussicht auf mehrere Benefizien innerhalb und ausserhalb des Nordens, nach denen er benannt wurde, (vornehmlich nach dem Decanat an der Domkirche zu Dorpat, welches jedoch niemals in seinen wirklichen Besitz kam). Seine Rechnungsbücher sind leider verloren, aber man hat noch mehrere auf seinen Befehl verfassle Originalbriefe, sammt den speci- ficirten Quittungen über die einkassirten Gelder, welche seine Unlcr- collccteure an die Bischöfe ablieferten, ferner die Quittungen dieser für die königlichen Bevollmächtigten und die sämmtlichen Rechen- schaftsberichte jener über Norwegen theils in Copien , theils im Original. Die Ursache, wesshalb gerade seine Sendung so reich an noch vorhandenen Originalbriefen gewesen, ist nemlich die, dass der Papst dem Könige Magnus Erichsson den von Johann in seinen Reichen eingesammelten Zehnten als Darlehen gab, um die Aus- gaben während seines Krieges mit den Russen und Karelen decken zu können. Die erhobenen Gelder wurden von Zeit zu Zeit den königlichen Bevollmächtigten eingehändigt: in Schweden scheinen diese das Geld in jeder Diöcese von den betreffenden Bischöfen, in Norwegen dagegen von den Untercollecteuren in Empfang genommen zu haben. Hierbei wurden natürlich Quittungen ausgestellt, und da diese als Beleg dienten für die Höhe der Schuld, welche der König conlrahirte, so wurden sie aufbewahrt: was Norwegen betrifft, so haben sich nicht allein die Originale, sondern auch doppelte Ab- schriften erhalten, welche, wahrscheinlich auf Johann's eigene Ver- anlassung, in Papierheflc eingetragen wurden ; dagegen sind die für Schweden nicht mehr im Original vorhanden, sondern nur noch in

') [Gedruckt a. a. O. S. (»7— 134|. Ks ist mit den Heften der vorgenannten zwei Nuntien zusammengebunden, sowie mit zwei andern, welche von den zu gleicher Zeit und gleichem Zwecke nach England gesandten Nuntien, Icher von Concoret und Bernard von Sistrc, verfasst sind.

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Münch'» Aufschlösse Ober das päpstliche Archiv.

75

Copien, und zwar in der Weise, dass wir ein Heft besitzen für seinen »primus adventusc (auf Schweden allein bezüglich) und zwei Doppelhefte für seinen »seeundus und tertius adventus« (auf beide Länder bezüglich), ausserdem ein Heft, welches die wichtigsten Obli- gationen enthält l). Der König pflegte selbstverständlich über die ihm geliehenen Gelder einen Schein auszustellen, welcher von den Magnaten der Reiche [nämlich Schwedens und Norwegens] mit unterschrieben (girirt) wurde. Eine dieser Obligationen (noch im Original und in einer Copie erhalten) ist von der Königin Bianca (Blanche) während der Abwesenheit des Königs (er war bei dem Heere gegen Russland) den 19. März 1351 in Jönköping ausgestellt, und unter den Giranten ist auch Orm Eysteinsson, Truchsess in Norwegen. Spater wurde sie vom Könige durch ein eigenes Dokument, welches nur in einer Abschrift vorhanden ist, bestätigt und gulgeheissen. Die Summe, welche er schuldete, l>elrug für Schweden 12,000 Mark Silber und für Norwegen etwas über 10,000, zusammen über 22,000, wie dies auch aus andern Dokumenten hervorgeht ; als es zum Zahlen kam, konnte er nur einen kleinen Theil seiner Schuld abtragen, in Folge dessen er nicht allein viele Mahn- und Drohbriefe vom Papste erhielt, sondern auch weitläufige Notariatsproteslc aufgesetzt wurden, da es nun galt, sich an die Giranten zu halten. So ging es meh- rere Jahre. Johann von Guilberl starb, nachdem vorher Heinrich Bischof, Canoniker in Lübeck, zu seinem Collegen ernannt war; in Johann's Stelle trat später Guido de la Cioix, Canoniker in Mirepoix, theils um diese Restbestände, theils um neue Papstzehnten einzu- ziehen. Die Schritte, welche dieser Nuntius that, um den Rest der königlichen Schuld einzutreiben, ohne doch, wie es scheint, auch nur die Hälfte erhalten zu können, haben ebenfalls die Entstehung vielfacher Schriftstücke zur Folge gehabt.

Von den verschiedenen Originalrechnungen, welche sich auf das gesammte Cameralwesen der Curie beziehen, gewöhnlich unter dem Namen »Diversa Cameraliac, zu denen man im weitern Sinne auch die ebengenannten Sachen rechnen kann, enthalten einige höchst interessante Beiträge zur Geschichte der einzelnen Länder Europas; aber es wäre zu weitläufig, an dieser Stelle alle oder auch nur die

') Die Quittungen sind bereits gedruckt im Dipl. Norw. 1, 258—268, nach früher erlangten Abschriften, nicht nach den Originalbriefen, welche jetzt zumeist unleserlich sind.

76

Lowenfeld :

ineisten besprechen zu wollen, zumal doch nur ein kleiner Theil derselben für die Geschichte des Nordens von Wichtigkeit ist ').

*) Icli will hier beispielshalber die Rechnungen hervorheben, welche ein seltener Fall ül»er sämmtliche Einnahmen und Ausgaben »1er Curie während einer gewissen Reihe von Jahren sich vorfinden; kaum dass diese bisher entdeckt, geschweige veröden Hiebt worden waren. Ich habe eine solche Rechnungslegung für das Jahr 1355 gefunden und abgeschrieben ; sie stammt vom Thesaurarius und ist bestätigt von Innocenz VI.; unter ihren Einnahmeposten figuriren auch die in Norwegen, Schweden und Dänemark gesammelten Gelder. Unter den Ausgatan kommen vor: Für Ausbesserung und Meublirung der Zimmer für Konig Peter von Aragonien während seines Besuchs in Avignon: etwas ül>er 457 Goldgulden für ein Schwert mit Gehäng von Seide, Gold, Silber und Emaille j ferner für einen mit Perlen besetzten Hut, welchen der Papst ihm verehrte. Nicht ohne Interesse sind die Aufzeichnungen über die täglichen Ausgaben der Päpste, Almosen u. dgl., sowie die Originalanweisungen des Camerarius an den Thesaurarius. Z. B. in einer Sammlung für die Jahre 1383—88: Domino Thesaurario. Domino G. Vincentij. Tradatis domino Marco, magistro bombardarum, pro suis expensis faciendis decein (lorenos. Camerarius. Von anderer Hand 1 Tradatis predicto domino Marco prediclos. X. Florenos dazugeschrieben. ( XXXovbr.anno IX (- 138G).pro Thesaurario R. B. de Molinie

Also hielt der Papst (hier vermuthlich Clemens VII.) Artillerie.

Ferner: Domino Thesaurario.

Gest lordenence des quatre barchez Premierement en « hascune barche vn patrou et .iiii. arbaleslriez. Item pour chascun patron et pour sa barche .j. flor. iij. gr. le Jour qui' mouteut les .iiij. palrons et leur barchez pour viij. Jours .xl. flor.

Item .xiiij. mariniez pour barche qui sont pour les .iiij. barchez .Ivj. coutent chascun Jour pour homme .iiij. gr., valent en somme .vij." et .iiij. (= 144) flor.

- Item pour chnscune barche .iiij. arbaleslriez, qui aront chascun .iiij. gr. le Jour montent .xl. flor. pour les .viij. Jours. Somme .ij.c xxiiij (= 224) flor. Item encorez ,vj. Ilor. pour les fustes des .ij. autres barchez. Item auez en memoire de doner au .jiij. homes darmez ce que bon vous semblera. (tradatisv

xvij. nouembr. R. R. de Molinis. /pro duabus barchis et hominibusl

\ pro eis «iij flor. "

Voti noch grösserm Interesse sind vielleicht die Aufzeichnungen, welche über die Gagen der päpstlichen Beamten handeln. Folgende stammt aus dem 5. Jahr Gregor's XI. (1375):

Dominus Vicecancellariusrecipit in duobus mensibus cxciiij. flor. ix sol. ix den.

Item Marescallus iusticie reeipit ij/ Ixxx. flor. xj. libr. xix. sol. ij. den. vienn.

Item Corrector reeipit sicut scutiferi vel hastarij maiores.

Item Bullatores reeipiunt lxiij. flor. xvij. s. vij. den.

Item Magister hospitij reeipit lvj. flor.

Item Custos Carceris reeipit .xx. fl. xvj. s.

Magister in Theologia reeipit in duobus mensibus xl. libr. vij. s. iiij. den. vienn.

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Was besonders hervorgehoben zu werden verdient, sind die Bücher mit den Quittungen, welche den Bischöfen für richtige Erlegung ihrer jährlichen Tribute an die Curie ausgestellt wurden. Jeder Bischof musste sich nemlich eidlich verpflichten, jedes Jahr oder alle zwei oder drei Jahre, je nachdem seine Diöcese näher oder ent- fernter von der Curie lug, sie entweder selbst zu besuchen oder durch einen Vertreter besuchen zu lassen, und hei dieser Gelegen- heit kam er, wie man sieht, seinen verschiedenen Jahresleistungen nach, so z. B. den sogenannten communia servitia für die Curie selbst und den quatuor servitia minuta für gewisse Personen aus des Papstes Umgebung. Doch bin ich nur auf ein einziges derartiges Heft gestossen, als »Uber quietantiarnm« bezeichnet, aus der Zeit Inrrocenz' VI., welches jetzt in seine Regesta charlacea T. II einge- bunden ist; Quittungen von den Bischöfen in Wesleras, Linköping, Reval, Oslo, Skara, Schleswig, Upsala, Sydcrö (unter den Faröer) und Stavanger finden sich darin vor. Andere Bücher enthalten Quit- tungen über eingesandte Collectengelder u. A. der Art. Für die spätere Zeit findet man einzelne in diese Kategorie gehörende Sachen den eigentlichen Regesten oder Copirbüchern einverleibt, z. B. ganze Bände, welche nur Verträge mit den Hauptlcuten der päpstlichen Miethstruppen enthalten. Aber eine vollständige Reihe aller dieser Sachen, welche in ihrer Gesammtheit so interessant sein würden,

Prima die Capellanus commensahs reeipit .xj. s. iiij. d. obo)., fl.* die j. flor. ij. sol. iiij. d. ob., iij> die j. flor. xv. s. iiij. d. oh. -; iiij.1 die ij. Ilor. vj. sot. iiij. d. oh. u. s. w., immer steigend bis »lvj.a die, xxxj. fl. vij. s.« | Vgl. hierzu Zmtsehr. far Kirchengesch. III. 144.J U

Penitentiarius retipit prima die .ix. s. ix. d. vienn. quorum llorcnus valet xxij. s. turonens. gross, ix. den. ob. ij. die .xix. s. vj. d. iij. die j. flor. vij. s. iij d Ivj. die .xxxv. II. x. s.

Prima die reeipiunt Secretarij. iiij. s. x. d. ob. ij. die ix. s. ix. d. iij. die .xiiij. s. vijj. d. ob Ivj. die xij. fl. ix. s.

Pro literis quitationurn reeipiuntur floreni in modiim qui sequitnr.

Primo de summa .c. fl. j. fl. ij gr. ij. de ,c. usque ad M. exrlus.

iij. fl. iij gr. iij. de M. iiij. fl. iiij. gr. etc. etc. Item sciendum est quod de florenis, qui reeipiuntur pro consecrationibus episcoporum et henedictio- iiibus abbatum, servientes armorum hahent medietalem totius summe, et de alia medietate dns Camerarius habet duas partes et clerici camere fertiam.

Sequuntur naüones quibus ronsnevenmt esse penitentiarij. In Francia Anglia Lingua Occitana Flandria Uritannia Alamannia Boemia

Polonia Dacia Ungaria Yspania (Cathalonia , Aragonia . Portugalia, Nauarra) unns; in Ytalia.

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Löwenfeld :

kann man leider nicht aufstellen. Was noch vorhanden ist, bildet nur einen unbedeutenden Theil gegen das, was verloren gegangen sein muss, und man fühlt sich auch hier versucht anzunehmen, dass das Meiste nur durch einen günstigen Zufall gerettet worden ist, da es ursprünglich der Vernichtung preisgegeben war.

Wir kommen jetzt zum Haupttheil B. Wer sich mit der Zeit vor dem Ausgang des XV. Jahrhunderts beschäftigt, findet hier das unvergleichlich wichtigste Material, so dass man unter Forschungen im Vaticanischen Archiv im Allgemeinen nur die Forschungen in den Registern verstellt.

Die Sitte, die päpstlichen Schreiben in Copirbücher einzutragen, bevor die Originale an ihren Bestimmungsort abgingen, scheint seit sehr früher Zeit bestanden zu haben. So besitzt man noch die Register Gregor's I. und Gregor's VII. für die Zeit vor Innocenz III.; die darin enthaltenen Stücke sind veröffentlicht in den Sammlungen Harduin's, Mansi's und Anderer; ebenso werden Register Alexanders II. und Paschalis' II. erwähnt '). Aber die meisten sind verloren, und man braucht nur die geringe Zahl von Briefen in jenen noch er- haltenen Sammlungen zu betrachten, um sofort zu erkennen, dass, wie die Registrirung äusserst mangelhaft und ohne jeden festen Plan, so auch die Art der Aufbewahrung eine sehr bedenkliche gewesen sein muss *). Erst mit Innocenz III. beginnt die fort- laufende Reihe höchst inhaltsreicher Regestenbändc ; hier sind die sprechendsten Beweise für die Richtigkeit der Ueberlieferung, dass er bestimmt habe, in welcher Weise für jedes päpstliche Re- gierungsjahr ein Regesien- oder Gopirbuch eingerichtet werden solle. Auch muss er befohlen haben, dieselben sorgfältiger zu bewaliren, als es früher der Fall gewesen, und mehr Briefe in dieselben auf- zunehmen, als bis dahin gebräuchlich war; genug, er muss eine so verbesserte Ordnung in die Registratur, wie überhaupt in das päpstliche Archivwesen gebracht haben, dass von seiner Thron- besteigung eine neue Aera auf diesem Gebiet datirt und man mit Fug und Recht unter die vielen andern Verdienste des grossen

') (Vgl. Jaffe Regesla l'ontificum Roinanorum, pr&f. p. 3 und 4.] L

») [Siehe: Ewald Studien über das Register C.regor's I. im Neuen Archiv HL.] L.

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Munch's Aufschlüsse Ober das päpstliche Archiv. 79

Papstes auch das rechnen kann, der eigentliche Begründer des gegenwärtigen Archivs gewesen zu sein.

Es konnte nicht in der Absicht Innocenz' liegen, alle von der Curie ausgehenden Schreiten copiren zu lassen. Vergleicht man seine eigenen Regestenbände mit den wirklichen Originalbriefen der gleichen Jahre, so sieht man, dass mehrere der letzteren nicht auf- genommen sind, dass man also nur die wichtigen oder aus einem andern Grunde der Aufbewahrung werthen einzutragen pflegte. Man begegnet hier sogar einigen eingelaufenen Schreiben, woraus hervorgeht, dass nach dem ursprünglichen Plane auch diese in ge- wissen Fällen aufgenommen werden sollten. Noch im Register seines Nachfolgers, Honoriere1 III., trifft man hin und wieder diese merkwürdige Erscheinung an; aber sie hört auch mit ihm auf. Im Register Gregor's IX. finden sich keine eingelaufenen Schreiben, und es ist Regel geblieben, nur die abgehenden einzutragen. Dagegen hat man, wie es scheint, das Gebiet der aufzunehmenden Briefe mehr und mehr erweitert. So linden wir z. B. zu allererst bei Innocenz IV. (1243 1254) Bischofsernennungen, aber nicht« der- artiges bei jenen drei vorangegangenen Päpsten, ja nicht einmal Bestätigungen der gewählten Erzbisehöfe, obwohl diese doch vom Papste schriftlich mitgetheilt wurden. Indessen scheint man vor der Zeit Johann's XXII. es niemals darauf abgesehen zu haben, sämmt- liche Briefe, die von der Curie ausgingen, in die Copirbücher auf- zunehmen.

Um eine genaue und anschauliche Darstellung der Einrichtung und Beschaffenheit der Register zu geben, ist es not h wendig, einige Bemerkungen über die päpstliche Kanzlei und deren Geschäftsgang in den drei letzten Jahrhunderten des Mittelalters voranzuschicken.

Man ersieht aus den Briefen Innocenz' III. und seiner Nach- folger, dass an der Spitze der päpstlichen Kanzlei ein Kanzler oder Vicekanzler stand, und unter diesem wieder mehrere Notare. Ich glaube nicht, dass es zu gleicher Zeit einen Kanzler und einen Vicekanzler gegeben hat; gewöhnlich findet man nur einen Vice- kanzler, aber keinen Kanzler. In der oben mitgetheilten Notiz über das Gehalt der päpstlichen Beamten ist daher auch nur der erstere angeführt. Die Notare waren eine Art Expeditionssekretäre oder Untervorsteher der einzelnen Comptore. Sie waren sämmtlich hohe Prälaten, der Vicekanzler war häufig, der Kanzler wohl stets Car- dinal. Die Notare führten oft den Titel eines päpstlichen Capellans,

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Löwenfeld :

aber aucli sie stiegen mitunter zur Cardinalswürde empor. Als Beispiel mag angeführt werden, dass zwischen 1205 und 1212 Johannes, Cardinaldiakon von St. Maria in Cosmedin, als S. R. E. Gan- cellarius erscheint; dass der Vicekanzler Rainald, der in den ersten Jahren Innocenz' III. mehrere Briefe ausgefertigt hat, nach mehr- facbem Titel Wechsel »Erzbischof von Aeerenza« (Archiepiscopus Aeherontinus) im Neapolitanischen genannt wird; dass der Notar Johannes, der zwischen 1203 und 1205 Briefe abfasste, sich zuerst Suhdiaconus, später Diaconus cardinalis S. Mariae in via lata nennt; und dass Magister Guido, Notar unter Honorius III., päpstlicher Capellan gewesen ist. Man ersieht schon hieraus, dass die Aus- fertigung der Briefe, obwohl eigen! lieh Sache des Kanzlers oder Vicekanzlers, auch durch einen Nolar geschehen konnte, vermuthlich für den Fall, dass jener verhindert oder abwesend war. linier diesen Beamten stand das ganze Personal der Copisten oder Schrei- ber (mit dem gemeinschaftlichen Namen Scriptorcs), zwischen denen die Arbeiten nach ihrer Beschaffenheit vertheilt waren , gewiss mit Rücksicht auf die Kenntnisse und Tüchtigkeit eines Jeden.

Hafte man für einen Brief noch kein feststehendes Muster vor- räthig, so konnte die Abfassung in der Regel nur Dem anvertraut werden, der grössere Kenntnisse und Hebung darin mitbrachte. Die mit dieser Aufgabe betrauten bildeten im päpstlichen Comptor eine eigene Klasse, die der Abbreviatores. Sie begegnen nicht bloss in der Kanzlei, sondern auch in den andern Abtheilungen, nemlich in der Camera (Finanzministerium mit dem Camerarius an der Spitze), der Thesauraria (Zahlstelle unter dem Thesaurarius) und der Peni- tentiaria (für Absolutionssachen u. dgl.) l). Die von den Abbreviatoren angefertigten Concepte oder Minuten werden in den Papstbriefen selbst literae nolatae genannt. Einige von diesen aus der Zeit Clemens' VI. sind noch erhalten; gesehrieben wurden sie auf Papier, grössere auf einen ganzen Bogen , gewöhnlich in zwei Spalten, kleinere dagegen auf kleinere Blätter von verschiedener Grösse. Sie scheinen, vermuthlich von dem betreffenden Notar, genau durch- gesehen und corrigirl worden zu sein, Iheils, wie man annehmen muss, ehe sie dem Papste der Bestätigung wegen vorgetragen wur-

') Z. B. im Mögest. Supplic. dementia VI. An. I. pars 1 f. 70. Petro, dicto lo tonnt, regestratori vestro, de officio scriptorie penitentiarie vestre. (Für »scriptorie« ist wohl »abbreviatur««« zu lesen. Vgl. S. 90 Note l.J L.

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den , thcils während des Vortrages. In späterer Zeit wurden sie auch von ihm unterzeichnet, wohl zum Beweise dafür, dass sie in dieser Form vom Papste angenommen seien. Die älteren Briefe tragen keine derartige Unterzeichnung, aber auf der Rückseite findet sich in der Regel ein R. , welches wahrscheinlich »receptumc oder »recognitum« oder »rclatum« bedeutet; vielleicht auch »registrandum« oder »registretur«, obschon, wie sich später zeigen wird, einer jener erstgenannten Ausdrücke als wahrscheinlicher angenommen werden muss. Der Inhalt der noch vorhandenen Coneepte gestattet den Schluss, dass eine so umständliche Behandlung d. h. vollständiger Entwurf, Correktur, Vortrag beim Papst fast nur in Fällen nöthig war, wo man bei Abfassung der Briefe sich nach keiner der stehen- den Formeln richten konnte oder die Formel nur den kleinsten Theil ausmachte, so dass es von Anfang bis Ende oder beim grössten Theil des Briefes darauf ankam, für diesen besonderen Fall den zweckmässigsten Ausdruck zu finden; Messen sie sich dagegen in die Ordnung der festen Formeln fügen, so machte man nicht so grosse Umstände mit ihnen; wir würden uns heut zu Tage hierbei gedruckter Blanquets zum Ausfüllen bedienen, (was bei der Curie jetzt auch wirklich in solchen Fällen geschieht). Hatte man eine Kundgebung des päpstlichen Willens, welche sich oft auf ein ein- faches Ja oder Nein beschränkte, erhalten, so war es ein Leichtes, nach dem bestimmten Formular und den für den speziellen Fall angegebenen Umständen den Brief auszufertigen. Man findet daher auch im päpstlichen Kanzleistil unterschieden zwischen litterae simplices oder communes d. h. solchen, welche auf des Kanzlers oder seines Vertreters Verantwortung hin ausgefertigt werden konnten (natürlich in Übereinstimmung mit der empfangenen Re- solution), ohne dem Papste zur enu/ültigen Bestätigung vorgetragen zu werden, und litterae ad legendum, bei denen ein Vortrag aus dem Goncept und dessen Annahme nothwendig war. »Notandum est, heisst es in einem alten, hiervon handelnden Manuscript l), quod commissionum aliae sunt simplices, aliae communes, aliae legendae; et dicuntur simplices vel communes, eo quod sine difticultate dantur1), cum simpliciter de jure communi earum ordo

') (litirt von Delisle in seinem »M»'m. snr les aetes d'Innocent III.« p. 21; es befindet sicli in der kaiserlichen Bibliothek in Paris Suppl. lat. 1128. fol. 19.

*) >Sine difticultate dantur« bedeutet hier offenbar: »ohne weitere Umstände und Schwierigkeiten bei der Ausfertigung.«

ArrhlTftllsche Zeitschrift. IV. (J

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depcndet et processus; legendae dicuniur eo, quod Semper oporteat, eas legi domino papae. De communibus et simplicibus est regula generalis, quod dari possunt a notario vel eancellario.« Zu jenen litterae simplices und communes, oft zusammen communes genannt, rechnete man besonders die grösstentheils nach festen Formularen abgcfassten Schreiben, wie Bestätigungen der Erzbischofswahlen nebst den Begleitbriefen, concessiones pallii, späterhin auch die mannig- fachen Provisionen der Bischofsstühle und der andern geistlichen Benefizien, Dispensationen aller Art, Protektionen u. dgl. m., worüber unten des Näheren gehandelt werden wird. Meistens wurde hiebei zuerst eine Bittschrift des Betreffenden, zu dessen Gunsten der Brief ausgefertigt werden sollte, beim Papste eingereicht, und ihm im Original oder im Auszuge zur Entscheidung vorgelegt; man besitzt noch mehrere Reihen derartiger registrirter Auszüge von Bittschriften (Supplik -Extrakte), auch hierüber später mehr; sie zeigen, dass die päpstliche Einwilligung nur durch das Wörtchen >Fiatc aus- gedrückt wurde und dass hiernach immer die Clausel folgt: »quod transeat sine alia lectione (d. h. der Expedition ohne weiteren Vor- trag zu übergeben) und ein nochmaliges »Fiat«; ein deutlicher Be- weis dafür, dass diese Sachen nicht ad legendum waren und die Verantwortung für deren richtige Besorgung nur dem Kanzler oder Notar obgelegen haben muss.

Unter den Conceptcn dagegen, wenigstens denen, die ich gesehen habe, findet sich nicht ein einziger Brief, welcher die obenerwähnten Angelegenheiten behandelt oder sonst irgendwie nach einem For- mular sich abfassen liess; es ist also klar, dass sie nur Briefe ad legendum enthalten und sämmtlich dem Papste selbst vorgelesen worden sind. Vergleicht man sie mit einer Menge anderer in die Register aufgenommenen Schreiben, so sieht man, dass Briefe dieser Art häufig oder vielmehr gewöhnlich secretac genannt wurden, eine Bezeichnung, die sich nicht etwa auf grössere Heimlichhaltung bezieht; selten einmal, dass sie als literae clausae ausgefertigt wurden, ob- schon freilich die meisten von ihnen ihrem Inhalte gemäss es hätten sein müssen *). Das Wort muss sich vielmehr auf die Umständ-

') Man erkennt dies am besten aus einem c. 1350 verfassten Index zum dritten und vierten Jahrgang der (jetzt zum grössten Theil verlorenen) Briefe Innocenz' III.; seine Uebersclirifl lautet: lUihricae Hegestri litterarum secrelarutn felicis recordationis domini Innocenlii papae terlii etc. , aber unter diesen

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lichkeit und die Vorsicht bei der Ausfertigung bezichen. Auf diese . litterae secretae haben sich wohl die Arbeiten der Abbreviatoren zunächst beschränkt, die deshalb auch zu den Angeseheneren und Vertrauteren unter dem päpstlichen Gomplorpersonal gehört haben müssen. Möglich, dass sie (wie Delisle annimmt) ein eigenes Büreau für sich gebildet haben; doch scheint mir auch folgendes ganz an- nehmbar: Wenn die Kanzlei, wie zu vermuthen ist, nach der ver- schiedenen Beschaffenheit der Sachen in gewisse Hauptcomptore eingetheilt war, jedes unter einem Notar, so wird auch jedes Comptor seine besondere Abtheilung von Abbreviatoren gehabt haben. Hier- mit will ich nicht behaupten , dass sie auch für die übrigen Briefe, wo ein Formular benutzt wurde, ein Concrpt anfertigten; dies konnte von untergeordneten Schreibern ausgeführt werden; die Kladde kam ja nicht vor den Papst und ihre Abfassung geschah deshalb wohl auch mit geringerer Sorgfalt; aber vielleicht beschränkten jene sich auf die wenigen Linien, welche in das Formular eingerückt werden sollten. Merkwürdig aber ist, dass keine derartige Kladde sich

kommen manche vor, welche unmöglich clausae gewesen sein können, einzelne gehören sogar dem Formular nach offenbar zur Klasse der communes, wie (fol. 29) der Schutzbrief für die Gräfin von Flandern. Wir besitzen ausserdem für mehrere der registrirten Schreiben Innorenz' , welche zur Kategorie der secretae gehören, die Originalexemplare und sie sind, wie sich deutlich zeigt, in offener Form ausgestellt.

Da die vorliegende Untersuchung sich nur auf die in Copirbücher einge- tragenen Briefe der Uurie bezieht, auf die Originale aber nur in so weit, als es unbedingt nöthig ist, so brauche ich auch nicht länger bei den sonst noch vor- kommenden Einteilungen der letzteren (nach Inhalt und Beschaffenheit) zu verweilen, sondern auf die eben citirte Schrift von Delisle (S. IG— 21) hinzuweisen. Es genügt anzuführen, dass sie zunächst in zwei Hauptklassen getheilt werden: a) solche, welche für den Empfänger ein Becht begründen und b) Befehle, Er- mahnungen , Warnungen , 8traf briefe u. s. w. Die erste Klasse zerfiel wiederum in die mehr solennen oder Privilegien und die weniger solennen oder Indulgenzen, Constitutionen, Concessionen , Protektionen u. s. w.; die zweite Klasse bestand aus Commissionen, Exekutionen, Mandaten, Monitorien u. s. w. Ueber die ver- schiedenen Formen, welche hierbei beobachtet wurden, siehe unten. Eine andere Eintheilung war die in patentes und clausae. Ueber communes und secretae oder ad legendum ist olien gesprochen worden. Zusammen wurden alle von den angehängten Bleisiegeln Bullen genannt; in späterer Zeit hat man hierin einen Unterschied gemacht, und nannte Bullen die Briefe, welche die Formel halten »ad perpetuam rei memoriam«, also eine für künftige Zeiten erlassene Bestimmung enthielten, während für die andern die Bezeichnung Brevia galt.

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erhalten hat: man hielt es jedenfalls nicht der Mühe werth, sie aufzubewahren, nur darf man daraus nicht sehliessen, dass kein . Coneept geschrieben wurde.

Unter dem Comptorpersonal findet man auch bisweilen cor- rectorcs litterarum papalium erwähnt, so z. B. in der oben mitge- teilten Gehaltsliste. Ihre Funktion bestand vermuthlich darin, die erste Correktur der Minuten zu besorgen, oder vielleicht nur die einfacheren Kladden der communes für die Reinschrift einzurichten, denn die Briefe ad legendum mussten ja zunächst der Correktur des Notars, des Kanzlers und zuletzt des Papstes vorbehalten bleiben. Oder sie hatten vielleicht die Reinschrift durchzusehen, dass ja nichts falsch geschrieben oder ausgelassen sei. Es finden sich mehrere derartige Reinschriften im päpstlichen Archiv, welche weder mit einer Bulle versehen, noch je an ihren Bestimmungsort abgegangen sind, wahrscheinlich weil man den einen oder andern Fehler darin gefunden hat, den zu entdecken uns oft sehr schwer fallen dürfte; konnte er doch schon, wie sich bald ergeben wird, in der Form eines einzelnen Buchstaben bestanden haben, während der Text im üebrigen richtig geschrieben war.

Das übrige und gewiss das zahlreichste Schreiberpersonal bestand aus den Grossalores und den Regestratores oder Registratores ; die ersteren schrieben die Briefe in's Reine und hatten ihren Namen von der bei Reinschriften gebräuchlichen Anwendung einiger grosser Bin •hslaben, litterae grossae, welche schöner und deutlicher waren als die gewöhnliche Gursive. Von den in's Reine geschriebenen Briefen sagte man daher, sie seien redaclae in grossam lilteram oder ingrossalae und diese Bezeichnung hat sich bis heute in England erhalten , wo das Mundiren von öffentlichen Aktenstücken »lo engross« genannt wird. Diese Grossat oren musslen nicht nur eine gute Hand sehrei- l>en können, das war vielleicht noch ihre geringste Fertigkeit, sondern auch bis aufs Minutiöseste alle zum Theil heimlich ge- haltenen, kleinen Kniffe und Finessen kennen, durch welche man Fälschungen vorzubeugen suchte. Dem Eingeweihten war es ein Leichtes zu durchschauen, welche Briefe gefälscht waren und welche nicht. Denn eine Menge solcher kleiner Regeln , die zu entdecken für den Uneingeweihten entweder ganz unmöglich war oder nur nach mühseligstem Studium einer ungeheuren Anzahl von Papst- briefen annähernd gelang, deren Nichtbeachtung aber sofort in der päpstlichen Kanzlei erkannt und bewiesen werden konnte, mussle

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die Entdeckung der meisten Fälschungen sehr erleichtern und andererseits den Falschern ihre Thütigkeit verleiden *). Dass Papstbriefe dennoch gefälscht wurden, beweisen nicht allein die eigenen Versicherungen In nocenz' *), sondern mehrere solcher Fäl- schungen haben sich bis in unsere Zeit erhalten. Baronius erzähl! iu seinen Annalcn zu 1195, Nr. 20, von einem Geistlichen in Diensten des Erzbischofs Galfrid (Geoflrey) von York, der sich in diesem Ge- schäft geübt und mehrere falsche Bullen fabrizirt haben soll; mög- lieh ist, dass die Fälschung, auf Grund welcher König Sverrir seine Befreiung vom Kirchenbann behauptete, auf diese Weise entstanden ist. Bei betrügerischer Anfertigung von Briefen für entfernt liegende Länder konnte man vor einer etwaigen Controle ziemlich sicher sein. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ähnliche, geheim ge- haltene Regeln bei der Heinschrift der Originalbriefe auch in den Kanzleien anderer Fürsten beobachtet worden sind, namentlich da, wo es Brauch war, die Briefe mit littera grossa zu schreiben, wie in der kaiserlichen Kanzlei, in Spanien, Frankreich und Eng- land. Bei uns dagegen zeigen die Briefe zumeist ilie gewöhn- liche Cursive, bei welcher ähnliche Sichcrheitsmassrcgeln sich kaum anbringen Hessen; aber vielleicht waren hier die Hände der gerade fungirenden Schreiber so bekannt, dass es keiner weiteren Garantie bedurfte, als der Schrift und des Siegels. Die Controle ver-

') Es gehört nichl in die gegenwärtige Untersuchung, alle diese Finessen ausführlich zu beschreiben ; ich verweise deshalb auf die oben citirte Schrift von Delisle, wo einige, höchst merkwürdige Notizen darüber, vermuthlich von einem Brossator um's Jahr 1300, nach einem Manuscript iu der kaiserlichen Bibliothek abgedruckt und erklärt sind (S. 23 IT.). Beispielshalber will ich hier nur anführen, dass iu den l'apstbriefen , wo die Kulte an einer Seidenschnur hing, der Name des Papstes mit den wohlbekannten hohen, schmalen Buch- staben geschrieben werden musste, der erste derselben mit einer »Krone« (apex) darüber und dem, was man ä jour oder »durchbrochene Arbeit« nennen könnte, wogegen in Briefen mit der Bulle an einer Hanfschnur nur der erste Buchstabe des Namens gross geschrieben wurde, die übrigen aber wie gewöhnlich. In den Briefen der ersten Art sollte das D in »dilecto Mio« höher als die übrigen Buch- staben sein. In allen Briefen sollte »Saluten» et apostolicam benedictionem« abgekürzt gesehrieben werden Salt et aplica heu, wogegen man niemals die Worte per und pro in der sonst gebräuchlichen Weise abkürzen durfte. In Briefen mit seidener Schnur musste das Abkürzungszeichen durch ein 5 über der Linie, in andern auf die gewöhnliche Art durch - angedeutet werden ll. 8. w.

*) Litterae Inn. III. Lib. I, ep. 235, 34!>.

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dächüger Briefe, welche zur Untersuchung eingesandt wurden, lag vermutlich zunächst dem Archivar (Scriniarius) ob. Seine Auf- gabe war es wenigstens, die älteren zur Erneuerung und Bestä- tigung eingesandten Originale zu untersuchen und auf's Neue ab- schreiben zu lassen1).

Sobald ein Brief in's Reine geschrieben und corrigirt war, wurde das Siegel bei den päpstlichen Briefen aus Blei von den eigens dazu angestellten Personen, Bullatores, aufgedrückt. Der Blei- klumpen, welcher hierbei zur Verwendung kam, hatte die Form einer Kugel (lat. bulla genannt) und in der Mitte ein Loch; eine durchgezogene Schnur befestigte ihn an den Brief; alsdann wurde der Klumpen unter den Petschaft, eigentlich eine Art Münzstemjiel, gelegt, und während er selbst ganz flach gedrückt wurde, klemmte die Schnur sicli fest. Man kann dies täglich noch beim Plombiren der Waaren auf den Zollämtern sehen. Das Stempeln wird jetzt allerdings durch eine Zange oder Schraube bewerkstelligt ; in früheren Zeiten geschah dies, wenigstens bei der Kurie, wie beim Münzen, durch Hammerschlag *). Die Bullen sind in der Hegel zweiseilig; auf der einen Seite stellen sie die Häupter der Apostel Petrus und Paulus mit ihrer aus Punkten bestehenden Gloriole und die Anfangs- buchstaben ihrer Namen dar; auf der andern den ganzen Namen des Papstes, z. B. »Innocentius pp. III«, nicht rund herum, sondern in geraden , gewöhnlich drei Linien 3). Nach diesen Bleisiegeln

') Ibid. XII, 61. Der päpstliche Archivar Heinrich liess einige alte Bullen auf Papyrus, welche grosse Beschädigungen erlitten hatten, wieder abschreiben, aber die Lücken mit anderer Schrift (tonsac litterae) als die übrigen Tbeile ausfüllen.

2) Man ersiebt dies aus einem Briefe Innocenz' IV. vom 5. Juli 1252, Delisle I. c. p. 70. Er tbeilt hier mit, dass der bisher gebrauchte Stempel für die Seite der Bullen, welche die Haupter der Apostel darstellte, durch die be- ständigen Hammerschläge entzwei gegangen sei , er habe daher einen neuen anfertigen lassen. (Nuper siquidem contigit, alterum bullae nostrae typarium. quo veneranda videlicet aposlolorum Petri et Pauli capita exprimuntur, jam attritum innumeris malleationis diutinae percussuris, extreraa tandem ictus soliti passione confringi.)

*) Es giebt so vielfache Abbildungen von Bullen, dass eine weitere Be- schreibung unnüthig ist. Dagegen dürfte es von Interesse sein , zu erfahren, dass auch die hervorstehenden Punkte, die theils an der Peripherie zu beiden Seiten der Bulle, theils in den Gloriolen, theils auf Petrus Stirn und Bart sich befanden, eine bestimmte Anzahl ausmachen sollten, ebenfalls zu dem Zwecke,

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wurden, wie bekannt, die päpstlichen offiziellen Briefe mit gemein- schaftlichem Namen Bullen genannt, während alle mit Metallsiegeln versehenen im Mittelalter danacli bezeichnet zu werden pflegten, so z. B. das berühmte Dokument über das Verfahren bei der Kaiser- wahl in Deutschland als die »goldene Bulle«. Auch im alten nor- wegischen Archiv befand sich ein Brief des byzantinischen Kaisers Alexius Angelus an König Sverrir (1105), der ebenfalls die »goldene Bulle« (Gullboluskrä) genannt wurde Die Bullen wurden ent- weder durch eine Seidenschnur (gelb und rotli) oder eine Hanfschnur an den Briefen befestigt s). Zuweilen wurden sie erst lange nach der Reinschrift und Datirung angefügt ; als Beispiel kann ein Brief an den Bischof von RijKm dienen, der von Martin IV. am 22. Juni 1284 ausgestellt, aber noch bei seinem Tode (28. März 1285) nicht bullirt war, so dass sein Nachfolger Ilonorius IV. bald nach der Wahl,

einer Fälschung vorzubeugen : Falsae literae pereipi possunt in bulla, puneta numeraudo. Nam Vera bulla in circulo, ubi sunt apostoli sive capila aposlolornm, habet LXXIII puneta, alius veru circulus in alia parte (uemlich die Randperipherie auf der Namensseite) LXXV. Alius, qui est supra caput Petri, habet XXV, qui sunt in fronte beati Petri, sed in fronte beati Pauli noo sunt, nisi XXIV, et in barba b. Petri XXVIII. Martin. Pol. Summa decreti et decretalium s. voce »Falsarius«, cfr. Delisle I. c. p. 48. Uebrigens variirt die Anzahl der Punkte ein wenig für die verschiedenen Päpste.

l) S. Münch, d. N. F. H. III, 292. Sverr. Saga Gap. 127.

J) Die Regel für Anwendung der Seiden- oder Hanfschnur wird verschieden angegeben. Die gewohnliche Ansicht ist, dass Seide bei Gnadenaklen, Haid bei Befehlen und strengen Sachen angewandt wurde. Doch erweist eine nähere Untersuchung, dass der Unterschied vielmehr darin liegt: In den Fällen, wo der Brief für alle künftigen Zeiten in Kraft bleiben sollte, wie bei Privilegien, Stiftungen u. s. w., wurde Seide genommen, während bei Briefen, die nur tem- porären Werth halten, Hanfschuur gebraucht wurde. Da aber Briete von dauernder Geltung zumeist gewisse Rechte und Vortheile für den Empfänger begründeten, also eine Gnadenbezeugung enthielten , während die augenblicklich geltenden meistentbeils Befehle, Ermahnungen u. s. w. brachten, so kommen beide Distinktionen ungefähr auf eins hinaus. In Frankreich beobachtete man lei Bcsiegelung der Konigsbriefe im Mittelalter dieselbe Unterscheidung zwischen perpetuell und temporär geltenden, indem jene grünes Wachs auf Seide, diese gelbes Wachs auf Pergamenlstreifen zeigen. (Delisle 1. c. p. 20.) Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man auch bei uns dieselbe Wahrnehmung machen würde, wenn man nur genug Königsbriefe zur Vergleichung hätte. So viel wenigstens steht fest, dass das Wachssiegel des Briefes von 124#. durch welchen König Häkon Häkonarson die Uebertragung der Stadl Stavanger an St. Swithun bestätigt [Dipl. Norv. I Nr. 51 J, an einer Seidenschnur hängt.

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Lflwenfeld :

noch vor der Consecration dies ausführen musste. Es heisst nein lieh in dem Ausfertigungsbrief vom 5. April 1285 .... verum quia antequam litlerae bullatae fuissent hujus modi, praedecessor diem clausit extremum, .... vicecancellarius illas nobis legere procuravit etc. Der Brief hatte also länger als neun Monate unbesiegelt dagelegen

lieber die Unterschrift des Papstes, die in manchen Bullen sich tindet, sind die Gelehrten einig. Ueberhaupt kam es im Mittelalter, wo die des Schreibens Kundigen ziemlich selten waren, weniger auf eine Unterschrift als auf ein Siegel an. Nur bei einer Klasse von Papst briefen, nemlich den eigentlichen Privilegien, finden sich Unterschriften, aber wohl zu merken, der Gardinäle, nicht des Papstes.

Unter den Text, in der Mitte des Blattes, im Abstand einer Linie von der letzten Zeile, wurde ein sogenanntes Rad gezeichnet, d. h. zwei concentrische Kreise, der äussere mit einem Durchmesser von etwa zwei Zoll, der innere etwas kleiner, und durch ein rechtwink- liges griechisches Kreuz in vier Quadranten gethcilt, in welche man »Scs Petrus, Scs Paulus« und des Papstes Namen hineinschrieb. In dem Raum zwischen beiden Kreisen wurde der Wahlspruch des Papstes angebracht. Zur Seite des Rades wurde geschrieben: »Ego N. N. catholice ecclc eps ss (d. i. subscripsi)« , aber auch dieses nicht eigenhändig vom Papste; alles was er selbst schrieb oder zeichnete, war das kleine Kreuz oben zwischen den beiden Kreisen vor dem Wahlspruche. Dem Namen des Papstes folgte unmittelbar das Monogramm für BENEVALETE. Aber gleich unter den Nameu des Papstes schrieben die Cardinalbischöfe, einer unter den andern, eigenhändig ein Kreuz, ihren Namen nebst Titel und ss, ebenso zur Linken die Cardinalpriester und zur Rechten die Cardinaldiakoncn. Dass diese Unterschriften wirklich eigenhändige sind, sieht man deutlich bei einer Vergleichun-,' mehrerer Bullen, welche zu ver- schiedenen Zeiten von denselben Cardinälen unterzeichnet sind; die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Hände sind überall die gleichen. Ferner bemerkt man oft, dass die Unterschriften auf ein und derselben Bulle Tinte von verschiedener Schwärze zeigen, jeden- falls ein Beweis dafür, dass sie nicht auf ein Mal und an einer Stelle geschrieben sind; möglich, dass man die Briefe zur Unterschrift cirkuliren Hess.

') Jetzt gedruckt in Ny kiikehistoriske Samlinger III, p. 380—382.

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Munch's Aufschlüsse Ober das papstliche Archiv.

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Die Datirung geschah in allen Briefen, welche älter sind als das XV. Jahrhundert nach römischem Kalender und das Jahr wurde stets nach dem Pontifikatsantritt des Papstes angegeben, z. B. Datum Rotnae apud S. Petrum, pontificatus nostri anno deeimu. Man muss also, um diese Angabe auf das Jahr nach Christi Geburt zu redu- ziren, genau den Krönungstag eines jeden Papstes kennen, denn von ihm, nicht vom Wahltage ab, wurde das Pontifikatsjahr ge- rechnet. Nur in Privilegien oder in ähnlichen solennen Dokumenten wurde in älteren Zeiten die Jahreszahl nach Christus hinzugefügt; oft setzte man auch noch die Indiktion dazu, aber sie wurde, ebenso wie die anni incarnationis, nicht immer gleich massig berechnet; das einzig Sichere, woran man sich halten kann, so sicher, dass man von den weiteren Angaben gar keine Notiz zu nehmen braucht, ist das Pontifikatsjahr '). Gegen die Mitte des XV. Jahrhunderts be- gann man in allen oder wenigstens den meisten Briefen die anni incarn. hinzuzufügen.

Schliesslich wurden die fertigen Briefe, bevor sie an ihren Be- stimmungsort abgingen, von den obenerwähnten Regislratores oder Regestratores in das Register oder Copirbuch eingetragen ; man findet nemlich bald die (eigentlich richtige) Form Regestum, bald Registrum, bald (und zwar am häufigsten) Regestrum. Die Registra- toren müssen unter den Schreibern eine sehr beträchtliche Zahl reprä- sentirt und vermulhlich den untergeordnetsten Theil des Personals oder die Anfängerklasse gebildet haben; ihre Arbeit war die ele- mentarste, und man verlangte eigentlich nichts mehr von ihnen, als dass sie Latein verstehen und mit deutlicher Hand ihre Vorlagen kopiren sollten. Kalligraphische Fertigkeit war nicht erforderlich, da man in den Registern die gewöhnliche Cursive anwandte; man stösst hierin ausserdem auf manche Stellen, wo die Abschreiber falsch gelesen und geschrieben , ja sogar gegen die lateinische Grammatik sich versündigt haben, alles ein Beweis dafür, dass nicht wenigen von ihnen die Fähigkeit abging, einen Brief in's Reine zu schreiben, geschweige ihn abzufassen. Aber erst durch diese Klasse stiegen diejenigen, welchen nicht besondere Talente, Kenntnisse oder Protektion schneller zum Ziele verhalfen, zu den wichtigeren Ge-

') f Um diese Angaben zu berichtigen und zu vervollständigen, genügt es, auf Jaffe's Einleitung zu den Heg. Pont. Horn, hinzuweisen], L.

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Lowenfeld:

Schäften auf ») ; hiermit ist nicht ausgeschlossen, dass manche wäh- rend ihres ganzen Lebens oder ihrer Dienstzeit am päpstlichen Hofe Registratoren geblieben sind; findet man doch zuweilen in den Re- gistern eine lange Reihe von Jahren hindurch ein und dieselbe Handschrift. Auch sie haben unter den päpstlichen Comptoren ein eigenes Bureau, wenn ich es so nennen darf, gebildet, da die von ihnen geschriebenen Register ohne Unterschied Sachen enthalten, welche bald die Kanzlei, bald die Kammer (camera), bald die The- sauraria, bald die Poenitentiaria betreffen; aber demungeachtet schei- nen einzelne von ihnen für besondere Zweige angestellt gewesen zu sein, so werden z. B. Registralores supplicationum erwähnt, welche also nur die Aufgabe hatten, für Bittschriftauszüge (Supplikextrakte) Copirbücher zu führen.

Mehrere Umstände scheinen mit Bestimmtheit darauf hinzu- weisen, dass das Registriren in der Regel nach der Reinschrift und zwar nach besiegelter Reinschrift vor sich ging und dass also das Originaldokument selbst dem Copislen vorgelegen haben muss. Man findet nemlich bei mehreren registrirlen Privilegien das Rad mit den dazu gehörenden Unterschriften copirt, Dinge, die man doch sicher nicht in der Kladde vorfand. Delisle citirt einen in Paris aufbewahrten Originalbrief Urbans IV. vom 13. Dezember 1263, wo auf der Falte das Wort »Registetur< steht *). Auf andern findet sich der Buchstabe R., der Registretur und Registratum est bedeuten kann, mit einem Hinweise auf die Stelle, die er im päpstlichen Register einnimmt; so auf einem Privileg vom 25. Februar 1211: Scriptum est primo folio prirni quatemi anni XIIII 5). Wie stand es aber mit den Briefen, welche, wie der als Beispiel angeführte, erst lange nach der Datirung das Siegel erhielten? Wurden diese nicht sofort nach der Reinschrift, vor der Besiegelung registrirt?

') S. die in der Note zu S. 80 angeführte Stelle, wo für den Begistrator Peter um Beförderung zu einem Schreiher- (vielleicht Ahhrevialor-) Posten in der Poenitentiaria nachgesucht wird.

*) Delisle 1. c. p. 10.

*) Ibid. p. 33. Schade dass das Felden des betreffenden Originalregisters uns nicht gestattet, die Richtigkeit des Hinweises, die doch keinem Zweifel unterliegen kann, zu constatiren. Delisle führt ferner an, dass einem Briefe Innocenz' III. vom 26. März 1203 (in dem Chartular der Notre-Dame-Kirche zu Paris) die Bemerkung beigefügt ist: Scripta est confirmatio isla in Begesto, et in primo qualerno sexti libri, circa finem.

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Munch's Aufschlüsse Ober das päpstliche Archiv. §\

Die Frage muss wohl sicher mit »Nein« beantwortet werden, denn sonst würde man den citirten Brief an den Bischof von Ripen, der über 9 Monate unbesiegelt dalag, in dem Register Martins IV. und nicht Honorius IV. finden, oder auf alle Fälle in beiden. Doch wird zwischen der Besiegelung und Registrirung nicht viel Zeit ver- flossen sein, denn sobald die Briefe fertig waren, mussten sie ja so schnell als möglich an ihren Bestimmungsort abgehen. Einen Be- weis, dass die Registrirung bald nach der Besiegelung stattgefunden habe, bietet der folgende Fall. In dem Register für das sechste Jahr Gregors IX. folgt hinter dem Briefe Nr. 13 einer ohne Rubrik, welcher so lautet:

Missi Greci nuper ad nostram presentiam non videbantur illius esse peritic, quod cum eis plene possit discuti questio que incidit hijs diebus de forma baptismatis circa Grecos. quia uero cum perilioribus et forte jui|>erij Romanie habenda est super hoc plenioris discu.ssionis indago, et istos remittimus et te volumus interim supersedere processui circa illos, qui se asserunt baptizatos. Sed in baptizandis de cetero apostolice sedis forma seruetur, quam nec instantia questionis ambiguam, nec dubitationis scrupulus reddit obscuram. Datum Spoleti. vj. Id. Junij. anno Sexto.

Aber am Rande der Länge nach ist hinzugefügt »Vacat« d. h. »lallt aus«, woraus also hervorgeht, dass der Brief cassirt worden ist. Und unmittelbar dahinter foljjt mit beigefügter Nr. 14 und der Rubrik »Archiepiscopo Barensi« nachstehender:

Missos nuper a te Grecos ad nostram praesentiam super forma baptismatis audiuimus diligenter. Sed quoniam expectatio plenioris indaginis decisionem protraherc |>oterit questionis, remittimus illos ad propria, sustinentes eosdem super premisso in sui ritus tolcrantia interim non turbari. Datum Spoleti Id. Junij. anno Sexto.

Es ist hier ganz offenbar, dass dieser letzte Brief an Stelle des cassirten getreten ist und dass man also in der Zeit zwischen dem 8. und 13. Juni an der Form oder dem Inhalt jenes manches aus- zusetzen fand und ihn deshalb umgeschrieben hat. Die Annahme liegt nahe, dass der cassirte Brief vor der Besiegelung registrirt und man, che es zum Bulliren kam, auf seine Fehler aufmerksam geworden sei. Allein da die oben angegebenen Gründe eine der- artige Annahme ausschliessen, so muss hier beides, Besiegelung und

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LOwenfeld •.

Regislrirung, im Laufe von fünf Tagen erfolgt sein. Der Umstand endlich, dass die Briefe innerhalb eines Jahres nicht genau nach der Zeitfolge ihres Datums in die Register eingetragen sind, beweist, dass man theils nach der Bcsiegelung, theils, sobald die Menge der zu copirenden Sachen voraussichtlich lange Zeit beanspruchte, nach der kürzeren oder längeren Frist, welche die abzusendenden Briefe gestatte! en, sich richten musste; man copirte zuerst, was am meisten eilte, und dann, was ohne Nachtheil länger liegen bleiben konnte. Denn wfihrend man selten auf einen Brief stösst, der ungefalir drei (niemals aber, so weit man sehen kann vier) Monate später datirt ist als ein anderer, der ihm im Register nachfolgt, so ist es dagegen etwas ganz gewöhnliches, innerhalb dieses Zeitraums Briefe jüngeren und älteren Datums unter einander zu finden; diese Erscheinung lässt sich nur so erklären, dass ein Registrator es nicht fertig brachte, die abgehenden Briefe Tag für Tag chronologisch einzutragen oft eine Unmöglichkeil, wenn, wie es nicht selten geschah, an einem Tage gegen sechzig Briefe die Kanzlei verliessen sondern ohne Rücksicht auf das Dalum zuerst copirte, was zuerst abgehen sollte, und für später aufhob, was warten konnte. Man findet z. B. dass Geistliche aus dem Norden in der Regel mehrere Monate am päpst- lichen Hofe sich aufhielten, da die weite und kostspielige Reise es ihnen zur Pflicht machte, ihren Aufenthalt so viel als möglich für sich und ihre Vorgesetzten oder ihre Freunde auszunutzen; wollte ein solcher Geistlicher nicht vor den ersten Tagen des September abreisen, so brauchte ihm ein von der Curie im Juni erworbener und datirter Brief nicht vor Ende August eingehändigt zu werden, es hatte also auch mit der Hegistrirung keine Eile, während dagegen ein anderer der am ersten Juli angekommen war und sich nur einen Monat hei der Kurie aufhalten konnte, die in diesem Monat erworbenen Schriftstücke schon gegen den 1. August in Händen haben musste; sie wurden also auch vor jenen registrirt, obgleich sie späteren Datums waren

') Dieser bisher kaum genügend beachtete Umstand könnte vielleicht oft zu dem Nachweis führen, wie lange jedesmal ein Geistlicher aus einem ferneren Lande bei der Curie sich aufgehalten hat. Wenn man z. It. vor dem letzten der Briefe, welche ihn selbst oder seine (Immission betreffen und welche er heimgebracht haben muss, mehrere jüngeren Datums findet, so kann man mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass er seine Rückreise nicht vor dem letzten dieser angetreten hat.

Münch*« Aufschlüsse üher das päpstliche Archiv.

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Ich habe es für nöthig gefunden, etwas länger bei diesem Punkte zu verweilen, weil neulich die Behauptung aufgestellt worden ist1), die Register seien bedeutend jünger als die Originalbriefe, ja sogar nach der Zeit des Papstes, dessen Briefe sie enthalten, g<?- schrieben, obsthon freilicli die Absurdität einer solchen Annahme jedem einleuchten muss, der die Dinge genau kennt und die Ver- haltnisse sorgfältig erwägt *).

Ich komme liier auf den Umstand zurück, dass nicht alle päpstlichen Briefe registrirt wurden. Der beste Beweis dafür ist, dass noch jetzt viele Originalst ücke vorhanden sind, die sich nicht in den Regesienbänden des betreffenden Jahres vorfinden, obwohl wir diese noch ebenso vollständig besitzen, wie zu der Zeit, da sie vollgeschrieben und abgeschlossen wurden. Zum Theil spricht auch die oben erwähnte Angabe »Registetur« oder »Registrat um« dafür. Man hielt vermutlich eine Registrirung besonders in früheren Zeiten nur bei den Briefen für nöthig, bei welchen ihrer Wich- tigkeit wegen, in Fällen einer Veruntreuung oder Abhandenkommens der Originale eine Nachfrage nach beglaubigten Abschriften ent- stehen konnte, oder wo das Interesse der Curie eine zuverlässige Copie des abgeschickten Schreibens erforderte. Man trug wohl vor Allem Briefe der letzteren Art ein ; die andern dagegen , welche Rechte oder Vortheile für den Empfanger begründeten, scheinen wenigstens eine Zeit lang nur nuf deren besonderes Verlangen registrirt worden zu sein. So führt Dclisle eine Stelle aus Girald de Barri an, welche beweist, dass derselbe während seines Auf- enthalts in Rom (1203) die zu Gunsten seiner Kirche empfangenen Privilegien in das Register eintragen Hess3). Ferner findet sich im Register für das 9. Jahr Gregors IX. eine vom 26. Juni 123f> datirte Bestätigung einer vom Herzog Wladislaw von Polen unterm 22. September 1234 ausgestellten Urkunde, die in extenso aufgenom- men ist und unmittelbar vor der Datirung so schliesst: et ad majus

') D u d i k, Her Romanum.

*) l Vgl. Zeitschr. f. Kirchengesch. III. 142. J L

J) DVlisle 1. c. p. 11. Die Stelle lautet so: Ex contingentihus nihil omittens, seil inter casus adversos ecclesiae suae commodis tarn futuris temj>oritnis quam praesentihus vigiliter intendens, literas commissionis super causa stalus .... in registro domini papae, quatenus ihi perpetuo reperiri possunt, ascrihi fecit. Gir. Catnbr. de jure et statu Menevensis eccl. diss. V hei Wharton. Anglia sacra II, 59:V

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LS> wen fehl :

facti robur et cvidentiam haec omnia in registris domini papae, dominis episcopis procnrantibus, redigantur l). »

In wie weit diese nachgesuchten Eintragungen gratis oder gegen bestimmte Gebühren geschahen, ist für die älteren Zeiten bis zu Johann XXII. ungewiss, obschon es freilich höchst wahrscheinlich ist, dass etwas dafür erlegt wurde. Ein Brief dieses Papstes vom Jahre 1316 zeigt, dass er eine bestimmte Taxe festsetzte, aber daraus folgt noch nicht, dass die früheren Briefe gratis registrirt wurden. Ausserdem liegt die Vermuthung nahe, dass diese letztere Taxe sämmtliche Gebühren enthielt, die man für Expedition und Registration zusammen erlegte, da ich weiter unten beweisen werde, dass man von der Zeit des genannten Papstes ab darauf Gewicht legte, alle Briefe eintragen zu lassen, also das Hecht hierzu vielleicht schon durch die Expeditionsgebühren erworben wurde. In mehreren Registerreihen nach dieser Zeit, besonders von der Mitte des XIV. Jahrhunderts ab, und in den papiernen findet sich oben über jedem Brief in der Regel eine Zahl, welche offenbar die Taxe an- giebt, da auf den wenigen Briefen, wo diese Zahl fehJt, an ihrer Stelle »gratis« oder verkürzt g" steht, zuweilen mit dem Zusatz »pro deo« oder »de mandato«, einmal sogar wo der Brief die Ucbertra- gung eines Benefiziums auf einen päpstlichen Schreiber enthält, »gratis pro scriptore«, manchmal auch »sine taxa« an Stelle von »gratis«. Die Zahlen sind hier immer auf eine ganz eigene Weise

geschrieben, so z. B. die Zahl .xij. (zwölf) .x., c (hundert)

(2 Mal [5.10D, 54 nicht liv oder liiij, sondern V v 7 (3 Mal [10-f 5-f 3])

u. s. w. *). Diese Schreibweise wurde bei solchen Gelegenheiten bis in's 15. Jahrhundert hinein befolgt. Welche Summen mit diesen Zahlen gemeint sind, ist in den Registern nicht angegeben, aber da man weiss, dass die im Mittelalter bei der Curie gebräuchliche Münzsorte der Gulden oder Florain war, die oben mitgetheilte

') Regest. Grog. IX. Tom V f. 45 (an. 9, ep. 134). Der Brief ist jetzt gedruckt; Th einer Mon. hist. Pol. I, 28, 29.

■j Dass diese Zeichen wirklich Zahlen bedeuten, ersieht man aii9 Tom. VI, Reg. C.hartai'ea Innoc. VI.; neben den Rrieftiteln in dem vorangeschickten, von einem Hegistrator selbst ausgearbeiteten Index finden sich die gewöhnlichen Nummern, deren Formen genau jenen Zeichen entsprechen und so den Schlüssel zu ihrer Erklärung abgehen.

Mimch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv.

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Gehaltsliste zeigt gerade bei Gagen oder Sportcln die Rechnung nach Gulden, so kann man nicht zweifeln, dass er auch hier gemeint sei. Aber dann rauss auch der Betrag sicher für die ganze Expedition gelten, denn für das Registriren allein würde er zu hoch sein. Man erfahrt hier, dass ein Gonfessionale d. h. die Erlaubniss einen Gonfessor zu wählen, der in articulo mortis volle Absolution ertheilen konnte, für einen einzelnen Mann 1^ für Mann und Frau zusammen Gulden kostete; der Provisionsbrief für den Bischof Nicolaus zu Skara (1356) kostete 88, für Turgillus (Thorkell) zu Strengnäs ebensoviel, aber für Bischof Nicolaus von Schleswig (1354) 132; die Gründung der Universität Upsala (1477) kostete 100, der von Glasgow (1450) 80, der von S. Andrews (1411) üQ Gulden. Dieses Variiren nach der Wichtigkeit der Sache und dem Ertrage des Benefiziums bestärkt die hier aufgestellte Ansicht, dass die an- geführten Summen für die ganze Expedition gelten, denn dem Registrator machte es doch keine grössere Mühe, das eine Dokument abzuschreiben als das andere '). Aber wenn die Expeditionsgebühr unter allen Umständen erlegt werden sollte, so musstc für jeden Empfanger das Recht entstehen, seinen Brief copiren zu lassen, und da man wohl voraussetzte, dass er die Erfüllung des Rechts forderte, selbst wenn er es nicht ausdrücklich that, so musste es Regel werden, wenigstens die Briefe, welche für den Empfänger einen Vortheil begründeten, auch ohne besondere Requisition von seiner Seite zu registriren. Es ist übrigens ungewiss, ob von diesen Ge- bühren etwas für den Registrator abging. Er wurde nach der Anzahl der Linien bezahlt Im Register für das & Jahr Innocenz' IV. steht auf

') Ich führe femer hier an , dass in dem in der vorigen Note genannten Index hei einer Bischofsprovision, welche gratis ausgestellt wurde, »sine taxa« steht. Im Texte finden sich an der entsprechenden Stelle die Worte: »sunt pro ista provisione .vij. literae sine taxac. Hierdurch wird angedeutet, was ich weiter unten des Näheren hesprechen werde, dass eine Biscbofsprovision die Ausfertigung von mindestens fünf, oft sogar sechs oder sieben gleichlautenden Schreiben mit sich brachte, von denen doch nur das fOr den betreffenden Can- didaten in extenso registrirt, die übrigen aber mit einem Hinweise auf dieses hinterher nur kurz angedeutet wurden, so dass im Register eigentlich nur ein Schreiben stand. Nun ist aber in der obigen Bemerkung offenbar von allen sieben Briefen die Rede; also nicht auf die Oopien im Register, sondern auf die Originale bezieht sich das »sine taxac; folglich sind die hinzugefügten Tax- summen für die Expedition, nicht für die Registration.

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Löwenfeld s

der Rückseite des Blattes, welches in späterer Zeit mit 112 foliirt wurde, aber eigentlich 106 sein sollte, da vor demselben hier und dort sechs unbeschriebene Blätter sich eingeschoben finden, folgendes: »Folia, cvj. Folium continet .iiij". x (— 90) lineas. Martinus de Stans compleuil librum istum, videlicet residuum quod dimiserat Johannes Lardati, in <|uo residuo sunt .xlij. folia, et continet quodque folium .xc. lineas, et sie ascendit illud residuum, com- putatis .ij. grossis pro centum lineis, ad summam .lxxv. grossorum cum dimidio. Nota de rubricis quas fecit in scriptum Johannis Lardati c »).

Für die Päpste von Innocenz III. bis Clemens V. (inclusive) findet sich, ausgenommen des ersleren Regestrum super negotiis Romani imperii nur eine einzige Reihe von Regesten und in diese sind ohne Unterschied Briefe allerhand Inhalts eingetragen; aber die Briefe ad legendum oder secrelae machen die überwiegende Anzahl aus, vermuthlich weil ein für alle Mal Ordre gegeben war, sie zu registriren, communes dagegen nur in so weit, als es der Empfanger wünschte. Doch schwerlich wird man die Regel finden, nach welcher man die Briefe zum Registriren ausgewählt oder fortgelassen hat, denn manche der eingetragenen Schriflslücke sind von so ge- ringem und temporärem Interesse, dass man nicht begreift, warum sie copirt sind, während dagegen wichtige, die wir noch im Original oder in einer Abschrift besitzen, sich nicht registrirt finden. So z. B. das höchst merkwürdige und wichtige Schreiben Honorius' IV., in welches der Warnungs- und Strafbrief Martins IV. an den norwegi- schen König Krich, anlässlich seiner harten Behandlung der Bischöfe, ganz aufgenommen wurde. Wir kennen es nur aus der in einem nor- wegischen Gesetzbuch enthaltenen Ueberselzung (s. Münch Det norske Folks Hist. IV, 2, S. 46 50). Zu suchen hätten wir es im Register für das erste Jahr Honorius' IV. unter den von seinem Vorgänger (Marlin f 1285) hinterlassenen Briefen, die er besiegeln und fertig- stellen Hess (c. 10. Apr. 1285). Es wäre allerdings möglich, dass dieses Schreiben mit mehreren andern in ein Buch kam, welches jetzt nicht mehr existirt, ähnlich wie man Blätter eines pergamentnen Regestenbandes Benedicts XII. findet mit Briefen, welche in den noch vorhandenen Registern für das betreffende Jahr fehlen, als Schmutzblätter vorn und hinten bei mehreren Jahrgängen des

') IHiemaeh ist Pertz Archiv V. 347, zu verbessern. | L

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Registers seines Nachfolgers, Clemens' VI., benutzt1); ich schliesse daraus, dass man es nicht für Doth wendig hielt, dieses und viel- leicht noch andere Bücher jenes Papstes aufzubewahren. Dasselbe Schicksal kann auch andere und ältere Regestenbande betroffen haben. Aber warum man ihnen eine so geringe Wichtigkeit bei- legte, welcher Regel man gefolgt ist beim Eintragen der Briefe in dieses oder jenes Buch, weshalb man, für den Fall, dass nur ein Buch geführt wurde, so viele wichtige Stücke ausliess, bleibt gleich- wohl ein Räthsel.

Erst das Register Innocenz' IV. giebt uns eine leise Andeutung einer Eintheilung der Briefe nach der Materie, indem am Schlüsse des Jahrgangs für sein zweites Pontifikatsjahr (1245—1246) sieben be- sondere Blätter, das Conzil von Lyon betreffend, sich finden ; ebenso schliessen anni III, IV, IX mit einer eigenen Abtheilung, litterae curiales oder de curia, d. h. Instruktionen für die Gesandten und andere Schreiben mehr diplomatischer Natur, also z. B. alle im Dipl. Norw. I, 30—38 abgedruckten Briefe, welche sich auf die Sendung des Cardinais Wilhelm nach Norwegen und auf die Krönung Königs Häkons beziehen.

Mit Johann XXII. tritt dagegen in Umfang und Einrichtung der Register ein bedeutender Unterschied auf, welcher unzweifelhaft mit der obenerwähnten Einführung eines Taxreglements in nächster Ver- bindung steht. Man findet jetzt nemlich neben den Pergamentbänden noch andere, ganz gleichzeitige (oder richtiger, unbedeutend ältere) auf Papier. Jene bilden ferner zwei getrennte Reihen, deren eine die secretae oder ad legendum, deren andere die communes oder simplices nebst 1. de curia enthält, und endlich sind die Briefe dieser letzteren Reihe nicht planlos durcheinander geworfen, sondern nach ihrem Inhalte in bestimmte Klassen gebracht, so z. B. »De curia et litterae ad legatos; provisiones episcoporum et abbatum, provi- siones ad canonicalus cum praebenda, de benefieiis vacantibus, de benefieiis vacaturis etc., de creandis tabellionibus, de ab- solutione in articulo mortis (confessionalia), de indultis et privilegiis IL s. w. Die einzelnen Abtheilungen sind gleichzeitig an verschie- denen Stellen des Buches entstanden und man findet daher vor

') Eins dieser Blatter, leider defekt, enthält einen Brief, in dem vom Bischof Häkon in Bergen die Bede ist; er im dritten Jahr Benedikts XB. , 1337/1338 ausgestellt, [gedruckt im Dipl. Norw. VII. Nr. 142).

Archlvaimche Zeitschrift. IV. 7

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einer neuen liier und da unbeschriebene Blätter, sobald nernlich die vorangehende Abtheilung nicht so umfangreich war, als man an- fänglich berechnet hatte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass jede Abtheilung ursprünglich auf besondere, nicht mit einander verbun- dene Lagen oder Quaternen geschrieben wurde, welche erst beim Ausgange des Jahres in einen gemeinschaftlichen Codex zusammenge- bunden wurden. Wenigstens war dies bei den Papierregistern ent- schieden der Fall; es stehen hier zwischen den einzelnen Abthei- lungen oft eine Menge unbeschriebener Blätter, jede Lage (gewöhnlich 20 30 Blätter umfassend) ist ausdrücklich bezeichnet als: primus quaternus, secundus quaternus etc., und sehr oft hat der Registrator, welcher die Quaterne schrieb, an deren Ende seinen Namen hinzu- gefügt. Die Papierregister sind bisher ganz unbeachtet geblieben, ja zum Theil sogar unbekannt, wohl zumeist aus dem Grunde, weil man in ihnen nur eine Art Kladde für die Pergamentregister sah und der Annahme zuneigte, dass Alles, was in jenen stehe, besser und vollständiger in diesen enthalten sei. Aus solchen Gründen vermuthlich hat man auf ihre Gonservirung so wenig Sorgfalt ver- wendet, dass ein grosser Theil verloren oder vermodert ist; und dazu mussten noch gerade diese Bücher unter den Sachen sich be- finden, welche am längsten in Avignon liegen blieben, lange nachdem das Archiv und der päpstliche Stuhl wieder nach Rom übergesiedelt waren. Aber eine genauere Untersuchung und zumal eine Vergleichung der Jahrgänge, die sowohl in Papier- wie Perga- ment-Exemplaren noch vorhanden sind, zeigt, dass jene Anschauung und die daraus resultirendc Geringschätzung eine höchst verkehrte ist. Die Papierregistcr sind in jeder Hinsicht ebenso authentisch und zu- verlässig als die pergamentnen , ja in um so höherem Grade als man erkennt, dass die letzleren nur nach jenen geschrieben wurden, die Papierregister dagegen nach den Originalen selbst l); schon die

') Dass tlio Papierabsehriften nach den Originalen selbst und nicht nach den corrigirlfii Minuten (Conccpten) gefertigt seien, ersieht man zur Genüge daraus, dass die eigentlichen Privilegien das Bad und die Unterschritten zeigen und dass es vorzugsweise die Papierhücher sind, in welchen die Taxgebühren auf die oben angegebene Weise hinzugefügt wurden. Dass die pergamentnen nur nach diesen geschrieben wurden, ergeben ganz klar die Bemerkungen auf der letzten Seite mehrerer Papierquaternen, wie: »Scriptum in pergameno per N. N.« Es findet sich z, B. im 12. Band des Papierregisters lunocenz' VI. (für sein 4. Jahr, 135tiJ fol Ho' vo. unten: »Seriptum in pergameno per Danid«.

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Wahrscheinlichkeit spricht also dafür, dass jene mehr Fehler ent- halten als diese. Sie umfassen meistens eine viel grössere Anzahl von Briefen als die Pergamentbücher, weil, wie es scheint, zu einer vollständigen Uebertragung die Zeit nicht gereicht hat; überhaupt tragen diese späteren Pergamentregister an vielen Stellen das Ge- präge einer mehr fabrikmässigen Entstehung und der damit verbun- denen Ungenauigkeit und Flüchtigkeit. Eine Vergleichung lehrt, dass die Papierregister Briefe aller Art enthalten, sowohl communes oder simplices, wie secretae; die letzteren kommen hier hauptsächlich in der Abtheilung der »litterae diversarum formarum«, zum Theil aber auch in »litterae de curia« vor.

Soll vielleicht gerade die Kunde, dass die Pergament- nach den Papierregistern gearbeitet seien, dazu verleitet haben, die letzteren als blosse Concepte oder Kladden zu betrachten? Nichts kann je- doch ungereimter sein als eine solche Annahme, da sie ja, wie gesagt, unmittelbar nach den ingrossirten Originaldokumenten geschrieben sind und nur nach ihnen geschrieben sein können, und da sie auch keine anderen Spuren von Correkturen tragen, als die, welche man hin und wieder in jeder Abschrift finden kann; man sieht im Gegen- theil ganz deutlich, dass die Papierregister von jetzt ab die Haupt- register waren, in welche man, so weit es ging, alle expedirten Briefe eintrug, in die Pergamentbücher dagegen nur die wichtigsten und so viel man bewältigen konnte; überhaupt setzte man, wenn Zeit und Gelegenheit es erlaubte, die letzteren nur noch aus Anhänglich- keit an den alten Brauch fort, bis endlich gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts oder mit dem Beginn des Schismas die Pergament- bücher gänzlich verschwinden und in Zukunft nur Papierregister mit fast gleicher Einrichtung wie die älteren entstehen. Das ist das richtige Verhältniss zwischen Papier- und Pergamentregistern,

fol. 371 vo. unlen: »Scriptum in pergameno per Dauid de Dacia« (dieser David war also ein Dane). fol. 417 verso: Scriptum in pergameno per G. de Papia«; ebenso 438 verso, 407 verso. Ich bemerke noch, dass, während die Papier- register selten irgend einen gemeinschaftlichen Titel für jedweden Jahrgang, sondern gewöhnlich nur jede Quaterne für sich die Uebersehrift hat: »primns, secundus, tertius etc. quaternus primi (oder secundi, terlii) anni N. N. papaec, die Jahrgänge der Pergamentregister den Haupttitel führen: Regestrum primi (oder seenndi, terlii u. s. w.) libri oder anni (jedem Jahr sollte nemlich ein Buch entsprechen) N. N. papae; man hat also hier gleich von vornherein Gewicht darauf gelegt, einen ganzen Jahrgang zu Stande zu bringen.

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welches bei der über sie herrschenden Unkennlniss schwer genug herauszufinden war '). Eine Vergleichung beider an den Stellen, wo sie für dieselbe Zeit unversehrt erhalten sind, beweist, dass es haupt- sächlich die Rücksicht auf die Zeit gewesen sein muss, welche die Unvollständigkeit der pergamentnen verschuldet hat. Man findet mitunter hier und da einzelne Briefe ausgelassen, ohne dass man einen andern Grund dafür als Zeitmangel entdecken könnte; der Registralor übersprang in solchen Fällen die unwichtigen. Zuweilen sind ganze Reihen ohne jede Auslassung abgeschrieben, aber dann ist mit einem Male abgebrochen; auch hier hat offenbar die Zeit nicht gereicht, während man von Anfang an gehofft hatte, Alles bewältigen zu können; mitunter fehlen jedoch ganze Reihen oder Jahrgänge. Diese Umstände beweisen eben, wie gesagt, dass die Zeit einen sehr wesentlichen Faktor hierbei bildete; die Vermuthung liegt nahe, dass man hinfort, unbekümmert um Vollständigkeil, jeden Band beim Ausgange des betreffenden Jahres abgeschlossen haben wollte; war die Masse allzu gross, so Hess man selbst einen oder den andern Jahrgang ganz bei Seite.

Die Handschrift in den Pergamentbüchern erweist sich als voll- kommen gleichzeitig mit der in den Papierbüehern, und die Behaup- tung, dass sie in einer späteren Zeit geschrieben seien, ist grund- falsch. In jene scheint man vorzugsweise die secretae übertragen zu haben, deren Sammlungen dem Anscheine nach ziemlich voll- ständig und deren Abschriften mit grosser Sorgfalt gefertigt sind; Ihm den communcs dagegen, in den Provisions- und Dispensations- Ahtheilungen hat man es sehr daran fehlen lassen. Doch wurde der Unterschied zwischen secretae und communes nicht immer genau l>oachlet, denn es giebt Briefe, welche unter beiden sich abschriftlich finden 8).

Die Papiorbücher stehen also keineswegs hinter den gleichzeitigen pergamentnen an filaub Würdigkeit und Interesse zurück; im Gogon- theil, sie stehen, besonders was Vollständigkeit betrifft, hoch über ihnen, und wo man jene besitzt, kann man diese sehr gut entbehren; die Papiorbücher waren, wie gesagt, dazu bestimmt, alle, oder doch die meisten der expedirten Sachen aufzunehmen, während die por-

') [Vgl Zeitschr. für Kirchongcsch. III, 143 ] L.

2) So z. B. ein Brief Johanns XXII. an Bischof Halhvanl von Hamar (iiher %nnl Haflhorssnn) vom 25. Juni 1331 [jetzl gedruckt in In'pl. Norv. VI, \r. 145]

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gamentnen nur eine Auswahl oder einen Theil enthalten. Wes- halb man nun gerade seit der Zeit des Papstes Johann Gewicht darauf legte, alle Briefe wenigstens auf Papier copiren zu lassen, ist leicht einzusehen; allmählich brach sich, wie verschiedene Umstände erkennen lassen, die Anschauung Bahn, dass zu einer ordentlichen Geschäftsführung, also auch in der Registratur, eine grösstmögliche Vollständigkeit erforderlich sei; ferner gaben, wie oben angedeutet, die neuen Taxbestimmungen jedem Empfänger das Recht, seinen Brief registriren zu lassen, ein Recht, das er selbstverständlich auch geltend machte. Leicht begreiflich ist ferner, wodurch seit der Zeit Johanns XXII. die Masse der päpstlichen Briefe eine solche Höhe erreicht, dass es schon schwer war, sie in die Papierbücher ein- zutragen, geschweige von diesen wieder in die pergamentnen. Die Päpste, voll Eifersucht auf die Gewalt der Metropolitane, hatten längere Zeit hindurch einen versteckten Krieg gegen sie geführt und allmählich mehr und mehr in deren Wirksamkeit eingegriffen, bis man in den Zeiten Johanns XXII. diese Eingriffe fast zu einem förmlichen System umgestaltete. Während früher der Erz- bischof ungehindert, wenigstens von Seiten der Curie, sein Recht ausübte, die vom Cathedralcapitel vollzogenen Bischofswahlen zu bestätigen, und der Papst nur im Falle von Unregelmässigkeiten oder Fehlern bei der Wahl zu seinem Cassations- und Provisions- recht griff1), wurde es jetzt bei ihm Regel (oder richtiger eine zeit- weilige Ausnahme, welche jedoch bestehen blieb), selbst die Erz- bisehöfe und Bischöfe zu ernennen, indem er bei jeder derartigen Besetzung der geistlichen Stühle dasselbe Recht für die nächste Vacanz zumeist ausdrücklich sich vorbehielt und jede andere Dis- position, also auch eine regelrechte Wahl der Capitel und die erz- bischöfliche Confirmation für ungültig erklärte -). Auf gleiche Weise

') S. Münch, D. N. F. H. IV, 1 S. 139, 469.

2) Es heisst nemlich, als stehende Formel in derartigen Provisionen ent- weder: Sane (dudum) N. N.'1 ecclesia per ohitum honae memoriae N. N.. episoopi farchiepiscopi) N. N.,u, qui apud sedem apostolicam (oder extra sedem apostolicam oder in illis partibus) diem clausit extremum, pastoris solatio destituta, nos ad ipsius ecclesiae slatnm tranquillum et prosperum patemis studiis intendentes, et cupientes propterea virum idoneum (oder ein anderes Epitheton) eidem prae- ficere in pastorem, volentes quoque obviare dispendiis, quae solent ecclesiis ex diutiua vacatione imminere, provisionem ejusdem ecclesiae dispositioni et ordi- nationi apostolicae sedis hac vice auetoritate apo««tolica duximus reservandum,

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reservirte sich der Papst auch die Besetzung aller geringeren geist- lichen Aemter, von Prälaturen und Canon ikaten an bis zu den kleinsten Pfarren, Capellanstellen und Vicariaten, deren Besetzung dem Bischof zustand oder durch Wahl geschehen sollte. Aber nicht damit zufrieden, dass er durch einen Machtspruch jeden vacanten Posten mit seinen Creaturen ausfüllen konnte, oft. schickte er einem Bischof, einem Capitel oder einer Gemeinde wildfremde Aus- länder auf den Hals, welche nicht einmal die Sprache des Landes verstanden, übertrug er noch oft bei Lebzeiten des Inhabers die Nachfolge schon einem andern und vergab häufig eine Anwartschaft nicht auf ein bestimmt genanntes Amt, sondern in einem allge- meinen Ausdrucke auf »das erste vacant werdende Benefiz an einer gewissen Kirche mit so und so grossen Einkünften < ; ebenso ge- stattete er eine Cumulation von Benefizien und das Einziehen der Einkünfte, ohne dass man an Ort und Stelle residirte (jus fruetuum pereipiendorum in absentia) '). Durch alles dieses erreichte man,

decernentes irritum et inane, si secus super hoc scienter vel ignoranter a quo- quam (oder per quoscunque) quavis auctorilate contingeret attenlari; oder: Olim (od. dudum) siquidem bone memorie N. N. episcopo (archiepiscopo) regimini N. N.,u ecclesiae praesidente, nos cupientes eidem ecclesiae, cum eam (quovis modo) vacare contingeret, (per aposlolicue sedis providentiain) idoneam prae» sidere personam, provisionem ipsius ecclesiae ea vice dispositioui nostrae duxi- mus specialiter reservandam, decernentes exlunc irritum et inane u. s. w. Die erste Fonn deutet, wie man sieht, nur eine eigenmächtige Ausübung des Provisionsrechtes bei einer Vacanz an, und weiter scheint Johann XXII. nicht gegangen zu sein; die zweite hingegen wahrt sich jenes Recht schon bei Leb- zeiten des Vorgängers und wir finden sie häutiger nach der Zeit Johanns, so bei der Erhebung Olafs zum Erzbischof v. Nidaros im Jahre 1350. (S. K«'.vsers N. Kirkehist. II, 1342, 343.) Weiter ging dann Benedikt XII.; er reservirte sich kurz nach seiner Thronbesteigung alle vacanten oder vacant werdenden Bischofs- stühle, was mit Rücksicht auf die unter ihm ledig gewordenen, aber noch nicht besetzten von seinem Nachfolger Clemens VI. bestätigt wurde. (Regest. Ann. I Mb. VI, fol. 153. ep. 57, Theiner Mon. hist. Pol. I, 454); später Hess er für sich selbst eine gleiche Generalreservation ergeben, s. Keysers Kirkehist. I. c p. 350.

