EIN WEIBLICHER SULTAN:

HISTORISCHE ROMAN

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Ein mweibliher Sultan.

Erſter Band. 1-23

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Derlag von Georg Frobeen & Cie. in WBern

en Galiziſche Geſchichten. 1 Band. 16 Bg

Preis

Sader-Mafod, Wiener Hofgeſchichten. 1. Bd. enthalten Maria Therefia und die Freimaurer.

II. 85. enthaltend: Das Rendez-vous zu Höchjtädt. - Die Keufchheitsfommijjion. Preis pro Bd 2 M. 50.

Sader-Mafoh, Falſcher er Kleine Gefhichten au der Bühnenwelt. 1 Bd. Preis 3 M.

Sadier-Mafod, Zur Ehre Bortes! Ein Zeitgemälde. 1 Bo Preis 3 M. ;

Sader-Mafoh, Leber den Werth der Kritif. Preis 1M

Sadıer- a Mann ohne VBorurtheil. Luſtſpiel. Preis 1 M. 50.

Sader-Mafod, Ruſſiſche Hofgeſchichten. 4 Bde. Pr. 12 M.

Be aſoch N Hiftorifcher Roman. Neue Ausgabe.

Bde. Preis 3M

Maſoch, Der Enifjär. Eine galiziſche Gefchichte. Neue Ausgabe. Breis 1 M

Sader-Mafod) Liebesgeigihten aus verjdiedenen —5 3 Bde. à 4 M.

Sader-Mafod, Ein weiblicher en 3 Bde. Pr. IM.

Sader-Mafoh, Die Mefjjalinen Wiens. 1Bd Pr. 4M. 50.

Sader-Mafod, Gute Menſchen und ihre Gejdidten. Novellen. 1 Bd. Preis 4 M.

Frei, Dr. Jakob, Neue Schweizerbilder. 1 BD.

Klapp, Mihael, Die Banfgrafen. Roman a. d. Schwindel— zeit. 2 Bde,

Reymond, M., Der Eulturfampf in der Bronze Eine Bfahldorigeichichie für heitere Naturforjcher und verwandte Semiüther. 1 Bd., illujtrirt. }

Reymond, M., Das neue Yaienbrevier des Hädelis- mud Geneſis oder Die SHEIISTLUBRDEI HE, des Menſchengeſchlechts. Nah Häckels Anthropogenie in zierlihe Neimlein gebracht. 1 Bd., illuftrirt.

ader- rn Das Vermächtniß Kain’. Zweiter Theil: a Das Eigenthum. 2 Bände von je 32 Bogen.

Ein meiblider Sultan.

Hiftorifcher Noman

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Sader-MNafod.

Erster Band.

Neue Ausgabe.

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Bern, Georg Frobeen & Cie, 1877.

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& 17 FEB.1943 = . OF Orrusu J

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Die Tochter Yeter des Großen.

Sader-Majoh, Ein weibliher Sultan. I.

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Erſtes Kapitel.

Der Eispalaſt.

Im Jahre 1739 war ein ungewöhnlich früher Binter eingetreten, deffen Strenge jogar in Rußland jit Jahrhunderten beifpiellos war. Vögel fielen er: Toren aus der Luft herab, Schildwachen fand man am Morgen erftarrt, Niemand wagte ſich mehr nachts Mein aus dem Haufe. Die außerordentliche Dide, welche das Eis erreichte, gab dem übermüthigen Günft- ng der Czaarin Anna, Herzog Biron, willkommenen Anlaß, der Melt ein noch nie gefehenes Schaufpiel zu bieten,

Er ließ in Petersburg auf der ſchimmernden Dede der Newa einen an die Märchen des Orients mahnen: den Eispalaft erbauen. Unter der Leitung des Kam: merberen Taticev wurde anfangs November damit

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angefangen, und jchon hatte das jeltiame Gebäude eine beträchtliche Höhe erreicht, als der gefrorene Fluß fich unter der Laft zu fenfen begann. Man ichrieb dies dem Thaumetter zu, das für menige Tage eintrat, da man gewohnt war, auf der Eisdede der Newa, ohne jede Gefahr, taufende von Soldaten mandvriren und Geſchütze abfeuern zu fehen.

Auf Befehl Biron’s wurde der Bau im Deceniber auf dem feiten Lande zwijchen dem von Peter dem Großen errichteten Fort der Abmiralität und dem jegigen Winterpalafte von Neuem begonnen und raſch in der zweiten Hälfte des Jänner 1740 jeiner Vollendung zugeführt.

Aus dem Eije der Newa wurden die nötbhigen Duadern ausgehauen und nad) allen Regeln zuſammen— gefügt, ftatt des Mörtels bediente man fich des Waſſers aus dem Fluße, das jogleich fror und die ungewöhn- lihen Baufteine feſt verband. Die Länge des Eispa= lajtes betrug zweiundfünfzig, die Breite ſechszehn, die Höhe zwanzig Fuß. Das Dach, gleichfalls aus Eis, lag ſchwer auf den Mauern deſſelben, ohne ſie jedoch nur im Mindeſten zu gefährden.

Am Abende des einundzwanzigſten Jänners 1740 ſaß nicht weit vom Kloſter der Mönche des heiligen Alexander Newski ein alter ruſſiſcher Bauer, einen

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ſchmutzigen alten Schafspelz über dem bloßen Hemde, vie mit ſchlechten, ungeſchorenen Tuche bekleideten Beine in zerriſſenen Stiefeln von rohem Leder und murmelte Gebete, welche auf ein Haar Verwünſchungen glichen, denn er ſeufzte dabei tief auf, ſchlug ſich die Bruſt mit den Fäuſten und ſchrie von Zeit zu Zeit zum Himmel embor in wilder Ungeduld, daß man ihm dort oben übt hören wollte.

Nitleidig näherte fich ein Soldat der Preobrasenski— iden Garde und ſchlug ihm kräftig auf die Schulter. „Run, was haft Du, Väterhen? Was will Dir nicht von Statten gehen?“ |

„Ah! Meine morjchen Füße wollen mich nicht mehr tragen, Herr Soldat“, erwiderte der Muzik, „bin bereingefommen das merkwürdige Haus anzufehen, das die Deutjchen, wie man erzählt, aus purem Waffer aufgebaut haben! Sind Teufelskerle, dieſe Deutichen, aber es jcheint, als jollte ich meine Neugier mit dem Neben büßen, meine alten Füße find mir erfroren von der grauſamen Kälte, deren ſich Fein noch jo alter Nenſch erinnern kann; fomme nicht mehr von der Stelle.“

„Wollen’3 verjuchen, Bäterchen.” Der Gardiſt tihtete den Greis auf und half ihm einige Schritte mt, dann begann der Halberftarrte von Neuem zu jammern,

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„Es gebt nicht, der heilige Nikolaus bat mich ganz verlaffen, man möchte glauben, daß die deutfchen Heiligen im Himmel unjere ruffifchen Heiligen verdrängt haben, wie die Deutjchen ung Ruſſen bier in unjerem eigenen Lande. Schlimme Zeiten, Herr Soldat.”

„Warte, Alter”, ſagte der Gardift, „wir wollen auf einen der Schlitten auffteigen, die hier mit Elingen= den Schellen vorbeifliegen.”

„Ber läßt uns aufiteigen“, murmelte der Muzik mißtrauifch, „etwa der mit dem großen Stern, der da vorbei kommt?“

In einem bejcheidenen Schlitten jaß ein Mann mit finfteren ehernen Zügen, über dem großen Mantel, in den er gewidelt war, glänzte ein goldener Uniform: fragen und auf ver linfen Seite bligte ein Ordens— jtern.

Der Soldat machte Front und falutirte; als der finftere Mann vorbei war, fagte er leife: „Bon dem iſt freilich Fein gutes Wort zu erwarten, das ijt einer von den Fremden, die uns jo hart bedrüden, ſeit unfer großer Czaar Beter dahin gegangen ift. Das war der Minijter Graf Oftermann, die rechte Hand der Kaijerin und des Herzogs.”

„Sieht Du”, jeufzte der Alte, „für unſereins gibt es feinen Schlitten und feine Hilfe. Aber was

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iommt dort für ein überirdifches Weſen? Sollte es die Czaarin fein 2“

„Das ift die Großfürſtin Eliſabetha Petrowna“, rief der Soldat, „ich kenne ihre Rappen fauf eine Meile weit, jegt ift alles gewonnen, die nimmt uns auf.“

„Die Großfürftin, wo denfit Du hin, die jagt uns mit der Peitſche“, fprach der Bauer, „aber jchön fit fe da wie ein weißer jchimmernder Engel.”

„Sie ift ebenjo gut als ſchön“, ermiderte ber Gardift, „eine echte Ruffin, nichts Fremdländifches an ibr, die rechte würdige Tochter Peter des Großen, die bat ein Herz für uns armes Volk, ſollſt gleich die Augen auffperren, Väterchen.“ Der Soldat wintte von Weitem ſchon dem fürftlichen Gefährte, das wie auf Flügeln über die Schneebahn daher kam.

„Heilige Mutter, wie wird bas enden!“ rief der Bauer.

Schon fchnaubten die Khtoatzen ufrainijchen Pferde ganz in ihrer Nähe; in einem Prachtſchlitten, welcher einen Schwarzen Schwan darftellte, jaß in dunklen Därenfellen, vom Kopf bis zum Fuß in fchneeweißen töftlichen Hermelin gekleidet, ein junges fchönes Weib, wie es fchien, von faum mehr als zwanzig Jahren, auf dem ftolzen Haupte mit dem weiß gepuderten Haare eine Koſakenmütze von Hermelin.

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„Halt an“, rief fie dem bübjchen fräftigen Manne zu, der in der Uniform der Preobrasenstiihen Garde vor ihr, jaß und die muthigen Renner faum zu zügeln vermochte.

„Was wollt hr“, jchrie diefer die Beiden an.

„Hier ift ein alter halb erfrorener Mann, Eliſabetha Petromna”, rief der Soldat. „Erbarme Dich, Mütter: chen, und laß ung rückwärts auffteigen.”

„Kommt nur“, erwiderte die Großfürftin mit jenem gütigen Lächeln, das jo unmwiderftehlich war und ihr längſt alle Herzen des Volkes erobert hatte.

„Gott lohne es Dir“, rief der Muzif und ftieg mit Hilfe des Soldaten, der fich neben ihn jtellte, hinten auf den Schlitten der Brinzeffin, welcher im nächſten Augenblide wieder pfeilfchnell davon— flog.

Ein Trupp Soldaten von den in Petersburg liegenden Garderegimentern, hatte der eigenthümlichen Scene zugejehen und grüßte jet die Großfürftin mit lautem Zuruf.

„Das wäre ein Czaarin, die follte uns regieren“, .. begann dann ein alter Korporal, ihr nachblidend, „mit ihr würden die Zeiten Beter des Großen zurüd- fchren, alte gute Zeiten, wo noch der Rufje Herr war in jeinem eigenen Haufe.“

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„Und doch hat Beter dieje Fremden zuerit in das ' Xand gezogen“, bemerkte ein anderer Soldat.

„Mit Recht”, fiel ein dritter ein, „damit wir aus ihren Künſten und ihren Wiſſenſchaften Nugen ziehen, von ihnen Lernen, nicht aber damit fie uns beberrichen und niederdrüden, diefe Hungerleider, die zu Hauſe fein Brod finden konnten und bier bei uns füße Kuchen een. Hat nicht der große Ezaar jelbjt das erite Boot gebaut, als ein Vorbild für uns Rufen? Ein Zeichen, dab er an den Fremden geachtet hat, was an ihnen zu achten ift, und ihnen nachgeeifert, wo e3 gut war, aber er ließ jich feinen über den Kopf wachen, feinen Holländer und feinen Franzojen, am wenigiten aber einen Deutjchen, die jet gleich Habgierigen Raben in unſere Saaten gefallen find. Gott beſſer' e3.“

„War das nicht Subin, der die Pferde der Groß: fürjtin lenkte?” fragte der alte Korporal.

„Ja, 88 war Subin“, antworteten mehrere zu: gleich.

„Der bat fein Slüd gemadt, der Schlingel“, lachte ein hübjcher Tambour, „die Großfürftin hat ihn su ihrem Zahlmeiſter Rn und wenn man den Leuten glauben darf

„So ilt er ihr Günſtling“, fiel der ein, „nun, was iſt da übles daran, ſie geben ihr keinen

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Mann, die am Hofe, aus Furcht, verfteht ihr, daß fie dann etwas gegen fie unternehmen könnte, denn fie bat das erite Recht auf den Thron. Soll fie nun ihr Leben vertrauern,“joldh’ ein Weib, zur Herrjchaft, zur Liebe gejchaffen? Mindeſtens hat fie keinen deutjchen Stallfnecht gewählt, wie die Kaiferin Anna, jondern einen Ruffen und einen aus unjeren Reihen.”

Während die Soldaten in diejer Weije der Groß: fürftin Elifabeth ihr urwüchfiges Lob jpendeten, war der Schlitten derjelben in der Nähe der Nomiralität angelangt und hielt jet vor dem Eispalafte.

Die Ichöne Frau fprang mit der ihr eigenthüme lihen Vereinigung von Glaftieität und Majeftät aus den dunklen Bärenfellen auf den Schnee und Schritt, während ihr Begleiter die Zügel der Pferde einem nabeftehenden Soldaten übergab und ihr rafch folgte, auf das märchenhafte Gebäude zu, vor dem fie be= wundernd ftehen blieb.

Es war jet volllommen fertig und zeigte die barmonijche Schönheit und feinjinnige Ausſchmückung vorgejchrittener Baufunft. Jeder der Eisquadern war nicht allein regelrecht behauen, jondern auch mit ge= ihmadvollen Verzierungen verjehen. Die Feniter und die Thüre waren im antiken Style eingefaßt, über ver legteren prangte ein herrliches Frontiſpice mit erhabener

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Bilderarbeit und Statuen Aus Eis. Zu beiden Seiten deffelben lief eine Galerie, das Dach umjäumend, deren vieredige Pfeiler und auf der Drehbank gearbeitete Doden aus demjelben ungewöhnlichen Materiale waren,

Ein Geländer aus Gisftäben und vieredigen Zwiichenpfeilern, fämmtlich mit erftaunenswerther Regel: mäßigfeit gearbeitet, umgab den ganzen Palaft. Zu beiden Seiten des Einganges lagen zwei Delphine von Eis, welche aus ihren weitgeöffneten Rachen brennende Napkta, gleich feurigem Wafler, auswarfen und dem ganzen, wie Kryſtall, durchfichtigen Gebäude, ein gera: dezu feenhaftes Ausfehen gaben. In einer Linie mit denfelben ftanden vor dem Geländer ſechs Kanonen und zwei Mörſer, die erfteren in der Größe von Sechs: bfündern, die legteren in jener achtzigpfündiger Bom— benkeſſel; Röhre, Lafetten und Räder, alles aus Eis auf der Drehbank gearbeitet.

Während Elifabeth mit fat Kindlicher Freude, Ihren Begleiter, den Sergeanten Subin, auf alle die teizenden Details des Eispalaftes aufmerkſam machte, näherte fich ihr plößlich ein hoher, prächtig gewachſener Dann mit jchönen gebieterifchen Zügen, welcher über den hohen ſchwarzen Stiefeln und den Inappen weißen Deinfleivern einen koſtbaren kurzen Pelz aus grünem Sammet mit Zobel gefüttert und reich verbrämt trug.

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Er nahm feinen, mit weißem Feberflaum gefhmüdten dreiedigen Hut tief ab und verneigte fich mit araziöfer Ehrerbietung.

„Welche angenehine Ueberrafchung”, begann er in ſchönem Deutſch, „unjer jchwieriges Werk könnte nicht glänzender belohnt werden, als daß die Augen der Ihönften Prinzeflin demjelben die Weihe geben. Sie find die erſte Dame, kaiſerliche Hoheit, welche mich hier Angeſichts meines vollendeten Wunderbaues be- ehrt. Aber wollen Sie nicht mit mir in das „Innere treten?" „.

„Sehr gern, mein lieber Herzog”, erwiderte Die Großfürſtin mit ihrer janften, Elangvollen Stimme, deren wunderbarer Ton gleich einem Lichtjtrahl in jede noch jo finftere, verjchloffene Menjchenjeele fiel. Sie nahm ohne alle Umftände den Arm Biron’s, denn diejer allmächtige und ſonſt jo bochmüthige Günftling Der Kaijerin Anna war es, der ihr fo liebenswürdig ent- gegen gelommen war und ſtieg mit ihm die Freitreppe des Eispalaftes empor, während der Herzog, der fid) ebenjomwenig wie alle Anderen dem Zauber ihres Weſens entziehen konnte, zuvorkommend den Erflärer machte. Sie traten zufammen in ein kleines Borhaus, welches auf jeder Seite ein Gemach hatte, auf das Beite ein: gerichtet, nur fehlten die Plafonds, man erbiidie über

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ſich das Dach, Durch welches das blaue Licht des Mondes manijch bereinfiel.

Der Herzog machte die Prinzeſſin vor Allem auf die Fenſter aufmerkſam, welche die dünnſten Eisplatten, glei) dem ſchönſten Glaſe durchfichtig, als Scheiben batten. Hunderte von Lichtern brannten in den Lüſtres und auf den Ciscandelabern, welche vor den riefinen Wandipiegeln ftanden, den ganzen Raum hell er: leubtend. Die ganze reiche Einrichtung, Tifche mit Uhren und Leuchtern, Divans, Tabourets, Stühle und Schränfe der Credenztifch mit dem reizenden Service, Släjer und Theegejchirr, alles war aus Eis gefertigt und in lebhaften Farben, gleich Porcellan von Sevres, kunſtvoll bemalt. |

Am meiiten ftaunte Elifabetb über den Kamin, in welchem Holz aus Eis laq, das mit Nafta über: ftrihen, zu brennen fchien, und über das reizende Him: melbett, deſſen durchbrochene Eisvorhänge kunſtvolle Brüſſeler Spitzen zu ſein ſchienen.

„Es iſt alles ſo einladend“, ſagte ſie, „daß die verwöhnteſte Dame hier mit Vergnügen wohnen könnte, nur würde es etwas kalt zum Schlafen ſein.“

„O! ich bin überzeugt“, entgegnete Biron raſch, in dem frivolen Ton jener Zeit, „daß ich nicht er— frieren würde, wenn Sie, Prinzeſſin, mit mir dieſes

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Lager theilen wollten, Gott Amor würde dafür for: gen, daß das ewige Feuer der Liebe nie erlöjchen würde.”

Eliſabeth lächelte, denn ihrer Eitelfeit jchmeichelte jede Huldigung, auch die derbite.

Den Eispalaft verlaffend, führte fie Biron nun zu den Eispyramiden, welche vor demjelben itanden und in ihrer Höhlung mit grotesfen Figuren bemalte erleuchtete Laternen trugen, welche fich langſam dreb- ten. Zwiſchen denjelben und dem Gebäude ftanden Blumentöpfe mit erotifchen Gewächſen und Orangen: bäumen aus Ei, fowie ein paar Tannen, auf deren Zweigen Vögel aus Eis ſaßen, mwelche bei der glänzen: ven Beleuchtung wie aus großen Diamanten gedrechjelt erjchienen. Rechts vom Palaſte erblickte die Großfürftin einen großen weißen Elephanten, auf deſſen Rüden ein Perjer ſaß. Das riefige Thier ſpritzte bei Tage aus jeinem Rüſſel Waffer, bei Nacht gleich den Del: phinen brennende Naphta. Links hatte man aus Eis eine echt ruſſiſche Badeſtube errichtet, welche jogar zum Heizen eingerichtet war.

ALS die Prinzejfin dieſelbe verließ, trat ein Offi- cier der Garde zu Biron und erjtattete demjelben eine Meldung, welche derjelbe mit offenbarer Befriedigung entgegen nahm.

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„Sie find eben recht gefommen, Großfürftin“, wendete fih der Herzog zu ihr, „um einem Schaufpiel beizuwohnen, das eben jo einzig in feiner Art jein wird, wie diejer Balait, zu dem es in Beziehung fteht. Ich bedarf nämlich noch zur Ausfchmüdung deſſelben einiger Bildfäulen im antifen Gejchmade und da alle Derfuche, diefelben aus Eis zu meißeln, gejcheitert find, bin ih auf den Einfall gefommen, die Mitjchuldigen der vor wenig Tagen, wie Sie wifjen, entdedten und gegen mich gerichteten Verſchwörung dazu zu be: nügen.” .

„Die das?” fragte Elijabeth naiv.

„Sehr einfach”, entgegnete Biron mit einem teuf- lichen Lächeln. „Ich werde dieje edlen Batrioten, meinen größten Feind den Minifter Molynsfi an der Spige, ausziehen und in jenen Attitüden, welche die Künftler nad antifen Werfen angeben, jo lange fejthalten und mit Waſſer begießen lafjen, bis fie alle zu Eisftatuen werden.“

„Aber das iſt ja entſetzlich“, murmelte die jchöne frau. „Sie werden die Unglüdlichen wohl früher tödten laſſen?“

„Nein, ſchöne Prinzeſſin“, erwiderte Biron, „die Figuren würden ſonſt nicht jene Weichheit und Run— dung bekommen, welche nach den Geſetzen der Schön—

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beit unerläßlich find; ich werde fie aljo lebendig be: gießen laſſen, auch jchon deshalb, um mich an dem Entjegen und der Todesangft: meiner Gegner zu be: luſtigen.“

„Sie find ſehr grauſam, Herzog“, hauchte Eli jabeth), der es vor dem rachbeaierigen Tyrannen ſchauerte.

„Gewiß“, rief Biron, „und ich erſtaune nur, daß Sie es nicht auch ſind; Grauſamkeit und Wolluſt ſind, wie die Gelehrten behaupten, nahe verwandt, und ein ſo ſchönes Weib wie Sie, geſchaffen, die Liebe in ihrer höchſten Extaſe einzuflößen und zu genießen, müßte jo denfe ih auch an Graufamfeit alle anderen | Frauen übertreffen.“

„Sch weiß es nicht“, ſagte Elifabeth, nachdem fie einen Augenblid finnend vor fich Hingeblidt hatte, | „vielleicht ſchlummert noch fo manches auf dem Grunde meiner Seele, das einjt mich und die Welt überrafchen fol; aber vorläufig habe ich feine Luft, diefem grauen: | haften Schaufpiel beizumohnen. Das Blut müßte mir eritarren, meine ich, wenn ich lebendige Menjchen bei diefer mörderifchen Kälte mit eifigem Waſſer begießen ſähe.“

„O! warum“, lachte Biron, „wenn man ſelbſt,

17 jo wie wir, in einen köſtlich warmen Pelz gehüllt ift, läßt fih das ganz gut anjehen.

„Rein, nein“, rief die Großfürftin, ihm die Hand reihend, auf welche er reſpektvoll und zärtlich zugleich jeine Lippen preßte. Sie eilte in ihren Schlitten zu teigen und rief Subin, welcher große Luft zeigte, der originellen Erecution der zum Tode verurtbeilten Ver: \üworenen beizumohnen. Er zudte die Achjeln und meinte, es babe ja feine Eile.

„Doch Subin“, rief Elilabetb, „denn ich will nicht zujeben, wie man Menjchen und noch dazu Rufen, weil fie ihr Baterland zu jehr geliebt haben, in jo unbarmberziger Weife martert.”

„Ich aber will es ſehen“, jagte der Sergeant mit einem rohen Lachen, „jo etwas ſieht man nicht ale Tage.“

„sch befehle Dir jofort Deinen Platz einzunehmen“ ſagte Eliſabeth zornig, „wir fahren.“

„Bir fahren nicht“, jagte Subin troden.

„Hörſt Du nicht, Burſche“, wendete fich in diefem Augenblid ein Kleiner lebhafter Mann, einfach aber nah der neueften parifer Diode gefleivet, zu dem Unverfchämten. „Beeile Dich.“

„Ich babe hier von Niemandem anzuneh⸗

Sacher-Maſoch, ein weiblicher Sultan. J.

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men al3 von meiner Gebieterin“, gab Subin frech zur Antwort.

„Sehorche ihr aljo.”

„Sobald e3 mir gefällt“, erwiderte der Sergeant.

„Lieber Leſtocq“, wendete ſich Elijabetb zu dem Manne, den Subin zurechtgewiejen, „fahren Sie mich.” | „Ich wage e8 nicht”, jagte Leſtocq, der Leibarzt der Großfürftin, ein Heiner jchwaßhafter Franzoje, voll Geift und Beweglichkeit, „wir würden Beide den Hals brechen.” | „Dann fahre ich allein“, rief Eliſabeth, ergriff die

Zügel und jchwang die Peitſche.

Schon ftanden die Opfer Biron's, volljtändig ent- fleidet vor dem Palaſte und mußten in dem Augenblicke, wo ſie ihrem grauenvollen Schidjal entgegenjahen, vor Kälte und Todesangft zitternd, von Grenadieren ge: zwungen die graziöjeiten Stellungen einnehmen. Die Gropfürftin Jah noch, wie man begann Ströme eifigen Waflers, aus der nahen Newa gefchöpft, über fie zu gießen, fie hörte fie wimmern und Berwünfchungen ausftoßen, und ſah Biron in feinem prächtigen Pelze, ein graujames Lächeln um die Lippen dabei ftehen und die Henker ermuntern. Dann trieb fie die Pferde an und flog auf ihrem Schlitten davon. Eine unabjehbare Bollsmenge ftand dabei, den Athem anhaltend in

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Ihauriger Spannung, bie und da hörte man Seufzen dort wo fein Scherge des Tyrannen in der Nähe war auh murren und fluchen.

„Man tödtet fie, weil fie uns von der Herrſchaf der Fremden befreien wollten”, jagte ein Gardiſt zu dem anderen, „und wir ftehen da und jehen ihren Qualen zu.”

„Bas jollten wir auch beginnen?” jagte ein Zweiter.

„Mindeſtens diejen Henfern den Rüden fehren wie es die Großfürſtin gethan hat; fie wollte als ein gute Ruffin nicht zufehen, wie man edle Patrioten in jo teuflifcher Weife mordet“, jagte ein Dritter, „gehen wir auch.”

„Das find diefe gepriefenen Deutfchen“, nahm der erfte Soldat wieder das Wort, „welche uns Bil: dung und Aufſchwung bringen jollen. Sch Habe fie bis jegt nur in Qualen und Mißhandlungen erfinderijch gefunden; ſeitdem dieſe ſchwache willenlofe Kaiferin Anna oder eigentlich ihr vom Stallfnechte zum Herzog erhobener Liebling Biron regiert, und mit ihm feine Creaturen, dieſer Dftermann, diefer Münnich, haben wir nur Blut und wiederum Blut auf dem heiligen Boden Rußlands fließen jehen. Was von dem alten Adel nicht gefchlachtet worden ift, ſchmachtet in Si-

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birien, vergebens hat die Gzaarin mehr als einmal auf ihren Knieen den Herzog gebeten, mindeiteng ihre Freunde zu fchonen. Ihre Thränen haben ihr nichts genügt. Und fo ift die Regierung diejer ſchwachen Frau eine weit blutigere und unfeligere, als die des jchredlichiten Tyrannen.“

„Iſt fie aber nicht auch ruhmreich für uns“, rief der zweite Soldat, „haben wir nicht Siege über die Türken erfochten, von denen man in der ganzen Welt mit Bewunderung fpricht?“ oo

„sa! ja“, fagte der erjte, „aber was haben jie uns genügt! Die gute Gzaarin Anna wollte dem großen Czaar Peter nachfolgen und feine Triumphe fortjegen. Wir haben glorreihe Schlachten gewonnen, aber am Ende nicht allein alle Länder, die wir am ſchwarzen Meere erobert haben, verloren, jondern auch noch die perfiichen Provinzen dazu, welche Czaar Peter Rußland gewonnen bat. Schlechte Zeiten! Schlechte Zeiten! Und auch feine Hoffnung auf die Zukunft.“

„ie?“

„Run freilich, denn wenn die Kaiferin ftirbt, was bei ihrem Gichtleiden zu erwarten fteht, werden uns wieder Deutjche regieren.“

„Ber etwa?”

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„Der Herzog von Braunfchweig und feine Ge: mahlin, jagt man.”

„Run, wir werden jehen, noch lebt der Geift Peter des Großen in ung, vielleicht fommt noch eine Zeit, wo er ein Wunder wirkt, das uns von diejem Elend befreit.“

„E3 müßte ein Wunder kommen“, fagte ein alter Gardiſt, „denn jo wie es jegt fteht, ift nicht3 Gutes zu hoffen. Ich kenne eine einzige Perſon, die uns retten fönnte.”.

„Und dieje wäre?“

„Die Großfürftin Elifabeth, die Tochter Peter des Großen.”

Ein lautes entjegliches Gelächter, an das Lachen der Verdammten mahnend, tönte in diefem Augenblid berüber. Das graufame Werk Biron’s war geglüdt. Die Eisftatuen wurden aufgeftellt und von dem bizarren Despoten mit fichtlichem Behagen betrachte. Dann thrte er in feinem Prachtichlitten zu der Kaijerin zurück.

Der Eispalaſt war vollendet.

Zweites Kapitel.

Zwei Fürftinnen und ein Gremadier.

Am folgenden Morgen fand Leitocq, der Leibarzt der Großfürftin Elijabeth, diejelbe in Thränen gebadet. Sie hatte bereits vollkommen Toilette gemacht, und e3 machte beinahe einen komiſchen Eindrud, dieje gebiete: rifche Erfcheinung, um welche fich Seide und Sammet in fürftliher Pracht baufchten, welche mit Diamanten überfäet waren, gleich einem Kinde, defjen Laune man nicht erfüllen will, im Schmollwinfel figen und weis nen zu jehen. |

„Was ift Ihnen denn mwiderfahren?” begann der kleine Franzoſe mit feiner gellenden Stimme. „Kaifer: liche Hoheit wiffen doch, daß ich Ihnen alle Aufregun: gen verboten habe.”

„Wie fol ich ruhig bleiben“, ſprach Elifabeth, die

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großen Schönen Augen vol Thränen, „wenn man mir nicht geborcht, ja ſogar mich und meine Befehle ver: höhnt.“

„Wer würde dies wagen?“

„Subin wagt es“, ſagte Eliſabeth, „dieſer elende Menſch, den ich aus der Niedrigkeit aufgeleſen und ſo hoch erhoben habe.“

„Eben deshalb“, antwortete Leitoca, „babe ich Sie nicht oft genug gewarnt, Madame.”

„Sa, Leſtocq.“

„Alſo? Sole rohe Menjchen, wie diejer Herr Sergeant der Preobrasenskiſchen Garde, dürfen nicht gut behandelt werden, jondern müſſen wenn man fih Schon durchaus mit Ihnen amüfiren will mie Hunde, die man zu feinem Vergnügen drejjirt, mit der Peitſche tractirt werden.“

„D, wie gern würde ich ihn mißhandeln“, rief die Großfürftin, „aber es ift zu jpät dazu, er hat kei— nen Reſpect mehr vor mir; denken Sie, er trogt mit mir, weil ich geftern allein fortgefahren bin. ch laſſe ihm vor einer halben Stunde fagen, er möge zu mir fommen. Er kommt nicht. Ich befehle ihm, fich be: reit zu halten, um mic in den Palaſt der Kaiferin zu führen. Er erwidert, ich möchte nur allein fahren, ih kutſchire ja ſelbſt jo vortrefflich.“

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„sagen Sie ihn aus ihrem Dienfte !* jchrie Leftoc aufgebracht.

„Das kann ich nicht,“ jeufzte Elifabetb, „ich ver mag es nicht, ihn zu fehen und gleichgiltig zu bleiber Er müßte aus Petersburg fort, jo daß er mir ga nicht mehr unter die Augen kommt.”

„Das läßt ſich ja machen.“

„Rein, Leftocq, denn ich babe einmal diejfe um glüdliche Schwäche für diefen rohen Menſchen.“

„Wir werden jehen, ob wir mit diefem Lümmel nicht fertig werden”, fagte der Franzofe, nahm feinen Hut und ging hinab. Er fand Subin in der Bedien- tenftube, wo er mit dem Kutjcher und dem Kammer: diener Karten fpielte.

„Anſpannen“, jagte Leitocq mit erheuchelter Ruhe. Seiner rührte fih. „Hört Du nicht, Coquin?“ fuhr der Franzoſe jest lebhafter fort, „Du jollit an ſpannen.“

Der Kutſcher blickte auf Subin.

