Beiträge zu einer Kritil< der Sprachie: Zur Grammatilc und Logil<

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BEITRÄGE

ZU £m£R

KRITIK DER SPRACHE

VON

FRITZ MAUTHNER

DBITTEB BAND ZUß ÖBAMMATIK UND LOGIK

STUTTQAtlT UND BERLIN 1902

X 0. CN>TTA'SCHB BUOHHANDLüNe NAGEFOLOER

o. H. a H.

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ZUB

GRAMMATIK UND LOGIK

VON

FRITZ MAUTHNER

STÜTTOART UND BERLIN 1902

J. G. COTTA'SCHE JBUCJHHANDLUNÖ NACHFOLÖEE

0. M. B. U.

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ALLE BEGHTB VORBEHALTEN

Draok der Uniuu Deutacbe VerlagHgeaeUiioliaft in Btattgait

Inhalt des dritten Teils.

Sprache und Orammatlk.

Sfitf!

I. Uubestiiniutheit des yrtinimatischen .Sinnes . . . . 1

II. Diia Verluiin 55

III. Daa Substantivmii 83

IV. Das Adjektiviini 94

"V. Adverbien. -- K.luiii und Zeit .102

\I. Das Zahlwort . 132

VII. Syntai 185

VIII. Situatiun uinl Si>raclie 225

Sprache und Logik.

I. Begriff rxnd Wort 265

II. Die Definition 299

ni. Da« Urteil 314

IV. Die Denkge.sct/.e 350

V. Die Schlugsfolgerunt.^ 379

VI. Die Induktion 457

VII. Termini technici der induktiven Widacnsjchaften .... 500

VIII. Wissen und Worte 557

Sprache und Grrammatik.

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Daher ich beinahe vermute, dass unstr.? t^anze Philosophie mehr »ob Sprache ab aus Vernuiift be- sieht ... lahlt DIU noch Immer an einer Onun* mttk der Tenianfl.

Uamanu an Jacobi.

Philosophie nnd Po^-tt". Verschlagen vom Wiud der Emphatik, Sie sind gestraadet, ich weise niebt wie, Anf der SMdbealc der Grammatik

O i n 1 p a r z e r.

Qaod in subjeoto est impUcite, iu praedioeto est ezplidle.

Alter locieclier Bete.

A eenieBee ts but a cheveril glov« to a good wit how qoleklr tbe «rong aide may be tomed oatward . . . Werde ere veiy raeoals, sinee bonde disgimoed

them. Th> f viTion? I can jield yon none withont vrords, and worda are grow» so false, I am loth tO prove reasoB «ith them.

Sbakeepeue.

IMe Werte sind niefate als Wind;

lYw G<-Kl.is:uiik.-it t.f-stdit lu- nic1it> nls Worten; Ergo ist die Oelehrsamkeit nichts al;« Wind.

Swift.

Lea d&a de la nature äout pipfts.

Qeliani.

Of all the Cents wbieb ere oanted in tbis eanting World tlie caat of ariUciktn thf mo<[ tüiin<-iiting.

Sterne, Tri>t. bbanJj'.

Di«' kriti^<'lii< Sdnili' Iiat sirli in Kants System hiueiustudiert und uitiss seinen caut reden.

Herder, Metakritik.

Noe eonges ▼elent nieulK qne nee disoonre.

Monteigne.

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L ITBbMtfntmlMt dM gramnuitMieB SIdms.

Em liegt die Thatmche Yor, da« eineneita daa Denken orun- mch m den Fomen der Gnunmatik bewegt (natOilich, d* Sprache DenksB ist und die jeweilige SpracbfDmi einer Logik» Menschengruppe auch ihre Denkfcmn sein muss), daia ander* neifes dasselbe Denken nach dem Glauben der Logiker die logischen Formen annehmen muss, um bestehen su kduneiL Daher die alte FragOi wie sich Logik und Grammatik au einander Terhatten.

Die Alten konnten diese Frage so scharf noch gar nicht fassen, weil sie ihre Logik (eben die Formen ihrer Sprache) schon fertig hatten, als sie anfingen, eine be- sdieidene Grammatik auftubanen. Daher das AltersTocrecht der Logik, welches darauf suraeksufUiren ist, dass die Philo- sophie in ihrer Kindheit die abstraktesten Fragen snerst und am liebsten aufgriff; dieses Vorrecht der Logik hat zur Folge gehabt, dass man bis auf unsre Zeit die Frage immer so steUt: Wie rerhUt sieh die Grammatik zur Logik, etwa das ZuftDige zum Absoluten? Für etwas Ab- solutes, fOr ein metaphysisches Himmelsgeschenk wurde die Logik immer gehalten, dieser Menachenbau, der sich Ton •adem Menschenbauten nicht emmal durdi seine Besündig- keit unterMheidet,

Gegenflber den vielfachen Versuchen, die Grammatik nun dadurch zu heben, dass man in ihr dieselben gMfichen Qnalitlten wie in der Logik suchte und fand, war eine Reaktion unTurmeidlich. Gegenwärtig behauptet man nicht mehr eme IdentitU der (niedern) Grammatik und der (hohem)

HftKtliiiar, Mtrtf« ni •tun Kritik dar Spnek«. HL 1

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L Unbeffeuninfheit dei giunniftliMlien SiniiM.

Logik; man begnügt sich, .die göttlichen Spuren der Logik in der Grammatik nachzuweisen. Und ein besonders kriti- aclier Forscher wie Steinthal will erkennen (Abr. d. Spr. 1 62)^ dass die Sprache onaibhängig von der Logik ihre Formen in ToUster Autonomie schaffe. Diese Erkenntnis mnsste sich ihm aufdringen, wenn er die Fülle der Tersehiedenartigen Sprachformen mit der (auch von ihm geglaubten) heiligen Einheit der Logik yerglich.

Sehen wir aber in der überlieferten hofjpk nichts ab eine höchst scharfsinnige Auseinandersetzung zwischen Ah' stoteles, dem ordnungsliebenden Klassifikator , und seiner griechischen Sprache, so wird der Satz Steintiuds etwas besclieidener üI^ j zu lauten haben: Die modernen Sprachen schaffen sich ihre Formen in vollster Autonomie, (beinahe) nnabhangig von den griechischen Formen. Man kann es ebenso als etwas Neues verkünden: Die griechische Mytho- logie oder aber der Mohammedanismus haben sidi unab- häng^ von der Theologie des heiligen Augustinus entwickelt.

Nun ist es und das ist wieder einmal ein httbsches Beispiel f&r die Unzulänglichkeit der Sprache und der Logik etwas ganz andres, ob man behauptet, Grammatik sei mit der Logik, oder ob man sagt, Logik sei mit der Grammatik identisch. loh meine, es ist ganz was andres, ob man die Grammatik zum Bange der Gottheit Logik er- heben will, oder ob man die Logik zum Bange der Dienst* magd Grammatik eniiedrigt.

Die Sprache ist, wie ich nicht mttde werden darf zu wiederholen, nichts als das mangelhafte Mittel der Men- schen, sich in ihrer Erumerungswelt zurechtzufinden, das Gedftcktnis, das heisst ihre eigene Erfahrung und die ihrer Ahnen auszunutzen, mit aller Wahrscheinlichkeit, dass diese Brinnemngswelt der Wirklichkeitswelt ähnlich sein werde. Die Grammatik jeder Sprache ging Ton der Wirklichkeits- weit aus, schuf aber dann in der Erinnerungswelt selb- stftndige Bequemlichkeiten, Omnibusse, Associationen, Gleise. Die Logik hatte nichts als die grammatikalische Sprache, um sich daran zu halten; aber die Logik ist doch nur ein

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Qraimnalft und Logik.

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flwiimelfmme fOx die Bemflluiiig, in der Erinnerungswelt den Lag^dan der WirUichkeÜBwelt nieht zu Terlieien, oder ▼ielmelir ihn su finden. Gnunmatik und Logik sind ako nur TerBehiedene Seiton der gleichen Henechenepraehe. Oruu- matikaUedi lieiset die Spreche, wenn sie zum AusUnseh der Ennnenuigsnrexie bequem, g^att, leicht ist; logisch heisst sie, wenn die Srinneruogswerto den WirkUchkeitswerton nicht SU fem sind. Es ist wie auf einem grossen Bahn- hof. Es ist wflnschenswert, dass die Schienen im richtigen Abstand, im richtigen Profil, nicht Terrostet u. s. w., also durchaus grammatikalisch seien; es ist auch wünschenswert, daes die Schienen mit allen Weichen jedesmal den allein wirklichen Bewegungen derEisenbahnsUge enteprechen, dass sie logisch geordnet seien. Ein Unglttck kann sowohl durch Holprigkeit der Schienen wie durch falsche WeichenstoUung entstehen; falsche Grammatik und falsche Logik sind gleich gefihrlich. Gewöhnlich aber werden holprige Schienen nur als unangenehm «npfunden, unrichtige Anordnungen erst erzeugen sicher Katastrophen.

So ist es zu ezUfiren, dass die Sprache einen richtigen Gedanken ungrammatikalisch ausgedruckt, wie z. B. «eine Kreis sind runde*, unangenehm empfindet; Aber einen ün- sinn jedoch, wenn er sich grammatikalisch ausweisen kann, wie z. B. «der Kreis ist eckig* mit einer gewissen Ruhe hittllbergleitot. Die Katastrophe kommt nachher, nicht durch die Logik, nicht durch fidsche SchlAsse, sondern durch die ganze Gleisanlage, die sich in dem grammatikalisch richtig ausgedrttekfeai logischen ünsinn eben nur Gerrit.

Die Linguisten haben schon gezeigt, dass unsere spnoben Grammatik nicht die aller Sprachen, dass sie vielmehr gar ^^^^ sehr nur die einer Minderheit ist. Es wäre eine schöne und fast unlösbare Aufgabe der Fachleute, die Logiken der andern Sprachp^ruppen zu schreiben. So wie das aber bisher versucht worden ist, scheint mir jeder Versuch er- gebnislos zu sein. Jeder Versuch, die Logik der dravidi-

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sehen, chinesiftchen u. s. w. Sprache durch Vornahme einer XJebpraetzunp in die Muttersprache zu j^^e Winnen, wird zu einer ungewollten Fälschung. A. Stohrs Versuch einer .Alj^ebra der Grammatik", der die GrundzUge einer neuen Kunstsprache bieten will , ohne Rücksicht auf die Gram- matiken der Wirklichkeit, aber gläubig für die Logik und ihre Algebra dieser Versuch ist oft nur eine Aeusse- rung unfruchtbaren Scharfsinns.

Sigwart lässt sich (1 29) die Aeusserung entschlüpfen, er könne nur innerhalb der entwickelteren Sprachen eine Logik aufstellen wollen. Dieses Geständnis ist wer^oll. Die ganze Logik des Aristoteles ist nichts als eine Betrach- tung der griechischen Grammatik von einem interessanten Standpiisktd ans. Hätte Aristoteles Chinensch oder Dako- taisch gesprochen, er hätte su emer gans andern Logik ge- langen müssen.

Wir Europäer nennen diejenigen Sprachen die ent- wickelteren, welche für die verschiedenen Kategorien der Logik besondere Bedeteile besitzen, als Dingwörter, Eigen- schaftswörter u. s. w. Nun scheint es keine Frage zu sein, dass Aristoteles, der Heister aller Logiker, die Kategorien aus den Redeteilen geschöpft habe. Wenn das nicht der Schnttser des Zirkeb ist, dann gibt es keinen curcuhis ▼itiosus.

Und es ist wohl zu erwägen, ob unsere entwickelteren Sprachen, welche für den Körper der Fracht, ftlr ihre Farbe und für ihr Duften besondere Katogoiien geschaffen haben, welch zwischen der Erdbeere, ihrer Eigenschaft rot und ihrer Thätigkeit duften unterscheiden, ob diese entwickel- teren Sprachen nicht das Eindringen in das Innerste der Natur erschwert haben. £0pfe wie Locke und Kant waren nötig, mn unser Denken aus den Schubfitehern dieser Sprache zu befreien. Was da zur Erdbeers schwillt, was da rot ist und was da duftet, ist ja doch nur eins.

Dazu kommt noch, dass die Natorwissensohaft anf ihrer gegenwärtigen Hdhe mit den alten Kategorien der Sprache nichts mehr anzufangen weiss. Wie plump und veraltet

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SpnMdMB mMl Logikeii.

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irt «igentiich der TJnterschied zwischen Eigenschall und Thitigkdt. Jeder Eifer ktim freilich emp&iden, den das siedende Wasser in üiifcigkeii ist, sich bewegt, nnd wenn er l^inAiniaik^ dass es die Efgensehaft bat beiss su sein. Für unsere gegenwirtige Wissenschaft Utaen sich nun alle Eigen* Schäften m Bewegungen, sJao ThStigkeiten auf. Wftnne ist Bewegung oder Thitigkeit Der hohe Ton reist unsere Oe- hSrk^rperoheii nur h&ufiger als der tiefe. Die rote Farbe der Erdbeere ist immer nach der heutigen Anschauung der Wissenschaft eine Bewegung, die auf unsere Nets- hant wirkt, wfthrend gerade das Duften noch nicht so klar als eine Bewegung oder Thitigkeit nachgewiesen ist.

Wire also unsere Sprache auf gleicher Hübe mit der Wissenschaft, so iri&re alles Kstegorienwerk durdieinander gesdimissen. Wir hfttten dann freilich eine werdende Sprache, die nur ein Bruchteil der Menschen yerstehen kdonte. Die Sprache, deren sich auch die Wissenschaft be- dient, ist aber ein Uassenprodukt. Eine entwickeltere Sprache wire die, welche seit R. Meyer, Hebnholts und Mscb gelernt bitte, die alten EigenschaftsbegriiFe der Farben, des Lichts, der Wirme u. s. w. durch Verba und swar durch transi- tive Yerba, ausandrQcken. Solche Aenderungen kann aber der Einaelne nicht machen. Und ich weiss ganz gut, dass es die Menschen liebem würde der Ausdruck ist in der Sdiweis flblicb und sie wundem, wenn ein Gelehrter sagen wollte: Der Baum grünt mich, anstatt: Der Baum ist grfln.

«

Das Ziel aller Wissenschaft ist, Ton der Wirkhchkeits- R«de- welt eine entsprechende Yoistellung zu haben; und da es unmöglich wire, alle EinselTorsteUungen im 'potentiellen Qediebtnis lu behalteD, da für ihnlidie Einzeldinge der Wirküdikeit susammmfassende Wortzeichen eintreten, so liuft das Ziel darauf hinaus: Die Pyramide oder das System oder den Organismus der WirkUchkeitswelt durch eine Pyramide, ein System oder einen Organismus von Worten

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L Pnb<wtimin<hiit det gr*nmi>t.iwhwi SiiuiM.

festhalten und mitteilen zu kSnneii. Bei diesem Ziel der Wissenschaft wird offenbar zweierlei vorausgesetzt. Ordnimg. Erstens, dass die Wirklichkeit irgend etwas in sich au&aweisen habe, was der mechanischen, logischen oder lebendigen Ordnung entspricht, die wir in ihr suchen; wobei zu bemerken ist, dass der Begriff der Ordnung vielleicht etwas so sehr dem menschlichen Verstände eigentümliches ist, dass die Natur ausserhalb des Verstandes eine « Ord- nung* gar nicht kennt. Was mag die Natur von der Sym- metrie wissen, die wir doch so oft an ihr bewundem?

Zweitens aber wird vorausgesetzt, dass unsere Begriffe oder Worte, wie sie sich als Zeichen für Einzelvorstellungen mit Einzeldingen decken, jedesmal der Art, der Gattung, dem Stoff^ der Abstraktion u. s. w. entsprecben, die wir be- zeichnen woUen; es wird also Torausgesetzt, dass unsere Menschensprache gewiBsermassea ein Facsimile, ein Phono- gramm der WirklidikeitBwelt ist, woraus dann aUerdings hervorginge, dass durdx Anhören und genaues Vergleichen der Worte (durch Sprechen oder Denken) fortschreitende Erkenntnis mOglieh wftre. Wie wenig die Sprache su einem mechanischen oder logischen Wissensgebftude, sn einem WeUkatalogf geeignet sei, das ist an anderer Stelle geseigt.

Aber nicht einmal sur Beseichnung der einfachsten, all- taglichsten und bekanntesten Verl^tnisse und Besiehungen swischen den Dingen scheint mir unsie Spreche befähigt, trotzdem die gesamte Sprachlehre oder Grammatik, wenn sie überhaupt einen Sinn hat (fOr Hensdien, welche Ghram- matik fOr eine Anleitung cum Richtigsprechen halten, möchte ich nidit schreiben), nur den Sinn haben kann, dass sie die Kategorien der Sprache und die Kategorien der WirklichkeitBwelt miteinander yergleicht Ich will mich bemühen, einige Punkte aufsuUiren; und ich glaube be- stimmt, dass eine weitere Untersuchung zu dem tragikomi- schen Ergebnis ftQiren wird: wie die zehn Kategorien des Seins, die etwa seit Aristoteles für die höchsten Formen des Veratandes gelten, einfach und kindlich den Bedeteilen der griechischen Sprache entnommen waren, wie die fortechrei-

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galMftantiy und Adjektiv.

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tende Erkenntnis der Kulturvölker festgebunden üu die Radspeichen .arischer" und ähnlich gebauter Sprachen sich selbst im Kreise drehte und die Sprachformen immer tiefer in die Natur hineinphantasiertet so ist es schliesslich eine Selbsttäueehung, wenn wir auch nur die ofifSanbarsten Beziehungsformen der Sprache ftür Abbilder der vrirklichen Beziehiuigsformen halten, wenn wir auch nur solche Kate- gorien wie «Ding* mid «Eigenschaft", weil sie in der Sprache sind, in der Natur zu sehen glauben. Und ich glaube ferner, dass die Entdeckung Kants, mit der er die Fonnen der Er- kenntnis dem Ding-an-sich absprach und dem Intellekt zu- wies, auf die Ahnung dieser meiner Lehre hinausläuft, wie an gehSziger Stelle zu finden ist. Jawohl: Die Kategorien oder Formen aller Erkenntnis sind nicht in der Wirklich- keit, sie sind im Denken, d. h. in der Sprache, dort allein, und darum ist mit ihnen kein lebendiger Hund hinter dem wannen Ofen herTorznlooken.

leb wiH das, so einleuchtend, ja so lachend klar mir auch die blosse Bebauptung erscheint, Torlftufig an den wich- tigsten Kategorien oder Redeteilen aufzeigen: Dem Ding oder SubstantiT, der Qualität oder dem AdjectiT, der Wir- kung oder dem Verbum.

Es uns, das heisst unserer Sprache nahe, die Wortsflicihen Är die wirklichen Einseidinge, also die kon- kreten SubstantiTe wie «Sonne*, «Hund*, für die ursprüng- lichsten und wertroUsten zu halten; wir sind geneigt su glaube, die Menschen könnten sich unteremsnder mit dem blossen Stammeln Ton SubstaatiTen zur Not verstindigen, es wSren also AdyektiTe und Verben sjAter gebildet worden.

Was ist ein Adjektiv? Wllre die Sprachforschung nicht sub- seit jeher auf dem logischen Abwege gewesen, sie lültte seit Locke langsam zu der Antwort kommen müssen, die A4l«kttT. hier fast ohne Vorbereitung paradox erscheinen wird. Ich sage nimHch so: Wir bezeichnen mit einem sub st an- tiTischen Wort die Gesamtheit aller SinneseindrUeke, die wir Ton einem und demselben Ding als seiner Ursache heileiten, z. B. wir bezeichnen mit «Apf^l* das Ding, das

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I. Uiib«fltimiiitfaeit des graminatMchen Siimea.

uns so und so gross, so und so gefärbt, so und so duftig, so und so süss erscheint, wir bezeichnen mit , Sonne" «las Ding, dessen Grösse (resp. EntfernunL!: L dessen Licht, dessen Wärme wir so und so empfinden; wir bezeichnen aber mit einem adjektivischen Wort^ einen ei n zel n en Sinnes- eindnick, den wir unter den von einem Ding hervorgerufenen Empfindungen aus irgend einem Interesse besonders be- merken wollen oder müssen, z. B. wir achten je nach Um- s^nden darauf, dass der Apfel «rot", ^duftig", „gross", ,sfl8s*, dass die Sonne «weit*, ,hell", ,warm" ist. (Wenn wir zufällig Rote, Duft, SOssigkeit, Helligkeit, Wärme sagen, hört darum der adjektivische Charakter nicht auf.)

Wenn man nun bedenkt, dass alle abstrakten Worte neuerer Fasson sind, dass die ältere Sprache selbstver- ständlich und nachweisUdi mit konkreteren Worten aus- kam, dass aber wie wir eben entdeckten alle kon- kreten Adjektive (die Neubildung muss wohl gestattet sein) sich psychologisch von den konkreten Substantiven nur durch die Zahl der bezeichneten Sinneseindrücke unter- scheiden, 80 fallt das Gerede T<m swei Kategorien oder Formen, denen sie angehören, zusammen. Hier also schon, an der Schwelle, will die Sprache oder das Denken künst- liche Kategorien in die lachende Wirklichkeit hineintragen.

Und man hüte sich wohl, zu glauben, jetat sei also das Adjektiv als älter anzusprechen, W6Q es nur einen Ein- druck bezeichne, das Substantiv aber zwei bis sechs, oder je nach Zählung noch mehr. Denn erstens ist der Ge- samteindruck natürlicherweise gewöhnlich früher da als die Einzelempfindung, „Apfel" früher als „rot". Zweitens aber ist ja eben und darauf lege ich die Betonung nur die Sinnesempfindung wirklich und das Zttchen für sie gleichgültig. Vor der Unterscheidung zwischen Substantiv und Adjektiv ist der Sinneseindruck da. Und wo nur eine Empfindung überhaupt vorhanden ist, da verschwindet der Unterschied zwischen Adjektiv und Substantiv. Wenn das Kind einen glänzenden Punkt am Himmel sieht und keine Neberempfindung hat, so ist es gleich, ob es «Stern* sagt

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Safaffcaatir and Verbum.

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oder ,hell"; ähnlich ist es oft gleich, ob wir sagen , Wasser" oder ,nass*, »Feuer* oder «heiss". Ganz gleich; in Wort und Gedanken j?leich.

Es ist also schon hier klar, dass der Unterschied, der etwa dem Unterschiede zwischen den Kategorien von Sub- stantiv und Adjektiv entspreclieii könnte, ein unvergleichlich andrer ist in dpr Wirklichkeitsweit und in der Sprachwelt. Will ich die Ge&aintheit von Empfindungen (oder virlmehr ihi'e gemeinsame Ursache) njit einem \\ Orte va^^rp bezeiclmt n. so sage ich ein socrfniinnt« s Suljstantiv ; beachte icii einen Teil davon, eine einzelne Eniptimlunij:. so sage ich ein Ad- jektiv; beobachte ich diese Einzeleiii{»tindung so aufmerk- sam, dass ich an ihr wieder etwas zu unterscheiden im stände bin, so wird das Zeichen wieder ein Substantiv, ein Abs- fractijni ( Apfel rund Rundung), So schwanken die scheinbar festen Katet^on'en wirr durcheinander, wie Traum- bilder von jeder Stimmung des Augenblicks abhängig. Und noch mehi*. Wenn es gewiss ist, dass der natdrliche Mens« h heut wie in einer Urzeit früher das Dmg wahrnuüm als seine Eigenschatt, so ist es ebenso gewiss, dass er das Ding doch nur nach einer Sinnesempfindung merken, be- zeichnen, benennen konnte, dass er das Substantiv aus ad- jektivischen Worten metaphorisch bildete. Beispiele lassen sich nur aus der jüngsten Schicht der Sprache beibringen; aber es muss immer so gewesen sein.

Auch zwischen Substantiv und Verbum scheint nach Sob- dem Gerede der Sprachphilosophen ein tiefer Kategorien- "'"„^^ unterschied zu besteben. Und auch meine Erklärung klingt varbnm. vielleicht ähnlich, wenn ich sage: Das Substantiv bezeichnet die Gesamtheit der Empfindung, die von einer Ursache aus- geht, das heisst es bezeichnet eben die Ursache, das Ver- bum aber bezeichnet eine Veränderung dieser Ursache in Raum und Zeit. Man achte nur auf die ich will sagen konkreten Verben, s. B. »der Baum bl&hfc*; wieder be- achtet die Sprache eine einzelne Empfindung, die sich aber Tom A<iyektiY («der Baum ist grün") dadurch unterscheidet, dass wir eine Aenderung, eine Entwickeiung, eine Bewegung,

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I. Unbestimmtlieit des grammaUacheu Sinnes.

oder wie man es nennen will, wahrgenommen haben. „Eis regnet'' sagt darum durchaus nichts anderes als das Sub- stanti? liegen * , unter Umstanden nichts anderes, als das Adjektiv „nass". Und wieder ist daran zu erinnern, dass ganz gewiss nn vielen Diugen, den beweglichen zumeist, eben die Veränderung am meisten auffiel, dass darum diese Veränderung das sie P.» zeichnende wurde und so diejenigen Substantivp. die nicht Adjektive waren, eben Verben waren. Woiili2:eiiii'i kt, zu einer Zeit, als die Kategorien noch nicht aufgestellt werden konnten, die in der Wirklickkeitswelt nicht sind.

Ich überlasse es anderen, den Spuren nachzugehen, die die adjektivische Welt mit andern .Kategorien" verbinden: für mich hat es immer etwas Adjektivisches, wenn Teü- vorstellungen von einem Dinge „ausgesagt" werden. „Vier- händig" ist «50 ein Adjektiv, das ebenso hübsch durch : (der Affe) „hat vier Hände" ausgedrückt werden kann. Mau sieht die Metapher deutlicher, wenn wir z. B. sagen: Der Apfel hat ein rotes Ansehen, rote Backen, hat «Üssen Geschmack, hat den und den Geruch, anstatt: Ist rt^t, süss u. s. w.

Decken sich also die allgemeinsten Formen der Wirk- lichkeit, ihre Kategorien, schon in den deutlichsten Fällen nicht mit den Redeteilen, den Kategorien der Sprache, wie soll es erst in den knifflichen Fällen der Verhältniswörter und Fürwörter werden? Und wie soll die Einheit der Formen in Wirklichkeit und Denken gerettet werden, wenn wichtige Kategorien der einen Sprache in andern Kultursprachen fehlen? Und wie soll es werden, wenn die moderne Natur- forschung endlich das Recht beansprucht, die Sprache zu verbessern, wie sie durch künstliche Mittel die Sinnesorgane rerbesseit hat? Wie wenn sie die künstlichen Sinnesempfin- dungen, wie wenn sie die Ergebnisse schwieriger Experi- mente sprachlich ausdrücken wollte? Wenn sie Schall, Licht, Wärme u. s. w. als Bewegungen bewiesen und wahrge- nommen hätte und nun verlangte, dass da Adjektiv durchaus zum Verbum würde? Wo blieben dann die alten Kategorien dee Aristoteles?

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Subjttklivitit d«r Kategorien.

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I>och selbst, wenn wir den Yorläufig paradoxen Qe- danken, die Zukunffcssprache unsern verbesserten Sinnes- organen (Mikroskop, Teleskop, Mikrophon, analytischer Me- ehanik und mathematischer Analyse) anzupassen, auf sich beruhen lassen selbst dann ist die alte Eategorienlehre nicht zu halten, nicht in der ursprünglichen Fassung und nidit in irgend einer Umdeutung.

Piaton ist noch frei Ton ihr, was aber nicht sein Ver- dienst ist. Er hatte eben noch von den Redeteilen, die nach ihm aufgestellt wurden, keine rechte Vorstellung; darum idlein faselte er noch nicht von den Kategorien des Seins und begnOgfce sich mit einer einzigen: der Idee; seine Ideen waren üim so etwas wie Modelle alles dessen, was wir vor- st«llen können. Er war der Srzrealist, im 8inne der Scho- lastiker natürlich, und h&tte, wenn er von Präpositionen gewusst hätte, irgendwo in Wolkenkuckucksheim auch eine Idee der Präpositionen angenommen. Seine Ideen waren ikm die MOtter, die Malarisen unsere EinzelTorstellungen; db er aber glücklicherweise noch nicht Grammatik gelernt hatte, so hatte wenigstens jede Vorstellung nur eine Hutter, eine Idee; seit Aristoteles, der schon Grammatiker war und Logiker dasni, konnte jede Vorstellung bis zehn solcher Hütter haben.

«

Der Mensch steht in der Welt als ein Zusehauer, wie im Theater, ünd wie es eine besondere Optik des Theaters gibt, durch welche uns die Bühne erst die schöne Illusion gewahrt, so gibt es für die Welterkenntnis eine Optik des Geistes, der wir die Illusion einer Erkenntnis Terdanken. Das Denken ist das Dlusionsmslrument des Menschen.

Schon beim Bilden der einfachsten Begriffe das heisst K«t«- beim Vei|^eiohen der Dinge, wirkt das subjektiTe Interesse ^^^^^^^^ mit, sei es das Interesse des Einzelnen, sei es das gleiche Interesse der Menschen. Es kann gar kein Zweifel daran 8«n, dass interessierende, nützliche oder schädliche Tier- Bxien froher benannt wurden als gleichgültige. Eine ün-

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L UnbestaouDtheii d«s grammatiiohen Sinnes.

zahl gleichgültiger Tierarten hat in der lebendigen Sprache noch heute keinen Artnamen, wenn dieser auch in der wissenschaftlichen Terminologie scheinbar existiert. Noch stärker äussert sicli lias subjektive Moment des Interesses bei den obersten Artnanien oder Kategorien. Die Optik des Geistes hat freilich die Illusion hervorj?erufen , als ob die allgemeinen Kategorien der Grammatik (»dt i Logik, wie diese bei uns historisch gewordt ti isL, der VVirklichkeitswelt entsprechen. Wir glauben in der Wirklichkeitswelt das zu sehen, was wir in unseren Eigenschaften und ihren Steige- nmi^'en, in unseren Verbeji und ihren Zeitformen, in unseren Hauptworten und ihren Zahilbrmen sprachlich besitzen.

Vor Ausbildung dieser jüngeren Kategorien besnss die Sprache oder '\n< Denken jedentalls andere. Für dns Ei;^en- schaftswort ist es charakteristisch, dass das meist gebrauchte (gut, besser) immer noch keine sprachliche Steigerung be- sitzt; ebenso hat das meist gebrauchte Yerbum (sein, bin, war) keine sprachliche Konjugation. Da"-' ist ganz auffällig so auch in anderen Sprachen. Es scheinen Reste aus einer Zeit zu sein, in welcher die Kategorien der Steigerung und der Zeit noch nicht vorhanden waren. Man kann damit den Dual der älteren Sprachen vergleichen, der aus unseren Kultursprachen verschwunden ist.

Dagegen müssen in sehr alter Zeit Kategorien vor- handen gewesen sein, die in dieser Art heute nicht mehr gewürdigt werden. Als noch die Welterkenntnis auf den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde beruhte, konnte der Gegensatz von nass und trocken so tiefdeutig erscheinen wie heute der Gegensate von Geist und Körper. Irgend einer Weltanschauung, dio auf dem Gegensatz der Ge- schlechter beruhte, mag der sprachliche Unterschied Ton männlich und weiblich entstammen, der heute noch unsere Sprachen beschwei-t. Noch weiter zurückgehen mag der Gegensatz des Essbaron und des Ungeniessbaren , zweier Kategorien des Naturmenscken, die in der Sprache heute noch z. B. bei der Einteilung der Pilze fortleben. Unsere stolze Wissenschaftlichkeit glaubt dieses subjektive Moment

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LitareM noA Aiibegiiff.

IS

in der Kafcegorienbildung überwanden zu haben ; aber hinter deii hOchston EinteilungsgrOnden jedes Weltkatalogs , auch des neaesteUf steckt irgend der alte Gegeasats awiechen dem Essbaien und dem Ungeniessbaren. Das Interesse lenkt die AnfknerkBamkeit, die AufiDerkaamkeit scbafflt sich die Er- innemi^, die Erinnerang wird nir Sprache.

Es ist gar nicht merkwürdig, dass die allgemeinsten Begnffe, die in der sogenannten Logik aus der jeweiligen Welterkenntnis abstrahiert worden sind, sich in der Gram- matik als Benehnag^yrmen der Sprache wiederfinden. Es gibt nimlich gar nichts Allgemeineres und in der Sprache hiufiger Aussudrückendes als diese Beriehungen z. B. auf Zahl, Zeit und Ort. Ein Mensch kann in seinem Leben noch so viele Hunde bemerken und Anlass finden davon za sprechen, er wird dennoch den Begriff Mehnabl oder den Begriff Vefgangenheit in unendlich häufigeren FtUen anzu- wenden haben. Darum konnte das Lautaeiehen fllr Hund spesifiaiert bleiben, wShrend die Lautaeiehen fDr Hehrzahl oder Vergangenheit zu grammatischen Kategorien wurden. Die lebendigen Sprachen haben diese Lautzeichen z. B. fUr Mehrzahl oder Vergangenheit nicht einfach genug; die Ver^ schiedenheiten der Deklinationen und Konjugationen, die beim Erlernen einer fremden Sprache solche Schwierigkeiten machen, sind ganz gewiss unverstSndliche Veberreete aus Zeiten, in welchen nach der damaligen Weltanschauung handgreiflichere Kategorien wichtiger eisehienen als die der Zahl und der Zeit

Vielleicht wird man es nicht zu kOhn finden, wenn ich laiMreMe behaupte, dass dieses subjektiye Moment in der Kategorien* ^ bfldung selbst bei Artbegriffen thfttig ist. Hund ist ein «esriff. Artbegriff. Schreibt aber jemand eine Abhandlung oder ein Buch Aber Hunde, so wird für ihn und ftr den Leser all- mählich Hund zu dem interessantesten Begriffe, zu dem obersten Begriffe eines mehi;^rigen oder für den Leser wochenlangen ausscUiesslidien Intereeses. Ebenso wird fttr den feurigen Liebhaber der Gegenstand seiner Liebe zum obersten Begriffe seines Interesses. In einem Buche Uber

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14 I* ünb— Ümmtheit des gnnunatudieD SimiM.

Hunde wird der Hund zur Kategorie, iiii Denken des ernst- haft verliebten Jünglings wird ein weibliches IndividiUim zur Kategorie. Und das äussert sich denn auch sofort sehr einfach in der Sj)rache dadurch, dass in dem Buche immer nur von «ihm" die Hede ist, in dem Denken des Jttnglings von .ihr".

«

Die ältere Grammatik lehrte schlecht und recht, dass Regeln da seien, die wie andere Gesetze befolgt werden müssen, bei Strafe für ungebildet zu gelten. Gegenwärtig herrscht eine liberalere Anschauung, die in der Sprache einen Organismus sieht und die Herrschaft der Sprach- gesefase weniger äusserlich macht. Man wird z. B. heut- zutage Ton bessern Lehrern nicht mehr hdren, dass die Pra^ Position den Casus „regiere*". Man möchte gern in der Sprache einen anarchistischen oder wenigstens demokrati- schen Idealstaat sehen, in welchem jede Notdurft sich die passende Form selbstherrlich neu bildet.

Nun aber ist es doch nicht wegzuleugnen, dass es fest- stehende Formen gibt, dass es Präpositionen z. B. gibt, mit denen wir den Sinn einer gewissen Richtung yerbinden, dass es Casus gibt, die sich regelmässig fUr einen gewissen Sinn sur Verfügung stellen. Ohne solche Formen wären die Sprachen nicht möglich. Sie bringen den unennesslichra Gedächtnisstoff unserer SinneseindrQcke und der aller unserer Vorfahren ein bisschen in Ordnung, sie sind die Hilfen des Oedachtnisses. So muss man sagen, dass z. B. die Prä- positionen ihren Casus zwar nicht regieren, aber durch die Analogie so fest an ihn gebunden sind, dass der einzelne sich ihrer Tyrannei nicht entziehen kann. üBbe. Ein Irrtum aber auch der neueren Sprachwissenschaft heii dir ^ wenn sie dieser Analogie zu sehr vertraut und den XAte> Formen jedesmal einen bestimmten Sinn unterlegt. Wir t»*^' wissen, dass es der Sprache wesentlich ist, unbestimmt und nebelhaft zu sein. Auch der konkreteste Begriff ist noch Yerschwommener als die Wirklichkeit das heisst als die

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Sinnefleindrücke, welche wir von ihr empfangen. Um wie Tides nnbeetammter mttssen dann die Formen der Grammatik sein, welche all<»&mt Abstraktionen sind.

Was zunächst die Präpositionen betn£Pt, so liegt die Bntwickelung doch offenbar ähnlich so wie b^ der Ver- bindung des Fh>nomen8 mit der entspreehenden Form des Verbums. Wenn ich sage «du schreibst*, so war nrsprOng* lieh die zweite Person schon in der lindung art* aus- gedrückt; die VonuMeteung des »du* war nrspittnglich eine 'Wiederholnng des Zeichens flir die zweite Person, bis in den chinaisierenden neuem Sprachen der Sinn der Endsilbe Terloren ging und das Zeichen f&r die zweite Person allein im vdu* haften blieb. Ebenso gab sicherlich zuerst die Gasosendung eine Richtung und dergleichen an und diese Angabe wurde durch ein stSifceres Wort Terdoppelt Als die Sprachen die Gewohnheit annahmen, diese Wiederholung zum alleinigen Ausdruck des Verhältnisses zu machen, wurde auch das VerhBltniswort zur Präposition, während zuerst der Sinn der Gasusform Terblasste und schliesslich, wie im Eng- lischen nnd Französischen, die Casusform selbst.

Es ist rergebliches Bemflhen, in den alten oder neuen Oenittv. Casusformen eine einzige Bedeutung entdecken zu wollen. Was durch die ganze Sprache hindurchgeht« werden wir auch hier nachweisen können. Die Umstände lenken die Auf- merksamkeit dahin oder dorthin. Im sprachlichen Ausdruck werden die einzelnen Vorstellungen nacheinander wachge- rufen, um wieder durch die Erinnerung der begleitenden Umstände aufeinander bezogen zu werden. Im Laufe der Zeit haben sich nun Casusfonnen entwickelt, weldie die HaupiTOrstellung von den NebenTorstellungen scheiden, aber diese Scheidung bleibt immer schwankend, die Beziehung der NebenTorstellungen bleibt immer unbestimmt Wenn ich ohne Casusform die beiden Worte Komet und Jahr nebeneinander setze, so kann das sowohl heissen, »das Jahr eines bestimmten Kometen* als «der Komet eines bestimmten Jahres*. In dar ausgebildeten Sprache wird nun die Neben- Yorstellung im Genitiv susgedrflckt Der Genitir bezeichnet

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15 I. üttbertiminlihea dM ggtauaalaatibm fiiniiM.

in dem einen Falle den umfassenden B^rifiT, in dem andern den umfitösten. Man hat die Bedeutungen des OenitiTS sehr sauber logisch eingeteilt. In unseren Schulgrammatiken heisst der GemÜT der BeeitefoU (was gar nicht aufrecht zu erhalten ist); dann teilt man ihn in einen besitzanzeigenden GenitiT, in einen QenitiT der Teilung, des Sfcoffii, der Sigen- sehaft, in einen subjektiTen und ohjektiTen GenitiT, in einen herrormfenden und abzielenden Genitiv, und mnss am Ende noeh einen absoluten Genitir hininflBgen, um solche An* Wendungen susammenzufassen, die sich dem Schema nicht fügen wollen. Aus dieeem Wirrwarr hat schon Hermann Paul dadurch sich zu reiten gesucht, dass er sagte, «in den indo-germanischen Sprachen werde der GenitiT zum Aus- druck jeder beliebigen Beziehung zwischen zwei SuhstantiTen Terwaadt* (Pr. d. Spnichg. S. 126), wobei er Ton dem mit Verben verbundenen Genitiv absah. Wenn wir aber be- denken, dass alle grammatischen Sprachformen ebenso zum Ausdruck Ton Beziehungen der Vorstellungen verwandt werden, so ist die verzweifelte ErUirung Pauls noch ftrmer als sie ihm selbst erschien. In Wahrheit sagt sie nur, dass der Genitiv eine Sprachform sei, was doch eigentlich noch unter dem NnUwert einer Tautologie steht. Wir können nicht darOber hinaus, im Genitiv dw Form eines Wortes zu sehen, welche uns auffordert, unsere Aufmerksamkeit von einer Vorstellung auf eine assodierte Vontellung zu lenken; oder vielmehr, da die Association unbewusst erfolgt, so ist der Genitiv die Ausdrucksform für die nnbewusste Asso- dationsthfttigkeit. Man könnte einwenden, dass diese Er- klämng auf jede andere Casusform (um nur beim Nomen zu bleiben) ebenso gut passen wQrde. Sie passt auch auf jede. Und aUe BemQhnngen, in den Gebrauch der ver- sdiiedenen Casusformen logischen ^nn hineinzubringen, scheitern an der Thatsache, dass in den verschiedenen Sprachen jede Beziehung durch jede Casusform ausgedrOekt werden kann.

Im Lateinischen kann amor patris noch heides bedeuten: die Liebe des Vaters und die Liebe zum Vater. Je nach

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den begleiteaden Umständen wird der Hörer die beiden -Worte im Sinne des Sprechers richtig verstehen, ohne dabei auch nur im entferntesten einen Unterschied im Sinne der Oenitivfonn zu empfinden. Es kann uns gleichgültig seint durch welchen Zufall der Analogiebildung die Unbestimmt- heit der Bedentang in diesem Falle so gross werden konnte, dass sie Gegensätze uinfasst. Man glaube nicht, dass solche Fälle vereinzelt sind. Im Deutschen bedeutet Yaterliebe allerdings nur die Liebe des Vaters; aber schon das nah- verwandte Wort Elternliebe kann nadi unserm Sprachgefühl sowohl die Liebe der Eltern als die Liebe zu den Eltern bedeuten t und Vaterlandsliebe ist ganz eindeutig doch nur darum, weil das Vaterland seinerseits nicht lieht. Die be^ gleitenden ümstftnde entscheiden.

Die herOhmte hesitBanzeigende Bedeutung des Genitivs, welche doch eine Zahl Ton Beispielen auswählt, in welchen diese Gasusform einen bestimmten Sinn zu haben sehemt, ist Tiel unklarer, als unsere Grammatiken glauben machen. Wo steckt die besitzanzeigende Bedeutung eigentlich: in «der Fflrst des Landes* oder in »das Land des Fürsten*? Ge- hört der Fllrst dem Lande oder gehört das Land dem Fürsten? In WirUiehkeit gehört nur eines zu dem andern, in unseren Vorstellungen nimlich. Der GenitiT bezeichnet beidemal nur eine Association. Aber selbst in ganz einlach ausge- wShlten Beispielen des deutlichsten besitaanzeigenden Sinnes wird die Vorstellung je nach den Umstanden noch schwanken. Wenn ich sage »der Bock des Vaters*, so kann ich damit immer noch TerschiedMie Bedehnngen ausdrücken wollen z. B. zuerst natürlich «das ist der Bock, der dem Vater gehört*, aber auch «das ist der Bock, der dem Vater ge- stohlen worden ist*, oder auch «das ist der Bock, den ich dem Vater zu Weihnachton schenken will*.

Bine besitzanzeigende Verwendung scheint es durchaus zu sein, wenn wir den Sonntag den «Tag des Herrn* nennen. Dem Sinne nach erfordert das Verhältnis aber offenbar den DatiT. Es ist der Tag, der dem Herrn geweiht ist. Ebenso scheint «das Werk des Dichters* eminent besitzanzeigend.

X mn(k vttr» BdtrSge bb elii«r Kritik dw SpTaeli«. HI. 2

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1. UnbeBtimmthait des gnunmaUBChen SmiiAi.

Die Beziehung ist aber eine ganz andere; es soll gesa^;t werden, das Werk, welches der Dichter der Welt geschenkt hat. Und in der Umkehruug ,der Dichter des Werks sagt der Genitiv wieder, der Dichter habe das Werk (Ak- kusativ) verfasst. Der Genitiv ist nichts weiter als das Mädchen für alles und hat jedwrile Be'/irhuug einer sub- stantivischen Votstellung kurz ausziulrii n. Eine andere Analogie hat ihn nicht gebildet. Nur kleine IJczirko inner- halb seines Gebrauchs lassen etwas hestiiniutt re aber nie- mals ganz fest definierbare Analogien erkenne n.

»Ich" das In derselben Unbestimmtheit bezeichnet der Akkusativ jede Beziehung irgend eines Substantivs zu irgend einem

Objekt. Verbum. Man wird einwenden, dass die Hauptbeziehung zwischen Substantiv und Verbum (im einfachsten Satze nämhch) durcii den Nominativ ausgedrückt werde. Wir müssen uns unserer Auffassung vom Satze erinnern, um diesen natürlichen Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ zu begreifen und abzuthun. Der einfachste Satz, der nur aus Subjekt und Prädikat besteht, kann und muss darum auf jede ('asusform verzichten, weil er ja noch gar nicht zwei Vorstellungen in Verbintlung bringt, sondern nur eine Vorstellung auseinanderlegt. ,Die Sonne leuchtet*" ist nur eine einzige Vorstellung; „die Sonne" allein gibt den gleichen Gedanken. In der ausgebildeten Sprache, die sich von der Anschauung emancipiert hat, scheint allerdings der Prädikatbegrifif zum Subjektbegriö' erst hinzu zu treten; aber er ist immer aus dem Subjektbegriff herausgenommen. Es gehört zum Betriff der Sonne, dass sie leuchtet. „Der Baum blüht*' scheint schon mehr zu sagen, weil der Baum doch nicht immer blüht. Aber in allen individuellen FäUen kaon ich, wenn ich nämlich den blühenden Baum Tor mir sehe, die Vorstellung des Baums ohne sein Bltlhen gar nicht fassen. Zeige ich mit meinem Finger auf die Sonne, auf den blühenden Baum, auf das schlafende Kind, auf den strömenden Fluss, auf denk heranrückenden Feind, so weise ich jedesmal untrennbar auf Subjekt und PiUdikat zugleich hin. Ich kann das Prädikat so wenig Tom Subjekte trennen.

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.Ich' das gemeinsame Objekt.

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wie in dem Satie «der Schnee ist weiss". Es wäre gar kein Schnee, wenn nieht weiss wire. Es wlre zam mindeslen nicht dieser Baum, wenn er nicht blühte, es wäre nicht diese« Kind in diesem Angenblicke, wenn es nicht schliefe u. s. w. Die Orammailk imtersch^det das Adjektiv ^ weiss" und das Yerbum ^ schlafen'^ durch den Unterschied in- von Eigenschaft nnd Thfttigkeii Dieser Unterschied he- '^JJ^'*^* steht bereits nicht mehr fUr unsere naturwissenschaftiicbe Psychologie; um wie viel weniger sollte er für die Logik bestehen, die nur mit Merkmalen der Begriffe zu thun bat. Ob wir im einfachsten Satz einen konkreten Begriff in Numen und Adjektiv oder in Nomen und Verbuni ausein- anderk'f^en . das hängt doch eigentlich nur von unserer Naturerkenntnis ab oder vielmehr von der ererbten (iewohn- heit, uralte Natuianscbaiuingen sprachlich wiederzugeben. Ob ich sage wie alle Welt _der liiniiin.1 ist blau" oder , der Himmel blaut", ob ich sage ..die Hose ist duftig" oder -die Rose duftet"*, da.s ist vorläufig nirbu weiter als ver- schiedene Sprachgewohnheit und ist iiumer nur ein Aus- breiten eines Begrifis, nicht ein Zusannnenfassea zweier Be- griffe. Es ist teils falsche Naturvorsteliung gewesen, teils reiner Zutall. dass die Merkmale eines Begriffs bald durch Adjektive, bald durch intransitive Verben ausgedrückt wer- den. Man hätte sämtliche Adjektive wegdenken und an ihrer Stelle intransitive Verben setzen können. Sämtliche intransitive Verben aber sind t.s in unserer Vorstellung nur darum, weil wir uns sprachlich und gedanklich ir« wi lint haben, ihr alleiniges und gemeinsames Objekt nuht zu \>p~ achten. Der sprechende Mensch ist das gemeinsame Objekt aller inrrun' itivcn Verben. Deutlich ist das an denjenigen zu erkeniitiU, die eine unmittelbare Re/ieluiiii,'' zu uusern Sinnen haben. Wir haben diese ti{iru( li^re\v(jhuiieit nur nicht, weil das gemeinsame Objekt aller binnesemdrücke der Welt un^ gar zu wohl bekannt ist. Aber in Wahrheit bin ich es, den der Baum grünt.

Nun gibt es unzählige andere Beziehungen in der Natur, wo die hervorgerufene und wahrnehmbare Verände-

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20 I* Dnbertimmtbeit dee gMnunatiiokaii Biiuiei.

ruDg nicht unmittelbar in unseren Sinnesorganen Torgeht, sondern ausserhalb derselben an anderen Objekten. Wir drücken die eine Qruppe entweder durch ein Adjektiv oder durch intransitive Verben aus, die andere Gruppe durch die sogenannten transitiTen Verben. Eine genaue Beobachtung, die sich allerdings Uber unsere Spraehgewohnheiten hinweg- setsen muss, wird uns lehren, dass der Unterschied swischen intransitiTen und transitiTen Verben nur auf ungenauer Psychologie beruht und Überdies keine bestimmten ChreU' zen hat.

Ich nehme es als zugestanden an, dass die Merkmale der Dinge, die wir durch Adjektiye ausdrücken, ebenso gut durch intransitiTe Verben hätten ausgedruckt werden k0nnen. Wir wissen, dass die Empfindung der grünen Farbe erst durch eine Wirkung auf unsere Netshaut herrorgerufen wird, dass wir das Objekt des scheinbar intransitiTen Ver- bums «grünen* sind. Der Satz «der Baum grünt mich** ist noch ganz und gar gegen unser Sprachgefühl gebildet. Aber unser Sprachgefühl gestattet doch schon anstatt «der Baum ist grün* wenigstens zu sagen «der Baum grünt*. Dasselbe Sprachgefühl gestattet aber nicht das AdjektiT «weiss* in das intransitiTe Verbum «weissen* zu verwan- deln, vielleicht nur, weil es ein transitives Verbum «weissen* gibt. Das Sprachgefühl verfährt dabei ganz unlogisch. Die Thatsache, dass ich das Objekt aller Sinneseindrücke bin, dass ich also als Objekt zu allen intransitiven Verben hin- zugefügt werden müsse, ist dem Sprachgefühl nicht ganz fremd. Wenn mein eigenes Sprachgefühl mich nicht Buscht, so sucht die Sprache diesen Umstand durch den sogenannten Dativus ethicus häufig auszudrücken. In Prosa und Poesie können wir sagen: Der Apfel schmeckt mir (süss), die Rose duftet mir, der Baum grünt mir. Versenken wir uns in den Sinn dieses Dativs, so w^en wir erkennen, dass er eigentlich wirklich das Objekt des Schmeckens und Duftens ausspricht: nur weil das gewohnte äussere Objekt nach un- seren Spraehgewohnheiten im Akkusativ ausgesprochen zu werden pflegt, nehmen wir für das innere Objekt den in-

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Entatehiing des Tranntivams.

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timeren Dativ zu Hilfe. Ich kann mich nicht anders aus- drücken und vertraue aut das ÖpracliLrffnhl des Lesers.

Nun achte man auf den Ueber^Miijj; vom intransitiven Eni* Verbunv zum transitiven bei denjenigen Wahrnehmungen. die uniiJittelbar unsere Sinne betreffen. Als vermitteln(h's Truwi' Beispiel wählp ich das Wort , rufen". Wollen wir damit mir die Khmf^'en L t^'"un<^ Hu^ili iickeUt die s\ch damit begnügt, in unsertiii ( ichüroigari einen Klang *'ni |iliiiflen zu lassen^ .so fassen wir das Wort als intransitiv. ,Der Kuckuck ruft*. Empfinden wir dabei eine gewisse Aufforderumr, zuzuhören , so setzen wir wohl den Dativ dahinter. Faust sagt tief ergriffen: ..Wer ruft mir?" Soll aber mein Ich das äussere Objekt des Kufens werden, soll ich daraufhin eine Veränderung mit mir vornehmen, dem Rufenden ant- worten oder zum Kufendtn lims^Hhf'n, so wird das Wort transitiv und ich frage ,wpr rult mich?"

Ich hoffe, die Sache nun im Bereiche anderer Sinne noch deutlicher zu machen, wenn mir auch kein so gutes Beispiel mehr einfällt, wo das Verbuni beim Uebergang vom Innern zum äussern Objekt dasselbe bleiben kann. Höchstens der Geschmackssinn gibt noch Gelegenheit dazu. Wir sagen „der Pfeffer brennt", „die gepfefferte Speise brennt mich" ; der Unterschied ist kaum wahrnehmbar; ich glaube aber doch, dass mit dem ,mich" die Erklärung für eine Reaktion angedeutet wird. Ich meine das so. Wir sagen «der Schnee ist weiss" oder „der Schnee leuchtet"» solange die Weiss Wirkung auf mein Sehorgan die normale Stärke nicht überschreitet, solange ich unbewusst das Ob- jekt der Tbätigkett des Leuchtens oder Weissseins bin. Ich kann dann auch aagen .der Schnee leuchtet mir", was frei* lieh auch noch einen andern Sinn erhidte. Sowie aber die Einwirkung des Leuchtens oder Weissseins auf meine Ketahaut so stark wird (die gepfefferte Speise brennt mich), dass ich gezwungen bis, eine Veränderung wenn auch nur durch Reflexbewegung Tonanehmen, die Augen za schliessen, den Kopf abzuwenden, Thränen zu vergiessen und der- gleichen! dann werde ich sofort aus dem innem Objekt des

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1. Unbestimmtheit des grammatischen Sinnes.

Leuchtens ein äusseres Objekt und ich sage «der Schnee blendet mich*. Damit glaube ich ein gutes Beispiel geliefert KU hAben für die psychologische Thatsache, dass ein blosser Chradunterschied einer Naturthilktigkeit aus dem intrandttTen Verbum dn trattsiti?e8 machen kann. Dass wir im Deutschen zwei Tcrschiedene Verben brauchen, ist ein bloeser Zufall. Akkoutiv. Diese scheinbare ^bsdiweifimg w&re nidit firnddlos gewesen, wenn sie uns auch nur dazu gefuhrt hütte, dass eine ungenaue Psychologie unklar bald den Akkusatir bald den Dativ fttr das gleicherweise , leidende" Objekt stellen lässt. Die Abschweifung war aber notwendig, um das Wesen des Akkusativs besser ids bisher zu erklären und daran fügen zu können, warum sein Sinn unbestimmt bleiben musste. Wir haben gesehen, dass der einfache Satz (Sub- jekt und Prädikat) nicht eine A.ssociation von zwei Be- gritien ist, sondern nur die Ansei nanderbreitunj^ Eines Be- griffs. Mit einem Blick lassen sich beide Begriffe unifas.sen, weil der eine iiu andern enthalten ist. Das Auge braucht sich gewisserraassen beim einfachen Satze noch nicht zu bewegen. Mit dem einzigen Hinweis des Zeigefingers deuten wir auf das Kind , das schläft , auf den Baum . der blüht u. s. w. Auf ilas ()])iekt brauchen wir nicht hinzuweisen, weil das Objekt selbst dem Finger die Kichtung gab. Ich deute mit dem Finger aut den Baum, der blüht. Vollzieht sich die Veränderung aber nicht in mir selbst, sondern in der Aussenwelt. so muss ich allerdings das Auge bewegen, den Finger hin und her fähren, zwei Begriüe associieren. .Der Fischer hscht den Fisch", ,der Schlächter schlachtet (las Srhlarhtvieh*. Ich wähle absichtlich etymologisch ver- wandte* Worit. Die einfachen Sätze .der Fischer fischt*, »der Schlächter schlachtet" deuten noch auf keine Veräude- rung in der Aussenwelt extra hin: erst wenn eine solche Veränderung hei vorgerufen wir«!. a'=s(H"iieren wir einen neuen Begriff. Und die Sprachen haben sicli gewöhnt, diejenigen Begriffe, an denen «lie durch eine Thätigkeit hervorgerufene Veränderung wahrneiimbar wird, in der Casusform des Akkusativs auszudrücken.

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Welches soll nun d«r gemeinsame Sinn dieses Akku- sati'fs sein? Solange wir uns im Banne der Sprache be- finden, werden wir ganz einfadi sagten: er bedeute, dass der Gegenstand eine Veronderung erleide, dasa er das Ziel einer Thätigkeit sei und dergleichen mehr. Ein genaues Hinhorchen auf unsere e^jene Sprache muss uns aber dar- über belehren, dass das nur bildliche Worte für durchaus unvergkicbbare und unzusammenhängende VerhUtnisse sind. Kur unter dem Banne der Sprache, die sich eine Analogie aller AldEOsatiTe eingeredet hat» um den Akkusatir ana- logisoh auf alle Objekte anwenden su kdnnen, werden wir den AkkusatiTen: der ScbUkhter schlachtet das Bind, ich liebe die Arbeit, ich schreibe einen Brief, ich nenne dich mein Heimchen, Gelegenheit macht Diebe n. s. w. einen gemeinsamen Sinn unterlegen kdnnen.

Man hat ebenso wie beim GenitiT auch beim AkkusatiT eine logische Einieflnng in Tenchiedene Bedeutungen her- ausKufinden gesucht Ich habe vorhin beim GenitiT den Punkt nicht erwihnt, auf den ich jefzt hinweisen muss. Angenommen auch, es sei eine solche logische Einteilung da oder dort möglich, will dann irgend ein Grammatiker der Welt behaupten, dass beim lebendigen Gebrauch der Casusfoiraen irgend ein Bewusstsein oder auch nur die dunkelste Ahnung der logischen Einteilung rorhanden sei? Für das Sprachgeftlhl des Nichtgesdiulten gibt es nur einen GenitiT, nur einen AkkusatiT. Die Unbestimmtheit des Sinns jeder einzelnen Oaimsform ist so gross, dass nichts weiter Qbrig bleibt, als von ihnen zu sagen: sie deuten Be* Ziehungen an. Die umgebende Wirklichkeit, respektiTe die wacbgemfene Erinnerung an sie gibt den Casusformen in der jeweiligen Anwendung erst ihren besondem Sinn. Ich brauche für Fachleute nicht erst hinzuzufügen, dass für die flbrigen Casus noch in höherem Hasse gilt, was ich fOr den GenitiT und Akkusativ nachgewiesen habe.

üebrigens ist die Thatsache, dass wir in unseroi neueren Knitntsprachen mit Wer Casus auskommen, wih- rend andenwo (nach der Angabe der Sprachwissenschaft

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I. Unbe«tiiamtheit de« gnunmatUcben Sinnes.

auch in der t,ogenannten Ursprache der Indo-Gernianen) acht Casus nötig sind, nur ein Beweis dülüi , dass die Sprache in ihrer Entwickelung allmählich darauf Verzicht geleistet hat, tilr unbestimmte und unklare Unterscheidungen besondere Katecrorien lest m halten. Und ich bin fest Uber- zeugt davon: Wenn wir nicht die vier Casus von den ^rrie- chischen Schulmeistern überkoniiuen hatten und die Sprache und die Grammatik der neuern Sprachen sich nicht hier und überall wechselseitig beeinflusst hätten, man würde im Französischen und Englischen längst nicht mehr von diesen Casustormeu sprechen. Ein grammatisches Genie, meine ich, das ohne Kenntnis der alten Sprachen und der ererbten Grammatik einzig und allein auf das Englische oder Fran- zosische aufgewiesen wäre und eine (iramraatik einer dieser Sprachen schreiben würde, käme gar nicht auf den (le- danken, unsere (Jasusformen ant/. istellen. FIim li^trus würde es sich über einzelne selts;iMn VVortver&nderungeu ^wie den sachsischen Genitiv) verwundern.

Damit auch hier die Lächerliclikcit der Pedanten nicht fehle, ierncit unsere Schüler als eine grammatische Weis- heit, dass du' ('asusformen die Autworten seien auf die Fragen: Wer? wessen? wen»? wen? Und Kinder und Gram- matiker glauben mitunter die Bedeutung oder den Sinn der einzelnen ('asusformen in diesen Fragen zu besitzen, leb brauche kaum lu rvorzuheben, dass diese Fragen nichts sind als die allgeiut nisten und abstraktesten Wii'derliolungen eben der (Jasusformen. Nur weil wir uns in dem Irrtum befinden, dass jede Casusform einen bestimmten Sinn habe, darum bilden wir uns ein. die allgemeine (^asusform (die Frage: Wer':' weisen? wem? wen?) erkläre uns irgend etwas. Dm Oe- Kürzer kann ich bei derjenigen Sprachform sein, die •dhlflcbt Geschlecht heisst und bei der Erlernung fremder

Sprachen eine fast unüberwindliche Schwierigkeit bietet. Man sollte daraus . dass verschiedene Sprachen und selbst verschiedene Dialekte der gleichen Sprache nicht überein- stimmen in dem Geschlechte, welches sie den Dingen bei- legen, die Lehre ziehen, dass Logik und Philosophie mit

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Dm Geschlecht

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uiustr Kategorie wenig zu schatten liaben. Wan ist üljer »He Bedeutung des Geschlechts niclit Hlles zusammengefal)elt worden! Sicherlich ist ursprOngluh die Unterscheidung zwischen den getrenntt ii < reschlechtern der wirklichen Natur (Hengst und Stnte, Mann und Frau) der Anlass gewesen, dass man bildlich den Geschlechtsunferscbied auch auf die Qbrigeii Dinge übertrug. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass dabei fine üppige Phantasie thätig war. Jede ge- schlechtliche Bezeichnung eines Dings ist metaphorisch. Während aber alle Metapliern , durcli welche die Sprache sich sonst bereichert , notwendig und nützlich waren und die neue Beobachtung mit Verwendung des alten Wort- vorrats in die Sprache aufnahmen . musste die Einteilung der Dinge nach Geschlechtern you jeher ein Luxus sein, ein Ballast.

Zur Mythologie der Sprache gehört also das Ge- schlecht der Substantive. Es ist natürlich und darum nicht mythologisch, wenn das dritte persönliche Fürwort für die beiden Geschlechter verschiedene Formen besitzt; auch hat die englische Sprache, nachdem sie den Ballast des Geschlechts sonst fast vollständig abgeworfen hat, die Trennung von ,er" und »sie* beibehalten. In irgend einer I rzeit der Sprache m^ 68 auch natürlich gewesen sein, die beiden Geschlechter einer Tierart mit verschiedenen Worten zu bezeichnen, das heisst nicht mit yerschiedenen Geschlechtsformen desselben Worts. Es ist bezeicbnend, dass diese verschiedenen Worte Tiere betrafen, welche als Haustiere dem menschlichen Interesse am nächsten standen. Die eierlegende „Henne" war ?on anderem Nutsen als der Hahn, die .melkende Kuh*" won anderem Nutzen als der Stier u. s. w. Immerhin mag es noch nicht Mythologie, sondern falsche Naturkenntnis gewesen sein, wenn sodann weniger intime Tiere bald dem männlichen, bald dem weib- lidi! II Geschlechte zugeteilt wurden, wie bei uns der Spatz, die Meise. Natürlich war es wieder, wenn in einer spätem Sprachzeit nach der Analogie männlicher und weiblicher Endungssilben aus der Spatz ,die Spätzin'' gemacht wurde.

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I. Unbestinuntheit des grammatitcbea Sinnes.

was M'olil zuerst dem Sprachgefühl als ein Scherz erscheinen mochte.

Wir kennen jedoch du l'liantusie alter Zeiten zu wcnii^, um ebenso einfach erklären zu können, wie es zu der Auf- stellung des schematischen und unnatürlichen dritten Ge- schlechtes kam, des sächlichen, und warum schliesslich in vielen Sprachen die Einordnung jedes Substantivs unter diese drei Klassen notwendig wurde. Es ist aber ein Ge- setz des Sprachgebrauchs geworden . dem sich z. B. die Griechen, die Lateiner und die Deutschen unweigerlich füjjfcn mussten. Diesos pliantastische Gesetz erinnert an die Ge- wohnheit altnjodisclier Künstler und Dichter, Dutzende von abstrakten Wehrten wie Treue, Liebe und Hoffnung zu Gott- heiten zii erheben, trotzdem sie in der reichhaltir^en Mytho- logie der Alten nicht vorkamen. Im Französischen wird die Göttlichkeit soldier Abstraktionen durch einen grossen Anfangsbuchstaben angezeigt. Und dieser Vorgang berührt sii h noch näher mit dem Atifkommen der sprachlirhen Cre- schlechtskategorio. wenn wir erwägen, dass so ein allst rakter Begriff zu einem männlichen Gott und zu einer wrihlithen (TÖttin gemacht wird . je nachdem der Zufall der Sprach- geschichte ihn zugeteilt hat: ein deutscher Bildhauer wird den ^Fleiss" als einen Jtingling darstellen, ein französischer als eine Jungfrau. O«- L^'^nter den neuem K iil[ Ursprachen hat, wie gesagt, das

''ujad*"' Enghsche die Geschlechter bis auf wenige Reste hinaus- SpracU- geworfen. Das Französis( he hat wenigstens das dritte Ge- gebmeb. j-^y^dji^ entfe) nt. Wir Deutsche aber fjuälen nicht nur fremde \'ölker, die unsere Sprache erlernen wollen, mit imsern drei Geschlechtern, sondern auch uns selbst. Man kann zuverlässig l)ehaupten, dn«s e«; keinen Deutschen gibt., der von jedem Substantiv mit Sicherheit anzugeben wüsste, welchen Geschlechtes es sei. Das gilt nicht nur für Fremd- wörter, wo der und das Cölibat. der Magistrat, das Rekto- rat, der Hexameter, das Barometer, der Liqueur, die Cou- leur, das Douceur gesagt wird. Auch bei deutschen Worten .schwanken die Gelehrten und die besten Schrit'tstelier ebenso

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Geschlecht und Sprachgebrauch.

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wie das Volk. Selbst Jacob Grinini weiss nicht, ob nv.m der Euter oder das Euter sjifren solle. In solt^hen Fällen ist auch auf Goethe, Lessiug und andere kein Yerlass, weil der Sprachgebrauch sich verändert hat (mitunter auf die Autorität eines Wörterbuches hin) und z. B. der Ungestüm verlangt, wo Schiller noch das UngestUui .sehrieb. Ganz willkürlich hat der Sprachgebrauch dann mitunter die Ge- schlechtsbezeichnung zu einer Aenderung der Bedeutung benützt wie bei der Band und das Band, der Yer lii iwt und das Verdienst, der Chor und das Chor. Wieder m anderen Fällen gilt das enie Geschlecht für poetischer als das andere; der l^ueii ist poetischer als die Quelle, aber in der bildlichen Darstellung ist die (lottheit des poetischen ^'ik Us wieder ein Frauenzimmer, in Anlehnung an die Antike. Docii auch hier i.st di»' Plsantiisie nicht konse- quent. Die Donau ist ein Weibchen . der Rhein ist ein alter Herr, trotzdem beide Flüsse im Lateinischen männlich waren. Es ist überflüssig, die Beispiele zu häufen: m m kann sie bei Andresen (Sprachgebrauch, S. 40 und loigende) hübsch bei einan ler finden. Wie sehr aber unsere Phantasio von der Geschlechtsmythologie unserer Sprache abhängt, das erfahren wir aus der Schwierigkeit, die uns das ver- änderte Geschlecht anderer Sprachen macht, und aus un- serem albernen Tjachen . wenn ein Ausländer gegen die Genusregeln unserer Sprache sündigt. Wir sind in diesem nivthologisrhen Punkte, wie immer in KeligioDssacbeu, em- piindiicher als sonst.

Wenn wir nicht die besitzenden Sklaven einer solchen geschlechtsfrohen Kuitursju ache wären, wenn wir ausserhalb stünden und nun hören würden, dass unsere Geschlechts- klassifikation eine Ausnahme bilde unter den Sprachen der Erde, dass die meisten Sprachen das Geschlecht gar nicht kennen, dass z. B. die Elskimo die Dingwörter in belebte und unbelebte einteilen: so müssten wir wohl unbefangen die Sprachphantasie der Eskimo bewundem und unsere eigene Geschlechtsphantasie barbarisch finden.

Die genauere Sprachgeschichte der Geachlechtekategorie

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28 ' Unbestimmtheit des grammatischen Sinnes.

ist in Dunkel gehüllt. Aber anch die Oasmformeii der Terechiedenen Geschlechter in den alten Sprachen ftthren historisch zu einem fthnUchen Ergebnis, wie die unge- lehrte Betrachtung der Thatsache selbst» Nach der Ana* logie natOilicher Beaeichnungen weiblidier Tiere mag sich in einigen Sprachen eine weibliche Deklination von der mSnnliehen deutlich nntwsehieden abgezweigt haben und diese Analogie mag dann Terallgemeinert worden sdn wie Dm andere Analogien. Das i^chliehe Qeschlecht, das auf Iia* teinisch so ehrlich das genus neutrum heisst, sieht Ter- sebiedit. zweifelt der Schrulle irgend eines yorzeitlichen Grammatikers ähnlich, die dann durch irgend eine geistige Mode zu einem Sprachgesetz wurde. Es spricht vid daf&r, dass sich diese Geschlechtskategorie auf solche Weise entwickelt habe. Der natürliche Gegensatz zwischen dem männlichen und weib- lichen Geschlecht ist in den alten Deklinationen und auch im Deutschen viel deutlicher ausgeprägt als der künstliche Gegensatz zwischen dem niünulichen und dem sächlichen Geschlecht. Vielleicht waren in irgend einer vorhistorischen Zeit die Dingwörter der bereits mit Dingwörtern versehenen Sprachen f^anz anders eingeteilt, vielleicht galt der Unter- schitii der beiden Geschlechter nur den belebten Dingen und das Sprachgefühl kannte, wie noch heute bei den nord- amerikanischen Stämmen, daneben die Einteilung in eine belebte und eine unbelebte Klasse. Es war dann, wenn diese „Hypothese" richtig ist, die Kategorie der Ünbelebtheit oder Sächlichkeit später als drittes Geschlecht zu den beiden natürlichen hinzugetreten. Alten Grammatikern ist so etwas zuzutrauen und niemand wird leugnen, dass unser Sj^rach- gefUhl mit dem dritten Geschlecht, dem genus neutrum, den Begriff der unbelebten Sächlicbkoit verbindet, wie es denn auch im Deutschen jetzt das sächliche Geschlecht genannt wird, während „ucutre" im Französischen negativ ist und auch „geschlechtslos" bedeutet.

Für diese Annahme würde auch die Beobachtung spre- chen, dass sehr liäufi<r das dritte (ieschlecht gar keine Ge- schlechtseudung hat, sondern sich zu der männlichen Form

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Das dritte Geschlecht.

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etwa so TerlUUt wie der Wortstamm cum NooiinaliT s. B. in den griechisclieii Endmigeii -o«, -sut, -t>. Ei konnte darum das dritte Geeohlecht, welchea die semitiaeheii Spra- dien gar nidit kennen, in den romanisehen SjHraclien, wie im FranaSsisclien, so leicht wegfallen. Dahin mag es auch gehören, dass im Deutschen ein wmbHdies Wort zum säch* liehen werden kann» wenn es seine Endsilbe Terloren hat; aas «die Ecke* wird so «das Eck'.

Wir können yermuten, dass auch bei dieser allge- meinen ümformierungsmode die grammatische Regel einen unheilTollen Einfluss auf die lebendige Sprache gewann. Wir können uns recht gut eine alte Zeit vorstellen, in welcher die Phantasie des Volkes das heisst die damalige wissen- schaftliche Ueber/eugung, in vielen Dingen ausser den Tieren, in Bäumen, Flüssen und dergleichen menschenähnliche Wesen sah, wie sich das ja auch not h in der niedern griechischeu Mythologie ausspricht. Wir brauchen nur noch etwas weiter hinter die naturwissenschaftlichen Irrtümer des Aristoteles zurückzugehen, etwa in eine Zeit, wo die Fa))eln des Aesop noch Hiebt eigentlich als Märchen wirkten, sondern der gleich- zeitigen wissenschaifclichen Weltanschauung entsprachen, um uns auszudenken, wie zahlreiche Dinge geschlechtlich vor- gestellt wurden, wie uia.u m gutem Glauben etwa sagte: Der Kheiu-Mann, die Eich-Frau. Wo die Phantasie einen solchen Zusatz nicht verlangte, gab es eben kein Geschlecht. E«5 ist wohl kein Zweifel , dass iu ähnlicher Weise einmal audi die Deklination der Substantive, die Konjugation der Verben uud die Steigerung der Adjektive unvollständig waren. Erst als all diese Kategorien den redenden Menschen so weit zum Bewusstsein kamen, dass die Ahnung einer ge- wissen Gleichmässigkeit wirksam wurde, da wurde die Uni- form der Deklination, der Konjugation und der Steigerung aUen Substantiven, Verben und Adjektiven aufgenötigt und die Sprachen bereicherten sich so durch eine Analogie, die ursprünglich falsch genannt w(M-den musste, l»illig und schlecht, mit einer Un/Bhl neuer Wortformen (vergl. 11. 89 f.). Was aber lu diesem neuen Gebrauch schematisch

20 I* üübettiimntlwit des gnuniiiatiteh«n SinneB.

▼ollstftndiger Deklinationen und Konjugationen immerhin eine grössere Gelenkigkeit der Spracbc Ijedeutete, das wurde im aUgemeinen Qebraueh der Gesdüechtebezeiclinung zu einem Hemmnis der Sprachen, zu ebem phantastiaehen Spiel, deasen sich die Indianersprachen schämen würden. Mich gemahnen die OeschkchtsbezeichnuDgen der Sprachen leicht an die obscdnen Kritzeleien, mit denen unntttze Bubenhinde alle Wände beschmieren.

Wie aber diese Kritzeleien in ihrer Hauptmasse einer sexuell männlichen Phantasie angehdren, so ist unsre ganze Sprache will man sie einmal darauf hin betrachten eine Männersprache, nidit anders als unser Redit ein ICänner* recht ist. Nicht nur, wenn sie Bücher schreiben wollen, verkleiden sich Frauen zu Männern. Die Frau sagt: «Ich bin der Herr im Hause**; und hat sie damit Unheil ange- richtet, so findet sie nachher, sie sa ein Esel gewesen* «Eselin* wäre ein ganz falsches Bild (Tergl. Polle, «Wie denkt das Volk u. s. w.* 2. Aufl. 3. 105). Der lustigste Bel^ für meine Anschauung ist bei Polle nicht zu finden. Pankraz der Schmoller (in Kellers Novelle) sagt zu seiner Schönen, die doch eigentlich nur eine Gans ist: «O Fräu- lein! Sie sind ja der grSsste Esel, den ich je gesehen habe.* Und er fQgt sprachphilosophisch hinzu: «Nur wir Männer können sonst Esel sein, dies ist unser Vorrecht* (weil auch kluge Leute Eseleien begehen können), «und wenn ich Sie auch so nenne, so ist es noch eine Art Auszeichnung oder Ehre für Sie.*

Man kann sagen, dass beim bildlichen Gebrauch solcher Worte, auch bei Uebertragung von Berufsworten auf Frauen (Arzt und dergleichen) das männliche Geschlecht neutral sei.

Die Erfindung des dritten Geschlechts, des Neutrums, erscheint mir, trotzdem ich in meiner Muttersprache unter dem Banne dieses dritten Ges<dilechts rede, eine der ab- geschmacktesten und albernsten Erfindungen des Sprach- geiätes zu sein. Freilich gehe ich so weit, in der Einteilnng der Substantive nach Geschlechtern eine vorübergehende Mode zu sehoi, die allerdings ein bisschen lange gedauert

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Plunl.

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liai, n&mlich seit Jahrtausenden. Aber es kann kein Zweifel daran sein, dass in üneiten die Worte noch kein Geschlecht hatten und es ist eine Thatsache, dass die modernste Welt- sprache der Ck^nwart, das Englische, Aea Oesqhleehts- unterschied bis auf wenige Spuren getilgt hat. Wir kdnnen uns also den Anfang dieser bescmdem Metapher vorstellen und ihr Ende bereits Toraus ahnen. Haben einst unsere Sprachen erst den Luxus, jedem Bing ein Geschlecht bei- zulegen, wieder abgelegt, dann werden sie Tielleicht auf den früheren Zustand surttckblicken, wie wir etwa auf den Suphuismus, den luzurierenden Bilderreichtum, wie er leider immer noch bei Shakespeare bewundert wird.

Die Sprachform der Geschlechtsbeseichnung gibt also aberhaupt kein bestimmtes Bild. Irgend ein Zufall der End- silbe hat in den alten Sprachen die Phantasie analogisch gelenkt, als es einmal Regel geworden war, den einselnen Worten ein Geschlecht beisulegen. Selten nur hat das Bild Oberhaupt einen Sinn gehabt; es ist meiBt rein SprachTcr- aemng gewesen. Der Gebrauch des nach Geschlechtem ge- trennten Artikels in neueren Sprachen hat den Geschlechts- unterschied womöglich noch ftusserlicher gemacht Der Ge- schlechtswandel ist darum eine sehr häufige Erscheinung, auch innerhalb einer und derselben Sprache. Es ist eine habsche Beobachtung, dass im Deutschen besonders solche Worte, welche am Itiiufigsten in dem geschlechtslosen Plunü ge- braucht werden, bei denen also die Geschlechtsbezeichnung des Singulars weniger eingeübt war, ihr Geschlecht am leich- testen verändert haben. .Woge", «Thiine* waren im Mittel- hochdeutschen m&nnlich; «Wolke", .Waffe" waren im Mittel- hochdeutschen sichlicfa.

Selbst die Sprachform der Mehrzahl, die doch eine viel pia»i. klarere Bedeutung hat als Casus oder ^ar Geschlecht, ist nicht so bestimmt wie man glauben sollte. Alte Mehrheits- sngaben wie «Schock", ^ Mandel", „Dutzend* werden in vielen Sprachen singularisch gebraucht. Unser .Geschwister" war noch bis ins 18. Jahrhundert hinein der Singular .das Geschwister*^. Die Bezeichnung der christlichen Feste:

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32 1* Uabeitimmllidi de« gsammatudieii SiniiM.

Ostern, Phngsten, Weihnachten sind Singulare f^eworden, ebenso das Wort «Buch", das Althochdeutsch (Buchstaben I ein Plural war. Umgekehrt wird im Englischen „pcople** al^ Plural gebraucht, und das gleichbedeutende altdeutsche „liut* hat sich auch formell in den Plural ^ Leute** Ter- wandelt. Wir empfinden eine ganze Anzahl sehr häufig ge- brauchter Worte wie: „Drei Fuss", «sfiehnMark'*, ,20 Pfund", ,,tau<;end Mann** als Singulare, wenn auch einselne davon ehemalige Phirale sein mögen. Und gerade in diesen Fallen ist doch die Vorstellung der Mehnahl durch das voran- gestellte Zabhvort am deutlichsten gemacht, ohne dass die Sprachform der Mehrzahl nötig wäre.

Der Sinn dieser Sprachform wird auch dadurch unbe- stimmtf dass sie zwei ganz verschiedene Mehrheiten des Be- griffs bexeichnen kann, nämlich entweder mehrere Dinge derselben Art oder mehrere Arten desselben Dings. Sind mehrere Dinge derselben Art gemeint, so liegt die Mehr- zahl eigentlich schon im Begriffe selbst. Es ist auch im Gedanken vollkommen gleich ob ich sage: „Der Mensch ist sterblich* oder „die Menschen sind sterblich*. Es ist darum eine verkehrte Ausdrucksweise, wenn man ewig die Regel wiederholt, dass StofEnamen keine Mehrzahl haben. «Der Sand* ist dem Sinne nach eine Mehrzahl. Umgekehrt em- pfinden wir die Namen Ton Krankheiten wie «Blattern*, ttMasem* u. s. w. als eine Binzahl. Wo wir aber Stoffe nach Arten onterscbeiden , da können wir auch sprachlich eine Mehrzahl bilden s. B. «die Weine seines Kellers*. PBMivvm. Nicht ganz so offen auf der Hand liegt die TJnbestimmt- beit des Sinnes bei den Sprachformen des Yerbnms. Wer seinen robusten Glauben an sein YerbSltnis zur Wiriüidi* keitswelt nicht durch Nachdenken verloren bat, der wird besonders die Zeitformen des Yerbums für ausserordentlicb logische Bestimmungen halten; ebenso den ünterscbied «wi- schen ActiTum und Passivum. Wir sind so unüberwindlich daran gewöhnt, unsem Worten den Sinn au geben, den unsere Vorstellungen durch die begleitenden Umstände er- halten, dass wir natOrlicb und vom Standpunkte der

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Psnivinii»

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WirUichkeit mit Recht einen grossen ünterschied sehen swischen «ich ecblage meinen Bruder* und .ich werde Tcm meinem Bruder gesehlagen*. Nun kann aber kein Zweifel daran sein, dass die Sprache in Urzeiten, ebenso wie heute die Sprache eines Kwe^lhrigen Kindes, keinen Unter- schied machte twischen ActiTum nnd PassiTum. »Bruder schlagen* ruft das Kind und die Hutter erfUirt mit ToUer Deutlichkeit aus den begleitenden Umstinden (dem weiner- lichen oder triumphierenden Ton, der Stirke und der Ge- wohnheit der Kinder und dergleichen) was gemeint ist. Wenn wir uns erinnern, was eben Uber das Wesen des AkkusaÜTs gesagt worden ist, so werden wir das Passivum nicht nfther erklAren können als durch die Thatsaehe, dass es Verinderungen in der Aussenwelt beseidine. Der Unter- schied Tom ActiYum besteht nur darin , dass die Aufinerk- samkeit sunSohst und mit voUem Licht auf den Gegenstand gelenkt wird, an dem die Veiftnderung siehtbar wird. Das Kind ruft z. B. ausnahmsweise einmsi so tonlos ^Bruder schlagen*, dass die Uttiter meint, es habe den Bruder ge- schlagen* Sie sankt. Darauf kann das Kind ohne Kenntnis des Passivnms ganz gut so sich ausdrucken: »Ich . . , schla- gen . . . Bruder,* wenn es nur durch Ton oder Oeste den Bruder als die handelnde Person hinstellt.

Der aufmerksame Leser wird schon bemerkt haben, dass diese Erklärung ron ActiTum und Passivurn so ziem- lieh zusammenfällt mit meiner Erklärung der transitiven und intransitiTen Verben. »Ich fälle die Bäume" ist Transi- tiTum und Actirum; „die Bäume fallen" lässt sich aber ebenso gut als Passivum wie als Intransitivum auffassen. -Die Bäume fallen" unterscheidet sich wenn ich es all- gemein als ein Beispiel ausspreche ijaii/. imd gar nicht von ,die Jiiiujiic werden gefällt". Nach iiiHinpni Sprach- gefühl ist alit r in der wirklichen Sprache eiiu- Nuance zwi- schen -die Baume fallen (unter dem Beil des Holzhauers)" üu l -die Biiunie lallen (durch den Sturmwind)". Den zweiten Satz empfinde ich als einen bildhchen, einen poetischen Aus- druck. Das wäre ebenso, wenn ich gesi^t hätte, „die MAtttbaer. Bettrtge sn dnor KrHtk d«r Sprache. JH. 8

Z4i I. Uiib«rtiiiiintli«it gnunmatuelMii 8iiu«s*

Bäume werden vom Holzhauer, sie werden vom Sturmwind gefällt". Das eine Mal ist die handelnde Person wesentlich, welche die Veränderung am Aussending hervorbringt, das andere Mal ist sie mehr eine beschreibende Zuthat.

Aber die Unbestimmtheit erstreckt sich noch weiter als auf so feine Empfindungen des Sprachgeftlhls. Wir können das an den modernen Sprachen deutlich zeigen.

Das Passirum wird ausgedrückt durch ein Hilfszeitwort und das Participium perfecti des Verbums. Im Englischen and Französischen dient dazu das Hilfszeitwort «sein" : I am loved, je suis aim^. Darin liegt nebenbei bemerkt deutlich ausgedrückt wie das äussere Objekt zum innem Objekt wird. Der Vorgang ist das, \tas uns klar ist. War die Aufmerksamkeit mehr auf den Schnee gerichtet, so lautet der Ausdruck: «Der Schnee blendet mich." War die Auf- merksamkeit mehr auf mich selbst gerichtet, so lautet der Ausdruck: „Ich bin geblendet*^ (das deutsche Hilfszeitwort «werden" gibt nur mit intimerer Beschreibung noch die Nuance, dass ehen eine Veränderung vor sich gehe).

Wenn ich nun behauptet habe, es sei ein sprachgeschicht- lieber Zufall, dass Eigenschaften der Dinge bald durch Ad-> jektive, bald durch Verben ausgedrückt werden (ist grQn ~ grünt> scheint mir im sogenannten Passivum das tran- sitive Verbum zum Eigenschaftswort zurückzukehren. «Der Baum ist grün** und „der Baum ist (wird) gefallt* unter- scheiden sich ja nur darin, dass das erste Mal die Eigen- schaft, das Merkmal, der Sinneseindrucfc von mir bereits vorgefunden wird, so dass ich ohne besondern Anlass nicht nach der Ursache frage ; das ganze Werk der Naturwissen- schaft besteht vielleicht darin, dass von fibermütig wissens- durstigen Menschen dennodk nach der Ursadie von Eigen- schaften gefi'agt worden ist, die durch A^jdctive und in- transitive Verben bezeichnet werden und die wir vörfinden ohne eine Terinderong wahrgenommen zu haben. Das zweite Mal (der Baum ist [wird] gefällt) sehe ich die Eigen- schaft vor meinen Augen entstehen, «werden* ; ich filhle mich daher auijgefordert nach der gewöhnlich sehr hknd-

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greiflielien Ura»che, z. B. nach der handelnden Person zu fragen. Beidemal aber bemerke ich eine Eigenschaft. Das Partidpium Perfecti isi ein Eigenschaftswort. Im Passivum ist das Zeitwort zn einem Bigenschafiswort geworden, wie es vielleicht in Vrxeiten der Sprache ganz und gar mit dem Eigenschallswort zusanunenfid.

Und nun achte man darauf, wie unbestimmt dieses Partidpiam PerÜBCti ist, wenn man es feinhörig auf aktiven oder passiven Sinn untersucht. Eigentlich unterscheidet sich dieses Partidp des Perfekts der transitiven Yerbeii gar nicht vöm Parlicip der Gegenwart der intransitiven Verben. „Der Baum ist gefallt* und »der Baum ist UOhend'*. Ich . kann zwischen dem Passivum und dem Activum keinen andern Unterschied sehen als den stftrkem oder geringem Anreiz, nach der Ursache einer Eigenschaft zu fragen.

Als. etwas Bekanntes ftlge idi hinzu, dass eine ganze Anzahl solcher pasnver Partidpien ganz und gar zu Eigen- sdiaftswdrtem (in aktiver Bedeutui^f also) geworden sind: ein erfahrener Mann, ein verdienter, ein (weit) gereisteri ein studierter Mann u. s. w. Dazu kommen ähnliche Worte, die sich erst im Sprachgebrauch festzusetzen suchen wie: Stattgefunden, stattgehabt. Goethe sagt einmal: „Das dem Grafen befallene Unglück."

Ich habe vorhin gesagt, der einfache Mann mit seinem Gegea« robusten Wirklichkeitsglauben werde namentlich den ver- schiedeneu Zeitfortneu, die dofh zu den wichtigsten Kute- gorieii der Sprache gehören . einen besonders l)estimmten Sinn zugestehen. Nichts scheint deutlicher zu .?eiii, als die Stellung des Menschen in der Zeit. So zuverlässig wie die Begriffe von rechts und links scheinen die von Vergangen- heit und Zukuiiti : und der Standpunkt des Menschen zwi- schen rechts und luiks ist dann der Zeitpunkt der Gegen- wart, Ich will keinen Wert darauf legen, dass der Begriflf .Gegenwart" ein recht dehnbarer Begritr ist. Wenn ich ^age: ,,Die Urmenschen kannten kein Feuer, jetzt ist der Gel»! auch des Feuers über die ganze Erde Terbreitet," so umtas.st dieses njetzt", diese Gegenwart, ungezählte Jahi'-

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L Unbestimmtbeit des grammatucben Sinntt.

tausende. Wenn ich sage: „Jetzt regiert Wilhelm II.,* so liegt der Umfang dieser Gegenwart einige Jahre zurück, während ihr Phide unbestimmt ist, aber imr innerhalb einer yerhältni.smässig kleinen Anzahl voti Jahren. Wenn ich sage: «Jetzt schlägt er zu," so umfasst die Gegenwart einen sogenannten Augenblick, in Wirklichkeit je nach Umständen einen nach vielen Sekunden messbaren Zeit- raum. Der Psychologe , der die Schnelligkeit von Sinnes- eiüdrücken und Reflexbewegungen studiert. arl)eitet mit Apparaten, deren Jetzt sich auf ein Hunderstel emer Sekunde beschränkt. Aber immerhin können solche Dif- ferenzen als blosse Gradunterschiede aufgefasst werden. Es liegt dann die T'^hIm stunmtheit des Ausdrucks in den Begriffen und nicht m der grammatischen Kategorie (xegen- wart.

Zeiten. Die Vergleichung /.wisrben dem Zeitpunkt des Redenden

und seinem räumlichen JStandiiunkt, der ihn in die Mitte von rechts und links , oben und unten , vorn und hinten st«llt, bringt mich nun bevor ich weiter gehe zu der Beobachtung, dass danach es auch ein Zufall genannt werden IDUSS, wenn gerade die Kategorie der Zeit sich am Verbum so ausserordentlich reich entwickelt hat, während die Kate- gorie des Raums sdemlich formlos durch Adverbien bezeichnet wird. Wir dürfen uns durch den geistigen Zwang nicht irre machen lassen, welchen unsere bekanntesten Sprachen auf uns ausüben; noch weniger dürfen wir es als selbst- verständlich hinnehmen, dass man das Verbum um seiner entwickelten Zeitformen willen im Deutschen „Zeitwort* genannt hat. Die Sprachentwickelung hätte ebenso gut den entgegengesetzten Weg nehmen können, nämlich so, dass z. B. die Richtung nach vom und hinten durch besondere, unseren Zeitformen entsprechende Raumformen des Yerbnms ausgedrückt worden wäre, dass die Begri£fe der Vergangen- heit und der Zukunft durch eine genauere Ausbildung der Adverbien »früh" und »spät" bezeichnet wurden. Entspricht doch sogar in den bestehenden Sprachen die Möglichkeit, diese Adverbien zu steigern (frOher, später) in mancher Be-

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Zeiten.

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xiehang den kompUziertereii Zeitformen von Yergaiigeiiheit und ZukaafL

Wenn ick hier wie an vielen andern Stellen die Aus- bfldung unserer granunadschen Kategorien als ein Werk des Zufalla kinsteUe, so will ick damit natOrlich nur sagen, dass die pkiloeopkische Begründung unserer Grammatik ein Irrtum sei. Diese pkflosopkisdie Ghsnuaatik denkt ebenso wie Hegel, der alles WirkUcke ▼emOnftig findet, weil es ist Etwas anderes ist es, die gegenwärtige Kultur Europas mOglickst kistorisek zu erkliren, etwas anderes sie als logisch notwendig beweisen zu wollen. Die Spracke ist ein Teil dieser Kultur. Notwendig im Sinne der KaturwiBsenscbaft ist natürlick auck in meinen Augen jede Sprackform, jedes Wort, jeder Laut; notwendig nur in dem Sinne, dass jede Yerftnderung eine notwendige Folge vorangegangener Yer- inderungen war. Wie logiscke Notwendigkeit ttberkaupt ein ünsinn ist, so ist auek der Lautwandel, die Wortbildung und die Formenentwickelung nickt logtsck notwendig t sie sind alle im Terhültnis zu der Welt der Möglichkeiten nur snfallig. Notwendigkeit ist nickt Gesetzmässigkeit

In unserm besonderen Falle ist auck der Grund, wes- halb gerade die Zeitrerklltoisse sack formdkaft gestalten konnten, wikrend die RaumTerkftltnisse immer besonders augegeben werden mflasen, lelcbt einzoseken. Wir winen, dass der Raum sick nack drei Dimensionen erstreckt, zu denen dann die Zeit die Tierte Dimension darstellt. Die Zeit ▼erttuft in einer einzigen Richtung, und es war sehr Tiel leichter, diese einzige Richtung nach ihren VerhSltnissen durch blosse Verbalformen darzustellen, als die komplizierten Verhältnisse der drei Raumrichtungen. Eine Linie ist leichter zu messen als eine Flache oder gar ein Körper. In Ur- zeiten der Sprache, als das Verbum seine Zeitformen zu bilden anfing, konnte ganz gewiss schon jeder Knabe eine einfache Richtung mit deutlichen Zeichen sprachlich aus- drücken , dass z. B. von der Hütte bis zu seinem augen- blicklichen Standpunkt zwanzig Schritte seien und dass der Baum vor ihm noch zehn weitere Schritte entfernt sei. Der

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38 ^' ünbcttinuiitlieit Am gnunmatisdteti Sinnes.

Vater des Knaben aber, und weDn er ein Gelehrter des Stammes war, hätte damals noch nicht den Kubikinhalt der Hütte oder den des Baumes sprachlich ausdrücken können. Raum- Ich s( halte hier ein, dass ich früher den Gedanken •Umen. verfolgte, die Trennung des Zeitbegriffs vom Raumbegnff für ebenso zufallig zu ndimen vie die Thatsache, dass der Zeitbegriff in Yerl^iilformen ausgedrückt wird und- nicht auch der Raumbegriff. Ich hatte mir das ungefähr so zureeht gelegpt, dass die vier Dimensionen gleichwertig seien; man hätte dann z. B. Länge, Breite und Zeifcrichtang gemein- sam umfassen und die vierte Dimension nach Höhe und Tiefe abseits behandeln können , wie n^h unserem Sprach- gebrauch eben die Zeit. Da ich das Gtoistreidisein als eine Übei-flUssige Spielerei .des Menschengeistes betrachte, so werde ich wohl sagen dürfen, dass dieser Gedanke geist- reich ist, um so mehr, da ich hinzufOge, er ist nur scho* lastisch geistreich, eine Spitsfindigkeit, zu der ich unbe* wusst den abstrakten Begriff der DimeiunoB inissbraucht hatte. Denn nach unserer unerbittUchen Empfindung und Sprachempfindung gehören die drei Dimensionen des Raums enger zu einander als zu der Tierten Dimension der Zeit. In den drei Dimensionen des Raums muss noch keine Be- wegung und Veränderung sein; sie bewegen sich aber als Verinderung gemeinsam in der vierten IHmendon, in der Zeit. Es liegt etwas Intrandtiyes im Baum, es liegt etwas TransitiTes in der Zeit. Jener Gedanke leidet, darum an einer UnToratellbarkeit, die flbrigens auch da ein starker Mangel ist, wo die Konstruktionen der neusten Mathematik (mit ihrem Raum von n Dimensionen) zu ähnlichen Spitz- findigkeiten fObren. Ub- Wir kehren zu der Behauptung zurflck, dass auch der ^beifd!^ Sinn der Terbalen Zeitformen weit unbestimmter ist, als z«it- man das gewöhnlich glaubt Ja ich behaupte noch mehr: foTmAn. nimlich die BaumTerhaltnisse durch die Adrerbien

weit bestimmter angegeben werden können als die Zeitrer- hSltnisse durch die Zeitformen des Yerbums. Ein&ch durch Steigerung oder Wiederholung der AdTerbien. Ich selbst

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UnbtsliiimifheÜ der Zeitfoimtit.

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bin immer fler Orientierungspunkt, ich selbst l)in. möchte ich sagen, der Schnittpunkt des Koordinatensystems. Ich kann dann ganz deutlich nicht nur bezeichnen, ob der Gegenstand vor mir oder hinter mir stehe, sondern auch weiter: Ob ein zweiter oder dritter Gegenstand, von dem ersten aus gerechnet, vor oder hinter ihm stehe, näher zu mir oder entfernter von mir. Die Sprache ist fähig, ohne Zuhilf e- ilfthme der Zeichnung, z. B. die Bewegungen auf einem Schlachtfeld, ganz genau zu besehreiben. Die Sprache ist nicht in gleichem Masse befähigt, die relative Vergangen- heit und Zukunft eindeutig aussudrücken. Ich werde mich im folgenden, um ganz klar zu sein, der geläufigsten Be- zeichnungen der Grammatik bedienen.

Auch in den Zeitangaben bildet schliesslich das Ich des Sprechenden den Ausgangspunkt. Für die Zeit, in welcher er .sptieht, sei es ein Äugenblick oder ein Jahr» tausend, besitawn wir die Sprachform der Gegenwart. Ich habe schon gesagt, dass diese Gegenwart recht ungleich sein kann. Gegenwart ist „es blitzt" : Gegenwart ist auch der Satz „die Erde dreht sich um die Sonne", obwohl dieses Drehen (wenn die Astronomen recht haben) uranfänglich nicht stattfand und einmal aufhören wird, obwohl diese Gegenwart also einen Zeitraum von Billionen Jahre umfasst. Wir haben femer I1lr die Zeit, die dieser Gegenwart TOr- ausliegt, die Form der Vergangenheit: Es donnert, es hat geblitat; die Masse der Erde hat sich einmal von der Sonnenmasie losgelöst. Wir haben endlich för die Zeit, wdehe bevorsteht, die Sprachform der Zukunft: es bUtzt, es wird donnern; die Erde wird einmal in die Sonne zu- rückstürzen.

Nun aber kOnnen wir bei der Zeit wie beim Raum den Ausgang von einem Punkte nehmen, der vor oder hinter uns liegt Messen wir von einem Punkte, der hinter uns liegt, so beziehen wir Vergangenheit und Zukunft auf diesen Punkt, so dass dessen relatiTe Zukunft für unsere persönliche Gegenwart schon Vergangenheit ist. Das ist nicht etwa eine feine Konstruktion, sondern der alltig^

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I.- Unbetttimmtbeit des grammatischea Sinnes.

liebste Sprachgebrauch in der Erzählung. , Nachdem das deutsche Volk Napoleon besiegt hatte, ftlgte es sich den alten Regierungen.'' Der Satz hätte ebenso gut oder viel- leicht besser lauten können: «Das deutsehe Volk besiegte Napoleon und fügte sich dann den alten Kegieimigeii/ Man sieht aus diesem Beispiel, dass das ImperfLctum wohl seinen offiziellen Sinn haben kann, den nämlich einer hinter uns lief^enilen Gegenwart, aber auch den des Plusquauiper- fectums, der Vorvergangenheit. In dem Satze ,das deutsche Volk besiegte Napoleon" ist es giui/, unbestimmt, ob das Impert'ectum oder das Plusquami)erfectuni gemeint ist. Er- inneiTi wir uns daran, was über die Verwandtschaft zwischen Particip und Adjekiiv gesagt wordeu Lst, so werden wir hier bemerken, dass das Besiegtsein eine Eigeiibchatt oder ein Zustand ist, den wir tiuem Ding in der Verganj?enheit beilegen. Lassen wir uns durch unsere Spraeht'ornien nicht beirren, so werden wir die vollständige Identität des aktiven Plusquamperfectums und des passiven Iniperfectums tröh- lich gewahr werden.

Für eine Zukunft, die sich relativ auf eine Mitver- gangenheit bezieht, haben wir keinen besondern sjnach- lichen Ausdnick; wir haben kein Futurum, welches dem Plusquamperfecium entspricht. Im Kautuvorhältnis können wir das durch Adverbien sehr gut ausdnkken. Blicken wir von Berlin aus nacii Norden, so liegt Italien hinter uns; zwischen uns und Italien oder näher an uns heran liegt biut<;r uns Tirol. In der Erzählung ist 1:1-^ entweder gar nicht oder nur durch mangelhafte Umschreibuug wieder- zugeben. Er schickte sich an , er gedachte u. s. w. sind Imperfekt'^, di*^ nur ungfniuu die Bedeutung einer hinter uns lif^onden Zukunft hiiln-ii. Jeder Erzählei- weiss, wie schwer es oft ist, diesen eiiitai li- n Gedanken auszudrücken. Gewöhnlich hilft man sich mir der gebräuchlichen Zukunfts- form und überlässt lein Leser, lierauszufinden , ob ein wirkliches Futurum geuH-itit sei oder ein relatives Futurum, eine Zeit, die zwischen dem Imperfekt und unserer Gegen- wart liegt Aus der Schwierigkeit des sprachlichen Aus-

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mbMÜwuntlwit der ZeitfoiiMB.

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drucks ist es TMUeickt su erUftren, das8 die Poeten Yon dieeeni sehAiioii und wirkimgsroUen Hotiv so selten Ge- braneh machen. Der Diebter des Nibelungenlieds bat eine VoiUebe für diese niobt vorbandene Spracbfom. Qleicb in den ersten Versen Tersucbt er zweimal ibren Ausdruck XU findtts. Er sagt:

.Xsiembfld war sie gehdaieii, die mx ein «dtOne« Weib, Baram miMAeD noch vide Degen ferlieren ihren Leib/

Gemeint ist eine vergangene Zeit, welche für den Be- ii;ini; des Nibelungenlieds eine Zukunlr ist. Und wenige Verse weiter lieisst es von der ilitterscliaft zu Worms:

«Sie aterben j&mmerUcb seither Ton iweier Franen Neid.*

Wieder baben wir also eine in der Vorrtdlung deut- lieb ausgepiigte Zeitform, die logisch genau dem Flus- qnamperfectum entspricht und für welche es trota des Be* dfirinisses keine Sprachform gibt.

Nehmen wir nun aber den Ausgang von einem Punkte in der Zukunft« so steht es noch schlimmer um die Formen und um die Bedeutungen der Zeit. Für dm Ausgangs- punkt selbst, also fOr das Geschehen, das wir diese au* künftige Gegenwart Torausseben, besitsen wir keine andere Ansdrucksform als das sonst ttbliche Futurum. Es fehlt uns also, was noch niemand bemerkt au haben scheint, ein Futurum der Propheseiung, welches dem Imperfekt der Er- lihluttg entspreche. Wir müssen, was doch nach meinem Sprachgefthl eine Unbestimmtheit, eine Verschiebung der VcMTstellung ist, a. B. das jüngste Gericht mit Hilfe des- selben Futurums beschreiben, mit dem wir aussprechen: ,Im Juli werde ich aufs Land fahren." Es f^t uns eine erzfthlende Zukunft.

' Wir besitaen freilich das Futurum exactum, die Vor- Kukunft, anders ab das Plusquamperfectum. Wir be- sitaen sie« aber wir gebrauchen sie in der lebendigen Rede so gut wie gar nicht, selbst in der kCwstlicben Schrift- sprache nur mit Widerstreben. Dagegen besitaen wir aber

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42 Unbettmuntfaeii dea gxwaunftüieh«! Sinnei.

nicht die logisch gefonlerte Zeitform für eine Zukunft, die von uns noch weiter abliegt als der zukünftige Ausgangs- punkt. Wir können räumlich ausdrücken, dass ein Vogel höher fliegt als der Gipfel des Baumes Uber uns, den wir zum Ausgangspunkt nehmen. Wir können dasselbe Va> hältnis in der Zeit sprachlich nur wieder durch Adverbien ausdrücken , nicht durch eine Yerbalform. Man stelle sich den Gedanken, vor: Die £rde wird in die Sonne zurück- stttizen; Torher wird sie ihre eigene Bewegungskraft ein- bUssen; nachher einmal wird sich vielleicht eine neue Erd- masse als Nebelball von der Sonne wieder lösen. Wir drücken das durch Adverbien aus, die oiTenbar etwas wie xllumliche Bilder bieten. Den ersten Satz können wir noch zur Not durch eine Verbalform bezeichnen: ^Wenn die Erde ihre eigene Bewegongskraft eingebüsst haben wird, dann wird sie in die Sonne zurückstürzen." Für den letzten Gedanken haben wir durchaus keine Zeitform. Wir müssen mit fast kii^dlicher Sprache wiederholen: „Und noch später wird sich vielleicht eine neue Erdmasse loslösen.*

Die Unljestimmtheit der verbalen Zeitformen scheint mir also ziH'ermSssig bewiesen zu sein. Unsere Stellung in der Zeit i]öti<,^t uns, mindestens 0 deutlich ausgeprägte Ver- schiedene Zeitverhältnisse auszudrücken; wir aber besitzen nur 6 Verbalformen, mit deren Hilfe wir ungefldir sagen was wir wollen. Hätte ein Händler 9 verschiedene Sorten Wein und mtlsste sie in nur 6 verschiedenen FSssem verwahren, so könnte er nicht schlimmer daran sein als die Sprache mit ihren 6 Zeitformen. Dass es auch noch andere Zeiten gibt, wie z. B. im Indischen« Griechischen und Slawischen den Aorist, macht die Sache nur noch verwickelter; denn jeder Fach- mann weiss, wie wenig bestimmt der Sinn des Aorists ist Man hat seine Bedeutungen nach verschiedenen (Gesichts- punkten in Klassen geteilt; den Griechen konnte aber die Verschiedenheit der Aoristklassen sicherlich ebenso wenig zum BeWQSstsein kominen wie uns etwa die angeblif^en Klassen dei* Genitivbedeutung. Es wird sich also wohl nicht anders verhalten, als dass auch die Verbalformen mangel-

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PllMlU.

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bafte Yenuche sind, den Ton und die Geste su ersetzen, mit denen die Sprechenden einstens die seifliche Stellung ihrer Vorstellungen ungenau genug ausdruckten. Für die Verhlltnisse im Baum konnte die Geste linger ausreichen; sie war nnd ist leichter ahsumalen. Die Gesten der Zeit mochten ursprttnf^ch Metaphern Yon den Zeichen »hinten, da, Tom* sein. Wann immer sich aus diesen Metiq>hem die Formen von Veigangenheit, Gegenwart und Zukunft entwickelt haben mögen, sie litten an der Unbestimmtheit, wo das «da*, die Gegenwart anzunehmen sei, und leiden noch heute darunter. Plusquamperfectum und Futurum ex- actum haben immer noch etwas yon mathematischen For- meln, sie gehören der lebendigen Sprache kaum an; abge- sehen davon, dass sie Formeln zu EUlfe nehmen müssen, in denen das Verbum seinen Charakter verloren hat und Ad- jektiv oder Nomen geworden ist. Wie wenig aber die Zeit- formen dem Bedürfnis entsprechen, unsere Vorstellnngen dem Hörer anschaulieh zu machen, ergibt sich vollends aus der weit verbreiteten Gewohnheit, samtliche Zeitverhiltnisse durch die ursprflnglidie Form des Pkiteens darzustellen so- bald die Rede lebhaft genug wird. Die Grammatiker helfen sich damit, dass sie sagen, das Prlsens «vertrete* dann das erzahlende Imperfekt oder hrgend eine Zukunft. Das Pktaeus kann aber auch für das Plusquamperfectum und fttr das Futurum ezactum eintreten. «Blflcher rttckt heran, Napoleon gibt jede Hoffnung auf;* weniger lebhaft: «als die Armee Blüchers berangerttckt war, gab Napoleon u. s. w.* oder «schliesoe ich das Gesoh&ft ab, so bekommst du ein neues Kleid'* anstatt: «Wenn ich das Geschftft abgeschlossen haben werde, wirst du ein neues Kleid bekommen.*

Nur das eigentliche Perfectum liest sich nicht durch Maßn». das Prisens ausdiücken, weil es eben ohnehin ein Prisens ist nebst einem adjektivisch gewordenen Yerbum.

So lassen sich simtHche 9 ZeitverhUtnisse durch das einzige Prlsens ausdrücken und die Cnbeslammtheit des Sinns ist ni^t grösser ab bei der Verwendung unserer 6 Formen. Denn ich mnss es immer wiederholen

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44 !• UabertilBintheit des gitmaiAftisolMii SiniiM.

die Bestimmtheit der durch die Sprache im Zuhörer er- weckten Vorstellungen rührt imht etwa von den Vorzügen der Sprache her, sondern einzig und allein von der grössern oder geringem Bestimmtheit in den Vorstellungen des Zu- hörers, an die er durch die Lautzeichen des Sprechenden erinnei-t wird. Die begleitenden Umstände in seiner Er- innerung oder in der Anschauung lassen den Zuhörer un- gefähr das Verhältnis der Zeiten herausfinden; ob er durch eine einzige Verbalform oder durch ein halbes Dutzend un- genau orientiert wird, ist für den lebendigen Verkehr der Menschen fast gleichgültig. Zeitlosem Und selbst diese neunfache Unbestämmtheit der Haupt- Präsens. fQj.j^ Verboms, des Präsens, erschöpft die Unsicher- heiten noch nicht. Es ist nicht wahr, dass das Präsens (ausser den Fällen wo es eine andere Zeit bedeutet) immer etwas Oegen'vi^rtiges bezeichne. Die unendliche Menge solcher Sätze wie: „Der Hund ist ein Saugetier, Zeit ist Geld" haben durchaus nichts mit dem Zeitverhältnis des Redenden zu thun. Es ist eine ganz falsoke, unserm Spraeh- geftüil widersprechende Konstruktion, wenn man sagt, solche Sftfcse gelten immer und fUr alle Zeit, also auch fttr die Gegenwart. Solche Sfttse, ob sie nun konkrete oder abs- trakte Urteile aussprechen, lassen uns durchaus keine Be- ziehung zur Zeit mitdenken, sie sind zeitlos. Der Unter- schied des Sinns wird deutlich, wenn wir die gelegentliche Anwendung von der allgemeinen trennen. Wenn wir im Gegensatz zum Dunkel der Nacht oder zum schlechten Wetter yon Torbin sagen: „Die Sonne leuchtet,* so ist das eine Gegenwart, weil wir ausdrQcklich mitteilen wollen, dass sie jetzt leuchte; wenn wir nur eine Eigenschaft der Sonne angebend (unser Sprachgeftlhl stdlubt sich gar nicht, das Verbum eine Eigenschaft zu nennen) sagen: „Die Sonne leuchtet,* so ist das keine Gegenwart, sondern Zeitlosigkeit. Der Satz hat keine Beziehung zur Zeü ,Der Wein erfreut des Menschen Herz;* wir wollen nidit sagen, er erfreue immer, also auch in der Gegenwart, sondern: Es sei eine zeitlose Eigenschaft des Weines zu erfreuen. «Die Sonne

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Kategorien dar Buigordttviig.

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leuchtet'' hat ftkr unser ehrliches Sprachgefühl nicht im geringsten mehr Zeitbestunmung oder Zeit Verhältnis als: die leuchtende Sonne (ww man freilich noch Particip der Gegmwart nennt), aber auch nicht mehr als: Der weisse Schnee, der blaue Himmel u. s. w.; ^der Wein erfreut" hat nicht mehr Verhältnis zur Zeit als «der sQsse Wein". Wir sehen: die Zeitkategorie, deren KOnsilichkeit ein auf- merksames Ohr in den andern Zeitformen noch bente em- pfindet) muss sogar zum Präsens erst verhältnismissig spät hinzugekommen sein; als das Verbum und das AdjektiT noch undifferenzierte Bedeutung hatten^ da war das Verbum noch kein Zeitwort

*

Wir lesen mit albemrai Lächeln hei den Forschem, x^te* welche asiatische Sprachen untersucht haben, welch seltsame Kategorien die ZeitwQrter vieler dieser Sprachen zu bilden Bang. ▼ermSgen. Die Höflichkeit dieser Volker ist so gross, daas sie Kate(p>rien erfinden, welche in unseren Schulgrsrnmatiken nicht ihresgleichen finden. Zu den höflichsten Völkern ge- bdren die Japaner, welche, soweit ihre Sprache in Betracht kommt, keinem ▼omebmen Manne zumuten, selber etwas zu thun, aktiv zu sein. Der Japaner wird von einem hoben Beamten nicht einmal sagen, dass er selber essen solle; selbst das XSssen und die Tbfttigkeit, die sogar der Kaiser Ton CShina selber thun muss, wird durch ein Wort, das ,thun lassen* bedeutet oder durch ein Passivurn ausgedrückt. Fttr die Sprache der Koreaner hat inan ausgerechnet, dass sie für die Rangordnung zwischen Höher-, Nieder- und Gleichgestellten einerseits und für den Ton der höheren oder der niederen Ehrerbietung anderseits 27 Terachiedene Formen hätte.

Man achte aber einmal auf unseren Briefstil und auf den Ton amtlicber Schriftstücke vom Flursehfltz bis hinauf zum Kaiser und vom Kaiser hinunter bis zum Flursehfltz. Man wird in amtlidien Mitteilungen sofort auch ohne Ken- nung der Personen erkennen, ob vom Kaiser, von einem

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L UBbetUmmtheit des grammatMohea SiniiM.

Minister, von einem Oberpräsidenten, von eiuem Landrat oder einem OrtsTorsteher die Rede ist; sogar der fast blas- phemische Stil der Japaner, der einen vornahmen Mann nicbt selber essen lässt, ist uns voUkommen läufig in dem entsetiüohen .geruhen*, wenn z. B. von eint in Kaiser blöd- sinnip^ ausgesagt wird, er «reruhe auszufahren, und unge- übtere Leute, welche mit so einem Kaiser n-den, helfen sich deuu auch, imiem hw das Passivum anweiideu.

Ueberall da, wo Hoheit, Durchlaucht, Excellenz in die Satzverbindung hineingearbeitet werden soll, hat der Amts- stil bei uns hinterindische Formen und die 27 Ausdrucks- weisen der koreanischen Höflichkeit, weiche für Korea nur ausgerechnet, nicht aber im einzelnen nachgewiesen sind, dürften sich im deutschen Schreibwerk sicherlich nachweisen lassen. Man brauchte nur f iiu» Probe darauf zu machen, ob nicht aus einem amtlichen Aktenstück ohne Adresse, ohne Unterschrift und ohne s(»nstige Andeutungen der hierarchische (irad des Schreibers sowohl, wie des Adres- saten sich erkennen liesse.

Die Pariser sprachwissenschaftliche Oescllschafl hat zwei Ziele der Untersuchung von ilirem Programm aus- geschlossen: Das Streben nach einer Universalsprache und die Frage nach dem Ursprung der Sprache. Die erste Be- stimmung ist selbstverständlich für kluge Männer; audi die zweite erscheint praktisch, wenn man erwägt, was für un- haltbares Zeug namentlich in Frankreich das 18. Jahrhundert zu Tage gebracht hat. Auch heute noch sind die Gelehrteo, welche sich mit dem Ursprung der Sprache beschäftigen« der gleichen Gefahr ausgesetzt Grau, freund, ist alle Theorie, das wusste schon JilephisUi; wir sind geneigt, in jeder Theorie Wortmacherei zu vermuten.

Keine Theorie über den Sprachursprung kann sich völlig davon befreiet!^ erstens die Sprache auf die einzelnen Worte zurückzuführen, sodann die einzelnen Worte in die soge- nannten Wurzehi und die Bildungssilben auseinander zu

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Otr Salt.

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hacken, wie man einm geschlachteten ^>chsen in Fleischteile zerhackt, die dann erst fUr den Schlächter und für die Köchin ihre besondere Namen erhalten. Am lebendigen Ochsen gibt es keinen edlen Lendenbraten und keine sclik i tem Teile. So wird es auch in der lebendigen Sprache keine Wurzeln und keine Flexionen; ja eigentlich auch keine «inselnen Worte geben. Hätten .wir unsere künstliche Gram- matik nicht, so be^ssen wir nur Sätze, die durch eigen- tümliche Betonungen gegliedert sind, nicht Worte. Es ist gimmmatische Willkür, dass wir z. B. «der V^ater" und „des Vaters" schreiben und es darum gebrannt empfinden : iti der ▼orschiißiUohen Zeit hätte man die entsprechenden Formen ,d«nrater* und »desvaters" gehört und empfunden. Es kann mir nur Mut machen, dass so jede historische Untersuchung mit meiner Kritik der Logik zusammentrifft, in der ich zu beweisen hoffe, dass psychologisch der 'SchUiss daa Erste ist, der Sata das Zweite, das Wort das Dritte, oder dass. an- ders ausgedruckt aus dem Worte nichts entwickelt werden kann, was nicht schon drin war. Die grammatische Be-DtrB»tft. itachtung lehrt ebenso, dass in irgend einer Urzeit es immer schon Sitze, niemals blosse Worte gegeben hat, dass der erste Sprachschrei schon einw Satz ausdrtlckte.

Ist das nun richtig, so wird die Zerhackung des Wortes in Wuneln und Bildungssilben zu einem bloss berufstechni- schen Vergnügen der Grammatiker. Die Bildungssilben, durch welche doch erst die Wunsein zu einem harmonischen Salsa vereinigt werden sollen, erscheinen als reine Gewöhn* heiten der jüngera Analogie, wenn schon der Slteste Sprach- schrei den Wert eines Satzes oder eines Urteils besass. Um mich nicht selbst in graue Theorie zu Tcrlieren, will ich daa durch einige Bemerkungen eilftutern und als Motto die bekannten Verse Toranssehicken, mit denen Goethe freilich wohl keine sprachphilosophische Abhandlung beabsichtigt hat Faust will die Bibel flbersetzen und stockt schon bei der ersten Zeile: »Im Anfang war das Wort'

alch kann das Wort so hoch unmöglich schätzen. mvm aaden ttbersetien.

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I. Unbestiinmtheit det (prArnrnfttiBchfln Sinnet.

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. I GeMtbrieben «teht: Im Anfeng war d«r Sinn."

Uiizalrieden versucht er es noch anders. „Im Anfang war (Ii* Kraft," dann hilft ihm dor Geist und er bleibt schliess- lich stehen bei ^im Anfang war die That".

Hätte der Teufel ihn nicht durch sein Heuieu und Bellen gestört, Faust wäre vielleicht von der Bibeiüber- «?etzung zur Hibelkritik fll^er'j^etjang'en und hätte den Anfang «^es Evangeliums Johaimis einfach ftir falsch erklärt. Im Anfang war gar nicht das Wort, mag man es nun als Ad- jektiv od'^r n!s Substantiv oder als Verbum (Tliat) auffassen; im Anfang war der Satz. Goethes Faust bat sich schon so viel gefallen lassen müssen, dass ich ihn wohl auch ein- mal im Scherze so benützen darf.

Als einen ältesten Satz stellen wir uns den Huf des Staunens oder der Ueberraschung vor, der möglicherweise noch in einem entfernten sprachlichen und logischen Zu- sammenhang mit unserem „da!" stehen mag, den wir künst- lich meinetwegen als das Demonstrativpronomen „das* deuten mögen und der innerhalb einer bestimmten gegenwärtigen Situation iri^end einen Gegenstand, eine Eigenschaft, eine Thätigkeit oder was immer bezeichnen konnte. Die Sprach- forscher sind übrigens einig darüber, dass die meisten an- dern Pronorainn auf das alte Demoustratirpronomen zurück- zuführen sind, dass das Demonstrativpronomen ein uialtor Besitz der „indoeuropäischen" Sprachen ist, weil es den einzelnen Sprachen gemeinsam sei und überdies eine sehr altertümliche Flexion habe. Der Eindruck hohen Alters ist also allgemein. Nach der soweit annehmbaren Theorie ▼on Regnaud ist dieses alte Demonstrativpronomen über- haupt der oberste und umfassendste Begriff, das genus generalissimum. £s entspricht vollkommen unserer Er* kenntnistheorie, wenn Regnaud annimmt, die nicbsten, eben- falls äusserst allgemeinen Begriffe, hätten unserem AdjektiT entsprochen. Ursprünglich konnte z. B. das Demonstra- tivum allein sowohl den Blitz als den Donner, sowohl die weisse Blüte als die rote Frucht bezeichnen ^ was die

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Flexion. 49

gegenwirtige und gemeiiUMnie Situation ▼orausgesetat gar keine unvoDkommenere Sprache war ab die unsere. Nachher bfldeten sieh (es geht uns nichts an, ob aus dem Demonstrativpronomen heraus oder aus neuen Sprachquellen) die Begriffe des Leuchtenden und des Bollenden, des Weissen und des Boten u. s. w. Man kann diese Entwickelung noch weiter rerfolgen in der Phantssie, eine historische Dar- l^ong wird nie möglich sein bis sur Entstehung des Substantivs, Us sur Yerbmdung Ton SubstaotiT und Per^ fbKioa. sonalpronomen, ohne in dieser Ursprache auch nur die Mdg- lichkeiif auch nnr eine Stelle für die Flexion su entdecken. Der Sata konnte mnsübig oder Tielsilbig sein, seine Har- monie wurde wenn ich so sageu darf durch die Wirktiohkeit, durch die Situation hergestellt. Es war ja der Sprachschöpfung keine Grammatik vorausgeganguu, welche eine harmonische Koordination der Satzglieder nach Geschlecht, Zeit, Zahl u. s. w. gefordert hätte, welche über- haupt den Satz in Glieder zerhackte. Erst viel später, man kann die Zeit unbedenklich sehr lang nehmen , erst bei einem sehr grossen Reichtum von Sätzen, wohlgemerkt nicht von Worten, konnte das Vorhandensein unbewusst gebliebener Analogiebildungen die sprechenden Menschen dazu fuhren, durch Weiterbildung der Analogie zu Flexionen zu gelangen. Unter Flexionen verstehe ich selbstverständlich alle De- klinations-, Konjugatioiis- und alle anderen ßilJungssilben. Ich meine in irgend einer Urzeit müssen die Analogien, die uns als die notwendigen Flexionen erscheinen, wie Sprach- witze, wie Wortspiele herausgekommen sein. Noch in historischer Zeit gibt es solche Analogiebildungen, so wenn die Lateiner die Endung -ia häufig an Participien, die aul' -ent ausgingen, anhingen (pru(k'ntia, sapicntia, dementia) und so die Vorstellung fassten, die Endsilbe laute -tia und darum amicitia ( von aniicus) sagten. Beispiele aus der gegenwärtigen Sprachentwickeiung fehlen an anderer Stelle auch nicht. Ich bemerke nebenbei, wie getahrhch es sein muss, in die Flexionen der vorhistorischen Zeit ein

System zu bringen , wenn wir solche irreführende Wort- Mao thner, Beitrtge zu einer Kritik der Sprache. III. 4

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50 Unbertimintha&t des gnminatifch«ii SimiM.

spiele fart unter unsem Augen Sprachkraft gewinnen sehen (▼ergl. n. 133 u. f.).

IKese beiden Bemerkungen helfen uns TieUelcht, uns das Entstehen der Flexionen etwas weniger unnatürlich Tor- zustellen, ab es die Grammatik gethan hat und Ton ihrem Standpunkt thun musste. Ihre ErUärungsversuehe enthalten jedesmal die Voraussetiung, dass zu einer richtigen Sprache so und so viele FiUe des Substantivs, so und so viele Per^ sonen, Zahlen und Zeiten des Verbums gehören und dass es nur darauf ankomme, alle diese Flezionsformen auf eine bequeme und Übersichtliche Weise zu bilden. Auf diesem Wege kann nach mehrtausendjShrq^r Herrschaft der Gram- matik ein Volapttk hergestellt werden; die Sprache kann nicht so entstanden sein* Es ist doch offenbar, dass der gegenwirtig angenommenen Grammatik eine Zeit voraus- gehen musste, in welcher die Regeln dar Grammatik noch latent oder unbewusat waren, und dieser wieder eine Sltere Zeit, in welcher sich die grammatischen Gewohnheiten erst entwickelten, dieser wieder eine älteste Zeit, in welcher es noch gar keine Grammatik oder Analogie gab, in welcher aus der Situation heraus jeder Sata seine analogielose Sprach- form hatte. Ebenso ist es doch mehr als wahrscheinUch, dass der der Gesetzeszeit vorausgehenden Gewohnheitsepoche, in welcher die Kultur sich unbewusst nach Bräuchen rich- tete, eine Zeit vorausgehen musste, wo solche Btftuche sich aus ihren ersten Anfängen entwickelten. Die Sprachgeschichte kommt uns da zu Hilfe, wenn sie uns mitteilt, dass die fünf oder sieben Casus, die wir jetzt so ordentlich zu unter- scheiden glauben, oder die vielen Verbalformen sich aus einer Unzahl von Zufallsformen entwickelt haben. Lassen wir unsere sprachbildende Phantasie ein wenig spielen, so schemt es ganz anschaulich, wie es in einer Urzeit gar keine Flexionen gab , wie irgend einmal die SprachbÜdung z. B. bei den verschiedenen Casus desselben Substantivs immer mit neuen Wortbildungen einsetzen konnte. Ich erdichte mir ganz phantastische Beispiele, weil es mir nur darauf ankommt, die Möglichkeit einer solchen Entwickelung zu

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zeigen. Hatte <ler Ruf des Staunens oder das Demonstrativ- pronomen sich zum Namen für die aufgehende Sonne ent- wickelt, so konnte sich der Seufzer des Bcdauirns zum Namen der untergehenden Sonne entwickeln; es konnte also dieselbe Sonne je nach ihrem Stande zwei verschiedene Eigeniiaiiien haben. Ich unterlasse es absichtlich, auf" ver- wandte Tbatsachen der Sprache hinzuweisen. Es konnte ebenso die unreife Frucht mit einem andern Stamiuworte bezeichnet werden als die reife. Das musst« der naiven Anschauung irgend welcher Urzeitmenschen so nahe liegen, wie uns die Gewohnheit Kalb, Kuh, Stier u. s. w. zu sagen. In diesen verschiedenen Wortstämmen für verschiedene Standorte, Lebenslagen, Lebensalter, Geschlechter der Gegen- stände liegen aber die Kategorien unserer Flexionen ver- borgen. Die Analogiebildungen Lc'iwe Löwin, Löwe Löwen- junges u, s. w. sind bei den ältesten und gebräuchlichsten Tiereigennameu gar nicht vorhanden. Es sind offenbar jüngere Sprachbildungen. So dürfen wir auch annehmen, dass die Gemeinsam i.j^it des Wortes Sonne für das auf- gehende und das untergehende (i' stirn in irgend < nu r ur- alten Zeit eine neue Sprachsch(i{ tutig war. Die Bestim- raungsworte , aufgehend*' und , untergehend sind nur Orts- üder Richtungsbezeichnungen , wie die Flexionssilben der Casus.

Im Chinesischen trifft das Pronojnen der zweiten Pereon mit Konjunktionen ftir örtliche und zeitliche Nähe zusammen, ferner mit Ausdrücken für Aehnlichkeit. Das scheint uns .so absurd, dass wir zuerst nach verwandten Erscheinungen vergebens suchen. Es Hesse sich aber wohl ein Poet vor- stellen, der dichtete: Eine Rose stand der andern so nahe, dass sie ihr Du sagte. Und umgekehrt sagen wir mund- artlich von einem schönen Gemälde, einer ausgezeicbneteu Fracht: Da muss ich Sie sagen.

Mit solchen Erscheinungen und den alten, jeder Ana- logiebildung vorausgehenden, gewissermassen ungrammati- schen und überreichlichen Worten wie Kalb, Kuh, Stier u. 8. w. glaube ich nun die bekannte Thatsache wieder m

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I. Unbestimmibeit des g^ranmiatischen Sinnes.

Zusammeiiliang bringen su dflrfen, das« die &ltesten und ein- geübtesten grammatiBclien Reiben ebenfalls obne Hilfe Ton Flexionen dureb Tersditedeae Wortstämme ausgedrQckt wer- den, im Deiitscben wie in anderen Sprachen. «Bin war gewesen" f „gut beaeer^ frappieren durdi die flba> flüssige Verwendung neuer Stimme; bei »besser* für das alte „bass* ist es besonders deutlich^ wie die KomparatiT- flexion nacbtrSglich zu dem unTerständlich gewordenen Kom- parativ des Adverbs „gut" hinzutrat Es ist dieselbe Er- scheinung, wie wenn ehemalige starke Verben im Deutschen die sogenannte schwache Flexion annehmen. Die Analogie- bildung rückt siegreich vor. /u dieser flexionslosen Ent- wickelung von Begrittsreiheii möchte ich auch die Gruppen „ich, du, er", „wir, ihr, sie", ferner die so altertümlichen Zahlwörter von eins bis zehn rechnen. Ein bewusster, auf der Grauuuatik stehender Sprachschöpfer hätte all das sicher- lich mit Ilüfe von Flexionen erfunden. VokAtiv Es war recht unwahrscheinlich, dass uns die historische Sprachwissenschaft die Möglichkeit gewähren würde, die Phantasie von einer Sprachschöpfung zu illustrieren, in die Zeit ziirtickzuleuchten, in welcher ein unflektierter Ruf doch den grammatischen Wert eines Satzes haben konnte. Und dennoch linde ich jetzt ein zweites Beispiel so weit vor- bereitet, dass ich es vorsichtig beibringen möchte. Es handelt sich um eine auffallende Aehnlichkeit zwischen dem Vokativ- casus des Substantivs und der Ini})erativform des Verbums. Sie lassen sich beide als die flexionslosen Formen betrachten. Wenn wir uns von unserer Gewohnheit, vom Infinitiv und vom Noramativ auszugehen, ganz belreien könnten, so würden wir einsehen, dass der Vokativ und der Imperativ die älte- sten Formen des Substantivs und des Verbunis darbieten. Darüber weiss die hhT.tuiJsclie Grammatik hübsche Einzel- heiten. In vorhistorischer Zeit nun, als die Kategonen des Substantivs und des Verbums so wenig vorhanden waren als sie es heute im Chinesischen sind, konnte eine und die- selbe Lautgrujjpe natürlich Vokativ und Imperativ aus- drücken und zwar so, dass der Hörer die Substantiv- und

Im P«rfttiv.

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fladonen ans Riditiiiignrorteii entitandMi.

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die Verbalform identifizieren musste. Erinnern wir lu» nun gar, dasB die Sprache swischen den Menachen Ton gar niehta Anderem auagehea konnte ala Tom aufiTordemden Anruf, ao beaitMn wir in unserem «du* etwas wie eine Seitenform au dem genuB generaUssimum, dem Demonatrativpronomen .da* oder ,daa*, eine Seitenform, welche nicht durch Flexion, sondern durch ein neues Wort zugleich den VokatiT und den ImperatiT in die Sprache hineinbrachte.

Halten wir unsere Phantasie von der Entstdiung derFi«iioMm Sprachfonnen u. s. w. fest, so sind wir nach dem lotsten g"^. Beispiele vielletcht in der Lage, uns die Entstehung der tuas^ 'Casusfonnen doch glaubhafter zu erkUbren, als es die neue, unter dem Eii^uss der Sanskritisten stehende Sprachwissen- itMi««!!. Schaft gethan hat. Dieae hat bekanntlich die Sprachen in flexionslose, anklebende und flektierte eingeteilt; sie denkt sich die Entstdiung unserer flektierten Sprachen so, dasa ein dunesischer Zustand der Einsilbigkeit vorausging, dass das Anldeben roa Sl&nmen, die nacUier au Bildungssüben abgeschwftcht wurdeo, folgte. Abgesehen nun davon, dass die Flexionslosigkeit des Chinesischen neuerdings eher wie das Ende als wie der Anfang der Entwickelung aussieht, dass unsere Kuliursprachen (besonders das Euglische) sich der Flexionslosigkeit nähern, ist auch gar nicht abzusehen, wie Casus- und Tempusformen künstlich gebildet werden konnten, bevor es eine Gramnufttik gab. Und eine Grammatik wieder in unserem Sinne konnte es doch ganz gewiss nicht lachen, bevor ihre Formen existierten. Aus diesem Dilemma kiUt vielleicht eine Vorstellung, die ich mit dem „Mute zu irren", den Sprachphilosophen vorle|i?e. Wie wenn uiclit die Substantive durch (lie Casusbezeicbtiuiigcn (mututis mutandis die Verbal toiiiica) naher bestimmt wurden, sondern die Casuseii du Ilgen durch die Substantive? Wie wenn die an- geblichtju Casusendungen viel ältere und ullgcnieinere Worte gewesen wären, als die Menge der Substantive? Ich stelle mir das so vor: War das Demonsti ati\ prnnoiuea „da" oder »das* das genus generalissiuiuui , so konnten die Bezeich- nungen für Lokalverhältnisse (metaphorisch auf Zeitverh'ält-

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54 I- Unbeitiiniiith«it dM gnumnaiiioiMB Simiei.

niflse angewandt) «her, hin, zu, fort, oben, nnten u. s. w." sehr aUgemeine Begriffe sein, welche in einer Uneit aus der Situation heraus fUr die Veistftndigttng zwischen den Menschen genOgten. Es konnte um im Phantasieren zu bleiben der Oeneralbegriff der Entfernung im Gegensatz zu dem Oeneralbegriff der Annihenmg z. B. den AblatiT gegen den Ahkusativ, die zweite Person gegen die erste, die Vergangenheit gegen die Zukunft bedeuten. Dass Sub* stantiY- und Verbalformen dabei durcheinander laufen, ist flir eine so alte Zeit eher eine Untersittfezung der Hypo- these als ein Fehler. In dem zum Bichtungsworto ent^ wickelten Demonstrativpronomen sprach sich die Situation* des sprechenden Menschen aus. Als diese arme Sprache dem Reichtum der wachsenden Seelensituation nicht mehr entsprach, als die Bichtungsworte durch die inzwischen ent- standenen Substantire, A^'ckttye oder Verben näher be- stimmt wurden, analogische Flezionssilben wurden, da wurde die Bedeutung dieser alten Bichtungssüben nachtriglich durch die Wirklichkeitswelt gegeben und so musste es frei- lich kommen, dass unsere in der Grammatik aufgezählten Casusfbrmen eine so unzusammenhüugende Fülle Ton Be- deutungen aufweisen wie z. B. unser Genitiy. Die Unbe- stimmtheit aller grammatikalisdien Kategorien wSre dann aus ihrem Ursprung erkUlrt.

Wo sich diese alten Bichtungsworte (die meistens durch ihr altertOmliches iGepräge aufGdlen) erhaUen haben, da weisen sie die gleiche unzusammenhängende Fülle der Be- deutungen auf wie die ffildungssilben der Casus. Man denke nur an den fast uneingeschrftnkten Gebrauch unserer Worte flTon* und «Tor*. Und es ist, als ob die Sprache auf den metaphorischeD Gebrauch der Richtungsworte gar nicht ver- zichten kdnnte. Im Französischen und gar im Englischen ist die Rückkehr beinahe Tollendet; die Richtungsworte, welche einst vielleicht die Sprache ausmachten, welche dann zu Oasusbezeichnungen wurden, sind am Ende der Worte aus- gefallen, nach langsamer Abschw'dchung, und stehen jetzt breit und schwer im gleichen Dienste vor den Worten, ab

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tonlofle CaBUBseicben. Und selbst die Jakrtauflende alte TrenimDg Ton SubstantiTeii und Verben hindert nicht, dass dieselben Richtnngsworte, und in der gleichen Bedeutung, mehr und mehr den Verben Torangestellt werden. Ich glanbe es deutiich ToreteUen zu können, dass der Ctoneral- begriff ,in* oder „hin* einmal aus der Situation heraue genügte, um Terstindlich ausiudrDcken, dass entweder der Sprecher an einen bestimmten Ort gehen wolle oder der Elker hingehen solle. Der grOwsre Reichtum der Situations* bildung mochte dann dazu f&hren, diesen Oeneralbegriff, der Verbum, SubstantiT und Ricbtungsinteresse zusammenfasste, weiter zu erklären. , Gehen Stadt bin* besagte nicht mehr ds das «bin'' allein. Die Sprachen konnten die Be- griffe ordnen wie sie wollten (ire urbem, ire in urbem, inire urbem, inire in urbem), das Richtungswort, der Vorläufer der Flexionssilben, war das allein Sagenswerte, fast möchte ich sagen, das allein Sagbare; alle übrigen Satzbestandteile waren nui* ein Ersatz fUr die einst gegenwärtige Situation.

II. Das Yerbum.

Zu der Einsicht, dass den Kategorien der Logik oder Lessiug. Grammatik, dass den Redeteilen in der Wirklirbkeitswelt nichts entsprecht , dass insbesondere das Thiiti^^keits- oder Zeitwort keine einfache Wahrnehmung wiedergebe, konnte Lessing, abhängig von der Psychologie seiner Zeit, unmög- lich gelangen. Starb er doch in dem Jahre, in welchem Kant,s Kritik der reinen Vernunft erschien; und die grund- legenden Untersuchungen Leckes hatte er trotz eingehender Beschäftigung mit Leibniz nicht weiter geführt. Um so überraschender ist es, wie Lessing durch eine seiner ent- •scheidenden Ideen . durch die Grenzbestunniung zwischen Poesie unil Malerei, zu einer Definition der Handlung ge- führt wird, die mit einer psychologischen Auffassung des Thätigkeitsbegriffs fast wörtlich zusummenftllt. Diese De- finition, welche eigentlich schon seinen Laokoon voraus-

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II. Dm TtrVnm.

nimnit, findet sieb in seiner Abhandlang aber die Fabel aus dem Jahre 1759.

«Eine Handlung nenne ich eine Folge Ton Verilnde- rungen, die nisammen ein Ganses ausmachen. Diese Ein«- heit des Chinzen beruhet auf der üebereinstimmung aller Teile zu einem Endzweck."

Diesen Endzweck sieht Lessing allerdiugs in dem mara- lisehen Lehrsatz, für den die Fabel erfunden worden ist; aber der erkenntnis-theoretische Wert der Definition geht weit aber diese moralische Nutzanwendung hinaus. Lessing spricht es unmittelbar darauf aus: er könne es für eine un- trttgliche Probe ausgeben, dass eine Fabel schlecht sei, dass sie den Namen der Fabel gar nicht verdiene, .wenn ihre Tcrmeinte Handlung sich ganz malen lAsst.* In diesen wenigen Worten liegt, ¥rie gesagt, der leitende Gedanke des Laokoon, in welchem Lessing nur wenig spifter mit all seiner Scharfsichtigkeit schon die sprachphiloeophiBche Seite der Sache bemerkte

Er kommt auf diese philosophische Seite der Frage im 16. Kapitel des Laokoon und ist sich der Bedeutung gar wohl bewusst; denn er beginnt die Auseinandersetzung mit den Worten: »Doch ich will Yersuchen, die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten.* Lessing ist so sehr auf die enksk Grfinde seiner üsthetiBehen Fragen eingegangen, dass der Laokoon aber seine Absicht hinaus ein Beitrag zur Sprachphilosophie geworden ist

Schon in den einleitenden Sfttieu des Werkes, in denen er stolz bescheiden die zufällige Entstehnng und den Mangel an Ordnung im Werke beklagt, sagt er beiliutig etwas, was ich zu einem der Motti meiner Sprachkritik machen möchte. ,An sjrstematischen Bachem haben wir Deutschen Ober- haupt keinen Mangel. Aus ein paar angenommenen Woi-t- erklärungen in der schönsten Ordnung alles, was wir wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, trotz einer Nation iu der Welt.*

Diest' Verachtun^^ aller Wortiti;u In rri (die sich in dem herrlichen 10. Kapitel des Laoküuii bis zu der Einsicht

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Lessiog. 57

steigert, dass auch die Zeicheiupniclie der antüdsierenden Malerei eine hohle ICadcerade, ein S|nel mit toten Symbolen sein könne) mueste dem Verfasser des Laokoon so nahe Gegen, weil die ersten Grttnde der ganzen Untersnchung auf dem Gelnete der Ansdrucksmittel lagen. Wo er su dieser Frage gelangt, da staunen wir acugleich Uber den Scharf- sinn des ausserordentlichen Mannes und beklagen die ge- ringe Psychologie seiner Zeit. £Sr sagt: «Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmuugeii ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nlmlich Figuren und Farben in dem Baume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zdchen ein bequemes Verhftltnis zu dem Bezeichneten haben mOssen: So können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teüe nebeneinander existieren, aufeinander folgende Zeichen aber auch nur €^enstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen." Lessing sagt dann weiter, dass Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, Hand- lungen heissen; dass folglich Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie seien. Er leitet daraus die berühmte Sclilussfol^erung her, dass die Malerei also nur einen ein- zigen Augenblick der Handlunt^ nutzen könne und daher den prägnantesten wühlen müsse, aus welchem das Vorher- gehende und Folgende am begreiflichsten werde. Es ver- steht sich von selb.st, dass Lessing bei all diesen 1 )aj It^un^^en nur an solche Darstellungen der bildenden Kun.Nt denkt, welche eben Handlungen darstellen wollen, dass Lessings Laokoon darum aul die homerischen Gedichte und auf Ge- mälde nach Homer weit besser passt als auf moderne Stim- mungsbilder und moderne Stimmungspoesie. Wie Lessing aber immer mit seinen Gedankenblitzen weit voraus leuchtet, so hat er auch schon (bis Wort ausgesprochen, mit welchem wir seinen Stninipunkt kiitisieren möchten.

"Vielleicht kam er zu dem Gedankenblitze, den ich meine, dadurch . dass die Theorie des Laokoon sich kaum gegen eiu anderes berUhmtes Werk seiner Zeit so sehr zu richten

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II. Dm TMbmn.

schien, wie gegen den Frühling" seines lieben Freundes Kleist. Von Herrn von Kleist Tersichert er eifrig, dass er, hfttte er ISnger gelebt, dieser malenden Poesie eine andere Gestalt gegeben hätte; ,er würde (es sind Worte Ton Mar» montel) aus einer mit Empfindungen nur sparsam durch- webten Beihe von Bildern eme mit Bilden nur spantan durchflochtene Folge Ton Empfindungen gemacht haben.* In diesem Zusammenhange dtiert Leesittg eine Stelle aus einem nicht minder berühmten malenden Gedichte, ans Hallers «Alpen*. Lessing will den Einwuif machen, daes Hallers Beschreibung denjenigen keine Vorstettung gebe, der all diese Kräuter und Blumen noch nie gesehen habe. Und hier steigt Lessing plötzlich au den eisten Gründen herab, wenn er, mit einer seiner bewundernswürdigen Selbstnnter- brechungen, ausruft: »Ee mag sein, dasa aUe poetischen Gemälde eine Torläufige Behwontschaft mit ihren Gegen- ständen erfordern. Ich will auch nicht leugnen, dass dem- jenigen, dem eine soldie Bekanntschaft hier zu statten kdmmt, der Dichter nicht Ton einigen Teilen eine lebhaftere Idee erwecken konnte.*

Hier, an diesem Punkte mttsste die neue Psychologie einsetzen, wollte sie Über Lessing hinaus die Grenaen zwi- schen Malerei und Poesie abzustecken wagen. Was Lessing da wie mit einem ihn blendenden Blitze beleuchtet hat, das lässt uns heute den Zusammenhang zwischen den Ausdrucks- mitteln der Malerei und der Poesie einerseits, den Zusammen- hang zwischen der Handlung und ihrem sprachli^en Zeichen, zwischen der Wirklichkeitswelt und dem Yerbum, zwischen dem Mitteilungsinhalt und der Sprache begreifen. Denn wir wissen ja, dass nicht nur alle poetischen Gemälde eine vorläufige Bekanntschaft mit ihren G^enständen erfordern, sondern dass alle Mitteilung (ToUzieht sie sich nun durch sichtbare Sprache oder Malerei oder durch die Lautsprache) nur Erinnerung ist, also immer und unter allen Umständen vorläufige Bekanntschaft Toraussetzt. Der Sprachkritiker wenigstes hat gelernt, dass in dem artikulierten Worte der Lautsprache niemals etwas anderes liegt als die Erinnerung

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Zweck im Verbum.

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an SinnesdiidTfidce, und daas auch die Halarei oder Zeich- nung eine kttnatliclie und bis su einem gewissen Oxade kon- TentioneUe Artikulation dessen ist, was das Auge so ganz anders in der WirUicUceit erblickt (vergl. I. 46).

Insbesondere die Handlung, welche Lessing in seiner zwMk Abhandlung Aber die Fabel so pracbtroU definiert ^t, und ver^ welche er sich so einfach durch das Verbum darstellbar denkt, haben wir als etwas kennen gelernt, was durch Worte gar nicht su beschreiben iak Wir wissen, dass wir z. B. mit dem Worte .graben* eine Unzahl minimaler KSrper* bewegungen unter dem menschlichen Gesichtspunkte eines Zwecks zuBammenfassen. Was im Gehirn beim Anblick eines Bildes und beim Anhören des entsprechenden V erbums (des Attsdrucksmittels f&r die Handlung, fOr das Objekt der Poesie) Torgeht, ist also gar nicht so Tsrschieden. Aus dem Augenblicksbflde z. B. in einem GemUde Ton J. F. MiDet kommt uns die Erinnerung, dass ein grabender Mensch ein- mal auch diesen Anblick gewShrt; hören wir das Wort graben, so bezeichnet es allerdings nicht einen einzelnen Augenblick, sondern den ganzen Komplex der zweckmässigen Bewegungen, aber es gfibt doch zur Beschreibung der Thi&tig- keit nidit mehr, sondern wouger als das Gemilde. Es gibt den unaichtibaren Zweck des Bewegungskoraplexes als Mittel- punkt der Brinoerung an die unzftUigen Teilbewegungen. Und woUte der sprechende Mensch, der Dichter nun mehr tfaun als der Maler und, wie die Theorie Lessings es Ter- langen würde, an Stelle des unsichtbaren Zweckbegrifib diie Teilhandlungen auizählen und so die Oesamthandlung zu beschreiben suchen, so würde sich bald herausstellen, dass Handlungen durch die Spraclu' nicht zu beschreiben sind, dass die Vorstellung von einer Handlung durch eine solche genaue Beschreibung nur immer undeutlicher würde. Oder Tielmehr: Es ist die komplizierte Handlung (z.B. das Sat- teln oder, um bei Homer zu bleiben, das Anschirren der Pferde) dem hörenden Mensehen entweder geläufig oder sie ist ihm fremd. Ist sie ihm fremd , so wird die Beschrei- bung, die Aufzählung der Teilkandluugen ihm von Seiten

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IL Dm Yeibnn.

des sprechenden Menschen nicht eigenUich eine sprachliche Hitteflung, sondern eine Neuigkeit sein; er wird wünschen den ganzen Vorgang lieber praktisch Tor sidi zu sehen, weil er der Beschreibung kaum zu folgen vermag. Ist dem hörenden Menschen der Handlungskomplex Jedoch geläufig, so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhand- lungen, ihm bis zur Lächerlichkeit langweilig eracheinra. MtiM," Man stelle sich einmal vor, ein epischer Dichter wSxe auf den TenUckten Einfall gekommen, das Verbum «er ging*, weil es doch nur den Zweckniittelpunki angibt und nur die Illusion eines wirklichen Bildes erzeugt, durch eine Be- schreibung des Gehens zu ersetzen, wie sie etwa durch die Brttder Weher anatomische, durch Anachütc photographisehe Kenntnis geworden ist. Der Dichter könnte nun eine Reihe ▼on Seiten an die Stelle des einfachen «er ging* setzen; jede Einxelbewegung des Apparates von Knochen, Sehnen, Nerven und Muskeln könnte er, mit oder ohne MathemsÜk, aufeinander folgen lassen. Unsere WissensehalUer würden das eine ElrklSrung des Gehens nennen. In Wahrheit aber Ware es natOrlidL keine Erklärung, sondern nur eine Be- schreibung, eine Beschreibung aber auch wieder nur fllr die Vorstellung des Anatomen oder Physiologen, der eine «vor^ Iftufige Bekanntschaft* mit den Teilhandlungen besüsse; für den unvorbereiteten Zuhörer wftre es das Gegenteil Ton einer Beschreibung. Er wQrde nach dem Lesen der ganzen Aufsählung Ton Teilhandlungen viel eher glauben, die Person b&tte geturnt als sie wftre gegangen. Denn nicht nur die Poesie als die Wortkunst, sondern die Sprache ttberhaupt setit, wie vrir wissen, den Gegenstand der Mitteilung als bekannt voraus um diesen Gedanken endlich einmal so scharf wie möglich auszudrücken. Gerade das Verbum als das Ausdrucksmittel der Handlung ist für diese Erkenntnis sehr wichtig. Die Adjektive grOn, sUss n. s. w. lassen frei- lieh keinen Zweifel darttber, dass keine Beschreibung eine Vorstellung des Ghünen, Sflssen u. s. w. dengenigen liefern könnte, dessen Gesichtsnerven, Geschmacksnerven u. s. w. nicht funktionieren. Das seheint uns aber gar nicht mehr

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Wortkiuuti

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bemerkenswert, weil es vor aller Psjcholoijie klnrsein rousst«, weil wie ich hinzufüge die uinnittelbaren Sinnesein- (lrii( ko immer adjektivisch sind uud darum niemals durch Be>»chreibungea ersetzt werden können. Bei den Substan- tiven ist ein Irrtum schon eher möglich; man glaubte die VorstelluMu* von einem EU lunten in der Schule durch ad- jektivische ijeschreibungen erzeugen zu können, bis die neuere Pädagogik in allen solchen Füllen den Anschnnunsr^- unterricht fUr notwendig erklärte. Der Anschauungsunter- richt versucht durch hübsch kolorierte Bihhr auch die Thiitigkeit der Handwerker den Kindern beizuljringen. Ein fruchtloses Bemühen! Niemals wird sich das Kind von der Thatigkeit eines Handwerkers eine Vorstellung machen können, wenn es seine Werkstatt nicht besucht hat. Durch blosse Beschreibung der Thatigkeit kann man weder einen Schuhmacher noch einen Schwimmer ausbilden; man kann aber auch dem Nicht-Schuhmacher und Nicht-Schwimmer von der Thatigkeit durch blosse Beschreibung keine Vor- stellung geben. Handlungen können nicht der eigentliche Gegenstand der Poesie sein, der Wortkunst, weil Thätig- keiten sich durch Worte am allerschlechtesten beschreiben lassen. Poesie kann schon aus diesem Grunde immer nur Seelenstimmungen darstellen, welche der Dichter (unthätig, handelnd oder andern handelnden Personen gegenüber lyrisch, dramatisch oder episch) empfindet und die er beim Leser Avieder erzeugen will.

Die letzte Entwickelnng der europäischen Poesie hat wort- sich revolutionär vollzogen, ohne dass irgend einer der Dichter oder der Theoretiker Termutet hätte, dass der Umschwung in irgend einem Zusammenhange stände mit den erkenntnis- iheoretischen Fragen unserer Zeit. Ich möchte die Aufgabe, diesem Zusammenhange nachzuforschen, einem Leser dieser S)>rachkritik stellen* Die begabtesten unter den modernen Dichtem Tendchton auf die allein selig machende Handlang sogar im Drama, geschweige denn im Roman, und lassen die Handlung mehr aus der Stimmung ihrer Personen er- raten, welche sie doch allein kennen; und wieder die Oha^

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62 Verbum.

raktere dieser Personen sehildern sie nur indirekt, weil die Sprache niclit mehr vermag; und sie haben es aufgegeben, Musterbilder von Menschengruppen aufzustellen, weil sie doch nur Individuen kennen und weil es eine typische Sprache für Typen gar nicht gibt, sondern nur Individualsprachen. Es wäre traurig, wenn die l'robe auf das Excmpel niclit gestimmt hätte, wenn die neueste Entwickelung der Wort- kunst der Sprachkritik widerspräche.

Erkeautuistheoretische Untersuchungen haben uus zu der Einsicht geführt, daHs die altberühmt^n Kategorien des Seins doch nur die aus unseren indoeuropäischen Sprachen abstrahierten Redeteile der Grammatik sind, und dass diese Redeteile weder der Wirklicbkeitswelt noch unsern Sinnes- eiudrilcken von ihr kongruent sind. Wir haben gesehen, dass unsere Wahrnehmungen von den Dingen weit eher ad- jektivischer als substantivischer Natur sind , und dass das Verbum Beziehungen im Raum und in der Zeit auszudrücken versucht, etwa Veränderungen, also Yergleichuugen , dass wir aljer von Thätigkeiten und Zustanden unmittelbar gar nichts wissen. Nun fnhreT\ uus psycliulogische Unter- suchungen auf ganz and» m W ege dazu, das \*erbum auch sprachlich übertiüssig zu tin.flen zur Auffassung oder Mit- teilung einer Handlung. Bei elii}»tischen Formen wie .,Her- .macben". aus!" ,Zu Pferde!" „Sehneil!" und dergleichen ist es ja bekannt, dass das Verbum aus der Situation ergänzt wird. Das ist aber nicht mit den Sprachpedanten so zu verstehen, als verschweige der Sprecher und er^^änzp der Hörer ein bestimmtes Verbum z. B. der Scliauspieier solle heraus -kommen", der lästige Besucher solle heraus , gehen". Man könnte, wenn tuhti srhon einen ordentlichen Satz formu- lieren will, in jedem solchen Falle das Verbum ..machen* eintreten lassen, welches ja so häufig als allgemeinste Be- zeichnung irgend einer Thätigkeit fast \s-\o eine Flexions- silbe gebraucht wird. Der S]>rarhLf< I i hk h gestattet die allerdings für unfein geltenden Redewendungen wie „nach

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Yerboni immer nnvirklicfa.

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der Schweiz machen, das Schreckhorn machen". Vermut- lich ist auch das lateinische proficisci (reisen) aus f&cw (machen) entstanden. , Machen heisst dann nicht mehr als die verbale Endsilbe, welche 2. B. im Deutschen aus Sattel «satteln^ f aus zwei , entzweien", aus Schriftsteller , Schrift- stellern" — macht. Weder das machen im Sinne von reisen, besichtigen, besteigen u. s. w. noch die verbale Endsilbe drückt eine bestimmte Thätigkeit aus in der Umgrenzun|T. wie etwa die Adjektive grün, gross, laut, einen bestimmten Sinneseindruck bezeichnen. Unsere Beispiele umfassen gieicli dreierlei sogenannte Thätigkeiten. Satteln" ist von einem Dingwort abgeleitet, welches Objekt einer Veränderung wird; «entzweien* Ton einem Wort, welehes Ziel einer Thätigkeit wird; Schriftstellern " vergleicht eine Lebensweise mit der eines besiammten Berufs, nnd enthält die Nuance, dass die Aehnlichkeit nicht ganz ziitrifTt. (HierfQr und für das Fol- gende: Wegener S. 138—150).

Die besten, ich möchte sagen, die echten Verben, d le Vrrliiiin Zeitwörter (weil man mit ihnen eine Veränderung in der "'^^ Zeit ausdrücken will), lassen sich durch die Kunstmittel des «irUloh. Malers nicht mitteilen. Das Satteln dauert vielleicht einige Minuten lang und der Maler kann bekanntlich nur einen onsugen Augenblick wiedergeben. Dennoch wird ein Reiter einer guten Zeichnung von einem Kavalleristen neben seinem Pfetde sofort ansehen , ob der Kavallerist aufsteigen wolle oder abgestiegen sei oder ob er eben die Handlung des Satteins vornehme. Seine Sachkenntnis deutet ihm die Situation des Augenblicks. Nun sagte man gewöhnliclit dass die in der Zeit verlaufende Sprache die Handlung darstellen könne, ja dass sie nichts als Handlung (in der Poesie) dar- stellen dürfe. Lessing hat in seinem Laokoon die Grenzen zwischen Malerei und Poesie auf diesen ünterschied von Raum und Zeit begründet» Theoretisch konnte die Psycho- logie dea Torigen Jahrhunderts nichts dag^n einwenden; liCMsings Theorie war ein bedeutungsvoller Fortschritt gegen die dichtenden Malereien seiner Zeit. Die neuere Psycho- logie aber lisst uns erkennen, dass auch das Verbum, in

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Ii. UnB Verbum.

weit liein Lossing das Hauptwort der poetischen Darstellung hätte sehen müssen, nur ein Situationsbild wachruft, aus welchem sich unsere Sachkenntnis eine Veränderunf? im

Kuuine (»der in der Zeit, eine Thätigkeit konstruiert. Die von Substantiven abgeleiteten Verben sind dafllr besonders lehrreich. .Satteln" enthält zwei Bestandteile, da.s Sub- stantiv Sattel und die Endsilbe, welche eine sogenannte ver- bale Vorstell erweckt; das Wort heisst etwa: Etwas mit dem ^:^atu l nmchen , etwas mit dem Sattel vornehmen, die Lage des Sattels anders werden lassen als sie vorher war.

Wir haben schon gezeigt, wie unsere Wahrnehniung die unzähligen Finger- und Handbewegungen oder gar die Muskelreizungen und Innervationen z. B. beim üraben oder Stricken gar nicht sondert, wie unsere Wahrnehmung aus einem augenblicklichen Sitüationsbilde oder aus mehreren solchen die Handlung erst kombiniert, wie erst der Zweck- begriff, den wir in eine unendliche Reihe von minimalen Bewegungen hineinlegen, den wir bei ihnen voraussetzen, als Handlung einen sprachlichen Ausdruck erhält. Was wir mit den Sinnen wahrnehmen heim Satteln, beim Ackern, beim Grahtu oder Stricken, das ist in keinem Augenblicke etwas, was einer Handlung irgendwie ähnlich sähe. Unsere Wahrnehmungen sind - wie ge.sagt immer adjektivi- scher Art Unser Interesse ist es, unter Umständen statt der Adjektive rot, weich, süss, saftig, die gemeinsame Ur- sache dieser Adjektive zu beachten, das sogenannte Ding, und es Aj>fel zu nennen. Unser Interesse ist es wiederum, was uns veranlasst, die durch einen Zweckbegrilf vereinigten Wahrnehmungen ebenso durch ein Verbum zusamnn uzu- fas^son. Beim Substitutiv setzen wir in der WirklichkeiLswelt wenigstens eine Substanz voraus, die die vorausgegangene gemeinsame Ursache der Adjektive ist. Beim Verbum ist das (it inem>ame, der Zwet k dei- minimalen Veränderungen, der bmn des \'erbums also, in der Gcgenwartswelt ganz gewiss nicht vorhanden. Das Verbale in den Vorgängen kann schon aus diesem Gum ]■ nicht eigenthcli mitgeteilt werden, ein eigeutüches Verbum ist gar sieht möglich; die

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«essen".

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verbalen Formen fordern uns nur auf, eine Thätigkeife und dergleichen aus den Worten heranssuhören oder in sie liin* ^nxttlegen, das heisst unsere Aufmerksamkeit mekr auf die Yet&ideruDg der Situation als auf die Situation selbst zu richten.

Etwas Ton einer wirkUchen oder möglichen Aendemng der Situation meinen wir auch bei den Verben, die keine Thätigkeiten ausdrücken. Der unveränderte Zustand eines grünen Waldes heisst in der Sprache „der Wald ist grün" ; sage ich -der Wald grünf", so verghnche ich den jetzigen Zustand mit der gruubrauiu ii Färbung im WiDt<?r. (Dass wir, hätte sich der SpraihgLbriiUch dem Fortschritte der Wissenschaft angeschlossen, auch den Zustand mit „der Wald grünt mich* bezeichnen müssten, gehört nicht hierher.) Das Verbuui in ,das Buch liegt auf dem Tische* sagt nicht genau dasselbe wie etwa in „das Buch ist dick*" ; im Liegen witd die Möglichkeit angedeutet (unter Umständen ganz fühlbar), dass das Buch sicher ruhe und nicht herunter gefallen sei.

Wii- kennen schon die dominierende Bedeutung, welche die Metapher für die Entwickelung, also für die Entstehung der S|»rache besitzt. An nichts erkennt man das Schwanken der Wortbedeutungen, ihr ä-peu-pr^s, so genau, wie daran, dass die Worte sich vergleichsweise den Umfang ihres Sinnes erobern. Bei der metaphorischeu Anwendung der Worte, ans der schliesslich der ganze Spr»i hschatz entstanden ist, laüj,.-, im raenschlicli«- n (rfliirn ein unsiclioros , jx^ndelndes Tappeu zwischen <1< n 1 eiden verglichenen üegenstämlen vor- handen sein, ein Tappen, das auch im schliesslichen Ge- brauche der Worte versteckt bleibt, nachdem die Ver- gleichung aus dem Öprachbewusstsein verschwunden ist; immerhin weist das Substantiv, nachdem seine metaphorische Entstehung unbewusst geworden ist, auf eine mehr oder weniger sinnliche Vorstellung hin. Beim Verbum hört dieses Vergleichen niemals auf, dieses pendelnde Tappen, dieses Wandern des Blickpunktes, weil wir nie eine Thätigkeit

wahrnehmen oder vorstellen können, weil es immer etwas Uauthner, BeitrftB« zu einer Kritik der Sprache. IH. 5

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n. Das Verbum.

wie d«r Zweckbegriff ist (beim SabstantiT eine Ursache), der unsere Aufinerksainkeil rasch fiber die imz&hligen mi- nimalen Teilhandlungen hingleiten iSsst und errt aus der Vergleiebnng der Anfangs- und der Sndsitaaticm su dem Begriff der TlAtigfceit gelaugt Uns ist von diesem ewigen Yeigleichen nichts bewusst Bedenken wir aber, dass nur die Sachkenntnis uns den ThStigkeitsbegriff auffassen Iftsst, dass die Veigleichungspunkte dem Hdrer genau so gegen- wärtig sein mOssen, wie dem Sprecher, wenn er den gleichen Thätigkeitsbegriff in das gehörte Wort hinein legen will, 80 wird uns die Bedeutung dieses Umstandes Uar werden. Denken sich die Menschen schon unter den SubstantiTen nienuds mathematisch genau dasselbe, so wird die Ver^ schiedenheit noch grOsser bei den Verben, weil da mehrere Sitoationsbilder zu rei^leichen sind und jedes einielne Si- tuataonsbild schon in jedem Kopfe ein anderes ist Eine Folge davon ist, dass seitliche und räumliche Entfernung die Vorstellung des gleichen Verbums verändert. Ein deutscher Kavallerist sattelt anders als ein Kosak, ein Ameri- kaner pflfigt andei-s als ein alter Aegypten Man nehme »Ms«B". einmal das Wort Zahn. Ein Neger wird eine etwas andere Vorstellung damit verbinden als ein Chinese; ein Haifisch (wenn er sprechen könnte) eine andere Vorstellung als ein Mensch. Nun ist Zahn wahrscheinlich durch Lautwandel aus dem Worte »der £ssende" entstanden. Die Vorstellung des i^ens ist aber noch ?iel ungleicher bei den verschie- denen Völkern. Es hat gewiss eine Zeit gegeben, wo drä Menschen wie die Tiere ^frasseu**, etwa mit Zuhilfenahme ihrer Hände, wie die AftVii. Essen bedeutete damals haupt- sächlich -init den Ziihnen /erreissen und kauen"; »der Essende'" war damals wirklich der Zahn. Jetzt ist die Hand- lung des Essens komplizierter geworden. Wer heute in der Stadt zum ^E-ssen" eingeladen ist, dem zerfällt das Verbum in eine Menge von Teilhandlungeu, von denen ich nur einige hervorheben will: Toilette machen, in f?rosser Zahl zusammenkommen, niedersitzen (vor dem reich gedeckten Tisch), Serviette öfl'nen, Lötfei und üabel benutzen (dazu viel-

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Zeit in der Grwnmetik.

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leicht noch Austernmesser, Käsernesser, Obstmesser u. s. w.), verschieden p Teller benützen, verschiedene Gläser u. s. w.; das alles kann das Verbum essen ausdrücken. Aber auch der einfache Mann stellt sich essen nicht anders vor, als mit Löffel und Gabel. Hört er nun vom Essen der home- rischen Helden oder vom Essen chinesischer Mandarinen, so schiebt er den Griechen und den Chinesen das ihm be- kannte Situationsbild unter, weil er nicht weiss, dass die Griechen weder Löffel noch Gabel gekannt haben und dass die Chinesen beim Essen Stäbchen gebrauchen. Die den einfachen Mann umgebende Wirklichkeit ist zu einem auto- matischen Gebrauch toh Löffel und Gabel geworden; in seinen Muskeln nnd Nerven, also auch in seinem Gehini, spiegelt sich dieses Wirklichkeitsbild als Einübung. Hört er das Wort essen, so verlegt er dieses Nerrenbüd seiner Tbätigkeit in den Satz hinein.

Es gilt als selbstverständlich, dass das Zeitverhältnis zeit in eines Satzes zunächst durch die Zeitformen des Verbums ''^^^JJ' ausgedrückt wird; und zwar bezieht sich das Zeitverhältnis iramor auf das Subjekti entweder auf das Subjekt des Satzes oder auf das den Satz aussprechende Subjekt. Dieses Subjekt ▼ertritt die Gegenwart. Der Sprecher ist immer gegen- wärtig, das grammatikalische Subjekt wird entweder als gegenwlrtig gedacht oder mit der Gegenwart des Sprechers verglichen. So hat jeder mögliche Satz einerseits eine zeit- liche Mitbedeutung; anderseits wird immer nur eine Be- ziehung zur Gegenwart, also Vergangenheit oder Zukunft, direkt ausgedrückt. Für die eigentliche Gegenwart, abge- sehen Ton der (m. 43) erwfthnten Zeitlosigkeit, hat das Terbum so wenig einen unmittelbaren Ausdruck, wie das SubstantiT für den Fall der BeziehungBloeigkeit. Was wir KominatiT und Prisens nennen, das ist wahrsdiemlich eine höhere und sptttere Bildung als Datiy und Accusativ, als Perfektum und Futurum.

Wir haben eben gesehen, wie die Unbestimmtheit des

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XL Das Verbum.

giatiiiticitischen Sinnes auch im zeitlosen Pnisens sieht* bar wird.

PriMiis Sigwart (1. 90) macht darauf aufmerksam, dass das Oe^n- PrsLsens etwas Verschiedenes bedeute, je nachdem es dus- wftrt. selbe Prädikat vou einem Begriff oder von eiuem Dinp aus- sage. Ganz richtig. ^Die Sterue leuchten* (das heisst iikhi erkennt die Sterue gerade daran, dass sie leuchtende Punkte sin I i bedeutet etwas ganz anderes als „die Sterbe lenrhten'' (das heisst jetzt, wie ich eben sehe, leuchten sie, der liiuiinel ist also nicht bewölkt). Das Erste kann man auch bei Tage sagen, das Zweite nicht. Das Erste ist eine völlig leere Tautologie, weil wir das Leuchten mitvorstelleu, wenn wir „Sterne" hören; das Zweite ist eine Tautologie anderer Art. weil wir auf die zweifelnde Frage, ob der Ilimmel etwa bewölkt sei, bloss „Stcme" zu antworten brauchten oder „Es sind Sterne am Himmel*. Das Leuchten gehöi-t dazu oder ist vielmehr die Voraussetzung unsere Sehens.

Das Präsens bezeichnet also (vergl. S. 44) das eine Mal die Gegenwart, also eigentlich den flüchtigen Augenblick, das andre Mal die ewige Dauer in Vergangenheit und Zukunft. Oder sollte etwa die Sprache so witzig gewesen sein, da und dort mit dem Präsens die Zeitlosigkeit bezeichnen zu wollen? Schwerlich. Der Witz der Sprache ist niemals Wortwitz; so dumm wie wortwitsige Menschen ist sie denn doch nicht.

Die Eigentümlichkeit des Yerbums, einerseiis immer das ZeitTerhältnis anxugehen, anderseits nicht die Gegenwart selbfit. sondern stets nur eine Beziehung zur Gegenwart, entspricht den subtilaten Ergebnissen der Erkenntnistheorie. Jeder Satz muss eine zeitliche Bestimmung in sich tragen, weil wir die Welt nicht anders als auf dem Kanevas der Zeit (und des Raums) zu erkennen vermögen. Aber wir kennen keine Gegenwart im buchstäblichen Sinne, weil die Gegenwart immer nur der mathematische Punkt zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, niemals ein Besitz, sondern im Augenblicke des Erfassens auch schon ein verlorener Besits. Psjchophysische Experimente haben zur GenUge

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Piftaem und Oegemnurt.

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nachgewiesen, dass die einfachste ESmpfindung Zeit braucht, am uns zum Bewnsstsein zu kommen. Wie wir nach den Lehren der gegenwärtigen Optik daa Licht der Fixsterne sehen, das vor Jahren den Weg za ans angetreten hat, so fühlen vir einen Nadelstich ak gegenwartig erst, wenn er der Vergangenheit angehört. Die Gegenwart ist also nur in unserem Gehirn oder unserem Bewusstsein, nicht in unserer Wirklichkeit. Pedantisch mflssten wir sagen «es blitzte* und nicht »es bliiaci*, so wie die Römer, indem sie sieh in den Geist des Adressaten hineindachten, die Ereig* niase, die sie brieflich meldeten, zurfickdatierten.

Fllr die Einsicht in die Mängel der Sprache ist es besonders lehnreich, dass sie auch auf ihrem eigensten Ge- biete irre fUhrt. Die Grammatik ist nichts als der Sprach- gebrauch, der auf abstrakte Kegeln gebracht worden ist; und nicht einmal fttr die Regeln yon der Sprache reicht die Sprache aus. Wir haben eben erfahren, dass es eine eigentliche Gegenwart nicht gibt; wir mflssen annehmen, dass das undifferenzierte Yerbum, das uns heute die soge- nannte Gegenwart bezeichnet, zu dieser Bedeutung erst auf einer höheren Entwickelung des menschlichen Geistes ge- langt ist. Dagegen haben wir mehr als einmal den Saite wiederholt, dass die Tiere wenig oder gar nichts Ton Ver- gangenheit und Zukunft wissMi und ganz in die Gegenwart gebannt sind. Es ist offenbar, dass wir da und dort den Gegenwartsbegriff in einem Terscfaiedenen, ja in einem ent- gegengesetzten Sinne gebrauchen. Denn sonst mOsste ja das Tier der Wirklichkeitswelt mit einer bessern Orientierang gegenüberstehen als der Mensch. Wir können den Untere scbied im Gebrauche des GegenwartBbegri& jedoch nicht deutlich fassen, weil uns die Worte dafür fehlen. Die Sache liegt ungefähr so. Die Gegenwart, in welche die Tiere gebannt sind, ist die Wirklichkeit, welche immer gegenwärtig ist So mflssen auch die Pflanzen die Wirk- lichkeit ab gegenwärtig empfinden. Die andere G^jenwart, die grammatikaHsehe oder logische Gegenwart, als der mathe- matische Trefl^unkt zwischen Vergangenheit und Zukunft,

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IL Dis Verbnm.

ist nicht wirklich, ist nur in unserem Bewusstsein, ist nur in unserer Sprache. In der Wirklichkeitsgegenwart der Tiere und Pflanzen erzeugt der Vcrgangenheitsmonient immer den Zukunftsmoment; diese Gegenwart ist fliessend. In der grammatikalischen oder logischen Gegenwart ist der Versuch gemacht, den FIuss der Zeit aufzuhalten, die Hypo- these eines starren Augenblicks der ünveränderlichkeit auf- zustelleiL Ob der Baum der Wirklichkeitswelt, zeitlich immer Gegenwart, zum Material der Sinne gehört, das wissen wir nicht; wir wissen nur, dass die aUezeit materia- listische Sprache den Raum als in der Q^nwart starr auf- fassen muss. Diese VorsteUung von einer in der Welt nicht existierenden, fQr unsere 6egri£fewelt notwendigen starren Ünveränderlichkeit ist das Wesentliche an der grammatika- lischen Gegenwart; sie kann daneben einen möglichst mathe- matischen Moment ausdrücken, wie wenn der Experimentator im pirfchophysischen Laboratorium sprachlich oder durch ein anderes Zeichen mitteilt, er fQhle jetzt den elektrischen Schlag, sie kann etwas wie zeiÜose Dauer bezeichnen, wie in unzähligen Begrifisdeflnitionen : ^Die £rde ist ein Planet*. Dazwischen wird jede mögliche Zeitdauer, wenn man nur die in ihr sich verändernde Wirklichkeit als eine relativ unvertUiderte Einheit auffasst, durch die Gegenwart be- zeichnet werden: Es ist zehn Uhr, es ist Tag, es ist der dritte Mai, es ist Mai, es ist Frühling, es ist das Jahr 1899 u. s. w.

Begvin. Die menschliche Sprache oder das Denken ist also höchst wahrscheinlich von einer Torsprachlichen WirkHchkeitsgegen- wart ausgegangen und hat erst nach einem langen Wege der Abstraktion einen Ausdruck für die sprachliche Gegen- wart, für die grammatikalische Gegenwart gefunden. In der Sprache war also die Form für Vergangenheit und Zu- kunft frOher da als eine klare und bewnsste Fonn für die Gegenwart. Die Tfaatsachen der Sprachgesdiichte scheinen diese Einsicht bald zu bestätigen, bald zu widerlegen, sind aber mit Vorsicht zu benützen. So haben die semitischen und altslavischen Sprachen nur für die Gegenwart und für

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Regeln.

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die Vergangenheit eine bestimmte Form and man aagt, duB sie die Zukmift durck die Oegeawart KuadHlGkeii. Was beisst das: eine Sprache drQekt die Zukunft dmrch die Gegenwart aus? Das ist dock nnr eitle Wortmackerei. Selbst In unserer Zeit kat das PrSsens unendlich oft, in der Umgangsspracke sowokl wie im €kibrancke der Dickter, den Sinn des Futumms. „Ick komme gleick*, sagt jeder Mensck, anstatt ,ick werde gleick kommen*. «Wer weiss, wer morgen Uber uns befieklt*, sagt der Dickter, anstatt «wer morgen Uber uns befehlen wird*. In diesem «anstatt* liegt dieselbe Wortmackerei, derselbe grammatikaliscbe Hochmut ▼erborgen, wie in dem SatM, es drttcke eine Spracke die Zukunft durck die G^nwart aus. Es Tersteckt sick darin die ewige Vermesseakeit der AbstrakiaoD, welcke Uber die WirUickkeit kerrscken will, die Unversckämtkeit der Kegel, welcke mekr sein will ab die fiinselfiüle, auf welcke sie sick ordnend bezieht. Die fiegel ist nickts als ein kuner Ausdruck ftlr den Sprachgebrauck ; nadidem sie jedock in eine Formel gefasst ist, will sie den Sprachgebrauch, den sie nur aussprechen sollte, ändern. Es ist wie auf allen Gebieten des Handelns. Hat man durch ein Wort aus- gedrückt, was ist, so möchte das Wort sofort ein Sollen sein. Das ist immer eine Willkür, auch bei der Fixierung der Zeitformen. Durch den Gebrauch der „richtigen" Zeit- formen kommt in die Schriftsprache eine Nüchternheit, ohne dass die Deutlichkeit der Umfrangssprache erhöht wird. Ein Beispiel für die Willkür der Grammatiker ist es, dass die gleiche Form, welche in der arabi.schen Grammatik Präsens hellst, im Hebräischen Futuiuai genannt wird.

Man hat die drei Zeiten der Vergangenheit, Gegen- Avart und Zukunft die absoluten Zeitverhältnisse genannt und sie so von den relativen Zeitverhältnissen, wie z. 6. dem Plusquamperfektum unterschieden. Natürlich sind diese Be- zeichnungen nicht streng zu nehmen. Gegenwart und Zukunft beziehen sich immer aut die Gegenwart, sind immer relativ, und Plusquamperfektum, Futurum exaktum u. s, w. sind nur relativ in zweiter Potenz; irgend eine Vergangenheit oder

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n. Dm Vevbam.

Zukunft wird gewissennassen als «ine Koordiaatenachse an- gen<xmnien, auf welche nch wiederum eine andere Zeit als Vergangenbeit oder Zukunft beaebt. Es gab und gibt Sprachen (wie das Althochdeutsche und trotz grossen Reich- tums in anderer Beziehung das Slaviaehe), welche iRr die Relativität in zweiter Potenz keine grammatische Form besitzen, ohne dass Sprecher und Hörer Aber die Zeitver- biltnisse im unklaren blieben. ModL Durch die Zeitformen des Verbums wurden und werden oft andere Beziehungen des Satzes ausgedrückt, welche in der DarstelluDg der Grammatik mit den Zeitunterschieden keine Aehnlichkeit haben. Es sind das die sogenannten Modi; der Ausdruck, dessen Geschichte für Logik und Grammatik gleich lehrreich ist, sagt uns nichts mehr. Spftter werden wir im Zusammenhange (mit andern sprachlich«! Andeutungsmitfceln fttr Zeit und Raum) zu zeigen haben, wie weit die Anwendung des Tempus auf den Modus meta- phorisch ist oder nicht.

Der IhdikatiT ist in demselben Stande der IndüFerenz wie der NominatiT unter den FäUoi, das Piteens unter den Zeiten. Wie das Prttsens unter Umstünden jede andere Zeit ausdrücken kann, so der Indikativ unter Umstünden jeden anderen Modus. Wie die sichere Erwartung der Zukunft sich durch das Prisens ausspricht, und oft besonders nach- drücklich, so z. B. der Imperativ durch den Indikativ, ebenso nadidrQcklieh, selbst drohend. ,Du kommst!*

Die Form des Konjunktivs ist in vielen Sprachen der Form der Zukunft nahe verwandt Auch kann, wie im Lateinischen und im Hebrftischen, der Imperativ durch das Futurum ausgedruckt werden. Und es gehört gar nicht viel Phantasie dazu, um einen Sprachgeist zu verstehen, der nicht etwa die Zukunft «anstatt'' des Konjunktivs, «an- statt* des Imperativs setzte, der vielmehr Konjunktiv oder Imperativ klar als Zukunft sah. Der Konjunktiv, welcher in unseren Sprachen von Begriffen des Wttnschens, Bit^ tens, Befehlens u. s. w. «abhängig" ist, geht immer auf einen künftigen Zustand und hat dennoch Vezgang^nheits-

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IterfttiTmn.

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fonnen. w<n86, ob EonjonktiTe, die jiicht auf die Zu- kunft gehen, nieiit miBsvwetibidlielie Anakigiebilduiigen sind. Der regebechte KonjunkÜT unserer Schriftspraohe, wie er TOn Schulmeistern gefordert und Ton gebildeten Norddeut- schen unerbittlich durchgeführt wird, hst fdr ein sUddent- sdies Ohr oft etwas UnnatOrliches.

Nicht so einleuchtend ist es und doch charakteristisch, it«i»* dass die relativen Zeiten in zweiter Potenz, wefl sie sich nicht auf die unmittelbare Gegenwart des Sprechenden be- ziehen, also keine greifbare Wirklichkeit bezeichnen, leichter zum Ausdrucke der Möglichkeit werden können. Unter die Hodi mttsste auch der Begriff der Unbestimmtheit gerechnet werden, der auf die Zeit bezogen Unbestimmtheit der Daner oder Unbestimmtheit der Wiederholung sein kann. Hier mischen sich in den Sprachen, welche eine be- sondere Form des Iterativs haben. Modus und Zeit Im Deutsehen, wo wir das IteratiTum schwerfttOig durch «ich pflege* oder «ich pflegte* das und das zu thun, ausdrücken müssen, wird der Zeitumstand in das Hilfswort verlegt und dadurch das Zeitmoment der eigentlichen Thfttigkeit ver- wischt; und die Modalitiit, welche sich in dem Hilfsworte ausdrückt, geht wieder dadurch verloren, dass das Wort die Bedeutung der zeitlichen Wiederholung angenommen hat. Wir denken beim Sprechen nicht mehr daran, dass »pflegen" ursprünglich und noch im vorigen Jahrhundert den lebhaften Anteil an einer Person oder an einem Thun bedeutete und dass es erst in jüngster Zeit den Begriff der Gewohnheit ausdrückt. Die Durchdringung, man kann wohl sagen: das Durcheinander von Zeit und von Interesse, wie die Form des Berativums es verdnigt, ist also in der deutschen Umschreibung des Iterativums deutlich sichtbar. Manche Sprachen, vrie die einiger in der Kultur sehr tief stehenden Negerstämme, besitzen filr d&i Anfang einer Handlung, für die Intensität der Handlung und für das Ge- schehenlassen einer Handlung besondere Verbalformen, die uns fehlen; sie hätten längst lehren können, dass es nicht im Wesen dieses Redeteils liegt, sondern in einem bequemen

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II. Dm Ywbam.

Spradigebnucbe, w«iiii d«s Verlram io niuereti Spmhen Zeiiwoii geworden wt, ^ das heisrt durch seine FiNruien mt an die snbjekÜTe oder objekÜTe, an die in erster oder zweiter Potens reUttre Zeit erinnert. Zeit and Und dass uns die Verbindung der ZeitverhÜtnieBe mit feiir Tldltigkeitsbegriffen Sprachgebraucb oder beqnem ge- worden ist, das ist wobl wieder nur ein-spraebgescbicbtlicber Zufall. Es war nicht notwendige den &itz aus Sulij^kt und Prädikat oder z. B. aus SubstantiT, Copula und A^jektiT znsammensustellen; es war darum auch nidit notwendig, den Zeitbegriff an das Pr&dikat (das Verbum oder dieCbpula) zu knttpfen. Kach Steinthal herrscht im Jakutischen der substantiTisehe, vom Subjekte ausgehende Satzbau vor, im Orffnländischen tritt Subjekt und Pridikat hinter das Objekt zurQck. Hit der Thatsache, dass die Sonne leuchtet, muss also auch das ZeitTerhSltDis des Leuchtens im Jakutischen an die leuchtende Sonne, im GrönlSndisehen an die be- leuchtete Erde geknüpft werden. Und gftbe es solche Sprachen nicht, so läge doch kein Grund vor, sich solche Sprachen nicht Torzustellen.

Es war nicht notwendig, dass die ZeitTerhlltmsse gerade an dem PHldikate bezeichnet wurden; es war nicht not- wendig, dass gerade das Yerbum, also der Redeteil fdr Thätigkeiten, zum Zeitwort sich entwickelte. Nun hatte aber das Yerbum schon den Dienst flbemommen, die snb* jektiren Verhältnisse mit auszudrücken, ob nSmlich der Sprechende oder der Angesprochene oder dn Dritter etwas gethan habe. Das Verbum besass gewissermassen schon einen Zapfen , um welchen sich ein Zeiger herumdrehte und auf persönliche Beziehungen hinwies; da konnte leicht ein zweiter Zeiger angegliedert werden, der bald nach Tom, bald nach liiiiten wies und so Zukunft und Vergangenheit bezeichnete. AUe Zeiten sind, wie wir gesehen haben, relativ in Bezu«^ auf eine Gegenwart, welche es nicht gibt, welche wir uns nur als einen starren Funkt vorstellen. Der Zapfen, um welchen der Zeiger sich dreht, wäre ein un- schönes, aber richtiges Bild für diese Gegenwart; er gibt

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OopnU.

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fttr den Züger dem ruhenden Punkt ab, meg die Uhr dabei im Ranm mnhergBtrieben werden oder in der Zeit fort- bestehen.

Ich ghiabe nicht, dass die Gopula im Denken flber> Copnii. hanpt Torhanden ist. Und d^r ganze Unterschied awischen Sprechen und Denken l&sst sich wieder an der Gopnia auf- zeigen.

Diejenigen Wilden und die Kinder, die ,Baben schwan* sagen, denken doch absolut nichts andres als wir, wenn wir grammatikalisch richtig sagen «die Raben smd schwarz* oder gar corvi sunt nigri, (wo die Bndung des A^jektiTs

wohl mit zur Copuk gehört.) Die grammatischen Formen sind eben Zierate, Kleider, welche sich den Gedanken an- schiniegen und je nach der Mode die Gliederformen bald herrorheben bald verstecken, wie die weibliche Brust oder der Steiss nach der Kode bald unterstrichen bald durch- gestrichen wird. Unter den Kleidern aber sind wir alle nackt und unter der Sprache denken wir eigenÜieh mit blossen Worten obne Flerionasilben nnd andere ftsthetisehe Gleichmachuiigssilben.

Doch die Unbestimmtheit der Copula und ihres Seins- begriffs kann schon hier, Tor der Kritik der Logik, weiter verfolgt werden; wob« Toriäuiig Ubersehen werden soll, dass dieser Seinsbegriff etymologisch oft (iu gormanischen wie in semitischen Sprachen) auf konkretere Begriffe führt (vergl. de la Grasserie: ^du verbe fttre").

Man kann die Ui-teile in zwei grosse Gruppen tia- teilen, je nachdem von einer Art ausgesaj^. wird, dass sie zu einer Gattung gehört, oder von dem Individuum einer Gattung, welcher Art es sei. Alle Urteile laufen schliess- lich Hui die heiden Formen heraus:

1. Die Eiche ist ein Baum.

2. Dieser Baum ist eine Eiche.

Das erste Urteil sagt begreiflicherweise niemals etwas Neues, wie auch aus diesem Urteil niemals etwas Neues

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n. Bat Terbam*

erschlossen werden kann. Es ist zunächst ein Sprach- zuwachs, wenn es vom Lehrer etwa dem Schüler heigehracht wu-d: ,Die Eiche fällt unter den Begriff (das Wort) Baum/ Sein = Oder noch deutlicher: ,Die Eiche (ausser andern Baum- heitsen. ^j-^g^-j jj^isst ein Baum.* Auch der Lehrer (jener erste Lehrer, der den Baumb^griff gebildet bat) hat nichts ent- deckt, sondern nur etwas erfunden; er hat schwankender Aehnlicbkeiten wegen es sich bequem gemacht und be- gonnen, sieh 80 und so Tiele Pflanzenarten an dem Worte „Baum* ausammenzumerken. In dieser ersten Ürteilsgruppe konnte man also flQr die Copula ,ist* auch sagen „heisst*.

Noch deutlicher liegt der Fall, wenn ron dem Indi- viduum einer Gattung ausgesagt wird, welcher Art sie zu- gehöre, das heisst, welchen Unternamen sie trage. Dieses Lebewesen heisst eine Pflanze, diese Pflanze heisst ein Baum, dieser Baum heisst eine Eiche, diese Eiche heisst eine Sumpf- eiche, diese Sumpfeiche heisst eine amerikanische Sumpfeiche, diese amerikanische Sumpf eiche ist zwanzigjährig, diese zwanzigjährige amerikanische Sumpfeiche ist mein.

In den beiden letzten Urteilen habe ich für ^heissf* noch Jst" belassen, weil es ungewohnt klingen mag, Ziffern und Eigentumsbezeiehnungen als Woi tfragen zu behandeln. Und doch ist es keine direkt haftende Ei^^enschafb dieser Sumpfeiche, dass seit ihrer Entstehung die Erde zwanzig Umdrehungen um die Sonne gemacht hat; es ist ein YöUig äusserliches, hervorragend sprachliches Merkzeichen. Und noch weniger ist es eine Eigenschaft dieses Baums, »mein* zu sein; der Eigentamsbegriff gehört durchaus zu meiner Begriffswelt, zu meinem Sprachschatz. Wir sagen also weiter: diese amerikanische Sumpfeiche heisst zwansig- j&hrig, diese swanzigjfthrige amerikanische Sumpfeiche heisst mein.

So dOrfbe es auch nicht mehr paradox erscheinen, wenn auch die sogenannten Eigenschaften schliesslich als Wortfiagen erkannt werden. Die rote Farbe des Blattes ist freilich meine Empfindung; aber sowie ich diese Em- pfindung merken will, sowie ich sie als Pklldikat in Be-

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TnuMitiram und WiUeiufreiheit.

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rcitsrhaft haben will, muss ich eine Anzahl ähnlicher Em-

ptiiuiuiin^en oberflächlich zusammenfassen, muss für das ü-peu-pri3.s ihrer Aehnlichkeit ein Wort erfinden, das Wort ,rot* eben muss aus der Ge^enwartswelt in die meines ."Sprachschatzes eintreten. Ganz ebenso mit dem VVorte »Blatt". Und so ist es auch am Ende eine Wortfolge und kein Sachurteil, wenn ich sage: «Meine Eiche ist jetzt rot- blättrig.'* Sie heisst rotblättrig.

Die wahre Copula aller TTrtelle oder Sätze ist also nicht das Wort «sein*, sondern da^ Hilfszeitwort „heissen".

Man mag die Worte demnach tiigen, wie kunstvoll mau will, was herauskommt, wird demnach memals etwas andres sein als Sprache.

Wie falsch der Gebraucli trruisiliv» ] oder aktiver Verben Tr»n»I- für das ist, was wir ebenso falsch die Thätigkeit unserer Sinnesorgane nnen, das erhellt auch daraus, dass wir nur Wiileaa- je ein Wort für sehen, hören, riechen u. s. w. haben, und dass wir die Unterschiede durch hundert verschiedene Worte für die verschiedenen Wirkungen in die Dinge zurück- verlegen. Bei wirklich transitiven Verben wie essen, trinken, hegt die Handlung in unserem Willen oder scheint wenig- stens darin zu liegen. Bei den Wahrnehmungen aber, das heisst bei den Wirkungen der Aussenwelt auf uns ist allmäh- lich auch der Schein der Freiheit verloren gegangen. Und so liegt zwischen der transitiven Sprache unserer Sinnes- bezeichnungen und unserem Wissen schliesslich dieselbe IHskrepnis wie zwischen der wissenschafUiclien Ueber- zeugung von der Unfreiheit des Willens und unserer Un- fähigkeit, ohne den Schein der Freiheit zu handeln. Wie jede Fingerbewegung des Mens( heu unter dem alten Glauben an die Freiheit geschieht, so erhält unsere Sprache auch den Scbein der Freiheit, der Aktion bei allem Beden Ton Sinnes- emdrttcken.

Was die Vorstellung von diesen Dingen so erschwert, das ist der Umstand, dass das Sehen, Schmecken u. s. w.

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IL Dm Varbum.

(sprachwidrig ausgedrückt: das Begrüntwerden, das Be- blaut-, Besüsst-, Bebittertwcrden) nicht in den anerkannter- massen passiven Sinnesorganen, sondern irgendwo hinter ihnen im Zentralnervensystem vor sich geht. Merkwürdiger- weise geht in derselben Dunkelkammer auch dasjenige vor sich, was unfrei mit dem Schein der Freiheit die motorischen Nerven arbeiten lüsst. Und unsere Sprache ist ebenüo unfähig, die Passivität unserer Sinne auszudrücken, wie die Passivität unserer Willensakte. Selbst der theoretischen Ueberzeugung dieser beiden Passivitäten kann sie sich nur im Dunkeln tastend nähern.

Sigwart, welcher (11. 166) den Gegensatz zwischen den aktiven Verben unserer Wahrnehniungsbezcichnungen und der wissenschaftlichen Deutung wohl bemerkt hat, ist doch 80 sehr ein Sklave der Sprache, dass er auf Grund dieses sprachlichen Scheins sotrar von einer Willensfreiheit unserer Sinne oder ihres Zonti imis, gleichzeitig jedoch von Im pera- tivcn df"< Sphens und Hörens spricht, kategorischen Impera- tiven waLi.M^^btunlich. Gleichzeitig weist er auf die Auf- merksamkeit als eine Bedingung des deutlichen Öehens u. w. hin, 'dh ob die Aufmerksamkeit tou einem freien Willen ftibhinge.

So berührt sich die \V ahru« Immngstheorie mit der Ethik durch die Spruche: diese Imt unterirdische Fehler- quellen und Fehlerströiuunm'ii, dabin und dorthin führen. Man hat oft im Sclierze von emer katholischen Mathematik u. s. w. gesprochen. Der Begriff ist aber nicht nur mög- lich, sondern eine Thatsache. Auch die Erkenntnistheorie war im Mittelalter katholisch. Drei Glaubenssätze standen als Ausgangspunkt^) voran, um hintennach als Ergebnisse logisch wieder herauszukommen : Unsterblichkeit der Seele, Gott und Willensfreiheit. Auf das erste Ergebnis fängt man zu verzichten an, weil die Sprache in diesem Begriff ad absurdum geführt worden ist. Den zweiten Qlaubens- satz versuchen alle nicht materialistischen Forttcher zu kon- servieren, indem sie ihn verschämt langsam seines jrnnzen Glaubenainhalts berauben. Der dritte und eigentlich allein

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Transitiyius and Wiliemfreiheit.

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moraUaclie Begriff, d«r der WOlanaMheit, treibt ndi aber noch xiendich unTerlndert, ak ein niUshÜicher Scbmoggler, auf den Onnzgebieten der Physiologie umker nnd maeht die jttngste und stolzeste der natorwissensohaftiichen Dis- ziplinen gegen ihren Willen zu einer moralisch-phjsikalischen Physiologie.

Die Unbestimmtheit des transitiven Verbs ^wollen' mag viel dazu beigetragen haben^ die Lehre von der ^Villen.s- freiheit zu verwirren. Was sich aUein auf ein Objekt be- zieht, die transitive Thätigkeit der unbekannten Seele, das Begehren, raüsste sprachlich genau vom Wollen unterschieden werden. Den letzten Zweck , einen Apfel oder ein Weib begehre ich, das heisst wünsche ick mein zu niuchen. Mein Utliim erfindet zur Erreichung diases Zweckes eine schlaue Maschjjierie, zu der sich Knochen, Mu.skeln, Sehnen, viel- leicht auch projizierte Organe^ wie Leitern, Scheren und dergleichen verbinden müssen. Auslösend steht zu Beginn dieser Maschinerie irgendwo im Nervenbereich das Wollen, welches gar kein Transitivum ist, sondern ein Zustand wie sehen und hören. Man könnte auch sagen, dass die transi- tiven Verben dieser Art den Schein der Aktion dadurch erhalten, dass ihnen das Zentralnervensystem dient, die Küche des Bewusstseins oder Selbstbewusstseins. Die Wir- kungen der sympathischen Nerven erzeugen diesen Schein, dieses H^wiubtdein der Aktion nicht. Darum sind schwitzen, atmen, frieren intranKTbrnj Vejben geworden; sehen, hürcn u. s. w. transitive. Der Mensch ist da wie ein Fürst ge- wesen, dem das grosse Netz seiner engverkiuipiitn Diener das unzerstörbare S^lbstbewusstsein der eigonert Aktion ge- geben hat, währciil die verborgenen Freunde, die sein Leben schützen , ihm sagen könnten, wie auch er nichts von sich weiss, wie auch er passiv, ohne Freiheit, gebunden wie die sklavische Pflanze dahin lebt.

Die gebil I<"ten Leute , die Sclmllehrer und andere Pedanten nennen es einen bprachiehler , wenn das Kind

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ii. Da« Verbum.

seine lebendige Sprache anders spricht, als die toteOram- matik es Tonclireil»t. Der Berliner Junge soll nach ihnen mir und mich «Terweehsebi*. Ebenso gut kdnnte man toh einer Rosenvarietitt sagen, dass sie gelb und rot ver- wechselt habe.

Ein Sprachfehler abw ist es und ein Temichtender Sprachfehler, dass unsere Muttersprache, unsere Volkssprache der Erkenntnis der besten Köpfe immer um Jahrzehnte, in manchen Dingen um Jahrhunderte nachhinkt. Und es ist eine viel erklärende Lächerlichkeit, dass es immer Schrift- steller gibt, die tu unserer Zeit fQr modern gelten, die aber mit den tieferen Begriffen ihrer Sprache bei Cicero, bei Luther, bei Kant oder bei Hegel stehen geblieben sind. Es bat an die tausend Jahre gebraucht, bevor die Einsichten des Aristoteles aufhörten , technische Ausdrücke zu sein, und in die neuen Volkssprachen aufgenommen wurden. Es wird vielleicht wieder so lange brauchen, bevor die Ein- sichten von Newton ~ über die wir ja im grossen und ganzen noch nicht hinausgekommen sind ein lebendiges Wissen der Mutterspruche sein werden. Mytho- Ich bin natürlich nicht im stände aus der Sprache kinaus- Transi" zuspringcn. Icli kann aber von fern auf einige Beispiele tiveu. hinweisen, tu denen unser Sprachbau unserer Erkenntnis so wenig mehr dient, wie das Gasröhrennetz einer Stadt mit elektrischer Beleuchtung.

Otfenkundig ist das Beispiel von der Sonne, die unsere Sprache immer noch sich um die Erde drehen lässt. Man sajg^ immer noch „die Sonne geht auf anstatt „die Sonne ist erreicht*. Nun sieht nia^i sofort, dass der Ausdruck, der bis aui Ku[ it i nikii<< den gegliiul)ten TiiaUachen entsprach, s* ittl»'i;j ein bil*lln hri [geworden ist. Und man konnte mir einwerfen, dass solche Sprachbilder ulltiiglich seien. Wenn wir auf einem Boot»» den Rhein abwiirts fuhren, so schei- nen sich die Ufer gegen uns zu bewegen, und wir können ebenso gut sagen „Rüdesheim ist erreicht" wie „Rüdes- heim erscheint". Aber es gibt unzählige FäUe, in denen der Gebrauch des intransitiven Verbs anstatt des transi-

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Ifjrthologte im TnunitiTeti.

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tiven nicht ein Bild ist, sondern eiu UuvernuMjfen der Spradje, sich auf der Höhe unserer ahnenden Erkenntnis

2U erhalt<?n.

Wir nehmen z. B. seit Locke und Kant, noch allgemeiner seit Heimholte, an, dass die Eigen«:chaften der Körper (z. B. Failu n, (Tt-rüche u, s. w ) nicht dinglich an ihnen haften, sondern iJewecrungserscheniungen sind, die erst in uusern Organen durch die ]>erühmten spezifischen Sinnesenergien, also subjektiv, zu Tönen, zu Farben, zu Gerüchen u. s. w. werden. Wir dürften also seit Locke oder doch seit Helm- holtz nicht mehr sagen ,der Baum ist j^rün", sondern „der Baum grünt mich*. Ich .sclilage die Aendcrung nicht vor. Doch niair man ruhig seine Witze darüber reissen und lachen. Der Vorgang, dass die Baumkrone meine Netz- haut grün affiziert, ist derselbe, wie wenn das Feuer meine Haut wärmt. Was ich sagen wollte, ist das, dass die Eigenschaften der Körper, die nach der alten Sprache durch die Copula mit einem Subjekt verbunden werden oder ( was dasselbe ist) von ihnen in intransitiven Verben ausgesagt werden, (der Baum grünt, die Blume duftet), dass diese Eigenschaften, sage ich, nach der neueren Einsicht transitive Verben sein müssen. Der Baum grünt mich, die Ikjse duftet mich, wie mich das Feuer wärmt und wie mich der Esel lächert, der darüber lacht.

Vielleicht noch seltsamer mag es erscheinen, wenn ich auch in unsem gewohnten transitiven Verben einen uralten, fUr das Denken rerhftngnisToUen Sprachfehler entdecke. Wir glauben gar nicht anders ssj^en und denken zu können ab: das Wasser treibt das Mühlrad, der Magnet sieht ISsen an, der Regen befruchtet die Pflanzen. Hierher» mag ich nicht einmal die Sprache künstlich zu einem anderen Ausdruck zu zwingen. Und doch liegt in allen diesen transitiven Verben der Begriff des Bewirkens, der Ksnsalitftt und ist in diese Verben zu einer Urzeit hinein- gekommen, als die Kausalität noch ein ganz mythologi- scher Begriff war. Man sagte damals: «Apollo schiesst die Pestpfeile, Poseidon regt das Meer auf, die Parze hat ]iftvtlin«r. Baititc« n einer Krittti d«r Spraohe. III. 6

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U. Das Yerbum.

diesen Menochen getötet, das Wasser treibt das HflUrad." Heute sucht man hinter den transitiTen Verben nicht mehr eine Gottheit, wohl aber einen nackteren Fetisch, den Kraft- begrifP. Und solange kein G^elehrter weiss, was Kraft ist, solange steckt die Mythologie im TransitiTen. Und weil wir dies wissen, darum haben wir kein Recht mehr, es su brauchen.

Re- So steht als Dämmerung einer künftigen Revolution

^''te^ der Sprache vor uns die Möglichkeit, dass sich einst alle Spn^ Eigenschaftswörter in transitive Verben , alle transitiven Verben in irgend welche Zustandsbezeichnungen auflösen werden. Vorher werden zahlreiche Aussagen zu bildlichen Ausdrucken werden mOssen, und hunderte von abstrakten •Worten aus dein vermoderten Sprachschatz des Mittelalters werden verschwinden und vergehen, wenn nur nicht »ver- schwinden'' wieder ein Wort wäre, das nach unserer gegen* Wärtigen Kenntnis sinnlos ist.

Diese künftige Revolution der menschlichen Sprache wird den angeblich unzerstörbaren Bau des Aristoteles endlich zusammenwerfen. Unsere sauber präparierte Grammatik, mit der anfangs alle begabteren und reicheren Kinder, und schlie«;slich in unserem gesegneten .lulirhundert gleicbmässig alle Kinder verdummt wordiMi sind, wird auseinaiiderfallen wie ein (lerippe, desst'n Gcivf-be verfault sind, unsere Logik, von deren llöbeu zwei .lahrtausende auf uns heruuterschauen, wird sich als die beschreibende Anatomie dieses verfallenden Gerijtpes herausstellen, und dann erst wird man mit dem alten Aristott les fertig ni sein glauben. Dann wird man freilich it' <(>'uen Schriften den Gegensatz von Möglichkeit und ^\ jrklu likeit wieder entdecken und wird stutzig werden, und wird an dem Materalksuius zweifeln lernen, der wiederum allein zu jener Revolution des Sprechens und Denkens führen konnte. Denn die Sprache ist die Erzniaterialistin.

Und ich glaube «las Entsetzen des Mannes zu fühlen, der mitsamt den Werken des Aristoteles die alte Sprache in die Flammen wirft und der bei ihrem letzten Aufflackern den Dualismus von Möglichkeit und Wirklichkeit schwarz

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Revolution der Sprache.

8S

auf weiss erblickt, schwarz auf weiss, das Dunkel auf der BlenduDg. An das WirUiche kann die Sprache nicht heran, weil nch nur wahrnehmen, nicht aher aussprechen iSsst, was irgend ist An das Mögliche kann die Sprache nicht heran, weil das Mögliche noch nicht wirklich ist, ftlr uns also noch gar nicht wirklich ist, weil das Mögliche nur für sich wirklich ist. Und so weiss der ehrUche Prophet der grossen Sprachrevolntion nicht, was nach der Zertrammemng kommen wird, woflir er denn auch nach GebOhr Ton allen lächernden Eseln ausgelacht za werden Terdient.