') Schon in den Provisionsbriefen Johanns XXII. hiess ea in Betreff eines bestimmten, erledigten Beneflciums: de quo (quibus) nullus praeter nos disponere polest, pro eo quod nos dudum ante vacationem hujusmodi omnes canonicatus et praebendas ac dignitales, personatus et officia ceteraque beneficia ecclesiastica cum cura vel sine cura tunc apud sedem apostolicam vacantia et in antea vacatura collationi et dispositioni nostrae specialiter reservantes, decrevimus ex- lunc irritum et inane, si secus etc. In den Anwartschaftsbriefen auf noch nicht vacante Benefizien wurde betreffs der Reservation die gleiche Formel etwas früher

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wenigstens für kurze Zeit, dass die Erzbischöfe und Bischöfe sich abhängiger von der Curie fühlten als bisher und deren Einwirkung

eingeschoben und das Uebrige nach der Beschaffenheit der Sache ein wenig verändert; in dem Provisionsbrief wurde ferner bald nach der Collations- oder Keservationstirade die sog. Inhibitio angebracht, d. h. das Verbot, dass weder Bischof noch Capitel noch sonst eine Autorität, welchen die Besetzung eines Amtes eigentlich zusteht, sich damit befasse: districtius inhibentes venerabili fratri nostro N. N. episcopo et dilectis filiis capitulo N. N., ac illi vel illis, ad quem vel quos in dicta ecclesia praebendarum collalio provisio seu praesentatio vel quaevis alia dispositio pertinet communiter vel divisim, ne de hujusmodi praebenda Interim, etiam ante acceptationem hujusmodi, nisi postquam eis con- stiterit. quod tu vel procurator tuus (praedictus) illam nolueritis acceplare, dis- ponere quoquomodo praesumant, ac decernentes extunc irritum et inane si secus etc. Unmittelbar danach folgen die sogenannten Xon obstantia, d. h. eine Auf- zählung aller sonst geltenden Begeln oder Bestimmungen, welche eigentlich die Verfügung unmöglich machten, aber jetzt kein Hinderniss bieten sollen, zumeist SO lautend: Non obstantibus de certo canonicorum numero et quibuslibet aliis ejusdem ecclesiae stalutis et consuetudinibus conlrariis, juramento, confir- matione a(>ostolica vel quacunque firmitate alia roboratis, aut si aliqui aposto- lica vel alia quavis auctoritate in eadem ecclesia in canonicos sint recepti vel ut recipiantur insistant, seu si super provisionibus sibi faciendis de canoni- catibus et praebendis vel aliis beneficiis ecclesiasticis in eadem ecclesia speciales, aut in illis partibus generales dictae sedis vel legatorum ejus literas impetrarint, etiam si per eas ad inhibitionem, reservationem et decretum vel alias quomodolibet sit processum, quibus omnibus praeterqtiam auctoritate nostra in ecclesia ipsa receptis et praebendas exspectantibus in eadem in hujusmodi assecutione prae- bendae te volumus anteferri (dies ist die sog. clausula antefcrri), sed nulluni per hoc eis quoad praebendarum et beneficiorum aliorum asseculionem prae- judicium generari , seu si praediclis Episcopo et capitulo vel quibusvis aliis communiter vel divisim ab eadem sede indultum existat, quod ad receptionein vel provisioncm (zuweilen promotionem) alicuius minime teneantur et ad id compelli non possint, quodque de canonicatibus et praebendis ejusdem ecclesiae vel aliis beneficiis ecclesiasticis ad eorum collationem, provisionem seu praesen- tationem vel quamvis aliam dispositionem conjunctim vel separatim spectantibus nulli valeat provideri per literas apostolicas non facientes plenam et expressam ac de verbo ad verbum de indulto hujusmodi mentionem , et qualibet alia dictae sedis indulgentia generali vel speciali, cujuscunque tenoris existat, per quam praesentibus non expressam vel totaliter non insertam effectus hujusmodi gratiae impediri valeat quomodolihet vel differi, et de qua cujusque toto tenore habenda sit in nostris literis mentio specialis; aut si praesens non fueris ad praestandum de observandis statutis et consuetudinibus ejusdem ecclesiae solitum juramentum, dummodo in absentia tua per procuratorem idoneum , et cum ad ecclesiam ipsam accesseris, corporaliter illud praestes; seu quod in ecclesia N. N beneficium (oder in N. N. dioecesi curatam ecclesiam de N. N. oder

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nniniltelbaror als sonst verspürten, aber für die Dauer stiftete ein solcher Zustand mehr Schaden als Nutzen, da die Slellenjägerei und die Intrigue, zu welchen das neue System nothwendig führen musste, das Ansehen der Geistlichkeit und der Curie untergrub, während zu gleicher Zeit das häufige Eindringen von Ausländern in hohe geistliche Aemter böses Blut machte und die Opposition bei den Landeskindern weckte; das Miss vergnügen, welches so entstand, trug seinerseits dazu bei, das Schisma zu vergrössern, indem diejenigen, welche sich durch den einen der beiden Päpste beeinträchtigt glaubten, zu dem andern übergingen; und umgekehrt steigerte das Schisma noch die entstandene Verwirrung, da beide Gegner mit einander wetteiferten , durch die rücksichtsloseste Verschleuderung der Benefizien Anhänger zu gewinnen. Leider wurde man auch nach dem Schisma noch nicht klug durch den Schaden, sondern behielt trotz alledem das System bei und rief, besonders in ferneren Ländern, die heilloseste Confusion dadurch hervor, (z. B. in Norwegen nach dem Tode des Erzbischofs Aslak); es giebt vielleicht wenig Umstände, welche im Beginne der Reformation die Gemüther zum Abfall vom Papstthum so vorbereitet hatten, wie gerade die hier geschilderte Unsitte. Aber für die Geschichtsforscher hat das System, so bedenklich es an und für sich sein mochte, den Vortheil mit- geführt, dass eine Menge nicht unwichtiger Dokumente, welche sonst nicht entstanden sein würden, durch dasselbe hervorgebracht und bewahrt worden sind. Denn um wenigstens einigermassen Ord- nung zu halten in diesen oft höchst verwickelten Angelegenheiten und zur möglichsten Vermeidung von lrrthümern, Collisioncn und Widersprüchen musste es für die Curie zur Nothwendigkeit werden, alle ihre Verfügungen protokolliren zu lassen. Aber auch die Em-

vicariam u. s. w.) nosceris obtiuere (oder auch mit andern Veränderungen in diesem Punkte nach Massgabe des oder der geistlichen Aemter, welche er früher besass; sehr häufig folgt jedoch hiernach die Verpflichtung, auf eins oder mehrere zu verzichten, sobald er in den Besitz des im Briefe genannten gekom- men sei). Bei höheren Prälaturcn, wie Dekanaten u. s. w. wurde gewöhnlich noch bemerkt, dass man sonst nur durch Wahl oder Option zu einer solchen Wörde aufzusteigen pflegte. Diese grosse Menge der Non obstantia beweist am besten, wie unangenehm derartige Provisionen für Bischof und Capitel sein mussten und wir erstaunen im höchsten (Irade, dass die angefahrte Aufzählung eine der am häufigsten angewandten Formeln bleiben konnte, während sie doch eigentlich nur in dem einen oder andern Ausnahmefalle hätte in Anwendung gebracht werden dürfen.

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pfänger konnten sich nur auf diese Weise gegen etwaige Wider- wärtigkeiten schützen; in den meisten Fällen konnten sie bestimmt darauf rechnen, bei den regulären Lokalautoritäten, denen eine solche Einmischung unerträglich sein musstc, einer feindseligen Haltung zu begegnen ; um die Gültigkeit der päpstlichen Verfügung abzuschwächen, wandten die lokalen Gewalten gern alle Rechtsmittel an, und das Erste, wozu man griff, war ein Einspruch gegen die Echtheit des Dispositions- briefs. Es lag daher sowohl im Interesse der Curie wie der Empfanger, von sämmtlichen Schriftslücken beglaubigte Abschriften zu besitzen. So entstanden nun ganze Klassen von Briefen, die jetzt in die Register aufgenommen werden mussten, während früher die Curie sie nicht einmal auszufertigen pflegte, da die Angelegenheiten, welche sie be- trafen, eigentlich zu Hause in den betreffenden Ländern abgethan werden sollten und auch wirklich sonst abgethan wurden, z. B. die Besetzung der Bischofsstüble und geistlichen Aemter. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, dass die Masse der Sachen, welche seit der Zeit Johanns XXII. sich regisfrirt linden, plötzlich so an- schwoll, dass, während früher die Regesten für jedes Jahr nicht mehr als einen massigen Folioband füllten, ja zuweilen mehrere Jahrgänge in einen zusammengebunden sind, hinfort jedes Jahr bis gegen Ausgang des Jahrhunderts zwei, sogar drei und vier Theile umfasst; und trotzdem war mancher so schwer, dass man ihn später der Bequemlichkeit halber in zwei Theile binden musste. Unter solchen Umständen konnte man es unmöglich bewältigen, in die Pergament- register alle die Briefe einzutragen, die sich in den papiernen fanden.

Es ist im Vorhergehenden angedeutet, dass, jemehr wir uns dem Schlüsse des 14. Jahrhunderts nähern, die Pergamentregister immer seltener und dürftiger werden. Schon für Gregor XI. (1370 bis 1378) giebt es wenig auf Pergament und es ist ein Glück, dass für ihn sowohl wie seine beiden nächsten Vorgänger mehrere Papierbände vorhanden sind; vom Gegenpapst Clemens VII. ein Pergamentband, dann hören diese gänzlich auf, mit Ausnahme einer Prachtsamm- lung von einzelnen Bullen aus der Zeit Sixtus' IV. und einiger In- dices. Aber für die Zeit nach Gregor XI. und weit ins 15. Jahr- hunderl hinein sind auch die Papierregistcr höchst mangelhaft. Es fehlen nicht allein mehrere Jahrgänge, sondern die vorhandenen tragen sämmtlich das Gepräge einer so nachlässigen Arbeit, dass man hier den anschaulichsten Beweis für die Verwirrung hat, welche während des Schismas an beiden päpstlichen Höfen ge-

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herrscht haben muss. Von Clemens VII. giebt es noch ein ganz Theil Bücher auf Papier, was vermuthen lässt, dass die Geschäfts- führung in Avignon doch noch einigcrmassen ihren ordentlichen Gang genommen hat; dasselbe lässt sich von seinem Nachfolger Benedikt XIII. sagen; aber Bonifaz IX., Innocenz VII. , Gregor XII. und Alexander V. sind ausserordentlich schwach vertreten, ein grosser Theil ihrer Register enthält nur Cameralsachen, die eingetra- genen Stücke sind also vom Camerarius ausgestellt. Diese Mängel lassen sich doch nicht so ohne Weiteres damit erklären, dass viele von den Büchern später verloren gegangen seien; es muss vielmehr in der Art und Weise, wie sie geführt wurden, eine ge- wisse Nachlässigkeit geherrscht haben. Denn bei der Annahme, dass die Register ordentlich geführt und die meisten Bände später fortgekommen seien, ist es schwer zu verstehen, weshalb gerade diese verloren gingen, während sowohl ältere wie jüngere, welche mit Sorgfalt und Umsicht angelegt sind, sich erhalten haben. Von Johann XXIII. finden sich schon mehr Bände, aber allesammt schlecht und undeutlich geschrieben. Man sollte erwarten, dass mit Martin V. alles wieder seinen ordentlichen Gang beginne, aber weder für ihn, noch für seinen Nachfolger Eugen IV. ist die Sammlung complct. Erst mit Nicolaus V. (1447) tritt Ordnung und annähernde Vollständigkeit ein; aber die Eleganz, welche die früheren Register ausgezeichnet hatte, kehrte nach dem Schisma nie wieder zurück. Von da ab begegnen uns stets nur schlechte, nachlässige und un- deutliche Cursivhände auf einfachem Papier von kleinem Format. Und so bleibt es bis zur Reformationszeit, wo wiederum ein neues System eintritt; jetzt wurden, wie es scheint, die Copien nicht mehr nach den Originalen angefertigt, dagegen bewahrte man die Minuten (Coneepte), nach welchen später ich vermuthe, erst gegen das 17. Jahrhundert die Register geschrieben wurden. Die Ursache der Veränderung liegt wohl in den Wirkungen, welche die Vervoll- kommnung der Post, die Erfindung der Buchdruckerkunst und andere Entdeckungen der neueren Zeit auch auf das Comptorwesen im All- gemeinen ausgeübt haben.

Um beim Abschreiben von Papstbriefen die Register richtig zu benutzen, muss man genau die Regeln kennen, welchen die Registra- toren beim Copiren gefolgt sind. Es kam nemlich darauf an, Zeit, Raum und Mühe zu sparen, und deshalb wurde nicht mehr ein-

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getragen, als was unbedingt nothwendig war. Man Hess alles aus, was spätere, mit dem Curialstil vertraute Abschreiber selbst ergänzen konnten, also nicht allein Titulaturen, sondern auch das ganze geläufige Formular, oder man schrieb es allenfalls ein oder zwei Mal beim Beginne des Jahrganges ganz ab und bezeich- nete es später nur mit den ersten paar Worten und et cetera. Aber in manchen, besonders den ältesten Jahrgängen, findet man keine einzige Formel ganz ausgeschrieben. Waren zu gleicher Zeit Briefe über ein und dieselbe Angelegenheit und im Wesentlichen von gleichem Inhalte an verschiedene Personen ausgestellt, so schrieb man nur einen den ersten vollständig ab; von den Uebri- gen wurde Alles ausgelassen, was mit diesem gleichlautete und an Stelle des Fehlenden nur ein Hinweis gesetzt. Ueber alle der- artigen Regeln und nur die wichtigeren Formeln hier einen er- schöpfenden Bericht zu geben, würde mich viel zu weit führen. Ich beschränke mich auf Folgendes:

1) Name und Titel des Papstes, welche jeden Brief einleiteten, nemlich N. N. episcopus, servus servorum dei, wurde ausser im Anfange eines jeden Jahrganges nie geschrieben. Die ersten Worte, mit welchen jeder Brief in den Registern anfangt, sind also die im Originalbrief unmittelbar hinter servorum dei folgenden, d. h. Name und Titel des Adressaten: diese wurden in den Pergamentregistern gewöhnlich mit rother Tinte geschrieben und sollten zugleich als Ueberschrift dienen, um bei späterem Suchen das Auge zu leiten. Aber selbst bei der Bezeichnung des Adressaten wurde alles aus- gelassen, was zur stehenden Titulatur gerechnet und von späteren Abschreibern selbst ergänzt werden konnte. Es war am päpstlichen Hofe feste Regel, jedem Katholiken in Rede oder Schrift einen seinem Range entsprechenden Titel oder Charakter zu verleihen. So hiess:

Jeder, der nicht Bischof, König oder Kaiser war, dilectus filius; ein Adliger, beziehungsweise ein ihm Gleichgestellter, oder ein Fürst, dessen Rang unter dem königlichen stand, dilectus filius nobilis vir; ebenso jede Frau dilecta (in Christo) filia, und in den bezeichneten Fällen mit dem Zusätze nobilis mulier;

Jeder König oder Kaiser carissimus in Christo filius, Königin oder Kaiserin carissima in Christo filia »);

') In früheren Zeiten, vor Innocenz III., schrieb man auch an Könige und Kaiser nur dilectus filius. Delisle (I. c. S. <J8 70) theilt eine alte Notiz »de

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Jeder Bischof venerabilis fiater noster

Wer also Briefe den Registern entnimmt, darf nicht vergessen, jene Intimation und das passende Cliarakteristicum hinzuzufügen. Etwas anderes dagegen ist es, dass oft der Name der betreffenden Person fehlt, was fast immer bei Geistliehen der Fall ist; diese Auslassung geschah schon im Original, weil es Princip gewesen zu sein scheint, nicht den Namen anzuführen, wo weniger die Persön- lichkeit als die Amtsgewalt in Frage kam, etwa wie man jetzt schreibt »das Amte, »das Zollinspektorat« u. s. w. an Stelle von »Amimann N. N.«, »Zollinspektor N. N.« u. s. w.

2) Nach dem Namen oder der Bezeichnung des Adressaten folgt, wenn derselbe nicht exeommunicirt war, »Salutem et apostolicam benedictionem«. Auch dieses wurde nur beim Beginne des Jahr- ganges ganz ausgeschrieben, sonst schrieb man »S. etc.« oder »etc.« oder auch gar nichts. Aber bei Abschriften muss es jedesmal hin- zugefügt werden.

3) Kamen Namen von Personen im Texte vor, so fügte man ebenfalls die Epitheta »dilectus filius« etc. nach den angegebenen Hegeln hinzu; aber sie wurden in den Registern entweder aus- gelassen oder höchstens durch ein paar Buchstaben angedeutet. Natürlich müssen sie bei Abschriften ergänzt werden. Hierbei ist jedoch zu merken, dass, wenn zwei oder mehrere Personen, welchen derselbe Titel zukommt, hinter einander genannt werden, dieser nur einmal vor die erste Person im Plural gesetzt wird, z. B. Vencra- bilibus fratribus nostris Elavo Nidrosiensi archiepiscopo, Audfinno Bergensi et Laurentio Uolensi Episeopis.

4) Bei der Datirung (s. oben S. 89) wurden in den Registern gewöhnlich die Worte »pontiticatus nostri« vor »anno« ausgelassen, z. B. »Dalum apud Villam novam Avinionensis diocesis, Kai. Ju!„ anno primo«, was bei einer Abschrift so ausgefüllt werden muss: Datum a. Villam novam Av. dioc. Kai. Jul. pontificatus nostri anno primo. Wo die Bezeichnung des Ortes etwas weitläufig war, wie in dem angeführten Beispiele, oder wenn die Briefe vom Quirinal- palastc dalirt waren (in welchem Falle es hiess: Dalum apud Sanc- tam Mariarn Majorem), so pflegte man oft, wenn mehrere an dem-

Salulatione apostolica« aus dem Ende des 12 Jahrhunderts mit, wo dies aus- drücklich hemerkl und mit Heispielen belegt wird.

') Ein Cardinal, der nicht Bischof war, nur dilectus filius.

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selben Orte ausgestellte Briefe hinter einander folgten, zu sehreiben : Datum etc. und darauf den Monatstag. Waren sie auch von dem- selben Tage, so schrieb man »Datum ut supra« oder Datum etc. In den älteren Registern, namentlich Innocenz' III., Hess man mit- unter jede Andeutung einer Datirung fort, ein Umstand, welcher viele zu der unrichtigen Annahme verleitet hat, die Bullen seien in jener Zeit undatirt ausgestellt worden. Allein dem ist nicht so; wir haben noch mehrere Originalbullen, die den undatirlen Ab- schriften im Register entsprechen , aber sämmtlich mit Datum ver- sehen sind. Man Hess hierbei nicht selten die nöthige Genauigkeit ausser Acht und schrieb hinter datirtc Briefe undatirte, welche je- doch nicht immer von demselben oder jüngerem, sondern zuweilen auch von älterem Datum waren. So macht Delisle auf den Brief Nr. 176 aus dem zehnten Jahr Innocenz' III. aufmerksam; er trägt kein Datum, aber folgt unmittelbar hinter zwei Briefen vom 12. und 21. Dezember und steht vor einem vom 24. d. M. Man sollte dar- aus schliessen, dass sein Datum der 21., 22., 23. oder 24. gewesen, allein dem ist nicht so, denn das Original, jetzt in Paris befindlich, ist datirt vom 18. November '). Es ist also unrichtig, wenn einige Forscher jeden in den ältesten Registern vorkommenden, undatirlen Brief ohne Bedenken auf das vorhergenannte Datum bezogen haben, welches man bei einem »Datum ut suprat als weggelassen be- trachtete. Wir müssen leider bekennen, dass wir oft ganz ausser Stande sind, das Datum eines solchen älteren, undatirten Briefes mit Gewissheit anzugeben. Später befleissigte sich die Kanzlei einer grösseren Genauigkeit hierin. Schon von Innocenz IV. ab oder vielleicht noch früher begann man darauf zu achten, niemals eine Andeutung der Datirung fortzulassen und niemals »Datum ut supra« zu schreiben, wo es sich nicht wirklich auf das zuletzt angegebene Datum bezog. Es versteht sich von selbst, dass bei Abschriften aus den Registern die Datirung, soweit sie sich mit Sicherheit bestimmen lässt, nach den aufgestellten Regeln angegeben werden muss.

') Delisle 1. c. p. 18. Er ffihrl hier noch ein anderes Beispiel an, welches Iteweist, dass im Heg. Innocenz' III. nicht einmal »data cademt auf das nächsl vorangehende Datum zu heziehen ist. Der Brief Nr. 84 des 2. Buches ist datirt »Laterani ij Kai. Juniic und Nr. 8o schliesst mit »Data eadem«. Danach könnte man vermuthen, dass auch dieser vom 31. Mai stamme, aher das Original, abgedruckt hei Marlene, Tho«aunis III. 954 ist datirt IV non. Junii (2. Juni).

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5) Dass ein Brief mit dem vorhergehenden vollkommen überein- stimmte, natürlich nur bis auf den Namen und Titel der Person (und vielleicht einzelne Kleinigkeiten), deutete man gewöhnlich da- durch an, dass man unmittelbar hinter den in extenso geschriebenen Brief die Worte setzte: »In eundem modumc, oder »In eodem modoc (beide Formen finden sich ohne Unterschied), gewöhnlich sogar nur »1 e. m. N. N.c bald ohne weiteren Zusatz, bald mit Hinzufügung einzelner Worte, welche in dem (sonst fortgelassenen) Texte etwas abweichend lauteten; zuweilen überliess man diese kleinen Ver- änderungen der eigenen Einsicht der späteren Abschreiber, indem man nur bemerkte I. e. m. N. N. mutatis mutandis. Manch- mal schrieb man nicht In e. m. , sondern die erste Linie ganz aus und dann »etc. ut suprac, zuweilen mit Hinzufügung von Mutatis mutandis, zuweilen abwechselnd mit etc. und ganz ab- geschriebenen Stücken, die einzelne Veränderungen enthielten; es hiess da gewöhnlich »et cet. ut supra usque ... , hier folgt dann das Wort, nach welchem die Veränderung eintritt. Als Bei- spiel führe ich einen Brief Clemens' VI. an König Magnus von Schweden und Norwegen vom 8. August 1351 an [gedruckt im Dipl. Norv. VI Nr. 20(i], der eine Empfehlung für den Nuntius Johann von Guilbert enthält und so beginnt: »Clemens episcopus etc. carrissimo in Christo lilio Magno Regi Sueciae et Norwegiae Illustri Salutem etct. Unmittelbar darauf folgt: In e. m. mutatis mutandis carrissimo in Christo filio Woldemaro regi Dacie Illustri. Dieser Brief soll ganz ebenso lauten wie der vorhergehende, mit Ausnahme der Stellen, wo er, wie es heisst, mulanda ist; beim Durchlesen des ersten Briefes sieht man , dass dies sich nur auf die Worte »regnis el terris tuis« in dem Satze »apostolicac sedis nuntius ad petendum el reeipiendum nomine ecclesiae Bomanae medietatem decimae quinquennalis in regnis et terris tuis impositae« beziehen kann, denn, da Waldemar rex Dacie genannt wird und demzufolge nur ein Reich besitzt, so kann in dem Briefe an ihn nur stehen: »in regno tuo.«

Viele Angelegenheiten waren der Art, dass sie jedesmal mehrere gleichzeitige, in der Hauptsache gleichlautende und nur in einzelnen kleinen Stücken verschiedene Briefe erforderten. Auch liier be- schränkte man sich darauf, den ersten und wichtigsten in extenso zu copiren und die übrigen als Anhang folgen zu lassen, indem man mit In e. m. begann und dann nur die hauptsächlichsten

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Abweichungen anführte. Derartige Angelegenheilen waren vornehm- lich die Besetzungen von geistliehen AenUern durch Provision oder auf sonstige Weise. Wurde die Wahl eines Erzbischofs bestätigt oder wurde er durch Provision ernannt, so fertigte man nach einer stehenden, jedoch auch manche Variationen gestattenden Formel vor Allem an ihn selbst einen Brief aus, in welchem nach einer kurzen Einleitung die Vacanz des Amtes, das Verfahren bei der Wahl oder der Provision u. s. w. und endlich die Ernennung selbst besprochen wurde; darauf folgte gewöhnlich eine Ermahnung (ex- hortatio). Aber ausser diesem Briefe sollte jedes Mal noch ein be- sonderes Begleitschreiben an das Capitel der Kalhedralkirche ge- richtet werden, eins an die Geistlichkeit seiner Residenz und Diözese, eins an das Volk, eins an seine SufTraganc und eins an den König oder Fürsten des Landes, jedes mit verschiedenem Anfange und Schlüsse, aber dem Inhalte nach gleich lautend. War der Gewählte zugleich Lehnsherr, so musste auch an seine Vasallen geschrieben werden, und waren mehrere Fürsten im Lande, so sollte jeder seinen Brief haben; es waren also mindestens fünf, zuweilen noch mehr Schriftstücke noth wendig, und jedes wurde in der That in vollständiger Form ausgefertigt. Aber in das Register wurden die Begleitschreiben nur mit >In e. m.«, den abweichenden Stellen und einem »Dalum ut supra« eingetragen. Eigentlich sollte auch hier »mutatis mutandts« stehen, denn während der Papst in dem ersten Briefe den Neuerwählten, also in der zweiten Person, anredete, wird er in den andern natürlich in der dritten Person erwähnt, ein Umstand, der gerade nicht so geringe Veränderungen mit sich brachte. Bei Besetzung der Bischofsstühle wurde ein gleiches Mittheilungsverfahren beobachtet, nur dass hier an Stelle des Briefes für die Suflragane der für den betreffenden Metropolitan trat l). Will man aus dem oder jenem Grunde nicht den Haupt-

') Ein solcher Confirmations- oder Provisionsbrief beginnt natürlich : N. N. episcopus servus servonim dei dilecto filio N. N. electo oder venerabili fratri N. N. archiepiscopo (episcopo) N. N. Gewöhnlich hatte der Empfänger zu der Zeit, da der Brief ausgestellt wurde, noch nicht die Oousecration empfangen und man kann daher annehmen, dass unter zehn Briefen neun stilisirt sind: dilecto filio N. N. electo etc. Dann folgt die Einleitung; es wäre zu weitläufig, alle Variationen derselben hier anzuführen ; sie spricht von dem Berufe des Papstes für die bestmögliche Besetzung der vacanten Kirche zu sorgen. Darnach geht er zu dem Specielleren über mit den Worten: Dndum siquidem oder Olim supii-

\\2 Löwenfeld :

brief, sondern einen von den begleitenden abschreiben, so muss man dessen Lücken durch die entsprechenden Stellen des ersteren

dem oder Sane N. N. ecclesia per obitum bonae memoriae, oder per trans- lationem etc. N. N. vaeante oder pastoris solalio destituta. Wo eine Wahl statt- fand, kommt ein Bericht über dieselbe, beginnend mit: Dilecti Uli i .... decanns (praepositus) et capituhim ejusdem ecclesiae, vocatis omnibus, qui debuerunt et potuernnt eommode interesse, die ad eligendum praefixa, ut moris est, eonvenientes in unum, et deliberantes etc. ; nun wird erwähnt, dass zwei Cardinäle (welche namhaft gemacht werden) bestellt worden seien, um die Gültigkeit der Wahl zu prüfen ; finden keine Einwendungen dagegen statt, so folgt die Bestätigung (con- hrmatio); wo dies nicht der Fall, da heisst es, dass die Wahl wohl kassirt sei. aber dass der Papst bei seiner Umschau nach einer geeigneten Persönlichkeit, seine Aufinerksnmkeit auf ihn (den Gewählten) gerichtet und mit Zustimmung der Gardinale ernannt habe, (in te literarum scientia praeditum. vitae ac morum honeslate decorum, in spiritualibus providum et in temporalibus circumspectum, aliisque virtutum meritis, prout fide dignorum accepimus testimonio, das ist die am häufigsten vorkommende Form, direximus oculos nostrae mentis). Ist der Empfanger ein anderer als der, welcher zuerst erwählt wurde, so gab man in dem vorausgeschickten Berichte die Gründe für die Gassation dieser Wahl an. Geschah die Ernennung schlechthin durch Provision , so wendete man nur eine der oben (S. 101) milgetheilten Formeln an und ging dann sofort zu der Be- merkung über, dass der Papst die »Augen seines Geistes« auf den Betreffenden gerichtet habe. In den Fällen, wo der Papst sich vorher das Provisionsrecht reservirt hatte, traf es sich dennoch sehr häufig, dass das Gapitel entweder in wirklicher Unkenntniss der Sachlage oder solche nur vorschützend zur Wahl schritt und der Gewählte dieselbe annahm ; dann erklärte zwar der Papst die Wahl für ungültig, aber er pflegte nun doch sehr oft den Erwählten durch Provision zu ernennen; dies gab Veranlassung, in die Provisionsbriefe einzelne Wendungen aufzunehmen, welche fast zur stehenden Formel geworden sind,

wie: Dudum siquidem etc. (s. oben S. 101) reservandam, decernentes

attentari, postmodum vero dicta ecclesia per ejusdem N. N. obitum

pastoris solalio destituta, dilecti filii capitulum ipsius ecclesiae reser-

vationem et decretum hujusmodi, ut asseritur (oder forte), ignorantes te

in N. N. Electum elegerunt licet de facto, tuque reservalionis et decreti prae- dictorum ut asseritur etiam ignarus, electioni hujusmodi, ejusdem tibi praesentato decreto, licet de facto consensisli, etc.; hiernach folgt die Cassation und die Ernennung, wobei jetloch auch die Wahl als Motiv dafür angeführt wird (con- siderata etiam concordi elcctione praedicta). Der Ernennung folgt in allen derartigen Briefen die Uebertragung der Amtsgewalt: cnram et administrationem ipsius tibi in spiritualibus et temporalibus plenarie committendo, in illo qui dal Gratia m et largitur praetnia confidentes, quod ipsa ecclesia per tuae circum- spcctionis induslriam et providentiam circum8|>ectam sub tuo felici regimini, gratia tibi assistente divina, salubriter et prospere dirigetur et grala .... sns- cipiet incrementa; auch dies mil einzelnen Variationen. Dann kommt die Ex-

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ergänzen und genau die Regeln für die vorzunehmenden Verän- derungen kennen. Man lernt dies am besten und sichersten aus

hortatio, gewöhnlich heginnend mit : Jugum itaque domini tuis impositum humeris prompla devotione suscipiens, ac reverenter suavi ejus oneri collum ftectens, curarn et administrationem praedictas sie exercere sludeas feliciter et pru- denter u. s. w„ zuweilen auch: Quocirca fraternitati vestrae per apost. scripta mandamus, quatenus etc. curam et administrationem praedictas etc. darauf in beiden Fällen: quod praefata N. N. ecclesia gu!>ern;itori provido et fruetuoso administratori gaudeat se commissam et praeter aeternae retributionis praemium

benevolentiae nostrae gratiam exinde uberius consequi merearis, oder: quod

commissam, ac honae famae tuae odor ex laudabilibus tuis aclibus latius diffun- datur, tuque praeter aeternae retributionis praemium nostrae benevolentiae gratiam uberius valeas promereri.« Die Begleitschreiben an das Capitel und die Geist- lichkeit lauten immer gleich. Sie beginnen mit derselben Einleitung wie der Hauptbrief, dessen Wortlaut alsdann, mit Aenderung der zweiten in die dritte Person, bis zu der Stelle folgt, wo die Exhortalio anfängt. Das letzte Wort vor dieser ist gewöhnlich »incremenlac. Also heisst es zum Beispiel : Inter cetera quae supernae etc. usque incremenla. An Stelle der Exhortatio steht: Quocirca discretioni vestrae per apost. scripta mandamus quatenus eidem electo tamquam patri et pastori animarum vestrarum humiliter intenderites et exhibentes ei obedientiam et reverentiam debitam et devotam ipsius monita et mandata salubria curetis devote suseipere et efßcaciter adimplere, alioquiu sententiam quam idem electus rite tulerit in rebelles ratam habebimus et faciemus aurlore domino usque ad satisfactionem condignam inviolabiliter observari. Der Brief an das Volk geht ebenfalls bis zur Exhortatio und beginnt dann: quocirca universitatem vestram rogamus, monemus et hortamur attente, per apost. etc. mandantes, quatenus eundem electum tanquam patrem etc. devote suseipientes ac dehita honorificentia prosequentes, ejus monitis et mandatis salubribus humiliter inten- datis, ita quod ipse in vobis devotionis filios et vos in eo per consequens patrem invenisse benevolum gaudeatis. Der an die Vasallen gerichtete lautet bis zum Worte prosequentes wie der an das Volk, alsdann: ei fidelitatem solitam nec non consueta servitia et jura a vobis dehita exhibere integre studeatis, alioquin sententiam sive poenam, quam etc. An die Suffragane ungefähr ebenso. An den Erzbischof oder Metropolitan : Ad cumulum tuae cedit salutis et famae, si personas ecclesiasticas , praesertim pontifleali dignitate praeditas divinae pro- pitiationis intuitu opportuni favoris gratia prosequaris. Dudum (olim, sane)

siquidem u. s. w bis zum Beginne der Exhortatio ; an deren Stelle heisst

es: Cum igitur ut idem N. N. electus in commissa sibi dictae ecclesiae cura facilius proficere valeat, tuus favor sibi esse noscatur plurimum opporlunus, fraternitatem tuam rogamus, monemus et hortamur attente, quatenus ipsum electum et ecclesiam suae curac commissam. sufTraganeam tuam, habens pro nostra et apostolicae sedis reverentia propensius commendatos, in ampliandis et conservandis ipsius ecclesiae juribus sie eum tui favoris praesidio prosequaris, quod ipse per tuae auxilium gratiae in commisso sibi dictae ecclesiae regimine

ArthlvaliMhc Z. IUrhrlfl. IV. 8

114

Löweufeld:

der Vergleiehung der originalen Begleitschreiben, die sich hier und da noch erhalten haben, mit den Hauptbriefen in den Registern. Das erste Mal setzt man statt »te« oder »tibi« »dilectum filiuni (dilecto filio) N. N., electum (electo) N. N.t, und nachher stets ideni N. N. electus oder ipse N. N. electus u. s. f. Bei Besetzung von Prälaturen und andern geistlichen Aemtern folgte im Hauptbriefe an den Ernannten (der hier immer nur nach dem neuen Amte titulirl wurde, ohne Rücksicht darauf, dass er vielleicht noch andere inne halte), nach der Begrüssung (salutatio) eine kurze, mannigfach wechselnde Einleitung, des Inhalts, der apostolische Stuhl pflege gern Männer zu befördern, deren Verdienste sie zu einem Avance- ment berechtigten. Da wir nun, heisst es weiter, solche Verdienste bei Dir wahrgenommen, hier wird oft hinzugefügt, dass der oder jener Fürst oder Bischof ein gutes Wort für den Candidaten ein- gelegt habe, so übertragen wir Dir N. N. das Amt. Dann folgen die S. 101 Note 1 erwähnten Formeln. Der Brief schliesst mit dem gewöhnlichen Verbot gegen die Uebcrlretung der Verfügung, Nulli ergo etc. (s. unten). In Verbindung mit diesem wurde ein Schreiben an die sogenannten Exccutores ausgestellt, d. h. zwei oder drei angesehene Geistliche, von denen in der Regel einer (von zweien) oder zwei (von dreien) in der Gegend des Beneficiums, der zweite (oder dritte) in der Nähe der Curie zu Hause war. Sie hatten die Aufgabe, der erlassenen Verfügung Gellung zu verschaffen und wurden mit den nöthigen Vollmachten ausgerüstet, um alle ordenl-

se possit utilius exercere, tuque exinde diuinam misericordiam et nostram ac dictae sedis gratiam valeas uberius promereri. An den König oder Landes- fürsten schrieb man gewöhnlich, wenigstens in der zweiten Hälfte des 14. Jabr- hunderts, folgendes: Gratiae divinae praeinium et humanae laudis praeconium acquiritur, si per secidares prinripes praelatis, praesertim ecclesiarum eathe- dralinni regimini praesidenlibus, opportun! favoris praesidium et honor debitus

impendatur. Dudum siquidem (Sane) etc incrementa. Cum itaque. tili

carissime, sit virtutis opus, dei ministros benigno favore prosequi, ac eos verbiß et operibus pro regis aeterni gloria venerari, serenitatem regiam rogainus et bortamur attente, (piatenus eundem electum et praefatam ecclesiam N. N., suae curae commissam, haben« pro nostra et apostolicac sedis reverentia propensius rnmmendatos. ipsos henigni favoris auxilio prosequaris, ita quod ideni eleclus tuae celsitudinis fultus praesidio in commisso sibr curae pastoralis officio possit deo propitio prosperari, ac tibi exinde a deo perennis vitae praemium et a nobis condigna proveniat actio gratiarutn. Das Formular dieses Briefes variirt übrigens auf manniyfaebe Weise

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liehen und ausserordentlichen Rechtsmittel zu diesem Zwecke an- wenden zu können. Das Schreiben hatte gewöhnlich dieselbe Ein- leitung wie der Hauptbrief, aber an Stelle der Gollation trat ein Befehl an die Executoren, den Candidaten in das Amt einzuführen, ihn in dessen Besitz durch Entfernung eines jeden Zudringlichen zu schützen, und, wenn es ein Canonikat war, seine Aufnahme als Chorherr mit Stuhl im Chor und Platz im Capitel u. s. w. zu bewirken l). Hierauf folgten die Nonobstantia wie im Hauptbriefe. Selbstverständlich ist auch hier die zweite Person mit der dritten vertauscht. In den Registern findet man dieses Schreiben gewöhn-

*) Die Gollationsworte lauten etwa so: Cum igitur canonicatus (prae-

benda, ecclesia parocbialis de N. u. A. dgl.) .... vacare noscatur ad praesens, nulliisque praeter nos hac vice de ipso canonicatu (praebenda u. s. f.) disponere possit, pro eo u. s. w. (s. oben S. 73 Note 1, es versteht sich von selbst, dass diese Klausel fortfiel, wo keine Reservation stattgefunden hatte) nos volentes tibi hujus- modi meritorum obtentu gratiam facere specialem, praedictumeanonicatum (u. A.dgl.) sie vacantem cum plenitudine juris canonici ac omnibus juribus et pertinentiis suis apostolica tibi auetoritate conferimus et de illo etiam providemus, decernentes, prout est, irrilum et inane, si secus .... atlentari.« Im Executionsbrief hiess es an dieser Stelle so : Cum igitur canonicatus (u. A. dgl.) .... vacare noscatur

ad praesens, nullusque etc disponere possit, pro eo etc nos volentes

dicto N. N. hujusmodi meritorum obtentu gratiam facere specialem, discretioni vestrae per apostolica scripta mandamus, quatenus vos vel duo aut unus vestrum canonicatum (u. A. dgl.) praedictum cum plenitudine juris canonici ac omnibus juribus et pertinentiis suis eidem N. N. vel procuratori suo ejus nomine auetori- tate nostra conferre et assignare curetis, inducentes eum vel dictum procuratorem suum ejus nomine per vos vel alium seu alios in illius corporalem possessionem, et defendentes induetum ac facientes eundem N. X. vel procuratorem praedictum pro eo in eadem ecclesia in canonicum reeipi et in fratrem (oder ad praebendam praedictam) admilti , slallo sibi in choro et loco in capitulo ipsius ecclesiae assignalis (dies fällt fort, wo es sich nicht um ein Canonicat handelt) amotis quibuslibet detentoribus ab eodem (fadem), sibique facientes de ipsius fructibus, reditibus, proventibus, junhus et obuentibus universis integre responderi, contra- dictores, auetoritate nostra, appellatione postposita compescendo.« Hierauf folgen die Nonahstanlia wie im Hauptbrief. Demnächst in beiden Briefen eine Di- missionsclausel, die, wo sie sich findet, etwa so lautet: Volumus autem, quod postquam canonicatus praedicti (praebendae praedictae u. A. dgl.) poss«-ssionem paeificam fueris assecutus (im Begleitbrief: postquam idem N. N. canonicatus praedicti poss. pac. fuerit assecutus) praefatam ecclesiam (u. A. dgl.) quam nos extunc vacare decernimus, omiiino dirnittere teuearis (im Begleitbrief: tenealur). Und endlich schliefst an Stelle des Nulli ergo etc. im Hauptbriefe das Begleit- schreiben mit dem sog. Dekret: Nos ergo extunc irritum decernimus et inane, si secus etc altenlari.

116

Löwenfold:

lieh als Anhang zum Hauptbrief, beginnend mil In e. m. und unter Weglassung aller gemeinsamen Stücke; indessen stösst man doch sonderbarer Weise hier und da auf derartige Ernennungen, wo der Begleitbrief eingetragen, der Hauptbrief aber weggelassen ist.

Die geläufigen Formulare wurden entweder ganz fortgelassen, d. h. nur mit den ersten paar Worten und einem darauf folgenden »et cetera usque ad . . . (hier wird das letzte angeführt) be- zeichnet, oder nur durch die Anfangsbuchstaben der Worte an- gedeutet; dies geschah zumeist, wenn sie kurz waren. Es würde uns bei der grossen Menge derselben viel zu weit führen, hier auch nur die wichtigeren zu erwähnen, denn die Zahl der Formulare war eine ausserordentliche und stieg, so zu sagen, mit jedem Jahr; das Streben der Kanzlei ging dahin, jede Wendung, welche häufiger vorkommen konnte, in eine stehende Formel zu verwandeln, oder für jede Art von Angelegenheiten mehrere Formulare einzurichten, überhaupt, soweit es möglich war, jede freie Conception überflüssig zu machen. Den besten Beweis dafür liefert das kolossale Formelwerk, welches der päpstliche Vicekanzler, Marino de Eboli, unter Johann XXII. ausarbeitete, unzweifelhaft dazu veranlasst durch die bereits erwähnte Urngestaltung des Gomplorwesens , welche unter dem genannten Papste sich vollzog. Dieses Werk, gewöhnlich Formulae Marini de Ebulis genannt, ist eine Pergamenthandschrift in Gross-Folio mit nicht weniger als 500 engbeschriebenen Blättern ; es stehen darin nur Formulare oder die Materialien dazu (cinigermassen nach dem Stoffe systematisch geordnet) in einer Anzahl von c. 6000; aber eine Menge dieser Materialien sind ganze Briefe, in extenso ab- geschrieben, weil man annahm, dass .sie zu Zeiten ganz in dieser Gestalt zur Verwendung kommen könnlen. So ist der Brief Inno- cenz' IV. an König Hnkon von Norwegen (1246, Nov. 8 ), durch welchen der Mangel seiner illegitimen Geburt beseitigt wurde (siehe Dipl. Norw. I, Nr. 38) als eine »pulcra littera« in diese Sammlung aufgenommen; sein Text war so vortrefflich abgefasst, dass man ihn öfter gut verwenden konnte. Hier finden sich auch manche Briefe älterer Register, welche jetzt verloren sind; aber die grosse Mannigfaltigkeit erschwert die Benutzung. Ich will mich an dieser Stelle darauf beschränken, einzelne von den Formularen nnzuführen, welche für die den Norden betreffenden Briefe vor Allem in Frage kommen dürften.

In Briefen, welche ein gewisses Recht oder einen Anspruch

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117

begründeten, wurden verschiedene Einleitungs- und Schlusswen- dungen angebracht, je nachdem sie zu den mehr oder weniger so- lennen gehörten. Jene wurden mit gemeinschaftlichem Namen Pri- vilegien, diese, wie schon erwähnt, Indulte oder Indulgenzen, jedoch mit mancherlei Spezialnamen, wie concessio, constitutio u. s. w. ge- nannt. Der Hauptunterschied zwischen beiden bestand darin, dass jene mit einem Rade versehen und von den Cardinälen mitunter- zeichnet wurden, ferner den Namen des für die Expedition verant- wortlichen Beamten trugen, nemlich »Datum per manus N. N. Can- cellarii« »Vicecancellarii« »Notarii« u. s. w. ; bei diesen wurden im Allgemeinen derartige Formalitäten nicht beobachtet Jene enthalten zumeist Gründungen, Freiheits- und Schutzbestim- mungen für Kathedralkirchen , Klöster u. s. w., und es wird nach der Einleitung (zuweilen auch etwas später) das Wort »Privilegium« ausdrücklich gebraucht , . . . . sub beati Petri et nostra protectione suseipimus et praesentis scripti privilegio communimus. Ferner sehliesst der Theil, welcher die eigentlichen Bewilligungen umfasst, mit den Worten : Salva sedis apostolicae auetoritate. Nulli ergo umnino hominum liteat hanc paginam nostrae proteclionis (consti- tutionis o. A. dgl.) infringere, vel ei ausu temerario contraire. Si qua igitur in futurum ecclesiastica saecularisve persona hanc nostrae constitutionis (o. A. dgl.) paginam seien* contra eam temere venire temptaverit, secundo tertiove commonila, nisi reatum suum digna satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui careat dignitate, reamque se divino judicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat, et a sacratissimo corpore ac sanguine dei et domini redemptoris nostri Jesu Christi aliena fiat, atque in extremo axamine districtae sub- jaceat ultioni; cunetis autein eidem loco (o. A. dgl.) sua jura ser- vantibus, sit pax domini nostri Jesu Christi quatenus et hie fruetum bonae actionis pereipiant et apud districtum judicem praemia acternae pacis invenianl. Amen. Amen. Amen. Wo nur ein älteres Privilegium bestätigt wird, findet sich mitunter jene erste Wendung sub .... communimus nicht, dagegen die hier angeführte Schlusstirade, in der es alsdann heisst: .... hanc paginam nostrae confirmationis infringere .... hanc nostrae confirmationis paginam sciens .... etc. In Indulgenzen kommt niemals das Wort »Privilegium« vor,

l) Es finden sich einzelne Ausnahmen, z. R. Honor. III an. 3, ep. 124, we- niger solenn, aber ausgestellt vom Vicekanzler.

118

Löwen fei d:

häufig fehlt sogar jene ganze Tirade »sub beati .... communimus, und wo sie erscheint, lautet sie »sub beati Petri et noslra protectione suseipimus et praesentis scripti patrocinio communimus«. Und am Schlüsse heisst es nur: »Nulli ergo (oder igitur) omnino hominum liceat hanc paginam nostrae confirmationis (oder nach den Um- ständen conces.sionis, constitutionis, inhibitionis, protectionis u. s. w.) infringere, vel ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attemptarc praesumpscrit, indignationem omnipotentis Dci et bea- torura Petri et Pauli apostolorum ejus se noverit ineursurum.« Alle hier angeführten Wendungen werden in den Registern gewöhn- lich nur mit dem ersten, oder dem ersten und letzten Worte an- gedeutet, z. B. sub beati etc. usque communimus« ; Nulli ergo etc., Si (piis etc. Man muss also hier genau darauf achten, dass man nicht patrocinium setze, wo Privilegium stehen soll, oder umgekehrt, dass man nicht die feierliche Schlussformel statt der kürzeren an- wende. Gewöhnlich ist dies auch im Register selbst angedeutet, indem an den Stellen, wo jene feierliche gebraucht werden soll, steht: Nulli ergo etc. oder Decernimus (ut nulli) etc., Sie qua igitur

etc usque ultioni. Cunctis etc. usque amen. Ferner ist jedes

Mal angedeutet, welches Wort unmittelbar nach »paginam« folgen soll, z. B. Nulli ergo etc. nostrae concessionis (inhibitionis u. A. dgl.) et cet.

Obwohl es in der Natur der Sache liegt, dass die Einleitungen zu derartigen Briefen höchst verschieden und oft für einen l>e- stimniten Fall besonders entworfen werden mussten, so findet man doch, dass sie sich im Grossen und Ganzen auf Formulare zurückführen lassen. So beginnen« z. B. die Confirmationsprivilegicn für Klöster immer mit den Worten : Religiosam vitam eligentibus u. s. w. »). Von den Einleitungsformeln der einfacheren Indulgenzen oder Con- cessionen sind diese die gewöhnlichsten:

a. Justis petentium desideriis dignum est nos facilem praeberc consensum (assensum), et vota quae a rationis tramite non discordant, eflectu prosequente complere. Cum igitur, sicut

M Auch im weiteren Text der Klosterprivilegien kommen vielfach stehende Formeln vor, wo in den Registern die entsprechenden Löcken sich finden ; sie hier anzuführen halte ich für öherflüssig, da vollständige Exemplare solcher Briefe, auf die ich verweisen kann, im Codex Munkalivensis (ed. Münch 1845) und im Anhang zu den Chronica regum Manniae (ed. Münch 18G0) sich finden.

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vestra (tun) pctitio nobis cxhibita continebat, .... nos vcstris (tuis) supplicationibus grato conniventcs (concurrentes) assensu

b. Cum a nobis petitur, quod justum est et honestum, tarn vigor aequitatis quam ordo exigit rationis, ut id per solicitudinem officii nostri ad debitum perducatur cffectum. Eapropter nos vestris supplicationibus grato conniventes assensu ....

c. Saerosancta .Romana ecclesia devotos et humiles filios ex assuetae pietatis officio propensius diligerc consucvit, et ne pravorum hominum molestiis agitentur eos tanquam pia mater suae protcctionis munimine confovere. Eapropter .... vestris (tuis) supplicationibus grato concurrentes assensu .... (am häufigsten in Protect ionsbriefen).

Alle diese und ähnliche Wondungen werden in den Registern

nur mit »Justis etc usque asscnsut; »Cum a nobis petitur

etc usque assensu« ; »Saerosancta etc usque assensu«

bezeichnet. Statt »supplicationibus grato conniventes (concurrentes) assensu findet man ebenso oft »justis preeibus« oder nur »preeibus (supplicationibus) inclinati«.

Zuweilen bildet der ganze Inhalt eines Briefes von Anfang bis Ende eine Formel, von der im Register nur ein oder zwei Worte nach der Adresse angeführt sind, dann et cetera und das Datum. Unter diesen sind die Confessonalia d. h. die Bewilligungen, einen Confessor zu wählen, der in articulo mortis Generalabsolution er- theilen dürfe, die zahlreichsten ; sie bilden seit Johann XXII. in jedem Jahrgange eine besondere Abtheilung, welche sicher mehrere hundert umfasst, aber, da man so viel fortliess, nur einen kleinen Raum einnimmt. Das gewöhnliche Formular, welches das ganze 14. Jahr- hundert hindurch ausschliesslich vorkommt, ist folgendes:

Frovenit ex tuae (vestrae) devot ionis aflectu, quo nos et Ro- manam ecclesiam revereris (reveremini), ut petitiones tuas (vestras), Was praesertim, quae animae tuae (animarum vestrarum) salutem respiciunt, ad exauditionis gratiam admittamus. Hinc est quod nos, tuis (vestris) supplicationibus inclinat», ut confessor tuus (vester), quem duxeris (duxeritis) eligendum, omnium peceatorum tuorum (vestrorum), de quibus corde eontrilus (contrita, contriti) et ore confessus (confessa, confessi) fueris (fueritis), semel tanturn in mortis articulo plenam remissionem tibi (vobis) in sinceritate fidei, unilate sanetae Romanae ecclesia e, ac obedientia et devotione nostra vel successorum nostrorum Romanorum pontificum canonice intrantium

120

LflwenfeM:

persistenti (-ibus) auctoritate apostolica concedere valeat, dcvotioni tuae (vestrae) tenore praesentium indulgemus, sie tarnen, quod idem confessor de his, de quibus fuerit alteri satisfactio impendenda, eam tibi (vobis) per te (vos), si supervixeris (-itis) vel per heredes tuos (vestros), si tunc forte transieris (-itis), faciendam injungat, quam tu (vos) vel Uli faeere tencamini ut praefertur. Et ne, quod absit, propter hujusmodi gratiain reddaris (-amini) proelivior (-es) ad illicita in postcrum committenda, volumus, quod, si ex con- fidentia remissionis hujusmodi aliqua forte committeres (-etis), illa praedicta remissio tibi (vobis) nullatenus suffragetur. Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam nostrae concessionis et volun- tatis infringere etc. (s. oben). Si (juis autem etc. (s. oben). Statt dessen steht in den Registern nur »Provenit etc.«, ausser wenn mitunter zwei (ebenfalls abgekürzte) Zusätze sich finden, nemlich:

nach »remissionem tibi« und vor »in sinceritate« : »qui (quae) ut asseris sexagesimum aetatis tuae annum peregisti« ;

ferner nach »suffragetur« und vor »nulli ergo« zuweilen: nostrae tarnen intentionis est (existit), quod nisi tu (tili N. N., tu filia N. N.) deineeps vestes, quas fieri facias et inducas, desuper deferes longas saltem usque ad genua existentes, indullum hujus- modi quoad te dumtaxat nullius sit roboris vel momenti«.

Zu den häufigst vorkommenden Bewilligungen gehören die so- genannten Indulgenzen zur Unterstützung der Kirchen, welche ent- weder im Bau begriffen oder in Folge von Unglücksfallen auf fremde Hülfe angewiesen waren. Die Einleitungen solcher Briefe sind ver- schieden, gewöhnlich aber haben sie eine dieser drei Formeln:

a. Licet is, de cujus munere venit etc., Beispiele im Dipl. Norw. und im Cod. Munkalivensis.

b. Gloriosus dominus in sanetis suis de ipsorum glorificationo congaudens, in veneratione beatae Mariae virginis eo jueun- dius delectatur, quo ipsa utpote mater ejus effecta meruit altius sanetis ceteris in coelestibus collocari.

c. Splendor paternae glcriae, qui sua mundum illuminat in- effabili claritate, pia vota fidelium de clementissima ipsius majestate sperantium tunc praeeipue benigno favore pro- sequitur, quum devota ipsorurn humilitas sanetorum preeibus et meritis adjuvatur.

Die erste Form wird meist für Kirchen, Klöster, Kapellen und Altäre, welche besonders zu einem Baue ausserordentlicher Hülfe be-

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Munch's Aufschlüsse Aber das päpstliche Archiv.

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durften, gebraucht, die zweite für die der Jungfrau Maria geheiligten Stätten, die dritte meist für Kathedralkirchen. Aber jeder dieser Formeln folgt der Satz: »Cupientes igitur, ut N. N. ecclesia congruis honoribus frequentetur, et ut Christi fideles eo libenlius causa devotionis confluant ad eandem, quo uberius dono coelestis gratiae conspexerint se refectos, de omnipotentis dei misericordia et bea- torum Petri et Pauli apostolorum ejus auetoritate confisi, omnibus vere poenitentibus et confessis, qui in ... . festivitatibus dictam ecclesiam devote visitaverint annuatim, .... dies de injunetis eis poenitentiis .... misericorditer relaxamus.« In den Briefen, welchen das Formular a. zu Grunde lag, wurden nach »visitaverint annua- tim« die Worte eingeschoben: »et (ad praemissa) manus porrexerint adjutrices«.

Kürzere Wendungen und Sätze, welche sehr häufig vorkommen, wurden fast niemals mit vollen Worten, sondern nur mit ihren Anfangsbuchstaben oder mit bestimmten Fortlassungen geschrieben, so z. B. der Befehl in Commissions- oder Exekutionsbriefen: »per apostolica scripta mandamus«; »per apostolica scripta committimus et mandamus«; »(districte) praeeipiendo mandamus«; »praesentium auetoritate committimus«; oder in Monitorien: »monemus, roga- mus, et hortamur in domino«; nihilominus per apostolica scripta mandantes« o. A. dgl. Ebenso: »Gontradictores (ac impedientes quos- libet et rebelies, oder cujuscumque praeeminentiae, dignitatis, ordinis, status vel conditionis existant, etiam si pontificali vel alia prae- fulgeant dignitate), auetoritate noslra, appellatione postposita com- pescendo (compellendo) , invocato ad hoc, si opus fuerit, auxilio brachii saecularis«, und das gewöhnliche Nonobstans: »si eis vel eorum aliquibus (quibusvis aliis) communiter vel divisim a sede apostolica (dicta) sit indultum, quod interdiei, suspendi, vel exeom- immicari non possint per litcras apostolicas, non facientes plen;im et expressam ac de verbo ad verbum de indulto hujusmodi mentionem.« Alle diese Wendungen pflegte man, wie gesagt, mannigfach abzu- kürzen.

Gleichwie zwei oder drei Geistliche beauftragt wurden (in diesem Falle Executores genannt), die vom Papst durch Provision ernannten Bonefiziarier (s. oben) in ihr Amt einzuführen, so wurden auf gleiche Weise zwei oder drei Geistliche zur Ausführung anderer Befehle bestimmt, namentlich um die erforderlichen Untersuchungen bei Streitigkeiten anzustellen, den päpstlichen Verfügungen oder einem

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Lftwenfeld:

über Widersacher gefällten Urteilsspruche Geltung zu verschaffen, zuweilen auch im Namen des Papstes Geistliche oder geistliche Stifter vor Gewalt zu beschirmen u. A. m. In solchen Fällen hiessen sie gewöhnlich Judices resp. Conservatores; die auf sie bezuglichen Worte

lauteten nach den Zeiten Martins IV. in der Regel so:

»mandamus, qualenus vos, vel (duo aut) unus veslrum, per vos vel alium seu alios curetis«. Früher dagegen wurde der Auf- trag zuerst an alle zusammen gerichtet und dann hiess es am Schlüsse: »Quod si non omnes (ambo) his exequendis interessc potueritis, tu (hier wird der vornehmste genannt; ist es ein Bischof, so heisst es »frater Episcopc«, ist es ein anderer, »fili N. N.t) cum eorum altera ea nihilominus exsequaris oder alter veslrum ea nihilominus exse- quatur«. Dieser Salz wird fast immer abgekürzt: Quod si non omnes etc. So viel über Formulare und stehende Wendungen.

Ich habe bereits oben zur Genüge dargethan, aus welchen Gründen die Register vor den Tagen Johanns XXII. Briefe von ganz verschiedenem Inhalte durch einander, jedoch vornehmlich die sog. secretac aufgenommen haben, wahrend die Bände der folgenden Zeit, wenigstens bis zum Kirchenschisma, das eine so auffallende Grenze zwischen der älteren und neueren Ordnung der Register bildet, die Briefe sorlirt und in so grosser Anzahl enthalten, dass das Streben nach absoluter Vollständigkeit der Sammlungen ganz unverkennbar ist. Die Haupltitel, nach denen die Ordnung erfolgte, sind:

A. Secretac (ad legendnm). In den Papierbüchern findet man sie meistens unter dorn Abschnitt der »Divcrsarum formarum (lit- terae)«; dieser Titel war SO umfassend, dass man ihn mitunter auch in Pergamentbüchern, welche gar keine secretae enthalten, findet.

B. De curia, soweit sie nicht zu den secretae gerechnet wurden, denn man findet auch ^Secretae de curia«; sie pflegen vorn in dem Bande zu stehen, der die communes und simplices enthält, nicht in dem der Secretae.

D. De indultis et privilegiis. Hierher gehören alle Erektions- briefe, Confirmationen und wirkliche Privilegien, ferner eine Menge Bewilligungen verschiedener Art. Allein die häutiger vorkommenden Stücke dieser Klasse sind besonders sortirt und eingetragen, als ob sie coordinirte Reihen ausmachten, während sie doch nur ünter- abtheilungen bilden sollten; es sind dies

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1) die oben erwähnten Confessionalia.

2) Licentiae testandi für geistliche Personen.

3) Licentiae creandi tabelliones. Das Recht , Tabellioncn oder notarii publici zu creiren, wurde im Mittelaller über das ganze katho- lische Europa nur vom Tapste und Kaiser ausgeübt, so dass nicht einmal Könige für berechtigt sich hielten oder gehalten wurden, das- selbe geltend zu machen. Man findet daher auch in Norwegen in einem Dokumente nie einen Notarius publicus, unter dessen Mit- wirkung es ausgestellt war, genannt, ohne dass er entweder vom Papst oder Kaiser, zuweilen gar von beiden, autorisirt war (»publicus auetoritate aj>ostolica (imperiali) notarius«), und ohne Rücksicht darauf, dass er Norweger und norwegischer Geistlicher war. Aber der Papst ertheilte zuweilen andern hochstehenden Geistlichen das Recht, in seinem Namen eine gewisse Anzahl Notare zu ernennen, so dass die von ihnen creirten vollkommen autorisirle, päpstliche Notare für ihr ganzes Leben blieben. Wahrscheinlich waren auch die meisten Notare, welche man in fern von der Curie ausgestellten Dokumenten erwähnt findet, nur auf diese Weise erwählt; denn jene licentia creandi wurde besonders Bischöfen in feinen Landen und den Nuntien, welche dorthin geschickt wurden, gewährt. Der Licenzbrief war nach einer stehenden Formel abgefasst, worin es hiess, dass auf Grund der Ulizureichenden Anzahl von Notaren oder des gänzlichen Mangels derselben im Gebiete N. N. es dem N. N. zustehen solle, eine bestimmte Anzahl zu erwählen; die creirten aber durften nicht verheirathet sein und mussten ausserdem einen Eid ablegen, der in die Originallicenz immer in extenso aufgenommen wurde. Diese Schreiben waren also ziemlich weitläufig, aber in den Registern werden sie auf Grund der Formulare nur in wenigen Linien abgethan.

D. De provisionibus. Auch hier stehen die einzelnen Unter- abteilungen, als ob sie coordinirt wären, nemlich: 1 j Provisiones episcoporum et abbatum.

2) De dignitatibus vacanlibus (Besetzung von Dekanaten o. A.dgl.).

3) Prov. Canonicorum oder de canonicatibus.

4) De canonicatibus cum exspectatione praebendae.

5) De benefieiis vacantibus.

6) De benefieiis vacaturis.

7) De fructibus pereipiendis in absentia.

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Löwenfehl :

E. De nionasteriorum ingrcssu. Erlaubniss, in ein Kloster zu gehen.

F. De recipiendis monachis et monialibus. Erlaubniss für Klöster, Mönche oder Nonnen aufzunehmen.

G. De conservatoriis. Seliutzbriefe , gerichtet an Judices oder Conservatores und gewöhnlich mit einer stehenden Einleitung be- ginnend, in welcher es hiess: da der Papst zu seiner Betrübniss erfahren, dass Könige, Fürsten, Barone, Adlige u. A. diesen oder jenen Bischof, Abt, Prälaten, dieses oder jenes Klosters u. s. w. befehdeten, so nehme er es hierdurch in seine besondere Ob- hut und übertrage den Conservatoren , es vor Feindseligkeiten zu schützen.

Alle hier unter Lit. C— G (incl.) aufgeführten Briefe gehören zu den communes oder simplices; die de curia lassen sich in keine bestimmte Kategorie bringen.

Es leuchtet von selbst ein, dass die »Secretae« und »Literae de curia« die reichste Ausbeute für die Geschichte, die meisten Aufschlüsse über wichtige Begebenheiten, diplomatische Verhandlungen, politische Massregeln u. s. w. gewähren. Ihnen zunächst stehen an Wichtigkeit die Indulte, Privilegien, Gonservatorien, da sie thcils über die Geschichte der grösseren, geistlichen Stifter, theils über die öffentliche Stimmung in dem betreffenden Lande und das Verhaltniss zwischen Volk und Geistlichkeit Aufklärung geben. Die Dispensationen bei Eheschliessungen in verbotener Linie sind für die Genealogie vom grössten Werthe. Die Provisionen haben eigentlich nur persönliches Interesse, aber dieses richtet sich natürlich nach der politischen und historischen Bedeutung der be- treffenden Personen. Deshalb sind Bischofsernennungen von grosser Wichtigkeit. Die Besetzung eines Episcopats war zu jenen Zeiten ein politisches Ereigniss, besonders im Norden, wo es wenig Bischofs- stühle gab und die Bischöfe daher um so hervorragendere und bedeutendere Persönlichkeiten waren. Die Besetzung der niederen geistlichen Aemter giebt oft Kunde von der Beschaffenheit, Lage und den Einkünften der verschiedenen Benefizien. Vom geringsten In- teresse sind vielleicht die Klassen E. und F. über Eintritt und Auf- nahme in Klöster. Aber was an und für sich betrachtet als höchst gleichgiltig erscheint, kann oft bei einer Verbindung und Vergleichung mit andern Stücken die grösste Wichtigkeit und ein besonderes In- teresse erlangen. Erst alle Abiheilungen vereint geben ein Gesammt-

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bild von der ganzen Wirksamkeit der Curie, welches an Genauigkeit und Anschaulichkeit alles übertrifft, was Annalen und Chroniken zu leisten im Stande sind.

Die papiernen Regestenbücher zeigen die gewöhnliche Cursive ohne jeden kalligraphischen Schmuck und starke Abkürzungen. Die Schrift selbst ist natürlich die jeder Zeit eigenthümliche; im grössten Theil des 14. Jahrhunderts ist sie daher recht schön, oft sogar elegant und meistens sehr deutlich, aber die Tinte ist häufig verblasst, hauptsächlich wie es scheint dadurch, dass sie ins Papier schlug. Dieses ist übrigens im ganzen 14. Jahrhundert sehr dick und gut, und nähert sich in Qualität und Aussehen dem, welches in türkischen Seepässen oder in arabischen und persischen Handschriften sich findet. Allmählich wurde das Papier immer schlechter, die Handschrift unschöner und undeutlicher, eine ge- wöhnliche Erscheinung des 15. Jahrhunderts, und von der Mitte desselben bis zur Reformation kann man die Schrift wahrhaft häss- lich nennen, sie ist zuweilen so undeutlich, dass man schwerlich auf den ersten Blick erkennt, ob man überhaupt lateinische Buch- staben vor sich hat. In den Pergamenthandschriften dagegen ist auf weit grössere Eleganz geachtet worden. Das Pergament ist immer von der besten Sorte, so weiss und glatt auf beiden Seiten, dass es nicht Eselshaut, sondern nur Kalbsfell sein kann. Die Schrift ist in den ältesten Jahrgängen bis gegen den Schluss des 13. Jahr- hunderts eine Art Fraktur, wenn man nicht vielmehr sagen soll, dass die Cursive jener Zeit der Frakturschrift sich nähert; jeder ein- zelne Brief ist in der Regel mit einer rolhen oder blauen Initiale versehen, am Anfange jedes Jahrgangs oder jeder Hauptabtheilung sind die Initialen oft gross und schön verziert.

Der Titel vor jedem Jahrgang »Incipit Regestrum etc.« besteht zumeist aus Majuskeln, abwechselnd blauen und rothen, zuweilen auch grünen. Die Adresse des Briefes d. h. der Name und Titel des Empfangers, wie or sich in der päpstlichen Salutationsformel findet (s. oben S. 107), wurde gewöhnlich mit rother Tinte ge- schrieben, damit er desto leichler in die Augen falle, und bildet so die Rubrik oder Ueberschrift des Schreibens. Zu der Zeit, wo solch farbige Initialen oder Rubriken als Brauch erscheinen, war es Sitte, dieselben nicht bald hinzuschreiben, wenn man an die betreffende Stelle kam, sondern einen Raum offen zu lassen, um sie später hin- zufügen zu können, theils weil nicht alle Schreiber die dazu nöthige

126

Löwenfeld:

kalligraphische Fertigkeit besassen, und die Arbeit deshalb von einem Andern ausgeführt werden mussle, theils auch weil es den Schrei- bern unbequem war, bei jeder neuen Initiale oder Rubrik der Farbe wegen die Feder zu wechseln; schrieb er sie selbst, so zog er es vor, damit zu warten, bis er alle zusammen auf e i n Mal abmachen konnte. Damit aber der Ergänzer, mag er es selbst oder ein Anderer gewesen sein, wissen konnte, was dastehen sollte, so fügte schon der erste Schreiber in der Regel die Initialen an ihrer Stelle mit ganz feinen Buchstaben hinzu, so dass sie später von den grossen farbigen bedeckt wurden, und ebenso schrieb er die Ru- briken mit ganz feinen schwarzen Buchstaben so weit als möglich vom Rande des Textes entfernt oder längs desselben, so dass sie nur mit Mühe gesehen oder beim Einbinden fort geschnitten wurden. Dasselbe geschah auch in den Pergamentregistern; in manchen findet man jetzt noch am Rande die schwarzen Hinweise für die Rubriken, in manchen sind sie ganz oder halb weggeschnitten. Da sie vom Registrator selbst geschrieben sind, die rothen Ueber- schriften dagegen oft von Andern l) und also erst aus zweiter Hand dem Original entstammen, so sind jine, wo sie sich linden, diesen vorzuziehen , weil der zweite Schreiber die Bemerkungen des ersten oft falsch gelesen hat*). Zuweilen fehlen die Rubriken, obschon

') Das ist z. B. bei einem Thcile tler Begeslen für das 8. Jahr Innnocenz' IV. der Fall (s. oben S. 95), wo die Notiz fol. 112 uns belehrt, dass der erste Theil des Buches von Johannes Lardati geschrieben war, der zweite (42 Blätter) von Marlinus de Staus, und dass letzterer die Rubriken im eisten und, möglicher Weise, auch im zweiten Theile hinzugefügt hat.

So z. B. Dipl. Norw. I, Nr. 45, gedruckt nach einer Abschrift des Briefes Nr. 219 im Heg. für das 8. Jahr Innocenz' IV., gerichtet an drei norwegische (ü'istliche, von denen der erste der Abt in Tautra oder Tuterfl (Tautrensis) ist. Iii der Rubrik über dem Brief steht jedoch, wie auch im Dipl. Norw. bemerkt ist, Traiectensis, was unrichtig ist, da Traiectum Utrecht (in Holland) bedeutet. Aber in dem schwarz geschriebenen Hinweise, der noch am Bande befindlich ist, steht nicht »traiectensi«, sondern trautten d. i. Trautensi, welches der Rubri- cator Marlin de Stans Traiectensi gelesen hat, das ihm viel bekannter vorkam. »Trautensit ist zwar auch nicht ganz richtig, aber solche Umsetzungen finden sich nicht selten, wo norwegische, deutsche oder englische Namen von den päpstlichen Scriptoren geschrieben wurden. Bald dahinter im Briefe Nr. 225 [Dipl. Norw. VI, 23| hat Johann Lardati in der Marginalnote geschrieben »Aslosien« (für Asloien Asloiensi). aber in der Rubrik schreibt Martin de Stans »Alsosien«. Im Briefe Nr. 589 für das 4. Jahr Nicolaus' IV. steht etwas iu

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Münch'« Aufschlüsse über das päpstliche Archiv.

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der Raum für sie leer gelassen ist ; man kam also hier nicht dazu, sie nachzutragen. Das ist namentlich bei manchen Jahrgängen der Secretae, doch auch bei mehreren der Communes der Fall, so bei dem ersten Bande Clemens' V., der überhaupt das Gepräge starker Nachlässigkeil trägt und also deutlich genug für die Verwirrung spricht, die bald nach seinem Antritte, wo er fast ein Gefangener des französischen Königs war, geherrscht haben muss.

Ausser den hier und da vorkommenden verzierten Initialen findet man eigentliche Ornamente oder wirkliche Randzeichnungen nur im ersten Bande des Registers Innocenz' III. Wir sehen hier nicht wenige, höchst phantastische Zeichnungen, ausgeführt mit Blau und Roth, an dem unteren ziemlich breiten Rande. Die gewählten Figuren stehen in keiner Beziehung zum Texte, aber sie sind da- durch merkwürdig, dass die Zeichner zuweilen die Geistlichkeit selbst zur Zielscheibe ihrer witzigen Einfalle gemacht haben, eine be- sonders auffallende Erscheinung in einem Copirbuthe, welches die Briefe dieses strengen Papstes enthielt und, so zu sagen, unter seinen Augen geführt wurde. Möglich, dass er ausdrücklich befohlen, über- haupt keine Randzeichnungen fernerhin anzubringen ; möglich sogar, dass diess die Veranlassung dazu gewesen ').

Von den älteren (pergamentnen) Regestenbüchern haben einige gleichzeitige Foliirung, andere wieder nicht ; dagegen hat in der Regel jeder Brief am Rande seine laufende Nummer bei der Eintragung er- halten. Beim Citiren braucht man also nur den Jahrgang (z. B. Regesta Innoc. IV., Ann. oder Lib. N. N.) nebst der Nummer (z. Ep. 20) zu nennen; jedoch wird auch oft die Folioseite hinzugefügt. In späterer Zeit fehlen mitunter die laufenden Nummern, während

der Rubrik, was sicher auf den ersten Mick wie »Dardnni Serglow« aussieht, wenigstens hat der Abschreiber, nach dessen Copie der Brief im Dipl. Norw. III, Ul gedruckt ist, es so gelesen, aber in «1er Handnote steht deutlieh »Bardoni Sergson«, und das ist das richtige, da der bekannte («nnonicus Baard Serksson, der spatere königliche Kanzler, gemeint ist,

') (In einem der danischen Ausgabe beigegebenen Facsimile theilt Münch >einige der merkwürdigsten Bilder mit, welche zugleich eine gewisse Fertigkeit im Zeichnen bekunden«. Da ist ein Leopard, der die (ieige spielt, ein Bock, der in die Saiten einer Harfe greift, ein Wolf in der Mönchskutte mit einer Kerze in der rechten Pfote , und endlich ein Schwein, das in der linken einen Korb (Häucherbecken V) und in der rechten Klaue eine Fackel tragt. Die Thiere stehen natürlich aufrecht]. L.

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\ 28 Löwenfeld :

die Stilen numerirt sind. In den Registern, in denen die Briefe geordnet sind, haben in der Regel die einzelnen Abtheilungen ihre besondere Reihe von Laufnummern , da es aber zu weitläufig sein würde, erst die Abtheilung zu nennen und dann die Nummer (z. B. Regest. Johann. XXII., Communes, Ann. XII, de beneficiis vacaturis cp. 2), nennt man in der Regel nur die Seite und die Nummer des Briefes in der Abtheilung (z. B. fol. 100 ep. 500). Doch findet man zuweilen auch Bände, wo die Briefe, obschon sortirt, doch mit durch alle Theile gehenden Nummern versehen sind. Der gänzliche Mangel gleichzeitiger Foliozahlen in einzelnen Bänden kann nur eine Folge des späteren Einbindens und Beschnei- dens sein ; aber das thut nichts zur Sache, da alle Bücher im Laufe des vorigen und des 17. Jahrhunderts auf Veranlassung der da- maligen Archivare eine neue Foliozahl (mit arabischen Ziffern) er- halten haben. Wo diese, wie es oft der Fall, (indem nemlich Blätter ausgefallen sein können), von der ursprünglichen abweicht, pflegt man doch nach der neuen zu citiren. Auch die Papierregister sind auf gleiche Weise foliirt worden , und da die Briefe in ihnen oft keine Laufnuinmern haben, so kann man nur nach der Seitenzahl citiren. Wo die Pergament- oder Papierregister so umfangreich waren, dass sie schon von vornherein in mehrere Bücher für ein- und dasselbe Jahr getheilt werden mussten, pflegt man auch, wenigstens was die erstcren betrifft, zu citiren: Lib. 1 oder 2, 3. 4; mitunter ist jedoch ein Buch bei späterem Einbinden in zwei Theile zerlegt worden, auch dies muss angedeutet werden. Bei den Papierbüchern braucht man nur den Namen des Papstes und die Laufnummer des Bandes zu nennen, da die Regesien jedes Papstes eine einzige fortlaufende Reihe von Bänden von seinem ersten bis zum letzten Jahre bilden. In den Pergamentregistern findet man häufig Indices oder Listen vorausgeschickt, in denen der Inhalt eines jeden Briefes kurz angedeutet und seine Stelle durch Folium oder Briefnummer bezeichnet ist. Diese Inhaltslisten sind meist von derselben Hand wie der Text, also gleichzeitig mit ihm geschrieben, aber sie nehmen eine besondere Lage ein, da sie ja natürlich erst ausgearbeitet sind, als der Text fertig war. Dies ist vermutlich auch die Ursache ihres Fehlens in einzelnen Bänden, indem man nemlich annehmen muss, dass sie ursprünglich vorhanden waren, aber dann heraus- gefallen sind. In den späteren Registern für das 14. Jahrhundert, sowohl denen auf Papier wie Pergament, sind die Inhaltslisten zu-

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Munrh's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv.

129

weilen mangelhaft, zuweilen geben sie weder Folium noch Nummer an, und deuten daher nur die Reihe und den Inhalt der Briefe an. Im 15. Jahrhundert fehlt oft der Index gänzlich; seit Sixtus IV. ward der Index für säinmtliche, der Regierungszeit eines Papstes angehörende Regestenbünde, jetzt Bullarium genannt, in ein be- sonderes Buch aus Pergament eingetragen, während die Regesten selbst auf Papier geschrieben wurden. Dies geschah bis zum Tode Paul's III.

So weit man sehen kann, hat keins der Regest enbücher seinen alten Einband behalten. Alle haben im Laufe des 17. und 18. Jahr- hunderts einen neuen bekommen, aber leider sind manche bei dieser Gelegenheit zu stark beschnitten worden. Die meisten Pergament- bände sind in braunes, grünes oder rothes Leder gebunden, mit vergoldetem Rückentitel, der den Namen des Papstes, Jahrgang und Beschaffenheit des Inhalts angiebt; indessen scheint eine con- sequente Bezeichnung nicht durchgeführt zu sein. Man findet oft für die Zeit bis zu Johann XXII. nur »Regesta«; für die folgende theils »Secretae«, theils »Communes«, ausserdem mehrere schwankende Angaben wie »Secretae de Curia«, »Bullarium«, »Brevia« u. s. w. Hierzu trug wohl auch der Umstand bei, dass man beim Einbinden mehrere Bücher, wie bereits erwähnt, getheilt und hierdurch beson- dere Titel nothwendig gemacht hat; so sind ganze Bände da, welche jetzt nur noch Indulte und Privilegien enthalten und deshalb den Titel führen »de indultis et privilegiis«. Die Papierregister sind sämmtlich, bis auf einige wenige aus der Zeil Gregor's XL, in ein- fache graue Einbände gebracht, mit aufgedrucktem Titel in Gold, der den Namen des Papstes, die Nummer des Jahrgangs und inner- halb dieses den Platz des Buches angiebt (z. B. Reg. Innoc. VI., Ann. III., pars I); darunter steht die laufende Nummer des Bandes für die Regierungszeit des Papstes.

Es erübrigt nur noch, auf Einzelheiten einzugehen, die ein be- sonderes Interesse darbieten können.

Das Register Innocenz' III. besitzen wir nicht mehr vollständig. Im Archiv befinden sich davon nur:

Lib. I und II (also für das erste und zweite Jahr), zusammen Vol. I bildend. Von Lib. III (3. Jahr) zwanzig Blätter, Lib. V, VI, und VII Vol. II ausmachend ; der grösste Theil des dritten Jahrgangs und der ganze vierte fehlen;

Lib. VIII und IX (8. und 9. Jahrgang) jetzt Vol. III;

AriMvalUche Zoll* hrtft. IV 9

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Löwenfeld :

Lib. XIII, XIV, XV, und XVI (13.-16. Jahrgang), jetzt Vol. V.

Der vierte Band, welcher Lib. X, XI und. XII enthielt, scheint in den letzten 300 Jahren nicht im Archiv gewesen zu sein, und wo er sich jetzt befindet, ist ungewiss. Im 17. Jahrhundert gehörte er Francois Bosquet, dem Bischöfe von Montpellier, von dem ihn Baluze für seine (1682 erschienene) Ausgabe der Briefe Innocenz' III. entlieh. Man wusste bis jetzt nicht, wie viel vom 3. Buche in Vol. II fehle. Aber glücklicher Weise habe ich bei den Nachforschungen, deren Resultate zum Theil hier erwähnt werden, im XI. Band der Papierregister Innocenz' VI. eins der unrichtig (nach fol. 230) ein- gebundenen Pergamenthefte gefunden, welches einen Index für das 3. und 4. Buch Innocenz' III. enthält *); dieser Index und, wie man sieht, auch der für einzelne Jahrgänge Honorius' III. ist von einer Hand (aus der Mitte des 14. Jahrhunderts) geschrieben; wahrschein- lich sind es die Gopien der älteren Indices, welche vielleicht schon zu sehr durch Alter gelitten hatten. Eine Prüfung der Folioangaben dieses Index er nennt nemlich nur das Foliura der Briefe, nicht deren Laufnummer ergiebt mit vollkommener Gewissheit, dass der Codex, dem das Inhaltsverzeichniss angehörte, derselbe war, von dem wir jetzt nur noch 20 Blätter besitzen. Man erfahrt ferner, dass vor diesen Blättern 56, zwischen dem 17ten und 18ten 16, und nach dem 20ten 24 Blätter fehlen, welche das 4. Buch aus- machten. Die Jahrgänge 17. 18. und 19. fehlen gänzlich und sind vermuthlich schon sehr früh abhanden gekommen. Ich bemerke ausserdem, dass Vol. 5 oder Jahrgang 13 16 nicht mehr die alten Originalregesten enthält, sondern eine Abschrift aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und, wie ich anzunehmen geneigt bin, von der- selben Hand, welche jenen Index geschrieben hat. Dagegen scheinen die übrigen, noch wohl erhaltenen Jahrgänge die ursprünglichen zu sein; von diesen sind der erste und zweite mit etwas grösserer, aber deutlicher Hand geschrieben, und im ersten finden sich die er- wähnten Randzeichnungen; der Rest des dritten Buches ist ebenfalls mit etwas grösserer, das 5., 6., 7., 8. und 9. dagegen mit ziemlich feiner, aber doch schöner und deutlicher Hand geschrieben.

') Der Titel lautet so: Rubrice Regestri litterarum secretarum felicis recor- dationis dominj Innocentij papae Tertij de anno pontiflcatus sui tercio et quarto. Dies ist der oben (S. 82 N. 1) erwähnte Index.

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Münch'* Aufschlüsse ühcr das päpstliche Archiv.

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Ilonorius' III. Regesten bestehen aus 5 Bänden, Tom. I enthält den ersten und zweiten Jahrgang, Tom. II den 3. und 4., Tom. III den 5. und 6V Tom. IV. den 7. und 8., Tom. V den 9., 10. und 11. Wir haben hier die ursprünglichen Regesten vor uns, aber der Index zum 3., 4., 5. und 6. Buche stammt, wie gesagt, von der- selben Hand (c. 1350), welche auch im Verzeichnisse zum 3. und 4. Buche Innocenz' HI. uns begegnet ist l).

Gregor's EX. Regesten, 15 Jahrgänge, sind jetzt auf 7 Bände vertheilt, im Uebrigen ist hier nichts weiter zu bemerken.

Innocenz' IV. zwölf Jahrgänge sind jetzt so vertheilt, dass 1—5 (incl.) Tom. I bilden, 8—10 (incl.) Tom. II, 11 und 12 Tom. III. Zwischen Tom. I und II fehlt also ein Band, der den 6. u. 7. Jahr- gang enthalten müsste; der 6. ist, Gott weiss auf welchem Wege, nach Paris gekommen, wo er sich noch jetzt in seiner ursprüng- lichen Gestalt, in der Nationalbibliothek No. 4039 befindet ; man hat von ihm im vorigen Jahrhundert eine (schlechte) Abschrift für das vatikanische Archiv anfertigen lassen; dagegen scheint der siebente für immer verloren zu sein.

Ueber die Regesten der Päpste von Alexander IV. bis Clemens V. (incl.) ist nichts weiter zu bemerken, als dass sie stufenweise immer mehr und mehr Briefe aufnehmen, so dass schon am Schlüsse der angegebenen Periode hier und da Jahrgänge sich finden, welche einen ganzen Band ausfüllen, während beim Beginne derselben noch mancher Band mehrere Jahrgänge umfasste. Weshalb Clemens' V. erstes Buch ein so auffallendes Gepräge der Nachlässigkeit trägt, ist bereits erwähnt, im Uebrigen sind alle diese Jahrgänge vollständig erhalten 2).

