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5 Dias

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Andere Zeiten

andere Menſchen.

Roman in vier Bänden.

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Moris Zolni.

Erfter Band,

del, Druderei des „Athenäum'“. 1869.

Berlin. Berlag von Otto Janke.

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A SANLON, L.

$ UNIVERSITY“ a - E25N0V. 1933 OF OXFORD & EN &

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ritſchtratſch

Es gibt eine berühmte Stadt in unſerem Baterlande, über deren Schickſal einft, trokdem dag fie heute Hein und arm, die meiften Tele: . gramme in die Welt flogen, deren Ruhm aber niht zugleid ihr Glück geweſen.

Zur Zeit, wo unſer Geſchichtchen beginnt, hatte fie nod) mehr Antheil am Glück als am Ruhm; diefe Stadt ift Komorn.

Der Fremde, welcher zufällig an einem Sonntage zur Stadt Fam, könnte fi) über den Neihthum der Bewohner gute Begriffe Ihaffen, wenn er die aus den Kirchen ftrömende, ſonntaͤglich gepußte Menge betrachtete. Die Männer trugen ſämmtlich filberne Knöpfe an ihren Klei— dern, das ſchwache Geihleht goldene Ohrgehänge und jeidene Roben. Mander blaue Dolmany prangte mit einer breiten filbernen Kette, welche von einer Achſel zur anderen reihte, und durch große römishe Schnallen, verihiedene Thierlöpfe vorftellend, gehalten wurde. Die dunfelblauen

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Dolmanys hatten Ichnedenartig gedrehte, die lidht- blauen flache, die ſchwarzen endlich durchbrochene Knöpfe von Ihönfter Filigranarbeit. In den dun- felblauen Dolmanys ftaden die Schiffer, in den lihtblauen die Müller, in den ſchwarzen endlich) die Honoratioren. Von Leßteren trugen die Ma- gijtratsperionen und Tablabir6s bei feierlihen Anläffen Säbel und klingende Sporen an dein glänzenden Korbovanitiefeln, und all’ dies : Knöpfe, Ketten, Sporen und die Säbeliheiden it wirkliches echtes Silber, und nicht gelogenes, nahgeahmtes, fein Chinafilber. Das Geld, welches auf dem Markte zirkulirt, ift lauter Silber, blanke Zwanzi— ger, harte Thaler, und außer dem Markte in jenen ſchlichten, ebenerdigen Häuſern, beſitzt ein jeder vom Herren bis zum Knechte und zur Magd herab, Silber.

Es iſt ein wirklich ſilbernes Zeitalter; keine prunkende, prahlende goldene Aera, ſondern eine echte, ſolide, ernſte ſilberne Zeit, von welcher wir nur mehr in Ovbid's Erzählungen leſen.

In einer zum. Hauptplake führenden Gaſſe dieſes Silbern - Städthens Tonnte man an einem derartigen Feiertage zweier Kaleſchen gewahr werden, wie diejelben von der Kirche kommend, unter der Wölbung zweier fid) gegenüber befind— liher Thore verſchwanden. Am Bode der einen hatten Kutiher und Bedienter hohe Eylinder und blaue Livree mit jilbernen Borten; am Bode der

anderen ſaß ein Kutſcher mit rundem Hut und ein rothbeſchnürter Hußär als Diener.

Nachdem die Flügel beider Thore geſchloſ— ſen worden, konnte man auch an denſelben Stu— dien anſtellen. Das eine war gelb angeſtrichen, und dehnte ſich auf dem gelben Grunde ein rie— ſiger Doppeladler bis zu den beiden Angeln; der Adler hielt in ſeinen beiden Schnäbeln ein ſich ſchlängelndes weißes Band; auf dieſem weißen Band ſtand mit großen blauen Buchſtaben ge— ſchrieben: „SALVA QVARDIA“. Das gegen— überliegende Thor hatte dunkelgrünen Anſtrich, in der Mitte der Thorflähe prangte das nationale Wappen mit dem Ihiefen Kreuze, ober der Krone und über dem Ganzen jtanden in weißrothen La— pidarlettern die Worte: „NEMES TELEK*“ (zu deutſch: Mdeliger Grund).

Dieſe Fresten waren aber nit blos als Zierde an den Thoren angebradt, oder daß Die Befiger dieſer Häufer an nebeligen Tagen nad Haufe finden mögen, fie hatten einſt eine tiefere, ſtaatsrechtliche Bedeutung.

Dieſer Ausdrud: „Nemes telek“ (adeliger Grund) oder wie man fid) zu Zeiten Leopold des II. deflen bediente „Salva guardia“ bedeutet, daß die Schwelle dieſes Thores durch die jtädtiiche Behörde nicht überfchritten werden darf, weder um Militär einzuquartieren, oder eine Hausfteuer zu: erheben, nod aber um ein gerichtliches Urtheil zu

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vollziehen; es iſt dieß eine adelige Curie unabhängig von der Stadtbehörde, und. frei bon Steuer und Einquartierung ; fie unterfteht un= mittelbar der Botmaͤßigkeit des Komitates, ift auf Komitats- und nicht auf ſtädt. Grunde erbaut, folglich darf auf dieſem Grunde fein Jude wohnen, eine Schenke öffnen und Fleiſch ausfchrotten ; wep- halb auch der Miethzins eines ſolchen Haufes, deffen Thor unter dem Schuke eines jo mächtigen Wappens fteht, ein doppelt höherer ift, al3 jener _ der Nahbarhäufer. |

Die erwähnten zwei Häufer waren aber weder AQudenquartiere, noch Wirthshaus oder Fleiſchbank; fie wurden von ihren eigenen Be: fißern bewohnt, was auf den Reichthum der Leg- teren ſchließen läßt, da ſelbſt die Luft eines ſol— hen Haufes theurer zu ftehen kümmt.

Das Haus mit dem doppelküpfigen Adler am Thore wird von der Witwe und der Familie eines reihen Produftenhändlers von Holdväry bewohnt, während in jenem mit dem National- wappen Herr von Hargitay ſammt feiner ehr- baren Familie hauft.

Aber diefe Thore hatten felbft dann, wenn fie geöffnet wurden, ihre verihiedenen Eigenthüm— lichleiten. Durch das gelbe Thor gingen Offiziere aus und ein, die zu jenen Zeiten außer dem Dienfte feine Uniformen trugen, fondern in mo- dernen Frads und mit hoben Eylindern, im Re—

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genwetter aber in ſchwarzen Karbonarimänteln einhergingen, und konnte man fie blos an ihren glattrafirten Gefihtern mit den vorihriftsmäßigen - balbmondförmigen Badenbärten vom Zivile un: teriheiden.

Am grünen Thore zeigten fi) dagegen jene- ftolzen jugendlichen Geftalten, die man zu jener Zeit „Patvariften” und „Komitatsherren“ zu nennen pflegte, mit flaumendem Schnurbart über den Lippen, und ftolzem, ſelbſtbewußtem Ausdruck im Gefihte. Wenn aber Einer oder der Andere erihien, um mit dem ehernen Klopfer, welcher von den Zähnen eines Löwenkopfes gehalten wurde, an jener Stelle des Wappens, wo über dem drei- faden grünen Hügel am Fuße des Kreuzes die Krone angebraht war, dreimal anzuſchlagen, fo mußte es ein jehr unerfahrenes Auge fein, wel- ches nicht alljogleih erkannte, daß der Klopfende weder ein Geiftliher, noh ein Soldat, jondern ein Schauſpieler ſei.

Beide Familien führten einen gewiſſen hö— heren Ton in verſchiedenen Theilen der Stadt. Beide beſaßen eine ledige Tochter, welche auf den betreffenden Bällen und Kränzchen bewußt oder unbewußt die Rolle einer Ballkönigin fpielte.

Auf diefe Art vertraten die beiden Thore zwei bollftändig organifirtte Parteien, die ihre Kortesführer und rohen Maflen, ihre Fahnen und Zirailleurs, ihre Kämpfe, Siege und Niederlagen,

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und troß der damals beſchränkten belletriſtiſchen Literatur jelbit ihre Moniteurs hatten; beide ver— fügten über einen zum Rang eines Provinz-Korre— Ipondenten erhobenen Literaten, welder im „Peſti Divatlap’’ oder „Honderü“ die privats und öffentlihen Unterhaltungen, Dilettantenvorftellun- gen, die Reize und Toiletten der Mitwirkenden mit großer Ausführlichkeit beſchreiben mußte, und weder mit der Hochpreifung feiner Partei, noch mit den Seitenhieben auf die Gegner geizen durfte.

Auf Grund der in den Modejournalen ent: haltenen Daten fonnte man die Ueberzeugung ihöpfen, daß die Partei des gelben Thores bei glänzenden Bällen, gemüthlihen Piqueniques und den unvergehlihen Hausunterhaltungen fiegreich aus dem Kampfe gegangen, während die Partei des grünen Thores ſtets dort den Sieg davon— trug, wo es jih um Unterſtützung wandernder Schauſpieler, Dilettantenvorftellungen, wohlthätige Verloſungen und andere patriotifche Unterhaltun- gen handelte.

Dieſe Errungenidaften trachtete zwar eine jede der Parteien nad Kräften mit Gegenargus menten zu ſchwächen; aber vor dem ernſten und unbefangenen Beihauer bleibt es doch eine un: verleugbare Thatjache, Daß, als der Herzog bon *** ein Verwandter des Königs von Portugal, durd) die Stadt an dem zu feinen Ehren veran= ftalteten glänzenden Ball mit Fräulein Seraphine

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Holdvary den Tauz eröffnete, und ihr zum An— gedenken einen Schönen Opalring verehrte, in deſſen Mitte ein natürliches Kreuz geformt war, wäh: rend es andererſeits eine hiſtoriſch Feftgeftellte Thatiache bleibt, daß im Jahre des Schußvereins (vedegylet) e3 der Frau von Hargitay gelang, die Schönen der Stadt ohne Ausnahme dahin zu terrorijiren, daß ſie am Schußgvereinsballe ſämmt— ih in vaterländiihe Stoffe gekleidet erſchienen. In legterer Zeit mußte ſich aber das grüne Thor plöglih mit bedeutendem Berlufte zurüdziehen, weiches um jo nicderihlagender auf die Getreuen wirken mußte, als es ganz unerwartet kam. Die Kataftrophe rührte daher, daß Frau von Hargitay, troß ihrer auf Alles ſich erſtreckenden Aufmerk— ſamkeit, an einem jchönen Tage die Entdedung machte, daß die in der Stadt fih befindlichen Bettler der Regel nah zwar alle, aber in jehr unregelmäßig von einander abweichenden Baria- tionen zerlumpt jeien. Nachdem man es aber mit menschlichen Verſtande nicht verhindern kann, daß e3 Bettler auf der Welt gebe (denn wenn die beitehenden durch irgend eine Macht plötzlich in einen andern Stand verjegt würden, träten morgen ſchon andere in die erledigten Stellen ein), jo fünnen die Beftrebungen der menjchenfreundti- hen Theilnahme nur darin konzentrirt werden, daß man in das Elend eine gewiſſe Organifation einführt. Demnach dachte Frau von Hargitay

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fo: dab, wenn man jämmtlihe Bettler uni— formiren würde, jo wäre dies ſowohl für den Bettler etwas Schidliheres, als auch bequemer für das Publitum, weil es auf diefe Art Die wahren Bettler von den Stümpern unterjcheiden könnte.

Die Idee war ganz dazu angethan, um zu deren Ausführung eine Dilettantenvorſtellung zu arrangiren, deren Reinertrag dem frommen Zwecke zugeführt werden ſolle.

Die bei derartigen Unternehmungen auf⸗ tauchenden Schwierigleiten wurden glücklich nieder— gefämpft. Es gelang auch ein Drama zu ent— deden, worin jedem Mitwirkenden eine gewünjchte Rolle zufiel; die Rollen wurden vertheilt, gelernt, die bezüglihen Proben abgehalten und jelbft der Tag der Vorſtellung ſchon feitgeftellt, als gerade am Tage vor der Aufführung, die Hauptanregerin und Ordnerin jelbft, die Befehlshaberin des grünen Thors, feierlihft erklärte, daß ihre Tochter Judith nicht auftreten werde. Und damit fie allen Ueberredungen, Einwendungen und Auf: klaͤrungen entgehe, begab fie fih noch am jelben Tage fammt ihrer Familie aufs Land, mit dem Entſchluſſe nicht eher zurüdzufehren, als bis der hieraus entftandene Sturm ſich gelegt hätte; Die Bettler aber mögen ihretwegen auch ferner zer- lumpt berumlaufen. |

Diefer Entihlug ſchien räthſelhaft genug ;

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da gibt es kein Geheimniß ſo tief vergraben, daß es von den Nachbarn nicht aufgeſcharrt werden ſollte.

Ein arabiſches Sprichwort ſagt: „Wenn Du Dich ſelbſt kennen willſt, entzwei Dich mit Dei— nen Nachbarn und ſie werden Dir ſagen, wer Du ſeiſt!“

Wenn wir daher unumgänglich erfahren müfſen, was bei den Hargitay's vorging, traten wir ins Nachbarhaus, dort wird man uns Alles erzählen.

Im Haufe mit dem gelben Thore feiert man ge— rade ein heiteres Feſt der Melonenleje ; die Geſell— ſchaft iſt erquifit ; fo vieldürfen wir, ohne den Anftand zu verlegen, willen. Nachdem es ji aber nicht geziemt, uns an das Fenftergitter zu klammern, um zu laufhen, was es im Haufe zu hören und zu ſehen gäbe; ziehen wir mittlerweile unjere ftrohgelben Handihuhe an und erwarten wir jenen Bekannten, der gerade um die Gaffenede biegt, der wird uns einführen, wie es einem honetten Beſuche geziemt.

Wir konnen zwar mit dieſem Freunde ein wenig blamirt werden, da er ein ſehr zer— ſtreuter Menſch iſt, und es ihm erſt im Vorzim— mer einfallen wird, daß er ſeine Handſchuhe zu Hauſe vergeſſen, worauf er davon rennt und uns im Vorzimmer zwiihen dem Gefinde jtehen läßt, welches mit den Mantilles feiner Herrſchaften

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am Arme herumgafft, und ein homeriſches Ge— lächter uber das Kommen und Verſ ſchwinden des Gaſtes anſchlägt.

Was kann dieſem Wunderlinge wider— fahren ſein, daß er jo davonläuft? kichert Jaͤnos der Frau Perflex von Blum zu. Damit ſich nicht etwa Jemand denke, daß das Wort ‚Perflex“ irgend ein ſzitiſcher Taufname ſei, oder eine Be— ziehung zur Perplexität habe, müſſen wir an dieſer Stelle erklären, daß das Wort eine Ab— kürzung von „Verpflegs-Kommiſſär“ iſt, und der Frau Blum, als der Gattin eines ſolchen, als Bezeichnung ihres Ranges gebührt.

Gewiß hatte er jetzt erſt bemerkt, daß er nicht hieher, ſondern in die Nachbarſchaft gehen wollte, erwiderte Joͤſska der Baraczky'ſche Lakai, ſeine fünf Finger in die großen geſtrickten Handſchuhe ſtreckend, als wären ſie ihm zu enge.

Dorthin wird er gewiß nicht mehr kommen: man hat ihm ja das Haus verboten.

Na freilich! Ich weiß es vom Stuben— mädchen, daß er mit dem Fräulein verlobt iſt.

Dagegen weiß ich es aber vom Hußären, daß er Befehl Hat, Herrn Laͤvay, wenn er fäme, zu Sagen, es fei Niemand zu Haufe.

Die Debatte wird unterbroden durch das Eintreten Wenzi's, de3 Hausdieners, welder aus den inneren Gemächern kommt, woher großes Ge-

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lächter ſchallt. Selbſt der’ breite Mund Wenzi's ift zu einem fröhlichen Laden verzogen, jo daß beide Zähnereihen aus demfelben lugen, gerade wie jene der zu todt gefigelten Gattin Blaubart's im Wadhsfigurenfabinet. Er hält eine große mit Melonenihalen beladene Taſſe weit von jid) weg, um feine vothe Livree nit zu beihmugen.

Ueber was fihert man da drinn? frug der Diener die Frau Perflex.

Wenzi hörte auf zu lächeln und nahm eine ernfte Miene an; dies aber mit fo raſchem Uebergang, daß es einem Wunder nehmen mußte, wie diefe breitgezogene Fratze fih jo plüßlid) ver— längern fonnte. Wenzi hat nämlich die unſchätz— bare Tugend, daß er jelbjt niht aus Scherz je die Wahrheit jagt, was eine goldwerthe Eigen- Ihaft iſt bei emem inneren Diener, dem man frägt: was drinnen geihähe ?

Jetzt frägt man zwar nur: über was ge- laht wird? Aber man fünnte ein anderes Mal fragen: was drinnen geflüftert, weshalb gejeufzt, geweint, oder gezankt wird? Und warum Jollte er aud) dieſen Bauern die Wahrheit jagen? Er hatte jchnell feine Lüge bei der Hand.

Wie ſollten fie auch nicht lachen, wenn der Dffizier mit den blauen Aufihlägen, als id die Wafjermelone jervirte, Frug: Nicht wahr, daß tt ein Kürbiß mit Zibeben !

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Wenzi dachte: das iſt gut genug für euch! Es war auch gut, denn alle lachten, Wenzi mit ihnen.

Und über was habt ihr da draußen gelaͤchelt? Man hörte es bis hinein.

Ueber Herrn Lavbay, welcher eintrat, hinausging, und davon lief mit dem Rufe, daß er wiederlehren werde.

Hoho! dachte Wenzi, fein Geficht abermals in die Länge ziehend; das muß ich drinn beachten, man lacht ja oben über ihn.

Damit begab er fi) hinein, und kam nad wenigen Minuten zurüd.

Nun können wir, weiter lachen, ſagte er, aber die Herrihaft läßt Euch jagen, daß es nicht laut geihehen dürfe. Alſo los darauf! ..

MWenzi gibt nun eine Probe davon, wie man aufladen, in Ertafe verfallen, fih mit of- fenen Kinnladen vor lauter Lachen auf den Rüden werfen kann ohne einen einzigen Ton bon id zu geben; morüber das übrige Gefinde beinahe zerplagt, da es noch nit gewohnt ift, ftumm zu laden.

Während dieſer Szene wurde es bei den Herrſchaften ruhig, fein Ton drang aus dem Saale, wo man fid) eben mit dem Verzehren praͤchtiger Kantaloups befaßte. |

Laͤvay kehrte nad einigen Minuten behand- ſchuhet zurüd; er fand aber nit die leifefte

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Spur deffen, da man über fein Mißgeſchick ge: lat. Im Vorzimmer beeilen fid) die Diener feinen Stod zu übernehmen, und bewundern an deſſen Knopf die wunderlihen Schnigereien. Wenzi öffnet mit vertraulihem Lächeln die Flügel der Saalthüre.

Im Saale iſt Alles überrajht über fein Er- ſcheinen; Fräulein Seraphine ſchwebt ihm ent= gegen und reicht ihm beide Hände, dieſe feinen, jeidenweihen Händchen, mit den rofafarbenen Nägeln, fie neigt fih jo nahe an ihn, daß ihre wunderblonden Locken beinahe jein Gefiht be- rühren, und bewilllommt ihn mit ihrem bezau= berndjten Lächeln. |

Willkommen. Ih babe bereits an Ihrem Erſcheinen gezweifelt.

Ich habe eben das zu Haus vergeſſen, weshalb ich kommen ſollte, ſprach der junge Mann, dem Fräulein ein ſchoön gebundenes Bud überreihend.

%, mas Sie mir veriproden: Puß— . tafy’s Gedichte. Ich danke Shnen vom Herzen.

* Herr Labay kommt halt immer jo fpät, rief. eine bornehm affeftirende Stimme von der bejegten Tafel herüber. Bon der Befikerin diefer Stimme wäre es ſchwer zu errathen, daß fie die Mutter Seraphinens jei, jo verſchieden find Beide. Die Mama ift eine Heine, runde Ge- ftalt mit ſchwarzem Haar und Heinen blinfenden

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ſchwarzen Augen. Trotz ihres Embonpoints ſchien ſie dem Schönſeinwollen noch nicht entſagt zu ha— ben, wofür ihre geſuchte Toilette und phantaſtiſch geformte Friſur ſprechen. Dagegen hat Seraphine eine ſchlanke Sylphidengeſtalt mit blaßroſigem Teint, blitzenden blauen Augen, geiſtreich geform— ten Mund, feinem Kinn, ſarkaſtiſchen Augenbrauen und eine in jeder Tonart ergreifende Stimme.

Herr Laävay kommt zu uns immer zu pät! rief dieſelbe vorwurfsvolle Stimme ; worauf Laͤvay, fein einziges Wort der Entſchul— digung findend , e3 für gerathen hält, fi vor diefer gut zuſammengeſchulten Geſellſchaft nicht zu blamiven. Seraphine fam ihm jedoh zu Hilfe.

Ich bitte, Lavay ift heute mein, und nicht Mamas Saft. Deshalb follen Sie aud nicht die Ehre feiner Geſellſchaft genießen, denn ich nehme ihn mit mir; wir haben Wichtiges zu ber: handeln. -

Ah! .. tünte es mit einem ſpöttiſchen Halb- lächeln von allen Lippen.

Sit Diefes Verhältnig alt? rief ein junger Dberlieutenant vorwärts voltigirend. .

Sie haben zu Diejer Frage zwar fein Net, doch wenn Sie es durchaus willen wollen, jo it sein jehr altes. Es fing in unferer Kindheit an; gab Seraphine zur Antwort.

Danı muß Herr Läavay ein noch jehr junger Mann fein...

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a freilich! fällt eine Damenftimme da= zwiihen. Herr Oberlieutenant konnen es glauben, daß fie mit einander in die Schule gingen.

Diefe Stimme gehörte der Frau v. Blum, der liebenswürdigften WVerläumderin zwiſchen den zwei Wäſſern. |

Inſofern ich das Kräulein leſen lehrte ; beeilte ſich Laͤvay zu erklären. |

Einft lejen, jetzt deklamiren; bemerkte die Blum mit womihen Lächeln.

Dh, Herr Läavay iſt ein berühmter De- Hamator . . .! ſprach ein hoher, martialiih aus- ſehender Mann, dem das glattrafirte Geſicht mit dem Kleinen, ſpitzen Schnurbarte, feine ſchon vor— wärts gefämmten Haare, die zwar im Verdachte einer gewiſſen Unechtheit ftehen, ein noch jugend- liches Anjehen zu geben traten. Dieſer Herr iſt Balthaſar Fertöi.

Ein ſehr berühmter Deklamator! Wie— derholte Herr Balthaſar. Als er neulich im Komitatsſaale ſprach, hat er ſelbſt Anſchütz über— troffen! ..

Das war dann ein Nadelſtich. Einen Ko— mitatsredner mit einem Schauſpieler zu vergleichen.

Dieſer Vergleich weckte ſelbſt eine tiefe Baßſtimme, welche in der Kehle eines alten Herrn ſchlummerte. Dieſer alte Herr war der penſio— nirte Major Kolbay. Ein hoher, dürrer Geſelle, der ſich in- und auswendig noch immer an die

Andr. Zeiten, andr. M. 2

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Mode des Jahres 1816 hält, in welcher er zu— rückgeblieben. Er trägt noch immer dieſelbe weichſelfarbige Hußaͤrenuniform, dieſelben hohen Stiefel, obwohl er fie ſelbſt mehr weder an-, noch auszuziehen im Stande ift; dieſelbe Kravatte von Roßhaar, welde feinen Kopf fo ſchön, fteif aufredht- hält; feinen Schnurbart, feinen Schopf wichſt er nod immer jo jpig und fteif , daß beide gegen den Himmel ftehen. Selbſt mit der Geſchichte blieb er dort ftchen, wo die legten Rafeten des zu Ehren der Monarchen , welche zum Wiener Kongreſſe gefommen waren, veranftalteten Feuer: werfes verfnallten. Bon dieſem Tage an gibt's für unſern Alten feine Geſchichte, feine Ideen, feine Mode, dort ftand die Welt mit ihm ftille.

Wahrrllich begann der alte Herr, einen jeden Mitlaut doppelt betonend, al3 würde er heute noch feine Eskadron kommandiren es it nit gar lange her, daß Ste mir al3 kleiner Student beim Examen ein Ererzitium machten, und fiehe, heute exerzirt er ſchon die Angelegen- heiten des Komitates. Erinnern Sie ſich noch, wie fie fih vor dem alten Juden in der Nach— barihaft fürchteten, daß er den Kindern das Blut nimmt, und jiehe da, heute ſpricht er ſchon von der Judenemanzipation ! Die Rokokobemerkung des alten Herrn fand allgemeinen Beifall, jelbft Lavay lächelte. Ein junges Gemüth fühlt e3 nicht io leicht heraus, was verlekend iſt.

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Zu dem früheren Oberlieutenant geſellte ſich nun auch ein Hauptmann von robuftem Kör— perbau und fremdartigen Aeußern, ſein Geſicht iſt ſtark von den Blattern zerriſſen, doch leuchtet aus ſeinen Augen bloße, ungeſchickte Gutmü— thigkeit.

Stellen Sie uns doch einander vor! drängte der DOberlieutenant das Fräulein.

Dberlientenant Robert Zeleji; Haupt- mann Artman, Bela Laͤvay! war die Bor: ftellung.

Zelejt und Laͤvay drüdten ſich die Hände, während der Hauptmann, welcher eine ungeheure Portion Ananasgefrornes mittels eines großen Eplöffel3 vernichtet, die freundlihe Bemerkung macht:

Dieſer Name iſt mir ſehr lieb, auch ich habe eine theure Verwandte, die ſich Bella nennt, aber ſie iſt ein Mädchen.

Alles lachte hell auf.

Ich weiß eigentlich gar nicht, wie Sie zu dem Namen Bela kommen, polterte der Veteran meines Wiſſens find fie „Albert“ ge— tauft worden.

Bela heißt auf ungariih To viel: als „Albert“, entgegnete Laͤvay.

Seraphine nahm den Arm des Jünglings.

Kommen Sie von hier; die da find ſaͤmmtlich Ihre Feinde: der Eine möchte Ihnen

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Ihre Jahre, der Zweite Ihren guten Ruf, der Dritte Ihren Namen, der Vierte Ihren Man: nestitel nehmen, wenn fie es fünnten.

Zählen Sie aud) mid) unter dieſe Räu- ber? frug Zeleji. |

Auch Ste würden ihn Eines berau— ben, was man aber durdaus nicht mit bewaffne— ter Hand erobern kann! ...

Das it viel für ein oberlieutenantliches Herz, rief der Hauptmann, fi mit komiſchem Mitleid an Zeleji wendend.

Und Dürfen wir uns nit in die Ge— heimniffe diefer Verihwörung drängen? in— terpellirte die Blum das Fräulein.

Dh weshalb niht? E3 wäre ein armer Ränfeihmied derjenige, welcher auf jede Frage niht ſogleich mit zwei Antworten bereit wäre. Pußtafy wird dieſer Tage unfere Stadt beſuchen: wir berathen eben über den Empfang, den wir ihm bereiten wollen ?

Wer ijt diefer Pußtafy? frug Major Kolbay mit inquifitoriihem Gefichte.

Traurig, dab es einen Ungar gibt, welder Dielen Namen nicht fennt. Er ift in un- jerer Zeit der erfte Dichter der Nation.

Ah! ein Reimfhmied? Wie es dieſer Csokonay geweſen, den kannte ih: war aud ein großer &... Er ging aud da herum, denn bier liebt man die Poeten, diefe aber lieben den

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guten Wein, und Nepmely iſt nicht weit von hier. Nun, wenn er Ihon fommt, jo wäre e3 am beiten, er käme bei Gelegenheit der Durdreiie des Palatins; da könnte man ihn zu etwas ver— werden. Er könnte fogleid ein Feftgedicht machen, 3. B. ein Ihönes Afroftifon, welches vorn und hinten .mit großen Buchftaben ausgeht, wenn er es verſteht.

Das. bisher ruhige Gefiht Laͤbays er- glühte.

Ich glaube faum, daß er es verſteht; erwiderte Lavan lähelnd, denn Pußtafy ift Republikaner.

Waaßß! rief der Veteran mit hohem Pathos Ein Reppubbllikkanner?! .. Und diefes wüthende Thier geht frei herum; hält man e3 nicht angebunden ? |

Das iſt ja nur eine Theorie: erklärte Laͤvay, eine innere Ueberzeugung; fo, wie wenn Jemand Rationalift ift; deshalb aber. doch ein Chriſtenmenſch bleibt.

Ich meinerjeit3 bitte mir ſolche Theorien aus. Möge der Franzoſe mit ihnen feinen Spaß, ſeine Narrheiten treiben, für uns paſſen fie nit. Und id ſag' es heraus, der Menſch möge mir einmal jo vor die Augen kommen, DIE 2

Geben Sie adt, Kolbaybäci, damit Sie nicht mit etwas Großem herausplagen,

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unterbrach ihn Seraphine, denn er wird in einigen Tagen hier ſein, und wird auch uns beſuchen.

Na dann werde ich nicht hier jet.

Das iſt ſchon etwas Anderes! ..

Juſt werde id) hier ſein! ..

Die Jugend lachte über den Eifer des alten Herrn, nur Lavay lachte nicht; weshalb ihn der alte Herr auch anſchnarrte.

Wenn alle Welt lat. und Sie niht mit-

laden, it es fein gutes Zeihen! Sie zerbreden fih den Kopf über ſehr ernſte Dinge. Solche Menſchen liebe ih nicht. Seine Gedanken ſind nicht dort, wo die der Anderen. Ueberhaupt frommt der rvepublifaniihe Umgang nicht; Ihrem Herzen hat er ſchon Gefahr gebradt, es kann Ihrem Kopfe aud jo ergehen. Gehen wir, rate Seraphine ihrem Saite zu, hören Sie nidht auf diefe Menichen, und führte ihn in den anftogenden Saal, wo jie auf eme Couſeuſe Pag nahmen; ihnen gegenüber nahm Charlotte Pla, die ihnen auf den Fuß gefolgt mar.

Charlotte war ein ganz angenehmes Welen, die ewig wache Hüterin des Hauſes, die Seraphine nie verlieh, und To lange diefe nicht schlief, Fein Auge zudrückte.

Sie hat aber guten Grund, ihre Augen offen zu halten; denn das gute Kind it Seit zwanzig Jahren ftocdtaub, fein einziger Ton ver—

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mag durch ihr Ohr zu dringen. Dieß hindert fie aber durchaus nicht an allen Geiellihaften Theil zu nehmen, und von den Zügen der Leute herab zu lauſchen, wovon die Rede it; und dann lacht fie um die Wette mit den Lahenden, als ver: jtünde fie Alles.

Dabei verläßt fie ihre Hädelnadel nie. Es möge weld) immer Beſuch kommen, To figt fie dort in der Fenftervertiefung, von wo aus fie Alles beobadıten kann, und hädelt eine unermeßliche Menge von Spigen, Vorhängen, und derlet un— nügem Zeuge.

Seraphine kann daher ipreden was ihr beliebt, dem Anftande it jedoh genug gethan, denn Seraphine tft nie allein. Charlotte wacht über fie, und wenn diefe auch ihre Worte nicht hören kann, So liest fie doch aus ihren Zügen, aus ihren Augen.

Ein jeder junge Mann, welder mit Sera— phine in Berührung kommt, wird von Charlotte als Bräutigam hingeftellt. Zrifft fie mit der Blum zufammen, wispelt fie geheimnivoll: id) babe es ſchon heraus, du wirft fehen, Seraphine wird den X heirathen. Freilich kommen morgen Y. 3. u. ſ. w. auf die Kandidatenlifte, aber des— halb it Charlotte von der Untrüglifeit ihrer Bermuthungen doch ftets überzeugt.

Auch Laͤvay gehörte zu den Kandidirten, Er war zwar halb. und halb dem Nachbar:

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hauſe ſchon verpflichtet, doch glaubte Charlotte, daß es Seraphinen nur ein Lächeln koſten würde, um ihn für das grüne Thor zu erobern. Es waͤre kein erſter Fall.

Als Seraphine im Nebenſalon an der Seite Laävay's Platz nahm, ergriff fie feine Hand und ſah ihm mit tiefem Blicke in's Auge. Nach kurzer Weile ſprach fie:

Werden Sie mir das glauben, was id) Ihnen jetzt jagen werde ?

Unbedingt.

Werden Sie Ihren Feinden das glauben, mas Diele über ihre guten Freunde ſprechen?

Ich habe jeft feine guten Freunde.

Meinem Beripreden gemäß, mill ih Ihnen aufrihtig erklären, weshalb Sie jo plüß- lich und vorfäglid von den Hargitay's gemieden werden. Haben Sie e3 noch nicht errathen ?

Es überfteigt dies all meine Ber: muthungstraft.

Haben Sie feine theuren Baifionen ?

Sie willen es am Beften, dag ih niht einmal Raucher bin, vom Kartenipiel aber ebenio: viel, wie gar nichts verjtehe.

Sind Sie niht in Geldverlegenheiten ?

Meine Mutter lebt, jomit befike ich fein eigenes Vermögen, aber aud) feine Schulden, das Leben iteht mir offen, an meiner Seite Man- delt die Arbeitsluſt. |

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Iſt man nicht hinter eines Ihrer älteren Liebesperhältniffe gefommen ?

Ich hatte nie eines.

Kein ſchmeichelhaftes Kompliment für mid; lachte Seraphine heiter, hatten Sie Ihon vergeflen, daß Ste mir, als wir nod) Kinder waren, ftet3 drohten, mich nicht heivathen zu wollen, wenn id ſchlimm ſei; war das fein Verhältnig ?

Ah Seraphine, murmelte Yavan düſter, Sie haben nie und Niemanden geliebt.

Seraphine hatte auf Dielen treffenden Vor: wurf traurig ihr Haupt gebeugt.

Dod, jagte fie nad) einer Weile; Ih - liebte meinen Vater.

Das jagen Sie deshalb, weil er bereits geitorhen iſt.

Nein, Sondern weil... . Na, deshalb brauden Sie nicht zu fterben, ſprechen wir von etwas Anderem,

Nachdem Sie e3 jelbit nicht errathen, was Sie verihuloet haben, jo will ich's Ahnen jagen. Ihr Verhältniß zu Judith ift unanknüpfbar zerriffien worden, durch jene Ihre Rede, melde Sie im Komitatshauje in Bezug auf die Frohn- freiheit hielten.

Ah! madte Lavbay.

Sie können mir Dies mit Gewißheit glauben. Ich Telbit war anweſend auf der Frauen- galerie, und werde erzählen, melden Eindrud

Ihre Rede auf mich machte. Ich, die ich mich an Ihr ſanftes, aufmunterndes Geſicht, welches durch Nichts zum Zorn gereizt werden konnte, ge— wöhnt hatte, ſah dasſelbe allmälig in einen lei— denſchafltich erregten, blitzenden Ausdruck ſich ver— wandeln; Ihre bekannte weiche Stimme erhob ſich zu einem nie geträumten Donner, welcher dro— hend, mit ſich reiſſend von Dingen ſprach, die zu erwähnen man ſich bisher nicht getraute, . von den zehn Millionen Stieffindern der Na: tion... . . von der furdtbaren Volksſouveränität . .. das Blut gerann mir in Den Adern, und falter Schauer überlief meine Glieder ; jehen Sie, wie ich jegt noch) zittere, wenn ich darauf zurüd- denke. . . Ä

Ah wie furdtbar jahen Ste damals aus! . .. Und was erft ihrer Rede folgte... . , jener enthufiaftiiher Sturm, dem man nit entnehmen konnte, ob er Widerſpruch, ob er Begeifterung jet? und als ji) dieſer gelegt, jene blaffe Ver— blüfftheit auf den Geſichtern der ernfteren Män- nern, welche gleich Todten ſtumm, und mit fahlen Zügen um pen grünen Tiſch herum ſaßen! .. Sie hatten eine ſchmale rothe Binde um den Hals; es ſchien mir in jenem Augenblid, als jtünde vor mir ein Mann, deſſen beveitS abge— hauener Kopf abermals an feine Stelle geſetzt wurde,

Zu. SB 2

Sie beſitzen eine ftarfe Einbil dungs- kraft, Seraphine, aber was hat die Oeffentlichkeit mit meinem Privatleben zu thun ?

Sie Sollen es gleih erfahren. Frau von Hargitay bejitt, wie Sie es gut willen, ehr erregbare Nerven, und was einmal auf diefe gewirkt, wird bei ihr zudem, was bei anderen Leuten Veberzeugung heißt.

Es iſt unbeftreitbar,, daß man Sie bei Hargitay's ftet3 gerne ſah, nicht nur als Beſuch— oder Hofmacher, Sondern auch als Braut: werber. Ihre Bekannten äußerten fid) entichieden günftig über Ihre Fähigkeiten. Sie hatten Bro— Ihüren veröffentlicht über ſtaatsrechtliche Fragen, Sie haben in gerihtlihen Sachen plaidirt: wor: auf Herren von hohem Range ſagten: der wird's weit: bringen, er iſt eine große Kapazität, kann nod Vizekanzler werden. . . Nachdem Sie aber dieſe, Ihre Rede gehalten, hatte ein hochgeftellter Herr Ihre Broihüre, „über die Reform der vater: ländiihen Gefängniſſe“, in welcher er ſoeben ge— blättert, mit den Worten Herrn Hargitay über: reiht: es Icheint, daß Cicero für fein Haus ges torgt habe! .

Der Wis iſt nicht ſchlecht.

Ein anderer Herr rief aber feinem Tiſchnachbar zu: Glaubt Du es noch, daß er zu etwas Höherem bejtimmt ſei? . . Zu etwas ſehr Hohem! . . meinte der Gefragte, indem er

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mit der Hand eine gewiſſe Bewegung gegen den Hals machte. Dies hat nicht nur Herr Hargitay gehört, ſondern jene unheimliche Bewegung auch ſeine Gattin von der Galerie aus geſehen. Am jelben Nachmittag kam Fertdi zu Hargitay's, und berichtete ganz im Geheimen, daß Sie bereits bei der Kanzlei denunzirt worden feien, worauf Hargitay zu feiner Gattin ſagte: der wird's dort enden, wo Martinovits.

Das find aber nur lauter kindiſche Reden.

Möglih. Aber bei Frau Hargitay be— wirkten ſie einen fürmlih klimakteriſchen Um— ihmwung ihrer Natur. In jener Naht günnte fie Niemanden Ruhe im Haufe. Die arme Judith hatte die ganze Naht zu hören: „Einen folden Menſchen willſt vu heirathen, über deſſen Haupte Ihon das Schwert ſchwebt. Der das ganze Land ummälzen und Millionen von Menſchen unglüd- lid maden will. Der den Bauer gegen die Herren hegt, deſſen Name einjt verfluht jein wird, wie jener Georg Doͤzsa's .. .. Dielen Namen willſt du führen? Seine Schande, jein Elend tragen. Und wenn ihn jein Schidjal er: reiht... . . willft du die Witwe eines Hinge— richteten werden; oder wenn dich der Himmel mit Kindern heimiucht, willft du, dag man mit den Fingern auf jie weile und ausrufe: Das find Die Wailen des Hingeridhteten! .. Sie

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jehen, daß ich felbit die Worte weiß, die man geiprohen. Ich habe gute Quellen. Das Stu: . benmädchen der Hargitay erzählte e8 dem Blum— ihen Bedienten, dieler feiner Herrin, und Frau Blum hatte die Gefälligkeit fünf Minuten vor Ihrer Ankunft die Geſellſchaft damit zu un— terhalten.

Und was that Judith? Was antwor- tete fie?

0 Audith ſchwieg.

Das war aub das Vernünftigite, Wie der Sturm kam, fo wird er auch vergehen.

Glauben Sie das nidt; denn niht nur die Nerven der Frau Hargitay haben fih gegen Sie empört, aud der Gatte hat fi gegen Sie gewendet. Gut unterrihtete Menſchen behaupten, daß der größte Theil feines Grundbefiges aus Urbarialien befteht, und die Berrüdung jenes Steines, an welden Site rütteln, wirde den Zu— Tammenfturz feines Hauſes herbeiführen.

AH! Man veriteht mid nicht. Es wird ja von Niemanden ein Privatopfer verlangt. Es ift dies eine Landesangelegenheit, das Dpfer muß die Gejammtheit der Nation zum Griage des Privatverluftes bringen.

Bu dem verftehe ih mich nicht, Lieber Bela. Aber das weiß ich entichieden, daß, wenn Sie Jemanden beleidigt, Ste denielben verſöh— nen, fihb mit ihm Schlagen und wieder gut

Freund werden fünnen; wenn Sie Ihrer Gelieb— ten untreu geworden, fünnen Ste fih abermals in ihr Herz einihmeicheln und Verzeihung erlan= gen; aber wenn Sie Jemanden erihredt haben, den find Sie nit im Stande, mehr dahın zu fapazitiren, daß er fih vor Ihnen nicht fürch— ten möge. Ihre Sade tft bei den Hargitan's entichteden verdorben. Ich weiß noch mehr. Es it beichloffen, Judith je eher zu verheirathen, an einen Andern, |

650?

GErrathen Sie, an wen? Denken Sie jid) Etwas, den größten Unfinn, die größte Lächer- lichkeit.

Ich denke mir gar nichts, denn aus dem Ganzen wird nichts.

Man mill fie an Herrn Bärling ver— heirathen.

Haha! madte Lavay. Es war dies fein Lachen, fondern nur der Ton desjelben. Die Gefihtszüge des jungen Mannes behielten -ihren traurigen Ausdruck bei.

Das hat aber aud) jeinen plaufiblen Grund. Hargitay, welcher bei Berührung feiner eigenen Intereſſen ftet3 fonfervativ ift, wird ſeinem Rufe, al3 liberale Zelebrität, welchen er ſich im Komitatsleben erworben, in der Deffentlidhfeit nie entjagen wollen. Wenn .er daher einerjeit3 mit Ihnen, dem Führer der Komitatsjugend, bricht,

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wird er Sorge tragen, diefe Scharte durch einen eflatanten Tauſch auszuwetzen. Wie Sie willen, iſt Barfing nit vom Adel. Er liebt es zwar, jeinen Namen mit dem ariftofratiihen „gh“ zu ihreiben, während Sie das „y“ von dem Ihrigen längft mwegließen ; trogdem mwird man viel Rumor darüber machen, daß der ftolze Hargitay einen Bauernsjohn zum Schwiegerjohn genommen.

Aber Judith... Weiter fonnte Laͤvay nit ipreden ...

...... Verachtet dieſen Menſchen, wollten Sie ſagen. Glauben Sie mir, lieber Béla, daß für's Heirathen, wenn man es ſchon thun muß, ein Mann, den man verachten kann, ein ſehr vor—

theilhafter Gegenſtand iſt.

Ach, Seraphine, Sie wiſſen es ſelbſt nicht, was Sie da ſprechen. |

Sie meinen, daß ih ein Mädden, welches Sie lieben, arg verleumde; daß id Ihnen Geheimniffe enthülle, welche es Ihnen nunmehr unmöglidy machen, die Schwelle des Nahbarhaufes je wieder zu überſchreiten. Ich weiß es, daß ich) dies thue, ich weiß es aber aud, warum ?

Das war eine in befter Form gegebene Gelegenheit, um den günftigen Moment zu er: taffen. Allein Bela ſchien der Menih zu fein, welcher das herabgefallene Sacktuch einer Dame ruhig am Boden liegen läßt.

Seraphine wurde durch das ‚Schweigen Lavay's derart aus der Faflung gebracht, daß fie ihre Hand auf deilen Schultern legend, im hef— tigen Tone begann:

Sie denken jett jehr tief über etwas nach, worüber ih Ahnen jagen fanı, das Nichts daraus wird, denn .. . diefes Gedicht iſt in Herametern verfaßt, dieſe Versgattung verftehe ih nicht zu deklamiren.

Bela fuhr erihroden über dieſe Worte, welhe feinen Zufammenhang mit den früheren hatten, empor, und begriff erſt die Urſache Der Ihnellen Wendung, als er die Stimme des jun- gen Dberlieutenants vernahm, welcher, den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre ſteckend, rief:

Darf man Shre VBerihwörung nicht be— lauſchen?

Seraphine hielt bereits das geöffnete Ge— dichtbuch in den Händen, und rief, dasſelbe ne Bend, mit naivem Schred :

Nein, nein, und abermal nein. Gie dürfen es nicht willen, weldes es iſt. . . Sehen Sie Lavay, dieſer hinterliſtige Menſch Hat uns belauſcht, um zu erfahren, welches Gedicht ich für den Empfang Pußtafy's einftudire,

Robert betheuerte bei Himmel und Erde, daß er fein Wort belaufht habe.

Und jeinem offenen, glatten Gefiht konnte man es aniehen, das er beim beiten Willen feiner Züge fähig war.

Die Unterhaltung über den berührten Gegen- ſtand konnte nicht mehr fortgejegt werden. Auch Bela begab jih zur übrigen Gejellihaft, welde ih nun um das Klavier gruppirte, oder an ven Whiſttiſchen Play nahm; aber zu jeinem Staunen mußte er vernehmen, daR, wohin er immer trat, man das Geipräh allſogleich abbrach ... . Lavay dachte ſich nun, die bejte Unterhaltung Sei bier, zu gehen, und er ging.

Seraphine erhaſchte einen Augenblick, um ihm die Hand zu drüden und zu flüftern:

Morgen werde id Ihnen mehr jagen fünnen !

Kaum Hatte Lavay die Thüre des Vor: zimmers hinter ſich geſchloſſen, als das Gelächter im Saale von Neuem ausbrad, und Wenzi, welcher eben mit einer Taſſe aus dem Saale ge- fommen war, mußte die Neugierde jeiner Kollegen abermals mit einem plump exlogenen Scherz auf den deutihen Hauptmann befriedigen.

Im Saale aber ging der Tritiehtratich über den vor die Thüre gejegten Bräutigam, welder jeine Braut am grünen Tiih wegdellamirt hatte, abermals los. |

Seraphine nahm den Verlachten in Schus, worauf ein Jeder der Anweſenden jih bemühte,

üntiere Zeiten, and. Menden 1, 8, 3

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all’ das auszuframen, was er gegen das Braut: pächen wußte. „Willſt Du Jemanden, der in einer Gejellichaft verleumdet wird, noch mehr verleumden laſſen, jo werfe Dih einfach zu feinem Vertheidiger auf, und Du haft Dein Ziel erreicht.

Seraphine unterhielt ih den Umſtänden nad, gut, fie ließ fih von Robert mit den einzu= lernenden Vers neden, und machte ihm zu guter Lebt die großartige Konzeifion, daß er aus den Gedichten Pußtafi's das zu Deklamirende wählen möge. Robert war glüdlih, daß er diefen Auftrag erhielt. Aber aud) Seraphine war glücklich, denn num mußte fie nicht das ganze Buch durdlefen,

um zu wählen. Miaͤdchen, die viel von eigenen Ideen geplagt werden, find feine beionderen Freundinnen des Leſens.

Als die Geſellſchaft in der Auflöfung be— griffen war, fixirte Herr Fertoi Seraphine und ihre Anbeter durch ſein Monocle, während er in— zwiſchen die Blum mit trivialen Komplimenten regalirte, und riskirte an letztere folgende Frage:

Was glauben Em. Gnaden, welcher von den Beiden wird der Gatte Seraphinens : Laͤvay oder Robert?..

Derjenige, welcher ſich von beiden zuerf erklaͤrt, beeilte ſich die kleine, lebhafte Frau zu

erwiedern, welche ſo klein und beweglich war, wie ein Kanarienvogel, aber auch ebenſo unerſchoöpflich im Schwaßen:es wäre nur zu konſtatiren, ob auch die Kanarienvögel ſtets ihre Nachbarsleute aus— richten, wenn ſie ſo eifrig ſchwatzen.

Der Zweite wird als Hausfreund ver— bleiben, ſetzte Fertdi mit einem maliziöfen Lächeln hinzu. |

Und der Dritte auch; jagte die Blum noch boshafter.

Seraphine bemerkte gut, das man von ihr ſprach, und nahm, jobald Fertöi gegangen, die Blum ind Verhör.

Ihr habt mid) zuvor mit Kertöi ver— feumbdet.

So iſt es. Wir haben darüber gegrü- belt, wer von den Beiden Dein Gatte wird.

Liegen allo nur zwei Namen in der - Wahlurne ?

Wir meinten Lävay und Nobert.

Eben von diejen wird'3 feiner.

Ach! .. Und weshalb nicht ?

Der Eine kann es nicht werden, weil er eine Andere ſehr liebt; der Andere kann es nicht werden, weil er mich zu ſehr liebt.

Nun, ift das etwas Sclimmes ?

a, denn wer als Hofmacher jehr liebt, wird als Hatte eiterlüchtig, und das iſt ein gro= Bes Unglück.

3*

zu 36 ze

Ueberhaupt bei Dir.

Verzeihe, id) iprede exit aus der Theo- tie, von der praftiihen Anwendung dieſer Lehre fönnteft Du ſchon mehr erzählen.

Die Blum lachte herzlich darüber, das man fie jo ins Lebendige getroffen. Sie pflegte für die Revanchen, die fie erhielt, nie zu zürnen, fie machte es, wie gute Fechtme iſter, welche ſich jtets freuen, einen gejunden Hieb von dem Schüler auf das Plaſtran befommen zu haben. |

Menn es aber weder der erfte, noch der zweite wird, wer wird's dann ?

Seraphine zudte leiht mit den Achſeln.

Am eheften Fertöt ſelbſt.

Die Blum ihlug ihre Heine Katzenpfoten zweimal ineinander.

Ad! was Du ſagſt, den kannſt Du ja nicht leiden.

Na, und? ...

Ich mag ihn au nicht leiden.

Braucht ihn auch nicht zu heiraten.

Aber es mag ‚ihn die ganze Welt nicht.

Seraphine ihaute einige Minuten ſtillſchwei— gend in die Augen der Blum, als würde fi. berlegen, ob fie weiter ſprechen toll, oder nichte

Und doch kenne ih Femanden, der ihn nur zu gut leiden mag.

Die Blum ftierte Serahpine mit großen

= Augen an, wie Jemand, bei den es zu dämmern anfängt.

Du fürdtejt, er wird Deine Mutter heiraten.

Das wäre für uns ein großes Unglück, weil er fie binnen Jahr und Tag zu Grunde rihten würde.

Wenn aber Du ihn beirateft, jo kann er Di zu Grunde richten? .. .

Glaubſt Du das ?— antwortete Seraphine, mit falten Stolz das Mintaturweibhen meffend, welches, jih an ihren Arm hängend, trog ihrer hohen Friſur kaum bis an die Achſeln des Mäd—

Als ſie geſchieden, ſchüttelte die Blum noch immer das unruhige Köpfchen mit den zahlloſen zitternden Locken, und da ſie auf dem Heimwege mit Niemanden ſprechen konnte, ſo ſprach ſie mit den Augen, mit den Geſichtszügen zu unſichtbaren Geſellſchaften, und jagte wiederholt zu dem beglei- tenden Diener: „Warum haft, Du mir feinen wär: meren Shawl gebracht, Johann, es ift mir jo falt.“

Es war ihr in der That kalt, wenn fie der Worte Seraphinens gedadhte: „Dann fennit Du mich noch nicht!“

Einer, der „gegangen“ wird.

Am andern Tage traf Laͤvay am Dampf: Iihiff-Landungsplage mit den Holdvary's zuſammen.

Mutter, Tochter und Zeleji promenirten eben dort. In Heinen Städten it die An— kunft des Dampfichiffes ein Ereigniß, und das Warten darauf zählt aud) zu den Vergnügungen, . heute umſomehr, als für Die morgige große Feit- lichkeit viele Fremde und Belannte zu erwarten find.

Ueberdies iſt der Landungsplag ein gar liebes Dertchen, gelegen an der Spike einer Heinen Inſel, welche von ſchlanken ttalieniihen Pappeln umſäumt ift. Der Warteiaal und deſſen Umgebung ift von lachend grünen Bignonien beſchattet, der Raſen ijt troß des ipäten Sommers jr und elaftüch‘, und die Gräben nod) voll der Blumen,

Heute herrſcht hier eine ungewöhnliche Rüh— rigkeit . . . da werden aus friihem Pappelreiſig Pyramiden gebaut; dort ein Triumphbogen aus grünen Tannen und Dahlien errichtet, Niemand; frägt, weshalb ? . . die ganze Welt weiß es ja,

und wer's nicht weiß, braucht nur einen flüchtigen Blick auf jene aus trikoloren Buchſtaben zuſam— mengeſetzte Bewillkommsſprüche und Chronoſtika zu werfen, und wird aus deren Anhalt erfahren dag für morgen ein hoher Haft erwartet wird: der Palatin, der erite MWürbdenträger des Landes, deilen Name noch aus jener Zeit populär it, wo er al3 vierjähriger Knabe mit den Bauernbuben zu Alchuth geiptelt und ihr ſchwarzes Brod getheilt hatte.

Heute Ipriht man, wie natürlih, von nichts Anderem. als von den Vorbereitungen zu dem Feſte; dies gab auch Seraphinen den Vor— ‚wand, Labay über die Hargitay's zu ſprechen.

Ich kenne bereit3 das ganze Programın. Die Hargitay's find gejtern angefommen ; der alte Herr wird den Palatin bei feiner Ankunft em= pfangen. . . . Welch' ein Triumph für die Fa— milie! ... Wird das Fiasko der Dilettanten-. Borftellung gänzlich vergeſſen machen. . . . Damit iſt es übrigens nicht abgethan, daß Hargitay ſo lange an der Landungsbrücke beneventirt, bis der Palatin ſein Gabelfrühſtück verzehrt, ſondern es werden nach dem Plane der Frau v. Hargitay, und unter ihrer Führung die Damen der Stadt in feftlihen Toiletten unter einem auf der Brüde errihteten Baldachin den Feſtzug erwarten, und eine derjelben dem Palatin einen Kranz überreichen, Diele eine wird wahriheinlic Judith fein. Uns

= AG hat man aus diefer Szene feierlich ausgeſchloſſen.

68 iſt ein ſchlechter Plan, ſprach Lävay die ftürmende Volksmenge wird , dert die Damen evdrüden. ü

Dafür ift aud gelorgt; an jedem Ende der Brüde wird ein Komitatshukar mit dem blanfen Säbel in der Kauft und feiner Mente über die Achſeln ſtehen; diefe wird das ſouve— väne Volk doch reſpektiren; überhaupt wenn jie den Federbuih an die Tſchako's ſtecken. . . . .. Welche Rolle fiel Ihnen zu?

Die des Zuſchauers. Beim Fackelzug hätte ich die Rede halten ſollen, geſtern ſagte ich jedoch ab. |

Damit haben Sie die Betreffenden jehr verpflichtet, die feit drei Tagen ſchon berathen, auf welche Art man es Ihnen zu willen geben fünnte, daß man geſonnen ift, einen älteren Herrn von veifem Berftande zu dieſem Zwecke aufzufordern ? . .

&?... Um to beiler. . .

Während dieſes Geſpräches landete der Dampfer. Eine Menge Paſſagiere famen an; ihweißtriefende Männer in Reiſekleidern, beladen mit Ihweren Padtaihen und Paradeſäbeln im (edernen Futteral; feuchende Damen mit Kartan- deln am Arme, welde alle nad ihren Ver: wandten und Bekannten herumſchauen. . . . Bei

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ſolchen Gelegenheiten it es ſchwer Jemanden zu erfennen . .

Sehen Sie Pußtafi Ihon?. . frug Seraphine Lavan.

Dort koͤmmt er! . vief diejer und verließ Die vornehme Geſellſchaft, um dem Freunde entgegen zu eilen.

Der Dichter iſt eine hohe, robuſte Geſtalt, mit braunem, loſe hängendem Lockenhaar, feinem Schnurbart und einem bei uns damals unge— wöhnlichen ſpaniſchen Knebelbart. Sein Anzug beſteht aus einem Dolmany mit dichten Knopf— reihen, einen beihnürten Ueberwurf, ungariſchen Holen und befranzten Csismen; auf dem Sopfe figt ein Hut mit aufgeftülpten Rändern... .. Ganz die Mode von 1861... Nur das Hals— tuch fehlt vom Halſe, weldyen der Be gene Hemdkragen offen läßt.

Wir- ſchrieben zu jener Zeit das Jahr 1847, trugen Fracks. Pantalons und glänzende | wie jet weshalb ein Mann, welder der Mode um vierzehn Jahre voran zueilen wagte, allgemein begafft wurde.

Bevor der Dichter ſeinem ihn entgegen- eilenden Freunde die Hand gereicht hatte, frug er diefen haſtig:

Haft Du Deinem Plane, morgen eine Rede zu —— entſagt?

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Dann Servus .. Hier meine Hand... Hätteft Du „nein“ gefagt, wäre ic augenblicklich ungefehrt und weiter nad) Raab gefahren.

Komm, id) will Did) den Holdvary'3 vor— ftellen ; jagte. Labay und zog den Freund mit jic)

Pußtafi schritt ftolz, als hätte die große Bollsmenge nur ihm erwartet, durch die. halbfer- tigen Triumphbögen, und Denen ev vorgeftellt wurde, reichte er die Hand mit unverhehlter Her— ablaſſung.

Als er den Namen Zeleji's vernahm, blickte er dieſen an, und rief in freudigem Tone:

Ach! wir ſind ja alte Bekannte.

Mir dünkt es auch jo; gab der Offi— zier zaudernd zur Antwort. |

Wir find in Linz mitſamm' Soldaten ge: weſen, traten zugleih ein; Du haft es, wie ich jehe, weit gebracht; mich hat man als Gemeinen verabichiedet.

Nur führteft Du damals einen andern Kanten. | |

Weil mir mein Vater den feinigen zu tragen verbot, da ich mid) einem liederlichen Leben gewidmet, indem id) Poet geworden. Jetzt hat er mic gebeten, ich möge ihm erlauben den mei= nigen zu tragen, jenen, den ich mir telbit er: roorben. |

Das glaub’ ih Dir, Du bift ſchon General.

Seraphine, welche die Gefichtszüge der

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beiden Freunde . mit Aufmerkſamkeit gemuftert hatte, machte, an Laͤvay gewendet, folgende Be— merfung :

Finden Ste nit, daß. ſich Pußtafi und Zeleji ſehr gleich ſehen? Wenn der erjtere jeinen Bart herabnehme, oder Beide ſich einen Vollbart wachen ließen, könnte man fie verwechieln.

Pußtafi war bis zur Unhöflichkeit mit feinem zufällig entdedten Freunde beſchäftigt, To dag ihn die Holdvary'S zum Zentrum der Geſell— ſchaft zurüdztehen mußten.

Herr Pußtafi wird uns morgen zu Mittag die Ehre geben, Lavay hat uns dies be- veit3 in Ihrem Namen veriprodhen.

Auch Ew. Gnaden nehmen feinen An- theil an dem offiziellen Bankett ?!. vier Pußtafi freudig . . . Daß ih doch Jemanden in diefer Stadt finde, der ſich nicht um —— ra uft.

Lavay hätte gerne ſeinem Freunde den Mund zugejtopft, denn die Holdvary's haben Alles aufgeboten, um Karten zu bekommen, aber ohne jeden Erfolg, deren Arrangeure waren ja die Familie Hargitay. |

Die Männer begleiteten die Damen nad) Haufe; am Thore nahmen fie von Zeleji Ab- ihied, welcher in die Feſtung gehen mußte ; Pußtafi dagegen nahm Laͤvay am Arm, und ging mit ihm in feine Wohnung.

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Nach der eriten Begrüßung in Béla's Ar- beitszimmer, zündete fih Pußtafi eine Zigarre an, und ſprach:

Alſo, Brüderchen, Du biſt verliebt. Das kommt zur ſchlechteſten Zeit; dieſe iſt nicht für verliebte Leute geſchaffen, Bruder, ein großer Kampf harrt unſer, und wird heranrücken, ehe wir es vermuthen.

So wie man die Wahlen für den Reichs— tag vorbereitet, it es zu erwarten, daß es einen Kampf auf Leben und Tod geben wird. Das wirft Du bereits wiſſen, was Ludwig Battyani dem Palatin antwortete, als diefer ihn frug, welche Hoffnungen er für den naächſten Landtag hege? „Wir werden die Pecſovics' ſchlagen, daß es kracht, Hoheit!" .. . . In ſolchen Zeiten iſt es nicht gut, wenn Jemand mit ſeinem Herzen zu thun hat.

Als Dichter mußt Du es wiſſen, daß es hier kein Gegenmittel gibt.

Es gibt eines. Die Liebe muß befrie— digt werden; dann wird nicht ſie über uns herr— ſchen. Mit verheirateten Männern läßt ſich ſchon reden: aber Brautleute, unglücklich Liebende jind zu nichts Beſſerem gut, als fie in. die Donau zu ſchmeißen, wenn fie nicht von ſelbſt hineinfpringen.

Ich brauche nicht viel Anipornung dazu.

Wenn ih Spree, haft Du zu ſchweigen, Brüderhen. Bin nit gefommen, um Eure

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Triumphbögen zu begaffen, oder mih nad dei Befinden Eurer Fräuleins zu erkundigen, ſondern um etwas Entihiedenes auszuführen, Du jollteft ſchon längſt in Peſt fein; unſere Freunde fragen in einem fort, wohin Du gelommen ? Ich aber zittere jeden Augenblid, dag man Did) pii Klich zum Domänenfisfal ernennt, wo Du dann jelig im Herrn entſchlafen fannft. Ih fam daher jest, um Dich) mitzunehmen.

Werde ein wenig ſchwer ſein. . . ..

Auch der Traumſichtige iſt ſchwer, und dennoch zieht ihn der Mond. Ich werde Dich mit Deinem Monde ziehen. Du mußt dieſes Mädchen heiraten, und damit ſei es mit der Privatſchwär— merei zu Ende. Folgen höhere Schwärmereien, denen wir gehorchen müffen.

Die Eltern wiefen mid ab.

Laß’ fie. Das Mädchen liebt Did), biſt Du überzeugt.

Wie von meinem Tode.

Dann nehme ſie, trotz ihrer Eltern. Werde es thun; muß mir aber früher eine. ſelbſtſtändige materielle Exiſtenz gründen.

Liebe3 Brüderchen, - derjenige, welcher - fein Herz zu befriedigen wünſcht, ißt Kartoffeln, und fühlt ſich glüdlih dabei, wern aber Jeman- mehr jeinem Magen jhmeihelt, dann bleiben die Kartoffeln für das Herz... Wenn es Deine erfte Sorge ift, daß Deine Frau eine Dame jet, dann

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gebe ich Dir einen Rath: In der zwei Adlergafſe gibt es eine Seifenfiederin, die hat drei Töchter, alle drei find häßlich und dumm, jede befommt aber hunderttauiend Gulden; .. jet Hug und ums jihtig, heirate Die Mutter, dann haft Du alle dreimalhunderttaufend , . . . wenn Du Dir aber eine Gattin wünſcheſt, die, wenn es jein muß, mit Div ſelbſt das bittere Brot der Verbannung theilt, dann, und wenn Alles wahr ift, was du mir in Deinen Briefen über deine Geliebte gejchrieben, dann heirate Dein Mädden, und wenn ſie baar- füßig ins Haus kömmt; hr werdet ſelbſt auf dem Eile leben fünnen..... Ad, die Liebe hat Ihon Manchen zur Lebenstähigkeit gezwungen.

‚— Kannit überzeugt jein, daß ich jeder Entbehrung,; jeder Arbeit fähig bin, aber ich ‚habe den Muth nicht, fie zu fragen, ob fie im Stande ift, einen gleihen Entihluß zu faflen.

Das wußte ih im Voraus, dag Dir der Muth Hiezu fehlen wird, deshalb befrug ich fie,

Wie?

Kennſt Du bier einen jungen Manır, Namens Barzfing ? |

Das Geiiht Lavay's wurde feuerroth, Wes- halb erwähnt er auch dieſen Namen jeßt.

Ich weiß eg, wer er ift.

Du weißt e8 niht!.. Ach weiß es Ueberhaupt weißt Du nie etwas, wenn Du es nicht

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bon mir .erfährft. Du bift der Meinung, dieſer Barzling ſei ein Advokat, während er ein gehei- mer Dramaturg ift. Er war eben in Peft, ja mir zwei Tage am Naden, und lag mir zwei jeiner räuberichen Dramen vor, umfonit jagte ih ihm, das es Eieleien, Verrücktheiten ſeien; nußte Alles nichts; er kam am dritten Tage, und brachte ein Luftipiel; von dem befam id) das Fieber... Uebrigens gehört dies nicht zu Deiner Sache ... Aber bei dieſem Eſel erkundigte id mich über Deine und Judith's Angelegenheiten ; der Büffel erzählte, was zu erzählen war... Ich habe be- merkt, daß auch er in Judith verliebt ift, der Narr; den legten Tag beihied ic) ihn zu mir und ſprach: ‚Hören Sie, wilder Stier“...

So wirft Du ihn doch nicht genannt haben?...

Was fallft mir in die Nede? Freilich nannte ic ihn jo. Pflege ich denn mit den Ti— tulaturen wähleriich zu fein, oder joll id Zemanden einen gnädigen Herrn nennen, der mich Drei Tage hindurch mit feinen niederträdtigen Dramen quält? .. Er nahm dies jogar als große Ber: traulichkeit von mir dahin. Alſo ih ſagte: Sie haben midy drei Tage hindurh mit Ihren Dra- men gefoltert; jegt thue ih Ihnen den Gefallen, daß ih Ihr Machwerk dem Dramenbeurtheilungs- fomit& bringe, und dasſelbe eriuche, damit... einzubeizen. (Baͤrzſing bielt das für einen Witz

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und bedankte fih dafür.) . . . . Aber auch Sie müfen mir eine Freundlichkeit erweiſen. Sie wiſſen, daß ich meine ſämmtlichen Gedichte zu veröffentlichen gedenfe. Ein Verleger läßt ji hiezu ſchwer auftreiben, ausgenommen, wenn id) mid nod verbindlich. made, alle Tag jeine Stie- rel zu pußen; ih made mid daher jelbit zu jenem Geichäfte der Wegelagerung auf, wmeldes man „pränumeriren laffen“ nennt. Hiezu braude ih Patrioten von großem Einfluß, die das Herumlaufen nicht ſcheuen, und fid nicht Tobald vom Halfe ichütteln laſſen; auch braud)e ich be— geifterte Patriotinnen, die ihre Hofmacher einzeln füdern, und es fih zur Ehre anrechnen, wenn fie den Bogen vollgezeichnet zurückſenden. Als ſolche ericheint mir die erwähnte Patriotin.

Der Narr Ihwor mir bei Himmel und Erde, daß ich's getroffen habe... Nun bat ih ihn, er möge einen derartigen Pränumerations- bogen für das Fräulein übernehmen, id) werde noch einen jchmeidhelhaften Brief beilegen, in. welchem ich fie erſuche, ſie möge mir ihre hohe Protektion angedeihen laffen.

Du?. . frug Bela verwundert.

Said. . . Aus dieſem kannſt du meine vaͤterliche Liebe zu Dir ermeſſen, wenn Du be— denkſt, daß ich für Dich jene ungeheuere Selbſt— verleugnung begann, daß ich Thorſites erſuchte, mich bei Deiner Penaloge zu zupatroziniren.

zu Ag.

Ich veritehe. |

So Ihweige doch! . Es wäre beſſer, anftatt mich alle Augenblide zu unterbrehen was in Anbetracht Deiner Jugend (bift wenig- ſtens um zwei Jahre jünger) nicht einmal Tchid: jam tft wenn Du mir Streichhölzchen herbei: ſchaffteſft. . . Ein furchtbares Ding, ſolch' ein Nichtraucher, man kann im ganzen Haus kein Hölzchen finden! . . . Und nun weiter . der junge Mann erbot ſich, zu meinen Befehlen zu ſtehen. Ich ſchrieb (während er mit dem Hute in der Hand vor mir ſtand) einen Brief an Judith, welcher woͤrtlich lautet:

„Sehr geehrte Patriotin!

Ein junger Mann, den ich überaus liebe, da er mein einziger Freund, und der deshalb mein einziger Freund iſt, weil ich ihn überaus achte, hat das Glück ihren Brautring zu tragen. Wie ftarf er Sie liebt, ermefje id) daraus, daß er, ſeitdem er in Ihrer Nähe, ift, jelbit meiner vergißt, Umſomehr habe ih an ihn gedacht. Heute erfuhr ich. von diefen Menſchen, der Ihnen. meinen Brief einhändigt, daß Sie, die beffere Hälfte der Seele meines Freundes, in. Folge elterliher Willkür und politiſcher Meinungspiffe- venzen wegen, von dem Ihnen anverwandten Geiſte losgerifjen, Ihre Hand einem jener Thiere reihen müſſen, welche ein Spiel der: Natur in menſchliche Form gegoſſen hatte.

Andere Zeiten. and. M. 4

as: So

Sch, der ih der geihmorenjte Feind jeder Tyrannei bin, zähle auch die elterliche Willkür dazu; und wenn die Eltern, denen Gott eine föniglihe Gewalt über ihre Kinder cinge- räumt, dieſelbe in Tyrannei ausarten laffen, fo stelle ich ihnen das Recht der Empörung, des Aufftandes gegenüber ; und ſowie die Worte der Schrift beiagen: „Ehre Bater und Mutter, damit du lange lebeſt auf Erden“, to Sage id: ‚Ehre Sohn und Tochter, damit du glücklich werdeft im Himmel.” Denn der Vater, welder hier jeinem Kinde eine Hölle bereitet, hat ſchlecht für jein Seelenheil gelorgt. Ohne Liebe ift das Leben eine Hölle. . . Sie müſſen flühten. . . . Alles, was der Menſch zu verlieren im Stande ift, die Freundlichkeit feiner Belannten, die Theil- nahme der Verwandten, der Belik, die weltliche Stellung, jelbit das Heiligfte, der gute Ruf, find Nichts gegen das verlorne Glück der Liebe... . Ich weiß nidt, ob Sie die Kraft bejigen, zu thun, wozu id) Sie auffordere ? . . . Aber id) ſag's Ihnen einfach. Nach einigen Tagen, wird in Folge einer gewiffen Aundreiie, in Ihrem Mohnorte eine große Feitlichleit arrangirt. Abends feierlihe Belendtung, fenne das Pro— gramm.

Ich werde als Beiftand meines Freundes fommen. Während der Sllumination treffen wir am Hauptplage zuſammen. Sie werden am

= Bl: Se

Arme jenes Mannes gehen, welchen Ihre Eltern zu Shrem Gatten erforen, es wird Ahnen ein Leichtes, dev Gejellihaft um einige Schritte vor: anzueilen, man wird Sie in fiherer Begleitung glauben. Wenn ih dann zu diefem Menichen einige Worte iprede, wird er Sie vorlaffen, um zu mir zu eilen. In dieſem Augenblid ericheint mein Freund, Ihr Getrener, reiht Ahnen den Arm, das Boll ruft dem jid) nähernden Palatin jeine obligaten „Eljen’s“ zu, jeder Blick haftet an jeinem Antlig; Sie eilen durch ein Geis tengäßchen zur Donau, dort finden Sie einen Kahn, mweldyer Sie über die Donau in das ge= genüber liegende Dürfen führt. Der Seeljorger war unſer Schullamerad; er wartet bereits mit mit den nöthigen Zeugen; und in einer Stunde find Sie vor Gott und den Menihen Mann und Weib.

Wenn Sie diejen Plan.gutheigen und an- nehmen, geben Sie es mir folgendermaßen zu wiffen: Sagen Sie nad) Leſung des Briefes je= nem Wanne: „Es thut mir leid, kann das Sam— meln nicht übernehmen; bin nidt in der Lage, id) ſelbſt unterichreibe ein Exemplar.“ Damit jen= den Sie den unterzeihneten Bogen an mid). Wenn Sie aber den Plan für unpaſſend halten, dann werten Sie den Bogen weg, oder machen Sie nihts mit ihm, feine Antwort wird aud) eine ſein.“

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2. FRE oa

Diefen Brief übergab ih zur Bejorgung dem Herrn Bärzfing, mwelder ihn aud ficdher beforgen wird.

Bela Ihaute betroffen jeinen Freund au, als wüßte er nicht, ob das Erzählte Scherz oder Mahrheit fei.

Du jpielft Komödie? ...

Pflege es zu thun, Du weißt es. Ad, hab’ dod ein Zündhölzchen endlich erwiſcht, bier am Dfen! ...

Hiermit zündete der Didter feine Zi: garre an, und ſetzte jid) nieder.

Nun, wie gefällt Dir meine Intrigue ?

Sprichſt Du im Ernft ?

Glaube feine Maske vor dem Gefichte zu haben.

Das war ja aber eine unſinnige Narr= heit von Dir ?

Ich wußte es, das Du erichreden wirit, weshalb ih Did nit im Voraus gefragt babe, ob Du einwilligſt? . . .. Die Frage ift nur: Liebſt Du fie? ja, oder nein? .. Liebt jie Did), ja, oder nein? . . Wenn auf beide Fragen die Antwort mit „ja“ lautet, dann gehört fie Dir, und Du ihr. Gibt man fie Dir nit, nimmſt Du fie mit Gewalt. |

Wohin denfft Du! rief Bela mit Entrüftung. | | |

Was ich denke? —rief Pußtafi aut.

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Sch denke, daß Du ein Tablabirö bift, der bald einen Schmerbaud befommen wird; daß Du nicht jo viel Muth haft, wie die Henne zum Schwim— men; und während id darüber nadjinne, wie Dein Gefiht dem St. Juſte's ähnlich) ſieht, wäh— rend ih Dich meinen Saint Juſte nenne, bift Du ein wahrer Citoyen Picotin !

Bela fuhr auf dieſen Spottnamen in die Hühe.

Sage das niht nod einmal!

Das bift Du, Picotin ; und niht Saint Juſte.

Das werden freilich Wenige wiſſen, daß Ci— toyen Picotin Held irgend eines franzöfiihen Ro— mans und ein muthiger Kürſchner it, der Telbit die Tiger beim Schweif erfaßt, wenn jeine Haut berabgezogen. Die zwei guten Freunde hatten ſelbft gleihe Leltüren, jo das gewiſſe Anſpielun— gen als gangbare Münze bei ihnen galten.

Der fatale Rame Picotins hätte zu einen ärgeren Zerwürfnig Anlaß geben fünnen, wenn niht Béla's Mutter erihienen wäre, um die Streitenden mit der fategoriihen Mahnung ; „Zaflet das Geplauder, die Suppe wird falt“ an den Mittagstiih zu rufen.

Soll nie ein größeres Unglück das Haus treffen!. .. ſagte mit komiſcher Andacht Pußtafi.

Béla's Mutter gehörte noch zu jenen Frauen aus der guten alten Zeit, welche die Küche als

——

ihr Arbeitszimmer betrachteten, und die es mit Stolz herausjagen fonnte, daß ein jeder Lein- faden im Hemde ihres Sohnes bon ihrer Hand geiponnen ſei. Wie viel Segen muß an dielen Fäden haften; dachte doch die Witwe während fie in langen Nähten die langen Fäden ſpann, nie an etwas anderes, als an ihren Sohn.

Bela war noh ein Heiner, lallender Knabe, als man feinen Vater zum Kirchhof trug; ſeit— dem hatte die Mutter ihre Trauerkleider nie ab- gelegt, fie kleidete fih immer Schwarz, nur an ſehr heißen Sommertagen geihah es, daß fie ein lihteres Kleid nahm, wo auf dem Ichmwarzen Grunde graue Tüpfhen zu jehen waren.

In Früher Jugend war auch Bela ein gutes, zu Haufe figendes, folglames Kind, etwas furhtfam, und an dem Node feiner Mutter hängend,; doch Ändert fi dies mit der Zeit, wenn die Kinder großwachſen, und die guten Alten wollen es nit veritehen.

Die alte Laͤvay glaubt heut’ zu Tage nod), daß ihr Söhnlein das folgſamſte Kind der Welt ift, welhes um Erlaubniß frägt, wenn es eine Frucht berühren will, und alliogleih die Hand zurüdzieht, wenn Mütterhen jagt, daß fie „un= reif“ jet. Sie ift heute noch ſtolz auf ihn, denn fie glaubt überhaupt, daß ihr Bela der Ihünite, geſcheideſte, und ftärfite von allen Männern der Welt ift.

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Sie muß ja dies aut beiten willen, denn als er Kein geweien, hatte ja fie jeine vothen Wangen gewajhen, jein blondes Seidenhaar ge- fümmt; ſie muß am beiten wiſſen, weld' ein Ihönes, Heines Kind ihr Bela ift.

Auh das hatte jie ja gejehen, wie ihr Söhnlein es den Uebrigen in der Gymnaftif, vorgethan, wie er viel, viel größere Burſchen, als er, zu Boden wart. Ad, er war unftreitig der ftärkfte! |

Wie ftolz war fie erſt auf jeine Gelehriam- feit. Stets war er der erjte feiner Klaſſe. Mo andere noch buchſtabirten, gehörte er ſchon unter die Leſer; wie lobte man ihn Ipäter, alser größer geworden, für jeine lateiniihen Aufſätze; um ſei— ner, Ihönen Handſchrift gar nicht zu gedenken. Und welde Freudentage waren es, al3 er die erite Prämie erhielt, al3 er von der Univerfität heim— fehrte, wie jtolz zeigte die gute Witwe die- emti- nenten Zeugniffe! Der größte Triumphtag war jedoch, als nad) Ablegung der Zenfur das Diplom mit dem Prällarum in der a feierlich publizirt wurde.

Wie viel hatte die gute Witwe über alles diejes nachgedacht, wenn fie in ihrem puritaniſch einfahen Zimmer am Spinnroden ſaß, und, bon Niemanden gehört, heilige Pialmverje fang, und wie fie zu Haufe entbehrte und parte, Damit ihr Söhnlein in der Hauptitadt ſich's gütlih thun könne.

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Aber die Kinder wachſen heran, und die Freude der Eltern verwandelt fih in Sorge. Der ftatt- liche Junge wird durd die Liebe der Mädchen der Mutter abwendig gemacht; und es trägt fi, ob ſich eine Liebe finden, welche die der Mutter auf- wiegt. Sein Muth, jeine Kraft verleitet ihn zu ge= rährlihen Händeln; und die arme Mutter be= merkt an einem jhönen Tage, dag ihr Söhn- lein mit einer Narbe auf der Stine heimfehrte ; und das Söhnlein brüftet ſich nod mit dieſer Narbe, denn der Gegner hat deren drei erhalten, ad)! wenn man ihn getüdtet hätte! „Verdecke die Narbe mit deinen Locken, jagte die Witwe damit fie nicht Jedermann ſehe!“ |

Und nachdem das feine Söhnlein ein großer Manı geworden, und ſich wie einjt auf den Schulen, nun zum großen Examen des öffentlichen Lebens jtellt, und zu iprecdhen beginnt von Din— gen, über welche der eine Theil der Zuhörer in ſtürmiſche Beitallsrufe ausbricht, während der an= dere mwüthend ein „Ereuziget ihn!“ ruft; ad), wie pocht doch damals das Herz der armen Witwe ! Ah, wie Ihade, das die Kinder jo groß heran wachſen, wäre es nicht beifer, wenn fie immer To lieb und Elein blieben !

Frau Lavay hatte auch jegt jelbit das Mit- tageffen beſorgt; es fam nur das auf den Tiſch, was ihr Sohn gen aß; prädtige ſchmackhafte Speiſen. Pußtafi konnte fi) des Lobes nicht ent-

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halten, nd nahm von Allem zweimal ; die Hausfrau drängt ihn aber, auch das dritte Mal zugulangen !! Bela genießt nihts. Er Schaut ftumm auf fein Teller, und wenn ihm die Alte die loderjten Biffen vorlegt, vergißt er fie auf dem Teller, und jagt: er habe feinen Hunger.

Bift Du frant? Fehlt Dir Etwas ?

Ganz und gar nide. Ich eſſe ja genug.

D, auf den, der Ihon geſtorben ift, jagt man, er hat ſchon genug gegeſſen. Dod es fehlt Dir wirklid Etwas. Oder ſchmeckt Dir das Eſſen zu Haufe nicht mehr. Niht wahr, «3 ihmedt Dir nidt. In Peſt befümmt man Beſ— ſeres. Sagen Sie mir doch, Herr Pußtafi, denn mir gefteht er's nicht, was jpeilte denn Bela ges wöhnlidy in Veit? Ich kann das auc bereiten, wenn ich es nicht kann, will ich's erlernen; ich) ſchaffe es vom Ende der Welt her, wenn man es hier nicht bekommen kann. |

Die Lippen der guten Alten zitterten, dem Weinen nahe in ihrer Betrübniß; Bela legte jeine Hand verjühnend auf die feiner Mutter.

Alles, was hier ift, meine Mutter, iſt jehr gut; nur mein Gaumen it Ichledht.

Das ıft nicht wahr, niht Dein Gaumen ift Schlecht, fondern Du haft irgend ein Leid, das Du mir verheimlichft. Nicht, wahr Herr Pußtafi?

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Er bat irgend ein großes Leid. Bor mir ver— heimlicht er es.

Bela Fehlt garnichts, glauben Sie es, jagte Puhtafi mit rauhem Sarkasmus. Das Ganze beſteht darın, dag er jekt zweiundzwanzig Jahre alt ift; jet kommen die Weisheitszähne, und die Heinen Kinder pflegen Schlechter Laune zu jein, wenn ſie einen Zahn bekommen.

Die alte Dame aber veritand keinerlei Wig, beionders wenn von Bela die Rede war.

D! mein Bela braucht feine Weisheits- zähne mehr. Eher ift das jein Uebel, daß er mehr Verſtand hat als Andere. Deswegen ber: folgt, beneidet man ihn. Ich weiß Alles recht gut, obzwar idy nirgendshin aus dem Haufe gebe. Denn wenn Jemand etwas Schlechtes jagen kann, wodurd er mir Verdruß bereitet, jo fümmt er zu mir. Wenn meine Freundinnen mid) bejuchen, jo weiß ich's im Voraus, daß fie nur darum fommen, weil fie irgend ein Gellatih über Bela in Bereitihaft haben. Sie erzählen mir, wie jehr fi) die Herren über jeine Rede geärgert haben, die er in der Verjammlung gehalten; in welcher er ſagte, man müfje den Bauern von den Herren befreien. Und er hatte doch Recht. Ich war nicht dort, doch ich weik gewiß, daß er richtig geſprochen.

Er hat klaſſiſch geſprochen! verſicherte

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Pußtafi heitig. Wenn er nit jo geiproden hätte, jo müßten Sie jetnetwegen erröthen.

Nun, niht wahr? fiel Frau Lävan ein. Daß id doch Jemanden finde, der ſagt, er habe tihtig geiproden. Und doch hatte er viele herr- Ihartlihe Freunde, die früher feinen Pla gut genug für ihn fanden und jekt jagen, daß man meinen Bela von jektan nicht einmal zum Ran: zelliften annehmen werde.

Hahaha! late Pußtafi. Erging auch nicht darauf los.

Die, welde ihn früher feinen Tag ent: behren konnten, verleugnen ſich jekt vor ihn. Das thun Diejenigen, welche ihn mit füßen Worten gelodt, und auch Diejenige, die jeinen Verlo— bungsring getragen.

Ich bitte Ste, liebe Mutter, ſprechen wir hierüber nidt, jagte Bela mißmuthig: ſonſt werde ich nod weniger eſſen fünnen.

Na, na, nimm es Dir nit jo zu Herzen, lieber Sohn. Ih mollte Did) nicht verfuhen. Jh weiß es gut, daß nicht fie die Schuld trägt, ſondern ihre hohmüthigen Eltern ; jagte ich's Dir beftändig, daß es uns nicht gut it, auf ein größeres Glück zu warten, als wel- ches uns gebührt.

Ras, Glück? fuhr Pußtafi empor. Möge ſich es das Mädchen als Glück anrechnen, wenn Bela fie mit feiner Neigung beehrt. Bela

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wird ſtets um einen Kopf höher ſteigen als Andere! |

Ich werde mic freuen, wenn er nicht um einen Kopf niedriger wird, jagte die gute Alte mit ängftliher Anfpielung.

—_ Mfo auch Sie, Mutter ! jeufzte Bela mit Ihmerzlihem Vorwurf.

Na, na, mein Sohn, id) wollte Did ja nicht betrüben. IH ſagte es nur jo, denn Du weißt e3 ja, daß dieſe närriihen Menſchen jet von nichts Anderem jprechen, als daß Du deinen Kopf auf's Spiel geſetzt haft. Dies ift aber nicht wahr, ih weiß es, daß es nicht wahr ift.

Ad, was braudt man auf das Hein- ftädtiihe Geſchwätz zu hören! rief Pußtafi, ji zornig mit beiden Ellbogen auf den Tiſch ftem- mend. Bela iſt darüber hinaus, daß man ihm ſchaden könnte.

Das ſag' ich ja auch. Habe ich nicht unzählige Mal zu meinem Sohne geſprochen: Weshalb ſuchſt Du ihre Freundſchaft, meshalb gehft Du ihnen nad, und härmft Dich mit ihnen ab?.. Du ftehft ja auf fie niht an, wirſt aud feinen wahren, aufrihtigen Menihen unter ihnen finden. Härme Did nit, mein Kind ; wir haben ja ein fleines Gut auf dem Lande, wir ziehen dort hinaus; Du bit ein guter Wirth, id) bin ſparſam, wir werden auf unjerem befcheidenen Gute ebento leben fünnen, wie es deine Ahnen

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gethan, von denen feiner unter achtzig Jahren geftorben tft... Ab wäre auch Dein arımer Vater Sort geblieben, aber er war auch jo voll Eifer wie Du. Auch er hatte jih dem öffentli- hen Leben gewidmet und hatte das eigene mit dem dreißigſten Jahre beendet.

Der frommen Witwe trat bei diejer Erin- nerung ummillfürlid eine Thräne in's Auge; durch diejen Thränenglanz blicte jie jo bejorgt, jo liebe- voll auf ihren Sohn, daß Pußtafi den ſchmerz— lihen Zauber dieſes Blickes niht ertragen konnte und vom Tiihe aufftand; und dod war nod) fo mander Leckerbiſſen zurüd, Gingejottenes, dürres Obſt, was die Witwe das ganze Jahr bindurd) für ihren Sohn bereitete; wurde ja doch Alles nur für ihn bereitet.

Auh Bela ftand auf, küßte die Hand und das Antlig Seiner Mutter; die gute Matrone umarmte ihn und flüfterte ihm zu: „WBergik deiner armen Mutter nicht.“

Pußtafi wollte in die Konveriation eine hei: terere Stimmung bringen.

VBerzärteln Sie doch dieſes Kind nicht gar jo jehr. Glauben Ste mir, er verdient nicht halb fo viel. |

Wenn ih aber Niemand Andern zu ver: zärteln habe. Und danıt, wenn ic ihn jehe, iſt's mir, al3 ob jein armer Bater vor mir ftünde. Diefelbe hohe Stirne, dielelben Tanften Augen,

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jelbft feine Stimme, jelbjt der Klang ſeiner Schritte find diefelben. Seine Feinde jelbft find dieſelben.

Ab, vor diejen machen Sie ihm feine Furcht. Bela ift ein Mann, der feinen Feinden zu antworten weiß.

D! ih möchte es auch ichen! Wenn Jemand meinen Sohn beleidigte! Weil ich jo leicht weine, müflen Sie nicht glauben, daß id ſchwach bin. Fragen Sie nur Herrn Tertdi, als er bei Lebenszeiten meines theuern Mannes hieher kam, ji) grob benahm, weil er ihm in feinen Rech— nungen den Unterſchleif nachwies; mein armer Seliger war ein ſehr ſanfter Menſch; ich aber, als ich fah, daß er nicht fo grob ſprechen Tonnte wie Jener, ergriff die Hanfftange vom Spinn: rocken und ftellte mid dem Tertöi entgegen: „Der Herr pade ſich ſofort von hier, ſonſt ſchlage ich ihm den Rodenftiel jo an den Rüden, wie er noch nie mit einem Rodenftiel geprügelt !* Er trollte fi) aud) fort der Gute, vor Schreden fand er faum die Thürklinke.

Bei diejer Erinnerung war das Geſicht der Witwe ganz roth geworden; was wieder heitere Laune in die Geſellſchaft bradte. Die gute Dante fam dann in den beften Humor; ſie be- traute den Pußtafi, er möge es überall, wohin ex käme, felbft in Peſt Sagen: „Möge nur Je— mand meinen Sohn jo beleidigen, daß ich ihn duchprügle.“

Jetzt weiß id ſchon, daß Ste rauchen möchten, ich ſchicke alſo den Kaffee auf Béla's Zimmer.

Frau Lévay ging ihn ſelbſt bereiten.

Als die jungen Leute in Béla's Zimmer allein blieben, ſprach Pußtafi mit ernſtem Pe zu Bela :

Seht, theuerer Freund, thut es mir ſchon leid daß ich den Brief jenes dummen Kerl's abgeſchickt habe.

Warum?

Weil ich ſehe, daß Dir nicht nur Deine Geliebte am Herzen liegt, ſondern noch mehr Deine Mutter. Sieh', als ich ſelbſt meine, hun— dertmal verfluchte, doch immer angebetete Lauf— bahn betrat, hielt auch mich eine nie, nie wieder zu erträumende, liebende mütterliche Stimme zu— rüd, vertröſtete mich; und wenn mid damals Jemand beredet hätte, id) möge auf dies Wort nicht hören, id) wäre jet jein Todfeind, doch da e5 Niemand gethan, als ich ſelbſt, fann id) auch Niemanden verfolgen.

In diefem Augenblide fingen die Hofhunde zu bellen an und Bela eilte an die Thüre, denn Jemand vertheidigte ſich gegen einen harten Angriff.

Ah! Barfing, Du biſt's, den die Hunde verihlingen wollen ?

Hole fie der Teufel! ſchrie der Ankom—

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mende, mit dem Rüden die Thüre eindrückend und ſich gegen zwei giftige Wolfshunde mit feinem Stode vertheidigend ; jo oft id) herfomme, wollen fie mid freien. Ah! ergebeniter Diener! damit drehte er fih um. Es war ein großer, junger Mann mit gelblihem, mit rothen Sommeriproffen beſäetem Geſichte, welches ein wolkenfarbener Bart und Schnurbart bunt machte, mit wäſſerig blauen, ſtechenden Augen, mit breiten, aufgedunſenen Lippen, mit impertinent farbigem Haar, das an Sonn: und Feiertagen vom Friſeur künftleriih arrangirt iſt; die ganze Figur kündigt ſchon von Weiten ihre Ankunft durch ihren unausftehlihen Parfum an. Der edle Züngling wählte zu feinem Gefihte paſſende Farben, da er eine jalatgrüne Magyarka anzog, aus deren weiten,, offenen Aermeln vojafarbenes Seidenfutter morgenöthlih ftrahlte, dazu eine weichſelfarbene Sammtweſte, ‚und obzwar es id nicht ſchickt, von gewiſſen Kleidungsſtücken zu Iprehen, wäre es doch Jammerſchade, den guten Einfall zu verihweigen, daß er. den Saum des Tuches, aus dem er Seine Inexpreſſiblen anfer- tigen ließ und auf welhem die Firma der betref- fenden Fabrik aufgeihrieben zu fein pflegt: „Driginalsvaterlandiihes Erzeugniß, 1846," außen an feine Pantalon ftatt eines Streifens nähen ließ, damit es Jeder von ferne leſen könne.

Shön willfommen! ſprach Pußtafi

lachend zu dem Hineinflüchtenden, Bald ware es Ihnen ergangen wie Milo von Kreta.

Der Teufel hole Deine Hunde , lärmte diejer, noch außer fih vor Schreden. Ich fagte ihon, daß ich fie einmal vergiften werde, wenn Du fie nicht befjer gemöhnft. Du mußt fie ab- ſichtlich dreffiren, mich zu paden. Sid dann ein wenig faffend, wandte er fih zu Pußtafi, nahm eine feierlihe Pofitur an und begann mit ver— änderter Stimme folgendermaßen: „Hochgeehrter Patriot!"

Um des Himmelswillen, „Freund der Tugend‘, Sie tollen doch hoffentlich feine Rede halten ?

(Nun mug man willen, daß damals die Anſprache „Freund der Tugend“ beim „jungen Ungarn“ jehr in der Mode war, namentlid) wurde es Leuten gegenüber angewendet denen man nicht gern fagte: „mein Freud!)

Geehrter Patriot! Ja ic) bin der Ge- jandte der Tugend; und bin jo frei, Ihnen, als einem weltberühmten großen Manne, im Namen unjerer, Stadt eine Einladungsfarte zum morgi= gen Feitbankette zu überreichen.

Pußtafi ließ die fragliche Karte nicht ein- mal aus dem ſchönen Solopapier herausnehmen.

Sind Sie nur wieder jo frei Freund der Tugend die Karte zurüdzutragen und jagen Sie der edeln Jugend, ich werde, wenn

Andere Zeiten, and. Menfhen 1. B. 5

Ba man „mir zu Liebe“ irgend ein ——— arrangiren wird, hinkommen. Und nun ſprechen wir von andern Dingen. Ich habe ihre Dra— men bereits dem ——— -Komité über: geben.

Er wußte wohl, daß er, wenn davon die Rede ift, das Bankett, die Gejandtihaft und Die Rede im Stiche lafjen werde.

Wirklich? Bei wen find Ste ſchon?

Birösmarty hat fie Ihon gelejen.

Und wie urtheilte er darüber ?

Auf das Luftipiel jagte er: „ein hüb- ihes, Kleines Zuftipiel.“

Freilich konnte das die ganze Welt nicht wiſſen, daß der berühmte Dichter, wenn ihm ein ſehr werthloſes, poetiſches Werk in die Hand kam, es mit dieſem kleinen, lauen Epitheton zu taufen pflegte: „hübſch klein.“)

Wirklich! rief Herr Bärfing mit ſtrah— lendem Auge, und umarmte Pußtafi. Was ſagte er denn zum Drama?

Von dieſem ſagte er: „wahrhaftig ein giftiges Kleines Drama.“ |

Auch das war nicht Jedermann an Die Naſe gebunden, dag, wenn der launige Dichter: rezenſent auf irgend ein dichteriſches Werk fagte:

„ein giftiges Meines Gütchen“, Dies ein fürdter= uͤches Produkt ſein mußte. |

Du ſagſt Einem gar nicht, daß Du Dramen ſchreibſt! tadelte Bela ſcherzend Herrn Baͤrfing. |

Hm! WVir fünnen nit Alle in einer Sache ausgezeichnet fein. Du pflüdft auf der Rednerbühne Lorbeeren. Hier erihraf Herr Bärfing jelbit vor dem, was er gejagt, ·Laͤvay runzelte auf dieſes Wort feine Augenbrauen ; vieleiht nimmt er’3 für eine Nederei! Herr Barfing hielt es daher für gut, feine Rede mit ihmeidhelnder Stimme zu verändern. Siehſt Du, theurer Freund, warum trateft Du auch von der morgigen Rede zurüd ? Allefammt bedauerten wir es. Du gabjt nit einmal eine Urſache an. Du zeigteft einfah an, Du würdeſt nicht ſprechen.

Pußtafi blickte beſorgt auf Bela ; er kannte ſeinen Mann; er wußte, dies ſei der Lockruf des „Provokateurs“: was wird er wohl darauf ant- morten, damit er fi) weder erniedrige, noch berrathe.

a mein lieber Nazi, Jagte Bela leicht- bin, id babe darum einfad) abgejagt, weil ig, bon der Ankunft Pußtafi's unterrichtet, es na= türlih) fand, meinen Gaft und Freund nicht zu verlafien.

Bravo! brummte Pußtafi. Der Junge ift zum Diplomaten geboren: er lügt nidt, jagt aber

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ei. HR

auch nicht die Wahrheit; er verleht, laͤßt ſich aber dabei nicht fangen.

Doch ſprechen wir lieber von klügern Dingen, „Freund der Tugend“, was haben Sie mit meinem Briefe, den ich Ihnen anvertraute, gemaht? Das ift die Hauptſache. Ich Habe mich für Sie verwendet; was thaten Sie für mid) ? | Ich bitte taufend Mal um Verzeihung, geehrter Patriot! bis jegt Tonnte ih ihn nicht übergeben, weil fienod nit zu Haufe waren, Gott ſei Dank! dachte Pußtafi bei fih und fiel Baͤrſing unwillig in die Rede.

Wenn Sie ihn bis jet nicht übergeben haben, jo thuen Sie es aud) nit mehr.

Aber ich bitte ergebenft, entihuldigte ſich der nationalfärbige Züngling betroffen ; Sie waren nicht hier, ih wußte aud nicht wo fie wären. |

Leere Ausfluht. Schon geiten Abends famen fie an.

Sa, aber ih konnte nicht hingehen, denn vor zwölf Uhr kann man dort feinen Be: ſuch machen. Jetzt gehe ich geraden Weges hin: Ich habe ſowohl Brief als Bogen bei mir.

Geben Sie Beides zurüd. Ich will überhaupt das Fräulein niht damit beläftigen. Nicht wahr lieber Bela, auch Du hältjt es für unrecht, daß ein Dichter zu feinen Pränume:

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rations = Bogen auch einen Empfehlungs = Brief ſchreibe.

Bei dieſen Worten ſah Pußtafi mit bedeu— tungsvollem Blicke auf Bela.

Bela ſtützte ſich mit verſchlungenen Armen auf ſeinen Schreibtiſch. Pußtafi erwartete eine Antwort auf ſeine Frage.

„Nein,“ antwortete Bela,

Wie? Du glaubſt alſo es ſei in Ordnung, wenn ich meinen Sammelbogen in Be— gleitung des Empfehlungsſchreibens an Kräulein Hargitay ſchicke? |

„a,“ antwortete Bela ruhig.

Pußtafi fragte, näher zu ihm "hintretend, ihn noch einmal ernft:

Und antworteft Du mir jo, bedenfend was daraus entjtehen fann ?

X. | O! fürdten Sie Nichts, fiel Held Bärfing ſchwatzend ein ; es wird gar feine ſchlech— ten Folgen haben. Ich bitte es nur mir zu überlaffen. Ab, Fräulein Judith ift feine ſolche Dame.

Bei fih dahte er: Gewiß hat ihn Laͤvay angeredet, an Sie zu ſchreiben; gewiß bat er jeine gewejene Braut ſchön beredet. Auch das it ein Stein gegen Bela bei den Hargitan's..

Nun, ſo tragen Sie, „Freund der Tugend”, meine Sendung jenem biedern Mägdlein

a U © , hin und bringen Sie bald Antwort, ob fie die— jelbe angenommen hat oder nicht.

5b werde im Augenblide bier fein! Das heißt: id habe von drei bis vier Uhr einen Zermin: Wir verfaffen irgendwo ein Teftament. Sie erlauben es jehr geehrter Patriot.

DI! jehr gerne, laffen Sie jo viel Te— ftamente machen al3 Sie wollen.

Punkt vier Uhr jedod bin ih hier. Bis dahin empfehle ih mid. Ich bitte Dich . Bela, pfeife Deinen Hunden, daß fie mir nicht nachſetzen. Vorhin big mid einer in die Flechſe, zum Glüde ift mein Beinkleid aus vaterlän- diſchem Tuche, jo, dab feine Zähne es nicht durchbeißen konnten.

Welcher war'sdenn? fragte Pußtafi theilnahmsvoll.

Der Rothe, der Cziczke. Hahaha, ich empfehle mich.

Dann, während Bela perjünlih den Ritter Barling bis zum Thore eskortirte, rief Pußtafi Cziczke in's Zimmer, gab ihm Zuder, ftreichelte ihn, lieblofte jeinen Kopf: „DO! du Fluges, liches Thier, du treffliher Menſchenkenner, Weifer !

Eine Minute fpäter fehrte Bela zurüd. Die zwei jungen Berufsgenoffen begegneten ein— ander in der offenen Thüre.

Siereihten einander zu gleiher Zeitdie Hände,

Du haft Deines Schickſals Würfel ge: worfen, ſprach Pußtafi.

Erijt in Gottes und Judith's Hand, erwiederte Bela mit wahrer Andacht.

Beneidenswerther Menſch, ſprach Pup- tafi feufzend, der noch auf Gott und feine Ge— liebte vertraut.

Ein Herz, weldes beim Berühren Funken fprüht.

Herr Bärjing eilte zu den Hargitay's, in- joferne diefe Eile nad) dem gefallenen nächtlichen Regen in einer Stadt möglid) war, wo bet fothi- gem Wetter der auf Beſuch ausgehende Dandy über das holperige Pflafter einen förmlichen Eier- tanz hüpfen muß, wenn er fein Ziel mit halb— wegs reinen Stiefeln erreihen will; damal3 wa— ven die Gummi-Galoſchen feligen Andenfens melde ſich fpäter einen jo emblemiihen Auf erwarben, nody 'niht aus Amerifa importirt worden.

Sm Haufe mit dem grünen Thore wurden die Leute niht von Hunden angebelt, vielmehr fonnte Bärfing bis zur Thüre des Vorzimmers dringen, ohne Jemanden zu. begegnen. Aud) das Vorzimmer war gänzlid) leer; der Hußaͤr mochte vermuthlih beim gnädigen Herin, das Stuben- mädchen bei der Dame beihäftigt jein.

Barfing gerieth in Berlegenheit. Was thut bei folder Gelegenheit ein „an die gute Gefell- ihaft gewöhnter Mann“ ?.. Er hatte zwar jene in 333 Paragraphen abgefaßte „Etude“ aus-

wendig gelernt, welche den Mann, der fie hält, zum „MWeltmann“ ftempelt; aber 8. 4 derjelben jagt: Wenn ein „an die gute Gejellihaft ge: wöhnter Mann“ in ein herrihaftlihes Haus kömmt, frägt er den Diener, ob die gnädige Frau und das gnädige Fräulein zu Haufe feien? Iſt nur das Fräulein zu Haufe, dann läßt er fi nicht anmelden, jondern gibt einfach feine Karte gehörig eingebogen ab; iſt aber aud die Dame des Haujes daheim, dann nennt er feinen Nanten, und mährend ihn der Diener anmeldet, muftert er feine Toilette, ob Nichts in Unordnung. ge— rathen? dem zurüdfehrenden Diener übergibt er dann feinen Stod, während er den Hut bei- 05 i

Aber das vortrefflihe Bud gibt gar. feine Snftruktion für den Fall, wenn man keine Diener- jeele im Vorzimmer antrifft... Was dann zu machen? Solle man eine Stunde lang warten ? Aus langer Weile vielleiht den in der Kaffee: mühle ftehen gebliebenen Kaffee fertig mahlen ?.. Durch Räufpern, Fußſchauern feine Anwejenheit fundgeben, oder einfach) umkehren und davongehen? Ueberhaupt dann, wenn die in das Zimmer der Dame führende Thür offen fteht, und man es un- willkürlich mit anhören muß, wie Frau von Har- gitay mit ihrer ſcharfen Stimme Femanden aus= iheltet; und wenn diefer Jemand Niemand ans derer ift, als das Fräulein ſelbſt.

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Herr Bärfing war der Anfiht, dag ein „an die gute Geſellſchaft gewohnter Mann“ bei jolden Gelegenheiten zu lauſchen pflegt. Hier ift abermal3 zu bemerlen, daß dies vor fünfzehn Sahren geihah, wo das Lauſchen an den Thüren diplomatiih noch nicht autorifirt war; und wo derjenige Sournalift, welcher feinen Beriht aljo begonnen hätte: „Ueber die Details der geheimen Konferenz können wir nad unjerem Berichter— ftatter mittheilen“, fiher fein konnte, daß der Leſer in den Auf ausbriht: „fiehe den Unver— \hämten, er hat gelauſcht!“ ...

Dies kümmerte aber Herrn Barfiny nicht, er lauſchte. War er doch allein, und hatte fi vor, Niemanden zu Ihämen. So wie der Gegen- ſtand des Geſprächs immer intereffanter zu wer: den begann, um jo näher rüdte Herr Bärfing der Thüre und hielt zulegt fein Ohr an die— jelbe.

Die gnädige Frau halt Fräulein Judith.

EIER es ijt die letzte Stunde: wenn Du Dich nicht entiheideft, wirft Du die Folgen fehen ! Meder ih, nod Dein Vater werden je einwilligen, daß Du feine Gattin wirft. Dein Vater ift un= verföhnlich gegen ihn. Du verfteht das Warum nit, das ift Politik. Dein Vater ift der libe- ralite Mann des Komitates, Du weißt, welde glänzende Fackelmuſik ihm gebracht ‘wurde, als er das Adminiftratoren-Spftem jo mächtig angriff !

Hi

Und als er erft in Angelegenheit der gemiſchten Ehen loszog... Man führte ihn von Komitat zu Komitat, wie einft Johann Balogh und Fo— rintos, damit er überall Reden halten möge. War e3 niht Dein Vater, weldher’inder Urbarialfrage für die „Ablöfung“ plaidirte! Hat man ihn nicht verherrliht dafür? Und jest läuft jo ein Schul: junge ber, um ihn zubeihämen und ihn zu über- treffen, einen Mann, wie Dein Bater!.. Er geht Daher, und jchreit e3 in die Melt hinaus: ‚nicht Ablöfung“ fondern allfogleihe Abihaffung des Urbariums!.. Weißt Du, was das zu be= deuten bat?!.. Revolution!.. Und weißt Du, was mit dem gejchieht, der eine Revolution an— itiftet ?!.. Er wird enthauptet.... Was joll nun Dein Vater mahen? Wenn er dem jungen Manne opponirt, nennt man ihn einen Pectovics!.. E3 wird ihm, wie Paul Nagy ergehen; vorgejtern war er noch der Abgott der Nation, heute wiſcht man die Ihmugigen Kühe an ihn... . In einem Moment kann Dein Bater feine Popularität ein= büßen, und daran ftirbt er. Bedenfe, wenn es ihm einmal ergehen möchte wie es dem Honther Deputirten in Peſt erging ? Er würde fi augen blilih eine Kugel vor den Kopf jagen!...

Fräulein Judith erwiederte hie und da ein Wort, doch ſo Teile, daß man es nicht hören Ionnte.

Frau von Hargitay Half dem jedoch ab, ın-

ne

dem fie die Worte ihrer Tochter jo laut wieder: holte, daß fie auch Bärfing vernehmen fonnte.

Du meinſt, er habe ja Recht, er ſpreche die Wahrheit, ih bedanke mich für ſolche Wahrheit! Wenn dies einmal geihieht, dann Fün- nen wir vom Boden jteigen !

„. ... was ſprichſt Du? dag wir dann zu Fuß ſpazieren werden?.. Selbſt das weiße Brod wird uns aus den Händen fallen!.

. . . . bit mit dem Schwarzen aud) zu= frieden?! Von Dir trägt das aber der ganze befigende Adel Ungarns nidt. Zum Glüd hängt es auch nit von Dir ab; weder von den windbeuteligen jungen Herren. Mit diefen Leuten haben wir jede Berbindung abgebroden. . . Es it nit zu leugnen, da auch wir Lävay ach— teten: daß es nicht mehr jo ift, daran trägt er felbft die Schuld, warum Hat er fih in Ichledhte Geſellſchaft gemiiht. In was für jchledte Geſellſchaft? .. Weiß vielleiht nicht Jedermann, wer dieſer Pußtafi und feine Liga ſei? . .. Ein Dichter?

Ja, aber welch cin Dichter! . . . Ein Agitator, ein Landesſtoörer, den man anderswo laͤngft in Ketten gelegt hätte... Wenn ihm ſolche Menihen beifer anftehen, mögen fie ihm bleiben. Dein Vater hat es ihm Hug zu wiffen gemadt. Er trug ihm eine fihere Stelle bei

a

——

dem Fürſten ** an, wer ſchlug ſie aus, nicht er? Und doch hätte es Deinem Vater nur ein Wort gekoſtet, um dieſe Stelle an Baͤrſing zu ver— leihen. . . Jetzt iſt es zu ſpaͤt zur Umkehr; er hatte ſelbſt die Thüren Hinter ſich verriegelt, und Du mußt ihn aus dem Kopfe ſchlagen. Du weißt es gut, daß Dein Vater ein ſtrenger Mann iſt, was er einmal ausgeſprochen, daran hält er feſt. Heute Nachmittag um drei Uhr werden mein Bruder und Bärling zu ihm kommen, um das Teftament zu verfaffen. In dieſem Tefta- ment wird Deine Hand derart gebunden werden, dag Did, wenn Du gegen unjeren Willen hei— raten follteft, die Strafe auch nad) unferem Tode ereilen ſoll. ..

Ich wollte die Sache nicht ſo weit treiben, aber der Entſchluß Deines Vaters iſt unerſchüt— terlih, Du kennſt deinen Vater, haft ja fein Naturell geerbt; biſt ebenſo hartnädig wie er; wirst es einft bereuen!

Hier folgte eine längere Antwort Judith's, aber ebenjo leiſe und in ebenſo gedrüdtem Tone, das Bärfing fein Wort davon vernehmen konnte, troßdem er ſich To hart an die Thüre lehnte, day er nicht einmal Martin den Hußären bemerfte, welher mit einem Stoß Porzellaingeihirr in's Zimmer trat und dem horhenden jungen Herin einen vertraulihen Schlag auf den Rüden ver: jeßte, mit den Worten:

ER

‚Suten Tag, Jank! ...

Herr Bärfing ſah fi erihroden um.

Tauſendmal um Vergebung... grinste der Hußaͤr, ih glaubte es jei Janko, der Diener der BVerpflegsbeamtin. . Ih werde Sie der gnädigen Frau allfogleid) melden.

Der junge Herr aber mußte den Puff und das naive Qui pro quo dulden, indem er ih in einer Stellung ertappen ließ, wobei er ſich's als Glück anrechnen konnte, daß man ihn nur für einen Diener, und nit für ein Stuben- maͤdchen anſah.

Martin kam nach wenigen Minuten zurück und ſprach: „Belieben hinein zu ſpazieren.“

Es war dies kein zum Beſuch geeigneter Moment. Aber: Baͤrſing mußte gehen, denn Martin riß die Thüre auf und drängte ihn in’s Zimmer. |

Martin ſchloß die Thüre; und als er allein im VBorzimmer war, machte er die Bewegung, wie wenn man Ginen mit beiden Fäuften am Kragen padt, und bei der Thüre hinauswerfen will, fi aber befinnt, und den Wurf durch's Fenſter vornimmt; dann drohte er nohmals mit, der Fauft und ging, um feine Xeller abzu— wiſchen.

Waͤhrend dem fühlte der in den Saal ge— tretene Bärfing eine arge Bellemmung, indem er bedachte, daß er nun vor eine Gejellihaft, die aus=

gemweinte Augen hat, treten müffe; zu jeinem großen Erftaunen mußte er jedoch bemerken, daß die ſtattgehabte Rede nichts mit den Geſichts— zügen zu thun hatte: Frau von Hargitay fanı ihm mit dem freundlihften Lächeln entgegen, während Fräulein Judith mit leidenſchaftsloſen Gleichmuth vor einem Tifhe ftand, welder mit verihiedenen Coiffuren bededt mar.

Kommen Sie, fommen Sie ur, Bärſing. Ste haben in ſolchen Saden guten Geihmad. Ich zanfe eben mit meiner Tochter darüber, vielleiht haben Sie jhon im Vorzimmer gehört ? wvelchen Kopfpuß fie für die morgige Ein- zugsfeierlichkeit wählen fol. Sie will ſich nicht nad) meinem Geſchmack richten; wir wollen jehen, wen bon uns beiden Herr Bärfing recht "DER

Auf dem Tiihe lag eine große Auswahl verſchiedenſter Kopfputze. Ein Kranz bon win— zigen blaffen Röschen, ein antikes Diadem mit diamantenen Zitternadeln, eine Guirlande aus Perlen und Vergißmeinnicht, und ein Mor: thenzweig. |

Frau Hargitay Hatte einen jeden dieſer Kopfpuge ihrer Tochter anprobirt, und frug eins um's andere: wie gefällt Ihnen Dies, Bärfing ?

Judith ließ Alles mit ſich thun, ohne einen Laut von fid) zu geben; fein einziges Mal: hatte

fie ihr blaffes Gefiht mit den wunderbar ſchönen Zügen, den großen ſchwarzen Augen und dich— ten Augenbrauen gegen den Spiegel gewendet.

Baͤrſing hatte wahrlih Urſache genug, hin— fihtlih feines Urtheil3 in Werlegenheit zu ge: rathen.

Mit dem Roſenkranze in den Haaren kam ſie ihm wie eine Braut vor.

Mit dem Diadem ſchien fie eine Königin.

Mit der Perlenguirlande gli fie "einer Göttin. |

Und mit dem Myrthenzweige ſah fie wie eine Ihöne Todte aus.

Herr Bärfing glaubte dem weiſen Salo— mon dadurch am nächjten zu rüden, wenn er all’ die Schönheiten in einem Bündel zujammenfaßt und löste die Frage jo, daß er beantragte, man möge den Roſenkranz und die Perlenſchnur um da3 Diadem flehten, und ſoll es das Fräulein aufſetzen.

Frau Hargitay warf ihm einen zornigen Blick zu, als wollte fie jagen: Zalf! konn— teft Du denn nit aud noch den Myrthenzweig dazu nehmen ? |

Judith griff mit kaltem Lächeln nad dem Myrthenzweig fie hatte Diejen gewählt und ftesfte ihn jelbft in die nachtſchwarzen Haare ; und als fie hiebei auf einen Moment die Augen gegen den Himmel bob, glih fie einer Ber:

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Härten, welche durd) Die Lüfte in die himmlischen Höhen gleitet.

—Alſo, ich bleibe bei dem! - - fante Judith. Frau Hargitay zudte mit den Achſeln.

Weil e8 Jedermann wiederräth, alſo muß ſie es haben.

Bärfing erachtete es für nothwendig, nad) dieſer ſtillen Niederlage feſteren Fuß zu faſſen, und dies glaubte er dadurch zu erreichen, wenn er mit dem Auftrage Pußtafi's herausrückte.

So viel hatte er zma aus dent ſoeben durch die Thüre Erhorhten vernemmen, Daß der Name Pußtafi's in diefem Haufe nicht vom beften lange jei. Aber er hatte doch einen Ruhm im ganzen Lande, und jo glaubte Barfing gewiß zu fein, daß der Auftrag einer ſolchen Zelebrität ſelbſt hei Hargitay'? als. Auszeihnuug aufgenommen werden wird.

- Em. Gnaden,- besanı Bärfing, - - als ih in Peſt war, hatte mich Pußtafi, ein alter Be— fannter, erſucht, ih müge Er. Gnaden in eigener Verjon einen Prämmnerationsbogen ſammt einem von ihm geſchriebenen Empfehlungs: brief überreihen. So etwas kann mar nicht zu- rückweiſen.

Hierauf zog Bärfing mit mäzenasartigem Entſchluß den an Judith «erichteten vuß

Andere Zeiten, and. M

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tafi's aus der Taſche; Judith überreichte dieſen Brief unerbrochen ihrer Mutter.

Behalte ihn nur für Dich, wenn er für

Dich Vertrauen hatte. Wenn er's gewollt hätte, würde er mir geſchrieben haben. Es fcheint, daß er mehr auf Dich hält.

Frau Hargitay fühlte ſich in allem Ernfte verlegt, daß fie, Das erfte Pränumerantenfamm- ler-Talent des Komitats, jekt von einem Poeten fo bei Seite gejeßt wird.

Judith öffnete den Brief und begann zu leſen.

Man konnte es nicht einmal an der Spitze des Papieres ſehen, daß ihre Hände zitterten, während fie las.

Nur einen Moment hielt fie ihne, um über den Brief einen tödtlihen Blick auf Bärfing zu werfen. Dies mag bei jener Stelle. gewejen fein, wo e3 geſchrieben ftand, daß man fie an diefen Menſchen verheirathen wolle.

Als fie bis zu Ende gelejen, zerriß fie den Brief mit Falter verächtliher Miene , in Heine Stückchen, und warf diejelben in den Blu- menforb, |

Sagen Sie Herrin Pußtafi, daß ic mich mit jolhen Aujträgen nicht befaſſe, da ich weder Luft nod Gelegenheit dazu habe.

I SB Sn

Deshalb hätteft Du aber dod) nicht ſei— nen Brief zerreißen ſollen, Ihalt Frau Hargitay ihre Tochter.

63 ift mir fein angenehmes Angeden- fen, was mit dem Namen Pußtafi's zufammen: hängt.

Dies mußte man nad dem früher Gehör:

ten natürlid finden. Was mid) jelbit anbelangt, unterzeichne ich gerne für ein Gremplar.

Damit ging fie an ihren Schreibtif q, un⸗

terzeichnete mit feſter Hand ihren Namen, nahm dann zwei Silberguldenftüde aus ihrer Börfe und übergab dieſe jammt den unterzeichneten Bogen an Herm Bärfing.

Nachdem dieſer es eingejehen, daß er das Fräulein in ſchlechter Laune getroffen, begann er fih nad) dem gnädigen Herrn zu erkundigen.

Mein Gatte erwartet Sie bereits, ber: fiherte ihn Frau Hargitay, er will fie um eine Gefälligkeit erſuchen.

So? .. machte Dieſer mit einfältiger Miene, wo er es doch ganz gut wußte, weshalb

er gekommen. Dann will ih Ew. Gnaden

nicht beläſtigen, und begebe mich zum Herrn Ge: mahl. Habe die Ehre, mich beſtens zu em— pfehlen.

Zu Mittag werden wir doch das Ver— gnügen haben ? ö

nn 7

84

Weun es Ew. Gnaden befehlen, küſſe die gnädigen Hände,

Dabei erinmerie fi’ Bärfing des $. 39, welcher da tagt: „Beim Abichiednehmen hat man den Hut mit der linken Hand nad) rüdwärts zu hatten , erhobenen Dauptes eine Verbeugung zu machen, und rückwärts ſchreitend bis zur Thüre den Hausdamen ſtets das Angefiht zu zeigen“

- und er hielt fih an diefen Paragraph; das fatale Reglement bejagt aber nirgends, was zu fhun ſei, wenn hinter dem „ungen der gu— ten Gejellihaft” mitten im Zimmer eine Dtto- mane ſteht? . . . an cin ſolches malitiöſes Mö— bel ſtießen die Kühe Barſing's, und indem er rücklings ſtürzte, drüdte er feinen ſchönen Zilin- der flach; nad vielem lächerlichen Sturz raffte er ſich auf und eilte ver Thüre zu, dort wollte er mit aller Gewalt jene der beiden Klinken üff- nen‘, melde unbeweglid war. Das mangel: bafte Konverjationsbud ſpricht auch über ſolche Fälle nichts. |

Das Arbeiiszimmer des Herrn Hargitay beiund fich im anderen Flügel des Haufes. Die- jes Zimmer fiad dur feine Einfachheit von den übrigen mit überſchwänglichem Lurus ausgeftakte- ten Semähern auffallend ab, e3 enthielt dieſel— ben angeſtrichenen Möbel, die ſich Herr Hargitay noch als junger, lediger Advolat angeihafft, und welche ſeither der traditionelle Tabakrauch Schön

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braun gefärbt hatte. In den Schränken befin- den fih lauter Geſetzbücher, Reichstagsdiarien, Protofolle, ftaatsrehtlihe Sammlungen, in ehr: james Braun gebundene Koltanten ; auf dem an- tifen Schreibtiihe mit den Löwenfüßen ftcht ein altes, mürriſches Tintenfaß mit eingetunften Kiel— federn, deren befiederte Fahnen im ftarfen Ver— dachte ftehen, als wären fie zum Ausputzen von Bfeifenmundftücdkhen verwendet worden. Die wohlbejtellte Bfeifen-Etagere befindet fih im Hin- tergrunde des Schreibtiſches, die Pfeifen find ſämmtlich antike Prachtwerke mit filbernen De: deln; der Tabakbehälter ftellt einen braunen Bärenkopf vor. An den Wänden hängen cinige Lithographien: Johann Balogh und Nikolaus - Weflelenyi mit verihlungenen Armen, König Mathias mit befränztem Haupte, ein Tableau, die Borträts der Palatine darftellend , der Ausfall Zrinyi's; ſchließlich, von einem Vorhang halb verdeckt, ein ſehr jeltenes Bild, die Enthauptung Nadasdy's. Einft hing dieſes Bild ganz frei, heute iſt es halb verdedt. Noch hängt an der Wand ein filberbeihlagener alter Säbel , deſſen verroftete Klinge nicht mehr aus der Scheide zu bringen. |

Wir finden Herrn Hargitay, auf dem abge- wegten alten, ledernen Divan figend, in der Ge— ſellſchaft Fertöy's; als Herr Bärfing eintrat, drüdten ihm Beide freundlih die Hand. Man

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hatte ihn bereits erwartet. Er entihuldigte ſich, dag er fih früher bei den Danten vorftellen mußte, was man ganz in Ordnung fand.

Gehen wir nun zur Sade, ſprach Har— gitay, ohne die Pfeife aus den Munde zu nehmen. ... . Und doch war die Sache ſehr ernft, da es ſich um nichts Geringeres, als um fein Te— ſtament handelte.

Das Gefiht Hargitay'3 verräth feinen Mann alljogleih. Seine Züge bergen fein Geheim— niß. Daß er ftolz, ungeduldig und unverſöhn— lich, auf feine Verdienfte eitel, auf feine Popula: rität eiferfüchtig, den Mächtigeren gegenüber Troß bietend, und ein Tyrann feiner Untergebenen ift ! dies verkündet ein jeder Zug feines Gefihtes vom fraufen Schopfe jeiner fahlen Stirne angefangen bis zu dem gedrückten Kinn, welches auf einer doppelten Unterlage von Fett ruht; ferner die zum Aufſpringen gefunden, vothen, fteinharten Baden, der trogig gekräuſelte Schnurbart, die ſchwulſtigen aber ſchön geformten Lippen, und die ftolz blidenden Augen unter dem Schatten von dunklen, dichten Augenbrauen; es verkündet dies der harte Ton, die vom Befehlen und Mider- iprehen heiler und Ichnarrend gewordene Stimme: wenn er über den gewöhnlidften Gegenftand Ipricht, Icheint es, als wäre er im heftigiten Diſput begriffen.

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Alſo zur Sache meine Herren. Hier ift das fertige Teftament. Ihr beide follt den In— halt desjelben erfahren, die übrigen Drei follen blos die Koramifirung unzerzeichnen.

Fertöy warf in fühlihem Tone ein:

Ich kann es nicht verſchweigen, lieber Better, verzeihen Sie mir. Sie find noch in den beften Jahren, weshalb denken Sie ihon an ein ZTeftament ?

Freunden! Sie willen es recht gut, dag ich nicht zu Fapazitiren bin. In größeren, da3 ganze Land betreffenden Angelegenheiten pflege ic auch nie meine Ueberzeugung aufzugeben. Was id) geſagt, Das habe ih gelagt. Bin keine Woetterfahne, welche fih nad) jedem Winde dreht. Bin ein feljenfefter Mann. Was übrigens Ihren Einwurf betrifft, ih bin’s bon meiner öffent . lichen Laufbahn ber gewohnt, nichts unwider— legt zu laſſen, day ich noch ein langes Leben vor mir babe, muB ic Ihnen bemerken, daß nein - Vater, Großvater, und alle meine Ahnen eines plöglihen Todes geftorben find. In meiner Fa: milie pflegt man nit im Stillen Bette liegend, den Tod geduldig zu erwarten; ein Moment, ein Hauch des Todes, und es it geichehen !

Wie ftolz geberdete fih der zornige Mann, dag feine Familie eine Ausnahmsitellung ſelbſt dem Tode gegenüber einnahm.

Dann fuhr er im feierlihen Tone fort:

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- Stünve mir aber auch ein halbes Jahr— hundert bevor, jelbft dann müßte ih vollziehen, wozu ich mich entſchloſſen, um jenen „jungen Rieſen“ ein Beifpiel zu geben, wie fie gegen Die Helden der avitiſchen Rechte zu kämpfen haben. Wenn man's erfahren wird, daß der alte Johann Hargitay genug Entſchloſſenheit und Kraft beſaß, jenen Mann aus feinen Herzen zu reißen, den er früher geliebt, weil derjelbe gegen die beftehen- den Grundprinzipien jein Haupt erhob; und wie er jelbft fein eigenes Kino aus dem Herzen ver— bannt, wenn e3 fih an jenen Mann bindet, dann werden fie es einſehen, daß fie es mit einer eher- nen Phalanı zu thun haben, und zur Vernunft fommen. Ich kenne den Charakter Lavay's. Wenn er's erfährt, daß ih Judith in dem Kalle, als jie ihn heiratet, enterbe, wird er ſelbſt das Ver— hältniß Löfen, nicht als fürdtete er, fie arm zu heiraten, jondern weil er ein viel zu edles Herz beißt, al3 daß er das Weſen, weldes er geliebt, um jein ganzes Vermögen ärmer, und um den

Zorn der Eltern veiher machen wollte. Ih baffe

diefen jungen Mann nicht, doc) will ich ihm zeigen, daß ich Kraft genug befige, um ihn zu brechen und zur Vernunft zu bringen; wenn er fühn ge: nug geweſen, mich offen in die Schranfen zu for- dern, will ich ihn mit einer einzigen Bewegung meines Fingers im Staube zermalmen.

Herr Bärfing war über dieſe Rede entzüct.

| 89. - So ſchön Sprit man jelbit im“ Reichstage nicht ; meinte er, | So füge ıd) mid) Schon ın ihren Willen, lieber Vetter; ſagte Fertöy mit ſüßer Theil- nahme ; wenn Alles nur pro forma geſchieht, mittlerweile wird es ja gelingen, auch Judith auf andere Gedanten zu lenken.

Ich erjuhe Sie alſo, - Ipradh Har— gitay, das voluminöfe Dokument von feinem Schreibtiihe nehmend, -- auf den bezüglichen Punkt gut zu merken.

BE wenn aber meine Tochter Judith, troß dieſer liebreihen elterlihen Vorſorge, gegen meinen ausgelprodenen Willen fi einen Manı wählen und ihn heiraten würde, jeße ih in al’ meine Güter, welche ich ſelbſt erworben, und Die mein rechtmäßiges Eigenthum bilden, als Univer- jalerben meinen lieben Schwager Balthaſar Fertöy de Fertö ein, während ich meine benannte Toter Judith von Allem ausihliege und ent- erbe. Was aber die Worte „gegen meinen aus- geſprochenen Willen” zu bedeuten haben, darüber gibt der in doppelter Abſchrift beigeichloffene Brief Aufklärung, deſſen eine Kopie ih dein Herrn Advokaten Wilhelm Barfing zur Einhän— digung an den Betreffenden übergebe.

Der Brief, weldher die Adreſſe Lävan's irug, lautete:

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‚Ev, MWohlgeboren! Wichtige und unab- aͤnderliche Gründe haben mic bewogen, das Ver: hältniß, welches zwiihen Ihnen und meiner Toch— ter Judith beftand, zu loöſen; die Verlobung hie— mit feierlichft. für Nichtig zu erklären, und alle etwaigen Rolgerungen zurüdzumeiien. Johann Hargitay.“

Der Driginalbrief war bereit3 gefiegelt, diefen überreichte der entihlofiene, zornige Mann Herrn Bärfing, indem er feine Hand drückte.

Ich glaube, daß Sie Ihre Sendung angenehm finden werden, und es hängt von Ihnen ab, einen vollftändigen Erfolg zu erzielen,

Dies war doch deutlich genug geſprochen.

Ich werde mid allſogleich beeilen, den Brief zu übergeben.

Hat feine jo große Eile. Sie fünnen auch bis Nachmittag warten.

Ich Hatte aber veriprohen, um bier Ubr dort zu fein. Dem Pußtafi babe ich's ver- ſprochen.

Dem Pußtafi?! rief Hargitay erregt. Halten auch Sie mit dieſem Menſchen?

Bitte um Vergebung, 's iſt eine unaun— genehme Geſchichte. Er hatte mich in Peſt er- wiſcht, ich möge einen Pränumerationsbogen an Fräulein Judith übergeben, heute bat er mid angepadt: was ic ausgeridhtet. Nun habe ich den Bogen Fräulein Judith foeben übergeben, ſie

F

1

wies das Sammeln zurück, jubjkribitte aber ſelbſt zwei Gulden. Dieje muß ich überbringen; denn belieben zu willen, er ift ſehr grob Denjenigen gegenüber, die ihr Wort nicht halten.

Ad! Schon wieder eine literariihe Bet: telei. Und Pußtafi ift bei Laͤvay abgeftiegen ; nehmen Sie ein leeres Kouvert, jchreiben Sie die Adreſſe darauf und legen fie das Geld bei, mein Hußaͤr wird es hintragen.

Der ſtolze Batriot Eingelte allſogleich, Martin erihien, und erhielt feine Inſtruktion.

Barfing kam nicht dazu, um Einwendungen zu machen.

Laſſen Sie e8, es wird jo am beiten fein, meinte Hargitay.

Jetzt kamen noch drei andere Patrioten hinzu, alle drei jehr lieberale Männer ; denn in diefem Komitate waren nur zwei Parteien be- fannt, eine „ſehr“ lieberale und eine „no“ fiberalere. |

In Gegenwart diefer Dreien ging nad fur: zem Zeremoniell die Berfiegelung des Xefta. mentes bor ſich, worauf alle fünf auf das Kou— vert ſchrieben, daß es das Teftament des Herrn Johann Haraitay enthalte, Fertöy übernahm das Dokument, um es im Komitatsarhiv zu hinter: legen. |

Während deſſen kehrte Martin von feiner Miſſion zurüd,

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Nun? Haft Du denn die Herren angetroffen ? frug Hargitay, fein Pfeitenrohr in die Mund- ede ſchiebend.

Ka, gnädiger Herr; als er den Brief öffnete, und den Anhalt erblidte, hatte er eine Sreude, daß er mich bald geküßt hätte; er trug mir auf, jeinen Gruß und Dank dem Herrn Bärfing auszurichten.

Dem werden die zwei Gulden willfommen geweſen fein! jagte Hargitan mit ſardoniſchem Laden.

- Könnte nit jagen, erwiderte Martin, denn er drüdte fie mir alliogleih in die Hand als Trinkgeld.

Dann begreife id) nicht, - murmelte Der ftolze Patriot die Achſel zudend, worüber er fich jo gefreut hat! -—- Doc kümmerte er fih nicht mehr Darum, sondern blies in feine Pfeife, welhe hierauf gleih dem Veſuv Feuer zu jprü- ben begann, dann ftellte ev feine ewige Gejell- Ihafterin auf die Etagere, und forderte die Gäfte auf, fih zu den Srauen hinüber zu begeben, da es gleicd vier Uhr, und die Zeit des Mittag: eſſens ſei.

Das Diner war prächtig, mit heiterem Ge— ſpräch gewürzt, deſſen Gegenſtand ausſchließlich die morgige Feierlichkeit bildete. Die jungen Her— ren erzählten, in welchem Koſtüm fie morgen er: fcheinen werden. -

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Es wurden die ſammtenen Mente's, die ſchwanfellverbremten Zele's, die verſchiedentlichen Kalpag's geſchildert, in welchen man am Parade- wagen des Palatins reiten wird. Auch Hargitay zitirte einige effektmachende Sätze aus ſeiner mor— gen zu haltenden Rede. An dem prachtvollen Diner, am heiteren Geſpräch betheiligte ſich nur Judith nicht. Ste nichts, außer Brod, und ſprach fein Wort.