Wir stellen uns den eben befruchteten Keim eines Hundes Tor und daneben den eben befruchteten Keim eines Mensdien. Durch keines unserer Sinnesorgane können wir die beiden Dinge unterscheiden, kein Mikroskop unterscheidet sie, sie sind fdr jede Beobaditung identisch. In ihrer Wirk- lichkeit für uns sind sie dasselbe, sind sie gleich, sind sie lÜDB, und unswe Sprache hat keinen Ton, um da xweierlei Wirkliches lu beseichnen. Und dodi wird der eine ein Hund werden, der andere ein Mensch, zur Gewissheit wird uns die Möglichkeit, nur unterscheiden können wir die Keime nicht.

So stehen wir sprachlos vor dem, was werd^ wird, und nennen es mit dem geheimnisvollsten Worte unserer Sprache: das Leben.

in. Das SvbstantlYniii.

Was den alltäglichen Gebrauch der Sprache, den Amiiien- und Kellnerj^ebrauch, von der wissenscbaftlichen Benutzung der Sprache unterscheidet, oder doch unterscheiden soilte, das i<=^t srhlie.sslich die Bedeutunu; des Dings. Das Kind, der Bauer und der Kellner nennt das Ding da einen Apfel und weiss es nicht anders, als dass da wirklich ein Apfel süss ist, am Baume hängt odor auf dem Teller liegt. Das Kind, der Bauer und der Kellner verstehen es einfach nicht, wenn man ihnen sagt: Das geschriebene Wort Apfel ist

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Iii. Dm Subitajatirum.

ein sichtbares Zeichen ftlr das gesprochene Wort Apfel, welches wieder nur ein hörbares Ermnerungszeichen ftr einen Begriff ist, in dem sich hunderte Ton mehr oder weniger ähnlichen Arten nnd Ton lülliarden gewesener, gegenwärtiger und xukflnfÜger, grosser und kleiner, süsser und saurer Aepfel unklar Tereinigen. Aber auch dieses hier vorhande Apfelindtviduum, das deine Hand wigt und als glatt und rund empfindet, das deine Nase riecht, dein Gaumen schmeckt und dessen rote Backe dein Auge sieht, ist dir als Ding, als etwas ausser dir Toükommen unbekannt, es ist nichts ab die älteste und allgemeiiBte Hypothese der Menschheit, die Hypothese der einheitlichen Ursache gleich- zeitiger Wahrnehmungen. Wir nennen die angraommene Ursache gleichzeitiger Wahrnehmungen ein Ding; und wir nennen die regelmässig vorangehende Wahrnehmung eine Ursache der Folgen. AVir wissen von diesem Apfel da nichts als die gleichartigen Empfindungen in der Hand, im Auge, am Gaumen und an der Nasenscbleimhaut. £ia geschickter Mechaniker oder Taschenspieler, welcher uns durch TOr- schiedene Ursachen gleichzeitig alle diese Empfindungen vermitteln würde, könnte wirklich einen Apfel künstlich erzeugen. Um das Aeusserste über die Katego ricnrerwir- rung zu sagen: wie das Verbum, als ohne Zweck unvor- stellbar, immer etwas vom Futurum hat, so das Dingwort, als Ursache von Empfindungen, immer etwas vom Perfectuni.

Wo möglich noch unfassbarer wird der Dingbegrift' liir den philosophischen Physiker. Ernst Mach hat (Wärme- lehre 355 und Analyse d. Euipt. '2b2) prachtvoll gezeigt: „Was wir Materie nentioti , ist ein gewisser gesetzmässiger Zusauimenliiing der Empfindungen." Dince Wer das alles aber weiss. tVillt trot/deni immer wieder

^J*^ in die Anschauung des Kindes, dos Hauers und des Kellners zurück, weil auch seine Spra< b*- mir die gleirho Ammen- sprnche ist, und weil nach zweiliundertjährigein Bestehen unserer P-^y« hologie die Sprache noch keine anderen Worte hat als (lu'jeiiigen, welche wie früher objektiv die Dinge selbst bezeichnen wollen. Für das Kind ist scheinbar jedes

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Dinge idmI Wotte,

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Wort ein Eigenname; Vater ist sein Vater, Hund ist sein Hund, Suppe ist anfangs der augenblicklich vor ihm stehende Teller Suppe; für uns ist eigentlich nlle^, snijar der Eigen- name ein Abstraktum. Homer ist natürlich nur der abstrakte, vielleicht nur gedachte Dichter der llias. Aber selbst der Zeitgenosse Bismarck ist fHr die Analyse nur die trotz aller Bücher \'6\\\i; uiibekannte Ursache einer Reihe von Wahrnehmungen, «iie wir teils direkt, teils indirekt unseren Sinnesorganen verdanken.

Nun ist für unseren alltäglichen Sprat^^liLrr'ni auch aller- dings der Eigenname einer Person das konkreteste Kon- kretum. Machen wir aber aus unserer Erkenntnis Ernst, so greift das Reich des Abstrakten weiter und weiter, bis wir einsehen, dass wir nichts wiesen als Abstraktionen, nur Worte und keine Dinge.

Ist Schatten ein konkretes Ding-' Es ist Abwesenheit von Licht, so gut wie die schwarze Farbe. Und der Schatten hört darum nicht auf, noch weniger als ein Abstraktum, nämlich eiwas Negatives zu sem, weil wir ein positives Wort für seine Empfindung besitsen.

Ist Fltmme da Inmkietfifl Ding? Was wir in der Lampe CO dauernd leuchten sehen, sieht frnlich darnach aus, als ob es so etwas w9re. Es ist aber doch nur die Vereinigung zwder 0ase, die wir wahrnehmen, und zwar nicht etwa die konkrete Vereinigung, die beiden vereinigten Gase selbst, sondern der Akt ihrer Vereinigung, ein Abstraktum.

Ebenso ist auch Wind kein konkretes Ding, sondern eine Bew^ng. Und der Wunsch aller heutigen Natura Wissenschaften, jede Wirkung, abo jede Wahrnehmung auf periodische Bewegni^en surQcksufllhren, b^egnet sich end- lich mit der seit zweihundert Jahren langsam reifenden UeberzenguDg, dass unsere ganze Erkenntnis subjekttv, dass unsere ganze Sprache ein luftiges Nest Ton Abstraktionen sei« Dabei ist es nun kein Zufall, sondern ein höchst er- freulicher Grund, an der Wirklichkeit unseres Daseins nicht zu zweifeln, dass die Lehre von den Dingen oder von der Wirklichkeit, die Naturwissenschaft^ gerade bei der Bewegung

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III. Dw SntkilaiiAiTitin.

als der obersten Form stehen geblieben ist, während die Worte der Sprache, wenn sie aus der Höhe der Abstraktion bis zu den Dingen hcrabtaurhen wollen, schliesslich im tiefsten Gründe ebenfalls auf die Bewegung sfeossen. Näm--' lieb so.

Wir haben tresehen, dass Apfel ein unklares Abstraktum ist. Wir k j)i!U ii uns einem solchen bestimmten Ding all- mählich nahern, indem wir zu den l)ekannten Eigen «Schäften des Begriffs Apfel (oder zu den bekannten Enunerungs- bildern der durch unzählige Aepfel bewirkten ähnlichen Siniji^wahruehmungen) noch andere abgrenzende Eigen- schaften hinzufügen, wie z, B. ein diesjährij^er. reifer, grosser Borsdorfer Apfel. Es ist wie eine Treil>jagd auf den Be- griff, der immer naher umstellt wini. Zur Vorstellung eines Apfelindividuums, also zu der uns allein zugänglichen sub- jektiven W'ahruehniung eines Dings, gelangen wir aber schliesslich nur, indem wir an einem durch drei Dimen- sionen bestiminteti Ort zu einer bestimmten Zeit, seiner yierten Dimension, nicht mekr einen Apfd, sondern Apfel da, wahrnehmen. Erst durch Raum und Zeit bestimmt «rscheint uns der Begriff ein Ding. Raum und Zeit aher, wenn sie lebendig sind, sind Bewegung. So ist die Be- wegung die Brücke zwischen Worten und Dingen; und wie im menschlichen Kdrper es einen Kreislauf des Blutes gibt, wie die äusseraten und feinsten Verästelungen der Arterien in die feinsten Yerftstelungen der Venen Übergehen, und das Leben awischen ihnen liegt, so berührt sich die Wirk- lichkeit und die Sprache in der unsui^glichen Erscheinung der Bewegung. Die Worte berühren die Dinge nie, aber sie umschweben sie, wenn sie gute Worte sind, wie nach der Theorie der Bewegung ein sagenhafter Aether die Moleküle umspült. Auch die besten Worte noch sind Sage.

Unsere ganze Weltanschauung w&re einheitiicher, wenn unsere Spradhe sich gewöhnen wollte, die Hypothese der Ursache, die Wirkung der Dinge aufeinander, auch bezQg- lidi unseres Denkens aus/udrt\cken. Seit jeher sieht der Mensch die Dinge untereinander ab Ursachen von Wirkungen

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EigeniMoieii imbeatimiiit.

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an und drückt es auch so aus. Die Sonne vränut den Stein, das Schaf frisst das Kraut. Aber mit dem^« ll en Hochmut^ mit dem er durch ungezählte Jahrtausende die Erde für den Drehpunkt der Sonne gehalten hat, weigert sich der Mensch, seine Sinne als das Spielzeuj^ der Dinge sprac-lilich anzuerkennen, trotzdem er bis vor kurzem gar niclit wusst«, dass die Zufallssinne (oder vielmehr ihre Gehirnzentren) auch aktiv, dass die Zufallssinne des Menschen vm leben- diges Spielzeug sind. Wenn ich mit der Katze spiele, spielt vielleicht die Katze mit mir (Montaigne II. 12). Der Mensch will nicht begreifen, dass die Welt, weil sie stärker ist, die Spielregeln stellt. Und doch würde er dadurch erst recht zum Mittelpunkte der Welt, freilich nur jeder einzelne zum Mittelpunkte seiner eigenen kleinen Wdt.

«

Es ist aber unmaglicli für eine Urzeit der Spraehwerdnng mgm- oder fbr die Zeit des ersten Sprachlemens bei unsera Ein- don psychologiscb su nntmdieiden , ob mit den ersten BtiamU Worten oder deiktischen Sprachlauten mehr Eigennamen oder mehr Gattungsnamen gemeint seien. Die Verwirrung in der Seele des Kindes und des Urmenschen ist Tielleicht sogar noch grösser, als unsere Sprachmittel leicht auszu- drftcken gestatten; es Tcrbinden sich vielleicht Extreme, welche Uber den Oegensats Ton Eigennamen und Gattungs- namen weit hinaus gehen. Vidleicht gibt es in der Seele des Urmenschen und des Kindes einen Zustand, in welchem des Indindttum »Papa" noch nicht als das immer gleiche Individuum, also als der Träger des Eigemuunens «Papa* ^annt wird, wo Papa noch viel individueller «den da* ausdrückt, der augenblicklich mit seinem schwansen Barte im Gesichtsfelde ist und der dem andern, der vor einer Stunde da war, nur ähnlich sieht; auf dieser Stufe vermischt sich in der Seele des Kindes der Gebrauch von Papa als Gattungsname für Mann und als ein Momentname, der noch individueller Ist als die Person des Vaters. Eibenso kann das Kind, welches den Mond am Himmel erst links und

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III. Dm SttbsiaatiTttm.

dann rechts von einem Gebäude erblickt, beide Erschei- nungen für zwei Moraentanmonde halten, sie also Über den Eigennamen hinaus individualisieren und doch einen Gat- tungsbegriff (etwa n Lampe") unklar d«iiit yerbinden. ünd mders^itB kann es das Merkmal, an welchem es den Pap» erkenntt in der Schwftrze des Bartes entdecken, jeden dunkel» bärtigen Menschen Pap» nennen und hat dann seheinbar den Gattungsnamen «Mann" erfasst, in Wahrhat jedoch nur eine adjektivische Vorstellung.

Ich g^ube nicht, dass diese sdiwankende Haltung der Sigennamen ganx und gar aus der Sprache der Erwach- senen Tsrschwunden sei. Hitta jeder Mensch aus eigner Kraft sprechen gelernt, das heisst aus eigner Erfahrung Begriffe abstrahiert, so wäre jeder Gattungniame für ihn ein Repräsentant von mehr oder weniger Eigennamen, da für ihn jede einsebie Erfahrung den Wert eines Individual- namens hatte. Ich habe AArika in Algier flüchtig betreten und dort wenig Neger, gar keine Kamele und Lfiwen, wohl aber MOndiener Bier Totgefunden; dieser Begriff, also «Algier", würde für mich mit dem Begriff Afrika susammen- iBiessen, wenn ich nicht von minder bequemen Beisenden erfahren hätte, dass fUr sie der Begriff „Afrika* Kamele und Lchvon und sehr viele Neger mit umfasst. Könnten die Menschen sich genau genug beobachten, so würden sie begrdfen, dass unzähligen ihrer Begritio Iiidividualerfah- rungen zu Grunde liegen, dass diese Begriffe also Eigen- namen sind. Weil nun dir- Spiachp zwischen den Men- srlien entstanden ist, die Menschen aber nicht die gleichen Individualerfahrungen besitzen, so schleifen sich alle diese Individual begriffe im Verkehr zu Gattungsnamen tun. Heute noch sind für viele Dörfer Berg, Fluss, Kirche, Pfarrer, Graf, Wald, Schloss u. s. w. Eigennamen; kommen

aber Einwohner verschiedonor Dörfer zusammen, 80 werden diese Worte wieder zu (jaüunifsnunieu.

Doch auch in streng? wissenschaftlicher Anwendung, und da erst recht, haben die Ei<(ennanien einen Charakter, der leicht zeitlich und räumlich zu den Kollektivnamen hin-

Eigtuiamai imbertunmL

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ober schwanken kann. Man hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass musterhafte Eigennamen wie BeHiii nur dann Eigennamen sind, wenn man unter ihnen eine Stadt in einer bestimmten Epoche, pedantisch genommen: in einem be- stimmten AugLublicke versteht. Berlin voi tausend Jalii en und das heutige Berlin haben miteinander nur den Ort, un- gefähr die Gegend auf der Erdoberfläche gemeinsam; im übrigen giebt es gewiss nicht einen Stein, nicht einen Balken, der von dem alten Berlin noch flbrig geblieben ist Und ▼fthrend der Mensch, welcher mit Eigennamen Fried* rieh Wilhelm Schulse heisst, hei swuudgjähriger Yerüade- mog sSmtlidier Atome doch durch ein Geheimnis seines Qrgft&ismus wenigstens emigennassen seine Form bewahrt hat, bietet Berlin auch ein durchaus anderes Bild als das Berlin vor tausend Jahren. Spridit man also von einer «Ge- schichte Berlins*, so ist Berlin kein Eigenname mehr; dem Lidiridttum Friedrich Wilhelm Sdiulze das Recht auf einen Eigennamen absusprechen wftre darum bedenklich, weil Schuhe ein Gedlchlnis hat, eine Continuitftt seines Bewusst- seins und damit, mit Recht oder Unrecht, die Vorstellung yon seiiier Ihdiridualitftt.

Gehen so historische Eigranamen, ich meine Eigen- namen, welche sich entwickelnde Menschen oder Menschen- schöpfungen oder Menscheogruppen beieichnen, leicht in seitliche Eollektivnamen über, so sind Eigennamen tou kon- krrten Dingen streng genonunen fast immer rSumliche Kol- lektiYnamen, welche wieder dem Gattungsname! sehr nahe stehen. Sprachlich wird selten ein Unterschied gemacht, z. B. kann „Bibliothek* ein Gattungsname sein, aber ohne jede sprachliche Aenderung auch ein Eigenname, wenn ich nach der ,Bibliotiiek* schicke und die königliche Bibliothek meine, oder aus der „Bibliothek" ein Buch herunterholen lasse und (was mir bei der Bescheidenheit meiner Biblio- thek allerdings nicht geläufg ist) an meine eigene Biblio- thek denke. Jede individuelle Bibliothek umfasst zahlreiche Bücher und „Buch* kann wieder Gattungsname, Sammel- name oder Eigenname sein. Mit Beispielen dafUr könnte

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Iii. Das SubfltantiTum.

ich ein Buch fttUen oder ein Blatt eines Buches ToUschreiben oder dieses Buch um ein Blatt Termehren: Gattungsname, Sammelname und Eigenname.

Ein Sehwanken iwisehen den verschiedenen Arten der Substantive ist auch da mOglich, wo das Wort auf den ersten Blick als ein guter Eigenname erscheint So ist »Erde* ganz gewiss etwas, was unter die Definition der Eigennamen föUt. Ich sehe natOrlich ab von der Mehr> deutigkeit des Wortes, infolge deren es bald einen Stoff* namen (Ackererde) bald einen Gattungsnamen (Erden = Erd- arten), dann wieder den unbestimmten Teil des Erdbodens, auf welchem wir gerade stehen, bezeichnen kann; ich sehe ferner ab davon, dass die Erde eine Entwidclungsgesohichte hat und in sofern ebensowenig wie Berlin oder Friedrich Wilhelm Schulze zu verschiedenen Zeiten ein und dasselbe Individuum ausdrückt. Nehmen wir Erde einzig und allein als Wortzeichen fUr unsern Planeten, so ist es doch etwas wie ein Sammelname für (\'\e Vorstellung des Geologen, ein Gattungsname, wenn z. B. Klopstock von den Planeten als von Erden redet , und ein Eigenname erst fi\Y die astro- nomische Anschauung, die nur diesen einen Weltkörper so nennt, oder gar für die kosmische Anschauuiiju' Fechner's, die diesem Weltkörper auch noch eine IndividuaLseele zu- weist. Wer diese kosmische Anschauung chicanieren wollte, könnte dann weiter fragen, ob auch die Meteorsteine im Fluge zu diesem Erdeuindividuum gehören, wie doch sicher- lich die Atriiosi)häre, welche wieder in der Gemeinvor- stellung nicht zur Erde gehört.

Namen der Flüsse sind Fjij^ennanKMi. Das lernen wir iu der Schule. Es ist afjer auch nicht ganz wahr.

Eigennamen sind sie nicht ganz so wie Peter '»l«^' Paul. Unter uns sind Peter und Paul auch nicht mehr Eigenimnien. Eigenname i.st » rst , Peter Müller", das heisst so viel als der schwarze oder der bucklige Müller. In diesem Sinu ist dann „Donau" ein Begriff wie ,I'eter Müller*. Und dass , Donau* nur das Bett be/eichnet , in dem ein unaufhörlich wechselndes Wasser tliesst, da.s hindert die

MftOMn der Flttne.

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Aehiilicbkeit nicht: denn am letzten Ende bezeichnet uuch , Peter Müller'* nur das Bett, die Summe der (selbst wieder wie das Phissbett sich langsam wandelnden) Gcfässe und Organe, durch welche das tätlich durch neue iSaiirung neu geschafi'ene, neu entsprungene lilut strömt.

Doch mit den Flussnamen hat es noch was Besondres auf sich. Es hat gewiss Zeiten gegeben, in denen nament-

grosse Ströme und Ozeane von den Terschiedenen an- wolmenden TSlkem ▼eraehieden benannt wiurden und zwar 80, dafls sie nicht wnssten, es sei derselbe Fluss. Ja, wenn Kolumbus »logisch* daehte, so monte er, da er bis an sein Lebensende nichts yon Amerika (dem spätem Em* merichland) «wusete", glauben, Bombay liege am Atlanti- schen Osean, und musste diesen Glauben fllr eine neue Wahrheit halten.

Als dann die abendllndische Menschheit fVx grosse StrOme einheitliche Kamen annahm, schien «Donau* end- lich ein E^enname su werden, ein Einselbegriflr. Wie aber steht es mit der Taufe dieses Wassers? Mit dem Grunde der Namengebung? ZufUlig wurde der Hauptstrom Missouri genannt, der Nebenfluss Mississippi; luföUig hiess der Haupt- atrom Inn, der Nebenfluss Donau. Weil aber die Strecke unterhalb des Zusammenflusse« hier Mississippi, dort Donau hieas, darum erhielt der ganse Lauf den Namen des Neben- flusses* Sowie Mohammed, nachdem ihm von Ghadidscha ein Sohn Kasim geboren worden war, Abulkasim, der Yaler des Kasim, hiess. Der Vater wird nach dem Sohne ge- nannt. Der Fluss bei Hambuig, der Moldau heissen sollte nach dem Hauptflusse Böhmens, heisst Elbe.

Das ist uns gani gleichgültig, weil die Flüsse für uns Marktwaren sind, weil das Wasser, einerlei unter welchem Namen, fest gebettet und besrhrieben ist, und weil die Flüsse nicht lebendig sind. \N ie aber wenn jemand den Schluss ziehen wollte, dass die Wassermasse der Donau bei Passau grösser sein müsse, als die des Inn, weil der Strom weiterhin Donau heisse? Dann würde er denselben Fehler begeim, den die redende Menschheit seit jeher begeht, in-

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III. Dm SabataafciviuiL

dem sie die Logik für etwjLs Ursprüngliches halt, trotzdem die Logik nur aus Namen abgezogen ist.

Wir haben unzählige Begriffe, die Haupt- und Neben- strom verwechseln, oder die (z. B. Weser aus Werra und Fulda) plötzlich den alten sprachlichen Zusammenhang ver- lieren; und am Enfle ist es für die Wirklichkeit wirklich ebenso ^gleichgültig, ob ikie Begriffe j)assen, wie für das Walser unterhalb Passau, ob es Donau oder Inn heisst. Graugrün ist es doch. B»- Verwandt mit diesem Schwanken selbst der Eigennamen

'*iwS*'''^ ist der Gebrauch des Wörtchens »der", welches im Laufe weniger Jahrhunderte (ähnlich liegt die Sache in andern modernen Sprachen) den Weg Tom Lanteeichen für Moment- indiTiduen bis zum Lantseichen des Allgemeinaten und der Bedeutungslosigkeit surQckgelegt hat. Urapranglich war es nämlich wohl noch mdir als ein Banonstrativpronomen, war es der Ausruf, welcher die Auftnerksamkeit auf das gerade Tor Augen stehende Ding da richtete, es also für den Hörenden hezeiehnete. SpUer als wirkliches DemonstratiT" pronomen individualisierte es noch einen Qattungsnamen; «der Mensch* das heisst dieser Mensch und kein anderer. In aUmShUcher AbsdiyiUihung beseichnet es als Artikel gerade urngdtdirt nicht ein Individuum, sondern ein gleich- gOltiges Beispiel seiner Gattung: «der Löwe hat eine Mähne* heisst so viel wie: jedes Tier dieser Art, gleichgOltig welches.

anbe- Nicht uBahnlich ist der Weg, welchen der unbestimmte '^■^kel im Deutschen gemacht hat. «Ein* ist ursprQng^ lieh ein sogenanntes Zahlwort, das heisst die Bezeichnung für den Individualbegriff, far die Einheit, von welcher die Thfttigkeit des Zählens dann ausgeht, wenn die Empfindung der Gleichheit zweier Individuen zum GefOhlsausdruck zwei geftlhrt hat. Im Deutschen ist diese ursprüngliche Bedeu- tung durch die gehäufte Anwendung dos tinbestimmten Artikels so sehr unterdrückt worden, und die Schwierigkeit, die Betonung des ursprünglichen flEin*" durch den Druck her* vorzuheben, hat dazu geführt, dass wir für «ein* oft den

Bestimmter und unbestimmter Artikel.

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sebwnlstigea Aiudraek «ein und dwaelbe* finden. Die erste Abflchw&cliang fiUurte xu der Anwendung Ton ein im Sinne eines unbestimmten Pronomens, etwa unseres «man*, wobei in einem seltsamen Torstellungsgemisch der B^priff der be- stimmten Einheit verloren gegangen ist, der Begriff der PersOnlidikeit aber bestdien bleibt wie in «unser einer*. Endlich wurde «ein* sum sogenannten unbestimmten ArtikeL, was ein sehr unglQcUicher Ausdruck ist. Dorn mit dem sogenannten bestimmten Artikel beseichnet »der Löwe* jeden Löwen, also ein unbestimmtes IndiTiduum der Art; ftngt jedoch eine Fabel mit «ein Löwe* an, so ist ein be- stimmtes Individuum gemeint, und wenn sich im Verlaufe der Fabel «er* auf den Helden der Fabel bezieht, auf «einen Löwen*, so ersetzt dieses er ein bestimmtes Indi- viduum, einen Eigennamen. In unserer Tierfabel steht Beineke nicht für «der Fuchs*, sondern fttr «ein Fuchs*.

Um SU zeigen, wie wideisprechend sich die Sprache zu scheinbar so durdhsichtigeii VerhSitnissen wie die der EigemuHnni veihilt, will ich diesen bisher übersehenen Ohankter des unbestimmten Artikels durch Verbindung mit einttOCl Eigenuamen illustrieren. Heisst es in einer kurzen Chronik der Familie Bismarck irgendwo: «Ein Bismarck hat das neue deutsche Reich gegründet", so wird der Eigen- name Bismarck zunächst zu einem Gattungsnamen, der hundert Individuen umfasst, und dann erst wird gerade durch den sogenannten unbestimmten Artikel ein bestimmtes Individuum hervorgehoben und sein Name wieder zu einem Eigennamen p^emacht, genau wie durch die übliche Be- zeichnung «Otto von Bismarck". Sage ich aber: ,Die Bis- marck kommen nicht in der Mehrzahl vor*, so mache ich aus dem Eigennamen Otto von Bismarck zunächst einen wirküdien Gattungsnamen, um nachher von ihm auszusagen, dass es von ihm eine Mehrzahl nicht gehe , tlass er also in vollendeter Weise ein Rif^ennnnip sei; man schläi^t der Sprache ein Schnippchen, indem man die Einzigkeit des Mannes dadurch hervorhebt, dass man sefnp Mehrzahl bildet und die Möglichkeit dieser Mehrzahl leuguet.

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17. Das A^jektivuin.

IT. Das A4jektiTam.

Unter den Tontdlimgsreichen Redeteilen ist das Ad* jektiT in der Geschichte dee Verstandes der älteste, in der Geschichte der Grammatik der jüngste. Aristoteles kannte das Adjektiv noch nicht, weil er es fttr die Ansgestaltnng seiner Kategorientafel nicht n<(tig zu haben glaubte odor ▼ielmebr, weil er die Unterschiede zwischen Adjektiv und Substantiv im Sprachgebrauch noch nicht dÜferenzierte; sein Epitheton ist eine Art des Substantivs und unser Ad- jektiv und Beiwort sind Uebersetsungen des Wortes Epi- theton.

FOr die Behauptung jedoch, dass das Ac^ektiv in der wirklichen Sprache dem Substantiv und dem Yerbum vor- ang^angen sei, ist mit historischen Gründeu nichts auszu- machen, trotzdem es sich um eine Zeitfrage handelt. Am wenigsten mit etymologischen Gründen; denn die Etymo- logie neigt einerseits dazu, für die neuere Zeit die Adjek- tive von SubstantivMi und Verben abzuleiten, womit sie sicherlich recht hat, andererseits für die älteste Zeit z. 6. (He Gattungsnamen der Tiere und Pflanzen von auffallenden Merkmalen oder Adjektiven abzuleiten, womit sie vielleicht abermals recht hat. Wir wissen aber schon, dass Etymo- l<^e uns ebensowenijT der Entstehung der Sprache nähern kann , als etwa ein Autstieg im Luftballon uns der Sonne erheblich näher bringt. Nur mit psychologischen Erwä- gungen können wir uns in Urzeiten der Sprache orien- tieren.

Merkmal Es wird also darauf ankommen, was wir unter dem

Begriti" eines Merkmals verstehen und was in ri!>rr Urzeit als Merkmal zum Merken oder Benennen eines Dnif^s ge- führt Imt. Wir verstehen unter Mi-rkmalen sehr ungleieho Begriß'e, je nachdem wir entwtdt-r unserer zu}alli<;en Mutter- sprache folgen oder die logi.seh verschulte Grammatik ein- gebläut bekomnun haben oder £^nr bedächtig dureii die höhere Schule der Logik selbst gegangen sind. Unter allen

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Mei^mal.

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Umständen sehen wir Adjektive neben Substantiven in folgen- den Beispielen: ein borstiges Tier, ein süsser Apfel, ein weisses Pferd, eine schwere Kii^jel , ein hoher Ton, ein schönes Gesicht, ein trauriger Vorfall, ein guter Mensch. Nach gebräuchlichen Vorstellungen wird man annehmen, dass die hier ausgesagten Adjektive von den konkretesten bis zu den abstraktesten Merkmalen fortschreiten. Nach di^n Vorstellungen sprechen die Adjektive gut, traurig nnd BehDn Werturtdle aus, die Adjektive hock und schwer immerhin noch sabjektive Urteile^ die Adjektive weiss und sfiss geben Empfindungen wieder und gar das Adjektiv borstig nebtet die Aufmerksamkeit auf ein gans konkretes Herk* mal, auf einen körperlich abtrennbaren Teil des Gänsen. Mir ist es nun sunftcbst darum xu tbun, auf das Enge und Inrefttkrende dieser ünterscbiede luniuweisen.

In den extremen Fftllen, wo das Adjektiv sieh auf einen körpolicb abtrennbaren Teil des Substantivs bezidit, ist die konkrete Vorstellung allerdings schwer aus unserer Phantasie zu vertreiben; aber auch da wiU das Adjektiv nicht einen Kl^rper beaeichnen, sondern den Eindruch, den das €kuize durch dra httrvozgehobenen körperlichen Teil auf uns macht. Wir denken bei aborstig* nicht an die losgetrennten Borsten oder an eine ihrer Verwendungen, aondem einsig und allein an die Eigenschaft, welche das Tier auf unsere Augen und etwa noch auf unser Tastgefilhl marhf. Das zeigt sich vielleicht noch deutlicher, wenn, wir ein Adjektiv von noch derbem Körperteilen hernehmen, wobei zu bemerken ist, dass dergleichen konkreteste Ad- jektive wohl sämtlich neuere und neueste Schöpfungen sind. Sagen wir .Der Mensch ist ein zweihändiges Tier", so stellt nch dar Hörer je nach seiner naturwisseDschaftlichen Bildung eine ganse Menge Merkmale vor, die mit der Zwei- händigkeit zusammenhängen, aber die beiden abgehauenen Hände stellt er sich nicht vor; im Grunde wird bei «zwei- händiges Tier* nicht anders an zwei konkrete Hände er- innert als in der Bezeichnung „zweihändiges Klavierstück". Die beiden Hände, die Borsten werden nur im Geiste von

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IV. Daa Acyeküimin.

dem Ganzen absiirahiert, um ein untenckeidendes Merkmal zu gewinnen.

Ganz ikolick ISge die Sacke kei eUas und weiss, wenn wir gelegentlick darauf aditon wollten, dass eine bittere Pille mit sttsaem Safte Aberzogen, daea ein missfarbiger Hals mit weissem Puder bedeckt ist Wer die Pille oder den Hak durck den besonders dazu geeigneten Sinn wahr- nimmt, wird zunäckst die Empfindung sQss, weiss kaken, am nackker zu erkennen, dass diese Eigensckaftsworte auf abtrennbare Teile des Ganzen gingen, dass er getftusckt worden sei. In den kftufigsten Fillen des Gebrauckes von sQss, weiss und ftknlicken Adjektiven li^ aber eine viel feinere Tausckung vor, der der einfacke Mensck immer wieder unterworfen ist, wenn die Psyckologie die Sack- lage auch sckon vor Jakrkunderten aufgekl&rt kati Das natOrlicke Denken möckte immer sagen, die Dinge selbst seien sfiss oder weiss ; es gekört dne erkenntnistbeoreiucke Ueberlegung dazu, auck diese Eigenschaften sckon als sub- jektive zu erkennen. Nichts auf der Welt w&re weiss, ^be es keine Augen, nickte auf der Welt wäre sQss, hätten wir keine Geschmacksorgane. Dass der weissen Farbe im Gegen- satze zu andern Farben ein bestimmtes objektives Yerkaltnis zu Grande liegt, ebenso dem sOssen Gescbmack, das gebt uns hier nichts an; erstens wissen wir unendlich wenig von der objektiven, meinetwegen substantivischen Grundlage der Eigenschaften und zweitens würden auch bei vollständiger Kenntnis der Ursachen alle Eigenschaften doch Eigenschaften bleiben, das heisst Urteile Uber die Wirkungen, welche diese Ursachen in unsern Sinnesoi^anen hervorbringen. Schweine- borsten sind viel greifbarere Ursachen als die hypothetischen Aetherwellen, welche auf uns den Eindruck .weiss" machrn; wenn aber schon .liorstig" nur an einen Eindruck erinnert und nicht uninittell)ar an die Öchweineboi-sten seihst, so noch vielmehr , weiss", ilessen Ursache wir nicht begreilen können. Sonst wären die entsprechenden Negativhegriffe nicht sprach- hch und logisch gleichwertig. Wir sageu aber ganz parallel borstig und nackt, weiss und schwarz.

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Es gab eine Zeit, in welcher man die Eigenschaft der Schwere ebenso in den Dingen selbst suchte, wie die Eigen- schaften der Süsse und der Weisse; seit der Aufstellung des Gravitationsgesetzes ist es jedem Gebildeten „leicht* geworden, die Eigenschaft der Schwere sich als von den schweren Dingen getrennt oder abstrahiert vorzustellen. Wir wissen sogar, dass ein Pfundgewicht auf unsei^r Hand uns ganz anders «rscheinen wfirde, wenn wir auf dem Monde lebten. Üarma wird es uns leidit, .schwer* als dnen mb- jektiviiB Bmdruok su venteheii, nodi leioliter die Beseich- mugen ftr die T4fne, fttr welche wir woUl auoh dämm in der ganz populären Bpraehe so wenige Worte haben, weä die Hensefaen die Tfoe Ton jeher nicht den Dingen seihet beilegten. Die Wellenbewegung eixur Btimmgabel kann man sehen, die Schwingungen einer Glocke kann man fühlen; es ist dämm seit alter Zeit ausgemacht, dass das TOnen eher zu den Xhifcigkeiten ab su den Eigenschaften der Dinge gehört. Wobei ich nicht untersnchen kann, ob nicht in irgend einer ürteit ein Bach oder ein Wasserfall laut hiesa wie der Schnee weiss. Die Gemeinsprache ist der wissfloischaftlichen Einsicht nicht gefolgt und macht immer noch einen tTnierschied swischen einer Thatigkeit der Glocke, die eudge hmidertmal in der Sekunde schwingt und darum den Ton g giebt, und swischen der Eigenschaft eines Blattes, dessen Oberlllche nadi der jetat geltenden Hypothese bSlionenmal in dw Sekunde schwingt und darum die Farbe grfln gibt. Wir aber müssen einsehen, dass zwischen den Gruppen süss und weiss einerseits, schwer und hoch (in der Musik) anderseits nach den Lehren der augenblicklichen Wissenschaft ein psychischer Unterschied nicht besteht.

Wenn wir nun endlich Werturteile fUlen, wenn vrit ein Gesicht sdxön, einen Vorfall traurig, einen Mensdien gut nennen, so ist es am klarsten, dass wir dabei nur an unsere Gefühle denken und nicht an abtrennbare Ttile der Dinge, die wir so bezeichnen. Es ist ttberflflssig, an dieser Stelle näher auf diese Fragen einzugehen und so im Vor* überp^eKfn diV Prinzipien der Aesthftik und der Etiiik kiiti-

Maatbner, Beitrage zn einer Kritik der Sprache. Ul, 7

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IV. Daa Ac^jektiv.

sieren zu woDen. Das ist hauptsäcUieb yon Hobbes und hoAB so gründlich ausgeftthrt wmrden, daaa niemand mit der Umwertung aller Ssthetiscliea und etbisohen Werte auf Nietesche, den Dichter, h&tte zu warten brauchen.

Das Srgebms dieses XTeberblicks ist ntm freilich iusserst Imnal: alle Eigenschaftswörter erinnern uns nur an Ein- drlfa&e oder Sinneswahniehmungen, welche die Dinge auf uns gemadit haben. Was wir die Dinge sdbst nennen, was wir konkret nennen, das sind die Komplikationen Ton Sigensdiaften, die wir einer und derselben Quelle zuschreiben. Bin Apfel ist, was zuglddi und hypothetisch aus derselben Quelle stammend auf unsere Augen, unseni Tastsinn, unsera Geruchssinn und unsem Oesdimack diese und diese Ein- drücke ausübt. Eigenschaften sind die Teüeindrücke , die wir im Geiste von dem Ganzen abtrennen, indem wir sie nach unsem Sinnesorganen klassifizieren. Und da nichts in unserm Verstände ist, was nicht vorher in den Sinnen war, da unsere Aufinerksamkeit so beschränkt ist, unser Bewusstsein so eng, da wir endlich, warn die Dinge all- mählich nl^er kommen, zunächst immer nur Irgend einen besondern Umstand an ihnen wahrnehmen, ttitweder die Farbe oder den Ton oder die Form u. s. w., so kdnneii wir wohl sagen, dass Eigenschaften die ersten Eindrücke waren, die wir von der Aussenwelt hatten. Die Psychologie wird uns nicbi Lügen strafen.

Ganz anders ]\egi die Frage, wenn wir sie vom Stand- punl^to der ETitv,-ickelungsgeschichte historisch auffassen. Dann können wir ^if^ überhaupt nicht beantworten. Denn niemals werden wir erfahren, ob drr Mensch einer Urzeit seinen Ucsichtssinn z. B. fllr die Farbe Grün schon difi'eren- ziert hatte, als er den Baum als ein Ganzes erkannte und benannte, oder umgekehrt: niemals werden wir erfahren, ob für den werdenden Menschen das Ganze oder der Teil früher da war.

Wie immer es nun um das Bewusst.sein eines Urzeit- menschen gestanden haben iiüig, ob er die allein wahr- genommenen einfachen und komplizierten Wirkungen der

Digitizc^' '

Eigenschaft und Wirklichkeit

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Dinge melu als Eigenschafton oder mehr als Thätigkeiten Eigen- empfand oder ob er gar mit der ältesten und kühnsten aller '^'^^

Hypothesen sogleich substantivische Ursachen dieser Wir- Wiik- , ,. . , ... , Uobk«U

kungen m die Aussenwelt projizierte, wir müssen nach

unserm Sprachbewusstsein adjektivisch auffassen, was uns

die Sinne und deren Kombinationen TOn der Aussenwelt er-

dUilen. Ton diesem Apfel in meiner Hand weiss ieli, dass

er f^att, süss, rot, schwer ist, dass er gelegentlicli beim

F^en auf die Brde ]i5rliar wird, und dass er mir ange-

nelim ist Was er abgesehen von diesen A^ktiven noch

weiter sein mag (alles was wir von ihm als Chemiker, als

Botaniker u. a. w. wissen, Hesse sich ebenso in A^ektiTon

ausdrucken), das ist eine metaphysische Frage. FOr vata

ist er eine Gruppe von Adjektiven, aus denen sich seine

Körperlichkeit aufbaut; was der Apfel an sich ist, das wissen

wir nicht.

Der Aufbau der Körperlichkeit aus den Eigenschaften voOsieht sich vorsprachlich; auch der Affe, wenn er einen Apfel frisati stellt sidi wahrscheinlich aus den Eigenschaften glatt, sQss, rot, schwer u. s. w. die Hypothese Apfelding susammen. Sowie aber die Sprache durch besondere Worte Erinneruiigen an die Eigenschaften geschaffen hatte, war es mö^ch und lag nahe, durch geeignete ZuaammensteUung von Adjjektiven Erinnorai^en an alle möglichen Dinge her- vonuntGm, auf die Aehnlidikeit der Merkmale aufinerksam SU werden und so langsam die Arbeit der Klassifikation, der Weltkatalogisierung nach Arten zu beginnen, eine Arbeit, welche heute noch in groben Umnasen steckt und deshalb niemals vollendet werden kann, weil die EtinteilungsgrOnde Adjektive oder Sprachworte sind, die Natur jedoch sich nicht um die Sprache kümmert* Uns armen redenden Menschen bleibt aber nichts übrig, wenn wir uns in der Welt nicht verirren wollen, als die Sprache zum Führer zu nehmen. Und innerhalb der Grenzen der Sprache, mit der Gewiss- heit also, der Natur Gewalt anzuthun, besitzen wir an den Adjektiven den allein artbildenden Redeteil.

Mit dieser wichtigen Thatsache hängt vielleicht eine

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IV. Das AdjektiT.

Gegen- Beobaehtung zusammen, wektho sdioii rem altoi Adelung ^^^^^[^^^ gemacht und dann Ton Karl Ferdinand Beeker Terfolgt worden kt; dass nftmlich die AdjektiTe sehr hftnfig als <}^nsalzpaare anflareten wie gross und klein, alt und jung, gut und bfise, arm und leieh, warm und kalt, sobwer und leicht n. s. w. u. s. w., dass in den meisten andern IWm der Oegensats dureh eine Negationspartikel gebildet werden kann wie in bequem und unbequem. Wir brauehen aber gar nicht mit Beeker anzunehmen, dass diese Gegensitalieh- keit irgendwie im Wesen des AdjektiTS liege; es wfirde diese Vorstellung leicht dasu fDhren, an den von Abel auf* gestellten Ghrundsats Tom Gegensinn der ürworte su glauben. Das mag flir das Altigyptische richtig sein, für das AU- ^jptische der Aegyptologen nämlich, welche schliesslich dieses höchste Prinsip der ünTersündUchkeit erfinden mnss- ten, um die Texte lu Terstehoi. Wir können das Auf- kommen der gegensfttslichen Adjektive für die Zeit der Sprachentwiekelttng aufsparen, in welcher die Verwendung der Adjektive als artbildender Attribute allgemein wurde. Es gibt eine sprachliche Entstehung der Arten. Nichts war verlockender als den Umfang jedes Begriffe dadurch sauber in Ewei Teile su teilen, dass man zwei widersprechende Attri- bute nacheinander mit der Oberklasse verband und diese widersprechenden Attribute wohl oder flbd bildete. Ganz vorsichtig möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass viele Adjektive aus Stoffhamen so entstanden sind als ob der Genitiv des Stoffes adjektivischen Sinn erhalten hätte. FOr mein Sprachgefühl liegt in der Stoff bezeiehnung immer eine Artbezeichnung, wie im adjektivischen Attribut.

Becker macht die hübsche Bemerkung (Organtsm der Sprache S. lOd), dass die Adjektive zu Komparativen und Superlativen erhoben werden können, weil die Komparations- formen nur Verhältnisse des gesteigerten Gegensatzes be- zeichnen; Substantive und Verben Hessen sich (lamarli nur darum nicht steigern, weil nichts Gegensätzliches in ihn--n liegt. Auffallend ist es jedenfalls, dass künstlich gebildet Adjektive wie die Farticipien erst dann einen Komparativ

Aril»ild«iide A^j^^*^

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und Superlativ zulassen, wenu sie durcli den Sprachgebrauch zu richtigeu Adjektiven fre worden sind, wo «if» dann aller- dings leicht etwas Exklu-^ives und dadurch Gegensätzlirliea erhalten. Doch haben wir dafür im Deutschen keine ganz feste Uebung. Lessing und Goethe haben Participien ge- steigert, wo niemand eine Nachahmung empfehlen möchte.

Um aber nach der erkenntnis-theoretischen Unter- aiv- suchuüg auch einen kleinen iS utzen filr die Grammatik nicht jj^*^^^ zu verschmähen: es scheint mir, dass der Streit um die Zu- lassung verd ulitiger Adjektive durch die Fratri' nath ihrer artbildendfcu Kraft entschieden werdeu könnte. Es brüiicht hierbei nicht an die berüchtigten Beispiele von der .reiten- den ArtiUeriekaserne" und der „geriebeueu Oelfarbenhand- lung** erinnert zu werden; Andresen entlehnt ähnliche Schnitzer solchen Sprachmeistem wie Lessing und Grimm; Lwmng sagt einmal , verschmitzte FrauensroUen", Grimm «ungeboreiie LimmerfeBe*. Jhas hier ein Fehler genncht wird, fftUt in die Augen; der Fehler scheint mir aher nmr darin au liegen, daas die artbildende Kraft des A^jektiTs nach dem festen Sprachgebrauche im Cteiite mit einem fal- scihen Worte Torbanden wird. Das wird maek einleuchten- der, wenn wir die FiUe ins Auge fassen, in denen der FeUw nicht so leicht empfunden wird, ich meine die ans Eigennamen gebildeten A^ektire. Alle Welt spricht Ton Sdbratischer Methode, SchOlerschen Gedichten, Bismarck- scher Politik. Das ist unsauber, wenn mit den Worten die Politik Bismarcks, die Gedichte SchiUers, die Methode des Sokratea beieidmet werden sollen. Die Ausdrücke sind aber tadeiloe und sehr prignant, wenn Sokrates, Schiller und Bismarek ab Schöpfer dner neuMi Art gedacht sind und gemeint ist: es habe s. B. Lessing mitunter die Sokratisclie Methode geübt, oder es gehOre dies und jenes dazu, Schüler^ sehe Gedichte, Bismareksche Politik madien su dOifen. Wir eiinneni uns, wovon wir eben bei der Betrachtung des Ad- jektifs ausgegangen smd. „Schillersche* Gedichte sind <Je- didhte, die ein besonderes Merkmal an sich tragen, eine ganae Art also; nicht an das Individuum Schiller will das

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V. Adverbien. Battm und Zeit.

Adjektiv erinueni, sondern an don subjektiven Eindruck, den seine geistige Individualität artbiidend auf uns ge- übt hat.

T. Adrerbien. Baum und Zeit.

Ad- Steintlial und Benfey sind trotz einiger AVidersprüche

beide durch sprachgeschicbtlicbe Untersuchungen dazu ge- Ctoua. langt, das Adverbium für einen jungen, „sozusagen einen nacbgeborenen Redeteil* zu erklären. Man kann das Ad- verbium, sowohl das Adverhiiiiii des Ortes wie das AdTerbium der Art und Weise ab einen besonderen Oasns des Nomens auffassen und h&tte dann nur psychologisch zu erklSren, warum die Orammatiker fttr diese Beziehungen schliesslich einen besonderen Bedeteü aufgestellt haben. Der Haupt- grund wird wohl wieder der sein, dass die Sprache ilter und reicher ist als die Grammatik und so bei ihren Bil- dungen auf die Bedflrfhisse der Grammatik nicht Rücksicht nehmen konnte« so wenig wie die Natur bei der Erzeugung der Lebewesen auf das ElassifikationsbedOrfnis der Natur* forscher Rtteksicht genommen hat Was wir jetzt Adverbium nennen, das konnte durch den Ablativ und Lokativ, das konnte durch den Instrumentalis ausgedrfickt werden. Im Sanskrit ist es infolge dieser Verhältnisse gar nidit nötig, besondere Adverbien oder einen * besonderen adverbialen Casus anzunehmen. Im Lateinischen scheint die Sache so SU li^^, dass die adverbialen Oasusformen auf -ter, -tim, -itus (gradatim, fiznditus) vor Ausarbeitung einer lateinischen Grammatik sieh so eingeschränkt hatten, dass sie in die bekannten Deklinationsformen nicht mehr aufgenommen zu werden brauchten. Das ist noch deutlicher im Griechischen zu beobachten, wo die Ablativendung -«K frühzeitig ab modabr Casus zur Herrsdiaft gelangte; da wurde bald ver- gessen, dass diese Bndung nur einer bestimmten substantivi- schen Deklination angehörte, sie wurde durch Analogie auch den Adjektiven einer anderen Form angehängt. Weil die

Adverfaiiim und Gmdb.

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alten adverbialen Casus so unregehnussig aus der Sprach- geschichte verschwanden, darum gibt es auch in «?ut durch- forschten Sprachen so viele unerkläite Adverbien ^Steinthal, Kleine Schriften S. 446 u. f.).

Sehen wir so im Adverbium nur einen besonderen Casus, so werden wir die komische Verlegenheit der Giaujmiitiker begreifen, welche die Worte aus dieser Bedeutungsgruppc gerade deshalb zu Linem besonderen Kedeteile machten, weil sie sich nicht deklinieren Hessen. Man stelle sich einmal vor, dass ein Grammatiker aus dem Oenitiv deshtilb einen besonderen Redeteil gemacht hätte, weil der Genitiv sich nicht weiter deklinieren lässt. Wir sehen keinen Grund, im eine besondere Woiturt aufrecht zu halten. Wo die sogenannte Wunel des AdTeirbiums sich noch in anderen Formen erhalten hat, da ist seine Gasuseigenschaft oft noch recht sichtbar; idi yerwelse nur auf die deutschen Worte: rechts, links, flugs. Ist die Endung im Lautwandel abge- sdiliffen, oder ist der Wortstanun Terloren gegangen, dann ist das YerhlltniB natOrlich nidit mdir so durchsichtig, wie a. B. in .bald*, dessen ursprüngliches Adjektiv (= schnell, kflhn, tapfer) unseran Sprachgefühl nidit mehr gegen- wirtig ist.

Alle AdTerbien konnten sonadi nur Ton deklinierenden Worten gebildet werden, Ton SubstantiTen, AcQektiven, Tom Pronomen und vom Zahlwort. Die logieehe Ajudysa des im Satse ausgesprochenen Urteils hat sn der Besnehnung AdTerbium (eine wörtliche Uebersetiung des griechischen inppi]tta) gefOhri

In den modernen Sprachen hat sich eine sehr kon- ventionelle Art ausgebildet, aus jedem Adjektiv durch eine bestimmte Endung ein modales Advwbium zu schaffen. Das gilt besonders ftlr die schulgerechtem romanischen Spr«;hen. Da kann, wie ihre Granimatiker lehren, z. B. im Französi- scheu aus jedem Affektiv durch Anhängen der Endsilbe ment ein Adverbium werden. Der ungelehrte Franzose woss nicht, wenn er aus vrai (wahr) ein vrniment (wahr- lieh) macht, dass dieses ihm so gel&ufige Wort einmal

104 V. AdTerbien. Baum und Zeit

«Imhm kSittdkli entsbiiideii ul, tn« wenn er ans irgend emem rnttenerai Adjektir dnrofa Analogielnldiiiig das ent-

Ich bemerke dwEU, dase solche Formen wie tfnormtfment eigentlick nicht ins Leadkon gehören, weil ne okoe AuS' mÄane Yom A^jektivatunm gebildet werden kOnnen, weil sie me Xieocikon nur durch die Behauptung der Qrammatiker hinzugekommen flincl, es sden die Adverbien als eine be- sondere Art Ten Bedeteilen aufeufassen. Der angelehrte Fransose weiss nun femer nidit, dass die Endsilbe ment nichts weiter ist als eine bestimmte Gasusform des lateini- schen Wortes mens. Fortemoit findet sieh im Lateinischoi in der Form forti mente, mit starkem Geiste. Der AbhutiT von mens konnte um so leichter au einer tonlosen Endung werden, weil sich das lateinische Wort im FramOsisohen nicht erhalten hatte (die Erhaltung in mention ist dem Sprachbewusstsein nicht gegenwärtig) und sich so der Be- deutungswandel yoUständig Tollziehen konnte, Haz MOllMr hat darauf aufinerksam gemacht, dass die Endsilbe ment aucli dann angewandt wird, wenn von Geist oder Gemttt nicht mehr die Rede sein kann, wie vreaxk z. B. ein Uammer lourdement zu Boden fällt, dass femer eine Ahnung des alten Sinnes sich im Spanischen noch erhalten hat, wo man anstatt daramente^ concisamente j elegantemente eleganter sagen kann: dara. roncisa y elegante mente. Im Portu- giesischen leuchtet wenigstens noch der feminine Charakter der Endsilbe mente hervor.

Die deutsche Sprache ist freier von Verschultheit und gebraucht das abstrakte Adjektiv sehr häufig ohne Form- änderung als Adverbium. Die Endsilbe lieh hat offenbar die Nei^mg (wie in wahrlich, treulich) im Sinne des fran- zösischen ment verwendet zu werden, aber der Sprach- gebrauch ist nicht fest; oft kann man im Deutschen zwi- schen lieh und ig wählen. Sonst wäre der Hinweis lehrreich > dass das deutsche lieh (enfT^lisch like oder auch ly) im Gegen- sätze zu dem romanischen mente vom Körper hergenommen ist (Leichdom » Dom im Körper) und dass Leiche oder

Bewegung.

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Körper solcherj^estalt die Bedeutung von Gestalt, angenco innen hat wie uui uaigekekrtem Wege das lateinische Wort für Geist.

Wenn nun also das Adverbium nicht als besonderer Redeteil, sondern als eine alte Gasusform aufzufassen ist (die massenhaften Adverbien auf -ment oder -lieh als Casus- fonnen der formelhaft gewordenen Worte mens und Leiche in YerbnidnBg nufc vamn. Ac^ektiT), wenn die Casusfonneii ursprünglich stete linniHdie Befiehvilgen aaseigen, wenn die PMposilicmen, durch welche die neuem Sprachen Omar formen «udrOcken, erst rechi ursprünglich PriLpositionen des Baumes sind; sb werden wir sa dem Schlüsse gelbhrt, dass aQe unsere AdTorbien Ton Hause aus lokale Adverbien sind. Es Terstefat sieh Ton selbst, dass dieser aospreohende Schluss ein TrugscUuss ist; denn wir haben kein Becht, die Yermutungen Ober die historischen Gasusformen gar auch noch auf die TozhiBtoiischen aussudehnen. Es kommt aber noch mancherlei nisammen um uns fester daran glauben su lassen, dass die Adverbien sich ursprünglich nicht von Be- riehnngen des Baumes trennen lassen.

Unsere gegenwirtige Weltanschauung, mag sie sich nun b«. lieber Atomistik oder lieber Energetik nennen, muss su der Yorstelluag {dhren, dass alles Wirkliche, das heisst Jede Erscheinuag tn unserem Bewusstsein an sich Bewegung sei, Bewegung im Baume. In Bewegung im Baume wird auf- gelöst, was inuner unsere Sinne uns Uber die Wirklichkeits- welt berichten, und in unserem Geistesleben ist nichts als was die Sinne uns berichtet haben. Eine Idealsprache also, welche in keinem Punkte mit der gegenwftrtigen Welt- uisdiauung in Widerspruch geraten wollte, müsste in jede Aussage über die Wirklichkeit den Begriff der Bewegung als den Urbegnff der Wirklichkeit hineinlegen. Solche Ge- danken waren noch vor wenigen Jahrhunderten nicht denk- bar« waren noch vor wenigen Jahrzehnten seltene Phanta- sien, und da wäre es nicht wunderbar, irmii die alte Sprache nodi mehr als sie es thut von der modernen Weltanschauung abwiche. Der Naturmensch kannte die Bew^ng nur als

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\'. Adverbien. Uaam imd Zeit.

eine makroskopische Erscheinung, sie wurde ihm nur für plumpe Bewegungec durch die Augen vermittelt; was die anderen Sinne darboten und «dbsb das Leuchten oder der farbige Scliein des Gesichtssinns war im Gegensake anr Bewegung ein Zustand der Buhe. Da ist es nun seltsam genug, dass eine aufinerksame Untersuchung des Sprach- materials zeigt, eine Terhaltoisrnftssig wie grosse Menge von WurzelwQrtem das heisstTon unerkl&rten Wörtern den Be- griffen der Bewegung dient. Wir haben besondere Worte für die Bewegung der Lebewesen, für die Bewegung der Luft und des Wassers, wieder besonder« Worte für die Be- wegung der Yierf&ssler, der YOgel, der Fische, besonde» Worte ftlr besondere zweckentsprechende Bewegungen der Menschen. Ohne Ahnung von den mechanischen Theorien der Gegenwart ist die Bew^ng für die Sprache einer der reichsten Begriffe geworden.

Alle Bewegung bezeichnet Ortrerhaltnisse, Beziehungen Koorcii- 2^ verschiedenen Orten im Baum. Alle VerlüSltnisse im

aaten-

sjttea. Baum mflssen, das bedarf keines Beweises, relaliT sein; sie beziehen sich aufeinander und b^ehoi sich alle zuletzt auf das Koordinatensystem, welches durch den Standpunkt des Sprech^den gdit. Man braucht nie etwas von einem Ko* ordinatensystem gehört zu haben und arbeitet dennoch un- bewusst mit diesem Hilfsmittel. Die Erde ist der Mittel- punkt des Koordinatensystems, nach welchem Fixsterne und alles andere am Himmel bestimmt wird, und das hat sich auch durdfai Kopemikus nicht geändert; das Menschenindin- duum ist der Mittelpunkt des Koordinatensystems, von wel- chem aus der Himmel und die Sterne, aber auch Haus und Dorf und Land, Sitte und Gesetz, Glück und Unglück des Individuums gerechnet wird. Ich brauche nicht erst zu sagen , dass dieser Mittelpunkt des Koordinatensystems für die Yerschiedeuen Menschenindividuen der gleiche ist, sobald es sich um Fixstcrnentfenuingen handelt, dass dieser Mittel- punkt langsam unterscheidbar wird, je geringer die Ent- fernungen werden. Für Glück und Unglück, für gut und böse, ist der Standpunkt recht individuell. Für ethische

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und ästhetische Begriffe ist der Sta?id]>!inkt bei grösseren Mpnsrheni^ruppen , die sich N ölker nennen, indiTiduell, fUr Fragen der menschlichen Erkenntnis ist der Ort auf Erden fast so gleichgültig wie für die äussersten Grössen der Astronomie. Wenigstens haben die guten Menschen nach erkenntnislheoretischen Parallaxen noch nicht gefragt. Darum ist der Ausdruck des individuollen Standpunktes oder die Sprache für ethische und ästhetische Fragen so verschieden bei verschiedenen Völkern: darum zeigen die Si)racheu so grosse Uebereinstimmung , wo es sich um die Erkenntnis der Wirklichkeit handelt, üeberall finden wir den Versuch der Sprache, sich über die Beziehungen der wirklichen Dinge durch räumliche Beziehungen zu orientieren.

Halten wir das Bild vom Koordinatensystem fest, in dessen Kreuzungspunkte der Sprechende steht, so kann er nie etwas anderes aussprechen als entweder das Rauraver- bältnis eines Dings zu ihm selbst oder das Kaum Verhältnis eines Dings zu einem anderen; offenbar ist der letzte Fall nur eine Komplikation des ersten, weil dann beide Dinge in ein V^bältnis zu dem Sprechenden gebracht werden mllssen. Auf sthmi Standpunkt kommt es immer an. Nur die höhere Komplikation hnt zur Folge, dass im allgemeinen das RaumTerhtttiiia eines Dings mm. Sprechenden dnreh alte formelhaft gewordene Adverbien, daas das Raumrer- haltnis der Dinge untereinander durch andere Hilfsmittel der Sprache ausgedrQckt wird. Ich branche nicht erst her^ Toiznhehen, dass der Sprechende seinen eigenen Standpunkt in nndUdigen FfiUea metaphorisch auf emen anderen Men~ sehen oder auf irgend ein Ding flberträgt. Dass femer jeder Richtung im Raum eine entgegengesetzte Richtung entspricht, dass darum die Adverbien des Raumes gern paar- weise auftreten als redits links, oben unten, Tom hmten; das liegt so sehr im Wesen der Raumerscheinung, dass kein Mensch TÖUig ohne diese analylasdhe Qeometrie lebt» Qeist^^ wie kOiperlich fUhlte sich der Mensch einst mehr demi jetzt mit seiner Brde als Mittelpunkt der Welt; geiBtig und köfperlich f&hlt ach das zum Bewusstsein erwachende

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V. Adverbien.

Banm nad Zeit

Kind als Mittelpunkt seiner Welt. Es ist ^da", diks heisst im Kreiizung5?punkt€ seines Koordinutt .1 vstems. Rieh- Wir gewänuen ungeahnte Ausblicke iu das VV i st n des

JUJJl^ Menschengeistes, wenn wir in eine Urzeit der Sprache hinab- steigen könnten, in welcher sich die Adverbien ^da" und ,wo" voneinander schieden. Dieses Rätsel wird über uje- maLs gelöst werden. Wir müssen uns damit begnügen, diese beiden Adverbien als die beiden Stamme anzusehen, aus denen sich, wirklich genau wie durch Flexion, zahl- reiche andere Adverbien des Raums oder der Richtung ent- wickelt haben. Denken wir uns den Standpunkt des Sprechers als die sinnlichste Antwort auf die Frage ^wo", 80 tesst sich im Grimde jeder andere Punkt im Räume auf die rclatiTe Lage, auf die Beziehung woher und wohin bringen. Fflr den Standpunkt des Sprechers ist das fast ohne Beispiele klar. Bei^iele zeigen uns nur, wie die drei ÄntmjxUai auf die Tragen wo, woher und wdiin alte Casus- foimen Ton sogenannten Wurzeln sind, die wir oft etymo- logisch meki mehr nachweisen können. In den drei deutschen Antworten hier, her und hin wird noch etwas wie De- Uination empfunden; der Engttndw, der an seinem Sub- stantiv eine Deklination kaum mehr kennt, kann alte Gasusformen an seinem here, hüher und hence kaum mehr herausMilen. Im Deutschen ist dabei die Vorstellung einer Antwort namentüch auf die Fragen woher und wohin so lebendig geblieben, dass her auch als Vorsilbe zunftchst immer die Kichtnng einer Thfttigkeit auf den Sprechenden zu, hin die Bewegung Ton dem Standpunkt des Spredimden hinweg, die Bichtung von dem Sprechenden aus bedeutet Dabei ist es gleichgOltig, ob das letzte Wort archaistisch in seiner ToUsten Form »hinnen" gebraucht wird oder ob die Stammsilbe ,hie' ganz wegfllllt und nur die Art Casus- endung ,n* übrig geblieben ist wie in ,*naus'^.

Es braucht nicht ausdrQcklich gesagt zu werden, dass die Umgangssprache mit ihren alten Ortsadverbien nicht die Mittel besitzt, den Ort so genau zu bestimmen, wie die Oeometrie mit ihren Absdssen- und OrdinatenlSogen und

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Biefatoogsadverbien.

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Strem ganzen Apparate toh Massen. Die Alltagssprache behOft flieh Ar die Kilbe und Ferne wSk einem Ungefähr. Tiotodem isl auch der Alltagssprache, wenn nicht filr den Ort eines Dings oder einer Thätigkeit, so dodi für die Be- weguDgsriehtung eine ansserordentlzch feine Untmeheidiuig mOgUch, niehi weiter jedoch, als die Orientierung des nn- geofmetarisehen Menschen geht Die Sprache tastet im Bawne umher, wie ein Eind mit seinen Hbiden, wie der erwach- sene Mensch mit seinen Augen. Das Hilfinnittel dam ist, daas der Sprechende den Erensungspmikt des Koordinaten- systems amsser sich Terlegt, in den Standponkt eines an- deren Menschen oder in den Standpunkt eines Ereignisses. Man konnte die Hinausvsrlegong des Ereusungspuoktes mathematisch genau nach dem Eoordinatensjstem richten und die sechs mOgüchen Standpunkte ausserhalb des Ichs (rechts, links, unten, oben, vom, hinten) auf den Achsen abmeasen; in Wahrheit begnOgt sich die AUtagssprache auch hier mit einem üngefthr, denkt bei rechts und links, bei oben und unten, bei ?<»s und hinten nicht an geo- metrisch genaue Verhittnisse, ist dafilr aber ftlr die Be- wegnagsrichtung in der Lage, die Beantwortung der Frage voher und wohin wieder durch Endungssilben an die Adverbien rechts und links, oben und unten, vom und hinten auszudrücken. Moderne Schriftsprachen allerdings haben diese Fähigkeit nelfach yerloren; sie müssen sich mit Zusammensetzungen wie: von oben, von unten, nach oben, nach unten behelfen. Noch das Gotische besass jedoch die Formen dalatha (unten), dalath (nach unten), dalathrft (Ton unten); dalath besitzen wir eigentlich noch, wenn wir „zu Thdl" Tom Abwärtsfliessen der Flüsse sagen. Sehr schön b^tzt das Böhmische diese Richtungsdeklination in: dole (unten), dolu (hinunter), zduly (von unten); am reichsten au solchen Richtungsformen scheint das Finnische zu sein, welches die Fragen wo, wohin und woher für seine Ad- Terbien draossen, drinnen, oboi und unten liektieread be- antwortet.

Noch reicher wird die Zahl der RichtungsadTerbien,

110 ^- Adverbien. Ilauiu und Zeit.

wenn xum Kreiizungspuiikte der Koordinaten ein Ort ge* oommen wird, von dem es nicht bestimmt wird, ob er recbis oder links, oben oder unten, Tom oder hinten Tom Sprechen- den liege, Ton dem nur gesagt wird, dass er anderswo sei oder irgendwo oder nirgendwo; das Böhmische dekliniert alle diese Adverbien für die Fragw wo, wohin und woher und fügt noch einen vierten Caans fllr die Frage wodurch hinzu; dieser vierte oder kausale Casus ist jedoch flberflUssig und ungebr&uchlich und kann aus Orfinden, die wir gleich kennen lernen werden, durch den Woher-Casus ezsefaEt werden. Priposi- Im Vorabergehen nur ein Wort Ober die ganz natür- liehe Art, wie aus diesen Richtungsadverbien unsere soge- nannten Präpositionen entstehen konnten und mussten. Es gilt zu zeigen, wie einfach die schlichte Alltagssprache ihre armen Worte zur Orientierung in dem primitiven Koor- dinatensystem des Sprechenden bentttst hat. Versetze ich mich nämlich in den Standpunkt einer anderen Person oder eines Ereignisses, so brauche icb nur rechts, links, oben, unten, vom, hinten zu sagen und die Ortsbezeichnung ist fertig; das nennt man dann ein Adverbium. Potenziere ich jedoch die Hinausverlegung des Standpunktes, indem ich midi zunächst an einen anderen Ort versetze und von dort aus wieder emen Punkt recbts, links, unten u. s. vr. be- zeichne, so muss ich das Adverbium mit dem Gegenstande des anderen Orts verbinden und die sofrenannte Präposition ist fertig: rechts der Strasse, links der Strasse, ob der Enns, unter der Enns, vor der Mauer, hinter der Mauer. Dass rechts und links in der Gra7nmntik nicht als Prä- positionen aufgeführt werden, kann mich nicht irre machen; der Grund ist wohl darin zu suchen, dass beide Worte nicht so alte Schöpfungen sind, wie oben und unten. Insbesondere besass das Deutsche im Mittelalt-er ein altes Wort ftir rechts (zesei. da^ erst sj)ät durch den metaphorischen Gebrauch der richtigen, der rechten Hand Tman sH£rf In ate noch den Kindern .gib das gute, las schöne liiuidclu'ir) verdrängt wurde. Man kann wohl sagen, dass wir die Richtungs- adverbien, welche an besonders bezeichnete Orte sich an-

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Prft|K)aitionen.

III

lehnen, um so mehr als Präpositionen empfinden, je älter sie sind, je unerklärbarer ihre Etymologie ist. Dass diese Präpositionen einen bestimmten Casus ihrer Ortsbeziehun^ »regieren", wird heute von bessern Schulmeistern nicht mehr gelehrt. Nicht von der Präposition, sondern von der Frage »wo* oder «wohin" hängt es ab, ob wir den Punkt, auf welchen mk Tom, hinten , oben, unten bezieht, im DiÜT oder im AcauaÜT ansdrOciken. Vielleicht hängt es mit der heute noch im Sprachgefühle voihendeneii Cwuh bedeiitiing des wo und wohin ausunmen, daaa wir diese beiden Richtungen leicht an viele AdTerhien knüpfen kennen; dagegen ist nns ein Casus für das woher so siemlidi Ter* loren gegangen und so hat sich fttr diese Richtung eine bestimmte Fkftposition ausgebfldett unser .von*, welches wieder in Txelen Sprachen ak Tertreter fllr die absterbende Csansfonn des Genitivs getreten ist. Dieses unser ,Ton* ist aber hfichst wahrscheinlich (griechisch «so) hexgeleitet ▼on dem Ricfatungsadycrbium oben oder ob und ist rom Standpunkte des unten die Antw<nrt auf die Frage woher; Ton oben herab, »abe*; in der Schweis gibt es noch Fa- miliennamen wie ,Ab der Fluh", welches unserem »Von der Fluh* entsprechen wflrde. Es ist flberaus lehrreich, die nlchst Terwandten Präpositionen daraufhin zu betrachten; ,illr* kt noch ganz deutlich das RichtungsadTcrbium «vor*. Wie sidi die Formen ob, unt«r, vor, hintw lu den Ad- ▼erbialformen oben, unten, vom, hinten verhalten, das gehört in die Zufallsgeschichte der deutschen Sprache; nach meinem Sprachgeftlhl würde der Gebrauch der adverbialen Form als Präposition nicht nur immer verständlich sein, sondern sogar eine gewisse poetische, sinnfällige Kraft haben. Man lausche einmal auf: oben dem Baume, nnten dem Berge u. s. w.

Konnten und mussten die Richtungsadverbien so in vor- Verbindung mit dem Orte ihrer Beziehung zu sogenannten Präpositionen werden, so sehen wir sie in Verbindung mit den Thätigkeitsausdrücken, mit den Verben, eine zweite Metamorphose an sich vollziehen und zu tonlosen, aber

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V. Adverbien. Itaum und Zeit.

bedeatungsreichen Tonilben werden. Wir befcradifteii darauf hin die Vorsilben ei^ und ver-; da tritt uns snnftehBt das reine Riehtungsadverbinm und dann die ganae Fidle der meÜiapliorisdien Anwendungen entgegen. Wir haben auaaer dem Deutsehen keine moderne Kultursprache, die uns noeh so naturwüchsig den Weg von iftomlichen Beaiehungen su anderen zeigte.

VoraUDe Die Yorsflbe er- ist in so vielen FSUen ' identisch mit der alteren Vorsilbe ur-* dass wir annehmen können, sie sei entweder aus ihr entstanden oder es habe sie einmal in irgend einer tJebeigangsaeit eine Art VoDcselfmokgie gleieh gesetst Die Vorsilbe ur- hat in Neubildungen, wie sie namenilidi in der flbeimittigen Sprache der Studenten ent- stehen, den Sinn einer VerstSrkung angenommen, wie in urgemütlich, urdumm o. s. w.; diese Verwendung stammt vielleicht von Worten wie: uralt, or deutsch, dann Urbild, ürvolk, Urmensch, Ursprache, Urkraft u. s. w., lauter Neu- bildungen, in denen, wie im ersten dieser Worte, die Vor* silbe ur- das hohe Alter einer Sache (etwas ander« hat sich Ursache entwickelt) anzeigt. Den Sinn der Herkunft ans uralter Zeit begreifen wir, wenn wir erfahren, dass ur- (gotisch tts) im Althochdeutschen auch als Präposition im Sinne Yon aus gebraucht wurde. Die wenigen alten Worte, die mit ur zusammengesetzt sind, verraten gewöhnlich für ein aufmerksames Ohr den Sinn der Herkunft, der denn auch in der abgeleiteten Vorsilbe er- herausklingt. Urkunde können wir recht gut auf Erkundschaft oder Erkenntnis zurück tilhren , Urlaub auf Erlaub. Ursprung? auf Ersprung, Urteil auf die Entscheidung, die das Geriebt erteilt. Dieser bmn t iner Bewegungsricbtung von innen heraus, häufig von unten nach oben, gewissermassen zum Sprechenden hin, ist allerdinijs vorhlasst, wobei zuErleich ein Tonloswerden der Vorsilbe stattiand; denn ur- ist betont, er- ist tonlos. Suchen wir nun unter den vielen Bedeutungen der Vorsilbe er- nach derjenigen, welche unserm Sprach u^i sie die nächste ist, welche wir beim Aussprechen der Vorsilbe schon empfinden, bevor noch das Stammwort ausgesprochen ist, so scheint

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Vorsilbe .er* und .vei-'.

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mir kein Zweifel daran besteben zu können, dass diese Be- deutung in der Bewef^ng an den Spreckenden heran, in der Ergreifung eines materiellen oder geistigen Besitzes zu finden sein wird. Fängt jemand einen Sais an mit den Worten: »Ich habe mir das er . . ."i so erwarte idi ak Schluss irgend ein Verbnmt den Auedruck irgend einer Tkfttigkeit, dnreli weldie »das* in den Benta des Spreehers überging. »Ich haibe mir daa: eijagt, erklettert, erlamclit, erlaoert, ersdüiehen, erbeten, erbettelt, erdningen (Gk>eÜie), erfoditen, erfiscbt, erkargt, eraehmeiohelft, ertrotz, enongen, exaeaaen, erweint (Sduller), erlogen, erlritaimt* Es gibt kaum ein TbStigkeitswort, welches nicht so analogiadh, sei es auch nur im Sdierae, mit er- TMbonden werden k(fonte. Wir kftnnea ans Geschichten erfinden, die damit enden, daaa ein YermUgen, eine Stellung, ein Titel, was man will, erradelt oder erliebt, eistottert oder erschrieen worden ist Wo ein intransitiTes Verbum in Verbindung mit er- tran* aitiT wird, handelt ea sich immer um den Wunsch oder die Thatsaehe einer Besüceigreifung, einer Bewegung nach dem Sprechenden hin, wie in: erharren, ersehnen, eratreben. Allen diesen neuem Bildungen stehen iltere Zusammen- sefcaungen mit ei^ gegenflber, die entweder den Beginn dea Zustandea beaeicluien, den sonst daa unznsammengesetEte Verbum ausdrOi^le, wie in: ergrUnen, erglänaen; oder das Ergebnis, besonders das tödliche Ergebnis eines sonst gleich- gültigeren Geschehens, wie in: erfrieren, ertrinken. Ich glaube nicht fehl au gehen, wenn ich diese beiden Wirkungen der Vorsilbe er-, nämlich die des Anfangs einer Handlung und die d^ Endresultats, zusammenfasse in dem Sinne dea Interesses fOr den Sprechenden, beoiehungsweise desjenigen, auf dessen Standpunkt der Sprechende sidi stellt. Es ist das Ergebnis einer Handlung dasjenige, was ein Geschehen hergibt, was es mir herausgibt, was ich mir herananehme ans einer Thatsache. Sehr merkwürdig ist es nun, wie die Voraflbe ver-, jetzt der Gegensatz zu er-, nur langsam in diesen G^ensatz hineinwuchs. Noch in der älteren neu- hochdeutschen Sprache sagte man analog zu den eben er-

Maatbner, B«ltr&ge za einer Kritik der Sprache. lO. 8

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V, Adverbien. Raum und Zeit.

wähnten Worten z. B. erarmen, erhungern, wo wir jetzt rer^ armen, verhungern sagen mflasen; provinzieU wird dagegen jetzt notih vid&ek Ter- im Siiiiie von er- gebrandit. Aber es hat sich namentiich in mstaphorisoher Anwendung ein sdndFer Gegensais herausgehildet; wir mtlsseu sageu er- hoben und Tertiefen, erweitern und verengen. Der Sprechende stellt sich also gern auf den günstigsten, auf den ehren- ToUsten Standpnnkt; er steht auf dem hohen, auf dem weiten Standpunkt. Was erhobt, was erweitert wird, das sdieint sich ihm von innen heraus, von unten nach oben auf ihn zu zu bewegen; was vertieft, was verengt ist, bewq^ sich von ihm hinweg und bdiilt diese Sprachfonn auch dann, wenn s. B. die Vertielung nicht ein verichtiiches lK>ch in der Erde, sondern metaphorisch eine grössere GrOndliddceit bez^chnet

Diese Vorsilbe ver- ISsst sich etymologisch (selbst mit Zuhilfenahme der Volksetymologie) niöht so einfach erUiren, wie die Vorsilbe er». Man hat versucht, sie mit zweien oder dreien verschiedMideutigen gotnehen oder sogenannten indogermanischen Wurzeln in Verbindung zu bringen. FOr unser Spnchgel&hl bedeutet es jedoch, einerlei ob es da mit d^ gotischen fra- identisch ist oder nicht, die Oegen- richtung Ton er-, das Verschwinden oder das Zugmadegdien, das Beseitigen oder Zii^^ndenchten, und zwar ebenfalls mit dem Erfolge , dass der Hörende diese Empfindung schon gewinnt, sobald nur die Vorsilbe ausgesprochen worden ist» ,Bs ist ver . . .* erzeugt sofort die Erwartung, dass etwas verschwunden oder verloren sei, und das folgende Stamm- wort gibt nur noch die nähere Art des Verschwindens oder Verlierens an. Wieder gibt es kaum ein Verbum, das nicht q»rachgebräuchlich oder scherzhaft mit ver^ zusammengesetzt werden könnte « und die Grund anschauung ist dabei immer eine Bewegung vom Sprechenden hinweg, eben ein Verlust. Man kann sein Vermögen , seine Gesundheit , seinen Verstand verfressen und vertrinken, verbuhlen und verspielen; man kann das alles verjubein, man kann (hier ist der Sprach- gebrauch etwas enger) seine Jugend, sein Leben vertrauern,

Geiduclito d«r Aävarbien.

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schiebte

<!as heisst durcb Gebrauchsmanj^el verlieif n. „Sie ver- jammert und verbetet ihr Leben" (Gortbri. Aus der Walir- nehmuno;' des Sprechenden liinwfü;, in weiterer Metapher aus der Absicht des S]ii Lcheuiien hinweg führen Zusammen- setzungen wie; verktrei), verkramen, verfitzen, verbauen, verzeichnen, verziehen u. s. w. Ganz körperUch wird die räumliche Kntferaung ausgedrückt in: verjagen, vertreiben, verseuden, verschleppeu u. s. w. u. s. w. Sehr häufig liegt etwas Verachtung in den Zusammensetzungen mit ver-; so hiess veralten früher (bei Luther, aber auch noch vor hundert Jahren) nicht mehr als alt werden; jetzt heisst es durch Alter unbrauchbar werden, besonders aus der Mode kommen. Lutlis r und Goethe konnten noch von veralteten Wui/.cin, von eintni veralteten Baume reden; heute sagt man höch- stens noch, die Tulpe sei eine veraltete Blume oder sie sei wieder in die Mode gekommen.

Aus allem bisher Gesagten lässt sich zunächst lernen, o«- dass die Sprache in ihren Bezeichnungen für Richtungs- verhältnisse regellos, das heisst willkOrlicli oder zuf^ig Ad- btld Advwlnm, bild FriLpositionen, bald Vonolbw von VwImii beofitat, und dass die FkttpoaHioiien und VonÜben nichts anderes sind als Adverbien, velehe sieb in der Form diffi^renriert haben, je nachdem sie an das SubstanÜT als an die scheinbar ruhende Ursache eines Sinneeeindrucks, oder an ein Yerbum als an die scheinbar unmittelbar ge- schaute Thttigkeit, herangetreten sind.

Fassen wir die Sache psychologisch und streng dasu, so erhalten wir eine fibcErrasdiende Besl&tigung der ge- wonnenen Veberzeugung, dass Dinge und Th&tigheiten oder SabstantiYe und Terben nur optische Täuschungen unseres moiscshlichen Verstandes sind, dass wir in Wirklichkeit niemals Dinge und Thätigkeiten wahrnehmen, niemals die ürsaefaen unserer Eindrücke und die Zwecke der Bewegungen, aondeni immer nur Eigenschaften der WirUichkeitswelt, das heisst Wirkungen auf uns, die wir in einer pedantisch iogischen Spradie nur durdi Adjektive ausdrdckttii kfinntw. Die BichtungsverhaHnisse (die dann metaphorisch Verbili*

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116 V. Adverbien. Raum und Zeit

nisse der Zeit , des Grundes u. s. w. mitbezeichuen ) kuüpfen sich (iaiuiii am besten uii Adjektive, von denen die Gram- matik denn auch alle neuem Adverbien ableitet. Mit dem Substantiv verbunden wird das Adverbiuni zur Präposition, weil das Richtuogsverhältnis durch den Casus des bub- stantivs noch einmal ausgedruckt wird und dieser Casus von

präpositionellen AdTerbiom abzuhängen scheint. Mit dem Yttbum Terbundoi schleift sich das Adrerbium zur Vonübe ab; aber diese Vorsilbe wflrde mit beeserem Beehto den Nemen AdTerbiom ftthreii als das selbstBudige Wort ftlr das Richtungsyerh&ltniB.

Fassea wir die Sache im Simie der Gtammatik, so erscheiiit mis das Sltere AdTerbium wie gesagt als Caans^ form irgend eines Urwortes tob BewegungsverhSltDiBsen und es steht niehts im Wege, die Gasusformen, welche vor Ent- stehang der AdTerbien eben diese Bachtungsv'erhiltnisse aus- drOclcten, als noch Sltere, bedeutende Wortformen, ab Gasosformen noch Slterer Worte allgemeiner ThltiglEeit auf* mftasen. Es wSren dann die Deklinationsendmigen der ursprQngHchem Sprache ebenso an die Stammsilben heran- geketen, wie die DeUinationsfonnen modemer Sprachen mit Hilfo von Adrerbien, das heisst Prilpositionen gebildet worden sind. Ich will die Phantasien der Tergangenen und der gegenwSrtigen Etymologie nidit Termehren und yerrichte darauf, solche Endungssilben aus den in allen Sprachen so reichlich rorhandenen Verben der Bewegung hensuleiten. .

Bevor ich kurz auf die met^ihorische Verwendung der Raumbezeichnungen hinweise, möchte idi noch einmal die Neigung der Sprache unterstreichen , Ortsverhältnisse durch Bewegungsverhältnisse wiedenugeben. Eine Vergieichung Ton stehen und stellen, sitzen und setsen lässt vermuten, dass der Bewegungsbegriff alter sein mag, als der Zustands- begrifP; wohnen scheint (verwandt [?] mit dem lateinischen Temus und dem Sanskritwort vanas für Lust) ursprünglich den Sinn lieb „gewinnen* gehabt zu haben; im Worte ge- winnen mag vielleicht die noch ältere Bedeutung desselben Stammes stecken. In den Parailelbeseichnungen stehen

Sitnatfam.

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stellen, sifczen setzen werden die Fragen wo und wohin mit- beantwortet. Ich uehme an , dass die Antwort auf die Frage ■wohin älter sei, als die Antwort auf die Frage wo, weil unser Bild vom Koordinatensystem uns lehrt, wieviel leichter der Naturmensch sich über die Richtung aul ihn zu oder von ihm weg, als über den Ort oneutieren kann. Die Rich- tung kann durch eine einzige Dimension ausgcdi ückt werden, der Ort auch im einfachsten Falle nur durch zwei Dimen- sionen. Damit mi^ es zusammenhängen ^ dass vielfach die Antwort auf wo durch die Form erfolgt, die sonst eigentlich der GasQB ffSx die Frage woher ist. Später haben sich für diesen Wo-CasoB NthoiGasiis entwidceit und es ist gaos ^flicligQitig, daiB dieser Wo-FaU im CMeehiicheii mit dem DatiT sQsammeiif&llt, im Lateinischen mit dem AblatiT, im Slavischen mit dem Lohafav. Wie so häufig die alten Formen sich gerade an den geläufigsten Worten erhalten haben, so wird im Lateinischen das RaumTerhUtnis durch Richtung»- casus bei dem Worte domus nur dann beseiehnet, ▼enn domus das Zuhause beseichnet, durch Prftpoeitionen, wenn es das Bing Hans beseichnet. AehnUche Bichtungscasus* formen finden sich gerade bei demselben Begriffe im Alt- hochdeutsehen (heime, heim und heimina) und in den sk^i» sehen Sprachen.

Nun muss aber doch, um Missverstindnisse anszu- sitwtios. scUiessen, ausdrlU^fich darauf hingewiesen werden, dass der Naturmensch und das Kind von einem Koordinateusysteme nichts wissen, dass aUe richtunggebenden Laute, seien sie nun Gaauaendungen, AdTerbien, Mpositionen oder Vorsilben, die Richtung nicht etwa wie in der Geometrie eindeutig angeben. Wir wissen ja Iftngst, dass das Wort erst durch den Sate Tersttndlidi wird, der Sata erat durch die Situation, die Situation gar erst durch die ganze Persönlichkeit des Sforechenden , durch seine eigene Entwickelung. Da ist es denn nicht wimderbar, dass der Sinn eines Adverbiums u. s. w* sieht durch den Laut, sondern wahrhai'tig erst durch den Sinn klar wird, durch die Situation des Sprechenden. Die Situation sagt uns, ob z. B. »zu* nach mir lu oder nach

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Y. Adverbien. Baum und Zeit

einem anderen Orte sa bedeutet, ob unter, ob über nnf mich oder auf einen anderen belogen wird oder ob diese Worte yielleicbt sieh auf die GegenaSke von innen und auesen belieben. Kacb der Situation des Spreebenden können die AdTerbien u. s. w. sehr leicht direkte Gegena&iM ausdrucken; und hftufig genug bat sich im Sprachgebraucbe durch Fonnrerinderung dn AdTorbium su soldien Gegeu- sfttien difiiBrenziert. Cum und contra, sub und super mdgen als Beispiele genOgen. Raam, Ohuc Phantasie geht es freilich nicht ab, wenn ich b«Mti> nun versuche mehr schematisdi als gesehichiüch die wt- Entwickelung der RaumTsrldlbiisse an den Beddieilen und dann die metaphoriflche Anwendung der RaumrerhSltnisse in den Redeteüea su skizoeren. Natürlich ist in einer Ur- leit, welche ich' annehme und welche sich mit dem Auf und Nieder des Weges Ober ungemessene Zeiträume er* starecken kann, von ein«n grammatikalischen Bewusstsein TOn Redeteilen noch keine Spur. Aber wir können nach der Erfindung der Grammatik von Grammatik nicht anders als grammatikalisch reden.

Es handelt sich also darum, wie sich die entwickelnde Sprache in den Weltanschauungsformen orientiert haben mag, die wir jetzt Raum, Zeit und Kausalität nennen. Die Psychologie der einfachsten Lebewesen, der Protisten, hat uns (I. 350) vermuten lassen, dass es in der Geschichte der Vernunft eine Epoche gab, in welchu* Ton diesen drei Vor^ Stellungen nur die Raumvoistellungen vorhanden waren. Aus dem raumscha£fenden Tastsinne habmi sich auch bis zu den Menschen herauf die anderen Sinne entwickelt. Das kann aber unmöglich so zu Terstehen sein, dass im unbe- wussten Leben der Oi^anismen Zeit- und EausaUtätsvor- Stellungen, zuletzt nur Eausalitätsvorstellungen völlig fehlten. Wir müssen uns das Leben der Sprache oder des Denkens so denken, dass es instinktiv den Weg von der Kausalität zum Räume einschlug, um dann bei der bewussteren Ver- wendung der Kaumbegrifi'e wieder zur Zeit und zur Kausali- tät zurück fortzuschreiten.

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Baum, Zeit und EAUMlit&t 119

Ich stalle mir eine grammatisch uiiditterenziertc Be- griffsftlUe einer Urzeit vor, in welcher die einzelnen Worte mehr adjektivischen Charakter hatten, die Wukuiig der Dinge und der Veränderungen aul das Individuum aus- drückten, also von der Kausalität lebten, ohne jedoch die Aussenwelt als objektive Ursache dieser Eindrücke klar zu erfassen. Das Individuum wurde von der Frucht berStet, ▼OD der Sonne erwärmt, vom fallenden Aste gestosmi, olue dasB mit diesen Adjektiven, die vir Terbal annadrfldkaii genötigt sind, Biclitaiigs- oder BaamyerhSltaiiase deutiich ▼erbmiden wann. Die Farbe, die Wärme, der Stoes wurden im Individuum empfanden. Darin, dass das Individuum sich in seinen Bewegungen diesen Empfindungen anpassle, das Bote ass, die Wärme aufeuchte, dem Stesse auswich, et* kannte es die Wahrnehmungen als Wirkungen an, gewiss ohne sie sprachlich ab Eausalitätserscheinungen anssudr&cken. Wir können recht wohl b^(reifen, wie dann s^Uber die ob- jektive Aussenwelt sieh sunädist in YorsteUungen verbalen Charakters als Ranmanschauung der Bew^gungarichtung, noch später in YorsteUungen substantivischen Charakters als Banmanschauung des Ortes ausbildete. So konnten Moese Otientiernngen im Baume f&r dasjenige eintreten, was uns jetst YorsteUungen des Baums, der Zeit und der Kausalität sind. .Als nun die Sprache versuchte mit ihren Mittehi die ZeitvorsteUungen und endlich die EausalitSts- vorsteUungen, die sich gebildet hatten, zu formen, da machte es die Sprache wie das Denken, wdl Denken Sprache ist: sie drtlckte durch Raumbegriffe zunächst zeitliche Verhält- nisse und dann Kausalitatsb^piffe aus. Tch bemerke noch, dass der sprachliche Ausgang vom Baume sich besonders stark aufdrängt, wenn wir uns erinnern, wie deiktisohe Hin- weise, heute noch im DcInonstrati^'pronomen vorhanden, an den ursprünglichen Gebrauch der Sprache geknüpft waren. Das uralte «da*, welches für jedes Adjektiv, jedes Yerbum und jedes Substantiv sich einstellen konnte und kann, ist räumlich gemeint, erst recht räumlich, wenn es die Gegenwart bedeutet Gegenwart hängt mit wärts in*

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V. Adverbien. Baum und Zeit.

sammen (vielleieht auch mit dem lateimschen verto), und dieses heürt aonA wie Dach einer bestimmten Richtung gewendet»

Der Gehranch der Bamnbegrifle für ZeitrerhSltniMe ist in anen Sprachen bis cur Stunde lo allgemein, daas die Beispiele dafür fllr den Sprachbeobachter fiberflItaHng, f&r den Neuling Terblllffend und flbeneugend sind. Wir nenn«! eine Zeit erafaeh Umg oder kurs, eine Iftngere Zeit sogar noch kecker einen Zeitraum. Anfang und Ende wird gaai geliufig von der Zeit wie vom Baume gesagt. Sehr hflbsch ist es, wie im FranaOsiscfaen die ftusserste Nihe einer Zeit durch Bichtungsworte des Baumes beieichnei wird: il nent d^arrirer und il Ta partir. Beide Bedensarten sind eigent- lich Pleonasmen. ,Er kommt, er kommt", das heisst er kommt soeben; .ergeht, ergeht", das heisst er geht gleich.

Ein objektiTes ZeitrerhSltDis wird auch durch die so- genannten Adrerbien der Zeit nicht wie das fUschlich behauptet worden ist ausgedruckt; genau dasselbe, was die Zeitformen des Vttbums können, leistet auch nach dem Sprachgebraudie das Adverbium. ünd man kann es vielen Adverbien heute noch ansehen, dass sie die Orientierung in der Zeit durch eine rilumliche Metapher auszudrQckeo suchten. Das sehr interessante Adverbium .wo", das ge- wiss nach dem Orte fragt, wird im Relativsatze in zeit- Mdiem Sinne ai^ewendet, wenn auch nicht so häutig wie «da*, das wiederum wie andere Zeitadverbien leicht kausale Bedeutung erhält. Die Richtung woher und wohin wurde ftüher durch eine Art Flexion von «wo*, durch wannen und war, ausgedrückt; in „wann" oder «wenn'' hat sich die aus dem räumlichen Bilde hervorgeprangene Zeitbestimmung rein herausgelöst, nur dass die bedingende oder kausale Be- deutung wieder hinzugetreten ist. Eine scharfe Scheidung im Ctebrauche von wann und wenn, wie schon Adelung sie verlangt hat, ist bis heute weder in der Umgangssprache noch in der dichterischen Sprache diirrhi,'p.setzt worden. Gemeinsam ist für Raum- und Zeitverhiiituisse auch das lateinische ubi. Doch selbst nach vollzogenem Bedeutungs-

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»hie*.

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Wandel, nachdem der Sprachgebrauch Zeit- und Orisadyerbien geschieden hat, lässt sich immer noch die Zeit durch den Ort und der Ort durch die Zeit darstellen; nur dass wir bei der leitliehen Yenrendnng von «wann* das BewiurtBein maet metaphmdMn SprediwetM nicht mehr ftttüeo, wohl tber uns einer leisen Metapher wieder bewosst werdeii, wenn wir V. B. ,hie und da* als Zeitbestimmnng , .dann und wann' ab Ortsbestimmui^ verwenden.

Bieee leigerhafte, deOdäsche also demonstratiTe Her- »u«*. konft sehr neler Zeitadverbien liegt oft am Tage, oft ist sie in der Spraehgeschiebto andeirtJich geworden. Hobsch lassen sich die Fllle anfUftren, in denen das eben dtierte DemonstmliTpronomen .hie" (= hier) als ein temporales DemonsfaratiTum snr Bildung TCn ZeitadTerbien gefllhrt hat. «Heute* ist gans gewiss aus emem alten »hin tagu* Ober hiuigu mid hiuttu zu seiner «heutigen* Vorm gekommen. Die Abstammung ist so sehr aus dem Spfachgeftthl Ter- achwunden, dass Luther gelegen^ch «heute dieses Tages* sagen konnte und landschaftlich noch heute der Ausdruck «heutiges Tags* oder «hentes Tags* vorkommt. Wir wissen, dass msn rinmal die vierundzwanng Stundra einer voU- slindigen Erdumdrehung nach Nichten sShlte; von da her msg das einst neben «heute" einhergehende Adverbiom kommen, welches im Althochdeutschen hl naht, im Mittel«* hochdeutschen hlnet hiess und welches in süddeutschen Mundarten heute noch als gheint* ftbr unser schriftdeutsches «heute" gebraucht wird. Ebenso wurde aus hiu j&ru das süddeutsche Adverbiura heuer (= in diesem Jahre), welchem sich die norddeutsche Schriftspradie leider immer noch ver- schliesst. Sine Parallelbildung zu «heutiges Tags' findet sich in den romamschen Sprachen, wie übrigens das lateini- sche hodie (hoc die) dem deutschen heute vollkommen ent- spricht. Aus hodie wurde das italienische oggi, aus diesem wieder oggidt, worin »dies" (der Tag) also zweimal vor- kommt wie in heutes Tags, wie im französischen aujourd'hui.

Die Orientierung in der Zeit durch metaphorischo Uebertragoog von Orientierungsworten des Jäaums musste

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V. Adverbien. Raum und Zeit.

es mit Bieh bringen, dass durch die Sitesteil Zeitedverbieii wolü die zeitlidie N&he und Feme ausgedruckt werden konnte, nicht aber immer die Richtung .woher und wohin, Dicht immer also der Unterschied twischen Vergangenheit und Zukunft. Das deutsche ,da* (auch ,einst'), das lateini- sche tunc, das englische then drflckt ebenso die Zukunft wie die Vergangenheit aus. Die AdTerbien, welche sich ausschliesslich auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit hemmen, sind Neubildungen. Man kann das an den ein- fachsten Begriffen ftlr diese Verhaltnisse, an »morgen* und «gest«m* deuUich sehen und beachte dabei, dass diese fast einfÜtigett AdTerbien dennoch von Kindern schwer be- griffen und noch im fünften Jahre miteinander Terwechselt werden. «Morgen* bedeutet uxBprflnglich eine Tagesseit, den Tagesanbruch; wie weit das Wort mit einem slavischen Worte für Dunkelheit zusammenhängt und dadurch die Be- deutung Dimmerung zu erklären ist, geht uns hier nichts an. Jedesfalls kannte das (gotische den Gebrauch von «morgen" für den auf heute folgenden Tag noch nicht. Erst im Althochdeutschen hiess ^niorgane* so viel wie «am Morgen", nämlich am kOnftigen Morgen. Genau ebenso wurde aus dem lateinischen mane das französische demain, das italienische domani. Nicht so einfach liegt der Fall bei «gestern \ das »StammTerwandtschaft*' mit lateinischen und griechischen Worten aufweist, die schon den vergangenen Tag bezeichnen. Gerade in germanischen Sprachen jedoch bezeichnet , gestern* (gotisch gistra dagis, altnordisch igaer) den andern Tag, kann also auch fUr morgen stehen. Erst später hat sich im Deutschen, Englischen und Niederländi- schen der Gebrauch illr den Tergaogenen anderen Tag fest- gesetzt.

schüu" Komplizierter ist der Bedeutungswandel in dpji beiden

und^ Adverbien, welche in einer bestimmten Hichtung den Uegen-

" ' satz zu einer frühem und einer spätem Zeit ausdrücken, in den Adverbien ^schon* und »erst*. Schon'* im Sinne von «nicht später" und ^erst* im Sinn<^ von , nicht früher* scheinen uns sehr notwendige Zeitpartikeln zu sein und smd

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^aohon" und ,ent*.

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doch neuere Schöpfungen der Sprache. „Schon" ist nachweis- bar nichts anderes als das Adverbiuni von schön und hat noch im Mittelhochdeutschen nicht die Bedeutung einer Zeit- partikel; es heisst vielmehr so viel wie „auf schöne, ordent- liche, richtige Weise" ; es liesse sich oft mit «richtig'' oder „YoUst&ndig" Ubersetzen. KonTentionell wurde dann das Wort ebenso wie «auch* in den Verbindungen ,ob schon' »wenn schon" gebraucht, aber erst etwa seit Lutiier. Einen leitlidieD Charakter erbSlt ««ehon* in Bilsen wie .er wird schon kommen*, «es wird schon reichen* ; wobei jedoch die bemhigende Yerdeherung, dass alles in schönster Ordnung sein werde, noch mitverstanden wird. Erst wenn dieses «scibon" auf eine yergangene Thatsache angewandt wird, eiigibt sich die neurae Bedentang Ton ,nicht später*; «er ist schon gekommen* hat also immer noch den Nebensinn: er ist gekommen, wie es sich gehörte, ordentlich, iitr rieh«» tigen Zeit. Etwas von der Urbedeutung «schön* steckt auch noch in der leise ironischen Verwendung des Wortee; «wir zahlen schon genug Steuern* erinnert znnAchst daran, dass die schon Torhandenen auch ohne die künftig noch drohenden genOgen, aber es werden daneben die nach der Memung des Sprechers ttbermSssig hohen Steuern ironisch «rechte* Steuern genannt, so dass man in demselbeii Sinne sagen könnte: «Wir saUen schön Steuern, wir sahlen ordent- lich Steuern*. Bei diesem Bedeutungswandel hat das Ad- Terbium Ton „schön", welches ursprünglich einen ordent- lichen Zustand der Buhe oder der Beruhigung ausdruckte, allmählich die Stimmung der Ungeduld bekommen, welche der Bedeutung , nicht später" zu Ghrunde liegt. «Wie heisst er doch schon?" ebenso im franzosischen: comment donc s'appelle-^ü döjä? (di giä, jam). Einen Accent der Un- geduld oder der Beschwichtigung einer Ungeduld, je nach- dem es Frage oder Antwort ist, wird man auch häufig in der so schlichten Verwendung «schon gestern" finden. .Warum ist er nicht schon gestern gekommen?* «Er ist schon gestern gekommen."

Parallel dazu geht der Gebrauch Ton «erst morgen*

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y. Adverbien. Raum und Zeit

dis hdast nioht firOlier aU iiioig«ii. Und dieses Adrerbium «erst", welches uns jetzt so oasweifeUiaft den TeviB^eiehenden Begriff .mclit froher* ins Bewusstsein hiingk, bedeatete ^xnerst* gensu das Oegenteil, nSmUch »froher". Es ist der Superlstiy su einem Worte, welches vielleicht einst die frohe Tagesieit bedeutete wie «Morgen*, welches im EompsmtiT «eher* noch heute so Tiel wie froher heisst, welches denn im SuperlatiT sunichst wirklich steigernd den ersten, frühe- sten Tordersten Zeitmoment oder Gegenstand angab («erst komme idi*), dann aber am häufigsten ein Ereignis be- zeichnete, welches froher geschehen musste als das Hanpt- ereignis. «Erst Kinder und dann Brot fOr sie zu schaffen.* Wo möglich noch dnnflüliger wird die Bedeutung «frUher* in SfttzMi wie: «Erst war er pOnkÜich, bald aber kam er ins Bummeln.* Aus diesem «früher" wurde nun in neuerer Zeit ein ebooso entschiedenes , nicht früher*. Der Gegensatz kann nicht starker sein. „Er kann erst morgen kommen/ Diese Umkebrung des Sprachgebrauchs lässt tief in das Wesen der Spraclie blicken. Wir erfahren es erst aus unserer kritischen Logik, dass nicht der Gedanke durch das Wort deutlich gemacht wird, sondern das immer schwankende Wort durch den mitunter klaren Gedanken. Bei „ersV liegt die Negation in der Vorstellung des Sprechers^ dass der Abge- nommene Zeitmoment früher eingetreten sein müsse als das Ereignis, auf welches der Accent gelegt wird, <hiss der morgende Tag da sein raClsse , bevor er kommt , dass er nicht frühi-r kommen kann. Wie sehr unsere beiden Ad- verbien „schon" und .erst" nach der Stimmung des Sprechers gewählt werden, kann man daraus ersehen, dass ihr Wert nur aus dem Zustande der Erwartung zu erklären ist, wenn z. B. ein Verliebter seine Geliebte erwartet, auf die Uhr sieht und je nach der Zeit der Verabredung entweder un- geduldig sagt „es ist srlmn ein Uhr" oder sich selbst be- schwiclitij^'oiKl ist ti-t »in Uhr". Er hätte ebenso gut mit geänderter iietonung sprechen oder mit geändertem Qc- fOhle denken können „es ist ein Uhr". Was den Ausschlag gibt, ist die Stunde der Verabredung. Die Stimmung der

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«adion* und ,ent*.

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Ungeduld oder der Beschwichtigung war bei den Menschen schon vorhanden, als diese Zeitadverbien noch nicht gebildet waren. Das Französische drückt unser „erst" immer noch durch eine Umschreibung aus, durch ne-que. Mitunter tritt aber doiic dafür ein , allerdings nicht in dem abgeleiteten negativen Sinne. Et moi donc! Und ich erst! Donc ist aber das lateinische tunc , also eine Zeitpartikel, die reciit gut unserem „früher' entspricht.

Zeitrerhältnisse , welche nicht so alltäglich sind, dass sich zu ihrer Beseichnung Adverbien ausgebildet haben, werden durch SabstantiTe der Zeit in Verbindung mit Prä- positionen ausgedruckt. Zu Ostern, vor Osfearo, nsck Ostern. Die seitHelie Bedeutung dieser Pritposifioiien ist durelians jangem Datums, abgeleitet tob der filteren rftumlidien Be~ dentung. Doch selbst die Zeitbestinimung in diesen Sub- stantnren ist immer sckon abgeleitet In dieser Beäehnng ist die Geschichte unserer Worte fllr Tageszeiten und Jahres- seiten ttberaus lebrreicfa. «Herbst* bedeutet im Oberdeut- schen noch die Obst- oder Weinernte und wird etymologisch mit xspsoc (Frucht) in Zusammenhang gebracht. Die Etymo- logie Ton «Winter* ist ganz ungewiss; man weiss nicht ob man das Wort mit Sturm, Sdmeestnrm, Wind oder weiss in Zusammenhang bringen soll; das ist aber offenbar, dass das Wort ilter ist als das Bewusstwerden einer regel- missig wiederhehrenden Jahresseit. Sagt man nun im Herbst, im Winter, so enqifinden wir heute noch, dass der Zeitbegrüf rftumlich gefant wird wie etwa: in Norwegen, in Sibirien.

Die Sprache kann keine Zeitbegriffe bilden; die Baum- „LHgt- begriife mllssen im Nebenamte die Zeit bestimmen. Wir werden noch sehen oder zu sehen glauben, warum das so kam. JedesfaUs ist dieser Sprachgebrauch so alt und so allgeniein, dass wir gar nicht das Gefühl einer Metapher haben, wenn wir z. B. den Baumbegriff «lang* auf die Zeit übertragen. Es ist auch längst keine Metapher mehr. An- statt Beispiele zu häufen, die immer nur dasselbe lehren würden, möchte ich auf ein aufschlussreiches Wort hin-

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126 ^- Adverbien. Kauui und Zeit.

weisen, das den Rsumbegriff gleich sveimel «nf die Zwk anwendet und so, man möchte fast sagen philosophisch, ein starkes Bewusstsein Ton der Zeit ausdrackt, ohne dass dieser Weg zum Bewusstsein kirne. Ich meine das Wort Lange- weile. Lang druckt eine Dimenrion des Baumes ans und darnach eine Dimension der Zeit. Es ist ein rektirer Be- griff: was wir lang nennen, ist immer lang im YerhAltnisse zu einer andwen Dimension. Weile empfindoi wir jetit nur noch als einen Abschnitt der Zeit; es hingt aber wahr- scheinlich mit altnordischen Worten filr Ruhe (hvild) zu- sammen, etwa auch mit dem lateinischen quies und be- seichnete urspilnglich den Ruhepunkt, die Baumsfcelle des Ausruhens; hvila hdsst im Altnordischen ein Bett. Lange- weile bedeutet also streng historisch genau dasjenige, was es uns heute empfinden iSsst: einen Zeitpunkt des Aus- mhens, der uns relativ lang erscheint. Das hflbsche Wort ist eine spezifisch deutsche Erfindung. Wenn der Franzose ennui sagt, was ziemlich gewiss ron dem lateinischen in odio herkommti so denkt er unmittelbar an das Verdriess- liche der Langeweile, nicht an die L&nge der Zeit, .w«!!" Den metaphorische Uebergang eines Raumbegriffs Uber den Zeitbegriff zum Ursachbegriff können wir an demselben Worte Weile beobachten. Aus dem Akkusativ dieses Raum- begrifis, der inzwischen längst zum Zeitbegriffe geworden war, entstand das redensartliche die Weile oder dieweil, welches endlich Nebensätze einleitete und so in dem Sinne ▼on „so lange als* zur Koi^unktion wurde. „Dieweil Mose seine Hände empnrhielt, siegete Israel." Aus der Ver- stärkung alldieweil hören wir den zeitlichen Sinn immer noch heraus. Bei dieweil, wie wir es in altertümelnder Sprache gern anwenden, ist die Metapher von der Zeit noch nicht ganz verloren gegangen. Das abgekürzte weil wurde nocli von Lessing und Schiller in zeitlichem Sinne gebraucht (= als), heute ist es durchaus eine begründende Konjunktion geworden.

In ähnlicher Weise entsfand flns begründende .denn". Es war noch im Anfang des 18. Jahrhunderts im Sprach-

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Modi.

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gebrauche dem zeitlichen „dann* vollkommen gleich. Die Entstehung von dann ist zwar nicht vollkommen deutlich, es ist aber doch wohl ein Kichtuugscasus von da und eine Casusform des Demonstrativpronomens, des hinweisenden, also orts weisenden da, jedesfalls ursprünglich räumlich. Dazu sei noch bemerkt, dass z. B. unser entgegensetzendes den- noch (frfllier ^bumodi) eimnal lätlich, noch frOlier also rilmii- lieh war. üeberaU da war natQrlich eine noek sUrkere Unbestimiiitiidt iHUirrad der XTebergangszeiten Torhauden.

Da wir auf dem Wege der Begriffe von ri&umlichen mmi. SU den BegrUFen toh seitlichen Yoratellungen auch noch den üebergang von den seitlichen sn kansalen und ver- wandfeen Voratellnngen einmal in Betraeht gezogen haben, M mu8s besonders darauf aufinerksam gemacht werden, dass die Uebertngong der Zeitformen des Verbums anf die Hodusbi^riffe der Möglichkeit u. a. w. nicht gans in das Oebiet der Metaj^er fÜlt (s. B. si je pourais, anch B. HL S. 72). Es ist ja richtig, dass nur die Gegenwert uns wirklich ist, dass umgekehrt nur ein wirklicher Vor- gang uns entweder gegenwttrtig scheint oder doch als Ver- gangenheit oder Zukunft unmittelbar auf die Gegenwart belogen wird. Es ist eine uneigentliche Verwendung, wenn wir die Spraehformen der Zukunft ftr einen mSglichen Vor- gang gebrauchen, wenn manche Sprachen namenilieh die verneinten Bedingungen also die Ünmfiglichkeiten in Zeit- formen der Vergangenhat ausdrucken. Man wird sogar an lebhaft gestikulierenden Personen bemerken können (ich machte die Beobachtung an galizischen Juden ) , dass sio eine räumliche Metapher anwenden und sowohl Mäglichkeit als Unmöglichkeit mit den Händen von der räumlichen Gegenwart wegschieben. Die Möglichkeit, das „vielleicht'* wird dadurch räumlich, da.ss zunächst die Schultern und dann die HUnde nach oben fahren, gewissermnsf^en nach einer möglichen Zukunft; die Ueberzeugang der Unmög^ Ucbkeit wird durch ein Abwinken, ein Beiseiteschlagen mit der rechten Hand ausgedrückt. Wo aber solche Modus- begriffe ihre bestimmten Formen auegebildet haben, wie

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V. Adverbien. Raum und Zeit.

besonders im LttleimsdieB und FnmiOsisciien, da haben diese komplizieiien VorateUnngen eben Formen gefünden, die niohi mehr metaphorisch sind. Wohl sind die alten Zeitformen der Verben bentttst, aber sie smd auch lautlich SU Mbdttsformen differensiert. Im Deutschen ist der Spraoh« gebraueh darin schwankend, in Norddeutschland logischer als in Sttddeutschland. Das Englische kennt besondere Modnsformen so gut wie gar nicht.

Was dennoch an der Beofttsung der Zeitformen zu Hodusformra metaphorisdi ist, insbesondere aber der meta- phorische Gebrauch der Zeitadverbien als Eausslbegiüfe ftthrt sofort su den leisten Fragen menschlicher IMwnntnis. Ist derUrsachbegrUF, wie die konsequentesten Skeptiker ge* lehrt haben, wiiUich nur in den Zeitbegttif hineingedacht, wissen wir wirklich von den Erscheinungen nur, dass sie nacheinander sind, nicht aber, dass die folgende durch die vorhergehende ist, dann bandelt die Sprache weise daran, den Grund nur durch Zeitadverbien auszudrücken, und am allerweisesten der österreichische Sprachgebrauch, der mit unbewusster Skepsis ,nachdeni'* rein kausal gebraucht. Nicht nur der Realgrund, sogar der Erkenntnisgrund wird in Oesterreich mit einem «nachdem" angekündigt. «Nach- dem es geblitzt hat, ist ein Gewitter da." Hume könnte zufrieden sein. Und man darf sagen, daas diese raum^de Art, die sich scharfblickend aber unthätig mit der Kritik begnügt, recht gut mit dem Charakter der Deutschester« reicher zusammenstimmt. Ort« Nicht so tiefgreifend, darum auch nicht so leicht mit

Zeltilnii '-7'''^'^^^ abzuthun ist die erste Metapher, die von den Itaumbegriften zu den Zeitbegriffen tüiirt. Warum ist unsere Welt, wie sie sich in unserer Sprache darstellt, so Üboraus räumlich? Warum orientieren wir uns in dem dn i liiii. n- sionalen liaume früher als in der eindimensionalen Zert? Denn dies allein kann der Grund sriu, weshalb Zeitabschnitte immer nur durch Raumabschnitte ausgesagt werden kouneu. Warum ist der Kaum im menschlicheD Verstände früher gewesen als die Zeit ?

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Ort- und Zeitsinn.

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W«ü unser Sehorgan uns ▼on der Wirküdikeitewelt reichere Daten suAllirt ak irgend ein anderes Sinnesorgan. Weil unser Sehorgan nebenbei immer als Baumofgan dient. Weil wir im Qdidr nicht in ebensolchem Masse nebenbd ein Zeitoigan besitaen. Der Streit darObert ob unsere Augen uns immittelhar BanmTorsiellungen in allen drei Dimensionen (auch die Tiefendimenaionen) gew&kren, oder ob Baum- yorateUnngen aus den Daten des Gesichts erst im Verstände entstehen, ist ftr unsere Frage gans nebensichlich.

Für die wissenschafUiche Erkenntnis lisst sich die Zeit, die längste und die kOneste, ebensogut bestimmen wie der Baum. Anders fDr den schCchten MensdtenTerstand oder fbr den Tierventand. Das Bennpferd, das Aber einen Graben oder eine Hecke springt, der Sehfitse, der einen Falken im Fluge trifft, legt seinen Muskelbewegungen Baum* masse zu Grunde, denen sich in seiner unwillkürlichen Schätzung der Zeit nichts auch nur ontfemt an die Seite stellen lässt. Der Grund ist so ausserordentlich einfach. Auf den Ortpunkt lässt sich mit dem Finger hinweisen, auf den Zeitpunkt nicht Wir nehmen die Zeit mit keinem Sinnesorgane wahr. Ich möchte unsere Wahrnehmung der Zeit etwa mit der Ortswahmehmung vergleichen, die uns das GehQr bietet, wenn wir es für Ortswahmehmungen nicht beson^lers geschult haben. Wir hdren dann ungefähr einige Unterschiede von Nähe und Ferne, ungefähr einen Unter- schied der Richtung; nicht mehr. Und der tiefere Grund hierfUi- ist wohl der, dass bei den Daten des Auges der handgreiflichste Kaumsinn, der Tast- und Muskelsinn, wesent- lich mitbeteiligt ist, bei den Daten des Gehörs nicht, wenig- stens nicht nachwe{?:^;^r beim Menschen. Stellen wir uns ein Gehörorgan vor, welches die Ohrmuschel durch Muskel- hewf^rrungpn jedesinal so stellte, dass der Schall auf einen Fleck des deutlichsten Hörens träte, em Grehörorgan, welches ausserdem das innere Ohr der Entfernung des Schallerregers accomodiei te , stellen wir uns ferner Einrichtungen vor, welche bei jeileiii Hören beide Ohren in ihren iimem und äussern Teilen koordinierten, dann hätten wir von den Maathner, Beitrftge zu einer Kritik der Sprache. Q. %

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V. Adverbien. Baiuu und Zeit

ObMB ebensolche Ortsangaben sa erwBTton wie jetst durch unsere Augen. Soldie Ohren haben wir nicht Aber auch solche Ohren wSren noch nicht Im stände« im Nebenamte den Zeitsinn so su Tersorgen wie unsere Augen den Orts^ sinn Teraofgen. Und xwar aus einem Gnmde, der so wa^ reichend ist, dass man niemals anderswo bitte suchen sollen. Bei der Orientierung im Baume kommt das Oedichtnis erst in sweiter oder dritter Linie; Zeitrorstellungen werden erst durch das Oedftehtnis aUein geschaffen. Dieser Grundunter- schied zwischen Raum und Zeit ist noch niemals sur Auf- hellung dieser Fragen benfllBt worden. Zeit Als die Menschheit G^rechen lernte, war das Oedichtnis sicherlich ausgebildet genug, um Erinnerungen zu ermög- lichen und gewiss auch Erwartungen. Ob aber die Menschen damals schon sich auf einem Grenxpunkte der eindimen- sionalen Richtung zwischen Yei^tangenheit und Zukunft stehend erapfandeut das scheint mir gar nicht so ausgemacht. Unsere Kinder von zwei bis drei Jahren, welche sich in den drei DimensionMi des Raumes wie alte Mathematiker zurecht finden, können die einfachen Zeitbegriffe gestern und morgen, Yogangenheit und Zukunft noch nicht an- wenden, weil sie sie noch nicht fassen können. Ich habe einmal einem sehr intelligenten Kinde von zwei Jahren und acht Monaten den Unterschied von früher und später mit den Ausdrücken hinten und vorn mit gutem Ergebnis deut- lich j^emacht. Das Kind bildete nach ungezählten Jahr- tausenden eine Metapher Avieder, welche wir in den Worten Vergangenheit, Zukunft gar nicht mehr empfinden.

Der I^aum ist beim Sehen immer gegenwärtig. Für den Raum hat das Gedächtnis keine andere Funktion . als dass es uns (abgesehen von der kleinen Hilfe emer Oi initie- run^ im Finstem) den abstrakten, den geometrischen Kaum vorstellt II l'asst. Unsere isscnschaft vom ?>1istrakten Haume Ware ohne Gedarlitui^ iii(}it möglich: für unsere Orientie- rung im ich mijchte sagen : praktischen Räume genügen unsere Augen in der Gogenwart. Das Instrument ist so fein, dass Orte, deren Bilder auf der Netzhaut nur ^/looo

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Zeit o&d Ged&chtDU.

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eines Millimeters voneiiiander entfernt liegen, noch deuÜich unterschieden werden. So feine Zeiteinteilungen gibt es in der abstrakten Wissenschaft ebenfalls. Feine Zeitunterschiede empfindet das Gehör des Musikers, aber immer nur durch ihre ästhetische Wirkung, nicht so unmittelbar , wie das Auge die Kaumunterschiede.

Und wo die Augen versagen , da ist ja immer noch der eigentlich raumschaflFende Sinn, der Tastsinn, vorhanden, der die Raumumstände immer g^enwärtig macht, so un- veruidert gegenwärtig, dass wir um einen Raum herum- gehen und die Baumverhiltnisse der Dinge von allen Seiten betrachten, ihre UnTerindezUchkeit prüfen können und so vieUetcht erst dam gehagt dnd, nicht nur die Raum- Teihaitnisse, sondern auch den abetrakten Raum Ar etwas Wirkliches zu hatten, was dann auf die Zeit Übertragen wurde.

Die TerhSltnismftssige Reafitit des abatrskten Raumes, die ▼erhSltnisrnBasige Idealiüt der abstrakten Zeit Tenrftt sich settsam darin, dass die letaten Konsequenzen aus dem Zcitbcipnife, weil er ein leereres Wort war, firOher gezogen wurden, als die aus dem Raumbegrifb. Unendlichkeit des Raumes nämlich wurde zwar schon yon den alten Atcmdsti- kem gelehrt, ist aber bis zur Stunde nicht ttbw den Schul- streit ganz heraus. Noch Wundt hat einmal den Versuch gemacht, die Begrenztheit des Raumes dem Yorstellungs- ▼ermOgen nahe zu hnngen. ünendlichkeit der Zeit jedoch, die sogenannte Ewigkeit, ist ein uralter Begriff. Sprechen wir formelhaft Ton Zeit und Ewigkeit, so wirkt dabei die christlidie YorsteUung mit, weldie die Zeit als den be- grenzten irdischen Zeitraum und die Ewigkeit eis die un-* begrenzte himmlische Zeit auffasst. Nichts ist natOrlichMr, als das Zögern der Menschheit, den Begriff des Raumes ebenso grenzenlos auszudehnen. Glauben wir doch im Himmel die Grenzen des Raumes zu sehen.

Ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen, nicht über die Organe, aber über die Sitze des Zeit- und des Ortssinns. Spencer stellt a priori die Hypothese auf und

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VI. Das Zahlwort.

glaubt sie nachher durch zahlreiche Beobachtongen uoler- stOtsen zu ktfimeii, dass bei Tieren und Menschen das Kleinhirn ein Organ des Ortsinnes, das Grosshim dn Organ des Zeiisinnes sei. Die Zeit ist hoffontlich nicht mehr fem, wo man es aufgeben wird, in so wortabergliubiacher Art die Lokalisation der wortgebildeten Denkprorinzen zu suchen. Idi glaube, bei solchen Untersuchungen oft Men- schen zu sehen, die miteinander Blinddmh spielen, aber so, dass alle Mitspieler wirklich blind sind und jeder ein- zelne in seinem eigenen abgeschlossenen Oarten umhertappt. Man findet einander nicht Hätte aber Spencer nur ge- sagt, dass die Qedächtnisarbeit (ich möchte gern bewusste Gedftchtoisarbeit sagen) im Grosshim yor sich geht, dann wäre M ja selbstrerst&ndlich, dass das Grosdiim unter anderem auch der Sitz des Zeitsinnes ist, wie es der Sitz des abstrakten Oitsinnes sein muss. Wenn das Kleinhirn der Baubyögel eine ungewöhnlich starke Entwickelung zeigt und so erklftrt, dass die Raubvögel Distanz und Flugnchtung ihrer Beute ausserordentlich scharf zu erfassen TermÖgen, so reicht dieses Kleinhirn dennoch nicht hin, den Pytha- goreischen Lehrsatz begreifen zu lassen.

YI. Das Zahlwort

Ent- Wenige Ergebnisse der Etymologie scheinen so ge-

lehnoag giriert, wie die Gemeinsamkeit der „Wurzeln" in den Zahl- wörtern der indoeuropäischen Sprachen; das dva und tri in allen seinen Veränderungen zu verfolj?en . ist ein Stecken- pferd der Sprachforscher. Wie aber, wenn die Ueberein- stimiTiunj:f sich ^auz ohne Etymokigie einfacher erklären Hesse, durch Entlehnung? Wie wenn die Völker, die hier in Fraije kommen, die Zahlwörter als eine nützliche neue Erfindung von einem rechenfrohen Volke geborgt liiitt« a? Am Ende gar von einem nicht indoeuropäischeiir Wie ihre ZiflTeru? Möglich wäre es schon, dass irgend einmal die »Indo-Europäer" trotz ihrer Begabung noch nicht bis drei

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ZBUcn «UM Exflndniig.

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zählen konnten, wie das ja heut noch von den Chiqiiito* Indianern erzählt wird. Ja, nicht nur möglich wäre das. Es ist gewiss, wenn wir ihre Kulturgeschichte nur weit genug zurttckverfolgen, eben bis zu ihrer zahlenlosen Zeit.

Es ist also bei diesen Worten noch wichtiger als bei den anderen, darauf hinzuweisen, dass auch Zahlwörter dem Sprachschatz eines andern Volkes entnommen werden können und häufig entnommen wnrdon sind. Man nimmt jetzt an, dass die Hebräer ihre erstauuJirli ähnlichen Worte für sechs und sieben (schesch und scheba) den Indogerjnanen, ihr Wort ftlr acht den Aeirvptern entlehnt haben. Sehr häufig wird in unserer Zeit beobachtet, dass unkultivierte Völker- schaften ihre Zahlworte den europäischen Ein'lriiiLrhiigen entlfhnen; als die Portugiesen ein mächtigeü V olk waren, nahm ein brasilianischer Volksstamni portugiesische Zahl- worte an, jetzt entnimmt man sie in der Südsee dem eng- lischen Sprachschatz. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. In historischer Zeit haben wir das Wort Dutzend aus einer roiiianischen Sprache entlehnt, in noch jUngerer Zeit d»ju Bcgriii und das Wort Million.

Das letzte Beispiel macht es besonders klar, waruiu zahlen Zahlworte von einem Volke zum andern hinüber wandern konnten. Es wird diese Erscheinung am besten mit Wande- rungen Ton andern Erfindungen und ihren Namen ver- glidieii werden. Denn das Ztiüen ist eine Erfindung der Menschen. Die Zahl isfc in der Natur nicht zu finden, tKnoAem nnr Verhtitniaae, welche der menschUche Verstand sich durch Zahlen begreiflich macht Nicht nur wie Mass- «inheiieD (Heter) bei einem Volke erfunden wurden und dann Über die ganie Erde wanderten, kdnnen wir uns die ZaUsD Tontellen, sondem geradesu wie die Erfindung des Wagens s. B., der wohl ursprOnglich eine Walze war und bis auf die neuesten Sutsdifonnen sehr häufig absondere liehe Namen erhalien hat, die dann mit der Wagenfcnrm Aber die Volksgrenze hinauswaaderten. Auch das ZShlen wurde nicht |^ch bis zu seiner heutigen Entwiekdung fertig erfunden. Selbst mit Hilfe der Finger einer Hand

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YL Dm Zahlwort.

bis fihii m zUklen, so weit auch diese Kuust über die Erde verbreitet ist, haben von selbst nicht alle ^'ölke^ gelernt. Es gibt ja solche, die nur bis drei zählen können, und andere, welche ihrem Zahlensystem nicht die Fünf zu Grunde gelegt haben. Es gibt einen sehr geistreichen etymologischen Vor- schlag, nach welchem «das den indogermanischen Sprachen gemeinsame" Wort fllr acht als 2 x 4 erklart wird imd zwar 80, da» vier ehr» «eine Hand weniger eins* bectouten würde. Es wird tiek niemab feeMeUen latten, ob dieeer Einfall irgend etwas Richtiges enthalte. Er gibt aber un* serer Vorstellung einen Ausgangspunkt Wir können be- greifen, aof welchem Wege ein besonders ftlr das ZShlen Yeraalagtes Volk dazu gelangen konnte. Aber fünf hinaus ZaUbegriffe zu bilden. Solange es kein Wort fllr acht gab, gab es auch nicht die Zahl adit. Wir kOnnen uns weiter ganz gut Torstellen, wie im primitiTen HandeUrerkehr die neuen Begriffe sechs bis zehn, wenn ein Volk sie eist ge- bildet hatte, zum Nachbarrolke Obergingen. Notwendig war dieser TJebergang, wenn ein Volk die AnAnge des dekadischen Systems ausgebildet hatte und das Nachbar- volk diese Erfindung für sich benfltMU wollte. In noch froherer Zeit konnte so audi die Zahlengruppe eins bis fünf als eine neue Erfindung mitsamt den Worten aufge* nommen werden, wenn z. B. das kultiTiertere Volk bereits mit den Fingern der Hände rechnete, das unkultiTiMiere noch nicht. So sehen wir im lüttelalto' viele mathematische Begriffe aus dem Arabischen direkt oder in TTebersetzungen nach Europa kommen, weil die SorO|Aer z. B. den Sinus durch die Araber kennen lernten. Warum soll ein solcher Vorgang nicht auch in 'alterer Zeit stattgefunden haben, wo die Erfindung eines FQnfersjstems mindestens ebenso epoche- machend war, wie später die Erfindung der Trigonometrie?

Die geheimnisvollen BesonderheitMi der Zahlwörter sind, wenn wir diesen Umstand nicht vergessen, nur fQr Mathe- matiker Toihanden. Wer eine Zahl als Zahl anwendet, und wäre er auch nur ein Heringsverkäufer, der seine Ware mit Pfennigen rergleicht, der ist in diesem Augenblicke

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Mutliematiker, so gut wie ein Astronom, mit Differen- tialeTi unH Logarithmen rechnet. Er ist ein Mathematiker im Verhältnis zu den Chiquifco-Indianem , zu dem zahlen- losen Kulturzustand der «Indo-Europäer" .

Banri al)er <^ibt es einen Rückweg, auf welchem der z»hi- Spi achgebrauch ili* Zalilworte ganz unmathematisch als allgemeine Merkmaie anwendet. Namentlich die runden jekuve. Zahlen werden bei uns geni so gebraucht. Der Tauscndfuss hat nicht 1000 Füsse, die Centifolie hat nicht 100 Blätter. In noch seltsamerer Wei^c sagen wir den Orientalen nach: tausend und cme Aaclit: ,Jahr und Tag" dagegen ist wieder mathematisch, weil es ein Minimum bedeutet.

Wir erwachsenen Indo-Europ'aer unserer Zeit sind nicht so unmathematisch bei niedem Zaklen. Bis zwei und drei können wir schon zählen, auch unbewusst. Unsere kleinen Kinder sind es, die «zwei* im SiimftTOn «vier gebramobeii, weil gie eben votk mehi bis iwei itiilflii kUnneii > ehr» wie Chiqmto-Indianer. Aber auch uns kOnnen sich die oiederrten Ordnimgflnhleii in A^jektire Terwandeln.

Sage ieh auf die Frage: ,Wie fahren Sie?* «Zweiter* oder «Dritter?* so danke ich auf keinen Fall an die OrdnungSEBhL Entweder Terbinde ich mit dem Worte eine Vorstellung dee F^reises oder gewöhnlich » nur die Vor- Stellung der Einrichtung; «Zweiter* heisst Bequ^nlichkeit und PoktersitBe, «Dritter* heisst Hdzbank. Bei der Ber- liner Stadtbahn, die nur swei Klassen eingefilhrt hat und enf der nach der Aehnlichkeit des Gomforts dennoch Ton einer sweiten und einer dritten Klasse gesprochen wird, ist dieses YerhiUnis noch auffallender.

Diese Bemerkung seheint kleinlich. Aber sie ist wichtig, wenn wir ans einem Bdspiel, das wir miterieben, deutlich erkennen, dass ein Uebergang Tom Zahlwort su andern Kategorien möglich ist und dass in alten Zeiten eben auch Entlehnung oder Import von Zahlwörtern möglich war. Als die Oase entdeckt wurden, schuf ein Holländer künstlich das Wort daftür; und es wurde in alle Kultursprachen importiert Kun war es doch auch eine Entdeckung oder Erfindung,

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VL Das ZaUwort.

als ein überaus genialer i\rriiheMi;itiker (ein Mann, der eiu r)enkni;il verdient wie Newton) aiit den überaus fruchtbaren Einfaii kam, Ein Schaf mebr als vier Schafe ^ftJnf Schafe zu nennen. Er erfand fUr seine neue Weltanschauung neue Worte, er stählte, er war der erste; er zählte viel- leicht bis drei, bis acht, bis zwölf, wer weiss es. Er zählte vieUeicht zuerst nicht Schafe, sondern sich und seine Fa- milienmitglieder: obwohl (ernsthaft!) das Zählen von Schafeii oder andern Eigcutuaiseinheiten dem mathematischen Genie näher liegen mochte als das Zähleu von Kindern.

Konnten aber die Zahlwörter als neue Erfindungen so leicht yon einem Volke auf das andere übergehen (wie Ton den Melaaesiem glaubhaft berichtet wird, du» sie, die ttbxigens neuenmgBsQchtig genug sind, um Sprachfehler der EuropSer gm amniiehmeii, besonders Zahl- und FOrvOrier TOD den Mabien entlelmt haben), so ist es sdilimm bestellt um alle logischen Schlllsse, welche aus der Verwandtschaft gerade dieser Wörter (und der FOrwOrter) auf Stammes- yerwandtschafl der Sprachen leiten sollen. Fast ausschliess- lich aus AehoUchkeit von Zahlwörtern sucht man die Ver- wandtschaft der semitischen Sprachen mit den sogenannten hamitischen su folgern. Ebenso gut könnte man aus dem Vorkommen einer leeren Sardinenbflchse in der WOste Sahara darauf schliessen, dass die Wflste einst Sardinen gedeihen liess.

Ist die Entlehnbarkeit, die allgemein menschliche Brauch- barkeit des Zahlworts noch atftrker als die andrer Bedeteüe, so könnte msn daraus schliessen, dass die Unbestinmitiieit seines grammatisehoi Sinnes weniger gross sei, dass das Zahlwort der Wirklidikeitswelt besser entqiceche als Sub- stantiv, Aii^ktiT und Verbum. Man glaubt es auch.

pjth». Dass der Zahlbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung suM. mir eijie leere Abstraktion ist und nicht der Wirklichkeit angehört, dass das Wort Zahl z. B. in der Frage: „Wie gross ist die Zahl der Einwohner dieser Stadt?" nichts weiter

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pyuuigoiM. 137

v-ill uml kann als die Aufnierksumkeit darauf richten, diö Antwort in Ziüern zu suchen und zu finden, das ist von selbst einleuchtend. Dass aber auch die einzelnen ganzen Zahlen, 1, 2, 3 u. s. w. nicht der Wirklichkeit entsprechen, sich in der Xntiir nicht finden, sondern nur Erfindungen des raenschhehen Verstandes sind , das ist einer noch ge- nauem Betrachtung wert, weil die Naturwissenschaften gegen- wärtig wie vor dritthalb Jahrtausenden wieder geneigt sind, die Zahl zum Urelemcnte der Naturvorgänge zu machen. Besässeu wir eine Geschichte des menschlichen Verstandes wie wir eine Geschichte der Dampfmaschine besitzen, so würde sich Tielleicht eine lehrreiche Vergleichung zwischen dem beatmen und dem alten ZahlenftlMnr|^anbai Tom^luaeQ lassen. Da wir aber Ton der Vorgeschichte unseres Ver- standes nieht viel mehr wissen als der erwachmde Henseh Ton seinen Traumznstftnden im Mutterleibe, so kann ich darüber, was F^agoras den Zahlen zuschrieb und was in dem gleichen Sinne die heutigen Chemiker den Zahlen ni- schreiben, nur Vermutungtti aufstellen.

Es trifft sich fttr diese Vermutungen nett, dass der Name des alten Philosophen an den ttberaus wichtigen Pytha- goreischen Lehrsata geknfipft ist Diese Verknüpfung be- weist, dass I^rthagoras entweder selbst das interessante Ver- hiltnis swischen den Dreieckseiten suerst bewiesen hat oder dass er es doch war, der diese Entdeckung in Griechenland bekannt msdite. JedesfaDs sdgt sie, dass Pjthagoras ein Mathematiker war, bevor er aus den Zahlen eine Art Re- ligion machte. "V^r stehen mit Fyiliagoras sichtbarlich in einer Zeit, die vor Freude über die neuentdeekten Zahlen- ▼erhiltnisse in Mathematik und Oeometrie ausser sich ge- raten war. Wir können etwas Ton dieser Freude heute noch bei mathematisch Teranlagten Kindern beobachten, wenn sie in der Schute zum erstenmale die erstaunlichen Verhältnisse kennen lernen, in welche z. B. die teilbaren Zahlen oder Hypotmuse und Katheten zu einander stehen. Dass man aus der Sunmie der Ziffern sofort erkennen kann, ob eine vielstellige Zahl durch 9 teilbar ist oder nicht, das

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VI. Das Zatüwort.

ist die Folge eines Verhiiltuisses , (ias in uiiserciii dekadi- schen System begründet ist; die Entdeckung dieses Ver- hältnisses macht dennoch Vergnügen. Das Verhältnis, wel- ches im Pythagoreischen Lehrsatz ausgesprochen ist, mag eine Folge des uns geläufigen, uns Ton den Zufallsinnen gebotenen Raumsystems Min, seine Entdeckung musste den« nodi ein« anflseiwdentKGlie Ihreude hwvoinifon. Bs war oifeiibar, es gab io der Nator ZahlenTerhiltnisse.

Der Standpunkt der damaligen MatiMmUtik konnte diese Verhiltniaee gar nicht anders ausdrucken als durch die Zahlen. IKe Yerh&ltnisse schienen in den Zahlen selbst au liegen. Die Zahlen sind Worte, scheinbar Worte wie andere Be- griffsworte auch. So war es nur eine Aeussemng des uns wohlbekannten Wortabor^ubens, wenn im ersten Rausche mathematischer Entdeckerfreude den Zahlworten mystische Eigenheiten beigelegt wurden.

Man nehme dasu den kindlichen Wortaberglauben der WelterklSrungsTersuche, die sich damals Philosophie nannten. Auch Anaximander und Thaies glaubten etwas dabei zu denken, wenn sie das Unendliche oder das Wasser Ahr den Ursprung aller Dinge erklärten. Ich neige Überdies zu der Uebetzeugang, dass wir niemals werden erfahren können, was die Philosophen vor Piaton sich bei den rereinselten ScUagworten gedacht haben mögen, die Ton ihnen über- liefert sind. Man stelle sich vor, Darwin Mtte nie eine Zeile geschrieben. Wir erfuhren Uber ihn bloss was seine EnkelschUler gelegentlich und irrtOmlich auf ihn zurflek- fUhren, und es bliebe eines Tages von dem ganzen Lebens- werke Darwins nichts übrig als das Schlagwort „der Mensch stammt vom Affen ab* ; das einsige, was wir dann von ihm wUssten, wäre etwas, was er nie gesagt hat. Nietzsches Kritik der Notizensammlnng des Diogenes Laertiua ist nur philologisch, darum nicht sachlich radikal

Mühsam können wir uns aus einigen solchen auf- bewahrten Schlagworten nur die Gewissheit verschaffen, Fjrthagoras habe gelehrt: 1. die Zahlen sind die Ursache der Wirklichkeit, die wirklichen Dinge seien nur Nach-

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DetimaUgrikenL

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ahmungen oder Symbole der Zahlen; 2. die Zahlen sprechen mir Verhältnisse zur Einheit aus, es ist als(> die Eins der Anfang oder der Ursprung aller Dinge; 3. da die Zahlen älter sind als die Natur, da sie die Natur erst gemacht babrn. so kann man die Natur und die Zukunft nur aus den Elementen das ist den Zahlen erkennen ; Zalilunharmo- nien verkünden eine günstige Chance (xaipoc), die Heilig- keit der Zahl 10 z. B. verbürgt, dass es zehn bewegliche Himmelskörper geben müsse u. s. w.

Der QUube an die Heiligkeit der Zehnzahl zwingt o«ii«nl* mich zu einer Ideinen Abachweifong. Es spricht sich in *'*^' diesem CHauben eine Freude ana Uber die vielleicht neu ent** deckten SchUnhelteii des dekadiedien ZaUenflyatonu. Man bat unbewusst die 10 zur Omndaahl eines Systems gemacht und wundert sich nacbher darüber, daes sie die Gnmdsabl ist Da ich docb diese Fragen mit der Entwidcelung der Vernunft in Zusammenbang zu bringen rersuche, so mSchte ich an dieser Stelle die Untersuchung unterbrechen und auf den Unterschied swiscben Entdeckung und Erfindung in der Zahlenwelt hinweisen. Ich hoffe, es wird höchstens ein Umweg, aber kein Abweg werden. Die Geschichtsschreiber des dekadischen Zahlensystems tftuschen sich nämlich meiner Meinung nach iosofem, als sie ttberall da ein dekadisches System annehmen, wo unBTÜisierte TOlker aus natOiüchen Chrttnden nur bis zu sehn oder bis swanaig sikhlen gelernt haben. Ebenso falsch ist es, flberall da Beate eines Zwaur sigersystems zu eiblicken, wo wie im FransOsischein 80 durch 4 X 20 ausgedrückt wird, oder Spuren eines Zwdlfer- sjstems da, wo Mehrfache von 12 einen ersten Abschluss der Zählung abgeben, wie wieder im Französischen die Zilfor 60 innerhalb des ersten Hundert das letzte regelmässig ge- bild^ Zahlwort ist und sich in dem Worte six-nngt ein merkwürdiger Ausdruck für 120 findet. Alle diese reizen« den Beispiele, die namentlich Ton Reisen dm unter den In- dianerstibnmMi vermehrt worden sind, scheimu mir nur An* aeichmi dsftlr zu sein, dass das dekadische System sehr langsam m das Sprachbewusstsein der Völker eingedrungen

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VI. Das Zahlwort.

ist. Eiii bih zum Aeussersten durchgetuhrtcs dekadisches System besitzen wir AbeiuUunder erst seit wenigen hundert Jahren; nicht älter sind die Ausdrücke Billion, TrilHon u. s.w. Wenn ein Volk seinen Groschen oder seinen Schilling in zwölf Teile einteilt, so mag das auf eine Zeit zurückgehen, in welcher die Zwölfzahl irgend «ine BoUe spielte; von einem Zwölfersystem mau dabei nidil die Bede sein. So weit z. B. die Griechen ihr Zahlensystem bewusst in Zahl- worten ansgearbeiirt hatten, bis zu der Ziffer 10000 ntan- lieh, war es ein dekadisches System. Dagegen kommt es, je weniger wir die Entwickdungsgeschichte der Zahlworte kamen, um so woiiger in Betracht, dass schon im Griechi- schen wie ün Französischen das Zahlwort sechzig regel- missiger gebildet war als die ZahlwQrter für 70, 80 und 90. Auch im Deutschen wird die Zahl 00, die sonst ihre nnter^ geordnete Stelle im dekadischen System hat, zu einer runden Zahl, sobald wir daflQr Schock sagm und nach Schock zahlen. Bs ist offsnbar, dass das Scbodr schon im Orient vielfach eine runde Zahl gewesen ist. In unserer Zeitp rechnung mit ihren 2 x 12 Stunden, 00 Hinuten und 00 Se- kunden, in uns^r Kreiseinteflung in 6 X 60 Grade sind noch unTcrtilgte und scheinbar unvertilgbare Beste aus einer Zeit Torhanden, in welcher die zwölf zum mindesten ebenso heilig schien wie die zehn. An ein Zwtflfersystem ist da aber so wenig zu denken wie an ein ausgebildetes Zehner^ System. Wir müssen es so scharf wie möglich feststellen, dass jede Art TOn Svst^ni eine Erfindung ist, eine Erfindung zur Erleichterung des Rechnens, w&hrend die Einsicht in die ZahleoTerhältnisse auf Entdeckungen zurückzuführen ist. Es würe z. B. auch in einem durchgefQhrten Zwölfersystem die Zahl, welche wir 25 nennen und schreiben und die im Zwölfersystem etwa 21 hiesse, nach wie Tor das Fünffache Ton 6 oder 5'; nur die Zählung wäre eine andere. Wir müssen uns nur klar machen, dass die Menschen, wenn sie wirklich an den zehn Fingern ihrer Hände zählen gelernt haben, damit noch nicht das dekadische System erfanden, so wie es jetzt jeder Schu^unge lernen muss* Für uns ist

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Oktafeaqystein.

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aber nur wichtig, dass es erfunden wurde. Bine Er- findung kann nie ein BUd der WiiklielikeitsweU seio. Die dekadische Mili1«ng kann niehl der WIrUiehkeii ent- sprechen. Wir werden bald sehen, oh die Zfthlung über- houpii ohne Systom« wirklich sein kann.

Wenn die Natur, die sich um die mensdiliehe Sprache oktowm- so wenig hekOnunert wie eine Pappel um den Pythagorei** vm*»- sehen Lehrsats, mit dessen Hüfe wir ihren NutiholEwert berechnoa, wenn die Katur sich im Menschen oilwickdt hUte n vier Fingern an jeder Hand, so hitten wir ein Oktavensystem anstatt eines Deomalsystems. Unsere Vier- undsechsig hiesse hundert und wflrde mit swei Nullen geschrieben, ffinige ewige Wahrheiten des Deaimalwesens würden wunderlidi auasehen. Aber alles wflrde stimmen, wenn nur die Nullen au der richtigen Stelle aSssen. So wttrde auch die Spradie ni jeder anderai natOriichen Ent- wickehmg passen, wenn nur die Nullen richtig wftren. Demi der Tiefsinn der Sprache ist ihre NulUtIt. Man muss er- kennen, dass die Worte wertlos geworden sind. Was uns wert ist, fühlen wir darum worÜos am besten. Daa ist kein Woiispiel, es ist vieltnehr eine reine Tautologie. A ist nicht B, B ist nicht A. Im wirklichen Wortspiel ist der Geist wahnsinnig geworden. Er nimmt die Worte zwar richtig für das was sie sind, für mathematiBche Funktionen, vergisst aber wie nur ein wahnsinnig gewordener Mathe- matiker ihre Bedeutung in der Torliegenden Aufgabe, setzt eine Fonnel aus Buchstaben Ton Tmrgestem und von heute zusammen und kommt so zu den vollkomraen Tertrtrttelten Sätzen geistreicher Schriftsteller. Z. B. die Menschen sind die Gedanken der Erde (Börne). Ebenso sinnlos wie geist- reich.

Das Zäklsystem der Menschheit, wenn die Menschen rier Finger an jeder Hnnd und vier Zehen an jedem Fuss hätten, denkt man so: man zählt 1, 2, 3. 4. Die 4 hätte dann die Stellung unserer jetzigen 5. Weiter 5, 6, 7, 8.

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VL Das Zahlwort.

Die 8 aber würde als die höhere Einheit 10 geschrieben. Da 8 (2 X 4) die höhere Einheit wäre, so würde ihr dop- peltos (16 =: 2 X 8) nicht anders geschrieben werden können als 20, ihr dreifaches (24 = 3 X 8) nicht andera als 80, ihre Potenz (64 = 8 X 8) nicht andera als 100.

Es wiederholt sich heim Zthlenlernen der Menschheit fibrigens die uralte Frage, wie denn die Menschen ohne den Besits der Sprache sprechen lernen konnten. Konnten die Menschen schon bis sehn zShlen, als sie ihre Finger dasn gehranchten, so hatten sie das Odilen nicht an den Fingern gelernt und die Sntstehnng des Dekadensystems macht neue Schwierigfceiton; hatten sie aber keinen BegriflP Ton Zahlen, dann ist wieder nicht einzusehen, wie sie gerade durch den Anblick der Finger auf die Idee des Zählens gekommen sein sollen.

Der nächstliegende Weg aus diesem Dilemma heraus- ankommen ist f&r uns die geläufige Vorstellung, dsss das Zählen sich unendlich langsam entwickelt habe, wie die Organismen und ihre Nerroi, wie die menschliche Kultur, wie der menschliche Verstand. Es ist darauf schon (yergL B. n. S. 668) hingewiesen worden. Für alle andern ^t- wudcelungsreihen ist der Anfangspunkt, der Keim, unauf- findbar. Der Anfangspunkt des Zählens war aber scheinbar in der Natur gegeben , sobald ein Mensch dazu gelangte, die Individuen, Menschen, Tiere, Pflanzen oder Steine als Einheiten aufzufassen. Gi l t es in der Natur die Einheit, so ist zwar immer noch kein Zahlensystem natürhch, wohl aber das Zählen überhaupt. Einheits- Mit dem Begriffe der Einheit wird gerade in seinem be«rur. abstraktesten Gebrauche ein ai^er Missbrauch getrieben; und weil in der Gemeinsprache der abstrakte Begriff der Einheit und der ebenfalls auf Umwegen entstandene Begriff der Einzahl sich vermischen, so geht der Missbrauch bis in die Umgangssprache hinüber. Die Copiila „ist" heisst so viel wie «ist einerlei mit*. Dieser Sinn umfasst zwei

EinbeiUb^iff.

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grosse Gruppen, diA neh ung^fllir mit «ist Sdonincli mit* imd .ist enihaltea in* ftwdrOckeii Hessen; die Algebn der Logik snh aieh darum genötigt, dieee simple Oopnla durch ein Doppeiseichen fifar beide Bedeutungen der Sinerleiheit in erselMn. Da« Zeichen bdaBt sowohl «ist einerlei mit* als .ist enthalten in*; es bedeutet aber in Wahrheit daneben auch bald die TfiUige Identitit, bald die nuancierte Einerleiheit, bald die logiMshe Einheit unter einem Ober- heipnS* Alle diese Einheüsbedeutongen sind aber auch in dem berühmten Satie A = A oder A s^ A enthalten, der so schön als das leerste Symbol der Tautologie an der Spitse dflor Logik steht Han kann ans diesem Satie der Identitit oder der Einheit ebenso wenig iigend etwas enchliessen, wie man aus der Einheit allein ohne die erste wirkliche Zahl, die Zwei, irgendwie die einfachste Rechnung bitte hervorgehen lassen können.

Die Verworrenheit des Einheitsbegnfis ist wichtig Ar die Psyehohigie, weil man da gern Ton der Einheit des Be- wusstseinB redet, wo doch nur der einhdtüche Augenblick im indiTiduellen Gedichtuisse die Einheit herstellt oder den Schein der Einheit erzeugt, anderseits von der Vielheit der psychologischen Begriffe redet, wo es doch offenbar im mensdilichen Denken eine unterscheidbare Vielheit nicht gibt. «Die in den philosophischen Betrachtungen Uber den Geist gebräuchlichen Einteilungen können nur oberflächlich richtig sein. Instinkt, Vernunft, Wahrnehmung, Vorstellung, Gedächtnis, Einbildung, Wille u. s. w. müssen entweder ma als konventioneUe Gruppierungen dnr Zusammenhänge selbst oder als einielne Abteilungen der Thätigkeiten, welche tm Hersiellang der Zusammenhänge dienen, betrachtet werden" (Spencer, Psychologie I S. 404). In diesem Sinne ist unser Denken för uns eine Einheit wie ein Baum mit Krone, Stamm und Wurzelwerk für uns eine Einheit ist, auf deren Teile wir Avohl wechsehid unsere Aufmerksam- keit richten können , deren Teile wir aber nicht ablösen können, wenn sie noch Teile des Ganzen bleiben sollen. In einem andern Sinne dürfen wir aber nicht von einer Ein-

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VI. Daa Zablwoi-t.

heS/k der Seele oder dae Bewimlaeuu redot, weil i. B. durch narkotisclie Uütel oder durch Krankheit guue Qnipp«i ver» niehtet werden kOnaeii, der individuelle TrSger des Bewnesl- eelns eich selbet noch mit dem frohem Heneehen identi- fiziert, während der ohjektive Zuschauer ein anderes hsk vor sich sieht (vergl. auch I. 608).

War der Emheitsbegiiff jedoch erst einmal da, so kennen wir uns recht gut ausmalen wie geringe Mehrheiten aUmlhlich mit einem Blicke Übersehen und untenchieden werden konnten* So hatten wir als Kinder, hevor wir ordent- lich zählen konnten, die Dreizahl im Gefühl und im OiüF und zählten unsere Bohnen nach »Würfen' 8), die wir mit grosser IScherheit zu fassen wuseten. Versetzen wir uns zu unserer Bequemlichkeit in irgend eme weit fort- geschrittene Urzeit, in welcher ein Tertoltnismtesig sehr EiTiliaertes Volk bereits bis 4 zählen konnte.

Eine Entdeckung war es, dasa die 4 auf zwei ver- schiedene Arten entstehen konnte, indem man nlmEch ent- weder drei Einheiten zur ersten Einheit hinsufttgte oder indem man zwei Häufchen zu je zwei zusammenstellte. Da- mit war das überaus wichtige Zahlenverkältnis 2x2 = 4 entdeckt. Hätte sich nun ein Sprachgenie gefunden, welches die Zahl 4 sprachlich als 2 X 2 ausdrückte, so wie wir die Zahl 20 ^zwanzig* nennen das heisst 2 x 10, so wäre eine drollige Erfindung gemacht, so wäre der Zahlenschatz auf ein hilfloses Zweiersjstem zurückgeführt worden. Zahlreiche Spuren in der Geschichte der Zahlworte weisen darauf hin, dass mit Hilfe solcher rechnerischer Erfindunpren der Zahlen- schatz sich überaus langsam entwickelt hat. Die 1 als ur- älteste Zahl hat heute noch in vielen Sprachen adjektivi- schen Charakter; die Gruppe 1 bis 4 deutet auf ihre Ent- stehung ohne System hin, weil sie vielfach deklinierbar war, die Gruppe 1 bis 3 im Deutschen noch vor kurzei Zeit; verwandten sprachlichen Bau zeigen dann wieder nachein- ander die Gru])pen l bis 5, 1 bis 0, 1 bis 10, 1 bis 12, 1 bis 20, T bis 60.

Gehen wir nun mit einem grossen Sprung von einer

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solchen grauen Urzeit zu der des Pythaßfora^ über. Die raathematisclien und j^^i omotriseheii EnUieckuagen, die nur die Zahlenverhiiltjii^st brtiafen, waren reich gediehen; die Erfindungen iuif dem Gebiete des dekadischen Systems waren diesen Entdei kun^^ni niclit gefolgt.

Nun werden wir scLit»n besser begreifen, wie die Philo- *X«-4 Sophie in ihrer Kindheit die neuentdeckten geh eimnis vollen Zfthlenverliältjiisse als weltbauende Ki atte aulliiü.seii konnte, Su kann ich es mir recht gut vorstellen , dass jenes Volk, das nur bis 4 zahlen konnte, als es das Verhältnis 2 >c 2 4 entdeckte, den graden Zahlen 2 und 4 eine höhere Ver- ehrung schenkte als der ungraden 3 und dass es das Ge- heimnis 2 X 2 sss 4 einer besonderu ^^chen Kraft zu- schrieb. Möglicherweise hat die mystiBdie Vienahl damals aaek Kmikhdfteii heilen mteen. in weift reidierar imd inteFeflsanterer FoUe sah ^äiagoras nenentdeckfce maihe- matische und geometrisohe YerhSlinlsse vor sich. Diew VerhSltnisse hatten keine ErkUning, sie mnesten Uisachen ihrer sdbsli seht, und waren ne erst einmal ürsaeken oder Krifte, so konnte man ihnen auch andere Wirkungen an- schreiben. Es scheint« dass f^thagoras aberglftubische Vor- stellungen Ton der Wirkmig der kindisch-mjstbchen Zahlen- quadrate hatte. Sein vielbewunderter Hauptgedanke aber war: in der Flucht der Erscheinungswelt sind die Zahlen- ▼eihiltniese die bleibenden Pole, es mllssen also die Zahlen- TeihftlftnisBe die Ursachen der WiiUichkeitswelt sein. Und weil er die Verhiltniase mit den Zahlen Terwechselto, weil er nicht wusste, dass es in der Natur doch höchstens Ver- hiltnisse und keine Zahlen gibt, darum machte er die Zahlen oder die Zahlworte zu den XTisachen der WirUidikeit. Zahlen lassen sich schwer mit irgend welchen andern Er- acheinungen vergleichen. Und doch ist es noch nicht lange her, dass auf dem Gebiete df > M tirretismus und der Mddiri- cttftt mehr Entdeckungen als Erfindungen gemacht worden waren und dass diese Erscheinungen darum zu Ursachen unerklärter Wirklichkeiten gemacht worden sind. Auf die Zahlen angewandt: Pythagoras sah noch Harmonien in Manbliii«r. B«ltrtge sa einer Krttik der Spraolie. m. 10

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VI. Dm Zahlwort

Zahlenverhäitnissen , die nur Korrelate des Systems sind. Für uns nm die Frage bedeutungsvoll, ob die Zahlen- verkältnis^'. olmp System, oh die Verhältnisse, die sich aus dem blossen Abzählen <it r Einheiten ergeben, wirklich sind oder nicht? Oh der (il Alenibei-t, Disc. prel ), der sagt 2 -|- 2 = 4, irgend et^vas mehr weiss als der, der sich be- gnügt zu saj^en 2 -f 2 ist 2 -f- 2? Ob nicht rix usu die geometrischen Axiome nur verschiedene Standpunkte zu einer und der^t'iben Vorstellung sind? D'Alenibtrt fugt hinzu (und Goethe hat sich das Wort zu eigen gemacht): Nous devons. comme Tont ubservt^ quelquti. Philosophes, bien des erreurs ä Tabus des mots; c'est peut 6tre ä ce m^me abus que nous devons les axiomes. Z*W«i Bei keinem Kedet«il scheint es so einleuchtend wie wirlüicb. ^^^^ Zahlwort, dass die sprachliche Bezeichnung der Wirk- lichkeitswelt entspreche. Je mehr die moderne Naturwissen- schaft mathematisch geworden ist, je mehr sie Siimesem- drUeke wie Tone und Farben, je mehr sie ehemiscfae Er- sdieinungen auf ZahlenTerhiltnisse nirttckfÜhrt, desto mehr will es Schemen, ab ob die Lehre des alten Pythagoraa wieder zu Ehren hommen solle, dass nSmlich die Harmonie des Weltalls wie die der Musik auf ZahlenTerhXUaiisse ge- grQndet sei. Wie aber wenn «Zahlen* an sich schon Ver- hältnisse wiren, das Wort ZahleuTerhlltnis also ein Über^ flnssiger PleonasmusP Dann wOrde die Ansicht der alten und der neuen Pythagoreer nur noch deutlidier lum Aus- druck kommen: dass nftmlieh das innerste Wesen der Welt aus Zahloi bestehe, dass modern ausgedruckt das Ding-an-sich die Zahl sei. Ich weiss nicht ob diese Hypo- these schon einmal mit so dOrren Worten ausgesprochen wor- den ist, aber sie liegt unserer Physik und Cbemie an Chrunde.

Dem gegenüber machte ich die Frage aufwerfen, ob es für uns ttberhaupt Torstellbar sei, Zahlen in den Dingen selbst anzunehmen, Zahlen anderswo ansunehmen als in unserem Menschenkopf? Wenn in meinem Oarten zehn Birn- bäume stehen, so firage ich: Wo in aller Welt kann die Zahl zehn stecken als in meinem Kopfe? Ich meine damit

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nicht bloss, dass die Birnbäume von ihrer Zahl nichts wissen, sondern dass die Zahl mit ihrer Existenz, mit den Ursachen und den Folgen ihrer Existenz nie und nimmer etwas zu Schäften haben kann. Wenn zehn Birnhäunie mehr Nahrung aus dem Boden saugen und mohr Früchte tragen als fünf Birnbäume, so ist dieses Verhältnis nur in meinem Ko})fe vorhanden; in der Wirklichkeitswelt gibt es diu* den Stofi- wechsel und die Fruchtbildung. Die Zehnzahl ist nicht in den Birnbäumen, nicht in einem einzigen und nicht in allen. Sie ist ein Verhältnis, durch welches ich memen Schaden oder Nutzen bequemer übersehen kann.

Aber auch in der Physik und Chemie, wo die Zahlen eine ganz andere wissenschaftliche Bedeutung haben, scheint mir der Gedanke nicht vorstellbar zu sein, dass die Zahlen wirklich wären. Wenn eine bestimmte Anzahl von Schwin- gungen einen bestimmten Ton oder eine bestimmte Farbe erzeugt, so ist wohl das Verhältnis der Schwingungen vor- handen, das Verhältnis zur Zeit, aber nicht ihre Zahl. Genau so wie eine grössere Anzahl von Birnbäumen einen anderen Erfolg hat als eine geringere, hat aucli eine grössere Zahl TOD Schwingungen einen anderen Erfolg als eine geringere. Und das viel regefanftssiger. Aber die Regelmässigkeit be- weist nichts ftlr die Wirklichkeit der Zahlen; wäre der Pflanzenwuchs so einfadi wie die Schwingungen einer Saite, bSten Sonne, Feuchtigkeit, Wind, Insekten u. s. w. nicht tansend Komplikationen, auch der Erfolg der Birnbäume wäre regebnissig nach ihrer Zahl, nnd die Zahl wäre danim dennoch nicht wirUieh. Eboiso scheint mir dttr Gedanke nnTorsteUbar, dass die Zahlen wirklich seien, in deren Yer- häUttis sich die Atome zu Molekfllen vereinigen sollen. Die Begelmissigkeit mag noch genauer sein als in der Optik und Akustik; die Wirklichkeit ist damit nicht bewiesen. Hag die Anordnung von sechs Atomen za gewissen Mole- kOlen so notwendig sein, wie die Stellungen nnd Bewegungen von acht Personen au gewissen Tänzen, so ist die Sechs- zahl der Atome darum so wenig in der Wirklichkeit wie die Achtzahl der Tänzer. Beim Tanxe wird man es mir

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VI. Dm Zahlwort

zugeben. Die Achtzahl isi weder in einem der Tänzer noch in ihnen allen, noch im Tanze, noch im Tanzsaal, sondern einzig und allein in den Köpfen. So ist die Sechszahl der Atome weder in einem von ihnen, noch im Molekül, noch im Räume, noch in der Zeit, sondern nur im Kopfe des Chemikers, der sich seine Sechszahl übrij^ens auch thatsäch- li('h nicht vorstellen kann. Das chemische Kekul^sche Sechs- eck ist eingcstandenerniassen eine bildliche Ausdnu'ksweise für eine unvorstellbare Wirklichkeit, eine Meta|>her. Man hat sich in der Physik nur noch nicht darauf besonnen, dass auch die Zahlen der Schwingungen Metaphern sein mögen für einen Vorgang, den wir niclit beschreiben können.

"Wir wissen von der Wirkiichk if nur, dass in ihr neben andern Verhältnissen auch Einheitsverhaltnisse bestehen. Die einzig wirklichen Verhältnisse waren vor den Zahlen da. mit deren Hilfe wir sie messen, wie die VerliUltnisse noch nicht gemessener Räume doch schon da smd. Es gibt auf der Welt eben so viele Schafsköpfe wie SchafsherTien ; und auf jeden Schafskopf kommen vier SchafsfUsse. Dieses letztere Verhältnis ist aber nicht mehr ganz der Natur entsprechend ausgedrückt; die Natur kann nicht zählen, nicht bis zu Tier. Die Natur kennt nnr die „Einheit" nnd darum ini sie sich nie. Sie liefert zu jedem Schafe- heraen den nötigen Schafskopf und nur darum Hefert sie ▼on beiden die gleiche Zahl» Aber sie weiss nidit wie viele Schafskopfe und Schaftheraen es gibt. Sie weiss es nicht nur nicht, die Anzahl ist auch in der Natur nicht vorhanden, auch nicht einmal stillschweigend, nicht einmal unbewusst Es gibt keine Zahl ausser im Henachenkopfe. ünd auch da ist die Zahl erst durch die Sprache entotanden. Denn minder entwickelte Volker kennen ebenfalls nur Einheits- Terhftltnisse, nicht aber Zahlen. Es gibt «wilde* YOlker- schaften, bei denen man z. B. die Zahl der drohenden Feinde noch in natOrlicher Weise angibt Da diese Leute nicht zählen gelernt haben und die sie interessierende Gefahr dennoch im Verhältnis steht zu der Anzahl der Feinde, so verständigen sie sidi mit ihren Bundesgenossen, wie die

Zahlen iiowirklich.

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Natur es macht, wenn eie hundert Schafen hundert Köpfe SU geben hat Sie giht jedem den aeinigeii. tfnd sie kann sich nicht inen, weü sie eben keine Zahl kennt» Hat also unsere wilde Völkerschaft die Feinde erschlagen, so schickt sie s. B. ihre abgehauenen Köpfe oder rechten Hände oder ihre Nasen an ihre Freunde und wenn der Feinde siebaehn waren, so werden siebzehn Köpfe oder H&nde oder Nasen eintreffen. Weder die Sieger noch ihre Freunde werden Uber das Yerhältnis im Zweifel sein, obwohl sie für die Zahl sieb- zehn keine Ziffer und kein Wort haben. Genau so wie die Zahl siebzehn auch bei den Feinden nicht wirklich war. Und vor dem Kampfe werden die Angegriffenen siebaehn Steineben oder Muscheln an ihre Freunde schicken, wenn sie Hilfe be- dürfen. Auf jeden Feind ein Steinchen oder eine Muschel.

Wenn ich nun wie den andern Kedeteüen auch dem Zahlworte die Bedeutung abspreche, ein sprachlicher Aus- druck fOr Kategorien der Wirklichkeit ku sein, so kann man mir auf Grund dieser meiner Darstellung entgegenhalten: Die Zahl müsse durchaus genau der Wirklichkeit entsprechen, wenn sie auch nur das Verhältnis der Einheiten (wie bei den Schafsköpfen und Schafsherzen) zur Grundlage habe; denn c«? k:ime ja doch nur in den Zahlworten unserer Sprache zu unserem Bewusstsein, was in der Natur uubewusst aber wirklich sei, wie die Zahl cU-r Biinbiiunic in meinem Garten. Diesem naheliegenden Einwand sollte aber schon vorhin entgegengetreten werden mit den Worten, es bandle sich nicht bloss darum, dass div Birnbäume selbst ihre Zahl nicht wissen. Wieder sind wir bei dem Punkte angekommen, wo die Darstellung unseres Gedankens an den Grenzen der Sprache sclieitert. Weil wir die Wirkung einer Kraft nicht anders als durch Zahlen ausdrücken können, darum verlegen wir die Zahl auch noch in die unbewussten Dinge hinein. Wir sagen: Gut, das Bewusstsein der Zehnzahl der Birn- bäume mag allein in meinem Kopfe sein; aber was dieser Zehnziiiil in der Wirklichkeit entspricht, das ist auch in der Natur, ihr unbewusst, dieselbe Anzahl. Nein, antworteich; schon der uubestimmte Begriff Anzahl ist sprachlicher Art.

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VI. Das Zahlwort.

raet»-

Die Natur sShlt weder bewusst noch unbewusfli. Nur soviel kann lugestanden werden, dass das terfcium comparatioius iwiechen der Zahlenmetapher und den Eiiften der Wirk- liebkeit, dass der Yergleicbungspunki zwischen beiden, den wir nicht kennen, besser gewählt ist als z. B. der Ver- gleichnngspunkt zwischen dem Bedeteil SubstantiT und der Wirklichkeitskategorie des Dings. Wir kommen za dieser Vermutung, weü die matiiematischen Operationen mit Zahlen nicht so leidit zur Sinnlosigkeit fuhren wie die logischen Operationen mit anderen Bedeteilen. Was freilich daher kommen kann, dass andere Worte schlechte Bilder der Wirklichkeitserinnerungen sind, Zahlworte aber ganz un- wirklich, einzig und allein gute Bilder ihrer selbst. Aber die Geschichte der Zahlwörter wird uns doch auf einige Störungen in der Metapher dieses Bedeteils aufmerksam machen.

zahlen Vor allem dürfen wir nicht rogessen, dass unsere Zahl- wörter höchst wahrscheinlich genau so entstanden sind, wie die Wilden ihre Feinde zählten, wie der Wirt die Zahl der getrunkenen Seidel mit Strichen ankreidet, wie auf Würfeln

und Spielkarten die ZifPern durch die Anzahl der Zeichen oder Punkte angetreben werden. Freilich zählt der Karten- spieler nicht ab, ob die Karte in seiner Hand acht oder zehn Herzen zeigt. Die Gewohnheit hat seinen Blick dazu gebracht, ilas Bild des Achters oder des Zehners sofort zu erkennen, als ob es eine ZiftVr wäre. Die Anordnung ist ein Bild, ist Schriftsprache. Ebenso sind auch unsere Zahl- wörter Bilder, die wir uns anzuwenden durch Jahrtausende so gewöhnt haben, dass wir zu zählen glauben. In Wirk- lichkeit aber steckt hinter ihnen ein' Vergleichen der Ein- heiten, nicht ein Zählen.

Ein Reisender berichtet, wie die Grönländer das Ver- ständnis für ihre Zahlwörter dadurch erleichtern, dass sie Hände und Füsse zu Hilfe nehmen. Die Hände haben zwei- mal fünf Finger, die Füsse eben so viele Zehen, ein .ganzer Mensch" gelangt also mit seinen vier Extremitäten bis zum Bilde für zwanzig Einheiten. Nun zeigen die Grönländer

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Zahlen metaphorisch.

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htim Spnclwii Fingtr and Zelten tot, von denen jeder and jede iliren bestimmten Nunen hat and einem Zablworte entepiidit. Was Uber swansig ist, sdieint ilmen one on- Uare hohe Zi£Eer ni sein. Aber hundert kdnnen sie durch das Bild »lllnf Menschen* anadrttcken. Was bei den QrSn- lindem wie ünknltar erscheint, das findet sich auch in der jungem Po^e der bider. Es gibt da Lehrgedichte aus dem &. Jahrhundert nach Christi, in denen symbolische Zahl- worte gebraucht werden. Es thut nichts, dass die Symbole auf falschen Beobachtungen beruhen. Uebersetze ich die Beispiele in unser Denken, so würde die Zahl 4 auch „Mond" heissen können, weil er vier verschiedene Phasen zeigt, die Zahl 5 .Apfeiblfite', weil sie ftlnf Blätter enth'alt u. s. w. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die niedersten Zahlnamen auf dies^em Wege entstunden sind. In wie alte Zeiten diese Sprachschöpfung zurückreicht, ob die Aehn- lichkeit der niedersten Zahlwörter (bei tausend, mille, x^^^^ hört die Aehnlichkeit bekanntlich auf) auf sogenannter Verwandtschaft oder Entlehnung beruht, dartlber wurde schon gesprochen. Wir können nur annehmen, dass in vorhistorischer Zeit bereits die Bedeutung dieser Worte sich differenzierte, dass z. B. „Hand'' (mit oder ohne Lautwandel) insbesondere fünf hiess und so der neue Kedeteil, das Zahl- wort, entstand. Ich wiederhole aber, dass damit die Zahl für die Wirklichkeit nicht bewiesen i^i, dass wir nicht zu glauben brauchen, es habe in jener Zeit den Menschen der Zahlbegriif a jiriori vorgeschwebt. Bilden wir uns doch auch ein, dass unsern Kategorien des Substantivs und des Verbums je eine Kategorie der Wirklichkeit entspreche. Sicherlich haben schon (ielehrte der vorhistorischen Zeit, Ge- lehrte, deren Kenntnisse wohl unter denen unserer zehu- jabrigtn Dorfiimgen waren, Ordnung gebracht in das Ein- heitsverhiiltuis zwischen den Zahlworten und den Dingen. Es waren sicherlich vorhistorische Gelehrte, die die Grundlage schufen für unser dekadisches System. Aber die Bilder der Zahlen von 1 bis 20 mögen sie schon vorgefunden haben. Als eine Kuriosität füge ich hinzu, dass diese metaphorische

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Tl. Dm Zablwovi

Grundlage des dekadisehen Systeiiis ncli etwis Torindett auch aonsfc Torfindoi So erwihnt Stenley -der Negier-' sprachen f welche anstatt Yon zwei Händen bkws von emer Hand ausgehen, das heisst ein FUnfersystem besitzen. Sie

zählen demnach von eins bis ftlnf, wie wir von eins bis zehn und bezeichnen acht, neun wie wir dreizehn» vierzehn. In einer dieser Sprachen heisst z. B. 1 ben, 2 yar, 5 gurum; 6 heisst also gurum ben, 7 gurum yar u. s. w. Aehnlich hatten die Azteken, die .Ureinwohner* Mexikos, ein schön ausgebildetes Zwanzigersystem. 93 wurde ausgesprochen 4 X 20 -j- 13. Das quatre-vingt-treize der Franzosen ent- spricht genau diesem aztekischen Ausdruck ; und die Grund- zahl 20 entspricht der Psychologie der Grönländer, denen ,ein ganzer Mensch" mit zwei Händen und zwei Füssen eine Metapher für 20 ist. In die Psychologie jedoch der Neu- seelander, welche 11 zur Grundzahl haben un(-I in die eines südainpriknTiischeu Indianprstammes, welcher die 2 zur Gnmd- zahl mmmt li^l, können wir uns freilich nicht mehr kinein- leiiken. Für die Verschiedenheit der Zahlensysteme einer- ücits und der ich möchte sagen syntaktischen Zahlen- hezeichnun^T anderseits, ist die folgende Tabelle, die ich f'inpr Studie von Hermann Schubert entnehme, sehr be- lehrend. Es wird z. B. die Zahl 18 auf mindestens zehn verschiedene Arten gebildet

Deutseh ' . . . 8,10 (achtzehn) Französisch . . 10,8 (dix-huit)

Lateinisch . . 10-4- 8 (decem et octo)

oder . . 20 2 (duodeTiginti) Griechisch , . 8+10

Bretonisch . . 3x6 Wallisisch . . 2x9

Aztekisch . . 15 -f" 3

Neuseeländisch . 11 -f- ^

Aphö .... 12 H- 6.

Diese Tabelle betrifft nur den sprachlichen Ausdruck und beweist darum an sich nichts fttr meine Behauptung, dass

Hei'hnea eine Gründung.

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wir die Dinge in tiefem Grunde unse» Gehirne niehi zSUen, sondern nnr Bilder der EinheitByerli&Waniiwe Toretellen. Wenn wir aber erwSgen, dase die dabei Torgenommenen mathe- matiseben Operationen des Addierens, Subtrahierens nnd Mnltiplirierens niebt eigentlioh ans der Nalnr genommen, sondern nnr uns zur zweiten Gewohnheit gewordene Ab- ktlnangen und Bequemliehkeiten der üebersicht sind, dass diese mathematischen GrundbegiüFe Uetaphem sind fttr ganz andere Yoigiage, so werden wir uns vieUeieht etwas leiditer mit dem Oedanken vertraut machen kennen, dass auch die Gnmdsahlen 5, 10 und 20 die Dinge nicht gezählt haben, sondern in den Metaphern Hand, Finger, Mensch höchst primitive Mitteilungen enthalten, wie sii in h einem noch nicht füllenden Volke zuzutrauen sind. Die Thatsuclie, da^ diesen Bildern irgend etwas entspricht, ist sehr erfreulich und bequem für uns. Warum wir aber mit Hilfe dieser Zahlen und Zifiera recHnen künnen^ das wissen wir noch weniger wie den Grund mancher Ueberraschungen in den mystischen Zahlenquadraten und ähnlichen Spielereien.

Sodann: gäbe es in der Wirklichkeit dieselbe Kategorie Rechnen der Zahl wie in unserer Sprache, so miisste unsere Rechen- methode, weil sie ein Geheimnis der Wirklichkeitswolt ent- litiUt hätte, eine Entdeckung heissen. Instinktiv spredton wir nber da von einer Erfindung. Die Bezeichnung Er- findung gilt aber nicht allein etwa unserem dekadischen Zahlensystem; man darf also nicht glauben, dass das zu- fälhge System allein eine Erfindung wäre , die Rechnung aber eine Entdeckung. Auch die Algebra, die zu jedem Zahlensystem pa.ssi, ist niii- « itie Erfindung und keine Enfc- (ieckung. Es wird in diesem Zusammenhange auch nicht mehr schwer fallen einzusehen, dass auch die übrigen llede- teile unserer Sprache Erfindungen sind, Erfindungen in jedem Sinne des Worts. Wenn die alte Kategorientafel, die sich seit Aristoteles bis auf unsere Tage weiter geschleppt hat, eine tiefere Bedeutung hätte, su müsste man die ihr ent- sprechenden Redeteile ebenfalls Entdeckungen der Menschen nennen, was fUr mein Sprachgefühl etwas unsäglich Lächer-

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VI. Du Zahlwort

liches hätte. Die ramisehe Schreibart der Zahlen, die ähn- lich wie bei den Chinesen (ebenso wenig konsequent) auf der Addition der Zahlenseichen beruhte, war schon eine hübsche Erfindung. Eine Terbeaserung der Erfindung war

es, als auf den Rechenbrettern der Griechen und Römer (ubacus) der Stellenwert für die einzelnen Ziffern die Ad- dition erleichterte. Es gibt heute noch slavische V<}lker, die das Rechenbrett bendtsen. Eine neue Yerbesaerung der Erfindung, eine epochemachende Verbesserung war es, als die Inder vor anderthalb Jahrtausenden die Null erfanden, die sie recht geistreich tadphra nannten, »das Leere". (Das Wort kam Über Arabien zu uns und verwandelte sich da und dort in zero, Ziffer und chiffre.) Es war damit die Rechen- kunst sehr vereinfacht und als im 13. Jahrhundert die mit der NuU bewaffneten Algorithmiker, die SchUler der Araber, über die Abacisten, die Schüler der Römer, siegten, war unsere gegenwärtige Rechenkunst erfunden , wie etwa die Dampf- maschine durch den antoniatischen Heguhitor fertig erfunden war. So ist alles Ei-ündung, was den Gebrauch der Grund- zahlen bequem gemacht hat. So wenig Logarithmen irgendwo in der Wirklichkeitswelt exi.stieren, und so wenig ihre Er- findung eine Entdeckung war, so wenig rechnet die Natur. Und die Gruudswihlen sind Gruppenbilder von Einheitsver- hältnissen. Die Zahlen smd Bilder von Verhältnissen, aber nicht so wie Begriffe Bilder von andern verglichenen Vor- stellungen sind. Zahlen sind keine Begriöe (I. S. 189 f.j. Zahlen sind unmittelbare Zeichen (abgesehen davon, ob sich die arabischen Ziffern 1 5 wirklich aus 1 5 Strichen er- klären Hessen oder nicht); sie sind unmittelbare iSchrift- sprache. Wir lesen sie, wie der Chinese seine Schrift; wir lesen die Ziffern, die grösseren gewiss, in einem französi- schen Buche deutsch.

SSaM, Für das hohe Alter unserer Grundzahlwörter spricht

^ il^d'" Begriffsworte, das heisst als konkrete

Nouea. Metaphern wie Hand, Fuss u. s. w. nicht mehr nachweisen

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Zahl, Verbum and Nomen.

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küiiLieii, so wenig wir mit Sicherheit die unregelmässigen Zahlwörter Schock, Mandel, Stiege und dergleichen etymo- logisch bestimmen l^imeii. Es ii^ aber wohl mdglieh eine Urzeit sich Tonostelkii, in welcher ein zahleneifindendes Volk es bis SU 8 gebracht bitte, ab«r darüber noch nicht heranagekonunen war, oder gar nur bis zn 2, so dass die 3 bereits die allgemeine Hehrzalil war, wie fUr den OrOn- linder das, was Uber 20 ist. Denn bitten wir uns in jene Zelt die Entstehung der Anzshlbeaeichnung unserer Sub- stantiTe und Yerben zu denken. Es schdnt sich noch nie- mand darüber gewundert zu haben, dass diese sonst so durchaus Terschiedenen Redeteile beide die Zahl bezeichnen können, was doch nach unserer Psychologie nur dem Sub- stantiT natürlich ist Wie aber, wenn in jener ürzeit Sub- stantiv und Verbum noch gar nicht geschieden war, dagegen aber bei jedem Ding und bei jeder Handlung von Wichtig- keit schon, ob Ding oder Handlung einmal, zweimal oder ▼ielonal das hdsst dreimal da war? Wie wenn in allen aolchen FSllen der Singular, Dual oder Plural bezeichnet worden wäre imd durch Analogie diese Formen auf alle Substantive und Verben abertragen worden wären? Wie nun gai% wenn die Menschen jener Urzeit bei dieser primi- tiven Vergleichung der Einheitsrerhältnisse so wenig an dn Zählen gedacht hätten, dass sie das Verhältnis dieser drei Zahlen fUr das pronominale Verhältnis hielten und 1 mit ich, 2 mit du (dva), 8 mit er gleichgesetzt hatten? Worauf gleich zurückzukommen.

Wenn dieser Oedanke nur einen Schimmer von Aehn- lichkeit mit der Wahrheit in sich hat, so muss er uns lehren: dass der Zahlbegriff den Menschen nicht immer eigen war, dass ausserordentlich grosse Zeiträume vergingen, bevor der Mensch auch nur die niedersten Gruppen der Ein- heit vergleichen lernte, dass also vielleicht nur die ererbte Gewohnheit, mit diesem Redeteil, dnn Zahlwörtern, zu ope- rieren, uns dazu verleitet, die iiategorie der Zahl in die Wirklichkeit selbst hineinzudenken. Ich füge die kleine Be- merkuug hinzu, dass die sogenannten unbestimmten Zahl-

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VI. Dm Zahlwort

Der Dif-

wörter mit den imbcstimmten Fflrwörtern (z. B. etwas im ■djekÜTischeii Gebrauch) nocb heute lUBammenfliessen*

Wollen wir den Zahlenaberglauben des Pythagoras mit

'Si^ff! neuesten mathematischen Abeiglauben TSigleichen und uns damit unserer eigentlichen Fraget was die Zahl sei, nlhem, so mttssen wir auf diejenige Erfindung eingehen, durch welche das gegenwärtige Rechnen sich grundsitalich von dem Rechnen aller früheren Zeiten unterscheidet, auf die Differential* und Integralrechnung, die keine Entdeckung ist, sondern nur eine Erfindung, die mir aber den Beweis zu liefern scheint, dass wir für die Naturbetracfatung die Zahlen, die in der Natur nicht sind, nicht einmal als Krücken brauchen. Ich bin mir der gefährlichen Vermessenheit wohl bewusst, mit welcher ich ohne rechte Erf abrang im Dif- ferenzieren auf allgemeine Kenntnisse hin den Begriff sprach- lich untersuchen vrill; aber gerade die Mathematiker haben den Begriff, den sie doch erfunden haben, erkenntnistheo- retisch wenig gefördert und vielleicht übersieht derjenige eine Landkarte besser, der sie sich selbst för seine Zwecke ver- einfacht hat. Wie zur Philosophie Piatons niemand ohne einige Kenntnisse der Geometrie zugelassen werden sollte, so verlangt die Erkenntniskritik einige Vorstellungen von der hohem Analyse. Wer sich der jedoch ganz gewidiuet hat, pflegt für erkenntniskritische Fragen keine Zeit übrig zu haben und den Differentialbegriff als ein imerkiarhehes Geschenk des Himmels zu betrachten, als ein (ieheinmis der Natur, wie man sonst die Zahlen ansah.

Ich habe vorhin gesagt, nach unserm Sprachgebrauch seien die Grössenverhältiiisse der Wirklichkeit durch Ent- deckungen zu erfahren, die Zahlen jedoch, durch welche diese Verhältnisse bestimmt werden, durch Erfindungen zu messen. Wie sehr unser Rechnen mit dem dekadischeu System eine Erfindung sei, erhellt vielleicht deutlich bis zur Lustigkeit aus der Art wie (nach Pott) irgend ein wilder Volksstamm drei Menschen zu einer lebendigen Eechen-

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DübranüallMgriir.

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nascliine n^g bat, wean mehr als hundert H&ute gezählt werden sollen. «Einer zählt dann an den Fingern die Ein- heiten, indem er von der linken Hand mit dem klein«! Finger beginnt und reihenweise an den Händen die Finger einen nach dem andern streckt. Der zweite Mann beginnt ebenfalls mit äem kleinen Finger an der linken Hand der Reihe nach durch Ausstrecken der Finger die Zehner bis zum letzten Finger der rechten Hand, das ist bis zum kleinen Finger zu zählen. Der dritte Mann hat die Aufgabe durch Streckung der Finger die vollendeten Hunderter anzudeuten."

Se uon e vero, e molto ben trovato. Stellte man den ersten Mann, den Einer-Mann rechts auf, den z'^veit'^n, den Zehner-Mann links iiri)oa den ersten und den dritten, den Hunderter-Mann wiedri emen Schritt weiter nach links, so besass mnn eine Erliiiiiunir, die ziVmliclx (?enau der Hechenmaschiue der Roms i-. iil itMh[iu] it jedem lu'diueu vor Erfindung der Null entsprach. I)ie Erfindung des Rech- nens mit dem dekadischen System ist bedeutend ver- bessert worden; schon das ßechnen mit Logarithmen wäre durch eine lebendige Rechenmaschine nur schwer darzu- stellen und vollends die Differentialrechnung ist eine sub- tile Ertindung. Eine Erfindung ist sie dennoch. Was dem Differentialbegriff als Wirklichkeit zu Grunde liegt, ist das Verhältnis zwischen veränderlichen Grössen. Verhältnisse müssen entdeckt werden, aber diese Verhältnisse lagen auch schon früher zu Grunde und dass der Differentialbegriff auf veränderliche Grossen angewandt wird, wllirend die be- stimmten ZaUen fllr imTerSnderEdie GrOasen zu genügen sdiienen, nimmt ihm nichts Tom COiaralter eines Instru- ments.

Dieses Instrument wurde gesucht und erfünden als die führenden Geister Kepler, Galilei und Newton die Aufgabe lOsen wollten, die geometrisch und sahlenmSssig berechneten Bahnen der Haneten physikalisch zu erkllren durch Be- wegung. Stellte man sich die Bahnen als fertige EUipsen vor, so konnten sie nach altem Brauche durch Zahlen ge- messen werden. Stellte man sich dieselben Bahnen als ent-

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VL Bat Zahlwoit

stehend vor, erknmle man gar ihre Verwandtscliaft mit den Bahnen geworfener irdischer Körper, SO stand man Yor minimalen Anfangsgeschwindigkeiten, vor minimalen Rieh- tungsänderungen und keine Zahl war klein genug, um un- endlich kleine R'aumc, unendlich kleine Zeiten und unendlich kleine Geschwindigkriten in der Rechnung zu vertreten. Die Notwendigkeit, eine unendlich kleine Einheit zur untersten Re< liiiungsgrösse zu machen, ergab sich vor allem hei den minimalen Kichtungsänderuugen. Jeder i'unkt einer Kurve war identisch mit dem Punkte seiner gradlinigen Tangente und deiuiuth erzeugte die Beweirung des einen Punktes einmal eine Lnue , das andere Mal eine Kurve von

bestimmten Verhältnissen. Dachte man sich den kurven- erzeugenden Puukt alü eine Linie von unendlich kleiner Ausdehnung, so ergab er mit den dazu gedachten Abscissen- und Ordiuatenveränderuugen ein unendlich kleines rechtwink- liges Dreieck, das selbst wieder ein Punkt war, auf weiches jedoch der Pythagoreische Lehrsatz anwendbar bheb. Die Liiut' von unendlich kleiner Ausdehnung drückte das Ver- hältnis von Ahscisse und Ordinate aus. So konnt4iU zum erstenmale, seitdem Menschen auf der Erde sich zum Masse aller Dinge gemacht hatten, die der Wirklichkeit zu Grunde liegenden Verhältnisse gemessen werden, ohne dass Zahlen bemüht wurden. Denn die der Wirkliehke^ in Grande liegenden Yerhilfaiisse sind immer Verhiltnisse T«iinder^ lieber QrOssen. Alles fliessi. Der Diffi^'entialbegriff war das Instrument fttr das zahkniose Messen wirklicher Ver- hiltnisse. Das Differential ist nicht mehr und niolit weniger als die minimale Einheit in den Naturrorgängen; so wenig es aber da eine wirkliche Einheit gibt, so wenig ist das Differential wirklich. Es ist durch geniale Mathematiker nach anstrengenden Tentandesoperationen in den KalkOl eingeführt worden; die einfachste Ueberl^ping mnss jedoch lehren, dass auch die Eins, die sprachlich so wohlbekannte Einheit unseres IXtleoB, ebenfaUs nur durch einen genialen Kopf nach einer höchst abstrakten Verstandesoperation in die Rechnung, die freilich dadurch erst möglidi war, ein-

Newton und Leibus.

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geführt werden könnt o. Die Integralen: Eine Sekunde, Eine Trillion, JSüne Sprache, Eine Art, Ein Ton, Eine Farbe sind, wenn wir von unserer ererbten Spracbgewohnheit absehen, nicht weniger abstrakt als ein Differential. Das Differential ist ein so neuer, dem Altertum so gänzlich unbekannter Begriff wie das Telephon; Ei-findungen sind beide. Newton erfand das Instrument als er es brauchte; Newton und er brauchte es, ^vpil rlns Bedürfnis nach diesem Instru- fJSü!i«. ment sich seit hundert Jahren langsam entwickelt hatte. Er sah vielleicht weniger klar als Leibniz den Unterschied zwischen lim Unemllichkleinen der antiken Mathematik und dem voji ihiu eingelührt«n Beerriffe. Wf»Tin die G-riechcn bei ihrer Quadi'atur des Zirkeh 'lio Exhaustioubnirth()de an- wandten und nach ihr den Flachenunterschied zwi.sthen dem Kreise und dem eingeschriebenen Unendhcheck als unendlich klein aunahuieii, so waren sie dabei weit von der Erfindung des Differentialbegriffs entfernt, weil sie nur die Fläche des fertigen Kreises ausrechnen, nicht aber die Entstehung des Kreises als Bewegung erklären wollten. Der Sinn des Dif- ferentialbegriffs ist aber in Newtons Ausdruck 1- luxiun meta- phorisch gut ausgesprochen; er war dem Vorgänger Ca- vaheri entnommen; wenn die zu messende Wirklichkeit fliesst, so ist die Beweguugseinheit oder Veränderungseinheit Xeder minimale Akt des Fliessens, die Fliudon. Ldbniz daekfee abeftraktor, kOlrner, fassbe rasdi den Gedanken, dass die Differentialeinheili wirklicher sei als die ZaU und woUie das Endliche durch die Litervention des Unendlichkleinen bestimmen. Van kann wohl sagen, dass Newton die Fluxion erfanden hat, daes Leibniz das Differential zu entdecken glaubte, daa heiast daas Newton die Differentialverftnderung mehr als ein Instrument auffasate, Leibniz in ihr mehr eine Realität sah.

Dieser G^DpensatK geht seit zweihundert Jahren durch alle Versuche, den Differentialbegriff logisch zu begrOaden. Auf der einen Seite stehen diejenigen Begründungen, welche die hdhere Mathematik auf die Elementannathematik sarttckfnhren möchten (was Übrigens Newton und Leibniz

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TL Dm Zahlwort

ferentUl

selbst schon thaten) un*l zu diesem Zwecke das Differential abwechselnd der Nuil gleich setzen und es als relauvo Null wieder in Rechnung stellen; Leibniz scheint dieseu üegen- satz gelegentlich für einen Wortstreit zu halten, wenn er das Differential einmal als einen m n lus loquendi bezeichnet. Auf der andern Seite steht die Einptindung, dass das Dif- Dif- ferential, richtiger die Dift'erentialveränderung eine Realität sei, in der Darstellung von Hermann Cohen („das Prinzip der Infinitesinial-Methode") die * iu/ij^o' wirkliche Realität, die einzige intensive Grösse, die tiuzigu Zahl, welche nicht bloss Relativität besitzt. Man muss seine Vorstellung uai von dem naiven Realismus befreien, welcher die sinnliche Wahrnehmung zum Prüfstein der Realität macht, welcher schliesslich auch noch Kant zwar in der Wirklichkeitswelt ein« ÜTBcheiiiung, das Ding-an-dch jedoch in etwas Hand- grdflicheiB hinter der Realität erblicken lint Die Dif- ferentiattndentng wird dadurdi snr jüngsten Form des alten Steins der Weisen ; sie ist das Perpetuum mobile (sie ist es wirklich), sie ist die Quadratur des Zirkels (sie leistet sogar die Quadratur aUer Keg^sehnitte), ^e kann die similiche wie die geistige Welt erseugen und kann zuletzt auf die Ent- stehung der einen Welt aus der andern angewandt werden. Die Differentialftndenmg kann aUein helfen, dem jetzt herr- schenden Entwidkelungsgedanken einst eine mathMualasche Unterlage zu geben. Uns freilich wird die Differentialande- rung zugleich an das ä peu prte erinnern, wdches wir in jedem Begriffe versteckt gefonden haben.

Die Metaphysik des Begriflk der Differential&nderung, die streng logische Begründung der Dlfferentialeinh«t führt zu unlösbaren Widersprüchen, jedoch nicht zu andern Wider- sprüdisil als zu denen auch die logische Begründung der wohlbekannten Einheit, dar Eins unserer Zahlenreihe führen musste. Wollen wir unserm Ziele näher kommen, der Frage nach dem Wesen der Zahl, und darum zunächst den Zahlenaberglauben unserer Tage durchschauen , so müssen wir die Metaphysik des Differentialbegriffs preisgeben und ihn daraufhin betrachten, was seine rechnerische Anwendung,

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Differential und Katur.

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abgeseheu von den selbstherrlichen Schai-fsiniiigkeiteii der i>i(- böchsten Mathematik, zur Erkenntnis der Wirklickkeitüwclt ^^^^"j'* beiträgt. Und da scheint es mir doch richtig, dass alles Naiur. ältere Rechnen nui* die Grössenverhältnisse der Natur ver- gleichen, das heisst ihre relativen Quantitäten l)estin)men konnte, während der Begriff der Differentialiindei ung ein Symbol ist dieser Verhältnisse oder Quantitäten selbst und damit der erste Versuch, den Qualitäten der Wirklichkeit erkenntnistheoretisch beizukommen. Das lässt sich sogar auf die einfachsten Probleme der Differentiabrechnung aus- dehnen. Als ArchUnedoB nch mit der Quadrabir Ton Kegel- schnitten heschfiftigte, wollte er nur ihr relatives YerhUtnis zn bequemer ansmessbaren Fliehen bestimme; die Dif- ferentialrechnung sagt von den Kegelschnitten, wie sie durch Bewegung entstehen, also wie sie sind. Auch die alte Geo- metrie erzihlte in ihrer Weise, wie Kegelschnitte für unser Ange gemacht werden können; aber sie ahnte nicht, wie sie an sich entstehen. Auf dem Gebiete der Mechanik und der Chemie hat es die Differentiabrechnung eigentlich immer nur mit Qualititen zu thim und der ungeheure Fortschiitt unserer Zeit Uber das Altertum besteht eben darin, dass es zuerrt in der Mechanik, dann aUmahlich auch in der Chemie gelungen ist, Qnalitilten durch relative Quantitäten aus- zudrflcken. Zuletzt muss freilich immer die bestimmte Zahl heran; aber der Hinblick auf die Differentialftnderung muss es jedem klaren Kopfe nnabweislich machen, dass in den bestimmten Zahlen nur Symbole von Relativitftten vor- handen sind, so gut wie in der Differentialrechnung die ^ull zur relativen Grösse wird und das unendlich kleine Dreieck, das wir uns für das Verständnis des Tangentenproblems vorstellen müssen, in seinen drei Seiten drei Nullen von be- stimmter Relation bietet.

In der Phantasie oder Theorie befreit uns der Dif- ferentialbegriff von der konventionellen Einheit, die es in der Natur nicht gibt; in der Phantasie oder Theorie dringt das Differential unmittelbar in die Natur ein und schafft ein Korrelat zum Thätigkeitsbegriff, zur Bewegung, wofür Maatbner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, in. 11

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VI. Daa Zahlwort.

wir sonst (wie wir gesehen) keine Worte haben. Nur meta^ phorisch aber leistet das Differential diesen IKoist und darum durfte ich eben Theraie und Phantasie gleich setMn. In der Praxis ist daa Differential nur ein feineres Instrument als die Ziffer, schafft es nur eine kleinere Einheit FOr eine bestimmte Dynamo ist (weil Edt = Csinada)

uud endlich

E = 4Cn, weil n (Toureniahl) = ^ ist.

Für die in dieser Formel nicht ausgedrückte Zahl der Spulen ist die diskrete Zahl das unmittelbare Zeichen; für die fliessende Bewegung der Spulen und das Kraft anwachsen und -nachlassen im Feld ist die alte ^Fluxion" ein bessere» Bild als die Zahlenrechnung, aber doch nur ein Bild; im Resultat fehlt das Bild, mit dem der Elektrotechniker nicht das kleinste Licht anzünden könnte; auch fUr t (die Zeit) wäre das Differential so ein Bild, wenn wir nur wüssten» ob das Bild von etwas Wirklichem oder das Bild von einem Bilde.

Der Gegensatz zwischen der modernen und der alt- griechischen Naturphilosophie zeigt sich ausser in der Un- menge von Einzclbeobachtunpi'en , die in der Mechanik seit Galilei, in der Chemie seit etwa hundert Jahren das Bild verändert haben, vielleicht am besten darin, dass im Alter- tum die Atomistik und die geheimnisvolle Zahleulchre des Pythagoras unvereinbar schienen, während gegenwärtig die Atomistik mathematisch geworden ist. Das hat der Begrili' der Dillerentialverändeining dadurch bewirkt, da.ss er die Qualitätsversehicdenheiten vorstellbar machte. Man lacht heutzutage über die deutsche Naturphilosophie aus dem An- fang des 19. Jahrhunderts. Das Lachen knüpft sich immer an den Kamen Schelling. Man denkt nicht <laran, das.^ Hegel in seiner Habilitationsschrift (18<)1) die Planeten- abstände mit Hilfe einer mystischen Zahlenreihe des Pytha-

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Atomistik.

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goras zu deuten suclite, um )>aM darauf rhirrh neno Ent- deckiiiiiren Lügeji ge>ttalL zu werden. T^i' di iit ^ he Natur- philosoplue wollte nur, was die Philosupkie iriimer gcthan hat, mit unzureichenden Mitteln die Welt erklären, wollte nur mit der Sprache von heute in das Wissen von morgen hineinspringen, trotzdem Wissen und Sprache einerlei ist uml darum die Sjtrache oder das Wissen niemals von der Zukunft borgen kann. Mit unendlich reichern Mitteln will die gegenwärtige Atomistik dasselbe, soweit sie Naturphilo- sopliie ist.

Zwei Uauptgcbiete der gegenwäi-tigen exakten und mathematischen Naturwissenschaft mögen zeigen, dass trotz der epochemachendeo Bereicherung unseres Rediensjstcms durch da« Biffinfential auch heute noch die Rechnung in den letzten Fragen der Naturerkenntoia in Mystik übergeht Wenn naturwisaenschaftliche Köpfe rUhmen wollen, wie wir es 80 herrlieh weit gebracht haben, so weisen sie auf die Entwicklung der Mechanik seit mehr als zweihundert und auf die Entwickelung der Chemie seit hundert Jahren; und doch heissen die Begriffe, in deren Dienst niedere und höhere Mathematik arbeiten mflssen, immer noch Gravitation und Affinitiit, Namen, von denen niemand weiss, ob sie Gott- heiten, Erilfte oder z bezeichnen.

TTeber die seit Newton nur klarer gewordenen Schwierig- or»vi- keiten des Gravitationshegriffs wDl ich an dieser Stelle nichts Neues zu sagen versuchen. Nur eine Bemerkung zu dem geistreichen Hinweis von Lange, dass die Bestätigung der Atomistik durch rein theoretische Entdeckung neuer Ele- mente höchstens in gleichem Lichte betrachtet werden könne, wie etwa die Bestätigung der Lehre Newtons durch die Entdeckung des Neptun. Lange wendet ein, dass die Ent- deckung des Planeten Neptun nichts Aber die Ursache und Geheimnisse der Gravitation verrate, gibt aber zu, dass die Hypothese Newtons durch diese Entdeckung eine glänzende Bestätigung erhalten habe. Ich kann nach genauer Prüfung nicht einmal das zugeben. Zu einer Vermutung Uber dea Ort des Neptun hätte auch ohne die Gravitationshypothese

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VI. Das Zahlwort.

eine genaue Abmessung der Planetenbiihiieii, eine exaktere Weiterftlhrung der Keplerischen Gesetze führen müssen. Die That Newtons wird durch diese Bemerkung nicht rerkleinert. Habe ich aber rechfc mit der Annahme, (la<?s exakt bdob' achtete Planetenbahnen auch ohne jeden £rklärungsvenacb zur Vermutung des Neptunortes hätten führen können, so folgt daraus für uns etwas Wichtiges: dass vor Einführung der FhlxSonsreehnimg in die Astronomie deren Zahlenver- hältnisse auffindbar waren durch die Hilfsmittel der alten Mathematik. Und sieht man frei in die Frage hinein, so erscheint die Zahlenharmonie von Pythap^oras und Heitel zur Erkenntnis des Planetensystems von der Zablenharnionie Keplers nur dadurch versclüeden, dass Pythnirnras phan- tastische , Kepler gut beobachtete Zahlen in Kechnung ge- setzt hatte. Was durch Zalileaverhältnisse ausfrodrückt werden konnte, das war schon der alten Mathennitik mög- lich. Was die Einführung der Fluxionsrechnung, die rech- nerische Verwertung der Differentialänderung hinzuftlgte, war nicht ein neues Wissen, sondern nur die Vorstellung von einer mythologischen TIrsaclie, von der Gravitation. Wir wollen uns merken, warum das wohl so kommen musste: weil es in der Natur nicht Zahlen gibt, sondern höchstens Zahlen- verhältnisse, weil diese Verhältnisse uns nur in Zahlen er- kennbar sind und weil das Differential der fast übermensch- liehe Versuch ist, die Verhältnisse selbst und unmittelbar

und ohne Zahl zu Uberblicken.

Auch die Zuverlässigkeit der Atomistik scheint vielen Forschern dadurch bewiesen, di»s auf dem W' ege atomisti- scher Theorien neue Elemenie, also doch auch WelÜcQrpw, gefunden worden sind. Dagegen ist schon von Lange und auch von Helmholtz eingewandt worden, dass jene atomisti- sehen Theorien das Atom in der WirkUchkeitswelt fanden, weil sie es bei Beginn ihrer Schlussfolgernngen voraussetzten. Zur Entdeckung der neuen Elemente führte die gdstreiche Analogie zwischen guten Beobachtungen; die Theorie war eine Verzierung. Erstünde uns, mehr als zweihundert Jahre nach Robert Boyle, ein neuer Ghemista scepticus, so wtttde

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Affinität.

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er gegen die grandlegenden VorsteUuiigeii unserer Atomisten lebbftfber auftreten können als unsereiner es vennag. Kekal^ hat sdion 1861 gesagt, dass Atome weder gemessen nock gewogen werden kOnnen, dass nur Betrachtung und Speku- lation zur hypothetiscken Annahnie'bestimn^ft r Atomgewichte fuhren kann; und gegenwärtig streiten die Theoretiker der Physik immer noch darQber, ob die Atome stoiflose Kraft- ausgangspunkte seien oder doch unendlich klein ZU den- kende Körpor. Es wiederholt sich beim modernen Atom die Frage der DifFerentialmetaphysik; auch das Atom wird bald als einzig geu'eljene intensive Grösse bald als Null auf- gefasst, stofflich als absolute Null, dynamisch als relative Null. Schon Gnv-Lussac hat die Atome wie Differentiale der Körper betrachtet.