Mit Johann XXIL beginnt, wie schon gesagt, die Reihe der vollständigeren und umfangreicheren Jahrgänge. Man kann bis zu Gregor XI. (incl.) nicht allein eine doppelte Reihe von Sccretae und Communes rechnen, sondern jeder Jahrgang der letzteren ist ge-

') [Ein Facsimile der Handschrift aus T. 1 ist der dänischen Ausgabe bei* gegehen |. L *

*) [Ist, was Alexander IV. betrifft, nicht ganz richtig. Im 38. Bande der Bihl. de lecole des chartes p. 103 ff. hat Delisle ein Fragment des Registers Alexanders IV. veröffentlicht, welches mit den Handschriften Mazarins in die Pariser Nationalbibliothek gekommen war und sich noch jetzt dort befindet. Wie verhält sich die von Delisle angegebene Signatur, fonds laiin 4038 B, zu der von Münch (S. 131) erwähnten 4039 VJ L.

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Lowenfeld :

wohnlich in zwei, drei, vier, ja fünf Rande getheilt. Und hierzu kommen die Papierregister von Benedict XII., Innocenz VI., Urban V. und fJregor XI; von Benedict XII. ein Band (für das achte Jahr), von Innocenz VI. alle 10 Jahrgänge in 29, von Urban V. alle 9 in lß, und von Gregor dem XI. alle 8 in 32 Bänden.

Nach Gregor XI. beginnen die Register wieder weniger inhalts- reich zu werden und lassen uns zuweilen für einzelne Jahre ganz im Stiche. So ist von Urban VI. nur sehr wenig vorhanden, und noch weniger von Bonifac IX. und seinen nächsten Nachfolgern. Ueber die Register aus der Zeit nach dem Schisma ist schon gesprochen. Ziemlich mangelhaft im Anfang, werden sie von Nicolaus V. ab in- haltsreicher, so dass ein Jahrgang wieder mehrere Bücher umfasst. Von Bonifac IX. ab wird es Sitte, dass der verantwortliche Notar unter jeden Brief seinen Namen setzt.

Ich will an dieser Stelle auf die früher erwähnten Minuten (von Briefen ad legendum) aus der Zeit Clemens VI. und Innocenz VI. näher eingehen, welche auf Veranstaltung eines Archivars wie es scheint im vorigen oder 1 7. Jahrhundert in der Weise zusammen- geklebt wurden, dass sie jclzt Folioblättcr bilden. Sie tragen den Titel »Archetypa Kpistolarum Innocentii Sexti« , sind in 10 Bänden gesammelt und in Jahrgänge get heilt. Aber man ist hierbei so un- vorsichtig zu Werke gegangen, dass nicht wenige Briefe aus dem 9. und 10. Jahre Clemens* VI. in das gleiche Pontifikatsjahr Inno- cenz gerathen sind1), da in den Minuten der Name des Papstes

') Als Beispiel filhre ich hier zwei von mir angeschriebene Briefe an. einer an den Nnnliiis Johannes fiuilaberti und der andere an Konig Magnus von Schweden und Norwegen, welchem der genannte Johannes anempfohlen wird; jener vom G. . dieser vom 8. August des 10. Jahres des nicht angegebenen Papstes datirt. Der Ordner nahm das 10. Jahr Innocenz' VI., also August 1302 an. Aber mehrere Briefe Innocenz' beweisen, dass Job. fiuilaberti schon vor dem 11. August 1301 gestorhen war; jene Briefe können also nicht im 10. Jahre Innocenz', sondern Clemens' d. h. 1351 geschrieben sein | jetzt gedruckt Dipl. Norv. VI Nr. 205 und 20(5 h|. Noch auffallender ist der Irrthum bei zwei Briefen an Karl IV. von Deutschland •und Erzbischof Ernst von Prag, die Er- greifung des Cola Bienzi betreffend. Diese vom 10. Pontifikatsjahr datirten Schreiben sind ebenfalls Innocenz VI., also dem Jahre 1302, zugetheilt, obwohl Cola B. damals hingst todl war, und wenigstens der Brief an den Erzbischof von Bainald (in seinen Annales eccl.) ganz richtig zu 1352, dem 10. Jahr Clemens' VI., nach dem Originalregest mitgetheilt ist. Ich führe ihn hier ganz so an, wie er in der Conceptsammlung steht, auch mit denselben Correkturen, da er eine

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Munch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv.

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nicht angegeben wurde. Diese Coneepte enthalten höchst wichtige und interessante Sachen, und da die Secretae der beiden genannten Päpste dürftiger sind, als man erwarten sollte, so kommen sie hier ausserordentlich zu Statten. Schade, dass man nicht mehrere Jahr- gänge derselben für das 14. Jahrhundert besitzt; für spätere Zeiten, namentlich die der Reformation, scheinen sie vollständig vorhanden zu sein.

Ich komme jetzt zu der zweiten Klasse von Regestenbüchern,

sehr anschauliche Vorstellung davuu giebt, wie surgsatn man in jenen Tagen hei der Abfassung wichtigerer Briefe jedes Wort auf die Wage legte.

[In der dänischen Ausgabe war der nachfolgende Brief durch übereinstim- menden Irrlhum des Setzers und Gorrektors in seiner verbesserten Gestalt, nicht, wie bealwichtigt war, in der ursprünglichen, das Verfahren des gewissenhaften Coneiptenten veranschaulichenden Form wiedergegeben. Die Berichtigung dieses Irrthums und die Wiedergab des Goncepls verdanke ich Herrn Prof. Storm. Das zwischen den Klammern cursiv gedruckte hat der Schreiber durchgestrichen. L.]

Venerabiii fratri Arnesto Archiepiscopo Pragcnsi Salulem etc. [Cum sicut fruternitatrtn tuam latrrc höh potent Nicolaus iMurentij Ciuis liomanus qui propter mulUi que (adversus drum) contra catholiemn reritatem ttmere ac imputierter (scripsit et asseruit) evomuerat fuerit velut hereticus de heresi sententialiter con- demptuttus]. Cum Nicolaus l*aurontij, Givis Horaauus, <jui proul nosti propter multa que contra catholicam veritalem evomuerat impudenter ac temere, fuit de heresi sententialiter condempnatus ad partes ipsas sub dissimulalo se habitu » outulisset, ut simplicium mentes [a via deeerteret ueritatis] nequitie sue veneno iuficeret et a uia deverteret ueritatis, iusto dei iudicio actum est, ul ad te, qui mellis dulcediuem ab amaritudine fellis [discernere pleite] nosti [quique de Witts operibus uelut ubique notoriis nofitiam pletutm habebas (notitiam pleniorem) (notitiam) declinaret sieque suis iniquis operationibus sine) plene discernere decli- naret. Cuius tu operationes tibi notas considerans, et timens verisimiliter, ne [ipsius nouissima pei] peiora priorihus nouissima sua forent, eum prudenter et caute carceribus mancipasli. De quo salualori nostro [laudes et gratias refer] qui eiusdem Nicolai iuiquitati per ministerium tuum terminum posuit, laudes et gratias rcferenles ac [fidel] lidei tue zelum meritis laudibus prosequentes [et cupientes ipsum Nicolaum ad nos sub custodia fida duci) fralernitatem tuam nio- nemus requirimus et horUmur, [attente] per apostolica tibi scripta mandantes, quatenus eundem Nicolaum vcnerabili fratri Johnnni Episcopo Spoletano et dilectis fdiis Bngerio de Molendino nouo magistro ostiario, ac Hugoni de Garlucio farniliaribus nostris exhibitoribus praesentium quo» ad te signanter propterea mittimus conducendum per eos ad nos sine [dilatione alia) difficullate (jualibet assignare procures. De cuius assignatione duo conlici facias consimilia publica instrumenta quorum unum [ad nos euc) nobis e uestigio mittere studeas penes te reliquo remanente. Datum apud Villam nouam Auinionensis diocesis, viiij, Kai. April, anno deeimo. (Archetyp. Inn. an. 9 & 10. ep. IUI.)

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Löwenfeld:

welche nicht Copien von Briefen, sondern Auszüge aus den Suppli- kationen (Bittschriften) enthalten. Diese treten zuerst unter Clemens VI. (1342 1352) auf, müssen aber auch schon zur Zeit Johanns XXII. und Benedicts XII. vorhanden gewesen sein; wird doch in Porthan, Supplement zu Celse's Bullarium, S. 124 ein solches, sehr weitläufiges Exemplar aus den Tagen Johanns, vielleicht nach dem Original- extrakt selbst, mitgetheilt, hinwiederum ist es nicht wahrscheinlich, dass derartige Bittschriftauszüge protokollirt oder aufbewahrt oder überhaupt in grösserer Zahl gesammelt wurden vor der Erhebung Johanns XXII. auf den päpstlichen Stuhl oder der Einführung des lYovisionssystems, denn erst seit dieser Zeit dreht sich der Inhalt der meisten Gesuche um Provisionsangelegenheiten und steht in der engsten Verbindung mit dem anmassenden Verfahren der Curie, unmittelbar in die Wirksamkeit der Lokalgewalten einzugreifen. Ich halte es darum für höchst wahrscheinlich, dass die Protokollirung der Bittschriften zu allererst von Johann XXII. anbefohlen ist, gleich- zeitig mit den übrigen Reformen, zu denen ebenfalls eine grössere Vollständigkeit im Registrat ionssystem gehörte. Die Menge der Sachen, welche täglich expedirt werden sollte, machte es jetzt mehr als früher nothwendig, den grössten Theil der Verantwortlichkeit den Notaren zu überlassen, und die beste Cont rolle über die Richtigkeit der Expe- dition bestand darin, dass die Supplikationsauszüge mit der darauf gefallenen päpstlichen Resolution, sie bildeten zusammen die Mo- mente, nach denen die Ausfertigung vor sich ging, in eigens da- zu bestimmte Regestenbücher eingetragen wurden.

Die Suppliken, deren Auszüge sich protokollirt finden, sind also vor Allem Gesuche um Verleihung geistlicher Benefizien. Diese wurden entweder von den Candidaten selbst oder auch, was am häufigsten der Fall, von einem hochgestellten geistlichen oder weltlichen Gönner, wie einem Bischöfe, Könige oder Fürsten, eingereicht. Unter diesen Benefizien befinden sich jedoch niemals Bischofsstühlc. Obwohl man sich sicher auch um diese beworben hat, findet man doch kein ein- ziges, auf eine derartige Beförderung bezügliches Gesuch, und da man nicht gut einsieht , weshalb nicht auch diese Suppliken , wenn sie wirklich vorhanden waren, sollten ausgezogen und protokollirt sein, so gelangt man zu der Vermuthung, dass die Gesuche um Zulassung zu so hohen Aemtern nicht auf die gewöhnliche Weise d. h. schrift- lich, sondern nur mündlich oder allenfalls unter der Hand in Privat- briefen vorgebracht wurden. Man findet in der That, dass die durch

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Munch's Aufschlüsse Aber das papstliche Archiv.

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Provision zu Bischöfen Beförderten in der Regel personlich am päpst- lichen Hofe sich befanden und also mündlich ihre Angelegenheit betreiben konnten ; und während es in den gewöhnlichen Provisionen für die geringeren Acmter fast immer heisst, dass sie »auf Grund eines Gesuchs des Gandidaten selbst oder irgend einer angesehenen Person« erthetlt seien, wird in Bischofsprovisionen niemals ein Gesuch erwähnt, und selbst wenn der Gandidat vom Capitel gewählt war, heisst es jedesmal, dass der Papst die Wahl cassirt, »sich nach der geeignetsten Person umgesehen und endlich seine Blicke auf den Betreffenden geworfen habe«, als wenn ihn nie ein äusserer Impuls geleitet hätte. Man mag es für unpassend gehalten haben, das Vorhandensein irgend eines äusseren Grundes hierfür anzuerkennen, und unter dieser Voraussetzung begreift man leicht, weshalb kein einziges Gesuch um einen Bischofssitz aufbewahrt oder protokollirl worden ist.

Nächstdem scheinen die Gesuche um Dispensationen verschiedener Art und um ausserordent liehe Befugnisse am zahlreichsten in dieser Abtheilung vertreten zu sein. Dispensationen, wie sie Geistliche sehr oft verlangt und erhalten haben, sind super defeptu natalium d. h. wenn sie unehelich geboren waren entweder von weltlichen Eltern oder wenn ihr Vater ein Geistlicher war. Denn nach den canoni- schen Gesetzen durfte eigentlich kein illegitim Erzeugter ein geistliches Amt bekleiden ; um dies jedoch zu ermöglichen, musste eine Dispen- sation eingeholt werden '). Oft wurde Bischöfen in fernen Landen, aus denen man nicht leicht an den päpstlichen Hof reisen konnte, die Erlaubniss ertheilt, eine bestimmte Anzahl Geistlicher (10, 20, 30 u. s. w.) von diesem Hindernisse im Namen des Papstes zu dis- pensiren, und in Folge dessen findet man auch darauf bezügliche, von Bischöfen ausgehende Gesuche. Zahlreiche Dispensationen für Weltliche fanden mit Rücksicht auf die Verwandtschaft und Ver- schwägerung in verbotener Linie statt; man findet daher auch viel- fache Gesuche um einen derartigen Dispens und die Erlaubniss, eine Ehe einzugehen. Je angesehener und hochstehender die Bittsteller, um so interessanter die Gesuche und die Antwortschreiben.

Fürstliche Personen pflegten oft ausserordentliche Befugnisse zu

') Sie bezogen sich zuerst nur auf das Presbyteriat und die niederen Grade, so dass man zur Erlangung eines Episkopats eines neuen bedurfte. Durch ein Gesuch letzterer Art bekundete der Bittsteller, dass er auf einen Rischofsstuhl aspirire.

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Löwenfeld :

erhalten: a) Messe lesen zu lassen an Orten, die mit dem Interdict belegt waren ; b) Messe lesen zu lassen vor Tagesanbruch (antequam illucescat dies); c) unter gewissen Bedingungen Klöster zu betreten, wohin sonst kein Laie kommen durfte; d) einen transportablen Altar (altare portabile) zu gebrauchen, u. A. dgL Also auch hierum drehen sich manche Gesuche. Zuweilen baten sie um Bestätigung der Klöster, welche sie erbaut hatten, um das Patronatsrecht darüber, um die Erlaubniss, Klöster oder Kirchen an bequemere Orte zu ver- legen, Christi Grab besuchen zu dürfen, um Befreiung von der Ex- communication, wenn sie ohne Erlaubniss dahin reisten u. s. w. u. s. w. Bewilligungen der ersterwähnten Art wurden oft auch Bischöfen, vornehmlich päpstlichen Sendboten zu Theil; sie wurden ihnen wohl auch ohne besonderes Gesuch unter der Masse der verschiedenen, bei der Abreise ihnen eingehändigten Vollmachts- und Schulzbriefe verliehen, unter denen sich Pässe, Empfehlungsschreiben, Befugnisse, in gewissen Fällen Absolution zu ertheilen, und noch viele andere Stücke befanden.

Gesuche um die Erlaubniss, einen Conlessor zu wählen, der in arüculo mortis Absolution ertheilcn könne, sind natürlich ebenso häufig wie die Bewilligungen.

Von Geistlichen findet man selbstverständlich auch manche Ge- suche um Conservaloricn etc.

Es liegt übrigens in der Natur der Sache, dass eine Menge von Suppliken sich um sj>eziellere Gegenstände drehen, welche unter keine der hier aufgezahlten Kategorien sich bringen lassen, aber oft gerade darum von um so grösserem Interesse sind.

In den Bittschriften wurden, wie begreiflich, die Gründe ange- führt, welche für die Bewilligung sprachen, zugleich aber auch, was an und für sich dagegen sprechen konnte, jedoch, wie man holTte, kein llinderniss bieten würde, wenn es zu den geläufigen Nonob- stantia gehörte. Wer um ein Benefizium bat, pllegte seine bisher innegehabte Stellung, die Verdienste, auf die er sich berufen zu können glaubte, und ausdrücklich die zur Zeit von ihm bekleideten Aernter zu erwähnen; der Papst durfte diese entweder mit dem neuen combiniren oder, wenn sich das nicht machen Hess, bestimmen, wo die Vacanz eintreten solle, sobald der Candida! in den ungestörten Besitz des neuen Bcncfiziums gelangt sei. Gewöhnlich enthielt schon das Gesuch einen Verzicht auf alle oder einzelne der alten Aernter, wenn die Unmöglichkeit einer Combination klar zu Tage lag. In

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der Regel schlössen solche Gesuche mit der Bitte um Provision cum inhibitione (Verbot gegen eine Einmischung des betreffenden Bischofs oder der Lokalautorität), decrcto (die Formel: decernimus ex nunc irritum et inane etc.), ac aliis non obstantibus (die früher erwähnten Nonobstantia) et clausulis opportunis ac executoribus (Ernennung von Exekutoren) ut in forma. In Gesuchen um Ehedispense wurde eine genaue Auseinandersetzung des Verwandt- und Schwägerschaftsver- hältnisses gegeben, und dieser Passus in der Regel unverändert in die Bewilligung mit aufgenommen.

Der Bittsteller nannte sich im Allgemeinen »devotus vesler«, Könige sehr häufig »devotus vester Hlius«; Bischöfe oder Andere, welche durch Provision ihre Beförderung erlangt hatten, »devota creatura vestra« oder »devota factura veslra«.

Alle hier erwähnten Gesuche schlössen mit der besonderen Bitte, die Angelegenheit ohne weiteren Vortrag zu erledigen (»quod transeat sine alia lectione«), ein Beweis also, dass sämmtliche, hiernach aus- gestellte Bewilligungen nicht zu den Secretae, sondern zu den Gom- munes und Simpliccs gehörten.

Eine nähere Untersuchung ergiebt, dass die Suppliken nicht in extenso, sondern im Auszuge registrirt wurden, aber man machte diesen Auszug nicht während oder zum Zwecke der Eintragung in die Regesten, sondern für den Vortrag beim Papste, der, wie es scheint, niemals die Originalsupplik selbst, sondern nur den vermuth- lich in einem eigenen Bureau seiner Kanzlei verfassten Auszug empfangen und durchgelesen hat. Auf diesen wurde im Falle der Bewilligung »Fiatt gesetzt und erst dann, wenn das Dokument hier- durch das Ansehen einer päpstlichen Resolution erlangt hatte, wurde es in das Supplikregister eingetragen. Hier findet man denn auch jenes Fiat und die mitunter beigefügten Bedingungen mit gleicher Rand wie das übrige geschrieben, was natürlich nicht der Fall sein könnte, wenn das Register selbst dem Papste vorgelegt und dessen Entscheidung hier eingetragen worden wäre. Dieser Umstand erklärt auch zur Genüge, weshalb man keine abschlägig beschiedenen Ge- suche eingetragen findet; sie hatten keine Bedeutung und wurden daher wohl vernichtet oder den Bittstellern zurückgegeben, während dagegen das bewilligte Gesuch mit dem päpstlichen Fiat an und für sich ein rechtsgültiges Dokument war '). Zuweilen wurden einzelne

') Dass die Regislrirung dieser Sachen nur der Resolution, nicht der Suppli- kation wegen geschah, erkennt man am besten daraus, dass auch die Verfügungen

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LA wen fei d :

Bedingungen an die Erfüllung der Bitte geknüpft, wie »fiat et dimitte exspectationem« , oder »fiat , si ita est« u. s. w. ; zuweilen wurde nicht das volle Gesuch bewilligt, z. B. wenn um Dispensation für 10 Personen gebeten, aber solch«? nur für 5 ertheilt wurde, oder um ein Indult für 3 Jahre und 3 Fasten, und es dann betest »fiat de duobos et duabus quadragmis« ( quadragesimis) ; wird von meh- reren Punkten nur ein einziger zugestanden, so lauten die Worte: »placct de etc.« (hier wird dieser Punkt ausdrücklich genannt). Nach dieser Ilauptresolution kam der Zusatz »quod Iranseat etc.« mit einem besonderen Fiat.

Am Rande findet sich unmittelbar vor jeder Supplik oder viel- mehr Supplik-Abtheilung ein Majuskel buchstabe, nämlich der An- fangsbuchstabe der Diözese, von der zunächst die Rede ist, und wenn es sich um eine Beförderung zu einem Benefizium handelt, der Diözese, in welcher dasselbe gelegen ist. Handelt es sich nicht um eine bestimmte Diözese, so steht gewöhnlich Ex<»: Extra.

Ein bis jetzt noch ungelöstes Räthsel bildet der Umstand, dass unmittelbar nach jedem Fiat ein Majuskelbuchstabe mit Punkt folgt z. B. R. B. u. s. w. , der, wie man mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen sollte, die Signatur des Papstes bezeichnet, wie er sie im Originalcxtract hinzugefügt hatte; aber dieser Buchstabe bildet gar nicht den Anfang des päj>stlichen Namens. Nach allen Fiat Cle- mens VI. steht ein R., Innocenz VI. ein G., Urbans V. ein B. und des Gegenpapstes Clemens VII. ein G. Man hat vermuthet, es könnte die Initiale des früheren Namens des Papstes sein, den er vor der Thronbesteigung geführt, aber das passt nur auf Clemens VI., welcher Roger, und Clemens VII., welcher Gualtier Grimaud hiess; dagegen hiess Innocenz Stephan und Urban V. Wilhelm. Die Uebereinstim- mung bei Clemens VI. und VII. muss also Zufall sein. Man ist daher zu der Annahme genöthigt, entweder dass jeder Papst zu diesem Zwecke einen willkührlichen Buchstaben gewählt, oder dass er selbst nur das Fiat geschrieben und der vortragende Notar oder Kanzler zur weitern Bestätigung seinen Namen hinzugefügt habe.

eingetragen sind, welche der Papst proprio motu ohne irgend ein vorangegangenes (iesuch getroffen hat. Die Hesolution mit ihrem Fiat konnte nicht entbehrt werden , weil sie theila das Material für den Provisionsbrief lieferte , theils unter Umständen wenigstens als das eineu Anspruch begründende Dokument gelten musste.

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Doch passt die Initiale auch auf diese nicht; denn man muss in Betracht ziehen, dass der Buchstahe für die ganze Amtszeit des betreffenden Papstes beibehalten wurde, wälirend andererseits die Annahme nothwendig ist, dass die Kanzler oder Notare zuweilen gewechselt haben. Das wahrscheinlichste bleibt somit, dass der Papst seihst die Majuskel hinzugefügt; aber warum er einen andern Buchstaben als die Initiale seines eigenen Namens gewählt, und was ihn dazu bestimmt hat, gerade den angewandten und keinen andern zu wählen, das ausfindig zu machen, muss ich andern überlassen

Wenn Jemand um mehrere Dinge auf ein Mal bat, z. B. ein König, Fürst, Nuntius odqr Bischof um verschiedene Begünstigungen für sich selbst und Andere anhielt, pflegte entweder gleich Alles nach Punkten in ein und demselben (Original-) Gesuch angeführt oder beim Extrahiren auf ein Blatt gebracht zu werden; man nannte dies dann Rohdas oder Holle, eine Benennung, die auch auf das Originalgesuch überging, wenn es so viel Punkte enthielt, dass es des leichteren Transportes wegen zusammengerollt werden mussle. Man findet daher auch oft in unsern Registern solche Rotuli mit Ueberschrift, z. B. Rotulus Regis Daciae, Rotulus Nuncii ad Regem Sveciae et Norvegiae, Rotulus reginae Sv. et Norvegie u. s. w. ; sie sind zuweilen so lang, dass sie mehrere Blätter einnehmen, ja ein Rotulus aus der Zeit des Gegenpapstes Clemens VII. , »Rotulus Comitis Gebennensis« nimmt sogar einen ganzen Band ein. Bei solchen Rollen wurde das Fiat gewöhnlich nur ein Mal am Schlüsse hinzugefügt, ebenso »quod transeat ctc.c Auf diese Weise konnte man mit einem einzigen Federzuge oft mehrere hundert Benefizien verleihen. Vermuthlich ist der oben erwähnte Supplikationsauszug (von dem Upsalenser Canonikus Nicolaus Sigfastsson) aus der Zeit Johanns XXII. der Originalextract eines solchen Rotulus, der aus irgend einem uns unbekannten Grunde die päpstliche Signatur nicht empfangen hat, obwohl man nicht bezweifeln darf, dass er bewilligt

') [Münch hat in seinem Manuscript die Worte: »des früheren Namens des Papstes« unterstrichen und an den Rand geschrieben: »Ja, siehe Wisemann«; ferner das Stück von »die Uehereinstimmung überlassen« durchgestrichen; doch hat er nicht angegeben, wodurch sich das Verhältniss erklären Hesse und iiucli in den Schriften des Cardinais Wisemann, die sich in der Universitäts- bibliothek zu Christiania befinden, habe ich eine Erklärung nicht entdecken können.] Anmerkung des Herausgebers.

[Vgl. Zeitschr. für Kirchengesch. III. 145. | L.

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Löwenfeld:

worden sei. Daher trägt er auch kein Datuni. Dieses wurde immer unmittelbar nach erfolgter Resolution hinzugefügt, damit man den Brief, der darnach ausgestellt wurde, von demselben Tage datircn konnte; man hat diesen Grundsatz fest beobachtet und die Zeit- angäbe fehlt in den Kegestenbüchern nie. Das Datum des Suppli- kationsauszuges ist also nicht das des ursprünglichen Gesuches, sondern das der erfolgten Bewilligung.

Untersucht man nun alle diese Roluli etwas näher und ver- gleicht sie mit andern Papieren, so sieht man, dass sie hauptsächlich dann eingereicht wurden, wenn die betreffenden Bittsteller selbst oder ihre Gesandten bei der Curie sicli befanden. So findet man einen weitläufigen Rolulus Regis Daciae vom 5. März 1364, wo der dänische König Waldemar Christophsson als Gast Urbans V. in Avignon weilte, ausserdem einen Rotulus familiae regis Daciae (für die Iloflcute und Diener des Königs) vom 9. März des genannten Jahres, hierzu einen Nachtrag »pro familia regis Daciae« vom 12. und drei andere vom 7., 22. und 25. März »pro Rege« '). Ein früherer Rotulus des Königs Waldemar, jedoch ohne Ueberschrift, findet sich unterm 16. Sept. 1355; zwar war er da nicht selbst bei der Curie, aber unter dem bald darauf folgenden 4. Oktober findet sich ein Gesuch des »Petrus Laurcntii, miles, Ambaciator regis Daciae« 2); man kann also mit ziemlicher Gewissheit schliessen, dass jener Rotulus des Königs vom Ritter Peter Lorenzson, seinem Ge- sandten, überbracht worden sei. Ein gleicher Schluss ist gestattet bei einem Rotulus des Königs Magnus Erichsson von Schweden und Norwegen (8. Sept. 1347), auf welchen unmittelbar ein Gesuch seines »Ambassiator« Magnus Östeensson folgt; von diesem also ist des Königs Rotulus üherbracht worden, vielleicht aber auch von mehreren, welche eine förmliche Gesandtschaft bildeten, denn unter dem 10. Sep-

') Unter dieser Familie (familia und familiäres wurde, wie noch jetzt stets bei der Curie, das aufwartende Personal und die ganze Dienerschaft genannt) werden erwähnt: DObilis vir Everhardus Molteke, camerarius; Nicolaus Muus, magister coqutnae; Jarobus Olavi, consiliarius; Timo Galen, miles. marescallus; Johannes de Haynualdis, haro, Dapifer (=Tnichsess); Holgerus (Jregorii, consiliarius; Ghristiernus VVendelbo, Gerkimus de Halle, armiger, Cuhicularius, Osnaburgensis diocesis. Es ist auffallend, wie viele Deutsche der König in seinem Dienste hatte, in dem Gesuch werden ihrer weit mehr als Dänen erwähnt.

') [Diese Briefe sind jetzt gedruckt in „Ny kirkebisloriske Samlinger" IV, p. 577-88].

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tember 1347 finden wir ein gemeinschaftliches Gesuch der >Nuntii Regis Norvegiae« •). Solche Gesuchsrollen geben desshalb oft wichtige Aufschlüsse über den Besuch der Könige und Fürsten bei der Curie oder über ihre Gesandtschaften dahin, über ihre Umgebung auf der Reise und über ihre Gunst gegen diesen oder ihre Verbindung mit jenem ihrer Unterthanen. Auch die meisten Rotuli der Bischöfe, besonders aus fernen Ländern, sind zu einer Zeit eingereicht, da sie sich in Anlass ihrer Ernennung bei der Curie aufhielten. Gewöhn- lich Besitzer mehrerer geistlicher Benefizien, die bei Empfang der Bischofsweihe aufgegeben werden mussten oder eo ipso vacant wurden, pflegten sie in der Regel durch Einreichung von Gesuchen bald dafür zu sorgen, dass erstens diese Benefizien ihren Freunden gegeben und zweitens ihnen selbst mannigfache Gerechtsame und Autorisationen ertheilt wurden. So erfährt man z. B., dass Bischof Botulf von Stavanger, der am 7. Oktober 1355 ernannt wurde und am 15. Nov. die übliche Erlaubniss zur Heimkehr empfing, ebenfalls einen Rotulus eingereicht hat, die Resolution darüber fiel auf den 2. Dez., mit dem Ersuchen: 1) seine bisher innegehabten Aemter, nemlich ein Canonikat mit Präbende in Stavanger, ein gleiches in Bergen und die Pfarre bei der Peterskirche der letzt- genannten Stadl mit von ihm ausersehenen Leuten besetzen zu dürfen, 2) ein Canonikat mit Präbende in Hamar seinem Ver- wandten Agmund Olafsson, Canoniker in Nidaros (Drontheim) und Priester zu Hadsel (Ami Nordland), und 3) ein Canonikat in Stavanger einem gewissen Sigurd Vignaldsson zu übertragen, u. s. w. Alle diese Bewilligungen, obwohl auf ein Mal erlheilt, brachten natürlich mannigfach verschiedene Expeditionen mit sich, und in der That findet sich die Vergünstigung, einen Nachfolger ernennen zu dürfen in Innoc. VI. Commun. Ann. 3, libr. 2, toi 263, ep. 319 2), datirt vom 2. Dez. 1355 wie die Resolution. Am 23. Okl. 1359 wurde Hall ward zum Bischof in Oslo ernannt; am 2. Jan. 1360 erhielt er die Bewilligung eines kleinen Rotulus, worin er unter Andcrm nach- suchte, dass Stigandi, Canoniker in Strengnäs (Schweden) ihm in seinem früheren, jetzt aber durch die Bischofsweihe erledigten Amte, dem Archipresbyterat in Oslo, folgen dürfe 3). Im Beginn des

') f Jetzt gedruckt in Dipl. Norv. VI. Nr. 183]. -) [Jetzt gedruckt in Dipl, Norv. VT. Nr. 228]. J) [Die Briefe sind jetzt gedruckt in Dipl. Norv. VI. Nr. 240—42].

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Jahres 1364 wurde der päpstliche Sendbote, der Dominikaner Gott- schalk Falkdal zum Bischof in Linköping eingesetzt, am 20. März dieses Jahres bewilligte der Papst seinen Rotulus. Man kann also meistentheils annehmen, dass ein Bischof aus dem Norden, dem eine Supplik bewilligt wurde, bei der Curie sich aufgehalten habe und vor Kurzem erst ernannt worden sei, und selbst wo die Provisions- briefe fehlen, ist es ein ziemlich sicherer Wink, die Ernennungszeit zu bestimmen. So wusstc man bisher nur, dass c. 1360 ein Bischof, Namens Arne, auf den Faröern sass; aus einem Supplikationsrotulus, der ihm am 21. Jan. 1360 bewilligt ist1), ersieht man, dass er damals in Avignon gewesen und seine Ernennung damals erfolgt sein muss. Man würde das sonst kaum erfahren haben, da der Provisionsbrief fehlt.

Enthalten also diese Supplikextracte an und für sich nicht ge- rade sehr wichtige Dinge, so gewähren sie uns doch ganz interessante, oft sogar bedeutende Aufschlüsse, zumal in chronologischer Hinsicht. Aber ihr eigentlicher Werth liegt darin, dass sie in ihrer Gesammt- heit uns einen trefflichen Einblick in das Gesuchswesen und die Beförderungsroutine am päpstlichen Hofe gewähren, uns zeigen, welche von Europas Nationen die lebendigste Verbindung mit der Curie unterhielt, welche Geistlichkeit sie am meisten mit Anträgen überlief und welche im Gegensatze dazu eine gewisse Selbständigkeit sich bewahrte. Wir sehen, dass die Curie zumeist von Supplikanten aus Frankreich, England und Spanien belästigt wurde, bei der Lage der päpstlichen Residenz in Avignon sehr erklärlich *) ; aber merkwürdig ist, dass die Gesuche aus Italien weit seltener sind als die aus Spanien ; Deutschland hat im Grossen und Ganzen sich sehr

') [Jetzt gedruckt Dipl. Norv. VII. Nr. 2551-

*) Es ist fast unglaublich, mit welcher Unverschämtheit die nächste Um- gehung des Papstes, Dienerschaft u. A. ihn mit Gesuchen um geistliche Bene- flzien, die sie auch wirklich erhielten, überlief. So werden einmal geistliche Benefizien einem Bruder des pSpstlichen Barbiers und Kammerdieners (barbe- lonsor et valetus camerae), ein anderes Mal einem Verwandten des päpstlichen Kochs auf ihr Ansuchen bewilligt. Man kann mit ziemlicher Sicherheil annehmen, dass die Könige, deren häufige Gesuche bewilligt wurden, entweder in persönlich gutem Verhältnisse zur Curie standen, oder einen gewissen binfluss auf sie ausübten ; zu jenen müssen die Könige Magnus und Waldemar, zu diesen die französischen Könige gehört haben. Aus den unzähligen Rotuli, deren Be- willigung der Graf von Genf beim Gegenpapst Clemens VII. erlangte, sieht man nur zu deutlicb, dass er den Kirchenfürsten ganz in seiner Gewalt halte.

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Munch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv. J43

zurückhaltend benommen, ebenso Norwegen und zum Theil auch Dänemark, wahrend dagegen die schwedische Geistlichkeit fortwäh- rend unter den Bittstellern vorkommt. Auffallend ist es ferner, dass die Könige, wenn sie für die ihrer Obhut anvertrauten Geistlichen beim Papste sich verwandten, sich nicht im mindesten genirten, ausländische wie inländische Benefizien zu fordern ; König Waldemar sucht sie in ganz Deutschland für seine deutschen Günstlinge, König Magnus in Dänemark und Meklenburg. Von besonderem Interesse sind die sogenannten Rotuli Universitatum, worin im Namen sämmt- licher Magister oder Doktoren um Benefizien für jeden einzelnen, mit Namen genannten, gebeten wird; daher enthält ein solcher Rotulus auch eine Art Matrikel der Doktoren oder Magister der Universität. Für Paris, Toulouse, Oxford, Cambridge, mehrere spa- nische Universitäten, Bologna u. A. finden sie sich. Aus einem Rotulus für die Pariser Universität vom J. 1349 ersieht man, dass sie in vier Nationen eingetheilt war, die gallikanische, picardische, normännische und englische, und dass zur letzten auch die Schotten, Deutschen und Nordländer, die daselbst studirten, gerechnet wurden. Unter den Nordländern werden in diesem Rotulus mehrere Schweden, aber keine Norweger genannt.

Es ist übrigens selbstverständlich, dass jede in die Supplikations- bücher aufgenommene Resolution in den Briefregistern durch ein besonderes Schreiben repräsentirt sein müsste, und dass die Supplik- regesten alsdann überflüssig sein würden. Jene sind aber, wo die Papierbücher fehlen, nicht vollständig und die Supplikextracte füllen daher manche Lücke aus, gar nicht davon zu reden, dass es von Interesse und Wichtigkeit ist, den gesammten Stoff, der in den Brief- registern nur zerstreut vorhanden ist, an einer Stelle vereint zu finden. Leider ist von den Supplikregesten verhält nissmässig nur wenig erhalten. Die Reihe beginnt mit Clemens VI. und schliefst mit Urban V.; sie enthält nichts für die Zeit bis zum Gegenpapst Clemens VII. Aber für jene drei , Clemens VI. , Innocenz VI. und Urban V. (bis zu seinem 6. Jahr) ist sie fast vollständig. Von Clemens VI. sind 21 Bände, mit 230 Seiten durchschnittlich, von Innocenz VI. 13 und von Urban V. 9 vorhanden ; ferner mehrere von Clemens VII., aber ohne besonderes Interesse für die Ge- schichte des Nordens.

Die Supplikregesten sind sämmtlich auf Papier geschrieben, aber auf das vortreffliche, dicke Papier, von dem oben die Rede gewesen.

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Löwenfdil :

*

Die Schrift ist meistens die gute und deutliche Cursive jener Zeit •). Die Bücher wurden, wie aus der Ueberschrifl zu ersehen, ursprüng- lich gleich den andern Registern in Quaternen geführt, hernach ein- gebunden und gleichzeitig mit römischen Zahlen foliirt Die Re- gistraturen, welche hier beschäftigt waren, müssen eine besondere Abtheilung gebildet haben, denn man findet aus dem J. 1358 ein Gesuch von Simon de Vares, »Registrator Supplicationum vestrarum ac grossator literarum apostolicarumc, um Beförderung zum »officium scriptoris penitentiariae vestrae«.

So habe ich hier das Wichtigste von dem mitgetheilt, was ich über das päpstliche Archiv von 1198 bis c. 1530 aus eigener Er- fahrung zu sagen wusste. Was nach dieser Zeit liegt, ist mir nicht sonderlich bekannt, da es kein unmittelbares Interesse mehr für die Geschichte des Nordens bietet.

Man findet in manchen Büchern eine bestimmte Zahl für sämmt- liche Regestenbände, welche im päpstlichen Archiv vorhanden sein sollen, angegeben; aber diese Zahl kann nur eine ungefähre sein, da bisher wohl kaum Jemand sich die Mühe gemacht hat, sie zu zählen, ganz abgesehen davon, dass man noch nicht einmal darüber einig ist, was eigentlich zu den Regesten gehört und was nicht. Manche rechnen dazu allerlei Quittungs- und Rechnungsbücher, wo- durch allerdings die Zahl der Bände zu einer ganz ausserordentlichen Höhe steigt. Unter solchen Umständen glaube ich es gern, dass, wenn man für die Zeit von 1198—1860, das sind G62 Jahre, durch- schnittlich 3 Bände jährlich annimmt, im Ganzen gegen 2000 heraus- kommen mögen. Versteht man aber unter Regesten nur die Brief- und Supplikregesten, so fällt die Zahl liedeutend. Ich will versuchen, die Anzahl der Bände bis 1530 annähernd zu bestimmen :

Von 1198 1316 kann man höchstens rechnen . . 90 Bde. Von 1316 1380 rechne ich mit Rücksicht auf die grosse Ausführlichkeit, die Existenz der Papier- und Supplikregister, sicher 4 Bände jährlich im Durch- schnitt, also für 64 Jahre 256 »

Von 1380—1 440, 60 Jahre, kaum mehr anzunehmen als 60 » Von 1440-1530, 110 Jahre, gegen 3 Bände jährlich 330 *

Zusammen 736 Bde.

') [Ein Facsimile in der dänischen Ausgabe J. L.

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Munch's Aufschlüsse üher das päpstliche Archiv.

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Hier sind die Cameralien nicht mitgerechnet, nimmt man die hinzu, so steigt die Zahl der Bände vermuthlieh auf 1000 *).

Erst wenn man die papstlichen Register Band für Band durch- geht, erhält man eine anschauliche Vorstellung von dem staunens- werthen Einflüsse, welchen die Curie während des grössten Theils des Mittelalters nicht allein auf die kirchlichen, sondern auch ver- möge dieser mittelbar auf die weltlichen Angelegenheiten in allen katholischen Ländern, den nächsten wie den fernsten, auszuüben vermochte, sieht man, wie sie die genaueste Controle über die kleinsten und geringfügigsten Einzelheiten gewann, wie sie durch die unerschütterliche Zähigkeit und Consequenz, welche die Grund- züge ihres Wesens ausmachen, ein heilsames Gegengewicht gegen die Schrankenlosigkeit bildete, welche sonst, ein Merkmal des Mittelalters, die Völker in die wildeste Barbarei geworfen haben würde. Erkennt man also bei einem Studium der Register, dass sie die trefflichste Quelle für die Geschichte des Mittelalters bilden, so begreift man kaum, wie Jemand wagen kann, umfangreiche Werke über den genannten Zeitraum zu schreiben, ohne sie zu kennen und zu benutzen. Wohl haben Baronius und Raynald in ihren berühmten ausgezeichneten Annales ecclesiastiri die Register fleissig benutzt, aber sie haben doch nur Auszüge von den wichtigsten und meist in die allgemeine Geschichte eingreifenden Sachen geben können; weder der Raum noch der Plan ihres Werkes gestattete ihnen, sich mit den vielfachen Einzelheiten zu beschäftigen, aber gerade diese dem Anscheine nach geringfügig, vereint und bei näherer Be- trachtung von dem höchsten Interesse gewähren ein deutliches Bild von der unermesslichen Wirksamkeit der Curie, die den kleinsten wie den grössten, den nächsten wie den fernsten Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit würdigte.

Bedenkt man, wie viel Briefe im Laufe eines Jahres und eines jeden Tages im Jahre aus der päpstlichen Kanzlei oder im Allge- meinen aus den päpstlichen Komptoren hervorgingen, so erstaunt man über das ausserordentlich zahlreiche Personal, welches dazu erforderlich war. Denn erstens sind der Briefe in den Regesten- bänden selbst sehr viele, oft 2000 und mehr, auf den Tag kommen also 6 bis 7; zweitens sind viele nur angedeutet und nicht ganz

') [Vgl. Zeilschr. für Kirchengesch. III. 144-1

ArclüY&llache Zeitschrift FV. 10

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Löwenfeld :

ausgeschrieben, so dass man gut und gern die Anzahl verdoppeln kann und auch damit noch nicht die Wirklichkeit erreicht. Wenn z. B. allgemeine Aufforderungsbullen zum Kriege gegen die Ungläu- bigen oder zur Befreiung des heiligen Landes ausgestellt wurden, so pflegte man nur ein einziges Exemplar in das Register zu schreiben, und die übrigen mit In e. m. etc. anzuführen. Nun aber wurden solche Bullen an alle Erzbischöfe, viele Bischöfe, an die meisten Könige und Fürsten wenigstens in einigen hundert Exem- plaren gesandt, so dass schon die blosse Aufzählung im Register mehrere Seiten einnimmt; und da diese Bullen in der Regel sehr weitläufig waren, so konnte ein solcher Fall allein, wie es scheint, mehr als 100 Schreiber in einer Woche beschäftigen. Eine Bischofs- provision oder die Bestätigung eines Erzbischofs erforderte, wie oben erwähnt, mindestens 5, oft sogar 7 oder 8 ziemlich lange Briefe; dazu kam das Copiren zuerst in das Papier-, dann in das Perga- mentregister; aber wenn, wie es oft geschah, drei oder vier Bischöfe an demselben Tage ernannt wurden, so erforderte dies allein gegen 40 solcher Schreiben; ferner sollte jeder Bischof kurz nach seiner Weihe eine dimissio oder licentia recedendi, und ein Erzbischof ausser- dem noch einen Palliumsbrief erhalten. Jedes Conservatorium (siehe oben S. 124) verlangte mindestens zwei Briefe, eine Provision eben- falls zwei und oft wurden solcher Dutzende an einem Tage aus- gestellt. Von Confessionalia , die ganz ausgeschrieben gar nicht so kurz sind, wurden oft gegen 50 an einem Tage gefertigt. Und da alle diese Briefe bei der Reinschrift ingrossirl werden sollten, so ging es damit langsamer, als es heutigen Tages geben würde, so dass ein Grossator im Durchschnitt wohl kaum mehr als vier massig lange Briefe täglich liefern konnte. Rechnet man nun gegen 100 auf den Tag, so gibt dies allein in der Kanzlei für 25 Glossatoren Beschäftigung; aber man kann mit ziemlicher Sicherheil annehmen, dass zuweilen Tage vergingen, ohne dass auch nur ein einziger Brief in's Reine geschrieben wurde, während ein anderes Mal dann gleichzeitig wohl gegen 100 Glossatoren in Thätigkeit waren. Hierzu kommt nun die ganze, weitläufige Registrai ionsarbeit , die Abbreviation, die Schreibereien in den übrigen Abtheilungen , be- sonders der Cameraria und Thesanraria >). Ich glaube sicher, dass

') Rine Vorstellung , wie viel Schreiberei .las KecheiischaHswesen erfor- derte, gibt folgende Notiz aus der Zeil Johanns XXII. c. 1323. welche irr-

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Münchs Aufschlösse Ober das päpstliche Archiv. j47

die päpstlichen Komptore mehrere hundert Personen beschäftigt haben, und da die Gehälter gut gewesen zu sein scheinen, der Vicekanzler empfing nemlich monatlich (s. oben S. 76) über 97, ein Dullator über 32 Gulden, ein Registrator (s. oben S. 96) 2 Grossi (ungefähr Hi Gulden) für 100 Linien, und man kann diese Summen, um sie auf den heutigen Münzwerth zu reduciren , mindestens mit 10 multipliziren , so muss die Unterhaltung des Personals un- geheure Summen verschlungen haben.

thflmlich in den Supplikenband für das 4. Jahr Clemens' VU., pars II., ein- gebunden ist:

Tituli librorum ordinariorum et primo de Receplis.

Kecepta de censibus et visitalionibus.

Recepta de emolumento bulle.

Recepta de communibus servitiis.

Hecepta de diversis, et iste titulus continet recepta de comitatu Venaycini et de legatis et restitutionihus et de senhoria monete et de officio cubi- culariorum et de aliis prout occurrebant.

Expense pro coquina. Expense pro panataria. Exp. pro Ruticularia.

Exp. pro Marestalla. Raciones auene expense. Exp. pro vestibus pannis et forraturis. Exp. pro ornamentis. Exp. pro scripturis et libris. Exp. pro edil'uiis et operibus. Exp. pro bulla et literis Curie.

Exp. pro gagiis exlraordinariis et armaturis. Exp. pro cera et quibusdam extraonlinariis, et iste titulus continet illa que fuerunt missa et expensa pro exercitu lumbardie et marchic. Exp. pro vadiis fami- liarium domini nostri pape. Exp. pro pensionibus hospitiorum ipie lencnt familiäres domini pape. Exp. pro possessionis empti« et redditibus. Exp. pro elemosina pauperum. Raciones expensarum de blaedo et vino pro elemosina. Raciones aliarum expensarum reddite |»er Elemosinarios.

Sunt etiam libri alii preter lihros ordinarios, quorum librorum unus intitu- latur Liber de diversis, et iste über continet recepta de pecuniario subsidio promisso et oblato domino nostro pape, et de distrihulionibus certorum domi- norum cardinalitim defunctnrum nunc cnntingentibus dominum nostrum papam,

et recepta de certis terris ecclesiae, et receptu de bonis mobilibus certorum prelatorum et personarum ecclesiasticarum defunclorum reseruatis per dominum nostrum papam, et recepta de Alamania , l'olonia, Daria , Anglia , Cipro et aliis certis locis, et plura alia diuersa in diclo libro partkulariter et dislricte rontenta.

Alius liber fructuum benefirioriim ecrlesiaslicnrum nacantium alius liber de decimis alius liber de procnrationibus alius über Episcopatus Auinionensis

alius über de receplis a domino nostro papa alius liber de certis vasis argenti et libris uenditis Item unum Instrm publicum de Rereptis a vice- comite Leomanie.

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Löwenfeld:

Fragt man nun, wie stark in den Registern der Norden im Allgemeinen und Norwegen im Besondern vertreten ist, so muss man allerdings gestehen, dass sie in dieser Hinsicht ungeheuer weit zurückstehen hinter den mächtigeren, reicheren oder dem Papststuhle naher gelegenen Staaten, wie Frankreich, England, Spanien und Italien. Vergleicht man z. B. die für England bestimmten Briefe mit den für den Norden, so wird man sicher finden, dass auf drei von jenen nur einer von diesen kommt. Und unter den verhältniss- mässig wenigen Briefen für den Norden machen die ausschliesslich auf Norwegen bezüglichen noch nicht den dritten Theil aus, da Schweden hierbei ungleich stärker vertreten ist und demnächst Däne- mark. Aber gleichwohl ist die Ausbeute für Norwegen, sowohl was Inhalt wie Zahl betriflt, an sich nicht gering; sie ist nur für die übrigen Länder so unendlich bedeutender. Am seltensten erscheint es unter den Suppliken und Provisionen für Benefizien, aber der achtunggebietende Grund dieser Erscheinung ist offenbar der, dass im 14. Jahrhundert die norwegische Geistlichkeit patriotischer ist als die der meisten andern Länder; sie liebte überhaupt nicht das unmittelbare Einschreiten der Curie und überlief sie daher auch nicht so häufig mit Gesuchen ; beim Volke selbst muss ausserdem eine so entschiedene Abneigung gegen Geistliche^ die des Landes Sprache nicht verstanden, geherrscht haben, dass* die Curie darauf Rücksicht nehmen und dieser Antipathie aus dem Wege gehen musste. Denn nur in den Provisionsbriefen für Norwegen, sonst für kein anderes Land, finden wir ausdrücklich als Bedingung angegeben, dass der Candidat die Landessprache ver- stehen müsse; und schon gegen das Jahr 1300 bietet, wie die Laurentiussaga lehrt, die Unkenntniss des Norwegischen das absolute Hinderniss, dass der sonst tüchtige und verdiente Flam- länder Johannes die Pfarre an der Marienkirche zu Drontheini erhielt. Da also die eigenen Landeskinder selten Gesuche ein- reichten , die Fremden aber aus den eben angeführten Gründen daran gehindert waren, so musste die Besetzung der Aemter in Norwegen zumeist auf die gewöhnliche legale Weise durch die Bischöfe geschehen; dies der Grund für die äusserst geringe Zahl der Provisionen. Die einzigen Fremden , denen die Sprache kein weiteres Hinderniss bot, waren Schweden und Dänen; ihr Aufenthalt in Norwegen ist kaum ohne Einfluss auf die Landessprache ge- blieben und hat zu dem im 14. Jahrhundert beginnenden Eindringen

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Munch's Aufschlüsse über das päpstliche Archiv.

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schwedischer und dünischer Elemente in die Schriftsprache wesent- lich beigetragen.

Nach dem Schisma wird die Ausbeute der Register für den Norden im Veihältniss zur Masse ihres Inhalts noch geringer als früher, weil die Curie, mehr und mehr von weltlichen Interessen in Anspruch genommen, fast alle Lünder Nordeuropas nach und nach aus den Augen verlor und sich selbst überliess. Die Hauptmasse der Briefe betrifft Italien und die Politik der Curie ihren Nachbar- rürsten gegenüber. Nur selten taucht etwas auf, das für den Norden Interesse hat; alsdann finden sich gewöhnlich, wenn z. B. ein nor- discher Fürst oder seine Gesandtschaft bei der Curie zu Gaste war, mehrere Briefe an einer Stelle beisammen •). Diese offenbare Ver- nachlässigung Nordeuropas hat sicherlich nicht wenig dazu beige- tragen, der Reformation den Weg zu bahnen. Da sie begann, waren die Völker schon zum guten Theil dem Papstthume ent- fremdet; die Gemüther zu erwärmen, war zu spät, nachdem das Interesse für die katholische Sache durch die eigene Schuld der Curie erkaltet war. Das Schweigen über den Norden und Nord- europa in diesem Theile der Register ist hier ein redendes Zeugniss.

') Dagegen finden wir aus dieser Zeit mehrere Originalbriefe von nordischen Fürsten und Privaten, weil man damals- diese Sachen aufzubewahren begann. S. oben S. 72.

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V. Lieber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel in den Jahren 1878-1400.

Von

Dr. Theodor Lindner, Professor an der k. Akademie in Münster.

So gross auch die Zahl der erhaltenen Urkunden aus der Re- gierungszeit Wenzels ist, so bietet doch die Feststellung der Kanzlei- verhältnisse vorläufig noch manche Schwierigkeiten. Es sind fast allein die Unterfertigungen der Urkunden , die Kanzleinoten unter dem Texte, welche uns Auskunft gewähren können; aber diese wurden in den Drucken nur zu oft ganz weggelassen, selbst noch in neuerer Zeit begehen Herausgeber von Urkunden büchern diesen Fehler. Manchmal sind die Kanzleinoten zwar milgethcilt, aber un- glaublich entstellt oder verstümmelt; doch lässt sich da gewöhnlich auf Grund anderweitigen Materiales das Richtige erkennen Noch liegt ferner ein nicht geringer Theil der Urkunden Wenzels unbe- kannt in den Archiven und harrt der Veröffentlichung. Gleichwohl reicht das Vorliegende aus, um wenigstens die Reihe der Kanzler und die Zeit ihrer Amtstätigkeit festzustellen und einige allgemeine Bemerkungen zu machen.

Wie Wenzel die Grundsätze der väterlichen Politik als Erblheil erhielt, so blielxm auch die äusseren Einrichtungen im Reiche und

') So ist in den Forschungen XVIII, 217 statt: I'er dominum magistruiu eurie per Joannem zu lesen: Petrus Jaurensis ; statt: Per dominum Pelhonem de Eyascolowitz Martinus Sueymen Dathu zu lesen : Per d. Pothonem de Chastalowitz Martinus Snoymensis anhidiaconus.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 151

in Böhmen in der Weise bestehen, wie Karl IV. sie geschaffen hatte. Der Kaiser konnte die letzten Jahre seines thätigen Lebens benutzen, um den Sohn, dem er die Nachfolge verschafft, in das Regiment einzuführen; ohne Störung ging dann der Herrschafts Wechsel vor sich. Auch die Kanzlei behielt ihren früheren Stand und ihre bis- herige Einrichtung.

Das Kanzlei wesen Karls IV. war bisher so gut wie unbekannt, und die Bemerkungen, welche Friedjung in seinem Buche: Kaiser Karl IV. und sein Antheil am geistigen Leben seiner Zeit, Wien 1876, S. 96 ff. über dasselbe gemacht hat, sind wenig eingehend und nicht überall zutreffend. Erst in neuester Zeit hat Alfons Huber in den »Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV.c in der Einleitung S. XXXVI ff. höchst dankenswerthe Zusammenstellungen gegctxm und manche werthvolle Resultate gewonnen. Es war mir sehr lehr- reich, die Untersuchungen, welche ich in gleicher Weise schon vor längerer Zeit über die Kanzlei Wenzels gemacht hatte, mit denen Ilubers zusammenzuhalten und zu vergleichen.

Dabei ist mir aufgefallen, dass Huber einen wichtigen Punkt übersehen hat.

Die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier führten Würde und Titel der Erzkanzler für Deutschland, Italien, Gallien und Burgund, freilich ohne mit den eigentlichen Kanzleigeschäften etwas zu tfaun zu haben. Doch war letzteres auch in den früheren Jahrhunderten der Fall gewesen, und die Kanzler recognoscirten daher meist: vice et nomine des Erzkanzlers. Wenn das aber die gewöhnliche Form der Urkundenbeylaubigung war, so erscheint sie unter Karl nur in vereinzelten, wenn auch bei der grossen Masse der erhaltenen Ur- kunden zahlreichen Fällen. Diese unterliegen jedoch einer bestimmten Hegel: die Urkunden tragen dann die alte feierliche Bcglaubigungs- formel, wenn sie mit der Goldbulle versehen sind. Ihrem Inhalte nach sind es meist grosse Privilegienbestätigungen; die mentio sigilli lautet gewöhnlich: sub bulla aurea tipario nostre majestatis impressa, oder deutsch: mit unser keiserlichen gülden bulle. Aller- dings muss ich gleich meine Behauptung etwas beschränken: noch nicht in den ersten Jahren Karls erscheint die Erwähnung des Erz- kanzlers in der Unterschrift regelmässig verbunden mit goldener Bulle, und ausgenommen sind überhaupt Urkunden, welche für Italien ausgestellt sind. Soweit ich urtheilcn kann, scheinen für italienische Personen oder Ortschaften gegebene Diplome vielfach im Namen

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Lindner:

des Erzkanzlers erlassen worden zu sein, ohne dass sie deswegen mil Goldbulle versehen wurden

Urkunden für Deutschland, versehen mit der Unterschrift des Kanzlers an Stelle des Erzkanzlers, aber nur das Wachssiegel tragend, sind das Privileg für den Würzburger Glerus vom 24. Nov. 1347, die Belehn ungsacte für den Markgrafen Waldemar von Brandenburg vom 2. Oct. 1348 und die grosse Privilegienbestätigung für die Stadt Aachen vom 25. Juli 1349, bei Huber 453, 764 und 1080.

Vom Jahre 1352 ab finden sich die bezeichnete Form der Unter- fertigung und die Besiegelung mil goldener Bulle regelmässig zusam- men, soweit wenigstens die Bemerkungen Hubers ein Urtheil gestatten oder ich selbst die Sache festzustellen vermochte. Ich kann eine stattliehe Reihe von Belegen anführen: 1488. 1807. 2296. 2318, 21, 81. 2410, 69, 99. 2537, 61, 97. 2639, 40, 84, 85, 90. 2756. 2820, 63. 3006. 3169. 3715. 4126, 59, 71, 74. 4280. 4367, 70. 4647, 72. 4769. 5032. 5159. 5474. 5588. 5603, 10. 5727. 5834, 57, 58. 6174. ' . 6262. Wir wissen nun freilich durch Fickers Beiträge zur Urkun- denlehre, dass die kaiserliche Kanzlei nicht mit einer so ausserordent- lichen Regelmässigkeit arbeitete, wie man früher voraussetzte; daher mag es wohl auch einzelne Urkunden geben, welche von der oben aufgestellten Regel abweichen, ohne sie deshalb als im Princip unrichtig darzuthun.

Merkwürdiger Weise haben wir von Wenzel weder Urkunden mit Goldbullcn, noch mit der Unterschrift des Erzkanzlers oder seiner Stellvertretung; mir wenigstens ist keine bekannt.

Am Hofe Wenzels gab es jederzeit nur Einen Kanzler, der auch wirklich die Geschäfte führte. Der König ernannte ihn nach freiem Belieben, doch nahm er ihn ausschliesslich aus dem geistlichen Stande.

') Vgl. bei Huber Nr. 326-328 aus dem Jabre 1347; 1947, 1955, 19Ö3, i960, 2031, 2103, 2125, 2133, 2149, 2159, 6119-6130 aus den Jabren 1354—1355; 40)83, 4718-4721 aus den Jahren 1368-1369. Daneben mit Goldbulle 2114. 2124, 6142 aus dem Jahre 1355 ; 4672 aus dem Jabre 1368 und andere. Ich bemerke, dass ich mich bei diesen Anführungen meist nach den Angaben Hubers gerichtet habe; die wenigsten der erforderlichen UrkundenbQcher sind mir hier in Münster zuganglich.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 153

Karl IV. hatte zum Kanzler seines Sohnes den Bischof von Meissen, Johann von Jenzenstein, ernannt, wie dieser selbst erzahlt1). Als dessen Oheim, der würdige Erzbischof von Prag und Cardinal Johann I. Oczko von Wlaszim, im Frühjahr 1379 seine erzbischöfliche Würde niederlegte, folgte ihm Johann von Jenzenstein, blieb aber auch in dieser hervorragenden Stellung Kanzler des Königs. Abge- sehen von den Urkunden haben wir sein eigenes Zeugniss dafür. In einem Briefe, der im Mai 1380 geschrieben ist, klagt er, dass die Kanzlei nur wenig Ertrag böte 2) , er erhebt ferner noch lange Jahre später Ansprüche auf Entschädigung für Verluste, welche er einst als Kanzler des Königs bei einem Tumulte in Nürnberg erlitten hatte 3). Aber bald trübte sich das Verhältniss zwischen König und Erzbischof, es kam zum völligen Bruche, in Folge dessen Johann im Juni 1384 von der Kanzlerschaft zurücktrat oder derselben vom Könige enthoben wurde4).

An seine Stelle kam Bischof Lambert von Bamberg, der stets dem Hofe sehr nahe gestanden hatte und dem Könige werth war; als Kanzler tritt er zuerst am 25. Juli 1384 entgegen *). Er begleitete den König auf dessen Fahrt in's Reich und nach Luxemburg. Aber mit dem Ende des Jahres trat er bereits zurück; zum letzten Male erscheint er als Kanzler am 16. November 1384 in Mainz6). Zer- würfnisse mit dem Könige scheinen ihn nicht zum Abschiede be- stimmt zu haben, da er auch nachher vielfach in dessen Diensten thätig ist

Bei Wenzel trat mehr und mehr die Neigung hervor, seine Räthe aus geringem Stande oder doch wenigstens aus dem niederen Adel heranzuziehen, wie sehr er auch damit Anstoss erregte. So erhob er jetzt zum Kanzler den Propst von Lebus Hanko. Im Jahre

') Sic paucis interjectis diebus fui per eundem imperatorem serenissimi Wcnceslai regis filii sui cancellarius institutus. Job. de (lenz. arch. Frag, relatio de se ipso bei Hoefler Geschichtschreiber der hussitiseben Bewegung in Böhmen, in Fontes rer. Austr. VI, 13. Ueber Johann von Jenzenstein vgl. meine Ge- schichte des deutschen Reiches unter der Regierung des Königs Wenzel IL, 177 IT. und Losei th Der Codex epistolaris des Frzhischors von Prag Joh. von Jenzenstein im Archiv für Österreich. Gesch. LV, 265 ff. ») Losertb a. a. 0. 312. J) Acta in curia Homana bei I'elzel I, Urk. S. 149. 4) I'alaclcy Geschichte von Böhmen III, 1, 36. Die letzte Urkunde, in der er als Kanzler erscheint, ist vom 15. Febr. 1384, bei Pelzel I, Urk. Xr. 43, S. 64. •) Reichstagsacten I, Nr. 244, S. 437. - R) Gudenus III, 578.

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Lindner

1382 wird er uns als Unterkämmercr von Böhmen genannt im folgenden Jahre bemühte sich Wenzel, freilich vergeblich, ihm zum Bischofsstabe zu verhelfen, indem Lamprecht von Bamberg nach Aquileja versetzt werden, Ilanko an dessen Stelle treten sollte2). Die erste Urkunde des neuen Kanzlers, welcher sich zunächst regel- mässig: Hanco Lubucensis praepositus cancellarius schrieb, ist vom

11. Januar 1385 3).

Der König wurde jedoch nicht müde, für seinen Liebling zu wirken. Ende 1385 war das Bisthum Camin erledigt worden und dieses sollte Manko zu Theil werden. Aber durchzudringen ver- mochte er nicht, und trotz der Regal ienertheilung, welche Wenzel am 7. Juni 1386 vollzog4), war der Titel das einzige, was er vom Bisthume behaupten konnte. Nachdem sich Ilanko noch am

12. Mai in alter Weise mit seiner böhmischen Namensform und als Propst von Lebus unterzeichnet hatte, schreibt er sich unmittelbar am Tage nach der Belehnung, am 8. Juni, mit lateinischer oder deutscher Namensform: Johannes Cammensis electus cancellarius5).

Da inzwischen die Absicht des Königs, Johannes mit Fassau zu versorgen, ebenfalls ohne jede Folge geblieben war6), machte letzterer, nachdem sein Gegner in Camin Anfangs 1394 gestorben war, einen neuen Versuch, dort seine Ansprüche zur Geltung zu bringen 7). Wahrscheinlich legte er deshalb seine Stelle als Kanzler nieder, in der wir ihn am 29. December 1394 zum letzten Male treffen 8).

Sein Nachfolger wurde Erzbischof Albrechl von Magdeburg, auf den der König seine Wahl lenken mochte aus Kücksicht auf die ver- worrenen Verhältnisse in der Mark Brandenburg. Nach Lichtmess zum Kanzler ernannt, stellte Albrecht am 16. März 1395 den Geleits- brief für den Markgrafen Wilhelm von Meissen aus 9). Der König be- absichtigte Anfangs, Albrecht als Gesandten an den Papst zu schicken, der den Erzbischof zum Patriarchen von Aquileja ernennen sollte10),

') Stenzel Urlt. zur Gesch. des Bisthums Breslau 340; I'alacky III, 1,36. ') Meine Geschichte I, 400, 407. ■) Beichstagsacten I, Nr. 277, S. 506. 4) Klein zin Diplom. Beiträge zur Gesch. Pommerns etc. 429. Er vermuthet irrig, dass Johann von dem Gegenpapste Clemens Vit. durch König Wenzel seine Ernennung habe bewirken lassen. ') Pelzel I, Urk. Nr. 50, S. 73; Reichstags- acteu 1, Nr. 288, S. 525. •) Meine Geschichte II, 152. ') A. a. O. 208. - K) Böhmer Cod. dipl. Moen. 772. - 9) Meine Gesch. II, 208. ,0) Palacky Formelbücher II, Nr. 48 u. 49, S. 57.

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statt dessen ging er jedoch nach Frankreich, um über die Kirchen- frage zu verhandeln. Am 3. Juli war er in Nürnberg1); am 16. Juli stellte er wahrscheinlich in Cambray die Urkunde selbst hat den Ausstellungsort Karlstein, in des Königs Namen ein Diplom aus, welches dem Bischöfe Andreas die Regalien des Bisthums in ab- sentia übertrug*). Ende August war er vermuthlich in Paris, da damals Karl VI. die Bündnissbriefe mit Wenzel erneuerte3).

Wann Albrecht von seiner Reise zurückgekehrt ist, wissen wir nicht, ebensowenig, warum ihm der König seine Würde so schnell wieder entzog. Schon am 3. December wird aus Prag berichtet, dass >der alte Kanzler wieder Kanzler geworden sei«*). Johannes war es wiederum nicht geglückt, in Camin Fuss zu fassen, wieder war ihm ein anderer, Bogislaw, der Sohn des Herzogs Bogislaw von Pommern -Stolp, zuvorgekommen. Vergeblich rief der König des Papstes Beistand für seinen Günstling an5); Johannes musste wieder umkehren und sich sogar entschliessen, den Titel : Gaminensis electus, den er bis dahin geführt, abzulegen : er nennt sich nun mit Hinzu- fügung seines Vaternameiis nur: Johannes Brunonis Cancellarius. Die erste Urkunde, welche er so unseres Wissens vollzog, am 28. Dec. 1395, ist gegen seinen Vorgänger im Amte gerichtet. Eben die Kegalienertheilung an den Bischof Andreas von Cambray, deren wir oben gedachten, welche Albreiht »prolunc cancellarius noster« aus- gestellt halle, wird zurückgenommen, weil der Bischof dem (Segen- papste anhange6). Aber seine Thäligkcit währte nicht lange; nach- dem er am 19. März 1396 Sigmunds Ernennung zum Reichsvicar unterzeichnet 7), schied er aus seinem Amte. Wahrscheinlich war er ein Opfer der Parteikämpfe am königlichen Hofe. Er scheint erst im Jahre 1409 gestorben zu sein; wenigstens wurden am 8. Mai dieses Jahres ziemlich reiche Legate bestätigt, welche bonae memoriae Hanko cancellarius olim D. Regis der Benedictkirche in Prag ver- macht *). Beliebt war er wohl ebenso wenig, wie die übrigen Räthe des Königs, welchen unverhohlen der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht wurde. Ein Abgesandter der drei Collegiatstifte in Frank-

') Rcichstagsacteu II, Nr. 245. S. 413. *) Scheidt Bihliotheca bist Gotting. 175; über diese Urkunde wehe unten 8. 171. - *) Pelzel II, Urk. Nr. 119, S. 7. - <) Reichslagsacten II, Nr. 246, S. 427. - 4) Palacky Formelbficher II, 51 fl) Scheidt BibL hist. Götting. 175. T) Keichstags- acten II, Nr. 247, S. 430. - *) Balbini Mise. dec. I. Hb V, p. 148.

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I

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furt, welcher Anfang 1394 in deren Auftrage nach Prag reiste, beklagt sich sehr, dass ihm der Kanzler wenig freundlich ent- gegengekommen wäre; der Grund davon sei wohl, weil derselbe in Frankfurt nicht nach seinem Wunsch aufgenommen und geehrt worden sei l).

Derselbe, welchen Johannes eben verdrängt hatte, trat wieder in seine Rechte ein; am 19. Mai 1396 urkundet von Neuem Albrecht von Magdeburg als Kanzler8). Auch die Magdeburger Schöppen- chronik weiss von dieser zweiten Kanzlerschaft und setzt sie wohl mit Hecht in Verbindung mit dem Wunsche des Königs, dadurch von dem Erzbischofe das eroberte Rathenow wieder zu erlangen Der Zweck wurde auch erreicht und der Mohr, der seine Schuldig- keit gethan hatte, konnte gehen. Nichts bezeichnet mehr die Ver- wirrung an dem "königlichen Hofe, als dieser fortwährende Wechsel der Kanzler.

Wieder kam nun ein Liebling des Königs an die Spitze der Geschäfte, der sich auch dauernd behauptet hat. Es war Wenzel Kralik von Burzenic, Dechant auf dem Wisserad. Schon seit längerer Zeit stand er dem Könige als einflussreicher Rath zur Seite, er hatte sogar kein Bedenken getragen, der Folterung der Prälaten Pomuk und Puchnik beizuwohnen und war deswegen vom Erzbischofe Johann in den Bann gethan worden. Zum Kanzler ernannt, erhielt er den wichtigen Auftrag, mit einer grossen Gesandtschaft zu Papst Boni- facius IX. nach Rom zu gehen, um mit ihm über das Schisma zu verhandeln4). Geschmückt mit dem Titel eines Patriarchen von Alexandria kehrte er nach Böhmen zurück, zum ersten Male erscheint er als solcher in einer für ihn ausgestellten Verleihung des Papstes vom 13. April 1397 6). Ihm ging es besser als seinen Vorgängern;

') Böhmer Cod. dipl. Moenofrunoofurt. I, 770. *) Zwei Urkunden in der Hist. Norimberg. dipl. 496 f. *) 8tädtechroniken. Magdeburg I, 296.— *) Wentel wird zum ersten Male Kanzler genannt in einer Urkunde vom 26. Oct. 1396, in welcher ihn nebst anderen Genannten der König beauftragt, dem Erzbischof Gregor von Salzburg in absentia die Kegalien zu ertheilen (im Haus-, Hof-, und Staatsarchiv zu Wien). Der Geleitbrief für ihn nach Rom stellt in einem Eorrael- buche, welches sich im Besitze der Stadt Schweidnitz befindet. J") Palacky FormelbOcher II, S. 63. Die Urkunde vom 15. März 1394 (Pelzel I, Urk. Nr. 97. S. 128), in welcher Wenzel bereits Patriarch und Kanzler genannt wird, ist vor- datirt, da ihm der König erst am 17. März 1401 die in der betreffenden Urkunde erwähnte Gnade verlieh, Pelzel II, 437.

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das ihm anvertraute Amt blieb ihm, so dass er die Reihe der Kanzler König Wenzels abschliesst •).

Ueber das sonstige Kanzleipersonal ist weniger zu sagen. Eine gesonderte Kanzlei für Böhmen war nicht vorhanden, denn dieselben Personen stellen die auf dieses Königreich allein bezüglichen Schriftstücke aus, welche auch für das Reich thätig erscheinen. Nur in einem einzigen Falle bestand vermuthlich eine Ausnahme; die königliche Unterkämmerei , welche besonders die Finanzen zu ver- walten hatte, scheint ihre besonderen Kanzleibeamten gehabt zu haben. Wenigstens führt der Unterkämmerer von Böhmen Sigmund Iluler auch den Titel eines supremus notarius regni Boemiae re- galis3), es gibt einen protonotarius expensarum regalium3), ebenso einen protonotarius und einen notarius camere regalis 4). Abgesehen von Sigmund Iluler, der als königlicher Rath auch Einfluss auf die weiteren Angelegenheiten hatte, linde ich keinen von ihnen in der

*

grossen Kanzlei thälig.

Das Kanzleipersonal bestand aus Schreibern, Registratoreri, Notaren und Protonotaren 5).

Die Liste der Registratoren lässl sich nur lückenhaft feststellen, weil gerade der Registraturvermerk von den Herausgebern am ehesten übersehen und weggelassen wurde, da er in der Regel auf dem Rücken der Urkunden steht. Manchmal wird er auch nur durch das einfache Zeichen R oder Rm ohne Ilinzufügung des Namens gebildet, nicht seilen fehlt er auch ganz. Hin und wieder tindet sich neben ihm die Bemerkung: collatione facta, besonders dann, wenn die Urkunde in mehreren Exemplaren ausgefertigt wurde.

') In den Reichstagsacten 11,525 und III. 326 worden irrig der (Jraf Johann von Sponheim , der erwählte Bisehof von Verden Konrad von Vechta und Nicolaus von Gewitz ais Kanzler aufgeführt. ■) Palacky Formelbürher II, 11(». J) So nennt sich seihst Wenceszlaus Colon, hei Pelzel I, lTrk. Nr. 29, S. 48. *) Andreas dictus Clamor hei Palacky Formelhüchcr II, 129 im Jahre 1393; ehenso unterzeichnet derselhe S. 142 ein Geldangelegenheiten helrelTendes Schreinen der Königin Johanna. Adam notarius camere regalis wird genannt hei Palacky Formelb. II, 143 und z. J. 1394 bei Pelzel I, Urk. Nr. 109, S. 138. - *) In einem Formelbuche (Palacky a. a. 0. 54) findet sich ein Brief Wenzels, in welchem er des Papstes Wohlwollen erbittet für die »honorabiles prolonotarii, registratores atque scriptores literarum nostrarum regalium ; wahrscheinlich nur Stilflhung.

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Lindner:

Nachweisbare Registratoren sind: Wenceslaus de Jenykow bis Ende 1386, Wilhelm Kortelangen bis August 1382 »), Johannes Lust bis Sept. 1381, Jacob de Cremsir (Juli 1382 - Dec. 1384), Beness de Nachod (Dec. 1382 Sept. 1383), Johannes Pflug (Mai bis Juli 1384), Franciscus de Gewicz (Jan. 1385 Dec. 1386), Bartholo- maeus de Novacivitatc (März 1385 Sept. 1397), Petrus de Wischow (Mai 1389 Jan. 1398), Joh.de Budissin (1395), Wenceslaus de Olomucz (Aug. 1392 Mai 1395), Johannes de Wratislavia (1391 bis Mai 1396), Johannes praepositus Northus. (Juli bis Nov. 1396), Johannes de Bamberg (vom Jan. 1398 ab über die Thronentsetzung hinaus).

Den Registratoren lag nicht blos die Registrirung der Urkunden ob, gelegentlich schrieben und besiegelten sie dieselben auch und verrichteten damit die Arbeit, welche eigentlich den Notaren zukam. So hat Wilhelm Kortelangen die Urkunde Wenzels vom 9. Juni 1376 für den Papst selbst geschrieben und besiegelt 2). Auch stand den Registratoren der Weg zum Notariat offen ; von den oben Genannten sind sicher Petrus de Wischow, wahrscheinlich auch Beness von Nachod und Wenzel von Olmütz Notare geworden.

Die Notare und Protonotare lassen sich schwer auseinander- halten ; Protonotare waren sicher der Propst Nicolaus von Canibray, Konrad von Geisenheim, der Anfang 13711 Bischof von Lübeck wurde, und Petrus Jaurensis, alle drei in dieser Eigenschaft schon unter Karl IV. thätig. Nicolaus scheint schon nach den ersten Monaten des Jahres 1379 seine Stelle niedergelegt zu haben; Bischof Konrad von Lübeck, der im Mai 1386 starb, hat bis in den December 1384 und Petrus Jaurensis bis in das Jahr 1386 sein Amt versehen. Vermuthlich an die Stelle Konrads, zugleich mit dem neuen Kanzler Itanko, dem Konrad als Bischof sich ohnehin nicht gut unterordnen konnte, trat im Anfang 1385 Wlachnico von Weilenmül, durch dessen Hände dann die meisten Urkunden König Wenzels gegangen sind. Als publicus auctoritate imperial! notarius hatte er einst am 10. Juni 1376 das Nolariatsinslrument über Wenzels Wahl verfasst und geschrieben. Obgleich es aus diesem Titel nicht folgt, scheint er doch schon da- mals der kaiserlichen Kanzlei angehört zu haben, da ihn wenige Tage später der neue König als >im|>eralium literarum ingrossalorem«

') Er erscheint im Juni 1388 als Domherr in OhnüU, Keg. Bo. X, 225. *) Heichstagsacten I, Nr. 71, S. 107.

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lieber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 159

beauftragt, die Urkunde über die Eidesleistung vor dem päpstlichen Legaten zu schreiben und mit dem königlichen böhmischen Siegel zu versehen. Wlachnico konnte jedoch, wie er selbst am Schluss der Urkunde angibt, indem er sich wieder publ. imp. auct. not. nennt, wegen der Last der Geschäfte das Alles nicht eigenhändig schreiben, sondern Hess es durch einen Andern thun und beschränkte sich darauf, die Urkunde zu publiciren und mit seinem Notariats- zeichen zu versehen. Später im September 1377 ist er in Tanger- münde wieder als öffentlicher kaiserlicher Notar thätig l) ; über seinen Verbleib in der Zwischenzeit wissen wir nichts. Mit Sicherheit können wir noch Nicolaus von Gewitz, der von 1395 ab oft be- gegnet, als Protonotar verzeichnen ; einmal wird auch in einem un- datirten Schreiben Jacobus decanus Wissegrad, als aulae regiae protonotarius bezeichnet *).

In deutschen Schriftstücken nennt Wenzel seine Protonotare »oberste Schreiber«, in den Rechnungen der deutschen Städte werden sie als Unterkanzler, gelegentlich auch geradezu als Kanzler auf- geführt s).

Wahrscheinlich nur Notare waren zunächst Martinus, Archi- diacon von Znaym und seil 1384 Schola^ticus vom heil. Kreuz in Breslau. Sein Name tritt uns vielfach in den Urkunden entgegen bis in den Anfang 1388 •). Ferner drei aufeinanderfolgende Fran- ciscus, deren erster von 1390 bis Ende 1394 sich Canonicus von Olmätz, der zweite in den Jahren 1395 und 1396 sich Propst von Nordhausen5), der drille vom Juli 1390 ab sich Canonicus von Prag schreibt; möglich, dass es ein und dieselbe Person war, ob- gleich es nach den hierarchischen Rangverhältnissen kaum anzu- nehmen ist. Dann Benesch von Weitenmül im Jahre 1380, Jo- hannes Beczlin 1384, die bcreils erwähnten Beuels von Nachod, Wenzel von Olmülz, der Domherr in Prag wurde, und Petrus von Wischow, welche sich von Repislratoren zn Notaren aufschwangen.

') Reichstagsarten I, 72, IM»'., 143; die Ausdrucke sind für den Kanzlei- gebrauch von Interesse. ') Palacky Knrmelbücher II, .r>fl. *) Heichstags- actenll, Nr. 119, S.23f»; Nr. 212, S.3W4; III, S.fl. Nr. I2fl, S. Nr. 48, S.88. *) Noch 13*7 heisst er in den Nflrnber^'r Stadtrechnungen nur: her Mertein in der Kanzlei, Keichslagsaeten I, S. MO: doch ist er vielleicht Ende des Jahres Protonotar geworden. r') Aus dieser Zeitbestimmung ergibt sich, dass Wenzels Schreiben in den Heichstagsactcn II, Nr. 120 in 139.5, nicht 1390 gebort.

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Beim Hofgericht blieben die Beamten, welche schon unter Karl fungirt hatten, Sigfried Steinheimer und Konrad Bissing, die aber ausschliesslich als Registratoren auftreten, der eine bis 1384, der andere bis 1387 ; später Johann von Kirchen oder Kirchheim, der an- fangs Registrator und Notar und zuletzt wohl sogar Protonotar war. In deutschen Urkunden und Briefen wird er Hofgerichtsschreiber, oder mit abgekürztem Ausdruck: Hofschreiber genannt.

Zwischen der Thütigkeit der Protonotare und der Notare lässt sich ein Unterschied bei dem vorliegenden dürftigen Materiale nicht feststellen. Dass auch die Protonotare gelegentlich vielleicht nur bei sehr wichtigen Angelegenheiten Urkunden schrieben, folgt aus der Unterschrift des Propstes Nicolaus unter dem Urbansbunde vom 27. Februar 1379: De mandalo domini regis Nicholaus Camera - censis prepositus scripsit *).

Wir kommen zu den Formen der Beurkundung selbst.

Die Kanzleiformen unter Wenzel sind im Grossen und Ganzen übereinstimmend mit. denen, welche Huber für die Regierung Karls IV. nachgewiesen hat. Doch zeigen sie eine geringere Mannigfaltigkeit, nicht zum Nachtheil ; die grössere Einfachheit spricht für eine klarere, einheitlichere Leitung der Geschäfte.

Principiell ist jede im Namen des Königs erlassene Urkunde zu betrachten als mit seinem Wissen und Willen, auf seinen aus- drücklichen Befehl ausgestellt*). Zum äusseren Zeichen wird das königliche Siegel entweder angehangen oder aufgedrückt, gewöhnlich auf dem Rücken. Dass der König jemals selbst unterschrieben habe, ist mir nicht bekannt ; auch das Monogramm, welches unter Karl IV. vorkommt, scheint in Wenzels Urkunden völlig zu fehlen. Selbst in den Unterfertigungen wird keineswegs immer der ausdrückliche Befehl des Königs hervorgehoben, weitaus der grösste Theil der- selben ist mit den Namen anderer Personen unterzeichnet.

Die Form, in welcher eine besondere Einwirkung des Königs ausgesprochen wird, ist eine dreifache. In der unmittelbarsten Weise geschieht es, wenn das Schriftstück unterzeichnet ist : Rex per se 3). Mir sind für die Zeit bis 1400 nur drei Fülle bekannt. Am 13. De- cember 1388 befiehlt so der König dem von I leideck, von dem er

') Reichstagsactcn I, Nr. 130, S. 240. - *) Vgl. unten S. 171. - 3) Bei Karl IV. kommt, nach Huhers Zusammenstellungen EU schliessen, diese Unter- schrift noch nicht vor.

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gehört, dass er mit den Städten im Bunde sei, stillzusitzen und die Fürsten nicht anzugreifen am 11. November 1396 befiehlt er den lausitzischen Städten, das in feindlichen Händen befindliche Schloss Ronow anzugreifen *); am 3. November 1397 unterzeichnete er so den berüchtigten Erpressungsbrief an Rotenburg8). Dazu will ich noch einige Fälle aus der späteren Zeit heranziehen. Am 12. September 1400 beglaubigt Wenzel mit dieser Unterschrift, unter Beidrückung seines Siegelringes, zwei Gesandte an Frankreich4); die drei Urkunden, welche der König während seiner Gefangenschaft in Wien im Jahre 1403 ausstellte, tragen dieselben Worte 5). Gewiss soll mit dieser Formel der unmittelbaren persönlichen Entschliessung des Königs Ausdruck verliehen werden.

Die Formel: per dominum regem N. (Namen der beurkundenden Kanzleiperson) erscheint nur vereinzelt, und soweit ich sehe, nicht über das Jahr 1382 hinaus. Nicolaus, Martinus und der Bischof Konrad sind die Gegenzeichnenden.

Des königlichen Befehls wird in der Regel gedacht in der Formel: ad mandatum, oder seltener: de mandato domini regis.

In verstärkter Weise: ad mandatum domini regis proprium, ohne Hinzufügung der Kanzleiperson, sind die beiden Urkunden vom 21. August 1383 unterzeichnet, welche die Ernennung des Mark- grafen Jost zum Generalvicar in Italien betreffen6). Die grosse Wichtigkeit der Sache erklärt die abweichende Form.

Sonst wird immer der Name des vom Könige mit dem Voll- zuge beauftragten Mannes hinzugefügt, also z. B.: ad mandatum domini regis Petrus Jaurensis.