Da verlor der kleine Wundarzt die Geduld, er Iprang auf den Kutjcher los, ergriff ihn bei den Haaren und fchlug mit jeinem Robritode mit aller Gewalt auf ihn los, wobei er immerfort schrie: „Anfpannen, Ha: lunfe, anjpannen !” |

Jetzt erhob fich der Kutjcher erichrcden und in

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wenig Minuten jtand der Schlitten der Großfürftin mit den beiden Ufrainern vor dem Eleinen Balaite, den Yie bewohnte. Subin blieb in der Nähe.

„So, jet mache Dich bereit“, fuhr Leſtocq zu dem Autjcher gewendet fort, „Du wirft die Großfürftin tabren.”

„Ich?“ erwiderte der Kutjcher, „ich dachte —“ er blidte auf Subin.

„Doch nicht diefer Menjch da!” fiel Leſtocq ein, den Sergeanten mit einem verächtlichen Blick ftreifend. „Sole Subjecte jtehen heute in Gunjt, morgen nimmt jich Niemand die Mühe, fie nur mit dem Fuße weg- zuftoßen, Subin ift bei der Großfürjtin in Ungnade gefallen, er wird fie nicht mehr fahren.”

„Das wollen wir doch jehen!” rief der übermü- tige Günftling, ergriff die Zügel und ſchwang fich auf den Bod. |

Leſtocq lächelte, er hatte jeine Abficht erreicht und fehrte zu der Großfürftin mit der Meldung zurüd, dab Subin mit dem Schlitten bereit jei. Clijabeth reichte ihm erfreut die Hand. Leſtocq küßte dieſelbe und gab ihr dann galant den Bel; um, in den das ſchöne verliebte Weib mit gejchmeidiger Grazie jchlüpfte.

Als fie im Schlitten jaß, ließ Subin die lange Peitſche knallen und traf mit derfelben zugleich den

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Rüden des Kleinen Franzofen. Das wilde Gefpann rafte davon, während Leſtocq ſchäumend vor Wuth dem frechen Emporkömmling nachrief: „Das ſollſt Du mir büßen, Elender!“

Als die Großfürſtin bei der Kaiſerin eintrat, fand ſie bereits ihren ganzen Hof um dieſelbe verſammelt, alle Anweſenden waren ſeltſamer Weiſe in Pelze ge— hüllt, bereit an die offenen Fenſter und auf die Bal— cone zu eilen, denn man ſah einem jener bizarren Schauſpiele entgegen, welche die erfinderiſche Grau— ſamkeit Biron's zur Beluſtigung feiner kaiſerlichen Skla— vin von Zeit zu Zeit zu arrangiren liebte.

Die Czaarin Anna, eine große wohlbeleibte Dame, mit gemeinen, aber gutmüthigen Zügen, ſaß, die Füße in koſtbare Felle gehüllt, auf einem Rollſtuhl und wickelte ſich fröſtelnd in einen großen rothſammtenen Hermelinpelz. Die Großfürſtin eilte auf ſie zu und kniete gleich einem bevorzugten Kinde vor ihr nieder, ihre Hände küſſend, während die Lippen der von der Gicht gefolterten Czaarin zärtlich ihre ſchöne Stirne berührten.

„Schön, daß Du kommſt Liſe“, ſagte ſie in ihrem breitem kurländiſchen Deutſch, „Dein freundliches Ge— ſicht macht mich jedesmal heiter, ich wollte, Du wärſt immer um mich, und wie gut Du heute ausſiehſt, das

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Pelzwerk, das uns alle fo plump macht, fommt Dir zu Hatten, es macht Dich üppig und majeftätifch ſo— gar. Ad! wie ich noch jo jung war !“ |

„Kun wie geht es 2” ‚fragte Elifabeth, noch immer vor ihr knieend, „ich hoffe, beſſer.“

„Befler, aber doch nicht gut, o! dieſe graufame Gicht“, ſeufzte die Czaarin. „Du bift jo gefund, ich Könnte Dich beneiden, wenn ich Dich nicht fo lieh hätte.“

Wirklich war die Kaiferin Anna der jungen ſchö— nen Sroßfürftin mit aller Liebe zugethan, deren ihr apathiiches Weſen fähig war, wozu die überlegene Bildung der Legteren nicht wenig beitrug, Wenn auch Anna nicht gleich der Mutter Eliſabeth's, Katharina J., welche weder leſen noch fehreiben konnte, in die Lage fam, von derfelben alle Regierungsafte in ihrem Namen figniren zu laffen, jo hatte fie doch erft in jpäteren Jahren von Oftermann, den fie nur deshalb jo hoch hielt, lefen und ihren Namen fchreiben gelernt. Wie viel fie auf Bildung hielt, beweiſt einer ihrer Ufafe vom Jahre 1737, weicher allen jungen Ebdelleuten bei Strafe befahl, leſen, jchreiben, rechnen und tanzen zu lernen.

Eliſabeth's Kenntniſſe reichten nun über dieſes heutige Schuljungenniveau weit hinaus, ſie tanzte wie

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eine junge Backhantin, las, jchrieb und ſprach geläu- fig ruffiich und deutſch und ſogar etwas franzd: jijch, und war jelbjt ein wenig in der Geographie und Gejchichte zu Haufe, vor allem jpielte fie aber trefflich Klavier und hatte eine nad der beften italienijchen Methode gebildete prachtvolle Singftimme.

Wenn die reizende junge Frau, welche die ganze Munterfeit ihrer Mutter Katharina geerbt hatte, zu ihren Füßen jaß und ihr vorlas oder, fich jelbit auf dem Klavier begleitend, ihre jchönen Lieder jang, dann war die Kaiferin vollfommen felig und da fie finder: [08 war, zweifelte Elifabeth feinen Augenblid, daß jie von ihr zur Erbin ihrer Krone auserjehen jei.

Um jo furditbarer war ihre Enttäufchung, als die Kaiferin fie zärtlich ftreichelnd fortfuhr: „Ueberhaupt bift Du jehr glücklich, Du kennſt die Sorgen und Qua— [en der Regierung nicht und wirft fie nie fennen, Dein ganzes Leben wird dem Bergnügen geweiht jein und“ ſchloß fie leife „der Liebe.”

„And ich würde e8 jo gern meinem Vaterlande, meinem Volke weihen“, jagte Eliſabeth rajch, „meine Tage verfließen einförmig, ohne Bedeutung, wie jene einer Kaufmannzfrau, die nur da ijt fich zu pußen; welches Gefühl fommt jenem gleich, ein großes Reich nach feinem Willen zu lenken, Glüd und Unglüd von

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Millionen in feinen Händen zu haben, Thaten zu ver: richten, welche unjern Namen unfterblih machen in den Büchern der Gejchichte!” |

„Schöne Einbildungen, von denen Du nur zu bald zurüdfommen würdeſt“, feufzte die Gzaarin. „Wir armen Frauen find nicht da, um zu herrichen, die Männer verftehen es, uns&u unterjochen, wir mögen den Sarafan der Bäuerin tragen oder den Hermelin der Herrſcherin.“

„Sm Gegentheil”, rief Eliſabeth, „wenn ich re: gieren würde, müßte mir das Scepter zu einem Zau— beritabe merden, der mir jeden noch jo überfpannten Wunjch erfüllt und was die Männer betrifft, fo wurde ich jeden zu meinem Sklaven machen.“

„Etwa ſo wie Subin“, ſagte die Czaarin leiſe.

Eliſabeth wurde purpurroth und ſchwieg.

„Glaube mir“, fuhr die Kaiſerin fort, „wünſche Dir ja nie den Hermelin anders, denn als eine ge— bührende Zierde Deiner hohen gebietenden Schönheit zu tragen; Du biſt jetzt ſorglos und heiter, dann würdeſt Du erfahren, was ſchlafloſe Nächte find, wenn uns aus dem Dunkel der Nacht Gefpenfter aufiteigen und uns anflagen.” Der Kaiſerin fchauerte es. „Genug davon. Sch Bin nit Schuld, aber da3 Blut, das Biron vergießt, jchreit wider mid)

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und fteigt zu mir empor und droht mih mandmal erſticken.“

Eine lärmende Janitſcharenmuſik entriß zu rechten Zeit die unglückliche Frau ihren entſetzlichen Träumen.

„Der Hochzeitszug kommt“, rief die Großfürſtin und ſprang gleich einem ausgelaſſenen Kinde in die Höhe und dann auf den Balcon hinaus. Die Kaiſe— rin, welche von der Gicht halb gelähmt fich nur ſchwer— fällig und ungern bewegte, wurde von zwei Kammer: herren, diejen hochadeligen Bedienten der Monarchen, langjam binaugsgerollt, die Herren und Damen des Hofes umgaben theils die beiden fürjtlichen Frauen, theils eilten fie an die Feniter.

„Es ift das erſte Mal, daß ich mit Biron ein: veritanden bin“, jagte die Czaarin, „einem Verbrechen, wie es diejer Fürſt Galicin begangen, würde jogar noch eine weit empfindlichere Züchtigung gebühren.”

„a8 hat er denn eigentlich begangen?” fragte Eliſabeth Petrowna.

„Er iſt im Auslande zur römiſchen Kirche über— getreten“, erwiderte Anna mit dem Ausdruck höchſter Empörung, „ich hätte ihm nach dem Geſetze knuten laſſen oder nach Sibirien ſenden können, aber Bi— ron, der wie Du weißt, ein unermüdlicher Spaßmacher; iſt —“

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Clijabetb dachte an die geftrige Nachtjcene und ſchauerte.

„Biron“, fuhr Anna fort, „hat eine weit luſtigere Strafe für ihn erſonnen, um mit einem Schlage die— ſen ganzen altruſſiſchen Adel, der uns ſo übel geſinnt iſt, zu demüthigen. Der ſtolze Fürſt Galicin muß ein gemeines Wäſchermädchen heirathen. Iſt das nicht toftbar? Zu dieſer Hochzeit mußte jede Nation unſe— tes Reiche einige Paare entjenden, welche auf unjere Koften neue Nationalcoftume erhielten und nach dem Umzuge, einem feitlihen Mahle und Balle muß Ga— liein die Hochzeitänacht mit feiner Wäfcherin in dem Cispalafte feiern.”

„Sie werden ja erfrieren!” ſagte Elifabeth er: ihreden.

„Ah! man wird ihnen Deden und Kiffen und Pelze geben“, entgegnete die Czaarin, „es wird einen herrlichen Spaß geben. Aber da kommen fie.”

Eine Mufilbande eröffnete den Zug.

Die beiden Neuvermählten, der Fürft, ein noch Ihöner Mann von vierzig Jahren, und das hübjche Mädchen aus dem Volke, dem in dem Eoftbaren Pelze, mit dem fie auf Befehl der Kaiferin befleivet worden war, Niemand die Wäfcherin angejehen hätte, folgten auf dem Rücken eines Clephanten. Dann kamen die

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Paare im Nationalcoftum, im Ganzen dreihundert Ber: onen, alle Stämme de3 riefigen Rußlands waren ver: treten. Es fehlten weder die Maloruffen mit ihren hoben ſchwarzen LZammfellmügen, noch die Bajchkiren in ihren rothen Röden, den Moldauern, welche in ihren langen pelzbejegten Kaftanen Türken glichen, folgten Bulga— ren, Abanejen, Arnauten, Bucharen, Tartaren, Ber: jer, Kalmüden, Kirgifen, Samojeden, Griechen, Kofa= fen vom Ural und vom ſchwarzen Meere, Ungarn, Armenier, Deutfche, Zigeuner, Indier, Tichuvafen, Nogaier, Turkomanen, Oftiafen. Einige ritten auf Ka- meelen, die Tungufen auf Nenntbieren, die Kamtjcha: dalen jaßen in ihren von Hunden gezogenen Schlitten, während andere Böde, Ochjen und jogar Schweine borgejpannt hatten.

Sie zogen durch die Hauptitraßen von Petersburg nad) Biron’s Reitjchule, wo fie auf Koiten der Czaarin bewirtbet wurden, jede Nation mit ihren Lieblingsge- ‚richten. Dann folgte der Ball, auf welchem jedes der eigenthümlichen Paare feinen Nativnaltanz zum Beiten gab. Das Ganze in jeinem bunten Gemenge von Phyſiognomien, Geftalten, Trachten und Sitten war ein volllommenes Märchen, ein Schaufpiel, wie es nur ein Weltreich, nur Rußland bieten Fann.

Zulegt wurden die Neuvermählten in den Eispa—

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lat geführt und vor demjelben Wachen aufgeftellt, damit fie denjelben vor dem Morgen nicht verlaffen fonnten.

Als die Großfürſtin, müde von al’ den bunten Scenen des originellen, nie dagewejenen Feſtes, nad Haufe zurückkehren wollte, fehlte Subin. Vergebens fraate fie alle Welt nah ihm. Niemand wollte ihn geieben haben. Gin faiferlicher Kutſcher batte feinen Dat eingenommen und fuhr Elifabeth in ihren Palaſt.

Am folgenden Tage war die erite Frage der Prin— zeſſin: „Wo ift Subin?“

„Er ift feit geftern Abend nicht mehr zurüdae: fehrt”, (autete die Antwort.

Die Groffürftin jendete alle ihre Leute aus, man ſuchte den Dejerteur in Kafernen und Schenten, auf der Bromenade und bei dem Eispalafte. Vergebens, er war nicht zu entdecken. Glifabetb wandte ich, nahdem er auch in den nächſten Tagen nicht zum Vorſchein Fam, an die Bolizei. Auch dieje fchien nicht im Stande, ihn aufzutreiben.

Troftlos fam die Gropfürltin eines Abends zur Czaarin. „Was ift Dir, mein liebes Kind”, fragte diefe beforgt, „Du fiehft ja fürmlich verftört aus?“

„Mein Zahlmeifter iſt verloren gegangen“, jeufzte Eliſabeth.

Sacher⸗Maſoch, ein weiblicher Sultan. I. 3

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„Der hübſche Grenadier, wie hieß er doch?”

„Subin.”

„Ja, Subin”, fagte Anna, „ich denke, Du kannſt froh fein, daß Du von ihm befreit biſt.“

„Ja, wäre ich nur über fein Schidjal beruhigt“, jagte die Großfürftin, „aber am Ende ijt er ermordet worden.”

„Berubige Dich nur“, lächelte die Czaarin, „er lebt und befindet ficb ganz wohl.“

„Wo? Wo ilt er denn?”

„Subin ift in diefem Augenblid bereits ziemlich weit auf dem Wege nad Sibirien.“

„Rah Sibirien? Mein Gott, was bat er denn verbrochen”, jchrie Elifabeth auf.

„Er war roh gegen Dich, mein Kind, ift das nicht genug?”

„Aber ich babe ihn doch Lieb gehabt”, ſeufzte Eli— ſabeth.

„Ah! laß mir deshalb nur nicht gleich das Köpf— chen hängen“, beſchwichtigte ſie die Czaarin, „es gibt ja noch Grenadiere genug auf der Welt.“

„Aber keinen, der ſo hübſch iſt“, ſeufzte die Groß— fürſtin.

Drittes Kapitel.

——

Die ſchönſte Frau Rußlands.

Am erſten Tage, wo ihr Subin's Verbannung bekannt wurde, hatte ſich Eliſabeth in ihrem Boudoir eingeſperrt und geweint, am zweiten grollte ſie und ließ noch immer Niemand vor, nicht einmal Leſtocq, der jonft zu jeder Stunde Zutritt hatte, am dritten Tage begann fie jich entjeglich zu langweilen und zog ſich mindeftens zehnmal an, um jedesmal wieder die foftbaren Gemwänder zornig herabzureißen. Am Mor: gen des vierten Tages lächelte fie ihre Kammerfrau zum erjten Male wieder an, befahl dann ein Pferd zu jatteln und machte Toilette mit der ganzen Sorgfalt einer Kofette von Metier, welche auf Eroberungen aus— geht. ALS fie zu Pferde jaß in dem wallenden Reit:

Heide von Penfeefanmet, über dem fie eine ihre feine 3* |

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Taille knapp umjchließende Jade von gleichem Stoff, reich mit Hermelin gefüttert und ausgefchlagen trug, die Koſakenmütze von demselben Faiferlichen Pelzwerk auf dem weißen Toupée, mußte ein Jeder, der fie jab, der Stimme des Volkes recht geben, welche fie die Ihönfte Frau Rußlands nannte. Sie wußte es und war nicht weniger ftolz und eiferfüchtig darauf, als die Königin in dem Märchen von Schneewittchen. Mit einem Blick, der zur Huldigung herauszufordern Ichien, mit einer Miene, welche von Jedermann Anbetung verlangte, jprenate fie aus dem Thore ihres Palaites hervor, nur von einem ihrer Koſaken zu ‘Pferde be: gleitet.

Sie ritt durch die Hauptitragen der KRefidenz, überall von den Bornehmen, die in phantaftijch geformten Schlitten vorbeiflogen, wie von den gemeinften Leuten und einfachen Soldaten mit Achtung und Sympathie begrüßt; von Zeit zu Zeit ließ fie ihr jchönes Auge da oder dort auf einem hübfchen Manne haften, we: der dejjen Stand noch Anzug nur im mindeften beach— tend, der junge wohlgebildete Geflügelhändler oder Li: queurverfäufer fand mehr Beifall bei ihr, als der häß— liche Fürft. An dem Ufer der Newa angelangt, jpornte fie ihr Pferd und trieb es mit der Reitgerte an, bis e3 gleich einem Dämon, mit feinen Hufen Funfen

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ſchlagend, dahinraſte; plöglich iprang der. Sattelgurt und fie glitt unter den Bauch des fchäumenden Thie- res hinab, in Gefahr, von deinjelben zertreten zu werden.

Che die kühne Frau jedoch zur Beſinnung derjel- ben fam, war ein jchöner eleganter Mann, der ihr zu Pferde entgegen fam, dem ihren in die Zügel gefallen, hatte es zum Stehen gebracht, und indem er raſch abiprang, Eliſabeth aus ihrer verzweifelten Lage bes freit. Während er jie aufhob, ruhte fie einen Au— genblid an feiner Bruft und ihr Herz Elopfte heftig gegen das feine. Merkwürdiger Weife dachte jie weder an den ſchrecklichen Tod, dem fie entronnen war, noch an die für fie gewiß noch entjeglichere Gefahr, in der ſie ſich befunden, für ihr ganzes Leben verſtümmelt und entſtellt zu werden, der erſte Blick ihrer großen ſchönen Augen galt ihrem Retter.

Sie erkannte in ihm den Grafen Löwenwolde, Oberhofmarſchall der Kaiſerin Anna, einen Mann, den fie bis jegt kaum beachtet hatte. Wie der Blitz fuhr es ihr durch den Sinn, daß er einjt der begünftigte Lieb— baber ihrer Mutter Katharina I. gewejen, und fie fand ihn jet, wo ihr Haupt auf feiner Schulter lag und Ne halb furchtjam, halb neugierig zu ihm emporblidte, mit einem Male ebenjo jchön als vornehm und in—

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terejjant. Während fie einige Worte des Dankes ftam: meite, ftand der fie bezaubernde Mann vor ihr mit abgezogenem Hute und erklärte ihr, wie unendlich glück- lich er fich fchäße, der Tochter der unvergeßlichen Ka— tharina einen Dienft erwiejen zu haben. Zugleich bot er ihr fein Pferd an, das fie mit dem liebenswür- digften Lächeln annahm. Sie zögerte auch feine Se— cunde den Fuß auf jeine Hand zu jeßen, welche er ihr galant entgegenitredte und ſchwang fich jo in den Sattel.

„Und Sie, Graf“, jagte fie dann raſch, „Sie müfjen jett zu Fuße gehen. Nein das geht nicht. Nehmen Sie das Pferd meines Koſaken und begleiten Sie mid.”

Löwenwolde verneigte fich und gehorchte. Wäh— rend der Kojak ihr Pferd am Zügel führend, langjam in den Palaſt der Großfürftin zurückkehrte, ritt der Marfchall mit Elifabeth längs dem Admiralitätsgebäude hin. Die Ihöne Frau ſaß jegt wie ein Mann im Sattel und erjihien in diefer Stellung, welche manche Andere ge: radezu lächerlich gemacht hätte, doppelt reizend. Sie ließ ihr Pferd im Schritte gehen, offenbar um recht lange und ungezwungen mit Löwenwolde plaudern zu können. Als fie endlich vor ihrem Palaſte anlang: ten, jagte fie, ihm herzlich die Hand reichend: „Ich |

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will Sie jeßt öfter bei mir ſehen, Graf, verftehen Sie mih wohl, ich nehme feine Entjchuldigung an. Der Staat und der Hof dürfen ſchon manchmal zurüditehen, wenn es gilt, den Willen einer Dame” fie dachte dabei im Stillen „der fchönften Frau Rußlands“ „zu erfüllen.”

„Ihr Wunſch ift mir willfommener Befehl, faifer: liche Hoheit”, erwiderte der Graf, und machte Miene, die Kleine Hand der Prinzeſſin an feine Lippen zu führen,

„Richt doch”, rief Elifabeth in ihrer bezaubernden naiven Weiſe, indem fie diejelbe lebhaft zurüdzog. Dann ftreifte fie den feinen gelben Stulpenhandſchuh ab und hielt ihm ihre fchöne zarte Hand hin. „So, jest füffen Sie.“

Nachdem Löwenwolde, von der Liebenswürdigkeit der fürftlichen Schönen entzüdt, wiederholt mit Feuer ihre Hand gefüßt hatte, neigte er fich tief vor ihr, bee tieg fein Pferd und fprengte davon.

Sie ſah ihm lange nach und als er um die Ede dog, winkte fie ihm noch mit ihrem Tajchentuche.

Dann nahm fie die Schleppe ihres Reitkleides über den Arm und fprang die Treppe empor di— vet in das Zimmer ihrer DVertrauten, der Hofdame Stau von Kuriakow. „Ah! Katinka“, rief fie, „ich

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bin jo glüdlih, ich kann Dir gar nicht jagen, wie glücklich ich bin.“

Frau von Kuriakow jtaunte die Großfürftin ſprach— los an.

„Du verwunderit Dich ?“

„Sn der That.”

„Du begreifit nicht, wie ich heute laden Fanı, nachdem ich noch geftern gejchmolt und vorgeftern ſogar bitterlich geweint babe“, fuhr Elifabeth fort; | „aber ein Augenblid bat Alles geändert, ich bin der Kaijerin dankbar, daß fie Subin nah Sibirien ge | Ichict hat, und auch Leſtocq, denn ich bin überzeugt, daß er fie dazu beredet bat; ich habe einen Mann | fennen gelernt, Katinka, gegen den Subin nur ein ge | meiner Kloß ift, feinen Grenadier, jondern einen Edel: | mann von der Art Ludwig des Vierzehnten, oder eis | gentlich, ich habe ihn Lange ſchon gekannt, aber heute das erfte Mal ordentlich gejehen und gejprochen und babe mich ſchrecklich in ihn verliebt.“

„Und wer ift der Glüdliche 2”

„Graf Löwenwolde.“

„Und er liebt Sie gleichfalls 2“

„Ich denke, das verfteht fich von ſelbſt“, ſagte Eliſabeth, fich mit unbejchreiblichem Vergnügen in dem großen Wandfpiegel betrachtend. „Bin ich nicht eine

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Prinzeſſin? Nennt man mich nicht die ſchönſte Frau Rußlands?“

„O! Sie ſind bezaubernd, Hoheit“, erwiderte die Vertraute, „aber daraus folgt noch nicht“

„Mache Dir nur keine Sorge, Katinka“, lachte die Prinzeſſin, „ehe eine Woche vergeht, liegt dieſer Löwenwolde zu meinen Füßen, wie ein Liebhaber aus einem franzöſiſchen Schäferſpiel; ich werde ihn recht quälen und unbarmherzig gegen ihn ſein, Damit wir dann um jo glüclicher unfere Liebe genießen. O, jetzt babe ich wieder Appetit, jegt werde ich wieder fingen wie ein Vogel im Frühling und mich anziehen mie eine Göttin.“

„Run, die Göttinen find eigentlicdy gar nicht an: gezogen“, lächelte Frau von Kuriakow.

„Das können wir auch einmal verfuchen”, rief Eliſabeth. „Wenn ich die jchönen Bilder von Titian und Veroneſe im Faiferlichen PBalafte anjehe und dann unfere Damen jn Fijchbein und KReifrod, muß ich immer lachen. Unfer Hof gäbe einen recht klägli— hen Olymp, die Gzaarin als eiferfüchtige Juno an der Spike.”

„Sie aber fünnten ruhig jeden Tag als Liebes: göttin vor den Prinzen Paris bintreten“, ſagte die

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Bertraute, die herrlichen Formen der Großfürftin mit einem bewundernden Blid überfliegend.

„Und dies Alles gehört jegt diefem abjcheulichen Manne,” feufzte Elifabeth, „der vielleicht ſchon hundert andere Frauen geliebt bat, die alle zufammen nicht den Apfel, ja nicht einmal einen Kern defjelben, er: balten hätten. Aber er joll mich fennen lernen. Ich will zum eriten Male in meinem Leben grauſam jein.”

Mit der Unruhe eines jungen verliebten Mäd— chen3 erwartete die galante Großfürftin den Beſuch Löwenwolde's, vier Tage vergingen ihr in fteigender Ungeduld und Aufregung, endlich fam er, aber fie hatte vergebens für ihn alle Künfte der Toilette auf geboten, ebenſowenig zeigte er fich von ihren Eofetten, ſchmachtenden Blicken gerührt, nicht einmal die Be rührung ihrer Keinen weißen Hand ſchien ihn zu elec: trifiren, er blieb immer diplomatijch fühl, artig, re: ſpectvoll und fie. hätte es fo gern gefehen, wenn er die Achtung für fie nur ein wenig bei Seite gejeßt hätte. AS er fort war, fagte fie zu ihrer Bertraus: ten: „Es ift doch recht traurig, eine Prinzejfin zu jein, jeder der uns naht, erjtirbt in Ehrfurcht, wagt faum den Saum unſeres Gewandes, gejchweige denn unfere Fingerjpigen zu berühren. Diejem Lömwenmwolde Iheint nun gar aller Muth zu fehlen, er fprach mit

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mir, als gälte es einen Staatsvertrag, und ich habe ihm doch jo ermuntert.“

Cine Woche verging, ohne daß der Graf ſich bliden ließ. Das war zu viel für jede verliebte Frau, nun erſt für die heißblütige dejpotifche Tochter Peter des Großen, die gewohnt war, jeden ihrer Wünjche erfüllt zu fjehen, ohne Rüdfiht auf Andere. Sie beihloß, den Knoten mit einem kühnen Streiche zu löſen.

Ein Briefchen der Frau von Kuriakow lud Löwen: wolde ein, fie noch im Laufe des Tages zu befuchen. Als er fam, wurde er von der Vertrauten der Prin— zeifin in ihrem Kleinen, reizenden Boudoir empfangen, mährend die Großfürftin ſelbſt in dem nebenan liegen: den Schlafgemacdhe ihrer Hofdame das Gejpräch der: jelben mit dem Grafen belaufchte.

„Bergeben Sie, Herr Graf“, begann die Liebes: diplomatin, „daß ich Ihre koftbare Zeit in Anjpruch nehme, aber ich muß Ihnen geftehen, daß ich vor Neu: gierde geftorben wäre, wenn ich nicht bald Gelegenheit gehabt hätte, den Mann fennen zu lernen, von dem meine Gebieterin fo jehr eingenommen ift.“

„Hat Ihnen die Großfürftin von mir geſprochen?“ fragte Löwenwolde, von der Anspielung der Hofdane offenbar unangenehm berührt.

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„Gewiß“, ſagte Frau von Kuriakow, raſch auf ihr Ziel zuſteuernd, „ſie ſpricht beinahe nur ia von Ihnen, o! fie ift Ihnen jehr gnädig gefinnt

„Die Güte der Sroßfürftin ift befannt“, fiel 2: wenwolde ein.

„Do! es iſt mehr als Güte“, fuhr die Hofdame fort, „Sie Benerdenswerther, eine jo jchöne Prinzeffin, die Tochter Peter des Großen, bejchäftigt fich im Traum und Wachen mit Ihnen.“

„Sie jcherzen wohl —”

„Wie jollte ich wagen”, erwiderte rajch die Ver: traute, der die Situation anfing jehr peinlich zu wer: den, „Eliſabeth iſt ebenſo gefühlvoll als fie ſchön ift —“

Die Großfürſtin iſt in der That eine ſehr ſchöne Frau“, ſagte Löwenwolde.

Die Hofdame athmete auf und auch der Thür— vorhang, der heftig gerauſcht hatte, begann ſich zu beſänftigen.

„Sie iſt unſtreitig die ſchönſte Frau Rußlands, fiel Frau von Kuriakow ein.

Löwenwolde zuckte die Achſeln und lächelte.

„Sie ſtimmen mir nicht bei“, rief die Vertraute beinahe empört. „Kennen Sie etwa eine, welche ſchö— ner wäre?“

„Allerdings.“

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Eliſabeth war nahe daran herauszueilen, aber fie bezwang ſich und begnügte jich damit, ihr Tajchentuch in Stüde zu reißen.

„Ah! ich wäre neugierig, fie fennen zu lernen“, murmelte die Hofdame.

„Es it Frau von Lapuchin“, gab der Graf zur Antwort.

„sh entfinne mich“, jagte die Hofdame. „Die Frau des Kammerherrn Lapuchin. Sie lebt jehr zu: rüdgezogen. Ich habe ihre außerordentliche Schönheit rühmen hören, fie ſelbſt aber nie zu Geficht befom: men. Und Sie lieben diefe Frau?”

Löwenwolde lächelte wieder und mit diefem Lä— heln endete das tete à tete. Als er das Boudoir verlafien hatte, trat Elifabetb vor Zorn glühend in dafjelbe ein und ging mit großen Schritten auf und ab. Sie fand lange feine Worte, jo ganz außer ſich war fie darüber, fih von dem Manne, dem fie gleich einer das ganze Füllhorn des Glüdes über ihn aus: giegenden Göttin des Olymps zu nahen gedachte, ver: Ihmäht zu fehen. Der unglüdliche Löwenwolde hatte, obne es zu -beabfichtigen, ja ohne es nur zu ahnen, diefes von Natur gute aber wollüftige und defpotifche Weib im Tiefiten feiner Seele verlegt, dort verletzt, wo es am empfindlichiten war, wo es fein Bergefjen,

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feine Bergebung kannte, in ihrer maßlojen Eitelkeit, ihrem Frauendünfel,

Es gab alfo eine Frau in Rußland, welche ihr den Mann, den fie liebte, und was in ihren Augen noch jträflicher war, welche ihr den Rang der erſten Schönheit ftreitig machen konnte.

Diefe Frau mußte fie fennen lernen. Dies war der erite Gedanke und der zweite war Rache.

Sie fuhr noch denjelben Abend zur Kaiferin und bot ihre ganze Liebenswürdigfeit auf, die ſchwache Frau zu beftriden, fie jang ihr ihre ſchönſten Arien und trieb allerlei Poſſen, zulegt ſaß fie, wie gewöhn— lich, zu den Füßen der Gzaarin, und erzählte ihr aller: band pitante Anekdoten aus den Hofkreifen.

Plöglich faßte fie die beiden Hände der Monat: chin, bededte fie mit Küffen und rief: „Du mußt mir auch einmal eine Bitte gewähren. Alle Menfchen über: bäufit Du mit Gnaden, nur ich gehe immer leer aus.”

„Run, was willit Du denn au fragte Anna, fie jtreichelnd.

„Erit verfprechen”, lachte die Prinzeſſin, „dann werde ich e8 Dir jagen.”

„Ah! Du wilft Deinen Grenadier zurüd haben!“

„Kein, nein!” |

„Run, es fei, ich verfpreche Dir, Deinen Wunſch

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zu erfüllen, er mag noch jo ſinnlos oder ungerecht jein“, fagte die Czaarin.

„Biron wird uns ein glänzendes Felt im Eispa— laite geben“, begann Elifabeth.