Auch hier stehen die bestimmten Zahlen und die Dil- AtfinitAt. ferentialrechnun^ im Dienste eines unkontrollierbaren Be- griffs, der in der Zeit der Alrhymie als Aftinitiit auftrat und trotz aller Vorkleidungen auch aus der nio«Uriien Clicniie nicht auszumerzen ist, weil er «diliesslich doch nur die Ur- sache der wirklichen Erscheinung anzugeben sucht, dass die chemischen Stoti'e sieh l)al(l verbinden, bald nicht verbinden. Den Charakter der rrsacli(> hat dor Bcsfriff allmählich ver- loren; er ist beinahe zu einem Austhuck ftlr die unerklärte Thatsache geworden. Die will man aber (hx h erklären und die modeine Chemie hat auf (irund von Erfahrungen, deren Fülle ein Laie si( herlich nicht zu übersehen vermag, mit Hilt\^ namentlich der mnltiplen Proportionen die Erscheinung so gut beschrieben, dass die Beschreibung einer EikUuung zum verwechseln ähnlich sielü. Es ist aber erstaunlich, wie klein die bestimmten Zahlen sind, innerhalb deren sich diese periodisch veränderlichen Grössen bewegen. Es mutet an, als wäre die Natur bei der Auswahl ihrer Elemente aber die Anfänge des Z&hlens nicht hinausgekommen. Aber da soll noeh mehr erklärt werden, da soll das YerhSltnis zwischen den unbekannten Molekfilen und den unbekannten Atomen klar gemacht werden, da soU ftlr die makroskopi- sche Vorstellung gezeigt werden, wie und warum das Atom

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VJ. Das Zublwurt.

in bdderlei Gestah, das werdende Atom und das gewordene Atom, sich zu dem Atom anderer Elemente so und nicht anders verhalt, wie und warum die Atome in den MolekOlen einen Tanz ToUziehen, der nicht Uhel an die Harmtniie der Sphären erinnert, wie und warum jedes Atom wieder als eine Welt im Verhältnis zum Atom zweiter Ordnung steht tt. s. w. Alle diese geistreichen, die Beobachtung sicherlich ordnenden, die Forschung anafemden Phantasien haben nur den einen Zweck, das zu erkl&ren, was man früher Aflinit&t genannt hat; denn wenn in den Kdrpem sich nicht rer- schiedene Elemente mischten, wQrde man schwerlich die Hypothese so weit treiben, um bloss die letete Zusammen- setzung der Körper begreiflich zu machen. Wieder sehen wir, dass die Verhaltoisse der Elemente sich recht gut durch Zahlen ausdrucken lassen und dass wir durch die Einführung der Differentialänderung nur den Versuch machen, das Ver- hältnis der Elemente Tor aller Messunt^, im Koimzustande zu Uberrumpehi. Darum kann sich die Theorie bei dem Atom erster Ordnung nicht genügen hissen; darum klimmt der menschliche Geist weiter zum Atom zweiter und dritter Ordnung, bis er sich eingestehen muss, dass diese Ordnungen ebensowenig ein Ende nehmen können wie die Reihe un- serer gewöhnlichen Zahlen. Dazu kommt noch Eins, um diese atomistische Theorie bedenklich erscheinen zu lassen. Tn der Rechnung kann man das Differential zweiten Grades im Verhältnis zum Differential ersten Grades vernachlässigen, ebenso das Differential dritten Grades im Verhältnis zum Differential zweiten Grades. In der Rechnung, aus prakti- schen Gründen. In der Naturerkenntnts der Atoniistiker jedoch, die Naturerkläninj^' l)iett'n iniW Ute, niusste das Atom des ii-ten Grades erst der wahre Jakob sein, erst die wir- kende, die erzeugende intensive Grösse, erst die let/.te Er- klärung; und da unser Verstiind. fast möchte ich .sagen, nach seinen Fallgesetzcn . hinter dnn Aton) n-ten Grades unwiderstehlich zum Atome (n -f 1 )teu Grades vurdringt, so kann der arme N'crstand auch bei der Atomistik nicht zur Ruhe koiumcn.

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Eraft nnd Stoff.

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Die Gegenüberstellung der modernen und der alten Kr»ft zahlengljlubigcn Weltanscbauung hatte filr uns nur den einon Zweck: darauf hinzuweisen, dass für die bildliche Uebersicht der in der Natur beobachteten Zahlenverhilltnis'^f" die ältere Mathematik genü^, dass der Differentialbegritt" zur V^orstell- barkeit der mathematischen WeUarr-Thnnung nichts V)eiträ£?t. Wird er in der Mechanik oder m der Chemie reclinerisch benutzt, so ist aus der Vorstellung des Uechtiers nicht nur alle Dillerentialnietaphy.sik , sondern sognr jcil*' Beziehunsj zwischen algebraischen Zeichen und VV irklu hkeit verschwun- den; die Rechnung geht ihren eignen Weg. Was aber zur letzten Erklärung an Hypothesen erfunden worden ist, z. B. die Begriffe Gravitation un(i Atom, das wird durch den Dif- ferentialbeirriti' nicht anschaulicher. Ich fürchte sogar, dass noch nienial.-. ein Mensch im stunde war, die beiden Be- griffe, die erst durch Verbindung zu eiuem Satze etwas zur Welterkl'ärung beitragen können, wirklich zusammen zu denken; ich fürchte, dass die Gravitationshypothese, welche im ganzen und grossen das Wesen der' Kraft, und die ato- mistische Hypothese, welche das Wesen des Stofis zu er- USren snelit, gar nicht im Denken veninigi werden können, dass es eine Selbsttäuscliung der sprechenden Menschen ist, wenn sie die Worte Kraft nnd Stoff in einem Satse Ter- einigen, während sie doch dabei bald vor dem Spiegel stehen, bald hinter den Spiegel springen. Die Atomistik gibt vor, irgend ein winziges Stofiteilchen immer in der Phantasie zu behalten, wfthrend sie den Stoff doch in eine Bewegung durdbeinandertanzendw Eraftausgangspunkte auf' löst; das zeigt sich am grellsten in der hoch entwickelten Wtonetheorie, ohne welche die neuere Atomistik der Oase und damit überhaupt die neuere Atomistik nicht zu denken ist. Die Bew^i^ng wiederum, welche, einmal Torhanden, sich recht gut rechnerisch durch die Zahlenverhiltnisse in Raum und Zeit ausdracken Ifisst, welche in ihrer Entstehung und in ihrer Wirkung Eraftbegriffe voraussetet, kann nicht umhin bei den verursachenden wie bei den verursachten Kräften die Masse zu verlangen, also gerade das Stoffliche,

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VI. Daü Zaiilwort.

das die Atomistik eben in Kräfte AufgeUtet bat. Es ist ein Yenerspiel des Verstandes, der je naeh seinem augenblidc- lieben Literesse entweder den Stoff hinter der Kraft oder die Kraft hinter dem Stoff nicht sieht. Wie man auf einem Veiierbilde je nach der Richtung der Aufmerksamkeit bald eine Gruppe von Zweigen, bald eine Katse sieht Ein ähn- licher Qedanke muss Helmholts bewegt haben, da er in seiner Oedttchtnisrede auf Gustav Kagnus (1871) Terlangt, auch die mathematische Physik mflsse als rdne Erfahrungs- Wissenschaft angesehen werden. .Wir mflssen zurückgehen auf die Wirkungsgesetze der kleinsten Yolumteile, oder wie die liathematiker es bezeichnen, der Volumelemente. Diese aber sind nicht, wie die Atome, disparat und verschieden- artig, sondern kontinuierlich und gleichartig/ Helmholts wendet sich an dieser Stelle gegen das Streben „aus rein hypothetischen Annahmen über Atombau der Naturkörper die Grundlagen der theoretischen Physik herzuleiten". Lange unterstreicht dic«;en Satz und fügt hinzu, dass sich dies für ' ein mathematisches Verfahren nach den Prinzipien der Dif- ferential- und Integralrechnung besser eignen muss als die Atomistik. Nicht nur besser. Der Differentiaibeghff ist eigentlich nur auf kontinuierlich wachsende Grössen, auf Bewegung, auf Kaum, auf Zeit anwendbar und verUert die Winzeln seines l?eclits, wenn er. der doch nur kontinuier- lich flicsst, aber uuch die kleinste Lücke nicht überspringen kann, auf Atome ausgedehnt werden soll, die durch leere Räume getrennt sind. Diese h'eren Küunie zwischen den Atomen, mag man sie auch durch die Annahme von leerf>a Käunun zweiter Oidiumg zwischen den Atomen /weiter Ordnung u. s. w. noch so sehr verdünnen, machen nieuier Phantasie auch die neueste (xestalt der Atomistik unan- nehmbar. Ich kann es mir zur Xot vorstellen, dass die Atume eine-s Eiseustückes in Wirklichkeit diüküntinuierlich sind wie ein Mückenschw arm , dass man mit einer unend- lich feinen Sdim idc durch ein Eisenstüek hindurchfahren könnte wie nut einem Stocke durch den Mückeuschwarm, ohne den Zusammenhang dos Eisens zu stören, aber ich

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Zuhlenverhältnisse unwirklich.

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kann mir niclit mehr vorsteUen, dass auch die Organismen Ton Glänzen und Tiaren wie MUdrenacliwänne leben und dass man aueh dmrch den Menschenleib mit einer enir sprechend feinen Schneide hindurchfahren kdnnte, ohne etwas Wesentliches an ihm su ändern. Wir haben in un- serm KaturrorsteUen zu wählen zwischen Atomistik und Kontinuitilt Fechner sagt in seiner Atomenlehre geistreich und fast poetisch: .Das Zahlensystem der Natur hat nur eine Ziffer, das Atom, und reicht damit zu den Rechnungen des Alls.* Sehr schOn; aber der menschliche Verstand ge- hört auch zur Natur und in ihm sind die Zahlen Torhanden, welche die GrOssenTerhäUausse der äussern Natur ausdrttcken und diese GrOssenTerhältnisse sollen sich nun aus Atomen zusammensetzen. Als Ziffer angesehen ist das Atom die Differentialänderung. Dieser Begriff ist nur auf kontiimier- liehe Grössen anwendbar und die Atome sind entwedfor^^on- einander getrennt oder sie sind keine Atome.

*

Wir müssen uns somit in die Vorstellung flttchten, dass Auch ver- alles nur in unserm Bewusstsein ist| worauf irgend welche Zahlenbegriffe sich beziehen. In unserm Bewmntsem allein viruteh. sind die Grässenverhältnisse, die wir mit unserem Zahlen* ^stem messen, in unserm Bewusstsein allein ist die Konti- nuität, deren einzelne Punkte wir durch den Diffcrcntial- begriff zu bestimmen suchen. Wenn oben gesat^'t worden ist, dass die Zahlen unwirklich sind, die Grössenverhältnisso uber wirklich, so war das eben nur mit den Mitteln der Sprache ausgedrückt. Es ist in der Natur etwas Wirkliches, was den Grössenverhältnissen entspricht; in der Natur selbst können es aber keine Verhältnisse sein, weil diese erst durch Ver- gleichung, uLio durch Yerstandesthätigkeit entstehen. Die logischen Untersucliuugeu Spencers zeigen deutlich (Prin- zipien der rsycholugie II S. 283), „dass das Erkennen von aufeinanderfolgenden Zuständen und Veränderungen des Be- wusstseins als gleich oder ungleich dasjenige ist, worin eigentlich das Denken besteht", dass kurzer ausgedrückt

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VI. Das Zahlwort.

alles Denken auf die Empfindungen der Oleichheit und Un- gleichheit zurückgeht. Dean wenn Spencer weiter versucht, Beziehungen der Gleichheit und UngleicUieit durch abs- traktere Begriffe SU definieren, wenn er sie durch Verände- rungen im Bewuflstaein erklärt, so rerttsst er unbewusst den Boden der F^chologie und hält eich an einen Aus- druck, der zugleich eine physiologische Deutung zolässt. Dieser Fehler wird jedesmal gemacht, wenn eine Darstellung des menschlichen Innenlebens Uber die Empfindung hinaus- geht und das organische Leben oder gar die Aussenwelt mit in Rechnung zieht; dieser Fehler macht das gesamte Gebiet der Psychophysik unsicher. Denn ihr ist es wesent- lich, ein mdgÜchst ziffemmässiges Verhältnis zu suchen zwi- schen der Empfindung und dem Reize, der die Empfindung remrsacht hat. Allerdings liegen auch die Masse für Reiz- grOssen in unserm Bewusstsein, aber nicht anders ab alle Wirklichkeitswelt erst in unserm Bewusstsein unser ist, mit der unausweichlichen HypoÜiese, dass diese Aussenwelt Ton gleicher Art sei wie unser Edrper, der die gegebene Elle der Aussenwelt ist; die Masse fQr unsere Empfindungen dagegen sind einzig und allein in unserm Bewusstsein und es fehlt durchaus an einer GIcidnmg zwischen jener korper- lidien und dieser psychischen £Ue.

Mit dieser Erklärung, dsss auch die Empfindungen der Gleichheit und Ungleichheit nur Thatsadben unseres Be- wusstseins sind, sind wir zunächst nicht nur nicht vnn der Stelle gerückt, sondern haben unserm Ausgangspunkte, dass die Zahlen nur in unserm Denken vorhanden sind, jeden Wert genommen. Diese Erklärung s^i^ie doch nur dann etwas, wenn die Zahlen unwirklich waren im Go*?"nsat/e zu den wirklichen Verhältnissen und gar den wirklichen Dint^^rn. Erinnern wir uns ntjn jetzt , dass tlie bisher als wirklich anjrrcnoinMienon Grösscnverhiiitnissc ah Ergebnis'^e einer Vergieichung nur Bewusstseinszuständo sein können, und dass schliesslicli alk* und jede Kenntnis von der W'irk- lichkeitswelt au( h nur menschliche Denkoperation ist, so scheinen die Zahlen nur mit allen andern Vorstellungen in

Zahlcuverbältmiase imwirklicb.

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den dutiklen Abgrund der Erkenntniskritik zu versinken. Dennoch zwingt uns eine Gewissheit dieses unseres zer- faserten Denkens, bezüglich der Realität einen Unterschied wa machen zwischen imserm Bewusaftsein von natürlichen GrSasenTerhIhnissen und nnsenn Bewusstseio Ton ihrer menschlichen Messung, TOn den Zahlen. Dem Wesen dieses üntonchiedes i^ern wir uns, soweit dies ttherhsupt mSg- lich ist, Tielleicht durch einen Huiweis auf die Thatsache oder die Wahrscheinlichkeit, dass das Denken des Mensehen geworden ist, sich entwickelt hat, also auch die Vorstellung von GrSssenTerhIltntssen ihre besondere Entwickelung durch« gemacht haben mag. Ich werde es nicht Tersuchen auf diesem Felde mehr als eine melancholische Vermutung ku geben, die nämlich, dass unsere ZahlenYontellungen einer- seits kaum begonnen haben den Standpunkt einer empiri- schen Anfilngersehafit zu verlassen, dass aadetseits unser vielgerOhmtes logisches Denken noch nicht einmal auf dem Standpunkte unserer Zahlenvorstellungen angelangt ist Nur eine ganz kurze Bemerkung soll diese Worte rechtfertigen.

Das UFSprQngliche Verhältnis, in welchem auch das Tier und das Kind und der Wilde au den Quantitäten d^ Natur steht, war offenbar das der Anschauung. Sehr bald mögen die BegriS'e ^einige" und .viele" dazugekommen sein. Als nun die Menschheit mit unsäglicher Qeistesanstrengung zählen lernte, zuerst mit einer epochemachenden Erfindung bis 2, dann bis 3, bis 4, bis 5, bis 6, bis 10, bis 12, bis 20, da war die Zahlen Vorstellung ganz offenbar auf dem kind- lichsten Standpunkt stehen geblieben wie etwa die BAum- vorstellungen des Kindes, welches sein Bettchen schon aus- messen kann, aber das Fenster seines Zimmers und den Mond vor dem Fenster eben auch noch auf Aermchenlänge entfernt glaubt. Gar so sehr veränderte sich dieser kind- liche Zustand nicht, als die Griechen nach jahrtausende- langer Verbesserung der Zahlcnerfinduntr bis zu zehntausend zählen gelei nt hatten. Das T^r?f'ndlichkeitssystera des Archi- medes war unbrauchbar für das eigentliche Weiterzählen ins Unendliche. Immer lautete die Antwort auf die Frage,

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VI. Dfts Zahlwort.

wie gross die Sonne sei: 8o gross woU wie ein Fader Heu. Das änderte sich erst, als durch den Gedanken, man könnte ins Unendliche weiterzSUen , unser dekadisches Zahlensystem eigentlich erst perfekt wurde. Von jetzt ab konnte man ins üneiulliche messen, das heisst vergleichen, und v^gass darüber, dass vergleichen nicht erkennen ist. Ins Innere der Natur dringt kein erschaflfener Geist; und die Zahl ist nicht einmal ein erschaffener Geist, sondeni nur ein erfundenes Instrument. Ins Innere der Natur konnte man mit Hilfe drr diskreten Zahlen nicht dringen, auch wenn man in der Phantasie zählend zum Unendlichgrossen fortschritt. Wie aber, wenn man umgekehrt die Lücken zwischen den diskreten Zahlen ausfüllte, wenn man unend- liche Reihen des Unondlitlikloinon zwischen sie warf, die Znhl dadurch kontinuicrlicb raaclito und durch den Bej^ritt der Ditrereutialänderung die Entstehung der XHtur]>ewe- gungen kennen lernt«, den Anfang der liewegung? Ich möchte nicht wiederholen, was oben gesagt worden ist. Ejit- weder die Diftereiitialiinderun^^ ist nur ein mathematisches Sviuljül für die unendlich kleinen Momente der in der Natur wirkenden Kräfte, nur < in Symbol iler auf einen ausdehnun^'s- Idsen Punkt zusammengedrängten Grüssenverhältnissc, dann Ist das Üitlerential nicht eine Zahl, sondern eine logische 1 lilfsYorstellung zur Natui-erklürung ; oder es ist eine Zahl, dann ist es nur eine niathoraatische Hilfskonstruktion in der Uecuniuig. nicht in der Natur. Tnd zwischen diesen heiden Worten, der Zahl und (h>ni i>itiei eutialbcgriti, liat die Sjtrai he der Gegenwart also unsere gegenwärtige Weltanschauun'.j noch keine Verbindung herzustellen vermocht. Noch ein- mal: entweder das Diflferential gehört der Sprachwelt an» dann ist es das Bild von etwas Unvorstellbarem, dann ist es metaphorisch, schwehend wie alle Begriffe, oder es ge- hört der Zahlwelt an und dann ist es kein Begriff.

TMbeii. Von Kindern und von Wilden wissen wir es, daas sie mit den neu gelernten Zahlbegriffen, z* B. mit der 3 oder 4,

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Vielheit

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zuerst den Begriff der Vielheit verbinden, je nach Um- ständen möglicherweise den der geringen oder der grossen

Vielheit. Lesen wir Aristoteles oder irgend einen andern Lehrer der Logik, so erfahren wir ebenfalls, dass der Begriff oder feierlicher die Kategorie der Quantität in die Unterbegriffe der Einheit, der Vielbeit und der Allheit zerfällt.

Dass Vielheit ein ungenuuer BegrifT sei wird jeder zu- geben. Ungenau gesprochen umfasst die Unterkategorie der Vielheit sämtliche Zahlwerte . die sich von der Unendlich- keit selbst nur durch deren l)eide Endwerte unterscheidet; auch vom ^Standpunkte des Gefflhls ist nie vorher zn wissen, ob der Sjjrachlicbe Ausdruck ,viel" iui Verhältnis zu einer kleinem Zahl als gross oder im Verhältnis zu einer grös.sem Zahl als klein werde empfunden werden, ob mit den Vielen eine Majorität oder eine Minorität bezeichnet sei. Das ist dann banal bei Geldsiuiinien, bei Ausdehnungen von Grund- stücken, kurz überall wo der Besitz einer Vielheit bei dem Besitzer oder Besitzwollenden ein Interesse erregt; es ist aber auch einleuchtend in rein iugistUeu Folgerungen, wo die Berufung auf „viele" bald ein allgemeines Urteil be- gründen, bald als belanglos angesehen werden kann. Zwei Beispiele. »So viele Menschen ich geprüft habe, Hessen sie sich alle von ^oistischen Motiven leiten; also sind alle Menschen Egoisten.* Ich weiss wohl, dass es nur ein sprachlicher Zufall ist und nur im Deutschen notwendig, dass hier .so viele Menschen* die Worte .viele Menschen" mit enthält; bringe ich den Sats aber auf eine streng logi- sche Form, so kommt das reine .viele* zum Yorschein und zwar in einem unvollständigen induktiven Beweise: ich habe viele Menschen geprüft, diese alle verrieten Egdomus, also erwarte ich Egoismus auch bei allen andern. Das ist der psychologische Weg, auf welchem doch schliesslich induktiv alle unsere Urteile, das heisst alle Begriffe und die in den Begriffen verborg«ien Urteile entstanden sind. Es ist eine Frage des Sprachgebrauchs, ob man mit dem Begriff «viele* die zum induktiven Beweise einer B^l wünschenswerte

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Vi. Dm Zahlwort

Zahl oder die gleichgültige Zahl der Ausnahme von dieser Kegel begreift. Es ist also in dem zweiten Beispicli : ^ Viele Menschen kommen ohne Beine auf die Welt; trotzdem ge- hört es zur Vorstellung vom Menschen, dass er zwei Beiue liahe* dieselbe Unterkategorie der Vielheit, welche sonst cur Herstellung des induktiTen Beweises genügt, gar nicht in Betracht gezogen. Gerade die I%Ue von organischen MissbÜdungen sind für unser sprachlcritisches Interesse be- sonders lehrreieh, bei dem äussersten Grade der Miss- bildung die Regel (ausgedrückt in der Definition oder in der Beschreibung des Begriffs Mensch) einfach dadurch ge- rettet wird, dass man die Terkllmmerte Frucht gar nicht unter den Menschenbegriff aufnimmt. Als man noch an die Existenz von Menschenkindern mit Tierköpfen glaubte, gab es Uber die Anwendung des Mettschenbegri& Geologischen und juristischett Streit; heutzutage wird es keinem Menschen einfallen, eine Mole fÖr seinesgleichen anzusehen, eine Mole einen Menschen zu nennen, trotzdem es «yiele'* Molen gibt, die die PrUchte Ton Menschen sind.

Die Einheit ist zwar ein viel brauchbarerer Begriff als die Vielheit, aber aus der Wirklichkeitswelt genomm«i ist auch sie nicht. Genau betrachtet gibt es auf der ganzen Welt fUr jeden Menschen nur eine einzige Einheit, die Ein- heit seines Bewusstseins, und wenn man diese Einheit ana- lysiert, so bleibt auch da an Stelle der diskreten Einheit nur die Kontinuität des Bewusstseins bestehen (I. 595 f.). Wo immer wir sonst von einer Einheit ausgehen, da handelt es sich nur um eine Konzentration unseres Interesses, also um einen vorübergehenden Gesichtspunkt unseres Bewusst^ seins. Die Eins ist noch keine Zahl, sondern nur der GrenZ' begriff des Zählens. Die Zwei ist, wie gesagt, die erste wirkliche Zahl.

Allheit. Die Unterkategorie der Allheit scheint der deutlichste von diesen Begriffen zu sein ; wir verbinden jedoch mit dem Worte sehr vei-sehiedene , eigentlich entgegengesetzte Vor- stellungen : alle möglichen , sodann alle wirklichen . das heisst alle noch nicht gezählten und beobachteten, endlich

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AUheit.

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alle gezählten und beobachte teu. Es ist klar, dass .alle" in dem zweiten Falle nur eine Zusammenfassung von „viele* ist; ob ich in meinem kurzen Leben hundert Menschen kennen gelernt und als egoistaach erkannt habe und darans den indukÜTeii SgUum adle, alle mir unbekannten seien so egoistisch wie die rielen nur bekannten, oder ob die in der Sprache niedergelegte Weltanachauung der Menschheit seit Jahrtausenden Milliarden Ton Menschen beobachtet hat, die alle sterblich waren, und so aus den sehr vielen vielen FSUen ihren induktiTen Schluss zieht, es seien alle Menschen sterblich, das ist im Grunde dasselbe. «Alle" besieht sich fast regelmässig surQck auf die »vielen*, welche in meinem individuellen Gedächtnisse oder in dem Gedächtnisse der Menschheit vorhanden sind. In jedem induktiven Schlüsse wird ein solches «viele* ausdrficklieh oder implicite in ein «slle* verwandelt. Dieses »alle" besieht sieh jedesmal auf eine diskrete wenn auch unbeuannte Zahl, einerlei ob es sich um 10 oder um eine Quadrillion von HinselflUen handelt. In dem Urteile «alle Revolutionen ftthren cur Diktatur*, das man ja wohl gelegentlich hören kann, wird der induktive Beweis aus 4 oder 5 Beispielen geschöpft, seine Wahr^ scheinlichkeit ist kleiner, seine psychologische Entstehung ist aber nicht anders als in dorn Urteile ^alle Menschen sind sterblich". £ine unendliche Zahl wird bei dem Be- griffe der Allheit nur dann mitverstanden, wenn die Vor* Stellung über die Erfahrung hinaus ausgedehnt wird, sei es durch die Hypothese des Unendlichkleinen, wie z. B. in ,alle Atome haben die Eigenschaften des Stoffes, den sie bilden", sei es durch die Zwangsvorstellung einer unendlich grossen Reihe, wie z. B. in ,aUe diskreten Zahlen lassen sich durch das dekadische System ausdrücken".

Der doppelsinnige Gebrauch des Wortes ^alle" bald für eine bestimmte, wenn wwh im Aug*Miblicke vielleicht, unbekannte Anzahl , bald für alle möglichen Fälle, weiche unter einen Begrifi" fallen, ist ein logi??cher Fehler, den manche Sprachen vermeiden, andere Sprachen nach ihrem Wortvorrat vermeiden könnten. Wir könnten z. B. im

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Vi. Dm Zahlwort.

Deutschen .alle" und «sämtliche'^ differenzieren wie man im Lateinisclieii onines uüd cuncti unterscheidet. Negation. Zuletzt ist freilich überall der doppelsinnige Ge- brauch des Wortes „alle" doch nur begreiflich, weil der Unterschied, wie oben schon angedeutet, ein Gradunter- schied ist. Weil spätti au /li vou der Negation als einer neben der Quantität für die ioiiuale Logik wichtigen Kate- gorie die Kede sein wird, will ich an dieser Stelle gleich die Bcmerku ug hinzufügen , dass auch die Negation unter Umständen nicht mehr zu bezeichnen braucht als einen Gradunterschied. Man nehme einmal die Begriffe «blind* und «taub*. Es sind in positiver Sprachform Torhandene Negationsbegriffe, wdelie den Hangel bestimmter Organe oder (was eigentlidk dasselbe ist) den Mangel ihrer psycho- logischen Fwiktion ausdrücken. Sage ich ohne mefaftphori- sehe Anwendung «dieser Tisch ist blind*, so ist das ein ebenso sinnloses Urteil, wie wenn ich sagen wollte »die Tapferkeit ist nicht dreieck^*. Alle solche Sinnlosigkeiten können in einem bestimmten Zusammenhange metaphorisch sinnvoll, wltsig, symbolisch und wer weil» was noch sein. vDiese Mannorstetue der Venus ist teub* gibt einen Sinn. Was für einen Sinn hat nun ein solches Wort in seiner üblichsten Anwendung z. B. «N. ist blind*? Doch wohl nur den: N. ist ein Mensch und ich subsumiere ihn unter den Menschenbegriff, trotzdem er sich von dem Normal- menschen dadurch unterscheidet, dass er nicht sehen kann. Ebenso würde ich N. noch zu den Menschen rechnen, wenn er ausserdem taub und lahm wäre, audi dann noch, wenn er mit einem so unvollständigen Gehirn geboren wäre, dass zur Definition des Menschen der Verstand fehlte. Dann würde er freilich ftir die Rechtsprechung nicht mehr unter den MenschenbegrilV fallen. Wäre er aber vollends ohne Kopf auf die Welt gekommen und (man gestatte die Hypo- these) dennoch lebensfähig, so würde man gar nicht mehr sagen können „N. ist blind**; dann hätte dieses selbe Ge- schöpf, diese selbe Leibesfrucht gar keinen Namen und weil es oder sie nicht mehr mit dem Normalmenschen verglichen

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Algebm nnd Logik.

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würde, dürfte man die relative Negation „blind" nicht mehr anwenden. Ich habe hier eine unlogische TJeberschätzung eines blossen Gradunterschiedes in dem Falle von „alle" und in dem Falle der sprachlich positiven Negationsworto zu- sammengestellt, weil beide Fälle mir die Unsicherheit unserer Kategorien deutlich zu machen scheinen.

Ünd auf dipsrn rhoi unlogischen Unterkategorien der Oberkategorie Quantität ist der ausschlüsfgebende Teil der formalen Logik, die Lehre von den Sr]ilüssen, fast wesent- lich aufgebaut. Man braucht zu dem Be^^rifte dor Ein- heit, der Vielheit und der Allheit nur noch die gefähr- lichen Begriffe der Positivität und der Negutivität hinzu- zutügen und die gesamte Lehre von den Schlüssen steht in ihrem berflhmteu, den Jahrtausenden scheinbar tiotzenden Aufbau vollendet da. Es ist kein Wunder, wenn die Er- kenntniskritik unseres Jahrhunderts endlich den rein mathe- matischen Charakter aller dieser Begriffe erkannte, wenn Logiker der angelsächsischen Rasse, die von jeher Kadika- lismus mit umera seltsam konservativen Geiste verbunden hat, auf den Gedanke u gekommen sind, die alte Logik zu retten dmxh Anwendung der Algebra auf die Logik.

Ich kann nicht wissen, ob ich die Kraft und die Zeit . haben werde, auch diese neue Disziplm, die Algebra der Logik, kritisch und sprachkritisoh vorzutragen; darum möchte iek ao dieser Stelle nur auf den Chimdintum binweiBen, der ISmst Schröder TerfUirt luit, die neue Form der Logik eine exakte Logik zu nennen. Die Tor^h^den Bemerkungen Ober das Wesen der Einheit, der Vielheit nnd der Allheit, dazu eine üeberzeugung, dass alles deduktire Schliessen nur em Kreislsuf in der Tautologie ist, daas neue Begriffe mit allen in ihnen enthaltenen ürteilen nur aus dem induktiTen Schliessen hervorgehen, dass endUch alles induktive Schliessen nur auf unvollständigen Induktionen, auf der Vielheit be- ruht, — all das liest mich behaupten, dass die Algebra der Logik nicht eine NeubegrOndung der alten Wissenschaft, sondern ihre Auflösung ist. Eine Auflösung in Wahrschein- lichkeitsrechnung und Statistik; em gsnzes arbeitsames Leben llftatka«r, Beiferl«» n iln«r Kritik d«r Spnolie. XtL 12

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VI. Daa Zahlwort

würde gerade hinrcicheu, diese erschreckliche W iiliriieit im

einzelnen für diese junge Disziplin nachzuweisen.

ZM Auf meinem Wege stehe ich jetzt au dem Punkte, wo

ich erfahren kann, ob das Rätsel der Zahlen einen seiner futiir«

vielen Schleier abwerfen wird oder nicht Wir haben näm- lich gesehen, dass alle lofpBchen Operationen, welche für uns doch nur AnfdrQselungen psychologischer Begriffiilnldung sind, auf die üntorkategorie der Quantität, auf die unbe- stimmten Zahlen eins, viel und alle xurOckgehen. Eins ist nur als Hülfie der ersten Zahl zwei eine diskrete Zahl; ab Einheit ist sie unbestimmt, wie sie denn auch in vielen modernen Sprachen mit dem unbestimmten Artikel zu* sammenftilt. Von d«r Allheit haben wir gesehen, dass dieser Begriff (Hypothesen abgerechnet) immer nur eine im Bewusstsein vollzogene Vereinheitiichu]^ der Vielheit ist. Mit dieser Vielheit operiert unser Denken gewöhnlich ohne Ziffern, ohne Algebra. Was aber die Algebra der Logik Neues wissenschafilich versucht hat, das liegt in der Natur vor, seitdem es dne Natur gibt. Es gibt in Berlin in einem bestimmten Augenblicke nicht «viele* Menschen, auch nicht lUngefähr*^ anderthalb Millionen, sondern eine ganz be- stimmte Zi^ von Individuen, eine viel bestimmtere Zahl B<^ar, als die Statistiker mit den Fehlerquellen ihres Zählens herausbringen können. Auf dem Kopfe jedes dieser Indi- viduen sind nicht viele' Haare, sondern auf jedem Kopfe eine diskrete ZidiL Die Vielheit ist nur im Kopfe unter diesen Haaren vorhanden; in der Wirklichkeitswelt gibt es keine unbestimmten Zahlen. Aber in der Wirklichkeitswelt gibt es anderseits überhaupt keine Zahlen, weil nicht die Natur zählt, sondern der Mensch. Wir stehen also vor dem alten Widerspruch, den wir jetzt mit den Mitteln unserer Sprache etwa so ausdrücken können: (iass in der Natur etwas ist, was mit untrüglirhi^r Sicherheit unscrn Zalilen und allen mö^^lichen Hechnungsarten entspricht, dass die Thätigkeit des Zühleiis jedoch Menschenwerk ist , Verstandes- arbeit. Und da scheint mir doch, dass wir um einen kleinen Schritt vorwärts gekommen sind, da wir vorhin Zahlen und

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Zahl uad zahlen.

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ZaUenTerltiÜtnisse in das BewosstMin ziirttdcgewiesen und die BenehungBn der OleicUieit nnd Ungleichheit ab die Gnindthatsache alles Denkens erkannt haben. Wir können nns jetEt Torstdlen, dass der Unterschied der QrSssenver- hSltnisse auf nnsere Empfindung von Unglmcfaheit surttek* geht, und dass die Empfindung der Gleichheit die erste Yenuüassung zur Thtttigkeit des ZShlens gegeben hat. Es Teisteht sieh von selbst, dass die Besiefaungen der Gleich- heit und die auf ihnen sich allmShlich ^hebende Mathe- matik Ton Schritt SU Schritt auf die Beziehungen der Un- gleichheit, das heisst auf die Grössenverh&ltmase in der Natur aufgebaut Vörden sind und dass demnach auch die wirklicLen Grössenverhältnisse der Natur in zweiter Potenz nur Thatsachen unseres Bewusstseins sind, erstens weil die Empfindung der Ungleichheit ein ])sy(-liüIogischer Zustand ist, zweitens weil das Ausniessen der l Ungleichheiten oder der GrfissenTerhältnisse erst mit Hilfe der Gleichheits« empfindungen möglich ist.

Hier aber wollten wir ja nur untersuchen, was Zahlen ZaU sind ; auf unserm jetzigen Standpunkte: wie die Empfindung der Gleichheit zu der Vorstellung von Zahlen, richtiger zu der Thütigkeit des Zühlens führen konnte. Die Ersetzung des Substantivs Zahl durcli das Verbnm zahlen ist für unser Weiterdenkeii nicht j;H*'ieh^ülti}X. Wir luiben oben flüchtig bemerkt, dass nicht nur die Ausbildung dtr Mathematik, sondern sogar die Ausbihlung des Zahlensystems ^ur Ent- wickelungsgeschichte des mensclilichen Verstandes gehört, dass das Instrument Zahl niclit immer (Ui war, sich viel- mehr in liistorischer Zeit (wenn man die Beüba< }itnngon an wilden Völkern ins Historische übersetzt") vom lohesteu Zu- stande bis zu der bewundernswerten Kechenmaschine ver- feinert hat, als (iie sich die gegenwärtige Mathematik dar- stellt. Es würde uns in endlose Widersprüche verwickeln, wenn wir das so ausdrücken wollten, dass die bnitalen Sub- stantive, die Zahlen sich entwickelt haben. Man könnte ebensogut saj^en, dass die unzähli^^en Insektenarten, welche seit hundert Jahren neu beobachtet worden sind, sich durch

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VI. Da« Zahlwort.

die Beobachtangen entwickelt haben, oder die umähligen Sterne durch die Anwendoi^ des Femrohis; noch genauer betrachtet liegt dieser Widerspruch in dem Worte Snt- widcelung, vefl dines mit dem Bilde ^er Auswiekdung schon ▼orhandener Gegenstiinde einen stark tfaeoIogiMshen Beigeschmack hat» Das Wort Teriiert diesen widerwärtigen Beigeschmack fast ganz, wenn wir es auf das organische Wachsen einer menschlichen Th&tigkeit anwenden, in diesem Falle auf das Verbum zählen.

Und auf dem Gebiete des Zählens haben wir es bessw als irgend sonst, wo wir <^cr. Begriff der Entwickelung durchzufuhren streben. Ueberall sonst fehlt uns der An* fang; der Keim, ans welchem alle organische Entwickelung und damit auch das Menschengehim hervorgegangen ist, bleibt so unvoUstellbar, dass das Organische entweder fertig in die Welt hineinspringt wie ein Clown in den Zirkus oder dass die abstrusesten Eintagshypothesen nötig sind, um uns den Ueberganj]^ vom Unorj^anischen ins Organische mit TaschenspielerkUnsten vorzumachen. Der Keim des Zähleas steht jetzt auf einmal deutlicli vor uns.

In überzeugender Weise hat Ernst Mach mehrfach, zu- letzt in der dritten Auflage seiner Mechanik (S. 472 u. f.i die Wissenschaft und die Sprache nh eine ökonomische Ein- richtung erklärt, als eme Arbeitsersparun«;]^. Wo immer Mathematik zu andern Wissenschaften herangezogen wii-d, da kommt die ganze vorgel>ildete Uekonomie der Mathematik diesen Wissenschaften zu ;:,nite. ,.I)ie Mathematik ist eine Oekunomie des Zählens. Zahlen .sind ( )rduungszeichen, die aus Rücksichten der Uebersicht und Ersparung selbst in ein einfaches System gebracht sind. Die Zähloperationen werden als von der Art der ()l)jekte unahhiln«j;ii^ erkannt, und ein für allemal eingeübt . . . Alle Rechnungsoperationeu haben den Zweck, das direkte Zählen zu ersparen, und durch die Resultate schon vorher vorgenommener Zähl- prosesse zu ersetzen ... Es kann hierbei vorkommen, dass die Resultate von Operationen verwendet werden, welche vor Jahrhunderten wirklich ausgefthrfc worden sind . . .

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,2* die ente Zahl.

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Aehnlich sparsam verfahrt der Ksufiliftnn, indem er, statt seine Kisten selbst herumzuziehen, mit Anweisangen auf dieselben operiert." Die Einführung der Ludolfischen Zahl oder der Logarithmen in die Rechnung ist ein schlagendes Beispiel solcher Arbeits crspamis durch Bcniitzung einmal vorhandener Rechnunp;sresultatü. Das gewalti|^ste Beispiel bleibt jedoch die jedem Kinde geläufige Anwendung unseres Zahlensystems, welches das Resultat des in unendlichen Zeiträumen sich entwickelnden Zilhlens ist. Dieses Zählen, welches aller Mathematik und zunächst den Zahlen zu Grunde liegt, muss jedoch seinen Ausgang genommen haben von dem Akte des Biszweizählens, von dem Gefühl der Gleich- heit (der für unser Interesse relativ vorhandenen Gleichheit) zweier Gegenstände. Wir haben vorhin schon die Zwei die erste Zahl genannt; wir erkennen jetzt, dass sie die einzige natürliche Zahl ist. Wir vermögen uns freilich nicht den psychologischen Vorgang einer Urzeit vorzustellen, in welcher den Menschen die Begriffe der Einheit und der Gleichheit, das heisst der Zwei/.iihl noch fehlten. Wir können uns aber recht gut vorstellen, wie eines Tages das grösste raathe- matische Genie, das jemals auf Erden gelebt hat, für das Gefühl der Gleichheit zweier Dinge einen sprachlichen 6e- ftthlsausdruck suchte, zwei sagte und damit das ZSUeii er- fand. Wir können tms Torstellen, wie diese epochemacliende Erfindung FortBchritte maclite, wie man von der Zwei zu ihrem Zweiten u. s. w. gelangte und wie fllr Gruppen, welche noch mit den Augen zu Übersehen oder mit den tastenden Fingern zu Tergleichen waren, Empfindungsaus- drOche sprachliche Firiemng fanden, die dann, je nach dem 0enie eines Volks, bis zu 5, bis zu 10, bis zu 12 oder bis zu 20 gingen, wie dann wieder ein mathematisches Genie die EmpfindungsausdrUcke zu äUilen anfing (zwanzig ist deut- lich — 2 X 10) und wie so der zufWige Grund gelegt wurde zu unserm Zahlensystem. Nichts kann mir femer liegen als bei meinem Misstrauen gegen alle Torhistorische Etymo- logie das indoeuropäische Wort för zwei zur Erklärung heranzuschleppen. Es wäre aber ganz hQbsch, wenn das

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VL Bas Zahlwort.

Zahlwort zwei ( vielfach tva oder dva) und das Fürwort ilu, ,8" nud das Fürwort der zweiten Person (im 8anskrit tvani) ursprüng- lieh ein und dasselbe Wort gewesen wäre. Wir haben ge- sehen: es gibt in der weiten Welt der psycholoirischen Wirklichkeit nur eine einzige Einlieit, die Einheit des in- dividuellen Bewusst.seins, die P]inheit des leb; und da wäre es doch n^arjz hübsch, wenn das» erste niatliematische Genie am Kebeumeuschen die Entdeckung gemacht hätte, dass er auch so ein loh sei, wenn er den BegritV des Zweiten zuerst auf einen Nebenmeuschen angewandt hätte, wenn das „du* eigentlich geheissen hätte „mein zweites Ich". Dann hätte der berühmte Satz der Veden „Tat tvam asi" in irgend einer fernen fernen Vorzeit wirklich den Öiim gehabt: ,Du bist mein zweites Ich."

Die unabweisbare Vorstellung einer Verwandtschaft zmaehea den Begriffen zwei und du wird sichtbar an den- jenigen Sprachen, welche am Yerbum und am Substantiv eine besondere Bfldungsform fUr die Zweizahl haben, den DuaL Der Dual ist in den modernen Spradien fast völlig verloren gegangen. Das ausgebildete Zahlensystem hat die einzige natOrliche Zahl, die Zwei, verschlui^en und an ihre ordnungsmässige Stelle gesetzt, wo sie sich an Sprachwert von der 1 und 3 nicht zu unterscheiden scheint. In dem Dual der alten Sprachen liegt aber das Geheimnis versteckt, dass wie die 2 die einzige Zahl ist so auch das Wort zwei das einzige Zahlwort, welches aus dem organischen Bau der Gemeinsprachen nicht herausfallt. Das übrige Zahlensystem ist eine Sammlung wissenschaftlicher Zeichen, welche selbst- verständlich zum weitern Begriffe der Sprache ebenso gut gehörtti wie die noch allgemeinem algebraischen Zeichen, welche aber nur in dem Masse in dar Gemeinsprache Ver- wendung finden, als die wissenschaftlichen YorsteUungen der Mathematik durch jahrtausendelange Einübung Gemein- gut des täglichen Lebens gewordi n sind. Es i>i noch nicht gar so lange her, dass die Hechner eine Tafel mit dem Einmaleins neben sich liegen hatten und hineinblickteUf wie sie heute die Logarithmentafeln nachschlagen; damals ge-

•2" and .du*.

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hörte zwar schon die Zahl 56 zur Gemeinsprache, als Ord- nungszahl eigentlich, welche hinter 55 kam, aher noch nicht die Vorstellung von 56 aU ein Piodukt von 7 und 8. Und in irgend nner alten Zeit oder bei mmdiftn ladiaaerstänunen von heute gehOrt auch 4ie Grundzahl 56 noch mdit rar Gemeinsinrache, wenn so ein Rechner den Betrag auch durch die Summierung Ton swei Menachen, iwei Hftnden, dem linhen Fuss und einer Zehe des rechten Fusses ra stände gebracht haben kann. Daran hat die Ausbildung der HaUie- matik, der hdheren Mathematik und der Metamathematik nichts gdbiderfc. So wenig die Logik TOr IrrtOmem be- wahren kann, so wenig kum die Behenschung der Maihe- ma^ oder das Auswendigwiasen Ton 100 sechsstelligen Loga- rithmen einen Gelehrten daTor schfitKsn, einmal 7 X 8 = 54 SU setzen, wenn er das alte Resultat der Einmaleinsrechnung zufftUig nicht im Ged&ehtnis hat Ist 2 wirklich die einzige echte Zahl, so liesse sich der ganze stolse Bau der Ifathe- matik langsam und sicher herauskonstntieren aus der Ur- gleichung 2 1 = 1. Beispielsweise würden sich die über- raschendsten Thatsachen der Zahlentheorie aus dieser Glei- chung eigeben. Alle Zahlen, wie dann alle mathematischen Zeichen, erfassen die Welt, welche unser Übriges Denken ▼on Seite der in uns erregten Empfindungen, also von Seite ihrer Qualitäten erfasst, einzig und allein Tom Gesichts- punkte der züli Ibaren Quantität Sie bilden, immer abge- sehen von der Zwei, einen Wert für sich, eine Sprache für sich, vielleicht eben darum eine Weltsprache. Schopenhauer hat einmal den mystischen Ausspruch gethan, es sei die Musik die Welt noch einmal. Mit grösserem Höchte konnte man sagen, die Zahl nei die Welt noch einmal, und auch Schopenhauer kam zu seinem Worte nur, weil er, angcrep;t von Pythagoras und den seitdem fortgesetzten Studien über zahienmässige Tonharmonien, der Musik Zahlen zu Grunde icfjte. So wenig i'ix i- die Zahlen Verhältnisse, welche mit den Tonharmonien übereinstimmen, mit unsem Tonem})tin- dungeu irgendwie vergleichbar :sind, so wenig ist die \\ elt der Zahlen mit der Sinnenwelt vergleichbar, die wir nicht

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VI. Das Zahlwort.

anders sb mit dem metaphysiflchen Vorbehalt die Wirk- lidbkeitswelt nemien kOimeti. Die Welt der Zahlen ist ein fremdes ISement in unserer Sprache, immer abgesehen von der Zwei freilich, wekhe dem Erkenntnisse der Qleichheit einen Namen gegeben hat; und es ist vielleicht nicht bloss Zufall, wenn wir im Deutschen für «der gleiche*, das heiast der aweite auch sagen können «der nämliche", das heisst der genannte. Die Mjstik, mit welcher I^thagoras die Mathematik seiner Zeit sur Aufklärung der WeUarätsel be- nutien wollte, gilt heute nicht mehr für geftiu-lidi; es ist aber nur eine feinere Mystik, wie wir jelatt endlich seh«i, wenn neuerdings die ausserordentlich ausgedehnte Anwen- dung der Mathematik auf die Naturwissenschsiten und zu- letzt auf die Logik mehr bieten will, als Ersparnis, üeber* sieht im 1 Klarheit, wenn sie Erklärung sein will und aus der Welt der Zahlen die Lösung der Welträtsel hofft. Die Welt der Zahlen hat ihren eigenen Schlüssel, der zu den Rätsein der Sinnenwelt nicht passt. Emst Schröder ver- steigt seine Phantasie so weit, dass er einmal (I. S. 125) Denk- durch die Algebra der Logik die Erfindung einer »Denk- raaschine" fUr möglich hält, „analog oder vollkommener wie die Rechenmaschine, welche den Menschen einen selir beträchtlichen Teil ermtldender Denkarbeit fortan abnehmen wird, gleich wie die Damptma'^' liine es mit der physischen Arbeit erfoli^reich thut." Vielleicht soll eine künftige Zeit, indem ein sclüichter Manu oder ein elektriücher Motor die Kurbel der Denkmaschine dre)it, so die sieben Weltriitsel lösen Oller doch einige neue ><aturgeset/.e entdecken. Die Lehre von der Erhaltunf:^ (jer Energie hätte dem geistreichen Manne sagen sollen , dass auch eine Denkmaschine nichts hervorbringen kann, was nicht vorher in sie hineingesteckt worden ist. Der Vergleich mit der Rechenmaschine ist vortrell'lich, aber spricht nicht zu Gunsten der Denkmaschine. Die Rechenmaschiao ist möglich, weil ihre Ergebnisse einzig und allein innerhalb der autonomen Zakkuwelt Gültigkeit haben und niemand von der liecheumaschine Auskunft darüber verlaugt, ob nachher die Münze der Zahlung falsch

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ist oder nicht, ob die Zahlen auf Aepfel oder Nüsse be- zogen werden sollen. Die Denkmaschine jedoch hat es ent- weder mit der Wirklichkeit« weit zu thun und dann fehlt die Brücke von der Maschine zur Welt, oder sie wird nach den Prinzipien der algebraischen Logik, nach dem Locfik- kalkul konstruiert , und dann wird sich wohl herausstellen, dass die so stolz als exakte Logik auftretende Algebra der Logik nichts ist, wie schon gesagt, als Statistik und der- gleichen, dass sie das Ende der Logik ist, das Ende des Glaubens, eine Lehre von den Denkgesetzeu könne anders als durch eine gewisse Hebung das Denken fSräem* Mir scheint die Anwendung der Mathematik auf die Logik, ge- rade in ihrer bewundernswerten Ehrlichkeit und Konsequenz, den Sfcors der modernen mathematischen Mystik Tonu- bereiten. Audi auf sie trifflb zu, was Emst Mach (Mechanik S. 479) warnend gesagt hat: «Die Erinnerung ist keine eigentliche Arbeit, sondern eine Auslosung yon zweckmSesi- gerer Arbeit. Gerade so vertoilt es sich mit der Verwendung wissenschaftlicher Oedanken. Wer Mathematik treibt« ohne sich in der angedeuteten Richtung AufklSrang zu ver- schaffen, muss oft den unbehaglidien Eindruck erhalten, als ob Papier und Bleistift ihn selbst an Intelligenz QbertriUen. Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsg^genstiand be- trieben ist kaum bildender, als die Beschlftigung mit Eab- bala oder dem magischen Quadrat. Notwendig entsteht dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre FrOchte tr&gt'

TII. Syntax.

Wir haben gelernt, dass diejenigen neuen Begriffe, die wir nur als Deklinationsformen des Nomens und als Kon- jugationsformen des Yerbums zu betrachten gewöhnt sind, durchaus keine deutlichen und eindeutigen Vorstellungen wachrufen; alle Beziehungen, die sie angeblich bezeichnen, sind unbestimmt und nebelhaft. Erst unsere aussersprach-

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VII. Sjutiix.

liehe Bekanntscliaft mit der Wirklichkeit bringt zu den Formen Bestimmtheit hinzu. Wir werden also schon ver- muten, das8 unsere Satigefilge, die doch nur Kombinationen ▼on Wortformen, also Steigwungen dieser Unbestimmtheiten sind, erst recht den Glauben an die Eindeutigkeit der Sprache erschüttern werdoi.

Um diesen GUuben ToUends aufzugeben, mttssen wir uns freilich erst hinwegsetsen Ober die Ammenmirdien, die uns in dw Grammatik erzählt werden. Wir mOssen in unserm Denkoa den Bann der Sprache brechen, in welcher wir denkeu. Erst wenn die Sprachwissenschaft so ihre dgenen Ergebnisse angewandt haben wird, erst wenn die Sprachwissenschaft die Denkgewohnbeiten unserer Kultur^ sprachen auch praktisch als Lokalsitten der abendländischen Menschheit auffassen gelernt haben wird, wenn sie die Denk- gewohnbeiten fonnenarmer Sprachen als ebenbürtig erkannt haben wird, so wie die neuere £thni^raphie die Sitten mlder Völkerschaften zu bemoralisieren aufhört, erst dann wird die Revolution vollzogen sein, für welche die Sprach- wissenschaft alinnngslos seit hundert Jahren gearbeitet hat.

Ich nehme meinen Ausgangspunkt wieder einmal von einer Erfaiirung, die sonst kaum henhachtet Avird, weil sie alltäglich ist. Ich will zeigen, dass die Synt^ix für die Er- kenntnis womüglich noch gleichgültiger ist als die gram- matische Wortform, dass vielmehr die Aufmerksamkeit auf die dem Satzgefüge zu Grunde liegenden Vorstellungen einzig und aliein Zweck und Erfolg einer Kede ist.

Welchen Wert und welche Bedeutung hat die Svntax für uns, wenn wir eine Rede anhören? Der Abgeordnete spricht eine Stunde über eine Gesetzvorlage, der Professor über eine neue Entdeckung, der Pfarrer über die Qualen der Hülle. Nehmen die Zuhörer einen Anteil an den \ Or- stellungen dieser Rede, sind sie an diesen Vurstellungen aus direktem oder indirektem Egoismus beteiligt, so werden sie dem sogenannten Gedankengang des Keduers fulgen. Worin besteht dieser Gedankengang? Etwa in der Syntax seiner Rede? So wenig doch, will ich hofifen, wie der Kausal-

Syntax des Bednen.

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zusammeuliaug der Weltereij^isse auf den Formeln beruht, welche Pedanten die loc^isclien Gesetze genannt haben. So wenig als der Wort eines Bildes von seinem Rahmen ab- hängt. Der Gerlfiiiktugang des eintiussreichen iiedners den ich streng vom ^uten Uedner oder dem Schwätzer unter- scheide — zeichnet sich von deru Träumen des Si-hlafenden oder des einftussloscn Hin- und Herred eus doch nur dadurch aus, dass er aus der Fülle der sich aufdrängenden, hin- und herschiessenden Associationen diejenigen auswählt und bequem zusammenstellt, die nach seiner Ueherzeugung oder seinem Interesse der Wirklichkeit entsprechen. Der Poli- tiker erinnert uu diejenigen uationalökonomischen Thatsachen, die für oder gegen den Gesetzentwurf sprechen, der Pro- fessor zeigt die nähern oder fernem Wirkungen einer neu- beobachteten Naturarselieinung , der F&rrer erregt Bilder Ton den Peinigungen, mit denen gebömte Teufel die Un- gläubigen iwicken. Die AufmerioMmkeit wird allein durch die erregten Vorstellungen erweckt Interessieren die Vor- stellungen nicht, weil der Professor onsthaft Anschauungen des Torigen Jahrhunderts vorträgt, weil der Politiker auf einem unmodernen Steckenpferde herumreitet, so werden die ZuhOrer ebenso einschlafen wie unerweckte Ifenschen in der Kirche. Hören die Leute im Parlament, im Kolleg, in der Kirche dem guten Redner zu, trotzdem die von ihm gewetMen. Vorstellungen sie nicht interessieren, wirkt also die Bede als solche, so haben wir es mit einer kOnstleri- sehen Wirkung zu thun, die uns hier nichts angehen soll.

In diesem letzteren Falle, bei der künstlerischen Wir- kung etaer interesselosen Bede, spielt die Syntax der ge- meinsamen Sprache eine henrorragende Bolle. Welche Rolle spielt sie aber beim Anhören einer Bede, die ich einfluss- reich genannt habe, also einer Bede, die allein der Absicht der Sprache, von Mensch zu Mensch zu wirken, der Ab- sicht der Suggestion entspricht? Ich wül die Dinge nicht auf die Spitze treiben und will zugeben , dass dio Sjmtax so gut wie die grammatischen Wortformen bei der bequemen Anordnung der VorsteUungsreihen ein wenig mithilft. Wie

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die Casusfornien und die Tempusformen ungefähr und nebel- haft es eikiclitern, die einzelnen Begrifie aufeinander zu beziehen, so gibt es auch im Satzgefüge analogische Kate- gorien, die uns ungefähr mitdenken lassen: der Redner legt auf den einen Satz mehr Gewicht als auf den andern, er fasst die eine Thatsache, v. as luan si; sagt, als Ursache der andern auf u. s. w. Aber eigentlich ist die Syntax lüi die Wirkung der Rede viel gleichgültiger als man glaubt. Sie ist wie alle Sprachrichtigkeit beinahe nur von negativer Bedeutung. Wir werden auf die Sjntaz erst aufmerksam, wenn ein Redner aDsa grob gegen ihre Oewohnbeiten oder Regeln TerstOeet Es wird uns aber abgesehen Ton der ftfläletiscbra Würdigung gar nicht einfallen, uns darum zu bekflmmem, ob der Redner innerhalb der grossen Frei-* heit unserer syntaktischen Gewohnheiten seine Gedanken mit d«r kindliehen Einfalt eines Botokuden aneinnnderreiht oder im Üppigen Periodenstil eines fransösischen Akade- mikers« Die Sjntaz ist uns innerhalb dieser vdten Grenze so gleichgtlltig, wie die Kleidung des Redners innerhalb der Grenaen, die wir anständig nennen* Erst Ahlwardts zer- rissene Hosen eiregen Anstoss. Im Itbrigen kann der Redner erscheinen wie er wiU. Und es ist bezeichnend, dass einer der besten, das keisst einflussreichaten Redner, die je gelebt haben, dass Fflrst Bismarck im Sinne der Grammatiker ein schlechter Redner war, dass er geradezu oft die Regeln der Syntax umwarf, weil sein Nachsatz einfach sprachlich zum Vordersatz nicht passte. Ganz köstlich ist es übrigens, dass die Grammatik diese Unverbindlichkeit der Syntax fUr die besten Geister längst bemerkt hat, dass sie sie sogar zu ihrem nicht geringen Schmerze bei den Uber alles berühmten homerischen Gleichnissen registrieren musste, und nun, wie für jede Ausnahme von ihren Regeln, auch für den Mangel an Syntax einen schönen syntaktischen Ehrennamen ge- schaffen hat. Die Grammatik befiehlt bei strengen Strafen Gehorsam gegen rlie Syntax; Ungehorsam ist aber dann eine neue Schönheit und heisst Anakoluthie, das heisst Nichtfolge. Die Wertlosigkeit der Syntax wird vielleicht noch klarer,

Wortfolge.

wenn wir ao die wirklidie Aufnahme einer sosunmen- hSngenden Bede denken, abo an unsere psychologische ThStigkeit beim AnhOren, Es iet bekannt, dass wir beim Lesen die Wortbüder su flflchtig anf nns wirken lassen, vm so leicht Druckfehler lu bemerken. Jahrelange gelegent- liche Beobachtungen in Zeitungsdmckereien haben mich etwas Neues dazu gelehrt: dass nftmlicii von d^ Schrift- steilem (dk gewöhnlich schlechte Korrektoren sind) Druck- fehler in den Wortsttmmen wohl mit ^img^r Sichei^ett entdeckt werden, viel seltener aber Druckfehler in den Ab- leitungssilben. Ich habe (II. S. 385) darauf hingewiesen, dass wir wieder in besonderer Weise falsch hören. Es geht ja auch die Tendenz der Sprachentwickelung dahin, die Büdungssüben des Nomens und des Verbums abzuschleifen und verschwinden zu lassen, was gar nicht mdgli<^ wäre^ wenn nicht die sprechenden und die hörenden Menschen gleichpfültig waren gegen den Ausdruck dieser Formen, üebersehen, Ueberhören der Fehler ist danach das Ele- ment, das Urphänom«i des Lautwandels. Die Reihen- folge der Vorstellungen, wie sie durch die Wortstämme allein schon in uns erweckt werden, ist für die Auf- nahme des Gedankengangs die Hauptsache. Dazu kommt dann freilich als wichtigster Ausdruck des Gedankengangs und als wichtigste Erscheinung ulier Syntax: die Wort- Wort- folge. Wollte mau die Wortfolge allein sclion Syntax '"'ß^- nennen , so müssto ich hier meine Kritik der Syntax alj- brechen und sagen: die Wortfolge ist allerdings von Wichtig- keit für unsere Spruclie : denn in der Wortfolge lieürt. wenn nicht die Ordnung der Wirklichkeit, so doch iliejenige Ord- nung ausgedrückt, in welcher wir die Wirkliciikeit uns nach unserni Staudpunkte vorstelleu. Es sind aber nur einige weit entlegene, der Sprachwissenschaft sehr wenig bekannte Sprachen, in denen Wortfolge und Syntax zusammenfallen. In unsem Kultursprachen ist die Wortfolge nur, ich niüchte sagen, das üerippe der Syntax. Das Satzgefüge bis hinauf zum viel bewunderten Periodenbau verlangt einen ganz anderen Aufwand von Ausdrucksmitteln für die koordinierten

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VII. SyntML

und subordinierten Sätze und fOr die scbmttckenden Zier- rate, in irelche jeder einzelne S«tsteil verwandelt werden kann. Was die Grammatik die Syntax nennt, das ersch^nt in ihrer Darstellung wie die nStUvoUe* Fassade eines Pracht^ bans; in Wirklichkeit ist sie die unwaihre, der Mode unter- worfene, sehr oft durchaus unlogische, äusserlich angeklebte, 7.im\ BI niden bestimmte Strassenfassade ^ mit welcher ge- fällige Architekten die Mietskasernen der Grossstadt be- werfen. Inwendig die Reihe von Arbeitsadmmer und Schlaf- zimmer, von Speisezimmer und Klosett, wie das Bedürfnis es verlangt, auswendig Renaissancestuck oder gotischer Stuck, wie die Eitelkeit des Mieters und das Geschäft dee Vermieters es verlangt. Steno Wie wenig die Syntax zum Wesen der Sprache gehdrt,

giaphie 2:ur Verbindung und Mitteilung bequemer Vorstellungsreihen, kann man an der psychologischen Thätigkeit unserer Kammer- stenogra]>hen sehen. Sie notieren mit v(dlcr Deutlichkeit doch im Grunde nur einige Lauttmippm , welche die ent- scheidenden Vorstellungen wachrufen; für die Bihlungsformeu der Worte und auch für die syntaktische Oliederun!^ der Satze haben sie ausreichende Zeichen. Man könnte mir ein- wenden, dasf? die streni^-*^ (To^etzniässigkeit der Syntax sich grade daran erweise; diu *t( st i /-ii issi^keit zwinge den Steno- graphen, nachher dieselben Worte zu gehnuiclien wie der Redner. Nein, das gute Gedächtnis des Stenographen spielt wesentlich mit, wenn er eine hall)e Stunde nach tlem Steno- graphieren sein Stenogramm umschreibt. Ein Mann mit noch bessern) Gedächtnis könnte die Rede vielleicht aus dem Kopf nachschreiben. Dasjenige Gedächtnis, welches die ur- sprüngliche Rede aus den flüchtigen Zeichen wieder herstellen lässt, ist freilich kein anderes, als das Sprachgedächtnis selbst, als die in unserm Gehirn vorhandenen syntaktischen Kategorien, als die durch ungefähre Analogie entstandene Gewohnheit, unklare Gruppen von Satzbeziehuugen durch gewisse, ihrem Sinne nach unbestimmte Formen auszudrücken. Der Kammerstenograph entlastet aber fast nur sein Sprach- gedaehtnis für grammatische und syntaktische Formen; dieses

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Stenographie.

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G^ppe hat er nachher sichtbar vor sich und vervollständigt es lu eiaem lebendigen Gebilde durch sein Gedächtnis fQr die Sitoalioii dee F^unentg, för die Seelensituation des Redners. Das NichtBagensverto, die Caane- und Tempus- formen und die Eonjunktionea haifc er fixiert; das Sa^^na- werte, die Wortstftmme von Adjektiv, Yerbum und SuV etaativ ergänzt «r aua dem Situation^fedüchtniB. Anders bei einer Debatte um Branntwein, anders bei einer um die Schule. Die Kammerstoiographie nach der verbreitetsten Methode schreibt nicht wie wir sprechen. Auch nicht wie wir hdren. Sie ist eine mnemotechnische Hilfe; sie er» innert durch die ZufUügkeiten der Syntax (die fllr jede Sprache anders unbestimmt sind) an den Gedankengang. Auch der beste Stenograph könnte eine rasche Rede kaum in einer Uebersetaung niederschreiben.

Haben wir uns erst an den Gedanken gewöhnt, dass die Bedeutungen der syntaktischen Satzgliederung ebenso unbestimmt sind wie der Sinn der Cwsus- und Tempusformen, haben wir nun femer erfahren , dass wir beim Aufnehmen einer Rede nur mit halbem Ohr auf diese formalen Teile der Worte und Sätze hinhören, so fehlt uns nicht mehr viel zu der Einsicht, dass die AnaiogiebiMiingen der Syntax mit allen ihren schönen Gesetzen nur Zufälligkeiten sind, Zu- fälligkeiten unsrer Sprache, die grade wir ererbt haben. Das GefQge des zusammengesetzten Satzes braucht sich von dem einfachen Satze nicht mehr zu unterscheiden, als der Kleider- stoflF, welchen der Verkäufer faltenreich vor der Kundin ausbreitet, von demselben Kleiderstoff im Ballen. Für den, der mit den begleitenden Umständen Bescheid weiss, ist die flüchtigste Tage})nchnotiz ebenso inhaltreich und deutlich, wie der aus ihr entwickelte einfache Satz und wie die reicherp Periode. Wenn ich mir ins Tagebnch schreibe „gestern Erbfürs ter G.** so ist das für mich eljensoviel wie für einen Eingeweihten die Mitteilung »ich habe gestern abend im Theater bei Baumeister meinen Freund G. ge- sjtrochen*. Einem ganz Fh im Um könnte ich die Sache ebenso genau durch Uinzutilguug weiterer Nebenumstände

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berichten, ohne die Grenzen des einfachen Satsee xu Aber- schreiten. Manche Sprachen kOnnen es gar nicht anders. Ich kann aber, indem ich meine Bedeweise mehr und mehr der in Bomanen flblichen Schriftsprache nXhere, ein Satt» geftige daraus machen: «Als gestem abend der Tortreffliche Baumeister, welcher als Gast aus Wien, wo er sonst wiikt, su uns gekommen ist, im Neuen Theater den Heldeii im »Brb- förster* spielte, dem aufregenden Trauetspiele Otto Ludwigs, traf ich im Foyer meinen eimdgen Freund 0., dem ich alle m^ne Gediuiken miteuteflen gewohnt bin und der mit seinen herzlichen Anteil die Entstehung meines Werkes Ton Stufb zu Stufe Teriblgt, als ob für ihn auf der Welt nichts Wich* tigeres bcsttlnde; da die Verhältnisse es gestatteten, hatte ich die Freude, ihn einige Minuten zu sprechen." Sollte jemand mein Denken so genau kennen wie ich selbst, so würde er aus den drei Worten der Tagebuchnotiz den voli** ständigen Inhalt dieser Periode erfahren, nicht etwa erraten, wenigstens nicht in einem andern Sinne erraten, als auch die breiteste Ausdrucksweise bloss erraten lässt. Je nach- dem die einzelnen Vorstellungen im andern schon Torhanden sind oder erst geweckt werden sollen, müssen mehr oder weniger BegriflFe in einer bequemen Wortfolge gebraucht werden. Die syntaktische Gliederung aber ist fUr den Er- folg so gut wie gleiclinrültig. Komiank- Für die syntaktische Gliederung sind in der eben aus- ttonen. gesprochenen Periode eine Anzahl von Worten wesentlich, die man Verbindungsworte oder Konjunktionen nennt oder wenig- stens in einem weitern Sinn so nennen könnte, nämlich: als. web her, wo, als ob, da u. s. w. Diese Verbindungswörter spielen v(ir dem Satze dieselbe liolle wie die Präpositionen vor dem Substantiv. Beide Wortarten sind wir nicht ge- W(»lint Iiis Zeiclien für Begriffe anzusehen; sie sind uns Zeichen von Beziehungen. Und diese Beziehungen sind so unbe- stimmter Art, dass wir eben darum nur selten festumschiie- bene Begriffe mit ihnen verbinden können. Ja noch mehr: ein und dasselbe Wort hat sehr häufig bald den Dienst einer Präposition bald den einer Konjunktion zu versehen.

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KoqjmiktioiMn.

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Nun stellt es ausser Frage, dass alle die<^c Verbindtti^p- worte nrsprOiiglicli anschauliche BegriffiB bezeichneten; wir stehen also vor derselben Erscheinung wie bei den Formen- silben des Nomens und des Yerbums, die ursprQnglich selb- ständige Worte waren und ersfc allmählich so weit ver- blassten, dass wir an ihnen blosse Beziehangen erkannten. Wir wissen oder lehren wenigstens, dass die zahlreichea Formbildungen der Deklination und Konjugation ursprünglich selbständige Worte waren und sich erst mit der Zeit so gruppierten, dass wir in ihnen nur noch grammatische Kate- gorien erblicken. Es ist das eine rechte Bequemlichkeit beim Sprechen, mehr nicht. Eine eben solche Bequemlich- keit, aber auch Tiicht mehr ist es, wenn die obigen Worte (als, wo u. s. w.) zu Verbindnn£fsworten verblasst sind und wir mit ihnen eine syntaktische Kategorie verbinden, bei der wir uns nur insofern etwas Bestimmtes vorstellen, als unsere Vorstellungen ohnedies schon bestimmt sind.

Die zum Instinkt gewordene Bequemlichkeit, mit welcher durch die Sprache Vorsti lluiiL^en von Dingen und Voi^tfl- lungen von Beziehungen hervorgerufen werden, tiiusclit den Forscher immer wieder darüber, wie armselig der Organis- mus der Sprache ist gegenüber dem Organismus der Welt. Ist das schon deuthch nachweisbar an den verhältnisniässig konkreten Worten, den Verben und Substantiven, und an ihren Deklination«- und Konjugationsformen, so tritt es am hellsten hervor im Gebrauche der Konjunktionen , weil diese die logischen Verhältnisse der Gedanken mitteilen sollen und dazu völlig ungeeignet sind. Betrachten wir so die drei allergewöhnlichsten Konjunktionen: und, aber, oder.

Zunächst bitte ich jeden Leser, mir einen einfachen tm. Versuck nachzumachen. Er lasse sich einmal eine beliebige Seite mit all ihren unds, abers und oders völlig tonlos Tor* lesen, hierauf eine andere beliebige Seite mit guter Be- tonung, nur mit Hinweglassung dieser Konjunktionen. Er wird (dme Zweifel meine Erfahrung bestätigt finden, dass der Ton für das Yerstindnis wichtiger ist als der Gebranch der Konjunktionen. Man achte ferner darauf (Beispiele

]la«tbn«r, Bdtilg« n «law Kritik d«r Syimsh«. m. 18

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finden sich in K. F. Becktih „Organism der Sprache" 2. A. S. 471 f., einem tiefdringenden und feinhörigen, mit Un- recht Ton Steinthal viclgeschmähten Buche), welcher Luxus mit Konjunktionen in wissenschaftlichen und in epischen Darstellungeu getrieben wird, während sie in der dramati- sckem Rede oft und mit besonderer Wirkung fortgelassen werden. Denn das WegiUlen der Eoi^iuiktion (WegfaUen ist ein alberner Sebnlaasdrack) zwingt zu starker dramatischer Betonung. Man achte endlieh wo mOglich auf den Unter- schied zwischen dem innem Denken, dem hiusUchen Ge- pjauder und der Anwoidung einer offiziellen korrekken Sprache, üeberdenken wir eine Sache, so gehen dabei samtliehe Glieder des Gedankengangs durch unser Bewusst- sein, aber kein einz%es «und*, kein einziges .aber*, kein einziges «oder*. Bescheiden ist der Gebrauch dieser Worte auch im intimoi GesprSdie i.er Familien. Erst die Fremdheit zwischen Sprecher und H9rer, erst die Sorge, dass der Be- wusstseinszustand des einen nicht der des andern sei, n9lagt zu der Eselabrttcke der Konjunktionen, Ton denen dann natürlich besonders dw gespreizte Stil des Schulauftataes und der Kandidatenprosa (das Wort ist Ton Lichtenberg) wimmelt. Kümmern wir uns nicht um Schwatzerei, halten ittr uns an den ernsten Gebrauch der Konjunktionen. Da sind sie in die tonlose Schriftsprache gekorTmion , um den Missverständnissen abzuhelfen, die aus der Tonlosigkeit ent- stehen. Was sie aber bewirken ist zuletzt nur eine unbe- stimmte Erregung der Aufmerksamkeit. Nicht in den und, aber, oder liegt der Sinn, den die Grammatik ihnen beilegt. In den Gedankenverhältnissen li^ der Sinn und fast jedes GedanlwnTerhältnis lässt sich in jede dieser Koigunktionen hineinlegen.

»«»d*. Die Konjunktion »und" verbindet Begriffe und Sätze gewiss häufig mit einer gleichmachenden Tendenz. In diesen Fällen kann das ,und" einfach erspart werden. ,Und* kann aber nicht fortbleiben, wenn es eine Steigerung ( .hohler und hohler hört inan's heulen" ), einen Gegensatz, eine Be- dingung (aDu musst und kostet' mein Leben") ausdrückt.

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,imd*, «aber*, .oder*.

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Auf einen besonders feinen Unterschied im Gebrauche des «lind* hat Schröder hingewiesen und ihn dadurch zu be- zeichnen gesucht, dass «und* im Subjekt die Addierung, im PrSdikat die Multiplikation der beiden durch ,und* ver- bundenen Begriffe bedeute. Das ist ohne Gewöhnung an die Sprache des Logikkalküls unverständlich. Alle Beispiele für diesen Fall spielen ein wenig mit der Grammatik. «Be- trogene und Betrfl^er sind bedauemsM'ert Frömmler sind Bf^'trogene und Betrüger; schwarz und weiss sind Farben, manche Malereien sind schwarz und weiss.* Man sieht, das ,und" im Subjekt liesse sich durch ,aber auch* er- setzen, das „und" im Prädikate durch , zugleich*. Wollte ich das logische Verhältnis m einer mathematischen Formel ausdrücken, so würde ich schreiben: a -f b 2^ c, c (a | b). Mit den Zeichen der voralgebraischen Logik ausgedrückt, würde das heissen: im Subjekt« verbmdet ein «und" Teil- begriffe des Umfangs, im Prädikate verbindet es Teilbegriffe des Inhalts. Da nun die Begriffe im umgekehrten Ver- hältnisse ihres UnitanL's und Inhalt« zu einander stehen, so habe ich damit streng logisch formuliert, dass das ^und" entgegengesetzte Beziehungen auszudrucken vermag.

Die Konjunktion «aber" verrät auf den ersten Blick .aber^ die Verwendung in so entgegengesetztem Sinne nicht Sie wird am häufigsten verwandt, um die Aufmerkeamkeit auf einen wirUiehen Oegensate sq tnregen. Ihm «aber* ebeoao wie «und* eine Steigerung beieidinen kann (Ich liebe iboi aber noch mehr seine Frau) oder eine Einschränkung (Das ist viel, aber nicht genug) kOnnte noch nnter den BegrüF des Gegensaties faUen, obgleich manches B^Bpiel (Und ich hab* es doch getragen, aber fragt mich nmr nicht wie) den Gedanken an einen Qegensats kaum mehr aufkommen liest In der Redensart «aber ja, aber nein* drQckt das «aber* die ungeduldige Versicherung aus, dass der Gegen- stand der Frage gar keinen Widersprach vertrage, dass die Antwort BelbstrerstSndlich sei. Endlich aber (ich bitte auch sagen können: und endlich) wird ti^ber* namentlich in Nach- ahmungen homerischer Sprache voUstiad^ gleichwertig mit

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YIL SjBtu.

^und" behamielt, wie wenn z. B. Goethe sagt: ^Also sprach sie und steckte die itixige nebeneiDander, aber der Bräu- tigam s])rach."

aodor". Am schiiiisten beobachtet ist der verschiedene Gebrauch von „oder", weil es im Lateinischen durch so verschieden- wertif?e Worte zu Obersetzen ist wie sive, aut und vfA. Im Deutschen ist der ungleiche Gebrauch leicht zu bemerken, wenn man oder in diesen drei Bedeutungen ersetzt durch: oder violmehr, oder aber, oder auch.

Etymolotrische Annahmen gelien nun dazu einen merk- würdigen Anhitltspunkt; immer mit dem Vorbehalt, dass es eine .sichere vorhistorische Etymoloj?! ' cil^ ntlich nicht giebt. ^Und" scheint auf ein SansknLwort zui iu kzufUhren, ■welches auch (oder vielmehr) ferner bedtulet; «aber* weist noch sicherer auf ein Sanskritwort hin, das etwas Späteres ausdruckt (apari = Zukauft); «oder* ist etwas rätselhafter, dfirfte aber doch mit einer attgermaniseheu Zeitpartikel zusammenhSiigeii. Ich glaube sogar, dass dieser Oebraudi Ton »oder* noch nicht ausgestorben ist; in der sehr gebriLuchlichen Drohung: ,Sei still oder , , A* liesse sich «oder* recht gut dqrdi .ehe dass* ersetzen. »9ei still ehe dass du noch weiter PMgel bekommst* Es wire sonach gar nicht unml^lich, dass die Koigunktionen und, aber, oder, so wie sie gegenwärtig nur die Aufmerk-, samkeit des Hörenden darauf hinweisen, es werde der Ge- danke in irgend einem VerhUtnis sum Torhergehenden weiter gefbhit werden, auch ursprünglich beim Redenden nur elende Hilfen waren, seinen Gedanken weitersospinnen, etwa in dem Sinne: weiter, femer, sodann. Im Hebriischen gibt es denn auch ftlr und, aber und oder nur eine einzige Partikel.

Haupt. Wie wenig die syntaktischen Kategorien, die die Gram- matik aufzählt, mit unserer Erkenntnis oder auch nur mit Mts. unseren Hitteilungen zu thun haben, mag daraus klar werden, dass nicht einmal die umfassendste Unterscheidung, die in Haupt- und Nebensatz, irgend einen de&nierbaren Sinn er- gibt. Was ein Hauptsatz sei, das kann man Uberhaupt nur durch die Gegenttberstellung zum Nebensatz klar machen,

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Haupt- und NebensaU.

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und dann nur mit Worten, die ganz nnd gar bOdlieh sind. Hauptsate soll derjenige Sata aein, yon dem ein Nebenaata ein Saiqiitied unuohreibt, von dem also ein Nebensatz ab- bftngi. Wenn die Onunmatiker wOssten, was sie sagen wollen, 80 wttrden sie doch nicht ein so nnfaasbares Wort wie «abhängen* gebranehen. Heinetwegen aber mag der Hanptsais so eitiärt werden, nimlieh so, dass er kein Nebensata seL Dann mllsaten wir aber wenigstens erfehren was ein Nebensatt ist. Ein Nebensata aber wird erUftrt als ein Sata, der ein Ba^lied an der Form eines Satzes erweitert. SehzeehHch, aber auch das will ich hinnehmen. Wir sehen in diesem SrUftrungsTersnche eine Beatttigung dafDr, dass ein Unterschied zwischen einem SatagHed (Be- stimmungswort der Zeit, des Grundes u. s. w.) und einem Nebensatz fUr den Sinn, also für die Absicht der Sprache nicht vorhaiiden ist Nun aber weiter. Wenn simtliche Satzglieder die Form von Sätzen erhalten, wird dann auch das Hauptglied zu einem Nebensatz? Im Sinne der Scbul- grammatik gewiss. Aber so wie im einfachen Satze die Kategorien Subjekt, Copula und Prädikat sich durchaus nicht immer mit ihren Definitionen decken, wie je nach der Absicht des Redenden oder den begleitenden Umständen sowohl Prädikat als Copula die Bedeutung gewinnen kann, die wir dem Subjekt zulegen, so kann im Satzgefüge jeder Teil zur Hauptsache werden. Dürrh Wnrt^toliiui^' oder Be- tonung kann ich in dom ( iülachen Satzt .icli sprach gestern im Tlieater meinf^n ö." nacheinander jedes Wort

zur Hauptsache n^K In n, zu dem, was man das psychologi- sche Subjekt genannt hat. Je nachdem , was an meiner Mitteilung das Neue ist, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken wiii, kann ich sagen: »Meinen Freund G. sprach ich im Theater gestern" oder ,ich sprach meinen Freund G. gestern im Theater" oder „ich sprach gestern im Theater meinen Freund G." oder .,meinen Freund G." oder , meinen Freund G." u. s, w. Habe ich aus dem Satze eine Periode gemacht, so liegt das Verhältnis durchaus niclit anders. Das Neue, das worauf ich die Aufmerksamkeit richten will, kann

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Vn. Sjntax.

sehr wohl im Nebensatze ausgedrückt sein. Wenn Torhin in der langen Periode der Relativsatz vorkommt , welcher mein einziger Freund ist", so Terschwindet für mich und vielleicht auch ftlr den Hörer die Bedeutung des ganzen Satzgefüges hinter diesem Nebensats. Die Bezeichnung Hauptsatz und Nebensatz verliert in allen solchen Fällen jeden Sinn; das Abhängigkeitsverhältnis um das bild- liche Wort schon zu gebrauchen wird durch die Wirk- lichkeit bestimmt und nirht durch syntaktische Formen. Ja ich verlasse mich auf mein eigenes Siitarhgofühl und be- haupte ganz entschieden, dass unter Umstünden der eben frebildete Nebensatz trotz seines Relativpronora ens (das för mich den Wert eines mit einer Konjunktion verbundenen Pronomens hat, wie denn auch Schopenhauer solche Be- ziehungen gern mit ,als welcher" ausdrückt) in unserer Vorstellung nicht nur den Hauptgedanken enthält, sondern sogar die sprachliche Empliudung des Hauptsatzes erzeugen kann. Wenn ich in einer noch so laugen Periode, in der sich Haupt- und Nebensätze verschlingen, endlich nach An- pjabe aller Zeit- und Ortsbestimmungen zu dem Schluss konitne „. . . G., welcher (als welcher) mein einziger Freund ist", ao Ivann die Sachlage dazu führen, dass ich die ganze Periode dieses Bekenntnisses wegen gebildet habe und dass ich dann diesen Nebensatz nach meinem Sprachgefühl deut- lich auch formell ab Hauptsatz empfinde, etwa so: jawohl, jawohl dieses Menadienkind, von dem ich euch jetzt so viel erzählt habe, ist G. und der oder die ist mein einziger Freund.

Die Hauptkategorien der Syntax, Haupte und Neben- satz, sind also nidit bestimmend fitr den Sinn des Sats* gefüges. Die syntaktischen Formen tftoschen uns durch unsere Gewohnheit nicht minder als die Casusformen und die Tempusformen. Lösen wir ein Satzgeftige in lauter ein- fache SStze auf, so erkennen wir oft deutlich, wie t&uschend die Analogie des Sinnes war, die die Syntax uns voi^fe- spiegelt hat. Die Sitze ,ich traf 0., mit dem (den) ich sprach* und «ich traf G., den du kennst" sind im Sinne der

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Schhftspradie.

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Syntax ToUkotmneD gleichwertige Sfttie. Sie haben aber in Wirklichkeit gar keine Analogie miteinander. Der erste Sata will sagen «ich traf 0., darauf sprach ich mit ihm*; der swdte Sats sagt «ich traf G^., du kennst ihn ja*. Der erste Sais endÜiH weiter und beginnt in einer Laune der Sprache die Hauptsache mit dem RelatiTpronomen; der zweite Sats ftgt ebenso einen Nebennmstand an. Man wird geneigt sein, eine sokdie Verwendung des Nebensaties ftlr eine Naebliasigkeit su halten; die Philologen wissen aber, dasa sie in den mosten wohlgeordneten 8chriftq»rachen tot- kommt, dass sie besonders in der mn ihre Logik gerOhmten lateinisdien Grammatik gar nicht fibwsehen werdm kann* So geht es aber immer, wenn die Anfberksamkett sieh auf irgend eine Kategorie der Syntax richtet. Man entdeckt zuerst eine gewisse Unbestimmtheit in der Bedeutung der Kategorie, dann eine Anomalie oder Nachlässigkeit in ihrer augenblicklichen Anwendung, bis man durch die Wieder- holung solcher Beobachtungen zu der Ueberzeugung gefüLrt werden mag, dass Unbestimmtheit, Anomalie und Nach- Iftssigkeit zum Wesen jeder syntaktischen Gewohnheit wie zum Wesen der Sprache Oberhaupt gehört.

Wir sind allerdings so sehr daran gewöhnt, uns nament- Schrift- lich bei ruhiger Darstellung komplizierter Gedankengänge von den geläufigen Formen der Syntax leiten zu lassen, dass wir die Ordnung der Gedanken der Syntax zu ver- danken glauben, während wir in Wirklichkeit beim Sprechen nach einer unbewussten Ordnungsliebe erst die syntaktischeu Ausdrucksmittel wählen und beim Hören nach dtni unbe- wusst erzeugten Vorstellungsp^uppen erst nachher einen Sinn in die syntaktischen Formen hineinle|?en. Es t";lllt uns schwer, uns eine ebenso logische Sprache wie die unsre ausserhalb unsrer Syntax vorzusteHen. Aber wir selbst reden in zweierlei Syntaxeu, je nachdem wir die SchiitV sprache reden oder die Umgangssprache. Die natürliche Sprache kennt die Periode gur nicht. Man braucht einem Menschen auf der Bühne nur eine längere Periode in den Mund zu legen, und wäre es die bestgebaute Periode, und

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m

m Sjntas.

man kann Heiterkeit damit erKgen, -~ ea w&re dam in einem «klassisclian'' SiQcke, dem wir die 8cluriflq>raehe lu

gute halten.

Ich möchte dahei einachalten, daaa das Wort Schrift- sprache, wenn wir es genau untersuchen, zwei gaas Ter- schiedene Bedeutungen haben kann. Ich habe es soeben nach dem eingeführten Sprachgebrauch in dem Sinne ge- nommen, der die Schriftsprache als eine dem idealen Muster, der idealen Grammatik sich möglichst nähernde, im Grunde kflnsÜiche Sprache der weit mehr individual gefärbten Um- gangsprache entgegenstellt Mit dieser Vorstellung reden wir dann von einer reinen Sprache oder einer Schriftsprache unserer Dichter, Professoren und Redner. Wohl gemerkt, auch von einer Schriftsprache der Redner. Denn in diesem Sinne wird die Schriftsprache immer noch von den Sprach- werkzeugen geschaffen und vou den (iehörwerkzmrrpn auf- genommen. Sie heisst SctirifKjiraclie nur iti^^iterii, als sie sich in ihrer vermeintlichen Schönheit haiiptsaciilich in den Littel aturprudukten finden soll. Gei5bt wird sie l)egreif- licherweise nur von den gebildeten Ständen eines Volkes. Ich habe (II. S. 558 f.) schon darauf hingewiesen, dass sie sich gegenüber den Mundarten als eine ideale Gemein- sprache erst ausbilden konnte, als die Einführung der Buch- staben eine Uniforniierung in den Sprachen weiterer Land- schaften möglieh und notwendig gemacht hatte. Auch darum kommt dieser angeblichen Idealsprache die Bezeichnung Schriftsprache mit Recht zu. Für mein Sprachgefühl liegt schon in dieser Bezeichnung eine Verurteilung. 8oiirift> Aber mit der weitem Entwickelung der Buchstaben- ^^^^ Schrift hat sieh nnter den höchst Gebildeten eines Volkes das heisst unter seinen Büchennenachen, eine neue Art der Schriftsprache herausgebildet, die Ton «aktoa PiqrchologeB noch genauer untersncht werden sollte, wenn auch das Grundphinomen, von dem ich jetat ausgehe, lange schon bekannt ist Wir alle sind in einem so hohen Grade Bficher- menschen geworden, dass es sich bei yieUea von uns fragt, ob die Worizeichen, die unsre Augen sehen, Überhaupt noch

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mit den Schallvorstfllimgen der lebendigen Sprache etwas 2U thun hiibeu. Wenn ich z. B. nach einer oberflächlichen Schätzung Iis jetzt etwa zwanzigtausend Bücher gelesen habe, so iiut sich ohne Frage in meinem Gehirn eine direkte Verbindung zwischen dem J5ichtbaren Wortbild und seinem Begriffe hergestellt. Wir Büchermenschen denken in- solange wir lesen mit den Augen , mit unseren Buch- stabenaugen ; glücklich die, welche sich die Frische bewahrt haben, um vorher und nachher mit diesen Augt-n auch die lebende Natur aulnehmen und mit allen übrigen Sinnen em- pfinden zu können. Aber insolange wir lesen, denken wir doch wie gesagt mit den Augen. Was wir dabei auf unsere Vorstellungen wirken lassen, ist demnach in einem g»os ejagetchrlakteii Sinne eine schriftliche Sprache. Es flUt mir kein iMranehlMaes W<nt fttr diesen neaen Begriff ein; Augensprache, Bildeispnehe, Buchspraehe, alles ist schon von andern Begriffen in Anspruch genonuMn. Und doch ist der B^riff einer solchen rein scfarifUichen Sjpraehe ohne entsprediMide begleitoide SchallTorrtellungen Iftngst ▼orhanden. Die Gelehrten wissen, dass ee eine chineasche Schiätepnche giht, in der sich die diinemschen Qelduien ▼ersOndigen kOnnent trotzdem sie sie Terschieden lesen, dass es eine chinesisehe Schriftsprache gibt, welche die Gelehrten lesend Terstehen, ohne an ihre Aussprache xa denken. So sdunerzlidi es auch fBr unsem europüschen Eulturstols sein mag: ich behaupte, dass die sogenannten fthrenden Geister unsrer Völker, freilicli nur die Bllchetmenschen, YoOkommen jenen chinesischen Gelehrten gleichen, wenn sie schreibend oder lesend ihre Schriftsprache (in diesem beechrftnkten Shme) gebrauchen.

Wenn wir nun eingesehen haben, dass die syntaktischen Formen um so strenger nach den Regeln der Grammatik angewandt werden, je mehr sich unsre Gemeinsprache der künstlichen Sprache der Schriftsteller, Professoren und Redner nähert, so werden wir jetzt begreifen, dass das eigentliche Feld der Syntax die völlig tote, nur für die Augen vor- handene, unwirkUche Schriftsprache (in beschränktem Sinn)

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yn. Syntax.

jgi. Es ist also gar niclit verwundetlich, wenn die zofUlige,

von uns gar nicht mehr mitempfundene Syntax einer toien Sprache, die des Laieinischen , zum Musterbilde unserer Bflclierspniche geworden ist. Weiter konnte sich die mensch- liche Sprache von ihrer ursprünglichen Aufgabe nicht mehr entfernen: durch Töne Vorstellungen zu erwecken. Oder ist auch diese Klage wieder nur die reaktionäre Anschauung eines Mannes, der bei allem Radikalismus dennoch die alte, Uittgiende, Ansi lüuiungen weckende Sprache liebt und sie darum schön ündet^ wie der Stier die Kuh schön findet? Ist auch diese meine Klage über das Absterben der Sprache, über ihre Yeniichtung durch die Bildung" nur ein Beweis für die Ünzuläuglichkeit meiner Kritik, für die Befangen- heit, ja Rückständigkeit meiner Ansichten t* Ist die Ver- wandlung der heissgeliebten , oft so berückenden, tönenden Muttersprache in die lautlose Büchersprache, ist yielleicht die lautlose Büchersprache, ist vielleicht die Ausbildung H»^'^ direkten WV«xes in imserm Gehirn , die Entstehung eines farblosen Buciistabendenkens, ist sie vielleicht gar ein Fort- schritt? Ich glaube es nicht. Dass ich es abei- nicht glauben kann, ist wahrscheinlich nur eine Folge meiner Beschränkt- heit. Wer diese letzten Zeilen für eine Koketterie hält, wer nicht aus ihnen den stillsten und bittersten Zweifel an der Möglichkeit jeder Sprachkritik und jedes Bis-ans-Ende- Denkens herausliest , der hat freilich keine Veranlassung, auf jueine Beschränktheit herabziLsehen. App«r- Durch solche Gedanken muss man, wie mich dünkt, ««ptioft. jgj. Ueberzeuguug gelangen, dass die zufälligen syntakti- schen Kationen unserer zwischen dem Mittelmeer und der Gegend Ton Island gerade in diesem AngonMieke gebrauchten Sprachen, dase unsere syntaktischen Regeln für die immer noch behauptete Aufgabe der Sprache, für die Welterkenntnis, nicht mehr Bedeutung haben, als etwa die Figuren eines Contretanzes f&r GefGßile, die ein Liebespaar zu dem Tanze zusammenftihren mögen, 2fag der Tanzmeister sich ärgern, wenn das Paar Brust an Brust gepresst die Figur vergisst oder gar vergessen hat, dass der Walzer keine Polka ist,

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Apperzeption.

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der Dreitakt kein Zweitakt. Die beiden Leute werden sich auch im Zweitakt Teratehen. tJnd wenn nachher in der Kritik der Logik, der logischen Syntax, das Wesen der Appeneption klar weiden kann, so wird die pedantische Lftdieriichkeit aller Syntax lielleieht pldtdich Ton ihrer psychologischen Seite her klar werden. Es ist ja wirklich nnr ein ewiger Zweitakt, in welchem unaufhörlich hald lang* samer hald schneller unsere Erkenntnis Ton der Wirklich* keitswelt fortBchreitei und in welchem sich auch die Sprache bewegen mOsste, wenn sie jemals im stände w8re, dem psychologischen Vorgang zu folgen. Jedes Fortsdiretten in der Erkenntnis, jede Bereicherung unserer Sprache (und kein Blick unsers Auges, kein Augenblick kann gedacht werden ohne dne solche minimale Bereicherung) ist ein Vorgang ▼on Apperzeption, ein Vorgang, in welchem die Gesamtheit onsres bisherigen Wortschataes, die Gesamtheit unsrer bis- her^en Weltanschauung eine neue Beobachtung in sich auf- ninmit, sich durch ihre Assimilation erweitert, so wie irgend ein zu unterst stehender Tierorganissmus ohne sichtbare Organe Nahrung in sich aufni^ninf AJle natürliche Syntax der Sprache sollte also nur darin bestehen, dass sie eine Kategorie hätte für die vorhandene Anschauung oder doch für den Teil derselben , der t^rade die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, und für die Bereicherung oder nähere Rostini- mung dieser Anschauung oder dieses ihres Teils; man mag die erste weite Vorstellung das Subjekt nennen, die zweite, neu bestimmend herantretende Vorstellung das Prädikat. Aber nicht einmal diese überaus vagen Bezeichnungen würden sich festhalten lassen. Denn selbst da kommt es noch darauf an, was unser Interesse erregt hat, was eigonthch für unsre Aufmerksamkeit das bestimmende und duü bestimmte Qlied ist. Man denke, dass Kolumbus nach allen Sorgen und Ge- fahren sein Ziel erreicht hat, ein Ziel, da« er bekanntlich nicht ahnte und niemals erkennen lernen sollte, mau stelle sich vor, dass in diesem Augenblicke die ungeheure Be- reicheruüg der menschlichen Welterkenntnis, das was mau die neue Zeit ueuut, sich zuerst und mit der ersteu Ahuuug iu

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aemem Qehirii ToIMebt, und daw der sprachliche Auedruck dieses ungehettem Sreignisses siuaohlich eheoso gut heiesen honnte: «Das ist Land* als «Land ist dort*. Ich weiss nicht, ob ein Gbtunmatiher der Welt in diesem Augenblick blödsinnig genug gewesen wäre, darüber nachzudenken, ob ^Land" richtiger und logischer als Subjekt oder als 1*t^ dikat ausgesprochen werde. Der Matrose im Mastkorb aber war kein Grammatiker. Er wusste nichts Ton Subjekt und Prädikat, wie die Wirklichkeit und die Natur nichts davon weiss. »Land!*^ rief er und die neneZeit brach an, trots- dem die Syntax dabei zu kurz kam.

Alle Syntax hat nur einen Zweck: fttr den Sprecher und für den Hörer möglichst bequem aneimmder zu reihen, was in dem grossen Zweitakt des Denkens in jedem Falle die bestimmende Vorstellung und was die bestimmte Vor- stellung sei. Was in der Logik das Urteil ist, das ist in der Grammatik der Satz. Meine Satzlehre oder Syntax muss also in ihrem Ergebnis mit der Logik zusamraent reffen, wenn ich nicht an jedem Wert dieser Untersuchungen verzweifeln soll. Diese Uebereinstimmung alier ist jetzt zu stände ge- komnu n, ohne dass ich bei diespin Al>.sehnitt auch nur einen Auirniblick an das in der Lugik zu Lehrende gedacht hatte. Erst das Ergebnis der syntaktischen Untersut hunu*" erinnert mich, allerdings zu meiner Freude, an das logische Er- gebnis.

a priori. Ich werde dort nämlich ausführen , dass die hoch- gelahrte Üuterscheidung in Urteile a priori und in Urteile a posteriori sich im wesentlichen deckt mit der Unter- scheidung in erklärende und in erzählende Urteile, dass die erklärenden Urteile ihrem Werte nach noch unter die Tauto- logie hinabsinken, dass die erzählenden Urteile schlichte Tautologien sind, wenn sie nicht ausnahmsweise als be- schreibende Urteile eine neue Beobachtung dem Sprach- schatse einfügen. Alles Sprech«! oder Denken in ürtdlen ist ein Brinnem und die Terschiedenen Formoi des Urteils entstehen dadurch, dass je nach den begleitenden ümstSnden oder unserm Interesse die Auimerksamkeit bald auf den In-

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% priori

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halt bald auf d«n Umfang eines Begriffs gerichtet ist. Die Logik alknn weiss mit den beiden Begriffen „Baum* und «läche* gar nichts anzufangen. Erst unser Interesse an einer Erkenntnis oder einer Mitteilung führt entweder zu dem erklärenden Urteile .die Eiche ist ein Baum", das nicht einmal den vollen Wert einer Tautolop^ie besitzt, oder zu dem eraählenden Urteile «dieser Baum ist eine Eiche", das wirklich und wahrhaftig so viel wert ist wie eine Einübung der beiden Begriffe. Das Urteil stecktf» im Begriff.

Nun hat uns schon unsro I^etrachtung der SvTitax an dieselbe Stelle geführt. Und zwar sclion die Syntax des einfachen Satzes. Auch die Graninuitik mit allen ihren syntaktische u liegehi weis mit den beiden Worten „Rauni" und ^Eiche* nichts anzulangen. Einzig und alleiu unsere vom Interesse geleitete Aufmerksamkeit kann die Grund- frage entscheiden: welcher der beiden Begriäe für den andern bestimmend sein soll, welcher von ihnen zum Sub- jekt und welcher zum Prädikat gemaclit werden soll. Genau wie in der Logik wird es von unsrer Aufmerksamkeit (gram- niHtikaiisch gesprochen : von der vorausgegangenen Frage) abliiiugen, ob der Satz lauten wird ..dieser Baum ist eine Subjekt Eiche" oder „die Eiche ist ein Baum\ Und jetzt darf ich ^"J*"' wohl endlich dasjenige aussprechen, was am weitesten aus unseren gebildeten Sprachgewohnheiten herausfallt und was doch unserm wirklichen Denken entspricht. Ich glaube nlmlidi, dass derjenige Satsteil, der seit der Begründung emer Graminatik imitier fttr doi vichtigston geliaiten und an enter Stelle genaant worden ist, wie er denn auch ftberall in der Wortfolge die erste SteUe einnimmt, dass das Subjekt der llberflttssigste Sateteil ist, ja recht eigentlich eine langweilige und pedantische Gewohnheit unserer Sprache, dasjenige formelhaft besonders zusammenzufassen, was dem Sprechenden nnd dem HCrenden gemeinsam ist, was über^ haupt erst Veranlassung zu ihrer Unterhaltung bietet Stehen zwei Menschen Tor einem Eichbaum und ist ihnen oder einem von ihnen dies Ereignis interessant genug, um es zu beschwatzen, so ist ein grammatikalisch gebildeter Satz mit

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YU. SjnUx.

einem ordentlichen Subjekt gar nicht notwendig. Die An- stbauun;^^. die sie zum Sprechen verleitet, die Gegenwart, die sie uiugibt, die Augenblickswelt, in der sie leben, ist das Subjekt des Gedankens, der sich sofort äussern wird. Ja, ich könnte das noch subtiler ausdrücken und sagen: es ist jedesmal das Ich des Sprechenden das einzige Subjekt jedes Satiei, weU in jedem dnselnen Augenblicke das Ich ntir aus der Anschauung des Augenblicks besteht. Hat der Eichbaum eben jetzt mein Interesse, meine Aufinerksamkeit erregt, so besteht ja mein Ich zur selben Zeit fast aus gar nichts anderm ab taa dem Sinneseindruck dieses ISchbaums. ünd nun wird in den meisten F&Uen der Gedanke so zu Worte kommen, dass entweder gesagt wird .eine Eiche* oder «ein Baum** Das Subjekt war das zu bestimmendef das vor uns steht; es braucht gar nicht ausgedruckt zu werden. Nur das Prädikat muss ausgesprochen werden, der bestimmende Begriff, das Ftftdikable. ünd je nachdem der Sinneseindruck zuerst die Vorstellung Ton Baum oder Eiche in mir wedcte, wird das Pkiftdikai entweder erzahlend lauten «eine Xäche*, oder erUirend «ein Baum*, raupi«' Schon die Bedeutungen der beiden Worte Subjekt und Prädikat sprechen für diese Auffassung. Das Subjekt ist das dem Urteil zu Grunde liegende, also die Wirklidikeit, die Anschauung, die gar nicht in Woite gefasst zu werden braucht; das Prädikat ist das, was ausgesagt wird, was allein gesagt zu werden braucht. Die Grammatiker in ihrer unergründlichen Pedantehe nennen es dne Ellipse, wenn das Subjekt fortgelassen und allein das ausgesagt wird, was gesagt zu werden braucht. Danach wäre es einzig und allein die langweiligste, erschöpfendste Schwätzerei, die frei wäre Ton EUipsen. Ich kann hier nur obenbin darauf hin- weisen, d^s diese Anschauung von der Ueberäüssigkeit des Subjekts ein plötzliches Licht wirft auf die sogenannten unpersönlichen Sätze, Über deren Wesen in den letzten Jahren so viel geschrieben worden ist. „Vj^ blitzt" scheint mir ein viel normalerer Satz zu sein als die Weitschweifig- keit n dieser Baum ist eine Eiche". Die natürliche Antwort

EDipie.

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auf einen fragenden Blick lautet „eine Eiche*. Sagt man daför ,es ist eine Eiche", so ist das unpersönliche Fürwort doch nur ein symmetrisches Zierstück. Ebenso ein Zierat ist in denjenigen Sprachen , die diese zufallige Gewohnheit haben, flns .o'^" in dem klassischen Satze ,es blitzt"

Dif Gl [uiimatiker haben ja eben die Analogiebildungen des Sprachgebrauchs in sogenannte Regeln gebracht und haben in ihrer Schulmeisterweisheit diejenigen Fälle , in welchen die Sprache andere Bildungen bevorzugt, die Aus- nahmen von ihren Regeln genannt. Es liegt in diesem Be- griff ^Ausnahme* eine unerschöpfliche Fülle von Thorheit und Hochmuth.

Eine ähnliche Ueberschätzung der Grammatik hat zu der Aufstellung des Begriffs Ellipse geführt. Schon die landläufige Definition dieses Wortes hui lür unsern kriti- schen Standpunkt etwas Lächerliches. ,Üie Ellipse entsteht durch die Weglassung von Satzteilen, die durch die Voll- ständigkeit des Satzes zwar bedingt sind, deren Hinzu- fügung aber gegen den Sprachgebrauch ist* (Leitfaden ▼OH Welael). Ich mOchte wuun, wer oder was diese BtAZ' teile bedingt, wenn der Spraehgebraueh sie für flberflOssig erklärt hat. Hinter der ecUiehten Definition, die den armen SchttUtindem eingetrichtert wd, steckt doch nur die Narr- heit der Orammatiker, wie wir sie bei den Bömem auf ihrem CKpfel finden, und die uns nur deshalb bei unsern eigenen Lehrern weniger TerblOfft, weil wir die Grammatik unserer eigenen Zeit gewissennassen wie die Kiddermode der eigenen Zeit gewohnt smd. Das Schlimmste an der Definition ist aber die Behauptung, dass eine Ellipse durch Weglassnng «entstehe*. "WÜre etwas Wahres daran, so mfisste die Ellipse die »Wegiassung* selber sein. Aber selbst der Begriff »Weglassong* erschleicht schon eine ungehörige Forderung der Grammatik, die nämlich, dass eigentlich nur ein voUstSndiger Satz richtig sei. Es ist gar nicht aus- zudenlcen, wie langweilig eine yoUsl&idige Sprache nach dem Herzen der Grammatiker wäre. Man mache sich das einmal Uar, Fttr den Grammatiker mflsste es schon eine

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VU. djatax.

Ellipse heissen, wenn ich in der Kneipe auf mein Glas klopfe anstatt zu sagen: ,Ein Bier.* Sage ich aber aus- drücklich ,Ein Bier", so iiunnt das der Grammatiker wirk- lich eine Ellipse; sein Ordnungssinn wäre erst befriediget, wenn ich hübsch ausführlich gerufen hätte: „Bringen Sie mir ein Qlas Bier." Der Grammatiker vergisst jedoch, dass diese gew&hlte Ausdnicksweise immer noch unvollständig wikre, immer noch eine logische Ellipee, dass ich durch meinen fiiif mit dem Kellner oder vielmelür mit idnem Herrn einen Vertrag schlieBse und daas mein Gedenke erst dum voU- etSndig wer, wenn ich ihn amfUhrte: «Holen Sie mir in nicht zu langer Zeit in einem Olas vom Anasehank eioen halben Liter des hier angezapften Faasbiers, stellen Sie es mir SU meinem Gebrauch bereit, und nehmoi Sie zugleich meine Tersichemng entgegen, dass ich mich verpflichte, nachher und heute noch den auf der Karte Terzeichneten Preis Ihrem Herrn in Ihre Hand zu bezahlen.* Auch diese Bestellungsform, deren Ende der Kellner wohl nicht ab- warten wttrde, wftre aber immer noch eine Sllipee, weil zu der Vollständigkeit des Gedankens noch einige Umstände gehören wQrden: die Herstellungsart des Biers, seine Tem- peratur, die Schaumh9he und das Versprechen eines Trink- geldes wäre immer noch weggelassen.

Die Grammatiker treiben mit dem Begriff Ellipse heute keinen solchen Missbrauch mehr, wie in früheren Jahr- hunderten; aber sinnlos ist die ganze Aufstellung dieses syntaktischen Gebildes immer noch genug. Ja die De6nition passt eigentlich auf keinen einzigen f einer wirklichen Wea"la ung. Denn jedesmal, wo nach unserem Sprach- geflliü wirklich von einer Weglassung die Rede sein kann, wo der Satz für unser Erapfiuden unvollständig geblieben ist („ich werde euch . . da liegt nach der Klassifikation der Grammatik nicht eine Ellipse Tor, sondern eine Ver- schweignng, eine Aposiopesis.

Man sollte nie vergessen, dass die Sj>rache nicht der Grammatik wegen da ist. Das scheinen aber die Gram- matiker zu glauben, trotzdem nicht einmal die bescheidene

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Grammattache £Ui|Me,

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Umkehr iing berechtigt wäre. Sie haben aber säuberlich zwei Arten der Ellipse aufgestellt, die grammatische Ellipse, bei der nur ein einzelner Satzteil weggelassen wird, und die logische Ellipse, bei der gleich ein ganzer Gedanke, ein Satz hinzuzudenken wäre.

Bei der grammatisdien Ellipse handelt es sich immer dämm, dass der Sprecbgebiaiich mit wama einzelnen Worte eine YorsteUung su Terbinden gelernt hat, zu welcher froher mehrere Worte n^Siig waren. UebertU da nun, wo der Sprachgebraueh die grossere VoUstindigkeit gar nicht mehr zttliesse, wOrde seLhst der eingefleischteste Grammatiker kaum von einer Ellipse reden; ist doch der ausfllhrlichere Ausdruck oft nur noch den Gelehrten bdrannt. „Strumpf bedeutete z. B. ursprflnglich nur den Strunk, das Ende eihes BeinUeidee und konnte gar nicht andws ausgedrückt werden als durch «Hosenstrumpf*. Das Wort ist Tdlüg treiloren gegangen; es gab aber gewiss ebe Zeit, wo Strumpf eine EUipee f&r Hoeenstnunpf war. Auf dieser kOrzeren Rede- weise beruht eme Unzahl unserer Worte. Wer nun ttberall da, WD besondere TJmstinde oder Pedanterie die ausfllhr- lichere Redeweise neben der knappem noch gestatten, von einer notwendigen Erginzung redet, der hat doch wohl keine Ahnung Ton der Psychologie der Sprache. Ich kann sagen «ich lerne franzOsisch* oder auch «ich lerne die fran- zösische Sprache" ; der kürzere Ausdruck ei*zeugt aber durch- aus dieselbe YorsteUung, durchaus Ii gleiche Mitteilung, er hat eine Ergänzung nicht nötig. .Dei- Ptirsich" kann so nach den begleitenden Umständen die Frucht oder den Baum bedeuten; sage ich nun .der Pfirsich blflht*, so wird das Wort eben .in der Bedeutung des Baumes gebraucht und es heisst unser Sprachgefühl auf den Kopf stellen, auf den Kopf der Grammatiker nämlich, wenn der Satz für un- ToUständig erklärt wird, fOr eine Ellipse anstatt , der Pfirsich* bäum blüht".

Hätte die Ellipse in der PsycholofTie der Sprache über- lm\ipt eine Berechtigung, so müsste man sie viel weiter aus- deinien; man könnte dann, wie gesagt, zeigen, da&s wir Manthner, Beiträge zu einer Kritik der äpraohe. III. H

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VII. Syntai.

niemals ToUst&ndig reden. Das Beispiel Ton einer annähernd ToBsttndigen Bestellung in der Kneipe gibt nur einen seh wachen Begriff Yon dem Blödsinn, der zu einw idealen ToUstftndigkeit zusammengetragen werden mflsste. Ja sogar die ^dungsformen unserer Worte mflsslen elKptisch ge- nannt werden, weil sie die GasnsrerhSltnisse des Nomens mtd die ZeitrerhSltnisse des Verlnuns nicht ToUatindig genug angeben.

Die TOn den Qrammalakeni geforderte Ihglazung findet allerdings beim Sprechen unaolhSrüch statt; nicht aber Worte treten ergftnsend hinzu, sondern unsere Yontellnngen, die entweder durch die umgebende WirUiehkeitswelt oder durch die in den ausgesprochenen Worten liegenden Er- inneruTigen erweckt werden. Lese ich ohne Zusammenhang das heisst ausserhalb der Sprache das Wort ;Burgunder*, 80 kann es ^ie man zu sagen pflegt verschiedenes bedeuten; in Wahrheit bedeutet es gar nichts, bevor nicht dadurch eine bestimmte Vorstellung geweckt wird. Wenn ich es in einem Zusammenhang lese, dass ich mir darunter einen Burgunder Ritter denken muss, so werde ich nicht etwa sprachlich den Begriff «Ritter* hinzufügen, sondern mir nur einen gewafiueten Menschen vorstellen. Wenn idi aber die Worte höre , nicht wahr, Sie nehmen gern Bur- gunder", so werde icli doch nicht etwa erst das Wort «Wein" ergänzend hinzufügen müssen, um einzusehen, dass die Haus- frau keinen Burgunder Ritter gemeint habe. Die begleiten- den Umstände werden dann dio Vorstellung von Wein ireb(r.. Eine Wegln-i-^nnji . eui* li^llipse liegt nicht vor. Wenn mir der Wirt ein ülas Weiu bringt und dazu sagt ,vom alten", so werde ich ihn richtig verstehen, ohne das Wort Wein hinzuzudenken; wenn mir die Frau einen Brief zeigt und dazu spricht ,vom Alien", so werde ich sie wieder richtig verstehen, i>hne ein Wort hinzuzudenken. Ja dies- mal wäre eine Ergänzung sprachlich gar nitht möghch, weil „der alt« Mann" wieder eine ganz andere Vorstellung erwecken würde als .der Alte*. Die Sache liegt gar nicht anders als wenn ich das Wort «Strauss* gebrauche oder

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Gnouantifclie KUipM.

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kdre und ent aus dem Ztuammenhang erfahre, ob der Vogel oder ein Blumenstrauss gemeint sei. Dass bei dem Worte «Strauss* Terschiedene Etymologien zu Grunde liegen, hat gar nichts zu sagen. Wer Pfirsich als eine Ellipse für jPfirsichbaum auffasst, der müsste auch Strauss jedesmal für eine Ellipse erklären, bald für Vogel Strauss, bald f&r Blumenstrauss.

Wird erst etwas wie die Ellipse als in der Sprache wirksam angenommen, so könnte mau wohl die ganze Ent- wickelung der Sprache auf Ellipsen zurückführen. Wir Hessen, dass die Sprache sich durch Metaphern und Ana- logien allein bereichert. Nun ist gm rächt anders mög- lich, als dass der Zeit, in welcher em Wort seine neue Be- deutung schon si^lb.ständig crewonnen hat, eine Zwischenzeit vorausgegangen sei, in der die sprechenden Menschen noch das Bcwusstsein der Metapher oder der Analogie hatten. Es hat eine Zeit gegeben, in welcher man zu dem Adjektiv , gelehrt" das Substantiv „Mann" hinzurügen musste, wo also eine Ellipse vorgelegen hätte, wenn jemand z. B. ge- sagt hätte ,N. ist ein kluger Mann, ein gelehrter" oder wie heute noch gebräuchlich .,N. ist ein gelehrter, kluger Mann". Als dann durch eine metaphorische An- wendung das Adjektiv zur Bedeutung eines Substantivs kam, als man «ein Gelehrter' zu sagen anfing, da wurde das neue Wort zu einer neuen Standesbezeicbnung und die so- genannte Ergänzung wire einfach ein Fehler. Wir sehen aus dtesem einiadiston Falle, daae ron einer EDipee im Sinne der Grammatiker nidii die Rede sein kann. Solange dn Wort nicht selbsUndig geworden ist, solange Uhnl man sein E^ftnsungswort nidit fort; ist ea aber erst selbatSndig geworden, so kann man doch von einer Weglaasung nicht mehr reden. Ebenso steht es um Analogiebildungen, die sich Obngens alle unter irgend eine Art der Metapher bringen liessen. Wenn nach der Einfdhrong der Eisenbahn der einem Wagen fthnliche Kasten (anfugs war die Aehn- lichkeit noch grosser als heute) «Eisenbahnwagen" genannt wurde, so lag eben noch eine ftr das Sprachgefllhl nnent*

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m Sjntax.

behrlicho Beschreibung ror. Wir können an diesem Bei- spiel den psychologischen Gang verfolgen. In einem kleinen ProTinzstädtcben, wo die Fahrt auf der Eisenbahn nicht zu den alltäglichen Dingen gehört, wird immer noch ausführ- lich und ohne Weglassurifj^ ^ Eisenbahn wapferi" gesagt, weil das Wort , Wagen*" immer noch vor allem die Vorstellung eines von Pferden gezogeneu Wagens erweckt. Wo aber (las Fahren auf der Eisenbahn alltäglich geworden ist, da mag zuerst die Bequemlichkeit das fünfsilbige Wort abge- kürzt haben, bis „Wagen" („Waggon* wird seltener) ebenso leicht den Kasten der Eisenbahn wie den alten von Pferden gezogenen Wagen in die Vorstellung brachte. Von einer Ellipse kann nicht die Rede sein, nicht von einer Ergänzung durrli oin Wort. Wenn von einer Ergiinzung gesprochen werden konnte, so wäre es nur von einer durch die begleiten- den Umstände , durch die umgebende Wirklichkeitswelt. Wenn Freunde auf einem Bahnhof stehen, genau in der Mitte zwischen dem Zuge und dem Droschkenhalteplatz, und wenn nun der eine von ihnen fragt ^in welchen Wagen steigst Du ein", so wird der andere ans den begleitenden Um- ständen (ob er nämlich abfährt oder ankommt) ohne den geringsten Zweifel und ohne die geringste Wortergänzung verstehen, ob ein Eisenbahnwagen oder eine Droschke ge- meint sei.

Nimmt man die EUipee als eisen sinnreicheD Begriff, so mttsste eigenÜich zu jedem einzelnen Worte seine ganze Qesehichte und dazu sein Artikel aus dem Eonversations- lezikon aufgesagt werden, damit der Grammatiker sich nicht mehr Uber Wes^assungen und ITnToUstikndigkeiten zu be- klagen hfttte. Bei bildlichen Ausdrucken, deren Bildlich- keit noch empfunden wird, mttsste jedesmal ausdrücklich wie bei Homer die ganze Veigleichung durchgeführt werden; es läge sonst eine Ellipse vor.

Die Sprache der Kinder, die uns (Iberhaupt die Ent- stehung der Worte aus Metaphern und Analogien so an- schaulich lehrt, wäre toU von kunstreichen Ellipsen, wenn die Grammatiker recht hatten. Das geht sowohl auf die

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Logische Ellipse.

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FiUe eineB angeblich falschen wie eines angeblieh richtigen Spraiehgebrancbs. Wenn das Kind meiner Nachbarin meine Hflhner Wanwans nennt, weil es bisher kein anderes Tier als dnen Himd gesehen hatte, so Übt es einfach sein Recht auf indifiduelle Sprache. Dachte es sich unter Wauwau etwas Lebendiges, sich Bew^ndes und nennt nun mit diesem Worte auch ein Huhn, so liegt es einem Kinder- gehim doch himmelfern, etwa Wauwau als ein Adjektiv zu empfinden und nun ein abstraktes SubstantiT wie «Ding* oder , Wesen" und dergleichen zu ergänzen. Ebenso wenig ist es eine Ellipse, wenn das Kind sagt , Onkel Hut**. Ohne jede Worterg'änzung ergeben die b^leitenden Umstände, ob der Onkel seinen Hut aufsetzen, ihn dem Kinde zum Spielen geben oder ihn in die Höhe werfen soll. Die grammatische Ellipse ist eine Spielerei der Qrammatiker.

Unter der logischen Ellipse versteht mim ungefähr die i^sisob« Weglassung eines ganzen Satzes, also eines ganzen Ge- danken« in einem zusammengesetzten Satze. Ich finde in einem verbreiteten Lehrbucb das folgende Beispiel: ^Wcnn er sich nur nicht irrt (so freue ich mich)!" Dieses ergänzte ,so freue ich mich" ist echt schulmeisterlich. In Wirklich- keit ist bei dipsen Kede Wendungen, die sich alle durch starke Empfindungstöue vermten, die mensrhliche Heuchelei immer in Gefahr. Der Smn ist docii t-igentiich: ich sage voraus, dass er sich irrt, und hoff^ . du^s ich recht behalte. Das ^.wenn" allein würde diese gemischte EraptinduuLT Tiicht aus- drücken können; sie liegt aber, ohne jede logische Er- gänzung, in dem „wenn nur" und in der Situation.

Denkt man bei der menschlichen Rede aber gar weniger an Predigten, Schüleraufsätze, schlechte Romane, Berichte und andere Leistungen der schriftlichen Sprache, als an die Sprache zwischen den Menschen, an das einsilbige oder doch kurze Frage- und Antwortspiel zwischen zwei Ge- nossen, so wird der Begriff der logischen Lilipse vollends unhaltbar. Und was oben gesagt worden ist, dass nämlich nicht Woiie, sondern die begleitenden Umstände die nähere Erklärung abgeben, das trifft noch im hohem Masse fOr

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die FSlk su, die man für logisdid ElHpsen za erUSren ge* nei|{t itL Man aehte etva auf das Gespräch unschen zwei Fischern in einem Boot, zwischen dem Bauer und seinem Knecht auf dem Acker. Die hegleitenden Umstftnde sind beiden so wohl hekannt, dass ein ToUstilndiger einfaehw Satz ihnen ebenso lächerlich erscheinen müsste, wie dem Kellner meine ausführliche Bierbratellung. Es suchen die Fischer z. B. eine passende SteUe zum Auslegen der Herings- nelse. A. Petersen hat uns da nichts darein zu reden (wenn er auch Ortsvorsteher ist). B. (aber) er hat gestern den meisten Fisch gehabt (ist also auch ein kluger Mann). A. Etwas weiter (als die andern ihre Netze legen). B. (wir wollen ^en; es kann ein Wetter geben, denn) dort sieht es (von einer aufsteigenden Wolke) schwarz (aus) u. s. w. u. s. w.

Wir wissen, dass nur gar zu oft das Subjekt, auch das Subjekt im weitesten Sinne, nicht ausgesprochen zu werden braucht, dass da.s Priidiknt aUein genügt. Das unaufhör- liche Subjekt des nien. schlichen Denkens ist das Ich und das Prädikat ist die Welt, welche das Ich wahrnimmt. Jede Zusammenfassung dieser Wahrnehmung durch ein Prädikat konnte man also eine Ellipse nennen. Vollständig wäre eigentlich nur die sprachlose Sinneswahrnehraung. Die Tiere mögen ohne Ellipse denkeu, nach dem Herzen der Grammatiker.

*

Logik Will ich versuchen, die Ergebnisse der logischen Be-

B^tes trachtung mit denen der syntaktischen Betrachtung zu ver- einigen , so kann ich freilich Uber eine höchst allgemeine Ausdrucksweise nicht herausgelangen. All unser vielgc- rühmtes Denkeu oder Sprechen Ist nichts anderes als eine Besinnung auf unsere Sinneseindrtlcke und deren Erinnerungs- bilder. So wenig alle Gesetze der Logik darüber hinaus* führen können, so wenig Urteile und l^hlttsse Aber die Yor^ Stellungen und Erinnerungen hinausgelangen , welche in unsem Begriffen enthalten sind, so wenig ein Urteil mehr

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Logik und Syntax.

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leisten kann als die bequeme Ordnung der Merkmale eines Begriffs: ebenso wenig kann die Syntax oder das Satzgefüge unserer Sprache mehr leisten, als die Worte zum Behufs einer bequemen Ast.üciutiun ordueii , in denen die Erinne- rungen au unsere Siuneseindrücke aufgespeichert liegen. Die syntaktischen liegein sind Analogien oder Spracbgewohn- heiten, die uns die schlimmsten Umwege ersparen, die uns innerhalb weiter Grenzen den richtigen Associationen nähern. Immer aber ist es einzig und allein unser indiriduelles Ge- dAohims, was uns troti aller syntaktischen Analogien die richtigen Associatioiien Tolkiehen liest, immer ist es nur unser Ge^ßchtnis, was iu jedem einsäen Falle den syn* iaktisehen Formen erst ihre bestimmte Bedeutiing Terleiht. ünbeetimmt und unklar legt sich Logik und Syntax um den Kern unseres Denkens, um die Eindrucke der Wirk- liehkeü Die WirUidikeit ist weder logisch noch syn- taktisch. Das Weib hat zwei getrennte Beine, auch wenn die BScke auf dem Boden nachschleifen« Und wenn Logik und Syntax auch nicht so sinnlos wftren wie Kleidertraditen, wenn sie unserer Sprache wesentlich wftren, so würde das nichts anderes heweism, als dass unsere Sprache so arm- selig ist wie Logik und Syntax. Wir sehen die Lichtpunkte am Himmelsgewdlbe auf unserer Netahaut ab sechseckige Sterne; uns ist diese Yorstellung so selbstTerstftndlich, so natürlich, dass wir uns gar nicht darüber wundern, wie das Wort ,,Steni* sugleich einen Punkt (der doch rund ge- dacht werden muss, wenn er überhaupt eine Form haben soll) und ein sechszackiges Gebilde bedeutet. Erfahren wir aber, dass diese Wirkung der Sterne auf unsere Netahaut Ton der unregelmässigen Form unserer Augenlinse herrührt, SO werden wir doch beileibe nicht glauben, die Steme da «ben seien in Wirklichkeit sechseckig, sondern nur: unsere Linse sei mangelhaft, mangelhaft im Vergleich mit künst- lichen optischen Instrumenten. Die Wirklichkeit aber wagt der Mensch mit dieser elenden logischen, syntaktischen Sprache erkennen zu wollen.

Wer das nun erfasst hat, dass nämlich alle syntakti-

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21G

Vil. Syntax.

sehen Regeln nicht einmal im stände sind, das ABC des SatsgefOges, das Verhlltnis von Subjekt und Fkftdikat, ein- deutig aussndrQcken, der wird natOrlich die ünfUugkeii der Syntax fllr alle komplizierteren Fille leicht erkennen. Und im Grunde gibt es auf dem gesamten Gebiete der Sprache eigentlich kein «nderes YerhSltnis als das von Subjekt und Prildikai Ist Subjekt das Selbstrentindhche, PkSdikat das Aussagenswortef so ist jede nlhere Bestimmung, jeder Sats- teil, jede Erweiterung des Sinnes, jeder Nebenaats immer wieder das Pr&dikat zu dem Vorausgehenden, das in dem Augenblicke zum Subjekt geworden ist, wo wir es wissen. Alle Yerhiltnisse im Satzgefüge lassen sich zurftckftihren auf das Yerhfiltnis eines zu bestimmenden Worts zur Be- Stimmung. Ein feines Sprachgefllhl wird gewöhnlich genau empfinden, worauf es ankommt, was das Aussagenswerte ist, das Pjrftdikat, die prftdikable Bestimmung. Aber auch das SprachgeftÜil, wie es seinerseits auf die Sprachgewohn- heiten wirkt, steht unter dem Banne der Sprachgewohn- heiten. Ich möchte das an dem hübschen Beispiele unsrer Namen noch kurz nachweisen. In ^ Wilhelm Müller" ist unter Umständen Müller das bestimmende Wort, das Prä- dikat Ton Wilhelm. Man würde fragen «wdcher Wilhelm?*, wenn ohne besondere Hilfen bloss von einem Wilhchn die Rede ist. Es könnte anstatt Wilhelm Müller auch heissen; der blonde Wilhelm, der bucklige Wilhelm. Das Sprach- geftlhl würde aber sofort wechseln, wenn es sich darum PittdOiat handeln würde, einen aus der Familie Müller naher zu be- ^ stimmen. Dann wird Wilhelm zum Prädikat, zur Bestim- mung, ziini Merkmal, oder wie man die Sache nennen will. Dann kann man auch sagen: dfr blonde Müller, der buck- lige Müller. Als Polizei und Sitte noch nicht die doppelten Xamen verlangten, die den doppelten Namen der Natur- geschichte so verzweifelt ähnlich sehen, war das Sjn-ach- gefühl noch einfacher: eine historische Untersuchung würde denn auch ergeben, dass die meisten Familiennamen wirk- lich Prädikate, Adjektive und dergleichen sind. Nun nehme man aber Fälle, in denen der Doppelname noch nicht ofti-

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Piftdikat in Nunen, 217

2dell geworden ist, wie z. B. bei den Helden des Jlonitir, in der vertraulichen Anrede der Russen und in den jüdi- schen Namen aus der Zeit, bevor sie sich der allgemeinen Landessittc fügten.

Bei den Griechen, die keine eigentlichen Familiennamen hatten, wurde der Vatersname nur zur Vermeidung von Ver- wedifldaiigen ImizugefUgt, abo ab du riehtigee Ao(jektiT oder PrSdikai. Der Tiufiiame, wenn wir das Wort ÜOr die Chneeheik gehranchen dürfen, bfldete das Subjekt Und es war ganz konsequent, wenn die Sklaven, weil sie keine Sub- jekte waren, weil sie demnach keine Persönlichkeit hatten, gaas ohne Namen blieben und rein a^jektiTtsch nach ihrem Vaterlande hiessen, s. B. der Syrer. So li^ die Sache in der Umgangssprache und in der Prosa. Wenn nun Homer gewöhnlich, troiadem eine Verwechselung in den seltensten raien mOglich ist, den Vatersnamen hinzufbgt, so ist das schon Poesie oder Luxus, Bei Aias ist der Zusati .der Telamonier* nicht Poesie, weil es auf eine Unterscheidung Tom andern Aiss ankommt Es ist ein erUftrendes Prftdikat Bei AduUens oder Odjsseus ist der Zusata «der Peleiade, der Laerttade* poetisch, ein üppig erzählendes Prftdikat, ein schmttckendes Epitheton. Eine leise Schmeichelei liegt darin, nicht anders, als wenn heute ein schwungvoller patriotischer Historiker Ton Wilhelm dem Hohenzoller reden würde, trotz- dem eine Verwechselung nicht mö|^i<di wäre. £s wird durch den Familiennamen eine Stimmung erregt, die freilich bis Sur blossen Feierlichkeit verblassen tann.

Ganz ahnlich liegt es mit dem Gebrauch des Vaters- namens in Russland. Offiziell haben die Leute ihren Familien- namen. Im persönlichen Verkehr jedoch erfordert die Sitte unter Freunden und guten Bekannten, dass der Angeredete mit seinem Tauf- und Vatersnamen gerufen wird. In einer russischen Uebersetzung müsste darum die stehende Anrode „Achilleus Peleussohn" einen weit herzlicheren Eindruck machen als im Deutschen das kältere , Peleiade Achilleus".

Bei den Juden namen liegt der Fall nicht so einfach. Jetzt klingt Felix Mendelssohn für unser SprachgeiUhl schon

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ebemo wie Wübelm Midier. Zur Zeit Ton Moses Mendda- eolin war der Sprackgebraucli innerlialb der Jitdengomemde noch orienialisdi, homeriaeh, wenn mati will. Es gab in Dessau viele kleine Moses. SoUte der künftige Philoaophierer Ton den andern Moses miterscbieden werden, so biess er «Moses Mendels Sobn*. Im Mittelalter hfttte er «Moses ben Mendel* geheissen. Innerhalb des Berliner Freondes- kreisee war das aber schon wieder nicht nötig, und in seit» gendssischen Briefen ist Ton ihm einfach ab Ton dem Herrn Moses die Bede. Wenn also in der Judengemeinde von Dessau «Moses Mendelssohn* gesagt wurde, so war der Vatersname ein erklärendes Prftdikat; wenn Lessing sich einmal herbeiliess, ausführlich «Herr Moses Mendelssohn* zu sdireiben, so war der Vatersname wohl fllr sein l^^rakdi' gefUiI noch kein modemer Familienname (wie in Fdix Mendelssohn), sondern mehr ein erzShlendes Priidikat, ein sdmiückendes Adjektiv, vielleicht mit einem ganz fernen Anklang an schenhaften Gebrauch homerischer Vaters* namen. In Briefen an seine Braut unterschrieb sidi Moses noch n Moses Dessau*.

Ich bin ausführlicher geworden, weil mir diese Kleinig- keit wichtig scheint fttr die Erkenntnis des wahren Wesens der Syntax« Ihre ganze und einzige Aufgabe besteht nur darin, dass sie uns hilft, in der Flucht unserer Gedanken- associationen das Prädikat dem Subjekt zu nihem, die Be< Stimmung dem zu bestimmenden Worte anzuiligen. Man wird das im Satzgefüge leichter zugeben, wenn man diese ge- heime Spracharbeit selbst in dem elementarsten Falle wahr- genommen hat. Es kann aber kein elementareres Wort ausgedacht werden, als der Name ist, der auf der Welt nichts anderes l)ezeichnet als ein^ bestimmte Pei*son, ein Individuum, auf das man mit dt iu /tngetinger wei«f^n kann. Sobald nun die Spraclie aus irLC» i il welchem üruude be- quemer ist als (1. I Gebrauch des Zeigefinf^'ers, sobald wir das Individuum nennen wollen, in seinem Naineu schon geht die Sprache in Subjekt und Prädikat auseinander.

In irgend einer weit zurUckh^enden Sprechweise muss

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Das Neue irird Prftdikat

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dieses Geteininis der Syntax, dass sie nämlich immer Da« wieder nur ein Prädikat an ein Subjekt fügen kann, viel ^* offenbarer gewesen sein. Um das deutlich zu machen, muss Pt*dikAt. ich aber vorher irgend ein Hlltägliehes Beispiel daftir geben, wie ich mir die Ei Aveiteruns»- der Begriffe Subjekt und Prädikat denke. Ich lahnie den Satz: ^Ich fahre morgen nach deinem Wunsche in einer Familienangelegenheit nach Wien." Bei den beiden ersten Worten fallt mein erweiterter Sprachgebrauch mit dem gewohnten zusammen, nlch" ist das IJebeiflttssige, der feste Ausgangspunkt. Die Neuigkeit, die mir aimagtiisvert acheint, das Prftdikat ist »falireii*. Kim wird sofort mein Fahren znm Ausgangspunkt, zu dem was icli schon weiss, was ich dem andern schon miigeteiU habe und was dadurch xum SelbsfcTerstftDdlichen, lam Sub- jekt geworden ist* Etwas neues Anssagenswertes, eine neue Beetimmung tritt hinsn: «morgen*. Uan rersenke sich ein wenig in meine Anschauungsweiae und das SprachgeAlhl macht bald keinen Unterschied mehr swisdhen dem Yerbum .fahren* und dem AdTerbium »morgen*. Die Sprache hätte sieh ja auch so entwickeln kdunen, daw ich gelftufig sagim kdnnte, was ich jetat der Muttersprache nur mit ein wenig Tortur abswingen kann: «mein morgendes Fahren* oder »mein Fehren ist moigend*. Nun wird »mein morgendes Fahren* snm Wohlbekannten für Sprecher und Hörer, zum Subjekt In einer matiiematischen Formel durfte ich jedes- mal aJles bisher Ckaagte durch eine Klammer Terbinden, etwa: {[(a + b) -f c] 4 d \ f e- Es tritt nun das neue Aussagens- werte «nach deinem Wunsche" hinzu. „Mein morgendes Fahren ist dir wQnschenswert* Ich brauche wohl nicht daran 2:u erinnern, dass ich es mir hier bequem gemacht habe, dass die neuen Bestimmungen „nach* und «dir" eine ebensolche Analyse erfordert hätten, dass endlich die Wort- folge des Sprachgebrauchs nicht immer der natürlichen Folge der Associationen entspricht, wie z. 6. das «dir** in anderen Sprachen dem Wunsche zu folgen hätte. Nun habe ich das erweiterte Subjekt «mein morgendes, dir wünschenswertes Fahren' und es tritt das neue Prädikat «in einer Familien-

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VII. Syntax.

Bügelegenheit* hinzu; und endHch fOgt sich aa das er^ weiteite Subjekt «mein morgendss, dir wUnschsiiswerteB, fiuiuli«ihaltes Fahren" die leiste Bestimmung, das PrSdikat der Richtung.

So üder ähnlich drUcken noch heute flexionsarme Sprachen die Gedanken aus. Wie auf dem Marsche jeder Fuss Boden, den ich zurücklege zum ROckwärts wird, das sich, bei jedem Schritt vergrdssert, an meinem Standpunkt TOm Vorwärts unterscheidet, so wird im Satzgefüge alles Gesagte, alles Kückwärtsliegende zum Subjekt, das Nächste, das Vorausliegende, das Auszusagende, ist in jedem Augen- blicke das Prädikat. Und wieder komme ich auf mein sprachwidriges Beispiel zurück. In jener alten Sprechweise musste es <:^leichprttltig sein wie es auch naturwissen- schaftlicli gleichgültig ist ob man sagte „ich schmecke die Frucht" oder ,die Fnicht schmeckt mich (mir)". Die Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Activum und Pas- sivum, zwischen Accusativ und Adverbialbestimmungen, end- lich aber und zuerst die Unterscheidung zwischen No?nen und Verbum konnte noch nicht ertunden worden ^ein zu einer Zeit, da die menschliche Sprache noch in ihren Formen mit der wirklichen Gehirnthätigkeit zusammenfiel, da die Sprache sich noch darauf beschränkte, Apperzeptionen aus- zudrücken, Glied für Glied dem W eitbilde des Ich neue Ein- drücke hinzuzufügen, jedes neue Wort als ein neues Prädikat zu empfinden.

Es scheint, als ob la dtu .sprachen, die durch Verlust der Bildungsformen so üexionsarm geworden sind, wie z. B. die englische, sich langsam der Kreislauf vollzieht zu dieser ursprünglichen Syntax, die jede neue Bestimmung als ein neues Pkftdikat aulbart. Sfttse wie: hm are somo will thank you (Shakespeare) sind im Englischen alltäglich.

Es schdnt mir selhstrerständlich, dass diese Anschauung, wenn sie richtig ist fttr die Glieder eines einfachen Satses, ebenso angewandt werden darf auf die kompliziertesten Satz- gefüge. Auch die Unterscheidung der nebeugcordneten und

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Dm Neue PrftdiluU.

der untergeordneten Sätze ist dafür unwesentlich. Es ist ja auch den alten Grammatikern nicht fremd, ganze Sätze als Subjekte oder als Prädikate anzusehen. So wir*! für mich auch im reichsten l'eriodcnbau, solani^e sich nur das Sprachgefühl nicht gegen seine Kompliziertheit auflehnt, immer alles bereits Gesagte zum Subjekt, der auszusagende Begriff, der neue Satz wird zum Prädikat. Xehenordnung und Unterordnung gibt es ja doch nur einzig und allein ir. ilen Sprachgewohnheiten oder in unserer Autmerksam- keit auf einen Zug, niemals in der Wirklichkeit, die wir bezeichnen wollen. Und selbst in den Sjirachgewohnheiten ist die Unterordnung ein durchaus relativer Begritf, wie wir das angeblich so grundlegende Verhältnis zwischen Sub- jekt und Prädikat eben als etwas Relatives kennen gelernt haben. Es gibt Sprachin, die eine grammatische Unter- ordnung der sogenannten Nebensätze nicht kennen. Es ist nicht unmöglich, dass auch unsere Sprachen, die jetzt so stolz sind auf ihr neben- und untergeordnetes Satzgefüge, einmal wieder zur Ausgleichung dieses Unterschiedes zurttck- kebren. Bentlicb zeigt sich die Neigung dazu in den Neben- rittzen, welche heute in der Erzihlung Zeitiiestimmungen enthalten. «Robinson fand eine Kokoennss; er Öffnete sie; er aas den Kern.* Weder ein Kind noch ein Granunatiker wird sich an dieser Nebenordnung stoesen. Und doch bitte es ebenso gut heissen k(tamen: «Robinson fand maß Eokos- nnss; nachdem er sie geOSbet hatte« ass er den Kern auP oder auch: «Nachdem Robinson die Kokosnuss, welche er gefunden, geöffnet hatte, ass er u. s. w.* oder auch: «Nach- dem Robiuon die gefundene Eokosnuss geOffiiet u. s. w.* Selbst in der Theorie ist mit dem Begriff des untergeordneten Satzes nicht viel anzufangen (vergl. m. 197). Wir können nicht mehr sagen, als dass er eine Bestimmung zum Haupt- satze enthalte. Darin liegt seine ganze Abhängigkeit. Aber abhBngig sind alle S&tze wie alle Worte einer Rede von- einander. Und fasst man die Sprache gar erst wieder als etwas zwischen den Menschen, wie z. B. in einem lebhaften Gespräch, in einer kurzen telephonischen Verabredung, so

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Bchliessen ridi lauter isolierte Sätse aneinander, die das Sttsammeofassende Satzgefüge in einer langen Periode von abhängigen Sfttzan Tereinigeii wflrde. «Gut. Morgen? Ja. -r- Wann? Nach dem Theater. Wo? An der gewohnten Ecke. Gewvs? Wenn ich allein bin** Der Inhalt dieser Verabredung wird nicht reicher an Wert» wenn der Frager ihn dann noch einmal xur Sicherh«i wiederholt und so ausspiicht: »Wir sehen uns also, wenn du allein bist, morgen abend, sobald das Theater TorQber ist, an der Ecke, an welcher wir uns immer trelfen.* .hfirioh*. FOr die ZoftUigkeit dieser sprachlichen Gewohnheiten findet sich in memer Heimat ein sonderbares Beispiel. An- statt des schön geformten Satxfp «ich hdre, du habest dich ▼eriobt* sagt man da regehnassig ,du hast dich, höre ich, ▼erlobt". So wie ich das hier niederschreibe, könnte man glauben, es sei ein&ch wie fast regalmSasig in der Um* gaagsprache die indirekte Hede aus Bequemlichkeit durch die direkte ersetzt worden. Nach dem SprachgefDhl der Deutsch-Böhmen liegt die Sache aber anders. Der grammatisdie Nebensati ,du hast dich Terlobt* wird un- bedingt als Hauptsatz empfunden; der Haupt.'^Eitz «ich höre* oder ,höre ich* wird nicht einmal als ein Nebensatz oder als Parenthese empfunden, sondern Tielmehr als ein Ad- verbium. Er wird ganz ohne Frage „hör ich" ausgesprochen und nach Analogie eines ähnlichen tschechischen Wortes (pry) etwa so empfunden wie das weitläufigere , einem on- dit zu Folge". Wie so häufig in der Eutwickelung der Sprache erzeugt dabei die Verarmung in der einen Richtung eine Bereicherung in anderer Richtung. Es wird da (ebenso in andern Mundarten) ein Adverbium des Hörensagens ge- schaffen. Ueberhaupt ist es für den Sinn vollkommen gleichgültig, ob ein Teil des Satzgefflgcs die grammatische Form des Hauptsatzes angenommen hat oder nicht. Auf die Associationen unseres Gedächtnisses kommt es an, auf unsere Erinnerungen an die Wirklichkeitswelt, nicht auf die Sprach- kategorien.

Hermann Paul gibt, ohne die volle Tragweite die^s

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Parenth«M.

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Uebergangs vom Hauptsatz in den Nebensats und umge- Fwrtt' kehrt zu erkennen, weitere Beispiele (Pr. d. Sprachg. 8. 100 bis 124) aus andern Sprachen. Er erwalint dabei aaeli die sogenannte Parenlliese, die Einsdudbung eines formellen Hauptsatzes in ein grammatiaeh fremdes SatigefQge. Oerade die Parenthese, von dar diese Spzachkritik i. B. einen sehr häufigen Gehrauch maeht, schemt mir bedentsam f&r die Rolle, velehe das Qed&chtnis hei der AufSusong kompli- sierterer Gedankengänge spielen mnss. Alle Parenthesen drucken doch izgend eine Bestimmung aus, welche sich grammatisch in der Form eines Nebensataes dee Chrundes, der Zeit, des Ortes u. s. w. einfUgen üesse. Sin guter Stilist wird aber die isolierte Parenthese der Einleitung durch »weil, als, wo u. s. w.* TOisiehen, wenn ihm dieser gram- matische Eiertam nun Ekel geworden ist Er erinneii dann etwa den H5rer, scheinbar sosammenhanglos, an erneu bekannten ünstand, und der aufmerksame Hdrer wird der ParenÜiese schneller naehftthlen, ob sie einen Qnmd, eine Zeitbestimmung, einen Ort u. s. w. Bliebe, ab wenn er durch die entsprechende Koiqiinkticni mit der Nase auf die beferefifonde Kategone gei^tossen worden wäre. Die fertigen ^ntaktischen Kategorien, die ewig mit der Nase auf die fertigen logischen Kategorien stoesw, haben den- selben Fehler wie die fertigen Flexionsformen ; sie stumpfen ab, sie sind durch das Bestreben der Vollständigkeit lang- weilig, sie machen scheinbar die eigene Gedankenarbeit leichter, in Wirklichkeit nur träger, und so, glaube ich, schaden Bie dem Mitdenken mehr, als sie ihm nütsen*

Ich furchte, die Regelung der Syntax ia unsem viel snituf gerühmten Kultursprachen entspricht nicht im mindesten "P"«^®»- dem Zweck der Sprache, mit imsern Erinnerungen an die Wirklichkeit übereinzustimmen, sie entspricht viehnehr einer gewissen Ordnungsliebe, die mitunter ihren praktischen Nutzen haben kann, viel häufiger jedoch nur einem spieleri- schen Bedürfnisse der Zierlichkeit dient. Ich sehe in dit ser syntaktischen Gliederung dasselbe Bild, wie es eine irucht- bare Landschaft in unsren hoch kultivierten Gegenden bietet

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VH. Syntax.

flo ein Stftck Land hübsch parzeUiwt und sind die Vier- ecke mit GemUsen, Getreide und Handelspflanzen bunt- scheckig bestelli, ist gar wie in einem Hansgarten, fttr wei- tere Abwechselung durch blühende Gewichse gesorgt, so hat der Interessent seine Freude an dem Anblick. Sin interesseloser Kopf, ein Dichter s. B., mag sich dann Ober diese Ordnungsliebe entsetsen; wie denn der Pussfcadichter Lenau einmal diese wohlgeordneten Eulturfluren in Schwaben ganz abscheulich fand. Wfll die Sprache nichts anderes als die WirUichkeit xeichnen oder beseichnen, so hat sie sn einer so zierlichen Ordnung gar keine rechte Veran- lassung; denn die Wirklichkeit ist regellos wie die Ursprünge liehe Katur, wie die Wüste« die Steppe oder der Urwald. Alle unsere Kultursprachen aber sind sohon durch ihre ana- logtschen ^ezionsformen, nodi mehr aber durch ihre sjn- tsktischen Gliederungen Arabesken geworden. Sie stilisiereu die Erscheinungen der Wirklichkeit wie etwa eine spiele- rische Kunst in ihren Arabesken die Formen der Nator stüinrtf wie insbesondere die Architektur Pilanzenformen benutzt War rechts ein Blättchen, so wird auch links ein Bl&ttcfaen angebracht; bog sich der Zweig zuerst nach rechts, so muss er sich dann nach links biegen. Das Ohr sucht in der Sprache Beruhigung, wie das Auge in der zierenden Kunst. Als ob in der Natur überall Gleichgewicht herrschen müsste oder könnte. Dieses ziervolle Streben nach Ueber- einstimmung der Teile geht bis auf die Elemente des Satzes zurück. Wir verachten die einfachen Sprachen, welche Uebereinstinimunf? zwischen Subjekt und Prädikat nach Zahl und Geschlecht und dert^leichen nicht in ihren Formen ver- merken. Aber in alltiijxlichen Anwendungen stehen wir da vor iSchwierigkeiten. Heisst es: «3mai 7 ist 21" oder ,sind 21"? Der Qrammatiker stutzt bei der Frage, der Logiker ist hilflos.

So führt uns auch diese Betrachtung wieder dü/ii, den vielgerühmten Bau der menschlichen Sprache nur vom Stand- punkt des Künstlds aus bewundem zu können; nicht zu- taliig spricht man von einem Stil im Satzgefüge, wie man

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WiikUchkmt and Worte.

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von einem Stil in den Künsten spricht. Und so wenig der einzelne im stände ist, sich selbständig und einsam von dem Kunstgefüiil seiner Zeit uuii seines Volkes ganz loszulösen, so wenijK können wir in der Wertschätzung der Sprachen, weil sie eine rein ästlit tische ist, uns von dem Stilgefühl unserer eigenen Muttersprache völlig befreien. Wir sind in allen diesen Dingen Sklaven der Zeit und ihrer Mode, und je naiver wir sind, desto unfreier verwechseln wir die Mode mit der Schönheit, unsere Sprachgewohnheiten mit der logi- flehen Walurheit.

Ym. Situation und Spracbe.

Es ist einer der wiohtigsten Punkte in der Sprach» wizUkfc- kritik, dass wir den Zusanunenhing oder viehnehr die Zu- '^^^ eammenbangloeigkeit zwischen der WirkUchkeilswelt nnd den Spracblanten ezkennen. Nie nnd nimmer hat ursprQng- lieh im SpracUaute etwas gelegen« was zu einem Ding in der Wirklichkeitswelt direkte oder indirekte Beuehnng hatte. Alle Bemflhungen, die Sprache aus einer Nachahmung der WirUidikttt zu «rUftren, mUasen daran scheitem. Wir haben erkannt, dass auch die scheinbar handgreiflichsten Klangnacbahmni^en nur metaphoiiscbe Anwendungen des Klanges sind und wir haben Tcrmutet, dass selbst dkse metaphoriscliai Khngnacbabmnngen erst nachtrlgbeh, durch eine Art von Volksetymologie, in den Klang hineingetragen worden sind (II. 534). Dieser Auffassung von der Onomatopöie widerspricht es also nicht, wenn wir jede Bezeichnung für Dinge oder Erscheinungen der Aussenwelt für die Zeit der Sprachentstehung leugnen, wenn wir den Sprachlauten in einer Urzeit nur hinweisende Kraft zugestehen, wie wir ja Übrigens auch der entwickelten Sprache nur eine hinweisende, deiktische Bedeutung beimessen. Wegener (Untersuchungen S. 88) nennt das gern den Imperativ des Stechenden, das heisst die Aufforderung an den Eörenden, seine Aufmerksam- keit einem bestimmten Punkte der gegenwärtigen Situation M»athuer. Beitrl^e su einer Kritik der Sprache. III. 15

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yni. Situation und Sprache.

suzuwendeD. Er weist darauf hin (unwülkürlidi nennen wir eine Belehrung gern eine «Hinweisung*), dass im firan« xOsischen BemonstratiTpronomen diese Aufforderung noch zu entdecken sei. Ge (liTre u. s. w.) ist entetanden aus ecce oder ecce id. Sehr hUhsch ist die Bemerkung, dass das s, mit dem in den indoeuropäischen Sprachen so unendlich häufig der XominafciT singularis, also die weitaus grOsste Zahl der Dinge in der WirUichkeiiswelt, bezeichnet wird, ein altes DemonstratiTum sei, unser ,da*. Dieses .da" mag in einer Urzeit der al^meinste Begriff, das ewige psycho- logische P^«dikat jeder Sprache gewesen sein. Wir können mit aller Phantasie nicht mehr die Wege des Laut- und des Bedeutungswandds rdconstruieren, auf welchem dann so ein «da* zu hundertfittiigen psychologischen Subjdcten wurde, welclie dann dem «da* oder „s" vorangestellt wurden. Verwandte Vorgänge aber lassen sich an der Sprachbildung der Kinder noch beobachten.

SttuBfeton Wenn kleine Kinder sprechen lernen, so kommt es ebenso oft vor, dass die Kinder die Sprachlaute von Amme

■pntih«. oder Mutter na(-h|ilappem, wie dass die Amme oder Mutter das Lallen des Kindes zur Verständigijno; artikulierend nach- ahmt. Dass das Kind doch schliesslich die Sprache der Erwachsenen lernt, rührt nur daher, dass es sich in einer erschreckenden Minorität gegenüber seinem Volke befindei und eben einer fertigen Sprache gegenübersteht. In beiden Fällen ob nun das Kind oder die erwachsene Person den Sprachlaut zuerst hervorbringt besteht das Sprechen- IprnrMi jedoch darin, dass der Sprachlaut oder vielmphr das Bewegungsgefülil dieses Sprachlauts sich mit einer Seelon- situation des Kindes associiert. Der Sprachlaut weist auf die Situation des Hungers, der Nässe, des Lichtes u. s. w. hin und priirrt sich nach einigen Wiederholungen so fest ein, dass er au diese Situation erinnert. Wir wissen. da.ss das Wort -Milch" oder der ents])rechende kindliche S))rach- laut wirklich nur an die alli»'ejueine Situation erinnert und darum in der Sprache der Erwachsenen bald mit Ilunpcr, bald mit Befriedigung, mit Brust oder Flasche, mit Bitte

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SituatioB vaA Kmdenpndie»

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oder Fröhlichkeit Ubersetrt werden mflssle. Daraus ist es audi SU b^reifm, weshalb M uttw und Sind einander ver- stehen, trotzdem das Kind anfangs niemals Satse spricht, sondern nur einzelne Sprachlaute. Diese erinnern an die gesamte Situation (unklar freilich) und mehr leistet im (i runde auch die entwickelte Sprache nicht. Ein grösserer Unterschied zwischen der Sprache des kleinen Kindes und der der Erwachsenen besteht aber darin, dass das ausser^ ordentliche Gedächtnis der Erwachsenen jede vergangene Situation wachrufen kann, während der Sprachlaut des kleinen Kindt s immer nur auf die gegenwärtige Situation hinweist. Diese hinweisende, deiktische Sprache ist nur insofern eben- falls eine That des Gedächtnisses, als das Bewegungsgefühl des bestinmiten Sprachlautes sich sehr früh mit der be- stimmten Situation assocüert hat. Das kleine Kind ver- bindet z. B. mit seinem Sprachlaute , Milch" , oder dem entsprec henden , höchstens die Vorstellung der unmittelbar folgenden Zukunft (weinerliclier, bittender Ton) oder der unmittelbar vorausgegangenen Vergangenheit (fröhlicher, dankender Toni.

Diese Be/iehunn^ auf die nächsten Lust- und Unhist- gefühle i«t charakteristisch fUr die Sprache des kleinen Kindes; die gegenwärtif^e Situation wird ja nur dann wahr- genommen und nur insoweit walagi noiiinun als sie inter- essiert. Dieses Interesse ist beim kleinen Kinde ein rein animalisches. Es hat nicht die geringste Veranlassunj^, mit seinem Denken oder Sprechen über diese Situation und über die Gegenwart, nächst den Momenten vorher und nachher, hinauszugeluMi. Das Interesse des erwachsenen Menschen oder gar das des „uneigennützigen" Gelehrten oder Philo- sophen ist freilich ungleich ausgedehnter und indirekter als dieses animalische Interesse des Kindes. Aber auch der Vater, und wenn er ein Phüosoph wäre, nimmt schliesslich nur wahr, was durch ein noch so indirektes Interesse seine Aufmerksamkeit erregt, und hat in seinem Qehirn nur die Erinnerungen an solche Situationen, die einmal seine Auf- merksamkeit erregt haben. So weist auch jedes Wort und

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VIIL SitualioB nnd Spradie.

jeder Wortteil der entwickelten Sprache schliesslich immer auf Situationen bin, die irgend einmal <re<:f^nw'ärtige waren.

Die Verständigung zwischen der Mutter oder Amme einerseits und dem Kinde anderseits entsteht aus der Ge- meinsamkeit des Situationsbildes. Es ist ja wahr, dass der Enge des Horizontes die kleine Zahl der Sprachlaute ent- spiicht; trotzdem darf man nicht glauben, dass die wenigen Sprachlaute des Kindes zur Verständigung irgendwie hin- reichen könnten, wenn nicht eben die gej^enwärtige Situation die eitfentlii In Sprache ausmachte. Jeder einzelne dieser wenifTen Sprachlaute hat ja eine gewisse Gruppe von Em- pfinduii^^eii zum Ziel, aber doch nur /titn Ziel, auf welches er hinweist. Innerhalb der Gruppe ist der Sprachlaut doch nur unser „da* und die bekannte Situation sagt das Uebrige. Das Kind macht sich auch gar nichts daraus , die paar Sprachlaute miteinander zu vertaus(hen. Die Mutter oder Amme versteht es doch aus der Situation heraus. Und der Ton ist fast noch wichtiger als der , artikulierte Sprachlaut. Der Ton, der weinerliche »Ut fröhliche Ausdruck sogar schon, bestimmt in der Situiiti ni illes, was die entwickelte Sprache später so künstlich als Beschreil)ung der Situation festzuhalten sucht: den Gegenstand der Aufmerksamkeit, die Handlung, die Beziehung auf das Kind, die Zeit der Hand- lung, die Richtung u. s. w., kurz die ganze Vielfältigkeit dessen, was wir die Grammatik der entwickelten Sprache nennen.

Noch ein anderes und Uberaus tief reiehendes Ver- hftltDis swiadien dem Worte und der Situation ist sdion in der Eindersprache Torhanden, ein Umstand, der die Inkon- sequenz des Spracblntikws, die Iiiebe zu seiner Mutter- sprache, vielleicht doch wiedo' «rUSri Wir alle haben an dem Gebrauche unserer Muttersprache eine tiefe Freude. Bs wftre wohlfeil sie atu dem Behagen aÜMn zu erklären, das uns die bequeme und sichere Art zu schwätzen gewährt Diese Sehwatsißreude hat Tiel mit Bitelkeit zu thun und findet sich noch häufiger beim Plappern in einer fremden Sprache. Das tiefe Gefllhl für die Muttersprache hat weit

Situation und Apperzeption.

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mehr AehnKehkcit mit der leidenschifflklira Ibnpfindung ftkr die Geliebte; atsch die Liebe ist beim recht gesuoden Menschen (man denke an die Definition Spinons) innig ver- bunden mit der Brinnemng an Wollust. Wer recht Hebt, der erwartet von der Umarmung eines and«rn Weibes als des einen gar keine Lust, weil ihm die Erinnerung dieses Oefldils der Lust allein mit der Vorstellung der Qeliebten, ja sogar mit der Vorstellung von ihrem Namen sich asso- cüert. Dieses Gefthl der Lust empfindet man auch im Gebrauche seiner Muttersprache. Alle hohen Theten der Vaterlandsliebe hangen mit diesem Gefühl der Lust su- sammen. Und doch ist sich der erwachsene Mensch keiner solchen Lust beim Gebrauche der Worte bewusst

Aber Lust, die Wollust der BeMedigung seiner höchsten animalisdien Interessen, hat der Mensch sls Kind beim Spredienlemen erfahren. Die Mutterliebe, diese Fortsetzung der Geschlechtsliebe, hat im kleinen Kinde die Association zwischen den Sprachlauten und der Befriedigung hergestellt. Die ersten Sprachlaute dienten der Befriedigung der ver- zweifelten Lebensinteressen dee Kindes und wir können nur alinon, welche Lust das Kind dabei empfindet, wenn es z. B. mit dem ersten Sprachlaute «ma* zugleich seinen Hunger und die Mutterbrust und wer weiss wns noch sich vorstellt. Wer mir diese Darstellung nicht glauben will, der beobachte ein- mal, wie das Kind nach erfolgter Sättigung den Sprachlaut ma glückselig und fast liebkosend wiederholt.

Die Erfahrung der Kinderstube lehrt also, dass die App«r- Kinder, auch wenn sie von der Sprache der Erwachsenen schon mancherlei gelernt haben, nie etwas anderes als die Sikwtioii. Welt ihrer Stube mit den Worten verbinden. Es ist das auch nicht anders niüiTlirli. weil doch Sprache nur aus Er- innerun^'s7ri( hen besteht. Hätte ein Kind auch den ganzeu Sprachschatz seines Volkes auswendig gelernt, e"< könnte mit ihm dennoch nicht über den Horizont seiner Kinder- stube hinaus denken. Das ist ja der Grundfehler aller Schule. Ii SS sie die Sprache ohne das dazugehörige Welt- bild bietet.

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VIII. SiinaMon und Spnohft.

In den Zeiten der SpiMhentetehung muss die Saelie klarer gelegen kaben. Nicht einmal alles, waa dem Hori- zonte des Einaelnen angehörte, konnte er auBdrUcken* Da Sprache als etwas zwischen den Menschen entstand, konnten die ältesten Sprachlaute nur ausdrücken, was in der be- treffenden Gruppe gemeinsamer Horizont war. Und ander- seits macht uns der gemeinsame Horizont verständlich, dass ein einziger Sprachlaut je nach der Situation Verschiedenes bezeichnen konnte. Die Sprache war und ist ihrem Wesen nach deiktisrh , hinweisend. Der ausgestreckte Zeigefinger deutete und bedeutete je nach der Situation tausenderlei IHnge.

Die Wichtigkeit der Situation, das heisst des äugen* hlicklich im Gehirn des Sprechenden oder Hörenden vor- handenen Weltbildes , wird uns aus unserer Kritik des Apperzeptionsbegritls deutlich werden. Tch werde da mit dem Vorbehalte, dass nwm von Apperzejition lieber ^ar nicht mehr sprechen suUte, zu lehren suchen, dass man die Apperzeption höchstens definieren könne als: die Au- wendun«? des ])ersönlichen Wortschatzes auf ein sich der Wahni. liniutii; nnfdränt^'eudes Ding. Jetzt wollen wir ein- mal sehen, welche liedeutnng die Situation, um dieses Wort beizubehalten . in unserer hoch entwickelten Sprache habe. Wir werden schon hier erkennen, dass auch die verwickelt- sten logischen Gedankeureihen immer nur das im Gehirn vorhandene Weltbild zui-tickrufen, dass etwa noch die Auf- merksamkeit auf einen besonderen Tunkt dieses Weltbildes gelenkt wird und da.ss im besten Falle noch ein neues sich aufdrängendes Dmg hinzukommt. Ich folge dabei vielfach den Untersuchungen Wegeners, die meine Auffassung von der Apperzeption und den» psychologischen Subjekt sehr er- freulich ergänzen.

Wir müssen dabei vollständig absehen von den Kate- gorien der Ghrammatik. Wenn am zweiten September 1870 ein Berliner Schulmädchen in ihre Klasse stürzte mit dem Rufe »Napoleon gefangen", so deckte sich zufällig das psychologische Subjekt mit dem grammatischen. Das Be-

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Siiaation und Appeneptioa.

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kannte, das Gleichgültige, dau, was man sich an den Sohlen abgelaufen hatte, Napoleon, war zufällig das Subjekt der Neuigkeit. Im Kopfe des Berliners yerband sich mit dem Worte Napoleon die Vorstellung des unfähigen, ehrgeizigen oder verzweifelten Franzosenkaisers, die Kriegserklärung, zahlreiche Schlachten, Gefahr, Ilass, Verachtung, die Kai- serin Ellgenie u. s, w. Das Wichtige, die Neuigkeit, das neue Moment wat ,er ist gefangen''. Das war zufällig auch das grammatische Prädikat.

Es kann sprachlich ganz anders kommen. Wenn ein Kassenbote einen Wechsel präsentiert, so ist sein stummes Vorzeigen des Papiers die Neuigkeit, das Prädikat. Das ganze SckuIdTeiliittmSf wie es dem Schuldner im QM» gegenwärtig ist, ist das psychologische Subjekt Wäre ea ein Sehnldschein gewesen und hfttte der Gläubiger britflich gemahnt, so lAtte das Ganze die Form eines komplizierten Satzes angenommen. Es wire ans Höflichkeit das pejcho- logische Subjekt ausiUhrlich dargelegt worden. «Sie haben zu der und jener Zeit aus diesem oder jenem Grunde Gktld gebraucht; ich habe es Ihnen geliehen. Sie haben an dem und dem Tage einen Schuldschein unterschrieben und sich zur Backzahlung am heutigen Tage Terpflichtet: zahlen Sie.* Das peychoiogische Prädikat liegt in dem allein wichtigen und gewissermassen neuen Moment «zahlen Sie*. Ware das PriMikat allein ausgesprochen worden, der Schuldner hätte sich das psychologische Subjekt schon hinzugedacht.

Wegener (Üntereuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens S. 21 f.) unterscheidet sehr gut zwischen Ter- sdiledenen Voraussetsmigett der Situation. Immer ist es die Situation, welche das psychologische Prildikat erst er- klart. Es gibt eine Situation der Anschauung, wie wenn z. B. in einer Gesellschaft Herr Müller das neue Ding vorgestellt werden soll und der Vorstellende ü it * iner ein- fachen Handbewegung sagt: ,Herr Müller." Ein Pedant nur würde das psychologische Subjekt mit aussprechen und sagen: «Wir sind hier im Hause des Herrn Schuiaie lauter alte Bekannte beisammen bis auf diesen einen Herrn, dessen

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VIII. Situation und äpradie.

Namen ick duram «udiOcUicli nennen wilL Dieser Herr helssfc Möller.* Eine solcbe Form der Yorsfcellung wäre aber nicht nur pedeatlaGli, sondern neck dem Sprachgebraiioh sogar unbOfUch. Eine Handbewegung tritt fltr das psycbo« logische Subjekt ein. ünd so wirksam ist die Anscbnuung, daes kein Anwesender auf den Gedanken kommt, der Vor- stellende meine mit Herr Mtüler seine dabei Torgezeigte Hand. Es gibt weiter eine Situation der Erinnerung. Wenn wir SU zweien äsa Konzertsaal Terlassen und ick »korrlick* sage, so meint mein Befreiter nickt, ick kätte das Wetter oder die Beleucktung oder sonst etwas gemeint. Er beziekt das Mdikat mit Sidierkett auf das eben gekörte Musik* Stack. Ick braucke nickt erst auseinanderzusetzen, dass diese einfachen Fülle auck auf wissensckafilicke Unter« kaltungen Anwendung finden. Es gibt femer eine Situation des Interesses, welche Wegener nickt ganz glficldick die Situation des Bewusstseins nennt Jedes Individuum, jede kleine und grosse Mensckengruppe, jedes Volk kat ein be- stimmtes Weltbild, das sick von dem Weltbild anderer In- dividuen, anderer Gruppen, anderer Völker untersckeidet. Diese Weltbilder sind Situationen des Interesses und er- klären entweder ausdrücklich oder stills<diweigend das psycho- logische Prädikat. Man denke einmal daran, welchen Sinn das Wort .Hundertmarkschein" im Munde eines Arbeiters und eines Bankiers, eines Studenten und eines Finanzministers, eines Zeichners und eines Falschmünzers, eines Deutschen und eines Franzosen habe. Wird z. B. mit dem Worte Hundertmarkschein der Preis eines bestimmten Quantums Korn bezeichnet, so kann unter Umständen das Korn oder das Geld das psychologische Prädikat sein, und das ps3'cho- logische Subjekt wird unter Umständen sich nur in einem dicken Bande vollständig ausdrücken lassen.

Wegener nennt das j)sycliologische Subjekt gern die Exposition. Was er darunter vorstrbt, wird am deutlichsten durch Anwendung dieses Begrilis auf eiue fortlaufende Er- zählung, einerlei ob die Reihe von Sätzen zu einem Roman oder zu einer historischen Darstellung verknüpft wird. Wie

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in einem Theaterstück die Exposition uns mit den handeln- den Personen bfkannt nuicht, die wir nachher in ein inter- essantes Erlebnis verstrickt sehen, ?o ist in jedem einzelnen Satze einer Erzählung etwas P.t'kanntp'- nnd etwas Neues. Das Neue wird durch den Vorgang der sogenannten Apper- zeption mit dem Bekannten verbunden. Das Bekannte, das wir das p'^yrholoü'ischf^ Subjekt genannt haben, ist vom Standpunkte des Inhalts die Exposition zum Prädikat. So sieht es im Kopfe des Sprechenden au«. Und auch im Kopfe des Hörenden wird jede hervorgerufene Vorsteiiungs- gruppe, insofern sie Bekanntes ins Gedächtnis zurückruft, zu einer Exposition für das Neue, für das psychologische Prädikat. Im nächsten Satze ist dann das eben erst neu Hinzugelernte wieder psychologisches Subjekt ftlr ein neues Prädikat geworden, so wie die aufregende Peripetie des vierten Aktes zu einer E.x(>osition des fünften Aktes werden kann. Wir sind an diese Thätigkeit unseres Gehirns zu sehr gewöhnt, um uns über ihi e Erscheinung in der Sprache noch zu verwundem. Wir wissen, dass die Sprache in abstracto, das heisst der besondere Sprachschatz eines Volkes oder eines Individuums das Qedftchtiiis dieses Volkes odei dieses iBdiTiduums ist. Die «mselne Aemserang in concreto isl dann die Anwendong des GedSchtnisies, wo möglich die Bereicherung des Gediditnisses um eine Neuigkeit, um ein FHidikiL Was dftbei akÜT ist, das ist der uns wolilbekannle tmd doeh so unerUKrUcfae Zustand, den wir als Aufmerk- samkeit kennen gelernt haben. Ein Interene steckt da- hinter. In der Erzählung , sei de nun Oeschichte oder Roman, wird das Interesse auf eine bestimmte Thatsaohe gelenkt B. in einer Lebensbeeehreibung Ton OoeÜie halten wir gerade bei dem Leipziger Studenten. Zu der Exposition im Eltemhause ist das Leben und Treiben in Leipzig ab psyehologiscfaes PMikat hinzugekommen. Wenn ein neues Kapitel nun mit den Worten beginnt: «Er dich- tete damals die Lieder* u. s. w., so ist .er* das gram- matische Subjekt des Satzes, aber viel bedeutongsTdler ist es als psychobgisches Subjekt. Was im Torhergehenden

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Vni. Situation und Sprache.

Kapitel das Neue, das Prädikat war, das wird nun als })e- kannt Torausgesetzt, ist zum psychologischen Subjekte ge« worden und ist in seiner ganzen breiten Masse notwendig, um das nun folgende Neue richtig apperzipieren zu können. Wenn dann fGtailzig Seiten spSter Goethes Leben und Treiben in Strassburg dargestellt worden ist, so wird dieses Neue wieder sur beksunten Yoraussetsung fttr ein folgendes Ka- pitel, das beginnt: ,Er schrieb den GOts." Das psycho- logische Subjekt wftchst so von Seite zu Seite au iahalt ,Er* ist jetzt der Strassburger Student geworden mit Beinen Beziehungen zu Herder, mit seiner Bewunderung fCtit den Dom, mit seiner Liebe zu Friederike. Hinter dieser Fülle Ton Lihalt steckt natOrlich Ton der Aufmerksamkeit weniger beleuchtet der Leipziger Student, der Knabe Wolfgang u. s. w. Die Sachlage in unserem Gehirn ist, wenn man die Enge des Bewusstseins dabei in Betracht meht, eine sehr merkwttrdige. Im Bewusstsein, im Blick- punkt der Aufmerksamkeit steht immer nur das augenblick- lich Interessante, das neue Pkr&dikat. Das letzte Prftdikat, das eben erst zum psychobgischen Subjekte geworden ist, ist aber noch unmittelbar zur Kmd, der Yerkehr mit Herder z. B.; es hat die Stimmung erzeugt, in welcher wir die Neuigkeit, dass er den Götz sclireibe, anders aufiiehmen als sonst Etwas weiter bei der Hand, aber immer noch alle Zeit zur Verfügung sind die weiter zurückliegenden psycho- logischen Subjek^radikate: der Leipziger Student, Goethe im Vaterhause u. s. w. Was wir sonst im Gedächtnisse haben, z. B. die Geschichte des dreissigjiiliric^tii Krie<^os oder die Erfindung der Photographie, ist nicht bei der Ihmd, ist weder paycliologisches Subjekt ikx Ii psychologisches Prä- dikat. Der gleiche Vorgang i.st bei der Lektüre jedes elenden Romans zu beobachten. Die beiden ersten Bände sind das psychologische Subjekt, wenn der dritte Band mit den Worten beginnt: ,Adülar erwachte. *" Immer ist es das be- reits Bekannte, was wir die Situation nennen können. Seelen- leh möchte den Ausdruck Situation in einem weitereu

itmumn. g^^j^g gebrauchen als es bei Wegeuer geschieht, weil

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Seelenaitoation.

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, Situation" einen Mangel der Ausdrücke: psycholo^yisches Subjekt und Prädikat nicht besitzt. Diese Bezeiclmim^^en haben sich nämlich wohl von der Grauiiuutik emanzipiert, sie setzL-ü aber im Sprachverkehr zwischen zwei Menschen (z. B. zwischen dem Autor und dem Leser) eine Einheit des Bewusstseins voriius, die nicht vorhanden ist. Schon das, was wir eben bei der Erzählung bemerkt haben, dass nämlich unaufhörlich das psychologische Prttdikat des Toiausgehen- dm Salles mm payehologischeii Subjekte des folgenden Satzes wird, ist für den Spredienden und für den Brenden nicht gleich. Nicht einmal fttr alle Hdrer oder Leser stimmt es genau, weil jeder einzelne HSrer oder Leser eine bessere oder schleehtere Vorbereitung mitbringt; was fttr den einen bekannt und Subjekt ist, ist fttr den andern neu. Der Spredier gar oder Autor stellt sidi ja nur so, als ob er ordentiich vom Bekannten zum Unbekannten weiter ginge; er Tersetst sich in die Seele des HOrers oder Lesen, um fttr ihn das fortdauernde Spiel der Verwandlung des Prä- dikats in ein Subjekt zu Tollziehen. Für ihn ist das achtzig- jährige Leben Goethes die Exposition oder das psychologi- sche Subjekt fttr den Tod des Faust oder den Tod Goethes oder für die Wirkung Goethes auf die Folgezeit. So kdnnen wir mit dem Begrifib des psychologischen Subjekts und Prädikats fttr die letzten Feinheiten des Denkens nicht viel anfangen und halten uns besser an die Situation der Seele, welche zwar unklar aber dafttr ohne falschen Nebenbegriff so gut auf den Ausruf ,es regnet* als auf die Abfassung oder Aufnahme eines historischen Werkes Anwendung fin- den kann.

Diese Situation der Seele umfasst das, was man etwas Welt- grossartig die Weltanschauung des Einzelnen nennen mag, ^^'^^ wohlgemerkt die Weltanschauung wie sie im Momente gerade beim Sprecher oder Hörer Torhanden ist. Wir haben unsere Weltanschauung nicht immer beisammen. In dieser Weltanschauung steckt viel mehr als das blosse Wissen, obgleich auch die Summe der Erkenntnis mit un- zähhgen Fäden an die Zufälligkeit unzähliger Augenblicke

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VlIL Situation und Sprache.

g^knQpft isL Di« W«ItuMH!]uMiung ist weiter von dem Habitus des eimBelnen Menseheii bestimmt, ron seiner physio- logischen Komplexioii, deren Yielgestaltii^eit man vergeb- lich systemstisch in die Temperamente eingeteilt hat. Die Weltanschauung des Einxehien ist weiter beeinflusst Ton den herrschenden Ideen emer Zeit, also Ton ihren Vor- urteilen. Eine rote Nelke im Knopfloch eines Yolksredners spricht heute ihre Sprache; sie wird Teratihidlich durch die Situation, durch die Idee oder das Vorurteil der gegen- wärtig herrschenden WeUansebaunug. Die rote Nelke war Yor hundert Jahren stumm. Wenn ein Stamm Ton Henschen- fressem sich su einem Festmahl niedersetst, um einen er- schlagenen Feind su Terzehren, so sind die dabei ausge- führten frommen GesSnge nur für den verständlich, der die SStuaÜon kennte die Weltanschauung hat, welche die Seele des Fressenden um die mutige Seele des Erschlagenen zu bereichern meint. So hat jedes Volk und jede Zeit ihre be- sondere Knltursituation ; es ist der Hauptgrund weshalb die Dichtungen ferner Völker und ferner Zeiten uns unverständ- lich geworden sind. £s sind oft Pointen, zu denen wir die Anekdoten nicht kennen.

Der grdsste Teil alles Sprechens besteht bei Sprechen- den und Hörenden in einem Ueberblick oder in einem Rück- blick auf die Situation. Je gegenwärtiger oder je gemein- schaftlicher die Situation ist, desto weniger Worte sind notwendig. In der Erzählung kann ein ,er" oder der Name des Helden ganze Bände ersetzen. Die Bohne gestattet eine knappere Sprache, weil sie die Situation der An- schauung bietet. Der Roman muss ausfuhrlicher sein als ein Geschichtswerk, weil der Leser vorher absolut nichts an Situation in sich vorfindet.

Ein raijches und keckes Wahrnehmen ist nur möglich, wo die Seelensituatiou zwisrlien den Menschen naho/u ge- meinsam ist. Einen Leitartikel, der Avohlbekannte i^iirasen zusammenstellt, einen gewöhnlichen Koinau, der wofilbe- kannte Menschenschicksale erzählt, überfiiegen wir mit den Blicken: bringt uns ein Buch Neues, so müssen wir jede

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Silbe, unter Umständen jeden Buchstaben beachten. So auch im Gespräch. In ält<>rpr Zeit oder bei minder kultivierten Volkerschafben war und ist die gemeinsame Seelensituation so weit vorhanden, dass nnrb der Sprechende seine Sätze gewissermassen nur übertiiegt. Man achte einmal darauf, wie aurh bei uns innerhalb einer behaglichen, das heisst auf genitinsamen Empfindungen ruhenden Familie das Ge- spräch lt i( lit und nuihrlos geführt wird. Die Hauptsilben \v. t ilen kaum .starker betont als im (>t s[)räch zwischen Freiiiden Nebensilben, und Nebensilben werden ganz fallen gela«isen. Ein so intimes Familiengespräch ist im höchsten Grade , elliptisch'. Die neuesten Dramatiker machen von dieser Beobachtung reichlichen Gebrauch. Je ungleicher die Seelensituation zwischen den Menschen ist, desto pedanti- scher müssen alle Forde rangen der Grammatik erfüllt werden, desto wuchtiger wird schliesslich die Betonung der Haupt- silben. Niciit uui iii i'ariamenten , vor Gericht, wo unzu- sammengehörige Menschen sich besprechen müssen, kommt es zu der toten Schriftsprache; sondern schon der soge- nannte Verkehr der einander nicht Teratehenden modernen Oesellschafl; macht den Oebraneh der Schriftsprache not- wend^. Auch dieser Umstand wirkt dahin, daas die neuem SchriHispraeheii langsamer ia ihren Lauten Terfallen als es frQh«r in der natfirlichen Sprechweise der Fall war.

Die Schwierigkeit, die Sitnation für den Sprechenden und den Haralden gemeinschaftlidi lu machen, nächst mit der seitlichen oder rftnmÜchen Entfernung des Oegen- standes, sie w&chst ferner mit d«r Komplisiertheit des Gegen- standes. Es kann die Erklftrung anstatt eines einsigen Wortes ein ganies Buch erfordern. Wendet sich aber der Sprecher gar wie ein Autor an eine unbestimmte Menge von Hdrenden, so bleibt ihm nichts flbrig, als die Situation toU- stindig mitxnteflen, seine Weltanschauung ToHatibidig auf die Volksmasse au Sbotragen. Der Autor (Dmker oder Dichter) kann ein Genie sein und braucht doch die Niig- keit zu dieser Iföteflung nicht zu besitzen. Es ist du Ober- aus seltener Fall, wenn dn genialer Dichter zu^eich die

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VIII. Süuation und Sprache.

Weltanschauung seiner Zeitgenossen spielend beherrsclit, seine eigene um eine Fülle neuer Frudikate vermehrt hat und ^ein Volk mit diesen neuen PriUlikateu zu beschenken vermag.

Wir werden gleich erfuhren, welche Bedeutung die Gemeinsamkeit der Situation lür die Sprache habe. Zu- nächst sei nur an einem Beispiele gezeigt, wie der Spruuh- gebrauch vorgebt, um zwischen Sprecher und Hörer die Ungleichheit der gegenwärtigen Vorstellungsmasse zu über- winden, also für den Augenblick eine Gemeinsamkeit der Situation herzustellen. Wegener (S. 32 und folgende) hat das fDr die Apposition oder den Relativsatz ttbensengend dargelegt. Ich möchte seinen Gedanken dahin erwätern, dass die weitaus grössie Menge alles Sprechens auf diese Thätigkeit hinausläuft; ja man kann sagen: die Langweilig- keit der meisten Bttcher und Henschen kommt daher, dass der weitaus grössere Teil der Rede auf Herstellung einer gemeinsamen Situation, auf ROckerinnerung oder Mitteilung der Exposition verwandt wird und die Neuigkeit, das Intern essante nur mit einem Worte oder einem kurzen Satze hinzugefl^ wird. Die Sache scheint mir am besten illu- striert zu werden durch den Bekanntlich-Stil vieler histori* scher Werke; der Verfasser gibt die Exposition in breiter Vollständigkeit und verrat seine imponierende Gelehrsam- keit nicht ohne Koketterie dadurch, dass er die ihm wohl- bekannten Thatsachen, und wenn sie noch so entlegen wären, durch ein »bekanntlich" oder eine ähnliche Wendung als eine ihm und dem Leser gemeinsame Situation der Seele hin- stellt. Da sind nun zwei Fälle möglich; entweder der Leser besitzt die Kenntnisse wirklich, dann wird ihm der Situations- plan langweilig durch seine UeberflQssigkeit, oder dem Leser ist das alles neu, alle die angedeuteten psydiologischen Sub- jekte sind ihm Prädikate, er kann all das Neue nicht zu- gleich fassen und die Exposition wird ihm langweilig durch ihre Schwieiigkeit. In Wahrheit kann dem lebhaften Men- schen nichts so langweilig werden wie die Sprache, wenn nämlich ein anderer Expositionen spricht.

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GemeiBime Siiuaiuni.

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Um nun aber die Sprathfonii verständlich zu raachcD, 1)1 wekher die Gemeinsamkeit der Seelensituation hei>,'est€llt wird, denke mau au das vorige Beis|)iel: -Adcdar erwachte*, womit der dritte Band eines Romans beginnen sollte. Hat der Verfasser kein rechtes Vertrauen in die Kraft seiner Darstellung oder in das Gedächtnis des Lesers, so wird er wohl die Gemeinsamkeit der Seelensituation unterstützen, etwa so: ,Adolar erwachte der genei^j+e Leser erinnert sich, dass Adolar in dem Augeublitkc , als er die Strick- leiter zum Turme seiner Geliebten emporklettern wollte, von seinem elenden Nebenbuhler durch ein Schlafmittel be- töttbt wurde u. s. w." Solche Hinweisungen auf Be- kanntes und vielleielit Vergessenes, die unter Umständen im BekannÜicli-Stil auch Mitteiliingen von notwendig«! Sqiosi- tionselementen sein kdnnen, finden deli in jedem schleckien Roman, finden sich aber auch in jeder historiscken Dar- fliellung. Wegener hat sehr fein erkannt, dass in dem Satse «Themistokles, ein Grieche ans Athen, ein Zeitgenosse des Aiistides, schlug bei Salamis die Perser* die Exposition («ein Grieche ans Athen, ein Zeitgenosse des Aristides') gegen alle Logik dem Prildikate folge. Ich mache in Paren- these darauf aufmerksam, dass ThemistoUes eigentlich nur Tor der Aussprache des Wortes das psychologische Pkftdikat ist, dass det Triger dieses Namens nach den erklftrenden Hitteilungen zum psychologischen Subjekte wird und dass am Ende das psychologische Prädikat je nach der Absicht des Sprechers und nach der Sachkenntnis des HOrers in •schlug* (dem grammatischen PMidikate) oder auch in «Perser* oder in der Grtibexeichnnng stecken konnte. Die expositionalen Elemente, dass Themistokles der und der war und zu der und der Zeit lebte, drückt mm die Sprache durch ^ne Apposition od«r durch einen Relativsatz aus. Wegener erklärt das am einer Art von Korrektur. Der Redende erfahre durch die Zwischenrufe oder durch die Mienen des Zuhörenden, wie gross oder klein die Sach- kenntnis des Hörers sei, wie weit die Situation bei ihnen beiden gemeinsam sei, und lUge nun gewissermassen auf

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VIII. Situation und Sprache.

eine Frage des andern mehr oder weniger aasfUhiiiclie Daten über den pp Thenustokles liiiisu. Didae Hinzu- ftlgungen, die in unserem Satie ma acht Worten beatebeB, kdnnen aus ^rOnden der Belehrung zu einem Buche an- wachsen. POr den Satahau, auf den es ihm dabei mehr ankommt ab mir, kommt Wegener su dem Schlüsse: .Es ist daher psychologisch nur natürlich, dass der naive Mensch die Ezpoettionselemente erst nach dem PHUUkate ausspricht Die einmal geschafibne und festgewordene Sprachform be- Uttt auch der kOnstlerisch gestaltende Dichter und Schrift- steUer bei. Apposition und Relativsats sind also nachträg- liche Korrekturen unserer mangelhaflen Darstellung.*

Man kann die Apposition ebenso wie die noch form- loeere Parenthese als Eindringlinge in den syntakttschan Bau anffossen. Allemal wird doch nur, indem der BrEähkir aus der Rolle fSUlt, entweder an etwas Bekanntee erinnert oder etwas Neues ans Höflichkeit «bekanntlich* genannt In der Apposition oder der Parenthese kOnnen aber alle möglichen Arten der Gedankenrerbindung Terborgen sein: die Zeit- oder Ortsbestimmung, die Bedingung, die Folge, der Gegensatz, kurz alle Bedeutungsformen der Verbindungen von Haupt- und Neben sätam. Die einzelnen Sprachen haben sich, wie bei der Apposition, an ein^ bestimmte Anordnung, an eine bestimmte Syntax gewöhnt. Wir sind auf die Syntax unserer Muttersprache so sehr eingeübt, dass wir uns ein- bilden, dieser Ordnung der Sätze das Verständnis zu tmt- danken. Im Grunde aber ist die Syntax nur eine bequeme Gewohnheit; es ist für die Regelmäasigkeit der Syntax so wenig ein lo^scher Grund vorhanden wie dafUr, dass wir unsere Schrift von links nach rechts lesen, während andere Völker von rechts nach links oder von oben nach unten schreiben und lesen. Auch ein Gemälde übersehen wir sehr schnell, ohne dass wir einen Führer für den Weg unseres Auges besiissen; der fijute Maler hat dafür ge- sorgt, dass die Hauptgestalt (sein psychologisches Prädikat) zuerst durch Licht oder Farbe unsere Aufmerksamkeit an- ziehe; Uber die Situation oder Exposition des Bildes orien-

L'avereiAbarkeib der äeelea»ituationen.

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tifiren wir uns nach unserem Oatdfinken. Nun ist aUer- clings die Bede »bekanntlich* eine in der Zeit flflelitige Bneheiniuig und hat eine Art tob konventioneUer Behend* hing n0tig. Bock die konTentionellen Fonnen der Syntu sind nar Ueine Hilfen des GedKchtnisses; alle Regeln der Wortfolge, aUe Koiganktionen der Zett« der Bedingung, der Kausalität n. s. w. heschleunigen nur die Orientiemng; su- letst muss der Zuhörer die entscheidenden Worte zu dem Stnalionsbilde ans seiner Erfahrung susanunenf&gen. Was nicht Torher in seinem Oedachtaisse war, kann durch keine Woftlbige und durch keine Koigunktion erMugt werden. Hat er nicht den Begriff der Eausalitit erfosst, so nfitssfc ihm keine kausale Konjunktion. Die Sitoation im Kopfe des Redenden wie des Zuhörers besteht aus Srhmerungs* bildern, die sich ohne Koiyunktionen associieren.

So .sind wir wieder einmal zu dem Grundgedanken unv«rein- dieser Kritik aurttdigellüirt, wieder auf einem neuen W^e. ^»viwit Wir haben gesehen, wie aUes Reden im Gespi^che und alle seeieu Sprechkunst des SchriflsteUers darauf ausgeht, eine Gemein- samkeit der Seelensituation swischen den Unterrednem, zwischen Autor und Leser herzustellen. Diese Gemeinsam- keit lässt sich immer nur für den augenblicklicheu Zweck, für die verständliche Mitteilung des augenblicklich sich auf- drängenden Prädikats erreichen. Eine wirkliche Gemein- samkeit des Weltbildes zwischen zwei Menschen ist niemals vorhanden. Niemals können zwei Menschen einander voU- konmien verstehen. Denn alle s\ ntaktt°rhpn Mittel der Sprache betreffen nur die allgemeinsten l'e/.ifUuugen. Es hiesse in «5chwindelerreg'ende Abgründe hmemhehen, wollten wir auch nur fragen, ob die Menschen sich bei den Kate- gorien der Zeit oder der Ursache das gleiche vorstoUen; doch wenn die;5e Frage nnrh bejaht würde, su würde durch die Gieichlieit der syntukii-schen Empfindungen doch noch lange nicht eine Gemeinsamkeit der Situation ermöglicht Die Santax liietet doch nur etwas wie ein Netzwerk auf dem Zeichenpapier; iia.s Bild muss jeder einzelne von seiner pertönlichen Erfahrung hineinzeichuen lassen. Und wir Xaatboer, B«itr&ce n einmr KriUk dtv Sf^TMlM. IS. 16

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VIII. Situation und Sprache.

inssen, dass der Wortschsti, in welcfaem noh die indivi- diieUe Effahrung ein Lager au^liftuft bat, niemals bei zwei Menschen auf die gleichen SinneseindrUcke surflckgeht In dem emmal gegebenen Beispiele vom Löwen geht die Verschiedenheit der Seelensituatacn viel weittt* als oben an- gedeutet werden konnte. Der Sats »Der LSwe ist edel* wird erst Air die Seelensituation des SchOlers Terstandlich, dessen Phantasie durch Tierfabeln und fabulierende Tier^ gesehichten angeregt worden ist Nehmen wir nnn an, ein Knabe sei gerade durch solche Fabeln in eine Lebensrichtung gedrftngt worden, die ihn spiter auf die Abenteuer der Ldwenj&gerei führte. Angenommen, der im Dienste eines Menageriebesitzers arbeitende LdwenjSger habe sich jugend- liclic Phantasie bewahrt und lasse sich jedesmal Ton der edlen Erscheinung eines Löwen ästhetisch bew^n. Auch dann noch würde er laut lachen mflssen, wenn ihm auf der Löwenjagd dem prachtvollen Tiere gegenüber plötslich der Satz nder Löwe ist edel" in dem Sinne einfiele, wie er ihn als Schüler gehört hat. Ich hatte unter den Beispiden für die verschiedene Bedeutung des Wortes Löwe auch einen Mann Namens Löwe aufgeführt. Es könnte scheinen, als wäre das ein ungehöriges Beispiel. Aber vielleicht ist ein Vorfahr dieses Mannes um irgend einer Eigenschaft willen metaphorisch L"nvr' genannt worden, vielleicht gab es eine Zeit, in weicher zwischen Löwe als Männername und Löwe als Vorstellung eines reissenden Tieres mehr Gemeinsamkeit w^ar, als heute zwischen dem Situationsluld*' Löwe im Koj)io des phantftstischPM Knaben und später im Ki>j>tV desseiben zum Löwenjuger lif rangewachsenen Menschenkindes. Metapher auderem Zusammenhange i.st das Metaphorische in -«"^ der Entwickelung der Sprache khirer. Hier sehen wir auf einmaL dass der Be<i' utungswandel der Worte, wi-l« iier auf metaphorischen Erobei uugen beruht, im ZusamiJiLfihange steht mit der Situation der Seele dessen, der die Mt-tapher zuerst anwendet. Aus dem Weltbilde des einzelnen ergibt sich die Möglichkeit, Aebnlichkeitcn zu sehen und die Ver- gleicbung kurz und schlagend durch eine Metapher auszu-

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Metapher und Situation.

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drücken. Der Hörer kann die Metapher des Redenden nur ▼erstehen, wenn eine gleiche Seelensituation, ein gleiches Welllnld ihn befUiigl;, die angeregte Yergleichung ebenfalls vorsimebmfln. Es gibt aber keine zwm gleiehen Seelensitaa- tionen und so wird die Metapher im Kopfe des einen sich mit der im Kopfe des anderen nie ToUstindig decken. Auck die Metapher sudit ein Neues, ein FrSdikat an ein psycho- logisches Subjekt wa knüpfen; weder das eine noch das andere ist bei zwei Menschm gemeinsam und so kann die neue Yerbindung von Subjekt und Pridikat, die neue Me- tapher oder neue Wortbedeutung, eist recht nicht gemein- sam sein. Wenn die Sprache als Verstftndignngsmittel zwi- schen den Menschen trotadem fimktioniert, so geht es mit ihr wie mit manchen Maschinen der neuesten Elektrotechnik. Ein Skeptiker, der an der Berechnung der Maschine mit- gearbeitet hat, schttttelt den Kopf, weist auf ünsutrigUch- kdten hin und sagt: »Es stimmt nidit, da verstehe ich ein notwendiges Zwisdienglied nicht; die Maschine kann gar nicht taugen." Sie taugt aber doch. Mit dieser Thatsache geben sich die Aktionire und Benutzer zufrieden.

Ich habe zuerst ahnungslos und dann absichtlich die Ausdrücke psychologi che Subjekt, psychologisches Prädikat, Exposition und Situation durch«nander geworfen. Erst im Verlaufe der Untersuchung wurde mir klar, dass diese vier Bezeichnungen nur vom jeweiligen Standpunkt aus ihren Sinn nehmen, dass sie eigentlich ein und dasselbe besagen, den gleichen psychologischen Voi^ng, den wir im Kopfe des Sprechenden Association, im Kopfe des Hörenden Apper- zeption zu nennen pflegen und der sich als ein und der- selbe Vorgang enthüllt, wenn wir es nur wagen ihn bis in Torsprachliche Zeit zurückzuverfolgen.

Dass das psycholru^ischo l^rädikat sich unaufhörlich bei einer Darlegung oder Erzähl iii;_r iu ein psycbologisclies Sub- jekt zurückverwandelt, insotem das ausgesprochene Unbe- kannte im nächsten Satze srlir,ii /um niitverstandenen Be- kannten wird, liaben wir beieits gcs» hen. Diese Thatsache, die noch eine logische Scheidung zwischen beiden Aus-

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VIII. Situaüon und Sprache.

diUcken niliaaii beschrlnkt sich aber «uf den Sprechenden und weh da nicht rein. Alle seine Neuigkeiten, die eieh in der Entwickelung der Rede cu bekannten Voranesetrongen wandehi, Verden ja nur mit Bfidnicht auf den Seelen* sustand des HOrenden Torgebracht; deeeen Tenrunderte Frage oder IGene werden stiUechweigend in Betracht ge- sogen oder doch angenommen, und die forUanfende Bede wird SU einem Qespiich, in welchem unaufhörlich das piychologische SubJ^ sugleidi pejchdogitches Prldikat wird. Im wirklichen 6eB|iriche wird dieses YerhBltnis noch deutiicher, sowohl im gelehrten Disput als in der Tulgftrsten Unterhaltung. Wenn ich mit einem Begleiter das Haus verlasse und sage: »Es regnet," so ist das für mich, der ich den Regen schon vor einigen Sekunden bemerkt habOf ein psychologisches Subjekt, das ich mit der Absicht aus- spreche, dass der Begleiter es als psychologisches Prädikat auffasse; dieser macht es aber in demselben Augenblicke schon wieder zu seinem psychologischen Subjekt und fügt worUos ein PriUlikat hinzu, indem er den E^raschirm er- greift

Die ganze Arbeit unserer Sprachkritik hat uns also darüber aufgeklärt, dass die yielbewunderte Syntax unserer Sprache nichts ist als eine bequeme Hilfe, die Seelensituation

des Redenden dem Hörenden zu suggerieren, dass dieselbe Suggestion mit etwas mehr (jehirnarbeit auch ohne jede Syntax erfolgt, dass die alte Einteilung des Sprachschatzes in die Kategorien des Nomens, des Verbums, des Adjektivs u. s. w. ebenfalls nur zurückzuführen sei auf eine rein geistige, das heisst falsche, in der Wirklichkeit nicht vor- handene Uuterscheidung der Sinneseindrtlcke nach ilirer Be- deutung fUr den Menschen, dass also alle Künste des Sprach- baues nie und nimmer etwas Andtus (»iftm können als eine ^schwache Ilückeriuuerung au tjinne.seiudrücke , welche der s])rechende oder hörende Menscli erfahren hat. Die Anwendung dieser Eiki nntnisse auf die Entstehung der Sprache oder vielmehr auf die Unterhaltung in vorsprach- licher Zeit, belehrt uns nun darüber, dass der Mensch

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Sitaation b«i ßpneher imd HSnr.

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mit seiner gegenwaiiig so ,liocli entwickelten" Sprache, mit seinem lücht mehr zu übersehenf^len bpiacLschatze dennoch för die Erkenntnis der Wirkliciikeitswelt nicht weiter ge- kommen ist als der Mensch einer Urzeit mit seiner hin- weisenden Gebärde. An Stelle der hinweisenden Gebärde, welche für die gegenwärtige Situation immer genügte und heute noch genügt, musste der hinweisende Wortlaut treten, sobald die Situation, das heisst die Summe der gegenwär- tigen Sinneseindrücke in der Erinnerung weiter wirken sollte. Die Falle dieser Erinnerungen ist für die Völker und die «Imeheii Hellsehen ins Ungemessene gewachsen, der Sprach- seliats mit seinen lUuAhligen synUktisehen und gnunmati- tehen Eombinationai gestattet ms bequem Aber Müliarden ▼oa SiimeseindrackeB sa hemoben wie ein Spieler des Sdmehbrett regiert, aber Uber die Erinnenuig hinaus kann alle Spraebgewftlt aioht führen, und jede Beredehenmg un- serer Welterkenntnis oder unsoes Spiadischatses ist beute wie in einer üxseit immer nur die Beobaebtnng eines fdr uns neuen Sinneseindrueks, die durch ein neues Pridikai erregte Äufmeiksamkeit, das bosst die Orientierung in einer Situation. Fflr die letste Erkenntais ist der Kultunnenseb unserer Tage niebt weiter gekommen; wenn er die Katboden* strahlen entdeckt bat oder von ihnen erflhrt, so ruft er sein «dal* und stillt ftlr ein Wefleben sonen geistigai Hunger, so wie einst der bungemde ürmenseb am Meeres- strande mit einer binweiBenden GM>Srde auf die easbara Muschel geieigt bat»

Auf mancherlei Wegen und Stegen sind wir schon zu dem einzigen Gipfel unserer Untersuchung empor gelangt, SU der Einsicht, dass die menschliche Sprache unge- eignet sei, in ihren diskursiven Schlüssen zu neuen Er- kenntoissen su führen, dass die menschliche Sprache nicht einmal weiter zur Mitteilung reiche als die Erfahrung des Hörenden gehe. Wir können den Gedanken jetzt so aus- sprechen: nicht die Worte der Sprache vermitteln uns das

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VIII. Situation und Sprache.

Verständnis der Welt, sondern unsere indiv iduelle Orientie- rung in der Welt vermittelt uns das Verständnis der Worte und Sätze. Zu solcher Resignation hat uns die Untersuchung logischer und grammatischer Begriffe geführt. Die Unter- suchung psychologischer Begriffe lehrt zunächst dasselbe, um uns dami mit der Wahrheit zu entlassen, dass uns die logischen, die grammaftkch«! und scUieadidi aiMsh die psychologischen Begriffe toh der Sprache suggeriert worden smd. Diese letzte Einsicht könnte man die Metaphysik der Sjnrachkritik nennen.

Wir haben gelernt, dass die Mitteilung in dar Tor- sprachlichen Zeit nichts anderes sein konnte, als eine hin- ▼eisende Gehilrde oder ein hinweisender Laut innerhalb einer gegenwärtigen Situation. Die Situation war das selbst- Terstindliche psychologische Subjekt, die Aufmerksamkeit auf einen Punkt der Situation oder auf eine neue Wahr- nehmung innerhalb der Situation oder die Einweisung auf diesen Gegenstand der Aufinerksamkeit war das psycho- logische Frftdikal Wir haben gelernt, dass alle Worte auf metaphorischem Wege aus solchen allgemeinen hinweisenden Fktdikaten ^tstanden sein mtlssan, dass Dingwörter und . Zeitwörter, dass die Kategorien der Sprache bis hinab su den umfassendsten Konjunktionen, dass sogar die Tonfarbungen der Frage, des Befehk, der Bitte u. s. w. metaphorisch sich ausbreiteten, dass noch in der hochentwickelten* Sprache die Situation es ist wenn auch längst nicht mehr allein die gegenwärtige Situation welche den Sinn des einzelnen Wortes erklärt. Die Worte sind vieldeutig; ein- deutig werden sie durch die Einheit der Seelensituation im Sprechenden und Udronden, soweit da eine Einheit herzu- stellen ist. Der sogenannte Sprachgebrauch, der uns die einzelnen vermeintlich eindeutigen Worte zu einem ein- deutigen Sinn so zuverlässig zusammenzufassen scheint, ist nur das Netzwerk, ist nur der Kanevas, in welchen unsere Erinnerung ihre Bilder hineinstickt. Wir glauben z. B. bei «viel- dem französischen peut-f-tre, bei dem deutschen ^vielleicht* den Begriff der blossen Möglichkeit (besonders zum Unter-

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schiede von der Wahrsciieiülichkeii ) deutlich ausgesprochen zu hören. Tn den Worten lipo-t du -,er Begriff nicht. „Viel- leicht* hiess im Mittelhoi InlcuLsciien ausdrücklich so viel wie »sehr leicht" also wahrscheinlich. Auch das französi- sche Wort bedeutete firtlher mehr die Nuance des Zweifels. Wann haben jemals diese Worte den Sinn der logischen Möglichkeit erhalten? Niemals und sie haben ihn heute noch nicht. Sie haben auch in der heutigen Sprache nur dieselbe Funktion, die ebenso gut ein hm oder eine Geste oder ein zweifelnder Blick haben könnte. Sie erinnern nur daran, dass wir den Satz, in welchem sie vorkommen, nicht xureraioktiich hören oder sprechen wollen. Liegt der Be- griff d«r bloflsen Möglichkeit nicht in meiner YorsteUung, 80 werden die Worte ihn auch nicht hinemhringen. Wird jemand eines Diebetahb beeohnldigt und sagt er darauf: »Vielleicht bin ich der Diebl* so spricht das Wort ironisch die denkbar tttrkste Negation ans.

Wire die Spracke wirklick ein so kunstreicher Baa, wie die Logiker und Grammatiker uns seit sweitausend Jahren einreden wdlen, so bliebe sie swar nach unserer Lehre ungeeignet für die Erkenntnis der Wdt, aber sie wSre doch ein herrliches Mittel fllr die Ordnung und Ueber- tragung unserer Ikkenntnisse. In Wakrheit aber zeigt uns jede Bpraehlidie Darstellnng oder EnAhlnng dieselbe Un- fthigkeit der Stäche, in . Worten auseinandersulegen, was in der Wirklichkeitswelt beisammen ist, in aufeinander- folgenden Worten die EipoBition lu geben, die der Redende in einem einsigen Augenblicke nicht nur ttbersieht, soweit er sieht, sondern auch auf einen einzigen Punkt hin be- leuchtet. Das ist ja die letzte ktlnstlerische Bedeutung des Dramas, die sich uns nun plötzlich enthttllt, dass im Drama die Exposition Handlung ist und darum in der Zeit vor sich gehen kann; schlechte IKditer erkennt man gerade daran, dass sie, wie die arme Sprache der Darstellung und £r- sAfalung, eine Exposition ohne Handlung geben.

Ist eine längere Darstellung oder Erzählung hübsch unbedeutend oder sonst der Seelenlage des Hörers ent-

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VUi. Situation und Sprache.

Hjatwron- sprechend , so wird der Hörer mit gutem Gedächtnis alles FroMvoB zusammenhalten und am Ende ungefähr die Situation bei- sammen haben, die in der Seele des Sprechers oder Autors war und die er mitteilen wollte. Ist der Hörer sohlechter vorbereitet, bietet die D«nte]lung oder Enililang -viel Neues, wird im Verbiife nicht jedes psychologische Prftdikat som Sabjekte, so ist anoh mit den ktiÄen Worten dex Darstellimg oder Enihlung «wischen Sfureeher und Hörer die Einheit der Seelensitiuition nicht hergestellt: der Zweck der Mii- . teilung ist Torföhlt Ss liegt des tief im Wesen der Sprache, dieweil sie nur erinneni kann. Anf das Gedächtnis des HOrers kommt es sn. Der HSrer wird in soloheB Flllen die DarstoUnng oder Enihlnng sweimal, dreimal und Öfter hören mOssen, vm endlich den Ptosess in seinem Gehirn aussufthren, der ihm das FMikat swn Subjekt, das Nene zum Bekannten Tcrwaadelt. Was Schopenhauer in der Yor^ rede sur ersten Auflage seines Hauptwerkes f&r sieh in An- spruch nimmt, das geht nicht aus der EigentOmlichkeü seiner Philosophie hervor, sondern aus dem Wesen der Sprache. Unter dieeem Gestchlspunkte lese man einmal was Schopenhauer schreibt Sein Buch sei ein einsigw Ge- danke. »Bennoch konnte iek^ aller BemOhungen ungeachtet, keinen kürzern Weg ihn mitauteilen finden, als dieses ganze Buch . . . Ein Buch muss eine erste und eine letzte Zeile haben und wird insofern einem Organismus allemal sdir unähnlich bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein Inhalt sein mag ... Es ergibt sich von selbst, dasf; unter solchen Umständen zum Eindringen in den dai^elegten Ge- danken kein anderer Rat ist, als das Buch zweimal zu lesen, und zwar das erste Mal mit vieler Geduld, welche allein zu schöpfen ist aus dem freiwillig geschenkten Glauben, dass der Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetze, als das Ende den Anfang, und ebenso jeder frühere Teil den spätem beinahe so sehr, als dieser jenen/ In der Anir-t uin das Schicksal seines Werkes hat Schopenhauer erkannt, dass geordnete Mitteilunj^ unmöglich sei ; er hat aber den Mangel an üeberbUck ^ eine Folge gehalten der übermenschlichen

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Ql«tefoii>Froteroii.