Immer ist das eine der Kanzlei selbst angehörige Person, ent- weder der Kanzler oder ein Protonotar, selten ein Notar. In den ersten Jahren bis Ende 1384 sind es der Kanzler Propst Nicolaus, Bischof Konrad und Petrus Jaurensis, welche abwechselnd begegnen. Vom Beginn 1385 ab erscheint jedoch eine festere Regel: es ist hauptsächlich der Kanzler selbst, der neben dem Könige die Urkunde bezeugt. Von 81 Urkunden tragen nur 27 den Namen eines Proto- notars oder Notars, und von diesen fallt ein grosser Theil in die

') Cod. Arch. reg. Norirab. 278, fol. 42. - *) Carpzow Analecta fast. Zittav. V, 927 mit verstümmelter Unterschrift : Dnus rex rer. sec. a) Vgl. Reichstags- actenlll, S.477. - *) Reichstagsacten III, Nr. 241. - s) Pelzel Urk. II, S 89 bis 9«. - •) Pelze 1 I, Urk. Nr. 38 und 39, S. 59.

ArchlTSliüeh«« Zeitschrift. IV. \\

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Zeit zwischen dem Abgang des alten und der Ernennung des neuen Kanzlers, gelegentlich lässt sich auch die Abwesenheit desselben vom Hofe nachweisen. Man wird daher annehmen dürfen, dass gerade diese Form der Beurkundung eine grössere Bedeutung verleihen sollte. Es sollte damit bezeichnet werden, dass der König persönlich von der Sache Kenntniss besass, über sie entschieden und die Be- urkundung angeordnet hatte.

Zuweilen wird in der Unterfertigung der königliche Rath (con- silium) als auflraggebend erwähnt.

Einiges über denselben erfahren wir aus der Urkunde, in welcher Wenzel den Cardinal Pileus zum Mitgliede ernennt. Da heisst es: vos, amicum nostrum carissiraum, non improvide sed animo deli- berato et de certa nostra seien tia, in prineipem consiliarium l) nostrum cum provisione 20. marcarum Kutnensis numeri 58 grossos pro marca quolibet computando P. V. de camera nostra ubic umque vos *) esse contigerit, septimaniter et ebdomada qualibet, ad vitae nostrae duntaxat tempora solvendarum, assumpsimus et aliorum prineipum nostrorum consiliariorum coetui liberaliter aggregamus; decernentes et regio statuentes edicto, quod universis et singulis juribus privilegiis indultis et gratiis, quibus ceteri prineipes consiliarii nostri utuntur et potiuntur quomodolibet et quae spectant ad officium hujusmodi consuetudine vel de jure, uti gaudere debeatis etiam et potiri. In gleicher Weise führen deutsche Fürsten und Bischöfe den Titel eines königlichen Raths3). Wenn sie gerade am königlichen Hofe verweilten, wurden sie auch wohl in den Rath herangezogen; im Grunde aber war der Titel nur eine personliche Auszeichnung, der zugleich ein Jahrgeld einbrachte. Dagegen werden selbst einfache Ritter königliche Räthe genannt, wie Hans von Biberstein, Edmund von Endelsdorf u. A. Ueberhaupt lassen sich eine grosse Anzahl von Personen als königliche Räthe nachweisen : vor allen die grossen böhmischen Landes- und Hofbeamten. Ob besondere Räthe für das deutsche Reich und das Königreich Böhmen bestanden, lässt sich nicht erkennen; aber er ist nicht wahrscheinlich, da wir die

') Der Text bei Falacky Forrnelhüchor II, Nr. 34. S.49 hat zwischen prineipem und consiliarium fälschlich : et. 2) l'alacky falsch nos. 3) Z. B. der Bischof Lamhert von Bamherg, Nicolaus von Constanz, Graf Friedrich von Oettingen, die Burggrafen von Nürnberg, Markgraf Wilhelm von Meissen, Graf Philipp von Falkenstein u. s. w.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 163

böhmischen Herren auch in Reichsangelegenheiten thätig finden. In den späteren Jaliren Wenzels hatten ohnehin die von ihm empor- gehobenen Günstlinge alle Geschäfte in den Händen. Wenn viele Herren nur den Titel trugen, so waren doch wieder andere dauernd als königliche Räthe thätig, wie der Herzog Przemisl von Teschen, der Bischof Lambert von Bamberg u. s. w. Unzweifelhaft war der königliche Rath als eine ständige Einrichtung vorhanden, aber gewiss nach unseren Anschauungen von sehr unvollkommener Art. Man darf sich ihn nicht als ein festes, von einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern gebildetes Gollegium denken; seine Zusammensetzung war vielmehr eine wechselnde, seine Thätigkeit nicht fest umgränzt. Manche Angelegenheiten wurden von der Gesammtheit berathen, aber den einzelnen Rathen kam gewiss nicht, wie das heute der Fall ist, ein bestimmtes Decernat zu. Der König wird in vielen Fällen die Untersuchung und Begutachtung einer Sache, die Durch- führung einer Massregel einem oder mehreren seiner Räthe zugewiesen haben; manchmal mochte auch der Zufall entscheiden, je nachdem der Bittsteller einen der Räthe angegangen hatte. Wieweit jedesmal des Königs Entscheid eingeholt, ihm das schlicssliche Ergebniss zur Genehmigung und Bestätigung vorgelegt wurde, ist zweifelhaft; wir haben allen Grund anzunehmen, dass gelegentlich die Räthe selbst- ständig, wenn auch in des Königs Namen verfügten.

Ueber den Geschäftsgang des königlichen Rathes und die Stellung des Königs zu demselben erfahren wir Einiges aus dem Berichte des Nicolaus von Gaub, welcher Anfangs 1394 in einer Rechtssache nach Prag reiste. Der König war gerade durch die Anwesenheit von grossen Fürsten in Anspruch genommen: nec aliquas legationes expedire voluit sive committere ante recessum dominorum praedictorum.

in fine ergo prime septimane dominus noster rex consilio

suo commisit, ut legationes ibidem presentes audirent sibique earum effectura referrent. Quo facto dominus rex quoad negocium vestrum respondit, quod consiliura deliberaret et quidquid fieri posset bono modo, ad hoc libenter consensum suum adhiberet. Fuitque negocium propter multa ibidem expedienda prorogatum. Medio vero tempore frequenter sollicitavi magistrum curie, dominum cancellarium et alios, de quorum promotione confidebam etc. etc. l).

Die Formeln, in denen der Mitwirkung des Rathes gedacht wird,

') Böhmer Cod. dipl. Moenofrancof. 770.

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sind verschieden. So ist die Erneuerang des Urbanbundes vom 4. Februar 1381 unterzeichnet: ex deliberacione consilii; die Ver- pflichtung Wenzels vom 2. Mai 1381, an König Richard von Eng- land eine bestimmte Summe zurückzuzahlen, erfolgt: de mandato regis consilio referente, eine Vollmacht des Königs zur Verhandlung mit den schwäbischen Städten vom 11. August 1384 ist ausgestellt: ad mandatum regis et totius consilii »), die Verfügungen über Münze und Judenschulden vom Jahre 1390 sind erlassen: ad mandatum tocius consilii8).

Wir haben damit den Uebergang gewonnen zu den königlichen Urkunden, deren Unterfertigung nicht den Befehl des Königs, son- dern den Auftrag eines Zweiten enthält. Es sind da zwei Formen zu unterscheiden, einmal : Ad relationem N., und die gewöhnlichste, welche die meisten Urkunden haben : Per dominum N. In den Urkunden Karls IV. kommen ebenfalls beide Unterfertigungen vor.

Es fragt sich zunächst, ob diese Formeln gleichbedeutend sind oder ob sich zwischen ihnen ein Unterschied feststellen lässt. Ficker5) und Huber, welche die allerdings sehr schwankenden Verhältnisse unter Karl IV. im Auge haben, sind der ersteren Meinung. Mir scheint jedoch für die Zeit Wenzels ein Unterschied zu bestehen, wenigstens in den späteren Regierungsjahren, in denen wir schon oben eine festere Ausbildung der Form fanden, nachweisbar. Aller- dings verkenne ich nicht, dass ein völliger Abschluss der Frage sich nicht erzielen lässt, dass ein entschiedenes Ja! oder Nein! nach keiner Seite hin gesagt werden kann.

In beiden Fällen ist der an zweiter Stelle genannte Ausfertiger immer eine Kanzlciperson, aber nie der Kanzler selbst, sondern ein Protonotar oder meistens Notar, hin und wieder auch ein Registrator: nach dieser Richtung hin findet also ein Unterschied nicht statt.

Vergleichen wir dann die Liste der Personen, welche als Refe- renten genannt werden, mit denen, welche mit der Formel: Per dominum N. Urkunden. Da zeigt sich, dass abgesehen von Aus- nahmen, welche sich leicht erklären lassen, nur vereinzelte Personen sich beider Formeln neben einander bedienen. So besonders der

') R e i ch s t a g sact e n I, Nr. 1(52; Rymer III, 3, 116; Reichstags- acten I, S. 459, Anm. 10. *) Reichstagsactcn II, Nr. 150, 174, 175. 182, 1843, 184, 186. Ueber diese Urkunden vgl. unten 8. 168. - •) Beiträge iur Urkundenlehre II, 17.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378— 1400. 165

königliche Rath, Münzmeister und später Oberstlandschreiber Cunat oder Konrad Kappler, der eben so oft als Referent, wie als Ver- fügender genannt wird; dann der magister curie Hermann von Chaustnik und Beness von Chaustnik, der Oberhofkämmerer, später Hauptmann in Schlesien war. Die letztgenannten erscheinen jedoch nur selten als Referenten.

Ausschliesslich als solcher erscheint Sigmund Huler, der seit 1387 Unterkämmerer von Böhmen war; die von ihm herrührenden sehr zahl- reichen Urkunden tragen nur die Unterschrift: ad relationem Sig. subcam. N. Ebenso der bekannte Borziwoi von Swinar, oberster Hauptmann in Baiern, Landvogt im Elsass und in Schwaben, durch dessen Hand in dem letzten Jahrzehnt die meisten Reichsgeschäfte gingen und der einen ausserordentlichen Einfluss ausübte. Nur ein- mal heisst es: Per dn. Guntherum com. de Swarczburg et Borz. de Swynar Franc, canon. Prag. l); hier erklärt die Verbindung mit dem Schwarzburger die Abweichung. Ferner der Oberstburggraf und Lehnrichter Burkard Strnad von Janowitz, der seine grosse Gunst, die er beim Könige seit dem Jahre 1395 genoss, durch gewaltsamen Tod büssen musste Ä), Hinzko Pflug (Pluh) und Hinzko von Weissen- burg, Johann von Milheim, der Malteserprior Markold, der Ilof- kämraerer Stephan Poduska, Wenzel Kralic, ehe er Kanzler wurde. Sie alle sind bekannt als Günstlinge des Königs, der ihnen mannig- fache Aemter gab. In dem Jahre 1379 erscheint auch Herzog Heinrich von Brieg3) als Referent und 1391 Johann der erwählte Bischof von Merseburg 4). Auffallend ist, dass mit dem letzten Jahr- zehnt die Zahl der ad relationem ausgestellten Urkunden ausser- ordentlich zunimmt.

Viel zahlreicher sind die Herren, welche sich ausschliesslich der Formel: per dominum bedienen. Am häufigsten tritt unter ihnen der Herzog Przemisl von Teschen auf, der vornehmste königliche Rath, Hofrichter und zeitweise Reichsverweser, neben ihm der Ober-

') Am 11. Sept. 1397 in Angelegenheit der Elisabeth von Meissen. Original in Dresden. *) Nur einmal, im Jahre 1379, finde ich: per dn. B. de Jan. Ob dies der im Texte erwähnte ist, ist ungewiss. «) Pelzel 1, Urk. 36. *) In einer Thüringen betreffenden Angelegenheit, Keichstagsacten II, Nr. 205, welche Juhann vermuthlich vermittelte. Das hier auffallende ad relationem er- klärt sich, weil es sich um Judenschulden handelt, vgl. unten S. 168.

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hofmeister Heinrich von Duba und Beness von Chaustnik *) , dann säramtliche Kanzler, der alte Cardinal von Prag, die Bischöfe Lam- bert von Bamberg *), Johann von Lebus und Johann von Leitomischl, die Markgrafen von Mähren Jost und Procop, und die Herzoge Johann von Görlitz, Johann von Troppau, der Landgraf von Leuch- tenberg, die Grafen Johann von Sponheim und Günther von Schwarz- burg, die böhmischen Barone Witko von Landstein, Potho von Chastalowitz, Tliimo von Cholditz, die meist hohe Landesämter trugen, Chwal Burggraf von Wisserad, der Unterkämmerer und Burggraf Georg von Rostock. Nur einmal erscheinen der Herzog Friedrich von Baiern und der Baron Heinrich von Neuhaus. Man sieht, es sind zum grössten Theil hochstehende Männer, von höherem Range, als die ad relationem Urkundenden.

Gegenüber diesem Thatbestande kann man sich kaum der An- nahme verschliessen, dass zwischen den beiden Beglaubigungsformeln ein innerer Unterschied besteht. Aber welcher Art ist derselbe? Er kann sich beziehen entweder auf den Inhalt der Urkunde selbst, oder auf die Person der Ausfertigenden.

Was heisst überhaupt das ad relationem, was bedeutet in diesem Zusammenhange: referre?

Auskunft gewahrt eine zusammengesetzte Formel, welche es in Verbindung bringt mit dem Mandat des Königs, aber an sich von jener einfachen Formel verschieden ist. Sie kommt mehrfach vor und heisst vollständig, um ein Beispiel zu geben : Ad mandatum dni regis referente duee Teschinensi Conradus episcopus Lubecensis. Hier erscheinen als Referenten auch Persönlichkeiten, welche für sich allein nur per dominum Urkunden. Melirere Male der Herzog von Teschen, der Erzbischof und Kanzler Johann von Prag, Borcz von Riesenburg, Thimo von Cholditz und Heinrich von Duba, der Herzog Heinrich von Bricg, der Landgraf von Leuchtenberg, der Münzmeister Kappler, Bischof Lambert von Bamberg, Borziwoi von Swinar, der Bischof Johann von Olmütz, einmal auch das Con- silium werden als Referenten in dieser Formel genannt.

Unterrichtend über die Hauptfrage ist besonders folgende Ur- kunde. In Paris befindet sich die Abschrift eines Vertrages vom

') Wie oben erwähnt, urkundet derselbe nur ausnahmsweise ad relationem (1396 April 15, Heichstagsactcn II, Nr. 122), sonst immer per dn. B. de Ch. *) Ueber einige Fälle, in denen er ad relationem urkundet, siehe unten S. 168.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 167

12. Januar 1383, welchen König Wenzel mit Richard von England schloss. Dieselbe wurde mir aus der Sammlung der Mon. Germ, gütigst vom Herrn Geh. Rath Waitz mitgetheilt. Die Gegenurkunde Richards vom 10. März 1383, welche bis auf eine, die Kaiser- krönung betreffende Stelle wörtlich übereinstimmt, ist gedruckt bei Lünig Cod. Germ. dipl. I, 402. Die Unterschrift des Vertrages vom 12. Januar 1383 lautet nun: De mandato domini regis referentibus et committentibus mihi dominis duce Thessinensi, Conrado Kreyer raagistro curie, Thyraone de Kolditz et Henrico de Duba presentem notulam nunciis domini regis Anglie, videlicet dominis Richardo Rouhale legum doctori, Nicholao de Sarnesvelt et Bernardo de Zedelicz dedi ego Conradus episcopus Lubicensis, facta prius colla- tione in presentia dicti domini ducis Thessinensis cum dictis nunciis per me episcopum predictum Präge in hospitio dictorum nunciorum. Anno domini 1383 12. die mensis Januarii. manu propria.

Wir sehen also den Gang der Verhandlung deutlich vor uns. Der König hat den vier erst genannten Rathen befohlen (ad mandatum regis) den Vertrag abzuschliessen. Diese übertragen (referunt et committunt) dem Bischof von Lübeck, dem Protonotar, der jedenfalls auch den Entwurf redigirt hatte, ihn dem englischen Gesandten zu übergeben. Dies geschieht in Gegenwart des Herzogs von Teschen, und zugleich wird noch einmal durch Vergleichung (collatione prius facta) festgestellt, dass der übergebene Entwurf wörtlich mit der von den königlichen Rathen festgestellten Vorlage übereinstimmt.

Die zusammengesetzte Formel also unterscheidet sich von der einfachen: ad mandatum regis insofern, als der König zwar Kenntniss von der specicllen Sache hat und sie selbst anordnet, aber die Ausführung nicht direct dem Kanzler überträgt, sie vielmehr durch Mittelspersonen bewirken lässt.

Dieselbe Bedeutung muss referre in dem Substantiv ad rela- tionem haben ; es ist zu übersetzen mit: im Auftrage des und des. Relatio ist nicht, wie wir nach heutigem Gebrauche annehmen könnten, ein Bericht, der dem Könige erstattet wird, sondern der von dem königlichen Rathe oder dem sonstigen Bevollmächtigten an den Kanzleibeamten, welcher die Urkunde zu besorgen hat, ertheilte Auftrag. Sie richtet sich nicht nach oben an den König, sondern nach unten an den Kanzlisten.

Wir sahen oben, dass besonders Sigmund Huler und Borziwoi von Swinar sich dieser Formel bedienten, deren Aemter am ehesten

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einen bestimmten Geschäflskreis, von dem wir uns ein ungefähres Bild machen können, umschlossen. Besonders lehrreich scheint mir noch eine Gruppe von Urkunden. Der König hatte 1390, um die Judenschuldentilgung durchzuführen, eine Commission ernannt, welche aus Bischof Lambert von Bamberg , Hinzko von Weissen- burg, Hinzko Pflug und Borziwoi bestand, denen Wlachnico von Weitmül als Kanzleichef beigegeben war. Die von ihnen erlassenen Urkunden sind, soweit sie allgemeine Anordnungen und grössere Reiche betreffen, unterzeichnet: ad raandatum tocius consilii Wlach- nico de Weit., diejenigen, welche mehr einzelne Verhältnisse be- treffen, ad relationem und von dem Notar Franz von Olmütz. Als Referenten erscheinen nun die oben Genannten theils einzeln, öfters jedoch 2 oder 3 von ihnen, und wahrend sonst Bischof Lambert immer: per dn. Lamb. ep. Bamb. urkundet, hier in Verbindung mit den anderen thut er es: ad relationem ').

Es scheint demnach die Annahme statthaft, dass das ad rela- tionem nicht willkürlich und unterschiedslos von dem per dominum gebraucht wurde, sondern eine begrenzte Anwendung hatte. Wenig- stens, wie ich wiederhole, in dem letzten Jahrzehnte der Regierung Wenzels ; in den früheren Jahren wird diese Formel olinehin seltener gebraucht. Meiner Ansicht nach gehört das ad relationem in den gewöhnlichen laufenden Geschäftsgang; es wird einmal gebraucht von Beamten, wenn sie über ihnen kraft ihres Amtes zustehende Angelegenheiten Urkunden, gemäss der ihnen durch Uebertragung des Amtes verliehenen Befugniss. Es wird ferner gebraucht in Folge eines allgemeinen, weiter wirkenden Auftrages, wenn die Urkundenden vom Könige oder dessen Rathe eine allgemeine Instruction erhallen haben, die sie dann im Einzelnen durchführen.

Wie verhält es sich dann mit der Formel : \m dominum ? Das Eine sahen wir schon, dass sie sich besonders findet bei höher Ge- stellten, bei den grossen Landesbeamten und Baronen, bei fürstlichen Personen. Einmal soll also durch sie, schon in der äusseren Form, ein gewisser Ehrenvorzug ausgedrückt werden. Man könnte viel- leicht auch an die Intervenienten der alten kaiserlichen Urkunden denken, aber die Aehnlichkeit ist nur eine sehr äusserliche. Ein grosser Theil der Herren, welche unter dieser Form Urkunden,

') Die zahlreichen Urkunden in den Heicbstagsacten II, S. 290 ff,; vgl. oben S. 164 und S. 166.

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waren königliche Ruthe, aber die Angelegenheiten, über welche sie Urkunden, sind höchst verschiedener Art. Es scheint demnach, dass sie die Urkunde ertheilten nicht von Amtswegen, nicht in Folge eines laufenden Auftrages, sondern auf Grund königlicher Vollmacht für den speciellen Fall. Dabei ist noch eines zu beachten. Wenn wir die Unterschriften: per dominum verfolgen und die in ihr ge- nannten Auftraggebenden zusammenstellen, erhalten wir häulig ein Bild der allgemeinen politischen Lage. Wenn wir den Herzog von Görlitz, die Markgrafen von Mähren genannt finden, so hängt das fast immer mit den allgemeinen Verhältnissen zusammen. Da ich dieselben in meiner Geschichte Wenzels dargestellt habe, brauche ich nicht noch einmal darauf einzugehen. Recht bezeichnend ist es z. B., wenn der Herzog Friedrich von Baiern unter der Urkunde steht, welche seinem Günstlinge Georg die Regalien von Passau ertheilt, wenn der Baron Heinrich von Neuhaus das Patent unter- zeichnet, durch welches der gefangene König den böhmischen Land- tag beruft

Demnach lässt sich ein Unterschied zwischen den beiden For- meln kaum leugnen. Freilich ist es ganz unmöglich, denselben in jedem einzelnen Falle, bei jeder einzelnen Urkunde auch nachzuweisen und zu begründen. Dazu waren alle Verhältnisse des damaligen Staates noch viel zu sehr im Flusse, da die (Kompetenzen kaum irgend- wo fest abgegrenzt erscheinen. In vielen Fällen stand es daher gewiss in dem Belieben der Kanzlei, welche Formel gerade angewandt wurde. So konnte es geschehen, dass, wenn es fast immer heisst: ad mandatum consilii, doch daneben auch einmal: ad relationem prineipum et consilii erscheint8).

Eine eigene Stellung nimmt die Urkunde vom 21. Januar 1398 ein, mit welcher Wenzel den Streit zwischen Bischof Gerhard von Wirzburg und den Städten seines Bisthums entscheidet3). Sie ist unterzeichnet: ad relationem von 11 genannten Herren, welche sämmt- lich Böhmen und als des Königs Küthe oder Günstlinge bekannt sind. Sie sind wohl nichts anderes, als das namentlich aufgeführte con- silium, wenn dieses Wort auch dabei nicht gebraucht ist.

Ganz allein stehen zwei Urkunden vom 29. und 30. April 1390, die erste ein Privileg für Heinrich von Plauen, die zweite die Ein-

') Meine Geschichte II, 128; 197. - ) Heichslagsacten I, Nr. 313. J) Keichstagsacteu III, Nr. 21.

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richtung eines Landfriedensbezirkes betreffend, Welche ausgestellt sind: ad literam dominorum Hcnrici de Duba magistri curie et Gun- radi Keppler Franc. Olom. can. *).

Durch Fickers Untersuchungen ist die Frage, wie weit das wirkliche Itinerar des Königs mit dem urkundlichen übereinstimmt, wieder in den Vordergrund getreten. Bei Wenzel kommen nur die Jahre in Betracht, in denen er grössere Reisen unternahm, also 1379—1384, 1386—1387, 1397-1398. Im ersten Bande meiner Geschichte etc. 429 IT. habe ich das urkundliche Itinerar bis zum Jahr 1387 zusammengestellt und dort bereits auch einige ein- schlagende Bemerkungen gemacht2). Im allgemeinen stimmt das urkundliche Itinerar mit dem wirklichen überein, aber wir haben doch eine Anzahl von Urkunden, an deren Ausstellungsorte sich der König an dem betreffenden Tage sicher nicht aufhielt. Zu den früher gegebenen Beispielen will ich einige hinzufügen.

Wiederholt ist der Urkunden gedacht worden, welche sich auf die Judenschuldentilgung vom Jahr 1390 beziehen. Der grösste Theil von ihnen ist zu Nürnberg ausgestellt, wo die abschliessenden Ver- handlungen mit den Städten und Fürsten stattfanden. Es sind das sowohl Urkunden vom September 1390, als vom März 1391 ; gleich- wohl wissen wir sicher, dass sich der König zu keiner dieser Zeiten in Nürnberg befand, dass er vielmehr in Böhmen verweilte 3).

Die Strassburger Fehde vom Jahre 1392 wurde im Februar 1393 durch Borziwoi auf einem Tage in Hagenau beigelegt. Die Urkunde des Königs vom 4. Februar, welche die über die Stadt ausgesprochene Haft aufhebt, ist auch in Hagenau ausgestellt, während Wenzel nach wie vor in Prag verweilte *).

Es ist kein Zweifel, dass diese Urkunden ausgestellt wurden von königlichen Bevollmächtigten, dass sie den Ort, an welchem sie selbst verhandelten, in die Urkunde aufnahmen. Daneben findet auch der umgekehrte Fall statt; die am anderen Orte ausstellenden

') Reichslagsacten II, Nr. 116 und ein uugedrucktes Original in Dresden. *) Ein sehr schönes Beispiel, dass auch in försllicheu Urkunden ein fingirter Ausstellungsort angesehen wird, ist der Fehdebrief Wilhelms von Geldern gegen Frankreich, der angeblich in Nimwcgen ausgestellt ist, obgleich er unzweifelhaft in London geschrieben und im Einverständnisse mit dem englischen Könige ent- worfen wurde; vgl. meine Geschichte II, 89. •) Meine Geschichte II, 108; Keichstagsacten IL S. 287 und 504. 4) Wencker De Ussburgeris 196.

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Ueber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1378—1400. 171

Beamten nennen in der Urkunde den Ort, an welchem ihrer Meinung nach sich der König aufhielt. So stellten die nach England ge- schickten Gesandten dort am 2. Mai 1382 eine Urkunde aus, welche sie von Nürnberg datirten, weil sie wussten, dass der König die Ab- sicht hatte, sich dorthin zu begeben; in der That aber war er an diesem Tage noch in Prag. Ebenso findet sich eine am 2. August 1387 angeblich in Prag ausgestellte Urkunde, während der König noch in Nürnberg verweilte; der königliche Bevollmächtigte, der in Italien urkundet, wusste das nicht so genau l). Am schlagendsten ist die bereits oben angezogene Urkunde '), welche der Kanzler Albrecht, Erzbischof von Magdeburg, für den schismatischen Bischof von Cambray unter dem königlichen Majestätssiegel am 15. Juli 1395 angeblich in Karlstein ausstellte; sie ist auf der Reise nach Frankreich, ver- muthlich also in Cambray selbst gegeben. In der Urkunde selbst wird mit klaren Worten ausgesprochen, dass Albrecht dazu das Recht hatte; nicht weil er seine Vollmacht überschritten, sondern weil der betreffende Bischof der kirchlichen Gegenpartei angehörte, wird die Urkunde widerrufen.

Man sieht demnach, dass der Grundsatz: »jede im Namen des Königs erlassene Urkunde sei zu betrachten als mit seinem Wissen und Willen, auf seinen ausdrücklichen Befehl ausgestellt« s), nur in der Theorie richtig ist. Wir haben demnach keine Gewähr, wie weit die Urkunden Wenzels wirklich unmittelbar an seinem Hofe, in seiner Kanzlei selbst geschrieben sind, es eröffnet sich hier ein weiter Spielraum für paläographische und diplomatische Unter- suchungen, die freilich nur auf Grund der Originalien ausgeführt werden können und wohl sobald nicht zu erwarten sind.

Wir erfahren auch anderweitig, dass dem so war, dass könig- liche Bevollmächtigte nach ihrem Ermessen Urkunden ausstellten. Sie bedienten sich dazu entweder der sogenannten »Membranen«, bereits in der Kanzlei besiegelter Pergamente, auf welche sie dann den Text schrieben, oder sie führten geradezu das königliche Siegel mit sich. So heisst es schon im Jahre 1383, als es sich um die Vor- bereitungen zur ersten grossen Judenschuldentilgung handelte, dass der König seine Räthe deswegen ins Reich geschickt hätte und dass diese des Königs »ingesigel« mit sich führten, um die Juden zu citiren4).

l) Meine Geschichte I, 428; 436. - *) Vgl. oben S. 155. - ') Vgl. oben S. 160. 4) Heichstagsacten It Nr. 233.

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Ganz besonders beklagte sich Strassburg über den Unfug, der gegen die Stadt mit den Membranen getrieben würde. »Darzü gap der künig dem bischofe und den andern herren wol hundert carten: das worent birmentbriefe, do nütschet an geschriben stunt und doch versigelt worent mit des küneges magestete ingesigel, daran der bischof und die anderen herren möhtent tön schriben und manen mit grossen penen, wen wolten und wie woltent, also OUch dotent. also wurdent vil briefe hie in disem bistum ge- schriben mit worten und mit daten, also ob zu Präge geben werent l).

Eine wie grosse Verwirrung daraus gelegentlich entstehen konnte, liegt auf der Hand. So konnte es geschehen, dass ein königlicher Diener die Echtheit einer in Wenzels Namen (vermuthlich mit dem Ausstellungsorte Prag) gegebenen und von Borziwoi gegengezeichneten Quittung deswegen anzuzweifeln wagte, weil Borziwoi zur Ausstel- lungszeit nicht in Böhmen gewesen sei2). Bekanntlich haben diese Membranen eine Holle gespielt bei Wenzels Absetzung. Unter den Gründen derselben heisst es: so hait er auch umbe geldes willen dicke und vil syne frunde gesand mit ungeschriben brieven, die man nennet membranen, dy doch mit syner majestat ingesigel besigelt waren, und mochten die frunde oder den die membranen wurden, under dem königlichen sigel schriben, waz sy wolden etc.

Wie weit die Beschuldigung richtig ist, dass Wenzel diese Mem- branen für Geld verschachert habe, ist mehr als zweifelhaft, aber aus dem oben Gesagten geht hervor, wie leicht ein solches Gerücht entstehen konnte. Andrerseits darf man nicht verkennen, dass sich dagegen kaum etwas einwenden lässt, wenn die Bevollmächtigten des Königs in seinem Namen urkundeten, vorausgesetzt, dass sie dabei ilirc Pflicht nicht verletzten. Je mehr die mittelalterlichen Verhältnisse allenthalben, namentlich in der Regierung und Verwal- tung der Länder, dahinschwanden, mussten neue Formen dafür ge- funden werden. Dass das mancherlei Schwierigkeiten bot, dass die Vermischung des Alten und Neuen Störungen hervorrief, war nicht

') Städtechroniken Strasburg II, (584. 2) Städtechr. Nürnberg I, 191. Der Brief gebört unzweifelhaft zu 1390, nicht 1397, wie ihn Hegel ansetzt, flman Stromer sagt hier allerdings: ez stund per in an da tum hern Worsawoy. Es wäre das ein Ausnahmefall (vgl. oben S. 165), aber Stromer will damit wohl nur die Unterschrift Uorziwois überhaupt bezeichnen.

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lieber Kanzler und Kanzlei des Königs Wenzel i. d. Jahren 1878—1400. 173

zu verwundern. Der Fehler lag darin, dass man die alte äusser- liche Form der Beurkundung durch den König selbst im Wesent- lichen aufrecht hielt, ohne dass sie noch dem inneren Wesen ent- sprach. Wie in manchen anderen Fragen, so war auch hier Wenzel den Aufgaben seiner Zeit, die in jeder Hinsicht eine Uebergangszeit ist und diese sind ja gerade die schwierigsten , nicht gewach- sen; er kam nicht hinaus über halbe Massregeln, unsicher hin und her tastend zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.

VI. Das Ostfriesische Landesarchiv (1454-1744).

Von

Dr. Herquet, k. Staalsarchivar zu Aurich.

Das Ostfriesische Landesarchiv, das den Grundstock des jetzigen k. Staatsarchivs bildet, ist erwachsen aus den Registraturen der Landesherrschaft, des Hauses Cirksena, umfasst aber nicht die Registraturen der Landesstände, die ihre Urkunden und Acten stets in eigener Verwahrung gehalten haben.

Das Landesarchiv bestand ursprünglich und naturgemäss aus zwei Theilen, von denen der eine die das landesherrliche Haus als solches berührenden Archivalien in sich begreift, also das eigentliche Hausarchiv, während der andere die aus der fortlaufenden Ausübung der Hoheitsrechtc erwachsenen Registraturen repräsentirt. Zu letzteren Zählen wir auch die der infolge der Reformation eingegangenen Ostfriesischen Klöster und Commenden, von deren wahrscheinlich sehr reichen Schätzen sich nur kärgliche Reste erhalten haben1).

') Bezüglich des Archivs des sehr bedeutenden Klosters Marienkamp bei Esens wissen wir, dass Graf Enno II. nach Beendigung seiner Fehde mit Junker Balthasar von Esens in dem mit demselben am 18. October 1530 abgeschlossenen Vergleich die uneingeschränkte Auslieferung festsetzte. »Alle de guder, erve, kleinoden, brefe, segel und registern niebts uthgescheiden, so dem kloster Esens und sinen upkumsten belanget, sali man ditmahl tho unsen handen stellen.«

Uebrigens gerieth das gräfliche Haus wegen der Einziehung der geistlichen Güter in langwierige Streitigkeiten mit den Ostfriesischen Ständen, wegen der Johannitergüter auch in Processe mit dem Johanniterorden, die vor dem Beichs- kammergericht bis in die Zeiten des Dreissigjährigen Krieges spielten. Solche fragliche Besitzverhältnisse pflegen auch einen ungünstigen Einfluss auf die Archive der betreffenden Güter auszuüben.

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Das Ostfriesische Landesarchiv 1454-1744.

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Nachdem Ulrich Cirksena von Greetsiel, der mächtigste der Ostfriesischen Häuptlinge, sich durch kaiserliche Belchnung vom 30. September 1454 zum ersten Reichsgrafen von Ostfriesland auf- geschwungen und damit dem Lande ein festeres politisches Gefüge gegeben hatte, gelang es ihm auch durch Verdrängung der Ham- burger und durch Abfindung der übrigen Ostfriesischen Mitbesitzer das Eigenthumsrecht an dem festen Schlosse der damals schon wichtigen Stadt Emden zu erwerben.

Hier und nicht in seiner Stammburg zu Greetsiel (bei Norden) verwahrte er seine Urkunden, vorab die sehr kostspieligen kaiser- lichen Lehenbriefe von 1454 und 1464. Gleichfalls befanden sich hier die früheren Urkunden des allerdings auf kein sehr hohes Alter Anspruch machenden Hauses Girksena.

Wir sch Hessen dies aus einer Notiz in dem sogenannten Man- ningabuch, einem Copialbuch des ritterschaftlichen Archivs zu Lütets- burg, dem Stammsitz der Grafen von Knyphausen. Hier wird be- züglich einer darin befindlichen Urkunde vom 1. März 1436, einer Schenkung Styld Goden's an die Häuptlinge Edzard von Greetsiel (älteren Bruder des Grafen Ulrich I.) und Lutet Manninga bemerkt: die notarielle Beglaubigung der Abschrift sei nach dem Original ge- schehen »in veteri arce Embdana«1) und zwar am 27. Januar 1566 (Friedländer, Ostfriesisches Urkundenbuch Nr. 451 Anm. 1).

Kurz vorher, am 19. Oktober 1562, war der Vater der Ost- friesischen Geschichtsschreibung, Eggerik Beninga, als Ostfriesischer Rath und Drost zu Leer gestorben. Seine »Historie van Oostfrics- lantt liefert den Beweis, dass er das Landesarchiv, sowie die anderen Ostfriesischen Archive auf das fleissigste benutzt hat und zeichnet sich vor den meisten Chroniken seiner Zeit durch den für uns so wichtigen Umstand aus, dass ein bedeutender Theil der citirten Ur- kunden ihrem Wortlaut nach mitgcthcilt wird.

Die fortwährenden Streitigkeiten des Regentenhauses mit der Stadt Emden hatten den Grafen Edzard II. bewogen seine Residenz (etwa um die Mitte der siebenziger Jahren) nach Aurich zu ver- legen, zumal er auch seinem jüngeren, ihm feindlich gesinnten Bruder

') An dem Schlosse zu Emden hatte Ulrich I. den nach der Emsseite gelegenen Theil im Jahre 1458 stattlicher umbauen lassen und residirte dort meistens.

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nerquet :

Johann einige südlich und westlich gelegene Theile der Grafschaft zur Regierung überlassen rnusste1).

Bei dem im Mittelpuncte des Landes gelegenen, von wildreichen Forsten umgebenen Aurich hatte bereits Ulrich L eine starke, vier- eckige Burg gegenüber der älteren und kleineren erbaut, auf der einst der Häuptling Occo lom Brock im Ausgange des 14. Jahr- hunderts hauste. Als Stadt kommt Aurich schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts vor. In der Sächsischen Fehde nach dem unglück- lichen Treffen bei Meerhusen (Mai 1517) wurde es gänzlich ab- gebrannt und erst 1629 wieder mit neuen Mauern und Thoren verschen.

Nicht allein als gräfliche Residenz war Aurich besonders be- liebt, auch als Versammlungsort der Stände kam es immer mehr in Aufnahme. So wurde es auch Sitz des 1593 eingerichteten Hof- gerichtes.

Von diesen Veränderungen konnte selbstverständlich das Landes- archiv nicht unberührt bleiben.

Auf dem Landtage zu Aurich im Januar 1572 werden nun den versammelten Ständen, um das gute Recht des Grafen Edzard gegenüber seinem Bruder Johann ins Klare zu stellen, eine ganze Reihe von Originalurkunden aus dem Hausarchiv vorgelegt; es lässt sich aber aus den darüber vorhandenen Nachrichten nicht mit un- bedingter Sicherheit der Schluss ziehen, dass diese Urkunden bereits damals dauernd in Aurich verwahrt wurden. Es ist vielmehr wahr- scheinlich, dass die Ucbcrführung des Archivs mit der im Jahre 1578 vollendeten Renovation des Schlosses zusammenhängt, das 1568 grösstenteils durch ausgebrochenes Feuer zerstört worden war.

Nachdem einmal Aurich zum Sitz des Hofgerichtes bestimmt war, rnusste selbstverständlich auch das Landesarchiv hier sein. In Emden hätte es ohnehin keine Stätte mehr finden können, da am 18. April 1595 die Bürgerschaft sich der gräflichen Burg bemäch- tigte und die Befestigungen nach der Stadtseile niederriss. In Folge des Delfsieler Vergleichs wurden diese zwar wieder hergestellt, auch sollte dem Grafen auf der Burg ein neues Haus gebaut werden,

') Wenn Edzard II. in seiner Supplik an Kaiser Rudolf II. vom 2. Mai 1580 sagt, er habe seine Hofhaltung wieder auf dem Hau9e Emden angestellt, so fügt er hinzu, es geschehe, um die Stadt vor den Drohungen seines Bruders zu sichern. In Emden verblieh Edzard nicht lange.

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allein das Gefühl der Sicherheit war einmal geschwunden und konnte nicht durch den Umstand wiedererweckt werden, dass Emden sich ganz den Generalstaaten in die Arme warf und von dort soinen militärischen Schutz erhielt.

Unter Edzards Sohn und Nachfolger, Enno III. (1599—1625), wurde der Kampf mit steigender Erbitterung weitergeführt.

Nachdem der Graf auf den 11. September 1609 einen Landtag nach Aurich ausgeschrieben hatte, vor dessen Besuch der Rath der Stadt Emden alle Ostfricscn warnte, sandte letzterer am 10. Sept. soinen Hauptmann Hermann Wessels mit 600 Mann nach Aurich, angeblich um eventuellen Unruhen vorzubeugen. Nachdem diese Schaar drei Tage vor der Stadt gelagert hatte, brach sie in diese ein und plünderte die Häuser der gräflichen Beamten. Als ein Schuss von der Burg auf die Söldner gefallen war, bemächtigten sie sich derselben, da sie fast gar keine Besatzung hatte, ohne Schwert- schlag und begannen nun eine Plünderung in grossartigem Maass- stabe'). Auch das Landesarchiv entging ihnen nicht. Einen Theil der Urkunden und Acten behielten sie in ihrer Verwahrung, einen Theil sandten sie in 15 Säcken und 13 Kisten nach Emden ab'). Darunter befanden sich auch die Acten des Hofgerichts.

Der Graf selbst war abwesend, seine vornehmsten Beamten aber wurden als Gefangene weggeführt. Der Hauptmann Wessels rückte mit seiner Schaar, nachdem er auf dem Auricher Schlosse eine mässige Besatzung zurückgelassen hatte, gegen die gräfliche Burg zu Greetsiel, dessen Hafen bisher den Emdenern ein Dorn im Auge gewesen war, und nahm auch diese ein.

Wessels' Verfahren wurde zwar von dem Rathe zu Emden in den schärfsten Ausdrücken öffentlich verurtheilt, namentlich die Plünderung des Auricher Schlosses, die als ein unvorhergesehenes Ereigniss dargestellt wurde, aber erst nach einem halben Jahr räumte Emden dies Schloss und auch dann erst in Folge einer starken Pression der Generalstaaten, die die Fortführung der Occupation übernahmen.

Von den geraubten Sachen gab Emden nur einen kleinen Theil

') Allein die Prinzessin Agnes von Holstein-Gottorp, die Schwägerin Ennos, schätzte ihren Verlust an Schmuck, Silbergeschirr und Kleidern auf 15,000 Thaler. *) Wiarda, Ostfriesische Geschichte III, 562.

ArchlvnlUcbe ZclUchrin. IV. 12

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zurück, die Archivalien gar nicht. Ein besonderes Interesse zeigte es, wie begreiflich, an der diplomatischen Correspondenz Edzard's II. und Enno's III. mit Spanien, sowie an den Acten des Hofgerichts. Letzteres wollte es gern in seine eigenen Mauern fixircn.

Auf Betreiben der Generalstaaten kam am 21. Mai 1611 der unter dem Namen des »Osterhusischen Aceords« in der Ostfriesischen Geschichte hinreichend bekannte Vergleich zwischen den streitenden Theilen zu Stande, aus welchem wir nachstehende, unser Thema speciell berührende Artikel mittheilen.

»Und sollen sofort nach Schluss dieses Tractats an Seine Gnaden zurückgegeben werden seine Stadt und Häuser (Schlösser) Aurich und Greetsiel mit allem Geschütz, Kriegsmunition, Waffen, Hausrath und anderen Mobilien, mitsammt den Briefen, Acten und Papieren, soviel Seiner Gnaden zugehören, als auch dem Ilofgerichte, wie diese bei der Einnahme besagter Stadt und Häuser sich daselbst befanden, c

»Die Deputirte der Landstände und Assignatoren mitsammt Bürgermeister und Rath, Vierziger und Kriegsrath der Stadt Emden, die jetzt im Dienst stehen und alle, die zu der Zeit, als die Stadt Aurich, das Schloss daselbst und das zu Greetsiel eingenommen, in Dienst standen, sollen in Gegenwart der genannten Deputirten der Herren Generalstaaten feierlich erklären (solemnelick verklacren, das Original ist holländisch), dass sie von den in vorbesagten Städten und Schlössern übernommenen Gütern, Briefen, Acten und Papieren keine mehr haben, noch wissen, als die, welche sie zum Vorschein gebracht. Und sofern bei Jemanden, wer es auch sei, nachmals irgendwie solche Güter, Briefe, Acten oder Papiere, die Seiner Gnaden oder Privatpersonen zugehören (welchen letzteren gleichfalls wie vorhin Seiner Gnaden die Restitution geschehen soll) gefunden wer- den, die sollen von den Eigenthümern mit Recht in Anspruch ge- nommen werden, c

Diese Stipulationen ihrem Wortlaut nach auszuführen fand sich Emden nicht veranlasst. Es führt uns dies auf einen, für unser Thema sehr wichtigen und schon mehrfach behandelten Punct, die Spoliirung des Landesarchivs infolge der gewaltsamen Wegführung am 13. September 1609.

Der Kanzler Brenneysen macht darüber in seiner »Ostfriesischen Historie und Landesverfassungc T. II. S. 345 folgende Bemerkungen: »Durch die gewaltsame Wegnehmung der Briefschaften von dem

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Schlosse zu Aurich ist dem fürstlichen Hause ein unersetzlicher Schade geschehen: massen dadurch viele angelegene Briefschaften verloren und in untreue Hände gekommen sind. Und obschon in diesem Accord versprochen worden, dass dieselben getreulich rcstituirt werden sollen, so sind doch viele zurückgeblieben; wie man denn vor kurzer Zeit, da man durch eine gewisse Gelegenheit einige Manuscripta und andere Nachrichten, die Emmius colligirt gehabt, bekommen hat, unter denselben viele Concepte und Originalia zum fürstlichen Archiv gehörig und die anno 1609 von Emdischcn Sol- daten aus Aurich waren weggenommen worden, wiedergefunden und nunmehro in dem fürstlichen Archivo an seinen Ort hingeleget hat. Und ist wohl gewiss, dass Emmius, Althusius und ihre Freunde solche weggenommene Briefe unter sich getheilet haben, wie denn Emmius sich auch sogar vergessen hat , dass er keine Scheu ge- tragen, anno 16 tO von solchen geraubten Briefschaften einige an- gelegene Stücke drucken zu lassen unter dem Namen des Ostfriesischen Kanzlers Thomae Frantzii getreuen Raths. *

Inwiefern diese schweren Anschuldigungen auf Wahrheit be- ruhen, lässt sich auf Grund des vorhandenen Materials annähernd feststellen.

übbo Emmius, der grösste Gelehrte Ostfrieslands, dessen Ruhm sich weit über die Grenzen der Friesischen Lande erstreckt, war geboren 1547 zu Greetsiel, dem Stammsitz des Regentenhauses, als Sohn eines lutherischen Geistlichen, studirte zu Rostock und Genf, woselbst seine religiösen Anschauungen jene stark calvi- nistische Richtung erhalten haben mögen, und wurde 1579 Rector zu Norden. Von dieser Stelle vertrieb ihn 1587 das herrschende Lutherthum. Jetzt berief ihn Graf Johann, der, wie oben erwähnt, mit seinem regierenden Bruder Edzard II. in heftiger Feindschaft lebte, im Einverständniss mit der reformirten Partei und der Stadt Emden als Rector nach Leer. Von hier wurde er 1596 nach Groningen berufen, woselbst er nach Errichtung der dortigen Uni- versität (1614) die Professur der Geschichte und Griechischen Sprache erhielt und zum ersten Rector magnificus erwählt wurde. In Gro- ningen starb er auch am 9. Dezember 1625.

Sein Hauptwerk ist die »Historia rerum Frisicarura«, eingetheilt in sechs Decaden, von denen die drei ersten in der Zeit von 1592 99 erschienen, die letzte 1616. Von seinen zahlreichen an- deren Schriften sind manche wie die ilnstauratio scholae Gro-

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ninganae« kaum noch aufzutreiben, manche nur im Manuscript vor- handen, während Emmius als Verfasser verschiedener, namentlich kleinerer politischer Gelegenheitsschriften angesehen wird, ohne dass deshalb ein stricter Beweis dafür erbracht werden kann.

Conform seiner calvinistischen Richtung huldigt Emmius in politischer Beziehung einem stark ausgeprägten Republicanismus, der seine historischen Forschungen nicht wenig beeinflusst. So betrachtet und behandelt er die Geschichte seiner engeren Heimat unter dem Gesichtspunct, dass die Friesen stets freie Leute gewesen seien, bis das Haus Girksena auf usurpatorischem Wege durch den dazu keineswegs berechtigten Deutschen Kaiser diese Freiheit ge- brochen »). Ostfriesland müsse zu Deutschland eine ähnliche Stel- lung einnehmen, wie Westfriesland zu Spanien. Diese Lieblings- theorie mag ihn auch wol vorzugsweise zu dem, -an sich sehr lobenswerthen und fruchtbringenden Studium der mittelalterlichen Ge- schichte Ostfrieslands getrieben und ihn veranlasst haben, eine grosse Menge von Urkunden zu sammeln und zu copiren, wodurch selbst- verständlich Vieles uns gerettet wurde. Emmius überragt an Geist, Kenntnissen, Darstellungsgabe und Methode der Forschung er gab auch ein grosses Werk über Chronologie 1619 heraus bei weitem seinen Vorgänger Beninga, den er auch in Latein um- arbeitete und edirte, an Lauterkeit des Characters steht er ihm aber nach.

In dem Hause Girksena sieht er nicht allein den Usurpator, er hasst es auch als seinen persönlichen Feind; denn es hat ihn von der Norder Stelle verjagt, wie es auch die Alleinherrschaft der Augsburger Gonfession für Ostfriesland decretirt hat. In den Streitig- keiten der Stadt Emden mit den Grafen steht Emmius auf Seite der erstercn als Sachwalt und verfasst für dieselbe politische Brand- schriften. Emden bietet ihm auch glänzende Stellungen an, die er

') Nach seiner Ansicht soll das aus sieben .Seelanden bestehende Friesland seit den Zeiten der Karolinger einen Einheitsstaat mit demokratischer Verfassung, der in den jahrlich beim Upstallsbom nächst Aurich abgehaltenen Landtagen seine oberste Behörde erblickte, gebildet haben. (Für das Deutsche Königthum findet sich selbstverständlich in dieser Verfassung kein Platz mehr.) Diese An- sicht des Emmius hat, wie neuerdings Occo Leding (Die Freiheit der Friesen im Mittelalter und ihr Bund mit den Versammlungen beim Upstallsbom. Emden 1878 S.4) darlegt, die ganze Friesische Geschichtsschreibung bis auf die neueste Zeit »stark beeinflusst, wenn nicht beherrschte

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aber ausschlägt, da ihm seine Groninger Professur doch lieber und wol auch sicherer ist

Als Emden sich plötzlich im Besitz des Auricher Archivs sah, theilte es seine Beute an Emmius mit. Hierbei mag vorzüglich der obengenannte Dr. Althusius, früher Professor der Jurisprudenz zu Herborn, seit 1602 Syndicus seiner Vaterstadt Emden, ein noch enragirterer Republicaner, der in seinen Schriften auch den Tyrannen- mord predigte und mit Emmius eng liirt war, betheiligt gewesen sein. Bei diesem bezeichnet das Jahr 1609, wenn wir uns so aus- drücken dürfen, den Höhepunct des Hasses gegen das Haus Cirksena. Kurz vorher hatte er seine Schriften: »De clade Hispanica ad senatum populumque Emdanum« ') und »Vindiciae juris populi contra usurpationem iniquam comitis usque ad annum 1608«, so- wie seine »Historia nostri temporist ausgearbeitet. Letztere wurde erst 1732 durch Harkenroht zu Groningen edirt und erregte den Zorn des Ostfriesischen Hofes in so hohem Grade, dass sie (jeden- falls aut Betreiben des Kanzlers Brcnneysen) am 29. Januar 1733 auf der Schlossbrücke zu Aurich durch Henkershand verbrannt wurde.

Der Hass der Emdener Partei concentrirte sich auf den gräf- lichen Kanzler Thomas Franzius. Ein Promemoria desselben für Enno III. über die in dem Streite mit Emden einzuhaltenden Regie- rungsmaximen — der Kanzler begab sich auf längere Zeit an das kaiserliche Iloflager zu Prag nebst einer Reihe von Briefen, die er 1600 bis 1603 von dort an seinen Herrn schrieb*), wurde von Ubbo Emmius aus dem Archivraub von 1609 anonym unter dem Titel: »Des Ostfriesischen Cantzelars Thomae Frantzii Getreuer Rath, wie eine bestendige, feste regierung in Ostfriesslandt einzu-

') Wiarda (III. 452) weist des Emmius Autorschaft ab wegen der darin vorkommenden Kedewendung »nos qui in magistratu sumus« und glaubt, dass eine Emdener Magistratsperson der Verfasser gewesen. Trotz dieser, jedenfalls fingirten. Wendung dürfen wir sie mit Tiaden Kmmius zuschreiben. In überaus heftiger Sprache gehalten scheint sie im Manuscript sie ist nie gedruckt worden ziemliche Verbreitung erlangt zu haben.

*) Von dieser ziemlich umfangreichen Korrespondenz sind im Staatsarchiv nur zwei Relationen aus dem September und November 1601 vorhanden, ilie bei Emmius fehlen, also diesem und den Emdenern entgangen sind. Emmius publicirt acht Briefe, manche in Verkürzung, wie es ihm gerade gut scheint.

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führen sei« mit dem fingirten Druckort »Franckfurt« publicirt (1610) *).

') In dieser Publication gibt Emmius (S. 54—69) auch Auszüge aus zwei Promemorien, einem grösseren und einem kleineren, die der Kanzler dem Kaiser Rudolf II. überreicht und von denen er Copien an Enno III. nach Aurich gesandt hatte. Es handelt sich hier um das bekannte Projekt der Gründung einer Deutschen Kriegsflotte mit Emden als Kriegshafen und dem Grafen Enno, einem Manne, »der von Jugend auf sonderliche Lust zur Seefahrt gehabt und sich im Umgang mit hervorragenden Seeleuten nautische Kenntnisse angeeignet habe«, als Reichs- Admiral. Dieses Project war vornemlich gegen die Hollander und dann auch gegen die Engländer gerichtet, >die auf das schmählichste die freie Schifffahrt schädigten und die vornehmsten Deutschen Ströme, Rhein, Elbe, Weser und Ems mit ihren Auslegern und Orlogschiflen belegten, um die Deutschen Handelsschiffe zu brandschatzen und sich Niederdeutscbland trihutär zu machen«. Auch müsse verhütet werden, dass Schweden und Polen diesem bösen Beispiele folgten. Franzius, ein geborener Hamburger, zeigt sich in diesen Promemorien als ein warmer Patriot und weitblickender Politiker. Um so mehr sticht Emmius dagegen ab, der in seinen, in Niederdeutscher Mundart dazu geschriebenen Be- merkungen und Marginalnoten seine undeutsche Gesinnung nicht verbergen kann. Ohne Zweifel beabsichtigte der Groninger Professor durch die Veröffentlichung dieser Projecte die Hochmögenden Generalstaaten nach Kräften gegen den Grafen von Ostfriesland aufzuhetzen , wir aber sind ihm für dieselbe in hohem Grade dankbar.

Jedenfalls in ähnlicher Weise wie der »Getreue Rath« gelangte bei dieser Gelegenheit eine umfangreiche politische Arbeit des Kanzlers, die unter dem Namen der »Noctes Pragenses« bekannt ist, bis jetzt aber nur in allerdings zahl- reichen Abschriften existirt, in die Hände der Gegner. Sie verbreitet sich »de rnorbo Embdano eiusque curandi ratione juridica et politica« , wie es im Titel heisst, ist entstanden »in divortio anni millesimi sexcentesimi primi et secundi« und gerichtet an Diejenigen »quibus arbitrium rerum Germanicarum Deus dedit«, worunter wir die Regensburger Comitialgesandten zu verstehen haben werden. (Franzius begab sich von Prag aus nach Regensburg.) Für die Ocffentlichkeit war sie schwerlich bestimmt. In einer sehr feurigen Sprache, theilweise mit glänzender Diction geschrieben, die nur durch die zu Tage tretende maasslose Erbitterung beeinträchtigt wird, spitzt sie den monarchischen Standpunkt bis zum Extrem zu, nicht ohne bisweilen zu Macchiavellistischen Deductionen zu greifen. Auch in diesem »Tractat« lässt Franzius Streiflichter auf das un- patriotische Verhältniss Emdens zu Holland fallen.

Der Kanzler, den Emmius später in seiner Vita Mensonis Altingii mit der schmeichelhaften Bezeichnung »Megacra illa« belegt, wurde übrigens schon 1611 um des Friedens willen von Enno III. geopfert und verliess Ostfriesland, um eine Stelle als Syndicus zu Magdeburg anzunehmen. Vor seinem Eintritt in Ost- friesische Dienste (1599) war er Professor der Jurisprudenz zu Wittenberg gewesen. Sein eigentlicher Name ist Thomas von Ferenz.

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Ein grosser Theil der Correspondenz Edzard's II. und Enno's III. mit auswärtigen Fürsten, von welcher die Concepte im Archiv hinterlegt worden waren, kam durch die Emdener an Emmius. Von den wichtigen Briefen machte sich dieser Auszüge, bezeichnete manche auch als »Notabiles«. Was copirt werden sollte, erhielt mit rother Tinte die Randbezeichnung »Describenda« ').

Unter den aufgegriffenen Papieren gelangte gleichfalls in seine Hände die Correspondenz der Gräfin Katharina, Wiltwe Edzard's II., mit ihrem Sohne Enno III. Katharina, eine Tochter Gustav Wasa's, hatte als Wittwensitz das Haus Berum bei Norden erhalten. Ihren absolutistischen Neigungen folgend, griff sie fortwährend störend in die Verhältnisse zu Norden ein und weigerte sich anderseits auf das entschiedenste, die für das ganze Land ausgeschriebenen Steuern in ihrem Witlhum erheben zu lassen. Sie hatte sogar durch ihr per- sönliches Auftreten die Huldigung der Stadt Norden für ihren Sohn vereitelt und ihn vor den Augen seiner Unterthanen förmlich be- schimpft (Dez. 1602).

Dieses feindselige Verhältniss spiegelt sich deutlich in ihrer Cor- respondenz mit Enno III. aus der Zeit von 1602—1608 (sie starb am 21. Dezember 1610).

Die alte Dame, die sehr stark in Theologie war und selbst theologische Aufsätze verfasste, wirft hier ihrem Sohne in den här- testen, fortwährend mit Bibelstellen verbrämten Ausdrücken Mangel an Pietät gegen seine »liebe Frau Mutter« vor, tadelt seine Politik und giesst die Schale ihres Zorns über seine Räthe aus , vorab über den Kanzler Franzius. Diese Briefe hat der Graf letzterem übergeben, wobei er unterm 26. November 1 606 die nicht unrichtige Bemerkung macht: »Ich verstehe, die Frau Mutler bleibt bei ihrer alten Meinung, dass Berum und Norden ein Königreich apart sein solle.«

Selbstverständlich eigneten sich diese Briefe nicht für die Oeffent- lichkeit. Umsomehr wandte ihnen Emmius seine Aufmerksamkeit zu. Bei einigen unterstrich er die Kraftstellen mit rother Tinte; andere, die wir jetzt nicht mehr im Original besitzen, schrieb er eigenhändig ab, da die aufgeregte alte Dame sich keiner sehr les- baren Hand erfreute. Auch sind die Briefe hochdeutsch, während

') Diese Auszüge wurden dann euphemistisch genannt: »Excerpta ex literis aulicis Auricae repertis«.

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184 Herquet:

Emmius dieser Sprache sich sonst nicht bediente, sondern abgesehen von Latein entweder Holländisch oder Ostfriesisch platt schreibt.

Alles dieses deutet darauf hin, dass Emmius diese Correspon- denz zur Veröffentlichung bestimmt hatte, um dem Grafen Enno und seinem Kanzler Franzius eine ganz empfindliche Bläme zu be- reiten. Weshalb, die Publication dennoch unterblieben ist , lässt sich jetzt nicht mehr mit Sicherheit feststellen.

Katharina's Schreiben an ihren Sohn, ferner die eigenhändigen Bemerkungen desselben bei ihrer Uebergabe an Kanzler Franzius gehörten zu jenen Stücken, die erst 1707 aus dem Nachlasse des Emmius von dem Ostfriesischen Hofe zurückerworben wurden. Auch ein weitläuftiges Entschuldigungsschreiben Enno's EU. vom Jahre 1604 an den König Sigismund III. von Polen, seinen leiblichen Vetter, dem Katharina ihre Noth geklagt hatte, befand sich dabei. Das bereits gesiegelte Original war nicht abgegangen, sondern einer mehr- fachen Correctur unterzogen worden und als Concept hier geblieben. Bei der zwischen den Erben des Emmius zu Groningen und dem Dr. Alling zu Emden über die Auslieferung geführten Correspondenz l)

') Den ersten Anstoss zu dieser CorrespoDdenz scheint die Edition der Beninga'schen Chronik durch den Leydener Professor der Jurisprudenz, Antonius Maühaei, im Jahr 1700 gegeben zu haben, welcher Edition eine im Besitz des Groninger Bürgermeisters Menso Atting befindliche Handschrift zu Grunde liegt. Ein Verwandter dieses Bürgermeisters war der Dr. Basilius Alting zu Emden, mit dem sich Brenneysen, damals Begierungsrath, in Verbindung setzte. Alting erklärte sich auf Anfrage des Ostfriesischen Kanzlers Büssel bereit, in dieser Angelegenheit eine Beise nach Groningen zu machen. Er vollführte dieselbe auch vom 18. bis 23. October 1700, »umb zu verfertigen eine Specification deren vor- handenen, von weyl. Ubbone Enimio hinterlassenen Oistfricssland special conrer- nirenden Brieffschaften und nachgehendss die verlangle copias zu befohdren (be- fordern)«, wie er in der Designation seiner Beisekosten sagt. Das von ihm ein- gelieferte »Specifkaturn« ist nun leider nicht mehr vorhanden. Brenneysen und der Hof überzeugten sich aber von der Wichtigkeit der Papiere und wünschten gern in den Besitz derselben zu gelangen, zunächst, um sie copiren zu lassen. Damit waren aber die Besitzer, die Erben des Emmius, nicht einverstanden, »da die Üriginalia leichtlich durch irgend ein- oder die andere Fatalität verloren gehen konnten« und deuteten einen anderen Weg an. Alting meldet nämlich unterm 11. Februar 1707 dem Kanzler Büssel Folgendes: »Zum näherem Bericht wil dienen, dass bei meiner noch (!) anwesenheit zu Groningeu von deren H. Emmij Erben ein emissarius zu mir kommen mit anerpietung die Origiualia, um zur Ebren-gedägtnis weil. H. Ubb. Emmij denen vorhandenen Oistfriesischen archiven bewahrsam beizulegen, herausszugeben gegen einem present.« Alting

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vermissen wir leider die Hauptsache, die Spccification der einzelnen Papiere, Documente und Manuscripte, welche Spccification Alting selbst bei seiner ersten Anwesenheit zu Groningen aufstellte. Um so mehr sind wir Brenneysen zu Dank verpflichtet, dass er bei vielen Stücken, namentlich Handschriften, die Notiz beifügte »Aus des Emmii Nachlasse. Verschiedene Convolute, in denen sich auch Schülerarbeiten vorfinden, characterisiren sich von selbst als Papiere des Emmius. Dagegen entzieht es sich jetzt unserer Beurtheilung, wie viel Originaldocumente damit zurückkamen, denn sie sind, wie

hat auch brieflich über die Höhe desselben angefragt. Ein Präsent von »circum circa hundert Unzen Silber« lautet die Antwort der Holländer, die bei dieser »extraditie van originele arebiven«, wie der Nachlass etwas prunkvoll bezeichnet wird, keine Obergrosse Blödigkeit an den Tag legen. Alting wünscht nun zu wissen, »ob besagtes gewigte Silbers nach dem letter eigentlich also zu verstehen und ein ungeförmbter Klump darunter gemeinet seye oder aber ein oder ander Silbergeschirr, »da ich dan ein Coffijkan, ein paar Kandelers cum appendice und ein Latnpet (Waschservice) ad electionem speeificiret und vorgeschlagen habe«. Es wird zurfickgemeldel, dass die Geneigtheit der Erben »up een lampett mel het wapen von H. H. Stenden van Oostfriesland« gefallen sei. Die »Herren Stände« hatten nun freilich nichts mit der Sache zu thun, sondern nur das Fürstliche Haus. Das Lampet wird auch in Aurich angefertigt und Alting zieht mit dem- selben am 90. Mai nach Groningen. Am 23. ist er wieder in Emden »mit dem verlangten succes in überbringung deren Brieffscbaflen und angenehmer dahin* lassung dess mitgenommen presents«. Der Fürst Christian Eberhard lässt unserem Doctor, weil er »einige alte Documenta und Brieffschaften , woran unserem Fürstl. Hauss sonderlich gelegen, von Groningen abgeholt habe«, neben seinen Reisekosten auch noch fünfzig Heichsthaler »zu einer gnädigsten discretion« auszahlen (Zahlungsordre vom 4. Juni 1707 an den Ober-Hentmeister).

Es scheint sich aber herausgestellt zu haben, dass in Groningen noch Verschiedenes dem Dr. Alting entgangen ist, infolge dessen dieser eine neue Correspondenz eröffnet, von welcher leider nur der Schlussbrief vorhanden ist. Alting meldet unter dem IG. Dezember 1707 unter Beifügung eines Briefes aus Groningen vom 3. Dezember, dessen Schreiber ein Herr Tjassens ist, dass ein Herr Bruinsveld statt der ihm offerirten Ohm Rheinwein ein Präsent von 40 Beichs- thalern zu einem »Kaymelion vor seine Familie nembl. (ich) in einem silbern teTHor (Teller) mit ingegrabenem Hocbfürstl. Wapen« verlangt habe. Alting wünscht aber, dass die verlangten zweimal zehn Reicbsthaler für Tjassens und für ihn (Alling) nicht mit in diesen »taTllor« eingeschmolzen werden möchten. Tjassen muss auch in Aurich gewesen sein, denn Alting schreibt von ihm: »Er mentioniret inssgleich von einem allen Landrecht , davon mir nichls bewust ist. Vielleigl baben entweder Ew. Hoch-Ed!. (Kanzler Büssel) oder H. Brenneisen mit dem- selben davon geredete. Es lässt sich jetzt nicht mehr feststellen , um welche Papiere es sich bei dieser zweiten Auslieferung handelte.

186

Herquet :

naturgemäss und wie Brenneysen oben bemerkt, im Jahre 1707 wieder an ihren Ort im Archiv hingelegt worden. Wenn aber der Fürst Christian Eberhard in seiner Zahlungsanweisung an seinen Oberrentmeister bemerkt, dass seinem Hause an ihnen sonderlich gelegen sei, wenn er ein für seine Verhältnisse so splendides Ge- schenk macht, welches freilich schon durch die Forderung der Holländer für Auslieferung der »Original -Archivec bedingt war, wenn ferner im Beginn der Unterhandlung in Groningen nach einem »hochdeutschen Scribentenc gesucht wird, der die Originale copiren sollte, auch die politische Correspondenz Edzard's II. mit den Deutschen Fürsten wegen des Niederländischen Kriegs fand sich unter dem Nachlass ') so liegt es auf der Hand, dass es sich hier um eine Reihe wichtiger Documente handelte, deren Ent- fremdung Emmius zur Last fällt, insofern derselbe sie nicht wieder restituirte, obschon ihm der Osterhusische Accord sehr wohl be- kannt war.

Dafür ist zunächst das Verhalten des Emdener Rathes verant- wortlich zu machen, der in dieser Angelegenheit auch sonst nicht aufrichtig handelte. Er behielt nämlich trotz des genannten Accords wichtige Papiere zurück, die noch heute ihrer Auslieferung harren. Onno Klopp sagt hierüber in seiner Geschichte Ostfrieslands Bd. II. S. 622: »Viele Briefe aus jener Zeil, namentlich von Edzard mit Alexander von Parma, mit Verdugo und anderen Spanischen Be- fehlshabern sind im Emder Rathsarchiv. Wie können sie anders dahin gekommen sein, als in Folge jener That (der Plünderung Aurichs von 1609)? Der Sachverhalt ist also dieser. Emden hat später die genommenen Urkunden und Acten nur zum Theil zurück- gestellt: einige sind Ubbo Emmius verblieben und nachher zer- streut, andere hat die Stadt Emden ihrem Rathsarchiv einverleibt«.

Einige Jahre später (1859) sucht Onno Klopp seine Behauptung etwas zu mildern. Er sagt nämlich in seiner »Notice sur les

') Es ist dies ein starker 53 Nummern aus der Zeit von 1582 bis 1585 ent- haltender Hand (jetzt im Staatsarchiv mit Signatur A. 99), der in gleichzeitigen Abschriften sowohl Briefe des Grafen mit anderen Fürsten und Staatsmännern, als auch Originalinstructionen , Protokolle u. s. f. betreffs der Beschwerden des Grafen mittheilt. Die znnächstliegende Erklärung, auf welchem Wege diese Hand- schrift in den Besitz von Emmius gerathen sein könne, spricht Brenneysen in einer in diesen Band eingetragenen Notiz aus, welche in dem Archivraub von 1609 den Modus der Erwerbung erblickt.

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Das Ostfriesische Landesarchiv 1454—1744.

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archives d' Aurich et d'Emden (erschienen im i. Band der Brüsseler »Bulletins de la commission royale d'histoire' Nr. 3, Serie 3)«: »Outre les lettres adressees au conseil de la ville les archives d'Embden renferment aussi une serie d'actes qui devraient appar- tenir aux archives du gouvernement ä Aurich. II faut savoir qu'en 1609 par ordre du magistrat d'Embden, qui voulait acquärir la certitude sur les rapports qui existent cntre leurs comtes et l'Es-pagne, la garnison d'Embden attaqua la ville et le chäteau d' Aurich et emporta une partie des archives. Plus tard ces papiers furent restitues ä l'exception de ceux qui au su du magistrat d'Embden ou k son insu, etaient dejä incorpores aux archives de la ville. La correspondance suivie du comte Edzard IL avec Alexander de Parme est comprise dans cette derniere cate- gorie.«

Man bemerke, dass Onno Klopp hier dem Rathe von Emden . die bestimmte Absicht imputirt, das Auricher Archiv aufheben zu lassen, während er in seiner Geschichte Ostfrieslands (II. 209) das gerade Gegentheil behauptet, indem er sagt: »Wessel (soll heissen Wessels) hatte keinen Auftrag, die Burg anzugreifen.« Wir halten auch das Letzlere für das Richtigere.

Anderseits bemüht sich Onno Klopp in der Frage wegen Zurückhaltung Auricher Archivalien den Rath von Emden dadurch etwas zu entlasten, dass er meint, auch ohne Vorwissen desselben könnten solche im Rathsarchiv zurückgeblieben sein, vielleicht aus reiner Vergessliehkeit. Wir halten diese Entschuldigung namentlich im Hinblick auf die wichtige Correspondenz mit Spanien nicht für sehr glücklich gewählt.

Nach unserer obigen Ausführung Onno Klopp bemerkt selbst in seiner angezogenen »Notice«, dass seine Kenntniss des Auricher Archivs eine ungenügende sei kann es keinem Zweifel unter- worfen sein, dass das Ostfriesische Landesarchiv in Folge seiner gewaltsamen Wegführung im Jahre 1609 erhebliche Verluste erlitten hat, deren Umfang wir jetzt nicht mehr zu constatiren vermögen, Verluste, die durch die Wiedererwerbung des Nachlasses von Emmius noch lange nicht eingebracht worden sind und auch nicht mehr eingebracht werden können !).

') Ein neuerer Ostfriesischer Historiker, Dr. Möhliiiami, hat in einem sehr leidenschaftlich geschriebenen Buche: »Kritik der Friesischen Geschichtsschreibuiifc'

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Herquet:

Ueber die Rückgabe der geraubten Archivalien an den Grafen liegen uns keine bestimmten Nachrichten vor. Wir nehmen an, dass sie im Grossen und Ganzen erfolgt ist, da in späteren Accorden von dem Archiv nicht mehr die Rede ist. Zunächst wurden die Archivalien wol in die gräfliche Burg zu Emden abgeliefert, woselbst sie zum grössten Theil verblieben. Wir schliessen dies aus einer aus dem Jahre 1650 stammenden Notiz, wonach dieselben unterm 13. Februar 1624 inventarisirt wurden '). Leider ist das bei dieser Gelegenheit angelegte »Verzeichniss dessen so bey perlustralion dess Archivi anno 1624 den 13. Februar zu Embden sich darein be- funden«, das 1650 noch im Landesarchiv aufbewahrt wurde, später verloren gegangen.

Diese Inventarisalion erfolgte unmittelbar nach dem Abzüge des

überhaupt und der des Dr. Onno Klopp insbesondere (Emden 1862)«, in welchem er namentlich die Ostfriesische Geschichte des Genannten zu vernichten sucht, sich ausführlich mit den Anklagen beschäftigt, die zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Personen, namentlich aber von dem Kanzler Brcnneysen, gegen Emmius erhoben worden sind. Indem auch Möhlmami über die einseitige Ge- schichtsauffassung des Letzteren manches Treffende sagt, ignorirt er gänzlich die schwere Anklage wegen seines Verhaltens in Sachen des Auricher Archivs. Es bleibt dies immerhin auffallend bei einem mit der einschlägigen Literatur so ver- trauten Kritiker, zumal er auch schon in seiner, 1845 erschienenen »Heimchronik des Hironimus Grestius« (S. V) die Thatsachu berührt, dass eine für die Ust- rriesische Geschichte wichtige Handschrift, enthaltend die Biographie des Arnold Greveld, Priors des Klosters Marienkamp bei Esens (f 1431), und verfasst um 1450, aus dem Nachlasse des Emmius 1707 in das Archiv zurückkam. Dass Letzterer sie bereits 1590 Indessen haben soll , »indem er sie wahrscheinlich aus den Händen eines Buchbinders rettete«, ist eine der vielen Conjecturen Möhhnanns. Es steht nur fest, dass Emmius damals die Handschrift kannte, da er in seiner 1500 erschienenen »Decas tertia rerum Frisicarum hisloriae« S. 116 sagt: »Primus collegio (coenobio Esensi) praefectus datus Arnoldus Creveldius opinione pietatis et virtutum apud posteros scriptis celcbratus«. Die Handschrift, die in Folge des Vertrags vom 18. October 1530 (man sehe oben S. 174) in das gräfliche Archiv gelangt sein muss, kann allerdings aus demselben schon vor 1599 entfremdet, sie kann aber auch bis zum Jahre 1609 in demselben aufbewahrt worden sein.

') Nach einer Bestimmung des Emdener Becesses von 1606, die auf dem Landtag zu Norden 1620 erneuert wurde, musste das Archiv der Uslfriesischeii Landesslände zu Emden in einer Kiste verwahrt werden, wozu jeder Statid einen Schlüssel haben sollte. Es sollten die Deputirten darüber auch »eine richtige Registratur und Inveularium verfertigen«. Bericht vndt Abdruck vorgelauflener handlung vnd verabscheidungen etc. Norden 1620. S. 192, 376 und 440.

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Das Ostfriesische Landesarchiv WA- 1744.

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Grafen von Mansfeld, der mit seinen zuchtlosen Schaaren auf Be- treiben der hochmögenden Generalstaaten seit November 1622 Ost- friesland in Besitz genommen und das unglückliche Land auf das schrecklichste aussog. Am 10. November besetzte er Stadt und Schloss Aurich, dessen Herr Enno III., nach dem nördlich gelegenen Esens geflüchtet war. Auch die Mitglieder des Hofgerichts flüchteten von Aurich und zwar nach Emden, an dessen Mauern und Wälle dieser Condottiere sich nicht wagte, zumal auch hier eine besondere staatische Besatzung lag. Mansfeld nahm jetzt die Acten des Hof- gerichts an sich, die unmittelbar nach dem Ostcrhusischen Accord (1611) nach Aurich gekommen sein müssen, da das Hofgericht sonst nicht hätte fungiren können. In dem Delfsieler Vertrag vom 2. Januar 1 624 wurde nun ausdrücklich stipulirt, dass diesem die genommenen »Prothocollen, boecken, acten, papieren ende stucken« zurückgegeben werden sollten *), und Mansfeld, der kein weiteres Interesse daran hatte, vollführte dies auch bei seinem Abzug.

Das eigentliche Archiv muss wohl, wie bemerkt, auf der gräf- lichen Burg zu Emden, wohin sich auch der im Juni 1623 aus der Mansfelder Haft entflohene Graf Enno begeben hatte, vorläufig ver- blieben sein. Als nun nach dessen Tod (19. Aug. 1625) unter seinem zweiten Nachfolger , Ulrich II. , die Streitigkeiten mit der Stadt im Sommer 1629 in offene Feindseligkeiten ausarteten, nahmen die Emdener die dortige, von einem Amtmann verwaltete gräfliche Burg in Besitz und schleppten die darin verwahrten »Protokolle und andere Briefe« auf das Bathhaus *). Darunter ist ohne Zweifel das Archiv zu verstehen.

Auf diese Verschleppung des Archivs scheint Brenneysen hin- zuzielen, wenn er von einer zweimaligen »Spoliirung« desselben durch die Emdener in seiner Vorrede zu dem, von ihm in Deutscher Uebersctzung herausgegebenen Tractat des Ubbo Emmius, »Do statu reipublicae et ecclesiae in Frisia orientali (Aurich 1732)« redet. In- dem er nämlich den berühmten Ostfriesischen Rechtsgelehrten Her- mann Coming wegen seiner mangelhaften Kenntniss der vaterlän- dischen Geschichte entschuldigt, sagt er folgendes (wir bedienen uns des Lateinischen, im hiesigen Staatsarchiv noch als Manuscript ver-

') Aitzema, Venneerdcrt Verhaal van de Vreede - Handelingh der Ver- eenighde Nederlanden. L 880.

*) Aitzema, Historie of Verhael van Staat on Oorlogh. II. 1000.

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Herquet:

wahrten Textes wegen seiner energischeren Ausdrucksweise): »Deinde vcro simile est, ipsi (Conringio) vel nullam, vel exiguam spem fuisse, fructus ex hac investigatione (der historischen Verhältnisse Ostfries- lands) carpendi, cum malum illud fatale neglcctorum archivorum non aliam regioncm magis quam Frisiain hanc Orienlalcni afflixerit cumque labularia Archivi Principalis ja in bis co tempore (etwa 1645) ab Embdanis cxpilati jam tum ita turbata jacuerint, ut praestantissima docuinenta, ex quibus apparet, civitalem Embdanam ae<iuissimae acquisitionis bcneficio opitulantibus et adstipulantibus ipsis Embdanis et reliquis totius provinciae civibus prosapiae Reg- natrici cessisse quaeque docent, quo loco ante turbas civiles totius Frisiae Orientalis gubcrnandae ratio steterit, pulvere et situ obruta dclitescerent.«

Im Februar 1631 kam endlich eine oberflächliche Versöhnung mit Emden zu Stande, und diesen Zeitpunct scheint Ulrich II. benutzt zu haben, um das Archiv wieder nach Aurich bringen zu lassen.

Die nächste Inventarisation fand hier vom 5. bis 8. Juni 1650 statt. Sie ist im Grunde der Abschluss einer am 18. Januar 1649 in Gemässheit des Testamentes des am 1. November 1648 ver- storbenen Ulrich II. erfolgten Inventarisation des ganzen Auricher Schlosses, über welche wir noch das sehr ausführliche Verzeichniss besitzen (Testamente Nr. 19 im Staatsarchiv). Aus diesem ersehen wir, dass die Urkunden damals in dem »newen Gebäw im Gewölbe« in eisenbeschlagenen Kisten aufbewahrt wurden, worin sich wieder mehrere, mit Römischen Buchstaben signirte Laden befanden.

Wir haben hier hauptsächlich das Hausarchiv vor uns. Zu- nächst die Lchenbriefe (immer mit genauer Angabe des Datums), die Eheberedungen und Verzichtleistungen, die Hausverträge, die Ver- träge zwischen den Grafen und den Ständen, der Stadt Emden, sowie den benachbarten Fürsten u. s. f., was allerdings zum Theil über die Grenzen eines Hausarchivs hinausgeht. Die älteste nam- haft gemachte Originalurkunde ist von 1440 *), Copien schon von 1421 ab, wir vermissen aber in dem Verzeichniss eine ganze Reihe von Urkunden, die vor das Jahr 1454 resp. 1440 fallen, das Haus Cirksena direct oder mittelbar angehen und jetzt noch hier im Original vorhanden sind.

') Die älteste Originalurkunde des hiesigen Staatsarchivs ist von 1284 und gehört der Ostfriesischen Johannitercommende Jemgum an.

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Das Ostfriesische Landesarchiv 1454—1744.

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Bei dieser Inventarisation wird auch das oben erwähnte, unterm 13. Februar 1624 aufgenommene Verzeichniss der zu Emden befind- lichen Archivalien als vorhanden aufgeführt.

Mit dieser zweiten und letzten Ueberführung des Archivs nach Aurich beginnt insofern eine neue Periode, als dasselbe jetzt unter die Obhut des Advocatus fisci kam, der zugleich als jüngster Rath angesehen wurde. Wenn uns darüber auch keine ausdrückliche Nachricht vorliegt, so wissen wir doch, dass im allgemeinen dieser Beamte als der eigentliche Archivvorstand betrachtet und vielfach, wie wir sehen werden, als solcher bestellt wurde. Es war ja natür- lich, dass demjenigen Beamten, der die Rechte des Fürsten und des Staates vor Gericht zu vertreten hatte, am ehesten die Dispo- sition über die betreffenden Documente zustand.

In der uns noch vorliegenden Bestallung des Doctors der beiden Rechte Albert Bolenius zum Rath und Advocatus fisci vom 15. Nov. 1639 geschieht allerdings des Archivs keine specielle Erwähnung, indess dürfen wir doch aus der von regem historischem Sinn zeugenden »Ostfriesischen Chronik« dieses Beamten schliessen, dass er dasselbe nicht gerade als eine todte Masse betrachtet hat.

Während Bolenius sein Amt noch inne hatte die Advocatur gab er im März 1654 ab, nachdem er ein Jahr vorher eine Amt- mannsstelle zu Aurich erhalten hatte ') wurde der Doctor der beiden Rechte Arnold von Bobart zum »Secretarius, Procurator generalis am Hofgericht und Fiskal« unterm 3. Juni 1644 ernannt. In seiner sehr ausführlichen Bestallung kommt die folgende Stelle vor: »Er soll auch alle Schriften, acta vnnd documenta Vns selbst vnnd Vnsere Regierung angehendt vnnd ad publica gehörig, so bey Vnsser Canzlcy vorhanden, vnnd ihme bey antretung dieses seiness dienstess an- gewiesen seindt, oder noch ins Künfftige ferner mochten befunden werden, vnnd darein kommen, in guter Verwahrung vnnd eine richtige Registratur darüber halten.« Wenn auch hier der Nach- druck mehr auf Documente von öffentlichem Interesse gelegt wird, so scheint doch Bobart neben Bolenius, dessen »assistirender« College er war, an der Archiv Verwaltung betheiligt gewesen zu sein.

Bei der erwähnten Inventarisation des Auricher Schlosses und

') Ueber Leben und Schriften dieses verdienstvollen Chronisten siehe Pannen- borg, Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Alter- thümer zu Emden. Bd. II, Heft 2, S. 93.

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Herquet:

speciell des Archivs im Jahre 1650 war Arnold von Bobart mit dem Rathe Gerhard Ligarius als Zeuge anwesend.

Auf Albert Bolenius folgten in der Advocatura fisci die Doctoren der Rechte Johannes Wittkopf (1655 Sept. 24), Jodocus Ammersbeck (1660 Mai 26), Matthäus Zornemann (1670 Juli), Hajo Laurentius Palms (1671 Jan. 7), Tileman Coming (1677 Nov. 19) und Peter Homfeld (1678 Jan. 4), in deren uns im Goncept noch vorliegenden Bestallungsbriefen wir allerdings keine directen Hinweise auf ihre Beziehungen zu dem Archiv finden, ohne dass wir deshalb Ver- anlassung hätten, dieselben zu bezweifeln. Genau dieselben Bestal- lungsbriefe finden wir auch später und zwar bei Beamten, die gleich- zeitig oder bald darauf ausdrücklich zu Archivaren ernannt wurden. Das Amt eines Archivars existirte eben damals noch nicht, sondern wurde erst im Jahre 1680 neugeschaffen.