„So iſt es.“

„Nun, ich wünſche, daß Frau von Lapuchin, welche gleich einer römiſchen Veſtalin den Hof und überhaupt alle Luſtbarkeiten meidet, bei dieſem Feſte erſcheint.“

„Das wird kaum zu erreichen ſein“, gab Anna zur Antwort. „Dieſe Lapuchin lebt nur für Löwen— wolde, der ſie, wie man ſagt, gleich einem Götterbilde anbetet, für die übrige Welt ſoll ſie vollkommen abge— ſtorben ſein.“

„Ich denke, ſie wird lebendig werden, wenn Du es ihr befiehlſt.“

„Meinſt Du?“

„Ich habe Dein Wort.“

Wirklich verſammelte im Carneval ein glänzendes Feſt den Hof und den Adel der Reſidenz in dem Eis— palaſte Biron's. Damit die Gäſte des Herzogs nicht ftoren, waren ſie eingeladen worden, in der alten moskauiſchen Tracht zu erſcheinen, welche den Herren, und Damen Gelegenheit bot, die ganze Pracht ihrer Juwelen und ihres koſtbaren Pelzwerks zu ent—

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falten. Die Kailerin erfchien in grünem Sammet mit Hermelin, an der Seite Biron’s, welcher diefelben Far: ben trug, die Großfürftin Elijabetb in nakarat-rothem Sammet mit blauem Fuchs; zu ihrem Gavalier war der Kammerherr Graf Suwalow, der ſchönſte Mann am Hofe Anna's, von Biron erwäblt worden.

Frau von Lapuchin, welche zu der mißvergnügten und von Biron mit allen blutigen Mitteln der Tv: rannei verfolgten altruffiichen Partei gehörte, Hatte bisher die Czaarin und den Hof gemieden, um jo mehr war fie von dem faiferlichen Befehl überrajcht, ja er: jchredt, welcher fie zu dem Feſte Biron's berief. Ihr ahnte nichts Gutes. Sie berieth fich mit Löwenwolde, aber in diefem Falle konnte ihr diefer ebenſo Eluge als ergebene Freund nichts anderes jagen, als was fie jelbit wußte. Sie mußte gehorchen.

Mit bangem Herzen erfchien fie an dem Arme des Oberhofmarſchalls auf dem Balfe, beide anſpruchslos in ſchwarzen, mit dunflem Zobel bejegten Sammet ge kleidet. Aber diefe beinahe düftere Toilette bob inmit— ten al’ des Glanzes von Diamanten, Rubinen und Smaragden, von blendendem Hermelin und im den helliten Farben glühenden Samınet3 ihre Reize nur noch mehr und jo wandten fich, als fie eintrat, ſofort alle Blide ihr zu. Frau von Lapuchin war auch in

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ver That bezaubernd ſchön, noch um Vieles jchöner al die Schöne Großfüritin Elifabeth. Während dieſe mehr durdy derbe Friſche und majeftätifche Ueppigfeit blendete und beraufchte, verband fich in der Erſchei— nung der Lapuchin eine feine graziöfe Wolluft mit der nobelften geiftigen Hoheit. Als fie der Prinzejfin vor: geſtellt wurde, fühlte dieſe jelbit, wie jehr fie durch ihre Nebenbuhlerin in Schatten geftellt wurde und brachte es nicht über fich, mehr als einige ceremonielle Worte an Frau von Lapuchin zu richten, gegen die in dem: ſelben Augenblide ein unauslöfchlicher Haß in ihrem gerzen aufflammte. Und nun mußte die eitle ftolze Ftau noch fehen, wie der Mann, den fie nad) ihrer Art leidenschaftlich Tiebte, nicht von der Seite der Ver: baßten wich, wie dieſer allein feine zartefte Aufinerk: jamfeit galt, während er für fie, die Tochter Peter des Großen, faum einen Bli hatte.

Das war zu viel.

Während Löwenwolde mit der Geliebten die Po— lonaiſe tanzte, hieß es plöglich, der Großfürftin fei unwohl geworden und fie habe dein Ball verlafjen.

Jetzt erft begann der Graf zu ahnen, was er an: gerichtet hatte, aber jo wenig blind er für die Reize der Prinzeſſin war, bereute er doch feinen Augenblid,

ſich nicht zum Sklaven ihrer Laune gemacht u rn Sachtr-⸗Maſoch, Ein weiblicher Zultan. I

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Während vor dem Eispalafte die Delphine um die Wette mit dem weißen Elephanten Feuer fpieen, das Knattern des Feuerwerkes auf dem glatten Spie gel der Newa fich in die raufchenden Klänge von vier Mufitchören mifchte, die, freilich nur mit einen Vier: telpfund Pulver geladenen Eiskanonen unter allgemei: nem Staunen Salven gaben und die Eismörjer Bom- ben aus Werg in den weißen Winterhimmel empor Ichleuderten, wälzte ſich Elifabetb jchlaflos auf ihrem üppigen aftatifchen Lager und brütete VBerderben; Per: derben dem Manne, der jie verihmäht hatte, Verder— ben der Frau, welche den Hochverrath begina, ſchöner zu fein als fie.

Viertes Kapitel.

Ein gezähmter Bär.

Es war Mittag, eine Zeit, wo jelbft die ver: wöhnteften Langjchläferinnen angezogen zu fein pflegen, ala Graf Iwan Sumalom erjt einige Zeit vergebens an die Thüre feiner Frau klopfte, und als fie ihn endlich einließ, fie noch im volljtändigften oder eigentlich unvoll- ftändigften Negligee fand. |

„Ja, was treibt man denn?“ begann er entrüftet.

„Man gähnt und man ruht aus”, erwiderte jeine tezende Gemahlin, indem fie ſich wieder mit unbe ihreiblicher Trägheit auf der echt türkiſchen Polſter— ottomane ausftredte. |

„Man ruht aus von Plagen, die, wie Bälle, Schlit- tenfahrten und Dper, Euer Zebenselement find“ ,ſagte der

Graf, fich in ein Fauteuil neben feiner jungen Gemahlin 4*

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niederlaffend, „was jollen wir Männer dann anfangen, die wir außer für unjere Toilette und Euere Unter: haltung auch noch für den Staat zu jorgen haben.“

„Wenn hr für den Staat nicht befjer jorgt, als für unjere Unterhaltung”, erwiderte die Gräfin, „dann bedauere ich den armen Staat ſehr.“

„Du kannſt es, gleich einem Kleinen Affen, nie unterlafjen, boshaft zu fein“, rief Sumwalow, „Du bilt aber auch mein lieber, bübjcher Kleiner Affe, nicht wahr?” Er nahm jeine Frau beim Kopfe und Füßte fie derb auf die frifchen Lippen, während ihre großen dunklen Augen ihn ſchelmiſch anlachten. Wie fie jo mit einander jchäferten, waren fie unjtreitig das hübſcheſte Paar, das man fich denken Fan. Graf Iwan groß, vortrefflich gebaut, mit griechifch edlen Zügen, blauen Augen und blondem Haar; Gräfin Lidvina Flein und bei aller Zierlichfeit von üppiger Rundung der Formen, über dem Fleinen rothen Munde ein freches Stumpfnäschen, die leuchtenden Rehaugen ein wenig mongolifch jcharf gejchnitten, was ihr etwas trogig Pilantes verlieh, und mit einer wahren Fluth jchwarzer Haare bejchenkt, in welche fie ihre weißen Glieder wie in einen dunklen Pelz hüllen fonnte.

„Dit Du mir audy treu gemwejen?” fragte die Heine Frau mit eiferfüchtiger Haft.

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„Seit dem geſtrigen Feſte? Gewiß“, lächelte Su— walow, „ich müßte denn im Traume —“

„Scherze nicht“, rief die Gräfin, „ich kenne Dich, Du wirft mich noch tödten; ich erſtaune, daß ich nicht in allem Exrnfte rafend wurde, als ich Dich geitern mit der Großfürftin ſprechen jah; freilich, fie ift jehr ſchön, eine Venus und ich bin nur ein kleiner bäßlicher Affe.”

„Bas fällt Dir ein“, jcherzte Suwalow, indem er Ne auf jeinen Schooß 309; „es gibt Affen, die aller: liebft find, viel bübfcher als die todten fteinernen Söttinnen mit den weißen Augen. Aber laß ein ernites Wort mit Dir reden. Jch war Dir bisher mufterhaft treu —“

„Schmwöre!”

„Du weißt, daß ich nie ſchwöre —“

„Beil Du immer falfch ſchwören würdeſt.“

„Alſo ih war Dir bis heute treu, ganz lächerlich treu“, fuhr Sumwalow fort, „aber jeit geftern Abend babe ich große Luft —”

„Mir untreu zu werden!” jchrie die kleine Frau auf.

„Ja.“

„Ich bringe Dich um.“

„Das wollte ich Dich eben bitten, nicht zu thun.“

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„Und die Unglüdliche, darf man fie kennen?“ fragte Gräfin Lidvina mit allen Zeichen unterdrückter Wuth.

„Allerdings, denn es iſt nicht Siehe, | was mich dazu treibt, mich ihr zu Füßen zu legen, ſondern Politik.“

„Wer iſt es alſo? Die Kaiſerin?“

„Was fällt Dir ein.“

Eine kurze Pauſe erfolgte.

„Ich bin ſeit geſtern entſchloſſen, der Großfürſtin Eliſabeth Petrowna den Hof zu machen“, ſagte der Graf endlich.

„Und Du willſt mir glauben machen, Elender, daß Dich die Politik in die Arme der ſchönſten Frau Ruß— lands führt?“ rief die kleine Frau und warf ſich dann mit dem Geſicht in die Kiſſen, wie es ſchien, um ihre Thränen zu verbergen.

„Aber bedenke doch Lidvina, welche Vortheile uns winken, wenn ich der erklärte Günſtling Eliſabeth's bin und ſie den Thron beſteigt.“

„Du weißt ſehr gut, daß ſie ihn nicht beſteigen wird.“

„Warum nicht? Wenn wir ihr dabei helfen.“

„Du hätteſt die Abſicht?“ rief die Gräfin überraſcht.

„Sieht Du“, fuhr Suwalow fort, „jett haft Du

55 mich in Deiner Hand, wenn Tu Dich rächen willt, verrathe mich an Biron.“

„Das werde ich bleiben laffen”, fagte Gräfin Lid- vina raſch, „aber ich werde mir gleichfall® den Hof machen Lafjen.

Suwalow ſah fie ftarr an.

„Sa, ja!” rief fie. „Sieh mich nur groß an. Du weißt noch nicht, weſſen eine Frau in ihrer Eiferjucht fähig ijt.“

„Ich verbiete Dir aber —“

Die kleine Frau begann laut und herzlich zu laden, und lachte noch, als ihr Gemahl entrüftet ihr Schlafgemach verlaffen und die Thüre mit aller Ge: walt hinter fich zugejchlagen hatte. Lachend fperrte ie diejelbe hinter ihm und öffnete dann jene, welche zu ihrer Garderobe führte. Ein junger hübjcher Mann trat aus derjelben und fchloß fie lebhaft in feine Arme. Es war Woronzöff, der Kammerherr der Großfürftin Clifabeth.

„Habe ich meine eiferfüchtige Rolle nicht gut ges jpielt 2” fragte Gräfin Lidvina heiter.

„Rur zu gut“, entgegnete Woronzoff, „Du biſt mit Deinem Manne jehr zärtlich.”

Die Gräfin brach von Neuem in ein belles muth- williges Lachen aus.

v6

„Mio ift es mir gelungen, auch Dich eiferfüchtig zu machen, das tft zu fojtbar. Zwei jo große bübiche Fliegen wie Sumwalow und Dich auf einen Schlag.”

„Run aber im Ernfte”, fagte der Kammerberr, während die Gräfin fich fofett auf jeinen Knieen wiente, „der Einfall Suwalows, der Prinzejfin den Hof zu machen, ift vortrefflich.“

„Weil er Dih von ihm befreit —“

„Nein, weil Suwalow, bei den Sympathien, welche er unter der ruſſiſchen Partei genießt, und bei feiner Vorſicht und Kühnheit der Mann ift, Eliſabeth den | Weg zum Throne zu bahnen, wobei wir Alle gewinnen würden.

„Alſo die eriten Fäden einer Verſchwörung“, ſcherzte die Gräfin. „Vortrefflich, wenn mein Mann und mein Anbeter mich zu jehr langweilen, koſtet e8 mich jebt nur ein Wort an Biron und ich bin mit einem Streid von Beiden befreit.” Ä

„Du wärſt im Stande —“

„Gewiß, alſo gib Dir recht viel Mühe liebens: würdig und vor Allem amuſant zu fein.”

Während die Gräfin Suwaluw und ihre Anbeter in diefer Weile jcherzten, war Graf Swan Sumalow bei der Großfürftin Elilfabeth vorgefahren und gemel- det worden. Die fchöne Frau hatte vor Kurzem noch

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auf ihrem üppigen Lager von Löwenwolde geträumt, bäßliche, peinigende Träume, und als fie wach gewor: den, war fie lebhaft mit dem Berhaßten bejchäftigt, allmälig aber war das Bild des ſchönen Mannes, weldher bei dem gejtrigen Ball ihr Ritter war, fiegreich in den Bordergrund getreten, und fie begann fich Vor: würfe darüber zu machen, daß fie den Eispalaft und Suwalow jo ſchnell und fo fchnöde verlaffen hatte.

Gerade als ihre Kammerfrau mit der kunſtvollen Friſur fertig geworden war, meldete man der Prin— zejin den Grafen. Sie dachte nun nicht mehr daran, ihre Toilette zu beenden, fondern warf über den reizen: den Spigenduft ihres Nachtkleides einen reich mit Gold benähten und verſchwenderiſch mit Hermelin ausge: Ihlagenen blaufammetnen Schlafpel; und ließ Suwalow eintreten,

„Es freut mich, Sie bei mir zu jehen, Graf”, be: gann und wies fie ihm zugleich mit nachläffiger Majeität einen Sig neben fih an. „Sch muß mich jelr bei sonen entjchuldigen, daß ich Sie bei dem geftrigen Feſte jo plöglich verlaffen habe.”

„Sie ahnen nicht, Hoheit”, erwiderte Suwalow, „welche Gentnerlajt Ihre gütigen Worte von meiner Seele wälzen; ich habe mir eingebildet, daß ich der unſchuldige Anlaß Ihrer unerwarteten Entfernung war,

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daß ich gegen meinen Willen Sie mit irgend Etwa belei- dDigt babe, deshalb bin ich gekommen, mich Ihnen wie einem Richter zu ftellen, von Ihnen Tod oder Leben erwartend, denn es gibt feine Frau in gan; Rußland, ja in der weiten Welt, die ich jo jehr ver: ihren würde wie Sie.“

„Sie jchmeicheln —“

„sh ſpreche nur die begeifterten Empfindungen meines Herzens aus“, fuhr der Graf fort, „das ſeit geſtern ganz zu Ihren Füßen liegt, und wenn nicht ich es bin, der Sie beleidigt bat, jo beſchwöre ich Sie, Hoheit, mir denjenigen zu bezeichnen, damit ich Sie an dem: jelben rächen kann.“

„Meberlajjen Sie dies mir”, erwiderte Elijabeth, ihre Schönen Brauen finfter zufammenziehend, „der volle Genuß der Rache beiteht darin, daß man fie jelbit volicht. Und was fünnten Sie am Ende thun, als ſich für mich Schlagen? Ihr Leben auf das Spiel jegen? Nein! nein! Ich will vor Allem ficher gehen, des Erfolges gewiß fein und dann ſie ſah Suwalow durch die halbgeſchloſſenen Lider kokett an, „dann ſind Sie mir viel zu werth, als daß ich Sie ſo leichtſinnig opfern könnte.“

„Sie machen mich ſtolz, Großfürſtin“, flüſterte der

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Graf, indem er rajch ihre fchöne Hand erariff, „ver Antheil, den Sie an mir nehmen, ift der ſüßeſte Yohn jener grenzenlojen Anbetung, welche ich für Sie fühle.“

„Ich bin keine jener Heuchlerinnen, Graf“, fiel Eliſabeth lebhaft ein, „an denen die ſogenannte feine Belt jo reich ift, und welche öffentlich mit einer Tugend prablen, welche fie in ihrem Boudoir täglich auf das Gemeinfte verhöhnen. Dffen zeige ich meine Sympathie ie meine Abneigung. Ich leugne nicht, daß Sie mir angenehm find, Suwalow, jehr angenehm —“

„Sie find zu gnädig —“

„Gewiß“, erwiderte Elifabeth, „denn fein Mann verdient, daß man ihm gut ift. Dieje Herren Der Schöpfung find wie die Bären, fo lange man ihnen den füßen Honig der Liebe reicht, lecken fie ung die dinger ab, dann aber fommt ihre Wildheit nur um fo erihredender wieder zum Borfchein.”

„O! es gibt Bären, die fih zähmen ließen“, wart Sumwalow ein, „von Ihnen mindeftens mit Be: geiſterung.“

„Wir wollen ſehen“, ſagte Eliſabeth lächelnd. Eine leichte Handbewegung entließ für diesmal den Grafen.

An demſelben Abend, als die ſchöne Großfürſtin

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eben im Begriffe war zur Ruhe zu geben, ertünte plöß: lich jchmetternde türkiſche Mufif vor. ihrem Palaſte.

„Eine Serenade“, rief Frau von Kuriakow.

„Für wen?” fragte Elijabeth.

„Kun, für Sie, Hoheit, für wen ſonſt.“

„Wer follte fie mir bringen?“

„Sumalomw.“

„Du Fannft Recht haben.“ Die Großfürftin warf einen Pelz um und trat auf den Balcon, um jofort in ein lautes Lachen auszubrechen, denn der Anblid, den die Muſikbande unten bot, war zu ergöglih. Fünfzig oroße weiße Bären bildeten, Fadeln tragend, einen weiten Kreis, während in demjelben ein zweiter aus ebenjoviel ſchwarzen Bären beitehend, mit allen erdent: lihen Inſtrumenten verjehen, einen lärmenden Janit: Icharen:Marjch fpielte. In der Mitte der beiden Kreije ftand ein großer Eisbär, welcher fich ehrerbietig vor der hohen Frau neigte und ihr dann ein Bouquet frifcher Veilchen, in Petersburg im Winter etwas gan; Außerordentliches, zuwarf. Es fiel vor ihre Füße nie: der, Elifabeth hob es auf und dankte lächelnd.

Die mufifalifchen Bären jpielten noch zwei Piecen, dann marſchirten fie im Iuftigen Fadelzuge weiter, von einer unabjehbaren Menge gefolgt, während der Eisbär

61 ich bei der Großfürjtin melden ließ. Als fie ihn in ihrem Boudoir empfing, nabte er ihr mit einer tiefen unwiderftehlich zum Lachen reizenden Reverenz und legte das Ende einer großen jilbernen Kette, welche um feinen zottigen Hals gejchlungen war, mit ftummer Demuth in ihre Hand.

„Soll das heigen, daß Du von nun an mein Eigentum bift, Herr Peg?” fragte Elifabeth, welche der ganze Mummenjchanz jehr ergügte.

Der Bär bejahte mit einem tiefen freundlichen Brummen.

„Es gibt alfo Bären, die recht unüberlegt find“, iherzte Elifabeth, „und fich gleich verliebten Männern ganz in die Hand einer Frau geben, ohne zu ahnen, was fie erwartet.“

Der Bär nidte.

„Was würdeit Du dazu jagen, mein lieber Bär, wenn ich verjuchen wollte, Tich zu zähmen“, fuhr die Gropfürftin fort, „Dich zum Tanzen und anderen ähn— lichen Künften abzurichten ?“

Der Bär gab fein Einverjtändniß durch Brummen zu erkennen. |

„Du ftellft Dir das leicht vor“, jagte Elifabeth, „Du weißt wohl nicht, wie man Bären drejjirt; mit

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Schlägen dreiiirt man fie, verjtehit Du. Bringe mir die große Hundepeitiche, Katinka.“

Frau von Kuriakow eilte aus dem Zimmer, um in wenig Secunden mit einem großen Kantſchu zurüd- zufehren, deſſen Anblid den Bären doc ein wenig zu beunrubigen jchien, denn er juchte durch Brummen und Geſten der Brinzejfin zu erklären, daß er durchaus feiner Abrichtung bedürfe. Sie jchüttelte jedoch mutb- willig ihr Schönes Haupt und jchwang die Peitjche, durch fein Ängitliches Brummen nur noch mehr gereizt ein paar Mal recht tüchtig auf den Rüden des armen Bären.

„Aber er fühlt ja nichts durch den diden Pelz“, jagte die Hofdame.

„Du haft Recht“, ſtimmte Elifabeth bei und hielt zugleich inne. „Wirft Du gehorchen, Monfteur, jonft müßte ich andere empfindlichere Strafen für Dich er- finnen.“

Der Bär brummte eine Ergebenheitsadrefie.

„Wirt Du mein Sklave fein?” fragte die ſchöne Frau meiter, während fie noch immer die Peitſche in der Hand, ſich in einem Fauteuil nieberließ.

Statt eine Antwort zu geben, warf fi der Bär vor ihr nieder, und fie jeßte, ohne fich lange zu be— finnen, ihre Füße auf ihn.

Eh Nena SEE but Fan ne a ze

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Dies Jchien ihm jehr zu gefallen, denn er ſtieß ein Brummen aus, das zugleich jo behaglich und fo lächerlich zärtlich war, daß beide Damen in ein lautes ausgelafjenes Lachen ausbrachen,

Fünftes Kapitel.

Dad Teftament der Ezaarin.

Der Sommer des Jahres 1740 verfloß für die gichtfranfe Czaarin Anna und die lebensluftige Groß: fürftin Elifabetb in jehr verjchiedener Weiſe. Wäh— rend die Leßtere im Vereine mit dem jchönen geijtrei- chen Grafen Iwan Suwalow das Vergnügen mit vollen Zügen jchlürfte, nahm das Leiden der Eriteren, das einer ewigen Folter alih, von Tag zu Tag zu. Anfang des Winters wurde der Zuftand der armen Sklavin im Hermelin fo bedenklich, daß man täglich ihrer Auflöfung entgegen ſehen konnte. Sie verlor bäufig das Bemwußtjein und lag dann in wilden Phan— tafieen von entfeglichen Bildern und Geftalten gequält. Die wenigen guten Stunden, welche fie noch batte, waren jene, wo fie nad) überftandener Nacht und einem

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fuzzen Morgenfchlummer die ſchöne Großfürjtin mit liebevollem Blick an ihrem Schmerzenslager figen ſah.

Am fiebenundzwanzigiten October erklärten die Yerzte, welche ınan in den Staatsrath berufen hatte, daß die Kaiferin nur noch wenige Tage zu leben habe. Biron fchloß ſich hierauf mit Oftermann, Münnich und Löwenwolde in fein Cabinet.

„Es ift die höchfte Zeit“, fagte er, „daß wir han— ven. Die Kaiferin hat ein‘ Teftament Aufgeftellt, in welchem jie ihre Nichte, die Herzogin von Medlenburg, zu ihrer Erbin einfeßt. Mit ihr würde ihr Gemahl, der Herzog von Braunfchweig, unjer aller Gegner, die Zügel der Kegierung ergreifen. Uns erwartet dan die Abdankung, wenn nicht die Verbannung nad Sie birien. Ich bin entjchloffen, dies nie zuzugeben.”

„Was beabfichtigen Sie zu thun, Herzog”, fragte Münnich.

„Ich fordere Sie ai meine Herren Minifter“, entgegnete Biron, „mit mir vereint fich zur Gzaarin zu begeben und ihr ein neues Teftament zur Unterjchrift zu unterbreiten, in welchem fie den Sohn der Herzo— gin von Braunfchweig-Medlenburg, den Prinzen Swan zum Thronfolger einjegt.”

„Ich verjtehe”, ſprach Münnich, „das Alter

Sacher-Maſoch, ein weiblicher Sultan. J.

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de3 Prinzen würde eine langjährige Regentfchaft noth: wendig machen, welche Sie Herzog führen würden und wir wären für einige Zeit in unferen Stellungen und unjerem Einfluß gefichert.”

„Mehr als das, mein lieber Münnich“, jagte Bi- ron mit einfchmeichelnder Huld. „Sch würde bedacht fein, die Stügen meiner Macht noch mehr zu Eräfti- gen, indem ich Sie. zum oberjten Commandanten aller unferer Streitkräfte zu Land und See ernennen würde.

„Münnich, der die Erfüllung feines langjährigen und höchſten Wunjches mit einem Male fo nabe jah, erröthete vor Freude und neigte fich mit der tiefiten Ergebenheit vor dem Herzog.

„Ale würden gewinnen, Alle“, fuhr diefer fort, DOftermann und Lömenmwolde anjehend.

„Was ift alſo unfere Aufgabe”, fragte Münnid, |

deſſen Eifer jeßt nichts zu wünſchen übrig ließ. „Er: theilen Sie ung Ihre Befehle, Herzog.”

„sch übernehme es, die Kaiferin zur Unterfchrift des neuen Teitamentes zu bewegen”, antwortete Bi- ron, „Oftermann und Löwenwolde werden ihren gan: zen Einfluß im Senate aufbieten, um denfelben zu beitimmen, daß er mir die Regentjchaft überträgt, und Ihnen, Münnich, dem gefeierten Sieger über die Tür: ken, dem KLiebling der Soldaten, wird es leicht wer:

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den, die Truppen zu gewinnen. Vor Allem aber zur Kaijerin.” Biron fchritt voran, die Anderen folgten.

Als fie bei der Gzaarin eintraten, lag die arme Frau im höchſten Delirium. Es war Niemand bei ihr, als einer ihrer Leibärzte und die Gräfin Suwalow als dienfttbuende Hofdame. Biron winkte ihnen, das Bimmer zu verlaffen und trat dann leife an ihr La— ger, während die Anderen an der Thüre ftehen blieben. E war Nachmittags zur Zeit der Dämmerung, noch + Brannte fein Licht, während die fchweren Vorhänge

das große Gemach noch mehr verbüfterten.

Anna ließ eine Weile ihre halbverglaften Augen auf ihrem Liebling ruhen, dann ſprach fie leife: „Wer ft da ?”

„IH, Biron, Majeftät!”

„ou 2”

„sh bin gelommen um zu fragen, wie es Eurer Rajeftät gebt.”

„Beller, Biron, beifer“, murmelte die Czaarin, „allein weshalb nennft Du mich Majeftät?”

„Wir find nicht allein —“

„Richt allein?” Die arme, von wirren Einbil- dungen geängftigte Frau richtete fich mit fieberhafter Halt auf und blidte um fich; als fie die undeutlichen

Umriffe der drei Männer im Fond des Zimmers ge: | *

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wahr wurde, ftieß fie einen gellenden Schret aus und Hammerte fih an den Herzog. „Was wollen Die’, | flüfterte fie anaftvoll, „es find die Dolgorudi, die Du föpfen Ließeft, fie Elagen mid an, Did auch, Biron.“

„Was fällt Dir ein.“

„Sieh nur, fieh“, fchrie die Czaarin auf, „Für Baſyl Hält feinen Kopf in der Hand und ladet uns zum Kegelſpiel ein. Weshalb ift der Boden fo roth, Biron, wo fommt das viele Blut ber, ich habe es nicht

vergoffen, ich habe Dich auf meinen Knieen gebeten, ihn zu fchonen, was wollen fie von mir, laß die Gre nadiere fommen, fie jollen Feuer auf fie geben. Fort: aus meinen Augen, fort!”

„Berubige Dich“, jagte Biron erfchüttert, „es find feine Gejpenfter, die Du dort-fiehjt, Oftermann, | Münnich, Lömwenwolde, Deine Getreuen find eg, ge kommen, fich über Dein Befinden zu beruhigen.”

„Wirklich?“ murmelte Anna. |

„In der That, Majeftät”, jagte Oſtermaun, in- dem er näher trat.

Die Kaiſerin ftarrte ihn eine Weile an, dam ſchien fie etwas zu fuchen, fie wühlte in ihren Polftern. „Wo ift mein Teftament“, jagte fie endlich, „man bat es mir genommen.”

- „Das Teftament ift in meinen Händen“, fagte

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Oftermann, „mit dem großen Staatsfiegel geſchloſſen, jo wie e8 Eure Majeftät mir übergeben haben.”

„Bas ſagt das Volk zu meiner Krankheit“, rief Anna plötzlich. „Weiß es, daß ich ſterben muß?“

„Das Volk hofft, daß Eure Majeftät noch lange zu unfer Aller Heil regieren werden“, gab der Staats: fanzler zur Antwort,

„Sp“, murmelte Anna, „und weshalb hofft man dies?“

„Weil man Dich liebt“, erwiderte Biron raſch, „und anderſeits beſorgt, daß Du eine Nachfolgerin erwählt haſt, von der man wenig Gutes erwartet.“

„Die Herzogin von Braunſchweig“, ſagte Anna.

„Ja.“

„Man liebt fie nicht?“ fragte die Czaarin.

„Schon deshalb nicht, weil fie eine Deutjche ift“, jagte Biron, „dagegen würde man ihren Sohn Iwan, welher in Rußland geboren ift- und von dem man erwarten darf, daß er auch als Ruſſe erzogen wird, gern als Deinen Erben jehen.”

„Ich will aber, daß die Herzogin mir nachfolgt”, tief die Czaarin mit dem weinerlichen Eigenfinn eines Kindes,

„Dann willft Du ihr und unjer Aller Berber- ben“, erwiderte Biron.

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„Sobald fie den Thron befteigt, ift eine blutige Revolution zu befürchten, welche uns allen dag Leben foften kann.“

„Was fol ich alfo thun?“ fragte Anna, blöde vor fich bin brütend. |

„Ich babe ein neues Teitament verfaßt, welches den Wünjchen Deines Bolfes Rechnung trägt —“ be gann Biron. "

„Aber Swan liegt ja noch in der Wiege, wie fol er regieren“, jagte Anna und begann beifer zu lachen.

„Man wird eine Regentichaft einfegen —“ |

„Ich verftehe”, murmelte Anna.

„Willſt Du unterfchreiben ?”

„Ja.“

Biron machte Licht, Oſtermann tauchte eine Fe— der ein und reichte ſie der Czaarin, welche zu ſchreiben verſuchte. „Ich kann nicht“, ſagte ſie. Biron breitete das Teſtament auf ihrem Nachttiſche aus und führte ihr die Hand. Während er das Document haſtig an ih nahm, ließ fie die Feder kraftlos fallen, die Tinte ſpritzte über die ſeidene Dede. |

„Bleib !” fchrie fie plöglich auf. „Bleib! Was habe ich unterfchrieben? Gib es mir zurüd Henker, ich will fein Todesurtheil mehr unterjchreiben. Es ift genug,

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genug, genug!” Sie fank in ihre Polſter zurüd und ihien einige Zeit ohne Leben. |

„Iſt fie todt?” fragte Dftermann.

Biron beugte ſich über fie und zudte dann Die Achſeln, dann öffnete er die Thüre und rief den Leib: arzt und ihre Damen. Man bradite fie für wenige Augenblide zu fich, dann ftellte fich das Delirium mit erneuter Heftigfeit ein. Biron verließ mit jeinen Crea— turen das Gemad, um auf der Stelle alle Anordnun: gen für den Fall des Todes der Kaiferin zu treffen.

Eine grauenvolle Nacht folgte. Die Kaijerin jah alle Dpfer ihres graufamen Günftlingd aus der Erde emporfteigen und in endlofem Zuge vorüber ſchweben. Menjchen mit blutigen Köpfen, die vom Rumpfe getrennt waren, andere mit zerfleifchten Rüden und wieder andere, die im Eife Sibiriens ihr Grab gefunden. Sie mweinte und ſchwur, daß fie unjchuldig fi, von Zeit zu Zeit fprang fie mit einem gellenden Schrei empor und verfuchte den entjeglichen Gebilden ihrer Fieberphantafie zu entfliehen, um jedesmal ohn— mächtig auf ihr prächtiges Lager zurüdzufinfen. Am Morgen des folgenden Tages, den 28. October 1740 farb fie. Sofort wurde ihr Teftament eröffnet und Iwan III. als Kaifer proclamirt. Cine Stunde fpäter erichienen Abgeordnete des Senates, der Geiftlichkeit

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und des Adel3 von Oftermann geführt bei Biron und baten ihn demüthig in einer von Allen unterzeichneten Schrift, die Regentjchaft für den noch unmündigen Gzaaren zu übernehmen, was der —r Stallknecht gnädig zuſicherte.

Die Bevölkerung von Petersburg war in unbe— ſchreiblicher Aufregung. Man hatte die Kaiſerin Anna nicht geliebt, aber Biron haßte und verabſcheute man geradezu.