Fertöy wollte fie aufheitern, und frug:

Und was werden Sie, ſchönes Schwefter: hen, morgen vor dem Palatin ipredhen ?

- Nihts!

- Wenn Sie aber von St. Hoheit ange: ſprochen werden, müſſen Sie doch etwas er- miedern.

Für diefen Fal wei; ic einen ſehr ſchönen Gruß, den jchönften ; und dieſer iſt, mit welhem in Vörösmarty's „Schönen Ilonka“ der unbefannte Säger ein Glas auf König Ma: thias leert.

Außer Hargitay, der ein großer Verehrer Vörösmarty's gewejen, wußte Niemand, was Ju— dith gemeint, deshalb blieb auch ihre Erwiede— ung ohne jeglihen Eindruck.

Als die Tafel aufgehoben wurde, näherte ih Hargitay auf einen Moment jeiner Tochter :

Du Haft nichts gegefien; fehlt Dir etwas ? |

2 Bi.

Ich will mih an den Hunger gewöhnen! —- antwortete Judith.

Einen Augenblid ſahen ſich Beide in die Augen.

Es war, als wenn der Spiegel des dunk— len Meere den Blik des grollenden Himmels zurückſchleudert.

Das Feſt.

Am andern Tage waren die Gaffen von der Brüde bis zum Komitatshaufe mit friſchem, duf- tendem Gras beftreut; die Mauern der Häufer mit Pappelreifig ausgeihlagen und aus den Sen: ftern, von allen Thürmen herab wehten National: ahnen: die Luft war rein und früh, es ſchien, al3 wollte die ganze Stadt fih auf Flügel er: heben. |

Und welch' ein Gedränge auf den Gaffen. Alles in Tonntäglihem Puh; die Männer mit jilbernen Knöpfen und Fetten, die Bürgerinnen in feidenen Kleidern, inzwiſchen ritterlihe Ge— italten mit fliegenden Mentes und filberbeichla= genem, jheppernden Säbel, Abtheilungen berit- tener Banderien, in blauen Dolmaͤny's, die unter Führung ihrer Lientenants aus den Dörfern an- rüden, das Bataillon der Bürgermiliz mit Hin- gendem Spiel, die ehriamen Zünfte mit ihren prächtigen feidenen Fahnen, die von acht Män- nern auf den Achſeln mittelft langer, vergoldeter Stangen getragen werden, während in der Mitte

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ver Bunftmeifter das Gleichgewicht der Fahne duch die Mittelftange aufrechthält; nie liebe Schuljugend in Drgelpfeifenreihe arrangirt, dann die Ichauluftige bunte Menge, welche alle Gaſſen und Pläge beſetzt Hält, oder hin und her wogt. Alles dies hot ein helebtes, unbergeß- liches Bild.

Die Donau theilt ſich ober der Stadt in zwei Arme, und fildet eine Feine Inſel; dieſe tft mit der Stadt durch eine ftehende Pfahlbrüde verbunden, welde, wie gebräuchlich, für Wägen und für Fußgänger abgetheitt ift

Der Fußſteg der Brüde iſt heute für Die gewöhnlide Menge an beiden Enden abgeſperrt; den Kordon bilden ftädtiihe Trabanten und Ko— mitatshußären, Deren Uniform bis jeßi noch dem unberufenen Pöbel vollen Reſpekt ein: rlößt. | |

In der Mitte der Brüde befindet ſich ein weiterer Raum, in defen Hintergrunde bei ge: wöhnlichen Zeiten die Statue des heiligen Johann von Nepomuk zu jehen iſt; an dieſem außeror— dentlichen Tage jedoch iſt vor demſelben ein mit Blumen und Fahnen prachtvoll dekorirter Balde chin für jene Damen errichtet, welche dem ritter: lichen, jungen Palatin einen mit ‚geiftreihen Em: - bfenten beſchriebenen Lorbeerkranz überreichen werden Um dieſen feierlichen Aft ohne Störung

4

bewirken zu fönnen, wurde die Baflage für Fuß— ‚gänger abgeiperrt.

Im Programme der Weierlichleit ift ver- gangene Naht eine Wenderung vorgenommen worden : daß nämlich Herr Hargitay dem Pala= tin nicht bei feinem Ausfteigen aus dem Dampf: ſchiffe, ſondern im Komitathauſe mit einer Rede begrüßen wird ; dort wird ihn eine ftädtiiche De- putation mit kurzen Worten beneventiren.

Am Ende der Inſel, dort, wo man fehr wenig bon der ganzen Keftlichleit vernehmen Tann, fteht eine große, uralte Weide, unter ihr befindet fi ein Feines Baͤnkchen.

An diefem Orte, wohin ſich heute gewiß Niemand verirrt, finden wir Pußtafi und Lavay. Nichts ftört das Geſpräch der Freunde, denn felbit das Getöje der wogenden Menſchenmaſſen wird bier nur wie das Summen eines Bienenforbes vernommen.

Siehſt Du Freunddhen, jagte Puß tafi, daß es feine Gelegenheit gibt, aus welcher der geiheidte Menſch nicht Nugen ziehen fünnte. Da nimm Du diejen Triumphzug : dem Einen bringt er Ruhm und Ehre, dem Andern Aemter, und Dir eine Braut. .. Dieſes Mädchen verdient wirf- fih Deine Gattin zu werden. Ihre Unterichrift werde ich in mein Gedenkbuch aufbewahren ; nicht einmal ihre Hand zitterte . . . Zittert die Deine vielleicht ? ..

Andere Zeiten und andere Menſchen 7

a a

Nein . . das ift mir lieb. Kümmere Dich) niht um die Zukunft, vor einer ſtarken Geele ihrumpft fie zufammen, während fie die Feigen glei einem bellenden Hunde verfolgt. Wenn es nur nit To weit bis zum Abend wäre; überhaupt werden mir die paar Stunden, als Die Prozeifion Dauert, jehr langweilig werden.

Kommſt Du nit mit? .

Das weißt Du-ja!. .

Soll ich bei Div bleiben ? .

m Gegentheil, verlange id) von Dir, dag Du Did) in der Nähe Deiner Geliebten aufs hältft: denn ich habe die Ahnung, als follte ihr ein Unglüd begegnen. Du weißt, dag id) mic bei allen ſolchen Feierlichkeiten derart fühle, wie die Habe beim Erdbeben. . . Gebe Acht auf fie. . |

63 ift wahr, daß es ein böfer Ger danke war, die Tribüne auf der Brüde zu er: richten; aber was wirft Du bis dahin be= ginnen ?

Ich werde ſchön hier am Ende der In— ſel bleiben, mich in einen Kahn ſetzen und ruhig angeln. Doch warte. Die Zeit drängt noch nicht; haft nicht zu eilen. Ich möchte gerne hören, wie Du den Hohen Saft begrüßen wollteft, es wird ohnehin Niemand Deine Diltion hören, wenig— ftens ſoll ich etwas davon zu Gehör bekommen.

=u.'90

Gut. Hoͤre alſo. Ich hätte Rune io geſprochen: | ‚Herr! Du Haft. jene Stadt betreten, für welche Die vaterländiihe Erde nur eine Stief— mutter. iſt. Bor achtzig Jahren hatte fie das Erdbeben zerftört, auf den Ruinen wurde eine neue Stadt gebaut; vor 52 Jahren vernichtete jie die Ueberſchwemmung, die Einöde erhielt aber- mals Einwohner. Vor dreigig Jahren verheerte fie Die Fenersbrunft, fie entftand neu aus ihrer Aſche. Seit zwanzig ift ein ganzes Viertel der: jeiben von der Fortifilation abgetragen und in eine Hutwaide verwandelt worden. Die Stadt zug ih aus der Nähe der Feſtung weg, und baute ihre Häuſer anderswo. Alle Schidialsihläge, die es nur gibt, verfolgten dieſes Städtchen, jelbit der Boden auf welchen fie jteht. Und fiehe, den noch ſprechen und beweifen es dieſe Häuferreihen, dieſe Kirchen, daß das Volk ſeine Vaterſtadt trotz aller Schidjalsidläge liebt, anbetet, und fie nicht verläßt. Herr! trete ein in dem wunderbaren Zauberfreis dieſer WBaterlandsliebe, und ver: bleibe darin, denn wer ich innerhalb desjelben befindet, der ift unverletzlich.“ Pußtafi rüttelte ſei— nen Freund an der Schulter.

Geh’ du Narr! .... Wie gut es ift, dag du's nicht mE haft, es wäre zu ſchön geweien! . .

Da erdrohute ein Kanonenſchuß der

==, 400; =

Höhe des jenfeitigen Ufers, welcher bedeutete, daß das Schiff, weldhes den hohen Gaft bringt, bereits fichtbar jet.

Lävan beeilte fih nun auf die Brüde zu gelangen, wo bereit3 Militäripaliere die Kommu- nifation offen hielten. Auf dem Fußſteg der Brü- de gab e3 der privilegirten Zuſchauer Schon eine Menge, jo daß es Laͤvay Mühe foftete, in die Nähe des Baldahins zu gelangen, dort traf er mit Martin dem Hußären zufammen und ber- blieb in dieler angenehmen Geſellſchaft.

Der Hukar Martin war ein großer Ver: ehrer und Protektor des vor die Thüre gefegten Bräutigamd. Er mar e3 allein, der ihm trog feiner politiihen Gefinnung gut geblieben ift, wo doch er, Martin, am empfindlidhiten getroffen war ; denn wenn aud der Bauer Ihon zum Herrn wird, wohin wird es mit dem Range eines Komitats- bußaren kommen!

Trogdem hörte Martin niht auf, feinen ehemaligen Günftling zu protegiren.

Stellen Sie fih nur an meine Seite, gnädiger Herr, jagte Martin mit Proteltors- miene. Hier von diefer Fahne da fünnen Sie am beiten jehen.

Martin meinte aber nit, das man den feftlihen Zug, jondern das Fräulein, welches in feftliher Xoilette zwiihen den übrigen Damen

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auf der Tribüne ftand, von hier aus am beften ſehen könne.

Ein wunderherrliches Geſchöpf! ſagte Martin. Sein linker Nachbar war des Glaubens, daß er jenen vorbeiſprengenden Reiter im fammt- nen Koſtüm meine, und nidte beifällig mit dem Kopfe: während Martin nad rechts iprah und ganz Anderes dachte.

Dann flüfterte er leije zu Lavay gewendet:

Das Fräulein ließ ſich geftern Abends vom Gefinde ſchwarzes Brod holen, und jagte, fie werde fi) nunmehr an ein joldes gewöhnen.

Laͤbay konnte feine Augen von der Silphy: dengeftalt Judith's nit abwenden.

Niht um die Welt mochte fie ber: . ihauen, und doch weiß fie es, daß Jemand in ihrer Nähe iſt; brummte Martin.

Seht erdröhnen drei Schüffe auf der Inſel, ſechs antworten darauf von der Feftung, dann folgt Schuß auf Schuß, es gibt aud Leute, melde dieſe Schüffe zählen. |

Bon den Kirhthürmen ertönt Slodengelänte, der Jubellaut der Thürme übertönt den menſchlichen Freudenruf, welcher aus tauſend und taufend Kehlen das ankernde bunibeflaggte Schiff brgrüßt. Alles tönt vom Jubel, von der Erde bis zu den Spigen der Pappeln und den Hausdächern, die Wogen des Jubels mwälzen fi) immer weiter und weiter, jo mie der Feltzug ſich bewegt.

= A0s- =

Welcher Glanz! welch' wahre Begeifterung ! Unter den Triumphbögen eriheinen einzeln die Adtheilungen der Bürgermiliz, an der Spitze eine Mufitbaude, welhe den „Hunyady-Marſch“ aufipielt, deſſen Refrain „es lebe, lange lebe dir König!“ .. . Hinter ihnen ritten die adeligen Banderien, deren Muſikkorps Zigeunertvompeter bilden in ſcharlachrothem Anzug auf ſchnee— weißen Schimmeln. Die Banderien reiten mit ftolzer, martialiiher Haltung über die Brüde. Diefen folgten die Herren auf prädtig geihirrten Pferden, in gold und filberverzierten Galla— anzügen, ftolzen Reiherbüichen auf den fojtbaren Kalpags; die goldenen Säbelſcheiden, Schlagen an filberne Hufeiſen an... . Inmitten all' dieſer Pracht Fährt im vergoldeten Gallawagen der Palatin einher, ein ſchöner, ritterlicher und noch junger Mann. Seine hohe Stirn, ſein längliches Geſicht, die ſanften Augen, der magyariſch ge— wichſte kohlſchwarze Schnurbart und feine männ— lich freundlichen Züge zogen unwillkürlich Aller Blicke an. Wer konnte es hemmen, daß ſich Alles um den Wagen drängte, um dem erſten und höchſten gewählten Beamten des Landes ein freudiges „Eljen“ zuzurufen, und eines jener freundliden Lächeln zu erhaſchen, womit ev den Gruß des Volles zu erwiedern pflegt . |

Die ih um den Wagen des Palatins

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ſchaarende Menge, wurde, als jie von der breiten Straße in die Brüde einbog, plötzlich zuſammen— ‚gedrängt. Hier vermehrte fie fih auch durch jene Elemente, welde früher die Aefte der Pappeln bejegt hielten, und deren leberzeugung war, daß an einem ſolchen guten Tage c3 die Pflicht eines jeden Bürgers iſt, nicht zu gehordhen.

Die zwei Komitats-Panduren am Ende der Brüde gaben eine zu Schwache Wehr ab gegen die anfturmende Fluth. Wie es vorauszufehen war, hatte die jubelnde Menge, ſobald der Wagen des Palatins auf die Brüde gelangte, in Mo— ment batle fie den Fußſteig beiegt, indem fie die Widerftand leiftende Mache, wie der Sturm die Spreu, mit jih riß. Einige Minuten lang konnte man nod die wehenden Kederbüihe an den Tſchako's der kämpfenden Panduren und die ge- hobenen Säbel über den Köpfen des Volkes ſehen, aber auch dieſe verihwanden, wahrſcheinlich hatte man die Tſchako's und Säbel in's Waffer ge— worfen, dann wideritand nichts mehr. Mer jich auf dem Fußſteige der Brüde befand, wurde un- aufhaltiam gegen die Tribüne gedrängt.

Gnädiger Herr, hier wird's ein Unglüd geben! brummte Martin fih an Labay wendend.

Das ift gewiß. Aber jest heißt es helfen, wie wir fünnen, Geben Sie mir Ihre Hand, Martin: vieleicht fünnen wir das Volk nur jo lange zurüdhalten; als der Palatin von

u AH: den Damen den Kranz empfängt, denn eine Minute Später wird man diele leichte Barriere wie Spreu zerbreden ; derweilwerden aberdie Damen bis an das andere Ende der Brüde gelangen fünnen, wo fie fih dann in ihre Kaleihen jeken.

So wird's gut fein, jagte Martin, und nun berjuchte er's mit Laͤvay und zwei waderen Schiffsfnehten den Drud der aus Taufenden be- ftehenden gedrängten Kolonnen auf einem Raum von einer Duadratlfafter zurüdzuhalten, was. auch auf einige Minuten gelang, aber jowie die drüdende Mafle immer vdihter und fompalter wurde, mußten fie Schritt für Schritt nachgeben.

Die Damen, von den Flügeln des Balda— hin bededt, hatten keine Ahnung von der Gefahr; fie hörten nur das Jubelgeſchrei, und ihre Blide waren auf das Antlit des Palatins gerichtet.

In diefem unheilvollen Moment fiel es der Frau von Hargitay, welche an der Geite ihrer Tochter ſtand, ein, ftatt des einfachen „Eljen sokäig“ bei Ueberreihung des Kranzes eine zier- lihe Begrüßungsrede anzubringen.

Schon waren Lavay und Martin bis knapp an die Tribüne durch die unmwiderftehlihe Volls— macht zurücdgedrängt, und das Geländer fing zu trachen an.

Frau bon Hargitay ſah und hörte vom Allem nichts. Sie begann mit feierliher Stimme :

Hoͤchſtverehrter .. . . . |

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In dieſem Momente erfolgte ein kurzer Kracher, darauf ein kurzes, furchtbares Gebrüll, wie das letzte Angftgeichrei von Hundert und aber: mals Hundert getödteten Menichen. . . . .

Der Fußfteig der Brüde ftürzte in einer Länge von dreißig KRlaftern, mit all’ den Damen, Fahnen, dem Baldahin und der heiligen Statue in die Tiefe der Donau.

Sm nächften Augenblide jah man auf der MWaflerflähe nichts als herrenloſe Hüte, Kraͤnze und Fahnen Shwimmen. Das Uebrige war unter Waffer.

Auch Bela und Judith befanden ſich dort.

Unter dem Waſſer.

Zweihundertdreigig Menſchen ftürzten mt der eingelunfenen Brüde in den Fluß.

Inmitten des Siegestaumels, des feitlihen Slanzes, vor den Augen des Palatins, kaum eine Klafter weit-von den Rädern feiner Kutſche jtürzten fie in das Wogengrab. Der Gefeierte konnte noch die bekränzten Engelsgeſichter ſehen, den hochſchallenden Eljenruf hören nad) einer Minute ſchwammen dieſe Kränze auf der Dber- flähe des Waffers, und ein tauſendſtimmiges Mehgeihrei erfüllte die Luft.

AH! welch eine Feierlichkeit war das!

Die mehllagende Menge rannte in wahn: finnigem Shreden nad) jeder Richtung, durch die beflaggten Triumphbögen iprengten goldbededte, in Sammet gehüllte Reiter davon, die Namen ihrer rauen, ihrer Kinder rufend! Die ſchöne bewaffnete Bürgerwehr ftob auseinander, wie ein alarnirtes Lager von Soldaten! und al’ dies längs dem Ufer, weldhes noch feinen vollen Fahnenſchmuck trug.

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Eilen Sie zuden Kähnen! —rief der Pala- tin ſeinem Gefolge zu, und er ſprang jelbit von feinen Magen. Ein Manı, deſſen Frau vor feinen Augen in das Waſſer fiel, wollte ihr nad): ftürgen: der Palatin bielt ihn zurüd, umd 3093 den Wahnfinnigen mit fi fort.

Bu den Kähnen, zuden Kähnen! rief er, Jemand ſoll zum Dampfichiff iprengen, daß es den Fluß bHerauffahren müge. Rufet die Fiſcher mit ihren Neken! Jedermann zur Arbeit!

Mas in der Nähe war, und feine Befehle vernehmen konnte, beeilte ſich, dielelben zu voll: ztehen ; die entfernter ftehende Menge aber mwogte hin und ber, wie Einer, der fidy feinen Rath zu geben wei. Eine Schaar, ſchon recht weit in die Gaflen vorgerüdt, marihirte noch unter Siegesmarihllängen vorwärts. Ein Reiter holt fie in Galopp ein. Er jagt ihnen ein Wort und die Schaar löſ't ſich ſogleich auf, und Mufifer und Feittheilnehmer vennen alle zur Donau zu: WdE... Ach welch' eine traurige Feftlichkeit war das!

Unterdeflen harrte Johann von Hargitay, an der Spike des gewählten Komité's des feier: lihen Momentes, wo er die Gefühle des Bolfes, dem fo heiß erichnten Gaſte verdolmetihen wird.

Seine Rede Soll heute hinreigend werden, weil er es auch Fühlt, was er fpridt. Seine Ausdrüde werden die des nationalen Stolzes,

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der altehrwürdigen Baterlandsliebe und der treuen Anhaͤnglichkeit fein.

Wer weiß, was darauf folgen wird, wenn dDiefe aus der Mode gehen? Heute ift wahrlich ein paffender Tag für ſolche Gefühle.

Nicht Johann von Hargitay, Tondern die durch ihn vertretenen Prinzipien find es, melde heute ihr Jubelfeſt feiern.

Hargitay hielt die abgeſchriebene Rede in der Hand, und warf eben noch einen flüchtigen Blick in die Schrift, als der erſte Kanonenſchuß vom Monoftor erdröhnte.

„So lange ich athme, fo lange mein Körper nit zuſammenbricht, ſolange werden auch diefe Ideen und diefe Worte leben.“

Und wahrlih, auf dem Gefichte Hargitay' 3 ftrahlt daS Leben jelbit. Solde Gefihter haben ſich nit um das Schickſal des morgigen Tages zu fümmern, bei ihnen bat die Nedensart „jo lange wir leben“ feinen Sinn.

Sein ritterliher Anzug, läßt ihn um zehn Fahre jünger ericheinen, die feftlihen Ideen des heutigen Tages hatten jede Furche von feiner Stirne geftreift. Seine ganze Haltung ift der- art, al3 wenn diefer Tag einzig und allein für . ihn da wäre. |

Wieder ein Kanonenihuß. Der Schall macht die Fenfterfcheiben erzittern.

Johann von Hargitayn berechnet die Reihen-

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folge der kleinen Ereigniſſe, welche in einiger Ferne von ihm vor ſich gehen. Jetzt hat der Dampfer gelandet. Jetzt findet der feſtliche Empfang ſtatt. Jetzt ertünen die Glocken, der Feitzug bat nun den erften Triumphbogen paffixt. Der Jubelruf der Menge erihallt, vermengt mit den fräftigen Klängen der Mufil: jet find fie auf der Brüde angelommen. Der Klang der Mufit und die Eljenrufe werden mit jeder Minute ber- nehmbarer, von dem Ufer her. Auf einmal er- tönt ein ſtarker, langer Schrei; ftärker, jchärfer, durchdringender al3 alle bisherigen, man fühlt etwas wie einen Schauer in die Glieder fahren. Ploͤtzlich tritt Stille ein, nur die Klänge der Mufit und das Glodengeläute ift vernehmbar.

Hargitay aber betrachtet ruhig; nun fteht feine Gattin und feine Tochter vor dem hoben Gaſte, deſſen gnädigites Lächeln ihnen zu Thei wird.

Plötzlich ftodt die Muſik, und die Gloden hören auf zu läuten. |

Einen Augenblid darauf läutet man wieder, es ift das aber ein Sturmgeläute.

Wie wenn große Gefahr droht, wo Se: dermann zur allgemeinen Rettung Hand anlegen muß, erihallen alle Gloden in allen Kirchthür— men, eine mit feiner, die Andere mit tiefer Stim = me, aber alle traurig, und alle jcheinen zu rufen: „Wehe! wehe! wehe!“

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Von den Kirhthürmen konnte man die ganze furchtbare Szene überbliden.

Was kann dort geihehen jein ? frugen ein— ander die erbleichten Herren in den glänzenden Gemächern. ft vielleiht ein Feuer ausge— brodhen ?

Bon den Fenſtern des hochliegenden Ge— baudes konnte man in feiner Richtung eine Feu— ersbrunit erbliden, und dod) riefen die Gloden fort- während: „Wehe! wehe! wehe!“

Einen Augenblid ſpäter fündete dasſelbe ein lautes Gemurmel der Menge an.

Dieſes Gemurmel war aber ganz veridie= den don dem vorherigen. Es war das nicht jener lange anhaltende Ton, welcher durch das Wieder: holen des Eijenrufes von Mund zu Mund ent- jteht, jondern es mar ein ftürmilches Geſchrei, welches fortwährend erſtarb, ſich aber nicht nähert, das nicht Begeifterung, Sondern einen Schauer‘ erzeugt.

Und kommt Niemand, der Nahridt brächte ? Jedes Fenſter ift voll von beſorgten Geſichtern, und alles frägt, was denn geſchehen ſei? Und Niemand iſt im Stande Auskunft zu geben; alles drängt fih aus der Stadt hinaus, gegen Die Donau. Niemand weil was Seiner dort wartet-

Nah langer Zeit des bangen Wartens er: iheint ein altes Weib händeringend bon der Rihtung des Ufers fommend, und mit fieberhaft

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zittender Stimme rufend: „Ad, Jeſus Marta! ah, Jeſus Maria!“

Das Weib eilt dem Stadthaufe zu, den Stadthirurg zu avifiren, daß er mit feinen In— jtrumenten den Unglücklichen zu Hilfe eilen möge. Seine eigene Gattin Hatte man auch todt aus dem Fluthen gezogen.

Johann von Hargitay beugte fih aus dem Zenfter des Komitatshaufes, und vief der eilenden grau nad: „Mas it geihehen

Die Arme wurde Ihon von hundert Fen— ſtern herab mit vderjelben Frage beftürmt ; fie hörte aber nichts, und konnte nichts anders vor— bringen, als! „Ad, Jeſus Maria !“

ALS ſich das herzzerreigende Wehllagen des Weibes in der Ferne verlor, famen einige Maͤn— ner mit großem Geichrei auf das Komitathaus zu, fie mußten bei jedem Fenſter jtehen bleiben, dann drang ein Reiter dur den Haufen; einer jener berittenen Komitatshußären, die zur Auf: rehhthaltung der Drdnung beordert geweſen waren. Die Kleider voll Staub, das Gefiht voll Blut, als wäre er ſammt feinem Pferde durch Die blindftürmende Menge niedergetreten worden. Un— bedeckten Kopfes Iprengte er dem Thore des Ko— mitatshaufes zu, wo fein ſcheu gewordenes Pferd faum mehr zu bändigen war.

Was ift geſchehen? Rede! rief ihm - Hargitay entgegen. |

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Der Hukar konnte fi kaum im Gattel halten, und Hatte nicht Zeit, den Fragenden an: zubliden, vielleiht winde er gar nicht ge— antwortet haben, wenn er ihn erkannt hätte.

Die Brüde ift eingeftürzt, die Damen find alle in der Donau umgelommen.

Johann von Hargitay ſtieß einen Schrei aus, als hätte er einen tödtlichen Stoß er— halten.

Meine beiden Judithe! (Seine Frau und feine Tochter führten denjelben Namen.)

Und dann fing an fein ſchönes lebensfrohes Gefiht zu lächeln und fih roth zu färben, und wurde immer.vöther, und lächelte immer: mehr. Einige Augenblide konnte man nicht willen: ob er wahnjinnig wird, ober ob er ftirbt ? Aber dann auf einmal verging das Lächeln, die Farbe feines Antliges ging in das Fable über, die ftattliche Geftalt ftürzte jo wie er ftand: in goldbeihnür- tem und reichverbrämten Galakleide, in der Hand den Paradejäbel mit dem filbernen Griff zuſam— men, und ſchlug im Hinfinfen erft mit den Knieen, dann mit den Ellbogen, und endlich mit der Stirne an den Marmor des Fußbodens.

Wahrlih ! er hatte veht! Alle feine Vor— fahren ftarben dem Tode kühn in's Auge fehend. Sept ift auch er in ihrer Geſellſchaft.

Und wenn feine beiden Judithe die Reife in

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das Jenſeits angetreten, fo konnte er doch befier eilen, als jene, er kam ihnen zuvor.

Ob fie aber auch dahin unterwegs find ?

* F *

Als der vermorſchte Querbalken der Brücke entzweibrach, fiel die eine Hälfte des nieder— fallenden Theiles mit allen dort Stehenden unter das Joch, während der andere Theil durch eiſerne Bänder feitgehalten, in der Luft hängen blieb, nur die Menge rollte in’3 Waffe. Ein Theil des Geländers fiel ihnen nad, wen ein Stüd traf, der war todt.

Nah einigen, eine Ewigkeit dauernden Minuten tauchte der hinuntergeftürzte Theil der Brüde mehrere Klafter abwärts auf die Dber- fläche der Donau.

Welch' ein ſchauerlicher Anblid.

Mehr als zweihundert Menihen, Männer und Frauen in einem wirren Knäuel verwickelt, wie ein Haufe Gewürm , welder fjammt dem Obſte, an weldem er jaß, vom Sturme wegge— riffen worden, klammerten fid die Unglüdliden in ihrer Verzweiflung an die hinabgeftürgten Bal- fen und aneinander. Hieund da taudt aus dem Waſſer oder unter dem Gebälfe eine flehende Hand empor, während der Kopf nicht mehr ficht- bar wird. Das aufgelöste Haar ohmmächtiger Frauen ſchwebt in dunklen Linien über ven Wellen.

Andere Zeiten und anders Meinen. 8

== 14 ==

Kein einziger Ruf um Hilfe erihallt. Das Entiegen bat fie Mlle ftumm gemadt. Der ganze Menſchenknäuel läßt fi lautlos in tödt- iher Betäubung auf dem gefährlihen Floſſe durch die Fluthen langſam fortſchwemmen.

Dieſe ſind noch leicht zu retten. Was ge— ſchieht aber mit Jenen, die von der entgegenge— ſetzten Seite der Brücke, ohne ein rettendes Holz— ſtück erfaßt zu haben, in einen Knäuel verworren, hinabgeſtürzt ſind, und welche durch die eigene Laſt untertaucht, unmittelbar in jene Tiefe ſinken, wo am Grunde der Donau die Muſchelthiere leben !

Zwiſchen dieſen Unglüdlihen befanden fi die beiden Judith und Johann von Hargitay, die grau und die Tochter und mit ihnen Bela, Der abgewiejene Freier. |

In dem Augenblide, al3 die ganze Menge jammt der Brüde mit fürchterlichem Gepraffel im Sinken war, wurde die ganze Seele Judith's von einem Gedanken erfaßt: ah! alſo jegt fterben wir !

Dies ift alfo die Löſung der peinliden Frage: der Tod. Das Mädchen erſchrack nicht vor dem Schredbilde, in deſſen Gewalt fie war; diejes Schredbild war ihr ſchon jeit langer Zeit befannt. Oft dachte fie Schon darüber nad, oft fragte fie fih: welche Empfindung es fein Tann, wenn man bon einer Höhe in das unbefannte Wellengrab ſich hinunterftürzt ? wie es dort unten

= DB: =

ausiehen mag? ob es lange dauert, bis man dort unten anlangt ? ob es Schmerzen verurſacht? ob die Seele mit den Waflerblajen wieder in die Höhe kommt? ob es das Herz tft, welches zuerit bricht, oder der Kopf, welcher zu denken früher aufhört ? Sie war längjt mit allen dieien jchauer: lichen Gedanken vertraut, nur Eines hielt fie zu— rüd: das es doch eine Feigheit wäre, ſich ſelbſt zu tödten. Nun iſt aber das Schidial jelbit da, es zu vollbringen. Um jo befier !

Während tie dies alles noch einmal durch— dachte, behielt fie ihre volle Faſſung, aud dann ſnoch, al3 die Wellen über ihrem Kopfe zufammen ſchlugen.

Es war ihr nicht möglich, ihre Augen unter dem Wafler zuzuſchließen.

Und wie entjeßlid war das!

Sie ſah neben fi, unter ſich, über ſich überall befannte Gefichter, in der verzweiflungs— vollen Agonie des Todes; manche janken langſam hinunter, mit jtarr geöffneten Augen, mit anfges dunjenen Wangen, leicht wie eine Feder, andere zudten, das Geſicht verzerrt, die Augen krampfhaft geihloffen, mit ohnmächtiger Anftrengung nad einem Gegenitand toppend, an den fie ſich anklam— mern könnten. Am ſchrecklichſten waren zwei ihrer Freundinnen, welhe einander umfchlangen und fo mit einander abwärts ſchwebten. Und der das Waller durhdringinde Sonnenſchein lieh

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ihr jedes Gefiht, jede Figur Ihauerlih grün ericheinen.

Und alle dieſe Hunderte von menſchlichen Geftalten lebten noh! Ste bewegten fi, fie warfen ſich bin und Her, fie zudten in dem flüffigen Lichte eines grünlihen, flüjfigen Ele— mentes; die Hände haſchten nody nad) einander, die Lippen öffneten jih zum Hilferuf, die Augen bewegten ſich in ihren Höhlen, und doch war das hier Ihon das Neid) des Todes.

Judith ſah den Tod,. aber fie fühlte ihn noch nit. Sie hielt den Mund fortwährend ge- Ihloffen. Sie fühlte nihts Anderes, als den ſchweren Drud der Menge Waflers auf ihre Bruft.

Und dabei ſchien ihr, als wenn ihr Körper langiam ſich emporheben würde, vielleiht eben weil fie gar feine Anftrengung machte. Die grüne Maſſe über ihrem Kopf wurde immer Lichter, und fie fing an das Treiben, jener Kleinen Fiſche zu unteriheiden, welhe zu Tauſenden auf der Ober— fläche des Waſſers ſchwimmen, fich an den Sonnen— ftrahlen mwärmen, und auf winzige Inſeltlein lauern. |

Die Geftalt der Sonne drang wie das Konterfei einer vergrößerten Feuerkugel durch das Waſſer, und ihre in Millionen auffteigenden Bläschen gebrochener Strahlen vereinigten ſich zu einem Regenbogen unter dem Wafler.

Auf einmal ſchien ihr, als wenn eine Ge—

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ftalt wie eine himmliſche Erſcheinung inmitten dieſer Glorie zu ihr hinabſtiege. Es war die Geſtalt ihres Geliebten.

Und al3 dieſe Seftalt dem Mädchen er: ihien, als dieſe Retterarme ihren Arm erfaßten, als nad) einer Minute die Wellen ſich ihr öffneten und fie Gottes ſchöne Welt wieder erhliden konnte, wie fie Die geſunde Luft mit entfeflelten Lippen wieder einathmen konnte, und ihren Kopf auf der Schulter ihres Geliebten ruhen lief, ad! da dachte fie mit inniger Wolluft, wie das Leben doch jo ſchön Sei.

Gerettet werden! Entriflen werden aus dem Tode gerade durch die Hand deſſen, um deſſen— willen fie fih den Tod wünſchte! Diejer Gedanfe, dieſes Gefühl machte fie glüdlih. Aber nur für einen Augenblick.

Einen Augenblid nachher durchzuckte ein anderer Gedanke ihr Weſen, ein Gedanke, der Hölle glei. |

Was iſt aus meiner Mutter geworden ?

Und gleih Darauf, als eine prompte Ant— wort auf jene Frage aus dieſem tiefen Todten— reihe, fühlte fie, wie eine Trampfhafte Hand unter den Wellen fie beim Fuße ergriff.

Judith fühlte alle ihre Schnen erftarren. Sie dachte an nichts Anderes, als daß jene Hand, welche ſich zwiſchen fie und ihre Liebe drängte, ſogar jetzt aus der tiefften Grabestiefe zu ihr

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herauf greift, die Tochter zu erfaflen, eben als fie durch den Geliebten dem Leben und den unend— lihen Räthieln des Lebens zurücdgeraubt wird; daß dieje gemwaltthätige Hand die Rettung verhin- dern will, und fie mit fid in das ſtille, ruhige Grab.

Judith leiſtete keinen Wiberftand, fie faltete die Hände auf ihrer Bruft, und ſchloß nun die Augen. Einen Augenblid darauf fühlte fie, daß das Waſſer über ihrem Kopf wieder zuſam— menſchlug.

Im nächſten Augenblicke war ſie durch den Arm Béla's abermals auf die Oberfläche des Waſſers gezogen, aber die gewaltige Hand 309 fie immer abwärts, hielt fie immer feit.

Sie fühlte, welde Anftrenaungen es ihrem Geliebten Lofte, um bei diejem Kampfe Herr über die Mogen’ bleiben zu fünnen. Ste meinte: Ver: laffe mid, und rette Dich jelbit!... Es waren Dies feine Worte, nur der Gedante, aber fie glaubte ihn auch ausgeiproden zu haben ; oder daß ihr Geliebter ſelbſt ihre Gedan— fen höre.

Die gemwaltthätige Hand zog fie aber fort: während abwärts.

Sie war mit dem Kopfe ſchon länger unter, als ober dem Waſſer. Ste begann bereits die Beſinnung zu verlieren. Ein dumpfes Sum- men umlauste ihr Gehirn. ES war dies jener

%

= 340: =

Augenblid, wo die Seele und der Körper bereits getrennt von einander leben. Die Seele ift fi nod) bewußt, fie denkt, aber die Nerven gehorchen bereit3 einem andern Herrn. Die Seele hat ihre Ruhe gewonnen, aber der Körper windet fi noch im Xodesfampfe, zittert und fträubt fih gegen das Zunichtswerden.

Die Hand, welde fie in ven Tod z0g, wollte nicht loslaſſen.

Das Bewußtſein Ihwand gänzlich, fie fühlte

niht3 mehr... . die mit dem Tode ringende Geftalt unter dem, Waſſer hatte fie in den Fuß gebiſſen.

Dieſer Schmerz machte ihren Körper un: willkürlich zuden; fie jtieß fi mit einer krampf— haften Bewegung auf die Oberfläche des Waflers. Nah dieſem Stoß ließ.die fi anflammernde Ge- ftalt ihren Fuß los... Wer mag fie geweien ſein? .. todt ift fie jedenralls.

Und jetzt wurde Judith von jener unbe— wußten Sewalt ergriffen, welde die mit einem ihmerzhaften Tode Ningenden zu überraschen pflegt. Ihre Gedanken ſchwanden gänzlid. Sie umarmte frampfhaft ihren Geliebten, der fie bis- ber am Arme haltend, und mühjelig ſchwimmend über den Fluthen hielt. Beide Arme hatte jie mit flarrer Gewalt um jeinen Leib geihlungen, um ihn mit fih unter das Waller zu ziehen; dann preßte fie ihre Lippen an die jeinigen, um

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ihm mit einem legten fterbenden Kuſſe aud den Athem zu vauben; jo jenkten fi) die beiden Ge: ftalten langſam Hinab auf den Grund der . Donau und flogen zwei Seelen hinauf zum Himmel. . .

Haho! .. Bela! . . Hieher! rief eine befannte Stimme von der Fläche des Waſſers. Ein Nahen glitt Schnell über die Fluthen. In dem Nahen ruderte ein Mann. Diefer Mann

war Pußtafi. Ä Während Andere ſich beeilten den Lärm der Beftlichfeit zu vermehren, ſaß er in dieſem Kahne und angelte ruhig; ev war der Erfte, welcher an die unglückliche Schredenzftätte eilte.

Bela, hieher, hieher! Bon weiten Ihon erfannte er jeinen Freund, der eben mit den Fluthen rang, und eilte ihm zu Hilfe. Bela hörte feinen Ruf nicht mehr, die tödtlihe Umarmung hatte aud) ihn in den Tod hinabgeriffen.

Aber der Dichter läßt Diejenigen, die er liebt, nicht zu Grunde gehen.

Er ſuchte mit jeinen Schifferhaden jo lange, bi3 er fie fand. Das Mädchen hielt aud jekt nod) ihren Geliebten umſchlungen, nichts konnte die Beiden mehr von einander trennen.

Der Dichter bob fie Beide mit feinen fräftigen Armen aus den Fluthen, wie man ein Kind aus der Wiege hebt, dann legte er fie in ihr Brautbett: auf den Boden des Kahnes.

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Die beiden aneinandergeihmiegten Köpfe legte er in ſeinen Schoß, und ftrid ihnen das triefende verwirrte Haar von den Stirnen. Das Mädchen hatte den Myrthenkranz noch immer am Kopfe. Wie pahte er ihm jet jo gut!

Keines gab ein Lebenszeihen: fie ruhten unbeweglich neben einander.

Am entgegengefeßten Ufer des Stromes ging es Iuftig zu, Kähne, Pletten ftießen vom Ufer ; Jene, welde jih an die Balfentrümmer ge- flammert hatten, trieb die Donau langſam ab- wärts. Am Ufer der Inſel jedoch war Alles ruhig. Dorthin lenkte Pußtafi feinen Kahn, ohne jein Auge von den bleihen, eritarrten Gefichtern jeiner Lieben abzumenden.

„Nun gehört Ihr einander für immer.“

Sonſt begünſtigte das ſchönſte Wetter das Feft. Vom klaren Himmel lachte und brannte die Sonne, auf den Gaffen und Pläken duftete das verftreute friihe Gras,

Einer, der das Schickſal bezwingt.

Pußtafi wohnte in irgend einem drei— ftödigen Haufe im innern Theile der Hauptſtadt Natürlich im dritten Stodwerfe, und zwar des— halb dort, weil e3, wie er felbft zu jagen pflegte, feinen vierten gab.

Seine Wohnung befteht aus einem Vor— zimmer für feinen Diener, aus einem Arbeit3- und einem Schlafkabinet.

Die Einrichtung ift Außerft einfach, den einzigen Lurus bildet der Bücherſchrank, worin in prachtvollen Einbänden die Hafliiheften Merfe der engliihen, franzöfiihen und deutſchen Lite— ratur prangen.

An den Wänden hängen verihiedene Por: trait3 in Stahlſtich; aber nicht jene, welche man auf ungariihem Boden in allen Häufern findet, nicht jene ſchnurr- und finnbärtigen Geftalten, welche, als fie dem Maler faßen, ihre Sübel um— gürteten, ihre Fäuſte feſt an den Griff drückend, als wollten fie verhindern, daß die feurige Klinge niht von felbft aus der Scheide ſpringe.

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Dieje Stahlftihe ftellen glattrafirte Gefihter mit fremden Zügen bor, mit hohen, weißen Hals— fraufen, in antiken Fracks. Nicht einer der länd— lihen Beſucher des Dichters frug fich felbft bei Betrahtung dieier Wandzier: weßhalb denn jein Freund dieſe vielen Deutihen halte? Als er aber diejelben näher betrachtend die Unterſchriften lag, fonnte er fih eines leichten Schauers nidt er: wehren. Der mit dem gejurdhten, gallihten, jaty- riſchen Gefiht, mit dem zurüdgeichlagenen Hemd— fragen, welder Hals und einen Theil der Brujt offen läßt, it: Marat; dieſer erhobene Kopf mit den maſſiven Zügen, dem offenen Blid und jener Mauerbrecher gleihenden Stirne ift: Danton; jene geichmiegelte Geftalt: Ro- bespiere; diejes junge, beinahe kindliche, ovale Geſicht gehörte einft dem furchtbaren Saint Juſte; und der geiftreihe Frauenkopf mit dem altgriehifihen Haarſchmuck ftellt Madame Roland bor. Ueber dem Schreibtiih hängt das Bortrait Beranger’s. Auf dem Tiſche ſelbſt liegt die Lieb Iingsleftüre des Dichters, das Buch der Giron- dilten, aufgeſchlagen.

Der Dichter ſelbſt figt an Seinem Tiſche, die Feifterläden find geſchloſſen, die Kerzen in den Leuchtern bis an den Stumpf abgebrannt. Bor ihm liegt ein begonnenes Gedicht, deſſen Titel:

„Caſſius,“ „Tell,“ „Desmoulin.“

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Mer wird der Vierte ſein?

Der Dichter erhebt fi) von feinem Tiſche und beginnt unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen, währenddem er eine große Denkmünze in die Luft ſchleudert, um fie mit der fladhen Hand aufzufangen,; dann ſetzt er fi) abermals und ſchreibt weiter.

Das Gedicht ift bereits zur Hälfte fertig, aber der Schluß will nit gelingen. Nein, nein, es gibt feinen Gedanken, welcher dazu paffen würde . . . Er liest, was er jchon geſchrieben. „Elendig,“ murmelt er dann in fid) hinein, zerreißt das Ganze und fnittert es in den Käuften zu— ſammen um es hinter den Dfen zu werfen. So pflegte er jeine Werke zu korrigiren.

Da Eopft der Diener an die Thüre.

Was gibt3? rief Pußtafi, den Riegel zurüdziehend.

Zwei Damen wünjhen einzutreten.

Bu mir? .. In der Nadit ?

Schöne Naht das, brummte der alte Diener es ift bereits 11 Uhr Vormittag.

Dann öffnete er die Fenfterläden. Es war ein regneriich-düfterer Märztag, man konnte Schwer gewahr werden, wann es Tag geworden.

Nun, jo laffen Sie die Damen herein,

wenn fie mich durchaus ſprechen wollen. | Wollen Sie fih früher nit ankleiden ?

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Hab’ ih midy denn ausgezogen jeit geitern ?

Wenigftens jollten Sie andere Stiefeln nehmen, dieſe find ja ganz fothig.

Wenn die ganze Welt kothig ift, warum könnten es meine Stiefeln nicht jein.

Der Dichter hatte feine mürriihen Stun— den, wo bei ihm die Verachtung der Eitelkeit bis an den Cynismus grenzte,

Nah einigen Minuten konnte man das Raufhen von Krauenkleidern vernehmen, bald darauf wurde leiſe an die Thüre geflopft.

Herein! |

Zwei Damen, eine junge und eine ältere traten ein.

A, Sie find 8?! rief Puptafı mit freudiger Stimme, der jungen Dame die Hand eutgegenftredend?. wie freut es mid, Gie zu ſehen.

Die Dame war Judith von Hargitay.

Wiſſen Sie, dag id) abergläubiſch bin, ſagte Pußtafi, indem er feine Säfte zum Divan führte und Pla nehmen hieß, denn id prophezeihe mir meinen Tag, ob er angenehm oder unangenehm fein wird, daraus, ob id) ein liebes, oder ein verhaßtes Geficht zuerit zu ſehen befomme. Heute werde ich daher einen epochaj guten Tag haben.

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Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen Ihre Zeit und Ihre Gedanken raube, ſprach Judith, die Hand des Dichters drückend.

Dann haben Sie ſich auf den Raub ſehr werthloſer Gegenſtände verlegt.

Weine Tante Charlotte v. Gyöngyi führte Judith ihre Begleiterin auf.

Die Heine lebhafte Frau, die ſich troß ihrer Sahre noch im Befige vieler Reize fühlte, hatte fi) bereits entihloffen, ein geiſtreiches Kompliment anzubringen, al3 Pußtafi, dies aus ihren Zügen herauslejend, den zu entfeſſelnden Redeſtrom ftaute, und gerade auf die Sache losging.

Mit was fann ic zu Dienften itehen ?

Wit Ihrem guten Rathe!

Den Finnen Ste im Voraus haben ; bevor ic) den Gegenftand gehört hätte... . Was Sie wünſchen .. . ift nur billig.

Ich wünſche Schaufpielerin zu werden.

Pußtafi zog gewaltig die Augenbrauen zu— ſammen und dachte, daß es doch nicht gut gewe— fen. fei, den Wunſch feines Gajtes „in bianco“ zu unterjchreiben.

&ie bereuen, das Ste meinen Willen in Voraus billigten ?

BWahrlid Sie bejigen eine gute Polizei in Ihren ſchönen Augen. . .

Und Sie einen ſehr ſchlechten Sekretär

127 in. Ihren Zügen , . . Mein Entſchluß bat feinen Gefallen bei Ihnen gefunden? . . .

—Weßhalb nicht? ſprach der Dichter mit - Ironie, gegen den Beruf habe ic) feine Einwen— dung; denn dieſer fteht um eine bürgerliche Rangftufe höher, als der meinige; hinſichtlich ſei— nes Glanzes übertrifft er Alles, und was die Be— friedigung der Leidenſchaften anbelangt, jo gibt e3 Leine Laufbahn, Feine geftaltende Kunft, welche im Momente de3 Schaffens jo viel wahren Ge: nuß bieten möchte. Doch wollte ic früher willen, ob Sie mit ſich jelbit und Ihren Fähig: feiten abgerechnet haben. Willen Sie es, haben Sie es reiflih erwogen, was Alles die Laufbahn einer Schauspielerin erfordert ?

Die gute Tante beeilte ih in dieſer heik— len Angelegenheit mit der Antwort Judith zu: vorzukommen; da dieje fi) ihrer eigenen Talente ſchicklich nit rühmen konnte.

Ah! Herr. Pußtafi, wenn Sie fie hören möchten, al3 fie Ihre Gedichte deklamirt! diefe Stimme, dieſes Gefühl! ..... |

Bitte, bitte, ..... beſchwichtigte fie Pußtafi, ih fragte niht nad) der Stimme, nad dein Gefühl. Das find Dinge, ohne welche man beim erjten Auftreten durchfällt und von feiner Kranlheit geheilt wird... . Ich frage ob Sie waschen, biegeln, nähen und kochen künnen ? denn Das ift die Hauptſache. Die Zivilifte un—

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jerer Bühnenköniginnen iſt nit jo hoch bemeffen, daß es zur Erhaltung eines Minifteriums ge= nügte. Hat die Königin eine große Rolle zu Ipielen, muß fie vor dem Grauen des Morgens bereit3 auf den Beinen ſein; denn ihre auswaͤr— tige Wärterin ſchläft noch. Dann kocht Ihre Majeſtät ihr Frühſtück, während welcher Be— ſchäftigung ſie ihre Rolle einſtudirt, um auf acht Uhr, wo die Probe ſtattfindet, fertig zu ſein. Um eilf Uhr kehrt die Königin nad Haufe, macht Feuer und Einbrenn, denn die Wärterin verjteht ſich hiezu nicht, und die Gaſthauskoſt koömmt zu hoch. Während des Kochens werden die Haupt— momente der Rolle durchdacht, dann beeilt fie ſich mit dem Diniren ſchnell fertig zu werden, was um ſo leichter geſchieht, als das Diner ſehr kurz iſt. Jetzt müſſen die Garderobeſtücke her— vorgenommen werden; dieſes Kleid braucht einen neuen Aufputz, jenes muß dem Zeitalter des Stückes angepaßt, umgeändert, das dritte aber gar gebiegelt werden. Während dieſer Beſchäf— tigung vermag ſich die Königin ganz in ihre Rolle hineinzuleben. . . Dann kommt die Herr: lichkeit, der Rihm! .. Die Königin wird mit Applaus, mit Triumphgeſchrei empfangen, nach jedem Aft dreimal gerufen, und die Königin jeufzt; wenn man fie nur nit jo oft rufen möchte, daß fie noch vor der Thoriperre nad Haufe käme, um dem Hausmeifter die zwei

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Groſchen Sperrgeld nicht zahlen zu müſſen. . . Verftehen Sie fih zu Alledem.

Ja, weil ih mich dazu verftehen will.

Das find ſehr kräftige Worte. Aber cs wird Ihnen aud) gut jein zu willen, daß die Mus fen jammt ihrem Vater Apollo Schon in den Zei— ten der Arahen und des Marjias einander neidig geweſen find. Apollo läßt auch heute feinen Ne- benbuhlern die Haut abziehen. Es gibt unange: nehme, unausjtehlihe, undankbare Rollen, welche hier und ‚dort dem Regiſſeur an den Kopf ge: ſchleudert werden, bis ſich eine Hand findet, welche fie behält. Die Königin kann nicht immer Königin fein; morgen 3. B. muß fie einer anderen, viel geringeren als fie ift, die Schleppe nachtragen. Unmuthig betritt fie die verhaßten Bretter, und wandert nach Pläken, die Andere verlaffen hatten ; ſpielt Ammen, alte Weiber, drollige Schwikerin- nen, lauter Rollen, die ihr widerlih find... .

Was macht fie jetzt? ... Sie duldet, ihweigt und jhaut rudig zu, wie ſchön man Je— manden lebendig begraben kann ... Der fie duldet nicht, jondern verlegt ſich auf's Intriguiren: fie fängt ſich einen Zeitungsichreiber, der für fie jammert, da3 koſtet wenig, ein gutes Wort, ein Lächeln, ... nükt aber auch nicht viel. Beſſer ift es, wenn fie fi) an eine bon zwei wetteifern— den Parteien anſchließt, oder aud) an beide, fie best eine Primadonna gegen die andere, erobert

Andere Zeiten andere Menſchen 9

1909

fi) einen der Korifäen, oder auch mehrere, viel= leiht auch den Regiffeur, oder gar den Direltor ſelbſt, wo nit den ganzen fiebenfüpfigen Draden ? Ihr Ruf leidet dadurch nichts ... Will fie aber großen und ſchnellen Erfolg ernten, da wäre eine höhere Proteftion . . . . . Sie erröthen: Verzei- bung, id) ſpreche nicht weiter, wollte auch nur im Allgemeinen geiproden haben... Sie fünnen dulden . . .

a, ih will dulden, und durch Fleiß mich auszeichnen.

Test jagen Sie mir die Urſache, welche Cie zu Ihrem Entſchluße bewog ?

Ich wollte eben dort beginnen. Sie lichen mich nicht fterben, als ich es thun wollte. Sie gaben mich dem Leben zurüd, wo id ſchon im Tode mein Ziel erreiht hatte. Set fehen Sie zu, was Sie mit einem Weibe anfangen, welches ſich ihr Leben einrichten will ... Als ic) nach jenem fürchterlichen Tage meine Beſinnung wiedererlangte, frug ich: wo iſt mein Vater, wo iſt meine Mutter? .. Die Umſtehenden antwor— teten nicht, ſondern waudten ſich ab, und trockne— ten die Augen. Draußen im Hofe ſang und betete man; in den Thürmen läuteten die Glocken; da— mals begrub man fie Beide. Sch hörte, wie die zwei ZTodtenwägen über das Pflafter holperten, und hörte die Schritte des Trauergeleites, als es paarwerfe vor den Fenſtern vorüberſchritt . . .

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Ich fonnte jie niht einmal als Todte mehr jehen- Sie Ihieden im Zorn von mir, mit der fluchenden Hand über meinem Haupte.

Wenn ich einen Gedanken habe, der oft wieder— fehrt, und den ich dadurch bannen will, daß id) feine ganze Shanerlihfeit ausbeute, fo ift es der: ich glaube noch immer, da die Hand, welche mich an jenem böſen Zage unter dem Waffer ergriff, die Hand meiner Mutter geweſen ift, und ich ftieß fie von mir, ich ließ fie jterben, während ic) gerettet wurde, dab ih lebe, daß ih nad) dieſer fürdterlichen Stunde niht wahnjinnig wurde, macht mid) glau- ben, daß mir das Schickſal eine Miffion beſchie— den hat. E3 kann dies eine lädherlihe Schwär: meret bon mir jein, doch bin ich jo überzeugt,

Nah Ablauf des Zrauerjahres werde id) Laͤvay's Gattin. In der Stunde, wo dies geſchieht, fann id) nihtS mehr mein Eigen nennen, als mich ſelbſt. Meine Eltern hinterliegen ein Teſta— ment, welches jie bloß zu meiner Einſchüchterung verfaßt Hatten, nicht ahnend, daß der morgige Tag ſchon der Tag der Eiwigfeit fein werde. Dieß drohende Schriftftüd ift im Ardive des Komitates hinterlegt, laut deſſen Sinn id am Tage wo ih Bela die Hand zum ewigen Bunde reihe, aud) die Armuth mit mir in fein Haus bringe. Arm zu fein ift noch fein jo großes Uebel; weder Er, noch ich Ihreden davor zurüd, denn Er lebt beſcheiden nad feiner Arbeit und

98.

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auch ic) begnüge mid mit meinem beicheidenen Looſe. Aber das biele Unglüd, das mid heimge- ſucht, hat mich zur Profetin gemacht. Wontit mir einft meine Eltern, meine Bekannten gedroht, daß Bela wegen feiner Prinzipien, für Die er kaͤmpft einft ein Verfolgter, ein Verbannter, ein Gefanz gener fein wird, das ift in mir zum Glauben geworden.

Man hat jedod damit nit das Beziwedte erreicht.- Statt mic zurüdichreden zu laffen, habe ih mich entidloffen, mein Schickſal von dein feinigen niht zu trennen. Er wird Jemanden benöthigen, der ihm beim Wanken aneifert, tm Unglüde Ihiemt, und wenn er jeinem Verderben entgegeneilt, rettet.

VDeßhalb it mir eine Laufbahn nöthig, welche ih mir ſelbſt ſchaffe, und von welcher ich) dent Schickſal muthig ins Auge bliden kann, wenn es die Laune anwandeln Sollte, mit einen Meibe zu kämpfen.

Ah Weib, wie erhaben biſt Du in deiner Liebe! rief der Dichter mit Begeifterung und drüdte die Hände des Mädchens. Einem ſolchen Willen gegenüber ift mein Wort nur ein Hauch!

Ich habe es von Ihnen erwartet, daß Sie mir nicht widerrathen werden. Ih Fam um mir Ihren Rath zu erbitten, um Sie zu fragen, wie ih es anfangen, wohin und am wen ich mid) wenden ſoll?

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Pußtafi dachte einen Augenblid nad), dann fuhr er plöglih in die Höhe.

Ih habe eine Idee. Kennen Sie die beite, die erſte ungariihe Tragödie ?

Ich fenne fie, aber wenn ih nicht irre, ift deren Aufführung verboten.

Dann meinen Ste Ihon dielelbe, die ich, Lernen Sie diefe Tragödie. Bis Ste damit fertig find, wird jene Zeit bereit3 herangerückt fein, wo Schauipiele nit mehr verboten werden.

Dann müßte dieſe Zeit ſchon morgen heranbreden.

Mer weiß es? Morgen werde id Sie aufſuchen. Wo iſt Ihre Wohnung. ?

Bei meiner Verwandten in der Hatva— nergaffe, vis a vis der Landerer'ſchen Druderer.

Ih werde Eie bejuden.

Ich bitte Sie aber mit Bela fein Wort darüber zu ſprechen.

Damm ift es gerathen, wenn Sie jid) auf der Gaffe nicht zeigen, denn wenn er erfährt, daß Sie hier find, wird es Ihnen nit möglich fein, Ihr Geheimniß vor Ihm zu bewahren. Auf Miederichen . .

Pußtafi gab feinen Gäſten bis zur Stiege das Geleite, dann fehrte er in fein Zimmer zurüd und blieb vor dem Portrait der Madame Roland ftehen, welches er lange, und finnend betradtete.

—— ee

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Abermals folgte ein düfterer, regneriſcher Märztag.

Die Gaffen waren ſchwarz vom Koth, der Himmel weinte bittere Thränen. Wen fein Schid- fal nicht Hinaustreibt, verhält fih Thon ruhig zu Haufe. Indith hielt das Wetter ſehr paſſend dazu, um die dramatiihe Nolle, welche ihr Pußtafi aufgegeben, einzulernen. Sie hatte aud) die Nach— damit zugebradht, nun braucht fie nur einzelite Partien nachzuholen.

-Mit dem Buche in der Hand ſaß fie am Fenſter, ganz verfunfen in die in ihrer Phantaſie lebendig gewordenen Bilder und Gruppen einer großen Zeit, welche ein riefiger Geift in maſſiven Geftalten nun geihaffen hatte.

Ploͤtzlich dünkte "es ihr, al3 wäre das To— ben, weldhes den Thron des Königs Andreas von Jeruſalem gleid) wüthenden Meereswogen erſchüt— texte, wirflid) hörbar... . Dies rührt nit von den heraufbeihwörten Geiftern her, dies ift nicht mehr Einbildung, jondern Wirklihfeit ... .. Das Toben fümmt von der Gafle, als wäre e3 Die Fortſetzung der Worte Petur-Bän’s...

Wäre fie niht jo ftarf in ihr Studium ver: tieft gewejen, wenn fie e8 der Mühe werth ge= funden hätte, einen Blick durch das Fenſter auf die Gafje zu werfen, müßte fie e3 wahrgenommen haben, daß ſeit einer Viertelſtunde troß des Regens einzelne Männergruppen haftig borüber

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eilen, einem beftimmten Ziele folgend, weldes jehr Dringend ſcheint. Nach kurzer Zeit kehren diejelben Gruppen mit neuen vermehrt durd die Hatvaner- gaſſe zurüd.

Das dumpfe Getöje, das unbelannte Toben nähert fi immer mehr und mehr. Judith jah die Volksmaſſe heranziehen, und konnte fih nicht er— Hären, was e3 zu bedeuten habe? War dieler Lärm ein Jubel, eine Huldigung, rührte er von Zorn oder Entrüftung her? ... Nihts von alledem.

Der größte Theil der Maſſe beitand aus jungen Männern.

Den Fenftern Judith's gegenüber ftand ein drei Stod hohes Haus, in deſſen erſtem Stod- werke fih das Nationalfafino, in den ebenerdigen Räumen aber die Landerer’ihe Druckerei befand.

Diefes Haus war der Brennpunkt der Ge— Ihihhte jenes Tages.

Und dieſer Tag war der erfte Tag der Geihichte der Freien Preſſe. Ä

Mer ein jehr gutes Gedähtnig hat, wird fih vielleicht noch erinnern, daß dieſer Tag der 15. März geweien. Viele werden jeiner ſchon längft vergeſſen haben.

An dieſem Tage waren zwei Namen von beinahe allen Lippen hörbar: Pußtafi umd Lavay. Wie lange find diefe Namen Schon ver: Hungen jammt allem, was damals geihah.

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Doch wir Schreiben ja feine Geſchichte, ſon— dern einen Roman.

An diefem Tage alfo war es Mode für - Redermann auf der Gaſſe zu fein.

Solche Tage haben fein bejtimmtes Pro— gramm, aus welchem man erjehen könnte, ob das Ende ein Schauipiel, oder eine Tragödie jein wird ?

Im größten gedränge begegnete Pußtafi Judith. Erjterer mußte natürlich überall dort zur finden fein, wo ji Bela befand. Pußtafi dachte darauf, daß ſich das arme Kind hier nicht am rehten Orte befinde; vielleiht bangte es ihm. aud) für Bela, dag, wenn diefer Judith gewahr wird, feine Seele die Kampfbereitſchaft verliert. Er näherte fi daher ſchnell dem Fräulein, und zog es unter eine Xhorwölbung,

No gehen Ste hier herum ?

Dort wo Sie,

Sie ſollten aber anderswo fein.

Haben Sie Ihon'vergeflen ? Geftern kamen wir überein, daß Sie in einer Tragödie Ahr erites Theaterdebut veriuchen werden, welde geftern nod) verboten war. Heute ift fie es nicht mehr. Sehen Sie, ih habe auch daran gedadt. Ih habe bereit3 mit dem Direktor geſprochen. Man erwartet Sie zur Probe. Befinnen Sie fid) nicht zu lange. Sie jehen ja, daß heute ein Tag it, wo jede Stunde ein Jahr gilt. Heute ift

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Alles möglih, ſelbſt das Unmögliche. Folgen Sie mir in's Theater, damit ich Sie dem Di— rektor vorſtelle.

Der Regen fiel in Strömen. Judith lief ohne Regenſchirm auf der Gaſſe herum. Pußtafi erhaſchte einen kleinen hinkenden Mann, der einen Regenſchirm trug.

Halten Sie, lieber Bürger, wie iſt Ihr Nante ?

Heiße Meldior Glanz zu dienen, bin Gehilfe im Rochusſpital.

Nun, geben Sie Ihren Regenſchirm her. Mein Name ift Wußtafi.

| Ad ih bitte, mit taufend Freuden. Habe die Ehre. Wer würde Sie nidt kennen ? Bitte, belieben.

Beim Theater erhalten Sie ihn zurüd.

Hat feine Eile, feine Eile. ...

Der Heine Mann übergab feinen Regen= Ihirm, und Hinkte von dannen, indem er fid) vor Freude die Hände rieb, dag ihm ein joldes Glück widerfahren. Pußtafi aber eilte mit Judith dem Theater zu. Je näher fie famen zu jenem zauber— haften Heiligthum, zu jenem heigerjehnten Olymp jo manches jugendlichen Herzens, umſomehr zitterte Judith an allen Gliedern. Sie war gezwungen, ih in die Lage zu fügen, welde fie ſelbſt herauf- beihworen ; ein neues Leben zu beginnen auf den weltbedentenden Brettern, zu einer Zeit, wo auch

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die Außenwelt ein neues Leben begann. Sie Tollte ſpielen, während das Schickſal mit ihr fein Spiel trieb.

Nachmittags zog das bewegte Voll nad Dfen hinüber. |

Mas kann dort gefhehen fein? davon wuhte Niemand.

Viele der Schaufpieler, welche ihre Rollen bei der Probe beendet, liefen hinüber, um zu fehen, es kam aber keiner zurüd.

‚Und Judith war genöthigt zu bleiben, ohne Nachricht von Bela zu erhalten. Während dem LKefen die Vorbereitungen im Theater ihren Gang ; 23 fam der-Abend, und die Lampen wurden an— gezündet.

Noch wußte Niemand, was in Ofen geſchah.

Nur Judith wußte, welch' ein zweifelhaftes Drama da drüben abgeſpielt wird, von deſſen Ausgange es abhängt, ob man ihr heute einen Kranz, oder das Haupt ihres Geliebten vor die Füße werfen werde.

Die Zeit der Borftellung rückte heran. Das Theater begann ſich zeitig zu füllen. Man gab ja gewilfermaßen zur Krönung des Tages en Stift welches ſeit zehn Jahren ver= boten war.

Judith mußte über ihre Rolle nachdenken ; über jene Rolle, welche voll der ſchmerzlichen

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BDeziehungen zu einem Empörer ift, deren jedes Wort ihre Seele an die Ereigniffe des heutigen erregten Zuges fnüpft.

Und in einem ſolchen Zuftande aufzutreten, das erſte Mal, vor einem glänzenden Pu— blitum! ...

Man läutete bereitS vor den Anfleidezim- mern, zwiſchen den Kouliffen begannen ſich die glänzend koſtümirten Geſtalten mit den hijtoriihen Nafen und Bärten zu gruppiren. Auch Judith legte ihre Rolle bei Seite, 309 ihr goldgeſticktes Kleid an, Sekte fih Das Diadem auf den Kopf und trat in Den beleuchteten papierenen Balaft hinaus... Wie gerne hätte fie ihr glänzendes Koftüm von fi) geworfen, um mit aufgelöstem Haare dur Die fothigen Straßen zu eilen und anſtatt den klingenden Jamben auszurufen:

Op! wie wird fie heute mit ihrer Rolle durchfallen! Man läutete bereits das erite Mal den Kouliſſen-Maſchiniſten.

Judith! .. Hier bin ich! rief eine Stimme hinter den Kouliffen. |

Bela! ſchrie Judith auf: und in dem— jelben Augenblit war Alles vergeſſen, ihr Koſtüm, ihr Rolle, das Theater, die fie umftchenden hi— jtoriihen Geſtalten ..... ſie warf ſich ihrem Ge— liebten in die Arme.

Haͤtte ein Weib anders thun ſollen.

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In den Zügen Lävay's fpiegelte ſich der Triumpf des Tages ab. Man brauchte nicht zu fragen, was geſchehen fei; wer ihn anſah, mußte e3 wiſſen.

Im nähften Augenblide war Bela den Armen Zudiths entriffen; und fie mußte zujehen, wie er bon den papierenen Künigen mit den hi— ftorifhen Nafen, von den Herzoginen mit dem falſchen Schmuck ebenfo behandelt wird, wie jie ihn dor einem Augenblid behandelt hatte ... Es war ja dies ein Tag, wo fid) zwanzigtaufend Menihen abküßten, die fih im Leben nie gejehen. Gleich nad) Lävay erſchien Pußtafi; aud ihm widerfuhr e3, wie jeinem Freunde.

Es wurde zum zweiten Mal geflingelt.

Die Helden mußten von der Bühne flüch— ten, der Vorhang ging in die Höhe.

Das Theater war voll, Alles kam zuſrie— den, mit freudigem Gemüth. Vor ein ſolches triumphbejeeltes Publitum mußte Judith treten; doch fie war die Seeligfte, die Stolzefte von Allen,

Welcher Beifall! ...

Gegen Ende des erſten Altes gab es ſchon mehr Applaus unten als Reden auf der Bühne, Als der Akt vorüber, wurde Judith ſechsmal, Die Uebrigen einzeln einmal, und wieder Alle insgeſammt gerufen. Das war nicht genug. Das Publikum wollte das Gedicht Pußtafi's von der Bühne herab hören. .. Einer der glänzenden papierenen Fürften mußte

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e3 unternehmen, dasjelbe ex impromptu zu della: miren. Aud) das genügte nicht ; das Publikum wollte Pußtafi fehen, dann Lävay, dann alle Redner des heutigen Tages. Diefe gaben dem Volks— willen nad, und eridhienen auf der Bühne mit fothigen Stiefeln und Kleidern, zerquetihten Hü— ten;... das Volk verlangte, daß fie ſprechen follen; fie thaten es mit heiſeren SKehlen, das Volk verlangte den Räföczy, er wurde auf: geipielt . .. Unendliher Jubel.... das Thea- ter, weldes ſchon beim Beginnen voll gewelen, füllte fih nod mehr.” Einer klammerte fid) auf den Rüden des Anderen und Elatichte, jubelte und dellamirte; aus den Logen langten Die herr— Ihaftlihen Säfte mit ihren Händen herab, um die im Partere Erftidenden zu ſich hinauf zu zie— ben; und als auch die Logen ſchon vollgepropft waren, al3 man bor dem unendlichen Getöfe nicht einmal mehr die Klänge des Räfsczumar- ſches unteriheiden konnte, da trat Pußtafi bor den Souffleurfaften und erhob die Hand...

„Stille !‘

Pußtafi will ſprechen .....

Im Momente herrſchte Stille.

Bürger! ſprach Pußtafi mit, in Folge der Tagesmühen ——— Stimme der heutige Tag iſt beendet . . Kehren wir ruhig J Hauſe .....

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Und Alles ging ruhig nad) Haufe, wie es der Held des Tages gewünſcht.

Es folgte ein fo ftille, ruhige Naht, daß man nit einmal einen verjpäteten Auf verneh= men fonnte.

Aber Zudith konnte auch diefe ruhige Nacht nicht in den Schlaf wiegen.

Als fie nad Haufe fam, und auf ihrem Lager die Augen ſchloß, da bemerkte fie erft, dab dieſe Finſterniß bevöffert ift, daß die Stille vom Echo miderhalle. Alles jaufte ihr in den Ohren, Alles ſtand vor ihren Augen, das Bild des heutigen Tages: die Töne, ihr Zittern un ihre Freude. ....

Vor ihrem Geiſte wogten noch immer die Volksmaſſen, fie hörte noch immer ihr Geſchrei, fie empfand nod) immer die bverzweifelnde Sucht, den feligen Stolz über die Auszeihnung ihres Geliebten; da ftand vor ihr die Bühne, ihr erſter Verfuch, der glänzende Erfolg, die Taujende von Gaslichtern und die taufendfa—hen Empfindungen des Momentes.... Alles dies lebte, athmete und tobte vor ihrer Scele. Das war eine Lebens= geſchichte für fie, deren Kataftrophen ein Jahr— hundert ausfüllen könnten, und die in einer einzigen Tag zufammengedrängt find.

ft es ein Wunder, wenn ein folder Tag, feine Nacht hatte ?

Ueues Leben.

Einige Monate hielt fih jene Mode, wo Sedermann Schöne, prädtige Federn am Hute trug; der Eine eine weiße, der Andere eine ſchwarze, Viele wieder rojenfarben, von denen fie freilich glaubten, daß fie eigentlich roth ſeien. Es war eine fürmlihe Wette darum: wer fchönere, wallendere Federn babe. Was die National- fofarden betraf, da entfaltete fi Schon ein fürm= liher Luxus; dieſe wurden aus Sammet ber: fertigt, mit dem filbernen Wappen Ungarns in der Mitte. Man begann aud, fie fternartig zu bilden, damit fie von Weiten fi wie der Drden eines mediatifirten Fürften ausnähmen. Und alg jogar die Union Stebenbürgens mit Ungarn aus= geſprochen wurde, da fügte man zu den roth— weiß-grünen Farben noch die blaue und goldgelbe, was dann buntihimmernd genug ausfah.

Gegen das Ende des Sommers fhien es aber, daß Die Feder doch nicht denjenigen Dienſt leifte, den man bon ihr erwartete ; weder diejenige, melde den Hut ſchmückte, nod jene, mit weldyer die zorniprühenden Leitartifel geſchrieben wurden,

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am wenigſten aber die, auf deren Pflaum fid To füß träumen hieß. Die Mode begann zu wechſeln, man fing an, Heine beihnürte Kappen zu tragen.

Bor Judith's Fenftern zieht gerade Die Werbung mit Mufit vorüber, welder ein Haufe junger Refruten folgt; Viele unter ihnen gehören zu Freunden, zu den Kollegen Lavan's: Advokaten, Aerzte, gelehrte junge Männer.

Das Eintreten des Briefträgerd rief fie vom Fenſter. Er überreihte zwei Briefe, einen an fie, einen an die Tante adreifirt. Judith er- Tannte an beiden die Schriit Fertoöy's. Den Brief iheer Tante trug fie in deren Zimmer, mit dem ihrigen kehrte fie zurück.

Als fie den Brief öffnete, fühlte fie einen unerklärlihen Abſcheu gegen diefe Buchſtaben, wels he jo Ihn, jo Falligraphiich fein wollten, als wären fie das Konterfei ihres Schreibers mit dem geſchminkten, glattrafirten Geſicht; ein trügeri= ſches Aeußere des bölen Inhalts.

Der Abſcheu war nicht unbegründet, Der Brief lautete: „Liebe Nihte! Sie jheinen ver— geilen zu haben, daß Unterzeichneter Ihr Onkel, und nad) dem Tode Ihrer Eltern, als nächſtſte— hender Verwandter, auch Ihr gefekmäßiger Vor— mund ift, Sie haben, die bewegten Zeiten bes nügend, ohne um die vormundſchaftliche Bewilli— gung einzufommen, ohne diejelbe abzuwarten, eine Laufbahn gewählt, die Sie zu emanzipiren ſcheint.

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Emanzipiren nämlid) von der Meinung der Welt, bon den üblihen Forderungen, und ſonſtigen als terthümlihen Anſchauungen, denen unter geregel- ten Umftänden lebende Damen unterworfen zu jein pflegen, welde aber die Göttinnen der Thea- terwelt am Wenigften geniren. Bei Schauſpiele— rinnen pflegt man nicht zu fragen, ob fie Maͤd— hen oder Frauen jeien. Das ift dort bereits ein überwundener Standpunkt, und. wird nicht ftrenge genommen. Es gibt aber unangenehme Leute, die das Geſetz als Vormunde bezeichnet, und zu gleiden unangenehmen ragen bered= tigt... Sie werden fi vielleiht noch erinnern, daß in dieſe Woche der Jahrestag fällt, an welchem Ihre unglüdlihen Eltern an einem und demfelben Tage eines to traurigen Todes geftorben find. Ihr jeliger Vater hat in das Komitatsardiv ein Teftament Hinterlegt, auf deſſen Couvert geſchrie— ben fteht: „Nach einem Jahre zu öffnen.“ Der Inhalt diefes ZTeftamentes wird Ihnen wohl be- fannt jein, da meine jelige Schwefter denjelben Ihnen mittheilte. Aus ahnungsvoller Beſorgniß, deren prophetiſche Worte die Zeiten bereits be— wahrheitet, haben Ihnen Ihre Eltern verboten, mit einem Manne in Verbindung zu treten, über defſſen Haupte die Hand des Fatums ſchwebt; und haben Sie für den Fall, als Sie deſſen Gattin werden ſollten, enterbt. Sie haben aber eine ſehr geſchickte und ſpitzfindige Art zur Eludirung die—

Andere Zeiten andere Menſchen 10

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ſes Teftamentes gefunden. Sie dachten: ich wähle weder das Eine, nod) das Andere, jondern werde Schauipielerin und behalte Beide, die Erbidaft nnd meinen Geliebten. Dies fällt dort bei Ih— nen gar nicht auf, man kann jogar vor der Welt, auf dem Theaterzettel den Namen eines Jeman— den führen, ohne daß das Gejet oder der Altar etwas davon wüßte. Es wäre Dies ein ganz hübſches Manöver, wenn nit aud andere Leute Berftand hätten. Bei Ihnen iſt Laͤvay ein täg- liher Saft; er beiuht Sie auf der Bühne, Sie dugen einander, jpazieren Arın in Arm u. ſ. w. Bor der Welt gibt es fein Geheimnig.... Nun aber rufe ih Sie im volliten amtlihen Ernfte auf, binnen bier Tagen mir darüber Beiheid zu geben: „ob Sie die Gattin Lavay's jind oder niht?... Und wenn Ste e3 nit find, find Sie gewillt, ihn von fih zu entfernen oder nicht?“ ... Wenn Ste Bela Lavay weder hei: vathen, noch fih bon ihm trennen wollen, dann erkläre ih Ihnen mit fefter Entſchloſſenheit, daß ih meiner Pflicht nahlommen werde, um einem Sfandale, welher mid) verwandtſchaftlich nahe berührt, ein Ende zu bereiten!“

Die Seele Judith’3 war niedergedrüdt von diefen Zeilen.

Welch' eine niedrige Berleumdang welch' eine graufame Kabale! ...

Das iſt alſo der Nimbus des Theaters ?!.

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Eine jede Rnospe darf ihren Bufen dem Son- nenftrahle entfalten; ein jedes Mädchen darf im Geheimen jeufzen, einem jeden Herzen ift es er— laubt zu ſchwärmen, nur einer Schaufpielerin nicht, denn fie wird dadurch ehrlos. Wenn eine Dienftmagd fih unterm Thore mit einem jun: gen Manne unterhält, jagt man: fie ift feine Braut; wenn es eine Schaufpielerin thäte, würde man jagen, fie ift feine... . „Geliebte“.

Was nun beginnen, wohin fich flüchten ?

Soll jie den Brief Bela zeigen?... Nie!! ..

Es würde ihn zur Rache reizen, ihn einer Gefahr auslegen... . und was das Wichtigſte, ihn davon belehren, was die Welt Sprit, und ihn dazu bemüfligen, e8 gut zu maden. .. Ad; das ift unmöglih. Diefer Gedanke paßt nit in den Rahmen diefer ftolzen, Haren Seele. Und demnad darf fie die Drohung Fertöy's nicht in Erfüllung gehen laſſen! .. Ach, wie theuer wäre bier ein guter Rath! ...

Da trat die Tante in das Zimmer. Man jah es ihrer Miene an, dab fie etwas Unange— nehmes zu berichten habe, aber fie weiß die Sache nicht wo anzupaden.

Liebe Judith ... begann fie endlich, das Wort erhaſchend; ih habe heute eine prächtige, ganz für Dih paffende Wohnung ge= funden, | Ä

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©?.. Sie haben mir eine Woh— nung geudt?...

Nun, Du weißt ja, diefe ift Dir zu eng, und im zweiten Stode; jie ift für Di zu einfah, . . bift eine jehr hervorragende Künft- lerin, es gebührt Dir jhon eine elegantere Woh— nung. . .

Judith Ihlug Die Augen nieder und ſchwieg.

Das iſt die Wirkung des zweiten Briefes, dachte ſie, Fertöy ſchrieb auch der Tante, um ſie mit ſeinen Drohungen zu erſchrecken. Die Tante will mich nun entfernen, um nicht in Skandal hineinbezogen zu werden.

Iſt alſo mein guter Ruf dahin gekommen? So viel foftet ein freundliches Lächeln, ein Hände- druck? ... Und alles dies darf Bela nit wiflen. |

Sol ih ihn aljo verlaflen?.. Sol id meiner Dienerin den Auftrag geben, daß - wenn er fümmt, fie ihm antworte: es ei für ihn Nie- mand zu Haufe?!..

Judith Hatte feine Zeit fich jelbft Antwort zu geben.

Die Thüre ging auf, und herein trat Bela.

Und als ihn Judith erblidte lächelte fie ihm eben jo freundlich zu, drüdte ihm chen fo zärtlih die Hand, al3 damals, wo fie noch nicht mußte, welchen Preis fie dafür geben müffe. .

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Haft Du Zeit mit mir zu kommen? frug Laͤvay zärtlich.

Mit Dir zu gehen ?

Und es fiel ihr ein: mit Dir über die Gaſſe zu gehen, daß man fage, ich fei Deine .. Geliebte... . doch jehte fie Hinzu:

3a; wohin wilft Du mid führen.

63 gilt eine Spazierfahrt. . .

AG zu Wagen! Tante wird mithalten.

Dieje beeilte fi aber zu antworten, daß fie feine Zeit habe.

Alſo allein!...

Und Hunderte werden mich ſehen und ſagen: es iſt wirklich fol... dachte Judith.

Ich gehe mit Dir!..

Sie nahm ihren Hut und ihren Shawl, grüßte die Tante, melde den Gruß fehr kalt er: . wiederte, dann nahm fie Béla's Arm und ging.

Lavay half ihr in den Fiaker, welder vor dem Thore ftand, umd ſtieg dann eben- falls ein. |

Du weißt ja wohin ? rief er dem Kut— her zu, und der Wagen brauste von dannen.

Judith Hatte nicht einmal den Schleier über ihr Geſicht herabgelaffen.

Bela griff nah ihrer Hand; fie zog die- jelbe nicht zurüd. . |

Im Innern dachte fie aber:

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„Wenn dein Herz wirklich die entiprehende Hälfte des meinigen tft; wenn deine Seele und meine wahrhaftig eins find, dann muß dein Herz durch meine und deine. Hand erfahren, was ich jeßt denfe; und wenn du jenen Gedanken Fühlft, der mir jetzt fo wehe thut, dann ift es unmöglich, daß nicht deinem Auge eine Thräne entrinne,

Und als fie bei diefem Gedanfen krampf— haft die Hand ihres Geliebten drüdte und unver— jehens einen Blick auf fein Antlig warf, ſah fie ın feinen Augen zwei belle Thränen erglängen.

Aber es waren dies feine Thränen des Schmerzes, denn er lächelte dabei.

Judith, meine Liebe! ... weißt Du wohin wir gehen ? frug er mit bewegter Stimme.

Wohin?

In die Kirche ..... zur Trauung.

In demſelben Moment hielt der Wagen vor der Kirche.

Iſt es alſo doch eine Wahrheit, daß eine Seele der andern antwortet? .....

Bor der Kirhenthüre wartete Pußtafi und der fleine, hinkende Aifiltent, weldher Ju— dith an jenem denkwürdigen Tage feinen Regen— Ihirm geliehen. Diele beiden follten die Deittände der Zeremonie Sein.

Dieje lektere war ftil und kurz. Außer dem Beamten war Niemand in der Kirche zu dieſer ————— n Stunde, als der Seelſorger,

—- 11 der Kirchendiener, und ein altes Bettelmeib, welches an den Stufen der Kirche wohnte... . .

EEE Und Gott... ..

Mer mühte es glauben, wie viel Poeſie eben in der Proja des Lebens liegt !

Wenn der junge Gatte feine junge Gattin bon der Hochzeit in jeine beicheidene Wohnung führt und den zärtlihen Arm um ihren Naden ihlingend, fie in den Räumlichkeiten herumführt: „Hier ift die Küche, hier die Speisfammer; in dieſem Kaſten fteht das Service, dort das Ge— ihirr ; bier dein Schemelden vor dem Armſtuhl dein- Teppich vor dem Bette; bei diefem Schreib: ti arbeite ih, deinem Porträt vis-A-vis; das find die Blumen, welche Du liebft hier die Bücher, welche Du gerne liest; die Fenfter gehen auf den Garten... . Wir find zu Haufe.“ Smmer „wir“ und nie „ich“, nie „du“.

Das glüdlihe Doppelleben, der „kü= niglihe Plural“ beginnt, dev Eigenname hat aufgehört zu ſein.

Und in diefem Labyrinthe der projaiichen Kleinigkeiten findet die Seele doch ihre unerſchöpf— liche Poeſie; das plumpfte Geſchirr Scheint zu lispeln: wie muß dich jener Mann gelicht ha— ben, der auch an fo etwas dachte, der während den Stürmen, melde ein Land zu vernichten drohen, jenen Privilegien des Mannes entiagte, welche ihn über die häuslihe Profa des Fami—

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lienlebens ftelfen ; der entgegengejekt jede Klei= nigleit herbeifhaffte, um dann, wenn er feine Braut heimgebradt, jagen zu fünnen: „Du bift zu Haufe!“ | \

Judith trug ein Heines Medaillon an ih= rem Buſen. Die eine Seite barg das Porträt eines Mannes, die andere das einer Frau.

Der Mann wor Bela, die Frau ihre Mutter. | AS fie don Bela nicht gejehen werden Ionnte, 309 fie das Medaillon aus dem Bujen und fühte zuerft das Portaͤt ihres Gatten, dann jenes ihrer Mutter, indem fie bei Letzterer ſprach: „Siehe, Mutter, ich bin glücklich!“

Bela Hatte auch einen Hochzeitsſchmaus arrangirt. Der Gäfte waren nicht viele da: Pu— ftafi, der Heine, hinfende Arzt Melchior Glanz ein braver, ungariiher Zunge aus der Zips, dann die Tante Gyoͤngyi.

Letztere behauptete, Alles im voraus ſchon gewußt zu haben; die wunderlichen Einkäufe Be- la's hätten fie ja dazu bewogen, die Aeußerung bezüglid) der neuen Wohnung zu thun. .... Judith fühlte die Unwahrheit heraus; aber das Ganze war fo gejhict vorgetragen, und die Tante war jonft eine jo gute Geele, daß man ihr uns willfürlid eine goldene Brüde überlaffen mußte, über welde der geichlagene Gegner fih zurück—

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äuziehen pflegt. Selbſt die Heine Lerche bängt mit ihrem Käfig im Fenſter und fingt dasſelbe Volkslid, weldes die Lerhe Judith's fang. Wie viel hatte Bela zu thun gehabt, bis er ihr's einlernte, dap es einen jo ernften Mann nicht verdriegt, ih mit ſolchen Dingen zu be—

Derjelbe Bogeljang weckt Judith aus ihren Träumen, welder fie zu Haufe zu weden pflegte; und der Morgenftrahl der Sonne ftiehlt ſich mit eben denjelben Schattirungen in ihr Ge- mad), wie er ſich durch die Alazien ihrer früheren Wohnung ſtahl. . . . Alles war jo, nur die Träume waren glüdlider. .... .

Als Judith aus dem erften Schlafe ihres neuen Lebens erwachte, drüdte fie das Medaillon mit den zwei Porträts an ihre Lippen und ftipelte : „Siehe, Mutter, wie glüdlih ich bin.“

Doch die Zeit muß vorgerüdt fein, denn Bela iſt ſchon Fort, er muß zeitlich BEE den ſein. ...

Vielleicht dachte er mich noch als Schlafende zu überraihen, und mit einem Kuße zu meden ; wie wird er erjtaunt fein, wenn ich ihm ſchon an— gekleidet entgegeneile.. _

Judith Eleidete ſich ſchnell an, und trat in das Zimmer ihres Gatten. Dort war Niemand mehr; die Kerze brannte jedoh no immer auf dem Tiſche....

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Sudith beeilte ſich die Kerze auszulöihen, doch trat fie betroffen zurüd, als fie einen Brief dort erblidte, mit der Aufſchrift:

„An meine Judith!“

Dies war jhwer zu erklären. Mit zitternden Händen erbrad) fie den Brief, und las:

„Geliebte meines Herzens! Du ahnteft es faum, daß, als Du mid zum legten Male küßteſt, Dies Dein Abſchiedskuß geweſen ſei. Ich habe Dir gelobt, daß ich Dich nie ver— laſſe, und ſiehe, kaum iſt noch ein Tag ver— flofſen, und ich habe ſchon meinen Schwur gebrochen. Der Trompetenſchall, welcher Dich aus Deinem Traume wecken wird, gilt mir, ich ziehe mit meinen Kameraden in's Lager. Ich finde keine Entſchuldigung, Du wirſt eine für mich ſuchen. Ich wollte den Tag unſerer Trauung und den Ablauf des Trauer— jahres erwarten; die blutdürſtige Zeit wartet

aber nicht .. . Geftern war der letzte Tag daher die faft überftürzte Eile...... Heute marſchire ih ab..... Der Name, den ih Dir

gab, darf feine Makel befommen; id) gehe. Du wirft auf mid warten und mid lieben... Gott mit Dir und meine ewige Liebe. Dein Bela.“ Judith taumelte mit dem Briefe in der Hand in ihr Zimmer zurüd, warf fih auf ihr

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Witwenlager, und weinte, weinte lange, wie nur ein Weib weinen kann.

Ueber ihrem Bette hing das Porträt ihres Gatten in einem Heinen runden Rahmen ; fie nahm e3 von der Wand und küßte es taujendmal: ob niht mehr Thränen als Küffe auf das Bild fielen ?... Wer wei es, wer fonnte das zählen ? r

Dann ſaß fie lange mit gefalteten Händen und das Bild betrachtend ... fie trocknete zu= weilen die langjam berabperlenden Thränen, und als das Bild ihr jo traulich zulächelte, wie Einer, der den auf ſich gerichteten Blick nicht ſcheuet, da wiegte fie langjam ihren ſchönen Kopf und lüpelte:

„Reht haft Du gethan: jo mußteft Du handeln.“ |

Dann löste fie eine Epheuranke von ihrer Blumenetagere, wand diejelbe zu einem Sranze, umrahmte damit das Bild und hing es wieder to an die Wand.

Ein Weib, deffen Hatte beim Grauen des Morgens nah der Hochzeitsnacht auf dem Trom- petenruf ins Feld des Todes zog !

Dann ftärkte fie ihr Herz, ging in das Ar— beitäzimmer ihres Gatten, ſetzte fih an den Schhreibtiih, auf welchem die Kerzen noch immer brannten, nahm die Keder, welhe Bela dort lie- gen gelaffen, und jchrieb zwei Briefe.

Den einen an Bela, welcher nicht viel ent=

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hielt, vielleiht nur die Worte: „ic liebe Dich, ih bete Dih an, meine Seele folgt Dir über- al Bin.‘

Der andere war an Fertöy gerichtet.

„Mein Herr!

Ich beantworte Ihren Brief mit der An- zeige, daß ih die Gattin Bela Lavay's bin. Ueber mein Vermögen lünnen Sie nad) Belieben verfügen, aber meinen guten Ruf dürfen Sie nicht antaften. Dies verbiete ih mir. Dies find meine letzten Worte an Sie in diefem Leben. Sch erwarte feine Antwort, werde aud Feine annehnten. Judith Laͤvay.

So. |

Dann ſteckte fie beide Briefe in Couvbert's und verjiegelte fie... Wohin fie den Brief an Bela richten jolle, wußte fie noch nicht.

Dann erhob fie jih, athmele auf, und blidte mit ihren großen dunklen Augen in die Höhe, als wollte fie hiemit jagen, daß bon nun an das ſchwere Los zweier Menſchen ihren Schul- tern aufgebürdet ift; und dennoch ſagte fie in ihrer Seele: Mutter id bin glücklich! ...

Die Kerze blieb auch jet brennend auf dem Tide...

Hatte auh fie es To vergeffen? oder daß fie gedacht Hatte: was Du angezündet, kann ich nicht Löfchen.

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Glaubt Ihr etwa, dag ſolche Dinge auf der Welt nicht vorlommen ? daß es nit ge— Ihehen konnte, daß junge Gatten am Tage ihrer Trauung diefelbe Gattin verließen, und dem Ka— nonendonner nahgingen?..

Wer da zweifelt an der Wahrheit des Ge- fagten, fomme zu mir, und ih werde ihn zu jenen Gräbern führen, unter denen jolde Helden ruhen.

Eine Stadt in der Feſtung.

Wenn man in jenen Zeiten in den Donau: gegenden reifte, konnte man vor den Dörfern eine Menge Bauersleute jehen, wie fie in Reih und Glied aufgeftellt, mit hölzernen Gewehren militäriihe Ererzitien auf Das Kommando an derer Bauersleute vornahmen, marſchirten, ſchweng⸗ ten, zielten, al3 wären fie wirkliche Soldaten.

„Rechts Ihaut! Links haut! Schultert das Gewehr! Mari ! Halt!“ jo ſchallte es von allen Seiten. |

Ging man über die Brüde in die Stadt, welde auf beiden Seiten von der Feſtung um— geben ift; fo begegnete man in jeder Gaſſe geord- neten Haufen mit hellblauen Dolmany's bekleidet, den Tſchako auf dem Kopfe; die hatten ſchon wirf- lihe Flinten; freilih altmodiihe, noch mit Feuerfteinen verjehene ; auch dieſe machten Kriegs— übungen.

Wieder erſcholl es: Rechts ſchaut!“ Links ſchaut! Schultert das Gewehr! Marſch! Halt!“

In den geräumigen Schulhöfen machten die Kinderihaaren militäriihe Uebungen, nad dem

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Beijpiele der Alten, mit hölzernen Flinten; die Anführer Papier-Tſchako's auf dem Kopfe. Jeder, Vater, Großpater, Sohn und Enkel üben alle das: „Rechts Ihaut! Links Ihaut! Schultert das Gewehr! Mari! Halt!“

Das Bild der ftillen, ruhigen Stadt ift ganz verändert. Die Frauen halten Reden, Die Männer klirren mit den Waffen, die Wagen: bejiger üben ihre Pferde auf's Kanonenziehen ein.

Nur Major Kolbay iſt der Alte geblieben.

Derielbe Hußar-Dolmany, dieſelbe fteife Kravatte, dieſelbe Weltanihauung find ihm noch jest eigen.

Aud jet durchſchreitet er fo fteif Die Saflen, ohne Stod, wa3 für einen Soldaten, bauptjählih für einen Hußaren, eine Schande wäre; er jhaut weder nad rechts noch nad) linf3; er beadtet die an ihn vorübereilenden Nationalgardiften = Banden kaum, als ob fie für ihn gar nicht eriftirten, nur bie und da jhüttelt er das Haupt, wenn er an eine Barriere gelangt, die jegt mit den Nationalfarben ange: ftrichen ift, vielleicht auch nur darum, weil die Far— ben noch friſch und auffallend find.

Der alte Herr diſputirt mit Niemandem, läßt jeden iprehen und thun, was ihm beliebt; fteflt fih der Fluth nicht entgegen, daß er nicht mit ihr ſchwimmt, das hält ihm Niemand vor. Wie er jo ruhig in der Nähe der Häufer hin—

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Ihlendert, damit Niemand an ihn ftoße, kommt ihm eine lärmende Geftalt entgegen. Ein grüner Dolmany, ringsherum feuerroth verbrämt, bis an den Ellbogen goldgeihnürt; voll goldener Poſa— mentirung ; auf dem grünen Cſako eine ungeheure Adlerfeder.

Man würde unfern Freund Bärfing jo kaum wieder erkennen. Er hat auch einen Säbel, und diefer macht ungeheuern Lärm, wenn er durd) die Gaſſe ſchreitet; außerdem ſtecken zwei Piſtolen in ſeinem Gürtel.

Nicht weit iſt das Haus der Frau Laͤvay; die alte Dame ift zum Thore herausgefommen, um nad dem flirrenden Ritter zu hauen; denn es ift mwirflih der Mühe werth, ihn anzujehen. Sie fieht, wie er mit dem ihm entgegen= fommenden Beteranen zufammentrifft, und hört, wie nad furzer Zeit zwiihen den Beiden ein großer Lärm entfteht,; anfangs als ob fie blos raifonnirten, jpäter fängt das Geipräd an grüber zu werden; endlich ftößt Kolbay voller Aerger Barfing von fi, und geht herwärts, während jener binwärt3 geht, ſich umlehrend und dem Alten mit der Fauft drohend.

Der Veteran geht brummend bis an's Ende der Gaffe. Er jprad in fi hinein doch je, als richtete er feine Worte an Jemanden.

Schaut den nichtsnutzigen Nafeweilen an! er wagt e3, Jo mit mir umzugehen.

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Was ift Ihnen geihehen, tapferer Herr Major ? fragt die alte Dame den an ihr Vorü— bereilenden. |

Was? Ah! Sie ſind's, meine Liebe? Guten Morgen! So ein Taugenihts! Haben Sie das gehört ?

Ich hörte, daß Sie einen großen Lärm madten. Was hatten Sie mit dem Grünjpedht ?

Hahaha! Sie haben recht. Wahrhaftig ein Grünſpecht.

.. . Stellen Sie ſich vor,” mein Kind, ich gehe Ihön ruhig an der Mauer, da tritt mir dieſer Säbelihepperer plöhlih entgegen, gibt mir einen vertraulichen Schlag auf die Schulter und ruft: Servus, Alter! . . .

... Servus, Alter ?! .. Ich?. Mir das ?! .. fragte ich ihm; Amice, Sie ſcheinen zu glauben dag mir miteinander Schweine gehütet haben! .. - Worauf er mir antwortete, daß ſich Soldaten zu dugen pflegen... . a, die wirklihen Soldaten, aber was find Sie?...-Er meinte, er jet Unterverpflegskommiſſär. . ... So, alſo Kommis— brod-Kommiſſär? Gott befohlen, gehen Sie ihrer Arbeit nad. Schauen Sie, das Ihre Leute nicht verhungern und Sie fett werden... Da padte er mi beim Arme, und ſagte: es ſei die Pflicht eines jeden Patrioten Dienft zu leiften,. aud) die meine ; ih jolle daher nur den Schießprügel neh—

men, und über Naht auf die Wade, auf Pa— Andere Zeiten, anbere Menſchen. 11

trouille gehen, wie es andere Leute thun; morgen aber hinaus, auf dem Monoftorer Berg, um Schan- zen zu graben..... Ich auf Wache gehn, mit einem Schießprügel mich in Die Reihen des Fuß— volfes jtellen und auf Trommelichlag maridiren . . ib der jubilirte Hußaͤren-Major, der den fran= zöfiichen Feldzug zu Roß beendet?! Sch der ur= alte Edelmann, auf Robot gehen, Schanzen gra= ben ?! ..... Aber ich ſagte ihm von dem Nichts, nur jo viel, daß er einer Katz' befehle! . . Da fette er fih auf das hohe Roß und rief zornig,- iegt habe er bier zu befehlen, er werde mir ſchon zeigen, wie man mit foldyen verknöcherten Re— aftionären umgehen müfle, wie id) einer jet... Er drohte mir mit Ketten, Gefängniß und Aufhän— gen!... Mid aufhängen! Mich, den Edelmann, aufhängen wie einen räudigen Hund . . . Don: ner noch einmal, das war zu viel, und ich ſtieß ihn mit der Fauſt von mir, daß er taumelte . Er droht mir mit Ketten, Gefängnig!.. Er!!! Hätte id) dieſe Stadt nicht jo lieb, möchte id} heute gehen, um nimmer wiederzufehren. Aber ich fann mid nicht trennen von hier. Ich bin dieſes ſchlechte Prlafter, diefe bölen Zungen, und Die Pappeln dort drüben auf der Inſel jo gewöhnt ; obwohl ich höre, das man letztere umbauen wird, um Pallifaden aus ihnen zu machen.

Wenn ſie's brauchen, jollen ſie's neh— men in Gottes Namen, ſprach die gute alte Frau

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mitruh iger Refignation. Auch aus meinem Gar- ten haben fie alle Haſelnußſtreiche ausgehadt, fie jagten, man wird fie zum Schießpulver verwen— den. Der Menih gibt zu folden Zeiten fein Alles hin.

Das ehe id. . 'S ift eine wunderlidhe Zeit. Ein Feder gibt Alles hin. Sein Heines eripartes Silber, ſelbſt fein einziges Kind. Auch Sie haben Ihren einzigen Sohn hergegeben? ..

Und zwar nad dem Tage feiner Hoch— zeit. Gott hat es jo gefügt.

Hm, ſprach der Alte wenn er Ihon mit Gewalt Soldat geworden, dagegen habe ih nichts, hab's auch jo gemacht; er hätte aber wenigſtens mit mir reden jollen. Ich hätte ihm eine Refommandation zu meinem alten Regi— mente gegeben. Habe viele gute Bekannte noch dort. Er wäre Kadet ‘geworden... Aber fo, nur al3 Gemeiner eintreten, das ift entſetzlich!. Dort wäre er in ein paar Jahren Lieutenant ges worden, hätte fi hieher transferiren laffen oder mit Charakter quittirt, wenn jeiner Gattin dag Bigeunern don Garnifon zu Garniſon zumider geworden war... Aber ein Gemeiner ex propriis, das ift zu arg...

Wenn es Gott jo angeordnet hat!

Schon gut, Schon gut, mein Kind! . Gott jegne Sie...

... Welchen Spott man mir zufügtel...

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Wünihe guten Appetit!.. Er will mir Eijen anlegen laflen, Er! mir!...

Und der mürriſche alte Herr brummte im Nahhaufegehen in Einem fort: Mir will Er Eiſen anlegen laffen!..

Frau Lavay kehrte von der Gafle in ihren Hof zurück; in der Küche entjtand großer Lärm, die zwei Dienſtmädchen hatten fih über ein na= tionales Gericht, weldhes eine derſelben veripottete, zerfriegt und blutig geſchlagen; kaum waren fie zu bejänitigen.

Barmherziger Gott murmelte die ehrbare aite Frau, nachdem ſich der Kampf ge= legt, was wird aus diefer Welt werden. Geftern hat fih das Maftvieh mit den Kälbern zerkriegt, ein Kanarienvogel den andern im Käfig umge— bracht, und heute fangen auch ſchon die Mägpde an zu Ichlagen. Ueberall Krieg, Alles will raufen. Selbit mein Sohn z0g in's Feld.... Auch er iſt Soldat geworden, mein Sohn Bela!... Unddod hab’ ich ihn nicht hiezu erzogen.

Dann ſeufzte fie tief, ſetzte fih an ihr Tühhen, Ihlug die „Stunden der Andacht“ auf und begann zu lejen; gemwahrte aber bald, daß die Buchftaben vor ihr zuſammenfließen; zulam= menfliegen in den Thränen ihrer Augen.

„mächtiger Gott, was bringt Dein Zorn noch Alles über unsere Häupter !“

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Herr Bärfing aber fhepperte ftolzivend der Feſtung zu.

Zwifhen der Stadt und den Schanz— werfen der alten Feftung ift eine Kleine Prome— nade angebracht, welde den ftolzen Namen „eng: liſcher Park“ führt. In der Mitte dieſes Partes ift ein Eleiner, mit Bänfen und Geländern ver= fehener Hügel, auf welchem in glücklicheren Zeiten die Mufilbande zu fpielen pflegte. Damals war e3 Mode, bier zu Spazieren. Beim Tage pflogen Ammen und Dienftmägde idylliihen Umgang mit zarteren Soldatenſeelen. . . . .

Heute war diefer Park ungewöhnlich zahl- rei bejucht, auf der Mufiktribüne unterhielt man eine fehr lebhafte Konverfation, als eben Bärfing. hinzukam. Er wußte es recht gut, von was die Rede war; eben deshalb eilte er hieher.

Eine Anzahl von Nationalgarde-Dffizieren, deren Bataillone in der Feſtung lagen, hielt über einen jehr wichtigen Gegenftand Kriegsrath.

Die Anweienden waren ſämmtlich tüchtige Männer, begeilterte Patrioten, und ganz gewiß auch tapfere Soldaten.

Auch Hatten fie fih garz gewiß mit dem. Entihluffe in der Feftung feftgeieht, diejelbe, wenn e3 nöthig, aud mit ihrem Blute zu vertheidigen,

Es gibt aber veridhiedene Gattungen des Blutvergießens, welche Einem nit immer lieb find,

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Auch werden ſolche Feftungen nicht mit fol= hem Komfort gebaut, daß Derjenige, welcher jeine häusliche Bequemlichkeit verlaffen hatte, diefelbe hier allfogleid) wiederfinden könnte.

Gleich in der erften Naht, wenn man noch faum eingeihlafen, kommen fie ſchon, um von feinem Blute Etwas zu verlangen. Nicht viel: einen Xropfen, dann den zweiten, den dritten u. ſ. w.

Man träumt von der Schlacht, erwacht, greift nad dem Gewehr, findet Niemanden. Man legt fi) wieder auf'3 Lager. Da kommen fie wieder Blut zu verlangen ein, zwei Tropfen. Man träumt von der Folterbant, wo man ges braten, geftodhen wird; man zudt, fhlägt mit Hand und Fuß um fi, fait ſchließlich vom Feldbett auf die Erde; derganze Körper ift voller Blaſen. Ein Liht wird angezündet.... der böfe Feind ift nirgends....

Sobald man fi aber niedergelegt, iſt er, wieder da! ....

Und wer iſt dieſer böfe Feind? ... Oh er ift der Fluch großer Städte, Feſtungen und Kafernen, die amerilaniſche Geißel, welche Mofes noch nicht gelannt, ſonſt würde er über ihn, als über die achte Plage Egyptens geſprochen haben ; diefer Feind ift die Wanze.

Die Patrioten haben erft bemerkt, was fie in der Zeitung befommen haben, als fie d'rinn

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waren. Unzählbare Milliarden dieſes abſcheulichen Ungeziefers.

Die Einwohner Heiner Städte kennen diele Beſtien nicht, daher der furchtbare Abſcheu vor ihnen, welchen wir ſelbſt theilen.

Die Verſammlung berieth daher über nichts Anderes, als daß die Stellung, reipeltive die Lage in diefen Feftungspavillons unhaltbar fei.

Ein Rieſe, mit filbernem Majorsktragen und donnernder Stentorjtimme, dellamirte vor dem Dirigentenpulte des Orcheſters:

Meine Herren! Wir ſcheuen die Waffen des Feindes nicht; wir ftürmen dem heftigſten Kartätihenfeuer entgegen, aber beißen, ſtechen Infien wir uns nit. Man möge uns mit Hundert= tguiend Bajonneten angreifen, aber nidt mit ebenjopiel Stehnadeln! Wir haben uns frei= willig gejtellt, um für's Vaterland zu kämpfen, aber niht um uns für's Vatertand zu fragen. Unſern Tod kann die Nation verlangen, aber un: fern Schlaf nit. Seitdem ich hier bin, habe ich nu am Sonntag während der Predigt ge= Ihlafen. ... So muß man rein untergehen! Bas nützt uns alle Kriegswillenihaft, was die heidenmüthigfte Aufopferung, wenn einem efel- haften, geheimen Feinde die Helden zum Opfer fallen. Leonidas fämpfte gegen eine Million Perier, und errang ſich eine Berühmtheit; aber er laͤnpfte nicht gegen eine Million von Unge—

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ziefer, wie wir; Nikolaus Zrinyi konnte Sziget- var gut gegen zweimalhundert Tauſend Türken vertheidigen, da er nit ebenloviel Wanzen in feiner Felte hatte. Meine Herren, es ift am Ende glei, ob wir in der Feſtung oder in der Stadt wohnen. Wir können deshalb unseren Pflichten getreu nachkommen. Hier und dort braudt man uns, und wenn die Stunde jchlägt, werden wir alle auf unſeren Plätzen ftehen !

Der Redner wurde mit „Eljen's“ begrüßt, Baͤrſing ſchrie am meiften.

&3 wurde nur nody darüber debattirt, wem der Beſchluß: daß es von den Offizieren unnütz it, Die Aufopferung To weit zu treiben, mit der Mannihaft in der Feftung zufammen zu wohnen, anzumelden jei: ob dem Feſtungskommandanten, oder dem Kriegsminifter ?

Es wurde beſchloſſen, daß die Meldung an den Kriegsminifter zu jenden jet.

Bis dahin, nnd in Anhoffnung nadträg= licher Genehmigung, werden ſich die Offiziere in der Stadt einquartieren. Bärfing trug jelbft für vier Dffiziere feine Wohnung an, was mit all- gemeiner Anerkennung aufgenommen wurde.

Von hier ſchlenderte Herr Bärfing in die Feftung.

Beim FPeftungsthore ſtand ein National- gardiſt in blauer Uniform auf der Wade, das Dreizchnpfündige Feuerſchloßgewehr drüdte ihm

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die Schulter ſchief; Hatte ſich trogdem jo in die bunte Uniform des Herrn Bärfing vergafft, daß er das Präſentiren vergaß, weshalb er aud) von dem ftolzen Offizier tüchtig niedergedonnert wurde,

Im erften Hofe konnte man eine Abthei- lung Männer in veridiedener Kleidung jehen, die in Reihe und Glied aufgeftelt, von einem Manne in blauer Jade einererzirt wurden.

Dieje Abtheilung beftand aus verichiedenften Zeuten. Bauern in Gattien, Bürger in Tuch— Heidern, Kommis, mehlbeftaubte Müller, Studen— ten, Schuftergejellen, reihten fi) in bunter Ab— wehslung aneinander.

Der Mann, welder fommandirte, ſchien den Finfzigen Thon nahe zu ſtehen; feine hagere, jedoch robufte Geftalt ließ vermuthen, daß er feinen Unterhalt durch Arbeit verdiene; jetzt berrihte auf feinem Gefihte ein feinem Stande angemeffener Ernſt. Er ftand ja vor feiner Ab- theilung. |

Obwohl es aber die erjte Regel der Kriegskunft ift „dreinzuhauen“, fo ſcheint es doch nothwendig zu jein, dag man wiſſe, wie aus: Ihreiten, wie man fi) rechts oder links wenden, wie man ſchwenken, wie das Gewehr halten müffe, um fein Aergerniß bervorzurufen.

In ſolchen Zeiten. erlernt man aud das ſchnell. Es gab keinen Schmiedegefellen und diele find bekanntlich die ſchlechteſften Geher

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der es nicht erlernt haͤtte, wenn es ihm Kapor Andraͤs ein- zweimal gezeigt hatte. Und doch war Letzterer ein Soldat geweſen, auch er hatte feine ganze taktiſche Wifſenſchaft von einem Don— Miguel-Korporal erſt vorige Woche gelernt; jetzt iſt er der Meiſter.

In ſeiner Abtheilung gab es einen dum— men Ackerknecht, welcher den linken Fuß von dem rechten nicht zu unterſcheiden weiß: dieſem hatte er dadurch zu Schanden gemacht, daß er ihm zur Unterſcheidung ſeiner Füße auf den einen Stroh, auf den andern Heu band, und fo kom— mandirte: Heu!l.. Stroh! ..

Al Herr Bärfing in den Hof hineinfchep- perte, war Kapor Andras eifrig mit feinen Re— kruten beihäftigt, indem er in einemfort rief:

Eins, zwei! eins, zwei! rechts jchaut ! lints Schaut! rechts ſchwenkt euh!... Halt! Mari! Eins, zwei! Heu! Stroh! Nicht aus dem Glied treten! ...

Herr Baͤrſing ſah mit hohem Wohlgefallen den Evolutionen zu, und wartete bis Kapor bon irgend einem Sturmlaufen zurückgelehrt fein wird, da er nicht Luft Hatte, ihm nachzu— laufen, |

Bleiben Sie fteh’n, auf ein Wort, Kapor !

Reldwebel Kapor! Feldwebel zu Dien- ften! ... ſagte diejer, fi in die Bruft werfend und militärisch ſalutirend.

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Alſo Sie üben fleifig Ihre Refruten ein? ..

Ja, ſo iſt es, fo iſt est... zu Dienſten.

Ich wollte Sie um etwas bitten.

Stehe zu Dienſten, zu Dienſten! ...

Sie haben noch Ihre Pferde, Herr Kapor, nicht wahr?

Zu Dienften, fie führen Steine für die Fortififation.

Ich möhte gerne nah Totis reifen, Könnte mich Ihr Wagen nicht dahin führen ?

Kann geschehen. Ih bin bereit,

Bann lonnten Sie mit den Pferden fommen ?

Nah zehn Monaten und fünfzehn Tagen.

Sind Sie verrüdt?

Durdaus nit... .

Wollen Sie mit mir Spaß treiben, oder was? Haben Sie an die ſchuldige Subordination bergefien? 5 Eben an diefe Halte ih mid. Denn, als ih vor ſechs Wochen als Freiwilliger auf ein. Jahr in die Feſtung kam, habe ih den Eid ge: kiftet, diefe Feftung während dieſer Zeit ohne Befehl nicht zu verlaffen; darum werde ich vor sehn Monaten und fünfzehn Tagen keines Men: ſhen Kind nad Totis fahren.

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Damit mahte Herr Andreas Kapor ein ra= ihes „Halb rechts“, fommandirte ein furchtbares „Habt acht!“ ein noch furdtbarers: „Fällt das Bajonnet!* und ftürmte mit feinem Zuge da— bon, dag ihm Bärfing faum mit den Augen fol: gen konnte.

Die Bejagung der Feſtung beftand zu jener Zeit aus einer jehr geringen Anzahl regulärer Truppen; e3 wurde daher ein Bataillon Natio: nalgarde dahin beordert, welches meist aus Städte: bewohnern beftand. |

Allein diefes, in die Feſtung eingenejtete Bataillon vermehrte fih wunderbar auf unme: rkliche Weile... .

Das ging jo zu: Eine Abtheilung des Bataillons marihirte täglich mit Eingendem Spiel entweder an das Donauufer oder auf die Inſel, um Reldübungen vorzunehmen. Diefe Uebungen pflegten jtet3 viele Bewunderer zu haben.

Solde Bemwunderer wurden mın von Kapor und anderen Iuftigen Batrioten während des Heim: marſches umrungen; da hie es dann: Herr Ge— vatter, Herr Schwager, fommt Ihr mit uns, da drinnen gibt's ein luftiges Leben ; der Bataillons- fommandant konnte es fih dann freilich nicht er— Hären, wie e3 komme, dab die Reihen bei jeder Aufftellung länger werden? Die Leute müflen aus dem Boden wachſen, meinte er.

Und doch war die Sache natürlich, der Eine

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lam dem Andern zu liebe; der’ Zweite, Dritte aus Patriotismus, aber fie kamen .....

Unter den Leuthen war Andreas Kapor ein’ foͤrmliches Drafel, zugleich aber auch, wie wir ſo— eben geſehen haben, ein ftrenger Soldat.

Als Bärfing den Platz verlieh, führte Ka— por feine Uebungen weiter aus, indem es fein unabänderliher Entihluß war, die Rekruten bis Schlag zwölf Uhr in den Audimenten der Kriegs- kunſt zu unterrichten.

In einem Momente der Ruhe trat Gevat- ter Schloffer aus Reihe und Glied, und meldete, reipeftvoll jalutivend, daß es vom Thurme der kalviniſchen Kirche joeben zwölf geſchlagen habe. Kapor war jedoch ein rechtgläubiger Katholif, und antwortete, daß der kalbiniſche Thurm nichts mit der Mittagszeit zu thun habe; Dieje werde an— derswo beitimmt. Da fing die Glode der St. Jo— hannesfiche zu ſchlagen an. Man zählte die Schläge, es waren deren dreizehn,

Ra, das kann nicht richtig ſein! rief Kapor, und in dem Momente ertönte es auch vom Kirch— thurme der St. Andreaskirche. .. .. Das ſoll authentiſch ſein. Man zählte ... Hier ſchlug es gar vierzehn!...

Die Leute ſahen einander betroffen an. Das war fein Mittagsgeläute, fein Stunden- ſchlag . .. das ift Feuerlärm! ...

Eine ploͤtzlich emporwirbelnde Rauchſäule

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zeigte, da5 die Gloden die Wahrheit verlündeten. Sechs Kanonenihüffe wurden auf der Alların- baftion gelöft, während jowohl in der Zeitung als aud) in der Stadt die Trommeln zu wirbeln be— gannen. .... Alles wußte, daß Gefahr im An— zuge ſei. Auf den Trommelwirbel traten Sol— daten und Gardiften ſchnell in Reih' und Glied, und ſchloſſen fi) einander an. Die Dffiziere gin- gen vor der Front, Befehle austheilend, auf und ab; aud Kapor fnüpfte fih das Sturmband Feiner Kappe unter dem inne feit, und fommandirte jeinen Leuten, iharf zu laden und fi nit aus dem Gliede zu rühren.

Auf der Baſtei ftand ein Wachtpoſten, wel⸗ cher die Stadt überſehen, und über die Ausdeh— nung der Feuersbrunſt den im Hofraume Ste— henden Bericht erſtatten konnte.

Das Feuer brach in der Megyacser— gafle aus! rief.der Poſten.

Dort hatte Kapor fein Haus, fein Weib, feine Heinen Kinder wohnten darin;.. ob fie fi) retten werden fünnen!... feine Pferde, fein Vieh im Stalle, wird es niht zu Grunde gehen ?

Kapor lehnte ſich auf fein Gewehr und jeufzte leiſe: j

Der Herr hat es gegeben, der Her hat es genommen, gepriefen ſei fein heiliger Name!“..

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Die Wade rief abermals :

Der Wind bläft die Flammen gegen die Stadt.

Gott erbarme Did unfer!...

Nah einigen Minuten trug der Wind glü- hende Funken und heiße Aſche auf die Häupter der Garden... Es war die Aidhe ihrer eigenen Haͤuſer. Die Leute fingen an, ungeduldig zu werden : „unfere Däufer, unfere Familien, unſer ganzes Hab!?“ ..

Kapor bemerkte die Bewegung und ſagte kalten Blutes:

Wer ſich übrigens aus dem Gliede rührt, wird erichoffen !“ |

Niemand rührte fih mehr.

Der Poſten rief von Minute zu Minute Ihauerlihere Nachrichten herab:

Zwei Gaffen brennen ihon! Jetzt lodert 8 an drei Drten zugleih auf.. Das Feuer withet Ihon in der Mitte der Stadt! Auch das Feldſpital brennt; von dort ſchlagen die Flammen hinüber auf das Komitatshaus! Das Feuer wen: det ſich der Feſtung zu; die feurigen Funken überihütten deren Dächer.

Auf's Dach! rief Kapor, und in einigen Minuten ftand die Mannihaft auf dem Dade des jogenannten Pavillons, um es zu ſchützen.

Es bot fih von bier aus ein furdtbarer Anblick; die Stadt ſchien ein Meer mit flam—

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menden Wogen zu fein. Der Wind fteigerte fi zum Orkan, der Wirbel erfaßte die Feur- garben und trug fie hoch gegen den Himmel empor.

Aus dem Rauch- und Keuermeere ragten die Thürme der Kirchen und des Rathhaufes wie Ihauerlich brennende Fackeln empor; ſechs Thürme ftürzten gugleih, nur der fiebente jtand noch un— verehrt und ließ fein trauriges Geläute ertünen,

In einer Stunde brannten drei Biertel- theile der Ihönen Stadt; das entfeflelte Element ſchlug auf das jenjeitige Ufer des breiten Flußes hinüber, verzehrte die Brüden und das gegen- überliegende Dorf.

Zu dieſem hölliihen Schaufpiel geſellte fich noch der Verzweiflungsſchrei des Entjeßens, Die herzzerreißenden Hilferufe, das Weinen und Schluchzen der Kinder und Weiber, melhes weder das Wraffeln der Flammen, noch das Hohnlachen des müthenden Orkans übertäuben konnte.

Und Diejenigen, die am meiſten zu ver— lieren hatten, die dieſer furchtbare Anblick am ſchmerzlichſten berühren mußte, dieſe Männer ſtanden auf den Dächern der Feſtungspavillone und ſchützten dieſelben unter dem feurigſten Sprühregen. Sie hörten es nicht, wie die Ihrigen da drunten weinten und jammerten.

Kapor ſaß auf dem Dachgiebel des Pabvil—

se II: = ons, wie auf einem riefigen Roffe, und murmelt in fich hinein:

Jetzt brennt das Komitatshaus, jetzt das Stadthaus; nun ergreifen die Flammen das Dad) der Kirche, beide Thürme brennen ſchon, nun brennt Die ganze Donaufronte, die Brüden, die Mühlen, Schiffe und Flöße, welde rauhend und fnifternd die Donau hinabſchwimmen.

Wir werden zu Bettlern. Jh und Andere, Alle. Dennoch vergejfen wir unfere Pfliht und Schuldigkeit nicht . . . Vielleiht wird es einft Jemanden geben, der ſich unſerer hiefür erinnert.

Und nicht ein Augenlied zuckte ihm, als er dem furchtbaren Schauſpiel zuſah.

Dieſem Tage ſolgte weder in der Stadt, noch in der Feſtung eine Nacht. Die ſich immer mehr ausdehnende Feuersbrunſt erſetzte Die untergegan— gene Sonne; auf eine Meile in der Runde blieb es Licht, die Thürme brannten gleich Fackeln noch immer lichterloh. Keines Sternes matter Schein konnte durch den flammenrothen Purpur des Himmels dringen, nur der Halbmond ſchwebte oben, wie ein harmloſer Kahn auf feurigem Meere...

In dieſer ſchauerlich erleuchteten Na ht jagte am jenfeitigen Ufer ein vieripänniger Bauern wa— gen den Almäfer Gebirgen zu. Diele Fuhrwer! nannte man in jener eiſenbahnloſen Zeit „Vor—

Ipann. Andere Zeiten, Andere Menſchen. 12

Im Wagen ſaß ein Mann in einem grauen Mantel gehüllt, der ſich mit beiden Händen an den Wagenleitern feftllammerte, und den Kopf jeden Augenblid gegen die brennende Stadt umwen- dete. Der Feuerihein beleuchtet feine Züge, dieſe tragen ein ſolch' daͤmoniſches Gepräge, daß wir es faum zu befennen getrauen, Ddiejelben irgendwo geliehen zu haben. Die in die Schredensizene Hineinftierenden Augen feinen in Blut zu ſchwim— men, und das aus der Ferne erglänzende, mit Schatten abwechſelnde Licht ſcheint die Zudungen feiner Züge wiederzuipiegeln.

Manchmal ſchien e3, als rüttelte ihn ein beftiger Fieberfroft, da wickelte er fih enger in jeinen flatternden Mantel; bald wieder ſchien es, als fühlte er die Hitze des eine Meile weit bin- ter ihm leuchtenden Feuers, und da trat ihm der Schweiß vor's Angefiht, und er begann jeine Kleider von ſich zu werfen. |

Dörfer, Pußten, Brüden bleiben hinter dem Reiſenden zurüd; er blidt nie vorwärts, immer nur rüdwärts, bald auf die brennenden Thürme, bald zum gerötheten Himmel empor, oder auf die Rauchwolken, auf den Fluß, in wel- hem das Bild der brennenden Stadt meilenweit fi) wiederfpiegelt.

Bon dieſem Schaufpiel fann er fi) nicht trennen, obwohl es jheint, al3 würde der ber- zerrte Ausdrud feines Gefichtes fi mildern, je

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weiter er fih bon dem entjeglihen Lichte ent- fernt, und je mehr fih das Dunkel der Naht über die Gegend ausbreitet.

Halt! Wer da! rief es plögli vor ven Pferden.

Der Reifende fuhr erihroden zuſammen, jein Gefiht, jest vom Mondſchein beleuchtet, iſt blaß wie der Tod,

Seht erfennen wir ihn. Es ift Bärfing.

Die Vedette der Almäfer Vorpoften Bielt feinen Wagen an.

In jener Zeit gab e3 am Ende eines jeden Dorfes Vorpoften, welche die Reifenden an— hielten.

Barfing vermochte kaum mit den zitternden Händen jeine Päffe hervorzuſuchen. Er ftammelte etwas, daß er ein Kourier jei, er müſſe ſchnell nah Peſt, man möge ihn pafliren laflen. Beim eriten Haufe wurde fein Paß viſirt. Man frug ihn, was in der Stadt geſchehen jei?.. Er tonnte feine Antwort geben; die Zähne klapperten ihm... Er deutete mit der Hand nad der Stadt... Sie ſahen es!..

Man jpannte friiche Pierde vor den Wagen, und Bärfing fuhr ſchnell davon.

Er fuhr in einem Hohlweg, die Gegend begann gebirgig zu werden. Die brennende Stadt berihwand aus dem Geſichtskreiſe; der Reilende blickte zuweilen zurüd‘, aud) die flammenden Thürnte

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waren nicht mehr jichtbar, fie konnten ihm eben nicht folgen; der Fluß mit feinem Tchredlihen Spiegel— bilde blieb auch zurüd, nur eine blutrothe Wolfe über jeinem Haupte wollte nit zurücbleiben, fie flog mit ihm um die Wette; in dieſer Wolfe fonnte er fortwährend ihauen, was Berg und Wald verbarg; die Schredensizene malte fih nun am Himmel ab.

Diele Wolfe begleitete ihn Die ganze Nacht hindurch.

Am Morgen trübte ſich der Himmel, der herabſtürzende Regen färbte die Gegend mono— ton grau.

Der Reiſende gelangte in ein Städtchen, welches am Ufer eines kleinen See's lag. Dort zahlte er den Fuhrmann aus, und begab ſich in das Gaſthaus hinauf.

Ohne zu fragen, öffnete er die Thüre eines Zunmers, in dieſem Zimmer befand ſich Fertöy.

Ach, Sie ſind angekommen! rief freundlich der ewig lächelnde Herr. Wie geht es Ihnen? ..

Ich friere, befinde mich unwohl, wortete Baͤrſing ſchaudernd.

Trinken Sie ein wenig Rum, das wird Sie heritellen. DBärfing ließ ih dies nicht zweimal jagen,

RT: 3 er griff zu; allein vom Rum wurde ſeine Stimme nur noch mehr heiſer.

Alſo, was gibt es Neues zu Hauſe?

Auf das Wort „zu Hauſe“ fuhr Baͤrſing erihroden zuſammen und blidte um fi.

War es nicht bis hieher fihtbar? . . Die Stadt brennt.

Nur die Stadt? frug der lächelnde

Herr.

| Die ganze Stadt: Kirhen, Spitäler. Alles steht in hellen Flammen. Nicht der vierte Theil der Stadt ift unveriehtt.

Hm, wenn der Wind fi) wendet, fann auch dieſer Theil noch verbrennen.

Bärſing fand es für gut, abermals nad) der Rumflaſche zu langen.

Es gibt dort alſo großen Schreden, niht wahr? fragte Fertöy.

Oh! machte Barfing.

An das Löihen konnte man natürlich bei dem Sturme gar nicht denken. Sind Sie über die Brücke gekommen?

Ad nein. Auch Diele brennt ja. Ich lieh mid, in einem Kahne herüber fahren.

Ueber dieſe Meldung lächelte Fertöy nichtmehr-

Was machen uniere befannten Herr: Ihaften ?

Sie weinen und jammern. Mer denkt bei folder Gelegenheit an einen Andern, als an

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fich jelber. Ih ſah Frau Lavay, als fie aus ih— rem brennenden Haufe lief und anftatt ihres Sil- bers ein Koͤrbchen vol Weizen zu retten ſuchte.

Ad! machte Zertöy abermals laͤchelnd. Diefe Frau hat mich einft beleidigt, indem fie mic interpellirte, weshalb ich mid in die Ange— legenheiten der Stadt miſche, obgleich id feinen Beſitz in derjelben habe. . . . Geſchieht ihr Recht.

Frau von Holdvary wurde ohnmächtig auf den Rofalienplak getragen, wohin das Feuer niht drang; aud Fräulein Serafine jah ich ohne Hut über die Gaffe laufen.

Hm! Bin auf ihre Toilette neugierig. Bei folhen Gelegenheiten kann man nit auf Alles achten. u

Das Komitatshaus ſchützte man lange Zeit, konnte es aber doch nicht retten.

Ach! .. Wo werden jekt die Herren, ihre glänzenden Reden halten ?

Beim dritten Glaſe Rum begann aud) Hetr Bärfing die Sache von der Iherzhaften Seite zu nehmen.

Unter Anderen ift aud das Hargi— tay ſche Haus zu Aſche verbrannt. -

Das Läheln Fertöy'3 verwandelte fih auf dieſe Nachricht in höhniſches Grinſen.

Das iſt Judithchens Schaden. Sie wiſ— ſen, Freundchen, daß ihr der alte Herr, als er ſie enterbte, nur dieſes Haus ließ, wohin ſie ſich in

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der Außerften Noth zurüdziehen könne. Dieje$ Haus war ihr einziges, letztes Eigenthum.

Fräulein Judith alfo ?

Iſt fein Fräulein mehr: fie hat gehei- ratet ſagte Fertöy, den Brief Judith's aus der Taſche ziehend. Leſen Sie diejen Brief.

Bärfing wurde roth vor Zorn, als er die Zeilen überflog. Er hoffte bisher noch immer, daß Judith unter dem Zwange des Teſtamentes ihrem Geliebten entjagen, und ihm die Hand rei= hen werde. Die früheren Ereigniſſe hatten ihm die Luft keineswegs genommen.

Als er den Brief auf den Tiih) niederlegte, dachte er fih: So geſchieht's ihr Recht! Möge fie nun Bettlerin, verfolgt und unglüdlic fein ! Möge fie den Wermuthsbecher bis auf die Neige leeren !

Nun erübrigt uns nur noch die Eröff- nung de3 Xeftamentes zu urgiren fnurrte er aus den zufammengeprekten Zähnen hervor.

%d; Habe hiezu bereits alle Verfügun: gen getroffen verfiherte Fertöy feinen jaubern Freund. Das Teftament befindet fi) in den Händen des Komitatzfisfals, und wird morgen eröffnet. Morgen? ... . die Stadt ift ja. ber= wültet , . .

Was hindert Sie daran, als mein Stell: bertreter bei der Eröffnung zugegen zu fein? Es

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wird dod wohl in der Stadt nod einen Platz geben, wo man dies bewerfitelligen kann.

Aber das Feuer, mein Herr, das Neuer!

Mas geht mih Ihr Feuer an! ..

Was e3 Sie angeht? Nun jo erfahren Sie es. Wenn das Teftament im Komitatsar: chive deponirt war, To ift es auch ganz gewiß verbrannt! . . .

Das Lächeln verihwand von dem Gefichte Fertöy's.

Eine fehr knappe Haushaltung.

Der Winter kam, die niedergebrannte Stadt aber war noch nicht aufgebaut.

Diefer Winter war niht von der Art wie andere Winter zu fein pflegen. In diefem Win= ter war es, wo bunderttaufend und abermal hun— derttauſend Menſchen es für nothwendig fanden, das Land zu Fuß und zu Pferd in Kreuz umd Quere zu durchſtreifen, in der Naht auf hartge- ftorner Scholle oder im weihen Schnee zu ſchla— fen, während die Hunderttaujfende weiblichen Ge: ſchlechtes ihre Faſchingsunterhaltungen darin fan- den, daß ſie Leinwandſtücke in Fäden zerzupften.

Von Tanzunterhaltungen zu ſprechen, war heuer nicht Sitte, andere Töne, als die der Mu— ſik, begeiſterten die Gemüther.

Allein ich will die glaͤnzenden Thaten der Männer nicht ſchildern, da ih einen Roman \hreibe, und in diefem Roman die Geihichte der Frauen, welde gegen einen viel hartnädigeren Feind fämpften al3 die Männer, die auch dann noch fortkämpften, als ihre Männer ſchon zur Ruhe gegangen.

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Den Männern gehört die Geſchichte, für die Frauen möge der Roman ſprechen ... .

. .. Die Ruinen der abgebrannten Stadt hatten no immer feine Daͤcher. Wo find alio die Einwohner? Ad! diefe hatten gute Urjache, fi) nicht zu entfernen, fie verblieben in der Stadt, jedoh nit zwifhen den fahlen Mauern der Häu= jer, welde feine Dächer hatten; denn da war es nit geheuer in diefem Winter, wo vom Himmel feurige Sterne herabflogen, welde die üble Ge— wohnheit annahmen, in die Zimmer der dachloſen Häufer zu fallen.

In einer Ede der umſchanzten Stadt gab es jedoch eine Heine Wieſe, wohin die fatalen Sternihuppen nit zu gelangen vermochten; man nannte fie die Zigeunerwieje; und zwar deshalb, weil ſeit Menichengedenten die elenden Hütten der armen Zigeuner hier geitanden. Eine Reihe Baraden aus Lehm und Stroh... Was Ba— raden?!... Sage Paläfte. Wie glüdlih, wer in einer ſolchen Unterkunft findet. Da gibt es ja einen Zehmofen, einen Herd, jogar ein Fenſter wo man bhinausjehen fan... Die Zaufende von obdachloſeun Bürgern fünnen jedod nicht alle in denſelben unterbraht werden. Nun Hilft man fih aber, wie man kann. Biele hatten fi mit ihren Nahbaren zujammengethan und für gutes Geld eine jener hölzernen Hütten erworben, welche von Wiener und Reiter Kaufleuten mwäh-

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rend der Märkte benützt wurden; diefe Hütten ftellten fie an der geſchützten Seite der Wieſe neben dem Damme auf, und richteten ſich ein, jo gut e3 ging.