Characteristisch ist es, dass der erste Archivar kein graduirler Jurist, sondern ein Bureaubeamter, namens Johann Conrad Crato ist, dessen Lebensgang wir einer noch vorhandenen undatirten Bittschrift an Georg Christian (1660—65) in allgemeinen Umrissen entnehmen können. Darnach hat Crato »von Jugend auf neben etwas geübten Studien sich der Feder beflissene, sodann ist er fünf Jahre bei einem (nicht genannten) Oesterreichischen Baron Secretär gewesen und kam hierauf unter der vormundschaftlichen Regierung der Fürstin Juliane (1648—51) nach Aurich, wo er »bei den Kanzlei Verrichtungen nach seinem wenigen Vermögen eine Zeit lang hat mit aufwarten helfen.« Was er nach Verlust dieses Postens angefangen hat, sagt er nicht. Gegen Ende der fünfziger Jahre trat er in Schwedische Dienste und wurde »Auditeur« bei dem gräf- lich Solmsischen, nachmals Schönlebischen Regiment, welche Charge er fast drei Jahre inne hatte. Kurz darauf richtete er die erwähnte Bittschrift an Georg Christian, den er »Graf« titulirt, der aber schon unterm 17. April 1662 den Fürstentitel erhielt, wie ihn sein Bruder und Vorgänger Enno Ludwig seit 1654 vom Kaiser erworben hatte. Die Bittschrift, worin Crato um einen damals vacanten »Schreiber- platz« in der Ostfriesischen Kanzlei nachsucht, ist desshalb vor den April 1662 zu setzen. In der That besitzen wir auch noch ein Privatschreiben Crato's vom 9. März 1661 aus Stickhausen, seinem damaligen Aufenthalt, an den Kanzler Höpfner, worin er um dessen Protection zur Erlangung der fraglichen Stelle bittet. Höpfner, der kurz vorher in Stickhausen war, scheint ihn selbst auf diese Vacanz

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Das Ostfriesische Landesarchiv 1454—1744

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aufmerksam gemacht zu haben und so wurde damals oder doch bald darauf der Wunsch Crato's erfüllt. Höpfner war übrigens selbst früher in Schwedischen Diensten gewesen.

Im Jahre 1680 ist Crato »Kanzlei -Registrator«. Er wird jetzt zum »fürstlichen Gonsistorial- und Visitationssecretarius« ernannt und zugleich wird ihm in seinem Bestallungsbrief vom 14. August 1680 die Verwaltung des Archivs zur Pflicht gemacht unter ziemlich ausführlicher Darlegung seiner diesbezüglichen Obliegenheiten. Bald darauf wurde, wahrscheinlich auf sein Ansuchen, ihm der Titel »Arehivarius« ertheilt, zu welchem Behufe sein Bestallungsbrief er- neuert und mit einigen Zusätzen versehen wurde. Da in einem derselben bemerkt wird, er solle einen Theil seines Gehaltes (135 Thlr.) zum erstenmal auf Neujahr 1684 aus der Kammer empfangen, so stammen diese Zusätze aus dem Laufe dos Jahres 1683 und dieses ist also auch der Zeitpunct, in welchem ihm der Titel »Arehivarius« zuerkannt wurde.

Es ist eine Abweichung von der Hegel, wenn unserem Crato sein Salarium in Baten gezahlt wird. Die Ost friesischen Beamten erhielten dies stets in ganzer Summe, gewöhnlich auf Michaelis, sehr häutig zog sich auch die Auszahlung Jahre lang hin.

Wir geben hier den Bestallungsbrief Grato's vom Jahr 1680 nach dem noch vorhandenen Concept, wobei wir die Zusätze von 1683 durch kleineren Druck bemerklich machen.

»Wir v. G. 6. Ghristina Charlotte Fürstin von Ostfriesland u. s. w. Vormunderin Vrkunden vnd bekennen hiemit, dass Wir in VorniundtschatTt dess Durchleuchtigen Fürsten Herrn Christian Eber- hards, Fürsten zu Ostfriesland, u. s. f. Vnseres Hertzliebsten Sohns Liebdon den Ehrbaron Unseren bissherigen Gantzley Registratorem vnd Lieben Gotrewon Johann Conrad Crato nunmehr auch zu Unserem Gonsistorial vnd Visitations Secretario, Archivarium (sie) in gnaden bestellet vnd angenommen haben, Thür» »las auch vnd bestellen den- selben also hiemit, dass Er Unser Gonsistorial vnd Visitations Socretarius, auch Arehivarius und Rogislrator Crato Unss, Hochgemeltes Unseres Hertzliebsten Sohns Lbd: vnd dem fürstlichen Ost friesischem Hausse jederzeit gelrew hold, vnd gehorsame sein, Unser vnd Unseres I lertzlicbsten Sohns Lbd.: Bestes beforderen vnd den schaden seinem äussersten vermögen nach abwenden hei Ren, vnd was Er wherender dieser Ihme anvertrawten Charge von Unseres Hauses Geheimbnussen vnd arideren sachen, so Wir Ihme zu expedyren vnd zu verwahren

Archlv«lUcho Z.-Unchrlft. IV. 13

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Herquet :

concreditircn werden, Niemand Unss zu schaden offenbahren, sondern biss in seine Grube verschwigen zuhalten. In specie soll Er Liglich

wann er zu stelle vnd nicht kranc.k ist, auf unser Hoff Gantzley und dem Con- sistorio, auch wenn er sonsten zugezogen wird und (sie) unverdrossen aufwarten, bey vorfallenden jährlichen vnd anderen Kirchen Visitationen in den Aembtern ein richtiges gutes protokollum halten vnd den Visitatio- nibus auch dabey vorgehenden Introductionibus Pastoruni neben Unserem Consistorial Rhat vnd General Superintendenten beywohnen vnd was Ihme in Civil- Consistorial- Criminal vnd anderen Sachen

dem bisherigen gebrauch nach zu verrichten, zu coneipiren,

ausszuüben, zu mundiren, zu protocolliren vnd auszufertigen an- befohlen vnd zugestellet wird, nebenst anderen Unseren Geheimbden Cantzley vnd Cammer und (labinet Secretarien coneipiren und expedyren helffen, Unser Archivum wohl in acht nehmen, die darzu gehörige Originalia vnd andere Vrkundten, Siegel vnd Brieffe wohl vnd getrewlich verwahren, registriren vnd soviel an Ihme fleissig zu retindegriren suchen, auch da- von ohne Unsere oder Unseres verordneten Ersten, auch anderer Geheimbden Rhäten vnd Vice Can tzlers, in dessen obwesenheit oder dess davon (sie) verhan denen (sie) zeit- lichen Directoris auch unser rathen Vorwissen vnd Consens vnd zwar alssdann auch nicht anders alss gegen eines ge- ziemenden Scheins de restituendo Niemand etwas com- municiren vnd in summa sich dergestalt comportiren was einem ehrlichen, redlichen Consistorial vnd Visitations Secretario, auch Registratori *) wohl anstehet vnd Er dasselbe vor Gott, vnd dem strengen Gerichte Jesu Christi an jenem grossen Tage, So dan Unss alss seiner ordentlichen hohen Landes Obrigkeit in seinem Gewissen zu verantworten getrawet, Inmassen Er dan darauf einen leiblichen Aydt zu Gott geschworen vnd darüber seinen aydtlichen Revers ex- tradiret hat.

Für solche seine getrewe Dienste geloben Wir Ihme seine vor- hin gewesene Bestallung also Einhundert Reichsthaler auss der Cammer vnd noch darzu fünff vnd dreyssig Reichsthalcr auss den Extraordinari ausserkannten Brüchen und zwarten (sie) aufT New Jahr anno 84 nach gelegenheit der Zeit davon zum ersten mahl ein

') Man hat hier übersehen, den Titel »Archivariusc noch hinzuzufügen wie oben geschehen.

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Das Ostfriesische Landesarchiv 1454-1744. 195

proportionirtes Quantum aus der Cammer jährlichs gegen Quittung aussteigen, geben vnd zahlen zulassen, dabenebenst Er dan gleich- wohl auch die Expeditions vnd protocollations, ungleichen die Visi- tationsgebühr, wie Er solches biss anhero nebenst dem antheil der Sportulen gehabt, zur Billigkeit gemessen, auch dabenebenst seinen Rang negst anderen Unseren obgemelten Secretarien haben vnd be- halten solle.

Letzlich versprechen Wir ervvehnten Unseren Consistorial vnd Visitations Secretarium , auch Registratorem ') bei dieser unser Be- stallung in gnaden zu schützen vnd Unss wieder Ihne Ohnerhörter Sachen zu keiner Ungnade bewegen sondern da er wieder verhoffen bey Uns angegeben werden mochte, seine Verantwortung und Unschuld gemessen zu lassen, jedoch reserviren Wir Unss, falss Wir dieser seiner Dienste nicht länger bedürften, Ihme solches, inmassen auch dem- selben solches dergestalt zu Ihme frey stehet, ein halb Jahr zu- voren loss zu kündigen vnd soll Er alss dan in beyden Fällen nach solcher halbjährigen Frist dimittiret vnd Ihme sein etwa annoch restirendes Salarium richtig erlöget werden. Zu wahren Vrkundt haben Wir diese Bestallung eigenhändig vntergeschrieben vnd mit Unseren Fürst- Vormundlichen Gantzley Ingesigel wissent- lich befestigen lassen. So geschehen auft" Unseren Residenz Ilauss den 14ten Augusti 1680«.

Crato erfreute sich seiner neuen Würde nicht lange, da er sie noch in demselben Jahre abgab. Er starb schon im folgenden (1684).

Sein Nachfolger war Joachim Wolfgang von Speulda, nach einer handschriftlichen Notiz unterm 16. November 1683 zum Ar- chivarius ernannt. (Sein Bestallungsbrief hat sich nicht erhalten.) Er war wol ein Sohn jenes Wolfgang von Speulda, Doctors der beiden Rechte, der von 1653 bis an seinen im Jahre 1679 erfolgten Tod das Amt eines Bürgermeisters zu Aurich bekleidete.

Unser Archivar starb im Jahre 1695. Seine Stellung erhielt eine in der Ost friesischen Geschichte vielgenannte Persönlichkeit, Enno Rudolf Brenneysen, Licentiat der Rechte, aus einer allen Ostfriesischen Beamtenfamilie stammend, der am 9. Juni 1697 Ad- vocatus fisci wurde. Dies ist wol auch der Zeitpunkt der Ucber- nahme des Archivs, über den sonst keine weiteren Nachrichten

') Siehe Note auf der vorhergehenden Seite.

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Herquet :

vorliegen '). Im folgenden Jahre zum Kanzleirath ernannt, gab er unterm 10. August 1699 das Archiv an Heinrich Philipp Salder ab, der bisher das Amt eines »Secretarius« bekleidete*).

Schon nach Jahresfrist folgte ihm Johann Friedrich Muck, bestellt am 7. August 1700, der, wie es in seinem jetzt nicht mehr erhaltenen Bcstallungsbrief heisst, »mit denen Secretariis ascendircn solle«.

Derselbe trat jetzt erst in Ost friesische Dienste, nachdem er für seine Stelle als »Secretarius und Archivarius« eine haare »Recognition« von 2800 Thalern erlegt hatte. Er avancirte bald zum Kammer- Secretarius, fand aber auch hier seine Rechnung nicht und kündigte im Jahre 1709 sein Amt, »wobey ich gestalter Sachen nach ohne der Meinigen inevitablen Ruin nicht länger hätte subsistiren können«, wie er in einer Eingabe an den Fürsten Georg Albrecht sagt. Dieser gestattete, dass Muck seine Stellung an einen »andern capabeln und ihm (dem Fürsten) anständigen Menschen gegen Erstattung der früher erlegten Recognition von 2800 Thalern« abtrat. Ein solcher fand sich in der Person des bisherigen Wittmunder Rentmeisters Becker, der seinerseits wieder seinen Posten dem Dietrich Hegler überliess. Hegler war es, der unserem Muck die 2800 Thaler her- auszuzahlen hatte, sodass die Kammerkasse keine weitere Mühe- waltung hatte , als diese Summe zu übertragen (fürstliche Ordre vom 19. Dezember 1709 an den Ober-Rentmeistcr). In Mucks sehr gnädig gehaltenem Abschied, datirt Aurich den 4. Februar 1710. bezeugt ihm der Fürst, dass er treu, Qeissig, redlich und aufrichtig gedient, »sodass Wir ein gnädigstes Vergnügen daran gehabt und Wir Ihn gerne länger in Unserem Dienst behalten hätten« , man habe ihn aber »zu seinem und der Seinigen Besten umb anderwärts besser Fortün zu machen« auf sein Nachsuchen entlassen.

') In dem Anhang zu Bavinga's Chronik (neu herausgegeben von Tapper 174ö) wird in der Liste der »Archivarii« Brenneysen ohne Jahresangahe zwischen Salder und Muck aufgeführt; in den handschriftlichen Notizen von Coldewey dagegen zwischen Muck und Kereker, auch ohne Jahresangahe. Beides kann nicht richtig sein.

") Unterm 24. Juli 1G99 ertheilte ihm und dem Auricher Amtmann Dothias Wiarda der Fürst Christian Eherhanl den Auftrag, den Nachlass «einer Mutter, der Fürstin Christine Charlotte, zu inventarisiren. Das aus 180 Folioseiteu be- stehende Inventar ist noch vorhanden (Manuscript A. 179) und unterm 8. Okto- ber 1099 von den genannten Beamten unterschrieben und untersiegelt Salder hat übrigens seinen Amtscharaktcr hier nicht beigefügt.

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Das Oslfricsische Laudcsarchiv 1454 1744.

Iü7

Muck machte auch liesser Fortune, indem er Fürstlich Oettingen'- scher (Jeheimer Rath wurde. Er war verheiratet mit Anna Catha- rina, Tochter des Ostfriesischen Regierungsrathes Christian Bolenius (f 1698) und Enkelin des oben erwähnten Chronisten Dr. Albert Bolenius

Sein Amt als Archivar hatte Muck schon unterm 2. April 1703 an den Advocatus lisci Johann Anton Kercker abgegeben, unter welchem das Archiv jene oben berührte Erwerbung des Nachlasses von Ubbo Emmius machte. Die eigentliche Seele des Archivs war schon damals der ^mittlerweile zum Regierungsrath beförderte Licen- tiat Brenncysen, der bei seinen ausgedehnten Forschungen und Publi- cationcn in erster Linie politische Zwecke im Auge hatte, der aber nichts desto weniger sich um das Ostfriesische Landesarchiv grosse, dauernde Verdienste erworben hat.

Nachdem Kercker 1710 Regierungsrath geworden war 2) und bald darauf seine Archivstellung aufgab, wurde Hartmann Christoph Becker, der, wie erwähnt, in Mucks Stelle als Kammersecretär ein-

') Von Muck rührt ein in steifen Alexandrinern verfasstes und beim Auricher Hofbuchdrucker Samuel Hüttger erschienene« Carmen her, betitelt »Die siegende Fahne« und gedichtet, als der Graf Friedrich Ulrich am IG. Mai 1708 den Ost- friesischen Hof verliess, um der »Campagne in Brabant und Flandern wieder- beizuwohnen«. Friedrich Ulrich (geb. 1008) war ein Enkel des Grafen Ulrich II. (1028 48) und der letzte Sprossling der zu Norden residirenden graflieben Linie. Frühzeitig in Niederländische Kriegsdienste getreten, focht er mit Auszeichnung bei Fleurus (1090), Stenkerken (1092), Neerwinden (1093), wo er dem Englischen Künige Wilhelm III. Leben und Freiheit rettete, und im Spanischen Erbfolgekrieg. Er war damals Holländischer Generallieutenant. Am 8. April 1708 verlobte er sich mit Maria Charlotte, Tochter des Fürsten Christian Eberhard, seines Vetters, der übrigens schon am 30. Juni dess-elben Jahres starb. Unmittelbar nach dieser Verlobung hegab sich der Graf wieder ins Feld , wozu Muck das obige Gedicht fertigte, das von dem Grafen die gänzliche Niederlage der Feinde und die »Ruhe für Deutschland« erwartet. Am 10. April 1709 fand zu Aurich die Vermählung statt, worauf Friedrich Ulrich sich wieder zur Armee begab. Er starb schon am 13. März 1710 mit Hinterlassung einer Tochter, wodurch dieser Zweig des Hauses Cirkseiia erlosch. In Ostfriesland war Friedrich Ulrich wegen seines Küthes, sowie seiner Neigung zu hohem Spiel und zu Frauen nur als der »tolle Graf« bekannt, auch stand er bei seinen früheren, testamentarisch bestellten Vormündern, den Ostfriesischen Ständen, so sehr in Gunsten, dass diese ihm jährlich 2000 Thaler unter der Hand zufliessen liessen.

1) Das Staatsarchiv besitzt von ihm eine handschriftliche Sammlung von Aufsätzen über die Ostfriesischen Landesdifferenzen.

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Herquet:

getreten war, unterm 6. Juni 1712 zum Advocatus fisci und zum Archivar bestellt. Gleich den meisten seiner Vorgänger bezog er in seiner letzteren Eigenschaft kein Gehalt.

Becker wurde 1721 Kammer- und Regierungsrath (später 1735 auch Geheimer Rath). Einige Jahre später folgte ihm der unterm 7. Februar 1721 zum Advocatus fisci ernannte Heinrich Sigismund Backmeister1) in der Archiv-

*) Derselbe, ein Sohn des Ostfriesischen Regierungsrathes und Leibmedicus Eberhard Backmeister (f 1742), hatte zu Halle und Strassburg Jurisprudenz studirt. Als ihm in einer dortigen Bibliothek im Jahre 1719 Schwedische Staats- schriften in die Hände fielen, Klaubte er daraus zu erkennen, dass dem Hause Cirksena wegen der Khe Katharina'*, Tochter Gustav Wasa's, mit Edzard IL die eigentliche Thronfolge in Schweden nach der Abdication der Königin Christine gebflhrt hätte und noch gebühre. Er arbeitete daher eine Schrift aus, der er den Titel gab: »Disquisitio historica de jure succedendi in regno Sueciae ubi neque modernae reginae neque duci Holsatiae regnum hereditario jure deberi ostenditur. MDCCXX.« Behufs Erlangung der Censur legte er das Mariuscript dem Strassburger »Praetor reghis« J. B. von Klinglin vor, der es nach Paris an d'Argenson sandte. Durch diesen kam es an den Regenten , der ihm das Imprimatur versagte und es zurückzuhalten befahl. Ein neugefertigtes Manuscript sandte Backmeister jetzt nach Basel , wo der akademische Senat es im Plenum vorlesen Hess, nach drei Tagen aber dem Drucker mit dem Complimcnt zurück- gab, es sei zwar eine sehr gelehrte Arbeit, aber man müsse Bedenken tragen, »den Herrn Landgrafen von Hessen - Kassel zu touchiren (Landgraf Friedrich I. bestieg bekanntlich als Gemahl Ulriken Eleonorens am 4. März 1720 den Schwe- dischen Thron)«. Ein dritter Versuch , in Amsterdam die Censur zu erhallen, scheiterte ebenfalls. Backmeister, der zuletzt an die Drucklegung in Petersburg dachte, Hess zugleich durch seinen Vater unterm 20. Juli 1720 dem Fürsten Georg Albrecht eine Copie überreichen. Letzterer, hiess es in dem Begleit- schreiben , solle die Schrift prüfen und daraus auch entnehmen , ob der junge Verfasser »seine sechsjährige Verweilung auf Universitäten wohl oder übel an- gelegt und ob künftig was Nutzliches von ihm zu hoffen sei«. Backmeister wurde zwar schon am 7. Februar des folgenden Jahres Advocatus fisci. seine Staats- schrift fand aber arn Auricher Hofe nicht den erwarteten Anklang. Brenneysen verwarf sie gänzlich, wie seine eigenbändigen Notizen zeigen, und Hess sie unter seinen Privatpapieren verschwinden, aus denen sie erst nach seinem Tode (1734) wieder zum Vorschein kam. Diese Gelegenheit benutzte Backmeister, sie dem Fürsten Karl Edzard aufs Neue zu übergehen, der Geheimerath verfügte aber unterm 10. April 1786, dass sie dem Archiv einverleibt werden solle. Der am 5. Dezember 1741 erfolgte Tod Ulriken Eleonorens bewog Backmeister, wiederum mit langen Deductionen bei Karl Edzard vorstellig zu werden, der aber meinte, es seien bei der Sache zu viel hohe Puissancen betheiligt, ausserdem fehle es am Nöthigsten, an Geld. Der letzte, schwächliche Cirksena starb schon am

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Das Ostfriesisclie Landesarchiv 1454—1744.

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Stellung »), den wir erst unterm 1. Januar 1726 als Archivar acten- mässig nachweisen können. Unter diesem Datum streckte er nämlich dem Fürsten Georg Albrecht 200 Reichsthaler vor, die ihm, was nicht oft vorkam, schon nach zwei Jahren zurückgezahlt wurden (iürstl. Passivschulden A. XII. 9 b).

In Folge seines Avancements zum Regierungsrath kam seine Stelle an den Dr. juris Ehrenreich Gerhard Coldewey, Sohn des Auricher Generalsuperintendenten Levin Coldewey, der übrigens kein geborener Ostfriese war, sondern aus Oldenburg stammte. Obschon bereits unterm 20. Juli 1728 zum Advocatus fisci ernannt, erhielt Coldewey seine Bestallung als Archivar erst unterm 28. März 1729 ausgefertigt. Wir theilen sie hier nach einer Copie mit, da sie characteristisch ist sowol für die Stellung dieses letzten Ostfriesischen Archivars, der sich als verdienstvoller Beamter erwies, wie für die Ansichten, die man damals betreffs der Verwaltung und Benutzung der Archive hegte und die in manchen Stücken auch heute noch mass- gebend sind:

»Wir v. G. G. Georg Albrecht, Fürst zu Ostfriesland etc. etc. Urkunden und bekennen hiemit, dass Wir den Hochgelahrten, Unsern Advocatum Fisci und lieben Getreuen Ehrenreich Gerhard Coldewey, der Rechten Doctorem, auch zu Unscrm Archivario bestellet und angenommen haben.

25. Mai 1744 ohne männliche Descendenz, worauf Backmeister mit seinem Collegen v. Wicht die Succession der weiblichen Linie proclamirte. Nach der Besitz- orgreifung Ostfrieslands liess Friedrich der Grosse die beiden Räthe als Staats- gefangene auf die kleine Festung Greetsiel bringen (14. .luni 1744), wo sie nach viermonatlirher Haft entlassen wurden. Backmeister wurde 1749 wieder an- gestellt, fiel aber schon 1750 in die Ungnade des Königs, worauf er Ostfriesland verliess und Hofgerichtsassessor in Stade wurde. Er hatte 1723 Katharina Mag- dalena, Schwester seines Nachfolgers, des Archivars Coldewey, geheiratet, die schon den 21. Februar 1728 erst dreiundzwanzigjährig starb (Trauercarmina von A. G. Dreas und Peter Dreas auf der Bibliothek der Landschaft).

Von seiner »Disquisitio historica« bewahrt das Staatsarchiv zwei Exemplare Mscpt. A. 102 und G. 19. In letzterem findet sich die Notiz, dass sie am 1. Jan. 1720 dem Professor Boecler zur Begutachtung unterbreitet wurde. Uebrigens soll eine Deutsche und Schwedische l'ebersetzung von ihr in der Gräf- lich Barck'schen Bibliothek zu Stockholm zu finden sein.

') In einer von ihm unterm 8. September 1724 aufgesetzten >Species factic tiber seinen Hangstreit mit dem Emdeuer Bürgermeister Nieman unterzeichnet er sich nur als Advocatus fisci.

200

Herquet:

Allgemeine Pflichten. Thun solches auch hiemit und dergestalt und also, dass er zum ersten und insgemein auch in solchem Amte Uns und Unserem Fürstl. Hause getreu, hold, gehorsam und gewärtig seyn, Unser und Unsers Hauses Bestes wissen suchen und befordern, Schaden und Arges hergegen nach seinem besten Vermögen hindern und abwen- den soll.

Besondere Pflichten 1) die Brieffschaflen wohlverfahren (sie), in gute Ordnung bringen und darin unterhalten, auch darüber Indices verfertigen.

Insonderheit aber soll er zum 2) alle zu Unserm Archiv gehörige Original-Urkunden, benanntlich alle Lehnbriefe, Erb- Vergleiche, Reichs-, Krayss- und Landes- Sachen , alle von Uns und Unseren Vorfahren im Reglements gemachte Verordnungen und was dergleichen mehr seyn mag, so Unsere Regierung, Consisloriuni oder Gammer-Wesen angehet, wie ungleichen alle der Partheyen abgeurtheilte Acten, wenn darinnen nichts mehr zu handeln oder zu thun ist, wohl ver- fahren l) und in gute Ordnung bringen, die abgethane gerichtliche Acta, wie bis hero, also noch ferner unter ihren rubriquen nach den Buchstaben hinlegen und darüber einen indicem verfertigen, auch die andere Urkunden und Brieffschaften ebenmässig in eine richtige Registration (!) bringen, darüber einen Indicem machen und zumal in richtigen (wichtigen?) Sachen den Einhalt eines jeden Stücks aufzeichnen und solches alles dergestalt einrichten, damit man auf bedürfenden Fall das nöthige bald finden und ohne WeitläutTligkeit sehen könne, was ein jedes Stück in sich fasse und zu solchem Ende auch auf den Stücken der vorhandenen Paqueten den Einhalt der- selben gebührlich verzeichnen.

2) die unvollkommene Acten compliren.

Zum 3) soll auch Unser jetztbcmeldeter Advocatus Fisci als ArchivartUS, wann er linden wird, dass einige Acten und Paqueten in der Materie, wovon sie handien, nicht völlig beyeinander sind,

') So hier und auch oben statt »verwahren«. Da Coldewey selbst unterm 28. Juni 1730 diese von einem gewöhnlichen Schreiber genommene Copie mit dem Original verglichen hat, so liegt kein einfacher Schreibfehler zu Grunde, sondern ein burcaukratischer Sprachschnitzer. Weiter unten ist »Verfahrung« in »Verwahrung« corrigirL

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dieselbe aus anderen Acten und Urkunden dergestalt zu compliren sich bemühen, damit sie förderlichst in eine gute vollständige Ord- nung und Registratur gebracht werden können.

3) die geflammte Briefschaften ihm wohl bekannt machen.

Zum 4) soll er auch die in Verwahrung habende BrielischafUen fleisig durchsehn und ihm selbst wol bekannt machen, damit er jedesmahl auf beschehene Nachfrage die verlangle Anleitung und Nachricht geben könne, ob und was von einer odern undern Sache vorhanden sey.

4) sich öfters und zum wenigsten des Montags, Mitwochens und Sonnabends auf dem Archiv einfinden.

Nicht weniger und zum 5) soll er auch sich öfters, so viel seine andere ihm von Uns aufgetragene Bedienung und Geschaffte zulassen, wenigstens aber wöchentlich dreymahl, als des Montags, Mittwochens und Sonnabends, vor- und nach Mittags, des Sommers von 8 bis J2 Uhr und des Nachmittags von 2 bis 6 Uhr, des Winters aber von 9 bis 12 und von 2 bis 4 Uhr beständig in dem Archiv einfinden und darauf dasjenige, was ihm oblieget, fleissig und getreulich wahrnehmen, auch was man nöthig hat, herausgeben.

5) die Briefschaften fleisig visitiren und derselben Beschädigung verhüten.

So soll er auch zum 6) die Briefschaften fleissig visitiren und allen Schaden, so von Feuchtigkeit und sonsten entstehen möchte, nach Möglichkeit verhüten und wenn er mercket, dass ein oder anderes original durch den Gebrauch abgehen wollte, davon Ab- schritTfen, um sich deren zu Conservation der originalien zu be- dienen, verfertigen lassen.

6) niemand, ausser denen, so zum geh. Habt der Megierung, Consistorio oder Ober-Hentkammer gehören, den Zugang noch die Inspeetion oder Abschrifft der nriefTschaften verstatten.

Zum 7) soll er ohne Verwissen und Gonscns Unseres Ue- heimbden- Raths- oder Regierungs- Collegii oder dessen, welchen das Directorium dabey hat, keinem, ausgenommen diejenige, welche zu Unserem Geheimden-Rath, Regienmgs-Canlzley, Gunsistorio oder

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Herquet:

Ober-Rentkammer gehören, den Zugang, noch auch die Inspection der vorhandenen Urkunden, Documenten und Acten verstatten, viel- wcnigcr einige Abschriften davon geben, auch wenn Jemand voran- gezogener Massen aufs Archiv gehen und die Inspection einiger Urkunden nehmen will, jedes mahl selbst zugegen seyn.

7) auch keinem Bedienten ohne schrifTU. Consens und Schein etwas abfolgen lassen und das ausgefolgele zeitig wieder einfordern.

Zum 8. soll er keinem Unserer Bedienten wer der auch seye, ohne vorangezogenen Consens, welcher ihm schrifftlich vor- gezeigt werden soll, aus Unserm Archiv etwas abfolgen lassen, auch sich von demjenigen, dem er etwas abfolgen lässt, einen gnugsamen Schein, worinnen der Tag, Monat und Jahr der Abfolgung, wie auch die Ursache, wozu die BriefTschaften gebraucht werden sollen, ge- setzet ist, geben lassen, daneben auch, wenn die Restitution in kurtzer Zeit von selbst nicht geschieht, darum fleissig erinnern und allenfalls Uns oder Unseren Geheimden Raht oder Regierung oder demjenigen, welcher das Directorium dabey führet, davon Anzeige thun, damit die ausgelieferte Sachen jedes mahl richtig wieder zum Archiv gebracht und an ihren gewöhnlichen Ort gelegt werden können.

8) sich auch in (Kommission oder andern Verrichtungen gehrauchen lassen.

Wenn Wir ihm auch zum 9) einige Commission oder andere Verrichtungen auftragen würden, soll er sich darinn willig gebrauchen lassen und das Anbefohlene seinem besten Vermögen nach getreu- lich ausrichten und Unsere Interesse beobachten.

9) die bey dieser Bedienung erfahrne Ge- heimnisse verschwiegen halten.

Nachdem auch zum 10) ofTt ermeldcter Unser Advocatus Fisci als nunmehriger Archivarius bei dieser seiner Bedienung alle Unsers Fürstl. Hauses Angelegenheiten und Geheimnissen erfahret, so soll er solches alles nicht allein, solange er in Unseren Diensten bleibet, sondern auch, wenn er dieselbe etwa verlassen wird, endlich und aufrichtig in guter Verschwiegenheit halten und Uns und den Uns- rigen zum Präjuditz, Schaden und Nachtheil niemanden offenbahren, sondern mit in seine Grube nehmen.

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10) den Fürstl. Gantzier und Rähten Respect und Gehorsam erweisen.

Endlich und zum 11) soll er Unsern Gantzier, Geheimden- Regierungs und an deren Rähten allen gebührenden Respect er- weisen und was wir oder dieselbe ihm ferner anbefehlen werden, Treulich und unweigerlich verrichten und alles andere thun und lassen, was einem Treuen Archivario und redlichem Diener zu thun eignet und gebühret: in massen er deme also bestens Vermögens nach zukommen angelobet und einen geschriebenen eidlichen Revers darüber ausgegeben hat.

11) von der Besoldung.

Dagegen und um solcher seiner getreuen Dienste willen soll er 12) jährlich und jedes Jahr besonders Einhundert Reichs- Thaler über die ihm als Advocato Fisci zugelegte 300 Rthl. ') gegen gebührliche Quittung zu geniessen haben.

12) von der Protection.

Wir nehmen ihm aber auch zum 13) Unsers Archivs wegen in Unsern Specialen Schutz, Schirm und Protection und wollen ihn für männigüches ungerechter Gewalt so viel an Uns ist, vertreten, auch seiner ungehöret Uns gegen ihn zu keiner Ungnade bewegen lassen ; sondern da er wegen einiger Ungebühr angegeben würde, ihn ge- bührlich zur Rede stellen und seiner Unschuld, da er dieselbe bey- bringen wird, billig empfinden und geniessen lassen.

13) Vorhehalt wegen der Aufkündigung.

Wir wollen Uns aber zum 14) hiermit vorbehalten haben, da- fern wir künftig seiner Dienste bei Unserm Archivo nicht mehr be- dürfen, dass Wir ihm solches in Gnaden anzukündigen und diese Unsere Bestallung ein halb Jahr zuvor aufsagen zu lassen Macht haben wollen; Wie ihme hingegen, da es seine Gelegenheit nicht wäre, Uns länger dabey zu dienen, solches ebenmässig ein halb Jahr zuvor gebührl. anzumelden frey stehen soll. Und wollen Wir ihn als dann seines Dienstes gnädigst erlassen.

Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und aufgedrückten Fürstl. Ingesiegel. Geben auf Unserem Residentz-Hause Aurich den 28. Martii 1729.

Georg Albrecht. (L. S.)

') Im Original unterstrichen.

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Herquet :

Aus dieser Bestallung, als deren Autor auf Grund verschiedener Redewendungen wir unschwer Brenneysen erkennen, entnehmen wir zunächst die erfreuliche Thatsache, dass der Archivar als solcher wieder eine bestimmte Besoldung erhielt, wenn es auch nur 100 Thaler waren. Als Advocatus fisci bezog er bereits 300 Thaler.

Wir haben oben Coldewey als verdienstvollen Beamten be- zeichnet und wollen dies etwas näher zu begründen suchen.

Aus den mitgetheilten Bestallungen seiner Vorgänger lässt sich ersehen, dass Register über die vorhandenen Bestände angelegt und fortgesetzt wurden. Mit dem Jahre 1708 beginnt nun ein »Diarium«, welches die Titel sämmtlicher »Rubriquen« des Archivs mit Belassung von Zwischenräumen umfasst. In diese werden die ausgegebenen Archivalien eingetragen und bei ihrer Rückkunft unter Vermerk des Datums wieder ausgestrichen. (Manches ist noch unausgestrichen, dem Archiv also abhanden gekommen.) Dieses Diarium , welches wir heute als Ausgabejournal bezeichnen würden, schliesst mit Ein- tragungen aus dem Jahre 1733, wo eine Neuerung eintrat.

Auf Veranlassung Brenneysens, der Seele des Ostfriesischen Archivwescns seit Dezennien , erging nämlich unterm 4. Mai 1733 (das Conccpt ist von des Kanzlers Hand geschrieben) ein Decreturn Serenissimi an Coldewey, dass er von der ihm im Archiv obliegen- den Arbeit am Ende eines jeden Monats eine »Specih'calion, was er täglich an den dazu verordneten Tagen darin gethan habe, an Serc- nissimum durch den Geheimen Rath und Kanzler Brenneysen ein- zuliefern habe«.

Den ersten Monatsbericht »Diarium was im Hochfürstlichen Archiv irn Monate Majo 1733 expedieret worden« übergab Coldewey mit einer Paritionsanzeige an Serenissimus, worin folgende, etwas eigenthümliche Redewendung vorkommt: »Wie Ew. Hochfürstl. Durchl. mich dabey würdigen, Sich von meinen Verrichtungen in Höchst-Eigener Persohn zu informieren, so zweifle ich dabey keines- weges an der unschätzbaren Continuation der Hochfürstlichen Huld und Gnade.« Coldewey bcsass übrigens damals schon (seit dem 14. April 1730) den Rang und Titel eines Rathes.

Diese Monatsberichte sind in Folge ihrer Ausführlichkeit von ganz ausserordentlicher Wichtigkeil zur Beurtheilung der damaligen Archivbestände, von denen im Laufe der späteren Zeit viele spoliirt und entfremdet worden sind. Sie zeigen uns ferner, dass damals eine sehr rege Benutzung des Archivs seitens der Behörden (Geheimc-

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rathscollegium , Oberrentkammer, Hofgericht, Consistorium u. s. f.) stattfand, da fast kein Bureautag vergeht, an weichem nicht Archi- valien zurückgeliefert oder verlangt werden. Auch Privatleute, die wir als Ostfriesischc Schriftsteller kennen, treten, wenn schon viel seltener, als Benutzer auf.

Die Monatsberichte machen uns ferner mit den Accessionen bekannt, die manchmal so umfangreich waren, dass der Archivar vom frühesten Morgen bis an den späten Abend die mit der Ein- lieferung beauftragten Arbeiter zu überwachen hat, und geben uns manche nicht unwichtige Fingerzeige.

So wird das unterm 9. Februar 1737 erwähnte Manuscript Beningas (jetzt A. 1) von ihm als »Original« bezeichnet, was Wiarda später bezweifelte, während unter den Neueren Mühlmann für Colde- wey^ Ansicht plädirt.

Unterin 5. März 1738 notirt dieser, dass er das 1732 ins Archiv gelangle Galendarium historicum (gedruckt Wittenberg 1582), das der Nordencr Pastor Bernhard Flsenius (resp. der spätere Besitzer des Kalenders) mit zahlreichen, von 1201 bis 1627 gehenden, nicht unwichtigen Nachrichten zur Ost friesischen Geschichte angefüllt hat, »mit vieler Mühe alles nach der Serie annorum et dierum extrahiert und als ein förmliches Chronieon mundiren lassen und solches im Archivo beygeleget (jetzt Mscpl. A. 10 und A. 11).« Als Flsenii Calendarium findet sich dieses Chronieon häufig in Wiardas bekann- tem Üeschiehtswerk citirt.

Um von vielem Anderen abzusehen , bemerken wir , dass er unterm 13. März 1734 das vorgefundene Schreiben des »Fräulein« Theda, Tochter des Grafen Edzard des Grossen (1404—1526), das sie bei Gelegenheit ihres Eintritts in das Kloster Marienthal bei Norden an denselben richtete1), in das Register » Kcclesiastica ge-

') Dieses von ihrer eigenen Hand herrührende Schreiben - die testen und regelmässigen Züge gleichen eher einer Kanzleiband dem eine, noch jetzt vorhandene Locke ihres hei der Einkleidung at»geschnittenen lichten Haares, eine »Slrengec wie <'.oMewey sagt, beigelegt war, ist nun unter Glas und Hahmen gebracht und gebort zu den »Cirnelien« des Archivs, erfreut sich auch in Folge seiner Beigabe in ganz Ostfriesland einer besonderen Wertschätzung. Das Schreiben (abgedruckt Wiarda II. 338-340) ist ohne Jahresdalum und muss in die Zeit vor 1520 zu setzen sein, da Theda 1502 geboren wurde. Sie erklärt ausdrücklich, dass sie nur aus Gehorsam gegen ihren Vater und aus Hoffnung auf ewigen Lohn »geistlich« werde, da ihr soiist das Kloslerleben zuwider sei

20R Herquet:

neralia« eintrügt, wo wir es freilich heutzutage nicht suchen würden, und dass der Marenholzische Process, den wir als das interessanteste Actenstück des ganzen Archivs bezeichnen dürfen, unterm 17. Januar 1735 aus dem fürstlichen Cabinel ihm wieder versiegelt zugestellt wird l). Die Versiegelung war auf ausdrücklichen Antrag Coldeweys

(want al myn daghe heft tny toe closter ghan seer eenteghen vveson). Zur Feier ihrer Einkleidung wollte der Ahl, um die Nonnen fröhlich zu stimmen, gern eine »Tonne Hier« gehen , er konnte aher leider in Norden soviel nicht auf- treiben. Theda blieb im Kloster, bis es 1557 abgebrochen wurde. Nach Aurich übergesiedelt fand sie das Leben hier zu geräuschvoll, wesshalb sie wieder nach Norden zurückging. Sie starb 1563.

') Johann v. Marenholz aus dem Lüneburgischen war ursprünglich Hofmeister des jungen Grafen Enno Ludwig gewesen und wurde später Drost von Berum. Als gewandter Cava Ii er hatte er sich bei der höchst lebenslustigen Fürstin Juliane, einer geborenen Landgrafin von Hessen -Darmsladt, noch bei Lebzeilen ihres Gemahls Ulrich II. in Gunst zu setzen gewusst. Nach dem Tode desselben 1048 kam Marenholz au die Spitze der Regierung, da Enno Ludwig noch minderjährig war und sich auf Reisen befand. Auf Betreihen der verwittweten Landgräfui Christine Sophie von Hessen-Butzbach, einer älteren Schwester Ulrichs II., kehrte ihr Neffe Enno Ludwig plötzlich im Mai 1051 in Begleitung seiner Tante, die von früher her einen bittein Hass auf ihre Schwägerin Juliane geworfen hatte, aus Wien nach Ostfriesland zurück und übernahm sofort die Regierung. Gegen den auch l»ei Volk und Ständen unbeliebten Marenholz liess er jetzt einen Process einleiten, dessen Ergebnisse auf die moralische Führung Julianes kein sehr günstiges Licht warfen. Unter Verhöhnung aller Rechtsformen wurde Marenholz zum Tode verurtheilt und am 21. Juli 1651 auf einem Zimmer der Burg zu Wittmund enthauptet. Juliana verliess Ostfriesland für immer und starb 1659.

Der sehr umfangreiche »Marenholzischc Inquisilionsprocess« , ein hässlicher Fleck auf dem Schilde des Hauses Cirksena, eignete sich begreiflicherweise nicht für Jedermanns Auge. Auf Antrag Coldeweys, »weil die Acten offen lägen und von Jeglichem, dem der Access im fürstlichen Archiv verstattet wäre, inspiciret werden könnten«, erliess der Fürst Karl Edzard , dem Coldewey die Acten vor- gelegt hatte, unterm 5. Januar 1735 ein Decret, wonach dieselben, die mit dem Handsiegel des Fürsten versiegelt worden waren, ohne dessen Spezialbefehl nicht wieder geöffnet, sondern versiegelt im Archiv aufl>ewabrt werden sollten, »wes- halb das betreffende Decret sub sigillo dem jetzigen Archivario zu seiner und seiner successorum in officio Nachachtung zuzustellen sei«. Coldewey empfing die versiegelten Acten von dem Geheimen Rath und Hofmarschall von Langeln unterm 17. Januar, worüber ein besonderes Protokoll aufgenommen wurde. Entsiegelt wurden die Acten erst auf Ansuchen des Ostfriesischen Geschichts- schreibers Wiarda im Jahre 1792 mit Genehmigung des damaligen Regierungs- präsidenten von Benicke. Bei Gelegenheit der Rückgabe der Acten an den da- maligen Archivar Rley schreibt Wiarda: »Pro communicatione gratias ago

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Das Ostfriesische Landesarchiv 14.54- 1744.

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geschehen und zunächst durch einen äusseren Umstand veranlasst worden, den wir nachher berühren wollen.

Von Urkunden hören wir wenig. Einmal drückt Coldewey seine Verwunderung aus, dass an einem Kaufbrief von 1490 das Siegel eines Emdener A Itaristen hängt.

Die Urkunden, soweit es nicht eben Lehenbriefe oder Haus- verträge waren, steckten überhaupt damals zwischen den Acten und wenn wir hören, dass die 22, später 25 »Paquetc« Johanniter- acten beständig auf der Wanderschaft zwischen Archiv und Ober- Hentkammer waren, so dürfen wir annehmen, dass die Urkunden der Commenden (unsere ältesten Documente) diese Wanderschaft stets mitzumachen hatten, was nicht gerade zu ihrer Conservirung diente.

Uebrigens versteht es Coldewey durch die Monatsberichte in der eindringlichsten Weise auf Restitution der ausgeliehenen Archivalien zu dringen und fast immer erreicht er seinen Zweck, wenn auch manchmal erst mit Hülfe eines Ceheimerathsdecrels. Dann finden sich auch im Nachlasse der höheren Beamten oft ganze Stösse, die dem Archiv gehören bei Brenneysen hören wir von einem »cu- mulus actorum«, ebenso bei v. Wurmb, v. Brawe u. s. f. und hier gilt es nun, alle Energie zu entfalten und durch Kan/leibeamte die nöthigen Designat ionen und Ausscheidungen vornehmen zu lassen. Um dem Schlendrian der Behörden und Beamten zu steuern, ver- anlasste Coldewey folgendes Decret: »Demnach in der dem Rath Coldewey als Archivario gnädigst ertheilten Bestallung unter andern folgendes enthalten ist: Zum 7) soll er ohne Vorwissen und Consens (hier folgt der ganze Passus 7 und 8 bis:) an ihren gewöhnlichen Ort geleget werden können;

So lassen Ihro Hochfürstl. Durchlaucht Unser gnädigster Fürst

quam possum maximas. Welche Aehnlichkeit mit der struensceischen Tragödie: Salomon hat Hecht: Es geschieht nichts neues unter der Sonne !c

Vielleicht dürfen wir hier daran erinnern, dass eine neuere Schriftstellerin, Mathilde Häven, durch ihren Hornau »Elisabeth von Ungtiad« dem Maren- holzischen Process, den sie freilich nur nach dem gedruckten Material kennt, eine gewisse Verhreitung in weiteren Kreisen verschafft hat. Die Titelheldin war zuerst die Geliebte des Grafen Anton Günther von Oldenburg, dem sie einen von ihm legitimirteu und vom Kaiser in den Grafenstand erhobenen, aber nicht successionsberechtigten Sohn Anton von Oldenburg gebar, und heiratete später (1648) Marenholz, den äie in seinem politischen Treiben secundirte.

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Herquet:

und Herr es dabey nochmahls in Gnaden bewenden und ist Höchst- Derselben gnädigster und ernstlicher Wille, dass dem Einhalt dieser Articulorum nicht nur von dem Rath und Archivario selbsten, sondern auch von allen Dero Bedienten ohne Unterscheid genau nachgelebet und zu dem Ende diese Verordnung in quintuplo aus- geferliget werden solle, damit in der Geheimen Raths-Stube, wie auch in der Regierungs-Cantzley und Consistorial-Audienz, sodann in der Ober-Renth-Cammer und insonderheit in dem Archivo ein Exemplar davon aufgehoben und letzteres am letzteren Orthe in- wendig an der Thür angehefiftet, endlich auch das fünfte Exemplar in dem Verordnungs-Buche eingehefiftet und gehörig registriret wer- den könne. Uhrkundlich ist diese Verordnung mit Serenissimi Unsere gnädigsten Fürsten und Herrn fürstlichen Handzeichen und aufge- druckten Regierungs-Insiegel bevestiget. So geschehen auf dem Residenzhause Aurich den I. Juli Anno 1737.«

Auch mit localen Uebelst finden hatte Coldewey zu kämpfen. Das Archiv befand sich nämlich nicht im eigentlichen Schlosse, son- dern in einem 1731 und 1732 zum Theil mit ständischen (Seidern neuerrichteten Gebäude am äussern Schlossgraben zur rechten Seiten der Schlossbrücke. »Es pflegen sich darin die sämmtlichen Ober- Collegia, der Geheime Rath, Regierung, Cant/.ley, Consistorium, das Hofgericht, die Ober-Rentkammer zu versammeln. In diesem Ge- bäu befindet sieh auch »las wohl-angerichtete Archiv sammt der Hochfürstl. Bibliothcque, gleichwie unten der Marstal ist« '). Also auch hier »Musis et mulis!«

Trolz der Neuheit des Baues machten sich schon Schäden gel- tend. Wenn die Herhststürmc beginnen , dringt das Wasser oft »haufenweise« ins Archiv. Ueberall entstehen Lecke und die Archi- valien werden feuehf , das an sich sehr feuchte Klima Ostfrieslands setzt denselben überhaupt stark zu. Coldewey weist in dieser Be- ziehung jede Verantwortung von sich und monirt unermüdlich.

In dem eigentlichen Winter stellt sich für ihn die Sache noch schlimmer. Das Local kann nur dann geheizt werden . wenn er

') Geographische Beschrahnng des Fürsleiithums Ost-Friessland. Aurich 17:>*>, S. 24. Dieses noch vorhandene stattliche Hococogebnude (hont nun zu Kasernirungs- zwecken. Das Sehloss seihst, so reich an historischen Erinnerungen, auch im Besitz einer schonen Kapelle, wurde 18.r»0 niedergerissen und dafür ein viereckiger Bau im nüchternsten Kasernenstil hingestellt, den Onno Klopp (I. 222) ein »statt- liches Künigsschloss« nennt.

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Das Ostfriesischc Landesnrchiv 14^,4—1744. 209

selbst zugegen ist, und wegen der Grösse des Raums ist eine eigent- liche Wärme nicht zu erzielen. Von der alle Winter im Archiv aus- gestandenen Kälte hat er, wie er im November 1739 meldet, den Frost in die Hände bekommen, weshalb er sehr oft arlieits- unfahig ist.

Gewissermassen ein Trost ist es dann, dass (in dem ganz pro- testantischen Ostfriesland) damals sämmtliche Aposteltage wie noch heute bei den Schwäbischen Beamten gefeiert werden, nicht minder auch alle Marientagc, endlich die »Quatember Buss- und Bettage«. Auch deutet er sein moralisches Recht auf die Feier der Vigil vor den hohen Festtagen an.

Die Monatsberichte sind ihm augenscheinlich eine unangenehme Zugabe zu seinem Amt, das, wie wir nie übersehen dürfen, doch immer nur eine Nebenstelle war.

Als am 11. Juni 1734 Fürst Georg Albrecht stirbt und bald darauf am 22. September der Kanzler Brenneysen, hält sich Colde- wey von fernerer Einsendung der »Diaria« entbunden. Das Ge- heimerathscollegium ertheilt ihm aber unterm 13. Dezember ein Moni- tum. Bei Einsendung dos nächsten »Diarii« für Januar 173") bittet er den Fürsten Karl Edzard um Befreiung von dieser Verpflichtung, da früher nur zwei Bureautage in der Woche bestanden hätten, während die Besoldung dieselbe geblieben sei (was nicht ganz zu- treffend zu sein scheint). Ferner sei die Arbeit jetzt ausserordentlich gehäuft und ihm dazu noch die mühsame doppelte Transportirang des Archivs auferlegt worden (bezieht sich mutmasslich auf den elien erwähnten Bau im J. 1732). Er hoffe daher von Serenissimus, derselbe werde ihn von jetzt ab von der von seinen Antecessoribus in officio niemals, auch von ihm in den ersten Jahren nicht gefor- derten Expeditions- Einsendung in Gnaden dispensiren. Serenissimi Resolution lautete aber abschlägig (10. Februar), was wir heute nicht l>eklagen.

Einen neuen Versuch macht Coldewey am Jahresschluss 1737, aber auch hier fiel er durch.

Es wäre irrig, wollte man aus diesen Schritten folgern, dass Coldewey kein Interesse an seinem Archiv gehabt hätte. Aus seinen anderweitigen Arbeiten ergiebl sich das Gegcnlheil. Es war ihm nur darum zu thun , i'ine ihm als Beamten neu aufgebürdete Ver- pflichtung, in welcher er zugleich ein gewisses Misstrauensvotum

erblicken musste , von sich abzuschütteln. Die Thätigkeit eines Archiv»ii«ihn /..iudiria. iv. 14

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210 Herquel:

Archivars lässt sich eben nicht nach der Menge des von ihm absol- virten Materials abschätzen und ist deshalb häufigen Missdeutungen ausgesetzt.

Nur bis zum Schlüsse des Jahres 1739 liegen uns die »Diaria« vollständig vor. Coldewey muss darauf einen neuen Versuch gemacht haben, dieselben einschlafen ZU lassen, denn eine fürstliche Reso- lution vom 22. Sept. 1740 monirt ihre Einsendung. Zweifelsohne sind sie dann bis zum Jahre 1744 fortgeführt worden, wo die Selbst- ständigkeit Ostfrieslands aufhörte.

Wie schon bemerkt sind diese Monatsberichte für uns von be- sonderer Wichtigkeit, nicht allein, weil wir aus ihnen die damaligen Bestände und ihre Benutzung, sowie die Accessionen entnehmen können, sondern auch um des negativen Umstandes willen, dass wir von Coldewey alle Stücke darin aufgeführt finden, welche die Behörden von dem Archiv verlangten, die aber niemals darin auf- bewahrt gewesen sind.

Zu den Ordnungsarbeiten Coldewey's übergehend bemerken wir, dass ihm zunächst die ganze Ncuaufstellung des Archivs seit dem Jahre 1732 oblag. Ferner hatte er die oft sehr umfangreichen Accessionen ein- zuordnen und zu registriren. Auch verbesserte er vielfach die alten Register, namentlich bei Acten, die nach längerer Benutzung wieder zurückkamen. Für das Hofgericht fertigte er 1734 ein sehr aus- führliches Register »aller im Archiv vorhandener und das Hofgerieht concernirender Acten«. (In zwei gebundenen Exemplaren Mscpt D. 2a und D. 2b hier noch vorhanden das eine Exemplar war für das Geheiinerathscollegium).

Ferner ist hier zu erwähnen ein im Jahre 1742 angelegtes, nicht vollständig abgeschlossenes Repertorium betitelt : »Abriss, Rub- riquen und Vornehnisle Regislcre des Ilochfürstlichen Ostfriesischen Archives zu Aurich«, das zunächst auf 12 Folioblättern sauber in Tuschnianier die Zeichnungen der Wände des Archivs gibt, wobei die einzelnen Schränke, Schiebladen und Reposilorien scharf her- vortreten zugleich mit Angabe ihres Inhalts in kunstvoll verschnör- kelter Kanzleischrift, also eine bildliche Darstellung der ganzen Arehiv- eintheilung Das in Leder mit Goldverzierung gebundene Exeni-

') Wir ersehen u. A. hieraus, dass die Acten betr. den gewesenen Drosten von Esens. Philipp Dndde (l»i.r>l— 57) . separat verwahrt wurden. Dieselben sind erst neuerdings, bei Ordnung der Reichsacten. wieder zum Vorschein ge-

»

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Üas Ostfriesische Landesarchiv 14M-1744.

211

plar (D. 1) trägt die Namenschi Are des Fürsten Karl Edzard auf der Decke und muss wol zum persönlichen Gebrauche desselben bestimmt gewesen sein. Im Anhang enthalt es ein Verzeichniss der im Jahre 1730 vorhandenen 73 Karten und Abrisse (Pläne), von denen der grössere Theil jetzt verschwunden ist.

Auch bei seinen Ordnungsarbeiten ging es für Coldewey nicht ohne Aerger ab, was hauptsächlich die Eigenmächtigkeit des Kanz- lers Brenneysen verschuldete.

Der Dr. Georg Albrecht Bacmeister, muthmasslich ein Verwandter des frülieren Archivars und damaligen Regierungsrathes, hatte »vor seiner Abreise in fremde Länder die Survivance auf den Arntmanns- dienst in Wittmund« erhalten. Im Jahre 1733 bat er um einst- weilige Beschäftigung. Er wurde dahin beschieden, dass »man ihn gebrauchen wolle, im Archive die Acten in Ordnung bringen und legen zu helfen.« Brenneysen brachte ihn selbst dahin und wies ihn an, die Rubrik »Wittmund« zu ordnen. Dadurch fühlte sich Coldewey verletzt und reichte, als der Kanzler bald darauf mit Tod abgegangen war, unterm 8. Dez. 1734 dem Geheimen Rath ein »Promemoria« ein, worin er darauf hinwies, dass Bacmeister gänzlich unbeeidet sei und dass die Archivarbeit, die derselbe ohnehin sehr unregelmässig betreibe, gar nichts mit dem Witt munder Amtmanns- l>osten zu thun habe. Er stelle daher anheim, »ob de praeterita habita actorum tabularii principalis inspectionc zur Sicherheit (die in so wichtigen Fällen niemals für überflüssig gehalten werden kann) nicht noch juramentum taciturnitatis erfordert werde.«

Schon unterm 13. Dezember reichte er ein neues Promemorin tin, das wir hier in extenso mittheilen, da es auf die Grundsätze Licht wirft, nach denen er bei seinen Ordnungsarbeiten verfuhr.

»Auf mündlich (!) erhaltene Ordre wegen der dem Dr. Bacmeister im fürstl. Archivo aufzutragenden spceiellcn Arbeit wäre mein gehor- samst-unmassgcbliches Gutachten , dass ihm die Ordnung der Stadt und Amtes Norden nach dem Fuss , wie die gleich daran liegende Rubrique: Emden von mir in Ordnung gebracht worden, aufgetragen und er angewiesen würde, bei solcher Ordnung in specic Folgendes genau zu beobachten:

kommen, ila Dudde getreu Enno Ludwig <lie Hfllfe des Heichs angerufen hatte. Es erhellt ans diesen Acten, dass dasjenige, was Onno Klopp (IL 252) als Grund der Flucht Dudde's aus Ostfiiesland angibt, vollständig irrig ist.

212

Herquet :

1) Alle und jede Materien wohl zu separiren und respec- tive (wo er bey ihm obliegender Durchlesung der gantzen Rubrique verwandte Materien finden würde) zu combiniren;

2) alles accurat secundum Seriem annorum in genere mit gantzen paqueten und in specic in jedem paquete zu legen;

3) auf jedem Stücke in allen paqueten unten mit einigen Zeilen die sufficiente Contenta des Stücks cum dato et praesentalo zu verzeichnen;

4) Die unnöthige mäntel (Mantelbogen, Pallien) wegzulassen und dagegen auf dem, um jedes paquet in genere und denen etwaigen subdividirten und subdividendis zu schlagendem gantzen Bogen die völlige Rubrique, annum, numerum et contenta zu specificiren, worinncn ihm die allegirte Rubrique: Emden mehr als 100 Exempel geben kann;

5) sind die Stadts-, Amts- und Renterey-Sachen, so viel mög- lich, zu separiren;

6) wäre ein doppeltes Register zumachen: Eins secundum Seriem annorum, als in welche Ordnung die Acta zu legen und zu numeriren seyn, und das andere narh dem Alphabet, wie das ver- fertigte Register vom Hofgerichte ist.

Iliebey habe dann nur noch anzumerken, dass terminus bimestris meiner Einsicht nach sufhcient zu dieser Arbeit seye, und recommendiren nochmals gehorsamst die Eyde sie istung de praeterito, in specie wegen der Mahrenholtzischen und anderen Acten.«

Wie wir oben gesehen haben, setzte Coldewey gerade damals die Versiegelung der Marenholzischen Inquisilions- Acten bei dem Fürsten durch, auf sein Promemoria vom 13. Dez. erhielt er aber keine Antwort. Bacrneister beschäftigte sich nach Ausweis des Dia- riums vom Januar 173") noch weiter mit Perlustration der Acten des Harlingerlandes (wozu Wittmund gehört), von da ab verschwindet er aber im Archiv. Er erhielt auch die Wittmunder Stelle nicht, die erst 1745 frei wurde.

Als Historiker nahm Coldewey denselben schroff monarchischen StandpuiK t ein, der sich bei dem damaligen autokratischen Zuge der Zeit und namentlich bei den politischen Wirren Ostfrieslands für einen fürstlichen Beamten, von selbst ergab und dessen vorzüglichster Repräsentant der Kanzler Brenneysen ist. Als im Jahre 1728 die Vita Alensonis Altingii von Ubbo Emmius zu Groningen gedruckt

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Das Ostfriesisclie Landesarcliiv 1454—1744. 213

erschienen war wir bemerken beiläufig, dass im J. 1707 keines- wegs der ganze Nachlass desselben, wie man wol damals annahm, nach Aurich gekommen ist, da die Groninger Universitätsbibliothek noch heute Manuscripte aus demselben verwahrt schrieb Coldewey unter dem Namen Honorius Rigarpius einer Latinisirung seiner Vornamen im Jahre 1734: »Cornmentarii Februaque ad Mensonis Altingii vitam«, die freilich Manuscript geblieben sind. Der hervor- ragendste Literarhistoriker Ostfrieslands, Tiaden (Aurich 1785—90), rühmt von denselben namentlich (II. 15 ff.) die darin enthaltenen werthvollen Nachrichten über eine Reihe von gelehrten Zeitgenossen Menso Attings. Aus den »Parerga Ostfrisica« seines Freundes, des Ostfriesischen Kirchenhistorikers Bertram (S. 116), wissen wir freilich, dass Coldewey schon früh sich mit dem Plan einer Ostfriesischen Gelehrtengeschichtc trug.

Wir besitzen von ihm ferner eine sehr fleissig gearbeitete Mono- graphie über die Münzen Ostfrieslands publicirt ohne Namensunter- schrift in den zu Aurich erschienenen »Wöchentlichen Ostfriesischen Nachrichten« von 1748 Nr. XXVI— XXIX. Als erste derartige Arbeit ist sie von Denjenigen, welche später dieses Thema behandelt haben, vielfach ausgenutzt worden.

Auch mit den Friesischen Geschichtsquellen beschäftigte er sich eingehend. Als die vornehmste derselben, die Annalen des Klosters »Floridus ortus« (Wittewierum in Westfriesland), welche die Zeil von 1207 bis 1280 umfassen und die wichtigsten Nachrichten über die Verfassung der Friesischen Lande enthalten, von neuem 1725 edirt worden war, schrieb Coldewey einen Aufsalz über dieselbe in die Hamburger Gelehrte Zeitung Jahrgang 1735 S. 445—447 (vergl. Tiaden II. 170). Neuerdings sind diese Annalen von Feith und Acker Stratingh in Groningen nach der von Ubbo Kmmius, wie Weiland sagt, durch Bemerkungen arg besudelten Originalhandschrift (186l>) herausgegeben worden; später (1872) von Weiland in den Mor». Germ. SS. XXIII.

Durch seine Ernennung zum Regierungsrath im Jahre 1739 wurde Coldewey der Gegenstand einer Staatsaction zwischen Fürst und Ständen. Seinem vorgeschriebenen eidlichen Reverse (d. d. Aurich 28. Mai 1739, im Original hier noch vorhanden), dass er die kaiserlichen Decrete, die Landesaccorde, die Tractatc mit Kmden und die Decisionen der Generalstaaten halten und beobachten wolle, wurde von Seiten des Landtags die Annahme verweigert, da Aus-

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214 Herquet:

steller kein Eingeborner sei, auch das Indigenat bei den Ständen nicht nachgesucht habe, was gegen das kaiserliche Conclusum ad Clravamen III. der Landstände de 1691 Verstösse.

Es wurde einige Jahre in dieser Sache hin und her geschrieben. Coldewey suchte ihr die Spitze abzubrechen, indem er den Fürsten bat, ihm das Indigenat zu verleihen. Die Stände ihrerseits bestanden hartnäckig darauf, dass dies nur von ihnen ausgehen könne. Ehe noch der Streit ganz ausgeglichen war, wurde Ostfriesland eine Preussische Provinz.

Mit der Stadt Emden hatte Coldewey noch einen persönlichen Conflict. Sie schuldete ihm nämlich im Jahre 1737 »filii nomine« an Kapital 5940 Alb. Thlr. und an Zinsen seit 1709: 8316 Alb. Thlr., im Ganzen 14,256 Alb. Thlr. Seit einigen Jahren hatte die Stadt gegen den Wortlaut ihrer Obligationen den Zinsfuss um 2 Procent eigenmächtig verringert (vergl. Wiarda VIII. 356), bezahlte aber auch so keine Zinsen. Da es nun, wie Coldewey in einer Eingabe an das Geheimerat hscollegium vom 30. Juli 1737 erklärt, »eines Privati Leben und Vermögen übersteigt, mit der Stadt darüber einen Un- gewissen Process anzufangen«, so bat er, dass Serenissimus durch seine »landesobrigkeitliche Macht« oder durch die Erlaubniss, die Gelder an in- oder ausländische Private zu cediren, ihm zur Er- langung derselben behülflich sein wolle. Dagegen verspricht er, dem Fürsten nicht allein 6000 Thlr. gegen eine gnädigst zu gebende Obli- gation zu leihen, sondern auch zu seinen schon früher oflerirten 40t) Kaisergulden noch 1000 Thlr. als eine unterthänigstc Recognition zuzulegen. Das Collegium resolvirte darauf, dass Coldewey die Gelder entweder auf dem ordentlichen Wege Rechtens ausklagen möge oder sie an einen Andern, »jedoch keinen polentiorem, als er selbst« cediren solle. Die Acten melden nicht, wozu sich Petent entschlossen. Auch in späteren Jahren beklagt er sich in seinen Eingaben, dass er Tausende von Thalern habe einbüssen müssen.

In dem Bilde des letzten Ostfriesischen Archivars würde ein wesentlicher Zug fehlen, wenn wir nicht seiner poetischen Ader gedenken wollten.

Die traurigen Irrungen zwischen Fürst und Ständen, die in den Jahren 1724 27 den Charakter eines Bürgerkriegs angenommen hatten und in der Ostfriesisehen Geschichte als »Emder Rebellion« sattsam bekannt sind, endigten mit einigen kleinen, meist unblutigen Gefechten im Frühjahr 1727. Coldewey, damals U. J. Dr., nahm

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Das Oitfrieaische LandesarcLiv 14M-1744. 215

Anla-ss wegen der »durch vierfache Viclorie gedämpften langen Re- bellion der Renitenten in Ostfriesland« dem Fürsten Georg Albrecht seine »demuthsvolle« Freude zu bezeugen. Er thut dies in einem langen, überaus schwülstigen, mit biblischen Anspielungen durch- tlochlenen Gedicht, in dem Sanherib, Absalon und Pharao nicht fehlen und das mit seiner gereimten Prosa vom höchsten Ungesehmack ihn in unseren Augen als Streber qualificiren müsste, wenn wir nicht wüssten, dass diese Art von Byzantinismus damals aller Orten geübt wurde und sozusagen in der Luft lag. Uebrigens wurde Coldewey von seinen Landsleuten wirklich als poetisches Talent angesehen.

Bei Gelegenheit seiner Verheiratung mit Christiane Henriette VViltkopf am 25. August 1729 überreichte nämlich A. Gottfried Üreas ihm ein Hirtengedicht, worin die beiden Schäfer Florian und Eulal sich über die Vorzüge des »werthen Bräutigams« unterhalten,

Der längst im Emser Dichter-Orden Zum Phflnus aufgenommen worden.

Das Gedicht, in dem Liebe und Ehre nach den beiden Schäfern auftreten, enthält mehrfache Anspielungen auf Coldeweys Archiv- stellung, sowie auf sein Verhältniss zu Brenneysen und schliesst mit dem Wunsche, dass der Name der Neuvermählten bei denen ge- schrieben stehen möge, »die Gott als Kinder zählt in seinem Gnad- Archiv.«

Ebenso liess sich sein Freund Bertram, der Verfasser der Parerga Ostfrisica, damals Hofprediger und Rector, die Gelegenheit nicht ent- gehen, in einem lateinischen, »Anacreon« iiberschriebenen Carmen Coldewey als »optimus poeta« zu feiern, sich selbst aber als »pessi- mus poeta« zu bezeichnen. Auch der Auricher Conrector Schröder brachte eine gereimte llochzeitsgabe (särnmtlich im Besitz der hiesigen landschaftlichen Bibliothek).

Als Hofpoet glänzte Coldewey ferner durch sein »Carmen historicum vom Hochfürsll. Regier-Hause«, das er zu Ehren des am 18. Januar 1741 gefeierten sechsundzwanzigjährigen Geburlstages des Fürsten Karl Edzard verfasste und das eine ziemlich trockene Recapi Dilation der Geschichte des Hauses Cirksena ist. Eine zweite vermehrte Auflage kam unter dein Titel »Das unladeliche Alter des Hochfürsll. Ost friesischen Regierhauses etc.« zu Hamburg heraus. Der Verfasser überreichte sie am 11. September 1741 sammt den Kupferplattcn der beiden Vignetten (!) seinem Landesherrn, dessen

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216 Herquet:

Stamm er eine ewige Dauer wünschte (Mscpt. E. 15). Diese Ewig- keit war schon nach drei Jahren zu Ende.

Von Coldewey'* poetischen Elaboraten erwähnen wir noch das Gedicht auf Friedrichs Sieg hei Prag (6. Mai 1757), welches die Ueberschrift führt »Das frohe Deutschland« und schon lesbarer ge- halten ist. Als in demselben Jahre noch die Siege bei Rossbach und Leuthen erfolgten, erweiterte Coldewey sein Gedicht und gab es nochmals unter dem Titel »Das frohlokkende Teutschland« heraus. Uebrigens halte der grosse König selbst, als er am 15. Juni 1751 zum erstenmal Aurich besuchte, bei der Vorstellung der Beamten Coldewey seine allerhöchste Zufriedenheit zu erkennen gegeben, wie dieser in einer Eingabe vom 28. Dez. 1751 wegen unbilliger Ver- kürzung seines Gehaltes, der damals 600 Thaler betrug, mit Nach- druck hervorhebt.

Wir sind überzeugt, dass unser Poet früher und später noch zum öfteren seinen Pegasus aufgezäumt hat, glauben aber in dieser Beziehung weitere Nachforschungen den eingeborenen Literarhistori- kern überlassen zu müssen.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen tragen wir noch nach, dass er auf den am 11. Dezember 1729 erfolgten Tod seines Vaters, des Generalsuperintendcntcn und Oberhofpredigers Levin Coldewey, der 1705 aus Oldenburg nach Ostfriesland berufen worden war. und der nur diesen einzigen Sohn hatte, nach einer bis in die neuer«1 Zeit hineinreichenden Ostfriesischen Sitte eine zwei Loth schwere silberne Gedenkmünze mit der Umschrift: »Lucet clarius« schlagen liess (Reershein ius, Ostfriesländisches Predigerdenk mal S. 86). Von seiner Verheiratung haben wir bereits gesprochen. In den Diarien von 1736 meldet er uns unterm 25. August den Tod seiner Mutter.

Den Lockungen der Welt gegenüber bethätigte Coldewey keine sehr grosse Widerstandskralt, was wir deshalb bemerken, weil das Staatsarchiv von ihm eine dahin zielende originelle Selbstanklage besitzt

') Es ist ein vom 17. Juli ll'.VJ datirter Brief an den damaligen ersten Minister von Langeln: »Hoch wohlgeborener Herr, Höchstzuehrender Herr. Ge- heimer Rath und Hof-Marechal! Ew. Excellence werden nicht ungnädig nehmen, dass ich mich unterstehe, hiemit aufzuwarten . da persönlich solches zu ver- richten durch eine äusserliche "Indisposition verhindert werde.

meine Schuldigkeit erfordert , wie ich mich zuförderst für meinen Schöpfer wegen der ehegestern mir erwiesenen grossen Gnade gedemülhiget habe, also

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»

Das Ostfriesische Landesarchiv 1454-1744. 217

Bezüglich Coldewey's juristischer und camera Iis tischer Leistungen, soweit sie aus seiner Stellung als Advocatus fisci und Regierungs- rath resultiren, glauben wir uns jeglichen Urlheils begeben zu dürfen, um so mehr, als dieselben, wie bereits erwähnt, von seinem Souverän gewürdigt worden sind. Als Preussischer Regierungsrath wirkte Coldewey noch lange zu Aurich und starb hier am 14. Mai 1773 in seinem zweiundsiebenzigsten Lebensjahre.

Die letzten nachweisbaren Spuren einer archivalischen Thätigkeit finden wir auf einem von dem Grosskanzler von Cocceji persönlich

auch Ew. Excellence, wegen des durch göttliche Zulassung mir begegneten traurigen Falle;. , unterlhäuig zu ersuchen , die Gnade zu haben , so wohl bey meines gnädigsten Fürsten und Herrn Hochfürstl. Durchl. die Continuation des (!) bis- herigen Hochfürstl. hohen Gnade auszuwirken , als auch Dero eigener bisher«) verspüerte gnädige Zuneigung und Protection mir nicht zu entziehen.

Da dieses nun das siebende mal ist, dass der gütige Gott mich in augen- scheinlicher und höchster Lebensgefahr bewahret und mir das Lehen erhalten hat, so zweifle ich nicht, Er habe darunter eine heilige Absicht mich zuförderst von der Welt gantz abzuziehen und dann ein 90 offt und wunderbarer Weise geschütztes Leben mich zu Seiner Ehre und meines Nächsten Nutzen künftig führen zu lassen.

ich nehme den ehegestrigen Fall insonderheit an, als einen handgreiflichen Huf Gottes, an allen Lüsten des Fleisches künftighin keinen Theil mehr zu nehmen, sondern Dem von gantzem Herlzen mich zu ergeben, dessen offenllich- sichtharetn Schirm ich meine Erhaltung zu so vielen mahlen zu danken habe.

Ew. Excellence werden, Dero bekannten Gottesfurcht und erleuchtesten Ein- sicht nach, diesen guten Vorsatz genehmigen, auch das gegebene äusserliche Aergerniss, welches mir alter eine rechte Arlzeuey gewesen und ferner mit Gottes Hülfe seyn soll, zu verzeihen und Folgends zu vergessen geruhen, auch die Güte haben, diese meinem Gewissen nach erforderliche Dcclaration ein privat-Schreiben bleiben zu lassen, sodann mich einiger Versicherung der continuirenden Hoch- fürsll. und Dero eigenen Gnade zu würdigen.

in welcher unterthänigen Hoffnung ich lebenslang verharre Ew. Excellence unterthäniger Diener E. G. Coldeweys

Es niuss dem Leser üherlassen hleiben , was er sich unter dem gcgehenen öffentlichen Aergerniss, das unser Archivar hier in einen solchen Schwall von pietislischen Redensarten einwickelt, denken will. Wir bemerken nur, dass der- selbe am Tage des »Falles«, dem 15. Juli, nach Ausweis der Diarien im Archiv gearbeitet hat, am 18. und 20. Juli hat er aber »Unpässlichkeit halber« (wol die Nachwirkungen des Falles) nicht aus seinem Hause gehen können. Der Ge- heimerath von Langeln liess übrigens den Brief durchaus kein Privalschreiben sein , wie Coldewey wünschte , sondern übergab denselben am 20. Juli der Ge- heimen Registratur, von wo er in's Archiv kam. Sicher hätte ihn Coldewey hier sehr leicht entfernen können.

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Herquet: Das Ostfriesische Landesarchiv 1454-1744.

unter dem 6. Juli 1744 ausgefertigten und an Coldewey gerichteten Befehl, wonach dieser sämmtliche Harlinger- und Jcversche Be- lehnungsacten verabfolgen solle, damit sie in das > Berliner Archiv* eingeliefert würden. Coldewey bezeugt, dass er diesem Befehl an dem genannten Tage nachgekommen sei.

Noch in demselben Jahre gab er seine Stellung als Archivar auf '), und wurde das Archiv dem Geheimen Registrator Wicker zur interimistischen Verwaltung anvertraut. Dieser starb schon 1747.

Nachdem das Archiv länger als ein Jahrhundert sich in den Händen der Registratorcn befunden hatte, nicht eben zu seinem Vor- theil, erhielt es wieder einen wissenschaftlich gebildeten Beamten in der Person des Dr. juris Ernst Friedkinder, jetzt Geheimer Staats- archivar zu Berlin, bekannt als Herausgeber des Ostfriesischen Ur- kundenbuchs.

Seit dieser Zeit (April 1872) ist unser Archiv nicht allein durch grosse Acccssionen vermehrt worden wir erinnern hier nur an die sämmtlichen , auf Ostfricsland bezüglichen Acten des Reiclis- kammergeriehts es erleidet auch eine gründliche, dem jetzigen Stand der Archivwissenschaft entsprechende Neuordnung. Das Studium der Landesgeschichte selbst ist in eine neue Aera getreten, seitdem auf Veranlassung des Directoriums der Preussischen Staatsarchive das von demselben aufs opulenteste ausgestaltete Ostfriesische Urkunden- buch das sämmtliche, bis zum Jahre 1500 reichende Urkundcnmaterial kritisch gesichtet darlegt, wie auch die von derselben Behörde ein- geleitete Publication der Ost friesischen Geschichtsquellcn ein bisher vielfach l>eklagles Hinderniss für die Localforschung in nicht zu ferner Zeit hinwegräumen wird.

') Nach unserer Darlegung stellt sich die Reihenfolge der Ostfriesischen Archivare fulgendermassen :

Johann Conrad Crato (1080) 1683.

Joachim Wolfgang von Speulda ION} 1095.

Lic. jur. Enno Rudolf Bramey seu 1097 1099.

Heinrich Philipp Salder 1699-1700.

Johann Friedrich Muck 1700—170:1

Johann Anton Kercker 1703 1712.

Hartmann Christoph Hecker 1712-1725.

Heinrich Sigismund Hackmeister 1725 1728.

Dr. jur. Khrenreieh Gerhard Coldewey 1728 1744.

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VII. Die Archive in der Oberlausitz, sowohl der sächsischen, als der preussischen.

Von

Dr. Hermann Knothe,

Professor am k. särhs. Cadettencorps in Dresden.

Vielleicht können nachsiehende, theils auf Autopsie, theils auf authentische Berichte sich gründende Notizen über die oherlausitzischen Archive dem einen oder anderen Historiker nützlich werden. Zwar sind die meisten und wichtigsten der in diesen Arctiiven belindlichen Urkunden bereits benutzt, ja zum Theil schon längst abgeschrieben und in der handschriftlichen , auf den Dibliotheken zu Görlitz und zu Zittau in einer stattlichen Reihe von Foliobanden vorhandenen »Oberlausitzer Urkunden-Sammlung« vereinigt, von welcher unter dem Titel »Ver- zeichnis oberlausitzischer Urkunden« (II Bde., Görlitz 1799 und 1824) kurze Regesten veröffentlicht worden sind. Desgleichen enthält der von Gustav Köhler herausgegebene »Codex diplomaticus Lusa- liae superioris« (II. Aufl. Görlitz 1856) alle bis dahin bekannt gewordenen Urkunden ältester Zeit (bis 1346) vollständig. Allein sowohl jene Abschriften, als diese Abdrücke ermangeln an vielen Stellen der erforderlichen Genauigkeit. Hei einer etwaigen Neu- bearbeitung eines Cod. dipl. Lus. sup. würden daher die Original- urkunden, soweit sie überhaupt noch vorhanden sind, zuvor noch- mals zu vergleichen sein. Das in der Bibliothek der oherlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz befindliche Exemplar der oben erwähnten »Oberlausitzischen Urkunden -Sammlung« enthält, wenn auch nicht immer, so doch häutig die Angabe des Archivs, aus welchem die betreffende Abschrift entnommen ist.

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Knothe :

In Bautzen, der alten Landeshauptstadt, dein Sitze der obersten staatlichen und kirchlichen Behörden, gab es natürlich von jeher eine Menge Archive. Allein das der Land Voigtei und das der Landeshauptmannschaft, worin ausser den an die betreffenden beiden höchsten Landesbeamten persönlich gerichteten Schreiben der böhmischen Hofkanzlei oder der Landesherren auch die Lehnbücher, Steuerregister etc. des ganzen Landes aufbewahrt wurden, gingen im Jahre 1621 bei dem durch Verwahrlosung erfolgten Brande des Bautzner Schlosses völlig zu Grunde.

Ebenso wurde das im Landhause befindliche landständische Archiv mit den Originalen der Landesprivilegien, den Landtags- schlüssen, den Correspondenzcn der Stände mit in- und ausländischen Behörden und Privaten im Jahre 1620 bei dem Bombardement der Stadt Bautzen von Seiten der kurfürstlich sächsischen Truppen gänz- lich vom Feuer vernichtet. Als daher 1622 die Landesprivilegien von Kaiser Ferdinand II. neu bestätigt werden sollten , mussten die Gonfirmationsbriefe nach blossen vidimirten Abschriften der ver- brannten Originale ausgefertigt werden. Das gegenwärtige land- ständische Archiv enthält also ältere Urkunden gar nicht und auch nur wenige Akten aus der Zeit vor 1620.

Dagegen ist das bis in s 13. Jahrhunderl zurückreichende städtische Archiv vollständig erhalten. Es befindet sich in einem feuerfesten, wohlgesicherten, trockenen Kellerraurne, wo die Urkunden in einem mit Schubfächern versehenen Schranke aufbewahrt werden. Vgl. über dasselbe »Neues Lausitzisches Magazin« 1851. 309 fig.

Das Archiv des Domstifts zu St. Petri enthält einen Schatz von vielen Hunderten meist wohlerhaltener Pergamenturkunden vom Jahr 1221 an, die sich theils auf allgemein kirchliche Angelegen- heiten, theils aber auf Käufe und sonstige Erwerbungen des Dom- stiltes beziehen. Besonders letztere haben dem Heferenten reiches Material zu seiner »Geschichte des Oberlausitzer Adels und seiner Güter« (Lcipz. 1871)) geliefert. Ein früher angefertigtes Inhaltsver- zeichniss des gesaminien Archivs ist abgedruckt im »Neuen Laus. Magaz.« 1859 (Bd. 35). 96 ff. 165 fT. 376 ff. 1860 (Bd. 36). 72 IT. 408 ff. In neuester Zeit sind (he Urkunden chronologisch geordnet und in Papierbogen mit Aufschrift geschlagen worden. Ausserdem sind aber auch noch Copialbücher mit Abschriften sowohl der noch vorhandenen, als einzelner verloren gegangener Originalurkunden da. Vgl. über dieselben Laus. Magaz. 1851. 397 ff. Die Gersdorff sehe

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Die Archive in der Oherlausitz, sowohl der sächsischen als preussischen. 221

Bibliothek zu Bautzen enthält mehr für Böhmen und Schlesien, als für die Oberlausitz wichtige Manuskripte. Vgl. über dieselbe Zeitschrift für Gesch. und Alterth. Schles. X. 27.

Das städtische Archiv zu Görlitz, jetzt in feuerfesten Ge- wölben des Rathhauses wohlverwahrt, besitzt nicht nur eine grosse Menge von Originalurkunden in Schränken, sondern auch werthvolle Akten aller Art, so z. B. die sämmtlichen Correspondenzen des Stadtraths von 1491—1662 (Libri missivarum et responsivarum), leider mit Ausnahme der Zeit von 1618—48, ferner die ältesten Stadtbücher von 1305 an, desgleichen Lade-, Achts- und Entscheid- ' bücher des königlichen Gerichts zu Görlitz (Libri vocationum, pro- scriptionum, acticatorum etc.), sowie die sehr alten Ralhsrechnungen. Einzelne Bände dieser Gerichtsbücher und Rathsrechnungen sind durch eigenthümliche Verhältnisse in die Bibliothek der oberlaus. Gesellschaft der Wissenschaften übergegangen. Vgl. Laus. Mag. 1866. 458 ff.

Von dem ehemaligen landständischen Archiv zu Görlitz haben wir keine nähere Kunde.

Auch auf der Stadtbibliothek zu Görlitz (genannt: Milich'sche Bibliothek) l) befindet sich eine grosse Menge interessanter Manuskripte, von denen viele für die Geschichte der Oberlausitz von Wichtigkeit sind. Vgl. »Verzeichniss der Handschriften und geschichtlichen Ur- kunden der Milich'schen (Stadt- oder Gymnasial-) Bibliothek« von Prof. Struve, erschienen als Anhang zum Laus. Magaz. Bd. 44 u. ff.

Die oberlausitzisehe Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz») besitzt in ihrer Bibliothek die reichhaltigste Sammlung auf die Geschichte der Oberlausitz bezüglicher Bücher, Handschriften, Urkundenabschriften und Collektaneen aller Art. Schon 1819 erschien ein alphabetisch geordneter Katalog derselben in zwei starken Oktav- bänden.

Das Stadtarchiv zu Zittau ging 1757 bei dem Bombarde- ment der Stadt durch die Oesterreicher sammt dem Rathhaus, wo es verwahrt wurde, gänzlich zu Grunde. Zum Glück halte kurz vorher der Stadtsyndikus Joh. Benedikt Carpzov in seinen »Ana- lecla fastorum Zittaviensium , oder historischer Schauplatz Der Löb- lichen Allen Sechs-Stadt des Marggraffthums Ober-Lausilz Zittau«

') Vgl. flher «lieselhe Zeitschrift für (Sosrh. U. Alterth. Sohle«. X. 22 IT. J) Vgl. Zeitschrift für Gesch. u. Alterth. Schles. X. 25 IT.