Tauſende ſtanden vor dem kaiſerlichen Palaſte in Gruppen, welche furchtlos ihren Unwillen ausſprachen.

„Da haben wir es“, ſagte eine hübſche, kräftig gebaute Eierhändlerin, welche üher ihrem bunten Rocke einen kurzen Schafspelz anhatte und ihre Waare in einem runden tiefen Korbe ausbot, „haben uns vor dieſer deutſchen Herzogin gefürchtet, um zuletzt noch ärger zu fahren und ganz dieſem Bluthunde zu ver— fallen.“

„Kaiſerliche Hoheit läßt er ſich jetzt nennen, wie ein Großfürſt“, raiſonnirte ein Mann mit blonden; Barte, welcher auf feinem Kopfe eine Platte mit Lir queuren trug, „der Stallfuedt.“

„Ich veritehe nur nicht,. daß die Garden ſich ſo ruhig verhalten”, flüfterte ein Kaufmann in langem, mit einem blauen Shawl zugegürteten Tuchrock und einem

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breiten niedern Filzbut auf dem Kopfe, „was brauchen wir den Fremden, lebt nicht echtes ruſſiſches Czaaren— blut unter ung?“ |

„Ben meint ihr?” fragte ein Bauer, eine kurze Hade im Gürtel, das Haar tief in die Stirne ge: ſchnitten.

„Wen ſonſt als die Großfürſtin Eliſabeth Pe— ttowna”, fiel ein Soldat ein.

„Laſſen uns von bergelaufenen Fremden regieren, mißhandeln und berauben“, murmelte der Liqueurs händler, „und Haben eine vechtmäßige KRaiferin, eine Tochter Peter des Großen unter uns.”

„Wenn nur einer den Anfang machen wollte“, bieß es in einer Gruppe Soldaten, „die ganze Armee und alles Volt würde ihm nacfolgen, aber die Ge: neräle find ja auch alle Deutfche, find mitverſchworen mit diefem Tyrannen, uns zu Grunde zu richten.“

„Bott beſſere es“, jeufzte die Eierhändlerin.

„Bott ift weit, liebe Frau”, erwiderte der Kauf: wann, „und das Sprichwort jagt, man muß Gott an: tujen, aber jelbft die Hände anlegen.”

Sechstes Kapitel.

_—

Ein weiblicher Macchiavelli.

Kaum hatte Biron die Zügel der Regierung er— griffen, als er im Gegenſatz zu anderen Herrſchern, welche im Beginne Liebe und Vertrauen zu gewinnen ſuchen, noch übermüthiger und tyranniſcher auftrat als früher. Täglich beleidigte er den ruſſiſchen Adel, den er nur deshalb jo glühend haßte, weil er dem Empor: kömmling die Aufnahme in feinen glänzenden Kreis verweigert hatte, und war fo ganz nur von dem einen Gedanken erfüllt, an Jenen feiner Gegner, welche biö: ber jeinem Arme entgangen waren, Rache zu nehmen, daß er jogar feine Anhänger zu belohnen vergaß.

Vergebens erwartete vor Allen Münnich die ihm zugejagte Ernennung zum oberiten Befehlshaber der.

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Armee und Flotte. Nachdem er drei Tage geivartet, wagte er es, Biron an fein Verſprechen zu erinnern, „Die Sache hat Feine Eile”, erwiderte der Herzog

' mit einem fpöttifchen Lächeln, „wir werden wieder

einmal davon fprechen.”

„Bann darf ich Eure Faiferliche Hoheit daran erinnern”, fragte der ftolze Sieger über den Halbmond noch immer in unterthäniger Demuth.

„Wenn ich bei guter Laune bin“, erwiderte Bi:

ion, „aljo morgen vielleicht, vielleicht auch erft über’s | Jahr,“

„Iſt das Ihr letztes Wort, Hoheit”, ftammelte

| Nünnic, der bis in die Lippen erbleicht war.

„Wollen Sie mir vorjchreiben, General”, rief iron plöglich auffpringend, „wie ich meine Diener zu belohnen babe? Ich laſſe mir nichts vorfchreiben, ih bin feine Kaiferin Anna, ich werde Euch regieren, wie Ihr es nöthig habt, mit einem eifernen Scepter.”

Münnich wollte fprechen.

„Kein Wort mehr”, gebot der Regent, „ich bin der Herr, Sie find der Diener, vergeffen Sie das nicht. Gehen Sie.”

Münnich ging und zwar direct zu der Herzogin von Braunfchweig, der er feine Dienfte anbot.

Biron war troß feiner niederen Herkunft und ge:

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ringen Bildung Hug genug, um zu willen, da Mün— nich ihn als fein gefchworener Feind verließ, aber er war feit entjchlofien, das oberſte Commando zu Land und See, diejes vornehmjte Palladium jeder Herrjchaft, um feinen Preis aus der Hand zu geben. Er machte jich übrigens auch über die Treue feiner übrigen Crea— turen feine Illuſionen, eg waren ſämmtlich Männer von Fähigkeiten, aber nicht viel mehr als vaterlands- Iofe Abenteurer, Deutjche, nach Rußland gekommen, um dort ihre Glüd zu machen und für Geld, Titel und Einfluß bereit, jeder noch jo jchlechten Regierung zu dienen. Biron jah ſich nach verläßlicheren Berbün- deten um, er näherte fich der ruſſiſchen Partei, zog den Grafen Beituseff als Secretär in feine Dienfte und fuchte noch denjelben Abend, wie er glaubte von Niemandem bemerkt, unter dem Schug der Duntel- beit, in einen Mantel gehüllt, die Großfürjtin Elifa- beth auf.

Die jchöne Frau ſaß in einem Trauerkleide von Ihmwarzem Samnıet am fladernden Feuer des Kamins ihres Kleinen Salons und fpielte mit Iwan Suwalow Domino, al3 der Regent unangemeldet eintrat. Gie war nicht weniger. überrajcht von feinem Beſuche als er, und zwar in unangenehmjier Weife, von der An- wejenheit des Grafen.

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Elifabeth verftand mit ihrem feinen weiblichen In Kinct fofort den Blid, den der Herzog auf den lepte: ten beftete, und beeilte fich, feinen Zweifeln zu begen: nen. „Der Graf ift mein vertrauter Freund“, ſagte fe. „Ein Mann, von deffen Treue ich Beweije habe.“ „Sehr wohl”, ſagte Biron, „wir werden jolche Ränner vielleicht in Kurzem brauchen. Für heute rechne ich vor Allem auf Ihre Schweigjamfeit, Su: walow. Niemand darf erfahren, daß ich bei der Groß: firftin war.”

Der Graf verneigte fich rejpeftvoll.

„Laſſen Sie ung jegt allein”, fuhr Biron fort. Suvalow jah die geliebte Frau nicht ohne Unruhe in einem Tete à tété mit dem Manne, der bei aller ſei— I ner Rohheit und Blutgier, oder vielleicht gerade durch diefelben eine große Macht über meibliche Gemüther hatte, aber e3 blieb ihm nichts übrig, als das Feld dem Mächtigen zu räumen und in der Nähe das Er: gebniß feiner Unterredung mit Elifabeth abzuwarten. Nachdem Biron an der Seite der Prinzeffin auf einem Divan Plag genommen hatte, faßte er geradezu järtlich ihre Hand und jagte, fie mit feinen glühenden Blicken verfchlingend: „D! wie ſchön Sie find, Groß— fürftin, und wie bezaubernd. Sie wifien, wie jehr ich Sie von jeher verehrt habe, ſeitdem aber die Kaiferin

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zur ewigen Ruhe eingegangen ift, find Wünſche in rege geworden, welche ich vergebens zum Schweige bringen ſuche.“

„Sie find galant“, lächelte Elijabeth.

„Rein, nein, ich fühle für Sie, was ich noch für ein Weib gefühlt habe”, fuhr Biron fort; „H achtung, ja Anbetung. Aber genug davon. ch Ihnen nicht, gleich einem verliebten jungen Schwärn von meinen Empfindungen für Sie jprechen, ich fomı wie es dem Manne ziemt, mit Vorfchlägen und A erbietungen, welche Ihnen am beiten beweijen werde welche Gefinnungen ich für Sie in meiner Bruft tr Sch biete Ihnen den Thron.“

Elijabeth jchrad beinahe zufammen, jo unerw tet kam ihr diefe Wendung. Sie erwartete einf eine Liebeserklärung, wie fie diejelben beinahe tägl mehr oder minder verftedt zu hören befam, und übe legte bereit, wie fie den blutgierigen Tiger zähm und ohne Gefahr für ihre übrige verliebte Menage derjelben einverleiben könnte. Jetzt verlor fie alle Faſſung, das Blut ftieg ihr in die Wangen und ihre Hand zitterte in jener des Herzogs.

„Mein Antrag verwirrt Sie“, flüfterte diejer.

„sn der That“, jagte Elifabeth ein wenig gefaß: ter, „ich babe bis jegt noch nie daran gedacht —“

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„D! Sie [herzen wohl“, fiel Biron mit einem feinen Lächeln ein, „Sie, die Meifterin der Toiletten: kunſt folten nicht wiffen, daß Ihre majeftätifche Schön— beit, um zur vollen alles unterwerfenden Geltung zu fommen, des Hermelins bedarf.“

„Aber das Teftament der Gzaarin —”

„Wäre nicht das erfte, das umgeftoßen würde“, unterbrach fie der Regent lebhaft. „Das ruffifche Volk haßt die Herrichaft des Fremden und die Truppen warten auf die erfte beite Gelegenheit, um derfelben ein Ende zu machen. Man bat für Iwan den Dritten feine Sympathien, Sie aber, die Tochter Peter des Großen, liebt man. Alles, was den Rufen an Erinnerungen heilig ift, knüpft fih an Sie und Alles, was eine bejjere Zukunft verfpricht. Sie haben die Herzen für fich, ich die Gewalt, wer fann uns widerftehen, wenn wir uns verbünden? Ich biete Ihnen aljo noch ein- mal den Thron an und will mic, begnügen, der erite Ihrer Diener zu fein.“

„Biron, gewohnt zu herrſchen, jollte fähig jein, ih vor Jemand zu beugen?” ſprach Eliſabeth nicht ohne Ironie.

„Bor Niemand, al vor Ihnen“, antwortete der Regent.”

„Und der Preis, den Sie verlangen, Herzog?“

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„Der Preis jind Sie”, rief Biron.

Eliſabeth fenfte den Blick, fie ſchien fich zu bes jinnen.

„Ich will nicht Ihre Macht mit Ihnen theilen“, fuhr Biron fort, „die Rolle, die ich neben der Kaiſe— rin Anna gefpielt habe, war nur eine gerechte Ent: ihädigung für ein freudenlojes Dajein an der Seite einer kranken, ſchwachen und unliebenswürdigen Frau. Sie aber find ein Weib, das di: höchſten Wonnen fpenden fann, Ihr Sklave zu fein ift weit verlodender, als der Sebieter einer Anna. Ich will Sie befigen mit allen heiligen Rechten eines Gemahls, um als ihr Gatte ſtets nur der ergebenfte Ihrer Unterthanen zu bleiben. Sie wiffen jegt, Großfürftin, was ich Ihnen biete und was ich von Ihnen dafür verlange. Enticheiden Sie ſich“

Eliſabeth ſchlug die Augen zu Biron auf umd ließ fie lange, ohne ein Wort zu fprechen, auf ihm haften. Sie geftand fi, daß der Herzog ein Mann war, den fie lieben fonnte, ein fihöner Mann, defjen Kraft und Energie ihr imponirte und deſſen teuflifche Grauſamkeit ihre Wolluſt erregte. Sie dachte in dieſem Augenblicke weder an Subin, noch an Löwen— wolde, am wenigſten aber an Suwalow, fie dachte nur an fih. Sie mußte, daß fie würdig war, den Her:

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melin zu tragen, fie fühlte in fich jene Naturgemalt, der fih die Menfchen unterwerfen, welche fich ganze Völker dienftbar machen kann, aber eben deshalb wollte fie herrjchen ohne jede Einſchränkung und fich als Weib noch weniger einem Manne unterwerfen denn als Herricherin.

Sp gnädig fie vielleicht den Anbeter Biron auf: gmommen hätte, jo heftig bäumte fich ihr despotifches Temperament gegen den Gemahl Biron auf.

„Ihr Antrag bat mich jo ehr überrafcht, Her: 309", fagte fie endlich, „daß ich Zeit brauche, mich zu faflen und auch Zeit, um mit mir zu Rathe zu gehen. Ich zweifle nicht an Ihrer Fähigkeit, mich glücklich zu machen, Herzog, ich bin Ihnen ſchon lange gut, fehr gut fogar, aber ich zweifle an mir, an meiner Ener: gie, an meiner Kraft. Die Aufgabe, die fie mir bie: ten, ift groß, noch größer aber die Verantwortung.”

„Bis wie lange wollen Sie alfo Bedenkzeit, Groß: fürftin“, jagte der Regent. „Wir haben nämlich Feine Zeit zu verlieren.” '

„Bir haben heute den jechsten November”, mur: melte Elijabeth nachfinnend, „bis übermorgen aljo.“

„sh werde mir jelbit, wenn Sie e3 mir nicht ausdrüdlich verbieten, Ihre Entjcheidung abholen“, fagte Biron. „Seien Sie barmberzig, ———

Sacher-Maſoch, ein weibliher Sultan. J.

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„Ich werde, mir alle Mübe geben, es nicht: zu fein“, entgegnete Eliſabeth mit einem frhalfhaften. Lä— deln. Schpn hatte Biron den Arm um fie geſchlun— gen und fie auf, die Stirne gefüßt. Gie ließ es ruhig geſchehen.

„Uebermorgen“, flüſterte ſie.

Als Biron fort war, blieb ſie, den herrlichen Arm leicht auf den Kamin geſtützt, in Gedanken verloren ſtehen. So fand, fie. Suwalow.

„Biron bat Ihnen die. Krone, angeboten”, begann er mit, der. ganzen. fieberhaften Erregung männlicher Eiferſucht.

„Ja.“

„Und er hat dagegen Ihre Hand verlangt.“

Eliſabeth jchmieg.

„Sie haben ihn nicht abgewieſen“, fuhr Suwalow fort,, „ich, ahne, ich, fühle es und, doch gebot Ihnen dies die Klugheit, die, Pflicht der Selbiterhaltung.”

Die Gropfürftin antwortete. mit einem ‚hellen Lachen,

„Sie glauben mir nicht“, mur,melte. der. Graf „Sie meinen, es iſt nur.die Liebe, die aus mir ſpricht, diefe, rajende Liebe, für Sie, die mich allerdings finn- los madıt. Lachen Sie nicht. Biron fteht nicht mehr jo feft, wie, Sie glauben. Cr hat alle Parteien gegen fih, ein Windhauch kann ihn. ftürzen. Ich weiß, daß

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Minmih mit der: Herzogin: von: Braunſchweig unter: handelt. Man wird fobald man weiß, daß: Sie zu Biron ftehen and) Sie nicht fchonen. Man wird ſich Ihrer Perſon bemächtigen —“

„Armer Suwalow“, ſagte Eliſabeth, „Sie ſind furchtbar eiferſüchtig“, und das, ſchöne Weib begann wieder. herzlich zu lachen.

Ehe der Graf wieder zu Worte Fam, erjchien merwartet: ein neuer Alliirter jeiner: Auffaſſung in dem Leibarzte· Leſtocq, welcher, ohne ſich erſt melden zu laſſen, mit allem Eifer eines Franzoſen hereinſtürmte „Biron war bei Ihnen, Madame“, beganm er erregt. „Ich hoffe, Sie haben ſich mit ihm nicht eingelaſſen, es könnte die ſchlimmſten Folgen für Sie haben. Es liegt etwas wie eine Gonfpiratiom in. der Luft und Rünnich ift. ohne: Zweifel. die Seele derſelben, verfelbe Münnich, Großfürftin, welcher Sie nach dem Tode Beter des Zweiten um den Throm gebracht. hat und ſich daher durch eine Verbindung des Regenten mit Ihnen auf das Heußerfte bedroht ſehen würde; Seine: Spivne beobachten Sie und uns Alle, die. wir hier: eins: und ausgehen, unaufhörlid, Ich wette meinem Kopf;. er weis in diefem Augenblide bereits, daß Biron bei Ihnen war und bat fich ftehenden Fußes zun Herzogin von Braunfchweig begeben, um diefelbe genen Sie auf:

gr

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zureizen und fie zugleich zu einer Entjcheidung zu drängen.“

„Biron bat mir den Thron angeboten“, erwiderte Eliſabeth.

„Den Sie durch ihn nur beſteigen würden, um in Schlüſſelburg oder Sibirien zu enden“, rief Leſtocq.

„Wer würde e3 wagen“, ſprach Eliſabeth mit impofanter Würde.

„Münnic wird Alles wagen“, unterbrach fie fchnell der Eleine Franzoje. „Vertrauen Sie mir und meinem Rathe dies eine Mal nur, geben Sie mit und Suwalow den Auftrag, zu verbreiten, daß Biron Ihnen die Krone angeboten hat und Sie diefelbe ent: fchieden zurüdgemwiefen haben.”

Die Großfürftin ging mit großen Schritten auf und ab, endlich blieb fie vor Leftocq ftehen und fpradj: „sh will Ihnen glauben und auf der Stelle darnach handeln. Eilen Sie in die Stadt und fagen jSie Alen, ich hätte die mir von dem Herzog angebotene Verbindung abgelehnt.” Hierauf wendete fie fich zu Suwalow und fagte kurz, in dem Tone, in welchen man zu einem Bedienten jpricht: „Meinen Schlitten und dann meinen Pelz.“

„Wohin wollen Sie?” fragte der Graf. „Was haben Sie vor?” rief Leftoca.

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„Fragen Sie nicht”, ſchnitt ihnen die fchöne grau, deren ganzes Wejen jekt die höchfte Energie athmete, das Wort ab. „Gehorchen Sie.”

Leſtocq verließ fie, um fich zu dem franzöfifchen Gejandten und von dort zu anderen ‘Berjonen von Bedeutung zu begeben, in der Abficht jo raſch als möglich die bedeutungsvolle Nachricht zu verbreiten, daß die Tochter Peter des Großen die Krone und die. Hand Biron’s, wie er fich ausdrüdte „verächtlich” zus tüdgewiejen habe.

Suwalow meldete nach einigen Minuten, daß der Schlitten bereit ſei und half der Großfürftin mit ſtum— mer Demuth ihren Belz anziehen.

Sn der That fand Elifabeth, als man fie in das Cabinet der Herzogin von Braunfchweig führte, außer deren Gemahl auch den General Münnich anmwefend. Sie überfahb mit einem Blid die Situation und war entichloffen, den Mann, deſſen Lippen vor Kurzem noch, ihre Stirne berührt hatten, ihrer Sicherheit zu opfern. Ein weibliher Mackhiavelli näherte jie fich ihrer Gegnerin mit einer Serzlichkeit, welche diejelbe überrafchte und verwirrte.

„Bas führt Sie zu fo fpäter Stunde zu mir, Prinzeſſin“, begann die Herzogin, ihr neben fich einen Sig anweiſend.

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„Ein Sreigniß von böchfter Bedeutung“, erwi: verte Eliſabeth, „aber fann ich vor dem General un: gejcheut ſprechen?“

„Münnich it unfer treuefter Freund“, jprach die Herzogin.

„Am ſo beſſer“, fuhr Elijabeth fort. „Er wird uns alſo rathen fünnen, was zu thun if. Soeben war der Regent bei mir —“

„Biron —”, ftammelte die Herzogin umd wechjelte mit Münnich einen bedeutungsvollen Blid; die Offenheit der Prinzeffin, auf die Hier Niemand gefaßt war, brachte Ale in Verwirrung, jogar Münnich verlor einen Augenblid jeine diplomatifche Ruhe. „Sie jagen uns das“, platte er heraus.

„Warum follte ich nicht“, antwortete Eliſabeth mit affectirter Naivetät, „Sie wifjen ja, General, daß ich Alles Hafje, was mich in meiner Ruhe zu ftören droht, daß ich nur dem Vergnügen zu leben mwünfce und daher nichts jo jehr fürchte, ald was mit der Politik in Beziehung ſteht.“

„Wirklich“, fagte der General zweifelnd.

„Gewiß“, gab Elifabeth unbefangen zur Antwort. „Hören Sie aljv. Chen war Biron bei mir in ge beimnißvoller Weile, und bot mir bie Krone an unter der Bedingung, daß ich ihm meine Hand reiche.“

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„Und Sie haben ihn abgewieſen“, fiel die Her: zogin ein,

„Hätte irch es nicht thun ſollen?“ fragte vie Groß— fürtin mit.der Miene höchfter Unfchuld. "Es war ’ver Augenblick, wo fie die Herzogin voͤlllommen von ihrer darmloſigkeit überzeugte und das Herz derfelben ganz ( für fih gewann.

„Rein, nein, Sie haben Recht gethan“, Tagte die detzogin, Eliſabeth auf die Stirne küſſend.

„Es gibt keinen Menſchen, den ich mehr ’verab: ſcheuen würde, als Biron“, fuhr Eliſabeth fort, „und dann will ich überhaupt nicht heirathen, ich lebe ſo viel vergnügter.“

So ernſt die Situation war, begannen doch alle Anweſenden bei dem naiven Geſtändniß der galanten Beinzeffin herzlich zu lachen.

„Es ift mein voller Ernft“, bekräftigte dieſe ihren früheren Ausspruch, „und von der Regierung will ich Ihon gar nichts hören, ich habe bei der jeligen Czaarin Anna genug davon gejehen. Lieber in einer Bauern: hütte leben, al3 auf dem Throne. Aber ich fürchte, daß Biron ſich an mir rächen wird, er ift nämlich ſehr verliebt in mich, am Ende fperrt er mich in ein Kofter, das wäre entjeglih.” Wieder mußten Alle laden.

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„So lange Sie wirkflih nur Ihrem Vergnügen leben, Gropfürftin“, nahm jet Münnih Das Wort, „veripreche ich ihnen, daß Sie von Niemanden ge ftört werden.”

„Aber Biron jcheint etwas vorzuhaben“, rief Eli: jabeth, „auch Sie müſſen auf Ihrer Hut fein, Her: zogin.”

„Wir find auf unferer Hut”, erwiderte Münnich mit einem feinen Lächeln, „verlaffen Sie fich darauf und Schlafen Sie ruhig. Ich wache für uns Alle.”

Siebentes Kapitel.

Ein Stantöftreid.

E3 war am Borabende des 8. November 1740, Tages, an weldhem Biron fich die Antwort der ſchönen Großfürftin holen follte, der Sturm heulte in den Rauchfängen und rüttelte an den Fenftern. Ein heftiges Schneegeftöber machte es unmöglich, nur auf wenige Schritte einen Gegenftand zu erkennen. Gli- ſabeth jaß an dem Kamin ihres reizenden kleinen Boudoirs, auf einem Schemmel zu ihren Füßen. Su: walom, der ihr einen franzöfifchen Roman vorlas, als Leſtoecq mit jener Haft, die an ihm zur zweiten Natur geworden jchien, eintrat.

„E3 gebt 103”, murmelte er, „Münnich ift in der Raferne der Preobrasenski'ſchen Garde und fucht fie

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für fein waghalfiges Unternehmen zu gewinnen. Ich wette, wir erleben etwas heute Nacht.” |

„Das trifft fich ja vortrefflich”, erwiderte Eliſabeth, während jie abfichtlih mit unbarmberziger Coquetterie ihren vollen Arm auf Suwalow's Schulter ruhen lieh. „Siegt Münnich, jo find wir jegt vollkommen ſicher, und gelingt es Biron feine Gegner niederzumerfen, dann babe ich Morgen noch genug Zeit, mich für ihn zu ent: jcheiden.”

„Sie denken daran“, ftotterte der entjegte Anbeter.

„Gewiß und jehr ernithaft“, entgegnete Elifabeth. | „Biron ift ein ſchöner Mann und eine Krone ift aud | etwas werth.“

„Sie find graufam —“ Ä

„Rur Elug, mein lieber Suwalow“, Tächelte die Großfürftin, „aber was bringt man ung?“ Sie jab Frau von Kuriafow mit allen Zeichen lebhaftefter Be ftürzung eintreten.

„Das Palais ift von Soldaten umftellt“, flüjterte die Hofpame; „draußen fteht ein Dfficier, der mit Eurer £aiferlichen Hoheit zu fprechen wünſcht.“

„Führe ihn herein“, antwortete Glifabeth, melde feinen Augenblid ihre Ruhe verlor.

Der Officier ſtand wenige Augenblide ſpäter vor ihr und begrüßte fie militäriſch.

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„Der General Münnich fendet mich, Faiferliche Hoheit“, begann er, „mit dem Auftrage, mich Ihnen für diefe Nacht zur Verfügung zu ftellen. Es bereiten fh ernfte Ereigniffe vor und der General würde ſich fer beunruhigt fühlen, wenn er Eure Hoheit ohne Schutz wüßte.“

„Ih bin dem General ſehr zu Dank verpflichtet”, ſagte Glifabeth mit unnachahmlicher Würde, „und ver: laſe mich ganz auf Sie, Herr Capitän. Ith werde fort dafür forgen, daß es Ihnen und Ihren Leuten an nichts fehle und in einiger Zeit jelbit Die Wache infpieiren.“ |

Als der Officier ihr Boudoir verlaffen hatte, :wen- dete fie fich Tächelnd zu den Anweſenden.

„Man hält mich alfo gefangen“, jagte fie, „unter dem Vorwand einer sauve garde, wie gefällt Euch das,”

„Münnich ift in der That ſehr vorfichtig“, Lachte Suwalow.

Eliſabeth ertheilte hierauf die nöthigen Befehle für die Bewirthung der Soldaten und erſchien eine Stunde Ipiter wirklich in der inproviſirten Wachtſtube um mit den Grenadieren vertraulich zu ſchwatzen und auf ihr Wohl zu trinken; dann machte fie, von dem Officier und zwei Soldaten mit Fadeln begleitet, bie

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Runde und verficherte zulegt den Capitän gnädig ihrer vollen Zufriedenheit.

„Hoheit fünnen ruhig fchlafen“, fagte diejer galant.

„Das werde ich auch, Gott befohlen.”

Eine Stunde fpäter, nachdem Biron ſich zur Ruhe begeben hatte, näherten fich von verfchiedenen Seiten dunkle Colonnen, ebenjo rajch als geräufchlos, denn alle Soldaten hatten die Füße mit Stroh umwunden. Es war General Münnich, der mit der Preobrasenski'ſchen Garde den Palaſt des Regenten umringte und nachdem die

Wachen, melde derjelben Truppe angehörten, anftatt Widerſtand zu leiften, fich ihren Kameraden angefchloffen

hatten, in denjelben eindrang.

Der Herzog wurde erft wach, als Münnich vor |

feinem Bette ftand.

„Sie bier General?” jagte er erjtaunt, zugleid) erblidte er jedoch die Bajonnete der Grenadiere und verſtand jegt erſt die Gefahr, in der er ſich befand.

Er jprang auf und wollte feinen Degen ergreifen, in ber Abficht, fich. zur Wehre zu jegen, aber einer der Dfficiere hatte fich defjelben bereits bemächtigt.

„Sie find mein Gefangener, Herzog“, jagte Mün— nich mit feiner falten militärischen Ruhe.

„Mit welchem Rechte, General? Wiſſen Sie, daß Sie ein Rebel find?” rief Biron,

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„Ih war zufällig Zeuge der Scene, welcher Gie Ihre Würde verdanken“, erwiderte Münnich, „berufen Sie fih nicht auf mich. Ich verhafte Sie im Namen ver Regentin Anna von Braunſchweig.“

Der Herzog lachte verächtlich.

„Dies ift alfo Ihre oft betheuerte Anhänglichkeit und Dankbarkeit, General“, murmelte er.

„Sanz vecht, mein Dank für das oberjte Commando zu Land und See”, erwiderte Münnich mit verachten- dem Hohne. |

Man ließ Biron nur fo viel Zeit als er nöthig hatte, um fich anzufleiden und ſich in einen Reijepel; zu hüllen, dann nahmen ihn die Grenadiere in die Mitte und er verließ den Balaft, in dem er noch vor Kurzem unumfjchränft geherrjcht hatte, ala Gefangener. Man brachte ihn zuerft in das Fort der Admiralität und eine Stunde jpäter befand er fich bereits in einem von Koſaken escortirten Schlitten auf dem Wege nad) der Feſtung Schlüfjelburg, während die Herzogin von Braunfchweig mit ihrem Gemahl und ihrem Sohne Iwan IIL in®den Palaft der Czaaren einzog.i

So verhaßt war der Tyrann, daß fich nicht eine Hand für ihn erhob, der Staatsftreich, der ihm Herr: haft und Freiheit koſtete, ausgeführt werden konnte,

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ohne daß nur ein Schuß fiel oder ein Tropfen Blutes vergoſſen wurde:

Der Morgen überrajchte Petersburg und: Rußland mit einer neuem Regierung Anna, Herzogin von Braunjchweig, erflärte fich als Regentin, ernannte ihren

Gemahl Ulrich von Braunfchweig zum Commandanten der Truppen und Münnich zu ihrem. erjten Minifter.

Im erften Augenblide ſchon zeigte fich jedoch ein

Münnidh gab nur mit Widerftreben das Commando an den Gemahl der Regentin ab und mit der Bedingung, daß e3 in vem Beitallungsdiplome hieß: „Der Feld marſchall Münnich babe zwar den erfter und größten Anſpruch auf diefe Würde gehabt, feiner außerordent lichen militärifchen Verdienfte wegen, dieſelbe jedoch aus eigenem Antriebe dem Vater des Kaifers über: laſſen.“

Außer Biron wurde Niemand verhaftet, afs ſein Secretär Graf Beftuseff, der‘ Einzige, der mit einigen Rechte als deſſen Anhänger gelten konnte. Beids wurden auf Befehl der Regentin nad) Sibirien trans: portirt.

Die Exfte, welche, nachdem die Grenadiere ihren Palaſt verlaſſen hatten,. der Regentin ihre Glückwünfche darbrachte, war: Elifabeth.

tiefer Ziwiefpalt in dem Schooße der Nenierum.

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„O! Sie wiljen mit Herzogin”, rief fie, die Hände derjelben küſſend, „wie dankbar ich Ihnen bin, Sie haben uns alle gerettet und mich ganz beionders. Denfen Sie, wenn ich die Gemahlin diejes entjeßlichen Menſchen, dieſes Stallknechtes, hätte werden müſſen, ich bin überzeugt, er hätte nicht einmal geduldet, daß ich Anbeter habe.“

Die Regentin lächelte, fie war von der Aufrichtig: kit und Auhänglichkeit der Großfürftin: vollkommen überzeugt und ſah in: ihr nur eim: großes Kind, das zu feinem Glücke nichts, weiter brauchte, als Spielzeug; freilich tebendiges Spielzeug, aber daran konnte es; ihr nicht fehlen, jo lange es galante Männer am Hofe gab. und: hübfche Grenadiere unter der Garbe, und Eliſabeth im vollen: Befige ihrer Jugend und Schön— beit war.

Minder: vertrauensjelig: zeigte fih Münnich. Als ev die: Garden in der Nacht: des; Stantsftreiches haran⸗ guiete, hatten diefelben zuerft. ziemlich, entjchieven die Erhebung dev Großfürftin Elifabeth auf den Thron verlangt. Zum zweiten Male hatte ihr Münnich den Weg zu demfelben verfperrt, er hatte alfo alle Urfache, den Augenblid, wo fie zur Gewalt gelangte, zu fünchten. Das Volk begann: der: Fremdherrſchaft täglich mehr überdrüffig zu werden und aller. Augen richteten fich

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auf die Tochter Peter des Großen, die ſchöne Amazone, welche nur dem Vergnügen und der Liebe zu leben jchien, in der aber der in Staatsintriguen ergraute Feld: marjchall mit Recht die gefährlichite Thronprätendentin

ſah. Er umgab fie daher mit einem Neg von Spionen,

er gewann Leute unter ihrer Dienerfchaft durch enorme Summen, er bezahlte andere, welche die Aufgabe hatten, ihr auf allen ihren Schritten zu folgen, wenn fie ihren Heinen Palaſt verließ, und wieder andere, welche Jene bewachten, mit denen fie verfehrte, Suwalow, Wo:

ronzoff und vor allem Leſtocq, der in jauffallender | Weife in dem franzöfischen Geſandtſchafts-Hotel ver: |

kehrte.