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Grösse seines Gedankens, er wusste nicht, dass die kleinste Zeitungsnotiz über einen Brand ohne die Hilfe des Gedächt- nisses demselben Schicksale verlallen wäre, Sopar der frei- willig geschenkte Glaube, der uns in Schopenhiiuers Vorrede f^t wie eine unliillige Forderung an den Leser erscheint, spielt in der Sprache täglich und überall eiue ausserordeot* lieh grosse Kolle. Wegener hat sehr fein darauf hinge- wiesen, dass die Syntax bestrebt ist, den Hauptgedanken vorauszuschicken, auch wenn sein Inhalt in der Ztit erst auf den Nebengedanken folgt. Die natürliche Erzähiungs- weise wäre das Proteron-Hysteron ; die Sprache greifb un- aufhüiiicli zu einem Hysteron-Proteron und kann diese Dar- stellungsart nicht uberwinden. Nichts ist peinigender in der Biographie eines uns nicht vorher schon interessierenden Mannes, als das ordentliche und unaufhörliche Proteron- Bysteron. Steht firwUcih anf d«m Titelblatte Goatfacs Leben odar daa Leben Jean, ao iat das Sddittawort der gaaaen DanteUung, das letrte paycbologiscbe Mdikai, die Seelen- situation dea Enihlera, adion im Leaer Torbereitet. Er hat daa Buch gewissermaasfln sdien zum erstenmal geleaen, er Best es gewisaermasaen snm zweitenmal und interessiert sich amnit gleich fUr die aonat unerfalgliche Jugendgescfaiolifte Goethest fibrdie Genealogie Jeeu, weil er aie als die Exposition emea ihm wohlbekannten Scbluasea aoffasst. Biographien ▼on Menschen, die wir nidit so Heb haben, sollten mit dem Hanpliiridikat, mit der entscheidenden Leiafcong des ICannea beginnen, und die YorgeacUchte gdegentUch einflechten, ao wie daa Ibsen mit der Exposition einer Handlung m thun wieder gelehrt hai Was von Bücheni gilt, gilt anch von kompli&erfcen Sttsen, ja Ton jeder Verbindung von Haupt* und Nebensals. Die Nebensätse sind aua Hauptsätzen ent- aftanden, welche zu dem wirklichen Hauptsatie im Verhältnis einer E^Msition standen. Die Zeitfolgen unserer Verboi scheinen uns eine unerläsdiehe und zugleich zuverlässige üilfe zu bieten, trots des sprachlichen Hysteron-Proteron die Zeitfo^^e übersehen zu können. Einzig und allein unsere Erfahrung, unsere Torau^gehende Kenntnis Ton der Zeitfolge

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VlII. Situation und Sprache.

der Ereignisse lässt uns den sprachlichen Mischmasch von Hysteron-Proteron und Proteron-Hysterou entwirrön uüd die Dinge in die uns natürliche Reihe bringen.

Diese kleine Hilfe kann naturgemäss nur auf die ein- selneii Perioden eines längeren Buches anwendbar sein. Bloh«! wir im Bann unserer Sprache, so Uingi es paradox, was ich jelai sagen wiU, und doch ist es eine ein&ehe Wahrheit. Die Zeitfolge kann in unserar Sprache nur durch fltaif bis sieben Terachiedene Tempiisformen ausgedrQcilct werden. Diese Zahl reicht f&r einen komplixierten Sati eben aus. Wollten wir in einer histoiisdien DarsteUnng die ZeitTerhftltnisse fortlaufend sprachlich ausdrucken, so würden wir da fast jeder Satz die seitliche Exposition für den folgenden ist ein System von Hunderten, ja Ton vielen Tausenden Zeitformen nOttg haben. Unser Gedichtnis hilft sich so, dass immer wieder das Vergangene zum (Hgcu- wbrtigen wird, genau so, wie jedes Mal das psjehologiBclie Pridikat sich zum Subjekte, die Exposition sich zur gegen- wärtigen Situation wandelt Abgesehen TOn Eselsbrileken, welche durch die sogenannten Umstandswörter der Zeit ge- bildet werden, stehen deshalb die einselnen Perioden eines Kapitels, die einselnen Kapitel eines Buches, die einsselnen Bücher eines grossen Werkes verbindungslos und ohne An- deutung des Zeit Verhältnisses nebeneinander wie die Worte yeni, vidi , rici. Unsere allgemeine Sachkenntnis Ifiast uns die richtige Zeitfolge erraten. Erraten Das Erraten des Wortsinnes durch den Inhalt des sjams. Satses und da der Sats aus Worten besteht

das Erraten des Wortsinnes aus der Erinnerung, Widche durch die anderen Worte im Hörer oder Leser geweckt wird, dieses Erraten ist nur bei der Zeitfolge besonders interessant, weil diese nach dem landläufigen Glauben schon durch die Grammatik sauber geordnet zu sein scheint. Was aber fllr die Zeitfolge gilt, das irilt in noch höhei t'ra Masse für den jeweihgen InhnU der Dintrwiirter und der Zeitwörter, für den jeweiligen hinn der \'erbindung von Subjekt und Prädikat, für den Sinn der übrigen syntaktischen Satzglieder,

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Emtett dm Sinnes.

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für die Biidunp^formen der Dmgwöi'ter und der Zeitwörter, das ^ilt schliesslich sogar für den Sprechton. In vielen Fällen hat freilich der sogenannte Sprachgebrauch z. B. ein bestimmtes Dincrwort an ein bestimmtes Zeitwort gebunden; der Reichtum unserer Sprache entsteht aber gerade dadurch, dass diese festen Wortverbindungen verhältnissmässig selten sind, dass grammatische und .syntaktische Formen in un- endlichen Variationen nach dem Prinzip der Analogie inner- halb eines unbestimmten Sprachgebrauchs verwandt werden. Jade ftnalogische Anwendimg einer syntaktischen oder gram* matiBolMii Teno, ni eme kleine Metapher, deren Sfam jedes- mal ernten werden muse. Besondere Beispiele für Ding- wörter sind ttberflflssig. Für die Zeitwörter denke man an die unttberselibare Zahl von Bedeatungen des Wortes ahaben*. Z. B. im Sinne Ton sich neren, sick fiihlen, kalten, tragen (sich kaben, in der Tasche kaben, auf dem Gewissen kaben), sodann im Sinne von beritaen u. s. w. Unter den gram- matisoben Bildungsformen sind die Casus ebenso Tieldeutig wie die Zeitformen und müssen jedesmal aus unserer Welt^ kenntnis keraus erdeutet werden. Beim QenitiT ist das all- bekannt. Doek auck der TermeintUek so klare AkkusatiT gibt e%entlick nur «ne ganz leere Berieknng, deren Sinn erraten werden muss. Das ist nickt nur bei dem AkkusatiT ▼ersckiedener Wörter der Fall, sondern auck bei dem Ak- kusatiT eines eindeutigen Wortes. Wie Terschieden ist der AkkusatiTsinn nicht in: die Stadt bewoknen, die Stadt ver- lassen, die Stadt bebauen, die Stadt erobern, die Stadt be- suchen, die Stadt beschreiben u. s. w. üebrigens ist die Eindeutigkeit des Woitee Stadt hier ebenfalls nickt bucb- stäblich zu nduaen; das Wort Stadt erregt ganz andere Vorstellungen, je nachdem die Stadt gegrttndet oder er^ obert wird (vergl. III. S. 15 f.).

Das Erraten des Sinnes ist in der Sprache von sehr grosser praktischer Bedeutung. Bekanntlich braucht man bloss alles zu sagen, um mit Sicherheit langweilig zu werden. Ein sogenannter guter Stil, das heisst der natürliche Ge- brauch der Sprache, hat zum sickern Merkmal, dass nur

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Yin. Sitoalioii and Spraeh«.

diejenip:eii Worte gesprochen werden, die zum bequemen Erraten des Sinnes notwendig sind. Das Uebrige wird fort- gelassen. So wird jede Darstellung oder Erzählung von selbst »elliptisch*. Die unaufhörliche Ellipse der Sprache geht viel weiter. In einer Erzählung müsste an jeder Stelle alles Vorhergehende rekapituliert werden. Die unaufhdr- Uche Ellipse besteht eben darin, daas der Sprecher sich fortwShrend mat das Gediehtms des Hörers verlSssk. Bas Qedichfaiis, welches dem ^redwr die Darstellimg oder Br- zihlung möglich macht und ihm erspart (was freflieh blöd- sinnig nnd immOglich vtre) in jedem Augenblicke alles m sagen, ist dasselbe Gedächtnis, welches den Sinn der Worte errät.

Kaosau- DisBC ThatM^hc, dass nimlich dnich die Worte immer zveck^ nur Erfahrungen des Hörers wachgerufen werden, dass der Sinn nach den Erfahningen des HSrers richtig oder falsch geraten wird, dass das individuelle Bild von dw Widdich* keitswelt allein im Kojpfe ist, dass die gehabten Worte das Bfld nur bald so, bald so beleuchten oder belichten, diese Thatsache fthrfc uns nun sa einer Einsicht, die Aber das SprachTcrstindnis hinaus snm Yeratftndnis dar Welt ftihrt oder doch «i dem, was wir für unsere beste Welteikenntnis zu halten pflegen. Der BegrüF der Eausslit&i ergibt sich uns jetzt als eine Folge unserer an Worte geknüpften Ge- dächtnisthätigkeit (Wegener, Untersuchungen 120 f.).

Wenn ein Hund zusieht wie sein Herr gräbt, wie die Frau strickt, so sieht er ebenso wie wir die Bewegungen des Grabens und Strickens. Der Hund hat aber kein Inter- esse, keine Aufmerksamkeit für den Zweck dieser Be* wegongMi. Die Bewegungen des Mannes oder der Frau summieren sich darum in seiner Vorstellung nicht zu dem Begriff des Grabens, des Strickens. Er sieht den Zweck im Verbum (vergl. auch III. S. 59) nicht. Wenn der Hund auch eine ausgebildete Sprache besässe , so würde er doch nur das Geschehen ausdrOcken kennen , er würde nur eine un- belebte Natur (abgesehen vom Hundeleben) erblicken, wo der Mensch bei seinem yielseitigen Interesse und bei seiner

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Kausalitftt and Zweck.

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gespannten Aufmerksamkeit zwischen dem zwecklosen Ge- schehen und dem zweckmässigen Thun unterscheidet. E.s bleibe dahingestellt, ob eine bis ins kleinste und letzte gehende Hundeanschauung von der Welt, ob der Cynismus nicht Torurteilsloser , philosophischer, spinozistischer wäre, ab die mensdiliche Weltanschauung, welche den Zweck- begriff und westorhin den KatwalitttBbegriff in die Welt bineingetm^en bei.

Die moiBcfaliehe Qewobnbeit, Bewegungen lebe&dw Wem flir iweckmtang sa baiton, bestimmte, wenn aadi nocb 80 undentUeb geeebene Bewegungen ak graben, ab stricken sa beseifibn«!, fQlurt undhiigemale sa Tftnscbmigen. Von den ScbaiiBpielem auf der Bflbne, welcbe solcbe Bewegungen nur scbeinbar anefDbren, ebne wiikHeb su graben, sa stricken, SU eesen u. s. w., lassen wir uns gern tiuscben. Aber aucb in der Wirklicbkeitswelt ist die TäoBchnng alltS^cb. Sie bembt auf demselben 8nmde wie die bekannten Sinnes* tftuscbungea. Wir sieben aus maogelbaften Daten labcbe Schlosse. Bei der Auslegung TOn menschlichen Bewegungen werden wir su den Selbsttftusebungen aber durcb die Sprache selbst Terleitet. Die Strickbewegungen der Finger, wenn sie dnmal zofidlig gemacht würden, wären äusserst schwer SU beecbruben, wie denn alles in der Welt äusserst kom- plisiert und unbescbreiblicb wäre, wenn wir es nicht gruppen- weise durch Worte aosdrQcken könnten, welcbe die Ghruppen um einen Zweck wie um einen Mittelpunkt susanimenfassen. Unsere Sprache drückt alle Thätigkeiten durcb solche Worte aus, mit denen wir den Zweck des Thuns zu erraten glauben. Die Erfahrung, welche ja eben an der Krttcke der Sprache foartschleicht , lässt uns einen Zweck Ton jedem Thun er^ warten. Dieses Hineuitn^^en unserer Erwartung in die Welt beruht auf unserem Glauben an eine Regelmässigkeit des Geschehens, auf einem Glauben, der ja um so sicherer geworden ist, je weiter unser bisschen Weltorkenntnis fort- geschritten ist. Was wir an dieser Kegelmüssigkeit des Geschehens aber die Kausalität nennen, das Verhältnis von Ursache und Wirkung, das hattet doch bloss an der Art,

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YIII. Sitaation und Sprache.

wie wir ▼ermeintlich zweckmbsiges Geschehen in unseren Worten gruppenweise sasanunenfasseo, weil wir es sonst in seiner nngeheuem Kompliziertheii niemak beschreiben, nie- mals mikroskopisch genug beobachten kOnnen. Schon die Fingerbewegungen beim Stricken sind sn kompliziert, als dftss wir sie ohne das Zweckwort »stricken* aufEiassen könnten; wenn das Wasser durch die Hitse siedet, so sind die makroskopischen Vorginge ebenso kompliziert, 4ie mikro- skoptschen ganz unfassbar. Wir begreifen die Somme dieser Vorginge bequem mit dem Worte «sieden* und legen ausser- dem den Begriff der ürsadie in die Hitze. Ss ist eine Metapher des menschlichen ZweckmSssigkeitsbegrifb, wem wir nach dem Mustor «die Frau strickt* nun sagen «die Hitze bringt das Wasser zum Sieden*. Wir erraten den Sinn der Worte riditig oder falsch nach unserer Er- fahrung, wir erraten den Sinn der Thfttigkeiien richtig oder falsch nach unserem ZweckinUssigkeitsbegriff, nach einem Interesse» wir erraten den Sinn des Naturgescheheos metaphorisch durch den Begriff der Ursache, den wir inter^ essiert in das Geschehen hineinlegen.

PMPimm Auf die psychologische Unwahrheit unsers Subjekt- begriffs bin ich zuerst geführt worden durch eine Empfin- dung, die vielleicht in ihrer ganzen Stärke nur schwer mit- zuteilen sein wird. Ich las einmal in einer ganz gewöhn- lichen, weit verbreiteten Schulgraraniatik , was alle Schul- knaben, Logiker und Grammatiker zu wissen glRiiben: das.s nämlich das Subjekt meistens den thätigen Gej^rn^taTid nenne, aber auch wohl den leidenden Gef:^enstand nennen könne. Es fallt das ungefähr mit der Unterscheidung zwischen der aktiven und passiven Form des Verbums zusammen. Als Beispiel fand ich den Satz: .Der Hfcrf^n befruchtet die Erde," ,diy Erde wird durch den Hegen befruchtet." "Von der Sinnlosigkeit, die befniclitete Erde sei der leidende Teil ifin^ ich aus, bis mich plötzlich ganz allgemein die blosse Existenz eines Passivums in unserer kultivierten Sprache

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Pafiaivuin barbarisch.

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verwunderte, ja entsetzte. Ich ftiklte auf einmal etwas Bar- barisches in dieser viel gerühmten Form des Zeitworts. W«niiii, 80 fragte ich mich, wird diese Beziehung nicht an dengemgen Worte ausgedrflckti zu der sie gehört? Warum ist es dts Yerhum und niehi das SnbstaotiT, welches Acti«* vnm und Passivam beseichnet? Ich erinnerte mich, dass es an der NordkOste von Java Sprachen gibt, welche ungefUir solche YerhlltDisse im Substantty auadrQcken. Die Beob- achter haben das so auq^edrttokt, dass in dem Satie: «Ich suche das Brot im Hause* audi Haus zum Subjekt werden kann. Wonach der Sats (ohne PasdTum) etwa so sich ge- staltMi wDrde, wie wir ihn mit Hilfe des PassiTums ans» drucken können »das Haus wird Yon mir nach einem Brot durchsucht*. Unser Terwöhntes SprachgeflQhl Iftsst uns nun derartige Sinrachformen, ftr welche wir keine Analogie zu besitzen glauben, leidit als etwas Barbarisches empfinden, als etwas, was sieh fllr wilde Völker besser schicke als für uns. Hein Sprachgefühl sehlug nun plötalich aus der Art, es wurde entartet oder ptxwiasi ich hörte unser paasiTes Terbum vom Standpunkt eines HensdiMi, der Uber ein pas* siTes Substantiv verfügt, und so entsetzte ich mich Uber unser schönes Passivurn. Es versteht sich TOn selbst: nach einiger Ueb^legung kam die Ueberzeugung , dass es nicht gerade human ist, das Wort barbarisch überhaupt anzu- wenden, dass Barbar doch eigentlich bei den inhumanen Griechen nichts anderes bedeutete als fremd oder unbekannt, dass fremde Vorstellungen eben in dem Augenblicke auf- hören mflssen barbarisch zu heissen, wo sie uns bekannt werden, dass wir also niemals etwas Barbarisches kennen können. So wurde ich wieder milde gegen die eigene Sprache; ist das passive Substantiv nichts Barbarisches, so braucht es auch das passive Verbum nicht zu sein.

Ein solches Verwundern oder Entsetzen über nlltiirrliche Begriffe ist bei dem ersten Menschen, der diese Eniplindung an sich selh'^t beobachtet, immer ein Aus-der-Art-schlagen; und es ist ganz in der Ordnung, wenn die Art, das heisst die Msgorität seiner Zeitgenossen, ihn dafür für verrückt

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Yni. SitaatioD und fl^pftelM.

oder flir TorbrecKmadi erUiit. Der erste« der eich Ober HezeiiTerbreiiiLiuigeD eubetste, der erste, der sieb ttber die absolute Mbnarcbie verwuiiderte, der erste, der sick in un- sem Tagen Ober die Macbt des Oeldes oder der sieb Tor Bweitattsend Jabren über das Institut der Sklaverei niebt bembigen konnte, war in diesem Sinne ein Entarteter. Indem ich also diese meine Sprachempfindnng preisgebe, glaube icb allerdings, dass mein Yerwundem, wenn audi hier von unendlich geringerer Wichtigkeit, einigenoassen fruchtbar sein könnte. Vaycho- Wir wissen bereits, dass ein Satz oder die Aussprache ^Srii^dtt! Gedankens nur ganz überflUssigerweise mit den Kate- gorien der Logik und Grammatik belästigt wird. Die Regeki der Logik und Chrammatik haben mit dem Organismus des Denkens noch viel weniger zu thun, als der Bast, durch welchen eine Pflanze an ihren Stock angebunden wird, mit dem Organismus der Pflanze. Wir wissen, dass ein soge- genannter Gedanke oder ein Satz nichts weiter ist als die Richtung unserer Aufmerksamkeit auf irgend einen Sinnes- eindruck , sei es ein neuer Sinneseindruck oder die Vor- stellung oder Erinnerung uns -wohlhpkannter Eindrücke. Dieser psychologische Vorgang ergibt, dass um es zu wiederholt-n das Prädikat eines Satzes, das Ausgesagte, das Prädizierte auch allein das Aassagenswerte, das Sprerhens- werte ist, dass das Subjekt das Selbstverständliche ist, das in den Urzeiteu der Sprache gewiss noch gar nickt gesagt wurde. Das Subjekt, das jetzt für das Hauptwort, für die Hauptsache gilt, muss eine jüngere Erfindung gewesen sein, es ist ein Parvenü.

Man hat die Mitteilung einer Gedankeureihe an einen andern Menseben ebenso geistreich wie falsch mit dem Ab- wickeln einer Papierrolle im Telegra|)henumte verglichen; es soll da die weisse Pa})ierrolle immer kürzer werden, wäh- rend das beschriebene Band auf der andern Scheibe iiiuuer länger wird. Der Vergleich hinkt auf allen vier Füssen. Höchstens für den erapfaugeuden Apparat, für den Hörer oder Leser eines Satzes, vollzieht sich die Aufnahme, wenn

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Pdychologisclie« Subjekt.

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er mhr dumin ist oder etwas ToUkommen Neues erfahrt, halb^vegä so langsam und linear, wie ein Baad sidi aiifrollt, wie eine Wuise kriecht^ In der psychologischen WiiUieh- keit wird der Blickpiinkt des Gedichtmsses vom Sprecher schnell und geschickt nach allen Bichtungen auf diejenigen Beobachtungen und Merkmale gelenkt, die gegen w'ai-tig, das heisst dem realen Zusammenhang entsprechend« filr ihn von Interesse sind; und mit maschinenmissiger Sicherheit wird der Blickpunkt des H9ren (soweit die Unterschiede in ihren IndiTidualsprachen nicht stISren) auf dieselben Beobachtungen und Merkmale gelenkt, nach dem Interesse des Sprechers. Jedesmal ist die Fidle der VorsteUungen, wddie dem Spreeher oder HOrer jeweilig aus seinem Sprachschatse oder aus seiner gesamten Welteikenntnis in jedem Augenblicke gegenwilrtig sind, das Subjekt su den rasch wechselnden Prädikaten. Auch dieses Subjekt ist von Wort m Wort in jedem Satze TerftnderHch» ist anders im Kopfe des Spredien und im Kopfe des HOren. Dieses unausgesprochene, nebel- hafte, Ton der ganien Oedankengeschichte jedes IndiTidnums abhingjge Subjekt konnte woU das psychologische Subjekt genannt werden; «s ist allerdings von den Sprachforschern nur aus Verlegenheit erfunden worden, weil nämlich bei manclien Wortstellungen und Satakonstruktionen die Gram- matik dem psychologischen Vorgang allzu schroff wider- sprach.

Das Bild vom Blickpunkt des Gedächtnisses yerlockt Bliek- beinahe dazu, es zu Tode zu hetzen. Suchen wir zu einem '^"'^ sogenannten Subjekt, also zu dem Gegenstande oder Sub- a«daoiit- stantiv, das uns gerade beschäftigt und das wii* darum gar nicht aussm^rechen brauchen, eine Beobachtung, ein Merk- mal, kurz ein PriUUkat, so wollen wir dieses Merkmal, diese Beobachtung an die Stelle des deutlichsten Sehens setzen, wir wollen es stärker als alles andere beleuchten. Wer weiss ob der Vorgang nicht verwandt ist mit einem wirk- lichen Beleuchten. Es ist als ob wir mit einer Handlüterne im Dunkel etwas suchten. Wir rücken die abzusuchende

Stelle in den beschränkten Lichtkreis der kleinen Laterne. M»atbiier, B«itrftge £tt einer Kritik der Sprache. UI. 17

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Vm. 8ita«td(m und Sfnwfae.

Wir fingen die DunkeUiflit ab, indem wir Punkt für Punkt lielettditen. Es ist immer das DnnUe, wonadi wir Ingen. Im lebhaften WecluelgesprScb, wenn fon swei Menschen jeder immer nur ein Wort spricht (Wohin? Port. Jetat? Gleich. Warum? u. s. w.) werden ttber* haupt nur Prädikate gesprochen, die Subjekte sind seHwt- ▼ersündüch, sowohl die grammatischen als die psycho- logischen.

Gegen diese psychologische Notwendigkeit kann weder die Ghrammatik nocli auch der wirkliche Sprachgebruuch aufkommen. Im Deutschen ist, wie eine aufmerksame Be- obachtung leicht lehrt, das grammatische Subjekt durchaus nicht so sehr Herr der Situation als das in der Schule ge- lehrt wird. Unsere freie Wortstellung verhilft dem psycho- logischen Subjekt zu seinem Rechte. Aber auch eine so fest geschnürte Sprache wie die franaösische muss ihre feste Wortstellung durchbrechen lassen, will sie der Mitteilung nicht Gewalt anthun. In der französischen Schulsprache und Rhetorik ist das grammatische Subjekt allerdings fast allmachtig. Im alltäglichen Gespräch jedoch ist das psycho- logische Subjekt nicht zu umgehen. .Votre fT^rc, j'ai de ses nonvelles." Ich kann nicht umhin auch bei dieser Satz- konstruktion die Empfindung des Barbarischen zu haben (natürlich um mich nachher des Wortes Barbarei wieder zu schämen). Es klingt mir, ich kann gar nicht sagen wie aussereuropäisch, dass das psychologische Subjekt, das wo- nach gefragt worden ist, zuerst wie eine Aufschrift dasteht und dass sich dann ein rcgelmäs55iger fraT]/.<isischer Satz, in welchem das grammatische Subjekt fi m t jrientlich voran- stellt, mit einem Fürwort darauf bezieht. Wilde Völker- schaften sprechen, wenn ich deu Missiouarberichten trauen darf, so, dass eine oder mehrere Aufschrilten vorausgehen. Und merkwürdig, die Chiueyen , durch ihre feste Wort- stellung gezwungen, müssten unsern Satz genau .so kon- struieren wie die Franzosen.

Füi dieses psychologische Subjekt ist es vollkommen gieichgülLig, welchem der sogeuaunten Redeteile es von der

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Blielgpiinkfc d«i QedAehtaiiiaeB. 259

Grammatik zugewiesen wird. Wenn ich der Dame Blu- men zu schenken beabsichtige und den Blickpunkt meines Gedächtnisses darauf richten will, an welchem Tage ihr Geburtstag sei, so wird der Tag zum psychologischeu Sub- jekt und es ist auch nicht der kleinste Unterschied zwischen dem Satze «am soundsovielten ist ihr Geburtstag" oder »den soandsorielten ist ihr Geburtstag" oder «der soundsovielte ist ihr Geburtstag", trotzdem das letzte Mal ein grammati- sches SLibjekt dazustehen scheint, das jedoch für mein iSprachgt^iüiil nicht anders als das Adverbium der Zeit ver- standen wird.

Es kann uur eine Vermutung .sein, ist aber eine recht wahrscheinliche Vermutung, dass vor der Einführung der Uezionsformen unsere kultivierten Sprachen sich mehr als nachher an die Wortstellung halten mussten, um gleich richtig erraten seu lassen, welchen Teil des Satses jedes Wort ab- gebe. I^uuL irlre die strengere WortsteUmig im FransÖsi- schen und Englischen entweder ein Atavismus oder ein Symptom daflir, dass diese Spradien wie das Chinesisclie die strenge Wortstellung wieder n6tig haben, weil sie die deuüiclie Flexion Terloren. Audi die für unser GefQlil un- ertiftc^ebe Freiheit der lateinischen Wortstellung, die z. B. bei Ovid leicht sum Bdsselsprungrätsel wird, liesse sich sum Teil aus der ausserordentlichen Uebersichtlichkeit der FLexionssilben erldftren. Wieder der Wortstellung mag eine fest geregelte, vielleieht sehr musikalische Betonungsordnung Toransgegangen sein, wie sie ja auch im heutigen Chinesisch noch oder wieder eine grosse BoUe spielt» Der Drang, uch durch starke Betonung Terstindlich zu machen, ist tief in uns eingewurzelt. Es sind nicht nur ungebildete Mensdien, welche sidi einem Auslander, der kein Wort ihrer Stäche ▼mteht, Terstibidlicher zu machen glauben, warn sie heftig schreien. Aber auch die Betonung gehört erst dann zur Sprache, wenn sie konventionell geworden ist

Der Blickpunkt des Gedächtnisses ist nur durch Kon- vention abhiogig von Grammatik und Syntax. Die Syntax hat aber noch viel wenige eine Beziehung zur Wirklich*

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YIU. Situfttioii und Sprache.

keitswelt als die Graimiiatik oder als die Worte. Die höhere Syntax vorhält sich zum Nutzen der Sprache wie der Parade- marsch zur Strategie. Doch auch die einfachste Syntax ist nicht notwendig. Die Syntax jeder Sprache ist barbarisch für jede andere.

Und wer Über die Feierlichkeit der Syntax recht rnis- bündig lachen will, der be.sinne sich auf den gasseubübi- schen Sport, der kürzlich auffjebracht ■vvftid^'n ist: den schein- baren Unsinn, die Verse eines bekannten Liedes von hinten nach vorn zu lesen. Es gibt einfache Lieder (z. B. Uhlands ^ Frühlingsglaube ") , bei denen der kleine Spass über- raschend gut gelincft. Es wäre das niclit möglich, wenn die Wortkunst des Di lu^rs nicht unabhängig wäre von der Syntax, wenn sie nicht allen Jüngern .syntaktischen und grammatischen üüfen gern aus dem Wege ginge. Es wäre aber auch nicht möglich, näre die Syntax nicht bedeutungslos für die Associationen der Worte oder Begritte beim Sprecher, nicht bedeutungslos für die Verknüpfung der Woiie oder Begriffe beim Hörer.

*

Haben wir schon früher (Bd. I. S. 78) in der Gram- matik der Einzelsprachen die mensehliche Notdurft erkannt, die rieh nach Ideinen menschlichen Interesse ein maogel- haftee Register für einen mangelhaften Weltkatelog ordnete, 80 wissen wir jetzt nach einer genauem Betrachtung der grammatbchen Kategorien, dass weder die Redeteile noch die Form der Redeteile, noch die Znsammensetaung su Sitsen zu der Wirklichkeitswelt passen. Ist schon die Sprache Oberhaupt mit Ihren Worten oder Begriffen kein SchlOasel der Erkenntnis, kein passender Schlfissel fttr die Welt, so ist die Grammatik der Sprache noch weniger mit einem Schlüssel zu vergleichen. Sie w%re denn wie ein wächserner Schlüssel, weich und unbrauchbar, anstatt einer wächsernen ICatrize ron einem Schlosse. Und auch dieser Vergleich noch wftre fislsch, wenn, wir an die Grammatik erkenninistheoretische Forderungen stellen. Die

Philotophiache Grammatik.

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Daten unserer Zufallssinnc , die wir nach der urältesten Hypothese für eine objektive Wirklichkeitswelt halten müs- sen, sind höchstens adjektivischer N^ur, die angenommenen Ursachen di66er adjektivischen Daten nennen wir Dinge, die Zweckmittd|ninkte ttuJidier Zmiandsgruppen nennen wir Thfttigkeiten. Noch nnentwirrbarer fliessen die Bedeu- tung«! der Deklinstions- und Konjugationsfcnrmen, flieeeen die Bedeutungen der Besiehungsredeteile durcheinander. Ui^ auch der l^ste Halt, die K^gorie dar Qnantitilt oder das Zahlwortf entglitt uns, da eich die ZaUen heransstellten als Erfindungen ohne Begrifiswert, da nur die ITmlil 2, der Korrelatbegriff der Gleichheit, der Begril^prache verblieb.

Und so Ware es an der Zeit, den Traum von einer puio- philosophischen Grammatik zu Ende zu träumen. Es gibt*^^^ keine allgemeine Ch-ammatik, geschweige denn eine philo- »Mk. sophische Grammatik. Ich habe mir irgendwo einen Xarren erfiinden, der sich mit einem Stadtplane von Königsberg in Paris zurechtfinden wollte. In den Geisteswissenschaften gibt es 80 etwas. Warum sollte man nicht einen allge- meinen, einen philosophischen Stftdteplan entwerfen? Jede Sirasse mündet in eine andere. Abgesehen von den Auf- nahmen, lieber den Fluss führt am Ende der Strasse eine Brücke. Abgesehen von den Ausnahmen. Der arme Teufel, der sich nach einem solchen philosophischen Städteplan richten wollte, wäre so weise wie der Schüler einer |dulo- v(i|>lnschen Grammatik. Wir sind heute nicht mehr so « auf- geklärt", wie J. B. Meiner (seine allgemeine Sprachlehre erschien in demselben Jahre wie Kants Vemunftkritik), welcher in allen Sprachen nur Kopien eines und eben des- selben Originals sah, unseres Denkens nämlich. Aber auch die neuesten Versuche einer philosophischen Grammatik ge- stehen unfreiwillig die Unmöglichkeit des Unternehmens ein, A. Stöhr gibt in seiner .Algebra der (Tranimatik" (vergl. besonders S. 15) niemals eine vollständige Uebersicht aller möglichen Be/.iehungen, sondern bestenfalls nur reiche und Ubersichtliche Beispiele. Es gibt keine Philosophie, es gibt

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YUI. Siiaation und Sprache.

nur rhilosophien. Es gibt kerne Grammatik, es gibt nur Grammatiken. Es gibt keine Logik, es gibt nur Logiken. Und die lebendige Wirklichkeit sprengt die Fesseln der Philosophien, der Grammatiken und der Logiken, wie das lebendig kristallisierende Wasser im Felsenspalt den uraften, toten Feben sersprengt.

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Sprache und Logik.

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1. Begriff and Wort.

Die Loj^ik stellt, wie die Grammatik, allgcmrine Hegeln auf. Di«' Grammatik der eigenen Sprache lehrt nicht, wie man ^[irechen soll odnr wird, sondern nur, wie man spricht oder gesprochen hat, wolür sich eben nur der Grammatiker interessiert. Die Grammatik einer fremden Sprache erHihrt man ebenfalls am besten durch die Uebung; immerhin kann die Grammatik einer fremden Sprache nützlich sein, wenn sie von der Grammatik der eigenen abweicht.

Die Logik lehrt nun ebenso.' nicht wie man denken soll oder wird, sondern nur wie man denkt oder gedacht hat, wa.s doch nui den Logiker interessiert. Nützlich kann uns nur eine Logik der Fremden werden. Wir selbst sind bei unserer eigenen Denkthätigkeit um so weiter von der Anwendung der Logik entfernt, je sachlicher wir uns an die Denkaufgabe halten. Und ich möchte behaupten, dass die berähmten Denkfehler, die Sophismen und Faralogismen, nienalB Ton NiehÜogikem gemacht worden wlren. Denn das natOrliche Gehirn denkt gar nicht ungegenstftndlich, wendet gar keine Regeln an, sondern urteilt und schliesst vielleicht sogar genau so instinktiT wie das Tier. Erst der redende Mensch dachte .logisch*. Es ist fast lustig, dass Logik Tom Xo^o? stammt, der doch nicht im Anfang war.

Das YerhSltnis zwischen Begriff und Wort kOnnte auf- 0«s1mb schlussreich werden fUr das Yerhftltais zwischen Denken und gp^^^, Spredien. Wir erUAren Denken und Sprechen immer ao& neue für identisch und müssen doch auf Schritt und Tritt angeben, dass der Spracl^ebrauch immer wieder einen

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1. fi«griff aad Wort.

Unterschied mache zwischen Denken und Sprechen, dass also die Identität nur auf Gnind einer besonderu Detiiiiliun beider Begriffe zu Recht bestehe. Reden wir doch, ohne dem Sprachgebrauch Gewalt anzuthun, sowolil von einem gedankenlf>8en Sprechen als von einem nicht nur wortlosen Denken (was ein inneres Sprechen sein kann), sondern ge- radezu von einem vorsprachlichen Denken (B. I. 108 f.).

Zunächst möchte ich in spriuliliiher Beziehung be- merken , dass der Begriff Denken wirklich nicht völlig der KorrelatbegnJl' von Sprechen ist. Eigentlich müssten wir ein besonderes Verbum für die Anwendung der Vernunft besitzen, das etwa dem franz&dschen raisonner entspräche. Die einstige Ueberaelsiuig diesoi Wortes, «vemlliifldn* nlm- lieh, hat wegen ihrer uD|^sdiickifcen Büdimg emen iadebi- den Beigeschmack bekommen. Unser Begriff Denken wQrde dann ftür die Bedeutung übrig bleiben, welche such raisonner im Sinne Ton Schliessen besitzt, und wir kOmten unsen Ausdruck «schliessen* als den sprachlichen Konrelatbegriff für Denken gebrauchen. Ich will mit diesen Bemerkungen keine neuen VoischlSge machen; ich will nur auf die Schwierigkeiten der Tenmnologie aufmerksam machen. Nach dem gegenwärtig üblichen Spndigebrauche Tcnrirren sich nämlich die Korrelatbegriffe mit ihrer Komplikation. Wir gehen einerseits Tom B^riff zum Urteil, zum Schlüsse und zum Denken Aber, anderseits vom Worte zum Satze, zum Schlüsse und zur Sprache. Auf den beiden untern Stufen ist die Besiehut^ der beiden Korrelatbegriffe noch einiger- massen deutlich, auf der dritten Stufe fehlt die sprachliche Unterscheidung, auf der vierten Stufe herrscht vollkommene Wirrnis. Durum muss es nützlich sein, auf einige Be- nehmten zwischen Begriff und Wort hinzuweisen. BisrUto Ich schicke voraus, was an anderer Stelle weiter aus- jJJ*^ geführt wird, dass diese Stufen: Begriff, Urteil und Schluss der herkömmlichen Logik nachbenannt sind und mit der psychologischen Entstehung dessen, was wir so nennen, gar nichts zu thun haben, dass dem Begriffe fast immer ein Urteil, dem Urteile fast immer ein Schluss vorausgeht und

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B0griffe and BiliUr.

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dass aus diesem Verhältnisse übrigens die Wertlosigkeit der Loj/ik deutlich wird. leb schicke voraus, dass unsere so- prn iimten V( rsl« Uuiigeri , welche wir durch Begrifie oder Worte auszudrücken glauben, erst durch unsere Bemühung, Begriffen oder Worten ein Objekt unterzuschieben, in unser Bewusstsein hinein kommen. Fast alle diese Vorstellungen sind bei normaler Geistesthätigkeit freilich Erinnerungen, aber nicht irgendwie wahrnehmbare, wenn auch noch so abgeblasste Krmaerungsbilder, sondern einzig und allein Thätigkeiten unseres Gedächtnisses (vergl. auch Band I. S. 412). Ware dem nicht so, wäre die Erinnerung nur ein Erinnerungsbild, welches durch Wort oder Begritl" her- vorgerufen wird , so hätte die Sprache gar keine solche Bedeutung für den Menschen, so könnte das Tier ohne Sprache ebenso gut denken wie der Mensch. Denn es läge gar kein Hindernis vor, dass z. B. die Geruchsempfindungen dem Hunde ebenso Vorstellungen brächten wie die Worte dem IKwushioa und daas dar Hund ao allm&hlich daau kftme, neb mit Hilfe seines Geraelies sur Wissenscliafl; zu erbeben wie der Henscb mit Hilfe der Lautspracbe. Dagegen jedocb strftubt sieb unsere Uebeneugung vom inneren Leben oder Ton der Psjdiologie des Hundes. Wir kdnnen es uns nidit anders vorstellen, als dass beim Hunde die gegenwärtigen QerDcbe bloss Ideenaasociationen knflpfen und dass bei der flflobtigett und mangelbaften leb mOebte sagen Arti- kulation d«r Gerudisempfindungen aucb die Ideenaasociationen der Artikulation, der weiteren Braucbbaikeit entbebren. Hört der Henscb ein ibm woblbekanntes Wort, so steigt nur in Ausnabmsföllen ein Bild Tor ibm auf, was dann fast patbologiscb als Sinnestftuscbung aufgefasst werden kann; in normalen Yerblltnissen wird nur eine Kette oder ein Gewebe, ein Nets oder noch ricbtiger eine kleine Welt, ein IGkrokosmos von IdeenassodatUmen angw^t, fast obne Be* toUgong der Sinnesorgane, fast gans obne Bewusstsem, und SU diesem Mikrokosmos (der nicbt eindlimensional wie eine Kette, der nicht zweidimensional wie ein Gewebe oder dn Nets, sondern dreidimensional wie eine Welt ist) gebOren

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I. Begriff und Wort.

auch unzählige Ergebnisse von Schlüssen und Urteilen, die also dt?m Gebrauche des Be^ififes vorausgehen, wie sie einst der Entstehung des Begriffes vorausgegüiigen sind.

Was wir für Vorstellui^eu halten, wenn wir beim Aus- sprechen oder Hören eines Wortes mitunter das Bedürfnis nach einem Hslt in der WirUichkeitswelt f&Uen, das ist fast immer xmr eine EzemplifikatioD, die absldiiliche innere Aiiftnerksamkeit auf irgend ein Beispiel. So wenn wir uns vergewissern wollen, ob wir uns bei den sogenannten kon- kreten Worten wie Tier, Säugetier, Raubtier, Hund, Pudel wirldieh etwas d«iken kftnnen. Es ist psychologisch inter- essant zu beobachten, wie wir in solchen FSUen immer su dem nichsüiegeiiden Beispiele greifen. Seitdem die Ge- lehrten Bflcher^ und Schreibtischmenschen geworden sind, wird man z. B. fast jedesmal, wenn ein Psychologe den Be- griff Ding mit einer Vorstellung belegen will. Tisch, Feder und dergleichoi erwShnt finden. Das BeispielmSssige der Vorstellung ergibt sich noch schärfer bei abstrakten Be- griffen wie Mut, bei Besiehungsbegriffen wie aber und selbst bei Verben wie k&mpfen. Ich halte es nicht fllr unmöglich, dass ein flachtig vorgestelltes Beispiel fttr aber, f&r Mut und fürkftmpfen die gleichen Elemente aufweist: zwei, die einander gegenüberstehoi.

Es liegen also den Begriffen oder Worten wohl Sinnes- empfindungen und Widimehmungen zu Orunde, nicht aber Vorstellungen oder Eriiinei-ungsbilder. Die Verwirrung in der psychologischen Terminologie ist da freilich eine voll- ständige. Man bat Vorstellungen und Wahrnehmungen zu nahe aneinander gebracht und war darum immer geneigt, das Denken oder Sprechen auf Vorstellungen aufzubauen* Anderseits sind doch wieder nur die Sinnesempfindungen die unmittelbaren Elemente der Begriffe; denn beim Ueber- gange von Sinnesempfindungen zu menschlichen ^^'ahr- nehmungen dürften doch in der Entwickelung der Organis- men unzählige sprachäbnliche Urteilsdifferentiale mitgewirkt haben. Wir halten uns vorläufig daran, dass nicht die Vor- stellung es ist, welche dem Worte oder Begriffe zu üi-unde

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Begriff und ürteiL

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lie^ren mu>s, dass vielmehr das Wort oder der Begriff es ist, was eine Vorstellung hervorrufLu kann.

Die gleiche Verwirrung herrscht zwischen Begriti und «.iKriS Urteil. Zwischen den Korrelatbefipriffen Wort und Satz kann diese Verwirrang nicht so herrschen, weil Wort und Satz äussere Srach«ni]iigeii sind, die jedes Kind auseinander halten lernt. Das ist ja Idar, dass der Sali «der Füdel ist ein Hund* oder ,der Hund ist ein Tier* mehr ist, ab etwa das Wort Pudel oder Hund. Für die Fejchologie jedoch ist es gar sehr fraglich, ob das Urteil »der Ptadel ist ein Hand* irgendwie mehr ist als der Begriff der Pudel, ob eine ge^visse Menge Alkohol dadurch vennehrt wird, dass ich Wasser zugiesse. Es kann sogar Torkommen, dass der Alkohol, als Ursache einer Wirkung auf mich, durch Wasser weniger wird. Ohne Bild: es kann ▼orkonimen, dass die VerwSsserung eines Begriffs durch allzu breit getretene Ur^ teile den Begriff abschwftcht. Mir scheint es in dem wirk* liehen Qeistesleben des Menschen, das man nicht den Schulbeispielen der Schulpsychologie gleichsetsen darf, nur eine Frage der Aufmerksamkeit, ob wir den Begriff oder das Urteil als das Primare empfinden sollen. In Kants analytischen Urteilen (die wertlos sind und Tielleicht trota- dem die dnzigen Urteile, die es gibt) wird das VerhSltnb klar: die Urteile gehen aus dem Begriff ▼on sdbst herror, weil die Begriffe nur Oktmomisch zusammengefasste Urteile sind. , Begriffe sind potentielle Urteile* (Riehl).

An dieser Stelle glauben wir nun eine deutliche Dif- ferenz zwischen Begriff und Wort wahrzunehmen und mtlssen 8ofoi-t vermuten, dass auf einer höhem Stufe auch Denken und Sprechen oder Yemunftgebraucli und Sprachgebrauch verschieden sein werde. Ich will darauf zurückkommen und bitte gleich hier zu beachten, dass sich der Ausdruck Sprach- gebrauch ganz von selbst als eine entsprechende Bezeich* nung für die konkrete Thätigkeit der Sprachorgane er- geben hat.

Worin besteht nun der wesentliche Unterschied zwi- schen Begriff und Wort? Wie mir scheinen will, nur in

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I. Begriff und Wort.

Wort der Richtung der Aufinerksamkeit. Ich richte bei dieser Wort- P^y^^^ologischen Untersuchimg meine Aufmerksamkeit das kkng eine Mal auf das Qerftuseh, welches meine Sprachorgane bei Herrorbringung des Lautkompkxes Hund su stände bringen« ich richte meine Anfmerfcsemkeit das andore Mal auf die Welt Y<m Associationen, wdche dieser Lautkomplex in mir anregt. Die wichtigste Fehlerquelle aller psychologischen Beobachtungen fängt an mitauarbeiten, die Verftnderung nSmlich, welche Empfindung, Wahrnehmung oder audi Selbstbeobachtung eben durch die Aufkerksamkett erlUirt. Was dabei herauskommt, das ist schliesslich immer etwsa wie die Psychologie eines Psychologen, nicht die Psycho- logie des natürlichen Geisteslebens. Denn wo in aller Welt gibt es im menschlichen Denken ein Zentrum fllr die Welt ▼on Associationai, wenn nicht im Worte? Und wo in aller Welt gebraucht der natürliche, der Torphilosophische Mensch ein Wort als blosses Geräusch, ein Wort ohne die Asso- ciationen, die es zum Begrilt machen? Diese Verknüpfung ist eine so zwingende, dass nicht einmal der Blangwert des blossen Wortes richtig wahrgenommen wird, wenn keine Associationen sich mit dem Klange Terknüpfen. Es ist be- kannt wie schwer es Missionaren wird, den Klang der Worte sogenannter wilder Völker zu fixieren; das liegt nicht nur daran, dass CS an einem gemeinsamen Alphabete für alle Sprachen mangelt, es lie^t auch daran, dass das völlig fremdartige Wort sich dem Hörer Torerst nicht mit anderen Klangen der ^deicht n Sprache associiert Wir brauchen nicht bis nach der SUdsee zu reisen um das zu beobachten. Der Franzose hört zunächst keinen Unterschied zwischen Hund und und; der Süddeutsche hört zunächst keinen Unter- schied zwischen aiitniche und Autriche. Es ist eine Psyclio- lope in zweiter Potenz , eine Psychologe der psyrhologi- schen Aufmerksamkeit, welche zwischen Begrifi und Wort unterfschcidet und welche auf diesen Unterschied ein System Ton Urteilen und Schlüssen mif bauen kann, welches dann einerseits dem Bauernverstande, anderseits vom Staudjjuukte einer kritischen Erkenntnistheorie wie eitel Wortmacherei

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Wort nur Klang ohne seine AssociaUunen.

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«sehemL Man hat beida Biditiiiigeii der Anfineriowinkeit oIum in solehe Systeme geliraeht, man hat die Aaaodationen dee Begrifb in Regeln des Yemunfigebranchs oder in der Logik «iattoMii. geordnet, man hat die WorlUftnge in Regeln des Sprach- gebrauchs oder in der Grammatik geordnet, nm am Ende ▼erzweifefaid einzusehen, dass hogik sich ebenso sehr auf Grammatik sttttst, wie Grammatik auf Logik. Li Wahr- heit hSngt unser Geisteslebeii immer nur von den Asso- ciationen ab, die Ton dem Worte oder dem Ässodations- sentrum ausslraUen, und dieses Blickfdd des Wortes wieder hingt ab Ton der jeweiligen Situation unseres Bewusstseins. 0ie jeweilige Situation unseres Bewusstseins tifigt in jedem Augenblicke den Keg davon Aber Logik und Grammatik. Je nach der Situation des Bewusstseins kann im Geistes- leben des natQrlichen Menschen der blosse Begriff jede Art ▼on ürteü Tertreten, aber dann auch das entsprechende Wort jede Art TOn Satz. Kur im geisttötenden Schulunter- richt werden so leere Schulsätze gebildet wie „der Hund ist ein Tier", wobei dann die Psychologie des Psychologen zwischen Begriff und Wort unterscheiden kann. In der Wirklichkeit des Bewusstseins hängt es immer davon ab, wo der Blickpunkt im Blickfelde gesucht wird, das heisst wonach gefragt wird. Ein Jäger sieht in weiter Entfernung sich etwas bewegen und weiss noch nicht, ob es ein Wolf oder ein Hund ist; das Tier kommt näher und der Jäger denkt «ein Hund''. Da haben wir ein ganzes Benennungs- urteil und ich möchte den kennen, der mir sagm könnte, ob dieses Benennungsurteü in einem Begriffe oder in einem Worte Terdichtet ist. Ein Kind traut sich nicht in ein Ge- höft hinein, weil es das Bellen eines Hundes wahrgenommen hat. Das Kind sagt ,ein Hund" und eine Welt von Asso- cintionen liet^'t darin. Zunächst das Subsumtioiisurteil ,der Hund ist em llaubtier", was in der kindlichen Zoologie etwa so viel heisst wie »der Hund boisst*. Sodann liegt dann das Erwartungsurteil, welches entweder nach des Kindes pij;(„iier Erfahrung oder v.nvh der Erfahrung des Menschengeschlechts etwa lautet «der Hund wird beissen**,

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I. Begriff und Wort

was wieder nur eme ttbertriebene Avairuclisfonn eines UOg- lichkeitsiirteile ist Und wieder möchte ich den kennen, der mir sagen könnte, ob alle diese Associationen sich an den Begriff oder an das Wort Hand knttpfen. Noch ein anderes Etnd hat bisher nur Hunde aus Ponellan oder GKimmi wahr- genommen und erhält nun einen lebendigen Hund sum Oe- schenk. Es bemerkt, dass dieser lebendige Hund Wirkungen herrorbringt, die an dem nachgemachten Hunde nicht su beobachten waren. Der Hund frisst, der Hund Uuft, der Hund bellt, der Hund beisst, der Hund atmet. Bs vollzieht sieh in dem Kultuikinde, und wenn es das Kind eines deut- schen Professors wäre, die anthropomorphische VoxsteUung, weldie die Grundhypothese aller Erkenntnis ist und welche in Urzeiten auch den wehenden Wind und das flieesende Wasser zu Wirkungen einer persflnlii^en Ursache machte. £s vollzieht sich die Vorstellung »der Hund lebt", oder vielmehr zunächst i\o Vorstellung .dieser Hund lebt". Hund oder Wauwau ist ein Eigenname, beror er ein Begriff wird. Im Eigennamen ist Klang und Bedeutung noch schwieriger zu trennen. Doch auch später, wenn das erwachsene Kind (wie ich es einmal gehört habe) Wauwau sagt und sich irgend ein lebendes Wesen denkt, möchte ich wissen, was fUr den Begriff übrig bleibt, Wenn man in der Seele dieses Kindes , Wauwau" als A.ssoclationszentrum und die Asso- ciationen selbst fortninimt. Ueberall im wirklichen Bewusst* seinslcben ist Beg^riff nur eine kurze Bezeichnung für die psycholog^isclu' Thntsache. dass Lautkomplexe, wenn sie einer Sprache angehören, Associationen erzeuj^cn.

Die Suuinie dieser Thatsachen nennen wir (liirehein- ander Denken oder Vernunft oder Ve]-«fand und die Wissen- schaft bemüht sich die verschiedenen Ausdrücke, weil sie einmal da sind, mit mehr oder weniger Glück prägnant zu gebrauchen. Die vSunime dieser Thatsachen i55t aber doch nur die Sumiin If^r Thittiirkeiten unseres Denkorgans, welche sich in kemer U eise tn ni^Mi lassen von den ThUtigkciteTi, welche wir wieder mi" t mem andern Ausdrucke Sprache nennen. Für den natürlichen Menschen ist der Gebrauch

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Denkgantse.

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seiner Vernunft uud der Gebrauch seiner Muttersprache das- selbe; und der Witz der Sprache hat es recht gut gefügt, dass wir die zu einer sogenannten Regel gewordene Ge- wohuheit. welche aus dem Gebrauche einer Sprache zwischen den Menschen entstanden ist, in scheinbar anderer Bedeutung Sprachgebrauch nennen. Es ist aber gar keine andere Be- deutung. Würden wir menschliches Thun ebenso iiatui- notwendig sehen wie die übrige Welt, so könnten wir mit demselben Rechte sagen, es ist ein Formengebrauch der Natur, dass der Hund einen Schwanz kat

Wenn man bedenkt, dass die drei obersten Grundsätze Satz vom der Logik, der Grundsatz vom Widerspruch, von der Iden- ^J^J^. tität uud vom ausgeschlossenen Dritten, eigentlich nur ver- schiedene Formulierungen des ersten Grundsatzes sind, dass

feriier dieser erste Grundsatz vom Widerspruch {was ist, das kann nicht zu gleicher Zeit nicht sein, kann nicht ver- neint werden) womöglich noch weniger besagt, als eine Tautologie , dass endlich aus dieser absoluten Null des Denkens alle die schönen Denkgesetze hervorgegangen sein sollen , so möchte man beinahe a priori , also rein looisch zu dem Ergebnis kommen, dass die T^ogik lür das Denken nicht mehr bedeute, als die Linien der Meridiane und Breite- gradf^ für das Leben auf der Erde, ein schattenhaftes Netz- werk, vun dem die Fauna und Flora nichts wissen, trotz- dem hie danach eingeteilt werden. Nur der Schüler sieht dieses Netzwerk gröblich auf seinem dlobus.

Wir wollen also festhalten, dass Logik auf dem Satz vom Widerspruch ruht. Widerspruch aber nur in Worten (vergl. IL 50) existiert.

Der Logiker kann zur Begründung seiner Wissenschaft Deuk- schliesslich nichts anderes thun als auf die Notwendigkeit s**'^«- hinweisen, mit der wir unsere Schlüsse ziehen.

Dieses subjektive Qef&hl der Evidenz würde aber ganz falsch gedeutet, wollte man daraus für die logischen Regeln MaothB«r, Beitrtge <a einer KriUk der Sprache. III. 18

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I. Bei^riÜ und Wort

und unser Denken objektive Verknüpfung von Omod und Folge ableiten* Auch der Stein muss fallen respektive schwer sein. Könnte er recbnen wie wir, er könnte seine «Fallgesetie* entdecken. Wir denkenden Menschen begehen oft den Fehler su meinen oder wenigstens sn sagen, der Stein falle nach diesen Gesetzen, das heisst doch wohl der Fall sei die Folge der Gesetae. Aber die Oesetae sind doch nur daa Spatere, die Formel Ab Gehirn denken wir daa Striktere, die Formel, als Körper - thnn wir das Frühere. Wir fallen und sind schwer.

So wenig aber als die Fallgesetse jemals Einflnss ge- nommen haben auf daa Fall eines Körpers, so wenig be- kümmern unsere Denkgesetae das Denken. Nur wenn es einen Gott ^be und wir könnten uns ihn so schulmeister- lich denken, dass er erst die FaUgesetse nicht entdeckt, sondern erfunden und danach das Sonnen- und Stemen- systera gebaut hätte, nur dann wäre das Fallgesetz oder die Gravitation der Grund des Falls oder der Planetenbahnen. Und so wären die logiscLen Gesetze der Grund unseres Denkens, wenn wir sie erfunden hätten anstatt sie zu ent- decken. So schuhneistwlich ist aber nicht einmal der Mensch gewesen.

Gtrude aus den geschulten Köpfen ist der Glaube an den Wert der Logik am schwersten herauszubringen. Ein verhältnismässig vorurteilsfreier Mann wie Friedrich Paulsen kann gelegentlich da, wo er die Unhaltbarkeit des Atomis- mus aus der Tiefe des Gemüts heraus darlegen will, den ketzerischen Satz niederschreiben: „Die Zeit dürfte über- haupt Torüber sein, wo man glaubte, mit logischen De- monstrationen die Notwendigkeit dieses oder jenes Welt- begriffs ausmachen zu können" (Philosophie 214). Wo es sich aber nicht um einen Wolfborrfiti" hnTulolt, sondern um eine Kleinigkeit wie den Begntf der Seelensubstanz, da stallt Paulsen eine Behauptung auf, die eigentlich ver- diente in eine tote Sprache übersetzt zu werden ( Philosoi)hie 375): „Man kann zwei Arten von Denknotwendigkeit unter- scheiden; die echte oder logische und die falsche oder

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Denl^eMtse.

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psychologische." Die unechte oder psycholocrische Not- wendigkeit entsprinsfe au«? der Gewöhnung. Weiiii Panlsen uns nur saET^^n wfilltt , ^vln ;uis dii' echte oder logisi hf^ Sotr weiidi^^ieit entspringt'^ .Was wir oft oder immer sehen, hören, denkon . erscheint uns zulet/.t als notwendij^. sein Gegenteil als unmugiicli." Ganz richtig; nur dass diese vor- treffliche Erklärung der Denknotwendigkeit auf alles logi- sche Schliessen j>asst, welches für uns ja nie etwas Anderes ist als das rückwärtsgehende Aufdröseln eines durch In- duktion gewonnenen Begrißs. nichts uls Anwendung einer angewöhnten Klassifikation. Alles Schliessen , alle soge- nannte Denknotwendigkeit ist psychologische Thiitigkeit; die rein logischen Akte wären eben psychisch ohne Psyche.

£s ist eine bekannte Beobachtung und ich habe sie zu Zeiten nervöser Ueberreizung oft und stark an mir selbst wahrgenommen, dass in der gleichen Angelegenheit vor l^flch «»n Paariger, naeh Tisch ein hefriedigender Ausgang iDr wabracheunlich oder sicher gehalten wird. Nun besteht die DenkÜiStig^eit einer solchen Annahme ans Vorstellen und Schliessen. Wir stellen uns bei gut genährtem KOiper die günstigeren Thatsachen vor, das heisst wir erinnern uns leichter das heisst bequemer und lieber an die günstigen Schlrowglieder als an die ungOnstigen. Wer das Ar mate- rialistiflch hidte, der übersihe, wie ich gerade alle Logik unter die Psychologie bringe. Wenn anders Kritik der Sprache die einzig mögliche Erkenntnistheorie ist und dann auch die einsig mögliche P^ehologie.

*

Man bietet gewöhnUch Schulbeispiele, wenn man die aUe lichre vom Begriff, vom Urteil und vom Schlüsse schul- gerecht vortragen wilL Ich will von einem Satse ausgehen, den ich ehimal von einem Wiener Komiker hörte.

«ehester cheese, dös muss a Kas sein, weil^s unter KSse steht so sagte der Hanswurst und alle Zuhörer lachten und ich musste noch Jahre später lachen, so oft ich auf einer Karte Ghester cheese fand.

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1. Begriff and Wort.

Es steckt in dem Satze eine Fülle von gutem Humor. Man muss lächeln, weil der Hanswurst, der eine so feine Speisenkarte liest, ihre Ausdrücke nicht versteht. Man würde also schon lächeln, wenn er einfach sagen würde: «Chester Tschehse? Was ist das?*

Man muss laut latheu, weil der Hanswurst ganz richtig hochdeutsch „Käse* vorliest, aber dann ganz gemütlich bei seinem mundai-tlichen „Kas" bleibt. Diese Verbindung von falschem Englisch, von natürlichem und geschraubtem Deutsch wirkt stark komisch.

Die ganze Wucht des Spasses scheint mir aber doch daher zu kommen, dass der Hanswurst eine Selbstrerstind- lichkeit mit dem ganzen Aufwand logischer Worte darlegt.

Der Hanswurst will nach Tisch einen E&se essen. Er würde zu Hause »an Kas* Terlangen und die Frau wttrde, je nachdem, ihm einen Quargl oder so etwas bringen. Im feinen Restaurant Bndet er auf der Karte anstatt eines «Qaargls* zehn Arten Eise. Damit eifUirt sein schlichter Wunsch eine Hemmung, der Hanswurst kommt zum Be- wussfaMin, das heisst zum Wort oder zum Denkm und sucht sich diflcursir, eben in seinem Satze, klar zu machen, dass das ihm bisher so unbekannte Wort «Chester cbeese* auch so etwas Gutes wie ein »Kas* sein mtlsse. Er denkt und spricht Ttälig logisch und das eben ist so unwiderstehlich komisch.

Mm ordne nur ein wenig die Begriffe und man wird sofort sehen, dass der Hanswurst einen musterhaften Schluss nach der Figur Barbara gezogen hat.

Major: Jeder vEäse" ist (nach allen meinen bisherigen

Erfahrungen schliesslich doch auch) «a Kas*". Minor: (dieses merkwürdige, unaussprechliche Tier) ehester cheese ist (gewiss, da doch auf Speisenkarten Verlass ist und der Kellner ein emster Mensch zu sein scheint) ein Käse. Conclusio: Also ist Chester cheese (.Tschehse) ein Kas. Wobei ich bemerke, dass der Schluss sogar mit apodikti- scher Qewissheit auftritt; „es muss a Eas sein;" femer

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Begriff und Ding.

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dass mein Hanswurst mit seiner Psychologie den Minor nicht so ausdrückt, wie ich ihn eben formuliert hahe, son- dern — als ob er mir zu Hilfe kommen wollte : Chester cheese heissf Kllse. gehört unter den Gattungsbegriff Käse, »weil's unter Käse sfrht."

Was kann uns nun die Wissenschuft des Denkens, die Logik, von dem Stückchen Chester erzählen, welches dem Hanswurst vorgesetzt wird? Oder auch von dem gedachten Stückchen, welches er bestellt hat? Nichts. H( iiie Stücke gehören in die Psycholugie, wo dann dus Bestelite wohl ein .Bri^^-iÜ*, das Gebrachte wohl cme , Anschauung" heissen wird. Und ich wül nicht vergessen, daran zu mahnen, dass selbst Psjthologie eigentlich n\ir d&a ist, was die Physio- logie noch nicht weiss und wofür wir uns darum mit blossen Worten begnUgen mtJssen. Psychologie ist die Metaphysik der Physiologie, die „Metapiiy Biologie möchte ich sagen.

Das wirkhehe Stückchen Käse, das jedermann ein ,Ding* nennen würde, ist also eine Anschauung; ich brauche nicht zu erklären, dass wir eben vom Wesen dieses Dings, von dem, was in ihm oder hinter ihm steckt, von seinem »Ding- an-sich* nichts wissen, nichts andres, als was uns durch unsre Sinne darüber in ihrer Sprache mitgeteilt worden ist; wir wissen von keinem Ding etwas andres, als was wir als Schwere, Winne, Ausselm, Schall, Geruch und Oeschmack etwa fiher es eMam hahen. Wir wiesen schon: Suhatan- tire sind die Ursachen adjektivischer Sinnesdaten. Für das tigliche Lehen genügt es anch rollkomnien, wenn wir den Anlass dieser Sinnesonpfindungen, solange er im Be- reiche der Sinne ist, ein »Ding* nennen und den Anlass dadurch von der Nachwirkung dw Empfindungen seihst unterscheiden, die wir eue j^rinneruikg nennen. Das hindert jedoch nicht, dass auch das Ding, der wirkUche ESse, im Grunde ehen nur unsere Anschauung oder Vorstellung ist es wSre gani willkflrlich, zwischen diesen heiden Worten SU entscheiden das heisst eine psychische Handlung. Diese psychische Handlung kann entweder ein sogenanntes Einzelding hetarefPen und zu einer EinzelTorsfceUung führen,

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I. Begriff and Wort.

oder Begriffe bilden, dns heisst Erinnot inu^ru an ähnliche Einzelvorstellungen durch ein Wortzeiclien zusammenfassen. Das Wortzeichen für ein Einzelding pflegt mau auch nicht gern „Begriff* zu nennen, weil das ftlr die Logik unbequem wäre. Ich sehe aber nicht, wie man dieses hier aufgetragene Stückchen Käse, wenn man sich nicht damit begnügen will, mit dem Finger daraut zu zeigen, anders als durch Begriff bezeichnen soUte; freüich, weil es ein bestimmtes Emzei- ding ist. gerade durch mehr als einen Begriff.

Gleich an der Schwelle der Untersucliung wiril nun klar, dass die Sprache mit ihren Worten nicht einmal die Einzelvorstelluug genau bezeichnen kann, wo sie nicht etwa durch Eigennamen den Gewaltstreich macht, alle unsere Er- innerungen an ein Einzeldiug zusammenzufassen, so schein- htff sehr genau zu sein, aber eigentlich jedes begriffliche Denken aufzuheben. Wenn jedes Einzelding auf der Welt (jedes Tiermdividttum, jedes Pfianzenhidinduimi, jedes Saod- kom, jedes Blatfc Papier und jeder Tintentropfen) seinen Eigennamen hStte, so gibe es keine Sprache mehr. Bas vom KeUner gebrachte Stückchen Chester, das je nach dem zufälligen Handgriff der «kalten Mamsell* in GrOsse, Format u. s. w. 80 oder so ausfallen konnte, weist der ungezogen deutende Finger Tid bestimmter, als es ein langer Satz zu beschreiben Termag. Einzel- üebrigens ist sogar der Begriff «Einzelding* selbst schwer zu bestimmen. Ist der FOtus im Mutterleil) ein Einzelding oder nicht? Ist die Rose am Stock ein Einzel- ding? Rudolf Yirchow, der das Individuum definiert als «eine einheitliche Gemeinschaft, b der alle Teile zu einem gleichartigen Zwecke zusammen wixken oder nach einem bestimmten Plane thätig sind*, wird wohl jedesmal den Weltbaumeister, den lieben Gh>tt (ohne den von objek- iiven. Zwecken nicht die Rede sein kann) zur Entscheidung bemühen mttssen, und auch dann noch schwerlich zu einer Entscheidung darüber kommen, ob «Fruchtabtreibung* als Unrecht gegen die Frucht oder gegen die Mutter auf/.ufassen und zu bestrafen sei. Auch Sigwart kommt bei der Frage

EiniwWiiig.

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nach, dem IndiTidualbecrriiF über die i rage nach Form oder Zweck nicht heraus. Ein Käselaib wäre dnreb soith 1 i)rm ein Individuum, ein Tier durch die Zwerkln z:ehuiif»'eu zwi- schen den Teilen und dem Ganzen. Schon. Wird aber das abgeschnittene Stück Chester nicht auf dem Teller des Kellners zum Einzelding? Gar sehr! Und wenn , wie bei vielen niedeni Tieren, das durchschnittene Individuum in zwei Exemplarou weiterlebt, wie dann?

Man hätte sich die klugen Köpfe nicht so sehr über diese an der Schwelle stehende Frage zerbrochen, wenn man gefühlt hätte, wie thöricht die Sprache auch hier ist und wie wir die Narren der Sprache sind, weil wir jeden Wider- sinn ihrer Hilflosigkeit lur Tielsnüi nclunen. Mir scheint die Lösung so zu liegen: Wir wissen alle immer ^unz genau (im alltäglichen Leben), welcher Anschauung ( welchem Ding) wir das Prädikat , Einzelding" oder „Individuum* beilegen sollen. Greifen wir aber nun den Begriff „Einzelding" oder «Individuum* heraus , maehen wir ihn zum Subjekt und fragen wir naeh seiner Definition oder nur nadi seinem Pr&dikat, so stellt es sich heraus wie immer dass wir redenden Menschoi prftdizieren, aussagen, ohne uns etwas Klares dabei zu denken, das heisst ohne etwas Klares zu sagen. W&hlen wir nun statt »Einzelding* oder »Indi« viduum* den Begriff „Eiinheit*, so wird uns die mytiien- hildende Silbe ,-heit* sofort Termuten lassen, dass wir es mit einem Wortfetisch, mit einem unvorstellbaren Abstrsk- tum, mit einem Itrwisch zu thun haben. Sagen wir aber «Einheit*, so «rfahren wir auch, warum der Begriff so un* klar ist. Weil »Einheit* ein Maas ist, also der subjektivste, momentanste, wechselndste aller Begriflb. Von der Baum- einheit hing es ab, ob wir uns unser Sonnensystem auf das Mass eines Moleküls bringen, ob wir uns die Mfleke zum Elefanten machen wollen, von der Zeiteinheit hingt es ab, ob das Leben tasm Eintagsfliege lang oder die Periode bis zum dereinstigen Zusammenfallen von Erde und Sonne kurz genannt wird. Das Stflckchen Chester ist eine Einheit flir Wirt, Kellner und Qast, das BrCckchen Rinde, das herunter*

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I. Begriff und Wort.

lallt, ist eine Kinheit für die Milbe darin und für das Huhn, das es eben aufpickt; der Käselaib, von dem sie es abge- schnitten Iiat, ist neben andern Käsen eine Einheit für die „kalte Mamsell" ; das Öchirt', das diesen Käse mit underu herüberbrachte, ist eine Einheit für seine Interessenten; die Käsefabrik in Cheshire ist ein Einzelding neben andern Käsefabriken von Cheshire; der Fabrilcaufe ist an IndiTidnuiii für Beine Interessoifceii, gewiss, aber nieht für den einzdnen SchwindsuehtsbudUus in aeinw Lunge; die GnlsdiaftGhe- Bbire ist ein Indiyiduiim f&r den kranken Fabrikanten und seine ICtbflrger; England ist ein IndiTidnom solange es als Einheit existiert; die Erde ist ein IndiTidunm, solange sie nicht in die Sonne lurfldq^estQnt ist, die Sonne, so- lange sie nicht wieder aufgegangen ist in ihrer Zentrsl- sonne wie die Milbe im Bröckchen des ESsestitckchens ein Einzelding ist solange irgend jemand ein Literesse daran hat, sie sprachlich als Eins au fassen (III. 148 f.)«

Au Die landl&ufige Psychologie unterscheidet so sehr zwi*

•d^a&g gßjjgn Anschauung und Wort, sie sieht zwischen beiden eine Woft. so breite Leere, dass sie noch das Gespenst „Bogriff* swi» sehen beide schieben kann. Und so haben wir uns gewdhnt, die Anschauung , Palme* vom Wortschall «Palme' zu trenne und an glauben, es sei nicht dasselbe. Es ist aber nur eine Nuance zwischen Anschauung und Wort, und selbst diese Nuance erscheint erst, ja entsteht erst beim deutlichem Hinblicken.

Man sollte Anschauungen nur diefeniii^en Wahrnehmun- gen nennen, die noch nicht Begriff sind, weil sie zum erstenmal da sind. Wer zum erstenmal eine Palme sähe (das ist für Kulturmenschen fast eint- Fiktion , weil wir schon als Kinder Abbildungen und exotische Exemplare ge- sehen und benannt haben), der hätte eine Anschauung, vor dem Begiiff oder Wort, avnnt la lettre. Ebenso wer als Erwachsener etwa Trum erstenmal (ohne je davon reden gehört zu habend den Donner hörte. Ebenso ein ^eger,

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AnBchauun^ imd Wort.

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der unvorbereitet bei uns zum erstenmal Eis fühlte. Das sind reine Anschauungen, die von uns aber sofort in nnserm geistigen Emheits- und Hamuniisierungstriebe kkssi* flsiert wurden. Der Keger wOrde vielleicht als «gelhtrenes Fener* kkssifisieren. Gewöhnlich hat aber die Menschheit ISogst klassifiMcri und auf jedes «Was ist das* der rer^ wunderten ersten Anschauung antwortete die Sprache oder eine Sprache: Der und das« So lernen wir spredien, auch nach der Kindheit.

Ist aber die Anschauung erat durch ein Wort dem 6e- dichtnis eingeheftet (hat z. B. das Kind sprechen gelernt), so haben wir keine Anschauung, keine Verwunderung mehr. An einem Pferd auf der Strasse gehoi wir meiBt Torüber, ohne auch nur das Wort gegenwärtig sn haben, geschweige die Anschauung. Ein selteno^s INi^, etwa eine Palme oder ein Löwe, wird uns schon das Wort auf die Lippen und Anschauungen vor die Seele bringen.

Erst wenn das Ding unsere Aufmerksamkeit reizt, wenn der Maler den Ldwen oder die Palmen malen will, wenn Kunst oder Interesse die Blicke spannt, dann entsteht etwas wie Anschauung auch apres la lettre (I. 113).

Die uralte Annahme, dass wir unsere Begriffe oder Abs- Worte von den Dingen „abstrahieren", ist grundfalsch. Wenn der Begriff »Baum" so gebildet würde, dass ich z. B. von allen Bäumen, die ich je gesehen habe, dasjenige ab- ziehe, abstrahiere, fortlasse, was jedem Baum individuell ist, so würde als platonische Idee, als Begriff ^Baiim* etwas völlig Leeres übrij^ bleiben, der Schatten eines Hohlgefasses. Der Weg ist gerade der umgekehrte. Zuerst mag der Be- griff „Baum" oft eine Art Eigenname sein. Der grosse Nussbaiim 2. B. , der allein und einsam liinter dem Hause des Onkels stand, war mir Baum. Dann kam es, dass ich hurte, da.ss auch Tannen, Kirschen, Föhren u. s. w. Bäume genannt wurden.

Abstraktion ist also jeder Begriti, das heisst jedes Wort nur insofeiii, als ich von den wahrgenommenen Eigenschaften die widersprechenden übersehen muss , um nur irgend etwas

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I. Begriff und Wort.

festiialten zu können. Wie billige fertige Kleider ans einem Eonfektionsgesdifilt, so passen die Worte oder Begriffe auf die Dinge ihres Umfanges. A peu pr^ Oder wie die Uniform emem Regiment Soldaten. Von weitem sieht es ja naeh etwas aus; aber jeder einselne Kerl ist wUecht ein- gekleidet. Auch die fertigen Worte passen niemals. AsA-b. Darum gilt auch der IdentititBsais «A gleich A' nur für die Idealwelt der mathematisoken Wirklichkeit, die wir nicht kennen und nicht aussprechen können; in der Welt der Sprache, das heisst in der Welt der Seele ist A nie- mals ganz genau A. Wenn wir sprechen und das Wort „Baum" gebrauchen oder das Wort , Mensch so ist das Wort immer da sofort unzuyerlässig, wo wir etwas aus A gleich A schliessen wollen. Wenn wir wissen wollen, ob eine totgeborene Menschen inir Iii ohne Kopf ^ein Mensch* sei, das heisst heissen «dUife" oder nicht, so fängt der Be- griff sofort zu pendeln an und nicht von der Bedeutung hängt unsere Entscheidung ab, sondern von der Entscheidunf^ die Bedeutung. Nicht der Schhm folgt au.s der Definition , nein die Definition folgt innerlich dem Schluss, den wir ziehen wollen. So kann im Denken recht gut der Satz möglich werden

A = A - b,

wobei b eine diskrete Grösst^ ist. Wenn ein Zwischenglied zwLschen Mensch un»i Arte aufgefunden würde, der Anthropo- pithecus, so könnte ev recht gut ein Mensch genannt werden, ein Mensch ohne Sprache, A b.

Alle diese unilten Streitigkeiten über das . was etwas ist, werden natürlich sinnlos, wenn man richtig fragt, wie etwas heisse. Und die tiefsten philosojihischen Fragen würden herabsinken zu Fragen des Sprachgebrauches.

Dabei darf nie vergessen werden, dass Seele, Bewusst- sein nichts ist als unser bescheidenes Gedächtnis, dass also die merkwürdigste Eigenschaft unserer Worte, ihie grosse Bequeralichkeit, leieht sn erklaren ist. In der Seele ist nicht nur oft A = A b, sondern es ist alltäglich, dass wir

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Abttraktion.

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in der , Seele" A = A setzen können. Denn Jas ist es doch, wenn ich weiss oder sage, dass diese Scherben gleich seien dem Torhin in der Hand gehaltenen Topf. Die Schnoben sind aus dem Topfe (»geworden*. Die Blume «wird* ans dem Samen, das LeVen aus dem Tode, der Tod aus dem Leben. Die Copula «wird*, die A und A bindet, wire ebenso wie die Copula «ist* besser dareb ^beisst* zu enetsen.

«

Von weloher Seite immer man die Bildung von Be- griffen beobacbtet, immer wieder erweisen sieb Begriffe ak reine Bequemliohkeiten der Sprache, ab künstliche Zeichen, die TorUlufig nur in ihrtti unteraten Arten, und da nur soso, der Natur etwa entsprechen.

Jedes Wort wird indubtiT gebildet Selbst die kleine Zahl der Planeten unserer Sonne stand nicht immer feet; es gab das Wort Planet und man wusste nicht, ob es flir Hlnf oder zehn Indiriduen galt. Die Qattung^sbezeichnnng «meine Kinder'' steht nicht fest. Wie erst bei Worten Ton grossem Umfang!

Da ist es nun einfach, unwahr, dass wir von allen Fischen z. B. die gemeinsamen Eigenschaften abstrahieren und dann im Begriff ^Fisch" vereimgen. Dazu mussten wir den Begriff , Fisch" schon vorher haben. Es wieder- holt ."^ich da der Grundirrtum aller formalen Logik, dass sie die Entstehung des Begriffs im Kopfe des Schülers mit der Entstehung im Menschengeschlechte verwechselt. Ebenso gut könnte man bei der Entstehung de.s Spitzbog^ens unsere ganze g^enwartige Entwickelung der Baukunst voraussetzen.

Im Menschengeschlecht hat sich der Begritt" Fisch nicht einmal so gebildet, dass es viele Tiere im Wasser leben sah, nun ihv»» 'jf«^m pinsamen Kennzeichen untersuchte und nach diesen Keunzeichen zum Begriffe „Fisch" kam. Nicht einmal ilas Kennzeichen, dass diese Tiere durch Kiemen atmen, ist so alt, wie die Begriffsbildung , Fisch". , Fisch* war ganz pöbelhatt, was im Wasser lebte und so ungefähr

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I. fiegriff und Wort.

aussah wie ein Hecht oder Karpfen oder was sonst der Gtattimg das Bild gab.

Kun kamen nach und nach die aufmerkaaman Augen und untersuchten und wünschten eine natnrgemSsse Klassi- fikation KU sdiaffen, die alle Fiache umachloss. Ist diese BegrüFsbildung heute ToUsogen? Durchaus nicht.

Han hat kfinsÜidi d«i B^riff Säugetier geschaSbn und die Walfische unter sie gereiht. Wer aber kann sagen, oh das »Säugen* ein wesentlicheres Kennzeichen sei, als das .im Wasser leben* P

tfan hat die Gruppe der «Bundm&uler* geschaffen und die Neunaugen durch sie der Abteilung der Fische ent- sogen.

Immer war der Vorgang so: Han sah, dass Hechte, Barsche, Aale u. s. w. im Wasser leben und auch in ihren äussern und innem Formen Aehnlichkeiten haben. Da glaubte man, sie wären einander durchaus ähnlieli und be- nannte sie mit einem gemeinsamen Namen: Fisch. Nun zog man lustig ganz wichtige Schlüsso. Der Walfisch ist ein Fisdi, also wird er wohl durch Kiemen atmen. Die Neunauge ist ein Fisch, also wird sie wc^ . . .

So oft nun ein solcher Schluss, der um nichts schlechter war als irgend ein anderer unserer Sprache, sich nach einer neuen Beobachtung als falsch erwies, wurde instinktiv die Sprache daflir angeklagt; man erkannte den Fehler der Sprache, ohne freilich zn ahnen, dass es eben zugleich ein Fehler des Denkens war. Der Begriff Fisch wurde ad hoc neu definiert und das lustige Schliessen konnte wieder von vom anfangen.

fie^ffs- Es hängt aufs enL>te mit der Uebersciiiitzmi'^ der Logik, zusammen und ist gewiss eine ihrer letzten Ursachen, dass man den Regrifi' bald aui' seine psychologische Entstehung hin, bald auf seine logische Analyse hin betrachtet hat und nachher gewaltsam das Psychologische in das Logische ein- ordnen wüUte, dass man glaubte den Begriff oder das Wort

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Begtüiniiiifaiig md •inhalt.

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wie ein mathematisches Zeichen gebrauchen zu können. Die Untrllglichkeit der Mathematik beruht darauf, dass ihre Zeichen eindeutig sind und sonst überhaupt keinen Sinn haben; der Trug der Sprache beruht darauf, dass die Worte iin Verkehr immer noch ä j)eu prfes gebraucht werden können, wenn sie auch jedem Einzelnienscheu ein bisschen was an- dres bedeuten.

Der Begriff oder das Wort ist nämlich psychologisch aui dem Begnffsumfang entstanden; das Wort ist fUr jeden VolkflgenoBBen ein ÄBsodationsasentnmi nur ftr dm Umfang, den er kennt. Dabei kann es reckt gut zugegeben werden, dass grosse Gruppen eines Volkes, je nack Laadscfaaft, Woblstand, Bildungsgrad, BeschSftigUQg n. s. w.. Aber den Begriflfoinkalt einig an sein glauben oder es auch wirkHck sind, so weit die Worte die gleichen sind, die den Begfi&- inhalt bilden. Aber jedes dieser Worte geht p^chologisdi wieder auf seinen Umfang zurück, der fllr jedes IndiTidunm ein anderer ist. So ist zuletzt auch die Uebereinstjmmung Uber den Begrif^nhalt nur ein Schein; Ober den Begrifb^ umfang sind aber sicherlich nicht zwei Menschen einig, mag der B^priff nun so konkret sein wie ein Kalb oder so abstrakt wie gut und bdse. Dass die Menschen sich trotz der durchgehenden Ungleichheit ihrer Begriffsumfange und der nur scheinbaren Gleichheit ihrer Begri&inhalte durch Sprache dennoch so weit Terstftndigen können, als etwa die groben Zwecke ihres Zusammenlebens yerlangen, ist viel- leicht der schlagendste Beweis daftlr, dass es in der Wirk- lichkeitswelt irgendwo und irgendwie eine geheimnisTolle Harmonie gibt, die weder in den Sinneswahmehmungen noch in den Erinnerungen und »Abstraktionen* der Menschen ganz verloren gehen konnte.

Die Einsicht, dass der sogenannte Be^ff nichts weiter ist als der Associationsbereich des Wortes, dass das im Lexikon so fest umrissene Wort in der psychologischen Wirklichkeit für jeden Menschen einen anderen Associations- bereich besitzt, müsste genügen , imi die Wertlosigkeit der formalen Logik und eine andere gibt es nicht zu be-

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I. Begriff und Wort

weisen. Die Logik iini uur dann einen Wert, wenn ihre Zeichen oder Begriflfe eindeutig sind. Das ist aber bei der Entstehung der Begriffe oder Worte gar nicht ausgemacht worden, wenn ich so sagen darf, während es bei der Er- findung der Mathematik wohl ausgemacht worden ist. Die formale Logik ist nur dann wertvoll, wenn die Begriffs" inhatte ihren Begrifißsumfihigen absolut genau entsprechen, des heisst wenn es allen Menschen gemeinsame abstrakte Begriffe gibt. In die formale Logik kann ein Begriff eigent» lieh erst eingehen, wenn er vorher abstrakt geworden ist Abstrakt ist aber immer nur der kOnstlich gebildete Be- griffsinhalt; der Begrififoumfaog oder der Assoeiatioosbereich des Begriffs ist immer konkret. Und mit diesem einrig Wirklichen am Begriff kann die Logik als mit etwas Kon- kretem nichts anfangen. Man könnte die Sache auch so ansdrflcken: alle logische Deduktion irilre richtig, wenn auch nicht gerade fördernd, falls die Begriffe durch eine voll- stftndige Liduktion entstanden würen; aber eine ToUstaxidige InduktiiHi gibt es nicht, ud Die Einsicht in diese psychologische Thatsache konnte durch Jahrtausende zurückgehalten werden, weil auf der einen Seite das Volk stand mit seinen konkreten B^friffien, mit seinen Begriffsumfängen und gar kein Interesse nahm m den abstrakten Begriffsinhalten der Wissenschaft, weil anf '\vT anderen Seite die Wissenscliaft stand mit ihren abbtrakten Definitionen und Begriffsinbalten und von der konkreten Yülk«:sprnche wenig Notiz nahm. Als im abend- ländischen Mittelalter gar noch eine tote fremde Sprache das Ausdrucksmittel der Wissenschaft wurde, da konnte das Entfrcmdungsrfosphnft zwischen Begritisunifang und Bepritt's- inhalt ganz ohne Störung bet'ieben werden. Innerhalb jeder einzelnen Wissenschaft, namentlich innerball} der Geistes- wissenschaften, konnte die Logik siegreich scheinen, weil man vorher Sorge getragen hatte, jedes Wort zu i niem technischen Ausdrucke zu machen, jeden Begritl" auf seinen Inhalt hin zu definieren und sicli ko ein abstiakt^'s, für die logische Thätigkeit brauchbares Worigebiiude zu schaffen.

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Begriff*.

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Als dami uncrffHhr zur gleichen Zeit die Naturwissenschaften und die Volks-.]>i aciien ihre Rechte forderten, da niusste es sich herausstellen, dass die wirklichen Begriü'e der Menschen, als auf ihren Begriffsunifiingen beruhend, die schönen De- finitionen nicht zuliessen, und so wird nacii jahrbimderte- langeni Kampfe die alte Logik dortbin gehen müssen, wohin das vermeintliche scholastische Wissen und die tote Sprache des scholastischen Wissens gegangen sind.

So schwer es bei dieser Säuberung halten wird, die .Begrir. Lelmworto riditig zu bebandekif die aus der tote Sprache in die unaere Qbergegangen sind, ebenao schwer wird es setn, die eigenen Worte Mucumersen, die lur Vermeidung ▼on Lebnwortoa als UebeisetKungen teehaisdie Bedeutung bekommen haben. So ist das Wort Begriff eine in ihrer Axt gans hUbsche IFebersetswig des lateinischen Wortes conoeptns. Es ist als tenninns technicus noch kaum awei* hnndert Jahre alt nnd einer der vielen FftUe, in denen swar die Laute der Muttersprache beibdialten wurden und statt eines Lehnwortes ein Lehnbegriff genügte; Ar unsere Auf- fassung der Sprachentwickelung macht das kernen grossen Unterschied, Wir mtkssen hdehstens sorgsamer darauf achten, dass in der Entwickelung des Begrifb «Begriff* seit zwei- tausend Jahren bei der üebmetznl^9^ aus dem Griediischen ins Lateinische und dann ins Deutsche kleine Nuancierungen mit verbunden waren. Namentlicli aber der grosse Um- schwung der neuem Zeit ist an dem Begriffswerte des Wortes Begriff deutlich su machen; was die Wertschätzung aller Begriffe änderte, inu<;stc auch den „Begriff" ändern.

Bei Flaton, wo für Begriff und Wort nur eine Bezeich- nung da ist, jedoch so, dass das Wort zum mystischen Be- griff erhoben und nicht der Begriff zu der Wirklichkeit des Wortes deifr9f]iert wird, ist natürlich nur der Begriff oder das Wort (X070C! Gegenstand des Wissens: und das geht weiter bis bei den Neuplatonikern schon (wie bei Hegel) etwas wie eine Eigenbewegung der Begriffe gelehrt wird. Der Beginn der neuen Zeit wird gewöhnlich mit Descartes angenommen, der von den Begriffen Klarheit und Deutlich-

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I. ü^grifl und Wort.

keit verlangte; nur dass er nicht ahnte, wie Klarheit und Deutlichkeit allen philosophischen Begriffen mangelt und mangeln ntuss. In Wahrheit bricht die Neuzeit in aller ISrkeotitmstheorie erst mit Iiocke an. In dem unschätebaren dritten Budie seines Yerauchs hat er erkannt, daas es nnr die Aehnlichkeit der Dinge ist, was in den Dingen den Begri£Een entspricht; und mit einer genialen Vorwegnähme der erkenntnistheoretisehen Bedeutung des Darwinismus fügt er hinzu, «dass die Natur bei der Hervorbriugung der Dinge manche einander Shnlieh macht, namentiich bei den Arten der Tiere und aller durch Samen fortgepflanzten Dinge.* Insofern also Worte oder Begriffe die Arten, Gattungen u. 8. w. bezeichnen, mUsste die Sprachkritik weiter auf Onto- logie surtlekgehen. Die Aehnlichkeit jedoch, sei es nun natdrliche oder von mensddichen Zwecken eingegebene Aehn- lichkeit, ist, wie wir weiter denken mOssen, nichts Wirk- liches, sondern menschliche Thätigkeit, ist die Thätigkeit der Vergleichun^. Begriffe entstehen nicht, \vie Kant gelehrt hat, durch Vergleichung oder Abarten der Vergleichung wie Reflektion und Abstraktion, sondern sie sind die Akte der Vergleichung selbst. Im Gegensätze zu Hegel, weicher in den Begriffen th&tige Wirklichkeiten sah, was oft genug zu rückg-e wiesen worden ist, sehen wir in den Begriffen blosse Thätigkeiten also Unwirklichkeiton, was vortrefflich dazu stimmt, dass wir in der Sprache nichts Wirkliches erblicken. Und wir haben gesehen (I. 393 f.), wie gefährlich die Thätigkeit dc«^ Vcrgknthens für Sprache und Log'ik werden musste. Die Sprache Kver*" gleicht, was nur ähnlich ist.

m

Art- Wir haben also gesehen, dass das Einzelding oder

begriffl Individuum eigentlicli mit der Sprache noch gar nichts zu thun habe. Das Stückchen Chester auf dem Teller kann der Mensch mit dem Finger besser deuten, es deutlicher inacli»Mu als mit den Worten seiner Sprache, und könnte er >vie Zola eine Käsesyniphonie schreiben. Ich sehe auch nicht ein, inwiefern das Tier ein Einzelding weniger gut

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Artbegrifi:

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wahrnehmen soll als der Arm^ch; ob «U^r Mensch das Einzel- ding, dieses Stückchen ehester auf seinem Teller, mit dem Messerchen oder mit Worten fasst, ob der Hund es weniafer wohlerzogen unmittelbar mit den Zähnen packt, ist ein* ilei. £inzeldinge und Eigennamen sind etwas vor der Sprache.

Was der Kellner seinem Gast gebracht hat, das ist ein Einzelding, auch wenn er dabei z. B. zufilllig pcsapt hat: „Em ehester." Dasselbe Wort war aber »mh Artbegnll. als der Kellner durch das Schiebefenster in die Ivilche hinein- rief: , Einmal ehester!* So kann in der entwickelten Sprache jeder Eigenname zum Artbegriff werden; ich kann sagen: «Die Goethe sind selten, die Meyer sind häufig." Aber äiase Bameikqagt ebenso wie der Hinweis, wie am dem Eigennamen der Gmfecliaft Gheeliire ein Artbegriff Ton Eltee wurde, würde mich hier Ton meiner Angabe ablenken.

Ich will hier leigen, dass die Begriffe oder Worte wie sie ans anderen Qrttnden den Einaeldingen gegenüber im Nachteil sind im YerhftUinis sor Anschaunng auch für Gruppen fthnlidier Dinge, für Arten, also fOr das, was sie eigentlich beaeichnen wollen, nur unbestimmte Erinnerungen geben. Und ich will neboibei seigen, dass Begriffe oder Worte noch ganz und gar in den Bereieh der Psychologie, das heisst filr mich der Metaphysiologie, fsllen und fUr die sogenannte Logik nur Gegenstlnde einer geistrmchen Spie- lerei sind.

Gerade mit dem Begriff ,Chester* wttrde sich die schul-

mlarige B^iffslehre ordentlich abquftl^ mflssen, besonders

in unserem Falle. Der Gast, der das unverstandene Fi emd-

wort auf der Speisenkarte gefunden und ans der Ueber-

schrift der Rubrik die unklare Vermutung geschöpfl^ hat,

es werde wohl eine Unterart von Käse bezeichnen, dimer

logisch denkende Gast hat den Begriff nicht wie die

Schule lehrt von Einzelvorstellungen abstrahiert, sondern

hat zuerst das Wort gelernt, dann erst durch das Stückchen

Käse eine neue Vorstellung dazu gebildet: elno gewisse

Farbe und Struktur, ein gewisser Geschmack und Geruch

heisst ihni von da ab „Chester'', wenn er den neuen Begriff Maathaer, Beiträge zu einer Kritik der Spraehe. ID. 19

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L Begriff and Wort.

fleisöiu: einübt; aber auch dann bleiben die Vorstellungen unklar und wenn er sich nicht zum Fadiniann ausbildet^ hier zum Feinschmecker also, wird er den Chester von ver- wandten Küstn nicht unterscheiden können. In ähnlicher Weise hat bei Bigiun .seiner Liiul'bahn auch der Kellner den Bef^ritf Chester erworben. Und in ähnlicher Weise haben wir alle die Hauptmasse unserer Begrifle oder unseres Sprachschatzes von Eltern und Lehrern zuerst gelernt und was erst nachber mehr oder weniger anschaulich gemacht- Ith lasse es dahingestellt, ob das Kind nicht alle seine Worte, auch die Beaaidmungen der sUtftglichsten and an* schaulichsten Dinge (wie s. B. Müch, Hund, Baum) in Ihn- Udler Weise lernen muss. JedenfaUs ist es ja wie ge- sagt falsch, wenn das Festsetsen von BegrüFen in unserem Qehim allgemein auf eine Abstraktion zurUckgefllhrt wird.

Denn selbst der höhere Artbegriff ,Ettse* ist in unserem Gast nicht so entstanden, dass er suerst Schweiler, Lim- burger, Hollander u. s. w. als ünterbegriffe kennen gelernt und dann eines Tages die philosophische Erleuchtung ge» habt hat, diese seine »BegrifEe* hätten neben gewissen Untwschieden «idi gemeinsame Meifcmale und diese mttssten durch ein neues Wort, den höheren Artbegriff, besonders gemerkt werden. Umgekehrt. Mein Oast hat vielleicht als Kind die Worte ,01mQtzer Quargl" und „Käse" als S3'no- nyme gebraucht, hat dann erfahren, dass Ober dem Berg auch Leute wohnen, die ähnliches Zeug essen, das sie Käse nennen, und so ist er in seiner philosopliischen Begn&- bildung fortgeschritten; und so ist die Menschheit in ihrer Erkenntnis fortgeschritten. Es ist einer der folgenschwersten Fehler der Schullogik, dass sie unsere Begriffe oder Worte durch Abstraktion entstanden sein lilsst. Das passt freilich ganz mit auf die liebsten Begrifle der Schulloi^ik, wie: Sub- stanz, bein. Denken, Wollen u. s. w. Aber ich habe den Verdricht, dass säiutliehe durch Abstraktion entstandenen Begritfe künstlich, mythologisch, unbrauchbar sind. Und ich werde in dieser subjektiven Ueberzeugung nur bestärkt durch die lachende Thatsache, dass solche abstrahierte.

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Artibegnft

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küiistlithe Bei^riHe häufig hübsch klar und distiiikt sind, sauberes Spielzeug für den Loy-iker. dass die natürlichen (zuerst gelenitcn und dann duich Anwendung eingeübten) Begriffe oder Worte immer unbestimmt, schwebend sindf eine Verzweiflung l'Ur den Forscher.

Die grosse Arbeit der BegriflPsbildung ist mit logischen Spielereien nicht zu fassen. »Schon Aristoteles (Analvt. post. n. 19) hat doch wenigstens nicht ganz übersehen, dass das Ge^htnis diese Arbeit verrichtet. Die landläufige Logik kennt das Qe^iditnis gar nicht. Wir aber sollten endlich wissen, dass alle Cleheimnlsse des Deokena gelSst wiren, wenn wir das Oeheunnis unseres Gedächtnisses und dasa das iinsem' Aufmerksamkeit erfahren lAttcn.

Wir sehen oft, dass die Sprache bei all ihrer Plumpheit es doch Terraten kann, wenn man ihr Zwang anthun wilL So ISsst sie sich*s auch nicht ohne Widerstand gefallen, dass man sie sagen lässt, die aUgememe Yorstellang oder der Begriff entstehen durch Abstraktion, durch Abziehung. Wir brauchen das Fremdwort Abstraktion (das wieder eine schlechte üebersetxung aus dem Griechischen ist) nur ins Deutsche su überaetsen, um sa wissen, dass es eine Metapher für eine unklare geistige Handlung ist. So schlecht ist das Wort gewählt, dass man darOber streitet, was an den Vor- steUungen eigentlich das Objekt des Abstrahierens sei. Vor Kaat sagte man , man alwtrahiere die gemeinsamen Merk- male der Vorstellungei' zu einer höheren Vorstellung, dem abstrahierten Begriff, den man dann wieder ganz sprach- widrig vom abstrakten Begriff unterscheiden musste. Kant fühlte die Unwahrheit und lehrte dafür sagen, man abs- trahiere von den ungleichartigen Vorstellungselementen. Damit scheint er mir zugegeben zu haben (und sein Sprach- gebrauch ist angenommen worden», dass die Schullogik in der Begi-ifl'sbildung nur das \( gative beachtet, den Verlust an Anschauung, das Verschwiirnnen und Verschwebeo, dass sie mit dem Gewinn nichts anzufangen weiss.

Dafür, dass die Begritfe um so leerer werden, je mehr fiinzelvorsteüUDgen sie zusammenfassen, dafür spricht der

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L Begriff und Wort.

ümfaog bekannte Satz der Logik, dass der Inhalt eines Begriffs um so kleiner werde, je grösser »ein Umfang sei. Ick muss dieeei A B 0 der Logik als bekannt Torausaelieii. Bs ist ja auch klar, dass Tkr, Geld inhaltsleerer ist ab s. B. Säugetier, Papiergeld. Nun ist es «bor merkwOrdig , dass dieser bekannte logisehe Sati im streng logisehen Sinn gar nicht einrasl wahr ist» Es sind hunderttausend neue In- sektenarten entdeckt worden (der Umfang des B^giifiis ,In* sekt* ist TergztaMrt worden), ohne dass sein I^dialt sich ▼erideinert h&tte, ohne dass man seine Definition hStte ein- sehrinken mflssen. Und der Inhalt oder die Merkmals- summe des Begriffs Flauet ut seit Kopemikus grosser ge- worden, wShrend sugleich die Ansahl der Planeten sunahm. So weit die Begel im logisehen Sinne richtig ist, ist sie ein sineLerischw, geaerter Ausdruck für die wohlfdle Beob- achtung, dass man für dieselbe Menge Geld weniger Säcke brauche, wenn man grössere Sftcke nehme. Praktisch aber ist die Regel richtig, oder sagen wir psychologisch. Die Unklarheit, welche jedem Wortzeichen anhaftet im Ver- hältnis zur Anschauung, steigert sich mit der Zahl der An- schauungen und der Stufenreihe der Anschauungsgruppen, die das Wort bezeichnen sollen. An dem einen Ende ruht die Einzelvorstelluug , die vor der Sprache ist, an dem anderen Ende gähnt der Abgrund der allgemeinsten Be- griffe oder Kategorien, die jenseits der Sprache liegen und nur missV)riiuchlich von künstlichen Worten mytho- logisch vorgeätellt werden; zwischen diesen beiden Enden schwebt die menschliche Sprache über der Wirklirhkeits- welt wie ein Nebelduft, verschönernd und Hii (ii. n/i n auf- lösend. Doch selbst diese aussersten Gegensätze niociite ich nur relativ autgetasst wissen. Selbst das Tier , das sich meist mit Einzelvorf?tellungen begnügt und so vor der Menschensprache stelion geblieben ist, hat sein Gedächtnis und damit eine Art Sprache; und selbst der Metaphysiker, der jenseits der Sprache darüber nachsinnt, ob der aller- höchste Begriff, ob die Spitze der Begriffs^»} raniide mit ,das Sein'' oder mit aEtwa.s'' auszudrücken sei, selbst er ist noch

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W6MB«

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nicht gmz und gar losgeldst um. der Wirklichkeit, Ton der

Anschauung.

£s wäre mir ein Leichtes, die Logiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und aus ihren eigenen Begriffen heraus zu beweisen, auf Verlangen sogar mathematisch zu beweisen, dass ihre obersten Bcgrifte leere Nullen sein müssen. Wenn man sich nilmlich dadurch zu immer höheren Begriffen er- hebt, dass man nacheinander die Eiii/.elvorstellungen unbe- achtet lässt, da^s mRTi Tiacheiuan l( r von ihnen absieht, so muss am Ende der Augenblick kommen, wo man auch von der letzten Vorstelhmg absieht, um zum höchsten Begriff, dem des ^jSeienden" zu gelangen. So kann man mit dem beliebten Abstraktionsspiel von der Wirklichkeit, dem Stück- chen ehester auf dem Teller, weiter kuiumeu: zu einem Käselaib, zu Käse überhaupt, Milchwii-tschaftsprodukt, ani- malischer Nahrungsstotf, Nahrung, organisierter Stoff, „Et- was". Mathematisch liesse .sich das so ausdrücken, dass der Inhalt eines Begriffs sich zu seinem Umfang verhält wie der Zähler zum Nenner ; wird nun der Nenner unendlich gross, soQ also der Begriff alles auf der Welt umfassen, dann muss der Wert jedes Zfthlers im VerbUtnis snin ünendlichen l^eieh Null werden; dar Lihalt toq Begriffen wie «Etwas*, «Substanz*, «Seixi* u. s. w. ist also gleicb NulL

Wir lassen uns fiber diese Thatsacbe darom so leicht «WaMo*. tftusohen, weil wir aueh für dieses Nichts Terscbieden klin- gende Worte haben, welche historisch mit irgend welchen Uenschen- und Weltanschauui^en zusammenlagen, so dass wir irgend eine luftige Brücke zur WitklicbkeitBwelt immer noch wahrzunehmen glauben. Besonders deuUich ist das im Deutschen aufzuzeigen, weil das gebrftuchliche Wort nicht mehr deutiich seine Verwandtschaft mit dem scholasti- schen Begriff Essentia zu erkennen gibt. Das greuliche EssentiA*) ist eine schlechte üebefsetsung des griechischen

*) EaeatlakoinmtilkcdiBgiadionbd toivvmilBUIiölMnRS vor, «ird aber aodk TOn AagatHamu ab migebitnoUidi entaehvldigt (De THnitete VIII).

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1. Begriff und Wort.

o6ota; in romanischen Sprachen ist es auch so herunter- gekommen, dass es bald nicht viel mehr als eine Essenz, den Extrakt wobMeoliakder oder wohlschmeckender Dinge beieichnete und bis zur ersten Silbe von Eesbouquel Ter^ hnnzt worden ist. Der deutsche Mystiker Eckart hat wahr- seheinlieh das Verdieoat, das Wort mit der damals Üblichen Form in «Wesenheit* übertragen zu haben. Das Zeitwort a Wesen* bedeutet beute nicht mehr «Sein* und so haben wir für den obersten Begriff ein ganz pr&chtiges Wort, deutsch, alt, unabhängig von anderen Sprachen und so wohlklingend, dass es ganz konkret anmutet. Darum lassen sich Ober das «Wesen* der Dinge auch noch geschmaek- ToUere Sitze zusammenreden ab über ihre Essentaa oder ihre Entitat Und weil man die schlichte Wahrheit nun einmal nicht fassen kann, dass der Begriff nichts ist als das Wort und das W<»rt nichts als ein Erinnerungszeichen ftr Gruppen ähnlicher Vorstellungen, so faselt man seit zweitausend Jahren von einer Beziehung zwischen den Be- griffen und dem Wesen der Dinge. Danach soll der Be- griff etwas sein, worin das Wesen der betreffenden Ob- jekte vorgestellt wird (üeberweg, Logik 5. Aufl. 147); und wesentlich sollen diejenigen Merkmale der Objekte sein, von denen ihr Bestehen, ihr Wert oder ihre Bedeutung abhängt.

Nun wissen wir, dass unser Denken niemals im stände ist, in das Wesen auch nur einef? Sanflkorns einzudringen. Wir besitzen keine Begritfe, die zuletzt über die subjektiven Sinueseindrücke hinausgehen; nuissten Begriffe also wesent- liche Merkmale bieten, das Bestehen der Objekte erklären, so hätten wir überhaupt keinen Begriff". In das Wesen der Dinge hat ein einziger Metaphysiker einzudringen ver- sucht, Schopenhauer, der in ihnen den WjUen zu entdecken glaubte; wir werden, sobald wir seine Sprache kritisieren, erfahren, welche ungeheuerliche Tautologie er sagte, als er das Wesen mit dem Willen und den Wülen mit dem Wesen erklärte.

Ist aber das Wesen der Objekte in ihrem Werte ent-

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Wesen.

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lialten, dann ist dieses Wesen etwas Relatives, wie jeder Wert, dann ist es yon unserem menscUichen Litereaae ab- hftnf^g, dann ist es dasadbe, was die Bedeutung der Ob- jekte ansmachti die Bedeutung fbr uns Menschen, dann will ^e Schullogik auch nichts anderes behaupten als ich: dass nSmlich die Worte oder Begriffe Zeichen smd für diejenigen Jäinneseiadrllcke, die uns an den Dingen interessiensn, die wir uns darum merken. Dieses Interesse kann ein sehr nahes und gemeines sein, wie das des Bauen an seinem Feld, und seine Worte oder Begriffe werden sich danach bilden; dieses Interesse kann ein fernes und edles sein, wie das des Forschers, z. B. Liim^, der die Pflansen klassifi- zieren will: immer haben die Begrüfo nur relative Bedeutung, immer sind sie nur eine Abkfliisnng der oberflächlicheii Smneseindrflcke, die wir uns gemerkt haben. Platt und kindisch hat einst Flaton in den Begriffen die Ursachen der wirklichen Dinge zu finden geglaubt, hat diese zeugenden Ursachen die Ideen genannt und dafür grossen Z 1 anf ge- habt. Aristoteles war klug und prosaisch genug, das Mytho- logische in diesen derben und zengimgKfrohen Platonischen Ideen zu durchschauen (Metaph. Ii. 2), aber als er ein Abstraktes Wort (oooia) «liifür setzte und so fQr die Essen- tien und Wesenheiton den Anhieb that, nahm er den Platoni- schen Gottheiten nur ihre Schönheit, nicht ihre Dumm- heit. Aristoteles hat sich redlich abgemüht, sich und seinen Schülern den Begriff ^ Wesen" klar zu machen; er martert seine schöne Muttersprache bei dieser Arbeit mit- unter (z. B. TO Ti fjV eivott) ebenso wie Uegel unser liebes Deutsch; und wenn die Sprache überhaupt unter der Folter mehr aussagen könnte, als wir in sie hineingelegt haben, diese beiden Ueukeräkuechte hätten ihr etwas Neues ab- gezwungen.

So kann ich wohl sagen, dass die Erklärung der Be- griffe durch das Wesen der Dinge eine der schlimmsten Tautologien in sich schliesst. Der Begriff bezeichnet Diiifj^e, die ihrem Wesen uai h zusammengehören; und dass Dinge ^usainmengehöreu erkenueu wir daran, dass sie durch den-

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1. Begriff und Wort

selben Begrifi' oder dasselhe Wort zusammengefasst werden. Wir kOnneii es in der Gesdiidite der Zoologie verfolgen, wie das WesenfUehe der KkMsen bald so, bald so verstandeii wird; aach heute noch hOrt man die sinnlosen F)ragen, ob diese oder jene niedersfeen Organismen za den Tieren oder zu den Pflanzen , gehören", das heisst doch wohl: ihrem Wesen nach gehören. In WirkEchkeit ist es dne Wort^ frage; es hftngt (ich will nicht sagen Tom Belieben) Ton der Begrifbbildmig des Klassifilutors ab, ob er nachher so oder so entscheiden muss, oder gar ein drittes Reich hin- stellt, das heisst ein drittes Reich begrifflich oder sprach* lieh abgrenxt.

Wenn man nun bedenkt, dass unsere Begrifie nur relatire, subjektiTe, ungefihre Erinnerungsseichen flir relatir beachtenswerte SinnesemdrQcke sind (schlecht gehende Uhren für unsere subjektive Zeiteinteilung), wenn wir ferner be- denken, dass die Einteilangsworte des Weltkatalogs (z. B. Reich, Kreis, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Ab- art, Varietät) eben auch nur solche Begriffe sind, die wir so lange gebrauchen, als sie uns das Wesentliche au be- zeichnen scheinen, so werden wir zugeben müssen, dass auch der Streit um den Artbegriff, um den Darwinismus, eben nur ein Begriffsstreit, das heisst ein Wortstreit ist. Dass es neben dem künstlichen System, diesem Notbehelf, ein natürliches System geben müsse, hat schon Linn^ gewusst; und sein künstliches System der Botanik ist doch wenigstens schon auf die Zeugun^swerkzetigc gegründet. Dass die „guten" Arten von der Zengungstahigkeit also von If i Ab- stammung abhängen , !iat man ebenl'allä lange vor Darwin gewusst. Wenn also der Darwinismus ebenso vollständig und gewiss wäre, wie er lückenhaft und vielfach un'^icher ist, so würde mich er d* nufh h keine Be^n itl-pyramide bieten, nicht die ,wesentlh ln u Merkniale"* durch fcbtumschriebene Begrifte ausdrücken können. Das einzige Ergebnis der schönen und kühnen Hypothese Darwins ist die Bestätigung unserer Lehre, dass Begriffe (welche in der Naturgeschichte Arten beissen) oder Worte nebelhaft, schwebend, undefinier-

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Begrifiiddeale.

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bar sind. Und fassen wir selbst Darwin als den blossen Beobachter, dessen «Gesetze* erst noch tod einem Denker eixiheitlich erklärt wwdmn mUim Qii<i dadurch langsam dem Froiease der SelbstzenetKung Terfallen, fiuMn wir aelbrt Darwin ab d«i Kepler, der anf seinen Newton wariet, so kann und wird der nenen Weisheit letzter Schlius nur ein neues Wort sein, ein neuer Begp-iff, der wiedergibt, was er geborgt bekonunen hat, bestenfidls ein bequemer Automat, der eine Banknote hergibt, sobald man den Betrag in Oold vorher hineingeworfen hat. So eine Banknote war die «GraTttation', so eine Note wbd Tielleicht einst »Entwicke- loBg* heissen.

«

Man unterscheidet gern den metaphysischett, den logi- BegriniH sehen und den natllrliehen Begriff. Der metaphysische Begriff wttrde etwa der platonischen Idee entsprechen, der Torstellung, dass z. B. die allgemeine Form »Pferd* etwas in der Natur der Dinge wirklich Vorhandenes sei, eine Form oisr ein Urbild, und dass die einzelnen Individuen so oder so nach diesem Begriff gebildet ^^ ih den. Dieser metaphysi- sche Begriff hat gewiss nur den Wert alten Eisens; aber darQber zu lachen werde ich mich hüten, solange ich nicht so frei bin, auch Ober die .Vererbung", die neueste Fassung der ewigen Form, ebenfalls lachen zu können.

Das Ideal spielt seine Holle auch bei dem Unterschiede zwischen dem logischen und dem nattlrlichen Begjiff. Der loji^schc Begriff soll nämlich so eine Art Idealbegriff sein , ein Begriff, der alle gegenwärtige und zukünftige Kenntni"^ rom Objekt zusaramenfasste, so dass der Besitzer diesft- Begriff« '^ndlich in das Tnnero Irr Natur dringen könnte. Dagegen sind unser* natürlichen Begriffe oder Worte nur armselige Versuche, emc halbwegs brauchbare Ordnung in die Erinnerung all unserer Sinneseindrücke zu schaffen. Jede Verbesserung unserer Kenntnisse nähert also unwillkürlich unsere natürlichen Begriffe um ein Winziges dem logischen ideal. Aber zweierlei Begriffe gibt es nicht.

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1. begriff und Wort.

Zu jeder Zeit setzt sich die Sprache des Hensohen ans Be- griffen zuBammen, welche an logischer SchSrfe genau der Menge seiner Kenntnisse entsprechen« Wie der Begenbogen Tor d^ Kinde zurückweicht, das ihm entgegenlaufen will, so das logische Ideal vor dem jeweiligen Begriff unserer heutigen Kenntnis. Mehrfach in der Geschichte der Philo- sophie (Leihniz) hat man versucht, sich der Allwissenheit des Gottes zu nähern und durdi ein lof^sches Begriffssystem alles Wissen begrifflich zu ordnen. Diejenigen, die wie Hegel am liebsten die Anzahl tler clieiiiiscben Elemente und die Kamen der römischen Könige aus der Tiefe ihres Ge- mütes deduktiv abgeleitet bitten, Terfielen dem Fluche des Hamlet, nicht fertig werden zu können. Wenn sie die Karte der Erde fertig hatten, wurde Amerika entdeckt; und wenn sie unter dem Hegriff Planet 5 Sterne verstanden, die Sonne und den Mond dazu nahmen, um glatt die Wochen- tage danach zu benennen, so kamen neue Fernrohre und man entdeckte den G., den 7. und den 8. Planeten.

Die andern Systematiker , die Anti-Hamlet-Naturen, wollten fertig werden \\m jf Hen Preis. Sie schufen z. B. die Linndsche Pflanzencinteüuug und glaubten Begriffe zu bilden, wenn sie Kennzeichen angaben. Ebenso könnte man das System , wonach man gej^enwärtig Verbrecher wieder- erkennen will (indem mau ihru Daumenglieder, ihren Schädel nach allen Dimensionen, ihre Ohren und ihre Zehen niisst, und sich darauf verlässt, dass keine zwei Individuen unter allen Kategorien zugleich identi.schu Ziftern aufweisen wer- den), für ein System neuer Begriffe ausgeben und so neue Begriffe und Worte: ZwölfmiUimeterdaumennagehnenscheu z. B. zu bilden glauben.

Der logische Begriff des Gelehrten verhielt sich zum natürlichen Begriff der alltäglichen Sprache nicht wie das Absolute zum BelatiTen, sondern höchstens wie eine ver- besserfee Maschine zu einer orsprünglicheroi. Wenn die Platonischen Berichte Uber die Lehrweise und die Anstren- gungen des Sokrates richtig sind, so war Sokrates immer nur einzig bemflht, die BegrifEunaschine zu verbessern, das

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Dtflnitioii «nd Aufimerkiamkeit.

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iandlaufij^e Wort zu untersuchen, seine hergebrachte Be- deutung mit den Anschauungen der Zeit zu vergleichen und zu fragen, ob die volkstümlichen Deliuitioiieii richtig seien. Sokrates tkat also bewusst, was seit Hunderttausenden von Jahren die sprechenden Menschen unbewusst thun: er suchte seine ererbte Sprache seinen erworbenen Kenntnissen anzu- passen. Er verbesserte nicht das Wissen, sondern nur das Werkzeug seiner Mitteilung, die Sprache zwischen den Menschen. Er fand, dass die natürlichen BegriÜe dem logischen Ideal nicht entsprechen; er sah die BegrilFe der Alltagssprache um eme Sprosse tiefer « ab die Sprosse der Leiter, auf der er schon mit ednem Wissen stand. Er snckte die Sprache emponnihehen, stieg aber sugleiGh wieder eine Sprosse hdher und die Differenz blieb die alte. Und das wird ewig so bleiben. Und ewig wird der Kletterer nun herunterblicken und oben zu sein wihnen und nicht sehen, dass die Leiter unendlich lang ist und er erst ein Ideines StQek erstiegen hat.

II. Die Definition.

Wss ich flbfflr den Begriff der Definition Tonabringen Definition habe, das hat Goethe kurz und bttndiff, nach seiner Art ftlr

. merksani-

einen besondem Fall, schon gesagt, wo er in der Geschichte keit. der Farbenlehre Athanasius Kircher kritisiert: „Unser Ver- fasser möchte, um sich sogleich ein recht methodisches An- sehen zu geben, eine Definition vorausschicken und wird nicht gewahr, dass man eigentlich ein Werk schreiben muss, um zur Definition zu kommen. Etwas Aehnliches scheint Sigwart TOisusch weben oder -doch dem Verfasser seines Registers, wenn da die Definition ein Abschluss des Wissens genannt wird. In der »Logik" selbst wird die Unfruchtbar- keit der Definition (IT. S. 699) zugegeben, vorher jedoch (S. 639) wird der Definition dennoch trotz aller Warnungen vor Dnbois Heymonds pathetisch verkündeter WolHormel eine bedeutsame Bolle zugeschrieben. Sigwart hätte wohl

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Ii. 0ie Definition.

nicht der Meister der logischen Disziplineii werden btenen, wenn er nicht an die logischen Begriffe oder Worte ttber seine eigene &itik hinaus geglaubt hätte.

An dem geistreichen GeseUsdiaflsspiel der Logik nehmen wir erst teil, wenn wir unsere Worte oder BegriflS» definieren wollen. Für gewöhnlich gebrauchen wir unsere Worte «wie Essen und Trinken frei*, ohne das BedOifnis ihrer Definition zu fühlen. Solange die Henschoi einandw halbwegs Ter^ stehen, solange brauchen sie keine Definition der Begriffe; erst wenn sie einander ganx und gar nicht mehr Terstehen, wird diese betrübende Thatsache durch eine Definition aus- drückHch festgesteUi Wir haben an anderer Stelle ge* sehen, dass Bewusstsein eine Hemmung ist, eine schmerz- hafbe Störung des unbewussten Gedächtnisses. Das Bewusst- sein verhält sich zum unbewusst thätigen Gedächtnisgang emsthaft wie Brustschmerzen zur regelmässigen Atmung, wie Bauchgrimmen zur behaglichen Verdauung. So kommt auch der Begriff in seiner Definition uns zum Bewusstsein; die Definition gehört gewissermassen zu den Sprachstörungen, sie ist eine Hemmung im regelmässigen, behaglichen Ge* brauch der Worte. Millionen Menschen essen Kase und sprechen von Käse, Millionen Menschen behaupten ihre Rechte und sprechen von ihren Rechten, ohne einer De- finition (1er IVu^n-iffe »Käse" oder , Hecht" zu bedürfen. Erst wenn ich in öüdfrankreich einen flüssigen Kahm als Käse vorgesetzt bekomme, werde ich stutzig, komme 7iini Be- wusstsein meiner mangelhaften Bildung und frage nach der Wortdetiniiion ; erst wenn ich vom Händler em gefälschtes Zew^ für mein echtes Geld bek(mimen habe und ilm zur Strafe für meinen Aerger oder meinen Schmerz verklage, erst dann wird nach der Sachdefinition pfefracft.

Wir empfinden den ganzen Wirrwarr der Logik viel- leicht deutlicher, wenn wir bemerken, dass jede Definition obwohl sie uns durchaus nicht von der Stelle zu bringen im stände ist immer schon ein Satz ist. ein Urteil, ja eigentlich immer schon ein Sthlu^.-. . gewöhnlich ein un- mittelbarer Schluss, oft ein ganz komplizierter Syllogismus.

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Definition and Aufmerkaamkeit.

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Natürlich will ich dfimit der Definition nicht höhere Ehre zuerkennen, sondern nur anJeuteu, wie im bewussten Ge- brauch der Worte psychologisch bereits die ganze Denk- thätigkeit enthalten ist, welche die Logik iUa ihre schwierig- sten Aufgaben m Ansprach nimmt

Man definiert die De:finilion ab die geordnete Angabe der wesentlichen Merkmale eines Begrifis. Ich brauche nicht lu wiederholen, dass der B^priff der Ordnung und Unordnung nicht aus der Wirklichkeitswelt geholt ist, dass also die .Ordnung* der Merkmale immer auf den subjekfciTen Qeeichtspunkfc des Redenden hinauslaufen wird; und ich brauche erst recht nicht su wiederholen, dass wir vom .Wesen* der Objekte keine Vorstellung haben, ihre wesent- lichen Merkmale also nicht kennen. Was wir mit dem Worlschall »Definition* etwa beseichnen, das ist wirklich nichts wdter, ab unaer Besinnen darauf, wie wir zu dem betreffenden Wort oder Begriff gekommm sind. Wobei ich mich leider wieder besinnen muss, dass ich eben nur den Fetisdi «Definition" mit dem befreundeteren Fetisch , Be- sinnung * TCrtauscht habe; ich hätte auch .Aufinerksamkeit* S^^n können, um die Bätseiworte nicht zu vermehren.

Halten wir aber fest, dass in den Definitionen schon geurteilt imd geschlossen wird, und dass jede Definition eine sichtbarliche Tautologie ist, so halten wir in der Hand, was ich gegen den gesamten Betrieb der Schullogik einzuwenden habe: Mit allem Schliessen wird nie etwas Neues erschlossen. Niemals geht in unserem Gehirn etwas Anderes vor, als dass wir entweder eine neue Wahrnehmung machen oder von unserem Interesse (im weitesten Sinne) veranlasst werden, auf alte Wahrnehmungen und ilire Merkzeichen die Auf- merksamkeit zu richten. Alles andere ist Tautologie, alles andere steckt schon in den Definitionen.

Was ist ein Dampfschiff? ,Ein Schiff, das durch Dampf- immer kraft fortbewe<;t wird.* So ist unser berühmtes Denken T«uto- beschaffen; der eine macht es schlauer, der andere dümmer, es ist aber immer dasselbe.

Ich sehe ordentlich wie der Logiker sich lachend die

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II. DU Definition.

Hände reibt, bei dem Scljulscbnitzer, den ich soeben gemacht zu haben scheine. Er braucht sich mit einem solchen Igno- ranten, wie ich es bin, gar nicht erst abzugeben. Ich wisse ja g-ar nicht, dass die Tautologie zu den Fehlern der De- finition gehöre; mein Satz ^Dampfschifif ist ein Schiff, das durch Dampf kraft fortbewegt wird* sei ja ein Musterbeispiel itUr eine fehlerhafte DefinHion.

Nun, ich dagegen behaupte, dass jede Definition mit diesem Fehler behaftet ist; oder vielmehr: dass die De* finitiou gar nichts anderes ist, als eine tantologische Ajiis- einanderlegung ihres Begriffs. Icli h&tte ja in meinem Bei* spiel die wdrtliehe Tautologie (idem per idem) kieht ver- hOllen k()nnen. Ich konnte sagen: ,Ein Dampfer ist ein Schiff (oder: Ein DampfiKhiff ist ein Wasserfahrzeug), wel- ches durch die Kraft des Wassers in dessen gespanntem gasförmigen Aggregataustande fortbewegt wird/ So konnte ich im ersten Teil rein äusserlich den gleichen Wortschall vermeiden, im s weiten Teil die Wiederholung des Wortes «Dampf durch seine Definition, die natOrlich wieder eine Tautologie ist, weil sie nur der versteht, der sie sckon be- sitzt. Aber ich muss dem Logiker noch etwas ins Gewissen schieben. Hand aufs Herz, wo immer es beim Logiker sitzen mag: ist meine er^^te fehlerhafte Definition nicht eigentlich das, was mir ins Bewusstsein kommt, wenn ich mich besinnen will, was ich unter .Dampfschiff' verstehe, wodurch es sich von anderen Schiffen unterscheide und wenn ich z. B. eben den Prallschiffdampfer erfinde welche Unterarten (Raddampfer, Schraubendampfer) es bisher unter sich licgriffen habe? (Sacherklärung). Ist diese meine erste fehlerhafte Definition nicht nnrh das, worauf es ankommt, wenn ich einem wissbegierigeu Knaben kurz definieren soll, was ein Dampfschiff sei? (Namenserklärung).

Die alte Regel, eine Definition müsse den Gattungs- begriffnebst dem Artuntersi hied enthalten fz. B. das Quadrat ist ein gleichseitiges Rechteck), diese Kegel ist die kürzeste Anweisung, musterhafte Tautologien zu sagen. Denn ein Begriff ist ja eben wie man uns lehrt die Erinnerung

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Iminer Tratologie.

SOd

an die , weseiitlirhen" Merkmale einer Gruppe von Objekten, die wesentlichen Merkmale müssen sich immer auf die ein- fache Formel von Gattung und Artuntt i rhied hringen lassen; so ist zwischen dem, woran dio Deünition ausdrucklich er- innert, und dem, woran der Bejjriff erinnert, ^ar kein an- derer ünterschieil, als die Betonung, die Richtung der Auf- merksHiiikeit. Und dieser psychologische Vorgang musst« der Logik entgehen, weil sie schon die Begriffe ftlr klare Bilder einer felsenfesten Wirklichkeit« weit hielt und darum diu Dt-tinitiunen für zu vci lässige, objektive Eikliinirigen dieser Bilder. Die Sprache aber hat keine festen Begriffe , hat keine objektiven Definitionen; jede Definition ist subjektiv, xaaA Wils m ihr von dem einen Gesichtspunkt ein Fehler ist, dw kann die HauptsaclLe sein für einen anderen Ge- sichtspankt Je naeh dem Interesse, nach der Richtung des Denkens gibt es Tiele Definitionen deraelben Begriffes. Der Bauer, der Eanfknann, der Nati<maldkonom, der Che- miker, jeder wird den Begriff E9se anders definieren. Der Kaufmann und der Theologe, der Jurist und der Keger- sklave, Jeder wird den Begriff Recht anders definieren; und keiner braucht unrecht zu haben. Es ist damit wie mit einem nackten Modell im Akisaal; ein Dutzend Schtüer oder Meister zeichnen dieselbe Person ab, ein jeder, wie er sie Ton seiner Stelle sieht, einer Ton vom, einer gar von hinten, und keiner braucht falsch zu seichnen. Auf den (Gesichts- punkt kommt es an. Und wir werden sehen, dass auch Begriffe, je nach der Aufgabe, a priori und a posteriori ge- zeichnet, definiert werden können, und dass die Zeichnung a posteriori gewöhnlich die ernstere Aufgabe ist.

Diese meine Auffassung, dass nämlich der Begriff der Psychologie allein angehöre, Tor jeder Logik da sei, etwas wie Thätigkeit sei und darum etwas Irrationales, diese Auf- fassung findet sich schon, wenn auch ungenau, bei Lotze und Sigwart. Aber bei beiden bildet der Begriff als psycho- logische Thatsache doch nur eine niedrige Stufe, welche /u dem höheren Begrilf, zu dem klaren, idealen, logischen Be- griff emporfuhrt, der sich dann durch eine klare, logische

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IL Die Definition.

BigtiSs- Definition als wissenschaftUclies Element answeiMn kaiiii. Beide behandeln die Logik, als ob sie etwa der Mathematik gleichwertig wäre, wählend doch die Ekmenta der Mathe- matik gar nichts anderes sind, als sdUilbar, menbar, be- grenzbar, definierbar, die Elemente des Denkens jedoch aihrem Wesen nach* undefinierbar. H. Rickert (0renien d. naturwiss. Begrü&büdung) gibt alle Mftngel der Begriffe bei den Spesialwissenschaften su, scheint aber derWissen- Bchaftslehre die Formung YoUkommener Begriffe yorsube- halten. Aehnlich schon J. Volkelt (Eifahrung und Denken), der Begriffe höherer Ordnung und »eine logische Gliede- rung ihrer Merkmale* kennt. Es ist menschlich au ver- stehen, ja es ist SU loben, wenn die Logiker die Sehn- sucht empfinden, unsere mangelhaften Begriffe einem Ideal zu nähern, das Chaos unseres Denkens su ordnen. Eine solche Sehnsucht aber für Wissenschaft zu halten, ist eine arge Selbsttäuschung; die Täuschung wird immer in die Versuchung führen, die Ordnung, weil sie in der Wirklich- keitswelt nicht zu finden ist, erzwingen zu wollen. Man rechnet die Logik nicht gerade zu den Zebngeboten, aber ein .Sollen"' ist in ihren anspniclisvollen Deul^esetzen TOr- sfceckt. In der Logik ist das Wort frech geworden wie in der Aesthetik und in der Ethik; die Wirklichkeitswelt kennt nur das Wollen des Künstlers, seine sinnfälligen Schöpfungen, und die hergebrachte Aesthetik tritt ihr von irgend eir>eni heiligen Berge, dem Paruass z. B., mit einem Sollen ent- gegen; die psychologische Wirklichkeitsweit kennt nur ein Wüllen des Menschen, seine Handlungen, und die Ethik tritt ihr, immer noch vom Siuai, wieder mit dem Sollen entgegen. Ich fttrchte nun, Aesthetik und Ethik -^rlten immer noch für emsthafte Wissenschatten, und der Vej-- gleich mit ihnen möchte darum keinen Zweifel an dem Wert der Logik erregen; ich will darum lieber auf ihre Aehnlicbkeit mit der älteren Astronomie hinweisen, welche Astrologie hiess und war, aut dem Ptolomäischen System fusste und /.. B, leinte: die Planett^n müssten sich (man achte auf die Logik) iu'Kreiüliuieu bewegen, weil der Kreis

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Gesichtspunkt.

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die ToUkommenste Linie wäre. Solche SchemvissensdiafteE sind sehwer auBsurotten. KopemikuB stfinte das alte System, aber sein jüngerer Zeitgenosse Melanchthon war ein ttber- leugter Artrolog; ja sogar Kepler noch, der grosse Ent^ decker der elliptischen Flanetenbewegnng, gab sich dazu her, für Wallenstein das Horoskop su stellen. Wir haben also nicht die Hoffiiung, man werde so bald aufhören, in den Schulen zu Idiren, wie man denken solle.

Ich habe oben gesagt, dass es Tom Gesichtspunkt ab- 'G««toiit«. hünge, ob in einem bestimmten Gedankengang eine Definition feblerhAft sei oder nicht; selbstverstindlich denke ich dabei nicht an sachiicho Fehler, an thatdkhliclic Albernheiten, sondern an Formfehler, wie sie von der Schullogik her- gebrachterweise aufgezählt werden. Von der Tautologie habe ich schon gesprochen, weil sie die Deiiniiion selbst ist Aber sogar die ewig wiederholte Regel, dass ein Be- griff durcli seinen Gattungsbegriff und seinen Artunter* schied definiert werde, ist ein nebelhafter Satz. Denn er gilt nur, wo die Begriffe sich auf eme anerkannte Klassi* fikation der Wirklichkeit stützen können, in einigen Gebieten der Naturgeschichte z, B. Sonst kann man je nach dem Gesichtspunkte Gattungsbegriff und Artunterschied mitein- ander vertauschen. Das gilt lur alle abstrakten Begriffe, auch für die der Physik. Schon Leibniz hat darauf hin- gewiesen; aber trotzdem er den Begriff , Gesichtspunkt" in die Philo'«o])h!e eingeführt hat, hat er seine Tragweite für unser Denken noch nicht erkannt. Ob ich deliuiere ,,der Schmeichler lobt lügnerisch* oder „der Schmeichler lügt lobend" hängt doch offenbar davon ab , ob ich die Auf- merksamkeit auf das Lügen" oder auf das „Loben" lenke, ob ich den Schmeichler angreifen oder verteidigen will. Beide Definitionen sind richtig, je nach meinem Standpunkt; und ob sie gut gewählt sind, hängt nicht vou der Logik ab, sondern von der Rhetorik, welche doch eher eine Samm- lung Ton Diebskniffen ist als eine Wissenschaft.

Es liesse sieh Ineht ausfilliren, dass der Gedankengang dasu fdhren kann, in einer Definition die Aufmerksamkeit

M ftvtliBer, Baitrig« m ttser Kritik d«r Spraob». m. 20

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IL Di« DtfiaitiMi.

auf den Punkt zu lenken, der den Schulfehler der zu grossen Weite« der Enge oder der Abundanz ausmacht. Eine De* finition ist ja nur die Bennntiiig auf den Begrifl^iolialt; wenn wir nun Veranlassung haben, unsere Aufmerksamkeit auf zwei Merkmale zugleich zu richten, deren eins vom andern abhangt (z. B. Parallelen sind Linien, die gleiche Richtung und voneinander gleichen Abstand haben), so ist es ein schnelles aber kein fehlerhaftes Denken. Selbst die berüchtigte Zirkeldefinition ist, genau betrachtet, nur eine verhüllte Tautologie und als solche nicht ein Fehler im Denken, sondern ein Muster des Denkens überhaupt, «las eben nichts anderes ist als Sprache oder Tautologie. Man schlage die Dpfinitionen der wirklich praktischen Hand- bücher i\uf. wo mau wolle, überall wird es von Zirkd- delinitionen und Tautolorrjen wimmeln. Immer wird es heisse?i: Ein Dampfer ist ein Schiff, das durch Dampf kraft bewegt wird. Nur wo der Verfasser nuch der Logik schielt, wird er die Tautolot,'io künstlich vermeiden wie ich e<? oben in der verbes^ci ten Detinition des Dainiifschiffs that und der Leser wird tjiüige Mühe haben zu einer Vorstellung zu kümmcii: zur Tautologie.

Man hat die Definitionen seit jeher (das heisst seit etwa zweitausend .Lihicü/ nach verschiedenen ^Gesichtspunkten" verschieden eingeteilt; und die Loj^iker haben auf diese Ein- teilungen viel haarspalteudeii Witz verschwendet. Uns ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Einteilungen nicht die Definitionen rerschiedener Begriffe angehen müssen, son- dern Terschiedoie Definitionen desselben Begrifik. Freilich hat schon der grosse Duns, der Doctor subtilis (später he^ deutete der Name im Englischen [dunce] und Deutschen einen Dummkopf), die Behauptung aufgestellt, unter allen mög- lichen Definitionen mfisse eine die richtige, die wesenhafle (o^iadv)«, essentialis) sein, genau so, wie Sigwart behauptet, über dem populären landUUifigen Begriff müsse ein höherer, logischer Begrifl^ zu finden sein. Ja wohl, wir hatten die einzig richtige Definition unserer Begriffe von den Dingen, wenn wir nur wOssten, was das Wesen der Dinge ist, wenn

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Ber«iohenmg de« WiMem.

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wir die Welt anders TerstOnden, als durch unsere Spradie* Dum aber freilich, wenn wir die Welt verstanden, würden wir eben nicbt sprechen und nicht definieren, sondern grenzenlos, undefinierbar schweigen wie die Natur.

Niemals kann das Denken allein das Denken in Worten neieicha- weiterftlhren. Eine Erweiterung der Erkenntnis ist immer ^vü»mw nur raöplich durch Beobachtung oder Anschauung und durch die direkten neuen Schlüsse aus der Beobachtung selbst, nicht durch Schlüsse aus dem Namen der Beobachtung, denn der Name der Beobachtung euthält immer nur die alten Schlüsse und mehr lässi sich aus ihm nicht herausziehen als drin steckt.

Denn die Woi te bedeuten oder vertreten oder sind doch immer nur die Be<rriff'e, insoweit wir sie klar fassen mid definieren könueii (iu dieser Bemerkung lie^ schon wieder der sprachliche Unsinn des «insoweit"; als ob es überhaupt möglich wäre, dass Worte mehr enthielten, als unsere Kenntnis von den Dingen , als ob Worte geistige Wesen für sich wären). Lernen wir nun irgend eine Erscheinung besser verstehen, so heisst das doch nicht: wir wissen jetzt besser als firQher, was dies oder jenes Wort I>edeiito1^ ton«* äem umgekehrt: die Bedeutung des Wortes wächst unbe- merkt mit unserem Wissen. Als der Blutkreislauf entdeckt war, erfuhr man dadurch nicht etwa: Aha, Herz bedeutet also eigentlich den Muskel u. s. w., sondern das Herz, mit welchem die Leute bis dahin den Begriff eines merkwQrdigen Fieischklumpens Torbanden, der selbständig klopfte, wenn man erregt war, wurde jetzt als eine Art Pumpe aufgefasst.

Wenn nun d^ Entdecker einer neu«i Beobachtung oder sein Marodeur in Abhandlungen und sonstigen Wort- arrangements logisehe 9ch]!U»e neben, so boreidiem sie vieUeicht die Bibliothek ihrer Wissenschaft, aber nicht unser Wissen« Denn wie sie auch die Worte formelhaft setzen, um einen neuen Gedanken zu beweisen, sie können nicht darum herum, daas der Begriff ihres Gegenstandes, das Wort, durch ihre neue Beobachtung für sie seinen Wert Tei^ndert hat, dass sie es eigentlich neu definieren mOssten.

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IL IM« Definition.

Ein Forscher raaclit z. B. die Beobachtung, An^^^ nicht nur einii^p heliotropische Pflanzen, sondera gewisseiinassen alle Pflan/.eii . auf bestimmte Heize hin freie Bewegungen (innerhalb gewisser Grenzeu) machen können. Nun lassen sieh ganze Bücher zu dem Zwecke schreiben, um /.u be- weisen, drtss das Tier sich von der Pflanze nicht durch seine Bewegungsfreiheit unterscheide, dass die alten Definitionen der beiden Reiche nicht mehr passen. Das alles aber wäre für den Entdecker der Wuhihcii lua em leeres Gerede, ein Netzwerk von Tautologien. Denn im Augenblicke, als er seine Versuchspflanze sich auf einen Reiz hin bewegen .sah, wurde ihm von selbst die Pflanze sofort ein veränderter Begri£f. Durch die Anschauung allein.

Was er an Rednerei und Wissenscliafilichkeit hinzu- that, war nur zum Zwecke der Hiltoilung und anderer Eitel- keiten nötig.

Ein Kind, das im Aquarium vor dem Behälter der See- nelke steht« und plötzlich susammenschreckend wahrnimmt, dass die rermeintliche Pflanze eiuen Ann ausstreckt, das Kind Terhessert sein Wissen und sdne B^priffe nicht andws ab der Beohachter der Pflaoienreiae. Und wenn das Kind erschreckt ausruft: .Mama, die Blume will wasi* so hat es dasselbe getfaan, was der Pirofessor, als er seinen Vortrag hielt.

Kominal- Weil wir aber die Welt nicht Terstehen, darum gibt "litoi** es keine andere Art Definition als die Worterklärung. Die tfoMn. alte Einteilung in Nominal- und Realdefinitionen hat gar keinen logischen Sinn, weil wir doch die Dinj^o selbst nicht erklären können und kaum erklären wollen. Ich habe aber schon zu Beginn dieses Abschnittes angedeutet, dass es wohl einen Unterschied zwischen Wort- und Sacherklärui^ geben kdnnte, wenn wir die logischen Spitzfindigkeiten vergessen und dagegen festhalten wollten, dass wir es nur mit psychologischen Vorgängen zu thun haben. Man könnte es wohl ganz be- sonders eine Nominaldefinition, eine Worterkliirung nennen, wenn ich einem noch unwissenderen Menschen, als ich es bin, ein bisher fremdes oder bisher inhaltsleeres Wort Uber-

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Nominal- and Realdefinitionen.

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gebe und es dazu definiere, das heust dasn sage, an wekshe Vorstellungen das Wort mieh erinnert. Man könnte das, wie gesi^ eine Nommaldefinition im engeren Sinne noinen. Man könnte im Gegensatz dam es eine Realdefinition nennen, wenn ich durch eine neue Beohachtung oder eine neue Er- findung einen Begriff erweitere, dadurch seine Definition Terladere und mich selbst auf diese Aenderung oder Be- reicherung meiner Sprache besinne. Ein grosser üeberblick würde dann lehren oder su sagen gestatten, dass die mensch- liche Sprache von bahnbrechenden Geutern durch Real- definitionen fortgeführt worden ist, dass die menschliche Sprache durch Realdefinitionen gewachsen ist, dass aber der normale Mensch seine Sprache oder seine Weltanschauung von der Geburt bis zum Tode nicht anders lernt als durch Nominaldefinitionen. Unser gesamtes D nlcc n oder Sprechen bewegt sich in Noniinaldefinitionen oder Tautologien; einer Realdefinition kann sich nur das Genie rennessen oder der Wahnsinn.

Wer mir aufmerksam gefolgt ist , wird hier erkennen, dass dieser anheimgegebene Gegensatz Ton Nominal- und Realdefinition für mich zusammenfallt mit dem Ge^^ensatz der Erkenntnisse a priori und a posteriori. Der Wert- schätzung nach werden dabei freilich die Knnts' lien Begriffe auf den Kopf gestellt: es war aber a priori zu vermuten, (lass die Sätze der reinen Vernunft, die Sätze vor aller Er- fahrung nicht viel wert sein würden, nicht mehr als eine Erbschaft, die Gemeingut ist, als ein Hecht auf dos Licht der Sonne.

Der geniale Mann . der zuerst aus Milch Käse machte . und das neue Ding benannte, wie Adam die neuen Ge- schöpfe benannte, wie sie heissen sollten, er durfte sich einer Realdefinition rühmen, einer Bereicherung der Sprache, einer Erkenntnis a posteriori: und der kluge Fabrikant, der die Spezialität Upecies) Chesterkäse auf den Markt brachte, war im kleinen auch so ein Bereicherer des Welt^ katalogs. Als aber unser Hanswurst an seinem StQckchen ehester seine Weltanschauung vormehrte* erhielt er mit

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II. Di« DefiaitioB.

Hilfe der Karte doch nur eine Nominaldefinition, eine Er- kenntnis a priori ; und nur weil er ein Hanswurst oder ein Narr war, glaubte er eine Bealdefinition zu erlialten, glaubte er mehr zu wissen als vorher, glaubte er m wissen, was das da auf seinem TeUer wirklich sei, als er seinen Sprach- schatz um den Wortschall „Chester* vermehrt hatte.

Es wäre rätselhaft, wie die Definition zu ihrer ange- sehenen Stellung im Reiche der Logik gekommen sei. wenn wir nicht wüssten, dass der Vater der Logik noch sehr kindlich Sacherklärung und Worterklärung durcheinander mengte. Eine vollständige Sammlung von Definitionen wäre für Aristoteles eine Realencyklopä>lie aller Wissenschaften gewesen; für uns nur ein tödlich langweiliges Wörterbuch, nebst Angaben des nächst höhern Artbotfriffs und der de- terminieronden Eigenschaft. Dabei kann sich gewöhnlich nur der etwus denken, der es schon weiss.

So i.st die Definition immer nur entweder eine A\'ort- crklärung, wie der Artikel eines Fremdworterbuchs (näm- lich für jeden Schüler), oder sie ist eine Auffordprung an sich selbst, sich an die Grenzen des Begriffs zu erinnern und keine Dummheiten zu reden. Einen Fortsekritt im cij^enen Denken erzeugt sie so wenig, als eine Speisenkarte dadurch den Hunger stillt, dass ihre französischen Namen gegenüber deutsch übersetzt stehen.

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Bin- Bevor ich an die kritische Betrachtung der einfachen

**4<»r^ Sprachteile gehe, welche man etwas theatralisch die Urteile Begriffe, genannt hat, muss ich Ton der Definition noch einmal zum Begriff zurtlekkehren. Ich habe rinrhin Torausgenommen, dass all unser Denken, wie es Ton der Logik in ürtefl und Schlüssen wie ein Pfauenrad auseinandergefaltet wird, schon in den Begriffen oder Worten enthalten ist, oder wenigstens in ihrer Definition, das heisst in der Besinnung auf ihren Inhalt. £is dürfte sich daraus ergeben, dass auch unsere Denkfehler auf Definitionsfehler zurückzufahren seioi. Und da wir es hier mit groben Albernheiten gar nicht zu thun

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Einteilong der fiegrilE».

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liabeu wollen, da wir bloss die verhüllten Denk- und De- finitionsfehler beachten woIIpti, da wir endlich die herge- brachten Sthulfehler der Deliiüiiün als der Definition , wesent- lich" erkannt haben, als relativ richtige Zeichnungen von verschiedeneu Gesichtspunkten aus: so werden wohl auch die Fehler unseres Denkens oder Sprechens von den groben Albernheiten abgesehen im Wesen des Denkens oder Sprechens liegen. Und ich scheue mich nicht das grauenhafte Ergebnis meiner kritischen Betrachtung der Logik schon hier auszusprechen: Wie die Begriffe nebel- haft sind und nicht in zwei yerschiedeneu Gehirnen an die gleichen Sinueseindrllcke erinnem, wie darum die Menschen einander niemalB auf die Wirklichkeit hin YWBtehan kOnneii, 60 wechselt in einem und demselben Gehirn der bewusste Begriff, die Definition, die Besinnung auf seinen Inhalt, je nach Zeit und TJmständen, und so wird in einem und dem^ selben Kopfe die Bede oder der Gedankengang ungenau, witternd, yerschwimmend wie ein Nebelbild. Wer sich gegen das Entsetzen gerüstet hat, um daraufhin selbst unsere besten Schriftsteller zu prOfen, der wird bescheiden denken lernen Ton den Zielen wissenschaftlichen Fortschritts, und nur eine Qbermachtige Illusion wird ihn Terhindem, die Feder wegzulegen,

Oleich zu Anfang von «Werthers Leiden* erfüllt Gkiethe- Werther, er habe ein kleines ländliches Genrebild gezeichnet; -ich setzte mich auf einen Pflug, der gegenüberstand, und zeichnete die brüderliche Stellung mit vielem Ergötzen.* Wenige Seiten später spricht er von dem Pfluge, «den ich neulich gezeichnet hatte*. So konnte es selbst einem Goethe zustossen, und in einer so anschaulichen Sache, dass er von einem neuen Standpunkte aus den Pflug gesehen und ge- zeichnet zu haben glaubte, den er vom ersten Gesichts- punkte, als er nämlich auf ihm sass, nicht anschauen und nicht zeichnen konnte. Dieser kleine Schnitzer des <?rosscn Iroethe ich habe ihn schon in anderer Verbindunj:; er- wähnt — scheint mir symbolisch dafür, wie die Begriffe nach , Gesichtspunkten'* in unserem Denken sich verschieben.

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IJ, Die Definition.

wie plötzlich vor die Augeu kommen kami« was vorher hinten war.

Aber mein Hinweis auf die Definitionsfehler Lst un- vollständig. Wenn wir uns durch irgend einen Ruck unserer BegriffSs bewiest werden, so besinnen wir uns nicht inuner auf ihren Inhalt, sondern oft auch auf üureii Umfang. Dieser psychologische Vorgang, den die Sehullogik nicht recht unterzubringen weiss, ist eine Art Experiment^ eine Ptrobe auf die Richtigkeit der Definition. Man nennt diesen Vor- gang die Division oder die Einteilung. Hier ist es fbr das blödeste Auge klar, dass der Einteilungsgrund immer subJelEtiT ist und je nach dem Gesichtspunkt wechselt. Jedes Merkmal des Begriffs kann ein«i lichtigm Einteilungsgrund abgeben. Ich kann die Dampfschiffe in Rad-, Sehrauben* und Prallschiffe, ich kann sie in See^ und Flossdampfer, ich kann sie in Fracht- und Personondampfer, dann wieder nach der Art der Fracht (Eohlendampfer u. s. w.), nach der Art der Personen (Auswandererschiffe u. s. w.), ich kann sie nach ihrem Tonnengehalt, icb kann sie richtig nach jedem Gesichtspunkt einteilen. Und ich kann die Einteilun^^ der Unterarten wie 1er nach Gesichtspunkten fortsetzen. Die Einteilung nach einem festen Schema, so dass z. B. jedes- mal genau zwei (><Ier genau drei Unterarten angenommen werden (Dichütomie, Trichotomie), ist eine heillose Spielerei, die die Wirklichkeit nach dem Prokrustesbett unseres arm- seligen Rauberrerstandes strecken oder verkürsen will. Die Trichotomie insbesondere hat bei Hegel zu der unsinnigsten Verachtung der Natur geführt, was denn auch den stupenden Schulmeister der dialektischen Methode zu der nnj^eheuer- lichen Klage veranlasst hat, ^'lie Naturerscheimiiigen bleiben zuweilen hinter dem Begritte /urürk*. .Ta wohl, wenn der Begriff sich vuu der Natur verirrt hat un«i sieh dann eigen- sinnig darauf versteift, er wäre ihr voraus und sie müsse zu ihm kommen.

Was nun die EiiiteilungsiLiüer anlangt, so steht es um sie nicht anders als um die Definitioiisiehler. Sie Ver- stössen alle, so wie sie in der SchuUogik aufgezählt werden,

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Einteilung der Begriffe.

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gegen die Fordeniogt die ideale Forderung, dass die Unter- abteilungen ganz genau die nächst höhere Sphäre ausftlllen sollen und dass sie einander nicht kreuzen dürfen. Solche £inteilungen sind selbst in der Naturgrs rhichte nur dann möglich, wenn mim die Bp<?riffe vorher (eben nach der künftigen Einteilung schielend) zurecht gezerrt hat. In der komplizierten Wirklichkcitswclt oder gar in der Welt der abstriikteii Begriffe gehören die Fehler zur Natur der Ein- teilung. Ich kann den Begriff Kü^f ninteilen in Fettkäse und Magerkäse und habe dann die lüihmkäse, die Sauer- milchkäse und die Molkenkäse übersehen. Und sollte ich diese (irenzbegriffe säuberlich mit aufgezählt haben, so gibt es wieder Hinlere Uebergäiige, die ihr Kecht verlangen. Ebenso wird es mir mit der üntereinteilung der Fettkäse ergehen, auch der Chester wirti unbestimmbare Grenznuch- barn haben, und im kleinsten wie im grössten wird die Wirklichkeit durch die zu weiten Maschen der Sprache hin- durchfallen, wird der Weltkatalog ein nebelhafter Traum bleiben. Und wie e.-^ ein natürlicher Einteilungsfehler ist, die Käse in Fettkäse und Magerkäse zu scheiden, ebenso natürlich sinnlos teilen wir die Menschen in gute und böse, unsere Gedanken in wahre und falsche; und wir vermissen die EHnleilungsgrQnde ToUMids, wenn wir unier die »gute* Abteilung die Fettilcase und die wahren Gedanken rechnen.

Der idealen Forderung einer logischen mateflimg kann die arme Sprache nicht entsprechen. Die Oktave umfasst, wenn man den Wolf heulen Hesse (wie die alten Musiker sagten), eine unendliche Rohe Terschiedener Töne, Ton denen wir durch Zeichen nur sieben oder zwdlf unter- scheiden; ebenso gehen vom Bot des Farbenspektrums bis sum Violett unoadUdi vide Farbentöne und wir unter- scheiden durch Wortzeichen genau doch nur sechs oder sieben. So ist die I«inteilung Ton der Sprache abhängig.' Man wende mir nicht ein, dass nach d«r geltenden Physik gerade die besonders benannten Töne und Farben einfwhen Verhältnissen ihrer Schwingungszahlen entsprechen, dass demnach die Wirklichkeitswelt eine Analogie zur Sprache

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III. Dm Urtdl.

besitze. Es leugnet ja nur ein Narr, dass die Dinge-an- sicli ihren Erscheinungen irgendwie analo*^ seien. Abge- sehen aber davon , dass in der Musik wenigstens nur die Verhältniszablen natürlich, die Schwing'ünjj;s/.alil des Norraal- tons aber willkürlich ist (kein Mensch wird heliaiipten, dass der von der IVauzösischen Regierung festgesetzte Diapason oder Kammerton , die Zahl von 870 Schwingungen in der Sekunde, eine natUriiclio Zahl sei), so würde die Physik ja nur lehren, aus welchem Grunde die sieben Töne und Farben leichter zu merken, das heisst zu benennen sind als die unendlich vielen uuderu. \ iellcicht rühren wir sogar bei dieser Einteilung von Tönen und Farben an das Ge- heimnis der Sprachbildung und zugleich an das Geheimnis der Natmrentwickelung. Vielleicht sind es ähnliche Ver> hSltnisse, die die Typen unserer Pflanzen und Tiere Tor der unmdliehen Reihe möglicher Pflanzen und Tiere aus- zeichnen , vielleicht nähern wir uns heute wirklidi wieder der Lehre des P}i;hagora8, dass nämlich die Wirklichkeits- welt auf harmonischen ZahlenTerhSltnissen heruhe, vielleicht sogar ist die Bequemlichkeitt die wir als furchtbar prosaische Auflösung des C^ächtnis- oder DenkriUsels yermuten, nur eine den Menschenverstand beherrschende Erscheinung der Bequemlichkeit der Natur. Aber all diese licherlich furcht- baren Möglichkeiten bringen die Thatsache nicht aus der Welt, dass Farbe und Ton in Wirklichkeit unendlich viele Nflancen haben, dass unsere Sprache sie aber nur in arm- selige sieben oder zwölf Farben und Töne einzuteilen vermag.

m. Dm Urteil.

Loben- Die ncuere Logik sieht mit Kecht nicht im Begriff, '^Jll'' sondern im Urteil das ürphänomen des Denkens. Denn wir urteilen scharf, lange bevor wir klare BegriflFe haben. Und nebenher wird diese Aenderung auf unsere Tierpsycho- logie einwirken müssen , Denn wenn es auch den höheren Tieren an gut detinierbaren Begriften fehlen sollte, so wird

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LelMiidigea Urtailen.

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jnan doch selbst den niedersten Tieren die Fihigkeit des Urteileos kaum absprechen können.

Nim hat Sigwart (Logik I. 23) sehr fein zu unter- scheiden geglaubt zwischen dem sich bildenden Urteil, das das eigentliche Denken ist, und dem fortbestehenden Urteil, das Sprache ist. nättc er recht, so wäre hier einzig und allein der I*unkt vm linden , wo Denken und Sprache sich trennen. In Wirklichkeit aber scheint mir das, was Sig- wart das lebendige Urteil nennt, dem sprachlichen Urteile, dem Denkakt doch voiauszupehen. Das lebendige Urteilen ist nichts als oin tastende^ Ver<j^leichen, ein Versuchen, ein probeweiscs AneinauUerhalten von zwei Vorstellungen, von denen ilas eine zum Subjekt, das andere zum Prädikat werden wird. Aber selbst in unserer abgerichteten und ge- drillten Sprache lUsst sich dieses Verhältnis bei tausend Gelegenheiten willkilrlich umkehren. Lassen wir die Copula oder die entsprechende Verhak nuuiiü; fort, reden wii- ¥de Wilde; „Heiss Wolke Wasser gut," so verstehen wir uns und machen uns Yerständlich und müssen nur unser Interesse und unsere Wttnsche durch stärkere Betonung und durch fragenden Ton ausdrtteken.

Selbst in diesen komplizierteren Fällen wird der Denk- akt in dem Augenblick fertig, da er zu Worte kommt. Aber auch der aUereinfachste Denkakt ,das da ist ein Apfel* vollzieht sich, wenn er bewusst wird, sprachlich. Dass das Kind und der einfache Mensch solche Urteile sprachlos toU- ziehen kann, ebenso wie das Hohnchen sein Urteil »das da ist ein geniessbares Samenkorn* oder vielleicht nur «das da ist geniessbar*, das beweist nicht, dass wir ohne Sprache denken, sondern nur, dass das Denken eine spatere Luznsfunktion ist und . dass zum Vegetieren das Denken oder Sprechen nicht notwendig ist.

Aber Sigwart und seine Schüler haben es nicht Ter- hindert, dass die alte Schullogik sich für etwas ausgibt, .was gelernt werden müsse.

Auf der Stufenleiter der Schullogik steht das Urteil, sowohl seiner Aufgabe als seinem Werte nach, zwischen

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m. Das Urteil.

dem bescheideuen Betritt" und der stolzen Scllluss^olf/el■unJ_^ Bevor ich weiter zeige, das.-, diese Stufen eher abwärts als aufwärts lühreu, ja dass sie recht eigentlich den Stufen im Rade einer Tretmühle gleichen, den Stufen, die ein Esel ewig aufwärts schreitet ohne sich Tom Flecke xu rühren bevor ich diese Fernsicht wie von jeder Wendung des Weges 80 &nch hi«r idge, möchte ich gern auf das Unpassoide der logischen Beaeichnung hinweisen. Mir scheint das Wort «Urteil* verwirrend, um so verwirrende, als die deutsche Volkssprache sich immer noch weigert, bei diesem B^friiF deutlich an seinen logischen Sinn zu denken* Urtofl Die Logiker freilich hdfen sich wie gewffhnlidi da- '^''^^ durch, dass sie zwischen dem Denken und der Sprache unterscheiden, dass sie also zwischen dem Gedanken und seinem sprachlichen Ausdruck trennende Formen, am liebsten grammatische Formen, einschieben. Sie sagen also: der Satz sei der sprachliche Ausdruck für das logische Urteil. Wir aber, fUr die das Wort nicht der sprachliche Ausdruck flQr den Begriff ist, sondern nur eben ein Synonjm fllr Be- griff, wir sehen in Satz und Urteil daradbe. Wenn der Chemiker fQr Kochsalz Chlornatrium sagt, so ist ihm das gelehrte Wort doch nur ein Zeichen für Kochsalz und er^ innert ihn bloss an seine genaueren Beobachtungen des Dings, das den Begriff veranlasst hat. Wenn der Apotheker Aqua destillata sagt oder liest, so meint er Wasser und gibt oft anstatt logisch und ideal reinen Wassers eine fil- trierte Flüssigkeit, die nur ihren gröbsten Erdenschmutz im Filter gelassen hat Und B^enwasser ist ihm gar auch Aqua destillata, wie der gesdmiackloseste Satz immer noch ein Urteil ist.

Ich habe schon öfter bemerkt . dass selbst Aristoteles im Verhältnis zu s])äteren Logikern eine ganz lebendige, natürliche Sprache spricht. Darum gibt es bei den (inet hen auch noch keinen Unterschied zwischen dem logischen Ur- teil und seinem sprachlichen Ausdruck, dem Satz (^ro^aot?). Der «rriechische Ausdruck heisst etwa so riel wie .,etwas Ausgesprochenes". Die Römer übersetzten dieses Wort ver-

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Urteil ond Satx.

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sthiedenartij?, aber von Varrü und Cicero bis iuif Bo6thius immer im natürlichen griechischen Sinn. Erst diis mittel- alterliche Latein führte für den lugischen Bef^rifi' des Satzas das Wort judiciuin ein, das bis ditliiu doch üur die richtcr- licht- Eütscheidun«^ bezeichnet hatte. So Ist die Metapher vom Richterurteil auf den Satz iu die modernen Sprachen eingedrungen, wenn auch nur langsam. Das alte deufcsclie Wort .Urieir schoint «rat Leibolz in logischer Bedeutung angewandt xu IuInhi.

Das Yerhlitnis dieser Bedentungen l&sBt aicb in romam- jodt- sehen Sprachen besser verfolgen, weil sie mit dem Mönchs- latein fester zasammenhängen. So wurde im FransOsischen aus judicium (im juristischen Sinne) jugemeni, was dann daneben auch die Beurteilungskraft oder den Verstand und end£ch auch das Urteil im logischen Sinn oder den Sati bedeutet. Die unscheinbare Bemerkung, dass jugement im Fransösischen auch tan Gutachten bedeuten könne, wird uns nach dieser kleinen sprachgeschichtlichen Abschweifung auf unsem Weg zurttckfElhren.

Jugement bedeutet .Gutachten*, weil es auch Urteils- kraft oder Verstand bedeutet. Der Venuch des 18. Jahr- hunderts, .Urteil" in diesem Sinne zu gebrauchen (z. B. ein Hann von viel Urteil), ist nicht recht geglückt. Wie kam aber die Sprarhe dazu, diese Metapher Uberhaupt zu bilden? Wie kam die Sprache dazu, das Büd von der Ent- scheidung Aber eine Schuldfrage auf den psychologischen Vorgang anzuwenden, der im Aussprechen eines Satzes be- steht? Ich glaube, das kam so:

Die Scholastiker waren bei aller Verkehrtheit im grossen ganzen doch im einzelnen scharfsinnig genug zu bemerken, dass die Logik sie im Kreis herumführte. Sie .sahen zwar nicht ein, dass die Logik nur eine Spielerei mit psycho- logischen Vorgängen ist; aber sie mussten in jedem ein- zelnen Falle sehen , dass die Lo;^ik untVuchthar ist. Bei einem einzelnen Urteile odiT Satze oder einer Aussaj^e kommt es der menschlichen Erkenutnis doch einzig und allein dar- auf an, ob der Satz wahr sei oder nicht, das heisst ob der

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ili. Da« Urteil.

auseinander gelegte Begriff mit wtrkliclien SinneseindrOcken ttbereinstimme oder nicht. Die Wahrheit aber oder Ueber- einstimmung mit der WirkUchkeit ist der Logik Ton Hause aus eine fremde Angelegenheit. Wir werden später sehen, dass sich das bei der Schlussfolgerung nicht ganz so Ter- halt, dass die Logik bei der Schlussfolgerung zwar auch nicht fElr die Wahrhdt der einzelnen S&tse, wohl aber für die föcht^keit der Registratur eintritt, wie der Leiter eines Krankenhauses nach fachmännischer und behördlicher An- schauung zwar nicht fUr gute Diagnosen einstehen muss, wohl aber für die Richtigkeit der Bettnummem und die Statistik Uberhaupt, kurz die Sauberkeit des Krankenjoumals.

Die Wahrheit der Urteile oder Aussagen hat also mit der Logik gar nichts ZU tfaun. In logischer Beziehung ist der Satz ^der Kreis ist viereckig" ebenso gut und schöu wie der Satz „der Kreis ist rund". Wenn nun die Wahr- heit das Einzige ist, was uns an den Sätzen interessiert, wenn ferner die Logik zu deren Wahrheit gar keine Be- ziehimf»" hat, so hätte die Lot^ik für unsere Anssaj^en keinen Sinn, und weiterhin keinen Sinn für unser Denken, das doch nur eine Kette von Sätzen ist. So musste der rein for- malen L(><?ik Gewalt angethan werden; sie wurde ohne jede liOs^itiniation zum Richter über Wahrheit und Unwahrheit ernannt, nicht anders al.s wie Sancho Pausa auf -meinem Esel zum Statthalter über eine Insul gemacht umden ist. Wir wissen, dass unser Denken nur ein Besinnen auf unsere Sinneseindrücke ist, das Gedächtnis in Wortzeichen, wir werden also nicht davor zurückscheuen, den hohen Begriff der Wahrheit etwa mit dem eines gesunden Gedächtnisses zu erklären. Wii wissen nicht, was Wahrheit sonst sein möchte. Die Sprache jedoch, besonders die scholastische Sprache, personifizierte ahnungslos Wahrheit und Unwahr- heit in zwei streitenden Weibern, die Sprache löste Ton dem Fetisch «Gehimthätigkeit* (den ich leider nur mit dem menschlicheren Fetisch «Qe^htnis* vertauschen kann) dm aufgeputzten Göteen Verstand los und setzte ihn zum Bichter ein Uber die beiden streitenden Weiher. Und wie sich die

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Dummheit der menschlicheii Sprache mitunter in Worten ▼errikt, 80 war es auch hier. Die Entscheidmig über Wahr- heit und Unwahrheit wird ein Urteil (Judicium, jugem^t) genannt; ebenso aber der Richter, der das Urteil fällen soll. Man siebt: der Richter, der personifizierte Verstand, ist nichts als das Wort, das den Satz bedeutet. Das Urteil (die Urteilskraft) beurteilt das Urteil (die Wahrheit des Urteils). Le jugement juge le jugement. Es ist nicht meine Schuld, wenn ein so grausamer Unsinn in logischer Sprache möglich ist; und es ist mein Vrirlienst, wenn ich diesen Satz, den ich mir eben erfunden habe, und den ein Logiker oder Grammatiker ftir tiefsinnig halten kdnnte, uneigennützig für grausamen Unsinn erkläre.

r^oprikor und Grammatiker sind in diesem Falle gleich zu behandoln. weil die loffiscbc Richtigkeit eines Satzes mit seiner rrramniatischen I{i( htitrkoit zusammonrällt. Wenn jo- TTiand saj^t ^alle Bäume haben Bliiftor'*, so kann die Loj^ik nicht widersprechen, weil die Grammatik nicht widerspricht. Der Satzbau ist in Ordnung. Was der Kichtifjkeit dieses Satzes widerspricht, was ihn fflr falsch erklärt, das ist unser Gedächtnis, das sich auf das Dasein von Nadelbäumen be- sinnt, oder vielmehr darauf, dass wir gewisse Formen dieses Pflanzenorgans in unserer SpT-ache nicht Blatt zu nennen pflegen. In einer anderen ^Sprache mag der Satz ,,alle Bäume haben Blätter" ein wahrer Satz sein.

Von diesem Punkte scheint mir die gan/.c Verkennung und UeV>ersehätzung der Logik auszugehen. Weil man sich nicht entschliessen konnte, die Logik über Bord zu werfen als eine unfruchtbare, ja perverse Spielerei, darum musste man ihr. ein Urteil über die Wahrheit des Denkm auf- halsen, darum nannte man die einfachsten Sprach- oder Denkbestandtdle, die S&tze, mit einer unglücklichen Metapher Urteile, und darum wurde und wird das Urteil definiert als »das Bewusstsein über die objektiTe Gültigkeit einer subjektiven Verbindung von Vorstellungen*. Man achte wohl auf den sprachlichen Ausdruck. Die Definition passt einzig und allein auf das Urteil im richterlichen Sinne. Das

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III. Dm Urteil

iDig ein Bewusstsein ron b^od dner Wahrheit seiD. Hui deAoieit einfach ein falsches Bild und wendet nachher die Definition auf das bildlich Ausgedrückte an. Das ist genau so, als ob ein Arzt eine Augenoperation an einem Menschen TOmehmen wollte, weil der Mensch von einem schlechten Maler schielend gezeichnet worden ist. Wir haben da ein- fach eiTK- unrrcwöhnlich schlechte Definition Yor uns. Das Wort «Urteil" wird eben in zwei gänzlich verschiedenen Bedeutungen genommen; einmal bezeichnet es den Satz, das andere Mal die Entscheidung über die Richtigkeit des Satzes, einmal den Angeklagten, das andere Mal den Richter- spruch oder gar den Richter selbst. Die Wahrheit ist die Gesundheit des (redät htnisscs; die Wahrheit ist das Heilig- tum, in welchem das Frauenzimmer Logik zu schweigen hat. Die Wahrheit ist die letzte Sehnsucht der Sprache, ihre Metai)hy.sik; das Urteil Ober die Wahrheit, das Urteil als eine Entscheidung fällt zusammen mit der Gesamtheit unseres geistigen Lebens; das Urteil im lo;:,n'<?chen Sinne, der Satz, ist die gemeinste und nie irigste Aeusserung dieses Lebens, ist die gloichgttltige Verkuppelung zweier W^ort«. Das Urteil über die Wahrheit ist eine unerreichbare Sehn- sucht, ein Phantom wie der Gott im Himmel; das logische Urteil oder der Satz ist handgreiflich und ruh wie der l'luile, der gewerbsmässig ein Paar zusammenspricht. Der Satz „der Käse ist reif* ist logisch ebenso gut und schön wie der Satz .die Logik ist ein madiges Nahrungsmittel* ; über Wahrheit oder Unwahrheit der Etttae hat die Logik kein Urteil, keine Gewalt, keine Meinung.

Gehört aber die Entscheidung Ober die Wahrheit eines Sataes nicht vor das Forum der Logik, so hat auch ihre mittlere Stellung zwischen Wirklichkeitswelt nnd Sprache keinen Sinn mehr. Und die BemOhungen der neuem Logiker, die realen Kategorien über die logischen hinweg zu den grammatischen zu führen, rerlieren jede Bedeutung. Wir müssen wieder einmal festhalten, wie es au diesem Wider* sinn gekommen ist* Die Menschheit hatte nichts als ihr Oe- daehtnis oder die Sprache, um sich in der Wirklichkeitswelt

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£iiiteUaiig der Urteile spracblicb.

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zurecht zu finden. Aehnliche Formen der Sprache, aus denen man instinktiy auf ähnliche Yerhältnisse der Wirk* Uchkeit achloss, gaben Yeraalusung, sprachliche Thabaohen so ordnen, die man nachher für sprachliche Regeln oder für Grammatik ausgab. Wurden diese Regeln so abstrakt gefasst, wie die Buchstaben der Algebra ftr die Ziffern der Aiitiimetik eintreten, so nannte man diese gegenstandslose Bpraclilehre Logik und bestand darauf, ihre Kategorien, also die Wortarten der Sprache, in der Wirklichkeit wieder lu finden, womit man eben das W<dMtsri widersimiig zu iOsen hofile, nidit anders, als wenn jemand einen firanzösi* sehen Rebus mit deutschen Worten auf Uteen wollte. Qans und gar nicht anders, denn die Wirklichkeit spricht nicht wie die Hensehsn, nicht in Worten, sondern rebus, in Dingen (n> 149). Wollen die Logiker nun von der Wirklidikeit zur Sprache snrOckkehren, so mtlasen sie wieder den ganzen Umweg Aber die Logik und Grammatik machen.

Die ganze länteiiung der Urteile nach ihren prädika- tiven, objektivischen und attributiven Verhältnissen ist ein unglflcklicher Versuch, die Thatsachen unserer Kultur- Urteile sprachen der Welt der Wirklichkeit aufzuzwingen. Hätte deren Grammatik mit der neuem Naturwissenschaft und Psychologie gleichen Scliritt gehalten, so wüssten wir jetzt, dass der Unterschied der sttbstantiyischen , adjektiTischen und yerbalen Prädikate in der Wirkliclikeit nicht besteht, weil doch nur die alte Sprache es ist, die Sinneseiudrücke der Bequemhchkeit wegen nach den Kategorien der logisch- grammatischen Kedeteile unterscheidet, so wüsste jedes Kind, dass die oHjektivischen Verhältnisse uns nur helfen, uns in Zeit und iiaum der Wirklichkeit, in ihrer Kausalität, zu- rechtzufinden, dass die attributiven Verhält lusse nur sprach- lich in die Verbindung Ton Wahrnehmungen Ordnung zu bringen suchen.

Auf den Grun lirrtum jedoch^ der logischen Spielerei eine Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit der Sätze, ein Urteil Ober die Urteile, zuzutrauen, beruht die Einteilung nach Qualität und Modalität, das heilst die Einteilung in Xftiila«r, Btttrtst m «incr Kritik dw SiwMI«. JSt. 21

Ein-

sprscii- lieh.

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III. Daa Urteil.

bejahmde und veraeinende Sätze einerseits, in mögliche, in

angenommene und in bewiesene Sätze anderseits. Dabei bemerkt die Logik gar nicht, dass Bejahung und Verneinung der Sprache mit Wahrheit und Unwahrheit der Erkenntnis gar nichts zu thua bat, dass anderseits der Grad der Qe- wissbeit eines Satzes, seine Wahrscheinlichkeit, bald ein Schwanken, bald ein streng wissenschaftliches Ergebnis aus- drucken kann. Der Satz «die £rde steht nicht stiir ist sprachlich und lügisch eine Verneinung, psychologisch eine sehr positive ^Vahrheit. Und wieder: bin ich ungewiss, ob der Würfel beim nächsten Wurf die Zahl 6 zeij^en werde, so ist mein psycholoo-isclier Zustand der der Unsicherheit. Dass aber die Wabrscheinlii lilceit in diesem Fallo fjleich sei einem Sechstel, das isf nut sichere logische Wahrheit. Während wir g^lauben, dass unsere Sinneseinrlnlcke und BegriflFe wohl von etwas herrühren, was in der Wirklif^hkeitswelt den SiuiJCisenKlrücken und Begriffen aualog ist, kumiiien wir also hier zu der felsenfesten Ueberzeugimg , dass in der Wirk- lichkeitswelt absolut nichts vorhanden ist, was irgendwie entsprechen könnte den substantivischen, adjektivischen und verbalen Formen unserer Prädikate, was irgendwie ent- sprechen könnte der Bejaliung und Verneinung, der Gewiss- heit und Uiigewissheit in unseren Sätzen. So wenig es den Hond kümmert, ob ein Hund ihn anbellt, so wenig weiss die Natur von der menschlichen Sprache. «Die helle Sonne leuchtet." So red^ wir Memclrai und «mige von uns haben dabei etwas wie eine Vorstellung Ton der ungeheueren Gasmasse, welefae Ober 100 Millionen Kilometer von uns ont* fernt die «Bewegung'' Terursacht, die wir mit unsem Augen wahrnehmen und je nach Bequemlichkeit «Sonne*, «hell* oder «leuchten* nennen. Das SubstantiT allein, das Ad- jektiv alldn, das Verbum allein kann unter Umstanden (z. B. als Antwort auf eine Frage nach dem Wetter) durch- aus und ToUstftndig den gleichen Ckdanken geben wie der ganze Sats «die helle Sonne leuchtet*, der auch so Uber^ flflssig, so luxuriös klingt wie ein Vers. Und dem Satse «die Sonne leuditet nicht* entspricht in der Wirldichkeit

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Urteile psjohologitch l^atologien.

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durchaus kein« Nation. Und durchforschte man das UniTersum bis sn den Enden der Müchsb-osse, man süesse auf nichts Kegatives. Immer sind es positiTe Wolken oder Nebel, oder die Stellungen der Sonne (hinter dem Mond oder unter unserem Oesichtekrds), immer sind es positiTe Dinge, die uns sagen lassen, dass die Sonne nicht leuchtet Und wenn wir ungewiss daiflber smd, ob morgen Sonnen- schein sein wird, oder darQber, ob nach Ifillionen Jahren die helle Sonne leuchten wird wie heute, so ist die Un- gewissheit einzig und allein in uns, in unserem Wissen oder unserer Oettchtnismasse. Li der Katur ist, ob moi^n schönes Wetter sein und ob die helle Sonne nach Millionen Jahren leuchten wird wie heute, so gewiss, so notwendig gewiss, wie fUr uns kaum der Si^ dass sweimal zwei vier ist. Kur die Sprache oder der Verstand kann dumm sein oder unsicher ; die Natur ist sprachlos, sie kann nicht sweifeln, weil sie nichts weiss.

Man hat nun von Alters her diese spielerische Ein> Urteile teüung der Urteile nach Qualität und Modalität mit einer andern, scheinbar nützlicheren verbunden (der in allgemeine und partikulare Urteile), und die Kombination beider Ein- teilungen liegt dem VirtuosensUlck der Logik zu Grunde, der Lehre von den Scblussfolgerungen. Bevor wir diese vernünftigere Einteilung der Urteile, die nach ihrer Quan- tität, auf ihren Wort ]ir(lfen, wollen wir uns darauf be- sinnen, was uns ein batz oder ein Urteil ist, wie ein Satz oder ein Urteil psychuloginch entsteht.

Die Schullogik, welche ein Fortschreiten vom Begriff zum Urteil, zum Schliiss, zum Beweis, zur Wissenschaft und am Ende gar zur Welterkläruug behauptet, muss natürlich lehren , der Satz oder das Urteil «▼ehe Ober den Begriff hinaus, denn er oder es verbinde zwei Begriffe, noch dazu mit dem Bewusstsein von der Richtigkeit dieser Verbindung. Wir wissen jetzt, dass die Entscheidung über die Richtig- keit die Logik nichts angehe, und vermuten .scaun, dass die Verbindung der Hegriffe rein sprachlich sei, unwirklich, dasa die Logik sich zwischen dieses gespannte Verhältnis ganz

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III. Da« Urteil.

recliUos und fniclitloe einmisclie. Leider entstelieii S&fze tiher nur in der Schule durch ftueserüdie Terbindung ▼OD Worten oder Begriffen* Jn Wahrheit, psychologiflch, in unsMem Ckhim entstehe S&tae so, dass sie geringer sind ak die Begriflfe. Nicht die Begriffe sind es, die eich zu ^tien ausammenfllgen, sondern Sitae sind es, in denen wir die Begrüfo an fassen suchen, in denen wir den reiehen Inhalt der Begriffe serldeinem. In bequemes Kleingeld um- setsen.

Die Definition umfasst noch den ganzen Begriff. In

der Definition besinnen wir uns noch auf den ganzen Inhalt. Richten wir aber unsere Aufmerksamkeit nur auf ein ein- ziges Merkmal des Begriffs, nur auf einen einzigen Ton den SinncBMudrücken, die wir uns durch das Wort gemerkt haben, wiederholen wir nur eine einzige Teilerinnerung, eine wichtige oder unwichtige, so haben wir etwas gesagt, so haben wir einen Satz, und wenn wir gelehrt thnn wollen, so haben wir ein ürteO. Tautx)* Man achte wohl darauf, dass wir die Definition als logien. pI^p reine Tautologie erkannt haben, eine Tautologie, die nur den Wert hat, unserer Aufmerksamkeit bequeme Merk- zeichen zu bieten. So ist in der Algebra jede Gleichung eine Tautologie, die es unserem Interesse und seiner Auf- merksamkeit leicht macht, die beiden gleichgesetzten For- meln 7A\ ver;i:leichen; wobei es symbolisch ist für unser Denken, ila^- die Mathematiker sich gewöhnt haben, die Formehl so lange zu bearbeiten, bis auf der einen Seite des Gleichheitszeichens die 0 steht, die selber gleichmachende Gewalt hat wie der Tod. Ist nun der Satz nur ein Bruch- teil dei ])tfinition, die sicherlich eine Tautologie oder eine Nuli als Atquivalent der Beziehung der Gleichheit ist, so ist der Satz oder das Urteil weniger als eine Tauto- logie, weniger als nichts. Dieses grausame Ergebnis ist der wissenschaftliche Ausdruck dafQr, dass der weitaus grösste Teil der im Verkehr der Menschen geredeten Sätze ein Ge- schnatter ist, ein leeres Geschwätz, in welchem wir uns nidit einmsl auf die Bedeutung der Worte besinnen. Der

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Tautologien.

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Wert all dieser noch untertautologischen Sätze ist logiack weniger als Null.

Wie Avenig kommen wir in der Kenntnis weiter, wenn wir (der gemeinst«^ Fnll) von einem Subjekt spinrn höheren Artbegriff aussagen, ihn zu seinein Prädikat machen ! Der Schüler bekommt sogar eine gute Zensur, wenn er sagt: ,Der Hund ist ein Säugetier." Und das zweijährige Kind erhält einen Kuss, wenn es lallt: «Das da (ohne Copula und Artikel) Wauwau."

iiunderttausende von Jahren hat die Menschheit Mil- liarden von Hunden gesehen und langsam, langsam den Begriü ^Hund" in ein Wort gefasst, tausende Ton Jahren hat sie gebraucht um die Hunde unter den Begriff der säugenden Tiere (das Säugen schien uns wesentlich) za fassen. Wer nun den Begriff richtig gebraucht, wer einen Pfennig ans dem Kasten zieht, wohinein die Ahnen Mil- lionen Pfennige getüian liabea, vellfUiit kein grOasores Ennafc- stück, als wer einen Apfel mit seinen Fingern festhftlt und üu 80 zum Munde fUirt.

Was wir da lernen ist und bläbt immer nur die Spraehe. Und wenn wir die Sprache bis su ihrem logischen Ideal fortentwickelt hStton, wir kftmen mit den ewigen Taulo- kgien Ton Definitionen und daraus herrorgespoimenen Ur- teilen nidit weiter« ea wftre eine ewig sich drehende Muhle ohne Oetrmde, wenn nicht Ton Zeit an Zeit das Genie eine neue Beobachtong, eine neue Entdeckung zwischen die mahlenden Stdne wflrfe.

Sonst sind alle Urteile Tautologien oder noch wert- losere £tee. Entweder ich gehe vom Angeschanten aus und sage: »Das da ist Wasser/ oder ich gehe vom fertigen Begriffe aus und sage: , Wasser ist flüssig." Das erste Mal ist die Denkthätigkeit so minimal, dass es für gewöhnlich nicht onmal bis zum sprachlichen Ausdrucke kommt; nur wwn ein Zweifel vorhergegangen iak^ pflegt so etwas be- sonders in Worten gedacht oder gesagt zu werden. Das zweite Mal liegt die Tautologie auf der Hand; denn wer V Wasser" denkt, denkt die Eigenschaft , flüssig" schon mit.

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III. Das Urteü.

Und so sehr hinkt die Sprache der Erkenntnis nach, dass »ie noch wie in Urzeiten fUr gefrorenes und fiir gasfSmiiges Wasser völlig irrationale Worte hat, «Eis* und , Dampf, wSlirend unsere Kenntnisse Terkngen wttrden, dass sich in den Worten die Identittt der Substanz irgendwie aussprftehe.

Meine Behauptung, dass ein Satz entweder die Er- kenntnis Tennehre und sich dann niemals mit ganz ent- sprechenden Worten ausdrucken kuse, oder dass also fast immer er höchstens eine Tautolc^ie sei, ist schwer demjenigen klar zu machen, der sie nicht wie ein Axiom einsieht. Der Sprachkritiker kann so wenig wie ein an- derer Mensch auf seinen eigenen Rttcken springen. Und man könnte mir entgegenhalten, dass ja die Sfttze «Wasser ist flQssig*, »Wasser ist durchsichtig", «Wasser ist nass* den gleichen Inhalt haben müssten, wenn sie nur schwatz- haftere Tautoh)gien neben dem Begriff Wasser wären.

Darauf erwidere ich, dass nur die Aufmerksamkeit wechselt, nicht die Kenntnis. Wie auf meiner Netzhaut das Bild eines Schmetterlings erscheint und es in meinem Belieben, das heisst in raeinen Zwecken liegt, ob ich ober- flächlich die ganze Erscheinung betrachte oder ob ich die Augen, die Flügel, die Füsse, die Antennen nuf den Fleck des deutlichsten Sehens einstelle, ob ich endlich an den Antennen nur die einzelnen Glieder untersuchen will, oder ob die Antennen gesiigt oder gekiunnit sind: so kann ich sowohl den Begiift' als das Einzelol)iekt ^Wasser* entweder ohne schade Einstellun«^ des Denkens zusarnniendenken, oder auch augenblicklich auf die Flil-^sigkeit, Nässe oder Durch- siclitigkeit hin ansehen. Genau betrachtet Liehören diese Eigenschaften doch immer schon zum BegnÜ wie zur Anschauung.

Syntheti- Statt „Tautologien'' könnte man auch sagen ,analyti- UvtvO«. ^^^^ Urteile", „wenn (Sigwart I. 102) ein analytisches Ur- teil ein solches ist, in welchem das Prädikat stlion im Sub- jekt mit vorgestellt ist." Dann sind aber auch zuletzt alle Urteile analytisch und Kants Ausgangsfrage zu seiner Kritik der reinen Vernunft wird sinnlos. «Wie sind synthetische

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SjmtlMtiaclia Urteile.

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I'rk'ile a priori möglich r* Bevor sie a priori möglich sein kömien. müssen sviithetist iie Urt»Mle überhaupt sein. Schleiermacher ist im Hechte, \vtMr. er den UniersLlüed zwischeu analytischen und synthctischeu Urteilen einen re- lativen nennt. Er ist nur zu schüchtern. Kelativ ist auch der Unterschied zwischen gelehrten und unwissenden Men- schen; eigentlich gibt es al)er keinen absolut unwissenden, er ist immer gelehrt im A'ei hältnis zum neugeborenen Kinde. So ist jedes Urteil analytisch i'Lii- den, dem sein Sinn auf- gegangen ist.

Immer nur die neue Beobachtung, die neue Entdeckung, die neue Kenntnis kuin «sjniihetisch* genannt werden, weil und 80 lange sie dem sllen Begriff »binKugefügt* wird. Nur der Ihitdecker ToDziehi die Synthese. Unmittelbar darauf wird das Urteil schon wieder analjtisdi; der das Heureka ruft, der hat allein den eirigen Tautologien oder analyti- seben Urteilen eine Neoiogiet etwas Syntbetisebes binzu- gefügt. Wer es ihm nachredet, spricht schon wieder ein analytisches Urteil. Als Robert Mayer das mechanische Aequiralent der Warme fand, ftlgte er zum erstenmale die Begriffe « Erhaltung* und «Energie* zusammen, dehnte «r den Begriff der Trttgbeit zum erstenmale auf alle Kräfte aus. Wer es ihm beute aachspricbt, und wäre er Helm- holta, spricht ein analytisches Urteil, eine Tautologie. Nur dass er sich nun nach dem Stande seiner Kenntnis mehr dabei denkt, als wir andern.

Sigwnrt hat unredit, wenn er nach einem sich uns nähernden Gedankengange (I. 106) meint, solche erklärende Urteile seien streng analjrtiscb für den. iler der Sprache mächtig ist; der aber, der sie erst lernt, vollzieht syn- thetische Urteile, nur so, dass er nicht auf Grund seines eigenen Wissens urteile, sondern auf Grund eines Glaubens an die Aussage des Andern.

Hier irrt Sigwart liart an der Wahrheit vorbei. Natür- lich wäre auch nach seiner Meinung alles aiuxlytisch für den, der der Sprache in idealer Weise mächtig wäre , das heisst der Zukuuftsprache, die alles Wissen enthielte. Das

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IIL Dm Urtaü.

Aa»iyti- ist ein wichtiges Zugeständnis. Aber der Lernende, der mit TTrtcUe Worten ihre Definitionen erhält, spricht die Satze

so hinge papageienhaft nacii, bis sie ihm verständUch, das heibst analytisch werden.

Nicht der Schüler, nur der seltene Meister vollzieht Synthesen. Sokrates war weise genüge das Lernen für ein blosses firionem zu erklären.

In der bes^Hmenen Spndie der Wissenschaft, wo der Sats sich gern em Urteil nennt, liegt die Sifibe daram oidit ganz so Terzweifelt wie bei den untertauftologisdien SUsen des AUtags. Da nebtet sieb wobl die Aufmerksamkeit aaf ein einiebes Merkmal, die Obrige Definition wird unklar mitreratanden und so wird der Sats oder das Urteil docb wieder zur Tautologie, zu einer Tautologie unter besonderer Beleuchtung; das belle Liebt iUlt auf einen bestimmten Punkt, der um so deutlicber wird, je mehr der übrige Teil des Bildes im Dunkel Terschwindet.

Wenn unser Haaswurst sich einen Kftse bat geben lassen und nun seine Tischgesellschaft das Erdgnis be- schwatzt, so kann leicht der Satz ausgesprochen worden «der Käse ist durch" wie etwa der andere Satz , Sparsamkeit ist eine Tugend". Beidemal ist offenbar der Wert des Ge- redes unter Null. Es kann aber auch, wie gesagt, die Auf- merksamkeit auf das Prädikat gelenkt werden. Der mOssigo Professor kann gefragt werden, ob Sparsamkeit zu den Tugenden gehöre, ob sie fUr die menschliche Gesellschaft gut und bekömmhch sei ; ebenso kann ein anderer Professor vor Gericht daraufhin befragt werden, ob es zum Begriff^ Käse gehöre reif („durch") zu sein, ob ein anderer als ein reifer Käse dem menschlichen Organismus gut und bekömm- lich sei, ob andere als rpjfe Ware den Namen Käse ver- diene. Und da haben wir auch schon die psychologische Deutung des sprachlichen Vorgangs. Wenn die Sjuache den lloirriff Tuge nd in den Definitionsinhalt des BegnÖs Sparsamkeit aufgeuojnmen hat, so ist Sparsamkeit eine Tugcii l: oder noch dümmer ausgedrückt: Wenn wir Spar- samkeit moimer oder gewöhnlich eine Tugend nennen, so-

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EnUileiide Urteile.

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wollen wir sie auch heute eine Tugend nennen. Und wenn es zum Begriff des lütees gehört, reif zu sein, wenn der Sprachgebrauch den unreifen Käse einen Quark nennt, den reifen Quark aber erst einen Käse, so darf der Sachrer* ständige vor Gericht das kategorische Urteil aussprechen ,Käse ist reif oder wie er dann wohl sagen wird: «Es gehört (las Reifsein zum Wesen des Käses.* Was sonst zum vollständigen Begritt' des Käses oder der Sparsamkeit gehöre, wird bei solchen mangelhaften Tautologien über- sehen. Wir wissen aber jetzt, dass in allen ^riehen Sätzen,, den erklärenden Sätzen oder Urteilen, das Denken über den Begriff nicht hinausgeht, sondern hinter ihm zurück- bleibt.

Die Satzbildung oder das Urteilen braucht aber nicht Er- immer vom Inhalt des Begriffes auszugehen ; der Ausgangs- ^^J^j punkt kann auch der Umfang des Begriffes sein, also etwas, was der Wirklichkeitswelt näher liegt. Wir kommen dann zu erzählenden Urteüen. So wenn die Tischgesellschaft erfährt, dem Hanswurst drohe zu Hause der GerichtsToll- zieher und er habe, um eine Schuld bezahlen zu können^ «18 Bfl<&gicht anf W«b und Kind, heute «nstatt Schlei in Dill und Ente mit OU?en nur einen KSee bestellt. «Diese Sparsamkeit war gut« war Ittblicli, war eine Tugend," heissi es dann wohl. Oder der Hanswarst selbst war neugierig darauf, ob sein Stttckohen Esse recht reif sei, oder oV ehester ein reif» Kftse, kein Quark sein werde; dann kann er wohl berichten: «Chester ist ein reifer Else* oder »dieser Eise war reif.

Wenn wir nun schon die Hauptmasse der Sfttse, die- der «rUftrenden, als Tautologien preisgeben müssen, sO' fragt es sidi nun, ob nicht wenigstens die enefthlenden Ur^ teile dem Denken etwas hinzufügen, ob nicht wenigstens^ die enEfthlenden Urteile den Esel aus der Tretmühle heraus- führen. Ich muss antworten: durchaus nicht. Was in der Schatzkammer unseres Gedächtnisses vorgeht, wenn wir so ein enählendes Urteil bilden, das ist keine Bereicherung^ es ist nur eine Untersuchung, ob die betreffende Note-

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III. Dm UrteU.

noch Kurswert habe, ob das betreffende Wort nicht wertlos sei. Wenn wir erfahren, dass die Sparsamkeit Hanswursts in diesem Fall gut und löblich war, so sind wir und mit uns die Menschheit nicht in unserer Erkenntnis bereichert, sondern um einen Einzel&H reidier geworden, in welchem wir den Spraeligebrauch „Sparsamkeit ist eine Tugend* durch Uebung befestigen. Und wenn Hanswurst erAhrt, dass ehester, der «unter B^lse steht", reif war, kein Quark war, so wird auch ihm der Sprachgebrauch durch Uebung befestigt, dass das Wort ,Käse* eine reife Ware bedeute.

Wieder muss ich mich gegen die philosophische Ter- minologie, wie sie besondos seit Kant üblich ist, wenden und darauf hinweisen, dass erst die hier versuchte Kritik der Sprache im stände ist, die alten Ungeheuer a priori und a posteriori auf ihre bescheidene wirkliche Grösse zurQckauftthren. Unsere fast ganz wertlosen Urteile, die erUftrenden Sätze, könnte man Urteile a priori nennen, weil sie auf die Worte unserer Sprache zurQckgehen, weil sie sich aus früheren Erfahrungen, eben aus unserem Sprach- schatz oder dem Gedächtnis, ableiten lassen. Und wenn die historische Entstehung des Begriffs a posteriori nicht gar so überflüssig wäre, so könnte man ihn wohl auf die erzählenden Urteile anwenden, weil diese den von ihnen er- klarten, oder besser, beschriebenen Begriffen für die Zu- kunft irgend einen kleinen Zusatz zu ihrer Festigkeit geben.

Zu den erzählenden Uiteilen, zu den wertvolleren I^r- teilen a posteriori, würden dann auch freilich die <^anz wert- volle'i S'Uzo gehören , die Mitteilungen wirklich neuer Be- olip.rl li ' m<jen , welche eij^entlich allein zum Fort-^rhritt der mensciiliciien Erkenntnis ])eitragen. Es ist dann «^lelch- giiUig, oh durch die neue Beohachtung alte zweifeUuitte Urteile l Hypothesen j gesichert oder ob neue Urteile (Hypo- thesen) aufgestellt werden. Immer ist es etwas Neues, was ein Genie dem Sprachschatze der Menscbiieit hinzufügt. Ob Newton seine neue Hypothese aufstellt, das Urteil vom Ver- hilltnis zwischen Gravitation und Fjutfernung, oder ob neuere Beobttchtuugen seine Hypothese au den sogenaimteii Stö-

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AnthropomorpIiifimDf.

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rungen der Flanetenbalmeii bestätigen, innnei ist imser Sprachschatz um ein wirkliches AperQu bereichert worden. Wenn Mendeiejew die Hypothese von den regelmässigen Reihen der Atomgewichte aufstellt und bestimmte tmbe- kannte Elemente mit bestimmten Eigenschaften Toraussagtt oder wenn dann fünf Jahre spfiter 80 ein neues Element wirklich entdeckt wird und anstatt <ies apriorischen Namens Ekauliiminium den aposteriorischen Namen Oallium erhält, so haben beide Entdecker mit mehr oder weniger Genie unsern Sprachschatz bereichert. Ebenso hat die Entdeckung Australiens die Sprache der Zoologie bereichert, sowohl durch neue Bestätigungen alter Urteile über die Säugetiere und die Beuteltiere iosbesoudere , als durch Beschreibung neuer Arten.

«

Wilhelm Jerusalem , der den grössten Teil aller im Anthropo- Begriffe oder im Worte nachweisbaren Elemente einer un- bekannten ürteilsfunktion zugewiesen bat. um die Aussichten von diesem Gesichtspunkte aus zu einem Buche zu sammeln, kehrt immer zu seinem Ausgangspunkte y.urück, dass jedes Urteil sein Subjekt als ein Kraftzeutruni auffasse, von welchem das Prädikat als Wirkung ausgehe. Was ui dieser Auffassung (Aveuorius) Wahres ist, das lasst sich Tiel besser als an den Urteilen an den Begriffen oder Worten beobachten, die wir uns freilich nicht superklug als Kraft^ Zentren Toistellen, die aber ganz sicher anthropomorphisch gebildet worden sind. Alles ist Personifikation. Durch Metaphern geht, seitdem es sprechende Menschen auf Erden gibi, aller Bedeutungswandel und so wird die Metapher, in- sonderheit die Personifikation, bereits geholfen haben, als sich der erste Schrei zum Sprachworte umwandelte. «Nur* die noch unaufgeklärten tiefem Beziehungen zwischen Oe- h6r- und Sprachorgan einerseits und Empfindung anderseits müssten noch aufgeklärt werden, um ein Phantasiebild der ersten Sprache zu entwerfen. Freilich darf man nicht den Fehler begehen, die scharfe Trennung zwischen dem eigenen

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m. Dm UrteU.

lind dem fremden Individuum, z\viv( hen bewusstem und uu- bevvusstem Willen, zwischen or^'iiiiisclier und unor^nischer Welt, die wir hei solchen Untersuciiungen im Sinne haben, schon den sfiraehschöpfenden Menschen einer Urzeit in die arme Seele zu legen. Die Apperzeptionsmassen eines mo- dernen Psychologen sind doch am Ende reicher und in ihrem Keicuium tliach die Sprache besser geordnet als die Apperzeptioüsmassen irgend eines Vorfahren, der das Häu- schen der Baumkrone einer sprachbegabten Baumseele zu** schrieb. Um den Abatand dautlich au sehen, wollen wir lieber den Vorgang beim Menschen und beim Tiere Ter- gleichen. Ein Hund wurde einmal dadurdi ängstlich ge* macht, dasa ein Sonnenacfairm, der neben ihm aufgespannt auf der Wiese lehnte, Tom Winde bewegt wurde. Der Hund erschrak offnibar Uber ein belebtes Ungeheuer, fübet etwas was die TielgerOhmte Phantasie der Griechen etwa die Sonnenschirmdryade genannt bitte. Dieselbe Phantasie der Griechen machte es aber nicht anders als der Hmid, wenn sie die Winde als belebte und sehr kräftige Wesen auf- fesste. Es ist dabei charakteristisch, dass dieee persmufi» lierten Erreger des Windes oder viebnehr die Erreger der Windwirkungen, nicht ftir jedes gslinde Windeswehen be- mflht wurden^ wo ihre Kamen mehr dekoraÜTes Beiwerk war^, dass die Windgötter eigentiich erst in Aktion traten, wenn die Windwirkung Furcht erregte oder Schaden stiftete.

Nun ist es uns heutsutage fast ebenso sdiwer, TOn unseren Apperzeptionsmassen zu abstrahieren und uns das Weltbild eines Vorzeitmenschen Torzustellen, wie es uns schwer ist, die Welt aus dem Gehirn eines Hundes heraus zu verstehen. Goethes lichtspendender Satz: ^T)er Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist," hat für mich diese Bedeutung: wir wissen und sagen, dass alle unsere Begrifte anthropomorphisch sind, aber wir wissen trotzdem nif ht. in wie hohem Grade sie es sind, wir wissen es darum nicht, weil es ein Abstractum Mensch nicht gibt, weil der Mensch, der sich die Welt nnrh stMneni Bilde nach- geschaÜen hat, sich zugleich während der Entwickeiung des

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Qeqpenster.

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Weltbildes weiter entwickelt hat und er so tiutz aller ne- sprachbistorischen Untersuchungen niemals erfahrt, was er "P*"* in seiner Sprache oder in seinem Denken an Gespenstern aus der Urzeit mit sich herumti ägt. Die Toton der Sprache werden nicht begraben. Die Sprache oder dag Denken trigt die Leichen aller Toraogegangeneo Geschlechter mit ach herum.

Am ehesten kOnnen wir nns nock in die Zeit, da das Hensdiengefaim noch nicht der Friedhof seiner eigenen Ver- gangenheit war, lurackrersetBen, am ehesten kOnnen wir nns noch in die Weltansdiauung eines Hundes oder eines Menschen an der Schwelle der Spraehschdpftmg hinein- denken, wenn wir uns in unsere eigene Kinderaeit zurflck- Terseteen und diesen Zustand durch Beobachtungen an Kin- dern objektiy naehprflfen. Da werden wir daqenige, was den Baum und die Sonne, die Tisehbnte und den Poraellan- hund belebt, nach Jerusalems Ausdruck su einem Xraft- xentmm macht, durchaus nicht mit den sehr schwierigen Begriffen der modernen Mechanik oder Fbyohologie als Kraft oder als Wüle aufgefasst sehen, sondern als etwas, was ich am besten durch das Wort Gespenst (in dem Sinne, den es bei Stirner und dann bei Ibsen gewann) wiedergeben BU dürfen glaube. Das Tier und das Kind sieht überall Ge- spenster, wie der Urmensch und wie der gläubige Spiritist. Das Tier und das Kind sieht aber diese Gespenster überall erst dann, wenn es erschreckt worden ist, wenn seine Auf- merksamkeit auf eine wirklich oder scheinbar bedrohliche Erscheinung prelenkt worden ist. Die Furcht nia^ nicht nur die Götter f.(ebildet haben (nach dem altfn Worte), .sondern auch die ersten Be^riife . welche darum ihre Verpottunj^, ihre Personifikation bis heute nicht ganz los geworden sind.

Diese Geisterseherei, welche das Tier und dü-< Kiud weiter treibt, knüplt vorsprachlich bereits au die Objekte der Wirklichkeitswelt an. Der Hund vergeistet den Sonnen- schirm ohne ihn nennen zu können, das Kind vergei.stet die Kohlt nkiste oder das nächtliche Ticken der Uhr, bevor es die bezügiicheu Worte mit den Apperzeptionsmassen eines

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III. Das ürtfloL

Erwachsenen verbi^il t. Es steht nichts im Wege diese Gesp^sterfurcht , diese Vei ^relstung des Objekts ein Urteil zu nennen, ein falsches Urteil. Diese Urteilsfimktion ist eine That des VeTBtandes, die mit der Sprache nichts la scliafTeu hat. AssocüareB sich dabei die Erinnerungoi an gleichartige Objekte in einem Begriffe oder Worte, so geht die Vergeistung des Objektes natürlich mit in den BegnS oder das Wort über. Jahrtausendelang arbeitet nun das Menschengeschlecht daran, die Objekte besser zu betrachten oder zu bourtcilra und so die Bedeutunp des Wortes, wel- ches gleiclr/citiLT einen Lautwandel durchmachen mag oder nicht, mehr und mehr von Gespenstern zu reirigcu. Die Elemente des Denkens bleiben aber nach wie \>n- am Be- griffe nder Wortn haften. Nicht in den Urteilrri. sondei ii in den liegriHen steckt die Antbrnpomor])hisK i iuil:" 1' r Weit. Die sogenannten Urteile sind (um Kants Tennmoiogie an- zuwenden) entweder analytisch und dann sind sie wertlose Tautologien, in denen sich höchstens die Richtung der Auf- merksamkeit ausspricht: oder sie sind synthetisch und dann sind sie keine Urteile, sondern neue Beobachtungen, deren Assimilierung an die bisherigen Apperzeptionsmassen wir als Urteilsthätigkeit empfinden. Apirer- Mit dem Begrifte Urteil bezeichnen wir also zwei Be- Bcption. wuggtseinszustände, welche von Hause aus an die entgegen- gesetzten Enden der traditionellen Logik gehören würden; den Zustand nimlich, in welchem wir ixgend eine Wahr« nehmung madien, indem wir sie in unsere Apper^eptionS' masse annehmen, sie einem bereits ▼orhandeneo Worte angliedern, und den zwdten Zustand, in welchem wir unsere Aufmerksamkeit auf das Wort und seine Entstehung richten und ein sogenanntes Urteil mit Subjekt und Mdikat aus dem Worte wieder herauswickeln. Der zweite Bewusstseins- zustand ist der gewöhnliche bei unserem Sprechen und Denken; der erste Bewussteeinszustand ist deijenige, welcher die Individualsprache oder die Weltanschauung des Ein- zelnen wachsen lasst und welchen wir uns auch bei den Entstehung der Sprache gegenwärtig denken mdssen. Hau

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ApperxeptioD.