In einer ſolchen Martthütte wohnte die alte Frau Lavay mit der einft jo ftolzen Familie Holdvary zulammen.

Mer hätte es je gedacht! In den Tagen des Glückes iſt es ihnen nie eingefallen, einander zu beſuchen. Die glänzenden Piqueniques der hohen Familie konnten gut ſtattfinden, ohne daß man die alte Frau zu denſelben geladen hätte. Als jedody) Beide auf die Gaſſe gehekt wurden, lagten fie zu einander: bauen wir uns gemein- Ihaftlid) eine Hütte, und wohnen wir darin zu= fammen!...

So geihah es aud).

Die Markthütte war in der Mitte durd) eine bretterne Wand in zwei Theile getheilt ; die innere Abtheilung diente zum Schlafzimmer; in der äußeren ftand ein Heiner Sparofen, welcher in irgend einem Haufe unverjehrt geblieben; diejer erwärmte die ganze Räumlichkeit.

Ohne Dienftboten konnte man füglich fein ; e3 gab auf der Gaſſe genug der Hände und Füße, Die Magd oder Knecht erjegten. Frau Lavay kochte ſelbſt. Hinter der Hütte ftand ein Heiner Stall mit Rohrwänden, und mit Laub— wert und Stroh bededt; in dieſem befand fich

155 ihre einzige Kuh, welche jie jelbit melfte, und von deren Milch fie das Frühſtück für die ganze Ges ſellſchaft bejorgte.

Frau von Holdvary ftand ihr nicht viel im Wege; diefe konnte feit dem großen Unglüd nur weinen und Schlafen. Ließ man fie mur ruhig liegen, jo hatte fie weiter feinen Wunſch. |

Fräulein Seraphine half jedoch der alten Lavay beim Kochen, und bei jonftigen häuslichen Verrichtungen.

Wie? Fräulein Seraphine am Hewde?!. Sa wohl! .. Shre ihönen weißen Hände find an vielen Stellen verbrannt oder berjengt, mie es denjenigen zu geihehen pflegt, welche das Kochen exit erlernen.

Der alten Lavay koſtete e3 gar viel Mühe, um ihre Gehilfin in die Geheimniffe Des Ein- brennmachens einzuweihen; wie oft hatte fie ihr das theure Mehl verbrannt.

Ja, mein liebes Kind, pflegte Die Alte fie ſcherzweiſe zu jchelten das iſt Feine Kotillonfigur, und wenn, während die Alte draußen das Grünzeug putzte, Seraphine drinnen die Suppe überlaufen ließ, da bekam fie eine ganze Vorlefung über Mufik, franzöfiihe Romane, Landihaftmalereien u. ſ. w. als über Dinge zu hören, derentwegen einem die Suppe über= und davonlaufen Tünne.

Die alte Frau brummte draußen beftändig.

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Mama Holdvary dagegen lag, ohne fi zu rühren, in ihrem Bette, ächzte und ſeufzte unun— terbrochen, erfand die veridiedenften Krankheiten und Uebel, als hätte fie an dem wirklichen nicht genug. „Seraphine ! rief fie mein Fuß ift zu Stein geworden; .. ."Seraphine! diefes Bett hebt fh immer höher und höher mit. mir! ... Se: raphine! .. Es hatmir geträumt, dad, wenn der Feind in die Stadt dringt, er alle Weiber zu: ſammenfängt, dieſe müſſen dann vor ihm gegen die Feſtungsmauern marihiren, damit die erften. Schüſſe die Weiber treffen; wäre 8 nicht beffer, wenn Du mir früher mit dem Küchenmeffer den Hals abichnitteft ?“ | |

Seraphine war inmitten Diejes Kreuzfeuers ftet3 heiter und guter Laune. Im Kochen hatte fie zwar der alten Laͤvay feine weientlihen Dienfte geleiftet, umſomehr trug fie aber durch ihren ſchalk— haften Humor zur Erheiterung ihres Gemü— thes bei. Ä

Im Grunde gibt es nichts Scherzhafteres als das Elend.

Mie lachenerregend ift es zum Beiſpiel, wenn man des Morgens fein Glas vom ZTiiehe nehmen will und es an den Tiſch gefvoren findet; oder wenn man den Schuh anzieht, und an der Spike desjelben ein artiges rundes Loch wahr: nimmt, welches ein Eleines Mäuschen über Nacht hineingefreffen hat. Wie reizt dies die Lachmus—

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keln; wenn man vollends bedenkt, daß dies der einzige Schuh auf der Welt ift, der den Beihä- digten jeinen Eigenthümer nennt. Oder wenn Säfte da find, und Seraphine wegen Mangels an Löffeln ſich des großen Schüpflüffels zum Effen bedienen muß.

Mie? E3 gibt noch Gäſte?

Allerdings. ES gibt der Bekannten genug, die ihr Leben nicht anders friften künnen, als dag fie von Hütte zu Hütte auf Befuh wandern, und heute bier, morgen dort fih zu Mittag laden. Außer diefen beherbergt die gaftfreundlihe Hütte noch zwei permanente Pafjagiere, und zwar Män— ner, jedoch verheiratete Männer, die es für gut fanden, fih in die Feftung fperren zu laflen, den Einen nannte man Herr Stuhlrihter, den ans dern Herr Fiskal. Der Eine ift mit den Laͤvay's, der Andere mit den Holdvaͤry's verwandt. Dieje Beiden fanden nirgends Unterkunft, Frau Laͤvay bot ihren jolde an. „Dier ift die Küche, fagte fie, da lünnen Sie beide Schlafen und über uns wachen.“

Fiskal und Stuhlrihter waren übrigens ganz brauchbare Menihen. Der Fisfal begab fid) jeden Morgen in die Feftung, mo man Fleiſch und Mehl austheilte, ging dann zur Waag hinab um irgend einen Fiſch zu requiriren ; alles dies trug er jorgfältig nad) Haufe, um die Küche da= mit zu verſorgen, während der Herr Stuhlrichter

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das Abenddunkel benügte, um unter feinem Man tel Holz und Heu berbeizufhaffen. Das Heu dient in der Naht als Streu für die Herren, bei Tag aber al3 Futter für die Kuh.

Wenn fie dann des Abends alle beilammen find, und theils auf den ungeftürzten Schraͤnken, tbeil3 auf dem Boden Platz genommen haben, da wird jo herzlich über den Sammer gelacht, ala wäre das Ganze die befte Anekdote. der Welt.

Frau Lavay hatte auch feine andere Sor— ge, al3 diejenige, welche ſich nad) jedem beladhten Scherze in einem Seufzer offenbarte: Ah wäre nur mein Bela unter uns! . .

Ta, wenn der auch da wäre!

Dann würde fi der enge Raum zwiſchen den bier Bretterwänden zum Paradies verwan— deln, dann würde dieſes irdiihe Glück fo voll: tommen fein, daß es nichts zu wünſchen übrig ließe. j

Mer weiß e3 aber, wo fi) jekt Bela be: findet ? Wer weiß es, ob er lebt, welches Schif- jal ihn ereilt? Die Welt ift voll der Gefahren. Man hat nur die Wahl, in weldhe der Gefahren man fi begeben; feineswegs aber, melde man vermeiden will.

Und doch koͤnnte auch er jet unter uns fein. Wäre er doch nicht in die Welt gegangen, um fih Ruhm zu erwerben; hätte er doch nicht ein Mädchen geliebt, das zu lieben man ihm

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verwehrte; würde er doch ſcinem Schickſale feinen Zwang angelegt haben!

Solche Gedanken bejdhleihen die gute Frau, wenn fie nad) des Tages Mühen mit Seraphinen nod allein wacht, und ein über das andere Mal den Seufzer ausftögt: Mein armer Béla! ... Und da fällt ftetS ein vorwurfsvoller Blid aus den thränenden Augen auf Seraphine, al3 wollte die Altedamit jagen: „Und an slledem haft Du die größte Schuld; warum vermochteſt Du es nicht, ihn an Dich zu feileln?!... Es war ja aud mein Wunſch, daß er Dich liebe. Jetzt wäre er Dein Gatte und unter ung,“

Und wie wohl thut es ihrem Herzen dann, wenn Seraphine, den ſtummen Vorwurf ver— itehend, das Amen auf ihr Gebet ſpricht, welches fie für ihren Sohn zu Gott geſandt. . . Sera— phine bat es ja veritanden, für wen das leife, von Seufzern unterbrochene Gebet zum Himmel gelandt wurde.

In jenen Zeiten war es ſehr Ichwer, etwas über die Abwelenden zu. erfahren. Der Rojt- verkehr war gänzlih abgeihnitten, Und wenn es doch einem Kourier nah unjäglihen Mühen und den raffinirteften Künften gelang, ſich in Die Feſtung zu ſchleichen, jo bildete dies ein jeltenes und großes Greignig, welches jämmtlihe Be: wohner der Stadt in Bewegung ſetzte. Zwei Wochen hatte man denn nichts Anderes zu thun,

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als von den Nachrichten zu ſprechen, die er ge= bracht. Solch' ein Kourier wurde ho geihäkt ; man ſuchte ihn auf, ſchleppte ihn mit fich, fragte ihn hundertmal über Hunderterlei Dinge: was es da d'rüben über der Donau gebe? Wer noch lebt, wer bereits gejtorben jei? Ob er Dielen oder jenen gejehen, mit ihm geiproden habe... Er konnte dann erzählen, was er wollte, man glaubte ihm auf's Wort. . . Sole jeltene Poft- tauben pflegte auch Frau Lavay in ihrer bretter= _ nen Behaufung zu bewirthen.

Als Fran Lavay die erfte diefer Poſttauben über ihren Sohn befragte, befam fie zur Ant: wort: „der ift gut geborgen, fit in der Feſtung Eſſegg, dort kann ihm nichts widerfahren.“ Die gute alte Frau war hierüber jehr beruhigt.

Nad einigen Wochen fam ein anderer Bote, auch der wußte von Bela zu erzählen: Er habe ihn in der Umgegend von Schemnik getroffen, der Arme friere und ftrapaziere fi zwar viel, jet aber in guter Geſellſchaft.

Diefer hatte zufällig die Wahrheit ge: Iproden ; zufällig jagen wir, denn er ſprach, ohne e3 zu willen. -

Nah einigen Wochen kam abermals Se: mand, welcher fteif behauptete, Lavay ſei ſammt Pußtafi in Siebenbürgen, was um jo wahrſchein— liher Hang, als die beiden unzertrennliche Freunde geweſen. Pußtafi ſei jedenfalls dort, er hatte ja

Andere Zeiten andere Menſchen. 13

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auch ſchon ein Schlachtlied in Siebenbürgen ge— ſchrieben.

Die alte Frau bemerkte hiezu ſeufzend: wenn er nur lieber zu Hauſe als zu gleicher Zeit an drei Dertern wäre!.

Es war bereit3 gegen den Frühling, als e3 in der Stadt laut wurde, daß abermals ein Kourier auf wunderbare Weiſe in die Feſtung gelangt fei. Dieſer Kourier war Herr Bärfing.

Diejen werde ih über Bela befragen, fagte Frau Lavay mißmuthig als fie den Na— men Bärfing’3 vernahm. Dieſer Menſch lügt immer. Gr würde mir, um mich nur zu kränken, ganz gewiß jchauerlihe Dinge berichten: dag man. meinem Bela den Fuß weggeſchoſſen, dag man ihn. gefangen oder gar getödtet hat.

Da kam ihr der Fisfal zu Hilfe.

Warten Sie, Tante, ih werde ihr auffuchen, mich kennt er nicht. Wenn ich ihn frage, wird er vielleicht die Wahrheit jagen.

Der Stuhlriter Schloß fih dem Aner- bieten an; aud er wollte dabei jein, als testi- monium legale. |

Kaum waren diefe Worte geiproden, als: die kleine vielmiffende Blum in die Hütte trat. Ihr Mann bekleidete noch immer fein Amt, nur um einen Grad höher, und mit einem unga- riihen Titel. Sie kam eigentlih, um Seraphine auf Nahmittag in ihre Keitungswohnung zur

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Saufe zu bitten, bei welcher auh Herr Baärfing zugegen jein werde, und wo fie dann aus erjter Duelle die Wunderdinge, die geihehen find, erfah- ten Tünne.

Auch Frau Laͤvay bat Seraphine zu gehen. Das Wetter jei ja jo angenehm, der Spaziergang über den Gombaer-Damm von den tödtlichen Sternihuppen, welche aud bei Tage fallen, ficher. Sogar Mama Holdvaͤry gab ihre Erlaubniß, nur hatte fie Furt, die Stadt fünnte unterdefjen er— obert; und Seraphine in der Feftung zu bleiben gezwungen jein; wie und duch wen könnte man Hr dann Weißwäſche nachjenden ?

Man mußte Seraphine nicht lange zureden, ie jelbft Hatte große Luft, von Bärfing etwas ju hören. "

Nachmittag kam die Blum abermal3 um Ihren Gaft abzuholen, die beiden Neffen, der Fis- tal und Stuhlrichter begleiteten fie; während fi) Ye alte Frau vor die Thüre der Hütte jeßte, um in der angenehmen Märzionne die Wieder- ihr der Ihrigen zu erwarten.

Sie hatte nit lange zu warten. Die Leutz hen famen gar bald, und mit einer Eile, als würden fie verfolgt. Die beobachtende Mutter hatte an Seraphinens Geſicht die Aufregung all= fogleid, bemerkt, während die Herren Neffen ihre Niedergeihlagenheit niht zu verbergen mochten. Beide waren ſchlechte Komödianten geworden,

13*

1%

Die alte Frau Lavay ergriff haftig die Hand des Stuhlridters und frug:

Nun, was habt Ihr über Bela ge: DOLE 94 2,

Der gute Mann mit dem runden Gefiht wurde feuerroth über dieſe Frage. Er kam in die größte DVerlegenheit, vermuthlich dachte er daran, daß es ihm al3 „testimonium legale* nicht zu- ftehe, etwas; zu jagen, von deſſen Gegentheil c überzeugt ift.

Was haben Sie von Bela gehört ? Sagen Sie es doh um Gotteswillen.

Da übernahm der Fiskal die Beantwor- tung der Frage: ihm find ja Verdrehungen bon Amtswegen und diplomatiſch geftattet.

Bela lebt und ift geſund! liebe Tante.

Die alte Frau wollte jedody mehr erfahren, und paßte migmuthig auf die farg gefpendeten Worte.

Mo ift er aber? ft ihm fein Unglüd widerfahren ?

Nein, o nein, Unglüd iſt ihm nicht widerfahren, riefen beide Neffen, wie aus. einem Munde. Man konnte e8 ihrer Eile anjehen, daß fie etwas verheimlihen oder vertufhen und dem Geipräh eine andere Wendung geben wollen.

Wenn ihm alſo nichts widerfahren, warum ſprechen Sie nit mehr über ihn? Er wird wohl nichts Schändliches begangen haben, oder... feige geworden fein ?

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Wie ergreifend war dieſe lekte Frage der alten Frau, welde jo für das Leben ihres Soh— nes zitterte, und nun mit aufflammendem Gefichte frug, ob er nicht feige geworden.

Die beiden Neffen jahen fid) abermals ver= legen an, Feiner vermochte ſchnell genug die Frage zu beantworten.

Nun jo ſprechen Sie! .. Was bat die- jer Menſch über meinen Sohn erzählt ?

Abermals "übernahm es der Herr Fistal, die Hauptfrage zu umgehen, indem er unter leb- haitem Achſelzucken ſprach: Bärling hätte feines- wegs gelagt, dab Bela al3 Soldat feige ges weien wäre... . Das Wort Soldat hatte er beionders betont.

Die Augen der alten Frau füllten fid mit Thränen ; fie wußte, fie jah es offen, das man fie täufchen wollte. Seraphine erbarmte ic) ihrer, und plakte mit dem, was fie bisher zurückge— halten, heraus.

Eh! was ziehen wir mit der Gejchichte herum, meine Herren. Bärfing hatte Bela vor einer ganzen Gejellihaft verleumdet. Er jagte: Bela fei Verräther geworden.

Ras? Ein Verräther! . .

Auch das war dazumal Mode, daß, wenn Zweie mit einander in Streit gerieihen, der Eine den Andern allſogleich einen Verräther ſchalt.

Ja, ja fuhr Seraphine fort

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Bärfing hat erzählt, daß aud Bela zu Den jenigen gehöre, die mit dem Feinde einverftanden

find, die fih immer nur zum Schein ſchlagen

und neben ihren Tſchako's weiße Federn tragen, die nad) Srafentiteln jagen, und die radialen und republikaniſch gefinnten Dffiziere verfolgen. . Die Regierung hätte auch bereit einen Befehl erlafien, daß Diele Leute ihrer Porteépée's ver— luſtig erklärt und vor das Kriegsgericht geftellt werden Sollen. . . . Das erzählte Bärfing mit bunten Sluftrationen, und dag er's nit zum eriten Male erzählt, konnte ich daraus entnehmen, daß es die Anweienden bereit3 als alte Ge— Thihte Hinnahmen... Da Sie, meine Herren, niht den Muth hatten, Bela zu vertheidigen, war id) genöthigt, den faubern Herrn Bärfing zurechtzuweiſen: Hören Sie Bärfing ſagte ich zu ihm Sie lünnen Jemanden jehr ſchön an= Ihmärzen ; troßdem es aber gegenwärtig Nie- manden in dieſer Stadt gibt, der für Laͤbay Ahnen gegenübertreten möchte, jo rathe ih es Ahnen doch nidt, der alten Labay unter die Augen zu treten, denn wenn dieje erfährt, was Sie über ihren Sohn ſprechen, jo künnen Sie ſich auf ſichere Prügel gefaßt machen. ...

Die alte Frau drückte die Hand Sera— phinen's.

Das war gut geſagt, mein Kind! und wahr gelagt!.. Mo befindet ſich jetzt dieſer Meufd) ?

—— 2⸗

19

Der Stuhlrichter erſchrack ſichtlich.

Was haben Sie mit ihm vor? Tante.

Was ? was? ſtammelte die Alte, ihren abgetragenen ſeidenen Hut aufſetzend und ihren ſchleußigen Mantel aus grünem Merino haſtig um die Schultern werfend. ... Was ih mit ihm wil? murmelte fie während des Ankleideng leiſe Was ih mit ihm will... Erſchießen will ic ihn, den Schuft! plaßte fie dann her— aus, während ihre Augen im beleidigten Mutter: ftolze unten jprühten, und ındem fie den alten Mantel auseinanderihlug, zeigte fie in deſſen Taſchen die Schäfte zweier Riftolen.

Bevor die beiden Herren fi) von ihrer Ueberraſchung erholt hatten, war die bewunderns- werthe Frau jhon auf der Gaſſe und jchritt eilig der Stadt zu. _

Die Männer liefen der Krau nad, um fie zu beihwichtigen, dieſe mies fie zornig zurüd.

Gehen Ste und fhauen Sie nah, daß die Milch nicht überläuft. Wenn Sie nit Männer waren, wo es galt, Mann zu fein, werde ich dieſe Rolle übernehmen. Ich verlange nad Ihrer Hilfe nicht, werde den Menihen ſchon jelbft finden, über das Waſſer wird er nicht ge— flogen fein.

Die beiden Männer blieben betroffen

zurück. Die aufgeregte, laͤrmende Frau hatte bereits die Aufmerkſamkeit der Patrouillen auf fi gelenkt.

Sie folgten der alten Frau aus der Ferne, hoffend, daß man ſie nach ſechs Uhr ohnehin nicht mehr in die Feſtung einlaſſen werde.

Eines der abgebrannten Häuſer, welches vor den Belagerungsgeſchoſſen ſicher war, hatte man mit einem proviſoriſchen Dach verſehen und als Kaffeehaus eingerichtet. Dies war der einzige damalige Verſammlungsort ſowohl der Einwohner als der Eingewanderten. Die alte Frau eilte durch die dunklen, mit Trümmern: bedeckten Gaſſen gerade auf diefes Haus zur. n

Ihre heimlihen Begleiter konnten fie gut jehen, mie fie in das Kaffeehaus trat.

Die chriame bejahrte Dame, welche nod nie das Innere eines Kaffeehaujes gejehen, jtürzt ih in ein mit fremden Männern und Soldaten. angefülltes Lokal, um dort ihren Beleidiger her: auszufuhen und Genugthuung von ihm zu for= dern!.. Sonft würde ſie nit um alle Shäße der Welt auch nur einen Kaffee dort genommen haben. ==

Mitten in diefem großen Lärm und Tabaf- qualm, unter jo vielen fremden Gefihtern, würde auch ein Anderer ſich ſchwer zurecht finden. Frau Lavay braudte Zeit, bis fie einen Kellner in dene

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Gewirre erhaſchen konnte, welder vierzehn Glaͤſer auf einer Taſſe balancirte.

Kennen Sie Herrn Bärfing ?

O ja! Gerade jegt ging er in's Spiel— zimmer!..,

Ich bitte Sie, mein Lieber, ihm zu ja= gen, dak Frau Labay Bier ſei; ... er möge fi heraus bemühen; wenn es ihm aber zu viel Mühe koſtet, werde ich zu ihm Hinein gehen. Der Kellner that, wie ihm gejagt wurde.

Nah einigen Minuten kehrte er fihernd zu Frau Laͤbay zurüd, welche ihn in einer Ede des Zimmers an der Mauer lehnend, erwartet hatte.

Ich mödte wohl bitten ſagte er ift Herr Bärfing niht Ihr Schuldner ?

Kein. Weshalb ?

Weil er, als ih ihm ſagte, Frau Lavay wünſche ihn zu Sprechen, alljogleih vom Tiſche jprang, und mid zu jagen beauftragte, er Sei Ihon in die Feftung gegangen, worauf er durch die Kleine Thüre davon lief. Ih glaube faum, daß Sie ihn nod einholen können. .

Der Kellner und einige Ilmftehende lachten über den Scherz, während Frau Lavay fi ſchnell auf die Gaffe begab und in der Richtung, melde Barfing genommen haben mußte, davon eilte.

Sie, die fie dreißig Jahre in der Stadt gewohnt, und nod nie die Richtung nad der Feſtung eingeihlagen, nie einen Soldaten ge—

2 993 ſprochen, joll es jegt in finfterer Nacht unterneh— men, in die Feſtung zu dringen.

Als fie in die Allee kam, konnte man der Dunkelheit wegen die Leute, die da gingen und famen, faum mehr unteriheiden ; aber der ſcharfe Blid des Haffes ließ ihr die vothverbrämte Unis form Bärfing’3 dennoch erkennen. Sie ſah «es recht gut, wie er das Feitungsthor- paffirte, konnte ihn jedoch nicht mehr einholen.

Als auch fie zum Thor gelangte, wurde fie von der Wache angehalten.

Mer dal.

- Eine Frau, und zwar eine alte. Ich will in die Feſtung.

Kann nicht mehr geihehen . .

3 muß aber hinein.

Sie ſprach diefe legten Worte mit einer ſolchen Entihloffenheit, daß ihr die Wade nicht wider- ftehen konnte, und den Eintritt unter dem Thor— gang gewährte: bier veriperrten ihr jedoch meh— tere Soldaten den Weg.

Wohin gehen Ste, Iherzten diele, wollen Ste vielleiht Soldat werden ?

Ich wünſche den Feitungsfommandanten zu ſprechen! erwiederte die Alte, ſich ſchnell faſſend.

Da trat ein Korporal vor, verneigte ſich ehrerbietig vor Frau Laͤvai und bat fie, ihm zu folgen, er werde fie zum Kommandanten geleiten,

203

Als fie zum Thore des Pavillons ge: langt waren, meinte der Sorporal, die Frau möge nun weiter fragen, denn er dürfe feinen Wachtpoſten nicht verlaffen.

Die beiden Poſten jedoch, welhe beim Thore des Kommandanten ftanden, mußten fein Wort ungariih. Beide waren walachiſche Rekruten aus dem Biharer Komitat. Frau Laͤbay konnte fich ihnen durchaus nicht verftändlih machen.

Da ſetzte fie fi auf die fteinerne Bank neben dem Thore, mit dem Entihluße, fo lange zu warten, bi3 Jemand fäme, der fie verfteht.

Nah geraumer Zeit kam wirklich ein junger Offizier, welcher eine tritolore Schärpe trug. Die: fer frug fie verwundert, wie fie bieher fam, und ‘was fie wünjce.

Ich bin die alte Laͤbay, und wünſche den Kommandanten zu ſprechen.

Allſogleich?

In dieſem Augenblick.

In einer wichtigen, in einer Landes⸗ angelegenheit?

In einer ſolchen.

Gut. Dann bitte ich Sie, mir zu folgen.

Der junge Offizier führte fie mit argwöh— niihen Bliden, über große gepflafterte Höfe, durch lange ſpärlich erleuchtete Gänge, bis er endlih die Thüre eines von Tabakrauch erfüllten Zimmers öffnete, in welchem einige Gemeine auf

en ONE.

den Feldbetten herumlagen. Außer den Betten gab es im Zimmer nod einen Strohjtuhl und einen unangeftrihenen Tiſch.

Der Dffizier ließ bier die Frau zurüd.

Nah einigen Minuten fam er mit der furzen Meldung, daß der Koınmandant dringend zu thun habe.

Gut, Sagte die alte Frau, dann werde ih) warten, bis er fertig ift. Worauf fie fi) auf den zerriffenen Strohfeffel niederlieg und ihre Ellenbogen trogig entihloffen auf den ölbe- fleckten Tiſch ftemmte.

Der Adjutant kehrte um, und warf zornig hinter ſich die Thüre zu.

Nah einer Weile fam er abermals zurück.

Haben Sie eine jehr dringende Mit: theilung zu machen ?

Eine fo dringende, daß fie feine Mit: nute Auffcehub leidet.

ft fie aud) wichtig ?

Die widtigfte, die nur im Leben vor: fommen fann.

Wollen Sie mir dann folgen. Der Kom: mandant will jo freundlih fein, auf einige Augenblide feine inneren Gemädher zu ber: laflen.

Der Dffizier tührte hierauf die Frau in ein zweites Zimmer, weldes ein wenig reiner,

205 aber eben Schr einfach eingerichtet war; man Jah 3, daß es für Soldaten ift, mit denen man ſtehend ſpricht.

Aus dem dritten Zimmer drang, während man die Thüre auf und zu machte, ein jehr laut geführtes Geſpräch. Bald darauf vernahm man Sporengellirt, und der Kommandant trat ein.

Er war ein Mann mit freundlihem Ge— iht und Hatte eine jener Scharf geformten Najen, von denen Napoleon I. zu fagen pflegte, daß die Befiger derſelben Männer von unverbrüchlicher Treue jeien. |

Was wuünſchen Sie mir mitzutheilen, meine Dame, frug der Kommandant, der ihm fremden rau nahe tretend.

Ich babe ein kurzes Wort an Sie zu tihten, Herr Kommandant fagte die Alte in ruhigem Zone. Heute langte einer ihrer Kouriere an, welder falihe Nachrichten verbreitet.

Zum Beijpiel?

Er jprengt aus, daß mein -Sohn, . welcher in der oberen Armee dient, cin Vers räther jei. Der Name meines Sohnes ift Bela Lavay.

Der Kommandant begann ein wenig miß— muthig zu werden.

Aber, meine Dame, Sie haben ja ge: jagt, daß Sie mih in Landesangelegenheiten

Iprehen wollen ?

206

Mein Herr, ich glaube, daß die Sol- datenehre immer eine Landesangelegenheit ge= weten ift.

Wie dieſe Worte auf die Lippen der alten, einfahen Frau kamen? Welch fremder Geift ihr diefelben zugeflüftert ? Das fonnte fie ſich ſelbft nie erflären. Es gibt außergewöhnlihe Lagen, in welhen ein Moment die Menſchen größer madt.

Der Feltungsfommandant war felbft über: raſcht, und bat höflich die Frau, ſich zu ſetzen.

Ich danke, will nit ruhen, bis ich nicht vollzogen, weswegen ich gelommen. Ich bin eine ruhige, friedliebende Frau; komme nie aus mei= nem Hauſe; daß ich es jet gethan, daß ich in finfterer Nacht hieher, in die Feſtung fam: dar: aus fünnen Sie erſehen, welche furdtbare Belei- digung mir widerfahren mußte, die mid) zu die— jem Schritte zwang.

Der Kommandant war ein Mann von gu— ter Erziehung, und wußte den Schmerz der alten Dame zu würdigen.

Gut jagte er ih werde die Sade gleih morgen unterfuhen laſſen.

D, mein Herr ih kam nicht wegen einer Unterfuhung, wegen Dinge, die erft mor: gen geſchehen ſollen; was ich will, muß gleich geſchehen. |

Mus wünfhen Ste. alio eigentlid) ?

Was? Genugthunng wünſche ih. Fa

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eine Genugthuung, wie man fie in unfern Tagen zu geben und zu nehmen pflegt. Ueber. eine folche Beleidigung Tann man nit erft Schlafen, um fie zu vergefjen. Der Verleumder ift in der Feſtung, id jah ihn hereinfommen, deshalb kam auch id zu Ihnen, mit der Bitte, Sie mögen ihn hieher beicheiden.

Nichts leichter al3 das, da er im Ne- benzimmer ift, Damit winkte er feinem Adjutan— ten, er möge Bärfing aus dem Zimmer rufen,

Der eintretende Bärfing gab mit. allen moͤglichen Zeichen zu erfennen, daß er ſich Die Anweſenheit diefer Dame nicht erklären könne,

Mein Herr frug der Kommandant, ih an den Eintretenden wendend kennen Sie diefe Dame?

N... nein, ja, ih kenne fie. .... Was wünſcht diefe Dame ?

Frau Lavbay trat an ihn heran.

Dieje Frau wünfht, Sie daran zu ver— hindern, dag Sie den guten Ruf ihres Sohnes vernichten. Sie beſchuldigen einen ihrer einftigen Freunde, einen gewiffen Bela Labay, des Ber: tathes. Das miffen Sie recht gut, daß man die- ſes Wort heutzutage ſehr leicht glaubt... Nach⸗ dem fih in der ganzen Stadt fein Einziger ge— funden, der gegen dieſe Verleumdung proteftirt hätte denn es ift ja Niemand verpflichtet, das Gegentheil defien zu glauben, was man über Se:

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manden jagt, fo bin id genüthigt, mid) in eigener Perion zur VBertheidigung meines Sohnes Ihnen entgegenzuftellen.

Bärfing wollte fih aus der Schlinge zie- ben und unterbrad) die Frau kurz.

Ich achte diefen Dit viel höher, als dag ih mich Bier in Zank einlaffen jollte.

Es iſt bier von feinem Zank die Rede, mein Herr, antwortete Frau Lanay mit feften Tone. Es handelt fi hier um etwas Mi- litäriihes, und das paßt gerade hieher. Gegen die Verleumdung gibt es jet nur eine Waffe: Ge— nugthuung mit der Waffe, und ic bin gefommen, eine jolhe von Ihnen zu fordern! ...

Diefe Worte erregten allgemeines Laden. Die Szene ftreifte zu fehr ans Komiſche. Eine bejahrte, gebeugte Frau, mit ihrem antiken grü: _ nen Mantel, und den alten jeidvenen Hut auf dem greilen Haupte, fordert einen jungen, ftarken Dann zum Zweikampfe heraus.

Doch mollte Frau Läavay den komiſchen Eindrud gar nit wahrnehmen, fondern zog ru: big ein weißes Sadtuh aus ihrer Taſche, welches fie dann an einem Zipfel fallend, der Länge nad herabhängen ließ.

Antworten Sie mir nit, mein Herr, daß ih eine Frau jet, und man fi mit Frauen nicht zu ſchlagen pflegt; auch der Hündin ift es erlaubt, ihre Zungen zu vertheidigen; als Sie fid) der

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Waffe der Weiber, des Tratſches bedienten, ent: agten Ste jenen Stolze, welder dem Marne den Vorzug über das Weib gibt . . . Antworten Sie mir au nicht, daß ich alt, und meine Au: gen ſchwach ſeien, daR ic) nicht zielen fünne . Hier, nehmen Sie das eine Ende dieſes Schnupf: tuches, das andere werde ich halten... . So fünnen wir auf einander Ihieken.

Damit z0g fie die beiden Piftolen aus den Taſchen ihres grünen Merinomantels und legte dietelben auf den Tiſch.

Die Männer ladhten nicht mehr.

Die Matrone ſtrich hierauf Die jpärlichen grauen Haarloden, welde ſich auf ihre Stirne verirrt hatten, zurück und ftand mit der Erhaben: heit einer Märtyrin aus alten Zeiten vor den ftaunenden Männern,

Ich habe mit meinem Gott abgerechnet ſprach fie dann in leidenjchaftslofem Tone, Ich verſpreche mir nit mehr viel vom Leben; da ih Alles verloren habe. Mein Gatte if längit todt, mein Haus in Schutt und Aſche, mein Sohn in der weiten Welt, nur die Ehre blieb mir noch, dieſe gebe ih nit her. . . . Ste tonnen Ihr Piſtol an meine Bruft ſetzen, ich werde nicht zittern... Sch über... id) werde Sie nicht tüdten, da ich meine Seele mit der Schuld Ihres Todes nit belaften will; aber auf Ihre Füße werde ich zielen, und Diele lahnı

Andere Zeiten andere Menſchen 14

20

Ihieken, damit Sie die Verleumdung meines Sohnes nicht im Lande herumtragen Fünnen.

War die Matrone beim Beginne ihrer Rede ganz ein Mann, jo wırde fir am Schluffe der: jelben wieder vollfommen zum Werbe. AS fie Barfing damit gedroht hatte, ihm die Füge zu verſtümmeln, brach aus ihr der ganze weiblide Zorn hervor, und als fie eine der Biftolen in die Hand nahm, wirde man darauf geſchworen haben , dab fie ihre Drohung aud ausführen werde.

Herr Bärſing befand ſich noch nie in einer ſolchen tragikomiſchen Situation. Mag es Scherz oder Ernft fein, jedenfalls war die Sade un— angenehm. Sein guter Geift flüfterte ihm aber im entfcheidenden Momente zu : leugne das Sanze ab... |

Aber, liche Tante, id) habe ja nie jo etwas über Bela geſprochen.

Frau Lävday ſah ihn erftaunt an.

Sie haben meinen Bela nie einen Ber: räther genannt ?...

Nie in meinem Leben. Im Gegen: theil pries ih Ihn immer und überall als einen braven, begeiſterten Patrioten.

Die Herren haben es gehört ? Gut. Geben Sie mir das ſchriftlich.

Vom Herzen gerne.

= au, ——

Und Bärfing ergriff alliogleih die Feder auf dem Tiſche, tauchte dieſelbe haftig in das Tin- tenfaß, und 309 Papier hervor.

Ih werde Ihnen in die Feder diftiren, was Ste zu ſchreiben haben fuhr die, alte grau Fort, indem fie ihre Mordgewehre in die Taſchen ihres Mantels ſchob. . . . „Ich .... hreiben Ste Ihren Namen) beſtätige, daß Bela Lavay em braver, ehrlicher Patriot und ein guter Soldat tft; Derjenige, welcher das Ge— gentheil zu behaupten wagt, iſt ein niederträd;: figer Lügner... .”

Herrn Burſing ſchien Dies doch ein wenig zu viel. ..

Gefällt es Ihnen nicht? frug die Alte, in ihren Mantelſack langend. . .

. „Ein nictswürdiger Verleumder‘! So! Run wollen Sie Ihren Namen unterfertigen ; die Herren werden die Güte haben, die Urkunde als Zeugen zu unterſchreiben.

Nachdem Dies geihehen, faltete ie die Schrift zuſammen, widelte diejelbe in ihr Sack— tuh und verbarg fie in ihrem Buſen.

Nun bin ich zufrieden geftellt. Entſchul— digen Sie, Herr Kommandant, die Ungelegenheit. Bas hier geihah, bleibt unter: uns,

Der Kommandant drückte der alten Frau freundlich die Hand.

14*

22

Wenn Ihr Sohn aud „ein jolher Sol: dat“ it, dann beglückwünſche ich Ste und uns dazu.

Daun gab er feinem Adjutanten die Wei: Jung, die Dame bis in ihre Wohnung zu geleiten. Er ſelbſt begleitete fie bis zur letzten Thüre.

Herr Barjing wollte das Geſchehene als bloßen Scherz gelten laffen, indem er jagte:

Dieſe Frau ift verrückt, wir müſſen fie auf irgend eine Art uns vom Halle Ichaffen.

Der Kommandant erwiederte dagegen, daß es väthlih wäre, wenn Herr Bärfing, die Dunkel⸗ heit der Naht benützend, nod in dieler Stunde auf gute Manier die Stadt verlaffen würde. . .

Es war bereits ipäte Nacht, als Frau La vay in der gemeinihaftlihen Hütte anlangte, Die Ihrigen waren über ihr langes Ausbleiben in Verzweiflung.

Wowaren Sie ?! riefen ihr Alle entgegen.

In der Feftung !

Man wollte ihren Worten kaum Glauben ſchenken.

Damit Sie mir glauben, leſen Sie hier.

Hiebei zog ſie das zuſammengefaltete Papier aus dem Buſen und reichte es hin.

Während nun die Uebrigen das charalteri⸗ ſtiſche Dokument laſen, ſetzte ſich die alte Frau an ihr Spinnrad, und begann bei dem Scheine eines dünnen Talglichtes ihren feinen Faden zu ſpinnen und ſang leiſe dabei den Pſalm: „Der Herr iſt meine feſte Burg.“

Andere Beiten

andere Menden.

Roman in vier Bänden.

Bon

Morig Iokai.

. Zweiter Band. 2.

. Pe, Druckerei des „Athbenäum”, | 1869,

Berlin. Berlag von Otto Janke.

Summe ————

4

Zweiter Band,

Wozu ein Lahmer gut if?

Die außerordentliben Zeiten haben alles Beitandene aus den Angeln gehoben. Wer fonft mit den Geihiden des Krieges, mit den großen Exrſchütterungen des politischen Lebens nichts zu thun hatte, mußte nun in der ungewohnten At: moiphäre leben. |

Es war dies eine eigenthümlihe Atmo— ſphäre! den Einen zwang fie, den Wanderftab zu ergreifen, und ſich während eines einzigen Mo- notes in vier Städten anzufiedeln, um dann wieder weiter zu ziehen; währenddem fie einen Adern jo an einen Ort feffelten, daß er fi nicht bewegen konnte. | Sie brachte Liebende zuſ ammen, verband

und trennte fie ebenio ſchnell; die Braut wurde an einem Tage zur Witwe, und abermals zur Gattin. 1%

ie A

Andere Liebende Herzen trennte fie wieder derart, daß jie nie, auch nur ein Sterbenswörtchen von einander hörten.

Sie zeichnete den Menihen neue Lauf: bahnen vor: der Advofat wurde Auditor, der Richter Monturskommiſſär, der Arzt Chirurg, der Ingenieur Pionnier ; liederlihe Leute wurden re— habilitirt, glänzende Zelebritäten unter Die ver— geſſenen Menſchen gereiht.

Wer hätte es gedacht, wer geglaubt, daß eine Fran, die man wie gewöhnlich nur bei ihrem Spinnroden traf, oder mit den heiligen Bude in der Hand, in ihrem Garten zwiſchen den Blumen, oder das blonde Haar ihres Söhnleins fümmend, auf der Gaſſe mit demüthig gelenktem Haupte, in der Kirche das thränende Auge him— melwärts gerichtet, daß diefe Frau im Stande fei, in dunkler Naht mit der Waffe in der Hand etwas zu erzwingen, was jelbft einem Manne zu erzwingen, jelten in den Sinn kommt.

Das ſtack damals im Geifte der Zeit.

Die Alte ſprach aber nie etwas über die Geſchichte, fie ſpann und wirthichaftete ruhig tır der gemeinichaftlihen Hütte, und hörte geduldig den Prahlereien Anderer zu.

Hätte e3 einer der Augenzeugen nit er- zählt, jo würde vielleicht nod heute Niemand willen, wie die Geihihte zugegangen.

Der- Neihe lernte entbehren, er konnte

Be

nicht zu feinen Einkünften gelangen ; Andere wieder gelangten zu jo viel Geld, daß fir es nit los ihlagen fonnten.

Und erft wenn Jemand etwas Dringendes zu verrichten oder zu erfahren hatte, wie ging es da zu; wer einen Befehl ertheilte, gehörte einer ganz andern Welt an, als Derjenige, der ihn zu voll: ziehen hatte. Wenn einer mit feiner Angelegen- heit an den gehörigen Ort ging, fand er dort eine neue Behörde, die ihn nicht kennen wollte, ging er weiter, um ſich zu helfen, jo fonnte er ſierch ein, bei jeiner Rückkehr abermals eine an: dere Behörde zu finden, welde den neuen Stand— punkt nicht anerkannte.

Suchte man einen Richter, den man unum: gänglich braudte, jo konnte man bald in Erfah: rung bringen, daß derfelbe ſich ungefähr in folder Nähe befinde, als wäre er bei den Antipoden. Ging man in ein Archiv, um ein Dokument zu tuhen, jo konnte man ficher fein, daß ſich dieſes Archiv, auf Wägen gepadt, auf der Reife - be= findet, dab es wandert von Drt zu Drt, daß «3 vielleiht noch einzuholen ſei, vielleiht auch nicht. ...

Herr Fertöy verfiel den Unanehmlichkeiten einer ſolchen bitteren Beſchäftigung, als er feine Hand nad der Erbihaft feiner Couſine Judith ausftreden wollte.

6

Die Frucht reifte für ihn, und doch konnte er ſie nicht pflüden.

Ueber das Schickſal des Teſtamentes war niht3 zu erfahren.

Sit es bei der großen Feuersbrunjt vers brannt, hat es Jemand gerettet, dies zu er- fahren war eine an die Unmöglichkeit grenzende Aufgabe.

Fertöy konnte felbſt in die belagerte Stadt nicht hinein.

Er hatte daher ſeinen Freund Baͤrſing be— wogen, ſich als Kourier in die Feftung Tenden zu laffen, und bei diejer Gelegenheit nah dem Te— jtamente zu ſuchen.

Herr Bärfing betrieb zu dieler Zeit jenes räthielhafte Handwerk, weldes mit ſehr wenig Seräuih, aber mit umſomehr Erregungen und Abwechslungen verbunden iſt, und welches im Falle des Gelingens jehr gut bezahlt wein e3 aber mißlingt, auf jehr kurzem Wege geahn- det wird.

Es ijt ein altes Ariom der Kriegswiſſen— ſchaft, daß Derjenige der beſte Spion ſei, welcher beiden Parteien zugleich Dienſte leiſtet. Welche er dann beſſer bedient, bleibt ſein Geheimniß. Vielleicht bedient er Beide gut. Dies gilt im Krieg ſowie im Frieden.

Herr Baͤrſing befaßte ſich außer den Landes— angelegenheiten auch mit Privatangelegenheiten.

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Er diente gerne den Lieferanten mit den nöthte gen Ausfünften, und ging ihnen an Die vanı, natürlich) ‚gegen gute Perzente.

Herr Buͤrſing mag über die Gefahren, ge: gen die er anzufämpfen hatte, um indie Feſtung zu gelangen, erzählt haben was er wollte, jo viel ſteht jedenfalls feft, daß ihm weder beim Kom— men, noch beim Gehen jemals ein Haar gekrümmt wurde.

Mas er jedoh in der Teftamentsangelegen- beit in der verwüfteten Stadt erfahren konnte, batte für Fertöy wenig Tröftlides.

Er fand zwar den alten Arhivar, welcher ebenfalls eine Marktbude auf der Zigeunerwiele bewohnte, was er jedoh von dieſem erfahren fonnte, war weniger beruhigend, als was er frü— ber wußte.

Bei der großen Feuersbrunft hatte man einige wichtigere Dokumente jhnell in eine eiſerne Truhe gepadt und diejelbe verfiegelt einem jun— gen Komitatsbeamten übergeben. Dieſer hatte die Zrube auf einer Platte nad) Neßmély gebradt, von dort ging er während der Retirade weiter, und nahm die Truhe mit fich . . . Wo er danı dingelommen? ... Was er mit den Volumen: ten gemad) t? davon mußte Niemand. Möglid), daß er fi irgendwo unter einem falihen Namen verborgen, möglih, dak er mit den ungariiden Truppen berumzog, oder daß er, hart bedrängt,

ee

die eilerne Truhe zurüdließ und die Schriften in die Winde zerftreute, oder daß er diejelbe ver: graben, oder in die Donau geworfen hatte; es ift auch möglih, daß er fie noch immer behütet, es gehört aber auch nit zu den Unmöglichleiten, dag fih das Teſtament gar nicht unter den geretteten Schriften befindet.

Dieje ungewiffe Nachricht war ſchlechter, als die ſchlechteſte Gewißheit.

Denn wenn das Teſtament verbrannt wäre, ſo könnte fih ein kluger Menih noch helfen; wenn es aber vorhanden ijt, wie es aufzufinden ?

Auf diefem Wege konnte daher Bärtıng jeine Forihungen niht mehr fortiegen ; denn wenn fih der Hüter des Dokumentes bei der Armee befand, konnte er ihm dahin nicht folgen. Er hatte gute Gründe, ſich von dieſer in hübjcher Schußweite zu halten.

Einjt begegnete Bärfing in Debreczin einem alten Befannten, deſſen Namen er jedoch ver— geſſen hatte.

Diejer war auch einer der Beiliger des, Ti— ches der öffentliden Meinung.“ |

So wurde nämlid ein großer, runder Tiſch im Kaffeehauje der Herrengaffe genannt, an wel: chem fih alltäglich Morgens Redakteure, Kritiker, Advokaten, Aerzte und jonftige Zelebritäten einzu— finden : pflegten. An diefem Tiihe las Pußtafi feine zündendften Gedichte vor, welche niemals im

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Drude erihienen, hier wurde über Louis Blanc, Michelet, über die Vollsfouverainetät debattirt ; bier hielt“ ein junger Mann mit ſtark pochendem Herzen binreißende Reden; hieher famen Vize— geipäne, Reichstagsredner, Ipätere Minifter, ihren Imbiß einzunehmen; bier floß allabendlid eine Ichhafte Diskuffion über Klaſſizismus und Ro= mantik; von bier aus gingen Beifall und Ziſchen juerft gegen die Helden und Opfer der Bühne, dann der Rednertribüne und des Schlachtfeldes ; deshalb murde jenem runden Tiiche der vielia= gende Name: „Tiih der üffentlihen Meinung” beigelegt. Biel Tragikomiſches und Komiſches jener Zeit nahm jeinen Ausgang von dieſem Tiſche.

Diejenigen, die ſich dort jeden Tag zu be— gegnen pflegten, kannten einander perſönlich ſehr wohl, ohne daß ſie gegenſeitig nach den Namen geforſcht haͤtten. Es bildete ſich mit der Zeit eine Art Kollegialität unter ihnen heraus. Die Theil- nehmer hielten die Verſammlung für eine ordent= ih konſtituirle Körperſchaft.

Herr Bärfing machte hier die Bekanntſchaft eines Heinen, lahmen Fünglings, der an dem Diſche der öffentlihen Meinung ordentlihen Sig hatte, den die Uebrigen Doktor titulirten und für einen guten Zungen hielten, der ein fühner So— zialift war und außerdem, jo oft er Gelegenheit fand, den Hörern der Tafelrunde den Einfluß der

Ad.

Chemie auf die ei eindringlid demonftrirte.

Mir find Ddiefer Kleinen Figur Ihon zwei Mal begegnet ; ein Mal, al3 er an jenem denfwürz digen Tage Judith den NRegenihirm anbot, das zweite Mal, da er als Zeuge bei der Trauung Judith's und Bela’s anmelend war. Es iſt unſer Freund Melchior Glanz.

Wir dürfen ihn in Wahrheit unfern Freund nennen, denn er tft ein mwaderer Junge. Eine gerade Seele in einem gebrochenen Körper.

Wozu it im Leben ein frummer Menſch gut, den im zarten Alter die Amme fallen ließ und der nun wegen des einmaligen alles. Das ganze Leben hindurd hinten muß.

Spielen andere Kinder, jo muß das lahme Kind ſeitwärts figen und dem Spiele zuſchauen, theilnehmen darf es nmiht daran. Wenn das junge Herz mädhtig poht im Sturm der Ge: fühle, wenn die Genoffen nahjagen der Liebe des Meibes, jo muß er zu Haufe figen; er wird nie mals Tänzer, niemals Herzensftürmer werden er ilt lahın. Und eröffnet fih das Feld männ— liher Thaten, und jtreifen Arm und Derz des Mannes den Starrkrampf der Lethargie ab, da ftürmen die Uebrigen dem Rufe der Kriegspofaune nad, offen liegt vor ihnen der glänzende Pfad des Ruhmes; er aber muß zu Haufe bleiben, aus

Ihm kann fein Krieger werden denn fein Fuß iſt gelähmt.

Kann man alio den lahmen Menihen durch— aus nicht benügen? Konnte die ftiefmütterliche Natur es nicht jo einrichten, daß ſie dasjenige, was jie den Küken vorenthält, duch das Gehirn eriegt ? Konnte fie ihm nicht Flügel, Flügel des Heftes verleihen ?

Mar Tamerları nicht ebenfalls lahm, und fimpfte er nicht trogdem gegen eine ganze Melt ? Und was Byron niht lahm, und kämpfte ev nicht tropdem gegen die Götter jelbit ?

Die Welt war aus den Angeln gehobeıt ; jder Menih kämpfte mit anderen Waffen, als worin er geübt war. Melchior fühlte ſich zu Au— fang des großen Jahres unſaͤglich verlaſſen, wenn er jeden Morgen ganz allein an dem „Xifche der öffentlichen Meinung“ ſaß und nur felten einen Nahbar fand, der ihm eher zum Gehen als zum Bleiben Anlaß gab.

Seine einzige Freude bejtand darin, daß er jeden Nachmittag Judith beſuchte und ihr erzählte, was er in den Zeitungen las.

Judith Hatte lange von Bela niht3 gehört. Das hatte jeine natürlihen Urſachen.

Melchior jah, wie das ſchöne junge Geſicht täglich bleiher wurde. Eines le jagte er zu Judith :

Fe,

Geehrte Frau, Sie find krank, warım laſſen Sie ſich nicht heilen ?

Für mein Leiden gibt es feinen Balſam.

Aber ich weiß, daß es, und wo es einen gibt; ich werde ihn auch holen. Das Heilfraut für Sie wädit in Béla's Fußipuren. Ic gehe, um Bela aufzujuhen und bringe Ihnen Nachricht von ihm.

Judith lächelte zu diefen Worten, und Meldior wäre für diefes Lächeln auch in den Mond gereift.

Er ließ fih eine Krüde maden, die in= nerlich hohl war, und plöglih verſchwand er aus der Stadt.

Nah Wochen kam er wieder zurüd. Wo er war, was er ausgerichtet das ſagte er Niemanden. Sein ad) war die Augenheilkunde, und fo erzählte er, er habe Jemanden auf dem Lande den grauen Star gefloden.

Judith war nun nit mehr fo blaß. Bon Bela erhielt fie nın auch Briefe, welde alle in der hohlen Krüde des Heinen Lahmen angelom- men waren.

Herr Bärfing traf alſo an einem Tage mit Herrn Meldior Glanz auf dem hölzernen Trot- toit Debreczins zufammen.

Ab, guten Tag, Eitoyen, was bringt Sie bieher ? | | Melchior wollte fih nah einem flüchtigen

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Gruffe losmachen; allein Herr Bärfing ergriff fo ſehr die Freude des Wiederiehens, dag er ihn niht davon ließ, fih an feinen Arm hing, und ihn überall hinbegleitete, wo er nur gehen wollte.

Ich bin nah Siebenbürgen zu einem großen Herrn gerufen log Meldior id tom bieher, um mir einen Paß zu verihaffen.

Den werde ih Ihnen ermitteln. Wie lange bleiben Ste dort ?

Bis id) vom Erfolge meiner Operation überzeugt jein werde.

Und gehen Sie von bier dann wieder nad) Peft? Wie ftcht es dort... ? Sprechen Sie.

Melchior's kluges Auge hatte es ſchnell ein= geiehen, dag eine übertriebeng Zurüdhaltung nur Argwohn erweden würde, deshalb erzählte er mit großer Dffenheit allerlei Geſchichten, unter dem Siegel des Geheimniffes, welhe man theils in den Blättern leſen konnte, oder welche er ſoeben erit erdichtet hatte,

Barling ließ ihm jo lange feine Ruhe, bis er ih von ihm in jeine Wohnung Ichleppen lie. Zu jener Zeit war es ohnehin ſchwer, in dem großen kalviniſchen Jeruſalem ein Nadhtquartier ju befommen, denn jedes Winfelhen war bereits überfüllt von berühmten Männern und ihren An— gehörigen.

Was millen Sie, Citoyen, von deıt Mitgliedern des „Ziihes der öffentlihen Mei-

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nung ;* von den guten alten Kameraden; wo ft Rußtafi? wo Lavay? wohin ift der Heine Stotternde gefommen ?

Melchior erzählte, was er wußte, und aud) Mandes, was er nidt mußte.

Sie maren Ihon öfters Hier, nidt wahr? .. Gut, gut, ih weiß ſchon, das tft ein Geheimniß, werte es auch Niemandem berrathen. As ih Sie in Vet kennen lernte, gingen Sie noch ohne Krücke! ...

Mein Fußübel hat ſich ſeitdem ver: ihlimmert.

Ich meh und glaube es. Mit der Krüde iſt es leichter zu gehen. Dod, wie leicht dieſe Krücke ift, als wäre fie inwendig hohl. Mit einer ſolchen hohlen Krüde fünnte man Jeman— dem gute Dienfte leijten. Darin hätten verichie: dene Berihte und Landkarten Platz! Nicht wahr ?

Ha ha hal... Ich weiß übrigens von Nichts

und habe über Nichts geſprochen...

Melchior lachte, wie Einer, deſſen Räthier

man gelöft hatte.

Darin hat genug Pla.

Und Niemand kann auf das Geheim— niß kommen.

Hierauf lachten Beide.

Bärfing war über die Aufrichtigkeit ſeines

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Saftes entzüdt, und machte din Vorſchlag, ein= ander zu dutzen.

Du bift ein großer Schelm. Du fteigjt niht nur in Stebenbürgen, fondern auch anders= wo herum. Warſt Du nod nicht bei der oberen Armee ?

D! wie oft Ion.

Haft Du dort niht einen Komitatsbe— amten gejehen, der mit einer großen, verjiegelten eiſernen Truhe der Armee nadhzieht ?

Melchior dachte ein wenig nad, und ant— mortete, daß er ihn geiehen habe.

Könnteft mir einen großen Dienft er= weiien, Brüderhen. Wenn Du wieder hingehit und den Mann trifft, verſuche es, aus ihm heraus jubringen, ob unter den Schriften, welde beim Brande gerettet wurden, ſich niht etwa ein Te— fament befinde, welches ein gewiſſer Hargitay dort deponirt hatte ?

Melchior gerieth über diefe Worte in. Zorn. Er kannte ja jeit lange ſchon das Geheimniß die- ſes Teftamentes, was jedoch Bärfing nicht ahnen Ionnte ... Mit der Freundihaft war es plüß: lich aus.

Mein Herr, geben Sie mir meine Krücke zurück. Dante Ihnen für's Quartier ; id) werde Ihnen zu feiner Intrigue die Hand bieten, melde gegen Lavay und deſſen Gattin gerichtet ift! .

Nah diefen Worten entrig er feine Krüde

sa 30 un den Händen Baͤrſing's und ließ ihn als Beute feiner eigenen Verwunderung zurüd.

Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß man auch im Denken lejen fünne.

Bärjing Jah dem davon etlenden Lahmen durchs Fenſter nad, und drohte ihm mit der Fauſt: Das ſollſt Du nod bereuen,

Meldior verließ Debreczin noch an dem- jelben Abend.

Es gilt: vor den alademiihen Gelehrten der Kriegswillenihaft als eines der wichtigſten Probleme, wie zwei an berihiedenen Punkten operirende befreundete Feldherren einander über die einem Dritten vorzubereitenden Ueberraihungen fid verftändigen fünnen. |

Der menihlihe Geiſt hat Vieles in diejer Gattung erfunden, ohne fi erihöpit zu haben.

Zamerlan ließ die Nachrichten, die er von einem Ende Aſien's nad) dem anderen endete, auf den glattrafirten Kopf des Boten ſchreiben; auf dem langen Wege wuchs dieſem das Haar und verdeckte die Schrift; an Ort und Stelle angekommen, wurde das Haar kurzgeſchnitten, und man konnte die Schrift leſen. Ali Telepenti ſandte aus Janina feinen Bundesgenofien Nach— richten, welde er auf gejottene Eier mit chemiſcher Tinte geichrieben hatte. Von Außen war nichts fihtbar, als man jedoch Die harte "Schale zer:

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ihlug, war die Schrift auf der inneren Haut fihtbar. Auch ift es hiſtoriſche Thatſache, daß der zuffiihe General Sch. . . bei der Belagerung Siliſtria's zum damals jehr in der Mode gewe- fenen Erpediens der Klopfgeifter griff, un geheime Kriegsoperationen zu erfahren.

Ein um jo größeres Berdienft ift es, ſolche Nahrihten pünktlih zu überbringen, je grö- Ber die Hinderniffe, je verwidelter die Situation und brennender die Gefahr it, durch welche ſich der Betreffende durchzuwinden hat, wenn über- haupt aud der Feind geihidt und wachſam iſt.

Der beängftigendfte Fall ift, wenn die Nach— rıht gerade in die Hände des Feindes geräth! Da- rum pflegt man dafür zu forgen, daß jelbft in diefem Falle der Feind den Inhalt nicht verftehe.

Die einfachſte Nahriht wäre freilich die wörtlihe, weil fie in der Zunge des Boten ver: borgen ift! Wie, wenn es aber diefer Zunge ein= fällt, zum VBerräther zu werden! Es gibt große Dinge, die man der Ehre eines Einzelnen nicht anvertrauen fann.

Man benügt daher eine geheime Schrift hiezu.

Es gibt verihiedene Gattungen von gehei- men Schriften, es gibt aber auch verichiedene Menihen, deren Aufgabe es tft, diefe Schriften leſen zu können; ſolche Leute find jehr geübt und ſchlau. Sie drehen und wenden die Worte jo lange, bis fie endlih den Schlüffel BE

Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band.

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Eine jede Sprade hat Heine, aus zwei, drei Buchſtaben beftehende Wörter, als da find ‚und‘, „der“, „ja“ u. ſ. w.; nur eines Dieler allein ftehenden Wörtlein ift zu errathen, und man hat den Schlüflel.

Es gibt aber aud) eine Gattung der Ge— heimſchrift, deren Schlüffel, troßdem daß er jehr einfach, nicht aufzufinden tft.

Die Buchſtaben des A-B-E werden zweimal niedergeihrieben, in gleihen Zwiſchenräumen, auf zwei jeparate Papierftreifen.

Das Wort, weldes den Schlüffel zu fol her Schrift gibt, wiffen nur ihrer Zwei, der Auf geber und der Empfänger, der Bote jelbit hat feine Idee davon, und geriethe er auch in Fein: des Hände, jo hat doc der Feind feinen Nutzen.

Wenn man mın 3.8. das Wort Helion als Schlüffel gebraudt, und bei dem oben be- ihriebenen doppelten Alphabet anmendet, Tann man aus folgenden Buchſtaben:

„nacut zb klbvlblznczju cbkixnoa* den ungariihen Sat herausbringen: „Guyon, der neue Feſtungskommandant, it auf dem Wege“; ohne jenen Schlüffel bleibt aber das Ganze ein finnlojer Buchſtabenhaufe.

An einem ſpäten Märzabende humpelte ein fimpler Bauernwagen in eine jener Ortſchaften,

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welche der weltberühmten Feſtung Komorn gegen= über am andern Ufer der Donau liegen. Dieje Drtihaft jtand unter jehr guter Sontrole.

Ein erfahrener alter Douanier hatte die Reiſenden zu durchſuchen. Seine langjährige Uebung hatte ihn mit al’ jenen Schlihen und Kiffen bekannt gemacht, welche gewiſſe Leute zu gebrauchen pflegen, um bei Ueberſchreitung der Grenze die Augen der Behörde zu blenden. Pu— del mit Doppeltem Kell, deren oberes feine Spi— Gen birgt, Säuglinge aus Blech, worin man Spiritus ſchwärzt, Fälfer mit doppeltem Boden zum Transporte von Pulver, Stiefel mit Doppel- johlen, worin man Briefe verwahrt u. ſ. mw. find für unſern Douanier lauter längſt befannte Er: findungen, welde für ihn gar feinen Werth hat- ten; er durchkreuzte die Abfichten eines Jeden.

Der erwähnte Bauernwagen hielt vor dem Paßviſirungsamte. Ein Kleiner, hinlender Mann Hetterte aus demielben, welder mit großem Selbit- vertrauen fid der Durchſuchung unterwarf; nur ihien er auf feine Ihmwarzladirte Krüde befonders eiferfüchtig zu fein.

Der Douanier durchſuchte den Reiſeſack, und fand nichts Verdächhtiges. Der Reijende aber fehrte mit raſcher Bereitwilligfeit feine Säde her— aus, übergab jeine Brieftaihe und hatte wäh tenddem feinen Krückenſtock an einen Stuhl gelehnt.

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Den Augen des Douaniers begann Diele Krücke ſehr zu gefallen.

Er nahm fie in die Hand, und lächelte ftill dabei.

Leicht, jehr leiht . . . als wäre es in— wendig hohl! ...

Bei diejen Worten blidte er durch feine Brillen ſcharf in die Augen des Reiſenden.

Der Reiſende war Melchior.

Er antwortete ruhig:

a, die Krüde ift inwendig hohl...

Zu melden Zwede iſt fie ausgehöhlt worden? frug der Douanter mit graufamen Seitenblide auf Meldior.

Dieler näherte fi) ihm und flüfterte leiſe:

Nicht jo laut, mein Herr, ih halte mein Geld darin. Denn wer mid) immer auf dem Mege ausrauben möchte, jo würde er mir doch meine Krücke laſſen.

Der Douanier lachte über den Einfall.

Der Stock iſt wohl zum Auseinander— ſchrauben?

O ja. Wenn man oben die Krücken— lehne und unten die Meſſingkapſel herabſchraubt, ſo legt ſich das Ganze wie ein Etui auseinander.

Wollen Sie jo gefällig ſein, es mir zu zeigen ?

Melchior war alliogleih bereit und legte

an. DL > a den Stof auseinander; es fielen zehn Stüd Hun— derter-Noten heraus, ſonſt nichts.

Die Hunderter waren alle ſchön neu und nur wenig zerdrüdt.

Der Douanier fagte mit großer Bonhomie, dab es ein guter Gedanke jei, das Geld im Stode zu verbergen; er machte fi übrigens an- bötig, Die zehn Stück Hunderter bei der Haupt— kafſa auf einen Tauſender einzuwechleln, dann werde das Geld nod) leiter zu verbergen jein.

Meldior dankte und ging den Bor: ihlag ein.

Die Hunderter waren dem Douanier ver— dächtig.

Nicht als wären ſie falſch, ſondern es könnte etwas auf deren Rückſeite geſchrieben ſein, denn manches Papier, das ganz weiß zu ſein ſcheint, verbirgt eine Schrift, die über Leben und Tod entiheidet, die Buchſtaben kommen und ver— ihminden wie auf einen Zauberichlag.

Es gibt jedoch erfahrene Männer, die mit ihren chemiſchen Reagentien jelbjt dem leeren Blatte jein Geheimniß eitreißen.

Melchior wurde bedeutet, er möge im Gajt- hauſe warten, bis man jeine Hunderter gewechſelt. Es ſei übrigens ohnedies ſchon zu ſpät, um einen Vorſpann zu bekommen.

Mekchior ging auch auf dieſes ein und ließ

fih im Hafthauje ein Zimmer geben. Wenn er aus diefem Zimmer durch's Fenſter auf die Gafle oder dur die Thüre auf den Gang binausblicte, To Eonnte er bier und dort Finanzwächter in grauen Mänteln gewahren, die vielleicht zu ihrer eigenen Unterhaltung auf und ab gingen.

Diefe Leute fümmerten unjern Meldior gar nichts. Er konnte ja ruhig fein. Auf dem Rüden der Hunderter ftand nichts geihrieben, jomit konnten fie auch nicht verdächtigt werden.

Mo hat er aber dann die ihm übergebenen Nachrichten Hingethan ?

Er hat fie im Gehirn aufbewahrt, indem er jie auswendig lernte.

Einen ganzen dichtgeihriebenen Brief, be— ftehend aus folden Worten: „nacut zle klobl- blzn-erjn ebkix noa‘ hatte er einftubirt und nit einen Buchſtaben davon ausgelafien. Dann verbrannte er den Brief.

Dies war feine Heine Arbeit.

Mir haben jedoch bereits erwähnt, daß die Natur dem Lahmen im Kopfe das eriekt hatte, was fie ihm am Fuße nahın....

Das Nahtmahl wollte Meldior im gemein: Ihaftlihen Speiiefaale nehmen. Kaum konnte er Plat bekommen, der Saal war voll mit meiſtens bewaffneten Gäften. Mit harter Mühe hatte man ihm Plag gemacht.

Mit den Nahtmahl ging es jehr knapp ber.

Früher angelommene Säfte, mit vortrefflidem Ap- petit, hatten alles Eßbare aufgezehrt.&s war nur noch die Wahl zwischen Brod und Käfe.

Haben Sie meder Hühner, noch Gänſe, oder ſonſtiges Geflügel im Haufe? frug Mel: chior den fid fortwährend entihuldigenden Wirth.

Was man in der Frühe bringt, das geht bis zum Abend auf. ES bleibt uns nichts am Halle.

Tauben haben Sie aud nit?

Tauben? jagte der Wirth, den Fra— genden ſcharf betrachtend, aud) Dieje find ſchon alle aufgegangen. Keine einzige mehr am Boden

Und dod) jehe ich in jenem Käfig, dort an der Wand, deren gegen ſechs Stüd.

Ad, Herr, das find theure Tauben mit Pfauenſchwanz; jehen Sie? Ih halte fie nur der Rarität wegen im Zimmer,

Vielleiht „Lünnen fie ſogar ſprechen ?“

Auf diefes Wort lüftete der Wirth feine Mütze und jagte:

Ich würde feine billiger als um zehn Gulden geben.

Ich aber gebe die zehn Gulden, denn mid) Hunger. Zum Henker, ih muß Braten haben !

Die übrigen Gäfte lahten darüber, fanden e3 aber Schließlich doch nit für gar jo ſonderbar.

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Es zab unter ihnen Manden, der während des Feldzuges zehn Gulden für eine Schüfſel Kuku- ruzbrei gab. Hungrige Leute zahlen gut.

Der Wirth hielt die flahe Hand Hin, um das Geld in Empfang zu nehmen.

Melchior aber nahm aus feiner Börje eine Zehn-Gulden-Note und reidhte fie ihm hin.

Auf die Reversjeite diejer Note war die ganze Nachricht mit Heinen Buchſtaben, die mit feinem Bleiftifte geichrieben waren, verzeichnet,

Melhior halte fie während der Zeit ges Ihrieben, Die er zum Waſchen benützen jollte.

Der Wirth nahm ſogleich eine der Tauben aus dem Schlage, und zwar eine der fchünften, mit ſchillernden Federn, fächerartigem Pfauenſchweif, ſchneeweißen Flügeln und ſchönem, flugem und ihlanfen Kopfe. Wie ichade, dieſe Taube zu tödten,

Wird dieſe gut fein? frug er Melchior.

Nur raid), denn der hungrige Magen vertreibt alle Sentimentalität.

Der Wirth trug darauf die Taube in die Küche ; dort band er im Dunkeln die erhaltene Banknote mitteljt einer feinen Schnur der Taube unter die Flügel, dann ftreihelte er fie, liebkofte fie und hielt fie zum Fenſter hinaus,

Die Taube hob den Kopf in die Höhe, ſchlug einigemale wie verjuchsweile mit den Flügeln ihmang fi hierauf raid) empor und ſchoß dann

a pfeilfchnell über den Strom den verjtümmelten Stadtthürmen zu.

Der Wirth ſchaute ihr nad, jo lange erjie im Auge behalten fonnte, dann ftieg er vom Balken herab, holte eine andere Taube und lieh fie braten; als fie zubereitet war, ſetzte er fie Meldior vor.

Seht wußten aber bereit3 alle Anmwejenden um den Spaß, daß nämlih die Taube ausge- tauſcht wurde.

Dem Wirth wurde die Sade unangenehm, und er beſchloß, die Leute irre zu führen. Wie in einer Anwandlung von Großmuth nahın er eine Zehn-Gulden-Note aus der Taſche, reichte fie Melchior hin und fagte:

Damit der Herr nit glaube, dag man in diefem Wirthshauje betrogen wird, To möge der Herr wiſſen, dab ich nicht die Taube mit dem Pfauenſchweif gebraten habe, jondern eine an— dere, Die nur zwei Zwanziger fojtet; hier find Shre zehn Gulden.

Jedermann war von der Gewiſſenhaftig— feit des Wirthes Hingeriffen. Melchior reichte ihm die Hand, die Jener herzlid) drüdte.

Die Taube, die „ſprechen kann“, ift aljo gut aufgehoben? fragte Meldyior mit be= ſonderem Nachdruck.

Ja wohl Herr, ſie iſt gut aufgehoben, verſicherte der Wirth.

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Melhior verblieb noh eine Weile in der Stube, begab fih danı auf fein Zimmer und ging zu Bette.

Zeitih Morgens ſuchte ihn der Zoll: fommifjär auf und gab ihm lächelnd die tau— jend Gulden zurüd.

Gie fünnen weiter reiten, mein Herr, es iſt Alles in befter Drdnung.

63 freut mid, entgegnete Meldior.

Er wußte, weshalb er fi) eigentlich freute,

Ein „altes Haus“.

Mir ift’?, als wär! ich ein Taucher, der auf dem Meeresgrunde fi) bewegt, dort oben tobt vielleiht der Sturm; Himmel und Meer umarmen einander, und märhenhaft riefige Un— gethüme schlagen mit ihren Fittigen auf einan— der 103; vielleiht mengt aud eine menschliche Stimme ſich in des Sturmes Braufen ; Kanonen= donner, das Krachen zertrümmerter Maftbäume und geicheitertev Galeeren, der Todeschor der Mannihaft untergehender Schiffe? ... Bier unten ift Alles till; der Taucher jammelt die Nufheln, worin die Perlen wachen; er wandelt jwiihen den Thierpflanzen des Meergrundes, und erit, wenn er im Walde rother Korallen einen jerbrohenen Anker, eine im Moos verjenfte Ka— none findet, oder einen Todten, deſſen Züge ihm befannt vorkommen, erjt dann denkt er an das, was über ihm vorgeht, und bis er wieder an die Oberflähe taucht, um friihe Luft einzuathmen,

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hat der Sturm vielleiht ausgetobt und iſt wie= der Alles glatt und ruhig. Der fieghafte Sturm ift weiter gezogen, das befiegte Meer hat fich beruhigt was zertrümmert wurde, iſt unter= gegangen . .

Wieder befinden wir uns in der eingeäſcher— ten Stadt; jegt aber jehen wir die Ruinen nicht mehr, denn Frühling iſt's und die Bäume ftehen voll Blüthen.

Jedes Haus ift mit Härten und Bäumen umgeben; ein weißer und rofiger Blumenwald verhüllt die rufligen Balken, und auf den Mauern Iprießt grünes Gras.

Und als ob die Pracht, melde die Natur ausgegofien, nicht genügen würde, jind die gebor= jtenen Mauern noch mit Fahnen und Maibäumen ausgeſchmückt; dieſesmal waren es die Freuden zeichen wiederlehrenden Schaffens, nachdem die Zerſtörungswuth vorübergetobt.

Die ganze Stadt bildet einen Garten; die Straßen find durch Bomben aufgeadert und mit Eifeniplittern bejäet; die offenen Plätze find mit grünender Haferfaat bededt.

Auf einem der Hauptpläge ftand ein alter Alazienbaum; eine Bombe jpaltete ihn entzwei und bohrte fih in denjelben ein. Der Baum trieb trogdem Blüten, und Jemand hat gerade in die Deffnung der eingeleilten Bombe die Stange der Trikolore gejtedt.

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Die Kinder Eletterten auf die blühenden Bäume und die rufligen Mauern, dort jubelten und fangen fie.

Ein einziger Thurm blieb wie duch ein Wunder verihont ; die Kirche aber war abge= brannt, und es foftete viele Mühe, in den Gloden- thurm zu gelangen; gleihwohl wurde jeit frühem Morgen zum Fefte geläutet aber vielleiht war es nicht einmal ein Feittag.

In den Straßen mogte die Volksmenge, wie am Srohnleihnamstage, und alle Welt kannte einander, und Niemand hatte eine lage oder Beihmerde, und fragte man Einen: „Was Neues?“ jo war die Antwort: „Sehr gut“.

Das war der Tag, an welchem die Entſatz— armee ihren Einzug hielt. Wer vermöchte aber Zraumgefihte treu wieder zu geben? Der erite Reiter, der über die Brüde jprengte, wurde mit einem Wegen von Blumenfränzen überſchüttet. Dann die Mufitbande, welde die ſeit Langem unterdrüdte, im Geheimen gejungene Weile ipielte ; die Soldaten, die bei Trommelwirbel mit glänzenden, freudeftrahlenden Gefichtern, aber zerriffenen Kleidern die Ruinen entlang marſchir— ten ; die Freude der Väter, Mütter, Geſchwiſter und Geliebten, die ihre Theueren wieder erfen- nen; das jelbjtvergefiene Toben und Jauchzen,

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das von jeder Mauer herabtönt; das Bild, wel— ches die gebräunten Geſichter, die Bekannten, die fid) unter die Truppe gemengt; die Damen, welche die Fußſpuren der Soldaten füffen, die Mädchen, die fih vor die Roffe werfen wer fann dieſes Bild beihreiıben ? E3 führt zum Wahnfinn.

Eine andere Feder, eine andere Hand, ein anderer Geift, eine andere Luft iſt nöthig, "um dies verjtändlih zu machen.

Alter Schmerz ermahnt meine Hand, fieber- hafter Schwindel meinen Kopf, die Sorgen lan ger Jahre ermahnen mein Herz, und langjährige Erfahrungen meine Feder, ruhig zu Ichreiben, denn aufregende Sahen taugen nit für den franfen Mann.

Fort daher mit dem aufregenden Bilde ; es ift ohnehin ſchon längft vorüber.

Fern von dem Lärm der Hauptitraßen, in jenem Winfel der Stadt, welchen das Feuer nicht eingeäihert, ftand zu jener Zeit ein Haus von alterthümliher Bauart. Es wurde zu Zeiten des franzöfiihen Krieges erbaut. Die Fenfter find mit eifernen Gittern verjehen, und die Vorhänge find herabgelaſſen. An dem Thore ift das Zeichen der Salve guardia faum mehr fihtbar. Zu bei- den Seiten des Haufes waren Gärten angelegt, deren Obftbäume ihre dürren verftümmelten Aefte über die Umzäunung binausftreden.

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Diefes Haus gehört dem alten Major # Kolbay.

Der Alte iſt noch immer das „alte Haus.“ Sein Haus ſchmückt keine Fahne; wenn auch Alles fh zum Fliegen anſchickt, jo ſteckt doch aus ſei— nem Haufe fein Menſch den Kopf auf die Straße ; die Fenſter jeines Hauses find nicht geöffnet ; nicht einmal von den Bäumen feines Gartens fielen Blumenblätter auf die Straße, als der Zug vor: überging. Thor und Fenſter blieben geichloffen.

Diejes Haus brannte nit ab, und Kolbay entfernte ſich nicht daraus während der ganzen Dauer der Belagerung.

Seine Nahbarn verließen ſämmtlich ihre Häufer, Denn am meiften war diejer Theil von den Bomben bedroht; er jelber befam feinen Dienitboten, der die Schrednifje des dortigen Aufenthaltes hätte ertragen fünnen, dennod) ver- ließ er nit das Haus,

Vierzehn Bomben fielen in Hof und Garten ; feine einzige zündete, fie richteten nur an den Bäumen Schaden an. Wer fih manchmal dahin berirrte, fonnte jehen, wie der Alte die bon den Bomben verlegten Baumzweige abjägte und die Wunden mit Lehm verflebte.

Einige jeiner alten Freunde beſuchten ihn, um ihn zu bewegen, daß er da? Hars verlafie und in die Feſtung ziehe,

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Diefe fanden ihn zur Nachtzeit am Fenjter, wie er mit großem Gntzüden Die feurigen Ge— ſchoſſe betrachtete.

„Sie Schießen herrlih“, pflegte er dann zu feinen Bekannten am Fenſter zu jagen.

Wenn eine Bombe oben in der Luft plaßte, jo machte er die Leute aufmerfjam, fih auf die andere Seite zu ftellen, weil die Splitter nad allen Richtungen hin flogen; er ſelbſt aber ent- fernte fih nicht vom Kenfter.

Brachte dann Jemand vor, dab es denn doch gut wäre, wenn er das alte Eulenneft ver: ließe, dann unterbah er ihn vajch mit den Wor— ten: „Die Kriegswiſſenſchaft ift eine ſchöne Wij- ſenſchaft.“

Darauf ſchlug er den Belannten das Fen— fter vor der Nafe zu, ließ die Vorhänge herab, und ftand um feinen Preis mehr Rede.

So durdlebte der Menſch ver alten Zeit die Vorgänge der neueren Zeit.

Als fih der Lärm des Einzuges gelegt, näherte fi) dom Feſtungsrayon her ein junges Paar dem verihloffenen Haufe: eine fchüne, junge Dame am Arme eines hübſchen Offiziers. Die Dame flammerte fih mit beiden Händen an den Arm ihres Begleiters und ſchien ebenio zu flattern, wie das leichte Tuch, welches der Dffi- zier am rechten Arme trug. Es war hei drinnen und draußen.

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Als fie dor das Kolbay'ihe Haus gelang: ten, legte die junge Dame ihre zarten Finger auf die Lippen, womit jie-ihrem Begleiter Schweigen gebot, und jhaute dann durch die große Spalte, welche am Thore gähnte, in den Hof; nad einer Meile langte fie nah dem Klopfer und Elopite ſtark an das Thor.

Sie mußte jedoh noch zwei Mal klopfen und zwei Mal Hineinipähen, bis drinnen eine mürriſche heilere Stimme frug: „Na, wer ift's, was will man?“

Ich bin es, ſagte die Dame mit wohlklingender neckiſcher Stimme, ich bin cs, Seraphine!

Das ift was Anderes brummte drinnen etwas bejänftigter der zahnloſe Löwe, und bald hörte man feinen ſchweren, ſchleppenden Tritt und das Kreiihen des Schlüffel3 im roftigen Schloſſe. As das junge Paar durch die ge— öffnete Thüre verihwand, fiel diefelbe von felbit zu; Kolbay hatte jih das ſchon jo eingerichtet.

Der alte Invalide betrachtete jih Den jungen Dffizier, weldyer in feinem rothbeihnürten braunen Attila mit goldenem Kragen, worauf die Abzeichen eines Oberſten angebracht waren, vor ihm fand.

Ich habe die Ehre, meinen Bräutigant vorzuftellen, jagte Seraphine furz und bündig und ſchmiegte fi) dem fteifen alten Herrn näher an.

Andere Zeiten, andere Menihen. IL. Band. 3

Ich bitte, id) bitte .. ſprach dieſer abs wehrend ... . berühren Ste meine Schulter nicht, verurfaht mir Schmerzen... Auch meine Hand nit, Ihmerzt mich aud. . Sie willen ja, daß mir alle Glieder wehe thun. Sind alte Wunden, die ich bei Vertheidigung des Königs und de3, Baterlandes erhalten. Diele Wunden, breden auf überhaupt zu „ſolcher Zeit“... . im Frübjahre.

Erkennen Sie ihn niht? frug Sera: phine mit ſchelmiſchem Lächeln, den jungen Dann näher an den Alten ziehend.

Diefer ſtemmte fein Sinn auf die hohe, härene Kravatte und antwortete mit trodener Kürze:

Habe niht die Ehre.

Ich bin Robert Zeleji, ſagte nun der Dffizier jelbit, mit feiner bekannten Freundlichkeit.

Habe nit die Ehre gehabt.

Hier war es erjihtlih, das die Bekannt— ihaft nit zu forgiren jei, denn wenn man die Converſation noch weiter führen jollte, jo könnte die dritte Antwort vermuthlih jo lauten: „Ic will nicht die Ehre haben“.

Ich bin mit einer jehr wichtigen Bitte zu Shnen gefommen.

Zu mir ? rief der Alte verwundert mit einer Bitte? Mein liebes, ſchönes Goufinden ? Welch' Wunder! .. Womit fünnte id altes, mürriihes Haus Jemandem dienen? überhaupt

—— bei jetziger Zeit, und noch dazu einem ſchönen Mäd— hen, das einen Oberjten zum Bräutigam hat? .. . Wer würde von mir etwas verlangen? . . Bitte hinein zu ipazieren, dort fünnen wir uns nieder: ſetzen. .. Nun hören wir, was ih für die allerihönfte Seraphine thun kann? Bitte mein Herr, bier ift die Thüre. . .

Robert hätte dem alten Herrn gut jagen können: „Was wollen Sie, id fenne ja dieſe Thürme. Bin ih nicht Jahre lang hier aus= und eingegangen, habe ich nicht täglid hier meine Schachpartie geipielt ?* Er ſchwieg jedoch, da ih der Alte jo froftig gegen ihn benahm, als jähen jie fid) das erfte Mal; er war höflich, aber falt, und dieſe Kälte hatte etwas Galliges an fid).

Bitte Pla zu nehmen, jagte Herr Kolbay auf einen wadeligen Divan deutend. Mein Hausweien ift in Unordnung, bin allein, muß jelbjt bedienen und aufwarten; dem Vienſt— boten gefiel e8 bei mir nicht. . . . Nun Sera: phine, jhönftes Kind der Stadt, rüden Sie heraus, womit ihnen das älteſte und einfältigfte Haus der Welt dienen fann, jenes „alte Haus“, weldes verrüdt genug war, fi nicht begraben zu laſſen, als es wahrnahm, daR es ſchon in Trümmer gegangen.

Alſo, lieber Dnfel, ih wollte Sie bitten, mein Beiftand zu fein.

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Ach, ad, es gibt alio eine Hochzeit! Man wird tanzen, eine Menge Gäſte empfangen, Gäſte nach der neuejten Mode zugeftugt; .. nun da braucht man auch eine alte Perrüde, über welhe man lachen fann,; Einen, der Dummes Zeug ſchwatzt, wenn er Vernünftiges reden wollte, und der fid) taub ftellen kann, wenn er abgekocht wird, und feine Revanche zu nehmen vermag... Alſo zu einer Unterhaltung laden Sie mid), mein Täubchen, .. . nicht wahr? Sie Ihönftes Feen: fräulein unter der Sonne. ...

Ich lade Ste nicht zur Unterhaltung, lieber Onkel, wir haben jegt weder Zeit, nod) Plag dazu. Das Ganze wird in einer furzen Zeremonie bejtehen. Sie, lieber Onkel, müfjen unjere Yamilie vertreten, denn meine Mutter ift frank, und die übrigen Verwandten find nicht zu finden,

Die Dame ift alfo nod immer frank ?

Sie willen es ja, Onkel, woran fie lei- det, ſagte Seraphine etwas trauriger.

a, ja. Das große Unglüd hatte fie ſtark angegriffen, verwirrt gemacht. Ging ihr ſtark an die Seele. Sie fürdtet fih und zittert in einem fort und getraut ſich niht aus dem Winkel zu kriechen! ..

Im Gegentheil. Seit dem Entjage der Feſtung iſt fie ganz anders geworden; jegt finnt fie nur auf Mord und Berjtörung. Gegen Robert

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hat fie ſich erklärt, in unſere Vermählung fo lange nicht willigen zu wollen, bi er ihr nicht einen Sonnenihirm verihafft, deilen Griff aus dem Schlüffelbeine eines getüdteten berühmten feindlihen Feldherrn verfertigt jei. Die gute Janfte Frau Lavpay muß fi den ganzen Tag über mit ihr balgen, um fie zurüdzuhbalten, da fie fort- während hinausftürzen will, um den bei den Schanzwerken arbeitenden Kriegsgefangenen das Küchengeſchirr an die Köpfe zu Ichleudern. Arme Mutter! ...

Waͤhrend dieſer komiſchen Erzählung füllten ſich die Augen Seraphinens mit Thränen.

Sie ſehen alſo, Onkel Kolbay fuhr ſie dann fort, daß die Mutter in ihrem ge— ſchilderten Zuſtande unſerer Trauung nicht bei— wohnen kann. Deßhalb bitte ich Sie nochmals, unſer Beiſtand zu ſein.

Der Alte erhob ſich von ſeinem knarrenden Lehnſtuhle und erwiderte mit kalter, trockener Stimme, welche eben ſo kreiſchte, wie Alles in dieſem Hauſe, ſei es Schlüſſel, Schloß, Angel, oder die Wetterfahne auf dem Dache:

Ich aber werde nicht Ihr Beiſtand bei Ihrer Trauung ſein, mein allerſchönſtes und allerliebft=feenhafteftes Couſinchen.

Seraphine hielt ihre flache Hand gleich einem Schirme über die Augen und blickte den

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Alten ſchelmiſch an, als wollte fie erforihen, ob dies Scherz oder Ernit ſei?

Onkelchen werden nicht mein Beijtand jein ?

Ich werde es nicht fein, weil ih es niht jein will... . wiederholte der Alte. ... Bin niht der Mann dazu, an einem Akte Theil zu nehmen, welder in diefer Epoche vollzogen wird; und wenn es ſich auch nur um eine Bei: jtandsftelle bei der Trauung eines modernen Ober— ften handelte... . Bin ein alter Knochen, ein al- ter hin und ber geworfener Knochen, deren ähn- lihe Ihr genug ſehen fünıt da draußen am al- ten Raitenfriedhofe; Kinder haben mit ihnen Ball geipielt, nad Nüſſen geworfen und Haſelnüſſe aufgeihlagen. . . . Der alte Knochen lie Alles mit ſich geichehen, protejtirte dagegen nicht, daß man ihn aus jeiner Ruhe geftürt, widerrieth aber auch den Kindern nicht, auf's Eis zu gehen... Solch' ein alter Knochen bin ich; ich bin geitor: ben und fühle nichts mehr, bewege mid von meinen Blake weder vor-, noch rüdwärts .... Verſtehe id denn etwas davon, mas um mid) her- um geihiehbt?.. : . Nein, nichts. Eben jo wenig, wie ein an das Tagesliht gelangter Todten— ſchädel. . . Wei ich denn, was man heute unter Treue und Verrath, unter Liebe und Haß ver: fteht, was eine Heldenthat und eine Gräuelthat ſei. . .. Bin eine heimkehrende Seele aus dem

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verflojfenen Jahrhundert, welche jelbit von den aufgeflärten Kindern ausgeladht wird. . . . Bir eine Mumie. Wer will mid) verjtehen, wer mei— nen Rath einholen? Uebrigens mödte ich auch feinen ertheilen. ... . Ich bleibe, was id) war, Iıhlüpfe ın feine neue Haut, möge man mir noch jo ſtark mit der Poſaune der Auferjtehung in die Ohren blafen. . .

Seraphine lieg den griesgrämigen Alten fi austoben, und hoffte ihn durch ihren Humor zur Nachgiebigkeit ftimmen zu fünnen.

Aber, liebes Onkelchen, wir fordern Sie ja nicht dazu auf, daß Sie ſich auf's Roß ſchwin— gen und unſeren Fahnen folgen jollen, Tondern dag Sie al3 munmehriges Haupt unlerer Familie uns Ihren Segen ertheilen mögen.

Was, einen Segen ?! platzte der Alte zornig heraus, feinen fteifen Hals bewegend. Braut man in jetiger Zeit zu etwas einen Segen?.. . Iſt nit Alles bloßer Zufall, Wür— felipiel, Gottesverſuchung. Sit es etwa Diele Heirat nit ? Sagt: „vabanque“, entweder ſechs oder blind... . Ihr wollt noch eine Zeremonie haben? ..... Ein Familienoberhbaupt?. ... Ihr babt ja Republit. Kommandirt einen Wacht— meifter rechts, den andern links, und die Bei— jtände find da. Wozu bedürft Ihr meiner alten Knochen ?

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Diefe Wendung ſchien jedoh ſelbſt Sera= phine zu beleidigen.

Reden Sie doh aud, Robert, viel leiht fünnen Sie eher zu jeinem Herzen dringen.

Der junge Offizier ergriff die Hand des alten Invaliden und bat ihn in warmem Tone:

Bringen Sie dies Opfer Seraphine zu Lebe.

Der Alte erwiderte mit pedantiicher Steifheit:

Herr LOberlieutenant! (Er ignorirte die Oberſten-Uniform, da er Robert nur als Ober— lieutenant fannte.) Glauben Site ja nidt, daß ich heute ſcherzhafter Laune bin. Bei mir find Die Tage der Froͤhlichkeit und des Scherzes längjt vorüber. Mir Scheint das Ganze nur ein Traum zu jein. Stadtbelagerung, ziſchende Rafeten, zer: plagende Bomben, weinende Weiber, ftürmende Truppen, Alles iſt mir Traum und XTräumerei. Dann diejes Siegesfeſt, die geſchmückten Ruinen, die wehenden Fahnen, die jauchzende Menge, Alles it Traum und maht mir den Kopf be= täubt. Diejenigen, die ih vor mir jehe, find lauter Traumgeftalten ; was ih von ihnen Hüre, ift eitel Traum, vergänglider Traum.

Was wir jedod) in diefer Minute jagten ift Wirflihfeit da wir uns nämlich) Lieben und Mann und Frau werden wollen, beeilte fi) Robert darein zu rufen.

Auch Das ift ein Traum!

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Ach, Onkel! rief Seraphine beleidigt.

Iſt auch nur ein Traum. Ihr liebt Euch nicht, denn nicht die Liebe hat Euch zu— ſammengeführt. . . . Was Euch zuſammenbrachte, mar eben dieſes blendende Traumgeſicht. . . . Ein Nädchen ſah einen jungen Mann zu Pferd, mit Ktränzen bededt aus fiegreihem Kampfe heim— Ichten, Der junge Mann jah ein reizendes Mäd- den am Eingange der vdemolirten Stadt ihre Sahne vor ihn ſenken, und Beide träumten, daß fe jih in einander verliebt hatten. Das Mäp- den erzählte nun von den Drangfalen, die es zu erleiden hatte, der junge Mann von den Helden: taten, die er verübt, und fie glaubten einander unendlic) zu lieben; doch es iſt niht wahr! . . Ihr liebt einander nit, und wenn Ihr erwachen werdet, wird ein Jedes Tagen: wie Schade, daß ih dieien Traum gehabt !

Onkel! rief Seraphine, wohin will das alles hinaus, Spreden Sie Elar.

Ich werde e3 klar ausipreden. Sie, meine wunderihöne Coufine, glauben einen Mann unendlich zu lieben, weil derjelbe von ftattlidher Geitalt, berühmt, ein Held ift, der Diejenige, welde et an jein Herz drüdt, auch mit blendendem Ölanze umgeben fann. Weil es Ihnen ſchmeichelt, daß man jagen wird: Das ift die Gattin Robert Zeleji's, welher ein Held geweſen; Dichter ver— berrlihten ihn in Balladen, und das Volt beiang

jeine Thaten in Liedern... . Wenn ſich aber das Blatt gewendet, wenn aus dem gefeierten Helden ein VBerbannter, ein Landesflüchtiger geworden, wenn er jeinen Namen verleugnen muß, danı werden Sie ihn verfluhen, den Sie jekt vergüt: tern, Sie werden ihn im Unglüde veradten und erjt dann fi deſſen bewußt werden, daß ihre Leidenſchaft feine Liebe geweſen.

Mein Herr! rief Seraphine in leiden ihaftlihem Tone, indem fie ihren erregten Sin nen nicht mehr gebieten konnte, dies ift zu biel. Sie werden mid nie mehr in Ihrem Haufe jehen.

Gott gebe es; aber id) glaube es nidt, und ich werde nicht helfen fünnen.

Gehen wir, Robert. Wenn Sie mid lieben, werden Sie fein einziges Abſchiedswort an diefen Menſchen richten.

Damit nahm fie mit heftiger Geberde den Arm ihres Bräutigams und verliek das Zimmer des verknöcherten Onkels.

Dieſer ſchloß bedächtig die offen gelafſene Thüre und murmelte mit ſelbſtzufriedenem Egois: mus in ſich hinein:

Nun gehöre ich Niemandem mehr auf der Weit an.

Am andern Tage führte Robert Zeleji feine

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Braut Seraphine in Anwejenheit aller damaligen Helebritäten der Feſtung in jener Kapelle zum Altar, welche von den vernichtenden Geſchoſſen der Belagerung verſchont geblieben. Bon der Ber: wandtihaft war Niemand zugegen. Die Beiden aber glaubten, daß fie einander lieben.

Anfang des Endes und Ende des Anfangs.

Mir iſt's, als wär’ ich ein Taucher, der ji) auf dem Meeresgrunde bewegt... .

Um mid) herum Ihwimmen die Ballen zer: trümmerter Schiffe, befannte Todtengefichter ſenken fi) zum Grunde nieder, mein Fuß ftolpert über einen zerbrodhenen Anker.

Auf der Oberflähe des Meeres hat ver Sturm ausgetobt; Maft und Segel verſchwinden; auf den noch immer hochgehenden zornigen Wellen ihmwimmen nod Einige an die Trümmer des Schiffes geflammert, und bemühen fi, das Ufer zu erreichen.

Alles ift zu Ende. Die lekte Kanone hat ihr Wort geiproden, als fie den letzten Helden dahin gerafft... Das Schlachtfeld ift mit Todten bejäet; nur ein Koſakenſchwarm ftreift noch herum, um den Kliehenden nachzujagen, welche fi in die Sümpfe verkrochen hatten.

Waſſerlilie und Waſſerroſen bieten einen guten Schutz für die Verfolgten; die breiten

runden Blätter, welde auf der Oberfläche des Waſſers ſchwimmen, verdeden das heraufquellende Blut, weldhes, aus den Wunden der dort Ver— borgenen fließend, leiht ihr Verſteck verrathen könnte.

Zwiſchen den gelben Waſſerlilien ragen halb aus dem Waſſer zwei Geſichter hervor.

Beide find noch jung, aber ſehr bleich. Sie gleichen einander, als wären es Brüder.

Das eine Geſicht iſt das Robert Zeleji's, das andere Pußtafi's. ...

Die Wogen des ſtürmiſchen Kampfes haben ſie zuſammengetrieben; als ſchon Alles zu Ende war, trafen ſie ſich wieder. Robert hatte mit den Trümmern ſeines Bataillons einen harten Bajo— netkampf gegen einen Pulk von Koſaken beſtan— den; Pußtafi eilte ihm mit einer Abtheilung von Hußaren zu Hilfe und ſchlug die Koſaken in die Flucht, da führten die Ruſſen Kanonen auf und drängten die MWiderftehenden gegen den Sumpf.

Steige auf und ſetze dich hinter meiner ! ef Pußtafi feinem Freunde zu, und als dies geihehen, trieb er fein Pferd gegen den Sumpf an; die Ruſſen Jandten ihnen noch einen Kartät- ſchenſchuß nad); dieſer verwundete Robert und tödtete das Pferd, das fietrug; Beide fielen in’s Waffer.

Trahten wir zwiihen die Bachweiden zu gelangen. Hier könnte uns das gefallene

Pferd verrathen, jagte Pußtafi zu Robert, welcher ſehr bla ausſah.

Ich vermag nicht schneller zu gehen, fann den linken Fuß faum nachziehen; wird ihn vermuthlich ein Schuß getroffen haben. .

Pußtafi umfaßte jeinen Freund und trug ihn in's Gebüſch.

Es war die hoöͤchſte Zeit, daß fie ſich Hinter dem dunkelgrünen Gebüſch und zwiſchen den Waſ— ſerlilien verbargen, denn im nachſten Augenblicke ſtürmte die wildtobende Menge der Koſaken mit wüſtem Geſchrei heran, nach den Geflüchteten ſuchend . . . Die Pferde wateten im Waſſer, und man konnte zuweilen ein wildes, thieriſches Gelächter und bald darauf einen lang gedehnten Wehruf vernehmen, wenn ſie Einen unter das Waſſer Geflüchteten entdeckten und niederſtachen.

Ein berittener Haufe watete kaum zwei Klafter von dem Orte, wo unſere Geflüchteten ſich verborgen hatten, vorüber.

Nimm ein Rohr in den Mund, durch dieſes kannſt Du Athem ſchöpfen, dann klammere Dich an die Wurzeln da unten, und tauche unter raunte Pußtafi ſeinem Freunde in's Ohr und tauchte ebenfalls unter.

Die Koſaken hielten über ihren Koͤpfen an, um ihre Pferde zu tränfen,

Einer derjelben begann mit heilerer Stimme

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ein Lied zujingen, an deſſen Schluſſe die Uebrigen in ein Gelächter ausbraden.

Dann hörte man, wie aus weiterer Ent— ternung ihnen eine zornige befehlende Stimme jurief, worauf fie ſich mit großem Geraͤuſch in Bewegung Sekten gerade auf das Verſteck unferer Freunde losgehen. |

Diefe drüdten jih da unten die Hände; fie hörten die fi nahende Gefahr.

Einer der Koſaken ritt gerade auf fie zu; man fonnte bereit3 das Schnauben jeines Roſſes vernehmen.

Ploͤtzlich entjtand ein pläticherndes, gurgeln= des Geräuſch, dem ein brüllender Todesſchrei folgte. Das Pferd des Koſaken ftürzte in eine jener grundlofen Tiefen, welhe in den Gümpfen jo ihön vom Waflergrafe verdedt werden und zog den Reiter mit fid.

Das Roß hatte ſich noch auf die Ober— lähe gearbeitet und entfam, ver Neiter jedoch) blieb am Grunde des Waſſers. Die Flüchtlinge haben ihn eine Klafter weit vor fi mit dem naffen Elemente ringen. Auch er wurde ihrer ge= wahr, ftredte die Hand nad) ihnen aus, öffnete den Mund, als wollte er jeinen Kameraden zu= infen: Hier find fie, hallet fie feſt. Dies machte ihn erſticken.

Die Kameraden langten mit ihren langen Lanzen nad ihm, aber vergebens, bis das Waſſer

ſelbſt den Leichnam auf die Oberfläaͤche warf. Sie ſtießen denſelben an's Ufer. Hätten ſie ihn wecken Tonnen, würde er ihnen gejagt haben, daß ſich zwei vornehme Flüchtlinge unter dem Waſſer be- finden.

Die Koſalen wichen dem gefährlihen Drte aus und jondirten im Meiterreiten die Tiefe des Waſſers mit den Stangen ihrer Piken. Man hörte fie no lange im Waſſer plätidhern.

As die Koſaken davongeritten waren, tauchten die beiden Köpfe abermals auf Die Ober: flähe des Wajlers.

Gie haben fih entfernt, fügte Puh: tafi umherblickend.

Sie werden ſchon noch zurückkommen, flüſterte Robert.

Dann werden wir abermals ver— ſchwinden.

Ich halte es nicht lange mehr aus, ächzte Robert, ich fühle bereits, wie das Blut aus meiner Wunde flieht.

Warte. Sch werde die Wunde mit mei: nem Sadtuhe verbinden, damit der Blutverluit Dih nit ohnmächtig macht, denn das Waſſer macht das Blut nod) ftärker fliegen.

Hierauf verband Pußtafi die Munde feine Freundes mit feinem Sadtude.

Du müheft did) vergebens mit mir ab, ſeufzte Robert; mein Schiedjalijt beichlofien.

40: =

Sei nicht kleinmüthig, entgegnete der Dichter. Sobald die Naht anbricht, nehme ich Did auf meine Schultern und wate mit Div durd) den Moraft.

Zu welchem Zwecke? Es tft ja Alles zu Ende!

Wit doch! Die Sonne geht eben jo oft auf, als fie untergeht ; fie verlinkt nicht in ewige Naht. Wir werden noh manderlei zu ſchaffen haben dort oben.

Mit mir werden nur die Würmer zu ſchaffen haben dort unten.

Sprich doch nit jo, Robert; wenn ich jage, dab ih heute Alles verloren habe, jo rede ih die Wahrheit, Dir aber ift noch Etwas geblie- ben. Du daft ein Weib.

Robert jeufzte tief.

Ein ſchönes, waderes und junges Weib, ſetzte Pußtafi fort... .

Darauf verfielen Beide in tiefes Schweigen.

Nach langem Schweigen hob der Eine wie— der an:

Heute hab' ich noch ein Weib, morgen wird ſie Witwe ſein; ſo ſteht es in den Sternen geſchrieben. Sieh, wie die Wellen um uns ſich roth gefärbt; das iſt mein Blut.

Hierauf ſchwiegen ſie wieder eine Weile.

Nur Eines quält mid, ſprach er dann weiter ; fie wird nicht einmal willen, daß fie Witwe

Andere Zeiten andere Menſchen II Ban 4

us. Ye

geworden. Jahrelang mird fie das Trauerkleid um meinetwillen tragen, ohne dasjelbe oder mei- nen Namen ablegen zu dürfen. Sie wird bis zu ihrem Tode an einen Todten gelettet fein.

Schlag' Dir jolde Dinge aus dem Kopfe.

Blos diefe Sorge quält mid. Wie fie mic) juchen wird; wie fie das ganze Land durch— ziehen, Thal und Hügel fragen wird: mo ift mein Mann? Ah, wie unendlid) liebten wir ung!

hr werdet Eud) treffen.

In dieſem Leben nicht mehr. Ich fühle, wie meine Kräfte immer mehr abnehmen. Bor meinen Augen dunkelt's; ich jehe überall dunkle lee. Sch fühle meine Bruft fürchterlich beengt. Freund, ih muß hier fterben.

Wenn Dein Leib Ihwad ift, To laſſe Deine Seele ftark jein.

Zu jpät! Höre, was ih Dir jest lage... Es wird Nacht werden; Du wirft dann frei, id) aber fterbe. . . Bleibt Dir jo viel Zeit, um eine Gruft auszuhöhlen, jo begrabe mid. . . Am Finger babe ih einen Ring, in der Mitte ift ein Opal, in dem Opal ift ein jchwarzes Kreuz... es ift mein Trauring. . . . Ich befam ihn von meiner rau am Trauungdtage. ... . . Ziehe ihn von meinem Finger und verwahre ihn bei Dir... . . Wenn Du fie dann einmal im Le— ben findeft, jo übergib ihr die Reliquie Gib

an hl,

ihr den Tag an, mann id geftorben, und jage ihr, wo ich begraben bin... . Beriprihft Du mir's?

Das Geſicht Robert's war todtenbleich. Er mußte ihm das Verſprechen durch einen druck geben.

Die Koſaken kehrten aus dem Moraſte zu— rück; weiter konnten ſie nicht vordringen.

Tauchen wir raſch unter das Waſſer, füfterte Pußtafi Robert zu. Sie nahmen wieder das Rohr in den Mund und taudhten unter. Die Koſakentruppe kehrte lärmend zurüd, und verlieh das Röhridt.

Pußtafi ftedte behutiam den Kopf an die Dberflähe und jhaute ihnen nah. Da nahm er mit Bejorgnig wahr, dag Die Kojaken, jobald jie auf feftem Boden waren, von ihren Pferden ſpran— gen und ſich anſchickten, in der Nähe zuübernachten.

Und nun zünden fie gar Feuer an, um die wohlthätige Finfternig zu vertreiben, auf welche die Flüchtlinge rechneten; in einer Entfernung bon faum einer Schußweite fladerte gleichzeitig auf drei Seiten das Wachtfeuer auf; die Flücht— linge müſſen entvedt werden, ſobald fie ihren Verſteck verlaffen.

Eine Truppe war jo nahe, daß man ihren Vortftreit hören konnte. Sie theilten unter fi die Beute. Man konnte bei dem Schein des Feuers

4*

ſehen, wie fie mit einander ftritten und feilichten. Zwei, Drei ließen ſich auf einen ausgebreiteten Mantel nieder und jpielten Karten um unbe: kannte Geldnoten. Einige find bei guter Laune und fingen, Andere tanzen, Einer von Ihnen figt auf feinem Pferde unbeweglih, das Geſicht gegen den Morait gelehrt, in der Hand die lange Lanze. Dies ıft die Wache.

Den jungen Leuten war das Entlommen unmöglich gemacht.

Und die Kraft Robert's war völlig zu Ende Pußtafi mußte ihm den Kopf ftügen, da— mit er nicht unter das Waſſer taude.

Verſuchen wir unfer Glüd, flüfterte ihm Pußtafi zu. Wenn fie friiches Rohr in's Feuer werfen, dann wird es auf furze Zeit Dunkel; klammere Dich an meinen Hals und id werde raſch mit Dir fliehen. | Ich kann nicht. . . Trag' mich nirgends

J Laß' mich hier ſterben. Du mußt Dich retten, damit Du meinem Weib Nach— richt bringſt. Du darfſt nichts wagen. . . . Haft es mir verſprochen. . . . Wenn wir ung rühren, bemerken fie uns ich mag nicht in ihre Hände fallen, nicht einmal todt. Verſtehſt Du mich? nicht einmal todt. . . . LXieber ‚hier unter den Kröten. . . . Und doch wie falt iind fie, wie häßlich!

53

Immer näher rücken fühlte Robert ſeinen letzten Augenblick und durch den ſchrecklichen Ge— danken an den ſicheren Tod zitterten ihm die Licht: itrahlen zweier Erdenbilder durch: Das Heldenbe— wußtiein und die treue Liebe.

Vielleiht träumt fie jeßt von mir, jeufzte er leiſe und lächelte dann. Vielleicht fteht fie jet vor dem Deiligenbilde und nennt meinen Namen.

Bielleiht werde ich nod) in dieſer Stunde vor ihrem Ruhebette Stehen, wie fie es wünſchte aber bleich un wortlos und von dem Kuſſe, wel: er ihre Wangen ftreift, wird fie vielleiht Schau— dern erfaſſen. . . D, mein Freund, vergiß nicht auf Den Ring.

Zu den Schrednfjen der Naht geieliten fi) nody andere, während ein Theil der Koſaken Würfel ipielte um die Beute, fiel ein anderer Feind über die nadten Leihen her. Die Wölfe hielten ein reiches Leichenmal.

Der Sterbende jprady zu jenem Freunde !

Freund, halte Dein Verſprechen und bearabe mid... . . Begrabe mid, damit ſie mich nicht finden: weder dieſe noch jene... Weügen fie mich nicht von Geſtrüpp zu Gejtrüpp ſchleifen. . . Mögen ſie niht ihr Spiel mit mir treiben. . . Der Schwertftreic that nicht Sehr wehe, aber die Liſt und der Spott... dieſe brennen fürdterlid.... Begrabe mid) tief... Womit wirft Du die Gruft

=: BE

graben ? Haft Du nod Dein Schwert ? Das ift ſehr gut... . Schneide mir eine Locke ab und lege fie zu den Ring.

Pußtafi ſuchte feinen fterbenden Freund zu tröften.

Sieh, ſagte Robert leife, am Himmel dämmert e3... Nicht wahr, das ift der Morgen- ftern? Sieh, wie er immer näher kommt. . .. Siehft Du, wie ih Dir immer fagte, die Sterne find lauter ſchöne Menihengefihter. . . Dieſes Geſicht fieht dem ihrigen Ahnlih ... bald werden wir beilammen fein... dann... vergiß nicht auf meinen Ring. !

Ploͤtzlich knallten Schüffe, wilder Lärm, Flüche, Heulen und Pferdewiehern wurde laut; einen Xrupp hungriger Wölfe durftete nach war— mem Blut und er überfiel die Kofaken. Die auf: geiheuchte Truppe verjagte durch heftiges Flinten- feuer den neuen Feind.

Diefer Angriff hatte aber den Nuken, daß die Kojafen fih meiter vom Roͤhricht ent: fernten.

As Pußtafi dies bemerkte, nahm er feinen Leidensgefähten auf die Schulter: und ging mit ihm aus dem Waffer. Der Weg war beichwerlid genug, der Boden wankte überall unter feinen Fügen. Eine alte Weide war das Biel, weldes er erftrebte. Ber dem Baume angelangt, nahm er die Bürde von feinen Schultern, lehnte den

55 ——

Kopf Robert's an den Baum und ſagte dann er— muthigend: Robert, wir ſind in Sicherheit.

Robert antwortete nicht, denn er war geſtorben. | Pußtafi legte die Hand auf das Herz des Freundes; es hatte aufgehört zu Ichlagen. Seine Augen waren noch offen, aber gebrochen ; die Glieder fteif, die Haut Falt. -

Die Kartätiche hatte ihm den Schenkel zer- ſchmettert und Robert verblutete im Wafler.

Der Dichter drüdte feinen Freund lange an's Herz, er Sprach zu ihm von fchöneren Tagen, von feinem ſchoͤnen Weibe; er gab feine Ant: wort mehr.

Dann begann er ihm zu erzählen, wie er ihn begraben werde.

Sei unbejorgt, mein alter Freund (fo nannten jie einander, als fie noch jung waren: noch geitern), ih werde Did) fo begraben, daß weder wilde Beftien, noh häßliche Würmer, nod) die biel ſchlechteren und häßliheren Menſchen Dich finden werden. Sie werden nicht mit gierigem Zahn über Dich herfallen ; fie werden nit Deinen blu- tigen Kopf als Trophäe umherſchleppen. Sch be- grabe Di, wie man die römischen Helden zu be- graben pflegte: in Feuer und Flammen. Die Atome Deines Körpers werden Dir nahfolgen in die Luft; jelbft, was Irdiſches an Dir, wird zum Geifte werden. Du wirft eine ſchöne Be—

ftattung haben, die praſſelnden Flammen werden eriegen den Trommelwirbel, den Geſang und die Meile; der Ihwarze Rauch wird Dein Leihentuh fein und Millionen Funken werden Dir das Ge: leite geben. Niht der Schoß diejer fluchbelade— nen Erde, jondern die Luft ſoll Deine irdiiden Reſte aufnehmen. Es wird feine Kothſchichte über Div liegen, auf des Windes Flügeln werden die Stäubhen Deiner Aſche ſich zum Sonnenlicht erheben. Alter Leidensgenoffe, ih beftatte Dich in dein Himmel!

Der Dichter zog hierauf dem Leihnam den oft erwähnten Ring vom Finger und ftedte ihn an den eigenen Finger. Dann ſchnitt er ihm eine Locke ab und verbarg fie in feinem Bujen.

Sodann nahm er die Leihe und jiellte jie in die Höhlung der alten Weide. Die Höhlung war gerade fo weit und gro, dag die Leiche jie ausfüllte.

Noch einmal küßte er dann das Geſicht des geliebten jungen Mannes, und umgab hierauf den Baum mit einer von den Rohrpyramiden, welche auf der Anhöhe zum Trocknen aufgeſtellt waren.

Der Holzſtoß iſt fertig, nur angezündet mußte er werden, dann mögen wilde Beſtien, dann mögen Wolf und Adler kommen.

Allein, um den Holzſtoß anzuzünden, iſt Feuer nöthig; mer aber vom Abend bis Mitternacht

im Waſſer gelegen, der ſucht wohl vergeblid) ſein Feuerzeug.

Doch es war Feuer in der Nähe. Noch glimmten die Wachtfeuer an dem Sumpfufer. Bon dort liege fih Feuer holen.

Der Dichter entſchloß fih dazu, Feuer zu ftehlen in der Naht, im Angefichte des lauſchen— den Feindes! Und doch mußte es fein.

Er verbarg sein gezüdtes Schwert unter jeinem leide, damit esniht im Feuerglanz ſchim— mere. Dann machte er den Weg zurüd.

Als er fih dem erjten glühenden Punkte näherte, jchien es ihm, als ob fid) vor dem euer von Zeit zu Zeit dunkle Maffen bewegen würden, er konnte jedod im Halbdunfel nicht ausnehmen, was für Geftalten es ſeien.

Mit gefteigerter Vorfiht ging er weiter, die Ihwarzen hpüfenden Gegenftände waren lebendige Seftalten, aber feine Menſchen.

Die Wölfe lieben das Feuer niht. Jedes wilde Thier jheut fih davor. Damit das Feuer niht in der Nähe ihres Schmaufes brenne, bade- ten fie fih im Waſſer des Moraftes und ſpritz— ten dann das Waller auf die Glut. Zwei der Wachtfeuer hatten fie auf diefe Weile ausgelöſcht. 3 die Beitien menſchliche Schritte hörten, zogen fie fih vom Feuer zurück und heulten aus der Ferne dem Herannahenden entgegen. Pußtafi hielt einen Zunder aus zufammengedrehtem R-hr

38 in der Hand und ſteckte ihn in die Glut. Der Zunder fing Feuer.

Das war ein ſchlechter Verſuch.

In dem Augenblicke, als die Flamme auf— flackerte, ertönte das „Halloh‘ des Vorpoſtens,

der in einer Entfernung von hundert Schritten ſtand.

Pußtafi duckte ſich raſch nieder, zertrat den Zunder mit den Knieen und antwortete auf den Ruf des Vorpoſtens mit einem Heulen, das dem Geheul der Wölfe gli.

Die Wachen glaubten, e3 feien wieder Wölfe beim Feuer und fümmerten fid) nicht weiter darum.

Auf ſolche Weile war es alfo nit mög: lich, das Feuer fortzutragen.

Seine Zigarren waren fämmtlih durd: näßt, ſonſt würde er eine derjelben angezündet haben; da gerieth er auf einen andern Einfall. Er widelte Rohrblätter wie eine Zigarre zuſam— men, zündete fie an und nahm fie zwiſchen die Lippen.

Dann kehrte er zur Weide zurüd.

Er mußte die Zigarre rauhen, damit fie nicht verloſche, anfachen durfte er fie nicht; der abiheulihe Rauch löfte ihm die Haut bon den Lippen; aber die Zigarre glimmte noch, als er bei dem Baume anlangte.

59

Bei dem Baume angelangt, nahm er mit Schrecken wahr, daß die Rohreinfaſſung zerſtört war; die Wölfe hatten fi durch dieſelbe einen eg zu der Baumhöhlung gebahnt. Einige junge Wölfe liefen davon, als Pußtafi nahe fam; ein alter Wolf aber ftellte fi ihm entgegen und machte ihm das Terrain ftreitig.

Eine menihlihe Stimme durfte nicht laut werden.

Pußtafi rannte mit zuſammengepreßten Lippen, mit Funken ſprühenden Bliden auf die Beftie zu, die mit gekrümmtem Rüden und flet- ihenden Zähnen ſich dem Angreifer entgegenftellte.

Pußtafi empfand ſo tiefen Abſcheu vor der Beſtie, daß er nicht zum Schwerte griff, ſondern ihr mit dem flackernden Rohrbüſchel an die Schnauze ſchlug. Der Angriff nützte. Der Wolf wartete den zweiten Gruß nicht ab, ſondern rannte davon.

Nun ſtellte Pußtafi zuerſt ein Rohrbüſchel auf und zündete es oben an, damit es als Leuchte diene.

Dann legte er wieder das Rohr um den Baum und zündete es an.

Die Flammen ſchlugen hell auf, ergriffen die Aeſte und Zweige der alten Weide, und in kur— zer Zeit ſtand der ganze Baum in Flammen.

———

Das Feuer vertilgt ſchnell; kein Menſch hätte mehr dieſe Flammen erſticken können der Dichter konnte beruhigt weiter gehen. War doch ſein Weg ſo eilig!

Um durch das Roͤhricht zu dringen, das er— fordert mehrere Stunden, es wird Tag und das Sonnenlicht gehört nicht mehr dem Flüchtigen.

„Freund! Du haft ein ſchönes Begräbniß. Gott mit Dir!“

Der Baum brannte bis zum frühen Mor— gen in der ruhigen, ſtillen Nacht und flackerte ge— gen den Himmel auf wie Abel's Opfer.

Mitten auf dem großen, geſchwärzten und mit Aſche bedeckten Herde ſtand der verbrannte Baum; die ruſſige Höhlung glich einer Aſchen— urne; darin lag eine Handvoll Aſche, die ſich von der Farbe der Blätter- und Holzaſche un— terſchied.

Dieſe braune Aſche war Robert Zeleji, der Jüngling, den die Frauen ſo geliebt, den die Freunde ſo geſchätzt, den das Volk in Liedern beſungen, den der Ruhm auf ſeinen Fittigen trug. Wer ſollte ihn hier wohl auffinden? Wer ſollte dies wiſſen?

Und wenn nun aud der flüchtige Leidens— gerährte ſpurlos verſchwindet mit jammt dem Ringe? Und wenn dann nah Fahren die milde Brombeere in der Baumhöhlung waͤchſt, ihre

Saas ———

Wurzeln weit hinausſendet und Kränze windet über den mooſigen Boden?

Und wenn die verzweifelnde Witwe auch dann noch im Traume ſich nach ihrem Manne erkundigt kann ihr da nicht die menſchenquä— lende Traumfee ſagen: „Dein Mann, er weilt jetzt noch auf der Erde und windet ſeine Kränze?,

Pußtafi aber kam niemals zu Seraphine. Er verſchwand ſpurlos; man wußte nicht, wohin er gekommen, wo und wann die Erde ihn ver— ſchlungen.

Die Gattin.

Auf dem Rüden des Arader Weingebirges fteht eine Burgruine, die „lucus a non lucendo“ heißt.

Unter der Ruine befindet fi ein Kaſtell; im Garten des Kaſtells ift eine jhöne Laube; in der Laube fteht ein weißer Marmortiſch; an dem Ziihe fit Bela Laͤvay ganz allein.

Im Garten, im Schloffe, im Hofe, draußen auf der Gaffe, im ganzen Orte und felbft auf den eldern ringsum war ein Heer von Gäften. Nie ſah dieſes Schloß jo viele Gäſte beifammen, jelbft nicht zur Zeit des berüchtigten Kochs, den der Onkel des Königs Mathias hielt.

Und Jeder der Gäfte ift mit einer jehr eigen: thümlichen Arbeit beihäftigt, ernfte Männer flü— ftern geheim mit einander ; Frauen mit verweinten Augen drüden einander die Hände, ſprechen ein Wort und gehen weiter; Wagen kommen und ver- ſchwinden; mand antommender Gaft flüftert jei-

PER: ;- WERE

nem Kutſcher etwas in die Ohren, zieht die Börje und übergibt ihm fie ſammt dem Anhalt, drüdt ihm die Hand und ſchickt ihn fort. In dem Zim— mer verbrennen ernite Männer verihiedene Do— fumente zu Aſche; Andere jcheeren fih Haar und Bart ab, ohne das Jemand über die entitellten Gefihter lachen würde; nod Andere figen oder liegen unbeweglih, als wäre ihnen alles Fühlen abhanden gelommen, während ein Anderer un- ruhig auf- und abgeht, als ſuchte er einen Aus— weg aus diejer Welt. Dann ertönt ein Rlirren : Jemand hat jeinen Säbel zerbroden,; ein dum= pfer Knall wird hörbar: vielleiht bat Jemand fich erſchofſen.

Auch Bela war unter den Gäften. Er ſuchte ih ein einfames Pläkchen, um zu jehreiben.

Die romantiihe Keine Laube war dazu ge— eignet.

Er jhrieb einen Brief mit Bleiftift auf ein Pergamentblatt jeines Portefeuilles.

‚Meine liebe Judith!

Ueber mih wird fein Tag mehr anbre- hen. Du weißt, id) habe feine Urfache, länger zu leben. Wenn Du meine Zeilen liest, bin ic) ju dem geworden, mas mein Shidjal: zu Staub. Ich anerfenne es, daß ih mih an Dir berfündigte, al3 ih Dein Los an ein foldes Mißgeſchick, wie das meinige, knüpfte; Deine El— tern haben Dich vor mir gewarnt und ſie hatten

Recht. Aber ich mache meine Fehler gut: ich ſter— be. Ich erlöſe Dich von meinem Fatum, das mich verfolgt. Deine künftigen Tage ſollen nicht durch des jammervolle Leben eines Gefallenen vergiftet werden. Niemand und Nichts bedarf meiner mehr im Leben. Ich ſchließe meine Zeilen mit dem beruhigenden Gedanken, daß Du mir verzeihſt, Dich mit mir verſöhnſt, ohne mich zu vergeſſen. Und wirſt Du einſt ſo glücklich ſein, als ich es in dieſer letzten Stunde wünſche, ſo wirſt Du mich noch achten, wenn Du mich nichtmehr liebſt. Meine Seele, mein Segen umgeben Dich auf Tritt und Schritt...

Dein über das Grab treuer Bela.“

Als er das letzte Wort geichrieben hatte, griff eine weiße Frauenhand von rüdwärts ın das Vortefeuille und riß das beihriebene Blatt heraus.

Bela erfaßte überrafht die weiße Hand und jhaute zurück. . . Die weiße Hand war die Hand Judith's.

Er iprang von jeinem Sige auf, ſank ihr zu Füßen, umarmte und fühte fie und frug dann:

Wie kamſt Du hieher?

Haſt Du nicht ſelber mich hieher be— ſchworen, ſprach Judith und zeigte auf das Blatt. Weißt Du nicht, daß, wenn Du den Tod anrufſt, ich um eine Minute früher komme?

er Ba

Bela konnte fi nicht länger des Wei- nens enthalten. Wie jollte er die Thränen zurüd- halten können, der fo jehr geliebt war und fo viel Glüdjeligkeit in Nichts zerrinnen jah ? | Wie lonnteft Du zu mir kommen ?

Auf wunderbaren Wegen. Später werde ih Dir's jagen. Unter taufend Gefahren, Wag⸗ niffen und fühnen Verſuchen; der Inſtinkt meiner Seele leitete mid; über mir waltete Gott.

Um marım famft Du? Du weißt doch, daß bier das Shidjal zu Ende ift.

Warum ih kam? Weil id ſah, daß Dein Geſchick fih zum Schlehten wendet, daß Alles verloren ift. Nichts habe id) mehr, außer Dir; Dich muß id befreien. Es iſt die Aufgabe meines Lebens.

Gott hat ſie mir auferlegt und ich unter- ziehe mid) ihr. Sch wußte, was Du thun- wirft, wenn e3 zum Acußerften kommt. Du wilft Die tödten. - Deshalb kam ih, um mid -zwilchen Deine Hand und Dein Herz zu ftellen. Seht ge— hört Dein Leben nit mehr Div; Du haſt es weggeworten, hier dieſes Papier beweift es; ic) nehme e3 auf und es gehört jekt mir. Ich jehe Nichts ... feine Gefahr, feinen Verluſt, nicht mein, nicht anderes Leiden ; ich jehe blos Dich) und Did allein ; id) ergreife Deine Band. und lafle jie niht mehr los.

Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Band. ' 5

BE

Was willft Du aber ? Iſt es denn mög: Ä Lid), länger zu leben? rief Bela aus.

O, io weit denke ih nit. Ich dente nur von einer Minute auf die andere. Was aus uns wird? wie wir weiter kommen? wo wir ftehen bleiben ? was dann geſchieht? ... ih weiß es nit. Aber ih denle ja jeden Augenblid daran, und jeder Augenblid gibt mir einen neuen Gedanken ein. |

Du millit alio, daß ich fliehen ſoll? ich ?!

Ich will, daß Du mir folgft, wohin id gebe. |

Feige? zufammengedudt ?

Nicht doch. Nur inkognito. Ich habe Wagen und Pferde gekauft; Du kleideſt Dich als Kutſcher. Wie ich hieher kam, werde ich auch wei— ter kommen, dazu hilft nicht Feigheit; ſondern Muth. Dder Tollteft Du es für eine größere Hel— denthat halten, wenn ein Mann fi) eine Kugel durch den Kopf ſchießt, als wenn ein Weib durch Naht und Sturm, auf Shleihwegen, ganz, allein duch feindlihe Lager zieht, ein halbes Land durchſtreift, um den Geliebten zu finden ?

Die Frau drüdte bei diefen Morten jo heftig den Arm ihres Mannes, daß er ihn nie= derfinfen ließ.

Sage id Dir etwa, daß Du feige fein folft ? jekte fie in vorwurfspollem Tone fort. Ich ſage Div blos: Bleibe bei mir. Und ift es

u. BE

unmöglib länger zu leben, it feine Rettung möglih, und ift der Tod unvermeidlich ... num, jo will id dabei ſein!

D,ih weiß dies, und eben dies ſchmerzt mich.

Sei ein Mann, Bela, ſei ſtark, wie id) «3 bin ; nicht Derjenige. ift ftarl, der mit dem Leben bricht, wenn er es verachten gelernt, jon= dern Derjenige, der fi erhebt, wenn das Schick— jal ihn niederdrücdt. Wir werden das Leben von Neuem anfangen, ganz bon vorne. Wir werden Die glänzenden Bahnen verlaffen, auf welchen wir bisher. gewandelt, und wir werden. unjer Brod mit unjerer Hände Arbeit verdienen. Wir ziehen uns in einen Winkel des Vaterlandes zu- rück, wohin nicht einmal die Kama fih verirrt und wir werden den Boden bebauen. Ich liebe Die Arbeit, und bift Du an meiner Seite, jo fehlt es mir an Nichts; jedes Brod ſchmeckt mir gut, ſehe ich nur Dih neben mir, Fühlſt Du nit jo? Einft ſagteſt Du mir, ich fer für Did eine ganze Welt; nun haft Du eine ganze Welt verloren; was bin ih Dir jegt?

1Die ganze Welt! feufzte Bela und ſchloß die theure Frau an die Bruſt, die Frau, deren Liebe höher ift, als der Sternenlauf.

Du wirft alfo mit mir fommen, tief fie freudig erregt.

Mit Dir überallbin.

5%

——

Wirſt Du mir in Allem gehorchen und vertrauſt Du Dich mir an?

Ich lege die Kleider Deines Dieners an und ich diene Dir treu wie ein Sklave.

Wirſt Du den Muth haben, nad einer glänzenden Vergangenheit einer düfteren Zukunft voll Refignation entgegenzugehen ?

Habe ih ihn nicht, jo wirft Du mir ihn einflüßen. Ba

Gut; ih glaube Dir. IH glaube Dir, da Du mih nicht betrügen wilft, mid) nicht durch jcheinbare Nachgiebigkeit täufhen willſt. Sprich mit Niemandem, komme ſofort mit mir. Im Thore wartet mein Wagen. Sobald wir in's Freie kommen, kannſt Du die fremden Kleider anlegen. Dann vertraue Dich mir an. Die zwin— gende Nothwendigkeit lehrte mich, ſchlau zu ſein. Nur vergiß auf Eines nicht. Alles, was Dich be— trifft, Freude und Kummer, Glück und Unglüd, - gehört zur Hälfte mir. Was Du mit Dir thuft, das thuſt Du auch mit mir. Wenn Du frei wirft, befreieft Du’ auch mich; wern Du fälft, faleih mit Dir; wenn Du in Verzweiflung ftürzeft, zieht Dulauh mid mit Dir. Fürdte Nichts. Schande werde ic über Deinen Namen nit bringen, Fund follte das Schidjal uns mit feinen Netzen jo umipinnen, daß feine andere Wahl bleibt als Kopf oder Herz, jo wäre ich es, die Dir Sagen würde: „Mein Gemal, e3 gibt

5—

noch einen dritten Weg; Paetus, das Meſſer thut nicht wehe!“

Béla zog begeiſtert dieſes Ideal Arria's an die Brüft, und in dieſer fürchterlichen Stunde der Verzweiflung fühlte er fi) glüclicher als jemals.

... . Glaube und Hoffnung breden zujam- men und erjterben, aber die Liebe dauert fort und. überlebt die verichwifterten Genien! . .

Auf der Gaſſe ftand ein leihter Wagen, in welchem Judith gereijt war.

Es war ein Leichtes, unbemerkt ſich zu ent- fernen. Achtzehnhundert verſchiedene Fahrzeuge ftanden als Wagenburg neben einander; wer kümmerte ſich darum, wenn einer verſchwand.

Im Freien angelangt, ſtieg Judith's Kutſcher vom Wagen und übergab Béla die Zügel. Er fagte ſeinem Herrn, wie er ſich zu benehmen habe, wenn er als Kutſcher gelten wolle. Den Schnurrbart müſſe er tüchtig wichſen und die Pfeife mit dem kurzen Rohr in den Mundwinkel drücken; er müſſe Branntwein trinken, damit er eine heiſere Stimme befomme, und wenn er im Wirthshaufe Etwas verlange, müfle er ftark ſchreien. Wenn er in der &järda oder im Stalle mit einem andern Kutiher zuſammenkommt, dürfe er nicht zurüdhaltend fein, aber er dürfe ihn auch nit traftiren;. wenn er mit der gnädigen Frau ſpricht, müfje er den Hut ziehen; fo oft fid) die geringfte Gelegenheit bietet, Tolle er laut und

a

heftig fluchen; die Pferde dürfe er vor der Füt— terung nicht tränfen, zuerit gebe er ihnen Heu, dann Hafer; das eine Pferd heiße Giillag, das andere VBidam; er möge fie beim Anipannen nieht verwechſeln, ſonſt gehen fie ſchlecht; mit der Beitihe dürfe er blos den Baud) des Pferdes figeln, denn wer das Pferd auf den Rüden Ihlägt, der zeigt, daß er noch fein rechter Kutſcher ift.

Mittlerweile hatte Bela die Kutſchertracht angelegt; das glänzende Koſtüme Bela’3 verbarg Judith in dem Wagenkoffer; der Kutiher über: gab Bela die Peitihe und die Pfeife. Diefer wendete fih nun gegen Judith und fragte mit heilerer Stimme:

Rohin fahren wir, gnädige Frau ?

Nur vorwärts!

Der Wagen braufte dahin, der autſcher tief ein ‚„Lebewohl“ nad, und ſchaute lange mit prüfenden Blid, ob der junge Herr gut zu kut— Ihiren verſtehe. Er ſchüttelte bedenklih den Kopf und ging dann weiter; ohne Zweifel hatte er viel einzumenden.

zo nun ? | Im Weiten und Norden ſtanden ruffiihe Armeen; tm Diten unbelannte Gebirgswege, die in das Innere dverrufener Wälder führen, wo ein trogiger Volksſtamm wohnt, fremd an Sprade und fremd im Herzen, Ringsum Gefahr !

Die. Landſtraße führte gegen Norden.

Zwei Stunden ſchon rollte der Wagen und noch trafen die Reifenden feine menihlihe Seele, die mit ihnen in gleihe Richtung gezogen wäre. Kam ein Wagen, jo fam er von der entgegen-= gejetten Seite und auf Seitenwegen.