Einmal benützte Münnich, deſſen Geſundheit die beſte war, ein Unwohlſein, um Leſtocq zu Rathe zu ziehen und auf diefe Weife den Eleinen Wundarzt, deſſen Prahlerei und Schwaßhaftigfeit befannt waren, perſönlich in unverfänglicher Weife auszuholen. Nachdem Leſtoeq ein riefiges Recept, das einem Küchenzettel glich, gejchrieben hatte, begann Münnich demfelben feine Sympathieen für Elifabeth zu erklären. „Schade“, jagte er fchließlih, „daß die Brinzeffin jo fehr allen Staatsgeichäften abgeneigt ift, fie hätte ſonſt alle Eigenjchaften zu einer vortrefflichen Regentin.“

„D! glauben Sie das ja nicht“, erwiderte Leftocg,

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der Münnich durchſchaute, „die Großfürftin iſt zugleich die vergnügungsfüchtigfte und trägite Frau, die es geben kann. Ich eritaune nur, daß fie noch nicht zu beguem ift, fich an» und auszufleiden. Nur ihre maß: [oje Eitelkeit hilft ihr, jo denfe ich, über die täglichen Mühen der Toilette hinweg. Von Regierungsgejchäften, Staatsangelegenheiten will fie durchaus nichts hören, und fie hat auch nicht den Geift, diejelben aufzufaffen. Sie weiß von der politischen Welt jo wenig, daß ich überzeugt bin, ie käme in Verlegenheit, wenn fie ung jagen follte, wie der gegenwärtige König von Frank: teih heißt, oder wer in dem gegenwärtigen Kriege die preußifche Armee coınmandirt.“

„Dafür gibt es in ihrer Umgebung Berjonen welche an der Bolitit um jo mehr Antheil nehmen —“

„Wer jollte das fein? Doch nicht Suwalow?“

„Nein“, erwiderte Münnich, „gewiß nidt Suwa— low, aber Sie, Leftocg.”

„Ich?“ Der kleine Franzoſe brach in ein unver: Ihämtes Gelächter aus.

„Sie find viel bei dem franzöfifchen Gejandten.“

„Täglich zweimal”, rief Leftocg, „am Morgen, weil ich die Ehre babe, fein Arzt zu fein, und am Abend, weil man fi in ganz Petersburg nirgends jo angenehm unterhält und fo gut ißt, trinkt und fein

Sacher-Maſoch, Gin weiblicher Zultan. I. f

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Spiel madıt, wie bei dem Marquis de La Che tardie.“

Münnich war durch die ſcheinbare Harmloſigkeit Leſtocq's entwaffnet.

„Ihr ſeid alle zuſammen eine unverbeſſerliche Bande leichtfertiger Menſchen“, murmelte er.

„Und mit Recht, General“, rief der Franzoſe. „Bott bat uns nicht in diefe ſchöne Welt geſetzt und ung das Weib zur Gefelfchaft gegeben, damit wir ernſthafte Gelichter fchneiden und ung gegenjeitig in das, wie ich höre, nicht einmal im Winter geheizte Sibirien jenden, jondern um ung jo gut als möglich zu amüfiren. Wenn ich mich fchon zu einen Philo— jophen befennen muß, jo ſchwöre ich zu Epikur.“

Achtes Kapitel.

Stillleben einer Großfürfin.

Bon dem Augenblide an, wo Elifabethb durch Leitocg wußte, daß Münnich fie und ihren Eleinen Hof im Berdachte politiicher Pläne babe und demgemäß unter der ftrengften Aufficht Halte, zog fie ſich noch mehr, als fie es bisher gethan, von dem öffentlichen Leben zurüd. Ihr Kleiner Palaſt in Petersburg bot während des Sommers 1740 das Bild einer vollftän- digen Idylle.

Sie war ftet3 früh auf und wenn noch der Thau filbern an den Blättern und Gräfern hing, eilte fie ihon durch die Laubgänge ihres fchattigen Parkes und ließ ihre jchöne Stimme mit den Vögeln um Die Wette erflingen. Es war die Zeit, wo fie, wie fie meinte, noch nicht Toilette gemacht hatte, obwohl fie ftet3, der

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Tageszeit und Situation angemefjen, mit der größte Sorafalt und verjshwenderifcher Bracht gekleidet wa Sie ruhte nachts aleich einer olympiſchen Göttin 1 einer Wolfe der koſtbarſten Brüffeler Spigen in ibre weißjeidenen Polſtern und wenn fie aufitand, ſchlüpf fie in ein Baar reizender Bantoffeln von rotbem Samme warf einen Schlafrod aus weißer Seide, hinten m einer großen Quetjchfalte, um und zwang den Reichthu ihrer berrlihen Haare in ein kleines Häubchen, da ihr etwas graziös Mütterliches gab. Tann nahm F auf der Terraffe ibre Chocolade und ihre weißen Finge beichäftigten fich damit, Weißbrod zu kleinen Krume zu zerbrödeln, die fie den Finfen, Amjeln, pet lingen und Rothkehlchen zumwarf, welche fie zwitjchern umlagerten und oft mit lächerlicher Erbitterung m ihr Futter fämpften. ES jchoß wohl auch bie un da ein neckiſches Eichhörnchen den Dunklen Stam einer Tanne hinab, rollte jeinen bujchigen Schweif un blidte fie mit den ſchwarzen Neuglein neugierig am.

Wenn fie das findliche Spiel mit all’ dem flat ternden und piependen Gethier jatt hatte, machte f zum zweiten Male Toilette. Diesmal EFleidete fie dunkel und würdevoll, denn es war die Zeit, imo mit ihrer Hofdame zur Kirche ging.

Nachdem fie mit Andacht gebetet hatte, dem

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war eben jo Fromm als, lebensluſtig, preßte fie ihre üppigen Formen in ein knappes Reitkleid und feßte einen Eleinen dreiedigen Hut auf ihr fehneeweiß ge= pudertes Toupee. Graf Suwalow ftand dann bereits gleich einem Sklaven, demüthig feiner fchönen Gebie- terin harrend, mit den Pferden in dem Hofe des Palaftes. Elifabeth grüßte ihn mit einem leichten Niden, er bot ihr feine Hand zum Auffteigen‘, fie jegte den kleinen Fub in diefelbe und ſchwang fich jo mit unnacahmlicher Anmuth in den Gattel. Zu Pferde mahnte fie an eine junge fiegreihe Königin der Amazonen und wenn fie längs der Newa dahin Iprengte blieb wohl Jedermann ftehen, um ver küh— nen jchönen Frau nachzubliden, welche fich jo graziös auf dem Sattel zu jchaufeln verftand. Nicht jelten hielt fie auf dem Rückwege bei der Kajerne der Preo— brasenftiffchen Garde, für die fie eine befondere Vor— liebe zeigte, wie denn auch die Soldaten derjelben mit wahrer Begeifterung an ihr hingen.

Sobald fie mit ihrem hellen flatternden Keitkleid und ihren: weißen Schleier in Sicht fam, liefen Gre— nadiere, Soldatenmweiber und Kinder heraus, und wenn fie ihren jchäumenden Rappen anhielt, ſah fie sich augenblidlich von ihrer großen militärischen Familie umringt, von allen Seiten rief e8 dann: „Mütterchen

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Glifabetha Petrowna wie geht es mit der Geſundheit?“ bier Elopfte ein Gardiſt den Hals ihres Pferdes, dort fegte eine Sergeantenfrau den Staub von ihrer Schleppe und binter ihr hingen fich ein paar Soldatenjungen an den langen prächtigen Schweif ihres Thieres und jubelten

Vym Ritte zurüdgelehtt, machte die Großfürftin erit eigentlich Toilette. Sie fam dann in einem pradt: vollen Seidenkleide franzöfiicher Fabrifation, mit Spitzen aufgepußt, die lange Schleppe wie bei einem Hof: fefte nachziehend zum Diner, das fie ‘gewöhnlich mit Frau von Kuriafow allein einnahm, denn fie war bei Tisch gern ungeftört. Sie nämlich fehr viel und jprach noch eifriger als der feinen Küche ihres fran— zöfchen Koces dem Wein zu. Nah dem Efjen Schlief fie. Dann Eleidete fie fih vom Kopf bis zum Fuße neu an, zum Empfange ihrer täglichen Gäfte, Sumwalow und Leſtocq. Mit diefen Beiden und ihrer Hofdame unterhielt fie fi) Nachmittags in ihrem Garten in einer Weife, welche die Spione Münnich's vollkommen berubigte. Sp lange es Vorrath an Neuig: feiten, Anechoten oder Ereigniffen der Scandalchronit gab, wurde heiter geplaudert, wobei der kleine medi— ſante $ranzoje mit feinem ſtets jchlagfertigen Wit das große Wort führte. Glifabeth hörte Niemand jo gern jprechen wie ihn, denn fie war ein echtes Weib,

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bei ihr galten gute Einfälle bei Meitem mehr als Ar: gumente, War der Gejpräcdhsftoff erjchöpft, jpielten fie auf einem Heinen Grasplag Federball, wobei die Großfürftin jedesmal Gelegenbeit fand, durch die an: geborene Anmuth und den unnachahmlichen Reiz ihrer Bewegungen ihren Anbeter immer wieder auf's Neue zu entzüden. Sie war eine jener Frauen, die man nur zu ſehen braucht, um fie zu lieben. Manchmal ließ die Kleine heitere Gefellfchaft auch einen Drachen eigen oder fpielte Verfteden in den dichten Alleen und Gebüjchen. Kam ein Regen oder ein Gewitter, ſaßen fie oben in dem Kleinen Salon und fpielten Karten. |

Nach dem Soupee entfernten fich die beiden Her: ten, Suwalow jedoch nur. um durch ein Hinterpförtchen de3 Gartens und eine geheime Thür im Palafte zurüd: zufehren. Wenn die Großfürftin zum legten Male und zwar mit noch größerer Coquetterie al3 während des Tages für die Nacht Toilette gemacht hatte, drückte fie an einen verborgenen Knopf in der Wand ihres Schlafgemaches, die Tapete wich zurüd und der Ge: liebte trat ein, um fich dem fchönen beraufchenden Weibe, das ihn in dem bethörendften Negligee erwartete, zu Füßen zu werfen.

Diefe behagliche Ruhe und das heitere Liebesglüd

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ver Prinzeffin wurden ein einziges Mat für kurze Zeit geitört, als die Regentin diejelbe zu fih entbot und ibr eröffnete, daß Tahmas Kuli-Khan auch Schah— Nadir genannt, der mächtige und fabelhaft reiche Be— herrſcher Perſiens ſich um ihre Hand bewerbe. Bis in den fernen Orient war der Ruf ihrer außerordentt lichen Schönheit gedrungen und hatte den großen Schah beſtimmt, Abgeſandte mit reichen Geſchenken zu ent— ſenden, welche die Prinzeſſin bewegen ſollten, ihnen in ihre märchenhafte Heimat zu folgen.

Eliſabeth's Antwort war ein ausgelaſſenes kind— liches Lachen.

„Sie nehmen die Angelegenheit viel zu wenig ernſt, Prinzeſſin“, begann nun die Herzogin, „Schah-⸗ Nadir ift der ſchönſte Mann, den Sie fich denken fönnen, gejchaffen die ausſchweifendſte Phantafie einer nach Liebe, Genuß und Pracht verlangenden Frau zu befriedigen. Unermeßliche Schätze füllen feinen mit aliatifchem Luxus eingerichteten Palaft, der für fich allein eine ganze Stadt if. Tauſende von Eflaven barren in aufmerkffamer Demuth der Winfe ihres Ge bieters, jeden derfelben ſchnell erfüllend. Sie würden als die Beherrjcherin eines der größten Reiche bes Drient3 der ruffiichen Macht den Weg in das Innere Aſiens bahnen, Fünnten als folche vie Politik ihres

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großen, unvergeßlichen Vaters mit glänzenden Erfolgen frönen —“

„Aber Herzogin”, fiel Elifabeth ein, „ich habe Ihnen jo oft gejagt, daß ich zu Staatsgefchäften eben fo wenig tauge, wie zur Ehe. ch fannn nicht glauben, daß Sie mich unglüdlich machen wollen —“

„sm Gegentheil”, jagte die Regentin, „wir alle Münnid nit ausgenommen wünſchen in Ihrem Intereffe, daß Sie den Abgefandten Perfiens Gehör ſchenken, SSie find; ohne Zweifel eines Thrones wertb, warum wollen Eie einen der mächtigften, ber Ihnen in jo fchmeichelhafter Weife geboten wird, zurüd- weiſen?“

Die Regentin ſagte der Prinzeſſin die Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit, ſo wenig ſie derſelben nämlich gefährliche politiſche Pläne zutraute, ſo hätte ſie doch, ebenſo wie Münnich, dieſelbe lieber in dem fernen Perſien als in Petersburg geſehen.

„Ich paſſe nicht für den Thron“, ſagte Eliſabeth, „gönnen Sie mir, Herzogin, das heitere, ſorgenloſe Leben, das ich führe und erlauben Sie mir, die Wer— bung des Schahs abzuweiſen. Wollen Sie jedoch, daß ich Rußland verlaſſe, ſo ziehe ich es vor, nach Frank— reich oder Italien zu gehen und dort ebenſo nur mei— nem Vergnügen zu leben, wie hier.

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„Wie können Sie dies glauben“, beeilte fich jetzt die Negentin zu erklären, indem fie mit miütterlicher Zärtlichkeit Elifabeth auf die Stirne füßte, „ich habe Sie ja fehr lieb und möchte nur Ihr Beſtes.“

„Dann ſprechen Sie mir nie mehr von einer Heirath, Herzogin“, rief Elijabeth, „und noch weniger von einer Krone. Sch bin jo volllommen zufrieden.“

„Ad, Sie find beneidenswerth, Großfürftin“, feufzte die Regentin.

Einige Wochen jpäter kam die außerordentliche

Geſandtſchaft des Schahs von Perſien in der Haupt: ftadt Rußlands an. Die nie gejehene phantaftijche Pracht ihres Aufzuges brachte die ganze Bevölferung in Aufruhr, eine unabjehbare Menge füllte die Straßen und drängte fi vor dem Palafte der Großfürftin Elifabeth, zu dem die Perſer mit ihren Schäßen hin: zogen. Es war eine fürmliche Armee, welche die Wer: bung und die Gejchenfe Tahmas Kuli-Khans über: brachte. Voran fchritt ein Chor Mufiker, dann folgten Krieger zu Pferde und zu Fuß und taujend weiße Sklaven, alle !reich gekleidet, welche der Schab der Großfürſtin zum Geſchenke machte, hinter ihnen gingen vierzehn Elephanten; ‚der erjte, ein weißer, war nur mit Jumweien, Perlen, Gold und Silber beladen, die anderen trugen auf ihrem Rüden prachtvolle indiſche

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und perfiiche Stoffe, Teppiche und Fojtbare Pelze. Dann famen tauſend ſchwarze Sklaven, wie aus Ebenhol; geihnigt, Papageien auf der Hand tragend oder ge: zähmte Löwen, Tiger und Panther an filbernen Ketten führend. Hundert cirfaffifche Sklavinnen von feltener Schönheit folgten mit Fächern aus Straußenfedern, die Gefandten auf feurigen Pferden, die bunten orien- taliichen Gewänder mit Diamanten bejäet und eine zweite Abtheilung Soldaten jchloß den Zug.

Eliſabeth empfing die ungewöhnlichen Brautwerber in dem großen Saale ihres Palaftes. Auf Stufen, welche mit rothem Sammet befchlagen waren, ftand eine Art vergoldeter Thronfeffel, auf dem fie fich nieder: gelaffen Hatte. Sie trug ein weißes, goldgeftidtes Schleppfleid, von ihren blendenden Schultern mwallte ein Hermelinmantel nieder, auf ihrer gebietenden Stirne funfelte ein Diadem von Diamanten.

Die Gefandten des Schahs traten, von einem Dolmetfcher begleitet, ein und warfen fich dreimal vor der jchönen Großfürftin auf das Antlig nieder, das erſte Mal an der Thüre, das dritte Mal unmittel- bar zu ihren Füßen, dann brachten fie, auf den Knieen liegend, die Arme auf der Bruft gefreuzt, ihr Anliegen vor, das der Dolmetfcher der Prinzejfin ver: ſtändlich machte.

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Als es hieß, der Schah habe von Ihrer Schön: beit, die in der Welt nicht ihres Gleichen habe, ver: nommen, und ſeitdem fliehe ihn der Schlaf und er werde feine Ruhe finden, ehe nicht der herrliche Stern des Nordens in feinem Reiche leuchte, lächelte Eliſabeth gejchmeichelt. Schon begannen die Abgefandten zu hoffen und beeilten fich, ihr die Schäge, welche Tab: mas Kulisfhan ihr fandte, zu Füßen zu legen, um jo größer war ihre Enttäufchung, als ihmen die Antwort der Prinzeſſin verdolmetjcht wurde.

Wenn fie überhaupt willens wäre fih zu ver |

mählen, lautete diejelbe, würde fie gewiß feinen Anderen wählen, als den Schah, von deflen förper: lichen Vorzügen, feltenen Geiftesgaben, Macht und Reichtum man ihr die verlodenditen Schilderungen gemacht habe, aber fie werde ihre Freiheit nie einem Manne opfern, nicht einmal dem beiten, den es gebe, und jo ſehe fie jüh gezwungen, die Hand des Schahs dankend abzulehnen. Um jedoch Tabmas Kuli-Khan nicht zu ſehr zu beleidigen, nehme fie feine Gefchenfe, Juwelen, Perlen, Stoffe und Pelze an, die Eflaven und Elephanten fende fie ihm jedoch zurüd und als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit Bitte fie die Perſer, ihrem Monachen ihr Bild, in Diamanten gefaßt, zu überbringen.

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Während der Dolmetjcher ſprach, waren die Gefichter der Gefandten immer länger geworden. Wieder war: fen fie jich dreimal vor Elijabeth nieder und kehrten jeufzend mit dem bezaubernden Porträt der graufamen Schönen zu ihrem Herrn zurüd, der vergebens unter ven Baradiesblumen und Gazellen ſeines Harems den falten fiolzen Stern des Nordens zu vergeffen juchte.

Neuntes Kapitel.

Der Unentbehrliche.

Während Elijabeth in ihrem Kleinen Balafte, eine: zweiten Grotte der Dido, nur der Xiebe zu leben fchien, wurde der Ziwiejpalt im Schooße ‚der neuen Regierung von Tag zu Tag größer und unheilbarer. Miünnich, deſſen Selbitgefühl noch weit über feine großen Ver— diente hinausging, ließ es der Regentin täglich Fühlen, daß fie ihm allein ihre Macht zu verdanten babe und er die einzige Stüße derjelben jei; ihren Gemahl, den Herzog Ulrich von Braunjchweig behandelte er geradezu wegwerfend. Die Regentin unterhielt intime Beziehun— gen zu dem Grafen von Lynar und in Folge derjel- ben ftanden ſich die beiden fürftlichen Gatten mebr als fchroff gegenüber, e8 gab am Hofe täglich Reibun— gen und Gonflicte, welche Münnich in jeinem Beneh—

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men gegen den Herzog beitärkten. Obwohl der Leßtere der Befehlshaber aller ruffischen Streitkräfte war, wur: den ihm die Anordnungen Münnich's, auch injoweit jie die Armee betrafen, nur jehr felten mitgetheilt, was den jähzornigen Herzog mehr als einmal geradezu außer fich brachte. Noch ſchwerer fiel jedoch die Un- einigfeit der Machthaber in Bezug auf die äußere Po— litik in's Gewicht. Münnich gehörte zu den wärmften Verehrern des Königs von Preußen, Friedrich des Großen, während die Negentin eben fo ſehr gegen denjelben eingenoinmen war. So fam es, daß Ruß— land zu feinem entjchiedenen Vorgehen zu beftimmen war. Die Regentin weigerte lich, die preußiichen Pläne zu unterftügen, während Münnich jedesmal, wo fie zur Parteinahme für Defterreich einen Anlauf nahm, fie auf halbem Wege umkehren machte, ja der perfüne liche Einfluß diefes genialen und energifchen Mannes auf die Regentin war fo groß, daß er fie endlich doch zur Unterzeichnung eines freilich mehr formellen Bünd- niſſes mit Preußen beftimmte.

Es ſollte fein legter Erfolg fein, nicht Iange dar: nah wurde er frank und mußte ſich für längere Zeit von allen Staatsgefchäften zurüdziehen. Statt den Verluft diefes treuen und fähigen Mannes zu bedauern, fühlte fich die Negentin mit einem Male frei und be-

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eilte ich, das ganze Gebäude Münnich's über den Hau: fen zu werfen. Sie wurde dabei von Oftermann un: terjtügt, welcher die locdende Gelegenheit, das Staat: ruder ganz an fich zu reißen, nicht unbenüßgt vorüber: gehen lajjen wollte Goloffin und Löwenwolde ver: banden fich mit ihm zu Münnich's Sturze.

Die NRegentin gehörte mit zu den Garanten der pragmatiſchen Sanction.

Sie ſchloß, ohne Münnich zu fragen, ja offenbar gegen feine Abficht und feinen Willen eine Allianz mit den Höfen von Wien und Dresden, welche gegen’ feinen Anderen gerichtet fein fonnte, al3 genen Friedrid . den Großen, der in Schlefien eingefallen war.

Als Münnich von diefem Acte der Regentin er: fuhr, forderte er in brüsfer Weife feinen’ Abjchied.

„Sie werden jehen“, jagte er mit einem hoch— müthigen Lachen zu jeinem Secretär, nachdem er demjelben das betreffende Schriftftüd zu Ende dictirt hatte, „das ift ein Schredjhuß, der fie und alle Machi— nationen niederwirft; was jollten fie auch ohne mic anfangen.“

Er bielt fich für unentbehrlih, aber er follte er: fahren, daß fein Menjch unentbehrlich ift.

Die gehoffte Wirkung feiner Abdankung lieb nicht allein aus, fondern vie Regentin beeilte ſich fogar,

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diefelbe anzunehmen. Münnich war vernichtet, obwohl ver Schlag weniger ihn traf als eben die, die ihn führten und die, alle Dankbarkeit gegen den Mann, der fie zur Regierung gebracht hatte, vergeffend, über: dies noch jo unklug waren, ſich zu freuen, daß fie diefe eminente Kraft verloren hatten.

An demjelben Abende no, als Münnich’s Ab: dankung bekannt wurde, berief ein Billet des Marquis de la Chetardie den Wundarzt Leftocq in das fran- zöͤſiſche Gefandtjchaftshotel.

„Dein lieber Freund“, begann der Marquis, als er fih mit dem Leibarzt der Prinzeſſin Elifabeth in jeinem Cabinete eingejchlojjen hatte, „Sie find zwar fein Diplomat von Beruf, ja nicht einmal ein Polis tifer, aber ich glaube an Ihnen alle jene Eigenfchaften entdet zu haben, welche dazu befähigen, der Träger einer politischen Intrigue zu werden.”

„Sehr jchmeichelhaft, Excellenz“, erwiderte Leſtocq lächelnd, „aber ich bitte, nicht zu vergeffen, daß es diefelben Eigenfchaften find, welche einen für Sibi- tien, ja vielleicht für das Schaffot qualificiren.“

„Gewiß, mein lieber Leſtocq“, fuhr de la Chetar— die fort, „kann ein Unternehmen, das feinen Theil: nebmern die außerordentlichiten Vortheile, Macht, Rang und Reichthum verheißt, nicht ganz —— ſein. Es

Sacher⸗Maſoch, ein weiblicher Sultan. J.

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fommt aber eben alle8 darauf an, das Erreichbar in einer jo Eugen und vorfichtigen Weiſe anzuftre ben jobald die Chancen des Erfolges jene des Miker folge weit überwiegen, daß die Möglichkeit. eine jchlimmen Ausganges auf das geringite Maß redu cirt wird.”

„Ich verſtehe.“

„Ich bin offen gegen Sie, Leſtoeq“, fuhr der Mar quis fort, „nicht allein weil Sie mir ein ebenfo treue als kluger Mann jcheinen, ſondern vorzüglich deshalt weil id Sie für einen guten Franzoſen halte.“

„Und mit Recht, Ercellenz“, rief Leſtocq, mit jene feiner Nation eigenthümlichen Begeifterung, „ich würd lieber meinen Kopf hergeben, als Frankreich verratben.

„Hören Sie aljo“, jagte der Marquis, „es ilt da Intereſſe unjeres Vaterlaudes, das uns. allein in bie ſem Augenblide leiten darf. Sie wifjen, daß Münuid eutlaffen it, daß die öfterreichiiche Partei am Hof geliegt hat. Ein Bündniß mit Maria Therefia ift ab gejchloffen worden und der Gemahl der Regentin, nad militärifchen Lorbeeren geizend, drängt auf die fofortig Ausführung deſſelben. Ich ziweifle nicht, daß maı eine Armee gegen Preußen aufftellen wird. Der Er folg des Krieges dürfte fih, wenn Rußland energifd in der Flanke des Königs von Preußen operirt, aul

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Seite unferer Gegner neigen. Diejfe für uns de- igende Kataftrophe abzuwenden, ift meine Auf: und die Ihre, mein Freund.”

Inwiefern die meine?” fagte Leſtocq erjtaunt, z follte ich, Der unbedeutende Wundarzt, ver: 24

„Denken Sie einmal nach, Leſtocq, ob es nicht Nittel gäbe, die Intriguen unſerer Feinde mit Male lahm zu legen, Sie find ein feiner Kopf, m Sie nach.“

Leſtocq jeßte fich in einen Stuhl, ftügte die Ellen« auf die Kniee und den Kopf in beide Hände. gibt ein einziges Mittel”, fagte er endlich, den

„Bir müßten die gegenwärtige Regierung ftür- We, fuhr der Heine Wundarzt fort, „und die Groß: in Elifabeth zur Kaiferin von Rußland machen.” „Ecrathen, Leſtoeq“, rief der franzöſiſche Gefandte, begreifen Sie jebt die Aufgabe, welche Ihnen Theil wird 2% Leſtoeq nidte, „Ste müffen vor Allem vie Prinzeffin für unferen Fan gewinnen und dann bie Verſchwörung organiſiren. »Volk hat die Herrfihaft der Deutſchen fatt, die

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Sympathieen der Soldaten gehören feit langer Zeit ſchon der Tochter Peter des Großen. Sobald nur ein Regie ment fich für fie erklärt, werden die übrigen nachfol— gen. Das nöthige Geld gebe ich.“

Das ift Alles jehr Schön, Herr Marquis”, mur: melte Zeftocq, „aber mein Kopf, mein armer Kopf?“

„Sie wären der erite Franzofe, dem es an Muth fehlte, wenn es die Ehre feines Landes und für ihn jelbft Ruhm und Vortheil gilt“, jagte be La | die raſch.

„Halten Sie mich für feinen Feigling, aber die Aufgabe feheint mir zu groß für meine Eleinen Schul: tern.”

„Berade Sie find der Mann, den wir brauchen“, ſagte der Marquis. „Laſſen Sie irgend einen Gene: tal oder Staatsmann die Leitung übernehmen, fid mit jeinen Freunden bejprechen, mit den Soldaten un ferhandeln, man wird jofort Verdacht jchöpfen um die Verſchwörung wird entdedt fein, ehe fie noch eigent: lich begonnen hat. Daß Sie fih aber zur Seele eine Thronummwälzung machen, daran denkt Niemand, ge rade in Ihrer fcheinbaren Unbedeutendheit Liegt für mich die ficherfte Bürgfchaft des Erfolges. Zudem war Münnid der Einzige, welcher die Großfürftin unaus— gejegt bewachte und von dem entjchiedene Schritte gegen

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diefelbe bei dem geringiten Anlaß fogar zu erwarten waren. Nie war die Conitellation für Eliſabeth gün- tiger. Es heißt nur muthig den Augenblid ergreifen und wir find Eieger.“

Leitocq ſchwieg noch immer.

„Sie haben aljo wirklich nicht den Muth?” fragte der Marquis mit einem verächtlichen Lächeln.

„sh werde mit der Großfürftin ſprechen“, ſagte er nach einer neuen Pauſe. |

„Endlich!“ rief der Marquis. „Sch erwarte mit Ungeduld das Ergebniß diefer Unterredung, lafjen Sie nichts unverſucht, Leſtocq, die Prinzeffin zu beftimmen und fehren Sie bald, recht bald zu mir zurück.“

Mit einem Händedrud trennten fich die beiden Männer, welche auf das Schickſal Rußlands, ja Eu: ropas einen jo bedeutenden Einfluß nehmen jollten, der hochgeborene Marquis, der Botjchafter Ludwig XV, und der unfcheinbare Wundarzt, der mit einem Male zum politifchen Abenteurer wurde.

Leftocqg fand die Großfürftin mit Sumalow und ihrer Hofdame beim Souper.

„Was joll das bedeuten?” rief fie ihm entgegen. „Weshalb jo fpät? Das fordert Strafe. Wer erfindet eine würdige für diefen kühnen Hochverräther?“

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„Er ſoll verurtheilt werden, deutſch zu lernen“, rief Suwalow.

„Erbarmen Sie fich”, flehte Leftocq, ber, wie alle Franzoſen vor der bdeutjchen Sprache einen unüber— windlichen Reſpect hatte.

„Er ſoll den ganzen Abend nichts als Wafler trinken“, jchlug die Hofdame vor.

„Rein, das wäre zu graufam”“, lachte Elifabeth, „da will ich Lieber jelbft die Erecution übernehmen. Sie drehte ihre Eerviette zu einem tüchtigen Plumt: jad zufammen und winkte Zeftocqg zu fich, der mit einer Armenfündermiene vor ihr niederfniete. Nachdem er ein paar derbe Hiebe von der zarten Hand der Prin: zejfin erhalten, wurde er zu einer Flafche Sauterne begnadigt. Als die Herren, wie jeden Abend, zujam: men den Palaft verließen, nahm Leſtocq den Grafen am Arme und weihte ihn in feinen Plan ein. Su: walow ftimmte freudig zu und bot zu Allem willig jeine Hand; zunächſt galt eg, dem kleinen Wundarjt mit Vermeidung jedes Aufjehens ein tete & tete mit der Großfürftin zu verfchaffen, denn noch hatte Mün— nich jeine Spione unter ihrer Dienerfchaft. Auch da: für wußte der intriguante Suwalow Rath. Elifabeth drüdte, nachdem fie ſich in ihr reizendes Negligee ge hüllt hatte, an den Knopf der Tapete, wie erftaunte

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ne aber, als ftatt des erivarteten Geliebten, Leitoca in ihr Schlafgemad trat.

„Was foll das bedeuten?” fragte fie.

„Daß Sie von Spionen umgeben find“, entgeg— nete der Eleine Franzofe, „amd ich Hut, Mantel und Schlüffel Suwalow's benüßt habe, um unerkannt zu onen zu gelangen, denn ich habe Ihnen ebenjo wich— tige als dringende Eröffnungen zu machen.“

„Ich bin geſpannt“, jagte Elifabeth, die ſich auf eine Ottomane niedergelaffen hatte.

„Die Abdanfung Münnich's“, begann Leſtocq, „At für Sie der erfte Schritt zum Throne —”

„Sie wiffen doch, Leſtocq“, unterbrach ihn Eliſa— beth lebhaft, „daß ich nichts von Politif hören will.“

„Das wäre in dieſem Augenblide ſehr unpoli- tiſch“ entgegnete Leftocq raſch. „Sie, die ſchöne Frau, die Tochter Peter des Großen, der Liebling der Sol: daten, haben alle Chancen für fi, den Thron Ruß: lands zu erlangen und zu behaupten. Den SHermelin um die Schultern Fünnen Sie ihren Willen zum Ges jeße eines großen Neiches machen, jeden ihrer Wünfche erfüllen, und an der Hand ihrer unvergleichlichen Schön heit die höchften Freuden der Liebe genießen. Alles, was das Weib in Ihnen nur vom Leben verlangen kann, wird Ihnen die Monarchin erfüllen. Sie werden

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glüdlich jein und Sie werden groß jein. Sie haben ein Herz für Ihr Volk, Sie werden in die Fußjtapfen Ihres genialen Vaters treten und Rußland zu neuen Siegen, neuen Fortfchritten, einer höheren Stufe der Eultur führen, dem Stillftande, welcher jeit einigen Sahren in jeder Beziehung berricht, ein Ende machen, Ihr Name wird mit goldenen Lettern im Buche der Geſchichte ftehen. Sollte dies Alles Sie nicht begeijtern, jollten wir Ale uns in Ihnen getäufcht haben, bie wir von Ihnen und nur von Shnen eine beflere Zu: funft erwarten?”