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Klml Ii" :

(Lcipz. 1716 Fol.) und in seinem »Neueröffnetem Ehren-Tempel Merkwürdiger Antiquitaeten des Marggraffihums Ober - Lausitz« (Leipz. 1719 Fol.) den reichen ürkundenschatz verarbeitet und zum Theil wörtlich abdrucken lassen. Die in dem Archiv der »Depu- tatio ad pias causas« aufbewahrten und noch erhaltenen, sowie andere auf Zittau bezügliche Urkunden sind abgedruckt in den Bei- lagen zu M. Christ. Ad. Pescheck's »Handbuch der Geschichte von Zittau« (Zittau II Bde. 1834. 1837). Die Stadtbibliothek (be- schrieben von M. Jon. Gottfr. Kneschke, Zittau und Leipzig 1811) enthält viele Incunabeln und durch prächtige Miniaturen kunsthistorisch interessante Messbücher der einstigen Johannitercommende zu Zittau.

Das städtische Archiv zu Lauban (vgl. darüber Laus. Magaz. 1857. 36) zählt trotz des Verlustes vieler älterer Urkunden deren immer noch gegen 300 und ausserdem z. B. interessant»1 Rathsprotokolle, besonders aus der Zeit des 30jährigen Kriegs.

Das Archiv des Mariä-Magdalenen-Klosters zu Lauban (vgl. darüber Laus. Mag. 1857. 34 ff.) besitzt noch 79 Urkunden aus den Jahren 1438—1779; alle älteren sind verloren gegangen.

Die Stadt Kamenz hat trotz häufiger grosser Brände ihr Archiv ziemlich intakt erhalten. Die Urkunden, zurückreichend bis 1323, sind in kleinen, leicht tragbaren Ilolzkisten verpackt und chronologisch geordnet. Eine von kundiger Hand gefertigte Abschrift (»Diploma- torium der Stadt Camenz«) befindet sich ebenfalls im Rathhause, das älteste Stadtbuch im Gerichtsarchiv.

Auch Löh au besitzt noch eine ziemliche Menge alter Original- urkunden; eine Anzahl derselben ist durch eine Reihe eigen thümlicher Umstände erst in neuester Zeit auf die Stadtbibliothek zu Zittau gelangt.

Zu den wichtigsten, weil am weitesten zurückreichenden Archiven des ganzen Landes gehören die der beiden Cisterzienserinnen-Klöster Marienstern und Marienthal. Beide befinden sich innerhalb der »Glausur«, dürfen daher nur von dem Klosterpcrsonal betreten wer- den. Die Herren Pröpste pflegen auf Ersuchen die einzelnen ge- wünschten Urkunden in die Propstei zu bringen.

Das zu Marienstern (vgl. darüber Laus. Mag. 1857. 42 ff.) reicht bis zur Gründung des Klosters im Jahre 1248, ja sogar bis 1225 zurück, ist trotz mancherlei Kriegs- und Feuersgefahr ziemlich vollständig erhalten und verwahrt die einzelnen Urkunden in Papier- umschlägen mit kurzem Regest, die Siegel aber in wohl wattirten

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Die Archiv«' in der Ohcrlausitz, sowohl der sächsischen als preußischen. 223

Leinwandsäckehen. Während Dr. Neumann aus Görlitz im J. 1855 nur 28 Stück Urkunden zur Ansicht und Abschrift erhielt (abge- druckt, als Anfang eines zweiten Theils des Cod. dipl. Lus. sup., im Laus. Mag. Bd. 35. Beilage), sind mir später gegen 200 (bis 1517 reichend) zur Benutzung überlassen worden. Dieselben sind von mir verwerthet, zum Theil auch abgedruckt worden in der »Geschichte der Herren v. Kamenz« (Laus. Magaz. 1866. 81 ff.), der »Geschichte des Eigenschen Kreises« (Laus. Mag. 1870, 1 ff.) und der »Geschichte des Jungfrauenklosters Marienstern« (Dresd. 1871).

Das Marienthaler Archiv, zurückgehend bis 1234, bewahrt die Urkunden ebenfalls in Papierumschlag, aber ohne Regest, blos mit der Jahrzahl bezeichnet. Nur von einzelnen sind bisher die Originale verglichen, von den meisten nur Abschriften von Abschriften genommen worden. Verwerthet sind dieselben wohl sämrntlich von Ganonikus Jos. Bernh. Schönfelder in seiner »Urkundlichen Ge- schichte des Klosters St. Marienthal« (Zittau 1834).

Auch eine Anzahl Schlossarchive verdienen noch Erwähnung, so das zu Königsbrück, welches einige und zwanzig Lehn- und Kaufbriefe aus dem 15. und 16. Jahrhundert enthält (verwerthet in der »Geschichte der Burggrafen von Dohna auf Königsbrück«; Laus. Mag. 1864. 1 ff.), desgleichen das zu Pulssnitz, in dem sich auch etwa 20 solcher Briefe, meist aus dem 16. und 17. Jahrb. befinden (vgl. »Die ältesten Besitzer von Pulssnitz«; Laus. Magaz. 1865. 283 ff.), ferner das zu Baruth, dessen älteste Urkunde von 1319 in Köhlers Cod. dipl. Lus. sup. pag. 233 fg. vielfach un- genau abgedruckt ist, ebenso das zu Burkersdorf bei Zittau mit den Lehnbriefen seit Mitte des 10. Jahrhunderts (vgl. Knothc »Ge- schichte der Dörfer Burkersdorf und Schlegel« Zitt. 1862), end- lich das zu Neschwitz, dessen älteste Urkunden aber nur bis Ende des 16. Jahrh. zurückreichen, während alle früheren leider zu Grunde gegangen zu sein scheinen.

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VIII. Das Stadtarchiv zu Strassburg.

Von

Prof. Dr. Ludwig Spach,

Bezirksarchivdirektor in Strassburg.

Das Distrikts-Arehiv des Untcr-Elsass ehemalige Archives departementalcs du bas Rhin und das Stadtarchiv von Strass- burg, beide in derselben Strasse auf wenig hundert Schritte Ent- fernung von einander gelegen, stehen ihrem Inhalte nach, in bedeu- tendem Kontrast; auch ihre Entstehung, ihre Schicksale sind durch- aus von einander abweichend. Es schien mir, eine Parallele zwischen beiden könne für einheimische und auswärtige Forscher einiges Interesse bieten. Schreiber dieser Zeilen wird sich indess nicht in Einzelheiten verlieren, und sich einer dem sekundären Gegenstand angemessenen Kürze befleissigen.

Mag das ehemalige Departemenlalarchiv unstreitig in seiner Ausdehnung das städtische bei Weitem überflügeln, in seiner Tolali- lät ist das Letztere vielleicht wichtiger, für lokale und auswärtige deutsche, französische, schweizerische Geschichte ergiebiger als die massenhafte Sammlung des Distrikts.

Vor allem sei gesfattet einen Rückblick zu werfen auf den sehr modernen Ursprung des Distriktarchivs; freilich enthält es ällere Schriftstücke als die Sammlung des Rathhauses; aber es hat keine längere selbstständige Vergangenheit nachzuweisen; es ist eine zu- sammengestoppelte Materialien masse, gleichsam ein künstlicher Wasser- behälter, worin sich gewaltsam abgeleitete Rinnsale niedersetzten. Als der Zusammenbruch der französischen Monarchie im Jahre 1790 Stifte, Kirchen und Klöster und das ganze Feudalsystem in seinem Sturze mit forlriss, kamen, wie bekannt, auf Verordnung der National-

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Das Stadtarchiv zu Strassburg.

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Versammlung, sämmlliche Dokumente der geistlichen und weltlichen Korporationen in Gewahrsam des Staates; sie wurden zum Domanial- gut, im Elsass, wie in ganz Frankreich. Im Unterelsass wurden die seit dem weslphälischen Frieden noch aufrecht gebliebenen Dynasten verjagt, ihre Papiere und Pergamente, die sie nicht vorher bei Seite geschafft, nach Strassburg ausgeliefert; ebenso die Lokalarchive der Abteien, der Stifter, der geistlichen Orden ; dem Bisthum Strassburg widerfuhr dasselbe Schicksal. Somit liegt die improvisirte Sammlung wie eine bunte Musterkarte vor; im Einzelnen, wenn die Dokumente in mittelalterliche Zeit hinaufreichen, belehrend und den Geist des Forschers belebend ; wo sie dagegen zum neuen Geschäflsgebiete sich hinneigen, sich in Verwaltungssachen verlieren, zu Kauf-, Tausch- und dergleichen Akten zusammenschrumpfen, in unbedeutendem Rechnungswesen sich hinschleppen, auf geistlichem Gebiete zu gleich- artigen Amtsverrichtungen sich gruppenweise sammeln, zeigt sich eine ermüdende Monotonie, die nur ein auf spezielle Zwecke gerich- tetes Forschen zu durchbrechen und zu erheitern vermag. So stellen sich dem oberflächlichsten Beschauer der archivalischcn Räume unend- liche Reihenfolgen von Cartons mit der Ueberschrift: titres de propricte et comptabilite dar; wogegen die historischen Dokumente und die Korrespondenz in relativ unbeträchtlicher Zahl zurücktritt.

Im städtischen Archiv erscheint uns eine homogenere, com- paktere Masse historischen Inhalts. Mit dem Ende des 14. Jahr- hunderts begann die Bildung dieser unschätzbaren Sammlung, und zwar unter dem Ammeister Rulin Barpfennig, und den vier Stett- ineistern Rulin Swarber, Wilhelm von MQIlenheiin, Heinrich Burg- graf und Thomas zur Megde. Unversehens schwillt sie an, fast aus- schliesslich durch Zufluss der einheimischen Geschäfte, und die Ver- bindung der Stadt mit dem deutschen Reiche, ihren Verkehr mit der Schweiz und Frankreich. Bemerken wir gleich, dass der be- rühmte Satyriker Sebastian Brandt am Ende des 15. Jahrhunderts als Strassburger Kanzler und Stadtschreiber sich ausweist, und kraft seines Amtes, seiner Thätigkeit, seines Eingreifens in die Geschichte seiner Zeit schon damals nicht wenig zur Mehrung der städtischen Archivalien beigetragen haben mag. Die andern Namen der Stadt- syndici und Archivare, zwischen 1899 und 1582, die Wencker in seinein apparatus diplomaticus überliefert und der jetzige Stadtarchivar in einem gleich unten zu besprechenden Werkchen reproduzirt, fallen

ArchlvklUdie Zeitschrift. IV.

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226 Spach:

zwar unendlich weniger in die Augen als Sebastian Brandts unbe- strittene europaische Berühmtheit; nur bleiben sie für die Lokalität von grossem VVerthe; sie bilden, was wohl bei wenig andern Archiven vorkommen mag, eine ununterbrochene Kette. Ebenso bleiben uns die Namen der 22 Stadtarchivare von 1582 bis 1790 aufbewahrt; und hier stossen wir hin und wieder auf Persönlichkeiten, die entweder ZU einer höhern Stellung im städtischen Gemeinwesen sich empor- arbeiteten, oder dorh mittelst ihrer noch bestehenden Namen unserm heutigen Lokal-Interesse sich empfehlen. Ich erlaube mir, nur hin- deutend auf Jundt, Frid, Storck, Bernegger, Imlin, Richshoffer, Scherer, Wencker, Spohn, Nicolai, Adam, Heumberg, Barth, Engelmann, Gambs, Horrer, Heitz, Guerin, meine Behauptung zu bekräftigen. Fast jeder dieser Familiennamen hat eine lokale Bedeutung. Bemerkens- werth ist auch der Umstand, dass vom Jahr 1691 1695, also ein Dezennium nach der Uebergabe Strassburgs an Frankreich der Name eines augenscheinlich französischen, katholischen Beamten auf der Liste der Stadtarchivare steht, und dass derselbe Sibour ver- mutlich durch einen seiner Familie Verwandten, im Jahr 1848 als Erzbisehof von Paris wieder auftaucht.

Man sollte denken, die stäte Besetzung der Stadtschreiberei führe den Beweis einer streng gehandhabten Ordnung mit sich. Gerade das Gegen theil. Für die wahrscheinlich schlecht besoldeten Archivare diente die Stellung blos als Fussschemel zu höhern, einträglicheren Aemtern; daher auch der oft wiederkehrende Personenwechsel.

In Strassburgs Lokalgeschichte und in den Revolutionsannalen Frankreichs ist der 21. Juli 1789, d. h. der Tag der Erstürmung der sogenannten Pfalz (des Stadthauses) ein allbekanntes Ereignis*. Mit den Einzelheiten dieses brutalen Zornausbruchs des aufgehetzten Pöbels habe ich mich hier nicht zu befassen. Zur Erinnerung genüge, dass nach dem Einbruch der Volksmassen, dem Zertrümmern der Fenster, Thüren und Mobilien, den Orgien im Weinkeller, die Archiv- gewölbe erbrochen, die Dokumente in grosser Anzahl vielfach be- schädigt, auf das Strassenpflaster geworfen wurden. Dem Unfug wurde durch zwei Regimenter unter dem Kommando des Obristen Max von Zweibrücken und des Prinzen von Hessen- Dar mstadt ein Ende gemacht. Lange Zeit lastete auf dem Stadtkommandanten Klinglin, dem Sohn des berüchtigten abgeurtheilten Prätors, der Verdacht, er habe seine Pflicht nur lässig erfüllt, zur Wieder- vergeltung der seinem Vater vor Jahren zugefügten Schmach.

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Das Stadlarchiv zu Strasshurg. 227

Vielleicht gierigen die Prozessakten gegen den Prätor dabei zu Grunde.

Man brachte die verwahrlosten, zusammengelesenen Papiere und Dokumente in die obern Räume der sogenannten »Grossen Metzigt nur kümmerlich unter. Als die Stadtbibliothek am Anfang des laufenden Jahrhunderts organisirt wurde, kamen sie dort unter Dach und Fach. Noch im Jahr 1867 wurde ein residuum derselben in das Stadthaus (hotel de ville) die jetzige »Bürgermeisterei« über- liefert; denn seit 1806 war hier, im ehemaligen »Darmstädter Hof« der Hauptbestandtheil des alten Stadtarchivs mit der Munizipalität eingezogen. Nur stelle man sich, zur Aufbewahrung der kostbaren Dokumente, keine kompakt zusammenhängenden Räume vor. Je nach dem Bedürfnisse der städtischen Verwaltung mussten sich die Doku- mentensammlung und die modernen Skripturen bald in dem einen bald in dem andern Theil der Gebäulichkeiten bequemen. Auch waren lange Zeit hindurch keine regelmässigen Archivare angestellt. Wie in den meisten Städten und in vielen Departements, übertrug man die Sorge der Ueberwachung und gelegentlichen Benützung einfachen oft gutgewillten, doch unzulänglichen Bureauleuten.

Während des vierten Dezenniums laufenden Jahrhunderts ver- kehrte sehr oft in den Räumlichkeiten des städtischen Archivs der ehrenhaft bekannte Geschichtschreiber des Elsass, Adam Strobel; er sammelte dort die Materialien für den mittelalterlichen und modernen Theil seines verdienstvollen Werkes, schrieb Urkunden ab, exzerpirte Korrespondenzen und häufte einen Stoff an, den er, eines sorgsam ausgearbeiteten Planes und künstlerischen Sinnes ermangelnd, leider nicht gehörig verarbeitete. Es ist Schade um die farbenreiche Komposition, die in einzelnen Parthieen bewies, was der Verfasser leisten konnte, wenn er sich zu beschränken gewusst und den un- entbehrlichen gelehrten Apparat unter dem Text zu nützlichen Noten verwendet hätte. Einen sonderbaren Kontrast mit dem schwer- fälligen Schriftsteller bot der gesellschaftliche Mann; in fesselnder Unterhaltung, anekdoten weise, verwerthete er seine ausgedehnte Lek- türe. Auch dürfen wir, zur Erklärung der Anomalie, nicht die Be- merkung unterlassen, dass Strobel in Ausführung seiner Arbeit sich durch diplomatische Rücksichten einem konfessionell gemischten Publikum gegenüber nicht wenig gehemmt fühlte. Die Reformations- opoche ist augenscheinlich von ihm als ein unliebsames Fragment der elsässischen Geschichte behandelt worden; es war dem Autor

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Spach :

dabei unwohl, er sollte und durfte bei Prüfung der Subskriptionsliste nach keiner Seite hin anstossen; zum leidenschaftlichen Parteiniann durfte er sich nicht hergeben, und zum beherrschenden Ueberblick fehlte ihm vielleicht die höhere philosophische Bildung. Dagegen war er in andern wissenschaftlichen Fachern wohlbewandert, ein warmer Verehrer der altern französischen Literatur, des damals noch wenig betretenen Sanktuariums, in dessen Portikus er einen seiner j ungern Mitbürger, wie wir bald sehen werden, einführte.

Adam Strobel war nicht offizieller Archivar; er füllte im pro- testanischen Gymnasium von Strassburg eine anspruchslose Profes- sorenstelle aus; aber den reichen Inhalt der städtischen Sammlung hatte er wohl errathen; die damaligen Behörden hätten Stadt und Land einen Dienst erwiesen , wenn sie dem arbeitsamen Gelehrten Müsse gewährt, sich diesem Fachstudium ausschliesslich zu widmen.

Eine derartige Stellung, freilich in beschränktem Masse, wurde am Ende der dreissiger Jahre einem jungen juristisch und historisch gebildeten Manne angewiesen. Ludwig Schneegans, an der Sladt- bibliothek unter Professor Jung angestellt, wurde zugleich durch den Maire Schützenberger zum Stadlarchivar befördert. Geringfügig blieb jedenfalls die pekuniäre Unterstützung. Schneegans war eher zu persönlicher Forschung in einem unangebauten Gebiet aufgelegt. Die Sichtung, die Inventarisirung der Dokumente heimelte ihn keines- wegs an, und gestehen wir's nur, es gehört eine Dosis Resignation zu der materiell ermüdenden, geistig zerrüttenden Arbeit eines an- gehenden Archivars. Im Sinne des Maire lieferte Schneegans nicht die gehörigen Resultate, Schützenberger Hess dem jugendlich Streb- samen nicht hinreichende Gerechtigkeit und Ermunterung wider- fahren. — Die historische Lokalpresse dagegen zog aus dem Foi- schungstriebe von Ludwig Schnecgans vielseitigen Nutzen; seit den letzten Dezennien erst liegen die Früchte seines Schaffens, seines kritischen Scharfsinns, seines Kunstverständnisses offenkundig vor. Die Revue d'Alsace, die Alsatia von A. Slöber, auch die jwlitischen Tagesblätter füllten sich mit archäologischen und historischen Memoires, die seine Unterschrift tragen. Er entzifferte mit klarem Blick und wohl auch mit Hülfe des verdienstvollen Stadtarchitekten Fries die räthselhaften Uel>ergänge der verschiedenen Epochen des Münsterbaus. Der sogenannten Sabine von Steinbach, der legenden- haften Tochter des unsterblichen Werkmeisters Erwin, wies er einen

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Das Stadtarchiv zu Strasburg.

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Sitz in der Mitte des 12. Jahrhunderts an; in der Künstlerin, welche das Südportal des Münsterbaus schmückte, erkannte er zwar nicht die Gehülfin des erträumten Vaters, aber ein unbestrittenes christ- liches Skulplurtalent. Sabina ist durch L. Schneegans in ihre wahren Rechte eingesetzt, und ihre Titel für Unsterblichkeit in »Kunst und Alterthum« von Prof. F. X. Kraus niedergelegt. Auch zu juristischen Arbeiten zur Erläuterung oder Revindication der Stadl- rechte wurde L. Schneegans von der Verwaltung angehalten, und dadurch seinen elementaren, archivalischen Pflichten oft entfremdet. Mit einem reizbaren siechen Körper zersplitterten sich seine Kräfte; er starb eines verfrühten Todes im Spätjahr 1856, nachdem er ver- gebens am Genfersee Heilung gesucht. Von deutschen Gelehrten und Fachgenossen war er geschätzt, im Heimathland kam die An-, erkennung erst später.

Aus dem Leben von L. Schneegans bleibt noch ein anderer Charakterzug hervorzuheben. In einer zahlreichen, meist chauvinistisch gesinnten Familie lebend, war er, lange vor den verhängnissvollen Jahren des Kriegs und der Annexion, deutsch gesinnt. Den 18. Ok- tober 1848, bei der Grundsteinlegung eines nie ausgeführten Monuments zur Verherrlichung des Friedens, »welcher Elsass an Frankreich über- trug«, schrieb der unbekannte Archivar der Stadt Strassburg einen geharnischten Aufsatz, den er, selbstverständlich anonym, an die A. Allgemeine Zeitung übersandte. Er protestirte in elegischer Stim- mung gegen den offiziellen Jubel; das festliche Glockengeläute be- leidigte sein Ohr; mit der vollen Ueberzeugung einer geschichtlichen Glaubenstreue legte er die Wurzeln blos, welche sein heimisches, germanisches Elsass an die verwandten, naheliegenden deutschen Eichenwälder erinnern sollten. Freilich hätte er damals, so gern er aus dem Dunkel hervorzutreten gewagt, nur wenig gleichgesinnte Gemüther getroffen; eingeschüchtert hätte er sich in sein Arbeits- kabinet zurückgezogen, um nicht dem Hohne seiner Mitbürger zu unterliegen; und doch sah er, vorahnend, richtiger als alle.

Nach seinem Ableben wurde Alfred Schweighäuser, bisheriger Archivar des Oberrheins, an seine Stelle berufen, und zwar mit auf- gebessertem Gehalte. Er war der Erbe eines in der hellenistischen Philologenwelt hochgeschätzten Namens, Enkel des Editors von Appian, Polyb, Herodot u. s. f.; Nefle des bekannten Lokalarchäologen Gott- fried Schweighäuser, des Kollaborators von Golbdry. Strobel hatte ihn, fünfzehn Jahre zuvor, mit der altfranzösischen Literatur bekannt

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Spach :

gemacht; er war ein Zögling der Ecole des chartes, einer etwas intoleranten Anstalt, die viel trefl1iche Paläographen, alx*r auch viel absprechende stolze Gelehrte in den französischen Bibliothekar- und Archivarstellen eingebürgert. Bevor Alfred Schweighäuser nach Kolmar und zuletzt nach Strassburg übersiedelte, war er Stadt- bibliothekar zu Caen in der Normandie gewesen, hatte sich dort der bischöflichen Gunst erfreut, und durch einige gelehrte Monographien in der Ecole des chartes legitimirt. Eine grössere Arbeit hat er nicht geliefert. Zu Kolmar stand er nicht in Ansehn; man wart ihm seinen fast ausschliesslichen Umgang mit nicht ebenbürtigen Naturen vor. Kleinstädtischer Klatsch mochte mit unterlaufen ; allein in Strassburg folgte er demselben Hang. Bei schon sehr angegriffe- ner Gesundheit kam es ihm nicht in den Sinn sich zum Inventari- siren zu bequemen; ihn schreckte die Sammlung von wildfremden Dokumenten, die an keine der im französischen Reglement bekannten Kategorien sich anschloss. Und doch hätte er sich ptlichtgemäss dazu verstehen sollen. Die Pariser Archivbehörde drängle auf Ausführung des Programms, denn auch -an die Kommunalarchivare erging, in Folge einer Verordnung vom 25. August 1857, der Ruf, nach vor- geschriebener Formel, im ganzen Reiche, die Sichtung und Kata- logisirung der Schrift- und Pergamentstücke vorzunehmen. Wie sein Freund und Kollege Louis Hugol im Stadtarchive von Kolmar kehrte er sich wenig an die Massrcgelungen der Zentralbehörde, selbstver- ständlich noch weniger an die freundlichen, friedlichen Ermahnungen des Kollegen im Departemente, welcher in näherer oder fernerer Zeit die Wolken am bureaukratischen Horizonte heraufziehen sali. Für laufende Geschäfte halte A. Schweighäuser einen dienstwilligen Gehülfen in der Person des jetzigen Stadtarchivars Hrn. Brucker gefunden, der, mit geringer Besoldung, aber mit dem Feuereifer des Neulings seinem Chef an die Hand gieng und die spärlich erthcilte Belehrung dankbar aufnahm.

So standen die Sachen, als im Spätsommer 1857 ein General- inspektor des Archivwesens, Francisque Wey, auch als angenehmer Literator bekannt, sich in Strassburg blicken Hess; und da er sich nicht verhehlen konnte, wie wenig im Strassburger Archiv für den vorgeschriebenen Zweck vorgearbeitet wurde, ja dass im Grunde nichts dafür gethan war, sich unmuthig ausliess und auf Erfüllung der programmgemässen Pflichten drang. Dem Departementalarchivar ward die verdriessliche Aufgabe zu Theil, in periodischen Berichten

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Da-s Stadtarchiv zu Strasburg. 231

an Präfekten und Minister die Passivität seines jungem Kollegen zu erklären ... zu bemänteln . . .

Im Spätjahr 1863, nach Professor Jung's Tode, wurde A. Schweig- häuser zum Stadtbibliothekar ernannt, verblieb aber daneben in seinem bisherigen archivalischen Besitze. Von diesem Augenblick wendete er sich ganz seiner Lieblingsbeschäftigung zu, wurde zum lleissigen, intelligenten Bücher be wahrer, Ankäufer und Registrator. Von der unfruchtbaren Beschäftigung auf dem Rathhause war kaum die Rede mehr; der Gehülfe wurde faktisch der ausübende Archiv- beamte und seiner eigenen Inspiration anheimgegeben. Wie vorher wurden womöglich rechtfertigende oder doch beschönigende Berichte über die Unthätigkeit des Titulars nach Paris befördert. In kurzen Zwischenräumen kam überdies um jene Zeit der höchst liberale Generalinspektor Stadler in das Weichbild von Strassburg; er kannte den Stadtbibliothekar als Kommilitonen: wohl tadelte er das völlige Hintansetzen der archivalischen Ptlichten ; aber er Hess dem renitenten Freunde die Zügel schiessen, bis ein unerwarteter Zwischenfall diesen Zuständen eine neue Wendung gab.

Im September 1867 kam Najwleon III. nach Strassburg. Mehrerc- inale hatte er vermuthlich von den merkwürdigen Manuskripten der Bibliothek etwas gehört, bei seinen früheren Besuchen diese Schätze entweder ignorirt oder seine Aufmerksamkeit auf andere Gegenstände gerichtet; genug, diesmal äusserte er den Wunsch, näher damit be- kannt zu werden. Ein kaiserlicher Wunsch! ein Befehl! Der Stadt- bibliothekar hatte, und zwar wie ich glaube ohne offiziellen Urlaub, seine Vakanz angetreten; er war auf dem Land; kein Schlüssel zu den Sammlungen zu linden. Auf Befehl des Präfekten und des Maire Humann wurden die Zugänge zu den verschlossenen Manu- skripten gewaltsam geöffnet, und der Bibliothekar, bei seiner Nach- hausekunft, verwarnt. Das Einschreiten war durch die Umstände wo nicht ganz entschuldigt, doch erklärlich. In seiner Eigenliebe mussle sich der gemassregelte Beamte beleidigt fühlen, er reichte seine Demission ein, man nahm ihn beim Worte. Von diesem Augenblick an verschwindet A. Schweighäuser aus dem öffentlichen Verkehr. Seine schon lange zerrüttete Gesundheit trieb ihn nach Madeira, nach Algerien, zuletzt bewohnte er Paris, mit befreundeten Gelehrten und politischen republikanischen Zirkeln verkehrend. Er überstand die Belagerung und die Kommune, und segnete vor etwa drei Jahren das Zeitliche. Ich las, ich weiss in der That nicht mehr

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Spach:

in welcher gelehrten Revue, einen belobenden Nachruf. Seine aus- gesuchte philologische Privatbibliothek wurde unlängst (1878) öffent- lich versteigert.

Schweighäuser war kein liebenswürdiger und kein ernster Charakter. Auch mit dem Aufsichtskomite der Bibliothek hatte er sich überworfen , indem er nicht die allergeringste Bemerkung von den hochgestellten Mitgliedern annahm, und die gewissenhafte Hedaktion der Verbal prozesse der Sitzungen, wenn sie nicht nach seinem Sinne, bitter und höhnisch erwiderte. Schade um eine ver- schrobene Natur, die sich kein höheres Ziel gesteckt, und sich mit Vorliebe in der Gesellschaft untergeordneter Intelligenzen gefiel. Dem bessern , elsässischen Charakter hatte er sich nach und nach ab- gewendet , und von dem französischen Wesen nur die Unsitte und den revolutionären Sinn angenommen. In früherer Jugend hatte er deutsche Verse geschrieben. Moralisch und intellektuell gehörte er zu der beklagenswerthen Klasse, die am mittelrheinischen Zwitter- wesen zu Grunde ging.

Wenig Monate vor dem angedeuteten, unliebsamen Zwischen- falle war der archivalische Inspektor, der grundgelehrte Herr von Roziere jetzt Mitglied des Instituts auf einige Tage in Strass- burg eingetroffen; er hatte, nach Erwägung der Sachlage, nach extemporirtem nächtlichem Studium der alten Stadtverfassung von Strassburg, eingesehen, dass es eine Sünde gegen den heiligen Geisl der Geschichte und der Ueberlieferung wäre, im Stadthause die Zer- stückelung der merkwürdigen Faszikel nach der Vorschrift und dem Formular des Erlasses vom 25. August 1857 anzubefehlen. Ein gemischtes System schien ihm annehmbar.

II est avec le ciel des aecommodements. Nach seiner Einsicht Hessen sich die Komplexe oder Fonds, wie solche aus den verschiedenen Regierungskammern der alten Republik her- rührten , in ihrer ursprünglichen Fassung unter die Rubriken des Pariser Formulars bringen, mit andern Worten, der Herr General- inspektor gestand zu auf diesem beschrankteren Kommunalterrain, was mir bei vielen Vorkommnissen in meiner zwanzigjährigen Arbeit dreifach erwünscht gewesen wäre, und öffnete durch seine wohl- angebrachte Liberalität dem eigentlichen Stadtarchivar freien Spiel- raum und Muth zu künftiger Arbeit.

Unserer damaligen Berathung blieb Alfred Schweighäuser völlig fremd. An seine Stelle auf der Stadtbibliothek gelangte Herr Saum,

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Das Stadtarchiv zu Strassburg.

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der einige Jahre als Gehülfe auf dem Departement alarchiv gearbeitet (1844 1850), darnach als Inspektor des auswärtigen Buchhandels, bei mit jedem Jahr anwachsenden Stoffe, sich mit der Präfektur und dem Ministerium auf guten Fuss gestellt, nun aber in eine Lage überging, wozu ihm damals die klassischen und bibliographischen Vorkenntnisse mangelten. Er erfüllte indess seine materielle Pflicht gewissenhaft; der Brand der Bibliothek traf ihn wie ein Verhängniss : er hatte, beim Beginn der Belagerung, sich an den Maire um Ver- haltungsregeln gewendet, um Sukkurs gebeten, aber barsche Antwort erhalten; zu völliger Ausräumung der auf 200,000 Bände sich be- ziffernden Bücher war die geeignete Zeit schon vorüber, und zur Bergung der kostbarsten Manuskripte ging ihm die muthige Initiative ab. Wären solche auswärts verunglückt, dann traf ihn persönliche Verantwortlichkeit; dies zu seiner retrospektiven Entschuldigung: den verehrten Bibliothekar des protestantischen Seminars, dessen Sammlung in demselben Chor der ehemaligen Dominikanerkirche aufgehoben war, träfe derselbe unverdiente Tadel; er wurde in dasselbe Verhängniss verwickelt.

In einem Bericht an den Präfekten des Niederrheins und des Departementsraths von 1869 konnte ich über die ersten Resultate der nunmehr befolgten Methode im Stadtarchiv aufklären, und be- tonen, wie vorsichtig Herr Brucker verfuhr, ehe er an die Abfassung und den Druck des Inventars Hand anzulegen wagte. »Wir wollen »nicht,« so Hess ich mich aus, »in Strassburg wie zu Hagenau oder »Schlettstadt, zu Befriedigung Seiner Excellenz des Ministers, mit dem »Drucke der Inventare voreilig beginnen, bevor durch den Archivar »festgesetzt ist, in welche Kategorie jedes einzelne, seitdem hinzu- »gekommene Schriftstück gehört.« Ich spielte damit auf Skripturen und Pergamente an, die, zum Stadtarchiv gehörig, noch von älteren Zeiten her auf der Bibliothek aufgespeichert lagen, und erst in den letzten Jahren an ihren rechtmässigen Bestimmungsort ausgeliefert wurden.

In einem ausgedehnteren Berichte: »Les archives de la ville de Strasbourg anterieures ä 1790, Strasbourg 1873« ergeht sich Herr Brucker über die Reichhaltigkeit der städtischen Sammlung, nurnerirt die Bändezahl der Protokolle, und giebt einen vorläufigen Abriss der von ihm bis dahin inventarisirten Dokumente.

Das komplizirte Städtebuch der republikanischen Verfassung Strassburgs ist für die Fachgenossen ein bekanntes Faktum, besonders

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Spach:

seitdem des hochverdienten Prof. Dr. Hegel substantielle, erschöpfende Arbeiten, und die früheren Ueberblicke von Schützen berger (als Ein- leitung in den Codex diplomaticus von Sirassburg), nebst einzelnen Kapiteln von Veron-Reville (Essai sur les anciennes jurisdiclions d'Alsace, Strasbourg 1857) diesen lokalen Horizont erweiterten, und eigentliche Kapitel zur deutschen Reichsgeschichte lieferten. Slrass- burgs Dreizehner, Fünf zehner und Einundzwanziger sind gäng und gebe gewordene Bezeichnungen. Indem Herr ßrucker in seiner Einleitung sich summarisch darauf berief, wusste er dass er für fremde und einheimische Forscher eine bekannte Sprache führe. Man folgt seiner unumgänglichen freilich etwas trockenen Rekapitulation mit dem Gefühle dass aus den Trümmern des alten historischen Stadtarchivs wohl das meiste und bessere gerettet. Herr Professor Dr. Julius Weizsäcker wird gewiss dankbar an die im städtischen Lokale zugebrachten Tage und Stunden denken; dem aufgespeicherten Schatze werden die unter seiner Leitung herangezogenen jüngeren Gelehrten noch manche Dokumente entleihen.

Wir ersehen durch Herrn Brucker dass die Protokolle der Kammer der Dreizehner (auswärtige Angelegenheiten) 183 Bände fassen, und von 1595 bis 1789 sich ausdehnen; dass die Protokolle der Fünfzehner (innere Verwaltung; Beaufsichtigung der Beamten) 200 Bände ent- halten (von 1584 1789), und die Protokolle der Einundzwanziger, der sogenannten drei geheimen Stuben, sich auf 351 Bände belaufen (von 1537—1789). Der Pfennigthurm (d. h. die Finanzen) erscheint mit 124 Bänden, das Stallregister (d, h. die Einkommensteuer) mit 84: etwa denselben oben angedeuteten Zeitraum umfassend. Die Stadt- ordnungen dehnen sich auf vierthalb Jahrhunderte aus; die Dokumente, die Verhältnisse mit dem französischen königlichen Prätor betreffend, füllen 146 Cartons; die Raths-, d. h. die Magistratsbücher, laufen von 1225—1790; das Bürgerbuch, d. h. die Registratur der auf- zunehmenden Bürger beginnt mit 1440. Kolligenden oder Renten- bücher sind 205 vorhanden. Die Bannbücher füllen vierthalb Jahr- hunderte. Nicht weniger als 832 Register bezeichnen die Einnahmen der Amteien, welche die Stadt im untern Elsass besass.

Dann besteht noch für die Dreizehner ein Spezialarchiv. Es fasst die Verhandlungen der städtischen Begierung mit Bischof, hohem Stift und religiösen Körperschaften, die Korres}>ondenz der Stadt mit dem Reich und dem Ausland.

Die beträchtlichen Reichstagsakten und Landtage laufen von

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Das Stadtarchiv zu Strasburg.

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1212—1661. Es *ind 432 Schachteln den Gerechlsamkeiten der Stadt gewidmet, in dieselbe Kategorie fallen die Legate zu Gunsten der Stadt und der Wohlthätigkeitsanstalten. Die sogenannten »actes francois« (1681 1792) sind obigem Komplex entnommen und speziell inventarisirt.

Das sogenannte Gewölbe unter der Pfalz, d. h. das spezielle Archiv des Rathhauses, umfasst vier Jahrhunderte, und besteht aus den Friedensschlüssen der Stadt mit Fürsten, Herren und Städten.

Die alten Notariatsakten der Stadt bestehen aus 900 Faszikeln.

Zersplittert aber ist das Archiv der Gewerbe und Künste.

In dieser summarischen Rekapitulation sind wir dem Stadt- archivar auf Schritt und Tritt gefolgt, und entschuldigen uns mit ihm über das langweilige Verzeichniss, das jedoch einen Begriff von der Regsamkeit in der alten Civitas geben mag; schlägt es doch in alle Fächer ein der höhern Politik, der täglichen Geschäfte und Vorkommnisse.

Auf dieses Inhaltsverzeichniss lässt Herr Brucker die Analyse der von ihm bis damals (1872) eingesehenen Stücke folgen. Sie beziehen sich auf die wesentlichsten Abschnitte der ganzen Sammlung, auf die Akten der höhern Politik und Polizei, und fallen somit sämmtlich der ersten Rubrik des Formulars anheim. Dieser Komplex war, als Herr Brucker den Anfang seiner analytischen Arbeit dem Drucke übergab, noch keineswegs erschöpft; aus dem Vorgelegten liess sich aber die Wichtigkeit bereits ersehen. Selbstverständlich umfasst diese Hauptarbeit die kaiserlichen Diplome und päpstlichen Bullen, mithin die verschiedenen der Stadt zuerkannten Privilegien; ihre Verhältnisse und Verhandlungen mit dem Reich, und eine weithin ausgedehnte Korrespondenz; die Akten von Friedrich II. ab bis auf die Reformationszeit. Alle kaiserlichen Regierungen erscheinen in dieser Nomenclatur; der Registrator giebt summarisch die ge- schichtlichen Ereignisse und die Persönlichkeiten an, worauf sich Pergamente und Skripturen beziehen. Am zahlreichsten vertreten sind wohl die Verhandlungen auf den Reichstagen unter Maximilian I., von Worms ab (1494) bis auf Ueberlingen (1510); hierauf die mannigfachen Ereignisse der Reformationszeit, von der Tagsatzung von Worms ab (1521) bis auf das Tridentinische Konzilium (1545) und Karls V. Rücktritt von der politischen Bühne (1555). Der langwierige Streit zwischen Luther und Bucer, vor der Wittenberger Einung, die Korrespondenz vieler protestantischen Städte Deutsch-

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236

Spach: Das Stadtarchiv zu Strasburg.

lands mit dem Strassburger Magistrat drücken dem hiesigen Stadt- archiv einen eigenen Stempel auf.

Während Unterzeichneter diese Zeilen niederschrieb, übergab Herr Brucker dem Drucke den 2. Band seines weitläufigen, analytischen Inventars. Es dürften noch einige Jahre vergehen, bevor er, nach diesem Plane arbeitend, einen vollständigen Ueberblick zu Stande bringen kann. Als Leitfaden für den Forscher ist indess diese aus- gedehnte theilweise Redaktion sehr lobenswerth.

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IX. Das Archiv der Stadt Hermannstadt und der sächsischen Nation in Siebenbürgen.

Vom Vorstand Archivar Franz Zimmermann.

(Schluss.)

II. Acten.

Die Archivabtheilung der »Acten < enthält vor Allem die ganze Gorrespondcnz der Stadt Hermannstadt aus der Zeit 1701 1800. Indem die amtliche Geschäftsführung der sächsischen Nationsuniver- sität bis 1784 verfassungsgemäss mit derjenigen des Hermannstädter Magistrates verbunden war und der Bürgermeister von Hermannstadt als erster Beamter der Stadt wie der sächsischen Nationsuniversität fungirte, finden wir in dieser Abtheilung alle Concepte der von dem Hermannstädter Magistrat und der Nationsuniversität ausgegangenen Expeditionen, sowie die den genannten Körperschaften zugekommenen Originaleinlaufe. Aus der Josephinischen Zeit sind die Acten des Hermannstädter Comitats vorhanden. Hauptsächlich ist dies Acten- material für die Stadt Hermannstadt von Bedeutung, aber weiterhin auch für die Geschichte des Sachsenlandes überhaupt von hervor- ragendem Werth.

Mintiere Wichtigkeit ist wohl den Conscriptions-Acten, Concurs- acten und Privatacten beizumessen. Das gesammte Actenmaterial gliedert sich in folgende wichtigere Unterabtheilungen:

a) Hermannstädter Magistrats- (und Universitäts-) Acten, welche, im Allgemeinen nach Jahrgängen chronologisch geordnet, in zwei Doppelreposituren und einer einfachen Stelle eingelegt sind.

238

Franz Zimmermann:

Die Neuordnung dieser Acten, zu welchen im Sommer 1877 aus der Hermannstädter Magistratsregistratur über 24,000 Actenslücke aus den Jahren 1789—1800 übernommen worden sind, ist bereits be- gonnen und werden die Acten künftighin buchartig gestellt, nicht gelegt werden.

b) Hermannstädter Communitätsacten.

beginnend im 17. Jahrhundert. Die wenigen hierher gehörigen Acten- stücke, welche im Sommer 1877 aus der Communitäts- (Stadtver- trelungs-) Registratur in das Archiv übertragen wurden, sind natür- lich von rein localer Bedeutung. Die abgesonderten

c) Uni versitätsacten,

die besondern Acten der universitas Saxonum oder der Gesammt- vertretung der sächsischen Nation beginnen mit dem Jahr 1790, während bis dahin die amtliche Geschäftsführung der sächsischen Nationsuniversität von der Kanzlei des Hermannstädter Magistrates mitbesorgt wurde, und reichen bis Ende 1800. Sie sind in beson- derem Kasten untergebracht und an der Hand der alten Indices nach Jahrgängen und den »Universitätszahlen« geordnet. Die

d) Hermannstädter Gomitatsacten

aus den Jahren 1784 1790, während welcher Zeit Siebenbürgen in Gomitate eingetheilt und Hermannstadt der Sitz des gleichnamigen Comttats war, sind ebenfalls in separatem Kasten eingelagert und nach Jahrgängen und den »Comitatszahlen« geordnet.

III. Rechnungsbficher.

Ein Theil der der Zeit vor 1526 angehörigen Rechnungsbücher, Rechnungen und Reclinungsfragmente ist in der Urkundenabtheilung des Archives, während jder andere Theil sammt fast dem ganzen Rechnungsmaterial der Neuzeit eine besondere Abtheilung (R) bilde!, innerhalb welcher die einzelnen Kategorien derselben gruppenweise aufgestellt und die einer und derselben Kategorie angehörigen Bände oder Hefte chronologisch geordnet sind. Jede Rechnungs-Kategorie ist durch eine Aufschrift gekennzeichnet, so dass eine rasche Orien- tirung in dieser Abtheilung möglich ist. Am wichtigsten, nicht allein von hervorragender localer Bedeutung, sondern auch höchst interessante Daten zur Geschichte des sächsischen Volkes überhaupt

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siehenhilrgen. 239

bietend, sind die Consularrechnungen l), welche von dem je- weiligen Hermannstädter Bürgermeister (consul) geführt wurden.

Unter den Consularrechnungen werden die Rechnungsbücher der Stadt und des Stuhles Hermannstadt, die Rechnungen der VII Richter (oder VII Stühle d. i. der Hermannstädter Provinz) und die Universitätsrechnungen (d. i. der Gesammtheit der Sachsen als eines siebenbürgischen Landstandes) verstanden, welche bald vereinigt in einem Bande bald abgesondert in einzelnen Bänden oder Heften eingetragen sind und, einiger Lücken ungeachtet, die Jahre 1504 bis 1757 umfassen. Im Allgemeinen enthalten die Consularrech- nungen: Steuerleistungen Ilermannstadts, der Landgemeinden des Hermannstädter Stuhles, dann der anderen 10 sächsischen Stühle und Districte; Einkünfte der Stadt Ilermannstadt und der VII Richter aus ihren Besitzungen; Gehalt- und Lohnbezüge der Beamten und Diener der Stadt Hermannstadt, der VII Richter und der sächsischen Nationsuniversität; Entlohnungen für Botengänge behufs Expedition der amtlichen Schriftstücke und für politische Missionen; Gehalts- bezüge der Hermannstädter Lehrer und Geistlichen ; endlich mit dem Ende des 17. Jahrhunderts ausserordentliche Contributionen an Geld und Naturalien für das kaiserliche Militär.

Während des 16. Jahrhunderts, und zwar bis zum Jahre 1592 wurden die Stadt- und Stuhlsrechnung von Hermannstadt und die VII Richter-Rechnung für jedes einzelne Jahr in einem und demselben Band (oder Heft) zusammen, die Universitätsrechnung (älteste von 1553) aber bis 1597 für jedes Jahr besonders geführt. Vom Jahr 1602 an werden die Hermannstädter Stadt- und Stuhlsrechnung, die VII Richter-Rechnung, sowie die Universitätsrechnung in einem Band ver- einigt, welcher sich meist als das Concept dieser Rechnungen erweist. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden in der Regel ausserdem die Hermannstädter Stadt- und Stuhlsrechnung und die VII Richter-Rechnung, vereinigt mit der Universitätsrechnung, in Rein- schriften abgesondert geführt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahr- hunderts werden gewöhnlich die Rechnungen von Stadt und Stuhl Hermannstadt, den VII Richtern und der Universität als Concept zusammen in einem Bande und daneben in drei aparten Reinschriften die »Ratio civitatis ac sedis Cibiniensis«, die »Ratio septem iudicumc

') Eine Edition derselhen wird vom »Verein für siehenhflrgische Landes- kundec hesorgt.

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240

Franz Zimmermann:

und die »Ratio alraac universitatis« geführt, wozu gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch specielle Steuerregister und Contributions- rechnungen (Rechnungsbücher über die Geld- und Naturalleistungen für das kaiserliche Militär) kommen. Im 18. Jahrhundert werden mehrere Jahrgänge der Universitätsrechnung in einem Heft vereinigt.

Die Gonsularrechnungen tragen den Namen: Registrum, Regestum, Rationarium, Ratio consularis, Diarium oeconomiae, Protocollum oeconomiae; das Concept heisst speciell: Regestum cursivum oder Rabulatura. In dem Titel der Rechnungen ist der Hermannstädter Bürgermeister (magister civium, consul Cibiniensis, consul civitatis Cibinionsis, consul provinciae Cibiniensis) namentlich genannt, wozu im 18. Jahrhundert die Cassabeamten kommen. Den Schluss der meisten Rechnungen bildet die Bilanz und Bemerkung, dass die vor- stehende Rechnung geprüft und für richtig befunden worden sei, und die Unterschrift des Notars, welcher zugleich städtischer wie Pro- vincialbeamter war.

Aus dem Zeitraum 1004—1700 sind folgende Gonsularrechnungen enthalten:

1504 HVIIR').

1506

1507

1508

1509

1510 15 II Stadtsteuerregister. 1513—10 H Rechnungsfragmente. 1515 H Sladtsteuerregister.

1521 HVIIR.

1522 H Rechnungsfragmente.

1524 HVIIR. II Sladtsteuerregister. 1525*), 152«, 152«, 1529 je eine II VII R. 1536, 1537, 1538 3), 1539 4) je eine HVIIR.

') In der nun folgenden Uebersicht der (Gonsularrechnungen bedeutet H: Hermannstädter Stadt- u. Stuhlsrechnung, VII R: VII Richter-Rechnung, U: Uni- vorsitätsrechnung , HVIIR: Hermannstfldter Stadt- u. Stuhls- und VII Richter- Rechnung in einem Band u. s. w.

») Enthalt auch Angaben Aber Ristritz und Mediasch (2 Stühle).

■) Mit Angalwn über Mediasch und Kronstadt.

*) Mit Angaben über Mediasch.

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Das Archiv d. Stadt Hermannsladt u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen.

1536—1570 H Stadtrechnungsnotizen. 1542 H Stadtsteuerregister. 1549') HVHR.

1550 *), 1551»), 1552 je eine HVHR. 1553 U.

1554, 1555, 1556 je eine HVHR.

1557, 1558, 1559 je eine HVHR. und je eine U.

1560 C

1561 HVHR. U.

1562 HVHR.

1563, 1564 je eine U.

1565, 1566, 1567 je eine HVIIR. und je eine ü. 1568, 1569 je eine HVHR.

1570 HVIIR.

1571 U.

1572, 1573 je eine HVIIR. und je eine U. 1574 U.

1581, 1582 je eine HVIIR. und je eine U. 1583, 1587 je eine HVIIR. 1592 HVIIR. U.

1596 VII R. ü.

1597 H. VIIR. U. 1598, 1602 je eine VIIR. 1602—4. HVIIRÜ. 1604 H.

1606 HVHRU.

1609 Verzeichniss der Schulden der Stadt Hermannstadt. 1615-16. VIIRU. 1616. H. VHR.

1617 H (2 Stücke). VIIRU.

1618 H. VIIRU.

1619, 1620, 1623 je eine H. 1624 H (2 Stücke).

1625—7, 1630-2, 1632 je eine HVIIRU. 1633 H (2 Stücke). VIIRU. U.

') Mit Angaben Ober Mediasch.

") Mit Angaben über Bislritz und Kronstadt

ArchiT*ll«che Zeltochrtrt. IV.

16

242

Franz Zimmermann:

1634-6. H.

1634 H. HVIIRU. VIIRU.

1635 H (2 Stücke). VIIRU.

1636 H. HVIIRU. VIIRU.

1637 H.

1638 H. HVIIRU. VIIRU.

1639 H. VIIRU.

1642, 1643 je eine HVIIRU. 1644 U.

1645, 1646 je eine H. und je eine VII R. 1647 H.

1649 H (2 Stücke). VIIR. VIIRU. U.

1650 H (2 Stücke). VIIR (2 Stücke). U (2 Stücke).

1651 HVIIRU.

1652 H.

1653 H. VIIR.

1655 H. HVnRU. U.

1656 H. HVIIRU. VIIR. U.

1657. H. HVIIRU. U.

1658, 1659, 1660, 1661, 1662, 1663, 1664 je eine H. HVIIRU. VIIR. und U.

1665 H. U.

1666 bis 1675: aus jedem dieser Jahre je eine H. HVIIRU. VIIR. und U.

1676 HVIIRU. VIIR. U.

1677 bis 1687: aus jedem dieser Jahre je eine H. HVIIRU. VIIR. und U.

1688-9. H. HVIIRU. 1689 H. HVIIRU. VIIR. U.

1690- 1 H. HVIIRU. VIIR. U.

1690. Militär-Contributionsrechnung von Stadt und Stuhl Her- mannstadt.

1691 Militär-Contrib. des Herrn. Stuhles.

1691- 2. H.

1692 Militär-Contrib. von Stadt und Stuhl Hermannstadt und den anderen sächsischen Stühlen und Districten.

1692 HVIIRU. VIIR. U.

1692- 3 H. und Stadt- und Stuhlsteuerregister.

1693 HVIIRU. VIIR. U.

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sachsischen Nation in Siebenbürgen. 243

1693-4 Militär-Contrib. von Stadt und Stuhl Hermannstadt und den anderen sächsischen Stühlen und Districten.

1694, 1695 je eine H. HVIIRU. VII R. und U.

1694 Verzeichniss verschiedener Leistungen , meist für das Militär.

1696 H. VIIR.

1696 Militär-Contrib. des Herrn. Stuhles und der anderen säch- sischen Stühle und Districte.

1696 7 »Diarium«, Concept über allerlei Ausgaben 1696—99 Verzeichniss verschiedener Leistungen für das Militär.

1697 II. VIIR.

1698 H. ü.

1699 H. VIIR. U.

1699 »Diarium«, Concept über allerlei Ausgaben ').

1700 H. VIIR. ü.

1700 Militär-Contrib. der sächsischen Stühle und Districte. -

Irn 18. Jahrhundert wächst das Material bedeutend in Folge der vielen Leistungen für das Militär, die eine besondere Verrech- nung erforderten. Während die Reihe der VII Richterrechnungen mit dem Jahr 1711 abbricht, ist im Uebrigen die Serie der Con- . sularrechnungen vom Jahre 1701 weiter fast complet erhalten, und so genügt wohl die Bemerkung, dass die Hermannstädter Stadt- und Stuhlrechnungen , die Steuerregister und Militär- Contributions- rechnungen bis zum Jahr 1754, die UniversitäLsrechnungen bis 1757 reichen.

An die Consularrechnungen reihen sich zunächst die Hermann- städter Villicats- oder Stadthannenrechnungen (d. s. die vom obersten städtischen Wirthschaftsbeamten geführten Rechnungen). Dieselben enthalten zumeist Angaben über die Verwaltung und In- standhaltung der städtischen Besitzungen, der Gebäude und Gründe, Kosten der Stadt befestigung, Entlohnungen der im Dienste der Stadt stehenden Taglöhner, aber auch die Kosten landesfürstlicher Besuche in Hermannstadt und die Verpflegung und Entlohnung fremder wie eigener Botschafter (Sendboten, die den Postdienst versahen). Die älteste Villicatsrechnung gehört dem Jahr 1501 an.

Ueber die einzelnen städtischen Verwaltungs- und Wirthschafts-

') Vom Bürgermeister eigenhändig geschrieben.

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244

Franz Zimmermann:

zweige wurden von besonderen Beamten Specialrechnungen geführt, deren Namen meist schon ihren Inhalt andeuten, als: Almosen-, Bräuhaus-, Dreissigst- (Zoll), Geschütz-, Kirchen-, Kupfer- und Sali- ter-, Magazins-, Militärspital-, Mühlstein-, Quartier- (für das Militär), Spital-. Stadtbau-, Straf-, Wein-, Zuchthaus- und Zwanzigst- (Zoll) Rechnungen. Einzelne dieser Rechnungsbücher gehen bis in's 1 6. Jahr- hundert zurück, doch gehört der grösste Theil dem 18. Jahrhundert an, in welcher Zeit den Hermannstädter Magistratsprotokollen ge- wöhnlich kurze Auszüge (Bilanz) dieser verschiedenen städtischen Rechnungen einverleibt sind.

Hierher gehört noch der »Liber rationum civitatis Cibiniensis«, ein kurz gehaltenes Register der Einnahmen und Ausgaben der Stadt Hermannstadl aus den Jahren 1536 bis 1656. Die Archiv- abtheilung der

IV. Protocollbücher

umfasst : die Protocollc des Magistrates und der Communität (Stadt- vertretung) von Hermannstadt, des Szelistyer Filialst uhlcs, der säch- sischen Nationsuniversität und des Hermannstädter Comitates, die Hermannstädter Theilungs- (Divisional-) Protocolle (d. s. Protocolle über die Verlassenschaften und die unter den Erben vorgenommenen Theilungen derselben), Gerichtsprotocolle, Ilandlungsbücher (d. s. Ge- schäftsbücher der Hermannslädter Kaufmannschaft), Urbarien, Zehent- bücher.

Das werth vollste historische Quellenmaterial bilden die Verhand- lungs- oder Sitzungsprotocolle der verschiedenen Behörden, vor Allem die

a) H ermann städter Rat hsprotocollbücher,

deren ältestes zugleich Provincialprotocoll ist unter dem Titel: »Pro- thocollon provinciae Saxonum neenon civitatis Cibiniensis sub anno domini 15. 22. feliciter ceptum et congestum.c Dieser Band, dessen Inhalt in lateinischer Sprache, vom J. 1556 aber angefangen in deut- scher Sprache abgefasst ist, umfasst die Jahre 1522—1565 und enthält am Schluss zwei kurze Aufzeichnungen aus den Jahren 1601 und 1607. In diesem wie in allen anderen SitzungsprotocoUen wird zu jedi in Jahr der aclive Beamtenstand aufgezählt, und werden oft auch die Geschäfte näher bezeichnet, die dem einzelnen Beamten zukamen. Die folgenden Bände der Hermannstädter Rathsprotocoll- bücher umfassen (je einer) folgende Jahre:

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Dais Archiv d. Stadt Hermannstadl u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 245

1566-1637, 1630 -1092, 1600- 1 697, 1 698—1704, 1704 -1708, 1711-1716, 1716-1720, 1721-1728 (in 2 Exemplaren vorhanden), 1728-1734, 1734-1736, 1737-1739, 1739-1740, 1734-1740, 1740-1741, 1741, 1741—43, 1743-40, 1740-47, 1747-51, ' 1747-48, 1749-50, 1751, 1751-53, 1754, 1754-55, 1755—50, 1756-58,1758-59, 1759-60,1700-63, 1764-67, 1705,1708-09, 1770 (2 Stück)1), 1771*), 1771-72, 1772, 1773»), 1774, 1775, 1776 *), 1777 »), 1778, 1779, 1780, 1781, 1782, 1783, 1784, 1785 (2 Stück), 1786 (2 Stück), 1786 (ludicialia) a), 1787, 1787 (ludicialia, für Januar und Februar ein Band, dann für jeden weiteren Monat je ein Band, zusammen 11 Bände), 1788, 1788 (ludicialia; je 1 Band über mündliches und schriftliches Verfahren), 1789 (Januar Juni und Juli December je ein Band), 1789 (ludicialia), 1790 (Januar bis April, Mai August, September December je 1 Band), 1791 (für jedes Quartal 1 Band); ferner aus den Jahren 1792—1795 für jedes Quartal eines jeden Jahres ein Band; 1790 (Januar Juni, Juli— Sep- tember4), October December je 1 Band), 1797 (Januar— April, Mai August, Sept. Dec. je 1 Band), 1798 (Januar März, April bis Juni je 1 Band), 1*00 (2 Bände)*).

Die Einreichungsprotocolle des Hermannstädter Rathes be- ginnen mit dem Jahre 1701. Je ein Band umfasst folgende Jahre: 1701—1725, 1720-1745, 1761-095), 1770 "), 1771— 77, 1772 bis 73 5), 1775 5), 1776 5), 1778 5), 1779 5), 1782, 1783, I7855), 1787 5), 1788, 17895), 1789 (in Rechtssachen); von 1790 an bis zum J. 1799 ist je ein Jahrgang in 1 Band enthalten.

Indices zu den Einreichungsprotocollen sind erhalten aus den Jahren: 1761—62, 1771— 73, 1784 5), 1780 5), 1786 (Index actorum iudicialium) , 1787 5), 17N85), 1789 5), 1789 (Repertorium actorum iuridicorum), 1790, 1790 (Repertorium actor. iuridicorum), dann von 1791 1799 je ein Jahrgang in 1 Bande.

*) Ein Stück sarnrat Index wurde im Mai 1877 dem Archiv einverleibt.

2) Seil Mai 1877 im Archiv.

3) Vom J. 1786 an werden polilisch-äconomische und juridische Angelegen- heiten je in besonderen Sessionen verhandelt und demgemäss in besonderen Protocollbüchcrn verzeichnet. Letztere sind durch ein beigesetztes »ludicialia« ersichtlich gemacht.

«) September 1877 in das Archiv übernommen. *) Mai 1877 in das Archiv übernommen.

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246 Franz Zimmermann:

b) Hermannstädter Comraunitätsprotocollbücher. Die speciellen Verhandlungsprotocolle der Hermannstädter Stadt- vertretung beginnen mit dem Jahre 1798 und werden 2 Bände, bis inclusive 18(J0, im Archiv aufbewahrt. Die

c) Szelistyer Filialstuhlsprotocollbücher sind in elf Foliobänden aus der Zeit 1585 1800 vorhanden.

d) Die Universitätsprotocollbücher beginnen mit dem Jahre 1615. Den einzelnen Sitzungsprotoeollen geht die Liste der Universitäts-Deputirten voraus. Folgende Bände sind vorhanden:

1015—1644 und 1665—71 (in einem Bande), 1647—49,1650 bis 57, 1664—92, 1694-1705, 1714- 20, 1729-34, 1742- 44, 1745-47, 1750-51, 1751-53, 1754-59, 1755—1772 (Auszug aus den betreffenden Sitzungsprotocollen nebst Index rerum und Index personarum), 1759—63, 1764—65, 1766—71, 1771—73, 1774—7«, 1780-82, 1783—84, 1790—91 (ungebunden), 1791 (Januar September), 1792 (2 Bände und auch ungebundene Proto- colle), 1793, 1794, 1795, 1796, 1797, 1799 (2 Stück), 1799 (Iudi- cialia), 1800 (3 Stück), 1800 (4 Stück: Indicialia).

Die Einreichungsprotocolle des Hermannstädter Magistrates dienten lange Zeit hindurch auch der Universität als solche, indem wie schon bemerkt die Kanzlei eine gemeinsame war. Aus den Jahren 1790-94 ist ein besonderes Universitäts-Einreichungsprotocoll erhalten.

Indices sind vorhanden aus den Jahren 1790—1795, 1796 bis 1800 »).

e) Hermannstädter Comitatsprotocollbücher. Von diesen bewahrt das Archiv auf: die Sitzungsprotocolle der Jahre 1784—86, die Einreichungsprotocolle der Jahre 1784—85, zum Theil von 1787, dann von 1788, 1789 und 1790, endlich die Indices von 1788 und 1789.

Die Hermannstädter Theilungsprotocollbüchcr, 230 Foliobände aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, enthalten interessantes Material

*) Die Protocolle 1729 -34, 1764-65, und vom Jahre 1774-1800 sämml- liche Stöcke wurden im Mai 1877 in das Archiv übernommen.

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Das Archiv d. Stadt Hermannstadt u. d. sächsischen Nation in Siebenbürgen. 247

zur Kulturgeschichte >), desgleichen die Handlungsbücher. Hier sei noch erwähnt ein Band , enthaltend Auszüge der Schul- und Kirchenrechnungen, Almosen- und Spitalrechnungen aus der Zeit 1555-1607.

V. Handschriften.

Die interessanteste ist Hanns Haascnwein's Codex über Pulver- erzeugung und Büchsenfabrication aus den Jahren 1417—1460, mit verschiedenen Fortsetzungen. Ausserdem bewahrt das Archiv einige naturwissenschaftliche und medicinische Handschriften.

VI. Repertorien.

Ueber die Urkunden aus der Zeit von 1290 bis einschliesslich das Jahr 1500 besitzt das Archiv neue Repertorien aus der Feder des Archivars Wilhelm Wenrich, nämlich 4 Bände »Grundreper- torium« und 2 Bände »Realrepertorium«. Das Grundrepertorium weist den Besitzstand des Archives aus und dient den beiden Eigen- thümern desselben, der Stadt Hermannstadt einerseits und der säch- sischen Nation andererseits als Inventar ihres Eigenthums. Es ent- hält in chronologischer Folge die Regesten der Urkunden, so zwar dass jeder Urkunde, mag sie als Original, Gopia, Inscrt oder nur als Regest im Archive vertreten sein, mindestens ein separates Blatt gewidmet ist. Dieses Blatt bietet folgende Momente: Redurirtes Datum, archivalische Signatur, Regest, Originaldatirung, Sprache; Angaben über die Art der Ueberh'eferung (ob Orig., Cop., Insert?), Stoff, Siegel, eventuell Nennung der im Stück enthaltenen Inserte und jener Urkunden des Archives, in welchen die vorliegende inserirt erscheint. Der Inhalt des Grundrepertoriums ist reproducirt auf den Papierhüllen, in welche die Urkunden eingelegt sind. Jede Urkunde ist mit der archivalischen Signatur versehen. Das Realrepertorium ermöglicht die leichte Benützung des urkundlichen Materials, indem in demselben sämmtliche in den Urkunden aus den Jahren 1292 bis 1500 vorkommenden Personen- und Ortsnamen und wichtigen sachlichen Schlagwörter alphabetarisch verzeichnet sind, so dass alle Urkunden, in der eine bestimmte Person oder ein bestimmter Ort

*) Mit den Coinmunitätsprotocollbüchern im September 1877 in das Archiv übernommen.

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248 F"""12 Zimmermann: Das Archiv der Stadt Hermannstadt etc.

vorkommen, ferner welche einen und denselben Gegenstand betreffen, unter jenem Personen-, Orts- oder Sachnamen zusammen aufgeführt werden.

Die Urkunden aus den Jahren 1501 1700 werden gegenwärtig ebenfalls neu geordnet und repertorisirt. Die alten Repertorien, 3 Bände, umfassen die Jahre 1292—1600, 1601 1700 und Nach- träge aus dem 15. 17. Jahrhundert. Sämmtliche Stücke sind hierin chronologisch in Regestenform verzeichnet und ausserdem nach den wichtigsten Schlagwörtern in alphabetischer Ordnung zusammen- gestellt.

Für die Benützung der Actenabtheilung bieten die betreffenden »Indices« und die beiden Actenrepertorien aus den Jahren 1750 1770 und 1771—1786 die nöthigen Behelfe.

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X. Das Archiv wesen im skandinavischen Norden.

Von

V. A. Secher, Archivassistent in Kopenhagen.

Die Notwendigkeit , die sich der Geschichtsforschung in dem Laufe des letzten Jahrhunderls mehr und mehr dargethan hat, auf die besten gleichzeitigen Quellen einer Periode zurück zu gehen, hat wie in Frankreich, Deutschland und Italien auch im skandinavischen Norden es mit sich gebracht, dass den Aufbewahrungsstellen der Geschichtsquellen des Mittelalters und der neueren Zeit, den Archiven, eine immer zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Mehr und mehr dringen die historischen Untersuchungen hinein, und gleich- zeitig vergrössern sich fortwährend die Forderungen, die auf Ord- nung des zu benützenden Materials gehen. In progressivem Um- fange und unabweislich tritt den Fachkundigen näher die wissen- schaftliche und prineiprichtige Ordnung und Behandlung des vorhan- denen archivalischen Stoffes. Sowohl in Dänemark wie in Norwegen und Schweden ist, trotzdem es noch immer dem allgemeinen Be- wusstsein bei weitem nicht klar geworden, dass die Archive, als Inhaber der Quellen der vaterländischen Geschichte, nicht minder als die Bibliotheken der Conservirung und Fürsorge bedürftig sind, in den letzten drei bis vier Jahrzehnten doch öfter von Seiten der Regie- rungen eine zweck massigere Einrichtung des Archivwesens angeregt, ohne dass jedoch bis jetzt ein abschliessendes und befriedigendes Resultat erreicht worden ist. Am weitesten scheint man in dieser Beziehung in Norwegen fortgeschritten zu sein. Was getlian ist und was man noch, soweit das dem Verfasser erreichbare Material Einsicht eröffnet, zu thun beabsichtigt, ist Gegenstand der folgenden Darstellung.

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Secher:

I. Norwegen.

Das norwegische Archivwesen, seine Mängel und die vorzu- nehmenden Verbesserungen sind neuerdings von dem in diesem Gebiete ersten Fachkundigen, dem Reichsarchivar in Christiania, M. Birkeland, behandelt worden. Den 30. Nov. 1877 hat er, nach- dem er verschiedene Fragen die Archivalien der Administration betreffend angeregt, auf Ersuchen des k. norwegischen Departements für Kirchen- und Unterrichtswesen ein Gutachten über das gesammte Archivwesen in Norwegen eingereicht, wie er sich unter Berücksich- tigung dessen, was besonders in Frankreich, Bayern und Italien an Fortschritten auf dem Gebiete der Archivwissenschaft geleistet ist, eine planmässige Ordnung der Staatsarchive gedacht hat. Dieses Gutachten1), nächstens in den Jahresberichten des norwegischen Heichsarchivs publicirt, ist die wesentliche Quelle des Folgenden.

a) Die verschiedenen Archive.

Die wenigen und sehr spärlichen Nachrichten von den Archiven des Mittelalters in Norwegen, so weit sie uns zugekommen sind, scheinen es zu bezeugen, dass das norwegische Reichsarchiv seinen Ort theils in dem Schlosse Akershus, theils bei dem Erzbischofe in Nidaros (Drontheim) gehabt hat. Es tinden sich wenigstens mehrere Reichsarchivalien unter den Urkunden und Akten des vom Lande geflohenen Erzbischofes Olaf Engelbrektssöns, welche 1829 dem nor- wegischen Staate von dem bayerischen Reichsarchive ausgeliefert wurden. Nachdem Norwegen eine Provinz Dänemarks geworden und als solche am Schlüsse des 16. Jahrhunderts einen Statthalter erhielt, häuften sich die Reichsarchivalien auf Akershus, einer Festung bei Christiania , an , ohne dass sich Jemand um die Ordnung und Conservirung derselben kümmerte. Den 26. Juli 1732 konnte der antretende Statthalter den König davon benachrichtigen, dass er das Archiv »einem Schweinestalle ähnlicher als einem Archivec ge- funden. Die verschiedenen Versuche irgend etwas dem Archive zu Gute zu thun, welche im Laufe des vorigen Jahrhunderts gemacht wurden, hatten keinen Erfolg, sondern gaben bloss den Anlass zu Cassationen, die dem Archive nur Verlust bringen konnten. In dem

*) »Om Archivväsenets Ordning. Erkläring fra Rigsarchivaren til Kirke- dcpartementet.« Hier nach Separatabdruck citirt.

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Das Archivwesen im skandinavischen Norden.

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Jahre 1814 wurde Norwegen von Dänemark geschieden, in Folge dessen man eine grosse Masse Urkunden, Akten und Bücher, gegen 1100 Säcke und mehrere Kisten, hesonders die dänische Oberadmini- stration betreffend, um 1820—21 an Norwegen abgab. War früher das Reichsarchiv ein Chaos, so geschah jetzt keine Besserung. Ver- schiedene Commissionen , damit beauftragt Ordnung zu Stande zu bringen, arbeiteten ohne Erfolg und veranlassten nur einige Cassa- tionen, die ebenso unglücklich und schädlich waren wie die früheren, weil man jeder Uebersicht über die vorhandenen Archivalicn ent- behrte. Noch im Jahr 1836 wird das Archiv »ein Augiasstall« ge- nannt; »man müsste glauben,« heisst es, »dass ein Genserich inner- halb der Mauern Akershusens gewüstet hätte.« Erst 1841, als ein Bureauchef und zwei, nach ein paar Monaten vier Assistenten die Leitung des Archivs übernahmen, begann für dieses eine lichtere Zeit und eine planmässige nach archivalischen Principien durchgeführte Ordnung der chaotischen Masse.

Gleichzeitig fing man aber an, besonders in den südlichen Stiften des Landes, in grösserem Umfange neue Akten an das Archiv abzu- geben, auch die neuesten nicht ausgeschlossen, namentlich seitdem es 1866 in ein neues, geräumiges und zweckmässiges Lokal im Storting- gebäude in Christiania übersiedelte, während es in den letzten Jahren seines Aufenthalts auf Akershus wegen Mangels an Platz keinen neuen Zuwachs hatte annehmen können.

Das Reichsarchiv hat jetzt die doppelte Grösse gegen 1841 und zerfällt in drei Hauptgruppen:

1) Das alte Reichsarchiv, dessen älteste Bestände aus dem 13. bis 15. Jahrhundert grösstenteils nur Urkunden umfassen ; später kommen die 1829 von München abgegebenen Archivalien, die Akten der früheren dänisch-norwegischen Regierungsautoritäten in Kopen- hagen, das alte Archiv von Akershus, die älteren Theile verschiedener Lokalarchive, besonders der Bisthumsarchive u. s. w. Diese Gruppe reicht bis 1814, den Wendepunkt in der Geschichte Norwegens, und enthält einen grossen Theil der in dem Diplomatarium Norvegicum publicirten Urkunden. Sie wird keinen bedeutenderen und umfangs- reicheren Anwuchs zu erwarten haben , die Urkundenabtheilung ') hier und da einige Originale oder Abschriften. Mit Erfolg hat man nämlich in Norwegen zu dem Mittel gegriffen, durch eine beständige

') Diese hesteht aus ca. 8000 Urkunden, wovon 2000 auf Pergament.

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Secher:

Anzeige in dem Kalender es allgemein bekannt zu machen, dass jeder beim Reichsarchiv unentgeltlich Abschriften oder Uebersetzungen seiner alten Pergament- oder anderer Urkunden erhalten kann. Der Kalender ist ein Buch, das sich jeder Bauer jährlich anschafft, selbst wenn er sonst kein Büchcrlicbhaber ist. Man hat gemeint sich solcher Mühe unterwerfen zu müssen, um zu erfahren, was noch an alten Urkunden sich in Händen der Privaten befindet, und wenn möglich, sie für das Archiv zu gewinnen. Häufig werden jetzt Urkun- den eingeschickt, die entweder abgeschrieben oder angekauft werden.

2) Das Lokalarchiv der drei südlichen Stifte (Bisthümer) des Landes, worüber unten.

3) Das Archiv der Regierungsdepartements und dercentralen Behörden nach 1814 bildet schon jetzt eine grosse Abtheilung: weil aber die Akten nicht gleichmässig von allen Bureaux der Departements abgeliefert worden sind und die Erbauung eines den jetzigen Verhält- nissen entsprechenden Departementsgebäudes in Christiania noch immer eine Zukunftsfrage ist1), so trägt der Reichsarchivar, dem im All- gemeinen ein Manualarchiv, welches die Akten der letzten 50 Jahre umfasst, für die Administration mit Recht ausreichend erscheint, darauf an, dass eine durchgängige Revision der Aktenbestände in den Räumlichkeiten der Bureaux vorzunehmen, und dass dabei, was älter als 1850 ist, an das Archiv abzugeben sei. Dieser Zuwachs wird auf 3000 Folianten (Missivenbücher, Journale u. dgl.) und 17000 Aktenbündel angeschlagen. Dem Reichsarchivar scheint ein solches Aufräumen dringend nothwendig wegen der wiederholten Neuorgani- sationen in dem Geschäftsgang der Departements und Bureaux, die im Laufe dieses Jahrhunderts vorgenommen sind, so dass schon das blosse Hervorholen der Akten Kenntnisse erfordert, die nur bei einem wohlgeschulten Archivbeamten vorauszusetzen sind. Zu diesen Er- wägungen tritt noch hinzu, dass ein Theil jener Archivalien schon in rein graphischer Beziehung, weil in alterthümlicher Schrift ver- fasst, anfängt den jüngeren Beamten paläographische Schwierigkeiten zu bieten. Während früher wie in Deutschland so auch im Norden zwei Alphabete, das gothische und lateinische, gleich ge- bräuchlich waren, und das gothische noch mehr als das lateinische üblich, ist jetzt in Norwegen das Umgekehrte der Fall. In vielen

*) Die 7 Regierungsdepartements Norwegens haben ihre Lokale in 7 ver- schiedenen Strassen.

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Das Archivwesen im skandinavischen Norden.

Gymnasien lernt man nur das lateinische Alphabet schreiben und das gothische kaum lesen, so dass sich schon Beamte finden möchten, die nur mit genauer Noth eine mit gothischer Schrift geschriebene Urkunde lesen können, zumal wenn diese wegen der so allgemeinen Vernachlässigung der Handschrift nicht nitid ist 1).

Die Provinzialverwaltung in Norwegen wie in Dänemark führten in der Zeit vor Einführung der Souveränität des Königs 1660 Bischöfe und Lehnsmänner. Letztere administrirten nicht nur die königlichen Güter im Umfange des Lehens und erhoben die Steuern und andere Einkünfte des Königs, sondern hatten auch die Oberaufsicht über das Gerichts- und Defensionswesen. An die Stelle der Lehnsmänner traten sodann Stiflsamtmänner und Amtmänner, insofern es die allgemeine obrigkeitliche Gewalt betraf, während die Erhebung der Intraden sogenannten Amtsschreibern und Vögten übertragen wurde. Diese Ordnung hat sich im Grossen und Ganzen bis auf den heutigen Tag erhalten»), nur hie und da sind einige Centraibehörden hinzugekommen. Die Akten jener Behörden bilden die provinziellen Staatsarchive. Die Klöster, welche in Deutschland so viele und so ausserordentlich wichtige Archivalien an die Staats- archive abgegeben haben, wurden in Dänemark und Norwegen schon im Laufe des 16. Jahrhunderts säcularisirt , und in so weit nicht ihre Güter Hospitälern , Gymnasien u. dgl. beigegeben wurden und die diese betreffenden Urkunden dadurch in die Archive der Bis- thümer (»die Stiftskiste«) gelangten, wurden die' den Klöstern ange- hörigen Sammlungen von Handschriften und Archivalien, selbst wenn man sie vielleicht an den Lehnsmann wirklich ablieferte, doch ihres verwahrlosten Zustandes wegen bald zerstreut, und gelangten schliess- lich nur aus den Händen der Privatsammler in das Reichsarchiv, es sei denn, dass der Schreiber des Lehnsmanns es gerade vorgezogen hatte, seine der Rentekammer einzureichenden Rechnungen in die alten Pergamentsblätter zu binden. Viele Fragmente werthvoller

') I. c. S. 37-49, 51-55. 11, 12—14. 25-20.

•) Norwegen zerfällt jetzt in 6 Stifte oder Bisthflmer, jedes mit seinem Stifts- amtmanne und Biscbofe; jedes Stift zerfallt wieder in mehrere Aemter: Christiania Stift (Akershus und Smalenenes Amt), Hamars Stift (Hedemarkens, Christians, Buskeruds, Jarlsberg und Lnvrvigs, ßratsberg und Nedenäs Amt), Christiansands Stift (Lister und Mandals, Stavanger, Sflndre Bergenshus Amt), Bergens Stift (Nordre Bergenshus, Bomsdals Amt), Tronhjems Stift (Söndre Tronhjems, Nordre Tronhjems und Nordlands Amt) Tromsö Stift (Tromsö und Finmarkens Amt).

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Handschriften und Urkunden, die aus frühern Klöstern stammen müssen, sind und werden noch immer in dänischen und norwegischen Archiven als Einbände von den Lehnsrechnungen des 16. und 17. Jahrhunderts abgelöst. So sind bekanntlich in der Weise Fragmente sonst gänzlich vermisster Handschriften des dänischen Geschicht- schreibers Sakse *) mehrmals aufgefunden. Nach allem Diesem ist es begreiflich, dass die provinziellen Archive in Norwegen wie in Däne- mark überwiegend nur Aktenarchive sein können, und dass nur ausnahmsweise ihre Bestände über das 16. Jahrhundert hinaufreichen. Namentlich die Amtsarchive haben selten Archivalien, die älter als das 17. Jahrhundert sind; gewöhnlich bestehen selbst diese nur in ge- bundenen Gerichtsbüchern, weil sie leichter als die losen Akten den Folgen der Gleichgültigkeit und der Gassationslust der Beamten widerstanden haben. Dass die Archive der einzelnen vorgenannten Behörden, dieweil sie noch mit den Manualarchiven verbunden sind, nicht sachkundige Behandlung gemessen können, ist einleuchtend, und es ist diese auch nicht zu verlangen, weil die Kanzleibeamten, die etwa damit zu beauftragen wären, ihre Hauptbeschäftigung an anderen Arbeiten haben.

Demnächst ist in Erwägung zu ziehen, dass ein anderer Um- stand dergleichen Archiven in Norwegen eine besonders ungünstige Stellung gibt. Man hat hier nach und nach die Dienstwohnungen abgeschatTl und zahlt an deren Stelle den Beamten Entschädigung für Hausmiethe, indem sie zugleich verpflichtet werden, der Kanzlei, und damit dem Archiv, genügende Räumlichkeiten zu verschaffen. Während zur Zeit schon im voraus die Tendenz der gesetzgebenden Versammlung darauf hinzielt, die Besoldungen der Beamten auf ein Minimum zu beschranken, so lässt sich leicht denken, in wie fern darauf Rücksicht genommen werden kann, ob das Archiv gut unter- gebracht wird, wenn es überhaupt möglich ist, Rücksicht zu nehmen, da zuerst die Kanzlei ein angemessenes Lokal erhalten soll. Im Jahr 1876 konnte der Bischof in Tromsö für sich selber keine bessere Wohnung auftreiben, als vier kleine Zimmer und zwei Boden- zimmer, das Archiv konnte nur Platz in einer Vorrathskammer (Stabur) erhalten, die durch die Güte eines Privaten zur Disposition gestellt wurde, und noch vor einigen Jahren musste sich ein anderes

') Vgl. Bruun: Angers -Fragmentet af et Handskrifl of Saxo Grammalicus. Kbh. 1879. S. XIII flg.

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Archiv mit einem Speicher am Meere begnügen. Dass die Beamten unter dergleichen Verhältnissen in Versuchung gerathen, weitgreifende Cassationen vorzunehmen, dass überhaupt die Archive für die Ad- ministration von geringem Werthe sind und bei weitem nicht das leisten, was in günstigerem Falle von ihnen zu verlangen wäre, das kann Keinen Wunder nehmen. In seinem Gutachten betont auch der Reichsarchivar Birkeland dringend diese Mängel und em- pfiehlt ein radikales Aufräumen und ein baldiges Abgeben der nicht zum laufenden Dienste der genannten Behörden notwendigen Akten an Gentraidepots *).

Ein solches wurde 1851 eingerichtet als »Centraiarchiv der Stifte Tronhjem und Tromsot, und sollte die Lokalarchive des Staats aus diesen zwei Stiftern und aus Söndmörs Vogtei in Bergens Stift aufnehmen. Es hatte nämlich eine k. Resolution vom 10. Juni 1837 statuirt, dass die Beamten des ganzen Reichs die zum laufenden Dienste nicht mehr nothwendigen Archivalien von antiquarischem, statistischem oder historischem Werthe an das Reichsarchiv abgeben sollten. Als man diese Begrenzung nicht einhielt und das Archiv gar keinen Raum besass alles aufzunehmen, es auch aus leicht ein- zusehenden Gründen unrathsam erschien, das Reichsarchiv gleichsam zum Lokalarchiv des ganzen Landes zu machen : so entschloss man sich, an bestimmten Orten Lokalarchive zu errichten. So entstand das genannte Centraiarchiv in Tronhjem").

Der auf diese Weise betretene Weg ist, wie der Reichsarchivar nachdrücklich betont, auch ferner einzuhalten. Das Archiv des Stifts (jetzt Christiania) und Amts Akershus war immer mit dem Statt- haltereiarchiv selbigen Ortes verbunden und lässt sich schwerlich davon ablösen. Besonders seit das Reichsarchiv neue und grössere Räumlichkeiten erhalten, sind allmählig an dasselbe abgegeben die Archive verschiedener Behörden der drei südlichen Stifter, besonders eine Menge Gerichtsbücher. Diese Theile gehören eigentlich nicht in ein Reichsarchiv hinein. So lange indessen dasselbe noch Platz hat und keine andern Uebelstände daraus erwachsen, lässt sich diese Ordnung noch beibehalten, jedoch müsste die genannte Gruppe als besondere Abtheilung und als Grundstamm eines künftigen Provin- zialarchivs für sich organisirt werden. Denn es kann doch nur eine quaestio temporis sein, wann ein eigenes Archiv der drei südlichen

•) Gutachten S. 14-16, 26. *) L c. S. 27 - 28.

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Secher:

Stifter zu organisiren. Dieselben Gründe wie gegen das Reichsarchiv als Lokalarchiv des ganzen Landes sprechen gegen diese Verbindung als eine endgültige.

Dagegen ist es von grösster Bedeutung, so bald als möglich ein neues Provinzialarchiv in Bergen für Bergens Stift, indem nach der Natur des administrativen Organismus Norwegens keine mehr ent- sprechende lokale Begrenzung sich finden lässt als die Stiftseinthei- lung, einzurichten, ein Plan, der schon früher zwischen dem Reichs- archivar und dem Kirchendepartements debattirt worden ist.