Auf den Gelihtern der Entgegenfommenden lag die Angft deutlih ausgeprägt. Alle famen mit raſender Eile herangeftirmt, und Feder Ihaute verwundert die Reilenden an, al3 ob man fie fragen wollte, warum jagt Ihr denn in Euer Verderben ?

Unter den Zurüdichrenden zeigte ſich manch ‚befanntes Gejiht, man fand es jedoh nidt an der Zeit, die Belanntihaft zu erneuern; raftlos jagte man aneinander vorbei.

Immer mehr Wagen kamen unjern Rei- jenden entgegen; faum Hatten jie mehr auf der Landitrage Platz. Bela war oft gezwungen an— zubhalten, damit er nicht mit einem entgegenfom= menden Wagen zujammenftaße. |

Noch Niemand jagte ihnen, wovor man fi flühte und fie fragten auch Nientanden.

Almälig wurden’ die anfommenden Wagen jeltener, deſto heftiger jagten fie dahin.

Plöslih rief aus einem bevedten Wagen eine Stimme hervor: „Snädige Frau, Judith!“

Judith jah erihroden in das Geſicht, wel: ches aus dem Wagen hervorlugte. . . . Es war

Baͤrſing.

2

Zurüd, zurüd! tief Bärfing. Die Kofalen fommen. | Dela blickte zurück und Bärfıng erkannte ihn ſogleich.

Servus, Bela, rief er; dorthin dürft Ihr nicht fahren. Kehret um.

Judith blidte mit ftrenger Miene. auf ihren Kutſcher und rief im befehlenden Tone:

Darum bleiben wir auf der Straße ſtehen? | |

Bir find verloren, flüfterte Bela, diefer Menſch hat uns erkannt. J

Vorwaͤrts! befahl Judith.

Bela trieb die Pferde an.

Baͤrſing rief ihnen noch einmal nach, fie mögen doch nicht in jener Richtung fahren, fie würden das ganze ruſſiſche Lager auf dem Wege finden. Als er aber jah, da Jene nicht zurüd: tehren wollten, da wollte er feinen Kutſcher zur Umkehr bewegen. | Dieler Kuticher war aber Herr Andreas

Kapor. |

Er kam aus der oberen Gegend mit feinem Wagen hieher; ein Pferd hatte er auf der langen Fahrt bereits eingebüßt. Er führte die Kaffe, welche Bärfing bewachte.

Kehren wir um und jagen wir ihnen nach.

Herr Kaͤpor ſchob den Hut von der Stirne,

um dem Manne beffer in's Geſicht jehen zu Innen.

Sollen wir zwiſchen die Kofalen hinein fahren ? . | Haben Sie jene Frau und ihren Kut— ſcher nicht erkannt ?

Nein. IH habe fie nie gejehen.

Der Kutſcher ift Bela Laͤvay, die Frau, deflen Gattin.

Ich kenne fie nit. Und was geht's mh auch an. Weshalb jollte ih ihnen nach— jagen ? |

Weil id) die Beiden retten wil.

Der umgekehrt, nicht wahr? Gie ſcheinen mir ein ſehr falſches Tuch zu fein; nie babe ich noch einen aus fo vielen Hölzern ge= ſchnitzten Menſchen gejehen.

Verſchont mich mit Euren Grob— heiten.

Iſt es Ihnen nicht recht, ſo ſteigen Sie bon meinem Wagen. Ih führe die Kaſſa, und der Herr hat mid) während des ganzen Meges mit allerlei furiofen NRathihlägen verſucht. Wir jofen die Raffa in irgend einen hohlen Baum veriteden, da ohnehin ſchon Alles verloren jet. seht wollen Sie wieder, daß wir zwiſchen die Koſalen fahren, um irgend ein fhönes Weib zu retten, oder zu verfolgen. Fürchten Sie für dieje. Beiden Niht3, die werden ſchon mit ihrem leichten

Wagen durchkommen, uns wird man aber ſammt der Kaſſa gefangen nehmen.

Bauer! rief der goldbeſchnürte Herr, all’ jeine Autorität zufammenraffend jetzt befehle ih Dir, zu gehordhen.

Mir? frug Käpor in ruhigem Tone.

a Dir, ſonſt ſchieße ih Dich nieder.

Kaum hatte er jedoch Diele Drohung aus- geiproden, al3 er auch ſchon auf den Boden lag; Käpor hatte ihm mit feinem Ellenbogen einen Stoß verjegt, dak er vom Wagen bis an den Rand des Grabens follerte ; bevor er fi da aufraffen konnte, war der Wagen Kuͤpor's bereit3 in der Ferne verihmwunden. Bärfing hinkte nun zu den nädjtfolgenden Wagen, bot viel Geld, wenn man ihr zurückführen molle, mußte ſich aber damit begnügen, daß man ihı führte, wohin man eben wollte.

Sy mußte er abermals jenen Feind ent- ihlüpfen laffen, deffen Untergang er zuverſichtlich gehofft. Dieſer Feind wird fi retten, es ſteht ihm ja eine Frau zur Seite, die für ıhn Wunder zu wirfen im Stande ıft!

Der Wagen Judith's fuhr langjam die Straße entlang.

Einem einzigen Fuhrwerk begegneten ſie noch; diejes mit vier Roffen beipannt, jagte mit ralender Eile, als wären die Pierde ſcheu ge= worden. |

u. IE a

Im Wagen ſaßen zwei Damen und ein möltjähriger Knabe. Ihre Gefihter waren bleich, Ihre Lippen blau vor Shred. Sie wurden von den Koſalen verfolgt, welche nach ihnen geihoflen hatten; der Knabe zeigte das Loch an feinem hute, welches eine Kugel geriffen, und die Lende des einen Pferdes blutete. Die Koſaken blieben at am Saume des Waldes zwüd.... Sie tonnten ihre Rettung nur der Schnelligfeit der Pferde verdanlen. Zuruͤck, zurück!“ die Damen! .

Nur vorwärts! befahl Judith im feſten Tone, und die beiden Wagen jagten davon, der eine nad Süden, der andere nad) Norden.

Es naht alic der Keind, deſſen fürdterlicher Ruf von der Seine bis zum Amur, und bon der Behringsſtraße bis zum Golf des goldenen Horn die Herzen mit Schreden und Grauen erfüllt:

Die Kolafen kommen!

Der Feind, mit dem Niemand in dieſem Voterlande zu Sprechen verftand, der für die Klagen d er Flehenden fein Verſtändniß hatte, der die eroberten Städte in Brand ſteckt und den Säugling an der Mutterbruft ermordet. Der Feind, der die Verwundeten auf dem Schladt- telde tödtet und die Gefangenen taufend Meilen weit in den Außerften Norden fchleppt; der ber:

u Mi ai

tifgt, wo er fiegt, und Leichenfelder ſchafft auf Schritt und Tritt. Und was ſchlimmer als Tod und Verheerung: der Feind, der neben der Waffe die Veitihe in der Hand Hat und nicht nur. tödtet, fondern auch jchlägt! Denn niht der Shwertftreih, ſondern der Knutenihlag iſt es, der niemals verhariät.

Und diefem Feind galt es entgegenzus fahren.

Nur ein Wald barg die Reifenden vor ihm.

Am Rande des Waldes angelangt, brachte Bela die Pferde zum Stehen und, zu feiner Frau gewendet, ſagte er: |

Judith, ich bin auf Alles vorbereitet, nur auf Eines nicht, darauf nicht, daß mir in Deiner Gegenwart Schmach angethan werde, Wenn ein Mann vor den Augen feiner Frau geihlagen, oder eine Frau vor den Augen ihres Mannes gelüßt wird... das ift mehr als der Tod.

Ich weiß e3, antwortete Judith.

Und darauf zog fie eine Piftole mit dop— peltem Lauf aus der Taſche.

Gei ruhig. Ich fie Hinter Dir. Be— vor es geſchehen könnte, daß der Feind mid füßt oder Di ſchlägt, hat der cine Schuß Did, der andere mich befreit. Die Piftole ift in guter Händen, fürdte nichts, fie zittern nicht. Ich werde Di und mich zu tödten willen. So. fei Gott meiner Seele gnädig. . . |

——— Ich danke Dir, ſagte Bela und drüdte Die Hand feiner Fran.

Und nun umarme mid, küſſe mie,

Bela neigte fih zurüd, jeine rau um— Ihlang ihn mit ihren Armen, und in einem langen Ruffe jagten fie einander Alles, was in Morten unmöglid auszudrüden war. Die tiefe Stille des Waldes lauſchte dieſer Unterredung.

Und nah diefem Kuſſe bededte lebhafte Röthe die beiden Geſichter, Die bisher jo blaß waren. Bela ſchwang die Peitihe, der Wagen rollte weiter; der Kutſcher begann ein Luftiges Lied zu pfeifen, und die Vögel des Waldes ſchwatzten und fangen dazu.

Judith aber blidte voll Entzüden auf den blonden Kopf ihres Gatten, auf den blonden Kopf, deſſen Loden ihre Lippen jo oft geſtreift; ihr Herz pochte heftig, und ihre Finger ruhten auf dem Hahn der Piftole.

Wie wird fie diefen Schönen, lieben jungen Kopf in einer Minute auseinanderichießen !

... Der Wald begann fi zu lichten, und al3 die Reiſenden das letzte Geftrüpp hinter fi) hatten, fonnten fie die Landftrage in ihrer end- (ofen Länge vor fih fehen. |

So meit das Auge reichte, fonnte man eine ununterbrodhene Kolonne von Reitern und Infan— teriften fanımt dem Zubehör von Kanonen, Muni- tions⸗ und Zeugswagen gewahr werden.

u 27

Der Vortrab dieſer Kolonne bewegte ſich faum zweihundert Schritte vor den Entgegen: fommenden und beiehte die ri nah ihrer ganzen Breite.

Diefer Vortrab beitand aus Koſaken.

Man konnte fie an ihren rothen, pelzver- brämten Mügen, an ihren langen Lanzen ſchon bon der Weite erfennen. Ein Jeder hatte. Die geflodtene Lederpeitihe um das Handgelent gewidelt ; einen Jeden zeichnete der wilde Blick aus.

Der Anführer des Pulls war ein blatter- narbiger Mann, mit verbundenem Auge; duch das weiße Tuch triefte Blut; er mochte die Wunde erft jegt befommen haben. | Aud die gemeinen Reiter trugen Spuren friiher Wunden; es mag dies eine Truppe ge: weien fein, welde ein Quarre attaquirtc, worüber fie lange nachzudenken haben wird.

Macht nichts!.

Bela trieb feine Pferde vorwärts. & fonnte ſich ja feiner Judith anvertrauen.

Es kann Dir nidht3 widerfahren ; ih be: ſchütze Dih, ih werde Dih auch tüdten..

Die Kofaken und der Wagen RER ſich langſam einander.

Als ſie auf ungefähr fünfzig Schritte an einander gelangten, fommandirte der einäugige Kommandant in fiherem, rauhem Tone Etwas

nd.

einer Truppe; Diele griff zu den Peitſchen und iehte die Prerde in ſchnellere Bewegung jedoch blieb die Hälfte zurüd, und lieg den Raum für den anrüdenden Wagen auf der einen Seite der Chauffee frei.

Dann ging c3 ruhig heben einander weiter. Bela pfiff fich ein Lied, die Koſalen fangen fid eins, und machten, al3 würden fie einander nicht einmal gejehen haben. Auf der linken Seite der breiten Landſtraße marſchirten die feindlichen Zruppen, Kanonen und Munitionswagen in mufterhafter Reihe; dic rechte Seite blieb leer; auf diefer konnte Bela ungeftört und ungehindert weiterfahren , ohne Jemanden zu begegnen. .. Stundenlang währte es, bis das entgegenkom— mende Armeekorps vorbeizog; Batterien ver- \diedenen Kalibers, glänzende Huſaren- und Uhlanenregimenter auf gleihfarbigen Pferden, eine unabjehbare Reihe Infanteriſten in langen, grauen Rüden, mit ſpitzigen Pidelhauben, Laft- wagen, Sanitätäfarren, blanfe Stab3offiziere und zerlumptes Fuhrweſenvolk. Alles dies z0g ohne Tompetenſchall und Trommelſchlag ftille vorüber, laum drei Klafter von den Flüchtenden entfernt, und Niemand wendete auch nur das Gefiht gegen fie, als würden fie für die Marſchirenden unficht- bar fein, oder als wäre das Ganze nur ein bor- überzichende3 Traumgebilde, welches nichts von Demjenigen weiß, der es geträumt Hatte.

80

Auh der Hufihlag des Iekten Nachtrabes verflang, und nod hatte Niemand ein einzige Wort an die Flüchtenden gerichtet.

Die Rettung Boͤla's grenzte an's Wunder— bare, und war doch fo einfach, wie das Raͤthſel mit dem Solumbusei. Ein Reiſender, welcher mit vollem Vertrauen dem Feinde entgegenfährt, bei deſſen Annäherung nit umkehrt wie die Uebrigen, der jtets jeine Ruhe und Gleichgiltigkeit bewahrt, kann keinen Argwohn erwecken.

So viel ſteht jedoch feſt, daß dies ein ge— wagteres Unternehmen war, als der gemagtefte Sturm auf feindliche Kolonnen! ... Durch eine ganze ruſſiſche Armee brechen, wenn ringsherum nirgend mehr ein Rettungsweg offen.

Als ſie über das nächſte Dorf hinausge⸗

wi ————

am.

langten, war die Gefahr vorüber. Da üffnete fih die endloje Steppe des Alfold mit der befannten Be |

bölferung ; dieje barg und geleitete die Flüchtenden. Wer weiß, wo fie am Ende Ruhe fanden.

Koſtbare Blutstropfen.

. . . . Der Heine hinkende Doktor Melchior hatte ſeit zwei Tagen ſein Zimmer gehütet.

Als er vor dem Nationaltheater auf der Kerepejcherftraße einen Kojafen gewahr wurde, wie berielbe reife, gelbe Gurken aß, war er es, der darüber das Fieber befam, möglid, daß nit die Gurke daran Schuld trug. |

Er ging nad) Haufe, verriegelte fid) in jein Zimmer, ließ die Vorhänge der Fenſter herab, um feinen einzigen Blick mehr auf die Gajle werfen zu fünnen. Er wollte von der Welt nichts mehr willen.

Dann nahın er die alten Portraits von den Wänden und lieg deren Rahmen leer ftchen ; deizte Die ganze Nacht Hindurd mit feinen dies— jährigen Zeitungen, trotzdem daß es Monat Auguft und ungemein heiß war. F

Am zweiten Tage begann er erſt darüber nachzudenken, was mit ſeinen Patienten geſchehen ſein konnte, die er während feiner Klauſur nicht

Andere Zeiten andere Menſchen II Band 6

8.

beiucht Hatte. Er hielt es für einen Unfinn, fich mit anderer Leute Angelegenheiten zu beichäftigen, wenn einem ſelbſt jo Großes mwiderfahren. Und wenn er bedachte, daß Einer Seiner Patienten an der Angine leidet, der Andere am Typhus dar= nieberliegt, der Dritte fih im legten Stadium der Schwindſucht befindet, jo beruhigte er fich immer damit, dab alle dieſe weniger Urſache zur Klage haben, als er; und wenn er Desjenigen gedachte, der dem fihern Tode entgegengeht, jo hielt er dielen für den beneidenswertheiten Men- Ihen der Welt.

Bis in die ſpäte Naht hinein Eopfte man ununterbrodyen an jeine Thüre ; er blieb entſchloſ— jen und verichloffen. Die haben es leicht, fie find nur frant, meinte der kleine Doktor.

Einmal jedoch klopfte man jo beiheiden, jo ſanft an die Thüre, das er es nicht auf feine Seele zu nehmen vermochte, auch jegt nicht zu öffnen. Er ließ den Klopfenden herein,

Ad, mein Herr Jeſus! tief er erſchro⸗ den zurücdtaumelnd.

Bor ihm jtand eine Frau mit verichleiertem Geſicht, geienkten Hauptes und? im Schoße ge— freuzten Händen.

Es war Judith.

Melchior hatte fie auf einen Blick erkannt. Er 309 Sie Schnell in das Zimmer, verriegelte

dann doppeltdie Thüre, und flüfterte erichroden : ‚Sind Sie es?“

Die Dame nidte mit dem Kopfe und ließ ſich müde auf den erſten Stuhl, den fie fand, nieder,

Sie find nah Weit gelommen . jtatt in’3 Ausland zu gehen ?

Ich konnte nit, und wollte aud) nicht; antwortete die Dame, ängftlih in dem Zimmer | unheripähend.

Und Bela? frug der Arzt beklommen.

Befindet ſich in dieſem Augenblicke an einem guten Orte.

Wie lange wird dieſer Aug enblick waͤhren?

Das weiß ih nicht zu beſtimmen .. jagte die Dame. Ich zittere, wenn ic) daran dente ; doch wozu zittern, wenn es zu helfen gilt, wenn man helfen muß, und wenn man jelbit das Un: möglide verjuhen müßte! ?

Wie denken Sie fih dieſe Rettung ? Haben Sie irgend eine Idee?

%a. Und dephalb fam ich zu Ihnen, dag Sie mir an die Hand gehen. Doch ftille; lauſcht bier Niemand ?

Außer mir befindet jih Niemand im Zimmer. |

Und in diefem Kamin dort ?

Dort fann ſich Niemand verbergen, es brennt ja jetzt nod Feuer d’rin. |

Feuer ?

6*

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Ja. Es find Zeitungen und ſonſtige Druck— werle. Judith ſpähte mit dem ängſtlich ſcharfen Blicke eines Verfolgten im Zimmer nach jeder Ede. Plötzlich erblickt ſie neben der Bücheretagere einen Menſchen ähnlichen Gegenſtand, welcher, mit einem weißen Leintuch bedeckt, die Formen des Kopfes, der Achſeln, der Ellbogen und der Kniee deutlich unterſcheiden ließ.

Dort iſt Jemand verborgen! rief ſie erſchrocken; dort horcht Jemand!

Damit ſprang ſie haſtig von ihrem Sitze auf und deutete mit dem zitternden Finger auf die Geſtalt.

Nein, nein, es iſt Niemand dort, ver— ſicherte der Heine, lahme Mann in weinerlicher Verwirrung.

Wer ift es? Wer ift dort verborgen ?

Dh, jehen Sie es nicht au, gehen Sie nicht hin, jammerte Meldior, die Hände der Dame erfaſſend; aber er hatte nicht die Kraft, fie zurüdzubalten. Sie riß fid) los, ftürzte ſich auf die ſchweigende Geftalt, zog haſtig die fie bededende Hülle weg und taumelte dann, die flahe Hand auf die heiße Stirne drüdend, ent: ſetzt zurüd.

Dieje horchende Geftalt war ein einfach menjhlihes Gerippe, ein Falter Gegenftand Arzt: liher Studien, ein Mann, welder das Schweigen

u. BB u

fh längft angewöhnt hatte, und weldyer das, was er gehört, Niemanden erzählte.

Judith fiel als einem Schred in den an- dern und ſuchte unwillfürlih nad) der Hand ihres alten, bewährten Freundes, um fih auf dieſe Hand zu ftügen, dann ftotterte fie mit athemlojer Stimme:

VBerzeihen Sier Ih bin fo ängftlid. Alles jagt mir Furdt ein.

Der Arzt beeilte jih, das Gerippe zu ver— deden, ſchob es dann Hinter den Bücherihrant und jagte mit ftilem Vorwurfe:

Sie mißtrauen mir?!

O, mundern fie fih) nit darüber; ich fuüͤrchte mich jeht vor Allem. Verzeihen Sie mir; ih werde meinen Fehler gut machen, werd: Ihnen Alles erzählen, mein Schidjal in Ihre Hände legen. Sie ſollen e3 jehen, daß ich Vertrauen zu Ihnen habe.

Sagen Sie mir mır, ob fih Bela in Sicherheit befindet.

Gegenwärtig ja. Aber wie lange wird da3 währen? Jede Minute kann er verrathen werden... . Soll ih denn cewig- für fein Leben zittern? Ihn ftets als Flüchtling wiſſen? ... Soll er ein Begrabener ſein, für deſſen Leben ich bete? Ach, das Führt zum Wahnſinn! Ich muß ihn befreien, und Sie werden mir dabei be— hilflich ſein.

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Melchior verſprach Alles zu thun, mas Judith von ihm verlange. \

Verſprechen Sie mir bei Allem, was Ihnen heilig ift, Alles zu thun, mas ichr von Ihnen verlangen werde?

Alles, Alles! ... ich verſpreche es Ihnen bei dem Angedenken meiner Mutter! beeilte ſich Melchior zu erwidern, indem er warm die Hand der Gattin ſeines Freundes drüdte.

Nun, io erfahren Sie denn, was id wünſche. Im Augenblid ift Alles verloren. Es gibt nur einen einzigen fihern Ort noch: Komorn.

Romorn wird auch Eapituliren.

Ich weil es. Jedoch ift das Schid- fal Derjenigen, welche in Komorn find, geſichert, ihr Leben geborgen, es kann fie feine Gefahr ereilen.

Im Gehirn Meldhior'3 bligte ein Freuden— ftrahl auf.

Dort jollte Bela sein !

Indith antwortete niedergeihlagen.

Dorthin kann er nicht mehr. | &ft er zu weit entfernt? frug der

Arzt traurig.

Sehr weit. . . . Und ich wirde es ihm auch niht erlauben, den Verſuch zu machen, in die Feftung zu gelangen... Ich braude biezu jemand Andern. Während diejer Zeit darf er den Drt nicht verlaffen, wo id) ihn geborgen.

Was Soll denn alſo geihehen ?

Es muß ſich Jemand anſtatt ſeiner unter

die Feſtungsheſatzung einſchreiben laſſen; muß ſich in ſeinem Namen melden, einen Paſſierſchein auf ſeinen Namen erlangen. Melchior betrachtete ſeufzend ſeinen lahmen Fuß, als würde er ihm Vorwürfe machen wollen, und murmelte in ſich hinein: wäre ich nur nicht lahm, ih würde es thun...

Bela hat gute Freunde dort, tröftete er Judith.

Das wird ihm wenig nüßen. Wer würde es denn unternehmen, auf ſich jelbit zu ver— geilen, um ſich eines abweſenden Freundes zu erinnern ? Wer würde den letzten rettenden Balfen, den er aus dem Schiffbrude erhalt, dem untergehenden Freunde überlaflen ?

O, iprehen Sie alio, was ſoll ich bier thun ? rief der Arzt iin peinliher Span: nung.

Merken Ste gut auf. Ich Din einund— zwanzig Jahre alt; Bela zählt dreiundzwanzig. Wir ftehen beinahe im gleihen Alter. Er ift als Mann mittlerer, ih als Frau hoher Statur. Denn ich mid zwei Tage hindurd den Strahlen der Sonne ausjege, wird mein Geſicht ebenio ges bräunt, wie das Seine. Ich Felbit will nad Komorn als Frau hineingelangen, und dort mich unter Bela’3 Namen al Mann in die Armee einihreiben laffen und jo zurückkehren.

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Wohin denken Sie?!,.

Bitte! Widerſprechen Sie mir nicht. Ich habe nicht deshalb ſo viele Nächte mit dieſem Gedanken durchwacht, daß mich Jemand mit einem kurzen Einwurf in meinem Eutſchluſſe ſtören ſoll. Ich will es ſo, und es muß gelingen. Wollen Sie mir behilflich fein ?

Dann müffen Sie fih von Ihrem Ihönen, langen Haare trennen, ſagte Meldior ſchwärmeriſch.

Das iſt ſchon geſchehen, erwiderte Judith, ihren Hut vom Kopfe nehmend.

Zu jener Zeit war es Mode, daß die Männer ihr Haupthaar bis auf die Haut ge— ſchoren trugen. Auch der Kopf Judith's hatte dieſe Friſur.

Dem guten Melchior traten die Thränen in die Augen, al3 er an die Schwarzen, wallenden Locken dahte, weldhe auf der Bühne den Boden fehrten, wie man Judith, als zum Tode verur— theilte Königin, zum Nidhtplag führte.

Wie kann man einen Mann lieben! jeufzte er.

Judith lächelte, als fie den Hut herab:

nahm. Sie haben für Bela eine Welt ver— nichtet, ſagte der Arzt in vorwurfspollem Tone. Das Haar wird wieder wadhlen.....

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Dies Alles ift jedoh nicht genng. Die Paflier- iheine werden mit der betreffenden Perſons— beihreibung ausgefüllt... . Sie werden fi er: innern, daß auf der Stirne Bela’3 eine lange Narbe jihtbar ift.

Ich erinnere mih. War doh id der Arzt, welder ihn nah dem Duell be: handelte.

So werden Sie fi auch erinnern, welhe Richtung die Narbe hat, und wie groß fie ift.

Habe doh ich fie verbunden!

Gut, nun maden Sie alfo einen gleihen Shnitt auf meine Stirne.

Um Gottes Willen!.. Was verlangen . Sie da von mir.

Ich verlange, das Sie erfüllen, mas Sie mir veriprohen. Einen Schnitt auf meine Stirn mit ſachkundiger Hand. hi

AH, Sie treiben Scherz mit mir. Ich jo diefe Schöne ulabafterne Stirne rigen? mit ſcharfem Eiſen, wenn auch nur fo tief, als wäre 3 mit der Spige einer Nadel geihehen ? Ich ſoll dieſes Antlik blutend Sehen von meiner Hand ? Ninmermehr! Und verflucht ſei die Hand, welche es vollziehen wüͤrde.

Ich bitte Sie, dieſen Fluh zurückzu— nehmen, ſonſt iſt es möglich, daß Sie meine eigene hand verflucht haben, .. denn wollten Sie mir

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etwa den begehrten Dienft nit erweilen, jo müßte ih die Dperation Selbit vornehmen, und dann wäre e3 wohl möylih, daß meine ungeübte Hand eine tiefere Wunde, und vielleiht nicht in der er= forderlihen Richtung ſchneiden würde, was für mich injoferne jchmerzlid wäre, als ich nicht viel Zeit habe, mih mit dem Wundfieber zu befafjen.

Melchior gerieth in Verzweiflung, er mußte einjehen, daß ſich gegen dieſe Frau nichts aus— richten lich.

Nun, mein lieber Freund, wollen Sie mir dieſen Dienft erweilen ?

Bei dieſen Worten lieg jih Judith ruhig und falten Blutes in jenem Armjtuhl nieder, in welchem Melchior jeine Operations-Meiſterwerke zu verrichten pflegte, den Kopf an den Kiſſen des Stuhles gelehnt, blickte ſie mit ihren großen, ſprechenden Augen den Arzt an, welcher, von dieſem Blicke bezaubert, ſich ganz dem Willen der Dame untergeordnet fühlte... und er vollzog die Dperation.

Judith Eonnte erft nah acht Tagen die Binde von der Stirne entfernen, auf der mar: mormweißen Glätte dieſer Stirne zeigte ſich ein rofenrother Streifen, eine vernarbte Wunde. Aud) diefe verunftältete fie noch nit, bob vielmehr deren Schönheit hervor.

Sieben Tage hindurch meldeten die Thea— terzettel ihre Krankheit;, am achten mußte fie

auftreten. Die Narbe hatte die Bühnenſchminke verdeckt, das Publikum konnte fie nicht bemerken, und unter den Schaufpielern gab es nie Der: räther. Lektere treiben viel Gehäfligleit unter: einander, jie verleumden, intriguiren; ift aber Jemand von patriotiihem Schmerze geplagt, To achtet ihn dieſes Völkchen und hütet ihn vor Freund und Feind, dem Nebenbuhler, jei es Weib oder Mann, vor den Künftlern,, Pfuſchern, Souffleuren und Theaterdienern. Niemandem von dem Theatervolfe fiel es ein, über Judith's Narbe zu ſprechen, troßdem dieſelbe hundert und hundert Menſchen ftundenlang betrachten Tonnten.

Als fie nah der Vorftellung aus dem Theater ging, trat ihr am Thor ein Mann im blauen Dolmany entgegen und redete fie an:

Guten Abend, gnädige Frau!

Zu jener Zeit, und überhaupt in jenen Tagen, war die Kerepeſcherſtraße zehn Minuten nah der Vorftellung beinahe gänzlich menjden- leer; nur der einfürmige Tritt der Patrouillen begleitete das erfterbende Abendgeräufh. Judith war nur von ihrer Magd begleitet.

Sie erkannte jedoh an der Stimme den Mann, welher ihr den Abendgruß geboten.

Sind Sie es, Kaͤpor?

Sie haben mid) erkannt, gnädige Frau? ſagte der Angeredete in jreudigem Tone. Und doch haben Sie mid jo lange nicht gefehen.

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Sie waren ja fo oft im Haufe meines Baters, als id) noch ein Kind geweien, und ba: ben mid jo oft auf Ihren Knieen geichaufelt.

Auch deflen erinnern Sie fih no? Sie waren damals fo Kein, und doch ſchon jo verwegen; wenn ih Sie in die Schaufel ſetzte, tiefen Sie da nicht in Einem fort: Treiben Sie beſſer an, Kapor bäcsi, treiben Sie die Schau: fel bis in den Himmel hinauf! Während ich in "Einem fort jammerte: Ad, Fräulein Juczi, ges ben Sie, Acht um Alles in der Welt, Sie fallen herab! Ah mein Gott und Herr!

Und bin dennoh ſelbſt bis jet no nicht berabgefallen, ermwiderte Judith mit feſtem Tone.

Gott gebe es! jeufzte Kapor. Ich fam die gnädige Frau hier aufzufuchen, weil ich nicht in Ihre Wohnung gehen wollte, denn id Hin ſelbſt nicht dreizehnpröbig. Sie verftehen mid) ja? Da ih aber morgen in frühefter Zeit heim— teilen will, jo wollte ih nur fragen, ob Sie der alten gnädigen Frau feine Nahriht zu geben haben ?

Sind Ste mit einem Wagen hier ?

Berfteht jih. Belieben ja zu willen, da wir uns über Magyarat hinaus begegneten. Ich ſah Sie jedody nicht, ich wußte von Nichts, wech— jelte mit Niemandem ein Wort darüber, da ih gut weiß, worüber ich zu ſchweigen babe. Aud

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will ih Sie nicht viel mit Fragen beläjtigen, nur jo viel möchte ich erfahren, was ih zu jagen haben werde, wenn id zu Haufe, von meinem Wagen fteige, und die gute alte Frau an mich her— antritt und jene Frage, melde fie an Hunderte ſchon gerichtet, auch an mich ftellt, ob ich da mit ,‚Ja“ oder ‚Nein‘ antworten fol.

Sie gelangten während dieſes Geſprächs bis zur Wohnung Judith's, fie ſchickte ihre Magd voraus, dann ergriff ſie die ſchwielige Hand des duhrmanns und drückte dieſe mit inniger Bärme.

Sind Sie allein ?

Ganz und gar allein.

Mödten Sie niht meine Magd nad Komorn hineinführen ?

Kapor ſchien die Frage ein wenig zu appre- hendiren.

Wenn Sie in Ihre Magd größeres Ber: trauen als in mid) feßen....

Es ift nit wegen des Vertrauens, ſondern weil der Dienftbote wieder zuruͤckkehren muß.

Das ift was Anderes. Mit taujend Fteuden thue ic) es.

Um wie viel Uhr fahren Sie?

Ich möhte wohl ſchon um zwei Uhr nad Mitternacht aufbrechen, will aber auf Shren Dienftboten warten, da ich weiß, daß jo eine ſtaͤdtiſche Magd nicht zeitlich aufzuftehen pflegt.

ze. 4

Fürdten Sie nihts. Sie wird um zwei Uhr eintreffen. Wo jind Site eingefehrt ?

Biemlid) weit draußen, bei den „zwei Böden.“ Ich würde gerne mit dem Wagen bier vorfahren, aber es könnte uns Jemand bemerken.

Sie haben Recht. Die Magd wird Sie aufſuchen. Nun will ich Ihnen ihre Kleidung be— ſchreiben, damit Sie ſich in der Perſon nicht irren. Auf dem Kopfe ein rothes Tuch, am Leibe ein buntes Mieder und einen blauen Rock Auch an der Ausſprache wird ſie kenntlich ſein, da ſie im Komorner Dialekt ſpricht. |

Na, das freut mid) um jo mehr. Schiden Sie fie mir warın immer, ich werde auf jie warten.

Ich danke Ihnen, lieber Käpor, Gott ſegne Ste.

Auch Sie behüte Gott.

Der Fuhrmann wedielte einen warmen Handedrud mit der Tochter feines einftigen Herrn, die während zweier Jahre jo Vieles vom Med: jel des Schickſales zu erdulden hatte. Und bis der alte Manı aus der innern Stadt zu jeinem vorftädtiihen Gaſthauſe gelangte, hatte er Muße genug über Verſchiedenes nachzudenken. „Du guter Sott, murmelte er, wie dody Alles in der Welt jo veränderlid ift!... Einft das herrliche, fröhlihe Leben zu Hauſe, . . . dann die jo un: verhofft erfolgte ſchwere Stunde des Unglüds!.. Die Tochter des Hohen, ftolzen Herrn verftoßen

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und auf der Bühne,... wo fie auch Ruhm und Achtung erntet, um das zu erſetzen, was fie ver— loren ; die glänzenden Tage; der berühmte Gatte ; dann die große, ungeheuere Finiternig, welde Alles

verdeckt, Alles, Alles... .“ |

Der. Mann mit der Ihwieligen Hand fühlte es jedoch auch, das ſelbſt durch dieſe Finſterniß etwas leuchtet, etwas, wie zwei Sterne: deren einer die Treue der liebenden Gattin, der andere der unverwelkbare Lorbeer, welchen die Kunſt um Ihre Stirne gewunden. .

Kaͤpor hatte die gute Gewohnheit, dort ein- zuihlafen, wo er den Kopf bingelegt. Als er in den Gaſthof gelangte, legte er fih im ſei— nen Wagen und ſchlief, bis es Zeit war zu er= wachen. Er hatte feine Uhr, erwachte aber den— noch pünktlich, wenn es Zeit war, die Pferde zu füttern. Dieſe Zeit war ein Uhr Nachts.

Während die Pferde das Futter fraßen, zündete ſich Kapor ein Pfeifchen an und lehnte ih mit dem Nüden an den Thorpfoften des Safthaujes zu den „zwei Böden“, um auf die Magd Judith's zu warten. Er benükte dieſe Zeit dazu, um am beftivnten Himmel den Gang des großen Bären zu ftudiren.

Kaum hatte es jedoh im Thurme der Sojefftädter Kirche drei Viertel nah Eins ge: 'hlagen, als fih eine Geftalt ihm näherte, mit einem rothen Tuche auf dem Kopfe, im blauen

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Rode, In der Hand trug fie ein kleines Bün- del;... jie fam ganz allein.

Kapor wollte ihr zuvorkommen und grüßte fie von Weiten :

Guten Morgen, Sgueigen! v. wohl den Andreas Kaͤpor, niht wahr?... das bin ih!..

Gott geb: auch Eud einen guten Mor— gen! erwiderte das Mädchen in unverfennbarem Komorner Dialekt; bin ich nicht zeitlih genug ——

Haſt Du Dich in dieſer finſtern Nacht nicht gefürchtet, daß Dich Jemand anhält?

Na; dem hätt’ ich die beiden Augen ausgekratzt. |

Bit ein braves, tühtiges Mädel. Komm, bier ift mein Wagen ; Hettere in den Sig hinein; ih will nur noch Die Pferde tränlen, dannn jpanne ih an, und wir fahren in Gottes Namen. 83 Y beiler, diefe Stadt im Dunkeln zu verlaflen . ... Geht Du gerne nah Haufe ?

Na, und Die.

Hm! Zu Haufe fieht es aber jegt ſehr garſtig aus. Iſt Alles abgebrannt. Auch mein Haus hat nur ein Stückchen Nothdach, in den übrigen Theil gucken die Sterne hinein...

Dabei half er der Magd in den Wagen, denn das Auffteigen war mit viel Schwierig- feiten verbunden, bis man in den Strohjtk ober

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der hintern Are gelangen fonnte. Dod das Mädchen veritand fih auf das Slettern vor— trefflih ; man ſah es, daß fie armer Leute Rind jet.

Kaͤpor tränkte dann feine Pferde der Reihe nah, ſpannte an, rief den Wirth, zahlte feine Zeche; bei Aufzählung Der verſchiedenen Saden, die er zu bezahlen hatte, ſich jener halsbrederi- hen Bartizipien bedienend, welde er bei ernfteren Gelegenheiten anzubringen pflegte. Dann ließ er noch einen tüchtigen Schlud unentfufelten Trebers in den Schlund hinabgleiten, ſchwang fi mit Leichtigkeit in den Sig und jagte über das furhtbar holperige Pflaſter, durch krumme Gaſſen, in denen es ſelbſt im Hochſommer Koth- und Sumpflachen gab, und wo nur an den Ecken ein primitiver Verſuch einer Beleuchtung mittelſt ſchmieriger Dellampen vorgenommen wurde. Das genierte Kapor nicht, er jagte ſchnell vorwärts. Das Mädchen, welches ſich mit beiden Händen feſthalten mußte, um nicht vom Wagen geſchleu— dert zu werden, riskirte die Frage:

Kaͤpor Baͤcsi! Haben mir und nicht berirrt ?

Schweig', Schwefterden ; ih weiß es ſchon, wo id) fahre. Denn fiehft mein Find, wir müflen dort hinausgelangen, wo De Stadt leinen Mund Hat. 5

Andere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 7

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Aha! Ah verftehe ihon. Ihr habt feinen Paß.

Merde au feinen haben, und dod milk ih hinausfinden.

Dann fuhr er nod in verichiedenen Win— dungen, durch verichiedene übelduftende Gaflen, welde nur an bretternen Planken vorbeiführten, und gelangte Ihlieglid an einer langen Reihe von Düngerhaufen vorüber, glüdtlih in jenes Sand- meer, welches die Hauptitadt Ungarns an allen Flanken bejpült.

Hier nahm fie eine wohlmollende Akazien— allee auf ; als fie auch über dieje hinaus waren, trat ihnen ein breiter Graben, und jenjeitS des Grabens ein Damın entgegen; diefer Damm war die Landſtraße.

Halte Dih feſt, Schweiterden, und fürdte nichts, brummte Kapor neben dem Pfeiten= tohre, das er zwiſchen die Zähne gepreßt Hatte, hervor, halte Did) feft. Damit hieb er in die Pferde und ſchwang ſich mit feinem Fuhrwerk mit bewundernswerther Geſchicklichleit über den Graben und hinauf auf die Landſtraße, ohne daß an ſeinem Zeug etwas geriſſen oder gebrochen waͤre.

Als ſie auf der Landſtraße waren, wies er mit der Spitze ſeines Peitſchenſtieles nad) rück— waͤrts.

Siehſt Du die Lampe, da hinter uns?

STB: : BEN

Das ift Die Mauth. Der find wir ſchon ausge: wichen. Sept haben wir nichts mehr zu be= fürdten. .. . Die Pferdlein werden jekt von jelbft ſchoͤn langſam vorwärts traben, und nun fünnen wir plaudern. Doch fiehe da, ich habe nicht ein- mal nod) um Deinen Namen gefragt.

Ich heiße Derzii. Kennen Sie mid denn niht? Bin die Tochter des Hußären vom gnädigen Herrn.

Ad, wahrlich, Du bift es. Ad, daß ih Dih nit glei an der Stinme erkannte; ob: wohl ich mir glei dachte, dag ich fie einmal ihon gehört haben mußte. Alio Du bift Derzfi, die Tochter des Hußaͤren. Wo befindet ſich Dein Vater jet ? |

Auch er fam nah Weit, um einem Beitungsichreiber zu helfen.

Mas, einem Zeitungsſchreiber zu helfen ? Etwa die Zeitung jchreiben helfen ?

Nein. Um in der Stadt auszutragen, was er geichrieben;. aber auch dem geht's jeßt ſchlecht. Sein Herr, na Ihr wißt es ſchon, ging ein wenig auf Reifen. Jetzt ſchreibt Nie- mand Zeitungen.

Recht haben's ... Wie geht es Dir bei Deiner rau, he? ... härmt fie fich ſtark ab, dei Arme ?

Hört Ihr, Kaͤpor Bacsi, ih erjude Euch nur um das Eine, mid nit über meine

Ai.

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Herrin zu befragen; als ich bon ihr ging, babe ih e3 ihr gelobt, zu feiner Seele von ihr zu Iprehen; und Ihr wißt, daß ih ein ehrlides Mädel bin und mein Wort zu halten pflege.

Da thuft Du Recht daran, fagte Kapor zuftimmend , und damit er das Mädchen nicht no einmal in Verluhung bringe, ihr Wort zu brechen, ſchloß er den Dedel feiner Pfeife feuer— fiher zu und günnte fih ein Schläfhen, wie es Fuhrleute gewöhnt find.

Deshalb geihah jedody fein Fehler. Die Pferde trabten gleihmäßig fort; kam ein Wagen entgegengefahren, ip raffte fih Kapor empor und jagte feinen Pferden „etwas ganz im Ge— heimen, worauf diefe ſchoön auswichen; bemerkte er am Nachlaſſen des Leitſeils, daß eines oder das andere feiner Thiere weniger anzog, Jo zanlte er das Säumige in aller Stille aus, als wollte er es vor dem andern nicht beihämen. Zuweilen fiel e8 ihm aud ein, feine Autorität zu zeigen, da griff er nad) der Peilſche, und ſchwang die— telbe über beide Rößlein, welche dann im ſcharfen Trabe ausgriffen, daß der Staub in dichten Wollen aufwirbelte, dann legte er fie wieder ruhig bei Seite und that einen tüchtigen Zug aus feinem Kulacs, indem er dabei meinte, daß man jonft jehr leicht einſchlafe. Bei ſolcher Ge: legenBeit trug ‘er auch ftet3 dem Mädchen einen Schluck an, mas dieſe ‘aber danlend ablehnte,

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da fie nicht gewohnt war, geiftige Getränfe zu fih zu nehmen.

Zeitweile er wieder, um ſich den Schlaf zu vertreiben, ſeiner Reiſegefährtin ſelt— ſame Geſchichten aus ſeinem vielbewegten Leben zu erzählen, die ihm mit großer Aufmerkſamkeit zubörte und nad) Art der Mädchen, wo es eben nothwendig erihien, lachte oder jeufzte.

Ueber Waigen hinaus hielt er bei der Csarda eines kleinen Dorfes, um feine Pferde zu tränfen; bei diefer Gelegenheit langte er in feinen Schnappiad, um Schinken und Brod her- auszuholen, womit er aud feiner Reilegefährtin aufwartete, welche e3 freundlih annahm und mit beftem Appetit aß.

Na, wenn Du ichon feinen Wein trinfft, jo will id) Dir wenigftens dieſen grünen Krug mit Waſſer aus dem Brunnen anfüllen, ſagte Kapor, und es gefiel ihm außerordentlich, wie das Mädchen auf fo echt Komorner Weile an der Warze des jeltfam geformten Kruges ſog, bei deilen Beſchaffenheit man immer darauf zu achten hat, dag man fih das Waſſer durd die Hals: Öffnung des Gefäßes nicht in's Gefiht gieße.

Die man's Dir anfieht, daß Du ein Komorner Mädchen bift!.. Was man aber aud) jagen wolle, ſchön bift Du geworden, jehr ſchön, ſeitdem Du in der großen Stadt bift; umfonft, in diefem Peſt fann man halt die Mädchen fo

102 echt herrihten. In Komorn wird Dich fider Niemand erkennen. Wird man mid wirklich nicht er: fennen? frug das Mädchen naiv kichernd.

Niht um eine Welt!

Auh Ahr würdet mih nicht erlannt haben ?

Hätteft hundertmal an mir borüber gehen können; nie hätte ich gelagt, daß ih Di jemal3 gefehen.

So? rief das Mädden mitganz anderer Stimme und anderem DBlide im Auge. Ich danke Euch, mein Kreund, dies tröftet mid ganz und gar.

Unferem Freunde Kaͤpor fiel die Pfeife aus dem Munde, als er diefe Stimme hörte, Er warf einen fchnell prüfenden Blid auf die Re— dende, z0g Schnell für eine Minute feine Müte, tete diejelbe eben fo haſtig auf, ſchirrte feine Pferde an, ſprang auf feinen Sig und jagte, ohne ein Wort zu ſprechen, mit raſender Eile aus dem Dorfe, wie nur die Pferde‘ laufen konnten.

Als fie Ihon in gehüriger Entfernung von allen menihlihen Wohnungen waren, drehte er langſam feinen Kopf, und ſprach die zwei Worte:

Gnädige Frau! .

Mehr konnte er nit —— Nur deutete er durch ſeine Handbewegungen, ſein Kopfnicken, durch das Zwinkern der Augen und

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Aufziehen feiner Schultern an, daß Alles gut ... fehr gut, in der beften Ordnung jet. Das Mädchen in der Verkleidung einer Magd war Judith felbit. Und alles dies hatte Kaͤpor bis jegt nicht bemerkt, fo gut gelang die VBerftellung. ... Nun... es war eben ihr Bad... .

„Muß fein.“

Herr Andreas Kapor konnte e3 zwar nicht errathen, melde Urſache Judith habe, in die Feſtung zu gelangen, doch redete er fih ein, daß diefe eine wichtige jein müſſe. Selbft als Fuhr— mann hatte er jo viel Art, e8 einzujehen, daß eine Frage hier nit am Plake wäre.

Anderſeits trug er mit vollftem Vertrauen Judith jeinen Operationsplan vor, wie man in eine bon allen Seiten umzingelte Stadt hinein könne.

Es wird bereits Nacht ſein, bis wir auf den Matyas-Grund gelangen. Zum Glück find die Neutra und Zsitva jekt fo jeiht, daß wir den Brüden, auf melden gewiſſe Vorpoften ftehen, ausweichen fünnen, indem mir durch das Bett des jeihten Wluffes fahren. Dann wenden wir uns abwärts gegen Füzes, dort wohnen ehrliche Fiihersleute, die ſämmtlich „gute Menſchen“ ind. Nah Mitternadht ſetzen uns diefe mittelft ihrer Kähne über die Waag; Pferd und Wagen

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bleiben bei meinem Gevatter zufüd,. . . Ich weiß, das Sie fih vor dem Waſſer nicht fürdten.

Nein, ih fürdte mid nicht.

Ich wußte e3 ja. Sie fürchten ſich weder vor dem Wafler noch vor dem Feuer. Um fo beffer. Fahren wir denn in Gottes Namen,

An den Csäarda's, wo fie anhielten, redete Käpor ſtets in einem Tone mit Judith, als wäre dieje jeine Magd; einmal ließ er fie jogar den Maffereimer vor den Pferden halten, bis er jelbft den Hafer durchgereutert hatte. Niemand fonnte auch nur den Argwohn fafien, daß diefe MWeibs- perſon eine Dame sei.

Ueber Bätorfegi hinaus bog Kaͤpor von der Landftrage ab, und fuhr an Weingärten vor: über durch Feldwege in den verihiedenartigiten Krümmunyen, machte aber die hiedurd) entitan- dene Verſäumniß dadurch gut, daß er über Wie: fen und Hutweiden thurmgerade auf das Ziel los: fuhr, ohne fid) um Bäche oder Heinere Flüffe zu fimmern. In dieſer Gegend kannte er jchon jeden Straud) und jeden Stein.

Wie er's vorausgelagt, war es bereits dunkle Nacht, als fie an den Pappelwald und an die Trauerweiden-Allee des Dürthens Füzes ge: langten. Es war aber aud) die hödhjite Zeit, in die Nähe von Menihenwohnungen zu gelangen, den am Himmel bereitete fi ein Gewitter vor. Vom

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Süden zogen ſchwere Wolken heran, von momen— tanen Blitzen unheimlich beleuchtet.

Macht nichts, brummte der alte Kaͤpor, gegen das nahende Gewitter blickend. Wenn die Nacht ein wenig trübe wird, kommen wir um ſo ſicherer an's andere Ufer. Fürchten das Ge— witter nicht? frug er dann, ſich an Judith wen— dend. Doch, was frage ich da wieder, Sie haben ja nie Furcht: weder vor dem Feuer, noch vor dem Waſſer, weder vor dem irdiſchen, noch vor dem himmliſchen Kampf. Gott hat Ihre Seele geſtaͤrkt. |

ALS fie vor dem Fiiherhaufe anhielten, fie- len jhon die erften ſchweren Xropfen auf das Schwingendah des Wagens. Im Haufe hatte man bereit3 Licht angezündet. Kaͤpor wendete fi an Judith und ſprach: Oerzſi, mein Sind, bleibe Du einftweilen im Wagen, bis ih bineiniehe, was es für eine „Luft“ da d'rinnen gibt. Bin im Augenblid zurüd, fürdte nichts.

Damit jprang er von feinem Sitze und verſchwand dur die Thüre des Filherhäuschens.

Während die ſchweren Tropfen aus dichten Wolken mit monotonem Geraͤuſch auf Die dürre Erde fallen, und Ipäter der Wind fein zorniges Lied duch die Pappeln pfeift, und waͤhrend Kaͤpor da d'rinnen mit feinem Gevatter berath— ſchlagt, haben wir Zeit, eine kurze linguiſtiſche Studie für uns anzuſtellen, wie das zuweilen bei

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Nervenkranten zu geihehen pflegt, wenn fie die langen, ſchlafloſen Nähte mit Lölung von hirn— berwirrenden Aufgaben zubringen.

Die ungariihe Sprache befift einen befann- ten Ausdrud, welchen fie im gewöhnlichen Leben jeit lange ſchon als den ihren betrachtete, ob: wohl die Wiffenihaft nichts von ihm weiß, fein Wörterbuh ihn noch inartikulirte, fein Dichter oder Schriftfteller niederſchrieb; und dennod lebt und bewegt er fi in den Reihen der autophtonen Wörter, bald als Haupt-, bald als Zeit- oder Beiwort, bald figurirt er wieder als Adverb oder Interjektion. Als Zeitwort duldet er feine Kon— jugation, als Hauptwort feine Deklination, und als Beimort feine Komparation. Weder voran, noh hinten ift ihm eine Präpofition anſetzbar.

Dieſes außerordentliche, unabänderliche, über Alles fih erhebende Wort heißt im ungarischen: ‚muszäj.“ Linguiften willen es ſehr gut, daß es bon den beiden deutihen Wörtern: „muß Tein“ abſtammt.

Nicht nur die ungariſche, ſondern ſelbſt jede Sprache romiſchen Urſprungs, iſt zur Wiedergabe dieſes Wortes in ſeinem vollſten Sinne zu arm.

„Debet, opportet, il faut, deve u. ſ. w. bedeuten : „es fol.“

Das „ſoll“ ift noch fein jo großer Derr. Mit dem läßt es fih Sprehen, dem kann man noch entgegenwerfen: wenn es denn do nicht

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fein jol, wenn es nur jein jollte, es foll, wenn möglich; aber vor dem furdtbaren : „Muß fein“ verihwindet jeder menſchliche Einwurf ; vor diefem gibt e3 fein Verhandeln, feine Unmög— lichkeit; es läßt nicht mit ſich ftreiten, duldet feinen Aufihub und feine Kapazitation, es läßt fi nicht verichieben, denn: was „jein muß“ „muß jein“.

Der ganze Krieg der Linguiften gegen das: jelbe ift vergebens, das Wort lacht ihnen in's Ge— jiht. Ein ſehr altes Spridwort jagt: Das „Muß fein“ erfäuft nie in der Donau. Das ‚Muß fein“ ift unſterblich. ...

N Unterdeflen trat Käpor aus der Hütte.

Der Regen fiel ſchon in Strömen ; der Donner rollte mit zornigem Gebrüll durch die Nacht; es war ein Wetter, wo man feinen Hund vor die Thüre ſetzt.

Kaͤpor ftedte feinen Kopf unter der Place in den Wagen hinein, und fagte leile zu Judith:

Fürchten ſich die gnädige Frau auch vor böſen Nachrichten nicht ?

Judith ſchauderte. Doch ſtärkte ſie ihr Herz, und antwortete:

Ich fürchte mich vor gar Nichts.

Nun hören Sie alſo die erſte Nachricht. Wir fünnen nicht über die Waag, da man alle

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Kähne, Schiffe und Flöffe mit Beſchlag belegte und ſtrengſtens bewacht.

Alle? Alle?

Ein einziger „Seelentränfer“ iſt ver— Ihont geblieben am Boden meines Gevatters, 63 ift dies ein aus einem Baumſtamm gehöhltes Fahrzeug ; wer würde fi in diefem auf den Fluß wagen ?

Ich!

Dann, fuhr Kaͤpor fort erzählt mir mein Gevatter al3 etwas Sicheres, daß die Kapitulation bereit3 unterzeihnet ſei, und die Seftung ſchon morgen übergeben wird.

Mein Gott! rief Judith,

Mohl Denen, die da drinnen find, die Üonnen frei ausgehen, und werden nie zur Ver: antwortlichkeit gezogen.

Dh, mein Gott, mein Gott!... Um- ſomehr muß ich nod) in dieſer Nacyt in die Stadt hinüber,

Ich babe dies meinem Gevatter gejagt, er gab aber zur Antwort, daß es entichieden un— möglich fei.

Laſſet mid. Ich werde felbft mit ihm teden fagte Judith, haftig vom Wagen-fteigend.

Kaͤpor Half ihr in ängftliher Verzweiflung beim Herabfteigen. Er Hätte: fie fo ‚gerne mit etwas zugededt, damit fie nicht. naß werde, * Judith achtete auf den Regen nicht.

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Als fie von der Küche des niedrigen Fiſcher— häushens in das Wohnzimmer trat, jah fie einen hohen Mann mit weißen Haaren vor fid) ſtehen.

Das iſt mein Gevatter, ſagte Kapor.

Ich flehe Euch bei Gott an, rief Judith mit gefalteten Haͤnden ſchafft mich noch dieſe Nacht in die Stadt hinein.

Das kann nicht ſein, gab der alte Fiſcher zur Antwort, indem er ſein greiſes Haupt ihüttelte. Selbſt wenn ih meinen Kahn hätte, wäre es Verſuchung Gottes, in dieſem Wetter fih dem Fluſſe anzuvertrauen. Was mid anbelangt, würde ih mid um mein Xeben wenig jheren, heißt ohnedem nichts mehr: aber die Gejahr eines Andern fann id nicht auf meine Seele nehmen... Uebrigens hat man mir ja aud) meinen Kahn ge= nommen.

D, id weiß es, daß Ihr nod) einen am Boden habt. |

Diejen „Seelentränfer‘ ? Der ift nicht für dieſes Wetter... Was ift dieler Kahn ? Eine Nußſchale für dieien Sturm. In den wird ji) feine Ehrijtenfeele heute wagen.

Hört Ihr mih an, Alter! Seht, id bin niht arm. Will mid vor Euch nicht ver— ftellen. Hier habt Ihr meine Börje, meinen Schmud.... Alles gebe ih Euch, nur führt mid über den Fluß.

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Dante, gnädige Frau. Ih handle nicht aus Habgier. Aber e3 kann nit fein. Sollten Sie mir alle Schäße der Welt, jelbft die, welche noch im Schoße der Erde verborgen liegen, an— bieten, jo würde ich doch fein Auder in diejer Naht in die Hand nehmen. Wegen meiner joll Niemandens Mitwe oder Waije weinen... . Und mozu auch diele Eile? Morgen werden die Thore geöffnet, und da fann ein Jeder frank und frei hineingehen.

D, dann wird es zu Spät jein; dann it Alles umfonft. D, daß ich es doch nicht jagen fonn, wie es ift. Mein Gott, mein Gott!

Sudith ging weinend und händeringend im Zimmer anf und ab, und ſuchte mit allen mögli- hen Bewegungen dem Fiſcher etwas begreiflid zu maden, was fie mit Worten hier nicht aus— drüden durfte. Der Fiſcher z0g die Achſeln in die Höhe und legte wiederholt die flachen Hände auf die Bruft, wie Einer, der fi entſchuldigt.

Hört mih an! —ſprach Judith plöglich, bor dem alten Manne ftehen bleibend hr jagtet jo eben, dak Ahr Niemandens Tod auf Eure Seele laden wollt. Nun wißt alfo, daß 8 das Leben zweier Menſchen fojten wird, wenn Ihr mich nicht allſogleich in die Stadt hinüber führt ; . . . dieſe zwei Leben find das meinige und das meines Gatten. Wenn wir uns in die bevorfte- hende Gefahr wagen, fann uns Gott helfen und

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glücklich hinübergeleiten; wenn id mich aber zu— rückſchrecken laſſe dann wird mid) die andere Ge: fahr tödten, und zwar auf eine eridhredliche Meile. Ih muß in die Feftung!...

Diefe Worte waren im Tone der Verzweif— lung geſprochen; der alte Fiſcher faltete die grauen, ftruppigen Augenbrauen und hielt jeine ſchwielige Hand vor den Mund. Da platte plöglih Kaäpor mit der mühlam zurüdgehaltenen Sprade heraus.

Verfteht Ihr e3 denn nicht, Gevatter ? Es „muß fein“, daß die guädige Frau heute noch in die Feftung gelangt, es „muß jein!“

Der Fiſcher feufzte tief auf.

Wenn e8 „Sein muß,” dann „muß e3 fein; Gott thue mit, uns, wies ihm gefällt.

Judith drüdte außer ſich vor Freude Die Hand des alten Fiihers, fie würde dieſelbe viel- teiht auch geküßt haben, wenn er's zugelaffen hätte,

Nun, gnädige Frau, was „fein muß,‘ das „muß fein‘... Sch weiß es nicht, mas Sie find, was Sie vorhaben. Will e3 auch nicht willen. Es genügt, daß mir mein Gevatter jagte, daß ih Sie noch heute über den Fluß jegen muß. Nun jo werde ih Sie hinüberjeken. Menn Sie entihloflen find, fo ift das ſchönſte Wetter hiezu.

Der Regenguß verhindert cs, daß wir ges sehen werden können; gewahrt und die Schild:

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wache, kann fie uns nichts anhaben; ic möchte den Burſchen jehen, der es unternimmt, ung zu verfolgen. Den Plan Eünnen wir jedod) nicht jedem Narren mittheilen; bier müßt hr beihilflich fein, Gevatter. |

Das will id aud, denn auch mic drängt cs, nod) heute drüben zu fein.

Könnt Ihr rudern ?

Welche Frage, ein Komorner Kind follte nicht rudern können! ..

Gut. Verforgt alfo früher Eure Pferde, danı werden wir den ſeahn vom Boden herunter holen.

Früher den Kahn, dann die Pferde!,. das hieß viel gejagt von einem Fuhrmann!

Die Männer fliegen demnach zuerft auf den Boden hinauf und braten den leichten Nahen auf den Achſeln herab, trugen ihn in's Zimmer, und legten ihn, mit dem Boden nad) Aufwärts gelehrt, nieder; dann erft ging Käpor, um feine Pferde in's Trodene zu bringen.

Die heißt Ihr, alter Freund ? frug Judith den Fiſcher, welder, während fein Ge: batter für feine Pferde ſorgte, mittelft eines hölzernen Hammers und Meißels mit Fett ge: tränfte Lappen in die Niken und Fugen des Kahnes trieb. Ich möchte es wiffen wenn ich jegnen ſoll, wenn mich Gott aus der Gefahr rettet.

Andere Zeiten anbere Menſchen II Banks. g

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Mein Name ift Johann Tuba, erwiderte der Alte, Berfloffenen Sommer babe ich mein neun: undfiebzigites Jahr erreiht. Meine Gattin ftarb voriges Jahr; meinen legten Enfel, den id noch hatte, Ihicte vor etlihen Wochen eine Kanonen— fugel in’3 ewige Leben. Der Herr gab jie mir, meine Lieben, der Herr nahm fie mir aud, ſein Name ſei gejegnet. Seht bin ih allein.

Aus diefer kurzen Biografie ift es erſicht— lich, da nicht die goldenen Tage der Zukunft es waren, die den Alten zurüdhielten, jih der Ge— fahr auszujegen.

Nach kurzer Zeit kehrte Kapor zurüd, und aud) der Kahn war bereits ausgebefiert.

Nun, Gevatter, ſprach der alte Fiſcher richten wir uns für's Wetter ein, und dabei begann er ſich ſeiner Csismen zu ent= ledigen. Auch Kaͤpor that desgleihen.

Dann zogen jie jede ſchwere Kleidung aus bis auf die leinene Wäſche.

Tuba nahm Hierauf aus jeiner hölzernen Truhe einen langen, dünnen Lappen, und blies in das eine Ende desſelben gewaltig hinein. Es mar dies ein dider Ochſendarm, welcher fi fteif aufblähte ; dann band er das Ende, wo er hinein- geblaien, zu, trat hierauf zu Judith und forderte fie ohne jeglide Zeremonie auf, die Arme in die Höhe zu heben, und band ihr dann das primitive „life preservet‘“ um den Leib. Der Rettungs-

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gürtel, welder für einen männlichen Leib beftimmt war, mußte doppelt um ihre zarte Taille ge: wunden werden. .

So. Das wird Sie nicht unterjinfen laffen. Geht breden mir in Gottes Namen auf.

Judith nahm ihr Heines Bündelden unter den Arm, die Männer luden das leihte Fahr: zeug auf ihre Schultern, nahmen Ruder und Steuer in die Hand und gingen zur Thüre hinaus.

Mo ift der Waflerihöpfer ?

Den werde ih tragen, jagte Judith, nad) demjelben langend. Das wird ohnehin Arbeit Sein. | Eine brave Frau, jehr brave Frau! brummte der alte Fiſcher.

Es war ein Wetter draußen, in weldem nur dem Tode geweihte Menihen ji) unterfan= gen, Gott zu verjuden.

Der Regen ftrömte, ſchräge vom Winde ge- trieben, hernieder ; wenn der Blik die Finſterniß er= hellte, ihien es, als hingen Millionen filberner Fäden vom Himmel herab, zwilchen denen drei dunkle Schatten dem Ufer entlang Ichweben.

Vom fteilen Ufer konnte man das Rahr- zeug nicht in's Waſſer gleiten laffen, die bran= denden Wogen würden es augenblidlih umge— worfen haben. Man mußte nach einer ſeichten Stelle ſuchen, wo die Wellen Ihäumend über den Sand liefen. Hier ftieg der alte Fiſcher zuerft

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ins Waſſer und lief den Kahn von den Schul— tern gleiten; Käapor hielt den Strid feſt. Zuerft beftieg Judith das ſchwache Kahrzeug, dann Käpor, und ihlieglih Tuba. Als fie vom Ufer abftiegen, riffen Sturm und Mogen das leichte Fahrzeug gleich einer Feder mit ji.

Der Sturm tobte den Rudernden entgegen. Die ganze Oberflähe der Wang war grau von dem Schaum der aufgepettihten Wogen, zwiſchen denen der winzige „Seelentränfer“ alle Augen: blide verihwand, um bald mit dem Worderz, bald mit dem Hintertheile aus den ſchaukelnden Armen der Todtenamme anfzutauden.

Der Sturm pflegt feine normale Richtung zu haben. - Bald greift er die Flanke, bald die Fronte an, dann Fällt es ihm ein, ganz ftille zu ftehen, um mit erneuerter Wuth loszubrechen. Mer kennt feine Launen ?

Aus der Ferne erihollen Nothrufe; am Waſſer treibt eine von ihrem Anker Losgeriffene Mühle abwärts, die Leute darauf rufen um Hilfe; . . . der Kahn treibt geräuihlos zwiſchen den zwei Keinden, der Luft und dem Waſſer, vor: wärts. . . Die Flüchtigen rufen nicht um Hilfe.

Und doch ſchwebt die Hand des Todes über ihnen.

Eine jede Welle, welche ſich vor ihnen ſpaltet, zeigt ihnen das naſſe Grab; eine jede Brandung, welche mit ihrer Ihäumenden Mähne

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heranjtürmt, scheint das geipenftige Roß des falten Todes zu fein, welder !o nahe iſt. . ..

Sn diefen ewigen Momenten des ver— zweifelten Kampfes tauchte in der Erinnerung der vielgeprüften Frau jene Ichredlihe Szene auf, Die fie Thon einmal am Grunde dieſes eiligen Grabes erlebt, fie fühlte abermals den peinlihen Kampf mit dem mürgenden Glement, den ftummen Todesihmerz, den Schred, welder früher die Seele, dann erit den Kürper tüdtet; fie fühlte den krampfhaften Drud jener furcht— baren Hand, melde fie damals ergriff und hinab auf den Grund des Wellengrabes zerrte.

Die Erinnerung an diefe Hand lähmte aud) jest ihren Körper und ihre Seele; vielleicht lauert dieſe Hand auch jegt Da unten in der Tiefe des Stromes! ..

Sturm und Wogen riffen das leihte Fahr— zeug wie eine Feder mit fi.

Die Männer mußten al’ ihre Krait an— ftrengen, um nit an's Ufer zurüdgeworfen zu werden. Sie nährten die Hoffnung, daß, wenn fie fih dem Winde und den Wogen überlaffen, fie die Inſel, welche inmitten der Waag liegt, reihen können, von dieſer Inſel führt eine Brüde in die Stadt hinüber. Im ſchlechteſten Falle fünnen fie an den Brüdenpfeilern an- flogen, wo jelbft dann Rettung möglich ift, wen= der Nahen umkippen ſollte.

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Die beiden Männer bemübten jih nun mit vereinten Kräften und gleihmäßiger Geſchicklich— teit, das Kahrzeug gegen die Gefahr zu ſchützen, während Judith, am Boden des Kahnes Inieend, fih fortwährend mit dem Wafferausihöpfen be— Ihäftigte, denn der heftige Regen jowohl, als die ungeftümen Wogen füllten den Seelentränfer immer wieder. |

Bei den von Zeit zu Zeit aufleuchtenden Bligen konnten fie gewahren, daß fie von beiden Ufern glei entfernt jeien, folglich bereits in der Mitte des Stromes treiben.

Das Leuchten der Blitze zeigte ihnen aber aud die Reihenkette der am Ufer aufgeftellten Vorpoſten, welde troß des Unwetters an ihren Pofſten ftanden.

Einer derjelben wurde den Kahn gewahr und rief den Leuten zu. Den Sinn jeiner Worte batte jedoch der brüllende Sturm weggefegt.

Rief er ihnen vielleiht, daß fie ftille hal- ten oder umkehren follten?!...

Dann fnallte ein Schuß, die Kugel pfiff durch die tobende Luft und ſchlug ziſchend in's Waſſer.

Die übrigen Wachpoſten harrten, durch den Schuß aufmerkſam gemacht, nur des naͤchſtfolgen— den Blitzes, um auf die Wagehälſe zu feuern.

Dieſer Blitz zögerte jedoch, und der Kahn flog nun, von der Strömung ergriffen, in der Richtung des Fluſſes, zwiſchen zwei feindlichen

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Schanzen, deren Kanonen ihn gleichzeitig in den Grund bohren konnten.

Plöglih näherte er jih einem dunklen Ge— genftande, welher durch Regen und Finfternig nur Schwer zu unteriheiden war. Es war die In— ſel; die Brandung warf den Nahen an das Ufer und verienkte ihn in demielben Moment.

Käapor ergriff mit einer Hand einen herab: hängenden Weidenaft, mit der andern faßte er die Hand Judith's, und Bielt dieje jo über dem Waſſer ſchwebend. Der alte Fiſcher verihwand... er ging zu jeinen Kindern und Enteln.

Judith ſchöpfte aus der drohenden Gefahr neue Kraft und Hammerte fih auch ihrerieits an einen ausgeihmwenmten Stamm, über welchen fie, mit Hilfe Käpor's, das Ufer erklomm.

Der umgeftürzte Kahn trieb auf den Wel— len weiter.

Käapor rief noch einige Mal den Namen feines verihwundenen Gevatters; ſchließlich be— ruhigte er ſich, daß der vorzügliche Schwimmer ſchon irgendwo an's Land gelangen werde; .. . er beeilte ſich daher, Judith in die Stadt zu bringen.

Judith triefte vom Waſſer. Aber ſelbft in der größten Gefahr hatte fie ihr Bündelchen nicht von ſich gelaflen.

Die Beiden braden fih nun zwiſchen dem Weidengeftrüppe der Inſel entlang Bahn und

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gelangten glüdlid‘ zu der Ihmalen, teilen Treppe, welche auf die Brüde hinaufführt.

So, jegt wären wir hier. Tradten mir nun, zu meinem Hauſe zu gelangen.

Kaͤpor war ehr überraicht, als er am Ende der Brüde, wo das Wachthäuschen ſtand, Nies manden traf. Der Poften war hier bereits eingezo= gen, e3 mar ja ihon Alles zu Ende. Niemand hielt die Ankümmlinge an. Sie betraten die Stadt.

Gnädige Frau, wir find „zu Haufe“...

Der Mond blickte in dieſem Momente durch die zerrifienen Wolkenmaſſen, welde mit trauri= gem Gedröhne gegen die Almäjer Gebirge zogen.

Judith ſah ſich ein furchtbares Bild ent- rollen. Eine Stadt, deren jedes Haus ſie vor zwei Jahren noch kannte, und jetzt vermochte ſie nicht eine einzige Gaſſe wieder zu erkennen.

Stellenweiſe fehlten ganze Häuſerreihen; wo ſie einſt geſtanden, gähnt ein leerer Raum. An einer Stelle ſind bekannte Plaätze mit Palli— ſaden verrammt; hinter ihnen erhebt ſich ein im— proviſirtes Pfahlwerk; bald wieder gelangten ſie an eine lange Häuſerreihe, wo nur ein jedes zehnte Haus durch ein Nothdach geſchützt iſt, die übrigen find nackte Ruinen, mit ſchwarz gähnen- den Fenſterreihen.

Kaͤpor eiferte Judith, weldhe nicht vorwärts fam, zur Eile an: Gehen wir, gehen wir, blei— ben wir nirgends ſtehen! ...

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Ueber den Trümmerhaufen der einjt ſchoͤnen Stadt ragten fünf traurige Thiergeitalten empor.

Eilen wir, eilen wir!...

Keiner einzigen Patrouille konnte man be= gegnen . . . Wozu hätten fie auch gedient ?

Jetzt kamen fie an eine Ede, wo Judith erihüttert anhält, An dieſem Haufe vermag fie nicht vorüber zu eilen, ohne ftill zu halten, trotz— dem fie Kapor zur Eile antrieb.

Diejes Haus iſt ihr Elternhaus.

Es ift bis auf den Grund niedergebrannt. Die fahlen Wände hatte der Regen verwaſchen, im Hofe wucherte Unkraut, die Kellerwölbungen hatten die Bomben durchbrochen, Sie warf durch Das verroftete Gitter einen Blid in das Zimmer, an welches fi jo viel ſchöne Erinne- tungen fnüpfen. Sie erfennt es noch an den Ueberbleibiein der Malerei, welche jilberfarb mit blauen Blumen gewejen. Die Wände haben noch bie und da die Farbe behalten.

Dort ſtand einft ihr Klavier, auf weldem fie die Lieblingsmelodien Béla's jpielte, dort ding das Portrait des Geliebten, bier hingen die Portraits ihrer Eltern. In jenem Altoven ftand binter weißen Gardinen ihr Bett, und hier knapp am Fenſter ihr Arbeitstiihchen. Seht über- wuchert mannhohes Unkraut das Fenſter, aus defien Riflen -giftige Pilze ihre Köpfe hervor— fteden.

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Dies war einft das Heiligthum ihrer glüd: Iihen und unglüdlichen Liebesträume.

Dort raufht etwas im dürren Unkraut, bielleiht ein faltes, giftiges Reptil, welches jekt in diefem Raume hauft.

Gehen wir weg von hier! ... geben wir, mahnte Kaͤpor feine träumende Gefähr- tin, und zog fie fanft von der traurigen Stätte weg.

Judith jeufzte tief auf. In dieſem Seufzer offenbarte fi) der Gedanke: Mutter! ich bin den- noch glücklich!

Nachdem ſie durch die lange, krumme Megyorcser-Gaſſe geſchritten, gelangten ſie an eine ziemlich erhaltene Häuſergruppe, unter welcher ſich auch Kaäpor's Hütte befand.

Kaͤpor war Witwer. Er hatte ſein Weib diejes Jahr begraben. Die Hauswirthſchaft veriah feine Tochter, dieſe hieß Katicza.

Das Mädchen lief mit einem Freudenſchrei auf die Gaſſe hinaus, als fie die Stimme ihres Baters erkannte. Sie glaubte, er fei vom Himmel gefallen.

Nur ftille, ftile mein Kind ! beſchwich— tigte fie der Alte; brauchſt feinen fo großen Lärm zu fhlagen, ich bin nicht allein gelommen.

Men habt Ihr denn noch mit Euch?

Ich werde es Dir fhon jagen, wenn er Fortgegangen. Schließe die Thüre des erften

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Zimmers auf, und bleibe dann ruhig im Hinter- ſtübchen, bis ih Dich rufen werde.

Judith blieb einftweilen auf der Gafle ftehen, bis Kapor aus dem Haufe tretend, ihr bedeutete, daß fie nun unbemerkt hinein fünne.

Ich mödhte mid umlleiden, fagte Judith bin bis auf die Haut durdnäßt.

Bitte nur in's Zimmer zu gehen, dort fonnen Sie die Kleider meiner Tohter anlegen.

Danke. Ich Habe mir Kleider mit- gebracht. |

Die werden aber au naß fein.

Das thut nichts.

Damit trat Judith in's Zimmer und ver— riegelte die Thüre Hinter fih; unterdeffen rief Kapor feine Tochter, befahl ihr, Feuer zu mahen und ein gutes warmes Frühftüc zu be— teiten, er erzählte ihr biebei im Kurzen, wo er gemeien, welche Schickſale er erlebt Hatter verſchwieg aber wohlweislih Alles, was jih au, Sudith bezog.

Das Feuer Jrannte bereits luftig, und Die darüber Hängende Pfanne jpendete einladenden Duft, als ſich die Thüre des fogenannten erften Zimmers halb aufthat, und Judith ihre Stimme ertönen ließ:

Kapor Bäcsi!..

Befehlen, gnädige Frau? rief Käpor, bereitwillig der Thüre zueilend.

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As cr in das Zimmer trat, blidte er ftaunend um ſich. Bor ihm jtand ein junger Mann, in voller Dffiziersuniform, mit kurzge— ihorenem Haar und einem rothen Käppchen auf dem Kopfe. Selbft "die Stimme fonnte er nit wieder erkennen, denn fie Hang ſteif und barſch.

Habt Ihr nicht irgendwo einen über: flüfligen Säbel ?

Käpor fonnte aus jeinem Staunen nicht herausfommen. Wo fam Judith Hin, und wie fam diefer junge Offizier hieher ?

Da nahm Judith ihren natürliden, weichen Ton an, und jagte, fi) freundlid an den Alten wendend :

So gebt mir denn einen Säbel, denn ohne den bin ic fein ganzer Solvat.

Kapor Ihlug die Hände vor Weberraihung zujanımen, und rief: „Na, das hat auch nod) feine Menſchenſeele geſehen!“

Wie ſollte ich keinen Säbel haben? Bin doch ſelbſt Nationalgardiſt geweſen, ſagte er mit haſtiger Bereitwilligkeit, und griff nach dem Schleppſaͤbel, welcher in der Ecke an der Mauer hing, ſchnallte ihn um die Hüften Judith's, indem er ſeufzend in den Bart brummte: „was man noch Alles erleben muß!“

Kaͤpor's natürlicher, ſchnellfafſender Geift begriff ſofort, wozu dieſe Verkleidung diene

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Er fand Th auch alliogleih in jeine Rolle, und fprah mit feinem Gafte in barſch joldatiihen Zone.

Treten Ste in die Küche heraus, ge= ftrenger Herr Hauptmann, bier fünnen wir ung am euer erwärmen, meine Tochter Katicza be- reitet ſoeben das Frühſtück.

Während er jo ſprach, hatte er die Frauen: fleider Judith's in den Schrank veriperrt, damit fie Niemand gewahr werde.

Judith ſah einem Mann vollitändig ähn: ch, und das war Feine geringe Kunſt. Das Kleid trägt zwar viel zu dieſer Kunſt bei, aber niht Alles. Der verbrämte Bekes verbarg zwar die reizenden Frauenformen, die hohe Kravatte den geihmeidigen Hals; das durch geſchickt ange- brachte Schminke gebräunte Geſicht erhielt eine männlihe Färbung, die Zigarre im Munde trug außerdem viel dazu bei, um die Täuihung voll- fommen zu maden; troßdem blieben fo viel Heine Nuancen übrig in der Haltung, im Gang, welche auch duch die Maske die Krau in einem jelbftvergeffenen Momente verrathen konnten. Der Kopf darf nicht ſanft nah Vorne geneigt fein, Jondern muß jtolz aufrecht gehalten werden; die einwärts gewöhnten Kniee müſſen frei und nad) auswärts jtehen; der ganze Körper muß im Stehen und Gehen ſtets auf den Ferien ruhen und nicht auf den Fußſpitzen; die Hüften müſſen

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ihre Gelentigfeit verleugnen, die Schultern aus: einandergeipreizt gehalten werden; dabei muß fih im Blide, in Haltung und Bewegung ſtets jene Selbitjtändigfeit und jener Muth äußern, welcher nur wahren Männern eigen, und was das Schwierigſte ift, das Gefiht muB die angewohnte Gleichgiltigkeit dem ſchärfſten Mannesblide gegen- über zu bewahren willen.

Alles dies gelang Judith auf das Treff: lichte. Sie trat in die Küche, bot dem Mädchen einen „guten Morgen’, zündete die Zigarre am Feuer an und ſchwang ſich an den Rand des großen Herdes hinauf, um da figend ihre Sporen nad dem Takte des Liedchens, das fie pfiff, zu= fammen zu jchlagen.

Nah ihr tratKapor in die Küche mit einer vieredigen Flaſche und einem Heinen Gläschen in den Händen. Die Flaihe enthielt einen ſtarken Branntwein, der auf allerlei duftende grüne Kräuter angejekt war.

Nehmen Sie ein wenig Schnaps, ge: ftrenger Herr Hauptmann, Tagte er, das Gläs— hen mit der jmaragdfarbenen Flüfſigleit füllend. Wird nah dem Marſche nicht ſchaden.

Sudith Hatte nie eine geiftige Flüffigfeit gefoftet, dennoch ftürzte jie Sen Inhalt des dar: gebrachten Gläschens ſchnell hinab.

Trinkſt Du nicht auch? frug fie das Mädchen mit vom ſcharfen Getraͤnk erſtickter Stimme.

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Gott bewahre! rief das Mädchen ab- wehrend, da3 Zeug möchte mir ja den Magen durhbrennen.

Auh Judith glaubte, dag ihr jo geichehe.

Dod ift es hundertmal befjer als Dein Gebräu da, jagte Kaͤpor, nahdem er ſich von der Vortrefflichkeit feines ſelbſt angelegten Stär- Iungstrantes überzeugt hatte. Hättejt es gar nicht fochen jollen !

Mas würde denn die „gnädige Frau“ da im Zimmer gefrühftüdt Haben? entgegnete Katicza mit ihrer Hausfrauenweisheit.

Judith lachte laut auf.

Was für eine gnädige Frau? rief Käpor.

Zu der hr joeben geiproden, als Ahr ſagtet: „Was befehlen gnädige Frau ?*

Käpor gerieth in Zorn.

Ich ... hätte „gnädige Frau’ gelagt. Du Tall Du ... Wilft Du mir etwa aufbin- den, daß ich betrunfen jei? ... Gnädige Frau! . . . Unerhört! Made ein anderes Mal Deine Ohren beffer auf, und jchliege Deine Augen, und halte den Mund! ... Verftehft Dup! _

Na, na, Käapor-Bäcdi, nur ſachte ein wenig. Man darf ein Mädchen nit vor einem Wanne beihämen, ſagte Judith, und fügte in energiihem Tone hinzu: Das laffe ih nicht zu. Shot Donnerwetter! ...

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Käapor brauchte nur diefer Andeutung, daß er nun fluhen müffe, und verjtand ſich gleich dazu.

Kreuz Donnerwetter! Ich jol fie nicht ſchelten? Sit fie nicht meine Tochter ?!...

Und was dann, wenn fie meine Geliebte wird ?

Das werde ih mir ausbitten, Donner nod einmal!

Als das Mädchen den Streit hörte, lief es erihroden aus der Küche.

Käpor und Judith lachten dann nad Her: zensluit, daß ihnen der Streih jo gelungen.

Rrädtig!.. . Ausgezeichnet! Das’ geht ja, al3 wenn Sie ſchon jahrelang in der Kaſerne gewohnt und Rekruten abgerichtet hätten.

Die verſcheuchte Katicza fonnte nur mit Mühe in die Küche zurückgelockt werden, und als fie endlid kam, hätte fie nicht um die Welt mehr den Blick auf den Offizier gerichtet, woran fie auch ganz recht that.

ALS der Kaffee aufgetragen war, holte Kapor ſtark gepfefferten Speif aus der Kammer und jete denjelben jeinem Gafte vor. Judith verihmähte den Kaffee und langte nad) dem Sped, um auf echte Männerart zuzugreifen ; während des Eſſens be: diente fie fih der Kauft anftatt einer Serviette, ganz 19, wie e3 Soldaten im Lager zu thun pflegen.

Kapor lachte zufrieden in den Bart, und nur

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bie und da brummte er: „Sähe ich's nicht, nimmer würde ich's glauben.”

Mittlerweile begann der Morgen zu grauen. Auf der Gaſſe ertünte Trommelihlag, und die Stadt begann lebendig zu werden. Aus jedem der Häufer traten Soldaten heraus, um fi in Reih' und Glied zu ftellen. Offiziere in voller Parade eil- ten der Zeitung zu. Judith nahm plößlichen Abſchied von Käpor, mengte fi zwiſchen die Offiziere und ging, wohin dieje gingen.

Kaͤpor ſah ihr lange nad; weder Haltung noch Ganz verrieth das Weib.

„er möchte es glauben, daß es dennod ein Weib iſt!“ brummte der Alte, fid) die Hände rei- bend....

Judith gelangte unbehindert in die Feſtung Auf dem Wege dahin erfuhr fie von ihren improbi= jirten Kameraden, daß die Geleiticheine für die fa- pitulirende Armee heute ausgeftellt werden,

Judith raiſonnirte folgendermaßen: Die Geleitiheine werden entweder durd) das jeweilige Teftungstommando, oder durd die Berehlshaber der Dffupationstruppen verabfolgt. Im erfteren Falle hatte fie felbft dann nichts zu fürdten, wenn fie erlannt würde, denn die Betreffenden werden ihr den Betrug gewiß nicht übelneh- men. Wenn aber die Anderen diefe Aufgabe voll= ziehen, jo hat fie unter ihnen feinen Belannten, und kann unter dem Namen ihres Gatten leicht

Aindere Zeiten andere Menfchen. II. Band. 9

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durchrutſchen, und dieſen dadurd) von der grüßten Sefahr retten.

Sie glaubte Ihon felbft über jede Gefahr hinaus zu fein, und daß der glüdlihen Ausfüh- rung ihres Planes nihts mehr im Wege ftche.

Es herrſchte ja bereit3 ein jo liebenswür- diges Durdeinander in der Feltung, daß ein jo kleine qui pro quo leicht überfchen werden konnte.

Gegen dreihundert Stabsoffiziere ftanden gruppirt im Hofe; Stab3offiziere, die feinen ein- zigen Soldaten in der Peltung hatten, Subalternöffiziere an die Tauſend, die nit zur Beſatzung gehörten, unter ihnen eine Menge, die geftern noch Feine Soldaten gewejen. Es war dies ein Akt der Rettung, dem man gerne durd die Finger ſah. . . Jedem, der zur Bejakung ge— hörte, war freier Abzug zugeſichert.

In der Feſtung erfuhr es erft Judith, daß die Geleitiheine durch eine gemiſchte Rommilfion vertheilt werden.

Sie trachtete nicht vorzudringen ; fie hoffte, man werde gegen Ende weniger aufmerkiam fein, und fie daher weniger Gefahr laufen, erfannt zu werden.

Dann kalkulirte fie, dag man in die Alters: rubrik „einundzwanzig“ fchreiben werde; hieraus läßt fi im Ungariſchen, fei es mit Ziffern oder Buchſtaben geſchrieben, leiht „bierundzwanzig“ machen, ohne daß man die Fälihung bemerken

131 fönnte. .. . Bela Laͤvay war vierundzwanzig Sahre alt. Sie hatte aljo Alles im Voraus bejtens ausgedadht.

Gegen Mittag begannen fi die Dichten Gruppen ter fid) meldenden Dffiziere zu lichten, da Viele, des Warten? müde, die Sade auf Nahmittag verichoben,, oder zum Speiſen gingen ; ebnn diefe Zeit benügte Judith) und betrat den Pavillon, wo fih das Bureau der Kommilfion befand. | |

Es waren dies diejelben Zimmer, in welchen einft die alte Laͤvay in finfterer Naht eridien, um die Ehre ihres Sohnes mit bewaffneter Dand zu vertheidigen. .. Damais die Mutter, jetzt die Gattin.

Der größte Schuß des Himmels ift, den er durch Die Liebe des Frauenherzens endet.

In den vollgefüllten Räumen berriähte eine egyptiſche Hike, trotzdem daß ſämmtliche Fenfter offen ſtanden; im Vorzimmer gab es fein Plaͤtz— chen, wo man ſich niederlaſſen konnte. Judith fühlte ihren Kopf ſchwindeln; die drückende Lage, das Herannahen des für's Leben entſcheidenden Augenblickes, die Zweifel die in ihr aufzutauchen begannen in dem Momente, wo ſie ihrer ganzen Seelen- und Koͤrperkraft bedurfte, a ſie hart angegriffen..

Endlich tam die Reihe an ſie, daß ſie bis

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= 13

zu jener Thüre gelangen konnte, hinter welcher die Kommiſſion tagte.

Sie wurde hineingelaffen.

An einem langen Tiih ſaßen mehrere der Beſatzung angehörize Offiziere, die fie nicht kannte, und wieder Andere aus dem feindlichen Lager;... von Dielen kannte fie jedoh Einen jehr gut... und diefer Eine mußte aud fie und auch ihren Gatten Bela fehr gut Tennen... dieſer Eine war der alte Kolbay ...

Als Judith dieſes Gefiht gewahr wurde, drängte fi) ihr alles Blut nad dem Kopfe. Auf diefes Unglüf war fie nicht vorbereitet, obwohl es ganz natürlich ſchien, das Kolbay dort fike.

Der Beteran hatte einen ganzen Stoß be: druckter Zettel vor fi) liegen, deren Rubriken er mit der Perfonsbeihreibung der ſich nadeinander Meldenden ausfüllte, zu dieſem Zwecke hatte er auch feine Brille aufgelegt.

Ein anderer Offizier ftand an einer offenen Truhe, aus welcher er die letzte Monatsgage Jedem, der feinen Zettel hatte, einhändigte.

Bor Kolbay mar die Verftellung un— möglid. \ | |

Judith fühlte fih von einer Ohnmacht an- gewandelt ; fie bedurfte der ganzen Stärke ihrer Seele, um ihren erftarrenden Nerven zu gebie— ten, damit fie fi im entſcheidenden Momente nit durch deren Schwäde verrathe.

Kolbay betrachtete ftarr die jugendliche Ge— ftalt mit feinem ftrengen Blide, und frug dann im trodenen Tone:

Wie heißen Sie?

Judith fühlte die Schwere eines Gewitter: Himmels auf ihren Schultern laften, als fie die Frage beantworten mußte:

‚Bela Laͤvay“ .....

.... Kolbay heftete abermals einen langen Blick auf das Gefiht Judith's, welde im Xodes- fampfe der Verzweiflung wartete, wie viele trodene Inarrende Stimme ausrufen werde:

„Das ift niht wahr!... Sch kenne Bela Laͤbay! .. Sie find es nidt... Sie find Har— . gitay, feine Gattin! ...

Der Beteran reinigte fid) jedoch die Brille mit feinem bunten Sacktuche, beugte fih dann über den vor ihm liegenden leeren Zettel und fhrieb: „Bela Lavay, Hauptmann.‘

Sodann hob er abermals jeinen Kopf in die Höhe und frug mit der gewöhnlich Inarren= den Stimme:

Wie alt find Sie?

Judith gewahrte es in diefem Momente erft, daß der Geleitihein in deutiher Sprade ausgeftellt ward und die Zahreszahlen mit Buch— ftaben eingetragen wurden.

Somit konnte fie nicht nad) ihrer bereits an- geitellten Berechnung aus „einundzwanzig” bier

ne BE undzwanzig maden, denn dies geht in deuticher Sprade nidt.

Diefer neue Shred erdrüdte fie beinahe.

Was fol fie nun antworten. Sagt jie einundzwanzig, jo kann Bela feinen Gebraud vom Geleitsſchein machen; ... wenn fie vierundzwanzig angibt, wird man ihr's nicht glauben, da der maͤnnliche Zug im Geſichte fehlt.

„Einundzwanzig“ ... ſtammelte fie endlich heraus.

Welch' ein junges Kind! murmelte ein Offizier im weißen Waffenrock.

Beſondere Kennzeichen? knarrte der Ve— teran und ſchrieb: „Geſicht: oval, Augen: ſchwarz, groß; Mund: Hein, Haare: ſchwarz, kurzge— geihoren.... |

Der Offizier im weißen Waffenrode fügte Hinzu:

„Eine Narbe auf der Stirne.‘

Kolbay hob den Kopf empor und richtete feinen falten Blid auf die kaum vernarbte Wunde, beugte fi etwas vor, um beffer zu fehen, und jhrieb dann: „eine Narbe auf der Stirne. |

Don dem, was nachher geihah, mußte Judith nichts mehr. Wie fie aus dem Zimmer fam, wie fie über die Stufen auf den Korridor des Pavillons gelangte, wußte fie ebenjowenig, als fie eine klare Vorftellung davon hatte, Mas

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fie that, als ſie den Kopf auf die Schulter eines grauen Artillerieoffiziers lehnte, der ihr ein Glas friſchen Waſſers bot.

Iſt Dir übel geworden, Kamerad? Kein Wunder in der verdammten Hitze, und im zugeknopften Belets. .Wesdhalb knopfſt Du ihn nicht auf?

Nein, nein! wehrte Judith ab, in lan— gem Zuge die friſche Luft einathmend. Es iſt ſchon vorüber, ich danke Dir.

Dann ſehe, daß Du auf Dein Quartier kommſt, und lege Dich zu Bette; bier haft Du Deinen Geleitihein und Dein Geld.

Was für Geld?

Nun, Deine Monatsgage, welde Dir noch gebührt. _

%, richtig. Sch danke.

Der alte Artilleriſt klopfte den jungen Ka— meraden auf die Achſeln und dachte: Dir wäre es auch noch beſſer geweſen, bei Deiner Mutter zu bleiben und ihr Strickwolle abwickeln zu helfen.

Judith lüftete beim Grüßen die Mütze, der alte Soldat gewahrte hiebei die Wunde.

Verzeihe mir, Bruder! rief der alte Haudegen, die Hand bietend.

Weshalb? frug Judith verwundert.

Der Alte drückte ſtumm die dargebotene Hand. . . Er bat um Verzeihung für feine Ges danken, die er nicht ausgeſprochen.

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Judith gewann an der freien Quft ihr bol- les Bewußtſein und eilte dem Haufe Kaͤpor's zu.

Auf dem Wege dorthin dachte fie ununter- broden darüber nad), wie man aus dem deutichen ‚Einundzwanzig“ ein „VBierundzwanzig“‘ zaubern konnte. |

Als fie, aus ihrem Nachgrübeln plötzlich er- wachend, aufblidte, befand fie fi vor dem Haufe’ der Mutter Bela's.

Das Haus Hatte bereits ein neues Dad, nur waren die Wände nod) nicht friſch angemworfen, die Fenfterftüde waren jedoch ſchon eingentauert.

An einem diefer Fenfter gewahrte fie die Mutter Bela’s.

Die alte Dame trug feine Haube am Kopf; die grauen Haarbüfheln hingen ihr wirre in's Geſicht. Sie ſtand mit verweinten Augen da, und blickte jeden Vorübergehenden fragend an, als ſuchte ſie Denjenigen, der ihr von ihrem Sohne Nachricht brächte.

Und Judith war doch ſo unbarmherzig, daß ſie ihr Geſicht abwendete, um nicht erkannt zu werden.

Die Gefahr iſt ja fo lange, als fie Bela in feinem Aſyl aufſucht, nicht bejeitigt. Die Beruhigung der Mutter könnte ihn verrathen. Die Mutter muß noch lange, fo lange weinen, bis der Streich gelungen. Für diefen grauſamen Gedanken mußte Zudith einft ſchwer büßen.

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Bon der Mutter Hätte fie ja nichts für ihren Geliebten zu fürdten gehabt. Würde fie ihr nur jo viel gejagt haben: „Bela lebt; fein Ge: leitsjchein befindet fih in meinem Händen; bis id) ihm diefes Papier nicht übergeben haben werde, Ihliege Dih ein, zeige Dih vor Niemandem, man könnte Div das Geheimnig von Deinem Geſichte herablauſchen;“ ... die alte Matrone hätte ſicherlich gehorcht, fie hätte ihr Haus in eine Klauje umgeftaltet und hätte jelbft ihre Fen— fter verrammt, damit ja Niemand die Ruhe auf ihrem Geſichte erblide.

Doch war die Beſorgniß Judith's fo groß, dag fie ihr Vertrauen nit Niemandem zu theilen fi) getraute, außer mit dem einzigen Manne, den fie liebte, den fie beihükte, und außer welchem feine Seele für fie auf der Welt lebte.

Sie hatte nur noch eine Sorge, wie die Jahreszahl umzuändern wäre, | Schwefeljäure vertilgt die Spuren der Tinte bom Papier... Aus dem großen „E* kann man ein „B*, aus dem Heinen „n“ ein „r” machen, dann wird es „Bir“ heißen, und man wird es für einen orthographiſchen Fehler halten.

ALS fie in das Haus Kaͤpor's gelangte, er- ſuchte fie alliogleih SKaticza, diefe müge ihr aus der Apothefe cin Flaͤſchchen Schwefelfäure und blaue Mlizarintinte bringen, denn mit leßterer war der Geleitichein geichrieben.

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Erft als das Mädchen mit dem Verlang— ten zurüdfam, zog fie das Dokument hervor, und bat Kaͤpor und feine Tochter, fe mögen fie allein laſſen.

Sie m. ja die Abſicht, ein Dolument zu faͤlſchen! ..

Ihr ganger Koͤrper erbebte bei dieſem Ge— danken. Es wird zwar durch dieſe Fälſchung Nie: mandem Schaden zugefügt; es iſt dies ein pie— taͤtsvoller Betrug, der weder Gott noch Menſchen beleidigen kann! . . . Aber Betrug bleibt Betrug, Faͤlſchung bleibt Fälſchung! ... Wie, wenn jeder Betrug Schon bei feinem den Keim des Fluches in ſich trägt ?... Iſt die Wahrheit nicht ewig, unüberwindlih ?.

Und wie, wenn fie durch dieſe ſe Falſchung | den Geleitihein ganz verderben, ganz werthlos maden, oder ganz annulliven mödte?... Was ift hier zu beginnen ?... |

Sie ging, von Zweifeln gemartert, im Zimmer auf und ab. Wer fie geiehen haben würde, wie fie die Hände über dem Kopfe ringt, wie fie mit ihrem flehenden Blide dort Oben Hilfe zu ſuchen jchien, wie ihr Buſen ungeſtüm wogte, dem würde es alljogleid Kar geworden fein, daß es fein Mann, fondern ein Weib, ein liebendes, ein verzmweifelndes Weib ift...

Mit einem plöglihen Entihluffe entfaltete fie das Papier und legte es fo auf den Tiſch.

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Ihren Lippen ‚entfuhr ein Aufſchrei des Jubels, der Ueberraſchung, als fie einen Blick auf dasſelbe warf. |

Sn der Altersrubrit des Geleiticheines fand es mit großen, dicken Buchſtaben ge= Ihrieben : I

„Bier und zwanzig”.

Kolbay hatte es ja gut gewußt, wie alt Bela ſei. Sah er ihn dod vor feinen Augen aufwachſen. =

Judith fiel auf die Knie, beugte ihr Ge— fiht über Die Platte des Tiſches und begann zu weinen, und während des Meinens zu lachen ; dann küßte fie das Papier hundertmal, und rief ebenio vielmal den Namen Bela's.

Sie war ein Weib! ganz, ganz ein Weib.

Die arme alte Dame ftand mit ihrem Schmerze noh am jpäten Abend an ihrem Fen— fter und ‚betrachtete mit ihren verweinten Augen die Vorübergehenden.

Da ſchlich aud, von den Mühen des Ta— ges erſchöpft, der alte Major Kolbay vorüber, welcher nach der plötzlichen Wendung des Schick— ſals aus ſeiner Höhle kroch und eine Stelle bei der Kommiſſion annahm, nicht um dem erbleich— ten Glanze der ungariſchen Waffen zu ſpotten, ſondern um den Flüchtlingen den Rettungsweg zu bahnen.

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Als er an's Fenfter der alten Dame ge: langte, blieb er auf einen Moment ftehen und Elopfte mit feinem dürren Finger an die Fenfter.

Gnädige Frau! Merken Sie fi Dielen Tag, und erinnern Sie ſich eines Tages, was Shnen heute der alte Kolbay gelagt: „Gnädige Frau, alte Freundin! Ihre Schwiegertodhter ver: dient es, daß Sie ihr, wenn Sie mit ihr zu allererft zujammentreffen die Hände küffen.“ Ich babe das gelagt. Vergeſſen Sie es nicht.

: Damit ging er weiter, ohne jeglihe Er: Härung.

Köfes Geſchick.

Wem ift es nicht Schon widerfahten , daß er Jemanden oder Etwas vom Untergange ge= rettet bat.

Und wenn es auch nur ein dem Grtrinfen naher Hund, ein flügellahmer Vogel, ein vom Sturme entwurzelter Baum, oder eine melfende Blume geweſen ift: der kann ſich Die Freude Ju⸗ dith's vorſtellen.

Sie vermochte nicht, den nächſten Tag zu erwarten; noch in derſelben Nacht begab ſie ſich mit Andreas Kaͤpor, der ihr heilig gelobte, ſie, wenn es nöthig, ſelbſt an's Ende der Welt zu führen, auf den langen Weg.

Sie mußte ja eilen, um Bela dort anzu: treffen, wo fie ihn verlieh, ihm das Verſprechen abnehmend, daß er ſich jo lange nn werde, bis fie zurüdgelehrt.

Der Drt, wo Bela verborgen. war, lag in irgend einem vierten oder fünften Komitate; er ift auf feiner Landkarte zu finden, und liegt in

142 einem Winkel, zu welhem nur ein einziger Weg führt. Derſelbe führt auch zurüd,

Dort harrt der geborgene Gatte feines treuen Weibes, und zählt ſehnſüchtig die Augen blide, welhe ihn von feiner Geliebten _ trennen. Dieſe Augenblide dürfen nicht vermehrt werben.

Andreas Kaͤpor wußte es ſehr gut, obwol er nie darnach gefragt, was Judith anſtrebe, wes— bald fie jo große Eile hat ?.

Die hajtige Verkleidung, das Anſchließen an die Beſatzung, hatten ihm Alles deutlicher er— klärt, als wenn man's ihm mit Worten beige— bracht hätte. Der. alte Mann billigte es von Herzen. Der gute Gedanke hätte auch Anderen fommen und Mancher der jpäter verbluteten gro- ben Männer hätte gerettet werden fünnen. Doch hatte nicht Feder derjelben eine jo aufopfernde Frau, und ein Mann fann das nimmer bewerl: ftelligen. |

Kapor machte daher nie Einwendungen, wenn ihn Judith auch nad der Abenddämmerung noch antrieb, eine Station weiter zu fahren, er ſah ja den Weg auch bei der Naht, und wußte e3 gut, daß die arme Frau ſtark Gile habe,

Und doh war das Wetter jo ſchlecht und die Frau fo müde. Die Ueberihiffung der Waag während des gräßlihen Sturmes, das Naßwer— den während des Schiffbruches, der darauf fols gende Tag voller Aufregung und Angſt, die ver—

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zweiflungsvolle Beſorgniß, waren viel zu viel, als was Frauennerven zu ertragen im Stande find.

- Sie war wirklih frank, wollte ſich's aber ſelbſt nicht geſtehen.

Wenn ſie vom Wagen ſteigen wollte, mußte fie Kaper herabheben. Sie während der Reife beinahe gar nichts; trank nur Thee und ſchwarzen Kaffee, um ſich den Schlaf zu ver- ſcheuchen.

Das rothbackige, kerngeſunde Bauern— mädchen, welches Kaͤpor von Peſt mit ſich ge— führt, wurde nur zum Schatten deſſen, was ſie einſt geweſen.

Das vorgeſtrige Gewitter und der Wind, welcher auf dasſelbe folgte, hatten die Luft der— art abgekühlt, daß der Sommer allſogleich in Herbſt umſchlug. Man konnte mit Gewißheit borausjegen, daß, wenn diefer Wind fich legt, welder die grauen Wolfen da oben bor fich her— treibt, es alliogleih ſchneien werde.

Se höher der Weg gen Norden ging, um fo rauher wurde das Wetter, um jo blafjer die Frau.

Ein einziger Gedanke verlieh ihr Kraft und lich fie nicht zuſammenbrechen.

Das geſchieht ſehr oit. Das Ficher wüthet Thon in allen Adern, die Nerven zittern darunter, aber eine mädhtigere Kraft, ein gebietender Ge— daufe Hält die Leiden des Körpers nieder und lägt die Krankheit nicht zum Ausbruch Fommen-

——

Judith dachte an Béla; Judith eilte zu ihm. Bis dahin darf fie nicht erkranken. Wie wird fie ihn überraihen, wenn fie ihn in dem feinen Hofe unter der alten Linde, in Gedanken vertieft, figend findet, oder ihn in der Nacht von böien Träumen zu einer ſchöneren Wirklichkeit er- wedt.... Wie wird fie ihm die Augen zubalten, und mit verftellter Stimme fragen: „Rathe, wer es iſt.“ Dder wird fie ihn vielleiht auf jeinem Spaziergange im Walde treffen, er muß ja täglid) meilenweit jeiner Judith entgegengehen ?! Mie wird fie fi den guten Leuten dankbar er: weiſen, die ihn verborgen hielten, die die Gefahr | muthig theilten, welche feine Anweſenheit ihrem Haufe gebracht. . . Wie werden fie wieder Arm in Arm liegen, Kopf an Kopf gelehnt, das Glück der Miedervereinigung genießen, und fi nie | mehr von einander trennen. Wie wird fie von | nun an ihren Gatten mit dem zarten Namen | „mein Kind“ rufen. Sie hatte ihm ja das Leben wiedergegeben... Und wie treu wird dieſer Gatte ewig an ihr hängen, denn die Geftorbenen, welche auch nach ihrem Tode noch lieben, pflegen nicht flatterhaft zu fein.

Diefe ſüßen Träumereien hielten jie auf: recht, daß fie unter der Wucht der Fahrniſſe nicht zuſammenbreche.

Kapor wußte es jelbft nicht, wo ſie reiſten Judith gab ihm die Richtung an, bezeichnete die

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nähften Wege, welhe zum Ziele führten, und e3 ging immer raftlos weiter.

Am dritten Tage ihrer mühleligen Reife gelangten fie in ein mit Waldungen dicht bewach— jenes Xhal. An beiden Seiten des Xhales ragten teile Bergrüden empor, auf denen die Bude jo riejenhaft wuchs, wie anderswo die Zanne. Die Heine, Schmale Wiefe des Thales wird von Gebirgsbaͤchen durchſchnitten, über welche der Holperige Weg bei jeder Krümmung führt; Brüden find in dieſer entlegenen Gegend unbe= lannt.

Der einzige Fahrweg führt in langen Krüm— mungen das Thal entlang. Stunden lang findet man keine einzige menſchliche Wohnung.

Stellenweiſe ziehen durch die Bergein— ſchnitte ſchmale Wege in das Thal hinab, welche von den durch heftige Regengüſſe erzeug— ten und mit Gerölle angefüllten Riſſen kaum zu unterjdeiden find. Auch diefe Wege find jekt verlaffen, nirgends eine Wagenfpur zu finden, man wird fie erft im Winter benüken, um mit- telft Schlitten Holz herabzuführen.

Die Fahrt dauerte ſchon ſeit Mittag bis Abends; immer tiefer und tiefer drangen fie in die Urwildniß, und nod immer zeigte ſich feine menihlihe Wohnung.

Mittlerweile fing es zu jchneien an.

Im Anfang riefelte e8 wie gefrorner Thau

Andere Zeiten, andere Menſchen IT Band. 10

=. MI

herab, ipäter wirbelten große Flocken nieder und °

bededten das Grün des Thales mit einem weißen Leichentuche.

Die Bruſt Judith's ſchnürte ſich in der Einöde zuſammen; ſie mußte es ſich hundertmal denken und wiederholen: „nun find wir nicht mehr weit, wir werden uns bald wiederjehen“, um nicht durd die Furcht der Einſamkeit er- drückt zu werden. | Käpor Ichüttelte mit dem Kopfe, ſchwieg jedoch, um feine Gebieterin nicht zu erfchreden, doch dachte er: wir fahren da an ſchlechtem Drte; wir müſſen uns verirrt haben; ein närriiher Meg das, und der wird aud) bald gar fein, und dann?!... Doch er jchrieg.

Plötzlich geriethen fie in noch finftereres |

Dickicht; fteile Bergmaſſen tauchten vor ihnen auf, an denen der Ihmale Weg gänzlich) zu den ſchien.

Fahren wir noch weiter? frug Kaͤpor ſich gegen Judith umwendend.

Nur weiter, weiter! mahnte dieſe mit zitternder Stimme, wir Aue gleich an Ort und Stelle ſein.

Kaͤpor ließ faum die Pferde ein wenig aus⸗ ſchnauben und jagte weiter.

Ploͤtzlich begann Kaͤpor zu horchen und zog die eiſerne Heugabel, die er ſich für alle Fälle

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mitgenommen, unter dem Sitze hervor und legte jih dielelbe zur Hand.

Ich höre Hundegebell, ſagte Judith, in die Stille des Abends hinaushorchend. Neh— men wir die Richtung, wir müſſen ſchon nahe fein.

Kapor Schüttelte mit dem Kopfe, und, ohne ein Wort zu jpreden, jpähte er bald rechts, bald lints, als fäme ihm Etwas verdädtig vor.

Beeilen wir uns, mein guter Käpor, das it Hundegebell, mir muüflen einem Dorfe nahe fein. |

Kapor jhüttelte abermals den Kopf und zog die Zügel feiner Pferde beſſer an, welche feit einer Zeit die Ohren jpigten und einem jeden Baumes jtumpfe bedaͤchtig auswichen.

Nicht wahr, das iſt Hundegebell? frug Judith den ſchweigſamen Mann?

Nein, gnädige Frau, das iſt nicht Hundegebell, ſondern Wolfsgeheul.

Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen, als fieben graue Beſtien aus dem Geſtrüppe hervor— brachen und quer über den Weg trabten; man fonnte fie einzeln abzählen. Sie verfolgten ein Reh, welches mit Ängftliher Eile durch das Dickicht brach.

Die Wölfe ſchienen unſere Reiſenden gar nicht zu beachten. Im Herbſte pflegen ſie Men— ſchen ſelten anzugreifen, nur der Hunger des Winters treibt ſie zu dieſer Verwegenheit.

10*

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Dennod bleibt e8 immer gräulid, den Be— ftien zu folder Zeit und in folder Einöde zu be= gegnen. Die jhon in der Ferne im grünen Feuer erglänzenden Augen verrathen nur zu deutlich, daß dies Hunde des Todes find, die von ihrem Herrn mit lebendem Fleiſch gefüttert und warmem Blute getränft werden...

In der traurigen Stille des Waldes konnte man no lange ihr Geheul vernehmen, bis fie in der Verfolgung in ein anderes Thal ein- bogen.

Auf Judith's Nerven wirkte dieje Szene furchtbar erregend. . . . Wenn fie jekt bier jo elend umlommen müßte! ... Keine, nicht die ge— ringfte Waffe bei der Hand. In jenen Tagen durfte man ja feine bei fih führen, jelbft gegen die reigenden, wilden Thiere des Waldes hatte man nur den Stock.

Wenn der Hungrige Rudel zurüdfehren tollte.

Ihre Glieder erfaßte Falter Schauer.

Käpor trieb feine Pferde zu fchnellerem Zaufe an; man mu ja doh am Ende felbit auf dieſem verzweifelten Wege zu irgend einer menihlihen Wohnung gelangen.

Das Wetter wurde immer rauber, der Schnee fiel immer dichter, kaum konnte man noch den Weg unterideiden.

Plötzlich gelangten jiein ein breites, flaches

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Thal, welches ganz unter Waller ftand, wo ji aud) die Spur des Fahrweges verlor.

Eind Sie durd) diefen Moraft gefahren, als Sie hier reiften ? frug Käpor, mit der Peitſche auf die Waflerfläche deutend.

Nein, erwiderte Judith, damals war der Weg troden und ftaubig, auf dieſes Waller erinnere ih mich nicht.

63 muß irgend eine Mühlwehr durd- geriffen fein und das Waller hat fi bier ge— ftaut. Es wird ſchwer gehen, da durchzukommen, aber deshalb in Gottes Namen.

Das Waſſer hatte eine leichte Eiskrufte, auf welder bie und da der Schnee ftehen blieb. Den Weg konnte man durchaus nicht fühlen. . |

Ploͤtzlich verſenkten fih Die Räder in ein tiefes Loch, und die Pferde vermodten den Wagen troß aller Anftrengung niht mehr herauszu— bringen.

So, jebt fteden wir da brummte Käpor im Tone verzweifelter Leberzeugung.

Judith Ihöpfte aus der Gefahr neue Kraft.

Wir müflen weiter. Verſuchen wir den Magen nad) der Seite zu menden.

Geht nit. Da in dem verdammten Tode fteden zwei Steine und haben das Rad

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eingezwängt, 's iſt noh ein Glüd, daß wir nicht umgeftürzt find.

MWa3 werden wir num beginnen ?

Wir übernachten bier.

Das ift unmöglid. Wir können die Naht hier niht abwarten.

Dann bleibt nihts Anderes übrig, als daß ih die Pferde ausipanne und den Wagen hier zurüdlaffe. Auf eines der Pferde breite ic) die beiden Kotzen, die Gnädige feken ſich hinauf, ih führe die Pferde, und fo müfjen wir doch endlih ein Dorf erreichen.

Ich bin noch nie auf einem Pferde ge: jeffen, und wirde mid fürdten. Tragt mid über das Waſſer hinaus, dann werde ich ſchon zu Fuße weiter fommen.

Kaͤpor gehordte. Er ſpannte die Pferde aus und trieb fie vermittelft des Leitjeil3 vor ſich her, hob Judith, wie man mit einem Rinde zu thun pflegt, auf den Arm, und watete fo bis an's Ufer des Waflers.

Dort bat ihn Judith, er möge fie zur

Erde jeken, fie würde ſchon weiter kommen.

Und doch hatte jie kaum mehr Kraft genug, fih aufrecht zu erhalten.

Mie ftrengte fie fih zur Eile an, wie wollte jie vorwärts!... Der Weg war jhlüpfrig, der Schnee fiel auf Ichmigen Koth und machte das Sehen doppelt beſchwerlich. Judith mußte

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151 fi) wiederholt an die mosbededten, feuchten Baumſtämme anlehnen, um anszuruhen, Ein: mal mußte fie fid) fogar auf einen bemoften Stein niederjegen, die Müdigkeit ſchien fie zu er: drüden. Käpor mahnte jedod, fie möge auf: ftehen, der Stein Sei kalt, fie könne fi leicht eine Krankheit zuziehen. Cie gehorhte und ichleppte fi ohne Klage weiter.

Der Weg wollte immer noch fein Ende nehmen. Bon Neuem wechlelten Wälder, Berge und Thäler, und nod) immer feine Spur einer Menſchennähe.

Da durchſchnitt abermals cin angeſchwol— lener Gebirgsbach den Weg. Kaͤpor mußte Judith abermals auf ſeine Arme nehmen, um ſie hinüber zu tragen. Dann ſetzte er ſie aber nimmer zur Erde.

Laſſen Sie mich hinab, ftammelte Judith mit bebender Stimme.

Nein, bei Gott, das werde ich nimmer thun, bis wir nicht unter Menſchen kommen! ſagte der jtarrföpfig gewordene Fuhrmann im entihiedenen Zone,

Ich bin ja nit müde!

Ich auch nicht Kommt es mir doc vor, als trüge ich nur ein Kind auf den Armen.

Judith fing leife zu jeufzen an. -

Nun iſt e8 aber ganz Nacht geworden, und mr das Schneeliht erleuchtete Die Gegend.

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Nah langem Marie gelangten fie in eine runde Lichtung, in deren Mitte ftand eine große Bude, die Wieſe durchſchnitt ein Bad, welder, zwiſchen Wildrofengejträudh laufend, einige Kas— faden bildete.

Als Judith den Baum gewahr wurde, tier fie:

Halten wir, mein Freund!

Diejer Baum ?

Gibt e3 Etwas an dieiem Baum ?

Ich erinnere mid dieſes Baumes. Tragen Sie mid Hin.

Käapor that, wie ihm gefagt wurde, und lieg dann Judith von feinen Armen gleiten.

Dieje lief ftrad3 auf den Baum los, und ihr Gemüth erheiterte fich plötzlich.

Fa ja, der iſt's. . . . Sch erkenne ihn ihon. Hier der Bach mit feinen wilden Rofen, hier der Stein, auf welchem wir mit einander Tagen! Bis hieher hatte er mic) geleitet, als er bon mir Abihied nahm; ich geftattete ihm nicht, weiter zu kommen. . . Kommen Sie dod her, Käpor. ... Sehen Sie, jehen Sie dieſe zwei Buchſtaben da in die Baumrinde gefchnitten, fie rühren von feiner Hand ber, Ein J, und ein B; iehen Sie mal, es bedeutet: Judith ud Bela! D mein Gott!...

Und fie bededte, vor Freude ſchluchzend, den legteren Buchſtaben mit ihren Küſſen.

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Bon nun an Ihien cs, als hätte fi) ihre Seele durd einen einzigen Gedanken berjüngt, als wäre fie zu friichem, fräftigem Leben wieder: geboren. Sie bedurfte feiner Stüße, feiner Hilfe mehr.

Nun eilen wir, das Dorf ift hier ganz in der Nähe, faum auf einen Steinwurf ent- fernt.

Wäre der Wind nicht geweien, hätten wir die Abendglode läuten gehört... Nun eilen wir, eilen wir.

Nun schritt fie mit leichten, elaſtiſchen Zritten voran, als wäre fie aller Sorgen bar, fie eiferte Käapor und die vor Müpdigfeit ftrau- helnden Pferde zur Eile an.

Zweihundert Schritte noch und wir find an Drt und Stelle!

Seht konnte man wirklich Hundegebell ver- nehmen. Es thut jo wohl, in üder, einfamer Naht die Stimme dieſes treuen Yausthieres zu vernehmen, jenes einzigen Thieres, bei welchem Freundihaft, Charakter, Muth und Selbftauf- opferung To jeltene Tugenden unter den Menſchen alltäglihe Gewohnheit find.

Das Gedaäͤchtniß Judith's täuſchte fie nicht. Bei der erften Wendung, welde hinter einem waldigen Hügel in’s Freie führte, Fonnte man das in einem Thale zerftreut liegende Dorf auf kaum hundert Schritte Entfernung erbliden; Die

154 Heinen Schornfteine rauchten, die Fenſterchen der zerftreut liegenden Häufer erglänzten in der Naht gleih Johanniskäferchen.

Judith hielt an und fagte mit vor Freude bebender Stimme zu ihren Begleiter:

Hier ift es, bier habe ih ihn ver— laflen !

Sept konnte jie es geſtehen; waren fie doch bereit3 an Drt und Stelle.

Ihr Herz ſchlug jo ſchnell, ihre Adern klopften jo heftig ;... war es von der großen Freude oder vom heftigen Fieber... .

Es ift nicht gut, ſich über etwas ftark zu freuen.

Das verfloffene Jahr Hatte es bewielen : Alles, worüber man fid) gefreut hatte, wurde zu Elend und Jammer.

Diefer Gedanke wurde gleich bei den erjten Häufern des Dörfhens im Gehirne Kaͤpor's rege, al3 er vor einem Zaune zwei eingeihlagene Pfähle gewahrte, zwiihen welden cine ſchmale hölzerne Tafel hing, an der Spitze einer dieſer Prähle war ein Büſchelchen Stroh befeftigt.

Auch die junge Frau fonnte es gewahren, doch verjtehen ſich die ftädtiihen Damen auf ſolche ländlihe Symbolif nit. Wühte fie, wie Käpor es weiß, was dieſe Piähle, viele Tafel, dieſes Strohbündel bedeuten, jite wirde vor Schred zufammenfinfen.

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An diejem Brette pflegen die bequartierten Reiter durch Klopfen das Zeihen zum Pferde: füttern zu geben.

Alſo nibt es wieder Gefahr.

Sie mußten durch das ganze lange Dorf ſchreiten.

Beim legten Haufe, deſſen rüdwärtige Fenſter fi gegen den Wald öffneten, hielten fie An.

Hier werden wir bleiben, ſagte Judith leiſe zu ihrem Begleiter; ſie fand leicht die Thüre, welche in die Küche führte.

Sie öffnete diejelbe ohne Geräuſch.

Bor dem Herde ftand die Hausfrau; am Rande desjelben ſaß eines ihrer Kinder, die zwei anderen spielten auf der Erde; der Mann hockte auf einem niederen Schemel und rebbelte Mais an dem Meſſer, welches in den Rand des Schemels befejtigt war. Sonft war Niemand in der Küche anweſend. P

Wo iſt Béla?

Als Judith die Küchenthür geöffnet hatte, ſahen Mann, Frau und Kinder alle neugierig den Gaſt an; als aber Judith in das Licht des hell lodernden Herdfeuers trat und das große Tuch, womit ihr Geſicht verhüllt war, auseinanderſchlug, da riefen Alle auf einmal: Jeſus Maria!...

Der Ruf eriholl aber nit im Tone der freudigen Ueberraihung, fondern in dem des Schredens.

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Gnädige Frau! rief das Weib, Ju— dith entgegen eilend. Sind Sie «3 ?

Ja, id bin es, gute Terez; dod wo it Bela ?

D barmberziger Gott, in Joldent Wetter! ...

Das Wetter thut nichts. Wo iſt Bela ?

Herr Bela? wiederholte die Hausfrau verwirrt, und blidte verzweifelnd ihren Gatten an, welcher ſich unterdeffen von feinem Schemel er= hoben hatte und an Judith berantrat.

Um des barmberzigen Gottes Willen, lagen Sie mir’, wo Bela ijt?

Der Mann ftählte feinen Muth und ant- wortete :

Herr Bela ift niht hier. Vor zwei Ta- gen kamen berittene Gensd’armen in's Dorf. Als fie Herr Bela gewahrte, öffnete er eines der in den Wald führenden Fenfter, Tprang durch das— jelbe und floh in den Wald, ohne einen Auftrag zu binterlaffen. Seitvem haben wir nidht3 von ihm gehört.

So meit hatte die Lebenskraft der arınen

Frau ausgereidht.

AS fie hörte, daß ihr Mann verihtwunden, daß er fi wieder in die von Gefahren wim—

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melnde Welt geftürzt, daß Alles, was fie zu ſei— ner Rettung, melde fie nun vollbracht glaubte, zu Nichts geworden ; daß fie ftatt der ſüßen Um— armung des Miederjehens in die folternden Arme Des Zweifels gerieth ... da jtürzte fie plößlich leblos zuſammen. Mehr zu ertragen, iftdem Weibe nicht gegeben.

u

Die beiden Leichen.

Nun find fie alſo beide todt.

I Der Eine lebt noch, bewegt ſich über der Erde, iſt aber dennoch tobt, er hat fein Recht an das Leben mehr; er iſt ein begrabener Mann. Gr muß fid) verbergen, ſchweigen, dulden, wie die Todten, er darf fih nur um Mitternacht auf die Erde wagen, wie die Geſpenſter.

Die Andere liegt bereit3 auf der Bahre.

Die guten Leute, in deren Haus Judith tam, hatten Alles aufgeboten, um Judith in's Leben zurückzurufen; als jedoch bis zum Abend des folgenden Tages jeder Verſuch erfolglos blieb, und die ſtarre Bläſſe des Todes vom Antlitze nicht weichen wollte, da zogen ſie ihr Todtenkleider an, ließen einen Sarg anfertigen und die Glocken läuten ... morgen ſoll fie begraben werden.

Hier iſt er alſo, der alle Räthſel des Lebens loͤſt, der Tod, welcher ſelbſt ein tiefes Rathſel iſt,

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welches der menſchliche Geiſt noch nicht zu löſen vermochte.

Die Weiſen der Materie haben durch ihre chemiſche Wiſſenſchaft es herausgebracht, daß die Lebenskraft nichts Anderes ſei, als ein chemiſcher Geſtaltungsprozeß, und der Tod nichts Anderes ift, als daß eine träge Maſſe in Fermentation übergeht, wie wenn der Wein zu Eſſig wird. Eines haben jedoh die Weiſen zu erklären ber- geſſen. . . . Wie wird der Eſſig wieder. zu MWein?...

Der Umlauf des Blutes ftodt bereits, das Herz hat zu ſchlagen aufgehört, die Nerven ge— horchen feinem Willen mehr ; die Maſſe fühlt nichts, ihre Laft zicht fie zur Erde hinab, in den Staub, zu den verwandten Atomen; .... wie aber, wenn der Tauſendſte, der Hunderttaujendfte auch dann noch denft?!.... Sagt es mir, Ihr Weifen der allmächtigen Materie, was e3 it, was da d’rinnen noch immer lebt, wenn die Wiſſenſchaft ſchon längft fein Zeihen mehr des Leben bedingenden chemiſchen Wirkens an der Materie wahrnimmt ? ... was nicht „Leben“, fondern „Seele ift . .. deſſen Sik Ihr bis: ber vergebens geſucht; ift er im Herzen, im Ge— bien, in der Wärme des Blutes? ... Hält es fih etwa in der denfenden Stirne, oder im Rüd: great cuf?... Dieſes Etwas, welches aud dann zugegen fein kann, wenn die ganze Staub-

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hülle bereit3 öde und kalt; diejes Etwas, welches auch dann Bewußtſein, Willen, Sehnſucht und Furcht empfindet, wenn es mit dem Organismus des Körpers nichts mehr zu thun hat?!

Erklärt es, wie es fommt, daß ein Leich— nam, deſſen jeder Blutstropfen bereit3 zu Eis geworden, es noch zu hören vermag, was man über ihn ſpricht; was die Todtenweiber jagen : „Welch eine ſchöne Leiche, wie ſchön der Myrthen- franz auf ihrer Stirne ftrahlt ?!“ Doc fühlt fie das Stehen der Blätter nicht mehr ; fie hört es, die Leiche, wie man fpriht: „ziehen mir den Trauring von ihrem Finger, damit wir ihn dem Gatten überreihen fünnen, wenn er wiederkehrt.“ Die Leiche fühlt es aber nicht, wie.man ihr den Ning vom Finger 309. Sie hört den Gejang der Todtenwädhter, das Todtengeläute der Gloden ; das Flüftern der Beſucher; fie hört das Knarren der Ringlein, al3 man die Vorhänge zulammen- zieht, damit ihr die Sonne nidt in's Gefidht heine, doch fühlt fie die Wärme des Sonnen: ſtrahls nicht. . ..

Die Leiche weiß Alles, was geweſen, Alles was noch kommen wird. ..

Sie hat noch ſo viel Bewußtſein, um auf die Zeit zurückdenken zu fünnen, welche in Tage, in Stunden eingetheilt geweſen; auf die Zeit, wo der helle Tag mit der dunklen Nacht ab: wechſelt; fie vermag an Jenen zu denken, den

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fie geliebt, beihügt, und für den fie geftorben ift; fie ift fi) bewußt, daß Diele Liebe, dieſer Shut mit dem Tode in die Erde verienkt wird, woher fein Auferftehen mehr.

Dieſe Leihe liebt und fürchtet jetzt noch; nicht etwa, daß fie in ein bretternes Gefängnif verſchloſſen und in die Tiefe der Erde. verientt wird, dab man cine ſechs Schuh hohe Schichte über fie wirft, und fie das allmälig dumpfer werdende Kollern der Erdihollen mit anhören muß; nidt, daß lange, nahdem es grauenhaft öde und ftille geworden iſt in ihrer langen, dumpfen Naht, fie noch lange, lange hören muß, wie der Maulwurf an den Brettern ihres Sarges bohrt; ... jie denkt nicht darauf, daß wenn nad) Tagen die Lethargie dem wiederfchrenden Leben weiht und fie zum chenden Bewußtiein er: wacht, fie den Tod bitten wird, um als ewiger Befreier zu kommen.

Nicht derart waren ihre Gedanken.

Ste kämpfte mit Anderem: der Gatte ift tort, er flüdtete fi in die weite Melt, und fie... hatte den Brief mitgenommen, der ihm das Leben gerettet hätte. Den Brief wird aber ‚Niemand finden können, denn der ift geborgen, fie hatte ihn ja in ihr Mieder zwiſchen das Fiſchbein eingenäht... . Wer würde ihn dort je finden ? Wie könnte erin die Hände des Veriolgten gerathen ?

Andere Zeiten andere Menfchen. II. Tand. 11

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Die Stirne der Leiche war kalt; innerhalb dieler Stirne lebte die Verzweiflung! .

Erflärt mir Dies, Ihr Weiſen der all: willenden Materie! .

Die Uhr ſchlug acht; die Leichenbeſucher wünſchten gute Nacht, und gingen.

| Der Hauswirth fagte zu feinen Leuten, fie mögen fi zur Nachtruhe begeben, er werde ſchon die Todtenwache halten.

Die Hausfrau veriprad Wein hineinzu— ſenden, die Nacht ſei ja lang, das Gemach kalt, und die Nähe der Leihe mahe noch älter... dem Manne war's recht; er lieh die Gattin ges währen.

Die Uhr ihlug abermals: „Neun!“ ..

An der Hausthüre wurde Säbelgeklirr ver— nehmbar, Tritte näherten fih dem Zimmer; es kam Jemand mit beipornten Stiefeln.

Der Hauswirth redete den Ankömmling an:

Guten Abend, Herr Wachtmeiſter. Wir haben eine Leiche.

Ich jehe es, Iprad) eine unbekannte Stimme mird vermuthlih die Gattin jenes Herrn jein, welder von hier entwid).

Ich weiß es nidt... habe weder den Herrn, noch die Frau gekannt.

Sie thun gut daran, wenn Sie jo ſprechen, ſagte der Wachtmeifter reden wir nicht mehr davon. !

So iſt's. Trinken Sie lieber ein Glas ein.

Danke. Auf Ihr Wohlfein.

Man hörte das Knarren des Stuhles, als fih der Wachtmeiſter ſetzte.

Ich wußte es wirklich nicht, daß mein Gaft ein gefährliher Menid) jei, begann der Hausmirth.

Ein ſehr gefährliher, betheuerte der Gensd'arm. Es war gut für ihn, daß er bei Zeiten entiprungen.

Wäre es Ihlimm für ihn geweſen, wenn man ihn erwiſcht hätte ?

Man fahndet ſehr nah ihm.

Wird man ihn auch weiter verfolgen ?

Bis man Seiner habhaft wird. Er ift ein Flüchtling erſter Klaſſe.

Was heißt das: Flüchtling erſter Klaſſe?

Na, das iſt ein Mann, für deſſen Kopi ich nicht einen Heller gebe. | Tinten Sie nod ein Gläschen, Herr Machtmeifter.

Danfe! So ein Gläshen ihadet nicht, wen man bei jolhem Wetter den ganzen Tag hindurch im Walde herumftreiit. |

Sind Sie ſchon auf ſeine Spur ge: ftoßen ?

O ja, die Schweinhirten im Walde ha— ben erzählt, daß fie ihn - feiner Entweichung

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mehrmals gejchen haben, folglih muß er fih in der Nähe aufhalten.

Würden Sie ihn, wenn er fi) vor Ihnen flüchtete, erſchießen?

Dies thäte ih ungern ; doch wäre dies für ihn das kleinere Uebel.

Das kleinere Uebel?

Ich vermuthe, daß er fih in der Höhle de3 jogenannten hohlen Steine aufhält; übri— gens ſoll das unter uns bleiben, erzählen Sie c3 Niemandem.

Gott bewahre!... Nehmen Sie nod) ein Glas, mein Herr Wachtmeiſter.

Dante. Ich möchte mic) lieber zur Ruhe begeben.

Wo werden Eie aber diefe Nacht ſchla— fen? Wir mußten Ihr Zimmer der Leiche hier einräumen.

Thut nichts. Ich werde mih auf den Boden begeben, dort Ihläft es fih fo gut im Heu. Ä

Gute Naht denn, Herr Wachtmeiſter.

Ruhſame, gute Naht!

- Ich werde fie nicht haben, muß bei der Leiche wachen.

Eine froftige Unterhaltung das. Ach jage doc) lieber dem Manne nad. Morgen be: ginnt die Hetze auf's Neue. Gott behüte....

Die Todte hörte abermals das Säbel- und

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Sporengeklirr, das Knarren der Thüre, als der Wachtmeiſter Hinausging ; das Aechzen der höl— zernen Treppe, als derjelbe auf den Boden ftieg, und die Tritte oben auf der Diele des Bodens, das Geräufh, welches der Held verurſachte, als er ji) in das Heu warf, um zu ſchlafen. . Er wählte fein Nachtlager gerade über dem Haupte ver Todten.

Und die Todte hörte dies Alles ganz gut, and mußte mit dieſem furhtbaren Bewußtſein da drinnen in der ftarren, kalten Hülle kämpfen.

Die ewige Verdammniß wird in heiligen Büchern als der Zujtand des ewigen Heulens und Zähneklapperns geihildert ; doch was ijt Dies gegen die Verzweiflung, welche in einem ftum- men, unbeweglihen Körper wühlt? In dem Ihmerzerzeugten Wahnfinne, welcher zum Gelbit - morde treibt, gibt es noch etwas Menſchliches; der irre Gedanke aber, hinter geihloffenen Lippen eingepferht mit all! feinen Schredensbildern in einem leblojen Körper, ift etwas Dämontides! .

Kein einziges Glied rühren zu können, über feinen einzigen Laut zu gebieten. .. und dulden da drinnen das Toben des gegen den Himmel ih auflehnenden Geiftes, welcher feine Eishülle zu zeriprengen droht!...