„Ich leugne nicht, Zeftocq“, ſeufzte Glijabeth, „dab | ich gern regieren würde, aber ein Staatsitreich wider: | itrebt meinem Wefen. Bor Allem möchte ich nie Blut | vergießen, und dann welchen Gefahren fege ich mich aus, wenn ich mich an die Spige einer Verſchwörung ftelle ?”

„Ber fpricht davon“, rief Leſtoeq, „Sie geben uns nicht3 weiter als Ihren Namen. Wir handeln für Sie. Gelingt unjer Unternehmen, beiteigen Zie den Thron, mißlingt es, verleugnen Eie uns, opfern uns, um fich felbft Ihrem Volke zu erhalten.“ |

„Nein, Leſtocq, das bin ich nicht im Stande“, | antivortete die jchöne Frau, „ich konnte Biron opfern,

et

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aber ich wäre unfähig, meine Freunde für mich bluten zu ſehen.“

„ie aber wenn Ihnen Fein Ausweg bleibt“, ſprach Leftocq, fie mit feinen Bliden durchbohrend.

„Ich verftehe Sie nicht —“

„Münnich, Ihr vornehmfter Gegner ift unjchäd: li gemacht, die Luft ift jet rein“, fuhr Leftocq fort, „Niemand beobachtet uns, Niemand erwartet von uns ein jo fühnes Unternehmen. Sept ift ung der Erfolg gefichert. Wer bürgt uns aber dafür, daß dieſe glüd- lihe Gonftellation lange dauern wird? Sind Gie der Regentin für immer ficher? Nein. Weshalb wollte man Sie an den Schah von Perfien verheirathen ? Um Sie aus Rußland zu entfernen. Ich weiß aus befter Duelle, daß Münnich eben jegt wieder mit dem Gedanken umging, Sie in ein Klofter zu fteden —”

„Abicheulich!” rief Elijabeth, „mich in ein Kloſter!“

„Und noch dazu in fein Männerflofter”, fuhr Leſtoeq fort, „Münnich's Sturz hat diefen Plan für einige Zeit vereitelt, wer jagt Ihnen, daß Oftermann ihn, wenn die Unzufriedenheit wächft und man immer wieder Ihren Namen wie den einer Erlöferin nennt, nit aufnimmt und endlich doch ausführt?“

„Sie haben Recht, Leftocqg“, murmelte die Groß: fürftin, „ich bin in immerwährender Gefahr und würde

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viel darum geben, mich aus N zweifelhaften Lage zu befreien.“

„Bir bieten Ihnen die Hand dazu —“ fiel der Kleine Franzofe ein. -

„Ber 2”

„sh, Suwalow, die Preobrasenskiſche Garde und Frankreich durch feinen Gefandten, den Marquis de la Chetarbie, find das nicht Verbündete genug?“

„sn der That”, jagte die Großfüritin, „aber es ift bei alledem eine große Verantwortung, die ich auf mich lade. Bis jest ift mein Gewiſſen rein.”

„Es wird es auch bleiben, Madame”, ſprach Le: ſtoeq, „laffen Sie uns forgen.“ | „Es iſt unmöglid, dab eine ſolche Ummwälzung ohne Verluſt an Menjchenleben ftattfindet”, rief Eli:

ſabeth.

„And ich garantire Ihnen“, gab Leſtocq zur Ant— wort, „daß die Revolution, welche Sie auf den Thron

führen wird, ebenſo unblutig ſein wird, wie ene welche Biron geſtürzt hat.“

„Unter dieſer Bedingung gebe ich meine ve Einwilli- gung”, jagte die Großfürftin.

„Endlih! Endlich!” rief Leſtocq, ftürzte zu ihren Füßen nieder und füßte ihre Hände. „Sch wußte es, Madame, es ift unmöglich, daß Ihr großes Herz fich

*

Kuren. 2 8

if

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von flüchtigen Freuden eritiden ließe, Sie können die: je8 Land, das Sie lieben, dieſes gute Voll, das mit Begeifterung auf Sie blidt, das Alles von Ihnen bofft, nicht in diefem troftlofen Zuftande, nicht in den Hän— den habgieriger und niedrig denfender Fremden Laffen. Bott jegne Sie für diefen erhabenen Entſchluß!“

Noch in derfelben Nacht meldete Leftocq dem fran- zöſiſchen Gejandten den erwünfchten Erfolg.

Zehntes Kapitel.

——

Eine Tanfeaufder Trommel.

Den folgenden Abend führte Leſtocq auf demſel— ben geheimnißvollen Wege, auf dem er zu der Prin— zeſſin gelangt war, den franzöfiichen Botjchafter in das Schlafgemach derjelben. Wenn Elifabeth bisher noch nicht feft entjchloffen war, ſich an die Spige des küh— nen Unternehmens zu ftellen, jo war fie es unbedingt jet, nachdem fie de la Chetardie geſprochen. Sie war in feiner Richtung eines jener Mannweiber, an denen gerade die Gefchichte Rußlands feinen Mangel bat, jondern durch und durch nur Frau. Echt weiblich waren ihre Fehler wie ihre Vorzüge. Sp wurde fie denn auch nicht etwa von den Gründen und der fieg- reihen Dialeftif des gewandten und geiftvollen fran= zöſiſchen Staatsmannes gewonnen, fondern von jeiner

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Perfönlichkeit. Der Marquis war hübjch, elegant und witzig. Er gefiel ihr und nur deshalb ſchenkte fie ſei— nen politiichen Vorfchlägen Gehör. Sie verjprach als Monarhin nicht gegen Preußen und Frankreich Partei zu nehmen und de la Chetardie Itellte ihr dagegen feine Hilfe und die nöthigen Summen zur Erlangung des Thrones zur Verfügung.

Unmittelbar nachdem der Marquis fie verlaffen hatte, verfammelte Elifabeth ihre Anhänger um ſich, es waren nur wenige durchaus junge Männer, welche bisher weder eine politische noch überhaupt eine Rolle gejpielt Hatten; außer Leftocq und dem Grafen Iwan Suwalow zählten zu denjelben der Kammerherr Wo— ronzoff, Aſtroski, Lieutenant der Preobasenskiſchen Garde, und Nicolaus Battog, ein Student an der Pe— tersburger Kunſtakademie und Freund des letzteren.

Die Großfürſtin nahm ein großes, mit Diaman— ten bejegtes Kreuz von ihrem Halfe und ließ alle An weienden auf dafjelbe Treue, Gehorfam und vor Allem Verſchwiegenheit jchwören. Dann begann fie, den vollen Arm nadläffig auf den Kamin gejtügt, ihre Abfichten zu entwideln. „Ich bin die Tochter Peter des Großen”, jchloß fie, „mein Recht auf den ruffischen Thron ift jedenfalls ein befjeres als das diefer Deut: Ihen, dieſes Iwan und feiner Eltern. ch bin ent-

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ſchloſſen, es nicht länger zu dulden, daß man mi so demjelben ausschließt, ich’ werde diefe Regierung, welch Niemand liebt, ftürzen und die Zügel der Herrichai ergreifen, zum Wohle Rußlands und feiner Völker Wenn ich dabei auf Ihre Hilfe rechne, jo geichiegt e: im der Ueberzeugung, daß das Gelingen meines Pla nes e3 mir leicht machen wird, Sie für die mir be wiejene Treue zu belohnen und für die Gefahren, denen Sie fid) in meinem Dienjte ausjegen, reich zu entſchä— digen. Erklären Sie alfo, ob Sie mir Ihre Arme, ja ihr Leben zur Verfügung ftellen wollen.“

„Ih gehöre Ihmen“, rief Suwalow begeijtert.

„Auch ich wir Alle“, tönte es von den Lippen der Uebrigen.

„Ich buldige Ihnen hiermit als meiner Monar- chin“, Sprach Suwalow, indem er fih auf ein Knie vor ihr niederließ. „Es lebe Eliſabeth Petrowna, Kai: jerin von Rußland!“

Die Anderen folgten feinem Beifpiel und ſtimm⸗ ten in den Ruf ein.

„Ib danke Ihnen“, fagte Elifabeth, „ich ſehe, ih babe mich in feinem meiner Freunde getäufcht. Stehen Sie auf und hören Sie jeßt aljo die Befehle, welche ich Ihnen ertheile.” Sie ſetzte fih an den Tiſch und ſchrieb. „Hier ift eine Anweifung für Sie, Leſtocq,

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welche der Marquis de la Chetardie honoriren wird.” Sie übergab ihm das noch feuchte Blatt. „Ihre Auf: gabe ijt es, Geld unter die Soldaten der bier befind- lichen Regimenter zu vertheilen. Sie, Aftrosti werben die Dfficiere gewinnen, während Suwalow und Wo: ronzoff in vworfichtiger Weife den Adel für mich und meine Sache jtimmen werden, und Sie Battog find der geeignete Mann, unter ihren Genoffen eine Ver- ſchwörung für fich zu bilden, ohne jeden Zuſammen— bang mit mir, ausfchließlich zu dem Zweck, das Volt in Petersburg aufzureizen. Die Preobrasenstifche Garde nehme ich auf mich.“

Nachdem ſich alle Anweſenden bereit erklärt hat— ten, die ihnen zugetheilten Aufgaben zu übernehmen, trennte man ſich tief in der Nacht.

Die Großfürſtin gab Suwalow einen Wink zu bleiben, und als es im Palaſte vollkommen ſtill ge— worden war, eilte ſie mit ihm im Dunkel die Treppe hinab und poſtirte ſich in der Nähe des Ausgangs: thoreg,

„Was haben Sie vor“, flüfterte der Graf.

„Das werben fie fofort ſehen“, erwiderte fie.

Es mährte nicht lange, jo hörten fie leife Schritte nahen, der Schlüffel wurde vorfichtig in das Schloß gehoben und das Thor Tangiam geöffnet; in diefem

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Augenblide ſprang Elifabeth mit der Behendigfeit einer Tigerfage auf den Mann los, der den Palaſt zu fo jpäter Stunde verlaffen wollte und hielt ihn an der feſt.

- „Wohin willſt Du?” fragte fie in einem Ton, der ihren Gefangeneh am ganzen Leibe erzittern machte,

„sh ih habe etwas in der Stadt zu holen“, jagte der Ertappte, einer ihrer Lakaien.

„So ſpät! Eigenthümlich?“ ſpottete Clifabeth. „Schließen Sie das Thor, Graf.“

Suwalow that wie ſie befohlen, dann zog die Großfürſtin die Glocke. Ihr heller Ton alarmirte das ganze Haus. Diener und Koſaken ſtürzten mit Lich— tern herbei und wurden Zeugen der ſeltſamen Scene. „Dieſen Dieb hier, den ich ſelbſt auf friſcher That ergriffen habe, bindet mir auf der Stelle“, gebot Eliſa— beth. Ihre Leute ergriffen den Schuldigen und ban— den ihm die Hände auf den Rücken. „So“, ſagte die energiſche Frau, „jetzt führt ihn in den Gartenpavillon und bringt Lichter dorthin, ich werde ſelbſt Gericht über ihn halten und zwar auf der Stelle.“

Nachdem ihre Befehle vollzogen waren, trat fie vor den Unglüdlichen, der fie zitternd erwartete, und hieß ihre Leute in der’Nähe warten. Nur Suwalow blieb bei ihr.

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„Ich bin fein Dieb“, begann der Latai flehend.

„Ich weiß es“, ſchnitt ihm Eliſabeth kurz das Wort ab, „und doch haft Du mich beſtohlen, Du haſt mein Vertrauen mißbraucht und meine Geheimniſſe geraubt, um ſie dem General Mannich zu verkaufen, elender Spion.“

„Ich Mütterchen ich ab nicht3“, ſtam— melte der Elende.

„Nur ein offenes Geftändniß fann Dich retten“, ſagte die Prinzeffin ſtreng. „Nenne Deine Mitſchul⸗ digen.“ |

„So wahr mir Gott helfe, ich weiß von nicht 1” jammerte der Diener. „Du willft nicht gejtehen ?“ „56 Tann nicht.“ |

„Wir werden Dir .alfo ‚helfen müfjen“, ſprach Eliſabeth und ein höhnifches Lächeln zudkte in ihren Nundwinfeln. Sie rief ihre Leute, - ließ den Spion Nünnich’s im Garten an einen Baum binden und ihın die Kleider bis zur Hüfte vom Leibe herabreißen. Dann befahl fie zwei Rofaten ihn jo lange zu peitjchen, bis er geitehe. Sie jelbft jtand dabei und ſah, mie jeder Hieb ihrer langen Kantjchu ihm das Fleifch zerichnitt und jein Blut riefeln machte, fie blieb taub gegen fein

Bitten und Jammern, ja fie eiierte feine Peiniger noch Sacher-Maſoch, ein weiblicher Sultan. I. 9

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an, bis er um Gnade bat und Alles zu geitehen ver: ſprach. Sept wurde er erft Losgebunden und in den Pavillon zurüdgeführt.

„Du bilt alfo ein Spion des Generals?” beganı fie das Verhör von Neuem,

„sa“, jeufzte der Verräther.

„Wer ift außer Dir no in meinem Haufe in den Dienften Münnich's?“

„Die Kammerfrau Anaftafia und der Reitknecht Nicolaus.”

Beide wurden fofort ergriffen, gebunden und vor: ) geführt.

„Was babe ih Euch Elenden gethan, daß Ahr mich verfauft habt“, rief Elifabetb im höchſten Zorn, „babe ich Euch nicht mit Wohlthaten überhäuft, Euch gepflegt, wenn Ihr krank waret, ift dies Eure Dank— barkeit 2”

Vergebens warfen ſich die Schuldigen der Groß: fürftin zu Füßen und flehten um Erbarmen, aber jo qut fie fonft war, wenn man fie beleidigt hatte, kannte fie feine Schonung. Sie ließ die Beiden gleichfalls bis auf das Blut peitfchen und jagte fie dann aus dem Haufe.

„So, jeßt habe ich mir die Spione vom Halje

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geſchafft“, ſagte fie dann zu Suwalow, „jegt fünnen wir una ohne Gefahr verjchwören” —.

Ale Theilnehmer des Complottes begannen nun ihre Thätigfeit, Sumalow und Woronzoff in den Sa— lons und Boudoirs, Leſtoeq und Aftrosfi in den Ka— fernen, Battog im Bereine mit einigen anderen Stu- denten und Kaufmannsjöhnen, welche er in’3 Vertrauen jog, in den Schänfen der Hauptitadt.

Bald waren einige hundert Perfonen Tingeweiht, und alle benahmen fich, wie wenn es eine Garnevals- beluftigung gälte; von ber Borficht, welche der fran- zöſiſche Geſandte fo dringend empfohlen hatte, von der Verſchwiegenheit, welche die Großfürftin fich feierlich geloben ließ, war bei dem ganzen Unternehmen feine Epur. Leſtocq, eben jo ſchwatzhaft, Teichtfertig und prableriich wie er kühn und unternehmend war, gefiel ich in geheimnißvollen Andeutungen von einer bevor- ſtehenden großen Veränderung, welche ihu zu außer ordentlichen Ehren bringen follte, die anderen Ber: ſchwornen, galante Lebemänner oder gemeine Säufer machten es nicht viel beſſer. Die Verſchwörung trug dad Mißlingen an der Stirne.

Als der eintretende Winter die Petersburger Ges ſellſchaft wieder vollzählig ſah, wurde in den Affen:

bleen derfelben offen von der Revolution, welche im g*

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Kurzem die Großfürftin Elifabeth auf den Thron heben follte, gefprochen, wie von Etwas, was fich von jelbit verfteht und was Niemand zu hindern im Stande ift. Jedermann glaubte an eine weitverzweigte Verſchwö— rung zu diefem Zwecke, nur die Regentin nicht. Man hatte Elifabeth bei ihr viel zu oft ohne jeden Grund fühner Umfturzpläne bejchuldigt, als daß fie jebt, wo es damit Ernft war, noch daran glauben follte. Nicht einmal der intime Verkehr der Prinzeffin mit der Preobrasenskiſchen Garde war im Stande, fie zu be= unrubigen, denn Elifabeth hatte ja ihren erften Günft- ling aus den Reihen derjelben gewählt und mar im— mer eine Art Eoldatenmutter geweſen.

Es war am 20. November 1741, al3 ein Sol— dat diefer Truppe bei der Großfürftin erjchien und fie in der zugleich demüthigen und herzlichen Weiſe der gemeinen Ruſſen bat, fein eben geborenes Kind aus der Taufe zu heben. Elifabeth, welche unter allen Umftänden ſchon durch ihr gutes Herz beftimmt wor— den wäre, diefe Pathenftelle anzunehmen, ergriff jetzt die Gelegenheit, welche fich ihr zu einer Demonftration bot, mit freudiger Haft, und jagte dem Manne unter der Bedingung zu, daß die heilige Handlung nicht in der Kirche, jondern im Hofe der Kaferne und in An: weſenheit der Soldaten ftattfinde.

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Am folgenden Tage erjchien fie in rothen herme— Iinbejegten Eammet gekleidet, jchön wie eine Göttin, von ihrer Hofdame begleitet in der Cajerne, deren Hof bereit3 von Soldaten und Officieren aller Grade ge: fült war. Jauchzender Zuruf begrüßte die jchöne Frau, als fie aus dem Schlitten fprang; huldvoll lä— chelnd jchritt fie durch die Reihen der Garden, ſprach mit dem von feiner Gejundheit, mit jenem vom Dienft, fragte einen Dritten nach feiner rau und wieder ans dere, wie fie mit ihren Officieren und mit ihrer Koſt zufrieden jeien.

Als man des Soldaten Kind, einen hübjchen Kna— ben brachte, nahm fie es auf den Arm und füßte es. Die Soldaten bildeten einen Kreis um fie und der PBriefter begann die Ceremonie, wobei die Großfürjtin Gelegenheit fand, ſich als eine ebenjo treue Tochter der Landeskirche, wie große Soldatenfreundin zu zeigen.

Auf ihren Winf wurde das Kind auf eine Trom: mel gelegt und auf derjelben getauft. Als die heilige Handlung beendet war, bob die Prinzeſſin es noch einmal body empor und rief: „Gott gebe Dir jeinen Segen, damit Du ein braver Soldat wirft und Ruß: land jowie dem Gzaar treu dienſt.“

„Gott gebe, daß er Ihnen dient, Elifabeth Be:

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trowna“, rief ein alter Soldat mit grauem Schnurr: bart, der ſchon unter Peter dem Großen bei Pultawa gefochten.

„sa, das gebe Gott”, riefen Dfficiere und Sol daten. - „Run, mit Gottes Hilfe kann Manches werden“, ſagte Elifabeth, fich volllommen vergefjend, „was jet noch unmöglich fcheint.”

„Es lebe Elifabeth Petrowna!“ riefen die Sol: Daten.

Die Großfürftin legte eine Role mit fünfzig Du: caten al3 Taufgeſchenk in die Wiege des Soldatenfin- des und ftieg dann, von den Soldaten, welche begei- ftert den Saum ihres Kleides und ihre Füße füßten, umdrängt, in ihren Schlitten.

Während fie, mit der Hand grüßend, davonfuhr, warfen die Preobrasenstifchen Garden ihre Mügen in die Höhe und riefen: „ES lebe unjere Ezaarin, es lebe Eliſabeth Petrowna!“

Elftes Kapitel.

Macht der Thränen.

Einige Tage nach der Demonſtration in der Ca— ſerne der Preobrasenskiſchen Garde ließ ſich Oſtermann, welcher ſeit einigen Wochen an das Bett gefeſſelt war, krank in einer Sänfte in den kaiſerlichen Palaſt bringen, um die Regentin zu warnen. Er berichtete ihr Alles, was er wußte und wovon die ganze Reſidenz ſprach, daß täglidy in dem Palaſte der Großfürftin und in dem Hotel des franzöfifchen Geſandten verdächtige Zufammenfünfte ftattfänden; daß eine Verſchwörung zu dem Zwecke bejtehe, Iwan IH, umd die Regentfchaft zu ftürzen und die Tochter Peter des Großen, auf welche man in allen Schichten der Bevöllerung die fühnften Hoffnungen jeße, auf den Thron zu Beben; daß die Soldaten mit franzöſiſchem Gelde Beftochen

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feien, in den Schenken offen unter dem Pöbel für Elijabeth geworben werde, und die Unzufriedenheit mit jedem Tage fteige, die allgemeine Stimmung daher dem Unternehmen der Großfürftin günftig fei. Die Regentin hörte ihm indeß nur zerftreut zu, und als er fertig war, dachte fie nicht einmal daran, ihm eine Antwort zu geben, jondern ftand auf und zeigte ihm ein neues Kleid, das fie eben von Paris für ihren Sohn, den Fleinen Gzaaren Swan IIL, erhalten hatte.

Dftermann blieb einen Augenblid ftarr, er wußte jett, daß dieje Frau, die er und Münnich an die Spite eines großen Reiches gejtellt hatten, nicht im Stande war, der Gefahr, welche ihr und ihren Anhängern drohte, zu begegnen, ja diefelbe nur zu begreifen. Er jchilderte ihr daher nochmal® mit wenigen aber ein= dringlichen Worten die Lage und verlangte Vollmacht, um Vorkehrungen zu treffen, welche er der Ver— ſchwörung gegenüber für unabmweislich hielt.

„Vollmacht? Zu welchem Zwecke?“ fragte die Re— gentin. „Was wollen Sie denn thun?“

„Ich werde vor Allem die Großfürſtin Eliſabeth in ein Kloſter in das Innere Rußlands ſenden“, er— widerte Oſtermann, „dann Leftocq, Iwan Suwalow und Woronzoff verhaften und den Marquis de la Chetardie ausweiſen.“

=

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„Was denken Sie ”, jagte die Regentin, „auf einen bloßen Stadtklatſch bin.”

„Es ift mehr als das!”

„Rein, Oſtermann!“ rief die Regentin. „Seitdem ich an das Staatsruder gefommen bin, wird mir die Groß: fürftin immer als eine gefährliche Verjchwörerin ge: Ichildert, während ſie das harmloſeſte Gejchöpf von der Welt ift. Sie kennt nur das Vergnügen und die Liebe, alles Andere ift ihr gleichgiltig, ja verhaßt. Hätte fie jonft Biron’8 Anerbieten abgelehnt und den perfiichen Thron ausgejchlagen? Sprechen Sie mir nie mehr von diefer Angelegenheit.”

„Ich beichwöre Sie, Herzogin!” flehte der greife Staatsmann,

„Ich will nichts hören”, jchnitt ihm Anna von Braunfchweig das Wort ab. „Genug davon; jagen Sie mir lieber, wie ihnen das Kleid des Heinen Czaaren gefällt.”

Am vierten December erjchienen unerwartet die Geſandten Defterreihg und Englands, deren Intereſſen dur; das Bündniß Elifabeth’s mit Frankreich jehr ernjtlich gefährdet erjchienen, bei der NRegentin und wurden von berjelben empfangen.

„Wir halten es für unjere Pflicht, kaiſerliche Ho— beit”, begann der britifche Diplomat, „Sie auf

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Dinge aufmerffam zu machen, welche fi in Ihrer nächſten Nähe, vielleicht zu Ihrem Berverben, jeden: falls zu Ihrem Schaden, vorbereiten. Nach den über: einftimmenden Berichten unferer Agenten ſowohl, als nad den Ausfagen unbefangener Leute aus allen Kreifen, beiteht eine Verſchwörung gegen die gegen- wärtige Regierung, an deren Spite die Großfürftin Elifabeth jtebt, und deren thätigfte Organe der Marquis de la Ehetardie und der Wundarzt Leftocgq find. Wir beſchwören Eure faijerliche Hoheit, ehe es zu ſpät ift, entichiedene Maßregeln zu ergreifen, um der drohenden Revolution zu begegnen.“

„Ich bin fehr erfenntlich für die treuen Gefin:

nungen, welche aus Ihrem Schritte unzweifelhaft her—

vorgehen”, entgegnete Anna von Braunfchweig, „aber dies Gejpenft, das Sie alle zu fchreden ſcheint, ift zu oft aufgetaucht, als daß ich es nicht belächeln ſollte.“

„Vergeben Sie Herzogin“, ſagte der öfterreichifche Gejandte, „aber bat ſich die Großfürftin fürzlich bei der Taufe eines Soldatenkindes in der Gaferne ber Preobrasenskiſchen Garde nicht ſelbſt verrathen?”

„Sp wie die Großfürftin ſich bei dieſer Gelegen- beit benoimmen hat“, antwortete die Regentin, „benehmen fih eben nur ambefangene und daher unüberlente Menſchen. Verſchwörer find vorfichtig.”

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„Wenn Sie nichts anderes thun wollen“, jagte der englifche Diplomat, „jo ftellen Sie wenigftens die Prinzeffin zur Rede. Sie kann ſich fo wenig verftellen, daß fie fich gewiß bei einer unerwarteten Anklage ver: rathen und vielleicht jogar ein offenes Geſtändniß ab- legen wird, wenn man ducchbliden läßt, daß fie ſelbſt auf Schonung zu rechnen habe.“

„Es ſei“, jagte die Regentin nad) einigem Nach: denken, „dies will ic thun, um Sie zu beruhigen, denn ich jelbft glaube an diefe Verſchwörung eben jo wenig, wie an die hundert anderen, welche Münnich und Oſtermann bereit3 zu entdeden geglaubt haben. Meine Minifter haben der Großfürftin gegenüber ein ſehr jchlechtes Gewiffen, das ift Alles, und mas fie fürchten, ftellt Ihnen ihre Phantafie von Zeit zu Zeit als wirklich vorhanden dar. Sch wette, Elifabeth denkt in diefem Augenblide an nichts anderes, als an ihre Toilette zu dem nächſten Hofballe und der großen Shlittenfahrt, welche Graf Lyarn arrangirt.”

Sobald die beiden Vertreter der mit ihr alliirten Mächte fie verlaffen hatten, beorderte die Regentin den Kammerherrn Rumianzow zu der Großfürftin; in dem Augenblide aber, da er den Befehl auszuführen im Be: griff war, meldete ein anderer die Prinzefjin, welche mit einer Unbefangenheit, die den gewiegteften Intriguanten

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entwaffnet hätte, eintrat und mit naiver Herzlichkeit - die Hand der Regentin füßte. Als die beiden Frauen allein waren, fagte die Regentin, Elifabeth zum Sopha führend: „Sie fommen eben recht —“

„Wegen der Schlittenfahrt, meinen Sie“, fiel die Großfürſtin lebhaft ein, „ich höre, daß jedes der Paare, welche für fi einen Schlitten einnehmen, gleich ge: fleidet fein fol, man muß fich aber nicht allein paar— weije, jondern auch mit allen Anderen verjtändigen, fonft kann e8 gejchehen, daß die gleichen Farbencombi— nationen zu oft wiederfehren, was mir wenigitens jehr unangenehm wäre. Sc möchte eine originelle Toilette für mich allein haben, nämlich weißen Sammet mit blauem Fuchs.” |

Die NRegentin lächelte. „Mit welchem Eifer Eie bei der Sache find”, ſprach fie, „für Sie eriftiren nur jchöne Stoffe und Pelze und —“

„Schöne Männer”, lachte Elifabeth, „warum fol ich es leugnen?” |

„Sie haben aljo wirklich feine Ahnung von dem, was unter dem Dedmantel Ihres Namens in Peters: burg vorgeht”, fuhr die Regentin fort. .

Elifabety verjtand die Anfpielung nur zu gut, eben deshalb war diefer fchöne weibliche Machiavelli jofort gefaßt und der Situation vollfommen gewachjen.

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„Geht etwas vor?” fragte fie mit einer Naivität, welche jeden verwirren mußte. „Erzählen Sie mir doc, ich höre gern folche Anecdoten —,

„Sie irren fih, es it eine Verſchwörung“, jagte die Regentin, Eliſabeth jcharf in das Auge faſſend.

„Ah! das intereſſirt mich gar nicht“, erwiderte Eliſabeth im gleichgiltigſten Ton der Welt.

„Aber mich um ſo mehr“, entgegnete die Regen— tin, „denn man ſagt, daß dieſes Complott dahin ge— richtet jein ſoll, Sie, Prinzeſſin, auf den Thron zu heben.“

„Mich?“ Elifabeth begann laut zu lachen. „Ich wüßte wirklich nicht, was ich auf dem Throne anfangen jollte; wollen denn die Leute noch immer nicht begreifen, daß mir dieſe Dinge läftig find, daß ic) feine Veränderung wünjche, überhaupt nichts wünjche, als daß man mich in Ruhe läßt. Wenn das jo fortgeht, wird man mich noch aus Petersburg ver: treiben.”

„Sie läugnen aljo jede Theilnahme an dieſem Plane?” inquirirte die Regentin.

„Ih höre zum erften Male davon“, gab Elijabeth zur Antwort, „aber Ihre Frage, Hoheit, bemweift „mir, daß Sie mich für fähig hakten, mich in ein Unternehmen

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einzulaffen, das den Zweck bat, Ihnen die Zügel der Regierung, welche fie jo fräftig und weite führen, zu entreißen. Sie feßen alfo in meine Zreue für Sie, in meine Wahrhaftigkeit Zweifel. Wie joll ich Worte finden, den Schmerz auszufprechen, den e8 mir erregt, fo mißverftanden zu werden und noch dazu von Ber: fonen, denen ich meine Anhänglichkeit in einem fehr ernsten Augenblide bewiefen babe. Ich weiß, daß das Bolt mich liebt, daß die Soldaten Sympathieen für mich begen, daß es eine Partei gibt, melche die Krone auf meinem Haupte jehen möchte, aber ihre Wünfche find nicht die meinen. Hätte ich je die Abficht gehabt, meine Rechte geltend zu machen, jo war der Augenblid dafür gelommen, als Biron mir die Regierung anbot; nie hatte ich größere Ausfiht auf Erfolg. Weshalb lehnte ich feinen Antrag ab? Weil mir meine Ruhe, meine Sorglofigfeit weder durch Macht noch Glanz erjegt werden kann. ch möchte dieſes Leben, das ic jebt führe, um Nichts in der Welt aufgeben. Aber alle dieje eingebildeten Complotte ftören meinen Frieden richt weniger als den Ihren. Was fol ich tbun? Soll ich Petersburg verlaffen? Soll ich mich jelbit aus Rußland verbannen? Damals ſchon, als der Schab von Perfien um meine Hand warb, ſchien es mir, daß Sie meine Entfernung wünfchten, ich wollte

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Ihnen das Feld räumen, weshalb ließen Sie mich nicht ziehen, Herzogin? D! Sie haben meine Offenheit Ihlecht vergolten, Sie haben es weder reblich noch qut mit mir gemeint,”

Statt anzuflagen, ſah ſich die Regentin plöglich angeklagt.

„Beruhigen Sie fih Prinzeffin“, jagte fie begüti- gend, „ih habe nie an Ihnen gezweifelt und mein Slaube an Sie ift auch heute unerjchüttert, aber meine Minifter ebenſo wie die Gefandten Oeſterreichs und Englands melden mir das Beltehen eines erniten Com— plottes, deffen Zojung Ihr Name ift und verlangen von mir energijche Maßregeln.“ |

„Sp verbaften Sie doch diefe Menjchen, wenn man fie kennt“, rief die Großfürftin immer .erregter, „und ftelen Sie fie mir gegenüber, e3 wird ſich dann zeigen, ob ich jchuldig bin, ob ich fie zu ihren wahnfinnigen Schritten ermuntert habe. Aber ich durch: ſchaue Alles, Münnih und Oftermann find feit jeher meine erbitterten Feinde, obwohl ich ihnen nie etwas zu Leide gethan habe, fie werden fich nicht eher zufrieden geben, als bis man mich in. ein Klofter fledt. O, lieber gleich fterben !“

Sie begann laut zu fchluchzen.

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„Aber Prinzeſſin, was fällt Ihnen ein“, rief die Regentin, ihre beiden Hände ergreifend.

„Wenn Sie mich für eine Verrätherin halten“, fuhr Elifabeth fort, „ſenden Sie mid) lieber gleich auf das Schaffot, nur um Gottes Willen in fein Kloſter.“

Sie warf ſich vor der Regentin nieder und rang weinend die Hände.