Einen grösseren Zuwachs wird das mit dem Reichsarchive ver- bundene Gentraiarchiv der südlichen Stifter in dieser Zeit erhalten, indem eine Massregel getroffen ist, die wohl Nachahmung in weiteren Kreisen verdienen möchte. In Norwegen wie auch in Deutschland werden die Kirchenbücher von Alters her bei den Predigern aufbe- wahrt; diese werthvollen Quellen der Personalgeschichte sind somit immer der Feuersgefahr ausgesetzt, und alljährlich gehen einige zu Grunde. Auf Antrag des Reichsarchivars gebietet ein Schreiben des Kirchendepartements vom 8. Juli 1878 allen Predigern der drei Stif- ter, ihre Kirchenbücher aus der Zeit vor 1778 einzusenden. Wie das Centraiarchiv in Tronhjem schon die Kirchenbücher seines Be- zirks erhalten hat , so wird das künftige Centraiarchiv in Bergen auch diejenigen aus dem Stifte Bergen einzufordern haben. Nach vollendeter Errichtung der genannten drei Provinzialarchive und nach- dem die Behörden ihre abzuliefernden Akten an sie abgegeben haben, wird das norwegische Staatsarchiv wesen einstweilig seinen äusseren Rahmen vollendet haben

Es wären nun noch zu erwähnen die Archive der Gemeinden. Mit diesen beschäftigt sich jedoch das Gutachten des norwegischen Reichsarchivars gar nicht, was sehr zu bedauern ist. Wir können nicht vermuthen , dass die städtischen Archive Norwegens sich in günstigerer Lage befinden sollten, oder die ihnen von Seiten der Gemeindebehörden gewidmete Vorsorge grösser sei, als in andern Ländern, theilweise auch in Deutschland, in Dänemark u. s. w., geschweige denn, dass ein städtisches Archiv seinen eigenen fach- kundigen Archivar besitzen sollte, wie z. B. in Kopenhagen, Wien, Berlin, Köln, Mainz, München, Augsburg, Nürnberg, Breslau u. s. w.

') 1. c. S. 28 -29. 32-33, 49-51. 1-2.

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Das Archivwesen im skandinavischen Norden.

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der Fall ist. Man müsste glauben, dass es auch in Norwegen von grösster Wichtigkeit sein dürfte, dem Reichsarchive ein ähnliches Oberaufsichtsrecht zuzutheilen, wie es der bayerischen Regierung über Städtearchive zusteht und wie es auch in Frankreich ausgeübt wird f). Es müsste auch in Norwegen den Gemeinden gestattet werden, gegen Bezahlung der Gonservirungsunkosten ihre Archivalien in den Staatsarchiven zu deponiren, falls sie zu deren Aufbewahrung kein geeignetes Lokal besitzen.

b) Stellang der Archive.

Anfanglich bildete das Reichsarchiv ein Bureau des Finanz- departements, und der Reichsarchivar war nur gleichwie ein anderer Bureauchef anzusehen. Im Jahr 1845 ging das Archiv in gleicher Stellung an das Kirchendepartement über. Erst 1875 wurde es als selbstständiges Institut unter Oberaufsicht des Kirchendepartements gestellt.

Das Centraiarchiv in Tronhjem ist bis jetzt von dem Reichs- archive unabhängig, es ist zufolge der unter dem 23. Nov. 1854 gegebenen Instruction *) des Archivars (StifLsarchivars) unmittelbar der Stiftsdirektion unterstellt und soll sich in allen Angelegenheiten des Archivs an diese wenden. Freilich soll der Stiftsarchivar in Betreff einzelner Fragen (Instr. §§. 2, 4) mit dem Reichsarchive correspondiren, z. B. hat er dieses davon zu benachrichtigen, wenn Archivalien aus dem Centraiarchiv abgegeben werden, aber seine administrative Stellung wird hierdurch nicht berührt. Nicht einmal bei Cassationen hat das Reichsarchiv eine Stimme. Seitdem aber dieses als selbstständiges Institut organisirt ist, muss man dem Reichsarchivar beipflichten, wenn er das Unzweckmässige dieser Ord- nung betont. Die Stiftsdircktion kann nicht fachkundig sein, und ein Archiv ohne fachkundige Oberaufsicht zu stellen, heisst so viel als es sich selber oder dem Untergange zu überlassen. Es ist auch zu erwarten, dass dem Antrage des Reichsarchivars, die Stiftsarchi- vare in Bergen und Tronhjem dem Reichsarchivar zu subordiniren, Folge geleistet und diesem ermöglicht wird, durch Visitationen sich

') Arch. Zeitschr. I, 159. Pfannenschmid : Das Archivueson in Elsass- Lothringen 1875, S. 135.

') Gedruckt als Beigahe Nr. 1 des oflcitirlen Guiachtens. ArchlT»ll«oh« Zeitschrift. IV. 17

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Secher :

mit dem Zustande der beiden Archive bekannt zu machen und deren Ordnung und Conservirung zu leiten. Das Beispiel Bayerns hat das Zweckmässige einer solchen Organisation genügend dargethan1).

c) Die Archivbeamten und ihre Besoldung.

Wie schon oben bemerkt , wurde 1841 aus einem Bureauchef und 4 Assistenten das Personal des Reichsarchivs gebildet, später ist noch ein Beamter hinzugekommen, und in den dreissig letzten Jahren sind ständig 5 ausser dem Reichsarchivar angestellt gewesen. Im Jahr 1857 wurde statt des einen der Assistenten ein Gevollmäch- tigter angestellt und 1876 ein anderer. Seit ein paar Jahren ist ein vierter Assistent damit beauftragt, in den Archiven und Bibliotheken Kopenhagens Abschriften für das Reichsarchiv zu besorgen.

Die Besoldungen der Beamten sind: der Reichsarchivar 4000 Kro., Thcuerungszulage 600 Kro.; I. Archivgevollmächtigter 1800 Kro., Theuerungszulage 400 Kro., persönliche Zulage 1000 Kro. ; IL Archiv- gevollmächtigter 1600 Kro., Theuerungszulage 400 Kro.; 3 Archiv- assistenten, jeder mit Theuerungszulage 1500 Kro., zusammen 4500 Kro.; der Assistent in Kopenhagen mit Theuerungszulage 1248 Kro. Mit Diener, Feuerung, Büchern, Kanzleikosten u. s. w. (2380 Kro.) belaufen sich die Unterhaltungskosten auf 17,928 Kro. oder, wenn 8 Kro. = 9 Mark, 21,419 Mark.

Die jetzigen Arbeitskräfte des Archivs sind keineswegs genügend, namentlich wenn es den oben erwähnten Anwachs erhält. Auch erlaubt nur die Besoldung des Reichsarchivars, seine ganze Zeit dem Archive zu widmen, die andern Beamten müssen Alle mehr oder weniger durch Nebenarbeit sich noch einmal so viel als der Gehalt beträgt verdienen. Diesen Uebelständen würde nach Gutachten des Reichsarchivars wohl nächstens durch Vergrösserung der Bearaten- zahl abzuhelfen sein. Nicht minder nothwendig erscheint die Ver- besserung der Besoldung und die Möglichkeit sich eventuell Vicare verschaffen zu können. Der Rcichsarchivar trägt auf folgendes Budget an: Reichsarchivar mit Theuerungszulage 4600 Kro., I. Archi- var (für das alte Reichsarchiv) 3750 Kro., II. Archivar (für das neuere Archiv von 1814 an) Anfangsgage 2500 steigend bis 3500 Kro.; III. Archivar (für das Archiv der drei südlichen Stifter) 2500 bis 3500 Kro. ; 2 Archivassistenten 3000 Kro.; der Assistent in Kopenhagen 1248 Kro.;

') Gutachten S. 34- 35, 43.

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Das Arcbivwesen im skandinavischen Norden.

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Vicariat und Abschreibung 1200 Kro. ; Diener, Bücher, Feuerung u. dgl. 2380 Kro. zusammen 21,178-23,178 Kro. oder höchstens 26,074 Mark.

Der Stiftsarchivar in Tronhjem hat jetzt eine Besoldung von 1400 Kro. oder 1575 Mark. Nun reichen freilich die Lokalarchive Norwegens höchstens zum 16. Jahrhundert hinauf, und Messe sich auf wissenschaftliche Ausbildung des Archivars in mancher Richtung schon verzichten; jedoch muss er immer ein solches Maass von geschieht liehen, juristischen und archivalischen Kenntnissen besitzen, dass er der Regierung, der Wissenschaft und den Privaten den zu fordernden Dienst leisten kann. Jene geringe Besoldung erscheint da- her gänzlich unpassend, und der Reichsarchivar trägt deshalb für die Stiftsarchivare in Tronhjem und Bergen an auf eine Anfangs- gage von 2000 Kro., jedes dritte Jahr steigend um 500 Kro. bis 3000 Kro. oder höchstens 3325 Mark

Von den übrigen Unterhaltungskosten der Centraiarchive er- wähnt das oftgenannte Gutachten nichts, nur ersieht man, dass der Archivar keine Gehülfen hat. Betragen die Kanzleikosten für jedes dieser Archive 500 Kro. oder 560 Mark, so belaufen sich die Unter- haltungskosten des norwegischen Archivwesens jetzt auf 22,304 Mark, und der Reichsarchivar verlangt gegen 33,844 Mark. Norwegen hat 1,806,900 Einw. und vergleicht man sein Archivbudget mit dem von Bayern (5,022,390 Einw.), das 1876 sich auf 166,923 Mark belief *), so ergiebt sich, dass das norwegische Archivwesen in pecu- niärer Beziehung keineswegs günstig gestellt ist, und dass die For- derungen des Reichsarchivars sehr mässig sind. Noch viel un- günstiger sind die Provinzialarchive gestellt, denn selbst der Reichs- archivar macht nur Anspruch für sie auf ca. 13,000 Mark, während, die bayerischen Kreisarchive 92,755 Mark beziehen.

(Fortsetzung folgt )

') I. c. S. 36-37, 58-65, 70. *) Archiv. Zeitschr. I, 30.

XI. Kurze systematische Uebersicht des Inhalts der bayerischen Landesarchive.

(Fortsetzung.)

VII. Krcisarchiv Speyer.

(Urkunden, Amtsliücher, Hechnungen, Pläne.)

I. Kurpfalz.

A. K u r fflrstenthum.

1) Staatsrechtliche Gegenstände: Pfalzgräfliche Familien- sachen (1548-1702); Privilegien (in Abschritt), Slaats- Er- werbungen (1701 1707), Besitzungen, Gefalle und Rechte in fremden Orlen; Besitzungen der Geistlichen Administration; Activ- und Passivlehen; nachbarliche Verhältnisse, Irrungen und Verträge; Staatsbürgerrechte; Militär- und Kriegssachen (XVI. -XVIII. Jahrb.).

2) Landesregierung: Justizwesen und Gesetzgebung; Polizei- und Verwaltungssachen aller Art; Gemeindeverwaltung; Topo- graphie und Statistik; Cameralia, Forst-, Jagd-, Wald- und Weidesachen, Haingeraiden und Ganerbschaften; Waldungen der Geistlichen Administration und der Universität Heidelberg; Wasserrechte und Flösserci; Berg-, Salinen- und Salzwesen; öffentliches Bauwesen; Kirchen- und Schulsachen; Rechnungs- wesen (XVI.-XVHI. Jahrh.).

3) Oberämter: Alzci (resp. Unteramt Freinsheim), Germersheim, Kreuznach, Lauterecken, Lautern, Neustadt mit den dazu ge- hörigen Gemeinden (Cameralia etc. XVI.— XVIII. Jahrb.).

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Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive. 261

B. Geistliche Güterver waltung in Heidelberg.

Generalia (XIV.— XV1IT. Jalirh.); Forstakten, Güter und Ge- falle, Rechnungen der Stifte Germersheim (auch Hospital und Collektur), Klingenmünster, Lautern, Limburg (mit Kellerei Kall- stadt), Neustadt und Selz (resp. Schaffnerei Bergzabern); der Probstei Hördt; der Pflegen Otterberg und Eusscrsthal (mit den Kellereien Landau und Speyer); der Schaffnereien Bolanden, Branchweiler und Winzingen, Enkenbach, Franken- thal, Freinsheim, Gailweiler, Gommersheim, Heilsbrück, Hoch- heim, Liebenau, Maria -Krön, Marienpfort, Münchbischheim, Mechtersheim, Mörlheim, Mittelbockenheim, Odernheim, Pfaffen- schwabenheim, Ravensgiersburg, St. Johann, Sionund Wolfstein; der Kellereien Deidesheim, Disi Dodenberg, Pleisweiler und Schönau; der Gollecturen Alzei (Freinsheim), Hundheim, Kreuznach, Lautern, Neustadt, Odernheim, Pfeddersheim, Rockenhausen und Weisenheim (mit Kirchenschaffnei Dacken- heim); Admodiation des Klosters Sponheim; Präsenz- meistere i Kreuznach; Scharrauer und Schönauer Hof.

C. Universität Heidelberg.

Generalakten über die der Universität gehörigen Aemter und Ortschaften, dann die Collecturen Daimbach, St. Lambrecht und Zell (XIII —XVIII. Jahrb.).

D. Evangelisch-lutherisch« Con sistor ial-A k ten.

Die Inspektionen Alzei, Frankenthal, Freinsheim, Germers- heim, Kaiserslautern, Kreuznach, Lauterecken und Neustadt (XIV.-XVIII. Jahrh.).

II. Herzogthura Pfalz -Zweibrüokon.

1) Staatsrechtliche Gegenstände: Zweibrücker Haus- und Familiensachen (XV.— XVII. Jahrh.), Erbschaftssachen (Flecken- stein, Rappoltstein, Veldenz, Sponheim); Erwerbungen, Ab- tretungen und Verluste; Besitzungen, Hoheitsrechte und Grenz- sachen ; Verhältnisse und Differenzen mit benachbarten Landes- herren, Vasallen, Städten und Stiften; Lehenwesen; Bevölkerung, Nachsteuer und Freizügigkeit, Leibeigenschaft und Wildfangs- recht; Militär- und Kriegssachen (XV. -XVIII. Jahrh.).

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2(32 Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive.

2) Landesregierung: Verwaltung, Justizwesen und Reichs- kammergericht; Polizeisachen (Bäche, Brunnen, Bauten, Handel, Gewerbe, Zünfte, Landwirtschaft, Orts- und Gesundheitspolizei, Sicherheit, Maass und Gewicht etc.); Forst- und Jagdsachen, Fischerei, Flösserei, Berg- und Salinen wesen, Münzwesen, Renten und Gefälle, Rechnungswesen, Mühlen, Höfe, Güter; Archive, Gemeindesachen; Kirchen- und Schulwesen, Juden; Regierungs-, Justiz-, Judicial-, Exhibiten- etc. etc. Protokolle (XIV.— XVIH. Jahrh.).

3) Oberämter: Zweibrücken mit der Herrschaft Kirkel; Oberamt Homburg mit dem Gericht Kübelberg; Neurastel (Bergzabern mit den Aemtem Kleeburg und Katharinenburg, Wegelnburg, der Herrschaft Schaumburg nebst Tholey und der Vogtei Falken- burg; Lichtenberg mit dem Essweilerthal und dem Amte Noh- felden; Meisenheim mit den Aemtem Landsberg und Alsenz und der Gemeinschaft Stolzenberg; Trarbach mit den Aemtern Kastellaun und Allenbach (Grafschaft Sponheim); Guttenberg mit den Aemtern Selz und Hagenbach; Herrschaft Bischweiler; Grafschaft Lützelstein, Vogtei Schönau.

III. Fürstbisthum Speyer.

A. Hoch stift

1) Hoheitssachen: Huldigungen (1582- 1772); Territorial- und Episcopalrechte (1504— 1782); französische Souveränitätsverhält- nisse und französische Revolution, dann Protocolla rerum Galli- carum (1724—1792); Aktivlehen, Kriegssachen, nachbarliche Differenzen und Beziehungen , fremdherrliche Besitzungen im Hochstift (XV.— XVIII. Jahrh.).

2) Landesregierung: Verwaltungs-, Cameral-, Polizei- und Justizsachen, Rechnungen, Gemeindesachen, Forst- und Berg- wesen, Kirchen-, Pfarr- und Schulsachen, Landcapitel, Seminar zu Bruchsal, Verhältnisse zu den Orden, Stiften und Klöstern, Hospitälern (XV.-XVIII. Jahrh.).

3) Aemter: Oberamt Kirrweiler mit den Aemtern Deidesheim und Marientraut, Oberamt Lauterburg mit den Aemtern Maden- burg und Dahn, Probstei Weissenburg mit den Aemtern Alten- stadt und St. Remy.

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Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive. 263

B. Üomstift.

Generalien und Verhältnisse zu einzelnen Gemeinden, in specie zur Stadt Speyer; Präsenzarat, Kellereiatnt, Stuhlbrüder, Decanat; Speyerer Dombau (XIV. —XVIII. Jahrh.).

C. Stifte und K loster.

Stifte und Klöster in Speyer, Jesuitencollcgium, Stift Weissen- burg, Abtei Hördt; Bettel- und andere Orden; herzog], württem- bergische Stabspflege des Klosters Maulbronn (XVII und XVIII. Jahrb.).

IV. Hochstift Worms.

A. Bisthum.

1) Weltliche Angelegenheiten: Hoheitssachen und bischöfliche Rechte, nachbarliche Differenzen, Lehensachen, Judizial- und Parteisachen, Amts- und Justizprotokolle; Bergwerke, Forst- wesen, Bachpolizei und andere Polizeisachen; Gemeindesachen, Statistik, Rechnungswesen (XV. XVIII. Jahrh.).

2) Kirchliches: Kirchen-, Pfarr- und Schulsachen (XVI. bis XVIII. Jahrh.), Schullehrerseminar in Worms, Pfarrbücher der Landkapitel Dirmstein und Landstuhl (XVIII. Jahrh.).

3) Aemter: Neuhausen und Dirmstein (XV. —XIX. Jahrh.).

B. Stifte und Kloster.

Domstift und andere Stifte in Worms (XV.— XVIII. Jahrh.), Stift Neuhausen, Jesuitcnorden (XVIII. Jahrh.); die Klöster Andreasberg, Ramsen, Marienmünster, St. Richard; Kapuziner in Grünstadt, Dominikaner, Karmeliter (meistens deren Güter und Rechnungswesen vom XVI.— XVIII. Jahrh. betreffend).

V. Markgräflich Badische Besitzungen.

A. Herrschaft G 1 ifenstein (Amt Hodalben).

Landeshoheits- und Huldigungssachen, Grenzen, Grenz- und andere Irrungen; Gesetzgebung, Verordnungen, Landesregierung, Beamten und Diener, Polizei-, Cameral-, Forst- und Jagd- sachen; Kirchenwesen; Gemeindeangelegenheiten; Rechnungen (XVI. -XIX. Jahrh.).

B. Grafschaft Sponheim. Gemeindesachen (XV— XVIII. Jahrh).

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264 Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive.

C. Herrschaft Ebernburg und Herrschaft Hohenfels. Gemeinde- und andere Angelegenheiten (XV.— XVIII. Jahrb.).

D. Amt Rhodt.

Hoheitssachen (Geschichtliches XV.— XVIII. Jahrh.); Gesetz- gebung; Grenzen, Verwaltungs-, Polizei-, Kamerai- und Judizial- sachen, Statistik; Kirchen-, Pfarr- und Schulsachen; Gemeinde- angelegenheiten, Depositenwesen, Pfandschaften Ellerstadt und Obrigheim, Rechnungen (XVI.— XVIII. Jahrh.).

VI. Fürstlich Nassau'sche Lande.

A. Grafschaft Nassau-Weilburg.

1) Allgemeines: Hoheils- , Territorial- und Grenzsachen, Differenzen und Verträge mit Auswärtigen; Kamerai-, Forst- und Hüttenwesen ; Justiz- und civilrechtliche Sachen ; Kirchen-, Pfarr- und Schulangelegenheiten; Gemeindesachen; fremde freie und adelige Güter und Hechte; Hechnungen; Kirchheimer Amts- registratur (XV. XIX. Jahrh.).

2) Aemter: Kirchheim (mit Stauf) und Alsenz.

4i\) Klöster: St. Jakob (auf dem Donnersberge), Hodenkirchen, Rosenthal, Ramsen (Kirchliches und Weltliches, Stumpfwald), Boland (zum Hane).

B. Grafschaft Nassau-Saarbrücken.

Generalien, Gemeindesaehen (XV.— XVIII. Jahrb.), Rechnungen (die zur heutigen Pfalz gehörigen Gebietstheile betreffend).

VII. Lande der Fürsten und Grafen zu Leiningen.

A. Geforstet« Grafschaft Leiningen. (Leitungen - Daxburg - Hardenburg und Leiningen - Daxburg - Falkenburg.)

1) Allgemeines: Hoheitssachen, Grenz- und andere Irrungen; Cameralia in fremden Gebieten, fremde Besitzungen, dann Forstsachen; Justiz-, Polizei- und Parteisachen; Gemeinde- angelegenheiten; Kirchen-, Pfarr- und Schulwesen; Amts-. Hentei-, Forst- etc. Rechnungen, Lhuburger Lehensgefalle (XIV.-XVIII. Jahrh.)

2) Aemter: a) Vordere Aemter: Stadt Dürkheim, Herrschaft Hardenburg, Aemter Emichsburg, Heidesheim und Guntersblum, Gemeinschaft Frankenstein, Pflege Hassloch;

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Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive. 265

b) Hintere Aemter: (Amt Falkenburg) Gemeins<:hafl Falken- burg, Herrschaft Lindelbrunn, Schultheissereien Saalstadt (Wall- halben), Herrschberg und Thaleischweiler (mit Höheinöd) (XV. bis XIX. Jahrh.).

B. Grafschaft Leiningen-Westerburg.

Irrungen mit dem Hochstift Worms, Forst- und Gemeinde- sachen, Rechnungen (XVII. und XV11I. Jahrh.).

VIII. Kleinere Herrschaften.

t) Grafschaft Falkenstein und Herrschaft Stolzenberg: Hoheitssachen und Besitzstreitigkeiten, Grenzen, Lehen, Kamerai-, Forst-, Münz- und Bergwerkssachen ; Justizakten, Polizeisachen und Statistik; Bürgerrecht, Gemeindesachen, Pfarr- und Schul- wesen; Rechnungen (XV. XVIII. Jahrh.).

2) Gräflich von der Leyen'sche Herrschaft Blieskastel: Grenz- und andere Irrungen, Lehen wesen, Polizei-, Kameral- und Forstsachen ; Gemeinden, Rechnungen (XV. XVIII. Jahrh.).

3) Gräflich Hanau-Lichtenberg'sche Herrschaft Lemberg: Hoheitssachen, Grenz- und nachbarliche Differenzen; Gesetz- gebung und Verfassung; Polizei-, Kamerai- und Forstsachen; Gemeinde- und Kultussachen; Amts- und Pirmasenser Bau- rechnungen (XVI.— X VIII. Jahrh.).

4) Rheingrafschaft: Hoheitssachen, Güter und Gefalle in fremden Gebieten, Aktiv- und Passivlehen; Gameralia, Forst- und Bergwesen; Gemeindesachen ; Rechnungen (XVI.— XVIII. Jahrh.).

5) Herrschaft Reipolzkirchen und Altenbamberg: Hoheitssachen, Besitzwechsel, Grenzstreitigkeiten, Lehensachen; fremdherrische Besitzungen, Güter und Gelalle in fremden Ge- bieten; Kamerai-, Forst- und Bergwerksachen; Justiz und Verwaltung; Gemeinden, Pfarreien, Schulen; Rechnungen (XVI. bis XIX. Jahrh.).

6) Herrschaften Rarbeistein und Gräventhan (Dahn): Besitzwechsel und Landesbeschreibungen (XIII.— XVIII. Jahrh.), Lehensachen (XV.- XVIII. Jahrh.); Kamerai-, Forst- und Berg- werkssachen; Gemeinde- und Kirchensachen; Rechnungen (XVI. bis XVni. Jahrh.).

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266 Systematische Uebersicbt d. Inhalts d. bayerischen Landesarchive.

7) Sayn-Wittgenstein'sche Herrschaft Neuhemsbach: Nachbarliche Irrungen, Verwaltung, Statistik, Kamerai-, Forst-, Gemeinde- und Kirchensachen, Rechnungen (XVI.— XVIII. Jahrb.).

8) Löwenstein'sche Herrschaft Scharfeneck: Hoheitssachen; Landes- und Grenzbeschreibungen ; Cameralia (in- und auswärtige), Forstwesen, 'Haingeraide, Justiz- und innere Verwaltung, Kirchliches; Rechnungen (XV.— XVIII. Jahrb.).

IX. Besitz der Bitterorden.

A. Deutsch-Orden.

Kommende Einsiedel: Irrungen, Güter, Gefalle, Forst- sachen, Kirchliches (Patronatsrechte), Gemeinden, Rechnungen (XV.— XVIII. Jahrh.).

B. Johanniter-Orden.

1) Ko mm enthurei Haimbach: Hoheitssachen und nachbarliche Irrungen ; Kamerai- und Forstsachen, Justiz- und Verwaltungs- akten, allgemeine Landespolizei, Gemeinde-, Kirchen- und Schul- wesen, Rechnungen (XV.— XVIII. Jahrh.).

2) Ordensprobstei Mussbach: Allgemeine Landespolizei, Kamerai-, Forst-, Kirchen- und Schulsachcn (XV.— XVIII. Jahrh.).

3) Kommenden Mainz und Worms: Güter in pfälzischen Ortschaften, Rechnungen (XVI.— XVIII. Jahrh.).

X. Ro icha kämm ergo r ich ts -Akten.

Streitsachen über Güter und Personen inner- und ausserhalb Bayerns (XIII.— XVII. Jahrh.).

XI. Akten der französischen und der (provisorischen) deutschen Verwaltung.

1) Akten de l'Intendance d'Alsace: Fortifikationen von Landau und südlich der Queich, Verwaltungssachen des Amtes Hagenbach und der übrigen französischen Souveränitätslande (1699-1793).

2) Akten de T Administration du pays conquis entre Rhin et Moselle bezw. des Generalkommissariats der vier neuen Departements (An. V— X).

3) Akten du Minislere de l'Interieur ä Paris (Zentral- verwaltung): Generalien, Justiz, Hospitäler, Statistik, Land-

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Systematische Uebersicht d. Inhalts d. bayerischen tandesarcbive. 267

wirthschafl, Industrie, Handel, Bauwesen, Sicherheit, Kultus, Genieindesachen, Militärisches im Departement des Donnersberg pfälzischen Theils (1800—1814).

4) Akten du Ministöre des finances: Verkauf der konfiszirten Nationalgüter im Departement du Bas-Rhin (1791 1813).

5) Akten de la Prefecture du Dep. du Mont-Tonnere: General- und Spezialakten aller Art, betreffend die Arrondisse- ments Mainz, Speyer, Kaiserslautern und Zweibrücken.

6) Akten de la Prefecture du Dep. du Bas- Rhin: Administrationssachen der einzelnen Gemeinden (1789—1814).

7) Akten de la Prefecture et des Sous-Prefectures du Dep. de la Sarre: Verkauf von Gemeindegütern, Gemeinde- grenzsachen, Verwaltungssachen in den früheren Aemtern Lichtenberg und Nohfelden, dann den Kantonen Blieskastel und Waldmohr.

8) Akten de la Prefecture du Dep. de la Moselle: Verkauf von Nationalgütern.

9) Akten der französischen und der spätem proviso- rischen deutschen Domänen-Direktion im Departement des Donnersberg: Allgemeine Verwaltung, Rechnungswesen, Staatsgüter und Eigenthum, Stempel, Fiskalprocesse , Hypo- theken etc. (1796—1817).

10) Akten de la Direction des Domaines zu Strassburg.

11) Akten der unter der provisorischen Verwaltung zu Kreuznach und Worms, dann unter der k. bayerischen Verwaltung bestandenen Kommission für administrative Justiz (1814-1817).

12) Akten der Coblenzer (28.) Forst-Konser vation, ver- mischt mit älteren Forstakten (1581 bzw. 1796—1814).

13) Akten des Oberforstamts des General-Gouvernements des Mittelrheins (1814—1817 bzw. 1824).

14) Akten der Oberbaudirektion zu Mainz (1815 1817).

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XII. Zum Rheinischen Bund von 1254.

Von

Dr. Julius Weizsäcker, Professor in Göttingen.

Der Rheinische Bund von 1254 ist in neuerer Zeit Gegenstand näherer Untersuchung gewesen. Als die einzige erfreuliche Er- scheinung iti den trüben Tagen des sogenannten Interregnums wird er immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber man hat früher seine Bedeutung gern überschätzt, und es ist das unbestreitbare Verdienst Busson's ') die hohen Vorstellungen davon wieder herabgedrückt zu haben : der Landfriedensbund hat eine vor- treffliche Idee schlecht ausgeführt, seine Organisation war nicht fest genug und ermangelte einer kräftigen Exekutive, seine Wirksamkeit war von sehr kurzer Dauer. Dagegen kann ich Busson's kritische Auflassung der uns noch erhaltenen Bundesakten keineswegs theilen, sofern der Werth eines Theils derselben ebenfalls herabgesetzt wird wegen mangelhafter Ueberlieferung, wodurch denn seine historische Verwendbarkeit leidet. Diese Akten, wie sie bei Leibnitz*), Frey- berg8), Böhmer4), Pertz 5), Schaab «) mehr oder minder gut wieder-

') Zur Geschichte des grossen Landfriedenshundes deutscher SUdte 1254. nsbruck 1874.

*) Cod. jur. gent., mantissa, 2. 93—98. Hannoverae 1700. s) Sammlung hist. Schriften und Urkunden, 1, 513—520, Stuttgart und Tübingen 1827.

4) Cod. dipl. Moenofrancofurt. 103 - 113. Frankf. a. M. 1836.

6) M. G. LL. 2, 368-380, vermischt mit andern Stöcken.

") Gesch. des grossen Rheinischen Stfidtebundes 2, 16-47. ebenfalls vermischt.

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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gegeben sind, haben aber für uns schon im Allgemeinen eine hohe Be- deutung, weil uns hier zum erstenmal eine ganze Reihe von derartigen Bundesabschieden in ununterbrochener Folge erhalten ist, und es wäre sehr Schade, wenn sie uns durch die Form ihrer Ueberliefe- rung theilweise so unbrauchbar oder unsicher geworden wären, wie Busson glaubt. Sind sie zuverlässig, so geben sie uns über die Ent- wicklungsgeschichte dieses eigentümlichen Bundes höchst erwünschte und ausführliche Auskunft. Man hat früher an ihrer Authenticität nicht gezweifelt. Bedenken lassen sich dabei freilich nicht unter- drücken. Aber es frägt sich, ob man so weit gehen muss, eine ganze Reihe derselben für blosse Entwürfe oder Präliminarpunktatio- nen zu erklären, wie Busson gethan hat. "An und für sich ist es freilich nicht undenkbar, dass, nachdem sich so und so viele Andere mit einer Frage beschäftigt haben, der Letzte klüger ist als sie Alle. Aber dass uns Busson auch die Authenticität der Gründungsurkunde vom Juli 1254 nehmen wollte, das hat mich doch nicht schlafen lassen. Ich kam da von einer Untersuchung auf die andere, und schliesslich glaubte ich darin noch klüger geworden zu sein als Busson. Und da es mir nicht möglich war, dieses an sich schon wohlthuende Gefühl in meiner Brust zu verschlicssen , so entstand daraus ein ganzes Buch über die Sache '). Am Ende kommt gar noch Einer, der sich für klüger hält als uns Beide zusammen. Vielleicht eine jüngere Dissertationenkraft.

Busson hat sich aber ein grosses Verdienst erworben, das ihm nicht leicht Einer wird nehmen können. Er ist es gewesen, der zuerst erkannte, dass wir die Abschiede hier nicht in ihrer authen- tischen Form vor uns haben. Bei den meisten derselben halte ich das für vollkommen sicher. Aber es blieben dann noch zwei Mög- lichkeiten. Entweder ging man hinter die endgiltige Ausfertigung zurück und erklärte das Vorhandene für Entwürfe und Präliminar- punktationen , oder man schritt über die endgiltige Ausfertigung hinaus und erklärte das Vorhandene für eine nachträgliche Bearbei- tung. Jenen Weg hat Busson eingeschlagen, ich den letzteren. Dem Erfolg nach ist mein Verfahren das konservativere. Auf Busson's Weg wird die historische Verwendbarkeit der Bundesakten sehr ein- geschränkt; mein Verfahren, wenn es, wie ich glaube, das richtige

') Der Rheinische Bund 1254, Tühingen 1879.

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Weizsäcker:

ist, stellt dieselbe in weitem Umfang wieder her. Ich muss zugeben, dass wir in unsern Bundesakten allerdings die Abschiede nicht in ihrer ursprünglichen Form erhalten haben, sondern mehr oder weniger verändert, abgekürzt. Aber wir haben Grund anzunehmen, dass uns von denselben nichts wesentliches verloren gegangen ist. Und die Gründungsurkunde ist uns vollständig oder so gut wie voll- stündig erhalten. Sie bildet in unserer Aktensammlung mit den Auszügen der Abschiede zusammen ein Ganzes, das als eine Art literarischer Arbeit bezeichnet werden kann, und den Zweck hat die frischeingetretenen Regensburger über die bisher gefassten Be- schlüsse des Bundes und seine Grundlage ins Klare zu setzen, da es darauf ankam sie 'genau anzuweisen , zu was und wie sie im Einzelnen mitzuwirken verpflichtet waren. Man hätte ihnen die Abschiede einfach abschreiben können. So machte man es auch wirklich mit der Gründungsurkunde, die natürlich das Wich- tigste war, und nur das Schlussdatum hat man da weggelassen. Anders verfuhr man mit den nachfolgenden Abschieden; wohl der Kürze wegen begnügte man sich damit, dem neuen Mitgliede das wichtigere und bleibendere daraus mitzutheilen. So entstand, die Gründungsurkunde an der Spitze, eine zusammenhängende Gedenk- schrift über die bisherigen Bundesbeschlüsse, nicht, immer sehr geschickt redigirt, aber doch so sehr sich an die ursprünglichen und wirklichen Abschiede auch in der Form anschliessend, dass man lange glauben konnte, man habe die authentischen Abschiede hier vor sich. Diese Gedenkschrift ist officiellen Ursprungs, darnach richtet sich der Grad und das Maass ihrer Glaubwürdigkeit. Ich habe diese kritischen Ergebnisse in meiner erwähnten Schrift aus- führlich begründet.

Man sieht, dass ich, was das Rettungsgeschäft betrifft, in Betreff der Gründungsurkunde noch weiter gegangen bin als bei den darauf folgenden Abschieden. Ich habe darauf bestanden, dass sie uns weder als Entwurf noch als Auszug, sondern ganz oder fast ganz in ihrer authentischen Gestalt vorliege. Diess ist schon an sich wahr- scheinlich, da gerade dieses Aktenstück für die Regensburger eben- sosehr von grundlegender Bedeutung war wie für alle übrigen Bun- desglieder. Die Gründungsurkunde mussten sie ganz haben, nicht in einem Auszug, am wenigsten in einem Entwurf. Wenn Busson 17 f. sie für das letztere hält, so ist der eine seiner Gründe auf ihre Form gestützt: sie ist nur von Städten ausgestellt, die Herren

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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werden erst in Art. 2 a1) als Beigetretene erwähnt, diese Erwähnung der Herren erscheint als blosses Einschiebsel. Ich habe dagegen geltend gemacht, dass wir hier gar keine Gesammturkunde des Bun- des sehen dürfen, welche dann allerdings von sämmtlichen Theil- nehmern, nämlich Herren sowohl als Städten, ausgehen müsste. Vielmehr ist das von Anfang an nur die Urkunde der Städte, welche für die Herren bestimmt war, und ihr entsprach ohne Zweifel früher eine ähnlich lautende andere Urkunde, welche von den Herren aus- ging und für die Städte bestimmt war. Herrenpartei und Städte- partei des Bundes Urkunden sich gegenseitig. Das entspricht ganz den Verhältnissen. Dass uns nur die städtische Urkunde erhalten ist, schliesst nicht aus, dass es früher auch eine herrische gab, im Gegentheil, es weist darauf hin. Dass man für die Stadt Regens- burg nur Eine der beiden abschrieb ist natürlich, weil sie Beide den gleichen Inhalt hatten ; dass diess gerade die städtische war, ist auch natürlich, oder, wenn man will, zufällig. Ich habe da spätere Bei- spiele angeführt, wo auch Herren und Städte in ähnlicher Weise zusammentreten, so dass der Form nach nicht alle Bundesglieder, Herren und Städte, zusammen in einer einzigen Urkunde den Bund schliessen, sondern die Herren-Gruppe einerseits urkundet den Bund für die Städte-Gruppe andererseits, und umgekehrt, so dass ein un- trennbares Zwillingspaar von Urkunden entsteht. Ich konnte dabei aber auch auf ein sehr naheliegendes Beispiel von Urkunden aus dem Jahr 1255 hinweisen. Damals nämlich haben Ende Juni Herren einerseits und Städte andererseits sich gegenseitig Urkunden ausge- stellt, gleichlautend mutatis mutandis; wir haben davon keine mehr, •aber sie sind Beide aufs Bestimmteste erwähnt in dem Schreiben der Stadt Mainz an die Westfälischen Städte vom 29. Juni 1255, bei Ennen-Eckertz Quellen zur Geschichte der Stadt Köln 2,355 Nr. 353. Da heisst es: In horum testimonium ac debitam firmitatem predicti domini ac nobiles presentis scripti tenorem nobis traditum sigillorum suorum munimine roborarunt, nosque ipsis vice versa idem scriptum sigillorum Maguntine, Wormaciensis et Spirensis omnium civitatum nomine tradidimus confirmatum 8). Das Verfahren lässt

') Ich citire* nach meiner neuen Ausgabe der Bundesaklen in der erwähnten Schrift.

*) Der letztere Passus soll wohl heissen sigillorum Maguntine, Wormaciensis et Spirensis civitatum munimine omnium civitatum nomine tradidimus confirmatum.

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Weizsäcker :

«in Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sicher haben beide Ur- kunden einmal existirt, doch ist keine von ihnen wieder aufgefunden worden. Wohl aber hat sich die ein paar Tage nachher ausge- fertigte Konfirmationsurkunde wieder gezeigt, dem Inhalt nach sicher identisch mit derjenigen, die durch sie konftrmirt wird, der Form nach auch wieder das eine Glied eines Urkundenpaares von Herren und von Städten.

Diese Konfirmations-Urkunde gab mir den Anlass zu vorliegen- der kurzer Veröffentlichung. Sie kam mir erst zu, nachdem eben mein Buch gedruckt war. Durch die Zuvorkommenheit der Redak- tion der Arehivalisehen Zeitschrift wird es mir möglich, sie so rasch nachzutragen. Sie ist eine Ergänzung zu meiner Schrift Dr. Fried- rich Ebrard in Strassburg machte mich darauf aufmerksam; es ist ein Stück aus dem Sponhei mischen Archiv, das mit vielen andern Dingen bei der gegenseitigen Extradition von Archivalien, die auf Veranlassung Herrn von Löher's stattfand, aus dem französischen Departementalarchiv des Niederrheins an Bayern und in's Münchener Allgemeine Reichsarchiv kam, allerdings nur eine moderne Abschrift aus dem vorigen Jahrhundert, doch recht leidlich brauchbar. Ich halte es für sehr wohl möglich, dass auch das Original noch irgendwo existirt, vermuthlich in Karlsruhe, wo es noch 1779 vorhanden war, wie unsere Quellenangabe ausweist. Mit der Veröffentlichung wollte ich aber desshalb nicht warten. Der Redakteur der Arehivalisehen Zeitschrift, durch frühere Studien ') in diesem Stoffe völlig zu Hause, vermochte mehr als Einer den Werth dieses Diploms zu würdigen und so einem der vielen Kleinode seines Archivs den Weg in die Welt zu erschliessen. Für die Richtigstellung des Textes konnte das bereits erwähnte Schreiben der Stadt Mainz vom 29. Juni 1255 herbeigezogen werden, das den Inhalt unserer Urkunde bereits kennt. So wird es möglich, zu einem, wie ich denke, sicheren Wortlaute zu gelangen.

Ich lasse hiemit die Urkunde folgen.

') Franz LA her Fürsten und Städte zur Zeit der Hohenstaufen dargestellt an den Reichsgesetzen Kaiser Friedrich II. Halle 1846.

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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T>ie Städtepartei des Rheinischen Bundes konfirmirt die Bestimmungen der Waffenruhe, welche sie zu Mainz am 30. Juni mit der Herren- partei des Bundes bis 11. Nov. geschlossen hat. 1255, Juli 11, Bingen. JJ5^

Nos Moguntinenses Colonienses Wormacienses Spirenses et alie civitates pacis federe" conjuncte. noverint universi presencium in- spectores, quod, cum quedam discordia super generalis pacis obser- vatione inter nobiles terre ac civitates verteretur, utrique parti dies, videlicet proxima ante octavam beati Johannis baptiste, b> in Moguncia est prefixa. in qua die nos in presencia domini Adolphi comitisjjf.",^ de Waldeck imperialis aule justiciarii super universis discordiis fir- mani pacem et treugas de consensu benivolor| partium ordinavimus usque ad festum beati Martini proxime'1' nunc venturum inviolabi- liter observandas, confirmantes ipsam pacem et treugas medianteyor. a venerabili patre et domino nostro Gerhardo archiepiscopo Mogun- tinensi nobilibus ac nobis aput Pinguiam die dominica proxima ante festum beate Margarete, tali forma: [1] quod ipsi domini ac nobiles Juh lt, medio tempore a bonis ecclesiarum cujuscunque fuerinf religionis seu a bonis civium nullas omnino exactiones vel precarias aut alios 0 census indebitos extorquebunt nisi tantummodo ea que scabini et villani qui huebenere vocantur sub juramento et banno ipsis dominis dictaverint de justicia esse danda [2] item villanos eorum pro eo quod cum civitatibus sibi vicinis pacem juraverint" in nullo penitus domini1" molestabunt vel gravabunt; dicti vcro villani dominis suis servicia, secundum" quod ipsis et antecessoribus suis ante 40 vel 50 annos facere consueverunt, facient. [3\ item quicunque ex ipsis villanis medio tempore ad aliquam civitatum1" personali" residencia voluerit se transferre, recipi poterit ab eadem jure civitatis per omnia fruiturus,"1 nec ex eo pax judicabitur violala. [4] si vero aliquis proprius dictas civitates ad manendum intraverit, domino ipsius eum

») M p*if fr<lCTl8 P

b) M »rntrrrMter Strirk äbrr O

•J M Inn Ivo!».

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4 M fnlrtnt, K fuerlnt.

0 om. K.

t) K juravernnt.

fcl om. K.

i) M wdm. A" necundum.

ki K oKitatPtn.

IJ K perm.niül ; in M hat p »o*<M 4m Zrichrn fär pr«' alt >la* für p<>r. «mnl vir K.

■) M frvrvltiinm, K frultnru«.

ArcliWallwhn Zfltauhrift. IV. jg

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Weizsäcker:

requirenti secundum" jus et consuetudinem civitatum hucusque ob- servatam per omnia satisfiet. [5] item cives, qui dicuntur palburgere, de cetero nullos habebimus. [6] item in omnibus et per omnia forma generalis pacis jurata in terra et in aquis ab universis con- servabitur1" integra et illesa. [7] si vero medio tempore civitates suos injuriatores " predones raptores*" et pacis" turbatores debiüs vindictis fuerint prosecuti, proinde pax minime censebitur violata. [8] item ad generalem pacem propagandam et confirmandam0 est ordi- natum, quod dominus noster Wilhelmus rex Romanorum illustris in suo adventu ex ipsis dominis et nobilibus eliget" octo, quibus de universis eivitatibus octo similiter1" adjungentur: qui 16 mediante prefato domino nostro Wilhelmo rege ea, que generalis pacis" propa- gationem et perpetuam confirmationem roborare ac perficere vide- buntur, annuente divina gracia concorditer ordinabunt. quorum ordinationes et statuta k* tarn domini quam civitates inviolabililer observabunt. ad premissorum autem memoriam ac debitam firmi- tatem has litteras sigillo venerabilis patris domini nostri Gerhardt archiepiscopi Moguntiftaw», Uoguniinensium Worm&ciensium et Spiren- rium, nomine omnium civitatum pacis federe conjunctarum, fecimus communiri. actum aput Pinguiam proxima dominica ante diem ^Margarete anno domini 1 255.*

M aus Münch. R. A. Sponheim Masse 4 Nr. 2 (extradiert aus Itepart. A. d. Siederrheins) cop. eh.; die Konformität der Ab- schrift mit ihrem Original, an dem 4 Siegel Mengen, ist unter Vordruckung des fürstl. geh. Kanzleisiegels bezeugt von J. G. Stösser , fürstl. markgr. bad. Hofrath und geh. Registrator, Karlsruhe, 13. Okt. 1779. K roll, die betr. Stellen des Schreibens der Stadt Mainz an Soest, Münster und andre ungen. Westfül. Städte vom 29. Juni 1255 nach dem Abdruck aus dem Original des Köln. St.-A. in En neu und Eckert z, Quellen zur (iesch. der St. Köln 2, 354 Nr. 353.

•> M wdem, A* BPcimdum.

b) K «</</. nwlio tempore.

*i M lnJnriUtf.ro«, K injnrlatoro».

■>) om. K.

" M pa<-*m.

U K om p. o. c, folgt de riin(M>n»n par< htm <>«t Statut um qnod .

m il «•»Kort, A" ellKft. im. K.

Ä" ««•iipralrm paoem. om. Hau folgrmie p. e. p. c.

■) A" «ML por omni», <la* rUIUüht ,la* (otgrmU hier frhlrmit t. d. q. O. fr fite» toll.

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Zum Rheinischen Bund von 1254. 275

Diese Urkunde kommt in der schon erwähnten Sammlung der Bundesakten gar nicht vor, auch der Tag von Bingen nicht auf dem sie entstand. Aber das darf uns nicht misstrauisch gegen unsre Aktensammlung machen. In unsrer Urkunde handelt es sich nur um etwas vorübergehendes. Es hatte Streitigkeiten gegeben zwischen Herren und Städten des Bundes, man lernt sie aus unserem Akten- stücke kennen, das bestimmt ist, sie vorläufig beizulegen; ein Waffen- stillstand kommt bis 11. Nov. 1255 zu Stande, unser Aktenstück enthält die Normen, nach denen man sich in den streitigen Punkten bis dahin richten soll. Zu der Zeit nun, wo die Bundesakten zu- sammengestellt wurden1), Anfang Okt. 125<1, war dieser Waffen- stillstand längst abgelaufen, und die Kenntniss seiner Bestimmungen daher für ein neu eintretendes Mitglied, wie die Stadt Regensburg, nicht mehr noth wendig, deshalb Hess man sie aus der Sammlung weg, die man den Regensburger Boten mit nach Hause gab. Ebenso fehlt ja mit Recht in jenen Akten auch der Inhalt der beiden Waffenstillstandsurkundcn , der in dem Briefe vom 29. Juni 1255 angeführt wird.

Wie verhält sich nun aber unsre Urkunde vom 11. Juli, zu der man als zu der städtischen sich eine gleichlautende herrische zu denken hat, zu diesen beiden WafTenstillstandsurkunden vom Ende Juni? Vom Waffenstillstand handelt es sich das einemal wie das andremal. In unsrer Urkunde heisst es im Eingang: confir- mantes ipsam pacem et treugas tali forma. Ebenda heisst es von den vorausgegangenen Mainzer Urkunden: super universis dis- cordiis firmam pacem et treugas ordinavimus, und entsprechend in jenem Briefe vom 29. Juni: pacem et treugas ordinatas esse in hunc modum, und in dem Brief der Städte an den König vom 30. Juni abermals: firma pax et treuge stabiles super universis guerris8) et discordiis sunt Statute. Auf dem Mainzer Bundestag vom 29. Juni war also in der That die Waffenruhe oder der Waffenstillstand mit seinen Interimsbestimmungeu bereits festgestellt, die Urkunden darüber waren zwischen Herren und Städten auch gleich ausgetauscht

') Siehe meine Schrift S. 96.

s) Die Waffen waren also wirklich schon gehraucht worden , und darnach muss die Behauptung meiner Schrift S. 106 verändert werden, wo kein eigent- licher Kriegszustand zwischen Herren und Städten angenommen wird. Ein grosser und allgemeiner Krieg war es wohl nicht, aher verschiedene Fehde -Zustände.

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276 Weizsäcker:

worden (traditum, tradidimus, in dem Brief). Die Bingener Urkunden vom 11. Juli ordnen also denselben Gegenstand wie die Mainzer vom Ende Juni. Sie ordnen ihn aber auch ganz in der gleichen Weise. Das letztere ergiebt eine genaue Vergleichung des Bingener Aktenstücks mit dem oflgenannten Briefe, der den Inhalt der Mainzer Abmachungen an die Westfälischen Städte mittheilt. Der Brief stimmt fast wörtlich mit unsrer Urkunde, dem Sinne nach ganz, die Abweichungen sind lediglich stilistische, und nichts steht in dem einen Stück, was nicht auch in dem andern stünde. Die Bingener Urkunde ist also wirklich nichts andres, als das, wofür sie sich aus- giebt: eine Konfirmation der Mainzer Abmachungen; »confirmantesc sagt sie ja selbst. Auch hat sich der Mainzer Brief an die städtische Ausfertigung gehalten, man sieht das aus den Worten: item cives, qui dicuntur palburgere, de cetero nullos habebimus; und unsere Urkunde ist ebenfalls eine städtische; selbst darin sind sie sich gleich, obschon das nur ein gleichgiltiger Zufall ist.

Ks entsteht aber dio Frage: warum, wenn auf den beiden Tagen zu Mainz und zu Bingen ganz das gleiche geschah, warum ist es denn zu Bingen noch einmal geschehen, nachdem es vor nicht ganz zwei Wochen schon zu Mainz geschehen war? Die Urkunde gibt wohl einige Auskunft in ihrem Eingang. Da heisst es, dass die beiden Parteien zu Mainz ihre Waffenruhe festgestellt haben in pre- sencia domini Adolphi eomitis de Waldeck impcrialis aule justiciarii, und dass sie dieselbe konfirmirt haben zu Bingen mediante venera- bili patre et domino nostro Gerhardo archiepiscopo Moguntinensi. Die Feststellung also geschah in Gegenwart des königlichen Stell- vertreters, die Konfirmation unter Vermittlung des Erzbischofs von Mainz. Für die letztere wurde eine neue Versammlung, von der man bisher gar nichts wusste, in dem Kurmainzischen Orte Bingen gehalten, der Zeit nach so hart an dem eben gehaltenen Mainzer Bundestag, da ss man versucht ist, sie als die blosse Fortsetzung des letzteren zu betrachten. Es liegt nun nahe, aus dieser äusseren Verschiedenheit beider Vorgänge den Grund zu erschliessen , warum überhaupt eine zweite Versammlung und eine Konfirmation des be- reits Festgestellten für nöthig erachtet wurde. Wie in Bingen der königliche Stellvertreter nicht mehr anwesend war, so hatte sich offenbar zu Mainz der Erzbischof nicht eingefunden. Das Erscheinen des Einen muss das des Andern ausgeschlossen haben. Wenn das, was Beide thun, dasselhe ist, so kam es offenbar nicht auf den In-

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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halt dieses Thuns an, sondern auf die Form unter der es geschehen sollte. Die Sache ist, dass Beide nicht zusammen handeln, weil jeder für sich handeln will, um die hervorragende Stellung des Andern nicht anzuerkennen. Waldeck kann auf sein Hecht nicht verzichten, in der Bundesversammlung als Stellvertreter des Königs zu wirken; andrerseits will der Kurfürst, als das vornehmste Mitglied der Ilerren- partei, die leitende Vermittlerrolle spielen, und manche 1 lerren mögen ihm darin zugestimmt haben. Waldeck kann für sich wesentlich auch nichts anderes beansprucht haben als diese Vermittlerrolle, diese aber jedenfalls, und deswegen erschien der Erzbischof, wohl sammt seinem Anhang, zu Mainz nicht, wo Waldeck auftrat. Da jedoch andre Herren und besonders die Städte keinen Anstoss an Waldeck nahmen, so wurde die Sache wirklich schon zu Mainz unter seiner Führung abgemacht; es wird Theil genommen haben wer hier an- wesend war; Mainz, Worms und Sj>eier besiegeln die Urkunde im Namen aller Städte (s. das Ende jenes Briefs). Man muss von da aber auch noch nach Bingen gegangen sein, um dem Erzbischof den Gefallen zu thun und ihn zu gewinnen. Da findet denn die Konfir- mation statt, wieder siegeln Mainz, Worms und Speier im Namen aller verbündeten Städte, ausserdem aber auch der Erzbischof, und wie er hier unsere städtische Urkunde mitsiegelt, so wurde es ohne Zweifel auch bei der herrischen gehalten, während Waldeck das nicht gethan hatte. Es wird eben nachträglich jedes Mittel aufge- wendet, um den Kurfürsten an erster Stelle erscheinen zu lassen. Daher sagt unsere Urkunde von Waldeck nur, dass er in Mainz anwesend war (in presencia), auch im Mainzer Abschied III 1 wird es nur so ausgedrückt (presente) '). In Bingen erst, so soll es er- scheinen, hat der Kurfürst wirksam vermittelt, niediante sagt daher unsere Urkunde von ihm, recht im Gegensatz zu dem, was sie von Waldeck zu berichten weiss. Das ist nun gewiss nicht die richtige Darstellung der Sache. Waldeck hat in Mainz sicher den Vermitt- ler gemacht. Was hätte er denn sonst thun sollen? In der That sprechen das die Städte in ihrem Brief an den König, wo sie nicht auf den Erzbischof Rücksicht zu nehmen hatten, auch offen aus: mediante nobili viro de Waldechen imperialis aule jusliciario (Böh- mer 1. c. 95). Das mediante aber bezeichnet eben den leitenden

') In dem oft erwähnten Brief an die Westfälischen Städte wird sein Name nicht genannt

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278

Weizsäcker:

Einfluss, wie in Art. 8 unsrer Urkunde mediante— rege. Der Erz- bischof hatte also in Bingen nichts mehr zu vermitteln, faktisch war ja schon in Mainz alles vermittelt worden, nur durch einen Andern. Doch der Kurfürst wollte und sollte eben als die leitende Stelle er- scheinen, und zwar er allein, und so wurde es nun in unserer Ur- kunde dargestellt für Jeden , der es glauben mochte. Thatsächlich blieb ihm in Bingen weiter nichts mehr übrig, als nachträglich mit seinem Anhang beizutreten und nur dies kann der Inhalt des Bingener Tags gewesen sein. Es kann zunächst als ein blosser Wort- und Rangstreit erscheinen. Aber es ist mehr als dies. Man erblickt hier den eifersüchtigen Erzbischof in offner Opposition gegen den königlichen Justitiar, der an Stelle des Königs auftritt. Opponirt er aber gegen des Königs Stellvertreter, so opponirt er auch gegen den König. Soviel ist deutlich an der Sache. Das auffallend dring- liche Verlangen der Städte nach der Ankunft des Königs, das sie in ihrem Brief an diesen aussprechen (Böhmer I. c. 95), hängt ge- wiss damit zusammen. Ob Gerhard etwa selbst ein Recht bean- spruchte, den abwesenden König zu vertreten, sieht man nicht. Ich habe aber schon früher*) ausgesprochen , dass die Eindrängung des Königs und seines Justitiars als richterlicher Bundesbehörde Wider- spruch gefunden zu haben scheine, und zwar gleich Anfangs im Frühjahr 1255. Das wird nun sehr angenehm bestätigt, wenn der Justitiar sogleich bei seiner ersten Anwesenheit auf einem Bundes- tag eine solche Opposition gegen seine Wirksamkeit bei dem. vor- nehmsten Fürsten des Bundes findet. Alles stimmt. Vermuthungen über weitere Zusammenhänge unterlasse ich. Der Werth unserer Urkunde tritt schon durch diese selbstverständlichen Ergebnisse in helles Licht.

Ich habe in meiner Schrift S. 74 den erwähnten Brief an die Westfälischen Städte unrichtig für einen Auszug des Mainzer Ab- schieds vom Ende Juni 1255 angeschen, da ich unsere Urkunde noch nicht kannte. Jetzt sieht man, dass jener Brief sich nur mit den Bestimmungen der Waffenruhe beschäftigt, welche in den ver- lorenen, Zwillingsurkunden des Mainzer Tags niedergelegt waren, und

') Die Stadt Mainz berichtet in dem erwähnten Brief auch gleich von der Mainzer Versammlung aus an die Westfälischen Städte den Abschluss der Waffen- ruhe als etwas völlig Fertiges und Abgemachtes.

-') Siehe meine Schrift S. 211.

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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dass es neben diesen Urkunden noch eiuen ganz selbständigen Ab- schied gab, dessen Auszug die Nr. III. meines Abdrucks ist »). Dieser Auszug hat nur zwei Artikel. Der erste davon, über die Juden- zinse, ist ihm ganz eigenthümlich. Der zweite wiederholt zwar aus den Urkunden der Waffenruhe die Aufhebung des Pfahlbürger- thuras, aber doch nur um nähere Ausführungsbestimmungen daran zu knüpfen, die in den Urkunden nicht standen. Ob und welche weitere Artikel der unverkürzte Abschied enthalten hat, ist nicht zu sagen; wahrscheinlich nicht diejenigen, welche schon in den Ur- kunden standen.

Noch eine andere Frage wird durch unsere Urkunde wie durch den erwähnten Brief beleuchtet. Man kann freilich schon ohnedies sagen, dass für das Interim bis 11. Nov. nicht etwa die Bestim- mungen der Waffenruhe an die Stelle der Bundesbestimmungen getreten sind, sondern dass auch während dieser Waffenruhe die letzteren und der Bund selbst als fortdauernd betrachtet werden. Sonst gäbe es schon von dem Mainzer Tag, Ende Juni, keinen Bun- desabschied Nr. III., und ebenso könnte im August kein Bundes- abschied Nr. IV. und im Oktober kein Bundesabschied Nr. V. er- wartet werden , die doch da sind 8). Diese Fortdauer des Bundes selbst wird nun nicht bloss in jenem Brief an die Westfälischen Städte, sondern fast ganz gleichlautend auch in unserer Urkunde ausgesprochen: item in omnibus et per omnia forma generalis pacis jurata in terra et in aquis ab universis conservabitur (der Brief setzt hinzu: medio tempore) integra et illesa. Die forma generalis pacis ist nämlich die Gründungsurkunde vom Juli 1254. Zum leich- teren Verständniss unserer Urkunde füge ich meine Beobachtungen über deren Sprachgebrauch hinzu, weil pax in ihr bald den Bund, bald die Waffenruhe bedeutet. Man muss also sorgfältig scheiden. Der Bund selbst ist in unserer Urkunde zu verstehen unter pacis federe in der Inskriptio, unter generalis pacis in der darauf folgenden Ein- leitung, unter pacem in Art. 2, unter pax in Art. 3, unter forma generalis pacis in Art. 6, unter pacis turbatores und pax in Art. 7, unter ad generalem pacem propagandam und generalis pacis propa- gationem in Art. 8, unter pacis federe in der Siegelankündigung;

') Auf S. 23 f. meiner Schrift.

*) Ich lähle die Ahschiede nach den Ziffern, mit denen ich sie in meiner Schrift edirt habe.

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I

280 Weizsäcker:

auch in pacis turbalores im Art. 7 ist das Wort pax als der Bund zu verstehen, wenn nicht im allgemeinen Sinn (Friedensstörer). Da- gegen firmam pacem et treugas und ipsam pacem et treugas in der Einleitung bedeutet die Waffenruhe. Ganz ebenso ist der Sprach- gebrauch in dem öfter angeführten Briefe bei Ennen - Eckertz 2 Nr. 353. In dem Brief der Städte an den König vom 30. Juni 1255 (Böhmer 95) ist firma pax et treuge stabiles die Waffenrulle, das pacem terre salubriter inchoatam bezeichnet den Bund. Zum Ver- ständniss dieser drei Stücke ist es wichtig, diesen Sprachgebrauch festzustellen. Der Abschied unseres Tags, in meiner Edition Nr. III, hat diese Ausdrücke gar nicht, und ausser diesen vier Stücken haben wir nichts von diesem Tag.

Busson 55 sieht ganz recht, dass die Streitigkeiten zwischen der Herrenpartei und der Städtepartei des Bundes ihren Grund hauptsächlich in dem Verhältniss der Städte zu der Bauernschaft hatten, und im Zusammenhang damit steht auch das Pfahlbürger- thum. Diese Dinge stehen auch in unserer Urkunde im Vordergrund. Ich kann sie hier nicht näher erörtern, sie wären Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Gewiss sind aber in Art. 8 unserer Urkunde unter den Anordnungen , welche bei Ankunft des Königs der von ihm eingesetzte gemischte Sechzehner-Ausschuss treffen soll, auch solche verstanden, welche von jenen Verhältnissen handeln sollten, etwa dass die vorübergehenden Bestimmungen des Interims zu blei- benden gemacht würden, mit oder ohne Veränderung. Von dieser Kommission nun hört man weiter nichts. Man kann jetzt, seit wir die neue Urkunde haben, nur sagen, dass ich nicht Recht hatte, zu meinen, die Städte hätten ihre acht Vertreter zu diesem Ausschusse selbst bezeichnen dürfen , während die acht Vertreter der Herren vom König ausgewählt wurden. Denn es heisst in unsrer Urkunde Art. 8: quibus de universis civitatibus octo similiter adjungentur; das similiter, das uns bisher fehlte, zeigt, dass die Bestellung der Ausschussmitglieder bei den Städten dieselbe war wie bei den Herren, also ebenfalls der Auswahl des Königs vorbehalten blieb. Von dieser Kommission aber verlautet also fernerhin nichts mehr. Sie wird wohl in Wirksamkeit getreten sein, aber ohne etwas zu Stande zu bringen. Die von den Städten (Böhmer 95) gewünschte Konfirmation des Bundes giebt der König zwar, bei Ablauf des Interims, feierlich am 10. Nov. 1255 zu Oppenheim (Böhmer 95 f.), aber sie enthält nichts über das Verhältniss der Städte zu der Bauernschaft und

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Zum Rheinischen Bund von 1254.

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nichts über das Pfahlbürgerthum. Jeder, heisst es, soll sein Recht be- halten. Die Frage aber war, was dieses Recht sei. Indem man das überging, verzichtete man auf die Regelung dieser Verhältnisse. Dem König war die Sache offenbar zu schwer, er mochte es mit Niemand verderben, und er konnte das wohl auch nicht; es war einfach und bequem, dass Jeder sein Recht behalten sollte. Warum man nicht einfach diejenige Regelung bleibend machte, die durch das Interim fixirt war, ist schwer zu sagen. Vielleicht, dass den Herren die Ausführungsbestimmungen über das Pfahlbürgerthum in dem Mainzer Abschied III, 2 nicht gefielen; anderes wird hinzugekommen sein. Man kann aber sagen, dass mit dem Verzicht auf die Ordnung aller dieser Verhältnisse schon allein der aus Herren und Städten zusam- mengesetzte Bund zum Untergang verurtheilt war, wenn auch sonst nichts hinzugekommen wäre.

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XIII. lieber das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg.

Von

Friedrich Hektor Graf von Hundt, qu. Ministerialrath in München.

Zu den ältesten und ehrwürdigsten Pergament- Handschriften des K. B. Reichsarchives gehört das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg in Oberbayern.

Der Inhalt desselben ward zwar zum grössten Theile schon im vorigen Jahrhunderte von dem verdienstvollen bayerischen Archivar A. F. Oefele im II. Bande seiner Scriptores rerum boicarum ver- öffentlicht, leider aber nur nach einer fehlervollen und lückenhaften Abschrift, so dass die Benülzung schwierig und mehrfach nicht un- bedenklich ist.

Das von Oefele mit der Bezeichnung antiquius vorausgestellte Chronicon ist nicht aus diesem ältesten Fundationsbuche geschöpft, wohl aber alles Uebrige, das posterius genannte Chronicon, das Necrologium, die libri traditionum und concambiorum.

Längst ist erkannt, dass die Bezeichnung der beiden Chroniken eine verkehrte, dass das posterius genannte Chronicon um zwei Jahr- hunderte früher als das angebliche antiquius verfasst ist. Die wirk- lich ältere Chronik ist nun in würdiger Weise aus dem Fundations- buche durch Wilhelm Arndt herausgegeben und in den XX. Band der Scriptores M. G. nebst der Abtreihe aufgenommen worden.

Ebenso hat das Necrologium des Fundationsbuches eine voll- ständigere Veröffentlichung als Nachtrag jener Arbeit gefunden, welche Wilhelm Scherer im LIII. Bande der Sitzungsberichte der k. k. Aka- demie in Wien (1866) über das Leben Abt Williram's von Ebersberg gegeben hat.

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lieber das Fundationsbuch des Klosters Ebereberg.

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Die Benützbarkeit dieser Theile unserer Handschrift ist dem- nach gesichert. Drei Viertheile des ConvoluLs nimmt aber das Gar- tular des Klosters ein, und dieser umfassendste Bestandteil hat noch keine genügende Bearbeitung gefunden.

Wilhelm Scherer zog zwar auch Theile des Cartulars in Be- achtung. Allein seinem Zwecke gemäss hat er hiebei nur die Beziehungen zu Abt Williram verfolgt, und seine Erörterungen er- schöpfen um so weniger, als sie auf eigene Einsicht von der Ur- schrift nicht gegründet sind. Wie leicht aber der Zustand der Libri traditionum et concambiorum bei Oefele zu Miss Verständnissen führt, hat jüngst wieder die Arbeit des Dr. Heinrich Reichau zu Magde- burg über Abt Williram (Gymnasialprogramm 1878) gezeigt. Er rühmt die Bedeutung der Paraphrase des Hohen Liedes durch Williram für die Entwicklung der deutschen Sprache, beurtheilt ihn günstiger als Scherer, glaubt aber ihm Nepotismus und Neigung zum Wohl- loben aus Stellen zur Last legen zu können, welche ganz irrig auf Williram bezogen werden.

Im XVII. Jahrhundert hat der Jesuit Adam Wiek dem Kloster Ebersberg seinen Divus Sebastianus gewidmet, zunächst die Heil- thümer, doch aber auch die Geschichte der Grafen von Ebersberg besprechend; im laufenden gab Dr. Franz Th. Paulhuber eine aus- führliche Geschichte von Ebersberg und dessen Umgebung. Das letztere Werk ist jedoch ohne Einsichtnahme von den erhaltenen Urkunden verfasst. So verdienstlich es daher auch für die Orts- geschichte sein mag, ist es von bedenklichen Missgriffen nicht frei, entbehrt überhaupt häufig kritischer Schärfe.

Zur Gewinnung besserer Grundlagen für die geschichtliche For- schung erscheint demnach eine neue Ausgabe des Cartulars als wahres Bedürfniss, welche ich so eben der historischen Classe der k. b. Akademie unterbreitet habe.

Es sei nun gestattet, auf den Inhalt des Fundationsbuches näher einzugehen.

Es sind sehr verschiedene Bestandteile, welche der am Schlüsse sich nennende Frater Andreas de Hott, wohl ein Bruder aus dem nahen Kloster Rott am Inn, mit geschickter Hand in einen Gross- folio-Band zwischen Holzdeckeln in Schweinsleder mit Messing- schliessen, wohl noch im XIV. Jahrhunderte, vereinigt hat:

I. Eine Quinterne von 10 Blättern, nun mit eigener Zählung a— k, Papst- Verzeichniss, Calendarium, Stammbäume und Reihenfolge

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Hundt:

der Kaiser und Könige, der Grafen von Ebersberg, endlich der Aebte, angeschlossen ein Blatt mit einem Index zu allem Folgenden.

II. Eine Terne, deren erste 5 Blätter die Klostergeschichte von Ebersberg füllt, während der Rest des sechsten zum Eintrag von Stiftunger» und Tauschen verwendet ist.

III. Ein Bogen Fol. 7 et 8, dessen Innerraum des Abts Rud- pert I. (1085—1115) Aufzeichnung seiner Erwerbungen in schöner Schnörkelschrift enthält. Trotz der Verbräunung der Aussenseiten durch langes Aufliegen auf des Abts Arbeitstische sind dann Vor- und Rückseite zur Einzeichnung von Rechtsgeschäften verwendet.

IV. Der Liber traditionum, die Blätter 9—25, dann wieder 32 und flg. begreifend.

V. Der Liber concambiorum, weichern von f. 26 an die nächsten in gesonderter Führung angehören, während die späteren Blätter bis zu Ende Tausche und Erwerbungen untermischt enthalten.

Vom Blatte 44 an ist die Form des Pergaments kleiner, und nochmals abweichend sind die 3 letzten Blätter die kleinsten.

Zur Beurtheilung des Alters ist ein Eingehen auf die einzelnen Bestandtheile erforderlich.

Zu IV und V. Am angemessensten erscheint, hiebei von der näheren Prüfung der dem Umfange nach weitaus grössten Bestand- theile des Liber traditionum und des vielfach in demselben in Be- zug genommenen Liber concambiorum auszugehen.

Beide Libri sind gleichzeitig angelegt. Der Gedanke hiezu ward zweifellos in Milte des XL Jahrhunderts gefasst. Die Jahrzahlen 1040 und 1045 linden sich im Texte eingeschrieben. Früheres ist nicht nach der Zeitfolge geordnet; Bischof Egilbert von Freising tritt vor Bischof Gottschalk auf. Späteres, so schon Kaiser Heinrichs III. Tod, erhält keine Jahreszahl. Mit gutem Grunde wird daher eine Anordnung des trefflichen Abtes Williram in der Anlage erkannt, welcher im Jahre 1048 die Leitung des Klosters übernahm.

Am Beginne des Gartulars wird auch die zur Anlage bewegende Ursache und der zur Erreichung des Zweckes erforderliche Inhalt angegeben. Es sollen sowohl die Güter des Klosters, als auch die Stifter und deren Verwandte genannt werden, damit nicht nur die Gebete für sie unablässig entrichtet, sondern auch die Angehörigen der Stifter und Zeugen veranlasst werden, soferne sie frommen Sinnes, zum Schutze gegen ungerechte Angriffe einzutreten. Des- halb ward die in den Urkunden aus dem X. und XI. Jahrhunderte

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üeber das Fundationsbach des Klosters Ebersberg.

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sonst vernachlässigte Bezeichnung der Familien durch Beifügung der Orte hier nachgeholt.

Treulich sind denn auch anfangs die Namen der Orte zu den Zeugen im Texte und die Todestage der Stifter am Rande, soweit die erste Anlage reicht, eingetragen.

Im Liber trad. tritt jedoch schon auf f. 15 Lässigkeit ein; der Stifter Periwich erhält nur noch ein »Requiescat in pacec ohne Todestag am Rande, f. 19 aber fehlt bei Lovf, dem im Galendarium noch als Liubolf vermerkten, selbst R. i. p., f. 22 beginnen auch die Zeugen zu mangeln. Lücken für Nachholungen zeigen, dass noch zu Abt Willirams Zeiten der Eintrag nur zeitweilig erfolgte, und in diesem durch die Glättung des 25. Blattes lange als gesondert be- standen erkennbaren Theile wird der Schirmvogt Graf Waltheri, sohin die letzte Periode Abt Willirams nicht mehr erwähnt.

Was den Liber concambiorum betrifft, so erstreckte sich die erste Anlage kaum über die beiden Blätter 26 und 27 hinaus. Schon f. 28 beginnen spätere, doch von derselben Hand vollzogene Nach- träge und noch unter Abt Williram die Neuerung, dass die Orte nicht mehr im Texte, sondern über die Namen zwischen den Zeilen geschrieben werden.

Nachdem auf der Rückseite des f. 30 schon Abt Rudpert I. (1085—1115) eingetreten, gehören zwar f. 32 und f. nochmals einem älteren Theile des Traditionsbuches an; aber bald werden Zeitab- stände bei dem Eintrage wahrnehmbar, Tausche und Stiftungen untermischt verzeichnet, und mit wenigen Nachholungen wird die Einzeichnung über ein Jahrhundert bis in die Zeit Abt Wirnto's (1202) fortgesetzt.

Haben wir bezüglich des Ilaupttheiles, IV und V, festgestellt, dass er in Mitte des XI. Jahrhunderts entstanden und bis zu Ende des XII. fortgeführt worden ist, so ergiebt sich zugleich hinsichtlich der Erwerbungen und Tausche, welche den Theilen II und III an- gefügt sind, dass sie sich als Nachholungen oder Nachträge von der Zeit Abt Rudpert's I. an darstellen werden.

Zu I. Ganz unabhängig von diesen Theilen ist die erste Quinterne.

Sie beginnt mit einem Pabstverzeichnisse, welches 3 Spalten der Vor- und eine der sonst leeren Rückseiten des ersten Blattes einnimmt. Dasselbe, durch einige liturgische Bemerkungen interessant, reicht mit rother Paraphirung bis auf Formosus, 891. Nachdem

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28G

Hundt:

schon der drittletzte vorher, Basilius, nicht im römischen Staats- calender enthalten, folgen von den dort gegebenen 6 Pabstnamen bis 900 nur 3: Johannes, Stephanus und Benedictus (IV), während nochmals als vorletzter ein, jenem Staatscalender fremder, zweiter Marinus eingeschaltet wird.

Schliesst hienach das dem Calendarium vorgesetzte Pabstver- zeichniss mit dem Jahre 900, so geht das auf der Rückseite des achten Blattes folgende Kaiserverzeichniss bis zu Heinricus Dux Baioariorum, postea Imperator, sohin über das Jahr 1000 hinaus; die Urschrift aber des auf dem letzten Blatte anschliessenden, später fortgesetzten Abtverzeichnisses endet mit Abt Williram, welcher von 1048 bis 1085 regierte. Endlich ward eine Lücke nach dem Calen- darium vor den Kaiser- und Grafen-Familien um 1120—25 benützt, um die Vorladung des abgesetzten Abtes Haertwich durch den Cardinal Gerhard in schöner Schrift einzutragen. (Bei Scherer S. 229 N. 2 abgedruckt.)

Die Zeit der Benutzung des Calendars zum Eintrage des Ab- lebens ist insoferne nicht schwierig zu umgranzen, als nach Abt Willirams Tode niemand mehr, selbst weder der freigebige Schirm- vogt Graf Waltheri, noch Abt Rudpert Aufnahme fand. Zweifellos ist ferner aus der Gleichheit der Schrift erkennbar, dass die Mehr- zahl der vorhandenen Einträge, welche die Familie der Stifter, die Schenker und die vorgängigen Aebte, auch noch die Schirmvögte Rudpert von Sliwisheim und Gerolt von Eberaha begreift, auf eine Anordnung zurückzuführen ist. Diese schöne, ganz kleine Schrift ward um so zuverlässiger unter Abt Williram vollzogen, als die Be- zeichnung Kaiser Heinrich III. als secundus sich gleichmässig hier wie bei dem Liber concambiorum findet (II. 74). Abweichend ist dagegen die Einzeichnung der früheren Hunfrid und Guntheri, auch Meginpold's, und des Erzbischofs Friedrich von Salzburg, selbst noch jene der 1045 verstorbenen Gräfin Richlinde. Sie mögen daher schon früher eingetragen sein, während nur sehr wenige Nachträget wie die des Herzogs Wolfhard (f 1055), stattfanden.

Dem Haupttheile nach fanden sohin die Einträge in das Calen- darium erst in Mitte des XI. Jahrhunderts statt, und hörten um 1090 gänzlich auf.

Zu II. Bezüglich des wichtigen zweiten Bestandteiles , der Historia oder des Chronicon Eberspergense, ergiebt die Einsicht als- bald, dass die erste der auf den leergebliebencn anderthalb Seiten

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lieber das Fundationsbucb des Klosters Ebersberg.

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eingetragenen Stiftungen aus der früheren Zeit Abt Rudpert's I. her- rührt. Denn in Graf Gebehard und Gräfin Rihkard mit Sohn Engil- pert ist die Familie der späteren Hallgrafen mit hoher Wahrschein- lichkeit zu erkennen : der junge Engilpert ist der Stifter des Klosters Attel, der Graf von Wasserburg. Aber die Benützung des hier vor- findlichen Raumes erfolgte so sparsam, dass schon auf der Rück- seite des Blattes in den nächsten dieser von Oefele an die Spitze des Liber traditionum gestellten Stiftungen die Zeit Pfalzgraf Fried- richs, etwa 1160, erreicht wird.

Erhebliche Bestätigung erhält hiedurch die in den M. G. ver- tretene Meinung, welche die Abfassung der Historia in die Zeit des Vorgängers Abt Rudperts I., des Abtes Williram setzt. Wir glauben, dass noch weiter gegangen werden darf. Nachdem nun das un- zweifelhaft von Abt Williram begonnene Cartular in seiner ursprüng- lichen Gestalt erkannt und wieder hergestellt ist, treten, wie in der Einleitung zur neuen Ausgabe näher dargelegt wird, innere Gründe hervor, welche zu dem Schlüsse berechtigen, dass der Anfang des Cartulars und das Ghronicon denselben Verfasser haben, der Fertig- steller des Chronicon, wie es hier vorliegt, niemand anderer als Abt Williram ist.

Zu III. Es bleibt noch der Bogen des Abts Rudpert I. zu be- rühren. Hier zeigt nun fast jedes eingetragene Rechtsgeschäft andere Schrift oder doch Tintenwechsel. Vorseite und dritte Seite zeigen noch Einträge in der Schnörkelschrifl des Hauptvortrags. Die erste Stiftung ist bald nach Rudpert's Tode erfolgt; Nachholungen aus früherer Zeit finden statt; aber noch der letzte Eintrag auf dritter Seite hat Beziehungen zu Abt Rudpert, indem er seine Schwester Chuniza und deren Sohn Udalrich betrifft, so dass wir am Schlüsse der vierten Seite in der letzten Stiftung den für eines Rudpert's Seelenruhe stiftenden Ritter Udalrich wieder als den Neffen des Abtes Rudpert mit Verlässigkeit zu erkennen vermögen.

Unter solchen Verhältnissen ist die Zeit der einzelnen verzeich- neten Vorgänge nur unter steter Einsicht der Handsdirift entsprechend zu bemessen. Erleichtert wird aber die Bekanntgabe für die For- schung dadurch, dass alsbald nach der Uebergabe von Ebersberg an den Jesuiten- Orden einer der Väter, P. Völk, wie er selbst bei- fügt im J. 1597, einen Index in librum fundationis verfasste, und zu dem Ende die ganze Handschrift von der Stiflungs-Geschichte an am Rande mit rothen, von 1 326 laufenden arabischen Nummern

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Hundt:

versah, welche sich anfangs auf alle genannten Orte beziehen, später aber mit den einzelnen Erwerbungen zusammenfallen.

Indem dieser die Stelle in der Handschrift bezeichnenden ara- bischen Ziffer die römische Zahl des Abdruckes bei Oefele zur Seite gestellt, und die nach den erörterten Daten unter Beachtung der Zeugen sich ergebende Zeit beibemerkt wird, lässt sich eine Uebersicht gewinnen, welche der Specialforschung erwünscht sein dürfte.

Nicht erwähnt haben wir bisher die auf der letzten Seite des Fundationsbuches befindliche Abschrift des Einberufungsschreibens nach Rom, welches an Erzbischof C. (Conrad) von Salzburg Pabst Alexander III. aus dem Lateran am III. K. Junii durch Subdiacon Gregor (zwischen 1178 und 1181) überbringen Hess; ferner kleine Einschiebungen unten und zwischen Traditionen auf den letzten Blättern, Kloster-Zinsleute betreffend und der spätesten Zeit ange- hörend, ja ein Paar wohl über das erste Viertel des XIII. Jahr- hunderts herabreichend.

Als Schlussergebniss darf daher ausgesprochen werden, dass das Fundationsbuch von Ebersberg in den Haupttheilen um die Mitte des XI. Jahrhunderts begonnen und zu Ende des XII. abgeschlossen worden ist.

Ueber die Bedeutung des Cartulars in den verschiedensten Rich- tungen erlauben wir uns Folgendes unter Hinweisung auf die be- treffende Ziffer in den drei Büchern der neuen Ausgabe, soweit das Register das Nöthige nicht bietet, zu bemerken.

Zur Verfolgung der Entwickelung der deutschen Sprache in ihren Umbildungen können, da die Handschrift nur Latein giebt, ausschliesslich die Namen in Betracht kommen.

Die Schöpfung der Rufnamen nach ältester Sitte aus zwei be- deutungsvollen Theilen dauert gegen die gewöhnliche Annahme nach Einbürgerung des Christenthums über die Mitte des X. Jahrhunderts fort. Dess ist der Edle Huninger von Haga, dem nahen Markte Haag, Zeuge, welcher um 970—980 zu Ebersberg, in dessen Gräben nach der grossen Schlacht auf dem Lechfelde so viele Hunnen verbluteten, mit seinen Söhnen Huninwe, Huninflor, Huninleit und Hunintot er- scheint. Leid, Weh, Tod und Klage (Flarren, Flehnen, Weinen) der Hunnen werden so verkörpert. Man fühlt sich in die Zeit versetzt, wo der Nibelungen Noth und Chriemhildens Klage dichterischen Ausdruck fanden , und begreift , wie der Sänger im Süddonaulande zunächst

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lieber das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg.

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gesucht wird. Noch in Mitte des XI. Jahrhunderts sind die volleren Formen der Namen üblich, die Abstossung der einen der sinnvollen Sylben nicht allgemein. Herzog Weif (V. von Kärnten) heisst hier noch Welfhard.

Die Ortsnamen treten da noch in ihrer Ursprünglichkeit auf, finden aber dann allmählig Umbildung.

Dass das Cartular erst um die Mitte des XI. Jahrhunderts ge- schrieben ward , zeigt der Name des Bischofssitzes , stets Frisinga, während noch die Urkunde von 1020 Frigisinga gibt. Aus dem X. Jahrhunderte liegen aber Niurutingin vor, Neugereute, das zu Ncuharding wird, Ongoltingen, bald Orongoltigin, noch im XII. Jahr- hunderte durch Hinzutritt des »Zu« Zorongoltingon, jetzt Zorneding.

Man kann die Umbildung der Namen häufig an der Hand von Urkunden und Karten durch die Jahrhunderte verfolgen. Umlaut und Verkürzung, wodurch das Verständniss verloren geht, wirken ein; aus dem Munde des Volks wird dann von mindergebildeten stammfremden Organen der Wortlaut falsch erfasst. So tritt manch- mal Verballhornung ein, ebenso oft von Schreibern und Feldmessern, als vom Volke verschuldet.

Alinpah, urkundlich 1252 Niderälnbach , bei Appian Niderel- bach und so in den späteren Kartenwerken, gestaltet sich im XIX. Jahrhunderte zu Niedereulenbach.

Herrantcscadme wird bald Ernstgaden, Ellencophon, schliesslich Oelkofen, Ellenpoldesperc dagegen Ingelsberg, Aragarton Arget.

PefTenhusen verstärkt sich erst im XVIII. Jahrhunderte zu Pfeffenhausen, Tandorf wird sogar erst im XIX. zu Thondorf.