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kflnnte auch die zweite Art von Urteilen Urteile aus Worten nennen, den ersten Bewusstsetnestutand das Entstehen der Worte aus Urteilen. Bei diesem Entstehen der Worte ans Urteilen macht es nun einen wesentlichen Unterschied, ob die Entwickelung des Wortes aus der eigenen Thfttigheit kommt oder nicht, ob die Spracherweiterung autodidaktisch gelernt wird oder nicht* Der Autodidakt bildet sich wenig» stens begriffliche Gespenster nach seinem eigenen Bilde; der Schüler nimmt die Gespenster des Lehrers an, was den Gespenstern aucli voch den letzten Rest ihrer subjektiven Realität nimmt. Mach (Analyse der Empfindungen S. 150) hat sehr fein beobachtet, wie ein Kind gelegentlich die Federn des Vogels Haare nennt, die Hömer der Kuh Fühl- hörner, die Bezeichnung Bartwisch sowohl für den Bart- wisch selbst als fttr den Bart des Vaters und den wolligen Samen des Löwenzahns anwendet. Ebenso nennt der ge- raeine Mann ein Rechteck p^cwöhnlicli nur ein Viereck. Mach fügt hinzu: „Die meisten Menschen verfahren mit den Worten ebenso, nur weniger aufffillond, weil sie einen grös- seren Vorrat zur VerfHijiinir haben." Nicht darum allein ist es uns weniger autfalh ml . sondern vielleicht auch weil Menschen von der gleichen Biiduugsstute den gleichen Wortvorrat zur Verfügung haben , weil einer an die Ge- spenster des anderen glaubt. Da^i Kind sieht zwischen dem Bart deü Vaters und dem reifen Löwenzahn eine Aehnlich- keit; die höchst gebildeten Naturforscher sehen Aehnlicb- keit zwischen den Kör])eni und deren kleinsten Teilen, die sie Atome nennen, und vielleicht ist bei solchem Wortaber- glaubeu das Kind sieb der Un Wirklichkeit de« Gespenstes besser bewusst als der >»'aturforschor.

Die erste Gruppe von Ui'teilen allein fallt unter den alten Begriff der Apperzeption.

In der französischen Spradbie gehört das Wort der Um- gangssprache an. Aperceroir hetsst da im Gegensätze zu ▼oir geradem das oherflSchliche, unToUstündige , flüchtige, wirre S^en, On aper9ott etwas, um es nachher an be- trachten oder wieder an übersehen.

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IIL Du Urteil

Die Apperzeption der Psychologen soll etwas Aktives «ein, was den apperzipierten Gegenstand an sieh reiset, während doch offenbar, wenn der Franzose aper^oit quelque •chose, der Gegenstand aktiv in das Blickfeld des Beobachters tritt, der mehr passiv bleibt. Also wieder ein Wort, dessen £ed> iitung schielend ist.

Noch grösser wird die Konfusion durch die Definition, •welche Steinthal (Abr. d. Sprachw. I. 171) von der Apper- zeption gibt. Er erklärt sehr hübsch, dass bei der Apper- 2eptiou eines Dings (z. B. eines Pferdes), also bei der An- wendung" eines Begriffs oder Wort« auf ein Individuum dieses Begriffs, eine reiche Geistesthiitigkeit zu verfolgen wäre, dass der ganze bisherige Inhalt des Begriffs in Be- wegung gesetzt wird und dass , was wir z. B. bisher vom Pferde wussten, beim Benennen de- neuen Individuums relativ das Moment a priori sei, wahrend der neue Smii* n- reiz (der vom neuen Individuum ausgeht) das relative Moment a posteriori sei.

Nachdem Steinthal diesen fruchtbaren Einfall (der Re- lativität des a priori) rasch verlassen und vergessen hat, definiert er also die Apperzeption als die , Bewegung zweier Yorstellungsmasseu gegeneinander zur Erzeuguug einer Er- kenntnis".

Da ist Tor allem zu bemerken, dass keine der beiden YorsteUnngsmasaen den Ansprach eriieben darf, anch nur relatiT a priori zu keissw, wenn die Apperzeption etwas zwischen ihnen, wenn sie eine Bewegung ist* leh bin nicht ängstlick. Ich scheue nickt Tor den Konsequenzen des Ge- dankens zurück, dass Apperzeption nur eine Bewegung zwiscken Yorstettungen oder Begriffen, dass sie also etwas Aeknliches sei wie Chantation. Bs ist mir sogar ver- fOkrerisch, zwischen den grossen anerkannten mechanischen Cbundsätzen der sogenannten Ifaterie nnd dem Haupt- Clement des Geisteslebens, eben der Apperzeption, ein Ana* logon zu finden. Nur ein Psychologe, der stets Ton d«r Seele (trotz einer anftaf^chen Mentalresenration) wie Ton einem Etwas spricht und der der altera Yorstellungsmasse

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Appeneption*

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die mystische Kraft dee a priori Terleilit, darf nicht auf deraeLben Seite das Wesen der GeistesthBtigkeit in eine un« peraSoliche, idüoae Bewegung auflösen wollen.

Und es geht auch nicht. Der Tergkich mit der Gra- vitation hinkt auf allen vier Füssen der BestiCt die Apper- zeption genannt wird. Die Stoffe, die Spielzeug der Gra- Titation sind, sind. Sie existieren, ewig wie ihre Beiiehnngen aufeinander. Sie sind fr^r uns.

Der Sinneseindruck aber, der durch die Lebensrerwicke« lungen zufällig im Gehirn eines Einzelmenscben an seinem bisherigen Vorrat an Eindrücken hinzutritt, der wie man es nennt apperzipiert wird, wird, entsteht erst durch das Leben. Es ist also wahr, dass ein a priori da ist, ein Zentrum, ein Ich, ein «sogenanntes Bewusstsein, das heisst ein Individiml<jf dächtnis, dns nun aus einem Eindruck ver- stärkt wird. Ks ist also die sogenannfo Apperzeption nicht etwas zwischen den Vorstellungen, sond' m loch wohl eine Aktion des Zentrums. Sie ist eher Nalirungsautnahme als Gravitation. Und das hvj^i in d^m Xamen: Adperzeption.

Da nun aber anderseits diese beitr iler Sache sub- jektiv, falsch, seelisch, eine Selbsttäuschung sein muss, wie jede psychologische Beobachtung, da also die soge- nannte Apperzeption an sich gewiss eine Bewegung ist (nur nicht die von V'oi-stcllungen)*), so bleibt nichts übrig, als den unhaltbaren Aus j uck Apperzeption endlich fallen zu lassen und die Entstt hang der Begriffe oder Worte also auch die der vorausgehenden Urteile, der „Vor "urteile tiefer zu gründen als auf diesen Ueberrest einer kindlichen Geistes- lehre, auf ein tSnendes Wort, Über dessen Bedeutung sich die Gelehrten nicht einigen kSnnen wie es denn Ober- haupt rftilich wäre, in den Wissenschaften keine Begriffe

*) Ich meine das so : solange man von Yoratellungen redft und p8ychologi.«cVi#> Fa^boii'^i^T-nckt.» gebraucht, solange ist es auch ein Ich, dm apperzipiert; lässt man aber die Psychologie und das Ich bei- seite, redet man pbjuologiscii von Bewegung, so darf man nifht an VoxstollmigMi denken.

XMtfen«r, Bdtiif» n «in« XUtlk dar SpndM. m. SS

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Sd6

m. Dm ürtaiL

anzuwenden, über deren Definition nicht aUe Welt imd afle

Sprachen einig sind.

Ich kannte die Apperzeption definieren ala: die An- wendung des persönlichen Wortschatzes auf ein sich der Wahrnehmunpf aufdrängendes Ding. Dabei wäre die aktive Seite der Wirklichkeitswelt (durch das „Aufdrängen") ge- wahrt und zugleich erklärt, warum der Kenner bei der Apperzeption so ungleich mehr erblickt als der Laie ; denn es i«t kfiTip Frage, dass der Pferdekenner an einem vorbei- galoppiereuden Pferde mehr Besonderheiten wahrnimmt, als ein Laie nach wochenlangem Besitz; ähnlich der Kosen- zUchter au einer liose. Vor allem !il)pr hätto meine Definition das Gute, dass sie auf die Bedtuiung des Wort- schatzes hinweist, der doch nichts weiter ist, als die Sprach- form der Vorsieiiungsmasse, zu welcher der neue Eindruck durch die Apperzeption hinzutritt. Auch der Unterschied zwischen Kennern und Laien ist eigentlich nur ein Sprach- unterschied. Die genaue Kenntni-^ des Pferdes ist ohne eine Menge sportlicher Begriffe oder Worte nicht möglich und umgekehrt. Wer die Ausdrücke sinnlos gebraucht, um zu flunkern, zu dessen Sprache gehören sie eben noch nieht. Man erkennt den Sportsman, wie jeden Gewerbamann, an seiner Sprache.

Trotz dieser VoraQge föllt es mir nicht ein, meine De^ finition ▼orauschlagen. Man soll eben lieber gar nicht de^ finieren, wenn der Begriff nicht gemeinsam ist. Die Apper- xeption aber ist, wenn meine ErUimng zutrifft, nichts weiter als ein hilfloser Ausdruck f&r das Nichtwinein: wie wftehst die Sprache, der Sprachschats eines einseinen Menschen? Und da wir die mikroskopischen Vorginge bei der Nah- rungsaufnahme einer Pflanze nicht kennen, so kdnnttti wir ebenso gut das Ereignis, dass ein MolekQl oder Atom sich mit einem Pflanzenindividuum Terbindet, so könnten wir diese Form der Gravitation, diese Bewegung auch eine Apperzeption der Pflanze nennen.

Und so ist der ganze Fortschritt der Wissenschaften die Summe der sogenannten Apperzeptionen, das hdsst das

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a priori.

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nnsclidiibare Waduen des SpnelucliatBeB. Das Kind sagt eines Tages: «Aha, so ein Ding mit einer Platte und Tier Beinen nennen sie einen Tisch, auch wenn die Platte rund ist, trotsdem icli Vislier nur viereckige Tische gesdien habe/ Ganz richtig; aber, am bei Steinthak Beispiel su bleiben, die Wissenschaft macht es auch nicht anders, höchstens schlechter. Sie sagt: «Ick werde untersuchen, ob ein runder Dingsda auch ein Tisch ist, ob er auch ein Tisch heissen darf/ Darf? Hier liegt wieder einmal der wich-- ttge Punkt, die üebcrschftteung der Spra lie. Die Wissen- schaft wird künftig fragen mQssen, wie die Kinder fragen: ob das runde Ding auch ein Tisch noch heisse und warum. Das Dürfen muss aus der Sprache der Naturwissenschaft verschwinden wie das Sollen aus der Aesthetik und aus der Logik. Beide Hilfsworte sind Zuchthauq'argon der £thik.

Die Psychologie unterschied früher zwischen Perzeptioii und Apperzeption, wie sie noch heute zwischen Bewusstaein und Selhstbowusstsein zu unterscheiden sucht. Da war Per- zeption etwas, was ungefähr von den Sinnesorganen allein geleistet wurde, während zur Apperzeption die , Seele** nötig war. Alle n»Mieren Bemühungen, die Perz» pti m als irgend eine unklarere Ajii erzeption zu erklären, sind selbst nur Unklarheiten. Perzeption ist ein Wort, das seihst abge- stcu ben ist und vorläuiig im Seitentrieb Apperzeption weiter wuchert.

*

Es ist schon gesagt worden, dass a priori und a posteriori » priori. (Uder wie man sonst den Gegensatz zwischen Geistes wissen und Sinnenwissen bezeichnen will) nur Abstraktionen sind, welche in ihrer Ahgetrenntheit wirklich gar nicht vorkommen. Man hat aber wohl kaum bemerkt, dass diese beiden Wege alltäglich und immer beschritten werden, ja dass eigentlich jeder Begriff, jedes Wort nichte ist, ab der Tref^unkt dieser beiden Wege, der Kreusweg zwischoi dem schmalen Sinnes- ehidmck, der von aussen nach dem Gehirn geht, und der

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m. Du Urteü.

See!«, das heM dem Ivdten OedielitBisM, das ihn irgendwo aufiiimmt.

Ohne dieses Innehalieii am Kreuzweg wOrde der ein- fachste Begriff nieht durdi ,Yor* urteil zu stände kommen kQnnen. Da tritt ein Sinneseindruck in die Seele: ein Hund. Es wQrde hei dem unklaren Bilde hleiben, das a posteriori wie ein Traum an dem engen Guckloch des sogenannten Bewusstseins TorQbensieht, wenn dieses sogenannte Bewusst- sein nicht eben das Gedftchtnis selber wäre, das lebendige a priori, welches darauf lauert, Ton seinem Ghickloch aus den Sinneseindruck su treffen, einzuheimsen. Oder rielmehr, das Gedächtnis sitst wie ein Ameisenlöwe in der Grube und lauert auf Beute. Für jede Art von Eindruck hat es ge- Wissermassen Rinnen nach seiner Grube, seinem a piiori, gezogen, welche immer flOr eine bestimmte Gattung be- stimmt sind. Kommt nun so ein Eindruck in das Gfebiet seiner Rinne, muss er eben obne Gnade hinunterrutschen und füllt in den Begriff. Der Beginn dieser apriorischen Thätigkeit ist das Oeheinuis , welches alle andern psychi- schen Geheimnisse in sich ^^chliesst. Warum hat man sich daran gewöhnt, auf Aehnlichkeiten, auf Anali^en «herein zu fallen"? E^^ wird wohl auf Interesse, insbesondere auf das Interes«!e der Bequemlichkeit hinauslaufen.

Auf dem Gebiete der liöchsten Begriffe arbeiten a priori und a posteriori nicht andf^rs ineinander; ja die Kreuzung ist sogar, weil wir es mit gelehrten Begriffen zu thun haben, leichter zu verfolgen. So ist es z. B. durchaus nicht rein a posteriori, wenn eines schönen Tages, nach mehrtausend- jährigen Vorarbeiten, die Ellipse als Plaueteubahn entdeckt wird. Sie wird eben nicht ]>U)»s entdeckt, sondern zuerst erfunden. Wir freilich, die wir das in der Schule gelernt haben , halten den Fund fflr eine Entdeckung, also für aposteriorisch. Aber selbst Kolumbu-. inusste zuerst a priori, erfinderisch, sich den Seeweg nach Westen ausdenken, bevor er auf diesem Wege Amerika entdecken konnte. So sah auch Kepler die merkwürdigen Gleichungen der Planeten- hahnen so lange mit Erfinderaugen an, prüfte so lange alle

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Urteil und a priori.

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Möglichkeiten, bis er a priori auf die Ellipse fiel, die er dann aposteriorisch nachwies. Nach dieser Thafc wurde der Begriff Ellipse um den Teilumfang ^Planetenbahn" reicher, der Bcjrriff Planet um den Teilinhalt Ellipse.

Man iiius:,u .1 priori „von innen", a posteriori ,vou aussen" übersetzen. Aber viel wird damit freilich nicht ge- schehen.

Der tiefste Sitz des a priori muss da sein, wo wir unsere Sinnesempfindungen In Wabmehmungw Terwaa- deln, die wir dann nach aussen „projizieren*. Ohne diese aprioristisdie Thätigkeit könnten wir ebenso wenig sehen oder hdren wie eine Statue. Da nun die Tiere sehen und hSren, müssen sie eben dieses »Organ der I^ulosophie' aucb besitsen. HStten sie also auch keine Sprache, so Uttten sie doch das Hdhere, dos a priori«

£s ist eine feine Bemerkung StemthsJs (Abr. d. Sprach- Urten Wissenschaft I, 14), dass jeder Denkakt die Eombinierung ^ p^^^i eines apriorischen und eines aposteriorischen Moments sei, dass das Subjekt (des Urteils) das aposteriorische, das Fifk' 4ikat das apriorische Moment sei, und dass darum unser Denken sich in der Form des TJrteib bewege. Eine feine Bemerkung für jemand, der in der Sprache immer noch das Werkzeug der Erkenntnis sah. Sonst hätte er nodi den weitem, vielleicht letzten Schritt machen müssen, zu sagen: das Urteil ist die sprachliche Form des Denkens, das erklärende Urteil ist aber nichts als die Einreihung eines neuen Eindrucks in das Magazin des OedächtnisBes, es ist also nicht seihst die Bereicherung des Denkens, sondern nur die Quittung Uber den Zuwachs, es ist also wertlos, wie da*? Denken selbst. Weil wir aber nichts andres haben, als die Quittungen, die Urteile in Worten, darum halten wir uns an sie. Unser Denken oder Sprechen ist nur die Oberrccbnnnn'skammer , die selbst keinen Pfennig besitzt.

Ich b il I' rhen das Wort gebraucht, -den weitern, viel- leicht letzten Schritt" ; es war ein recht dummes Wort, kehrt aber bei allen selbstbewussten Denkern in irgend einer Form nieder. £s ist nur natürlich, dass wir immer

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m. Dm UiteiL

vor einem Abjj^rund zu stehen glauben, wenn wir ins Finstere treten. So ein finsteres Loch ist ininirr die Zukunft. Eine Sprache ohne Zukunftsturui des Zeitworts wäre vielleicht für philosuphische Untersuchungen recht t^eeipiefc. Sie ^viirde verhindern, aus ignoramus leichtsinnig igiioiiibiimis zu machen: der „vielleicht letzte* Schritt war so eine duuime Zukuuftsioriii.

*

BeaelireW Sind wir nun ganz durchdrungen von dieser wissen- schaftlichen Resignation, von dieser kleinen kritischen Wahr- heit, dass nämlich also die allermeisten, die erklärenden Sätze fib«riittiipt nicht ttbcr di« Worte hinftualUiren kSnnen, dnss die allermeiaten enälilenden ^tze nur Bestätigungen des allgemeineo Spnehgebraudis sind, dass endUeh die grossen Fortschritte der menschlichen Erkenntnis einzig imd aUein in erzählenden Sätzen oder in Besehreibungen Ton neuen Beobachtungen der Wirhlichkat bestehen, dann werden wir wissen, wie nahe der Physiker Eirchhoff unserer Anschauung kam, als er es in einem Tiel umstrittenai Satze flu* die Aufgabe der Mechanik erklärte, «die in der Katur vor sich gehenden Bewegungen roUständig und auf die ein- fachste Weise zu beechreibeD*. Der menschlichen Erkenntnis kommt es auf die Beschreibung an, womit doch bildlich die ordentliche Beredung gemeint ist, das Fes&altett in Wortzeichen des Gedächtnisses. Der Entdecker brauchte die S})rache gar nicht, für sich selbst nicht; die andern Menschen aber hätten nichts vom Genie, wenn er seine Neuigkeit nicht mitteilen wollte und könnte. Mitteilen aber lässt sich durch feststehende Begriffe von unniittelbarer Verständlichkeit nur das Alte, nur das in den Sprachschatz schon Aufgenommene; das Neue lässt sich nur bildlich um- schreiben, lässt sich nur beschreiben.

Wir erfahren also in diesem Zusammenhange wieder, daf?s die menschliche Sprache, wie sie durch Metaphern oder liildliche Anwendungen entstanden und gewachsen ist, auch heute noch gegenüber ihren höcksteo Aufgaben

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Ftotikilue Urteile.

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immer aii£s neue zur Metapher wird. So wie die Summe UBierer ererbten Begiiffe den apriorischen Sprachschatz oder unsere Weltanschauung bildet und jede neue Beobachtung durch Aufnahme in das Gedächtnis zu einem Begriffiswandel fuhrt, so schweben natürlich unzählige alte und neue Sätse «diwttlizhafit um die Worte. Wir dürfen nicht aus den Augen Terlieren, dass all diese Bilder der Wirklichkeit sich von ihr immer weiter entfernen. Ich werde nicht müde es zu wiederholen: es verbinden sich nicht die Begriffe zu Urt-eilen, sondern die Urteile oder Sätze verbinden, klären sich Tin Begriffen oder Worten. Und wenn die sterile alte Jungler Logik darüber auch ohnmächtig werden sollte, ich muss jetzt endlich aussprechen, was ich Sirrin iit zu haben glaube und was mich zu meinem kritischen iiück blick auf die Logik getüiirt hat. Es .sind nämlich un.sere BegriflFe oder Worte allerdings aus unsern Sinneseindrticken ent- standen ; aber unsere Urteile odt r Sätze sind nicht aus Be- j^rülcii hervorgegangene höhere Gestaltungen, sie .sind viel- mehr ein Rückschritt zu den SinneseindrUckeu. Der Sinneseindruck , weiss" war dabti, uls das Wort „Schnee* gebildet wurde ; sagt dann eine der bewunderten entwickelten Sprachen den Satz „der Schnee ist weiss", so kehrt sie zum Sinneseindruck zurück , entweder um ihn zwecklos zu be- sehwalsen oder um, nun im Beeitee des Dingworts, die Auf* merksMukeit «af den Sinneaeindmck zu lenken* Das 0e- sckw&te, des erklärende Urteil, geht Tom Wort aus, vom Inhalt des Begrifis, die Beobachtung, das endkUende Urteil, geht yom Umfang des Begriffes aus, also Ton einer Stelle, die der Wirklichkeit nKher liegt.

Hier sehen wir noch deutlicher als froher (HL 178 f.)f Pwti- dass die Terschiedenen logischen Einteilungen der Urteile nur sprachlicher Art sind und die Erkenntnis der Wirk- lichkeit nicht fördern kOnnen. Dsa Urtttl geht vom Be- grüTe aus psychologisdi nach rackwftrts. Nur die Richtung der Aufmerksamkeit gibt den Einteihuigsgrund nach Modslitftt und Relation, nach Quslitftt und Quantitfti. Wie «s in der Welt der Wirklichkeiten keine Bejahung und

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IIL Du Urtoü.

Verneinung, keine Möglichkeit und Gewissheit gibt, son- dern nur eben Wirkliches, dessen wir bejahend gewiss sind, so gibt es in der Natur auch keine allgemeinen und keine partikularen Sätze. Die Sache litu;t genau so, dass wir ein allgeiueaios Urteil bilden, wenn wir von einem BegiifF nach einem seiner Merkmale schielen , wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Teil seines Inhalts lenken, z. B. ,Älle Hunde sind oder heissen Säugetiere" ; Uass wir da- gegen partikulare Urteile bilden, wenn wir vom Hegriß' nach einem Teil seines Umfangs schielen z. B. , Einige Säugethiere sind oder heissen Hunde". Ich kann nicht finden, dass unser Denken mit solchen Öatzbildungeu er- hebhch vorwärts schreitet.

Ich brauche Leaer TOn besserem SpracbgefiÜil nur darauf auimerksam in machen, Aus die flblkdie Vcam des parti- kularen UrteUs (einige Asind B) der naUIrlioben Sprache Gewalt anihut. Der Sprachgebrauch wQrde die Form Ter- langen «die Hunde sind eine Art (resp. eine Familie n. s. w.) der Säugetiere*. Die Logik aber braucht ihre unnatfflrliche Form, um innerhalb der oft unnatürlichen Naturklassifika- tionen ihre Spielerden treibeo zu können. Han sieht es am besten an der seit Linn^ ablichen Klassifikation des Pflanzen- reichs, wie willkflrlich die artbildenden Merkmale oder Unter- schiede sind. Für unsere Sprachkritik ist es lehrreich, dass die Yeisttdie eines Pflanzensystems sich immer wieder mit der Aufstellung einer geordneten Nomenklatur begnügen. Han teilt die Pflanzen nicht mehr nach ihrem Nutzen für Apo* theke und Haushalt ein, aber immer noch nach der Anzahl u. s. w. ihrer Geschlechtsorgane. Man hält immer noch den Satz ^einige Blumen haben fünf Staubfäden* für ein nützliches partikulares Urteil, ebenso den Satz «einige Pflanzen sind Arzeneien". Weil aber eine Haupteinteilung der Pflanzen nach der Farbe ihrer Blüten niemals A-ersucht worden ist, hat der Satz »einige Blumen sind blau" keine Beziehung zu einem artbildenden Merkmal und ist doch logisch ebenso gut wie die beiden andern Sätze. Ja, er muss in unsem Augen eher noch wertToUer sein, weil er

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UnpenOnlidift SUie.

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nicht aus dem Begriff allein hervorgeht, sondern eine neue Beobnclitun^ hinzufügt. Die Beobachtung der Blunient'arbo ist zuliillig oder vorläufig gleichgültig. Wir wissen mit der Farbe der Blume nichts anzufangen, s^en wir, das heisst wir habpn meist keine Veranbissung gehabt, nach der Farbe der BlunifO rjeue Arten oder Worte zu bilden. Aui" anderen Gebieten war es anders. Man hat z. B. die Menschen ur- sprünglich nach ilirer Farbe in Hassen geteilt und erst nach- träglich erfahren, dasä sich anatomische und spruchliche Verschiedenheiten vielfach mit den Farben decken.

Worauf ich hinaus will, das ist die Bemerkung, dass das partikulare Urteil je nachdem „einige" eine Art aus- macheu oder nicht zwei gründlich verschiedene Sätze umfasst. Wir können den Satz « einige Säugetiere sind Hunde' nur in der Form brauchen «der Hund ist eine Säugetier-Art" ; in diese Form können wir den Satz »einige Blumen sind blau* nidit bringen, weil Blftae für ,die Blumen* kein artbildendes Merkmal ist. Aber nur in diesen werÜoaesten Fällen kennt die natOrUdie Sprache ein parfci- kolares Urteil, nur da gebraucht sie das Wort »einige*. Wir werden bei der Lehre von der Scblussfolgerung ▼ieUeicbt sehen, welchen TJnfiig die Logik mit der Aufsteüung yon partikularen Urteilen getrieben hat

Doch carOck au dem YerhSltnisse von Urteil und Begriff. Diese f&r midi nicht humorlose Entdeckung, dass das Ur- teil oder der Satz eigentlich ein Rückschritt Tom Begriff zum Sinneseindruck ist, möchte ich noch belegen durch eine Satzform, welche nnswn Grammatikern und Logikern seit vielen Jahrai unnötige Kopfschmerzen gemacht hat» Ich meine den unpersönlichen Satz, z. B. es donnert, es blitzt, es stinkt. Unsere Sprache ist so sehr an die Kate* gorieen von Nomen und Verbum, von Subjekt und Prädikat gewöhnt, dass sie den einfachsten Sinneseindruck gar nicht mehr anders, als durch einen vollständigen Satz beschreiben kann. Die alten Sprachen (soweit wir von ihnen wissen) begnügten sich noch mit der symbolischen Yerbalendung^ die auf ein unbekanntes und unausgesprochenes Subjekt

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III. Dm 0rteiL

hinwies; die neuern Sprachen sind noch schablonenhafter geworden und müssen das sogenannte unpersönliche Für- wort ,68" anwenden. Olet, es stinkt. Wir dürfen wohl glauben, diiss in Urzeiten dieser einlache Sinneseindruck noch ohne Verbalendung ausgedrückt wurde , so wie auch heute noch eine Interjektion (z. B. pfui Teufel) oder eine Geste unter Umständen genügt. Immer ist es eane schablonen- hvft« Nachahmang miime Sateformen, wenn so der ein- faebsle SiniieBdiiidnielc dureli Stibj^ und angepasstes Prft^ dikat besehrieben, breitgetieton wird. Dasa aber so ein unpersönlicher Sata einen einfachen Sinneseindrudc in meh* reren Worten beBcbreibt» ist nur deutlidier ah der ftlmliche Charakter anderer Sfttae. Audi der Sata «der Schnee ist weiss* will die Aufmerksamkeit nur auf die Empfindung „weiss* lenken; und wenn das Ding, das diese Empfindung erregt, entweder selbstrerstftndlich oder unbekannt ist, dann wird der Sprecher wohl auch kun sagen »es ist wdss* oder ,da ist etwas Weisses*.

Auch hier möchte ich herrorheben, dass die mensch- liche Sprache als Umgangssprache der wissoisdiafllichen Erkenntnis mitunter um Jahrhunderte nachhinkt. Wer a. B. in einem Pferdebahnwagen den Erreger oder die Art eines Missgeruchs noch nicht erkannt hat, der darf wohl den unpersönlichen Satz bilden „es stinkt"*; hat er aber einen alten Käse ab Ui-sache seiner Empfindung erkannt, so wird er gewiss entweder das erzählende Urteil bilden «Hier stinkt ein alter Käse" oder gar sich zu dem wissenschafÜichen, erklärenden Urteil erheben: »alter Käse stinkt".

Auf diesen Typus lassen sich alle unpersönlichen Sätze

zurOckfliliren. Es sind elektrisch geladene Wolken, die blitzen und 'lonneru; aber die Uingungssj)ra( he hat sich immer noch nicht <laran gewöhnt, elektrische Wolken eben.so wie alten Käse zum Subjekt eines Verbnms zu machen. Die Umgangssprache steht unter dem Krin jui^ationszwang; aher auch die Urteile der wis.senschat'tlichen Sprache würden ihr logisches Zurückbleiben hinter den Begriften deutlicher Ter-

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Koiwlaiis de« Urteils.

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raten, stünden wir nicht unter dem allgemeinen g^rammati- schen Zwang, der denn auch den Satz höher stellt als das Wort.

*

Die Schullogik verlangt von ein* lu «.rosundeu Urteil oder KaotUns Satze, dass es oder er «gewiss, unveränderlicii sei, dass mein S( :ll>stbewusstsein mich versichere, ich, der Herr Ich, werde nifiuiils Hilders urteilen. Ueber den Hinweis auf die Iden- tität meines Ich kommt die Logik nicht hinaus und Sigvirart setzt die Identität des Ich sogar »vor alle Notwendigkeit*, wobei sich sein Ich wahrscheinlich etwas denkt.

Es gibt aber weder eine absolute Identität der Objekte, noch eine des Ich's. Ich war vielleicht vor zwanzig Jahren leichtsinnig uiid bin jetzt geizig. Ich war vielleicht . . . Doch wozu das Bekannte wiederholen. Vor zwanzig Jahren war mir der Satz: «Ich spreche hier von Beriin mOndUch mit memem Bmder.in Wien* da war mir dieser Satz em immdglichea Urteil. Jetzt ist er alltttgliehe Wahrheit. £z braucht sich aber nicht um so krasse Fftlle zu handehi. Unaufhörlich wechseln die Objekte Oire Eigenschaften, un- anfhörlidi wechseln meine Begriffe ihren Umfang und damit leise fliessend ihren Inhalt. Während ich den Satz aus- spreche oder denke oder hOre: .Metell ist schwer*, fällt mir ein, dass unter „Uetall* heute weit mehr Elemente Ter* standen werden, ab zu meiner Schulzeit, daes «schwer* ein relativer Begriff ut und dass einzelne HetsUe leichter sind als Wasser, und wie mir das einfällt, zum erstenmale viel- leicht ins BewuBstaein fällt, wird eben durch das Denken und im Denken dieses Satzes die Ffllle meines Bewnsst- seins vergrössert, mein Ich verändert, und der den Satz zu Ende spricht, ist ein anderer, als der ihn angefangen.

Wer die unveränderliche Giltigkeit der Urteile für unser Denken strikte verlangt« der kann freilich nicht behaupten, dies er denke. Denn er muss ja zugeben, dass alle Ge- wissheit, und gerade die Dauer jedes Satzes am sprachlichen Ausdruck halte. Unsere Worte aber sind in ihrem Sinne

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m. Das UrteiL

so wenip konstant, dass wir deutsche Schriften aus dem 15. JalirLundert ohne Unterricht kaum mehr verstehen können. Bekannt ist, dass viele Worte sich in „verwandten" Sprachen, mitunter auch in einer und derselben Sprache in ihren Gegensinn verkehrt haben (kalt caldo), was etwas Andres ist als der »Gegensiiui der Urworte". Selbst ein emzeln^r Meniek bum das FlieMeii der Wortibedentungen bei Lebzeiten beobachten. Da ist so wenig Konstanz wie in den Objekten selbst and wir können froh sein, wenn wir aU schlechte BdiOtzen so ungefähr die Sache treffen, wenn wir ä'peu-prte irgendwo tappend mit den Fingerspitzen auf das Gesuchte stossen* Ein konstantes Wort für einen konstanten Begriff gibt es so wenig wie eine mathematiscfae Idnie.

Ueber das Urteil, wie vorher Aber den Begriff und nachher aber den Schluss, wftre anstatt einiger Bemerkungen ein ganzes Buch notwendig gewesen, wenn ich den er- kenntnistheoretischen Standpunkt der Sprachkritik bitte rer- gessen wollen. Mir muss es genfigen, an einzelnen Eigen- heiten der Begriffsfunktion dargethan zu haben, dass das Urteil aus der logischen Disziplin auszuscheiden hat, wie das für den Be^:ritf schon von Schuppe (Logik S. 123) ge- sagt worden ist. Das lebendige Urteilen ist fremd in der toten Logik. Eine sprachlich und logisch brauchbare De- finition des Begriffs „Urteil* ist so wenig zu finden, ab das lebendige Denken sich vom Sprechen abgrenzen lässt. Wo- möglich noch unfruchtbarer waren und mussten sein alle Versuche, Reg^riff und Urteil logisch sauber voneinander zu scheiden. Der Begriff ist früher da als das Urteil, wenig- stens in dem Sinne , wie im Schulunterricht und beim Schwätzen das Wort früher ist als der Satz. Aber wie bei der Sprachentstehung sicherlich der Satz seiner Analy st in Worten vorausging, so kann kein Begriff entstand« n sein, wenn er nicht als Niederschlag von Urteilen eut^itand. Ich möchte das jetzt so ausdrücken: das Urteil besteht sprach- lich aus Begriffen, der Begriff entsteht psychologisch aus

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Sollen im Urteil.

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ürieüen. NatOrlich wechseln in diesem Satee Begriff und Urteil je nach dem allgemein psychologiadien und nach dem beaondera spraehliehen Gesichtspunkte sofort ihre Bedeutimg. Und die ünsegbarkeit des Gedankeiis steigert sich noch, wenn wir uns darauf besinnen, dass es eine psychologische Wissenschaft anderswie als in Sprache nicht gibt, dass eben »psychologisch* kaum etwas Anderes ausdrQclcen konnte als eine Beziehung zum lebendigen thatsSchlichen Denken, SU der psychischen Thfttigkeit des Denkens. FreQich hat ein seltsamer Reformator der Logik beklagt, dass die Schul- logik sich «nur mit dem ihatsSchlichen Denken* befesse; ich meme aber, das nicht thatsachliche Denken gehöre weder sur materiellen noch sur psychischen Welt

Die Undefinierbarkeit des Urteilsbegriflb hat nicht erst soiiea in den letzten Jahrzehnten dazu gef&hrt, aua dem Urteil einen besonderen Akt des Beurteflens herauszudestillieren. der als Bejahung oder Anerkennung wieder aus der L<^k herausfallt, weil Wahrheit ein unlogischer Begriff ist. Schon Occam liast d^ gesprochenen Urteile ein Mentalurteil vor- ausgehe!! , welches nullius idiomatis est. Dann findet sich schon bei Spinoza die Behauptung, dass ein Urteil mit jeder Wahrnehmung Terbunden sei, was Helvetius zu der Phrase vergröbert: Juger est sentir. Und Hume sieht in der Energie der Wahrnehmung, und wohl darum im Glauben, the first act of the judgraent.

Sowie wir ahnr don Zweck aller Log'ik, die Beziehunq^ zur Wahrheit, an den Urteilsbej^riff heran iu ingen, wird das Urteil nnrh ]iroblematischer. Lot^ik wird zu einer ethischen Wi?;55enschaft, die ein Sollen vorschreibt. Ein Sollen ^'ibt es aber nicht in der Wirklichkeltswelt, sondern nur im Ur- teilen oder im Sprechen. Die sprachlosen Kreaturen sollen nichts. In der Welt des Besitzes steht dem Haben ein Soll gegenüber. In der interesselosen Welt des Seins steht dem Sein kein Sollen gegenüber. Nur weil wir etwas wie ein Sollen in unsere Urteile hineinlegen, darum ist das Gef'Uhl der Erwartung, die Zuversicht auf die Wahrheit, so oft mit der Thätigkeit des Urteilens yerbunden. Und weil somit

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IV. IM« Denkgeietee.

das Urteil sich immer mehr von der Logik entfernt, je ge* nauer man es betrachtet, darum bat Schopenhauer doppelt recht mit seinem Worte: sSchlieseen ist leicht, urteilen schwer." Schwer ist aber nur das Urteilen vor dem Be- ^riü'; das Urteilen aus dem Begriff ist so leicht wie Schliessen.

IT. IMe DenkgesetM.

Orond. Eine Mutter wurde von einem vierjährigen Mädchen gefragt, warum sie weine, ,Tch habe Grund," antwortete sie und glaubte wahrscheinlich etwas zu sagen. Also glaubt*» auch das Kind etwas zu hören und wusste von der Zeit an, , Grund" sei etwas Sehnierzhaftes, etwas wie eine Krankheit. Und noch jahrelang, wenn die Mutter ein betrübtes Gesicht machte, fragte das gute Kind: ,TTa^t du wieder Grund?"

Die Abstrakta unserer Sprache sehen litM.in kindlichen Grunde zum Verwechseln ähnlich. Ich habe Kiieurnatismus, ich habe Reue, ich habe Leibweh, ich habe Kummer, ich habe Glauben und alle ähnlichen Wendungen enthalten irgendwo versteckt die liebe Dummheit: „Ich habe Grund".

Der Glaube der Logiker, der ein wenig auch der Glaube aller sprachfrohen Menschen ist, dass nämlich den Schluss- folgerungen der Logik, das hcisst den aus Begrüfen oder Worten abgeleiteten Sätzen notwendige Wahrheit eingeräumt werden müsse, dass die Folge sich zu ihrem Grunde (raison) ebenso Terhalte wie in der WirUkhkeitswelt die Wirkung zu ihrer Ursache (cause), dieser Glaube zwingt mich zu dem Versuche, diesen dunklen Punkt aufzuhellen, beiror ich zur Kritik der logischen Schlussfolgerungen fortschreite.

Die Frage geht auf das Verhältnis zwischen Folge (cons^quence) und Wirkung (effet). Da diese beiden Be- griffe zu den mythologischen gehdren, so wfire es fttr ans vielleicht möglich und sicherlich bequem, sie beide über Bord zu weifen« Da Ursache und Wirkung aber die Grund- begriffe unserer Welterkenntnis ausmachen, Grund und Folge

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AUwissenheit.

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wiederum die Orandbegriffe aller wissenschftftEelien Syste- matik, so werden wir die Mtthe nicht scheuen, die an* n&henide Bedeutang dieser Metaphern aufzusuchen und ihr Yerhältnis zu einander zu bestimmen. Denn auch Uoase Figuren, unwirkliche IKnge, kOnnen ein Verhältnis zu ein- ander haben.

Ich glaube meinen Oedanken am besten Tersinnlichen zu kdnnen, wenn ich in einer ungeheuerlichen Phantasie (die aber als Vorstellnng von Gott ganz alltiglich und ge- mdn ist) ein Wesen annehme, das mit Allwissenheit aus- gestattet das 6r<jsste und Kleinate der Wirklichkeit genau kennt und diese unendliche Kenntnis auch gegenwärtig hat Ich lasse dabei dahingesteUt, ob man diese Allwissenheit noch Wissen nennen kdnnte, ob diese Allwissenheit nicht yielnielir, da sie neben dem unendlich Tiden »Einzelnen die Allgemeinbegriffe gar nicht brauchen kOnnte, eher die «Wirk- lichkeit* selber wäre. FUr dieses allwissende Wesen nun wftre, wie mir scheint, zwischen Wirkung und Zeitfolge ganz und gar kein Unterschied. Wäre ich z. B. dieses all- wissende Wesen, so würde fUr mich Wirkung und Zeit- folge in dem einen Begriff der Notwendigkeit zusammen- fliessen. Hätte ich z. B. in diesem Augenblicke alle Luft- und Windverhältnisse der ganzen Erde, dazu alle Wärme- und Feuchtigkeitsverhiiltnisse und alle Höhenunterschiede, so hätte ich auch alle meteorologischen Erscheinungen des nächsten Augenblicks als Notwendigkeit gegenwärtig und wüsste uicht zu sagen, ob der zweite Augenblick aus dem ersten als Zeitfolge oder als Wirkung hervorgehe. Hätte ich in diesem Augenblick das Weltganze vollkommen gegenwärtig, das heisst noch vielmehr ins Einzelne gegenwärtig als der Natur- forscher etwa ein tierisches Gewebe unter der tausendfachen Vergrösserung seines Mikroskopes sieht, dürfte ich in diesem Augenblicke das Weltganze noch unendlich genauer Über- schauen, das .Jagen und Wirbeln der Sonne, der Planeten und der Meteorsteine, das Glühen und Brodeln im Innern der Erde, das Schrumpfen und Stossen der Erdrinde, das Haschen und Fliehen ihrer chemischen Elemente, das Drangen

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IT. Die DMtkgeictse.

und Wetehen ihrer Atome, das Peitschen und Blitzen und Donnern ihrer elektrischen Bewegungen, das Werden und Sterben des Lebendigen und dazu die ererbten und gewohn- ten Gleise aller Gehirne: wahrhaftig, mir wäre der Welt- zustand des nächsten Augenblicks nicht weniger gewiss und nicht anders gewiss, als mir die nächste Sekunde in der Zeitfolge gewiss ist.

Aus solchen Phantasien heraus mögen so grosse Denker irie Hume und Kant zu ihren grossen Irrtümern gekommen sein; Hume glaubte alle Wirkung auf Zeitfolge zurUckftlhren zu können, Kant doch wohl alle Zeitfolge auf Wirkung; uns bestärkt die vorgebrachte Phantasie in der Resignation, weder das Wesen der Wirkung, noch das der Zeitfolge zu kennen und nur zu ahnen . dass sie zwei menschliche Worte für dieselbe übemienfü Iii irln- Thatsache sind. Vielleicht ist der Weltzustand de-, Augenblicks der Raum, und die Aenderung, die der Weltzustand des nächsten Augenblicks keisst. nur die Bewegung des Raums in der vierten Dimension, der Zeit. Und vielleicht ist diese tiefsinnige Betraclitung nur eine Reihe klingender Worte, und es wäre wertvoller, ein Weizeukorn zu düngen, als solche Betrachtungen anzusteUen.

Eines aber kiMii die Skepsis nicht überschreien, die Entdeckung nuiulicl], dass in dieser undurchbrechlichen Kette der Notwendigkeit, mag sie nun Wirkung oder Zeitfolge heissen, weder die menschliche Sprache, noch die Erschei- nung einer logischen Folge irgend welchen Platz habe. Bfan musB es sich so Idar wie möglich madien, dass jene phantastische Allwissenheit aOe Dinge zugleich wflsste, also unmöglich daneben noch Begriffe oder Worte Ton ihnen habMi könnte, dass jene Allwissenheit ebenso alle Aende- rungen und Bewegungen zugleich wQsste, also unmöglich daneben noch ihre hübschoi Klassifikationen besitzen könnte, die sogenannten Naturgesetze. Die Allwissenheit hätte also weder Sprache noch Wissenschaft; natOrlich, sie wäre ja die stille Natur selbst. Die Allwissenheit besisse Not- wendigkeit; Oeeetzmäss^keit wflsste sie nicht, weil Ge- setzmässigkeit im All nicht ist.

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Satz vom lirunde.

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Wenn nun ein allwissende Wesen nrisclien den Polen der Welt keine andere Notwendigkeit finde, als die der Wirkung «oder der Zeitfolge, so mttssen wir uns verlegen weiter fragen, was es mit der logischen Scblnssfolge auf sieh habe, der die Leute ebenfalls den Charakter der Not- wendigkeit beilegen.

Man nennt dep Begriff der Notwendigkeit gern noch sats heute seholastbch den Satz yom Grunde oder nodi schul- ^^^^ meisterlicher: den Sata vom aureichenden Gründe. Ueber die Formulierung dieses Satxes ist man nicht einig ge» worden, obwohl Aber seinen Sinn (soweit er das Veihiltnis von Ursache und Wirkung betrifit) kaum ein ernstlicher Zweifel besteht. In seiner weitesten Faming („Nichts ist ohne einen Grund, warum es sei*) erinnert midi der Satz vom zureichenden Grunde lebhaft fin die unfreiwillige Komik Ton Kants oberstem Moralprimüp. Wie da die feierliche Tautologie ^Erwähle dir aum obersten Grundsatz, was oberster Grundsatz zu sein verdient* in verblüffende Form gebracht ist, so antwortet der Satz vom zureichenden Grunde auf die Frage: „Wurum fragen wir immer warum?* mit der billigen Weisheit: „Weil wir immer warum fragen müssen". Hier wie dort ist die Notwendigkeit in rinpm „Sollon" versteckt. Beachten wir freilich, dass der alige- memste Ausdruck filr wirkliches Geschehen etwa der Begriff , Veränderung'' ist, so wird der Satz «Keine Veränderung geschiebt ohne Grund" auf die Selbstverständlichkeit hin- auslaufen, als die wir das sogenannte Gesetz der Träg- heit erkennen müssen. Und verlangen wir gar für jede Aenderung einen gleichwertigen, einen zureichenden Grund, so stehen wir vor einer neuen Fassung derjenigen Formu- lierung der Tiagheit, die seit 50 Jahren die Erhaltun^'^ der Energie genannt wird. Der Satz vom zureichenden Grunde des Geschehens ist also die sprachliche Auseiuanderbreitung des Begri£b Ursache.

Dabei ist es durchaus nicht gleichgiltig, dass wir uns diasoD Begriff vwatellen und die Selbstverslftndliohkeit auch aussprechen. Er ist Ja eigentlich eine Negation des

lI«Btbii«r. Bflltcigex« dmer IbitUidw SprMlia. UI. 88

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IV. Die DenkgeieUe.

alten Damdnen- und CHItter^ und Wunderglaubeiis; so koge die Henachen penönliGhe tTnaehen hinter aUem Gesehehen Buchten, so lange konnte der Natnrlanf weil willktlr- Uchen Einflössen ausgesetst nicht notwendig, nicht be- rechenbar sein. Der Satz Tom inreidienden Grunde des Geschehens lehrt also, im Gegensatse zu allem Fetischismus, dass es in der Natur natOrEch zugehe.

Man hat sich aber seit jeher nicht damit begnflgen wollen, den Satz Tom zureichenden Grunde auf das Ge- schehen sllsin, auf Ursache und Wirkung allein anzuwenden. Sdu>n im IGttelalter unterschied man allerlei Arten TOn ürsachen oder Gründen ; und nicht einmal die sinnwidrigste dieser Arten, die Zweckursachen (causes finales) sind ganz aus dem Sprachgebrauch der Philosophen Terschwunden. Anderseits ist es noch nicht gar so lange her, dass zwei 60 ungleiche Begriffe wie Ursache (Is cause d'un effet) und Grund oder Erkenntnisgrund (1& raison d'un jugement) nicht mehr miteinander verwechselt werden. Diese Verwechselung von Wirkungsursache (z. B. das Quecksilber steigt, weil die Luft warm ist) und dem sogenannten Erkenninisgrunde (z. B. ich weiss die Luft warm, weil das Quecksilber steigt) würde heute kfitiem Schuljungen mehr vei-ziehen werden; a^>er nicht nur Ari'^toteles warf die beiden Begriffe durch- einander, sondern auch noch bei Spinoza ist der Sprach- gebrauch und das Denken nicht klar, und erst Leibniz er- findet das Wort raison süffisante für Thatsachen sowohl als fUr Urteile. Wir wt rdun holientlich bald erfahren, warum die guten Köpfe von Aristoteles bis Spinoza die reale Ur- sache mit dem Erkenntnisgnmd verwechseln konnten. Vor- her müssen wir uns kurz umsehen, ob die immer noch beliebte Einteilung der Gründe (oder der ürsachen) in ver- schiedene Arten einen rechten Sinn gebe; es ist uns dabei gleich bedenklich, da.ss die Sprache (wie häutig in solchen Fällen) die verschiedenen Begriffe, weil sie sie nicht deut- lich auseinander zu halten vermag, miteinander verbindet, als ob sie einander eri^Lnzten. Spinoza sogar sagt cauM siTe ratio, und m den neueren Sprachen ist die Zusammen*

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Sohopenlutver.

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Stellung cause et raison, Grund und Ursache, häufij? ge- worden , als ol) diese Begriffe sirh miteinander vertrügen.

Die Pjiiiteiluii^^ df> zurfitlieiuleii Grundes in seine ver- 8cbop«a- meiütiichen Arten ist von keinem Denker gründlicher besoi^ taM«. worden als von Schopenhauer in seiner Doktordissertation ,Ueber die vierfache Wurzel des Safetes vom zureichenden Grunde*. Der Spott seiner Mutter, das Buch sei seinem Titel nach wohl fUr A[iotheker bestimmt, war gewiss albern, aber doch nicht ganz unverdient. Denn die vier Wurzeln sind doch nur ein bildlicher Ausdruck für eine vierfache Grundlage oder einen vierfachen Grund des Satzes vom Gniiuie, wo es denn freilick sonnenklar geworden wäre, dan SebopeduHMT selbst in diessr grundlegendou Sebrift mit dem Begriffe Grand zn spielen mobt nufbOit.

Lasse ieb alle Mystik beseite, so lebrt Schopenhauer in seiner Abbandlung, dass der Sats vom Grande oder der Begriff der Notwendigkeit sieb auf vier Klassen Ton Ob- jekten bedeben kOnne: auf die wirklieben Dinge als Sats ▼om Grunde des OeschebenSi anf nnsere Urtefle als Erkenni- nisgrund, auf matbematiscbe Verl^tnisse als Seinsgrund und auf menscUicbes WoUen oder Handelu als Grund des Handelns.

Es ist unbegreiflicb, wie gerade Schopenbauer selbst niebt batte einseben mUssen, dass seine vierte Klasse von Objekten der Notwendigkeit nur eine Unterart der realen Notwendigkeit ist, also Obeiflflssig und sogar ein arger legi* scher Fehler, weil da Gattung und Unterart durch zwei ver- meintlich koordinierte BegrifTe bezeichnet werden. Niemand bat kühner und schärfer als Schopenhauer den Gedanken ausgeführt, dass Motive auf Tiere und Menseben genau mit der gleichen Notwendigkeit wirken, wie Reize auf Pflanzen und mechanische Ursachen auf wirkliche Dinge. Und es ist gerade vom Standpunkte Schopenhauers volle Konfusion, wenn er einerseits Ursache und Wirkung in der Natur durch den innerlich beobachteten Willen zu erklären sucht, wenn er jede T^rsachf den Willon der Wirkung nennt, und wenn er dann anderseits den innerlich beobachteten Willen

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IV. Die DenkgeseUe.

als eine besondere Art von iJleii andern ürsaohen trennt, wenn er die Notwendigkeit des mmscUielien Handdlns nicht auf die aUgemdne Kotwendigkeit surOckfllhren wilL Wir mOssen einaeben, daes Schopenhauers «WiUe* nur durch einen argen Missbrauch der Sprache za solchem Doppelspiel benutaet werden konnte. Hier kam es mir nur auf den kursoi Nachweis an, dass seine vierte WutmI des Satses Tom zureichenden Grunde, das Gesetz der MotiTation, zum mindesten keine Beachtung yerdient.

Weniger scharf nachweisbar, aber ebenso schwer yer- zeihHch ist der Mtssbrauch der Sprache, mit dem Schopen- hauer ab dritte Art des Satzes vom zureichenden Grunde den Seinsgrund aufgestellt hat, worunter er mit einem Wort die mathematischen Geset.ze yersteht. Ich mache einen Augenblick Halt, um nebenbei auf die Greulichkeit des Wortes »Seinsgrund* aufmerksam zu machen. Man folge mir in den Nebel, aus dem dieses Ungeheuer heraustönt. „Grund" ist doch nur ein verdunkeltes, verschwommenes Wort für Ursache, worunter wieder eine ewig fUr Menschen unverständliche Voraussetzung unerklärlichen Geschehens ungefähr verstanden wird. Zu diesem Worte «Grund*" tritt nun der Begriff des Seins hinzu , den wir schon als das Bild vom Schatten eines Esel-^ . flen wir als eine Null kennen. Aber auch unter einer besseren Etiquette als , Seinsgrund* wäre es ein Missbrauch der Sprache, die Verhältnisse der Zeit und des Raums, wie wir sie als arithmetische und geometrische Gesetze formulieren, analog neben die Verhältnisse von Ursache und Wirkung zu stellen. So wie Geometrie z. B. in der Schule gelehrt wird, ist freilich immer eins wenigstens der Erkenntnis- grund vom andern, folgt z. B. im gleichschenkligen Drei- eck die Gleichheit der Seiten aus der Gleichheit der Winkel oder umgekehrt; folgt z. B. im Krdse die Linge der Peripherie und auch der Flichemnhalt aus dem Halb- messer oder umgekehrt Nun hat aber gerade Schopen- hauer nachgewiesen, dass die Schulbeweise nicht das Wesen dieser Baum- und Zahlenyerhiltnisse . ausmachen.

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Sdiopeiihaiier.

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dass also die Gesetee der Mathematik nicht unter die logische Notwendigkeit fiillen. So weit hat er recht und eine geniale Anregung gegeben. Es war aber grundfalsch, für die mathenianschen Geseke eine besondere Art der Not- wendigkeit zu erfinden. Man höre nur mit aufmerksamen Ohren auf die Worte und man wird sofort erkennen , dass die Beziehungen z. B. zwischen Winkeln und Seiten der Dreiecke, zwischen Kreisen und ihrem Radius in aller Welt nichts mit den Begriffen von Ursache und Wirkung zu thun haben. Nur ungewöhnliche Stiim|iflieH könnte den Halb- messer für die Uraaehe des Kreises Halten; und die Winkel sind ebensowenig UrsackeD oder Gründe der Seiten wie umgekehrt. Sdion dies, dus die BegriiFe mathematiBeher Sitte sehr hSufig (in guter Formulierang vielleicht immer) in einer Weehsdbenehung stehen, fafttte ceigen mflssoi, dass diese VerhXltnisse nichts mit Orand und Folge su thun haben, denn sonst mtlsste nachher die Folge zum Grunde ihres Grundes, die Wirkung zur Ursache ihrer Ursache werden, was doch offenbarer Unsinn ist. Wir aber wissen, dass die Yerhftltntsse von Baum und Zeit nur angeschaut oder beschrieben werden kOnnen; als notwendig kann sie die menschliche Sprache nicht fossen, kaum als Bedingungen der WiiUichkeit; es geht also nicht an, für sie eine neue Art der Notwendigkeit zu erfinden.

Nach Ausscheidung Ii« er beiden Klassen blsil^ also auch in dem tiefsinnigen Werke Schopenhauers nur noch eine Zweizahl von Notwendigkeiten Qbrig: Erstens die Not- wendigkeit des Geschehens oder die notwendige Wirkung aus einer Ursache, zweitens die Notwendigkeit des Denkens oder die notwendige Folgerung aus einem Erkenntnis- grunde. Gibt es diese zweite Notwendigkeit wirklich, ist die Folgerung etwas Neues, das aus dem Grunde zwingend hervorgeht, wie die Wirkung aus ihrer Ursache, entstehen aus Gedanken in ähnlicher Weise neue Gedanken, so wie in der Wirklichkeitswelt aus mechanischen Beweijun^^en neue Gestalten, insbesondere aus roifen Pflanzen und l'ieren neue Fflansea und Tiere entstehen; dann habe ich un-

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IV. Die Denkgesets«.

recht, dann gibt es auch Deiikgesetze, dann ist die Logik eine Wissenschaft , ja dann wäre die Sprache wirklich nur die Dienerin eines sieghaften Geistes, eines selbständigen fortschreitenden Denkern. Ich kIHmto swar auch dann noch memoi Gzundgeduik«! in die dunkl« Tiife rettoa und sagen: Auch die Kausalittt der Wirldichkeitswelt, euch die not* wendigen Wirknogeii aus Ursachen erzeugen vieUeicht nie- nials Neues, denn sie erzeugen niemals Stoif oder Energie, sondern immer nur neue Formen des Stoffs oder der Energie. Aber idi glaube diese Flucht ins UnaosspreeUiche nicht nötig zu haben, um beweisen zu können, dass der Begriff der Notwendigkeit auf den Erkenntni^Kmnd nur f&lschlich angewandt wird, dass das Verhiltnis Ton Folge und Grund mit dem YerlüUtnis tou Wirkung und Ursache gar keine Aehnlichkeit hat, die beiden Yerhftltnisse also nur sprach» widrig, das heisst unlogisch, unter einen gemeinsamen Be- griff, unter den Sats vom Grunde susammei^pefasst werden können.

In der Wirklichkeitswelt herrscht mit lachender Grau- samkeit die Kausalität oder Notwendigkeit; wir wollen damit ausdrücken, dass eine endlose Kette von der gegen- wirtigen Wirklichkeit zurUckgdit zu der Welt des Ter- gangenen Augenblicks, dann zum zweitletzten und so zurUck in eine unausdenkbare Ewigkeit, dass (anders ausgedrückt) die Gegenwart die Wirkun^f von Ursachen ist, diese wieder verursacht sind, und so endlos zurück, dass (noch anders ausgedrückt) wir bei jeder Erscheinung oder Bewesfung oder Veränderung in der Natur Warum fragen, dann wieder nach dem Warum des Warum, und dass wir ein Ende dieser Frage nicht ausdenken köunen. Wenn wir also Grund und Ursache gleichbedeutend nehmen, so hat allerdings alles auf der Welt einen Grund. KfW Sprechen wir aber von dem Grunde unserer Erkennt-

'**"ru^i'* Erkenntnisgründen, so ist der Vorgang ein ganz

ist der anderer. Nur Uildlich oder ügüriick Ii ugtu wir dann nach Begriff einem Warum , denn dann handelt es sich uns einzig uiid

Oll IT f'.n-. _ _

Wuri,. allein darum , ub unser Denken oder unsere Sprache noch

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Erkenntningrand ist dar Begriff oder daa Wort. 359

mit der Erscheinungswelt Übereinstimmt oder nicht. Unsere Sizmeseindrllcke sind es, die die Uebereinstinimung mit den Dingen selbst geben ; und wir aeimeii imswe yonlidliuige& lichtig, so lange unsere Sinne gesund sind. Das GedSchtnis unserer Sinneseindrflcke ist die Sammlung unserer Begriffe; and wir nennen unsere Begriff» in bildlicher Sprache richtig, wenn unser Qediohlnis treu war und so gesund, dsas es immer nur wirklich ähnliche YorsteUungen begrifflich xu- sammenÜMste. Unsere Erkenntnis nun aber besteht aus Ur- teilen, SU denen wir unsre Begriffe auseinanderlegen; und wenn wir an unsere Urteile den Anspruch erheben, dass sie wahr seien, das heisst mit der Wirklichkeitswelt ttb^ einstimmen, so ist ee ein recht unglückliches Bild der Sprache (wenn sie audi dieses Bild seit zweitausend Jahren ahnungs* los gebraucht), diesen Anspruch oder Wunsch eine Not- wendigk^t zu nennen. Es ist doch sonnenklar, dass die Richtigkeit der Begriffe nidits mit der Notwendigkeit su thun hfttte, selbst wenn diese Richtigkeit mehr als eine un- gefähre wäre. Die Zeichnung eines Gegenstandes Imnn richtig sein ; eine notwendige Beziehung swtschen Gegen- stand und Zeichnung besteht nicht.

Der Sprachgebrauch ist nun ängstlich genug, den Be- griff der Richtigkeit lieber auf Begriffe anzuwenden als auf Urteile; Urteile, welche mit der Wirklichkeit ungefähr tibereinstimmen , nennen wir rjern wahre Urteile, wohl deshalb, weil wir wohl die Begriße, aber nicht die Urteile, wohl die erläuternden Zeichnuntren, nicht aber das wissen- schaftliche System mit den Dingen selbst vergleichen können. Unter Richtigkeit versteheu wir die unmittelbare, unter Wahikeit die mitt4?lbare, also dunklere I t i)ereinstimmung mit der Erscheinungswelt, die wir die Wirijlichkeit nennen.

Der uralte Irrtum der Sprache oder des Denkens be- steht nun darin, der mittelbaren Wahrheit, der Ableitung von Urteilen aus Begriffen oder anderen Urteilen deshalb den Charakter der Notwendigkeit beizulegen, weil un> an der üehereinstimiiiung mit der Wirklichkeit allein gelegen ist, weil wir die Notwendigkeit der Natur nicht aus dem Auge

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IV. Die Deiütgesetse.

lassen. Die Folge der Jahreszeiten ist notwendig, unsere Erkenntnis dieser Folge ist uns nur nOtzUch.

Httte das Abldtem eioes Urteils aus emem andern je- mals zu einer neuen Erkenntnis gefukrt, so wSre an ein Verklltnis von Ursache und Wirkung zu denken; wir aber wissen, dass alles Urteilen nnd ScUiessen nur ein besonnenet Btteksduitt von den BegrüFen auf ihre SinneseindrQcke ist, dass alles Urteilen und Schliessen nur ein beschaulidies Sjuelen und Tautologieren ist, dass man Urteile aus andern Urteilen nicht im Ernste »ableitet*, wir gelangen also zu dei' sichern Ueberzeugui^, dass das abgeleitete Urteil zu seinem Begriff oder seinen Prämissen eher noch im Yer^ haitnis der Ursache als in dem der Wirkung steht, dass man das abgeleitete Urteil nicht einmal eine zeitliche Folge, geschweige denn eine Fo^fenwirkung des Begriff oder der Prämissen nennen kann. Und so ftigen wir hinzu, dass der Satz oder der Begriff, aus dem andere SStze abgeleitet werden, nur nUschlich der Ursache ivhnlich gefunden, nur f&lschlich ein Qrund, der Qnind einer Erkenntnis, genannt werden kann. Wir leugnen damit jede Möglichkeit, durch Schlussfolgerungen im Denken fortzuschreiten, wir sprechen der Logik damit jeglichen Wert ah. Walvhait. Wahrheit unserer Erkenntnis ist die Uebereinstiro-

mung unserer Urteile mit der Wirklichkeitswelt; da unsere Urteile rückschreitend bis auf unsere Sinneseindrücke zurück- führen, so ist die Wahrheit unserer Erkenntnis schliesslich auch die Uebereiustimraung unserer Vorstellungen und Sinnes- eindrücke mit der „Wirklichkeit". Nun kennen wir aber nichts weiter Ober die Sinneseindrücke hinaus; über sie hinaus wird die Wirklirhkeit zum Bintr-an-sich , tlem Un- erkennbaren, mit dem wii nichts vergleithcn. nichts in Uebereinstimmung set/i ii können. Dies führt uns wieder zu einer traurigen Ei [sieht, zu der Rechtfertigung aller Skepsis, zu der , Wahrheit" nämlich: dass selbst der hohe Bcgriflf der Wahrheit menschliches Gerede ist, dass sogar der schlichte Ausdruck ,mein Sinneseindruck ist richtig" auf die bettelarme Tautologie kmau^läuft: gMein Sinnes-

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Wahrheife.

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eindruck ist mein Sinneseindruck". Aus dieser verzweifelten Verlegenheit h»^rmis bat wohl Hegel, dessen eiserne Stirn niemals das Geständnis des Nichtwissens duldete, die Wahr- heit tiefsinnig-sinnlos als ^Uebereinstimmung mit sich selbst' erklärt. Er sagt (VI, 51): , Gewöhnlich nennen wir Wahr- heit Uebereinstiramung eines Qegenstendes mit unserer Vor- stellung ... im j)hiloso{)hischen Sinn dagegen heisst Wahr- heit überhaupt, abstrakt ausgedrückt, Uebereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst* Wie so häufig bei Hegel ist aus solchen Worten nur der Galgenhumor des Denkens Uber seine eigene Armut heramBtihflren.

Wir werden sofort nadb diesem allgememen Satee im xr. einseinen erfahren, dass Sehlussfolgerungen nur sprach- liehe AbSndemngen anderer ürtefle sind, wie wir ja schon ein wissen, dass Urteile die Begriffe nnr umgeben, wie der '^^^ Ranch das Feuer timgibt. Das Allgemeine aber wird viel- leicht schlagend deutlich werden durch das alltSglichste Beispiel. Ich habe es als das nSchste schon benfltst. Wir nennen die Sonnenwftrme die Ursache dayon, dass das Quecksilber im Thermometer steigt; wir nennen es unsem Erkenntnisgrond für unser Urteil über den Orad der Sonnen* Wirme, wenn das Quecksilber im Thermometer ste^^t. Ln ersten Falle ist dasselbe Steigen des Quecksilbers die Wir- kung oder Folge der WSrme, im zweiten Falle nennt man es ihren Erkenntnisgmnd. Nun achte man wohl auf das Folgende. Die Sonnenwärme wirkt auf das Quecksilber genau so, wie sie auf meinen Körper wirkt, genau so ur- sächlich, wenn auch die Sinne verschieden sind; die Summa der körperlichen Veränderungen, welche die Sonnenwärme in meinem Leibe hervorbringt, nenne ich mein Wäimegeftthl, und es ist für die Erkenntnis der Wirklichkeit gleich, ob- ich die Ausdehnung der Quecksilbersäule an der Thermo- nieterskala mit dem Gesichts'^inn genauer messbar, oder ob ich die Gesamtwirkung der Warme auf meinen Leib durch das sogenannte Gemein t»'en\hl etwas undeutlicher wahrnehme. Beide Mal haben meine Nerven eine Wirkung verspürt. Die Wirkung der Sonnenwärme auf meinen Leib ist mein.

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IV. Die Denkgeietze,

Wärmegefükl ; die Souuenwärme ist in Wirklichkeit die Ursache meines Wärmegeftlhls , meines Warmseins. Diese Vorstellung drücke ich nun durch das sprachliche Urteil «OS «nur ist warm*; es ist ganz glnehgOliig, ob andtte Spraehett ungefähr sagen: «es ist mum*, «ich Inn wann* «der «ich habe warm*. Nun wäre ich ohne Frage be- rechtigt, ebenso wie ick den Thermonteteistuid filr den Er^ Jcenntnisgrund des Lnftwftrmegrades erklSre, auch mein Wkmegef&bl für den Srkenntm^grand der Sonnenwinne Ausmgeben. Ss w&re ganz logiscb m sagen: .danuis, dass mir wann ist, scfaUesM ick, dass es wann ist* Dieser Oedankengang wtre nidit um ein Jota anders, als der Scbluss von der QuecksilberkAke auf die Lufttemperatur, Und ein Gesunder kOnnte einem fiierenden Fiebeikranken gegenüber ganz vemOnftag und nfltsUdi den Scbluss von :seinein Wbmegefllkl auf die SoimenwSnne ziekeo, dann also, wenn nach der Sonnenwftnne gefragt würde, wenn die Aufmerksamkeit auf die Sonnenwirme gelenkt würde.

Wir haben es also bei dem sogenannten Erkenntnis- gründe, der Quecksilberhöhe, und bei der Erkenntnis (dass .es warm sei) beide Mal mit einer Wirkung und zwar mit ^er Wirkung aus der gleichen Ursache zu tkun. Bei der Thatsache des Wärmegeftthls hängt es ganz allein von den jms interessierenden Umständen oder unserer Aufmerksamkeit 4ib, ob wir die Empfindung logisch so oder so ausdrücken, wir sagen: mir ist warm, mir ist warm, mir ist warm. Das eine Mal ricbtoii wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Person, das zweite Mal auf die in fVnc^f gestellte Thatsache, üas dritte Mal auf die Art der Eraptindung. Mit einiger Wort^palterei und scheinbarer Gcistreichigkeit kann ich freilich meine VV äniieeiii phndung den Erkenntnisgrund der Wärme nennen. Aber da «roiateu wir ja eben sofort zu -der Weisheit, dass wir von <ier Wärme absolut nichts er- icennen als eben die Enipüudung, dass unsere Empfindung .ganz und gar unsere Erkenntnis von der Wärme ausmacht; wenn wir also unsere Wärraeempfindung den Erkenntnis- grund der Wärme nennen, su nennen wir unsere Erkenntnis

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JBrkwintniiyqitd ein fftltcher Begriff.

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ihren eifi^enen Erkeautnisgrund. Die Albernheit eines solchen Sprachgebrauchs springt hoffentlich in die Augen.

Ich weiss wohl, dass die neuere Physik nicht ij;anz ohne Erfolg nach dem Warum der Wärme gefragt iiat, also nach einer nachweisbaren entfernten Ursache unseres Wärrae- geftaUs; hierin ist unser Wissen bereichert worden, aber nidit durch logiache SdiltlaM, aondem durdi Aper9us, durch gut und neu beobachteto SinnMemdrfloke.

Bin physikaliBclier Apparat, den SrnneMindniek der Wbme gut und neu sn beobachten« iet euch unser Thermo- meter. Se gestattet eine genauere Ausdnutoweise; anstatt die Hand zur Probe in das Wasser zu stecken und zu sagen »es ist sehr wann*, branehen wir bloss aofiu- bhoken, das Experiment an nns^m Gesichtssinn anstatt am Qemeingefllhl der Haut aussuflihren, und können fast gelehrt urteilen »das Wasser hat 25 Grad*. Aber wieder besteht unsere ganae Erkenntnis in dem Ablesen dieser Ziffisr; und wieder hiesse es blödsinnig die Erkenntnis übr ihren eigenen Grund ausgeben, wollte man (und das thui bis zu dieser Stunde alle Welt) den Thermometerstand einen Erkenntnisgrund des Wärmegrades nennen. Auch dann noch wäre der Ausdruck Erkenntnisgrund sinnlos, wenn man etwa den Thermomcterstand ftlr den Erkenntnisgnmd und erst den Satz «es ist also sehr warm'* für die Schluss- folge gelten lassen wollte. Ich darf nicht aufhuren, das Sprachelend unerbittlich bis in seine letzten Schlupfwinkel zu verfolgen. «Sehr warm" kann doch nur ein Tollhäusler eine W^irkung, nur ein Zierbengel eine Folge von «25 Grad" nennen.

So i^laube ich an einem populären Beispiel unwiderleg- lich gezeiL't zu haben, dass der Begriff Erkenntnisgrund einen wirklichen Sinn nicht hat, dass selbst die bildliche Anwendung des Worts ungereimt ist. Damit scheint mir auch der entsjtrecuende Begriff der Schlussfolfre od»M- der logischen Notwendigkeit beseitigt, und damit die Gesetzlich- keit des menschlichen Denkens oder der Wert der mensch- lichen Sprache. Was bis zu dieser Stunde £rkenntnisgrund

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IV. Die Deokgeaetze.

genannt wird, ist nichts weiter als ein Hinlenken der Auf- merksamkeit auf sprachliche Formen von ürteflen. Was nDsera Eikeimhiis jedesmal sbegrQndeft*, daa ist immer nur die Eriimenixig an Siimeeempfinduiigeti moid di« durch imsere Intoressen gelenkte Aufinerksamkeit. Es mag gewdhnlteh bequem sein, nur Ins «a den Erinneningazeichen surOck- zugehen und diese im Vertrauen auf ihre Treue die Ur- Sachen unserer Sfttze zu nennen, wofür wir dann mit schlechtem Gewissen das wackelnde Wort «Grund* ein- geführt haben ; die wirklichen Crsachen unserer Stttee sind nicht GrOnde, nicht schallende Worte, sondern die Sinnea- empfindungen, oder das Unerkennbare, das die Sinnes- empfindungen erzeugt

Auch unser Hanswurst ist ein scharfer Logiker; auch ihm sind die Empfindungen seiner Augen, seines Tastsinns, Seines Geschmacks und seines Geruchs ErkenntnisgrBnde der Existenz seines Käsestücks; der Hanswurst mftsste da» neben auch Metaphysiker sein um einzusehen, dass er ron dem Wesen seines Chester, von seinem Käsestück als Ding- an-sich durchaus nichts anderes kennt, als eben die Em- pfindungen seiner Sinne, dass er die Summe seiner Erkennt- nisse ihren Erkenntnisgrund genannt hat. Und sagt er mit seinem dummen Lachen, das Stinken des Käses sei doch wenigstens der Erkenntnisgrund für das Alter des Ki^es, so erinnere ich an die 25 Grad , die der Erkenntnis^rund für grosse Wärme sein sollten. Nein, so disparat dir Aii- jektive ,alt" und , stinkend" auch im toten Wörterbuch sein mö^en , in der lebendigen Verbindunt^ mit der Vor- stellung ^Käse" sind sie zwei Synonyme, von denen das zweite die Wirkung' auf unsere Sinne nur etwas deutlicher bezeichnet als das erste.

DtHk- Ist mir im vorigen Abschnitt der Nachweis gelungen,

******* dass der Satz vom zureichenden Grunde, das heisst der Be- Tanto-

logien. griff der Notwendigkeit nur in der Wirklichkeitswelt gilt oder doch von uns iii sie hiueingelegt werden muss, dass

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DenkgeaeUe Tautologien.

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es aber in unserm Denken ein Folgen aus Griludcii, eiue logische Notwendigkeit, gar nicht gibt, so ist es fast Uber- flOssig, im eiaxeliien QMhiuvmn, dtts die yiel genannten Denkgeseice nur ebenso Tiele.Taiitologieii sind, die untem Gesetie des SehlieBsens ebenso wie die obeisten Denkgesetie. Win man aber bei der ZersiVrung eines alten Baues etwas TOehtiges lernen, so wird es sich immer empfehlen, ihn Stein fllr Stein absutngen.

Heber Fassung und Anordnung der obersten Denk- gesetze henrselit in der Schnllogik eine heillose Verwirrung. Nach dem Herirommen zfthlt man ihrer vier auf, darunter aber auch gana unlogisch den Sats vom Grunde sdbsi, der doch die andern als generaloberstes Denkgesets «mfasBen muss. Mit dem Sats vom Grunde aber sind wir holBEiBnt^ lieh eben fertig geworden ; wir wollen seine Unterarten, die übrig gebliebenen drei verbultniamftssig obersten Denkgesetze, vorurteilslos aber in der .Erwartung* betrachten, dass sie sich in wohlklingende Tautologien auflösen werden.

Vorher aber noch eine Bemerkung: der Satr. vom Grunde soll, nach der üblichen Lehre, die Notwendigkmt aussagen, mit der ein Urteil am irgend welchen andern Denkelementen folge. Wir wissen nun, dass diese Not- wendigkeit nur ein anderer Ausdruck sei für die ärmliche Thatsache, dass ein bestimmter Bej^riff eben nur die Er- innerung an bestimmte SinneseindrUcke bezeichne, also un- niüfflich, das heisst nach Sprachgehrauch unmöglich, andre Erinnerungen bezeichnen könne. Die obersten Denkgesetze nun sind wo möglich noch armseliger. An sie ist nicht einmal der sprachliche Zwang geknüpft, sondern sie ziehen nur die äussitsEi liienze, bis zu der ein Satz überhaupt möglich, das heisst denkbar ist. Da aber „denkbar" hier nur so riel ist wie ^aussprechbar*, , sagbar", so könnten wir die obei-steu Deukgesetze recht gut auch die obersten Sprachgesetze nennen, solche Gesetze nämlich, welche sich auf ihrer luttigen Höhe zur Sprache verhalten wie das .Sein* zu der Wirklichkeit, wie Nichts zu Etwas. Man hat iieiiich zwischen Denkbarkeit und Sagbarkeit, also zwi-

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rV. Die Denkgeseize.

sehen Logik und Grammatik, immer einen Untenehied finden wollen; aber vas Air den Grammatiker richtig ist» ist auch flir den Logiker richtig, solange man niehi nach der Wahrheit fragt, das ist: nach der Uehereinstimmmig mit den Sinnesempfindimgen.

Die drei obersten Denkgesetae aber heissen hente uodi genau so wie im Iftittelalter: 1. Der Bats der Identität« 2. der Sati des Widerspruchs, 8. der Sats des ausgeschlos* senen Dritten. Wir woUen jeden einaeln beim Worte nehmen, um zum Schlüsse zu erkennen, dass zwischen ihnen nur ein Unterschied der Sprachform besteht. 8tiB 1. Der Satz der Identität kann auf verscliiedene anmutige Arten ausgesprochen werden z. B.: , Was Etwas ist, das ist es'' oder , Alles ist, was es ist* oder mit dem Schein mathematischer Klarkeit «A ist A*. Hier ist die Gedankenblössef die NuUitat des Ergebnisses so nackt und offen, dass es beinahe geziert wäre, den Satz der Identität erst noch ausdrücklich eine Tautologie zu nennen. Auch mag man die Formel ,A ist A" drehen und wenden, so viel man will, man wird ihr keine neue Seite abgewinnen; man mag sie inquim ren, sie wird ruif keine peinliche Frage auch nur ein Sterbenswörtchen zur Autwort geben.

Ich möchte hier einschieben, dass nicht immer ein identischer Satz ist, was in der toten Sprache der Schrift, was schwarz auf weiss auf^si. ht wi .A ist A". Man glaube nicht, dass ich damit meinen Aasgüiigs^juiikt, dass nämlich Sprache und Denken ein und dasselbe sei, verlasse. Die Aufmerksamkeit des Sprechers oder Hörers, wie sie durch die Situation des Gespräches oder Gedankengangs erregt worden ist, diese Aufmerksamkeit und die ihr entsprechende Betüiiuug der Worte gehört ja mit zur Sprache. Wenn also jemand sagt ,Käse ist Käse" oder „Schnaps ist Schnaps* oder ,ein Wort ist ein Wort", so ist das durchaus nicht dn besonderer Fall Ton der allgemeinen Formel ,A ist A*. Wer so spricht, will in abgekürzter Bedeweise etwa sagen: «Jeder Kftse, auch ein Terdorbener, jeder Schnaps, auch der schlechteste, jedes Wort, aodi das leichtsinnig gegebene,

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1. Der Sats der Identität.

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ist ein Käse, ein Schnaps, ein Wort; die Güte, die Feiu* heit, die Besonnenheit gehört nicht (nach dem augenblick» liehen Interesse, dem augenblicklichen Gesichtspunkt de» Redenden) zum Wesen des BegriA Eise, Schnaps, Wortf es gibt keinen sdilediten Schnaps; es gibt keinWofi, das nicht hJbide.* Solchen scheinhar identischen SUsen wird der Angeredete denn auch Tou seinem Standpunkt wider* spredien dflifen. «Nicht jeder Ktee ist, was ich KSse nenne; nicht jedes leichtsinnige Wort darf man beim Worte nehmen. Der weitwe Horinmt hat ja gar nicht denselben Stand- punkt wie der engere.* Wieder sieht man, wie die Begriffe in Terschtedenen KOpfen nidit identisch sind. Für den Ter* hungernden Bettler ist Brot Brot, audi das scblechteste Brot fSnt für ihn unter den Begriff Brot; der Terw6hnte Bürgersmann Tersteht unter Brot ein taddloses Brot. Je geistiger die Begriffe sind, desto seltener wird die Identität. Für den Bauer und den gemeinen Kunsthändler ist Haler Maler, istBÜd Bild; nicht ftlr den Kenner, welchem Kfinstler» Schaft zum Begriff des Malers, des Bildes gehört. Wir haben schon erfahren, dass mitunter A ss A b (S. 282), was mathematisch falsch, sprachlich aber nur zu wahr ist.

Diese Einschaltung schien mir notwendig um deutlich seigen zu können, dass schon die gewöhnlichste Anwendung Tom Satze der Identität aus der Logik herausfällt, rein sprachlich ist und ihre Aufmerksamkeit schon auf die Dinge selbst richtet. Ohne Bewusstsein von diesem Umstand und nur darum ohne schlechtes Gewissen nennen die Logiker diese Anwendung den Grundsatz der Einstimmigkeit, was genau betracluet nur Uebereinstimmung mit der Wirklich- keit heissen darf Um diese Anwendung mit auszudrücken, wird der Satz der Identität mit besonderer Lieblichkeit auch so formuliert: orane subjectum est praedicatum sui, jedes (grammatische) Subjekt ist sein eigenes l'i ädikat, jeder Be- griff darf von ihm selbst ausgesagt werden. Und jedes Merkmal eines Begriffs dari von ihm ausgesagt werden. Da aber die Begriffe oder Worte nichts weiter sind als Er- innerungszeichen Ton Merkmalen, die Sätze aber, das heisst

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IV. Die Denkgeaetze.

unser gesamtes Denken nichts als eine Besinnung auf den Inhalt oder die Merkmale der B^griife, so ist der Sats der Identitiit in dieser hraudibareren Form erat recht eine Tauto- logie und wegen seiner unschuldigen Miene dazu noch komisch oder spitsbttbisch. Wie ein nichtsnutaiger Schul- Jui^e die Antwort auf des Lehrers Frage aus dem Buche abliest, das er unter der Bank versteckt hälti genau ebenso leiert der logische Grundsatz der Sinstimmigkeit das Ter^ steckte Prädikat herunter, nur dass der Logiker den Vor- gang einen Grundsatz nennt und ihm durch den Begriff des dürfen* besondere Feierlichkeit erteilt. Der Schi4)unge darf ablesen, nämlich wenn der Herr Schulrat zugegen ist, wenn der Kritiker aufpasst, damit der Kritiker nicht erfahre, dass der Schuljunge nichts gelernt hat, dass die Logik nichts lehren kann.

Es ist abo streng festzuhalten, dass jeder Satz « A ist A" entweder einen sinnvollen Zusammenhang mit der Wirk- lichkeit hat und dann kein logisches Gebilde mehr ist, oder dass er nur die sogenannte Uebereinstimraung mit sich selbst ausdrückt, und dann den Lufthauch nicht wert ist, den man au ihn verschwendet.

Besonders verdient hervorgeholien zu werden, dass man noch keiruni WahrT^innigen gefunden hat, der an dem Satz der Identitiit zweilclte. Sein Verstand konnte so krank sein, dass er einen kSuppeuteller für eine Krone hielt oder eine Kartoffel für einen Pfirsich-, der allfTenipinf Satz aber A ist A, ich bin ich, Kartoffel ist Karlollrl witd von allen Wahn- sinnigen anerkannt, solange sie nicht durch Blöilsmii am Verbinden der Begriffe überhaupt verhindert werden. Man mag daraus ersehen , wie viel Verstund zum Auffassen des ersten der obersten Deukgesetze gehöre, «au 2. Der Satz des Widerspruchs lautet gewöhnlich

Wider- ^* kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile (z. B.

Sohlilse ist toi Schuhe ist nicht tot) können unmöglich beide wahr sein; aus der Wahrheit des einen folgt mit ber kannter logischer Notwendigkeit die Falschheit des andern.

Hier ist nun schon der Name des Satzes ein heiterer

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2. Der Säte des WidenpruclM.

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Beweis für die Hüflosigkeit seiner Erfinder. Der G^ruDd* satz de« Wirlerspruchs will doch offenbar besagen, dass zwischen Ulieilen, die heide gelten sollen, kein Wider- spruch, kein kontradiktorischer Gegensatz bestehen dürfe. Es ist also um seine Bezeichnung ähnhch bestellt, wie wenn die ehrlichen Leute , die Logiker der Moral , das Prinzip ihres Handelns einen ^.Grundsatz des Stehlens'" nennen wollten. Und die Logiker des Denkens haben auch gewiss ihren Grundsatz des logischen Stehlens, den Satz des Wider- spruchs, nur deshalb so verkehrt aufgestellt, weil sein ge- rader und natürlicher Name ..Grundsatz der Ueberein^'tini- mung" hätte lauten müssen, also mit dem Satz der Identität identisch gewesen wäre. In Wahrheit verlangt der Satz der Identität, dass Ein Satz tautologisch sein müsse, damit man ihn denken oder aussprechen könne; nach dem Satz des \\ ult i spruchs aber müssen zwei Sätze tautologisch sein, damit man sie zusammen (vielleicht auch nur bald nach- einander) denken oder aussprechen könne.

Aber sowohl die Erklärung des Satzes vom Widerspruch als sein Beweis richten ihre Aufinerksamkeit auf die Wahr- heit der Urtoile; und wir wissen boeila, dass die Wahrheit der Satse nur eine sprachliche Auseinanderbreitung ist von richtigen Begriffen, und dass die Bicktigkeit der Begriffe ihre üebereinstimmung nut der Wirklichkeit ist, also das was SU ihnen gehdrt, wie die Existenz zur Welt So führt der Satz des Widerspruchs, weil er recht eigentlich nach der Wahriieit fragt, sofort iMtch enei^pscher ab der der Identitftt aus dem logischen Gedankenkreise heraus, so wie er das Gebiet alberner Tautologien yerlassen will. Weil er nun noch emsiger nach der Wahrhdt fragt, hat man ihn auch so formuliert, dass er Terbiete auf eine und dieselbe Frage zi^eich mit ja und mit nein zu antworten.

Nun lehrt uns aber die tftgliche Erfahrung, dass nicht nur im gedankenlosen Tagesgeschwätz Ja und Nein gleich- wertige Antworten auf dieselben Fragen sind, sondern dass auch in den tiefsten wissenschaftlichen Untersuchungen die Fachm&nner selbst einander widersprechen. Alle aog&*

Mantli««r. B«itrige sn einer Kritik der SprMhe. III. 24

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lY. Die Denkgeeeiie.

nannten Zeitfragen haben die EigeutttmUchkeit, dass sie mit' ja und mit nein beantwortet werden können. Sind die Bazillen die Erreger der betreffenden Krankheit? Ja und nein. Weiss die Sozialdemokratie, was sie wiU? Ja und nein. Lässt die Physiologie eine besondere Lobenskraft gelten? Ja und nein. Ich sehe von den Füllen ab, wo ver- schiedene Forscher die Frage verschieden beantworten. leb hubp solche Fälle im Auge, wo nur vorlauter Farteigeist mit ja oder nein antwortet, während der vorsichtige Denker sein Schwanken ganz jnrut so ausdrücken kann, dass er ja und nein zugleich antwortet, also zwischen zwei einander kontradiktorisch entge^^enu'estetzten Urteilen beide für wahr erklärt, also dem Satz vom Widerspruch entgegen handelt, gerade wenn er schärfer denkt als andere.

Und zu alledem halte man, was wir erfahren haben: dass es Widerspruch (II. 50) Uberall einzig und allein nur in der Sprache geben kann. Moral Wir sehen am Satze des Widerspruch« wieder, worin und Rdz zugleidi und der Fdiler der Logik besteht. Der Vergleich mit der Ethik, den ich da und dort fluchtig heranzog, betrifft das Wesen dieser gesetzgeberischen Bis- aiplinen. Sovie die Ethik aus dem Vorhandensein der Worte „gut" und »bSse* das Recht schöpft, fast unbe- kOmmert um die wirklichen Thaten und Gesinnungen der Menschen ein Idealsjstem von Gesetsoi des Handelns auf- zustellen, und dadurch als eine Logik der Geschichte er- scheint, der die wirkliche Geschichte nicht entspricht; so ist auch die Logik fast unbekümmert um die wirklichen psychologischen VoigSnge in unserem Gehirn und will eine Art Moralkodex dessen sein, was man denken darf und nicht denken darf. Wie die Moral und die auf ihr basieren- den Staatsutopien (bis zu dem neuesten, dem sozialistischen Staatsroinan) sich an Idealmenschen wendet, an Engel, die auf dem Rund der Erde nicht wohnen so setzt auch die Logik etwas wie Idealgehime voraus und eine Idealsprache daiu, einen von allwissender Vernunft aufgestellten und Jedem allezeit gegenwärtigen Weltkaialog. Und noch niher

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MoTftl und Logik*

berüliren sich Moral und Loj^ik: durrh <li«> Bedeutung des Interesses, welches doch die menschlichen Handlunpt'n ehonso leitet wie das menschliche Denken, das ja eben aucli nur ein leises menschliches Handeln ist. Nur dass die starken Handlunj^jen , bei denen alle Extremitäten bewegt werden, nicht immer einen Schall erzeugen: bei den schwadien Be- wegungen der Sijracliorgane aber gerade die Schallerzcugung ilie Hauptsache ist. Diese Bedeutung, welche das Interesse für ilas Denken hat, lehrt uns nun, dass nicht « ii !: :*! der allwissende Idealverstand Fehler gegen den Satz vf>uj Wider- spruch zu vermeiden im stände wäre; es müsstc noch eiue Idealmoral, eine engelhafte Selbstlosigkeit hinzukommen, damit schon bei der Begri&büdung ein Einfluss des indivi- duellen LiteresBes ausgescliIosBen wftre und eo das gemein- same Wort auch in allen EngelBkdpfen («Köpfen ohne Leib*, um Schopenhauers hllbsches Bild zu gebrauchen) den gleichen Sinn und Inhalt hätte. Nur f&r solche Engels- köpfe ohne Leib fräre die Logik mit ihren X>enkgesetBen eine Wissenschaft; nur dass selbst diese aUwissenden Köpfe ohne Leib wohl doch die Engelsgeduld verlören und sich Arme nnd Hftnde wünschen würden, um diese flberflüssige Wissenschaft den Erfindern um die Ohren zu schlagen.

Wir aber wiederholen bescheidener nur die Bemerkung, dass es gerade die brennendsten Fragen immer sind, die die Welterkenntais der besten Köpfe nicht zu entscheiden wagt, die sie yielmebr mit Ja und Nein zugleich beantwortet, dem obersten Denkf^esetze vom Widerspruch zum Trotz. Auf die Frage, ob Käse ein Nahrungsmittel sei, antworten wir Europäer (die Chinesen würden nicht zustimmen) mit einem bestimmten Ja. Auf die Frage aber, ob Welt- geschichte eine Wissenschaft sei, werden die schärfsten Denker zugleich mit Ja und mit Nein antworten. So ge- langen wir auch von dieser Beobachtung zu einer Bestäti- gung des Unwertes der Sprache. Denn es ist offenbar, dass wir unsere Beobachtung allgemein so ausdrücken können: eine genaue Scheidung der Begrifte oder Worte, eine strenge Befolgung des Idealsatzes vom Widerspruch, ist nur mög-

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IV. IHe Benkgeaetse*

lieh iuuerkalb der apiiorischeu , wertlosen, tautologischen Urteile, der ererbten, versteineiton, das heisst wenig ver- äudciliclien Spraclie und ihren iSoniinaidefinitioncn , also dann, weaii wir unwissenden Knaben unser kh?ints Nicht- wissen lehren, wenn wir in der Tretmühle des Denkens sttUstekend gehen ; in der flüssigen Sprache der Kealdetiui- tionen, innerhalb der aposteriorischen , sprachbereichemden Urteile und Begriffe dagegen, im Oebirn des Forschers, da stossen sidi unabweisbar die Widersprflehe tmd nur gegen die Logik schreitet sein Denken rorwärts.

Es hat immer unabhängige K9pfe gegeben, weldie das Trügliche im Satze vom Widerspruch einsahen, wobei sie natürlich Uber die Hdhe der Begriffsentwickelung ihrer Zeit nicht hinausgelangen konnten« Wenn Epikuros, um an diesem oberst«i Denlqpesete zu rUtteln, das Bdspiel yon der Fledermaus gebraucht (Ist die Fledermaus ein Vogel? Ja und nein), so mag es uns kindisch erscheinen, weil der Begriff «Vogel" seit jener Zeit eine festere Definition be- kommen hat. Es hätte aber f1}r unsere Umgangssprache wenigstens nichts Auffallendes, die Frage, ob ein Walfisch ein Fisch sei, mit ja und nein zu beantworten. Denn das Urteil „der Walfisch ist ein Säugetier" gehört schon in das Gebiet der Schulsprache. jtkuaA Diese Abhdngigkeit der obersten Denkgesetze Ton der Sprache ist beim Satze vom ^Viderspruch nicht geringer als beim Satze der Ideiiütiit« Liegen nämlich zwei kontra- diktorische Urteile vor uns (z. B. die Monarchie ist gut die Monarchie ist nicht gut), so ist der Satz vom Wider- spruch vorerst nur formell auf sie anwendbar. Nur unter der Voraussetzung^, dass ihr Sinn kontradiktorisch sei, schliesst die Bejahung des einen die Verneinung des andern ein, was im schlichten Deutsch heisst: nur wenn die Sätze einander wi<lersprechen, widersprechen sie einander. Dazu kommt, dass den Widerspruch der Bedeutungen voraus- gesetzt - die Unvereinbarkeit ih'r Sätze noch nicht lehrt, ■wt Icher von beiden wahr sei. St»wohl um die Wahrheit zu erforschen als auch uur um die Bedeutung zu verstehen,

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Ja und nein.

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muss aui die Uebereiustininning mit df^r Wirklichkeit, also auf die Entstehung der Begritle, zurückgeganp^en werden. In unserem Falle wird es sich fragten, ob der Urteilende mit »Monarchie* jede solche Staatsform bezeichne oder eine ihm besonders zusagende Art der Monarcliir. ob er das Interesse, welches immer im Begriff „gut" verborgen ist, au seine eigene Person knüpfe, oder an eine bestininite Menschenklas5!e oder an das gesamte Volk oder gar an seine Wertschätzung ugend einer Abstraktion; er wird sogar fragen müssen, ob das Wörtchen .nicht* den Begriff ,guf nur formell negiere (was allein einen e^ten kontradiktori- sehen Gegensatz schaffen wUrde), oder ob es einen neuen positiven Begriff der Schftdliehkeit bilden helfe. Denken und Sprechen ist da gewiss eins. Solange die sprachliche Form unseres Urteils nicht völlig klar gelegt ist, so lange gilt der Sats vom Widerspruch nicht und die Gute der Monarchie kann mit Recht bejaht und verneint werden. In dem Augen- blicke aber, wo die Begriffe in ihren Merkmalen ausgebreitet vor unserem Ged&chtnis liegen, wird sofort das eine Urteil tautologisch und gilt uns damit für wahr; das andere nennen wir unwahr, weil es nicht tautologisch ist. Der Satz vom Widerspruch ist also für das gewöhnliche Denken nicht vor- handen, fVat das schlurfe Denken eine überflOssige Arabeske. Das muss auch schon Kant gemeint haben als er in seiner Sprache den Satz vom Widerspruch nur fltr die anal\-tischen Urteile gelten Hess; denn seine analytischen Urteile sind dieselben, die wir die apriorischen, tautologischen, wertlosen Sätze nennen, das Geschwätz. Auch Hegel durchschaute die Armut des Satzes vom Wi<lerspruch , und die ganze Praxis seiner dialektischen Methode lebt davon . dass man widersprechende Urteile auf einer niedem Stufe des Denkens zugleich bejahen und verneinen könne, was sich dann auf einer höheren Stufe des Denkens vereinigen liesse. Hegel aber glaubte, dass diese Bewegung der Begriffe der \Virk- lichkeitswelt entspreche, während diese Bewegung für uns nur ein verzweifeltos; Vorwnrtszappeln der Spraclie i'^t. Darum ist die Hegelei auch nicht bei ihrem Meister stehen

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IV'. Die Deukgesetze.

geblieben, dumm teilten sieb die Hegelianer bald in Theo- logen und in Radikale, je nacbdem ibre Worteridäningen sieb nacb der recbten oder nach der linken Seite bin- bewegten.

Sigwart berOhrt in diesem Punkte die Wabrbeit, wenn er den Sinn dea alten Satzes dabin erklärt: jede Rede mfisse einen festen Sinn haben, der Eindeutigkeit der Begriffe müsse die Eindeutigkeit der Urteilsakte entsprechen und der Satz der Identität sei nur eine andere Form des Satzes Tom Widersprach. Wir erheben uns Ober diest Selbst verstand» lichkeit, wenn uns unsere bisher paradoxe Wahrheit zu einer Selbstrerständlichkeit wird: dass nämlich, wie es in der Natur oder Wirklichkeit um und um keine Negation gibt, dass es so auch keine kontradiktorischen Gegensätze gibt ausser in der kOnsUichen Sprache der Logiker, dass es (auch nicht in der Natur, aber in der natürlichen Sprache) nur unlogische, ungefähre, ineinander fiberfliessende Gegensätze gibt, von der Log-ik die konträren geheissen. Unsere bisher paradoxe Wahrheit lehrt weiter, dass das Wörtchen .nicht" (der Angelpunkt des äatzes vom Widerspruch) in aller Welt der Diiige nicht seinesgleichen habe, dass es in der Sprache immer nur ein ungeschickter Ausdruck sei filr einen ungefähren, fliessenden, konträren Gegensatz und dass eine ldealsj)rache, die für alles Wirkliche und nur für das \N ukliche Wortzeichen hätte, dieses , nicht" gar nicht be- sitzen müsste und daun freilich das oberste Denkgesetz vom Widerspruch sprachUch gai' nicht einmal ausdrücken könnte.

Und wieder weise ich darauf hin, dass der Satz vom Widerepruch wohl vielen sinnenden Köpfen zweifelhaft ge- wesen ist, dass aber noch kein Wahnsinniger an der Wahr- heit dieses obersten Denkgesetzes gezweifelt bat. Er kann in seinem Wahn eine SuppenscbOssel eine Krone halten, aber er wird dem Logiker beistimmen, wenn dieser ihn belehrt: die l^tze ^ich bin König" und .ich bin nicht König" können nicht zugleich und in dem gleichen Sinne wahr sein.

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3. Der Satz vom auägeschloäfieueu DiiUeu.

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8. Der Satz yom ausgeseblossenen Dritten, wm Dieses Dritte Ton den obersten DenJ^esetBen will besagen, g^^^f,^^! dass Ton zwei einander kontradiktoriscb entgegengesettten 8«n«B Urteilen eines wahr sein mttsse. Er ist abo eine üm- '^^* kebnmg des Satzes vom Widerspruck Wir batten gelernt, dass die Wabrbeit des einen Urteils die Fakcbbeit des andern beweise; jetzt erfabren wir dazui dass aus d«r Falsdi- beit des einen Satzes die Wabrbeit des andern folge.

Der von uns eben gewonnene Standpunkt, die üeber- zeugung von der Nichtigkeit des Negationsb^pdffis, wird uns dieses oberste Denkgesetz rasch abfertigen lassen. Yorber aber wird es gut sein, an einem Beispiel zu zeigten, wie wenig sich wirkliches Denken oder Spreeben um dieses logische Grundgesetz kümmere.

Der Naturforscher entdeckt unter dem Mikroskop einen Organismus, der Ihm buld unter die Definition des Tieres, bald unter die der Ptluir/p zu fallen selieint. Nach dem Satze vom \V'idersprurh diufte der Forscher nicht zugleich sagen dürfen: «lipse Amöbe z. B. ist ein Tier, ist eine Pflanze, Er sag^ce es aber. Und nach dem Grundsatz yom ausgeschlossenen Dritten müsste er sagen: diese Amöbe ge- hört ohne Gnade entweder zum Tierreich oder zum Pflanzen- reith. Das sagt er aber nicht, wenn er nur Haeckel ist, sondern kommt mehr oder weniger klar zu der Ueljerzeugung, dass Tier und Pflanze nur fliessende, konträre Gegensätze sind, dass es ein Drittes zwischen ihnen gibt, wenn die Sprache das auch bisher noch nicht gewnsst hat. Er wird also infolge dieser Erkenntnis oder Beobachtung für dieses Dritte einen neuen Begriff, ein neues Wort erfinden und über, unter oder zwischen dem Tier- und Pflanzenreicb ein neues Beicb an&tellen, das der Protisten. Damit werden sieb die obersten Denkgesetse wieder eine Weile berubigen, bis zur nScbsten spraehscbfipferisoben Beobachtung.

Der Logiker bat nnrecht, der mir bier einwirft, Tier und Pflanze seien aucb für ibn nur kontrftre Gegens&tze gewesen. Das ist nicbt wabr. Von Aristoteles bis Haeekel umfasste der ob^ Begriff Organismus nur die Tiere und

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IV. Die DenkgtMkae.

die Kicht-Tiere. Solange man Uberhftupt seine Aufinerk- samkeit auf die Organismen der Erde richtete, solange fiel der kontradiktorisehe Gegensats Tier und Nicht-Tier mit dem konträren G^ensatz Ti«r und Pflanze zusammen. Oder besser: wir können an diesem Beispiel vei-folgen, wie sich die natürliche Sprache gegen negative Begriffe wehrt und wie die reine Negation, das ist der kontradiktorische Gegen- satz nichts ist als eine konstruktive Hilfslinie der Logik. Wir können die artikulierten Laute „Nicht-Tior" gewiss aussprechen oder dieses Wortbild aufschreiben, aber dieses logische Gegenteil von Tier ist kein Begriff, ist kein Zeichen für irgend etwas. Es ist die Unendlichkeit, also etwas Un- vorsteUbaros , nachdem man den Begriff Tier davon abg^e- zogcn hat. Soll ich mir nnter der Negation von Tier etAvas denken können, so muss ich die Kontra>liktion fallen lassen, so muss ich den künstlieben Begriff der Unendlichkeit ver- gessen und den Gegensatz unter eiriPTu weniger abf^trakt'^n Gattungsbegriff suchen; so wird der Wjdi rspriich zum Gegen- teil, das Nicht- Tier zur Pflan/e. Wei- mir das noch be- streitet, der wird mir vielleicht beistimmen, -wenn ich un- klarere Begriffe wühle. Gott und Nicht-Gott bilden eine Kontradiktion , einen logischen Widerspruch. Soll ich mir aber unter Nicht-Gott irgend etwas denken können, so muss ich für Nicht-Gott ein wirkliche-- Wort setzen, ^u muss ich Gott und Nicht-Gott unter den noch höheren Begriff des »Seienden" bringen, wo sich dann der Nichi-Gotfc oder die Welt als kontrirer Gegensatz von Gott, als sein Gegenteil herausstellen wird. Es ist das freilkh nur Clesehw&ts, aber die Logik muss es anerkennen. Ganz ebenso steht es um den Gegensats toa Ich und Nicht-Ich in der Fichteschen Philosophie. Für unsere wirkliche Erkenntnis gibt es nur fliessende, kontrire Gegenteile, auf welche weder der Satz Tom Widerspruch noch der vom ausgeschlossenen Dritten anwendbar ist; zum Zwecke ihrer Begii&spielereien allein konstruierte die Logik sich einen kontradiktorischen Gegen- sats, für welchen unsere Sprache kein Wort hat, unser Denken keine Vorstellung, kein Beispiel.

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'd' Der Satz vom nusgeeohloHsenea Britten.

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Der Saix vom ausgescUosseiieii Dritten Ubui sicli gram^ matikalisch auch so aiisdracken, dass naeh ihm jedes Sub- jekt mit jedem PriLdikat rerbunden irwden kOmie, n&nlich bald bejahend, bald Terneinend. PrOft man z. B. die Zu- sammengehörigkeit der Begriffe Mitteklter und 0elb, so wird das dritte Ton den obersten Denkgesetzen uns sagen lassen: das Mittelalter ist nicht gelb, besser das Mittelalter ist nichi-gelb. Unser Satz führt also zu der Weisheit, dass disparate Begriffe nieht zusammengehören. Erst msaa Ton einem nüchternen Menschen einmal gefragt worden wäre, ob das Mittelalter gelb sei, ob die Elektricität vierfüssig sei, erst dann Id&tte unser Satz einen Wert. Der Satz ist also wertlos wnä würde wertlos bleiben, auch wenn er wahr wäre. Wahr aber kann der S:itz vom ausgeschlossenen Dritten für uns so wenig sein wie der Satz Tom Widerspruch, weil er doch auf dem Gebrauch eines unrichtigen Begriffs be- ruht, dem vom kontradiktorischen Gegensatz. Für uns wären widersprechende Urteile doch nur Auseinanderlegungen von \vidersprcchendGii Bf n^iffon, %vidersprechcnf1o Befjriffo nur Er- innerungen an widersprechendo Vorstellungen. Vnd kontra- diktorisch widersprechende Vorstellungen gibt es nicht in der Wirklichkeitswelt. Weiss und schwarz sind Gegenteile, aber sie widersprechet! einander nicht, sie flie^sen in grau zusammen. Ein Widerspruch bestünde zwischen den \'or- stellungen weiss und nicht-weiss. Doch die Yorstelluiig nicht- weiss kennen wir nicht, man wollte denn mit nicht- weiss in unsäglich gezierter Weise etwa so viel sagen wie mit Gran. Eine Vorstellung nicht-weiss, die logischerweise zugleii;h alle anderen Farben, alle nicht-weissen Gegenstünde der Welt und dazu alle Ab.straktiuuen bezeichnen müsste, eine solche Vorstellung suchen wir vergebens in unserem Ge- dächtnis, in unserer Sprache. Wir kommen also vrieder zu einem traurigen Schluss. Soll der Satz vom ausgeschlossenen Dritten besagen, alles mtlsse schwarz sein, wenn es nicht weiss sei, so ist der Satz schreiend falsch. Soll aber der Satz besagen, alles mttsse nicht-weiss sem, wenn es nicht weiss sei, so geht seine Albernheit Ober das erlaubte Mass hinaus.

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IT. Dia Denkgesetse.

Ich will aucli diasmal nicht vergessen hinzuzufügen, dass man den Wahnsinnigen leicht dazu bringen kann, audi die Wahrheit des dritten obersten Denkgesetz^ zuzugeben. Er wird einsehen, dass eine Suppenschüssel entweder eine Krone ist oder keine Krone ist, und wird im übrigen bei seinem Wahn bleiben.

Man hat oft versucht die Dreieinigkeit dieser obersten Denkgesetze auf eine wirkliche Einheit zurückzuführen, und besonders Schopenhauer wird dafür gelobt, dass er (Welt a. W. u. V. II, 3) sie alle drei aus dem Dritten hervor- gehen hess. Wirklich scheint der Satz ist entweder B oder ist nicht B" die Formehi zu vereinfachen. Wir aber wissen, dass alle Urteile nur Tautologien sind. Wii- können sie also alle auf die Formel ,A ist A" zurückführen und erkennen in dieser Formel sofort, wie bettelhaft arm die drei obersten Denkgesetze sind.

Der Satz der Identität will die Tautologie ^A ist A'* durch die höhere Weisheit ,A ist immer A" begründen; er iat also eine Tautologie in zweiter Potenz, eine Kinderei«

Der Satz Tom Widmprueh Uingt nach etwas, wenn man ihn besagen lässt, A mttsse entweder B sein, oder es sei nicht B. Da aber alle ürtefle Tautologien sind, also schliesslich ist A* lauten, so besagt der Satz Tom Wider- spruch, dass A immer entweder A sei oder nicht A. Und denselben tiefiunnigen ünsmn besagt der Satz Yom aus- geschlossenen Dritten*

Laasen wir aber die bgischen Kunststttcdce und anderen Spass beiseite, betrachten wir unser Denken oder Sprechen auch auf dieser Stufe psychologisch, so werden wir freilich anstatt oberster Denkgesetze nur die Ahnung vorfinden, dass das Gefühl der Gewissheit, das wir yon Tielen Dingen auf der Welt haben, dass dieses unser Gefühl subjektiver Ueberzeugung, subjektiver Sicherheit einen objektiven Grund habe. Diese Ahnung, diese Sehnsucht nach objektiver Ge* wissheit ist selbst nicht Kenntnis, sondern Glaube. Das alleroberstc Denkgesetz, der Satz vom zureichenden Grunde, ist ein Glaubenssatz und darum nicht fassbarer fUr Vor-

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UnmiUelbare Bchiüase.

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Stellung und Sprache als irgend ein anderer Glaubenssatz. Die eben iti>iurten drei obersten Denkgesetze aber sind wie Fäden eine» Spiungewebes, tauglich zum Eint'angcii von Fliegen, nichtssagend oder falsch, wie die drei alten Be- weise für das Dasein Gottes.

y. Die Schlossfolgerung,

ScUftsse nennen wir eine besondere Art von Urteilen ümiuei- oder Sätzen. Eigentlich sollte es selbetTMet&ndlich sein, gcu^se. dass wir uns nur um solche Sätze kflmmem, von deren Wahrheit wir Qberzeugt nnd, die auf richtige Begriffe zurückgehen und dadurch mit unsem Vorstellungen Ton der Wirklichkeit übereinstimmen. Einen TJnterschied in diesen Sätzen macht nur: die psychologische Herkunft derüeber- Zeugung Ton ihrer Wahrheit». FOr solche Sätze, deren Grundlage noch in unserer Vorstellung gegenwärtig ist, die auf unmittelbarer Beobachtung beruhen, haben wir keinen besonderen Namen; die unmittelbaren Urteile heissen ein- fach Urteile. Ist uns aber die Grundlage, die ursprüngliche Beobachtung nicht mehr gegenwärtig, muss unsere Erinne- rung mehr oder weniger Haltepunkte macheut um sich auf die Vorstellungen zurUd^zubesinnen, ist also unsere subjek- tire Ue.berzeugung von der Wahrheit eines Satzes nicht unmittelbar, so gelangen wii* zu vermittelten Sätzen und diese nennt die Logik Schlüsse. Alle Schlüsse sind also mittelbare Urteile, und da scheint es mir doch eine arge Konfusion, dass man diese mittt Ibaren Urteile Avieder in unmittelbar-rermittelte und in mittelbar-vermittelte einteilen will. Der gan/.«^ Unfer>obied scbeint mir in der Zahl der Stationen zu bestehen. Die geograjdiische Lage von Berlin und Potsdam bleiljt dieselbe, ob ich den Weg im Schnell- zug ohne Aufenthalt zurücklege oder oh der langsame Lukiil- zug einigemal anhält. Wer langsam denkt, wer ein lang- sames (xedächtni«! hat, wird dassell)e Urteil, das ein anderer uumiLLelbar iuilt, nur mit Hilfe vuu Puntpstationen erreichen.

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V. Die Schlussfolgcrung.

Wir verstellen also unter immittelbaren Schlössen diejenigen ürteüe, die psychologiscli so entstellen, dass das GedÜchtnis entweder gar nicht oder doch nicht an allen Stationen hält. Die mittelbaren Schlosse, die Syllogismen, diese Höhepunkte der Logik, erinnern darum auch an die langweiligen Bum- melzüge, die nur ftlr Kinder einen Beiz haben, den Beiz der Verzögerung.

Unter den unmittelbaren Schlüssen führt die Schullogik zuerst diejenigen auf, die unmittelbar aus Begriffen herror- gehen und die analytische Schlüsse heissen. Ich habe Ober sie nur kurz zu sagen, dass sie mit meinen wertlosen, aprio- rischen, tautologischen Urteilen durchaus zusammenfallen* Es wird da immer ron einem Begriff etwas ausgesagt, was im Begriff mitrerstanden worden ist Wenn ein Tisch- genosse zu später Stunde die Worte lallen würde «Kise ist ein Kahrnngsmittel*, so wOrde man das thtfrichtes Ge- schwätz nennen und annehmen, der Freund sei seiner Sinne nicht mehr mächtig; dieselben Worte wären aber fllr den Logiker ein musterhafter analytischer Schluss. Nach allem Yorherges^ten braucht hier nur daran erinnert zu werden, dass zwischen analytischen Schlüssen und analytischen Ur- teilen gar kein Unterschied aufzufinden ist, dass ferner alle analytischen Urteile zurückgehen auf ehemalige synthetische Urteile, das heisst auf BeobachtuiijLren, welche seinerzeit das Gedächtnis oder die Sprache bereidiert haben. Auch Kant hätte zugeben müssen, dass seiru- .Erläuterungsurteile" in statu nascendi, beim ersten Erfassen, «Erweiterungsurteilc" gewesen waren. Die Summe aller solchen einstigen Beob* achtungen ist eben Gedächtnis oder Sprache; wer auf diesen Schatz eine Anweisunr^ nn<:stollt, wer ans der Sprache heraus ein analytisches Urteil fallt, der leistet so wenig Denkarbeit, als es Bergmannsarbeit ist, ein ererbtes Goldstück aus dem Kasten zu holen.

Ich glaube bestimmt, dass Locke diesen Mangel an Gedankenarbeit im Auge hatte, als er für analytische Ur- teile einmal^ die seltsame Bezeichnung «frirole Sätze' wählte.

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Folgening:

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Die übrigen unmittelbaren Schlüsse werden also dar- nacb so b^umtf dass sie nicht ganze Ketten von Urteilen bilden, dass sie nicht bei jeder Kreuzung auf dem Wege anhalten, sondern als beschleunigte GednchtniszUgo nur Eine Station kennen. Ich möchte gern weniger bilderreich reden; ich mache aber darauf aufmerksam, duss aucli die Er- klärung, der unmittelbare ScLluss ^ei eine Ableitung aus einem einzelnen Urteile, nur ein Bild ist, noch dazu ein verblasstes, unvorstellbares, während mein Bild von den Stationen vielleicht im Gehirn eine Analogie besitzt. Nur dass alte Bilder, die verblasst und unvorstellbar, gespenster- haft geworden sind, eben darum schou tUr fertige Gedanken gelten.

Diese unmittelbaren Folgerungen aus einzelnen Urteilen die doch für uns immer noch Tautologien, wenn auch verstecktere Tautologien sind und bleil)en ^verden von der Schullogik in sieben Gruppen mit sieben liübx hen Namen eingeteilt. Ich will au dem einfachsten Beispiel aus der ersten Gruppe zeigen, wie sieh die liOgik auch mit diesen Spielereien selbst belüuft und wie auch diese unmittelbaren Folgerungen zu ]<einen neuen Urteilen lüiii en können, son- dern nur die alten Begriffe, wie bei jeder Urteilsbildung, auseinanderlegen, so zwar, dass die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Merkmal den Satz bestimmt.

Diese erste Gruppe wird unter der Bezeichnung Kon- Folgo- version oder Umkehrung zusammengefasst. Naih ihrer Regel soll der Logiker in der Lage sein, jeden allgemeinen Satz mechanisch in den entsprechenden Partikularsatz um- zukehren. Es soll z. B. aus dem Satz „alle Hunde sind Tiere* wa folgern sein: «einige Tiere sind Hunde". Aus der Wdsheit Jeder Ghesf^r ist einSüfie" folge die Weis- heit «mancher Ense ist ein Cheeter*. Selbstverständlich ▼ende leh mich nieht gegen diese Thatsachen oder gegen ihre sprachliche Mitteilung, sondern nur gegen die logische Anmassung, die den zweiten Satz ans dem ersten folgen lüsst.

Was geht denn im Gehirn oder im Gedächtnis bei dieser unmittelbaren Folgerung eigentlich Tor?

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V. Die Sohloasfolgenisg.

In Urzeiten der Sprache ist der Begritf oder das Wort .Tier" geltildet worden, um die Menj^e der freibeweclichcn Orgauismeu nuf einmal nngefulir zu bezeichnen. Es lu int, dass noch zur Zeit der Bibelniedersckrift der Begritt l ier" die Vögel und Fische nicht niitumfasste. Es ist gewiss, dass heute gerade die Fachh'ute nicht einig darüber sind, ob der Begriff Tier die mikioskopischen Protisten mit umfasse. Einerlei. Für den Naturforscher einerseits wie für jedes Kind anderseits ist das Wort .Tier"* die schwebende Er- innerung an etwas Zapjdiges, an lebende Wesen, die sich durch gewisse Merkmale von Pflanzen und von Steiueu unter- scheiden und die wieder unter sich sehr viele verschiedene Namen führen. Das Wort Tier hätte gar keinen SiKii. ^v;lre ein leerer Seli.iU, wenn es nicht mich dvn kinülicli>uu K()})f au Fische, Vögel, Riiider. Katzen, 1 1 in de u. s. w. erinnerte. Das Wort Tier wäre ein leerer Schall t.hne die Erinnerung daran, dass einige Tiere Fische sind, andere Vögel, Rinder, Katzen, Hunde u. s. w. Ein Fachmann wird das ganze System des Tierreichs im Kopfe haben, also die Erinnerung an den ganzen Umfang des BegriffSs. Ebenso wird jedes Kind, sobald seine Aufiuei^samkeit di^n gelenkt wird, «Tier* die Arten mitdenken, die ihm geläufig sind.

In noch tiefer zurückliegenden Urzeiten der Sprache ist der Begriff und das Wort Hund gebildet worden, um gewisse einander ähnliche Tiere bequem zusammen bezeich- nen zu können. Auch dieser Bogriff ist schweb^d; der Laie wird Ton manchem Vieh im zoologischen Garten ohne Belehrung nicht wissen, ob er es einen Hund nennen solle oder nicht; und der Fachmann dehnt die Familie der RAub- tiere, die er Hunde nennt, wieder weiter aus, z. B. auf die Wölfe. Einerlei. Ein jeder denkt sich etwas bei Hund, und dass ein Hund ein Tier sei, ist ein so spottwohlfeiles Merkmal, dass man f&r gewöhnlich gar nicht daran denkt, seine Aufmerksamkeit gar nicht darauf richtet

Mir kommt es nun darauf an, durch meine Darstellung nicht logisch zu beweisen, sondern fast handgreiflich zu zeigen, dass in diesem einfachen Falle ebenso wie

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Folgerung.

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immer rein psychologische Thfttigkeit, Uoese Erinnerung ist, was man logische Konsequenz zu nemen liebt. Kon- sequenz oder Folgerung ist ja auch genau betrachtet nur

ein bildlicher Ausdruck von der Zeitfolge; und wie die Menschheit sich gewöhnt hat, die regelmässige Zeitfolge Ton zwei Aenderungen Ursache und Wirkung zu nennen^ so möchte sie auch gern die regelmässige Zeitfolge von Begriffen in Grund und Folgerung zerlegen. Nur dnss Ursache und Wirkung wenigstens Korrelatbegriöe siud, Schluss und Folge aber eigentlich Synnnvme. Nur dass die Regelmässigkeit von Ursache und Wirkung: /war nicht in ihrem Wesen erkannt, aber doch zur llersteiluDg von Neuem nutzbar gema('ht werden kann, die angenommene Regel- mässigkeit von Grund und Folgerung aber ein nutzloses Spiel bleibt, identisch mit dem, was die PsycholoLnr (i - dankenassociation nennt. Wir denken uns die Beg itlt in un-t i. iu Gehirn aktiv und gebrauchen dann das ]iiM, ein Sat/- iolge aus dorn nndern: dann wieder denken wir uns die Begrifl'e pHS';i\ und irgend eine Seele iu uns aktiv und gebrauchen das Bild: ich folgere einen Satz aus dem an- dern. Als ob ein Bauer sagte: Ich zeitige mein Korn. In Wirklichkeit ist es das vom Interesse geleitete Spiel der Erinnerung, welches entgegen der strengen Zeit- folge von Ursache und Wirkung ebenso gut vorwilits wie rückwärts gehen kann. Die Erinnerung oder Ge- dunkenassociation rtlhrt vom BegritVc «iluiKl** so leicht und arbeitslos auf den Satz -der Ilund ist ein Tier*, wie das Auge den 1 iucliLUUüUüi einer Wiese und ihre grilne Farbe zugleich wahrnimmt; die Arbeit dabei ist so gering, dass ein Kind von anderthalb Jahren, wenn es erst das Er- innerungszeichen Wau-wau hat, sie schon leistet und z. B. (nach meiner eigenen Beobachtung) beim ersten Anblick einer Henne wmi'Wau sagt, womit es etwa ausdrücken will: Da ist auch etwas Zappliges.

Wieder kt es nur Srinncoimg, Besinnung auf den Umfang des Begriffs, wenn ich bei «Tier* zu dem Satze komme, „einige Tiere sind Hunde*. Ja, der Beii^ff »Tier*

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Y, Die SciüuMfolgerung.

ist fast so unvorstellbar wie nur der Bei^^rift' ^ Etwas", wenu ich dabei nicht an irgend welche Tierarten denke. Selbst im wissenschaftlichen abstrakten Gebrauch solcher Worte ▼erlasse ich mich stillschweigend darauf, dass ich sie jeden Augenblick realisieren, mit Beispielen belegen, auf Vor- stellungen zurückführen kann. Es hängt vom augenblick- lich«! Interesse, Ton meiner Aufmerksamkeit ab, ob ich zu dem Begriff Tier jetit das Beispiel Hund oder Fisch denke. Alle dieM hundert paHakularen Urteile kum dk Erimierung aus dem Sammelbegriff Tier wieder herausziehen « je nach meiner Aufmerksamkeit. Es ist gar nicht notwmdig, dass der allgemeine Satz »jeder Hund ist ein Tier' Torangegangen ist, um zu dem Partikularsatz »manches Tier ist ein Hund* zu gelangen. Nur unsere Aufmerksamkeit wurde durch den allgemeinen Satz «jeder Hund ist ein Tier* auf die Hunde gelenkt; das aber hatte das Wort Hund allein ebenso gut besorgt.

TniMit Alle diese logischen Konstruktionen, diese Baugeittote jmfang Lufbchljtesem, w&ren nicht mOglich gewesen, wenn die Logik nicht die Worte oder Begriffe zu ihren Zwecken in Inhalt und Umfang auseinandergespalten hätte. Die natür- lichen Erinnerungszeichen kennen diesen künstlichen Unter- schied gar nicht. Die Worte unserer Sprache erinnern zu- gleich an die Einzeldinge und an die allgemeinen Merkmale. Es ist nur Bequemlichkeit oder Uebung, wenn bald der Umfang, bald der Inhalt nicht Uber die Sdhwelle des Be- wusstseins tritt, was doch nur wieder ein hübscher bildlicher Ausdruck ist. Genau so, wie unser Qehim mit seinem ganzen bewussten Denken augenblicklich tot wäre, wenn die unbewussten Thätigkeiten der Atmung oder des Blut- kreislaufs aufhörten, so wäre unsere ganze Sprache augen- blicklich leblos, eine sinnlose Lufterschütterung, wenn hinter dem Inhalt der Worte nicht ihr Umfang, die Einzelvorstel- lungen, bereit wären. Darum sind auch die philosophischen Abstraktionen so leer, die den Zusammenhang mit der Sinnenwelt verloren liaV)en. Ich gebrauche nicht gern Sym- bole aus der griechischen Mythologie. Aber ein prächtiges

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Kretibüder der Logik.

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Symbol fUr echtes Denken ist der Riese Antäos, der un- überwindliche Kraft immer wieder fmch aus der Berührung mit der Mutter Erde schöpfte; hatte er erst den Zusammen- hang mit der Erdeuwelt verloren, hing er ei^t in der Luft, dann brauchte man kein Herkules zu sein, um ihn zu er- würgen. Die Herkulesarbeit bestand in der Kraft, ihn frei in die Luft zu hängen.

Dieses Gleiten oder Springen (je nach der Geschwindig- keit! des Ge'rächtnisses von Einzelerinnerungen zu ihren Zeichen und umgekehii macht unser gesamtes Denken aus; die Logik hat die Notwendigkeit des GedUchtnisses . sich unbedingt innerhalb seiner erworl)enen Vorstellungen zu drehen, hat diesen Zwang zu unabwendbarer Tautologie die Gesetze des Denkens, insbesondere Gesetze des Schlii -srns genannt, wie ja auch die Figuren der Tänze besondere Namen haben. Weil man von Gesetzen sprach, sollten sie auch )>M\vipsen werden; und hier scheint mir die Stelle, um die i olUu ii. aufzuzeigen, die darin liegt, sogenaimte Denk- gesetze durch geometrische Figuren ( jetzt gewöhnlich durch ineinnn 1 lujtschachtelte Kreise) beweisen zu wollen. Ich beraei ke gleicli , dass diese Unsitte noch keine öUO Jahre alt ist; wahrscheinlich rührt sie von dem witzigen Possen- dichter Chri.stian Weise her, der als tüchtiger Schulmann seinen Knaben die Logik durch Geometrie einbläuen wollte, wie Rhetorik durch seine Possen.

Bezüglich der Beweise für seine Schlussregeln befand Kreis- sith Aristoteles noch im Stande der Unschuld; bald sah er ^^l^*^^

iicr

das Selhstverstiindliche . vielleicht also auch die Unbeweis- Logik barkeit seiner Schlüsse ein und suchte nach gar keinem Beweise, bald mühte er sich, die verwickelte Selbstverständ- lichkeit auf die einfache zurückzuführen. Im Laufe der Jahr- hunderte aber sahen die Logiker immer deutlicher, dass die Folgerung in ihrem Grunde immer schon enthalten sei. Es ist ja klar, dass der Begriff mit seiner Definition iden- tisch ist, und ebenso identisch mit der Summe der Einzel- Torstellungen, an die er als ihr Zeichen erinnert. Im Begrifif

«Hund* steckt sowohl jede Einzelrorstellung «Hund*, die N*iithn«r, BeltTige ta elaw Krittk der SpvMh«. ID. 25

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Y. Die SchliMsfolgeniiig.

wir gehabt haben, als jedes seiner DeHnitionsrnerkmale, wie Tier, vierfiissig u. s. w. Logisch ausgedrückt: jeder Begriff enthält sowohl seinen Umfaug, als seinen Inhalt. , Ent- halten**, ^ilarinstecken* sind nun bildliche Ausdrücke, für die Wahrheit, dass unser gesamtes Denken oder Sprechen mit unseni Begritleu oder Worten schon gegeben sei, dass wir mit allem Schliessen nicht über die Eiimierung ßn unsere Sinneseindrücke und Vorstellungen herauskommen. Zu dieser Wahrheit aber gelangten die Logiker nicht. Wie die mensch- liche Sprache Überhaupt dazu neigt oder vielmehr darin be- steht, Bilder durch alltäglichen Gebraucli ihres Sinns zu berauben und sie dann, wenn die Metapher ihr Salz ver- loren hat und dumm geworden ist, lür Gedanken zu halten,

80 verloren die Logiker nach einher 2eit das Bewussteein davon , dass ihre l^eislinien nur bildliche Eselsbrttcken ibr denkfaule SchtQer waren. Sie xeichneten 2. B. einen grossen Kreis, der dem Begri£f .Tier* entsprecihai sollte; hinein seicbneten sie einen kleineren Kreis, der den Begriff «Hund* umschrieb (Fig. I). Es ist nichts zu sagen, wenn so das sprachlidie Bild für Dummköpfe anscbaulidier gemacht wurde. Man konnte dann z. B. daneben den Kreis «Kaise* Betzen, der ebenfalls im B^riff »Tier* enthalten war, aber mit dem Begriff «Hund* ausser dem Tierbegriff niehts Gk- meinsames hatte. So konnte und kann man noch viele Begri&verhSltnisse bildlich anschaulich machen. Aber was in aller Welt hat das Gedächtnis, welches in einem Wort

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KrdibOder 4er Logik.

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EinzelermneruDgen festhält, ausserbildlich, wirklich mit Kreisfiguren zu schaffen? Was hofft man mit einer Metapher zu beweisen? Wenn ich metaphorisch sage, der Müssiggaag sei der Vater aller Laster, und ebenso metaphorisch hinzu- füge, alle Laster seien Kinder der Erbsünde, kann ich dann ernsthaft und unbildlich damit beweisen, dass der MOssig- gang ein realer Mann, die ErbsUnde ein reales Weib sei, und dass der Müssigf^ang bei der Erbsünde geschlafen habe? Nichts lässt sich aus einem Bilde für die Wirklichkeit be- wp'i'^^n. weniger als nichts aus einem sclilechten Bilde. Und die KKmsr sind schlechte Hildor der Begritt'e , well sie nur die eine JSeite der Begritfsveraultnisse darstellen. Wir wissen, dass in unserem Gehirn nichts eingeschachtelt ist, dass viel- mehr unser Gedächtnis ganz ungeometrisch von der Einzel- erinnerung 80 gut zum allgemeinen Merkmal L^leiten oder springen kann wie umgekehrt. Wir mögen diese Thatsache in unserer allezeit bildlichen Sprache gut und gern so dar- stellen, dass der Begrift' Tier den Begriff Hund .enthalte''; dann «enthält" aber der Begriff Hund auch den Begriff' Tier, in seiner Definition nämlich und wir müssen das ebenfalls in Kreisfiguren darstellen kömieu. Diese bildliche Dar- stellung (Fig. 11) wäre ebenso richtig wie die an lere, weun unsere Aufmerksamkeit auf den Begriffsinhalt allein gerichtet wäre. Ich gestehe zu, dass die Ausführung des Bildes nicht so bequem wäre wie die andere, dass sie nicht üblich ist; aber der häufige Gebrauch eines Bildes, die Konvention, fügt es noch nicht in die Kette der Wirklichkeit ein, macht es uüch nicht l)eweiskräftig.

Man hat, um den Gebrauch der Kreisbildcr in der Logik zu entschuldigen , auf die Geometrie hingewiesen, höchst thörichterweise. Denn in der Geometrie sind die beigegebenen Zeichnungen, die Bilder, die Figuren eben ja nicht Metaphern, sondern weil es sich um Figuren handelt IHnzelfälle, Beispiele der Begriffe, genau so, wie wir ftlr unsere Begriffe verlangen, dass sie sich in Einzet-* Torstellungen, in Beispielen realisieren lassen, genau so wie ein lebendiger Pudel ein Beispiel «Hund* ist. Die

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V. Die Schlttaafolgerosg.

Krt'isfiguren in der Loy^ik aber sind gerade im Gegenteil dazu reine Metaj)Liern, Schülerbehelfe, Spielzeug, Bilder vou Sprachbildcrii, Schattou eines Lufthauchs. Niemais können sie etwas beweisen.

Einzelne Nachdem ich allgemein dargethaii habe, dass die "^r*^* unmittelbar- vermittelten Sätze, die S( hlüsse aus Einzel- SoUtiM. urteilen, das isit die sogenannten uiuiuttelbaren Selililssc dun haus nicht F(dgerungen. nicht ein Erschliessen von Un- bekanntem aus Bekanntem sind , wird es wohl übei'flüssig seiu, die logische Einteilung der unmittelbaren Schlüsse in sieben Unterarten einzeln und besonders zu kritisieren. Nur an wenigen Beispielen möchte ich immer wieder zeigen, dass alle Schlüsse versteckte Tautologien sind und dass das sogenvmte Schliessen niemals etwas Anderes ist, als eine Aenderung des Blickpunkts der Erinnerung, ein Weelisel der Anfmerksamkeifc, daas das Denken ohne Gnade an der Sprache und ihren Begriffen haftet.

Bei der Lehre von der Umkehrimg der Urteile lehren die Logiker z. B., dass sieh aus partikular yemeinenden Ur- teilen („einige Hunde sind nicht weiss") gar nichts er- schliessen lasse. Das wird mit Hilfe von Kreisfiguren sehr hübsch bewiesen, ist aber nicht wahr. Fflr gewöhnlich frei- lich handelt es sich um klare Subjekte und um unwesent^ liehe P^dikate derselben. Wir wissen alle ungeföhr, was wir ims unter ,»Hund* vorstellen, wir wissen femer, daas „weiss* ein Zufallsprädikat ist Dann richten wir auf die Farbe der Hunde unsere Aufmerksamkeit nicht, wir ver- suchen gar nicht vom Prädikate auszugehen und darum folgern wir nichts aus der Umkehrung. Die Sache wird aber sofort anders, wenn wir einander Uber die Bedeutung der Begriffe belehren wollen. Aus dem Satze »einige Wasserbewohner sind nicht Fische* ergibt sich sodann der Satz «die Begriffe Fisch und Wasserbewohner sind nicht identisch", was unter Umständen ebenso wertvoll sein kann wie andere logische Schlüsse. Ueber diese billige Weisheit,

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Einsebe munittelbar« Schlaue.

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die nichts nU eine Worterklärung ist, mag lächeln, wer auf meinem Staiuliuiukt steht: «ler Logiker aber müsste diesen meinen Schiuss in sfin* m System unterzubringen suchen.

Die LoEfikt'f reiten minier noch ihr altes dictum de omni et nnlio, «len Satz nämlich, (hiss z. B. nus _alle Hunde sind TitTf" üu folgern sei .einige Hunde sind Tiere" ; und ebenso aus „einige Tiere biiul nicht Hunde" die Unwahrheit des Satzes »alle Tiere sind Hunde". Nun kann es ja vor- kommen, dass in sophistischen Streitigkeiten die Aufmerk- samkeit auf solche Kindereien gelenkt wird; aber in seiner Allgemeinheit ist das berülimte Dictum doch ärmlich, weil es doch nur feierlich das ABC der Begriffsbildung wiedergibt.

Die Logiker kennen immer noch eine Aequipullenz, das heisst die sachhche Uebereinstimraung zweier Urteile, die sprachlich verschieden sind; die Logiker schlies tu also aus dem Satze -jeder Hund ist ein Tier" die Neuigkeit ,es gibt keinen Hund, der nicht ein Tier wäre". Hier hat schon Kant bemerkt, dass ein Fortschreiten im Denken nicht statt- finde, dass man also die Aequipollenz keinen Schiuss nennen dürfe.

Endlich kennen die Logiker muh ein üngetOm von Schiuss f die modale Konsequenz. Es ist undankbar, diesen Sati suent in eine Ternflnffcige Form su bringen, um naeblier seine UnTemunfb zu beweisen. Han sagte frUher: ,ab operiere ad esse, ab esse ad posse valet consequratia; a posse ad esse, ab esse ad oportere non yalet consequentia.* Wenn etwas notwendig ist, so wird es auch wirldich, that- sächlich sein, wenn es wirklich ist, wird es auch möglich sein; und wenn etwas nicht möglich ist, wird es auch nicht wirklich sein, wenn nicht wirklich, auch nicht notwendig.. Ich mache darauf aufoierksam, dass die Begriffe Notwendig- keit, Thats&chlichkeit und Möglichkeit nur Grade unserer UeberzeuguQg, unserer subjektiven Gewissheit aussprechen, dass sie also in die SchuUogik, wenn sie logisch wftre, gar nicht hineingehorten. In dem logischen Gebäude unseres Denkens dürfte nur für die Notwendigkeit ein Plata sein, nicht aber für die Möglichkeit, also auch nicht für not-

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y. Die Schlussfolgerung.

wendige Schlüsse «ob der Möglichkeit. IHe Logik ab«* hat recht, wo sie unlogisch ist; unser Denken ist nur notwendig, soweit es tautologisch ist, unsere Üeberzeugung aber von dem Eintreffen eines neuen Ereignisses hat immer nur Wahrscheinlichkeit für sich; den höchsten Grad der Wahr- scheinlichkeit nennen wir auf die Hypothese der Kau- saliföt gestutzt Notwendigkeit, die geringeren Qrade nennen wir MtSglichkeit. Schluss aber Ton dem höheren Grad auf den niedem, Ton dem Mangel des niedem Grades auf die Unwahrheit des höhem, dieser Schluss ist so arm- selig wie die andern unmittelbaren Schlösse. Man hat thörichterweise eine neue Art geschaffen, weil es sich um den TORBwicktett Begriff der Möglichkeit handelte. Aus der Notwendigkeit geht aber die Möglichkeit nicht anders herror, tüs aus dem Satase «jeder Hund ist ein Tier* der Sats »mancher Hund ist ein Tier". In der Notwendigkeit steckt die Möglichkeit wie in der grossen od«* gar in der unend- lichen Zähl die kleinere; und wirklich drückt man ja den Grad der Wahrscheinlichkeit durch Zahlen ans. Wobei nicht m Übersehen, dass Wahrscheinlichkeitsrechnung nur für die Rechnung etwas lehrt, fttr den Einzelfall jedoch im ganz klaren Kopfe nicht einmal die Erwartung erregt, son- dern nur den Wunsch. Man wird auf den Exponenten der Mü<:fliclikeit nur aufmerksam.

Nun aber haben die Logiker zwiscben die Notwendig- keit und die Möglichkeit noch einen Mittelbegriif gesteckt, die Wirklichkeit oder Thatsüchlichkeit, was in der lateini- schen Form ganz Terzweifelt schulgemäss mit dem leersten aller Begriffe, mit «Sein'' wiedergegeben wird. Wir wollen also den Satz meinetwegen so ausdrücken: es folgt aus der Gültigkeit des apodiktischen Urteils die des assertorischen, aus der Gültigkeit des assertorischen Urteils die des proble- matischen. Das apodiktische Urteil behauptet seine Not* wendigkeit, das problematische Urteil behauptet nur seine Möglichkeit; das ist klar. Was aber behauptet das asser- torischo Urtrilr' Es behauptet eben, es spricht eine Be- hauptung aus i es ist also ein leeres Gerede, es ist erschütterte

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SjllogyBmeiL

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Luft, so lange es nicht auf den Grad seiner Wahrscheinlieh- keit geprüft worden ist, so lange es nicht als notwendig oder als möglich empfunden worden ist.

Es wäre eine feine Aufgabe für die Historiker der Philosophie, zu zeigen, wie der Schhiss aus der modalen Konsequenz in die Logik überimupt hineingekommen ist. Man müsste wieder auf Aristoteles zurtkkgehen, der sich nach seiner verhältnismässigen Unschuld in der Notwendig- keit wohl eine Art Lxottheit dachte, die über der Wirk- lichkeit steht und die in ihrem freien Willen überlegt, ob sie ja oder nein sagen wolle, ob sie sich zur Wirklichkeit, zur I'xisLluz herablassen wolle. Es wird schon so sein; und Ulis diesem Herablassen , diesem Tiefersteigen der er- habenen Notwendigkeit zur gemeineu Wirklichkeit ergab sich dann wenn einem der Verstand auch dabei stille steht die Unterordnung der Existenz, des Weltganzen unter die Notwendigkeit, die doch nur ein menschlicher Be- griff ist, ergab »eh die Aufstellung des assertorischen üitdk, der gaffenden Behauptung, iwiaehtti ^e Xotwendig- keit und die HOglicUceit. Ünd das haben die Logiker (bis auf Schuppe) nachgesprochen. Wir aber wissen, dass Kot- wendigkeit und HdgUchkeit nur Abstraktioinen sind für die WahrscheinHehkeit unserer Behauptungen, unserer « asser- torischen Urteile* (um das dumme Wort zu wiederholen), dass unsere Behauptungen aber nur die zusammenfassenden Erinnerungen sind an unsere SinneseindrQcke, unser Ge- dftchtms der Wirklichkeit

Wir sind nun so weit gelangt, dass wir auch ohne SyUogift- nShere Untersuchung schon wissen mfissen, es werde der Syllogismus oder der logische Schluss ebenso wenig jemals unsere Erkenntnis weiter fllhren als das Urteil es veimochte. Die alte YonteUung, dass die Begrüfe durch ihre Yer^ gleichung au der höheren Weisheit der Urteile ausammen- treten, ist fitr uns nicht mehr vorhanden. Wir haben er^ fahren, dass nicht das Urteil durch die Begriffe deutlich

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V. Die Sclilutixifolgeraiig.

gemacht weMe, sondern der Begriff durch das Urteil. Steckt aber im Urteil nicht mdur Erkenntnisstoff als im Begriffe selbst, sa kann der Sdiluss aus Urteilen nicht mehr heraus folgern, als aus Begriffen. Es wird also wohl auch die Schlussfolgerung nichts anderes sein als eine noch brei- tere Auseinanderlegang der Begriffe od^ Worte, wobei keine neue Erkenntnis entstehen kann.

Seit Stuart Mill kann diese Unfruchtbarkeit der Schlösse als bewiesen angenommen werden, aber die Schullogik klammert sich immer noch an die alten Lehren und sucht sie durch neue Konstruktionett au retten. Man gibt seit Trendelenburg die formale Logik preis, das heisst diejenige Logik, die zugestandenermassen die Brücke zwischen sich und der WirUichkeit abgebrochen hat, und versucht die sogenannten Gesetze der Logik wieder mit den Gesetzen der Wirklichkeitswelt in Verbindung zu bringen. Es wieder- holt sich also hier auf der Höbe der logischen Arbeits- leistung, was wir schon in den Niederungen beobachtet liulnn. Die grosse und unumgängliche Hypothese des Waltens von Ursache und Wirkung in der Natur wird mit dem mangelhatten sprachlichen Bilde von einem Grunde und dner Folge gleichgesetzt, es wird der Folge aus dem Grunde die gleiche Notwendigkeit zugesprochen wie der Wirkung aus der Ursache und die N&tzUchkeit der Syllogismen scheint erwiesen.

Nun gibt die neuere Schullogik bereits unumwunden

zu, dass in den meisten Schlussfol;;erun^en unseres Denkens kein Vorwärtsschreiten sondern vielmehr bloss eine Art Rück- wärtiischauen gegeben sei. Das beliebteste Beispiel für dieses Zugeständnis pflegt aus den Sätzen über unser Planetensystem genoninien zu werden.

Wir raaclien also l"ol(j;enile Schlussfolgerung':

AUe Planeten sind an dea Polen abgeplattet,

Der Mars ist ein Planet,

also: der Mars ist an den Polen abgtjdattet. Das ist ein tadelloser Syllogismus. Aber es ist dabei

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Wertlosigkeit de« Sciüieweii».

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souneuklar, dass wir zu dur Ikdiauptiiug, ^ullc Planeten seien abgeplattet", wenn sie mehr als eine Vermutung sein soll, erst durch die besondere Beobachtung gelangt sein können, dass auch der Mars an den Polen abgeplattet sei. In allen solchen FäUen ist es jedem Kinde begreiflich zu machen, dass die Schlussfolgerung in unserem Denken fiilher Toxiiaaden gewesen sdn müsse, als der Obersats, aus dem wir sie nachher herausziehen. £8 ist zweifellos, wie wir ja schon bei froheren Gelegenheiten sahen, dass die Folge froher da war als der Grund, dass das Bild Ton der Zeit- folge hergenommen also ein verkehrtes Bild sei, dass end- lich die Gleichsetomg Ton Kausalit&t (Ursache und Wirkung) und Schliessen (Grund und Folge) eine Sinnlosigkeit be- hauptet. Wir können nur wiederholen: durch das sogenannte Schliessen wird nichts neues erschlossen.

Noch deutlicher wo mOfflich wird die WerÜosiffkeit ^'«r^- eines solchen formalen Schliessens, wenn wir bemerken, dass es uns doch eigentlich bei allen solchen Denkoperationen Bchues- um Wahrheit zu thun sei, das heisst um die Ueberein- Stimmung unseres Denkens oder unserer Sprache mit der Wirklichkeitswelt. Dann fallt uns ein, dass nicht nur die Wahrheit des Satzes «alle Planeten seien abgeplattet*^ un- möglich sei Tor den Einzelwahrheiten .jeder Planet ist ab- geplattet", sondern dass s<^r das Wort oder der Begriff Phinet erst durch solche £inzelbeobachiungen gewachsen sei und dass f&r unsere gegenwärtige Welterkenntnis oder unseren gegenwi&rtigen Sprachschatz die Abplattung bereits zum Begriff Planet gehöre. Wir erkennen daraus, dass der Schlusssatz „der Mars ist abgeplattet" nicht nur bereits in der Prämisse „jeder Planet ist abgeplattet" enthalten sei, sondern auch schon in dem Worte Planet allein und in dem Worte Mars allein. Wer sich bei Planet oder bei Mars die Abplattung nicht mit vorstellt (sobald seine Auf- merksamkeit darauf gerichtet ist), der hat das Wort Planet oder Mai*s noch gar nicht in seinem Sprachschatz. Mein Kerl im Wirt^baiis braucht keine astronomische Bildung zu besitzen und für ihn wird der eben vorgenommene Syllo-

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V. Die Schlussfolgenuig.

gismus gewiss eiae Neuifi^ü enthalten, eine Veimehrung seiner Erkenntnis. Aber diese Termehrung verduikt er ja nicht don Syllogismus sondern der Mitteilung einer ihm fremden Beobachtung. Die Erkenntnisrermehrong besteht in der Mitteilung, dass der Mars an den Polen abgeplattet sei. Weiss der Kerl von der Volksschule her, dass die Erde ein Planet und an den Polen abgeplattet ist; eifUirt or nun, dass Neptun, Uranus u. s. w* ebenfalls Planeten und ab- geplattet seien, so wird er allerdings su dem susanunen- fassenden Begriffe kommen (was man eine Induktion nennt): Komisch, alle Planeten sind ja abgeplattet! Er wird sich, wenn es ihn Überhaupt interessiert, den Begriff Planet su- gleich mit dem Merkmal der Abplattung merken. Wollte sein gelehrter Freund nun aber plOtstich den Weg zurQck- machen und etwa sagen: «Siehst du, mein lieber Hanswurst, der Mars ist also abgeplattet, alle andern Planeten sind es anch, und daraus, dass alle Planeten abgeplattet sind, kannst du schliessen, dass auch der Mars abgeplattet ist!* dann wird mein Kerl im Wirtshaus mit der Faust anf den Tisch schlagen und rufen: «Selbst Hanswurst! Davon sind wir ja ausgegangen, das weiss ich ja schon."

Sollte mein Kerl im Wirtshaus aber ungewöhnlich dumm sein, dann konnte der gelehrte Freund ihm allerdings Torreden, er müsse den Satz „alle Planeten sind abgeplattet" auf Treu und Glauben liinnehmen und aus dieser Prämisse ergebe sich mit logischer Notwendigkeit die Abplattung des Mars. Dann hat aber der Kerl nur nicht wahrgenommen, dass sein Freund eben das Bild kann nicht oft genug wieder- holt werden ein Taschenspieler war, der ihm aus der Tasche sieht, was der S(helin selbst vorher hinein gesteckt hatte.

Der Unterschied an Wissen oder Sprachurofang ist entscheidend dafür, wer Lehrer und wer Schüler ist, wer eine Beobachtung mitteilt und wer sie mitgeteilt erhält. Ffir das Wesen des Schlusses macht Wissen oder Sprach- umfang keinen Unterschied. Hat doch der Kerl im Wirts- haus seinen Syllogismus eben 80 tadellos und eben so bans- * wurstmüssig gemacht.

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WerÜOBigkeit de» Schlieaaeiu.

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Jeder Käse ist ein Kas, ehester steht unter Käse,

aUo: muss Chester ein Khs sein. In dem Plouetenbeispiel ist das Vorausgehen des Schluss- satzes, also seine völlifje Wertlosi<?keit, darum so einleuch- tend, weil der Uiütaiig des BefjritJis Planet so klein ist. Zwar wurden zu den sieben i'iiii.üifu, die man schon frülier kannte und beobachtete, im Laufe des 19. Jahrhunderts über 200 neue kleine Planeten hinzu entdeckt, aber die Zahl ist immer noch sehr gering im Verhältnis zu den Einzeldingen, die unter die meisten andern Begrifie fallen. Unzählbar sind die Vorstellungen, die unter Baum, Tanne, Tier, Schwalbe, Wohlstand, Diebstahl u. s. w. Terstanden werden. Es isi ftlr jedermaim, der ein wesug an abstraktes Denken gewöhnt ist, schon lange selbstTOrstilndlich, dass auch diese letzten Begriffe nur durch sogenannte Induktion entstanden sind, dass also alle ScUussfolgerungen aus Merkmalen ihrer Begriffe der Begrifisbildung vorausgegangen sind. Katttrlich kommen bei solehen Schlussfolgerungen, die in dem Worte scb<m ent^* halten waren, gewöhnlich nur alberne Tautologien heraus. Dass jede Schwalbe ein Tier sei« weil jede Schwalbe ein Vogel und jeder Vogel ein Tier, das ist gewiss ebenso sicher eine Albernheit wie es ein guter Syllogismus ist. Man bemüht die Logik allerdings gewöhnlich nur in solchen Fallen, wo der Besserwisser dem Unwissenden etwas neues mitteilen will, wie wenn er die Mitteilung, dass der Wal- fisch lebendige Junge zur Welt bringe, in die Form der Schlussfolgerung kleiden wollte: alle Säugetiere bringen lebendige Junge sur Welt, der Walfisch ist ein Sftugetier, also bringt er lebendige Junge zur Welt. Ich brauche nicht erst zu wiederholen, dass auch diesmal die neue Be* obachtung oder Mitteilung eben nur in den lebend^en Jungen besteht und dass das Uebrige nur Sprachbereiche- rung ist

Nun sucht aber die neuere Logik einen Unterschied zu machen zwischen derartigen Schlussfolgerungen, die allei^

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V, Die Jicbiuselolgerung.

Bmi- (lings in ihrem Obersatz echon entlialteii seira, und zwisclieii sdcbeu, in denen unsere Welterkenntnis dennoch durch reines Schliessen vermehrt werde. Auf diesen neuen Ver- such, wegen der bekannten Unfähigkeit der formalen Logik noch eine Art von Reallogik zu schaffen, muss ernsthaft geantwortet werden, damit klar werde, wie falsch die Psycho- logie solcher Logik ist.

Ich finde diese Behauptung der Reallogik am greif- barsten ausgedrückt in Ueberwegs »System der Logik" (5. Auflage S. 315); er sagt da: »Die Möglichkeit des Syllogismus als einer Form der Erkenntnis beruht auf der Voraussetzung, dass eine reale Gesetzmässigkeit bestehe und erkennbar sei, gemäss dem Satze des zureichenden Grundes. Da die vollendete Erkenntnis auf der Goincidenz des Er- kenntnisgrundes mit dem Bealgrunde beruht, so ist auch deijenige Syllogismus der vollkommenste, worin der ver- mittelnde Bestandteil (der Mittelbegriff, das Mittelglied), wel- cher der Erkenntnisgruttd der Wahrheit des Schlusssatzes ist, zunächst den Realgrund der Wahrheit desselben bezeichnet* Diese Ansicht, welche schon bei Aristoteles durch die Bemerkung «der Mittelbegriff sei die Ursache" angesprochen wird, ist sehr verständig. Wollte man, wie es schon die alten Skeptiker thaten, die Wertlosigkeit des Syllctgismus einzig und allein aus der formalen Logik beweisen, so hätte man nicht viel bewiesen. Die bisher betrachteten wertlosen analytisi bell Schlüsse ( welche für uns ebenso loei os Wort- machen sind wie die apriorischen, analytischen Urteile) ent- sprechen freilich ganz genau den Regeln der spitzfindigen mittehilterlichen Logik, welche auch unsere Schullogik ist. Und im Hinblick auf diese Art von Schlüssen ist die Be- deutungslosigkeit des ganzen Verlahrens wie gesagt schon ziemlich allgemein zugestanden worden. Ja die Ver- urteilung solcher Syllogismen geht bis auf Descartes zurttck und wurde von Kant ganz scharf ausgesprochen, dem sie nicht mehr ein Mittel war die Erkenntnis zu erweitem, sondern nur ein Weg, uns durch Analyse klarer zu machen, was wir schon erkannt haben. Und ganz in unserem

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Reallogik.

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Sinne sagt dann später Schleierraacher: die Schlussfolge- mng sei kein Foiischritt im Denken, sondern bloss die Be- sinnung darüber, wie wir zu den vermeintlich neuen Ur- teilen, dem Schlusssatze, gekommen sind oder gekommen sein können.

Kant und seine Nachfolger jedoch bewegen sich immer nur im Kreise der Lof^ik scll)st heriua, linden darum ausser- halb derselben keinen Standpunkt zum Ueberblick der ge- samten Logik und können darum keine Stellung fassen zu dem oben erwähnten Rettungsversuch, zu der Lf^hre des Aristoteles und seiner neuesten Schüler, dass nämlich der Mittelbegriff des Schlu*^ses zur Ursache der Coiichjsio werde, dass die Lo|2:ik unmittelbare Erkenntnis der ^Virkli^hkeits- welt sei. Näher kam der Wahrheit .schon Dcscarte.s, als er die ganze Logik eigentlich preisgab und sich mit dem psychologischen Vorgang unserer subjektiven Öewissheifc begnügte.

Denn darauf kommt es an, dass wir erkenneu: Not- wendigkeit herrscht nur in der Wirkli* hkeitswelt : all unser Denken ist nur ein Erinnern an unsere Sinneseindrücke von ihr und ein Glaube an ihre Notwendigkeit; alles Denken ist psychologisch, logisch ist nur das S( hema unseres Denkens. Die Notwendigkeit der wertlosen, analyti- schen Schlüsse ist nur die Notwendigkeit der Identität, ist nur ein ainlor^ r Ausdruck für die Hen-schaft der Tautologie im Denken oder Sprechen. Die Notwendigkeit aber, die wir der engeren Gruppe von Syllogismen beilegen, derjenigen in der der Mittelbegriff die eigentliche Ursache sein soll, diese Notwendigkeit ist als logisches Ergebnis eine Selbst* tiloscihung. Notwendigkeit ist dem Sprachkritiker nicht Geselsmftssigkeit. Allerdings müssen wir, um das klar ein- zusehen, daran erinnern, dass für uns der Begriff der Ur- sache ein mythologischer B^(riff geworden ist und ebenso der Begriff der Naturgesetze. Denn nicht weniger als die Erkenntnis der Naturgesetze will die neue Resdlogik be- haupten.

Ich wiederhole, dass es in aller Logik und in aller

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V. Die Sehlnaifolgeniag.

Welt für das Wesen unseres Denkens keinen Unterschied machen kann, ob f]cr denkende Kopf über ein grosses oder kleines Wissen, über ein'^n »grossen oder kleinen Sprach- schatz verfWj:^. Wir haben gesehen und es wird uns allgemein zuc^estandea , dass die Abplattung des Mars nicht aus dem all- gemeinen Satze hervorgehe ,alle Planeten sind abgeplattet*, sondern dass vielmehr die Beobachtung des Planeten Mars dem allgemeinen Satze habe vorausgehen müssen. Wüssten wir von den Planeten und ihrer Beweg-ung nichts anderes, so stünde nichts im Wege , die Abplattung ein Gesetz der Planeten zu nennen, ein Naturgesetz. Dieser Ausdruck ist nicht üblich, weil der Sprachgebrauch das Wort , Natur- gesetz" lieber ftlr allgemeinere Formeln verwendet.

Nun hat s( hon vor langer Zeit Kepler die Beweguüg der Pluneteu verglichen und dafür diejenigen Pormeln auf- gestellt, welche noch beute von der Astronomie als richtig anerkannt werden. Jene Formeln werden noch heute in der ganzen Welt die drei Keplerschen Gesetze genannt. Es dnd Gesetze, also nach gemeinem Sprachgebrauch die Ur- sachen der Einzelerscheinungen. Wir werden uns gleich davon flberzeugen, dass vir nicht im Enmlie daaran denken, diese Gesetze wirklich fQr die Ursache, ftir den Bealgrand der einzelnen PUmetenhevegungen zn halten. Die drei Kepler- schen Gesetze sind schwerer zu verstehen und unserem Hanswurst schwerer begreiflich zu machen als der Satz .alle Planeten sind abgeplattet*^. Aber auch die Keplerschen Gesetze sind ebenso nur Zusammenfassungen von Beobach- tungen, yiel feinerer Beobachtungen freilich. Auch ein Kepler- sches Gesetz ist, wenn es an die Spitze eines Syllogismus tritt, nur die bequeme Eh^isee, vor deren Formulierung der Schlusssatz beobachtet werden musste. Und die Kepler- schen Gesetze gehören in den Köpfen, denen sie überhaupt geläufig sind, auch schon zu den Merkmalen dee Begriffes .Planet", so dass fUr jeden Astronomen Im Begriffe «Planet* schon drinsteckt, was die Logik mit Hilfe der Keplerschen Gesetze aus ihm herausziehen möchte.

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Phjchologie des Sdüieaieiu.

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Wäre Aristoteles, als er mit grossem Scharfsinn die Pcyeho- Genusregeln äer [^ogik aufstellte, ein besserer Psychologe ge- ^g^^ Wesen, er hätte mit seinen Gruppen ohne Zweifel die Gram- matik bereichert. Hätte er den Vorgang des Denkens besser beobachtet, so hätte er gefunden, dass wir niemals nach einer logischen Figur denken, niemals formelhaft, sondern immer sachlich. Und eben darum kommen wir nicht weiter mit unserm l'unken, weil sich das Schliessen vom Urteilen nur grammatikaliaicli unterscheidet. Es ist nicht wahr, dass wir nach irgend einer der logischen Figuren schliessen: „Wenn die Sonne aufgegangen ist, wird es hell es ist hell also ist die Sonne aurgegaugen." Abgesehen von den Fehlern dieses Schlusses (auch bei einer Feuersbrunst wird es hell), ist unser Denken viel einfacher. Der ganze Schluss vollzieht sich als die Timtulogie: Sonne ist hell. Wenn wir aufwachen, so ist der Einfall „es ist helT (i-m andern ,die Sonne ist auf" fast gleich. Nicht ein Sehiuss ist die Sache, sondern eine Tautologie.

Lud Wenn man eiuweiieu wollte, da.ss doch dann das Denken etwas ganz anderes sei als die Sprache, weil die Sprache offenbar schliesst, das Denken aber nicht, so aut- Worte iehi Es braucht die Sprache gar nicht zu kümmern, dass wir diese Art von Bewegungen in ihr Schlüsse nennen. Sie folgt dem Denken schon. Und für gewöhnlich begnügt sie sieh mit SubjeU und Prädikat. Erat wenn de sich der Tautologie bewusst werden will, wenn sie das OefÜhl des Nichtweiterkommens sich deutiich machen will, dann ler» dehnt sie das Subjekt zu einem Vordersatz, zerdehnt das Prädikat zu einem Nachsatz, murmelt bei der Gopula ein superkluges Aha! und steht vor der Thatsache, dass sie einen Wurm dort herausgezogen hat, wo er drin war.

Die Ordnung der Prämissen, wie sie rom Logiker auf die Tafel geschrieboi werden, ist eine willkürliche. Im Kopfe ist die Regel des Obersatzes und die «Voraussetzang* des Untrawktzes zugleich vorhanden; sonst wttrden dem Kopfe beide Sätze nidit zum Beweise eines dritten einfallen. Wie die höhere Art und die niedere Spezies im Begriffe steckt

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y. Die Schlnstfolgenuig.

und dem wirklichen K'onner drs Worts cfefren wiirtig ist, so der ganze Syllogismus mit jedem seiner bätze. Und darum ist der Syllogismus für den Satz, was die Definition für das Wort ist: eine Eselsbrücke fUr Duminköpfe oder ein Spiel für gelehrte Kinder.

Vielleicht ist die Syllot^islik des Aristoteles aus einer ähnlichen Marotti' liervori^ogani^en, wie die Ethik dfs Spi- noza. Vielleicht wollte er die Gedanken ordine <ii oMietrico demonstrieren. Man verbuche aber eirnnal. in der (Teometrie mit lo^rischen Schlüssen weiter zu kommen, anstatt mit realen Konstruktionen, man versuche einmal aufzusagen: alle Ket^elschiiitte sind Kurven, die Ellipse ist ein Kegel- schnitt, also ist die Ellipse eine Kurve (Sigw. 1. 408) und das Gelächter der Mathematiker wird vielleicht lehren, dasa auch der übrigen Welt nicht die Logik weiter führe, sondern Beobachtung.

Und wenn man sich klar machen will, welch ein Miss- braucli in der Ijotrik mit dem Worte Gesetz gemacht wird, so denke man an den Schluss: Em Mörder müsste gesetzhch hingerichtet werden.

Gesetze Auf vollständige Darlegung brauche ich mich nach K«pl«ra. ßjij.^ Vorausgegangenen nicht einzulassen. Es handelt sich einfach darum, ob die drei Keplerschen Gesetze der Real- grund dafür seien, dass die Planeten in diesem Augenblicke just diese und keine anderen Orte im GKmmelsranm An- nehmen. Man mttsste wirklich die Keplerschen Gesetze wie alle andern Naturgesetze für Polizeirerordnungen eines ausser* weltlichen Gottes halten, um emstlich zu behaupten: der Satz «die Bahnen der Planeten seien Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne stehe* sei die Ursache für die elliptische Bahn unserer Erde; oder der Satz »die Qua- drate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die Kuben der mittleren Entfernungen von der Sonne* sei die Ursache unserer Jahreslange; oder der Satz «der Radius vector der Planeten überstreiche in gleichen Zeiten gleiche Flacben-

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Gravitation.

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räume" sei die Ursache dafür, dass die Erde in diesem Augenblicke diesen und keinen anderen Ort habe. Nur wenn die Keplerschen Gesetze diircli Strafen pfeschützte Polizeiveronlnunf^eu waren, könnte mau sie ürsaclien nennen. Und selbst ilaun wäre ja ihre Befolgung unmüj^lich , wenn die Planeten nicht Mathematik studiert hätten. Oder sollten die Strafen wegen Polizeiühertrctunr^ auch ohne Mathematik au iliuen vollstreckt werden nach dem Grundsatze: Un- kenntnis schützt nicht vor dem Gesetze? Aber ich stosse vielleicht offene Thilren ein? Man gibt mir vielleicht zu nicht der Kerl im Wirtshaus, aber wohl jeder wiasen- schafblich gebildete Mensch , doss die Bezeichnung Qe- setie fOr die Keplerschen Formeln mcht gat gefriÜttt sei, eben darum weil sie nicht die letzten Ursachen der Be- wegungen seien, dass also nicbt die Bewegungen Wirkungen der Oesetze seien, sondern Tielmehr die Beobachtungen der Bewegungen die ErkenntnisgrQnde der Oesetee. Der Begriff «Kas*^ ist nicht die Ursache, nicht der Realgnmd des StQck- cben Chesters auf dem Wirtshaustisch.

Man gibt mir das alles zu, beUlIt sich aber vor, mich <invi- mit dem Gravitationsgesetz eines Bessern zu bekbren. Die Keplerschen Formeln seien mit Unrecht Oesetze genannt worden, weil sie nicht die letzte Ursache der Flaneten- bewegungen w&ren. Darum lasse sich auch aus den Kepler- schen Formdn nichts erschliessen, was nicht schon in ihnen enthalten gewesen sei. Aber Newton habe diese letzte Ur- sache entdeckt, sein Orantationsgesetz sei ein echtes Oesetz und wenn es als Mittelbegriff ui einen Syllogismus hinein- gesteckt werde, so ergebe sich mit logischer Notwendigkeit ein neuer Schlusssatz, der in den PHbnissen noch nicht ent- halten gewesen seL Und als Trumpf wird dann wohl die Entdeckung des Planeten Neptun ausgespielt. Die bgische Qewissheit aus dem Gravitationsgesetze sei eine so absolute gewesen, dass man aus Störungen im Laufe des Uranus mit logischer Gewissheit die Existenz des Neptun voraus- gesagt habe. Die Beobachtung des Neptun sei erst nachher erfolgt. Hier hätten wir also einen klassischen Fall, in Maatliner, BeUrig« zn einer Kritik der Sprach». III. 26

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V. Die Sclilu£i»folgeruDg.

welchem die Kenotnis des Scfaliussatxes der AiafskeUung der Prftmiseen nicht Tor«usging. Ich kann nienuils ohne Heiter- keit bemerken, wk dieser eine unerhörte Fall immer wieder herangezogen wird, sobald man beweisen will, daas der Syllogismus jedesmal neue Wahrheiten lehre. Und weil dieser Fall so einzig dasteht, will ich ihn auf seinen logi- schen Weit untersuchen, so schwer es auch sein mag, über derlei fachwissenschafiliche Thatsachen ganz allgemein und allgemein verständlich sich klar zu werden.

Vor allem also die Bemerkung, daas das Orantations- gesetz oder das Gesetz der Schwerkraft flir uns nur so lange die letzte Ursache, also ein wshres Gesetz der Planeten- bewegungen ist, als es nicht von einem neuen, noch höheren Gesetz abgesetzt» solange die letzte Ursache nicht von einer «aUerletzten* Ursache abgelOst wird. Man stelle sich einmal vor was doch vielleicht in absehbarer Zeit Wirklichkeit sein wird dass ein naturwissenschaftliches Genie die Ge- seüse des Lichts, äcv Wärme, der Elektricitat zusammen mit dem Gesetze der Schwerkraft auf eine einzige Formel ge- bracht habe, genau so wie Newton selbst doch nur die Keplerschen Gesetze und die Gesetze des Falles auf eine Formel gebracht hat. Wie nun durch die ungeheure Ver- einfachung Newtons die Keplerschen Gesetze zu blossen Zu- sammenfassungen oder Begriffen einer Erscheinungsgruppe herabsanken, wie nach Newton die Keplerschen Gesetze nicht nit l r die Ursachen der Pianetenbcwe^nj^ genannt werden konuten, sondern eben nur ihre abgeleiteten Formeln waren, so wird nach der Zeit des von uns angenommenen neuen Genies auch das Gesetz der Gravitation nur eine Formel st ill neben anderen, eine zusammenfassende Formel för alle mechanischen Bewegungen, der Inhalt eine«? grossen neuen, von einer ungeheuren Gruppe der Erscheinungen abgeleiteten Begriffs, die Formel für alle diese Erscheinungen, aber nicht ihre Ursache. Da uns dieses künftige T'» herhcltwerden des Gravitationsgesetzes ganz gewiss ist, so haben wir dieses natürlich auch schon im Geiste enfHimnt. Wir sehen in der Graritation keinen mythologischen i^egriü mehr, keine Gott-

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EnCdeekong det N«ptiu.

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heit mehr, weiche die fallenden Aepfel wie die kreisenden Sterne von aussen aluBiBe, wir sehen also selbst im Gesetze der Gravitation keine wirkende Ursache mehr und dieeer einzige Beweis für den Fortechritt im Denken durch logische Schlüsse wird hinfällig.

Betrachten wir aber die Entdeckung des Neptun mit Ent- HUfe logischer Schlösse aus dem Gravifcationsgesetz noch ein bigschen j?enauer. Von allen Rechnungen abgesehen ver- N«ptaii. lief doch die Sache foigenderniassen. Die Newtonsche Hypo- these von der Identität der irdischen Schwrj kraft und der himmlisclien Anziehung wurde allgemein für riciitig ange- nommen und tätlich neu bestätigt. Sie gestattete nützliche Anwendungen für den Kalender und anderes, so wie die altbekannten Gesetze der irdischen Schwerkraft nützliche Anwendungen z. B. für die Artillerie gestatteten. Diese nützlichen Anwendungen haben mit der Logik nichts zu thun. Logisch und wissenschaftlich aber schloss man:

alle Planeten gehorchen den Ue^et/:eu ihrer Schwer- kraft

der Urauu« lai ein Flauet

also mus6 der Uranus den Gesetzen seiner Schwer- kraft gehorchen. Die Astronomie hörte nicht auf, solche SchlUssr und auf sie geBtützte Berechnungen mit allen Planeten vf»rzu- nehmen. Die Hypothese des Gravitationsgesetzes wiii ur- spiüiiglii Ii doch nur ein Apertju, welches Newton von einem einzigen Falle, der Beschleunigung des Mondes nach der Erde zu, gemacht hatte. Selbstverständlich eines der genialsten Apercus der Weltgeschichte. Dieses Apercu oder diese Hypothese wurde durch die Beobachtungen an den Planfiten immer wahrscheinlicher. Es war, theoretisch ge- i^rochen, der ganz gewöhnliche Weg der Urteilsbildung durch Induktion. Das Urteil, welches heute noch QraTi- tgtionsgesetz genannt wird und welches in kOnftigMr Zeit einmal su einer Formel neben anderen werden wird, tat ein. wertfolles, aposteriorisches Urteil, es erUftrt uns hOduii

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T. Die ScUiinfolgttaiig.

wahrscheinlich einen richtigen Begrifi', den der Anziehung der Körper, und soll in seiner Bedeutung wahrhaftig nicht unterschätzt werden. Wie aber kommt es dazu, dass uns ein Begriff etwas Neues erschlossen haben kann? Dass man mit Hüte der Gravitationsprämisseu zu den bisher bekannten Planeten einen neuen, eben den Neptun, hinzu erschliesseu, logisch erschliessen konnte? Wie ist das möglich? Wir behaupten ja, es küuue nie und nimmer etwas erschlossen werden durch Schliessen? £s ist möglich, weil es nicht wahr ist.

Nicht wahr ist es uämlich, dass wir 7ai der Kenntnis des Neuen, der Existenz des Neptun, auf logischem Wege gelangt sind. Der eben vollzf^gene Schluss hat uns nur «ge- lehrt, dass der Planet Uranus dem G i a vitationsgesetz unter- liege — notabene nur für den Fall, dass das Gra%'itations- geset'/ wirklich für alle Planeten gelte, also auch für den Uranus schon nachgewiesen sei. Solange wir so logisch weiter denken, kommen wii- aus den Tautologien nie heraus. Die Hypothese oder die Induiction des Gravuatitmsgesetzes wird nur durch Jede neue übereiiistiuimende Beobachtung wahrscheinlicher. Sie war schon in hohem Grade wahr- scheinlich, sie war also für die Praxis eine wissenschaft- liche Gewissheit, als die neue Beobachtung hinzukam, dass die Bahn des Uranus den Bedingungen nicht entspreche. Mit der blossen Logik hätte daraus geschlossen werden mOssen, dass das Gravitationsgeseta also eine falsche Hypo- these sei. Dieser Schluss wäre freilich ebenso thöriohk ge- wesen, wie es thOricht gewesen wäre, etwa nach der Ent- deckung Amerikas zu sagen: es gibt keine Brde, weil unsere bisherigen Vorstellungen von der Erde bereichert, geändert worden sind.

Die Astronomen waren nicht so thöricht. Als sie mit Hilfe ihrer künstlichen Werkzeuge die Störungen in der Planetenbahn des Uranus wahrnahmen, sahen sie eben nur etwas Neues, was das bisherige Planetensystem, was der bisherige Begriff «Planet* noch nicht enthielt Was war geschdien? Sie hatten einen neuen Planeten wahrgenommen.

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Entdeckung des Neptun.

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Noch nicht auf dem graden Wege, wie «in alter Schäfer die Sterne sieht, sondern indirekt durch seine Wirkung auf den Uranus, die man mit Hilfe der kttastHehen Augen ge- messen hatte. Nicht die Logik hatte den Neptun eracUossen, sondern unsere alten suTerlässigen Sinne hatten ihn wahr* genommen, wenn auch indirekt. Das mag der alte Sch&fer anstaunen, der von Femrohren und Yon astronomischen Be- rechnungen nichts weiss; unserer Denkgewohnheit aber sollte solches indirekte Wahrnehmen geläufig sein.

Wttm man jede indirekte Wahrnehmung einen logi- schen Schlnss nennen wollte, so müsste man unser aUtig- liches Sehen ebenfalb eine logische ThSligkeit nennen; und damit komme ich zam Kernpunkt der Frage, ob es ausser der preisgegebenen formalen Logik doch eine besondere wertvolle Reallogik gebe? Auf das alltigliche Sehen will ich sofort zurflckkommen.

Indirekt sehen wir die Sterne durch das Femrohr immer. Denn wir nehmen nicht ihre unmittelbare Wirkung auf unsere Netshaut wehr, sondern regelm&ssig erst die Yer- änderungen dieser Wirkung, die durch Linsen oder Spiegd erfolgt sind. Erst durch Berechnungen, die den Astronomen allerdings zur Gewohnheit geworden sind wie uns das all- tägliche Sehen, wird nach Richtung und Stirke die natür- liche Wirkung auf unsere Netzhaut gewonnen. Oibt es aber einen Menschen, der das Sehen durchs Femrohr (oder durch das Mikroskop, das Opernglas, die Brille) eine logische Operation nennen möchte?

üeberhaupt gibt es gar nichts Banaleres als die Wahr- Wahr- nehmung durch eine besondere Wirkung. In der Schule "^^SI" wird freilich gelehrt, dass z. B. eine Rose zugleich durch schul- den Gesichtssinn nach Form und Farbe, durch den Geruchs- sinn, unter Umständen auch durch den Tasteinn, Geschmacks- sinn, mdgUcherweise sogar aucli durch den Gehörssinn zu- gleich wahrgenommen werde. Diese Gesamtbeobachtung liefert uns dann freilich den gesamten Inhalt des B^priffii Rose und die aiuszeichnenden Merkmale eines bestimmten Rosenindividuums dazu. Aber wir nehmen doch eine Rose

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40Ü

V. Die Schlaufolgerung.

Bttch durch eine emselne SiDneewahmebmaDg schon wahr. Wer den Schnupfen hat und die Boee nicht liechen kann, sagt dennoch, er sehe eine Roee. Und der Blinde nimmt die Roee durch den Geruch allein ebenso aieher wahr. Wird nun iigend ein Menech die Behauptung des Blinden oder die des Tenchnupftea Mannes «das da sei eine Rose* eine logische Operation nennen? Sicherlich nicht.

Man wird mir einwenden i diese Fille betrafen swar immer Teilwahmehmungen, durch die man an die ganse Wahrnehmung erinnert werde, aber es seien doch immer direkte Mitteilungen einzelner Sinne. Ich sehe keinen grossen TTntwsdiied, aber ich kann auch mit indirekten Wahr- nehmungen, mit der Wahrnehmung indirekter Wirkungen dienen. Wenn ich des Morgens ans Fenster trete und die Blfttber der Bäume sich bewegen, die Zweige hin und her schwanken sehe oder wenn ich nur das Rauschen der Bäume verndbme, so denke ich sofort: es ist windig. Wenn ich die ganze Strasse nass erblicke oder wenn ich das eigen- tümliche Trommeln auf die Fensterscheiben höre, so denke ich: es regnet. Ist dieser Gedanke, dass es windig sei oder dass es regnet, der Schlusssatz einer logischen Denkopera- tion? Hier scheine ich mich gefangen zn haben, denn der Logiker wird allerdings ausrufen: jawolil, «In ItaVen Sit' logi- sche Schlüsse gemacht. Auf die Schnelligkeit des Schliessens kommt es nicht an.

Auf die Schnelligkeit wohl nicht, doch aber darauf, ob wenn aiicli noch so blitzschnell, noch so unbewosst der Weg von der Wahrnehmung zu dem Gedanken, dass es windir^ sei oder r^oe, durch einen SjUogismus hindurch- gegangen ist.

Dass wir h»*i solchen <5chlichten Gedanken keine be- M'us8f-e Schhissfoigerun^ v«dlzielien, das wird wohl von allen Seiten zugestanden. Der Weg der Schlussfolgerung ist sogar so schwer, dass ihn selbst ein Professor der Logik nicht imm«^i- nnffinden könnte. Und nur die Karikahir eines solchen Prutes^ors könnte also überlegen: .»Ich nehme naki*, dass der Krdboden nass ist; die Nässe muss eine Ursache

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Wahni«1uiiefa olme SddiesKii.

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haben, denn keine Yerinderung geschieht ohne Ursache; wenn es regnet ist es nass; wenn gesprengt wird ist es auch nass, aber nOT auf dem Ötrassendaram ; wenn es regnet ist es fiberall nass, wo kein Dach ist; ich nehme wahr, dass es überall nass ist, wo kein Dach ist; also regnet es." Ich ^ebe zu, dass alle unsere Beobachtungen und ihre Zu- rückführung auf die Ursachen in solche Kettenschlfisse hin* eingezwängt werden können. Ich kann es nicht leugnen, denn ich kann die Existenz einer logischen Wissenschaft nicht leugnen. Wohl aber leugne ich, dass unserem Ge- danken regnet* jemals ein solches Schema voraus- gegangen ist. Ginge eine solche logi^rlif:' Deukoperation jetzt schnell und unbewusst in unserem (it hirn vor, so müsste sie früher emmal, bevor sie eingeübt war, langsam und be- wusst vor sich gegangen sein.

Was eingeübt wurde und uns so zur Gewohnheit ge- worden ist, dass wir es gleichzeitig und heiiiahe wie eine Tautologie denken oder sagen: „es ist nass, es regnet" oder »es rauscht in d»'n Bäumen, es ist windig** das ist nicht eine logische Deukoperation, sondern Erinnerung oder Sprache. Das Kind nimmt Regen wahr. Von der Iiichtung der Aufmerksamkeit hängt es ab, oli es den Regen wahr- nimmt durch die Augen als eine Veränderung des Strassen- bildes oder durch ' die Augen als Streifen fallender Tropfen, oder ob es immer denselben Regen wahruimnit durch dus Tastgefühl als Klatschen auf deu eigenen Körjier, oder durch die Wärmeempfindung als Abkühlung verbuiulen mit ge- wissen eigeutüniluhen Nebenuraständen , oder ob e* luimer denselben Hegen wahrnimmt durch das Gehör als das wohl- bekannte Trommeln auf die Fensterscheiben oder ob jemand, der zugleich taub und blind wäre und unter einem schützen- den Dache stfinde, immer denselben Regen wahrnähme durch seinen Geruchssinn als Wasserdampf. Nichts, gar nichts anderes ist in unserem Gehirn rorhänden als die Erinne- rung an solche Sinnesdadrflcke und ttichts Tollzieht sich als ein Wandern der Aufmerksamkeit Ton einer Erinnerung snir andern. Was eingeübt wird, das ist einzig und allein

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V. Die ScblnwfolgeroMg.

die Schnelligkeit, mit der wir im Dienste unseres Interesses die eine Emptindungseriunerung durch die andere wachrufen. Das Schema „wenn es regnet ist es nass" ist eine tote Formel. Die Chinesen besitzen kein ,wenn" und sie wissen doch alle, d.u^.s es regnet, wenn es nass ist. Logik Wer aber diese Vorgänge in unserem Gehirn immer

MBstiüs- ^iöch logische Denkoperationen nennen wollte, der müsste tkflooie. jede Sinneswahrnehmung, jede ohne Ausnahme, eine logische Denkoperation neuuen. Die neuere Psychologie hat gar keinen Zweifel darüber gelassen, dass unsere Sinneswahr- nehmungen unmittelbar gar keine Nachrichten von der Anssenwelt geben. Beim Sehen und HOren vollziehen sich üMchaiusehe oder chemische Veränderungen an den End- punkten des Sehnervs oder des Hdmervs, mechanische "Wir- kungen, die an sich jedesfüHs hOchst verschieden smd von dem, was wir nachher ab besondere Farben oder TOne wahr- nehmen. Die neuere Psychologie ist sich anch darum ganz klar darüber, dass auch das einfachste Wahrnehmen einer Farbe oder eines Tons nicht anf der Netzhaut oder im Ge- hörgang ToUendet wird, sondern erst in der Zentrale des Gehirns. Man hat das so ausgedruckt, dass auch unsere Sinneswahmehmungen intellektuell seien. Es ist das grosse R&tsel der Psychologie, dass die Aussenwelt auf diese Weise in uns zu Sinneswahmehmungen werde, und es ist die grosse Frage aller Philosophie, was denn eigentlich diese Aussen- welt in Beziehung auf unsere Sinneswahmehmungen sei. Das Wort «Ding-an-sich" ist nur eme neue Formulierung der Frage, nicht eine Antwort Und die Annahme, dass z. B. Schwingungen nicht nur auf den Sehnerv wirken, son- dem sich auch irgendwo in Farbenempfindungen umsetzen, ist nur eine Verdoppelung des Rfttsels, nicht seine LOsung. Niemand wird sich vermessen, dieses Ratsei und diese Frage Idsen zu wollen. Eins aber scheint mir gewiss, dass es Oberaus lächerlich wäre, diesen Geheimnissen mit den For- meln der logischen Schlussfolgerung näher treten zu wollen. Ein solches Wahrnehmen der Aussenwelt durch sein Zentral- nervensystem, also ein intellektuelles Wahrnehmen, besitzt

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Logik mid Erkamtniiflieoiie.

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schon das niederste Tier, Ich glaube nicht, dass ein Logiker der InfuBorie logische Denkoperationen zuschreiben wird, weil es geeignete Nahrung wahrnehmen nnd seine Be- wegungen danach ( inrK Ilten kann. Eiu Kopt von so scho- lastisch* in St liarfsinn wie Schopenhauer hat denn auch schon, nach dt- III Stande der damaligen Physiologie, sehr entschieden die Intrllrkiualität aller Sinneswahrnehmungen ausgesproehen, aber sicli wohl gehütet, diese Intellekt aalität mit dem mensch- lichen Denken gleichzusetzen. Er hat (was sprachlich ganz brauchbar kt) zwei Gottheiten im menschlichen (iehirn an- genommen, den Verstand und die Vernunft. Die Vernunft besorgt hei ihm das eigentliche Denken, das logische Denken in ßegrift'en, also das Sprechen; der Verstand besorgt ohne Worte und Begrilfe, also ohne Sprechen oder Denken die Auffassung der Aussenwelt nach Massgabe der Mitteilungen unserer Sinne. Ich habe gar nichts dagegen, dass einem mythologischen Begriffe „Verstand" dieses ganze grosse Ressort zugewiesen werde, solange mau sich nur darüber klar ist, dass dieses besondere Seelenvermögen eben nur eine bequeme Absiaraktion ist und nichts Wirkliches. Unter allen Umständen aber halb dieser Verstand oder was immer dabei tli&tig ist, mit der Logik nieht das Mindeste zu schaffen. Wir aber werden jetzt eixuefaen, dass swisehen dem alltäg- lichen Wahrnehmen der Aussenwelt durch die mechanischen Veränderungen in den Nerrenenden unserer Sinnesorgane einerseits und zwischen der Wahrnehmung des Neptun durch seine Wirkungen auf die Bahn des Uranus kein grandsAt^ lieber Unterschied besteht.

Ich hoffe, dass wir durch diese schwierige Darlegung etwas gewonnen haben. Wir hatten froher gesehen, dass die sogenannten Schlussfolgerungen der formalen Logik durchaus werüos sind, dass sie su kernen neuen Ergebnissen führen, sondern nur Bekanntes in Erinnerung bringen. Wir haben jetzt, wie ich hoffe, dasu erfahren, dass es auch neben der formalen Logik eine Beallogik nicht gibt, weil der Realgrund der Wahrheit niemals in unser Erkennen ein- geht. Was wir in unserer Sprache oder in unserem Denken

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V. Die Sdilusafolgerung.

eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung' nennen, ist ebenfalls immer nur eine Erinnerung an RegelmHSsigkeiten, deren innerster Zusammenhang uns ewig unbekannt bleiben wird. Wüsflten wir die Wahrheit, wüssten wir die letzten Ursachen der Wirklichkeitewelt, dann besässen wir mit der Erkenntnis der Ursachketten in unsei*em Erinnern oder Denken auch eioe TerknÜpfung. Dann aber würden wir wahrhaftig oneer Wissen meht logisch nennen; denn dann fielt Denken und WiiUicbkeit sniflinmea nnd Logik würde BXth neue fibeiflilssig. In unserem Stande der Un- wissenheit jedoch kennen wir die loteten Uisaehen nicht, kennen wir kein wahres Natorgesets, nnd die Schlflssef welche wir aus den TerhUtnismässig kleinlichen Formeln ziehen, die wir in unserer Armut schon Natunresetse nennen, drehen sich ewig im Kreise herum und beweisen immer nur das, was von Anfang tat die Grundlage des Beweises war.

Ol» Unsere Untersuchung hat den Höhepunkt Kngst Ober- ''^ so^Q ^ schritten nnd könnte in rasch beschleunigtem Tempo bergab Figimii. laufen. Eine Betrachtung der psjchologisehen Bogiifls- bildung hat uns schon gelehrt, dass Urteile nicht aus Be- griffen herrorgehen, sondern tot den Begriffen Torhanden sind, dass also in den Begriffen oder Worten schon alles angeblich Spätere enthalten sei: Urteile und Schlösse. Es lag in dieser Auffassung Tom Begriffe schon ausgesprochen, dass Mk aus der Hiufui^ von Urteilen nichts erseUietsen lassen werde, was wir in den Begriffen nicht schon wOssten. Das logische Denken aeigte sich uns als ein Rackweg bei Tage, auf welchem Hinsel und Gretel nur die weissen Steinchen sehen, die sie bei Nacht auf dem Hinwege aus- gestreut haben. Wenn sich mit keiner Schlussfolgerung etwas Neues erschliessen iSsst, so ist es tiberflüssig, diese Thatsache bei jeder einzelnen Schluasfigur besonders zu be- weisen.

Aber die syllogistischen Figuren stehen seit den zwei Jahrtausenden, die seit Aristoteles yerflossen sind, in so

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Ento Figur.

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hoKera Ansehen, und meine bisherige Uarlegimg war leider selbst so lojyisch, dass es vielleicht doch tfut sein wird, die BtMsjuele zu voruu'hren, die Ueberzeugung beim Leser zu beier^Ligeu. Wie in jedem alten Hause, so gibt es auch in Her Logik uralten Hausrat, der lästig im Wege steht, weim mau ihn nicht eines Tages einem historischen Mujseum über- lässt oder ihn verbrennt.

Ich werde mich in diesem Zusammenhang nicht bei der historischen Frage aut halten, wer eigentlich unsere vier Klassen zuerst aufgestellt habe. Gewiss ist nur, dass Aristo- teles drei Klassen kannte oder erfand, und zwar, dass er unklar unter der ersten Klasse zusammenfasste, was jetzt noch pedantischer teils der ersten, teils der vierten Klasse zugewiesen wird. Nach Angabe der arabischen Philosophen, die freilich für den Acrztestand sehr viel Übrig hatten, war Galenos, der berühmte Sjstematiker der alten Medizin, 500 Jahre nach Aristoteles der Erfinder der Tierten Figur, des vierten Spielzeugs ftlr philosophierende Kinder.

Bevor wir aber en die harte Anfjgabe geben, die Theorie der vier Schlussfiguren auseinander su legen, wollen wir dnmal an einem uralten Sehtdbeispid ftr die vier Figuren aufzeigen, wie leer diese ganze Spielerei fttr modernes Denken, flir unsere moderne Sprache geworden ist Das alte Schulbeispiel setzt mich nicht dem Verdachte au», besonders schwache Seiten der Logik ausgewihlt su haben. Das Schulbeispiel spielt mit den Begriffen: Tugend und Laster, lobenswert und ntttilieh. Der SchQler von Logi- kern wird sofort die vier syllogtstischen Figuren wieder- erkennen; und wer das nicht vermagi darf sich damit be- gnOgen, vier veracbiedene Qedankengtnge der Schule bemerkt zu haben.

1. Jede Tugend ist lobenawert; die Beredsam* Brat« keit ist eine Tugend; also ist die Beredsamkeit lobenswert.

Wir bemerken mnSchst, dass der Obeisatz ein recht schwaches tsutologisdies Urteil ist Ob wir sagen, irgend etwas sei eine Tugend, oder es sei lobenswert, das ist

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y. Die SchloMfolgeruog.

doch eigentlich ein und dasselbe. In unserem wirklichen Benken gibt es eben zwei Worte für diesen einen sehr un- klaren Begriff; und die Urteile «jede Tugend ist lobens* wert* und «alles Lobenswerte ist Tugend* sind beide gleich gut und gleich mchtssagend. Was bedeutet aber die zweite Prämisse: «die Beredsamkeit ist eine Tugend?* Offenbar geht doch im Oehim des Redenden der Sats Toraus, dessen Schulbeispiel den Schlnsssats bildet: »die Beredsamkeit ist lobenswert*. Wer dieses Schlussurteil nicht vorher gefWt hat, wer die Beredsamkeit für unnütz oder gar für schäd- lich hftlt, dem wird nicht einfsUeni die Beredsamkeit eine Tugend zu nomen. ISin Bismarck wire in ein grimmiges Gelächter ausgebrochen, wenn man ihn gefragt hätte, ob er die Beredsamkeit der Abgeordneten für lobenswert, für eine Tugend halte. Aber auch er wird nicht logisch verfahren; er wird der Beredsamkeit das Prädikat lobenswert nicht darum absprechen, wol sie kdne Tugend sd; sondern umgekehrt wird er das Prädikat Tugend ablehnen, weil er nichts Lobens- wertes an ihr findet. Der Schlusssatz geht den PHlmissen voraus. Der Schlusssatz ist das älteste an dem ganzen Gedankengang; es kann also in ihm nichts Neues erschlossen worden seb.

Ist also der Wert der ersten Figur in diesem Schul- beispiel gleich Null, so fragt es sich noch, ob doch wenig- ste die Besinnung auf die Möglichkeit des Urteils «die Beredsamkeit ist lobenswert" im Gehirn so syllogistisch vor sich gehe. Und das leugne ich entschieden. Eine einfache Selbstlieobachtung belehrt uns eines Bessern.

Man werfe in verständiger Gesellschaft die Frage auf, ob Beredsamkeit lobenswert sei. Die meisten werden den notwendigen Schulschhiss aus dem erhabmen Tugendbegriff gar nicht für Notwendigkeit halten, sondern aus ihrer Lebenserfahrung heraus und je nach ihrer Lebhaftigkeit etwa antworten : bewahre, die Beredsamkeit ist etwas recht Schlimmes! oder: die Beredsamkeit kann ihre Vorzüge haben, relativ, sie kann ihrem Besitzer zu Einfiuss verhelfen, zu einer Aufsichtsratstelle, zu der Präsidentschaft eines Bezirks-

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Bnte Figur.

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Vereins oder zu einem Ministerposten. Was ist: lobens- wert? Ein relativer Begriff. Aber auch von denjenigen, welche die Löblichkeit der Beredsamkeit zugeben, wird kein einzijrer auf dem Wege des Syllogismus zu diesem Urteil tjelaugen. Kein einziger wird den Mitfcelbegriff , Tugend* aufrusucbrti eine Veranlassung haben. Ganz ohne Logik wird (Hese Partei den Beo^ff „lobenswert" festhalten, das iieisst die Erinnerung au die Merkmale dieses Begriös, eigentlich aber nur die Erinnerung an die Stimmung dieses Begriffs. Lobenswert, das ist was Schönes, was mir gefällt, wozu ich ja zu sagen pflege. Ol; Beredsamkeit lobenswert sei? Nicht im Traum, nicht im verstecktesten Winkel des Unbewussten wird der Gefragte sich selbst die Zwischenfragc vorlegen, ob Beredsamkeit eine Tugend sei. Unmittelbar wird er nach seiner eigenen Lebenserfah- rung, also nur nach seiner Erinnerung (das heisst also nur nach seinem Sprachgebrauch), die Beredsamkeit mit dem BegriÜ' des Lobenswerten, dessen was ihm gefällt , ver- gleichen und wird unmittelbar antworten: jawohl, warum denn nicht.

Zwei Fälle sind möglich. Entweder er hat schon vorher einmal verglichen, oder er hat die Vergleichung anderer mit dem Worte zugleich aufgenommen, er verbindet mit dem Begriff der Beredsamkeft ohnelim schon etwas Lobenswertes, und dann wird sein Satz «die Beredsamkeit ist lobenswert* nur ein aprionsches Urteil seb, das nicbt nur in der kflnst- liclien Prttmisse »die Beredsamkeit ist eine Tugend* schon driosteckte, sondern bereits im Begriff «Beredflatnkett". Oder aber er bArt oder beachte die Frage nacb ihr«' L9b- Hcbkeit zum erstenmal, and dann wird er je nach seinem Ohaiakter von jetzt ab mit dem Begriff Beredsamkeit eine freundliche Stimmang verbinden oder nicht. Das ist der wirkliche Vorgang im Qehim, soweit er sich unverschult in Worten ausdrficken ISsst.

Wir haben also erfahren, dass der Schlusssats, der mit absoluter logischer Gewissheit aus dem Schulbeispiel der ersten Figur henrorgeht, erstens falsch oder ungewiss ist

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V. IHe 8ebliu0£o]geniiig.

uiifl zweitens sofeiu er überhaupt getiat^ht wird smea i'räiiiisHen vurausgeht. Zweite 2. Kein Laster ist lobeusweri; die Beredsam" keit ist lobenswert; also ist die Beredsamkeit kein Laster.

Was ifit Laster ?

Es ist eiij ziemlich starker Ausdruck und darum eine Tcmperameutsfrage , ob man die Beredsamkeit ein Laster nennen wolle, wenn man sie nicht mag. VVad die Auf- merksamkeit nicht auf diesen Funkt gerichtet, so wird nicht leicht ein Mensch so grob werden. Stellt mau aber einen BisniArck oder sonst einen durchaus thätigen Menschen vor die AltematiTef ob die Beredsamkeit ein Laster sei oder nicht, so wird er sich wohl am £nde aue Aerger fUr ja entaeheideiu hth wiU zugeben, dasa man auch urteilen könne, die BeredBamkeit sei kein Laster. Kor um die Notwendigkeit dee Sataea iafe es doeh woU ecliwadi bestellt

Denn wieder wird, wer den SeUusssata als seine Mei» nung Tertritt, daiu nicht auf logischem Wege gekommen sein. Diesmal ist »lobenswert* der Hittelbegriff. Wieder lehrt die einfache Selbstbeobachtong, dass kein Mensch diesen Hittelbegriff zur Entscheidung der Frage nötig habe. Dieses ganze Beispiel der zweiten Figur ist schon darum ein richtiges Schulbeispiel, weil im wiridichen Geistesleben der Menschheit vielleicht noch niemals jemand weder auf den Obersata noch auf die Frage nach dem Schlusssate Terfallen ist «Kein Laster ist lobenswert*, das ist so eine rechte HilMinie, die ausser in der Logik nicht Torkommt, so wenig wie in dem Denken ausser der Schule der Satz »keine Ungrade ist grade". Im Untersatz dagegen iSge der SchluBssatz ganz sicher sdion drin, wenn er nur nicht zu dumm wäre, als dass man so kicht an ihn dAchte. Wer den Untersatz «die Beredsamkeit ist lobenswert* etwa denken sollte, der denkt ihn nur deshalb, weil er so ungelUir der Meinung ist, Beredsamkeit sei was Gutes, nichts Schlechtes, was doch noch viel mehr sagt, als der blosse Schlusssatz

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Zveito Figur.

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„die Beredsamkeit sei kein Laster*. Dieser lil'isssatz ist ein Minimum, bis zu welchem das menschliche Denken kaum ohne beßondereu Aiilauss hinabsinkt. Wird es aber auf dieses Miüiiiiuiü durch eine duiuaie Frage gestossen. so richtet das menschliche Gehirn seine Aufmerksamkeit eben wieder auf seine Erinnerung oder Erfahrung, und wenn es gewohnt ist oder Veranlassung hat, der Beredsamkeit freundlicii zu gedenken, so wird es den iicliiusssatz ,die Beredsamkeit is?t kein Laster" zum mindesten aussprechen und die Präraisse «die Beredsamkeit ist (sogar) lobenswert" eben nur darum, weil der Schlusssatz gar zu wenig s.igte.

Wir haben also wieder erfahren, dass der Schlusssatz, der mit logischer Qewiseheit aus dem Schulbeispiel der zweiten Figur liervorgeht, entens falech, benelumgs weise eine Kinderei ist und xwmbnB wenn er tiberiuuipt durch eine Schfikrfrage hervorgerufen wird eeinen Primiseen ▼orausgehL

Ich mochte aber jetat noch etwas hinsufügen, was Ar beide Figuren wichtig ist

Wae ist Beredsamkeit? Was ist Tugend? Was ist Laater? Die Logiker sind geborene Sophisten und werden mich sofort bei diesen Fragen lu fissen suchen. Die Not- wendigkeit, die Beweiakrail aller logischen Schlösse setae höchst klare und deutliche Begriffe Toraus. Das FUessende und Unbestimmte meiner Gdiim7oig9nge komme eben nur daher, dass ich von Beredsamkeit, Tagend und Laster keine feste Definitionen bei mir trage, dass ich ein Skeptiker oder Qott weiss was seL Sie die Logiker besftsaen musfeer- gOltige Definitionen der Begriffe und darum gehe aus ihren Schlussfolgeningen alles mit Notwendigkeit herror, wie am SchnUrehen.

Darauf habe ich zu erwidern, dass ich im allgemeinen alle Begriffe fDr mehr oder weniger fliessend halte und Jen Schulmeistern einfach nicht glaube, die sich des Besitses von todsichem Definitionen rtthmen. Aber es hälfe ihnen nichts, auch wenn sie sie besässen* Denn Definitionen sind jeder Frage gegenüber nur leere Rahmen. In dem Augen"

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V. Die Schluaafolgarung.

blick der Boyinuung auf die Bedeutung eines Begriffs wird das ebrli< he Denken über die Definition hinaus auf die Be- griffsbild ui ig /urUckgeben, die payckologisch identisch ist mit der Detinidonsbildunsr. Das ehrliche Denken wird sicii auf seine Lebenserfakruiig besinnen, auf seine Eriune- run<^', und so wird eben das geschehen, was ich bei beiden obigen Figuren behauptet habe: das meuscliliche Gehirn wird den Schlusssatz, soweit er als eine Frage vorliegt, nicht mittelbar aus allgemeinen Prämissen heraus, sondern unmittelbar aus seiner Srmnerang oder Erfahrung heraus beantworten.

Und genauer bemerkoi wir den lilciheriichen Keben- tunstaad, daas der SebloasBatB, der angeVlich dnrtb logische Arbeit, also spftt^ in der Zeitfolge, ans der Scblussfolge- Tung, das beisst aus der Verknüpfung der Prämissen beiror* geben soll, beinahe eingestandenermassen in der Form der Frage allem Torausgebt Denn so gottverlassen sind doch selbst die Logiker nicht, dass sie die logische Denkopera* tion wie das Experimentieren eines Sudelkocbs betrachten, der allerlei zufftllige Dinge in einen Topf zusammenwirft, ohne eine Ahnung davon , was dabei herauskommen wird. Dritte 3. Jede Tugend ist lobenswert; jede Tugend ist ntttslieh; also ist einiges NOtzliche lobens- wert.

Was in den beiden bisherigen FSUen ausgeftlbrt worden ist, das braucht hier nur angedeutet su werden. Wir wissen schon, dass das Urteil «jede Tugend ist lobenswert* zitternd und formlos ist wie Gidlerte, eine schwächliche Tautologie, nicht flüssig und nicht fest. Noch schlimmer steht es um den Satz Jede Tagend ist ntltzlich'. Fttr wen nützlich? Fttr mich, Är meine Familie, ffekr mein Volk, für die lebende Menschheit, für die Entwickelnng der Menschheit? Die Sache ist fraglich. Man rechnet doch Gerechtigkeit gewiss zu den Tugenden? Und doch soll die höchste Gerechtig- keit sehr schädlich sein. Summum jus, summa injuria. Bobespierre war ein tugendhafter Mann. Angenommen aber auch wir wären uns klar Uber die Begriffe nützlich

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Dritte Figiir.

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und Tugend, und hielten dann Ins Urteil aufrecht, jede Tugend sei nützlich: wie d&na)^ Ist die Tugend nützlich, insofern sie Tugend ist, oder ist ihre Nützlichkeit ein /u- f&lliges Nebenniei kmal an ihr, etwas, was mit ihrem Wesen nichts zu thun hat'-' Was zu ihrer Definition nicht taugt? Dieselbe Frage iiiü^ te man sich bei dem Schlusssatze stellen. Besteht ein innerer Zusammenhang^ zwischen der Ntltzlich- keit und der Löblichkeit? Be^ileht ein solcher Zusammen- hang, so hat der Satz einen ganz anderen Sinn, als wenn ein solcher Zusammenhang nicht bestünde. Auch hier kommt

viel auf die Richtung der Aufmerksamkeit an. Der Satz „mancher Philosoph ist kahlkopfig'" sein mt keinen wissens- werten Inhalt zu haben. Richtete man aber seine Auf- merksamkeit auf die Ursache der Kahlköpfigkeit, dann wäre der Satz am Ende wissenswert.

W ir haben also in dem Schulbeispiel der dritten Figur erstens eine gallertartige und zweitens eine recht zweifel- hafte IVämisse und wir haben einen Schlusssatz, der erst durch die Erfahrung des Urteilenden seinen Sinn erhält.

Selbstverständlich fällt wieder keinem Menschen ein, wenn er nach der Wahrheit des Schlusssatzes gefragt würde, erst den Mittelbegriff , Tugend" heranzuholen. Auf die Frage, ob manches Nützliche lobenswert sei, wird das wirkliche Denken höchstens auf Wirklichkeitserinnerungen zmUckgehen, wird z. B. die Nahnmgsauinahme, die Ver- dauung, die Kindeirerzeugung , den alltäglichen Geschäfts- betrieb n. 8. w. ab nOfadiche ThStigkeiien an sich TorQber- siehen lassen, welche die landläufige Moral nicht mit dem FriUikat lobenswert beehrt Unabhängiges Denken wird vielleicht stutzen und darfiber nachsinnen, ob der mensch- liche Sprachschata nicht wieder einmal zu bereidieni wäre, ob man dergleichen Thltigkeiten nicht ebenfalls lobens- wert nennen könnte, ob lobenswert und nfltslich nicht im letzten Grunde identische Begriffe waren. Im Banne des gewohnten Sprachschatzes aber wird der Urteilende (der dämm auch ein moralischer Kensdi heisst) wdtere Brin- nerungen an Nützliches wachrufen. Er wird z. B. die nflts-

Xftniliiier, B«ititt« m «ia«r Kritik <«r 8pn«k*. m. 27

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V. Die SchlusKfolgerung.

liehe Thiitigkeit der Kindererziehung uud des Vaterlands- dienstes ganz wohnheitsmässig unter den Begriff des Lobenswerten fallen lassen, und wird so beruhigt sagen: jawohl, einiges Nützliche ist schon lobenswert. Unmittelbar wird er dieses Urteil fallen; und erst später kann er auf den zusammenfassenden Gedanken kommen : Da habe idi ja gefunden, dass Tugenden nützlich sind; das ist mir vorher gar nicht eingefallen. Ob am Ende alle Tugenden nütz- lich nndP Bann könnte man sogar tagendhaft werd». Fragt sieh nnr, für wen sie nftttlich sind« ünd was heisst Uberhaupt nütiiUeh? «Hol* der Teufel das Denken,* wird er dann wohl enden, «ich werde weiter handeln wie ich kann und muss, und mag der Pfaff an meinem Sarge sieh den Kopf darüber serbrecheUf ob es tugendhaft gewesen ist oder nicht.* Damm ist ja Falstaffs Monolog Über die Ehre so wundervoll, weil Shakespeare da den Nomiualisten Falstaff so logisch reden lässt Wie kSsflich lässt Goethe denselben FalstalF (im Fragment) fortfahren: «Der Mensch besteht aus zwei Teilen, einem Temflnftigen Leib und einer unyemOnf- tigen Seele, sage ich.* Wie denn derselbe Goethe weiss: ,Alle Beweise, die wir Torbxingen, sind doch nur Yaiia- tionen unserer Meinungen.*

Wir haben also wieder als logisch notwendiges Er* gebnis im Schulbeispiel der dritten Figur einen Sats, mit dem wir nichts anzufangen wissen, der aber immerhin froher da war als seine Prämissen, ztitfbi«« Um doch ein wenig fortzuschreiten, will ich nun hier, logiamns ^ dritten Figur, eine allgemeine Bemerkung ein-

fügen Aber die Zeitfolge in der Denkoperation des Syl- logismus. Wir sehen jetzt schon gewiss im einzelnen be- stätigt (weil doch die vierte Figur durch Jahrhunderte unbekannt war, ohne den Menschen zu fehlen), dass das an- gebliche Ergebnis der Schlussfolgerungen jedesmal der ent- scheidenden Pkftmisse in der Zeit Torausgeht. Wir wussten das längst. Denn auch der Schlusssatz war ja schon in dem Begriff seines Subjekts enthalten und der Mittelbegriff wire bestenfalls, falls man ihn zur Besinnung gebraucht

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Zdtfo^ im Sjllogüiniu.