Die Regentin, wie jede ſchwache Frau der Macht der Thränen gegenüber wehrlos, zog die Prinzeſſin an ihre Bruſt und küßte ſie.

„Ach! ich bin ſo unglücklich“, rief Eliſabeth, „was habe ich denn allen dieſen Menſchen gethan, daß ſie mich ſo verfolgen!“

„So beruhigen Sie ſich doch“, bat die Herzogin, „ih fage Ihnen ja, daß ich von ihrer Unfchuld über: zeugt bin, daß ich gar nicht daran denke, Sie in ein Klofter zu jenden.” Es half nichts, Elifabeth meinte fort.

„Ich jehe ſchon, man will mich zur Nonne machen“, preßte fie mühſam hervor; „nun qut, ich werde nicht darauf warten, ich werde mich gar nicht mehr auf der Straße jehen lafjen, ich werde feinen Hofball befuchen, auch die Schlittenfahrt kann ohne mich ftattfinden.”

In Thränen gebadet verließ fie die Negentin, in

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Zhränen gebadet Eehrte fie in ihren Palaſt zurüd und warf jich ihrer Vertrauten an den Hals.

„Wir find verloren, Katinka“, rief fie, „die Her: jogin weiß Alles, die ganze Verſchwörung iſt entdedt, man wird ung in ein Klojter jteden, ob, ich bin die unglüdlichite Frau von der ganzen Welt!“

Als Suwalow kam, ftredte jie ihm beide Hände entgegen und jagte jeufzend:

„Dan wird uns in kurzer Zeit trennen, Iwan, wir find verrathen.“

„Ber jagt das“, erwiderte der Graf jorglos, „die Regierung weiß wie gewöhnlich Alles und Nichts.“

„Aber die Regentin hat mich ja geradezu gefragt“ fiel Elifabeth ein.

„Eine plunpe Falle”, lächelte Suwalow, „nichts weiter, und was haben Sie geantwortet?”

„Bar nichts, ich Habe geweint.”

„Seweint? Um fo befler. Thränen beweijen einem Weibe mehr, al3 hundert Documente.”

Sad,.rsPiafob, Ein weibliger Zultan. I 10

Zwölftes Kapitel.

Krone und Schleier.

Am folgenden Morgen hatte die Großfürftin die Scene mit der Regentin und die Thränen, welche fie ſelbſt vergofien hatte, bereits vergefjen, fie eriwachte mit einem Lächeln und als Frau von Kurialow an ihr prächtiges Lager trat, war ihre erite Frage: „Sit mein Schlafrod fertig?” Nachdem fie ihre Chocolade ge: nommen, beeilte fic) die ſchöne Frau aus dem Bette zu fteigen und dieſes neue Meifterwerf der Toilettenkunfi zu probiren. Es war ein Schlafrod in jenem Stile, wie man ihn auf den graziöfen Bildern Watteau's, Mignard’S und Vanloo's fieht, vorne fnapp in bie Taille fchließend und auseinanderfallend, jo daß man das reich geftidte Unterfleid ſah, hinten mit einer großen Falte und Schleppe. Der beftand Stoff aus gelber Seide,

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der Beſatz aus jchmalen jchwarzen Belzitreifen. Die ganze Toilette zeigte eben jo viel Pomp als Drigi: nalität und als Elifabeth, das reiche Haar friſch gepus dert, in demjelben vor den großen Wandſpiegel trat, nidte fie holdfelig, fie fonnte zufrieden fein. Während fie noch damit bejchäftigt war, die reichen Falten zu arrangiren, trat Leſtocq ein und blieb jprachlos an der Thüre ftehen.

„sch jehe, Madame, daß Sie in befter Laune find“, jagte er endlich, „und es freut mich, daß Sie fid) durch den geftrigen Vorfall weder in Ihrer Stimmung noch in Ihren täglichen Gewohnheiten und dem Cultus Ihrer Schönheit ftören laſſen.“

„Bon was für einem Borfall fprechen Sie?” er- erwiderte Elijabeth zerftreut, indem fie zugleid; das ihwellende Pelzwerk über ihrer janft wogenden Bruft glatt ſtrich. „Findeft Du nicht, Katinfa daß diefer dunkle Pelz mich fehr weiß macht?“

„Als wenn Sie das nöthig hätten“, rief Frau bon Kuriakow, „Sie bejchämen ja jogar den Marmor bon Carrara.“

„sh spreche von der geftrigen unangenehmen Scene bei der Regentin“, fuhr Leftocq fort.

„Weiß man bereit3 davon?” fragte Elifabeth. „Aber Ratinta, zu dieſem Negligee paßt doch nur ein Schmud

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von Schwarzen Perlen; unter den Gefchenfen des armen verliebten Schah von Perſien befindet fich einer, bringe ihn mir.“

„sh bitte Sie, Hoheit, mich anzuhören“, bemerkte Leſtocq gereizt, „die Situation ift durchaus nicht ſpaß— baft, wir haben alle Urfache ebenjo vorfichtig als ener— gifch zu fein, wir müfjen der Gefahr, die uns droht, die Spite bieten und zwar ohne Zögern.

„Sie wollen von Ihrer Verſchwörung Tprechen, Leitocq”, erwiderte Elijabeth, ihre ſchönen Augenbrauen zujammenziehend, „ich will Ihnen vergeben, daß Sie mich bloßgeftellt und halb ſchon der Regentin und meinen Feinden preisgegeben haben, aber von jegt an will ich von diejem Complotte, von Ihren wahnwigigen Projecten nicht3 mehr hören —”

„sm Gegentheil“, unterbrach fie Leitocq, indem er alle Etikette beifeite jegte, „Sie werden heute mehr als je von unjerem Plane hören.”

„Wenn ich Ihnen aber verbiete —“

„Das können Sie nicht”, rief Leitocq, „wir find zu weit gegangen, und Sie täufchen fih fehr, wenn Sie fich ſelbſt noch für lange Zeit ficher glauben.“

„Meine Thränen haben geftern die Herzogin ent- waffnet —“

„sh weiß es, aber für wie lange? Che Sie es

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jelbft noch für möglich halten, wird man Gie ver: haften —“

„Das ift unmöglich”, jehnitt ihm Elifabeth das Wort ab, „die Regentin vertraut mir und ich werde ihr Vertrauen nicht täuschen.“

„Die Regentin ift eine Frau und noch dazu eine ſehr ſchwache, leicht erregbare Frau”, ſagte der Fleine granzofe, „gerade der Erfolg, den Sie geitern mit Ihren Thränen bei Ihr errungen haben, muß Sie bedenklich machen. Eine Frau, die ſich jo leicht um: fimmen läßt, wird ſich auch eines Tages von ihren Miniftern und den Gejandten beftimmen laſſen, den Verhaftsbefehl gegen Sie zu unterzeichnen, und ift der: jelbe einmal in Oftermann’3 Händen, dann rechnen Sie ja nicht auf Schonung.”

„Sie jehen wieder einmal recht Khan, Leſtocq“, gab Eliſabeth mit einem Lächeln zur Antwort.

Eben war die Vertraute mit dem Schmuck zu— rüdgefehrt. Die Prinzeſſin ſchlang zwei Schnüre der koſtbaren ſchwarzen Perlen um ihren weißen Arm und eine dritte um ihren Hals. „Die legte”, fagte fie, „wollen wir im Haar anbringen, das wird' fih ganz prächtig machen, aber dieſe Zoden wollen mir dazu nicht paffen. Wir werden eine andere Frifur maden, Katinka.“ Die Großfürftin warf den Schlafrof ab, deffen nod)

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ganz frifche Seide ftarf fnifterte, nahm einen weißen Pudermantel um, und fegte fih an ihren Toiletten: tiſch. Die Hofdame Löfte die weichen Wellen ihres Haares und begann fie neu zu orbnen.

Leſtocq war nahe daran, der ſchönen leichtfinnigen Frau den Dienft zu kündigen, jo jehr empörte ihn ihre beifpiellofe Gleichgiltigfeit gegen das Schidjal ihrer Freunde und ihr eigenes, zu rechter Zeit fiel ihm aber eine Karte in die Augen, welche auf dem Toiletten: tifch neben der Puderbüchje lag; es war ein Herz-As. Er kannte die Großfürftin, und wußte, daß ein quter ſchlagender Einfall bei ihr Alles galt. Schnell ent: Ichloffen nahm er die Karte und begann auf derjelben in feiner draftifchen fatyrifchen Manier, welche ihm Ichon ebenjo viel Feinde al3 Freunde gemacht Hatte, zu zeichnen.

„Bas thun Sie, Leftocq”, fragte die Großfüritin, nachdem fie ihm eine Weile zugejehen hatte.

„sch zeichne ein lehrreiches Bild für ein "großes Kind”, gab der Heine Franzoſe keck zur Antwort.

„Für mich aljo?” lachte Elifabeth.

„Für Sie.”

Leftocq legte jegt die Karte vor fie hin und jah ihr mit einem feinen ironifchen Lächeln zu. Auf der einen Seite war Elifabeth im Hermelin, die Krone auf

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dem Haupte, zu ſehen, unter ihr Leftocqg mit einem großen Ordensſtern.

„Was foll das?” rief die Prinzeffin.

„sh bitte, wenden Sie um”, bat Leſtocq.

Auf der Kehrſeite der Karte erblidte Elijabeth ihr Bild mit dem Schleier einer Nonne und ein Rad, Sie jah Leſtocq überrajcht an.

„Es giebt feinen Rückweg mehr für uns“, rief diefer mit allem Ernfte, der ihm zu Gebote ftand, „wählen Sie, von diefem Augenblide hängt Alles ab, Krone oder Schleier und Rad. Entweder, oder! Eins für Sie, das Andere für mich.“ |

Eliſabeth war bis in die Lippen bleich geworden, fie erhob fich, ging einige Male durch das Zimmer und blieb zulegt vor ihrem Leibarzte ftehen. „Alfo wirklich Fein Ausweg mehr 2"

„Keiner.”

„Sie drängen mid im Ernite zu einer Entjchei: dung?” |

„Ja, und zwar auf der Stelle. Wenn morgen niht der Hermelin der Herrjcherin ihre Schultern ſchmückt, wird übermorgen ihr Haupt den Schleier einer Nonne tragen.“

„Und wirklich fein Ausweg?” murmelte Elifabeth.

„Keiner.“

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Sie jehte fi auf die Ottomane, jtügte den Kopf in beide Hände und verjank in Nachdenfen. Mit einem Male erhob fie fich Iebhaft, ihr ganzes Weſen athmete jegt Muth und Energie.

„Es ſei“, ſagte fie, „ich will der Welt bemweifen, daß ich etwas mehr als ein Kleiderftod, daß ich die Tochter Peter des Großen bin; ich habe viel zu lange nur dem Vergnügen und der Liebe gelebt. ch will den Thron befteigen, der mir gebührt nah Recht und Gejeß, und den mir die Stimme meines Volkes zu: jpricht, oder lieber auf der Stelle zu Grunde geben. Ich bin entſchloſſen, Leftocq, wir re los und zivar heute noch.”

„Heute Nacht alſo!“ rief Leitocq erfreut.

„Heute Nacht, benachrichtigen Sie jofort die An: deren.”

Eine Stunde jpäter waren alle Häupter der Ver: Ihwörung, Leftocq, Suwalow, Woronzoff, Aftroski, Battog, im Palaſte der Prinzeſſin verjammelt.

„Der Himmel jegne Ihren Entichluß, Hoheit“, rief Aftrosti, als Clifabeth eintrat. „Die Ungeduld der Preo— brasenstifhen Garde läßt fih Faum mehr zügeln. Ihre treuen Soldaten wollen Sie mit der alten Krone der Czaaren gefchmidt jehen und lieber ihr Leben verlieren, als länger die Regierung diefer Deutfchen eriragen.”

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„Sie find alfo überzeugt, daß wir auf diejes Regiment zählen können?“ jagte Elifabeth, deren ganzes Weſen plötzlich verändert jchien.

„Auf diefes bis zum Aeußerſten“, erwiderte Aſtroski, „ch zweifle jedoch auch feinen Augenblid an dem Eifer der anderen.”

„Run, es bat uns auch Geld genug gefojtet”, lächelte Leſtocq.

„Ich bin entfchloffen, noch heute Nacht den kühnen Schritt zu wagen“, fagte die Gropfürftin mit einer Energie, welche ihr neue Reize verlieh, „ich handle in der Meberzeugung, daß ich das gute Recht und die Liebe der Nation auf meiner Seite habe und rechne auf meine Freunde, ich rechne auf ihre Vorficht und ihren Gehorſam eben jo gut wie auf ihren Muth und ihre Todesverachtung. Wenn ein Unternehmen wie das unfere gelingen joll, darf Niemand, fei e8 aus Eifer oder Nachläffigkeit, nach feinem Gutdünfen handeln, jondern ein jeder muß fi) den Anordnungen unter: werfen, welche nur ein Haupt entwerfen, ein Wille dic- tiven fann. Echwören Sie mir alle unbedingten Gehor: ſam?“

„Bis in den Tod!“ rief Suwalow. Alle er— hoben die Finger zum Schwur.

„Ich gelobe Ihnen dagegen“, ſprach Eliſabeth,

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„mit Ihnen zu ftehen und zu fallen und mein Scid- jal niemals von dem Ihren zu trennen. Nun hören Sie meine Befehle. Sch werde von Leſtoeq und Wo— ronzoff begleitet um Mitternacht in der Cajerne der Preo— brasensfifchen Garde fein. Zu .derfelben Stunde haben Sie, Suwalow und Aitrosfi, den anderen Garderegimen: tern zu melden, daß ich an der Spiße der Preobrasens: filchen Garde gegen die Regierung marjchire, und fie aufzufordern, fich der Revolution anzujchließen, während Battog und feine Genofjen das Volk aufregen. Alle, die für und Partei ergreifen, find gegen den Faifer: lihen Balaft zu dirigiren, dort treffen wir uns, wenn Gott mit ung ift, als Sieger, oder ald Gefangene der Regentin, wenn er uns verläßt.“

Während fich die Verſchwörer unter einander be= jprachen, hatte die Großfüritin fich mit ihrer Vertrauten eifrig berathen, plöglich wendete fie fich zu Suwalow und rief: „Aber wie ſoll ich mich anziehen, Swan, mas meinen Sie?“

Alle Anweſenden hatten Mühe, nicht zu lachen. In dem Augenblide, ala e3 für fie die höchite Macht oder die tiefſte Erniedrigung, für ihre Anhänger vielleicht den Tod galt, dachte die fchöne, eitle Frau noch an ihre Toilette. Da Suwalow ihr in feiner Weberra: [hung die Antwort jchuldig blieb, wendete fie fih an

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Atrosfi und fragte: „Soll ich in Männerfleidern er: Iheinen, etwa in der Uniform der Preobrasensfifchen Garde?”

„Keinesfall3”, entgegnete Suwalow rafch, „ein Weib bezaubert ung Männer vor Allem durch feine weib— lichen Reize.”

„Sie können ja Ihrem Anzug, ohne demfelben die beftechende Grazie einer Damentoilette zu nehmen, immerhin den militärifchen Charakter verleihen“, rief Leſtocq.

„Sie haben Recht“, ſtimmte Frau von Kuriakow bei.

„Vor Allem brauche ich einen Hut“, ſagte Eliſa— beth, „wollen Sie mir den Ihren geben, Aſtroski.“

Der junge Officier beeilte ſich, dem Wunſche der Prinzeſſin zu entſprechen und reichte ihr ſeinen Officiers— but, den fie mit koketter Kühnheit auf ihr Toupée ſetzte, um fih dann wohlgefällig im Spiegel zu betrachten. „Sch werde gut ausfehen als Grenadier“, fagte fie. Ale Gefahren, denen fie entgegen ging, waren jet ver: geſſen, die gefallfüchtige Frau verabjchiedete ſich nur flüdhtig von ihren Anhängern, welche ihre Befehle zu vollziehen eilten, und begann dann fofort in ihrer Garderobe herumzuwühlen.

„Bir dürfen nicht vergeffen, daß es in der Nacht ſehr kalt fein wird“, bemerkte ihr die Hofdame.

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„Gewiß, ich muß einen Pelz haben“, ermiderte die Großfürftin.

Sie wählte endlich einen grünfammtenen, mit 30: belpelz gefütterten und bejegten Ueberwurf, dem fie durch das Aufnähen von rothen Aufjchlägen und Gold: lien das Anſehen einer militärijchen Uniform geben ließ.

ALS Leftocq gegen Abend mit der Meldung zu ihr fam, daß Alles zum Losbruch bereit jei, ſagte fie mit einem Ernfte, der unmiderftehlich komisch war: „Aud mein Anzug ift fertig, es kann aljo ohne Weiteres los— gehen” und fchlüpfte dann mit unnachahmlicher Grazie in den weichen Pelz ihres improvifirten Soldatenrodes,

„Wie jehe ich aus Leitocq?”

„Unwiderſtehlich“, erwiderte der Heine Franzofe lächelnd, „genau jo, wie es nothwendig ijt, damit man fich mit Vergnügen für Sie todtjchießen läßt.”

„Und eine fo Schöne Frau“, murmelte fie, „will man in ein Klofter fperren. Die Elenden jollen es büßen.“

Dreizehntes Kapitel.

Die Revolution.

Die Negentin Anna von Braunfchweig unterhielt fih eben in ihrem Boudoir mit ihrem Liebhaber, dem Strafen Lynar, als es heftig an die Thüre Flopfte. Zuerft gab fie feine Antwort, als aber noch ftärfer ge- podht wurde, rief fie ärgerlih: „Was gibt es noch io ſpät?“

„sh bin es, Anna“, erwiderte draußen eine Stimme.

„Mein Mann“, jagte die Regentin mit einem un bejhreiblichen Lächeln. „Sollte Seine Hoheit eiferfüchtig jein?” fragte Lynar. | „Was fällt Ihnen ein, eber betrunfen“, flüfterte die Herzogin.

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„Sp mach’ doch auf“, begann Ui von Braum ſchweig von Neuem.

„Was fol es“, erwiderte die Regentin, „ich Bir zu Bett und will Ruhe haben. Es brennt wohl nicht.”

„Doch meine Liebe, ich weiß aus ficherfter Duelle, daß ein Complott gegen uns unter den Soldaten und dem Pöbel von Betersburg befteht und wollte Dich er— juchen, auf der Stelle Maßregeln zu ergreifen”, fagte der Herzog.

Die Regentin lachte. „Set, wo e3 beinahe Nachts it, was fällt Dir ein, Du haft zu viel getrunfen, wir haben wohl Zeit bis morgen.“ |

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich Habe Be weile —“

„Ich glaube Dir Alles, aber jegt will ich Schlafen, morgen fprechen wir weiter von der Sache —“ ent- gegnete die Regentin, „gute Nacht.“

Man hörte jebt den Herzog fich entfernen.

Sp iſt er“, fagte die Regentin zu Lynar, mitten in der Nacht mwedt er mic, um über Borten zu Iprechen, welche er an den Rüden unjerer Soldaten

ändern will. s „Aber diefe Verſchwörung ſcheint doch nicht fo

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ganz aus der Zuft gegriffen, wie Sie glauben“, ſprach Lunar.

„Ab! ein Hirngejpinnft mit dem man fich die Zeit vertreibt, wenn es an ernfterem Stoffe fehlt”, tief die Negentin. „Al wir uns mit Münnich zum Sturze Biron’3 verfchworen, hat fein Menſch davon geiprochen —“

Die Nacht des 5. December 1741 brach an. Ein ftarfer Froſt war eingetreten, die Kälte auf eine bei: nahe unerträgliche Höhe geftiegen. Nach elf Uhr waren alle Häupter der Verjhwörung zum legten Male in dem Eleinen Palaſte der Großfürjtin verſam— melt. Die Außenfront defjelben zeigte weder Licht noch jonft etwas Ungemwöhnliches. Alles jchien zu Ihlafen. Nur der Kleine Salon nad) dem Garten zu und das nebenanliegende Boudoir der Prinzeflin wa— ven erleuchtet. In dem erjteren bejprachen fich Die Verſchwornen halblaut, während in dem Iegteren Eli: jabeth Toilette machte, mit einer Sorgfalt und Kofet: terie, wie wenn e3 ein Hoffeit zu befuchen oder einen Geliebten zu empfangen gälte. Endlich trat fie raſch heraus, ein ftolzes Lächeln um die Lippen, denn fie wußte, daß fie ganz ungewöhnlich ſchön war. Sie trug über einem Rock von grauem Sammet, der nur bis zum Knöchel reichte und ihre kleinen Füße in

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ſchwarzen mit jchmalen Streifen von Zobelpelz bejegten Halbitiefeln jehen ließ, eine grünfammtene Jade mit dunklem Zobelpelz gefüttert und breit befeßt, welche durch rothe Sammetaufjchläge und Goldligen den Charalfter der Uniform der Preobrasenskiſchen Garde erhalten hatte, ein Männerjabot und weiße Stulpenhandichube Um die Schlanke Taille lag ein weißer Ledergürtel, an dem ein Offi- ciersdegen hing und in dem zwei Piftolenjtaden. Auf dem ſchönen gebieterifchen Haupte mit ſchneeweißen Toupee ſaß der Hut Aſtroski', in der Hand hielt fie eine Reitpeitjche.

Ein Ausruf aufrichtiger Bewunderung von den Lippen ihrer Anhänger begrüßte fie und fchien ihr den Erfolg zu verbürgen, fie mußte, daß es heute mehr als je ihre Aufgabe war zu bezaubern und binzureißen und fie war in der That binreißend jhön. Huldvoll reichte fie einem Jeden die Hand, unterzeichnete dann die Befehle, welche fie ihnen ertbeilt hatte und hän— digte fie ihnen ein.

„Sie ſehen, ich ſchone mich in feiner Weife, ich jtehe für Alles ein, was Sie in meinem Namen thun“, jagte fie mit edlem Stolze, „wir werden zufammen fiegen oder untergehen. Eins nur wünfche ich, daß nur im äußerſten Falle Blut vergoffen wird.”

Der Erfte, der fich entfernte, um feine in einer Schänke verfammelten Freunde aufzufuchen, war Bat:

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tog, der Student, um halb zwölf Uhr begaben- fich Suwalow und Aſtroski auf ihre Poſten.

Als es vom Thurme der benachbarten Kirche die legte Biertelftunde vor Mitternacht ſchlug, ftand Leſtoeq auf und fagte feierlich: „Cs ift Zeit Madame, von nun an aehört jeder Augenblid der Weltgefchichte.”

„Rur ein paar Eecunden gönnen Sie mir noch“, erwiderte Elifabeth. Sie eilte in ihr Schlafgemad, dad nur durch die Thüre des: Boudoirs, welche offen geblieben war, eine matte Beleuchtung erhielt, und warf ſich hier in ihrem Betſtuhl nieder:

Sie betete mit einer Andacht und Innigkeit, wie fie noch nie gethan hatte, fie betete um den Sieg: für fh, aber: ebenjo aus ganzer Seele, daß es ihr bergönnt jein möge, Die Krone zu erringen, ohne daß Blut vergofjen, ohne daß ein Menfchen- leben. geopfert werde, und fie gelobte feierlich, wenn Gott ihr Flehen erböre, nie einen Menjchen mit dem Tode zu beftrafen, jo lange fie regiere.

ALS fie fich erhob, ftand Leſtoeq in der Thüre.

„Wir müſſen eilen, Hoheit”, ſagte er.

„Sch bin bereit“, entgegnete Elifabeth mit einer majeitätifchen Feſtigkeit, welche Niemand von ihr er: wartet hätte, „in Gottes Namen vorwärts!“

Sie: ließ jih von ihrer Hofdame rajch einen gro=

Sacher-Maſoch, ein mweibliher Sultan. I. 11.

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Ben Hermelinpelz ummerfen und eilte dann die Treppe hinab. Unten wartete Woronzoff mit dem Schlitten, er führte die Zügel, die Großfürftin und Leſtocq ſtie— gen ein, und dahin flog das wilde Gejpann, nicht wie ſonſt unter fröhlichem Beitfchengefnall nnd Schel: lengeflingel, jondern ernjt und lautlos; Niemand ſprach ein Wort. Der Schnee lag hoch in den Stra: Ben und auf den Dächern, Feniter, Binnen und Vorjprünge waren mit jchimmernden Eiszapfen behan: gen, während das dunkle Firmament von unzähligen Sternen wie eine gligernde Golpftiderei flimmerte. Kein Menſch ließ fich bliden, in einem Schilderhaufe jchlief ein Soldat ftehend, fein Gewehr im Arme, das war Alles. Zwiſchen den hölzernen KFeniterladen einer Schänfe erblidte man ein zwweifelbaftes fladern- des Licht. |

Die Großfürſtin blicte zu dem wunderbaren, feier: (ich ruhigen Himmel der Mitternacht empor und mit einem Male erjchien ihr ihr Beginnen, diefes Ringen um vergängliche irdiiche Macht und Größe fo erbärmlich Hein, und fogar die ganze Erde, auf der dies un: ruhig ſich ſelbſt zerftörende Menfchengefchlecht gleich einem Ameifenhaufen mimmelt, kaum der Sorge und Beachtung werth. Es war eine große heilige Stim: mung, in der die jonft jo lebensfrohe genußfüchtige

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Frau vor der Caferne der Preobrasenskiſchen Garde anlangte.

Leſtoeq ftieg zuerft aus und gab das verabredete Zeichen, er klopfte dreimal mit dem Kolben feiner Viftole an das Thor; zwei Unterofficiere, welche er durch bedeutende Summen vollftändig für fi) gewon— nen hatte, barrten dieſes Zeichens und öffneten auf der Stelle.

Der Schlitten fuhr in den Hof, Elifabeth ſprang leicht und anmuthig aus demfelben und war im Augen: blife von Soldaten umringt, welche die Zipfel ihres Pelzes demüthig an die Lippen führten,

„Wedt Eure Kameraden auf“, Sprach fie mit unnahahmlicher Würde, „jagt ihnen, ich fei da und hätte mit ihnen zu reden.“

Die Soldaten eilten ihren Auftrag zu vollführen, es wurde in der Gaferne lebendig, man ſah Lichter an den Fenftern, raſch kamen Dfficiere und Gardiſten in den Hof hinab und begrüßten die allgemein beliebte Prinzeffin mit freudigem Zuruf. Als das ganze NRegi« ment beifammen war, warf Elilabeth ihren Hermelin— pelz ab und Woronzoff zu, und trat in der Uni- form der Precbrasensfifchen Garde in den Kreis der Soldaten.

„Seht, fie trägt unferen Rod”, ſagte einer leiſe 11*

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ynd- freudig, zu dem, anderen, „das, bedeutet, etwas Gutes.“

„Ich bin zu Euch gekommen, meine lieben Freunde“, begann die Großfürſtin, „weil ich Hilfe und Schutz brauche, und Niemanden auf der weiten Welt habe, der mi beſchützt, wenn Ihr es nicht thut; Ihr wißt, wie ich, Euch Liebe und. jo hoffe ich, auch, daß Ihr mit einiger Treue an mir hängt; ich bitte Euh daher mich. vor. meinen Feinden, zu; retten, welche. mich verberben wollen, obwohl, ich keinem von ihnen je, etwas zu, Leid gethan,

Wollt Ihr mir, beiftehen, wollt Ihr?“ |

„Ja, das wollen wir“, riefen einige, „auf Tod und Leben andere.

„Ein abjcheulicher: Anſchlag der; Negentin. und ihrer, Minifter ift endeckt“, fuhr: Elifabeth. fort; „viele Deutjshen,, die Euch knechten und mißhandeln, die Euch Euer Hab und Gut nehmen, um es zu; verprafien, fie. wiffen nur zu gut, daß. ich die Torhter Peter des Großen, Eures guten- Czaars, die legte und einzige Hoffnung, der Ruffen. bin. Um. ihre Schändlichen Pläne ohne Furcht ausführen zu können, haben fie befchlofjen, fih meiner Perſon zu bemächtigen und- mich in ein Klofter zu ſtecken.“

„Dieſe Schurken, diefe Elenden“, riefen. die Sol:

165 daten durcheintinder, „das darf nicht fein, wir 'geben es nicht zu.“

Gott ſei gedankt“, rief die Großfürſtin, „ich Finde Euch Fo ergeben ünd Fo muthig, wie Ich es gedacht und gehofft. Ihr ſeid alſo bereit, mich zu beſchützen, meine Rechte zu vertheidigen.“ | „Sa! Sa!” ſchrieen Hunderte von Stimmen zit:

gleich.

„Dann haben wir keine Zeit Zu verlieren“, führ die Großfürftin Fort, ‚denn meine Feinde wollen mich

morgen mit Sonnenaufgang verhaften. Wir müſſen ihnen züvorkommen und fie auf der Stelle ge— ſangen nehmen, dieſe deutſche Herzogin und ihren Sohn, die fich gegen jedes Recht und Geſetz des ruſſi— ihen Thrones bemächtigt haben, während ich allein Anſpruch auf venjelben habe nach dem Teftamente meines Vaters, daB die Deutfchen unterfchlagen haben. Wit müffen uns zu gleicher ‚Zeit aller diefer Fremden verfihern, welche fein Herz für uns Ruffen haben, denk wir brauchen eben jo wenig einen deutſchen Czaar, als deutſche Minifter und Generale.“

„So iſt es, fort mit Ihnen“, fchrien die Eoldaten durcheinander.

„Alle, die gegen uns find, fol die gerechte Strafe ereilen“, rief Clifabeth, „während ich jene, bie mit

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mir die heilige Sache Rußlands vertheidigen, kaiſer— lich belohnen will. Ergreift die Waffen, jchaart Euch um die Fahne unferes Volkes und folgt mir, ich jelbit werde Euch führen, und wenn ihr nur jo viel Muth babt wie ich, ein ſchwaches Weib, jo find wir. mit Tagesanbrudh die Herren der Hauptſtadt und des Reiches.”

„Sa, führe ung, Mütterchen, wir folgen Dir”, rief der ganze Kreis, „zu den Waffen, Kamera— den, es lebe Eliſabetha Petrowna, unjere Kai- jerin.”

„Ruhe, meine Freunde! Wir dürfen unjere Geg- ner nicht vorzeitig weden”, ſprach Eliſabeth raſch „damit wir fie im Schlafe überfallen können, denn ich will fein Blut vergießen.”

Die Soldaten eilten in die Caſerne und kehrten bald vollfommen gerüftet, die Tornifter auf dem Rüden, die Flinten auf der Schulter zurüd. Die Officiere ordneten die Compagnien, dann ſchritt Elifabeth die Front des Negimentes hinab, mährend zum, erjten Male die fiegreiche ruhmgefrönte Fahne Rußlands fich vor ihr neigte,

Bor dem rechten Flügel blieb fie ftehen und ließ eine Compagnie durch den fie befehlenden Gapitän in Heine Detachements abtheilen, welche fie, von Dfficieren

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geführt, abjendete, um den Feldmarſchall Münnich, die Minifter Oſtermann und Goloflin, den Oberjthof- marfchall Grafen Löwenwolde, jowie einige andere hervorragende Anhänger der Regentin zu verhalten. Dann ftieg fie von Neuem in den Schlitten und jeßte fih jo an die Spike der Preobrasenskiſchen Garde, welche im rafchen Schritte in einer langen Colonne folgte.

63 gelang den Verſchworenen unbemerkt big zu dem kaiſerlichen PBalafte zu gelangen und denfelben mit dem der Großfürftin ergebenen Regimente zu um: ringen; als die Schildwachen vor dem Thore in's Gewehr riefen und die Wache berauseilte, war es zu jpät, um MWiderftand zu leiſten. Eliſabeth war aus dem Schlitten gefprungen und auf den diejelbe commandirenden Dfficier zugeeilt. „Ich bin die recht— mäßige Czaarin“, rief fie, „wer gegen mich ift, ift gegen Rußland.“

Die Soldaten der Wache begannen zu wanken. „Unſere Pflicht iſt, unſern Poſten bis zum Aeußerſten zu vertheidigen“, ſagte der Officier.

„Wenn Du ein Verräther biſt“, gab Eliſabeth majeſtätiſch zur Antwort; „ich gebe Dir eine Minute Zeit, mir zu huldigen, nicht mehr.“

Der Officier beſann ſich nicht lange, er ſteckte ſei—

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nen Hut auf-den Degen und rief: „ES lebe Eliſabetha Petrowna!“

Die Wache ſtimmte ein und ſchloß ſich den Auf— ſtändiſchen an. Abtheilungen der Preobrasensfifchen Garde, von Leſtocq und Woronzoff geführt, drangen in den Balaft. In diefem Augenblide näherten ſich dunkle Colonnen von verjchtedenen Seiten.