Man verfolgt ihn, und ih vermag ihm nicht beizuftehen... Man verfolgt ihn, and ih vermag nicht zu rufen: haltet ein, ſchont

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ihn, hier ift Sein Schugbrief!... Mit einen Worte fünnte ich fein Leben retten, und bin nicht im Stande, dieſes Wort zu ſprechen. .. Ih bin ein Leihnam. Und man wird mic lebendig

in das Grab verſenken. . . Nie. werde id ihn mehr wiederſehen. . . Nie wird er eyfahren, was ih für ihn gethan!.. Er mird Sterben... ebenio verzweifelnd und gottverleugnend wie ich ! D Mutter, Mutter!.. Wie furdtbar ift Dein Fluch!.. Wie weit reiht Deine falte Haw!.. Weshalb bin ih Dir nit auf den Grund des Waſſers gefolgt... Jener Tod wäre nit jo ſchrecklich geweſen, als diefer... Bier liege ich todt; eine Leiche, und lebe, hör. und zittere dennoch. . . . D mein Gott, mein Gott! ... Willft Du mir denn nicht mehr beiftehen?.. Immer hielt mic) der Glaube an Dih aufredt und Du verläßt mich jekt in meiner Sterbeftunde ? Du läffeft es zu, daß ich mit dem Gedanfen in eine andere. Welt hinübergehe, daß es weder hier nod dort einen Gott gibt?..... |

Ra Ein dumpfer Fall veriheuhte die lautloje Stille der Nacht, als wäre Jemand durch Das Penfter in das Zimmer: geiprungen.

Da ertönte der erihrodene Ruf des Todten- waͤchters:

Heiligſte Dreifaltigkeit! .

Jemand ſtürzte zur Todtenbahre hin..

Judith hörte, fühlte jedod die Küffe

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nicht, womit ihr Geſicht, ihre Hände bededt wurs den; fie hörte das Schluchzen, durch welches {hr Name ertönte:

Judith, meine Judith...

Die Leihe erkannte die Stimme des Hatten. Die Stimme durhzudte gleid) einem galvaniihen Strom all’ ihre Nerven.

Die Todten fühlen auch Freude.

_ Um Gottes Willen ; wie fonnteit Du zu— rüdtehren ? flüfterte der Hauswirth. Die Gensd'armen find hier im Haute.

Ich hatte von den Hirten im Walde erfahs ven, daß meine Gattin angekommen und hier ges ftorben jei, ſagte Béla.

Die Leiche hörte dieſe Worte ganz deutlich, fie Hangen ihr aus folder Nähe in's Ohr, al3 hätte Bela feinen Kopf an ihr Kopfkiſſen gelegt.

_ Die Arme. Der Himmel hat e3 jo vers fügt.

Der Himmel hat es nicht io verfügt ! fiel der Gatte in wilden Tone ein; das ill nit wahr !

Ruhig! Um des Himmels willen! Du ſtuͤr⸗ zeft Did) in's Verderben. Der Gensd'arm ſchlaͤft da oben, gerade über unſeren Höpfen; wenn Du ihn weckeſt, biſt Du verloren. ... Küſſe Deine Gattin und fliehe!

Der Gatte küßte ſtatt jeder Antwort hun⸗ dertmal Hände und Wangen der Todten, und blieb.

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Herr! .. Freund! .. fliehe, rette Dich ! beihwor ihn der Wirth. Der Wald iſt umzingelt; Deine Höhle ift auch entdedt, gebe dahin nicht mehr zurück; wende Dih gegen den Norden, dort kannſt Du noch durchſchlüpfen .. kümmere Dich um die Todte nicht mehr... Die it ſchon glücklich .. . fie fühlt nichts mehr.

Laſſe mich in Ruhe. Kümmere Dich nicht um mid. Auch id bin todt, jo oder jo.... Mas würde mein Leben von nun an fein?... Dod es ift niht wahr... Sie kann nicht todt jein. Sehen denn fo die Todten aus? Laächelt jo das Gefiht einer Leiche? ES it niht wahr, es kann nicht wahr fein.

Gott gäbe es, daß es nicht wahr wäre.

Haſt Du einen Arzt gerufen? Hat er es erlaubt, daß ſie begraben werde.

Er war hier, und hat es erlaubt.

Ein Narr war er, wenn er's gethan. Er verſteht ſich auf die Sache nicht. Doch was ſcheren ſich die Leute um das, was nicht ihnen gehört ! Sie fühlen ja den Schmerz nicht.

Aber um Gotteswillen, was willft Du jest bier ?

Was ih will?.. Sch will e8 verhindern, daß fie begraben werde... Es möge mit mir ge= ihehen, was da wolle. . . Mich kümmert's nicht. Und wenn man mid in Stüde zerreißt, werde ih, jo lange ein einziger Nerv in mir noch Lebt,

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es doch nimmer zulaffen, dag man jie beerdige. Sie lebt... . Siehe, wie ihr Antlig lächelt! ... Nein, nein! Wer fie begraben will, der muß mich mit ihr begraben

Judith fühlte in fih das Wiedererwahen der Slüdijeligfeit.

Der Gatte, der treue Geliebte fam, jeder Todesgefahr trogend, um die Gattin von dem Shrediiditen aller Schidjale zu retten; nur Diejenigen, welde jo lieben, vermögen zu jagen: „IH glaube an den Tod niht! er ift nur ein Schlaf, auf weldem das Erwaden folgt... Dieje Talte Leihe gehört noch mir, und nicht dem Grabe, ich gebe fie nicht her. Möget Ihr mi immerhin einen Narren, einen Wahnfinnigen jchel- ten; aber ih erlaube es nicht, daß mar den Sargdedel über fie ſchließe, und ic tödte Den— jenigen, welder fie anrührt.

Die Wärme dieſer Worte drang durd die eisftarre Hülle der Leiche zur fühlenden Seele.

Warte! rief Bela und Du follit ſe— ben, daß ich nicht wahnfinnig bin, Judith litt ſehr oft an Herzkrämpfen. Da gab es fein anderes Mittel, als das ih ihr meinen warmen Athen auf den Bufen baute, und war es von diefer Wärme, oder bon der Glut meiner Liebe, das Uebel verihwand allſogleich. . . . Auch jegt muß ich jie in's Leben zurückrufen.

Wie ſüß klangen dieſe Worte für die ver—

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borgene Seele. Judith begann an ihrem Körper ein mwohlthuendes Erſchlaffen zu fühlen, welches das Bewußtſein der Seele zu betäuben begann; je mehr die Kraft des Denkens ſchwand, deſto mehr eritarkte das Gefühl in ihrem Körper. Nur Einen Gedanken hatte fie nod, oder vielmehr Einen Inftinkt, Ein Gefühl, Einen Glauben: „Sott it überall.“

Dann verlor jie völlig das Bewußtſein.

Der Satte lag mie ein Wahnfinniger an dem marmornen Buſen jeiner Gattin, und ſuchte mit feinem heiken Athen die Kälte desjelben zu bannen; der andere Mann bite ihn mit weh: müthig theilnehmenden Bliden an, al3 wollte er Tagen: Welch' vergebliher Kampf gegen den Tod! ... |

Siehe, ſiehe! ... bemerkt Du es nicht, wie jih ihre Wangen röthen ?

Der Angeredete jhüttelte. traurig den Kopf, er konnte nihts wahrnehmen.

Hole einen Spiegel und halte ihn an ihre Lippen, ob fein Hauch daran zu jehen.

Ter Wirth gehordte, die Flähe des Spiegels trübte fih nidt.

Der Gatte fuhr mit feinem verzweifelten Verſuche fort.

Kaffe mid. Unterbrehe mid nidt. . . Wenn ich's früher weiter fortgeicht hätte, wäre

we. LEE ei

es mir gelungen... SH Hatte ja Schon den Nulsihlag gehört... .

Und Bela jegte das wahnfinnige Unter: nehmen: fein eigenes Leben in die Bruft teiner Geliebten einzuhauchen, fort.

Siehe her! ... Sichft Du es?

Was?

Was? Die Schweikperlen hier an ihrer Stirne ?

Der Gefragte antwortete, daß er nichts iehe. Klimmerte es ihm doch ſchon vor den Augen. Diele betäubende Szene, wo eine auf= geregte Seele, weil fie fih in ein bitteres Schid- jal niht fügen will, die Auferftehung eines Todten dem Geſchicke abtrogen will, erfüllte den ceinfahen Menihen mit Grauen... Er zitterte.

Und doch waren die Falten Schweißperlen auf der marmornen Stirne wirftid fihtbar.

Siehſt Du noch immer Niht3? Trug ihn abermals Bela, inden feine Augen in wilden Feuer erglängten.

Nein. Ich Sehe noch immer Nichte.

In diefem Momente öffnete die Todte ihre großen Schwarzen Augen, und heftete den ftarren Blick auf das Angefiht des Zweiflers.

Diejer fiel, vor Schred keuchend, in die Kniee.... „Alle guten Geifter loben Gott den Herrn !” |

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Die Leihe ftarrte mit den offenen Augen vor ſich Hin,

Es war dies aber niht der Blick des felbit- bewußten Lebens, fondern das ftarre Schauen des Todes, womit er die Lebenden fchredt.

Siehſt Du's, ſiehſt Du's? Sie lebt! ſtammelte außer ji der Gatte.

-Der andere Mann bededte fein Gefiht und zitterte am ganzen Xeibe.

Sie lebt niht, dachte er; fie tft ein Gejpenft. Und in Wirklichkeit war die Szene darnach angethan, al3 hätte eine bi3 zum Wahn: finn gefteigerte Liebe die Todte in ein Gejpenft umgezaubert,

Dies weiße, alabafterne Antlig, mit tiefen zwei ſchwarzen, ftarren Augen !

. Helga empfand kein Grauen. Er beugte ji über die geipenftiihe Geftalt und küßte ihre Lippen !

Nah dem Kuſſe drückte die Leihe die lan: gen, ſeidenen Augenwimpern zu, und ihr Ge— fiht begann fid) mit einem leichten Roth zu über- zichen.

Dann faltete fie Die Hände, welde mit einem dünnen Geidenband zuſammen gebunden waren, wie zum Gebet.

Bela wies unter frampfhaften Laden auf fie; über fein von Verklärung ftrahlendes Geſicht liefen die hellen Thränen ; bon feinen Schläfen

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träufelte der Schweiß herab... Das mar ein ſurchtbarer Kampf... Ein Kampf, wie ihn Ja— fob nit mit Gott in der Wüſte beſtanden! ..

„Bott“ ließ es zu, daß der „Menih“ Sie- ger bleibe. ..

Da ergriff der andere Man mit Andacht die Hand Bela’3, und führte fie zu feinen Lippen. 3

Du haſt ein Wunder vollbracht, die wahre Liebe erweckt ſelbſt die Todten ...! |

Rufe Deine, Frau Iprad Bela; tragt fie aus diefem falten Zimmer weg, und pflegt fie nad) Kräften.

Mir werden fie ſchützen, mie ein Ge— ſchenk Gottes! ...

Sende nach dem Arzt!...

Ich werde ſelbſt fahren. Meine Pferde ſind ausgeruht. Bis zum Morgengrauen bin ich zurüd... Du aber eile und rette Dich. Für Did ift es nit gut hier zu meilen.

Ich werde gehen. Doch mußt Du mir jrüher bei Gott ſchwören, daß Du über meine Frau wachen wirft, und fie nie zu begraben er= faubft, wenn fie wie immer tobt erfcheint, bis ich nicht zurüdgefehrt bin. Schwöre mir dies!...

Ich Ihmöre es Dir. Der Gedanfe an diefe furchtbare Naht wird mid) nie meinen Schwur vergeflen laſſen ... doch eile, eile!...

Noch einen Kuß, Judith!

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Und diefer Kuß wollte fein Ende nehmen, er dauerte eine Ewigkeit.

Eile, eile!... der Gensd'arm da über uns iſt erwacht; unjer Gelpräh hat Verdacht er: weckt; hoͤrſt Du nicht feine Inarrenden Tritte, wie er die Stufen . O, er ſteht ſchon vor der Thür!... Eile, eile!.

Als der Gensd'arm bor Der ber ihloffenen. Thür ftehen blieb und an derjelben zu Hopfen und zu rütteln begann, erſt dann flüchtete ih Bela durch's Fenfter.

Der Wirth öffnete die Thüre, der Gensd’arın frug verdächtig:

Mer war hier, wer bat bier geipro= den, was iſt geichehen ?

Gehen Sie mal. Die Todte ift er— wacht . . Helfen Sie mir den Sarg in's warme immer Gimüber tragen. .

Der rauhe Soldat ſchien ergriffen; er ver— gaß, weshalb er herabgeſtiegen, und half bereit— willig den Sarg in's warme Zimmer hinüber tragen ...

Nach einer halben Stunde war der Wirth bereits auf dem Wege, um den Arzt zu holen; er hatte jedoch kaum die Hälfte ſeines Weges zurückgelegt, als er dem Arzt begegnete. Er hielt jeinen Wagen an, um ihm den Sal zu erzählen. Der Arzt wußte bereits Alles. Ein junger Mann babe ihn vor Tagesanbrud) gewedt und gebeten,

—- 15 zu eilen. Der Arzt beichrieb, wie der Mann aus- gejehen.

Das konnte nur Bela fein. Wie er aber zu Fuß über die fteilen Gebirge, einige Stunden früher als der Wirth, welcher mit jeinen guten Pferden jagte, dort anfam, das mögen Diejenigen enträthſeln, die einft jtark geliebt haben.

Als Judith vom ftarren Todeskampfe zum Leben erwachte, verfiel fie in ein Schweres Ner: venfieber. Wochenlang litt fie und war ſtets be— wußtlos ; als die Kriſis vorüber, als fie wieder ihr Bewußtſein, ihre Lebenskraft zurück erlangt hatte, hörte man von Bela nichts mehr im Lande,

Seraphine.

Hundertachtzig Tage ſind nach dem Tode Zeleji's verfloſſen, als Seraphine ihre Hand Fertöy reichte.

Sie that übrigens Alles, was von ihr zu erwarten ſtand. |

ALS fie von der Schäßburger Schlacht hörte, und den Tod Robert's in hundertfacher Varia tion erfuhr, da war fie verzweifelt ; fie wollte ſich tödten, fie wollte Gift nehmen; vielleiht nahm fie 8 auch ... wer weiß aber, ob es auch Gift war... Sie wollte fih auch alliogleidh auf den Meg begeben, um ihn aufzufuden... aber die Brüde war noch nicht hergeftellt.

Wochenlang litt fie, e3 war ein Sammer fie zu jehen. Am meiften ſchmerzte es fie, daß er, wenn er nody am Leben, feine Nahriht von fih gab? Und, wenn er geftorben, weshalb er nicht in ihren Träumen erſchien, um es fie wiffen zu laſſen!? (Diefen Wahn mußte fie ipäter arg bereuen.)

= a

Mit der neuen Wendung der Geſchichte ift manches Alte wieder neu geworden. Das alte Haus, welches in Auinen lag, wurde neu aufge- baut, und in den Salons fonnte man allıkälig die alten Säfte wieder ericheinen ſehen; freilich) waren es niht die der jingftvergangenen Zeiten, ſondern noch ältere. Zu ihnen zählte auch Fertöy.

Fertöy war zu jener Zeit ein großer Herr. Was er eigentlih geweſen, kann ich Hier nicht beftimmen, da die Geihichte den Namen feiner Herr: lichleit nicht verewigt hat.

Fertöy war ein fehr gerne gefehener Gaft im Haufe, gerade wie früher. Man hatte es ihm bereit3 vergefien, daß er, als fih die Fa— milie in den traurigften Tagen aus der Stadt flüchten wollte, ihr jagen ließ: fie möge ſich nur dort „unterhalten“ , mo fie es bisher gethan.

Auch Mama Holdvarn hat es vergeffen, fi verſchiedene Sonnenſchirmenſtiele aus ver: Ihiedener großer Männer Knochen verfertigt zu wünſchen, im Gegentheil wurde fie zu einer jehr vernünftigen Frau, nur hatte fie noch den ein: zigen Fehler, daB lieber fie Herrn Fertöy ges heiratet hätte, als daß fie ihm ihre Tochter gab, . Diefer legte Umftand gab zu einer gemilien Spannung zwiihen Mutter und Tochter Anlaß, welche aber nur Diejenigen merken fonnten, Die in die Gedichte eingeweiht waren.

Andere Zeiten anbere DMenfhen. II Band. 12

I: =

So fiel es Jedem auf, weshalb Mama Holdväarn vor Seraphinen ſtets von Robert ſpreche? weshalb fie dDiefen unter Seufzern lobe ? weshalb fie jeden Morgen ſpricht: ich habe von Robert geträumt ; Du wirft jehen, wie er auf einmal vor ung ftehen wird... SD, der arme Robert! Du wirft jehen, daß man ihn wieder in feine alte Charge einfegt, war cr doch ein jo tüchtiger Dffizier. Tröſte Did Seraphine, tröfte Did. |

Mer aber den Schlüffel zu den Familien— geheimniffen hatte, dem mußte es einleuchten, daß alles Dies Gerede nur deshalb war, damit Sera— phine fih nicht jo ſchnell Witwe glaube.

Seraphine pflegte nie mit ihrer Mutter zu ſtreiten.

An einem ſchonen Tage kam nun Fertöy mit der niederichmetternden Nachricht, daß er nun Gewiſſes über Zeleji's Tod wiſſe. Vermittelſt ſeiner vielfachen Verbindungen ſei es ihm ge— lungen, jene drei Männer ausfindig zu machen, welche Robert auf dem Kampfplatze aufgefunden und begraben hatten. Er wies ihre authentiſchen Ausſagen vor (es waren drei ehrliche ſächſiſche Bürger), aus den Ausſagen ging hervor, daß ſie ſeine Taſchen genau unterſucht und da in der Brieftafhe feinen Namen geichrieben fanden, Den Namen hatten fie fih gemerkt, die Brieftaiche aber als Lohn ihrer Mühe behalten; aud die

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Perionsbeihreibung traf zu, und erboten fi) die drei Zeugen, wann immer einen Eid zu leiften, was übrigens ganz überflüflig je. So ftehe e3 außer jedem Zweifel, daß Robert ge: ftorben ſei.

Daß er todt, unterliegt keinem Zweifel! Von ſeinem Begräbniß wiſſen aber nur die Wolken, welche den Rauch des Opfers nicht aufgeſogen; und dieſe werden es Niemandem ver— rathen.

Der einzige Mann, welcher ihn verbluten, ſterben, in Flammen und Rauch aufgehen ſah, welcher auf ſeine Aſche weiſen könnte, der Dich— ter und Soldat Pußtafi, iſt ſeit jener ominöſen Nacht nicht mehr geſehen worden.

Wo er hingekommen? Ob auch ihn der Sturm des Krieges weggefegt? Ob man ihn während der Flucht in den Wäldern getödtet?.. Ob man ihn vielleicht in eines jener Gräber ge= worfen, deren Bewohner ungenannt blieben ? Db ihn die Ruſſen gefangen und nad) Sibirien ge: Ihleppt?... Db er auf kürzeſtem Mege in den Kerker gerieth ? Wer konnte das wiſſen, wer füm- merte fi darım ? Er war verihmunden. Wir wer— den aud) vielleiht jo lange nichts über ihn er: fahren, bis nit die Zeit fommt, wo wir „gute Naht wünſchen“ und die ganze unglaublide Ge— ſchichte Schließen. | . Trotzdem mußte man der Zrauerbotihaft

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Glauben ſchenken, Niemand hatte Urſache, daran zu zweifeln.

Hierauf legte die ganze Familie tiefe Trauer an. Und mie man über den Verluft erſchüttert war, ift aus dem einzigen alle zu beurtheilen, daß Mama Holdvary ihrem Schneider deßhalb “kündigte, weil er ungeihidt genug geweien, die Trauerkleider mit ſchwarzem Atlasaufputz zu ber- fehen, obgleid) er willen fonnte, daß Atlas nur eine Dreivierteltrauer bedeute, während man zur tiefen Trauer Sammtbänder zu nehmen pflegt.

Seraphinen ftand der Traueranzug ausge: zeichnet. Solch eine proviſoriſche Traurigkeit er: böht den Reiz der vollen, rothen Wangen.

Doch wollen wir nicht ungerecht fein; die Ihöne Witwe litt wirklich! Sie litt ſehr .. Ein- Sam, von Niemanden beobadtet, meinte fie viel, ſehr viel, Sie hatte fogar Augenblide, wo fie ſehnlichſt zu ſterben wünſchte, um aus diefer Melt zu kommen, wo fie Niemanden mehr lichte.

Nur find die Naturen der Krankheiten berichieden. Derfelbe Schmerz, welcher bei Einem zum chroniſchen Uebel wird, bridt bei einem An- dern als zehrendes Fieber hervor, nimmt einen (ebensgefährlihen Verlauf, erzeugt eine entichei- dende Kriſe . . nad) welder man abermals ge= fund wird.

Ob man dann ganz genejen kann ?

Hierauf mögen die Aerzte antworten.

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Erinnert man fid) doch eines ausgeftopiten Eichhörnchens, mit dem man zu jpielen pfleste.

Es iſt auch möglid, daß Seraphine tjren Gatten Robert wirklich geliebt hatte, Bei Frauen gibt es nichts Unmöglidhes.

TTrotzdem geſchah es aber, daß hunde. tat: zig Tage nah Robert'S Tode Seraphine jih mit Fertöy verheiratet hatte.

Es gab Menſchen, die fie deßhalb ausrich— teten: es ſei noch zu Früh geweſen, jie hätte doch genauer dem Tode ihres Gatten n .Hipüren und abwarten jolfen, bis der legte E hal der Sterbeglode verklungen, ehe fie die Hochzeits- muſik anftimmen ließ.

Es gab auh genug dreifte Me ichen, die ſich unterfingen, su befriteln, wie mai nad Ro— bert einem Manne wie Fertöy, der ſeinen Geſin— nungen nad) gerade das Entgegengel: kte des Er- fteren gemwelen, Die Hand bieten kon te! ... Dies ſprach man im Geheimen, nie öffe tlich. Wenn Fertöy an der Geite jeiner jungen Gattin in glänzender Equipage zur Stadt fihr, hatte Je— dermann ein freundliches Lächeln, einen böflichen

Gruß für fie. In Meinen Städien pflegt man Leute, die in Equipagen fahren, hochzuſchätzen. Mebrigens war es gut, fi vor Fertöy in Acht zu nehmen. |

Die alten, freundihaftlihen Kreiſe fanden fih wieder zufarnmen. Die kleine Blum wohnte

kr DR =

wieder inder Feſtung und war wieder Verpflegsbe: amtensfrau. Seraphine befuchte fie oft in Begleitung ihres Gatten oder der Mutter, oder auch allein.

In der Feftung gibt es jehr ſchöne Spa— jtergänge. Die bombenfeften Kaſematten find weich, mit grünem Raſen bewachſen; an der einen Ede derſelben fteht ein Heiner, hinefiiher Pavil— Ion, in diefem Papillon weilten die beiden Freun— dinnen jo gern und plauderten und lachten über die verſchiedenen Thorheiten des Tages.

Daran dachte vielleiht Keine von ihnen, dag unter dem ſchoͤnen, grünen Rafen, in der Tiefe einer Klafter, ſich maſſive Gewölbe befin- den, in deren ungeheuer dien Mauern Schieß— löher angebracht find, die zugleih als Fenſter dienen ; daß durch diefe Fenfter verihiedene Men- Then ſehnſüchtig nah dem fernen Himmels: lichte bliden, daß es diefe Menſchen ſehr gut hören, wenn da oben ein heiteres Lachen erihallt.

Mer ihon jolde Schießlöcher geliehen, wird fi) erinnern, daß diefe eine mehr breite als hohe rauhfangähnlihe Deffnung bilden, und in. Be: lagerungzeiten mit ſchweren Poſitionsgeſchützen beipieft werden. In Tonftigen Zeiten pflegen Diele Kaſematten als Depots für Proviant oder für Staat3- und Feftungsarreftanten zu dienen, wo man dann die doppelten Eilengitter der Schieß— löher noh mit einem dichten Drabtgefleht zu verichen pflegt. . ...

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Wie erwähnt, promenirte Seraphine mit ihrer Freundin Blum an Ihönen Krühlingstagen ſehr oft über und neben diefen Kaſematten. Die wachhabenden Soldaten ſprachen diefes Pärchen nit an, da fie wußten, daß fie zum Haufe gehörten.

An einem ſchönen, fonnigen Nahmittag waren die Damen abermals jehr guter Laune.

Seraphine trug ein kirſchrothes Kleid mit einem Deflein von PBalmenblättern. Die Blum machte ſich über diejen Deſſein luſtig.

Die Palme ift halt überall ein Symbol de3 Sieges. Wolozoff gehört demnach aud) nicht mehr zu den Unbefiegbaren!...

Molozoff ift ein neuer Name für uniere Leſer. Wir werden mit dem auch befannt werden.

Seraphine lachte. |

Wenn Wolozoff das Feuer Männern gegenüber mit folher Tapferlkeit aushält, wie dies den Damen gegenüber geſchieht, dann weiß ich nicht, wie er zum Mladimir-Orden gefommen ?

Der Fürft ſcheint fih gänzlih in Un— garn vergeſſen zu haben, während feine Leute ſchon längft über Berg und Thal nach Rußland zurüd find.

Er war vielleiht gar nicht Soldat ?

Dja, und nod dazu eintapferer,; er hat jelbft eine Wunde erhalten.

Während des Rafirens!...

Ei, ei, Seraphine, drohte die Blum

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es ift fein gutes Zeichen, wenn eine junge Dame einen jungen Mann verleun:det.

Weshalb ? |

Weil dies darauf ſchließen läßt, daß fie jich gegen ihn vertheidigt.

Ad, ja!... das ift Fertöy's Sache, fein Meib gegen Männer zu vertheidigen.

Der wird Did, liebe Freundin, nicht vertheidigen. Ih Sage nit gegen gewöhnliche Männer etwa, aber wenn ein Kürft im Spiele iſt, da hält cr es mit den Türken und meint: Bei Gott allein gibt's Schutz.

Verleumde meinen Gatten nidt; id er— ſuche Did darum, jagte Seraphine ınit jenem ihalkhaften Lächeln, welches die Ironie nur des- halb zu verbergen fuchte, um fie klarer in's Licht zu ftellen. Du weißt ja, welch zärtlidies Ver: hältniß zwiſchen uns herrſcht. |

D ja, ih weiß es. Ihr pflegt ju fogar zuweilen miteinander zu diniren.

Glaube mir: er ift ein fehr guter Mann.

Auch Wolozoff jagt es.

Wie fünnte es Wolozoff Tagen, hat er ihn doch nie geiehen.

Eben deshalb jagt er es.

Das Steht niht. Er ſucht ſtets meinen Mann, wenn er fommt.

Und bat das beiondere Unglüd, ihn nie zu treffen. |

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Deine böfe Zunge joll diesmal doch nicht Recht haben; jo erfahre denn, daß Wolozoff in zwei Tagen abreift.

Ich weiß es, doch nur bis nad Warſchau.

Was ſoll das „nur“ bedeuten?

Das bedeutet, daß er dort leicht auf— zufinden iſt.

Durch wen? Du meinſt doch nicht durch mich?

Nein. Ich meine Deinen Gatten.

Seraphine glaubte bereits, die Grenzen des Scherzes erreicht zu haben, und nn in helles Lachen aus,

In diefem Momente gingen fie an einem der Schießlöcher vorüber.

Siehe "mal, wie liftig dieſe Gefangenen find, Jagte die Blum, dem Geſpräche eine andere Wendung gebend. Da tet Ihon wieder Einer den Finger durch's Drahtgitter heraus. Ä

Seraphine warf einen flüchtigen Blid auf das bezeichnete Gitter und ſah, wie fi dort ein herausgeſteckter Finger bewegte. R

Wenmes die Wache bemerfte; a

die Blum. sit oblaiist Was ai er ienn? tr; frug Seraphine neugierig. un ua ma mumane sad

Es ift. ihre; Semohnkeit,, Habe es oft bemerkt. Mein Mann: jagt ‚fie: thaͤten dies des⸗

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halb, um die Leute aufmerkſam zu maden, daß dort Stuatsgefangene find.

Und was nüßt ihnen das ?

Nun, es kann barmberzige Seelen ge= ber, die ihnen Papier und Blei, oder einige Gul— denzettel durch's Gitter hinein ſchieben, wenn es die Wache nit bemerft.

Haft Du es vielleicht auch ſchon gethan ?

Nein. Du weißt, dab Das Geld bei mir nicht gerade im MUeberfluffe vorhanden iſt; mit den Schreibrequifiten fünnten fie etwas Kompro— mittirendes anftellen.

Ich mwühte nit, mas? Sch gehe hin.

Thue e3 nicht, denn wenn es der Fer ftungslommandant erfährt, verbietet er und das Spazierengehen bier.

Ich will ihın ja nur einige Gulden ge= ben; wie fünnte er dies erfahren ? |

Thue es nicht, es fünnte uns ſchaden.

Wie, wenn es aber ein Bekannter iſt, einer bom „vorigen“ Frühjahr?!

Die zwei jungen Frauen ſahen einander bei dieſem Worte an, und die Blum rieth Sera— phinen nicht mehr ab. Ein kleines Fünfgulden— Zettelchen wird dem Armen ſehr gut befommen. Vielleicht iſt er Einer von Jenen, der Einer oder der Anderen der Damen einſt duftende Bouquets im Werthe von zwanzig Gulden überreichte, und der jetzt von ſiebzehn Kreuzern leben muß.

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Die Damen warteten, bis ihnen die Schild— wache den Rücken kehrte

Dann gingen fie zwei= bis dreimal hinter ihr einher und beobachteten ſtets, wie fich der Finger deutend bewegte.

Einmal blieb Seraphine zurüd, während die Blum ihren Spaziergang hinter der Schild: wache fortjekte, damit dieſer das Rauſchen der Kleider höre, mährenddem fih Seraphine eiligft dem Fenſter näherte.

Sie hielt die Banknote zufammengewidelt zwiichen den Fingern, um diefelbe ſchnell durch's Gitter ſchieben zu können.

Der Halb berausgeftredte Finger fam bei Seraphinens Annäherung bis zum dritten Gliede im Vorſchein; auf diefem dritten Gliede konnte Seraphine jenen Dpalring mit dem natürlichen Kreuze erbliden, den fie bei ihrer Verlobung Ro: bert gegeben hatte.

Seraphine ftieß einen furdtbaren Schrei aus und ftürzte ohnmächtig zufammen.

(Ende des zweiten Bandes.)

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Andere Beiten

andere Menichen.

Roman in vier Bänden.

Von

Mori Zokai.

Dritter Band,

De,

Druderei des „Athenäum'.

1869. Berlin, Verlag von Otto Aanke.

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Dritter Band.

Wellen war der Ring?

Wenn Seraphine, als fie zu Hauſe, in wei: hen Bette liegend, von Aerzten umgeben, zum Bewußtſein erwachte, genug Seelenkraft beſeſſen hätte, einen furchtbaren Gedanken, welcher ihr ganzes Weſen durchdrang, nicht zu verheimliden ; wenn fie davor nicht zurüdgeihredt wäre, mit faltem Blute zu unterfuhen, ob das, mas fie ge- jehen und erfahren, Wahrheit oder Irrthum jet; wenn fie nit jene peinlihe Ahnung- verihwiegen hätte, welde ihr die Ruhe ihrer Nächte raubte und ihre Nerven fieberhaft erzittern machte, fo wäre fie den unläglihen Schmerzen entgangen, welche fie fpäter zu erdulden hatte.

Wenn Seraphine nicht zurüdigeichredtt wäre, einem Phantom in die Augen zu jehen, weldes fih gleih einem mahnfinnigen Rieſen in ihrer Phantaſie aufrichtete, jo wäre fie von vielen böje

——

Träumen verſchont geblieben; denn es gibt ver— folgende Gedanken, die man während des Tages bannen fann, die aber, wenn für andere Glüd- liche die Nachtruhe eintritt, aus ihrem Verſteck hervorkriechen und ihre ſyſtemloſe Peinigung be= ginnen. Die Seele vermag fid vor ihnen nit in das glücdlihe Reich der Träume zu retten, denn fie folgen auch dorthin.

Wenn Seraphine nur mit einem Worte der Urſache, weßhalb fie den Schredensihrei ausge: ftoßen und ohnmädtig zuſammengeſunken mar, gegen Jemanden Erwähnung gethan hätte; oder wenn fie, al3 fie an das verhaͤngnißvolle Fenſter trat, die Frage geftelt hätte: wer es eigentlich fei, an deflen Finger fie Robert's Ring erblidte ſo hätte fie ungefähr folgende Geſchichte er— fahren :

Pußtafi ftieg an dem Tage, wo er aus dem Sumpfe entlam und ſich über das Gebirge retten wollte, auf eine Abtheilung Grenzer, weldhe ihn gefangen nahm und nad Arad eskortirte.

Er kannte die Feſtung gut; er war beider eriten Uebergabe derjelben gemweien.

Das Lokale, in welches man ihn geiperrt, war bon den Ungarn als Speckkammer benütt worden; jpäter machte man eine Kanzlei daraus; die zerknitterten Papierftüde und Streifen lagen jetzt noch in den Eden umber.

Rund an der Mauer am Rande des Fuß—

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bodens, gähnten verichiedene Löcher, deren Noth— wendigleit zwar nie fonftatirt worden, die aber an jolhen Drten üblih find, um für die Ratten al3 Aus: und Eingang zu dienen.

In der Epohe des Spedes hatten e3 die Ratten freilich gut; im papierenen Zeitalter aber umſo ſchlimmer.

Das Lokale hatte fein Fenſter, blos eine Heine Deffnung über der Thüre, durch welde ein matte3 Licht von dem dunklen Korridor drang.

Die Möblirung beitand aus einem Xijche, einem eldbette und einem Stuhl. Sonft gab esan Utenfilien nod einen Krug und einen bledhernen Leuchter, in welchem eine Unſchlittkerze ſtak.

Pußtafi, mwelher den ganzen Marſch zu Fuß gemadht und obendrein noch etwas an den Füßen zu Ichleppen hatte, was man damals derlei Rebellen anzulegen pflegte, war ſehr ermüdet und warf fi auf das Bett.

Dod kaum Hatte er fih einige Minuten Ruhe gegönnt, als eine alte Ratte erihien und mit eifriger Kunftfertigleit die Sohlen jeiner Schuhe herabzutrennen begann; auch andere be— zeiteten fih vor, an dasſelbe Werk zu gehen.

Pußtafi jah fi genöthigt, auf der Platte des Tiihes Zufluht zu juhen, wohin ihm Die Ratten nicht folgten. Er ftellte daher die bren- nende Kerze auf den Stuhl, und legte fih auf den Tiſch.

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Bon dort aus betrachtete er dann mit jener Ruhe, welche nur Diejenigen empfinden, die Alles verloren haben, was um ihn herum geihah.

Die Ratten wühlten in den Papierhaufen herum, pfiffen und freifchten, fragten an den Wänden und nagten wüthend an den Fühen des Tiihes, zum Zeihen, daß fie mit der neuen Mendung der Situation unzufrieden jeien.

Pußtafi ließ fie wüthen.

Da geihah es, daß eine dickbäuchige alte Ratte den Stuhl erklommen, fih auf deſſen Lehne jekte und mit der brennenden Kerze lieb— äugelte. Nicht als ob fie an der Flamme ein bejonderes Vergnügen empfinden möchte, Tondern weil fie vermuthlich argumentirte, daß es biel beſſer wäre, mit der Kerze, anftatt daß fie bier unnükes Licht verbreite, das Glück einer hun— gernden Ramilie für einen Tag wenigftens zu begründen. Wie konnte aber das bewerfftelligt werden, wenn die Kerze brennt ?

Die Ratte ftieg von der Lehne des Stuh— les herab, beichnofelte die Kerze und ledte gie: rig an den Unfdlitttropfen, welche an dem Leuch— ter klebten. . das reizte den Appetit nod mehr. Die Ratte richtete fih empor, als wollte fie das Licht ausblafen, verjengte fi aber dabei Schnur— bart und Augenbrauen. Da gerieth das Thier in Wuth, faßte die Kerze in der Mitte, riß dieſe

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ſammt dem Leuchter vom Stuhle und ftürzte, troß des brennenden Dodtes, in den Winkel zwi— Ihen dem Papierhaufen hinein.

Pußtafi betrachtete al diejes mit der Gleich—

giltigleit eines gebrodyenen Mannes, Das Papier entzündete fih. Pußtafi hatte den Waflerfrug an der Seite; er ftredite nicht einmal die Hand darnad aus, jondern jah ruhig zu, wie das Papier weiter brannte, wie das Feuer das Feldbett ergriff; er rührte fih nicht. |

Als aber der ftarfe Rauch durch die Deff- nung über der Thüre drang, da fam eiligft der Profoß und die Drdonnanz, fie riffen die Thüre auf und fragten, was es gäbe. |

Pußtafi erzählte, was geichehen.

Warum haben Sie das Feuer nit ges loͤſcht? frug der Profoß. |

Das ift niht meine Pfliht,; antwor= tete Pußtafi, ruhig in feiner Lage verbleibend.

ber Sie hätten ja ſelbſt verbrennen fonnen.

Geht mih nichts an...

Der Profoß Ichüttelte den Kopf und -brummte etwas in den Bart hinein ; dann wollte er jeine Macht die Ordonnanz fühlen laffen und befahl derjelben, das Zimmer von dem Papier: wert zu reinigen.

Die Drvonnanz hieß Wenzel, war ein lu—

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ftiges Linzer Kind, und trug an der blauen runden Kappe ein fünftlihes Blumenbougnet.

Während Wenzel mit dem Aufräumen be— Ihäftigt war, begann er zuerft zu pfeifen, dann eines jener Lieder anzuftimmen, welde unter dem Namen „Gaffenhauer” bekannt find. Wielleicht hatte er die Ablicht, dem ernten Manne dort, weldher auf dem Tiſche auegeſtredt lag, die Zeit zu verkürzen.

Das Lied lautete: „Mich ſchlägt der Wein, ih Schlag’ den Wirth, der Wirth Schlägt fein Meib, didldum, didldum ! ... die Wirthin liebt mich, ich liebe den Wein, der Wein liebt den Wirth, didldum!“

Er wiederholte ganz luftig hreimal jein ſon— derbares Lied, und ſchien jehr mit ſich zufrieden zu fein, denn er lädhelte wohlgefällig den ernften Mann am Tiihe an.

Höre, Freund Wenzel, ſprach ihn Pußtafi an, indem er jeine beiden Hände als Polſter unter den Kopf legte. Du liebft auch in der Wirklichkeit den Mein ?

Hätte ih nur welden.

Ich Tonnte Dir ſehr viel und fehr gu: ten Wein verihaffen, wenn Du auf mid hören wollteft.

Wenn Ste nihts Böſes vorhaben ?

Fürchte nichts. Ich verlange nichts Böoͤſes don Dir.

Ich hätte nur eine Botſchaft einer ſchönen Frau auszurichten, woran Niemand Schaden lei— den kann. Dieſe ſchöne Frau wohnt in Komorn, ihr Gatte iſt in der Schlacht gefallen. Dies hätte ih ihr zu berichten, damit fie abermals heiraten fünne.

Das konnte man Thon thun. Wo ift aber der Wein oder das Trinkgeld.

Das fiehft Du ja, daß ich feinen Wein bei mir habe, und das weißt Du, daß id) fein’Geld bei mir führe. Ih kann Dich aber an einen Drt

weiien, wo man jehr guten Wein umſonſt be— lommt.

Wenn man ihn ſtiehlt? |

Nein. Man braudt ihn nur aus der Erde zu heben, wo er begraben liegt. Dhnedem bat der Wein feinen Herrn.

Wo ift das?

Ich werde es Dir erllären, doch früher veriprehe mir, gib mir Dein Eideswort, daß Du diefe Botihaft auf die Voft geben wirft, gib mir ein Stückchen vom dem vielen ſchlechten Papier dort.

Menzel reihte ein Stück Papier hin.

Pußtafi Ihrieb, damit e8 auch Menzel ver- ftehen könne, deutſch: der Frau Robert Zeleji in Komorn. „Ihr Gatte ift bi S... gefallen, Puß— tafi hatte ihn begraben, er hat aud feinen Ring.“

Kannſt Du’s leſen.

Ja.

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Run fo trage das auf die Poſt, und jende es an die Adrefle.

Gut. Deßhalb wird mir doch nichts ge= ſchehen.

Fürchte nichts. S' iſt ja nur eine Fami— lienangelegenheit. . . Doch fieh jetzt nach Deinem Lohn, die Weinflaſchen haben wir vergraben in die Ecke des Kellers der Kaſematte Nr. 2, als wir vor einem Monat hier gewohnt hatten.

Das iſt ja eben die Kaſematte Nr. 2.

Das wußte ich nicht. Nun um ſo beſſer; gibt Acht. Wenn Du über die Stiege hinabkommſt, wende Di links; dort wirft Du zwei lange Balfen, auf welhe man die Fäller zu ftellen pflegt, finden. Hebe den äußeren auf ‚und wende ihn um; dort, wo mit rother Delfarbe ein Ring gemalt ift, wühle die Erde auf. In der Erde wirft Du einen meflingenen Knopf fin= den, an diefen Knopf ift eine dünne Kette be- fejtigt, ziche an, und es wird eine didere Kette zum Vorſchein fommen ; ergreife dieje feſt, ziehe fie an, und es wird fih jene Fallthüre öffnen, unter welcher jene vielen und guten Weine und Liqueure liegen, die wir einft im Glauben, daß wir wieder zurückkommen, dort verborgen haben. |

Na, id) werde es jehen. Wenn es wahr it, jollen Sie aud) davon haben. |

Ich danke Dir Wenzel. Früher aber | gib das Briefhen auf die Poſt.

Das werde ih thun, Herr, was ıd einmal über mid nehme, thue ih aud gewiß.

Ich erjuhe Did aber lieber, ſchöner Menzel, gehe früher auf die Bolt, und grabe erit dann nad den verborgenen Schätzen, jonft fönnteft Du darauf vergeflen.

Ich Ihwöre es Ahnen, mein Herr, daß ih nicht vergeſſen werde.

Dennod bitte id) Dich jehr, laſſe den Wein zulegt.

Gut, Herr. Es joll geihehen.

Unterdeffen hatte Wenzel die Papierfegen zulammen und zur Thüre binausgelehrt.

Mo joll ih die Kerze Hinftellen, damit fie die Ratten nit wieder fortichleppen ?

Nimm fie mit hinaus, id) werde ſchlafen.

Es iſt aber Ordre, daß hier immer Licht brennen muß.

Dann hänge den Leuchter auf die Thür- klinke. Gute Nadt.

Auh Wenzel wünſchte gute Naht, und ihloß die Thüre ab; Pußtafi ſchloß die Augen; der fröhlihe Burſche jang auf dem Korridor fein Lied weiter: „Mich liebt die Wirthin, id) liebe den Wein, der Wein liebt den Wirth“. (Wes— halb der Wein den Wirth liebte, wäre ſchwer zu errathen.)

Menzel aber dachte bei ih, daß von

SED praktiiher Seite betrachtet, in der Reihe der Vorrichtungen jedentall3 der Hebung des Meines das Vorrecht gebühre, die Poſt kommt erjt danır. Eine böje Nachricht kann ſich ſchon eine Nacht veripäten, für- eine gute Flaſche Wein ift es aber ſchade, wenn fie nur eine Stunde in der Erde liegt.

Eine Schwierigkeit ergab ſich aber,dadurd, dag Wenzel zu jenem Seller feinen Zugang hatte, denn in diefem Keller hielt der Feldbäcker feinen Mehlvorrath, hatte folglich auch den Schlüffel dazu. |

Es war daher fein anderes Expedient bor- handen, als die Bekanntſchaft des Bädergejellen zu benügen, dieſem das Geheimuig aufrichtig mit- zutheilen, und ihn zur Theilnahme an dem Un- ternehmen aufzufordern.

So that er aud.

Der Bädergejelle Hubert war ein jehr Ta- pazitirbarer Zunge, und hatte auch den Schlüfjel zu jener Abtheilung des Kellers.

Nah dem Zapfenſtreiche ſchlichen fich die beiden hoffnungsvollen Jünglinge über die Stiege in den Kafemattenkeller, und gelangten ungehin- dert an die durch Pußtafi bezeichnete Stelle.

Als jie den eriten Balken hoben, hatten fie den rothgemalten Ring alliogleih entdedt; nun hatten fie volles Vertrauen in die Entdedung

Pußtafi's.

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Mit Hilfe einer Mehlſchaufel und einer Feuerzange wühlten fie nun die Erde auf, und fanden alsbald den meſſingenen Knopf.

An diefem Knopfe war die dünne, an der dünnen die didlere Kette befeftigt; als jie an letz— terer zogen, öffnete jih die eiſerne Fallthüre, melde ſechs Quadratfuß groß jein mochte.

Der Anblid, welder fih ihnen bot, über= traf alle ihre Erwartungen. Die Deffnung war voll der verſchiedenartigſten Weinflaſchen.

Der erſten Flaſche, welche ſie aus der Oeff— nung hoben, wurde auf kurzem Wege der Hals ab— gehauen und der Inhalt einer faltiſchen Prüfung unterzogen. . . . Das war ein fünigliher Wein, Muskateller! Nicht folder Wein, wie ihn der Wirth liebt; mit dem bat gewiß noch fein Wirth eine Liaifon gehabt.

Hörft Du, Hubert, trinken wir nicht zu viel, jonft fünnen wir uns einen Zopf anhaͤn— gen. Im Keller ift es nicht rathſam, viel zu trin= fen, id weis es aus Erfahrung; jondern neh: men wir uns jo viel mit hinauf, als wir für genug halten, das Uebrige verbergen wir aber= mals und holen es uns theilmeile hinauf,

Hubert fand den Antrag annehmbar.

Es mar jet nur noch die Frage, melde Wahl fie treffen jolen? Zu dem gelofteten Muslkateller paßte die ſchlanke Flaſche vortreff: fi, in weldher granatfarbener Menefer funtelte

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63 folgte nun die Auswahl der Liqueure. Mannahm eine Shmwarze Flaſche mit Abſynth und eine mit Arraf. Es gab die verihiedeniten Gattun= gen: Roſtopſchin, Curacao, Allah, Marasquino ; für Kenner find das Namen von bezauberndem Klang; das Ganze war in der That ein fa- belhafter Schat für Einen, der das Alles zu würdigen weiß.

Menzel reichte eine Flaſche nad der andern dem Hubert hinauf, da ergriff er plößlih den Hals einer mit bunter Zinkplatte überzogenen Flaſche, melde er aber, nachdem er fie ein wenig in die Höhe hob, wieder auf den Boden zurückſetzte.

Dieſe Flaſche, welche kaum größer als eine Champagner-Bouteille geweſen, ſchien wenigſtens acht Pfund zu wiegen.

Wenzel war ein Junge von raſchem Ber: ſtande und raiſonnirte folgendermaßen:

Solchen Wein gibt es auf der Welt nicht, von welchem eine Flaſche acht Pfund wiegen ſollte. Eine Flaſche von ſolchem Gewicht kann nur Gold enthalten; jetzt verſtehe ich's, warum man eben dieje jo jorgfältig verwahrte.

Er raifonnirte weiter: den Inhalt dieſer Flaſche mit Hubert zu theilen, wäre eine große Thorheit, übrigens lautet unſer Kontrakt nur auf Mein.

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Diefes Naifonnement bewog Wenzel an Hubert die Worte zu richten:

Ich glaube, wir werden mit dem Weine, den ih Dir gereicht, für diefe Gelegenheit genug haben ; trage die Flaſchen nur hinauf, ich werde einftweilen die Kallthüre Ichliegen und den Schaf verbergen ; bis dahin verwahre Du die Weine an einem fihern Drte.

Hubert fand das Ganze ſehr vernünftig ge: ſprochen, verbarg die für das heutige Gelage be— ftimmten Weine unter jeinem Mantel, und jtieg über die Treppe des Kellers hinauf.

Als die Sellerthüre in ihr Schloß fiel, wartete Wenzel noch den Nugenblid ab, wo er das Knarren der großen Mehltruhe vernahm, denn er wußte, daß Hubert nur dieſe als fiheres Verſteck für den geiftigen Proviant wählen könne; dann erft griff er nach der geheimnißvollen Flaſche. | Hubert mohte das Warten nad) feinem Freunde verdroffen haben, es war jedod gut für ihn, wie es die Folge lehren wird.

Die ſchwere Flaſche war aus undurchſich— tigem Glas, man vermodte von Außen den In— halt nicht zu prüfen.

Aber, wie jhon erwähnt, war Wenzel ein geihulter Junge, und mußte es, meldes das allerihmerfte Metall der Welt ſei; demnad konnte in diefer Flaſche nur Gold ftedken. |

Die Flaſche zu entlorfen und die Dufaten-

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ftüde einzeln Hberauszurütteln wäre mit vielem Beitverluft und Verdacht erregendem Geräuid) ver— bunden geweien; dann wäre e3 bei einem jolhen Bunde lächerlid) gewesen, die Flaſche zu jchonen. Er hatte fih daher den Plan geftelt, um mög: lichſt Schnell zu arbeiten, den Hals der Flaiche an jeinem Stiefelabjage zu zerbrechen, die her: ausrollenden Goldfüchſe in die Taſchen zu bergen, und dann Hubert den einfadhen Rapport abzu= ftatten: es jei eine Branntweinflaihe zerbrochen und deren Inhalt in den Sand geronnen. Welch' wahnfinniges Vorhaben der junge Mann damit ausgebrütet, follte der naͤchſte Mo- ment lehren. |

Die Flaihe enthielt fein Gold ſondern Knallqueckſilber.

Wenn Jemand Zweifel darüber hegen ſollte, daß mit dem Kunallqueckfilber durch— aus nicht zu ſyerzen ift, dem wollen mir furz jagen: daß Snallquedjilber jene gelblich— weiße Subftanz ift, mit welcher man die Zünd- büthen füllt, womit man wieder die Schießge- wehre losfeuert. Dieſes chemiſche Produkt befigt die Eigenſchaft, daß es bei der kleinſten Berüb- rung erplodirt, und daß feine Zerftörungskraft hundertfünfzig Mal größer ift, al3 die des Pulbers.

Acht Pfund Knallquedfilber üben daher die— felbe Wirkung, als hätte Jemand in zwölf Zent- ner Pulver die Lunte geihleudert ...

Was nachher geſchah, das konnte Wenzel Niemandem mehr erzaͤhlen; wir wiſſen es aus den Ausſagen Hubert's, welcher in dem Momente, als er die Bouteillen in die Kleien bergen wollte, mit Gewalt in die Truhe geſchleudert wurde, und dann ſammt ſeinem Gehaͤuſe durch die Luft an's jenſeitige Ufer der Maroſch flog. Sein Glück war, daß er, durch die Kleien geſchützt, nicht zerſchmet. tret wurde. Man fand ihn am Ufer der Maroſch, bon ſeinen Flaſchen umgeben .... Die Wirkung der letzten Flaſche war further! ..

Eilf Gemäder flogen in die Luft. Der Kommandant, welher bei der Erplofion aus dem Zimmer ftürzte, fiel in einen Abgrund, wo ihn die Trümmer erihlugen. Die Kaſematten waren zer— ftört, die Wälle niedergeriffen, auf taufend Klafter war die Umgegend mit Steinen und Ziegeln bedeckt.

Wenzel fand man an die Wand des Kel— lers gellebt, eine bingeftrihene Maffe, feine Kno— hen waren jo zerbrödelt, als hätte man fie in einem Mörjer zerftoßen.

Pußtafi fam wie durch ein Wunder davon. Auh ihn hatte die Erplofion in die Lüfte ge- jhleudert, er fiel aber unweit auf eine Stroh: trifte. Er hatte fi) das Haar und den Bart ver- jengt, ſonſt geihah ihm fein Leid.

Den anderen Tag hatte man ihn troß des Unfalles mit mehreren anderen verdächtigen Ge— fangenen weiter transportirt.

Aubere Zeiten, andere Menfchen. III. Band, 2

ze. IR

So gelangte er in die Komorner Kajematten.

Er war es demnah nahdem es ihm an— ders nicht gelungen, die Botihaft ſeines gefalle- nen Freundes an Scraphine auszurichten melder den Finger mit dem Ninge durch das Gitter ftedte, um Seraphine wifjen zu lafjen, was dieſe zu willen fi jo lange gejehnt hatte.

Und dennoch befam Seraphine darüber nie eine fihere Auskunft, denn fie hatte nicht den Muth, nadhzuforihen, wer der Träger des Rin— ges fei, in der Angft, fie Tönnte als Antwort er- halten: „Der Beliker des Ringes ift Dein er: fter, Dein jo Schnell vergeflener Gatte Robert.“

Wie Major Kolbay einen Türken gefangen.

Die neue era hat aud) in die Lebensver- Hältniffe des alten Majors Kolbay einige Kleine Veränderungen gebradt. E3 kamen Tage, an wel: hen der alte Herr ganz ernftlid) den Glauben hegte, daß aud) er noch zu Etwas nützlich fei.

Seine Beihäftigung beftand nun darin, daß er täglich in die Feftung ging, um nachzuſehen, ob man feine friiden Gefangenen gebradt habe; es war ihm leicht, zu ihnen zu gelangen. Nun beeilte er fi, ihre Heinen Wünſche zu erfüllen, und machte alle Gänge für fie, vom Profoßen angefangen bis zum General; er war überall wie zu Haufe, Der Eine hatte den Wunsch, zulefen, und verlangte nad) Büchern. Der Andere wollte fih in der freien Luft ergötzen; Manden wollte feine Gattin bejuchen ; wieder Andere dürfteten nad) einem Släschen Wein ; der hatte eine zu Feuchte Wohnung u. ſ.w.; der Alte tegiftrirte in feinem Gedaͤchtniſſe die verſchiedenen Begehren und juchte fie möglicht zu erfüllen,

2%

Einem jeden Einzelnen erzählte er die ganze Rebensgeihihte, Kamilienverbindungen, und Cha— rafterzüge jener Mächte, mit denen fie in Be— rührung famen. Und welche Freude hatte der Alte, wenn er für einen jchweren Gefangenen erwirfen fonnte, daß er jeine Gattin ſprechen dürfe, daß er Bücher lejen oder gar Tinte und Papier er= . Halten fünne.

Man nannte den guten Alten bereit den „Vater der Gefangenen.“

Wenn er nad) feinen Bejuhen in der Fe- ftung des Mittags und Abends nah Haufe ging, nahm er ftetS jeinen Weg am Haufe der Laͤbay borüber, Kopfte an das Fenſter, und frug: „Sind die geftrenge Frau zu Haufe ? Laſſen Sie das ewige Weinen, Ihrem Sohne ift nod) nichts ge- ihehen. Sonft hätte ih ſchon längft etwas über ihn erfahren haben müſſen.“

Wie konnten Sie über ihn hören, wenn er geftorben ift? Lebte er, fo würde er mid gewiß benadhrihtigt haben! Das war der täg- lihe Zweifel der alten rau.

63 ift jetzt ſehr ſchwer, Briefe zu jchrei- ben, überhaupt wenn man Flüchtling ift.

Daß aber aud feine Gattin nicht ſchreibt?

Diefe ift eine prächtige Frau, weßhalb gehen Sie niht ſelbſt zu ihr, um mit ihr zu ſprechen.

Peſt iſt jetzt tauſend Meilen von un

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entfernt. Man muß einen Paß haben, um ihn alle Augenblide den Gensd’armen vorweiſen zu fönnen, um ihn auf'3 Polizei-Bureau zu fchiden ; ihn. von dort perfönlid abholen, eigenhändig den Namen unterfchreiben, von hundert veridiedenen Menichen dabei genedt werden, das Alles ift nichts für eine alte Frau.

Kolbay räufperte ih, ſagte weder Gutes, noch Böſes und ging von dannen.

Die Unterhaltung wurde täglih in der— jelben Weile wiederholt, die alte Dame erichien mit immer berweinteren Augen beim Benfter und betheuerte mit einer von Tag zu Tag wachſen— den Zuberfiht, da ihr Sohn geftorben fein müffe; in demjelben Maße wurden ihre Klagen immer bitterer gegen die Schwiegertodter, welche fie mit feinem Sterbenswörtchen benachrichtigte.

Der alte Soldat tröftete die Witwe von Tag zu Tag, und vertheidigte dabei ſtets Judith. | An einem Mittag jah man den Veteranen mit ungewohnter Haft und in fehr aufgeregtem Zuftande über das holperige Pflafter eilen. Es ihien, al3 wollte er einen Wagen einholen, welcher, mit Reifigbündeln belaftet, vor ihm bers humpelte, und welden, troß feiner nicht beſon— deren Schnelligkeit, einzuholen, dem alten Ve— teranen mit Seinen morſchen Knochen ſehr

ſchwer fiel.

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Er konnte ihn auch erſt dann einholen, als der Wagen in den Hof der alten Zavay fuhr, und der Fuhrmann, unſer alte Bekannte Andreas Käpor, die Reifigbündel vom Wagen herabzuladen begann.

Kolbay Humpelte an den Wagen heran, ergriff eine der Radipeihen, al3 wollte er das Fuhrwerk mit Beihlag belegen.

Schnell, Ihnell, Freund Kaͤpor! werft eiligft dieſen Ballaft herab, und führt mid) eiligft von dannen !

„Guten Tag!” erwiderte Kaͤpor den Gruß, den man ihm gar nit geboten hatte, und jeßte gleichgiltig Jeine Arbeit weiter fort. Es wird nicht gehen, denn ih muß noch eine Fahrt. für die geftrenge Frau auf die Inſel machen.

Verſchiebt das auf eine andere Zeit, jetzt mügt Ihr mid fahren!

Und wohin denn? "

Ich werde e3 ſchon jagen, eilet nur !

Auf wie lange Beit?...

Ich weiß es nidt.... Vielleiht auf einen halben, vielleiht auf einen ganzen Tag, .. auf eine Mode, oder jo lange ih den Menſchen nit eingeholt habe.

Wen wollen fie einholen, Herr Major ? rief die Stimme der alten Frau dazwiſchen, welche dem Alten ſchon das vierte Mal einen guten Tag geboten hatte, ohne gehört zu werden.

94. =

Ah!guten Tag, liebe Freundin!.. daß ich Doc) endlich diefen Menſchen erwiſchen könnte ! Wen haben Sie denn erwiiht ?!

Denten Sie fi diele unerhörte Dreiftig- feit. Gerade jekt, beim helllichten Tage, fuhr er auf einem Magen durh die Gaſſe. Ach habe ihn jelbit mit Diefen meinen lebenden Augen ges ſehen; mit meinen eigenen Mugen, jonft würde ich's nicht geglaubt haben.

Ren? frug die Alte mit fliegendem Athen ; fie hegte für einen Augenblid den Ge— danfen, e3 jei ihr Sohn, den der Veteran gejehen.

Mer würde an eine jolde Dreiftigkeit glauben ? Gerade in diefe Stadt zu kommen; am hellen Tage, mit dem eigenen Gefiht? ES ift wahr, daß fein Kinn ausrafirt geweſen, ſolch eine Larve erkennt man aber jelbit dann, wenn er fie wie immer verdreht.

Frau Lavay wurde abermals traurig. Hier fonnte nicht von ihrem Sohne die Rede jein.

Wen haben Sie aljo gejehen, Herr Major ? |

Men Andern, als diefen nichtsnugigen Bärfing, welder mid im vorigen Jahre auf der Gaſſe, an diefer Stelle da, mit dem Hängen be- drohte, mich, den Major Kolbay ! Sie haben e3 ja ſelbſt gehört, geftrenge Frau, es geihah ja in Shrer Gegenwart. Daß ich ihn endlich erwiſcht habe! ...

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Was beabſichtigen Sie jetzt zu thun?

Ich werde ihm nacheilen und werde ihn erwiſchen, den Nichtswürdigen! ..

Sie ſelbſt ?...

Ja, ich ſelbſt. Habs noch Niemanden angethan. Hab’ anderen unglücklichen Flüchtlingen, braven, verirrten Leuten zur Rettung verholfen; Dieſem aber werde ich den Hals brechen.

Laſſen Sie das, Herr Major, das iſt fein Geihäft für Sie.

Ich weiß es, ih weiß es jehr gut. Der „Major“ in mir wird darob zürnen, aber id bin es dem „Teufel“, den diefer Menſch in mir wadgerufen, ſchuldig; der muß heute noch Men- ſchenfleiſch freſſen! | Lieber Herr Major, verdient e3 denn diefer Menſch, da fid) ein jo ehrlicher Mann mit ihm befaflen joll ?

Gut, gut, meine Freundin, geben Sie fi nit unnüge Mühe... Ich habe ihn geſe— ben. Er lädelte mih an, als gäbe er feinen Hund für mid. Der fol mir nicht entlommen. Er kann no nicht weit fein. Werde ihn ſchon einholen, ihm nachjagen, und wenn er bis Lili— putanien laufen follte. D, ich werde, ih muß ihn, « erwiſchen, das gelobe id) Ihnen heilig !..

Und mas werden Sie dann mit ihur beginnen ?

Mas ih mit ihm beginnen werde ?

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Was ? ... Ich werde ihn kurzichliegen, ja kurz— ſchließen laſſen, ebenſo, wie er mir gedroht, mir, dem alten Mann, dem Major Kolbay, ſoll er's verkoſten, was das Kurzſchließen heißt. Freund Käpor, beeilt Euch mit der Arbeit. Wir ge— ben auf eine Menichenjagp !

Na, wir wollen jehen, was der zurnige Fäger von feinem Ausfluge zurüdbringt.

Kolbay wollte niht einmal warten, bis Kaͤpor mit feinem Wagen nah Haufe fuhr, um Verſchiedenes herzurichten; der Fuhrmann brauchte ja jeinen Tornifter mit Lebensmitteln, da man nit wifjen fünne, wie lange die Reife dauern wird; feinen Guba, da es falt werden oder reg: nen fann; aud ein Sitz wäre herzuftellen, der Major kann fih doch nicht auf den Boden des Wagens ſetzen.

Nein, nein, keine Minute Verzug. Fah— ren wir allſogleich, um ihn einholen zu können. Ich brauche feinen anderen Sig al3 cin Stroh— bündel, das wird und die geftrenge Frau Thon geben.

Nein, feinen Halm gebe ih ber! rief Frau von Lavay haſtig.

WMir geben Sie fein Bündel Stroh ?Mir ?

Nicht einen Halm... Nie werde id zu Jemandens Verfolgung beifteuern.

Aber zur Verfolgung Bärfings ; zu Bär: fings Verfolgung! Verftehen Sie mid.

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Ich weiß es am Beſten, wer dieſer Bär- ſing iſt, daß er mein und meines Sohnes Feind iſt; doch frage ich nicht darnach. Jetzt weiß ich nur ſo viel, daß er ſich flüchtet, daß Sie, mein Herr, ihn verfolgen wollen, und ich leihe hiezu nicht einen Halm Stroh! ..

Sie ſind ja eine furchtbare Frau!

Das ſpricht man längft von mir.

Alſo wollen Sie mir kein Stroh zu einem Sit geben ?

Ein anderes Mal a ih Ihnen Sa= fran, jet nicht einmal Stroh.

Wie, wenn id) zornig werde ?

Werden fih) ſchon wieder verjühnen; jagte die gute alte Dame gelaflen, und blieb bei ihrer Weigerung.

Und dennod) werde id) gehen ; werde mic neben dem Kutſcher ſetzen.

Gehen Sie nit, mein guter Herr, Sie werden jehen, daß Sie Gottes Segen: nit be= gleitet, e8 wird Ihnen ein Uebel am Wege zu— ftoßen. Su etwas ift nicht für Sie, Sie find fonft ein jo guter Menſch.

Hente will id aber böfe, furchtbar böje fein! eiferte zornig der Alte, und kletterte auf den Sit neben dem Kutſcher.

Treibt ſchnell vorwärts.

Die alte Dame jah ihm Fopfichüttelnd nad) und ging dann in ihr Zimmer zurüd,

er

Der Alte jagte aber ſchnell der Brüde zur.

Das Gewagte diefes Unternehmens vermag nur Derjenige zu ermeſſen, der da weiß, was es heißt, auf einem Pflafter, welches aus Kaiſer Foje3 Zeiten datirt, und welches überdies durd) Bomben und Granaten unterwühlt worden, auf einen rüttelnden Bauernmwagen, mit von Gicht zerireffenen Gliedern, auf einem harten, nadten Brett fißend, im Galopp dahin zu jagen.

Fahrt jchneller, 's macht nidts!..

An der Brüde frug er die Zöllner, ob fie feine grüne Kaleſche geliehen hätten, in welder ein Mann im grauen Mantel mit rothem Kragen faß?.. Die Zöllner hatten ihn geiehen. Vor einer halben Stunde jagte er der Veler Pußta zu.

Bor einer halben Stunde?.. dann fönnen wir ihn noch einholen. Vorwärts!

Wo jih der Weg bei der Ziitvabrüde gegen Bel wendet, da arbeiteten ein Baar Zim— merleute an der Ausbefferung der Brücke; aud) diefe befragte der alte Kolbay, ob fie den Ge— genftand feiner Verfolgung gejehen ?

Sie bejahten &8. Er fuhr vor einer BViertelftunde über die Brüde.

Ganz gut. Demnad) find wir ihm um eine Biertelftunde näher im Rüden.

Weiter ftieß er an Fiſcher, welche am Ufer der Ziitva ihre Neke zum Trocknen ausipannten, auch dieſe wurden interpellirt, ob fie die grüne

——

Kaleſche geſehen hätten? Dieſe gaben zur Ant— wort, daß beſagtes Fuhrwerk erſt vor einigen Minuten vorüberfuhr und ſoeben hinter jenem Weidenwalde verſchwand, wo man noch den auf— gewirbelten Staub ſehen fünne. |

Gebt ſchont weder Pferd, noch Magen, no die Veitihe! rief Kolbay feinem Fuhrmann zu. Wir find auf feinen Ferien, wir halten ihn bereit3 am Sragen!.. das gäbe ich niht um Hunderttaufend Gulden, nein, nicht um hunderttaufend Gulden. Legt fol er mir nicht entwiſchen! ...

Als fie aus dem Weidengeholze heraus— kamen, wurden ſie jener kleinen Kolonie anſichtig, auf welcher Ungarns berühmteſter Tabak waͤchſt. Dieſe Kolonie beſteht aus einigen zerſtreut ge— bauten Haͤuſern, welche mit Pappeln umpflanzt waren. | |

Nun müfjen wir aber wiſſen, da auf dieſer Kolonie aud Major Kolbay ein Stüdhen von feinen Ahnen ererbtes Tabakfeld beſaß, welches ein ehrliher Slovale in Pacht hatte, der Pacht— Ihilling beftand aber in einigen Zentnern Tabak, welche der alte Major von Jahr zu Fahr theils felbft verraudte, theils aber verſchenkte.

Diefes patriarhaliihe Verhältniß wurde dur die jüngfte Wendung der Dinge getrübt, denn man durfte den Pachtſchilling nit mehr in Natura entrihten, die Gintreibung desſelben

9 in baarem Gelde blieb aber eine ſehr problema—

tiſche Frage.

So oft Kolbay an dieſes ſein Beſitzthum dachte, gerieth er in ſehr verdrießliche Laune.

As er in das oft erwähnte Dörflein hin— einfuhr, fam ihm der Feldhüter entgegen. Kolbay hielt ihn an. Natürlih war die Frage, die er an ihn richtete, feine andere, als die er auf dem ganzen Wege geftellt Hatte.

Sie ift da, die Kaleihe, ſagte der ſlaviſche Magyar jehen Sie Pan velkomozsnye, dort fleht fie vor dem Haufe des Richters.

Sitzt der Herr mit dem grauen Mantel darin ?

Nein, der ift bereit abgefttegen, mit noch einem andern Herrn, welcher Brillen trägt und ſlaviſch verfteht, nur daß er ftatt „dobre“ „dobzse“ jagt. |

Wohin find fie gegangen ?

Zu dienen. Sie befahlen dem Richter, fie zu begleiten, nahmen noch zwei Geſchworne mit, und gingen gerade auf das Tabakfeld Eurer Gnaden hinaus.

Auf mein Fed? Was thun fie dort?

Mit Vergebung Euer Gnaden, fie koſten die Erde.

Seid Ihr verrüdt ?

Nein, bitte gehorfamft. Hab's jelbit mit eigenen Augen geiehen. Sie treuen die Erde auf

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die Zungenipige, drehen fie im Munde herum und fpeien fie dann wieder aus.

Wird eine Art von Zauberei fein; vielleicht wollen fie dadurh die Erpflühe verjagen, damit fie die Tabakspflanzen niht verwüſten. | Ahr jeid betrunken! rief der Major; fahren mir meiter, Käpor.

Kolbay konnte ſich's durchaus nicht er⸗ klääͤren, was dieſen Menſchen an dieſen Ort ge— bracht haben konnte.

Als er zum Gemeindehaus gelangte, ſah er zu ſeiner Verwunderung, daß die grüne Kaleſche bereits umgekehrt ſtand; ein Zeichen, daß man nicht weiter flüchten wolle.

Kolbay ſtieg mit einer Eile vom Wagen, daß er ſelbſt ſeine Gicht vergaß. Beim Ge— meindehauſe hatten einige Faullenzer Maulaffen feil. Einen derſelben forderte er auf, er möge ihn dahin führen, wohin die Leute die aus der Ka— leſche ſtiegen, gegangen ſind.

Nachdem fie durch einige Gräben und Rohr: hecken gedrungen, gelangten fie in einen Zwetſchlen— garten, welder das Eigenthum Kolbay'3 war, wo er aber nie in feinem Leben gewejen. Aus der Döorrkammer wurden verſchiedene Stimmen ber: nehmbar, darunter die Bärfing’s, mwelder mit Semandem eifrig ſprach.

Kolbay ſchlich mit großer Behutſamleit hinter den Dörrofen, um bon dem Menſchen nicht

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bemerft zn werden; es gelang ihm dann wirllich, die Xhüre zu. verftellen.. Da jah er Bärzfing in feiner leibhaften Größe vor der Dörrbank ftehend, “wie er mit einem Rothftift auf ein langes Pa- pier Notizen ſchrieb.

Kolbay trat mit dem flammenden Gefichte eines rächenden Cherubs in die Kammer.

Sind fie alfo hier, mein Herr Barfing ! Bärling war durch das Eintreten Kolbay's wirflih überrajcht, diefe Ueberraihung war aber eine freudige.

Ah, das ift herrlich; Sie kommen wie anf Wunſch. Wie gut, daß Sie bier find.

Kolbay trat betroffen zurüd,

MWephalb mag fi diefer Menſch freuen, daß ich hier bin?

Belieben ganz a propos zu kommen. Wir find eben mit Ihrer Angelegenheit beihäftigt. Wie konnten Sie aud) bei der Faſſion ihre Fel- der in die dritte Klaſſe einschreiben laſſen, da fie doch offenbar in die erfte gehören ?

Den alten Herrn hatte dieſes unerwartete

Impromptu derart aus der Faſſung gebracht, daß er feiner Antwort fähig war. 0 Ja, ja; betheuerte der andere en Sie beliebten falſch zu fatiren, indem Sie Ihre Felder als zur dritten Klaffe gehörig angaben, und die übrigen Beſitzer machten's Ihnen nad).

Dann ergriff wieder Bärfing das Wort:

Während doch die Tabakfelder als Garten: grund betrachtet werden.

Hierauf ſetzte der andere Herr fort:

Denn obwohl der Grund nur Sand ift, fo ift er doch unihägbar, wirklicher Humus,

Defien Ertragsdurdihnitt auf jährlich 120 Gulden berechnet werden fan.

Sodann ift es natürlih, dag man dieſe Felder nad) jenem Schlüfjel bemefjen muß.

Kolbay dachte aber, daß er doch eigentlich nicht deshalb hieher gekommen, um die Qualität und Klaffifizirung feiner Felder zu erfahren, fon= dern um Bärfing beim Kragen zu faflen, und ihn zur Verantwortung zu ziehen, darüber, was er vor einem Jahre gethan und was er geweſen! Schließlich brach feine Leidenihaft 108,

Wer find denn der Herr?! herrſchte er Bärfing an, mit der Spige feines Zeigefingers die Schulter des edlen Jungen berührend, jo daß diefer beinahe in den Dörrofen gejtürzt wäre,

Bitte, bitte, beeilte fi) der andere Herr zu erwiedern, Herr Bärfing ift in amtlicher Eigenihaft hier als Kataſtral-Kommiſſions-Rekla— mations-Hilfsgerihtsadjunft.

Kolbay jah verwundert drein.

Braucht doch ſelbſt der Maikäfer zwei Jahre bis er aus einem Engerling zum fliegen- den Käfer wird.

Verzeihen Sie, Herr, fagte dann

Barfing ih in eine amtlihe Stellung werfend indem er die Hände in die Taſchen feiner Pan— talong ſteckte und fich zeitweile auf den Ferien er: bob. Ih weiß es recht gut, was id Ihren früheren Verdienſten chuldig bin, und werde es nie bergefien; wo es aber die Intereſſen des Staates erheiſchen, bin ich bemüßigt, jede per— ſönliche Rüdfiht bei Seite zu jeßen. Dies muß ih Ihnen im Voraus erklären.

Jetzt begann wieder der andere Herr zu ſprechen, welcher feine Kenntniß von den früheren Berdienften des Veteranen hatte, "und fid) daher in jarkaftiihen Ausfällen gegen den Alten erging.

Das fommt daher, weil es die „Herren“ nit einſehen wollen, da die Millionen aus Pfennigen entftehen. Wenn Jeder fein Beſitzthum um eine Klafje niedriger angibt, jo entfteht dar: aus ein Verluſt von vielen Millionen für den Staat.

Bärfing knüpfte an:

Was zu fontroliren, unjere, wenn auh nicht jehr angenehme Pflicht ift, die mir unter Eid und Ehrenwort übernommen.

Der Andere fügte hinzu:

Uebrigens bin id) jo frei, zu bemerfen, daß es auf dem Faflionsbogen Kar gedrudt fteht, daß die Angaben der Betreffenden als eidlidhe Ausſage gelten.

Bärfing ſprach:

yindere Zeiten andere Menſchen. Il. Band. 5

Ich bin zwar zur Entſchuldigung des Herrn Majors geneigt, anzunehmen, daß Sie vielleicht über die Qualität Ihrer Felder ſelbſt nicht im Klaren geweſen, und die bon der Wahr: heit abweichenden Angaben blos aus Irrthum eintrugen.

Worauf abermals der Andere das Wort ergriff.

Dann, ſprach Bärfing in falbungsvollem Zone:

Denn, belieben mir zu glauben, Herr Major, dag mir auf diejem Gebiete To vieler Bosheit und Heimtüde begegnen, daß es gar niht Wunder nehmen kann, wenn man ſchließlich gegen die ganze Nation erbittert wird. Nie hätte ih an fo viel heimtüdiiche Geheimnißthuerei, binterliftiges Handipiel, Verftellung, an fo viel zur Verkürzung des Staates inizenirte Falſchheit, und an ein jo hartnädiges Beitreben zur Hin- tertreibung der heilfamjten Inftitutionen geglaubt, wie fie bei dem ungariſchen Volke, insbejondere bei deſſen „bevorzugt“ genannten Klaſſen vor- fonmen.

Gelbft bei Denen, beeilte ſich der andere Herr hinzuzufügen, die vermüge ihrer Stellung berufen wären, den heilſamen Inſtitu— tionen des Staates Hilfreih unter die Arme zu greifen. Dabei ſchoß der Redner einen be- zeichnenden Blid auf den Major.

Nein, nein! fiel Bärfing, feinen Kol: legen beihwichtigend, ein. Ich will den Herrn Major durdaus nicht der Abfichtlidhkeit beichul- digen, kenne ic ihn doch jeit Langem Thon als einen braven, loyalen Mann.

Altkonſervatib-loyal, ſcherzte der an— Herr.

Der gewiß ſeinen Irrthum einſehen, und vermöge ſeiner ſteten Treue bemüht ſein wird, den begangenen Fehler gut zu machen.

Zu welcher Freundlichkeit, unter uns ge— ſagt er auch gezwungen ſein wird.

Kolbay ließ ſich, ſo zu ſagen, von einer Hand in die andere werfen. Er hörte ohne ein Wort zu ſagen zu, wie ihm Menſchen, wie Baͤrſing, über Treue, Loyalität, über hin— terliftigen Betrug zur Verkürzung des Staates Lektionen gaben ; wie Menichen, wie Bärfing, ihn, den Major Kolbay, und die ganze Nation des Betruges anihuldigen; wie man ihn anklagt und entihuldigt, wie man ihn in's Verhör nimmt, veripottet, dann wieder lobt ; wie Leute, wie Bärfing und Kompagnie, ihn für Nichts achten,

Er hörte zu, ohne ein Wort hervorzubrin- gen ; da fielen ihm aber die Worte der alten Frau Lavay ein. „Hat es mir doch dieſe Erimi- nelle Frau gejagt, daß mid Gott auf diefem meinem Wege ftrafen wird; nun hab’ ich's auch erfahren.‘

3*

zeug

Stumm jah er den Xeuten zu, wie fie die Rubriten ihrer Hefte mit verfhiedenen Kleckſen ausfüllten, wie fie dann diefe Hefte zufammen- handen und fortgingen, ohne ihn zu grüßen, fort auf feine Felder hinaus, wo fie die Erde be- ſchnefelten und beledten, die Ausjagen der Bauern zu Protokoll nahmen ; wie fie es beftimmten, wie— viel Humus jene Erde enthalte, welche fiebenund: fiebzig feiner Ahnen mit ihrem Blute getränft ; und ihm geihieht das, dem Letzten dieſes Stam— mes, der aus dem Sriege niemals ohne Wunde heimgefehrt ift.

Da fühlte er es nod mehr, welch' trauri- gen Stand jo ein „alter Knochen“ habe, der Ihon längft geftorben, ſchon längft dem Jahrhun— derte entrücdt ift; nur daß er es vergaß, fich be- graben zu laſſen und nun als Gefpenft aus Fleiih und Blut herumwandelt.

Bon dieſem Tage an ging er nicht mehr in die Keftung.

Ein Menſch, der nidt das if, was er iſt.

Die Baronin von Dolnay war eine der ges feiertften Patriotinnen.

Das legte Wort ift auch neuen Urſprungs; einjt hatten Söhne des Vaterlandes deſſen Ange- legenbeiten geſchlichtet; jetzt müflen ſich entweder dieje Angelegenheiten jehr vermehrt haben, oder find die Männer im Kampfe derart ermüdet, daß auch die Töhter an den Kämpfen theilnehmen müfjen, was diefe auch mit nahahmungswürdigem Eifer thun.

Die Frau Baronin Dolnay war eine Der- jenigen, deren Namen noch lange in dankbarer Erinnerung leben wird. Ihr Kaſtell war ein fürn: lihes Spital für verwundete Srieger, jpäter ein Aſyl der Flüchtlinge; diefe hatten in ihren Ver— fteden, um fi) die lange, drückende Zeit zu ber: treiben, verihiedene Heine Handarbeiten angefer: tigt, mit welden dann die Baronin zu reichen Damen haufiren ging, auch die von berühmten

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Männern angefertigten Kleinigkeiten für fabelhafte Preife verkaufte, um das Erträgnig dann den Flüdht- Iingen und Staatsgefangenen zu gute fommen zu laffen. Auch die Hälfte ihrer eigenen Einkünfte hatte fie zu ſolchen Zweden verwendet.

Biele Hunderte damals Unglüdlicher ſegnen die Baronin heute noch; fie hat dieſe Segnungen auch verdient, denn fie war eine chte Patriotin.

Und wenn eine Patriotin einen Fehler haben fann, fo ift e8 eben nurder, daß fie ein Weib ift.

Eines Schönen Tages heiratete die Baronin den ruffiihen Fürſten Wolozoff.

Gott ift mein Zeuge, dab ic) fie nicht des— halb tadle, meil fie einen Ruſſen geheiratet; der Fürft war ja ein ſehr liebensmwürdiger, gebil- deter Mann, und keineswegs das Prototyp jener fruppigen Kolalen-Hetmanns, die in allen Witz— blättern der Welt karrikirt, verewigt worden find ; er war ein Anhänger der neuen Ideen, ein Freund Herzens und Bakunin's, der zwar an der Campagne gegen Ungarn teilgenommen, doch ſeine Sympathien für die „noble Nation“ bewahrt Hat; ih habe nur den Einwurf gegen diefe Heirat zu machen, daß die Baronin erft dreiundfünfzig, der Baron aber bereits dreiunddreißig Zahre zählte.

Die Fürftin Wolozoff blieb auch nad) ihrer Heirat Patriotin, obwohl fie zu den früheren Zwecken nicht mehr io viel verwenden konnte:

doch wurde ſie dafür durch die freiſinnigen Worte des Fürſten entſchädigt, mit deren Verbreitung ſie auch keineswegs karg umging.

Ein halbes Jahr nach der Heirat ſtarb die Fürftin.

Damals gab es ſchon Geſetze, melde das von den Ahnen erworbene Befigthum nicht mehr an den Namen der Familie banden; jeder Ein- zelne konnte frei über das ihm gehörige Gebiet verfügen. Die Fürftin hatte ihr ganzes Ber: mögen dem Fürften vermadt.

Auch dies führe ih nit als Vorwurf an, der Fürſt war bemüßigt, wie man all: gemein ſprach um das ungariihe Indigenat erlangen zu künnen, feinen ungeheuren Befigungen in Rußland, welhe mehrere taujend Quadrat— meilen umfaßten, zu entjagen,; auf diejen Be— figungen hatte er über drei Millionen Unter: thanen, welche er für hundert Rubel per Stüd verkaufen durfte; die Befigungen trugen ihm ein Jahreseinkommen von 10 bi3 20 Millionen. Ob dieſe Zahlen genau und pünftlih angegeben jind, kann id nit verantworten; dod hat man mir in gut unterrichteten Kreiſen jo berichtet ; und id war eben in der Laune, Alles zu glauben, mas man wollte. |

Seitens des Fürften war es demnad ein wahres Opfer, den Beſitz eines elenden ungari—

40 ſchen Gütchens anzunehmen, welches kaum zwanzig- tauſend Joch betrug.

Bei der Inſtallation fungirte Fertöy als voll⸗ ziehende Macht.

Auch darüber habe ich nichts Beſonderes zu bemerken.

Der Fürſt hatte noch bei Lebzeiten ſeiner Gattin zwei „Niecen*, ganz liebenswürdige und hochgebildete Fürftinnen, in feinem Kaſtell.

In welcher Samilienverbindung dieje zum Fürſten ftanden, damit fann id in der Schnellig: feit nicht dienen, da man e3 bon mir nidt ver— langen kann, dag ih, durch alle Hinderniffe mid Ihlagend, nah Moskau reife, um dort im Kreml das goldene Bud) des rufliihen Adels aufzuihlagen und nachzublättern, in weldher Linie die Fürftin- nen Dlga und Feodora mit dem Fürftenjtamme Molozoff verwandt find; wir thun demnach am beiten, wenn wir uns damit beruhigen, daß Dlga und Feodora wirklid) die Niecen Wolozoff's find.

Beide find fürftlihe Schönheiten, die Eine blond, mit runden, vollen Formen, die Andere brünett, blaß und ſchlank.

Die Fürftinnen Dlga und Feodora ftatteten nad der Suftallation der Frau von Fertöy einen Beſuch ab und Iuden fie zum Gegenbeſuche ein; die Schidlidfeit verlangte c3, daß Seraphine die Einladung annahın. Seraphine braudte demnach nicht einmal nad Warſchau zu reifen.

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Doch verleumden wir Niemanden im Vor: hinein. Ferlöy ging ja ſtets mit feiner Gattin; und der Fürft war ein Mann von edlen Herzen, er trug noch ſechs Monate nah dem Tode feiner Gattin Kleider von graumelirtem Tuche und machte einen wahren Kultus aus dem Andenlen der BVerftorbenen.

Troßdem mar es jeinen Gäjten gejtattet, ſich nach Herzensluft zu unterhalten.

Fertöy machte ſehr häufige Beſuche im fürſtlichen Schloſſe, und vergaß nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch ſeine Gattin auf längere Zeit dort.

Der Fürſt war ein ſehr ſchöner Mann, eine weibliche Schönheit in Mannesgeſtalt.

Er hatte einen ritterlichen Wuchs, ein fei— nes, glattes Geſicht, blaue Augen, einen ſchönge— ſchnittenen Mund und volle blonde Haarlocken, wie man Adoniſe zu malen pflegt.

Er hatte auch das vollſte Bewußtſein ſeiner Schönheit und hütete dieſe ſo ſorgfältig, wie der Mann der Bibel das ihm anvertraute Talent, über deſſen fruchtbare Verwendung er Rechnung ablegen muß, wenn das Ende der Zeiten heran— rüdt.

Die ganze Welt jprad) bereits darüber, daß zwiihen dem Fürften und Seraphinen ein gewij- ſer Herzensbund bejtehe, und zwar mit Eimvilli- gung des Gatten. Vielleiht war es nod nicht

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10; aber die böjen Zungen eilen dem böjen Ge- danfen ftet3 voraus, |

Die Fertöy's brachten ſehr viel Zeit im Schloſſe des Fürften zu.

Manchesmal geihah es, daß fih der Fürſt und Fertöy auf die Jagd begaben und die drei Damen: Dlga, Beodora und Seraphine allein blieben.

Sonderbar ſchien es, daß ſich Seraphine in der Geſellſchaft der beiden Niecen nicht wohl fühlte. Wenn fie mit ihnen allein blieb, überfam fie ftet3 eine Antipathie, eine Aufregung, worüber fie ſich feine Rechenſchaft geben konnte.

Sobald fie es demnach thun konnte, ent: wiihte fie in den Garten, nahm irgend einen Roman mit, und jekte fih in ein Bosquet, um zu lejen oder zu träumen, bis fie von den Für: fiinnen aufgefuht und unter Laden und Scher— zen. in's Schloß als Deferteurin zurüdgeführt wurde, |

Oder fie jah ftundenlang zu, wie der Gärt- ner zwiſchen den Blumenbeeten arbeitete, wie er pflanzte und jätete mit Aufmerkſamkeit und Geſchick.

Der Gärtner war Einer von den Bedien- fteten, bezüglich welcher die verftorbene Fürftin legtwillig wünjdhte, daß fie niemals aus dem Dienfte entlaffen werden dürfen, und deren Be- zahlung fie in einem unantaftbaren Fideilommiß ſicherte.

Er

Er war nody ein junger Burſche, faum 25 bi5 26 Jahre alt; er hatte ein glattrafirtes Geſicht, war vermuthlich deutihen Urſprungs und ‘prad aud nur deutih. Er trug eine flahe Muͤtze mit langem Schirm und eine grüne Bloufe.

Seraphine Ihaute dem Manne lange zu und fragte ihn nad) dem Namen der einen oder anderen Blume. Der Gärtner antwortete ihr auf Alles mit pflihtihuldiger Bereitwilligkeit.

Einmal, als die arbeitenden Taglöhner ziemlich weit entfernt waren, ſprach Seraphine den Gärtner an:

Wie heigen Sie?

Friedrid.

Lieber Friedrih, haben Sie die Güte, mir jene blasgelbe Roje zu pflüden, ich fürchte, mir die Hand an den Dornen zu verlegen.

Die gelbe Roſe hat keine Dornen.

Dann pflüde ich fie felbft.

Seraphine pflüdte die Role, der Gärtner jekte ſeine Arbeit fort.

Leber Friedrih, warum hat diefe Roſe feinen Duft? In Italien habe ich duftende Roſen diefer Gattung gejehen ?

Hier verlieren fie den Duft, den fie im eigenen Vaterlande haben.

Willen Sie, wie man die Roſen wie— der duftend mahen kann? Kommen Sie ber, ich werde es Ihnen zeigen.

Bi

Der Gärtner trat näher.

Geben Sie At!

Seraphine hatte bisher deutih geſprochen, jegt ſprach ſie ungarisch, aber fo feife, das man fie kaum verſtehen konnte.

Mein Freund, Sie ſind ſchlecht maskirt.

Der Gärtner blickte ſie erſchrocken an.

Schon zwei Menſchen haben Sie erkannt; der Eine bin ih, der Andere Fertiy . . . Sie find Bela Lavay...

Der Angeiprodene erjtarrte bei der Nen— nung dieſes Namens.

Glaubte er dod, er ſei hinter dieſer Maske jo gut verborgen. Wer hätte ihn in dieſer Ge— jtalt erkennen ſollen, wenn niht das Auge deifen, der liebt, und das Auge deſſen, der haßt?

Kommen Sie mir nah in’3 Glashaus, flüfterte Seraphine ihn zu.

Der Züngling folgte ihr mechaniſch.

Hier im Schatten der grünenden Pflanzen, von Niemandem bemerkt, legte Seraphine alle Zurüdhaltung ab und wurde ganz Weib.

Sie ergriff die Hand des jungen Mannes, welche gebräunt und ſchwielig war, und bevor er e3 verhindern konnte, bededte jie dieſe Hand mit Küſſen. Dann brad ſie in Thränen aus,

Die Hand joll jekt niedere Arbeit verridy- ten. Im Erdreich ſoll jie wühlen, dieje Hand, die berufen war, den Himntel herabzubolen.

D, Madame, ſprach der Füngling, die Erdarbeit ift die fühefte, und. das grüne Laub ift der befte Freund.

Aber Sie dürfen nicht lange bier blei— ben, ſprach Seraphine heftig und trodnete mit ihrem Spigentudhe Augen und Wangen. Ich jah das Geſicht Fertöy's, als er Sie lange betrad: tete damals Ihöpfte er blos Verdacht; ein: mal aber blidte er Ihnen plöglih in's Geſicht, da erkannte er Sie. Ich beobachtete ihn und weiß, daß er fie fennt. Nur daß der Fürft ihn auf die Jagd mitgenommen, bat es verhindert, daß er Ihnen bis jet nicht geihadet; wenn Sie ihn bier erwarten, jo find ‚Sie verloren.

Ich danke, Madame, aber ih bin auf Alles gefaßt.

Auf Alles ?

a! und bei diefen Worten zog er ein Iharfgeihliffenes Meſſer aus der Taſche und zeigte es Seraphinen.

Bevor man mich gefangen nimmt, habe ich einen freien Mann aus mir gemacht.

Aber mein Gott, mit was für Gedan— fen tragen Sie ſich? Sie gehen mit einem ſchar— ten Meffer zu Bette,Zund tragen den Tod über dem Herzen. Darüber fann man wahnfinnig werden!

Nicht DoH,F Madame; diefer Gedante maht den Menſchen zum Gott. Der ift ein gar

großer Herr, der da weiß, daß er fterben kann wann er will.

Nein, nein, nein; das ift nicht wahr, Das it die Sache feiger Menihen der tapfer Mann kämpft. Mid kann dies Los nit treffen, dern ich bin ein Weib, ſchwach und feig; Sie aber find ein Mann. Geben Sie mir das Mefler.

Mas intereflirtt es Sie, Madame, ob ich früher oder jpäter fterbe ?

Sie behandeln mich verächtlich, und glauben, daß Sie im Rechte find. Sie haben unrecht. Alle Welt verwünſcht, verleumdet und verurtheilt mid, und alle Welt bat Red, nur Sie find im Unrecht. Nur Sie dürfen mid) nicht verurtheilen. Sie wiffen, warım. So oft man auf mic tritt, wie auf einen kothigen Stein, müſſen Sie daran denken, daß Sie aus dieſem Stein einen Diamant hätten ſchaffen können. Ich liebte Niemanden Niemanden und niemals. Sie willen es gut, Sie kennen mid) jeit meiner Kindheit, was ich für meine Mutter fühlte, das war Furcht; was an meinen verftorbenen Robert mich knüpfte, das war grenzenloje Achtung; mas mich meinem jegigen Gemal in die Arme führte, das war falte, eitle, weibliche Intrigue. Mer weiß, was nod aus mir werden kann? Das Sündenregifter ift noch nicht vol. Aber Einen liebte ich, liebte ich wahr und innig, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, wahr und inniglid.

Daß ich ihn liebte, es ift wahr, denn keiner Seele Jagte id) davon. Aber das ift nun vorüber.

Auf Bela machte dieſe Szene einen ſchmerz⸗ lichen Eindruck; er hätte ſich ſo gerne davon befreit.

Seraphine erfaßte ſeine Hand.

Wenden Sie ſich nicht ab von mir. Sie wollten mein Richter ſein: ſo hören Sie denn, was ich beichte, und urtheilen Sie dann. Ich habe nicht mehr das Recht, Jemandem zu ſagen, daß ich ihn liebe, denn ich ſagte dies ſo oft, wenn es nicht wahr geweſen; aber es gibt einen Gedanken, der mich mehr niederdrückt und zermalmt, das iſt der Gedanke, daß es noch ein Weib gibt, welches ihn mehr und wahrhaftiger liebt, als ich, das ſich ſeiner Liebe in dem Maße würdig machte, als id fie verſcherzte. Sehen Sie, diefer Gedanke tödtet mich und dieſen Ge— danken kann ich nicht verichweigen. Sie müffen bon bier weggehen. Sie müffen, nicht weil man Sie hier gefangen nehmen fünnte, denn ſchließ— lid) babe ich Verbindungen, um Ihrem Schidjale auch in dieſem Falle eine andere Wendung geben zu fünnen; aber Sie müfjen weg von bier, weil man in dieſem Kaftell in kurzer Zeit Ihre Gattin verleumden wird, weil fie von den Dienftboten begeifert werden wird und Sie es dann anhören müſſen.

Judith! ſchrie Bela heftig auf,

Zen AU:

Beruhigen Sie fih. Man verleumdet fie unberdienter Weile. Ih Tage es Ihnen. Ach reiße ein Stüd aus meinem Herzen, . indem ich Ihnen fage, daß man Judith unſchuldiger Weile verleumdet. |

D! mir thäte es ſehr wohl, wenn fie wirklich ſchuldig wäre; -wenn ich jagen könnte: jest fannft Du wieder wählen; doch es ift nicht wahr, Judith ift jo rein und treu wie ein Engel. D ! fühlen Ste meine fürdterlihe Bein, Ihnen das jagen zu müffen ?

Ich danke, jtammelte Bela, indem er feine Hand der zitternden Dame entgegenftredte.

Gehen Sie, wie glüdlih ih bin? An— ftatt die Faͤden, welche Sie an Judith fnüpfen, zu zerreißen, helfe ich noch fie fefter zu knüpfen.

Und wer verleumdet fie? fragte Bela begierig.

Sprechen wir von Ihnen; Sie müflen ſich - darum befreien, um fie vertheidigen zu koͤnnen. Sie müfjen leben, weil eine Frau, welde Sie lieben, Ihres Schußes bedarf. Uebergeben Sie mir nun das Mefler ?

Bela zog den in ſeinem Buſen verbor- genen Stahl hervor und übergab ihn lautlos Seraphine.

Gehen Sie, das ift doch irgend ein Seihent von Ihnen. Wohl heißt e8, e3 jei kein

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gutes, Zeihen, wenn Freunde einander Meffer ihenfen ; dod ih nehme aud) das an. Sehen Sie wie thöriht ih bin. Statt mid zu freuen, daß ein fteinhartes Herz, ein faltes, erbarmungsiojes Herz durch einen noch fälteren Stahl durchbohrt werden Soll, ftelle ih mid zwiſchen den Stahl und das Herz. Kann ich etwas dafür? Doch jetzt hören Sie an, welden Plan ich ausgedacht habe, . Ihnen zur Flucht zu verhelfen, damit Ste wieder mit Ihrer Frau zufaminentreffen fünnen.

Jetzt wandte Seraphine ihren Blid von Béla's Antlitk ab; bis dahin waren ihre Augen auf fein Geſicht geheftet, als fie aber von Judith und feinem Zufammentreffen mit ihr zu ſprechen anfing, begann die ‚Freude den Blid des jungen Mannes zu erhellen, da lauſchte er jedes Wort begierig von Seraphinens Lippen ab, welche wäh- rend des Sprehens fo jhön waren, und Gera phinen that diefe Freude jo weh; fie hatte fie verurfacht, doch wollte fie es nicht fehen.

Hören Sie aljo meinen Plan, er ift einfach und leiht ausführbar. Unweit von bier, auf der Pußta Hammwas, wohnt eine gute Freun— din von mir; es ift die Gräfin Szeplali. Die Gräfin ift Witwe und bat einen einzigen Sohn Sie bat mid, ihr Jemanden von meiner Bekannt. (haft zum Erzieher für ihren Sohn zu empfeh— len. Derjelbe muß ein geborner Ungar ein, jedoch engliih und franzöfiih ſprechen. Als ic

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Audere Zeiten, andere Menfhen. III. Band.

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Sie heute Morgens troß Ihrer Verkleidung er— fannte, war es mein Erftes, der Gräfin zu ſchrei— ben, daß ich einen entiprehenden jungen Mann gefunden habe. Ihr Name ift bon nun an: Albert Komaromi. Sie werden noch diefe Nacht abreijen, der Wagen wartet im Wirthshauje am Ende des Dorfes. Den Empfehlungsbrief habe ich bei mir. In zwei Tagen reift die Gräfin nad der Schweiz, und Sie entfliehen mit ihr aus die— jem unglüdlihen Lande. Nad zwei Monaten wird die Gräfin einer Geſellſchafterin benöthigen, die fie auf ihren Reifen begleitet, und eines ſchönen Tages wird dann Judith an Ihrer Seite jein.

Seraphine fühlte einen warmen Händedrud. Sie erwiederte ihn jedody nicht, fie empfand feine Freude darüber wußte, fie es doch gut, daß er nit ihr gegolten.

Wer wird dann Anftoß daran nehmen, wenn ſich der Erzieher und die Gejellichafterin in einander verlieben ? fuhr Seraphine krampf— haft lahend fort; die Gräfin wird ihr Glück gewiß nit zuzhemmen ſuchen.

Seraphine fiel in ihren gewohnten ſarka— ſtiſchen Ton zurück.

Gefaͤllt Ihnen mein Plan?

Béla nickte ſtumm, daß er ihn annehme.

Und jetzt „lieber Fritz.“ weg mit allen ſentimentalen Ideen: wir kennen uns aber— mals nicht mehr; gehen Sie zu Ihren Azaleen,

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warten Sie Ihren Herrihaften mit Bouquets auf, Abends jehen Sie dann zu, daß Sie fi) aus dem Staube maden.

In dieſem Augenblide nallten zwei Schüffe in der Nähe des Glashaujes.

Mein Jeſus! rief Seraphine aus, im unbedadhten Momente des Schreckens ſich auf die Bruft Bela’s mwerfend, mit beiden Händen deffen Geſicht verdedend, als wollte fie ihr mit ihrem eigenen Körper Ihüßen.

Das zweifache Gelächter, welches draußen eriholl, Tollte al8 Beweis dienen, daß man den Auffchrei gehört und daß der Spaß volllommen gelungen jei. | Der Fürft und Fertöy fehrten von der Jagd heim, und als fie, durd den Park kom— mend, fihb dem Glashauſe näherten, war der Fürft e8, welder die Stimme Seraphinens er— fannte. Man glaubte, das jie in Gejellichait der Fürftinnen Olga und Feodora jei und mit diefen ein Geipräh führe, worauf Fertöy ein Jägerſtückchen ausführte und feine Doppelflinte Iosfeuerte, um den Damen eine angenehme Emo: tion zu verſchaffen.

Durch die dichten Blumengruppen und ge— blendet von der Sonne, welde auf die Glas— ſcheiben ſchien, konnten fie nicht bemerlen, wer drinnen ſei. |

AS die Herren zur Thüre gelangten, hatte

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Seraphine bereit3 wieder ihre Rolle aufgenom= men; fie ſchritt mit Tiebenswürdigem Trotz den beiden Nimrods entgegen, und verlangte zu wiffen, wer der Unglüdlidhe geweſen, der den Schuß abgefeuert ?

Der Fürſt verrieth es, daß Bertün es ges weien.

Ihr Glück; denn Ihnen, Fürft, hätte ih e3 nie verziehen. | Und Ihrem Gatten verzeihen Sie es? fragte der. Fürft ſcherzend.

D, wenn ich weiß, daß er mich ſchrecken will, habe ich feine Furcht.

Und find Sie wirklih erihroden ?

Wie nit?! Wenn außer dem Gärtner Kemand. Anderer hier gewejen wäre, würde ih ihm unbedingt ohnmächtig in die Arme gelunfen fein. |

Iſt alfo wirklich Niemand font als der Gärtner hier? frug Fertöy herumipähend.

Reine Seele, erwiederte Seraphine. Die Gärtner zählt man in Mostau nicht zu den Seelen, nit wahr, Fürſt? ... Ich Habe Bouquet3 für uns beftellt. |

O ſchoͤne Gnaͤdige ſprechen Sie nicht, jo verähtlih von, meinem. Gärtner. Er ift mir, von der gottjeligen Fürftin als gut erzogener Junge beſonders anempfohlen worden.

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Seraphine erihrat ſichtlich; der Fürft hatte ein gefährtihes Thema berührt.

Fertoy brach in Tpöttifches Gelächter aus.

Der Fürft war der Meinung, dab Fertöy über ſeine Bemerkung lache.

Belieben mir zu glauben, dag ein Gärtner jehr viel „Latein“ verstehen muß. Ich verftehe niht um die Welt die Hälfte von dem, was diejer Junge weiß, trogdem, dag ich einen ‚Hormeifter“ gehabt, der mich feiner Zeit jehr ftart mit den Wiſſenſchaften marterte. Ih muß mich oft über das riefenhafte Gedächtniß meines Gaͤrtners wundern, welcher all’ die tanfend Pflan- zen und Blumen beim Namen zu nennen weiß.

Ah, das ift unmöglid ; fiel Zertöy ein, pilleicht jagt er nur das, was ihm eben einfällt.

Au eontraire! er nennt jede Blume beim rechten Namen.

Na, da könnte ih ihn in's Eramen nehmen, denn aud ich bin ein großer Botaniker.

Seraphine begann Bojes zu ahnen. Sie wußte es, daß Fertoy nichtsweniger als Bota- niler fei. Er wollte offenbar mit dem Jungen an= binden. |

Belieben zu vertuhen! empfahl ber Fürſt. Lieber Friedrih! Zeige diefem gnädigen Herrn, daß Du Dein Metier verſtehſt.

Auf dieſe Art produziren große Derren ihre dreflirten Hunde.

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Die Herrihaiten traten in's Glashaus.

Boran Schritt Fertöy, Hinter ihm Bela als Särtner, dann kamen der Fürft und Seraphine neben einander.

Seraphine betrachtete Bela mit bejorgtem Blick, doch beruhigte fie fi bei feiner erften Be: wegung; Bela jpielte feine Role meifterhaft und hätte auf dem Xheater fiherlid Triumphe geerntet.

Bor Allem nahm er als gut erzogener Diener die Mütze vom Sopfe, während die Herr: Ihaften bededt blieben; da bemerkte Seraphine erit, da Bela auf dem Scheitel derart fi die Haare abrafirt Hatte, daß fein Geſichtsaus— drud einen entihieden fremden Typus annahm. Dabei z0g er den Hals gerade jo in den Rock— fragen hinein, wie es gelernte Gärtner zu thun pflegen, wahrſcheinlich deshalb, damit ihnen die Raupen nicht in den Hals fallen. Was er deutih ſprach, war in einem Lerchenfelder Dialekt gehalten, jo daß ihm Niemand anmuthen konnte, er hätte dieſe Sprade in irgend einer Schule ges lernt. Was ihn am unlenntlihften machte, war feine $reundlidfeit und Demuth, denn nie hatte man ihn in anderen Zeiten al3 demüthigen Men- Ihen gekannt.

Mit größter Bereitwilligleit und fließend zitirte er die Namen der verſchiedenſten Pflan- zen, wie es eben Fertöy von ihm verlangt hatte,

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welcher fih im Anfang damit begnügte, die Bei- wörter der in „us” endenden Dauptwörter auf diefelbe Endung zu forrigiren, und Bela bejak biebei jo viel Selbftbeherrihung, daß er ihn darüber nicht aufzuklären ſuchte, daß in der la= teiniihen Sprade die Namen der Bäume und Gefträuhe dem mweiblihen Geſchlechte ange: hören.

Nun, ſagte der Fürft triumphirend ift das nicht Wiſſenſchaft! . . Dem Fürften verurſachte dieſe Art des „Sports” eine eben To große Freude, al3 hätte fein Dachshund einen Fuchs aus feinem Loche gejagt.

Wahrlich! ſprach Fertöy, es ift ſchade für Did, Freund Frik, daß Du nit Profefſor geworden, da e3 doch jo viele Ejel in der Schule gibt.

MWie viele mag e3 erjt damals gegeben haben, als Sie noch in die Schule gingen, bemerkte Seraphine anfpielend.

Der Fürft late, Fertöy Hatte dagegen die gute Gewohnheit, den Nippenftoß, den er von jeiner liebenden Gemalin erhalten, ſtets einem Anderen weiter zu geben.

Wie heißt dieſes Gewaͤchs da? frug er Bela Haftig, auf einen blühenden Stod bins deutend.

Dasift, bitte gehoriamft, eine Gloxinia.

Und dies da?

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Eine Zinnia.

Das ift eine Lüge. Dieſe ift sein Zinnia, und jene die Glorinia.

Der Gärtner verbeugte fih tief, und erwiederte mit ftoiiher Gelbjtbeherrihung :

Wenn es Euer Gnaden To finden, fann ich Nichts dagegen einmenden.

Und was ijt das bier ?

Mit Berlaub, eine Zebrablume.

Woher ftammt fie?

Aus Madagaskar, mit Verlaub!

Aud das ift eine Lüge; ih weiß es recht gut, daß diefe Blume nur auf den Antillen heimisch ift, und ſonſt nirgends.

Der Gärtner ergab ſich demuthsvoll und ſprach: „Es ift wohl möglich !”

Was ift Dies ?

Eine Sieus elastica.

Hat fie ſchon Früchte getragen ?

Bitte, dieſer Straub pflegt feine zu tragen. | Dumme Rede... Ich ſelbſt züchtete ihn, und er trug Früdte fo groß wie meine Fauft. Dumme Reden, fage id. |

Donner nod einmal! fiel der Fürft ein, Sie verftehen es ja jo prädtig, wit Dem Geſinde grob zu fein, als hätten Sie von Kindes— beinen an ftet3 nur mit der Maßregelung ruſſi— her Muyils zu thun gehabt.

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Fertoy ftand in diefem Augenblide jo nahe bei Bela, daß ſich beinahe ihre Naſen berührten.

Nun, lieber Fritz, genug von Deiner Theorie, gehen wir nun zur Praris über: mie pelzt man eine Melone in eine Ananas ?

Bela gab Hierauf keine Antwort, ſon— dern warf einen ſchiefen Blid auf den Fürften, preßte jeine Kappe unter den Arm, zog aus ſei— ner Weitentaihe eine Tabalsdoſe hervor, nahm eine tüchtige Priſe und ſah dabei abermals den Fürſten an, als wollte er fagen: ih bin nur ein Bauer, dieler Herr ift etwas Edleres, aber jeden- falls nur ein „Rop.“

Seraphine war mit „Bela“ ſehr zufrieden. Er durfte zwar den allgemeinen menſchlichen Stolz nit verrathen, doch durfte er auch in fei- ner Unterthänigleit nicht jo weit ſinken, daß er nicht einmal. den ſpeziellen Gärtnerftols durch— Ihimmern ließ, denn da3 Hätte abermals Ver—⸗ dat erregt.

Er hatte in Wahrheit jeine Rolle jo gut geipielt, dag es ſelbſt Fertöy in Verwirrung brachte, welcher bereit3 in jeinem Verdachte ihwanfend wurde. „Es ift doch nicht Bela La- vay"— dachte er. |

In dem Momente gelangten fie zu einem prächtigen Aquarium.

In dem aus farrariihem Marmor gemeißels ten Baflin ſchwammen auf der Aryftallhellen

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Oberflähe des Waflers Pflanzen neuefter Gat— tung, darunter eine Lotos aus dem Nil, welde am heutigen Tage den Kelch ihrer erften Blume im Rojalarmin mit goldihimmerndem Blüthenftaub entfaltete, mährend die großen, dunfelgrünen Blätter mit den rothen und gelben Adern auf der Waflerfläche ſich ausbreiteten.

Dieje jeltene Prachtblume lenkte die Auf- mertjamfeit der ganzen Geſellſchaft auf fich.

Diefe Ihöne Blume war es, aus deren Kelch Fertoöy's Bosheit jenes Gift faugen wollte, welches feinem Gegner, wenn er’3 wirklich war, die wahre Geftalt wiedergeben jollte.

Sehen Sie, fagte der Fürft, dieſes Prachtexemplar Habe ih unter meiner eigenen Auffiht aus dem Pariſer „Jardin des plantes“ mitgebracht, und jehen Sie, heute blüht es ſchon.

Wie ift der Name diefer Blume? beeilte ſich Fertöy zu fragen.

Lotos! Lotos! antworteten der Fürft und der Gärtner zu gleicher Zeit, in einem Tone, al3 verwunderten fie fih darüber, dag es einen Menihen geben könne, welder eine „Lotos“ nicht auf den eriten Blick erkennt.

Das weiß ih, das weiß ih, fiel Fertöy ein, ih wolltenur erfahren, ob fie nicht den Namen irgend einer hohen Dame trägt?

D ja! betheuerte der Fürft

und, ſich gegen Bela wendend: Wie iſt nur der Name, mir entfaällt er jo leicht?

„Reine d'Egypte Semiramide.“

Richtig, ſo iſt's, das iſt der Name! ftätigte der Fürft. |

Ah bah! ... ſcherzen Sie nicht, Fürft, bandelte Fertöy in naivem Tone. Als hätte ich nicht bereit3 von dieſer berühmten Lotos ge= hört, weldhe in Ihrem Aquarium auf den Namen einer jhönen Frau getauft wurde.

Ich bin der Meinung, daß „Semira- mis“ einft eine genug Ihöne Frau geweſen.

a einft, zu den Zeiten des Trium- birat3 ; bier ift aber von einer lebenden Frau die Nede, der Euer fürftlihen Gnaden den Hof zu machen belichen; ... o, wir kennen das ſehr gut.

Bei Gott, ih weiß nicht3 davon. Das ift eine egyptiſche Königin.

Eine Rönigin?... Da muß ih auf: rihtig geftehen, daß ih meine Aufnerkjamleit dieſem jet lebenden Genre nicht zumandte, wenn nicht von Balllüniginnen die Rede tft, oder bon Xheaterlüniginnen!...

Na, damit laffen Sie mid in Ruhe, daran ift nichts. Sie bringen dies nur deshalb bor, um mich vor gewillen Ohren in Mißkredit zu bringen.

Ich weiß, was ich weiß, Fürft. Sage mir einmal, Meifter Brig, den wahren Namen

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diefer Blume; zu welcher Zeit Hat fie der Fürft auf den Namen einer jehr, jehr jchönen Frau ge= tauft? Nun befenne! ... Dder ſoll ih Deinem Gedaͤchtniſſe zu Hilfe fommen ?

Seraphine bemerkte mit zitternder Angſt, wie ſich Bela aus feiner demüthigen Stellung emporrichtete, wie jeine Gefihtszüge den urfprüng- tihen ftolzen Ausdrud annahmen, und wie er feine Mütze trogig auf den Kopf jekte.

Fertoöy neigte fi) mit einem daͤmoniſchen Hohnläheln gegen ihn.

Nun, Meifter Frik, heißt dieſe moderne Schönheit niht etwa: „Reine du theatre Ma- dame Lävay..... *

In dieſem Momente verſetzte der Gaͤrtner dem Fragenden einen ſo derben Fauſtſchlag in's Geſicht, daß derſelbe rücklings in das Aquarium ſtürzte, mit ſeinem unverhofften Beſuche alle egyp⸗ tiſchen Königinnen des naſſen Königreichs zu Tode drückend, während fi der Gärtner mit Blitzes Ichnelligkeit dur das offene Fenſter des Glas: hauſes ſchwang. |

Der Fürft, über die Szene empört, griff nad jeiner Büchſe und zielte nad dem Flüchtling.

Bevor er loshrennen konnte, faßte Sera: phine jeine Hand und rig den Lauf des Geweh— tes bei Seite.

Der Fürft fam aus feiner VBerwunderung nicht ‚heraus, Ein Bauer verjegte einem Herrn

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ohne jeglide Urſache einen Fauftihlag, er will ihn deshalb züchtigen, und die eigene Gattin des Mißhandelten hält die ftrafende Hand zurüd,... Wie fol man das verftehen... Im nädften Augenblide war der Frebler im Gebüſche ber: ſchwunden.

Zum Gluück konnte Fertöy, welcher ſich mitt— lerweile auf dem Grunde des Miniaturmeeres be- fand, nichts von der Szene bemerken, und als derſelbe nad einigen Minuten gleich einem Waſ⸗ fergott. mit. von Moos und Schilf bededtem Haupte aus den. Fluthen taudte und zu. huften und ſchnauben begann, fand der Fürft die Szene fo ergöglih, daß, er darüber. den Tod jeiner „Se: miramide“ und den Flüchtling. vergaß.

Was Zpiel, und was kein Spiel if.

Erinnert ihr Euch noch jener traurigen Zeiten, wo man ſich in grobe Bauerntracht Eleidete, in wirklide Bauerntracht, welche nad) Fett roh, wo mangroße plumpe Stiefel trug, und zum Kutiher oder zum Aderfneht wurde; mo der Gelehrte, der Dandy Bferde ftriegelte, oder Ochſen trieb.

Und wenn man fie troß ihrer Verkleidung erfannte, gingen fie weiter, gaben fi für einen andern Bauer aus, und nahmen in andern Häufern Dienft.

Menn man von Einem in der Gegend zu viel ſprach, da nahm er den MWanderftab und ging, um der Welt auszumweihen, in die Wälder, in die Gebirge, auf Stegen, welde das Hochwild duch das Didiht gebroden.

Borfihtig wurde jedem Dorfe ansgemwichen, bis man erfuhr, was für Volt es bewohne, ob man feine Sprade verftehe, ob es dem Ungar nit feindlih gejinnt, ob feine Gensd’armen

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im Orte feien. Man kehrte nur in den Äußer- ften Häufern ein, und vermied jorgfältig jedes Shindeldad).

Die armen Flüchtlinge verkrochen ſich in der Tiefe des Waldes in Baumhöhlen, um dort dem Braufen des Sturmes und dem ängftlidhen Pochen des eigenen Herzens zu laufen... Sie irrten in finfteren ſtürmiſchen Nächten, wo jelbft die Raubthiere in ihre Höhlen fi) verkriechen, und jegneten das Unwetter, welches fie mit feinen unheilvollen Schwingen vor ihren Verfol— gern ſchützte.

Dod was war das Wetter, was die grim— migen DBerfolger, was die Ohnmacht des Körpers gegen das, was in der Seele der Flüchtlinge vorging. . . Der Gedanke an eine verlorene Ver— gangenheit und das Geſpenſt einer marterbollen Zukunft. Das waren die Schatten, welche ſich an ihre Ferſen befteten. Die Hekhunde der Seele, die fie von allen Seiten anbellten, fie würgten und zerfleiihten, und feine Raft und Ruhe gönnten.

Wenn erit der Flüchtling eine junge Gat— tin zu Haufe hatte! Eine junge Gattin, der fich der Gatte niht nähern „darf.“ Wie lange währt die Treue des Weibes? Iſt überhaupt etwas Wahres an diefer Treue? ...

Diejenigen, die ſich dieſer Zeiten erinnern können, an jene Gefühle zurücddenten, unter deren

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Eindruck die Geſchichten, die ih Hier erzähle, entftanden, werden e3 begreifen, daß mit einem ſolchen Stachel im Herzen, wie Fertöy einen in das Herz Bela’3 flieg, man nicht hingeht, um eine ruhige Erzieherftelle anzunehmen, und abzu= warten bis die Gattin nahlommt, Tondern man befragt die Sterne des mädhtigen Himmels, wo der Süden ift, und tritt die ſchleunigſte Heim— fehr an.

Zwei Wochen vergingen, bi3 Bela von jo großer Entfernung auf Ummegen, wand;mal tagelang verborgen, oft auf Irrwege gerathen, die Hauptſtadt erreihen konnte. Die lekte Nacht brachte Bela in den Lehmgruben der Kerepeicher Ziegeleien zu.

Zu feinem Glüde trat Regenwetter ein, und Bela konnte bi3 auf die Haut durdnäßt, in feinen kothigen Kleidern fi) zwilhen eine Truppe von Taglühnern mengen, die man ungehindert die Mauth pafliren ließ.

Er eilte ftral3 zum Nationaltheater, ob: glei er fi) gerade vor diefem Drte hüten follte, da er dort die meilten Belannten hatte... Wer würde ihn aber in feinen fothigen Lumpen er- fennen ?

Am Thore war ein großer Zettel ange- Elebt, und er konnte beim Scheine der Lampe deutlich leſen: „Benefiz-Vorftellung der Frau Zävay“.

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Er fühlte nicht mehr das kalte Peitſchen des Regens; Körper und Seele wurden von hölliſchem Feuer erfaßt.

Heute iſt alſo Judith's Benefiz! deßhalben eilen ſo viele Leute, trotz des böſen Wetters ins Theater, deßhalb rollen ſo viele glänzende Equipa— gen vor das Thor... Und gegen einen Jeden em— pfand Bela die glühenfte Eiferfucht, überhaupt wenn jie in Equipagen kamen.

Er wartete an die Mauer des nachbarlichen Haufes gelehnt, auf den Beginn der Vorjtellung, und betrachtete die Gefihter der Kommenden, wie fie durch den Lampenſchein auf einen Augenblic be- leuchtet wurden. Viele jeiner Bekannten gingen vor- über, doch Seiner ſah ihn an.

Judith mußte fchon längjt drin fein, um ſich anzufleiven.

Ein Gärtnerburſche geht mit einen großen Bouquet vorüber, welches er mit feiner Schürze verdeckt. Diejed Bouquet ſchickt gewiß „Demand“ an Judith.

Wie wandelte e8 ihn an, ven Mann am Kra— gen zu fallen, ihm den Blumenjtrauß zu entreißen und denjelben im Koth zu zertreten. Da hätte er aber erſt erfahren, daß es fein Gärtnerburſche, jon- dern ein Theater-Diener ſei, welcher feinen Blumen— jtrauß, jondern ein Glas Bier für irgend einen Cho—

Andere Zeiten, andere Menfchen. II. Banb. 5

riften, welchen die Hite im Theater burftig gemacht, unter feiner Schürze trägt.

Bald begann die Mufif. Der Schall ver gro- fen Trommel drang auf die Straße hinaus. Es wird ſomit die Vorftellung bald beginnen.

Bela war im Geifte jelbft anweſend in den bi8 zum Erbrüden gefüllten Haufe, und wartete, daß der Vorhang aufgehe. Der Beifallefturn, ver auf die Straße drang, zeigte an, baß Judith die Bühne betreten habe. Wie lange man ihr entgegen- klatſcht. Wer diefe Begeijterten wohl fein mögen ? Die fie heißen, warum fie klatſchen, was für Recht fie haben ?

Dann trat Stille ein, das Publikum lauſchte dem Spiele und der Deflamation Judith's, das übrigens Niemand mit fol gefpannter Aufmerf- famfeit, als Bela draußen, ber weder fieht, noch hört, aufnimmt. Jede Kutſche, die die Straße hinunter— rolfte, erregte feinen Aerger: warum ftörd fie auch die Aufmerkſamkert der Zufchauer zu folder Zeit ?

Und von Neuem erdonnert der Applaus. Bielleiht gilt er diesmal nicht Yubith, fondern ficherlid) einer Zweiten, Dritten, die vor die Lampen getreten. Bela ift aber trogdem auf jeden Applaus fo eiferfüchtig. Darin brüdt ſich die Liebe aus, die durch die Wuth gefteigert wird, und der Stol;, der mit der Erniedrigung kämpft. Jeder Beifalls- fturm, den der Gatte vernimmt, verkündet ihm, daß

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diejenige, die er liebt, in diefem Momente Königin und Dienerin ift, die Königin des unabhängigiten Bolfes, und die Dienerin des despotiſcheſten Herrn des Publikums,

Er bebt vor dem Gedanken, jet d’rin zur fein und fie zu jehen und dennoch drängte e8 ihn fo ehr, fie zu jehen, ohne felbjt bemerkt zu werben, und in ihren Zügen die Wahrheit zu prüfen, damals, wenn fie fich verſtellt.

Wenn man nur ein Eintrittsbillet befommen fönnte, ohne daß er zur Kaffe gehen müßte, wo man ihn im Augenblide erfennen würde, Wie aber das anjtellen ?

Bielleicht trifft fich gegen das Ende ber Vor- ftellung dennoch ein fo vortreffliher Menſch, der ein friſches Beefſteak Höher ſchätzt, als die Hinrichtung der Bühnenhelden und dieſelbe dennoch verläßt. Bon einem fo groben Jungen könnte man das Re— tourbillet verlangen. So ift e8 im Thore bes Theaters üblich.

Schon nach dem dritten Aufzuge kamen in ber That einige Marodeure unter großem Lärm heraus. Bela ballte die Fauft und wollte ihnen entgegeu= gehen, wahrfcheinlich,um mit ihnen anzubinden, iva= nm fie fo zeitlich das Theater verlafjen.

Die Hite drin ift unausftehlich ! Ich Tonnte mich nicht weiter vordrängen, als bis zum Thürvor⸗ bang, und von da aus fah ich nichts. Und doch bin

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ich nur zu dem Zwede in Beit geblieben, um Madame Lävay zu jehen.

Bela verzieh ihnen und lehnte ſich wieder an die Thürpfojten.

Wieder fam Jemand aus dem Theater. Der fam wahrfcheinlich blos vom Hofe her, denn jeine Zigarre brannte. Bela bemerkte dieß nicht. Er zog jeine Mütze tief in die Augen und jprach den An- fümmling verfhämt an: „Sch bitte um das Re— tourbillet !"

Der Angeſprochene mißverſtand die Bitte und gab ihm den Zigarrenjtumpf, den er wegzumerfen eben im Begriffe jtand, mit den Worten hin: Hier haft du Freund, und werde damit glücklich !

Nas wird da d'rin für ein Stüd gegeben ?

Eine Königin, die ihren Liebhaber zum Tode verurtheilt, weil er ein Aufwiegler war.

Dan jagte, dies joll Judith's Meifterrolle jein. Andere behaupteten, jie werde nicht genug treu die Verzweiflung der Frau wiedergeben, wenn die Königin und die Geliebte in ihrem Herzen mit- einander kämpfen; fie wird mehr Königin als Ge- liebte jein. Auch das mußte man berücjichtigen, daß fie erjt unlängjt aus einer jchweren Krankheit aufer- tanden war; fie muß daher ihre Nerven jchonen. Diele wollten ſogar bemerkt haben, daß Judith jeit längerer Zeit jehr zerjtreut fei und erflärten vice verſchieden.

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So viel iſt gewiß, daR der Regiifeur fie auch bei viefer Gelegenheit auf alle Bühnenerforderniife aufmerffam machen mußte, damit fie nichts mit fich auf die Bühne zu nehmen vergejje. Hier ift das Gift hier der Dolch, hier der wegzumwerfende King; hier find die verfiegelten Briefe. Das alles nennt man in dev Bühnenfprache Requifiten.

Schon war Judith im erften Afte angefleidet, als der Regiffenr nochmals an ihre Thüre Elopfte:

Ein Brief.

Ich danke. Yegen Sie ihn gefälligft zu den übrigen auf die Taffe.

Das iſt aber fein Requiſitenbrief! er it an Sie jelbit gerichtet; kam foeben mit der Poft und trägt die Aufjchrift : „Dringend“.

Judith nahm den Brief in Empfang, und erkannte im Momente die Handjchrift Seraphinene.

Draußen gab man jchon dem Orchefter das Zeichen, aber ter Brief war dringend, fie fonnte ihn bis dahin noch durchleſen.

Der Brief lautete :

„Liebe Judith! Ich benachrichtige Dich von einem unglüdlichen Ereigniffe, das ich bisher vor Tir geheim halten mußte, da ich glaubte, e8 noch verhindern zu können. ALS ich jüngit mit Fertöh im Kaftell des Fürften Wolozoff war, erkannte ich in deſſen Hofgärtner Deinen Bela”.

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Judith ſchrak zufammen, als ob fie ein Blig- ſchlag getroffen hätte. „Aber nicht nur ich habe ihn erfannt, fondern auch Fertöy.“

Judith Tehnte fich zitternd an ihren Garde— robetiſch. | „Sch eilte Fertöy zuvorzufommen und fprach mit Bela; ich rieth ihm, von dort zur Gräfin Sze- laknay zu gehen, die ihn als Erzieher ihres Sohnes in's Ausland nehmen werde, wohin du ihm dann folgen könnteſt. Er ging auch darauf ein.“

Judith's Stirne zog fich in Falten zufammten. Was haben diefe hohen Damen nöthig, Bela zu ſchützen? Sie wußte, daß die Gräfin Szelafnay auch jung fei.

Diejen Wolkenſchatten wijchte bald ver Sturm von ihrer Stirne, der aus den übrigen Zeilen des Briefes heraufbejchworen wurde.

„Die Dazwilchenkunft Fertöy’8 verhinderte die Ausführung diefes Planes; dieſer wurde, als er mit deinem Bela in Wortwechel gerieth, von dem: jelben in einer Weiſe verlezt, die ein Mann niemals verzeihen kann.“

„Bela verſchwand nach diefem Auftritte plöß- lich aus dem Schlofje, Niemand wußte wohin; ich allein ahnte, daß er nach meinem Rathe fich zur Gräfin Szelaknay geflüchtet. Ih wollte ver Gräfin nicht fchreiben, damit meine Briefe nicht Jemanden auf feine Spur bringen. Zwei Wochen

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waren ſeit dieſem Ereigniſſe vergangen, als ich von der Gräfin einen Brief bekam, in welchem ſie mir mittheilte, daß der von mir anempfohlene Erzieher noch immer nicht bei ihr eingetroffen ſei. Bela bat fich alfo nicht dorthin geflüchtet."

Es that Judith wohl, dies zu erfahren! Aber weiter, was weiter ?

„Daß Fertöy feinem Beleidiger nachipäht, weiß ich gewiß.

Seine Ahnung ift mit der meinigen identiſch. Er erweckte in vem Gatten die Eiferfucht gegen feine Frau; Bela wird daher auf dem Lande nirgends bleiben, er wird nad) Belt eilen. Die Eiferfucht fieht nur einen Gegenſtand und ift gegen alles Andere blind, deßhalb bitte ih Dich, den Kath deiner alten Freundin nicht übel aufzunehmen, verlaſſe Peſt je eher, fomme in unfere Gegend auf aftrolfen. Im einer Provinzialftadt Tiefe Bela nicht jo Gefahr, wenn er Dir begegmete, als in Peſt. Du kannſt es am beten wiffen, warum? Dort Tennt ihn Jeder— mann; dabei verfolgen taufend mißtrauiſche Augen Deine Schritte und weiß e8 Jeder, daß die Spur ren feiner Fuptritte in Deinem Hausthore enden werben.” ...

Judith konnte nicht weiterlefen ; die Welt ver- dunfelte fih vor ihr; fie ſank auf einen Seſſel nieder.

Bela verfolgt und auf der Flucht zu ihr; auf feiner Spur der geichworene Feind Beider. Wenn ihn der Verfolger früher erreichen follte, als er mit jeiner Frau zufanmentreffen kann. Judith fühlte e8, daß fie unter dev Schwere diefes Gedanfens er— ſticken müſſe.

„Das Spiel hat begonnen, es folgt nun Ihr Auftreten! klang die Mahnung des Regiſſeurs zur zur Thüre herein.“

Ach! in dieſem Momente fpielen l Mit dieſem veritörten Antlige vor die Yampen treten; mit die— jem Zittern an allen Gliedern königlichen Stolz heu— cheln ; eine Rolle vortragen mit einem Wehrufe auf der Zunge, der in jedem Augenblide lojreißen will; künſtleriſche Affekte zur Schau tragen mit dem Dol- che der Verzweiflung im Herzen !

Und doch muß es gejchehen. Du biſt ein Sklave; aljo vorwärts bein Herr wartet.

Judith taumelte auf die Bühne. Langer Ap- plaus empfing fie; niemal® wurde ein Ölabiator, der vor dem Publikum fo ſchön zu fterben weiß, mit verdienterem Beifall überihüttet. War doch auch ſedes Wort, das Judith ſprach, ein Tropfen ihres Herzblutes.

Jeder fagte, fie habe noch nie fo jchön geipielt.

Selbſt die Kritik anerfannte, daß fie alle Er- wartungen übertraf. Die Szene, in welcher fie mit

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fich jelbft fümpfte, indem fie als Tiebevolles Weib: Denjenigen retten will, den fie in dem Zorn der Königin auf das Schaffot ftieß, wie treu gab fie Judith, und wie malte ji) der Kampf des inner und des äußern Menſchen in ihren Zügen ab.

Die fie fahen in ver Szene, wo fie allein bfeibt und jehnfüchtig auf die Zurückkunft ihrer Ab- gefandten wartet, die für den verurtheilten Gelieb- ten die veripätete Begnadigung gebracht; die fie jahen, wie die aufgeregte Fantaſie ihr die Schredens: ſzene mit blutigen Zügen malt, und als fie zurück— famen mit der Dotjchaft, daß die Gnade zu ſpät gekommen, der thenere Kopf im Staube liegt, und wie die Königin niederfinkt, die Krone weit weg von jich Ichleudert wer dies gejehen, der muß glauben, dies jet der Höhepunft der Kunft, und fie Hatichten Beifall der Schauspielerin, die die Leidenſchaft des Weibes fo darzuftellen im Stande ift.

Aber auch Diejenigen, die fie dauu am Boden liegen jahen, als der Vorhang bereits gefallen war, und bie fie wahre Thränen vegießen ſahen; Diejenis- gen auch, die fie halbtodt vom Boden aufhoben und und in ihr Zimmer trugen, die ahnten, daß dies mehr ſei als bloßes Spiel. Derjenige aber, deſſen Bild Judith während des ganzen Spieles bor- jchwebte, war jo nahe. Er ging auf und ab vor dem Theater.

——

Zu Ende der Vorſtellung kamen die Equipa= gen und Lohnwägen an und bildeten eine lange Phalanx vor dem Theater.

Bela muſterte fie mit verdächtigem Blick. Welcher Wagen wird es wohl ſein, der Judith nach Haufe führt? Dem Wagen wollte er dann nachren— nen und auf ſolche Weije die Wohnung Judith's ‚erfahren.

Die Vorjtellung war zu Ende, die Wägen rollten einer nad dem Andern vor die Halle des Theaters ; Fein einziger aber fuyr vor den Ausgang des Anfleidezimmers.

Auch der letzte Lohnfutfcher war müde ge- iworden, jeine Dienfte vergeblich anzubiethen, und fuhr zurüd, die Straße wurde endlich leer.

Das thut Bela fo wohl. Judith führt alfo in feiner Equipage; fie it alfo feine Favoritin der großen Herren, wenn fie jelbft nach ihrer Benefize- vorftellung zu Fuße nad) Haufe geht.