Besonderes Interesse gewährt Trasivilcingin in der Mark Chambe, in der Urkunde von 1058 Trasinvilcingon. Der Ort wird von Appian Gr. (Gross?) Vilzing gegeben, und tritt dann in die Register zu Fink und Widmer als Vilzing über; nun aber heisst es Grasfilzing, zweifelhaft lassend, ob die älteste oder die jüngste Auffassung irrig.

Im XII. Jahrhunderte beginnen früh, schon um 1100, die Zu- namen. Wie in den Freisinger Urkunden, bestätigt sich auch hier, dass sie zuerst bei Gleichnamigen erscheinen (Gnanno, Lafger und Scerigo). Als sie gewöhnlicher werden, nennt man die Ministerialen bald mit diesen Zunamen, wie hier Fridcricus Stir und Taurus, Otto und Sifrid Kopf oder Cyphi, hier Ciphi, bald nach ihren Be- sitzungen z. B. Heinricus Holzenare, bald wieder nach der Burg, deren Schutz ihnen anvertraut ist, wie anderwärts die Dachauer, hier die

Archlv»ltacho Zeitschrift. IV. J9

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Kelheimer Ulrich und Liutolt, oder nach dem Orte, wo sie als Richter wirken, z. B. Ulricus und Adalbero Chranz in Falkenberg, vgl. M. B. VIII 413. 438. 453. IX 466. 482. Gegen Ende des Jahrhunderts treten dann schon die bekannten Beamten-Categorien auf: Hofmeister, Forstmeister u. s. w. Rudolf der Harpfare, der Harfner, den wir im Gefolge des zweimal ins gelobte Land pilgernden Pfalzgrafen Friedrich treffen, gehört gleichfalls hieher und leitet uns zur cultur- geschichtlichen Bedeutung der Aufzeichnungen.

Der kräftigeren Natur und rauheren Sitte unserer Ahnen sagt noch ein weit herberes Getränk zu. Die Zweifel über das viele Weinland in Bayern zu jenen Zeiten , das versuchte Hereinziehen von Krautland, von Wun und Weide u. dgl. müssen verschwinden bei der Wahrnehmung, dass der Ritter Ileriman von Gaminolves- dorf, dem später berühmten Gamelsdorf, sich ein jährliches Fuder Weines von den nahen Hängen nördlich der Isar bei Tandorf aus- bedingt, wo längst nicht mehr an Weinbau gedacht wird (I. 122). Doch würdigen die Mönche schon die Güte des süssen Tirolers um Bötzen, wo sie ihren Besitz zu mehren bestrebt sind, während sie den in Oesterreich noch im XII. Jahrhunderte aufgeben (Metr. Salisb. II. 275).

Wie Bischof Gottschalk's von Freising Wirken zeigt, bedürfen am Ende des X. Jahrhunderts die Pfarreien noch vielfach der Ab- gränzung; Errichtung von Kirchen beschäftigt noch sehr; bei Schen- kungen wird den Klöstern dessfalls Auflage gemacht. Abt Williram übernimmt auch sonst wohl deren Bau, da ihm Werkleute zu Ge- bote stehen, wie denn weiter die Bedeutung seines Klosters für die Wissenschaft durch Ueber nähme der Lieferung von Büchern bezeich- net wird. Den Weltgeistlichen ist die Ehe noch gestattet; es treten der Priester Perhtcoz mit der Priesterin Liutburg, der Priester Gun- duni, Hauscaplan des letzten Grafen zu Ebersberg, auf, welcher die Edle Hilligund aus reicher Familie heimführt.

Wie allmählig Maass und Gewicht Verringerung erfahren, wird aus der Bestimmung ersichtlich, wonach das Habermaass, Gegengabe des Holzbezuges ans dem Forst, schon ein grösseres ist, als das sonst übliche (I. 43).

Wie die Sitte erhält das Rechtslcben manche Beleuchtung.

Noch in Mitte des XI. Jahrhunderts ist den an ihrem Rechte festhaltenden Bayern der deutsche König der Rex Francorum, wie er zu Willirams Zeiten im Cartular stets heisst. Es wird Eingreifen

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Ueber das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg.

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der regalis potentia und des jus gentium besorgt (I. 60). In Folge der immer geübten Erbtheilungen und der Ausstattung der Töchter mit Gütern treffen wir allenthalben Herrensitze über das Land ver- breitet. Wie zahlreich die Dörfer, Weiler und Einöden sind, nach welchen Edle und Ministeriale genannt werden, mag im Beispiele der Pfarrsprengel von Steinhöring zeigen, dessen Hauptort der Grafschaft den Namen gab, als Kloster Ebersberg Bestätigung erhielt. In dieser Pfarrei sitzen thcils Edle, theils Ministerialen, zu Eicha, Aich, Ascowa, Aschau, Perga Berg, Dietramigen Dietmering, Hohenperc Höhenberg, Chraizze Krais, Luterpach Lauterbach, Lohen Lochen, Tetilingen Thailing, Willingon Welling, Zeizingin Zaissing, und ist wohl auch Huncinesperc in Hindsberg zu suchen. So wird erklärlich , dass Brüder häufig verschiedene Namen führen, was die Feststellung der Genealogien erschwert. Hinwieder ist natürliche Folge, dass Fami- lien oft sehr entlegene Güter haben, welche dann am liebsten zu Stiftungen verwendet werden.

Die bayerische Sitte, die Zeugen von Rechtsgeschäften am Ohre zu ziehen, gilt noch; ebenso der uralte Gebrauch, den Ab- schluss längerer Verhandlungen mit einem Male zu besiegeln (I. 134). Die Besitzergreifung wird nach dem Geschäfts - Abschlüsse ge- sondert vollzogen ; triduana possessio ist dessfalls noch üblich. Rus salicum, salica opera, auf Herrenland, finden sich. Der nobilis vir, homo liber, ingenuus, wozu auch der Graf, Comes, Praeses, zählt, werden in wechselndem Ausdrucke sorgsam von dem Ministerialis geschieden, welchem erst der Parschalcus, hier auch Parservus genannt (III. Iß), dann das Mancipium folgt; auch Romani proseliti (I. 108), zugewanderte Romanen, sonst aber keine Walchen, treten auf.

Zu den seltener erwähnten symbolischen Handlungen gehört es, wenn erzählt wird, wie Freye ihr Haupt auf St. Sebastian's Altar legen, um als Zinsleute des Klosters es wieder zu erheben. Wie Scherer im Leben Williram's geahnt (S. 218), findet sich der Vorgang im Gartular (ID. 9). Ganze Familien übergeben sich so, um in die bessere Lage der Kirchenleute zu kommen, die Rechte der Ministe- rialen zu erhalten, und mit Grundbesitz versorgt zu werden. Wohl zu gleichem Zwecke wurden Hörige losgekauft und in Klosterzins- leute umgewandelt. Sie können Grundbesitz erwerben, aber nicht übertragen. Ziehen sie ab, oder sterben sie, so beerbt sie der Heilige. Von den Zinsleuten aber fliesst die Rente in verschiedene Kassen,

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292 Hundt: Ueber das Fundationsbuch des Klosters Ebersberg.

je nachdem sie von männlichen oder von weiblichen Zinsleuten an- fallt (ni. 78).

Es wird ferner ein sonst nicht überlieferter, aber vielfach in Urkunden erkennbarer Rechtssatz mitgetheilt: jeder Tausch kirch- licher Güter von mehr als 5 Mansen, Höfen, bedarf der Bestätigung des Königs. Zugleich wird der Mangel der Zeugen in den könig- lichen Urkunden jener Zeit erläutert: bei Tausch und letzt willigen Bestimmungen bedürfe die königliche Gewalt der Zeugen nicht (II. 7).

Das Cartular mag daher mit gutem Grunde zur Kräftigung der Behauptung dienen, dass im XI. Jahrhunderte das bajoarische Gesetz, durch Capitularien fortgebildet, noch in Geltung war. Oefele's Aus- gabe wirkt bei mehreren der einschlägigen Sätze störend ein. Ein neuer treuer Abdruck dürfte sohin als hoch erwünscht und einem Bedürfnisse genügend erkannt werden.

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XIV. Geschichtliches über Tinte und sonstige Schreib- bedürfnisse in Bayern.

Von

Dr. Ludwig Rockinger, Universitätsprofessor und geh. Haus- und Staatsarchivar in München.

I. Allgemeines.

Im ersten Bande dieser Zeitschrift ist von S. 249—275 den Schreibstoffen, welche in Bayern von früher Zeit an bis in die Gegenwart Im Gebrauche gestanden, eine Betrachtung gewidmet.

Es ist nicht nölhig, besonders zu bemerken, dass zur Her- stellung der Schrifterzeugnisse auf den einzelnen, welche dort vor- geführt worden sind, weder die gleichen Geräthean wend- bar noch auch sonst die gleichen Bedürfnisse erfor- derlich waren, sondern dass diese Dinge sich eben je nach dem Schreibstoffe änderten. Auf den Wachstafeln konnte man sich ebensowenig der Tinte und der Feder bedienen, als man für Per- gament oder Papier den Metallgriffel zum Schreiben geeignet finden mochte. Es wird auch Niemand etwas Auffallendes darin erkennen, wenn man für die Schrift auf dem Pergamente häufig eine kräftigere Tinte anwendete als für die auf dem Papiere. Und freut man sich heutzutage noch mit Recht der Haltbarkeit der dunkelbraunen und der schwarzen Tinte, welche uns in den Urkunden und Büchern längst dahin geschwundener Jahrhunderte entgegentritt, bewundert man die Frische und den Glanz der rothen oder der sonst farbigen

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294 Rockinger :

Tinte, wie auch überhaupt der Farben, welche uns in grösserem oder kleinerem Umfange in den alten Schriftwerken zur Stunde noch begegnen, so liegt doch die Frage nach der Bereitung der Mittel nahe, welche mit solchem Erfolge angewendet wurden. War ja beispielsweise nur die Herstellung der gewöhnlichen Tinte eine höclist mannigfache, nicht blos den Bestandtheilen nach, welche man dazu nahm, sondern auch je nachdem sie auf kaltem oder warmem Wege erfolgte, je nachdem man Wein hiezu verwendete oder nicht. Ge- rade die sorgfaltige Beachtung des Umstandes aber, wie früher die Tinte bereitet worden ist, darf nicht etwa als eine nur müssige Liebhaberei oder als eine nur antiquarische Spielerei betrachtet werden, denn es handelt sich bei der Anwendung von Reagentien zur Auffrischung verblichener Tinte, sei es mehr mineralischer, sei es mehr vegetabilischer, eben sehr darum, dass das richtige Mittel zu dem Behufe gewählt werde, damit nicht die Urkunde oder die Handschrift, an welcher diese Operation ohne die erforderliche Berück- sichtigung der jeweiligen Bestandteile ihrer Tinte vorgenommen wird, hiedurch theilweise oder auch ganz zu Grunde gerichtet werde. Verschiedene andere Dinge kommen ausserdem in Betracht. Ueber eine grosse Anzahl von daher einschlagenden Fragen aber bietet die trefflichste Auskunft ein um das Jahr 1500 im Benedictinerstifle Tegernsee von da und dort her angelegter Sammclband, der Liber illuministarius pro fundamentis auri et coloribus ac consimilibus, nunmehr Cod. germ. 821 der Staatsbibliothek, ein ganz unschätz- bares fleceptbueh auch namentlich auf dem Gebiete des Schrifl- wesens, welches im höchsten Grade Würdigung auch in weiteren Kreisen verdient.

So dürfte es sich wohl rechtfertigen, wenn nunmehr jener Betrachtung über die Schreibstoffe in Bayern sich eine über die vorzüglichsten Schreibbedürfnisse, welche in Bayern befriedigt werden mussten, anschliesst, und zwar wieder auf der Grundlage eines Theiles des Vortrages in der historischen CJasse der Akademie der Wissenschaften vom 31. Jänner 1872 *) >zum bayerischen Schriftwesen im Mittelalter« mit einigen über diesen Zeitraum da und dort hinausreichenden Erweiterungen.

l) Abgedruckt in deren Abhandlungen, Band XII, Abtheil. 1, S. 25- 50.

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Geschichtliches Ober Tinte und sonstige Schreibbedürfnisse in Bayern. 295

II. Vorbereitungsarbeiten.

Was zunächst die Zubereitung insbesondere des Per- gamentes bis zu dem Grade anlangt wie desselben der Schreiber für die wirkliche Verwendung zu Urkunden und Handschriften benöthigt war, die erforderliche Reinigung der noch nicht vollkommen fein hergerichteten Haut, ihre Glättung mit Bimsstein, die Bearbeitung mit Kreide, die Verklebung oder auch Zusammennähung der Risse und Löcher insoferne nicht über selbe ohne weiteres herumgeschrieben werden wollte, und dergleichen mehr, erforderten diese Dinge theil- weise grosse Sorgfalt und ganz ausserordentliche Aufmerksamkeit. Nur wenige Bemerkungen mögen in dieser Hinsicht hier *) Platz finden.

Gewiss Jedermann sind schon Schrifterzeugnisse in die Hand gekommen, bei welchen die Tinte, sei es auf dem Pergamente, sei es auf dem Papiere mehr oder minder geflossen. Bei der gehörigen Rücksichtnahme musste das vermieden werden können. So enthält auch der erwähnte Liber illuministarius aus Tegernsee mehrere Mittel, welche in der Beziehung gute Dienste leisten konnten. Auf Fol. 30 lesen wir unter der Ueberschrift »Puluis vemisy« Folgendes: Wildu machen ain pulfer so mans auf papir oder auf pergamen tut das es nit zerfliesz vnd dy geschrifl sauber darauf stet, so nym mastix j lot oder als vil du wild, vnd reib den auf ainem stain das er klain werd, vnd see dann das puluer auf das papir, so (leuszt es nit. Oder nym gassenferind, id est glassam vniuersy, vnd stosz das in ainem mörser das es klain werd. So nym es aus dem mörser in ain sauber püchsen oder in ain papir, vnd slach oben ain leinein tüch darüber, vnd see es auf ain papir oder pergamen so dir sein not sey. Auf Fol. 161' sodann begegnet uns unter der Ueberschrift > contra Husum j)ergameni« diese Anweisung: Recipe sulphur, vnd [reib] das pirmet dar mit pis es erwärmet vnd hei wird : so credir *) es darnach, vnd schreib dann,

') Vgl. Wattenbach das Schriftwesen im Mittelalter (zweite Auflage), S. 170— 177- *) In dieser Beziehung heisst es unter der Ueberschrift: »Credir stain machenc eliendaselbst : Recipe lapide|m] inarmoris album, et contere optime. Postea säe durch ain tuechel, vnd nun ayr clar, vnd ruers wol. Und knit das stupp dar ein das vest wer als ain taig. Darnach derr es an der sunneu das es hardt wer als ain stain. Da mit credir.

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Hockinger:

so gesteet die geschrifl. Oder nim agstain, vnd es darmit reib pis es erwärmet: darnach credirs. Oder nim von dem leib swais, vnd bestreich das pirmet, vnd darnach credirs.

Nicht minder kennen wir eben dorther den Leim, welcher abgesehen von anderem insbesondere auch für Pergament an- gewendet wurde. Unter der Ueberschrift »De visco optimo consoli- datiuoc oder »Viscus optime consolidatiuus pergameni fracti« lesen wir auf Fol. 33' wie folgt : Recipe pellem eam que est in ventre piscis <jui dicitur stockvisch theutonice, et coque illam pellem in ciromello quasi per duas horas. Post extrahas, et desicces, et vsui serues. Cumque hoc visco operare volueris, ipsum mastica inter dentes usque mollis sit, et madefac eo pergamenum quod vis con- solidare, et iunge simul partes madefactas. Et cum siccatum fuerit, erit fortiter vnitum. Hieran reiht sich sogleich unter der Ueber- schrift »De visco pro pergameno« folgende Anweisung zu einem Viscus optime consolidativus pergameni vel alterius pellis cum ligno. Recipe farinam frumcnti 1), et misce cum ceruisia usque sit totuni tenue. Post coque totum in olla usque sit spissum. Post cxtrahe et vsui reserua. Daran schliesst sich endlich noch eine weitere Art: Recipe fragmenta pergameni uel etiam corei illa que habent cirothecary, pone in olla, et appone aquam superstantem Sha' digitis. Coque totum quousque medietas aque sit consumpta. Et totatn aquam que remanct effunde ad vas aliud. Et permitte per noctem refrigerari. Et erit in crastino totum coagulatum. Diuide in paruas porciones, et sicca ad vmbram. Cum velis eo operari, pone ad aquam donec mollificetur. Deinde pone ipsum in vase terreo cum modico aque, et liquefac ad ignem.

Es versteht sich von selbst , dass der grössere Theil dieser wie der übrigen Dinge, wovon oben S. 295 im Eingange die Rede gewesen, nicht regelmässig dem Schreiber der Urkunde oder des Buches zufiel. Mehr als Ausnahme ist es zu betrachten, wenn wir von Godehart, der 1022 Bischof von Hildesheim wurde, durch seinen Biographen Wolfher *) vernehmen , dass er als Knabe in Niederaltach eine grosse Bibel oder Bibliotheca nicht nur ge- schrieben, sondern hiezu aus Demuth auch propriis manibus perga- menum ac cetera necessaria claborando ordinavit. Für den uner-

*) In der Handschrift steht: farinam et frumenti. *) Monum. Germ, hist Scriptorum tom. XI, S. 172.

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Geschichtliches Ober Tinte und sonstige Schreibbedfirfnisse in Bayern. 297

müdlichen Schottenmönch Marian zu Regensburg dagegen bereiteten, während er schrieb, seine Klosterbrüder das Pergament. Ueber Konrad von Scheiern wieder entnehmen wir der aus dem Jahre 1241 stammenden Aufzeichnung der von ihm gefertigten und gezierten Handschriften1) Folgendes: Ut opus non impediretur sed cresceret et compleretur, dum nihil sibi sumptuum de publico daretur, ipse quae necessaria erant ita undecumque contulit : quippe solus labora- vit, solus comparavit sine omni emolumento et auxilio, ut nemo gravaretur.

III. Linienziehung.

Das Pergament sowohl wie auch seinerzeit das Papier wurde, damit wenigstens in der Regel der Text der Urkunden wie Hand- schriften nicht das Bild von Berg und Thal darbot, sondern damit sie so viel als möglich in geraden Linien gefertigt werden mochten, zunächst durch den Zirkel am Rande mit Stichen für die Abschnittslinien wie für die Zeilen selbst, und dann entweder einfach ohne oder später mit Blei und Farbe mit den betreffenden Linien mehr oder weniger sichtbar nach dem Lineal versehen.

Als ein Beispiel, wie manchmal in bequemster Weise eine Hand- schrift den grössten Theil der dahin einschlagenden Arbeit *) ver- anschaulicht, mag der Liber praedialis der freisingischen Hofmark Lack wie anderer freisingischer Besitzungen in Oesterreich aus den Jahren 1291 bis 1308 dienen. Er ist zwar von mehreren Händen gefertigt, aber offenbar war von Anfang an der Gedanke hiebei massgebend, dass die einzelnen Theile zu einem auch äusserlich voll- kommen zusammenpassenden Buche gebunden werden konnten. Dess- halb sind die Einfassungslinien für die zwei Spalten jeder Seite des Pergamentes durch das gesammte Werk in ganz und gar gleicher Entfernung gezogen. Wenn es sich dagegen bei der Zahl der Zeilen auf den einzelnen Seiten zuweilen trifft, wie insbesondere bei dem zweiten auf die Hofmark Lack folgenden Stücke, dass eine solche mehr erscheint als sonst, so ändert das für das Ganze nichts, indem diese eine Zeile bei dem ziemlich bedeutenden unteren Rande der Handschrift eigentlich gar nicht in Betracht kommt. Diese Zeilen

') Ebendort Scriptorum tom. XVII S. 623 und 024- ■) Vgl. Watten- bach a. a. O. S. 178-182.

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298

Rockinger:

selbst nun, deren Zirkelstiche am äusseren Rande wie die der senkrechten Spaltenlinien je am oberen und unteren der einzelnen Blätter zum grössten Theile nicht weggeschnitten, sondern fast durch- gehends ganz erhalten sind, erscheinen theilweise nur fein aber scharf in das Pergament geritzt, theilweise mit bald dunklerer, bald hellerer schwarzbrauner oder brauner Tinte gezogen, theilweise auch auf einzelnen Seiten oder auch nur Spalten gar nicht besonders ange- merkt, auf welchen sie indessen beim Schreiben selbst von der an- deren durchschimmerten oder erst später für den allenfallsigen wirk- lichen Gebrauch hineingemacht werden sollten. Die nähere Besich- tigung des Ganzen zeigt zur Genüge, wie zuweilen das Lineal aus- geglitten, und hiedurch das Instrument für den Zug der Zeilen regellos herumgeirrt ist, so dass diese selbst manchmal enger und weiter geworden, manchmal auch krumm erscheinen.

Mochte hier und dort bei den Köpfen und Füssen der Buch- staben, welche zwischen diese Linien zu stehen kamen, ein Fliessen der Tinte eintreten, wenn sie in die Linien selbst geriethen, so er- griff man manchmal bei Rollen wie bei Urkunden, welche ja in der Regel nur auf einer Seite beschrieben wurden, den Ausweg, dass man das Pergament auf der nicht zu beschreibenden Seite ritzte. So sind beispielsweise die Linien des in den Monum. boic. VII S. 1—17 abgedruckten ungefähr um das Jahr 1070 gefertigten Rotulus historicus von Benedictbeuren auf der Rückseite geritzt. Nicht minder ist die Urkunde des Abtes Eberhard von s. Emmeram, von 1201—1216, dass der frühere Prior Albero labore proprio et aliquorum fidelium auxilio uineas tres in Swabelwis runcauit und sellx; dann an das Reichsstift gab, auf der Rückseite linirt, auf der anderen Seite, auf welcher übrigens die Linien genau zu sehen, geschrieben.

Was in dieser Beziehung früher die Menschenhand für jedes einzelne Blatt oder auch auf jede einzelne Seite des Pergamentes wie des Papieres thun musste, das besorgt in unseren Zeiten wenigstens beim Papiere ohne Mühe gleich für grosse Massen die Maschine. Man denke nur an die blau und roth linirten Schreibhefte unserer Jugend oder an die im verschiedenartigsten Formale vorhandenen Ein- schreibe- und Rechnungsbücher, oder an die mit schwarzen Noten- linien versehenen Musikbogen. Ja gehen wir noch einen Schritt weiter, so erhält jetzt auch insbesondere das Briefpapier sogleich auf der Form, von welcher es in seiner besonderen Gestalt hervorgeht,

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Geschichtliches üher Tinte und sonstige Scbreihbedürfnisse in Bayern. 299

wie die Wasserzeichen, so in der für den Zweck des Schreibens er- forderlichen Sichtlichkeit die Linien, sei es wagrecht, sei es wag- recht und senkrecht gewissermassen gitterartig.

IV. Gewöhnliche Tinte.

Wie sehr zum Schreiben selbst gute Tinte *) gesucht war, beweist ein Brief worin ein Freund an den bekannten Meister Wernher von Tegernsee a) schreibt : audivi apud vos haben incaustum : pro quo rogate dominos ut ex parte sua quisque aliquid mihi transmittat. Auch der Vers in dem gleichfalls aus Tegernsee stammenden Cod. lat. 14738 der Staatsbibliothek Fol. 87':

Incaustum dum penna probat, simul ipsa probatur, mag hier seine Stelle finden.

An verschiedenen Anweisungen zur Bereitung der Tinte aus früherer wie insbesondere späterer Zeit s) ist kein Mangel. Welche Zahl bietet nur die sozusagen unerschöpfliche Fundgrube, der schon mehrfach erwähnte wieder in Tegernsee von da und dort her angelegte Liber illuministarius pro fundamentis auri et coloribus ac consimilibus , nunmehr Cod. germ. 821 der Staatsbibliothek! Eine Hauptrolle hiebei spielen Galläpfel, Vitriol, Gummi. In einem Rech- nungsbuche von Aldersbach sind im Jahre 1464 als Specics incausti namhaft gemacht: Galläpfel, Vitriol, Zinnober. In einem vom Jahre 1467 ausser diesen Bestandtheilen noch Grünspat. Zur ersteren Aufzeichnung findet sich auch insbesondere eine Anführung von Gummi.

Es möchte sich verlohnen, aus dem berührten Sammelbande Einiges mitzutheilen, was hieher Bezug hat.

Sehr einfach ist die Angabe auf Fol. 99' für Tinte zu Pergament und zu Papier. Für erstere : Recipe zu ainer achterin viij lot galles, iiij lot gumi, vj lot vitrioli. Für die zweite: Recipe vj lot galles, iiij lot vitrioli, iij lot gumi zu ainer achterin.

Aehnlich finden wir auf Fol. 215' : Recipe iij masz vini, viij [lot] galles, vj lot vitriel, vnd iij lot gumi.

') Vgl. Wattenbach a. a. O. S. 193- 201. - ») Günthner's Geschichte der literarischen Anstalten in Bayern, I, S. 239/240, Note 2. *) Vgl. beispiels- weise nur Mone's lateinische und griechische Messen aus dem 2. 6. Jahr- hunderte S. 164/105, oder den Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, 1871, Sp. 374/375. 1877, Sp. 84.

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Rockinger:

Die Augustiner oder fratres Heremitae zu München mischten diese Bestandteile nach Fol. 96' auf folgende Weise: Integra sit galle, media sit vncia gumi, Vitrioli quarta. Apponas octo falernj.

Genauer sprechen sich wieder auf Fol. 215' zwei Aufzeichnungen aus. Die erstere lautet: Recipe zu ainer masz iij lot galles, ij lot gumi, iij lot vitriel. thue das galles vnd vitriel zu samen in ainen hafen, vnd sued ain weil, vnd den gumi daran, auch verber swartz darzue. Die zweite bemerkt: Recipe viij lot galles, vj lot vitriel, iiij lot gumi, ij masz wein, vnd */» trincken essig. vnd thue die muten all zu einander in ainen halfen, vnd lass wannen, darnach thue j lot alaun dazue.

Bezüglich des »Modus conficiendi incaustum de vino« wie er in Tegernsee selbst in Gebrauch gewesen l) wird auf Fol. 116 und 179 Folgendes berichtet: Ad incaustum trium mensurarum recipias xij lott gallas, ix lott vitriolum, viij lott gumj. conterantur gallas mediocriter, non usque ad minutos pulueres •); sed vitriolum et gumj conterantur Dt possint cribrarj 3). jtem primo fundatur vinum ad tres mensuras «) ad gallas xij lott contritas ut supra dictum est. et permittatur stare in calore solis uel in stuba calefacta ad duos uel tres dies, et cooperiatur ita ut modicum foramen habeat operculum superius. et moueatur sepius cum spatula uel ligno. et postea 5) ponatur ad ignem in olla 6). et moueatur continue cum spatula donec incipiat bulire 7). tunc deponatur de igne ad vj vel vij horas 8). et post imponatur vitriolum. [ac bene moueatur. antequam tarnen infunditur vitriolum] 9), fundatur 4* uel 2* pars vini de gallas ad vnam paruam ollam vbi imponatur gumi 10). et pennittatur ad vnum uel duos dies ll) sie vtrumque stare. et sepius moueatur gummi, sed alia pars non. et postea colatur pars maior scilicet cum gallas et vitriolo per vnum pannum. et postea permittatur stare, ut feces resideant. et iterum colatur per pannum **). et feces reseruentur ad confectionem

') Quem seruamus in Tegernsee iam conmuniter. - *) Fol. 179 = B: non Urnen minute. a) B: ul cribrentur. 4) B: fundantur tres mensure vini. *) B ist folgendermassen gekürzt: permittatur in calore ad 2 uel tres dies stare, bene tectum. et aliquando moueatur. deinde. °) In B fehlt: in olla. 7) B: con- tinue usque ad bulicionem. 8) B hat nur: ad vj horas. •) Diese ein- geschlossenen Worte sind auf Fol. 116 ausgefallen. ,0) B: de gallis ad gumi in vase separato. ") B hat nur: ad 2 dies. ") In B fehlt: per pannum.

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Geschichtliches über Tinte und sonstige Schreibbedörfnisse in Bayern. 301

sequentis incausti *). et quando wltis facere incaustum sequenti vice, tunc fundatis *) vnam mensurara aque ad ipsas feces. et ponatur in olla ad ignem, ut bene bulliat 8). et permittatur postea infrigidari 4). et colatur per pannum 5). et recipiatur cum vino trium mensurarum «), et fundatur ad gallas xij 7) lott. et feces siue pulueres antiqui postea effundantur. etc. ut supra.

Vielleicht interessiren auch zwei Anweisungen de nigro colore zur Fertigung des Incaustum graecum auf Fol. 28 und auf Fol. 143:

Wildu machen ain swarcze varb dy klain aus der veder gee sam ain har, man entwurfft auch was man wil. vnd dy tincken haiszt incaustum grecum siccum.

Nym hanifsat oll oder ruebsat oll, vnd gcusz daz oll in ainen grossen tegel vollen, vnd leg jn den tegel ainen grossen knoden. vnd leg auf den knoden vor wei- rach 8) hars alz grosz alz ain halbs ay, vnd zünt den knoden das er wol prinn. vnd secz den tegel auf ainen gefüegen stain. vnd secz ain dryfuesz vber den stain. vnd sturcz ain neusz hefen darüber, ain erdeins, auf den dryfuesz, vnd das dy flammen geleich mitten in den hafen gen. vnd la den tegel aus prynnen. so nym den hafen ab dem dryfuesz, vnd wusch das swarcz vberal in dem hafen ab gar wol mit ainer gensz federen in ainen trucken pecher.

Merck, wildu des swarczen Et si vis plus habere, fac vt puluers mer machen, so füll den prius.

Recipe ruebsat öll vnd hanifsat öll, et funde in tegulam. et pone super lichinum vornen weirach hartz als grosz als ain halbs ay, et incende bene lichnum. vnd secz den tegel auf ain gefugten stain. vnd secz ain trifusz vber den stain. vnd lueg das die flamm gleich mitten in den haflfen gee. vnd lass den tegel aus prinnen. vnd denn nym den hafen de tripede, et absterge nigrum colorem vndique in peluim mundam cum penna.

*) B: ad sequens incaustum. *) B kürzt diesen Satz gleich so: et tunc infundatis. *) B: in ollam, ac buliatur. *) B fasst diesen Satz so : ac deinde infrigidetur. *) In B fehlt: per pannum. e) B: cum incausto trium mensu- rarum vini. *) B schliesst hier mit: xij etc. *) Die Handschrift hat: werch.

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Rockinger :

tegel aber als vor, vnd lasz aber aus prinnen. vnd nym daz puluer aber aus dem hafen, vnd wüsch aber mit ainer gensz feder in den pecher.

Vnd tus in ain rains glasirtz kechelein. vnd nym ain settin vitrioli , vnd leg das in lauüern essich, vnd lasz es ain weil dar inn sten hincz es zersmelcz. vnd seich den essich durch ain rain tfich. dysen ezzich geusz an das puluer, vnd rür es durchainander mit ainem holcz gar wol hincz es werd in der dick als ain dicker haberprein. vnd das la sten ainen tag vnd ain nacht, dar nach nym gummi arabicum ij lot zw ainer ezz schüssel voll der vorgenanten puluer. vnd das gummi arabicum sol man zerslachen in ainem leinein tüch. vnd leg das zerslagen gummi in ain rain schüssel. vnd geusz vber das gummi lautter schon wasser czwair vinger tief darüber, vnd la daz sten vber nacht, vnd waicken. vnd zertreib es dann mit dem vinger gar wol vnder ainander.

Vnd tfi dar nach dy swarcz varb alle auf ainen reibstain. vnd temperir sy alle durch ainander mit dem vorgenanten wasser von gummi. vnd reib ains tutter darunder als grosz als ain hasel- nusz. vnd tu das wasser alles vnder dy swarcz varb, vnd temperirs alle durch ainander gar wol. vnd tu dann dy varb von

Et pulueres collectos in pelui pone in vitratam ollam. et recipe vitriolum romanum ad paruum sattellura, et ponas ad acetum darum pis es zuschmiltz. et post cola acetum per pannum lineum, ac funde ad colorem nigrum prius preparatum, bene mouendo in- simul in modum incausti rnbei uel pulmenti. et mitte stare per diem et noctem. jx)stea recipe gumi arabicum ij lot wasser zu ainer esche schüsslen vol puluer.

Vnd tue in die swarcz varb. postea |K>ne super lapidem mar- moris, et tere. et adde vitellum oui in quantitate pise. et post hec pone in vnam testulam paruam insiccandam ac indurandam. et serua vsque ad opus.

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Geschichtliches Ober Tinte und sonstige SchreibbedOrfnisse in Bayern. 303

dem stain in ain rains glasirtz kechel an dy sunn, vnd lasz wol hert werden, vnd tfi es darnach in ain plater pisz du sein bedarfl.

Hy merck, wann du der vor- Sed quando vti volueris ad genanten tincken wellest nüczen, scribendum eodem incausto, recipe so nym der varb als grosz als ain de eodem ad quantilatem pise. arbaisz oder mer, vnd leg das in et pone in tegula rane. et funde ain rain muschel. vnd geusz lautter desuper aquam clararn. et mitte wasser darüber, vnd la es ain weil modicum stare vt liquefiat. postea sten hincz es waich wirt. vnd zer- tere cum digito, et pone in cornu, treib es wol mit ainem vinger, vnd et scribe. geusz es in ain horn.

Vnd merck, wann dy tinken Et si scriptum non satis nigra swarcz genüg ist ze schreiben, so esset, tunc adde plus de nigro ist ir recht, jst sy aber nit swarcz colore. genfig, so ist des wassers zu vil: so sol man ain klaine varb mer dar ain tun.

Wildu aber das dy tincken vast Jtem wildu die selbig gescrift geleisz, so des wasser aus den oder dintten vast glantz haben, payden gelesern darvnder, vnd so tue des wassers aus paiden rür es durch ainander mit ainem gleseren dar vntter, et moue bene, vinger, so geleiszt sy schon. so wirt sy schön glantz.

Auch noch nachstehender »Modus faciendi incaustum sine ignec mag hier eine Stelle finden, welcher nach unserer Handschrift Fol. 91 bis 95 »in Gcnniko pro bono incausto efficiendot in Gebrauch stand: Recipe */» vini boni naturalis primo. deinde de tribus hijs substancijs recipe: 8 lott gallas, 3 vitrioli, et 2 gummi quod sit arabicum, quia thus album eciam nuncupatur gummi. et primum incaustum quod fit de hijs substancijs debet pro pergamerio recipi. postquam nunc habes supradicta in ponderc, recipe gallas, successiue in mortario eas conterendo non ad pulueres sed ad partes, jn hoc habeas respectum, quod non cum violencia conteras sed leniter, quia si fieret cum violencia tunc ad pulueres contererentur, ex hocque inconuenientia sequerentur. jtem in tali contunsione vix polest pre- caucri quin ali((ua materia ad pulueres redigatur. jlla seruetur pro sccundo incausto ad papirum. tandem sie predispositas gallas ad vinum inponas ad olliculam bonam sicut verisimiliter habentur. et

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Rockingpr:

ad 4 dies integros starc permittatur , si fieri potest in calore. in quibus dicbus frecjuenter cum quodam ligniculo ad hoc predisposito mouendum est. vltimaque die recipe de olla cum penna, et scribe aliqua verba ad pergamenum. si tendit ad rubedinem, tunc valde bonum incaustum erit. jtem per quatuor hos dies ollam cum materia prefata bene cooperias, vt fortitudo vini in suo vigorepermaneat. et in quarta die recipe bonum pannum per quod quiueris colare. et illud vinum iterum bene cooperias. de qua substancia colata recipe quantum necessarium videbitur ad paruam olliculara, ad quam illa et supradicta lot gumi inponas. si fuerit bonum, tunc in paucis horis totum liquefiet et etiam cum ligno moueas de fundo olle, et eo cicius ad liquefaciendum tendet. propter hoc plus effunde. si videris quod sit liquefactum, infunde statim ad illud vinum colatum, et bene moueas, quatenus tota materia capiat fortitudinem. et in- mediate inponas vitriolum, quod infra hos 4 dies vsque ad pulueres conterendum est ad modum farine, sie seruando, quia nichil nocet quod sie stet, quibus substaneijs adinvicem sie permixtis habebis bonum incaustum. verumtamen vitriolum non subito totum inponas. sed alio te iuuante tu succesiue post ordinem cum ligno aut cocleare inponas, alio interim continue mouente cum ligno totam substanciam. et si bis aut ter ad maximum alternatim infra diem mouetur, omnino suflicit. nec pro futuro vnquam adiciendum est. causa : quia si fieret, tunc [per] feces que ad fundum descendunt per talem mocionem totum incaustum feculentum efficeretur, jnconueniensque esset ad scribendum propter feces continuas que in penna forenl. jdeirco hanc cautelam seruare digneris. jtem alia causa: quod incaustum in pergameno aut scriptura caduca fieret.

Wir haben hieraus schon zur Genüge ersehen, dass für Pergament bessere Tinte verwendet wurde als für Papier, wie auch insbesondere dass das Incaustum secundum für das letztere noch immer genügte.

Indessen finden sich auch eigene Recepte zur Tinte für Papier, wie etwa gleich auf Fol. 95' Folgendes: Recipe tria quartalia vini, 4 vitrioli, et duo gummi, et disponas ista sicut prius declaratum est. el prefata tria quartalia vini effunde ad predictas gallas. tum per- mittatur sie ad x aut duodeeim dies [stare], et omni die semel cum ligniculo moueatur. nec vlla calefactione vsus fueris, similiter nec ad primum incaustum. et Semper quando nunc mouisti vice uersa cum magna diligencia bene cooperias. tarnen sequentibus diebus poteris colare. et de tali munda materia colata recipe ad paruam ollam in

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Geschichtliches üher Tinte und sonstige SchreibhedQrfnissc in Bayern. 305

qua gumi dissoluatur. si resolutum est, habeas specialem pannum per quem eciam cola. sicque diu incaustum in suo vigore, nec tarn cito ad spissitudinem tendet. disposito gumi totaliter, infunde ad materiam prefatam colatam, et bene moueas. vltimo imponendum est vitriolj, quod totam materiam nigrescit.

Verlangt man endlich auch noch zu wissen, wie die Apotheker die Tinte bereiteten, so entnehmen wir dem Abschnitte »Incaustum quod faciunt apotecary modusc auf Fol. 118 Nachstehendes: Si volueris facere incaustum de pulueribus ut in apotecis faciunt, tunc recipe de gallas, id est aychoepfel, 2 partes concussis et exiecalis et cribratis. et recipe 3"" partem de vitriolo, et quartam parlem gumj arabici. et hys tribus concussis et conmixtis, pone in ollam nouam, et funde desuper nigredinem uel aquam mundam, et circa ignem totum calefac, et moue insimul, et depone. et habebis incaustum bonum. Vel tantum pulueres illos pone in calamale, et desuper aquam funde, et scribe. Jn quanlo autem plus imposueris de gumj arabico, tanto stabilior erit ipsa scriptura.

Qui wlt incaustum de puluere facere bonum,

Gallas, vitriolum sumat, arabicum gumi.

Partes sint due de gallis bene concussis,

Tertia vitrioli, quarta sit arabicum gumi.

Hec tria conmisces aqua, atque calefiant.

Incaustum tale sie apotecarij parant. Auf solche Art war für die Möglichkeit des Bezuges guter Tinte in grossem wie in kleinem Bedarfe gesorgt. Namentlich für den letzteren wurde es später nicht ungewöhnlich, in den Specerei- und Material waarenhandlungen gleich ein mit den betreffenden Bestand- teilen in dieser oder jener Zusammensetzung gefülltes Päckchen Tintenpulver zum Kaufe zu finden, welches in einer etwa einer bayerischen Mass entsprechenden Mischung von Essig mit Wasser aufgelöst und an der Sonnen- oder Ofen wärme unter zeitweiligem Durcheinanderschütteln für den Gebrauch hergerichtet wurde, und welches meist noch einen aus etwa der Hälfte des ursprünglichen Masses bestehenden zweiten Aufguss erlitt. Noch bequemer haben wir es allerdings jetzt, wo man allerorten auch den allcrkleinsten Bedarf von Tinte der verschiedenartigsten Zusammensetzung gleich fertig zu kaufen erhält.

(Fortsetzung folgt.)

Archlvall*che ZolUcbrin. IV.

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XV! Historische Entwicklung des Stammwappens der Fürsten zu Schwarzenberg.

Von

Adolf Berger, fflrstl. Schwarzenberg'schem Centraiarchivar in Wien.

Der Drang zu symbolisiren, d. h. Gesinnungen und Anschauungen, Zustände und Ereignisse zu versinnbildlichen und den entsprechenden Ausdruck mit der schützenden Weihe eines unantastbaren und, wenn man will, auch gehcimnissvollen Wahrzeichens für alle Folgezeit zu umgeben, ist tief in der menschlichen Natur begründet.

So und auf keine andere Weise ist im geschichtlichen Verlaufe der Zeiten und Dinge auch die heraldische Symbolik entstanden.

Die Heraldik nimmt desshalb Stellung unter den historischen Hilfswissenschaften und kennzeiclinet die Bildersprache der Wappen nicht als eine Art Cabbala, sondern als ein nach den geistigen Entwicklungsgesetzen entstandenes Gebilde in der Culturgeschichte. Auch darf man auf das Wappen als mitbestimmenden Factor im einstigen kunstgewerblichen Schäften hinweisen.

Das fürstlich Schwarzenberg'sche Wappen ist in den verschiedenen Wappenbüchern und anderen genealogischen und heraldischen Werken älterer und neuerer Zeit unzähligemal abgebildet, beschrieben und erklärt, also blasonirt worden ; allein an einer genetischen Darstellung desselben hat es bisher gefehlt. In dem fürstlichen Hausarchive finden sich wohl handschriftliche Versuche einer solchen historischen Darlegung; indessen waren dergleichen Arbeiten nur für den Haus- gebrauch bestimmt. Sie leiden nicht nur an Un Vollständigkeit, sondern sind auch mit vielerlei Uncorrektheitcn und den Mängeln einer falschen Anschauung behaltet.

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Historische Entwicklung des Stammwappens der Fürsten zu Schwarzenberg. 307

Selbstverständlich wird man bei solchen Untersuchungen bis in die Zeit der Anfange des Geschlechtes hinauf zu steigen haben. Bekannt ist nun der gemeinsame Ursprung der Seinsheime und Schwarzenberge. Ihre Heimat war das schöne Frankenland, welches ältere Schriftsteller zum Unterschiede von West- oder Rheinfranken die »Franconia orientalis«, Ostfranken, zu nennen pflegten. Nament- lich war Unterfranken die engere Heimat des Geschlechtes. Der noch heute bestehende Ort Seinsheim liegt in einer freundlichen und fruchtbaren Gegend im jetzigen Bezirksamte Kissingen in nächster Nähe von Wässerndorf, eines auch alt Seinsheimischen, seit dorn 16. Jahrhunderte Schwarzenberg'schen Besitzes. Sowohl den Namen des Ortes, als auch des sich nach ihm benennenden Geschlechtes, welches dort frei eigenes Gut besass, kann man bis in das 12. Jahr- hundert hinauf verfolgen, und wird man der Schreibung dieses Namens in den verschiedensten Formen und Gestalten begegnen. Im 12. Jahrhundert schrieb man Sowensheim , im dreizehnten Sovensheim und auch schon Sauensheim, aber auch Sawensheim, dann Sauwensheim, im 14. Jahrhundert auch Sauensheim und Saüns- heim, 1360 aber auch schon Saynsheim neben Sawensheim und Saunsheym, etwas später Sawsheim und auch Sawnszheim. Zu Ende dieses und im Anfange des folgenden Jahrhunderts wird die Schreibung Sawnsheim und auch Sawnnsheim eine constante, obgleich eine Form Sannsheim, und zwar gerade in einer sehr wichtigen Kaiserurkunde, auch vorkommt. Es dürfte das w oder u wie ein ü ausgesprochen worden sein, woraus sich dann das moderne Seinsheim entpuppte, so wie ja auch das heutige Mainstockheim in einer Urkunde von 1426 als >Mewnstockheim« erscheint und aus Ostheim durch idiomatische Wandlung ein Ast- heim geworden.

Wollte man das Saunsheim in Verbindung mit dem Wappen- eber, oder das sow und saw in der ältesten Gestalt Sowensheim und Sawensheim etwa mit dem mittelalterlichen soewen = soejen und auch soegen, soehen, sewen, saigen, saien und seien, d. h. ausstreuen oder säen (vergl. Lexer, II. Bd. S. 574, 575 und 617) mit Rücksicht auf die fruchtbare Umgebung von Seinsheim in Beziehung setzen, so würde man nur die Anzahl der Conjekturen vermehren. Genug, es kann auf ein gerade im Jahre 1360 bereits vorkommendes »Sayns- heimc hingewiesen werden, dessen Träger ein »Gonradus dictus de Saynsheim« gewesen, obgleich in demselben Jahre auch ein Chunrad

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Berger:

von Sauwensheim, so wie auch schon 1345 ein Conrad von Sauwens- heim urkundlich erscheint, während wieder im Jahre 1363 ein Eberhardus de Sauwensheim vorkommt. In heraldischer Hinsicht ist besonders auszuzeichnen ein Heinrich von Seinsheim, dessen Grabstein sich im Kreuzgange des Domes zu Würzburg befindet und auf welchem derselbe in ganzer geharnischter Figur mit der über seinem drahtnetzbedeckten Haupte wehenden Sturmfahne in der Rechten, dem symbolischen Ungeheuer unter seinen Füssen, und dem Kübelhelm nebst dem Wappenschilde (heraldisch) links zu seinen Häupten erscheint. Auf jenem Würzburger Grabsteine stellt sich uns das Wappen als ein fünfmal gespaltener Dreieckschild in ältester heraldischer Gestaltung dar. Ehedem , als man noch nicht so fein zwischen Schildesspaltung und Pfählen im Schilde zu unterscheiden pflegte, würde man im vorliegenden Falle schlechtweg von 3 Pfählen im spitzen Schilde gesprochen haben.

Wir werden die oben erwähnten 5 Spalten genau in's Auge fassen müssen, um uns durch einen noch älteren Seinsheimer Wappen- schild nicht wankend machen zu lassen.

Dieser letztere ist in einem Siegel an einer Urkunde vom 7. Dezember 1338 (über die Stiftung einer ewigen Messe und Gaplanei im Dorfe Nordheim) des Erkinger von Sawesheim und dessen Ge- mahlin Alheit zu schauen. Das Original dieser Urkunde gehört dem fürstl. Archive zu Schwarzenberg an, und ihr Siegel verdient um so mehr Beachtung, als es zu den ältesten wohlerhaltenen zählt. Ihr Aussteller ist wohl derselbe Erkinger, oder auch »Erkengerc, der in dem Lehenbuche des Bischofs Wolfram von Grumbach zum Jahre 1325 als »Erkengerus de Sauwensheim senior, milesc , und auch als Empfänger des Bergmeisteramtes in Frickenhausen, in einer Urkunde des Bischofs Otto von Würzburg v. J. 1345 als bestellter Erbburg- mann auf der Feste »Wyelberkt erscheint. Er nannte sich von Kottenheim und war nicht nur ein Zeitgenosse des oben genannten Heinrich von Sawnsheim, sondern auch ein Bruder desselben. Auch in der Urkunde von 1338 heisst er »von Kottenheimt, daher kann auch sein Wappenschild nicht verschieden von dem seines Bruders Heinrich sein, trotz der scheinbaren Differenz beider auf jenem Grab- mal und im Siegel vom letzterwähnten Jahre.

Allerdings haben wir auch hier einen gespaltenen Schild vor uns, doch so, dass der erste Spalt (heraldisch) rechts, statt bis zum Fusse des Schildes zu reichen, schon im oberen Drittel der rechten

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Schildseite verschwindet, daher kaum als eigentlicher Spalt, sondern höchstens als ein Ritz angesehen werden kann.

Zählt man jedoch gleichwohl diese Linie mit, so erscheint der Schild al< Tspaltig im Widerspruche mit allen späteren Seinsheim'- schen Schilden. Im entgegengesetzten Falle hat man 3 Pfähle vor sich, welche mit den regelmässigen 5 Spalten des Seinsheim'schen Schildes mehr harmoniren.

Kine im Jahre 1659 in Druck ausgegangene »Wohlbegründete Ausführung sowohl Gräfl. als auch Freiherrlichen Schwarzenberg- schen Stammregisters« weiset S. 13 und 14 auf eine ganze Reihe von Seinsheim'schen Epitaphien und Ritterschilden in der Franzis- kanerkirche und in der sogenannten Ritterkapelle zu Würzburg aus dem 14. und 15. Jahrhundert hin. Es werden in diesem Buche die Stech- oder geschlossenen Helme, welche die Autoren Weher und Limnaens für Zeichen eines geringeren oder schlechteren Adels anzu- sehen scheinen, in Schutz genommen und versucht, deren Beschaffen- heit aus der nothwendigen Harmonie des geschlossenen Helmes mit dem im Kampfe zu Schutz und Wehr geneigten Schilde zu erklären. Neuere Heraldiker werden diese Erklärung nur belächeln; allein ein Körnchen Wahrheit steckt dennoch in dieser Auffassung.

Das > Stammregister c führt als Belege für seine Ansicht nicht nur Aussagen von früheren Heraldikern an, sondern beruft sich auch auf geschlossene oder Stechhelme auf königlichen und fürst- lichen Wappenschilden. Von dem Seinsheim'schen Wappenschilde meint aber das besagte Buch, »dass es ein sehr hohes Alter mit sich zu führen scheine, denn nach Cluverii Urtheil, Hb. I. Antiqu. Germ. c. 44 p. 347 mag man bei den Teutschen die für recht alte adeliche Wappen halten, so ganz schlecht und nur mit gewissen spatiis, Linien und Farben unterschieden, und entweder schlechte Striche oder Balken oder aber Rauten und Wecken führen, die dann an den vielfältigen herrlichen Farben sein unterschieden worden.« Hinsichtlich des Alters ist an der Richtigkeit dieser Anschauung nicht zu zweifeln; denn dass die Spaltungen und Theilungen des Schildes zu den primitivsten , daher auch ältesten heraldischen Bil- dern gehören und dass die dadurch entstandenen Plätze im Schilde recht eigentlich die Bezeichnung als »Herolds- und Ehrenstücke« erhielten im Gegensätze zu den späteren und daher auch jüngeren >gemeinen Schildesfiguren«, darüber sind alle älteren und neueren Heraldiker einig. (Man vergl. z. B. »Handb. der theor. und prakt.

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Rerger:

Heraldik«, von Otto Titan von Hefner Th. I., S. 56, 57 u. s. f., dann II. Th.

Nicht unerwähnt möge hier auch der Begriffsunterschied be- treffs Schildesspaltung und -Theilung bei älteren und jüngeren Heraldikern bleiben. So finden wir z. B. in einer älteren deutschen Bearbeitung des Claude Francis Mcnestrier vom Jahre 1694 gerade die den neueren Anschauungen entgegengesetzte Auffassung von Spaltung und Theilung. Erstere ist o"ort die horizontale, letztere die senkrechte Linie, während sich dies in der modernen Termino- logie gerade umgekehrt verhält.

Immerhin wird man demnach die bloss gespaltenen und ge- I heilten Schilde als die einfachsten, auch als die ältesten gelten lassen können, ohne zugleich auch hohe Vornehmheit für dieselben zu prätendiren.

Es wird daher auch nicht nöthig sein, sich mit älteren Genealogen aus dem 17. und Anfange des 18. Jahrhunderts Mühe zu geben, um den Seinsheim-Schwarzenberg'schen Stammbaum bis zu den Siccambri'schen oder Schwäbischen Herzogen und Burgundischen Grafen hinaufzuleiten. Dank aber den >geöffneten Archiven Bayerns«, worunter nicht nur die also betitelte, wohl bekannte Zeitschrift für die Geschichte Bayerns, sondern die von edler Liberalität zeugende Zugänglichkeit der grossen Archive Bayerns zu verstehen, wird man die Existenz der Seinsheime bis in das 12. Jahrhundert hinauf ver- folgen können.

Ein Sifridus de Sowensheim erscheint in einer Urkunde Kaiser Friedrichs I. vom 19. April 1172 als Zeuge nach dem »Arnoldus dapifer, Boto und Billungus scultetus«. Eine Beihe von Seinsheimen aus dem 13. Jahrh. ist auch schon ermittelt. Zahlreicher treten sie uns im 14. Jahrhunderte entgegen, und zwar gleich zu Anfang des- selben. Die schon genannten Heinrich und Erkinger sassen auf Kottenheim, dem im 16. Jahrh. gänzlich zerstörten späteren Hohen- kottenheim, nach welchem sich eine Linie benannte, die mit Georg Ludwig Freiherrn von Seinsheim 1591 erlosch. Gleichzeitig mit jenen Kottenheimern erscheinen auch bereits die Seinsheime zu Stefansberg auf dem Schauplatze. In dem Würzburger über emp- tionum aus dem 15. Jahrhundert wird in einer Verkaufsurkunde v. J. 1376 »her Brandt von Sawnszheym zu dem Stefansberge« unter den Bürgen genannt, er kommt aber auch schon 1373 als Lehens- empfänger des Würzburger Bischofs Gerhart von Schwarzburg vor.

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Er dürfte wohl identisch mit dem schon 1345 als Brand und in der Koseform »Braendelin« auftauchenden Sohne Heinrichs (ob des Kot- tenheimers, mag dahin gestellt bleiben) sein.

So schwer es auch ist, eine zuverlässige Filiation aufzustellen, so war doch wohl dieser Brand oder Hildebrand der Vater Michaels von »Sawensheim« und auch Sauwensheim, dem wir bereits in Würzburger Lehenbüchern und Grabschriften 1360 und 1363 be- gegnen. Er sowohl als auch alle seine Zeitgenossen des Geschlechtes, sowie die Vorläufer im 13. und 14. Jahrhundert erscheinen als »Milites«, »armigeri« und »Ritter«, ab und zu auch als Amtleute und Erbburgmänner, sie besassen frei eigene Güter, hatten aber auch viele Lehen, besonders würzburg'sche und von den Aebten vom Mönchsberge bei Bamberg inne.

An dem Alter des Geschlechtes ist somit nicht zu zweifeln, und wenn das schon öfter citirte »Ausf. Stammregister« an ein von dem alten Kaspar Bruschius in dessen »Chronologia monasteriorum« an- geführtes fränkisches Sprichwort: »die Seinsheimer seien die Aelte- sten, die Kinheimer die Stolzesten, die Grumbacher die Reichsten, die Seckendorfer die Meisten«, erinnert, so hat dies allerdings einige Berechtigung für sich. Man könnte sie aber auch »die Meisten« nennen. In einer Bündnissurkunde von 1409 begegnen uns mehr als ein Dutzend von Seinsheimer, unter ihnen nicht weniger als drei Erkinger. Dieser auch in der Koseform- Variante »Ekhelin« vorkommende Name, sowie auch die Namen llildebrand oder auch Brand und Braendelin, dann Heinrich scheinen in der ältesten Zeit des Geschlechtes die beliebtesten Vornamen gewesen zu sein.

Unter allen seinen Namensvettern hat sich unstreitig der Ritter Erkinger von Seinsheim zum Stefansberg zur grössten Bedeutung emporgeschwungen , er wurde der Ahnherr aller Frei- herren, Grafen und Fürsten zu Schwarzenberg. Er war der Enkel Brands oder Braendelins und Sohn Michaels von Seinsheim aus dessen Ehe mit der Margarethe von Rosen berg aus dem fränkischen Ge- schlechte dieses Namens. Seine Geburt wird in das Jahr 1362 gesetzt. Sein Leben war vielbewegt, voll Kampf und Streit. Oft stand er an der Seite der Bischöfe von Würzburg, als deren »magister curiae« , Hofmeister, er zu wiederholten Malen erscheint, in harten Kämpfen mit den Städten Würzburg, Schweinfurt und Ochsenfurt, zuweilen gab es aber auch »Spän' und Hostilitäten« mit den Bischöfen von Würzburg selbst und mit dem Domkapitel,

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Berger:

dann auch mit den Burggrafen zu Nürnberg. In allen diesen Kämpfen und Sträussen waren Erkingers Söhne aus erster Ehe, Hermann und Michael, meistens des Vaters Geführten. Zu wiederholten Malen hat er an den deutschen Kreuzzügen gegen die böhmischen Hussiten Theil genommen, wie wenig Lorbeeren aueh dabei zu ernten gewesen. Bei dieser Gelegenheit erwarb er, gleichwie er in Deutschland eine grosse Menge Güter erstritt und erhandelte, zufolge namhafter Geld- vorschüsse auch königliche Pfandschaften in Böhmen, und urkundlich erscheint er als »oberster Hauptmann von Kadan und Tocnik«. Stets hielt er zur Sache des Kaisers und des Reiches, betheiligte sich daher auch an den verschiedenen Kriegszügen des Ersteren, oder war im Gefolge desselben. Sigismund ernannte ihn daher noch als römischer König zu seinem Rathe, 1412 zum Reichsamtmanne . der freien Reichsstadt Windsheim, und später (1416) zum Reichsvogt und Schirmherrn der Reichsstadt Schweinfurt, ordnete ihm 1429 auch die Judenschafl des Reiches in deutschen und wälschen Landen hinsichtlich ihrer Abgaben und Steuern unter, und ertheilte ihm 1434 die Befugniss, den Markt Seinsheini zu einer Stadt zu erheben. Am 10. August 1429 liess König Sigismund seinem Rathe Erkinger von Sannsheim noch eine grössere Auszeichnung angedeihen, indem er ihn und seine ehelichen Erben auf das Jägermeisteramt des Stiftes zu Würzburg und Herzogthums zu Franken, welches stets von Grafen und Herren innegehabt worden, und auf das Haus Schwarzenberg, das sein frei eigen Gut ist und welches er mit aller Zugehörung dem Reiche zum rechten Lehen gemacht und verbrieft hat , zu rechten freien erhob, adelte und machte »wie andere recht gefreite Parin irherren des Reichs«. Zugleich ertheilte er ihm das Recht mit rothem Wachse zu siegeln nach dem Herkommen bei den anderen Jägermeistern, seinen Vorgängern, sowie auch das Recht des freien Geleites auf seinem Gebiete, dem Jägermeisteramte und der Herrschaft Schwarzenberg.

Einer Wappenänderung, d. h. Mehrung oder Besserung des Seinshcim'schen Wappens, wird in dieser Urkunde nicht gedacht; auch ist ein echtes Geschlechts wappen ein so eigenartiges historisches Produkt, dass man bei einer Aenderung desselben, wenigstens in den früheren Zeiten, an eine obrigkeitliche Bewilligung nicht denken darf. Gleichwie sein Vater bediente sich auch Erkinger in dem Zeiträume vor 1429 des Siegels mit dem fünfmal gespaltenen Dreieck- Schilde; den Stecbhclm zierte als Kleinod eines Mannes Rumpf.

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Jenes Jahr aber bildet eine Demarkationslinie sowohl für den Charakter des Wappens wie des Titels. Der Name ist jetzt »Erkinger, Herr zu Swartzennberg und von Sawnszheim« und in den Siegeln erscheint der Schild nicht mehr fünf-, sondern sieben- fältig, was in früheren Zeiten ohne strenge heraldische Unterscheidung für identisch mit vier Pfählen angesehen wurde, während der alte Seinheim'sche Schild für dreipfahlig gehalten worden. Den neuen freiherrlichen Schild zieren nunmehr auch zwei Stechhelmc mit dem Mannesrumpfe über dem einen, und zwei auswärts gebogenen, an den Rändern und in den Mundlöchern mit Pfauenfedern geschmückton Büflfelhörnern auf dem anderen Helme als Kleinoden.

Augenscheinlich zeigt dieser neue Schild eine Wappenmehrung und -Verbesserung, sei es in Folge einer sehr fraglichen kaiserlichen Bewilligung oder eines Familienübereinkommens. An zwei Urkunden v. J. 1-437, Erkingers Todesjahr, erscheinen als Mitsiegler Erkingers auch noch dessen Sohn Hermann und des Ersteren zweite Gemahlin Barbara von Abensberg mit ihrem dem Schwarzenberg' sehen bei- gesellten Abensberg'schen Stammwappen, demzufolge wir in diesem Siegel ein Allianzwappen vor uns haben. Den siebenspältigen Schild zeigt nun eine Reihe von Siegeln bis zum Jahr 1469, wo in einer Urkunde vom 8. April neben dem Bischöfe Rudolf von Würzburg und dem Grafen Wilhelm von Castell, Freiherr Michael II. zu Schwarzenberg als Mitsiegler erscheint. Dieser war ein Sohn Michael I. und Enkel des Ahnherrn Erkinger, des ersten Freiherrn. Die beiden Michael setzten als Abstämmlinge Erkingers aus dessen Ehe mit Anna von Bibra, und Erben von Stefansberg sowie der anderen ursprünglichen oder alt Seinsheim'schen Güter, die Slefans- berg'sche Linie fort, während die Descendenz Erkingers aus dessen zweiter Ehe mit Barbara von Abensberg zunächst der schon früher genannte Freiherr Johann d. Aelt. sowie dessen Bruder Sigmund, als Erben von Schwarzenberg und Hohenlandsberg, die sich nach letzterem Besitze nennende Linie repräsentirten. Zum besseren Ver- sländnisse des Nachfolgenden und der weiteren historischen Entwick- lung ist es nothwendig, diesen genealogischen Unterschied festzu- halten.

In jener Urkunde von 1469 handelte es sich um Schlichtung eines Streites der Karthause zu Astheim, einer Stiftung Erkingers und alten Begräbnissstätte der Schwarzenberge am Main gegenüber von Volkach, mit den Carmelitern auf der nahen Vogelburg. Die

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Berger:

Säcularisirung der alten Karthause hatte auch die Verwüstung der für die Genealogie und Heraldik so wichtigen Grabsteine und an- deren Denkmale der Pietät bis auf einige wenige Ueberreste zur Folge; ein Missgeschick, welches der jetzt regierende Fürst Johann Adolf zu Schwarzenberg durch Gedenktafeln in der auf seine Kosten restaurirten Karthäuserkirche zu Aslheini zu sühnen bemüht ist. In der schönen und ehrwürdigen Wallfahrtskirche aber, die auf dem Kirchberge nachbarlich von Volkach liegt, befindet sich als Ueber- rest eines von dem oben genannten Freiherrn Michael II. ca. 1490 gestifteten Kirchenfensters ein Votivglasgcmälde , welches einen knieenden Ritter mit zum Gebete gefalteten Händen darstellt mit Spruchbändern über dem Haupte und dem Wappenschilde zur Seite. Letzterer zeigt vier blaue senkrechte Streifen oder Striche in Silber und zwei Helme über dem Schilde, zwei mit Pfauenfedern besteckte Büffelhörner mit blauen und weissen Querstreifen als Kleinod über dem einen, und einen roth bekleideten Mannesrumpf über dem anderen Helme. Auf dem Haupte des Mannes sitzt eine weisse Mütze mit einer blauen und weissen Straussenfeder auf der Spitze. Der Mannesrumpf wird von dem seltsam geformten spitzen, als >heidnisch« bezeichneten Hute in älteren Schriften kurzweg auch das »Heidenmännlein« genannt.

Spätere Beschreiber hiessen jenen Hut auch eine »ungarische Mützec. Das eine Spruchband lautet:

»Her Michel vo Swartzenberg der jung«.

Jedenfalls ist dies Glasgemälde die älteste Darstellung des Schwar- zenberg'schen Wappens in Farben und somit in heraldischer Hin- sicht von seltenem Wert he. Dasselbe bildet daher auch den Schlüssel zum Verständnisse der Wappen in den früher besprochenen Siegeln, in welchen selbstverständlich keine Farben zu erkennen. Die Ent- deckung dieses inleressanten Votivbildes gelang im J. 1871 dem Ver- fasser des Vorliegenden und dessen damaligem Begleiter, Herrn Anton Mörath, jetzt Archivassessor zu Schwarzenberg, bei einem Besuche von Astheim und des Kirchberges.

Im Wesentlichen stimml das »Heidenmännlein« mit der Be- schreibung überein, welche sich im »Handbuche der Heraldik« von Otto Titan von Hefner, Th. I, S. 127 nach einem Wappengemälde in der alten Kirche zu Hassfurt (der sogenannten »Ritterkapelle«) vom J. 1455 findet und welches als Seinsheim'sches Wappen erkannt ist. Auf Tafel XXVII, Fig. 1209 ist jener Mannesrumpf abgebildet

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und S. 127 als »rotbgekleidet und bärtig mit ganz rothem Stulphut und blau und silbernen Federnc geschildert. Seile 59, I. Th., kenn- zeichnet den Seinsheim'schen Schild als fünfmal von Blau und Silber gespalten, wobei zugleich bemerkt wird, dass diese Spaltung auch in umgekehrter Ordnung, nämlich von Silber und Blau, vorkommt, eine ganz richtige Wahrnehmung, die sich nicht nur bei Seinsheim, sondern auch bei Schwarzenberg oft wiederholt. Taf. XII des Hand- buchs Nr. 142 zeigt den jetzt Seinsheim'schen fünfmal gespaltenen Schild in den oben beschriebenen Farben.

Ueber die Bedeutung der Farben schrieb man früher viel Wun- derliches. In dem panegyrischen Werke des Thrasybulus Lepta über den Freiherrn Ludwig Georg d. Aelt. von Seinsheim werden unter Berufung auf zwei Gewährsmänner, welche über Farben und Wappen- tinkturen geschrieben, den Rechtsgelehrten Bartolus und den Anton Thylesius Consentinus die drei blauen und weissen wechselnden Streifen, Striche oder auch Furchen (»Lislae« oder »Striae«) des Seinsheim'schen Wappens gedeutet als Abglanz des heiteren Himmels oder auch der Freudigkeit und Fröhlichkeit des Gemütlies einerseits, und der Reinheit und Klarheit überhaupt, sowie auch insbesondere der Aufrichtigkeit im moralischen Sinne andererseits. Mit der heral- dischen Farbendeutung haben sich auch andere Wappenausleger be- fasst, wie z. B. F. W. Schumacher in seiner «Teutschen Wappen- kunst«, Jena 1644, welcher die Combination von Silber und Blau als »Wachsamkeit« interpretirt.

Zu den ältesten Abbildungen des Schwarzenberg' sehen Wappens aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts gehört ein im Germanischen Museum zu Nürnberg aufbewahrtes Glasgemälde mit dem Wappen der Helena, geb. Freiin zu Schwarzenberg, vermählten Freifrau von Hohensax. Sie war eine Tochter des als Staatsmann, Schriftsteller und Dichter allbekannten, besonders aber als Verfasser der pein- lichen Halsgerichtsordnung (»Bambergensis«, »Brandenburgensis« und »Carolina«) berühmten Freiherrn Johann zu Schwarzenberg, wegen seiner riesigen Grösse und Stärke zugenannt »der Starke«. Das Gemälde dalirt vom J. 1514 und trägt unterhalb des Wappens die Inschrift: »Elena fraw vb S;ix, geb. Frey, vo Swarzembyrg. 1514«. Der Schild ist siebenspältig, Blau in Silber, und den Helm ziert zwischen den blau und weiss gebälkten» mit Pfauenfedern besteckten BüfTelhörnern das rothe »Heidenmännlein« als Kleinod.

Diesem Bilde reiht sich zunächst der in mehr als einer Hin-

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sieht bemerkenswert hc Stammbaum des genannten Freiherrn Johann chronologisch an. Ein wirklicher »Stammbaume verästet und ver- zweigt sich derselbe nach rechts und links in seiner Ausbreitung nach oben. Den beiden Seiten des dicken Stammes entlang laufen von unten nach oben eichhörnchenartig eine weisse und eine schwarze Maus als allegorische , wohl den Wechsel der Zeiten und der Menschen- geschicke bedeutende Thiere. In der untersten Ecke zielt der Tod mit langem Pfeil auf den in der Mitte des Stammbaumes mit seinem Geschlechtswappcn, an der Seite seiner früh geschiedenen Gemahlin Kunigunde Gräfin von Rhinek , abgebildeten Freiherrn Johann. So wie die sich nach oben ausrankenden Aeste die Bildnisse und Wap- penschilde der Ahnen Johanns und Kunigundens tragen, so hängen an den sich nach unten auszweigenden Aesten die Portraits und Wappen der Söhne und Töchter der beiden Obengenannten. Von Ähnlichkeit kann wohl keine Rede sein, die Schwarzenberg' sehen Wappen aber zeigen durchweg den siebenspältigen Schild, Blau in Silber, und als Helmkleinode das rothe »Heidenmännlein« und die Büftelhörner. Dieser aus Johann's letzten Lebensjahren (etwa zwi- schen 1523—1528) herrührende Stammbaum auf Pergament, der von der Zeit arg gelitten hat, wurde im J. 1871 in einem Winkel des Archivs zu Schwarzenberg in Bayern entdeckt.

Mehrere, mit kostbaren Holzschnitten illustrirte Ausgaben der Werke des Freiherrn Johann sind auch mit seinem Bildnisse von Albrecht Dürer ausgestattet. Die Wappenschilde der acht Schwarzen- berg'schen und acht Rhinek'schen Ahnen umrahmen dieses Portrait. Der Schwarzenberg' sehe Schild erscheint auch hier als der sieben- spältigc. Zu erwähnen ist auch das Erscheinen derselben 16 Wappen- schilde auf dem lebensgrossen Bildnisse Johanns in der Ahnen- galerie des fürstl. Hauses Schwarzenberg, jetzt in Frauenberg in Böhmen. Albrecht Dürer dürfte den Freiherrn etwa im J. 1514, also in demselben Jahre portraitirt haben, in welchem das Glasbild mit dem Wappen der Helena von Hohensax entstanden.

Man kann diose Wappensehildc auch auf dem Titel einer Streit- schrift des Freiherrn Friedrich zu Schwarzenberg, jüngeren Sohnes Johann des Starken, contra Ludwig von Hutten aus dem J. 1536 sehen, nur dass hier die 16 Schilde selbstverständlich als 8 väter- liche und 8 mütterliche Ahnen erscheinen.

Nach dem am 21. Okt. 1528 erfolgten Tode Johanns, der ein Enkel des Stammvaters Erkinger war und der Hohenlandsberg' sehen

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Historische Entwicklung des Stammwappens der Fürsten zu Schwarzenberg. 317

Linie angehörte, vertrugen sich die Söhne Paulus, Domherr zu Cöln, Christoph und Friedrich über das väterliche Erbe zu Donauwörth am 11. Okt. 1529. In dieser, in heraldischer Hinsicht überaus interessanten Urkunde einigten sich die Genannten auch über die künftige Gestalt des Geschlechtswappens. Der Schild sollte fortan 4 Striche, weiss und blau, den weissen voran, aufweisen, das heidnische Männlein, roth und mit rothem Hütlein, und die Büffel- hörner mit den Pfauenfedern sollten, so wie sie früher ihr Vater auf den Turnieren geführt, als Kleinod den gekrönten Helm nebst * blauen und weissen Decken schmücken, der Hut des Männleins aber nicht wie bisher rolhe, weisse und blaue Straussen federn, sondern einen mit diesen Farben gesprenkelten Strauss oder Busch zu oberst, resp. über einem Krönlein tragen. Ein besonderes Blatt dieser Pergamenturkunde stellt auch in gelungener farbiger Aus- führung das also gestaltete Wappen dar. Ein kritischer Blick wird aber sofort entdecken, dass der siebenmal gespaltene oder senkrecht gestreifte Schild nicht nach obiger Vorschrift Weiss, sondern, heraldisch rechts, Blau voran zeigt. Die Siegel, welche die paciscirenden Brüder an diese Urkunde gehängt haben, stimmen in allen wesentlichen Stücken mit dem typischen Wappenbilde überein.

Letzteres blieb nun die Norm für die gesammte Descendenz des Freiherrn Johann des Starken, welcher durch seine beiden Söhne Christoph und Friedrich der nähere Ahnherr von zwei Linien, näm- lich der sich mit dem letzteren Sohne fortsetzenden jüngeren Hohen- landsberg'schen oder auch fränkischen, und der durch den nach Bayern ausgewanderten Sohn Cliristoph neu entstandenen bayerischen Linie wurde. Diese zweigte sich nachgerade wieder in zwei Zweige, einen älteren und jüngeren, aus. Die alte Stefansberg'sche Haupt- linie, deren Repräsentanten zu Ende des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts Michael II., Erkinger II. und Sigmund d. Jüngere waren, wurde von der oben besprochenen Wappenvorschrifl nicht berührt.

(Schluss folgt.)

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XVI. Kleinere Mittheilungen.

1. Versammlung ron Archivbeamten. Da der Beruf der Arcbivbeamten sich wenigstens auf einer Seite vielfach mit der Thätigkeit der historischen Vereine berührt, so begrüßten wir, wie jede Förderung des Archivwesens, mit Freuden auch die Bildung einer archivalischen Sektion auf der vorjährigen General- versammlung der Alterthumsvereine. Zu deren diesjähriger Versammlung in Landshut erging von drei ausgezeichneten Archivaren eine Einladung, mit welcher eine grosse Menge Thesen vorgelegt wurde, über welche die Archivalische Zeit- schrift wohl noch manches Wort zu sprechen haben wird. Hier theilen wir den Bericht aus der Beilage Nr. 2G3 der Allgemeinen Zeitung mit:

»Landshut, IG. Sept. (Archivsektion der Generalversammlung der Alterthums- vereine.) Nachdem schon seit mehreren Jahren das deutsche Archivwesen durch die »Archivalische Zeitschrift« und das »Correspondenzblatt der deutschen Archive« in der wissenschaftlichen Literatur eine stattliche Vertretung gefunden , wurde wiederholt auch die Herstellung eines näheren persönlichen Verkehrs zwischen den Archivaren in Anregung gebracht, ohne dass dieser Gedanke bisher zur Ausführung gelangte. Das bezeichnete Correspondenzblatt brachte daher in der Augustnummer noch einen Artikel: »Die Vereinsamung der Archivare«, in welchem mit Recht Aber die äussere Lage vieler Archivbeamten Klage geführt wird. Unter den mancherlei Gründen für die oftmals unerquicklichen Verhält- nisse derselben wird auch der Mangel des Zusammenstehens der Facbgenossen angeführt, und mit Recht hebt der Verfasser des besagten Aufsatzes hervor: »Ein Geist echter Friedfertigkeit und Gollegialität wird überall da wo man ihm Raum gibt sich selbst belohnen und vor Allem den Collegttl einen gewissen freundschaftlichen Verkehr unter sich ermöglichen, dessen Werth Niemand höher anschlagen sollte als die Arthivare. Alle geistigen Thätigkeiten empfangen einen wesentlichen Zuwachs an innerer Kraft und Energie, wenn es möglich ist durch gegenseitigen Austausch der Ansichten und durch wechselseitige An- eiferung sie zu heben und zu fördern. Nun finden zwar die meisten übrigen Berufsarten auch ausserhalb der (meist weit grösseren) Zahl der Fachgenossen gleichgesinnte Geister, die Archivare aber sind in dieser Richtung stets auf

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Kleinere Mittheilungen.

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einen kleinen Kreis, vielfach sogar lediglich auf die Fachgenossen angewiesen. Wenn daher die Archivare es sich nicht zur Pflicht machen, unter sich enge Beziehungen aufrecht zu erhalten, so berauben sie sich damit eines der wichtigsten Faktoren, welche ihnen die Kraft zu fruchtbringender Handhabung ihres schweren Berufes verleiht, und drängen sich selbst in eine Position, welche ihre persönlichen Interessen nicht minder schädigt als das Gedeihen des Faches, dem sie sieb gewidmet haben.« Zur Beseitigung dieser mit Hecht beklagten Lsolirung der deutschen Arcbivbeatnten geschah auf der hier tagenden Generalversammlung der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine der erste Schritt, indem auf derselben, gtmäss eines Beschlusses der vorjährigen Ver- sammlung zu Marburg, zu den früheren drei Sektionen eine vierte für Archiv- wesen errichtet wurde. Zu derselben hatten sich viele Theilnehmer einge- schrieben, unter denen sich Archivbeamte aus Dresden, Marburg, Darmstadt, Frankfurt, Schaffhausen, Graz u. s. w. befanden. Zum Vorsitzenden wurde Archivdirektor Zahn aus Graz, zum Sekretär Archivar Distel aus Dresden ge- wählt. Die gepflogenen Verhandlungen betrafen zunächst die Archive im All- gemeinen, und es wurde hiebei besonders auf den Werth von archivalischen Ausstellungen hingewiesen, mögen dieselbeu nun zeitweise oder permanent sein. Günstige Hesultate wurden in dieser Beziehung bereits zu Marburg und zu Frankfurt erzielt. (Jeher Archivbauten, Heizung und Einrichtung derselben fand ein Austausch der Gedanken und Erfahrungen statt, und besonders wurde auf die grossen Gefahren hingewiesen, von welchen die Archive durch das schlechte Papier und die unhaltbaren Tinten bedroht seien. Archivar Jörg theilte mit, dass nach dem Urtheil eines Fachmannes die neuen Zugänge zu den Archiven in wenigen Decennien wohl mit dem Besen müssten zusammengekehrt werden, und andere Herren theilten ihre mehrfach gemachten schlimmen Erfahrungen bezüglich des Aklcnmatcrials mit. Auch wurden die Entwicklung der Archive, die Ordnungsarbeiten in denselben, ihre Benutzung zum Gegenstande der Ver- handlung gemacht und endlich die bei Publikationen archivalischer Materialien zu befolgenden Grundsätze erörtert Die Besprechung einer grösseren Anzahl der gestellten Fragen musste wegen Mangels an Zeit für das nächste Jahr ver- schoben werden.c

2. Wissenschaftliche Henützung des Reichsarchirs in München. Dieses hat einen Stamm von Geschichtsforschern, die beständig bei ihm verkehren. Ausser- dem geht gewöhnlich eine Anzahl Neuzutretender von einem Jahr in's nächste über. Von Beiden abgesehen erhielt im Laufe des vorigen Jahres das Beichs- archiv neue 67 Benützer, deren Wohnort ausser in Bayern in Berlin, Bonn, Brüssel, Eger, Frankfurt a. M„ Fritzlar, Gotha, Graz, Hirschau, Innsbruck, Klagenfurt, Lauterburg, Lübeck, Ludwigsburg, Mousache, Mühlheim, Ottenburg, Paris, Prag, Salzburg, Steglitz, Strassburg, Stuttgart, Wien, Zürich. Bei den acht bayerischen Kreisarchiven stellten sich im vorigen Jahre zusammen 78 wissenschaftliche Benützer ein. Bekanntlich besteht aber die Hauptleistung

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Kleinere Mittheilungen.

der bayerischen Archive in ihren Recherchen und Arbeiten zu administrativen und vermögensrechtlichen Zwecken , die im vorigen Jahre allein für Staats- zwecke bei dem Reichsarchiv 154 und bei den acht Kreisarchiven 1399 Ge- schäftsnummern verursachten. Es ist und bleibt eine bittere Erfahrung, dass bei so ausserordentlich vermehrter Archivbenützung die Kammer der Abgeordneten aus ökonomischen Rücksichten das Gebalt eines der drei Reichsarchivrätbe im vorigen Jahr gestrichen hat.

3. Handschriften Acentin's. Zur würdigen Feier des dreihundertjäbrigen Aventin -Jubiläums hat die k. Akademie der Wissenschaften zu Mönchen eine vollständige kritische Sammlung und Herausgabe sämmtlicher Werke Schriften und Briefe Aventin's veranstaltet, das k. bayer. Staatsministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten die dazu nöthigen Gelder bewilligt, und auf den Wunsch der für diesen Zweck gebildeten Kommission der Akademie, bestehend aus ihrem Präsidenten Reichsralh Dr. v. Döllinger, den Geh. Räthen v. Giese- hrecht und v. Löher, und dem Direktor der k. Hof- und Staatsbibliothek Dr. v. Halm der Letztere im Verein mit dem Prof. Dr. Lexer zu Würzburg und dem Archivrath Dr. Riezler in Donaueschingen die Ausführung der für die Ge- schichte so wichtigen Aufgabe übernommen. Da nun von Aventin's Korrespondenz trotz aller Bemühungen und Anfragen die sehr geringe Zahl der früher schon bekannten Stücke nur um einige wenige vermehrt worden, so ergeht an sämmt- liche Archivverwaltungen die Bitte, in bezeichneter Richtung Nachsuche veran- stalten und von dem etwaigen Ergebnis« den Direktor der k. Hof- und Staats- bibliothek, Herrn Professor Dr. v. Halm zu München, verständigen zu wollen.

4. Eine archivalhche Reite nach London. Der Verfasser dieses Aufsatzes im III. Bande der Archivalischen Zeitschrift hat an der Verdeutschung der englischen Lokalbezeichnungen auf dem beigefügten Grundriss keinen Antheil, was sich bei Veröffentlichung des Bandes herausstellte. Im Worte »Gasthofe auf dem Grundriss wäre besser die erste Silbe gestrichen.

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Inhalt des vierten Bandes.

I. lieber Archivbenützunq von Privaten in Vermflgenssachen. V-'iii II «■ r > u ~ r- i

I Zur l'mN'ituii^ , . ,

! I. M .i \ 1 1 1 1 Ii i! i . . 1 1 1 i . .

III. Verfahrunn^u ■•>>»-• m l'-.tu-ni

l\. V'-i liainlliiliL''Mi linr luiv.M i-» h.'ii K.i:i.iii-I 'i>T .M l'>-.-: ■! : i

\, 1 iil' i-'i- liuii^ vn-m S l .t i . I j ■! m k f 'I'- Ii- ' Iii- . .__ .

VI. I 'ntiTsm'hung vntn Sl:ii>ilpunkN' il»** ;illp-nn?iijrn N'at/vii- VII. Untersuchung vmn Standpunkt oVr f'ftV'iit liehen Mur.il wul d*l

Geschichte , . . i- ic'i

III. I»'- Ifge ten-inl

H Weitere Ergänzungen zu Jaff6 s und Polthast s Rcqesla Pontificum Romanorum.

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III. Der älteste Wirzburgcr Bischolskalalog. \<n Sc h.l ffl >• r '<{*

IV. Munch's Aulschlüsse über das päpstliche Archiv. \<<>. I . - i . i •__

V. lieber Kamlcr und Kanzlei des Königs Wenzel In den Jahren 1378 UOQ.

Volt La ml uv i ... . .__ 1 ."■< i

VI. Das Ollfriesische Landesarchiv 1454 1744. \'»u llrrnnet . I T-j

VII. Die Archive In der Obcrlausitz. sowohl der sachsischen, als der preussischen.

VIII. Das Stadtarchiv zu Strassburq.

IX. Das Archiv der Stadt Hermannsladt und der sächsischen Nation in Sieben- bürgen. Voll /■ I tu TU f I In :i Ii II . > ;~

^ Das Archivwesen im skandinavischen Norden. Vnii Sit Ii rr » \\

XI. Kurze systematische Ucbersichl des Inhalts der bayerischen Landesarchive

XII. 2um Rheinischen Bund von 1254. V U t- i '/.sä ck <-v

XIII. Heber das Fundationsbucti des Klosters Ebersberg. Vmi Ural" Hu mit

XIV. Geschichtliches über Tinte und sonstige Schrcibbediirlniss? in Bayern. V

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XV. Historische Entwicklung des Stammwappens der Fürsten zu Schwarzenborn.

XVI. Kleinere Mittheilungen

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