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hätte, nur die Erinnerong an eine zurückgelegte Station in der Begriffsbildung gewesen. Oder umgekehrt. Nun aber wollen wir der wirklichen Zeitfolge in s(»lclien Denkopera- tionen etwas allgemeiner nachforschen, nämlich psychologisch.

So wie das Schema eines Syllogismus auf das Papier geschrieben oder gedruckt wird, gebt es in regelmässigem JELhytbmus von 1 zu 2 und dann zu 3 Uber. Es besteht im Gedankengang des Logikers ohne jede Frage eine zeit- liehe Aufeinanderfolge, in welcher der Untonsatz auf den Obersatz folgt und der Schlusssatz nach einer kleinen Kunstpause auf den Untersatz. Kann aber irgend ein Kopf von modemer naturwissenschaftlicher Bildung auf den ganz perversen Einfall kommen, dass im wirklichen Denken unseres Gehinis eine solche Zeitfolge stattfinde? Vor allem wird für die Zeitfolge des Untersatzes nach dem Obersatz mir (las Blödsinnige dieses Oedaukens ohne weiteres zu- gestanden werden. Oßenbar war es bis zur Stunde ein bildlicher Ausdruck, wenn dieses Verhältnis eine Zeitfolge genannt wurde. Die beiden Prämissen ^alle Fische leben im Wasser" und ,die Wale sind keine Fische* sind doch ohne Zweifel als Erinnerungen , als Begriffsdefinitionen gleichzeitig im Gehirn enthalten und es hängt einzig und allein von der Erregung der Aufmerksamkeit ab. ob der eine oder der andere Satz früher ins Bewusstsein fällt. Ein viel besseres Bild des Verhältnisses wäre also das räum- liche Bild des ^Nebeneinander. Die Seel» in höchst eigener Person muss doch irgend wann einmal die beiden Prämissen nebeneinander betrachten und vti i::lrirlu n können, um über- haupt zu ihrem Schlusssatze zu kimimeji. Darüber aber lüuehte wohl, so werden die eingefleischten Logiker sagen, einige Zeit vergehen, bis aus der Vergleichung der Schluss- satz hervorgehe, und darum sage mau mit Recht, er folge den Prämissen oder er folge aus den Prämissen, welch letzterer Ausdruck dann sofort seine Bildlichkeit verrät. Wie man sieht, denke ich mir unter meinem eingefleischten Logiker schon einen bessern Kopf, dem das Metaphorische in den Begriffen Schluss und Folge klar gewurden ist.

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y. Die SeUoMfolgetiuig.

Nun will ich davon absehen, dass ich theoretisch und durch Beispiele bewiesen zu haben erlaube, dass der Schluss- satz seinen Prämissen immer vorausgeht. Angenommen aber, ich hätte noch gar nichts bewiesen, so will ich jetzt nur daran erinnern, dass wir vor kurzem erst gesehen haben, wie die ganze Denkoperation des Schliessens erst dann vor- getionnnen werde, wenn deutlich oder undeutlich nach der Richtigkeit oder Wahrheit des Schhisssatzes gefragt worden war. Zwischen der Frorr»» und ihrer Bejahung ist gewiss ein Unterschied, ich sage, der Mensch beantworte die Frage unniittelbar aus seiner Erinnerung oder aus seinem Sprachschatze heraus; der Logiker sagt, der Mensch be- antwoiie die Frage nach einem schulgerechten Syllogismus. Auch der Logiker aber wird in guter Behandlung zugeben mU.ssen, dass die Frage früher da sei als der ganze Syl- logismus. Die Aufstellung der Frage bedeutet aber nichts anderes, als die Kichtuug der Aufmerksamkeit auf den In- halt des Schlu>ssatzes. Diese Hichtung der Aufmerksam- keit geht also bestimmt in der Zeitfolge der Denkoperation voraus, und da sie das Wesentliche der Denkoperation ent- halt, so scheint mir auch von diesem Gesichtspunkt aus der Syllogismus eine traurige, nachhinkende Rolle zu spielen. Auch die Kugel aus der Büchse tiifft die Scheibe in der Zeitfolge erst nach der Thatigkeit des Zielens ; aber der Schütze richtet« seine Aufmerksamkeit auf da.s Zentrum der Scheibe, bevor er zielte, wenn auch noch so kurz vorher.

Hierzu bemerke ich ohue weitere Ausführung, dass die kindliche Vorstellung einer Zeitfolge der Prämissen bei der Einteilung des Syllogismus in die vier Figuren ganz ernst- haft und sogar scharfsinnig zu Grunde gelegt worden ist. Mau schliesse daraus logisch auf den Wert dieser Ein- teilung.

Ktwia- An dieser Stelle wird es nfifadicli und darum vidleicilit ^^l^' auch lobenswert sein einiges Ntttdiche ist lobenswert*), JMgSk. auf das räumliche Bild znradczukommen, mit welchem die

Logiker alle VerbSltnisse der Begriffe su beweisen vorgeben.

Wir haben schon im allgemeinen gesehen, dass die soge-

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Krosbildung der Logik.

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nannte Sphärenvergleichiing nur ein falsches Bild von den wirklichen Gehirnvorgängen gibt, dass sich aus der Ein- zeichnmig von Kreisen durchaus nichts beweisen lasse. In unserem Falle, der in der Logik der erste Schlussniodus (Darapti) der dritten Figur heisst, würde der Beweis aus der Sphärenvergleichung etwa so heissen : der Begriff Tugend gehört zugleich der Sphäre des Lobenswerten und der Sphäre des Nützlichen an , die beiden Sphären müssen also etwas Gemeinsames haben, es inuss also einiges Nützliche lobens- wert sein oder umgekehrt. Ich lasse beiseite, dass wie wir gesehen haben der Mittelbegriff der Tugend gar nicht gedacht wird, dass also bei einer eventuellen Sphären- vergleichung das Gemeinsame der beiden Sphären gar nicht zum Bewusstsein kommt. Ich will jedoch nur an das Falsche des Bildes erinnern. Denkt man bei den beiden Begriffen des Lobenswerten und des Nützlichen an den Inhalt, das heisst an die wenigen BegrülinaBiMrlanale, so ISsst sich ttber- banpt an eine geschlossene geometrische Figur nicht denken. Man konnte dann hdehstras das Bild von Linien gebraucben, die einen Punkt gemeinsam haben, was dann (wohlgemerkt) immer nur ein Bild wSre. Denkt man nun an einen Um- fang der beidoi Begriffe, das heisst an den Haufen Ton Dingen oder Th&tigkeiten, die wir einerseitB durch den Be- griff lobenswert, anderseits durch den Begriff nützlich xu- sammenxttfassen pflegen, so ist dann für jeden einzehien Begriff eine geschlossene geometrische Figur nicht gans so sinnlos, ob^^ich mir das Büd Ton einer Kugel besser ge- ' fiele. Wie in aller Weit aber soll die sogenannte Seele . dazu kommen, innerhalb ihres Gehirns die beiden Kugehi oder Kreise mit einander zu Tergleichen, wenn diese Kugeln oder Kreise nur Bilder des wirkfichen Sachverhalts sind. Bilder sind Ja nur Erinnerungszeichen fllr das, was der Bildner vorher gesehen hat. Findet er zwischen zwei Bil- dern Aehnlichkeiten, die er vorher nicht gesehen hat, so wird er den Bildern Airs erste misstrauen und erst nach Yergleichung der wirUichen Originale auszuspredien wagen, ob ^ese Aehnlichkeit ein Zufall sei oder nicht Ohne Be-

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V. Die Schlusafulgerung.

achtung der Originale gibt es keine Gewinheit, ohne Zuiück- erinnerung an die allem Denken sn Chnuide liegenden SumeseindrOeke k«nn es kmn ürtell, kein Schliessen, kein Denken geben. Die Dinge und Tkitigkeiten, die wir Tom Standpunkt anserae Interesses alle nOtelicfa nennen, liegen doch im Gehirn nicht als Kugel oder Kreis wie in der Vor» Stellung eines Mathematikers beisammen; ebensowenig liegen die Thätigkeiten oder Handlungen, die wir von einem gaas andern Standpunkt aus, Tom Standpunkte der Horal, lobens- wert nennen, in unserem Oehim zu Kugeln oder Kreisen geordnet da. Da ist irgendwo die Erinnerung an ein Ding oder an eine Thätigkeit, die wir uns gewöhnt haben, sehr schndl und sehr leicht mit dem abstrakten B^oprüF nützlich zusammen auszusprechen; da sind Erinnerungen an Hand- lungen an irgend ein Gehimteilchen geknfipft, die wir uns gewöhnt haben, leicht und schnell mit dem abstrakten Be- griff lobenswert zusammen zu denken oder auszusprechen. Wird nun unsere Aufmerksamkeit zum erstenmale oder wiederholt darauf gerichtet, ob es unserem Gehirn und seinen Assoziationen leicht oder schwer fWt, die Begriffe lobens- wert und nfltzlich zusammen zu denken oder auszusprechen, so werden wohl im Gehirn zahllose Yersuchsmeldungen hin und her ziehen, das Gedächtnis (ich mnss es in diesem Augenblick wieder und zu meinem Schmerze mythologisch gebrauchen) wird unter sdnen Erinnerungen diej«ugen heraussuchen, die sich schnell und leicht sowohl mit dem Abstraktum nützlich, als mit dem Abstraktum lobenswert 7.U vereinigen i ficgen, und wird dann, ohne Kreis und oluie Kugel und ohne den eingeschriebenen kleineren Kreis „Tu- gend", je nach Erfahrung, Stimmung, Unabhängigkeit und Aufmerksamkeit dazu kommen, das Urteil auszuspredien «einiges Nützliche ist lobenswert* oder am Ende gar das neue lachende Urteil ,wir nennen das Nützliche immer lobenswert" .

Nun aber haben wir früher, als zuerst von der Sphären - Torgleichung die Rede war, erfahren, dass Aristoteles selbst Ton diesen Eselsbrücken noch nichts wusste. Er hat die

Bedokdon.

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Sphärenvergleiclmiig in vernünftigerer Form als ünter- ordnun'jf der Begriffe nur bei der ersten Figur nntf^wandt, hat darum auch nur diese erste Figur für voll genonunen und die anderen Figuren nur insofern als wissenschattiich bewiesen angesehen, als sie sich durch allerlei logische Hilfsoj)erationen auf die erste Figur zurückführen liessen. Wir haben eigentlich schon dieses ^nure Ht \\ nsverfahren dadurch erledigt, dass wir die UDmitteibaren Schlüsse aus Urteilen aus welchen natürlich alle Hilfsoperationen der aristotelischen Beweise bestehen in ihrer Ohnmacht und Wertlosigkeit aufzeigten. Wer mir bis hierher gefolgt ist, muss auch von diesem Umwege aus dahin gelangen, wenigstens die zweite, dritte und vierte Figur als unbewiesen zu betrachten. In unserem bchalbeispiel aber ist es ganz ergötzlich zu sehen, wohin die indirekte Beweisflihrung ge- laufen w'iire. Die Scholastiker haben in die barbarischen Namen der Schlussmodi auch schon den Gang dieser Be- weLsreduktion hinübergeheimnist. Das p in Darapti deutet wenn ich nicht irre darauf hin. dass man den Unter- satz zu einem partikularen Urteil umkehren könne (ganz nebenbei bemerke ich, dass die Geheimnisse dieser bar- bwisehen Namen deshalb ganz unnütz und ganz tadelns- wert sind, weil der denkende Kopf doch immer erst vorher wissen mllsste, welche Besonderheiten seinen Schluss z. B. unter Dsmpti einreihen, damit er diese selben Besonder- heiten dann ans Darapti heraus chiffiriere). Aristoteles also, der weiseste Mann in der Oesohiehte derPhikisophie, wttrde unser Sehulbeispiel der dritten Figur auf ein Schulbeispiel aus der ersten Figur znrQckgeftlhrt haben. Um su dem Schlusssatse zn kommen, dass ei mg es Nfitsliehe lobenswert sei, mUsste er Torher die Prämisse «jede Tugend ist ntttadich* zn dem schönen, aber wohl noch niemals, seitdem die Welt steht, in einem Menschengehim von selbst entstandenen TJr« teil umformen «einiges Nützliche ist Tugend"; solche Ur- teile bilden wir Oberhaupt nicht. So albern ist unsere Sprache denn doch nicht. Wir sagen nicht: »einiges Blaue ist Himmel, einiges Weisse ist Reisbrei*. Aber Aristoteles

V. Die Sehlimfolgeniiig.

musste es sagen, um beweiskraftig und triumphierend scblio^scn zu köniien: „einiges Nützliche ist Tugend, alle Tugeud ist lobenswert, also Lst einiges Nützliche lobenswert*. Vierte 4. Jede Tugend ist lobenswert; alles Lobens-

werte ist nützlich; also ist einiges Nützliche eine Tugend.

Der Leser wird es mit mir satt haben, diesen alten Hausrat der Logik noch länger im einzelnen zu untersuchen. Diese vierte Figur ist ohnehin der spät geborene Bastard aus der Enkelschaft des Aristoteles. Wir wollen nur be- merken, was aus dem V'oi Lei gesagte n kurz zu wiederholen wäre. Der Obersatz ,jede Tugend ist lobenswert" ist uns als gallertartige Tautologie bekannt. Der Schlusssatz, dass einiges Nützliche eine Tugend sei, ist eben als eine durch- aus künstliche Sprachrerrenkung erkannt worden. Aber selbst diese Sprachverrenkung wird dem denkenden Menschen früher einfallen, als die zweite Präraisse, aus der sie hervor- gehen soll. ,Dass jedes Lobenswerte nützlich sei*", das ist je nach dem Staudpunkt der betreiBfendeu Moral oder Re- ligion ein gar zweifelhafter Satz, sofern er nicht von un- moralischen und irreligiösen Denkern für einen tautologischen Satz erklärt wird. Die Reduzierung auf die erste Figur würde eine Reihe von Spraehrerr^ikinigeii nötig machen. Es steht so schlimm um die Tierte Figur, dass man von ihr nicht eiimnal das mft Bestimmtheit sagen kann, dass ihr Schlnsssats den Pr&missm immer voraus gehe. Man denkt überhaupt nicht in der vierten Figur. Bas wirkliche Denken gewiss nicht, und auch dem Logiker bereitet sie Schmerz.

Die Art jedoch, mit der unser Kerl im Wirtshaus sdme bescheidene Welt in Begriffe bringt, wttrde sich unter der Herrschaft der vier syllogistiscfaen Figpiren etwa folgender- massen ausnehmen.

1. Jeder Eise ist ein Kas; Ohester steht unter Ease; also muss Chestor ein Eas sein.

2. Eein Eise ist wohlriechend; die Rose ist woU- rieehmd; also ist die Rose kein Eise.

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Ente ligar.

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Teder Ohester ist gelb; jeder Ghester ist ein Eng- länder; also sind einige Engländer gelb.

4. Jedes Wohlschmeckende lobt sich selbst; jedes Selbst- lob stinkt; also ist elnigM Stinkende wohlschmeckend.

«

In verhältnismässig jungem Alter, beinahe 20 Jahre Ente vor der Kritik der reinen Vernunft, hat Kant sich in einer kleinen, überaus radikalen Schrift mit der Schullogik seiner Zeit ausciiianrler zu setzen gesucht. Er hat später in seinen Vorlesungen über Logik selbst arg verwässert, Avas er in diesen zwei Druckbogen niedergelegt hatte , die den Titel führen: ,Die falsche Spitzfindigkeit der virr >yllogistischen Figuren erwiesen". Der Titel stimmt nicht ganz genau zu dem Inhalt des öchntlchens. Eigentlich bewei-^t Kant nur, dass die zweite, dritte und vierte Figur spitzhnnig und über- flüssig der ersten Figur hinzugefügt seien. Im letzten Para- graphen erst lässt er die Vermutung durchscheinen, dass es auch mit dem W erte der ersten Figur nicht viel auf sieb habe.

Wenn so Aristoteles, der Begründer unserer Schullogik, und Kant, der Zertrümmerer aller Schulmetaphysik, darin übereinstimmen, dass alle Schlussfiguren ihre Bedeutung von der ersten Figur hernehmen, werde ich wohl in Folgen- dem mich umsomehr begnügen dürfen, an die erste Figur anzuknüpfen, was ich über diese Denkoperationen etwa noch zu sagen habe. So will ich denn an dieser Stelle Kant ;il3 eine Autontiii citieren. Ich hoffe zu zeigen, wie nahe Kant an meinen Grundgedanken heiiintritt und wie er ihn nur d;iii:ni nicht mit Händen greift, weil er die Kniik der Ver- nunlt üitiit als eine Kritik der Sprache fassen konnte. Wobei ich nicht vergessen will zu erwähnen, dass kein Fachmann, sondern nach Hamann erst wieder der Grübler Hebbel auf diese Schwäche Kants hingewiesen hat. Er sagt (in einer Besprechung des Schleicherschen Buch^ über die deutsche Sprache): , Es ist bezeichnend, dass ein solcher Universal-

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7. Die Schliuafolgefimg.

köpf wie Kant. »Ipt kf»itien Stein auf dem andern liess und jede Anschauuiii(, die er im menschlichen Gehirn antraf, zum Begriffe zu verdünnen , jeden Begriff zur Anschauung zu verdicken suchte, bei dem Medium, dessen er sich be- diente, keinen Antrenblick verweilfe und die Sprache auch nicht der flüchtigsten Prüfung unterzog." Eant. Kant geht von der guten scholastischen Beobachtung

aus, dass ein Vemunftschluss die Vergleichnntr eines Merk- mals mit seiner Sache vermittels eines Zwischeumerkmals sei. Die allgemeinste Regel aller Veraunftschlüsse ist ihm der Satz: ein Merkmal vom Merkmal ist ein Merkmal der Sache seilet. Ist es z. B. ein Merkmal des Begriffs „Kör- per", schvfer zu sein, uud nennt mau die Luft einen Körper, so muss die Luft Schwere besitzen. Ganz scholaütisch blei))t Kant darin, dass er die Unbeweisbarkeit dieses obersten logischen thuridsatzes logisch zu beweisen sucht. Wir be- merken sofort, dass dieser ganze Gedanke gar nicht der Logik angehört, -^undern nur »'ine psychologischt- Thatsache feststellt. Die niiinlich, dass wir uns bei jedem Wort oder Begritt' je nach der Richtung der Aufmerksamkeit an seine Teilvorstellungen erinnern.

Nun untt;rscheidet Kant zwischen reinen und ver- mischten Vemunfbschlüssen. Reine Vemunftschlüsse sind ihm diejenigen Syllogismen, die (wie eben reinlich nur bei der ersten Figur) aus drei Urteilen bestehen; vermischte YemunftschlOsse sind ihm diejenigen, bei denen die eine oder andere FribmiBse ai^rflcklidb oder heimli<^ erst nocii Terandert, zu einem Tierten Urteil umgedrdit werden muss, damit der Bchlussaafas aus allein herroigehe. Darin besteht eigentlieh Kants Beweis, das heisst also in der Unter- scheidung zweier Arten und in der Verurtdlimg der einen. Wenn ein Yemunftschluss iinmittelhar nach der obersten Regel (eventaeU nach ihrer Anpassung an die vemeinenden Schlosse) geführt wird, so ist es jederseit nach der ersten Figur. Er beweist an recht sehr scholastiachen Beispielen, dass die zweite und dritte Figur nur durch ZurUckftlhrttng auf die erste eine logische Beweiskraft habe.

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Ktnt.

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Kein Qeist ist teilbar, alle Materie ist teilbar,

also: keine Materie ist ein Geist.

Kant lehrt in Yollkotnmener üebereinstiramuüg mit Aristoteles , dass der Obersatz »kein Geist ist teilbar* zuerst umgekehrt werden müsse in den Satz „nichts Teil- bares ist ein Geist*, um aodann den Schlusssats nach der ersten Figur zu ergeben.

Erst bei der vierten Figur wird Kant übermütig; er spricht in dem Ton grimmigen Witzes, der ihm leider in späterer Zeit immer mehr verloren gegangen ist. Der Syl- logismus in dei" vierten Figur sei so uiiiMitOrlich, dass die aus ihm abgeleitete Regel sehr dunkel und unverständlich sein würde. Es sei schade um die Mühe, die sich ein kluger Geist geben würde, an einer unnützen Sache bessern zu wollen. »Man kann nur was Nützliches thun, wenn man sie vornichtigt.'' Aber er versriirt es sich doch nicht, eine geistieiche Verspottung der vierten sjUogistischen Figur zum Besten zu geben.

Kein Dummer ist gelehrt, einige Gelehi-te sind fromm.

Aus diesen beiden Prämif?sen ergebe sich unmittelbar gar nichts; man muss beide erst zurecht rücken, man muss sagen:

kein Gelehrter ist dumm,

einige Fromme sind gelehrt, um nach der ersten Figur zu dem köstlichen Schlusssatz zu kommen:

einitre Fromme sind nicht dumm. Kaut luhnt den Einwand ab , dass die drei andern Figuren höchstens unnütz, nicht aber lalsch seien. Dabei muss er freilich gegen seine bessere Ahnung von dem hohen Werte der ersten Figur und der Logik überhaupt ausgehen. Die Logik bringe alles auf die einfachste Erkenntnisart; die komplizierten Regeln mUssten „bei diesen Seitensprüngen sich selbst ein Bein unterschlagen'*. Die sogenannten Modi

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V. Die Sofalosafolgwaqg.

((!ie emzehien Schlussweisen . die in den bf-kaimten bar- barischen Gedächtnisversen gelernt werden) ,v, ( r 1< n küntti*^- hin eine schätzbare SeUonlieit von der DenkutiL'"?art de« menschlichen Verstund - i iitlmlten, wenn dereinst der eiir- wUrdij^e Rost des Altertums einer besser unterwiesenen Niicbkomnienschatt die emsigen und vergeblichen Be- mühungen ihrer Vorfahren an diesen Ueberbleibsela wird bewundem und bedauern lehren*.

Hier vergisst Kant schon die Verteidigung der ersten Figur, die er vielleicht wie öfter in seinem Leben nur aus Vorsicht f^escbont hat. Er vergleicht alle Schluss- weisen mit dem Schachbrettspiel; wer sich über das Her- vorgehen des Schlusssatzes wundere, der scheint ihui nu ht klüger, als einer, der mit einem Anagiiuiirn spielt. Kaut wagt nicht zu glauben, ..dass die Arbeit von einigen Stunden vermögend sein werde, den Koloss umzustürzen, der sein Haupt in die Wolken des Altircums verbirgt und dessen Füsse von Thon sind\ Der ganze logische Koloss sei be- sonders in einem gelehrten Wortwechsel brauchbar, der aber doch mehr zur „Athletik der Gelehrten" gehöre.

Wie gering aber Kant von der Logik Uberhaupt dacbte, kommt doch erst im Schlussparagraphen heraus, wo er fast ohne Zusammenhang seine letzten Gedanken hinwirft. lek glaube eino Stelle ganz und gar ftlr mich m Anspruch nehmen zu dttrfen. «Ich sage demnach enÜkih: daaa dn deutlicher BegrifF nur durch ein ürtdl, ein Tolbtändiger aber nicht anders, als durch einen Yenranftachluas möglidi sei. Es wird nSmlich zu einem deutlichen Begriff erfordert, dass idi etwas als ein Merkmal eines Dings klar erkenne; dieses aber ist ein Urteil. Um einen deutlichen Begriff ▼om Körper zu haben, stelle ich mir die Undurchdringlich- keit als ein Merkmal desselben klar Tor. Diese Vorstellung ist aber nichts anderes, als der Gedanke: ein Kdrper irt undurchdringlich." Er tadelt es daher, dass in der gewShn* liehen Logik die Lehre vom Begriff früher als die Lehre ▼om Urteil und vom Syllogismus abgehandelt werde. Zwei- tens aber bemerirt Kant was er leider in seinen spatem und

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Schopenhauer«

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ab<p'üiidigeii Schriften vollifi^ wieder vergessen hat , dass es ein und diesell)e Grundkraft der Seele sein müsse, die den dentlirhen und den ToUständiiXfU Begriff, also in unserer S]>iacb.e das Urteil und den Scliluss vollzieht, dass also Verstand und Vernunft ein und dasselbe Vermögen zu Urteilen seien. Dieses weit über seine Zeit hinausgreifende Apercu wendet Kant sofort sehr unjjlOcklich auf den Unter- schied von Menschen und Tieren an, während es gerade geeignet gewesen würe, die Armut dieses Unterschiedes aulzudecken. Aber gross und einfach nenut Kant gerade in diesem Augenblicke seine Lehre stolz bescheiden seine «jetzige Meinung".

Dieses Ergebnis von wenigen Stunden Kants hat seh n t - schopen- sinnigen Menschen schon viel Kopfzerbrechen gemacht. Schopenhauer (Welt als Wille und Vorstellung 11. 1. B. 10. Kapitel) bemüht sich sehr geistreich, sowohl die Scholastik als Aristoteles zu Ehren zu bringen. Er opfert die vierte Figur, um die zweite und dritte retten zu können. Seltsam ist es, dass er nach der Hauptsache, ob nänüich aus der Schlussfolgerung etwas Neues hervorgehe, nur , beiläufig* fragt. Ur beliftQptet es, wenn auch nur gewissermassen. Z. B. Alle Diainftiiien sind Steine, aQe Dianumten nnd Terbrennlieli,

also: sind einige Sterne Terbrennlich.

Dieses Ergebnis imponiert ihm. Scbopenbauer bemerkt nidit, dass an der neuen Beobaehtung der Chemie (dass ninüich Diamanten reiner Kohlenstoff und darum Terbrenn- lich seien) vom ersten Augenblicke an gerade der Umstand das foteressanteste gewesen ist, dass die Kohle in der Form erscheinen kann, die man sonst Stein genannt hat, dass also die neue Beobachtung der Chemie eine Bereicherung und Verschftrfung der Sprache war, dass aber in dem sdiftrferen und reicheren Begriff «Diamant* dann die beiden PHkmissen mitsamt dem Schlusssatse schon enthalten waren.

Wie scholastiseh Sdiopenhaner von der Logik denkt, das Terrftt er weiter in seiner bilderreichen Sprache. Er

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V. Die Sohiuaifolgeruiig.

kann es sich gar nicht anders vorstellen, als dass die i'ra- missen sich im Gehirn ganz brav und schulgerecht ver- halten, wie iiu Lihrbuch des Logikers; alle Urteile, die wir aufgespeichert haben, werden nach ihm so lange gleichsam durcheinander geschüttelt, bis endlich der luihte Obersatz auf den rechten Untersatz triift, „wo diese alsbald sich ge- hörig stelkn". Noch krasser heinahe wird der Gegensatz dieser Anschauung zu meiner Lehre, wenn Schopenhauer fortfuhrt: ,das8 der Syllogismus im Gedankengange selbst besteht, die Worte und Sätze aber, durch welche man ihn ausdrückt, bloss die nachgebliebene Spur deaselben bezeichne; sie verhalten sich zu ihm, wie die Elangfiguren aus Sand zu den Tönen, deren Vibration sie darstellen*. Schopenhauer bedeutet aber darum als Logiker einen be- daueriiehen RHeksdnitt gegen jenes kantisebe Sebriftcben, weil er den Beweis durch 9phSrenvergleichung bewundert und das Zurückgehen auf die Begriffe selbst gar nicht ge- fasst zu haben scheint. Er hat sehr viel Hochachtung vor den Urteilen, welche bei ihm als eine Art yon TrapezkOnsÜem erscheinen, die sich geschickt aneinander hSngen und bei deren Schlussgruppe yon den Zusdiauem applaudiert wer- den muss.

Die ünsidierheit Kants, der sich eigentlich gegen die gesamte Logik empört, im Einzelnen aber nur die zweite bis vierte Schlussfigur als unnQtz, spitzfindig, falsch hin- stellt, diese Unsicherheit hat seine Gegner die Bedeutung der kleinen Schrift Ubersehen lassen. Und so glaubte Ueber- weg (Logik, 5. Auflage, S. 343) leichtes Spiel zu haben. Er wirft Ktoit einfach Tor, dass die ZurQckfÜhrung der ge- tadelten Schlussfiguren auf die einfache erste Figur den andern nichts von ihrer Beweiskraft nehme, «ebensowenig, wie ein mathematischer Satz dadurch, dass sein Beweis sich auf die früher bewiesenoi Satze gründen muss, not- wendig zu einem unselbständigen Oorollar derselben herab- nnkt*. Wieder wird hier die scheinbare Analogie zwischen Logik und Hathematik zu Hilfe gerufen. Wieder wird vergessen, dass die Zahlen und Formen der Mathematik

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Schopenhauer.

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ftJr diese Wissenschaft genau die gleiche reale Unterlage bilden, wie für die Naturwissenschaften die wirklichen Dinge und Vorgänge der Natur. Der Pythagoreische Lehr- satz verhält sich zu den Quadrat t u über den Seiten des Rechtecks nicht wie eine logische Kegel zu ihrer An- wendung, sondern wie der Begriff Schwerkraft zu den Er- scheinungen der Schwerkraft. Der Pythagoreische Lehrsate ist eine in Worten ausgedrückte Zusammenfassung einer Thatsache, wie der Begriff Schwerkraft ein zusammen- fassendes Wort ist. Aus der Wahrheit und Notwendigkeit maihematischer Sätze kann also für die Logik ebensowenig bewiem werden, wie ans der Riclifei(^ceit und psycho- logischen Notwendigkdt der Begriffe Metall, Hund, Planet imd dergleichen. Ob unsere Gedanken Aber Planeten, Me- talle, Hunde und die Besehung der Dreieckseiten ans Be- obachtungen direkt entstehen oder ans logiscfaen Regeln, darum handelt es sich, nicht darum, ob die logischen Re- geln &u8serlich den mathematischen Beobachtungen nach- geahmt werden.

Der Vergleich Schopenhauers, der des sprachlichen Ausdrucks der Denkopwationen mit dm Ghladnisdien Klang- figuren aus Sand, ist geistreich wie gewöhnlich; hfttte Schopenhauer aber bemerkt, dass das Bild mehr war als ein Vergleich, so bitte er seine scholastische Logik nicht aufrecht erhalten. Und hätte Eant die Elangfiguren der Sprache durchschaut, so hätte er auf seinem schon damals su der ESrkomtnis kommen müssen : unser gesamtes Benken sei unlogisch, sei nur Sprache oder Erinnerung an Sinneseindrflcke, alle Denkoperationen seien nur eine auf- merksame Besinnui^ innerhalb unserttr Erinnerungen. Das ist ja eben die Lehre der neueren Naturwissenschaft, dass es in der WirUichkeitswelt nur Bewegungen gebe, und dass es für die Wirklidikeitswelt ganz gldchgttltig sei, ob unsere Augen die Bewegungen als Sandfigur, ob unsere Ohren sie als Klang wahrnehmen. Hit einiger Phantasie kann ich mir eine Sprache ausdenken, welche durch den erregten Klang die Sandfigur beseichnet. Dann besässen wir flSr

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V. Die ächiasafolgerung.

«Uten Ueinen Bdsirk mathttutisdier F^nnm fOBB natür- liebe Sprache. Käme dann hinterher ein Naturforscher und wtirde sich hSchlich darüber wundem, dass die Vibrationen des Klanges im Ohre dieselben seien, wie die Vibrationen der Metallplatten, auf denen die hervorgerufenen Sand- figuren entstanden sind, so wäre er ebenso unweise, wie Schopenbaner war, da er den Gedankengang Ton seinem sprachlichen Ausdruck unterschied.

IM« mag' Zu den feinsten Denkfibungen der Logiker gehört ihre Bobhu»- mAibematische Berechnung der Anzahl aller ma^^icben w«iB«A. Sehlussweisen. Sie haben ihre vier Schlussfiguren auf- gestellt. In jeder Figur gibt es zwei Prämissen, Ton denen jede wieder Qe nachdem sie allgemein oder partikular, be- jahend oder TCmeinend ist) eine Tierfsdhe Verftnderung lu* lasst^ Beide Prftmissen lassen also nach den mathematischen R^ieln der Kombination zusammen 16 Veränderungen su. Danach mUsste es im ganzen bei allen vier Figuren 4mal 16 oder 64 Schlussweisen geben. Nachträglich wird dann wieder bewiesen, dass Ton diesen 64 ausgerechneten Schluss- weisen beinahe die ffiilfte nicht existiert

Dieses Vorgehen der Logiker en^flUt uns seine ganze Wertlosigkeit, wenn wir uns vorstellen, dn NatorÜiHrsdier hätte in ähnlicher Weise die Arten der Thiere klassifiziert Er hätte zuerst durch alle möglichen Permutationen und Kombinationen der tiemchen Gliedmassen unzählige Arten (z. B. vierfUssige Enten, mit Flossen versehene Katzen, schlangenartige Bienen, Schmetterlingslöwen u. s. w.) auf- gestellt, und käme nachher mit dem Zugeständnis, dass nur ein Teil dieser Kombinationen in der Welt der Wirklich- keit vorhanden sei. Und ich bin nicht ganz sicher, ob die deutschen „Vollender" des Darwinismus nicht ein ähnliches logisches Verfahren thatsächlich eingeschlagen haben, um aus einer starken Hypothese ein schwaches System zu machen.

Wir würden uns mit diesen Spielereien gar nicht auf-

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G6icbe de« BehlieMeiw.

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halten, wenn d'v^ Logiker nicht auf diesem Wege zu einigen berühmten Entdeckungen gekommen wären, die sie die ail- gemeiuen Gesetze des Schliessens nennen. Mit diesen müssen wir uns kurz befassen.

Vnrher aber möchte ich ein für allem fil l *emerken, dass die LTi ammatikalische Form der Prämissen mich aufmemem Standpunkte nicht das mindeste angeht.

£s ist ja richtig, dass die Becfriffsvergleichung nach unserem Sprachgebrauch am bequemsten vor sich geht, wenn sie sich in substantivische Sätze kleiden lässt. „Alle Metalle sind Körper; Eisen ist ein Metall; also ist Eisen ein Körper." Das ist dumm und bequem wie eine Rechen- maschine fUr Kinder. Sobald das Prädikat einer oder beider Prämissen ein Adjektiv oder ein Verhura wird (z. B. alle Metalle sind schwer, oder alle Metalle wirken so und so), leidet der Beweis des Schliessens durch Sphärenvergleichung an bedenklichen Unklarheiten. Trendelenburg hat auf diese sprachlichen Unterschiede (die dann viel gelehrter Sub- sumtion und Tnhärenz heissen) grossen Scharfsinn verwandt. Da W H über Sprachen kennen, die von einem Unterscliiede zwischen Nomen, Verbuni und Adjektiv nicht viel wissen, und da die Chinesen z. B. trotzdem nicht unlogischer denken als wir, so können wir diese Lokalangelegenheit der so- genaualeu ludo-europäischen Menschheit auf sich beruhen lassen.

Was nun die allgemeinen Gesetze des Schliessens an- langt, so lautet das erste: es lasse sich aus bloss ver- neinenden Prämissen kein gültiger Schluss ziehen. Man hat diesen Satz mit Hilfe der Sphärenvergleichung, also darch ein fUschM Bild, xu beweisen gesucht; und wieder hftben besonders spifaefindige Scbolsstiker die Allgemeingültigkeit des Sstses bestritten. Für uns liegt die Seche so, dass wir die Regel nicbt bnuiehen, weil noch niemals, sdtdem es Menschengehime gibt, irgend eines auf den Torsweifelten Einfall gekommen ist, blosse Negationen miteinander ver- gleichen SU wollen. ^Eein Komet ist ein £tee und ein Hund ist kein Komet*, das associiert sich nicht in unserem

lla«tba«r, B«itrls« sn «Intr Kritik dtr Spnohe. m. 28

434

Y. Die SchloMfolganiiig.

Gehirn. Wir wissen, dass sowohl die Urteile, die wir Prä- missen nennen, als dasjenige Urteil, das wir Schlusssatz nennen, schon im Begriff selbst vorhanden war. Wo die Negation des Schlusses überhaupt einen Sinn hat, also im Bef^riff schon enthalten ist , da ist der negative Ausdruck ein Zufall der Spraelit, der mit der Wirklichkeit nichts zu schaffen hat. Es gibt in der Wirklichkeitswelt keine Ne- gation; die Logik nur, weil sie missverstandeue Grammatik ist, muss sich damit abquälen.

Womöglich noch überflüssiger ist für unseren Stand- punkt das zweite Gesetz des Schliessens, dass nämlich aus swei partikiilaren Prämissen kein gültiger Schluss folge. ,SSmg« Hmide sind sekwan, dnige Hunde smd weisB.* Es schebt mir im Wesen der psychologischen Begrii5&^ bEdung zu liegen, dass bei der Urteilsrergleichung min- destens das eine derselben ein sogenanntes allgemeinea Urteil sein mOsse. Ich muss mich wiederholen. Der Sehlnas- satz mitsamt den Prämissen ist im Begriff schon enthalten. Ein Begriff oder ein Wort entsteht aber noch gar nicht, solange nicht alle Dinge einer Art durch das betreffimde Merkmal zusammengefasst werden. Die Allgemeinheit des TTrteik gehört zum «Wesen* des Begriffs, So gehdrt zum Wesen des Begriffs Hund die Art seines Gebisses wesent* lieh; alle Hunde haben dieses Gebiss und kein anderes* Die Farbe aber gehört nicht zu dem Begriff Hund; und darum liegt in der Aufmerksamkeit auf die Farbe (»eiuige Hunde sind weiss*) auch nicht die Bildung eines neuen Begiiflb. So wie aber die Laune der Sprache oder das Interease einer Menschengruppe die Farbe eines Tiers zum Merkmal einer besonderen Art, eines Begrilb oder eines Wortes macht, verwandelt sich das partikulare Urteil in ein allgemeines (z. B. xalle Schimmel sind weiss, alle Rappen sind schwarz*) und der Begriff kann sofort in Prämissen und Schlussfolge» rung auseinander gelegt werden.

Das wirkliche Denken geht noch weittt'. AUe soge- nannten InduktionssdilOsse sind ja Schlüsse aus partikularen Urteilen. Die Bemerkung gehdrt nicht hierher, aber sie

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GeietM des Schlieneiu.

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wirft ihr Licht vielleicht auf das ganze verkehrte Treiben der Logik. Wenn die Prämissen mitsamt der Schluss- folgerung schon ira Begriff mit eingeschlo';sen sind (und das wis5?en wir), und wenn der Tndnktionsscbluss aus par- tikularen Urteilen der BegriÖsbildung vorausgeht, so stellen sich die tbatsächlichen GehirnvorgängF dem Schlussgesetze, ,es folge nichts aus partikularen Urteilen" mit der bessern Wainlieir gegenüber: all unser Denken folgt aus parti- kulaifi! Urteilen.

Das dritte Gesetz der Schlussweisen ist eine Ver- mischung der beiden ersten Gesetze und man wird es mir nach dem Vorancregangenen glauben, dass ein Nachweis seiner Ueberftüssigkeit sich nicht verlohnt.

Mit Hilfe dieser drei Gesetze haben die Logiker kunst- reich die Zahl von 64 ausgerechneten Schlussweisen auf 32 reduziert, um nachher auch diese Zahl als falsch nachzu- weisen. Wir wollen uns mit diesen kindischen Freuden der Logik nicht länger befassen. Wir wissen jetzt noch gründ- licher als früher, dass die syllogistischen Formen ein ganz falsches Büd von den wirklichen öehirnvorgängen geben und dass dieser gaiue Stolz der logischen Disziplin den einen Fehler hat: nicht psychologisch zu sein. Und nur darum, weil die besten Köpfe des Altertums und der Neu- zeit sämtliche syllogistische Figuren yertrauensvoll auf die erste Figur zurttckgeflihrt haben, und weil die ▼mt Scblusts- weisen (Bfodi) der enton Figur für den Sdmlenrershuid den besteehenden Reiz einer bequemen Eeelsbriicke bie^, wollen wir noch ein übriges tbun und die vier Scblnssweisen der ersten Figur noeli dnen Augenblick betrachten.

Ich will aber dodi lieber ganz SelbstTerstiadliclies auf die Qefalir der Breite noch einmal sagen, als den Vertei- digern der Logik eine Lflcke lassen. Ich will also hier noch einmal den Eänwand ablehnen, als h&tton, wenn schon die einaeben Schlussweisen wertlos sind, Tielleicht die eben angemkrten obersten Schlnssgesetse irgend eben Nutzen ftlr das menschliche Denken. Sie sind wohl zu unterscheiden Ton den viel Tomehmeren, frOher behandelten obevsten

436 V. Di« Sciauasfolgeruiig.

Dcuk^esetzen. Diese haben wir in allen ihreu Verkleidungen als urmsclige Tautologien heraus erkannt. Was könnten auch Gesetze des Denkens, das heisst Abstraktionen von Sprache, anderes sein?

Die eben behandelten obersten Gesetze des Erschlies- sens sind also noch weniger, denn wenn sich der bildliche Ausdruck Gesetz noch halbwegs auf das Denken anwenden lässt oder die Sprache, muss er jeden Sinn verlieren in seiner Anwendung auf etwas Nichtvorhandenes , auf das vorgeb- liche ErschUesseii. Der Mensch kommt gar nicht in die Lage, sich heim wirklichen Gehimgebrauch zu fragen, ob aus rein negativen oder rein partikularen Urteilen irgend ^ Salz mit logische Kotwendigkeü hemugehe. Diese obersten SeUussgesetKe haben auf der Welt keinen anderen Zweck als den, ganz sehwache SchulmeisteffcOpfe darflber SU beruhigent dass nicht sSrntliche durch Kombination aus- gerechnete Schlnssweisen mit logischen Schulbeispielen be- legt werden kOnnen« Noch einmal: wir denken nicht in Urteilen, sondern in Begriffen; Begriffe (wohl freilidi Worte) sind ihrem Wesen nadi weder n^fatiT nodi partikular.

Selbst dann aber, wenn es von Kufaeen wire, sich beim Denken die BegriffiB in Urteile auseinander su legen, wie man beim Essen die Stocke aerschn^det, selbst dann wären die obersten Gesetze des Schlieesens das bisschen Ge- hirn nicht wert, das auf sie Terwandt worden ist.

Es lisst sich nftmlich einem Urteil ohne weiteres gar nicht anhören, ob es negativ, ob es partikular sei oder nicht. Lftngst 8<dion mussten die Logiker zugeben, dass Urtdle Uber einzelne Personen Allgemdnurteile seien. Homer, Bis- marck bedeuten der Zahl nach nodi weniger als «eiuige Menschen* und bilden doch Subjekte von sllgemeinen Ur^ teilen. Die Sprache hat dafür ihren Ausdm^ gefunden, indem sie sie Eigennamen nennt. Ob aber Individuen E^en- namen tragen oder nicht, htngt von unserem Interesse ab. Wir geben einzelnen Haustieren Eigennamen, selten aber einzelnen Tieren aus einer Herde. Fast niemals geben wir einem Fflanzenindividuum em&i Eigennamen. Aber auch

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Geietase dm Sehlieauns.

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das kommt mitunter ror, wie z. B. die Lutiiereiehe, die «eiuMme PiRppel* und d«r|^ieheii. Oenav so steht es mit Gnippenbezeichnimgeii. Wir tremien die Yölkerraasen nacli ihren Farben, bisher aber noch nicht x. B. die Deutschen nach ihrer Haarfarbe. Noch ist es ein partikuUures Urteil, wenn ich sage , einige Deutsche sind blond*. Man kann sich aber ein Weitergehen einer Bewegung TorsteUen, in welcher die blonden Deutschen einen besonderen Namen erhielten, z. B. Oermnnen, mid dann hätten wir das all- gemeine Urteil ^die Germanen sind blond". Ohne Gnade muss man bei der Untersuchung, ob ein Urteil partikular sei oder nicht, auf das Wort surOckgehen, auf die psycho* logische BegriiFsbildung.

Ebenso steht es mit der Negation, die sich dann ge- wöhnlich auf das Prädikat bezieht Immer müssen wir auf den Begriff zurückgehen, wa zu erfahren, ob der negatire sprachliche Ausdruck eine wirkliche Negation enthalte oder nicht. , Homer war blind." , Homer konnte nicht sehen." Diese Sätze müssten logisch ganz verschieden behandelt werden, je nach ihrem sprachlichen Ausdruck, was doch dem wirklichen Denken nicht einfallt.

Ich will den Leser nicht mit dem Beweise langweilen, der uns lehren soll, warum in der ersten Schlussfigur an- statt der ausgerechneten sechzehn Einzelweisen oder Moden und sogar anstatt der nach den allgemeinen Schhissregehi übrig gebliebenen acht Einzehveisen doch nur vier Übrig bleiben, die unt^r ihren barhari'^rhen Namen im Gebrauch sind. Es genüge die Erinnerung, dass diese vier Moden (Modi) in den Ged'achtnisversen Barbara, Celarcnt, Darii, Ferio heissen und dass in diesen an sich vollkommen sinn- losen Buchstabenzusammenstellungen für den Kenner und Liebhaber all ihre Weisheit auKjTedi üi kt i^t. Die Anfanpfs- bncbstaben geben (nach d? i lu iliniiolge der Konsonanten des Alphfibpts) ihre Ii* ili, fi'nlLn iiü Svstem. In den Vo- kalen aber steckt die tu tstf W eisheit der Logik, da immer drei Vokale da sind , die die Qualität und Quantität der Prämissen und des Schlusssatzes unzweifelhaft angeben.

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y. Die Sdilnarfölgenuig.

Ein Kurzwurenhändler, der auf ein Schubfach mit Knöpfen den Buchstaben K, auf ein Schubfach mit Nadeln den Buch- staben N geklebt hat und dann hinter df»ni Buchstaben K mit freudigem Stolze wirklich KiiTtpfo findrt uii i nicht Nadeln, ■\v;ire ebenso weise. Und hat er gar unter dem Buchstaben K erneu heimlichen Vermerk liber die Preise soiTier Knöpfe angebracht, so ist die Aehuüchkeit ganz vollkommen.

Barbara. l. Barbara.

„.Icder Kiis - ist ein Kas, jeder ehester ist em Käse,

also muss Chester ein Kas sein': das ist ein Musterbeispiel des ersten bchlussmudus, der selbst wieder alle andern Schlussniodeu an Wert, au Ver- wendbarkeit, uu Häufigkeit so sehr übei-treflfen soll, dass der einfache Mensch eigentlich überhaupt, wie unser Hans- wurst, nur in Barbara dejikt. Die drei anderen Moden der ersten Figur haben unter ihren Prämissen entweder ein negatives oder ein partikulares Urteil, oder gar beide. Die andern drei Moden der ersten Figur haben es also nach meiner Darstellung gar nicht luit vorstellbaren Begriffen zu thun; sie haben aber auch nach der Auffassung der Logiker durch die Hereiuziehung der Negation und des Teils nicht mehr die überwältigende Kraft und Schönheit des ersten Schlussuiodus. Der erste Schlussmodus ist in seinem einleuch- tenden Dreitakt lieblich wie ein Wiener Waker, und jeder Schuljunge glaubt ihn tanzen zu können, wenn er ihn ein- mal gehört hat. «Jeder Hund ist ein Säugetier; jeder F^del ist ein Hund; ako ist jeder Pudel ein Slag«tier*; das ist pudelnsrrisch einfach. So einfach hat sidi der Junge die Logik gar nicht gedadit. Es ist fiwt dumm. Ahw es kann einfach hkihen und dabei doch interessant werden. «Jeder Mensch kann irren; der Herr Lehrer ist ein Mensch; der Herr Lehrer kann also irren.* Und dann begibt man sich mit Barbara auf das Gebiet der Meia^ physik. «Jedes Geistige ist ein&di; die Seele ist ein Gei- stiges; ako ist die Seele ein&ch.*

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Yfir wissen, dass in allen dief^en Beispielen der Schiuss- satz wenn wir ihn überhaupt denken schon TW den Prämissen in unserem Gehirn war. Wir wissen noch ge- nauer, dass der Schlusssatz mitsamt den Prämissen, dass also das Prädikat des Schlusssatzes mitsamt dem Mittel- begriff schon im Subjekt des Sclilusssatzes enthalten war, für den wenigstens, der dieses Wort in seinem Sprachschatz wirklich besitzt. , Pudel" ist für jedermann ein Hund und ein Säugetier. Irrtum ist menschHch. Und wenn die Sache anders aussiebt, sobald Barbara zu philosophieren anfangt, so liegt das nur daran, dass wir die Bogriffe eben nicht in unserem wirklichen Sprachschatz hatten. Was 1 ein Pudel? Was ist einfacb? Was ist geistig? Was ist Seele?

Da aber die Scblussmode Namens Barbara in der That genau mit dem zusammenfällt, was wir als Aufmerksam- werden auf die Merkmale unserer Begriffe (also der Worte unsrer Sprache und ihres Sprachschatzes i kenneu gelernt haben, so wäre es doch möglich, dass dieser erste Schlu.ss- modus uns beim Denken bequem oder behilflich sein konnte, wenn wir auch aus allgemeinen Gründen gewiss smd, dass sich auch aus Barbara nichts Neues erschliessen lassen werde. Auch Barbara muss unfruchtbar sein. Aber sie ist vielleicht angenehm und nur darum woUen wir sie näher betrachten.

Es scheint wirklich so, als ob der erste Schlussmodus am ehesten dem wirklichen Vorgang in unserem Uehirn entspräche. Wir haben in unserem Sprachschatz einen Be- grÜl, z. B. den Begnü l'udel. Richten wir aus irgend einem Grunde unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wir verschiedene ähnliche Tiergruppeu unter gewissen Merkmalen zusammen Hunde nennen, so kommen wir ohne weiteres zu der aus- einander gelegten Vorstellung oder dem Urteil «jeder Pudel ist ein Hund* ; und richten wir femer unsere Aufmerksam- keit darauf, dass wir diese weiteren Tiergruppen unter dem schon recht abstrakten Kamen Säugetier zusammenfassen, 80 kommen wir wieder ohne weiteres zu dem Schlusssatze „der Pudel ist ein Säugetier*. Qona dasssUve meint ja

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V. Die SchliMtfolgeniBg.

eigentlich auch die erste S( hlussrejifel , wenn sie sagt : das Prädikat eines Priidikats kann ich auch seinem Subjekte brih i^en; ist der Hund ein Säupetier und der Pudel ein Hund, so ist der Pudel ein Säugetier. Es könnte scheinen, als ob wirklich die??e logisclie Klarlioit ü(^m Denken zu gute käme, weil wir dabei einen Augenblick vom Ausganu^sl n^ijriff , Pudel* ganz absehen, um so unsere volle Autraerksam- keit auf das oberste Prädikat zu lenken, auf -Säugetier*. Zugegeben (könnte man mir sagen), der Gedankengang sei minimal, sei kindisch, aber ein Gedankengang sei doch vorhanden und beim Gange komme man weiter, man schieite vom Ursprungsbegriff zu einem entfernteren Prä- dikat fort.

Das aber ist es , was ich endlich und von Anfang an leugne. Immer und fest muss unserem Denken der Begriff und seine Entstehung in unserem Gehirn gegenwärtig sein, muss ganz barial dem Sprachgebrauche gehorcht werden, wenn wir uns beim Schlusssatz dasjenige vorstellen wollen, Avas er allein und ausschliesslich sagen kann. Im Geschwätz dti Leute und der Philosophen ist das freilich nicht der Fall. Im Geschwätz der Leute und der Philosophen rUckt das Denken allerdings vom vorstellbaren Begriff langsam fort, aber nur, um eben nach dem Verlust der YorsteUlMurkett sich ins Bodenlose zu Terlieren. Wer einen logisch gefun- denen SatB ehrlich gelMrauchen wül, miifls ihn immer ersi wieder Eum Torstellbareii Begriff Eurttckrerfolgen. Die ganze logische Denkoperation ist umMst gewesen.

Wir können das an Barbara sehr deutlich anizeigen.

Zuerst in einer allgemeinen Betrachtung. Es kann ""'^^ nimlich erstens der Ifittelbegiiff wirklich so zwischen Sub- gtiwMflh. jdst und PHMikat des Schlusssatzes stehen, dass er daa PAdikat des ersten und das Subjekt des zweiten ist, er kann zweitens eine Tautologie zum Subjekt des Sehluss- satces, er kann drittens eine Tautologie zum PriUlikat des Schlusflsatzes bilden und er kann viertens mit dem Subjekt und FHidikat des Schlusssatzes zu einer einzigen Tautologie zusammenfallen. Ich muss, will ich ein Beispiel geben.

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SoUa« und Spnbhgebraacb.

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aller ding'- <lie Weltanschauungen Terachiedener Menschen zu Hilfe nehmen.

a) Alle Menschen sind Urgamsmen; alle Organismen sind sterblich; also sind alle Menschen sterblich.

Vtl Alle Menschen sind lebcndicfe Menschen: alle leb* digen Menschen sind sterbhch; aläo sind alle Menschen sterblich.

c) Alle Mensrhen sind endliche Wesen: aiU ndlichen Wesen siud srrrtilirh: also sind alle Menschen bi-eibiich.

d) Alle Menschen sind Staubgeborene; alle Staubge- borenen sind sterbhch; also sind alle Menschen sterblich.

Um mein Beispiel kkr zu verstehen , rauss man sich vorstellen, dass der erste SjUogismns z. B. von einem Natur- forscher eernacht wäre, dem man entgegen gehalten hat, dass Barbarossa nach der Legende immer noch lebe, und der die Möglichkeit dieser Annahme entkräften will. Der zweite Syllogismus soll von einem Soldaten gemacht worden sein, dem ein Gespenst um Mitternacht entgegen tritt und der sich's zum Bewusstsein bringen will, dass alle Menschen lebendige Menschen seien, dass es keine gespenstischen Menschen gebe, dass also auch sein Gespenst einen Pistolen- schuss fühlen werde. Der dritte Syllogismus ist von einem Theologen gemacht worden, der an unendliche Wesen glaubt und der sich oder anderen den Unterschied zwischen den Menschen und solchen unendlichen Wesen klar machen will« um nachher meiiieiwegen die Unsterblichkeit nach dem Tode zu behaupten. Der Tierte Syllogismus, der freOich der Gipfel der Tautologie ist, wird wohl kaum anders als Ton einem IHehter vollzogt worden sein, der sich aus irgend-* welchem Chrusde die Bedeutung seiner Phrase ,dte sterh* liehen Hensdien* klar machen woUte* (Doch finde ich diesen Qipfel der Tautologie audh als mathematisches Schulbeispiel, wenn geschlossen wird: alle Dreiecke mit entsprechenden SelienTerhSUniBsen sind Dreiecke miientsprechenden Winkeln; alle Dreiecke mit entsprechenden Winkeln sind ähnliche Drei- ecke; folglieh sind alle Dreiecke mit entsprechenden Seiten- ▼erhSUnissen ähnliche Dreiecke.)

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V. Die Scbluaifblgenuig.

Nun wird mir jeder Mensch mit gesundem Takte zu- gestehen müssen, dass der Naturforscher, der Soldat, der Theologe und der Dichter sich bei dem Schlusssatze „alle Menschen sind sterblich" durchaus nicht dasselbe vorgestellt haben. Je naLhdem der Mittelbegrift" die eine oder die an- dere Tautologie war, je nachdem er ein wirkliches Merk- mal war oder gar nach oben und unten die gleiche Tauto- logie, wird der Sclilusssatz etwa.s anderes bedeuten. Man denke sich den Satz „alle Menschen sind sterblich" im Zu- sammenhang einer Rede, und der Naturforscher, der Soldat, der Theologe und der Dichter werden diesen Satz unmög- lich in gleichem Zusammenhange gebrauchen können. Schon die nächste .Folgerung" aus dem gleiolien Schlusasatse wird in jedem Falle eine andera sein.

Der Naturforeclier wird folgern: alle HenaeheD nnd sterblich, also sind die berg«nti1lckton Helden wie Barba- rossa nur .Geschöpfe der Sage. Der Soldat wird folgern: alle Menseben sind sterbUch, also will ich mich vor diesem Termeintlicbeii Gespenst nicht fDrchten. Der Theologe wird folgern: slle Menschen sind sterblieh, also muss die ewige Seele in uns etwas Uebermeoschliches sein* Der Dichter wird folgern: alle Menschen sind sterblich, also ist sterblich ein gutes Epitheton omsns für den Menschen.

Es gehört nur eine Tolle Aufmerksamkeit dasu, um sich zu Überzeugen, dass dar verschiedene Sinn eines Schluss« satses oder eines Satzes Oberhaupt nicht ein AusnahmeÜBll ist, sondern die unbedingte Regel, sobald man nur die feinen Nuancen als Unterschiede empfinden gdemt hat Es gibt unter dem Mikroskop keine absolut gerade Linie. Dnd es gibt fOr unsere Kritik nicht zwei Menschen, die sich bei demselboi Satze genau das Gldche denken.

Ich habe diese trObselige Wahrheit selbst in eine Schablone gebracht, um zu zeigen, dass die Teischiedenen Beziehungen des Mittelbegrifi zu Subjekt und FMdikat des Schlusssataes den Sinn des Schlusssataes beeinflussen und dass diese Bedehungen sich in grosse Gruppen einteilen lassen. Es wäre aber falsch, nun zu glauben, ich h&tte die

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SoUiiM und Spradigebnuch.

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Logik da scbnrfsinnig bereichert und der erste Schluss- modus der ersieu Figur mUsste nur in vier Unterarten ein- geteilt werden, um mit der Form d s Schlusssatzes auch seinen besonderen Sinn zu verraten. Dei Spass Hesse sich machen, man brauchte ^Barbara" nur zu d^klmuren. Da hätten wir 4 Fälle und gleich Namen für sie. Uebrigens ist (ohue meine Deutung aul den Ömu) die vierfache Mög- lichkeit in der Beziehung des Mittelbegriffs schon längst bemerkt worden.

Der Sinn des Schlusssatzes wird sich aber aus der blossen Schlussoperation nie und nunmer ergeben, weil wir ja eben nicht in diesen Schlus-soperationen denken, sondern in BegriflFen. Nie und nimmer wird eine noch so subtile Einteilung für die unendlich vielen Abstidungen hiureiihen können, in denen unsere wirkliche Erinnerung die Merk- male ihrer Begrifte oder Worte verbindet.

Nun könnte aber ein Logiker, der der Belehrung zu- gänglich wäre, auf meinen Gedankengang eingehen und mir einen scheinbaren Einwand machen. Wenn der ver- seliiedene Sinn des Schlusssatzes aus den verschiedenen Beziehungen des Hittelbegriflb kerrorginge , dann wäre allerdings die Logik Terantworlilick lu madien; denn im Schlnssaafae sei der Miitelbegriff venchwnnden, man könne dem Schlnsssatse also die Abenteuer des surQckgelegten Weges nickt mebr anseken. Aber in tXLea memen vier Beispielen sei bereits der Sinn des Begri£b Mensck Ter^ schieden^ ebenso der Simi des Begri& sterblick. Jeder Ton meinen Tier Mftnnem kabe seine besondere Weltansckanmig, seinen Sprackgebrauck und würde die Begriffe ,lfensck* und «sterblick* von Tomkerein Tersckieden definiert kaben. Die Logik kQmmere sieb aber nur um die Form des Den* keos, nickt um seinen Inkalt. Die Logik sei nur rerant- worüiek fbr die Form des Scklusssataes «alle Menscken sind sterblick'^. Was sick der einsehie dabei Torstdle, das sei seine eigene Sacke.

Mir sckeint, dass dieser Einwand nidits weiter wSre ab eine Töllige Unterwerfung unter meinen Oedanken. Denn die

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V. IHe SchluMfolgemng.

Form oder Hülse will ich den Logikern gern überlassen, wenn sie mir nur zugeben, dass Urteil und Schlussfolgerung bereits im Begriff oder Wort enthalten sei. Was mein idealer, der Belehrung zugänglicher Logiker mir eben entgegen ge- halten bat, das beweist mir, dass er bei allem guten Willen doch nicht im stände ist, die ganze Wahrheit zu begreifen. Denn er hSIt den lüttdbegriff immer noeh fltar eine Hilfs- konstruktion des Denkens, f&r einen dritten fremden Begriff, den die Denkoperation aus irgend einer geheimen Schatz- kammer freiwillig hinsa thue, um Subjekt und Prftdikat des Schlusssaises regelrecht verbinden wa kennen. Das ist aber nicht wahr.

BpcMii* Wenn wir den Mittelbegriff aberhanpt denken das heisst '"^d^ wenn wir uns auf das nShere ICerlcmal unseres Begiüb wdtp überhaupt besinnen, so ist es eben eine Besinnung auf den ■ehamBc. ^ Unserem Worte Terbinden. Unsere ganae

Weltanschauung, das heisst die Summe unserer Brinne- rungen ist und bleibt in unseren Begriffen, in unserem Sprach- sehata enthalten. Ich will ein Beispiel geben, nach dessen Huster man tausend andere erfinden mag» Ja ich behaupte, dass dieses Beispiel, kritisch betrachtet, der T^pus alles Denkens in Henschensprache ist.

«Aristoteles war der Lehrer Alexanders des Grossen." Bei diesen Worten kann sieh der ungebildete Bauer oder der Wilde auf einer Sfldsednsel so wenig denken als wenn er unartikulierte Laute hdrt. Unsere Schulungen glauben etwas dabei zu denken, weil sie sidi der Kamen Aristotdes und Alezander dunkel aus anderen Verbmdungen oinneni* Sie fügen jetzt die neue Yorstellnng hinzu, dass Alexander der Grosse der SchQler des Aristoteles gewesen seL Eigent- lich denken sie sich aber immer noch nichts dabei. Wer aber mit den beiden Namen etwas mehr Vorstellungen TW- bindet, wen die beiden Namen an reichlichere Merkmale erinnern, der wird je nach seiner Auffassung etwas recht Verschiedenes dabei denken. Der Logiker wird zwei ent- gegengesetzte Syllogi^nirn aufzuzdchnen haben, die zu dem gleichen Schlusssatze fuhren kOnnen.

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Spmohgebraiicb und Wettmidianung. 445

Anstotelos war der weiseste Mann aller Zeiten, der weiöeüte Mann aller Zeiten war der Lehrer

Alexanders,

also: war Aristoteles der Lehrer Alexanders. Der andere ^n^mus klingt aber so:

Aristoteles war der eitelste Pedant de?; Altertums, der eitelste Pedant des Altertums war der Lehrer

Alexanders,

also : war Aristoteles der Lehrer Alexanders.

Ich bruucbe wohl nicht erst darauf aufmerksaiu zu machen, dass der Satz „Aristoteles war der Lehrer Ale- xanders" in dem einen und dem andern Falle durchaus nicht dasselbe besagt. Lud nicht der Mittelbegrifl' ist au der Aende- rung des Sinnes schuld gewesen, sondern die Vorstellungen, die man mit dem Xamen Aristoteles verbunden hat.

Man wende mir nicht ein, dass nicht leicht ein Logiker eine so widematOrliche Schlussfolgcrung vollziehen werde, wie sie in den beiden Syllogismen vorliegt. Der GedttikMi- gang kann ganz woU so geflülit wordoi eein, daes der Logiker nicht anders konnte. Man stelle sich s. B. vor, dase der Formier die Lehrbttcher Alexanders kabe prüfen kennen, bevor er wnseto, dass Aristoteles ihr Yer&sser ist. Er wird dann au der zweiten Prämisse selbständig kommen, iUbs nAmück der weiseste Mann der Welt, respektive der eitelste Pedant des Altertums sein Lehrer gewesen sei. Im wesentlichen flült sogar dieser entsetiliehe Syllogismus mit dem Gedankengang unseres Soldaten susammen, der sich besinnt, dass das vermeintliche Gespenst wohl ein gewöhn- licher Mensch sem werde.

Unsere Mundart ich meine die gemätisame Mund- art der sogenannten indo-enrofAischen Menschheit str&ubt sieb ein wenig gegen die syllog^stische Form eines solchen Gedankengangs. Wir sind es gewohnt, in solchen FsUen (wo nftmlich der Mittelbegrüf mit dem Subjekt auffallend tautologiseh ist) einen Belativsats anzuwenden, also hier

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y. Die Schlaasfolgenmg.

z. B. zu sagen: -Aristoteles, welcher der weiseste Mann der Welt (respektive der eitelste Pedant des Altertums) war, war der Lehrer Alexanders des Grossen." Diese Bemerkung nützt den Logikern nichts. Denn es bleibt ihnen nichts ttbrig, als solche Relativsätze nach dem ersten Schluss- modus der ersten Figur zu konstraieren, wenn sie nicht zu- geben woUeD, dass wir ohne HÜfe von Syllogismen denken oder sprechen.

Noch eine andere Bemerkung mOdite ich aa mein Beispiel von Aristoteles und Alexander knflpfen, wobei ea sich vielleieht empfehlen würde, snr Abwechslung fltr Aristo- teles das deutsche Gymnasium und für AlezMider Bismarck einsufOhien. («Das deutsche Gymnasium konnte einen Bis- marck bilden.*) Doch ich will schulgereeht fortfahren.

Viel häufiger als der Obau angenonunene Gedanken- gang wird nftmlich ein anderer Torhanden sein, der den Logikern schon wieder recht su geben scheint, weil er uns zu einem flbenraschenden Ergebnis fthrt, beinahe zu «nem Scherz, also zu etwas, was neu aus den Prlmissen hervor^ zugeben behaupten möchte. Diesen Gedankengang mtlsste der Lc^giker freilich nach dem ersten Modus der dritten Figur (nach Darapti) konstruieren.

Aristoteles war der Lehrer Alezanders,

Aristotoles war ein weiser Mann,

also: war (einmal) ein weiser Mann der Lehrer

eines Eroberers,

oder aber:

Aristotoles war der Lehrer Alexanders, Aristoteles war ein Pedant,

also: war (einmal) ein Pedant der Lehrer eines

Genies.

Ich brauche wieder nicht darauf aufmerksam zu machen, dsss der immerhin witzige Sinn des Schlusssatzes nicht un- mittelbar aus den Prämissen hwyorgehe, dass vielmehr so- fort an Stolle des Eigennamens Alexander dasjenige Merk-

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»

Sprachgebnach und Weltraacbanniiff. 447

mal trat, das mit dem Subjekt nach der Anschauung des Redenden eine Antithese bildet. Ist aber diese Antithese überhaupt logisch aus den beiden Prämissen nach Darapti hervorgegangen? Das leugne ich ganz entschieden. Ab- gesehen davon, dass kein einziger unter allen denkenden Menschen bei solchen GedankeimiiiiLren Darapti vor Augen hat, weder als einen durch Sphiii t nvergleichung , noch als einen durch Reduktion bewiesenen öchlussniodus (was ja auch gar nicht nötig wäre), abgesehen davon, dass die Form Darapti auf Urteile über Individuen doch nicht recht passen will, scheint mir auch dieses Beispiel wieder nur ein Beleg di^r zu sein, dass all unser Denken nur psychologische Begriffsbildung ist und dass auch überraschende neue £in> fftUe uns nicht anders, uns nicht auf dem Wege des Er- schliessens in den Snn kommM. Was da uns einfiel, das nahm doi gewöhnlichen Weg.

Durdi neue Beobadibmgai oder Mitteilungen, jedes- fftUs also dnreh Bereichemng unseres Wortes Aristoteles sind wir dazu gelangt, uns bei diesen Bnehstahen oder Lauten daran zn erinnern, dass der Grieche dieses Kamens sehr weise gewesen sei und Alexander unterrichtet habe. Diese Erinnerungsmomente sind ohne jede Schlussfolgerong mit- einander Terhunden wie andere Gedankenassodationen. Ein lebhafter Geist wird sich rasch durch das eine Herlonsl an das andere erinnern. Eine andere Begiiffiibereicherung hat uns in der Schule das Wort Eroberer mit dem Merkmal schlecht Yorbrnden lassen, und so mag auf induktiTem WogOi unklar und unbewiesen, der B^riff Ebroberer zugleich das Merkmal eines schlecht ersogenen Menschen enthalten haben. Will dieser Gedankengang frech und bestimmt in uns auf- tauchen oder sagt ein anderer in unserer Gegenwart schul- meisterlich etwa «alle Eroberer seien schlecht erzogen wor- den*, so wird ohne jede syllogistische Denkoperation, ein- fach durch die Association des Widetspruchs die Erinnerung auftauchen: aber der weise Aristoteles ist doch der Lehrer Alezanders gewesen. Das Gehirn wird also seine Begriffii- bereicherung, die schlechte Erziehung an. das Eroberertum

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V. Die Schluasfolgerttng.

knüpfen wollte, einfach nicht vollziehen können. Genau so wie das Urteil, alle Schwäne seien weiss, das heisst abo die Verbindung des Merkmals weiss mit dem BegriflF Schwan, fallen gelassen werden muss, sobald man schwarze Schwäne erblickt. Wobei ich freilich nicht behaupten will, dass ich das Geheimnis der Association des Widerspruchs damit ent- rätselt habe.

Es yersteht sidi Ton selbst, dass der Gedanke, es sei einiDal ein Pedant der Lahrer eines Qeoies gewesen, ohne syllogistische Denkoperation ebenso entstanden ist CeiAiMt. 2. Celarent.

„Kein Reofaieck ist ein Kreis, jedes Quadrat ist ein Bechteck,

also ist kern Quadrat ein Kreis." Ich mUsste nur Torangegangenes wiederholen, um die üeberflUssigkeit dieses Schlussmodus danuthun. Der Be- griff des Kreises liegt dem Begriff des Quadrats so fem, dsss an eine Yergleichung gar nicht gedacht wird. Der eigent- liche Sinn des Schlusssatses ist auch nicht sowohl eine Ver- neinung ab vielmehr die Feststellung des Nichtsusammen- denkens. Ich erinnere mich bei Rechteck oder Quadrat gar nicht an Kreisform. Wo aber diese Erinnerung in der WirkHchkeitswelt möglich ist, da rerlftsst uns auch unser Schlussmodus. Man denke sich den folgenden Syllogismus: Kein regelmftssigi» Vieleck ist ein Kreis, das regelmissige Vieleck von unendlich Tiden Seiten

ist ein Vieleck,

also ist das regelmissige Vieleck Ton unendlich

vielen Seiten kein Kreis. Das ist aber doch sehr fraglich. In der Elementarmathe- matik wird man behaupten dürfen, dass ein regelmässiges Vieleck von unendlicli - iden Seiten allerdings ein Kreis sei.

Wieder wird der Verteidiger der Logik mir entgegen- halten: seine Wissenschaft habe es nur mit der Form des Schlusses 2u thun, der Inhalt der Begriffe mOsse von anders-

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Celarent.

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woher vorausgesetet werden. Und wieder werde ich er- widern mflasen, dass die Schlussfonn nur eine kttnstiiche Meihode der Besinnung auf den Begriff sei, dass das wirk- liche Denken mit dem klaren und deutiidien Begriff schon alle Sitze mitdenke, die in ihm enthalten sind, dass eüi Mensch mit deutlicher Anschauung auch den Obersatz nicht aussprechen werde, nicht sagen werde, dass kein Vieleck ein Ereis sei.

Der charakteristische Zug des zweiten Modus der ersten Schlussfigur besteht also darin, dass (logisch oder gram- matikalisch ausgedrQckt) ein Prftdikat von einem Subjekte nicht ausgesagt werden kOnne, wenn es seinem näheren Pr&dikate widerspricht. Kann ich einen Eise nicht einen Planeten nennen, so kann ich audi einen Chester nicht einen Pkueten nennen. Das Wesen Ton Gelarent besteht also (psychologisch ausgedrOi^t) darin, dass ich mir bei einem Begriff einen zweiten fremden Begriff nicht mit Torstelle und dass ich dabei bemerke, wie dieser fremde Begriff sich ganz besonders mit einem Merkmal des ersten Begriffs nicht associieren will. Alle schulgerechten Fälle von Gelarent wer- den also solche sein, die im wirklichen Denken gar nicht vorkommen. Unser Gehirn associiert nicht zwei Begriffe, die nichts miteinander zu thun haben, zur Vergleichung. Die Association des Widerspruchs ist ein Ablehnen, ist keine Vergleichung. Wo unser Gehirn widersprechende Begriffe dennoch veigleicht, wo es also einen allgemein negierenden Satz ausspricht, da wird die kritische Auf- merksamkeit immer bemerken, dass nicht eine einfache Negation Torliegt. Auch dann ist für uns die Schlussform von Celarent selbstrerstikndlich überflüssig; aber auch der Schlusssatz, der dann immer dem Obersat?; im Geiste vor- hergegangen ist, wird einen Sinn nur haben fUr die un- sicheren Grenzbegrift'e der Wissenschaft.

3. Darii.

Kommt es im zweiten Schlussmodus deshalb zu nichts, weil eigentlich keine reii'.»* Negation in unseren Begrifien enthalten ist, so kommt es im dritten Schlussmodus des- Haathner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache III. 29

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y. Di« ScUtmfolgermig.

halb iiieuiak zu etwas Ordentlii lu m, weil ein partikulares Urt«il ebenfalls niemals in einem Begriff enthalten isL Alle Säugetiere haben warmes Blut, einigö Wasserbewolnu r sind Säugetiere,

nho hnhen einige Wasserbewohner warmes Blut. Wir haben hier wieder den Fall vor uns, dass die Um- gangssprache sicli mit der wissenscliaftlichen Klassifikation nicht detkL In früherer Zeit, als Was.serbewohner und Fisch noch dasselbe bedeutete, wäre der ganze Syllogis- mus nicht möglich gewesen. Er wird erst müglich, wenn genauere Beobachtungen die Irrtümer der alten Klassi- fikation autgedeckt haben, und er besagt eigentlich nichts weiter als: hier habe ich eine (Jruiijie von Erscheinungen, fllr welche in der Begritlspyramide der Wissenschaft ent- weder überhauj)t ein Wort fehlt oder welche sich mit unserer Selmsucht nach einer symmetrischen Begritispyramide nicht deckt. Wenn ein Prädikat nur von einigen Individuen des Subjekts ausgesagt werden kann, wenn ein Merkmal nur auf einige Teilvorstellungen eines BegrifiTs passt, dann sind diese Individuen oder Teilvorstellungen in meinem Gedanken- gang noch nicht zu einem distinkten Begriff zusammen- gefa.sstf sind fUr unsere Erkenntnis noch nicht brauchbar.

Noch unbrauchbarer schmt mir der Modus Darii in den andem zahlreichen FttUen zu sein, wo der Sehluaisata zu wenig besagt.

Alle Quadrate sind viereckig,

einige Parallelogramme sind Quadrate«

also sind einige .Parallelogramme viereckig. Dass dieser Schlusssatz wie immer frfiher gewusst wird als seiue Prämissen, brauche ich nicht erst zu bemerken. Aber er ist als Partikularsatz geradezu falsch. Denn es sind doch alle Paralldogramme viereckig; und wer das weiss, wird darum (was logisch aus den Pk-amissen nicht hervorgeht) auch sagen: mindestens einige Parallelo- gramme sind viereckig.

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Da man nun der Sclilussform von Darii und der parti- kularen Form seines Schlusssatzes nicht ansehen kann , ob die einigen Individuen das Prädikat nur oder mindestens verdienen, so ist der Sinn dieses Scbluassatzes für den Logiker immer unklar und im Gedankengang weiter nicht zu yerwenden. Anders im wirklichen Denken, wo die ent- sprechende Besimnuig sich der unmittelbaren Vorstellungen bewuBst wird und zu einer Begriffsbildung führen kann, wenn dss Merkmal mindestens auf einige Individuen passt, und wo die Begrififsbildung aufhört, wenn das Merk- mal nur auf einige Individuen passt.

4. Ferio. Ferlo.

Der vierte Schlussmodus vereinigt mit mathematischer Vollständij^keit die Sinnlosirjkeiten des zweiten und des dritten Modus. Der Obersatz gibt ein allgemein negieren- des Urteil; er ist also ein sprachliches Bild des Nicht- denkenkönuens. Der Untersatz gibt ein bejahendes parti- kulares Urteil; er ist also ein sprachliches Bild eines un- fertigen Bei^nitT's, Der Schlusssatz ist partikular negierend; er besagt also ttlr uns das Kichtdenken von etwas Un- fertigem.

Kein Käse ist ein Planet, einige Nahrungsmittel sind Käse,

also sind einige Nahrungsmittel keine Planeten. Unser Kerl am Wirtshaustisch niüsste schon recht viel getrunken haben, um in seinem Sprachschatze solche Sprünge zu machen.

Die Beziehungen der Begriffe int dritten und im vierten Algebra Schlussmodus hat die Algebra der Logik etwas schärfer j^j^ fassen können, weil sie die Quantität der Urteile durch mathematische Zeichen hesser ausdrücken konnte. Aber wie die Algebra der Grammatik (III. 261 f.) so ist auch die Algebra der Logik ewig unfruchtbar. Nur am Schlüsse einer Gesdiichte der logischen Disziplin, mit deren Ver^

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T. Dia Sehlascfolgeruiig.

öffentlichung ich noch zurückhalten muss, könnte ich die neue Algebra der Logik grOndlich kritisieren. Hier nur einige Ainleutimpfen.

, Alles Gescheite ist schon gedacht worden," von Goethe selbsi näDoJich. Was er (in der Geschichte der Farbenlehre) von dem baumeisterlichen Aristoteles sagt, das gilt von allen spätem und kleinern Baumeistern der Lof^'k: „Er erkundigt sich nach dem Boden, aber nicht weiter, als l)is er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunkt der Erde ist ihm das Uebrige gleichgültig." Etwa zu der gleichen Zeit hat Schleiermacher das Ende der formalen Logik in seiner grüblerisch feinen Weise richtig erkannt. Er wies auf die Aehnlichkeit zwischen dem dialektischen Denken und dem Dialoge hin, ferner darauf, dass die Nationalität und die Individualität jeder Sprache die Allf^emeinheit dr-r Logik (wir fanden: «es gibt keine Logik, es gibt nur Logiken*), also die Allgemeinheit des Denkens einschränke. Seitdem wird namentlicli in Deutschland versucht (seit Trendelen- burg und besonders seit Schuppe, der diese Bewegung auf Descartes zurückfuhrt), die Logik psychologisch zu machen und zugleich an Stpll^ der formalen Logik, die ich hier doch nur pietätslo.ser bekam j)ft habe nls andere vor mir, eine Methodenlehre zu setzen. Lintern und gründlich hat Wundt, fein und gründlich iiat Sigwart diese Arbeit ge- leistet. Wenn nur nicht schon der halbe Ketzer Zabarella, der Arist^teliker und Astrologe und doch sehr klug war, bereits im 10. .lahrhundert gelehrt hätte, Methode sei ein intelektueller Habitus, das heisst doch wohl eine geistige Gewohnheit. Wenn nur Methode etwas vor dem Wissen wäre. Moltke glaubte schwerlieh alle Methodenlehren zu treffen, als er sagte: Strategie sei die Anwendung des ge- sunden Menschenverstandes auf den Krieg.

Inzwischen liat sich die neue Disziphn herausgebildet, die Algebra der Logik. Ein Mathematiker und Denker wie Leibniz gbuibte noch sein Lebenlaug ahnungsvoll, es liesse sich durch Unterwerfung des Denkens unter den mathe- matischen Kalkül eine Vollendung des Wissens herstellen.

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Algebra der Logik.

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Sein Traum von einer charakteristischen Universalsprache hängt gewiss mit solclien übermenschlichen Wünschen zu- sammen. Die ungeheuere Verstandesarbeit, welche nun seit Boole und Delboeuf, besonders durch l'eirce und E. Schröder auf die Durcharbeit dieser mathematischen Logik verwandt worden ist, kann keinen Zweifel darüber lassen, dass Leibniz da nur geträumt habe, dass auch die Algebra der Logik nur formale Logik sei, dass auch die Algebra der Logik keine neue Erkenntnisquelle biete.

Lotze hatte seine Logik mit dem Wunsche geschlossen, die deutsche Philosophie möge yersachen den Weltlauf zu ▼erstehen und ihn nicht hIosB zu berechnen. Schröder, der deutsche Katkolator der Logik, antwortet darauf (L 105): Könnten wir ihn nur erat berechnen, dann würden wir ge- wiss ihn auch verstehen, .soweit überhaupt ein VorstSnÄiis auf Erden enielbar*. Der letste Nebouats Uingt für einen Mathematiker der Logik beschdd«! genug. Worin besteht aber hier der (Gegensatz zwischen Lotze und Schröder? Doch nur darin, dass Lotze die abstrakten Worte der Philo- sophie, dass Schröder die ausserhalb der Gemeinsprache lieg^id^ mathematischen Zeichen ftlr geeigneter hält, sich und andern den Weltüauf klar zu machen. Es sagt also Lotze dgentlich: die Begriffe der philosophischen Sprache sind klarer ab die mathematischen Begriffe; man kommt mit maOiemalischen Abstraktionen über die Einsiditen nicht hinaus, welche durch Spradie erreichbar sind. Und Schröder antwortet eigentlich: die mathematischen Abstraktionen sind Uarer als die Abstraktionai der Sprache,

An einer andern Stelle (I. 229) sieht sich jedoch Schröder zu dem Eingesf&ndnis gezwungen, dass er in seiner Darstellung der Logik Ton den Freiheiten und Lieenzen der Verkehrssprache nach Möglichkeit absehen müsse, um nicht in übexgrosse Weitlftufigkeiten verwickdt zu werden. Das heisst wohl: um die logiBchai Beziehungen überhaupt noch mathematisch danteUm zu können. Es geht ihm eben audi wie StÖhr bei seines Bemühungen um die Algebra der Grammatik (yergl. wieder m. S. 261). Er Torsteht dabei

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V. Die ScbluMfolgerung.

jedoch unter Verkelirssprache nicht etwa die Gemeinsprache im (it^gensatze zu dem logischen Spiiulifj^ebrauehe der Philo- sojilieii; man sollte es IVeiHch <rlaubeu, wenn er dazu den Wühhveisen Hat ^/ihi : vs'iire Uberhaupt besser, wenn uiuu sich korrekter Ausdrucksweise befleissigte/ Er versteht unter der Verkehrssprache vielmehr die jeweilige Mutter- sprache des Logikers, deren Sprachgebrauch sich in seinen Eigentümlichkeiten und Feinheiten mit der allgemeinen Logik nicht deckt. Die Bemerkung steht im Znsammen- hange einer guten, Ton mir übernommenen Üntersuchung, nach welcher in der deutschtti Sprache i. B. die seheinbar 80 gegensätzlichen Bindewörter «und" und »oder* in ihren Bedeutungen leieht zasammenfliMMn.

Nur geht es dem Mathematiker der Logik, wenn er sieb Terstöndlieh machen will, ebenso wie andern abstrakt denkenden Menschen. Aus Anschauui^n sind alle Abstrak- tionen des Lehrers hervorgegangen und an Anschauungen muss der Schüler erinnert werden, wenn er dem Lehrer soll folgen kdnnen. Will man einem Kinde den einfachsten Satz beibringen, so muss man ein Beispiel von unmittel- baren Sinneseindrücken nehmen. Man sagt: «Der Hund ist gross* und zeigt dabei mit den Händen einen grossen Raum und dehnt wohl dazu metaphorisch das o. Will der Philo- soph einen sehr abstrakten Satz .anschaulich*,' das heisst relativ anschaulich machen, so wählt er ein konkretes Bei- spieL Will der Mathematiker der Logik seinen formelhaften Satz c^a + b relativ anschaulich machen, so wShlt er irgend einen Satz der Sprache, der ihm schon konkret scheint, wenn er nur in Worte gefasst ist. Ohne solche Bückbeziehung auf die Sprache ist jeder Logikkalkfll un- denkbar, schon darum, weil die Zeichen in der Logik oft «men andern Sinn haben ab in der Mathematik und diese Verschiedenheiten erst durch sprachliche Beispiele klar ge- macht werden können.

Wenn nun die Algebra der Logik wie alles Denken zuletzt auf unmittelbaren Wahrnehmungen beruht, wenn sie zun&chst und direkt auf die Sprache exemplifizieren muss,

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Algebra der Logik.

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wenn es ferner eine allgemeine, aus der Logik hervor- gegangene, allen A'^ölkeru verständliche Sprache oder auch nur einen gleichen logischen Unterbau ftlr die verschiedenen VdlkeiBpraelieii nielit gibt, wenn ach die Algebra der L<^k aÜBO immer nur auf dne bestimmte einzelne Yolksspradie bezieben kann, wenn wir endlich eingesehen haben, dass die Individualspracben dw Völker Ton Freiheiten und Feitt' heiten und Eigentümlichkeiten wimmeln, das beisst dass die Tersdiiedene Aufmerksamkeit der Terscbiedenen Völker den Weltkatalog nach Tenebiedenen Gesichtspunkten ge- ordnet bat und nicht nur den Weltkatalog oder die Klassi- fikation der Dinge, sondern auch den Satzbau oder die Auffassung Y<m den Beziehungen der Dinge so werden wir begreifen, dass die Hofbung eitel ist, mit Hilfe mathematischer Abstraktionen Tom Sprachgebrauch ernst* haft über die Mangel der Sprache hinauszukommen. Ge- wiss: ff es w&re besser, wenn man sieh korrekter Ausdrucks- weise befleissigte.* Das kann man aber nicht über die beschränkten Grenzen der Sprachen hinaus. Wo keine Logik der Sprache ist, da hat die Algebra der Logik ihr Recht yerloren.

Dazu kommt, dass selbst mathematische Elementar- begriffe, wie die vier Spezies, dass sogar der Grundbegriff der Negation nur metaphorisch auf dem Gebiete der Logik Geltung haben können. Man Terfolge einmal diese unfrei- willige Metaphorik bei Wundt (Logik 2. Aufl. L 246 u. f.) in dem Kapitel «Der Algorithmus der ürteilsfunktionen*. Als Uebung im abstrakten Denken ist die Algebra der Logik .yi)pnso empfehlenswert wie dio Ollendorfische Methode für die Einübung der Grammatik. Da ist es vielleicht nicht ohne unfreiwilligen Humor, wenn ein Geschichtsschreiber der Logik seiner ganzen SpeziaUvissenscbaft einen ähnlichen Nutzen zuschreibt. Es ist F. Harms, der am £nde seiner Darlegung sagt: ,Die Geschichte der Logik muss jeder kennen, der sich in fruchtbarer Weise mit ihr beschäftigen will. Die Geschichte der Philosophie kann man überhaupt ansehen als die Experimentalphilosophie. Und so auch die

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T. Die ScUiinfolgeniiig,

Geschichte der Logik."* Auch die Algebra der Logik lehrt mir ein Experimeutieren, besser eiu Exerzieren mit den Be* griffen.

Wir wissen bereits, dass die hypothetist hen Schlüsse nur eine andere sprachhche Form tlir die hier behandelten ktlnstlichen Denkoperationn; sind. Ihre nähere Betrachtung gehört in einen kritischen Leberblick über die Grammatik. aoUius- Eine Fortführung meiner Kntik auf die sugeuaimten ketten. Schlusskf'tten wird man mir erlassen. Wo das einzelne Glied nicht hält, kann die Kette auch nichts taugen.

Ebenso darf ich es mir wohl ersparen, das abge- kürzte Schliissverfahren besonders zu behandeln, so uner- bittlich auch in allen Lehrbüchern der Logik die schönen griechischen Namen für abgekürzte einfache Schlüsse und fÖr abgekürzte Schlussketten wiederholt und erklärt und ein- gepaukt werden. Dieses abgekürzte Schlussverfahren musste von den Legründeni der Logik sehr Ii Llli beobachtet und in ein System gebracht werden, weil das wirkliche Denken allerdings regelmässig nur in solchen Gedankensprüngen, wie das Enthymem und der Sorites, vor sich geht. Das wirkliche Denken erinnert sich bei einem Begriff je nach Umständen an ein näheres oder ferneres Merkmal« es vollzieht also umnittelbar, wenn man durchaus wiü, ein Enthymem oder einen Sorites. Nicht aber sind diese Gedankensprünge ab- gekürztes Denken, sondern die Schlttsse und Schlnsdcetten sind auseinander gezerrte, schabionisierte, künstlich Terttn- gerte und ▼erdttnnte GedankensprQnge. Man könnte die Thfttigkeit des Logikers dabei mit dem Fhotographieren von ÄnschOtz Tergleichen, das doch z. B. die Bewegungen eines rennenden Pferdes in winzigen Bruchteilen Ton Sekunden aneinander reiht und dadurch Stellungen der vier Fflsse wahr- nehmen lässt, die vor diesen Photographien kein mensch- liches Auge an rennenden Pferden wahrgenommen hatte. Man muss sich freilich hüten, das Bild wirklich anzuwenden. Denn im Denken werden durch den Einfluss der Qewohn-

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DeduktioB und Indnktioii.

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heit, der Uebuag unoidfick fiele Zwischenglieder wirklich

Obersprangen oder doch gewiss mit ungleicher Schnelligkeit erledigt, während das rennende Pferd jeden kleinsten Brach- teil der Zeit gleichmässig ausfüllen muss. Wäre dem aber auch nicht so, so tbäte der Logiker nicht gut daran, sich auf jene Photographien zu berufen. Denn die Maler malen falsch, wenn sie (wie das neuerdings versucht wird) Augen- blicksstellungen in ihren Bildern fixieren; und so schildern die Logiker das Denken falsch, wenn sie die Gedanken« Sprünge für abgekürzte Schlussketten erklären.

Die alte Lehre, dass unser Denken auf dem Wege von logischen Denkoperationen aus künstlich gruppierten Urteilen neue Urteile erschlicsse, ist nicht mehr zu halten. Es ist endhch an der Zeit, dass sie umgestürzt werde, nicht nur in einzelnen Teilen, sondern von Grund aus. Der Be- griff „Schluss" ist für uns ein sinnloses Wort geworden, ein geträumtes Dach für ein Haus, das keine Wände hat. Seit Bacon und nach mehr seit Stuart Mill müht man sich üb, diesem alten Gebäude der Logik, einem Gel)iiude ohne Wand und Dach, den Induktion^crbluss als einen neuen, nützlicheren Teil anzufügen. Es wird eine weitere Aufgabe für uns sein, das Wesen der Induktion zu prüfen und vor allem zu ztiu«»n, dass sie mit der Logik ganz und gar nichts zu thun lial s , der sinnlose Begriff »Schluss* mit ge- häufter Sinnlosigkeit auf diesen psychologischen Vorgang angewandt worden ist.

VI. Die Induktion.

Die Kritik der Sprache führt Ober die herrschenden De- Denkfonnen und aus den herrschenden Deukfornien hinaus:

und In-

die Kritik der Sprache lehrt, dass Logik nie und niinmer dnktioo. zu einer Bereicherung der Erkenntnis fühi eii kunne. Unsere Anschauung unterscheidet sich aber darin von der geltenden, die dur(h Mill theoretisch gelehrt und besonders von eng- lischen Naturforschern bewundert worden ist, dass diese

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VI. Die InUukiiüU.

Forscher melur oder weniger klar höchstens die deduktive Logik, die alte Schullogik, preisgegeben haben, um an ihre Stelle die induktive Logik als ein ebenso unfehlbares Werk* zeug der Erkenntnis zu setzen. Wir aber sehen ein, dass die Deduktion wertlos war, weil sie von den Worten hin- weg entweder zu den SinneseindrQcken zurQck oder ins Leere führte, dass jedoch die Induktion ebenso wertlos ist, weil sie von den SinneseindrUcken hinw^ nicht zu Er- kenntnissen, sondern nur zu Erinnerungen oder Worten führt. Ich will zur drastiBchen Darstellung des Sachverhalts ein geistreiches Bild von Whewell benutzen und verindem. Die Deduktion gleicht einer Person, welche einen gemalten Nagel an der Wand sieht und ein Bild in wirklichem Rahmen an diesen Nagel hangen möchte; es geht nicbt, weil sich an einem gemalten Nagel nur ein gemalter Rahmen be- festigen lässt. Die Induktion jedoch gleicht einer Person, welche ein Bild in einem gemalten Rahmen an der Wand sieht und deren Vorstellung sieh nicht eher beruhigt, als bis den gemalten Rahmen ein dazu gemalter Nagel fest zu halten scheint. Die Induktion ist psydiologisch feiner; doch aucli ihre Beruhigung ist ebenso wie die der deduktiven Erkenntnistheorie schliesslich nur eine Illusion.

Der gemeinsame Fehler der deduktiven wie der induk- tiven Logik besti'lit darin, dass beide in dem untilgbaren Ruhebedürfnis des Menschengeistes sich bei blossen Worten beruhigen; die Induktion ist insofeme nur zugleich klüger, bescheidener und ärmer, als sie sich früher beruhigt. Das Wort der Mensrhensprachc, das Wort als Merkzeichen für Siniieswahrnehniun^en, ist nur der Durchgangspnnkt von der Induktion zur Deduktion. Echte und zuverlässige In- duktion endet im Worte da, wo das W ort ohne Th^'^rie nur eine Erinnerung sein will; die Deduktion be^nnit da, wo die Erinnerung aufhört, wo die Tliatsaclien vom Worte verlassen werden. Das war so in alter Zeit und ist heute noch SU.

Wenn wir lesen, dass die Griechen den Begriti" der Schwere auf die Erscheinung des Lichts anwandten, dass

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Indaktion und Licht.

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ihnen das Licht i u. leichter Körper war etwa wie die Luit, dass sie diesen luichten Körper vun der Eide himvef^ zu dem Himaiul .streben Hessen, so sehen wir deutlich den alten Iklissbrauch eines Worts. Und doch will es mir scheiueii, als ob die Griechen bei der induktiven Verbindung der Be- griffe Licht und Schwere keine viel unklarere Vorstellung ge- formt hatten, als unsere beiden letzten Jahrhunderte bei der ebenso induktiven Verbindung der Begrifte Licht und Qe- schwindii^eit. Es war nelmrlieh ein geistreicher Einfall Ton Römer (1676), als er die Verspätung und VerfrQhung der Verfinsterungen an den Jupitermonden beobachtete, diese Erscheinung mit der weitem und nftbem Entfernung der Erde vom Jupiter verglich und wirklieb eine regel- mSssige Beziehung auffand. Er beschrieb diese Ereignisse, und da es sich um Zeitteilchen handelte, so nannte er diese Lichtverhiltntsse die Geschwindigkeit des Lichts. Vorher hatte man diesen Begriff gar nicht gekannt; das Licht hatte vorher gewissermassen gar keine Geschwindigkeit, weil man sie gleich unendlich setzen konnte. Ein Bing, das Uberall sugleich ist, hat nach unsem Vorstdlungen keine Geschwindigkeit. Als nun die sogenannte Geschwin- digkeit des Lichts auf dreimalhunderttausettd Kilometer in der Sekunde berechnet war, bemerkte man zuerst nicht, dass in dieser Ziffer doch ein bildlicher Ausdruck stak* Man hatte von den Erscheinung^ der Jupitermonde und der Schnelligkeit z. B. eines geworfenen Steins oder einer Kanonenkugel sind Liduktion gemacht, dasheisst, sich beim Worte Geschwindigkeit beruhigt. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Vorstellttng von dieser ungeheuerlich sdinellen «Ortsvei^derung* der Lichtkfirperchen zu Wider- sprüchen fUhrte. Da setzte man an die Stelle der Orts- verimderung den Begriff der Wellenbewegung, da«^ Leisst, man schuf eine neue Induktion, indem man die Beschrei- bung der T6ne und die Beschreibung des Lichts auf einen gemeinsamen Ausdruck brachte und durch diese Abstraktion wie immer aus der Beschreibung zu einer Erklärung zu gelangen glaubte. Man hatte abo eine Metapher von der

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7L Die Induktion.

Geschwindigkeit der Schwingimgeii und eine andere von der Gesdiwindigkeit der Ortsyexlnderung. Man redete dabei TOn einem Aether als dem materiellen Träger aller dieser unvorstellbaren Geschwindigkeiten. Aber dieser Aether ist doch wohl im Grunde nichts als das tertium comparationis der Metapher. Wieder haben wir ein Wort vor uns, welches eigentlich nichts ist als eine vorläufige Bartthigung über Aehnlichkeiten, welche an den Erscheinungen des Lichts, der Wärme, des Magnetismus und der Eiektricitit beoh- achtet worden sind. Der Aether ist ein Ruhepunkt im Denken geworden und was man Uber seine Eigenschaften auszusagen weiss, ist dann wieder der Uebei^ng durch dieses Wort hindurch in die Deduktion.

Noch besser jedoch als der Hinwei«? auf alten und neuen Wortaberglauben scheint mir das Hauptwort aller dieser Erscheinun^^en als Beispiel dienen zu können für die Selbsttäuschung der Induktion, die sich über den gemalten Rahmen beruhigt, wenn ein haltender Nagel dazugemalt ist. Ich meine das Wort J^icht" selbst. Vom Lichte handeln dicke Bücher, mit der L'^ntersuchung des Lichtes sind hundert Professoren beschäftigt. Wir dürfen darum freilich nicht verlangen, auch zu erfahren, was das Licht in Wirklichkeit sei. Wir sollten aber doch meinen, wir müssten eüdlich wissen, ob das Licht überhau}<t irgend etwas sei oder nicht. Da bep^egnen wir aber einer Definition, die üpätern Geschlechtern wirklich nicht erns-thafter erscheinen wird als uns die griechische Erzählung von der Leichtig- keit des Lichts. Es sei nämlich, so besagt die klarste der beliebten Definitionen, das Licht die Urbathe der Sichtbarkeit der Gegenstände. Was ist da ge^^chehen? Olfenbar hat die ]K>|)uläre Induktion seit Menschengedenken die Sichtbar- keit der Welt, das heisst ihre Farben, ihre verschiedene Helligkeit u. s. w., mit dem beciuemeii W orte „Licht" zu- sanwnengefasst \ind nun bestrebt sich die Wissenschalt, das Wort, das heisst die Erinnerung an die Einzelfälle, zur U r 8 a ( Ii e der Einzelfälle zu machen. Für unsere Sprachkritik ist es ausser Zweifel, dass , Licht" nur

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Induktive Begriffsbildimg.

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ein Wort sei, Terursaclii durch die Sichibarkeit der Gegen- stiade, dass man also die Definition fttr die Erkenntnis- theorie auf den Kopf stellen müsse.

Wir aber wissen» dass unsere Sinne Zofallssinne sind, wir werden also nicht einmal dem neuen Satse, dass die Sichtbarkeit der Gegenstande die Ursache des Begri& Licht sei, irgend welche ernste Bedeutung beimessen. Wenn die Wellen des Meeres turmhoch gegen die Felsennfer schlagen und im Laufe der Jahrhunderte langsam die yerwitterten Teilchen Ton den glatten Felsenw&nden in das Heer hin- unterspülen, so wird die Felsenwand die Welle definieren als ein böses Ding, welches sie beraubt, der Meeresboden wird dieselbe Welle definieren als ein gutes Ding, welches ihn beschenkt. Die Welle selbst wird sich fttr eine Welle halten. Jedes einzelne Wasserteüchen wird TOn einer Welle nichts wissen. Kein MenschengeLst kann sagen, ob er sich da mit der Welle oder mit dem Wasseratom, mit der Felsenwand oder mit dem Meeresgrunde rergleichen darf.

Die Behauptung, dass die Bezeichnung Induktionsschluss in-

duktive BegrUb-

für den Gehimvorgang der Induktion sinnlos sei, dass die Lehre von der Induktion ganz und gar in die Psychologie bndnig, gehöre, scheint ein Streit um Worte zu sein, solange nicht hell geworden ist, dass Induktion nichts weiter ist als die- jenige Association von Sinnesempfindungen, durch welche Association B^piffe oder Woiie entstehen, beziehungsweise in ihrer Anwendung verändert werden.

Ein vollkommener Induktionsschluss wenn es einen solchen gäbe wäre nichts weiter als der Ausdruck der Thatsache, dass ein Menschenccehirn durcli Beobachtunf? sämtlicher Individuen einer Art dazu golang-t ist, von dieser Art ein bestimmtes Prädikat auszusagen, das heisst docli eigentlich, sich bei dem Worte oder Be<^rifV dieser Art eine bestimmte Eij^enschaft mit zu denken. Möglich sind solche vollkommene Induktionen überhaupt nur bei den Be^niffen, die eine beschränkte Anzahl von Individuen umfassen. £s

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VL Die Induktion.

kann ein einzelner Mensch wohl sämtliche existierende Pyramiden untersuchen, sämtliche bisher entdeckte Pkmeten beobachten. Der unbewusste Vorgang der liuluktioii wird nun darin bestehen, da5;s der Begriff Pyramide mit ent- hält: «oicii riesige, vit>rcckige, sjiitzige Grabdenkmäler der 1 'ha raunen. Wird nun z. H. irgendwo eine ganz kleine Pyramide aufgefunden, so hat das zur Folge, dass dieses kleine viereckige, spitzige (iral»denkraal nicht mehr unter den Begriff Pyramide füllt, oder dass wir bei diesem Wurte aufhören, uns Riesengrösse mit vorzustellen. Wird uher irgendwo z. B. das Fundament einer bisher unbekannten Pyramide aufgefunden, so wird der bisherige Begrill' (nicht die Gewissheit, auch nicht eiuiual die Wahrscheinlichkeit, sondeni nur) den Wunsch in uns wachrufen, dass wir ein Grabgew(Ube vorfinden möchten. Von einem Schlüsse kann dabei nicht die Red.- sein. Jeder Schluss wäre falsch, auch dann, wenn die Thatsaehen ihn bestätigten. Daun wäre nur die neue lieobiiehtuug richtig, nicht aber der Schluss, der uns aufforderte, sie anzustellen. Der Fall liegt ähnhch bei dem Begriff der Planeten, von denen wir auch nur eine beschränkte Zahl kennen. Die Astronomen haben dit hii a' als einen Planeten erkannt, haben ihre Achsendrehung nachgewiesen und haben die Achsendrehung auch bei einigen grossen Planeten beobachtet. Damit ist in ihren Vorstellungen die Induktion entstanden, dass ein Planet sich um sich selber drehe; das ist natürlich kein Schluss, sondern nur der Weg zu einer reicheren Begriffsbildung. Die Alten benannten die ihnen bekannten fünf Planeten da- nach, daes sie zwiselien den Fixsternen willktlrlich umher zu wandern schienen. Es waren ihnen Wandersteme. Die neu^ Astronomie hat das annlos gewordene griechische Wort beibehalten, stellt sich aber darunter eine Anzahl Ton Himmelskdrpem Tor« die um sich selbst und um die Sonne rotieren, deren Bahnebenen unfi^efahr in der gleichen Fttche liegen u. s. w. Es ist richtig, dass sehr viele yon diesen Umständen darum entdeckt wurden« weil man nach der besseren Beobachtung der Erdbewegungen durch Induktion

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Induktive Begrilbbildttiig.

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zu der «Erwartung" kam, jecler andere Planet werde ähnliche Bewegungen zeigen. Die Erwai-tung war richtig, der Sdiluss wäre falsch gewesen. Solange die Achsendrehung nicht bei sämtlichen Planeten sicher beobachtet ist, so lange darf die Wissenschaft den Satz nicht aufstellen : alle Planeten bewegen sich um ihre eigene Achse. Daran ändert das Kausalitätsgesetz nichts. Wohl lehrt uns das allgemein für wahr angenommene TCant-Laplacesche Sonnensystem» dass jeder Weltkörper, den wir einen Planeten nennen, sich um seine eigene Achse drehen niUsse. Aber dieses System ist eben nur eine Hypothese, das heisst der Gang der Be- griffsbildung ist noch nicht abgeschlossen; wir wessen noch nicht mit Sicherheit, welche Himmelskörper wir Planeten nennen ,s(dlen" und welche Eigenschaften wir mit Sicherheit mit diesem Begrifl" verbinden sollen. Beobachtete man auch nur einen Planeten ohne Achsendr^hiing, so wäre entweder das Kaut-Laplacesciie System zu korrigieren oder die An- wendung des Wortes IManct einzuschränken. Genau so wie bei einer Pyramide ohne Gral>gew()lbe. Und entdeckte man einen Planeten, dessen Bahn senkrecht stünde zu der ungefähren Ebene der übrigen Planetenbahueu, so wäre wieder entweder das System oder das Wort in Frage ge- stellt.

Ganz ebenso verhält es sich mit derjenigen Induktion oder Begrifl'sbildung, die wegen der un/.riLhgen Einzel- falle nie vollständig werden kann. Wie die Planeten bei den Alten iliren Namen von ihrer scheinbaren Wande- rung hatten, so hatten die Kosen ihren Xamen davou, dass man nur rote Rosen beobachtet und unter ein Wort zu- sammengefasst hatte. Die Etymologie (oder Volksetymologie) ist sinnlos geworden, seitdem und weil wir uns entschlossen haben, solche Blumen weiter Rosen zu nennen, auch wenn sie weiss oder gelb sind. Die Induktion filhrk uns ferner gewiss zu der Erwartung, dass jede Bose angenehm rieche. Nun hat irgend ein armer Teufel Ton Gärtner die schöne Hadame-Rothschüd-Rose gezüchtet, welche nicht ein bisschen duftet Unser Sprachgebrauch nennt diese Blume trotzdem

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VI. Die biduktioau

eine Rose. Gäbe es einen Induktionsschluss, so mtlssie nach Millionen von Fällen auch die Rothschild-Rose duften. Wer von ihr nichts Aveiss, wird den Satz »jede Rose duftet" für einen tinljedenklidiieti Induktionssdiluss halten. Wissen- schaftlich ist er wegen der einen Oegeninatanz unhaltbar. Die S2)rache aber halt ihn unbekümmert um die Logik aufrecht. Die Erwartung, dass jede einzelne Rose duften werde, wird durch den Sprachgebrauch erregt. Wer nun eine nichtduftende Rose findet, wird sich wundem. Wäre die Induktion oder die Begritfsbildung, welche mit dem Worte Rose den Duft verbindet, ein log'ischer Schluss, dann wäre die Rothschild-Rose in der That ein Wunder. Alle Wunder soweit sie nicht Sinuestäuschunpen oder Be- trügereien waren sind ein Verwundern über die Unge- nauigkeit der Sprache g'ewc^en.

Die Aufhebung und Vernichtung eines Wortgebrauchs durcli einen einzigen Ausnahmefall, durch eine sogenannte Gegeniubtauz, ist allerdings in der wissenschaftlichen Sj)rache die Recjel, Und in diesem vorläufigen Verwenden aller Worte bis auf den Gegenbeweis durch eine einzige In- stanz — liegt allerdings etwas, was mitunter einer voll- ständigen Induktion nahe kommt, das heisst einer vollstän- digen Begrifi'sbildung.

Ein Wort fider ein Begriff ist das Erinnerungszeichen an die Aehulichkeit zeitlich und räumlich getrennter Sinnes- eindrücke. Zur Erkenntnis der Wirklichkeitswelt oder zur sicheren Verwertung künftiger Sinneseindrücke wird so ein Wortzeichen erst durch möglichst vollkommene Induktion brauchbar. Habe ich tausendmal täglich, also millionenmal seit meiner Geburt, bei Berührung eines Körpers die Sinnes- empfindung des Widerstandes gehabt, so entsteht in mir der Begriff der Härte, der Undurchdringlichkeit, oder wie man sonst diese Eigenschaft der Körper nennen will. Mein eigenes Gedächtnis hat mir Millionen Fälle geliefert und keine einzige Gegeninstanz. Anders liegt die l^ftche mit einem so geläufigen Begriff wie dem der Sterblichkeit aller Menschen. Der einzelne hat vielleiclit in seinem ganzen

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Induktive Begrifibüdong.

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Leben zwei oder drei Menschen sterben sehen. Die Nach- richt von dem Tode sehr vieler Menschen, die seine Er- innerung ihm sonst bietet, verdankt er den Todesanzeigen der Zeitungen und Privatmitteilungen, sowie dem Lesen der Weltgeschichte, also unzuverlässigen Quellen. Trotzdem ist der Begriff der Sterblichkeit in uns aus ]\IilUaä Jen von Fällen, ohne eine einzige Gegeninstanz, ricJitig entstanden. Es ist nämlich für die Erinnerung des einzelnen die Er- innerung des Menschengeschlechtes eingetreten. Seitdem es Menschen gibt, haben immer die jttngeren Geschlechter die alteren sterben sehen , die einzelnen immer nur einzelne, aber alle haben alle sterben sehen. Schon eine Lebens- daiMT Uber hundert Jahre hinaus ist eine ea auf&Uende Er- scheinung, dass sie regelm&ssig in der Erinnerung eines engeren Kreues bewahrt worden ist. Bas Ausbleiben des Todes wSre also ein solches Wunder, eine solche Sprach- widrigkeit gewesen, dass jeder solche Fall einer G^ainatans ganz gewiss im Gedächtnis der Menschheit Terwahrt worden wSre. Da uns aber aus allen Milliarden Yon Menschenleben nicht ein einziger FaU von Unsterblichkeit glaubhaft über- liefert worden ist, so beruht der Begriff StM-blichkeit als zum Begriff Mensch gehörig auf einer nahezu ToUkom- menen Induktion, das heisst auf einer Unzahl Ton Füllen, denen keiiie Qegeninstanz gegenüber steht. Denselben Weg hat die Begri&bildung auch bei den einfochsten konkreten Worten eingeschlagen. Seitdem die Menschheit die käl- teren Zonen der Erde bewohnt, oder seitdem die bewohnte Erde kSlter geworden ist, hat sie den Begriff Schnee bilden müssen. Keine ausdenkbare Ziffisr ist gross genug, um die Sdinedlockw zu äUilen, die einzelne im Laufe seines Lebens oberflächlich ges^en hat. Unausdenkbar grosser ist die Zahl der Flocken, die seit der Existenz der Menschheit auf Erden gefallen sind. Gegen den B^riff aber, dass Schnee kalt sei, ist niemals eine Gegeninstanz entdeckt worden. Wir werden also wohl ein Recht haben, mit dem Worte Schnee Kälte, ge^rene Wasserteilchen zu Terbinden. Die Menschheit war es, die durch Liduktion Maatha«!, Beltiige zu einer Kritik der Sprmche. in. 80

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VI. Die Indnltioii.

diesen Begriff gebildet hat, ^Srhnce* ist aber natürlich kein Scbluss , sondern ein Wort. Und der ganze Unter- schied zwischen der kindlichen alten Zeit und unserer viel gerühmten Wissenscbaftlichkeit besteht nicht in einer bes- seren Logik , sondern in einer genaueren Beobachtung. Aristoteles besass kein Thernionieter , konnte darum den Gefrierpunkt des Wassers nicht jedei-zeit auf einen Haar- strich genau bestimmen und konnte darum auch nicht die Zubereitung von Erdbeereis lehren. Aber sein Begriff Schnee war darum nicht viel schlechter als der unsere. Nur weil er die Induktion filr eine Art des logischen Schlusses hielt, redete er Unsinn, sobald er «ber die Erfahrung hinaus ging, das heisst ein W^ort über die Geschichte seiner Bil- dung hinaus verwandt«. Er sah, dass das einzelne Schnee- sttickcheu ein durchsichtiger Eiski vstall sei. Darum erklärte er den durchsichtigen Bergkrystall für eine Art Eis. Das koiunit uns lächerlich vor. Wir sind aber jeden Tag bereit, denselben Fehler zu begehen , sowie wir beim Gebrauch eines Wortes die Sinneseindrücke vergessen, an die es aUein erinnern will. Hätte Aristoteles gewusst, dass die bewohnte Menschenerde ein Planet sei, so hätte er ganz gewiss den lächerlichen Tnduktionsschluss gezogen , auch die übrigen Planeten seien von Menschen bewohnt. Und dieser lächer- liche Induktiousschluss wird heute noch von allen denen gezogen, welche behaupten, der Mars sei von Menschen bewohnt.

Die Gelehrten aber, welehe diese Behauptung niclit geradezu aufstellen, welche aber doch die Frage zu beant- worten suchen, unterliegen demjenigen, was das Wesen der Induktion auamadit: der Verführung zu einer Erwartung, eine Teif&hrung durcli Wunsch, niclit durch «Sdiliessen*. Und wenn wir die Physiologie unseres Gehirns besser ken- nen würden, so würden wir vielleicht hinter das Geheimnis kommen, dass erstens das eigentlich sogenannte Denken, das syllogistische Schliessen nichts ist als das durch Hem- mung hMTorgerufene Bewusstwerden unsere Erinnerungs- zeichen oder Worte, dass zweitens der in die Logik hinein

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IndttkUve Begxiffibilduiig.

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gestossene sogenannte luduktionsschluss nichts ist, als die durch Jahrtau ^otkIo lanfrsam vor sich geliende Bildung oder Krv«tfdlisation 1 1»« !i jener Worte, welche dann im soge- nannten Denken gewisseiniflssen wieder flüssig werden, dass drittens der Grund dieser Wortbildung oder Induktion in nichts anderem besteht, als in der Bequemlichkeit unseres Gehirns, in der grösseren Leichtigkeit oder Passierbai keit .schon benutzter Nervengleise für gleiche Sinneseindrücke. In der Bequemlichkeit und Leichtigkeit liegt die YerflUhrun|^ zur Iiuluktion, zur richtigen, wie zur falschen.

Nur weil man die Induktion für eine Schlussform hielt und sie dämm einer phantastischen Logik überwies, geriet man in die Verlegenheit, die BegritTsbiklung , das eigent- liche Wesen der Induktion, anders und noch phantastischer erklären zu müssen. Man behauptete, durch Induktion zur Kenntnis der Gesetze und durch einen nie in der Wirklich- keitswelt des Gehimlebens beobachteten Vorgang, den man Abstraktion nannte, zur Kenntnis der Begriffe zu gelangen. Wir aber kemu» keine Gesetze, wir kamen flberliaupt keine S&tse, die nicht sckon in den Begriffen enthalten wären. Wir weirden ah» geineigt aeuHf den Begnff Abstraktnm ans unserem Sprachschatz hinaus su weifen, nnd an seine Stelle, wenn die Stelle sdion ausgefüllt werden muss, das viel miss- brauchte Wort Induktion zu setzen.

Eine besondere Art der tuduktiTcn Wortbildung ist die Entstehung unserer mathematischen Grundbegriffe. Der Idealbegriff eines Hundes, der sieh mit keinem emzigen Wirklichkeitshunde deckt, ist nicht so sehr Terschieden von dem Idealbegriff einer Geraden, der keine einzige wirkliche Gerade entspricht Wir haben noch niemals parallele Linien bis ans Ende des Raums yerfolgt, und haben uns dennoch den Idealbegriff parallel gebildet Mit der Zurflcklahrung mathematisdier Grundbegriffe auf unsere Art der Induktion, wird der theologischen Lehre Ton den angeborenen Ideen der letzte Halt entzogen.

Haben wir uns aber klar gemacht, dass aUe Erkenntnis der Natur und ihrer sogenannten Gesetze begrOndet und

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Tl. Die Indnküoiu

aufge8ta})elt ist in un-or. in Sprachschatz oder deu Erinne- rungszeichen der Menschheit, haben wir uns ferner klar ge- macht, dass die Worte dieses Erinnerungslagers von jeher bis auf den heutigen Tag durch eine unvollendete und bis au das Ende aller Dinge nicht zu vollendende Induktion ge- bildet worden sind, so werden wir wieder uickt daran zwei- feln können, dass eine Erkenntnis der Wirklicbkeitswelt durch solche nie zu vollendende Werkzeuge niemals voll- endet werden kann. Was wir für Wissenschalt halten, ist immer der jeweilige Sprachgebrauch. Der Sprachgebrauch ist ein Tyrann, er beherrscht aber nicht nur die Laute, die unsere Sprachwerkzeuge von sich geben , er beherrscht ebenso das. was wir unser Denken zu nennen pflegen. Wir blicken verächtlich zurück auf den Sprachgebrauch oder das Denken weit zurückliegender Völker; unser eigenes Denken verachten wir nur darum nicht, weil wir niclit wissen, dass es mir Sprachgebrauch ist So lachen wir Ober die Sitten und SostOme Ton Indianern, nicht aber Aber unsere eigenen Sitten und unser eigenes Eostttm.

Wir haben erfahren, dass die Entwickelung der mansch- liehen Sprache durch Metapham oder Bilder Tor sieh ge- gangen ist, durch Vergleichung Ton Aehnlichkeiten. Die unbewusste Vergleichung von Aehnlichkeiten, wie sie un- aufhörlich Ton unserem Gehirn geübt wird, ist auf ihrer einfachsten Stufe die Induktion oder Wortbildung. Ist diese Vergleichung ganz ungenau und ungewiss, so heisst sie Analogie, und auch dieser phantasioToUe Vorgang wird von der Logik fbr sich in Anspruch genommen und Annlogie- schluss genannt Analogie und Induktion f&hren beide nur zu Hypothesen, zu besser oder schlechter begrOndeten. Jedes Wort unserer Sprache ist das Aufd3mmeni einer Aehn- lichkeit, ist eine Hypothese, und aus Hypothesen Hast sich nichts beweisen. Induktion fuhrt nur zu Worten, nicht zu Beweisen. Sprache, Hypothesen, Wissenschaft, es sind nur verschiedene Ausdrucke für denselben Voiigang, der uns veifUlut, irgend etwas zu erwarten, mit grosserer oder ge* lingerer Wahtscheinlichkeit zu erwarten.

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Induktion und Abstraktion.

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Wir sind auf uiiserem Wege dahin gelangt, keinen ia> Unterschied zu sehen zwischen der Induktion und dem, was ^"J'^»

und Abs-

die Schule immer noch Abstraktion nennt. Wir sind zu traktion. der Einsicht gelangt, diiss alle menschliche Erkenntnis in Worten oder Bej^rifl'en besteht und dass in ihnen alle die- jenigen Erkeiintiii--fornien enthalten sind, die wir je nach dem Grade unserei- Bescheidenheit ErfaLiuiigen oder Ge- setze nennen. Es bleibt uns noch übrig, uns mit der deut- schen Wissenschaft über den Begriff Abstraktion auseinander zu setzen. Man gilt ja nicht für gründlich, wenn man vor- wärts geht, ohne sich durch Rückblicke aufhalten zu lassen. Man gilt für unhöflich, wenn man seinen Gegner im Duell nur erschlägt und üun mxAA musk noch die Hand reicht.

Die Qeietestihitigkeit, welche man in England und Frankreich Fhüoeophie zu nennen pflegt, hat in diesen Lftndem der Induktion grosse Anerkennung Tersohafft. Die ftihrenden Engländer und Fnmsosen aber haben keine Ahnung daTon, wie obeifl&chUch sie sind; sie wissen, dass die In- duktion nidit zu einer Wissenschaft führt, sondern nur zu einer Erwartung, aber sie ahnen nicht, dass diese Liduktion nicht zur Wissenschaft ftthre, sondern nur zum Sprach- gebrauch. Die Schalten jagd, welche man in Deutschland Philosophie nennt, beruht auf einer viel tiefem Sehnsucht. Wenn wir wirUich eine Wissenschaft, eine Erkenntnis be- süssen (was ja auch die Bnglftnder und Franzosen behaupten), so hüten unsere Erkenntnistheoretiker ganz recht damit, dass sie neben der Induktion eme zweite Erkenntnisquelle an- nehmen, die Abstraktion. Ein kluger und ehrlicher SchQler Kants, E. F. Apelt, hat diese Lehre sorgsamer als ein anderer ausgebaute £^ sieht scharf, wenn er (in seiner «Theorie der Induktion*) ' behauptet: die Beweisart durch Induktion besitze keine Selbständigkeit, sondern sei von leitenden Maiimen abUüigig; die Induktion sei nicht der Weg zu den notwendigen Wahrheiten, sondern der Weg zu der Verbindung notwendiger Wahrheiten mit den zufälligen Wahrheiten; sie sei das Band, welches das Mögliche und Notwendige mit dem Wirklichen Terknflpfe.

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YL Die Induktioii.

Glaubt man an notwendige W'aliiheiteu, an die Er- kenntnis von Naturgesetzen, so sind diese Sätze richtig, so gibt es in unserem Gehirn neben der Induktion noch eine besondere Abstraktion. Dann beweist die Induktion die Gültigkeit eines Gesetzes aus vielen Fällen, dann destilliert die Abstraktion die Gültigkeit eines Gesetzes aus einem einzigen Beispiele.

Solange wir auf den Höhen der Wissenschaft bleiben, solange steht nichts dem Gebrauch dieser beiden Begriffe entgegen. Als Newton die grosse Eingebung hatte, die Keplerschen Gesetze und das Fallgesetz Galileis als ein und dieselbe Erscheinung zu erkennen und sie Gravitation zu nennen, da glaubte er gewiss ein Ergebnis der geniakten Induktion mit einem Ergebnis der genialsten Abstraktion zu Terbinden.

«

Idi füge eine spracbliche Erinn^uug ein. •sohiran* Selbst die Chrundbegriffe der bandgreiflicluten Wissen* Schaft, der Hecbanik, sind tote Worte, und es ut bez^dmend dafür, dass selbst die Genies, die einen neuen Begriff ein- fähren wollen, in der Wabl seines Kamens ebenso schwankend sind wie unklar in seiner Erklärung. Immer erst die ab- Bcbreibraden Nadifolger fixieren die Grundbegriffe, sowie auch andwe Dogmen nickt Ton den Stiftern, sondern von den Schülern festgesetzt werden.

So ftthrte Galilei für die augenblicldicke Ejraftwirkung eines bewegten KOrpeni den Ausdruck Moment ein, erklärt dies aber an dem Beispiel des Falles fast geschwätzig (Bis- corsi e dimostr. mat. Xm. 3. 174): Timpeto, il talento, Pener^ gia, o TOgliamo dire il momento di discendere.

Er will nichts als dem alten Begriffe der Kraft eine zahlmftssigere Formulierung geben. Er will streng mecha- nisch sein und gebraucht doch im selben Augenblick Ton der objektiTen Kraft Bezeichnungen wie Talent, oder gar Tugend, die auf einen subjektiTen Willen schüessen lassen müssten.

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»Schwere*.

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Der geheime Orund, weshalb selbst die robuste Meehanik nebelhafte Worte zu ihren Onindbegrififen ernennen muss, li^ in der immer noch nicht allgemein genug durchsdiauten Armut der Malhematik. Mathematik ohne materielle tXnter* läge ist wie eine Ettche ohne gefällte Speisekammer. Das glilnzt von den Winden, brodelt im Wassertopf, aber keine Maus kann satt werden. Aus Nichts wird Nichts, und aus Mathematisdiem wird nie etwas anderes als Mathematisches, ^Tird nie Wirkliches.

War also Galilei eben auch unf&hig, seine genialen Beobachtungen sprachlich tadellos festiBuketten, so war der Philosoph Cartesius in seiner Kritik des Galilei fonnell im Beoht und schreckte darum vor Albernheiten nicht zurttek, wegen deren ihn heute jeder Schulknabe auslachen darf.

.Galilei, sagte er (lettres II. 91 Seite 391. Paris 1659), hätte zuerst bestimmen mOssen, was die Schwere sei, und wenn er darüber das Richtige wOsste, so wQrde er auch wissen, dass sie im leeren Baume gar nicht vorhanden ist.* Der Schuljunge Ton heute, der da Uber den grossen Cartesius lachen kann, weiss seit Newton, dass die Schwere die Gravitation ist, und dass sie durch den „leeren* Raum wirkt, Schulungen und Professoren aber scheinen nicht zu wissen, dass audi der Grundbegriff Gravitation ein hilfloses Wort für eine gewiss gewaltige H3rpotiiese war, Newton sagt eben Schwerigkeit anstatt Schwere.

Es wird selbst dem grossen Engländer vielleicht nicht bewusst geworden sein, warum er mit dem alten Worte nicht auskomnien konnte; aber sein bewunderungswürdiger Takt lehrte ihn, dass es aus sei mit dem bisherigen Grund- begri£ Bis auf Newton war es die zuverlässige Eigenschaft jedes anständigen Köxpers, so und so schwer zu sein, so und so viel zu wiegen. Da kam Newton und sagte: die Schwere sei eine gegenseitige Frage zwischen Erde und Pfund, wie zwischen Erde und Mond und zwischen Sonne \md Erde. Wenn nun ein Pfund nicht mehr unter allen Umständen ein Pfund war, dann war das Wort nicht mehr zu brauchen. Der Mond war nicht so und so viel Zentner

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VI. Die Indoktioa.

schwer, sondern hatte zui Erde die und die Schwerigkeit. Die Erde wog nicht, sondern wuchtete ftlr die Sonne in dem und dem Verhältnis. Diese ffanze Begnüsgrui)}^ hatte sprachlich geändert werden niusben, wenn die Hypothese Newtons Gemeingut geworden wäre. Aber wie immer in solchen Fällen bleibt die Sprache das grobe Werkzeug der konservativen Masse und der neugefundene Grundbegriff muss von jedem Nachkömmling zwischen den Zeilen der Sprache neu gefunden werden. Doch zurück zu unserem Gedankengange.

*

Der entselieidende Schritt Eepkrs bestand durin, dasi er in der Bahn des Planeten Mars diejenige Linie erkannte, wdehe in der Geometrie selion lange als Ellipse hdaamt war. In der Sprache der Schallogik sagt man ganz richtig, er habe die elliptische Form der Marsbahn durch einen Induktionsschluss entdeckt. Anf Grund Toransgegangener Berechnungen vollsog er mit staunenswertem Fleisse die Arbeit, die relativen Stellungen des Mars zur Sonne ftr riele Punkte der Bahn festzustellen. Die Gleichungen dieser Punkte hatten etwas Gemeinsames und dieses Gemeinsame entsprach der Formel, welche in der Theorie der Kegel- schnitte für die Ellipse herausgefunden war. Es war das Ideal eines sogenannten Induktionsschlusses, als er nun aus den Gleichungen oder Merkmalen einzelner Punkte auf die Vermutung kam: der Mars bewege sich in einer EUipsen- linie um die Sonne.

Der entscheidende Schritt Galileis war in der Schul- sprache ausgedrflckt eine Abstraktion. Er fknd sein FaUgesetz nicht aus der Yergleichung der in Ziffern aus- gedruckten Fallgeschwindigkeit, wenn er auch durch das TOn ihm zum erstenmal beobachtete gleich schnelle FaQen leichter und schwerer KOrper induktiv auf seine Vermutung gebracht worden aem mag. Er analysierte die einzelne Körperbewegung und schied aus dieser Bewegung die Be- griffe der Gleichmissigkeit, der Beschleunigung, der Trilg-

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Indoktiim imd Abitraktidii.

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heit aus, er k&m dadurch zu der Ueberlegung, dass es mit dem Fall der Körper so und nicht anders sich verhalten müsse. Das Hauptverdienst Keplers besteht also darin, dass er die mathematischen ^Gesetze" der Planetenbahnen auffand, das Verdienst Galileis darin, dass er die mechani- sche Bewegung in ihre Begriffe zerlegte. .Trägheit* war ein neuer Begriff, wenn man ihn auch bis heute ein Gesetz zu nennen pflegt; die Keplerschen Gesetze waren mathematische Formeln, also re( lit ei<?entlich Gesetze, bis ^io durch Newton in den neuen Begriff der Gravitation ein* gingen.

Damit sind wir beim Kernpunkt der Frage angelangt. Wir lassen uns von der Abstraktion zu immer höhern und höhern Begriffen führen, von der Induktion zu immer be- stimmteren Gesetzen. Wäre diese Unterscheidung richtig oder brauchbar, so müssten wir in unserem Gehirn diese beiden Thäticrkeiten nach wie vor unterscheiden.

Die Emtührung des Wortes Gravitation ist der letzte Fall, dass die Weltanschauung der europäischen Menschheit durcli ein einziges neues Apercu gründlich umgestaltet wurde. Dem Worte Darwins, der Entwickelung, kommt eine gleich grosse Bedeutung nicht zu , weil es wohl ein reicher neuer Begriff ist, aber zu einem Gesetz noch nicht formuliert werden konnte. Wir können das auch so aus- drücken, dass der Begriff Entwickelung zwar sehr weit und reich aber nicht mathematisch begrenzt sei, wie wenn der Entdecker eines Schatzes seineu Goidhaufen noch nicht ge- zählt hat. In der Gravitation nun aber sieht man einen Begriff oder ein Gesetz , je nachdem man der Erkenntnis wegen ihn sich klar machen oder des Kalenders wegen ihn anwenden will. Diese Relativität der Begriffe Gesetz und Begriff wird vielleicht klarer werden , wenn ich von den ausserordentlich schwiengeii Beobachtungen Newtons zu der scheinbar gemeinsten Beobachtung des Menschen zurück- ktiiic. Da finden wir ein Wort, das dem Bauemjungen wie seinem Kultusminister gleich geläufig ist: das Jahr.

Jedermann wird mir zugeben, dass das Jahr, wie wir

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VL DLe Induktion.

Wakr*. dieses Wort ausserhalb der Asfaronosiie und Eelenderkunde hundertflÜtig gebrauchen, nichts weiter ist als ein Begriff, ein bequemer Begriff, mit dem wir einen Zeitabschnitt be- zeichnen, und über den alle Menschen einig sind. Wir wissen, dass der Anfang des Ealendetjahres nicht immer auf den ersten Januar gelegt worden ist; wir wissen, dass die Fixierung der Jahreedauer oder Tielmehr ihre Einteilung in Monate und Tage noch in historischer Zeit, ja bis in die Gegenwart hinein Schwierigkeiten machte; aber gerade die Bemühungen des julianischen und des gregorianischen Kalen- ders, das Kalenderjahr mit der wirklichen Jahresdauer in TJebereinstimmung zu bringen, lassen uns ohnehin annehmen, dass die wirkliche Jahresdauer der zu Grunde liegende Be- griff war. Hatte man sie auch früher nicht auf die Sekunde genau berechnet, so wusste man doch, was man sich unter ihr Yorstellte. Jeder Schulknabe weiss heute, dass das Jahr die Zeit eines Umlaufs der Erde um die Sonne bedeutet.

Von einem Umlauf der Erde um die Sonne wusste u aber die gelehrtesten Leute noch nichts, die etwa fünfzehn Geschlechter vor uns lebten. Dehnen wir diese kurze Spanne Zeit, ein paar Hundert von diesen armseligen Jahren, noch ein bisschen aus, denken wir uns ein paar tausenJ Jahre zurUck, und der Begriff Jahr verwandelt sich in ein Gesetz, dessen Aufdeckung sicherlich verhältnismässig ungeheure Geistesarbeit erfordert hat. Ich meine das so:

In irgend einer Urzeit, in welcher die Menschen nicht auf Eisenbahnen zum Mittagessen fuhren, aber im übrigen schon Menschengehime hatten, mUssen wir sie uns doch so vorstellen, dass ihnen der Begriff des Jahrs noch nicht aufgegangen war, ebensowenig wie der Begriff der Minute oder Sekunde. In noch früherer Zeit, als das Mensclien- gehirn dem Tiergehim noch näher stand, mag ihnen laug- sam der Begriff oder das Gesetz aufgegangen sein, das uns als Wechsel von Tag und Nacht geläufig ist. In jener Urzeit aber, in die ich mich zurückversetze, kannten sie schon ganz genau diesen Wechsel, erwarteten nach dem Tage die Kacht und nach der X^acht den Tag, hatten aber

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in ihrer wannen Heimat keine Veranlassung, auf die regel- mässige Wiederkekr der Jahreszeiten zu achten. Es waren die Kepler jener Urzeit, welche ohne ein so lehhaftes Inter- esse der Not dennoch zu beobachten anfingen, dass die Stelle des Sonnenaufgangü sich eine gewisse Zeit lang nach rechts und dann wieder nach links schob , dass zwischen den Regenmonaten und diesem Spaziergang der Sonne ein gewisser ZusamiiM nlianj^ bestand. Ich denke mir nun, dass die Menschen durch das Gerücht vernahmen, diese Er- scheinung verstärke sich noch an weniger begünstigten Stätten der Erde. Da werde es empfindlich kalt an den Tagen, an denen die Sonne zu weit rechts aufgehe. Irgend ein bcwuudL-rnswerter Kepler der Urzeit mau nun, un- stillbarem Forschungsdrang getrieben, i. IL um ÜLilLieben die kalten und warmen Tage gezählt und dazu den Weg der Sonne gemerkt oder verzeichnet haben. Gleichzeitig rückten die sich vermehrenden Menschen in noch nörd- lichere Gegenden vor, wo sich der Wechsel der Jahreszeiten dem Interesse fühlbarer machte. Als sie da viele viele Tage (ein paar Dutzend Jahre naeli unaarer Ausdrueksweise) ge- teilt hatten, erfanden sie f&r die kalten Tag« den Begriff Winter, fttr die warmen Tage den BegriS Sommer, küm- merten sidi noch nicht nm die Nuancen, die wir Frühling und Herbst nennen, und erfanden für den regebnttssigen Turnus eines Sommers und eines Winten zusammen das Wort oder den Begriff: em Jahr. Und es konnte ihnen nicht entgehen, dass die aufeinanderfolgenden Jahre un- gefähr gleich lang waren, dass die Sonne dabei nach rechts und nach links wanderte, dass endlich die Zeitdauer eines Jahres bequemer ab die eines Tages war, um das Leben ▼on Mraschen und grässem Twten danadi zu bemessen.

Um dieselbe Zeit gelangte der bewunderungswOrdige Kepler der Urzeit unter stupender Geistesanstrengung dazu, ein welterschUttemdes neues Gesetz auleustellen: Unsere QWm Sonne geht nicht nur hinauf und herunter, und das aUtftgUch, sie wandert auch nach rechts und links. Diese Wanderung Tollsieht sie regelmftssig, also gesetzlich in einem

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VI. Die Induktion.

Tiinras Ton etwas über 860 Tagen (wenn diesem Kepler der Urzeit die nngeheaerliclie Züfer 360 vorstellbar und mitteilbar war), an diese horizontale Wanderung der Ekmne ist der regelmSssige Wechsel yon gutem nnd scblechtem Wetter geknüpft; es ist ein Naturgesetz, dass in einem Turnus von so und so Tiel Tagen die Witterung und die Sonne zu ihrem frühem Stande zurückkehren. Dieses Gesetz nannte der erstaunliche Mann den Jahreswechsel, und ich zweifle nicht, dass seme besseren Zeitgenossen sieh anander erschüttert in die Arme fielen und glaubten, niemals werde die Menschheit ein tiefsinnigeree Naturgesetz erkennen; ich zweifle nicht, dass der Hann für seine Neuerung Ton den Pfaffen seiner Zeit zu Tode grauurtert worden ist.

Und nun frage ich: welcher ünterschied besteht zwi- schen dem Begriffe Jahr, welcher bei dem einen Volke durch Abstraktion enthüllt, und zwischen dem Gesetze Jahr, welches bei dem andern Volke durch Induktion ^bewiesen* wurde? Die Abstraktion konnte nur um Kleinigkeiten weiter getrieben werden; die Induktion führte zu einer immer ge- nauem Beobachtung. Wir sagen das so. Aber das grosse Naturgesels des Jahreswechsels ist unter seinen Tersehie- deoen Erklärungen durch Ftolenütos, Copemikus und Kepler doch immer nur ein Begriff geblieben, ein immer deut- Kcherer Begriff, den wir in unserem wissenscbaftlichen Denken zu einer Unmenge von sogenannten Urteilen und Schlüssen auseinander legen. Induktion führt genau wie Abstraktion nur zu Begriifen.

Ich glaube das Beispiel gut gewühlt zu haben. £s muss jedem Leser einleuchten, dass der neu entdeckte Jahres^ Wechsel wer weiss wie lange den gebildeteren Menseben jener Zeit ein schwioris^ef;, nur durcb bobe mathematische Kenntnisse das Zählen bis 3G0 klar zu machendes Naturgesetz war, den ungebildeten ein Mysterium. Ebenso ist das Weltsystem, das yon Kant und Laplace auf Newtons Naturgesetz der Gravitation aufgebaut worden ist, heute noch eine besebwerliche Wissenschaft und kann doch viel- leicht einem spätem Geschlechte zu einem geläufigen Be-

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Geaduehte der Induktion.

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«^rilF werden. Es ist kein Zufall, dass in dem einen wie dem andern Falle zwischen der unfertigen Ertiihnintr und dem verwendl>aren Begrift' eine raathematisclie Formel steht. In jener Urzeit war die Belierrscliuug der Ziffer 360 ge- wiss nicht weniger schwierig als heute die Differentialrech- nung. TTnd in der Anwendung der Mathematik auf die Begriffsbüdung oder Induktion dürfte das liorren, was wir auch nach meiner Darlegung als « inen ruterscUu i zwischen Induktion und Ai)straktion, zwi^cIiLU Gtsetz und BegriÜ em- pfinden, ich gestehe auch, dass ich selbst einen solchen Unterschied nicht zu empfinden mich nur schwer zwingen kann. So sehr stehe ich bei dieser Untei-suchung unter dem Banne des Spracligebram hs, den ich Ijekämpfe.

Diese ganze Frage ist aber neuen Datums. Das Wort Oe» Induktion ist alt, aber die Ahnung, dass sie allein unserer "^'^^f* Erkenntnis zu Grunde liege, ist neu. Die Behauptung gar, duktioa. dass Induktion mit Abstraktion identisch und nur Wort- bildung sei, wird eben erst von mir aufgestellt. Was Aristo- teles über das Wesen der Induktion lehrte, ist für uns so wertlos geworden, wie etwa seine Träumereien Uber Bio- logie. Wenn er gar dem Sokrates die Erfindung der Ab- straktion und der Induktion zuschreibt, so ist das für uns ein leerer Wortschull. Es handelt sich bei Sokrates so- weit wir das aus Piatons Dialogen ei*sehen können um kindliche Versuche, den Sprachgebrauch festzustellen, nicht um Erkenntnistheorie. Und Aristoteles selbst bewegte sich immer im Kreise seiner Logik, in welcher die Induktion keine natürliche Stelle hatte.

Man muss beinahe 2000 Jahre überspringen, um wenig- stens anf praktisdie laduktionm zu atonen, wnui auch dann nodi nieht auf ihre ThMoie. Oalilei und Kepler fingen auerst an, mit Bewnssteein ao indnktiT Torzugehen, wie ea nnbewosat der gesunde MenachenTostand T<m jeher gethan hatte. Baoon Ton Yerulam, der den nnrerdienten Rnf gemesst, die Theorie der Induktion geschaffen zu haben, hatte von ihrem sprachlichen Wesen keine YonteUung. BUts- artig findet sich die Wahrheit vereinzelt einmal bei Galilei,

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VI. Die Induktion.

der auf den Einwand , die Induktion sei wertlos, weil un- vollständig, die merkwürdige Antwort gab: Wenn die In- duktion alle möglichen Fälle umfas^sen mttsste, wäre sie entweder nutzlos oder unmöglich; uimuiglich bei einer un- endlichen Ziihl von Fällen ; nutzlos, weil der allgemeine Satz unserer Erkenntnis nichts Neues hinzufügen würde.

Auch diese Antwort führt wieder auf die Frage zurück, die ich jetzt so formulieren möchte: Warum empfinden wir den auf induktivem Wege hergestellten Begriff als ein Ge- setz? Warum fügen wir in unserm Geiste den beobachteten Fällen die Erwartung ähnlicher hinzu? Wie kommen wir SU dieser neuen Erkenntnis, Ton welcher Oalilei spricht?

Der wirUiehe Anreger der Induktionrtheotie, John Stuart Hill, hat trote seines engtiidien Standpunktes diese Hanptschwierigkeit wohl empf^en. Er drückte sich fol- gendermassen aus: «Warum ist in manchen Fällen ein ein- ziges Beispiel zu einer ToUständigen Induktion hinreichend, wlUirend ein andermal Milliarden flbereinstimmender FsUe ohne eine einzige bekannte oder vermutete Ausnahme nicht gestatten, auch nur den kleinsten Schritt zur Festsetzung eines allgemeinen Satzes zu thun? . . . Wer diese Frage beantworten könnte, TerstOnde mehr von der Philosophie der Logik, als der erste Weise des Altertums, er hätte das grosse Pk-oblem der Induktion geldst* Dopp«i* John Stuart Blill bildete sich nicht ein, dieses Ilr- •tflne. gelöst zu haben. Unter seinem Emfluss stehend

hat der Astronom John Hetschel bei einer merkwürdigen Gelegenheit praktisch etwas gethao, was mir auf dem Wege zur Losung des Problems zu liegen scheint. Bei seinen Berechnungen Aber die Bahnen der Ton ihm beobachteten Doppelsteme gelangte er zu einzelnen Punkten einer solchen Bahn, die (bei der Ungeheuern Schwierigkeit genauer Be- rechnungen) sich nicht zu einer regelmässigen Kurve tw- binden Hessen. Es ging ihm ähnlich, wie einst dem grossen Newton, dessoi Berechnungen über die Uondbahn wegen der groben Irrtümer in seinen Yorlagen zn keiner aTcr- nUnftigen" Kurve führten. Newton hatte seine Arbeit Ter-

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Bopp«1ftenie.

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driesslich liegen lassen, weil bei ihm die Ueberzeugung von der Wahrheit seines Naturgesetzes noch nicht fest- stand. Zu John Herschels Zeit oder wenigstens für einen so bedeutenden Astronomen war die Gravitation ein so rntiirlicher Betriff geworden, wie für uns der Jahreswechsel. Er zog also ^mit kühner aber vorsichtiger Hand" eine Kurve, die zwar nicht durch r|ip gegebenen Punkte, aber doch so nahe wie möglich zwischen ihnen hinlief und nahm an, dass durch diese ,v» rriünftige" geometrische Linie seine Beobachtiingsfehler korrigiert würden.

Man hat diese kühne und vorsichtige Hand mit Recht bewundert. Mir aber bietet Herschels Verfahren eine An- regung, die mir wichtiger scheint als die Bereicherung, die die Kenntnis des Himmels durch die Theorie der Dop])cl- stenie erfahren hat. So wird jeder Gegenstand vergrössert, wenn man ihn zu nahe an seine Augen bringt.

Es scheint mir nämlich, dass diese Entdeckung der Bahnen der Doppelst^rne sich nur unwesentlich von der Entdeckung der Marsbahn durch Kepler unterscheide. Die berechneten Punkte der Marsbahn ergaben die Kurve etwas genauer, das ist alles. Aber zu der Induktion Herschels kam eben das Neue hinzu, das schon Galilei von der In- duktion verlangte: die Ueberzeugung oder Vermuthung, dass zwischen den riclitigen Punkten ein geordnetes, ein ver- nünftiges Verhältnis bestehen müsse. Und diese Ueber- zeugung oder diese Vermutung ist nichts weiter als die durch unzählige Thatsachen in allen Menschenkopfen vor- handene Annahme, es gehe in der Natur ordentlich, ver- nünftig, gesetzlich /u. Früher sagte mau mehr vernünftig, jetzt sagt man mehr gesetzlich; es ist aber ein und das- selbe. Hätte Herschel die irrationalen, das heisst unver- nünftigen Punkte der Doppelstembahn nicht mit kühner aber vorsichtiger Hand nach einer geometrischen Yorstellung hin- und hergerückt, er wäre nicht za einer Kurve gelangt, welche jetzt für einen Bestandteil äer menschlichen Er- kenntnis gehalten wird, welche das Zeichen Ar eine Stem- bahn ist und welche nach Untttändea ein Begriff oder ein

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YL Die Induktion.

Gesetz genannt werden kam.. Die Vorstellung von Ur- sachen und von einer Ordnung m der Natur, die wir nach unserer Denkgewohnheit unseren induktiven Beobachtungen aus Eigenem hinzufügen, diese Vorstellung erst verwandelt uns den Begriff in ein Gesetz. Begriff Und wieder hoffe ich diese Lehre deutlicher und weit- voller zu machen, wenn ich das Vorgehen John Herschels an ganz gemeinen Vorstellungen nachweise. Lange bevor die Menschen zu dem Begriffe oder dem Gesetze des Jahres- wechsels gekommen waren, gewiss aber später, ab sie das Gesetz von Tag und Naebt erkannten, müssen irgendwo die Menschen oder ein hervorragender Q&ai unter ihnen auf den ISnfall gekommen sein, die Worte Fräch nnd Eiche zu finden. Wir wissw bereits im allgemeinen, dass B^riffi- bildung, Induktion und Abstraktion dasselbe ist; wenigstens wissen meine Leser, dass ich es behaupte. Nun aber gibt mir die vorsichtige KOhnheit John Heraohels Anlass zu zeigen, dass auch so einfache Worte nicht anders entstanden sein konnten. Es muss eine Zeit gegeben haben, in der der Begriff Eiche noch nicht existierte, nock nicht von dem ältem Begriffe Baum losgelöst war. Wie entstand dieser Be- griff? Der hervorragende Mann jener Ururaeit beobachtete zwischen einer Anzahl Bäume eine gewisse AnnSkenmg, z. B. in der Form der Bl&tter und der FrQchte. Die Blfttter mancher dieser ^ume sahen wieder den Blättern anderer Bäume ähn- lich, die sich aber durch ihre Früchte unterschieden. TTnd so ging alles bunt durcheinander. Eine Kurve die neue Mathematik wird mir dieses Wort auch für die Sprachge- schichte gestatten <, eine vernünftige Linie, welche gerade nur diese Bäume rerband, ergaben die Beobachtungen niehi Dennoch entschloss sich der hervorragende Mann jener ür- urzeit, zwar nicht durch die einzehien Beobacktongspunkte, aber zwischen ihnen hindurch eine solche vernünftige Kurve zu ziehen und .erfand' oder benützte dazu das Wort «Eiche*. Ein ebenso kühner Mann erfand od«r benützte das Wort «Fisch*, trotzdem die Kurve der Beobachtungspunkte nicht genau stimmte. Es gibt kein Wort, worauf diese Betrachtung

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B^riff und Gesetz.

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nicht ausgedehnt werden kdimte. Wir sagen ,Pferd', trota- dem die Kurve heaUgüch der GrOsse, der Farbe u. s. w. darchaas nicht gana «Temfinftig* ist

Bs scheint mir aus dieser Untersuchung herrorzu- gehen, dass auch in solchen klassischen Fällen der soge- nannten Abstraktion nur eine Induktion vorlag , dieselbe Induktion, durch welche Herschel die Doppelstembahn, durch welche Kepler die Marsbahn fand. Aber noch mehr. Uns sind die Worte: Eiche, Fisch, Pferd u. s. w. so geläufig, dass wir sie einzig und allein als Begriffe auf- fassen und stutzig werden, wenn emer sie Naturgesetze nennen wollte. Idi hoffe aber, Oberaeugend gewesen zu sein. So wie der genial« Entdecker des Jahreswechsels ein Naturgesetz aufgefunden hatte, das uns nachher zum Be- griffe wurde, ganz ebenso man achte wohl darauf war fttr die genialen Entdedcer aller Gattimgs- oder Artbegriffe jede solche Entdeckung zuerst ein Gesetz. Und ein ver- blüfiPendes Gesetz mag es gewesen sein, als so ein Forscher der Unirzeit lehrte: es geht in der Natur gar nicht so regel- los und unvemflnftig zu« wie wir Menschenthier e bisher f^e- glaubt haben; es gibt Arten, d. h. Gtesetze, d. h. Bej^riffe. John Herschel hatte die Vermutung, es werde wohl die Bahn der Doppelsteme eine Ursache haben und darum auch eine bestimmte Form. Der Entdecker der Pferdeart hatte ebenso die Vermutung, es werde für diese untereinander ähnlichen Tiere eine Ursache und eine Form geben. Hinter der Doppelstembahn stand das Gesetz: die Gravitation. Hinter dem Artbegriff steht das Gesetz: die Abstammung- Die ganze Geschichte der Menschenerkenutnis ist die ewige Bemühung, die Gesetze, welche durch Gewohnheit zum Begriff verflüchtigen, durch neue Beobachtungen wieder als Gesetze zu empfinden. Was wir zu wissen glauben, wird uns zum Begriff; was wu* ganz bestimmt nicht wissen, aber gern wissen mdchten, das ist ein Gesetz. Es ist ein furchtbarer Hohn auf die menschliche Sprache, dass dieselben Worte, die auf der einen Seite unter der f^ewalti^sten Anstrengung der besten Köpfe bis zu der Bedeutung von Natuigesetzen Haathner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache. lU. 81

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VI. Die Ifldiiktaoii.

emporsteigen, auf der andern Seite unter Mitwirkung der Masse als leere Begriffe wieder hinabsinken, um wo mög- lich den Kreislauf von neuem zu beginnen. Ich (^ube eine ungeheure Bag^ennascbine vor mir zu sehen, deren Eimer auf der einen Seite den Sand des Flussbettes langsam em- porziehen, um ihn auf der andern Seite wieder in das unend- b'ch fliessende Flussbett zurück zu schütten. Eine wahn- sinnig gewordene Baggermaschine.

Einzig und allein diese skeptische Einsicht, dass In- duktion und Abstraktion nicht wesentlich verschieden seien, dass Gesetz und Begriff nur yerschiedene Auffassungen unserer Worte sind, nur diese Terzweifelte Lehre kann das Problem, wenn nicht lösen, so doch bei Seite schaffen: was eigentlich unsere empirischen Induktionen dahin leite, dass sie su neuen Erkenntnissen werden. Die bisheiige Lehre von der Induktion hat (um grosse Gegensätze zu nennen) die englische Forschung Ton der deutschen getrennt, die Naturwissenschaft Ton der Philosophie. Nach meiner Auffassung können sich Philosophie und Naturwissenschaft vereinigen, freilich nur im Zweifel an der Erkenntnis selbst, in der Resignation, wie Hamlet und Laertes gemeinsam in das Grab Ophelias springen. Tu- Ich muss aber noch einmal einen Schritt zurückgehen,

um die falsche Lehre der deutschen Schullogik zu beseitigen, 8«lüius. welche die Induktion immer offen oder versteckt in ihrem prroBsen Kapitel von den Schlüssen behandelt. Ich schliesse mich der Ausdrucksweise dieser Logik an, wenn ich sage, dass die Deduktion, die haujitsiichlich so <^'< nannte Schluss- folgerung, immer zu anal>i;ischen Urteilen tühre, das heisst zu Sätzen, deren IVadikat im Begriffswort des Subjekts <;rhon enthalten war. Wir wissen, dass dieses Zugeständnis der Logik im Grunde schon das weitere Zugeständnis mit enthält , es bp«tehe unser ganzer Erkenntnisschatz nur in Begriffen oder W orten. Wir haben gesehen, dass das Prinzip aller Schlussfolgerungen darin besteht: aus den Begriflen herausziehen zu können, was man vorher in sie hineinge- steckt hat, und nicht aus ihnen herausziehen zu können,

dnktiou

DU«]

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InduktioB und SeUim.

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was mau nicht hineingesteckt hat. Das wäre die klarste Fassung des berühmten Dictum de omni et nullo. Dieser Grundsatz aUein würde statt aller scharfsinnigen Spielereien genügen , um die alt ererbten Sophismen und Witze der Logik aufzuklären. Ich wähle als Beispiel den folgenden Scherz:

Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze;

keine Katze hat zwei Schwänze;

also hat eine Katze drei Schwänze. Mit dem ganz* i Apparat des Kantschen Scharfsinns aus- f^erüstet hat Apelt nachgewiesen, dass dies ein Trugschluss sei, weil der Syllogismus gegen die beiden Regeln Verstösse, dass der Ohersatz allgemein , der Untersatz bejahend sein müsse, ich lasse beiseite, dass der üebermut dieses Schlusses viel zu offenbar ist, als dass jemals ein Mensch Regeln nötig gehabt hätte, um an der dreischwänzigen Katze zu zweifeln. Ich wiU nur darauf aufmerksam machen, dass hier wie immer ein Besinnen auf das Entstehen und die Bedeutung der Worte einfacher und sicherer zum Ziele geführt hätte. »Keine Katze" in der ersten Behauptung ist die einfache Negation von einer Katze, ein Nichts. Hält man in der zweiten Behauptung diese Bedeutung von .keine Katze* fest, so mUsstc sie richtig heissen: etwas was nichts ist, was auch keiue Katze ist, hat keinen Schwanz; also hat eine Katze wirklich einen mehr, nämlich Einen Schwanz.

Was seit 2000 Jahren unter dem Namen von Sophis- men sich durch die Logik hindurch schleppt, ist nichts als eine Reihe von Wortspielen, die auf einer kindlichen Stufe des Geistes toh witzigen Männern erfunden wurden und kindliche Qmlllor heute noch erfreuen. Wir werdeu uns darQber nicht wundem. Wenn nfltilicheB Denken nichls ist als ein Verbinden Yon Worten, so muss unnQtses Denken ein Spielen mit Worten sein. Es gibt aber noch eine dritte Art der Beschäftigung mit Worten. Nämlich das imbewusste Spielen der Logik, welche an die Notwendigkeit der gram- matischen Sprachformeln glaubt und grammatische ünter^ schiede fflr üntorschiede im Denken hllt. Alle Einteflungen

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VI. Die Induktion.

der Urteile und Schltksse in kategorisclie und hypothetische, femer aber die Herleitung des sogenannten Induktions- schlusses aus dem hypothetischen Schlüsse ist ein solches nnbewusstes Spielen mit grammatischen Formeln. £s lässt sich jeder kategorische SohloBS in einen hjpoÜietisclien um- wandeln, einfach durch sprachlidie Veränderungen, und ebenso umgekehrt Nur daas wir bei sehr geläufigen Be- griffen, die wir ein Ergebnis der Abstraktion nennen, die hypothetische Fonn nicht gebraui^eii, dass wir bei aeueren Begriffen oder Gesetzen, die wir darum lieber der Induktion verdanken wollen, die Hypothese zu Hilfe nehmen. Es handelt sich also, so glaube ich ganz bestimmt, bei dem Unterschied zwischen Abstraktion und Induktion um ein rein subjektiTes Verhalten unseres Denkens. Genau be- trachtet, ist jede Induktion unToUstSndig und darum jeder Begriff (oder Gesetz oder Wort) ohne Ausnahme eine Hypo- these. In der Urzeit war der Jahreswechsel eine kohne Hypothese, ein nur Termutetes (besetz, eine unvoDstSndige Induktion; heute, nachdem dieses Gesetz des Jahreswechsels Tom ganzen Menschengeschlechte ein paarmal, ich meine un- zlUilige Mal nachgeprüft worden ist, erscheint es uns sub- jektiv als eine vollständige Induktion, als eine Gewissheit, als eine Abstraktion. Wir könnten auch sagen, dass die waiir- Menschen Gesetze, die einen hohen Grad von Wahrschein- kiikeu ^^^^^^^ besitzen, in den Schatz ihrer Abstraktionen oder Begriffe aufnehmen, und dass sie die Gesetze mit einem mittleren Grad der Wahrscheinlichkeit weiterhin Gesetze nennen und auf Induktion zurückfuhren. Die Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit geht durchaus nicht so mechanisch vor sich, wie uns die Mathematiker und Sta- tistiker glauben machen wollen. Die Weltanschauung eines Menschen oder einer Zeit entscheidet dartlbar, ob etwas fUr mehr oder weniger wahrscheinlich gehalten wird. Die Weltanschauung aber hängt vom Interesse ab, ist subjektiv. Es ist kein grosser Unterschied zwischen dem Walten der unbewussten Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Sprach- bildnng oder der Geschichte der Wissenschaft und der un-

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WnlmcbeiiilicihlBeit.

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bewussteii Wahrscheinlichkeitsrechnung des Arztes am Krankenbett. Dieser besitzt (allerdings erst seit wenigen Jahren) statistische Tabellen über den Ausgang der Krank- heiten, über die Folgen bestimmter Medikamente, über die Bedeutung des Alters u. s. w. Trotzdem wird er sich im Augenblicke der Gefahr, genau so wie sein Kollege vor 50 Jahren, vor der Aufstellung der Tabellen, von seinem «ub- jektiven Gefühle leiten lassen , das natürlich durch Erfah- rungen, also Induktionen, gelenkt wird. Di»' Geist* sthütigkeit dieses Arztes hat viel Aehnlichkeit mit tler künstlerischen Geistesthätigkeit des Erfinders oder Entdeckers. Ein subjectiv beeinflusster Entschlnss lässt ihn Art und Dosis des Heil- mittels wählen. Ob nachher der einzelne Kranke stirbt oder nicht ja nicht einmal das kann der Arzt als sichere Wirkung seinem Entschlusses erkennen. Es fordert zum Nachdenken heraus, dass ebenso die Menschheit im grossen und ganzen weiter lebt, unbekümmert um das Geschwätz des einzelnen, duss sogenannte wissenschaftliche Wahrheiten, neue Gesetze und neue Worte nach subjektivem Ermessen des jeweiligen Zeitgeistes geschaffen und vernichtet werden. Die Sprache begleitet die Menschheit von Geschlecht zu Ge- schlecht, wie die Aerzte die sterblichen Menschen von Tod zu Tod begleiten, ohne etwas zu wissen, ohne auch nur sagen zu können, ob jemals seit dem Eingreifen des ersten Arztes auch nur in einem einzigen Falle irgend ein auf das Eingreifen folgender Zustand des Kranken nur post hoc oder propter hoc eintrat Welch ein Charlaftu ist die Sprache! (VergL Schweninger: .Aerztlicher Bericht 1902* S. 9.)

Besteht der Unterseliied zwisdien Abstraktion and In- duktion aber nur im Grade der Wahrscbeinlichkett oder ▼iebnehr in unserer festem oder schwBdieni Erwartung eines künftigen Ereignisses, so gehört die ganze Theorie der Induktion in das Gebiet der Psychologie, womit freilich nicht viel gewonnen wire. Hier will ich nur feststellen, dass der Sprachgebrauch, dass unsere subjektiTe Erwartung nicht immer von der Mathematik abhängig ist. Auch nicht yon mathematisch gefundenen Gesetaen. Die absolut sichere Er-

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VI. Die Induktion.

Wartung eines regeim i-si^t ii Tages- uml Jahreswechsels bestand bei der Menschheit unendlich lange noch bevor die gegenwärtige Astronomie begründet war. Wir bleiben also dabei, dass Induktion und Abstraktion im wesentlichen die- selbe Geiötesthätigkeit ist, dass wir mit diesen beiden Tie- griffen eigentlich unklar und duicheinander den Weg oder Rückweg von einem Woit zu etwas in ihm Enthaltenen aus- drücken, also eine Teilvorstellung dessen, was wir zusammen Gedankenassocifttion nennen. Nicht einmal mit den Bildern Aufstieg und Abstieg werden Induktion und Abstraktion genau auseinander gehalten. Wenn wir uns einbilden, einen Begriff der reinen Abstraktion zu verdanken, so wird es doch bei der sogenannten Si hlussfolgerung aus ihm wieder einen Untei*schied machen, ub wir seine Merkauile oder seine Teile auseinander legen, ob wir aus seinem Inhalt oder seinem Umfang Schlüsse ziehen. Bei Schlüssen aus dem Inhalt werden wir melir das Bild vom Abstieg, die Ab- straktion, vor Augen haben. Bei SchlUs.seu aus dem Um- fang mehr das Bild vom Aufstieg, die Induktion. Beide

Kreislauf Geistesthätigkeiten aber, auf welche die Menschen um so Wort ^^^^^ ^^^i gelehrter sie sind, laufen für uns zusammen and zu der einen bescheidenen Thätigkeit der langsamen Wort-

0M6ts. ))j}jm}g^ welche die MeuM^eit allerdings die wachsende Somme üirer Erfahrungen bequemer merkoi Hess, welche jedoch wie ein rerräterisdier Ftthrer dk HMisehheit auf ihrem Marsche swar ermUdet, aber dem Ziel nicht nSher bringt, nicht der Erkenntnis der Wirklichkeitswelt. Ein besondern' Spott dieses Fortschreitens zu immer neuen Gesetzen oder Worten ist es, dass keine Sammlung von Einzelbeobacb- tungen, dass keine Induktion jemals zu dem Neuen, an einem neuen Gesetze oder Worte, führen konnte, wenn die leitenden Ideen, wenn die rorgefassten Maximen nicht längst sdkon auf das neue Gesetz oder Wort hingewiesen hatten. Und diese leitenden Ideen mussten doch, umtlber- haupt gedacht zu werden, schon irgend wo in dem bis- herigen Wortschatz, in der alten Sprache Tersteckt gewesen sein, bis irgend eine armselige kleine neue Beobachtung die

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Ereulftuf von Wort und GeaeU.

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Auinittksaiiikeit auf das Y entock lenkte. Wessen Aufmerk- samkeit so rege« wessen Energie dazn stark genug ist« um die Spur su rerfolgen, der wird ein grosser Entdecker, der wird ein FOlirer der Menschheit. In seinem Entdecker- taumel glaubt er, und die Menschheit mit ihm, auf dem Gipfdl angekommen zu sein; aber Schwindel erregend sinkt der scheinbare Gipfel mit seinem Geschlechte herab zum ge- meinen Hohn, und Schwindel Mregwid türmt die ewige Zeit neue Gipfel filr neue Entdecker, fOr neue Führer der Mensdiheit. Wie eine Herde vegetiert sie weiter, ihre FOhrer aber sind es, die in Todesschweiss und Unsterblichkeiis- Sehnsucht die Sisyphusarbeit yerrichten, den Stein empor zu wSIzen, der ewig hinabrollt. Ewig wandelt sich die Ahnung zur Gewissheit von Gesetzen, die sich wieder als leere Worte enthüllen. Und ewig suchen die besten der Menschen unter den leer gewordenen Worten, die einst be- glückende Gesetze waren, nach Ahnungen neuer beglücken- der Gesetze. So ist der geistige Kreislauf, der dem Kreis- lauf auf der Erdrinde entspricht. £s Yemichtet ewig das Tier die Pflanzen und schenkt ihnen dafllr seine Exkremente su neuem Wachstum.

Alle Induktion ist nichts als die Geschichte der persön- Bew«!«. liehen Glaubensorweckung; wer das einen Induktionsbeweis nennen will, der mag es thun. Beweis, Demonstration, ist nicht mehr persönlich, ist immer für einen andern, ist ein «Zeigen*. Im deduktiven Beweis zeigt der Angekommene dem Neuling seinen Weg. Und weil bei der Länge des Weges, den die Menschheit seit Aeonen durchgemacht hat, auch der schlichteste Beweis eine endlose Geschichte, Glau- hensgeschichte, Dogmengeschichte werden musste, sprechen wir in abgeküi'zten Worten, was wir dann Beweisen nennen. Es ist aber niemals mehr als ein Erzählen. Der induktive Beweis erzählt gut, da er voni Anfang anfangt. Der de- duktive Beweis erzahlt schlecht und virtuos , indem er das Ende leidenschaftlich (bittend, befehlend oder drohend) vor- weg nimmt und dann sprunghaft die Mittelglieder zu einem wiUkUrUchen Anfang sucht.

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VI. Die Indnktioii.

Das Material jeder solchen Geschichte können natür- lich nur Worte bieten, die dann auch nichts weiter sind, als kurz ausgedrückte Hypothesen für die Einheitlichkeit der Naturerscheinungen. "Wir haben das Wort „Baum". Bnd- los lange mag es gedauert haben, bis das blöde Auge un- serer Ahnen (auf einer vormenschlichen Stiife aber gfewias schon) zu dem Begri£f «Baum" kam. Unzählbare Asso- ciationen Ton Wahrnehmungen haben wob den Begriff ins Qehim gehämmert; wir zweifeln nicht an unserm BegriÖ'^ wir glauben an den ^.Baura", wir haben in endlosem Weiter- ei'fahren schliesslich die ganze Botanik um diesen Baum langsam lernend herumgewickelt und wundem uns nachher, dass wir ebenso viel vom ^Banii!'' wieder abwickeln können.

Wäre man sich immer klar darüber, dass man aus dem schönsten Satz induktiver Weisheit nicht mehr heraus- ziehen kann, als jnan vorher hineinfjfesteckt hat, dass man von einem durch Induktio:i entstündorpn Worte nicht ein Fii^erchen mehr hernutv rwickeln kann, als man voihei hmaufgewickelt hat, dann wäre man auch reif für die Er- kenntnis, dass jeder Satz nur hvpothetisch, jedes Wort nur vorläufig bessere Belehrung vorbehalten zu verstehen ist. Dann wflrde man auch endlich glauben, dass unsere ganze Begriffsbildung noch in den Kinderschuhen steckt.

Die besten Philosophen quälen sich mit Fragen wie diti Wenn ein weisser llabe entdeckt würde, wäre er kein wirkhcher Rabe oder müsste man den induktiven Satz .alle Raben sind schwarz" ändern? Wenn die schwarze respek- tive weisse Farbe der Schafe aus annoch unbekannten Ur- sachen notwendig wäre, dann wäre sie am Ende nicht unwesentlich und wir müssten die einen und die andern „Schafe" was denn? verschieden be- nennen.

Das ist es ja. Vorläufig sind die Sätze von den schwarzen Raben, vorliiufig ist das Wort , Schaf* auf der Höhe unserer Erkenntnis. Beobachten wir einmal mehr, so wird die Sprache schon langsam nachklettern.

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Hjpothflaen.

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Alle Naturgesetee, auch die grossten Enideckimgen, Hypo* sind immer nur Hypotiiesen. Die Sprache ist ganz unf^Uiig, den wUichen Vorgang zu fassen; sie kann nur einen be* sonders auffallenden, hervorspringenden Punkt feststellen und ihr Flandern daran hSngen. Seitdem yollends das Wesen der Hypothese hesser erkannt worden ist« glauben die For- seher nicht einmal selbst an die Richtigkeit ihrer neuen Er- klSrungen. Es ist ihnen genug, wenn sie in einer soge- nannten Hypothese eine yorlänfige Definition gefunden haben, eine vorläufige Begriffitbestimmung, ein vorrdufiges Wort« mit dem sich schwatzen lässt und das gleichzeitig ein Kegisterwort abgibt für die Kaufmanns wäre des Artikels. Durch die vorläufige Definition hoffen sie dann später su der definitiTen Definition zu gelangen.

Da es nun fUr die letzten Dinge jedesmal zwei ent- pe^rengesetzte Hypothesen gibt, wie denn Darwinistischer Materialismus und der transcendentale Realismus der Idea^ listen einander durchaus gleichberechtigt sind, so spricbt die Vermutung dafür, was wir Iftngst schon wissen, dass wir mit der Sprache immer nur an die Oberfläche der Dinge herantappen können, nie aber in ihr Inneres dringen, und zwar, dass wir von unserem Standpunkt aus immer nur an die eine Seite der Oberfläche herankommen. So ist für die Fische der Meeressjncgel von unten gesehen die Oberfläche der Luft; sie sind die Materialisten, die das obere Element für tö(nicb, für ubsolut leer, für blossen Schein halten. Für die Vögel ist dann derselbe Meeres- spiegel von oben gesehen die Oberfläche des Wassers ; sie sind wie die Idealisten, die sich im Unsichtbaren lustig tummeln und das schwerere, dichtere, untere Element für tödlich, tiir undurchdringlich halten.

Wer nun meinen würde, man könnte, da doch die menschliche Sprache eine zu kinzr- Stehleiter sei, dadurch emporgelangen , dass man die beiden sprachlichen Hypo- thesen wie zwei Tnttleitern mit den Spitzen gegeneinander leimte, der wäre wieder im Irrtum. Erstens wäre die Ge- samthöhe dann leider noch kürzer, als die der einfachen

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VI. Die Induktion.

senknehten Leiter, zweiten« aber besitst eben der einzelne Kopf immer nur die eine Leiter, den einen Standpunkt. Und 80 wie die mathematische FUohe des ebenen Meeres- spiegels dadurch nicht dicker wird, dass man die Y<^el- und die Fischflilche summiert, wie der Taucherrogel und der fliegende Fisch an metaphysischer Kenntnis den bloss flie^ genden Vogel und den bloss schwimmenden Fisch über- trifft, so kann der Mensdi zur letzten Erkenntnis nicht da- durch vordringen, dass er seiner gewohnten Sprache entweder Schwimmblasen oder einen Luftballon umgClrtet. Er kann mit Händen und Fflss«! strampeln, er knnn seine Zunge in allen Bichtungen bewegen, die Wirklichkeit sprachlich er- £u8en kann er nicht. Hv] 0- Alle unsere Erkenntnis wird zum Zwecke der Mitteilung und" Vererbung niedergelegt in Sätzen oder Urteilen. Wir Wort«, aber wissen bereits, dass alle Ui-teile, seien sie nun der Ausdruck von wiederholten Beobachtungen, seien sie un- mittelbare oder endlich mittelbare Schlüsse, schliesslich immer schon in den Begriffen enthalten waren, welche die Subjektworte sind. In der vorgrammatischen Sprache der Hensehen mag in einem solrben Worte bereits das Prädikat, der unmittelbare Schluss und der Syllogismus mit enthalten gewesen sein, so wie im Keime der Eichel der ganze Eich- baum steckt.

In Bezug auf unsere Sinnesem j)finclungen ist deren Ur- sache, die wir die Wirklichkeit nennen, eine Hypothese. In Bezug auf diejenigen Sätze, zu welchen wir durch logische Schlüsse gelangt zu sein uns einbilden, ueun-Ti wir den Glauben an eine ihnen entsprechende Wirklichkeit iure ma- terielle Wahrheit. Und das schlechte Gewissen der Logik, welche doch durch ihre mustergültigen Schlüsse vor jeder Unwahrheit bewahrt bleiben niüsste, äussert sich darin, dass trotz aller logischen Flau.sen nach der materiellen Wahrheit des bchlusssatzes besonders gefragt wird, und die Schluss- folgerung, insofern sie ausnahmsweise auf ihre Ueberein- stimmuug mit der Wirklichkeit hin geprüft wird, genannt wird. Es scheint also ein Beweis nichts anderes

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Hypothttftn und Worte.

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zu sein, nk ein Schltus, bei dem miastrauisch auf dm Weg snrQökgeblickt wird.

Wer meinem kritischen üeberblick Ober die Lehre der Logik gefolgt ist, der wird mir zugestehen mflseen, dass ebenso wie der Torwärtsblickende Schluss auch der rück' wärtsblickende Beweis jedesmal auf einer Beobachtung, also auf einer Beihe von SinneseindrUcken allein beruhen mflsse. Das Wort, welches die Sinneseindrücke verbindet, umfasst dann immer unsere ganze Erkenntnis. Haben erst unsere Sinne die Empfindungen vereinigt, welche wir von Schnee- flocken erhalten, so wird in ziemlich früher Zeit der Menschengeschichte schon die Kälte als Ui saclie der Schnee- büdung erkannt worden sein. In ziemlich frUher Zeit wird man unbewusst den indirekten Beweis gefühi-t haben, dass die Kälte Schnee verursache und nicht etwa die Jahreszeit oder die Nacht oder der Wind oder die Luft. Auf solcher Stufe der Erkenntnis ist es für jeden klar, dass in der gleichzeitigen Kälteempfindung, also in einem notwendigen Begri£fsmerkmal des Schnees, schon der Beweis für seine Ursache enthalten war. Später wurde wahrscheinlich die Krfstallform der kleinen Schueeteilf b^v-djaclitet , und da auch andere, in höheren Hitzegraden geschmolzene Körper bei geringerer Temperatur zu harten Krystallen zusammen- schössen, so entstand durch die induktive Begrifisbildung allmählich das zusammenfassende Wort Krystall; als Ur- sache von Krvstall konnte dann allgemein die Külte ange- nommen und bewiesen werden, wobei der direkte oder in- direkte Beweis immer nur ein Zurückblicken auf die Beobachtung war.

Ebenso musste seit Menschengedenken die Erscheinung des Blitzes beobachtet worden sein. Seine besondere Ur- sache erriet mau nicht; man schob <?ie also der weitesten aller Hy])othesen, dem Gotte, in seinen Wirkungskreis hin- ein. Als dann im 18. Jahrhundert die elektrischen Er- scheinungen genauer boobnrhtet wurden und zwischen ihnen und dem Blitze manche Aehnlichkeit auffiel, versuchte man es, mit dem Worte Elektnzitätserscheinungen den Blitz mit

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YL Di« Induktion.

zu umfassen und nannte diese Boobacbtung auch sofort einen Beweis. Wir werden gleick sehen, dass alle solche bewiesenen Erklärungen doch nur Hypothesen sind, und werden fragen, was da» in unserem Sinne bedeute. Geometri- Für musterhaft bewiesene Sätze, die also keine blossen Bawvto«. Hypothesen sind, gelten seit zweitausend Jahren die Lehr- sätze der Euklidischen Geometrie, wie sie noch heute in unseren Schulen gelehrt werden. In der Logik wird uns erzählt, da?!s diese Lehrsätze als neue Wahrheiten durch SchUls«!e aus ihren Prämissen heraus t^ezogen wurden. In der Tliat weiss der Anränger. dem man zum erstenmal ein Dreieck oder einen Kreis zeigt, noch nicht, dass die Summe der Dreieckswinkel zwei Rechte betrage, oder dass der Peri- pheriewinkel über einem Durchmesser ein rechter Winkel sei. Ueher die Logik hinaus scheinen solche Sätze ma- terielle Wahrheiten zu sein, die in den Begrilfeii Dreieck oder Kreis noch nicbt enthalten war^n und die erst be- wiesen werden müssen. Aber auch die Existenz des Blut- kreislaufs gehörte nicht zu dem Begriöe des Menschen, bevor ihn Harvey lieobachtet hatte. Die Funktion der Nerven und des Gehirns gehörte noch für Aristoteles nicht zu dem Begriff Mensch. Jetzt sind alle diese Dinge not- wendige Merkmale dieses Begritis und man würde doch einen Anatomen auslachen, der die Notwendigkeit der be-« obachteten anatomischen Merkmale in der Manier des Eu- klides beweisen wollte, wie es übrigens Aristoteles für die von ihm gekannten oder eingebildeten Eigenschaften des menschliehen Körpers oft wirklich gethan hat. Vielleicht wird man einmal autii Uber die musterhaften Beweise un- serer Geometrie zu lachen im stände sein, wenn die ana- lytische Geometrie dahin gelangen sollte, die Entstehung der Raumfiguren so deutlich zu machen, wie die Biologie die Entstehung der menschlichen Organe deutlich zu machen sucht.

Es geht also sogar bezüglich der geometrischen Be- weise der Zug der heutigen Forschung dahin, den Beweis durch Anschauung zu ersetzen, also es dlmniert die Er>

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Oeotaetrilcli« Bewoise.

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kcnutim, dass sogar uut" diesem unkörperliclieii Gebiete im Begriff schon der Scblns^ oder Beweis enthalten sei. Schopen- hauer hat den \'ersuch gemacht, den Pythagoreischen Lehr- satz anschaiüicher zu machen, als irgend ein Bewiis es vermochte. Die analytische Geometrie vollends macht für mathematische Augen alle Beweise des Euklides Oberflüssig.

Was all diese alten Bewi In. so todsiclier erscheinen Hess, so erhaben über andere Beweise von Erkliiruncrrn der Wh'klichkeitswelt , das scheint mir in einem be^ in(l* i . !i Umstände zu liegen. Darin uamlich, dass (iie ganze WLsseu- schaft der Geometrie nicht Begriffe zu erkliiren sucht, son- dern unmittelbare Erscheinungen. Die Geometrie ist eine vorsprachliche, vorbegrili'liche Wissenschaft: wohl iMiden wir zu praktischen Zwecken die Begriü'e oder Worte Kreis, Dreieck u. s. w.; die Geometrie aber hat es unmittelbar gar nicht mit diesen Begriffen zu thun , sondern jedesmal und ausschliesslich nur mit dem Sinneseiudiuck von einem Raum- gcbilde. Ohne ein Wort zu sprechen oder zu denken, kann ich eine Menge Eigenschaften des Kreises, des Dreiecks beobachten. Ohne Worte können darum viele Tiere die Geometrie sogar praktisch anwenden, wie die Bienen ihre regelmässigen sechseckigen Honigzellen bauen. Ein geo- metrischer Lehrsatz wird durch eine Zeichnung ohne Worte deutlicher als durch ^Vürte ohne Zeichnung. Die gesamte Geometrie sammelt eigentlich die Sinneseindrücke des Raums, ohne sie zu erklären, ohne sich um die Hypoth^e ihrer Wirk- lichkeit zu bekümmern. Sie erhebt sick nickt ftb«r ein Gekim, welches die FarbeneindrQcke auf der Netzkaut wakr- nekmen, yerkinden, benOtsen würdet okne äek um die Frage zu bekttmmem, ob diese Farbeneindrücke Ton einer Aussen* weit Terursadit seien. Oder nock besser; das geometriscke Auge siekt die RaumverklUtnisse so immittelbar, wie das Obr die Sckwingungsrerkiltoisse unmittelbar kört, wenn Musik gemackt wird. Darum ist auck die Musik eine Tor- spracklicke Kunst Okne Gedanken kann das matkematiacke Gekim geometriscke Vorstellungen Terbinden, okne Gedanken, das keisst okne Spracke, gemessen wir die Musik. Dass

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VJ. IHe Induktion.

wir die Tonverhältnisse mit Worten bezeichnen, dass wir die ^geometrischen Verhältnisse in eben so kUnstlieliLii Lehr- sätzen aussprechen und mitteilen können, das hat mit der Musik und mit dem Räume nichts zu thun.

Dieser Umstand hat aber die äusserst wichtige Folge, dass die geometrischen Verhältnisse ob wir sie nun an- schauen oder in Lehrsätze fassen nicht auf Hypothesen benihenf wie aUe diejenigen Sätze, welche den begrifflichen Wissenschaften angehören. Beweis« Wir haben also bisher gesehen, dass der Beweis nichts t^Mi ^^^^^ ^ als eine Schlussfolgerung mit einer besonders gerichteten Aufinorksamkeit; und wir haben weiter bemerkt^ dass namoiilich die mustergtlltigen Beweise der Geometrie darum so unantastbare Schlfisse sind, weil sie nicht sowohl Begriffe oder Worte, sondern geradezu die Anschauungen auseinander legen. Wenn wir nun an uns selber beobachten, dass uns diese Auseinanderlegungen von Anschauungen ▼ollkommen befriedigen, weshalb wir sie eben auch muster- hafte Beweise nennen, dass dagegen alle Beweise der be- grifflichen Wissenschaften irgend einen unbefriedigenden Punkt haben, so werden wir schon sprachlich auf die Ver- mutung geftlhrt werden, dass aUe begrifflichen Beweise unTollkommene Beweise smd, das heisst Hypothesen. Unsere Lehre vom Schluss aber wird durch diesen Umstand einer- seits bestätigt, wlUirend anderseits aus ihm hervorgeht, dass auch der Begriff Hypothese ftlr einen schärferen Blick nicht viel mehr ist als das Zugesföndnis, wie gering der Wert unserer Worte sei.

Wir gehen noch einmal davon aus, dass ein Beweis eine Schlussfolgerung sei mit besonderer Aufmerksamkeit darauf, ob der Zusammenhang mit der Wirklichkeit nicht verloren gegangen ist. Bei dem Vorgang der sogenannten Schlttssfolgerung besinnen wir uns auf ein näheres Merk- mal eines Begriffs, das wir dann unter dem Namen einer Prämisse su einem Urteil hreittreten. .Gelrorener Wasser- dunst ist Schnee; Kälte erzeugt gefrorenen Wasserdunst; also: ist die Kälte die Ursache des Schnees.* Fflr uns ist

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Beweise Hjpothesen.

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es ja geläufig geworden, dass dieser Schluss oder dieser Beweis zu unserem Begriffe Schnee nichts Neues hiuzu- trägt. Oberflüchlich betrachtet sind die Worte: Kälte, Wasser, Schnee auch vullkotanien sichere und klare Vor- sleilungeii. Achten wir aber darauf, dass insbesondere die Kälte etwas ist, wovon wir durchaus kein positives Merk- mal angeben können, so wird die Prämisse , Killte bringe das Wasser zum Gefrieren* sofort zu einer Hypothese.

Worin besteht das Wesen der Hypothese? Doch nur darin, dass wir eine Prämisse vorläufig ak richtig an- nehmen und sie so lange nicht verwerfen, als formale Schlüsse aus ihr unseren Wahrnehmungen der Wirklich- keitswelt nicht widersprechen. Nun aber wissen wir, dass auch die angeblich sicheren Prlmissen nur auseinander ge- legte Begriffe sind. Bei unserem Zweifel an der Festigkeit unserer Worte oder Begrififo werden wir nun gleich ver- muten, daas sich kein monger Begriff sni einer suTerlfissigen Flränusse auseinander legen lasse, daes in allen begrifflichen Wissensdiaften, also in der ganzen weiten Welt unseres Denkens t alle PrSmissen nur yorlftufigen Wert haben, dasa demnach alle aus ihnen gezogenen Beweise doch nur Hypo- thesen sein werden. Jedes Wort unserer Sprache entbfilt in seinen Merkmalen die Schlüsse, die aus ihm gesogen werden kannen; jedes Wort enthalt Beweise, Gesetae, jedes Wort enthält Hypothesen.

Für uns ist der Begriff der Eansalitftt oder der Ver- kettung von Ursache und Wirkung schon Ton früher her eine Hypothese gewesen; jetat müssen wir erkennen, dass jedes neue Wort, in welchem man die Ursache einer Reihe ▼on Erscheinungen auszusprechen sucht, nur eine Hypothese in zweiter Potenz sein kann. So ist es eine rein mensch- liche, eine vorlftufige Annahme, dasa das Gefrieren des Wassers die Wirkung tou etwas sei. Unter dieser Tor- läufigen Annahme ist dann wieder die Aufstellung desBe- grifis Kälte eine neue Hypothese, ja eigentlich schon fast eine Überwundene Hypothese, da in der positiTen Natura Wissenschaft ehrlicher Weise niemals Ton etwas anderem

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VI. Die Induktion.

die Rede sein dUrfte als Ton Wanne. Ebenso ist es eine Hypothese, den BUtx ak eine Wirkung aufzufassen. Und unter dieser Hypothese wieder ist die Hypothese Elektrizität nur ein Wort^ dessen Bedeutung gerade in unserer Zeit der NutEbarmachung ihrer Erscheinungen zu zerflattem beginnt. So betrachtet gewinnt der Unterschied swiachen der ver- achteten alten NaturwiBEWittchafli und der neman. einen selt- samen resignierten Ausdruck. Erklären wollte die Ersehet* nungenAristoteka ebenso gut wie Newton. IXeUeberzeugung, dass die Erscheinungen eine Erklärung lulassen, eine Ur- sache haben, ist ja eben die uralte Hypothese des ICenschen- geistes. Nur dass die alte Naturwissenschaft theologisch war, das heisst an Zwecknrsachen glaubte, das heisst die Ursache der Wirkung in die Zukunft verlegte; und dass die neue Naturwissensdiaft logisch geworden ist, das hdsst an reale Ursachen glaubt, das heisst die Ursache in die Vergangenheit verlegt Diese neuere Hypothese hat von unseren Kfipfen so unwiderstehlidi Besits genommen« dass wir die alte Hypothese der Teleologie eigentlich gar nicht mehr verständlich aussprechen können. Wir nennen die neue Hypotiiese geradezu das Gesetz der UrsächlichkMt und vergessen darüber ganz, dass der Begriff der Zweekursache (welcher dem der Ursächlichkeit widerspiicht) doch durch Jahrtausende bestanden hat und in der Volkssprache der optimistisch Glaubigm noch heute besteht. Der Unterschied also zwischen der alten und der neuen Weltanschauung oder Welterklärung besteht, wie wir schon aus dem Worte Weltanschauung hätten vermuten können, nur in emer Stim* mung, in einem Behagen unsere Geistes. Wir haben die Hypo- these der Zweckursachen aufgegeben, weil unser Forsehungs- trieb bei diesen Zwecken, Absiditen unbekannter Wesen, keinen Ruhepunkt fand; wir halten uns jetzt an die Real- ursachen, wen wir fdr ihre unbekannten Träger Worte haben, weil uns diese Worte bekannt Schemen und weil wir uns darum bei ihnen beruhigen. Die beiden uralten Schicksalsfragen des auf der Erde wandelnden Menschen lauten heute wie einst: Woher? Wohin? Das Christentum

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BeweiM Qjp«tii6MB.

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nihte von der ewig unfruchtbaren Marter des Wob er eine Weile beim Wohin aus. Wir sind der ewig unfnichtbaren Marter des Wohin müde und f^lauhen beim Woher auszu- ruhen. Wir sind wie Wanderer, die einen unein iiichen Berg- weg emporschreiten, lange nach dem Gipfel gespäht haben und dann wieder einmal zur Abwechslung zurückblicken. Das Ausruhen dieses BUoks, dieses Augenblicks nennen wir unser Wissen.

Ich bin aber weit davon entfernt, um dieses Zweifels willen alle mögliehen und unmöglichen Hypothesen der ^^*elterk^a^ung für gleichwertig zu halten. Ich bin weit davon entfernt zu glauben , dass unsere Naturwissenschaft z. i>. ohne Belbstvemichtung zur alten Teleologie zurück- kehren konnte, oder da'^« noch nur eine?^i niodernen Ge- lehrten mit Recht Duldung gepredigt wpnlt ü könnte gegen die Meinungen der Vorfahren. Die HvjKjthese von dem Stillstand der Erde ist endgilUig aligethan durch die Hypo- these unseres Sonnensystems. Die Hypothese von der Strah- lung des Lichts ist endgültig abgethan durch die Wellen- hypothese. Die Teleologie ist endgültig abgethan durch die Ursächlichkeit. Insbesondere ist die bcwuiidernswerte Hypothese Newtons, die von der Gravitation, eine unend- lich })enihigende Zusammenfassung unzähliger rätaelliafter Erscheinungen. In dem Selbstgefühl seiner ungeheuren üeistesthat durfte Newton wohl die von ihm gestürzten Theorien als falsche Hypothesen verachten und stolz von sich selber sagen, er erfinde keine Hypothesen (hypotheses non finge). Er brauchte, wenn er sich mit der Ge.schichte der Wissenschaft verglich, nicht bescheiden zu sein. Nur der Blick auf den Grad der menschlichen Erkenntnisfähig- keit filhrt zu der bescheidenen Klage, dass auch die Gravi- tation nur eine Hypothese sein könne, ein vorläufiges Wort. Nur die Einsicht in das Wesen der menschlichen Sprache kann zu dieser letzten Resignation fuhren. Und in Ver- bindung damit ahnen wir, dass der uralte Gegensatz zwi- schen dem Yorwiirte* und Rückw'drtsblicken, zwischen den Wohinfhigem und den Woherfragern auf der Schwache Mftnthner, BciMf» n «taar Kritik dar Spiwbt. m. 8S

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VI. Die iBdaktion.

des menschlichen Dt'iikwerkz* uii;ei5 beruhe, weil wir ja doch nicht einmal wissen, was das Wort Zeit uns bedeute, deren Inhalt wir nach Woher und Wohin auseinanderlegen, ▲ach dio Dass jedes Wort der MitMiscliiu hen Sprache nur eine ^^[|^* vorläufige Hypotluv^'^ enthalte, diese dä.mmemde Walnlirit tiiMen. wird uns vielleicht l'assiicher erscheinen, wenn wir hedenkeu, dass jedes Wort einen engeren oder weiteren Artbei^nif darstellt und dass durch Jahrtausende der Streit darüber nicht aufhörte, was diese Artbegritle eigentlich seien. Für Ideen der Wirklichkeit hat Piaton die Worte oder Art- bep^ffe ausgegeben und die ganze christliche Zeit des Mittel- alters führte den verzweifelten Kampf über die Frage, ob diese Ideen oder Worte den Erscheinungen der Wirklichkeit irgendwo vorausgingen oder im Menschengehim erst folgten. Der Streit also des mittelalterlichen Wortrealismus und Nominalismus ist wieder nur der Gegensatz des W^ohiu und Woher. Wir haben die Hypothese des Realismus der Ideen aufgegeben und leben unter dem beherrschenden Gedanken des Nomiualismus. Wird der Realismus der Ideen niemals wiederkehren ?

Es liegt mir himmelfern, die Ideen des Plat^jn oder die Teleolügie des Aristoteles unserem Norainalismus , unserer Ursächlichkeit als gleichwertig gegenüberstellen zu wollen; das wäre nicht mehr Zweifel, das wäre ein thatsUchlicher Rückschritt, als ob die Menschheit auf den Gebrauch des Feuers verzichten wollte, weil sie einmal ohne Feuer lebte. Aber auch die herrschende Ueberzeugung unserer Zeit, auch Nominalismus und Ursächlichkeit erscheinen mir doch nur als Torl&ufige Hypothesen, und hei der Wendung des spiral- fSBrm^en Weges wird die Hypothese des Realismus der Ideen wieder einmal auf einer höheren Stufe aufbauchen.

Was ich bei diesen Worten denke, das kann ich nur durch em phantastisdies Bfld amdrQcken. Unsere Worte oder Artbegriffe, welche Flaton für die Ideen der ürschei- nungen erklärt hat, seheinen uns so surerlässig au sein, dass mancher den Kopf schfitteln mag, wenn er auch so handgreifliche Begriffe wie Erde, Wasser, Kiefer, Mensch

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Aofllh die Bcgriffo H^rpothesea.

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für Hypothesen halten soll. Wie aber, wenn wir uns einen (ieist vorstellten, ftVr den Millionen Jahre der Entwickeluug sind wie ein Tag? Wie, wenn vor den Augen dieses Geistes die Urstoffe der Welt sich in wenigen Stunden dieses Geistes gemächlich zu der Erdkugel I)alleu, glühen, erstarren, lebendig werden, erfrieren, zurückstürzen in die Sonne und sich in ilirei Glut neuerdings auflösen in die Urstoffe der Welt? Ist dann der Begriff Erde, der Name der Form eines flüchtigen Yiertelstündchens . auch noch mehr als ein luftiges Wort? Ist dann der Xiune Erde noch mehr als die Hypothese eines UebergangszuHtiindes der Urstoffe? Ist dann der Name Erde noch mehr als die Hypothese , sieden", die wir von einer Uebergangsform des Was- sers gebrauchen? Und ist der Begriff Wasser, das einst auf Erden nicht war und einst wieder nicht mehr sein wird, nicht ebenso eine Hypothese zur Beruhigung des be^ schaulichen Geistes, der die Erde entstehen und vergehen sieht, wie das Kind die Farben auf seiner Seifenblase, die schonen Farben, die doch gewiss Hypothesen sind? Und ist das Wort Kiefer, die während des kurzen ViertelstQnd- ehens des Erdendaseins einmal aus anderen Formen hervor- ging, wie eine Bisblume auf der Fensterscheibe einen neuen Kiystall ansetzt, ist die Kiefer mehr ab eine Hypothese? Und der Mensch? Was sich auf dieser Erdkruste loribbehid und krabbebd formte und wandelte, bis es einmal flüchtig so wurde, wie der beschauliche Geist seit einigen IGnuten Milliarde von Menschen sieht, ist er mehr als eine Hypo- these?

Nur freilich, dass diese Hypo&ese, die wir Mensch nennen, ein drolliges Organ unter seinem Schädel besitzt, das in den lotsten Sekunden des beschaulichen Weltengeistes dazu gelangt ist, selbst Hypothesen zu spinnen, in denen es den Weltengeist wieder zu erkennen glaubt. So spiegelt sich das Kind in der Seifenblase, die es selbst gemacht hat, und m'emand kann sagen, ob es mehr weiss von der Wirkliehkeitswelt als die Farben, an denen es sich freut.

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500 VII. Temuni teduüei der iadaktiTeii Wisiaiiaolttltoii.

yn. Tennlni tedinid 4er MnktlTeii WIsBensduifteii.

WlMwttl. „Beinahe jeder Fortschritt der Wissenschaft ist be- zeichnet durch die Neubildung oder Aneignung eines tech- nischen Ausdrucks. Die Umgangssprache hat in Jen meisten Fällen einen gewissen Grad von Schla£Qi«t und Zweideutig- keit, wie die Alltagskenntnis (common Imowledge) gew öhn- lieh etwas Vages und Unbestimmtes an ach bat. Diese Kenntnis beschäftigt gewöhnlich nicht ien Yeratand allein, sondern wendet skh mehr oder weniger an irgraid ein Interesse oder setzt die Phantasie in Bewegung; und so enthält die Unigangssprache, im Dienste snlrben Wissens immer eine Färbung des Interesses oder der Einbildungs- kraft. Doch sobald unsere Erkenntnis ganz ex^t und rein verstandesm'assig wird, verlangen wir eine ebenso exakte und verstandesmässige Sprache, eine Sprache, welche gleicher- weise Unklarheit und Phantastik, Unvollkommenheit und Ueberflüssigkeit ausschliesst, deren jedes Wort einen festen und streng abgegrenzten Gedanken mitteilen soll. Eine solche Sprache, die der Wissenschaft, entsteht durch den Gebrauch technischer Ausdi-ticke . . . der Fortschritt im Ge- brauche einer technischen wissenschaftlichen Sprache bietet unserer Beobachtung zwei verschiedene und aufeinander folgende Perioden; in der ersten wurden technische Aus- drücke gelegentlich p|:ebildet, wie sie sich zufällig darboten; dagegen wurde in der zweiten Periode eine technische S}>rachf absichtlich hergestellt mit einem bestimmten Vor- satz, mit lukksicht auf den Zusammenhang, mit der Aus- sicht auf die Herstellung eines Systems. Obgleich die ge- legentliche und die systematische Bildung von technischen Ausdrt!(ken durch ein bestimmtes Datum nicht geschieden werden können (denn zu allen Zeiten sind einzelne W^orte in einzelnen Wissenschaften unsystematisch irebildet worden), können wir doch die eine Periode die antike und die andere die moderne nennen."

Mit diesen Worten leitet Whewell in seiner »Philosophie

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WhewelL

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der indukÜTen Wiasauchaftoii* (XLVHI) seine Aphorismen Ober die wissenscliaftiiohe Spndie ein. Bevor ich einiges ans diesen ApboriBmen iniMieüe, wdche Tor nun mehr uIb fünfzig Jahren eine Befreiung von der toten Metaphysik des Aliertoms lAtten aabalinen können nnd welche jeden- falls Aensserungen eines ungewöhnlich freien englischen Kopfes waren, möchte ich an der Hand Ton desselben WheweU «Geschichte der indukÜTen Wissenschaften* zeigen, warum diese Entstehungsgeschichte einer wissenschaftlichen Sprache ihr Ziel rerfehlen mosste.

WheweU ging ron der frappierenden Beobachtung aus, dass grundlegende technische AusdrOcke der Qeometrie von der griechischen Umgangssprache hexgenommen waren. Das griechische Wort fUr Kngel, welches wir als »Sphäre* immer noch bentttsen, bedeutete nebenbei einen Spielball der Slinder, der Kegel oder Conus bezeichnete einen Kreisel, Gylinder eine Waise, Kubus war ebenso wie unser Würfel zugleich der technische Ausdruck der Geometrie und der für das bekannte Spielger&t. Wir lassen nun die Frage beiseite, ob in diesen besonderen FiUen die Geometrie ihre Ausdrucke Ton der Strasse aufgelesen, oder ob die Spiehseugindustrie sie Yon der Geometrie entlehnt habe« JedenfeDs dttifen wir die Ausnahmestellung der Mathematik nicht auf die anderen Wissenschaften fibertragen. Die Definition der Kugel und des Würfels ist seit drei Jahrtausenden um man<^e l&i- n^i und damit um manches Merkmal bereichert worden, aber die einfache Vorstellung ist heute dieselbe wie ror dreitausend Jahren, weil sie die YorsteUung von etwas Ein- fachem ist. Whewells Unterscheidung zwischen Umgangs- sprache und techmsoher Sprache trifft also für die Geo- metrie so ziemlich zu; schon in der Geschichte der Astronomie werden wir jedoch ein Schwanken von einem Sprachgebrauch zum andern wahrnehmen und die Wksenschsift Ton den Organismen hat es bis zur Stande zu einer Wissenschaft* liehen Terminologie nicht gebracht. Um ganz sicher zu gehoi, wollen whr das erste Beispiel nicht aus der Astro- nomie nehmen, welche ja der Mathematik zu nahe steht,

502 Vn. Termmi teehiüd der indukttfeii Wkmadaaiben.

und nicht aus dem Reich der Organismen, deren Definitioii wir nicht kennen. Wir wollen ein mittleres Reich aufsuchen und Umgangssprache und wissenschaftliche Sprache in der Sprachgeschichte der Chemie und Mineralogie verfolgen. UmMt. Die Chemie beschäftigt sich damit, die Körper in ihre Elemente aufzulösen. Nichts einfacher als dieser Sats; nur dass ich keinen Chemiker und keinen Philosophen zu nennen wOsstOi uns sagen könnte, was , auflösen" be- deute und was ein « Element" sei. Das Wort Element ist zu Anfang des 17. Jahrhunderts in unsere modernen Sprachen eingedrungen, als man die chemische Wissenschaft in mo- dernen Sprachen zu beschreiben anfing. Es wurde das Wort elementa aus dem Lateinischen herUbergeholt. Das Wort (eigentlich = »Buchstaben") hat eine wüste Geschichte. Heute noch wird gedächtnismässig nachgeplappert, dass Feuer, Wasser, Luit und Erde die vier Elemente seien oder einst dafür gegolten hätten. In Wirklichkeit hat niemals ein Grieche daran gedacht, die Körper wissenschaftlich oder im Labora- torium auf diese vier Elemente zurückzuführen. Es war bei den Griechen nur eine völlig unklare Voi"stellung, dass die Eigenschaften dieser vier weit verbreiteten Dinge zur Beschreibung der Welt genügten. Feuer, Wasser, Luft und Erde, deren chemische Eigenschaften mit Ausnahme der gröbsten den Griechen ganz unbekannt waren, bildeten für Aristoteles und darum für weitere zwei Jahrtausende eigent- lich nur bequeme Vergleichlingsobjekte. Man konnte von diesen vier Dingen berjueni Eigenschaftswörter bilden. So miichtig aljer \\ar dei- Sprachaberglaube, dass z. K. die Acrzte des Mittelalters auf Grund dieser vier Eigenschafts- wörter unzählige Menschen unibringen konnten, indem sie den Menschenleib feurig, wässrig u. s. w. nannten und nun nach dem Namen behaurlelten. Man wird es für einen Sclicrz halten, e^- i'-t alier genau dasselbe, wie wenn man einen Menschen durum erschiessien und Itraten wollte, weil er den Namen Hirsch trüge. Der ßegrili Element gehörte also im Grunde immer nur der wüstesten UmganL""^ ^]irachc an und es war ein Irrtum der Gelehrten, wenn sie mit dem

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VoimndfeBoliall.

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Worte eiTicn technischen Ausdruck zu Terbinden glaubton. Erat nach Ueberwindung des Altertums war eine WisMn* Schaft der Chemie möglich.

Wir machen einen gewaltigen Sprung bis zum Eode ver- des achtzehnten Jahrhunderts. Da finden wir plötzlich einen g^j,^ technischen Ausdruck vor, an dessen Wert die gegenwärtige Wissenschaft kaum zweifelt, die chemische Wahlverwandt- schaft. Goethe hat seinem Roman diesen Titel gegeben, weil er dfts Verhältnis seiner Menschen durch das chemische Bild gut darzustellen glauljte. Es sind zwei Menschenpaare gegeben, von denen Männlein und Weiblein einander kreuz- weise anziehen. Wer immer darüber nachgedacht hat, be- gnügte sich mit dem chemischen Bilde und setzte voraus, dass ,WahlverwmifU';rhnff * üi der Chemie ein ganz be- stimmter technischer Ausdruck '^pi. Nun aber liegt dem Begriffe der Wahlverwandtschaft nur eine, ich möchte sagen, plumpe Beobaclitung zu Grunde. Es war von jeher ge- sehen worden, dass zwischen chemischen Körperu Be- ziehungen bestehen, die ihre Verbindung beeinflussen. Noch zur Zeit von Newton nannte man diese Anziehung chemischer Körper genau so wie die müchanisch(» Anzif^hung Attrak- tion, wo in heiilen Fallen das Wort Attraktion ein höchst ungerniK'^ Bild hot. In der Mechanik ersetzte Newton das allzu poetische ßiid von einer Anziehung durch das engere Bild der Schwerkraft: in dt'r Chemie machte man bald darauf die Be(i})achtung, dass bei der Verbindung von zwei chemischen Kör])ern oft die Anziehung des einen in eine neue VerlMudung besonders heftig sei. GeoflEroy beschrieb diese Erscheinung erklärt ist sie bis zur Stunde nicht - und gebrauchte zuerst anstatt des Wortes ,elektive Attrak- tion" das Wort Affinität. Verwandtschalt (.1718).

Was ist also hier in sprachlicher Beziehung vor sich gegangen? Es ist auf eine mangelhaft beot)achtet^ Erschei- nung der Chemie ein Begriff aus dem Familienleben bildlich übertragen worden. Der Schüler, dem das Wort „chemische Verwandtschaft ** oder Wahlverwandtschaft zum erstenmal entgegentritt, empfindet bei einiger Intelligenz guuz gut, dass

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504 Termini technici der induküveu Wiaeenechalten.

maa ihm aiistail emor Definüsoii oder «Iner ErUirung nur eiae bttbsdie Yergleichung gegeben babe. Yerbuigt man Ton fhum technischen Ausdruck, dass er eine genau de* finierto Gruppe Ton Hrsehduungen sueammenfasse, so ist das Wort «Verwandtschaft* kein solcher tedmiseher Aus- druck. Im Augenblicke der Erlernung ist das auch gans klar. Ist der Sohffler aber inswisehen Chemiker geworden, hat er beim Worte Verwandtschaft Tevgessen, dass es sich nur um eine Yergleichung, nur um eine bildliche Anwen- dung handle, verwendet der Chemiker im Banne seines Berufeinterssses das Wort Verwandtschaft, so bildet er sich ein, daran einen technichen Ausdruck zu besitaeo.