Dann gingen auch die Schaufpieler nad ‚Haufe, die ihre Rollen früher beendet hatten.

Bela lauſchte begierig, was fie von der Vor- Stellung fprachen.

Na das war ein guter Tag.

Es bleiben fünfhundert Gulden „rein.“

Das wird ein Kaſſaſtück.

Die Straße war fchon volljtändig ruhig, als die Thüre des Ankfleivezimmers zum letzten Male

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ſich öffnete und eine Frauensgeſtallt heraus trat, die Bela auch im dunkel der Nacht erfannte. Er erkannte fie an ihrem Gange, an ihrer Haltung, an ihrem Schatten, an ihrem Tritt. Es war Judith.

Sie kam allein mit einem Dienjtboten, der ihre Kleider in einem Korbe trug.

Es regnete unaufhörlich ; Judith mußte ſelbſt ven Regenſchirm halten. Wäre ein galanter Mann in der Nähe gewefen, würde ihr den Schirm aus der Hand nehmen und ihn über ihren Kopf halten.

Bela ftand an den Pfojten gelehnt. Judith ging jo nahe an ihm vorüber, daß fie ihn mit den Kleidern ſtreifte.

Bela ſah ihr aufmerkſam in's Geficht, als fie an der Lampe vorüber ging. Auf den ſchönen edlen Zügen lag tiefe Betrübniß ausgegofjen. Diejes Bild brannte fich ihm ins Herz.

Judith blickte nur ftarr von fich hin; fie naht Bela nicht wahr.

Bela ließ fie vorangehen und folgte ihr nur aus der Ferne, um feinen Verdacht zu erweden.

Sie ging nicht in die alte bequeme Wohnung in die Stadt; jie wohnte jegt in einer Vorftadt. Vor einem neuerbauten Haufe blieb fie ftehen, klingelte und entſchwand bald darauf Bela’s Blicen.

Bela blieb noch draußen, um Acht zu geben, was für Fenfter beleuchtet werden. Im zweiten Stod link, Er durfte nit fragen.

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Jetzt aber mußte er jeden Schritt genau über: legen, wie Jemand, der ftehlen geht.

Er Elingelte dem Hausmeifter.

Vor diefem muß'e er die erite Probe be— ſtehen.

Ich komme vom Theater, ich bin der Diener; ich habe den Smaragdring der gnädigen Frau gefunden, den ſie auf der Bühne verloren hat, er lag zwiſchen den Kouliſſen, ich habe ihn ge— funden.

Der Hausmeiſter beſah den Ring; es war ein echter Smaragd, derſelbe Ring, den Judith am Trauungstage mit Bela gewechſelt.

Gut geben Sie ihn her ich werde ihn hinauſtragen.

Bela lachte.

Wiffen Sie, mein Freund, aud) mir wird ein Trinkgeld gut thun, ich werde ihn jelber hinauf: tragen. Yajfen Sie die Thüre offen, id) komme gleich) zurück.

Er mußte auch darauf bedacht ſein, daß der Hausmeiſter Acht gebe, daß Niemand in's Haus komme.

Nicht nothwendig; Sie können durch das Wirthshaus gehen; es war auch unnöthig zu läuten. Bekannte können durch's Wirthshaus gehen. Der Hausmeiſter ging dann in fein Zimmer zurüd.

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Beim Dienſtmädchen mußte es ſchon ſchwerer halten, ſie mit der Rolle des Theatersdieners zu täuſchen, denn ohne Zweifel kannte ſie ihn.

Auf den Korridor konnte er ſich nicht gut orientiren, erwußte nicht, welche Thüre in die Woh— nung Judith's führe,

Während er darüber nahdadhte, that fich plöglid eine Thüre auf und Judith's Mädchen trat heraus, mit einem Krug in der Hand; ohne Zweifel ging e8 an den Brunnen. Die Thüre des Vorzim— mers ſtand jetzt offen. |

Bela zog ſich bei Seite, jo daß er von dem Mädchen nicht fonnte bemerkt werden.

AS das Mädchen vorübergegangen, ſchlich er rasch durch die Thüre in das Zimmer, wie ein Dieb.

Im VBorzimmer brannte eine Nachtlampe, bei deren Licht er drei Thüren bemerkte, zwei führten in’® Zimmer, die dritte in die Küche.

Deka drücte auf die Klinge der einen Thür. Cr befand ſich in einem Alfoven, veffen Hintergrund ein Bett mit weißen Borhängen einnahm.

Den Alkoven trennten Vorhänge von einem geränmigen Zimmer, welches jetzt beleuchtet war.

Bela verbarg fich Hinter den Borhängen, durch deren Gewebe er in das Zimmer jehen fonnte. | Gr fah feine Frau dort figen vor einem ge: deckten Tiſch, auf welchem ihr bejcheidenes Nacht— mal ftand. |

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Die Speifen find unberührt, das Glas iſt leer ; Judith ftarrte in das Lampenlicht, fie ſaß un— beweglich wie eine Todte, und auf ihren Gefichte lag. der Ausprud des Unendlichen, mit welchen ver hoffnungsloſe Kummer die lebenden Züge verfteinert. Die Augen wollen den Gedanken folgen, die über den Gefichtsfreis hinaus jchweifen.

Die Speijen wurden kalt; die lebendige Säule bewegte jich, fie hob ihre Hände in die Höhe und im ihren gefalteten Händen gligerte Etwas. Es war ein in Gold gefaßtes Medaillon.

Bela kannte das Medaillon, hatte Doch er es Judith gegeben.

Die Frau Tegte hierauf das Medaillon auf die Flache Hand, und als fie e8 fo lange anfah, da thaute ihr Blick wieder auf, ihre Züge verloren bie Starrheit, aus ihren Augen drangen Thränen und ihre Lippen bemwegteu fich, als Tpreche fie zu vem Bilde, als ob jie es warnte, ihm Vorwürfe machen würde.

Die beiden Hände brachten das Bild immer näher ben ftammelnden Lippen; als e8 ihre Lippen berührten, konnte fie fich nich länger faßen; fie ſank ſchluchzend nieder auf das Medaillon und bevedte ven Kopf mit den Händen.

Da fühlte fie einen Kuß auf der Hand, einem warmen Kuf.

Erſchrocken biete fie auf: Das Bild ftand- lebendig vor ihr.

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Und e8 war ein guter Gedanfe von der Frau, daß fie in dieſem Augenblide ihren eigenen Aufjchrer und die Worte ihres Gatten in einen Kuß begrub.

Wie viel mußte dieſer Kuß fagen.

Wie habe ich dich erwartet, wie habe ich um deinetwillen gelitten, wieviel träumte ich von bir, wie liebe ih Did! Wie zittere ich, wie fürchte ich für Did, wie bejchügte ich Dich. Wie ftarf bin ich und wie ſchwach. Wie freue ich mich und wie fchau- dert’8 mich bei Deiner Anwejenheit. Wie glücklich bin ich und wie verzweifelt.

Die äußere Thüre fnarrte.

Fort, fort ! in die innere Stube.

Judith öffnete plötzlich eine Heine Thüre die in das Zimmer führte, daß ihr als Stubirftube diente, und ſchob Bela Hinnein, bevor das Mädchen eintrat.

Als das Mädchen ins Zimmer fam, faß Ju: dith ſchon vor ihrem Tijche, und begann den Braten zu verjpeijen.

Das Mädchen blickte rteugirig im Zimmer umber.

Tihamer ift ſchon weggegangen ?

Ber ? fragte Judith und troß ihrer gewohn= ten Selbftbeherrfchung zitterte fie an allen Gliedern.

Der dumme Theaterdiener läßt ſich Tiha— mer nennen.

Das wußte ich nicht.

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Der Hausmeiſter ſagt, daß der Diener den verlorenen Ring der gnädigen Frau gefunden und zurückgebracht habe.

Zett begriff Yudith den Zujammenhang der Fabel.

Ja wohl, den Ring brachte man, aber es war nicht Zihamer, jondern ein Handlanger, denn ich ſelbſt nicht kenne.

Befehlen die gnädige Frau nod Etwas ?

3a wohl, bringe noch ein Brot, ich bin heute jehr hungrig.

Der Dieuftbote jah die Frau verwundert an. Hungrig ift fie! Freilich, fie Hatte eine ſchwere Rolle und mußte viel arbeiten, da bat ſie Appetit be- kommen.

Noch eins, bringen Sie auch eine Flaſche Nein, der Arzt hat mir gerathen, Wein zu trinfen, dann, meint er, werde ich ſchlafen können.

Der Dienftbote glaubte Alles. Es gibt ja Frauen, die Wein trinfen.

Judith erhielt jet die jchwerite Rolle zu: getheilt.

Am folgenden Tag legte fie Tranerfleiver an und verkündete, daß ihr Gatte gejtorben jei.

Sie zeigte ihren Bekannten nen Brief ihres Mannes, in welchem er von ihr vom Leben Ab- ſchied nahm. Er mochte nicht länger ven Fluch ver Unftätigfeit und Flüchtigkeit tragen; er ſchloß ab,

nn. BT. Sm

was das Schikſal ohnehin abgefchloffen. Seinen Leichnam werden irgendwo bie Wellen ausſpülen.

Uud Judith fpielte die Rolle der trauernden Wittwe, und nahm bie Tröftungen der Mitfühlenpen entgegen; fie ließ lange ihren Mann fuchen in den Ufernliegenden Reften, nnd wirklich glaubte man irgendwo im Zolnauer Komitate in einem von ver Donan an’d Land gefpülten Leichnam Bela zu erfennen. Judith ließ ihn auf eigene Koften beftatten und ihm einen Grabſtein ſetzen; aber fie ging nicht zum Begräbniß und befuchte. nie das Grab, woran Diele Anjtoß nahmen.

Aeußerlich trauerte Judith um den Todten, im Herzen aber beſaß ſie den Lebenden, und als Ereigniſſe kamen, die Jeden zittern machten, da heu— chelte ſie wieder Gleichgiltigkeit, denn um den Tod— ten mußte man nicht beſorgt ſein, während ſie doch im Herzen für den Lebenden zitterte.

Der Dienſtbote aber kam vor Staunen nicht zu ſich, wie gewaltig die Frau den Appetit verändern könne. So lange Judith nicht trauerte, ſie ſo wenig, wie ein Kind, und ſeitdem ſie trauerte, ißt ſie ſo viel wie zwei Menſchen. Zudem t rinkt ſie noch Wein und raucht Zigarren.

Eine junge Wittwe, die überdieß Schaufpiele- rin ift, findet ſchnell Hofmacher, jo bald es verfautet, daß fie Troſt jucht. Es kamen daher zu Judith Hof- macher.

Andere Zeite, andere Menfden IH. Band. 6

Dieſe kalt abzumweifen, hätte Verdacht erregen fönnen, fie mußte fie alfo anhören und mit ausmwei- chenden Antworten hinhalten.

So viel Hofmacher, fo viel Nivalinen, und die gefährlichite geheime Polizei ift ein unglücklicker Anbeter und eine eiferfüchtige Frau.

Bald hatte Jedermann herausgefunden, daß die Ihöne Wittwe Jemauden im Geheimen mit ihrer Liebe beglückt, und Jeder fuchte aus irgend einem Intereffe hinter das Geheimniß zu kommen.

Die getäufchten Anbeter machten auch bald die Entdefung, daß der Glücliche nicht aus ihren Kreijen gewählt wurde. E8 mußte ein Anderer fein, der mächtiger als fie Alle, gegen welchen Keiner von ihnen fonfurriren konnte.

Entweder Tiebenswürbiger, oder reicher als Alle mußte er fein.

Das Erjtere gibt aber fein Liebhaber zu, folg- ich mußte Letzteres der Fall fein.

Fürst Wolozoff aber ift ein fehr reicher Mann und bejucht immer das Theater, wenn Judith ſpielt, und hält fein Glas immer auf fie gerichtet.

Das Laub raufcht nicht, wenn der Wind es nicht bewegt.

Der Fürft fährt oft im Geheimen in Lohnwa— gen nad) der Vorſtadt, wo er vier, fünf Heine Woh- nungen hält; ebenpafelbit pflegt auch eine verſchlei— erte Dame zu erfcheinen. Sie kommen bald hier bald

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dort zujammen, niemals aber zweimal in einer und ‚verjelben Wohnung.

Sudith führte alle ihre Anbeter an der Nafe, ift lebensfroh, ihre Augen ftrahlen vor Glück und zu gewiſſen Stunden des Tages ift fie für Niemanden zu fprechen. Aus diefen zwei Umſtänden war e8 leicht, eine Kombination zufammen zufchweißen.

Und endlich nahm Judith wahr, daß ihre Be- fannten und Hofmacher fich immer mehr von ihr zu— rüdzogen. Sie begegnete nun öfter ſpöttiſchen Gefich- tern ; fie fühlte nun mehr denn einmal die verwun- denden Pfeile in den Reden ihrer Berufsgenoffen und jo blieb e8 ihr nicht lange verborgen, daß man fie für die Geliebte eines großen Herrn hielt.

Und fie jpielte auch diefe Rolle meifterhaft eine Rolle, deren Schminfe die Schamröthe ift.

Die fpötiichen Blicke und verlegenden Anfpie- lungen wußte fie mit jenem trogigem Lächeln zu empfangen, mit welchem die gefallenen Engel einft den Bligen des Himmels begegneten, und wovor fie in der Tiefe ihrer Seele ſchauderte, trug fie al& etwas Rühmliches zur Schau.

Halfen doch Alle, die fie verlegten und ver— leumdeten und mit Hohn und Spott überjchütteten, den Schleier dichter weben, welcher Bela’8 Verſteck verhüllte. Der fchlechte Ruf der Gattin war der En- gelöflügel, welcher ven Gatten bejchirmte, 6*

ir. Rd

Und fanden fie fich denn nicht reichlich belohnt dafür ?

Die Hälfte des Tages gehörte allerdings der peinlihen Rolle der Welt, ver Schande ; die andere Hälfte gehörte dem Herzen, ver Liebe, dem Troſt.

Trug die eine Hälfte des Tages die troßige Erregtheit der Hölle an ver Stirne, fo trug die andere Hälfte himmlische Ruhe im Herzen, und wenn draußen jede wohlgebaute Gejellichaft fih an ven Märchen ihrer erdichteten Abenteuer ergötte, jo fand fie ihr Glück darin, daß in diefen Märchen nicht8 wahres gewefen, und fie lachte ſtolz der gan- zen Welt.

In einer Hinficht aber fehlte die Frau dennoch. Sie fehlte aber durch die Größe ihrer Liebe; die Mutter ihres Gatten jette fie von der Wahrheit nicht in Kenntniß.

Seit dem Briefe Seraphinens hielt Judith den Schutzbrief allein nicht mehr ald genügendes Ret— tungsmittel für Bela; hatte er doch einen mächtigen Feind an Fertöy, ven Bela tödtlich beleivigte. Jetzt fonnte fie nicht mehr einem Stüd Papier Tod und Leben ihres Mannes anvertrauen,

Sie mußte die Nachricht von Béla's Tod verbreiten.

Freilich hatte Bela eine alte Mutter, die nur wenige Tage zu leben hat, und eg tft graufam, fie

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dieſe wenigen Tage verweinen zu laſſen allein ſieht das Weib jemand Anderen, als ihren Geliebten? fühlt es Erbarmen mit Vater und Mutter, wenn es ſich um denjenigen handelt, den es liebt?

Die Mutter mag weinen! weint ſie nicht, ſo könnte ſie verdacht erregen.

.... Über die Thränen rächen ſich an Dem— jenigen; der ſie verurſacht hat. ...

=. Rh

Ein Tagebuch über Dinge die nicht geſchehen find.

Seraphine unterhält jich vortrefflich !

Das glaubte wenigftens jeder ihrer Bekann— ten, und ever, ver Etwas über fie hörte. Und währe auch ſchwer geweſen, Nicht! zu hören über die Schöne Frau, ſah man hie doch überall.

Sie war eine gefeierte Schönheit, hielt offene Salons, hohe Verbindungen zogen einen vornehmen Kreis um fie, und diefe fanden in der Nähe der ver- ftändigen und gemüthlichen Frau große Entſchädi— gung für ihre Herablaffung.

In der Familie Fertöy geht man niemals vor Tagesanbruch zu Bette. Erjt um dieſe Zeit zerjtreut ſich die fröhliche Geſellſchaft.

Jeder durchreifende Künftler, jede militärische und politiiche Kapazität weiß von dem luſtigen Geifte dieſer Geſellſchaft zu erzählen; aber Keiner weis es zu fagen, wo das Kalifornien liegt, deſſen Goldgrube die Koften diefer Lebensweiſe bejtreitet.

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Das wußte ver Gemal jelber nicht.

Fertöy wußte fo viel, daß die Welt glaubt, er verwalte auf ganz umverantwortliche Weife fremde Kaffen, man ſprach auch von Eifenbahngefellichaften und mehr vergleichen ; allein wenn er auch überzeugt war, daß die öffentliche Meinung in dieſem Punkte nicht ganz im Unrechte war, jo hielt er e8 doch für eine gründlich irrige Annahme, als 0b Seraphine auf diefem Wege zur Rolle ver Modekönigin gelangt wäre, denn er pflegte feine Börfe niemals bei jeiner Gattin zu vergeſſen.

Seraphine hatte nach dem Tode ihrer Mutter wohl ein anftändiges Vermögen geerbt, welches ein landlicher Gutsbefiger oder ein Krämer in der Stadt für ein bedeutendes Kapital gehalten hätte: allein für den befannten Luxus konnte dieß keineswegs hinreichen.

Wohl umgaben reiche Hofmacher die Dame, und es war faſt unzweifelhaft, daß Einer derſelben ſich Seraphine zu liebe ruinire; aber Fertöh konnte nicht dahinter kommen, wer von den Vielen es ei— gentlich ſei.

Und mit welchem Eifer er dieß zu entdecken ſuchte! Nicht als ob er Genugthuung für ſeine ver— letzte Ehre geſucht hätte; aber er ging von den prak— tiſchen Gedanken aus, daß es beſſer wäre, wenn der freigebige Anbeter nicht durch die Frau alleim rui— nirt würde, |

Allein Seraphine war eine gewandte KRünftles rin ! Fertöh und die Spürhunde ver öffentlichen Mei- nung kamen nie auf bie rechte Fährte. Seraphine umgab ſich ſtets mit folchen Hofmachern und über- jchüttete fie mit ihrer fichtbaren Gunft, für welche fie niemals wird mit ihrem Seelenheil bezahlen müſſen. Plöglich verfch wand der vermeinte Glückliche, oder er reifte ab, oder er blieb ganz aus, und die Jäger fahen fich dann getäufcht und fingen die Weg- warte ftatt des Hafen.

Fertöh wußte wohl, daß dies blojes Spiel fei ; er fannte feine Frau recht gut. Auch darüber hatte er nicht die geringjten Zweifeln, daß der Wahre fein anderer als Fürft Wolozoff fei. Hatte er doch felbft die Sache eingefäbelt ; aber den Faden Fonnte er nimmer in bie Hand belommen.

Er jelbjt war der Verſucher, ver die Schönheit der Gegend zeigte; aber dann machte er zu feinen Aerger die Erfahrung, daß der fchlaue Grieche ven Satan ſelbſt betrügt, im Geheimen bie ſchöne Ge— gend im Befit nimmt, von dem Senfal aber nichts wiſſen mag.

Der Fürft fchien das Haus eher zu meiden als zu befuchen, und erfchien er auch manchmal bei den Seiten, jo unterhielt er fih nicht mit den Damen, fondern fpielte mit den Männern, und babei beging, er noch die Unart den Hausherren zu plündern. So

——. Ad. Zu

pflegen nicht diejenigen zu thun, welche in die Frau des Haufes verliebt find.

Und Wolozoff ift verliebt ! Kein Menfch glaubt es, aber Fertöy weiß es. Eben das forgfältige ver: meiden alles Auffälligen beftärkt ihn in feinem Ver: dacht. Könnte er doch nur einen ſchwachen Seiden— faben in die Hand befommen, jo würde er ven gan: zen Knäuel auf jeine eigene Hafpel winden; aber e8. ging eben nicht. Seraphine ist wetterwendifch, heute ift fie Feuer und Flamme für ein neues Geficht, morgen ift fie falt wie Eis, und übermorgen ſchwärmt fie für einen längjt vergeffenen Bekannten, bis fie plöglich in eine tiefere Region hinabftieg, daß jeder vor ihr erichrad, um fi dann wieder mit dem. Nimbus einer Reuigen zu umgeben, die eitel Xiebe und Zreue für ihren Gatten war. Und Fertöy. wußte, daß all’ dies bloße Komödie, Verftellung und Intrigue war, um ein Geheimniß zu verhülfen, das: er nicht entdecken konnte.

Aber die Enthüllung dieſes Geheimniffes: wurde für ihn immer mehr zur brennenden Noth- wenbigfeit. E8 gab gewiffe bedrägende Situationen, die einen immer beprohlichen Charakter annahmen, einige Deffzite, die neugierige Menjchen an ven Tag. bringen wollten, dieje neugierig Menjchen mußten bald dahinter kommen, daß das Berhältniß zwifchen. den Vorhandenen und eingetragenen Summen fein. Reim, jondern bloße Affonance war.

00:

Zur Ausgleichung des Defizits ift unvermeid- ch nothwendig: entweder die Gunft eines großmüthi— ‚gen und fteinreichen Broteftord, der in der Eigen- Ihaft eines entdeckten Hausfreundes gezwungen "wire, das NRechtsverhältnig anzuerkennen, daß ver Gebrauch eines Schlüſſels zu dem Zimmer eines Andern die Ueberlaffung des eigenen Kaſſenſchlüſſels an jenen Andern zur Folge haben müfje; over aber ‚die endlihe Beſitznahme von der Hargithah’jchen Erbichaft.

Betreffs der Tebteren iſt die Schwierigkeit ‚vorhanden, daß das bezügliche Teſtament bei dem Brande des Komitatshauſes wirflih in Verluft gerieth, ohne dasſelbe aber eine richterliche Voll: ftredung bei dem beften Willen unmöglich ift. Bär— fing, der Antwalt, veplizirte übrügens, daß das Te— ftament Vorhanden fein müſſe und er e& ficherlich finden werde; ed wurde ihm zu diefem Behufe ein Termin ausgefegt, die Einkünfte der Güter aber "wurden mittlerweile von Amtswege mit Beſchlag belegt. N

Bäarfing fagte auch feinem Freunde Fertöy, auf welche Weife er in den Befit des Teſtamentes ‚gelangen könne. Er fprach ganz rückhaltslos. Fertöh mußte blos die Hände darnach ausjtreden, um es zu befigen. Aber die Art und Weife, wie dies zu bewerf- ftelfigen gewejen wäre, war ven boch jo ungewöhnlich, daß Fertöy ein werig Schauder davor empfand, und

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Tieber ven Gedanken zur Geltung fommen ließ, ven geheimen Anbeter feiner Gattin mit einem Anlehens- plan zu überrajchen.

Dazu war aber ein Schlüffel nothwendig.

Zunächſt ver Schlüffel jenes kleinen Schran- tens aus Roſenholz, worin Seraphine ihr Tagebuch verwahrte. | |

Daß Seraphine ein forgfältig geführtes Tage: buch befite, daß wußte Fertöy.

Seraphine zieht fich niemals vor Tagesan- bruch in ihr Schlafzimmer zurück; auch dann läßt fie die Fenfterlädeu nicht verjchließen, und blos die dün— nen Spikenvorhänge mildern einigermaßen das Hereindringende Sonnenlicht. Sie kann nur beim Sonnenlicht ſchlafen. Eine bizarre Thorheit, wird Jederman fagen.

Wenn fie auffteht, ift regelmäßig bereits Mit- tag, und da geht fie, bevor fie die Morgentoilette macht, an ihren Schreibtijch, öffnet den Schranfen, und jchreibt an ihren Tagebuche. | |

Was für Geheinmiße in diefem Tagebuch ent- halten fein mögen, läßt fih auch daraus jchliegen, daß Seraphine einen englischen Schlüffel zu dem Schranken bat.

Fertöy mußte dacher ver Allem in ven Befit dieſes Schlüffels gelangen.

Den Schlüßel trug aber Seraphine immer mit ſich und ließ ihn nirgens Tiegen. Sie trug an ver

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Hand eine Heine Stahlkette, woran der Schlüßel befeitigt war.

Einmal aber erkrankte Seraphine, fie litt an Kopfträmpfen, welche jie in bemwußtlofen Zuftande verſetzten; da bot fich Fertöy theilnahmsvoll an, allein an dem Bette der Gattin zu wachen, und als er ſah, daß ſie ihn nicht erkannte, da nahm er ihr den Schlüſſel von der Hand. Seraphine bemerkte dieß natürlich nicht.

Dann öffnete Fertöy den Schranken.

Er hatte nun das geheimnißvolle Tagebuch in Händen, die wohl verwahrten Myſterien desſelben er- Ichloßen fich ihm, die Minfterien, von welchen er for viel Nuten fich verſprach.

Die Frau lag im Delirium und fantafirte, der Mann aber lag bequem im Armftuhle und las die Geheimniße der Gattin.

Das Tagebuch begann folgendermaßen :

„Tagebuch meiner Träume.”

„Ich Iebe ein Doppelleben ; eines, wenn ich wache, das andere, wenn ich ſchlafe; jenes ift heiter, voll Scherz, Freude, und Genuß, biefes ift traurig, Ichredlich und bange.“

„Jenes verachte und werabfcheue ich, dieſes flößt mir Entfegen ein.“

„Die Wirklichkeit wechfelt mit jedem Tage; ber Traum bleibt ſtets derſelbe.“

weis OR

„Sch träume von Robert." „Das Verhältniß, welches die Wirffichkeit entzweigejchnitten, jpinnt der Traum weiter fort.‘

„Immer und immer wieder erjcheint er mir; er blieb feinen Tag noch aus."

„Zange mied ich dieſe Schauererjcheinung ; ich wollte mich bereden, e8 fei doch nur ein Traum; heute jedoch iſt dieſes Dafein nicht mehr wegzuleug- nen ; ich fühlte e8 find Erjcheinungen aus einem an- dern Leben.“

„Sch werde veshalben jeven Tag aufzeichnen, was ich träume, denn diefer ift Doch mein eigentliche8 Zeben, und jenes andere nur ein Traum."

„Heute war ich mit Robert auf dem Felde bejchäftigt, wir waren Bauern, die ven Boden bear- beiten. Er verbarg fih auf folche Weije vor der Welt, und ich folgte ihm in die Strohhütte.

Zur Speije batten wir ſchwarzes Brod, und es ſchmeckte mir jo gut.

Ih mußte mit Robert auf die Aeder gehen, um Wurzeln auszugraben.

ALS der Sad voll war, Tegte ihn Robert auf meine Schulter, damit ich denfelben nach Haufe trage. Hundert Mal ſank ich unter der Laft zuſammen, ehe ich zu Haufe anlangte.

Zu Haufe mußte ich aus den Kräutern ein Mittagsmal bereiten. Und wie ich die Wurzeln

——

wuſch, bemerkte ich eine die von anderer Farbe ale die übrigen war.

Ich zürnte Robert jehr, weil er fo arm war.

Und da Tochte ich auch dieſe Wurzel mit den übrigen. ö

Da kam Robert nad) Haufe und af.

Nach dem Eſſen fing er auf gar fonderbarer Weife zu lachen au. Er fragte mich, was ich ihm gefocht ?

Da ſank ich zu feinen Füßen hin und meinte und jamerte, daß er boch nicht fterben möge.

Er aber lachte, und ich fah, wie er ftarb.

Ah es war fo fchredlich, wie fein Geficht blau war. und er doch nur. lachte, ich konnte ihn jo ſchwer in meinen Armen halteı.

Und ich flehte vergeblich zu ihn, er möge doch nicht fo entjeglich lachen, wenn er ſchon gejtor- ben, und nicht jo ſchwer fein, wenn er noch lebe; er aber lachte ununterbrochen und zog mich zur Erde nieder, bi8 ich mit ihm Zuſammen hart niederfiel und eriwachte.

Wie gut da8 Sonnenlicht mic) ummogt ; wäre es jeßt finiter, ich müßte wahnfinnig werben.

„Heute waren wir Fleine Kinder; wir gingen zur Schule, Robert und ich.

Ich beging eine Unart, Robert nahm fie auf fich.

Zu. FOR: Io

Mich freute e8 fehr, daß man ihn beftrafte,. und nicht mich.

Als man ihn aber mit dem Gefichte zur Erbe legte um ihn zu fchlagen, da that mir das Herz ſo weh, daß es faſt brach.

Robert weinte nicht als man ihn ſchlug; er ſchwieg.

Und als man ihm dann ſagte, er ſolle auf— ſtehen, ba blieb er doch ligen, denn er war geſtorben.

Sch wagte auch jett noch nicht einzuftehen, BE ich die Schulvige fet.

IH jah auch wie man ihn in dem Sarg Er war eine ſehr ſchöne, kleine, weiße Leiche. |

Und wie zürnte ich ihm, daß er mir dadurch Schmerz verurjachte.

Dann ging ich, um mit den übrigen Kindern zu ſpielen.

Was für ein fchlechtes Herz ich doch felbit im Zraume habe!”

WM —. A A —e

„Wir waren zuſammen in einer belagerten Feſtung.

Wir waren nur mehr allein, ich und er; die übrigeu hatten Seuchen und Kugeln dahingerafft.

Nur eine Kanone edröhnte noch manchmal, die unf'rige. Ich war der Kanonier ; ich mußte das Ge— ſchütz bebienen, denn auch die Frauen waren ſchon geftorben. Ich fürchtete und fehauderte vor der

u: Di

Schlacht; aber wenn er mich anblidte, war ich wie feft gebannt.

Ich wollte jagen, aber ich wagte es nicht; „Robert, wir find nur unfer Zwei, wozu der längere Wiederftand. Ergeben wir uns; unterjchreiben wir die Kapitulation. Sieh’, e8 ift doch jo jchön, zu leben ! du kannt es am Beften wifjen, vu, der jo oft gejtor- ben und doch nicht todt bleiben willjt und immer wieder auferftehft. Komm fteden wir die weiße Fahne aus. Sieh’, ich habe meine Handkrauſe herabgeriffen, dieſe wird dazu gut fein."

Robert antivortete nicht, fondern ging vor mir auf und ab, die Granaten pfiffen um uns rechts und links, e8 traf ihn feine.

Plöklich blieb er vor mir jtehen, ven Rüden gegen die Kanonenmündung gefehrt.

Ein enjeglicher Gedanke ſchoß mir durch den Kopf.

Wie lange martert mich jchon dieſes Phantom, wie quält e8 mich fo unabläffig.

Wenn ich jet die Lunte an das Schiekloch lege ein Knall, und er wäre zerjchmettert. Ich wäre dann auf ewig von ihm befreut, nimmer fonnte er zurückkehren.

Etwas zwang mich, es zu thun, er war mit dem Rücken gegen mich gekehrt und konnte nicht ſehen, was ich that. Ich war wüthend gegen ihn. Ich wollte ihn nimmer wiederſehen. Ich legte die Lunte

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an das Schießloch. Ich verhülfte meine Augen, um nicht zu ſehen. Die Erde erzitterte unter mir und ich fühlte ben warmen Blutregen, ver mir auf Hals und Schulter fiel.

Dann öffnete ich bebächtig die Augen, und Robert Stand noch immer vor mir, nur daß er den Kopf zu- rüdgemwendet hielt und mich kalt anblickte. Durch das Herz aber fonnte man ihm fehen, denn bie Kugel hatte es durchbohrt.

„Mir war, als ob wir im Czarenpalaſte in Moskau uns befänden. Robert wurde nach Sibirien geſchleppt.

Ein Flüchtling, der von dort zurückgekehrt war, brachte die Nachricht, daß Robert lebe und in den Bleigruben des Uralgebirges arbeite.

Ich begab mich auf den Weg und reiſte ſo fange, bis ich jene ſanderbare Thürme mit ſpitzen Kuppeln erblickte, welche ich ſo oft im Bilde geſehen hatte und von denen ich ſo lebhaft träumen konnte.

Ich bedurfte keines Führers, ganz allein fand ich mich zu recht.

Große Glocken ertönten mit betäubendem Lärm: man ſagte das Geburtsfeſt des Czars werde heute gefeiert.

Ich wollte mit der Volksmenge zum Thore des Palaftes mich hineindrängen ; ein wachehabenber Kofak bemerkte mich und fchrie mich an. Ich verftand

Andere Zeiten, anbere Menfhen. ILL, Band. 7

OR

nicht was er ſagtr, und wollte mich vor ihm zurück. ziehen. Er langte mit der Spike feiner Lanze nach mir und erreichte mit verjelben meine Schulter, ohne - mich jedoch verwunden zu fönnen. Ich fühlte aber vie Kälte des Eiſens.

Ich eilte über breite Marmortreppen und durch enge Korrivore; endlich verirrte ich mich in einen wunderbaren Balfenfnäuel, in welchen ich mich nimmer zurecht finden konnte: als ob eine Menge Gerüfte neben einander” geftellt wären, auf welchen mit Teppich bevedte Dielen ruhten; endlich gelang ich zu einer ſchmalen Thüre, die ich öffnete, und num jtand ich vor einem mächtigen Tanzſaale.

Es war dies der Tanzjaal des Gzarenpala- ſtes; tauſend Lichter verbreiteten ein Lichtmeer.

Das glänzende Höflingsheer, die knappen Uni— formen, die mit Diamanten beladenen Damen, bie verbrämten Kaftans; der ſtramme Zeremonienmei- fter, der die Gruppen ordnete; die Militärkapelle, welche einen feierlihen Marſch fpielte, im Hinter- ‚grund der Thron mit hohen Treppen, auf welchem der riefig große Czar neben der Gemahlin fit als ob dieß Alles noch jegt vor meinen Augen jtünde, ‚mir im Obre ſummte.

Als ich eintrat, wich alles zur Seite, um mir ven Weg zum Gzar frei zu machen.

Ich war jchwarz gekleidet, die Uebrigen trugen färbige, goldgeſtickte Gewänder.

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Ih gelangte ganz bis an bie Stuffen des

Thrones.

Der Czar winkte mir, das ich ſpreche.

Und als ich ſprechen wollte, da hatte ich den Namen des Mannes vergeſſen, für den ich bitten wollte, ven Namen des Ortes, wo er gefangen war, jo wie die Urjache, warum man ihn dahin gebracht. Bergeblih quälte ich mic) ab, mir das Alles in Erinnerung zu bringen; mein Gedächtniß verfagte mir den Dienst; ich jtand dort und wußte nicht, was ich ſprechen follte. Ich wollte ruſſiſch fprechen, und ich hatte es vergeffen, obgleich ich zu Veginn des Traumes ruſſiſch zu verjtehen glaubte, Ich wollte weinen, die würde man viel leichter veritanden haben; allein die Muſik erjcholl, e8 wurde zum Zanze aufgefpielt. Da trat ein in Scharlach gehüllter Mann zu mir und bat mich um einen Walzer. Ich reichte ihm die Hand und vergaß auf Alles,

Wir flogen und walzten den mächtigen Saal entlang, und da an den Wänden überall lange Spie- gel hingen, fo jah ich immer mein eigenes Bild.? Das war jo jchredliih: ein ſcharlachrother Tän— zer und eine jchwarzgefleivete Tänzerin! Eine hölliſche Viſion. | |

Ih glaubte mein Tänzer fei der Scharf richter.

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Heute ſah ich die Yortfegung meines geftri= gen Traumes.

Auf demſelben Wege kam ich aus dem glän- zenden Saale zurüd, auf welchem ich hinein ge= gangen.

Wieder verirrte ich mich in dem Gerüftelnäuel, das auch jet mit fchweren Teppichen bededt war.

Set aber wußte ich, was dies für Gerü- jte find.

Es war das Schaffot.

Den Ausgang verfperrten Lanzenmänner in alterthümlicher Panzerfleivung ; ich konnte den Ort nicht verlaffen. Da verfroch id) mich unter den Tep⸗ pichen, welche das Gerüft bedeckten. Dann hörte ich die Schritte aufmarfchierender Soldaten, ich hörte Trommelfhlag und Kettengeraffel; ich hob einen Zipfel des Teppiche in die Höhe, um jehen zu Fön- nen, was vorgeht.

Den Saal beleuchtete grelles Fadellidt.

Eine Truppe gefeffelter Gefangener tauchte aus ber endlofen Finfternig empor.

Die Gefangenen ſchritten einzeln auf das Ge— ruft, unter welchem ich verborgen war, und fo wie fie hinaufgeftiegen waren, ſah ich Kleinen wieder, aber ich hörte jedesmal einen ſchweren Schlag, als ob Iharfes Eifen in einen harten Stamm führe; dann hörte ich auch etwas über meinem Haupte bahinrollen.

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amd darauf einen leifen Fall, auf welchen ein fürzes Zucken folgte.

Das Alfes hörte ich, und mein Herz pochte jo heftig, daß ich das Pochen trotz Allem deutlich hörte.

Da kam der Letzte der Gefangenen hervor. Ich erkannte ihn. Es war Robert. Nie jah ich ihn jo Ihön. Er trug dasjelbe Kleid, in welchem er einft mit mir vor dem Altare ftand.

Er Tieß nicht, daß man ihm die Augen ver: binde. Sein Blid war noch jett jo ftechend wie ehedem.

Mir kam es aber nicht in den Sinn, aus dem Verſtecke herauszueilen, mich dem Grauſamen zu Füßen zu werfen und um Gnade zu flehen. Ich ver— barg mich hinter dem Teppich, verhüllte mein Geſicht und verſtopfte mir die Ohren, um nichts zu ſehen, nichts zu hören. Aber ich ſah und hörte dennoch. Ich hörte die lauten Schläge meines Herzens und ſah die entſetzliche Finſterniß, dieſe Schwärze, die lebt, bewegt ſich, wächſt rieſengroß und kommt im— mer näher!

Und bald begann ein warmer Regen auf mei— nen Hals nieder zu rieſeln. Ich fühlte es war Blut.

Das Entſetzen weckte mich. Und ich empfand die Wärme der Bluttropfen an meinem Halſe.

„O, wie es mich ſchaudert vor dem Schlaf.

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Erſt am Morgen gehe ich zu Bette, wenn es Schon hell zu werben beginnt. Die ganze Nacht ver- bringe ich in unfer tollen Gefellichaft. Ich ertränfe meine Seele in betäubendem Trank. Ich bete, bevor: ich mich nieberlege ; vergebens, Alles vergebens.

Das Gefpenft fommt und lebt mit mir.

Dieſe Nacht war ich in unferem Fleinen Zim— mer in Komorn. Ich lag ſchon in meinem Bette, er faß am Rande und hielt meine Hand in der feinen..

Er fagte mir, wir werben heute bier fchlafen.

Mir war, als müßte ich ihn fragen: Wie willft du auf meinem Kiffen ruhen, wenn bu fchon: geftorben bift ?“ aber ich wagte nicht, e8 zu Jagen.

Er war fo zärtlich und glättete mir die Stirne.

Dann neigte ev das Haupt auf meinem Kiffen.

Er trug eine weiße Jade und ein rothes Halstuch.

Ich fragte ihn: warum legſt du das Halstuch nicht ab, wenn du ſchlafen wiltft ?“

Darauf antwortete er lächelnd: das kann ich nicht, denn das Tuch hält ven Kopf an meinem. Rumpf feit, ſonſt fiele er nieder.

Dann wandte er fich zu mir und wollte mich umarmen.

Entſetzt zog ich mich von ihm zurüd an den äußerten Rand des Bettes; er aber fam lächelnp: immer näher und bat mich, ich möge ihn Küffen.

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Sch ſchrie auf. Ich lag vor meinem Bette auf dem Teppich. Dort erwachte ich. O, mein Gott, wird dies denn ewig dauern ?"

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Fertöy legte entſetzt das Tagebuch Gat⸗ tin aus der Hand.

Ungeachtet ſeiner blaſirten Selbſtſucht, war er abergläubiſch; es gibt viele Menſchen, die nicht an Gott glauben, wohl aber an Klopfgeiſter.

Was er ſuchte, das fand er nicht; Seraphine hatte nicht die Erlebniſſe des Tages aufgezeich— net. Kein Wort findet ſich darin über Liebe und Geliebte.

Jetzt verſtand es Fertöh, wie es geſchah, daß als er neulich ſeine Frau an ihrem Schreibtiſche überraſchte, noch ein Seſſel neben Seraphinen ſtand. Er wollte ſich auf den Seſſel niederlaſſen, Seraphine aber gab es nicht zu.“

„Setzen Sie ſich nicht dorthin.“

„Warum nicht?“

„Weil .... (hier lachte fie) Bringen Sie fih einen andern.

Jetzt konnte er das „Weil” ergänzen; „weil ſchon Jemand darauf fit.”

Vertöy legte das Tagebuch an feinen Plat und ſchloß den Schranf.

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Jetzt mußte er aber den Schlüffel wieder an das Stahlfettchen befejtigen, welches Seraphine an ber Hand trug.

Furchtſam näherte er fih. Wäre Jemand da geweſen, der ihn gehört, fo würde er geladht haben, fo aber fchauderte er vor dem Gedanken, daß er eine Frau nahm, die wachend und jchlafend von dem Schatten ihres verjtorbenen Mannes verfolgt werde, die mit diefem zu Bette geht und aufiteht.

Die Kranke jchlief unruhig, fie hatte ſchwere Träume.

Vertöy glaubte ven Traum der Kranken zu errathen.

Der entjegliche Rival war anweſend, auf wel« chen er nicht eiferfüchtig fein Eonnte.

Geine Hand zitterte, als er ven Schlüffel an das weiße Handgelenk befeitigte.

ALS die Falte Kette die Hand der Schlafenven berührte, hilt fie ihren Athem plötzlich an; Schreden und Entjegen malte fich in ihren Zügen, ihre Xip- pen öffneten fich, fie ftöhnte, und als die Kette an ihrer Hand befeftigt war, da fchrie fie auf: Henker laß ab!"

Dann wendete fie ſich um und jhlief ruhig.

Was fie wohl über diefen Traum in ihr Ta- gebuch jchreiben wird ?

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Fertöy blieb nicht länger im Zimmer, er läu- tete der Kammerfrau, und trug ihr auf, bei Sera- phine bis zum Morgen zu bleiben. Er jelbft eilte in fein Gemach.

Seraphine jchlummerte dann ruhig und in der folgenden Naht tanzte fie auf dem Ball.

Sehr als ein. Vergehen; ein Fehler.

Vertöh ließ den Plan fahren, einen reichen Hausfreund aufzujagen.

Seitdem er wußte, wer in ben Schlafzimmer feiner Gemahlin verborgen, wenn fie fich zurückzieht, batte er feine Luft einen Rivalen zu fuchen.

Aber die Profa des Lebens laßt ſich durch Phantome nicht befriedigen. |

Fertöh mußte um jeden Preis Geld haben, man verlangte die Rechnungen von ihm.

Sein Anjehen und fein Kredit war wohl noch immer groß, aber wir wiffen, daß nur ein Kleiner Schneeball, wie ein proteftirter Wechfel, fich in Be- wegung ſetzen barf, damit bie ganze Lawine ins Rol- len gerathe.

Am Morgen nach diefer traurigen Entdeckung ſchickte Fertöh nach Herrn Barfing.

Der treue Schüler, der jetzt ſchon auf eigene Fauſt hantirte und fich Doctor nennen Tieß, beeilte

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ſich bei feinem einflußreichen Prinzipal zu erfiheinen, der ihn dieſesmal noch freundlicher als fonft empfing.

Lieber Freund! Ich glaube, e8 wäre gut, die Hargithay'ſche Angelegenheit endlich zum Ab— Schluß zu bringen. Ich bitte Plaß zu nehmen.

DO, ih danfe. Es freut mich fehr, daß unfere Wünfche fich begegnen. Ic felbft halte es an. der Zeit, die Sache zu erledigen.

Der Termin ift ja no weit. Keine Zis garre gefällig ?

Ja wohl, aber die Vorbereitungen nehmen: Wochen in Anſpruch. Ich bitte ein wenig euer.

Sie glauben alfo wirklich das unfer Teſta⸗ ment verbrannt ift ?

Freilich ift e8 zu Aſche verbrannt.

Können Sie fih Gewißheit darüber vers: Ichaffen, daß e8 nicht mehr ans Tageslicht kommt.

Ich weiß e8 ganz genau.

Denn darüber müffen wir Gewißheit ha- ben für den Fall, als ... Fertöh fand Feinen Aus— brud, um die Sache zu nennen.

Wenn wir das verbrannte Dofument aus. der Aſche wollen erftehen laffen, ſagte Baͤrſing ſo Kalten Blutes, als ob e8 ſich um nichts Anderes handelte, als aus ber Aſche, die er von der Zigarre fchlug, eine neue Zigarre zu jchaffen.

Fertöy nickte ſtumm, ſprach aber mit feinem. Worte aus, daß er einverſtanden ſei.

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Barfing wollte aber um jeden Preis das Wort aus ihm herausbringen.

Das Ganze ift blos eine „pia fraus.“

In Wahrheit „pia ?"

Ohne Zweifel. Wenn von dem Zuftande- Tommen eines Documentes die Rede wäre, das nie— mal exiftirt bat, jo könnte nie DBärfing dazu rathen, das würde ein Baͤrſing mit der tiefiten In- dignation zurückweiſen, da würde ein Bärfing nicht Anſtand nehmen, e8 einen Betrug zu nennen; bier aber handelt e8 fih um die Reproduktion eines Do- cumentes, welches bereits erijtirt hat, welches ung gehörte, welches wirkliche und gefertigte Anjprüche in unjere Hand gab; wir haben es niemanden ent- lockt, Niemanden abgezwungen; wir wurden aus freien Stüden eingeladen e8 anzunehmen, und es ift aud nicht unfere Schuld, daß es währeud der traurigen Revolution vernichtet wurde. Die traurige Revolution hat außerordentliche Situationen ge— Schaffen, welche die Menjchen in außerorbentliche Umſtände verjetten, in welchen mann wieder zu außerordentlichen Handlungen genöthigt war. Wie viele Menſchen famen zum Beijpiel in die Lage, auf Grund falſcher Wechjeln und durch faljche Gläubi- ger ihr Vermögen jequeftriven zu laſſen, weil e8 fonft fonfiszirt worden wäre. War dies nicht etwa Feine pia fraus ? Und machte die Welt ihnen einen Vor— wurf daraus ?

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Bon der Welt wollen wir nicht fprechen,. mein lieber Freund; die Welt hat ihre ganze eigen- thümlichen Anfichten, beſonders wenn es fih um Regierungsorgane handelt. Da ift e8 ber Richter, welcher beruhigt werben muß.

Bei dem Worte „NRichter” Tegte Fertöy zu- fällig die Hand auf die Bruft, was Bärfing glauben machte, daß jein Freund den „inneren Richter“ meines.

Ah, ah, mein lieber Freund, mein Gewif- fen ift darüber nicht in Unruhe. Nicht die etlichen taujend Gulden die für mich legirt wurden, bewegen mich ; aber der Wille des verftorbenen ift mir heilig. Wir find die VBollitredung des Teſtamentes dem Todten ſchuldig. Könnte ich ruhig jchlafen, wenn ich Hargithay's legten Willen nicht erfüllt Hätte? Wie Toll ich einft in der anderen Welt vor ihm hin— treten ?

Fertöy konnte fid) des Lachens nicht enthalten. Bärfing aber redete fich immer tiefer in eine empha⸗ tiihe Stimmung hinein.

Sie wiſſen mein geehrtefter Freund, daß dieſes Zeftament nicht blos uns intereffirt, ſondern auch gemeinnügige Anftalten betrifft; Schulen, Kir⸗ chen, Spitäler und Armenhäufer. Ich finde in diefer Sache eine moralifche Größe.

Bei dieſen Worten ſprang Baͤrſing von feinen Site auf, damit feine moraliſche Größe deſto grö«- Ber fei. |

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Jetzt aber lachte Fertöh unmäßig.

Nicht von dem Gewiffen fpreche ich, mein Tieber Freund, das geht die Pfaffen an; ich meine Die weltlihen Richter. Ein folcher Spaß kann unter Umftänvdenztheuer zu ſtehen fommen.

Aber dieje Umftände fönnen eben nicht ein- treten, wenn wir alle Vorſichtsmaßregeln genau beo- bachten. Den Text des Teſtamentes habe ich gejchrie: ben, er iſt bei mir in erſter Abjchrift vorhanden, es wird daher gar fein Unterfchied fein.

Aber die Unterjehrift und die Siegel ?

Dezüglich zweier find wir glaube ich ge: fichert.

Vielleicht, aber die übrigen drei?

Die find ebenfalls am Leben.)

Aber dieſe wollen Sie doch nicht in die Sache einweihen ?

D nein. Aber fie können Lnterjchrift nnd Siegel ohne ihr Wiffen auf ein Document ſetzen.

Auf welche Weiſe?

Die werde ich Ihnen ſogleich ſagen. Sie richten in einem Schreiben an die drei abweſenden ‚Zeugen die Trage an dieſelben, ob fie feine Kennt— niß davon haben, daß Barfing das fragliche Docu— ment in das Archiv hinterlegt, dann aber wieder aus demjelben herausgenommen habe.

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Sie hätten gegründeten Verdacht, daß Barfing Kenntniß davon habe, wo das Tejtament fich befin- det und fich dieſes Geheimniß theuer bezahlen Taf- fen wolle.

Fertöy lächelte darüber, wie Bärfing ihm den Rath gab, wie er ihn zu verleumden habe.

Diefe werden dann antivorten, daß fie von der Sache nichts wiffen. Dann gibt e8 einen vor- trefflichen Kopirer der die Unterſchriften ganz nach Belieben aufs Papier fegen Tann.’

Vertöy wußte wohl, daß dieſer geſchickte Menſch niemand Anderer als Bärfing felber fei, war aber doch jo boshaft, zu fragen, ob er nicht bejorge, daß diefer Abjchreiber ihn verrathen fönne.

O, bezüglich dieſes Menjchen bin ich außer Sorgen, und was die nothiwendigen Siegel betrifft, jo werben dieſe auf ven Briefen fein, vie Sie erhal- ten, und Sie werden dieſe mit der Schere ablöfen.

Das ift ja eine vollitändige Fälfchung. Geben Sie mir zwei Wochen Zeit, dieß zu überlegen, dann werden wir über die Sache ausführlicher fpre- hen. Bis dahin werde ich vielleicht eine weniger ge- fährliche Löſung herbeiführen,

Die, glauben Sie vielleicht, fih mit der jungen Fran verjtändigen zu fönnen ?

Ich bin deffen gewiß. Haben Sie ſchon gehört, daß Judith ein Sähnchen geboren ?

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Ah rief Barfing mit Schabeufrende und biß mit feinen großen Zähnen ein Stüd feiner Zi- garre ab. Ein prächtiger Skandal, ein Föftlicher Skandal!

Barum ein Skandal? |

Eine Wittwe! e8 find ja bereits vierzehn Monate verftrichen, feit dem Laͤway geftorben.

Ah, ſo?

Wer wohl der Vater des Kindes ſein mag ?

Ich Fenne ihn.

Wer könnte es wohl fein ?

Da Sie mich in ihre Geheimniffe einweih⸗ ten, fo will ich Ihnen auch mein Geheimniß mitthei- fen, aber id) bitte Sie, dieſes eben ſowohl zu bewah- ven, wie ich das Ihre bewahre.

Daß ift ganz natürlich. Wer mag alfo der Bater des Rinpleins fein ?

Niemand anderer, als der Gemahl Judith's Alla Laͤway!

Ah, feit vierzen Monaten !

3a wohl, feit vierzen Monaten hält fie ihr in ihrer Wohnung verborgen und [pielt vor ber Welt die Wittwe, die Courtifane.

Ah, das ift nicht möglich. Es. ift nicht möglich, daß eine Frau den Hohn und Spott ertrage, der von allen Seiten auf fie einbringt, wenn fie ihn nicht verdient, blos um ...

Blos um die Spürhunde irre zu leiten.

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Herr Barfing biß jest feine Zigarre in der "Mitte entzwei und klagte dag man Katenenhaare in Die Zigarre wide,

Ih wußte e8 längſt, fuhr Fertöy fort, und ich wollte blos das Ereigniß abwarten, welches ich vorhergejehen.

Und Sie nehmen nit Rache an Laäͤway?

DO nein! Es gefällt mir außerordentlich, daß fie einander jo lieben. Sch bitte Sie daher ehr, ‚mein Geheimniß nicht zu verrathen. Trüben wir nicht ihr Glück, zerſtören wir nicht das Nejt ver Nachtigallen.

Es wundert mid, daß Sie vem Burſchen jo wohlwollen.

Mid aud. Aber jehen Sie, e8 gibt Ge- fühle, die man beſchützen muß. Ein folch edles Ge— fühl ift die Liebe Judith's fir ihren Mann. Sie opfert ihre Stellung, ihren Auf für ihren Mann; würde fie nicht vielleicht einen Prozeß wegen eines Vermögens aufopfern, in deſſen Befi fie noch nicht war ?

Baͤrſing fing jest an, Etwas von der Groß— muth Fertöy’8 zu begreifen.

Rache thut mir viel weniger Noth als Geld. Was würde ich gewinnen, wenn ich Bela’s Verſteck verriethe ? Vielleicht gelänge e8 ihm, fich zu. flüchten, und fehlieglich wird eine Amneſtie auch auf ihn fich erſtrecken. Aber ich muß ihn zwingen vor mir

Andere Zeiten, anbere Menſchen. III. Band. 8

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zu ericheinen. Dazu habe ich einen worzüglichen Plan. Ich werde fie zu zwingen wiffen, daß fie mir eingeſtehen: „Wir find beifanmen.” Dann halte ich fie in meiner Hand. Dann werde ich zu Judith jagen: Sehen Sie, e8 it bejfer, mit mir in Freundſchaft als in Unfrieden zu leben. Ich könnte Sie jett in endloſe Gefahren jtürzen, aber ich thue es nicht. Gleichen wir uns aus. Der Preis meiner Freund— ichaft ift ein Ausgleich bezüglich des Zeftamentes. Und Judith wird daveinwilligen.

Baͤrſing ſchüttelte ven Kopf.

Glauben Sie mir, fo fiber als ich dieſes Weib und diefen Mann haffe, jo ficher ift es, daß fie für einander zu der tolliten Großmuth bereit find.

Barfing ſchickte fih zum Gehen ar.

Bon Ihrem Plane in zwei Woden; big dahin bleibt mein Geheimniß unter uns,

Die beiden Ehrenmänner brüdten einander die Hände und gelobten fich gegemfeitig, zu ſchweigen.

Was während diefen zwei Wochen gejchehen, das fonnte Barfing nicht erfahren, eines ſchönen Morgens aber erhielt er ein forgfältig werfiegeltes Paket von Fertöy. In den Paket waren drei Briefe, ein vierte war von Fertöy. Fertöy ſchrieb ihn, daß er in die Neproduftion dev Documente nicht ein- willige. Herr Bärſing könne aus den beigelegten drei Briefen erfchen, daß die Zeugen von den weites

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ren Phafen des Teſtamentes nichts wilfen, den Plan bezüglich Judith's habe er ganz fallen gelaffen, deſ— jenungeachtet willige er durchaus nicht in den Plan Baͤrfing's.

Baͤrſing wußte nun, woran er ſei. Fertöy hatte ſoviel Aufmerkſamkeit, um die Siegeln an den drei Briefen nicht verlegen; feinen Namen aber ſchrieb er, entgegen feiner Gewohnheit, jo deutlich als möglich.

Auch er kannte feinen Dann.

Er wußte, daß er Bärfing nur die Mitteln in die Hand fpielen müffe, damit er von denſelben Ge— brauch mache, Und er täujchte fich auch nicht.

Nach einigen Tagen wurde Fertöy von beit betreffenden Amte in Kenntniß gefett, daß das Do— cument dur Bärfing im Originale vorgewiejen wurde.

Jetzt hatte Fertöy nur eine Beſorgniß, und er ſäumte auch nicht, diefe feinem Freunde bei jeiner eriten Begegnung fogleich mitzutheilen, ob er näm— (ich das Teftament auf geſchöpftes Papier ge- jchrieben.

(Denn wenn er zufällig auf Mafchinenpapier gefchrieben, dann kann das Donnerwetter in bie Geſchichte ſchlagen, denn Die Zeugen würden ben Un— terſchied fofort erfannt haben.)

Baͤrſing blinzelte pfiffig mit den Augen.

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Ueber folche Kleinigkeiten pflegt ein Bär- fing nicht zu ftraucheln !

Das Teſtament wurde allerdings auf geſchöpf— tem Papier geſchrieben, und ein ebenſo großer zwei? föpfiger Adler prangte in der Mitte des Falſifikates, wie jener auf dem Originale, was jeinerzeit den Zeugen den Ruf entlodte.

„Was für großer Adler !"

Man hat Bekannte, die man alle drei Jahre einmal fieht; man freut ſich außerorventlich, und wenn man von einander fcheidet, jo zerbricht man fich ven Kopf darüber, was jener wohl für Urjache gehabt Haben mochte, Einen zu befuchen.

Eine folhe Bekannte hatte die alte Laͤvay an ver Heinen Perfler.

Manchmal jahen fie fih kaum Yahrelang, dann befragte man fich gegenfeitig nach dem Befin- den ; die Blum erfundigte ſich nach dem Söhnchen der Frau Laͤvay, das mittlerweile fich zum Advofaten herausgewachſen, und Frau Laävay erfundigte fich nach dem Befinden der drei Fräulein der Frau Blum, welche fich mittlerweile auf fieben vermehrt hatteır.

Im Jahre 1849 fahen fie fich einander öfter, denn Frau Blum Fam oft zu Seraphine ; in ven Noth- tagen lebte die längjt vergefjene Bekanntſchaft wieder auf, um mit der Zeit wieder einzufchlafen.

Ihr Zufammentveffen befchränfte fich dann 6108 darauf, daß Frau Laͤvah zuweilen, von ihrem

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Obſtgarten fommend, an dem Garten der Frau Blum vorüberging und bei diefer Gelegenheit ein Gruß gewechjelt wurde. Die alte Frau hatte Feine Lujt, fich in einen längeren Diskurs einzulaffen; drinnen war gewöhnlich geputte Gejellfchaft, in welche fie mit ihrem einfachen Kleide nicht gepaßt haben würde. Aber fie war zu jolcher Zeit auch müde, denn fie hatte dem ganzen Tag über gearbeitet wie ein Tag— löhner.

Eines ſchönen Sommertages Fam die Perflex in den Garten der Frau Lävay; fie kam in Beglei- tung eines alten Beamten, der nicht ungariſch wußte; Frau Lävay aber verſtand nicht deutſch.

3 fonnte e8 nicht über mich gewinnen, Sie nicht zu befuchen, jo verlodend winfen Ihre Ihönen Obftbäume. Dei miv wollen fie nicht vecht gedeihen, obgleih mein Gärtner alles mögliche aufbietet. N

Mein Gärtner aber macht es folgender Weiſe; ich fomme im Frühling in den arten und rühre fleißig die Hände, und ruhe nicht bis im Spätherbit.

3a, dies find allerdivgs hübfche Reine- Claude’s; ih glaube nicht, daß fie in Verſailles ſchö— ner find, „Nicht wahr, Herr Gruber ?“

Ja wohl antwortete Herr Gruber, der übrigens gar nit wußte, wovon die Rede war.

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Fran Lävay fette ihren Gäjten ein Körbchen voll reifer Pflaumen vor.

Aber meine Melonen find Schöner, jagte die Blum, als fie zwifchen ven Melonenbauten ſpa— zirten ; ich habe jchon reife Melonen, und bejonders die Marfeilfer, die find jo ſüß wie Zuder. „Nicht wahr Herr Gruber ?*

Herr Gruber merfte an dem Geſichtsausdrucke der Sprecherin, daß von irgend einer guten Speije die Kede jein müffe, und nahm daher nicht Anjtand, ein ganz entjchievenes „Ja wohl" zu jagen.

Freilih, antwortete die alte Frau, bei Ihnen werden die Melonen in Miftbeeten ge- pflanzt und unter Glasgloden gejtellt, daher reifen fie früher, al8 bei mir, wo fie allem Wind und Wetter ausgejett find. Dafür entfalten fie fich deſto beſſer und find nur um jo ſchmackhafter zu ihrer Zeit.

Ad, wie gut die meinen find, davon ha— ben Sie gar feinen Begriff. Ich habe eine Ananas melone, die einen folchen Geruch verbreitet, daß man

ihn noch am folgenden Tag im Zimmer wahrnimmt. Dann habe ich eine Turkiſtaner Gattung, die ein

vollitindig weißes Fleiſch hat, und lauter Saft und Süßigkeit ift. „Nicht wahr Herr Gruber ?" Dies war die ſchwache Seite der alten Fran. Mit riffiger Rinde? D nein, fie ijt jo glatt wie ein Kürbis;

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fein Dieb würde fie ftehlen, jo anfpruchslos ſieht fie aus. Sie haben Feine jolche ?

Ad nein, fagte Frau Laͤvay halb traurig, ‘halb beſchämt.

Num die müfjen Sie doch verjuchen; ma— hen Sie mir morgen das Vergnügen Ihres Beju- es in meinem Garten.

Ich danke jehr, ich werde ein Körbchen Pflaumen mitbringen.

Sie mochte nichts ſchuldig bleiben.

Frau Blum fand e8 nicht überflüßig zu bemer- fen, daß Niemand außer ihr und Herrn Gruber an: weijend fein werde. Bor Herrn Gruber aber könne man alles Mögliche Iprechen.

Herr Gruber verjtand aber von der ganzen Konverſation doch jo viel, daß er das Feine Körb- chen voll Pflaumen nach Haufe tragen müſſe.

Nachdem vie alte Fran jchlieglich ihren Gä— ften alle Obſtbäume gezeigt hatte und von jever Obſtſorte einige Stüde mit auf den Weg gegeben, begleitete fie diejelben bis an die Straße, kehrte dann in den Garten zurüd und fing nun an, darüber nachzudenken, was wohl die Blum zu dem Beſuche veranlaßt haben mochte, und warum dieje fie zum Beſuche eingeladen. Sch habe fein Geld, fagte fie ich, mit welchem ich wuchern könnte, ich habe feine vor- nehmen Verbindungen, und nicht einmal einen Sohn

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habe ich, welchem zu Liebe man fich um meine Freund ſchaft bewirbt.

Bei dieſem letzten Gedanken verweilte fie.

Wäre dies oder jenes gejchehen; hätte fie och Bela zum Ingenieur erzogen; hätte fie doch eine Frau für ihn gefucht; wären fie doch nicht in die Stadt gefommen, wären fie nur fchlichte Land— leute geblieben, wenn nur Bela nicht in den Krieg gezogen wäre; wäre er bei der National-Garde ge- biteben ; hätte er fich doch zu feiner Mutter geflüch- tet; hätte er nur eine Frau gehabt, die ihm Gnade zu erwirfen im Stande wire dann jtünde auch ſie nicht fo verlaffen da,

Zum Glück fuchte Niemand ihre Gefellichaft, und erfährt fie daher auch nicht, was für einen Auf

ie Wittwe ihres Sohnes hat.

Am folgenden Tage legte fie doch Feſtkleider an und befuchte die Heine Perfler in ihrem Garten.

Die fleine Iuftige Frau empfing Frau Laͤvay ſehr herzlich, und in der That war im Garten Nie— mand außer dev Gejelffchafterin und Herrn Gruber anweſend. Frau Blum unterhielt die alte Fran ganz vorzüglich ; fie trug ihr nicht nur friſches Obſt, ſon— dern auch frifchen Tratſch auf, den bejahrte Damen niemals unwillig anhören.

Der Bräutigam des Fräulein X. machte jich vor der Trauung aus dem Staube, weil er hörte, daß fein zukünftiger Schwiegervater dem Ruine nahe

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jei. Herr Y. wurde irrſinnig und lief unbekleidet durch die Straßen. Bei einer Trauung habe nicht die Braut, fondern der Bräutigam geweint. Herr Qu. ließ feine Frau einen Eid ablegen, daß fie ihm nicht untreu geworden. Ein vierfchrötiger Bauer habe Herrn R., den er in feinem Gehege gefunden, tüchtig durchgewalft. Ein vornehmer Herr habe feine Köchin geheirathet und jegt wolle ihn Niemand bejuchen, Ein alter Junggeſell wollte eine alte Wittwe heira= then, die ihm zurückwies; er heirathete dann die Tochter. Hundert derlei Gejchichten erzählte Frau Blum, und die gute alte Frau gab fich bereits dem Glauben hin, daß der geftrige Befuch und die heutige Unterhaltung feinen andern Zwed, als eine harm— loſe nachbarliche Zuſammenkunft hätten,

Plöglich aber führt eine Chaiſe in den Hof, und bald tritt Herr Fertöh ind Zimmer.

Was für Wetter hat den Men’chen hieher gebracht, flüjterte Frau Blum der alten Frau zur. Laut fagte fie dann: Ah, Herr von Fertöy. Eine Unenblichfeit, ſeitdem ic) das Vergnügen hatte, Sie fommen gerade recht. Wir haben heute die Melo— nenleſe.

Ihr ergebener Diener, meine Damen; ich küſſe die Hände, meine ſchöne Gnädige. Mein Weg führte mich vorüber, und ich konnte es nicht über mich gewinnen, meine Freunde nicht zu beſuchen. Bin jehr erfreut, auch Frau Yavay bier zu finden,

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Fertöy fette ſich hierauf an den Tiſch und nahm von der angebotenen Melone.

Im Grunde find wir doch Verwandte, fagte er, zu Frau Yavah gewendet, aber weiß Gott, unfere Verwandtſchaft geht arg in die Brüche.

Nicht, daß ich wüßte, entgegnete Frau La- vay kalt; wenn auch mein armer Sohn geftorben ijt, Lebt doch meine Schwiegertochter, die jeinen Namen führt. Sie efjen die Melone mit Zucker, verjuchen Sie fie lieber mit Sal;.

Ich danke. Ich weiß wahrhaftig nicht wie lange fie ven Namen nod) führen wird.

So Lange e8 ihr gefällt; bis fie heirathet.

(68 ſcheint daß Sie lange nichts von Judith gehört haben ?

Ich leje die Zeitungen und diefe loben fie ungemein.

Will hoffen, daß ſie nicht ihr Privatleben preiſen.

Die alte Frau kannte das Verhältniß zwiſchen Judith und Fertöy und war daher nicht überraſcht, daß er fi) lieblos über fie auszufprechen anſchickte. Sie war entichloffen Judith zu vertheidigen.

Ach, von Schaufpielerinen erzählt man fich gar mancherlei, woran Fein wahres Wort ift. Eine andere Frau kann thun was fie will, eine Schau- fpielerin aber wird erbarmungslos verleumdet. Ue— brigens wenn Sie jo große Luſt baben zu kehren, jo

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werden Sie wohl vor Ihrer eigenen Thüre zu keh— ren finden; nicht wahr, Herr Gruber ?

Die Heine Blum fonnte fih vor Lachen kaum halten, und ſchob die Urjache ihrer Heiterfeit Herrn Gruber zu, welcher in jeiner Verlegenheit über das unveritandene Thema nicht fogleich mit feinem „Ja wohl" herausrüden konnte, und an einem Biſſen Gantaloup beinahe erſtickte. |

Herrn Fertöy erging es wie der Brillen: Ichlange, deren Kamm immermehr anjchwillt, je mehr fie gereizt wird.

Es ijt wahr, daß man den armen Schau— jrielerinen vieles nachfagt, woran fie gewöhnlich un- ſchuldig find; dennoch bin ich meinerjeits kaum ge- neigt zu glauben, daß ficd) die olympiſche Fabel Iu- no's und ihres Sohnes Mars, Judith zu Liebe, wiederholt haben follte,

Sie wiffen es gut, mein Herr, daß ich mich anf die lateinischen Fabeln nicht verſtehe und demnach auch nicht wiſſen kann, wie e8 der Juno’ ergangen.

Die Gefhichte ift einfach. Juno roh an einer Blume und gebar davon ihren Sohn Mars,

Die alte Frau legte das gläferne Meffer, wel ches fie zu ihrer Melone benütte, auf den Tiſch und frug bedächtig:

Was ſpricht der Herr da.

Sollten Sie keine Kenntniß davon haben, daß Judith dieſer Tage einen Sohn gebar?

Nein, nein; das kann nicht ſein! .. rief die alte Laͤvay aufgeregt, mit der flachen Hand auf's Tiſch klopfend ... das iſt nicht möglich.

Und dennoch iſt es ſo. Judith verſuchte es nicht einmal die Sache zu verheimlichen, denn ſie hat ihr Kind bei ſich behalten und zeigt es einem Je— den, der ſie beſucht.

Das iſt ja fürchterlich, wenn das Warheit iſt! ſtammelte die alte Frau mit bleichem Geſichte ... Es ſind bereits vierzehn Monate her, daß mein Sohn Bela geſtorben.

In der That es ſind vierzehn Monate, und das Geſetz gibt nur auf eilf Monate Kredit.

Wenn es wahr wire? murmelte die Alt, und wollte nod immer nicht glauben.

Man kann fih am beiten überzeugen, wenn man hingeht und mit eigenen Augen jieht.

Ha, ha, Sie haben Recht ; ich werde gehen. Gleich will ich mir meinen Paß verfchaffen. Aber der Herr muß auch mitkommen.

Jedenfalls. Und wenn fich meine Behaup— tung bewahrheiten follte, was dann? ...

Ich weiß es noch nicht was gefchehen wir. Vielleicht werde ich wahnfinnig. Vielleicht reife ich ihr die Brut aus den Armen, und erwürge fie vor

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ven Augen ver Mutter; vielleicht tödte ich fie und auch mich.

Diele Thorheit werden Sie wohl nicht be- ‚schen, fondern Sie werden Judith zwingen, dem Na— men, welchen fie geführt und entehrt hat, zu entjagen.

Sie haben Redt, ich habe nunmehr nur mit dem Namen, und nichts mehr mit der Perfon zu thun, ich werde mit kaltem Blute zu ihr fprechen.... fie muß fhriftlich dem Namen meines Bela's entfa- gen... . dann werde ich fie verachten und verlaf- fen... . doc nein, nein! Ich will Xeute für Geld Dingen, welche ihr, wenn fie im Theater auftritt, einen Zwiebelfrang zu den Füßen werfen, und fie ‚auspfeifen.

Bleiben wir nur bei unferem erjten Plane. Sie werden ihr Ihren, und ich ihr den Namen der Familie Hargithay entziehen. Wir wollen vereint handeln, die Hand darauf.

Frau Laͤvay drückte bie Hand ihres ärgſten Feindes und gab ihm das Verfprechen, ihn bei je- nem böjen Werfe behilflich zu fein, welches ihr Lieb- jte& zu vernichten drohte ; der Zorn, die Scham hatte fich ihrer ganzen Seele bemädhtigt.

Sie vermochte nicht länger in diefer Geſell— Schaft zu verweilen, und ſchickte fich zum Gehen aıt.

Die Blum hielt fie zurüd.

68 foll ja erft das Gefrorene kommen.

Dante, bin bis in meine Seele erfroren.

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Die Hausfrau machte Herrn Fertöh Vorwürfe.

68 war unrecht, das jett zu erwähnen. Sie haben ung unfere ganze Unterhaltung verborben. Wir fühlten ung jo wohl, bis Sie nicht famen, Sie böfer Menſch.

Laſſen Sie ihn... . unterbrach die alte Laͤ— vay die geſchwätzige Hausfrau, und legte ihre Hand auf vie Schultern Fertöy's. .. Er ift der einzige aufs richtige Menfch, mein einziger wahrer Freund, Alle andern haben mid) belogen, haben mir die Wahrheit verheimlicht, bis mir dev Koth über den Kopf wuchs ; das ift der einzige redliche Mann, welcher mich he— rauszog . .. . Sch danke Ihnen mein Herr, danke Ihnen. Ich habe Sie nie leiden mögen, habe Sie jtet8 gemieden ; von heute an achte ich Sie als mein einzigen guten Freund.

Damit ſchwang fie ihr großes Tuch um den Hals und jchickte fich an, zu gehen.

Die Blum wollte fie zurüdhalten, äußerte ihr Bedauere, daß e8 fo gefommen... . Ich möchte es nicht für die ganze Infel geben, wenn ich Sie für heute nicht gerufen hätte, ... welch ein Unglüd.

Im Gegentheil bin ich Ihnen ſehr verpflich— tet, daß Sie mich geladen, ich freue mich außeror— ventlich darüber ; nie werde ich Ihnen biefe Freund— lichfeit vergeffen, Gott jegne Sie dafür. Die Melo— nen waren prächtig, doch werde ich mir feinen Sa— men evbitten.

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Damit ging fie geraden Weges in die Stadt.

Es brühten alle bitteren Gedanken in ihrer Seele; fie bemerkte gar nicht, wenn fie Jemand auf der Gaſſe gegrüßt, Heine Buben, ihre Tauffinderchen: küßten ihr die Hände, aud) die ſah fie nicht, fie fchritt nur vorwärts, bis fie auf ben Dreifaltigfeitsplag fant. Dort ſchaute fie fid) um, wo denn jenes Amt fein ſoll, allwo fie einen Reiſepaß fich holen müffe..

Sie wollte nicht herumfragen, und von ſich felbft fand fie uicht dahin. Andere Zeiten, andere Menfchen find über die Stadt gefommen, mit denen fie nicht einmal Sprechen konnte.

Wie fie da herumfpähete, da fieht fie ihren alten Bekannten, ven Herren von Kolbay, das alte Haus, vom englifchen Garten her auf fie zukommen.

Sie eilte ihm entgegen.

Nun freue ih mich wirklich, daß ich meinen guten Herrn treffe. Sie fommen mir wie gewünſcht.

Wirklich? frug der alte Herr; ſehr erhei— tert über ven Gedanken, daß es noch ein lebendes Wefen auf ver Welt gibt, das fich darob freut, went. e8 ihn kommen fieht. Und womit könnte ich Ihnen dienlich fein, gute Frau ?

Das werde id) Ihnen ſchon jagen, wills aber nicht hier auf der Gaffe thun. Will Sie um.

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«eine Gefälligfeit bitten: kommen Sie zu mir ins Haus, bort werd ich’8 erzählen.

Mit taufend Freuden! Hätte mir’ nie ge: dacht, daß ich noch eine Gefälligfeit Jemandem zu erweifen fähig fei. Eilen wir denn, doch iſt mein Haus noch näher, wir könnten da von der Garten feite gleich Hingelangen : dort Fünnten Sie mir er— zählen, was Sie befehlen.

Auch gut.

Dean konnte vom englischen Garten aus näch— jten Weges in das Haus Kolbay's gelangen, deſſen Gartenfeite auf jener Gaſſe lag; ver alte Herr machte die Thüre des Planfens auf und ließ Frau Laͤvay voran.

Ein trauriger Garten war das: eben fo alte verwitterte Bäume, wie ihr Herr, gerade fo zerjchnit: ten, zerfägt; Feiner bringt mehr eine Frucht, nur an ihren Seiten wachjen noch krankhafte, welfe Waſſer— triebe ; auch das Gras will darin nicht mehr grünen, und die Blumen wollen nicht Knofpen treiben, nur ein mächtiger Epheu läuft herum mit feinen Ranken über "Mauer, und dürre Birnenbäumte, vielleicht ein Spröß ling aus dem Helvenfranze des tapferen Reden, ver fortwächft in die Jahre hinein, damweil das Andenken der Thaten des Helden in Staub zerfällt.

Dort war eine Laube aus Serichorofen, darin ein morſcher Tiſch, und eine wadelige Bank; dort hieß er Frau Lavay fich nieverzufeten.

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Ich weiß e8, daß Sie lieber im Garten bleiben. (Wollte fie nicht in die Zimmer führen ; bort gibts Unordnung !) |

Danfe: wünjche mich wirklich zu ſetzen, obwohl nicht müde; aber meine Füße find wie Blei.

Alfo womit fann ich Ihnen zu Dienften jteben ?

Das iſt eine ſchwere Sache. Will morgen nad Peit : wollte einen Reiſepaß haben ; mich eckelt's aber hinzugeben in das Amt, dag man mich dort bin und her ftoßen joll, und herumfragen: kann gar nichts deutſch; daß man mich auslache. Es könnte noch Jemand mit mit grob jein, und den würde ich recht ausmachen.

Alſo Sie wollen, daß ich Ihnen einen Paß verichaffe, ohne daß Sie perfönfich Hinfonmen ? Nichts leichter als das.

Wolfen Sie's thun, mein guter Herr? der liebe Gott fegne Sie dafür.

Warum ſollt' ich’ nicht thun; bin ja gut befannt mit all ven Herren ; fojtet nur ein Wort von mir. Alfo wollen Ste nach Peit ?

Ja. Nur auf einem Tag.

&o werden Sie doch befuchen Ihre Tiebe, Brave, gute Schwiegertochter ? |

Lieb ? Bravo ? Gut? Und Schwieger- tochter? fagte bitter die Frau, warum fagen Sie

Andere Zeiten, andere Menſchen. IU. Band. 9

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nicht auch noch: „jened tugendpfame. Weib ?'

No! Was ift das, frug der Major höchſt erſtaunt.

Ja wohl; ich will beſuchen dieſes Weibs— bild! aber meinen Beſuch wird ſie nicht unter ihre Feiertäge notiren.

Nur Ruhe! Nur nicht ins Feuer kommen.

Was Feuer? Gift habe ich bis hieher! Bis in die Haaresſpitzen. Ja wohl, zu ihr will ich, aber um Gericht zu halten, ein ſchreckliches Gericht.

Gute Frau, ich weiß nicht was Sie gegen Ihre Schwiegertochter haben ? daß e8 aber eine Unge— rechtigfeit ift, jowiel weiß ich. E8 giebt wenig Weiber auf der Welt, vor denen ich den Hut ziehe: bei ihr thue ich e8, wenn ich nur ihren Namen höre. Ich weiß wicht, wontit man fie bei Ihnen verläumdet Hat, aber ich jage e8 Ihnen, daß wenn ich es als greifbare Wahrheit in den Händen hätte, jo würde ich fageı, eine Lüge iſt's, ich glaube es nicht, jelbft wenn ich e8 ſehe. |

Mein Herr! Kleinigkeiten bringen mich nicht auf; ich gehe feinem Geklatſch nach; aber diejes ift eine jo unverhüllbare Schande, was dieſes Weibsbild anf mein granes Haupt, auf das Grab meines Bela gebracht, daß ich mich fürchtete mit meinem lieben

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Sohn. im Jenſeits zujammenzutreffen, wenn ich es nicht jtrafen jollte.

Ich frage nicht darnach, will e8 auch nicht hören, was man Ihnen erzählt haben mag; ich fehe blos das Bild vor mir, wie id) fie zum letztenmal gejehen. Das Weib,welches fähig war auf jenen Ge— danken zu kommen, und jelben jo auszuführen; das wird feine Schande auf das Grab ihres Mannes bringen. Man betrog Sie, arme Frau,

Nein. Es iſt Gewißheit.

Erinnern Sie ſich noch daran, gute Frau, wie ich einft von Ihnen ein Bündel Stroh verlangte zu einem Sit in dem Bauernwagen; da fagten Sie mir: „ich gebe feines; ein andersmal einen Sad voll Saffran, jett feinen Strohhalm, denn Sie wollen auf Menjchenjagb gehen. Ich warne Sie , gehen Sie nicht, denn Gott verleiht demjenigen fein” Glück, der feinen Mitmenjchen verfolgen geht. Es geſchah fo, wie Sie mir gejagt. Gott hat mich ges züchtigt dafür, daß ich auf die Verfolgung eines Menjchen ausging. Ich ſelbſt fiel in die Falle hinein, man ſchimpfte mich herunter, wie einen Schuljungen, _ wie einen Deferteur, und ich mußte erleben, daß ich erröthen fol. Nun gute Fran, jetst gebe ich Ihnen den Borg zurück: den guten Rath: gehen Sie nicht auf eine Menfchenjagd, denn e8 kann gejchehen, daß

Sie ein anderes Wild erlegen, als welches fie jagten ; 9*

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nehmen Sie den guten Rath eines alten Mannes an, ver feine Urfache mehr hat Jemanden guten Rath zu urtheilen. Reifen Sie nicht nach Peſt; bleiben Sie zu Haufe. Jetzt gebe ich Ihnen Fein Bündel Stroh ich verichaffe Ihnen feinen Reiſepaß.

But: alfo werde ich mir jelbjt einen ver- Ichaffen : damit fprang die Yavay auf und ging ohne zu grüßen von bannen. |

Kolbay rief ihr noch nach.

Frauchen! geben Sie Acht! Erinnern Sie fich meiner Menſchenjagd. „Wer das Reh jagt, trifft auf ven Löwen“ Sie werden Ihre Familie in großes Unglüd jtürzen.

Doc) die alte Frau hörte nicht auf ihn, fie ſchlug die Thüre hinter fich zu, und eilte nach Haufe.

Wie fie bei ihrer Thüre eintrat, da erwartete

ſie Schon ihr Dienftmädchen mit einem Briefe, ven jo eben ein Diener überbracht hatte.

Frau Lävay erbrach das Couvert. Es enthielt einen Reiſepaß für fie auf ein Jahr ausgeftellt.

Herr von Fertöy war gefälliger, wie der Ma: jor, während dieſer die alte Frau abgewiefen, derweil hatte er den Reiſepaß für Sie beforgt und ins Haus geſendet.

In einem Zimmerchen, deſſen Größe kaum fünf Schritte in der Länge und Breite betrug, deſſen Fenſter ſtets verhängt und wo der Stubenboden mit

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weichen Teppichen bedeckt war, um den Schall der Tritte zu dämpfen, deſſen ganze Einrichtung aus einem Bette und einem Schreibtifche und Stuhl be- ftand, wohnte feit vierzehn Monaten in ftiller Zu— rücgezogenheit Bela Lävay.

Es gibt Yeute, die dieſes Zimmer einen Ker- fer nennen würden. Es geht auf Eins heraus, ein: gejperrt zu fein hier oder dort, nur die Ausficht durch's Fenſter ſei verſchieden.

Dem wirklichen Gefangenen geht es noch bef- fer, denn er darf ſich zweimal des Tages in der freien Yuft bewegen.

Oder ift e8 etwa Fein Kerker, wenn Jemand aus jener Welt, in welcher er früher gelebt, ausge- ſchloßen wird; für Einen, der Freunde, anregende Unterhaltungen gekannt, ver von jeder Saifon weiß: „zetst gibt e8 Bälle, meine Freunde tanzen in den von Wohlgerüchen duftenden Räumen ihrer Säle Walzer und Polka; unter meinem enter aber wer: felt ein Yandftreicher, oder auch ein invalider Hon— ved ganz neumodiiche Werfen. Berühmte Virtuoſen, Künftler, Ballerinen tragen ihre Kunft auf ber Bühne zur Schau; Mimen afrikanischer und ande- rer Farbe deflamiren italienisch, franzöfiich und engliich ; und dieſer Eine darf nicht gehen, dieſem Einen it dies Alles wie aus feinem Leben heraus: gejtohlen. Der Frühling rüdt an, er ijt da mit

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all’ feinen Herrlichkeiten; dem Gefangenen verkün— det ihn nur der Monatsrettig; dann folgen die Bäl- le im Kaiferbade, das Wettrennen, er fieht nur die Programme von alledem. Die Leute geben auf Reis jen, in die Bäder, auf die Jagd und in die Wein leſe .. . er fitt ziviichen feinen vier Mauern und gewöhnt fi an's Sterben.

Doch nein, es iſt nicht fo.

Derjenige, welcher an ver Norbjeite ver Bäume das Moos wachen läßt. um dieſelben gegen ven rot zu jchügen, hat auch dafür gejorgt, daß Die Einwohner der Kerferzellen nicht dem Wahnfinne verfallen.

Bei ven Bewohnern diefer Zellen. jchläft Die Leidenſchaft ein, fterben die Wünſche, und die Fantaſie eritarrt. Spiele, mit welchen fich draußen Kinder unterhalten, füllen die Seele des Gefangenen aus. Der nächſtbeſte Gegenjtand erregt fein Intereffe, ihn jtören die Sorgen der Außenwelt nit, ſchließlich gewöhnt. er fich dermaßen an feine vier Wände, daß er. fich fürchtet, von ihnen zu ſcheiden; daß er ſich einbildet, diefe vier Wände jeien fir ihn die ganze Welt. |

Und erjt wenn diefe Welt einen Schußengel, wie e8 Judith für Bela war, befitt, wenn in dem

Kerker ein neues Licht, Das Lächeln eines Kindes dringt ? der Gefangene brütet aus dieſem Lächeln

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seinen ganz neuen Yebensplan, eine ganze Märchenwelt Heraus, Bela hatte nie an die Genüſſe ver verſchiede— nen Jahreszeiten gedacht; er war glüdlich in dem, was die Seelen der verjtorbenen beglückt, wenn fie nngejehen und ftumm ihre Lieben unfchweben fönnen. ....

Es wird vielleicht Niemanden Wuuder nehmen, daß Judith nie die Gefchichte des Geleitſcheines, für welchen te fich einjt jo viel bemüht und gelitten, für welchen jie ald Todte im Sarg gelegen, Bella erzählt.

Damals war e8 gut. Für Judith war es ein berubigendes Bewußtfein, für den Gatten eine Schrift errungen zu haben, welche ihn gegen vie größte Gefahr ſchützte; als aber ver Geliebte wieder ihr Eigenthum geworden, als fie ihn bejaß, als es in ihrer Macht jtand, ihm nicht mehr zu verlieren, wie konnte fie e8 gejtatten, daß er auf einen jo Schwachen Fahrzeuge fich dem wogenden Meere anvertraue, deſſen Ufer noch mit den Trümmern verunglüdter Fahrzeuge bevedt war? ...

| 68 iſt ja allbefannt, daß es Yeute gab, Die ihre Schätze vergruben, und nicht das Vertauen hatten, dieſelben gegen eine gejchriebene VBerficherung herzu— Leihen, 4.4.% Iſt ein Gatte nicht ein theuerer Schaf, als alles Gold der Erde? |

Viele von und werben fich jener Frau erin- nern, die ihren Gatten in ihrem Häuschen int Ge—

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biete Peit-Dfens verborgen hielt; wo ihn Niemand fand jo oft man ihn auch juchte, trotzdem daß er ſtets zu Haufe geweſen ... aber wo ?Unter einem breiten Stein, in der Mitte des Herdes..., Wenn die Hausdurchſuchung Fam, hob fie den Stein ſammt den tarauf brennenden Holzicheiten auf, und der Gatte flüchtete in fein Berfted ; der Stein wurde an jeine Stelle gefetst, die Frau fochte mit fröhlichen. Gejichte weiter, während man den Gatten im Keller und am Boden juchte.

Die Frauen können jehr jtark in ihrer liebe— vollen Eiferincht fein !

Es gab außerdem noch andere bedenkliche Um— jtände, welche jene Schrift nicht überwinden konnte, denn wenn auch Judith Beruhigung fand, daß das Leben ihres Gatten durch den Geleitichein geſchützt fet, jo blieb doch die Beſorgniß, daß man ihn zum Militär einreichen werde. Im günftigiten Falle mußte man darauf gefaßt jein, daß man ihn nach jeinen Geburtsort abjchiebe und dort internive.

In diefen Falle hätte fie entweder von ihrem Gatten oder von der Bühne Abjchied nehmen müffen.

Schließlich ſagen wir e8 aufrichtig heraus, daß fie fo viel verlodend Schönes in dem Gedanfen fand, daß nun Derjenige, ven fie jo lang, mit ſolcher Wärme und fo aufridhtig geliebt, nur ihr Allein und Niemand Anderem auf diefer Welt gehöre, daß Fein.

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einziger feiner Gedanfen fich in die frivole Welt verir- ren fönne ; daß jener Mann, der ihre ganze Seele aus— füllt, ebenfo auf ihre Schritte, auf ihre Stimme lauſcht, wie fie einjt in ihren jchlaflofen Nächten auf feine Stimme, auf feine Schritte gelaufcht hatte; daß der vergötterte Gatte nnr, ihr ganz ihr gehört, jo wie das Kind ausschließlich ver Mutter gehört, bevor es das Licht ver Welt erblickt! ...

Es liegt etwas in dieſem Gedanken, was die Männer nicht begreifen... . Judith war eben eine Frau, und wen ſich ein Mann findet, der fie deßhalb verurtheilt jo werden fie jedenfells alle Frauen frei Iprechen.

Kur Melchior, der junge Arzt, war ing Ges heimniß eingeweiht. Er wußte zu fchweigen.

An einem Morgen ſaß Judith an der Wiege ihres jchlafenden Kindes und ftriefte an einen winzigen Röckchen, als fie aus ihren ſüßen Träumereieu durch heftiges Klingeln gewect wurde.

Judith erhob ſich und erjuchte Bela, ſich an die Wiege des Kindes zu ſetzen, bis fie nachſehe wer da fomme,

Außerhalb des Eleinen Zimmers befand ſich noch ein Schlaffabinet, deſſen Thüre ſtets abgejperrt war, um jedes Lauſchen zu verhindern.

So oft ich klingeln höre, erſchrecke ich im— mer... ſprach Judith ... ich erwarte deine Mutter.

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(68 war gut, doß wir fie durch Melchior benachrichtigen Liegen.

Ich bevauere 8, daß ich fie jo lange leiden und nur dich trauern ließ. Dafür werde ich noch zu bien haben, denn man muß für Alles büßen.

Es geſchah aber, daß unfer Freund Meelchior an demjelben Tage nach Komorn reiſte, um Fran Laͤvay fiber das Familiengeheimniß aufzuklären, an welchem dieje nach Belt fuhr, um von Judith Rechen: Ichaft zu verlangen. Die beiden Dampfer begegneten fich bei Gran; Melchior erblidte die alte Dame am Bord des pejter Schiffes, als fie ſich eben ganz ver: traulich mit Fertöy unterhielt. Melchior errietb all: ſogleich was Fertöy vor habe. Er jtieg bei Almäs ‚aus, nahm einen Wagen und eilte nach Peſt Zurücd, wo er aber ert in der Früh anlangte.

Wenn ihn damals nicht jene geführliche fire Idee angewandelt hätte, daß es fich für einen haupt: ſtädtiſchen Arzt nicht gezieme, in jtaubigen Kleidern Viſiten abzuftatten, hätte er die alte Frau noch in ihrem Quartier antreffen können; bis er ſich jedoch umfleivete, Fam ihm Sertöy zuvor ımd nahm Frau Laͤvay mit zu Judith.

Als Judith auf das Klingeln die Thüre ihres Schlafgemaches öffnete, und von ihren Dienftboten vernabm, daß draußen eine Frau ei, die fich Laͤvay nenne und welche in Begleitung eites Herrn fomme, zttterte fie vor dem Zufammentreffen nicht, da fie vie

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Ueberzeugung hegte, daß der begleitende Herr fein Anderer ald Melchior fein Fönnte! Wie er die Rück— reife mit Fran Lavan jo jehnell machen Tonnte, war ihr unbegreiflich.

Laſſe jie herein.

ALS fich die Thüre öffnete, überzog Todten- bläfie das Geficht Judiths, fie erblidte an der Seite ihrer Schwiegermutter Fertöy.

Bor diefem Manne Fonnte fie ihrer Schwieger- mutter nichts entdeden, fie mußte fich eben auf das Schlimmſte gefaßt machen, das war die Strafe, bie Strafe Gotteg dafür, daß fie der Mutter die Freu: denbotſchaft vorenthaften ; diefen bittern Kelch mußte fie bis zur Neige leeren.

Judith ergab fich. Kaum vermochte fie fich auf den Füßen zu erhalten, fie zitterte an allen Gliederu.

Die Alte Fran bedauerte fie jehr, als die Ar- me fo vor ihr ftand, und begann ihr Muth zuzu— ſprechen.

Zittern Sie nicht vor mir, Madame, ich bin ja in keiner böſen Abſicht gekommen. Ich weiß es, daß man Frauen „im ſolchen Zuſtande“ nicht aufre— gen darf. Setzen ſie ſich, ich bitte Sie darum, ich bin ja nicht gekommen um Unheil zu ſtiften.

Judith war keines Wortes mächtig, ſie ſtand geſenkten Hauptes vor ihrer Schwiegermutter, Sie zitterte vor dem Gedanken, daß Bela im benachbar— ten Zimmer die Stimme ſeiner Mutter vernehmen

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und heraus kommen könnte. Sie bemeifterte fick jedoch und frug mit jo lauter Stimme, als fie e& eben vermochte, ven Zauber brechend, welcher fie ſtumm gemacht.

Weshalben haben Sie Herrn Fertöy mit- gebracht ? Das muß Bela gehört haben, daß nicht nur feine Mutter, fondern auch Fertöy hier fei.

Die alte Frau winfte Fertöh, zu jchweigen ; jie ſprach für ihn.

Mein Better Fertöy (das Wort Vetter be- tonte fie insbeſonders) habe ich deßhalb mitgebracht, weil meine Hieherfunft auch eine gewiße juribifche Urfache hat: e8 wird nothwendig fein, Einiges Schriftlich zu verfaffen, wozu man einen Mann braucht, ver es verſteht. Erſchrecken Sie nicht über das, was ich Ihnen fage, ich beabfichtige Feine Ro— heit zu begehen, obwohl ich vom Haufe aus mit dem Vorſatze wegging, daß ich hier fürchterliche Dinge verrichten werde; doch überlegte ich mir's auf dem Wege und befann mich eines Bejferen ; ich habe Fein Recht auf Sie, ich fordere auch nichts von Ihnen zurüd, als meinen ehrlichen Namen.

Ich werde ihn ablegen Madame.

Gie werden e8 ja jelbjt einjehen, daß ſie ihn nicht mehr weiter führen können.

Ich ſehe es ein und werde mich von dem Namen trennen.

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Und welchen werden Sie denn annehmen ? ven Sie dürfen nicht vergejfen, daß Sie Schaufpie- ferin find, deren Namen man lieft. Glauben Sie nicht, daß es ein noch größeres Aergernif geben würde, wenn Sie plöglih, Ihren Frauennanten niederlegend, mit einen Mäpchenfopf vor der Welt ericheinen möchten ?

Ich will die Bühne verlaffen, ſtammelte Judith entjchlofjen.

Und wovon werden Sie dann leben ?

Ich werde arbeiten.

Das ift leicht gejagt: „Ich werde arbei- ten” wenn man e8 aber nicht gewohnt ift. Ich mühe mich den ganzen Tag gleich einer TZaglöhnerin ab; wenn ich aber von meiner Hände Arbeit Leben müßte, könnte ich mir nicht das Salz zum Brode verdienen. Dod) ift e8 an der Zeit, daß ich Ihnen Tage weshalb ich gefommen. Es war jedenfalls mein Wille, Sie aufzufordern, dem Namen meines Soh— nes zu entjagen und dann die Bühne zu verlaffen. Ich war darauf vorbereitet, daß mir dies viel Ueber— redung fojten würde. Es ift mir aber fehr lieb, daß fie fich auf mein erſtes Wort fügten und einjehen, daß Sie den Namen meined Sohnes nicht weiter führen dürfen, nicht wahr ?

Judith vermochte es nicht, der alten Frau im vie Augen zu ſehen. War doch die Anklage furchtbar ungerecht; war boch das, was man ihr als Sünde

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anrechnete, ihre größte Tugend; und doch ift es einer ſchamhaften Frau unmöglich, ihren Blick zu erheben, wenn fie ausgezanft wird. Das wäre wies dernatürliche Komödie, das wäre falte Unverſchämt— heit. Indith fenfte ihren Blick ud ftammelte:

68 ijt wahr.

Sie werben deshalb auch gezwungen ſein, die Bühne zu verlaffen ; ich glaubte Sie auch hiezu bewegen zu können, doch glaubte ich nicht, daß es fo leicht gehen würde; die Bühne gibt Ihnen ein ehrli- ches Brod, und dieſe zu verlaffen, einem närrifchen alten Weibe zu Liebe, welches wegen des Namens ihres Sohnes Lärm fchlägt, ift eben fein Scherz. Ih will nicht, daß Sie Noth leiden follen. Meinem Sohne gebührt nach feinem Vater eine Erbichaft von ſechstauſend Gulden. Diefe Summe habe ich ihm, fo lange er lebte, nicht übergeben ; er war ein Mann, auch er hat müffen für feine Eriftenz kämpfen, wie jein Vater und Großvater. Unterdeſſen legte ich Zins an Zins und vermehrte das Kapital bis auf Zehntaujfend Gulden; dieſe übergebe ich Ihnen jet, es ift Die Morgengabe Ihres geftorbenen, vergeffe- nen Gatten; lebe Sie davon arın, aber ehrlich.

Nach diefem Worten zog die alte Dame eine Obligation aus ihrer geftidten Handtafhe; das Pa— ‚pier lautete auf Zehntaufend Gulden und war auf einen Erundbeſitz am erjter Stelle intabulirt.

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Judith's Herz preßte fich vor Schmerz zufams men, und Thränen füllten ihre Augen. Die Mutter Bela’s entzieht ftch den Biffen vom Munde, um ihn der veritoßenen Gattin ihres todten Sohnes zn rei— chen .. . . als Strafe. Judith wußte es recht gut, daß dies beinahe das ganze Vermögen der alten Lä—

vay an&gemacht hatte. | | Ä Madame... fchluchzte Judith, ich ver— mag Ihnen nicht zu antworten.

Das verlange ich auch nicht, fagte Frau Laͤvay kalt. Ich glaube e8 Ihnen, daß Sie gerührt find. Sie glaubten, ich werde kommen, zu zanfen, um . Ihnen Grobheiten zu jagen; nun haben Sie ſich in mir getäuscht. Deshalben habe ich Herrn Fertöy mit- gebracht, daß er die Sache zwifchen uns ind richtige Seleife bringe; ev wird uns die Weifung darüber ertheilen, was wir Beide zu thun haben, um mit- einander zufrieden zu ſein.

Judith fühlte, als müſſe ihr das Herz berſten.

Nein, ich kann dieſes Geſchenk nicht an— nehmen. |

Weßhalb niht?.... Sch bleibe darum reich genug, ich kann das Geld ohnedies nicht bes nügen und wüßte nichts damit anzufangen.

In dieſem Momente fiel ein Blick Judith's auf das Geſicht Fertöy's. Ein ſpöttiſcher Blick aus die— ſen wiederlichen Augen erweckte in ihr den Dämon des weiblichen Widerſtandes. Vor dieſem Menſcheu

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durfte fie fich nicht vemiüthigen laſſen. Sie ergriff die Schrift und gab fie der Laͤvay zurück.

Ib danke Ihnen, edle Frau, für ihre freundliche Güte ; ich anerfenne e8, daß ich gejündigt,

und werde fir meine Sünde büßen ; ich kann trode- nes Brod ejjen, werde aber nie nach dem greifen, was nicht mir gehört.

Sie find noch immer ftoß. Es wird gut jein, wenn Sie ſich das abgewöhnen...... Was wollen Sie demnach? Was Sie da von Arbeiten ſchwatzen, iſt eitler Spaß ; paßt nicht für vernünftige Menſchen ... Frauenarbeit! Was wiegt das in der Schale? Sie weifen, und zwar mit Stolz mein be- fheivenes Anerbieten zurück. Haben Sie vielleicht ‚andere Ausfichten ?

Ich verstehe Sie nicht Madame.

Nicht ? Sonderbar. . . Wollen Sie nicht die Gefälligfeit haben und mir den Namen des Vaters Ihres Kindes nennen ?

Weßhalb wünfchen Sie das ?

O, wahrlich nicht aus purer Neugierde. Ich will es Ihnen aufrichtig gejtehen, weßhald. Wenn ich erfahre wer dieſer Menſch ift, werde ich zu ihm gehen und allfo zu ihm fprechen: Mein Herr! Sie haben eine Frau unglücklich gemacht, die einft meine Tochter geweſen; Sie haben nun die Frau ihres Namens beraubt, gedenken Sie Ihrer Pflicht, und wollen Sie ala Chrenmann gelten, geben Sie dieſem

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anglüdlihen Gejchöpfe einen Namen... .. Nut Madame wie heißt diefer Dann ?

Die Welt begann fih um Judith zu drehen, fie juchte nach einer Stütze mit ver Hand, Anf dieje Frage war e8 unmöglich, zu antworten.

Ich darf ihn nicht nennen,

Ich bitte... . jagte die alte Frau ermun— ternd; mißverfteben Sie mich nicht. Ich will ja feinen Lärm jchlagen; will ihm feine Vorwürfe machen. Sit er arm, um jo bejjer, und wenn es mr ein wandernder Komödiant oder ein bungernper Dichterling iſt, ich werde weder ihn, noch Ihnen Vor— wiürfe machen, jondern werde einfach zu ihn jpre- chen : ich nehme Sie in die Erbichaft meines Soh- nes auf; vermochten Sie feine Wittive zu gewinnen, jo follen Sie dazu auch jein Vermögen befomnten.

Judith fiel vor ihrer Schwiegermutter auf die Knie und bededte ifr Geficht mit beiden Händen.

Tödten Sie mih nicht... o tödten Sie mich nicht; ich kann, ich darf Ihnen ja nicht ant- worten. |

Stehen Sie auf, rief die alte Fran im trodenen Zone... .ich bin nicht gefommen, um Komödie zu fpielen; ſondern um den Namen des Berführes zu erfahren ;jeßt fordere ich die Antwort von Ihnen.

Nah diefem Worten riß fie Judith mit“ rauher Geberde vom Boden empor.

Andere Zeite, andere Menſchen. II. Band. 10

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Diefe pregte die Yippen zuſammen und jchwieg.

Werden Sie mir den Namen neunen ?

Judith vermeinte ſtumm mit dem Sopfe.

Ah! Sie wollen ihm nicht nennen. Ich verftche es. Sie wollen ihn nicht nennen, weil er fein Bettler, fein elender Komödiaut, fein hungern- der Poet, jondern ein reicher Herr... . . ein Schuft it... Sie wollen das geheim halten, und der Frauenehre, Ihrem Nahmen, der Bühne entjageı, um die verborgene Maitreſſe eines Nichtswürdigen zu werden. Mit dev Zunge jprechen Sie: ich will arbeiten, und im Herzen denken Sie: die Schande wird mich ſchon erhalten! ...

Halten Sie ein.. . rief Judith verzivei- flungsvoll.

In der Stille, welche dieſem Aufſchrei der Verzweiflung folgte, wurden Schritte im anſtoßenden Zimmer vernehmbar.

Iundith hörte mit Entſetzen, wie ſich Bela ver Thüre näherte . . . ein Moment noch, und er wird zwiſchen ſie treten.

In dieſem Momente der Verzweiflung ver— gaß Judith Alles; nur die ihrem Gatten drohende Gefahr ſchwebte ihr noch vor. Daß bis in den Tod gehetzte Weib warf ſich vor die Thüre, um deren Oeffnen mit ihrem Körper zu verhindern.

Auch die die alte Frau vernahm bie männlichen Tritte und ließ fich auf dieſes Geräufch von ihrer Leidenſchaft hinreißen.

Wer iſt in dieſem Zimmer? dort muß der elende Verführer verborgen ſein.

Damit raunte fie dev Thüre zu.

Was wollen Sie, vief Judith entfett, den Arm der alten Frau erfaßend.

Was ih will... . Hieneinbrechen um Aug’ im Auge dem Berführer gegenüber zu ftehen. . .

Des werde ich nie zulaffen ! vief Judith, ihr den Weg verfperend.

-- Trolle did aus dem Wege, elendes Schandweib! ſchrie die Alte ihre geballte Kauft er- hebend oder ich reife dir die Tracht ehrlicher Weiber vom Kopfe, und werfe fie dir zu ben Füßen.

In dieſem Momente öffnete ſich die Thüre. An der Schwelle ſtand Bela Lävay .... das Wild war glücklich aufgeſcheucht! . . .

Mutter, fügte Bela in wehmüthigem Zone ; jest weit du c8, was bu wiffen wolltejt, aber deinen Sohn haft du verloren.

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10*

Der Iäger in der Falle,

Als die ehrjame Dame ihren todtgeglaub- ten Sohn durch jene Thüre eintreten ſah, binter . welchen fie ven vermeintlichen Schänver ihrer Fami— lie zu finden glabte, fuhr fie erjchroden zujammen ; anftatt fich an die Brut ihres Sohnes zu werfen, anftatt ihm unter tauſend Küffen Vorwürfe darüber zu machen, weßhalb er jie jo lange in trojtlojer Un: gewißheit gelafjen, wendete fie ſich plößlih um und ergriff mit frampfhafter Stärke des jähen Schreckens die Hand Fertöy's, welcher binter ihr gejtan- ven ivar.

Better, mein lieber Vetter! Hören Sie und jehen Sie nichts. Ich flehe Sie bei ver Barm— herzigfeit Gottes an, verrathen Sie nicht, was Sie bier gejehen ! Nicht wahr Sie glauben an Gott ? Nidr wahr Sie find ein ehrlicher Dienjch ? Geben Sie ihr Ehrenwort, daß Sie alles geheim halten werden ? Sie geben mir es? ... |

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Fertöy betrachtete Judith mit ſchadenfrohem Lächeln, die arme Frau ftand noch immer vor ber Thüre um ihren Gatten am Heraustreten zu ver: hindert.

Die alte Frau Lävay weinte, jchluchzte und drückte Frampfhaft die Hände Fertöy's.

Cie waren ja, mein Herr, Schuld daran, daß ich hieher gekommen; . . . warum that ich es? Welcher Dämon brachte mic) hieher ? Dean hatte es mir noch zu Haufe profezeit, daß mich hiefür Gott Strafen wird, mit meiner eigenen Hand. . . .. Wef- halb fagten Sie mir, dag meine Schwiegertochter ein ehriofes Weib iſt? Weßhalb verichaften Sie mir einen Paß?... War Das nicht eine Falle?

So laffen Sie mich do, Madame! rief Fertöy ungeduldig.

D, id) laſſe Sie nicht, bis ich Ihr Schwei— gen erkaufe; denn ich ſehe es jetst, daß fie ein böfer Mensch find. Böſe Menfchen brauchen Geld. Hier ichenfe ich Ihnen was ich meiner Judith geben wollte ! nur zeigen Eie meinen Sohn nicht an. Sehen Sie her, wie ih im Staube vor Ihnen liege und Sie anflehe, meinen Sohn zu fchonen und mich nicht der tödtlichen Verzweiflung preis zu geben.

Das bejammernswerthe Weib fiel wirtlich zu den Füßen Fertöy's und umfaßte fchluchzend diejel- ben, während ver Ehrenmaun mit triumphivenden Lächeln auf Judith hinüber blickte.

== 150) ==

Judith fühlte durch das herausfordernde Lä— cheln gereizt, alle Spannfraft ihrer Seele zurück— fehren.

Bela! jprach fie mit feſter Stimme, gebe bin, hebe deine Mutter von ven Füßen diejes Mannes empor, umd küſſe ſie . . . Sie hat deine Ehre ver- theidigt, uud that vecht daran... ..

Daun wandte fie fih an Fertöy:

Und Sie jehr geehrter Herr, nachdem Sie ſich jo eifrig unjerer Familienangelegenbeiten an- nahmen, jollen erfahren, daß Bela wor jeder perſön— lichen Gefahr jehr gut geſchützt iſt; ev ift einer der Komorner Kapitulanten, bier iſt fein Geleitjchein, welchen er damals erhielt. Wollen Sie ſich daher jeder Sorge für meinen Gatten entichlagen.

Als Judith den Geleitſchein vorzeigte, hatten jich die Blicke der Drei mit verjcbiedenen Ausprüden auf jie gerichtet.

Das bleiche Geſicht Fertöy's Jebien vor Wuth zu erſtarren. Auf welche Weife mochte dieſes Weib in den Beſitz eines Geleitſcheines gelangt fein ?

Das Auge Bela’ heftete an jener ſchmalen Narbe, welche Judith auf der Stivne trug und nach deren Urſache er bisher vergebens geforjcht, dieſe Narbe jchien ihm in einem Momente eine lauge Ge- Ichichte zu erzählen. Es war die ein Monat, wo wir auf einen Angenblid einſchlummern, die Ereigniffe eines ganzen Tages hindurch träumen.

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Die alte Laͤvay aber rutjchte auf ihren Knien zu Judith, und ſuchte mit ihren thränen befeuchteten Augen auf dem Papiere nach dem Namen ihres Sohnes; als fie diefen entzifferte, ergriff fie die Hand Judith’, fie, die alte Frau, die Mutter, vie Hand ihrer Tochter und bevedte fie mit beiten Küffen.

Judith verſuchte e8, ihre Hand zurückzuziehen; Die Alte hatte aber eine eiferne Kraft in ihren täglich arbeitenden Händen,

Das hat mir ein alter Dann profezeit, ſtammelte Frau Lävay, daß ich einft vor meiner Schiwiegertochter Fnien und ihr die Händen Füffen werde. Die Profezeiung iſt in Erfüllung gegangen, und es iſt jehr gut, daß es jo geicheheit.

Judith hob ſanft ihre Schwiegermutter empor.

Kommen Sie mit mir, Mutter, in das Ne— benzimmer. Das Uebrige wird Bela ſchon mit dieſem Herrn abmachen.

Die alte Frau ſah Bela an, als wollte fie fragen: ob er ihrer Hilfe nicht bedürfe? . . . . Sie wäre ja im Starde geweien, dieſen Menſchen zu zerfleifchen, gleich einer wiithenden Löwin.

Die rubige, erhabene Haltung ihres Sohnes

flögste ihr die Zuverficht ein, daR diefer Mann feiner Unterſtützung bepürfe,

12

Kommen Sie, Mutter, folgen Sie mir in andere Zimmer, mahnte Judith ſanft da drinnen iſt ja der Andere.

Der Andere!

Das Wort riß die Alte mit ſich fort. Groß— mütter pflegen ja ihre kleinen Enkeln jo außerordent⸗ lich lieb zu

Im nächften Augenblide Eniete fie bereitd vor der Wiege jenes ſtummen, Heinen Gejchöpfes, wel- ched noch den Engeln am Nächjten und am entfern= teften vom Menſchen jteht; bei der Wiege jenes un— ſchuldigen Geichöpfes, welches fie gejtern noch au die Wand zu ſchleidern drohte, und welches jie legt mit ihren Küffen, mit ihren Liebkoſungen überhäuft.... .

Draußen wechjelten ernſte Männer ſchwere Worte mit einander; hier lachten glücklichen Frauen vor Freude und überirdiſcher Liebe. Der kleine, ſtumme Mann in der Wiege ſah ernſt in die Welt hinein, als würde er über die Dinge, die um ihn geſchehen, Gericht halten müſſen. . ...

Fertöy blieb mit Béla allein. Bela dankte num feinem guten Geifte, daß er vor Judith bisher verichwiegen, was in der Orangerie des Fürften Wolozoff zwiichen ihn und Fertöy vorgegangen ; hätte Judith Kenntniß davon gehabt, fie hätte ihn nicht allein mit dem ungebetenen Gaſt gelafjen.

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Mein Herr begann Bela, jo nahe an feinem Feind herantretend, daR ev ganz leife mit ihn fprechen konnte es jcheint, daß Sie fich mit aller Gewalt mir gegenüber jtellen wollten ; num bier haben Sie mich.

Fertöy, welcher ach der erjten Ueberraſchuug alle ſeine Pläne, die er ſo fein gefchmiedet zu haben glaubte, verwarf, beeilte ſich, ſeine Selbſtherrſchung wieder zu erlangen, und erwiederte mit voller Höf— lichkeit:

In der That wünſchte ich ſehr mit Ihnen zuſammen zu treffen.

Was ih auch ganz natürlich finde. Es gibt Beleidigungen, für welche ich Denjenigen, ver fie mir zufügt, ſelbſt in der Stille eines Klosters. aufjuchen, ihn von der Wiege jeines Kindes, aus dev Umarmung feiner Öattin, vom Altare, wo er betet,. reißen würde, um mich mit ihm auf Leben und Todt zu ſchlagen; werde ich verwundet, jo juchte ich ihn nach meiner Öenejung abermals auf und fchlag mich jo lange, bis nicht Einer von und auf dem Wahlplate bleibt.

Ich erfinne mich nicht, Ihnen eine folche Beleidigung zugefügt zu haben, beeilte fich Fertöy mit füßlider Bitterkeit einzufallen.

Gie mir nicht, wohl aber ich Ihnen. Uno dieſe Beleidigung rechtfertigt in meinen Augen Ihr Beitreben, den Beleidiger um jeden Preis, ſelbſt um

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‚den des guten Nufes feiner Gattin, zur Genugthu— ung zu zwingen.

Sie ſprechen in Räthſeln, lieber Vetter; Sie jollten mich beleidigt haben ?

Bela veritunmte vor Staunen. Auf folche Vergeſſlichkeit hatte er unter ver Sonne nicht gerech- net. Er fchlägt einen Menſchen, welcher feine Gattin läjtert, in ver Aufwallung ver Yeivenjchaft ins Ge— ficht und dieſer Menſch will von der Beleidigung nichts wiſſen. Er wäre beinahe verſucht gewejen, die Identität diefer Perſon zu bezweifeln. Er verjuchte e8, dem Gedächtniße feines Gegners zur Hilfe zu fommen.

Erinnern Sie ſich nicht jener Szene in der Drangerie des Fürften Wolozoff, als er Ihnen feine Blumen zeigte? ...

68 ſchwebt mir jo etwas vor. Doch geſchah jeither jehr viel, was mir manches aus dem Ge— dächtniß jchlug.

Betrachten fie mich gut. Erinnern Sie fich nicht mehr jenes Gärtners.

Wohl erinnere ich mich. Es war ein ge- Ternter und gejcheidter deutscher Burſche. An feine Züge habe ich mich jedoch wenig gekümmert.

Und Sie kamen doch mit ibm einft in fehr nahe Berührung.

Ich? .... daran erinnere ich mich nicht.

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Beim Aquarium, in welchem ver Lotus blühte.

Ach ja wohl. Der arme Teufel rappelte manchmal; in einen Anfalle ſtieß er mich einſt zwi— ſchen die Blumen und lief davon; ſpäter hatte man ihn eingebracht, der Herzog gab ihn in einer Heil— anſtalt, wo er jo viel ich weiß, feinen Uebel erlag.

Das wiſſen Sie jeblecht; diefer Gärtner bin ich.

Können Sie das auch beweijen ?

Bela mußte jtark an fich halten, um wicht zu vergeſſen, daß er in jeiner Wohnung ſei. So viel Dreiftigkeit machte ihn ganz verwirrt.

Ich, der Beleidiger, joll es beweijen, daß ich Sie beleidigt babe ?

Natürlich. Da wever ich, noch die Welt Etwas davon weiß. Ihre Behauptung könnte nur ein einziger Zeuge, der den Zuſammenhang veriteht, erhärten ; doch dieſer Zeuge wird jchweigen, denn es ijt mein Weib.

Ab! Sie wifjen alfo dennoch, wovon die - Rede iſt? jagte Bla mit bligenden Augen.

Laſſen wir das, licher Better, Eie jind noch ein innger Mann und nehmen die Dinge nach Ihrer Anſchauung. Sie wollen mir begreiflich ma— "hen, daß Sie mich beleidigt hätten, und nun zu ei— ner Genugthuung bereit ſind; daß wir uns auf fünf Schritte ſchießen können; ich möge meine Se—

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fundanten fenven ; diefe mögen Ort und Zeit beftim- men; doch hat das für mich gar feinen reelen Grund. Ein Schlag, welchen ein Bauer, ein untergeorbneter Diener, einem Kavalier verjekt, kann feine Beleidi— gung, wohl aber eine fträfliche That bilden ; deßhalb pflegt die feine Welt feine Genugthuung zu verlan— gen.s Daß aber Sie jener Bauer, jener halbver- rückte Diener waren, weiß auf der Welt nur ein ein- ziges Weib, welches aber jo zu fchweigen, als Mär— chen zu erzählen weiß. Diefes Weib hat zwei Urfa- chen zu jchweigen ; die erite Urfache bin ich die zweite Sie.

Ich.

Ja Cie. Ich könnte Ihnen mehr noch über diefen Gegenftand erzählen, als Sie vermuthen. Glauben Sie mir, das Yaub des Rhododendrons ift nicht fo dicht, daß man nicht durchblicken könnte! Ob fi wohl der Gärtnerburfche jenes Schufes erinnert, welcher ein jchönes Weib aus feiner Umar— mung aufgejcheucht hatte.

Mein Herr! ...

Worauf daun die ſchöne Frau dem eintre— tenden Gatten folgendes ſagte: Ich bin ſo erſchrocken, daß wenn Jemand außer dem Gärtner noch hier ge— weſen wäre, ich demſelben in die Arme geſun— fen wäre.

Aber mein Herr,

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Bitte. Sprechen wir nicht fo laut. Beden⸗ ten Sie, daß ihre Frau im anftoßenden Zimmer tft, und das die Erregung den Damen in jolchen phſiſchen Zuftänden jehr ſchaden Fanır.

Das Wild, welches bereitd die Oberhand batte, begann zu fühlen, daß der Jäger abermals eine neue Waffe 309.

Sie wollen ihre Gattin mit mir verbäch- tigen ? fragte Bela in gedämpften Tone.

Nicht wahr? Es iſt beffer, wenn wir leife ſprechen.

Ich weiß es nicht, wohin ſie zielen.

Na, dieſes Wort haben Sie von mir ge— lernt, jegt iſt es an Ihnen zu jagen: „ich verftehe nicht, von was die Rede iſt?“ OD ich wei e8 recht gut, welch Verhältniß zwifchen Ihnen und mei- ner Öattin herrſchte, bevor ich jo glücklich gewefen, ihr meinen Namen zu geben. Es war mir auch kein Geheimniß, was diejes Weib fo oft und mit folcher Gewalt nach dem Yandhaufe des Fürften Wolozoff zog, das Weib pflegte fich gerne von der Gefellichaft

zu trennen, und fühlte fih im Garten am behag- lichſten.

Bela vermochte hierauf nichts zu erwiedern. Dieje Frau hatte in Ihrem Intereffe leb— haften Briefwechjel mit ihren Freundinen unterhal-

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ten, fie wollte Sie ins Ausland entwilchen laffen, zur felben Zeit bereitete fie fich zur Reife inu's Bad vor natürlich auch ins Ausland. Alles dieſes war mir vecht gut bekannt.

Bela begann zu begreifen, daß in diefem Mär— ben der ganze Schein für feinen Gegner ſprach.

Yieber Vetter, was ich damals that, war nichts Anderes als die Bertheidigung eines in jeiner Ehre beprohten Gatten. Ein jeder vetheidigt fich, wie er ed eben kann. Schen Sie, ich weiß es recht- gut, dan es Fülle gibt, wo man derart vor die Au— gen der Welt gedrängt wird, daß nur eine Rettung nöglich: dev Rückſprung über dag Grab, oder in das Grab und die ift das Duell. Ic) glaube faumt, daß fich auch nur Einer gern jchlägt. Solche dumme Yeute gibt es aber noch weniger, die fic) wegen eines Geheimnißes jchlagen, um die verborgene Schande au's Tageslicht zu ſtellen. . . Was habe ich num gegen Sie thun Fünnen?.... Ich mußte Sie eiferfüchtig auf Ihre eigene Frau machen. Durch die Bemerkungen, die ich in dev Orangerie fallen ließ, gelang mir dieß vollfommen. Den Stoß, der mich ind Aquarium fchleuderte, betrachte ich al® den Er: folg, . . . denn Sie famen jchnurjtrads nah Haufe zu Ihrer Frau. Mehr wollte ich nicht, und fo viel zu verlangen, hatte ich da8 Necht wegen meiner ei— genen Frau.

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Billa ſchlug die Hände zuſammen. Vielleicht hatte er der geſchickt imprevifirten Komödie guge— Haticht.

Am demjelben Tage, ald Sie nach Haufe kamen, erfuhr ich e& bereits, daß Sie ihre Gattin verborgen. Ich verrieth das Geheimniß Niemanden, ic ließ Sie ruhig Ihr Verſteckens weiter jpielen, wozu Sie übrigens gar feine Urfache hatten. Denn weßhalben verbargen Sie fih? Stand Ihr Nante auf der Liſte Derjenigen, welche vor das Kriegsge- richt bejchieden wurden? Nein!... Sie Hütten. wann immer vor die Welt treten Fönnen, wie hun— dert Andere. die mehr gravirt find als Sie, frei herum gehen, trotzdem, daß ſie heute noch hundert— mal demunzirt werden, die Behörden jcheren fich nicht mehr darum. Ich wußte es recht gut, daß Sie fih ohne Urſache verbergen, aber ich muß es auf- richtig geftehen, e8 war mir dieß eine angenehme Genugthuung, dag Sie fich felbit fir Monate Haus: arreſt gaben und fich nicht von der Seite Ihrer Frau rührten. Das war für mich, den Gatten, jehr be- ruhigend.

Deshalb nannten Sie meine Gattin vor meiner Mutter eine „Ehrloſe?“

Ich habe gar nichts gefagt, weßhalb Sie mich zum Duell fordern könnten. Ich Habe Ihrer jehrge- ehrten Mutter, nichts Anderes gejagt, als das Judith einen Sohn geboren babe. Konnte ich c& ven wiſſen,

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daß Sie, ein jo zarter Sohn, Ihre Mutter Jabre lang mit dem Gedanken an ihren Zod peinigen konn— ten; daß Judith vor ver Welt die Rolle einer Wittwe jpielte, das hatte noch einen Sium, daß Sie aber vor Ihrer eigenen Mutter die Wirklichkeit verheim— lichten, daß Sie fie in wirklicher Trauer herumgehen ließen, daran konnte ich nicht glauben.

Diejer Vorwurf ſchmerzte Bela umſomehr,

Als es eine ſtrafende Wahrheit von den Lippen eines Lügners gewejen.

Mein Herr lajfen Sie mein Privatleben unbehelligt. Was Sie mir da erzählten, find grund: (oje Yappalien. Sie find nicht deßhalb hieher gefom- men, Sie hatten eine andere Urſache mich ans Ta- geslicht zu ziehen; jagen Sie mir dieje Urjache ?

Sie haben recht, theurer Better ; ic) habe Sie fehnfüchtig gefucht, ich wollte Sie um jeden Preis auffinden. Sch war es, welcher dieje ein wenig unangenehme Szene hervorrief, um Sie aus dem Verſtecke zu loden, denn ich habe ein jehr wichtiges Wort mit Ihnen zu Sprechen, welches zn erwägen fo wohl in Ihrem als in meinem Intereſſe liegt.

Ich höre Sie. | nn

Nun, wir haben einen Prozeß vor dem

Gerichte.

Bisher war es nur Ihr Prozeß; wir

haben uns nicht viel um die Sache gefümmert. Sie

konnten darin thun, was Sie wollten. Da wir ‚aber num ein Söhnlein haben, iſt der Prozeß feinet- wegen aud unſer. ... Bon nun an werde ich ven "Prozeß führen, weil e8 Jemanden gibt, für wen. ...

Ich kam um Ihnen einen Ausgleich an— ‚zubieten.

Mir ? Einen Ausgleich ? fagte Bela bitter. Sollten Ihre Chancen jo fchlecht ftehen ?

Durdhaus nidt.

Demnach wollen Sie den Ausgleich aus rein verwandjchaftlicher Liebe?

Nein. Trogdem die Ironie nicht ganz am Platze wäre, das Ganze ijt eine trodene Gejchäfts- fache, den Prozeß werde ganz gewiß ich gewinnen.

Werden Sie bis zum Schlußtermin das Original des Teftantentes vorweijen können ?

Ich werde es vorweifen.

Wenn Sie dies fönnten, würden Sie mir feinen Ausgleich anbieten.

Und dennoch werde ich’8 verfuchen. Seien wir aber deshalb immerhin böje. Betrachten wir und niht als Verwandte. Glauben Sie alles Schlechte von mir, was böje Zungen über mich aus— geſtreut; hören Sie aber trogdem meinen Vorſchlag an. Ich biete Ihnen ein Drittheil des ftreitigen Vermögens.

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Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 11

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Woher diefe Großmuth ? Sie wollen auf ein Drittel deſſen verzichten, was Sie ganz befigen- könnten? Und warum zwei Drtitheile behalten, wenn. Cie pas Ganze doch haben fönnen ?

Das ift die Frage eines Advocaten. Ic} will fie Ihnen beantworten, und Sie follen einjehen,. daß es fein „Schwindel,“ fondern ein jehr reelles Geſchäft iſt. Wollten Sie mir nicht erlauben, daß ich mich ſetze? Sonſt bin ich immer der Meinung, als wollten Sie mir die Thüre weiſen.

Auch Bela war dieſer Meinung. Aber er hatte ven Fehler, ein gar zu guter Zunge zu fein; wie oft hatte er fich vorgenommten, recht grob zu jein und went es darauf anfam, fand ev feine Worte dazu.

Ich bitte Pla zu nehmen.

Alfo, lieber Vetter, die Sache jteht eigent» fich folgendermaßen: das Teftament ift wirklich vor— handen. Ich ſelbſt habe es geſehen und mich über— zeugt, daß es dasſelbe iſt, welches ich unterſchrieben. Aber es befindet ſich nicht in meinen Hän— dert. Derjenige, welcher das Document befitst, iſt ein ſehr Pfiffiger, ein ſehr geſchickter Menſch. Der will num das Document nur gegen bie Hälfte des ftreitigen Vermögens herausgeben. Sie find Advo- fat, Sie laſſen mit fich ſprechen. Sie werben früher meinen Antrag anhören, und dann erft Ihre Kritik ausiprechen, mit Judith fteht e8 nicht io.

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Sie ſchickt die Briefe unerbrochen zurück; fie läßt fich in fein Geſpräch ein, fie fagt „nein“, bevor fie wußte worauf; deshalb muß ich mich an Sie wenden. Die Sache fteht num in Bezug auf mich fo: entweder überlaffe ich die Hälfte des Vermögens an denjenigen, welcher das Document befitt, oder ich vergleiche mich mit Ihnen gegen ein Drittheil des Erbtheils. Die Zahlen ſprechen, weshalb ich ben Vergleich wählte. Zwei Drittheil find mehr als ein Halbe... Für Sie fteht e8 fo: Wenn ich mir das Document verjchaffe, fo verlieren Sie das ganze ftreitige Vermögen ; wenn Sie ſich mit mir ausglei- chen, gewinnen Sie das Drittheil. Was jagen Sie dazu, Vetter? ...

Bela machte mit kurzen Worten der Verhand— fung ein Ende.

Mein Herr, ich bin es gewohnt, Feines Ihrer Worte zu glauben. Was Sie mir da fagten, ift alles eitle Lüge. Ich erfuche Sie nun mich nicht aufzuhalten, denn ich will zu meiner Mutter,

Gut, lieber Belter. Es ift nichts zwifchen ung verdorben; wenn Sie fich überzeugt haben, daß etwas nur von meinen Worten wahr geweſen, jo werben wir ben meggeworfenen Faden wieder aufnehmen fönnen. Sch empfehle mid... .

Bela grüßte ftumm, und ließ ihn gehen.

Dann eilte er in das nummehr offene Fami— lienparadies, wo jo glücliche, fo liebende Herzen

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feiner harrten; Mutter, Gattin und Kind!

Fertöy aber ſchrieb an diefem Tage jenen ge wißen Brief, den Barfing zu dem bewußten Zwede benüßte.

Politifhe Moden.

Die politiihen Moden, gleichen auf ein Haar anderen Moden. So lange fie noch neu find, fo lange fie noch glänzen, trägt, bewundert fie die ganze Welt; wenn fie aber abzunützen beginnen, wandern fie auf ven Tandlmarkt. Einige verfpätete Menſchen tragen fie noch, diefe werden dann angeftaunt, doch auch diefe legen fie dann ab, wenn fie fehen, daß fie allein geblieben.

Ich habe ſchon Erzellenzherren mit Kalabrefer- büten und ungeheuren Federn gefehen, wie man fie nicht jchöner wünfchen konnte, und fah Voll: bfut-Flamingos, die gar feinen Hut auf dem Kopfe hatten.

Natürlich werden fih Wenige mehr daran erinnern, weßhalb man zu einer Zeit Diejenigen, welche rothe Federu trugen. Flamingos nannte,

Nun, das ift vorüber. E8 kam etwas Anderes. Mode bleibt Mode. Einmal ift e8 Mode daß bie:

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Batriotinen Charpie zupfen, ein anderes Mal wie- der, daß fie aus einer Tanzunterhaltung in die an- dere ftürmen. Heute trägt man die Porträts großer Helden oder Redner in den Knöpfen, Armbändern und an ven Stodgriffen. Morgen fommt eine Tän— zerin, Sängerin oder Kunftreiterin an die Reihe. Es giebt jenfible Naturen, die im erften Falle mit ſchmei— chelnden Diatriben den begeifterten Publicum an den Leib gehen, im zweiten aber dasſelbe mit beifenven Satyren geißeln ;der nüchterne Philofoph nimmt vie Dinge, wie fie find. Move ijt eben Mode; fie nütt fih ab, e8 folgt eine andere, wielleicht noch komi— ſchere, ijt aber jedenfalls neu.

Nicht nur ver Rod, die Chalup, die Krinoline unterligen dev Mode, ſondern auch wir fterbliche Menfchen.

Heute donnern uns begeijterte „Eljens“ zu; nach einem Jahre fragt man: „Lebſt du denn noch immer ?" Heute Schlägt man Einem die Fenſter ein; nach einem Jahre Flopfen diefelben Leute ganz unter: thänig an feine Thüre.

Ich glaube in feine poetiihe Ertramwaganz verfallen zu fein, denn ich jagte nicht heute und mor- gen; ich Tieß ein ganzes Jahr zu, was eine ziemlich hübſche Zeit ift.

Es gibt ader Menſchen ſehr glüdlicher Natur, Die fich ftets in der Mode zu erhalten wilfen, und

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Das ift ein großer Vortheil des Menſchen über die Kleider.

Es gibt nüchterne, weiſe denkende Männer, die nicht auf den Trödlermarkt kommen.

Herr Bärſing z. B. war ſeiner Zeit ein ſo guter Flamingo, wie es nur einen gab; er nahm die Trikoloren, Kokarden zu dutzenden von den Pa— triotinen, ſchrieb Schlachtenlieder, von denen man in unſern friedlichen Tagen ſchier das Fieber bekom— men möchte, um anderer größerer Dinge gar nicht Erwähnung zu thun. Wer würde ihm aber deß halb Vorwürfe machen? Es war damals ſo die Mode.

Jetzt iſt er ein vollkommener Doktor der Rechte, hat eine ausgedehnte Bekanntſchaft und ein ganzes Heer von Klienten; daß er dieſe meiſtens im Thorgange des Wechſelgerichtes angeworben, wollen wir nur nebenbei erwähnen.

Dabei iſt er ein ausgezeichneter und hervor— ragender Mann; auf der Gaſſe ſpricht er ſtets laut, ruft von zehn Leuten, denen er auf der Gaſſe begeg— net, neun beim Namen und Titel an; mit ſechſen wechſelt er einen Händedruck, vieren winkt er blos mit der Hand, ohne den Hut zu lüften. Im Theater führt er den Ton, kommandirt die Clacque, läßt nach Belieben die Schauſpieler hervorrufen, und wenn man gegen ſeinen Willen applaudirt, blickt er

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mit zornig zufammengezogenen Augenbraunen auf“ die unmiffenden Provinzler, die fih dann befehämt: zurüdziehen.

Bärſing dugt alle neugebadenen Zelebritäten ;- er ift bei allen ämtlichen Sommitäten zu Haufe und pflegt bei ihnen zu tafeln.

Seine Jugendfreunde pflegt er mit wahrer Proteltormine zu empfangen. Die Dichter aus dem Cafe Pilwar grüßt er mit den VBorten „Servus." Es ift ihm nur zu gut befannt, daß es viele Leute gibt, denen er unansjtehlich ift. Begegnet er jolchen auf der Gaſſe, fo drückt er ihnen, bevor fie e8 gewahren fonnten, freundfchaftlich die Hände, und erfundigt fich nach ihrem werthen Befinden. Und e8 gibt Feineır. Menſchen, ver ven Muth hätte zu jagen ; „Was geht Sie mein Befinden an?" Im Gegentheil findet das lärmende Individuum immer eine Begleitung, einer. Haufen junger Leute, die im Bewußtfein ihrer Ju— gend darin Beruhignng finden, daß fie nod Zeit haben: Charakter zu entwideln; ſtets bereite Zech— brüder, bie nur darauf jehen, ob einer ein fideler Kumpan jei; der öffentliche Charakter ijt Neben- fache; jung gealterte, verſchrumpfte Genies, die Träume ihrer Jugend als Verirrungen anerkennen, zu faltblütigen Kosmopoliten geworden, und jchließ- lich ein Haufe erbärmlicher Menjchen, die nicht ge— wohnt find mit dem eigenen Kopfe zu denken, jondern.

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der Mode huldigen, wie man fie eben fertig im Kauf laden befommt.

Es gibt natürlich auch Leute, welche der Gaſſenmode nicht Huldigen, die bei dem geblie= ben. find, was fie einmal für fchön und gut hielten, nur daß dieſe fih in ihre Nefter zurüd=- zogen, zu Haufe figen, in ber Wahl ihrer Freunde- ſehr vorfichtig find, und wenig Lebenszeihen von: ſich geben.

Freilich nent man dieſe Menfchen die Eulen..

Dieje wollen es nicht einjehen, daß fich die. Welt ändert, weil jie fich eben ändern muß; daß es feine Apoftafie ift, werın man ein neues Kleid anzieht, fondern ein bloßes Umfchlagen ver Meinung in's Bef- fere, jo daß man dasjenige, was gejtern für Flug galt, heute als Narrheit betrachtet, und was gejtern uns möglich fchien, man heute für ganz möglich hält.

Zu biefen Eulen zählt auch Bela Laͤvay. In feiner Eigenschaft als Adwokat, ging er feinen Dienftlihen verrichtungen nad, verkehrt mit Allen, mit denen er Vermöge feines Berufes verfehren mußte, er ſprach aber nur fo viel, als unumgänglich. nothwenbig war, und begann erſt dann wirklich zu leben, wenn er in feinem engen Familienfreis, welchen feine Mutter, Gattin und Kind bildete, und zu wel- chem ſich manchmal Melchior gefelite, heimfehren- konnte. a

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Hier war ein Jeder wieder der alte Menſch.

Die gute alte Frau war umnerfchöpflich iu der ‘Erzählung der Trübſale der verflofjenen Fahre.

Sie trug noch immer jene braune Jacke, in welche Rafetenfunfen zwei Yöcher gebrannt hattten.

Dann ſuchte Sie Bela zum Erzählen zu be— "wegen, wo er herumgeirrt, was er ausgejtanden, welchen®efahren er während feiner Flucht —— geweſen?

Bela ſprach ungerne davon; er hätte es auch nie vorgebracht, wie er zu feiner ſcheintodten Gattin zurüdgefeht, wenn Melchior nicht das Geheimniß der Narbe auf der Stirne Indith's verratben hätte, da erjt begamır e8 der alten Frau klar zu werben, worauf der mürriſche Veteran bingezielt, welcher Judith in den Stleidern ihres Mannes er- Tannt hatte,

Haft du viel Hunger, Kälte, Müdigkeit erdulden müſſen? frug fie ihren Sohn.

Bela hatte zu viel Zartgefühl, um die Frauen mit der Bejchreibung feiner Leiden zu betrüben.

Hatte feine Gefahren zu bejtehen. War ‚Gärtner bei einer Herrfchaft, wo es mir gut ging. Als ich mein Wiſſen verwertben konnte, gab mir die Öärtnerei, welde ich von meinem guten -Bater zur Unterhaltung gelernt, Brot und Obdach.

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Damit wandte er fich an fein Söhnlein in der Wiege und flüjterte dem Schlummerden Worte bit- terer Zärtlichkeit zu.

Ja, ja mein Herzensfind, wenn du einmal groß wirft, will ich dich zum Hanbwerfer erziehen ; fürchte nichts, folljt fein Gelehrter werden, wie dein Bater, noch zum Theater gehen, wie deine Mutter, jondern mit den Händen arbeiten und glüdlich da— bei jein.

Judith, welche an der Wiege ihres Kindes ſaß und an einem Theaterkoſtüme nähte, blickte ihren Gatten mit den großen dunklen Augen an.

Wenn auch wir zufammen brechen, wer ſoll dann ſtehen bleiben? Eben deshalb, weil die Wiffenjchaft ein Leiden, weil die Kunft das Elend it; eben deßhalb, weil du und ich beides burchgefühlt haben, fteht e8 uns am, zu ſagen: harre aus, bleibe treu, dulve, kämpfe für jene Idee, für welche dein Vater und deine Mutter gekämpft, gelitten; jete fort, was diefe nicht beenden konnten, werde ein Künſtler, ein Dichter, ein Gelehrter.

Bela erhob ſich und küßte die Stirne feiner Gattin.

Weib wie groß ift dein Glaube.

Würe ih nur ein Mann.

Es ijt war, du wäreft ein befferer Mann

als ich, aber nie gehörteft du diefer Welt an. Du

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wäreft für einen Mann ebendas, was einft Bußtaft geweſen. Könnte er. wenn er noch lebte, heute und- zwifchen biefen Menfchen auf ber Erde wandeln ?: Am erften Tage würde er Jemanden töbten, ober Jemand ihn.

Hier ift von feinem Menſchenmorde die Rede, fondern davon, daß „der Dann ein Mann fein ſoll,“ man kann e8 euch nicht genug in die Oh— ren ſchreien: Ihr ſeid jchlechter, al8 die Frauen ;. jeder Schmeichler findet bei euch Gehör.

Unfer Beruf zwingt uns, mit der Welt im. Berührung zu fommen.

Aber nicht mit aller Welt Freundfchaft zu ſchließen.

Thue ich das?

Freilich thuſt du es. Wenn ich mit dir an deinem Arme durch die Straßen gehe, muß ich dich nicht alle Augenblide ermahnen, den Gruß dieſes oder jenes Menfchen nicht zu erwiedern. Ich grüße Niemanden, ven ich verabſcheue.

Ich grüße auch nur aus Artigfeit. Das Hutlüften verpflichtet mich zu nichts.

Ja wohl verpflichtet e3. Heute erwiderjt du den Gruß, morgen redet er dich an, übermorgen macht er bir einen Beſuch und du empfängft ihn; findeft, daß er ein jehr angenehmer Mann fei, unt- eines fchönen Tages bift du fein Freund.

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Was dieſe Frau fagte, war die erjchöpfendfte Kritik der politiihen Mode. Wir find aber zu Schwache, gute Yeute. Wir fchlagen und gerne und "bereitwillig, wir jegen aber die Gehäffigfeiten nach dem Kampfe nicht fort. Bet nng gibt e8 feine „weiße und rothe Rofen ;" feine Guelfen und Ghibellinen, "die von Generationen zu Generationen den Kampf ihrer Väter fortjegen; es gibt bei uns feine „Pe— csovics“ und „Kubingky’8" mehr, wir lieben einan- ver fo inniglich, daß wir jelbjt jenem Kritifus zürnen, ‘der einen fümmerlichen Reimſchmied herabreißt; ift er doch auch Blut von unferm Blute; auch fein Schmerz jtört und das Bewußtjein, daß wir ſehr ‚gute Menjchen feien. Und wer weiß es, ob das nicht unjere Tugend ift.. . .

Bela biß fich in die Lippen und ſchmollte mif feiner Fran wegen ihrer Worte,

Yet zürneft du? fagte Judith, ihren Kopf ſanft auf Bela'sSchulter lehnend.

DD nein erwiderte Bela in bitterem Tone, du kennſt mich zu gut, als daß du glauben tönnteft, ich fei der Menjch, der fehr Leicht Freund— ſchaften ſchließt.

Das ſage ich nicht; aber daß du leicht vergibſt.

Hätteſt noch dazu ſetzen ſollen; am fünften Tage beſuchſt Du ihn, am ſechſten trägſt Du ſeine Mode. Von mir iſt es ja zu erwarten.

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Die alte Frau wollte die fich auffteigende Wolke welche ven reinen Himmel des Glückes ihrer Kinder zu trieben drohte, vericheuchen, und fiel in das Geſpräch ein, indem fie natürlich ihrem Sohn Recht gab.

Bella ift fein ſchwankender Charakter. So fenne ich ihn von feiner Kindheit an, bin ich doch feine Mutter. Ach er war jo ein ruhiges Kindlein, wie diefes in der Wiege da, und als Mann ebenſo fanft, wie fein Bater. Wenn er auch nicht grob und zänfifch gewejen, jo war er boch jtet8 Mann am. Platz. Auch fein jeliger Vater hatte einen Feind, wie Bärfing ;auch mir mißfiel e8 ebenfo, wie dir Judith, wenn ich fah, daß er ven Gruß feines Feindes erwi- derte ; doch meinte er, das Schieffal werde ihm ſchon Genugthuung geben, wozu jollte er fich ſelbſt neh— men? Und er hatte Recht.

D liebe Mntter ! fiel Judith mit von Er- rvegtheit gerötheten Wangen ein, wenn diefer Menſch „nur“ Bela’s Feind wäre, und man das zu vergeſ— fen hätte; wenn es feine andere trennende Kluft zwifchen Beiden gäbe, würde ich nit darnach fra- gen, ob er mit ihm abgerechnet, ob er die Echuld beglichen. Bedenken Sie aber, daß diefer Menſch die Namen Derjenigen in den Koth hevabzog, die alles- gethan uud alles verloren hatten und die er jeßt, ba er obenauf ſchwimmt, als fchwärmeriiche Narren.

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verlacht. Damals waren Lente feines Schlages die- ruhmreichen Helden des Tages, und Männer, wie- Bela, die Yandesverräther ; fett ift er der Kluge und- Bela der Narr. Und das ift die uuermeßliche Kluft zwijchen uns!.

Diefe Worte Judith's brachten auch die alte- Frau in Erregung.

Habe ich je geglaubt, daß Bela mit dieſem Menſchen noch ein Wort wechſeln könne. Mit jedem Anberen eher, mit biefem nie,

Und doch werde ich noch viele Worte mit. ihm zu wechjeln haben, fiel Bela ein, fich von feinem Site erhebend.

Die beiden Frauen ftaunten ihn an,

Das werdet Ihr lange Zeit nicht. ver- jtehen, einſt aber joll e8 Euch flar werben ; bis da— bin will ich die Laſt Eurer Verachtung geduldig tra— gen. Möget Ihr bis dahin glauben, ich ſei Advokat, der feine Empfindeleien kennt.

Da trat das Dienjtbote ins Zimmer und mel- dete, ed warte ein Herr draußen, der feine Karte ſchickte.

Dela beſah die Karte, und legte fie auf den Tiſch feiner Gattin. Judith warf einen Seiten Blick auf das Billet, worauf der Name Barfing ftand, und beftete dann einen anderen Blick auf ihren.

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Gatten. Bela fand e8 für angezeigt, die Slarte vom Tische zu nehmen und in die Taſche zu jchieben.

Ich fomme gleid) ; führe ven Herrn einjt- “weilen in mein Arbeigimmer.

Damit folgte er dem Dienftboten, ohne weder jeine Gattin, noch feine Mutter anzujehen.

Seit diefem Momente herrjchte im Kreije der Familie eine peinliche Gefpanntheit, glei) wie im Sommer, wenn die Luft mit Dünften gefcehwängert ift und der Himmel fich nicht winwölfen und auch nicht ausheitern kann. Man ſchmachtet völlig nach einem fleinen Gewitter.

Denn im Leben ift e3 einmal jo, daß die Liebe ‚ber beiten Frauen auch die bejte Bantoffelherrichaft iſt.

Wenn die Frau für Dich alles geopfert hat, ihren weltlichen Glanz, ihr Bermögen, ihre Bequem- Tichkeit, ihren Rang kannſt du e8 ja vergeffen, daß du ihr Schuldner bift ? Als du verfolgt im Lande herumirrteft, juchte fie deine Spuren durch ‚die Gefahren und Gräulen des Krieges; fönnteft dur fie jett verlaffen um Iuftiger Zechbrüder willen ? Die Frau hatte die Rolle des Mannes übernommen, hatte wunderbarer Weife das Steuer deines Schid- jalsichiffes ergriffen, um es vor Schiffbruch zu ret- ten; fönnteft du jeßt dieſe Hand los laffen? Die dran wachte ihre Nächte durch an deinem verborge: nen Kranfenlager, könnteſt du jeßt ihren Schlaf ftö-

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ren durch ein lärmendes Thürzuſchlagen, wenn du von nächtlicher Schwelgerei heimkehrſt? Die Frau hat ſich von der Welt abgeſperrt, als ſie auch für Dich geſperrt war; jetzt als für Dich die Welt offen, könnteſt du fie für die ganze Welt verlaf- fen?... Vermag ein ganzes lachendes Paradis den trauernden Bli in ihrem Auge dir erſetzen?

D, eine liebende, eine leivende Frau ift eine große Macht auf Erden.

Bela hatte fih in ein an das Wunderbare grenzendes Unternehmen gejtürzt, als er es wagte, diefer Großmacht Troß zu bieten,

Niemand wird e8 bemerken, daß dies Judith Wehe thut; e8 gibt falfche Töne, welche nur ein an die Mufif gewöhntes Ohr wahrzunehmen vermag. Bela kannte diefe Töne.

Wer weiß es, was noch das Ende dieſes Lies des jein wird?...

Als Bela in ſei Arbeitszimmer trat, faß Herr Baͤrſing bereit8 auf dem Divan, gleich einen Türken, mit unterfchlagenen Füßen . . . Wenigftens hatte er Bela die Mühe erjpart, ihm einen Sit anzubieten.

Bela beeilte fich das erſte Wort zu haben.

Womit fann ich dienen mein Herr?

Das Wort Herr betonte er befonder um dem vorzubeugen, daß er von feinem Beſuche mit „Du“ augerebet werde.

Andere Zeiten, andere Menſchen. II. Bond. 12

178

| Ach! guten Tag, Bela mein Herr, wollte ih jagen: ergebenfter Diener! Wir haben ung zwar einft geduzt, doch wenn es Ihnen, mein Herr, fo befjer gefällt, will ich nicht zudringlich fein und mich auf alte Beziehungen berufen. Werfen wir einen Schleier auf die Vergangegheit,

Womit fann ich dienen ?

(68 ijt mir übrigens auch lieber, wenn wir alle Sentimentalität bei Seite ſetzen ſagte Baͤr— fing auf die zweite trodene Interpelative umjo= mehr, als die Angelegenheit, in der ich Sie ſprechen wollte, rein gefchäftlicher Natur ift. Ein Anderer, ein Charlatan, würde zwar behaupten, vaß es eine Art freundfhaftlichen Dienftes fei; doch will ich die "Sache verfchönern, indem ich ein verteufelt aufrich- tiger Burjche bin und die Schaufpiele nicht liebe; ... bin fein Poet, ha ba hal... . bin fein Bühnen- dichter. | _

Bela erinnerte fich hiebei jener jchlechten Dranten, mit welchen biefer würdige Mann einjt deu Dichter Pußtafy gemartert hatte, Doc lag es nicht in Bela’s Natur, ihm dieſes vor- zuhalten.

Gehen wir an die Sache, mein Herr, ſowohl ihre als meine Zeit iſt koſtbar.

Sie haben Recht, ſagte Baͤrſiug, ſeine große Schweizeruhr aus der Weſtentaſche ziehend,

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amd nachdem er das zifferblatt aufmerkſam betrachtet, bielt er die Uhr an das Ohr und ließ fie Schlagen, ob das Werk mit den Zeiger ftimme... Um elf Uhr muß ich zu Sr. Gnaden dem PVorftand gehen .... Alſo .... erlauben Sie mir indeh eine Zigarre anzuzünden ?

Nein; meine Frau duldet den Taback— rauch nicht.

Ah die gnädige Frau gebietet alſo auch in ihrem Arbeitszimmer? |

Ja wohl. Sagen Sie mein Herr Schnell, was Sie wünjchen ? |

Ich will Sie bezüglich jenes Teftamentes Iprechen. .

Ih bin bereit3 von Allem unterrichtet. Fertöy war bier und hat mir berichtet, daß das Te— ftament vorhanden, aber nicht in jeinen Händen ſei. ‚Derjenige welcher es befigt, will ed nur gegen die Hälfte des Subjtratumes herausgeben. .

Zu jedem dieſer funzen Süße nicte Bärfing mit dem Kopfe, als billige er Alles, was gejagt wurde.

Ja, fo iſt's. Wei Alles vecht gut. Fertöy | hatte Klug berechnet, daß zwei Drittel mehr als die Hälfte jeien, und machte ihnen jeinen Vorjchlag, be— vor er mit dem Andern unterhanvelte. .... Es iſt ihm jedoch nicht gelungen. Um ſo beſſer. Nun ſchickt

12*

180

mich jener Andere zu Ihnen; ... Sie wiffen, jener Andere, der anf gewiffen Irrwegen in den Befig des Teſtamentes gelangte, und macht Ihnen durch mich dasſelbe Anerbieten, welches Ihnen Fertöy gemacht.

Welches Anerbieten ?

Nun „Gleich getheilt, wedt nicht Neid,” jagt ein altes Sprichwort. Die Hälfte für die Hälfte... .

Ich veritehe Sie nicht.

Die Sache ift doch fo Har. Während Fer- töy zögert, das Teſtament, nady welchem Sie in ber Beſitz des Nachlaſſes Ihres Schwiegervaters gelan- gen könnten, gegen die Hälfte des Erbtheil® von einem Anderen zu übernehmen, fünnten Sie für vdenfelben Preis in ben Beſitz des Documentes gelangen.

Sind Sie etwa der Meinung, daß ich da8 Document, wenn es mir das Ungefähr in die Hände ſpielen follte, vernichten oder verbergen witrde ?

Baͤrſing wurde fihtlid) verwirrt. Er war auf diefe Frage nicht gefaßt. Er hatte e8, feiner Anficht nach, mit einen närriſchen Menfchen zu thun, der im Stande wäre, aus eitlem Ehrgefühl ein Document, welches gegen ihn felbft zeigt, ven Händen des Rich ters zu überliefern, anftatt e8 zu unterfchlagen.

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Das... ftanmelte er verlegen, Könnte vielleicht ein Anderer thun; jener Gewiſſe, bei welchem e8 fid) jet befindet, könnte es fchon in ſol— chem Zuftande in die Hände gelangen laſſen, daß es nicht mehr gelejen werden könnte,

Und Sie glauben, daß ich einen jo nicht- würdigen Schuft abgeben, daß ich mich zum Kumpan einer jo fträflichen Handlung hergeben könnte.

Bärfing hatte eine fo glückliche Gefichtsfarbe, daß er nicht höher erröthen konnte, als er eben ſchon non Haus aus voth war; denn das Ganze war ja nichts Anderes, als Jemanden ins Geficht einen Schuft heißen.

Aber geehrter Herr Sie faffen die Frage noch immer von fehr dichteriihem Standpunkte auf; nehmen wir fie als Advokat. Der Prozeß ift in jenes Stadium gelangt, wo, wenn das fragliche Tejtament nicht zum Vorihein gelangt, das ganze Vermögen Ihrer Öattin zufällt.... . Ein fchönes Vermögen, "wahrlich. Lohnt ſchon dev Mühe, dafiir einen Prozeß zu führen. Die gnädige Frau hätte es nicht nöthig, Ko— medie zu fpielen auf dieſem elenden Theater.

Was für ein elendes Theater?...

Na, na, ereifern Sie fich nicht; ich wollte armes Theater jagen; die Gardinen find in ber ‚That zerrtiien, hängen in Feten herab. Es iſt ein

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faueres Brot, Sie müffen e8 am Beften wiffen..

Hätte ich eine Frau, nicht um die ganze Welt würde

ich ihr’8 erlauben, Schaufpielerin zu fein. | Ich bitte Sie, Sprechen wir nicht davon.

Ich bradte e8 janur vor, um Sie auf: merkſam zu machen, um wie viel Sie und Ihre wer— the Gattin vom Einfommen ihres Gutes Ieben könn— ten. Kommt aber das Teſtament an’8 Tageslicht, dann hat das alles ein Ende; Fertöy wird Univer— jalerbe; ihre Frau hat nichts als das väterliche Haus in Komorn, welches zu Aſche verbrannt und- deifen Ruinen der Negen verwäfcht.

Das Ende des Liedes ift demnach, ich ſoll behilflich fein, das Teftament zu vernichten, nicht wahr ?

Nein das Ende ift nicht das, ſprechen wir als Advofaten, als vernünftige Menſchen. Sie und Ihre Gattin jtellen mir eine Obligation darüber aus, daß Sie mir, im Falle, daß der Prozeß zu Ihren Guns ſten entſchieden wird, die Hälfte des Erbtheils für die durch mich vertretene Partei überlaffen; vom Mebrigen wiffen Sie nichts... . dann foll das Te— ftament bis züm Termine nicht zum Vorſchein kom— men, fpäter aber um fo weniger. Sie wiſſen von demfelben garnichts; Sie haben feinen Antheil an dem, was damit gefchehen ift; Ihr Auf bleibt unbe— fleckt vor Gott und den Menfchen..

183

Nur vor mir und vor Ihnen, nicht war ?

Das ift abermals poetifche Schwärmerei ! Sprechen wir mein Herr wie e8 Advokaten geziemt.

Gut denn, fo will auch ich Ihnen eine Be- merkung in biefen Sinne machen. Ich glaube nicht, daß diefes Tejtament exiftirt. |

Baͤrſing ſchlug fich lachend auf vie Knie, Seine langen Zähne fchimmerten ihn vor lauter Luftigfeit zwifchen den dicken Lippen durch.

Na, das habe ich von Ihnen erwartet, und habe mich in ihrem Scharffinn nicht getäuſcht; ich weiß e8 recht gut, daß Sie jagen werden : „Lieber Bärſing, das Lied, das Ihr, Du nämlich und Fertöh, mir da abwechjelnd von dem auf myſtiſche Weiſe aufgefundenen Documente in die Ohren fingt, ift eitel Geplärre; hättet Ihr's, würdet Ihr mir gewiß nie in die Nähe kommen. Ihr feid aber einverftanden mit einander, um mir Sand in bie Augen zu ſtreuen,“ das wußte ich im voraus, und habe mich mit den gehörigen Beweifen verjehen, ba ich mir feinen jchlechten Scherz mit Ihnen erlauben wollte. So viel Achtung find Sie ſelbſt fehuldig, daß Sie von Niemanden vworausfegen, er Tönnte auf Ihre Schwachlöpfifeit vechnen, Das Teſtament ift in meinem DBefig. Jener gewiße Jemand, hat es mir anvertraut, und mich ermächtigt, es Ihnen zu zeigen.

154

Hiemit langte er das Document aus jeiner Taſche, und überreichte e8 Bela. Und um fein Ver- trauen Bela gegenüber zu beweiſen, ließ er das Do- fument in Béla's Händen, ftand von feinem Sige auf und fpazirte auf das Fenfter zu. Nur warf er troß ſeines unumſchränkten Vertrauens haftige Blicke in den gegemüberliegenden Spiegel, vielleicht nur um die Wirkung zu beobachten, welche das Do— cument auf Bela machte.

Lävay Hatte mit droßer Gleichgiltigkeit das Tejtament durchflogen, die Siegel und Unter- fchriften geprüft, und machte dabei gar Feine Bes merfung.

Plöglich bemerkte aber Bärfiug, daß Bela das entfaltene Document gegen das Yicht halte,

Si’jt feine Radirung darin! beeilte fich Bärfing im halbſcherzenden Tone zu bemerken.

Es ift wahrlich nichts daran radirt; ſagte Bela, das Papier zufanmmefaltend.

Er hatte aber nicht nach einer Radirung ge— ſpäht, jondern ‚betrachtete das Waſſerzeichen der Fa— brid auf dem Papier.

Nun, was folten wir jet? frug Barfing mit fiegreichen Lächeln.

Thun Sie, was in gleichen Fällen ehrliche Menſchen thun würden.

Das ift eine merkwürdige Weifung, ich verſtehe von alldem nichts.

15

Ich hoffe, daß Sie fih erklären können, was in gleichen Fällen ein ehrlicher Menſch thut?

Baͤrſing zuckte mit der Achjel.

Die Ehrlichkeit ijt ein jehr relativer Begriff.

Geben wir aljo der Sache eine andere Wendung. Thun Sie das, was in gleichen Fällen ein gefchiekter Senfal thun würde. Verkaufen Sie Das Document an den Meijtbietenven.

Fertöy verſprach mir ein Drittel, und Sie?

Ich verfpreche Ihnen Nichts. . . .

Baͤrſing begann es zu ſchwindeln ob dieſer unerwarteten Antwort. Bela warf das Document mit folch verächtliher Mine auf ven Tiſch, als hätte er eine Spinne oder eine Raupe, welche ihm zu— fällig auf die Hand gefallen, und vor der e8 ihm efelt, von fich gejchleudert.

Baͤrſing begriff es, daß bier fein Gefchäft zu machen fei.

Iſt das Ihr Ultimatum ?

Ich habe mich ausgefprochen.

Ich noch nicht, denn ich werde appelliren.

An wen?

An das Fompetentefte Forum; an Ihren Rlienten.

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An nteine Frau? Ich bitte Sie thuen fie es. |

Belieben nicht zu lächeln. Auch ich begriff es mit meinem Furzen Verjtande im voraus, daß, wenn ich mich behufs perjönlicher Befprechung bei der gnädigen Frau anmelden lafje, fie mir heraus: jagen läßt, fie habe Kopffchmerzen, oder daß fie eben ihre Rolle ſtudire; ſchreibe ich ihr einen Brief, ſo fendet jie mir ihn, fobald fie an der Adreſſe meine Schrift erfannt, unerbrochen zurück; deßhalb- jeien Sie aber überzeugt, mein Herr, daß ber Fuge Jäger mehr als jene Patrone mitnimmt, mit welcher ev den Lauf feines Gewehres geladen.

Nun jo wünfche ich Ihnen viel Glück auf die Jagd, ſagte Bela und wandte feinem Gaſt ven Rüden,

Bärfing ſchob das Dokument in feine Rockta— ihe und entfernte ſich.

Bela klatſchte mit den Händen, und feine Au— gen funkelten vor Freude, als hätte er einen großen Erfolg errungen, dann kleidete er ſich an um aus= zugehen.

So oft er fich vom Haufe entfernte, pflegte er es ſtets feiner Gattin mitzutheilen, wohin er ging, und wann er nach Haufe komme. Ich weiß e8 nicht, wer. dieſes Recht ven Frauen verliehen; fo viel ift gewiß, daß fie dieſes Recht ausüben.

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Als er in das Zimmer Judith's trat, fand er- Melchior dort, der Heine Dockter nützte fehr oft die Gelegenheit, welche fich ihm als Hausarzt bot, um feine alten Freunde zu befuchen.

Da pflegte er dieſe mit feinem jtatiftifchen und chemischen Wiffenjchaften zu unterhalten, welchen Vorträgen Niemand mit fo großer Pietät zugehört hatte, als die alte Frau, bie e8 fich ſehr zu Herzen nehmen fonnte, wenn Melchior erzählte, wie viel Perzent Huudeknochen in den raffinirten Zuder enthalten feien, und daß bie geitärften Unter— röde das Brot von Millionen Menjchen jährlich verzehren.

Eben war ich im Begriff dich zu beſuchen, fagte Bela, als er feinen Freund ſah, welcher die Frauen zu überzeugen fuchte, daß die Teppiche im. Zimmer Lungentuberkeln erzeugen.

Gehen wir alio, fagte Melchior, fih von jeinem Site erhebent.

Rönnen Sie ihre Angelegenheiten nicht bier ordnen? fragte Judith, während fie Melchior nöthigte, fich abermals zu jegen.

Gewiß können wir dies, antwortete Bela, feinen Hut ablegend, das Ganze befteht in einem. Worte, Diefes Wort ift der Name eines Städtcheng, welchen wir längjt juchten.

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Ih habe ihn gefunden. Der Name iſt „Neuburg.“

Melchior jah eine Weile nah dem Plafon als wären bort alle jenen Namen, Ziffern und Kom— binationen gejchrieben, die er in dem ungeheuer Wörterbuch feiner Erinnerungen angejammelt hatte; ‚dann fchnellte er von feinem Sige auf, als hätten ihn geheime Federn in die Yuft gefchleudert, und ſei— ‚nes hinkenden Fußes vergeſſend, tanzte er an feinen Freund heran, drückte deſſen Hände und rief freudig -auflachend :

Das geht] im prädtig. Wenn es „Neuburg heißt, dann brauchen wir uns ja nicht von der Stelle zn rühren; das ift (Diefe Worte fprach er Flüfternd) das Jahr 1859.

Prächtig, fagte darauf Bela, und lä— chelte ganz vergnügt. Was bedeutet Neuburg und 1859? fragte die alte Frau mit unüberwindlicher ‚Neugierde,

Das bedeutet ven glänzendften Sieg! rief Melchior, und war fchon im Begriffe, alles zu erzählen, oder wenigſtens ahnen zu laſſen, von "was die Rede fei, doch zupfte ihn Bela an den Rockſchößen, um ihn zur nüchternen Vernunft zu ‚bringen.

Gilt eine Wette, erivieverte Bela mit vollkommeuer Verflellung ; e8 gilt eine Wette a "Mehrere, welche wir gewinnen.

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Nun und was habt Ihr gewonnen ? frug: bie alte Frau, welche alles glanbte, war ihr Sohn ſprach, und nur wiffen wollte; wie hoch bie Wette gche, in welche er fich eingelaffen, und ob er nicht viel auf's Spiel geſetzt.

9, ehr viel, antwortete Bela, feinerzeit wollen wir ſchon den Wettſchmaus halten. Bis dahin. erfuche ih dich Freund Melchior, fein Wort‘ darüber zu ſprechen.

Ich werde ſchweigen wie ein Arzt.

:

Nach einigen Tagen, als die Familie gerade bei Tiſche ſaß, Fam der Briefträger mit feinen Briefen. Das Heine Männchen ftand bereits- feit geraumer Zeit im Dienjte des Publikums ; er fannte nicht uur die Einwohner, denen er bie: Briefe brachte, fondern auch die Handſchriften Der- jenigen, welche vielen zu jchreiben pflegten. Wenn er nun einen längft erwarteten Brief in feiner Taſche hatte, fprang er je drei nd brei Stufen hinauf, mit einer Eile, daß ihm fchier der Athen ausging. Der übermäßige Eifer verurfachte auch jeinen frühen Tod.

Gehorſamer Diener, wünſche beften Appe- tit; ein graußliches Wetter da draußen. Hier find Briefe für den gnädigen Herrn; für den einen find

ER |:

13 Kreuzer zu zahlen. Wie der Regen ftrömt, und der Wind noch dazu! Auch für die gnädige Frau habe ich einen Brief, habe ihn jeparat gelegt. Uno noch dazu ein lieber Brief, fommt vou Komorn, vom fieben Herrn Papa.

Bon meinem Vater? frug Judith er— ſtaunt. | D ich fenne jehr gut die Handjchrift des gnädigen Herrn, habe viel Briefe von ihm an vie Addreſſe Ihres Herrn Gatten gebracht als er noch Jurat gewefen. Da fragte mich der gnädige Herr immer, wenn er mich ſah: Sit Fein Brief von Herrn Hargitay aus Komorn da? Ob ich dieſe Schrift fenne !

Der bejcheidene Briefträger wußte e8 frei- Lich nicht, daß derjenige, deffen Brief man einft jo jehnfiichtig erwartet, ſchon längjt feine Kinder ver- Flucht hatte und gejtorben ſei. ...

Haftig übergab er die Briefe, mit dent Beveuten, daß er die 13 Kreuzer ein andermal ab- holen werde, da diefe ihm einzuhändigen der ver- blüffte Dienftbote vergeffen hatte, und lief um ein Haus weiter. Die Addreſſe jenes Briefes war die fürmliche Handſchrift des verewigten Hargitay. Es “waren diejelben an einander vennenden Buchjtaben, mit den oppofitionellen Hörnern, den liberal auslau— fenden Haarftrichen und den eigenthümlichen An—

1911

Tangsbuchitaben, die fich mit protejtantijcher Härte in den Naden werfen, jo wie mit jenen dicken Erd— ftrichen, welcher ftetS das Leben einer Schreibfe- ver koſtete.

Wer nur einmal die Handſchrift Hargitay’s geſehen, Tonnte fie alffogleich erfennen.

Judith fiarrte mit jtieren Augen und blaffen Geſichte die Schrift an; felbjt Bela war verblüfft. Die Täuſchung war vollfommen.

Deffne den Brief, nnd lies ihn, eiferte Bela jeine Frau an.

Judith erbrach das Kouvert, drinnen fand fie, mit derjelben glänzenden Tinte, womit ihr Vater zu fchreiben pflegte, einen Brief folgenden Inhaltes: „Judith von Hargita wurde von dem Schickſals— Ichlag getroffen, daß fie ihr Vater wegen Bela Laͤvay verfluchte und enterbte. Doch langt die unfichtbare Hand der Väter auch aus dem Grabe hervor, um jeine Kinder zu ſchützen oder zu zlichtigen. Dieſe um- fichtbare Hand hatte den Beweis des väterlichen Zornes, das Teftament verjchwinden gemacht; doch die Herzen der Kinder wurden weder durch das Leben, noch dur den Fluch erweicht, fie blieben hart und ftoß. Diefe unfichtbare Hand hatte das Teftament, das Zeugniß väterlichen Fluches, abermals an das Tageslicht gebracht. Ein alter Familienfreund hatte es dem Gatten

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vorgewieſen und ihm bebeutet, daß nur die Hälfte des Fluches gejühnt fei, die andere Hälfte ſchwebe noch über ihren Häuptern umb werde mit gan— zer Kraft auf fie herabbraufen, wenn ihre Her: zen in ber Hartnädigfeit verharreu. Der Gatte wieß die verföhnliche Hand ftolz zurüd, und rief fein. Schickſal in die Schranken. Die Gattin möge beven- fen, daß es fich bier um ihr und ihres Kindes- Schickſal handelt. Es fteht noch in ihrer Macht zu verhindern, daß der Zornesfluth ihres Vaters ſich nicht über alle Häupter feiner Lieben ergieße. Dieß möge fie bedenken und befchließen !

Das Geficht Judith's blieb todtenbleich; an einen jeden Buchjtaben erkannte Sie die Hanpfchrift ihres Vaters und boch war deſſen Grabſtein fchon längft von Moos und Epheu bebedt.

Stumm reichte fie den Brief ihrem Manne, als wollte fie ihn bitten, er möge doch dieſes Räth— jel löſen.

Nachdem Bela deu Brief durchgeflogen hatte, fiel fein Blick auf das blaffe Geficht feiner Gattin. Es wäre ihm unmöglich gewefen, zu bemerfen, daß der Brief Judith ſehr angegriffen hatte.

Es ſcheint mir man hat mich benunzirt ?

Aber wer ? erwiederte Judith mit melan= choliſchem Blicke.

193

Biſt du vielleicht abergläubifch ?

Nein, doch ift die Schrift jo ähnlich. Die Augen Judith's füllten fih mit Thränen.

Diejer Brief beichuldigt mich, daß ich dein Vermögen aufs Spiel fee. Eine ſchwere Bejchuldi- gung, daß ich mich mit deinen prozekführenden Ver: wandten nicht vergleiche. Du ſolſt e8 einjt erfahren, wer diefen Brief gejchrieben. Bis dahin eriuche ich dich, diefen Brief unter deine Reliquien zn bewahren, und nicht zu vernichten, venn du fannft ihn einft ſehr nöthig haben.

Bela kannte jehr gut die Löſung des Räthjels, er fannte fehr gut jene Hand, welche fremde Hand- Schriften fo treu nachzuahmen im Stande war doch durfte er hierüber noch nichts verlauten laſſen. Er war eben ein Jäger, der gegen ein ſehr gefährliches und porjichtiges Wild auf den Anftand gezogen; er hat jeine Spuren entdect, und war an den Kadaver ge: jtoßen, welchen diefes verjchleppt, und wußte ganz gut, daß das Wild zurüdfehren und vor ihm aber: mals erjcheinen werde; deßhalb hielt er im feiner Unbeweglichkeit ven Athem zurüd, ließ ſich von ben Mücken martern, jagte fie nicht von feinen Wangen ; er blickte nicht auf die Seite, jondern wartete ruhig auf jenen Augenblid, wo das Wild in feine Schuß weite gerückt; würde er ihm wahrnehmen, es könnte ihn hinterrüds anfallen.

Andere Zeiten, andere Menſchen. III. Band. 13

194

Deßhalb mußte er jelbit vor der eigenen Gat- tin fein Geheimniß bewahren. Diefes Geheimniß verurfachte beiden jehr viel Leiden; doch gebe ich Bela Recht, jelbjt auf die Gefahr hin, daß mich die Frauen darob verurtheilen werben, ein Geheimniß jo lange vor ihr verborgen gehalten zu haben. Das Mittageffen verlief ruhig; fein Wort wurde ge: wechjelt.

Nach dem Mittagtische ſtand Bela auf und begab fich in fein Arbeitszimmer. In einer halben Stunde folgte ihm feine Oattin, die Bläffe war von ihrem Geſichte bereits gewichen.

Dur fagft mir, ich möchte den Brief unter meinen Schriften verwahren, da ich feiner einft be- nöthigen könnte. Ich benöthige ihn nicht, ſondern übergebe ihn bir, wenn bu jo willit.

Iſt es Dir den gleichgiltig, wer immer e8 jei, ver mich anflagt ?

Hab ich je darnach gefragt? Iſt es zum eritenmal ?

Bertrauft Du mir? Rönnt ich fonft leben ?

Glaubſt Du es, daß ich noch an den bö— jen Tag von Komorn denke?

Und id) gedenfe jener „guten Nacht“ im Sarge.

1

Ein lebender Menſch kann uns nicht ſobald trennen,

Ein todter um fo weniger!

Gatte und Gattin hielten fich umfchlungen. Es wardieß ein Paar, das Tag für Tag den Eid wiederholte, welchen es einjt vor dem Altar ge- Ihworen.

Es grenzt ans Märchenhafte.

(Ende des dritten Bandes.)

13*

Audere Beiten

andere Menſchen.

Roman in vier Bänden.

Von

Moris Jokai.

Bierter Band.

—⸗;s⸗7s⸗s⸗

Del, Druderei des „Athenäum.“ 18735.

Berlin. Berlag von Dtto Zanke.

u = ED an an

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Vierter Band.

Die bleiche Fran.

Das Geficht der Frau Fertöp wurde von Tag zu Tag bleicher.

| Sie hatte es nicht nöthig, ihre Wangen mit

Prinzeffinwaffer oder Lilionefe zu bleichen ; fie befaß -

einen unfichtbaren Geift, welcher jede Nacht erfchien,

um das fchneeige Weiß auf ihre Züge zu hauchen.

Heute glich fie einer Lilje.

Fürft Wolozoff trägt feine Schuld daran.

Er ift in der That einer der aufopferndften Anbeter ; bei feinen Eroberungen fröhnt er nur feinem Ehrgeize. Es macht ihm eben Vergnügen, wenn bie Welt jpricht, er ſei der Geliebte, der ſchönften und geiftreichiten Frau.

Dieje ſchönſte und geiftreichfte Frau hatte nun einen Fehler: das die Roſen von ihren Wangen ge⸗ wichen. Wolozoff würde ein Reih von Leibeigenen

| 1*

——

dafür geben, wenn die Wangen dieſer Frau in ihrer früheren Roſenglut prangen würden.

Es iſt immerhin eine odioſe Sache, wenn die Geliebte eines Mannes blaſirt iſt. Die Gattin mag es ſein; die andere, die fröhlichere Gefährtin jedoch ſoll nie die Lebensluſt verlieren.

Wolozoff wäre es recht geweſen, wenn Sera— phine für welch Preis immer ihr Gemüth erhei— tert hätte. |

Mas diefer Preis fei?... . wiffen nur die Männer. Dem Fürjten entging e8 nicht, daß Diefe Frau ihren Gatten aus tiefen Herzen hbſſe; hatte fie ihn nur deßhalb zum Gatten genommen. | Es zählte aber zu ven veinften Unmöglichkei- ten, daß eine Frau, welche ihren Gatten haft, möge ‚fie wie immer bleic) jein, Niemanden auf der Welt ‚hätte, den fie liebt.

Der Fürft wußte es recht gut, daß dieſer Je— mand nicht er, fondern ein Anderer fei.

Die ſchöne Frau empfängt feine Komplimente, ſpaziert an feinem Arme, tanzt mit ihm, fit in feiner Loge, nennt ihn unter vier Augen beim Tauf— nahmen; iſt zeitweife luſtig klagt ihm. vertraulich, wenn fie einen Schmerz hat; dennoch wurde der Fürſt von Tag zu Tag immer mehr gewahr, daß es Jemand Anderen ar ber: mr ganze Seele be- ſchaftizt.

5

Diejen Andern muß er ausfindig machen.

Weshalb ? Um ihn vielleicht zu tödten? Um ihn mit der ganzen Wuth der Eiferfucht zu verfolgen ? Nein, diefen Jemand muß er finden, daß Seraphine endlich glücklich werde ; daß auf ihr nn Geſicht, die Roſen ———

Es war an einem Abend im Theater. Sera- phine betrachtete von ihrer Loge aus, ihrer Gewohn— heit gemäß, ftatt die Vorftellung. das verjammelte Bublifum. Der Fürft faß ihr gegenüber und heftete feine Blicke auf das bleiche Antlig. In einem Mo- mente jchien es ihm, als ob ein rofigor Morgenroth über diefe fchneeigen Gefilde zöge, und Seraphine ganz heimlich Jemanden im Partere gegrüßt hätte... Sonit pflegte fie ganz auffallend Grüße zu wechjeln ;

heute that fie e8 heimlich. | Der Fürjt folgte den Bliden Serapbines, und ‚entdedte Denjenigen, welchem ber Gruß gegol-. ten... . Statt eine Frage an Seraphine zu richten, erwartete er den Augenblid, wo ein Bejuch in der. Loge vorfprach, um fich unbemerkt zu entfernen, nnd , ſich auf den Kafinoserfer zu begeben, wo er neben Elemer Dombay Pla nahm.

Diefer Kavalier war berühmt deßhalb, daß e er

jeden Menjchen, Damen, Mädchen, Herrn, ohne

Ausnahme Fannte, die nur das Theater zu befuchen pflegten, jelbft die Galerie nicht ausgenommen,

ne

Sag mir einmal Elemer, wer ijt jener unge Dann dort unter der vierten Loge, welcher auf feinen Stod gejtüßt ſteht.

Im deu manchefternen Baletot ? der ift der Gatte einer Schaufpielerin.

Ah, zum Kufuf; und der neben ihm, im chamois⸗farben Rod.

So? der ift auch der Gatte einer Schau- fpielerin. |

Die nennt er fich ?

Bela Yavay.

Was für ein Handwerk betreibt er?

Im befjeren Zeiten war er Bublizift ; jest ijt er Advokat,

Lach mich nicht aus, wenn ich Div mittheile, daß diefer Mann mein geheimnißvoller Gärtner ift.

Die Derjenige etwa, von dem du erzähl- tejt, daß er einft Fertöh in das Aquarium geſtoßen hatte, und dann entjprungen jei ?

Derjelbe. Sch erkenne ihn num wieder, und erkläre mir num das Räthſel; Fertöy jprach eben Davon, daß der Lotos den Namen einer gewiffen Laͤvayh führe, und er hierauf den famofen Gruß erhielt... ..

A, das Klingt ja herrlih was bu mir da erzählft, gleih morgen muß ich Bela darüber - befragen.

Kennſt du ihn?

7

Sehr gut, er iſt ein kurioſer Kauz! J

Nun wenn es ſo iſt, erſuche ich dich, dieſer Sache vor ihm nicht zu erwähnen, Ich habe eben einen anderen Plan. Wir müſſen uns ſtellen, als ahnten wir nichts von ſeiner Identität.

Ich habe es nicht nöthig, den Gentlemann von heute, als meinen Diener von geſtern zu erfen- nen, den die Mode ver Bolitif gezwungen hat die Liorde anzuziehen. Mein Plan wäre ihn zu meinen Rechtsfonfulenten zu wählen.

Da hättjt du recht, e8 ift ein ordnungslie— bender Dann, und feines Betruges fähig. Uebrigens ‚babe ich e8 errathen, weßhalben du gerade jett auf die Idee gefommen bift !

Der Fürſt betrachtete zweifelnd feinen Nachbarn.

Das haft Du nicht errathen.

Wetten wir!

Gut. Es gilt taufend Rubel.

Geh, fei fein Narr, bift ja nicht in "Rußland. |

Betten wir dennoch in einer Viertelgulven Banknote.

Die Wette jteht. Höre alfo: Dir fuhr die bizarre Idee durch den Kopf.

Mein Freund Fertöy pflegt mich vermöge ‚jener Freundfchaft, welche mich an fein Haus knüpft, ‚jehr oft zum Vertrauten feiner Gelvangelegenheiten

—_ 8

zu machen, da pflege ich ihn ſtets an meinen Rechts— anwalt zu weiſen, welcher uns beibe verjteht.

Welch’ eine unterhaltende Wendung wird es aber nehmen, wenn ih Bela Laͤvay zu meinen‘ Rechtsanwalte ernenne und dann mit unjchuldigfter Miene, meinen Freund Fertöy zu ihm fenve, er möge beratheu, wenn e8 ihm beliebt. Derfürft lachte, der Einfall ſchien ihm bizarr genug, doch ent» iprang er nicht feinem Gehirn. Er lachte zwar, doch ihüttelte er ven Kopf. Die wahre Urfache hatte fein Freund nicht errathen, doch diente dieſ Idee dazu, daß man die Wirflichfeit vor den Augen der Welt verberge.

Diefe wird nur die Satyre fehen, nicht aber

die Idylle, welche hinter derſelben abgejpielt wird.

Wolozoff gönnte feinem Nachbarn die Freude

des Triumphes ; nahm mit malitiofen Lächeln einen

Guldenzettel aus feiner Tafche, bog denfelben vier-

‚theilig zuſammen, benegte die Kanten mit feiner

Zunge und riß behutjam ein viertel der Banknote heraus.

Auch dies gehörte zur damaligen Mode.

Du haft die Wette gewonnen, ſagte er, und legte den Banknoten-Fetzen vor Dombah hin.

Diefe Anekdote machte noch während ber Vor— stellung im Theater die Runde.

Alles fand den Gedanken genial, womit ein glücklicher Anbeter den ihn bereits zur Laſt werden— den Gatten den Weg zu ſeiner Geldkaſſe erſchwert.

Wolozoff aber ergänzte in ſeinem Geiſte die Einzelheiten jener Geſchichte, welche der Welt unbe— kannt geblieben ſind.

Als er nach dem vermeintlichen Miſſethäter, ſeinem Gärtner, ſchießen wollte, erfaßte Seraphine ſeine Hand und vereitelte den Schuß.

Seraphine war damals allein mit dem Gärt— ner im Wintergarten und pflegte auch ſonſt zu ver- Ichwinden, um ihn aufzufuchen.

Seraphine erzählte ihm einft, daß Frau Laͤvay ihre Freundin gewefen ; daß fie in einer Stabt wohn- ten, daß ihre Fenter einander gegenüber lagen, und daß fie in der Stadt für Nebenbuhlerinen galten.

Auch erinnerte ſich der Fürft, daß Seraphine: einen tiefen Seufzer ausgeftoßen, als fie die Erzäh— fung des Romanes ihrer Mädchenzeit mit ven Wor- ten beendet hat, „und jett iſt Judith glücklich."

Wolozoff glaubte nun zu verjtehen, und rai- jonnirte folgendermaßen : e8 wäre angezeugter, wenn. Seraphine glüdlih, und Judith ein wenig unglüd- (ich wäre.

Denn am Ende fei ja die ganze Weiberglüd- jeligfeit nur eitel menſchlicher Scherz und Schid=- ſalslaune.

= 0

Geraphine wird frölicher fein, weun fie zu eben anfängt, vie Künftlerin dagegen wird fich um jo mehr ihrer Kunft befleigen, wenn fie vom Schmerz heimgefucht wird... ...

Am andern Tage erhielt Bela einen Bejuch von Elemer Dombay.

Freund id) bringe Dir gute Nahricht, rüdte Dombay heraus Fürſt Wolozoff beflagte ſich geftern, das die Kommaßations Arbeiten auf ſei— nen Gütern ſehr erjcehwert wurden, und baß ber Wiener Doktor, welcher bisher feine Rechtsangele— ‚genheiten geführt, von den Fragen der Kommaffi- rung, des Urbarialwejens, der Allodial-Gründe, der Negalien und Remanenzien eben jo viel verjteht, wie die Henne von a. b. c. und daß er jeßt gezwun— gen fei, einen ungariichen Advofaten zum Rechtsan— walt zu nehmen, ev bat mich zugleich ihn Jeman— den zu empfehlen; da ich wußte, daß Du, mein Freund, die Urbarial VBerhältnige zu deinem bejon- deren Studium gemacht, nannte ich Deineu Namen, ‘worauf der Fürft mir alffogleih die Hand gab, und in den Vorſchlag willigte. Nun was fagft Du dazu ?

Bela Schlug nicht fo ſchnell ein.

Was zum Kukuk, Du zögerft, als ob Du dich erſt befinnen wollteft, die Stelle anzunehmen ? Freund wenn ich Advokat wäre, würde ich mit bei- ven Händen nach einer folchen Gelegenheit greifen.

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Was denkſt Du? Durch eine ſolche Stelle ift dein Glück gegründet.

Es giebt etwas unangenehmes bei diefer angebotenen Stelle, fagte Bela ausweichen, was ich Dir nicht erzählen kann.

Nun, jo werde ich's Dir erzählen, vom Anfang bis zum Ende. Höre mich an. Als Du noch politiicher Flüchtling geweſen, fiel es dir einmal ein, unter andern Maskirungen auch bie Livree eines herrjchaftlichen Gärtners zu verfuchen. In letzterer Eigenſchaft dienteſt Du den Fürften Wolozoff, ‚Haft Dich aber nicht auf die fchönfte Art von ihm verabjchiedet, nachdem Du feinen Gaft, der deine Gattin verleumdet, in das Aquarium ftießeft, daß er heute noch darin läge, wenn man ihn nicht he- raudgezogen hätte. Bon dieſem Falle weiß die ganze Welt, trotzdem, daß Du ihn Niemanden erzählteft. Sndeffen wird der Fürft Dich nimmer erkennen, "wenn er Dir begegnet. Auch haft Du jett ein ganz ‚anderes Geficht, und der Fürft wird e8 nie merken laſſen, vaß er fich erinnert, Dich je gefehen zu haben. Mebrigens haft Du nur dann mit ihm zu verkehren, "wenn ein Vergleich zwifchen ihm und feinen Bauern ftattfinden foll.

Gut ih werde mir's überlegen,

Wa8 bei Dir jo viel bedeutet: „ich werde es früher meiner Frau mittheilen," daran thuft Du Recht, Freund; fie ift ein Huges Weib, hat mehr

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Verſtand als Du und ich. Biſt dabei ein glücklicher Mann, haft zwei Köpfe, was Du mit einem nicht ausklügeln fannft, darüber Holft Du Rath beim Ar- dern. So geziemt e8 fich auch. Deine Gattin wird- - dir ficherlich jagen : nimm die Stelle an.

Darüber bin ich im Zweifel.

Kun fo erfahre es je eher, und benachrich⸗ tige mich.

Dann entfernte ſich Dombay, während Bela zu Judith eilte. | Meine Liebe, Fürft Wolozoff hat mir das Rechts-Direftorat über feine Güter angetragen. Was fagit Du dazu ?

Judith dachte nach.

Dann ergriff fie plötzlich Belas Hand und ſprach:

Nehme es jetzt an. Verrichte in moglichſt kurzer Zeit die wichtigſten Angelegenheiten, Und dann danke ab.

Bela bedankte ſich mit einem Handkuß für den guten Rath.

Es fteht entjchieden feit, daß Frauen den feinjten Takt befiten.

Ein wenig weltlicher Tratſch, ein wenig Schein, ein klein bischen. Eiferfudht, und aus dieſen vielen Kleinigkeiten entfteht ein jo allgemeines Chaos, woraus fich der gute Ruf eines Menjchen kaum zu retten vermag. Es giebt aber noch Menſchen, denen:

re ver gute Auf theurer, als das tägliche Brot ift.. . Wenn Bela ſolch' ein glänzendes Anerbieten zurückweiſen follte, würde er einen ganzen Schwarm der beleidigendſten Verbächtigungen gegen fich und feine Öattin aufhegen.

Ein Advofat, der einen Fürften, welcher ſeiner Gattin, die durch Zufall auch Schauſpielerin iſt, Kränze zugeworfen, nicht zum Klienten haben will, ſetzt ſich vor den Augen der Welt den ärgſten Ver— muthungen aus. Nimmt er die Stelle an, und verbleibt in derſelben, was würde dabei heraus— kommen? Ein Advokat, der Gatte einer Schauſpie— lerin iſt, welcher ſein Klient, der Fürſt, Kränze zu— werfen pflegt; ſetzt er ſich nicht den haßlichſten Zu: muthungen aus.

Beendige ſeine Angelegenheiten, um de— retwillen er Dich berief, dann laß ihn fahren.“

Als Fertöy erfuhr, welch’ nene Bekanntſchaft der Fürſt mit Bela Laͤvah angeknüpft Hatte, raiſo— nirte er folgendermaſſen:

„Der Fürſt iſt eben ein launenhafter Menſch, wie es die Großen zu ſein pflegen, Judith eine ſchöne Frau, hat einen ſchönen, hohen künſtleriſchen Ruf, und was noch mehr, ſie genießt auch den Ruf einer treuen, ihrem Gatten ergebenen Frau; ein wahrlich ſehr verlockender Umſtand. Dagegen welkt Serg- phine vom Tag zu Tag, ihre Launen langweilen,

——

ſtatt Bewunderuug zu erregen. Der Fürſt konnte erfahren haben, daß Bela einſt Seraphine den Hof gemacht, und daß diefe nicht gleichgiltig für ihn ge— wejen. Er konnte demnach auf die Idee eines gegen- jeitigen Tauſches fommen. Alte Flammen laſſen fich ja fo leicht wieder anfachen.

Diefe Kombination hatte Fertöy nicht zufrie- den geitellt.

Er nahm fich vor beider Frauen Zugenb zu vertheibigen :

Die Seraphines gegen Bela, und die Judith's gegen den Fürften.

Es giebt aljo dennoch Fälle wo die Tugend einen Werth befigt !

Fertöy war ſehr mit fich ſelbſt zufrieden, als. er die Details feiner Bertheidigungstaftif jejtge- jtellt hatte.

Die Lage mag fehr verwidelt geweſen ſein. Fertöh hatte eine ſchöne Frau und eiue ſchöne Niece.

Seine ſchöne Gattin hatte einen reichen An— beter, der zugleich der ſtille Verehrer ſeiner ſchö— nen Niece iſt.

Wäre e8 nicht eine boshafte Esfamotage,

wenn bie Köpfe der weißen und ſchwarzen Taube plötzlich vertaufcht würden.

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Wem kann man hier vertrauen? Einzig und allein Judith. Ihr Karakter iſt der ſtärkſte, ver wie- deritandfähigfte unter Allen,

Fertöy hatte etwas erjonnen, woburd man Judith in den Brennpunkt der Intrigue hinſtellen) und durch fie das Ganze vernichten konnte.

Welcher Natur dieſes Etwas gewejen ? werden wir jpäter erfahren.

Ueber das fönnen wir aber heute jchon im Klaren fein, daß fo oft Fertöy an feine Niece dachte, er diejelbe ſammt ihrer ganzen Familie auf den Grund des Meeres verwünjchte; Niemanden jedoch haßte er jo, als Judith jelbft.

Mochte er vielleicht die Ahuung. haben, daß vieles Viele im Beſitze jenes geijtigen Kapitals ift, welches an Werth feinen Haß paralifirt; und baß fie ein ebenſo unverföhnliches Herz ihm gegenüber ftelfte, als er eines befigt ?

Es war an einem ſchönen Herbittage, zur Zeit der Weinlefe, ald Bela im Schloße des Fürften. anlangte. Er kannte fehr gut die Räumlichkeiten die- ſes Schloffes, jo wie auch das Dienftperjonale, doch ihn erfannte Niemand, außer dem alten Jagd⸗ hunde, welcher ihm im Vorzimmer entgegen ſprang und Zeichen ber Freude gab, als würbe er fih aus der Vergangenheit des Ankömmlings erinnern.

Als fih Bela nach dem Fürften erfundigte, verwies ihn der alte Kammerbiener in den Garten,

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wo der Fürjt mit einer Gejellichaft bei ver Jauſe jaß. Er hatte viele Gäfte aus der Gegend, man hatte eben heute die Weinleſe beendet.

Bela beeilte fich den Fürften aufzufuchen. Er ‚wußte recht gut, daß fein Lieblings Aufenthalt ein aus Eifen und Glas gebautes chineſiſches Lufthaus fei, an deſſen Säulen er einft vie Efeu-Ranfen pflanzte. Dieſe waren bereit8 hoch herangewachjen, liefen bis an das Dad) ver Pagode, und hingen mit ihren zarten Ranken wie ſchwebende lichtgrüne

Schatten herab.

Die hintere Thüre dieſes Auſthauſes öffnete ſich auf ein Garten-Labyrinth, welcher, wie wir wiſ— ſen, daher ſeine Benennung hatte, daß man Bäume und Geſträuche in Form von Schneckenwindungen angeſetzt, wo, wenn man den Mittelpunkt erreicht, man wieder genöthigt war, denſelben Weg zurück zu machen.

Wollte ſich der Fürſt einen ſogenannten Jur machen, jo ließ er die Thür-Klinfen von den erſten drei Thüren ver Pagode abnehmen, ließ die gemal- ten chinefischen Vorhänge der Fenſter herabziehen, und Derjenige welcher in ven Papillon hinein wollte, mußte nun jene Schnedenwindungen betretten, und einen Weg von ungefähr taufend Schritten zurüd- legen, um im die Pagode zu gelangen. Dieje Erfin-

‚dung diente dazu, um ſich vor plöglicden Ueberra— ſchungen ficher zu ftellen.

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Bela jedoch kannte fehrgut den Weg, hatte doch er die Sefträuche und Bäumchen des Labirin- thes zugeſtutzt. Er gehörte auch nicht unter jene wil den Säfte, welche ein jedes Fenfter am Pavillon zu verjuchen pflegten, ob e8 feine Thüre fei, bevor fie ſich entſchloßen hatten den Pfad des Labyrinthes zu betretten. 5

Aus der Pagode drang ein großer Lärın Männerſtimmen, Gläfer-Geflirr und Gelächter iu einander gemijcht ; zuweilen mengten fich auch ſcharfe Srauenftimmen bienein, wahrjcheinlich der Koufinen des Fürften.

Bela am Schauplate feiner einjtigen gärtne- riſchen Thätigfeit angelangt, fühlte eine unwillfür- liche Erregung der Erinnerung an feine alten Be— fannten, an die durch ihn gepflanzten Bäume.

It e8 doch eine wahre Leidenfchaft, welche der Gärtner für feine Bäume hägt; eine Leiden- ſchaft, worin Liebe, Kummer, Eiferfucht, Wohlge- fühl und finſteres Hinbrüten vermengt find. Welh eine Sehnfucht in der Ferne, Fremde im Wieder- jehen und Schmerz über das Verwelfen empfinden. Ob er gewachien, ob er reiche Blüthen getrieben, jener Tulpenbaum, den er einjt in ber Mitte des Labyrinth's gepflanzt, mußte er doch bereits fich zu einem großen Baume herausgewachjen haben. Bela batte in diefen Momente mehr Intereſſe für ven Zulpenbaum, als für die ganze Gejelljchaft.

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 2

a

Der Tulpenbaum war feitdem groß gewach— fen, hatte üppiges Laub und reiche Blüthen ; die um die Rotonde gepflanzten Hibifbäume neigten ſich mit ihren dichten Laub übereinander, dazwiſchen jchlan- gen fich die Ranfen der wilden Beern, und bilbeten eine lebende grüne Höhle; um das Ganze zu ergän- zen, lehnte eine bleiche Frau an dem Baumſtamme, gleich einer Dryas der Mythe, mit einer Hand an einen hervorſtehenden Aſt geflammert, die andere über das blonde Lodenhaupt erhebend, in melden ftatt der Blume, halbreife wilde Weinberen prang- ten. Die durch das grüne Laub durchdringenden Sonnenftrahlen, hatten mit ihren grünlich bläufi- chen Licht das genußſüchtige Antlig noch bleicer gefärbt,jenes Antlig, deſſen rothe Lippen und Flam— menden Augen noch fo viel Anfpruch auf Leben machten,

Die Geftallt, welche an dem Baume lehnte, war Seraphine. Bela war ebenfo überrafcht ald Seraphine, als fie das Ungefähr jo plötzlich zujam- men brachte. Die Befchaffenheit des Labyrinth's brachte e8 mit fich, daß fie einander erft bemerken, als fie fih Aug in Aug gegenüber ftanden.

Seraphine, welche aus tiefen Nachdenken zu erwachen ſchien, betrachtete mit finnenden Bliden den Ankömmling und nur als fie Bela begrüßte, trat das befannte Lächeln auf ihre Lippen.

Ah, Sie find es Laävay? Ach ! fie verfuchte 28 ſchalkhaft zu Lächeln.

Ich kann wirflich nicht für etwas anderes ‚gehalten werden, als ic wirklich bin, fagte Bela im -gleihem Zone, Sie aber hätten fich füglich als bie

Dryade diejes Haines haften Fünnen, welche den "Worten des Laubes laufcht.

Wiſſen Sie e8, lieber Lavay, daß vie Sprache des Yaubes in diefem Haufe die vernünf- tigjte Sprache ift. Doch was führt Sie hieher ? Kommen Sie vielleicht, um nach einem Auge zu jehen, ‘welche Sie noch als Gärtner gepfropft hatten.

Ab möglich. Uebrigens ließ mich ver Fürſt in einer fat profaifchen und dennoch erhabe- ‚nen Angelegenheit zu fich rufen. Er will eben einen Ausgleich mit feinen Bauern anbahnen, und ich ſoll hierin fein Anwalt fein.

Ah das ift jehr ſchön. Dann werden wir ‚Sie oft jehen. Fertöh gedenkt vierzehn Tage bier ‚zuzubringen.

Seraphine jagte dieß mit unverblümten Spott, fie wußte es ja gut, daß der Name Fertöy’s Feines- wegs die Freuden Belas vermehren werde.

Wie bepauere ich die ſchöne Gelegenheit in Folge Anhäufung meiner Gejchäfte nicht benüten ‚zu können, ich muß mich hier fehr beeilen, ven es Aparten auch zu Haufe Pflichten auf mich.

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Welch abgejhmadter Mann find Sie La- vay, anftatt, vaß Sie fagten,.... daß heißt, Sie brau- hen nichts zu jagen. Sie haben es ja nicht nöthig auf meine Fragen Antwort zu geben, in jenem Tone, in welchem ich Sie frage, ſprechen Sie nichts. Ich ſehe Sie dann am liebten, wenn Sie ſchweigen, da pflege ich immer über Ihre Gedanken Vermuthungen an: zuftellen. Wenn Sie jprechen, find fie viel ſchwerer zu errathen.

Bela lachte.

Demnad pflege ich immer anders zu den- fen, als ich ae ? Geraphine zudte mit den. Achſeln.

Wie Sie unausſtehlich find? Ich wollte Sie beleidigen, und Sie lachen darüber. Wüßte ich's nur, womit man Ihnen nahe treten, Sie beleibi- gen kann.

Gie mit nichts.

Na, na, nehmen Sie fi in Acht, ich werde Alles aufbieten, um Sie in Zorn, in Wuth zu bringen, und Cie zn zwingen, mit mir zu ftreiten.

Dann werden Sie von mir nichts ernft nehmen, bebenfen Sie, daß ich Advokat bin, und ala jolcher, ja oft jtreiten muß, als es meine Klienten verlangen, trotzdem, daß ich meinen Gegnern feines: wegs Feind bin.

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Gut denn, Herr Advokat, auch ich habe einen Prozeß, darf ich Sie bitten, denſelben anzu— mehmen.

Es iſt nur die Frage, ob der Prozeß nicht ‚gegen einen meiner Klienten gerichtet iſt; der Advo- ‘Tat darf nicht doppelzüngig fein, ſonſt wird er zum Silenziarius gemacht.

Ad! kümmern Sie fi beute nicht um ‚Ihren Klienten, wenn Sie den Fürften meinen. Mit

‘dem ift heute Fein vernünftiges Wort zu wechſeln. - Er hat mit Fertöy gewettet, wer den anderen eher unter den Tisch trinkt ? Wie ich beide kenne, wird dieſes edle Turnir „h eut e“ faum fein Ende finden. Sch verfchwand vom Schauplage des Wettfampfes ; "blieben doch der Damen genug bort, um den Sieger

zu befränzen. Haben Sie etwa Luft, fich ven Reihen |

der edlen Kämpfer anzufchließen, oder bei mir zu verbleiben... .. Ein bittere® Dilemma, nicht "wahr ?

Im Gegentheil, die Wahl ift fehr ange nehm, erwiederte Bela, indem er an der Seite Se- -raphinen’s Plat nahm, welche an einer herabgerifje- nen Ranfe ver wilden Rebe Faute, vielleicht um fich den Ekel nah dem füßen Mahl zu vertreiben. Gehen wir alfo zum Prozeß über, den fie mir an- "vertrauen wollen, gegen wen ift er gerichtet ?

Gegen die ganze Welt, fagte Seraphine, eine Handvoll wilder Beeren in die Luft jchleudernd.

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Auf ven Rechtsgrund ver Erbichaftätheis lung. Auch ich will einem Theil von jenem Ölüde, von jener Achtung, von jener Ruhe, die Allen auf der Welt, dem Knechte, dem Bauer, dem Narren zu Theil wird, und, an benen nur ich nicht theilnehmen fann, ſonſt Feder, der darnach greift. |

Liebe Seraphine! Es find dieß zwar Rechte die einem Jeden gebühren. ...

Ich bitte Sie geben Sie meinen närri- ihen Reven feinen vernünftigen Anjtrih. Warum lachen Sie jegt nicht, Ihr Lachen könnte mich an- ſtecken. Sie bemerfen es nie, wann id) Scherz treibe.

Hören Sie mih an jagte Laͤvah ih icherze nicht; habe Ernjtes mit Ihnen zu fprechen. Sie werden es aus einem meiner Worte errathen . fönnen, daß ich mich fehr viel um Ihr Schieffal fümmere. Ich habe die vergangene Woche damit zu- gebracht, ven Beſchluß in mir reifen zu laffen, wo- nach ich Sie zu einen entjcheidenden Schritt bewegen muß. Ih muß Sie nämlich überreden, fi von Fertöy ſcheiden zu lafjen.

Das Gefiht Seraphines wurde noch bleicher, als e8 bisher geweſen, plößlic begann es fich aber zu röthen, daß es beinahe zu flammen jchien. Ver— wundert und zitternd blicte fie Yavay ar.

Weshalb foll ich mich ſcheiden laſſen?

Das fann id) Ihnen jett nicht Jagen, weil «3 mein Geheimniß ift. Sie müffen mir es jeboch-

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glauben, daß ich e8 nicht ohne Urſache thue. Ich war entſchloßen, Sie aufzufuchen oder brieflich auf- zufordern, wenn mir das Ungefähr nicht zu Hilfe fommt. Die Pietät für die Erinnerungen einer Ver- gangenheit, das Wohlwollen, welches Sie mir in meinen bitterjten Schickſalen bewiefen, machen es mir zur Pflicht, Sie zu einem Schritte zu bewegen, den Sie machen müffen, wenn Sie einem böfen Ge- ihide ausweichen wollen, welches Sie unbedingt in den Abgrund reißen würbe, wenn Sie meinen Wors- ten fein Gehör ſchenken. Diefe Worte war ich Ihrer Zukunft ſchuldig. Ich will Sie früher von Ihrem Gatten geſchieden fehen, und dann erft werde ich Ihnen bie Urfache erflären.

Seraphine blidte träumeriſch in bie Au ger Belas, und glaubte aus denſelben Tejen zu Für ren.

Doch wie täufchte fie fich !

Seraphine ließ ſich unwillkürlich auf pas Heine weiße Bänfchen der Laube nied.r, als wäre fie von einem Schwindel ergriffen.

Sie war nur zu jehr Fran, um ihr Herz einent Gedanken verjchließen zu fönr,en. Der einftige Ju— gendgefpiele empfiehlt ihr, fi) von ihrem Gatten zu trennen. Ein Mann, an dem fie nie ohne Herz Hopfen zu denken vermochte, verlangt von ihr, ein Hinderniß aus dem Wege zu räumen, welches zwi— ſchen ihnen Beiden ſich befindet, Seraphine faltete

die Hände, ſah Bela mit flammenden Blicken an, und frug ihn, im Tone innerſter Erregung.

Bela! haben Sie jetzt im Ernſte mit mir geſprochen?

Bela war von dem flehenden Blicke ver blei— hen Frau ergriffen, und vrüdte ihre zufammenge- falteten Hände.

Seraphine ! der Himmel möge jene Strafe über mid) verhängen, die nie, nie mich treffen kann: die Verachtung der Menſchen; wenn ich nicht wahr und aufrichtig zu Ihnen fpreche; ſchenken Sie mir Glauben. Ich weiß es, daß e8 ein gewagtes Wort war, welches ich ausſprach; doch Sie haben von „geachtet fein“ gejprochen, das war überflüffig. Ich wußte e8, daß eine Frau wie Sie, die im Flaren Sonnenschein der Achtung aufgewachfen, veren jeder Zug den natürlichen Anhang des Stolzes trägt, ge— gen jenes Gut, welches höher als das Leben anzu- Schlagen ift, nicht gleichgiltig bleiben kann. Sch habe wichtige Gründe, Ihnen ald Wegweijer zu dienen. Betrachten Sie mich, als währe ich nicht anderes, als ein kalter unempfindlicher Stein, auf welchem die Worte ftehen : „gehe diefen Weg." Einem folchen Stein würden Sie Glauben ſchenken, ohne zu fra- gen: ob er aud) die Wahrheit fpreche ? Ich kann Sie nicht über meine Gründe aufklären, denn in denfelben liegt die Hand der Nemefis, welche umerbittlich auf Ihrem Schidfale ruht. So viel kann ich Ihnen je-

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doch fagen, daß Sie falld Sie die Verbindung nicht Töfen, einem böfem Geſchicke anheim fallen, das feine "Rettung mehr geftaitet.

Sie erfchreden mich. |

Das will ich eben, einft werden Sie mich ſehr gut verftehen und e8 Far einfehen, daß mich zu diefem Schritte, weder Laune, noch Intrigue, am We- nigjten aber unreife Empfindelei bewog; fondern eine natürliche, jehr gerade Berechnung ; Sie werden ed einjehen, daß ich Dinge ſehend, die unbedingt geſchehen werben, bei jenen Erinnerungen, welche ih in meiner Seele herumtrage, nicht ſchweigen Tonnte, jondern fprechen, und nur jo fprechen mußte.

Erlauben Sie mir ein wenig zu rathen. Alſo mit Fertöy joll etwas Großes gejchehen, Sie Iprechen von einer Nemefis. Soll er vielleicht an feinem Bermögen Schaden leiden ?

Davon weiß ich nichts, würde auch darü— ber nichts ſprechen. Bin überzeugt, daß Sie dann am Beſten an feiner Seite ausharren würden. Ar- muth gilt zwar als Schande in den Augen Anderer, ‚aber nicht in unjeren eigenen.

Aendert fi) vielleicht die pofitifche Situa⸗ tion, und iſt die Stellung Fertöh's gefährdet.

Auch das wiſſen Sie zu gut, daß in gegen- "wärtigen Zeiten in diefem Lande Niemand bon Po- Aitik fpricht.

=.

Dann beabfichtigt Fertöh einen Streich gegen mich zu führen? Kann er miv noch mehr Bö— jes zufügen, al® er bereit gethan, würde ich denn jeinetwegen nicht ſchon Längjt einem Anderen, wen immer in der ganzen Welt angehören, wenn ich nicht mir ſelbſt angehörte. |

Liebe Seraphine, täujchen Sie ſich nicht. Eine Frau gehört nie fich jelbit an.

Demnad; ijt fie theilweife das Eigenthum eines Anderen ? |

Ja, das Eigenthum jene8 Namens, dern fie anftatt des ihren angenommen. Diejer kann Sie erheben, oder mit fich in den Koth herabziehen, ohne daß Sie dagegen etwas zu thun vermöchten.

Es droht Fertöy ſonach Gefahr, und zwar eine Gefahr, welche feinem Namen ſchaden könnte.

68 ift möglich.

Und würden Sie e& nicht für möglich halten, daß, wenn die Gattin Fertöy’s erführe, es droht ihrem Mann Gefahr, fie, ftatt fih von Ihm zu trennen, ihm das Geheimniß entdeckt?

Das würde mich durchaus nicht befrem- den, im Gegentheil, würde ic) mich freuen barüber, wenn dadurch der Schande auszumeichen wäre. Ver—⸗ geſſen Sie nicht, daß ich Ihnen fagte: es würde mir zur größten Freude gereichen, wenn Fertöh ber Gefahr entrinnen könnte. Doch Sie werden ihn. nicht retten könnten.

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Woraus folgern Sie das? ...

Weil er ſelbſt mit Gewalt zu Grunde ge— hen will. |

Räthfelhafter Menſch! iſt das Ihre Rache ?

Nein, nein, ich rühre feinen Finger, um ihn zu verfolgen; fein Wort entfällt meinen Lip— pen, welches ihn vorwärts treiben Tönnte gegen ben Abgrund ; er jelbit eilt demſelben entgegen, und wird darin jei Verderben finden.

Wiſſen Sie was ich mir jet denke?

Ich weiß es.

Sie wiffen e8? Nun, mas?

Sie denken liebe Seraphine, diefer mein Zugendgefpiele will mic) von meinem Gatten ſchei— ven! Um.... nun mich auch vom Fürjten tren- nen zu fönnen.

In dem Momente bedeckte Seraphine ihr Ge⸗ ſicht mit beiden Händen, als wäre ein Blitz vor Ihr nieder gefahren; fie wendete ſich ab von Bela und fing laut zu ſchluchzen an.

Bela richtete ſich vor ihr auf, und ſprach Fein. Wort.

Nach einigen Minuten erhob die bleihe Frau ihr thränenbefeuchtetes Antlig, und ſagte fortwäh— rend fchluchzend in vorwurfsnollem Zone:

BWarım haben Sie e8 nöthig gehabt, dies. zu errathen?

28 es

Weil das ganze natürlich iſt. Eine jede

Frau würde in gleichem Falle ſo denken. Deßhalb hätten Sie mir dieß doch nicht ins Geſicht ſagen ſollen. Mit dieſem Worte haben Sie mich zu Ihrem Sklaven gemacht, von nun an kön— nen Sie über mich gebiethen. Nun. bin ich ent Tarot; Sie wiffen num, daß ich Furcht vor Ihnen habe; mit einem Winfe können Sie mich fchiden, ‘wohin Sie wollen; Sie wilfen es, daß ich nichts ‚gegen Sie erfinnen Tann, was Sie nicht alljogleich errathen. Was wollen Sie thun mit mir ?

Das, was Sie, vor einigen Angenbliden von mir gewünfcht hatten: Ihren Prozeß gegen die Welt gewinnen.

Sie ſchlagen mich in der That mit mei, nen eigenen Worten. Ich bat Sie, mich zu verthei- digen, und machte es wie der Knabe in der Fabel, welchen ver Schuß feines Verfolgers anrief.

Gie find ungerecht Seraphine ; Sie wollen es mir nicht glauben, daß jenes Gefühl, welches ich für Sie bewahrt habe, die aufrichtigfte Achtung ift.

Ich vermag e8 nicht zu glauben, weil dieß für ‚mich entweder fehrwenig, oder ehr viel it. Sie ſpie— len fich jetzt ebenfo mit mir, wie in unjerer Kindheit, ‘wo Sie ein Steinchen das ich Ihnen nehmen wollte, feft in die Hand drüdten, und über meine vergebliche ‚Mühe, Ihnen venjelben zu entwinven, jo herzlich lach⸗ ten; Sie waren ftärfer. Sie fühlen auch heute Ihre

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Stärke, und wiffen es, daß ih ſchwach bin; Sie

wiffen noch mehr, 3. B. daß wenn Sie ſich mir ge- genüber jchwach zeigen wiürben, ich Die Oberhand- gewinnen möchte. Und das ift ee, was Sie jo gut zu periwerthen verjtehen. Sie haben vor fich eine Fra, bie bezaubert von Ihren Füßen liegt, die Sie mit der Spike Ihres Fingers emporheben könnten ; Sie

hüthen fich jedoch Ihr diefe Fingeripite zu reichen, denn würden Sie dieſe Frau erheben, müßten Sie zu ihren Füßen finken.

Auf den bleihen Wangen Seraphinens erglüh⸗ ten bei diefen Worten, gleich zwei erblühten Rofen,. bie entflammende Leidenſchaft.

Ach! Seraphine, Sie ſchwelgen uoch immer im Reiche der Poeſie, und vergeſſen, daß das Leben auch eine proſaiſche Seite hat, ſagte Bela,. fih neben Seraphinen niederlaffend und ihre glü- bende Hand ergreifend.

! In den Romanen findet man Helden, die fich ftetS mit einem und vemjelben Gedanken befaffen. Auf dem Theater beginnt das Drama mit Schwär- mereien und die Schaufpieler jprechen durch volle fünf Akte ftets über demfelben Gegenſtand. .... Was thun fie jedoch in ben Zwifchenaften?.. Dort iſt das wirkliche Leben... . dort läuft ber Menſch vom Morgen bis zum Abend feinem Ge— ſchäfte nach ; kämpft mit fremden Sorgen, lernt und lehrt, vafft Erfahrungen nah: und findet feine

zu Mi

Freude darin, wenn er nach dem Erfolge fich behag- lich ausruhen kann. Das ift die furchtbare Profa des Lebens, liebe Seraphine! ... und dieſes wäre Ihr Ideal nicht. |

‚Leider, da$ eben dies mein Ideal ift, und

eben deßhalb, weil e8 mir am entfernteften jteht. Ich ſelbſt bin eine Teichtfinnige Närrin, und Dieje- nigen, die mir nahe ftehen, find hierin ſämmtlich meine Nebenbuhler, und ich bete meine Gegenfüß- fer an. a

Ein bachanalifcher Lärm erfchall von der Pa- gode her, und ftörte das Geſpräch.

Seraphine machte dieſe Störung erbeben,

Verlaßen wir diefen Drt, jagte Seraphine ‚zu Bela.

„Diejen Ort,“ frug Bela die Worje ab- ſichtlich betonend. |

Seraphine hatte ihn begriffen.

Ja dieſen ganzen Ort.

Und follen wir wiederfehren ?

Ich habe e8 nicht nöthig wiederzufehren. Doch Sie?

Ih werde es thun, die Angelegenheit "welche mir der Fürft übertrug, will id) beenden ; da= xüber hinaus hören meine Beziehungen auf.

Sie wollen ihre Stelle bier aufgeben ?

Das it mein feſter Entſchluß.

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In Seraphinens Seele begann allmälig ein Glaube Wurzel zu fchlagen; der Glaube an den Zraum ihrer Kindheit. |

Sie drüdte die Hand Belas.

Dann übernehmen Sie meinen Chefchei- dungsprozeß?

Ja und ich gebe Ihnen —* die Verſi— cherung, daß derſelbe einmal begonnen, auch bald beendet ſein wird. |

Nun Gott mit Ihnen, gehen Sie ins Schloß zurüd. Heute können Sie nicht mit Wolo- zoff fprechen, und fich mit ihm zu unterhalten, wer- ven Sie gewiß feine Luft verfpüren.... . Ich gehe in ven Park; denn ich bedarf der Einſamkeit.

Diefe Stunde ift ver Wendepunkt meines Le— bens, wo man ſpricht: der Sommer tft zu Ende, und der Herbit beginnt. Trachten Sie, daß wir uns hier nicht mehr begegnen. Mir felbjt kann ich Diefes nicht überlafjen. Sehen Sie wie ich bis zur Lächer- lichkeit aufrichtig bin; doch ift es fir Sie ſchmei— helhaft, wenn fich Jemand vor Ihnen in ven Staub wirft, und fich nicht fürchtet von Ihnen zertveten zu werben. Gott behüte Sie Bela. Nun drüdte fie die beiden Hände Beéla's, und um nicht mit demſelben allein die Schnedenwendungen gehen zu müffen, brach fie fih durch das Geftrüpp Bahn, mit offen- barer Aufopferung ihrer Zoilette.

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Bela begab ſich in das Schloß zurück, und ließ ſich von einem Diener in ſein Zimmer führen. Es war dies ein abſeits gelegenes Gemach, welches mit der Bibliothek in Verbindung ſtand, und dem gewöhnlichen häuslichen Geräuſch ent— rüdt war,

Dila glaubte den Reſt des Tages ruhig zu= bringen zu fönnen, doch Hatte er 2 bierin ſehr getäujcht.

Kaum begann es zu bämmern, da vernahm. er den Gefang der heitern Weinlefegäfte, und Tritte näherten fich feiner Thüre; Es Flopfte.

Herein rief Bela.

Der Fürft trat herein.

Wolozoff war, dem Naturgejeße gemäß, be- trunfen, da er viel getrunfen hatte. Er. ſtand übri- gens im Rufe, daß er in einem folchen Zuftande ein jehr liebenswürdiger Mann zu fein pflege. Viele Damen hatten e8 jchon rund herausgefagt, daß fie fih eben dann ihn ihn verliebten, wenn er betrun= fen war.

Er pflegte dann freundlich, verbindlich opferbe= reit zu ſein; jeine Heiterfeit hatte etwas anſteckendes und feine Züge hatten einen wahrhaft anziehenden Reiz. Da öffnet fid) in ihm ein poetiiche Ader, feine Einfälle fprühen von Geift; da war er liberal und Demokrat.

BR

Es gibt einzelne ſeltene Exemplare, auf die der Wein' dieſe wohlthätige Wirkung übt.

Seien Sie willkommen, lieber Laͤvah ſprach der Fürſt, ſeinem Gaſt die Hand reichend. Soeben erfuhr ich, daß Sie eingetroffen; was mich jehr freut; deßhalb habe ich mich auch beeilt Sie aufzufuchen. Wir wollen jedoch die Prozegangelegen- heiten ruhen laſſen, heute bin ich, wie Sie fehen, nicht dazu geftimmt, heute Fönnte ich mein letztes Hemd wegjchenken, wenn e8 Jemand verlangen wiirde, jtreiten aber Lönnt ich mit Niemanden; ich kam auch nur um Sie iu die Gefellichaft abzuholen ; da— rum laſſen Sie nur ſchnell Ihre etwaigen Einwen- dungen hören, denn ich nehme Sie auf jeden Fall mit, und wenn es nicht anders geht, trage ich Sie auf ven Schultern hinab.

Ich danke Ihnen First; fagte Bela lachend. Es wäre eine zu große Ehre fir mich; ich werde Ihnen auf eigenen Füßen folgen wohin Sie wünjchen.

Doch zum Kufuf, laffen wir die Titulatu- ven und dugen wir einander. Wir haben in jetiger Zeit wahrlih nicht viel Urſache, mit den Titeln wähleriſch umzugehen. Wir find ja gleiche Hunde ; Marſch! Kuſch dich! heißt es, und wir müſſen gehen und jhweigen. . . . Alſo her da mit der Hand, Bru- der! Denk ja nicht, daß jett der Wein aus mir ſpricht; und wenn er verflogen, ich Dich morgen

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 3

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wieder „Spektabilis“ tituliven werde. Der Wein gilt bei mir für feinen Autofraten, wir leben mit einander in fonftitutionellen Beziehungen ; ich jchlage vor, er fanftionirt, Doch darf er nicht8 mit mir ohne

mich thun. |

Duten wir und denn eriwiederte Bela Hab’ mid) ſchon mit größeren Herrn gedutzt: als - Du einer bit.

Parbleu! das ijt ja wahr! die Antwort gefällt mir. So hat mir noch Niemand replizirt. Ja, fo ift es. Hm! Wo find Sie die Armen?’ Na .... wenn ich einmal in einem Zoafte jener „geweje: nen Größen” gedenke, dann fchlage mit mir an, und fchleudere dein Glas Demjenigen an den Kopf, deſſen Augen nicht mit Thränen gefüllt jein werben.

Der Fürft fchlepte feinen Gaft, ihn fejt am Arme haltend, den langen Korridor entlang, die Treppe hinab. Während diefer Wanderung erzählte er, welch’ herrliche ländliche Genüße da unten ihrer harrten. Zwei Zigeunerbanden jollen um die Wette pielen, und zwar Märfche, für welche man morgen die ganze Iujtige Gejellfchaft einfperren und in Ket- ten fchlagen wird, was einen famojen Jux abjeten fol. Den Csardas werden die Herren mit ven Bauerndirnen, die Damen mit den Burjchen tanzen, fein Theil der noblen Gejellichaft wird dabei verlie- ren. Am Ende der Luſtbarkeit wird ein Feuerwerk abgebrannt, welches einen brillanten Skandal her—

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vorrufen ſoll, da Fertöh der Arangeur iſt, der gute Herr aber derzeit fo betrunken ſei, daß er alles bop- pelt fieht. So eben fagte man ihm, feine Gattin Se— raphine wünfche ihn zu ſprechen, da frug er mit lal« lender Zunge: welhe?... Der Kerl wird mir mit feiner Steigrafeten ganz gewiß eine Scheuer in Brand ſtecken, oder fich felbjt ein Aug ausſchießen, wobei nur das zu bedauern wäre, daß er fich nicht beide ausgeſchoßen.

Bela lieh das Geſchwätz zu dem einen Ohr hinein, zum andern hinaus...

Die luſtige Geſellſchaft befand ich in der Ve— randa des Erdgeſchoßes, der Fürft wollte, troß feines Zaumels, feinen Haft nicht als Beute der bereits „fertig gewordenen Gäſte hinwerfen. ... E8 gibt anch keine präfärere Yage, als wenn ein vollfommen nüchterner Menfch, in eine bereit8 angetrunfene Ge« ſellſchaft geräth. . . Der Fürſt bezeichnete einige ſeiner Gäſte beim Namen, wie ſie ihm eben in Wurf famen. Einige verzweifelte Patrioten näherten ſich Dela, drückten ihn die Hände, und ftotterten etwas von „langerſehnten Wunjch, ihn perfönlich kennen zu lernen ;* doch der Fürjt zog feinen Gaft mit fich, und ließ die Batrioten mit den blutunterlaufenen Augen nicht ausreden.

Dies ift- meine Kouſine Olga, das Feo— dora ... fagte der Fürſt beide vorftellend; dann Ihleppte er Bela bei Seite, und raunte ihm ins Ohr:

3*

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Laſſe Dich in kein Geſpräch mit ihnen ein, beide ſind dumm, wie Gänſe, tanze ſpäter einen Csaärdäs mit ihnen, damit haft Du fie dir verpflichtet... .... dann Laffe fie fahren. Siehft vu die ſchöne Frau, welde fo bleich ift ; ein ausgezeichnetes Weib, jcheint jedoch wieder ihren Mond zu haben, man kann ſich ihr nicht nähern, zuvor ließ fie ihren Gatten rufen, mit dem Bedeuten, fie wolle mit ihm jprächen. Als er fam, und fie frug, womit er ihr zu Dienften ſtehen könne, da ſchwieg fie. und maß ihn mit Falten Bliden vom Wirbel bis zur Zehe. Als er jeine Frage wiederholte, zufte fie mit den Achjeln und wendete fich ab, Es iſt am beften, wenn man fie est in Ruhe läßt, denn fie ift zum werzweifeln Ichön !

‚Bela murmelte etwas, al® würde er bie Frau Fennen.

Damit gingen fie zu den Zigeunern.

Es gibt Stunden, in welchen der Zigeuner über die ſchönſten Frauen der Erde fteht. Ach ſchöne Frauen verjtehen ſich auf Mufif, und bringen es auf dem Klavier zu einer gewiſſen Virtuofität. Wir be- wundern ihre ſchöne rundgeformten Schultern, und preijen ihr gelungenes Spiel, find zumeilen entzüdt, über die jchneeige Weiße der winzigen Händchen ; über die alabafternen Finger, welche mit künſtleriſcher Vertigfeit über die Taſten gleiten, am bieje füffen zu Fönnen; wenn jedoch der Zigeuner

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da draußen feine Geige anftimmmt, dann füfjen wir die ſchöne weiße Hand der himmliſchen Gnädigen, und denken, die Schwarze Hand des braunen Zigeu- ners ift denn doch etwas anderes.

Der Fürft war von den Leiftungen feiner Zi— geuner entzüct, und verlangte, daß e8 auch Bela fein fol. |

Schau’ Dir’ mal diefen jungen Kerl an, faum zwanzig Jahre alt, ift er fchon das Haupt der ganzen Bande. Wie er ven Kopf zurückwirft, wie er fich weder um Menfchen noch um Engeln fcheert, als wäre feine Welt für ihm da, und er nur für fich allein fpielte. Sieh’, wie ihm die Fegen vom Rode ärmel heraus hängen, und wie ihm das burchaus nicht genirt, er ift ja bewußt, daß er ein viel größe- rer Künftler fei, als Ole-Bull.

Er zwickert nur mit halben Blicken auf uns her, doch hat er es bereits errathen, welcher Ton zum Herzen bringt? und wenn er will, jo läßt er mich aufjauchzen, wie einen Narren, nnd Dich weis nen, wie ein vom Xiebiten verlaffenes Fränlein. .. .

Wie fich jeine Muskeln winden und würgen, als wäre er vom alttejtamentarifchen Teufel beſeſſen. In jeden feiner Glieder fühlt er, was er jpielt, und wie die ganze Geſellſchaft durch fein Spiel wie von einem eleftriichen Strome durchzudt wird. Diejen Burſchen wollte man zum Soldaten affentiren, ich gab ihm das Geld, um ſich loszuldſen; er vertranf

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es, ſchlug ſich aber dafür ſeine beiden Vorderzähne aus, um die Patronen nicht beißen zu können und ſo blieb er vom Militär befreit. Ein Diamant von ei— nem Kerl! Dann beſeh' Dir einmal den Alten dort mit der Baßgeige! Geſtern hat er noch im Ziegel- jchlag gearbeitet, feine Nägel find noch voll Lehm, er pflegt der Gemohnheit des Waſchens nicht. Welche Melancholie entwicdelt fich in jedem jeiner Züge! E8 fpiegelt fi da jener Grundſatz der Le— bensphilojfopbie ab, daß von Allem nur das gut ift, was man befikt, und das jchlechte, dasjenige deſſen man bedarf. Welch patriotiiches Geficht! braun wie der ſchönſte Kordovan, der graue Bart, die dichten Augenbraunen jcheinen, als wären jie von feinjter Wolle. Eine Lode fällt ihm auf die Stirne, um eine Narbe zu verdeden, welche er fich in ver Schlacht, oder vielleicht auch im Wirthshauſe geholt, mit welch majeftätiichem Blick' ruht fein Auge auf ung! Er fühlt, daß wir ihn bewundern, doch venft er fich, hol Eud) der Kufuf, wäre vernünftiger von Euch, wenn Ihr mir ein Gläschen fpenden würdet! Die poetijchen Ergießungen wurden durch das Zeichen einer ‚Rakete unterbrochen, welche Herr Fertöy in die ftille Abendluft jteigen ließ.

Na, wenn mein Schloß diefe Nacht üiberlebt, ohne abzubrennen, dann brauche ich es nicht mehr verfichern zu laffen, rief der Fürſt lachend, indem er auf einen Stuhl fpraug, und von dort über ven

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Köpfen feiner Gäfte, gleich einem Marttichreier gefti- fulivend, außrief:

Meine Herren und Damen. Das Spefta- kel beginnt, an defjen Ende wir muthmaßlich ſämmt— Tid) in die Luft gefprengt werben. Dabei ift folgende Drdre de Bataille zu beobachten: Wenn Sie meine Herrn und Damen fehen, daß Herr Fertöy, feinen ganzen Pulvervorrath anzuzünden im Begriffe fteht, dann haben Sie fich fchnell auf die Erde zu legen. Die Damen mögen feine Furcht haben, ihre Krino- Tinen werden fie in den Lüften ſchwebend erhalten.

Man lachte über den Weinlefewig des Für- ften. Nur aus dem Hintergrunde des Hofes, wo der Porotechnifer manipulirte, legte eine heifere Stimme, welche man als die des Herrn Fertöy erkannte, Ver— wahrung gegen das Erplodiren ein.

Fürchten Sie fich nicht meine Herrn und Damen, Mephifto verjteht es, mit dem "euer um— zugehen.

In dieſem Augenblide begannen zwei feurige Räder und vier römiiche Kadeln farbige Funfen zu jprühen, in viefer dämoniſchen Beleuchtung, jtand Fertöy mit keck auf die Seite gefchlagenem Hut uud grinfendem Gefichte, deffen eine Seite blau, die an- dere roth, durch das bengalifche Feuer beleuchtet war. In der Hand hilt er fein Glas hoch empor, auf das Wohl aller Schönen Frauen; der Wein blikte im Glaſe als wäre er flüffiges Feuer. Eine mächtige

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Fanfarre der Trompete und Klarinete erſcholl auf den ZToafte, und mijchte fich in das, Ziſchen der Raketen. Alſo das hatten wir überlebt; rief der Fürſt. Wie heißt dieſe Piege? fragte er dann den Arrangeur, als es im Hofe wieder finſterer gewor- den, und nur die Lampen auf der Teraſſe leuchteten.

Das war „bie Höllenfahrt” des Zauberkö- nigs“ erſcholl die heifere Stimme Fertöy's aus dem ichwarzen Hintergrunde.

Was folgt jet?

„Weruption de Bopocatepetl" antwortete

Fertöy.

Na meine Herrn und Damen, wer jest mit gefunden Gliedern davon kömmt, Tann ſich eines befonderen Glückes rühmen! ... | Troß dem verharrten die Damen auf ihren. Plägen.

Siehe, fagte ver Fürft zu Bela, wie ver: wünjcht launenhaft dieſes Weib ift. Während des ganzen Spektafels fit fie mit dem Rüden gegen dasfelbe gewendet, um nichts davon zu jehen.

Im Herzen Seraphines brannte ein anderes Feuer.

Abermals bliste e8 auf und eine Rakete fuhr in die Lüfte.

Nun Sreundehen, ſüchelte der Fürft war das der Popocatepetl? Beſteht darin die ganze

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Eruption der Vulkane? das kann man ja in jeber- Schmiede.

Nur Geduld, die Rafeten dienen nur zur Ausfüllung des Zwifchenaftes. Jetzt folgen die Yanı- penfchwärmer und die Sternenftöße.

Der Sternenftößer wird noch in biefer

Nacht fein. = Man lachte ehr über diefe Bemerkung. Um. die Urfache diefes Lachens zu erklären, müſſen wir erwähnen, daß der Fürjt mit Fertöy die Wette ein- gegangen hat, daß Derjenige welcher im Trinken _ länger ausharrt, mit dem andern das Gternjtoßen vornehmen kann. Dieſe ſchöne Unterhaltung beſteht aber darin, daß man dem vom Weine bemwäl- tigten, Papierſtreifen zwiſchen die Fußzehen ſteckt und dieſelben anzündet, daher das homeriſche Gelächter.

Fertöy antwortete damit, daß er ein halb Dutzend Raketen abbrannte.

Eine derſelben verſagte. Fertöh ging um nach—

zuſehen und bemerkte daß der Brander ausgelöfcht jei. Mit taumelnden Sinnen nahm er die Rakete von der Stange, und war. eben im Begriff den Brander herauszuziehen, um ihn durch einen neuen zu erjegen, in dem Momente fing aber die Kafete euer.

Er jchleuderte fie erfchroden zu. Boden, dieſe aber fuhr mit einem hölliſchen Ziehen zwifchen vie Zuſchauer.

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Hierauf erſcholl Laden, Lärmen und Geſchrei; die Damen fprangen auf Bänke und Seſſel. Zer- trettet jie ! riefen die Weiterftehenden, und e8 gelang endlich, das rebelliſch gewordene Feuer zu löſchen, um die Erplofion zu verhüten.

ALS der Rummel fein Ende hatte, erfcholl ein Auffchrei aus einer Edle. Alles blickte entjegt. dahin; die Kleider Seraphinens hatten Feuer gefangen.

Die erfchrodene Frau ſprang von ihrem Site auf, und rannte ing Freie in ven Hofraum hinaus. Durch das Yaufen vergrößerte fich die Gefahr, ver Luftzug facht ja das Feuer an. Ein Moment noch und die Frau wird in hellen Flammen ftehen.

Wenn e8 Niemanden gibt, ver dieſen Moment benützt um fie zu vetten, muß fie des elendſten Todes jterben.

Doch war Jemand da.

In jenem Momente, wo der Schred die ge- junden Sinne der Gefellfchaft lähmte, daß dieſe in ftummer Betäubung der flüchtenden Frau nachjab, ericholl die Stimme Bela’s. |

GSeraphine halten fie ein. Und die Frau ‚hielt wie von dem Worte bezaubert an.

In demjelben Momente ftand Bela an ihrer Seite, ummwidelte fie ſchnellſtens mit feinem Plaid, und erftidte jo das Feuer. Um dies bewerfitelligen zu können, mußte Bela die Knie nnd den ganzen ‚zitternden Körper Seraphinens mit feinen Armen

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umfaffen und dieſelben an fich drücken. Er that es, um ihr Leben zu retten, um eine jeve ihrer Bewe⸗ gungen zu vereiteln.

Als Seraphine ſich außer Gefahr befand, fiel ſie ohnmächtig auf die Schulter ihres Retters.

War dies ein Wunder, nach ſolchem tödtlichen Schreck? oder that ſie es aus andern Urſachen?

Als der Schrecken und die Gefahr vorüber waren, trugen die Damen Seraphine auf ihr Zim— mer, legten ſie ins Bett, und verſicherten ſpäter die Herrn, daß ſie gar keine ernſte Beſchädigungen erlit— ten. Einige Brandflecke und der Schrecken ſei das Ganze.

Wolozoff rieb ſich vergnügt die Hände und murmelte.

Es geht prächtig! Der Gatte ſchießt ſeine Frau mittelſt einer Rakete an .... da erſcheint das Ideal, um das gefährdete Leben zu retten, Beſſer konnte man es nicht mehr geben.

able moving.

Später gab es eine Zeit, wo die ganze Welt fih langweilte. Dan konnte es fast hören das ſym— pathetiſche Gähnen ver Völfermillionen, womit ein ſich langweilendes Land, dem andern lebensüber: prüffigen Yande antwortete.

Die Gegenftände des täglichen Gejpräces- waren gänzlich erfchöpft, das Tiebenswürdige Ame- rika erfand für ihn eins: den tanzenden Tiſch.

Nachdem man auf der Erve nichts mehr zu ler: nen hatte, griff man in überirdiſche Negionen hinüber, und arrangirte ein Spielchen mit ven Geijtern.

Diejes Spiel wuchs fich zur politiihen Mode heraus. Ganz natürlich find die Geiſter jammt und jonders liberal gefinnt. Sie find abgejagte Feinde des Konjervatismus ſonſt würden fie ihre irdi— ihen Hüllen nicht verlaffen haben und entjchie- dene Freunde des rapidejten Fortſchrittes; denn wenn man einen ber Klopfgeijter des tanzenden Ti- ſches frug, woher er jetzt käme, fonnte man die wun-

45 derliche Antwort erhalten: aus Kalkuta, Tiflis, oder Connecticut.

Außerdem ſind die Geiſter auch Demokraten, und in dieſer Eigenſchaft mit materiellen Dingen nicht beſtechbar; dagegen zeigen ſie um ſo mehr Nei— gung zu Verſchwörungen, worin fie eine wahrhafte Virtuofität entwideln.

Knrz nach dem Bekanntwerden dieſer Erfin- dung, wurden Zifche, die bisher durch Iahrzehnte ruhig an ihrem Orte gejtanden, durch magnetifche Verkettung der daraufgelegten Hände zu den poffir- lichſten Tänzen gezwungen; fpäter fand fich bie praftiihe Welt veranlaßt, die Erfindung zu ihrem Nugen auszubeuten, und man fonnte in jeder Fami« lie, vom Handwerker angefangen, bis zum Fürften, vom Künſtler bis zum Gelehrten, verlei Fleine drei: füffige Tiſche jehen, welche durch Berührung des mit ihnen in Verbindung ftehenden „Medium's“ auf die bunteften Fragen mit der wunderbarſten Präzifion antworteten; diefe Antivorten in Zweifel zu ziehen, wäre der größte Mangel an Ehrfurcht vor den Geiftern geweſen. Wenn ein folches „table mo- ving“ 3. B. darüber befragt, wie ver Großvater des Frageſtellers geheißen? den Namen „Mathias“ nannte, jener Öroßvater aber durch Zufall ſich ge- rade Kriftof genannt hatte; fo fiel e8 dem Betref— enden gar nicht ein, die Wahrheitsliebe des Klopf-

Lu AG. j

geiftes zu bezweifeln; er mußte Recht Haben, aber der Großvater mußte ein Anderer gewefen fein.

Wir fahen ernite, in ſchweren Zeiten ergraute Männer, wie jie ihre zitternden Fingern auf dem „table moving“ drücdend, mit feierlicher Stimme ihre Fragen ftellten : wann tritt Diefe oder jene Ver— änderung ein ? wann werben wir diefen oder jenen berühmten Dann wiederjcehen ? was wird jett in den politiichen Kabineten gebraut ? Wer ift der Helo dieſer oder jener geheimen That? ... Solche, und ähnliche Fragen Tonnnte man hören, worauf die Antwort immer günjtig ausfiel, weil fie ein jeder jeinem Herzenswunfche gemäß auslegte.

Wenn fchon die ernften Mäuner fich dieſem Spiele hingaben, wer würde e8 jenen ehrwürdigen, in Trauer gefleiveten Matronen verargen haben, wenn fie fich an dem Geifte des „Table moving“ wendeten, um von ihren Berjchollenen, oder vielbe- meinten Todten einen Namenszug zu erhafchen, und wenn dieß gefehah, wie gaben Sie fih dann dem Glauben hin, daß es die unfichtbare Hand ihres Theuren gewejenen, welche den Namen niederjchrieb.

Heute, wo fich die Verhältnige geändert, lachen die Leute über das eitle Spiel vergangener Jahren ; doch wir, die wir in jenen Zeiten gelebt, erinnern uns der tiefen Geheimniße jener büfteren Völfer- ftimmung, welche diefe Periode mit einem traurigen Flor umzog; wo der hoffnungsloje Glaube einen

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Strohhalm zum Gott gemacht; wo, nachdem ber Himmel keinen Bejcheid ertheilt, man ein Stüdchen leblofes Holz um Rath befragte.

Es gab ſehr berühmte Geifterbefchwörer des „Zable moving,“ die man aus weiter Ferne auf: Inchte, zu denen ganze BPilgerfahrten unternommen wurden; und deren Antworten manchmal einen förmlichen politiihen oder religiöfen Fanatismus erzeugten, welche beide dann in ein partiiches Ge: wirre zuſammen flogen.

Zu dieſen berühmten Geiſterbeſchwörern zählte auch die Feine Blum.

Unfere Leſer werden fich noch dieſer kleinen Perjon, aus jenen Zeiten erinnern, wo fie in Komorn Berpflegsbeamtens Gattin gewefen ; heute figurirt fie als Finanzräthin.

Ihr Gatte, der gute Blum ift eben avanzirt. Er ift ein äußerft guter Mann, und wird nie Stoff zu irgend einem Roman liefern, deshalb laffen wir ihn ruhen in feinem Bureau, wo er feine Tage bis in den jpäten Abend zubringt..... Um fo mehr rührte fich die liebe Frau Blum in der Welt. Sie zählt die ganze Stadt zu ihren Bekannten; weshalb es uns Wunder nehmen Fan, daß fie Judith nit aufgejucht.

An einem Schönen Tage jedoch, begegnen fich bie alten Bekannten auf der Gaffe. Die Blum er: kannte Judith allfogleih und fpricht fie an. Die

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Kleine hat weder Rang noch Titel ſo ſtolz gemacht, um ihre Freundinen nicht zu fennen... bie und da; ‚wenn ed auch Komediantinen find.

Ah, guten Tag Judith; hundert Jahre find es, daß wir einander nicht gejehen. Nun wie geht es Ihnen? Was macht der Kleine? Bekommt er ſchon Zähne ? Geben Sie gut Acht auf das Kind— lein, denn der Scharlach graffirt jehr in ver Stadt it die alte Frau noch bei Ihnen? Ich babe fie jo lieb, weil fie jo aufrichtig ift. Hundert Millionen- mal habe ich mir vorgenommen, Sie zu befuchen, aber Morgen foll e& ver Tag fein, wo ich komme, wenn Sie e8 erlauben.

Werde mich freuen; erwiederte Judith troden.

Wohin find fie im Begriff zu gehen? ... Ich will Sie dahin begleiten. Nicht wahr, Sie gehen ind Theater. | =

D nein, ich gehe auf ven Markt, um dort etwas für die Küche zu Faufen !

Sie! .. Auf ven Marft?... Sie treiben etwa Hauswirthichaft?!... Wenn man gewohnt ist, Sie auf den Brettern als Fürftin, als Königin zu jehen, ift es ſchwer zu glauben, daß Sie zu Haufe auch etwas anderes thun, ald Jamben veflamiren.. So oft ich meinen Fleinen Tiſch über Sie befrage, erhalte ich ftetS die Antwort: Sie jeien mit ihren Studien bejchäftigt.

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Ihren kleinen Tiſch?... frug Judith ihre gro⸗ Ben ſchwarzen Augen auf das Heine Figürchen haltend.

Nun jal... den „table moving.“ Haben Sie nod feinen? Haben Sie noch nichts über den Klopfgeiftertifch gehört, oder in den Blättern gelejen ? Ad ! Sie follten einen haben; er würde Ihnen gewiß antworten, da Sie jehr viel Magnetismus befigen.

Judith wollte die fröfiche Laune bes Heinen Weib⸗ chens nicht verderben und gab demnach Feine Antwort.

Ah, Sie ſcheinen mir zu den Unglaubigen zu gehören; die behaupten daß das Zifhrüden und Schreiben nur eine Schwindelei, nur eine Komöbie jei. Das verzeihe ich Ihnen nicht; ich muß Sie 'befehren, jo wie id) e8 mit vielen Andern gethan, die ſich Philo- jophen nannten, bie lachend und Ipötelnd famen, und dann überzeugt davon gingen. Morgen, oder noch beſ⸗ jer heute Nachmittag will ich Sie bejuchen, und mein Tiſchchen mitnehmen, wenn ich nicht ungelegen bin,

Uebrigens find wir ja alte Bekannte und brauchen bei unferen Vifitten nicht fo ftarf auf die Etiquetteftunden zu fchauen. |

Judith ſprach etwas vom Gernefehen.

Die Blum ſprach dann noch jehr lange über bie Freude, welche ihr das Wiederſehen einer fo theueren Freundin verurfachte, und ließ endlich Ju⸗ bith ruhig auf den Markt gehen.

.. .. Am Nachmittag traf die Heine Blum pünktlich bei Yudith ein. Ein Amtsdiener trug‘ ihre

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb. 4

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das Kleine Tiſchchen bis zur Thüre nach, dort über: nahm es die Blum jelbft, jtellte e8 vorfichtig beifeite, und umarmte dann, hingeriffen von den Freuden des Wiederſehens, die alte und Junge Lävayh herzlich.

Yupdith empfing ihren Gaft mit jener Freund- lichkeit, welche ver ungarifhen Gaſtfreundſchaft an— geboren ift, die alte Frau jedoch mochte die gewiſſe Melonen-Spirde noch nicht vergeffen haben, deu fie hegte einen gewißen Argwohn gegen den unerwar- teten Bejuch der Frau Blum.

Der Ungar pflegt feinen Nachmittagsgaft ſtets bei gedeckten Tiſch zu erwarten. |

So geſchah e8 auch bier. Die Heine Blum machte wenig Umftände, fette fich an den Kaffeetiich

und begann alffogleih von ihren „geiftreichen" Ge— ſchichten zu erzählen.

Während des Geipräches behauptete die Feine Frau, daß, wenn fie ihre Hände fo auf ven Tiſch auflegt, jich die Daumen berühren der Tiſch allſo— gleich zu tanzen beginne und wäre er noch jo ſchwor und würden ihm auch die ftärfiten Männer niederzu— balten juchen.

Die alte Frau bat jedoch ihren Gaft, die Pros duction jo lange wenigſtens zu unterlaffen, bis das Kaffeegefehirr nicht geräumt ift.

Die Blum that, als würde fie ſich darüber beleidigt finden, daß man von ihren Geiftern in fo alftäglichen Zone fpricht. Es fei dies fein Gegenstand

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des Scherzes ; denn in jedem Tijche wohnt der Geift eines großen Dahingejchiedenen. - Diefer Geift wohne im Schubfache des Tijches,und wenn er feines hat, dort wo er ein Eckchen findet. Ein Tiſch fei daher fein gewöhnliches Meubel, wie die andern.

Die alte Dame war jedoch an diefem Tage jehr ungläubiger Natur. Sie fchenfte vorerſt der Blum feinen Glauben, dann bielt fie vom Tiſche nichts, ſchließlich kamen ihr die Klopfgeifter ganz lächerlich vor ; fie hatte von allen dieſen Sachen eine ſehr ſteptiſche Meinung.

liebe Judith fagte dann die Blum, mit der jungen Fran anbindend. Sie werben ftaunen, wenn Sie das ſehen. Ich bitte Sie nur einen Bogen reinen Papiceres, dann um vier Sted- nadeln, damit ich die vier Eden des Bogens befe- ſtigen kann; denn er darf fich nicht rühren.

Die alte Lävay bemerkte biezu, die Kleine Frau möge Acht geben, daß Sie nicht etwa irgend

einen Fuß des Geiftes mit der Nadel verlege. | Nun, worüber wollen wir ben Geift be- fragen ? Sind Sie etiwa neugierig ben Namen eines Geiſtes zu erfahren? Sie follen feine eigene Haud— ſchrift fehen, bite Acht zu geben.

Damit ftelfte die Blum den Heinen breifüßi- gen Tiſch auf das Papier, und berührte die Fläche desjelben mit ihren zehn Fingern; das Tiſchchen begann fih unter ihren Fingern zu bewegen ;

. 4*

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während die heitern ſtets geſchwätzigen Züge der Blum einen melancholiſchen, dann einen exaltirten Ausdruck nahmen; die Augen blickten ſtarr in das gegenſtandloſe Nichts, die Lippen ſchienen halb geöffnet, Worten zu lauſchen, welche dem Ohre nicht vernehmbar ſind.

Unterdeſſen bewegte ſich das Tiſchchen in einem fort, und machte zuletzt einen langen krum— men Strid, der wohl da8 Manupropria am Ende des Namens bezeichnen jollte.

Sehen Sie, meine Damen! rief die Feine Frau im Tone innigjter Meberzeugung und auf den gefchriebenen Namen deutend. Stets derſelbe Name „Talleyrand.“ Und das ijt wahrhaftig feine eigene Handichrift, jo wie ich fie im Archive ver Wiener Hofburg gejehen, fie gleicht Haar für Haar,. Stri für Strich, dann wäre ich felbjt nicht um die- Welt im Stande, fo zu fehreiben, ich habe ja wie Sie wiſſen eine abjcheulihe Schrift, während dieſes hier ein echtes kalligrafiſches Kunſtwerk ift..... Sehen Sie: die Schriftzüge Talleyrand's..... ; Nun, meine guten Damen, befragen Sie ihn über etwas, über mag immer ? ausgenommen wie lange Sie noch zu leben haben, und welche Nummern in. . der Lotterie gewinnen, ben über. das geben bie Gei⸗ jter feine Auskunft.

Wie fönnte ich mit diefem Herrn fon- verfiren ? entgegnete die alte Laͤvah, er ift ja ein

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Franzoſe und ich ... ich verſtehe nur die ungariſche Sprache.

O, da muß ich bitten, die Geiſter find “jeder Sprache mächtig... . . . Sie find beinahe all- wiſſend.

Dann iſt es ſehr ſchade, ſie im Leben mit dem Unterrichte zu plagen, da fie ohnehiu ſehr bald ‚ganz felbft zu allen Wiffen gelangen.

Die Theorie diefer Sache ift aber, " meine Damen, das ein Jeder denjenigen Grad im Jenſeits erlangt, in welchem Grad er feinen Geift im irbi- ſchen Dafein gebildet. .... Darüber hat man ſchon ganze Bücher geſchrieben.

Somit iſt es der Lohn eines Gelehrten in der anderen Welt, daß er ſelbſt nach ſeinem Tode noch bemüſſigt iſt, die lebende Geſellſchaft bei ihren Theeabenden zu unterhalten.

Sie ſind demnach gänzlich ungläubig? Be— fragen Sie den Geiſt über etwas.

Ueber was ſoll ih ihn befragen?.... Nun gut, er möge mir jagen wie viel Kreuter ich im Sade habe?

Die Blum, weit entfernt davon, beweisen zu wollen, daß der Geift Talleyrand’s eine viel zu höhere Aufgabe hat, al8 vie vaterländifche Numis- -matif in Jemandens Sade zu ftudieren, griff fogleich zur Arbeit, um bie pünktliche und richtige Auflöfung

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dieſes mathematiſchen Problems durch ihren obge— nannten Geiſt reproduzieren zu können.

Das dreifüßige Tiſchen begann ſeine Bewe— gungen, die Blum betrachtete mit ſtarren Augen den Plafond, die alte Laͤvah zwickerte mit ſchalkhaften Lächeln ihrer Schwiegertochter zu, als wäre ſie einer unſchuldigen Schadenfreude an dem Fiasko der Blum gewiß.

Nachdem der Tiſch ſeine RR beendet, und mit der Antwort fertig geworden, betrachteten die drei das Papier; die verſchiedenen Kratzfüße hatten jedoch weder mit den Ziffern, noch mit ven Buchftaben irgend einer Nation Aehnlichkeit.

Ah, das find chinefifhe Zahlen : betheuerte die Blum mit ihrem vollen Pathos; bitte nicht. darüber zu lahen. Morgen will id) die Antwort zu Doktor Krurfne tragen, er ijt ein ausgezeichneter Orientalift, und pflegt mir derartige Hieroglyphen zu entziffern. Jedenfalls wird er die Summen ver Kreuzer alffogleich heraus haben.

Ich erfuche Sie den Hern Doktor Krur- fur durchaus nicht zu bemühen rief die alte Frau mit heiterer Laune; habe doch in meinem Sad nicht einen einzigen Kremer! .

Um ihre Worte auch mit der That zu befräf- ‚tigen, fehrte fie beide Zafchen ihres Rockes heraus, ‘in welchen fih eine Brille und ein Fingerhut vorfand.

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Unterdeſſen iſt der Kaffee fertig geworden, welchen die junge Frau als gute Hauswirhin in einen durchſichtigen gläſernen Kolben vor den Augen ihres Gaſtes bereitet hatte.

Dieſer Umſtand unterbrach die Produktionen des Klopfgeiſtes.

Indeſſen war Judith bereits neugierig gewor- den. Die Neuheit des Spieles zog ſie an; dann hatte Sie noch nicht von jener Melone gefoftet, womit diefe Blum einft ihre Schwiegermutter be- wirthet hatte; kaum vermochte fie es zu eriwarten, daß die Wunder des, „Table moving“ auf die Ta- gesordnung kämen, trotzdem, daß die Alte dieſe Wunder mit ihren puritanifchen Sarfasmen auf ihren mechanischen Werth zu reduziren bemüht war.

Kommen Sie, Freundin, fagte die kleine Blum zu Judith, mit Ihnen ift noch zu fprechen, Sie gehören nicht zu den Ungläubigen. . .. Befra- gen wir num den Geift: was Bela madıt ?

Es wird ſchwerlich eine junge Frau auf ber Welt geben, welcher die Beantwortung einer folchen Trage gleichgiltig wäre.

Auch Judith willigte in die Frage; wenn es ein blojer Scherz iſt? .... nun dann um fo beffer.

Da müfjen aber auch Sie theilnehmen ; betheuerte. die Blum.

Wie theilnehmen ?

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Nun ja. Auch Sie müſſen mit den Fin- geripigen den Tiſch berühren, wenn Sie eine Ant- wort haben wollen. Ziehen Sie ihre Ringe von ven Fingern, denn ed darf fein Metall an venfel- ken fein, |

Judith gehorchte Tächelnd, und zog die Ringe von den Fingern, einen jedoch, ihren Trauring, hatte fie an jene Schnur gehangen, an welcher fie ein Medaillon trug mit ven Porträts Béla's nnd ihrer Mutter.

Die alte Lavay brummte einen Sat aus der Bibel über Heidenthum und Hererei.

So jet legen Sie ihre Hand auf ven Tiſch, jo daß Sie mit ihren beiden Kleinen Fingern die meinigen berühren. So. Nun ftellen wir die . Brage: wo Bela fi) befindet ?

Das Tiſchchen begann fich zu bewegen, und perjchiedene Zeihen auf das Papier zu Frikeln; Yutith ftaunte gedankenlos das jeltfamme Werkzeug an; auf ihren Lippen ſchwebte ein mattes Tächeln ; ed ſchien ihr, als wäre die Bewegung des Tiſch— chens ganz willkürlich, ohne Zuthun jeder menjchli- Sen Kraft. |

ALS die Bewegung aufhörte, ftand auf ben Papier gefchrieben :

„Wolozoff.“

Wolozoff?.. . Las die Blum kopffchüt⸗ telnd. Was ift das? ein Dorf?

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Die Kleine ſtellte ſich, als würde Sie es nicht am beſten gewußt haben, was dieſer Name zu bedeuten habe.

Judith gerieth in jenes Stadium, wo der Menſch an dem zu zweifeln beginnt, was er glaubt.

Bela iſt wirklich bei Fürft Wolozoff; er ließ ihn in Rechtsangelegenheiten zu ſich ſagte Judith wie für ſich.

Ah! Sie haben an dieſen Namen nicht gedacht ?

Nein. Ih habe überhaupt auf Nichts gedacht; erwiederte Judith beflommen, und es fiel ihr nicht ein, die Frage zu ftellen, ob vielleicht die Kleine Frau daran gedacht habe.

Fragen wir nun, fuhr die ränfefiichtige Frau weiter fort, mit wen Bela in diefem Augen- blicke unterhält ?

Gut. Befragen wir das.

Das Tiſchchen fee fich unter ven Händen der Damen abermals in Bewegung, und als es ſtill ſtand, war auf den Papier zu leſen:

„Seraph . | Ah, lachte bie Heine Blum. Das ift Köftlich ;

Bela unterhält fich mit überirdiſchen Wefen. Eine Föftliche Antwort. Man wäre verfucht, zu glau- ben, daß Bela um dieſe Zeit feine Nachmittags Siejta hält, und fih im Traume mit Seraphinens beſchäftigt.

——

Judith fuhr ein Gedanke durch den Kopf; und das ſchwache Lächeln ſchwand von ihren Lippen. Jetzt erſt wollte ſie Alles recht erfahren, und ſie ſelbſt ſtellte die Frage:

Worüber ſpricht Bela jetzt? das Tiſchchen ſchrieb als Antwort:

„Prozeß“

Na das iſt wirklich ſpaſſig, lachte die Blum, mit ihren Händen klatſchend, mit ſolch überirdiſchen Weſen über Prozeß zu ſprechen. .... Nun das iſt ſchon mehr als Scherz.

Was für ein Prozeß iſt es, frug Judith mit noch ernſterem Geſicht.

Das Tiſchchen ſchrieb:

„Scheidung“

Die Antworten ſcheinen mir immer unver- ftänplicher zu werben, rief die Blum Fopfichüttelnd ; doch will ich noch eine Frage risfiren; es ijt hier offenbar ein Scheibungs-Prozeß gemeint; aber gegen wen ?

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Rein, das ift Schon unausſtehlich .. . är- gerte fich die Geiſterbeſchwörerin . . . . Seraph ... Scheidungsprozeß ... Fertö lauter unverſtändlicher Unſinn. Dieſer Geiſt iſt heute abſcheulicher Laune. Die Geiſter ſind auch ſehr launenhaft, an manchen Tagen iſt keine einzige vernünftige Antwort von ihuen zu bekommen, daran iſt aber heute blos ihre

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Schwiegermutter Schuld. Wenn ein Ungläubiger bei der Befragung zugegen, werden die Geiſter ver- drüßlich und geben folche alberne Antworten. Da... wollen wir heute nicht8 mehr fragen.

' Damit brach die kleine Finanzräthin die Un- terhaltung mit vem „Table moving“ ab; griff nach ihrem Hut und Schawl, fchaute das jchlafende Kind- hen in der Wiege an, bewunberte deſſen winzige Händchen, und empfahl fich.

Judith begleitete Sie bis zur Thüre. ALS fie zurückkam, jetste fie fich an ven Tiſch, und betrach- tete finnend das bejchriebene Papier.

Die Alte nahm ihre Arbeit zur Hand, und bhedelte an einen Kleinen Röckchen für das Kindlein in der Wiege. ...

Finden Sie das Ganze nicht wunder: bar, liebe Mutter, unterbrach Judith das Tange Schweigen.

O ja, ſehr wunderbar, entgegnete die

alte Frau, emjig weiter arbeitend. Wer's nicht ſelbſt ſieht, würde es nicht

glauben, ſetzte Judith traurig hinzu.

Ich ſehe es, weiß aber, an was ich zu glauben habe.

Was?

An die Klopfgeifter dieſer Harretbet gewiß nicht. Du weift e8 mein liebes Kind, daß ih aus jenen Zeiten ftammte, wo man bie Leute noch zu

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‚Chriftenmenfchen erzog, bamit fie das Licht ſehen mögen. In meinen Zeiten lernten zwar die Mädchen weniger Geographie, aber um fo mehr Bibel. Dort steht e8 gefchrieben, daß Derjenige, welcher außer Gott aud) noch die wahrfagenden Geifter befragt, feine Strafe biefür ſchon in ſich felbft herumträgt. Ich Habe es nicht vergeſſen, daß König Saul, weil er durch die Here von Endor Geiſter befchwören ließ, fich jelbft entleibt Hatte; ich erinnere mich ver Leiden und der Verherrlihung Paul's ald er aus dem Mädchen von Philippi den Teufel der Wahrfa- gerin verjagte. Und wäre e8 der gelehrtefte Mann, der mir Glauben für diefe Hererei einflößen wollte, ich würde ihm meine Wiffenfchaft entgegen halten und ſprechen: Herr, meine Augen find zwar ſchwach, aber mein Hlaube ijt ftarf, meine Augen vermögen zwar Sie zu täufchen, aber meine Seele nicht. Um fo weniger wurde ich mich von einem folch’ ſchnabeln⸗ den Papagei, wie diefe winzige Finanzräthin einer ift, übertölpeln laffen ; dazu bin ich doch ein wenig zu früh geboren.

Was denfen Sie aljo über die Gefchichte, Mutter ?

Ih will e8 dir jagen, was ich vente. Dieje Frau. verfteht ihr Spiel jehr gut. Was ver Tiſch fchrieb, das hat fie ſelbſt geſchrieben .... das ganze Gekrikſel bedeutet ſo viel, daß ſich Seraphine von ihrem Gatten Fertöy ſcheiden laſſen will, und

dag an dem ganzen Bela die Schuld trage. Fertöy bat hierüber der Blum gejchrieben, damit fie den Krieg in unfere friedliche Hütte einführe. ... Diefe Blum, diefe Blum! als fie fo plötzlich bei uns er- ſchien, fühlte ich alfogleih den Geſchmack jener fa- moſen Melone.

Judith wollte etwas wie zur Entjchuldigung einwenden. Zu weſſen Entjchuldigung ? Sollte ver Gegenftand Bela, die Blum, Seraphine, oder gar bie Geifter fein ? fie fam jedoch nicht dazu. Die alte Frau fette ihre zornige Polemik fort.

Ich glaube an feine Geiftererfcheinungen. Ich glaube e8 nicht, daß irgend ein fterblicher Menſch fich die Geifter der Dahingeſchiedenen dienftbar mas chen könne, daß bieje feine Fragen beantworten und auf feinen Ruf die himmliſche Glückſeligkeit oder jene hölliſche Verdamniß verlaſſen müßten, von welcher man uns in alten Zeiten jo vieles erzählte; dagegen glaube ich, das hier auf Erden unter ung böfe Öeijter herumwandeln in gepußgten Kleidern uud baufchigen Krinolinen, diefe find es, welche das Menſchenkind ber irdiſchen Vedammniß entgegen führen.

Mutter! Sie glauben doch nit daß BEN? ..4%

Nein das glaube ich nicht, daß Bela fchul- dig fein könne. Ich kann e8 nicht glauben. Ich weiß e8 ja, was ich. in den Baum gepfropft ! Das kann ja feine böjen Früchte tragen. Aber mandhmal

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ſchleicht fich ein unbefanntes Inſekt heran, ſtößt ven giftigen Stachel in ein Blatt des Baumes, jo daß e8 ein Auswuchs wird, deſſen Inneres mit Aſche und Schimmel gefühlt ift. Bela ift ein guter Mann, und das iſt ein großer Fehler. Auch fein Vater war es, er konnte Niemanden böſe fein. Ih mußte mich an feinen Feinden rächen. Dieje Frau, die Blum, und dieje Seraphine kenne ich recht gut! In den Tagen ver allgemeinen Gefahr, war ich durch lange trübfe- lige Zeit gezwungen, mit ihnen in einev und derſel— ben Hütte zu wohnen. Während diefer Zeit thaten fie kaum anders als fich in Lobpreifungen über Bela zu ergehen. Sch mußte beinahe annehmen, daß fie ihn auch nod) liebte, al8 er fchon der Gatte einer andern Fran war. Später, ald einer ihrer geweſe— nen Anbeter von Glanz und Ruhm umftrahlt in der Stadt eintraf, warf fie jich diefem in die Arme, und wurde jeine Frau. Ha, wie fie gelacht haben wird über mich, diefe Seraphine! Wie fie fich oft wieder: holt haben mochte; da fteht fie einmal dieſe Alte verrückte Frau, wie man nur ihren Sohn zu loben brauchte, damit fie arbeite und und bediene wie eine Magd. ... Später ftarb der helvdenmüthige atte, und fie reichte abermals ihre Hand einem Meenfchen, wie er eben einer ift. Diejer richtete fie an ihrem Bermögen zu Grunde, diefe Menſchen haben mich mit ihren nieberträchtigen Ränken umjponnen, um mich gegen die Gattin meines Sohnes aufzuhegen.

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Diefe. Leute wollen meinen Sohn verderben. Und uachdem Gott ihre Abficht vereitelt, und fie beſchämt hatte, wollen fie Zwietracht fäen, zwijchen ung,

Mutter glauben Sie das nicht, flebte Judith.

Wenn ich auch nicht frage, ſo höre und ſehe ich doch. Was hat es dieſe Frau nöthig gehabt, hieher zu kommen; hat ſie bisher ihre Beachtung für uns nöthig gefunden?

Zum Teufel mit ihrem tanzenden Tiſch, ſie hatte mit demſelben keinen anderen Zweck, als uns wiſſen zu machen, daß ſich Seraphine von ihrem Gatten ſcheiden laſſen will, und daß Bela den Pro— zeß führen wird. Iſt Bela bemüſſigt, das zu thun? Welche Nothwendigfeit treibt ihn dazu.

Daß ift ja auch noch gar nicht gewiß, warf JIudith ängftlich dazwiſchen.

Es muß zewiß ſein, weil es eben dieſe Frau geſagt. Seraphine möge ſich ſcheiden laſſen. Wozu braucht ſie jedoch meinen Sohn in die Angele genheit zu mengen.

Judith war der Meinung, daß ſie etwas zu der Vertheidigung Bela’8 vorbringen müſſe.

Bela iſt ja Advokat.

Blos Advokat?! fuhr die alte Frau zor- nig in die Höhe... . Bela ift außerdem auch Gatte,

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Vater und Sohn! Er iſt mir, Dir und ſeinem Kinde dort in der Wiege verpflichtet und Gott würde ihn ſtrafen, wenn er auch nur gegen eines von ung feine Pflicht vergeffen könnte.

Judith lief zur Wiege, und drückte ven halb: Ihlummernden Säugling in ihre Arme, als gebe es Geſpenſter, gegen welche fie dieſes Heine Wefen ver theidigen müffe.

Die alte Lavay war jeboch Teivenjchaftlich erregt und fuhr fort,

Vor mir gilt es nicht als Entjchuldigung, daß e8 Hunderttaufende gibt, die gleichmäßig handeln ; unter den Hundert und Tauſend ift er der Einzige, mit welchem Gott ein Wunder verübt, daß er durch die Hand einer Frau aus dem Grabe gezogen warb,

die Hand ihm den Reſt feiner Jahre zurüdgab, und wenn es num ein Wunder genannt werben kann, daß ein Gatte. feiner Frau im Wachen und Träumen ftet8 treu geblieben, fo verlange ich von ihm, daß er diefes Wunder für diefe eine Frau verübe.

Judith drückte das lächelnde Geficht ihres Säuglings an ihre Wangen, als wollte fie es fo gegen dieſe ſchweren Worte [hügen.

Ras foll das heißen? Könnte er wegen

eines bleichen Geſichtes das lächelnde Glück an feinem Heerde vergeffen ! Nein, vergefjen joll er es

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micht, oder ich ſchwöre bei Gott, daß ich zu ihm hin— gehen werde um ihm in die Erinnerung zurück zu rufen, daß jene Frau, welche für ihn einſt im Sarge gelegen, noch immer am Leben ſei.