Die technischen Ausdrücke bilden die engere Umgangs- sprache jeder Specialwiasenschaft. Der Fachmann operiert mit ihnen und ftbr ihn sind sie ebenso bequem und ebenso fehlerhaft wie die Alltagsworte in der allgemeinen Um- gangssprache es sind. Es mnss eine Zeit gegeben haben, in welcher AusdrQcke wie Luft und Feuer technische Worte leitgenässischer Gelehrter waren. v^tMT- Unter »Feuer* stellt sich der einfache Mann heute nodi etwas Tor, was brennbare Stoffe veniichtet, weil er von seinem Interesse aus den Zustand seines Hauses, seiner Kleider, seiner Vorrftte schwinden sieht. Diese populiro Anschauung war lange Zeit auch die wissenschaftliche. Man eiklarte die Verbrennung als das Ausscheiden des Ver- brennbaren, des Ffalogiston. Die Chemiker kannten damab schon einen gewissen Zusammenhang swischen der Orf- daiion und der Verbrennung. Sie erUftrten nur die Wieder- herstellung der Metslle aus ihren O^den durch den Hinzu- tritt des Phlogiston. Heute lehrt die Chemie, dass bei jeder Verbrennung Sauerstoff hinzutritt, dass das Produkt der Verbrennung demnach an Gewicht zugenommen hat» Die phlogistiscbe Theorie, die bis zum Ende des 18. Jahr^ hnnderls geltend war, lehrte also genau das Gegenteil von der Wshrheit. Man hatte i&r den guten Glauben in «Hilo- giston' einen besonderen tedinisdien Ausdruck erfimden; dieser gehörte der Umgangssprache des engsten Chemiker-

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Spraehe der Ghemie.

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kreises an. Einftn klaren Inhalt konnte er nicht haben, dft

er das Geironteil von der Wirklichkeit lehrte.

Als nun durch Priestlev und Lavoisier die neue Lehre Sprache begründet worilen war, dass die Verhrennunjt? nicht eine c^jm^g, WrnichtuDg, sondern eine sehr positive Verbindung mit dem SaucrstoflF sei, da hiessen die neuen Chemiker anfangs sehr charakteristisch die Antiphlogistiker. Dann aber überaahm LavoisifM- die grosse Arbeit, eine neue Nomenklatur zu schaäen ttlr die zahlreichen Stoffe, welche der Chemie be- kannt waren und welche jetzt, nach den neuesten Ent- deckungen, anders als l)islier geordnet werden konnten. Diese Nomenklatur hat ^n-h in ihren äussern Umrissen bis zur Gegenwart erhalten un l Iv inn jetzt, namentlich auf dem Gebiete der chemischen Grammatik, wie ich sagen möchte, als ein Musterbild technischer Ausdrücke gelten. Von Jahr- zehnt zu Jahrzehnt sind quantitative Bestimmungen iiinzu- getreten. welche den wissenschaftlichen Wert dieser Nomen- klatur zu erhöhen schienen. Ausserlialb dieser Klassitikation stehen über die Namen der Originalkcirper , welche man Elemente zu nennen pllegt. Die Namen dieser (gegen- wärtig ungefähr siebzig) Elementarsubstanzen sind lieiite noch so wenig kla.ssiti ziert, dass uralte histori.sche, poetische und beschreibende Namen durcheinander laufen, wobei die wissenschaftlichen Anschauungen verschiedener .iaht lumderte ihren Eintluss verraten. Ich erinnere nur an die Worte wie: Eisen, Gold; Sauerstoff; Jod, Arsen: Fbmr, Quecksilber, Kalium. Die neuesten Beobachtungen, durcli welche Men- delejew im stände war, sämtliche Elemente neu zu grup- pieren Uli i sogar die Entdeckung unbekannter Elemente vorauszusagen, lassen damut schliessen, dass die Nomen- klatur Lavoisiers nach Im ridertjähriger Geltung bald un- brauchbar geworden sein wird, dass man demnächst an die Schöpfung eines ganz neuen chemischen W()rterbuchs und einer verbesserten chemischen Grammatik wird gehen müssen.

Dabei hat die Chemie eine ganz ausgezeichnete Mittel- stellung zwischen den abstrakten Wissenschaften der Mathe- matik und Mechanik einerseits und der Naturbeschreibung

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506 Termini technici der indoktiTen Wiaaemchaiiea.

anderMüs. D«itE die Ghamk beadiiftigt sich mir mit km,- kreten Körpern, und es ist die Zahl dieser konkreten Edrper so gross sie aach sein mag doch durch die Möglichkeit der Blementrerbindungen heschrftiikt, eine EUKsifikatioii ist also je naeh Keuntais der Elemente gegeben. Ton unserem Standpunkt aus ist freilieh die Chemie am den scheinbar so sicheren Besüs nicht xu beneiden; denn wir sehen wie 2. B. das Wort , Metall* sieherlich ursprünglich ein techni* sdier Ausdruck in den modernen Sprachen bereitB ein Ausdruck der Umgangssprache geworden ist, der gewisse wohlbekannte Körper Ton einem gewissen Gewicht, einem gewissen Glanz und gewissen mechanischen Eigenschaften beieichnet, wir sehen wie die neuere Wissenschaft sich be- mttht, das alte Wort als teduischen Ausdruck aufrecht zu erhalten, wie sie in den Metallbegiiff die leichten Metalle, die Erdmetalle hineinzupressen sucht, wie sie im Gegen- satz dazu den undefinierbaren technichen Ausdruck Metalloide bildet und wie sie jetzt eben dabei ist, die alte Bezeichnung preiszugeben. Seit etwas ttber hundert Jahren hat die Chemie solche Fortschritte gemacht, dass das Feuer nichts Wirk- liches mehr ist, das Wasser die Verbindung zweier Luft- arteo, die Luft in Flüssigkeit yerwandelt werden kann und die Erden aus Metallen und Luft bestehen. Da mussten freilich auch alle Begriffe flttssig werden. Jede chemische Nomenklatur ist nichts weiter, als die Torl&ufige Anwendung einer neuen Hypothese auf die Klassifikation der Kdrper. Von der unhaltbaren Etymologie der alten technischen Aus- drucke soll gar nicht erst die Bede sein: wenn man Ton einer »sflssen Siure" sprechen kann, so beweist das nur, dsas «Säure* ein tedinischer Ausdruck geworden ist, der mit dem sauem Geschmacke nichts mehr zu schaffen hat. Nur dass die Erfindung jenes technischen Ausdrucks auf den saueren Gkschmack zurückging und dass die Gruppe der ffSfturra* immer unklarer und unsicherer wurde, frei- lich auch immer gelehrter, je weiter sie sich von dem Merkmale des sauem Geschmacks entfernte. Es ist nicht anders: die Klassifikation der natürlichen Kdrper nach ihren

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Ifiacnlogie.

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physischen Eigenschaften bereitet unttbersteigliche Schwierig- keiten; die geheime Zusammensetzung aber, welche eine natOrliche Klassifikation ermöglichen würde, werden wir audh nach Mendelejew nienuüs kennen lernen. Und wenn seine Reihe nach Atomgewichten deutlich wäre wie das Einmaleins, wir würden ja dennoch nicht wissen, was „Atom'' und was „Gewicht" bedeutet. Vielleicht ist Atom nur eine Gewichtseinheit, vielleicht ist Gewicht nur eine Funktion von Warme oder von Bewegung oder von Elek- tricität oder von Leben oder Ton wer weiss was. «Alles fliesst."

Die chemische Klassitikntion ist also wie jede andere Mine»«

nur der Vernich, die uns bekannten Aehnlichkeiten der natürlichen Kürj)er in unserem Kopfe übersichtlich zu ordnen. Was in der Wirklichkeit vorteilt, das ist jedesfalls etwas Andere«? als -was in unst rm Kojjfe vorgelit. Denn die Natur brauclit sieh nicht im mindesten um menschlirhes Interesse zu bekümmern, nirht einmal um unser mensrhiiches wissen- schaftliches Interesse, <his doch wieder nur ein Bequemlich- keitsinteresse des Gedächtnisses ist: der Mensch aber bat bewu«?st und unbewusst nur sich im Anu'f bei der Ordnung seiner Naturerkenntnis und weiss es nur für «rewrdmlich nicht, wie subjektiv seine berühmte olijcktive Wissenschaft ist. Ein 'starkes Beispiel dafür bietet die Existenz einer besonderen W issenschaft, die sicli Mineralogie nennt, neben der wissenschaftlichen Chemie. Beide Wissenschaften haben es, wenn man genau zusieht, mit den j^leiohen Körpern zu thun; beide wcdlen doch nur die Summe aller unorcranischen Naturk()rjier beschreiben und ordnen, welches Ordnen oline eine erklärende Hypothese nicht möglich ist. Dass eine Sammlung von Mineralien anders aussieht als eine Samm- lung von Chemikalien, beruht docii wohl nur auf dem ver- schiedenen Interesse der Sammler. Eine vollständige Mine- raliensammlung wäre identisch mit einer vollständigen Chemikaliensammlung. Der Umstand, dass manche un- organische Körper seltener v(ukommen als andere, dass manche in keinem natürlichen Laboratorium erzeugt werden.

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508 VII. Termini teehnioi d«r induktiven WiflBenMhaiten.

thut ja nichts zur Sache. Rechnet man doch zu den Mine- ralien die Stoüe, die im Ol'eii eines Vulkans entstehen. Und rechnet man doch ?a\ den Tieren die Tuubeuvarietäten, die durch künstliche Züchtung hervorgebracht worden sind. So mUsste denn eine natürliche Klassifikation der Mineralien identisch sein mit der natürlichen Klassifikation der Chemie.

Heute scheidet sich Mineralogie und Chemie so, dass die erste hauptsächlich Krystallographie ist, die zweite die Bestandteile der Körper untersucht. lieber kurz oder lang werden diese beiden Disziplinen zu einer einzigen Wissen- schaft zusammengehen müssen und weTin einmal zwischen Zusammensetzung und Krystalllorm regclmä.>;sige Gleiehun- gen aufgefunden sein werden, wird .sicherlich auch eine neue mineralogisch-chemische Sprache entstehen. Und vielleicht wird diese technische Sprache der Zukunil in einer noch späteren Zukunft in die Umgangssprache übergehen.

Dieses abwechsekide Borgrerhältnis zwischen techni- scher Sprache und Umgangssprache lasst sich bis in die ältesten Zeiten der Oesdiichte der Mmeralogie zurfickrer- folgen. Wenn Aristoteles etwa wie ein Dorfjunge unserer Zeit nur den Hauptuntorsoliied swisehen Steinen und Erzen aufstellte, so hatte ihm den Begriff der metallfülirenden Erse sidierlich die Technik der Metallarbdter geUeferi und die Kenntnis der Edekteine, des Statuemnateaials und der Töpfer- erden verdankte er offenbar anderen Handwerkern, die da- mals mehr als heute die Rohstoff» ihres Gewerbes kennen mussten. Es ist ersteunlich, wie viele Jahrhunderte sich die Welt mit diesen groben Eintoilungen begnügte.

Der intensive Bergbau war es, der dann immer wieder genauere und reichere Beobachtungen lieferte und eine technische Bergbausprache zur Folge hatte, die erst vor etwa hundert Jahren auf dem Wege Uber die technische Sprache der Wissenschaft tolwdse Qemeinsprache ge- worden ist.

KrystaUo» Dabei wurde der Wert der KrystaUform Abr eine BSassi- fikation der Mineralien ttbersehen. Das Vorkommen von kurios und regehnfissig geformten, durchsichtigen Mineralien

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KiTitellogiapUe.

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war natüiiich niemals übersehen worden. Die Griechen hatten sich dafür eine fabelnde Hypothese zurechtgemaclit un<I selbstverständlich nach dieser Hypothese Worte gebildet. Diese eckigen und durchsichtigen Mineralien erklärten sie für ein durch himmlisches Feuer besonders fest gewordenes Eis, die schönen, ^^Tlsse^hcllen Krystalle des Quarzes nannten sie also einfach Ii ilt* is. Krystallos hiess auf Griechisch Eis; so entstand das VV ort, von dem heute die Klassifikation aller Mineralien hergenotnmen wird. Und ich zweifle nicht daran, dass die alte Fnbcl vom Eise noch heute dahinter steckt, wenn man scheinbar technisch aber vollkommen un- klar von dem Wasser der Diamanten redet. Vielleicht liefert jemand die Geschichte dieses Begriffs.

Das Vorkommen von Krystalleu war also von jeher beobachtet worden , nicht aber die Regehnässigkeit der Formen und darum nicht ihr Wert für die Einteilung. Die Beobachtung musste er.st genauer werden, mau musste erst die Neigungswinkel der Krystallflächen messen lernen, bevor man die andere Beobachtung machen konnte , was eigent- lich das Unveränderliche in den veränderlichen Krystail- formen des gleichen Körpers sei. Daher kam es, dass nicht nur der kühne und gelehrte Caesalpinus (im IG. Jahrhundert) sagen kounte: „Leblosen Körpern eine bestimmte unver- änderliche Gestalt zuzuschreiben, scheint mit der Vernunft nicht übereinstimmend zu sein, denn es ist das Geschäft der Organisation bestimmte Gestalten su «raeugen;** ja selbst noch Bttffott leugnete den konstanten Gliankto: der Krystalle und erklärte ihre Gestalten für sweideutiger als irgend ein andres Eennzdehen der üniersehetdting von Ifineralien. Erst der grosse NomenUator der Botanik, erst Linn^ kam mit Bewusstsein auf den Gedanken, dass man die Kiyatall- formen zw Klassifikation der Mineralien bentttien könnte, so wie er die lange Tor ihm entdeckten (^eeohlechtrtdle der Pflanzen zur Klassifikation dieser Organismen benUtat hatte. Wire Idnn4 ein modernerer Katurphilosoph gewesen, er lültte vieUeicht zwiachen der Krystallisation und dem Ge- schlechtsleben Aehnlichkeiten gesucht und gefunden; ein

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510 VIl. Tennini tecbnici der mduktirexi WisaeiuchafteQ.

geistreicher Mann könnte sogar Beziehungen zwischen dem Geschlechtsleben und dem Dimorphismus der Krystalle suchen, um bald zu entdecken, dass er im besten Falle nur hUbsche Metaphern geredet hätte. Der nUchteme Linnd bildete sich auf seine Lehre von der krystalUnischen Klassifikation nicht viel ein. Lithologia mihi cristas non eriget, sagt er einmal; seine BeschMdenheü war nicht nnrü^tig, weil auch er noch weit entfiemt war von einer geometrisch genauen Be- obachtung der Krystalle , wdl er sich mit oberfllchHchen Aebnliclikeiten begnügte und z. B. den Alaun und den Diamant in eine und dieselbe Klasse einreihte. Erst gegen das Ende des 18. Jahrhunderts begann man regelmassig und pedantisch die Krystallwinkel zu messen und gelangte so zu der Ueberzeugung von der Besl&idigkeit der wesent- lichen Form. Eine ungeheuere alexandrinische Arbeit war vorher nötig gewesen. Noch 1808 konnte ein Franzose drei Quartbände allein über die Krjstslleracliräiungen eines ein* sigen Minerals, des Kalkspats, schreiben, wdl dieses Minersl gegen 60 verschiedene Gestalten und gegen 700 Abarten aufweist. Das Ende dieses ganzen Untersuchungseifers war, dasa die Krystallform als Grundlage einer neuen Klassi- fikation der Mineralien angenommen wurde, ohne dass über den innem Zusammenhang dar mineralogischen Form und der chemischen Zusammensetzung irgend etwas behauptet werden konnte. Nicht einmal zu einer eigentlichen Hypo- these kam es. Es war nur die Vermutung vorhanden, dass wohl ein Zusammenhang bestehen mOge* Man war sehr froh, als Mitscherlich (1822) den sogenannten Isomorphismua entdeckte; aber auch diese Beobaditung, dass nftmUdi ge* wisse Elemente in gleichen YerbindungMi die gleichen Formen annehmen, war mehr kurios ab erklärend.

Ein natOrliches mineralogisckes System ist darum bis zum heutigen Tage nicht vorhanden. Auf Ghrund der krystal- linischen Vorarbeiten von Hauy und Werner liatte Mobs (1820) ein kOnstliehes System aufgestellt, aber selbst noch an der Möglichkeit eines natOrlichen verzweifelt; seitdem nähert man sick wieder einer mehr chemiseken Einteilung

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Boianüc

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der Mineralien. Aber die erwähnte SrlioiduDg in eine cberai- sclie und in eine mineralogische Wks.seiischaft ist schon ein äusseres Zeichen daflh-, dass selbst in diesen Köriiern der leblosen Natur ein auch nur annähernder Zusamuieuhang zwischen Stoff und Form noch nicht entdockt worden ist. Und so kann man wohl sagen, dass die technische Sprache der Mineralogie bis zur Stunde noch nicht einmal den Er- kenutniswert unserer Umgangssprache erreicht hat; erst wenn zwischen Chemie und Mineralogie durch eine brauch- bare Hypothese eine feste Brücke geschlagen wäre, erst dann hätte die technische Sprache der Mineralogie den so fragwürdigen Wert unserer Alltags worte.

Es ist nun sehr auffallend, d&sn die technische Sprache der Mineralogie noch hinter der der Botanik zurücksteht. Die Thatsache .selbst äu.ssert sich z. B. darin , dass es seit hundert Jahren die Sehnsucht der Mineralogen ist, eine solche Nomenklatur zu erreichen, wie sie die Botaniker seit Linn^ besitzen, und dass die Namen der wissenschaftlichen Botanik, wenn auch nicht systematisch, sondern mehr nach dem Zufall der Mode und des Nutzens, Gemeingut jedes Gärtnergehilfen und jedes Gärtnereibesitzers geworden sind, wihroKl hSchstenfl die chonisclieii NomenkUturen, niefat aber die minenlogiselieii, dnreh Droguenkandlimgen ab mid in in die Gemeinspradie eindringen. Diese Thatsaebe isl; darum aufÜillend, winl naeb d«*landlftufigen Weltansehanung die imorgaiiiscbe Welt 80?iel leicbter au begreifen ist als die organiscbe. Wir freilich wieaen, da» die Erscbdnungen dea Lebens um nichts riltaelToUer sind als z. B. die physi- kalischen Erscheinungen des Stesses, wir wissen, dass die Uechamk der Natur im Fortgang der menschliehen Er- kenntnis noch schwerer erU&rbar sein wird als die Organi- sationen; wir werden uns also Über die bessere Nomenklatur der Botanik nicht wundem.

Es kommt noch eins dasu, um das Pflanienreich leichter Bottafk. Uassiftderen su lassen ab das Mineralreich. Bei den Pflanzen wird das unbekannte natOrliche Systinn auf aUe FSlle em- facher sein als es das ebenso unbekannte natOrliche System

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512 Tenoini technici der induktiven Wi»ensohaften.

der Mineralien ist. Es ist charakteristisch für das Oe- schlechtsleben der Pflanzen wie der Tiere, dass nur Imli- vidueii von grosser Aehnlicbkeit (von der gleichen -Art'') sich fruchtbar miteinander verl^inden können. Wir können auch in unsuren botanischen Gärten eine Kombination von Vergissmeinnicht und Eiche nicht herstellen. Das Geschlerhts- leben der Mineralien wenn ich so sagen kann ist unendlich freier. Es scheint beinahe, als ob zwischen den Elementen in der Wirklichkeit so viele Kombinationen mög- lich wären, als auf dem Papier mathematisch ihrer aus- gerechnet werden können. Und da die Worte nur Erinne- rungen an die Wirklichkeit sind, so muss die Sprache den Zufallserscheinungen der Mineralogie hilfloser gegenüber- stehen, als den von der Natur besser geordneten Zufalls- erscheinungen der Botanik. Auch ist das Eindringen dar Botanik in das Interesse und damit in die Sprache der Menachm frlllier aimwetKiHi als das Eindringen der Ene und Steine. Hbsbr muaston die Mensdien, lange bevor sie sich Werkaeuge schufen. Trotadem haben wir auch an der techniscben Sprache der Botanik einen Schata von sehr aweifelhaftem Werte. Eine Geschichte der botanischen Aus- drucke w&re ein grosser und hübsdier Beitrag zur Geschichte des Menschengeistes. jKy- Die naive Art antiken FabuHerens ist allerdings flber- intiM*. ^yQ^oQ £^ äusserstes Beispiel solchen unwissenschaft- lichen Denkens mag uns die griechische Legende Ton der Entstehung der Hjaainthe sein ; Legende und Naturgeschichte Termochten die Griechen ja doch noch nicht Toneinander zu trennen.

Lrgend eine uns unauffindbare Volksetymologie mag den Kamen dieser Blume und den Namen des griechischen Allerseelen-Festes, der Hyakinthien, in Yerbindung gebracht haben; und wie wir im Schlafe einen Sinneseindruck zu einem Traum ausgestalten, so bildeten wohl die Griechen aus Volksetymologien nnd Zufallsbeobachtungen ihre Legen- den, Sie sah^ in den Blumenblittem der Hyazinthe die Buchstaben A I, welche zusammen im Griechischen den

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Botanische Klassifikation.

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gewöhnlichsten Ausruf des Schmenes wiedei^eben. Daraus wurde eine ganze Geschichte. Der Sonnengott des Festes der Hyakmthien wurde mit der Blume in persönliche Ver- bindung gebracht. Hjakinthos, nalfflrlieh ein EOnigssohn, war der liebling Apollons. Bdm S^piele wird Hjakintlioa getötet, er stirbt mit dem griechischen Schmerzensmf ai auf den läppen nnd aus seinem Blute ISsst Apollon die Blume henrorsprieesfliit welche diese Inteijektion f&r griechi- sdie Ai^n xeigt. Man denke sich, dass unser Tolk den- jenigen unter den Fuchsschmetterlingen, welcher auf der Unterseite seiner Flttgel gani deutlich die Figur eines kleinen deutschen Fraktnr-c bildet, in ähnlicher Weise entstehen Hesse. Geradezu abgeschmackt wird die Geschichte, wenn ein lateinischer Dichter sie iu seiner Sprache Tortrigt, wah- rend doch in der lateinischen Sprache der Schmensensruf ai unbekannt ist. Solche Albernheiten finden sich hftuiig in Ovids «Metamorphosen*, von denen seltsam genug die Anf&nge der modernen Pflansenmorphologie ihren Namen genommen haben.

Es dflnkt uns ungeheuerlich, solchen Fabeki in der Ge- notMd> schichte der technischen Ausdrücke zu begegnen. Und doch war das alles, solange man an die Fabeln glaubte, nicht skatton. anders als manche andere Nomenklatur der Botanik, die auf den Glauben alter Gelehrter und verbreiteter Volkstradi- tionen gegründet war. Was die Menschen interessierte, als Nahrungsmittel oder als Arzneipflanze, das wurde besonders benannt; und der Glaube an die Holkraft gewisse Pflanzen mag oft heute noch so legendarisch sein wie die Hyasmthen- fobel, die annahm, dass die Natur mit den zufftlligen Schrift- zeidien der zufftUigen griechischen Sprache operiere. War ' doch die Botanik in ihren Anfingen und noch weit ins Mittdaltor hinauf die griechische Bezeichnung für ein Krftuterbuch. Das Werk des Dioskorides, welches der Thor- heit mittelalterlicher Naturspekulanten flir das klassisdhe Werk der Botanik galt, beschrieb etwa sechshundert Nutz- pflanzen. An eine systematische Nomenklatur brauchte man bei solcher Armut nicht zu denken. Als aber nach don Maniliaer, B«ltxftc« sa «Ui«r Kritik dar Spiaeh«. m. 88

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5t4 VIL Termini tecbnici der iiiduktiven Wüäemchaften.

Wiedwenrachen der Wksensebftfteii sehlksslidi viele Tsu- aende Yon Pflaiiaen l>eobaelitel und besehrieben waran, wurde die Menge der Namen unbequem. Es gehört svm Weeen der SfKrachef durch ganemsame BeMidmung ahnlwher Er- innerungen du Gedftehinis lu enfksten. Eine Kksdfikaik» der Pflanzen wurde wQnschenswert Aber auch damak noch, im 16. Jahrhundert, waren eineneits immer nur die wiridichea oder vermeinilicben NutEpflaaaen beobachtet werden und anderNihB seheiterte die Beschreibung an dem Mangel dessen, was ich wieder, wie bei der Chemie, die Ghwnmatik der Wissenschaft nennen m<klite. Beisfnelswdse waren die Beceichnungen «gesftgt*, »gesahnt*, «gekerivt*, agewimpert* u. s. w. fbr die Formen der Blattnader nodi nicht ▼orhanden, weil die ihnliohen Formen eben noeh nicht ▼eiglichen waren. Es fehlten die Worte, weil die Anfme^- samkeit gefehlt hatte. Die Einteilungen der Fflaaaen, die aus ahen Zeiten herrOhren, erscheinen uns hindiseh; so wenn der Klassiker IKoskorides seine sechshundett Pflanaen in aromatische, emfthrende und wdneraeugende untsfechieden hatte. Wir llcheln darüber; wir liehein aber nicht, wenn wir selbst immer noch nach den elementarsten Gesiehtfr- ponkten von Btamen, Strftuchem und Kräutern reden.

Als nun die unObersehbar werdende Menge der be- kannten Pflansen eine Einteilung in Arten und Unterarten notwendig machte, da geschah was immer geschieht: das Bedürfnis nach einer Stütze des Gedächtnisses war stärker als das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Erkenntnis, und ein künstliches System war fertig, bevor man an ein natür- liches System auch nur denken konnte. Immerhin war es ein geistreicher Einfall dee schon genannten Caesalpinus, dass er zur Nomenklatur der Pflanzen eine der wichtigsten Fflaoienerscheinungen benützte, die Fruchtform* Das war bequem für das künstliche System, weil man je nach der Zahl des Samens und der Samenbehälter von Eins weiter Tordringen konnte ; es war auch erfreulich für die Sehnsucht nach einem natürlichen System, weil die Wichtigkeit der Frucht für die Pflanze auf der Hand lag. Die Einteüung

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Botanische KlaMükatio«.

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nach Samen und Samenbehftliern war doch ein Fortschritt gegen die alphabetische Anordnung. Was dem Caesalpmus vor seil webte, das ist heute noch das Ideal einer systemati- schen Pflanzennomenklatur: ein Einteilungsgrund, der ähn- liche Pflanzen unter einer gleich benannten Klasse Tereinigt. Und niemand scheint zu bemerken, wie dabei die wirkliche Natur der Sprache spottet. Denn wir kennen nicht das natürliche System der Pflanzen; und so ist uii.sei Kriterium daför, ob der Ein teil ungsgnmd gut gewählt war, immer wieder von eiuer laienhaften und naiven Vergleichung der Pflanzen abhängig.

Man kann fast jede wissenschaftliche Neuerung, die dann von der offiziösen Wissenschaft eine epochemachende Entdeckung genannt wird, besser verstehen, wenn man sie mehr als Sehnsucht denn als Erfüllung auffasst. Die neuen Antworten sind nur neue Fassangen der alten Frage. Die Hypothesen, welch« man für Bettungen ausgibt, sind nur Hilferui^. Auch die Elasnfikntlon des Caeealpinus war keine Hilfe, sondern mir ein Hilfernf. So vkltf Uühe man Ml aneh gab, es fehlte nach wie vor an einer technisdien Sprache der Botanik, die Pflaasenbeschrdbongen waren nn* TersttadUdi, weü jeder Botaniker seine eigene Sprache redete. So konnte es kommen, wie CnTier enlhlt, »daas es beinahe unmöglich geworden war, die Ton den Toren- gegangenen Botanikeni besprochenen 0ew8cfase wieder su erkennen, da dreissig oder vierzig Botaniker einer nnd der^ selben Pflanse ebenso viele verschiedene Namen beigelegt hatten*. Man achte dabei darauf, dasa damak alle Bota- niker der verschiedenen Linder lateinisch schrieben. Trota- dem gab es keine gemeinsaine botanische Sprache. Diese musste erst erfunden werden. Eine AuseinaDdersetiung Über die erwihnte Synonymik derPflaasen musste vorausgehen; sie ist 1G23 im Pinax thaatri botaaici erfolgt. Es ist ein Fall, der kaum seines gleichen hat in der Geschichte de^ Menschengeisfees. Wie nach der BibeUnShlnng der Kebe Gott dem Adam die Geschöpfe vorftthrte, damit er sie be- nenne, so einigten sich jetrt die Katarforscher daiflber, was

516 Termini iechnioi der uidukti?en Wi«ien8chaftea.

sie fortan imier bestimiiittta Namen Tentehen «dlteii. Es ist der Ursprung einer Sprache in historischer Zeit ubb«. JStwB hundert Jahre erst nach den Aufr&nmungsarbeiten dieser Sjuonjrmik konnte der berühmte Linn^ mit seiner neuen umfassenden Nomenldstur der Pflanzen henrortreten. Bis auf seine Zeit war die Sprache der Botanik eine Art isolierende Sprache gewesen. Und wie nur ein wenig in* teUigentes Volk bequem mit seiner isolierenden Sprache aus- kommt, wie dagegen a. B. die Chinesen EuBBtgriJFe es sind Kunstgriffe rom Standpunkt unserer Sprache an* wenden mttssen, um ihre viele Tausende von Begriffon den- noch Übernchtiich durch ihre isoliorende Sprache auszu- drucken, so war es notwendig geworden, die Unzahl von beobachteten Pflanzen endlich in eine systematische Sprache zu zwingen. Das Wesen unserer flektierenden Sprache be- steht doch darin, dass durch die Kombination von emer be- schrSnkten Anzahl Ton Stammsilben mit einer beschrinkten Anzahl Yon Bildungssilben eme ungeheuere Menge von ein- deutigen Ausdrucken zu stände kommt. Ich habe irgendwo gesagt, dass ein vollstibidiges Wdrterbuch der deutschen Sprache z. B. nidit nur das Verbum «blflhen*, sondern sämtliche Konjugationsfonnen des Wortes enthaltoi mUsste, ebenso sSmtl^e Casus des Wortes «Blttte*^, dimtliche formen des Partizips «blühend* u. s. w. u. s. w. Uns sind die Formen der Grammatik aber so gdftufig, die Analogie bebertacht uns so sehr, dass wir uns im Wörterbuche mit einor einzigen Form begnUgen. Anders steht es mit einem Wörterbuche der vorhandenen Pflanzen. Die Natur arbeitet nicht wie der Sprachgebrauch, der von jedem Verbum jede mögliche Form des Paradigmas im gegebenen Augenblicke bildet. Das Wörterbuch der Botanik ist etwa so wie ein SpezialWörterbuch des Homer, welches einzig und allein die bei Homer Torhandenen Wortformen aufnimmt, diese aber ▼oOstindig. Als nun Linne', mit dem erstaunhcben Fleisse eines unpbilosophiBchen Kopfes, daran ging« eine Nomen- klatur der Botanik zu schaffen, hatte er vorher die weit schwierigere Aufgabe zu bewältigen, fttr das neue Wörter^

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bucli ent eine Qrammatik su erfinden. Ist die tecbnisclie Sprache der Bol»mk dmreli ihn ent za einer flektierenden Sprache geworden, so musste er damit anfangen, die Endnngs- sEben selbst zu erfinden. Qanz ohne VolapQk konnte es dabei nicht abgehen. Dadurch unterscheidet sich ja die Entstehung der Sprache swischen den Menschen von der Erfindung der Sprache durch einen Einseben, dass ein Volk mit der Sprache seinen Kenntnissen oder Erinnerungen nach- hinkt, dass der Einiefaie gern sjstematisch vorgeht und fOr den künftigen Zuwachs an Beobachtungen Torans sorgen möchte.

Ein anderes kommt Unzu. Auch dem nüchternsten

Forscher drängt sich zwischen die Freude an der Be- schreibung die Sehnsucht nach einer Erklärung. Jeder Forscher ohne Ausnahme hält den neuen technischen Aus- druck, den er selbst fUr eine neue Beobachtung zuerst ein- geführt hat, bald nachher unfreiwillig für etwas wie eine Erklärung dieser Beobachtung. Könnte man mit seinen Gedanken Uber die gewohnte Sprncb«' Linausgeliinpen , so wUrde ich sagen: jeder neue technische Ausdruck sei eigent- lich nur beschreibend, nur ein Adjektiv; dass man ihn als Substantiv gebraiu'he, sei schon der Anfang seines Miss- brauchs. Die Menschensprache wäre philosophischer, wenn sie überhaupt keine Substantive bes'asse.

Linn^ hat, als er eine Grammatik und Lu<rik fDr seine Pflanzennomenklatur schuf, etwa tausend technische Aus- drücke teils besser definiert, teils neu aufgestellt. Es war. ihm klar, dass diese Adjektive nur zur Beschreibung der Pflanzenerscheinungen und nicht zur Erklärung des Pflanzen - lebons dienen konnten. Einen adjektivischen Sinn haben nicht nur die eben erwähnten Bezeichnungen für die Form der Blattrnnder , ?n?tfiem auch z. B. die substuntivischeti Ausdrücke für den Blütenstand. Der Vorgang im Kopfe Linne's war derselbe, wie wenn eiti Kinl sprechen lernt. Es fielen ihm AehnHchkeiten zwischen Bliiti nständen auf, die man vor ihm nicht so genau oder gar nicht beachtet hatte. Von der bekanntesten Blüte oder Frucht nahm er

518 Vn. Tennini teehmci der udnktiTeii WuMOMliftfton.

dann metaphorisch die I'e/.PK Imiing lür iihnliche Gebilde. Als er aber erst selbst die ik uen technischen Ausdrücke besass, war er doch wiedt r l'i ufigt, den Blutenstand für etwas 7'i halten, was dem Ptiaazeuleben wesentlich sei. Er vertit'l nicht in Abstrusitäten , wie das Mittehdt'^r sie liebte, weiches vielleicht von einer Doldität, Hispitüt und dergleichen gesprochen hatte. Aber Spuren einer solchen Selbsttäuschung finden sich dennoch in seinem Denken, in der Unklarheit darüVier, ob sein System ein natürliches oder ein künstliches sei. Hat er doch sogar (er war Arzt) die Krankheiten in ein System von Worten bringen wollen.

Trotadeni ist Linne' mit seiner Nomenklatur di i- Tflanzen vielleicht der grösste Sprachbildner geworden, den je gegelion hat. Nur darf man sein Ptlanzensystem mit semer neu» 11 Namengebung nicht verwechseln. Auch darf man nicht vergessen, d&f-s nicht die inneren Vorzüge feiner Namengebung so bewunderungswürdig sind, sondern dass der Erfolg sie erst brauchbar machte. Es war notwendig geworden, Ordnung zu schaffen, und da Linne im gegebenen Moment und mit ungeheurem Fleiss einen praktischen Weg einschlug, so wui de seine zunillige Nomenklatur eine Macht. Als vor etwa hundert Jahren die Regierungen aus polizei- lichen Gründen Ordnung in der Kenntnis ihrer Judenschaft herstellen wollten und darum den Juden auferlegten, sich einen Familiennaiucu und uazu einen Vornamen beizulegen, wie es bei anderen Leuten üblich geworden war, da entetand plötzlich in ähnlicher Weise eine neue Xomen- khitur; von dem Geschmack der Zeit und dem mehr oder weniger nationalen Standpunkt des einzelnen Hausvaters, auch von seinem Bildungsgrade hing es ab, ob er sich Moses Mendelssohn, Moses Tulpenthal oder Moses Pulver- bestandth(?ü neunte; auch die historischen und unjüdischen Namen Müller, Schmidt u. s. w. fehlten nicht. In der ge- waltigen NomenkJiLtur Linnes finden wir die Müller und die Schmidt, aber auch die Mendelssolin , die Tulpenthal und die Pulverbeatandtheil. Er hatte sich die polizeiliche Auf- gabe gestellt f jede einzelne Pflanze dadurch mit einem

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Eigennamen zu rerseben, daae er ihr einen Familiennam«i und einen Taofnamen beilegte, während frühere Botaniker die Urnen bekannten Pflanzen eigenilicli mit dem Namen mehr beadirieben als benannt hatten. Es gab Blumen, sit deren Benennung oder vielmehr Beschreibung früher bis zu aeben Worten gehört hatten; das waren beschreibende Worte der Umgangssprache. Linn^ setzte dafür einen Fa* roilien- und einen Taufnamen, schuf dadurch erat einen techniscben Ausdruck, der dann wieder mitunter in die Umgangssprache geriet. Es versteht sich von selbst, dass der ungeheure Erfolj^ der Linn^?'schen Nomenklatur nur relativ ZufallsRache war. Er war der weitaus grösst« Ken- ner und Sammler von Pflanzenarten und nahm daraus seine Autorität zu einer neuen Klassifikation. Üie neuen Namen selbst, insbesondere die Wahl der heute noch gültigen Tri- vialnanicn gingen aus seinem individuellen Geschmack her- vor, der nichts mit seiner Grelehrsamkeit zu thun hatte; die grösstc Eleganz seiner neuen botanischen Sprache bestand in ihrer Kürze.

Es besteht aber ein innerer Zusammenhang zwisehen der Nomenklatur Linnes und seinem berühmten Versuche emes k(5nstlicben Systems. Für das neue Wörterbuch der Pflan? II i rfiurhte > i » ine neue beschreibende »Sprache, eine Fülle ^iMi;ui (letiniertei Adjektive; als er nun dns Pflanzen- reich von oben nach unten in Klassen, Or(Jijiin;::jen . (Je- scUlecliter und Arten einteilte, brauchte er für dieses künst- liche System Einteilungsgründe, welche er doch unmöglich anders woher nehmen konnte, als von seiner neuen Gram- matik, von den adjektivischen Merkmalen. Ueberdies w llt i er nicht ein bloss künstliches System aufstellen , sondern womöglich mit dem künstlichen System das natürliche treiben. In seinem KojyU Nvar, was nicht erst bewiesen zu werden braucht, eine vo* läuiige Ordnung der ihm bekannten Pflanzen vorhanden, bevor er äusserlich Ordnung machte. Sein Ideal war ein natürliches System; instinktiv griff er nach demjenigen iius.^erlichen }\inteilunsrsgrunde, der der Entwickelung der Statur am näcii^ten zu liegen schien. Es

520 Vil. Temiai teehnioi der induktiveii WiweMchafteM.

lag auf der üand , dass ganz Unähnliches verbunden und höchst Aehnliches getrennt worden wäre, wenn er z. B, den Blütenstand oder die Form des Blattraudes zum Einteilungs- grunde genoniraen hätte. Wohl gemerkt: das war nicht etwa logisch zu erscUiessen, sondern nur an der Wirklich- keitswelt zu beohachten. Es liegt kein logischer Grund vor, we!?halb die Natur nicht verwandte Pflanzen mit gleich geformten Blattrandern liätte versehen sollen. Vor ihm hatte man die Pflanzenfrueht zum Einteilungsgrunde ge- nommen. Linn^ wählte äusserlicher und erfolgreicher die ziffermässigeu Unterschiede in den Zeugungsorganen. Zahl und Lage der Samenfäden und Samenwege waren für jeden Schulknaben leichter zu bemerken.

Die Klassifikation des iUlan.^enreichs war eine soge- nannte lojPfi.sche Arbeit. Wir werden aa unsere logischen Untersuchungen erinnert, an das Ergebnis, dass der Begriff bereits das Ihieil und den Schluss niitenthalt«, wenn wir sehen, wie Linnö sich abquält, neben seinem künstlichen System das natürliche System zu erkennen. Linne sagt ein- mal: .,Die nattirlichen Ordnungen können nur aus der Be- trachtung, nicht eines oder mehrerer, sondern nur aus der Betrachtung aller Teile einer Pflanze hervorgehen; die- selben Organe kdmien für einen Teil des Systems sehr wichtig und wieder für einen andern Teil ganz unwichtig aein; das Gesehlecht (Qenus) wird nicht von dem Cha- rakter, sondern der Charakter wird von dem Geschlecht bestimmt; der Charakter ist notwendige aber nicht um das Geschlecht su bestimmen, sondern nmr es zu erkennen/ Whewell tadelt daran, dass Linn^ sich demnacb bm der Aufstellung der Ordnungen auf eine Art vorläufigen In- stinktes Terlasse. Das ist ja aber das Wesen der Sprache, dass sie nichts benennen kann, was der Mensch nicJit Tor- her beobaditei und nadi Aehnlichkeiten Terglicben hat. Die AehnUehkeiten aber findet der menschliche Verstand immer nur nach seinem persönlichen Interesse und nicht objektir. Immer geht der Aufstellung eines Begrifls das instinktivo Vergleichen voraus. Ebenso hat die Sprache swischen Hund

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und Wolf unterschieden f mcht aber zwischen Mops und Windspiel, die sie beide zu dea Hunden rechnet. Linn^ hatte ganz recht, als er dem Unbewussten seinen Anteil gönnte. Und er ist der würdige Vorläufer Alexander toq Homboldts, wenn er sagt: «Die Eigensdiaft einer Pflanae lernt man auf einem geheinmisrollen Weo:e kennen. Ein erfahrener Botaniker wird auf den ersten Blick die f^fianzen der verschiedenen Weltteile unterscheiden , und doch wird er verlegen werden, wenn er uns die Mittel dieser Unter- scheidung angehen soll. So haben die afrikanischen Pflan- zen ich weiss nicht welchen traurigen, trockenen, finstern Anblick; die asiatischen scheinen etwas Stolzes und Hehres Xtt besitzen; die aus Amerika sdieinen weich und heiter zu sein, und die Alpenpflanzen haben in ihrem Wachstum etwas Hartes und Gehindertes. " Mau sieht deutlich: Linn^, der die beschreibenden technischen Namen der Pflanzenteile für Jahrhunderte hinaus geordnet und definiert hatte, besass noch keine Sprache, um den Charakter einer Pflanze zu be« schreiben. Ebenso gesteht Linn«? einmal brieflich, dass ^ ihm unmöglich sei, den Charakter der einzelnen Ordnungen an/.ugeben. Natürlich: benennen lässt sich nur, was man vorher beobachtet hat, und beobachten konnte man nur die brutalen Ziffern der Geschlechtsorgane.

Die ich möchte sagen weise ünkhirlieit Linnes bezüglicli des künstlirhpTi und natürlichen Systems äussert, sich in einem merkwürdigeu Gespräche, welches er 1771 mit einem Schüler führte. Dieser Schüler, Paul Dietrich Oisoke, nahm Anstoss daran, dass Linne eingestand, den Charakter seiner Pflanzf^nklassen nicht zu kennen und den- noch die Klassifikation vorgeuommen zu haben. Es ging dem ordniin<:>lirl)enden deutsehen Kopfe gegen den Strirli. dass eine (Jruppe ihren Namen von einem Merkmale be- kommt , (Ins sich mit dieser Gruppe nicht deck*«; wie das z. B. bei den Doldengewächsen der Fall ist. Der Altin» ister, so erzählt Giseke, hnhf dazu gelächelt und tjerntm, nicht auf den Namen, sondern auf die Natur der Dingi /.u achten. Das weitere Gespräch zeigt nun wirklich, dass der meta-

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522 ^n. Tennini tedinici d«r iDitdrtlfeii WuMnaehafteii.

pborisdie Nune Doldengewächfle niclit rwlit passen will,

weil es doldentragende Pflanzen gibt, die man aus anschau- liciiMi Gründen nicht zu dieser Gruppe rechnen könne. Und umgekehrt gehören zu ihr Pflanzen, die keine Dolde haben. Der ordnungsliebende Giseke wollte nun aus solchen Aus- nahmsfäUen neue Uebergangsgruppen gebildet wissen. Linn^ mag immer noch gelächelt haben, als er erwiderte: ^Ah, mein lieber Freund, der Uebergang von einer Ordnung zur andern ist ein Ding, und der Charakter einer Ordnung ist wieder ein und zwar ein «^anz anderes Ding. Den Ueber- gang kann ich wnhl an<(eben, aber der Charakter einer na* türlichen Grup])e kann von niemaml anf^egeben werden . . . Sie selbst oder ein anderer wird die Gründe für raeine na- türlichen OrdmnvLrf'71 schon finden, nach zwanzig oder viel- leicht nach fünfzig Jahren, und dann wird er auch wohl schrri. dass ich recht gehabt habe/ So finden wir m einem glücklich auf uns gekommenen Gespräche, wa^ üie in einem Lehrbuche zu flnden wäre: zugleich den Glauben an den Wert einer Klassifikation, das heisst t'inp< Sprachausschnitts, und die Ueberzeugunj^ vou der Unzulänglichkeit der Sprache und ihrer Worte. Kurz nachdem icli diese mj^rkwilrdige Aeusserung Linnes trelesen hatte, hatte ich die Freude eines sehr lehrreichen *i> -[»räches mit dem allen Virchow. Mit weit mehr historischem Sinn, als Linn^ ihn besitzen konnte, gab mir Virchow auf meine Frage ein Privatissimum über die Geschichte des Begriffs, den man im Altertum .Phlegma" nannte, der in der Neuzeit einmal Kolloid genannt worden ist und den er selbst ins (jriechische zurück übersetzte, als er ihn als Nervenglyon wieder in die Wissenschaft ein- führte. Auch er zuckte die Achseln und lächelte zustim- mend, als ich sagte, das sei ein Adjektiv, aber kein Sub- stantiv; aber auch er schien lächelnd zu hoffen, dass mau oder er uach zwanzig oder fünfzig Jahren wissen werde, was das Wesen des vou ihm vorläufig benannten Nerven- glyons eigentlich sei.

Dieses grosse Beispiel einer geschlos-senen Sprachgruppe, Linn^ Klassifikation der Pflanzen nämlich, ist ungemein

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bezeichnend für Wert und Unwert aller Sprache. Die französischen Naturforscher sträubten sich gegen die Kttnst*

lichkeit dieses Systems und auch unser Haller, weil er vor allem Physiologe war, wollte sieh die äusserlich beschrei- bende Sprache nicht aneignen. Dennoch drang sie durch. (Es ist lehrreich, dass der modernste Kopi der Zeit, dass Rousseau das Linne'sche System begeistert aufnahm. Frei- lich war Kousseau nebenbei ein arger Pedant, der mit unerbittlicher Konsequenz z. B. Notenköpfe abschaffte, wie Sf)äter sein Schüler Robespierre Menschenköpfe.) Man mache sich iinr einmal f^rn Wert einer solchen Klassifikation ganz klar. Für die Erkenntnis des Pflanzenlebens isf die Nomen- klatur nl^sol'it wertlos: denn niemals ist auf die durch einen Namen zusammengefasste Gruppe ein Verlass, solanirr» Hie Physiologie die natürliche Znsamraengehörij^'kpit nicht be- stätigt hat. Es kann höchstens die vorläufige Klassitikation, das heisst die Aehnlichkeit gewisser äusserer Teile dem PflanzenphysioloQ'on die nabeließ-ende Aufgabe stellen, nach der ra ixani^cli» 11 Aehnlichke it /.ii forschen. Dann hat aber nicht der iSanie oder das W ort die Frage (gestellt, sondern die wirkliche Aehnlichkeit der Teile. Sehr unbt-diutend ist auch der Wert der Klassifikation für das Gedächtnis des eiuzelnen Forschers; trifft er auf eine neue oder auf eine seltene Pflanze, so wird er allerdings sofort an eine Gruppe erinnert, der er sie vorläufig zuteilen mag, aber er hat von der Vermehrung der Zahl keinen Gewinn für seine Erkenntnis, weil er doch im Grunde nur das Wörterbuch vermehrt hat, den Zettelkasten seines Gedächtnisses, höchst wahrscheinlich sogar nur den realen Zettelkasten seiner Ar- beiisstube. Einen fassbaren Vorteil hat der Bau dieser Nomeäiklatur wirklich nur zwischen dfu Menschen, welche in diesem Falle Fachleute sind, so wie die Umgangssprache ihren Hauptwert zwischen den Mpuschcn eines Volkes hat. Die kün.siliihe Nomenklatur Linnes hat es ermöglicht, dass ein Botaniker jedesmal weiss, was gememt ist, wenn ein anderer Botaniker eine Pfiauze benennt und beschreibt; das ist alles.

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524 VIL Teraüiii techmci der indoktiTen Wiswucliafteii.

Zoologie. Die Physiologie, Aimtomie und Morphologie der Ftiau- zen hat seit Linn^ wie man so 5?agt ausserordentliche Fortschritte gemacht. Alles in allein hat man sein künst- liches System ausgebaut, sich einem natürlichen System aber durchaus nicht genähert. Soll icL »ias wenige, was ich von diesen Fortschritten weiss, zusammenfassen, so muss ich sagen: Arbeitsteilung und die Hilfe des Mikroskops hat eine Menge Dinge beobachten lassen , die früher unbeob- achtet gebhebeu waren; zu den tausend beschreibenden Worten Linnes sind viele andere getreten, aber auch ein neuer Linn^, der freilich not thäte, könnte nicht über eine neue künsÜiche, beschreibende Klassifikation hinaus gelangen. Zuletzt ist auch Physiologie der Pflanzen nur Pflanzen- besdireibung. Der Fortschritt dürfte am Ende aUer Enden darin bestehen, daes der alte Botaniker mit Hilfe der Ad* jekiiTe der ümgangsspradie beschrieb (mit den Worten für Farben, für Geraehe, fQr Geeehmfteke u. s. v.) und dass der Pflanzenphysiologe chemische Ausdrücke au Hilfe nimmt, die Torlftiifig nur der Umgangssprache der Fachmänner an- gehören. Auch in der Botanik ist gegenwärtig das yor^ läufig letateWort der Erkenntnis diejenige Selbettänschung, die wir als die Hypotiiese des Darwinismus kennen. Die klassifikatorische Nomenklatur der Tiere Termehrt unsere Kenntnisse nicht mehr, als es die technischen Ausdrucke der Botanik thun. Es ist jedoch beachtenswert, dass die Spedes Mensch zu den Tieren gehört, dasa also jeder For- scher seit der ältesten bis aur neuesten Zeit in seiner Menschen- eigenschaft ein persönliches Interesse an der Zoologie nahm. Von Hause aus kttmt der Mensch so weit er sich sdbst kennt die Organe und die Physiologie des Tiers besser, als die Organe und die Physiologie der Pflanze. So trat er besser ausgerüstet an das Tierreich heran, welches Übri- gens in seinen grössem Artoi wiederum schärfer die Auf- merksamkeit weckte, als die Pflanaenarten es scu thun Ter-» mochten. Löwe und Tiger unterscheiden sich aulfaUender als Buche und Eiche, Fisch und Vogel au^aUender als Moos und Gras. Der Mensch ist ja das Mass und danach

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Zoologie.

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der Naraengeber aller Dinge. Dem Masse liegt das Inter- esse zu Grunde. Das Interesse an der eigenen Herkimf);

bat in neuester Zeit die Hypothese des Darwinismus ver- breiten helfen; das Interesse am eigenen Leibe hat eine primitive Physiologie der Tiere schon in urältesten Zeiten entstehen lassen müssen. Die Geschlechtsorgane der Pflan- zen z. B, wurden erst vor einigen hundert Jahren entdeckt*); dass aber Menschen und y\c\e Tiere lebendige Jungen ge- bären, dass andere Tiere Eier legen, aus denen sich Junge entwickeln, das ist sicherlich eine Beobachtung, so alt wie die Sprache. So ist es zu erklären, dass schon Arisiotnles ungenau und konfus natürlich die Einteilungsgründe kennt . nach denen man noch heute die grossem und all- gemein bekannt( II Tiere klassifiziert.

An den einzelnen Klassen der Tiere lässt sich beob- achten — was mich zu weit lüliren würde , wie die be- schreibenden Adjektive, welche an der Pflanzenwelt erst durch Linne genügend definiert wurden, so zwar, dass sie in die Umgangssprache der Botaniker aufgenommen werden konnten, bezüglich der Tiere schon viel früher der Um-

*) Der Embryo der Pflanzen wurde erst im 17. Jahrhundert auf Onmd mikrookopiMlier Beobachtmigen mit der Leiboifiniclit der Tiere Tergfludieii. Die erste Folge war, dass die Entdecker des pflanzliches Embryos, nämlich Qrew und Malpighi, die technischen Ausdrücke der Geburtshelfer auf die Teile tier Pflanzenfrucht (lbertnij:»^en und ?.. B. Ton dem Mutterkuchen, der Nabelschnur, dem Amnion sprachen und die Samenlappen mit dem Dotter der Yogeleier verglichen. Die Tlial- Muthe, da« bei den Fianeen eine Befintehtnng efcattfiuid , war natttr- lieh schon den Alten nicht ganz unbekannt. Jeder Gärtner musste eine Ahnung davon haben. Aber das eigentliche Geschlecbtalebon der I'flan/en blieb so unerforsrdt nnd la^ dem christlichen Mi(t!»!;ilter 80 fem, dass wir einer Em^ahnung der Pflanzengetjchl echter zum eiataunal bei einem SchriftcfceUer dee 16. Jahilmnderte begegnen und zwar bei einem Dichter. H«n gkabt Hehirich Reine an leee», wenn man in einer lateinischen Dichtnng des Spaniers Jovianus Pontanna v^Ti dpr lAfltyi zweier Dattelpalmen liest, die fünfzehn Meilen von- einander eatlernt stehen. Sehr büb.^ch sagt der Dichter, die männ- liche Palme könne die weibliche erst befruchten, wenn beide einander erbUelRn, da» b«mt wenn ne an H5he die fibrigen Blome flberragen.

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Vll. Termini technici der iaduktiven Wistenacbaften.

gangs Sprache anji^ehörten. St. hon die Jäger und Fischer, die Fleischerkuechte und Opf'erpricster . welche den Ari- stoteles hei seiner ißfrossen Kompilation unterstüt2ten, waren auf die Zahl und Stellung der Zähne, auf Zahl und Stel- \ang der Flossen, auf den iunern Bau, das heisst auf Herz, Lunge, Leber, Gedärme u. s. w. aufmerksam geworden. Aber gerade durcli die vielseitigen Einzelbeobachtungen, durch die Ahnung natürlicher Verwandtschaften wurde die Einfuhrung zahlreicher Trivialnamen erleiditert, die Auf- stellung einer allgemeinen Klassiiikation erschwert, die für Menschenkenntnisse immer eine künstliche sein moss. Man möchte fast behaupten, das» das persdnüche Interesse des Menschen an dem Tierreich, dem er selbet zugehört, die nllchtenie iabellarische Benutnmg sifornisaiger Kintailnngs» gründe emhwert Die Pfluutti waren dem Menseheii Dinge, Objekte, fremde Körper, an denen er gerede so weit Anteil nahm, als notwendig ist, um sie seinem Qettehtnisse ein- prägen SU wollen, um sicli ihre Komenldatur su ordnen. Erst sehr spät erkannte der Mensch, dass auch die Pflanzen leMen. Die Tiere traten ihm sofort insofern als menschen- ähnliche Wesen entgegen, weil er ein ihm verwandtea Leben in ihnen sah und benannte. So dringte den Menschen sein Terwandtschaftliches Interesse am Tierreich Ton Anfang an zur Physiologie. Die Khissifikation ist Ton dw Botanik auf die Zoologie Übertragen worden, die Physiologie von der Zoologie auf die Botanik. Alle Nomenklatur kann nur beschreiben. Die technischen Ausdrücke der Botanik musa- ten Naturbeschreibung bleiben. An den Tieren beobachtete der Mensch Ton jeher sogenannte freiwillige Bewegungen, das heisst Aeusserungen, welche nach seinem Selhstbewusst- sein mit einem Willen, mit einer Absicht, mit einem Zwecke zusammenhingen. Es war dem Menschen darum natflriidi, den Organismus seines KOrpers und so jeden tierischen Or- ganismus lieber noch zu erUftren, als zu beschreiben. Die lltsste Physiologie, so falsch und so lacherlich mitunter ihre Beobachtimgen sind, sucht dennoch die Abeichten der Natur zu ihren falschen Bdiauptungen. Aristoteles «weiss*, warum

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Zoologie.

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das Gehirn blutleer ist, er , weiss", warum die eine Körper- hälf'te kälter ist als die andere. Und so tritt liülizcitig in der Geschichte der technischen Ausdrücke ein iiegriü ;iiif, den wir bis heute uiciiL los geworden sind: der ZweckbegnÜ. Will man diesen Beprilf ernst nehmen, so ist er ein meta- physischer Begriff. Vom ersten Anfang an war die Physio- logie, das heisst die Erklärung des Tierlebens metaphysisch, während die Naturbeschreibung der Mineralien und Pflanzen ursprünglich rein physisch war. Die Gesoliichte der tech- nischen Ausdrucke der Physiologie ist ein tmunterbrochener und nnbewusster Versuch, den metaphysischen Zweck ab eine physische Ursache zu verstehen. Der neueste und in uneem Augen glämeodste Yersuch kk der DarwiniimmB.

Das Besondere an den teehmschen Ausdrflcken der Physiologie hesteht mm daiin, dase in sehr vielen FSKen uralte Worte reiche und neue Bedeutung gewinnen, so wie die Beobachtung einer Funktion sich erweitert. Ich hin nicht ganz ehrlich, wenn ich das Wort Funktion gebrauche; denn ich meine eigmilich die Thiti(^eiten bestimmter Körperteile, welche wiederum erst Torgestellt werden können, wenn wir statt Thätigkeiten Aufgaben sagen, wie denn im Verbum ein Zweck Terboigen ist (Ol. 59). Da halten wir aber wieder an dem Flecke, Ton welchem aus Linn^ nicht weiter konnte, als er eingestand, den Charakter der Pflansengruppen nicht zu kennen. Von dem Charakter eines tierischen Organismus hat man von jeher eine Ahnung ge* habt. Von jeher empfiud man es als einen notwendigen Gedanken, dass der tierische Organismus eine Einheit sei, das heisst, dass die Thitigkeit aDer Organe einem gemein- samen Zwecke diene, das heisst, dass den Organen Auf- gaben zugewiesen seien. Meine Leser werden mir nach- fthlen, dass ich unter den »Aufgaben* der Organe nicht viel Deutlicheres Terstehen kann, als etwa die Griechen sich bei der Bntstehungsgeschichte der Hyanntfae dachten. Hinter An^ben müssen Befalle stedcen, also GOtter; auch der Darwinismus ist mit den Au^ben und Göttern nicht gans ibtig geworden, wie wir noch sehen werden.

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528 Termini technict der indukÜTen Wüsenschaften.

Ber Fortschritt in der phynologisehen ErkeimlDiB kann also ebenfalls nur in der beueni Beobachtung oder Be- schreibung bestellen. Die Griechen kannten selbstrentind- lieh das €^hini, die Muskeln, das Blut. Sur Gebrauch dieser technischen AusdrOcke ist uns aber trotz der Hand- greifliehkeit dieser Körper völlig unttbersetsbar, weil sie die Thätigkeiten von (Jehirn, Muskeln, Blut noch nicht be- obachtet hatten. Ihnen erschienen zwar die Leber oder die Nieren und gar das Hen bereits als Organ. Das Blut aber war ihnen ein Stoff, rielleicht ein Produkt wie der Harn. Als nun (1628) Harvey den Kreislauf des Blutes entdeckte, blieb der Ausdruck Blut in der Sprache erhalten, aber er wurde plötslich snr Beoeichnung eines Oigans. Jede mikro- skopische Untersuchung seit der Entdeckung des Kreislaufs / hat nun diesen technischen Ausdruck Tertodert. Das Organ «Blut* wird heute in ebensorielen Bflchem beschrieben als Aristoteles Worte brauchte; und wir halten die aus- führliche Beschreibung nach der Gewohnheit unseres Den- kem fftr eine Erkl&rung. Mwivitiip Whewell hoffte auf einen Newton der PhjBicdogie, der Mimt. Schwerkraft des Lebens dinieren werde. Der VeigleiGh ist fein, aber er spricht nicht für die Möglichkeit emer Naturerkenntnis. Die Thätigkeiten der tierischen Organe sind seit Whewell freilich der göttlichen Macht einer Lebens- kraft entzogen worden. Man hat, so wie Newton die all- gemeine Schwerkraft im Laufe der Gestirne ihfttig sah, in den Th&tigkeiten z. B. des Blutlaufs die bekannten physi- kalischen und chemischen Enicheinungen wiedergefundim, man hat femer elektrische Erscheinungen in Muskeln und Nerven mit Sicherheit beobachtet. Während aber der Be- griff Schwerkraft für Jahrhunderte zu einer Beruhigung des menschlichen Fragens führte, eben weil man diese Kraft so genau zu kennen glaubte, empfanden die Physiologen sehr bald wieder das Unzulängliche in der mecliunisehen Erklärung der Organismen. Die geistige Armut des Mate- rialismus Hess sie nicht zur Ruhe kommen. Und so ent- stand noch bei Lebzeiten des ebenso streitbaren wie ge-

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NeoTitaU«mua.

dankendachen Du Bois-Reymond (mit der Spitze ge^^en ihn) die neue Sekte, die das Wort Neovitalisnius aut- brachte. Die Herren Hindfleiscli und Ostwald haben voll- kommen recht mit ihrer Kritik des Begriffs Materie ; wenn sie aber glauben, die Erscheinungen des Lebens dadurch besser zu erklären, dass sie das unbrauchbare Wort Kraft (um nicht reaktionär zu erscheinen) mit Energie über- seteen, so reden sie Worte. Wären sie sich Ober den Kernpunkt der "Frage klar, mOssten sie der Lebre tob der GhraTitatiaii ebenso kritisdi entgegentreten, wie dem Mste- rialiimi». WSm diese Ktiker ErkennlmBilieoretiker ge- wesen, so bSIite sie ihre Untersncbung xunSchst su einer Kritik der teebnisdien Ausdrücke ihres Faches führen mOssen. Und besftssen wir von den besten Kt^pfen aller Wissenschaften je eine Kritik der Terminologie ihres Speiial* faches, so wäre dadurch langsam eine Kritik der Sprache angebahnt wwden, die auf umfassende Vorstudien sieh be- rufen könnte. Ein einzelner kann diese Rerision aller Wissenschaften unmöglich leisten, auch wenn ihm mehr Scharfsinn und mehr Kenntnisse zur Verfügung ständen als mir. Hier wie Uberall kann ich nur tastend Beispiele geben zu dem, was gründlicher zu leisten wäre.

So handelt es sich bei dem g^enwärtigen Kampfe der Phjsiologen wieder um Schlagworte, die TOn den Gegnern Yerschieden Tcrstanden werden. Die Begründer und An- hänger des Neoritalismus sind ganz gewiss ttber die neue- sten Materialisten, Uber die Lehrer der mechanischen Wärme- theorie und der Einheit der Naturkiäfte, hinausgegangen, fortschreitend nach ihrer eigenen Idee. Dennoch erschienen sie den Mechanisten insofern mit Beeht als Reaktionäre, als die geistige und politische Reaktion sich immer und überall jeder skeptischen Regung bemächtigt, um aus dem Be- kenntnis des Nichtwissens nichtswürdig, schamlos oder dumm, Kapital zu schlagen fttr den Glauben an die wohl gepfrOndete Staatsreligion. Diese Infamie darf uds aber Yon dem Bekenntnisse des Nichtwissens nicht abhalten; der Mut des Bdcomteisses wird dadurch nur noch grösser.

M anthnar, BdiMf« n «law Xiitili 4«r SptaelM. m.

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580 Temlm tednici d«r iadaUbeii Wiweauchaften.

Wie weit einzeliie Bakenner und Yerfecbter des KeoTÜft- lismus selbfli vom Oegner aller Wahrliaftiglroii bestochen sind, mag deren persönlidie Angelegenheit bleiben.

Auf dem gleichen Boden wie die Neovitalisten stehen die Neodarwinisten , welche gleiehlalls fllr Reaktionare gelten und dennoch kritisch Aber den Danrimsmiis hinaus- gelangt sind.

D»rwi- Wer sieh mit der Geschichte des Darwinismus ein- gehend befassen will, der wird lächelnd bemerken, wie seine technischen Ausdrücke schon lange vor ihm vor^ banden waren und eigentlich nur dadurch zu all^^emeinem Ansdien gelangten, dtuss Darwin selbst durch eine Fülle von Wirklichkeitsbeobachtungen Vorstellungsmaterial für diese technischen Ausdrücke beibrachte. Ich will die be- kannten Vorgänger Darwins nicht erst nenn^. Aber selbst bei Whewell ist ein Kapitel überschrieboi «das Problem von der Transmutation der Spezies", zwanzig Jahre vor dem Erscheinen des Darwinischen Werkes über die Ent- stehung der Arten. Die Erscheinungen der Vererbung und der Anpassung waren längst bekannt, und selbst die Zucht- wahl findet sich schon bei Geoflfroy Saint-Hilaire unter dem Namen der elektiven Affinität, welche freilich aus der Chemie herübergenommen war. Die wichtigste That Darwins end- lich, sein Kampf gegen die Vorstellungen der Teleologie findet sich bei diesem selben Geofifroy Saint-Hilaire viel schärfer und fester ausgesprochen. .,Je me garde de pr&ter ä Dien aucune intention" sagt er einmal; und zur selben Zeit wurde auch schon die Hypothese von der "Enb- stehung der Fiscbe , der Vogel und der Säugetiere (den Menschen eingeschlossen) aus kleinen gallertartigen Körj)ern in die Welt binausgeschickt. Man kann also sagen, dB>;s die (iesetze des Darwinismus schon ausgesprochen waren, dass aber noch ihr induktiver .Beweis* fehlte. Man kann das so sagen. Man wird aber richtiger etwa den folgenden Ausdruck wählen: es hätten schon vor Darwin einzelne un- genaue Beobachtungen zu vorläufigen technischen Ausdrücken geführt, die durch die reichereu Beobachtungen Darwins an

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DunriiliBBiia.

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lebhaftere Anschammgen geknüpft werden konnten. Es stimmt bedenklich gegen den bleibenden Wert der Darwini- schen Hypothese, dass die furchtbar schwierigen technischen Ausdrücke seiner neuen Lehre so rasch zu Worten der halb- gebildeten ümgaogsspraehe geworden sind. Es hängt das damit zusammen, 4as8 der Käme dieses Forschers selbst ein Wod: <ler Umgangssprache geworden ist, dass der Dar- winismus bekannter ist als seine Behauptuni^en : auf hundert Mensehen, die das Wort Darwinismus gebrauchen, kcnnrnt kaum einer, der seine Lehren kennt ; und es entspricht sehr gut dem Wesen der Sprache, dass das Wort Darwinismus metaphorisch zu einem Ausdruck für die Hypothese ge- worden ist, es stamme der Mensch vom Affen ab. In Deutsch- land findet man Darwins technische Ausdrücke in allen Romanen wieder. , Kampf ums Dasein" ist ein Modewort geworden und selbst die zurückhaltenden Franzosen haben das Wort struggleforlifeur in dem Sinn unseres Streber* aufgenommen. Es ist übrigens för den Umschwung der Weitanschanunp , in diesem Falle für die Geschichte des menschlichen Gewissens, beachtenswert, dass die Bezeich- nung Streber noch eine Missbilliguiip entliält, weiche in dem neuem struggleforlifeur geschwunden ist.

Der letzte Grund , weshalb die neuen Beobachtungen Darwins in technischen Ausdiück^'n festgehalten werden konnten, die so rasch in die Unigangssprache eindrineren, scheint mir ein sehr schönes und merkwürdiges Hii^^intl für die Rolle zu sein, welche die technisch, ii Aii>.drü(ko in der Geschichte der sogenannten Welterkenntnis spielen. Ich glaube nicht, dass diese verzweifelte Sackgasse schon gesehen worden ist.

Es dürfte niimh'ch zugestanden werden, dass der Dar- ^^ini-m^s erst möglich war, nachdtsm Lyell für die Ent- st( liunt; 1 r Erde ungemessene Zeiträume in Anspruch ge- noninieu hatte. Auch in anderer Beziehung führte die Geologie, welche ganze Schichten ausgestorbener Lebewesen nachwies. Schichten, in denen sich die gegenwärtigen Lebe- wesen nicht fanden, zu der Frage nach der Entstehung der

4S32 VIL Tenaini tMhniol cUtt induktiTMi WM6«Moh«ft«n.

gegeuwärtij^eii Arten. Gab es vor unserer Zeit ein andere Schöpfung, so entstand für den alten Glauben das Dilemma: entweder eine iitiihe von verscliiedenen göttlichen Schöpfungen a,\>n eine Vermehrung der Wunderverlegenheiten oder eine EntvvK luug der GcgeuwUrt aus der Vorzeit anzunehmen. Doch dat. neue Hilfsmittel war immer die Äusdelinung des Zeitraums der Entvrickelung. Hatte man einst geglaubt, ein Gott habe die Arten zu seiner Kurzweil geschaffen, so gelangte man jetzt zu einer ungüttlichen Entwickclung aus langer Weile. Ich muss an die.ser Stelle wiederholen, dass Darwin selb.st, als er mit jj:^ wältige r Arbeit die Met;i]ihysik der Physiologie auf die l'hysik der Ürsachen zurückzuführen sucbte, mit dem BegriÖ der Endursache nicht fertig ge- worden ist. Was einmal GeoftVoy Saint-Hilaire mit glän- zendem Spotte gegen die Teleologie von Cuvier, wenn ich nicht irre vorgebracht hat, das liesse sich ganz wunderhübsch noch heute gegen den im Darwinismus ver- steckten Schopfungsplan einwenden: «Bei so einer Art zu schliessen, wird man auch sagen können, wenn man einen Mann auf Krücken gehen sieht, dass er ursprünglich Yon der Natur dazu bestimmt gewesen sei^ eines seiner Beine gelähmt oder abgeschnitten zu erhalten.* Die Darwinisten vOrden freilich nicht mehr Ton einer KataHieetiminiuig, wohl aber Ton einer Anpassung reden, und mflsston kon- sequent in den Kjfleken einen Forlsdnitt sehen wie im Fahrrad.

Darwin ist sich niemals bewusst, dass er den Begriff der Endursache nicht flherwunden hat; er fjiaxbt ehriidi, dass er nur noch an des Spiel Ton Ursache und Wirkung glauht Wir wissen nun, dass das Spiel Ton Ursache und Wirkung nur ein abstrakter Ausdruck sei fttr den Begriff der Zdt, der Zeit, m welcher wir stehen und atmen, aus der wir komm«i und in die wir untertauchen, der Zeit, die uns nach wenigen Stunden oder Jahren t5ten wird, die für uns das einzig Wirkliche ist, und die wir dennoch nicht kennen. Es ist also gar nicht merkwOrdig, dass die von der Geologie geforderte Froheit im Zeitverbranch bei der

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Weiterklärimg zunächst darauf fahrte, die Endursachen zu Gmuten der Ursachen ahMshaffen zu wollen« Und da halten

wir wieder, von einem andern Wege kommend, bei der Kritik des Neovitalismus. Die blosse Negation aller Zwecke

Endursachen, die Negation aller progressiven Tendenzen und jedes Weltplans hätte naturgemäss zu keiner neuen Welt«rklärung geführt, sondern nur zu der verzweifelnden Resignation: da steht mir die Wirklichkeitswelt gegenüber mit Erscheinungen, in denen ich gewisse Aehnlichkeiten zu beobachten glaube und mir darum merken kann , da lasse ich die Wirklichkeiiswelt an mir vorübei^leiten, bin für ihr innerstes Wesen vielleicht sinnenloser als ein Magnetstein, und nenne die abrauschende Zeitfolge gern eine Kette von Ursachen und Wirkungen, ohne zu wissen, was eine Ur- sache, ohne zu wissen, was die Zeit sei ; nichts weiss ich von der Wirklichkeit'; weit, als dass sie ist, das heisst dass etwas auf meine zufälligen Sinne wirkt; nichts weiss ich von der Wirklichkeitswelt, als dass Erscheinungen auf Ei- scheniungen folgen; und nicht einmal das weiss ich, denn die Folge vollzieht sich in der Zeit, und auch die Zeit steckt vielleicht nur in meinem Kopfe. So spräche die Resignation. Denn die unendlidir Zeit, welche nach dem Dam im-^mus allein die Wirklichkeit erklären soll, ist seihst nur ein anderer technischer Ausdruck, ein mathematischer, für diese selbe Wirkhchkeit. Die Ursachen wirken, erzeugen Wir- kungen; die Gesamtheit dieser Kette ist füi- uns die Wirk- lichkeit oder die Zeit.

Und da setzt der kritische Neovit Lli^mus ein, wenn er die Entdeckung macht, dass das mathematische Zeichen der Wirklichkeit, dass die Zeit sich begrifflich gar nicht ge- brauchen läsüt, weil ihr Vorzeichen nicht umzukehren ist, weil eine nach rückwärts gehende Zeit sich höchstens denken aber nicht ausdenken lässt. Immer nur wiiil .lus dem Kinde ein Mann, nicht umgekehrt. Kein Wesen kann nach der Gebuii in den Mutterleib zurück. Und auch in dem Un- geheuern Laboratorium unseres Sonnensystems hat die Lehre von der Umwandlung der Naturkräfte ein Loch, weil die

534 VII. Temuni teohnici der indakfcivan WiaaenHchaften.

Wärme sich niemals nachweisbar in Arbeit umiormeu iasst, weil (las Weltall ungeheuere Suiamen von Wärme ver- schlingt. So tritt aus .!i III schleierhaften Bepriff der Ent- Wickelung die progressive Tendenz oder ein Schöptungsplan in neuer Maske hervor und dieser Hauptbegiiff der neuen Weltaii-sc Lauung erweist sich als unbrauchbar für die W issen- schai't und bleibt gerade gut genu^r, um als ScheidemQnze in der Umgangssprache abgegriffen zu werden.

Alle diese Beispiele zur Geschichte der technischen Sprache können uns davon tiberzeugen, dass der stolze Unter- schied, der heutzutage zwischen Naturwissenschaft und Naturbeschreibung gemacht wird, gar nicht besieht; man thäte gut daran, das alte Wort Naturbeschreibung bei- zubehalten und höchstens noch von ein wenig Natur- geschichte zu sprechen, da man doch auch die Schicksale von etwa hundert Geschlechtern der Menschen mit dem drolligen Namen Weltgeschichte zu bezeichnen liebt. Unsere Beispiele lehren aber weiter, wie viel oder wie wenig der grosse Gegensatz zwischen Umgangssprache und technischer Sprache eigentlich besagt. Wir kehren damit zu W^hewells Aphorismen über die Sprache der Wissenschaft zurück, zu den in Deutschland zu wenig bekannten Aphorismen, die er seiner Philosophie der induktiven Wissenschaften Toraus- geschickt hat Sein bleibendes Verdienst ist, dus er im 0eiste seiner Landsleute Baeoa und W31 olles aUelmte, was nicht aus unserer Erfahruiig stammt, dass er nach besten KiSilen die Ideologie des Mittelalters bek&mpfte, welche in Deutschland nach dem Eindrucke unserer wdt- berOhmten Philosophie unausrottbar scheint DMtMii« Wenn wir aber empfinden, dass unsere deutsche Philo* eopue. ^^P^^® ^ englischen stehe, so sind wir dam dennoch berechtigt. Der schöne Irrtum unserer Ideologen von Kant bis Schopenhauer bestand darin, dass sie ihre titanenhafte Sehnsucht nadh einer Vollendung der Welterkenntnis wirk- lich ftr eine Vermehrung der Erkenntnis hielten; es waren gewaltige Dichter, die im Lande ihrer Sehnsucht zu Hause waren, sich ihr Geftthl nicht rerwirren Heesen und irgend

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Deutflohe Philosophie.

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ein lenclitondes Bild, imter wclcbem sie sieh die WirUieli- keilBwelt symbolisierten, soliliessiieh für wahre WirUidikeit nalimen. Wie der junge Chemiker die Ifetapher Ton der WdhlTmrandtsdialfc erlernt, nm nachher die Metapher fltr eine genUgende ErldSrong zu halten, so ghrahten Hegel nnd Schopenhauer an ihre Metaphern Yoa der Begiiilsbewegang und Tom Willen. Wae der hunderijshrigen Herrschaft der deutschm Philosophie su Grande liegt, das ist die ganz richtige Ahnung, es sei der mensehliehe Verstand ein dummer Kerl und die Welterkenntnis mttsse sich über die Kennt- nisse des Verstandes erheben.

Biese Ahnung scheint dem englischen Nationalgeiste Tersagt zu sein. Der dumme Kerl Vorstand, der niemals Ober seinen engen Horizont hinausgeblickt hat, hält die paar Lappen seiner Kenntnisse ftr Erkenntnis. Die Eng- länder hoben die Arbeit Lockes nicht fortgesetzt. Sie sahen nicht, dass der Inhalt ihres berOhmten Verstandes nur das Wörterbuch und die Grammatik der menschlichen Sprache sei, und dass in der Sprache fttr immer und ewig nur Er- innerungen bewahrt, nicht Kenntnisse geformt werden können. Als Leibniz auf den Satz Ton Locke den Trumpf setzte, im Verstände sei ausser den Angaben der Sinne nichts «als der Verstand selbst*, da hielt man diesen Purzel- baum nicht nur in ganz Europa, sondern auch in England ftlr eine neue Idee. Man konnte wenigstens darüber streiten. Eine Kritik der Sprache blieb trotz Eant ein unbekannter Gedanke. Den Wert des blossen Versuchs, den ich unter- nommen habe, ersieht man an dieser Stelle wieder, wenn wir nun auf Grund unserer bisherigen Ergebnisse Lockes Satz betrachten. Der Verstand als abstrakte Obergottheit wird ftlr uns zu einem aberflüssigen Begriff, die Verstandes- krifte als Untergottheiten und falsche Götzen verlieren jede Bedeutung, und nichts bleibt übrig vom alten Inhalt des Verstandesbegriffs als eine a peu prfes geordnete Summe von Worten, das heisst als das an Worte gebundene Ge- dächtnis der Menschheit. T^nsere Sinne gar haben wir als Zufallssinne kennen gelernt als Zufallsbreschen, welche die

$36 VU. Tetmini toebnid der induktiven WuienMlinflan.

Wirklichkeitswelt in die zufällige Organisation des mensch- lichen Individuums gestossen hat; und wir haben keine Gewähr dafür, ob der Magneteisenstein mit seinem hochent- wickelten Sinn für die Elektricitat in seiner Art das Welt- geheimnis nicht besser miterlebe als wir es thun können mit unsern sehenden Augen und hörenden Ohren. So würde der Lockesche Satz, den ich so oft bemüht habe, in unserer Sprache endlich heissen: .Unser Gedächtnis entbrllt nichts, als was unsere armen Zufallssmne ihm geboten liahien." TMknl- Und nun frage man sich, was wohl von dem öegen- 'fWii^^ satze zwisclien der Umgangssprache und der technischen apnche. Sprache d^r Wissenschaften zu halten sei. Whewell legt in st'iti! ri A|ihünsmen grossen Wert darauf, dass Worte der III inSprache, wenn sie als technische Ausdrücke in die Wissenschaft eingeTührt wtlrden, G;f'ii;ai definiert und von jeder Zweideutigkeit befreit weidm nnissten. Die strenge Durchftlhrung dieser l 'egei hat seit emigen hundert Jahr^^n denn die Forderung ist älter als man glaubt zu einer teihveisen Jiefreiung der Naturbeschreibung von dem Wort- aberglauben des Altertums geführt. Doch zu einem brauch- baren Werkzeug der Erkenntnis kann auch der technische Ausdruck nicht werden.

Es hat Zeit genug gekostet, bevor einzelne scharldeii- kende Männer zu der Entdeckung kamen , dass die Worte der Umgangssprache durchaus nicht so klar und bestimmt seien, wie das gemeiuhin der redende Mensch wohl heute noch glaubt. Das Gefühl der Unzulan ghchkeit der Umgangs- sprache scheint mir (von Sokrates abgesehen) bei Descartes 7Aim erstenmal lebhaft aufzutreten. Das mag damit zu- sauiiin iiliilngeü, dass er zu den ersten Gelehrten gehört, die seiL tausend Jahren auch in ihrer Muttersprache schreiben. Seitdem hat sich mehr und mehr das Bedürfnis entwickelt, zwischen den Worten der Umgangssprache und den techni- schen Ausdrücken zu unterscliciden. Jede wissenschaftliche Disziplin besitzt ihre eigene technische Sprache, deren Ab- grenzung harte Arbeit gekostet hat, und so wird es allen Wissenschaften schwer fallen, zuzugestehen, dass auch der

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TaohiiiMiM und G«meiiupvftdie.

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techuische Ausdruck kein Werkzeug der Erkenntnis sein könne.

Wollen wir unsere Umschau über die technischen Aus- drücke der Erfahnmgswissenschaften ziisammenffissen , so müssen wir zu dem Bilde zurückkehren . das schon einmal in flieser Untersuchung gebraucht worden ist. Wir hahen gesehen, dass z. B. die Arten der BlOtenstande, die für uns zu Eintriluiigsgi ünden einer Pflanzenklassifikation werden, einen adjektivischen Charakter erhalten. Ich verweise dazu auf die Einsicht, welche unsere Kritik der Grammatik in das Wesen des Adjektivs gewährt. Und wenn wir dazu halten, dass alle unsere Naturerkenntnis Naturbeschreibung bleiben muss, dass das Gedächtnis der Menschheit oder die Sprache niemals über adjektivische Merkmale, das heisst ü})er bildliche Vergleichungen der Dinge hinausgelangen kann, so wird sirh schon theoretisch ergeben, wie auch der technische Ausdruck an denselben Mängeln leiden muss wie jedes Wort der Gemeinsprache. Wir haben iu anderem Ziisatnmenhange gesehen, wie aller Fortschritt des Menschen- geistes immer nur die H iulang genauerer Beobachtungen ist. Ob nun die genaueren Beobachtungen sich innerhalb einer gelehrten Disziplin wachsend weiter erben, wie t. B. die Beobachtungen des Mondes, oder ob sich die genaueren Beobachtungen innerhalb irgend einer Berufsklasse forterben, wie z. B. die genauere Beobachtung und Unterscheidung Weinsorten, es ist in beiden Fällen eine Grenze zwi- schen Umgangssprache und technischer Sprache nicht zu siehea. Man lasse sich nicht täuschen von dem Unter- scbiede an geistiger Arbeit, die hier oder dort su den Be- obaditiuigeii nötig war. Wir schüzen die BUdung des Astronomen, der den Hond genauer beobachtet und ge- messen hat ab alle seine Vorgänger, höher ein ab die des KeUmiebters, der jeden Wein einer Gegend nach Lage und Jahrgang zu unterscheiden Webs. Niemand wird die Sachkenntnb des EeUermebters emsthaft eine wissenschaft- liche Dissifklin nennen; aber wir müssen endlich einsehen, dass auch die genaueste Beobachtung des Höndes nur eine

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538 Tenniiii tedmioi der iodnktiTMi Wunenf^sften.

Beschreibung seiner adjektivischen Erscheinungen ist und dass in aller Zukunft die Beschreibung des Mondes nicht

vollendet, die Erklärung des Mondes nicht erreicht werden könnte. Die technischen Ausdrücke des Kellermeisters und des Astronomen sind gewiss nicht gleichwertig vom Stand- punkte des Gehirnverbrauchsj sie sind gleichwertig Tom Standpunkte der Sprache.

Der Kellermeister oder Weinkundige gellt mit der Fülle seiner technischen Ausdrücke weit üVtPr die Umganir?=sprache hinaus, weil die Feinheit seiner Geschmacksempfindung die des Alltagsraenschen übertrifft. Wo der ungebildete Trinker nur etwa süss und sauer unterscheidet und wohl nachträg- lich die staiken oder leichten Rausch Wirkungen, wo der ge- übte Weinkenner schon ein Dutzend differenzierte Ge- schmncksemptiudungen kennt und mit einem Dutzend von Ausdrücken bezeichnet, die in seinen Kreisen zur Umqrangs- S"|irache gehßren , der allgemeinen Volkssprache gegenüber aber schon technische Ausdrücke sind, da geht der geübte Keliermeister noch viel weiter. Wie weit? Das ist nun sehr merkwürdig. Er hat gewiss noch eine Menge tech- nische Bezeichnungen, die über die Kenntnis des fein or- ganisierten Weinschlemmers hinau-sgehen. Zuletzt aber hat auch die Zahl seiner technischen Ausdrücke früher ein Ende als die Zahl .seiner WeinVjf obachtuugcn oder Weinerinne- rungen. Angenommen, unser F'achmann habe dreissig Lagen aus zwanzig rerschiedenen Jahrgängen in seinem Keller, also sechshundert verschiedene Sorten. Angenommen (was Wühl vorkommen mag), der würdige und in seinem Fache gelehrte Mann könne jede dieser sechshundert Sorten nach einer Probe von allen andern unterscheiden. Er wird nun mit einer Anzahl von Adjektiven jede dieser sechshundert Sorten beschreiben können. Aber weder wird diese Be- schreibung einem anderen als einem Fachgenossen ohne F'rolie eine Vorstellung von dem Weine geben, noch wird der Kellermeister ajili nur annähernd sämtliche Sorten ge- sondert beschreiben können. Die Nuancen der Geschmacks- emphudung werden feiner sein als die Nuancen der tech-

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TMÜraueh« und Qwneinipwwh».

53»

nischen Ausdrücke. Man achte nun wohl darauf, wie sich die Sprache unseres Fachmannes hilft und wie er sich mit seinen Schülern, den gebildeten Weintrinkem, Terstindigt. Die adjektivischen technischen Ausdrücke versagen. Er kennt aber den Geschmack jeder der sechshundert Sorten, welche nach Lage oder Jahrgang Terschieden sind. Der Kellermeister bildet also ans Lage und Jahrgang für jedes Fnss eine Art Eigennamen« s. B. 89er Deidesbeimer Lein- höhld. Rahren ihm nim Geeelunack nnd Qeruch dieses Weines die Nerven auf, so erinnert er sich an diesen Eigen- namen. Er verftlgt Uber sechshundert Eigennamen, wo ein armer Teufel vielleicht hichstens den Gesamtbegriff Weiss- wein kennt. Diese Eigennamen werden aber im Verkehr unter Weinkennern zu technischen Ausdrucken, und in der Sprache der Weinkarten bedeutet da es aus mancherlei Gründen, schon wegen der Nachfüllung der Fässer, ur- sprungsreinen Wein kaum gibt nun der Eigenname „89er Deidesheimer Leinhöhle" für die Fachleute nichts anderes, als dass der unter diesem Namen käufliebe Wein sich um nächsten mit jenem Fasse unseres Kellermeisters vergleichen lasse.

Wir können diesen ailtäglichori Vorgang allgemein so ausdrücken , dass die Sprache den Ergebnissen der ge- nauesten Beobachtung nicht folgen könne, dass die tech- nische Sprache auf dem Gipfel ihrer Ausbildung zu dem Ursprung der 8])r!iche zurückkehren müsse, zu der instink- tiven Vcrgleichung von Sinneseiudrückon. Eine geschlos- sene Gf^sellschaft von Fachleuten, seien sie Astronomen oder Weinkeiiner, besitzt also einen Vorrat technischer Ausdrücke, die zu df^r ümgan^^sprnche dieser gesdilossenen Gesell- sr-haft L'rli'irfn. die filu r ;iut ilci- jeweiligen Höhe der Sach- kenntnis iimiier wieder bildliche Erinnerungen an Sinnes- eindröcke sind, also nicht mehr wert als die Worte der allgemein en TTragangsspr a eh e .

Ich iMirinte mir wohl die Mühe sparen, zu bemerken, dass das Beispiel vom Kellermeister durchaus kein Aus- uahmstall ist. Eben solche Spezialkeuutuisse, an welche

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540 VII. Teimini technioi der induktiven WiatenBchailen.

auch die technische Sprache seiner Zuiilt nicht heranreicht, besitzt der geübte Einkäufer von Thee, von Tabak, von Weizen, von BauiiivvoUe u. s. w. u. s. w. Hundert üntei"- scheiduügen, die uns Laien nicht aufgehen, macht der Fach- mann, wie man sagt, nach seinem Geftihl. Und diese Nerventeinheit wird vom Händler teuer bezahlt. Das geht noch weiter; dieses Gefühl, das sich sprachlich nicht genau definieren lässt, besitzt jedermann innerhalb seines ^^lichen Berufs. Wir sind es nur nicht gewohnt, an die Sprache 8o grosse und genaue Anforderungen zu stellen. Die letzte Genauigkeit der Beobachtung geht immer Uber die Sprache hinaus. Bte KOchin könnte 0s nidit sprachlich ausdrücken, was sie durch minimale ZnriUie ▼on Ssh und OewOmn der Suppe an Wohlgeschmack au Terleihen weiss. Der Tischler, der Über den Sprachgebrauch des Laien hiaans ▼erschtedene Bohrer und ihre Beieichnungen kennt, konnte es nicht sprachlich ausdrucken, was er doch im Geftlhl hat, wie er den Bohrer je nach Hftrte und Struktur des Holzes etwas anders ansetzt und bewegt. Endlos liefen sich die Beispiele fortsetzen. Alle ergäben die Einsicht, dass die genauer beobachtete Wirklichkeit jedes Interessenkreises eine engere Umgangssprache erzeugt und erforderti die sich für die Aussenstehenden als technische Sprache abzusondern scheint, und dass schliesslich die Sprache Überhaupt versagt, wo die Wirklichkeit am genauesten beobachtet wird.

Dieser Umstend hat nun im praktischen Leben die Folge, dass durch die Sprache alletn eine bestimmte Technik nicht auf die Kachwelt gelangen kann. Keine Technik ist in einem Buche zu erschöpfen. Wer dne Glasfabrik anlegen will, muss selbst Glasarbeiter sein oder geschulte Glas- arbeiter anwerben. Geht das Nerrengeftlhl einer solchen Literessengruppe ans irgend welchen Gründen (aus Mangel an Bestellungen z. B.) yeiloren, so ist damit auch die Tech- nik Terloren gegangen. So ging die Technik der Glas- malerei verloren und manche andere Maltechnik. Nicht aus Büchern, nicht durch die Sprache, also durch die Wissenschaft, konnte die tote Technik wiedergeboren werden.

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^rMsha und Bidnrtrie.

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aondeni nur durch neue Erfahnmgen , neue Einübung der Nerven. Die elementarsten Sinneseindrücke mussten die auf- bewahrten Worte neu verstehen lehren.

Man glaube nicht, dass diese Heranziehung der ba- spnoh« nalsten Diu^'e unter der Würde der Wissenschaft sei. Für "^Jj" die Geschichte der Sprache ist der Bedeutungswandel der Worte von ungleich grösserer Wichtigkeit als der Laut- wandel, der doch nur untergeordnete Dienste für die Philo- If^e leisten kann. Der Bedeutungswandel aber lässt sich an der Sprache der Technik und Industrie weit besser be- obachten als an der abstrakten Sprache etwa der Philo- sophie. Di« Gelehrten des Lautwandels wissen, ohne nnch Gebühr mit Galgenhumor davon zu reden, dass ans jedem Laute eigentlich jeder andere Laut werden kann; so kann sich aber auch im Laufe der Entwickelung aus jcdpr Be- deutung jede iiTi lpfp Bedeutung herausbilden. Wenn wir iu einem gelehrten Buclie lesen: .Man macht ans df^ni Hypno- tismus mehr Wesens, als d^rn Wesen dieser Erscheinung zukommt" , so gehört einiges Sprachgefühl dazu, zu erkennen, dass in diesem Hntze das Wort Wesen in fast entgegengesetzten Bedeiituii'j;» a gebraucht wird. P]inmal als äusseres Gerede, das andere Mal als das Innere, das man eben nicht kennt. Auf dem Gebiete der Tei bnik und In- dustrie jedoch geht ein nnaufhorlicher Bedeutungswandel der Worfp vor sich, der in Avr Mitte steht zwischen den stt 1 'l inden Worten, welche im Le}»enskampfe der Sprache veraltet sind, und der BUduDg neuer Worte für neue Dinge. Auf diesem Ungeheuern Felde des Bedeutungswandels nun kann man ganz deutlich beobachten, wie das Wort der Um- gangssprache technische Bedeutung gewinnt und wie die neue technische Bedeutung das Bestreben hat , sich des Wortes der Umgangssprache zu bemächtigen. Und diese ganze mächtige Bewegung ist doch nur der ►Schatten der Wirklichkeit. Jeder Fabrikant, der iu einem neuen Dinge einen neuen Wert zu erzeugen hofft , bringt etwas hervor, was vorher in der Welt der Wirklichkeit nicht oder nicht SU da war. Innerhalb seines Interesseukreises erhält dieses

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542 VII. Tenuini technici der üuiuktiren Wissensobafteiu

neue Ding gewöhnlich einen technischen Namen. Kaufen die Leute ihm da>s Ding nicht ab, so bleiht es dabei. Driui4L das neue Ding ins Publikum, so entsteht ein neues Wort der Umgangssprache. Hat der Fabrikant vergessen, einen technischen Ausdruck zu erfinden, so wird sein £igenname in die Umgangssprache eingeführt. Der Maler Daguerre erfand die Lichtbilder. Als alle Welt sich nach diesem Ver- imhren j^otographieren Hess, gab es das allgerndn Terstand- liehe Wort Daguerreotypie ; seine Erfindung wurde flberholt, das Wort Tersltete und wurde wieder zu einem technischen Aittdmek der C^esdiiekte der Photographie. Oder man denke an das Auersche GlQhHchi In der Qeschiehte des Bekuehtongs- wesens kann man diese Erfahrung um so häufiger machen, als die heste und wohlfeilste Beleuchtungsart das neue Ding und seinen technischen Ausdruck sehr rasch zum Graaein- gut machen kann. In meiner Jugend war mir der Aus- druck UOlykene so geläufig ¥rie heute einem Qrossstadi- kinde das Wort Gasfiamme. Es war die praktisch gearbeitete Stearinkerze, die man nach ihrem Fabrikanten henannte* Es ist wirklich so: alle Geistesanstrengung und aufireibende Arbeit aller Erfinder und Fabrikanten ist nur darauf ge- richtet, die technischen Worte ihres Interessenkreises zu Worten der ün^angssprache zu machen. Denn erst wenn die Eigenschaften des neuen Dings sich dem Gedächtnis einer grossen Menge eingeprägt haben, erst dann ist der Absatz des neuen Dings gesichert Die Aufhahme des Worts in die Dmgangssprache ist aber nicht nur ein Zeidien, son- dern auch ein Mittel des Erfolges.

Diese befremdliche Thaisache scheint mir so wichtig illr die Beurteilung des Wertes der Sprache, dass ich noch einen Augenblick bei der Aufklärung dieser Beziehungen zwischen Sprache und Industrie Terweilen muss. Es wird iM^nflich nicht bestritten werden, worauf ich eben hin- gewiesen habe. Die Au&ahme neu gebildeter technischer AnsdrOcke in die Umgangssprache ist ein Zeichen des Er- folges, wenn das neue Ding sich aus irgend welchen GrOnden durchgesetzt hat und die Menschen nicht anders koonten,

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als mit der Sache sich auch den Namen zu merken. Die AaiViaiirae des techiiischen Ausdrucks iu die Um<^angs- sprachf ist, riu Mittel des Erfolges, wenn die freiwillige oder unticiwillige Agitation eines kleinen begeisterten oder sonst interessierten Kreises den Namen so sehr durchgesetzt lia,t, dass die Menschen nach dem Ding zu IragLii beginnen, dessen Nai^icii ihnen geläufig geworden ist. Mit einem ein- zigen Wort nennt man diesen Vorgang die Reklame. Ein dauernder Erfolg wird von der Reklame natürlich nur er- Ä«Wime. reicht, wenn das Ding sich nachträglich als nützlich, an- genehm, bedeutend und dergleichen erweist. Das Ding kann nämlich auch eine neue Dichtung oder eine neue Pliüosophie sein, wo dann eine ideale Reklame Ton einer Nietzsche-Gemeinde u. s. w. ausgeht (vergl. R. M. Meyer: Z. Term. d. Reklame). Die psychologische That ist aber doch dieselbe wie bei der gesehftfÜichen Reklame. Wir können den Vorgang niebt begreifen, wenn wir nidii in die dunklen Tiefen des Qelunilebens hinabsteigen. Für unsere Untersuchung ist keine Biscbeinung wertlos; es gibt auch eine FiBycbologie der geschäftlichen Reklame.

Wir mfissen uns nimlieh sagen, dass die Binfllhrung des Namens durch das Ding gewissermassen die aktive Ein- übmig des neuen Wortes ist. Die EinfÜhrong des Dings durch den Namen, die Wirkung der Reklame also, ist eine passiTe EinUbung. Man Tergleicbe damit, dass der einfache Mensch seine Oesundheit durch aktive Uebung seiner Mus- keln erhält, wie z. B. der FOrster durcb stetige Bewegung im Freien; eine ähnliche KriUtigung'erzeugt die schwedische Heilgymnastik durch passive Mnskelbewegungen. Eine Ma- schine bringt z. B. die Beine in Bewegung und kriftigt so die Beinmuskehi am Ende auch. Beim Uebergang eines technischen Ausdrudcs in die Umgangssprache handelt es sich um die Einflbung der Nerven, um die Wiederholung eines Worts, für welcbes schliesslicb die Nervenbahnen so dres- siert sind, dass das Wort sich bei einer bestimmten Asso- ciation TOn selber aufdritogt Siegt das Ding durdi seinen Nutzen (z. B. das Telegramm), so wird das schwierige und

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544 VIL Termini teohaici der iadoktiven Wimenschaften.

fremde Woii aktiv eingeübt. Will ein Fabrikant seiner Ware durch Reklame zum Siege verhelfen, so bläut er das Wort dem Publikum passiv ein. Da bereitet ein Fabrikant Namens Blooker einen Kakao, für den er auf die einfachste Weise den technischen Ausdmck „Biookers Kakao* erfindet. Ich kenne das Ding nicht, ich verfUge also auch nicht Uber seinen Namen. Da lässt der Fabrikant den tecbniachi^ Ausdruck an alle Giebel, an alle Wände, an alle S&iilen in grossen Bnclistaben adireiben und tausend- und abertansetid- mal zwingt er mich, durch die bezahlte Arbeit der Maler, die Schriftzeidien „Blookem Kakao ist der beste* zu lesen. Wir wissen« dass zwisehen dem Anblick der SchriftaeicheD und dem Sprachzentrum die innigste Yerbindung besteht. Wir wissen femer, dass das blosse YorBteUen von Worten Bewegungsgeftkhle in unserm Sprachorgan auslöst, ohne welche die Einttbung eines Wortes durch blosses Hören nicht möglich wftre. Diese scheinbar pedantische Erinne- rung war nötig, um uns die Möglichkeit einer solchen pas- siven Einttbung zu beschreiben. Ohne unser Zuthun, gegen unsem Willen vielleicht, haben wir tausendmal das Be- wegungsgeftlhl des Urteils »Blookers Kakao ist der beste' wiederholt. Die Assodation zwischen der Vorstellung Kakao und diesem Urteil wird endlich yollzogen, wenn das Kapital des Fabrikanten uns Jahrelang bearbeitet hat; das Wort ist uns eingeblftnt, das Wort mit dem in ihm enthaltenen Ur- teil. Und eines Tages, da ich in einem Laden Kakao kaufen will und gefragt werde, welche Marke ich haben möchte, antworte ich unter dem Zwange der passiyen Einübung oder der Reklame: »Biookers Kakao*. Denn er ist ja der beste, denke ich unfreiwillig, trotzdem ich es nicht glaube. Durch die jahrelange Reklame hat sich der Begriff .Bioo- kers Kakao* unbewuast in meine Umgangssprache einge- schlichen. Ist die Ware gut und bleibt sie gut, so wird auch das Wort bleiben. Das Urteil .Blookers Kakao ist der beste* war die Hypothese, unter welcher das technische Wort ein Wort der Umgangssprache wurde.

Und nun firage ich einen aufmerksamen Leser, ob

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Hypothesen.

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die Gesehiohfte der technischen Ansdrttd^e in den '^asen- h^po- achaften gar so sehr Teraehieden sei t<« der Geschichte ^^^'^ dieser technischen Ausdrucke der Industrie. Man moss nur fiBsthaHen, dass es da und dort eine Hypothese ist, welche geglaubt wird und das neue Wort anführen hüft So aungenbrecherisch die Lautgruppe auch sein mag, wir be« halten sie im Gedlehtnis und in der Uebung, solange wir an die Hypothese glauben, das hmast an das Urteil, welches im Worte enthaltsn ist. Solange die Medizin fttr eme Wissenschaft gilt, werden die technischen Ausdrücke der Medisin einen hübschen TTebergang bilden zwischen den tecshnisehen AusdrOcken der Industrie und denen der Wissen- sehaft. Um mir weit ausholende Auseinandersetraingen m sparen, will ich die Beieichnnng Rheumatismus nicht snm Beispiele wählen, obgleich es ein gutes Beispiel wäre. Es steckt eine Hypothese dahinter. Da haben wir aber ein Yolksheilmittel gegen Bheumatismus, das mit dem gans barbarischen Namen Opodeldok unbedingt der Umgangs- sprache angehört. Die Herkunft ist unbekannt, es findet sich schon bei Paracdsus. Bs ist auf Grund der Hypothese des Nutsens eingettbt. Man rergesse niemals, dass hinter jedem Worte alle Urteile stecken, die in seinen Merkmalen Hegen. Alle diese Urteile sind Hypothesen. Die alten, oft Teralteten, oft Tergessenen, jedesftdls unbewusst gewordenen Hypothesen stecken in den Worten der Umgangssprache. Die neuen Hypothesen stecken in den technischen Aus- drücken. Können sich die neuen Hypothesen nicht er- halten, so verschwindet der technische Ausdruck wieder und bleibt nur in der Geschichte einer bestimmten Wissenschaft erhalten. Wird die Hypothese Gemeingut, so geht der techmsche Ausdruck in die Umgangs5;prache über. Regeln ttber die Gestaltung der technischen Ausdrücke lassen sich nicht au£rtelien. Aber namentlich die von Eigennamen ge- nommenen Worte sind sehr lehrreich für den Instinkt, mit welchem die Sprache die neuen Hypothesen behandelt.

Da wurde eines Tages beim Legen des transatlanti- schen Kabels ein gallertartiger Schleim, der aus der Meeres- M Aatbn er, Beifarlg» sa fltaiir Kritik der SpiMh«. m. 85

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546 ^11- Temiiiii lechnioi der mdnhtiven WiMsdiaften.

tiefe kam. b( obachtet» von Huxley beschrieben und Bathy- bius UaeGkelii benannt. Bathjbius vertritt einen griechischen Satz, der ,was in der Tiefe lebt" bedeutet. Der technisch« Ausdruck w:ii ilso eigentlich eine ausfülu lirlie Beschreibiiiig, die für den isLundigen den Sinn hatte: „Ein Lebewesen aas der Meorestiefo, desaen verwandtschaftliche Beziehungen lum Tierreich vrir uns nach den Lehren Haeckels erklären." Man sieht, in dem Qenitiv llaeckelii war auf eine Hypo- these Bezug genommen. Hätte sieh das alles bestätigt oder wilre die Bathybiusmaase z. B. ein Volksnahrungsmittel ge- worden , die UmgangSBprache der Kulturvölker wäre um das Wort Bathybius vormehrt worden. Es vergingen aber keine zwanzig Jahre, da behaupteten andore Gelehrte, das neue Dii^, der Bathybius Haeckelü sei nur ein Zufalls- produkt, ein Niederschlag aus der Vermischung von See— Wasser und AlkohoL Das Wort mUsate mit der Hypothese Terach winden.

Da beschrieb vor kurzem Professor Röntgen eine neu entdeckte Art von Strahlen, die er als eine besondere Sorte von Kathodenstralilen einführte. Monatelang spukten die Kathodenstrahlen durch alle Zeitungen. Es fehlte nicht viel, so wären die , Kathodenstrahlen* bei dieser Gelegenheit in den Sprachschatz der Halbgebildeten eingedrungen. Nur wenige Leute wussten. dass der Ausdruck Kathodenstrahlen eine Hypothese Faradays in sich fasste, die heute in der Hauptsaebe der Geschichte der Elektricität angehört. Die llnbekanritschaft mit di-r Hypothese vcrschloss dem Worte den Zutritt. Dage<(eii drängten sieh die ü}»erall ausf^estellten Wirkun|?en der neuen Sorte der Kathodeuätraklen dem l'ubli- kum auf und luich dem Namen ihres Entdeckers wurden sie, ent^etjen seinei- eigenen Bezeichnung X-Strahlen, Röntgen- strahlen genannt und sind im Begriff, durch den Sprach- schatz der Halbgebildeten hindurch in die Umgangssprache überzugidien (T. lOrjV

Eine lläulung "iei- Beispiele ist für bereite Leser über- flüssig. Ich glaube jetzt den Unterschied /.wischen den Worten der Umgangssprache und den technischen Aus-

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Ujpoihaaen.

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drücken, einen sehr bewesflichen Unterschied, in der Hand zu hakuii, so <rni man Quecksilber in der Hand halten kann. Das rinnt in feinsten Fäden zwischen den Fingern hindurch. Alle unsere Worte uäuüich sind ich will nicht müde werden immer wieder mit dem AHC anzu- fangen — Eriuneruügen an eine (xriippe ähnlicher Sinnes- eindrücke. .)e nachdem wir uuscie Aut'mcrksumkeit uun auf die Formel im ganzen richten oder auf einzelne Ueber- einstimmungen in den verglichenen Fällen, nennen wir unsere Erinnerungen entweder Worte oder Urteile. Das ist die psychologische Wahrheit. Die alte Logik lehrt, ans dem Worte oder Begriffe gehe das Urteil berror. Wir sagen, das Wort umfasse alle Urteile , die man schembar daraus hervorsiehe. Und jetzt erkennen wir, dass Worte der Gemeinsprache diejenigen sind, deren mitomfasste Ur- teile uns als sichere Wahrheiten erscheinen. Technische Ausdrucke der Wissensdiafk aber sind diejenigen Worte, deren mitumfasstes Urteil uns eine Hypothese ist Ich möchte dem Leser die kleine Sprachaufgabe überlassen, diesen Satz so umzuändern, dass er auch auf die tech- nischen Ausdrucke der Industrie passt. Innerhalb der Wissenschaft gestattet er die weiteste Ausdehnung. Die Beaeichnungen der Farben x. B. (rot, blau u. s. w.) sind Werte der Umgangssprache, weil nur Ausnahmskfipfe die Annahme, es seien die Farben der Körper wirklich (das Urteil also, das in ihnen steckt), für eine unsichere Hypo* tiiese gehalten haben. Für einen Kaat, fftr einen Helmholts werden rot, blau u. s. w. teehnisehe Ausdrucke in der Phy- siologie des Auges.

Haben wir nun gar die Ueberzeugung gewonnen, dass alle wissenselukftlichen Erkenntnisse Hypothesen sind, so ▼erschwindet für unsere Sprachkritik der letzte Unterschied swischoi Wwten der Umgangssprache und technischen AnsdrQckeo. Und wir können nicht ohne ein stilles Lachen die schönen Sitze lesen, mit denen Whewell beinahe dich- terisch die technischen Sprachen der Wissensehaften be- singt, welche mit ihrer wert?oUen wissenschaftlichen Fracht

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54 ö Vii. Termini technici der mduktiven Wiwenschaften.

durch du Meer der Zeiten hindurch segeln, wBhrend die OemeixuprBchen in Yergessenh^ Tersinken. Man habe immer noch in besttndigem Gebrauch die griechischen Aus^ drOcke fOr Geometrie, Astronomie, Zoologie und Hediiin. WheweU veigisst, dass im Leben dieser etwa siebsig Men- schengeschlechter eine Hypothese die andere ahgeUfst hat, dass die meisten technischen Ausdrücke wahrend dieeesr Zeit raseh entstanden und rasdi vergangen sind und dass die scheinbar, das hnsst ihren Lauten nach gleichgebliebenen technischen Ausdrücke von Geschlecht zu Oeschledit einen Bedeutungswandel durchgemacht haben, der die in ihnen enthaltenen Urteile oft genug in das Gegenteil Teikefaiie. Mit demselben Rechte kdnnte man den uuTerinderiidien Menschengeist bewundem, wenn alte Mauern noch stehen, die einst dem Dienste der Venus Zuflucht gewährt haben und heute eine Kapelle der Muttergottes umscUiessen oder gar politische YolksYersammlungen behexbergen.

Mit unserem Satze haben wir auch das Mass gefunden, mit welchem wir den Stoh der Modemen auf die bessere technische Sprache ihrer Wissenschaften messen künnen. Man rUhmt an dieser neuen Sprache vor allem die S^ste* matik. Es ist aber nicht wahr, dass unsere Erkem^nis sich Tertieft hat; nur vermehrt haben sich unsere Kennt* msse. Die FllUe unserer Naturbeobaohtungen ist grOaser und grosser geworden, und Uber die KOpfe unserer Tor> «^ilrip^or hinweg sind wir zu neuen und neuen Gruppen ron Beobachtungen gelangt, die wir bequem mit neuen und neuen technischen Ausdrücken im Gedächtnis zusammen- halten. Aber nach wie vor zerfallen diese Worte in solche, deren mitrerstandene Urteile wir ftU* wahr halten, und solche, deren mitverstandene Urteile uns noch Hypothesen sind. So sind unsere Wahrheit > ri die schlimmem Irrtümer, wie sie sich in den Worten der Umgangssprache ausprägen; und die Hypothesen in den technischen Ausdrücken geben keine Erkenntnis. Unsere Optik bietet einen Wald von Beobachtungen, wenn wir sie mit den paar Spässen der Griechen rergleichen. Aber der Schein der Farbenwirklich-

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keit tftuflclit die ümgwigBspniehe liente wie vor Jahitausen- den, und die tecbnMehwi Ausdrilcke wie Fvrbeiilneehimg, Pekrisation n. s. w. entkalten Hjpoäieeeii, die mehie er- USren, die sogar seUMii noch der ErUizuiig bedfirfen.

WheweU gibt sich in seinen Aphorismen Aber die wiseenschaiftliehe Sproebe grosse MOhe, Begehi ftlr die Neabildung ieehnischer Ausdrücke aufzustellen. Er weiss, wann Worte der Umgangssprache in die wissenschatUkhe Sprache aufsonehmen seien mid wann nicht; er weiss fcurckt- bar vielf nur nicht, dass die Qeschichte der wissenschaft- lichen Sprache seiner spottet. Denn nie ist ihm ein Zweifel gekommen an dem Werte der wissenschafUiehen Sprache, selbst dann nicht, wenn er die Mängel der Umgangssprache erkannt hat. Im elften Aphorismus lehrt er, dass tech- nische Ausdrücke, welche eine tlieoretisclie Ansicht mit enthalten, zulässig seien, soweit ihre Theorie bewiesen sei. Er ahnt aJso nicht, dass jede theoretische Ansiebt eine Hypothese ist und dass eine solche Hypothese in den Worten auch dann steckt, wenn der Wortlaut es nicht Terrät. Er lässt grossmUtig gewisse Zufallsworte zu, deren Laute sich nicht auf die innewohnende Hypothese beziehen ; er weiss nicht, dass jeder Gelelirte auch bei den Zuialls- Worten die Hypothese seiner Zeit mit yerstehen wird.

Ich will diese Verbindung, die zwischen Hypothesen oravi- und Worten durch die Qeschichte der Sprache oder der Welterkenntnis geht, an einem Begriffe noch klarer zu machen suchen, der mit Recht als Ausdruck gilt itlr die genialste Beobachtung des Menschengeistes. Ich meine wieder den Begriff der Gravitation, welcher gewöhnlich das Gesetz der Gravitation genannt wird. Wenn wir statt Gravi- tation Schwerkraft sagen, so verrSt uns die Sprache eigent- lich schon das Qrundf^ebrechen des Begriffs. Auch das Wort Gravitation ist natürlich ein Abstractum vom lateinischen Worte gravis (schwer); im Deutschen ist man mit dem Fetisch Kraft bei der Hand und glaubt wieder einmal die Erscheinung der Schwere besser zu verstehen, wenn man die Kraft zur Ursache der Erscheinung macht.

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550 Tennitii toehnict dtr iadiiktiveQ Wiaseiuehafleii.

Gewisse Thatsachea, welche heute als Erscheinungen der Schwerkraft und zwar als JSndheinungen des Luft- gewirlits 1>ekanut sind, wurden von Axistoieles an bis in. die Mitie des 17. Jahrhunderts hinein, bc einer besonderen Gruppe von Aehnlichkeiten zusammengefasst. Jedermann wuaste, dass die Flüssigkeit aus einer Flasdie nicht auslief, wenn man sie mit dem offenen Ende in eine Flüssigkeit steckte. Man bemerkte, dass die Wirkm^ai 4es Hebers und der Pumpe ganz ähnliche Erscheinungen darbot<jn und snchie mu h einem sprachlichen Ausdruck. Man nahm ihn von der Hypothese, dass in der Natur eine Scheu oder ein Entsetzen vor dem leeren Raum bestehe. Man verlegte also das menschliche Gefühl der Fui rht in die Flüssigkeiten hinein. Ob man sich nun bewusst war, nur eine Metapher zu bilden oder ob man diese Furcht der Flüssifrkeiten wört- lich nahm, jedest'uils gab es den technischen Ausdruck horror vacui als besehreil)cn<le Bezeichnunt; dieser Hypo- tiiese. ^S(»lan[;e die Hypothese geglaubt wurde, gehörte das W(»rt zur technisebeii Sprache der Mechanik und damit zur Umgangssjuaclie der W a^iserbautechniker. So sicher jeder von ntiv ;innininit. dass ein Thier, welches er nach einigen Mcrknialen einen Jlund nennt, bellen werde, so sicher ;4^hinl>te man, Wassei- dnrdi Verdünnung der Luft nuf be- liebige Höhen leiten zu können. No* Ii 1044 glaubte Mer- senne. da-ss er durch einen i^nosscn Heber Wa<^ser werde iibcr einen hohen Berg li ilt ii können. Diese Eischeinung Hess sii h aht.'i- in Wirklu Lkeit nicht beobac hten, das Wasser stiet; niemalh höher als 34 Fus»? und so kam man dazu, das Gewicht des Wassers mit einer Wirkuntr der Luftsäule zu vergleichen und diese Wirkung der Luft metaphorisch ihr (lewic ht zu nennen. Metaphorisch, denn diese Wirkung entsprach nicht dem natürUchen Sinueseindruck eines Ge- wichtes in der Hand.

Um jene Zeit waren geistreiche Mechaniker damit be- schäftigt, mit Hille der neuen und rasch wachsenden Rech- nungsmethodoü die verschiedenen Erscheinungen der Statik und der Dynamik auf gemein.same Formeln zu bringen.

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^1

Man kann wohl sagen, dass es sich darum handelte, die Erscheinungen der Schwere und die der Bewegung zu- sammenzufassen. Was die medumisdiie Weltanschauung heute die Erhaltung der Energie nennt und auf Chemie, Winne n. s. w. ausdehnt, das war am Ende des 17. Jahr- Inmderts für «He He^aaik im engem Sinne unter dem Namen «Erhaltung der lebendigen Kruft* sdion behauptet worden. Das erstaunliche Verdienet Newtons sollte nun darin besteben, diese bjpothetisclie Zusnmmenfiwsung der Bewegung und der Schwere Ton den irdischen Erscheinungen auf die Bewegungen der Himmelakdrper auszudehnen. Die sogenannten <3^es6tse dieser Bewegungen hatte Kepler for- muliert. Auch Kepler Tersncbte natOrlicb zu erUftren, was er besdurieben hatte. Eine Aehnlichkeit zwischen Schwere und Bewegung fiel ihm aber nicht entfernt ein, und so gab er zur Eridftrung Worte, die nicht einmal technische Aus- drficke werden konnten, weil ihnen eine feste Hjpo&ese nicht zu (gründe lag.

Der berOhmto Descartes hatte den traurigen Mut, aus den Phantastereien Keplers dne solche bestimmte Hypothese auszulesen und mit ihrer HiUe das Weltgebäude zu er- Uftren, das Kepler so gut besdurieben hatte. Es ist die Hypothese der Wirbel, welcbe damals die gelehrte Welt eroberte, ein techniscfaier Ausdruck wurde, in die ümgangs- ^^Mche überging (ich habe sie in den Lustepielra Moliferes gelunden), um schliesslich in die Rumpelkammer derOeistee- geschicbte geworfen zu werden. Ganz gewiss bat die Angst ▼or der Kirche bei der Ausgesteltung dieser Theorie mit- gewirkt; aber an die Wahrbeit seiner Hypothese glaubte Descartes, dieser ausgezeichnete Mathematiker, wShrend die Mechan&er in Italien, England imd Holland zu gleicher Zeit der Aehnückkeit zwischen himmlischer und irdischer Mechanik schon hart auf der Spur waren. In demsdben Jahre 1644, da sein intimer Fnsund Mersenne zum letzten- mal das Monstrum horrer vacui produzieren wollte, ver- (fffiButUchte Descartes seine Wirbelhypothe»e , bei der der horror vacui eine grosse fioüe spisito. Wir haben also

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552 VII. Temim toehaid d«r mdokitivai Wi—MchtllBa.

den beackienswerten FaU Yor oub, das» der meisierliohe Beobachter Kepler die beeehriebenen Plaoetenbew^gmigai gern erklirt hSite, aber keinen Ausdruck dalttr fand, ir«il ihm kein einziger seiner phantastischen SinflUle anch nur den ToUen Werfe einer Hypothese am haben schien; dass dagegen der systematischere Kopf, der Descartes war, mit der ersten der besten £rklärung, die er als Hypothese an^ stellte, auch den Ausdruck Wirbel fand und einftthrte. Diese Hypothese und damit der Ausdruck Wirbel gewaon ein solche Ansehen, dass selbst in England und bis zum Tode Newtons Descartes' Wirbel gelehrt worden, ab ob Newton nicht vorher diese Anschauung gestürzt hätte.

Newton soll das Hauptwerk Descartes' in Händen ge- habt, anfangs auf jede Seite «error* an den Rand ge- schrieben und dann nicht weiter gelesen haben. Das ist sehr glaublich. Wenn Leibniz später die Philosophie Des» cartes' das Vorzimmer der Wahrheit nannte, so hatte das nur dann einen Sinn, wenn Leibniz im Braitae der Wahr- heit war. Die Geistesthat Newtons war viel oi^inelLN*. Und ich zögere beinahe, dieses ungeheuere Ereigois vom Standpunkte der Sprachgeschichte zu betrachten.

Es lagen schon da und dort Versuche vor, himmlische nnd irdische Mechanik zu vergleichen. Was aber dem Tienmdzwanzigjährigen Newton durch den Kopf ging, das war ein verblüflfendcs Apercu. Newton wusste wie alle Welt, dass und wie Körper aus der Luft auf die Erde fallen. Das geschah auch aus g^rosser Hohe. Wie weüt hinauf erstreckte sich wohl diese Anziehungskraft "r* Am Knde gar bis zum Monde hinauf? Liesse sich am Ende die Bewegung des Mondes ähnlich berechnen wie der Fall t inps geworlenen Steines? Das Apercu ist bewunderungs- würdig. We?m der Erfinder de"^ Telegraphen auf den Einfall kan». i s Ims'-p sich vielleicht die WirkunL' der Elek- tricität von einem Zi rumer ins andere, von einem Hause ins andere Ubertragen, so verlängerte er nur den Draht, so machte er nur einen Schritt weiter. Und wir «olsen in uuseru Tagen, wie die Verlängerung der Telephoudrähte

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Giavitatkn.

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um an paar Humderfc ICeflen nur 8cliriltwei«e vor sich geht Der Omsk Newtona maohie nicikt emeii ScfaritA, sondern einen Sprung, als er die Bewegimg des alton Mondes da oben mit dem Falle einee geworfenen Steines TergUclu So wenig sicher war Newton , dass er seine HypoÜheae Tor- Iftufig fallen liess, als seine Rechnung (nach ungenauen An- gaben der Geographen angf stcllO dreizehn Fuss anstatt fUnfsehn Fuss Fall in der Sekunde ergab. Hätte Newton aber auch nicht selbst noch die bessern Messungen der Geographen erlebt, hätte er nioht mehr selbst seine grosse Hypothese verölfenÜichen können, sein Apercu w&re dennoch die Aeusserung eines Genies gewesen.

Als er nun die Hypothese anq^staltet hatte, was lag da Air die Welterkenntnis Neues vor? Wie man eines Tages in gewissen pflanseuäbnlichen MMresgeschöpfen Be- wegung wahlgenommen und sie darum unter den Begriff der Tiere eingereiht hat, so fielen für Newton und seine Schüler die Bewegungen des Mondes mit denen fallender Erdkörper zusammen und er dehnte darum den Begriff der Schwere auf die Planetenbewegungen aus. Wir haben ge- sehen, dass es bereits eine Metapher war, als der Begriff der Schwere auf die Luft ausgedehnt wurde. Jetzt gab es eine neue, in einer Beziehung noch kühnere Metapher. Ein ungeheueres Ge^vicht der Mondkugel oder der Sonnen- kugel konnte man sich freilich handgreiflicher vorstellen als ein Gewicht der Luft; insoweit war die Ausdehnung der Schwerkraft auf die Planeten kein so kühnes Bild wie die Ausdehnung dieses Beg^it^'s auf die Luft. Es kam aber etwas ganz Neues hinzu. Seit Menschengedenken verstand man unter dem Gewicht ungefähr den Druck des Körpers auf seine L^nterlage, was wieder nur ein Bild war von dem Drucke eines Körpers auf die menschliche Hand. Mit einem andern Bilde stellte man sich vor, dieKi li zu In lir fallenden oder sfhwfMt'u Kör])er an. Nun traten plötzlich VVeltkiirper in den l'i leirh der irdischen Anziehungskraft., die ihrt rseits wieder Anziehungskräfte besitzen mussten, wenn die ganze Hypothese einen Wert haben sollte.

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554 Tttmini ieebmei der indiiktitren WtnenMsliftftea.

Man mache sioih den Sinn der Worte DUr recht an- schaulich und man wird darüber staunen mflssen, dass die Kontamination, das Wipprhen die Konfusion der Bilder, eigentlich immor fortbesteht Mm sagt heute nodi, der Fall (dessen Gesetze man so genau kennen wül) sei die Bewegung eines Körpers g9fffsn die Erde hin, und zwar sei er die Wirkung der Schwere. Nun ist aber doch der Fall eines Körpers nur eine Erscheinungsform dessen, was man bald seine Schwere, bald sein Gewicht nennt Vielleicht wird die Sachlage noch klarer wenn ich sage: die Schwere gilt für die Ursache des Falls, insofern man hinter der Schwere oder dem Gewicht eine besondere Naturkraft voraussetzt; personifiziert man dagegen den Fall, das heisst die Bewe- gung zu einer Kraft, so kann mnn sie ebensogut als Ur- Sflcbe Aor Schwere oder de^ Gewir-hts ansehen. Das «;ind keine guten Bilder, die sich ohne Schiidicfung des Eindrui ks anf den Kopf stclh n lassen. Nun uher wurde das Bild von der Schwere vollends auf den Kopf i^esfelU, als durch die ge7}iale Veru;lrichung Newtons die Iviehtung des Fa\h zu einei« Nrhcuumstande crennu ht wurde. Schon vorlier i^e- braucbtcn rÜe Astronomen unklar die Worte Gravitation und Attraktion, um den Eintluss der Plfinet.en im Soimfnsystem zu erklären; bald dachte man an etwa«? wie den Masrnetis- mus, bald an eine Emanation dei Erde. \vel( he die Körper zu zurilckzwantr. Als aber s( lili< sslich das sogennnnte

(.ie>tiz der Gravitation, wonaeh alle Körper im sftnaden Verhältnisse ihrer Massen und im nmi]fc1< ehrten VerbiiltDi»se des Quadrats ihrer Entfemuiigen einander anziehen, auf- gestellt war, da glaubte man oines der Welträtsel trelöst, eine der wichtigsten ErscLeinuni,o n des Kosmos erklärt zu haben. Und man glaubt es noch heute.

Nun Verrät aber schon der sprat hlithe Ausdruck die neue Verletrenheit. In diesem Gesetze ist die Bewei^ung falleiuler Körper genau beschrieben und sehr srhön verall- gemeinert, aber immer noch wird die Gravitation durch Attraktion erklärt, und da die beiden abstrakten \\ orte gleich hypothetisch sind , könnte man ebensogut die At-

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tralctioa 'durch die Gravitatioii erkUtreo. Es kftngt toU- kommen toq dor metaplioriBckeii Phairtasie des Beobaditen ab, ob er die gebeimnisTaUe Kraft in die Atbraktum oder in die CkaTitaition hineioTerseteen will, wie es von seiner Pbantaaae abhing, ob der Fall die Ursaebe der Scbwere war oder umgekelut. Man spricht Ton Gravitation, wenn man so etwas wie eine Anriehong beobachtet, aber man jqpricht ebenso Ton Attrakfebn, wenn man so etwas wie QraTitation oder Schwere beobachtet. Alle diese Vorstel- lungen gehen schliestlich anf den Sinneseindroek eines die Menschenhand wuchtig belastenden K5rpers zuiflck. Und es ist fhr unsere Anschauung höchst lehrreich, dass Newton, als er in seinen Prinzipien (ID, 4. Proportion) seine Ent- deckung mitteilen wollte, dafSr von dem Adjektiv gravis ein Verbura bilden musste und sagen, der Mond gravitiOTe gegen die Erde. Es war statt einer Erklärung eine geniale bildliche Beschreibung.

Diese sprachkritische Anschauung Uber Newtons Gross- N«ino&. that ist etwas gan£ anderes als das Unvermögen Hegels, Newtons Verdienst zu begreifen. Hegel sträubte sich da- gegen, sich dem Mechanismus des Weltalls zu unterwerfen ; darum stellte er den Phantasten Kepler Uber Newton. Wir mQssen in der ganzen überwältigend schönen Geschichte der langsamen Entdeckung der Gravitation zwischen dem Fortschritt der Beobachtungen und dem Fortschritt der BegriflQserweiterung einerseits unterscheiden und anderseits beides zusammenhalten. Der scheinbare Lauf der Planeten war schon von allen Anhängern des Ptolemäischen Welt- systems im ganzen richtig beobachtet worden; Kopemikus fligte die Berechnung des wirklichen Laufs hinzu. Kepler beobachtete in dessen Beschreibungen die Aehnlichkeit der geometrischen Formeln und konnte so den Begriff der Ellipse auf diese Bewegungen ausdehnen. In noch be- wundenrngswürdigerer Weise dehnte Newton die Formeln der Fallgesetze auf diese elliptischen Bewegungen aus. Es war voiläutig die letzte Beu^rififeerweiterung auf diesem Ge- biete und wir beugen das Haupt fast andächtig vor solcher

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556 Vn. Tennini techaici dttr indnUiT«! Wimwimehaften.

Menschengrösse. Wenn man aber die Keplersclien Gesetze als blosse Tbatsachen, das GraTifcationi^esetz als ihre Er- klärung ansiebt, so steht man eben im Banne der letzten Hypothese. Vor Newton waren die Keplerschen Gesetze Erklärung; sie sind zu Worten der Umgangssprache ge- worden, soweit sie in den Kalender hineinpassen. Ebenso t^eht es mit dem Gravitationsjresetz. Wird aber einmal der Begriü der Gravitation mit noch anderen Erscheinungen ( Elcktricität oder was weiss ich) verbunden werden, so wird auch die Newtou.sche Gravitation, die heute eine Er- klärung heisst, in die lieihe veraltender technischer Aus- drücke zurücksinken.

Die poeÜHche Heroenverelirung thut recht daran, Newton zu huldigen. Herrlich ist die Grabschrift, die Pope verfasst hat:

^Nühito and Nature's laws lay liid in night; Güd Said: ,Let Newton be', and all was Light."

Sprachkritik jedoch duldet keine unfreie Bewunderung. Die freie iiewunderuug des vollendetsten Menschen;^ es resigniert nirgends trauriger als vor dor Unsterblichkeit dieses Mannes. Und nicht lustiger öjiuU, sondern traurigste P^insicht in das Nichts soll es sein, wenn ich das Wesen dieses höchsten unter den bisher entdeckten Naturgesetzen zu erkennen suche aus dem albernsten S])asse, der alltäg- lich mit begriffstützigen Schülern getrieben wird. Wenn so einer nicht sogleich eine logisch saubere Definition zu bilden vermag, so höhnt man ihn wohl mit den Worten: »Opodeldok ist, wenn man Kuckeiischmerzen hat." Ich fordere Ernst iüi dieses Citat. Die saubere Definition sollte wohl etwa heisseni «Opodeldok ist ein IleihmUel gegen Rheumatismus. ** Mein Leser muss aber einsehen gelernt haben , dass alle Begrifle dieser Definition unklare Erinrie- ruijgtn der Umgangssprache sind, dazu Erinnerungen au unklare und unhaltbare Hypothesen. Niemand weiss, was Krankheit und was Heilung sei, niemand weiss etwas vom Rheumatismus; womöglich noch unfassbarer ist der Begriff des Mittels, welchen mein Leser hoffenÜich nicht etwa durch

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Nswtoit.

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düu nebelhaften Begriff des Zweckes wird erkl&ren wollen. Opodeldok ist wie jede andere Lautgruppe der Sprache zu- letzt die im Sprachzentrum festgehaltene Erinnerung an irgend welche Sinneseindrücke; die Definition des Wortes also wie jede andere Definition ist nur das Bewusstwerden einer unbewussten Gedankenassocintion. Und so ist der unlogi- sche Schüler weit philosophischer gewesen als sein logischer Lehrer, wenn er auf dessen Frage die letzten zugiinglicheu Elemente des Bewusstseins aufdeckte und gestand, dass er mit der Lautgruppe „Opodeldok'' nichts weiter f^sociieren könne als die wüste Erinnerung an etwas, was man Rücken- schmerzen zu nennen pflegt. , Opodeldok ist, fällt uns ein, wenn man Rückenschmerzen hat." Darüber kann d<'r Men- schengeist und die Menschensprache nicht hinaus. Auch ein Newton nicht.

Vorher sprach man von einem horror vacui. „Horror vacui ist, wenn Flüssigkeiten im Heber empor8t«igen.* Newton entdeckte die Gravitation. , Gravitation ist, wenn etwas schwer ist oder fällt/ Und wenn einst ein neuer AnsnsJbmemeDSch mit den medianiscben Erscheinungen des Gewichts clemisdie oder ekkfarisehe Erscheinimgen su einem lidliem Begriff Tsrbunden and beispielsweise den Namen TtAaacvmm dafür anfgeetellt und zam ehxfarelitovoUen Schander derlGlwelt beschrieben haben wird, so wird der neue techsiscbe Ausdruck wieder nur eine beschrftnkto Zeit für eine neue SrUftrung des Weltalls ausreichen und der philosophisiie Dummkopf von Schüler wird audi das er- USrande Wort der Zukunft nicht besser definieren kdnnen, als durch des Menschengeistes letites Verstummen, durch die tiefsinnige Tautologie: .Polarismus ist, wenn etwas ein Verhältnis su etwas Anderem hat.*

Wiissen und Worte.

Der Materialismus hat das gewaltige Verdienst, die theologischen Mauern eingerannt su haben. Dazu gehört

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Vin. Wiöä*!u and Worte.

Matari»' ein dickor ScUidel, und wirkUeli ist die Beaclirihiklikeifc des liams. Materialismua fast elienso gross wie die setner Gegner. Als praktiscber LebensgmndsKfas ist der Hsfe^alismus eine Sdil&nheit, als Weltanschauung ist er die platte Dummheit.

Denn so Tiel mfissen wir nachgerade gelernt haben, dass ans die gesamte äussere Welt nur aus den £mpfin- dangen unserer Seele bekannt ist, dass der Stoff oder die Materie, die der Aussenwelt zugrundeliegen soll, keine ge- wissere Hypothese ist, als die einer gCttUchen Menschen- seele, dass also f&r jeden Einzelnen seine Innenwelt das Ge- wisse, das Unmittelbare ist, seine Aussenwelt das Ungewisse, das Mittelbare. So psradoi es klingen mag, so wäre die Physik die nebelhafteste, die Psychologie (das heisst Er- kenntnislehre, das heisst Metupbysik) die greifbarste Wissen- schaft, wenn ...

Ja wenn! Die Physik ist nur in ihrer Lehre an Worte gebunden nicht in ihren Erscheinungen. Wortlos ^pfinden wir die Macht der Natur, wortlos begreifen wir und siffemlos messen wir mechanische und akustische, optische und elektrische Bewegungen. Wohl hat noch kein Leben* diger einen Beweis gefunden für das Dasein der Aussen- welt, aber physisch gehdren wir selbst su ihr, die Fluten des Alls durchströmen uns, wir sie, und der Kern unseres Wesens, das ist unser Leben, ist ein Teil dieser unbe- wiesenen Natur.

Die Psychologie aber, die uns so unmittelbar bekannt scheint, haftet an unseren Worten, ist ein Denken in Worten, ist also nur das Erbteil des Menschengeschlecihis, ist viel- leicht nichts weiter als die Uebung der Hebungen, die Gewohnheit der C^wohnheiten, ein Wortgebäude, aus Laut- seichen entstanden, mit denen die Nervenbahnen sidi's be- quem machen wollten. Unser ganzes Denken ist vieUeicht nur mit dem elenden Tropfen Oel zu vergleiclien, mit dem die Maschine sich automatisch schmiert, daniit alles glatter geht. Und wie uns in schweren Stunden aufreibender Ge- dankenarbeit der ganze Materialismus als ein gemein« r Traum erscheint, so kann auch das Wortgeb'aude unseres Denkens

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Stoff.

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am Ende doch im Sinne anderer MoDSchen der unrukige Traum der Miiterie sein.

Der liest ist Zweifel. Nur wer an etw;is glaubt, z. B. au den Wert, der VVoite, könute Verzweif lung sagen.

Die Be^riffsgeschichte des Wortes ,St<)fi" in Verbindung mit einer detaillierten Darstellung des Laut- und des Be- deutungswandels von „Stüä", , Materie", „Subsiaiiz „Sub- jekt", »Substraf u. s. w. müsste eine ganze Geschichte des Materialismus, und da diese Weltanschauung nicht ohne ihre Gegensätze zu verstehen ist, eine Geschichte der Philosophie werden. Doch schon wenige Notizen werden uns helfen, den Grundbe^iff der materialistischen Hypothese kritisch zu betrachten.

Das Wort „Stoff" kommt erst im Neuhochdeutschen Stoff, vor. Wahrscheinlich stammt es von dem lateinischen stuppa (Werg); damit mag das deutsche «stopfen* zusammen- hängen, aus diesem wieder wurde m den romaaisdien Sprachen «stoffo*, „6U>ße*, und dieses Wort kehrte ins Beutsche ab Stoff surllck. bt diese Wortgewhichte richtig, so der Sioffbegriff etjmologisdi und sachlich vieUeicht auch schon in »steppen* vor. Der Steppstich ist die Arbeiti welche dem FttUsel, dem Futter die Form gibt und wir hätten da schon den metaphysbchen Gegensatz, der von Aristoteles bis heute unaufhörlich bearbeitet worden ist: den Gegensatz zwischen Stoff und Form einerseits, zwischen Stoff und Kraft anderseits.

Im Franzastschen bezeichnet Stoffe nicht den meta- pihysischen Begriff der Materie, weil die Franzosen daftbr in ihrer Gemeinsprache das Wort matidre haben. Stoffe bedeutet, was wir im Deutschen Zeug nennen; nur etwa der Hutmacfaer Tersti^t unter ^ffe auch die Rohmaterialien (hinter dem metaphysischen Begriff steckt aber immer die Vorstellung Ton einem Rohmaterial) und bildlich sagt man auch wohl il y a en lui T^ffe, er hat das Zeug dazu. Im Deutschen ist neuerdings erst an Stelle des technischen

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VIII. Wkscm und Worte.

Ausdrucks .Matorie* das sdiebb«: Tenlindliefaere Wort «Stoff* getreten. Das aber natllrliefa in dem Augenblicke tedmiseh wurde, ab man Materie damit ttbersetate.

Es ist mir nicht gegenwSrtig, wekber Ton den Scho- lastikern das Wort materies fllr das Sltere Wort Suhstans einführte* Subetans wied^, noch besser Substrat oder Sub- jekt in der alten Bedeutung, war eine mechanische lateini- sche Üebersetsung von &iBOXti|uvov, womit Aiistoteles vor- sichtig und nichtssagend ein primitiTes Ding-an-sidi be- seichnete, das was den Dingen, wie wir sie durch unsere Sinne wahrnehmen, su Grunde liegt, das Unwahmehmbare, das ObjektiTe an den Dingen. Die ganse swsitausen^jabrige Entwickelnng steckt darin Terborgen, wenn wir s. B. in dem Satse «der Schnee ist weiss* die suhjdttiT wahrge- nommene Erscheinung, auf die wir eben unsere Auimerk- samkeit richten, das Prädikat nennen, das objektive Ding jedoch das Subjekt Eine andere Bichtung der Anfinerk- samkeit erkennt den Sdmee als einen besonderen Zustand des Wassers. Wieder eine strenge Aufmerksamkeit hat das Wasser in .Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt Immer aber bleiben für uns die letzten Elem^ite, die wir beobachten kSnnen, der objektive Stoff, den wir darum zum Subjekt unserer ^Uze machen. Wer diese psjchologiscke Thatsache richtig versteht, der hat den tiefsten Widerspruch in allen materialistischen Weltanschainingen erkannt. Ich möchte sagen, dass der Materialismus eine vorpsychologisch o Welt- anschauung ist. Und wenn wie ich glaube Kants Kritik der r«men Vernunft nicht mehr und nicht weniger ist als die grosse That, welche alle Metaphysik und Be- griffsphilosophie vom Throne stürzte, um Erkenntnistheorie, das heisst Psychologie an ihre Stelle zu setzen, so sollte der Materialismus nach Kant nicht mehr ernst zu nehmen sein. Wie man den Antisemitismus einen Sozialismus des dummen Kurls genannt hat, so wäre der Mateiialismus die Philosophie des dummen Kerls zu nennen. Wie man aber vielleicht eine Nebenerscheinung des Antisemitismus dereinst schfttsen lernen wird, dass er nämlich durch seine Angriffe

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Atombflgiiff.

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auf die jüdisclun lieliL^ionsl iK hör auch an den PimdameTiten d* v Dojimatik liittelte, so sdll « s dem Materialismus un- vergessen bleiben, dass er von Epiknros bis auf die Ge^^en- wart immer die roheste Form des Aberglaubens bekämpft hat. Für die Aufklärung der ITalbtrehildeten hat der Mate- rialismus sehr Tiel ^ethan ; wir können aber tr(3tzdem nicht darüber hinwegkommen, dass der Materialismus, wenn er sich für Welterkenntnis ausgibt, ebenso tief wie irgend ein idealistisches System in Wortaberglauben verrannt ist.

Aus der Geschichte des Materialismus ist nichts so be- lehrend wie die Geschichte des Atorabegriffs. Es liegt im Wesen des menschlichen Verstandes, zu diesem Scheinbegriff zu gelangen. Das Kind zerlegt s(>in Spielzeug und fängt nachher zu weinen an. Der philosophische Mensch zerlegt die Dinge so lange, bis nur Stoff übrig bleibt, dann zerlegt er den Stoff, solange er kann; ist er fertig geworden, so schreit er „Atom"'. Sicherlich besteht ein praktischer Unter- schied zwischen den Atomen des Demokritos, die dann wieder von Gassendi aufgenommen wurden, und die man sich kindlich in seltsamen Formen ausmalte, und den Atomen unserer Naturforscher, die man sich swar eboifalls in geo- metrischen Figuren ausmalt^ die aber doch der mathemati- schen Berechnung zugänglich gemadit worden sind. Ifil den alten Atomen konnte man keinen Hund hinter dem Ofen herrorlockm; mit ffilfe der neuen Atomistik Terdienen die chemischen Fabriken MiUionen. Das ist ein sehr er* frenlicher ünterschiedi aber ein philosophischer ist er nicht. Nach wie TOr Tersteht der ungebildete wie der fonchende Materialist unter Atom die letzten und kldnsten Bestand- teOe der Welt, der physischen wie der geistigen Brschei- nungen. Nach wie vor stellen sich Laien wie Oekhrte unter Atomen etwas Tor, was den unsichtbaren und sauber- hallen Zwergen des mittelalterlichen Ab«r^aub«)s ent^richt. Nach wie vor sind die Atome ein sprachlicher Ausdruck IQr die Grense unserer Sinneswahmehmungen. Die Grenze Ist durch die Erfindung und Ausbildung des Mikroskops weiter hinausgeschoben worden, das heisst das Beich der

XftiitIiii«T, Mtrig« n «law Britik dar SptMb«. IIL 86

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Vm. WiMen und Worte.

unbekannten Atome beginnt etwas ferner als es froher be- gonnen bat. Geblieben ist der tbdriebte Selbstbetrug, die Welt durch die Atome erUftron sn wollen, das beisst die Erscheinungen unserer Sinnesorgane durch einen abstrakten Begriff, Ton welchem wir durchaus nichts Anderes wissen, als dass er etwas NegatiTes bezeichnet und swar, dass wir, was er bez^hnet, mit unseren Sinnesorganen sieht fassen kdnnen. Man sage sich das einmal ganz ehrlich. Ebenso gut kannte ein Monarch fttr sein e^nÜiches Reich die Lander erklären, die jenseits seines Reiches liegen. FOr uns, die wir wissen, dass alle Welterklftmng nur Welt- beadireibung ist, werden die philosophischen Ansprüche des atomistischen Materialismus noch armseliger* Denn diese Lehre beschreibt die NaturerscheinungNi wohl oder Abel so lange als die Sinnesorgane uod deren Yerstlrkungen hin- reichen; wo die Wissenschaft dann nichts mehr sehen und fohlen kann, wo also jede Besehreibung aufhl^rt, da greift sie zum negatiTen Begriff des Atoms und nennt das die ErUirung. Eine Hypothese ist wieder einmal zum techni- schen Wort geworden. Materia- Vom Standpunkte der Spi achkritik ist also der Unter- schied gar nicht so gross zwischen dem Wortaberglaoben Philo- des modernen naturwissenschaftlich on Materialismus und '^^^^'^ dem Wortaberglauben derjenigen Nachzügler, welche aus der Geschichte der Philosophie und der logischen Begriffs- bearbeitung irgend eine neuscholastische Naturphilosophie sich und ihren jQngern zurechtgebaut haben. Waren doch alle grossen Philosophen von Piaton bis auf Kant Männer, welche die Naturwissenschaften ihrer Zeit be- herrschten und, einer architektonischen Neigung ihres Geistes folgend, sich bei einigen letzten Abstraktionen beruhigten, die sie dem Wortschatze ihrer Zeit entnahmen und mit künstlerischer Harmonie wie zu einem Stickmuster ordneten. Ihre Grösse bestaml in ihrem architektonischen Drang. Die Neuscholsstiker, die sich nach ihnen heute noch Philosophen zu nennen lieben, stehen darum so abgrnndtief unter diesen hervorragenden Geistern, weil sie yon der Naturkenntnis

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Haterialiamus and PhüoMphie.

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dttr Gegenwart absehen oder nichts wiBsen und ihre Ge- bäude aus toten Symbolen und toten Abstraktionen ver- gangener Zeiten erriehten, wie Immemuains Münchhausen Häuser errichten wollte, au denen er aus Luft gepresste ZiegA nahm. Die Streitigkeiten dieser Philosophen um die toten Begriffe des Aristoteles und um die sehlechtesten Be- gziffe Ton Kant erinnern mich immer an die Schmersen, welche Leute, denen man ein Bein abgeschnitten hat, in den Nerrenenden des abgeschnittenen Gliedes empfinden sollen. So quüt sich die Menschheit mit den Schmeraen ihrer amputierten Vergangenheit. Viel wertvoller sind uns natürlich die Gedanken der Naturforscher, die am Ende einer gewissen Naturbeschreibung sum Yersuche einer Natur- erklilrung kommen. Nicht Schelling und H«gel, nicht Tren- delenburg und Schopenhauer oder gar der denkende Dieter Nietasche sollten darum die Philosophen des 19. Jahrhunderts genannt und mit Piaton und Kant verglichen werden, son- dern Männer wie Darwin, der die letxte Abstraktion wenig- stens aus dem Sprachschätze seiner Gegenwart schöpfte. Wenn aber kleine Gesellen wie Moleseliott oder gar Büchner mit den toten Begriffen Atom und Stoff einen neuen Handel beginnen woUten, so war ihr Treben für die kritische Be- trachtung widerwärtig. Nur als Kanonenfutter im Kampfe gegen das Dogma sind solche Rekruten zu braueben.

Unsere Materialisten berufen sich mit den Begriffen Stoff, Atom und allem ihren übrigen Wortaberglauben gern auf die grossen Denker, auf den abseits stehenden Spino/a, der als der erste und beinahe als der letzte die absolute Kausalität im Weltgetriebe lehrte, auf die drei gewaltigen Kritiker Locke, Hume imd Kant. Sie scheinen nicht zu wissen, dass Spinoza die Welt der Notwendigkeiten deut- lich ab die eine Seite der Welt erkannte und dass die drei Kritiker nacheinander immer deutlicher die Unfähigkeit de« Verstandes und seiner Sinnesorgane für die Welterkliirung erkannten. Was sie uns hinterlassen haben, das ist die Aufgabe, die einstigen Fragen der Metaphysik zu Fragen der P^chologie umzugestalten, wie ich glaube und lehre,

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YUL Wissen und Worte.

SU Fragen der Sprache. Wie wir in der Ethik dahin ge- langen inüF;5;on . da» Gewissen, anstatt uns darauf zu be- rufen, auf «eine Entstehung und auf seine Bedeutung in der 8]>mcbe zu prüfen, so mOssen wir die letzten Abstraktionen der modernen Naturphilosophie auf ihre Entstehung und ihre Bedeutung hin erst prüfen, bevor wir sie Oberhaupt anzuwenden wagen. Was uns am Materialismus allein sym- pathisch ist, seine Abkehr von Wundererklämng und seine Gegenständlichkeit, seine Freiheit von Kirchenknechtechafk, rlns ist in der Weltanschauung des Idealisten Kant als etwas Selbstverständliches mitenthalten* Nur darf man diese be- rechtigte Einseitigkeit aus Hass gegen die Kirche nicht Überschätzen, und das ist vielleicht der schlimmste Fluch dieses jahrhundertelangen Kampfes gegen Voltaires Infäme, dass der Kampf gegen Dummheit und Heuchelei auch die besten Kämpfer schliesslich dumm und verlogen macht. Als ob die Gleichheit des Bodens dies zur Folge haben mOsste. Es wäre Zeit, die Infftme von oben herunter zu bekämpfen.

Kraft Der Streit um den Materialismus wird am hefbigsten

StOfff Gebiete f^eführt, wo man hüben und drüben die

Märchen über (jehirn und Seele /.um besten gibt. Unsere Materialisten mu.ssten freilich au ihre Unfehlbarkeit glauben lernen, wenn sie sahen wie man ihnen ein Gebiet der Natur nach dem andern überliess und ihnen schliesslich nur noch den menschlichen Geist streitig machte. Wenn es aber richtig war, dass der Materialismus den menschlichen Leib mit seinen mecbanisüheu , chemischen und physiologisehen Erscheinungen befriedigend orklartp, dann war \Mrklich die Herleitung des Denkens aus dem berühmten StofV nur eine Frage der Zeit. In Wahrheit aber ist der Materialismus auch den mechanischen, chemischen und physiologrisrhen Erscheinungen gegentJber die letzte Erklärung heut-»? noch ebenso schukiig wie er es vor zweitausend Jahren war.

Newtons Gravitationslehre hat in genialer Weise die Formel vereinfacht, unier welcher wir uns die Anziehung der Körper und ihrer gedachten kleinsten Teile vorstellen

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Kiaft und Stott'.

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kdimm; an Slelle der abentouerlich gefonnten Atome, wie nuui ne sich toh DemokritoB an bomiroiert hatte, koonten jetst fonnloee matfaematMche Fmikte treten tmd die ZÜfer aJlein kam stu ihrem HeGht Gerade aber in diesen mathe- matischen Punkten der mo^rnen Atomenlehre TeiflDchtigte sich der Sfoffb^griff T^Uig nnd das Atom wurde aar un- endlich Ideinen Krafteinheit, die durchaus an keine noch so minimale Stoffeinheit mehr gebunden gedacht werden musste. Die Trennung aller Ursachen in Kraft und Stoff ist eine sinnlose Bentttsung alter Worte; denn wenn man alle Iirsdiei- nungen oder Wirkungen auf die bekannten KrSfte surUck- geftthrt hat, bleibt Ar den Stoff nicht das kleinsto Feld der Wirksamkeit mehr flbrig. Die Trennung der Begriffe Kraft und Stoff ist dem naiven Empfinden gani geläufig; wenn mir ein Ziegelstdn auf den Kopf fUlt, so unterscheide ich seinen Stoff und seine Kraft Ton dem Stoffe und der Kraft eines fallenden Regentropfens. Aber nur das brutale Em- pfinden macht einen solchen Unterschied awischen dem mechanischen Stoss, dessen Kraft nach den Fallgesetaen be- rechnet wird, und den sogenannten stofflichen Eigenschaften des Ziegelsteins, welche doch wieder nur Aeusserungen chemischer Kiftfte sind. Die Atome des Ziegelsteines hätten mir kein Loch in den Kopf sehlagen kdnnen, wenn nicht chemische Kräfte ihnen gerade diese Erscheinung gegeben hätten. Die Gravitation Newtons bni^ nur die am allge- meinsten Terbreiteto Anxiehung der Kdrper auf die ein- fachste Formel und scUiesst die besondem Fälle der ehemi- schen Anziehung Torläufig aus, weil die Formel nicht passt Das ganie 18. Jahrhundert quält sich darum, für die chemi- schen Euräfte ein ebenso httbeches Wort zu finden, wie es in der Gravitation fbr die allgemeinsto mechanische Kraft sich dargeboten hat, und wir sind heute noch Über den bildlichen Ausdruck der Verwandtschaft (frflher Affinitili, fiXtoi, rapport) nicht hinausgekommen. Und wenn es dem- nächst gelingen sollte, in der Elektricität die Kraft zu ent- decken und dem Kalkül zu unterwerfen, welche sowohl die Gravitetion zwischen Fiistemen ab die chemischen Ver-

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VUI. WiMen und Worte.

ftndenmgen emander berOhreiider EUmenie bewirkt, so wire doch wieder nur das Spiel der Kr&fte auf einen einfacheren Ausdruck geVracht, der Stoff wftre neben der Eraft nur nocb aberflOflsiger geworden. Der Begriff «Stoff* bliebe nach wie yor der brutale Ausdruck f&r die Thatsache, dass wir uns an den Körpern Stessen, dass uns ein Ziegelstein ein Loch in den Kopf schlagen kann. Die Wissenschaft konnte es immer nur mit Kriiften zu thun haben und es ist spasshaft xu lesen, wie im Anfange des 19. Jahrhunderts schliesslich die Wissenschaft selbst auf diese brutale That- sache gestossen wurde und neben den Atomen, die mathe- matische Punkte blieben, MolekQle annahm, als die kleinsten Stoffteilchen, ohne welche man sich die greifbaren Stoffe nicht erklären konnte. Man kann wohl sagen, dass die Atome der vornewtonischen Zeit weit eher unsem Mole- külen entsprach«! als unsere mathematischen Atomen; auch nehmen unsere MolekQle, gleich den alten Atomen, in der Vorstellung der Forscher schon wieder die niedlichsten Formen an, man gruppiert die ausdehnungslosen Atome ganz anmutig zu geformten MolekQlt n. glaubt sie sich da- durch geometrisch TorzusteUen , während man ausdrücklidi zugibt, dass diese geometrische Vorstellung der Wirklich- keit unmöglich entsprechen könne. Die Bewunderer des modern on Materialismus berufen sich darauf, dass mit Hilfe dieser Molekulartheorie und dieser Atomistik eine ausser- ordentlich grosse Anzahl neuer Stoffe hergestellt worden ist. Aber alle die neuen Stoffe beweisen nicht, dass es auf der Welt neben den angenommenen Ursachen, die wir Kräfte nennen, noch einen besonderen Stoff gebe. Wir haben sehr viele Beobachtungen gesammelt und nüf/en sie aus. Die obersten Sammler, welche scheinbar unabhängig und auf der üühe der Wissenschaft für die chemischen Fabriken thdtipr sind, nennen sich Forscher und Gelehrte. Von einer Erklärung ihrer Beobachtungen sind sie aber so weit ent- fernt, dass es fraglich ist, ob sie die Gesamtheit ihres techni- schen Wissens eine Wissenschaft nennen dürfen. Der Er- finder des Telephons war ein weit scharfsinnigerer Mann

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Kraft und Stoff.

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als es die Tfttuende sind, welche Beine Erfindung gebrauchen; doch weder der Erfinder noch der telephonierende Laden« jfini^ing weiss, was Elehtridtftt sei. Wir leben ja auch ohne sa wissen, was das Leben sei

Einer der erfolgpreichsten Chemiker unserer Zeit« Eekiüd, den die Grossikaiifleute der chemischen Industrie mit Recht ab ihren Heroe gefeiert haben, weil seine neue Benzoltheorie Qeld ins Land brachte, hat in semem Lehrbuch mit der yoII- endeten Klarheit des ersten Beobachters zwischen Thatsache und Hypothese unterschieden. Er weiss, dass nur die Pro- portionsiahlen den Wert von Thatsachen haben, dass alle Angaben Uber stoffliche Atomgewichte auf Hypothesen be- ruhen. Und doch hat gerade sein Bild von der geometri- schen Anordnung der Atome sich in den Köpfen festgesetzt, und weil das Geschäft dabei blüht, so preisen es die Schüler allerorten. Wie in diesem Falle, so ist es bei ehrlichen Ver- suchen der Welterklärung immer geschehen. Der naive Mensch steht vor dem Stoff wie der Ochse vor dem Berg; der Stoff ist ihm die brutide Thatsache und die geheimen Kräfte dos Stoffs sind unsichtbare Götter, die ihm so lange hypotiietisch vorkommen, bis sie ihm Vorteil bringen. Ist die simple Thatsache des Stoffs aber erst analysiert, das heisst in Kräfte zerlegt (denn jeder Stoff ist nur die Be- sultierende von Kräften), so werden die Kräfte zu wissen- schaftlichen Thatsachen und ihr Stoff wird zur Hypothese.

So ist das Atom als der Bee^riff eines unendlich kleinen StofFteilchens, gerade durch und für den Materialismus über- flüssig geworden. Was für den Chemiker und überhaupt für den Is'aturforscher an den Dingen der Stoff ist, das ist ihre Masse; das Atom ist eigentlich nur das minimale Ein- heitsmass der Masse. Ks ist ebenso unwirklich wie es das ünendlichklcinp ist, wodurch man einen Millimf^ter messen wollte. Auch bei den Massen i^t nur ilir \ > ihaltnis eine Thatstjclre. ünd da wie Frieilru h l^anL^e >ehr fein hervorgehoben hat selbst das (nrileii und Fassen, ge- schweige denn än-- Sehen und Hören nur diM rii iif iingreif- baren und unfassbareu Kräfte im Menscheugehim bewirkt

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568 ^< WiaMn und Woite.

wird, ilii also der Stoff sich nicht nur für die Wisse u. sc ii alt lu Kräfte auflöst, sondern auch im naivsten Menschen die Vorstellung jedes Stoffs nur durch Kräfte erzeugt wird, da endlich seihst der brutale Begriff dei Masse ein mathe- matischer Begriff geworden ist, geht es für die unbefangene Erkenntnis nicht länger an, als Ursache der uns geläufigen Erscheinungen den Gegensatz von Krait und Stoff anzu- nehmen. Die Ursache kann da wir doch Ober unsem Sprachgebrauch nicht hinauskommen nur entweder ein unbekannter Stoff mit verschiedeneu unerklärt<*ii Eigen- schaften sein oder ein unbekannter Zusammenhang ver- schiedener unerkUutci Kiuiit'. Wenn wir iiuu alle Eigen- schaften der Kör]»er, und das thut doch die Naturwisseu- schiitt , auf Naturkräfte zurückgeführt haben, so bleibt in der weiten Welt unserer Vorstellungeu für den Stoff kein Schlupfwinkel übrig. Denn was man sich unter Stoff denkt, ist ja doch nur der körperliche Rest, nachdem von einem Körper alle Eigenschaften hinweggedacht worden sind ; dieser körperliche Best existiert aber gar nicht, denn der Körper ist nur der Inbegriff seiner AmtUdien Eigen- schaften (vergl. m. 7). Wenn man ans einer SiunmA dbnfc- Cche Addenden herausstreicht, so mag man die Null, die sieh dann ergibt, meinetwegen eine Summe nennen; in der Wirklichkeitswelt gibt es keine Null, gibt es keinen Stoff. In der Ualheinaiik kann man aber wenigsten» deutlich zwischen der Kuli und dem Unendlichen unter- scheiden« Die Null an den Körpern, der Best, welchen wir den Stoff nennen, erhSlt in der Wortmacberei des Mate- rialismus gans Ton selbst das Flrftdikat unendlich. Der 0nmd ist in der psychologischen Entstehung des Begrifb za suchen. Das wäre ganz deutlich, wenn die ^rache nicht in ihrem schlechten Gewissen immer neue Abstraktionen für die Abstraktion Körper gebildet hatte. Was dem Begriff .Stoff" 2a Gründe liegt, ist immer die naive YorsteUnng Ton einem Körper, an dem man sich stossen kann. In froherer Zeit wurde die Luft nicht an den Körpern ge- rechnet. Heute weiss man, dass die brutale Körperlichkeit

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Knft oad Stoff.

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eiiieB Dings eine andere w&re auf der OborflSdie dee MondeB und auf der der Erde, auf Erden eine andere je nach der Entfemimg vom Mittelpniikte der Erde, eine andere je nach der Temperatur u. s. w. Unsere VorBteUung Tom Kllrper- lichen ist uns aber seit Jahrtausenden so geläufig geworden, dass wir uns immer noch, trofadem die Ettrperwdft in ein Spiel Ton Ei^Aen aufgelflst worden ist, die Krftfte als an etwas extra Körperliches angebunden YOrstellen. Und es ist eigentlich vdUig gleich, ob wir das: »Etwas* oder »ein Körperliches" nennen. Das Wort, an welchem wir uns ein Abstraktum yon allen Körpern vorstellen oder vielmebr ein Bild, ist Materie oder Sto£f oder Etwas, und dieses Etwas ist für den Materialismus das Ding-an-sicb, der unendliche Stoff, das Körperliche, das verborgene Pferd, welches der Bauer in der Dampfmaschine vermutet, wie Friedrich Lenge einmal gesagt hat.

Der Wortaberglaube in den Begriffen Kraft und Stoff driuigt sich bei unmittelbarer Beobachtung der Naturvor- gänge so sehr auf, dass sogar Du Bois-Reymond in bessern jüngern Jahren (Untersuchungen über tierische Elefctricität 1848, Vorrede) das Trüj^erische in diesem Gegensatze er- kannt hat. „In den Begriffen von Kraft und Materie sehen wir wiederkehren denselben Dualismus, der sich in den Vorstellungen von Gott und der Welt, von Seele und Leib hervordrängt. Es ist, nur verfeinert, dasselbe Bedürfnis, welches einst die Menschen trieb, Busch und Quell, Fels, Luft und Meer mit Geschöpfen ihrer Einbildungskraft zu be- völkere. Wa^ i^t cfowonnen, wenn man s-u^f . es sei die gegenseitige Anziehungskraft, wodurch zwei Srotfteilcben sich einander nähern?" Der Geschichtsschreiber des Ma- terialismus bemerkt zu dieser Stelle sehr geistreich: „Unser Hang zur Persomlikation oder , wenn man mit Kant reden will, was auf dasselbe hinauskommt, die Kat< f^orie der Sub- stanz nötigt uns stets den einen dieser Begritie als Subjekt, den andern als Prädikat aufzufassen. Indem wir das Ding Schritt für Schritt auflösen, bleibt uns immer der noch nicht aufgelöste Kest, der Stoff, der wahre iieprääentant

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TIU. Wiaan und Worte.

des Dinges. Ihm schreiben wir daher die entdeckten EigenschafiMi su. So enthttUt noh die grosse Wahrheil ,kein Stoff ohne Kraft, keine Kraft <^e Stoff' als eine bkime Folge des Satses ,kein Subjekt ohne PtSdikat, kein Prädikat ohne Subjekt*; mit andern Worten: wir können nicht anders sehen, als unser Auge suttsst; nicht anders reden, als uns der Schnabel gewachsen ist: nicht anders aujffassen, als die Stammbegriffe unseres Yeistandes be- dingen.*

Aber diese Darlegung beweist nur, dass sowohl Lange als Du Bois Reymond nicht ganz die Sprache ihrer Zeit red^, nicht wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, sondern wie den Leuten Torschiedener Zeiten Tttschiedene Schnabel gewachsen sind. Das TerhSltnis von Subjekt und Prädikat kann irgendwie umgekehrt werden, nicht das von Ciraft und Stoff. Die gegenwärtige Naturwiss^chafti das heisst die Sprache unserer Zeit, rersucht sämtliche Eigenschaften der Dinge, wo doch kein stofflicher Best zurttokbleibt, in Kräfte aufzulösen, das heisst mathematisch auszudrücken. Wer konsequent die Sprache unserer Zeit reden will, der darf darum gar nicht mehr Tom Stoff reden, sondern nur noch Ton Kräften. Wer Kraft und Stoff wie Prädikat und Subjekt behandelt, der vermischt unwissentlich die Sprachen verschiedener Zeiten; er könnto ebenso gut sagen: die Sonne dreht sich nach den Gesetzen der Gravitation in einer ellipti- schen Bahn um die Erde. Ich aber möchte hinsufllgen, dass, nachdem der Kraftbegriff allein vom Stoffbegriff noch flbrig geblieben ist, die Kritik des Kraftbegriffe einzusetzen hat bei dem allgemeinem Begriffe der Kausalität; das ist die letzte der alten Kategorien, welche vrir, auch wenn wir noch so radikal denken, aus unserm Verstände nicht heraus- zubringen vermögen. Der Stoff begriff jedoch ist unter aller Kritik.

Der Materialismus lehrt seit alter Zeit die ünzeisiörbar- keit des Stoffs oder der Materie; die vorurteilslosere Natur- wissenschaft unserer Tage hat die ttbwkommene Vorstellung nur in unserer Sprache ausgedruckt« als sie neuerdings das

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Kraft und Stoff.

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Wort ▼on der Erhaltung der Energie, das heiast der Eräfte snfbrndiie. Denn nachdem alle Erscheinungen am Körper» liehen in Erftfte aufgelöst waren, konnte diks Unzerstörbare nur noch in den Kräften gesucht werden. Qana von selbst schlich sich dann für den körperlicheren Ausdruck Vn- serstOrbarkeit das abstraktere Wort Erludiung ein; und in dem Worte Eneigie verrltt sich die Ahnung , dass man die Mehnahl der KMe noch einmal auf verschiedene Formen einer einzigen Kraft surfickführen werde, wie denn auch die Zahl da* waltmden Katurkiftfte schon jetzt bedeutend geringer ist als die Zahl der mehr als siebzig Elemente, in welche man nach Erkenntniszwecken den Stoff einteilen musste. Hier sehen wir aber auch sofort den Orund, warum auch die freiesten Köpfe bei Behandlung solcher Fragen die Sprachen verschiedener Zeiten durch- einander mischen müssen. Es sind nämlich die verschie- denen Disziplinen gewissermassen nicht gleichzeitig fort- geschritten und so nicht gleichzeitig auf der Höhe des kritischen Denkens angekommen. Die allgemeinste mathe- matische Naturbetrachtung hält bei der Erhaltung der Energie und blickt auf die siebzig und mehr Elemente als auf ein vorläufiges Stadium zurück; der Forscher, welcher für chemische Fabriken arbeitet, kann wiederum mit den letzten Prinzipitn nicht viel anfangen und muss sich noch an die Elemente halten. Wir können noch weiter gehen und sagen , flass der praktische Arzt noch vielfach an die Beobachtungen und damit an die Sprai he der Alchimisten- zeit, der praktische Jurii^t an die Thatsacben und damit an die Sprache noch älterer Epochen gebunden ist. Alle diese Leute glauben dabei , die Bildung der Gegenwart in sich aufgeuommen zu haben und die Sprache der Gegenwart zu reden. Sie reden hucL nnt dem ordinären Büchner von Kraft und Stoff. Beide Worte siüd aber Gespenster; die Braven, die mit ihueu kämpfen, wissen es nur noch nicht.

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YIIL Wimh u&d Worte.

Natur- Der blosse Hinweis genügt, um das Zugeständnis zu JoJJidL Begriff , Naturgesetz* eine Metapher

sei, ein hübsches Bild, das ganz vortrefflich in die mytho- logische Welterkl'arung des Altertums hineinpasste. Wurde doch die Natur selbst personifiziert, entweder in einer ein- zigen Qestalt oder in mehreren Gottheiten ; und diese Ksiur gehorchte den Vorschriften eines noch mächtigeren Gottes, woraus sich dann die auffallenden Regelmfewigkeiten dar Natur ergaben. So würde ein Reisender, wenn er in einttu fremden Staate in Handel und Verkehr auffallende Orduimg wahrnähme, auf das Vorhandensein von Gesetzen schliessen. Dasu kommt, dass man bis zur Stunde nicht aufgehört hat, unsere Stnatsr^eseiae in letzter Instanz auf göttliche Ge- bote un l V( rbote zurOckzufUhren und dass diese Gdttlich- keit der Menschensatzungen im Altertum sogar noch all- gemein gegflauht wurde.

Da ist es nun beachtenswert, dass der Begriff Natur- gesetz sich bei Piaton und Aristoteles eigentlich noch nicht ▼(«findet. Ein einziges Mal findet sich bei Platon und em einsiges Mal bei Aristoteles (Eucken : Grondbegriffe, 2. Auf- lage, S. 174) das Wort »Gesetz*. Aber beide Stellen machen auf mich den Eindruck, s]s ob die Anwendung des Gesets- begriffs auf die RegelmSssigkeiteii der Natur eben als ein neues und treffendes Bild Tom Verfasser selbst gefllhlt wurde. Aristoteles macht das ganz deutlich, denn er sagt: «wie ein Geseia*. Nach dem Sprachgebrauch der Alten würden wir also z. B. sagen müssen: die «Gemischen Ele^ mente Terbinden sich untereinander in so ordnungsmassigen Reihen, als ob sie äussern Gesetzen gehorchten. Die Bild- lichkeit des Ausdrucks wurde also sehr stark empfunden, auch da noch, wo das Wort Natuigesetse oder viebnehr «Vertrüge der Natur* schon als technischer Ausdruck vor- kommt wie bei Lueretius.

Dieses Bewusstsein der Bildlichkeit ist der eine Grund, weshalb die Natmrgesetze in der Wissenschaft des Alter- tums noch eine bescheidene Bolle spielten; dazu kommt aber der weit wichtigere Grund, dass Naturgesetze als Bild

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NfttnigMekie bildliclL

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oder Begriff immer nur die wahrgenommenen Regelmässig- keiten der Natur erklaren wollen und sollen und dass dem Altertum yerhältnismässig sehr wenige solcher Regelmässig- keiten bekannt oder geläufig waren. Von den Regelmässig- keiten des sozialen Lebens hatten die Alten noch keine Ahnung; darum musste ihnen auch der Begriff sozialer Ge- setze völlig fremd bleiben. Aber auch die bei uns land- läufigen Regelmässigkeiten der Physiologie waren von ihnen noch nicht beobachtet worden ; sie konnten darum das Bild YOm Oesetz auch nicht auf das Leben der Tiere und Pflanzen anwenden. Als regelmässig erkannten sie deutlich bloss die Vorgänge der Mechanik z. B. die Bewegung der Steine; da allein schien die Natur Verträge abgeschlossen zu haben, einem fremden GesetE, einem fremden Willen zu gehorchen.

Ich bemerke dasn, dass der Streit der Analogisten und Anomalisten, der die ganze Sprachphilosophie der Alten durchzieht f bei ihnen auf die Frage zurttckgebt, ob die Worte natOrlich oder durch einen Oeset^eber geschaffen worden seien. Man sieht sofort, dass diese ganze An- schauung unserem Denken, also unserem Sprachgebrauche widerstrebt Wir suchen die Gesetze in der Nntur, erblicken also in Kator und Oesetz keinen Gegensatz. Die Alten stellten immer bfldlich der Natur einen äusseren Ge- setzgeber gegenüber.

Der FoH^ang des Denkens ftihrte im Mittelalter dazu, dass das Bildliche aus dem Begriff Gesetz so oder so Yer- schwmden musste. Die blühenden Personifikationen des Altertums hOrten auf. Ans der Natur wnrde der nüchterne Inbegriff aller wirklichen Dinge und aus dem Gesetzgeber aber ihr wurde der allmächtige €k»tt der christlichen Dog- mattk. Da Terflog das poetische Bild und ganz prosaisch wurde Gott der wirkliche Gesetzgeber der Natur. Diese Vorstellung ist schon im ersten Kapitel der alten Bibel ▼orgebüdet. Gott schuf Sonne, Hond und die Sterne, den Tag und die Nacht zu regieren. Wie ein absoluter Mo- narch, der sich um alles selbst bekümmert, erscheint da

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VIII, Witwen und Worte.

Gott. Und es wird auch sofort Idar, warum das ganze Hittelalter sich bei solchen Anschauungen Aber kein Wunder wunderte. Die wenigen RegelmSssigkeiten der Natur waren eben niclit innere Naturgesetze, sondern äussere Gesetze Gottes, die der allmächtige Gesetsgeher mit ToUem Recht in jedem Augenblick aufheben konnte, wie ein absoluter Monarch sich auch um seue eigenen Gesetzbücher nicht zu bekOmmem braucht. Gott hatte der Sonne befohlen, in regelmässigem Laufe zu leuchten. Es stand eher gar nickte im Wege, dass er einmal der Sonne befahl, stQl zu stehen. Dieser Fortgang der Weltanschauung also, der chnalliche, Temichtete das Bild vom Gesetze dadurch, dass er das Gesetz für Wirklicbkeit nahm.

In entgegeugesetzter Richtung bewegte sich derjenige Fortgang des Denkens, der bei Spinoza schliesdich dazu führte, Gott und Natur einander gleich zu setzen. Und es kann gar kein Zweifel darüber besteben, dass gerade die weiter beobachteten Regelmässigkeiten der Natur zu dieser neuen Empfindung von der Natur ftlhrten. So war auch Spinoza der erste, der sich in seinem tbeologiscb-politiscben Traktat gegen den WunderbegriiF kebrte. Das ist beinahe selbstverständlich bei dem tapferen Manne. Hatte man tausend Jahre laii«^ immer mehr Regelmässigkeiten der Natur beobachtet und dazu keine einzige Unregelmässigkeit, so lag die Vermutung nahe , dass der Natur die Gesetze gar nicht von einem fremden Willen vorgeschrieben waren, dass die Natur sicli ihre Gesetze selber rrab, dass Staat und Gesetzgeber ziisammenlieleu , wie in der neuen Republik, in Spinozas Niederlanden, wie in einem idealen Rechtsstaat. Stand aber der Natur kein äusserer Gesetzgeber t^egenüber, fiel Gott und Natur zusammen, so gab es auch keinen fremden Willen , der die Regelraässigkeit durchbrechen, der ein Wuuder bewirken konnte.

Der Gebrauch des Wortes Naturgesetz wurde nun zwiu- immer. häuti*,'er, aber sein bildlicher Sinn, seine wahre Be- deutung ging verloren. Wieder und wieder stehen wir vor einem Beispiel, das die \V ahrheit meiner Lehre bezeugt

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GeeeUe m den Worten enthalten.

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Das Gedächtnis der Menschen hatte Aehnlichkeiten gemerkt, wie z. B. den Lauf der Gestirne. Diese auffallende Kegel-

niiissigkeit wollte der Wissensdrang der Menschheit sich erklären uiui glaubte die Erklärung in der mythologischen Gestalt und dem bildlichen Begriff der Gesetze zu finden. War ein äusserer Gesetzgeber da, so war die Regelnlässigkeit zu verstehen. Nun verschwand die mythologische Gestalt, das Bild. Der Begriff" Gesetz aber blieb und wurde und wird bis zu dieser Stunde geheimnisvoll als etwas der Natur Innerliches aufgefa&st. Die Gewohuheit der Sprache lässt uns glauben, dass dieser neue Gesetzln gi ilF immer noch die \\ HiirgeMommenen Regelmässigkeiten ^erkläre*. Aber er erklärt gar nichts. Der neue Begriff Gesetz oder Natur- gesetz ist nur ein anderes Wort für eben die unerklärten Regelmässigkeiten, ein leeres Wort, das mit seiner Bildlich- keit und Sinnlichkeit jeden Sinn verloren hat. Höchstens dass in dem Begriff .Gesetz" die Nuance mit eingeschlossen ist: die beobacliteten Regel inässigkeiten kehrten bisher so ununterbrochen wieder, dass wir auch an ihre ktlnftige Wiederkehr glauben. Was wir also Naturgesetz nennen, ist nichts weiter als unsere Seelenstimmung gegenüber den in uns entstaudeaen induktiven Beirriffen (»der W^orten. Wenig genug, aber zugleich alles, was v. u haben.

Ich habe vorhin neben einander von liegelmässigkeiteu tieseue der Natur und von Aehnlichkeiten unserer Sinneseindrücke ^^Qr^^n gesprochen. Ich wollte damit andeuten , dass die neuere eat- Weltanschauung, wie sie seit Locke und Kant auf die Er- kenntnis der Wirklichkeit verzichtet und sich auf Kenntnis unserer sulijektiven Sinneseindrücke zurück^itht , an dem Begriff der Naturgesetze nichts geändert hat. Haben wir eben ganz begriffen , dass unsere imponierenden Gesetze nichts weiter sind als ein anderer Ausdruck für unsere in- duktiv entstandenen Begriffe oder Worte, so ist es doch ganz gleichgültig, ob wir uns dieser Entstehung aus Sinnes- eindrücken bewusst sind oder ob wir an ein direktes Wahr- nehmen ler Dmge glauben. Regelmässig war der Lauf der Sonne auch damals, als wir von der Scheinbarkeit der

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VlIL Wimen und Worte.

Bewegung noch nichts wnssten. Die Bogcnmiattti Katar- geeclse beieichncn ebenso keine andere BegelmSasii^eit, seitdem wir wissen, dass nur ^n Wiederacheitt Wirk- lichkeiiswelt in unserem Denken ist

Der FortschriH gegen fraher, der uns auf die Natur- wissenschaften unserer Tage so famulusra&ssig stolz sein ISsst, besteht einzig und allein in der grösseren Genauigkeit der Beobachtungen. Die Prtzisionsinechanik bildet den Haupt- unterschied zwischen der Mechanik der Alten und unserer Mechanik. Wenn einige Wissenschaften ganz neu aufgetreten sind, wie z. B, die Chemie mit ihren mathematischen Ge- set7,en . so ist auch das nur der Ausdruck fllr die Ke<^el- mässin;kt'it feinen^r und schärferer Beobnchtunfren. Ohne Zweifel hat die Anwendung der Mathematik auf die Natur- wissenschafton ihre sogenannten Gesetze weit hübscher und brauchbarer zugleich gemacht; das menschliche Interesse wie die interesselose Freude werden mehr befriedigt als früher; aber darum liort das Naturgesetz nicht auf ein über- flüssiges Wort zu sein. Es schadet nicht viel, wenn die Gelehrten und die Abfas-ser von Schulbüchern von Zeit zu Zeit unbewusst in die alte antliropomorphe V(»rstellungs- welt zurückvertalleu und unklar von den Gesetzen so reden, als wären sie Untergottheiten zwischen der Allniutter Natur und ihren einzelnen Erscheinungen. Wie gesagt, so poetische Bilder schatten nicht mehr grossen Schaden. Die Gelehrten ahnen ja doch, wir aber wissen es : dass die Einzelerschei- nungen sich zu ihren sogenannten Gesetzen ebenso ver- halten wie unsere Einzelwahrnehniungen zu unseren Be- griffen. So wenig unsere Einzelwahmehmungen die Wir- kungen oder die Folgen von ihrem Begriffe sind, so wenig gehen die Erscheinungen aus den Gesetzen hervor. Nicht die Gesetze gehen voraus, sondern die Thatsachen. Nicht die Thatsachen gründen sich auf Gesetze, sondern die Be- quemlichkeit unseres Denkens gründet Gesetze auf That- sachen. wie nie Begritie auf Wahrnehmungen gründet. Die Gesetze sind nicht das Vorausgehende, sondern das Nach- kommende. Und das einzig und allein in unserem Gehirn.

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G«Mtie in dm Worten.

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Und ich stohe nicht an, den Begriff Gesetz damit aus der Reihe unaerer leibhaftigen Worte auszustreichen, wenn ich sage : so wie Platon und mit ihm die sogenannten Realisten des Mittelalters zu den wahrgenommenen Einzel dingen sich die allgemeinen Begriffe Iconstruierten und sie als etwas Reales, als Erzeuger der Einzeldinge auffasstcn, sie ge- wisserniassen als zeugende Gottheiten der Dinge in die Ewigkeit hinausprojizierten, genau ebenso konstruieren sich unsere Naturforscher bewuss^t oder unbewusst zu den wahrgenomniencn regelmässigen Naturveränderungen Be- griffe dieser Veränderungen, nennen diese Begriffe GesetM und sind geneigt, sie zeitlich als Regierer Tor die Aende- niTigen zu setzen, wenn sie sie auch nicht geradezu myHiisch in den Kaum hinausprojmeren.

Sind wir so erst ganz einig darüber, dass unser ganzes menschliches Wissen in unseren Wahrnehmungen besieht, unser Denken oder Sprechen einzig und allein in der be- quemen Ordnung dieser Wahrnehmungen (durch Begriffe oder Worte, welche ähnliche Wahrnehmungen zusammen- fassen), so werden wir bescheiden weiter sagen, dass wir Gesetze diejenigen Begriffe zu nennen pflegen, die besonders regelmässige Naturbewegungen oder Aendeningen zusam- menfassen. Geqpenster, die pfinktlich zur gleichen Stunde erscheinen. Wir nennen die Begelmäasigkqiten in der Mechanik, die wir bis auf die Ueinsfeen Bruchteile beob- achten gelernt haben, €tesetze, wie wir die Begelmissig- keiten in der Biologie, die noch sehr schlecht beobachtet sind, ebenfalls Q«setze nennen. So haben wir doch auch in Bezug auf die Dinge selbst festere Begriffe wie Eisen n. s. w., wir haben daneben fliessendere Begriffe wie Tier. Darum scheint mir der Streit daraber, auf welche Verände- rungen der Begriff Gesetz anzuwenden sei und auf welche nicht (Sprachgesetze z. B.), um der Relativität des Qeaetz- begriffe willen ein reiner Wortstreit zu sein. Was man jetzt Soziologie nennt, weist ganz gewiss Aehnlichkeiten oder Regelmässigkeiten auf; ob man diese Iirschemung nun statistische Gesetze oder bescheidener Tendenzen nennt, das MftvtbB«r» Beitilc« m ein« Kritik 4«r Spn^ m. 37

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ViU. WiMeu und Worte.

macht die Beobachtungen selbst weder besser, not Ii . chlechter. Erst wenn ein Staatsmann die mangelhaften Beobachtungen der Statistik für gute Beobachtungen hält, für eben solche Gesetze wie die Gesetze der Mechanik, und weiui er auf Grund dieser veruieintlichen Naturgesetze höchst wirksame Staatsgesetze sich erfindet, erst dann kann ein Schaden entst-ehen, erst dann kann die Siuulosigkea des Begriffe ^Gesetz" zu sinnlosen Gesetzen führen. Diese Möglichkeit ist in der Gegenwart freilich alltäglich geworden, ist aber durchaus nichts anderes als die Thorheit eines mittelalter- lichen Staatslcukers, der abstrakte Begriffe für wirklich hielt, aus ihnen logische Schlüsse zog und z. B. ganz logisch aus dem Begriffe der Gottheit die Notwendigkeit ableitete, Ketzer zu verbrennen. Der lebendige Mensch schaudert vor dem, was er Greuelthaten ueuut; die Natur kann darüber nur lachen wie über jeden anderen Missbrauch der Sprache.

Alle diese Beispiele aus ungleichen Zeiten und Ge- bieten, diese ganze Kunstgeschichte des Bildes „Gesetz*, kann uns uebeubei lehren, was in der Kritik der Sprach- wissenschaft vielleicht nicht scharf genug ausgesprochen war: diiss wir ilie Geschichte der einzelnen Worte erkenntnis- theoretis( h nur dazu l>rauchen können, den Nebel überhaupt wiihrzunehmen, der jedes einzelne Wort »tisch umgibt. Wir 'glauben oft, Wortgeschichte betriedige nur unsere "Neugier. Da haben wir aber das Wort -Gesetz", das von den besten Schriftstellern irrlichtelierend gebraindit wird, weil es unsichtbar von den Gespenstern verschiedener Jahr- tiuisende umgeben ist. Die Gespenster der Ursächlichkeit und der Notwendigkeit sind auch für uns noch hieb- und stich- und kugelfest. Das Gespenst der Gesetzmässigkeit aber verschwindet, sobald wir es fest und furchtlos ange- blickt haben.

*

Es gibt keine leibhaftigen Gesetze Es gibt keine Ge- setze der Geschichte. Es gibt auch keine Gesetze der Sprachgeschichte, nur einen ZufaUsstrom von mikroskopi-

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sehen Laut- und Bedentungswuidliiiigen, deren Analogien man GesetiW genannt hat» Dag hat uns die Kritik der Sprachwissenschaft gelehrt«

Und schon vorher haben wir erfahren, dass die Sprache zoiui. oder das Denken nur ein Zufallsbild von der WirUichkeits- welt enthalten kann, weil wir von der WirUichkeiiswelt nur wissen, was die Siebe unserer Zufallssinne passieren konnte. So ist all unser Denken, das Spiel der Associationen, in doppelter Beriehnng ein Zufallsspiel dieser Assodattonen (n 547) und die Begriffe Zufall und :&otw6ndigkeit asso- eiieren sich» was wir dann su grammatischen und logischen Verbindungen beider Begriffe bentttaen. Und wir mflssen einen Augenblick innehalten, wir müssen den Begriff «Zu- fall* genauer betrachten, der aus einer eigentlich negatiTen Abstraktion zu einem positiv anmutenden Worte geworden ist, mythologisch verwendbar und nun bereit, mit seinem G^ensatse verkuppelt zu werden.

Das Wort Zufall ist sichtlich eine Vebersetsung (sie findet sich erst im spftten Ifittelhoehdeutfich) des lateinischen Wortes accidens. Dieses ist wieder eine üebersetzung des griechischen oDp,p«ßipioc. Der ursprüngliche Sinn hat sich im heutigen FranzOsisch noch da erhalten, wo accident im scholastasch-gelehrten und auch im scholastisch-medizini' sehen Sprachgebrauche das bedeutet, was in der deutschen Philosophie hilflos die Accidens heisst. Für unsem Zufall haben die romanischen Sprachen das Wort hasard, welches wenn wirklich von der arabischen Bezeichnung für Würfel hergenommen ein sehr guter bildlicher Ausdruck für den ZufaU ist.

Sieht man aber genauer zu, so steckt in dem scholasti- schen Worte Accidenz doch eine der unklaren YorsteUungen, die wir mit dem ZufaUsbegriffe verbinden. Die Accidenz steht nftmlicfa im Gegensatze zu der Essenz eines Dings; und der weise Aristoteles hat sich darunter wirklich nicht viel Anderes gedacht als das Zufällige. Es ist «wesentlich*, dass ein Hund anatomisch so und so gebaut ist; es ist «un- wesentlich* das heisst doch wohl zufällig, ob er schwarz

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580 VUX. Winea und Worte.

oder braun oder weiss ist. Der Zufallsbeyfriff ist also etymo- logisch (wenn wir mechanische Uebersetzun;_'*en der Wort- teile unbeachtet lassen) aus dem Accidenzbej^riff hervor- g^angen, aus dem Gegensatze zum Wesentlichen. Zufällig ist das Unwesentliche. Aber im Laufe der Zeit, als die Notwendigkeit alles Geschehens dem Menschen eine not- wendige VorsteUung wurde, gewann der Zufallsbegriff die Bedeutung eines Gegensatzes zum Notwendigen. Das konnte aber nur den Dummen genügen. Die bes.scm Köpfe sahen bald ein, dass auch die unwesentliclien Eigenschaften und Ereignisse notwendig seien, weuu wir auch ihre zwingenden Ursachen nicht kennen oder nicht beachten. So crewanu der Zutailsbegriff seine relative Bedeutung; zufällig war im Gegensatze zum Notwendigen das, dessen Notwendigkeit wir nicht sahen. Und zuletzt, ila doch alle Notwendigkeit aus zwingenden Ursachen nur eine menschliche Bezeichnnnj^ i.st. hergenommen von unserm Bewusstsein, eine Handlung ge- wollt und sie durch unser Wollen verursacht zu haben, geriet der Zufall in einen dritten Gegensatz gegen die Ab- sicht l.rlikcu..

Wir haben also im Zufall eiueu Begriff' vor uns. der erstens nur notrativ, nur als Gep;ensatz von etwas anderem verstanden wercien i\ann liSegatiou iat nie an sich da, ist immer nur zwischen den Menschen, wie Kant sclion lehrte), und der zweitens überhaupt nicht verstanden werden kann, weil er so ungenauen Abstraktionen wie der Wesentlichkeit, der Notwendigkeit und der Absichthchkeit entgegengesetzt ist. \Vie kommt es nun, dass jeder Schuljunge sich ein- bildet, bei diesem verwirrten Begriü" etwas Klares zu denken ?

Auf die Antwort werde ich geführt durch eines der feinsten Kapitel in L. Geigers , Ursprung und Entwickehmg der menschlichen Sprache und Vernunft". Geiger ist frei- lich selbst nicht ganz sicher. Er weiss noch nicht, dass wir mit Hilfe der Sprache über die Sprache nicht hinaus ge- langen, dass wir mit unserm Denken nicht aus unserm Kopfe hinauskommen, dass alle mögliche Spekulation doch immer nur Psychologie ist. Aber er ahnt doch den Irrtum Kants,

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ZufiftU und AnfinerkHunkeit.

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wenn er (1.285) sagt: «Der Grundintum, ab ob es wider- Bimtig wftre, vom Zwecke (der) die ErünluruDg prüfenden ZergUedemng sie selbst zmn Werkzeuge su nehmen, die Verwecliselimg des VemnnftobjektoB mit dem Venmnftsnb- jekte, bat die Kritik des Denkens in eine unlBeliche Ver- wirrung geführt, und den Versuch derselben in der Aus- führung fast giushch scheitern lassen.* Wer sich die Mflhe nimmt, diesen schwierigen SsAz sich auseinander su legen, der wird graeigt sein, an Stelle der Kritik der Vernunft eine Kritik der Sprache lu setzen. Und unwillkOrlieh geht Geiger sofort dazu über, den Zufallsbegriff sprachlich und psychologisch zu erklftren. Der Kürze wegen will ich, was er bei diesem Begriffe neu bemerkt hat, gleich in meiner Sprache wiedergeben; denn Geiger weiss wieder nicht, dass seine metaphysische Untersuchung nur sprachlicher Art ist. Seine riditige Bemerkung aber scheint mir zu sagen, dass z«fdi wir etwas erst dann zuMlig nennen, wenn unsere Aufmerk- ^«^^^1 samkeit, unsere Aufinerksamkeit auf den kausalen Zusammen- imU- hang nlmlich, hingelenkt worden ist. »Zufallig kann eine Thatsache nur in Beziehung zu einor andern heissen» Ton wdcher sie Terursacht werdtti konnte.* Wenn wir das Wort Zufall auf eine BSgenschaft, auf eine Situation, auf ein Ereignis anwenden, so ist vorher jedesmal durch die Katar oder durch den Menschenverstand der Schein erweckt worden, dass diese Eigenschaft, diese Situati<m, dieses Er- eignis einen bestimmten Umstand zur Ursache habe. Unsere widerspreehende Gewissheit oder unsere Uebwzeugung, dass dem nicht so sei, nennen wir nun' mit, wenn wir Zufall sagen. Es unternimmt z. B. jemand eine Reise am Freitag und erieidet einen Unfall. Ein Chinese, der den Freitag- Aberglauben gar nicht kennt, würde nie auf den Einfall kommen, diesen Unfall einen ZufsU (dieses acddent eine Accidenz) zu nennen. Nftmlich nicht in Beziehtmg auf den Wochentag. Es ist also der BegiiflP Zufall eigentlich nur eine Temeinende Antwort auf die Behauptung eines be- kannten Zusammenhangs zwischen dem znf&lligen Ereignis und ^nem andern Umstände. Eine echte Negation.

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YIII. VViasea \uxd Worte.

War nun der Unfall eine Entgleisung der EisenbaluL, so kann die Antwort, sie sei zufällig gewesen, ganz ricltt% entweder die Weseutlicbkeit, oder die Notwendigkeit, oder die Absicbtlichkeit leugnen. Und die redenden Menschen wissen nicht, duss da Abgründe zwischen den Bedeutungen des gleichen Wortes liegen.

Da hat sich ein Eisenbabnuiifail ereignet. Die alte Mutter eines Getöteten, eine Frau aus einem entlegenen Ge- birgsdorf, die noch nie eine Eisenbahn gesehen bat, sagt: „Die Eisenbalm ist eine Erliadung des Teufels. Wer auf der Eisenbabn fährt, kommt um." Weim sie den Aristoteles im Kopie hätte, so hätte sie das so ausgedrückt: Es gehört zum Wesen einer teuflischen Ertindung, dass die Leute durch sie uiukuumien. Die Antwort lautet: Nein, es ist ein Zufall gewesen, das beisst es gehört nicht zum Wesen der Eisenbahn, dass die Fahrgäste umkommen.

Der biidungsstolze Zeitunffsleser sagt: ,Der Brücken- ' pfeiler an der Unglüi k^.sLelle wai zu schwach; er ist seit Jahren bei jedem Anschwellen des Wassers unterwaschen worden und so war es nach den Naturgesetzen notwendig, dass der Zug in den Abgrund fiel." Die Antwort lautet: Nein, ph war doch ein Zulall, das heisst die Xatnriresetze in Lürtu und zugegeben, du'^s jede Lockerung des i'feilei*s und die Unaufnierksamkeit des Wächters und die Dunkel- heit der Kaclit und die besondere Schwere des Zuges jedes für sich einen zm-eicbendpn Grund gehabt habe, so bleibt es für die einzelnen Verunglückten dennoch ein blosser Zu- fall, dass der Unfall gerade in dieser Stunde stattfand und gerade diese und keine andern Menschen traf. Denn es be- steht kein Kausalzusammenhang zwischen dem lockernden Frost des letzten Winters, zwischen dem Gewitterregen des gestrigen Tages und zwischen dem Krankheitsfall, dessen telegraphische Mitteilung diesen oder jenen Eeisenden gerade in diesen Zug brachte.

Oder der Streekenwächter sagt: „Ich habe zehn Mi- nuten vor dem Unfall die Strecke untersucht, es war alles in Ordnung; es muaa ein Verbrechen Torliegen, es muss

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Zolidl und Aufinerknnilnit

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jemand absichtlich eine Schiene ausgehoben haben." Der Sachverstindige antwortet: Nein, es war doch ein Zufall und keine verbrecherische Absicht; denn wir fanden die Schiene durch die Hitze verbogen oder dergleichen.

In allen drei Fällen ist also das Wort Zufall die Ne- gation eines andern unklaren Begriffes gewesen. Und ich benütze die Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie die Begriffe Weaen, Notwendigkeit und Absicht ineinander übergehen können. Das alte Weib hält die Todesgefabr ftlr eine wesentliche Eigenschaft der Eisenbahn, weil die Tötung in der Absicht des Teufels liege. Aber auch der Theoretiker, welcher die Notwendigkeit jenes Unfalls, die Notwendigkeit an jenem Orte und zu jener Stunde, aus den Naturgesetsen ableitet, verirrt sich leicht 2a der Vorstellung, dass ein nn- endliches Wissen alles h&tte voraussehen können, dass diese Voraussicht in den noch nickt genügend bekannten statiBti- schen Gesetzen Terboi^en sei, und von da ist es nicht mehr weit zu dem Glanben an ein persönlich wirkendes Fatum. In dem Begriffe euies Gesetzes ist immer eine heimliche Absicht versteckte

Wir wollen aber den drei BegrifliMi, denen der Zu<* fallsbegriff entgegengestellt wird, noch eme kleine Stufe weiter nachzugraben snchen. Da will es beinahe schei- nen, als ob die AbsichÜichkeit, die Wesentlichkeit und die Notwendigkeit drei weit auseinander liegenden Welt- anschauungen angehörten, so dsss ihr gleichzeitiger Ge- brauch nebeneinander zu den merkwürdigen Brscheinungen gehört, als ob Torsiniflutliche Tiere für die Bühne eines l^ngeltangels abgerichtet worden wliren. Warum sollen wir uns aber auch darüber wundem? Leben doch gleich- zeitig auf der Erde Seesteme, Elefanten und Menschen, Filze und veredelte Rosen. Die Untersuchung aber zeigt, dass in der Gteschichte der Sprache oder des Denkens das Wesentliche nur eine Vorstufe des Kotwendigen war.

Vor Jahrtausenden, als der Begriff der allgemeinen Naturnotwendigkeit auch in den besten Köpfen noch nicht vorhanden war und dennoch seine Ahnung, da hslf sich die

Üigiiizeü by i^üOgle

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VIII. WiMen uid Worte.

philosophische Sprache so, dass die regelmässigen und uicht wegzudenkenden Eigenschaften eines Üings unter dem Worte für sein Wesen mit gedacht wurden. Als der Begriff der Notwendigkeit aufkam, da hätte man den Begriff der Wesenfc- licbkeit einfach fallen lassen sollen. Not- Der Betriff der Notwenditrkeit wi«^derum das heisst die

k«it^ etwa seit dreihundert Jahren autgekonimcne Ueberzcugung. dass alles auf der Welt ohne Ausnahme auf einen zureichen- den Grund und dieser wieder auf eine andere Ursache und so ins Unendliche zurückzufuhren sei, dieser Begriff ist doch nur ein bildlicher Ausdruck, des menschlichen Verstan lo^- In jede regelmässige Folge von Ursache und Wirkung das heisst von einer Aendernng, auf die regelmässig eine andere Aenderung folgt, verlegen wir Menschen, ohne es zu wissen und ohne es zuzugestehen, das Bild eines (nb sichtlich) han- delnden Menschen. Die Ursache bewirkt die Folge, in un- serer Sprache, in unserem Denken. Von der Wirklichkeit k«'nnen wir nur die Zeitfolge oder was wir so nennen.- Es steckt also auch in dem Begriffe der Notwendigkeit schliess- lich das sprachliche Bild einer Absicht, die nur eine mensch- liche Absicht sein kann, weil wir doch alle Sprachbilder nur von uns selbst abstrahieren können* Unsere heutige Sprache denkt freilich bei Absicht immer nur an den Seelen- Torgang in einem handelnden IndiTiduam. Was das sei, was wir Absicht oder Wollen nennen, wissen wir flbrigens nicht. Es ist der Begriff des Wollens auch nur eine psydio- logische Tkatsacbe. In alter Zeit, viele hundert Jahre vor dem Aufkommen des Begriffs der Notwendigkeit, glaubte man Absicht auch bei der Entstehung der Welt, bei der Entstehung des Staates, der Sitte, der Sprache u. s. w. vor- aussetzen zu müssen. Es war also vor langer langer Zeit der Begriff Zufall, der Gott Zufall, beinahe ein posiÜTer Gegensatz gegen den absichtlich bildenden Schöpfer; es war zur Zeit der Herrschaft dee Aristoteles der Begriff Zufall ein reiatiTer, aber immer noch ein ziemlich poeitiver Gegen* satz gegen das, was man das Wesentliche nannte; seit dem Aufkommen des Glaubens an die Notwendigkeit alles Ge-

Teloologie.

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sclieheiu isi der Zufall zu einem negativen und relatiTen Gegensate dieser Notwendigkeit geworden; und errt unsere SpmclikrHik, welche eellMit den Begriff der Notwendig^eii in ein armes mensehUcbee Bild anfldst, kann den Zuialls-» begriff eikennen ab ein fast bedentimgsloses Wort, mit wdcbem der besser ünterrichtete dem seUecbter Untemch- teten sagen will: Du riditest deine Auimerksamkmt falsch ein, du lenkst deine Auftnerksamkext auf einen falschen Eausaliusammenhang, auf eine subjektiTe Assodaiion.

Laasen wir nun den Begriff der Wesentlichkeit als eine T«ieo- Zwischenstufe beiseite, so bleibt fUr den Zufallsbegriff im Sprachgebraucli immer die Frage besl^hen, ob er als Gegen* Satz zu etwas Absichtlichem oder su etwas Notwendigem verwendet worden sei. Die moderne Wissenschaft ist nicht wenig stolz darauf, dass sie sowohl die Absicht als den Zu- fall aua der Natur entfernt habe. Es kann keine gröbere Selbsttftuschung geben. Dass die Absicht oder der Zweck, gelehrt ausgedruckt die Teleologie, nach der Pensionierung eines persönlichen Gottee Überall den neuen kleinen Gott- heiten oder Naturgesetzen heimlich und unbewusst zuge- schrieben worden ist, sehen wir an hundert FSllen unserer Untonuchung. In allen Lehren Ton der natfirlichen Ent- stehung der Welt steckt tief verborgen und in hundert Ver- kleidungen der Glaube an eine überweltliche Absicht Dieser Glaube ISsst sich nie und nimmer ans dem menschlichen Denken entfernen, weil er sich aus der armen menschlichen Sprache nicht entfernen l&sst; nicht nur die Gfftter, sondern auch die andern Begriffe seiner Sprache hat der Mensch nach seinem Bilde geschaffen, nach dem Bilde seiner eigenen Handlungen hat er sich das Naturgeschehen vorgestellt, und wie er als Ursache seiner eigenen Handlungen seineu Willen im sogenannten Bewusstsein vor&nd, so hat er seitdem ein Regentropfen fiel und der Mensch ihn fallen und die Erde benetzen sah das vorausgehende Ereignis stets als eine Ursache mit einer unbewussten Absicht verstanden. Der Leser ruft: «Aber der Th^pfen ist doch auch wirklich die Ursache der Nisse Ich aber antworte: Das ist ein

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VlII. Wiasün und Worte.

Bild, das dn Ton deineiL nMittebUi^eii Handlungen her^ nimmstk

ünd nun erst der Zufall! Wo fangt er an und wo hSrt er auf im Naiui geschehen, wie es unsere Wissenschaft auf- zufassen gezwungen ist? Der Materialismus, der in ein- seitigem Hasse den Glauben an eine absichtsvolle persön- liche Schöpfung zu zerstören sucht, ist geradezu «j^enötif^t, die ganze Welt mit der Summe ihrer sogenannten Natur- gesetze einen richtifren Zufall zu nennen, einen Fall unter unzähligen autleni möglichen Fällen. Diese grosse und richtige Vorstellung, aus der ich vielleicht erst meine Lehre, dass unsere Sinne Zuiall.^sinne seien, gewonnen habe, dieses gewaltige JJild von einer Unzahl möglicher Welten, ist schon den ältesten Materialisten geläufig. Epikuros hat es kiai ausgesprochen. Und historisch gehen die Begriffe Optimismus und Pessimismus, die jetzt zu blossen Stim- mungen verblasst sind, auf die Vorstellung von der besten unter allen möglichen Welten und auf einen mehr witzigen als logischen Gegensatz dazu (da man sich doch bei der „schlechtesten" Welt gar nichts denken kann) zurück. Dock auch hier sehen wir wie der Begriff Zufall seinen Sinn vw- ändert hat.

Als der alte Materiulinmus sich einer noch lel)endicren, geglaubten Religion gegenüberstellte und die zufällige, natür- liche Entstehung der Welt gegenüber der Lehre von einer absichtlich geschaffenen ausbildete, da sollte Zufall nicht viel anderes heissen. als was wir jetzt , naturnotwendig* nennen. Die (iriechen stritten ju auch wie eben erst erwähnt darüber, ob die Worte dnrrh einen Gesetzgeber oder natürlich entstanden seien. Derselbe Streit betraf die Welt, den Staat u. s. w. Die alten Materialisten, welche den Zufall lehrten, meiuteu eigentlich die natürliche Ent- wickelung, nur dass ihnen der Begriff der Entwickelung und der naturgesetzlicheu Notwendigkeit noch nicht auf- gegangen war. Als dann der Wortrealismu'^ aufkam und zwei Jahrtausende vor Uegel bereits die Entstehung der Welt aus Begriffen gelehrt wurde, da wurde der Zuiaii zur

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JDm WirUiclM saftUig.

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Bezeichnung des Nebenaädilichen , des Unwesentlichen, des Unlogischen, dessen also, was in den Worten d. h. nach uns«r^ Lehre: den Hypothesen oder Gesetzen nicht mit'* bezeichnet war. Per neuere Realismus glaubt nun frei ge- worden zu sein, wenn er den Zufall als einra relatiTen Be- griff erkannt hat. Ich habe oben schon gesagt, da« er ein relativer und negativer Begriff ist und dass, wenn man erst die Unhaltbarkeit der positiven B^priffe erkaant hat, zu denen er einen Gegensatz bildet, das Wort ganz gegen- standslos wird.

Es iribre denn, dass man jedesmal Zufall benennt, was Das die betreffende Wissenschaft nicht mehr weiss. In diesem J!!^' Sinne yerliert sich jede Wissenschaft in ZufSüligem, und es ftui«. ist kein Spiel mit Worten, wenn ich nun behaupte: Alles Wirkliche ist znfäDig.

Kur muss man sich davor hflten, beim Versinken in diesen Abgrund mythologisch zu werden nnd den Zufall fttr irgend etwas positiv Wirkendes zu halten. Was wir nicht wissen, was vnr uns vorstellen, unsere Bilder von der Welt, nur das ist unser. Was wir nicht wissen, das ist unsere Wissenschaft, das ist notwendig. Was wir wissen möchten, das Wirkliche, das ist zufällig.

Einstimmig wird die Astronomie für das Muster aller Wissenschaften gehalten; und wirklich wird die Astronomie von keiner andern Wissenschaft an Zuverlässigkeit, an Be- rechenbarkeit und an Eleganz der Form erreicht. Da sei der Zufall ausgeschlossen, meint man. Aber zuverlfissig sind diese Ziffern und Formeln doch nur für die paar Tausend odw Millionen Jahre (man kann im Ernste fragen: Was ist das gegen die Ewigkeit?), in welchen die Planeten sich so wie heute um die Sonne drehen, oder vielmehr nur für die paar Tausend Jahre, in denen diese Bewegungen ungefähr so wie jetzt beobachtet worden sind. Alle diese Berech- nungen und Formeln haben keine Gültigkeit für die voraus- gegangene Zeit, in welcher wie Kant und Laplace sagen die Planeten sich von der Ungeheuern Nebelmasse der Sonne losgerissen haben und nach unausdenkbaren Be-

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VIII. Winen und Worte.

Tolutionen erst im Kampfe ums DaseiB »m Himmel, wie man es pfpnannt hat, sich selbst die bequemsten Gleise ge- funden haben, die sie jetst befahren. (Sehr merkwfirdig ist bei Kant die Scheu vor grossen Zeiträumen; er spricht be- züglich der Entstehung der Planeten zuerst von Jahrhunderten und meint dann, es gehörten dazu Tielleieht tausend od^ mehr Jahre.) Wüssten wir etwas von den Kräften, die da- mals spielten, so würde die Entstehunfj; der Planeten und die Bildung ihrer Bahnen zur Wissenschaft gehören. So aber sind wir genötigt, die Masse, die Entfernung und darum die Bahnen der Planeten, also die ganze Astronomie, lu- fällig zu nennen. Die Weltfornu l, welche die Entstehung des Sonnensystems aus dem Chaos geben wollte, w9re wieder zufällig gegenüber der Entstehung des Chaos.

Im Verhältnis zu der Sicherheit der Astronomie sind die Lehren des Darwinismus fast luftige Hypothesen. Deut- lich tritt fast nichts hervor als die überzeugende Annahme, dass es bei der Entstehung der Indinduengruppen, die man Arten nennt, natürlich zugegangen sein müsse und dass man die unveränderliche, niemals in Wirklichkeit Torkommende identische Abfoige der (Geschlechter Vererbung, die lang- same Veränderung aber Anpassung nennt. Es braucht keiner weitem Ausführung, dass jeder eineeine unter den Milliarde Ton Fällen, welche unter den Gesetien Darwins zusammen- gefiasst werden, einen »Zufall* sur Ursache hat. €ht}sse (Gruppen dieser Zufälligkeiten kann man dann Klima, Nah- rung u. 8. w. nennen. Sie sind das allein Wirkliche oder Zufällige.

loh könnte das viel allgemeiner und filr alle Wissen- schaft Tiel entsetadM^er noch andere ausdrücken. Die Wissen- schaft Ton der Wirklichkeitswelt konnte sich mit einer Be- schreibung begnügen, indem sie möglichst ttbersichfUch einen Katalog der gegenwärtig anfällig Torhandenen Erscheinungen aufteilte. Jeder Versuch einer Welteridärung wird Über die Beschreibung hinausgehen und eine Geschichte der Er- scheinungen zu ergründen suchen. Besissen wir dafür aber auch die nötigen Kenntnisse wovon wir himmdweit eai-

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Dm Wirkliobe infiUJig.

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fernt sind besässen wir die Geschichten des Planeten- systems, der Erde, der Tiere und Pflanzen, der Wärrae, der Elektricität u. s. w., so würde erst recht die zufällige Entstehung des zufällig Vorhandenen in die Augen springen müssen. Denn jede Ursache ist ein Zufall, auch fUr ihre Folge. Und man wäre versucht, in künstlerischen Rhythmen zu lachen, wenn man hört, dass in jüngster Zeit innerhalb des kleinsten Teils der Weltengeschichte, nämlich in der kurzen Menschengeschichte, versucht worden ist, besondere Gesetze aufzusti'llen. Wie: dass auf die Demokratie der Milit'ardespotismus folge und dergleichen.

Gesetzmässigkeit ist die jüngste Mythologie, die der Mensch in die Natur hineingelegt hat; es ist der Grundirrtum der modernen Naturwissenschaft, dass sie Notwendigkeit und Gesetzmässigkeit miteinander verwechselt. Beide Begriffe sind menschliche Bilder menschlich ursächlicher oder mensch- lich zeitlicher Auffassungen der Natur. Die Gesetzmässig- keit ist aber eine veraltende Metapher, gut genug für Labo- ratorien und andere Küchen, elend für die Welterklärung. Auch die Notwendigkeit ist eine menschliche Metapherf aber sie ist bis auf weiteres so unausweichlich wie die beiden ältesten Hypothesen der Moaschheii: Wirklichkeits- welt und ürsachbegriff.

Die Sprache also mitsamt ihren allgemeinsten Forrau- lieiningen in Ghrammatik und Logik, mit ihren Worten oder Hypothesen ist eine siifällige Erscheinung. Zufällig im Gegensätze zu dem mensdilichen Bilde der Gesetzmässig- keit. Zufällig aber auch, insofern wir ihre Notwendigkeit ergründen möchten. Noch einmal: Was wir wissen möchten, das Wirkliche, das ist zufiÜlig; was wir nicht wissen, was wir darum mit unserer menschlichen Bildersprache um- nebeln, das ist unsere Wissenschaft. Wirklich ist, was kein Gespenst ist; und «Zufall" ist eine von allen Zufällen der Wortgeschichte umnebelte Negation der Gespenster Ab- sichtlichkeit, Wesentlichkeit und Notwendigkeit.

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VUI. WiMen und Worte.

Oaiwir Die Lehre Darwins, dass die Z v ( < kiiiä>siii;kLit der Organismen, ohne jede göttliche AUwuisIieit , durch An- passung und Verer])ung zu erklären sei, diese Lehre ist uns nicht mehr als eine geniale Hypothese. Die unvor- sichtip^en Darwinlaner, welche namentlich in Deutschland auf diesH Hypothese eine neue Wissenschaft zu hauen ver- sucht nahen, mussten sich von Darwins eigener Methode lossagen. Sie mussten wieder Begritfsromaniils treihen. Es ist aber ein undankbares Geschäft, ihre irnnierhiu kühnen Luftschlösser zu bekämpfen, wenn man es erleben nniss, dass die von Darvrin hinausgeworfene Teleolofrie in lang- samer Arbeit wieder hineingeschmngo^elt wird, wie wir es bei den letzten Kono;ressen der Naturforscher erleben konnten. Dogmatismus hüben und drüben. Und vielleicht ist Haeckel der wortabergläubischere , der unbelelirbare Dogmatiker.

Man hat Darwins Eiitwickelungsgesetz ironisch mit einem Manne verfi^liehen , der nm einen einziLfen Hasen zu schiessen unendlich viele Schüsse nach allen Richtungen *tihgeben müsse. Das Bild wäre al)er wohl ganz ernsthaft zu verwenden. Man muss nur auch Ernst machen mit der Vorstellung unendlich langer Zeiträume für die Entwicke- lung; und man rauss Ernst machen mit der Einsii ht, dass jeglicher Zweckbegriii' sich an eine menschenähnliche In- telligenz knüpfen mü.sse. Sowie die neuesten Reaktionäre wieder den Zweckbegriff in die Naturbetrachtung einführen, müssen sie ohne Gnade etwas wie einen menschenähnlichen Gott mit einem Ungeheuern Menschengehirn an den Anfang stellen. Es ist nicht anders. Die beiden ewigen Fragen lauten: Woher? Wohin? Die Frage woher geht nach der Ursache, als nach der Vergangenheit, welche wir uns vor^ stellen können, auch wenn der Begriff der Ursache eine blosse Hypothese und wenn der B^iff der Zeit nur eine mensch- bebe Orientierung sein sollte. Die Frage wohin jedoch geht nach dem Zweck, den wir ims immer und überall als eine menschliche Absicht, als ein zukünftiges Ereignis Tor- steilen müssen. Wenn der Schütze sein Gewehr anlegt, so

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Tdieologie.

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ist die Kraft des Schusses aus Ursachen zu erklären; die Richtimg aber oder der Zweck des Schusses einzig und allein aus der Absicht des Schützen. Das Eintreten P. N. Goss- manns für eine neue Teleologie (»Elemente der empir. Tel.") könnte erkenntnistheoretisch weiter ftihren; vielleicht ist aber der Begriff f,Teleo]o^e'^ nur sprachkritisch feiner untersucht.

Die Schwierigkeit, welche der Darwinismus zu erklären wünschte, lässt sich mit einem Worte aussprechen: woher kommt die Einheit des Organismus? Die alte theologische Naturwissenschaft stellte noch ganz andere Fragen: wie die Einheit von Seele und Leib, wie die Vereinigung von Gottes Gflte und der Schlechtigkeit der Menschennatur zu er- Icl'aren sei? Seele und Leib, Gute und Schlechtigkeit sind überflüssige Worte geworden ; es fragt sich nur, ob die Ein- heit des Organismus nicht ebenfalls ein blosses Wort sei. Und in der Einheit ist ja eben die Zweckmilssigkeit des Organismus mit enthalten.

Goethe und nach ilim Virchow haben bereits den Ge- T«ico* danken ausgesprochen, dass das Lebendige kein Einzelnes sondern eine Mehrheit sei. Aber bei ihnen ist die Ver- einigung von Atomen oder Zellen zu einem Indinduum doch noch eine Art Wunder, zu dessen Erklärung allzuleicht ein Gott bemfiht werden kann. Wir kommen etwas weiter, wenn wir die Einheit oder Zweckmässigkeit eines gr^tssem Ganzen betnuditen, auf welches der Begriff des Indiriduums oder des Organismus scheinbar nur bildlich angewendet werden kann. Blicken wir auf den Staat oder auf die Stadt, so sehen wir ein sehr zweckmässiges Ghmzes, das dennoch Ton centrifugalen Kzftften beherrscht wird. Man stelle sicli eine moderne Grossstadt Tor. Man wird nicht mit emster Miene behaupten woUen, dass ein Oberbflrger^ meister den Plan zu ihrem gegenwärtigen Bltthen gefasst habe. Es gibt in der gansen Stadt keinen Menschen, der im Dienste der Allgemeinheit Gas- und Wasserrohren, Telephondrfthte, Pferdebahnschienen u. s. w. n. s. w. gelegt hätte. Es gibt immer nur Menschen, welche ihren Vorteil

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Vm. Wim and Worte.

wolit4t;ü. Durch Gas, durch Wasser, durch Elektricität und Pferdebahnen sind Millionen verdient worden. Ist bei diesen grossen Untoruehmungen mitunter aucli die Kraft des Ehr- geizes vorhanden, so gehören zu den Bequemlichkeiten der Grossstadt oine Menge Dinge von den BedQrfnisanstalten angefangen Ins zu dem Institut der Stiefehvichser bei denen von irgend einer höhern Absicht nicht die Hede sein kann und die dennoch mehr als bildhch eine Einheit, einen Organismus zu stände bringen. Nicht der Oberbürgermeister s(jnderM iigend ein Vorarbeiter legt die Röhren einer Be- dürfnisanstalt, und dennoch gehen diese Röhren ordentlich zwischen elektrischen Kabeln und Gasröhren hindurch, flogen sich den Verhältnissen, nicht viel anders als die Kanäle von den Nieren zwischen Muskeln und Nerven und Blutgefässen den Weg gefunden haben, den wir den rich- tigen nennen. So ist eine Stadt ebenfalls ein Organismus, so gut wie ein Bienenkorb oder ein Ameisenstaat, den wir tftppisch einen Ameisenhaufen nennen, wie vielleicht ein darüber hin fliegender Adler unsere Grossstadt einen Men- schenhaufen nennt. Und es gibt bekanntlich im Tierreich soldie organisierte Staaten (z. B. die Siphonophoren) , in denen die einzelnen Glieder körperlich zusammenhängen, als ob die Ameisen eines Baues durch ein Netz von Nerven- fäden. als ob alle Menschen einer Stadt durch ein Netz von Nabebchnüren zusammenhingen. Wur Menschen einer Stadfc oder eines Staats hängen aber doch zusammen, nicht nur durch Gas- und Wasserleitungen, durch Theater und Be- dürfnisanstalten, durch öfifentliehe Bahnen und Telephon- drähte, sondern vor allem durch die gemeinsame Spradie oder das gemeinsame Gedächtnis.

Die alte Teleologie bewunderte ausser der Zweckmässig- keit im einzelnen Organismus auch noch die Zweckmässig- keit in der Einrichtung der Welt: es sind viele Bdcher und sogar gereimte Bücher darüber geschrieben worden, wie hübsch die Pflanzen zum Frasse der Wiederkäuer, diese wieder zum Frasse der reissenden Tiere da seien und die ganze Welt für ihren Herrn, den Menschen. Diese alten

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Tdeologie.

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Yont^ttngen hatten alle die gröwte Mtlhe, eicli mit der 0ate Gottes ansemander sa aetoen; seitdem in der Katur keine OOto melir angenommen wird, ist diese atatistisdie Zweckmässigkeit zwischen den einxeben Tierarton ebenso leicht yerstftndlich wie die Abhängigkeit der menschlichen Handlungen yon statistischen Thatsachen.

So ist der statistische Ausgleich in der Oekonomie der Welt, das Zusammenfliessen der egoistischen Bestrebungen zu dem Bilde einer städtischen Organisation gans wohl zu begreifen als eine rein mechanische Wirkung, als eine Folge Ton echten Ursachen, das heisat von ürsachen ohne Zweck; und in derselben Weise könnte man sich die scheinbare Zweckmisstgkeit der organischen Individuen ans blossen Uivachen Torstollbar machen. Fehlt es doch auch weder da noch dort an Störungen, welche einer yorbedachten All- weisheit kein gttnstiges Zeugnis ausstollen würden. Wie die Röhren im Untergrunde einer Stadt einander wohl ein- mal unzweckmSssig kreuzen, wie sie plaimn oder Tcrrosten, wie die elektrischen DriUito einander nngflnstig beeinflussen, so gibt es auch im organischen Individuum Unzweckmissig* keiton, die man dann Krankheiten nennt. Zu einer solchen VorsteUung von dem Mechanismus der oiganisierten Materie wollte aber auch schon der alte Materialismus fUiren; seme mechanische Naturerklftrung, so lobenswert die Absicht war, wurde nur darum immer wieder so unbefriedigend und albern, weil die offenbare das heisst dem naiven Menschen" verstände so selbstverstftndlich scheinende Zweckmissigkeit der Organismen entweder geleugnet oder heimlich irgend einer namenlosen Gottheit zugeschrieben wurde. Hier unterscheidet sich der Darwinismus gründlich von dem &Item Materialismus. Der Zufall des ültem Materialismus war etwas ganz anderes als der Zufall des Darwinismus. Gegen den titeren Zufallsbegpriff konnte schon Cicero oder der, den er abschrieb den Einwand erheben, dass man doch sonst nicht annehme, es sei die Dias durch ein zufälliges Zusammensdilltten von Buchstaben entstanden. In diesem Falle war der relative Begriff Zufall der Gegen- MftatliBtr, B«lti«g* n «law Kriltk dar BpiMhe. m. 88

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Tin. Wmnb und Worte.

satz zu der Annalime einer dicbtemchen Absicht, also eines sehr planvollen Zwecks. Ebenso ungereimt wäre es, eine Dynamomaschine oder auch nur eine so einfache Maschine wie es eine Stecknadel ist, dnrch Zufall entsfcanden so glauben.

Der relatiTe Zufall, durch welchen der Darwinismus die Welt der organischen Formeln entstehen Iß^, ist ein Fall anderer Art. Man wird darüber nicht im Zweifel sein, wenn man an die Maschinen denkt, bei denen die Fach- leute wirklich im Zweifel sind, ob ihr Entstehen dem Zufall oder einer Absicht zu danken seL Es sind das gewisse Steittwerkzeuge einfachster Art, deren Schftrfe ebenso gut durch kUnstlidien wie durch natOrlichen Bruch su er- klftren wire.

Um die phantastisehe Entstehung der Dias (durch Zu- sammenschttttung von Buchstaben) des alten Zufallsbegiilfe za entUeiden, müsste man annehmen, dass ein mathemati- scher Kopf mit den Buchstaben des Alphabets eine unendliche Reihe Ton Permutationen und Variationen TomShme; ohne Frage w&re einer dieser FftUe dann die Dias, ein anderer der Faust, wieder ein anderer die Kritik der reinen Ver- nunft. Einer dieser Variatioosfllle wftre die Kritik der reinen Vernunft mit ihren DruckfeUem u. s. w. u. s. w. Ich sehe davon ab, dass der experimentierende Mathematiker wahrscheinlich die Bedeutung der Blas, des Faust, der Kritik der reinen Vernunft gar nicht erkennen wUrde, weil doch in seinen unzähligen VariationsfiUlen s&mtlidke Bttcher aller Bibliotheken der Erde und ausserdem unendlich viele blödsinnige oder halb blödsinnige Buchstabenfolgen enthalten wären. Es wäre bei diesem phantastischen Ezperiment jede einxelne Buchstabenfolge mathematisch notwendig und darum berechenbar; ein Zufall könnte sie nur uneigentlich im Verhältnis zu den andern Fällen heissen. Anstatt Zu- fall müsste man vielmehr von einem besondem Fsll, von einem Fall unter andern Fällen, von einer Möglichkeit unter andern Möglichkeiten sprechen.

So ist die organische Welt nach Darwins Erklärung

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T«lMikigie.

nichi süflll^ sondwn notwendig eiitatuideii und nun bnucht nur an die unsSldigen andern in(igHclien Welten au denken, die eben so notwendig hätten entstehen kSnnen (wenn z. B. der EoUenatoff andere Eigeneebaften bitte), um auch die gegebene oiganiacbe Welt als einen beeondem Fall, als einen Fall unter andern Fillen aufsufaaaen. Es ist der Phantasie gar nieht schwer, sich solche andere Fälle aus- xudenken. Wir brauchen uns nur andere Planeten oder Planeten anderer Himmielsraume organisch belebt Toneustellen und nichts hindert, uns dort fleischfressende bewcgUche Bäume, also Raubtiere mit Blättern und dergleichen aussu- malen, wenn auch natOrlich jede solche Phantasie an die bekannten Formen der Erdenwelt gebunden ist Niemand kann behaupten, dass die oiganisierte Welt der Erdober- fläche die eimdge zweckmässige wäre; im Kampf ums Da- sein mflsste sich eben auf den andern naneten eine Welt entwickelt haben, in welcher bewegliche Eaubtierbäume ihren Plate hätten.

Damit sind wir schon auf einer Stufe angelangt, auf welcher die Zweckmässigkeit der Organismen (von oben . gesehen) zu einem aber&Qssigen Worte wird. Ich glaube wenigstens, bereits von dieser Stufe die beiden entgegen- gesetzten Spitzen, die Notwendigkeit und die Möglichkeit, wie Punkte der ebenen Fläche zu erblicken. Eine und dieselbe Organisation erscheint als notwendig, sobald wir Einige von den begleitenden Umständen wissen, dieselbe Organisation erschwit als die eine tou unzähligen Möglich- keiten, wenn wir die Umstände nicht kennen oder Ton ihnen absehen.

Wir brauchen nur an die Millionen Jahre zu denken, während welcher die Organismen auf der Erde sich ent- wickelt haben. Und alle gegenwärtigen, wirklichen, also auotwendigen* Formen erscheinen uns als ein Fall unter vielen andern möglichen Fällen. Der Torsintflutliche Archäopteryx eben so gut wie manches abenteuerlich ge- formte Elemwesen wäre fdr unsere Phantasie eine schwindel- hafte Möglichkeit, wenn diese Bfldungeu nicht im Stein-

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Tin. WiMn uttd Worte.

abdruck oder unter dem Mikroskop gesehen worden und dadurch zu Wirklichkeiten das heisst suf&Uigen Notwendig- keiten geworden wären. Zweck Der Darwinismus hat dae nicht geringe Verdienst, eiae iiegrur. ^Q2ahl Yon BüdungsveränderungMi beobachtet oder gesam* melt, die Aehnlicbkeii solcher Bildungsveränderungen bemerkt und fUr die Gruppen solcher Aehnlichkeiten unter dem Namen Ton Bildungsgesetsen neue Worte aufgebracht zu haben. Es ittsst sich seitdem manches bester fibersehen. Wir, die wir geneigt sind, jede Beachtung von Aehnlichkeiten für Ab- straktionen des menseUichen Verstandes zu halten, denen in der Natur nichts genau entspricht, vermuten sofort, dass zwischen den zweckmässigen und nicht-zweckmässigen Bil- dungsgesetzen kein nachweisbarer natürlicher Unterschied sein werde. So kommen wir von einer andern Seite dazu, Darwins Zweckbegriff als eine mythologische Figur zu be- greifen. Die Darwinisten finden etwas von Entwiekelnng also hehnlicherweise von Fortschritt und ZweckmSsfflgkeit darin, wenn z. B. die Erstarkung der Yordem Eztremititen die hintern sehwftdit oder umgekehrt. Die Ahnung einer mechanischen Ursache wird zur Voraussetzung eines Zwecks; die Beschreibung will Srklftning sein. Es gibt danebsB andere Bildungsgesetze, welche Darwin mit einem unver^ f&nglichen Worte «die Korrelationen des Wachstums* ge- nannt hat, wie z. B. wenn Katzen mit blauen Augen häufig taub sind, wenn G^rginen Ton einer bestimmten Farbe geschlitzte Kronenblfttter haben. Da in aoldien E%Uen weder irgend ein Zweck aufzufinden noch der biologische Vorgang irgendwie zu ahnen ist, so werden diese Fille nicht zu den zweckmässigen gerechnet Die Beschreibung Terzichtet freiwillig darauf, Erklärung zu heissen. Mir aber will es scheinen, als ob der Kritiker der Sprache beim üeberblick Uber diese beiden Gruppen von Bildungsgesetzen mit lachen- der Lust den Zweckbegriff wie eine Rakete des mensch- lichen Verstandes aufsteigen, leuchten und verpaffen sehen mtlsste. Legt man dem Kampf ums Dasein der Orga- nismen einen Zweckbegriff nnter, dann mOsste man auch

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ZwMklMgnff.

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don Kampf ums Dasein am Himmel einen Zweckbegriff unterscliieben. Dann wäre die äusserst Ter wickelte Bahn der Erde, welche in ihrer Hanpirichfcung von ihrem Ver- hältnisse zur Sonne, in geringem Richtungen von ihrem Verhältnisse zu den PL-ineton, in minimalen Richtungen sicherlich von fernen Fixsternen abhängt, dann mOsste diese wirkliche das heisst notwendige ErdVtalm ebenso zweck- mässig heissen wie die im Kampf ome Dasein entstandene Einrichtung des menschlichen Auges. Nennen wir aber die wirkliche Erdbahn nicht zweckmSsaig, so dürfen wir anch dsa Auge nicht zwedanässig nennen. Man komme mir nicht damit, dass das menschliche Auge durch Ver- erbung und Anpassung SO geworden ist, wie es ist» Auch die Erdbahn hat sich anpassen müssen und wer weiss wie viele Planeten Busammengestarst sind in der dunklen Tiefe der Zeiten, weil sie sich nicht anpassen konnten. Und die Fortdauer der sogenannten Anziehungskraft ist um nichts erklärbarer als die Fortdauer der Kräfte und Formen, die wir Vererbung nennen. So wird uns die ZweckmSssigkeit des Darwinismus, welche sich auf der einen Seite als ein moderner ZnfaDsbegriiF enthflUt hat, auf der andern Seite zu einer menschlichen Anschaunngswdse der Notwendigkeit. Notwendigkeit, Zufall und Zweck fallen zusammen, wie das Ding Eirsche dn und dasselbe Ding ist, welches wir das eine Mal eine Frucht, das andere Mal rot und sftuerUch, das dritte Mal ein nützliches Nahrungsmittel nennen.

Wollen wir Emst damit machen, die uralte Vorstellung Ton einer allweisen Schöpfermacht aufzugeben, so mOssen wir auch endlich den sublimierten Zweckbegriff der Dar- winisten fUlen lassen. Dazu gehört, dass wir entweder das Wort Entwickelung nicht mehr gebrauchen oder aus diesem Worte die Vorstellung Ton einem Fortschritt weg^ lassen. Eine Thatsache ist es, dass diese wirkliche Welt das heisst die uns allein bekannte organisierte Erdkruste nicht starr ist. Stair wire sie, wenn sie in ewigem Eise fröre, starr wftre sie ebenso, wenn diese organisierte Erd- kruste in dem Bestände dieses Augenblicks mit all ihren

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YIIL Wumh tud Worte;

Blnmen uud Tieren unmftndorlicli bliebe. Unser» Weit verändert sieh. Diese übern 'ältigende FlUle UDunterbroehoner Verändeningen bildet aber fUr onsere Sinne kein GhaiM^ sondern unsere Sinne nehmen in den Veiikndeningen eine B^eUnässigkeit wahr, welche wir gesetzlich nennen. Und wir haben eben entdeckt, dass diese Oesetz mäesigkeit oder Notwendigkeit uns unwillkürlich als Zweckmässigkeit er- scheint, sowie uns die notwendige Frucht des Kirschbaums nützlich erscheint, weil wir sie essen können. Diese Oe* setzmässigkeit oder Notwendigkeit aller Veränderui^pen im Weltall steckt natürlich nur im menschhchen Kopfe. Wir wissen nicht, was in der Wirklichkeit diesem Begriffe der Notwendigkeit oder Zweckmässigkeit entsprechen mag; denn wir können uns zur Not von dem Zweckbegriff be- freien, auch wir aber nicht von dem Begriff der Ursache. Von der Stimmung unserer Betrachtung hängt es ab, ob wir diese Ordnungsvorstellung in unserra Kopfe als Not- wendigkeit, als Zweckmässigkeit und Vollkommenheit oder als Schönheit empfinden. Nur die Vorstellung einer Ord- nung das heisst einer Wiederholung von ähnlichen Erschei- nungen finden wir scheinbar objelitiv in unserm Kopfe vor. Und die letste Frage der Welterklftrung wäre die: Wie ist diese Vorstellung der Ordnung in unsem Kopf hineinge- kommen? Ist sie objektiT oder subjektiv? Oldaus. Anstatt scholsstisch mit diesem Begriffe Ordnung xu spielen, will ich an eine aUtägliche Thatsache des Bewusst^ seine erinnern, um mir selbst m deutlicher Ahnung zu bringen, wie es doch wohl die menschlichen Zufallssinne sein mOgen, welche eine snbjektiTe Ordnung in die Welt hineintragen.

Oft gehe ich nach Hittemacht, mflde und still, nadi gethaner Arbeit duzch den Wald nach Hause. Dann bemerke ich verhSltnismilssig viel Ton dem, was meine Sinne wahrnehmen. Und doch: achte ich nur auf meinen Zufallssinn des GehOrs, so ist es gewiss, dass (um in der Sprache der Akustik xu reden) uns&hlige Schwingungs- richtungen einander kreuzen. Da kann auf der Erde und

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Otdnnag.

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in dem fernsten Rollen der Gestirne keine Welle sein, deren letzte Ausläufer niclit mein Ohr träfen. Ich aber höre nicht den Donner der Sonne, nicht die Brandung der Nordsee, nicht einmal den dumpfen nächtlichen Schritt der Grossstadt. Ich höre auf dieser nächtlichen Wanderung aher deutlich jedes Wehen des Windes in den Kieferkronen, ich höre das Rascheln jedes welken Blattes auf dem Boden, ich höre den Flug des Nachtschmetterlings, das Zirpen der träumenden Vögel, ich köre von fern her, aus den Nach- bardörfern, das Anschlagen der Hunde, ich höre rechts und links aus weiter Feme das Geräusdi der Eisenbahnzüge, ich h5re mdne eigenen Schntte. So höre ich aus den sich kreuienden millionenfachen Schallwellen einige Dutzend heraus, die kräftig genug sind für meine Nenren und die meinen Nerven bekannt sind. Und nun bei Tage. Ich stehe in der Grossstadt an einer Strassenecke, um auf meine Pferdebahn zu warten. Hier umsdiwirren mein Ohr Yei^bem die Millionen einander kreuzender Schallwellen, von denen ich ihrer Schwäche wegen nichts wahrnehme. Aber auch von den SchaUweUen, die bei Nacht durch ihre Stärke mich verletzen würden, umtoben mich gleichzeitig tausende. Hunderte von Menschen gehen an mir Torttber und ich würde jeden einzelnen Schritt hören, wenn es Nacht wäre* Dutaende von Wagen wUrden mich mit ihrem widen^rtigen Qerassel martern. Idi aber vernehme das GesamtgeräuBch der Grossstadt gar nicht oder doch nur wie das Summen eines Bienenschwarms. Ich sehe Yon dem Gesamtbilde der Grossstadt, in welchem von meinem Stand- punkte aus tausend Maler tausend verschiedene Motive er- blicken können, nichts was nicht zufallig meine Aufmerk- samkeit erregt. Ich sehe aber auf mehr als hundert Schritte weit plötslidi das farbige Zeichen meiner Pferdebahn. Ist die Behauptung wirklich zu kühn, dass die Ordnung, welche der Menschengeist in die Wirklichkeitswelt hinein- ▼erlegt, nidits anderes sei, als diese Aufmerksamkeit meiner Sinne auf das Farbenxeichen meiner Pferdebahn. In den furchtbaren Wirrwarr der Grossstadt, einen Wirrwarr,

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TUL WiiMn und Worte.

welcher Chaos ist ftlr den Spatzen, der nur nach Pferde- kot späht, und der Notwendigkeit wäre für jemanden,

der die Beweggründe aller Menschen dieser Grossstadt kannte, bringt meine Pferdebahn plötzlich Ordnung hinein, ftlr mich: ich erwarte, dass sie mich zu meinem Ziele ftlhre, dass sie meiner Altsicht, meinem Zwecke dienlich sei. Fflr meinen Kcv>isnius teilt sich der Menschenstrom, teilen M'h die WHi,'rni eihen, meine Pferdebahn wird zum Mittelpunkt des Treibens, wie mir die Kirsche nützlich scheint. Und merkwürdig: die Pferdebahn bringt mich wirklich an mem Ziel.

Aber der Fahrplan der Pferdebahn ist ja vorbedacht? Gewiss, mir unbekannte Herren, Geschäftsträger der Pferde- bahnaktionärp, haben sich mit V*'rtretem der Polizei ein- mal zusammengesetzt und haben einen Fahrplan ausgear- beitet. Die Vertreter der Aktiengesellschaft wollten mög- lichst viele Groschenstücke einnehmen. Die Vertreter der Polizei wollten den Kampf ums Dasein des Strassen- verkehrs möglichst vor Störungen behüten. Die G m sehen - absiclii hat nichts damit zu thun, dass die I'iVrilrbahn mich meinen Weg führt; je mehr Groschen an den ötrasaenecken auf einen Wagen dieses Farbenzeichens warten, desto mehr Wagen dieses Zeichens werden kommen, sowie die Blüten einer Pflanze grösser und zahlreicher werden, wenn sie mehr Nahnmg erhiilt. Der Plan der l'olizeiverf reter ist aber auch nichts nnderes als eine Voraussieht derjenigen Hemmunge»! untl Aiijiassimgen, welche auch ohne Polizei notwendig gekommen wären. Auch ohne Polizei würden die Pferdebahnwageu für gewöhnlich nicht in einander hinein fahren.

Die scheinbare Zweckmässigkeit der Welt ist im ganzen und grossen ohne Polizei zu stände gekommen. Die Falle, in welchen Züchter planvoll neue Organismen schaffen, sind selten. Aber die scheinbare Zweckmässigkeit der W^elt ist doch nur unser egoistisches Zurechtfinden in dem regel- mässigen Chaos der Wirklichkeit, und die Regelmslssigkeit dieses Chaos ist doch nur die Wiederkehr der unzähligen

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Evolution.

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Egoisineii, die als Zellen, als Indmduen und als Qnippea oder Aktiengesellschaflen einzig und allein selbst leben wollen. Die Termeinfliche Ordnung das beiast das Sidi'» zozeebtfinden in der Orosssiadt wird dureb Erdbeben, dnrcb Sencben, dnrcb Kriege gestört; meine Pftnrdebabn kommt dann -riellefcbt niebt. Die Ungeheuern Bevolutionen, welche die Ordnung der Natur gestört haben mOgen, kennen wir nur nicht. Wir hatten uns an die Begdmässigkeiten der beobachteten paar tausend Jahre, nennen sie Entwickelung und jedor wartet auf das Farbenzeichen seines Wagens. So stehe ich an der Ecke und höre nicht, wie in jedem Hause rings um mich her irgend ein Liebender Schwflre ruft, irgend ein Sterbender röchelt. Wenn es Nacht wftre und im Walde, so würde ich das alles hören. Dann wOide es bis zu meiner Aufmerksamkeit dringen. Die Ordnung der Welt, die uns bald als Notwendigkeit, bald als Zweck- massigkeit erscheint, ist Orientierung unserer Aufmerksam* keit. Was in WirkHchkeit die Wiederkehr ähnlicher Er- scheinungen yeranlasst, das Geheimnis der Weltordnung kennen wir nicht. Wir dürfen aber nicht sagen: es ist ein Geheimnis da, welches wir nicht enträtseln können. Wir wissen nur von der subjektiven Ordnung in unserm Kopfe; wir wissen nicht ob wir das, was dieser Ordnung objektiv entspricht, noch unter der Menschenvorstellung Ordnung be<^reifen können. Wir können die Wirklichkeit mit diesem Menschenworte nicht fassen. Der Mensch hat die Ordnung in die Natur Liiu iiigc tiageii, durch seine arme Sprache. Nachher verzweifelt er, wenn er seine Ordnung in der Natur nicht iiuden kann (III. (3).

Entwickelung oder Evolution ist das Avissenschafthche Evoluaon. Schlagwort geworden fQr jeden Versuch, geschichtliche Veränderungen zu erklären. Die Verdichtung des Urnebels zu unserem Sonnensystem, die Gestaltung der festen Erd- kruste, das Emporkommen des i^lianzeiireichs und des Tier- reichs auf dieser Erdkruste, die Geschichte der Menschheit

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VIII. Wi»en und Worte.

und innerhalb dieses Gebietes wieder die Gesdiiehie der Sprache, der Eunsfc, der Sitte, des Rechts, der ReUgioa, alles ist seit einiger Zeit Bntwickdimg oder fiTolution, so wie es vor einigen hundert Jahren Schöpfuug oder Erscheinung Gottes war. Entwickelung oder ETolntion ist daneben auch das Modewort der (»opnlftren Wissenschaft geworden und stellt sich immer wieder ein, wo deutlichere Begriffe fehlen. Wer heutzutage die Ideen zur Philosophie der Geschidite der Menschheit, wie sie etwa Ton Voltaire und Ton Herder dargelegt worden sind, in der Sprache unserer Zeit mit- teilen wollte, der kdnnte gar nicht umhin, immer und immer wieder das Wort Entwickelung oder Brolntion zu gebrauchen, trotzdem Voltaire und Herder Tom Darwinismus und seiner Anwendung auf die Gesdiichte noch nichts wussten.

Zwingt man aber einen gelehrten Biologen oder einen sozialistischen Volksredner, den ihnen gemeinsamen Begriff Entwickelung zu definieren, so wird der eine wie der andere in nicht geringe Verlegenheit geraten. Es enthält

uänilich auch dieses Wort eine kleine Ni^benbedeutung, die icli nicht anders als mythologisch nennen kann. Wir denken nämlich alle, wenn wir Entwickelung^ oder Evolution saften, an ein Fortschreiten von niedrit^ercn schlechtem Formen zu köherüii bessern Forinen. Wenn der sozialistische Volks- redner es als Ziel der Entwickelunj? hinstellt, dass der Individualismus der Vergangenheit einem SozialismuN der Zukuiilt i'latz machen werde, so ücliwebt ihm uiul uns die ZukiniH als eine höhere, bessere (lestaltung vor. Aber auch lu r P)iologe, der die Entwickeluii;^- z. B, des Meiihcben aus der emlachen Zelle lehrt, versteht uuter dem jeweilig späteren Orjj^anismus jedesmal den höheren oder besseren. Da ist also in dem liegritt' der Entwickelung eine Wert- vergleichung mitverstanden, ohne dass wir wüssten, woher wir den Massstab für solche Schätzungen gewonnen hätten. Wir werden darum gut thun, aufmerksam zui^usehen, zu welcher Zeit der bildliche Kegriff Entwickelung diese mora- lische Nebenbedeutung bekommen habe.

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BvoluiuNt

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Das dentsdie Wort ist alt, unil das lltere lateiiiisehe Wort war eine Metapher, die «rsprOngUch deatfich Ter- riet, was de bildlich darstellen wollte. Wir haben diese Worte im FranaSsischen ab ^Tolution, d^Telo^p^nieBt, besonders aber als ezplication noch deutlich Tor uns. Diesen standen eiidSrend inTolntioo, enveloppement und complication gegenüber. Die Begriffe wurden in der Logik angewandt, so oft sich die Ahnung einstellte, dass die logischen Operationen nur auseinander legen, was vorher in die B^fnlfo hineingelegt worden ist. Schon Cicero nennt einmal die Definition (wenn ich in wirklichem Deutsch fibersetsen soll) die Auswickehmg dessen, was in das Wort hineingewickelt worden war. Durch solche wOrtliche Ueber* setaung tritt das Büd wieder deutlich zum Vorschein. Als Jakob Böhme den Begriff in die deutsche Sprache ein- führte, sagte er «Auswickelang*. Erst vor etwa 100 Jahren wurde bei uns En t Wickelung gebriluchlM^er, während in Frankreich das Wort expHcation (Auseinanderfaltung) f&r die logische Erklärung Üblich blieb, und Evolution nach englischem Vorbilde das bedeutete, was wir Entwiekelung nennen. Ich will von jetst ab immer Evolution sagen, weil es das Modewort aller Kultursprachen geworden ist

Der modmen Bedeutung fing das Wort sich am Aus- gang des Mittelalters au nihem an, ab man ausserhalb der Logik das Verhältnis zwischen Gbtt und Welt neu zu erklären suchte. Der ausserweltliche Schöpfer der Welt, der Gott, der nur von aussen stiess, begann zu verblassen und der monistische Qedanke dämmerte unUar herauf. Man fing an die Entstehung von Pflanzen und Tieren schibf er zu beobachten, man bemerkte, dass in der Pflanzenknospe die kOnftige Pflanze schon zusammengewickelt, zusammen- gefaltet (involviert, compUsiert) bei einander lag, dass sie nicht neu geschaffen zu werden brauchte, sondern nur auseinandergewickelt, auseinandergefaltet (evolviert, ex- pliziert). Es lag also nahe, das Bild von der Pflanzen* knoepe anf die Entstehung der Welt aasuwenden, die von nun an nicht sowohl geschaffen ab vielmehr aus dem Gott

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yUL WiNMi und Worte.

heraus entwickelt wurde. Diese Metapher hatte fQr gott- gläubige Christen ursprünglich <;o wenig Anstössiges, dass sie sich sogar bis zum heiligen Augustinus zurückyerfolgeii lässt. Dabei ist freilich nicht zu yergessen, dass die Evo- lution in diesem Sinne noch nichts mit einem Fortschreiten der einmal entstandenen Welt zu höheren Qestaltangen su thun hatte, dass diese Evolution vielmehr nur in bequemer Weise der endlosen Fraige nach dem Warum der Dinge ein £nde zu machen suchte. Als die alte Antwort ,Gott habe alles geschaffen, was da ist" nicht mehr genügte, da freute man sich der wohlfeilen neuen Antwort: ^ Alles was ist, sei iinplicite schon in Gott dagewesen". Das Bild ron derEvO' lution ging nur auf das Weltganze in seinem Verhältnis zu Gott. Sofort freilich, seit Giordano Bruno wenigstens, fingen die Denker an, das Bild auch auf das Einzelne anzuwenden, und so ging aus der Metapher von der Auswickelung lang- sam der Darwinismus hervor.

Aber es dauerte noch lange, bevor die Evolution klar und deutlich das Fortschreiten zu etwas Besserem mit^ bedeutete. Die Unver'änderlichkeit der Arten, die alten platonischen Ideen oder die Zwecke des Aristoteles, waren dem Menschengehim so fest eing^raben, dass selbst die Ahnung einer VerwanrUscliaft aller organische Formen die Vorstellung von festen Typen nicht zerstören konnte. Noch bei Goethe, den man so gern einen Vorläufer Darwins nennt, ist der Üe1)ergang eines Typus in den andern nicht als ein Fortschreiten gedacht sondm als eine Verwandlung, eine Metninorphose. Die Frage der Entwickelung betraf fast nur die Formen; man möchte sagen, es sd eine künstle- rische Frage gewesen. Wirklich hat erst Darwin das Bild Ton der Pflanzenknospe auf alles Einzelne angewandt und ungefähr gelehrt, dass die sogenannten höheren Arten sich aus den niedem herauswickeln, nicht weil sie vorher hinein- gewickelt waren, sondern wdl die , Anlage* vorhanden war. Man achte wohl darauf, dass die Metapher von der Heraus- wickelung damit ihre ganze Bildlidikeit verloren hatte. Evolution war eine bildliche Erklärung, wie das Weltganze

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Fortoehiitt.

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aus Gott hervorgehen möge. Mit dieser Vorstellung hat Darwin nichts mehr zu thun. Er findet aber das Wort Evolution Tor als eine verblasste Metapher, lässt das Bild- liche fallen und glaubt, und mit ihm ^^riaubt die ganze Welt, einen neuen Begriff zu besitzen, in Gott lag die Wek zusamnien gefaltet, wie die Keimblättohen im Samen; darum konnte die Welt aus Gott herroigehen. Nun wird , das Wort «herrorgehen' schon für einen beofreiflichen Vor- gang gehalten und Darwin lässt die höhere Art aus der niedera hervorgehen, trotzdem sie nicht in dieser zusammen- gefaltet lag. Und auch der moralische Begriff des Fort- schreitens zum Ploheren, zvan Bessern schleicht sich jetzt in das Wort Evolution ein. So wird auch der Begriff »Evolution* wieder von seiner eigenen Geschichte umgeben, unabweisbar und dennoch verschleiernd.

Darwin selbst ist zu vorsichtig und zu ehrlich, um so Fort- metaphysische Begriffe offen zu gebrauchen. Seine ganze Lebensarbeit aber liegt darin so paradox nu ine Be- hauptung auch scheinen mag ebenso Moral, Mythologie oder wie man die Sache nennen mag auf die Natur- geschichte anzuwenden, wie eigentlich Kant Moral oder Mythologie auf die Erkenntnistheorie angewandt Imt. Kant hatt« seine abstrakte Moral zu dnem Muss für alle denken- den Wesen gemacht und eben5;o seine Formen der Welt- erkenntnis zu einem Muss des Geistes. In ähnlicher Weise verstand es sich für Darwin von selbst > wenn er es auch nirgends ausdrücklich lehrt dass der menschliche Geist das Ziel der Entwickelung sei; und als seine Aufgabe sah er es an, die Entwickelung des einfachsten Organismus zum Menschengeiste hinauf zu erklaren. Scheinbar aus Natur- gesetzen, heimlich aus Zweckursachen. Das Protoplasma, die Zelle (oder wie man das Zeug nennen will) musste sich zum Menschen entwickeln. Darwin sagt nirgends, dass er ein Materialist ^ i; aber es Tcrsteht sich ihm Ton selbst, eine mechanische Welterklärung zu suchen. Er sagt nir^ gends, nach welchem Massstabe das Menschengehirn wert- voller sei als die Lebenskraft der Amdbe; aber es ist ihm

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VUX. WiaM and Worte.

selbstverständlich, ilass er viel erklärt zu habeu «;l;iul>t, weiiü er die Entwickelunf? des hüheni Organismus aus dem aiedem erklärt hat. Das ist ja eben «^ie hil )ii>f juenz aller materialisti^ichen Theorien, dass sie den (iegensatz von Natur und Geist zwar leugnen, aber keine Sophistik ver- schniiUui. um der Natur den Adel des Geistes zu verleihen; so wie unsere ulteu Demokraten ewig Gieiciiheit predigen, aber i'iir sich pei*sönlich gern das Aufrücken in eine höhere Gesellschaftsklasse durchsetzen mwhten. T>arw}n war nicht so tölpelhaft wie unser Büchner, der iiiiuü i n\ iiiirend rief: „Es gibt nichts Geistiges, es gibt nur Kraft und Stoff! Seht wie geistreich ich die Kraft als den Geist d«'^ Stoti's hingestellt habe." Darwin ist ein unendlich feinerer Be- obachter. Aber auch seine Lehre liesse sich in dem Wider- 8]>ruch darstellen: ,Es gibt in der Natur nichts Höheres und nichts Niedrigeros, Denn das Höhere entwickelt sich aus dem Niedrigem."

Hätte unsere Zeit das Bildliche im Begriff der Evo- lution festhalten können, sie hätte dem Begriff die Neben- bedeutung des Wertes niemals gegeben. Denn in der Aus- wickelung der Pflanzen aus dem Keim liegt nichts, was zu einer Vergleichung der Werte Veranlassung gibt. Die Wertschätzung ist immer und unter allen Umständen ein Verhältnis der Dinge zum menschlichen Interesse, nus dem Keim aber entwickelt sich die Pflanze und aus der Ptlanze die Frucht, die wieder Keime enthält. Nicht einmal die Reife bildet einen Schlusspunkt, sondern ebensogut einen neuen Anfangspunkt. Es ist eine frevelhaft menschlich« Auffassung, die seit Spinoza nicht hätte zu Worte kommen sollen, dass die Evolution der Organismen cum Menschen, die Naturgeschichte also, eine Fortbewegung nach aufwärts, nach oben, nach dem Himmel zu sei. Das ist ebenso frevelhaft menschlich, wie die alte Lehre es war, unsere Menschenerde sei der Mittelpunkt des Weltalls und die Sonne drehe sich um uns. Aus dieser unveränderlichen Menschenreligion heraus ist der Fortschritt zum Bessern, der Zweckbegriff also, in die natuigeschichtUche Evolution

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Fortschritt.

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hineingekoiuiiien. Aus» dieser religiösen Sehnsucht heraus soll der Begriff der Evolution auch noch der Sehnsucht nach einer Zukunft »lieaen, nach neuem Recht, nuch neuer Sitte, üeber die Zukunft aber wissen wir noch weniger als über die Vergangenheit. Wollen wir ernsthaft den alten Aberglauben abschütteln, so ist der neue Begriff der Evo- lution für uns nichts weiter als ein neues zusammenfassen- des Wort, das eine unklare Ahnung bezeichnet, wie wohl unsere Welt im Einzelnen geworden sein mag. Dann aber, wenn wir den moralischen Zweckbegriff nicht mehr mit dem Worte verbinden, ist es ein schlecht gewähltes Wort, bat es die letzte Spur seiner alten Bildlichkeit verloren lind bedeiit-et nicht mehr als sein ehemaliges Sjnonjm: ex- }>lication. Es ist der noch ganz unfertige Versuch, die Ge- schichte der Natur durch Anpassung und Vererbujisr zu , explizieren", zu erklären. Diese beiden Begriffe (Anpassung und Vererbung nämlich"^ durcli das Wort Evolution " zu- sammen zu beirreifen, ist eine Unklarheit mehr, eine voll- kommen nutzlose Unklarheit, weil sie nicht den kleinsten Aman Ii: einer neuen Hypothese gibt. Evolution ist ein überfiübMges, ein unntttzes. ein sinnarmes Wort.

Wie gesagt: das alte Bild vom Pflanzenkeim })asste noch, als man die Welt aus Gott herauswickelte. Von Ur- anfantf mochte die Welt implicite noch znsanimenLrewickelt in Gott gelegen haben. Stark verwässert, aber imuur noch fllhlhar ist das Bild, wenn wir verstandesgem'ass etwa» zu ex[ lizit ren suchen. Wir wickeln aus dem Begritf in Sätzen heraus, was wir in sf iicken liineingewickelt haben. Ganz verschwunden ist das Biid jedoch, wenn ^v^r ausser- halb unseres Denkens die Veränderungen der Welt immer noch als Evolution zu fassen versuchen. Worte leben nur, wenn sie SvrnVmlc sind, und Evolution ist ein totes Synilnd: Worte i>edeuten etwas nur dann, wenn sie erkennbare Zeichen sind, und Evolution hat aufgehört etwas zu zeichnen.

Diese Ablehnung richtet sich aber nicht so sehr gegen Darwin selbst als gegen die philosophischen Begründer des

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VIIL Wisaen und Worte.

8p«M«r. Darwinifliniis. Darwin selbst ist ein wackerer Feind von Abstraktion, ist noeh kein Darwinist. FOr gewdknlkli ent- spricht er so sebr mnnem Ideal eines Forscheis, dass er überhaupt keine Schlttose dekt, kerne allgemeinen l&kbi» aufstellt. Für gewOhnUch lesen wir seine Blleber so, ab ob sie gar nicht durch Sprache Temiittelt wiren, als ob dieser Heros des Apercu mit uns zwischen Bergen Ton Einzeldingen umherginge und stumm mit seinem Finger auf Aehnlichkeiten zeigte, die vor ihm noch kein Mensch be- obachtet hatte. Nicht eine neue Philosophie thut sich uns da auf, sondern nur einerseits die Gewissheit, dass die alten Klassifikationen und die alten Abstraktionen auf unvoll- ständigen Beobachtungen beruhen, und anderseits die Ahnung, dass eine übermenschliche , vollständige Kenntnis aller wir- kenden Ursachen den fabelhaften Begriff der Zweckursache endlich würde vernichten kOnnen. Erst der philosophische Darwinismus hat (teils vor Darwin) die Lehre von der Evo- lution aufgestellt; raeine Kritik dieses BegriflFs wendet sich also nicht gegen Darwin, sondern gegen den jüngsten Mjtho- logen, gegen Herbert Spencer.

Herbert Spencer hat das unleugbare Verdienst, eine last uniihersehbare Menge von wissenschaftlichen Thiit-^acheu unter einem einzigen Gesichtspunkt vereinigL zu haben. Was i]i III i'ier Zeit der Arbeitisteilung unmöglich schien, das hat ci utit unerhörtem Fleisse bewältigt. Mag man ihn dafür mit Aristoteles auf eine Stufe stellen.

Selbstverständlich sind die zahllosen Beobachtungen, die in der Zeit zwisclien beiden Müuueru von Naturforschern gemacht worden sind, nicht umsonst gewesen. Das Wissen Spencers verhält sich zu dem Wissen des Aristoteles wie das eines Professors der Astronomie zu der Kalenderweis- beit eines guten Pfarrers. In einem aber ist Spencer dem stupenden Kompilator des Altertums ganz gleich, dass er den allgemeinsten Begrifl" für den obersten Gesichtspunkt hält, dass er also die Gesamtheit unstu - r \N elterkenntnis aus den leersten Worthülsen herausschälen möchte. Auch er unterliegt dem Fluche aUes Phiiosophierens ^ gerade

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I

erst aus gedroschenem Stroli nahrhafte Brotöucht gewinnen sn wollen. Herbert Spencer tftusoht Aber die Scholastik saner obersten Gnmds&tKe durch die Überwältigende Falle Ton Beispielen, die er ans der leblosen Natur, aus der Biolc»gie und aus der Soziologie herbei schleppt W^lhrend aber Darwin ftlr gewöhnlich nur Beispiele gibt und die Schlüsse dem Leser ttberlSsst, schreitet Spencer Aber seine Beispiele hinweg Ton Abstraktion zu Abstraktion, von scho- lastischen Worten zu acholaatiachen Sätzen, üeber hundert Seiten braucht er, um sein ETolutionsgesetz zu formulieren, und gelangt endlich (.G^mndlage der Philosophie*, deutsch Ton Vetter S. 401) zu folgender Definition, deren sich kein Logiker des Mittelalters zu schlmen h&tte: «Entwiekelung ist Integration des Stoffes und damit Terbundene Zer- streuung der Bewegung, wfthrend welcher der Stoff aus tmet unbestimmten, unzusammenhftngenden Gleichartigkeit in bestimmte, zusammenhängende Ungleichartigkeit Aber- geht, und wihrend welcher die zurAckgehaltene Bewegung eine entsprechrade Vmfonnung erfahrt.* Für meine Leser yerrfit dieser letzte Schluss Ton Spencers Weisheit wohl sofort das durchbohrende Gefühl ihres Nichts. Damit mir aber, der ich mich frei gemacht habe Ton der toten Sprache ilterer Philosophen, nicht dieser Engländer als der be- rufene Sprecher zeitgenössiseher WissenschafUichkeit ent- gegengehalten werde, muss ich mich der schwierigen und undankbaren Aulgabe unterziehen, auch die ETolutions- philosophie als ein sehnsüchtiges Wortgebände ihres Be- gründers nachzuweisen. Ich brauche mich dann mit dem Evoltttionsgeschwltze nicht mehr abzugeben, das aus dem Munde yon Spencers Nachtretem im 2. u. s. w. Gliede unsere Akademien und Uniyersitäten, unsere Festsäle und VolksTersammlungen erfüllt und nach dem Glauben der Zeitungsschreiber und Zeitungsleser so etwas wie die Lösung des Weltrfttsels entibtält

Da ist nun gleich das erste Wort Ton Spencers De- in««- finition hinreichend, um sie für meine Leser dör bewussten sntion. Wortmacherei , ja eigentlich der Flunkerei rerdächtig zu

ICftHtliatr, Baitrlie n elmr Kritik dar Spnohe. m. 39

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Vm, Wiswii und Worte.

machen. Wir wisaen, dass jede vollständige Deänition eine Tftutologie Min mius. Wir wissen also, dass eine Tauto- logie herauskommen wirrl , wenn Spencer in sechs Zeilen erklärt, weiche Art von Integration er Entwickelung oder Evolution nennt. In nnserem Falle aber ist die Flunkerei noch handgreiflicher, und die ganse Definition stellt sich als ein loj^nscher Betrug heraus. Denn der von Spencer eingeführte 13egi iiV der «Integration' ist selbst nur wieder ein anderes Wort für ganz genau dasselbCf was Integration erst in fünf scholastischen Zeilen werden soll : für Evolution oder Entwickelung. Selbstverständlich meine ich nur einen logischen Selbstbetrug ; denn ein Mann von den Fähigkeiten Herbert Spencers setzt sein Leben nicht an einen Spass, er schreibt nicht zehn von Arbeit strotzende Bände, um wttüger als eine Tautologie zu beweisen. Wir werden sehen, dass auch Spencer, trotz seines bessern Einblicks in das Wesen der Sprächet doch auch der alten tleberschätaung der Sprache zum Opfer fjpfaUen ist. Und mit einem un- aussprechlichen Gefühl schaudernden Ekels frage ich mich in (liesein Augenblicke wieder, worin ich selbst der Narr der Sprache bin, während ich sie zu meistern suche. Aber standhaft wie ein Esel im Homerischen Bilde will ich meiner Aufgabe treu bleiben und hier versuchen das Spiel aufzudecken, das mit dem Worte Integration getrieben wind.

Wenn Integration Uberhaupt etwas bedeutet, so wiU es diejenige Veränderung bezeichnen, durch weiche Unzu- sammenhSngendes zu etwas Zusammenhängendem, Unbe- stimmtes SU etwas Bestimmtem, Unordnung zu Ordnung, ein Haufe von Teilen zu einem Ganzen wird. Man gehe die Darstellung Spencers von einem Ende bis zum andern durch, man wird immer finden, dass bei ihm Integration ursprünglich die Zusammenballung von Teilen zu einem Ganzen bedeutet wie z. B. die Zusammenballnng des Ur- nebels zu den einzelnen Himmelskdipwn unseres Sonnen- systems , dass Integration dann später bildlich solche Yer- einheitlichungen in der Biologie und Soziologie bedeutet. Ware Spencer also so klar wie Darwin und zugleich so

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Inkjgzatioa.

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naiv wie Darwin, so würde er ebenso wie Diirwin die Schwierigkeit des Zweckbegriffo Übersehen und banal ge* sagt haben: ich verstehe unter dem Worte Evolution den Fortsehritt des Stoffs zu einem immer höheren Zusammen- hang, zu immer höherer Bestimmtheit, zu einer immer höheren Ordnung, kurz xu einem höheren Ganzen. Spencer ist kritisch genug, um su wissen, dass er so mythologische, moralische Begriffe wie aFortsehritt* und «höher* anstands- halber Termeiden mOsse. Bewusst oder instinktiT ergreift er das gans ungehrftachUche Fremdwort ,|Iiitegcatum*, welches nur die Yeremheitlichung besagt^ glaubt damit der Evolution einett allgememem Begrüf ftberordnen su kOnnen und so ETolution philosophisch au definieren. Es hilft ihm nichts* Kein Mensch kann mit seiner Sprache ans seiner Vorstellungswelt heransspringen, denn Sprachschata und Weltanschauung ist eins und dasselbe. Was Spencer de- finieren will, der Begriff der Erolution, enthUt unweiger- lich, wenn auch noch so heimlich, die Nebenbedeutung des Fortschritts su etwas Besserem. Und mag man den Begriff Integration noch so abstrakt &ssen, auch ihm haftet dieses freTelhaft menschliche Werturteil unweigerlich au.

Selbst wenn wir unter Integration nichts weiter Ter- stehen wollen als die Vereinheitlichung uneinigen Stoib, so drängt sich dem Tororteilslosen Denken die Frage auf: bei wem denn die Entscheidung sei darflber, ob etwas eine Ein- heit sei oder nicht? Wir sind es gewohnt die Organismen der Erde, Tiere und Pflanzen, Einheiten zu nennen. Schon da, wo die Sprache ihrer Sache am gewissesten su sein glaubt, regt sich der Zweifel, ob einerseits nicht z. B. alle Menschen gleich wie Zellen sind gegenüber der sozialen Einheit, der Menschheit, und ob anderseits das Kind im Mutterleib, die Frucht an der Pflanze selbstindige SSnheiten sind oder zu dem mütterlichen Organismus als Teile ge- boren. Bis in Fragen des Rechte greifen diese Bedenken hinein. Noch viel ungewisser darflber sind wir, wann und warum ein Stein, ein Metallstflck ein Ganzes, eme Einheit genannt zu werden verdiene. Sicherlich dann, wenn mensch-

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ynL Wmmii tmd Worte.

liebes Interesse es abgesondert bat. Aber wann und wunm in der liatur? Und sind die einzelnen Planeten unseres Sonnensystems auch gewiss und natürlicli 1 > ondere Ein- heiten, besondere Ganze zu nennen? Vielleicht ist dem gar nicbt so , vielleicht treibt ein unbekanntes Ganze diese imsere Erde mit den übrigen Planeten im Aetber um die Sonne herum nur für unsere Augen, fUr uns mit Nerven und Gehirn ausgestattete Arten der Scbimmelde<^e der Erde, die wir uns um den übrigen Schimmel essen so können das Sehen angewöhnt haben und die Augen und die Übrigen Sinne nnd die wir uns dazu um das Ess- bare besser unterscheiden zu können das Qed&chtnis oder die Sprache angewöhnt haben und die wir mit Hüfe dieser Magd unserer Begierden, der elenden menschlichen Sprache, diese Erde und die andern Planeten spielend Einheiten nennen. Noch einmal: wer lehrt uns Einheiten zusammen- fassen? Nur unsere Sprache, das ist der Ausdruck unseres ▼om Interesse geleiteten Gedächtnisses, lässt uns das Chaos der Welt zusammenfassen, bestimmen, ordnen, in ganzen Einheiten merken. So werden wir uns jetzt schon sagen und damit aber Spencer hinaus gelangen: dass die Ent- wickelung der Dinge, die viel gerOhmte ETolution, freiHch auch als Int^pration bezeichnet werden könne, weil sie nicht ein ErfSshrungsbegriff aus der Wirldiehkeitswelt ist, sondern eine Bequemlichkeit unseres Denkens oder unserer Sprache, je nach dem Stande unserer Beobachtungen zu benennen, was wir nicht begreifen* Wohl hat Spencer recht, aber ganz anders als er es rersteht: wir begreifen die Natur nicht, wir legen in sie die Entwickelung, das Streben nach höheren Zwecken erst hinein, und wenn wir bescheiden sein wollen, so nennen wir diese unsere letzte arme Beligion das ewige Streben zum Ganzen: die Integrstion. Ordnen wollen wir die Natur, um in ihr nicht unterzugehen; aber Ordnung ist nicht wirklich, Ordnung ist nur eine Sehnsucht der menschlichen Sprache. AhnungsToU hat einmal Spinoza den Begriff der Ordnung neben die morslischen Begriffe gestellt, die von uns sind, nicht von Natur.

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Intogrfttioii.

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Mit dieser Auflösung des 6egri£fs Integration scheint mir die ganze scholestieche Definition Spencers yemichtet 7A\ sein. Aber er gebraucM noch weiter Begriffe, die auf der eisigen Höhe solchen Denkens ihren Sinn verloren haben. * Er lehrt, dass die Evolution zugleich eine Sammlung des Stoffs und eine Zerstreuung der Bewegung sei. Er denkt dabei z. B. an die Entstehung eines Planeten, wo zugleich der Stoff sich 2U einer Kugel zusammenballt und dabei z. B. Wärme erzeugt, welche Wärme ist ja Bewegung fort- wirkend andere Veränderungen hervorbringt. Er wendet dieses Bild der Evolution dann, wie gesagt, sehr hübsch niif andere Konzentrationen von Stoff und Fortwirkungen der Bewegung an, auf Biologie und Soziologie. Wer aber sagt uns, was Stoff ist? Wer, was Bewegung? Es sind das für uns mythologisch gewordene Begriffe, mit Hilfe deren die alte Mechanik sich in der Wirklichkeitswelt zurechtfand und sogar Maschinen erfand und berechnete; aV)er gerade in unseren Tagen ist die Mechanik selbst im Begriff, die alten Worte preiszugeben, weil immer nur eines durch das andere erklärt werden kann, weil weder ein Stoff noch eine Bewegung an sich in der Welt der Wirklichkeiten wahr- zunehmen ist. Man schickt sich an, von «Energie* zu sprechen und Stoff und Bewegung nur noch als Tcrschiedeue Erscheinungsformen, als Blendwerke der Energie aufzufassen. Ich fürchte, wir werden mit dem Worte Energie nicht weiter kommen als die alte Mechanik mit dem fiist gleichbedeuten- den Worte «Moment*. Worauf es mir hier aber ankommt, das ist der Hinweis darauf, dass Spencer bei seinem obersten Gesetz nicht umhin kann, Worte ohne Legitimation zu ge- brauchen, Worte, die körperlos und haltlos in unserem Ge- dächtnis oder unserem Sprachschatz schweben, gleich wie Gdtter einer sterbenden Religion, und die so wenig frei* willig ins Exil wandern wollen wie abgesetzte Götter und abgesetzte Könige.

Spencers Definition ist so leer und abstrakt, dass ihr Wortlaut uns erlauben würde, sie nun für abgethan zu er- klären. Das aber wäre ungerecht, denn Spencer selbst

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Vm. WiiNB und Wott«.

denkt sich allerlei bei seinen Abstraktionen und wir mllssen seinen Gedankengang ein wenig zurUckyerfolgen. Er weiss natürlich so gut wie ich, dass der Begriff der «Kraft* Stoff und Bewegung mit umfasst, und es ist nur der heimüdie Wunsch, SU seiner Definition zu kommen, was ihn irre macht. Wenn er auch nicht erkannt hat, dass die Er- haltung der Energie, was er Fortbestehen der Kraft nennt, etwas Selbstverstänflliches ist, noch weniger als eine Tauto- logie, nämlich nichts als die Weisheit: .Wir brauchen keinen Unsinn zu denken," so stellt er doch das Fortbestehen der Kraft sehr gut als unsere äusserste und allgemeinste Kenntnis von der Wirklichkeit hin und formt den Satz nocb besser um, wenn er von dem Fortbestehen der Beziehungen zwischen den Kräften spricht. £r hält da freilich für einen logischen Schluss, was fjerade nur eine Tautologie ist; aber der Ausdruck ist vortrefflich. Nun aber vollzieht sich in seinem Kopfe dasjenige, was regelmässig den Saltomortale von der Wirklichkeit sum Denken, Ton unserer wirklichen Erkenntnis zum System ausmacht. Er hat den allgemeinsten Ausdruck fUr die Wirklichkeit gefunden und kann dem Wunsche nicht widerstehen, hinter der Welt den Gott zu suchen, die alten Mythen unserer Sprache hinter den Gesetzen der Wirklichkeit. £r sieht das Spiel der Kräfte in der Natur und er lebt mit seinem Selbstbewusstsein in der menschlichen Gesellschaft mit ihren Rechten und Sitten. Er hat wie jeder andere die Sehnsucht, das Oeheimnis zu begreifen, wie die Kräfte der Anziehung und Abstossung, wie Chemismus und Elek- tridtät sich su den moralischen Gesetsen der menschlichen Gesellschaft «entwickelt* haben. Sr sieht den Gott nicht, der in dem Begriff Entwickelung -versteckt ist. Er hält den Begriff Entwickelung ffir die Bezeichnung Ton etwas Wirk- liebem und macht den Kopfsprung von der Erhaltung der Energie zur ETolution. Man achte genau auf den Ueber- gang. Er hat sich belehren lassen, dass das oberste Gesetz der Wirklickkeit das Fortbestehen der Beziehung zwischen den Kräften ist. Dieses Gesetz wiD nur besagen, dass die Welt im Innersten nicht mehr und nicht minder wird, wäh-

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SpndM md WiiUiolikiii. 615

rend die Erscheinungsformen der Kraft, Stoff und Bewegung nftmlich, sich da und 'lorl: anders verteilen. Diese Anders- yerteilungen von Stoff und Bewegung sind das Blendwerk, das wir Wirklichkeitswelt nennen. Diese Andersverteilungeu sind wahrscheinlich nicht regellos. Wahrscheinlich hat Darwin recht, wenn er aufmerksam durch ihre erdrückende Falle geht und überall auf merkwürdige Aehnlichkeiten hin- weist. Sie sind würdig gemerkt su werden, nnd die Mensch- heit hat es schon vor Darwin gethan. Die ganze Geschichte Spraob« des Menschengeistes ist die Summe des Gedächtnisses solcher ^^iruiob' Aehnlichkeiten; imd die ganze Oeschichte der Natur ist kelt. vielleicht das wirkliche Kprrelat dazu, nämlich die Summe der Aehnlichkeiten, die das unbewusste Gedächtnis gemerkt hat, die Erblichkeit. So dämmert uns etwas, was uns der Natur zu nähern scheint, wie Nebel mitunter die Gegen* stände nähert. Herbert Spencer aber will so wenig wie andere Denker vor ihm sich mit diesem Nebel begnügen; nichts weiss er, absolut nichts anderes weiss er, als dass die Beziehungen zwischen den Kräften fortbestehen und das, was wir wahrnehmen, nur Andersverteilungen dieser Kräfte, das heisst ihrer Stoffe und Bewegungen sind. Sehn- süchtig will er aber die Welt yerstehen und sucht ein Ge- sets für diese Andersverteilungen. Während er es aber noch zu suchen vorgibt, hat es ihm der augenblickliche Stand des Menschengeistes schon diktiert. Für dieses Ge- setz, das er erst sucht, liefert ihm der zeitgenössische Sprach- schatz als umfassendsten Ausdruck da.s Wort Evolution. Eto* lution ist nichts weiter, als das Suchen, als die Frage nach demselben Gesets, das Spencer sucht. Das würde Spencer zugeben, wenn ihn die Kritik beim Nacken fasste und mit der Stirn auf das Wort stiesse. Weil er aber diese Macht nicht fllhlt, gibt es einen Augenblick, wo er die Frage mit der Beantwortung ▼erwecliselt und wo er das fragende Wort ETolution für das gesuchte Gesetz der Andenrerteilun* gen hält.

Darum ist sme Definition so scholastisch geworden und darum ist ihr ehrlicher Sinn etwa folgender: wirklich

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VUL WÜMn und Worte.

ist nichts als das Fortbestehen der Beziehungen zwischen den Kräften; was wir wahrnehmen sind die Andersvertei- luugen von Stoff und Bewegung, dieser Erscheinungsformen der Kräfte. Weil eine Kraft aber auch das Produkt von Stoif und Bewegung ist, so wirkt selbstverständlich jede Anders- verteilung des Stoffs uuf die Bewegung uml u[iiL'"t'kelirt; wir können auch sagen, dass jede Vereinheitlichung von Stoff Differenzierung der Bewegung erzeugt und umgekehrt ; diese Tautologie nennen wir aber das oberste Gesetz, die Evo- lution, weil wir doch den Wunsch haben zu ünden, was wir suchen.

Wer sucht der findet. Und wenn er nicht findet, was er gesucht hat, so beruhigt er sich bei dein ( rsten besten Gefundenen. Wnni die Polizei einen Verbrecher lange ge- sucht hat , so greitt sie nach dem ersten besten und wirft %m das begangene Vorbrechen an den Hals. So ist es in der Geschichte der l'iiilosophie schon öfter gegangen. Klas- sisch ist das Beispiel von Kant, der auszog, das oberste Moralprinzip zu linden. Unverrückbar stand es in seinem Kopfe: das gesucht»' «»berste Moralprinzip müsse so beschaffen sein, dass es allgemein gültig wäre; dann machte er eines Tages den Saltomortale und verwech.selte die Aufgalie mit der Lösung und glauljte sein Gesetz gefunden zu haben als er als obersten (irrundsatz aussprach: dein Moralprinzip muss allgemein gültig sein können, dann ist es das oberste Moral- prinzip. Niemand wagte zu lachen. Und so hat in unseren Tagen niemand gelacht, als Herbert Spencer auszog, das oberste Gesetz der Andersverteilungen zu finden, und zu der Tautologie gelangte, das oberste Gesetz, das Evolution heissen soll, ist das Gesetz der Ändersverteilungen. Au(h Spencer ist ein armer sprechender Mensch, ist woitaberglaubis(;h, ist im Sinne der Scholastiker ein «Bealist**

Der mittelalterliche, scholastische Realismus, den ich zur Unterscheidung jedesmal Wortrealismus nenne, lehrt, dass die UniTersalien oder Begriffe irgend etwas Wirkliches

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Wortrealiflmxis.

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seien, dass z. B. den aufwärts Yenülgemeinerten Begriffen wort- Schimmel, Pferd, VierfÜssler, Tier, Organismus, Ding in der Wirklichkeitswelt etwas entspreche, was kein Individaum und doch ein Schimmel, eia Pferd u. s. w. wirklich und wirksam, dingUch sei. Der moderne Realismus lehrt jedem IdeaEsmos gegenüber, dass nur dasjenige wirklich sei, was vnr mit unsem Sinnen wahmelimen kOnnen, dass alle andern, hoberu Begriffe nur Abstraktionen seien, nur in unserem Seelenleben vorhanden, er lehrt den Primat des Materiellen. Dieser moderne Realismus kommt also dem mittelalterlichen Kominalismus sehr nahe und scheint darum dem scholasti- schen Wortrealismus entgegengesetzt zu sdn. Die Sprach- kritik kann sieh in vielen Fällen damit b^^ügen, den alten und den neuen Realismus als Gegensätze aufzufassen. Doch ein schärferes Zusehen kann uns lehren, wie fliessend und q»ielend so entgegengesetsfce Begriffe ineinander Übergehen« Als Vorbereitung zu dieser schärferen Betrachtung wollen wir einmal zusehen, wie sich unser neuer Realis- mus oder Nominalismua ungefähr zu der eben angeführten Skala von Begriffen stellt. Den Begriff Ding wird er leicht preisgeben als eine fast inhaltlose Abstraktion. Die weitern Begriffe, Tom Organismus herab bis zum Pferd, wird er doch nicht so ganz als flatus rocis, als blosse Lufterschütte- rungen ansehen wollen, wird ihnen zwar nicht gerade die Wirksamkeit platonischer Ideen, aber doch formenbildende Krftfte zuschreiben, das heisst nicht dem Worte oder Be- griffe, sondern einem hinter diesem steckenden Etwas, was entweder im Sinne Goethes die Begehnissigkeit in der Natur oder im Sinne Darwins die Erblichkeit in der Natur als Folge hat. Derselbe Eompnuniss wird für den Begriff Schimmel geschlossen, von der Umgangssprache yon jeher, weil diese immer darwinistiseh war und den strengen Unter- schied zwischen Spedea und Varietät nicht kannte, neuer- dings auch Ton den Darwinisten. Aber drOben das Ihdi- yiduum Schimmel, das Ton seinem Herrn RHana* gerufen wird, hat zugleich einen Namen und eine Bealitftt. Unser modemer Realismus weiss noch nicht, dass es immer noch

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Yin. Witten und Woite.

scliül astischer Wortreal isiiuis ist, auch nur das Individuum, das (lo( h nur ein Strombett ist für in der Zeit und im Raum abfliessende Molekularbeweguiifj^en, ein Reales zu nennen. Ganz vor kurzem hat Virchow, allerdings nur in Sorge um seine geliebte Zcllularpathologie, selbst den Bogrift" de'; It^- dividuum--- nfnninalistisch kritisiert und Leben, Seele und was drum und dran hängt einzig und allein seinen lieben Zellen zugesproclien , die sit h als die unter das Mikroskoj) gebrachten Leibnizscheu Monaden entpuppten. Der Nomi- nalisnius Virchows tritt also der Welt entgegen un<l kriti- siert sie von Gott bis herunter zur Zelle; vor der Zelle jedoch macht er Halt und bekehrt sich ihr gegenüber zum Wortrealisnius.

Unsere Erkenntnistheorie muss noch einen kleinen Schritt weiter gehen umi fragen, wo denn der Realismus der Zellen anfange, die wir mit bewaffneten oder unbewaffneten Sinnen wahrnehmen. Ob ausser uns oder in uns. Sind die Zellen wirklich Individuen und zwar Individuen ausser uns, so hat der Realismus etwas Festes, woran er sich in der Physio- logie halten kann, wie er in den Molekülen etwas Festes zu haben glaubt, woran er sich in der unorganischen Welt hält. Doch in der unorganischen Welt bereits zwingt ihn die Schwierigkeit der Naturerklärung, die immer noch körper- lichen Moleküle in die idealen Kraftzentren der Atome auf- zulösen und so die materialistische Welterklärung in einen energetischen Idealismus hinUberzuleiten. Dieselben Kraft- mntaren nimmt die Wissenschaft natürlich auch in der organi- schen Zelle an, weil sie auch im lebenden Körper noch niemals andere Atome als die der unoi^Hfanisdien Elemente nachgewiesen hit: las Denken kann dabei nicht stehen bleiben, es muss hinter der Zellseele eine Protoplasmamele, hinter der Protoplasmaseele eine Unznhl von Atomseelen suchen, und weil zu den unorganischen Kräften noch diejenige Kraft kommt, welche so oder so die Erscheinungen des Lebens ▼erunacht, wird die Physiologie des modernen Realismus zu einem energetischen Idealisnms zweiter Potenz.

Man sieht, die ganze Untersuchung Iftoft auf die Frag»

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Indindnam.

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hinaus: Was ist ein Individuum ? Der raodeine Realismus erfasst alle Art- und Gattungsbegriffe als blosse Worte, schiebt die Frage nach der Entstehung dieser Arten und Gattungen zurUck und erklärt mit dem scholastischen Nomi- nalismus das Individuum allein fUr wirklich. Unser naives Bewusstsein, unser Stolz sträubt sich mit Lebenskraft ja mit Todesangst dagegen, anzuerkennen, dass selbst der Be- griff der Individualität sich nicht länger wie bisher fest- halten lasse. Die Zoologie gibt schwindelerregende Bei- spiele dafür, dass die Individualität im Tierreich anders sein könne als diejenige Individualität, die wir Menschen einzig und allein in unserem Selbstbewusstsein vorfinden. Wenn der Seestem zerschnitten wird und so durch die Willkür des Zerschneiders zwei Seesteme entstehen, wenn die Si- phonophore viele Individuen zu einem Staate vereinigt, der doch wieder eine Art Individualität hat, wenn im Generations- wechsel so zahlreicher Tiere das eine Individuum ganz oder teilwdse aufgebraucht wird um ein anderes Individuum zu bilden, wenn der Bandwurm oder der Schmetterling durch Formen hindurchgeht, die sich TOneinander stärker unter- scheiden als ein Mensch und eine Schlange, dann begreift der Beobachter, dass der mensdiliche BeffaS Individuum nicht auf jedes Tier angewendet werden kann. Und hat der Bienenstaat, der Ameisenstaat nicht, trotz der körper- lichen Trennung der einzelnen Tierchen, manche Aehnlich- keit mit der Siphonophore? Und der Menschenstaat? Wird nicht durch die Thatsache der Vererbung das Individuum fortgesetzt, also der Begriff der Individualität doch wieder umgeformt?

Es ist also nicht ganz leicht mit dem Denken aufzu- hören, wenn man die Individuen als einzige Realitäten auf- gefasst hat. Aufwärts und abwärts flieset die Grenze der Individualität. Real ist uns die Zelle nur, weil unsere Sinne, auch die bewaffneten, sie nicht teilen können; die Zelle ist das hypothetische Atom der Physiologie.

Sehen wir nun von der objektiven Individualität ab und fragen wir nach dem subjektiven QefUhl, welches jeder

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Viii. WiiMi und Worte.

Mensch nur für sich selbst eniithiiili t: icli bin ein Indi- viduum. Wer dieser Empfindung nicht glauben wollte, wer seinen eigenen Körper nicht als eine Individualität be- trachten, sondejii ihn auch praktisch als blosse Form auf- fassen wollte, als ein fremdes Strombett für unaufhörlich wechselnde Moleküle und Molekularbewegungen, der würde verrückt scheinen und es wahrscheinlich auch sein. Wenn ich esse, liebe, denke, kämpfe, so handle ich als Individuum, kümmere mich den Teufel um meine Erkenntnistheorie und halte den Schein der Individualität für Wirklichkeit. Dafür keiase ich auch ein verständiger Mensch. Dabei durch- schaue ich aber heimlich diesen Schein und weiss, dass das Selbstbewusstsein oder der Schein der Individualität mit meinem Gedächtnis irgendwie zusammenhängt, dass ich mich ab Individuum fühle, weil mein Gedächtnis die Em- pfindungen aufeinander folgender Zeitteilchen verbindet, weil mein Gedächtnis das Strombett von jedem Punkte bis in die Nähe der Quelle zurückverfolgt (vergl. 1. 606).

Wenn das alles wahr ist, dann ist der moderne B^nlis- mus doch nur eine vorläufige, ihrer vorläufigen Kolieit sich ganz gut bewusste Weltanschauunrr. Ueal sind nmr IndiTiduen; Individuen aber sind ausserhalb unserer Spradid oder unseres Denkens oder unseres Gedächtnisses unauf- findbar, wir kennen also kein Reales. Selbst die einzelnen Menschen sind objektiv nur runde, räumlich von der übrigen Welt abgeschlossene Organismen, die Zeit ihres Lebens einen bestimmten Namen tracron ; subjektiv: Individualgedächt- nisse, die übrigens auf nichts sicherer und lieber reagieren als auf den Namen, den sie objektiv bei den Mitmenschen besitzen. £in Sterbender reagiert noch im Koma auf Nen- nung seines Namens. Impfln« Und nun sehen wir einmal zu, ob es mit den Wahr- ^la^ nehmungen, die all unserer Welterkenntnis, all unseren Ti4a«n Vorstellungen auch von Menschenindividuen doch zu Grunde liegen, anders bestellt ist. Sofort fällt es uns ein, dass unsere Sinnesorgane uns wieder keinen Aofschluss geben Uber irgend etwas Reales. Wir müssen versuchen, diese

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fiditeiuitiuiCheoretiMlier NominaliBmiis.

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Yergleiclmiig swiscben HenschemndiTiduen nnd den ein- fadisten Sinneswalinielimimgen festanihaltea, so paradox und schwierig sie ist Ein Ton erklingt, eine Farbe lenchtet Unmöglich fllr unsere Sinnesorgane, das Individuum ds oder das Individunm rot (beide Empfindungen sind nur unend" lieh Ueine Bestandteile unseres Ichbewusstseins) anders zu fühlen als durch die Th&tigkeit des Gedächtnisses, welches die und die Schwingungen als ähnlich oder regelmissig Tergleicht, sie durch sein (des Gedächtnisses) Strombett fliessen lässt, von irgend einem Punkte dieses Strombett flberblickt und es durch eine Erinnerung ausaeidmet» Wir besässen unser Ichbewusstsein nicht, wenn unser Gedächtnis oder unsere Sprache nicht Milliarden Ton solchen Em- pfindungsindividuen To^gletchend klassifisiert hätte; aber auch diese letzten Empfindungsindividuen geben uns nicht die Wahrnehmungen von etwas Realem, sondern selbst schon blossen Schein. Unser modemer Realismus wird also notwendig Aber sich selbst hinausgeführt zu dem Einge* slAndnis, dass er keine wirkliche Realitilt erkenne, dass er zu einem neuen Idealtsmus führe, sagen wir nur zum energe- tischen Idealismus. Unser modemer, ein Jahrhundert lang so stolzer Realismus muss also am letzten Ende eingestehen, dass er, so weit es auch unsre naturwissenschaftlichen For- schungen seit dem Mittelalter gebracht haben, dennoch bei den beiden Endpunkten, beim Ichbewusstsein des Menschen wie bei den niedersten Sinnesempfindungen, ohne Wortaber- glauben nicht behaupten kann, etwas WirUiches zu er- kennen. Der moderne Realismus hat die Nichtrealitöt der Art- und Gattungsbegriffe eingesehen, ist aber solange er nicht Sprachkritik geworden ist in der Auffassung des letzten Wirklichen Wortrealismus geblieben.

Der scholastische Nominalismus stellte sich dem scho- lastischen Wortrealismus tapfer gegenüber, aber er konnte das letzte Wort nicht finden, weü er an die Reslität der aoW Individuen glaubte und die ZufäUigkeit der ^e nicht ^^^IT ahnte. Was ich lehre, das wird vielleicht ein Nominalis- mus redivivus genannt werden. Doch er hat nach seiner

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VIII. WuMB QDd Worte.

Wiederenreckung die Schule von Locke und ITumc und Kant nicht Tergessen und ist, befreit von irdischen kirchUchen Sorgen, ein reiner, erkenntmstheoretischer NominaUflmns.

Hätte dieser Norainalismus schon gesiegt, so wäre es nicht nielir möglich, dass kluge Menschen heute noch zwi- schen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Leben unterschieden. Das mag eine lustige Theorie sein, die je- mals der Pk-aads widerspricht. Es ist als woUte man Ge- setze aufstellen, die eingeetandenermassen der Erfahrung widerspriUshen. Und doch waren und smd die grOssten M&nner der gWtesten Praxis dem Wortaberglauben unter- worfen. Ich denke dabei an die Staatsmftnner, deren Stärke doch natnrgemäsB darin liegen muss, dass sie die Wirklich- keit erkennen, dass sie nicht Ideologen oder W4»trea]isten sind. Man denke aber einmal an die beiden Riesen unter den handelnden Personen des 19. Jahrhunderts, an Napoleon und Bismarck, die beide mit Recht als Besieger der Ideo- logie gelten. Das allmählich wachsende Lebensziel beider Männer könnte man dahin zusammenfassen, dass sie beide den Namen Cäsar oder Kaiser wieder zu einer Macht machen woUten, Napoleon mehr für sich selbst, Bismarek mehr for seinen König und sein Land. Sehen wir dabei ab von all dem Unheil, welches der Wortaberglaube an die Staats« formen für Julius Cäsar selbst, der Wortaberglaube an den Titel Cäsar fUr die Kaiser des deutschen Mittelalters zur Folge hatte. Napoleon machte das Wort mit unerhörter Kraft zu einer Realität, ging aber am Ende daran zu Gründe, dass er wortabergläubisch an einem andern Begriffe hing, an dem geographischen Begriff »Europa*, dass er sich nicht Cäsar fOhlte, solange jemand in „Europa* ihm nicht ge- horchte. Man kann in Napoleons Briefen Belege daf^ finden, wie der Zufallsbegriff „Europa* seine Entschlösse lenkte, ihn in den Feldzug gegen Russland trieb. Selbet- TerständHch war Europa daneben auch eine Realität durch die höfischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Russ- land und den Westmächten; aber darüber hinaus wurde Napoleon durch den Begriff beeinfiusst. Und der noch

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ExkenntnialheofetiMher NomiaalunniM.

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grössere Nominal ist Bismarck, der seine Erfolge sein ganzes Leben lang dem Wirklichkeitssinne verdankte, mit welchem er die wirklichen Knochen der deutschen Soldaten, den wirUichen Charakter seines Königs, die wirkliche Hand- lungsweise seiner innern und äussern Gegner in Rechnimg zogf erfuhr seinen einzigen Misserfolg dadurch und fiel viel- leicht indirekt darflber, dass er einen einzigen seiner Qegner, den Lenker der römischen Kirche, nicht als einen Menschen Ton Fleisch und Blut, sondern als einen Begriff bekftmpft hatte.

Wibre einmal der eEkenntnistheoretische NominaUsmus und mit ihm die Sprachkritik in die geistige Gewohnheit des Volkes oder wenigstens der führenden Männer Ober- gegangen, dann würden die letzten Beste von Ideologie aus dem Kalkül der Staatsmänner Terschwinden, dann würde ein Genie wie Bismarck nicht mehr dem Irrtum yerfallen können, er handelte, wenn er mit Kanonen g^^n den Namen Bom oder gegen das Ahstraktum Papsttum schiesst. Solange die Sprachkritik nicht das Denken geklärt hat, wird man immer wieder einmal glauhen, es sei etwas, wenn man einen Gegner in ef&gie aufhängt anstatt ihn körperlich beim Kragen zu kriegen. Man weiss es heute noch nicht, dass solche wortrealistisehe üeberbleihsel in den Köpfen der ge- waltigsten Männer an den Bildzauher der Araber erinnern, die ein Opfer tödlich zu Torwunden versprechen oder glauben, wenn de auf seinem Bflde das Herz mit einer Nadel durch- stodien haben. So viel Uber den praktischen Nutzen des erkenntnistheoretiscfaen Nominalismus oder einer Kritik der Sprache.

Wie gefährlich der Streit um Worte fOr die Praxis des Lebens sei, das haben immer am besten die Engländer eingesehen, deren freiere Philosophen, welche niemals Pro- fessoren, oft Staatsmänner waren, das Beste zur Bekämpfung des WortreaUsmus beigetragen haben. Schon Johannes von Salisburj (im 12. Jahrhundert), ein Schüler Abailards, spottet der dialektischen Spitzfindigkeiten. Man f&hrt ihn gewöhn- lich als einen Gegner der Nominalisten auf. Er machte

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Vm. WImmi und Worte.

sich aber eigentlich über beide Parteien lustig. Als er nach einem thatigen Leben nach Frankreich zurückkam und dort die alten Kommilitonen immer noch auf demselben Flecke fand, schrieb er: „Die Welt ist gealtert in der Bearbeitung der Frage nach den Gattungs- und Artbegriffen; an diese Frage ist mehr Zeit verwandt worden als das Haus Cäsar an den Gewinn der Weltherrschaft setzte, mehr Geld ver- schwendet als Krösus besnss; sie fesselte yiele Leute so ausschliesslich ihr ganzes Leben lang, dass sie weder das eine noch das andere fanden."

Es ist ein hübscher Zufall der Sprache, dass zur Zeit der Renaissance die Wortrealisten die Antiken, die Nonuna- listen die «Modernen'' hiessen. („Moderni" stammt gewiss von modo*, spätlateinisch so viel wie ^jetzt, heute*,» und heisst also wahrhaftig ,die heutigen In veränderter Wort- bedeutung sind heute alle modernen Menschen Nominalisten, ohne es zu ahnen. Wieder wie zu den Zeiten Occams oder noch genauer wie zu den Zeiten Abailards sucht sich die denkende Menschheit TOn dem Ballast der Abstraktionen zu befreien; insbesondere die abstrakten Begriffe aus der Aesthetik und der Ethik, also alle bisher g^laubten Ge> setze der Kunst und des Staatslebens werden kritisierend zersetzt und die Umwertung aller Werte i^f ^lurch Nietzsche ein beliebtes Schlagwort geworden. An der Bezeichnung ffWert*^ erkennt man, dass d«: Ansturm in erster Linie der Gruppe von Vorstellungen gilt, die man zuletzt unter dem Namen der praktischen Philosophie zusammengefasst hat. Unter dem Jammergesdirei der Kirche und der alten Staats- theoretiker hat die nominalistische Auflösung all dieser Abstraktionen und der in ihnen verstedcten Woturteile be- gonnen. Aber immer wieder scheute man zurttck vor der viel wiehtigmren AnflABung der theoretischen Begriffe, vor einer radikolen Kritik der menschlichen Erkenntnis und £r- kenntnismöglichkeit. Ja die offizielle Wissenschaft protzt hochmütiger als je auf den Wert derjenigen Uni Versalien oder Allgemeinbegriffe, die in unserem Zeitalter den Namen der Naturgesetze angenommen haben. Wie der alte Kon*

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ErkemitiliRtheoreliaolMr NominaltaimM.

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zeptualismus di6 psychologische Entstehung der Begriffe in der Menschenseele zugab, aber in den Dingen selbst den* aoch etwas Reales suchte, das geiiAU den Begriffen enir 'Sprechen sollte, so sind heute unsere besten Forscher he- wusst oder unbewusst einig über die rein subjektive Entstehung und Bedeutung der Menschensprache , aber die ^Gesetze, welche sie in dieser Menschensprache geformt haben, halten sie trotz alledem für etwas in der Wirklich- jEeit Vorhandenes, sie halten die Naturgesetze für Befehle, welche die Natur sich selber gibt, wenn schon kein Gott me gegeben hat Und unendlich schwer ist es, die An- ■schauung festrahalten oder gar mitiutefleD, dass diese Natur* gesetze ebenfalls nur Abstraktionen des Menschengehims ^d und das, woTon diese Gesetze vielleicht ein Spiegel- bild, vielleicht verworrene Erinnerungen, vielleicht Eari* Naturen sind, auf keinen Fall etwsa Wirkliches ^ sondern nur Benehungen sind, fttr welche die Menschensprache Worte flicht besitsL Wir haben ein zusammenfassendes Wort fOr -eine Gruppe von Erscheinungen, welche wir auf den Magne- tismus zurQckfllhien. Wir können uns der Vorstellung nicht verschliessen, gewiss nicht, dass die Beziehung der Aehn- lichkeit zwischen diesen Erscheinungen auf irgend etwas in der Natur zurückgehe; aber es ist menschlicher Hochmut zu glauben, dass es in der Natur etwas geben mUsse, was insbesondere unserm Begriff Magnetismus entspreche. So hatte man bis vor hundert Jahren in der Chemie der Ver- lirennung den Begriff Phlogiston und glaubte so lange, dass diesem Begriff etwas entspreche. Nicht viel anders steht <es um den Hauptbegriff des mittelalterlichen Streites, um den Aribegriff. Durch Jahrtausende musste man hinter ihm etwas Wirkliches sehen und es war nur ein Gradunter- achied, ob die krassen Wortrealisten von Piaton bis auf Schopenhauer in den Arten etwas Wirkliches sahen oder ihre Gegner sich mit Worten abmühten, es irgendwo in die Individuen zu verstecken. Als Darwin uns lehrte, dass Arten entstehen k(hinen, da musste der starre Artbegriff Tergehen. Aber nur scheinbar wurde der Standpunkt des

II*utlitt«r, Biitttg« m ftiii«r Eiililt d«r Sftteh«. m. 40

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Vm. WIm vaä Worte.

Mittelalters dadurch überwunden; unsere Darwiniston werdeik sich schwerlich darüber belehren lassen, dass ihre Oosotae- der Vererbung und Anpassung wieder nur Worte sind, hinter denen wir Zeitgenossen nur so lange etwas WiiUiches suchen können, als wir vorübergehend unter dem Banne- dieser Worte stehen.

Der reine nnd konsequente Nominalismus, der niemak Ton Nominalisten ao^gesproehen wurde, der ihnen wahr^ scheinlich nur von boshaften Gegnern in den Mund gelegt worden ist, die Lehre, dass sftmtliche Begrifie oder Worte- des menschlichen Denkens nur Luftausstossungen der Men* schenstimme seien, der konsequente Nominalismns, nach welchem die Erkenntnis der Wirklichkeit dem Henschen-^ gehim ebenso versagt ist wie dem Chemismus einer Stein-^ Oberfläche, dieser reine Nominalismus, der trotz aller Natur- wissenschaften an der Erkenntnis des Falls oder der Farbo oder der Elektridttt ebenso ruhig verzweifelt wie an der Erkenntnis des Bewusstseins» dieser erkenntnistheoretischo Nominalismus ist keine beweisbare Weltanschauung. Er wlre kein Nominaltsmus, wenn er sieh selbst fttar mehr aus- geben wollte als flElr ein GefEdil, für die Stimmung des menschlichen Individuums gegenüber der Welt. Und sogar ist uns ein ZuMidedenken dieser Lehre, ja nur ein suliieden- stellendes Sich-Tersenken in diese Stimmung versagt, weil alles Denken in den Worten der Sprache stattfindet und das Denken sich selbst auflöst, wenn uns die Nebelhaftig- keit der Worte klar geworden ist. Ein Sich-Tersenken in die blosse Stimmung ist wohl eine Weile mOgHch; dann aber sucht der Grübler immer wieder wie ein Lyriker dock die Stimmung in einem armen Worte festsnhalten und musa ins Leere greifen, wenn er nicht mehr an das Wort glaubt» Der reine Nominalismus macht ein Ende mit dem Denken und mit dem Dichten und fühlt darüber hinaus, mit einem neuen Schauder der Menschheit, dass Farbe oder Ton, di» Ueberbleibsel seiner Weltbeirachtung, ein Spielzeug für Kinder sind, das die Zu£ülssinne dem Menschen in die Wiege gelegt haben. Mit Worten lässt sich wirklich nur

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8kep«» und Ujatik.

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streiten, nicht schaffen; nur alter Glaube bekämpfen, nicht Deuer Glaube beweisen. , Meinungen allgemeingültig zu widerlegen ist möglich; Meinungen allgemeingültig zu be- gründen ist unmöglicli'' (S. Philipp, Vier skeptische Thesen).

Dieser äusserste Skeptizismus, der doch wohl die eine skep^u Seite meiner ganzen Lehre ist, lässt mich wieder die leise Furcht empfinden, nicht ohne Lächeln empfinden, es könnten die aufmerksamen Verfechter des kirchlichen Dogmatismus auch aus der Sprachkritik Wortwaffen schmieden, so wie sie noch immer aus jeder skeptischen Lehre Gründe gegen die aufklärende Wissenschaft geschöpft haben.

Ich lasse den ethischen Skeptizismus beiseite. Den hat der idte Huet (De la faiblesse de l'esprit humain S. 242) mit einem prächtigen Worte abgethan; ^Autre chose est de TiTre, autre chose de phüosopher. Lorsqu'il s'i^t de con- duire sa vie . . nou8 cesBons d'^ire philosophes . . . Nous devenons idiots, simples, credoles, nous appeUons les choses par leurs noms."

Aber die erkenntnistheoretischen Skeptiker «nd im Kampfe mit dem philosophischen Dogmatismus immer wieder negative Dogmatiker geworden, während sie Kritiker bleiben wollten. Nur die ganz grossen Skeptiker waren sngleich Mystiker. Gegen die negativen Dogmatiker hatten geist^ reiche Verfechter des alten Glaubens leichtes Spiel, weil ein lieb gewordener Kinderglaube schöner scheint als ein unfer- tiger neuer Glaube, der ebenso tyrannisch auftritt. Ich habe mich bemüht, in meinen Darlegungen auch die versteckteste Neigung zur Mystik jedesmal zu unterdrücken, so sehr ich auch für heilige Sonntagsstunden die grossen Mystiker lieben mag, die stammelnd beredten «Stummen des Himmels". Hier aber, wo ich notgedrungen von dem Verhältnisse zwischen Sprachkritik und dem Begriffe Religion reden muss, möchte ich einige Sitze des edlen Meisters £ckart voraufschicken. «Biner unserer ältesten Meister, der die Wahrheit schon lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, den dünkte

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Vni. Wissen und Worte.

es, dass alles, was er von den Dingen sprechen könnte, etwas Fremdes und Unwahres in sich trfl^e; rlarum wollte er schweigen. Er wollte nicht sagen: (rebt mir Brot, oder gebt mir zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von den Dingen sprechen, weil er von ihnen nicht so rein sjn echen könnte, wie sie aus der ersten Ursache entsprungen wären; darum wollte er lieber schweigeTi und seine Notdurft zeigte er mit Zeichen der Finger. Du nun er nicht einmal von den Dingen reden konnte, so schickt es sich für uns noch mehr, dass wir iillzunial .schweigen müssen von dem, der da ein Urspning aller Dinge ist.*" Und wieder; „Das Schönste was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, dass er vor Weisheitsfülle schweigen kann." Und wieder: „Die Seele ist eine Kreatur, die alle genaimten Dinge empfangen kann; und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie so tief Gott empfaugeu wird, dass sie selbst namenlos wird."

ich meine es kaum viel anders; nur die Sprache ist etwas verschieden, weil sechs Jahrhundei-te duzwischen liegen. R Ugion Die abstrakte Religion (ohne Kirche und ohne Dog- SpnMlie leeres Wort; das entsprechende Wesen gibt

es nicht in der Welt der Wirklichkeit. So wenig es ..den* Menschen gibt über oder neben der Milliarde wirklicher Menschen, so wenig gibt es „die" Religion neben oder über den Religionen. Und auch die Religionen gibt es nicht, sondern doch wohl nur Menschengruppen mit bestimmten ä'peu-pr^s gleichen Glaubensvorstellungen.

Die Religion wird also wohl, da sie niehts ist als eine gemeinsame Geistesrichtung von Menschengruppen, ein- zig und allein auf Worten beruhen; und es ist zu erwägen, ob die staatbildeoden Tiere, die keine so aasgebildete Sprache haben wie wir, nicht eben darum so kooseiratiY sind, weil sie kaum haben, was wir Religion nennen.

Ist nun die Religion ein Glaube an Uberheferte Worte, so scheint es mir gewiss, dass einzig und allein eine Kritik der Sprache, also eine Untei*snchung der Worte, den Be- griff der Religion ernstlich und fSff immer aus der wisens-

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Rdigion und Spradie.

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scliaftlichen Weltanschauung zu entfernen vermag. Denn alle Yeniichtung und Verweirfnng der Eixdie mnnte bisher den angeblich überkirchUchen Religionebegriff bestehen lassen; und alle nm historische Kritik ernst Religion kehrt schliesslich an irgend einem mystischen Wort, einer Art Ueberreligion zurttck, bei welcher sich dann das Gemflt be- ruhigt Gans abgesehen Yon der geistigen Knechtschaft, mit welcher Leute wie Hegel und selbst Kant sich mit der kirchlichen Religion abgefimden haben.

Wie es eine theologische Richtung gibt, welche den ^hmu. historischen Obristos aufgibt und dennoch den Begriff oder das Wort .Chiistentum* festhSlti so ist überhaupt dem Wort rein historisch nicht beizukommen. Eine Spniehkritik, die nur historisch-philologisch wftre, könnte eben den ganzen Fetischismus der Sprache bestehen lassen. 0ie Philosophie kann ohne SprachkritiV, ohne diese letzte, sich selbst zer- störende That des Denkens, wohl bis zum Atheismus ge- langen; vom Religionsbegriff sieh befreien kann sie nichti wie die beiden tiefiunnigen Atheisten Spinoza und Schopen- hauer lehren.

Spinoza nämlich war gar nicht gotÜos; wie das ja Ton selbst klar ist, da er doch das Wort besass und mdir als das Wort an seinem Deus ohnehin nicht zu haben schien. Wie immer man sich zu der Frage steUei ob nftmlich Spi- noza seinen Pantheismus nur als Coulisse Ar Atheismus benutzt oder ehrlich an seinen Deus sive Katura geglaubt habe immer muss man erkennen, dass er ohne Mytho- logie nicht auskam. Auch wenn er den Deus nur als Maske gebraucht haben sollte, schrieb er doch seine Natura mit grossem N und madite sie so zu einem mythologischen Wesen, wie z. B. amor noch etwas Wirkliches bezeichnet, Amor aber den «Gott* der Liebe. Und so unfrei steht Spinoza diesem Worte gegenüber, dass er in der Aus- malung des weisen Seelenfriedens, der Cbttesliebe, ganz und gar nicht hinter Augustinus zurQcksteht, der die Welt verachtet und nur ein Leben in und für Gott lebenswert fand. Wenn wir nun bedenken, dass wir heute nicht mehr

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VIIL WiMeii und Worte.

das Altertum, sondern das Hittelalter sam lebendigen Femde haben (das Altertum ist tot), dass die uns feindliche Welt- anschauung nicht die kindlich-weltUche des AiistoteLes, sondern die gottselige des h. Augostinns ist, so werden wir bei aller Ehrfurcht TorSpinosa bekennen mflssen, daas er uns Ton der Theologie nicht zu befreien vennoehte. Er war der erste und wohl der beste der Hfinner, welche die blutrOnstige Macht seiner Kirche erkannten; das Wort musste er lassen stahn. Es ist in aller Logik tief Theobgie be- grOndet, was allein beweisen wttrde, wie thCricht Logik ist. BoiiftpM* Schopenhauer, dessen Atheismus fest und unTerschleiert erscheint und in dessen System der Dens des Spinosa kein Obdach mehr findet, macht dennoch seinen ünterschied zwi- schen Kirche und Religion, wobei ich ganz beiseite lasse, als nicht hieher gehSrig, daas Schopenhauer sonst, der Staats- mann gewiasermassen, der konserratiTe Mann, die Reli- giosität als Yolkszaum sehr hoch stellt und sie Ton der Wissenschaft schonend behandelt wissen will, wie er denn auch selbst in seinem glänzenden Dialog «Aber Religion' den Streit unentschieden Iftsst. Aber auch als unpolitischer Denker, als Diener der Wahrheit, ist und bleibt Schopen- hauer im hergebrachten Gleise, weil er ein Diener des Worts ist Die Kirche sei Terabscheuungswflrdig, weil sie Handel treibt mit dem metaphysischen Bedürfnis des Menschen; aber das metaphysische Bedürfnis selbst sei da und habe die Menschen zu allem Guten und Schönen getrieben, z. B. zur Philosophie*

Dieses metaphysische BedOrfnis lasst ihm die Religion in einem heiteren Lichte erscheinen nnd sogar das Christen- tum. Kun aber darf man nicht Tergessen, dass Schopen- hauer darum nicht religionslos war, weil er kein Ohrist mehr war. Christ war er freilich nicht, so wenig als Goethe einer war. Während aber Gbethe sich bei seinem über- legenen Nichtwissen beschied, baute sich Schopenhauer aus christlicher Heikordnnng und buddhistischer Seelenwande- rung ein neues Wortgebäude zusammen, das darum nkht weniger Religion ist, weil ausser dem Stifter nicht viele wort-

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Beli^on und Sprache.

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wörtlich daran glauben. Auch wende man nicht ein» diese indische Lehre von einer Fortezistenz nach dem Tode sei nicht seine Religion, sondern seine Weltanschauung gewesen. Wir wissen, dass Weltanschauung eben auch nichts ist, als die Summe der in den Worten niedergeschlagenen ererbten und erworbenen Anschauungen, mit denen die neuen Ein- <lrücke der WirklichkeiUwelt sich vertragen müssen , wenn sie sich erhalt^än wollen. J)ies, das relative Apriori, ist ■eben auch lleligion; nur dass diij einst so he n. sc h süchtige Religion bescheiden geworrlf;i ist und das Leben dem Leben übeiiübbt, das nietnphysi.sche ]ie<liirfnis aber am liebsten den .ganzen Menschen gefangen nehiiif ii möchte.

Dieser tiefe Mystizismus Schopenhauers ist eme neue, eine gottlose Religion, Jibt r doch wieder R^ Ii^k h. Es ge- schieht ihm ganz recht, dass er dafür von Spiritisten und andern „Occultisten" wie ein Heiliger verehrt wird; die müssen sich freilich gerade an seine schwächsten Stelleu halten, wie Schmeissfliegen au die Wunden der Pferde.

Diese Theologie seines metaphysischen Bedürfnisses ist schon versteckt nachzuweisen m dem Grundgedanken seines Systems, in der unzähligcmai erklärten, bewiesenen, be- jubelten und hinausgekrähten Entdeckung, dass das -Ding- an-sich" unser wohlbokannter Wille sei. Ich zeige in an- derem Zusammenhang, Avie Schopenhauer eigentlich nichts weiter behaupten durfte, als dass der angeblich wohlbekannte TVillc und irgend eine nnfi:oblich unbekannte Naturkraft (z. B. (xravitation ) im Grunde nur zwei gleirherAveise un- ver.ständliche Worte seien , dass sie vielleicht ein uud das- selbe bedeuten, dass es aber vermessen sei, das eine Wort eher als das andre auf beide anzuwenden. Er hatte sein Werk mit gleichem Recht „Die Welt als Schwerkraft und Vorstellung" oder ^üie Welt als Elektrizität und Vor- stellung" nennen können. Er sah aber in der Natur Zwecke, im Leben einen Zweck, ihm imponierte das krabbelnde Leben mehr als die heilige Stille der Pflanzenwelt, darum glaubte er die Bezeichnung vom Höchsten, vom Menschen, uekmeu zu müssen und schuf einen neuen Woitfetisch,

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YUl. Witsen und Worte.

seinen , Willen", der sich dann in nichts von Spinozas Dens, und wenig genug vom Gott des gebildeieren Pöbels unterschied.

£. von "Was nun bei Schopenhauer die natürliche Folge seiner Spekulation war, der Hervorgang einer neuen Theologie aus gottloser Logik, das wird zur sophistischen Spekulation bei Eduard von Hartmann, dessen „Unbewusstes* sich ganz be- denklich dem Gott des ungebildeteren Pöbels nähert. Der Fall ist typisch für das Hervcni^t hen von religi(>s>-meta- phjsischen Begriffen aus dem Missbrauch der Sprache.

Zuerst erkennt der Philosoph das Recht der Wissen- schaft an. in den Dingen Alleinherrsclitnn zu sein, die sie kennt; das ist durchaus nicht etwa modern, das war immer so. Moses und Platou, Jesus und AnL''ustiniJs, Lutii( r und* Descartes, Spinoza und Kant Hessen ihr niL tiij)liysis( hes Bedürfnis erst da einsetzen, wo sie von ihrou ( nll» i dings äusserst ungleichen) Naturkenntnissen verlassen wurden^ dann bleibt das übrig, was wir je nach der Zeit nicht wissen, und solange es für dieses Nichtwissen noch ein übliches, positives Wort gibt, solange schreitet die TheoloL'ie hinter der Wissenschaft her, wie der Pfarrer hinter dem Lehrer, der Küsterdienst versieht. Man achte darauf, wie auch in der Bezeichnung ,Die Philosophio des Unbewussten" dieses »Unbewusste" plötzlich den Cha- rakter eines positiven Begriffs erhält. Eigentlich ist es rein negativ und also mythologisch nicht zu verwenden- (1. 577). Mag man es auf ein Subjekt oder ein Objekt, auf den Deus oder die Natura beziehen, mag man es mit dem ^Bewusstseinslosen" oder mit dem -Ungewussten* gleichsetzen, immer bezeichnet es natürlicherweise etwas Unbekanntes, die Grenze unsres Wissens oder die Grenze des Gewussten. ein Nichtding also. Aber mit ihrer unheim- lichen metaphorischen , mvtbenbildenden Kraft suggeriert die Sprache dem Leser des Worts ^das Unbewusste* sofort einen positiven Sinn, das Unerkennbare hat ein neues Män- telchen erhalten und der Fetisch eines neuen Kultus ist fertig. Jeder dieser Atheisten tritt darum am Ende als-

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Beligion und Sprache.

m

Religionsretter auf und möchte gern als Keligionsstifter er- scheinen.

Woraöf^licli noch deutlicher ergibt sich die Uritalu<;keit Spencer, der Metaphvsik, ohne Sprachkritik aus dem Zirkr llidim der Religion /ai kommen, dunn, wenn dem ünerkeuubaren gar kein Mäntelciien mehr umgehangen wird, wenn es mit aflektierter Negation und Einfachheit eben das ^Unerkenn- bare* genannt wird und trotzdem die Sprache (und ihr unterworfen der Philosoph) metaphorisch-religiöse Deutungs- vcrsuche macht; die'; ist der Fall bei Herbert Spencer, der freilich an vielen bullen die öüeutliche Meinung bittet, ihn für kernen Umstürzler zu halten , der aber doch wohl mit seinen «Grundlagen der Phiiusüj hie*' Emst zu machen glaubt. So nahe er häufig der Wahrlieit kommt, dass dns Denken oder die Sprache nichts sei als das GedächtIli^ ler Mensch- heit und des Individuum^, dass also mit Hilte der Sprache nichts erschlossen werdf n kunne, als was wir schon wissen» er strebt dennoch nach tim r Versöhnung der Wissenschaft (an die er glaubt) mit der lieügion (die er glaubt oder die zu glauben er glauben machen möchte). Seine Religion ist eine äusserst sublimierte, homöopathisch verdünnte : aber sie will immer noch Religion sein; sie opfert ihren Namen nicht.

Spencer ist so tolerant, dass er in seiner Grundlegung der Philosophie (übers, v. Vetter S. 561) zu folgendem feierlichen Ergebnis kommt: das „unaustilgbare Bewusst- sein, in welchem Religion und Philosophie mit dem geraeinen Menschenverstände eins sind, stellte sich zugleich als die Grundlage heraus, auf der alle exakte Wissenschaft aufge- baut ist**. Diese bemerkenswerte Höflichkeit gegen den common sense geht scheinbar und etwas heuchlerisch (viel- leicht aber nur englisch) durch das ganze Denken dieses Mannes. Snchf er doch gleich zu Anfang die Wissenschaft damit zu vertiidigen (S. 18 u. f.), dass sie nur eine höhere Entwickeiung des alltäglichfn Wissens sei, womit er voll- kommen recht hat, wobei er nur nicht sieht, dass es eben wohl ein reicheres Wissen, aber niemals eine «höhere" Wissenschaft gibt.

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VllL Wiaaen und Worte.

In seinem Versöhnungsversuch geht er von einem argen Schnitzer aus. Weil m den historischen Berichten der Grundsatz gelten mag, dass an jeder allgemein angenom- menen Behauptung irgend ein Körnchen Wahrheit sei, dass Rauch nie ohne ein Fünkchen Feuer sei , darum glauht er schliessen zu müssen, ,,däss die Religionen ^ obgleich auch nicht eine dereelben wirklich wahr .sein mag, doch alle wenigstens Schattenbilder einer Wahrheit sind". Der Aus- druck ist äusserst vorsichtig, bis zur Thorheit vorsichtig. Er hält sich und seinen Anhängern die Möglichkeit iigend einer allein selig machenden Religion offen; er will ferner nicht etwa ein Stückchen Wahrheit, und wenn es noch so klein wäre, sondern nur ein Schattenbild aus ihnen allen herausziehen. Sodann ist sein Vorgehen der lauterste Wort- dienst. Als ob man aus einem Begriff jemals herausent- wickeln könnte, was man nicht vorher hineingewickelt hat, und als ob umgekehrt zwischen Denken und Spreclien ein Unterschied wäre, „beweist* er mit grossem Aufwand von «unendlich" und ähnlichen Worten, dass jede positive Re- ligion unmöglich .gedflcht* werden könne, dass sowohl Atheismus, als Theismus, als Pantheismus auf Voraus»- set/.un^en beruhe, die «in Gedanken nicht wiedergegeben werden können". (Nur dass alle diese Dinge mit Worten gesagt, das hcisst gedacht worden sind und noch werden.) Wenn aber keine einzige religir»se Lösung des Weltproblems befriedirre, wenn der Forscher trotzdem nach einem Köm- chen \Vahrheit in den Irrtümern suchen müsse, so l)leibe als Gemeinsames aller Religion der Gedanke übrig: es ist ein Prol)lem vorhanden. Mit andern Worten. Spencer geht davon aus, dass auf eine bestinnnte Frage unzählige, einander widersprechende Antworten gegel)en worden seien, er lehrt sodann , dass zwar nicht in einer der Antworten, wohl aber in ilmen allen etwas Wahrheit stecke, und endet mit der Entdeckung, dass dieses Stückchen Wahrheit in der hohen Weisheit stecke: es ist eine Frage da. Spencer formuliert sehr hübsch den Standpunkt der fortgeschritten- sten christlichen Theologie mit dem Satze: ,Zu denken,

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Beligioa und Spmdie.

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dass Gott so sei, wie wir ihn uns denken können, ist Gotteslästerung* ; er hat recht, wenn er darin ein Einge* stUndnis sieht, dass das Wesen, welches sich im Umversuin offenbart, unerforschlich sei. Das ist die Lehre unseres MeiBten Eckaxt, das wird vielleicht die letzte WissenschAft Barnacks sein.

Es liegt im Wesen der .Wissenschaft", dass sie vom Vorstellbarwi *um Unvorstellbaren fortschreitet ; Wissenschaft ist Erfahrung oder Sachkenntnis in Begriffen oder Worten und eigentlich beginnt die Unvoratellbarkeit schon mit dem einfachsten Begriff. «Baum* ist schon unvorstellbar. Das alles weiss Spencer, aber er weiss nicht, dass alle Worte oder B( [rrifTo, alle, symbolisch oder metaphoiisch sind, und liUt bloss die abstraktesten Worte, die fiussersten Univer- salien, für symbolisch, für unrealisierbar. Darum wendet er wieder, wie bei der Religion, Sophismen und Wort- kiimpfe auf, um nachzuwei?;on, worüber heute die forschende W elt einig ist: dass nämlich die Wissenschaft ungelöste Fragen übrig lässt oder vielmehr, dass sie Überall auf un- lösbare Fragen stösst, auf Probleme. Es wäre gar nicht nötig gewesen, Widersprüche in den Begriffen Kraft, Stoff, Bew^ung u. s. w. nachzuweisen, es wäre nicht nötig ge- wesen, abermals mit dem (f&r mein Sprachgefühl) durch- aus theologischen Wort «unendlich" zu spielen. Es liegt für jeden Kopf, in den die Grundbegriffe der modernen Mechanik und Biologie hineingegangen sind, klar und sicher da, dass wir den TielgerQlimten Kosmos, die WirUicbkeits* weit, durchaus und grfindlich begreifen wfirden, wenn wir auch nur das klmnste Teilchen, ein Sandkorn oder ein Moosbl&tichen, durchaus begriffen h&H»n, dass wir aber die Ursachen der Welt so wenig kennen wie dieses Sand- korn oder dieses Moosblättchen. Wir wissen alle, das wir nichts wissen, dass uns das Wesen unserer Yorstellungs- akte ebenso unerkennbar ist, wie das Wesen der vorge- stellten Dinge, das «Ding-an-sich* ebenso unerkennbar, wie das Gesetz seiner Wirkung auf unser Gehirn. Spencer aber schielt bei solchen Erörterungen immer nach der Religion

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TIU. WiflMn und Worte.

(weil er sie schonen möchte) und nennt da« ewige Pro- blem mit Worten wie: -letzte Ursache*, «das ünendliche'*, dii«: ..Absolute". Und tjanz und <^ar theologisch fährt er fort iS. 80 u. f.): , Zwischen dem Schaifenden und dem Ge- schatl'enen niuss ein Unterschied bestehen , der alle Unter- schiede zwischen den verschiedenen Abteilungen des Ge- schaffenen weit übertrifft. Das, was imverursacht ist (ich kann mir etwas .Unverursachtes' nicht vorstellen), kann nicht mit d^m, was verursacht ist, verglichen werden; die beiden BegriÖe stehen sich schon durch ihre Namen als unvereinbare Gegensätze gegenüber.''

So treibt Spencer hier, wo es gerade auf die Grund- lagen ankommt, einen frevelhaften Missbrauch mit der armen Sprache; er quält da.s ewige Problem aller Forschung in scholastische Worte hinein, um eine scholastische Deu- tung herausdenken zu können, um am Ende triumphierend auszurufen: alle Erkenntnis sei relativ, aber es gebe über der Erkenntnis etwas Nichtrelatives (wofür wir freilich kein Wort haben als das »Absolute") und das habe die Religion immer geahnt, das sei das .grosse Verdienst* aUer Reli- gion, auch in ihren frühesten und rohesten Formen. Jd dieser Dankbarkeit gegen alle sonst mangelhaften Religionen (bei deren Aufzählung er vor dem Protestantismus kläglich Halt macht [S. HS]) hat der berühmte Entwickelungsphilo- soph nicht einmal gegen den Teufel und seine Hölle etwas einzuwenden. .Fttr die grosse Menge . . Irt es selbst heut- zutage noch nötig, dass zukflnftige Pein und zukünftige Lust in lebhaften Farben ausgemalt werden (S. 116).*

Wohlgemerkt, zu dieser Abdankung entschliesst er sich nicht als Politiker, als Menschenverächter wie Schopenhauer etwa, sondern weil er in aUer Religion ein Schattenbild der Wahrheit erblickt, die grosse Lehre nämlich: dass ein Problem da sei.

Wissenschaft und Religion sollen das Gleiche sagen, weil sie beide lehren: «unerforschlich sei das Wesen, wel- ches sich im Universum offenbart*. Wort für Wort ein theologischer Missbrauch der Sprache, oder vielmehr der

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fieligioii und Sptadie.

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übliche Gebrauch der ewig logischen imd darum ewig theo* logischen Sprache.

In „unerforschlich* liegen die Metaphern von Ewigkeit nnd KegaiioD versteckt; denn eigentlich können wir doch nur sagen, das Wesen sei Ton uns, von mir und dir, nicht begriffen; «lieh" will aber schon an der Schwelle sagen, ein Zauher hindere den Zutritt, das Begreifen, für alle Ewigkeit «üniTersum* ist ein leeres Wort, das hur darum voll aus- sieht, weil wir damit gerade wieder das Unendliche" sym* boUsieren, das mit einem andern «Unendlichen", dem Raum, ausgeiUlt ist ; an Sonntagen denken wir dabei an die Erde und ein Dutzend Nachbaisteme, an Wochentagen an unsem Körper und die Thfttigkeit, die mittelbar zu sdner Emflkh« rung ftlbrt. Und wie ehrlich dumm ist das Wort «offen- bart*! Bs setst Torans, dass das , Absolute' t das sich offen- barti eine handelnde Person ist, es setzt also eigentlich den ganz fleischfarbenen Gott des Köhlerglaubens Toraus.

Xun aber erst das «Wesen*. In diesem Schafetoi Tom Windhauch eines Wortes seigt sich der Bankerott der Spencerscfaen Darlegung oder besser noch: der Fluch der Sprache, der jeden trifft, der mit so elendem Werkzeug er- kennen, oder gar Wissenschaft nnd Unerkennbares Tenöhnen will. Und doch wollen wir das Wort «Wesen* nidit schelten. Ihm verdanken wir es, wenn wir deutlich sehen, wie Reli- gion nnd Wissenschaft auf ganz Terschiedenem Boden tappen, wenn sie auch beide sagen und denken: »Das Wesen der Dinge ist unerforschlich/ Fflr die Wissenschaft ist der Sata ganz und gar nur ein Yerstummen, ein Aufhören mit Fragen und Antworten. Abgesehen daTon, dass sie nicht leicht «uneif erschlich * sagt, dass «ignorabimus* immer etwas von Pk'ophetenton an sich hat, yersteht sie unter dem «Wesen* der Dinge, unter dem «Ding-an-sich* doch ja nur das Aber oder hinter ihrer Erkenntnis Liegende. .Das ¥rahre Wesen ist unerforschlich* ist ihr eine blanke Tautologie, nftmlich etwa: was ich nicht erkannt habe, das habe ich nicht erkannt Das «Wesen* der Dinge im Sinne der Wissenschaft ist jenseits der Wissenschaft, also für sie nicht

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*

638 ^UI. Winen und W<»rto.

vorhanden, also ein positives Wort für eine Negation. Sie kennt nur ]k'zieliun*;en der Kräfte, dais , Wesen wenn es etwas Beziehungsloses, das Absolute sein will, existiert ein- fach nicht fUr sie. Mit dem Satze, den sie mit der Reli- gion gemeinsam haben soll, will die Wissenschaft nichts als verstummen. Er ist das Ende der Wissenschaft; will der Forscher noch w eiter etiras fiBgeo, so schwatzt er eben wie ein Tttlgärer Prediger.

^Dns Wesen der Dinge ist unerforschlich !" vom Theo- logen pathetisch ausgesprochen, welch ein andrer Sinn ! Wir wissen schon, dass in »unerforschlich* die Metapher der Ewigkeit steckt. Aber auch das .Wesen" suggeriert uns, wenn der Prediger es gebraucht, sr)fort eine Person, die hinter den Dingen steckt, eine Persönlichkeit, etwas höchst Positives, ja eigentlich etwas, das uns mehr imponieren will, als die Dinge selbst, das uns am liebsten unser Leben auf Erden, und das jenseitige dazu, ordnen, befehlen, gut und schlecht machen mfk-hte. £ki ist nicht wahr, dass Religion und Wissenschaft dasselbe meinen. Selbst wenn die kühnste Wissenschaft noch die letzte Frage formuliert, wird sie achselzuckend gestehen, keine Antwort zu wissen. Wenn aber auch noch die abgeblassteste Religion die Frage zu- lässt, wird sie eine Antwort bereit haben, oder sie hiesse nicht mehr Religion.

So erklärt die vorhandene Weltanschauung erst ihre Satze; nicht umgekehrt. Wie ich ja auch lehre, dass es der Schluss ist, der die Prämissen erklärt und nicht um- gekehrt. Wie der Satz seine Worte erklärt und nicht um- gekehrt. Denn die Sprache ist Gedächtnis ; aus der Summe des potentiellen Gedächtnisses geht Wort undSats henror; nicht umgekehrt.

Aus der Weltanschauung des Engländers Spencer er- klärt siih sein Wunsch, Wissenschaft und Religion in der gleichen Formel uusklingen zu lassen, also die Bdigion zum hundertsten Male zu retten, das Wort wenigstens. Als For- scher versucht er nichts anderes, als was Aristoteles, mit dem Wissen seiner Zeit ausgerastet, schon versucht hatte

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Kritik der Spndie.

und was jeder Systembändiger oder Philosoph seitdem Ter- sachi hat; das Sein, wie es sich in seinem Gehirn .spiegelt, mit dem Sein draossen, mit der begreiflichen Wirklichkcits^ weit in Einklang zu bringen. Das Sein im Gehirn ist aber niclits als das Denken oder die Spraehe; sie je nach dem Stande der Beobachtungen in Einklang zu bringen mit sich selbst, mehr kann der Philosoph nicht woUen. Und solange er an sie glaubt, solange er den grossen Abstraktionen nicht die Masice vom Totenkopf gerissen hat, solange er diesem Symbol niehi ins Qesicht lacht, solange narrt es ihn mit seiner Mythologie, und der Begriff findet immer neue Worte, sich an sie zu klammem, wenn die alten morsch geworden sind. Die Sprache ist nicht stols; sie wird sich noch an die physi- kalischen UniTersalien «Kraff^ oder «Stoff* halten, wenn der Gott den Weg der Götter gegangen ist. Erst die Sprach" kritik, erst die Einsicht in den Unwert der Worte, wird dem Religionsbegriff die letzte Stütze nehmen. Die Sprach- kritik erst wird lehren, dass der Glaube sieh immer und Überall deijenigen Worte bemächtigt hat, die unser bisschen Wissen fortgeworfen hat.

Alle Religion ist alte Wissenschaft. (L 161.)

Ist also all unser Wissen und Glauben nur in den Worten der Sprache, in den Ton den Unter» und Obertönen ihrer Geschichte umschwebten Worten, so ist der reinste Religions- begriff kein Wasen und auch kein Glauben, sondem ein Erleben im Leben des Glücklichen, der das Geftthl der Ehr- furcht kindlich empfindet, das ihm Religion ist Dieses Er- leben ist nicht mitteflbar, kennt keine Bttcher und kerne Dogmen, b^flgt sich mit Liedern. Den Dienern am Wort sind die edlen Pietisten immer Ketzer gewesen. Der pie- iistische Ketzer drängt mit sehnsüchtiger Seele Ober das Wort hinaus nach einer sprachlosen Verbindung ?on Seele zu Seele.

Etwas von diesem edlen Pietismus steckt Terborgen in einer Klage, welche oft gegen die Sprache laut geworden ist und welche nicht mit einer erkenntnistheoretisdien Sprach- kritik Terwechselt werden sollte. Am schärfsten Tielleicht

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Vm. WiMWn and Worte.

ist (linse Klage ausgesprochen in dem bekannten Epigramme Schillera:

Warum kann der lebendige Geist dem Qeiat nicbt encbeinen? Spricht die Seele, «o «pvicht, ach! achon die Seele nicht mehr.*

Aehnlicli ist die Selinsiicht nach einer unmittelbaren SerlenRpracbe un zäh lijjeui.il ausgesprochen worden, von Byron bis Maeterlinck, und nachgesprochen und nachgeseufzt. Ver- zerrt ist das schöne Gefühl von Grabbe, als dieser Goethe und Byron zugleich tibertrumpfen wollte. Da sagt der Grabbesche Mephisto zum Grabbeschen Faust: „Nur was ihr in Worte könnt' fassen, könnt ihr denken." Faust lernt, die ganze Menschheit sei nur Geschwätz; aber der posierende Mephisto Grabbes versteigt sich dabei zu der Absurdität, «die Sprache sei grösser als der Mensch."

In reiner Form begegnen wir dem schönen Gefühl oft und oft bei Goethe. Wie aber diese pietistisch-dichterische Kritik der Sprache eigentlich sentimen talisch ist, meine er- kenntnistheoretische Sprachkritik jedoch hoffentlich naiv, so ist wie wir immer wieder erfahren haben Goethe innerst durchdrungen von der Wertlosigkeit der Schillerschen Klage, von der Unvereinbarkeit zwischen Sprache und Er- kenntnis. Harte Urteile über die Worte stehen an einer bedeutenden Stelle seines „Wilhelm Meister*. Und vielleicht hat er den geheimen Sinn der Wanderjahre verraten durch den Untertitel „Die Entsagenden". Es widerspräche nicht dem Goetheschen Sprachgebrauch, der einmal das Wort »sich entscheiden" etwa in der Bedeutung von «die Scheide ver* lassen* wagt, wenn «entsagen* so viel biesse wie „auf die Sprache verzichten". Denn es ist wobl ein Grundgedanke der Wanderjahre: ,Thun ohne Reden muss jetzt unsere Losung sein". Wusste Goethe ara Ende, dass er damit eine Lieblingsidee der griechischen Skeptiker aufnahm ? Sie leiteten aus unserem Nichtwissen die Pflicht ab, sich im Urteile zurückzuhalten, ja sich jeder Behauptung zu enthalten. Und für diese Enthaltung, ftir diese letzte Resignation (resignare im Sinne Ton Terzichten ist eine seltsame Metapher, die

Üigiiiztiü by <-3ÜOgIe

Lachen und Sprache.

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Tom «Entsiegeln* einen weiten Weg genommen bat) Hatten die Qrieehen MUnmenreiee neben anderen Bexeiehnnngen «ucb die: Aphasie. Der letzte Venicht des Denkens war ■auch Urnen ein Entsagen, ein Absagen, ein Verziebl auf das Wort.

«

Reine Kritik ist im Grunde nur ein artUraliertes Lacben. Lachen Jedes Lachen ist Kritik, die beste Kritik. Wenn durch Zu- gjjjj^ fall oder Kunst zwei Dinge zueinander gebracht werden« die durchaus nicht zueinander passen, so lacht der natfü> liehe Mensch. Zum Lachen mOsste ein Mensch reizen, der versuchen wollte, etwa die Erde an einem Felsenzipfel an- zufassen, um sie so der Sonne näher zu bringen. Tragi- komisch wäre der Clown, der im Cireiis bis zur Spitze einer freistehenden Leiter emporkletterte und dann versuchen wollte, seine Leiter zu sich emjior zu ziehen. Er würde das Schicksal der Philosoj)hen teilen und herunterfallen. Wer die Nftivetät verloren hat, lacht auch den Clown nicht mehr aus. Wer sie behaltLii hat, der muss auch über die Sprach- künstler lachen . die auf Wortleitern in die Höhe kletlern möchten und glauben, sie könnten während des Aufstiegs das W'ort von der Erde lösen. Und die Gefahr dieser Schrift, das Abgeschmackte des Versuchs besteht nur dann, dem Lachen einen artikulierten Text unterlegt zu haben, so dubs es i'iir die Masse herauskommen köuute wie ein Lachen in der Oper.

Aber gariz unmöglich wäre es doch nicht, Kritik der Sprache sprechend zu üben. Die Sprache in ihrer systema- tischen Ent\vi(kelung ist eine Pyramide geworden, welche breit und rol; auf der Erde lastet und in eine verwitterte Spitze ausgeht, die je nach dem Geschmack des hinauf- gestiegenen PyrumidenfÜhrers und l^yi umiilenerklürers den Namen Gott, Begritf, Idee, Materie oder Kraft erhält. Wer die verwitterte Spitze mitsamt den Fremdenführern herunter- holen will , der muss sein Handwerk von den Maurern

lernen f die die Ziegel zusammengeklebt haben. £r muss Xavthner, Beitrage zu einer Kritik der Sprache. III. 41

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VIII. Wissen und Worte.

entweder niichlcletteni und das gemeinste aller Emistwerke abtragen von dem Yenritterten höchsten Stein bis herunter zum sandigen Gnmd, oder er muss den sandigen Grund blosslegen, bis der plumpe Bau in sieh selbst ausammen* stürzt. Beides kann nicht die Kraft eines , Einzelnen. Pharaonenmacht und l^daveiisinn von Idlicmen hat den stumpfen Eoloss getürmt, absolute Macht und unbedingte Nachfolge nur könnte in jahrelangem Bemühen das nieder- trächtige Denkmal wieder stOrzen. Weil aber der Einzelne schwach ist imd ungeduldig, darum nimmt er den ExplosiT-» stoff des Lachens zu Httlfe, das Bauwerk fliegt auf und es ist schlechter Lehm gewesen, und in seinem geheimnis* vollen Innern vergessene Götzen, bemalte SErge, balsamierte Mumien und Moder: die Gespenster unsrer eigenen Yer- gangenbeit.

Wer also in seinem Denken das Denken kritisierte,

das heisst mit HOlfe der Sprache die Sprache selbst unter- suchen wollte, gleicht eigentlich einem Physiologen, der leben- digen Leibes sein eigenes Gehirn blosslegen und damit experimentieren wollte, was schon dainim seine Schwierig- keiten hätte, weil der Forscher durch die schweren opera- tiven Ein^ifFe in seinen Fähigkeiten doch herabgestimmt werden nüisste. Und so bleibt dem Verfasser nichts weiter übri«? als na h dem Beispiel des weisen Münihhausen um den Baum der Erkenntnis so lange und so scLnell herum zu laufen, bis er sich selbst beim Schöpfe zu fassen kriegt. Als Opfer hat er Sckmerz zu leiden , als Sieger kann er nicht eininal lachen. Die niederste Erkenntnisforni ist in der Sprache; die höhere ist im Lachen; die letzte ist in der Kritik der Sprache, in der hiuimelstillen , himmelsheitem Resignation oder Entsagung.

Kritik Während der langen Jahre, in denen die Grundgedanken

der Bpraolie.

dieses Versuchs sich meiner beumcbtigten und mich zu der wirkHch harten Arbeit zwangen, ihre Wahrheit unaufhör- lich am Leben und an wiissetischaftlichen Studien zu er«

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&itik der Spradie.

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proben, wilbrend dieser Jahre gab es verzweifelte Stunden und Tage genügt &n denen es mir wertvoller und weiser erschien, den Acker, den ich baue, selbst zu dttngen, oder ein Kirschbftttmchen zu pflanzen, oder den ersten besten ITumI zum vernünftigen Lehrer der Lebensführung? zu wählen. Nichts erschien dann thörichter als der letzte Versuch, mit Worten, die niemals einen Inhalt haben können, endlos von nichts zu sprechen als Ton der eigenen Unwissenheit Ge- rade aber solche schwarze Stunden und Tage endeten häufig mit dem spornenden Gefühl: jawohl es ist der letzte Ver- such, es ist das letzte Wort, und weil es nicht die Lösung des Sphinxrätsels sein kann, so ist es wenigstens die er- lösende That, welche die Sphinx zum Schweigen zwingt, weil es die Sphinx vernichtet. Traurig blicke ich auf solche Stimmungen erhöhten Selbstgefühls zurück. Was können wir in der Sprache des heutigen Tages denken oder sagen Aber die Sprache des morgenden Tages? Ewig wandelt die Sonne ihre Bahn. Derselbe Sonnenball, der heute unter- geht, geht morgen auf. Dasselbe Rot, das ich jetzt das Abendrot nenne, wird nach wenigen Stunden todähnlichen Schlafes das Morgenrot heissen. Was heute die letzte Ant- wort schient wird morgen eine neue Frage sein; und die Frage wird wieder zur Antwort werden in der Sprache von uns thörichten Mensches* Dennoch will ich auszuführen suchen, warum mir eine Kritik der Sprache in guten Stunden die letzte Antwort schien. So erziblen wohl zehiqihrige Kinder Ton den IrrtQmem ihrer frfihem Jahre und dttnken sich gross.

Wer einsam geworden ist unter seinen Mitlebenden, weil er zu einer andern Sprache oder einer andern Welt- anschauung gelangt ist, wer aus der Art gesehlagen ist, der hatte es schön und leicht, sein einsames Denken den andern miteuteilen, wenn es ein Yerst&ndnis zwischen den Mensehen gäbe, wenn die Träumer oder Narren recht hätten, die Ton einer Telepathie zwischen den Menschen reden. Wenn es eine solche unmittelbare geistige Berüh- rung zweier Menschengehime gäbe, so brauchte ein Ein-

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VIIL Winea and Worte.

sanier nur »ieu anderen Einsiuuen bei der Hiiiirl zu er- greifen, wie es Buauch ist unter Liebeiulen, und der Andere empfinge eine Ähnun^r von dem neuen Denken des Einen. £s wäre ihnen gemeinsam geworden, was man das Denken nennt.

Was man aber das Denken nennt, das ist nur eitel Sprache. Auch der Einsame, der selbst sein neues Denken in sieh erzeugt hat, hat nur die Illusion einer nenen Welt- anschauung und weiss es selbst nicht, dass er nur Worte anders verbuidet, Worte ohne Inhalt, und wenn er im \ cr- traueu aui die S{irache die Worte zur Mitteilung benützen will, so kann er nichts beweisen, nicht eiunial überzeugen, höchstens ülieireden wie ein Schwätzer vor Gericht. Worte, in Worte «^efasst, das ist Anfang und Ende aller Philosophie. Vor das Gericht geschlepjit wird die lebendige Wirklichkeit, die bald Gott heisst und bald Natur und ihren wahren Namen nicht verrät. Diese That, die die Welt der Wirklichkeiten ist, suchen die Männer zu verstehen und zu erklären, zu verteidigen oder zu verdammen, die die grossen Philosophen heissen. Sie erklären und verstehen, sie ver- teidigen und sie verdammen wie Schwätzer vor Gericht. Worte sind ihre Werke, Worte in Woi*te gefasst. Da musste auch einmal der letzte Versuch gemacht werden, zu ver- 2dchten nicht nur auf Verteidigung und Verurteilung, son- dern auch auf jedes Erklären und Verstehen. Es musste der letzte Versuch gemacht werden, das nackte Wort zu betrachten in seiner ganzen Bldsse, eine Kritik zu wagen der Sprache, das Wort zu sehen, das Wort des Inhalts und das Wort der Fassung.

Sofort trat über die Schwelle dieser Betrachtung die Einsicht, dass wir irren, wenn, wir glauben und sagen, es sei die Weiterkeuntnis, wie wir aie im kindlichen Hochmut SU besitzen glauben, irgend etwas in der Welt selbst^ irgend etwas Wirkliches, ein Gedanke, den wir durch das Mittel der Sprache ausdrücken. An der Schwelle stand die Ein- sicht, dass die jeweilige Welterkenntnis einee Menschen immer nur einzig und allein die Sprache selbst war, die

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Kritik Opnät».

e45

Sprache dieses Menschen imd seines Volkes. .Toder einzelne, Ton Kant aufgefangen bis zum Blödsinnigen, hielt für seine Welterkenntnis die kleine Summe seiner ererbten und er- worbenen Eiumeningen. Er mnssfce sie für seine Erkenntnis halten, weil er nichts anderes kannte und kennen kcnmte* Und es waren schon die b^ten M&nner der Menschheit, welche die Oberkommene Ordnung dieser ererbten und er- worbenen Erinnerungen ehrlieh und fleissig neu zu ordnen unternahmen.

Duidi die Jahrtausende hindurch gelangte bis su un» eine einfache Ordnung unseres Wissens tou dem Dingen. Der Mensch sah die Welt und f&hlte sich selbst; er suchte die Welt zu begreifen und suchte sich selbst su begreifen. Kur selten in AmnahmekOpfen dSmmerte der WortUang auf, der eine Befreiung schien Ton allem Irrtum: dass nie* mand sagen könne, ob er selbst in der Welt enthalten sei oder die Welt in ihm. Aber auch dieser spielend lockendo W(«tldaiig half den besten Köpfen nicht; denn sie wussten nur fühlend einsam, was sie wissend fbhlten, und mussten spredien um auszudenken und auszusprechen, zwischen den Mensehen, was sie einsam zu denken geglaubt hatten. Es gibt keine Sprache in der Einsamkat. Wo aber der Eine mit dem Andern zusammentrat, da schied sich Einer vom Andern, da schied sich das Ich von der Welt und der alte Gegensatz zwischen Natur und Geist bHeb fortbestehen im Denken und Sprechen bis auf den heutigen Tag. In Natur- wissenschaften und in Geisteswissenschaften ordnete die Menschheit, die es zu Jeder Zeit so herrlich weit gebracht hatte wie heute, weil jede Zeit ihre eigene Gegenwart ist, ihre ererbten und erworbenen Erinnerungen.

In unzähligen Bfichem, voll von Worten, ist unsere heutige Welterkenntnis aufgespeichert für Mit* und Nach- welt, geordnet in Naturwissenschaften und Geisteswissen- schaften. Es kümmert uns nicht, dass diese Einteilung nach Natur und Geist einmal Tendtet sein wird, wenn wir genug wissen werden, um nicht mehr zu wissen, was Natur ist und was Geist. So würden unsere Kataloge unbrauchbar

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YIII. Wissen und Worte.

werdent wenn einmal unser Alphabet abgelöst würde durch ein neues Alphabet. £s ist nur vorläufig, dass der Weli- katalog eingeteilt ist nach Natur und Geist

Das kümmert uns nicht; aber uns kUmmei-t seit einiger Zeit die aufdämmernde Ahnung Ton etwas Entsetzlichem, dass nämlich kein mzigcr Mensch vollständig die Worte versteht, welche unsere Bibliotheken füllen. Jedes Wort hat eine Geschichte, eine Geschichte seiner Formen und eine Geschichte seiner Bedeutungen. So wie die tiefe Wir- kung der Musik auf uns nicht erklärt werden kann durch die blossen Verhältnisse der Töne allein, wie erst das Mit- erklingen sller Obertöne uns so ergreift, als Musik uns ergreift, ebenso sind die Worte der menschlichen Sprache nicht zu Terstehen ohne ihre Geschichte. Der Zufall der kleinen persönlichen Erfahrung bestimmt, was der Einzelne bei den Worten sich vorstellt. Die Sprache ist kein Besitz des Einsamen, weil sie nur zwischen den Menschen ist; aber die Sprache ist auch zwei Menschen nicht gemeinsam, weil auch bloss zwei Menschen niemals das Gleiche bei den Worten sich vorstellen. Die Worte der Geisteswissen- schaften haben ihre Geschichte, die in dunkle Zeiten zurück- reicht. Ebenso reiclim die Worte der Naturwisseiocliaften zurUck und wieder zurttck. Aber nicht nur die Worte haben eine Geschichte, auch die Dinge der WiikUchkeit, auf welche die Worte sich beziehen, haben eine Entwicke- lung gehabt.

So ist das Entsetzliche gewiss, dass kein sterblicher Mensch die Worte seiner Spradie jemals Tersteben könnte mit all ihrem historischen Gehalt, weil seine Lebenszeit und seine Fassungskraft nicht hinreichen wUrden zur Auf- nahme dieses Ungeheuern Wissens, dass aber auch dann, wenn es einen solchen Menschen gäbe, seine Worte keine Wirklichkeit bezeichnen könnten, weil die Wirklichkeit nicht stQl steht. Wie der Mond kreisend auf die kreisende Erde fUlt, ohne sich ihr dauernd zu nähern, so umkreist das Wort der Menscbensprache die kreisende Wirklichkeit und kommt ihr nicht näher. Nicht einmal die Geschichte der

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Kritik der Sprache.

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Hensclilieit kana das Wort erfassen uiid wied«tim ohne die Oeechichte seiner selbst bleibt das Wort unfassbar.

Man hat seit hunderten ron Jahren an dieser An- schauungswciäe gebosselt und gebestelt. Ibn hat es lang- sam aufgegeben, in den Katastrophen allein die Geschichte der Menschheit zu sehen, in Kriegen und Schlachten, man hat begonnen, die Knllaigeflchidite der Keuschheit m «chreiben und die Geschichte der Wissmchafben. Aber wenn es einem Überlegenen Menschen einmal gelingen sollte, eine Geschichte der Wissenschaften so m schreiben, dass es die Geschichte der Mmscliheit wire, so wäre es doch nur eine annselige Geschichte der menschlichen Sprache. Denn was wir die WiaaeDSchaften nennen, ist ja doch nur heute wie zu jeder Zeit das Wort, welches nach der That erscheint.

Wie weit entfernt eine solche ideale Geschichte der Menschlieit, eine solche ideale Geschichte der Sprache den- noch von einer Erkenntnis, Ton einer Lösung der Welt^ rätsei w&re, das fallt erdrückend Über uns zusammen, wenn wir in diesem dunklen Schacht, der das Denken heisst, noch eine Stufe weiter zu graben suchen. Alle Worte unserer Sprache, sie sind ja doch nur die Erinnerungs- zeichen an die Vorstellungen, die uns unsere Sinne ver- mittelt haben. Was aber haben unsere Sinne mit der Er- kenntnis der Wirklichkeit zu schaflFen? Vielleicht haben andere Tiere andere Sinne. Vielleicht steht der leblose Krystall, der sinnlose nach unserer Sprache, dem Welt- rätsel unmittelbar näher als wir. Welcher unbekannte Zu- fall der Eutwickelung mag der Menschheit gerade ihre Sinne geschenkt haben? Wenn wir das deutlich begreifen, dass die fünf Thore unserer Sinne zufällige Schöpfungen sind, wie Breschen, die feindliche Kugeln iu eine Mauer geschossen haben, so erkennen wir erst völlig den Jammer unseres Mühens um Erkenntnis. Irgend eine feindliche Be- rührung liat in Urzeiten den Arten, welche wir Tiere nennen, den ersten Anstoss zu der Tendenz gegeben, Augen und Ohren auszubildeu, auf dereu Fuuktioneu die grösste

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VUL Winen und Worte.

Kaase dessen aufgebaut waa wir unsere Weltetfceoniaift nennen. Was in WirUichkeit vorgeht^ und was wir heute mit der Sprache d«r Mechanik Bewegung nennen, das kennen wir so, wie es an die beiden Bresehen des Sehens, und Hdrens herantntL Man erfOUe «ich doch gaus mit der Resignation: es sind suiUlige Sinne. Es gibt in der Wirklichkeit Erscheinungen, die wir uns erst in die Sprache dieser Sinne ttberaetien müssen, um sie ttbechaupt wahr^ nehmen su kennen. Unsere Welt ist die Sinnenwelt und unsere Sinne smd Zu&Ilsenengnisse. Was sichtbar ist- und was hOrbar ist' in dem grossen Unbekannten und was« sonst auf unsere andern Zufollssinne witkt, das haben wir uns gewdhnt au&unehmen und unsere Welt su nennen.. Aber Jshrtausende hindurch blieben die Erscheinungen am Magneteisenstein und sm Bernstein, Eischeinungen, die doch, die Welt so weit erfidlen wie Schall und Licht, den Mensdien nicht wahrnehmbar, bis er sie sehen und hören lernte.. Wenn ein anderer ZufSaU in der Urseit der Lebewesen ihnen den Anstoss su einer Tendenz gegeben hfttte, ein Sinnesorgan fttr Elektricitat su entwickeln, so wttrde die^ Menschheit eine elektrische Welt kennen und wftre dann vielleicht nach Jahrtausenden und aber Jshriausenden daia gelangt, diejenige Erscheinung zu entdecken, die uns als. Licht so wohlbekannt ist. So ist es der ZufsU, der mit der Menschhnt gespielt hat. Nichts ist Erkenntnis im menschlichen Denken, was nicht Torher in den Sinnen war». Und nichts kommt in die Sinne hinein, was nidit sulUlig- die Form dieser Sinne ansunehmen im stände ist. Viel trauriger, als Goethe es dachte, ist sein Wort wahr:

.Wär* nicht dna Auge sonneubaft, Die Sonne kOnnt' 63 nie erbUcken."

Nur was an der Sonne ai^nhafb ist, das kann das Auge- sehen, das Sonnenhafte bleibt unsichtbar. Und nicht einmal in Worten ausdrucken können wir ganz, was wir da meinen*.

Unsere offizielle Wissenschsft begnfigt sidi mit den sichtbaren und hfirbsren Erscheinungen derjenigen Natur--^

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Kritik der Sprache.

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krifte, die offenbar etwas anderes diid ak Licht and SehaB. Sie glau1>t sie zu kamen, wie wir fremde Poeeien aus Veber- seteungen «i kennen glauboi. Der Gedanke ist ihr noch kaum gekommen, dass am Ende nicht nur die hörbaren und sichtbaren Erscheinungen der unbekannten Elektricität^ dass am Ende gar alles, was uns umgibt als Schall und Liditf nur die stammelnde Uebersetzung unserer Sinne ist ans einer fremden, fremden Welt.

Nur vor einer einzigen Erscheinung hält die offizielle Wissenschaft denn doch erschreckt oder ehrfurchtsvoll inne und gesteht, sie nicht zu verstehen: vor der Erscheinung des Lebens. Und wie Kinder streiten die ehrlichsten Ge- lehrten darüber, ob man von einer besonderen Lebens- kraft sprechen dürfe oder nicht. Vor kurzem ist da.s ur- alte Wortgefeclit neu aufgenommen worden. Und nur,, wer durchdrungen ist von der Zufälligkeit unserer Sinne und ihrer Erkenntnisse , nur der kann sich truurif,^ ausser- halb de.s Kampfes stellen. Glücklich die Streitenden. Sie wissen nicht, dass das Leben eben auch etwas ist, wofür wir kein Sinnesorgan La^Hjn. genau wie die Elcktricität. Was w^ir an unserem eigt ncn Leibe als Reiz und als Em- pHndung kennen . dafür ist unser einziges Sinnesorgjui das dumpfe, taubstumme Gemeingefühl. das wir nicht befragen können. Und was weiter die kleinsten Lebenserscheinungeu sind, die organischen Veränderungen im StoflF, oder in der Enercrie, oder iu der Form des Lebewesens (Stoff'. Energie und Form werden doch wohl nur verschiedene Worte sein für dieselbe Sache), sie wandern trotz allen Mikroskopen nicht früher in unsere Sinne himin, als bis sie die Zufalls- erscheinung der Sichtbarkeit angenommen haben. Warum wollen wir nun der guten Sprache es versagen, auch diese Erscheinungen zusammenzufassen? Für die Erscheinungen des Lichts und des Schalls brauchen wir keine AI» fr.iktion und so haben auch die Worte Licht und Sch ill keine abstrakte Form. Was soll aber die gute Sprache anlangen, wenn sie die unemllichen Erscheinungen des Lebens mit einem einzigen Worte bezeichnen will? Sie sag^ Vitalität

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YIII« WiMen und Wotte.

wie sie ElekfcriciiSI gesagt hat uad meint es nicht bdae, Sie meint es auch nicht böse, wenn sie im Hunde aller- jflngster Lebensforscher das neu aufgearbeitete Wort «Neo- Titalismus* gebildet hat Wir dürfen es nur nicht für eine höhere Eingebung halten. Wir mflssen nur wissen, dass die tie&innigste Sprache nur das Stammeln eines Kindes ist.

So steht denn die Menschheit mit ihrer unstillbaren Sehnsucht nach Erkenntnis in der Welt, ausgerüstet allein mit ihrer Sprache. Die Worte dieser Sprache sind wenig geeignet zur Mitteilung, weil Worte Erinnerungen sind und niemals zwei Menschen die gleichen Erinnerungen haben. Die Worte der Sprache sind wenig geeignet zur Erkenntnis, weil jedes einzelne Wort umsdiwebt ist von den Neben- tönen seiner Geschichte. Die Worte der Sprache sind end- lich ungeeignet zum Eindringen in das Wesen der Wirk- lichkeit, weil die Worte nur Erinnerungszeichen sind für die Empfindungen unserer Sinne und weil diese Sinne Zu- fallssinne sind, die von der Wirklichkeit wahrlich nicht mehr erfahren, als eine Spinne Ton dem Palaste, in dessen Erkerlaubwerk sie ihr Netz gesponnen hat.

So muss die Menschheit ruhig daran verzweifeln, je- mals die Wirklichkeit zu erkennen. Alles Philosophieren war nur das Auf und Ab zwischen wilder Verzweiflung und dem GlQcke der ruhigen Qlusion. Die ruhige Yerzweif- lung allein kann nicht ohne dabei Uber sich selbst zu lächeln den letzten Versuch wagen, sich das Verhältnis des Menschen zur Welt bescheidentUch klar zu machen durch Verzichten auf den Selbstbetrug, durch das Ein- geständnis, dass das Wort nicht hilft, durch eine Kritik der Sprache und ihrer Geschichte, Das w&re freilich die er- lösende That, wenn die Kritik gettbt werden könnte mit dem ruhig Terzweifeinden Freitode des Denkens oder Sprechens, wenn sie nicht gettbt werden mOsste mit scheinlebendigen Worten,

In einer Stunde solchen Gefühls habe ich meinen Ver- such begonnen und nur immer verzögert, dem Begleiter auf

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KikÜk der Sprache.

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meinem Wege zuzurufen, was icli ihm jetzt zu spät sage, und was mein tiefstes Gewissen zu raeinen Worten oder Gedanken sagt, die Worte Dantes ^Paradiso Ii):

,0 voi che eiete in pioeioletta barca,

Desideroai tl'aseoltar, sep^iti

Dietro al mio le^no che canfando varca,

Tomate a riveder Ii voälri liti.

Hon vi mettete in pelago; chö fonei

Perdendo me, rinuurrwle «mamtL

L'Mqoft <^*io preudo, giammai noa ti Mone/

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Re gl

s t e r.

A.

A = A-b III. m

Abel II. m III. m

Abstammungstheorie , Geschichte der II. ßlO. Abstammung und Sprache II. 625.

Abstraktion L Ai^ II. 429. III. Abatruktionen II. 687.

Adelung II. liLL fILL III. UML

Adh^mars ,R«:voIution8 de la mer*

II. tiüä f.

Adjektiv II. 222. III. M f. Gegen- sätzliche A^iekt. III. m— Art- bildende Adjekt. III. lüL

Adverbium Iii. 102. f. Adverb, u. Ca£us III.

Aehnlichkeit L SSL ■i2L Aehn- lichkeit u. Sprache L 323*

Aeon II. QM.

Aeethetik L 3Ö. Aesthetik der

Tiere L IQA. Aether L 2M. Affen.«p räche II. 322. Afßuitilt III. ISL Agglutinierende Sprachen II. 2äh^

Deutsche Agglutination II.

im.

Aha -Theorie II. MIL

Akkusativ III. 22.

Älberluä L 52 f.

d'AIembert III. 143.

Algebra der Logik III. HL 4M f.

Allheit III. 114.

Allwissenheit, Gesetze und II. 2^

ui. aaL

Alphabets, Invasion des II. .558. Alter dca Menschenge&chlechta II. 651.

Altem der Worte L 41L

Amöben, Weltbild der L 3f>Q.

Analogien, alte II. 122^ Falsche Analoffie II. 82^ Geläufige Analogien II. 138. Unbe- wuBste Analogie II. 186.

Andresen II. 305. III. 2L

.Angeboren" II. 354. 718.

Anomalie II. 123.

Anschauung und Wort III. 280.

Anschauung durch Worte L 113. Keine Anschauung L

m

Ansuhatz III. &L Anthropomorphismus III. 831. Apelt III. 4M. 4fi3. Apnerception III. 2Ö2. 334. Unbewusste Appercepiion L 487. Apriorisch = angeboren II. 718.

Apriorität 11. 717. III. 2Ö4*

Archiniedes L 413. III. IfiL Aristarchoe II. 122 f. Aristophanes II. 130. Aristoteles L 83. 225. 435. 53iL

632. II. f. IHl 12iL lai f.

m 413 r. 731. III. 4. Ü4.

21Ü f. aiLL 4LL 423. 512. 608. Artbegriffe, Spiache und II. 705.

Register.

653

III. 2S8. Art- oder Grad- unterschied II. 379.

Artikel, bestimmter und unbe« fltimmter III. 22^

Artikulation II. 333. 32ß. 439.

Assoziationen L SRÖ. Aasozia- tionen und Interesse L Assoziationen und Sprache L 422» Aäsoziationsgesetze L 4M. M2. Assoziation beim Dichter L 444. Assoziation beim Gelehrten L 447. Asso- ziation beim Redner L -14.5. AlK>s Denken Spiel von Asso- ziationen II. 547.

Astronomie II. 181.

Atomistik III. Ifi2» Atombegriff III. ML

Aufgabe unlösbar II. 732.

Aufmerksamkeit L 343. 493. 513. Aufmerksamkeit leistet Ar- beit L 496. Aufmerksamkeit und Gedächtnis L 493—554. Aufmerksamkeit L .5 IB. Auf- merksamen Denken L 501. Aufmerksamkeit und Interesse L 42S. Aufmerksamkeit und Logik L 522. Aufmerksam- keit und Wille L 5Ö4. 52Ü. - A ufmerksamkeit und Zivilisation L 504. Missbrauch der Auf- merksamkeit L 525.

Auguatinus L 22Ü. III, 604.

Auslösung L 2äiL

Aussen und innen L 261.

Australneger, der gelehrte II. SiiiL

Avenarius III. 881.

B.

Bacon L 83. III. HL

Bailly II. Efifl f.

Bain L 22ix 22S f.

Barbara III. ^

Barbarensprachen II. 42.

Baumnamen IL 642. Birnbaum II. 211.

Becker, K. F. III. lülL IM.

, bedeuten' II. 222. Bedeutungs- wandel L II. 257—287. Laut- und Bedeutungswandel II. 259. Minimaler Bedeu- tungswandel IJ. 261.

Begleitumstände II. 150.

Begriff und Ding III. 225. Be-

griff und Wort III. 2fi5 ff. egriffe und Bilder III. 2M. Begriffe und Urteil III. 2öS. BegrifTaumfang und -Inhalt III. 284. 292. ~ .Begriff« III. 287,

Begriflsidcale III. 201. mi.

Einl^'ilung der Begriffe III. 310. Begriff und GeseU III. 480.

Beispiele II. IB^ Belletristik L 44. Benfey n. 45. .5(> f. 614. Bequemlichkeit, Gesetz der II. 25

Berkeley L lüL 452. II. 492. Beschreibung III. 842. Betonung 11. 53Ü. III. m. Bewegung III. iQh^ Worte Be wegungserinnernng L 4ßQ. 467.

Sprache ist Bewegung L 18.S.

Geist und Körper sind Be- wegung L 469.

Beweis III. 487. Geometrische Beweise III. 492. Beweise Hypothesen III. 494.

Bewusstscin L 555 582. Be- wusstsein und Erinnerung L 515.

Bcwusstsein und Schlaf 1.563.

Bewasstsein und Sprache L .'»71. Bewusstes Denken L 45 s.

Geschichte des Bewusstseins L 565. Worte im Bewusstseiu L m

Bibel II. 33. 50 f.

Bichat L 55L

Biese IL i22 ff.

Bilder (Erinnerung) L 502.

Bilderschrift II. 552.

Biologie und Sprachwissenschaft

II. m

Bismarck II. 122. HI. Ififi. 412. 622.

.Blatt" II. iäL .blau« II. 699.

Blickpunkt des Gedächtnisses III.

252.

Blödsinn II. 679. Böhme L 4M. in. g{LL Bopp II. 52 f Sa. in. 235, 252. 616.

Botanik III. 511. Botanische

Klassifikation III. 513. Brahe L

Bräuche II. 525.

654

R«gi8t«r.

B|M, Michel II. m m 21£ f.

.m 391. 462. Bridgnian, Laura L 395. Broca L M8. Brosses, de II. 3fiIL Bruchmann 11. 47fl f. Brugmann II. 8^ lüL 2M. Brücke L EU. Bruno L SiL III.

Buchdenken II. &7Ü. Vowtel- hm^loses Buchdenken II. 590.

Buchdrutka, Plinflusa des II. h&l. Vernichtung aller Bücher II. öfiL ~ Der Buchgelehrte II. 571. Die Buchkultur II. 530^

Büchner III. m üÜfi.

Buchstabenschrift, Mängel der II. fi7fi.

Buckle II. 12-

Buffon L m III. m

Bürger II. m

Busse L 25fi»

Butler L iAh.

C.

Calvin L 22fi.

Cäealpinus III. ^02. 514.

Cäsar, J. II. 132.

Celarent III. MB.

Chemie, Sprache der III. 505.

Chinegtioi bei uns II. 832. Chi- nesisch II. 25. Gram- matik und Loff'xk der Chinesen II. 33L Cbiut-i^ieche Schrilt- sprachc 11.324. Innere Sprach- forni der Chinesen II. 338. ChineBische Schule II. 326- Chinesische Zukunft II. 583.

Christentum und Sprachwissen- schalt II. M.

Chronologie II. (M.

Cicero II. 112. m III. m m

Cohen, IL III. ML

Common sense und Vererbung II.

727. Comte L 3D6. Condamine, La II. 6.38. Condillac IL 3ÄI f. Copula III. 25-

Cossmann, P. N. II. 721. III. 51IL Curtius, G. II. 84. JM, im f. 235.

f>.30. 045. Cuvier II. aSL III.

D.

Dagnerre III. ■'»42. Dante L 125 f . 53S. Darii lU. m

Darwin L fi4 f. 3M f. m H. 23.

22 f . sfifi f . m 721. m. m

2afi- 1,604 f. Darwinismus II. 721. III. m 530. Darwi-

niBmuB und Sprache II. 394. Darwiuismus und Sprachwissen- schaft II. 22.

Definition III. 233 f. Deanition und Aufmerksamkeit 299.

Deiktisch L 42..

Delboeuf L öTL

Delbrück, B. II. 640. 734 f.

D«'mokrit08 L 3DÖ. IL 41öi

Demosthenes IL 319.

Denken L HL m SÜUes Denken L Wirkliches Denken L 2iL - Wortloses Denken L llü Denken und Sprechen L lt>4— 216. U. ßS. 676. III. 2fiiL Denkgc'wobu- heit L Denkge^etze III. 273. ^51) ff. Denkgesetxe Tautologien III. 364. Denken ohne iSprache L l(i8. Denk- muschine III. 184.

Descartes L 53. 175. 221. m 243. Aia. ßM f. iL 691. 711. III. 2SL 53iL ^

Deutsch, was ist? IL 156.

Deutsche Philosophie III. 534^

DezimalBystem III. 139.

Dichtersprache IL l2iL

Dienende Stellung der Philosophie

Diener am Wort L 163. Differentialbegriff III. IM f. Ding an sich L 303. Dinge und Worte III. M f. Diodoros TL 598. Dioskorides III. 513. Dodge IL m Doppelsterne III. 478: Dove L ÜÜ.

Dreisinnigen , Assoziationen der

L m

Dritten, Satz vom ausgeschlosse- nen III. 325.

Druckfehler und Sprechfehler IL 3£4. Drucksprache II. 5M.

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Regüier.

655

Da Bois-Reymond L 21iL 2ii5^

sas. u. m III. m

Duchenne L 4^>6. Duns ScotuB III. 3()G. Dnodezimalsystem II. 635.

E.

Eckart, Meister L 7B. III. 23^.

Edda L Edkina II. 25.

Eigennameo II. 4'27. Eigen- namen unbestimmt III. 87.

Eigenschaft und Wirklichkeit III. 93.

Einheitabegriff III. 142^

Ein- und mehreilbige Sprachen II. 232.

Einsamkeit L gg,

Einöbung L

Einverk'ibende Sprachen II. 298.

Deutsche Einverleibung II. 3öfi.

Einzelding III. 223. Eiszeit II. 653. Periodische Eis- zeiten II. df^^. Element III. Ellipse III. 2ötL Elster, E. II. 423. Ende, das L 480. Enge des Bewusstaeins L 90. &fi2. Englisch II. SIL

Entdeckung dea Neptun III. 403.

Entlehnung III. 132.

Entstehung der Sprache II. 389 bis 465. Entstehung der Sprache durch Gesetzgeber L LL

Entwickelung II. 2ü2. III. ßÜL Entwickelungsbypothese II. 391.

Abkürzung der Entwicke- Inngszeit L fif.

Epikuros III. äI2. Ö8ü. Erasmus II. 166. Erbfrack, der L bL Erblichkeit und Anpassung II. 431. Erdmann, B. II. SSSx Erdmann, J. E. L 48.^. Erdmann. K. 0. L 4£5. Ererbte Disposition II. 710. Erfahrung und Denken II. 714. Erfindung L 14- II. •^•'»S Erhaltung der Energie L 212x 2^ Erinnerung, Sprache ist II. 240. Jede Erinnerung Aktion L 417.

Erkenntnistheorie L 628. Logik

und Erkenntnistheorie III. 408.

Erkenntnis und Wirklichkeit L 616. Erkenntnisgrund ist das Wort III. m Erkennt- nisgrund und falscher Begriff III. afiL

Erlernung der Muttersprache II. 42fL

Erraten des Sinnes III. 2ML Erwartung II. 32Ü. Esqm'rol L 531. .essen" III. QtL

Ethnologie, Sprachwissenschaft u. II. 603—671.

Etymologie II. 198—230. Gren- zen der Etymologie II. 212. Moderne Etymologie II. 202. Wert der Etymologie II. 1311

Etymologie der Alten II. IM.

Etymologie und Menschwer- dung II. 680. Et3*mologi8che Möglichkeiten II. 697.

Eucken III. 512. Euler II. ÜÜL Euphemismus L ü£> Evolution III. 6ÜL Exposition III. 232.

F.

Farben und Farbenworte II. 641. 701.

Farbeneinteilung menschlich II. 704.

Fechner L 233. 253 f. 2Mx 842.

III. SQ.. .Feder" II. 28L Fehler II. L4L Ferio III. 45L Ferner L m Fetische, Wort- L 15Ü. Feuer III. SQ4. Fichte I. 600. III. 376. Fick II. 52^ til^ Firdusi II. ZL Fixe Ideen L .'ilO. Fixierung der Sprache II. 13i Flechtig L 39fi. 419. 544. 624.

II. 113. .flechten« II. 698. Flexion III. 43. Flexion aus

Richtungaworten III.

Flexioofilosigkeit II. äÜÜ.

€56

Register.

Fluch der Sprache L SL Flüche L SlL Folgerung III. aaL Fontane I. Fürstcmann II. 22h Forster, G. II. 12. Fortschritt III. ÖM^ Fortschritt im Denken L 488. Fortschritt sprachlos L 589. Fraas II. G53.

Fragestellung» neue II. 446. Franke, 0. II.

Fremde L IM^

Fremder Sprachen , Verachtung

II. 2a.

Fremdsilben II. fiSL

Fremdwörter unbildlich II. 525. Fremdwörter nur kultur- historisch erkennbar II. 629.

Freytag, G. L 12fi. 11. 2lL

Fulgentius II.

I».

Gabelentz, v. d. II. 23, 122. 311 f.

m

Galenos III. ML

Galilei L fiSü. II. 81. III. 42Ü f.

Gall L 22Il

Galvanismus L 195.

Garner II. 322.

Gassendi L iä2. fi^

Gattungs Worte, individueller Ge- brauch der II. 202.

Gay-Lusaac III. IfiL

Geljilrdensprache, Laut- und II. ft81.

Gebetwoi-te L 156.

Gebhardt II. bAL

Gedilchtnis L LüL 292. 402—492. IJ. 730. Gedächtnis für Be- ziehungen L 123. ~ Gedächt- nis und Bewu8st.-*ein L 415. 424. Ahhi 547. Gedächtnis und Ich L 5SL Gedächtnisfehler L 42Ü. Falsches Gedächtnis L 472. Gedächtnis und Sprache L 3B6. 4Ü8.. Automatisches Gedächtnis L 420. Gedächtnis und Gewohnheit L 557. Kau- salität ist Gedächtnis II. 723. Gedächtnis aktiv L 412. Er- erbtes und erworbenes Gedächt- nis II. 713. Gedächtnis und Erblichkeit L HL Auflösung

des Gedächtnisses L 541. Geschichte des Gedächtnisses II. 708. Organ des Gedichte nisses L 543. Gedächtnis, und Sinne L 405. Tiergedächtnis L üü.

Gedankenzeichen II. -575.

Gefühle L SIL Gefühlswert L 12Ü.

Gegenwart III. 35-

Gehen, das II. IL III. 60.

Gehirns, Geschichte des II. 706.

Differentialrechnung des Ge- hirns L 479. Gehirnpbjraio- logie L 209.

Geiger, l. L 5S3. II. 12S. ISä f-

m 222 ff. 696 f. III. m Geist der Sprache II. 20. Geistiffe.s II. L

Geisteswissenschaft , Natur- oder

II. a.

Gei.streich L 137.

Gemeinsprache II. 161.

Genie und Nachahmung L 5M^

Verrückte Genies L 539. Genitiv III. 15.

Geoffroy St. Hilaire III. 530. Geruchsprache unmöglich L 412. Geschichte II. 12. (Jeschichte und Sprachwisseoschail II. 671.

Geschichte der Sprachwissen- schaft II. 33—118.

Geschlecht III. 2i f.

Geschwindigkeit des Sprachwan- dels II. ^

Gesetze L 52. II. 122. III. Sli Kreislauf von Wort und Gesetz

III. 18fi. Gesetze in den Worten III. 575. Gesetz und Notwendigkeit II. 212.

Gesichtspunkt III. 3fiL

Gespenster III. 338.

Gewohnheit L bhh±

Gleichheit lU. im

Goethe L f. K)2 f. m H. 42. 64. 2L m 157 f. 4S5 f . ^ f. 520. III. 21ia. aiL ilÄ. 452. 6<)4. 640.

Götter sind Worte L 152. Worte sind Götter L 153.

Göttlicher Ursprung II. 353.

Grammatik L m IT. Ui Philo- sophische Grammatik III. 2tLL

Grammatik und Logik III. L Grasaerie, de la III. 2i

Register.

657

Gravitation L ß2fi» III. 152. 4ÜL 549.

Griechen II. 40. lül.

Grillparzer L (>44.

Grimm, J. II. 22. 53 f. HR f. IfiL

257. 305. 354. SIL HI. lÜL Grund III. Satz vom Grunde

III.

Grundbegriffe L 281. Gutzkow L

IL

Haberlandt L 250.

Haeckel L 2li 242 f. m II.

4ÜÖ. üia. Hl. 54fi. bäiL Hall, St. L m Haller III. ÖS. 523. Hamann L Sül f. 041 f. II. 49 f.

iSfi. 735. UarmB III. ih^ Hamack III. 635. Hartmann L 525 f. II. 4S. 4M.

III. Ö32. Harvey III. 528.

Hauptmann, G. L 113. II. 120- 3152.

Haupt- und Nebensatz III. 19<i.

Hebbel III. 425.

Hebräisch II. 2aL

Heer, 0. II. ßfiL

Hegel L 23. fi5 f. m 022. II. 48.

üü. 142. ISO. III. 3L lJß2. 282.

312. 3M. •'■55. Hehn II. fil2. Heine II. 645. III. 525. Heiterkeit L 83. Heliotropiemus L .352. flelmhollz L 115. 3D1L 342. 63ß.

II. AM. ÜM. III. lüH. Holvetius L 433. Herbart L 515. 522. Herder L 2112. II. 42 f . 3M f 43fi. Hering L 4Ü2. 452. 546 f. Herodotos II. 4Ö4. Herschel III. 423. Hesiodos II. 122. Heyse, P. II. 142. 355. ,hie* III. 121. Hlonipa II. 112. Hobbes L 4Ü2. 635. Höffding L 5fiü. Holtzmann II. S2. Homeros L 84 f. 14S. H. 24. 35 f.

85. 122. 28Ü. 422. Mauthner, Beiträge zu einer Kr

.hörich« III. 222. Hugo, V. L 12L Humboldt. A. v. III. 52L Humboldt, W. v. II. 56 ff. 1Ö5 f

225. 538. Hume L 238.. 435. 631. II. 422.

III. 128.

Hundesprache II. 37 ß. Mytho- logie des Hundes II. 300. Hyazinthe III. 512. Hyperästhesie L 322. Hypnose L 42.

Hypothesen und Worte III. 482.

428 f. 545. Hysteron-Proteron III. 248.

Ibsen III. 242. 333.

Ich L 522. Ich der Kinder L 602. Entstehung des Ich L fi05. Ich gemeinsames Objekt III. IB. Ich und die Welt L 602. 614. Icbgefühl L 595—616. Ichgefühl eine Tausch ung L 606. Doppel- Ich L 602.

Identität, Satz der III. 366.

Ignorabimus L 265.

Indianer II. 300.

Indikativ II. 465.

Individualität L 491. Indivi- duum III. fil9. Individual- Psychologie L 20^. Emp6n- dungsindividuen III. 620.

Individualsprachen L fi, 182. Beispiel individueller Sprach- en twickelung II. 173.

Induktion III. Inl ff. Deduk- tion und Induktion III. 457. Induktion und Licht III. 4.">9. Induktive Be^riffsbildung IIT. kil. Induktion und Ab- straktion III. 4fi9. Geschichte der Induktion III. 477. In- duktion und Schluss III. 482.

Innere Sprachform II. fiL In- nere Sprach form ist der Sprach- gebrauch II. IL

Instinkt und Wunder II. 322. Instinkte L 6L II. 370.

Integration III. 609.

Interesse L 357. 389. Interesse der Amöbe L 263. Interesse

der Sprache. III. 42

658

Register.

und Gedächtnis L Sfil. In» tereue und Artbegriff III. 13.

Interjektionen II. 441.

leoHerung, deutsche II. 304.

Iterativum III. 13,

J.

Ja und Nein III. 322. Jacobi, F. L m a2L fiÜ Jaeger. G. II. fiI2. Jahr m. 474, Jerusalem L 3M^ U\. SSI. Jhering II. 6M.. JodI L 26a .m 56£L Jolly L 12. >ASL Journalisten I^ 189. Judentum L 1.'>7. pjudicium* III. 317. Junggrammatiker II. SS. SiL lÖiL 257.

Kant L EL 238. Ä 21L ■'>8fi. ÖSL II. 8. ai. iS. fia. 22. Öfi.. 181. m 4il2 f. 711. 716 ff.

721. 780. III. L m 2aL am

380 f. 42&^ 588. (305. 61 (t. Kataclirese II. 529. Kausalbegriff L fi2L Kansalität und Zweck III. 252. Keilschrift II. SU. Kekul^ III. IQh. 5fiL Keller. G. III. SIL Kenntnis der eigenen Sprache L 18,

Kenntnis fremder Sprachen L 20,

Kepler III. 398 f.

Kemer, J. L 21fi.

„Kpuschlaram* II. ISL

Kindersprache L 601. II. 278. 808. 401. Spracherfindung der Kindpi- II. 4öi, Bitte des Kindes II, 462. Kindersprache und Geisteskrankheit II. 424. Kind und Hühnchen II. iQQ, Mutter und Kind II. Zeitbegriff der Kinder II.

Z u t a llslaute der Kinder II. il2. Kirchhoff III. 343.

Kjerulf II. f.

Klassifikation der Sprachen II. 288

bis 3ÄL Klassifikation L 31L 347. Gegenwärtige KJassi- fikatioD II. 2SS. Morpho- logi-sche Klassifikation II. 289.

Klassifikation nach der Schät- zung II. 313.

Klassen, gleiches Sprachgefühl bei verschiedenen LI. 3ö2.

Kleist, E. V. III. 5&

Kleist. H. V L 52^ II. m

Klingklaug-Theorie II. 448.

Kluge II. m 2üi fi2ä.

Knigge II. 160.

.Koch" II. fiAiL

Konfutse II. 2& f.

Konjunktionen III. 192.

Konkrete oder abstrakt« Bedeu- tung II. 238.

Kontamination II. 515.

Konvention II. 553.

Koordinatensystem, geistiges III.

m

Kopernikus L 292. iäL. Kömer II. fiL

Kraft L m II. 442. Kraft und

Stoff III. IfiL 5fi4. Krankheit II. ^ Kreifibilder der Logik III. BBL 42D. Kritik der Sprache L 102, 11. 315.

III. 535. fi3a. fi42x Kritik der

Sprache, einzige Wissenschaft

L tiSfL Krug L 648.

Krystallographie !IT. .5 08.

Kultursprachen III. 223.

Kunst, Nachahmung der II. 541.

Kunst immer Sinnenreiz L 93i Sprache als Kunst- mittel L 8L

L.

Lachen und Sprache III. 641.

Weinen und Lachen II. 455. La Mettrie L WL Landauer, G. L &8. Lange L 2aL m III. Ml f- Langeweile III. 125. Laplace L 229. 11.8l>. 181. III. 163. Larochefoucauld L 389. Lasswitz L 257. Latham II. 632.

Lauteleroente. Wandel der II. 214.- Lautsprache II. 556.

Register.

659

Lavoiftier L 2M. ifia. III. Lazarus IL I^L 4M. Leben L 282.

Lebensdauer der Sprachen 11. 647. Legende, die IL tiQ3. Lehnwörter II. 622. Leibniz L 263. 322. II. 325. 351 f.

4ai f. filL Lepsius II. 25. Lersch IL 197. Leskien IL 8L äiL Lesaing L 2L 102. 120 f . 320.

II. m III. f. lüL Lichtenberg III. IM Liebe L 31L Liebermann, M. L äi. Liebmunn L 242. 285. Lindau, P. L filL Linguistik und Historie II. 608. Linnt IL m HL 28fi^ 51fi f. Lippert L 583.

Littrd II. 167.

Locke L 1Ü5. LZ5. 22L SIL iä2. 5M. II. 8. 428 f. ^ m 717.

III. 288. 380.

Logik II. Logik und Syntax III. 2M. Moral und Logik III. 32Ö. Lof^iken IT. ßfL III. 3. Logik der iSprux^he IL fiS. Sprache und Logik II. filfl^ SprachwiBsenechaft und Logik II. iS.

Lokalisation L 22fi.

Lombroso L 532. 53L

LoUe L 213. IH. 3Ü3i m

Löwen des Mark Aurel L 145.

Lucretius II. läL HL 522.

Lüge L 2a.

Luther L 44. 122. II. H12. 182. Luther« BibplObersetzung II. 5ß2. Lyell L ai2. II. ßi9 flF.

Macanlav L 82.

Mach, E. L Söfi. III. L 84. 18Ö.

18:.. 83r). „machen* III. ti2. Macht, Worte eine L4L 142—146. Major und minor II. 683. Malerei L M. Männersprache L 54. Marlitt L 12(). Marmontel III. 58.

Marschall, Leutnant D. 18ät Marty IL im. 702. Materialismus L 228. IH. 558. Materialismus und Philosophie HL

5d2.

Maeterlinck L IKt f .

Maupertuis II. 358.

Mauthner, L. L 2S0.

Meiner, J. B. HL 2Ü1.

Mendelejew III. 517.

Mendelesoho, M. L 32L

Merkmal III. fi4.

Merscnne L 402.

Metagrammatik L '27 L

Metapher, die II. 465—549. Metnphorik II. 3Ü. ünbe- wusate Metapher II. 477. Me- tapher und Anpa^ung IL 14fi.

Metapher und Apperc!»ption II. 478. Metapher und Asso- ciation II. 544. Metapher und Situation HL 342. Meta- phorische Krweiterung II. 505.

Hyperbeln in der meta- phorischen Erweiterung IT. .'ir>7.

Metaphorische Neubildungen IL 274. Metapher und Poesie L m 122. Natürliche Me- taphern des Raums IL 469. Metaphorische Scballnachah- mung Tl. 470. .Verblassen" der Metapher II. 503. Meta- pher und Vergleich ung L 116.

VVarnungsschrei und Me- tapher II. 435. Metaphern werden und vergeben II. 511. ~ Metapher und Witz IL 5Ö4.

Geschichte der Philosophie, Selbstzersetzung des Metapho- rischen L 4S9.

Metersystem II. 636. Meyer, R. M. III. 543. Meynert L 23fi.

Mikroskop L 342. Mikroskopie der Sprache II. lia.

Mill L m 435. IH. mZ ilxL 47K

Millet III. 5a.

Million II. ßß4.

Milton L SSR. fit?.

Mineralogie III. .'")07.

Missverstehen durch Sprache L 47 bis 64. Sich selbst missver- stehen L 63.

MisteU IL 28. 230.

Mitleid II. 543.

«60

Register.

MiUcherlich III. MiL Mitteilungfiinöglicbkeit, Entdek-

kuDg der II. 416. Modale Konsequenz III. 389. Modi III. 72. Mohamed L 142. Mobs III. aüL Moleschott III. 5fi3. Holiere II. iL Mommsen II. ML &LL Monolog II. 4(>(i. Morphologie II. 288. Moses I. 1^

Müller, Friedr. II. 2S. gSS. ßMf. Müller, Max L LlIL H. Lßü. IM f.

221 f . 2S5 f . 4iLi f. HL 622.

III. 104. Mundarten II. Münk L 2S1L IfiiL Musik L 2h.

Mythologie II. 484. Etymologie und Mythologie II. 195.

Nachahmung II. 539. Naegeli L 2äiL Namen der Flüsse III. 9Ü. Nampnaberglaube L 14fi. Napüleoa L III. 622, Nuturalismus L lÖiL II- IM. Naturgesetze bildlich III. 572. Negation II. 1^ III. m Neovitalismus III. 528. Newton L 52_ 23L 232. 623. II. ISL :i*l7. IIJ. LüiL MLL ilL Ml^L

551 f. bbL

Nichtverstehen L 48 Nietzsche 1.27ii. :VJ'.> f. ÜLL III. ÜS, 12fl.

Noirö ll. ßI2. 711. 734. Nomen und Verbum II .SOI. Nominal- und Realdefinition III. 3ÜS.

Nominalismus III. 621. Nordau L 539. Notwenrligkeit III. ^^4 . Nuancier uug der Bogrifl'tJ L 20 Q. Nutzen der Sprache L 64.

0.

Oberländer II. 650. Occam L S2i f . III. 34ft.

Offiziöse Sprache II. 516. Oktavensyeteni III. 141. Onomatopöieder Betonung II. 531.

Onomatopöie und Etymologie

II. nM. Ordnung lU. m Organismas L 21. Ort- und Zeitsinn III. US, Orthographie, phonetische II. 581. Ort^jnamen 11. 221.

Osthotr n. m f. ui.

Ovulius iL 2L III. ^

F.

P&nini II. SL 1^ f. aiL ^

ParallelismuR L 229. 254—274. Parallelismus ein Wort L 231 . Parenthese III. 223. Pascal L öflS.

Passivum L 2m III. 32. Pas- sivum barbarisch III. 2M.

Paul, Hermann II. ff. 142. IM f. 269. 484. älÄ f . 5fiL ÜIL fi2S. 668. III. Ifi. 222,

Paul, Jean II. AI2 f. 734.

Paulspn L III. 214,

Pturiiudin II. fiü4.

Pflanzengedächtnis L 249. Pflan- zenseele L 242.

Philipp, S. III. ti2L

Philosophie, Möglichkeit der L MS bis ÖäL Der Philosoph L fi4S. - Philosophien L 651. Philo- sophie und Sprache L 647.

Phonetik II. 284.

Phonograph, der II. 573. ~ Phono- graphische, natürliche Schrift II. 521,

Phrenologie L 225, ZSL

ifustt L 13.

Physiologie oder PsycholopripL 22L II. äL Physiologitiche Deu- tung L 518.

Piaton L US, 22^ 223, II. 32 f. 129, m, 4fiö f. m III. IL 281 f. 42R, Ä22.

Plural III. SL

riutarchos II. 188,

Poesie oder Wortkunst L 92.

Poesie und Brgriffe L 105. Poesie und Liebe L 103. Logik und Poesie L 88, Poesie und Malerei L Ifi2,

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Register.

661

Politik II.

PoUe III.

Fösche II. iiaa.

Pott II. 21Ö. 298.

Prädikat, das Neue wird III. 21d.

Prädikat in Namen III. 216.

PranÜ II. 155.

Präposition III. 110,

Präsens III. 68.

Preyer L UÜ. 113» 602. II. m

iia f . dlS f . Projizieren L r^lfi. Protisten L 842. Protisten«eeIe

L

Psyche, Geschichte der L 5M.

Psychologie, Unujoglichkeit der L 219. Psychologische Hand- lung II. lüi.

Psychologische Terminologie L 21A

Pythogoras III. IBfi f. 145 f. 188 f. 314.

Quintilianus L 423. H- 132. 471 f. i2L

B.

Rad II. 648.

.radeln' II. 141.

Rangordnung III. 45.

Raak. K. C. II. 22.

Raum. Zeit und Kausalität III. Uä^

Raumdimensionen III. 38* Ray II. 2m

Realität der Sprache L 41—47. Reallogik III. ääfi. rebus L 149.

Rechnen eine Erfindung III. 153. Redekunst L 13ä.

Redeteilo III. 5 Reduktion, logische III. 428. R^e L 272. Reflextheorie II. 453. Regeln III. 70,

Regnaud L m II. 83, 218. III. 43.

Reid L 493. 423.

Reinke II. 723.

Reize, akustische L 345.

Reklame HI. 513.

Relativitilt L 312.

Religion und Sprache III. 628.

Religion und Wissenschaft L 15E. Alle Religion alte Wissenschaft L 161- Natur- wissenschaft und Religion L 622.

Renan II. 354 f.

Reuter, F. II. ULL

Revolution der Sprache III. 82.

Rhythmus II. 595.

Ribot L m Aiii 515. .542. 54f..

Richtung.Hiidverbien III. 108.

richtig? wer spricht II. 1()8.

nichtige Aussprache II. 132.

Die richtige Sprache eine Abstraktion II. 153.

Rickert L 253. HI. 304. Riehl III. 239. Römer II. 181. 199. Röntgen L III. 543. Rousseau, J. J. II. 4L 353. 423. G12.

Ruhebebedürfnis L 353. Runen II. 53iL

&

Sajnovcz II. 22. Sanders II. 168.

Sanskrit II. 35. -Was ist Sans- krit?* II. 15L Sassetti II. 5L

Satz III. 42. Sätze und Worte

II. 14L Schallnachahmung II. ML

scheinen L 268. Schelling L 052. Scherer L 133. II. 43. 82 f. 825. Schiller L 33. 123. 11. 158. Schlaf I. 5(>4. Schlegel, Fr. v. II. 52. 83. Schierel, W. v. II. 295 f. Öll. Scbluicber II. 87, 99. 113 f. 2^5.

332 f. 333. ßüiL 016.^ Schleiermacher L 323, III. 332.

452.

Schlussfolgerung III. 379 S.

Unmittelbare Schlüsse III. 879. 388. Wertlosigkeit des Scblies- sens III. 393. Psychologie des Schliessens III. 899 Gesetze des Schliessens III. 483. - Mög- liche Schlussweisen III. 432. Schlnss und Sprachgebrauch III. 440. Scbluösketten III. 456. Schmerz L 312. Erinnerung an

662

Register.

Schmerz L 320. Schmerz und

Sprache L 314. Scbraerzen-

sinn L 315. Schmidt, Erich L 328. Schmidt, Juhannes II. IM ff- tiM.

fiia. fi22. .schon" und ,er8t* III. 122. SchopenhuuLT L 83.- Sfi. 12i 22L

381. :MH). 485. SäL iiSfi. 589.

II. L 4fii f. öäL Ml. fiia. ßiL

692 f. 711 f. 72U. 734. III. m 248. 2M. m aSÄ f . m i22 f.

630.

Schräder II. ßSL 643 f.

Schrift und Schriftsprache II. 54Ü

bis fiü3. - Schriftsprache L 15}^.

II. HL III. m - I'äycbologit!

der schriftlichen Sprache II. 585.

EinfnhrunfTdcTSchrift II. 12^

h^munziualion der Schrift

II. SfiSi -Zur Geschichte der Schria II. oäL Schrift und Lautverschiebung II. .'><>1. Schriflliche Sprache II. .')79.

III. 2ML Das Genie in schrift- loser Zeit 11 Ü2L Schrift er- setzt Qreisenweisheit II. 594. Schrift und schlochte Littenitur II. ÜÜ2. Techuik der Schrift II. 596. Der vorschriftliche Gelehrte II. SIL ~ VorHchrift- liehe Zeit II. 522. Ein Vor- zug der Schriftsprache II. 328.

Wert des Schrifttums II. fifiü. Schröder, E. III. HL ISS. 135.

453.

Schuhpit, IL III. 152.

Schuclmrdt II. 92.

Schnitze. E. L 24fi. 242.

Schuppe III. 34S. aSL 452.

SchwatzvergnUgen L 140.

Schweigen, das L 71. III

Schweninger, E. III. 485.

Schwere III. 470.

.Schwester* II. 27(;.

Seele und Leib L 219—254. Geschichte des Seelenbegriffs L 224. Versteckte Seelen- vermtiRen L 28'). Seele und Bewusaisein L h60. Seelen- blindheit L 22SL Sitz der Seele L 241. Seele nur ein Wort L 23fi. Seele und Sinne 1. 290—320. Seele und Sprache L 2SiL Seelensituation III.

2.^4. Unvereinbarkeit der Seelensituationen III. 241. „sehr" L 12L

„sein* II. 50R. sein heissen III. Iß.

Selbstbewusstsein L 572. 5fi5. Selh«tetymologie II. Iflg. Selbstmord der Sprache L 214. Sextus Emp. IL 124. IM. 730. Shakespeare L 115 f. II. 511 f.

III. 4JÄ Sichtbarkeit der Dinge II. 674. Sievers II. aS3.

Sigwart L 25li. III. 4. TS. 22fi,

299. 315. 32fi.. SIL ,Sinnp, mehr als fünf L :V24.

Beschränkung der Sinne L 3o6.

Entwickelung der Sinne L Hfiß.

Das Sieb der Sinne L 310.

Sinnestäuschungen L 306. Situation III. LLL Worte und

Situation II. 2fifi. ~ Situation und Sprache III. 225 ff. Situation und Kindersprache III. 226. Situation und Apper- zeption III. 229. Gemeinsame Situation III. 23fi. Situation bei Sprecher und Hörer III. 243.

Skepsüi II. 640. Skepsis und Mystik III. g2L

Sokrates L S5 f . CiL II. 13Ö. ISL 490. III. 2iiH. 477.

.Solipsismus L 1)12.

Sollen im Urteil III. m

Sonne und Himmel II. 644. Sonne und Mond II. 644.

Sophokles L U. Bh. m

Spencer, H. L 32. 222. 2aL 42Ü. 632. II. 73, 655. Ul. 13L lA^ 169. 608. 033.

Spinoza L 259. 3^ 43fi. 483» II. 354 f. 488 f. 53L Hl. S&L Sfia. 524. (112. 628 .

Sprache eine Spielregel L 24^

Sprache und Industrie III. 541.

Sprache und Sozialismus L23— 41.

Auch Erkenntnis sozial L 22. Sprache ? was ist L 3. Sprach- gefühl II. Ü5. aüL Si.rach- gefUhl und Sprachgebrauch U. 536. Sprachgebrauch L 2^)1.

Sprachgebrauch und Sj>ruch- gebrauch 11. 2G2. Sprach ptj- schichte II. L Sprachgeset^e 11. 83. Sprachindustrie II. MiL

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Register.

663

Spracbkategorien II. 24. 1 Sprachenmischunff II. <320.

Sprucbrichtigkeit II. 118 bia 176. SchiJne Sprache L 12iL

Sprachvermögen L II. 2.

Sprachvt-'nvundtHchaft II. lUL

Was ist SprachwisBenschaft? IT. 1 S2. Grenzen der Sprach- wiMCMSchaft II. 784. Spracb- wissenachaft die einzige Geietc«- wiasenschaft II. 12, Sprach- zentrum L 400. Sprachzweck int Suggestion Fl. 461. Spre- chenlemen II. 402.

,8ta' II. 2m. Staat, der L OL

Stammbaume der Völker II. ßÖL

Steiuthal L LUL 4^ ML II. 5i f. LI f . lÜL I2i saß f . f . m 4.'>4. m III. 2. 24. m 33fi. ML

Stenographie III. löfL

Sterne, C. II. 033.

Stewart, D. L

.stilvoll« II. 2Öfi.

StimmunpT L lUL

Stirner L ÜÜL III. 8M.

stoflf III. m

Stehr, A. III. L 2Mx

StrauBä. D. F. L 153= 528.

Stricker L 222. 4fi2. 528. II. 285.

Stumpf. C. L 25L 704.

Subjekt und Objekt L 221. Sub- jekt überflüssig III. 2Ü5.. Psy- chologisches Subjekt III. 2.'>ß.

Subjeküvität L ÜÜiL 374—402. Subjektivität der Kategorien III. ILL

Substantiv II. 225. III. 83 ff. Substantiv und Adjektiv III. 2.

Subs^tantiv und Verbum III. 2. Syllogismen III. 891. Die syl-

logisti sehen Figuren III. 410.

Synonyme L ^9,

Syntax III. 18^ ff. Syntax des

Redners III. IStL System der Wissenschaften II. 4. Systeme L 644.

T.

Taine L 220. 5SSL H. 42L Talent L 5ÖL Taubstumme L 176.

Tautologie III. SÜL 324. Technische und Gemeinsprache

III. bM. Teleologie L fiS. III. 585. 521* Telephongedächtnis L 453. Temperatursinn L 369. Tempora II. 510^ Tepi II. 128.

Termini technici III. SM ff. TertulUan L 225.

Thaies L ß53.

Theologische Ansicht II. 466. Thomas v. Aquino L 226. Tiere, Associationen der II. 54t).

Begriffe der Tiere II. äfiÜ.

Begriffe bei Tieren und Men- schen II. 677. Lernen der Tiere II. 445. Logik der Tiere II. 368. Tierund Mensch II. SM. Sprache zwischen Tieren und Meuachcn II. 442.

Tier- und Menschenspracbe IL 351—388. Naturgesetze bei den Tieren II. fi(i7. Tiere und Pflanzen L 244. Sprache der Tiere L 5i7L Tierverstand IL 711. Tiere und Werkzeuge II. 3ß2i Worte über Tiere II. 691.

Todessehnsacht L 654. Tochtersprachen II. 622. Tönung des Wissens L 381. Tonwuudel II. 283. Tote Begriffe II. 350, Tote Spra- chen IL 34L Toter Sprachstoff

II. 344. Tote Symbole L 112.

III. 52. Tote Worte II. 340. Trägheit und Gedächtnis TT. 731. Transitiv und intransitiv III. 12 f.

80. Transitivum und Willens- freiheit III. TL

Traum L 45Ü. 522. Die Welt ein Traum L 619.

Trendelenburg IL 425. III. §92. 438. 452.

Tretmühle L 83.

Tropen TT. 475.

Tugenden L 45.

Tyndall L 2Ö5. 31iL MS. 3iiS.

Ueberweg III. 224. 39ß. 4.^0. Uhde L 24. IL 5iL

664

Register.

Uhrpnglfiichnis, das L 262.

Umlang und Inhalt III. SM.

Unbeetimmtheit des grammati- gehen Sinnes III, 1 55. ün- bestimiutheit der Zeitformen

III,

Unbewussten, Philosophie des L 577. Unbewufißte Vorstel- lungen L 5ß2.

,und', .aber*, .oder* III. liLL

Unpersönliche SäUe lU. Mü.

Unwahrheit L fi^Ü.

Urheimat, die, dfr Arier II. 6^2.

ürphänomen L ii\A±

Urrasiermesser, das II. 613.

Ursacbbegriifs, AprioritAt des II. 719.

Ursprache II. 3ä2» 43fi.

Urteil III. all tr. Lebendiges Urteilen III. aii. Urteil und Satz III. aiiL Einteilung der Urteile sprachlich III. 32L Urteile psychologisch III. H23.

Synthetische Urteile III. 320.

Analy tische Urteile III. 323.

Erzähknde Urteile III. Ä Urleil und a priori III. 341. Partikulare Urteile III. 343, Konstanz der Urteile III. .347.

Urvolk, Legende vom IL fifi7. Urzeit II. 1 25. Schlüsse auf die .Urzeif II. G41.

T.

Varro IT. 39. 128 f. 194. Vauvenargues L 370. Verbalinjurie L 143. Verbum L m IL 225. III. 55 f.

Verbum immer unwirklich TU. ti3. Verbum oder Nomen II. 689.

Vererben, Erwerben und IL 724. Vergessen, das L ^^'3 Vergilius L

Vergleichung L lliL IL UA. Phantastische Vergleichungen II. 317. Psychologie der Ver- gleichung IL 486.

Veruer IL 93

Vernunft, Gedächtnis und II. 708.

Vernunft in der Sprache II. t)95. Veratand L 124. Ver- stand und Vernunft L IHfL IL

692. Verstand, Sprache, Ver- nunft L 583—595. .Ge- schichte' und .Vernunft" IL 733. Geschichte der Vernunft oder Sprache IL 688. Ver- nunft etwas Gewordenes II. 686. Ursprnnpr und Geschichte von Vernunft IL G7 1—73.3. Ur- sprung von Vemuntl IL 728. Verstilndnis der ersten Worte II. 418.

.verwandt' IL 114. Chemische Verwandtschaft III. 5Ü3* Ver- wandtschaft IL bL aoa.

Verworn L 342 L 352 f. Vico TL 422. 4M. 495 f. 672. Vielheit III. .vielleicht* IIL 24ß. Vikariierende Nerven L 289. Virchow L 12Ö, IL ß65 f . IIL 22S.

512. üia.

.Vilrier* IL 3fifi. Vogel, H. W. II. 701. Vogt L 256.

Vokativ und Imperativ III. 52. Vülkelt IIL 3Ö4. Völker, Sprachen und IL 605. Völkerpsychologie L 2üfi VülkerwanUeruDgen II. 615 f. 626. Volksetymologie II. ISL 22L

Macht der Volksetymologie IL

226.

Voltaire L 153 f. IL 12. Vorsilben ITT. IIL Vorsilbe .er* und ,ver* III. 112 f.

W.

Wachstum der Sprache durch

Uebertragen IL 467. Wagner. R. L 20. IL 2iL Wahle, R. L (m Wahnsinn L 5'2fi. Gedächtnis

und Wahnsinn L 529. Genie

und Wahnsinn L Wahrheit L 68«. III. Hlft. 860. Wahrnehmen ohne Schliessen III.

405.

Wahrscheinlichkeit III. 4M. Walter v, d. Vogelweide L I. Wanderburschen, Zwölf II. 817. Wann starb das Latein? IL Warme L 297. Wärmesinu L 330.

d by Google

Register.

665

Wauwau-Theorie IT. 450. Wechselwirkung L 2ü2. Wechßsler, E. II. 22h. Wegener II. 460 f. IM. üä.

225. 220 fi - 2Ii2. ,weU« III. m

Weinen II. 4^ Staunen, Wei- nen, Lachen Jl. 45.'>.

Weiee, Chr. III. m Wellensdnvingungen, Theorie der

L m

Weltanschauung III. Welt- anschauung und Sprache L48ä.

Weltanschauung und Sprach- gebrauch III.

Weltkatalog II. 62.

.werden" U. 509.

Wemicke L 2Ü2 f.

Wert der Sprache L 64—86.

Wesen III. 293.

Wesen der Sprache L 3—28.

Westphal L 5LL

Whewell III. m m

Whitney L 12. SiL IM. H. 247 f.

23S f . 1150. 445 f. f. m

606, ßm Wideinpruch II. HT. m

Satz dea Widerspruchs III. 368. WiUensfreiheit II. 5^ , Wippchen* II, 513. Wippcben-

lose Sprache 11. 5{W. Sprache

nie ohne Wippchen II. Wirkliehe, das. zufällig ITl. äSL

Erkenntnis und Wirklichkeit L 616—642. Denken und Wirklichkeit L m Wirk- lichkeit und Worte III. 225. Wirklichkeit und Sprache III. 615. Hypothese einer Wirk- lichkeitswelt L 620. Wirk- lichkeitewelt L ßSL Sprache und Wirklichkeit IT. 22.

Wiasen gesehen haben L 262.

Wissen ohne Sprache L 203.

Bereicherung des Wissens III. 3ÜL - Wissen und Worte III. 5&I ff.

Witz L m n. 265. m Wölfl; Chr. L m

wolff, j. II. m

Worte L iSL Wort and Wort- klang III. 2m Wortaber- glaube L 146—164. Wort- bildungslehre L 425. II. 31 Wörterbücher II. 22Ö. Ge-

schichte der Worte L 13.

Kategorie des Wortes II.

Wortfolge III. IM. Wortkunst L 86—142. III. 6L

Arten der Wortkunst L 97. Wortreal ismus III. 617. Wortstilmme II. 243. Wort«treit, ein L öi. 128^ Wulfila II. m

Wandt, W. L 2ÜL m 238. aiL

m 520. m II. im 235 f.

473. 5M. III. 181. 452. 455.

Wurzeln II. SS. 2.S0— 257. Was ist eine Wurzel? II. 230. Einfachheit der Wurzeln Tl. 252. Wurzeln und Grammatik II. 255. Relative Wurzeln II. ^3. Semitische Wurzeln II. 2afi. 253. Stämme und Wurxeln II. 245. Wurzeln vorhistorisch Tl. 250.

Wuttke II. m 593 f.

X.

X-Strahlen L läiL Xenophanes II. 484 f.

Z.

Zabarella III. 455.

Zahl, Verbum and Nomen HI. 154.

Zahl Worte III. 132 ff. Zahl- worte als Adjektive III. 185. ' zahlen eine Erfindung III. 132.

Zahlen unwirklich III. 146. Zahlenverhältnisse unwirklich III. IßÖ. Zahlenverh&ltnisse metaphorisch III. 150. Zahl und Natur III. 1I& Zeit der Zahlengeschichte II. 063. Zahl und Zählen III. m. Zälilen L 189.

Zamcke II. 83.

Zeichnung, Sprache und L 46.

Zeiten III. 36. Zeit in der Grammatik III. 62. Zeit und Redeteile III. 7A. Zeit und Gedächtnis III. 130. Zeitfol^ im Syllogismus III. 418. Zeit- licher Horizont II. 205. Zeit- loses PrSsens III. 44< Das Zeitmoment L 4.*^2. Zeitdauer der Sprachgeschichte II. 662.

666

Register.

Zerstreutheit L 508. Ziehen L 208.

Ziffern keine Begriffe L 532. Zola II. 2M. Zoologie III. 524. Zufall II. m III. 5m ZufaU und Anfmerksamkeit III. .'>S1.

Zufallsgeschichte II. 685. Drei Potenzen des Zutalla L 366.

Zufall in der Sprache II. ITfi bis m.

Zufallflsinne LM.. Iß. 225. ä2Q bis

Zufall und Welterkenntnis 11.410.

Zweckbegriff III. 526. Zweck im Verbum III. .59.

Zahl, 2 die erste III. ISL Zwei- mal «wei = i III. 145. 2 und du III.

Zweifel, Frage und II. 1.^5. Zwischen den Menschen L 28. II. m 725.

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