Unternehmen Sie nichts, gute Mutter beſchwichtigte Judith die alte Frau in traurigem Tone.

Dh, fürchte nichts, ich werde Feine Narr- heit begehen. Sch war ftet8 aufbraufend in meinem Leben, doch kann ich von mir behaupten, daß ich ven Nagel ftets auf ven Kopf getroffen. Jemand wird: noch die Zeche für die böje Stunde zahlen, und wird es nicht einmal wiljen, wer ihm die Rechnung vorge- Legt hat.

Mutter, rief Judith entjchloffen, bevenfen Sie, daß Bela mein „Herr“ ift |

Bei und nennen die Frauen ihre Gatten ftets „Herren.

Ich habe das bedacht, Bela ijt Fein Kind mehr, fondern ein Herr. Als er noch ein Kleiner Knabe gewejen und im arten Judenkirſchen ge- fammelt hatte, ſchlug ich im auf die Hände, damit er fi) nicht vergifte. Heute kann ich es nicht mehr thun, daß ich ihm auf die Hände fchlage, weil er ein „Herr“ und ein „Mann“ ift. Aber das Gift das will ich ihm er heute aus der Hand ſchlagen!

Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 5

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Ein jeder Zug in dem Geſichte ber altem Frau glüht vor Leidenſchaft; die Augen der jun- gen Frau ſchwammen in Thränen, das kleine Kind- fein aber lächelte Beiden zu, wie ein Engel ver

Verheißung.

Die beiden Alten.

Der alte Garten mit den invaliden Bäumen, den quieszirten Roſen-Büſchchen, den penfionirten Kaktuſſen, ven amputirten Trillafchen, hatte fich noch immer in jeinem verfrüpelten Zuftande erhalten. Umſonſt rechnen die Nachbarn darauf, daß fie dem Grund ankaufen, ihrem Eigenen anfchliefen und dann vom Neuen frijch bepflanzen.

Der alte Knochen, Major Kolbay humpelt noch immer auf der Erde, und zählt noch immer zu ‚den Lebenden. |

Und doch hat er faum einen Bekannten in der Stadt. | Die ganze Bevölferung hat fich umgeftaltet.

Nicht nur, daß aus den Knaben und Mäbchen, Männer und Frauen, daß Männer und Frauen zu Greife geworden, daß die Alten heim gingen, um „Stilfe Leute” zu werden, fondern es zog auch ganz anderes Volk an die Stelle des Alten.

——

Die Führer des einſtigen Komitates, die „Taͤbla⸗Biroͤ's,“ hocken in ihren Neſtern auf ven Dörfern, und nur eine ſehr dringende Angelegenheit vermag ſie zuweilen nach der Stadt zu treiben, dann find dieſe altbekannten Geſichter kaum wieder zu er— kennen. Das ſonſt glatte Kinn ſtrotzt von einem grauen ftachligen VBollbart. Es fcheint, als wollten fie jelbft in ihren Aeußeren mit der Vergangenheit brechen.

Einft hatten die fogenannten guten Yeute, ein fogenanntes gutes Haus, daß fie mit ihrer fröhlichen Familie bewohnten. Wenn mann durch eine Gaffe ging, blicte einem beinahe aus jedem Fenſter ein freundliches Geficht entgegen, und erwieberte mit herzlichen Wohlwollen den Gruß ; diefe Häufer find jegt von ihren Bewohnern verlaffen. Ein anderes Volk Hauft in ihnen, welches die Fenfter, wo einft zwijchen ven blühenden Blumen ein lodiger Blond» fopf heraus Tächelte, zu Thüren umgeftallten ließ, um davor ein Tiſchken aufzuftellen und zur Illuſtri⸗ rung der a. Glückſeligkeit REDEN zu fchenfen. .

Wenn der alte Mann, * bekannte Major Kolbay, ſeinen gewöhnlichen Spazirgang durch die ihm nicht ſo bekannte Gaſſe macht, pflegt er für ſich ſelbſt murrend aufzuzählen: na, da hat man wieder eine Laden⸗Thüre geöffnet ; da hat wieder einer Bän-

Pe?

der und Sacktücher feil; ja aus den alten Herrn- häuſern werden num Verkaufsbuden.

Nun ift das der natürliche Gang der Welt, welche vorwärts fchreitet; dem „alten Knochen“ fällt es jedoch ſchwer, fich daran zu gewöhnen.

Die neue Öeneration beeilt ſich zu arbeiten, und verdienen zu können; fie demüthigt fich, fchachert und handelt, und fünmert fi) wenig um veraltete Privilegien.

Das verfteht der alte Knochen nicht. Seine Zugenbreminiscenzen führen ihm zurüd in die glän- zenden Tage der Schlachten, der reichen Galla-Uni- form, des Privilegienthums, und es ift ihm unmög- lich, fich in diefe fo gänzlich veränderte Welt hinein zu leben.

Nur das Haus der alten Lävah erlitt noch feine Veränderung, ba gibt e8 noch feinen „Greisler- laden.” Schade das fie in Peft wohnt, meinte der Alte, feitdem fie ihren Sohn wieder gefunden. Wie konnte fie fich überhaupt an Peft gewöhnen !

Dem alten Kolbayh fiel es fehr ſchwer, daß er feine alte Freundin nicht mehr im Fenfter fehen und ihr, wenn er zur Mittagszeit vorüberging, feinen griesgrämigen „guten Tag“ wünfchen konnte.

An einem Tage jeboch, als er in tiefen Ge- danken verfunken, auf feinem gewöhnlichen Heim- wege begriffen war, vernahm er plüklich eine be— kannte Stimme aus dem wohlbelannten Fenfter.

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Guten Tag, Herr Major!... Kolbay blickte betroffen auf, und feine ftarren Gefichtszüge erheiterten fich merklich, als er feiner alten Freundin, die er jo oft an dieſem Fenſter getröjtet, anfichtig wurde; „jett wird fie des Troftes faum mehr bedür— fen,” dachte ver Veteran.

Sie würden einen gar nicht bemerken, wenn man Sie nicht anjpräche.

AG, bei meiner Seele, ih habe alle Tage durch Ihre Fenftericheiben gegudt, aber nie etwas anderes gejehen als diefe Blumen da. Setzt will ib Ihnen aber alljogleih meine Aufwartung machen.

Die alte Damereilte ihrem Gaſte entgegen ; im Hofe hatte fie Mühe, den alten Haushund zu bejchwichtigen, welcher fich nod immer fein Brod verdienen wollte, trogdem er faum mehr zu bellen vermochte.

Der Veteran drückte unter ſiegreichen Lächeln die Hand ſeiner Freundin; aus ſeinen Zügen konnte man den ſtolzen Gedanken leſen: „hab' ich's nicht geſagt daß Ihre Schwiegertochter eine vortreffliche Frau ſei;“ er wollte ſich jedoch ſeines Sieges nicht rühmen. |

Ich glaubte wahrlich jchon, daß Sie für immer in Peſt verbleiben, müſſen fich ſehr an die große Stadt gewohnt haben.

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Die alte Frau hieß ihren Gaft auf dem Divan Platz nehmen, fie ſelbſt jegte fich an ihren Spinne- rocken, ohne die Frage zu beantworten.

Kolbay glaubte anch ferner icherzen zu könnnen.

Natürlich gibt dort eine Unterhaltung die andere; bie vielen Abendunterhaltungen, Soiréen, «oder wie man fie nennt, die vielen Konzerte, dann täglich Theater, wenn die Tochter eine Xoge hat. Sie müjjen viel Freude an Ihren Kindern erlebt ‚haben. . . . Sch begreife e8 gar nicht, wie Sie in dieſe fremdgewordene Heimat zurüdkehren konnten.

Ueber das Geficht der alten Yavay rannen zwei Thränen herab; ſie ſuchte jedoch dieſelben zu verbergen, indem ſie ſich niederbeugte, um an ihren Spinnrade etwas zu richten.

Herr Major begann fie dann im ern- ften Tone hätten Sie mir nicht heute die Ehre gejchenkt, jo würde ich Sie morgen bejucht haben.

Ih würde mir's als große Ehre ange- rechnet haben ; trogdem daß Sie mir bieje Höflich- keit jchuldig waren; war doch ich e8, der Sie bei Gelegenheit Ihres legten Bejuches beinahe aus dem Haufe jagte, und Sie habeu mir für diefe Höflichkeit noch gar nicht gedankt. Ich will e8 Ihnen jedod) verzeihen... . Was habe ich Ihnen damals gejagt ? Habe ich vielleicht nicht Recht gehabt? .... Haben

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Sie Ihre Kinder nicht als die glüdlichiten auf Erbe wiedergefunden ?

Die alte Dame fehüttelte traurig mit dem Kopfe nnd erwiederte mit bitterer Entſchloſſenheit:

Meine Kinder find nichts weniger als glücklich!

Die fo? rief ver Veteran plötzlich herab⸗ geftimmt :

Nicht glüdlih?.... Meine Freundin, Sie hatten fich fchon einmal getäufcht ; bedenken Sie jegt das zweitemal was Sie da aussprechen. Einmal haben Sie diefe Frau Schon verfannt; damals fagte ich Ihnen: diefe Frau iſt eine treue, ehrliche Gattin ;- das behaupte ich auch noch heute; Judith ijt eine brave, ehrliche Frau !

Da haben Sie reht, Judith ift eine brave Frau und eine ehrliche Gattin.

Dann verftehe ich die Sache nicht,

Die Schuld liegt nicht an ihr.

Nun alljo, wer trägt den die Schuld ? rief der Major entrüftet, der andere?

Ya der Andere!

Bela?

Bela, mein Sohn.

Das ijt furchtbar, fo etwas von Ihnen bören zu müffen. Das grenzt an das Unglaubliche... . denn erlauben Sie mir Freundin : felbft wenn Judith nicht fo fchön, fo vernünftig und fo gut wäre, als fie

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es iſt, ſondern eine Harpie, mit einem Meduſenhaupte, und dumm! wie ein Klotz, müßte ſie ein erlicher Mann, wie es Bela iſt, nach all dem, was ſie für ihn gethan, was ſie in ihrer grenzenloſen Liebe un— ternommen, noch immer den Händen herum— tragen.

So iſt es. Judith it ihön, gejcheidt und gut; dennoch hatte Bela alles dies vergeffen.

Unglaublid. Sie erzählen mir da ein Märchen. Gibt e8 denn eine Frau, die den Muth hätte als Nebenbuhlerin einer Gattin aufzutreten, die für ihren Mann durch die Hölfe gebrungen, bie ben Muth hatte den Mann Judith's zu verführen?

Es gibt eine!

Das muß ein herzloſes, ein böſes, ein ränkeſüchtiges Geſchöpf ſein.

So iſt's, Sie iſt eine hemleſe eine ränke⸗ ſüchtige Frau dieſe Fertöy!.

Kolbay taumelte zur, er mußte fih an die Lehne des Divans ftügen.

Seraphine?... Meine... meine Nichte?

Ya. Ihre Nichte; woher das fam?... wie e8 fam?... . wer könnte ergründen?.... Ges nug baran, einft traf Bela mit ber Fertoh beim Fürſten Wolozoff zuſammen.

Beim Fürften Wolozoff? | a. Ich weiß es nicht, wer das ift? Will

ed auch nicht wiffen. Aber fo viel weiß ich, daß Bela

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ſich, ſeitdem er von dort zurückgekehrt ift, ganz ver- ändert hat. Er that geheimnißvoll vor mir und jeiner Frau; that ſtets mürriſch nnd launifch, ging jehr oft auf Reifen, ohne zu jagen, wohin ? Wir ver- mochten es nicht zu errathen. . . So viel wußten wir, daß ſich Seraphine von ihren Gatten jcheiden laffen will, und daß Bela ihren Prozeß führt.

... Ah ah! ... machte der Alte, was Sie mir da für Neuigkeiten erzählen.

Sie wiſſen das nicht? Nun ſo erfahren Sie es denn, daß Beéla im Intereſſe Seraphinens die lange Reiſe bis nach Siebenbürgen macht. Dort ſoll vie Scheidung leichter vor ſich gehen... . wel— hen Lohn er biefür zu erwarten bat, ift fein Ge— heimniß. Dabei vernachläßigt er jeine Frau merklich. Auch diefe hat einen Erbſchaftsprozeß, die Schluf- verhandlung fteht vor der Thüre und er hat in die- jem Prozeße ſeit Monaten feinen Buchitaben gear- beitet. Wenn ich ihm darüber Erwähnung that, fer- tigte er auch mich mit den furzen Worten ab, daß alfes in Ordnung ſei. ... Und Judith ahnt Alles ; würde fie nie Frau und Gattin fein, wenn fie nicht alles ahnen würde. Sie fieht, fie fühlt es täglich, daß Sie vernachläßigt wird, doch ſchweigt und duldet jie, ohne e8 Jemanden merken zu laffen. Sie ift zu jtolz, zu erhaben in ihrer Liebe um ihren Schmerz der profanen Welt zu verrathen. Nie habe ich fie weinen, nie Hagen gehört, nur ihrer Stirne fieht

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man es an, daß fie viel nachvenft.... Mein Frennd von dieſer Frau habe ich viel gelernt. Sie iſt eine Märtyrerin, ein Engel. Mit feinem Blicke hatte fie noch ihrem Gatten Vorwürfe gemacht, im Gegentheil Sie vertheidigt ihn gegen meine Anfchuldigungen.

Das find ja infame Geſchichten, die Sie mir da erzählen, rief ver Veteran im vollem Zorne ausbrechend. Werhalb mußte Seraphine die Ruhe einer ehrlichen Familie jtören, wo fie doch von Wien bis Peſt genug jener galanten Kavaliere findet, die es werth find, um von ihr genarrt zu werden. Muf Sie fih denn einen verheiratheten Mann in ihr Net ziehen? ... Ich danke Ihnen meine Freundin, daß Sie mir dies mitgetheilt, und ich werde es, ſowohl Ihnen, al8 auch andern beweijen, daß ver -alte Kolbay noch nicht jo alt ift, als er fcheint.

Was beabfichtigen Sie zu thun?

Was? Gleich morgen reife ich nach Bet, fuche dort Seraphine auf, und werde fie zur Rechen- Ichaft ziehen. Es foll ihr dies bitter bekommen.

Das habe ich von Ihnen erwartet, ſprach die Yavay fich von ihrem Site erhebend und bie ‚Hand ihres alten Freundes drückend.

Nicht wahr, Sie waren im voraus über- zeugt, daß ich fo handeln werde ? Sie jollen fich in mir nicht getäufcht haben. Ob, fie joll mir u: Rechenſchaft geben.

*

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Dann werden wir zuſammen reiſen. Auch ich reife morgen nach Peſt znrüd.

Niht wahr? auch Sie werden Ihren Sohn zur Rechenfchaft ziehen.

Das werde ich thun, und zwar aus allen Kräften.

Na, dann möchte ich ſehen, wer ung bei- ben wieberftehen kann, wenn wir uns vereinigen! das foll einmal ein Angriff werden! und erſt vie Rechenjchaftslegung ! ereiferte der Alte.

Ich danfe Ihnen wein Herr. Ich bin nur deßhalb heraufgereift, um mit Ihnen in diefer An- gelegenheit zu jprechen und Sie zum Beiſtand auf- zuforbern. Ä

Der alte Kolbay war ganz entzückt darüber, daß Frau Laͤvah, jo viel Vertrauen in feine Aufrich- tigkeit und Macht fette; als er nach Haufe ging, trat er mit feinen fteifen Beinen viel ftolzer auf als fonft, und murmelte ununterbrochen: Das ſoll eine große Rechenfchaftslegung werben !

Seraphine war fehr überrafcht, als fie an einem Nachmittage von ihren Spazierfahrt heimkeh— rend, die Vifitfarte des Majors Kolbay auf ihrem Tiſche fand.

Kolbay flog aus feinem Nefte! Er, ver fich feit zwanzig Jahren nicht über die Grenzen der Stadt begab. Und daß er gerade feine Nichte auf-

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fuchte, welche er noch vor der Hochzeit mit ihrem erſtem Manne fo zornig abgewiefen hat, veutete das nicht auf außergewöhnliche Umftände?

Der Alte muß aber etwas Großes vorhaben.

Seraphine war in den Iepten Tagen von ihren neuen Fantasmagorien derart eingenommen, daß die Erinnerung an den Alten ihr Gemüth in völligen Aufruhr brachte.

Seit jenem Tage, wo ihr Bela den Rath ge- geben, fih von ihrem Manne zu trennen, und feit jenem Abend, wo er fie vom Flammentode gerettet, hatte das Gemüth der launenhaften Frau eine völ- lige Umwandlung erlitten, ven Tag hindurch fuchte fie die Einfamfeit, um ihren Träumen, ihren Fan- tafien nachzuhängen. Und ihre Nächte ?

Was fagten ihre nächtlichen Träume

Auch dieſe hatten ſie bethört.

Seit jenem Tage verſchwand das ewig lebende Geſpenſt aus ihren Träumen, als wollte es einem andern Trugbilde Platz machen, als wäre es mit den Tauſche einverſtanden.

Von nun an war der Geſpiele ihrer Jugend, ein ewig wiederkehrendes Bild ihrer Träume. In hundert Geſtalten, in hunderterlei Verhältniſſen ſtets dasſelbe Bild; in den verſchiedenartigſten Szenen, der Aufmunterung, der Zufriedenheit, des Familienglücks, der Leidenſchaft, der Eiferſucht ſtets und immer dasſelbe Bild.

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TB

Das Geſpenſt Roberts erjchien nicht mehr..

Auf den Wangen der bleichen Frau begann abermals die Roſe des Lebens zu blühen.

Der Fürft welcher fie zuweilen bejuchte, eiferte

fie an, ſich jegt portraitieren und das Porträt vergan- gener Jahre vernichten zu laffen, weil e8 entjchieden schlecht fi. |

Seraphine hatte fich in eine unbejtimmte, geitaltlofe Zukunft jo hineingelebt, daß das Auf: tauchen ihrer befannten Vergangenheit, welches ver Name ihres Onkels hervorrief, auf fie denjelben Eindruck machte, wie auf einen der Geneſung entge- genjchreitenden Kranken, die neu hervorbrechenden Symptome des alten Uebels.

Weßhalb mag Kolbay gekommen fein ?

Er hatte dem Kammerbiener veriprochen,

nach einer Stunde zurüd zu fehren. That er dieß, jo wird er e8 gewiß auch halten.

Diefe Stunde reichte für Seraphine nicht hin, um fich darüber zu entjcheiden, welche Rolle fie einem Manne gegenüber fpielen jollte, der in die Schablone ihrer Umgebung gar nicht paſſen kann? Soll fie heiter, fcherzhaft, ſpitzfindig fein, ſoll fie ihren Einfällen freien Spielraum gewähren, wie fie e8 zu Haufe in ihren Mädchenjahren gewejen ? oder ſoll fie eine gewiffe Oravität zur Schau tragen, wie e8 einer großen Dame geziemt? Soll fie fich herzlich, freundlich, füßlich benehmen, wie man es einem

un BO!

Bermwandten gegenüber thut, den man lange nicht geliehen ? Oper foll fie fich blafirt ftellen, wie einer, dem es ganz gleichgiltig ift, wer immer kommt oder geht.

Der Onkel erſchien pünktlich. Seraphine ver- nahm, wie er im Borzimmer jchon fein bekanntes Räuspern von ſich gab. Der Kammerdiener wies ihn zur gnädigen Frau, welche ihn bereits in ihrem Bouboir erwartet. Seraphine fiel e8 nicht auf, daß Major Kolbay mit einer gewiffen militärifchen Steife herein trat: es war dies eben, feine Manier. Seraphine empfing ihn trogdem fehr freundlich: „Willkommen lieber Onkel! Tauſend Yahre, daß wir uns nicht gefehen. Welcher gute Glückſtern führt Sie zu ung."

Zu Euch ? Erwieberte der Alte, das letzte Wort betonend. Hajt wohl jagen wollen zu Dir. Ich babe Dich im Haufe Fertöy's gejucht und erhielt zum Bejcheid, daß Ihr fchon feit einigen Monaten getrennt lebt.

Ya wir find im Begriff uns fcheiden zu laffen. Nehmen Sie jedoch Plat bei mir Onfel.

Seraphine war fjehr überrafcht, daß fie Kol- bat beim erjten zufammentreffen mit Du anfprach, was er ſonſt nie gethan hatte.

Dante, erwiederte der Major. Ih kam eben um die Urfache Eurer Scheidung zu erfahren.

Rennen Sie Fertöy ?

Db id ihn fenne!

Dann müffen Sie auch über die Urfache unferer Scheidung im Reinen fein.

Uebrigens muß ich dir bemerken, daß ich Vertöy keineswegs befjer fenne, als du ihn gekannt haft, bevor du ihn geheirathet. Verjtehe ich e8, weß— halb du dich von ihn trennen willit, dann werjtehe ich nicht, weßhalb du ihn geheirathet haft? Und ver: ftehe ich's, welche Urjachen du gehabt haft ihn zu heirathen: dann weiß ich nicht, weshalb du did) von ihm jcheiden laſſen willft.

Seraphine hatte das Unglüd, anjtatt fich aus diefem Dilemma mit einem Bonmot beraus- zuzichen : die Frage an den Onkel zu ftellen :

Die verftehen Sie das ?

Darauf erhielt fie, was fie fuchte.

Liebe Seraphine nehmen Sie e8 nicht übel, (der Alte dutzte fie nicht mehr) Sie können es auch nicht übel nehmen, wenn ich Ihr Leben mit kritifchem Blide verfolgte. Sch that diefes feit Langem; habe ich doch nichts mehr auf der Welt zu thun, als jenen Roman zu ftudiren, welchen Sie aus Ihrem eigenen . Reben machen.

Bitte, fiel Seraphine ein; die Feuilleton Romane, pflegt man erjt zu beurtheilen, wenn jie zu ; Ende jind.

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Jene Fälle ausgenommen, wenn ber Stoff des Romanes in jene Regionen hinabjinft, wo der Lefer unwillfürlich ausruft: „auf dieſes Blatt prä— numerire ich nicht mehr.“

Wäre dies auch bei meinen Romane der Fall ? rief Seraphine in beleidigtem Zone.

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Deßhalb fomme ich auch nicht als Kritiker, Sondern als guter Freund um den Verfaffer auf Etwas aufmerkſam zu machen, denn wenn dev Roman einmal zu Ende it, dann fällt er der unerbittlichen Kritik anheim ; dann ift nichts mehr an ihm zu verbejfern. Jetzt fönnte bie Entwidelung noch en famille geordnet, jetzt ift das Streichen, das Ausbeſſern noch erlaubt.

Seraphine war über die Gewähltheit der Ausdrücke ihres Onkels, der fonft eine gerade unge—

juchte Sprache führte, höchſt überraſcht. Es muß eine große Veränderung mit ihm vorgegangen ſein.

Liebe Seraphine, Sie wiſſen es recht gut, wie wenig ich Ihnen mit der Langweiligkeit meiner Bemerkungen, die ich mir bei Gelegenheit der merk— würdigen Wendung Ihres Schidjals ſtellte, ungele— gen kam. . . . Ich ſagte mir: dieſe Frau iſt zu ſtolz, um von Jemanden einen Rath anzunehmen, möge fie ihren eigenen Pfad wandeln. . ... Jener Weg, welchem der Stolz als Weiſer dient, kann wohl auf's Eis, ins Waſſer: nie aber in den Koth führen,

Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 6

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Die Lippen Seraphinen’s zucdten bei die— ſen Worten; fie war micht mächtig ein Wort zu erwiederit.

Ein jedes Mitglied unjerer Familie bejaß ‚Stolz ; das gefiel mir; fuhr der Alte fort, indem er feinem Halfe in der hohen Militärkravatte eine noch fteiferes Halten gab. Die Yeute hatten ung nicht bejonders lieb, fie fagten, wir feien ftolz. Ich ver: langte nichtS anderes von ihnen. Wir waren vie „Haute volée“ der Gegend. Dan verjpottete uns, jedoch gefiel mir diefer Spott. Ihr Vater war nicht nur ein Geburts- jondern auch ein Gelvarijtofrat; er hielt fich für etwas mehr im Somitate, als ver Dbergeipan. Sein Stolz fojtete ihm viel Geld: ich jah es wie er fein Geld mit vollen Händen ftreute, um diefem Stolz zu fröhnen. Er hätte eine Mil- Tion hinterlaffen können, wenn er vemüthig geweſen wäre; er war es jedody nie; ich hielt e8 ihm mie vor weil ich die ſtolzen Leute liebe. Bon mir will ich gar nicht Sprechen.

Weiß es doch Jedermann, daß, wenn ich in der Stadt, die ich bewohne, den einzigen Menfchen, den ich für Werth halte anzufprechen, und feine Worte anzuhören, nicht jehe und antreffe, ich für die Vebrigen ein Taubſtummer bin.

Sprechen Sie demnach von mir Onfel!... Drängte Seraphine, welche durch die lange Einlei- tung bereits nervög geworden.

u, BE

Sogleich will ih von Ihneu ſprechen. Auch Sie waren ein fo ſtolzes Kind. Ich habe Ihnen veßhalb uie Vorwürfe gemacht. Als Sie Robert heiratheten, wies ich die Rolle des Beiftandes zurüd, weil ich wußte, daß diefe Heirath mit einer Demü- thigung enden wird... ...

Ich bitte Sie, Tieber Onfel; ſprechen Sie nicht von Robert... .

Ich ſpreche ja nicht von ihm ; nur vondhnen.

Auf Das Geflatih irgend eines irrenden Flüchtlings, legten Sie Wittwenkleiver an. Ich be- zweifle nicht, daß Sie dazu Grund hatten, es find ja ſchon acht Jahre feit dem verfloffen. Die Wittwer- tracht iſt das Zeichen ver Demuth: die im jener Zeit in Trauerfleidern gingen, waren auf diefe ihre Tracht ſtolz; Sie aber hatten, bevor das Zrauerjahr ablief, ihren Schleier zum zweiten Male mit dem Braut- kleide gewechjelt, uub wurden die Gattin Fertöy's. Da dachte ich mir: Fertöy wird Karriere machen, Steht ihm hiezu doch der Weg offen ; Seraphine ift ſtolz, hochmüthig und wünſcht zu glänzen. Ich Tiebe die Menſchen ja, die von der Ölanzjucht befallen find. Uebrigens wechſeln auch Männer für bobe Stellungen und Titel, ihre Hüte, warum ſollen rauen nicht ihre Hauben wechſeln?

Ich verfihere Sie Onkel, daß es nit deßhalb geſchah warf Seraphine im Tone jchüch- terner Entjchuldigung ein.

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Ih ſage ja nur, daß ich „damals“ ger glaubt; daß es aber nicht jo gewejen, brauchen Sie mir erſt nicht zu beweilen.

Gie fannten die jchlechten Eigenfchafter Fertöy's, und eben biejerhalben wählten ihn zum Gatten. Ich erjuche Sie nicht in Aufregung zu ge- rathen, bisher haben weder Sie noch ieh Urſache dazu. Jetzt können wir noch fromm und freundlich mit einander reden, das ift noch alles reiner Scherz. Später werden wir eine Sprache führen, daß mir von unfern Siten auffpringen und einen Lärm an- Schlagen, daß die Nachbarn und die Leute auf ver Gaſſe zufammen ftrömen .... daß Sie mich durch Ihren Diener hinaus werfen laffen, und ich jelbit noch von der Stiege zu Ihnen hinauf fchreien werde; bis dahin bleiben wir bei falten Blute.

Seraphine faltete zitternd die Hände, als wollte fie um Schonung flehen.

Nun fahren wir fort. Sie haben ſehr gut mit jenem Fond gewirthichaftet, ven man die Nach— ficht eines nichtswürdigen Gatten nennt. Sie konn— ten thun was Sie wollten. All’ dies war fein Ge heimniß vor der Welt; doch war es verbedt Durch den Namen des Gatten! Es mag eine Gattung des Stolzes geben, die den Schatten, welchen eine fürjt- fiche Krone auf fie wirft, für blendendes Licht hält; ich theile diefe Anficht nicht, doch verdedt der Name eined Gatten auch diefen Schatten.

ein BB-

Onkel, Sie find zu grauſam.

Laffen Sie mich hinauswerfen. Ich jelbft Bitte Sie darum in Ihrem Interefje, venn ich habe Die Abficht noch grauſamer zu werden.

Ich werde jchweigen.

Und ich behaupte, bisher wur dieje Frau ſtets ftolz, ihr Stolz hatte zwar eine fchiefe Nichtung, es war jedoch immer noch ein Stolz, eine Ambition der Weltfrau, welche fich neben dem Range ihres Gatten auch durch den Glanz der fürftlichen Krone ihres Anbeters gejchmeichelt fühlt. Plöglich find fie jedoch aus Ihrer Rolle gefallen. Das Schidjal führte fie unverſehens mit einem Manne zujammen, an ven Sie mit ven Banden erjter jugendlicher Xiebe ge- fnüpft find. Da hatten Sie vollends ihren Kopf ‚verloren,

Seraphine zitterte, wie ein ſchwaches Kind, und erbleichte, als fie ihr Geheimniß entdeckt ſah.

Hören Sie mich an, Seraphine, fuhr der ‚unerbittliche Alte fort: Sie und Ihr Yugendfreund ‚hatten in einer Zeit Gelegenheit genug, wo man ungehindert die Worte: „Sch gehöre Dir und Du bift mein,” ausjprehen kann und darf. Warum Sie es damals nicht thaten, müffen Sie felbjt am beiten wiſſen, warum Sie e8 eben heute thun, werde id) Ihnen erzählen.

Es thut mir jehr leid, daß ich es jagen muß, aber ich muß es, weil mein Leben nur mehr

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eine Szene iſt. Möglich, daß ich meine alten Knochen ſchon morgen zur ewigen Ruhe legen muß, und wenn ich heute nicht ſpräche, wäre ich, bei Gott, gezwungen mich morgen in eines jener albernen „Table moving's“ zu verkriechen, um als Klopfgeiſt Ihnen meine Meinung fundzugeben..... . Ich mache Sie jedoch nochmals aufmerkſam, daß, wenn Sie irgend ein Mittel gegen die Ohnmacht befigen, Sie diefes zur Hand halten ſollen, denn was ich Ihnen. jage, ift eine verteufelt graufame Gefchichte.

Ich werde fie anhören umſomehr, als ich die Geſchichte Schon kenne.

Liebe Seraphine, dieſe Öejchichte ift Ihnen unbefannt. Sie find vielleiht der Meinuug, daß ich- Ihnen fentimentale Borftellungen machen werde über die aufgejtörte Ruhe einer glüdlichen Familie, wegen ber vergoffenen Thränen der jungeu Lävay... Was fcheere ich mich um das ? Was fümmern mich die Laͤvay's. Ich habe es nur mit Ihnen zu thun. Nun hören Sie! die Scheidung von Ihrem Gatten: hat Ihnen Bela Laͤvay angerathen.

Woraus vermuthen Sie das? frug Sera- phine betroffen.

Wenn Sie mich weiter anhören, werden Sie e8 erfahren. Herr Bela hatte kebie Luft, Sie zum Altar zu führen, denn man überlegt es fich zweimal, Ihren Yaunen ewige Geduld zu ſchwören. Es beliebte ihm nicht, Sie zur Frau zu nehmen und

u BT;

um ber vergänglichen Freude willen, die Ihr Lächeln bietet, Herz, Ruf und Gefchid ihrem Leichtfinn an- zuvertrauen. In dem Augenblid aber, da wir ber Welt nichts mehr Ichuldig zu fein glauben, nähern wir ung einander wieder. Die Frau it fchön, und taugt fie auch nicht zur Gattin, jo kann fie defto angenehmer jein als Geliebte. -

Auf diefe Worte fchrie Seraphine auf, als hättte fie eine Tarantel geftochen.

Nichtwahr, diefe entjeglihe Grobheit ha— ben Sie nicht erwartet, ſprach Kolbay von feinem Site aufftehend und nach dem Hut Tangend. Und doch, bin ich noch Feineswegs zu Ende. Noch ein Wort. |

Seraphine fchritt hocherregt auf und ab im Zimmer. Wie ein fchöner Yeopard im Käfig unter dem machtvollen Blick des Bündigers ; ihr Bufen wogte jtürmijch, ihre Lippen zitterten. Einen Augen— blie€ ftand fie an dem Fenſter jtill, als ob fie darau ſänne, die Flügel zu öffnen und fich jählings hinab— zujtürzen, um nicht das hören zu müffen, was der Alte noch auf der Zunge hatte.

Diejer aber fuhr erbarmungslos fort:

Bisher waren Sie etwas: eine Frau, deren Gatte ihr alles durch die Finger fieht. Ein unbedeutender Zitel, aber noch immer gut genug. Jetzt Scheiden Sie von Ihrem Gatten und fie werden mas man „eine jehöne Frau” zu nennen pflegt.

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Alle Welt wird Ihnen ſagen, daß Sie eine ſchöne Frau ſind, und alle Welt wird das Recht haben, Ihnen das zu ſagen. Und es wird dies keine Schmei— chelei ſein, und die Frau, welcher man es ſagt, wird kein Recht mehr haben ſtolz zu ſein.

Seraphine ſetzte ſich dem Alten gegenüber, entſchloſſen, den Becher zu leeren, wenn er auch Gift enthalten ſollte.

Seit drei Tagen ſuche ich Ihren Gatten, um ihm ins Geſicht zu ſagen, daß ich ihn unter allen Leuten, die ich achte, für den allerletzten halte, und daß er mit einem Fuße ſchon jenen Pfad betreten, auf welchem elende charakterloſe Menſchen wandeln; doch er verſteckt ſich, läßt ſich abläugnen. Ich weiß es, daß er ſich anfangs betroffen zeigte, als Sie von der Scheidung ſprachen, doch hatte er ſeine Skru— pel aufgegeben, als ihm der „reiche Mann“ mit ſeinen Beweismitteln näher rücke; und jetzt iſt auch er für die ſchnelle Löſung des Prozeßes. Wenn ich ihn nicht finden follte, werde ih ſchon. ven „reichen Mann” und Ihren Aovofaten finden. Das find Männer, denen es werth ijt Grobheiten zu ſa— gen.... Denn Sie müſſen es wiſſen, theuere Kouſine, daß ich der Bruder Ihrer Mutter, nichts anderes hinterlaſſen werde, als ein verwahrlojtes Haus und eine Kleine elende Wirthichaft; aber meinen Namen will ich Ihnen fo vein und unbe: fleckt Hinterlaffen, wie ich ihn von meinem Vater

Br 8:

‚geerbt. So, jetzt fönnen Sie mich fortjagen. .... ich habe ausgefprochen.

Seraphine fuhr von ihrem Sie empor und ergriff haftig die Hand des Alten, welcher im Be- ‚griff ſtand, fich zu entfernen.

Dleiben Sie noch. ... Gehen Sie nicht zu Jenen, die Sie erwähnten.

Sie fürdten für Jemanden? ? vielleicht ‚gar für mich den alten Knochen ?!

Warten Sie bi8 morgen Mittag; da jolfen Sie etwas erfahren; und wenn Sie auch "dann nicht zufrieden find, jo Fönnen Sie thun, was Sie für nothwendig erachten, gegen mich, oder gegen Jedem andern.

Dis morgen ie ? Wann iſt bei Ihnen Mittag ?

Um zwölf Uhr.

Gut. Ich werde Punkt zwölf Uhr bei Ihnen erjcheinen, bis dahin will ich mich nirgends zeigen.

Damit entfernte fich ver Alte; und Seraphine „blieb allein. . . . . Allein ? Ab, fie hatte eine ganze ‚Hölle zur Gejellichaft.

Was ihr diefer Alte Mann gejagt, blendete

fie wie der Feuerjchein eines über den Köpfen bren- ‚nenden Haujes.

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Da war ben glüdlichen Träumen mit einem Male ein Ende gemacht und dahin waren die verlo- enden Fantafiegebilde dahin, zerronnen, im. Schaum und Nebel aufgelöft, vor dem einen frofti- gen Gedanken : Er machte dich nicht zur Gattin, aber als Gelichte bift du ihm gut genug.

Der Eng der Abrechnung.

Der folgende Tag war auch fonjt ein merk: würbdiger Datum für die beiden Familien.

Am Vorabende diejes Tages hatte Bela zu feiner Familie gejagt, daß er die ganze Nacht wach bleiben werde, weil er dringende Geſchäfte habe, die bi8 am Morgen beendigt fein müſſen.

Morgen ift die Schlußverhandlung in dei— nem Prozeße gegen Fertöh, jagte die alte Frau zu ihrer Schwiegertochter, der junge Herr hat die Sache vernachläßigt, jetst muß er eilen.

Bela wachte in der That die Nacht hindurch und noch am Morgen konnte man hören, wie er im Zimmer auf.und abjchritt.

Er lieh fih auch das Frühftüc in fein Zim- mer bringen, denn noch hatte er nicht alles beendet.

Um neun Uhr ließ er einen Lohnwagen holen uud er trug einen ganzes Acdtenbündl unter dem - Arm, als er zu den Frauen hinüber fam, um fich, wie er es gewöhnlich that, von ihnen zu berabfchie-

er BE

den und ihnen zu jagen, wohin er ſich begebe und wann er zurüdfehren werde.

Heute wırd die Schlußverhandlung in deinem Prozeße jein, fagte er, indem er Judith in die Arme jchloß ; fonft gab er ihr Feinerlei Erklärung. Dann erfundigte er fich nach dem Befinden des Kin— des und ob e8 in der Nacht gehuitet. |

Das würdeſt du wohl gehört haben, denn du warjt wach, antwortege die Mutter.

Ich wahr ſehr vertieft in der Arbeit.

Nicht wahr, du haft dich mit den Arbeiten an Judith's Prozeße verjpätet.

In Judith's Prozeße? O, daran babe ich nicht gearbeitet, da ift die Replik eine ganz einfache, die ich im Gerichtsſaale niederfchreiben werde.

Alles ſchwig hierauf. Der Diener meldete, daß der Lohnwagen angefommen ; Bela nahm feinen Hut und ging. |

Die alte Frau begleitete ihn gar * hinaus, wie ſie zu thun pflegte.

Alſo auch in der Nacht, da daß Vermögen ſeiner Gattin, ſeines Kindes auf dem Spiele ſteht, beſchäftigte er fich mit den Angelegenheiten jener andern Frau. Die alte Yavayp war in Verzweiflung. Judith aber lehrt ihr Kind das Wort „Vater“ aus- Sprechen. Bela fuhr directe nach der Wohnung : Seraphinens.

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Für ihn mar das Haus auch zu fo früher Stunde offen; der Kammerdiener wußte, daß er ihm. zu jeder Zeit ven Eintritt gejtatten dürfe.

Die blafje Frau war heute bejonbers ſchön. In den Augen der magnetische Glanz einer Betäu- bung, bie eine durchwachte Nacht erzeugt, ihr uuge- ordnetes Haar ruhte in einem Perlennege. Auf den blaffen Zügen aber ruhte das ſelbſtbewußte Lächeln, welches das farblofe Geſicht fo jtrahlend macht. Ihre Morgentoillette war mit Geſchmack gewählt; ein geſticktes weißes Oberfleivd mit blauem Gürtl. Sie fah darin wie ein Kind, wie ein junges Mäd— chen aus.

Bela fiel e8 unwillkürlich ein, daß er vor Fahren ein folches Kind gefehen, mit einem folchen unſchuldigen Yächeln, mit einem ſolch' eng anfchlie- genden weißen Kleide und in ſolch' vertrauli- her Nähe. |

.... Doch was geht dies den Advokaten an.

Euer Gnaben werben entjchuldigen, daß ich jo früh fomme, doch muß ich zu einer Verhand⸗ fung eilen, und wie ih Ihnen jchor öfter erklärt, wird es mir ſehr lieb ſein, wenn in dieſem Prozeße früher ein Urtheil gefällt, als in dem Andern.

Iſt das der Prozeß „Ihrer Gattin" frug Seraphine.

68 iſt der Prozeß Judith's.

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Gegen meinen „Gatten“?

Ja, gegen Herrn Fertöp.

Seraphine betonte die legten zwei Worte jo ſtark, daß dieſe Betonung einem jedem Andern aufge- fallen wäre, nur Bela bemerfe es nit. Er dachte gar nicht daran, wo Seraphinens Gedanken weilen Tonnen.

Demnad wäre e8 Ihnen angenehm, wenn in diefem Prozeß ein jchnelleres Ba gefällt "würde ?

Ich habe meine Gründe, weßhalb mir dies angenehm, aud) habe ich alle Aften mitgebracht, da— mit Sie einige derjelben, mit ihrer nothiwendigen Unterfchrift fertigen.

Alto iſt auch. meine Unterjchrift noth- "wendig ?

Natürlich.

Wünſchen Sie, daß ich fie ungelefen unter: zeichne ?

DO nein, Sie müſſen e8 mit Aufmerkſam— feit durchlejen, worunter Sie ihren Namen jchreiben.

Auch wenn Sie das Schriftſtück verfaßt haben?

Seraphine blickte bei dieſen Worten Béla mit jo verführeriſchen Lächeln an, wie fie es nie zuvor gethan.

Auch ich fünnte irren, Deßbalb erſuche ich Sie zu leſen.

u IE:

Soll das gleich geihehen ?

Ich habe Eile.

Sie foheinen fih der feinen Geſellſchaft ſehr entrüdt zu haben. Ein Mann von größerer Höflichkeit würde fagen: Möge mein Warten eine Ewigfeit dauern. Doch will ich Sie nicht Länger aufhalten. Sie haben heute Ihre Gattin gegen Fer: töp zu vertheidigen; was feine kleine Aufgabe ift. Sie fünnen ſich daher nicht mit mir bejchäftigen. Laſſen Sie mir diefe Schriftjtüde zurück; ich werve mit denjelben bis zu Ihrer Rückkunft fertig werden.

0 Es wire mir lieber gewejen, wenn Sie dieſelben in meiner Gegenwart gelefen und unter= zeichnet hätten. Bis halb ein Uhr glaube ich wieder bei Ihnen zu jein.

Um halb eins ? lachte Seraphine.

Bela fragte nicht, weshalb fie lache ? Er fuchte jene Schriftitüde hervor, die fie purchzulefen und zu unterzeichnen hatte; dieß legte er auf einen Kleinen Tiſch; die übrigen band er in ein Bünd'l zufammen und legte fie an einen anderen Ort.

Sie werden alfo bis Halb ein Uhr zurückkeh— ren, und ich kann Sie alljo erwarten, ſprach Sera: phine, dem fich verabſchiedenden die Hände reichen, und tief in jeine Augen blidend Sie werden ganz ‚gewiß zurüdfehren ?! Das ift Schön von Ihnen, das ijt herrlich von Ihnen.

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Dabei ftreichelte fie mit ihren zarten Händen den Bart Bela’s, wie e8 zarte Herzen ihrem Ge— liebten gegenüber zu thun pflegen ; und nachdem er- bie Thüre Hinter fich gejchloffen hatte, begann fie zu lachen, und ihrer Einfamfeit ließ fie die Worte hören:

„Es wäre ihm alfo nicht zuwider, mic zu lieben.

Der Berfammlungsfaal des weiland Komi— tate8 war zu diefer Zeit in Heine Bureaus einge- theilt. E& war eben eine Epoche hereingebrochen, wo man nicht mehr bverlei große Säle benö— thigte, wo taufend Menfchen zufammen die Neden Einzelner anhören mußten. Die Räumlichkeiten mußten benußt werben, aus ‚dem großen Saale ſchuf man kleine Bureaus, man zog Ziwifchenmauern ; brachte Thüren an, und verjah felbe mit Nummern. Der gefällige Leſer möge mir e8 verzei hen, daß ich die Urjache deſſen nicht angeben Tann, warum Num— mer 14 gerade jene Dertlichfeit war, wo im Pro- zeße Fertöy's contra Hargitay die Schlußverhand- lung ſtattfand, daß ich die dort Anweſenden nament- lich nicht anzugeben weiß und warum Herr Blum, der gewejene Verpflegs-Beamte dort ald Präfident fungirt ? Auf all’ dies kann ich mich ebenjo wenig erinnern, wie auf einen Traum, von dem man plüß- lich aufgeſchrockt worden iſt.

Nun id thue Buße wegen meiner Vergefilich : feit. Doc möge e8 mir zur Entſchuldigung dienen. daß ich in jener Zeit fo viel Namen gehört und fo viele Gefichter gefehen, daß ich mich deren nicht mehr erinnern kann.

So viel kann ich jedoch ficher behaupten, daß der Präfes Herr Blum gewejen, und daß die übri- gen Herrn auch jehr ehrenwertbe Männer geweſen jein durften, die in einem andern Yande auch heute noch in hohen Ehren ftehen, wie fie es auch verbie- nen ; doch unter unſerem Meridian erinnert fich ihrer. kaum noch Jemand mehr. Die Herrn Fertöy und Bärfing befligen fich pünktlich zu erjcheinen ; nicht jo Bela Laͤvay, auf den, man noch eine halbe Stunde. warten mußte. |

Herr Blum vermochte es nicht 5 zu unterlaſſen um Herru Fertöy im Geheimen sub rosa zuzufli- ftern, daß fein Prozeß ohne Zweifel gewonnen ei. „Seripta manent“ (da8 Gefchriebene bleibt). Das eingereichte Teftament ſchließt jeden Zweifel aus ; das Gericht kann nicht anders entjcheiden, als das Fertöy in das Befisthum Hargitay's als geſetzlicher Erbe allſogleich einzuſetzen ſei.

Trotz dieſer Verſicherung ſchien Herr Fertöy heute ſehr niedergeſchlagen.

Es gibt Geſichter, welche die Welt ſehr lange als jung betrachtet hatte, und die an einem ſchönen Morgen ihre Bekannten damit überraſchen, daß fie Andere Zeiten, andere Menſchen. IV. Banb- 7

alt geworden find. Falten die bisher Niemand be- merkt hatte, beginnen ganze Furchen über das Ge- ficht zu ziehen, und die Zeit beginnt auf der Stirne ven gebührenven Pla einzunehmen. Fertöy ſchien heute um zehn Jahre älter, ald er es geftern ge— weſen ift. |

Herr Bärfing allein jchien feiner guten Laune nicht8 vergeben zu wollen.

Er reichte jedem der Beifiger die Hand, und verftieg fich im feiner Laune fogar jo weit, daß er nad der Tabaks-Doſe des Herrn Blum langte, und um die Vortreflichfeit des Inhaltes derjelben mit

großer Oftentation darzuthun, in furchtbares Nieſen ausbrach.

Herr Blum war ein ſehr guter Freund der beiden anweſenden Herrn.

Endlich erſchien der gegneriſche Advokat, Herr Blum winkte den Gerichtsbeiſitzern ihre Plätze ein— zunehmen. Die Verhandlung begann. Ein junger Mann mit einem für ſeine Ohren gefährlichen Va— termörder bewaffnet, damals Auskultant genannt, las etwas aus den Schriften vor, und, als er geen- digt, jegte, Herr Blum feine Brille auf, ſah ſich den ‚gegneriichen Advokaten an, und befragte ihn, ob er noch etwas vorzubringen habe, Bela verlangte Falt- blüthig, man möge ihm das Original des Teftamen- tes vorweiſen.

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Auf jein Verlangen übergab man Bela das "Dokument.

Er that jetzt pasfelbe, was er in Gegenwart Baͤrſing's gethan: er hielt e8 nämlich aufmerkſam ‚gegen das Licht und ſchaute eine Weile durch das Papier.

Dann legte er ed ruhig auf den Tiſch des Gerichtsſaales nieder, und fprach, feine Worte Ida ‚betonen :

Diejes Dofument ift gefäljcht!

Fertöy fuhr zufammen, während Barfing wie son einer Tarantel gejtochen von feinem Site ſprang, und etwas von Unverjchämtheit ftotterte.

Dlum nahm feine Brillen von den Augen, und winkte Bärfing er möge jchweigen.

Womit beweisen Sie, daß diejes Dofu- ‚ment gefäljcht ſei? | Die Beweisführung ift ganz einfach. Die ‚geehrten Beifiger des Gerichtshofes werden e8 wif- jen, dag man einft Dokumente nur auf gejchöpftes, und nicht auf Mafchinen-Papier fchrieb.

Das ijt ja doch gefchöpftes Papier rief Buaͤrſing dazwiſchen, während die Sommerfproffen ‚in feinem Geſichte gleich Sternen zu funfeln begonnen.

Bitte mich zu Ende zu hören. Diefe Ge- pflogenheit hatte eine fehr rationelle Urſache. Auf das geichöpfte Papier ift in Wafferfchrift ver Name

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der Fabrif angebracht und dabei ein Buchſtabe welcher das Jahr bezeidhnet, in wel- chem da8 Papier erzeugt worden ift.. Im erjten Jahre der Errichtung der Fabrif wendet man den Buchftaben A. in zweiten B. u. f. w. an.

Wenn nun Jemand ein Dokument fälicht, und es antedatirt, wird das jpäter erzeugte Papier zum

Berräther an ihm. Ich machte in diefer Hinficht ein—

gehende Studien im Archive der Föniglichen Kurie,. bei einem gleichen Prozekfalle noch aus dem vorigen. Jahrhundert. Was im vorliegenden Falle bemer-

fenswerth ift, daß der Name der Fabrik auf ven

Wafferzeichen des Papiers gar nicht vorfommen

fönnte, denn dieſe Fabrik wurde erjt im Jahre 1851

errichtet, während das Dokument von 1847 datirt. Der Buchſtabe E. beweift aber Far, daß das Doku—

ment im Jahre 1856 verfaßt wurde, alfo neun: Jahre fpäter nach dem Tode des angeblichen Zefta-- ment-Berfaffers.

Fertöy fiel bei dieien Worten ohmächtig vom Stuhle; man mußte ihn bei Seite tragen.

Baͤrſing aber erhob fich otternd, und ftotterte zähneflappernd, man möge auch ihm das Dokument - zur Befihtigung übergeben, welches die Beifiger einer nach. den Andern gegen das Licht hielten und- dabei, wie entrüftet ven Kopf fchüttelten. Einer ver: jelben behauptete fogar, er wäre anmejend geweſen als man diefe Fabrik in Böhmen mit großer Feier-

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Hichfeit eröffnete, dies fei aber drei Jahre fpäter ‚gewefen, ald das Zeftament datirt fet.

Herr Blum zog feine Tabaksdoſe aus der Taſche, öffnete deren Dedel, jedoch nicht um Herrn Barfing nochmals eine Prife anzubieten, ſondern ‚um deren Inhalt, welcher durch die Berührung von den Fingern eined Fälſchers profanirt wurde, -verächtlich auf die Erde zu jtreuen.

Dann Elingelte er ; die zwei Gendarmen, welche ven ohnmächtigen Fertöh hinausgetragen hatten, ‚erjchienen.

Herr Blum ſprach Faltblütig zu den Dienern des Gerichtes:

Diefe zwei Herrn find im zwei verſchiedene ‚Zellen in proviforifche Unterfuchungshaft zu bringen.

Bärfing wunderte fich nicht darüber, daß ihn ein folches Fatum ereilte; fondern, daß Herrn Fertöy ſolch' menjchliche Dinge paffiren können.

Tertöy war ein gewaltiger Herr, ein Mann von großen Einfluß, und hoher Autorität und was mehr, ein alter Freund Blums. Trogdem hatte Blum mit jo Falter gleichgiltiger Miene dem Gefäng— nißwärter aufgetragen, dieſen beiden Herrn jedes Schreibzeug, Meffer, u. f. w. abzunehmen, als hätte er ed mit gefährlichen Betyarn, oder fechsfreuzer- ſtück Fälſcher dus einer SEE zu thun.

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Dann wandte er fich mit gleich kaltem Blute zu Bela:

Wollen Sie gefälligft Herr Advokat ihr- Schluß-Plaidoyer zu Protofoll geben, das vu. wird Sache des Stuatsanwaltes fein.

-

Als Bela ven Gerichtsſaal verließ, traf er auf den Korridor mit feinem Freund Melchior zu— jammen. |

Man rief mich eilig aus dem Spital bieher, ich mußte Herrn Fertöy zur Ader laffen. Er ift bereit zur Befinnung gelangt, doch fühlt er fich, wie Einer, ven man einen ganz regelrechten Kopfhieb verjegt hat. u

Das will ich glauben, und ber Andere ?

Der bat vor lauter Schreden ungeheueren: Hunger befommen, und hat joeben in das benach- barte Gafthaus um eine Portion! Beafſteak geſchickt.

Wie e8 fcheint, will diefer Schurfe alles dem Fertöy in die Schuhe jchieben. Um fo ſchlechter für ihn. Bift du bereits von Allem unterrichtet, was bier gefchehen ift ?

Bon Allem. Während pn drinnen fchriebft,. berichtete mir. ber iR alles, was drinnen vorge— gangen.

Dann erfuch ich dich zu meiner Frau zu eilen, wenn du; Zeit haft.

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Wennich Zeit habe? Welch’ eine Sprach F

Um ihr über den Ausgang der Angelegen- beit Bericht zu erftatten.

Wie? rief der Heine lahme Mann, der Erfte zu fein, welcher diefe Botſchaft deiner Gattin und deiner Mutter überbringt ? Ah, Freund, meld, goldener Mann du bift! Ich laufe.

Damit du beifer laufen kannſt, nehme meinen Fiafer, welcher unten beim Thore fteht; ich- habe ohnedies bis Mittag noch einen Weg zu machen, doch will ich ihn zu Fuß zurüdlegen.

Melchior überglüclich der Ueberbringer einer ſolch' freudigen Botſchaft zu fein, ftürzte trotz feiner Lahmheit mit folher Schnelligkeit die Stiege hinab, daß er in der That feinem Freunde zuvor Fam.

Dar an

Bela Lävah Fehrte zu Seraphine zurüd.

Mit dem vielen offiziellen Gefchreibjel verging: die Zeit derart, daß er fich beeilen mußte, um zur veriprochenen Zeit dort zu jein. Die Eile hatte ihr ganz erhitt. Als er jo aufgeregt in das Vorzimmer -Seraphinen’s trat, fand er ſich plöglih dem alten Kolbay gegenüber, welcher fich jo eben entfernen wollte.

Das Gefiht des alten Herrn ftrahlte vor Zufrievenheit, welche in eine Fröhlichkeit ausbrach, als er Bela's anjichtig wurde.

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Ab, ergebeufter Diener Euer Gnaden! Beliebten zu fommen. Freut mich ſehr Sie zu treffen ! Belieben vielleicht meine Nichte zu bejuchen ? ‚Bitte nur bienein zu jpazieren, bitte, Sie ift gauz allein und erwartet Sie,

Alles dies war in einem Tone gejprochen, wie er ihn vom alten Herrn noch nie gefehen.

Doch hatte er ven Kopf mit ganz andern Ge— danken voll, um ſich darnm zu fümmern, was wohl diejen empathifchen Freuden-Ausbruch des Alten verurfachen mochte ? Er eilte zu Seraphine.

Die Dame erwartete ihn in vem Empfangs— falon. Sie war ganz für die Öelegenheit angefleivet ; trug ein dunkel violettes Sammtkleid mit ſchwarzen Spiten aufgepußt; nach der vamaligen Mode auf der Bruft fühn ausgefchnitten ; die langen herabwal- lenden Locken fpielten mit den jchneeigen Schultern, und den marmorenen Buſen. Sie war eine blen- dende Schönheit.

Ah, guten Morgen, rief fie mit bezaubernden Lächeln, wie ſchön von Ihnen, daß Sie fo pünktlich erſcheinen.

Bela mißfiel es heute beſonders, daß Sera- phine ſich „ſo ſchön zu ſein“ bemühte.

Ich kam, um die Dokumente abzuholen. Haben Euer Gnaden bereits unterzeichnet? Die Dokumente find fertig, ſagte Seraphine mit ironi- ſcher Sanftmuth; und zeigte dabei auf die Flam—

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men des Kamins. Was dort brennt, ift eben ber Prozeß, wern Sie Einfiht nehmen wollen, können Sie e8 immerhin noch thun.

Bela blickte die Dame noch immer verwundert an. Seine Augen jchienen zu fragen, was dies zu bedeuten habe ?

Wie Sie fehen, habe ich „Ihren Prozeß" in das Feuer geworfen. |

Dabei blickte fie ihn mit der fiegreichen Miene dämoniſcher Rache an.

Und nun erfahren Sie es mein Herr, worüber Sie vielleicht bisher im Zweifel ſein konnten. Ich war die Geſpielin Ihrer Jugend, es war zwar Scherz, doch betete ich Sie an. Sie wurden der Gatte einer anderen Frau; ich die Gattin eines andern Mannes. Sie vergaßen mich gänzlich, troß- dem betete ich Sie an, meinen guten Auf verdun- felte die Verläumdung jener Kreaturen, die jchlechter gewejen, als ich; Sie mieden mich, Ste verachteten mich, um fo mehr betete ich Sie an. Plößlich dachten Sie: Diejes Weib ift ſchon elend genug dazu, um liebens würdig zu fein. Da näherten Sie fi mir; und ich, ich lache Sie jett aus,

In Bela's Adern erjtarrte das Blut. Wie denn nicht; war doch diefer Spott, diefes Lachen kälter, als eine Nacht der Eis Region.

Dazu hatt Seraphine ihre mit feinem Atlas- ſchuhe befleivetes zierliches Füßchen auf das mej-

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ſingerne Geländer des Kamins gelegt, als wollte fie pasjelbe beim Feuer des brennenden Scheidungs- Prozeſſes wärmen. |

Unglüdliche Frau, was haben Sie gethan! rief Bela, traurig die Hände faltend. Wann haben Sie diefen unglüdlichen Gedanken geträumt ? So eben fomme ich vom Gerichte, wo man Fertöy als Fäljcher ins Gefängnif warf!

Seraphine ftieß einen entjeglichen Schrei aus, und zog ihren Fuß zurüd, als würbe fie denjelben verbrannt haben.

Ich wußte e8 längft, daß Fertöy ein ge- fälſchtes Teſtament eingereicht hat. Als unumjftögli- cher Beweis diente das Papier jelbft, auf welches er e8 jchreiben ließ! doch wartete ich mit der Ent- deckung; als ich mir darüber Gewißheit verfchaffte, war mein erjter Gedanke der: Diefer Menſch iſt mein Feind; er hat ſich felbft zu Grunde gerichtet; boch feine Gattin ift meine Freundin, fie war die Gefpielin meiner Jugend, fie darf nimmermehr mit ihm untergehen. Verſtehen Sie mich gut. Ich hatte das glühende Eifen in Händen, womit ich auf den Namen eines Menfchen, ver e8 verdient hatte, ein unauslöjchliches Schandzeichen brennen mußte; war es uicht meine Pflicht, die Gattin jenes Mannes, wenn ich die Frau einft verehrt habe, zu warnen: gehe aus dem Wege, damit meine Hand, nicht auch dich verwunde ?

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Ad, ftöhnte die bleiche Frau bis in das: Innerſte ihres Herzens getroffen, griff mit beiden Händen nad) ihren Schläfen, und knickte gebrochen. zufammmen.

Ich mußte es, daß bie Schmach Fertöy's fein ganzes noch übriges Leben in den Pfuhl der Schande herabziehen wird. Ich beeilte mich, Ihnen die Hand zu reichen, um fie jenem Abgruude zu ent». reißen, in welden er Sie mitgezogen hätte. Tag und Nacht arbeitete ich dafür; klopfte bei allen Gerichten an; reifte von Stadt zu Stadt; verheimlichte alles vor: meiner Gattin, verjtehenSie das, vor meiner eige- nen Gattin, um, wenn ich den unabwenbbaren Schlag auf den Namen Fertöy’s führen mußte, Sie im Stande feien zu jagen: diefer Name ift nicht mehr der meine, id) habe mich von ihn Losgejagt, bevor ihn die öffentliche Schmach getroffen.

Seraphine erhob fich zitternd von ihrem Sitz; ihre Augen waren mit Enſetzen, flehend auf Bela: gerichtet.

Diejer fuhr fort.

Und Sie fahen in alldem nicht® anderes, als das Erwachen einer niedrigen, verächtlichen Neigung. Ich bin Ihnen dank ſchuldig für diefe Lehre, „Bift du Advokat, haft du mit den Herzensangelegenheiten nicht8 zu tun,“ Und Sie, Madame, tragen Sie nun den Namen ihres Gatten, und erbulden Sie-

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‚jenes Schidjal, welches Sie felbft über fich berauf beſchworen.

Die ſtolze Dame ſtürzte zu den Füßen des Mannes nieder.

Sie verſuchte ed nicht, dieſe Hand nochmal zu ergreifen, die fie gerade in jenem Momente fo ſpöttiſch zurüdgewiefen, als dieſelben fie erheben wollte. Sie ftürzte zu den Füßen des Mannes und Ichluchzte! In diefem herrlichen Sammtfleive, ‚mit den wallenden Seivenhaaren, mit dem wogenden Marmorbuſen, mit den vor Schluchzen zudenden Achſeln, lag fie da auf ven Knieen, ein Bild des glänzenden Jammers, die Worte wiederholend: „zertretten Sie mich."

Bela fühlte noch immer Bedauern für die ſes Weib. j

Gegen mid haben Sie nicht gefündigt, nur gegen ſich felbft. Sch verzeihe Ihnen vom Her- zen, wenn Sie ſich ſelbſt verzeihen Fönnen. Meine Abfiht war gut, Sie wünschten es ja felbft, ich möge Sie der Welt gegenüber vertheidigen. Sch habe ven Prozeß eingeleitet, und würde ihn auch gewonnen haben. Ich wollte Sie Ihnen felbft zurückgeben, Sie mißverjtanden mich, und als Sie mich zu ftürzen wähnten, fielen Sie jelbft. Hilfe ift hier nicht mehr möglich. Die Dokumente des Scheidungsprozeſſes find verbrannt. Man kann einen Prozeß gegen eine “Partei nicht erneuern, welche im Kerfer ist. Was

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werden Sie von nım an fein? Die Gattin eines- Fälſchers; eine Schmach zieht die andere nach jich,

und der Menſch auf dem die Schande laftet, ſinkt unter diefer Laſt von Stufe zu Stufe tiefer. Die

Schande verleiht ein gewiſſes Recht, und die Schande

der ſchönen Frauen, wird zu einen furchtbaren Bri- vilegium. Es wäre fehr angezeigt für Sie, in ein

anderes Yand zu ziehen. Geftatten Sie mir daf id)

Sie empor hebe.

Beéla reichte noch einmal feine Hand dieſer Frau; doch nahm fie diefelbe nicht an. Sie krümmte fich verzweifelnd noch immer vor feinen Füßen.

Zertreten Sie mich, zermalmen Sie mid. Ach gegen Sie habe ich gefüindigt, und dieſes ift meine größte Sünde. Ich habe das, was ich Ihnen früher vorwarf, auch Ihrer Gattin gefchrieben..

Ad, rief Bela zornig, die Hand zurüd- ziehend. Sie haben ein böfes Herz !

Und ohne das Weib mehr eines Wortes zu würdigen, griff er haſtig nach feinem Hnt, und jtürzte zur Thüre hinaus. Ein jeder Tropfen Blutes fochte in feinen Adern. Er rannte durch Die Gaſſen, ohne den Gruß jeiner Bekannten zu erwiedern. Er dachte dabei : bift du Advokat, fo fei fein Narr, ſei nicht großmüthig. Uebergibt bir Jemand einen Pro- zeß, fo fage ihm: zahle im voraus, entrichte bie, Taxe, die Stempelgebühr, das Honorar,

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Nichts darfſt du in der Hoffnung thun, daß dich dein Bewuſtſein entjchädigt, daß Dich die Welt dafür achtet, und dag du im Jenſeits dafür belohnt wirft, du evelmüthiger Advokat, welch’ eine Yächerliche Figur jpielft du: du läufſt, ſchlägſt dich herum, nügeft dich ab, für ein halbverrüdte eitle MWeibsperjon, nur deßhalb, damit fie dir das Haus über dem Kopf in Brand ftede, und dir das Mahl, welches du mit deiner Familie einnimmft, vergifte. Made es nun, wen du in Stande bijt einem Weibe begreiflich, daß nicht jenes andere Weib Recht gehabt. Mit welhenm Gefichte wirft du vor fie treten? Wird fie nicht deinen Kuß, und zwar mit Recht zu: rüdweifen, in vem Wahne, das du ihn deßhalb bie- tejt, weil ihn die andere nicht empfangen,

Es wäre beſſer geweſen, wenn du dich wäh- ° rend biefer Zeit mit der Heilung franfer Ratten beſchäftigt hätteſt.

Bela zittert vor Wuth und Erbitterung, als ‚er die Thüre feiner Wohnung öffnete.

Judith trat ihm entgegen.

Bela Ihrad bei ihrem Anblid zurüd, als hätte er wirklich gegen fie geſündigt.

Doch kam die Gattin nicht mit vorwurfs— vollen Blick, fie lächelte, umarmte herzlich ihren Gatten, und brüdte einen innigen Kuß auf feine Rippen. Ihr folgte die Mutter, auch ihre Zärtlichkeit

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kannte feine Grenzen. Schließlich fam noch Melchior, welcher auch veögleichen that.

Bela kam e8 vor, ald wäre er von der Hölle plöglich in den Himmel gefahren.

Judith war heute jehr wortlarg. Sie nahm ihr Kindlein in die Arme, und trug e8 zu dem Gatten, als würde e8 mehr ſprechen können. Bela nahm Beide in feinen Schoß, und glaubte ven Him— mel auf Erden zu befigen.

Die alte Lävay jedoch Fonnte das Glück nicht jo ruhig hinnehmen, fie brach in ein förmliches Ge- witter 108. „Er bat fie befiegt; er hat fie niederge- ſchmettert! Bis in den Koth hat er fie getreten!... Und wir träumten nicht einmal davon. Er bat uns ‚alles verjchwiegen ; und that Recht daran, Wir find ‚Weiber, wir hätten e8 in unferer Freude ausgeplau- dert; die andern hätten e8 erfahren, und fich plöß- lich zurückgezogen. Als wir Bela dafür ausichalten, daß er fich mit ihnen abgibt, die wir fo ſehr haſſen; da haßte er fie ftärker, er hat fie wie die Füchfe aus dem Bau gelodt, um fie in der eigenen Yalle zu fangen. Nun hat er fie auch verborben, und fo ift e8 gut! Enplich ift der Tag der Abrechnung gefommen ! O, dieſe Leute hatten viel auf der Rechnung ftehen ; jetzt ift die Schuld getilgt. Bela ift wieder mein Sohn." Dann wendete fie fih an Judith: Weib achte diefen Mann! wer fo zu hafjen verſteht; weiß auch heiß zu lieben. |

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Judith war eine gehorfame Schwiegertodhter Sie umarmte und küßte ihren Gatten.

Doch ſchwebte auf der Stirne Bela’s noch ein Schatten, welchen jein Kuß zu verfcheuchen ver— mochte. In feiner Seele ſaß noch ein Stachel: ver unwürdige Verdacht Seraphi-nens .... ob diefer Stachel auch in Judith's Seele fit ? ...

Diefe aber errieth, was der Schatten auf,der Stirne ihres Gatten zu bedeuten habe ?

Eehen Sie, liebe Mutter, jet wiffen wir auch, weßhalb Bela ven Echeidungsprozeß Seraphi-

nen® jo bejchleunigen mußte; . . . . Heute morgens zürnten wir jogar darüber. Nur ich habe gezürnt: du nicht... .. . Ich

habe ihn geſcholten, du vertheidigteſt ihn.

Konnte er es den zulaſſen, daß eine Frau, Die einſt „meine“ gute Freundin geweſen; gerade wegen meiner, und gerade durch ſeine Hand, ſammt ihrem Gatten der Schande anheim fallen? ...* Recht thateſt du, mein Bela, daß du Seraphinen gerettet. .... Nun kann Sie das Schichkſal ihres Gatten nicht mehr treffen.

Ja wohl, ſie wird davon betroffen werden; erwiederte Bela ernſt. ... Sie ſelbſt will das Schickſal ihres Gatten theilen, und hatte die Alten des Scheibungsprogeffes verbrannt... . . Wie kann fie ihn im Unglüde verlaffen?....

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Das war ein fohöner Zug ihres Cha- rakters! ...

Die Anweſenden theilten die AnſichtJudits!

Ein wahrhaft ſchöner Entſchluß rief Melchior, ſich vergnügt die Hände reibend.

Bela gab die Vertheidigung Seraphinen's vor der Melt noch immer nicht auf.

Do wollte ver Schatten von jeiner Stirne nicht weichen.

68 fällt mir jo eben ein rief Judith plöglich, daß ich vor faum einer Stunde einen Brief zugeftellt befam, auf deffen Adreffe ich die Echrift- züge Seraphins erfannte.

Haft du ihn gelefen ? frug Bela.

Du weißt es ja, daß ich feit jener Zeit, wo ich den Brief, mit der nachgeahmten Schrift meines Baters erhielt, (jetzt weiß ich auch fchon von wen) feinen berjelben öffne, bevor dul ihn nicht gelejen; dann ſteht e8 deinem Gutdünken frei, ihn mir zu geben, oder von mir ungelejen zu vernichten.

Haft du jenen Brief bei dir? frug Bela, indem der Schatten von feiner Stirne zu weichen begann. |

Ich trug ihn in der Tafche; da ich Did mit bemfelben- erwartete.

Damit z0g Judith aus ber Taſche ihrer Schürze, den auf grünes Papier gefchriebenen Brief hervor.

Andere Zeitn, andere Menſchen. IV. Band. 8

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Das verbreitete alfo jenen Duft, den ich bei Dir fo fremd fand ?

—- Du Schalf, wolltejt jagen „bekannt.“

Béla's Stirne verfinjterte ſich abermals.

Zürne nicht beichwichtigte Judith. Es war nur ein Scherz. Was foll mit dem Brief gejchehen ?”

Erlaubſt du e8, daß ich ihn ungelejen zu— rüdjende ?

Wird e8 Seraphine nicht für Beleidigung nehmen ?

D, du wirft Sie fehr glüdlich machen, wenn du ihr dieſen Brief unerbrochen zurüd. jendeft.

Thue nad deinem Gutvünfen.

Bela ging auf einen Augenblid in fein Ar- beitszimmer, und jchrieb dort folgende zwei Zeilen an Seraphine:

„Niemand bat den Brief gelejen; den In— halt verzeihen Ihnen alle.“

Gr that diefe Zeilen, und den verbangnißbollen Brief in ein anderes Kouvert, verſiegelte dieſes, und ſandte es allſogleich an Frau von Fertöy ab.

Als Seraphine den Umſchlag öffnete, darin ihren eigenen unerbrochenen Brief gewahrt und die begleitenden Zeilen las, fiel fie auf die Kniee und betete unter Schuchzen und Thränen.

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Dann zerriß fie.ihren eigenen Brief in hundert | Stüde und warf diefe ins Feuer.

Das Papier. aber mit den zwei Zeilen fal- tete fie forgfältig zuſammen, küßte es, und ——— es in ihrem Buſen.

Eine Stunde früher, hatte ſie einen ganzen Stoß jener Handſchrift verbrannt; und doch hatte dieſe Hand nur für ihr Heil gentbeitet,

Die Lävay's fchwelgten unterdeffen in ihrem Glücke, und vergaßen auf Seraphine ganz... .

Melchior muß zum Mittagtifch bleiben, damit fie ſich alle zufammen freuen können.

Der Heine Doftor betheuerte hoch und theuer, daß heute jelbjt fein lahmer Fuß geheilt fei, und er gute Luft zum Tanzen verfpüre.

Diefer Tag hat ja feinen Freunden ihr Ver, mögen, die Ruhe der Familie, uud die Entgeltung gebramt.

Dieſe dachten jedoch weder auf das rücker— worbene Bermögen, noch auf die befriedigte Nache, noch auf die neue Aera ihrer Liebe; ... ihre Auf- merkſamkeit ift nur einem einzigen Gegenſtande zu- gewendet und dieſes war das Heine Kindlein, wel- ches zuerjt den Namen „Vater“ Talte.

Die Schatten wichen von allen Stirnen ; nur die beiden gleichförmigen Narben auf der Stivne der

8*

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Gatten erzählen von geheimnißvollen Zaubermär-- chen, welche einander wunderbar ergänzen.

Diefe beiden anauslöjfchlichen Zeichen erzäh- len es deutlich, daß es einft einen Mann und eine Frau gegeben, deren Yiebe über alles irdiſche erha- ben gewejen. |

Judith ftieß einen Seufzer aus, welder in das Reich der geftaltlofen Wefen hinüber flog.

Siehe Mutter: und dennoch bin ich glücklich...

Das Geſpenſt.

Der Menſch ven die Schande drückt, finft "von Stufe zu Stufe!

„Die Schande der fchönen Frauen ijt ein furchtbares Privilegium." |

Wie Recht hatte Bela, als er Seraphine dieſe traurige Philoſophie lehrte.

Fertöy ift elend gefallen. Er war jo unrettbar verloren, daß er fich nicht einmal vertheidigen konnte. Vene politiiche Mode, welche Herrn Fertöy auf die Oberfläche ver damaligen Gejellichaft hob, war be- reits im DBeralten begriffen und eine neue politi- jhe Aera trat heran! Im Lnftkreife diejer Aera ‘war Fertöh für: die Mafßgebenden unmöglich ‚geworben, da er im öffentlichen Leben in Folge feines Auftretens verhaßt gewefen, und da kam ber ‚Heine privat Skandal ganz gelegen. um ihn fallen zu laffen.

Niemand Hatte mehr Luft, einen gemeinen Delinquenten zu feinem politifchen Parteigenoſſen

zu zählen. Daß ift ſchon die Sitte der Welt.

-Derjenige, welcher gefallen, wird am meiften von

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Denjenigen mit Fußtritten bedient, die e8 die Welt vergejfen machen wollen, daß fie mit ihm auf glei- chem Fuße geitanden.

Das Geſetz füllte ein eben fo ftrenges Ur- theil über Fertöy, wie es die öffentliche Meinung gethan,

Was kann aus der Gattin eines verurtheilten Fälſchers werden ?

Was kann aus einer fchönen Frau werben, bie eine „größere" Schande nicht mehr zu fürch- ten hat.

Was kann aus ihr werden.

Entweder ein jchöner Leichnam, ven bie blauen. Bellen ver Donau eines fchönen Morgens auf den weißen Uferfand fpielen ; oder eine ſchöne Maske, welche mit ewig heiterem Yächeln eine Unterhaltung nach der Andern bejucht der Luft und dem Tau— mel nachjagt, und Niemanden offenbart, welch” tödtliher Wurm an ihrem Innern nagt.. .

Seraphine wußte zu leben! Sie hatte bereits einen großen Auf. Eine andere Benennung wäre- ſchwer zu finden.

Freude, Heiterkeit, leichtjinniges Leben!

Wer fönnte ihr vorwerfen, daß jie ihre Zeit ſchiecht beuützte ?.

Niemanb, nur jie felbft.

Sie hatte abermals die Gewohnheit angenom⸗ . men, bei Tag zu fchlafen. Bis 10—11 Uhr fih im

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Theater oder im Konzerte zu unterhalten, dann eine fröhliche Geſellſchaft zu empfangen, deren Held ſtets Fürst Wolozoff geweſen; die Nacht mit Trinfen und Kartenspiel zuzubringen, und erft, als das Grauen des Morgens durch die Vorhänge drang, fich jchla- fen zu legen; das war ihre Tagesordnung.

Im Bette hatte fie jedoch faum einige Stun- den verbracht ; trotzdem blieb ihr Zimmer bis Mit- tag verſchloßen.

Aber nicht um etwa die unfehlbaren Kosme- tifen der modernen Weltverfhönerer zu ſtudiren war fie doch jchön auch ohne diefe jondern um mit jenem umerbittlichen Berfolger Rüdiprache zu nehmen, den der fühlende Menſch ſein eigenes Gewifjen nennt. |

Denn wenn e8 wahr wäre, womit die Weifen des Materialismus ihre Sünger fo Schön beruhigen, daß nämlich die Seele nicht8 anderes als ein Flui— dum fei, vieleiht wäre es dieſem zu gebieten, jet mußt du Freude, jett Heiterfeit empfinden, jett haft du ruhig zu fein, jetst mußt du fchlafen.... . aber bie Seele gehorcht nicht... . . fie denkt; fie träumt von ganz andere Dingen, ald e8 der nervoje Körper wün— ſchen möchte ; das Gewiſſen quält und peinigt und läßt fich nicht in den Schlaf wiegen.

Seit jener Zeit, als Seraphine durch. Béla's Arme vom Feuertodte gerettet wurde, hatte fie aufgehört ein Tagebuch über ihre Träume zu

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führen. Diefe Träume bejchäftigten fie nicht mehr mit dem zurüdfehrenden Antlite des Verſtorbenen .... fie wiegten Seraphinen in andere Phantafie gebilve, welche fie nicht mehr zu Papier geben konnte.

Seit jener Szene aber, wo Bela ſich mit den Worten vou ihr verabjchiedete: „Sie haben ein böfes Herz," hatte das alte ZTraumgefpenft ihren Plat wieder eingenommen und erjchien pünktlich in hunderterlei Geftallten, um den urwächhigen Schlaf Seraphinens mit feiner Gegenwart auszufüllen.

Seit diefer Zeit nahm Seraphine ihr Tage: buch wieder auf.

Sie mußte ja ihre quälenden Träume vereiwi- gen. Dann hatten dieſe Träume ihre neuen Studien, je nach dem, als fich die Außenwelt gejtaltete.

Eine ausgedehnte Amneftie, welche zu jener Zeit erlaffen wurde, hatte viele, die als Opfer ver vergangenen bewegten Zeiten in verjchievenen Ker— fern begraben lagen, von dieſem Tode erweckt, und fie dem Leben, ihren Familien zurüdgegeben.

Wie viele der Feſte gab ed da im ganzen Lande! ... Feſte der Freude für die Heimkehrenden, Gattin, Kinder, Geſchwiſter und Freunde harrten des Heimfehrenden, um das Geficht jenes Mannes zu füj- jen, der mit ſchwarzem Barte die Laufbahn ver Bewe- gung betrat, und jetzt mit grauen Haaren zurückkömmt.

Doch was gefchah mit jenen traurigen Ge— ftalten, die niemand mehr erwartete ?

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Mit jenen, über deren muthmaßliche Rück— {ehr man zitterte? ...

... Einft befam Seraphine ein Gedicht zu leſen; welches in irgend einem Morgenblatte erſchie⸗ nen war. Der Refrain diefes Gedichtes lautete:

„Weshalb kömmt er zurüd, den man ſchon längſt begraben ?!" ... Das Gedicht erjchien pſeu— donym unterzeichnet, dennoch fühlte fih Seraphine vom Inhalt dieſes Gedichtes im Tiefjten ihres Her- zens getroffen. -

Es kam ihr vor, als jähe fie Denjenigen, welcher e8 gefchrieben, vor fich ſtehen.

„Längſt ift ver Platz ihon ausgefüllt, ven er einjt eingenommen.

Auch ift fein Angedenfen Tängjt im leeren Raum zerronnen.

Ein neues Glück erblüht hier.

Das alte iſt vergeſſen.“

Weßhalb kömmt er zurück, den man ſchon längſt begraben ?

Auf Seraphinen machte diefes Gedicht einen ichauerlichen Einprud.

Sie hatte vor dem Falten Geſpenſt Furcht, welches feinem Grabe erjteigen könnte.

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Wenn e8 plötzlich erichiene, mitten in ver gläuzenden Abendgejellichaft, unter den Klängen der Muſik, und fie „zu einem Tanz aufforderte! ....“

Welch graufiger Gedanke... .

Seraphine hatte feine Ruhe. Sie forfchte jo lange, bis fie erfuhr, daß unter einem falfchen Na- men,.ein politifcher Gefangener in feinem düfteren Kerker einen Band Gedichte gefchrieben, den aber fein Berleger anzufaufen fich getraue, da der Ver- faffer feinen wahren Namen hartnädig verläugnete ; und weil das Publikum in feinem patriotifchen Schmerze gar feine Bücher außer den Kalendern kauft. ... Sie verfuchten e8 demnad) das Werf im ‚Subffriptions Wege zu veröffentlichen.

Seraphine übernahm allfogleich einen dieſer Bögen. Schrieb 200 fingirte Namen darunter und zahlte den Preis; und jo machte fie e8 möglich, daß die Gedichte baldigſt gedrudt zu ihren Händen gelangten. |

Der Titel des Buches Tautete :

„Herbe Lieder“ gejungen bon einem Geſpenſt.

Seraphine hatte jede Zeile des Buches ſtudirt. Sie jchlief damit ein, und nahm e8 beim Erwachen zur Hand. Aus jeder Zeile ſchöpfte fie die Ueberzeu— gung, daß das dichtende Gefpenft, nur „ihr Geſpenſt“

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jein könne, können denn Verse, wie die folgenden, a. Jemanden Andern ald an fie gerichtet fein.

„Wäre ich doch längſt geftorben In der Erde Schoß begraben; Du und ich, wir alle Beide Würden e8 viel beffer haben.

In der Erde würd’ ich ruhen, Und du bier auf Erden;

Keines von ung Beiden könnte Seiner Liebe untreu werben.“

Können diefe Worte an jemanden Andern gerichtet jein ?

Das Tagebuch Seraphinens begann fich zu einer. wirklichen Anthologie umzugeftaliten. Sie hatte ganze Bruchjtiide der Gedichte in dasfelbe übertra— gen, mit ihren Bemerkungen, ihren Geftänpniffen ; gegen manche Stellen vertheidigte fie fich, bei andern hatte fie jelbjt die Anklage verichärft.

Ein namenlofer Ankläger ſtand ihr gegen» über ; beide aber jtanden vor einen unfichtbaren Rich— ter; täglich zu jeder Stunde des Alleinfeins. .... Und dieſer Prozeß dauerte lange, jehr lange.

Bei einer Stelle, wo der Dichter klagt: daß, als er obgachlos, zerlumpt, vor Hunger und Mü⸗ digfeit erjterbend, mit blutenden Wunden umher—

irrte, man ihm wohl Obdach und Speife gab, feine Wunden verband, für das blutende Herz jedoch feinen Balſam hatte, fchalt Seraphine folgendes ein:

„Es ift wahr, auch meine Großmuth war dieſer Art, auch ich handelte in verfelben Weife. ... auch ich gab ja denjenigen, die für die Staatsgefan- genen heimlich fammelten, Geld, Kleider, Arzneien im veichlichften Maße nie habe ich aber ein gutes, jelbjt nicht ein fragendes Wort für ihm eingelegt, Glaubte ich doch dem Worte eines einzigen Men- ſchen, daß er gejtorben jei; und dieſes war das Wort eines Fälſchers.

Somit Iaftete auch Fertöy's Schuld auf ihrer Seele.

Der Fälicher von heute, konnte er nicht auch damals ein Fäljcher geweſen ſein, als er den Tod Roberts bewies?!.

Das finſtere Gemüth des Dichters äußerte ſich an vielen Stellen in den ſchärfſten Sarkasmen; wie ein auf die Gaffe geſetzter Raſender fchien er die Fenfter jenes Haufes, das einſt ihm gehört, mit Koth zu bewerfen; feine Gedichte waren wie bad Hohnlachen eines Todtengerippes, welches feinem Grabe entjtieg, um die Freuden der Lebenden zu verhöhnen.

Seraphine hatte beinahe die fefte Ueberzeu— ‚gung fich beigebracht, daß der Verfaßer diefer Ge- dichte Fein Anderer, ald Robert fein könne, daß er

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möglicherweife unter ber Maske einer derjenigen finftern Geftalten fteden könne, die unter den Thor⸗ gängen der Häufer fich verbergend, das Handwerk des Betteln lernen. Sie jagen blos „mein Herr," „Madame“ und auch daß nicht jedem Meenfchen, höchſtens dem Zehnten, zu dem fie Vertrauen haben, daß er fie nicht verachten, nicht zurückweiſen, ihnen nicht jagen wird, daß fie noch arbeiten könnten. Einige haben vielleicht bereit graue® Haar und Ihwarze Kleider, die fadenfcheinig, zerriffen und ge= flieft find. Seraphine pflegte ihnen kleine Münzen zu geben, ohne fie anzubliden. Später wird fie ihnen nicht8 mehr geben, denn fie wird es nicht wagen, vor ihnen jtehen zu bleiben, die Augen zu ihnen zu erheben den fie könnte unter den Bettlern ihn erkennen.

Ja, dieſe Gedichte jedes einzelne derſel— ben war ein Dolchſtoß gegen das Herz Seraphines. Hätte der Dichter das gewußt, welche Grauſamkeit er an einer Frau begeht, die ihm nichts zu Leid gethan! |

Wir wiffen e8 wohl, daß nicht Robert dieſe Gedichte gejchrieben, denn er ift längſt bort, wo man alle Unbill verzeiht, und von wo Niemand zu= rüdfehrt, um Rache zu üben.

Der anonyme Dichter dachte ficherlich nicht an Seraphine; vielleicht wußte er garnichts, von ihren Erlebniffen. Es war blos Einbildung; e8 war

‘das Gewebe einer Spinne, Die aus dem angejam- melten Gift bunte Seidenfäden ſpinnt; oder es war vielleicht da8 Drama eines anderen Menjchen, wel: ches zufällig Aenlichkeit mit Seraphinens Lebens— ereigniffen hatte.

Die Frau, auf welche die Gedichte fich bezo- gen, iſt vielleicht nicht einmal die Gattin desjenigen, der die Gedichte gejchrieben. Vielleicht ift fie ſchon geftorben ; vielleicht hatte fie nie gelebt ? wer wollte es mit den Idealen des Dichters jo genau nehmen.

Seraphine litt durch dieſe Gedichte außeror— dentlich. Nachgerade wagte ſie ſich nicht mehr zu Fuße auf die Straße, und wenn ſie einer Geſtalt begegnete, bezüglich welcher ſie eine dunkle Ahnung hatte, fie in glänzenden Tagen geſehen zu haben, dann zog fie ſich ſcheu in den Hintergrund des Wa- gens zurüd. „Wie wenn er e8 wäre.“

Arme Frau! er Schläft ſchon lange,

An einem Falten Dftobermorgen fam Bela eilig nach Haufe aus irgend einem Gerichtähofe.

Halt Junge, wirf mich nicht um, jchrie ihn eine heiſere Stimme an und eine eigenthünlic verwitterte Geftalt faßte ihn an der Bruſt.

Bla war von diefer ungewöhnlichen An— ſprache überrajcht. Es ift jchon lange her, daß. man ihn Junge genannt, und auch. damals nahm nur

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ein Menſch diefe Kühnheit fich heraus. Er jah dem Menſchen ſcharf ins Geficht.

Es war eine jehr verwahrlofte Erjcheinung. Haare und Bart wirr, ftarf mit Grau gemifcht; die Geftalt Shwerfällig, die Stirne gefurcht, das Geficht aber hatte die Kupferfarbe, welche ftarfe Getränfe ‚an die Haut malen. Die Kleider hingen ihm blos am Leibe, als ob er fie nur ausnahmweiſe trüge, ſonſt aber in bloßen Hemde zu gehen pflegte. Das Halstuch dürfte ohne zweifel jeit mehreren Tagen ihm nicht von Halje gekommen fein, e8 ift jo verknüpft, daß man e8 nur durch Zerjchneiden löſen könnte.

Na, das fehlt no, daß auch du mich nimmer erfennft! grollte ver Mann.

Darauf fiel ihm Bela um den Hals und füßte ihm.

Pußtafi!

Ja wohl, Pußtafi! fprad) ver Mann und lachte bitter. Du haft alfo doch meinen Namen nicht vergeſſen. Schau! ich habe Dich erkannt.

Du haft Dich ſehr verändert. Nicht wahr? ich bin Did geworben? ja die armen Gefangenen leben jehr gut.

Nein aber du bift grau geworben.

Das hätteft.du wohl wilfen fönnen. Wir find nicht erjt feit gefjtern auf ver Wander. Sag” mir aufrichtig, iſt mein Geficht fehr Fupfern gewor- den, ſeitdem du mich nicht gejehen ?

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Komm’ zu mir, verlafjen wir die Straße r

Hm, mit welder Beratung du von der Straße fprichft. Dir ift es leicht, haft fie oft genug. durchiwandert. Mir aber gefällt die Straße, mir gefallen die Menfchen, die mich rechts und links bei Seite jchieben, die ſchönen Mäpchen, die zurück hauen, und die großen Herrn, die mich nicht einmal. anbliden. Solche Genüße findet man nicht dort, wo ich gewanbert. Aber, zum Teufel, du mußt nicht glauben, daß ich Dich mit meinen Kerfererlebniffer zu unterhalten gedenfe, wie ein neugebadener Mär- tyrer, der ſechs Wochen gefeffen und nun bei jedem Schweinſchlachten davon erzählt. Thut nichts. Alles in Ordnung. Das Leben ift ſchön. Alfo führe mich in deine Höhle, wo ift fie?

Bela nahm feinen Freund an der Hand, der fo ſtolz war, daß er nicht einmal ihm mitiheilte, wo- er fih aufhielt. Dafür wird er Vorwürfe genug er- halten, wenn fie allein find.

Und Bela that fehr wohl, daß er ihn an ver Hand nahm, denn die Beine des braven Mannes ſchwankten bedenklich. |

Bela ſah ihn traurig an. Was ift aus dir geworben ? |

Befondere Anftrengung foftete es Bela, ihn auf die Treppen hinaufzubringen. Pußtafi behaup-

tete, daß feine Beine gejchwollen jeien,

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| Ab, du haft ja eine herrliche Wohnung, Tagte Pußtafi, ale Bela ihn in’s Zimmer führte; feine jolche, wie jene, die in einen Garten ſtieß, wo ich Dich das letztemal gefehen. Aber e8 gefällt mir beſonders, daß du feinen Spiegel: im Zimmer haft. Gehört aud) nicht in das-Zimmer eines Mannes. Denn weißt du, e8 gibt viele Gefichter, die ich wicht gerne ſehen mag, und zu biefen gehört vor allen Andern das meinige. Neun Jahre ſind's, daß ich in keinen Spiegel gejehen. Aber da fpreche ich fchon wieber nur von mir. Dumme Rede. Wie geht es dir ? Sprich bavon. Noch immer die Honigmonate ?

Noch immer.

Ich weiß e8, barüber machte ich mir feine Sorgen. Das Band welches ich gefnüpft, zerreißt nicht leicht. Haft Du viel „neue Generationen ?"

Eines ift die ganze Armee,

Ein Knäblein ?

Ja, aber e8 ift noch fehr jung.

Na, das werbe ich erziehen.

Das braucht noch eine Amme und feinen Erzieher.

So würde ich wohl ſagen: gut, ich werde feine Amme. Aber ich jelbft lebe nur von einer Ammme. Trinke nur Milh. Der fromme Wirth zur „blauen Katze“ ift meine Amme.

Bela wußte nicht ob er weinen oder la— hen ſoll.

Unbere Zeiten, andere Menſchen. IV. Band. 9

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Pußtafi gab die Entjcheivung. Er fing jo laut zu laden an, daß der Seffel unter ihm krachte und feine Augen fich rötheten, die er dann mit einen fehr bunten Seidentuche trodnete.

Giehft du, mein Sohn, wie toll das Leben ilt, fagte er dann ernit, als er bemerkte, daß das Gelächter bei Bela nicht verfangen wollte. Reich mir die Hand, ich möchte aufjtehen.

Bcela half ihm vom Seffel auf. Der Dichter neigte fich zu ihm und flüfterte ihm in die Ohren:

Seit geftern Abend bis zu unfer heutigen Begegnung habe ich ununterbrochen getrunken, bald Wein, bald Branntwein.

Um Öotteswillen, Du tödteft Dich damit.

Auch Du glaubft es ?

Ich bin ernftlich beforgt.

Schau, das haben mir jchon viele gejagt, welche ich für Freunde halte, „Wenn du fo fort fährft, mußt Du in einem Jahre fterben.“

Und Du glaubft ihnen nicht?

Gerade veßhalb trink ich ja, weil ich ihnen glaube,

Haft Du aljo mit ver Zukunft abge: ſchloſſen?

Sprich nicht ſo thörichtes Zeug, mein Junge! Siehſt Du, ich muß ununterbrochen trinken, damit ich ein guter ruhiger Mann ſei. Aus mir macht der Wein einen ſanften ſpaſſigen Menſchen.

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Und das ift jehr nothivenbig, denn wenn ich auch nur auf eine Vierteljtunde ermüchtere, daß ich Herr meiner Gedanfen und Gefühle wäre, dann müßte ih wahnjinnig durch die Straßen laufen und Jeden ven ich antreffe, wie ein ſcheues Roß ftoßen und beißen, ich müßte mich auf den Markt ftellen und aus voller Kehle fluchen. Ein Glück, daß ich nie nüchtern bin. Zaucht irgend eine Erinnerung in mir auf, jo gieß ich ihr jogleich ein Glas Wein auf den Hals, damit fie einjchlafe; oder ftedt aus dem Sumpfe ver Zukunft irgend ein myſtiſches Gefpenft feinen Kopf hervor fo gieß ich Wein darauf, fo Lange, bis e8 erfäuft. Schließlich umgibt mich dann dieſe fromme, ruhige, bezilinderte Gegenwart mit ihrem eintönigen Getöje, das mich zu andern Zeiten wahnfinnig gemacht hätte. Wein und immer nur Wein darauf, bis ich in ver Fluth ſchwimme, wie ein armer, in's Waſſer gejtürzter Tropf, ver, fo lange er lebt, immer zu Boden finkt, und nur wenn er geftorben ift, an die Oberfläche taucht.

Aber der Menih Hat nicht nur für fich ‚zu leben. |

Für wen fonft?

Fir fein Vaterland.

| Pußtafi lachte auf, und fein Gelächter Flang, wie wenn ein kranker Menſch aus ganzer Kraft huſtet. * 9*

=. 189 =

Seinem Baterlande? Hahaha! Möchteft Du mir nicht erklären, was das ift, ob eine Stabt, ober ein Komitat, oder gar ein ganzer Statthalterei- diftrilt ? Bedenke, daß ich in der Wojwodina geboren. bin. Oder verftebjt du ein weitere® Vaterland. Viel- leicht gar den ganzen Rheinbund, fprichft bu von meinem engeren oder bon meinem weiteren Bater- lande? Denn ich weiß nicht, welchem ich den Schuld— brief unterfchrieben habe.

Bela wendete fich traurig ab.

Na, na, guter Junge, erzürne Dich nicht * wende Dich nicht ab. Siehſt Du, Ihr Uebrigen, Ihr habt Recht. Ihr ſagt, ſeien wir Ameiſen, tragen wir atomenweiſe zuſammen, was der Blitz auf ein⸗ mal zermalmt hat, und Ihr ſeid ſchon geſtählt durch die Arbeit. Aber ich bin jetzt aus den Wolfen nieder⸗ gefallen, ich fühle mich wie Jemand, ber ein Jahr: zehente gejchlafen und, nun erwacht, nicht zu glauben: vermag, daß andere Loſungsworte die Geſchichte des Tages dirigiven. Ein Steinfchleuder nach Erfindung des Schießpulvers. Was foll ich hier unter Euch ? Soll ih Stempel auf Alten kleben? Oder foll ich mit traurigen Batrioten auf die Wander gehen, um den „Szoͤzat“ zu fingen bei feierlichen Gelegenheiten ? Oder joll ich verrüdte Verſe über Liebesgefchichten ichreiben ? Oder fol mich wie ein Narr anftellen und neun Purzelbäume fchlagen, um mit dem Kopf nach unten gelehrt, einen zweibdeutigen Wit zu fchlä«

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‚gen, mit welchem ich die Zenfur betrüge. Soll ich von China, vom Monde, von Liliput Allegorien jchreiben ? Oder joll ih ale Sklave zu irgend einem Blatte mich verdingen, und den fandigen, fterilen Boden der europäifchen Diplomatie adern ?

Nein, es iſt nicht nothwendig, daß bu irgend eines von alldem wähleft.

Was fonft?

Du ladteft mich aus, da ich fagte, daß das Baterland Rechte an dich hat. Hat das Vater- land feine Anjprüche, jo habe ich ; lebe für mich.

Pußtafi umarmte Bela, drückte ihn an fi und weinte,

Du bift ein närrifher Junge! warft es immer. Ich joll für Dich leben ? für Dich ?

Das wäre doch wohl ganz einfach. Es ift dies ja eine alte Gejchichte zwifchen uns. Hatten wir ein Stüd Brod, fo theilten wir e8. Wir werden dies fortſetzen. Es geht ja auch mir fo mit der Welt, wie Dir. Ich ziehe darin viel umher, aber ich lebe nur zwifchen ven vier Wänden. Bleibe bei uns. Du wirft ein Heines ruhiges Zimmer haben, wo Niemand Dich ftört, und "alle, die Du ſehen wirdft, find er- probte Menfchen, meine Mutter, meine Frau und Melchior.

Deine Frau? fagte Pußtafi, und iwieber 30g jener ſatiriſche Zug über fein Geficht herauf, der

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einer weicheren Stimmung gewichen war. Er dachte ungefähr: „Sch ſoll deiner braven Frau einen jolchen Säufer ins Haus bringen, wie ich einer bin ?'

Ya wohl, meine Frau erwähnt Dich öfter. Hat jo unfer Leben kaum eine Epoche, in welcher Du feine Rolle fpielteft. Sie wird fich jehr freuen, wenn. Du bei unsbleibft, das kann ich Div wohl fagen.

| Weißt Du Kamerad, fagte Pußtafi mit abweijendem Hochmuth. Ihr ſeid feine Menjchen für mich. Ich brauche Menfchen die mich haffen, die ihre: Seffeln bei Seite fchieben, wenn ich mich unter jie ſetze, Die ihre Ohren verftopfen, wenn ich fpreche, und- bie Galffieber befommen, wenn fie mit mir gejtritten. Sch gehe am liebſten unter Diejenigen, die mich bei- Ben; und bie ich auch beißen kann. Die bei jevesma- ligen Zufammentreffen mit mir wüthender werden, die mich mit ftechenden Blicken anſehen. Wenn fünf oder ſechs mich anfallen, wie klaffende Hunde, die eine Schlange aufgejagt und fie,nicht anzurühren wagen jo ift dieß mein Vergnügen. Ich jage ihnen Örobheiten, die mir das Herz erleichtern. Ih weiß uicht, ift dies der Vorgefhmad der Seligfeit, oder der Verdammniß, aber jedenfalls ift dies eine überirdiiche Unterhaltung. Bei euch würde ich mir am erſten Tage den Hals abſchneiden. Einen Mann zu jehen, ver ehrlich ift, eine Fran bie treu, einen: Freund, der mich liebt, ein Schickſal, das gerecht, eine

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Familie, die glücklich ift und dazu mid) und biefe Welt. Das würde mich wahnfinnig machen. Laß mich herum beißen mit den Menſchen. Vielleicht erjchlägt man mich irgenbwo. Doch fürchte nichts, man jchägt mich nicht tobt, denn man geht mir aus dem Wege.

Es war dieß ein Meer voll Bitterfeit, deſſen Ufer und Grund man nicht jehen Fonnte.

Bela blieb trauererfüllt vor diefen Ruinen ftehen, die man nicht mehr aufbauen fonnte. Selbit der Künſtler, deſſen Werf fie war, könnte fie viel- leicht nicht wieder erbichten.

Doch laß mir jegt etwas zu trinfen rei- chen ; nein nein, mißverjtehe mich nicht. Nicht Wein gib mir zu trinken, fondern Waffer. Ich muß heute noch eine jchöne Frau bejuchen, und es wäre mir unangenehm, wenn man ben Wein an mir wahr: nehme. |

Du? Du bereiteft dich vor zu einer ſchö— nen Frau zu gehen ?

Ja. Zu Frau Fertöy. Sie ift ja auch, Deine Bekannte.

Was haft Du dort zu N Fragte Bela verwundert.

Ich habe eine menge Unfinn unter pjeubo- numen Namen zufammengefchrieben, auf welche die

————

fromme Seele zweihundert Subſkribenten ſammelte, dafür muß ich ihr danken. |

Du willft perfönlih dafür danken, daß man beine Werke kauft? Wo ift dein Stolz hin- gerathen ? | | Stolz? ſprach Pußtafi mit chnifchem

Spotte. Niſtet alſo dieſes Thier noch unter die—

ſem Klima? Ich glaubte, daß dieſe Race längſt aus— geſtorben, wie die dead Mopſes. Denn wenn nur ein Kleines Theilchen des ſchamhaften Stolzes auf diefen vertheilt wäre, jo müßte jeder Menſch mit verſchlei— ertem Gefichte auf der Gaſſe gehen. Iſt es denn nicht die höchſte Potenz der menjchlichen Unver-- Ihämtheit, vaß „wir“ noch leben? Doch laſſen wir die Sophiftil, Ich wollte ein Geheimniß vor Dir verbergen, und verrieth mich dabei. Das ift’8 nicht, weßwegen ich Frau Fertöy aufjuchen muß.

Du würbdeft e8 auch vergeblich fagen, denn ich würde e8 nicht glauben.

Du haft Recht; ich kann für Nichts danken. Hab’ ich etwas, jo iſts gut; habe ich Nichts, auch gut. Alios vidi ego ventos! Ein Staatsgefangener er- hält täglich fiebenzehn Kreuzer, und das ift ein enor- mes Geld. Ein Tapezierer, der mit mir in Joſefſtadt eingefperrt war, ift der einzige Menſch, welcher mich, in meinem Leben befchämte ber erjparte noch täglich acht Kreuzer, welche er feiner hungernden

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Familie jchiekte, und lebte dabei von den übrigen neun Kreuzern wie ein Fürft. Doch bitte ich Dich, mir den Gefallen zu thnn, mir einen Rippenftoß zu verjegen, fo oft ich von meinem Serferleben zu er- ‚zählen beginne. Es jcheint mir auch etwas von ber Manie angeflebt zu fein, aus den Gefängnißerleb- nißen ein Aneldotenkapitl zu fchlagen um von deſſen Zinjen zu leben ; alfjo ich wollte von Sera- phine jprechen. Ya wohl.

Ja wohl. Du faltblütiger Gatte. ... Er ſagt beim Namen einer ſchönen Frau „ja wohl." Ich habe ihr zwei Nachrichten mitgebracht von ihren beiden Gatten.

Bon ihren beiden Gatten ?

Nun ja; von dem Todten und von bem Lebenden. Dabei barfit Du aber ja nicht etwa glauben, daß ich mit Geiftern verfehre, außer im flüßigen Zuftand.

Robert ift alfo wirflich geftorben ?

Gewiß. Ich jelbft habe ihn begraben. Ich bereitete ihm eine römifche Leichenfeier auf ven Ro- gus. Konnte e8 nicht anders; wurde durch Kofafen und Wölfe verfolgt. In feiner Sterbeftunde betraute er mich mit einer Nachricht, die ich wegen Fleinlichen hindernden Umftänden bisher nicht ausrichten Tonnte.

1358

Mit ihrem andern Gatten den Du in eine fo fhöne Sauce getunft traf ich in meiner alten Wohnung zufammen. Der brave Mann wurde in dasfelbe Koch geitedt, aus welchem man mich hinaus ſchmiß. Ich habe ihn alſogleich erkannt, trotzdem, daß ich ihn nur ein einziged mal im Leben fah. Hahaha!... Welch eine Hlägliche Figur der Aermſte fpielte. Seitdem er im Arrejte figt, hat er weder jeine Haare, noch jeinen Bart und Schurbart ge- färbt; mit den weißen und ſchwarzen Borften, die ihm nachmuchjen, jah er wie ein auftraliiches Sta- chelſchwein aus. Ich liquidirte ihm all meinen Befig- thum, welches ich mir während den fieben Jahren theil8 an irdenem Geſchirr, theis an Erfahrungen er— worben ; wofür er mir mit loyalerÖffenheit erzählte, welche Fatalitäten Du ihm auf ven Hals gebracht. Wahrlich ein profaifches Fatum! Auf einem Heinen. Bogen Papier fich den Hals zu brechen ! Er erzählte mir auch, wie Barfing während des Transportes auf der Eifenbahn entwijchte,

Was? Barfing ift entwijcht ?

Du fannft ficher fein, daß er einjt noch als ein für das Vaterland leidender Emigrant zurüde fehren, und über minder radikale Patrioten, als er gewefen, urtheilen wird. Seiner wartet noch eine große Rolle. Erinnere Di einft, wenn bein Hals- unter die Guillotine geräth, daß DBärfing es ift, der

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dir den Kopf abbauen läßt; weil er ein größerer Patriot ift als Du.

Pußtafi ließ ein bittere Lachen bei dieſen Worten vernehmen.

Wie oft hörte ich dieſen Menfchen deklami— ren und wie oft ſah ich ihn laufen! wo etwas zu eriwis ſchen war, da müßte er dabei fein; wo e8 zu Thaten kam, da trollte er fich aus dem Staub. Stets fand er ein gehörntes Vieh, daß ihm Glauben fchenkte, ſtets ein dummes Roß, daß ihm willig den Rüden bot.... Die Gelfe, welche fich mit Blut vollgefaugt, fchuldigte die Biene der Selbftfucht an ; weil fie ſich fur die Zufunft abnützt..... Elende, unbankbare Zeit! Die du alles vergißt! Den Arm, welcher gekämpft, das Herz, welches geblutet, das Haupt, welches vom Denken grau geworben ; nur bie Zunge vergiß nie Du, welche dir die Ohren voll ſchrie. . . - Ich bitte dic) Bela, verfeg mir Doc) einen Rip- penitoß. |

Ich bitte Dich fahre fort. ;

Wie fchöu das Leben ift; jehr ſchön. Könnte ih mir ein größeres Glück wünſchen, als daß ich, der Kourier eines Spigbuben fein kann, welcher mid) dazu benütt, um an feine Gattin Nachrichten zu fenden, die eine par exellence:. fchöne Frau ift.

Ah, wie mich die Götter lieben; wie zum Teufel jollten ſie's auch nicht thun ?

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Als man für Pußtafi das Waffer herein "brachte, trank er den ganzen Innhalt des Kru> ges aus, ©..... Nun erinnere ih mich auch ‚welche Nachrichten die beiden Gatten am ihre ge- meinfame Gemahlin fandten? Die Botjchaft des . einen lautet ſehr kurz: „mein Blümchen, ih bin todt, kannſt mich vergeffen." Die des andern deſto länger. Der fleht im Gegentheil, daß jeine Frau feiner ja nicht vergeffe; fie möge ihm dies und jenes ſchicken, namentlich fo viel Geld als möglich, denn er brauche es. Woher fie es nehmen möge, das läßt ‚er ihr nicht jagen; doch Fonnte ich feiner Reden ‚entnehmen, daß eine Menge gefeßlicher Nafarener jein Vermögen mit Beichlag belegt hatten und daß auch die Mitgift ver Frau bereits in Gefahr fei; doch daß fie gute, alte Freunde habe, weißt Du: ‚gute Freunde! Unter andern irgend einen ruffiichen Fürften, der viel für fie thun könnte. Unter uns gefprochen, wenn ich eine Fran wäre, könnte ich auch in bie Ruffen verliebt fein. Das ift jo mein Geſchmack. Auch fo find fie Gegenstand meiner Be- wuuderung, feit Mentjchifoff mit dem Hute auf dem Konpfe in den Divan ging. Doch bitte ich Dich, gib mir einen Stoß damit ich nicht politifire. Siehe was für ein alter Schwäter ich geworden. Ich verjchwende die Worte, als ob man mir per Bogen ‚dafür zahlte.

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Bela’s geiftiger Blick fehweifte zu jenem Grabe zurüd, von welchem pußtafi nur ſo vorübergehend geſprochen.

aAlſo Robert ift wirklich todt?

Ja, mein liebes Kind. Und ſeither erblühen aus ſeiner Aſche ſo ſchöne Herbſtblümchen, wie ſie eben nur gegen Oktober vorkommen. Wenn Du über eine übrige Zeit verfügft, fommjt Du mit mir, nach Siebenbürgen; ba fuchen wir jenen Sumpf auf und führe Dich Hin zu jener Weide, wir rollen einen Stein an den Ort, wo unferer tapferer Kamerab ruht, und graben feinen Namen in ben Stein.

Ich nehme Dich beim Wort. Noch in die- fem Winter, wenn der Moraft zufriert, da kann man. leichter dahin kommen.

Armer Burſche! Sein lettes Wort war: Kamerad, vergeffe meinen Trauring nicht. Ich ver- gaß auch nie darauf, trug ihn immer auf dem Finger, als wäre ich mit ihm verlobt gewefen. Und wie oft doch hätte ich ihn mit einem guten Maaß Wein umtaufhen können! Der Gnädigen fchrieb ih noch von Arad, daß Ihr Mann geftorben, und ihr Trau- ring bei mir zu haben, doch fam fie nie darum, oder befam meinen Brief nicht. Nun kommſt Du ficher- mit mir zu Seraphine ?

Ich gehe nicht.

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Du fommft nicht ? Ich meide dieſes Weib.

Du auch? Was verbrach denn dieſe Frau? daß fie heute dieſen liebte, morgen jenen ? Iſt denn das eine Sünde? Wenn ein Mann binnen Jahr und Tag feinen Glauben, feinen Gott, feine Überzeu— gungen fiebenmal gemwechjelt hat, jo bleibt ver ein Ehrenmann; wenn aber ein Weib, veffen Herz der ‚Schöpfer jo zart gebaut hat, den füßen Worten der Liebe zuhört, und fich lenfen läßt, wodurch fie Nie- manden gejchadet ; dann ijt fie entehrt! Was that fie denn ? Hat fie geraubt ? Nein. Sie hat Gejchenfe ausgetheilt. Hat fie gemordet? Nein. Sie hat be- glüct. Und die Welt verurtheilt fie dennoch. Ich ‚vertheidige fie aber! und wenn alle Welt Steine auf ihr Haupt wirft, fo werfe ich die Steine auf alle Welt zurüd,

Donnere nicht mein Alter, jo gewaltig. Ich werfe feinen Stein über Frau Fertöy. Ich ſchenke ihr die ganze Schöne Welt, Soll ihr gehören. Ver— jtehe mich recht. Ich muß bier zu Haufe darüber Rechenſchaft ablegen, wo ich herumgehe ?

Pußtafi jchlug ſich vor die Stirne.

AH! Ich amerifanifcher Büffel! Daß ich dieſes nicht errieth, daß fo ein Ehrenmann, wie Du, nothmwendigerweife unter Bantoffelherrichaft fteht. Erröthe nicht, mein Kind! daß ift die einzige Tyran-

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nei, die man vespektiven muß. Komm, laß did ums armen.

Bela leugnete mit feinem Wort.

Es ift fo. Iſt man jung, fo fieht man bie Welt jo groß, man denkt fie ift voll mit lauter guten Freunden, Geliebten, Verehrern, Unterthänigen, Die- nern, Dann ſchrumpft die Welt allmäblig zufammen bi8 mans erfährt, daß die ganze Welt die vier Wände find, und daß einzige, was und gehört, das Weib, die Mutter und das Find.

Eine jchredliche Wahrheit, die Du aus-

ſprichſt. Wenn ich Hundert Menſchen befrage, wie

es geht: fchimpft ein jever über die chlechte Welt, doch eine fo graufame Kritif ſprach noch Reiner darüber, wie Du in ven Worten „ich bin glücklich zu Haufe" doch wenn ich die Leute jo är- gern könnte!

Du Fönntefi es. Erobere Dich ſelbſt zu: rüd, und fei, was Du vorhin geweſen: der Stern deines Landes.

Lieber Freund. Sterne gibt ed nur noch auf ven Krägen der Beamten. Mein Geift und Körper gehen ihrer Auflößung entgegen. Was ich fchreibe, ift ägendes Gift: Fein Gefang mehr, nur gereimtes Fluchen. Wenn ich verrede, wird jeder Menjch jagen ; „wohl geihab ihm!" doch nein, nein. Seien wir nicht ungerecht zu meiner Nation. Man

azın u er HER

wird mich pomphaft beerbigen. Es ift ja eine natio= nale Unterhaltung bie geftorbenen Dichter glänzend zu begraben. Und alle Welt fo mich binausbegleiten wird, joll mir unisono nachrühmen: „war auch ein großer Mann, hat fih auch zu todtgefoffen.” Hahaha!

Ach ich bitte Dich: ſpreche nicht, lache nicht ſo!

Nein, nein. Du wirſt auch dabei ſein und dir denken: dieſer Menſch hat ſich nicht die ſes Begräbniß gewünſcht. Ich bitte Dich, laß mir noch einen Krug voll Waſſer geben, Du ſiehſt ja, —* ich noch immer betrunken bin.

Armer alter Poet. Betrunken si Du, und bleibjt bis zu deinem Tode. Doch nicht vom Wein, fondern von dem bittern Kelche, ven Du bie zur Hefe geleert!

Alſo bleibe Du zu Haufe. Ich finde mich ſchon allein hin, wo bie ſchöne Dame wohnt. Ich fah fie bei ihrer Thüre herausfahren. Notirte mir das Haus. Es ift zwar unter dem Thorgang ge- fchrieben, daß das „Betteln und Haufiren verboten. ift,“ aber vielleicht wirft man mich nicht hinaus. Ich verlaffe mich auf die Proteltion ihres Bedienten, den ich auf dem Bock erkannte. Ich glaube, er heißt Wenzel. Lernte diefen Hochgeftellien Mann

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in Komorn Tennen. Damals gab ich ihm einmal zwei Silberzwanziger zum Trinkgeld und ich las in diverfen Romanen, daß die Menjchen vie Wohl- thaten zu vergelten pflegen. Vielleicht erwirkt mir "Wenzel, daß ich vor ihre Herrin treten kannn.

Hahahahaha!

"Andere Zeite, andere Menſchen. IV. Band. 10 °

Der Ring des Gatten.

Zwei Tage früher, vor dem im obigen Kapitel geichilderten, hatte Seraphine einen böfen Tag. Bis zum Abend empfing fie Niemanden. Am Abend blieb fie zu Haufe; für die Nacht jperrte fie ihr Zimmer ab, und war bis zum Morgen wach! Sie hatte an ihrem Tagebuch gefchrieben. Ein neues Kapitel be— gonnen: „Heute jah ich ihn. Als mein Wagen aus dem Thore fuhr, ftand er vor mir. Er wäre beinahe zertreten worden.

Er lächelte jevoh und grüßte. Das Blut gerann mir in den Adern. Diefe Züge, diefe Augen, biefer Blil!.... Er war e8. Zeit, Elend und - Schmerz hatten fein Antlig gefurcht; demnach kann ih es mir nicht verleugnen, daß ich ihn erfannt. Meine Seele Hammert fich an eine vage Idee, wie an einen rettenden Strohhalm: es fcheint, als hätte es Jemanden auf der Welt gegeben, ver Robert ähnlich jab, und als hätte ich diefen Jemand einft gefannt,

»

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doch firenge ich vergebens mein Gedächniß an; ... vielleicht hatte ich e& auch nur geträumt?.. . Wie jollte ich Jemand Tennen, den ich nicht kenne?. Er grüßte mich mit einem befannten Lächeln; dieſes hatte etwas bämonijches, etwas hölliſch bitteres, was mir in das Herz ſchnitt. Seine Lippen ſchienen zu jagen: „Wie gut wäreft du gefahren, wen mich deine glänzende Equipage niebergefahren hätte.“ Ich ſehe jetst noch jein Geſicht. Er iſt's! Die Todten Tommen altjo zeitlich zurüd?...D! er wird mic ganz gewiß beſuchen. ... Wie gerne möchte ich mit ihm „Verſteckens“ fpielen: er käme von der an- dern Welt, um mich auf diefer aufzufuchen, während ich bereits brüben wäre... . Wie werbe ich ihm aber jo begegnen fönnen; wie ihm antworten, wenn er an mich die Frage ftellt: wie heißen Sie Ma- bame?.... Womit werde ich mich entjchuldigen ; wie feinen anflagenden Blid ertragen fönnen? Er wird mich tödten! ... O, thäte er e8, aber ſchnell, auf einmal, in einem Augenblide; aber nicht langjam mit bem verzehrenden Feuer feiner vor⸗ wurfsvollen Blicke.

Es iſt mir jedoch unbegreiflich, weshalb er nicht kömmt, da er mich ſchon aufgefunden? ..

Weshalb er auf ſich warten läßt; weßhalb er mic) damit peinigt, baß er fich zeigt und wieber verſchwindet.

10*

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Er fieht es ja, daß ich ihn nicht fliehe, daß ich ihm nicht zu entweichen fuche ; ich warte ihn ab, wie der Verurtheilte ven Hieb des Henkerbeiles. ...

Ich habe es gefunden.

Morgen iſt mein Geburtstag. Ungerufen ver— ſammeln ſich fröhliche Gäſte, wie es die Sitte mit ſich bringt. Andere werden fommeu, um bie „ſchöne Fran“ zu begrüßen... . Auch Er wird erfcheinen, um feinen Glückswunſch darzubringen. ... Wenn die Mufif am lebhafteſten rauſcht, wird eine beifere Stimme ertönen, und mit ihrer eifigen Kälte die Unterhaltung erjtarren machen:

„Es lebe das allerımtreuejte Weib!"

Aller Blicke werben auf den ftruppigen Dann gerichtet fein; und fragen: Was fucht der hier? ... Oder e8 wird ihn niemand fehen, nur ih; nur vor meine lebende Seele wird er fich ſtellen; nur ich und mein Herz werden evzittern und bie flammenden Lichter angeweht von der Grabesluft die ihn um: giebt... . Das wird eine furchtbare Szene geben ! Und ich kann, ich will ihr nicht ausweichen... . Sch Ich werde ihm nicht fliehen, ich will ihn erwarten, bis er mit feiner eifigen Hand die meine ergreift!... Dann... will ich ihm folgen!

Welchen Wahnfinn ich da niederjchreibe !

St e8 doch fein Todter, der feinem Grabe entjtiegen, jondern ein freigelaffener Gefangener, ven feine Gattin vergeffen hatte. |

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Man hatte mich bisher die „bleiche Fran” gefpottet; von nun an wird das Roth der Schande auf meinen Wangen flammen,. welches felbit vie Hand des Todes nicht verwilchen können wird... . Ich habe einen Gatten verlaffen, der ein Held ge: wejen und mich geliebt hat; und reichte die Hand einem Andern, der falſche Haare und eine faljche Seele hat... . Morgen, wenn diefe von Golpflitter gligernde Gejellfchaft, meine duftenden Salons füllt, wird er fommen... und da ftehen ein grauer ftrutp- piger Mann in jchäbigen Kleidern, und vor ihm werde ich im prunfendem Gewande auf den Knieen liegend feine Hände füffen, und um Er« barmen flehen! Ha, welche Szene! alfo morgen! morgen!...

Am Abend des künftige Tages kamen die zehlreichen Freunde Seraphinens mit ihren Wün— ſchen und Geſchenken jeder nach ſeiner Manier. Auch der Fürſt Wolozoff erſchien mit den Fürſtinen Olga und Feodora, die immer noch ſeine Nichten ſind.

Nur der Erwartete kam nicht! In den Salons ging es fröhlich her. Seraphine ſchlich ſich dreimal in den Vorſaal, um Wenzel den ftren« gen Befehl zu geben, den grauen Mann mit ben Ihäbigen Kleidern ja nicht zurüd zu weiſen; ihn vielmehr allſo gleich in den Saal eizuführen.

Bis Mitternacht erjchien er nicht. Da, als es die grauenvolle Stunde jchlug, öffnete plöglich Wen-

22.

zel die Thüre des Saales, und meldete, daß ... pas Soupe fervirt fei. Alles begab fich in den Speifefaal zur reichbejegten Tafel. Seraphine hatte den Vorſitz eingenommen, der Zufall ließ einen Platz an ihrer Rechten leer; den Linken hatte der Yürft eingenommen.

Gnädige Frau Sie Re bemerfte ver Für ft.

68 ijt mir in der That kalt erwiederte Se⸗ raphine. Dabei warf ſie einen ſcheuen Blick auf den leeren Stuhl an ihrer Seite, und ein kalter Schauer überflog ſie. „Da wird er ſitzen.“

Vergebens verſuchten es die Nachbarn fie auf- zubeitern ; vergebens waren die geiftreichen, die ge— fühlvollen Toafte, vergebens das Liebesflüftern des - Fürften, und der fchäumende Wein im Becher: die ſchöne Frau fühlte ſich nur von dem leeren Plate an ihrer Seite berührt,

Jener aber, den fie erwartete, jaß zu jener Zeit bei der „blauen Kate,“ und genoß im reichli- chem Maaße die Milch feiner nährenden Amme, des Wirthes .... während der Andere, der wirkliche, draußen in der grünen Einöde, als Herbftzeitrofe den nädtlihen Thau bed Himmels tranf!.... Das Feſt währte bis zum Morgen. Der Lärm, der Tanz, der Zaumel vericheuchte allmälig die Bejorgniß Seraphienend. Die Erregung hatte ihre Phantafie-

1511

gebilde zerſtreut; fie tanzte, trank und ſchwärmte in bachantiſcher Laune umcher; fie am Ende wahnſinnig.

Alles betheuerte, daß ſie nie ſo liebenswur⸗ dig geweſen.

Das war ein herrlicher Tag; ſagte der Fürſt, als er ſich am Morgen verabſchiedete. Lange ch hatte ich Sie jo ragle ſchöne Frau!.

Man fagt bei nn daß man ſeinen „Untergang fühle!

Eine ſo ſchöne Frau kann nimmer unter⸗ gehen, man würde ſie ſogleich aus den Fluthen herausfiſchen. | Was würden fie dazu jagen, Fürft, wenn Sie morgen erführen, daß ich tobt ſei? ...

Ich würde e8 fo lange nicht glauben, bis äh es von Ihnen felbft erfahren Hätte.

Gute Naht!

Als auch der Iekte Wagen mit den legten Gafte davongerollt war und man unten: das Thor ſchloß, da nahm Seraphine ihren alten Kammer- diener Wenzel noch einmal ing Verhör; ob man ven ‚grauen Mann nicht etwa abgewiejen habe? Sie ſchickte ihn weg, damit er fich bei ben Ubrigen Dienftleuten und Portier erkundige.

12

Wenzel kam mit einer verneinenden Antwort‘ zurüd. Hierauf legte ſich Seraphine zu Bette, ihre mübden Glieder fuchten ven Schlaf... ..

Es war ein Fühler büfterer Tag auf bie Feſtlichkeit gefolgt. . . Die „Ihöne Frau" erhob. jih heute viel früher als ſonſt; fie ließ Feuer im Kamine anfachen, weil e8 fie ungemein fror, und zog dann ihre einfachiten an, als wollte ſie aufs Land. —F Wenzel putzte im Vorzimmer mit einem Tuch— lappen, bis auf die Hemdärmel entkleidet, die geftern gebrauchten filbernen Leuchter "und Bejtede: heute erwartete man feine Gäſte, wenigftens feine vor— nehmen. |

Plötlich Eingelte Jemand. Wenzel war ver Meinung, e8 fei der Briefträger, oder eine Mamſell der Mopiftin, und zog bebächtig feinen Frack an, bevor er öffnen ging.

Derjenige jedoch welcher klingelte, fchien nicht: zu die Geduldigen zu gehören, denn er riß haftig und wiederholt an der Glocke.

Wenzel beeilte fich nun, bie Thüre zu öffnen. Bor ihm ftand der graue ftaubige Mann.

Thuſt wohl daran Dich zu beeilen wen ich anläute; fonft könnte der Griff diefes Spielzeuges- da leicht in meiner Hand bleiben.

1535

Was ift gefällig? fragte der Kammerdie⸗

ner halb zornig halb erſtaunt. Mir iſt auf dieſer ganzen dummen Welt

gar nichts gefällig; wenn Du aber die Urſache

meines Erſcheinens erfahren willſt, ſo kann ich

fie dir in Kurzem jagen. Iſt beine Gebieterin

zu Haufe? Wenzel drehte mit beleidigter Mine ben Kopf bei Seite.

Brauchſt deine Naſe nicht zu rümpfen, daß ich Dich „Dutze“, kannſt dasſelbe thun, 's wird‘ mich ſogar freuen. Jetzt antworte mir aber, ob deine

Herrin zu Haufe ſei?

Ich weiß es nicht .... erwiederte der

Kammerdiener mißtrauiſch.

Nun, ſo erfahre es; denn davon hängt es ab, ob ich dir weiter etwas erzählen jolf

oder nicht ? Was wünjhen Sie von ihr ?

„Bon ihr" nichts; „mit ihr" aud-

nichts ; aber „zu ihr” möcht ich etwas ſprechen.

Wenzel betrachtete die fremde Geftalt vom.

Wirbel bis zur Zehe.

Kannſt ſchauen Bruderchen. Siehit, ich- fomme jo eben von einem Bal⸗Paré, wo man dieſes Koftüm trägt, drum fei nicht fo wähleriſch und

melde mich an.

ze: 4

Wollen Sie ihre Vifitkarte geben ? |

Hahaha! Eine Viſitkarte; Brüderchen ‘ich pflege mich ſtets felbft zu vertreten.

Dann bitte ih, mir ihren Namen zu nennen.

Was follte dir das nuten?.... Weder Du noch deine Herrin würde mich deßhalb erfen- N Sage ihr fo viel, daß ein Menjch fie zu

ſprechen wünſche, der fie in Komorn getroffen, und ihr Nachrichten aus weiter, jehr weiter Ferne bringt.

Wenzel warf einen bevenflihen Blick auf ven "Mann fowoHl als auf das Silbergefhirr, als bielte er es nicht für rathſam, beide mit einander allein zu laſſen, doch fiel e8 ihm ein, wie oft feine Gebieterin geftern nach einem Menjchen von diefem Ausjehen gefragt, und er ging verbrießlic, ihn anzumelpen,

fehrte jedoch bald mit freundlich grinjendem Lächeln zurüd.

Die gnädige Frau erfucht Sie mein Herr, nur noch einen Augenblid zu gedulden, bis fie mit ihrer Toilette fertig geworden. Bitte, unterdefjen in

‚ven Saal zu jpazieren. ... Wünfchen vielleicht ven Dberrod abzulegen. f Zu

Ich wünſche e8 wohl, weil e8 bier verdammt ‚heiß ift, nachdem er jedoch zugleich Salonrod ift, fo

werde ich ihn ſchon anbehalten.

15

Wünfhen Eure Gnaden, daß ich ben Staub von ihren Stiefeln abwifche ?

Laffe das gut fein Brüderchen, bin felbft Ihon ganz zu Staub verwandelt. Brauchit dem Staub nicht zu zürnen; wer weiß es, ob biefer da auf meinen Stiefeln nicht die Aſche Deines Groß- vaters ift?

Nun begann auch Wenzel jenes Graufen zu fühlen das feine Herrin beim Anblick dieſes Menſchen . ‚empfand, und trug ihm zitternd noch einmal an, in ven Saal zu treten.

Pußtafi folgte der Einladung. Der Saal war noch leer, er hatte demnach Zeit, fich umzuſehen. Die Tapeten an den Wänden, die Vorhängen aan den Fenftern, der Ueberzug der Möbeln, alles war Seide.

Pußtafi haßte alles was Seide war. Er haßte Altes, ob hoch oder nieder, was fich in Seide Fleidete, Er duldete fie nicht einmal als Rodfutter, und wenn er irgendwo ein Stüdchen erwiſchen Tonnte, fo ge- brauchte er fie zu den niederften Dienſten, als Sad» tuh oder als Fußlappen; er glaubte an dieſen ver- haften Gewebe dadurch Rache zu nehmen.

Pußtafi fühlte ſich ſehr unbehaglich in dem ſeidenen Gehäuſe des Schmetterlings.

Da öffnet ſich eine Seiteuthüre und die „bleiche Frau“ trat in den Saal.

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Kaum vermochte fie ihr Zittern zu verbergen ; faum ihre Blicke zu diefer jchäb igen, ftruppigen Ge— ftalt zu erheben, und doch zwung fie Etwas unwi— derjtehlich, fih Schritt für Schriti zu nähern, um in dem jeit jo vielen Jahren veränderten Gefichte nach den befannten Zügen zn forfchen, und jenen Namen auszufprechen, welcher durch ihr Herz dringen würde, wenn ihre Lippen auch verichloßen blieben; und- doch war es ihr, ald würde ihr die Nennung dieſes Namens den Tod bringen.

ALS fie den grauen Mann, zu dem fie fih von einer magnetiſchen Kraft Hingezogen fühlte, ſchon ganz nahe war, ftredte diefer feine Hand aus, und zeigte ihr einen glänzenden Gegenftand, den er zwi— ſchen den Fingern hielt.

Schöne Gnädige ich bringe Ihnen: diefen Ring zurüd!...

AS Seraphine des Opalringes, mit dem Ichwarzen Kreute in der Mitte des Steines, anfich- tig wurde, bebedte fie plöglich ihr Geficht mit bei= den Händen und ftammelte das einzige Wort :: „Robert !" dann neugte fie ihr Haupt auf Die Seite, und brach zufamment.

Pußtafi war der Meinung, daß die Ohnmacht mit viel theatralifcher Routine gejpielt war, er hob die Dame in ein Fauteuil, und pflanzte fich vor ihr hin, um zu jprechen.

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Meine Dame, ich bin nicht Robert, der Sie reclamiren füme. Wir ſahen uns zwar einſtens Ähnlich ; doch heute ift e8 nicht mehr der Fall.

Ich habe gealtert, er ift jung geblieben, weil er ftarb. Er hatte mich beauftragt, feinen Tod zu vermelden, und übergab mir zum Beweis diejen Ning; welchen ich hiemit auf diejen Tiſche nieder— lege, wo Sie ihn, wenn e8 Ihnen zu erwaden be— liebt, finden werden, Und nachdem ich Ihnen. länger nicht läftig fallen will, habe ich die Ehre mich zu empfehlen.

Der Kopf der Dame bing bleih von der Lehne des Fauteuils herab; Pußtafi war jedoch der Meinung, daß ohmmächtige Frauen alle8 zu hören pflegen, was in ihrer Nähe gejprochen wird.

Er hielt daher feine Sendung für vollendet, und entfernte fich mit tiefer Verbeugung.

Bruder, ſagte der ſich entfernende Dichter zu Wenzel ruf das Hausgefinde, man möge Eifig ‚und fliegende Salze herbeiholen, denn deine Herrin ſcheint ohnmächtig geworben zu fein. Die gute Seele hielt mich für ihren verjtorbenen erften Gatten. ... Und doch kann ich Dich verfichern, Bruder, daß der ‚ebenjogut Staub ift, al8 das, mas Du von meinen Stiefeln pugen wollteft...... Gott jegne dich Bruder.

Damit entfernte er ſich.

——

158

Nachmittags traf Pußtafi mit Melchior zu- ammen, biejer beeilte fich zu erzählen, daß er vor einem merkwürdigen Falle fomme, man habe ſoeben ein ärztliches Parere bei ber Frau von Fertöp abgehalten.

ft die Schöne Frau krank?

Nein. Einige Minuten fpäter, als Dir von ihr gingeft ftarb fie an Gehirnfchlag.

Schade um fie; war eine gnte Pränume— rantenfammlerin.

(Ende des vierten und legten Bandes.)

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