„Bas ift das? Sollten wir verrathen fein?” rief die Großfürftin, ergriff die Fahne der Preobrasens- filchen Garde und ging den Anrüdenden mit Todes- verachtung. entgegen. Ein Reiter ſprengte auf jie zu; es war Aſtroski. „Sieg! Sieg!” rief er, „ich bringe Ihnen das Regiment Tobolsk!“

Zugleich näherte fi Sumwalow mit dem Regimen- te der Leibgarde zu Pferd, deren weiße Uniformen und rothe Belze fie von weiten jchon kenntlich machten. Andere Abtheilungen folgten. Als die Truppen Die Großfürftin erblidten, welche in der allen mwohlbe- kannten Uniform, in einer Hand den Degen, in der andern die theure Fahne Nußlands, daltand, er— klangen mit einem Male alle Hörner und Trommeln und Kaufendftimmig erjcholl der Auf: „Es lebe die Czaatin! SS lebe Elifabetha Petrowna!“

Eben kam Leſtoeq mit der Meldung zurück, daß man ohne Widerftand zu finden, die Renentin ımd

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ihren Gemahl, den Herzog Ulrich, verhaftet und fich zu gleicher Zeit des Eleinen Czaaren Iwan bemäch: tigt habe.

„sch will ſie nicht ſehen“, ſagte Elifabeth raſch. Sie befahl, die hohen Gefangenen in ihrem eigenen Schlitten und durch eine Abtheilung der Leibgarde zu Pferd nach ihrem Balafte bringen zu laffen.

Erft nachdem dies gejcheben war, betraf fie jelbit den kaiſerlichen Palaft, in dem fie noch vor Kurzem gleich einer ertappten Verbrecherin gezittert und gemeint hatte, als Siegerin, als Gebieterin Rußlands.

Nach einander kamen jegt die Nachrichten, Daß Münnich, Oſtermann, Goloflin, Löwenwolde und die anderen Häupter der Regierung und Freunde der Regentin gefangen feien. Die Revolution war Herrin des Palaftes und der Hauptitadt und damit des gan— zen großen Reiches. Noch nie war ein Regiment jo unerwartet, jo raſch und mit jo geringen Mitteln, ohne daß ein Schuß ‚gefallen oder nur ein Tropfen Blutes vergofjen worden wäre, geftürzt worden, wie das der Herzogin von Braunfchweig und ihres Ge: mahls, welche beide für den Knaben Swan IIL die Zügel der Herrſchaft eben jo ungejchict, als dem Volfsgeifte zumider geführt hatten.

Petersburg war allmälig wacd geworden und

170 das Volt umlagerte jubelnd den Faiferlichen Balait. Zum erjten Male, jeit dem Tode Peter des Großen, wurde eine Thronrevolution in Rußland von der Be völferung der Hauptjtadt mit einjtimmiger Freude be= grüßt.

Während oben in dem Gemadje, in welchem ihr großer Vater geitorben war, Eliſabeth die Glückwün— che ihrer Anhänger empfing, verlangte die Menjchen: menge, die fih unten zujammengeballt hatte, jtür: mijch die neue Czaarin zu ſehen. Aber die jchöne Frau, in der im Augenblide des Triumphes zum eriten Male eine dämoniſche Rachjucht aufzufladern jchien, wollte es nicht hören. Sie ging, die Arme auf der wogen: den Bruft verjchränft, auf und ab und rief: „Jetzt babe ich fie Alle in meiner Gewalt, Keiner ift mir entfommen, nun wollen wir jehen, ob Münnich und Ditermann noch daran denken, mich in ein Klofter zu fteden, und Löwenwolde vor Mllem joll es büßen, daß er mich beleidigt hat, ich könnte jauchzen vor Freude, wie ein Adler, der zur Sonne fliegt, daß er mir auf Gnade und Ungnade preisgegeben iſt.“ Plöglich beſann fie fih und blieb jtehen. „Sch babe ein Gelübde gethan, daß unter meiner Regierung Niemand an feinem Leben geitraft werden joll, und ich werde es halten”, jagte fie, „ich werde die Todesitrafe

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volfommen aufheben, aber meine Gefangenen dürfen vorläufig nichts davon erfahren, fie jollen dem Tode in's Antlig bliden und ich will mich an ihrer Todes: angſt beluftigen.”

Immer lauter braufte der Sturm unten, Tau: jende und wieder Taujende riefen nach der Gzaarin.

„Ihr Volt verlangt Sie zu ſehen, Majeſtät“, ſagte Leſtocq.

Eliſabeth ſchlüpfte raſch in ihren Hermelinpelz und trat ſo mit dem Attribut ihrer Macht und Herr— ſchaft geſchmückt, in ſtolzer Schönheit ſtrahlend auf den Balkon hinaus.

Tauſendſtimmiger Jubel tönte ihr entgegen, die Soldaten ſteckten ihre Hüte auf die Spitze der Bajonnete, der Pöbel warf die Mützen in die Luft, alle Trommeln wurden gerührt, alle Fahnen geſchwenkt.

„Es lebe die Czaarin! Es lebe Eliſabetha Pe— trowna!“ ſchrieen Volk und Truppen und fie, der e3 galt, nidte gnädig mit dem Haupte und ein jonniges Lächeln jpielte um ihre mollüftigen Lip— pen; jo jtand fie da, finnbethörend, die Tyrannei der Schönheit auf der Stimme, in dem langen Hermelinpelz eines Padiſchah, gleich einem weiblichen Sultan.

Vierzehntes Kapitel.

Eliſabetha Betrumma, Kaiferin von Rußland.

Am folgenden Morgen, den 6. December 1744, erichten eine Kundmachung, welche vie Recht— mäßigfeit der Anſprüche der Großfürftin Elifabeth auf den ruffifchen Thron darthat und die Ungefjeglichkeit und Unrechtmäßigkeit der bisherigen Regierung bewies. Es war die erſte Kundgebung der neuen Herrfcherin, fie machte in allen Schichten der Bevölkerung, melde fih mit einem Male von dert Drude einer Tangjähe vigen Fremdherrſchaft befreit ſah, den beiten Eindruck Noch an demfelben Tage wurde Elijabeth feierlich als Selbſtherrſcherin aller Rufen proclamirt und Vol und Militair huldigten ie.

Die Truppen waren längs der Admiralität af der Newa aufgeitellt, während die Bevölferung von

——

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Teersburg alle Straßen, welche von: dem Faijerlichen Palaſte dorthin führten, füllte; die Gzaarin, in einer rothſammtenen Robe mit; Hermelinjchleppe und einem. eng anschließenden, rothſammtenen Hermelinpelz, eine: Kafafenmüge von Hermelin mit weißem: Reiherbuſch anf dem ſchönheitsſtolzen Haupte, ritt auf: einem milch: weißen. Pferde, von Leitocq, Suwalow und Woronzoff: begleitet durch diefelben und dann die Front der: Soldaten- entlang, überall. mit: lautem Enthufiasmus begrüßt und kehrte ebenjo in; den Palaſt zurüd,

Ihre: nächſte Sorge war, ſich in dem kaiferlichen: Palaſte einzurichten. Zum eriten: Male. hatte, dem hron von Rußland» eine Frau- beſtiegen, welche: mit. der Gewalt der Krone: Die höshite: Macht: der: Schöne: beit vereinigte, Der Hermelin ſchmückte nicht‘ fie, ſon— dern ſie- verlieh ihm; einen nie. dageweſenen Glanz. Saite: fie: Schon als; Großfürſtin durch ihre Anmuth und. ihre: Güte alle: Herzen gewonnen; . fo: lag: jeßt, wo fie: die. Kaiſerkrone trug, Alles vor ihr im: Staube und mar, beyriff vollfommen, daß. eine jo ſchöne Monardin: ſich mit-jenem afiatifchen Lurus: umgab, welcher Jedem als der. allein würdige und natürliche: Rahmen: ihrer majeftätifch berüdenden Reize erfchien.

Elijabetb war immer mit großer: Sorafalt und geſchmackvoller Pracht. gekleidet geweſen, jetzt ſchien

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fie jedoch Alles, was man bisher in dieſer Richtung gejehen hatte, übertreffen zu wollen. Hunderte von Händen waren in der Garderobe der neuen Kaiferin thätig, die zahlloſen Toiletten anzufertigen, welche zu erfinnen fie nicht müde wurde.

Die eriten Regierungsalte der Gzaarin Eli: ſabeth zeigten indeß ebenjoviel Klugheit als Mä- Bigung.

Die Regentin wurde mit ‘ihrem Gemahl, gegen den Rath Leitocq’3 und Sumwalow’s, welche für den Tod der: jelben jtimmten, zuerſt nach Schlüffelburg, dann auf eine Inſel der Dwina in dem weißen Meere und end: lich nach Sibirien gebracht. Der Eleine Czaar Iwan IL. wanderte aus der Wiege, er hatte nämlich kaum das zweite Jahr erreicht, in den Kerfer. Er wurde auf der Feltung Schlüffelburg gefangen gehalten. Zwei Dfficiere leifteten ihm Gefellichaft und bemachten ihn, fie hatten den Auftrag, fobald ein Berfuch zu feiner Befreiung gemacht werde, ihn niederzuftechen. Die mit Iwan's Bilde unter der Regentfchaft feiner Mutter der Herzogin von Braunfchweig, geprägten Münzen wurden auf der Stelle eingelöft und eingejchmolen, um jede Erinnerung an denfelben im Volke auszutilgen, und es gab Niemand, der die Geldftüde mit dem blöden Antlig des unreifen Knaben nicht gern gegen

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jene, welche den Kopf der jchönften Herrjcherin aller fünf Welttbeile und die üppige, vom Faiferlichen Hermelin eingerabinte Büfte derjelben zeigten, einge— tanjcht hätte.

Sp groß die Hoffnungen des Volkes, die Erwar— tungen ihrer Freunde und Anhänger waren, Elijabeth täujchte diefelben nicht. Ein von ihr ſelbſt verfaßter Ukas hob die Todesftrafe auf, ein anderer begnadigte ſämmtliche unter den vorhergehenden Negierungen Ber: urtbeilte, alle Kerfer und die Kajematten der Feſtun— gen gaben an einem Tage die armen Opfer der Ty- tannei, welche nichts mehr gehofft hatten, frei; aus Sibirien allein kehrten 20,000 Berbannte zurüd, fie alle jubelten der neuen Gzaarin zu und bildeten fortan, in allen Provinzen zerftreut, einen treuen, unerfchütter: lichen Anhang derjelben. Da die Meiften der durd) die junge Kaiferin Befreiten der altruffifchen Partei angehörten, war die Wirkung, welche ihre Rückkehr in der Heimath übte, eine grenzenlos freudige Eine Reihe von Commiffionen wurde eingefeßt, um das von Peter dem Großen begonnene und unter feinen deut- ſchen Nachfolgern ftillftehende Werk der Gefeßgebung und der Reform in allen Zweigen von Neuem auf: zunehmen. Aber ebenjo jehr die Gzaarin gleich im Anfange den Wünfchen und Bebürfniffen ihrer Völker

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entgenenfam, ebenfo wenig-vergaß fie ihre treuen Freunde, die Männer, denen fie die Erhebung zur höchiten Macht in ihrem ruhmreichen Baterlande verdankte. So um: dankbar fich die Herzogin von Braunfchweig gezeint hatte, jo dankbar erwies ſich Clifabeth, treu- dem ruſſiſchen Volksgemüth.

Leſtoeq wurde von: ihr zum Grafen erhoben, zum geheimen Rath und ihrem erften Leibarzte, jowie zum. PBräfidenten des. Medicinalcollegiums ernannt und mit einer bedeutenden Summe dotirt; Sumwalow und MWoronzoff wurden Kammerberren-und- einpfingen gleich: falls bedeutende Geſchenke an Gütern und Geld, die Frau des erjteren: wurde erjte Hofdame, Frau. von Kuriatow Oberjthofmeifterin,; Aſtroski zum Oberſten ernannt, befehligte die Preobrasenskiſche Garde, deren Grenadiere jämmtlich in den Adelſtand erhoben wurden. Der Student: Battog erhielt ein Gut und eine Ans ftelung: im Departement der Finanzen.

Aber: auch eines längſt vergeffenen Freundes erin— nerte fich Glifabeth auf dem Zenith ihres: Glückes. Der Sergeant Eubin, ihr ehemaliger von der Kaiferin Anna verbannter Günftling wurde an den Hof berus fen, aber das Heitere war, daß man ihm nicht fand, vergebens juchte man ihn in ganz Sibirien, er jihien verjchwunden, von der Erde verjchludt: Vergebens

177 erneuerte die Czaarin ihren Befehl, der Unglüdliche blieb verfchollen.

Um die ruſſiſche Bartei, welche bis jegt die größte Unzufriedenheit genährt und aus deren Mitte ſämmt— liche Verſchwörungen gegen die Gzaarin Anna, den Herzog Biron und die Herzogin von Braunfchweig hervorgegangen waren, vollends an fich zu fefleln, ernannte Eliſabeth das Haupt defjelben Cerkaski zum Öroßfanzler. Gerkasfi "war jedoch durchaus nicht fähig, mehr als das nominelle Haupt eines Minifte: riums zu fein. Als daher die Czaarin darauf bejtand, die höchſten Staatsämter nur mit Rufen zu befegen, und mit anderen Erilirten auch Graf Beſtuseff, der ebe: malige Secretär Biron’3 aus den Eisfeldern Sibi— tiens heimfehrte, empfahl Leſtocq diejen geijtvollen Diplo: maten und feinen Hofmanı der Gzaarin, und dieje über: trug ihm das wichtige Amt eines Vicefanzlers. Sie gewann an ihm allerdings einen ihr und Rußland treu ergebenen Diener, aber Leſtocq, ohne es zu ahnen, den gefährlichften Gegner; denn ebenſo, wie diejer für Frankreich und Preußen eingenommen war, er: fannte Beftuseff vom erften Augenblide, daß der Vor: theil Rußlands ein Zufammengehen mit Defterreich und England erfordere und begann in diefem Sinn

auf feine Collegen und die Kaiferin einzumirken. Sacher-Maſoch, ein meibliher Sultan. I. 12

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Erft nachdem fie mit vollen Händen Glück ge ſpendet hatte, dachte Elifabeth daran, zu ftrafen und zu rächen. Die in der Nacht vom fünften. auf den jechsten December verbafteten Anhänger der Regentin wurden des Verrathes gegen die Sicherheit des Staates angeklagt und vor einen Gerichtshof geitellt, welcher aus dem Generalprocurator Fürften Trubegfoi, den SGeneralen Usafoff und Lewasow, dem Oberftallmeifter Füriten Kuriafin, dem geheimen Rath Narpstin und dem in Folge von Elifabeth’3 Gnadenafte aus dem Exil zurüdgefehtten vormaligen Bräfidenten des Juſtizceollegiums Fürften Michael Galitſchn bes ſtand.

Die Unterſuchung leitete Trubetzkoi, ein er— bitterter Gegner der beiden deutſchen Staat‘ männer, welche ihn zur Zeit ihres Glanzes in ihrem maßloſen Uebermuth mehr als einmal beleidigt hatten.

Oſtermann wurden achtzig Fragen zur Beant- wortung vorgelegt. Er wurde angeklagt, daß er durch hinterliſtige Intriguen mit Hilfe des Senates nach dem Tode Peter II. die rechtmäßige Thronerbin, Großfürſtin Eliſabeth, verdrängt und die unfähige | Herzogin von Kurland, Anna Iwanowna, feine Schü— lerin, zur Regierung gebracht habe, um unter ihrem

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Dedmantel das Reich willfürlich verwalten zu können, daß er im lebten Jahre ihrer Regierung den gegen den ruffiich gefinnten Adel geführten Streich, fo wie die Hinrichtung und Verbannung der Dolgorudi ver: anlaßt habe. Man warf ihm auch vor, daß er die Herzogin von Braunfchweig zur unumfchränften Regen: tin gemacht und zu gleicher Zeit den Plan gehegt habe, die gejegliche Kaiferin Eliſabeth in ein Klofter zu ftedlen, fowie den jungen Herzog von Holftein, der nach ihr die gerechteiten Ansprüche hatte, aus dem Wege zu räumen. Endlich habe er die ruffiche Flotte in Verfall gebradt, um Rußland zu zwingen, die Sreundichaft der Seemächte zu fuchen.

Aehnliche Vorwürfe wurden gegen den Feldmar- hal Münnich erhoben. Man Elagte ihn aber nod ganz befonders an, die Soldaten bei dem Staatsitreiche gegen Biron getäufcht zu haben, indem er ihnen vor— ipiegelte, e8 gelte, die Großfürftin Elifabeth auf den Thron zu erheben und auf diefe Weife feinem Plane dienftbar machte.

Erwiejen fonnten die meijten dieſer Bejchuldigun: gen nicht werden, wie e3 eben im Charakter der In— triguen liegt, daß fich ihre Fäden nur jehr jelten fafjen und bloslegen laſſen.

Als Münnich leugnete, die Garde hintergangen zu 12*

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haben, wurden ihm Soldaten der PBreobrasensfifchen Truppe gegenübergeitellt, welche ihm in's Geficht ſag ten, er babe fie betrogen.

Dftermann erklärte, daß er Alles, was er ala Minifter von dem eriten bis zum legten Tage gethan, verantworten fünne, da er ftet3, jo lange er eine Regierung mit Pflicht und Eid verbunden gewejen, dem Intereſſe derjelben alle anderen Rüdfichten auf geopfert babe.

Beituseff war mit dem ganzen Proceſſe ebenjo wie mit dem Vorgehen des Gerichtshofes nicht ein- veritanden, er jah in den Angeklagten Männer, die troß ihrer Fehler aroße Verdienſte um Rußland hatten, und zeigte fich empört darüber, daß die meilten Mit: glieder des Gerichtshofes jich nur von ihrer Rachjuct leiten ließen. Er zog fich, unter dem Borwande eines Unwohlſeins, von den Sigungen zurüd und jo fam e3, daß die Angeklagten, ihres legten Freundes beraubt nicht allein jämmtlich zum Tode verurtheilt wurden, fondern auf Antrag Cerkaski's und Trubetzkoi's Dftermann überdies lebendig gerädert und Münnid geviertheilt werden jollte.

Am neunundzwanzigiten Januar jollte dieſes grau: ſame Urtheil, das die Kaiferin, obwohl fie die Todes: ftrafe ausdrücklich aufgehoben hatte, feinen Augenblid

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zu beitätigen zögerte, vollftredt werden. Früh am Mor: gen brachte man die Verurtheilten aus der Citadelle in das Senatsgebäude. Vor zehn Uhr ſetzte fich der traurige Zug in Bewegung. Boran marjchirte eine Abtheilung Soldaten, dann folgten die dem Tode Geweihten, won Grenadieren mit aufgepflanzten Ba: jonneten umgeben. Oſtermann, deſſen Alter und Kränf: lichkeit e8 unmöglich machten, ihn den Weg zu Fuße jurüdfegen zu laffen, ſaß in einem einfachen Bauern: Ihlitten, der nur mit einem Pferde beſpannt war, er trug einen alten, langen röthlichen Pelz mit Fuchs gefüttert und auf der Perrüde eine Müte von ſchwar— jem Sammet, denjelben Anzug, den er jonft zu Haufe hatte. Hinter ihm gingen der Feldmarfchall Münnich, der Vicefanzler Graf Goloflin, Baron Mengden, der Oberhofmarfchall Graf Löwenwolde und der Staats: rath Dimirafow. Goloflin und Mengden, bis an die Augen in große Mäntel gehüllt, zitterten am ganzen Leibe vor Kälte und Todesangſt; Münnich jchritt mutbhig und feit, ja ſtolz zwiſchen den Soldaten, mit denen er ſich unbefangen unterhielt. Löwenwolde, deſſen Antlig einen tiefen Kummer und die Verwüftun- gen einer eben erjt überftandenen Krankheit zeigte, Ihien eben fo gelaffen und freundlich wie in glück— liheren Tagen; als er an dem kaiſerlichen Palaſte

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vorüberjchreitend, die Czaarin an einem Fenfter erblidte, überflog ein fchmerzliches Lächeln feine bleichen Züge und er nidte zweimal jeltfam mit dem Kopfe.

Die Grenadiere, welche ihre einftigen Führer zum Richtplatz führten, konnten fich eines gewiſſen Mitge: fühls nicht erwehren, fie fprachen ihnen in ihrer naiven Weiſe Muth zu.

„Es wird ja Alles bald überftanden fein, Bäter: chen“, jagte ein alter Corporal, der unter ihm gegen die Türken gefochten, zu Münnich.

„Gut, daß man Euch fahren läßt”, jprach ein anderer ergrauter Grenadier zu Oftermann, „wenn man jo alt geworden iſt wie wir, wollen einen bie Füße nicht mehr tragen.”

Der Böbel dagegen, welcher die Straßen füllte und das Schaffot umgab, rafte vor Freude, als er die verhaßten deutjchen Minijter und Generäle den Weg zum Tode gehen ſah, laute VBerwünfchungen und Flüche mijchten ſich mit Jubelrufen auf die Gzaarin. j

Auf der KRichtftätte angelommen, wurden die Berurtheilten in das Duarree gebracht, welches ein Regiment Grenadiere bildete. Bier Soldaten hoben Ofter: mann auf ihre Arme und trugen ihn auf das Blut:

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gerüft, wo fie ihn auf einen jchlechten hölzernen Stuhl ſetzten.

Als der Secretär de3 Senates ihm das Urtbeil vorzulefen begann, entblößte der greife Staatsmann das Haupt, noch in diejem ſchweren, traurigen Augen: blide achtete er das Geſetz, das ihn ſchuldig ſprach. Das Urtheil Tautete dahin, daß DOftermann lebendig gerädert und dann mit dem Schwerte enthauptet wer— den ſollte. Er hörte es an, ohne nur eine Miene zu verändern.

„seht legten ihn die Soldaten mit dem Geficht zur Erde nieder. |

Die Henter entblößten ihm den Hals und legten ihn dann auf den grauenhaften Blod, der eine hielt jeinen Kopf bei den Haaren feſt, während der andere das blanke Beil aus dem Sade nahm. Dftermann hatte die Hände ausgeftredt.

„Nimm die Arme an Dich, Bäterchen”, jagte einer der Soldaten.

Oftermann freuzte fie auf der Bruft und erwartete jo ruhig den Tod.

In diefem Augenblide entfaltete der Secretär des Senates ein zweites Papier und las daraus die we: nigen Worte: „Gott und die Kaiferin ſchenken Dir das Leben.”

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Die Soldaten hoben nun den muthigen Greis, welcher erit in diefem Augenblide etwas mit den Händen zu zittern begann, auf und trugen ihn vom Schaffot herab in den Schlitten zurüd.

Hierauf wurde den anderen, dem Tode Ge: weihten das Urtheil des Gerichtshofes und die Begnadigung der Gzaarin vorgelejen. Der Pöbel, welcher bis jegt athemlos gelaufcht hatte, zeigte ſich mit dieſem Ausgang durchaus nicht zufrieden. Zus erſt wurde jet Münnich in einen aejchloffenen faiferlihen Hofjchlitten gebracht und von vier Srenadieren nah der Citadelle escortirt. Oſter— mann und die Anderen folgten in gemeinen Iswoſcht— ſchiksſchlitten.

Das Vermögen und die Güter der Verur— theilten wurden confiscirt, ſie ſelbſt noch an dem— ſelben Tage in die Verbannung abgeführt, in welche ihnen ihre treuen Frauen und Diener folg— ten. Oſtermann wurde nach Bereſow gebracht, Münnich nach Pelym, um daſſelbe Haus zu bewohnen, das er für den von ihm geſtürzten Herzog Biron hatte erbauen laſſen.

Münnich, von feiner Gattin und dem Haus— prediger begleitet, begegnete in der Vorſtadt von Kajan dem Herzog Biron, welcher nebft anderen von

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Clifabeth Begnadigten aus Sibirien zurüdfehrte. Cie blicten fich einander an und fuhren, ohne ein Wort zu jagen, an einander vorbei.

Welcher Schickſalswechſel! Welche merkwürdige Begegnung!

Fünfzehntes Kapitel.

Weibliche Diplomatie.

Kaum hatte fich die Regierung etwas befeftigt, jo begannen fich im Schooße derjelben Barteien zu bilden und theils offen, theil3 durch verſteckte Intriguen diefelbe zu befämpfen. Den größten Zwiejpalt rief am Hofe der Czaarin Elifabetb die äußere Politif hervor. Leſtocq, welcher einen großen Einfluß auf die Monardin be faß, zeigte fich entjchieden franzöſiſch und daher preußifch gefinnt, während Beſtuseff für die Seemächte und Defterreich in die Schranken trat. Beide fuchten fich unter jenen Perſonen, welche die Kaijerin umgaben und bei ihr in Gunft ftanden, einen Anhang zu ver:

Ichaffen. Die Gräfin Suwalow galt, bald nachdem fie Hof:

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dame geworden, ſchon als die erklärte Favorite Eliſa— beth's. Sie hielt mit ihrem Anbeter, dem Kammerberrn Boronzoff, zu Beituseff, während Leſtocq den erften Ninifter Rußlands, den Großfanzler Ticherkaffi für fich gewonnen hatte,

Für beide Parteien galt e3 nun vor Allem den Günftling der Ezaarin, den big jegt neutralen Grafen Iwan Sumwalow, in deffen intimem Verhältniß zu ihr das Geheimniß feiner ungewöhnlichen Gewalt über fie lag, an fich zu ziehen. Leſtocq, der die maßloje Hab: gier des Grafen kannte, hatte offenbar den richtigen Weg dazu eingefchlagen, indem er den Marquis de la Chetardie beftimmte, ihm einen bedeutenden Jahresge— halt von Seite des franzöfifchen Hofes auszufeßen, und Suwalom ſchien fich nun auch wirklich zu der preußi— Ihen Seite binzuneigen. Died beunrubigte die Gegner nicht wenig, der Vicefanzler bejchloß Alles aufzubieten, um diejen wichtigen Verbündeten für fich zu gewinnen. Die Gräfin Suwalow hatte, jo reizend fie war, nicht den mindeften Einfluß auf ihren Gatten, und dod) fonnte nur ein Weib, ein ſchönes und geiftwolles Weib, die Wagfchale zu Gunften der öfterreichifchen Partei eigen Iafjen, denn Suwalow war nicht weniger em—⸗ pänglich für weibliche Reize als für Geld. Beſtuseff ließ in Gedanken wiederholt alle Damen feiner Partei

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Revue pafliren, jedesmal blieb er bei derjelben ftehen, bei der einzigen, welche er für fähig bielt, den durch Frauengunft verwöhnten und flatterhaften Grafen zu feffeln, bei feiner eigenen Frau.

Die Gräfin Beftuseff gehörte in dem damaligen Rußland mit der Kaiferin Elifabethb und Frau von Lapuſchin unftreitig zu den jchönften Frauen, ja dieje drei hätten zu jeder Stunde den Berg da betreten und das Urtheil eines Paris herausfordern können. Sie war aber noch viel mehr, als ſchön, fie übertraf ihre beiden Nebenbublerinnen bei weiten an Geijt und Bildung, fie hatte das Air einer galanten Marquiſe vom Hofe zu DVerjailles, zu deren Füßen ebenfo gut Poeten und Maler, wie Staatsmänner und Helden fnieen. Die Eiferfucht der Kaiferin auf die Schöns heit jeiner Frau ſchien Beftuseff vollends den richtigen Weg zu zeigen und jo zögerte der gewiegte Politiker nicht länger, feiner weiblichen Diplomatie das Ges webe anzuvertrauen, in dem Sumwalow verjtridt werden jollte.

Als er jeiner Gemahlin die ebenjo wichtige als beitere Eröffnung machte, war fie eben damit bejchäf- tigt, ihren Papagei mit Confect zu füttern.

Es war am Morgen, die jchöne Gräfin hatte ihr Haar nad) ebenfo wenig frifirt als gepudert, es lag

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in einem reizenden Häubchen zufammengerollt, während ein rofafeidener Schlafrod ihre jchlanfen feingerundeten Formen nur leicht verhüllte. |

Sie jah ihren Gatten erit groß an, dann begann fie zu lachen.

„Deine Zumuthung ift wohl nicht3 weiter als ein guter Scherz“, rief fie.

„Nein, mein Schat”, erwiderte Beftuseff, „es ift mein voller Ernſt, ich halte Dich für ſchön und Hug genug, um Sumalow in dein Net zu ziehen, und für fol; genug, um Dich nicht in die Reihe feiner Cour— tiſanen zu ftellen.“

„Sehr jchmeichelhaft für mich“, ermwiderte die ſchöne Gräfin, „ſchmeichelhaft für meine Eitelkeit und auch für meine Tugend, denn Suwalow ift ein ſchöner, ein gefährliher Mann. ch erfahre mindeftens bei diejer Gelegenheit, wie weit Dein Vertrauen zu mir geht.“

„Mein Gott, was thut man nicht der Politik zu: liebe“, jeufzte der Minifter.

„Weberlege Dir aljo gut, was Du verlangft“, fagte die ſchöne Frau, „ich zweifle Keinen Augenblid, daß ich die mir von Dir übertragene diplomatifche Aufgabe zu Deiner vollen Zufriedenheit löſen werde, was aber jonft dabei gejchieht, dafür übernehme ich feine Garantie, mein Schatz.“

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„sh vertraue Dir —“

„Aber ich vertraue mir ſelbſt nicht“, lachte die Gräfin, „ja, ja! mein Schag!“

„Ja, ja! mein Schag!” ftimmte der Papagei bei und fehüttelte jein rothblaues Gefieder.

„Machen wir einen Verſuch“, entichied Beitugeff zulegt, „und follte fi eine Gefahr für Dich zeigen, haben wir noch Zeit einzulenfen.“

Madame zudte jpöttifch die Achfeln

Ein paar Tage fpäter verfammelte ein glänzen des Maskenfeſt den Hof und die Ariftofratie im kaiſer— lichen Palafte, die Damen wetteiferten, fih an Dris ginalität und Luxus der Coftüme zu übertreffen. Die Czaarin erjchien in der prachtvollen Tracht einer Mo$- fauer Fürftin aus der Zeit Iwan des Schredlichen, die Gräfin Sumalow als Chinefin, Fräulein von Wo ronzoff 309 ala Schamanifche Zauberin durch ihre mit Hirſchgeweihen bejegte Mütze und das mit. Schellen behangene Gögenbild, das fie im Arm hielt, die all gemeine Aufmerkſamkeit auf fich, während die junge Gräfin Trubegkoi in der Maske einer Kamtjchadalin auf einem von zwei großen weißen Hunden gezogenen Heinen Schlitten Aufjehen erregte.

Ale wurden jedoch durch eine Bacchantin in Scjatten geftellt, deren herrliche von dem antiken Ge

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wande mehr gehobene als verbüllte Formen, vor Allem ihre wunderbaren Edhultern, von denen ein Panther: fell berabfiel und auf die ihr reiches Haar mit Wein: laub durchflochten halb entfefjelt herniederwallte, unter den durch Fiſchbeinmieder und Reifröcke entitellten Rokokoſchönen eine geradezu beraufchende Wirkung übten.

Die Kaiferin runzelte ärgerlich die ſchöne Stirne, ald fie dieſe fremdartig berüdende Erjcheinung jah, fie gab Sumwalow den Auftrag, ihr zu folgen und ihr zu melden, wer es ſei.

Bald war Suwalow an der Seite der reizenden lebendig gewordenen Antife, welde ihn mächtig anzog.

„Ich grüße Dich“, begann ſie, ihm die Hand reichend, „ich habe Dich erwartet.“

„Mich?“ ſagte der Graf ungläubig.

„Ja, Dich“, fuhr ſie fort, „ich bin ſogar nur deinetwegen hier. Der Olymp bat mich auf dieſe fro— fige nordifche Erde entjendet, um Dich auf die Probe zu ſtellen.“

„Wie?“ fragte Suwalow.

„Iſt Dein Herz nicht verſagt“, ſprach die Bacchan— ‚tin, „liegſt Du nicht zu den Füßen der mächtigſten Frau Rußlands, deren Gunft Dich über alle Deine Landsleute erhoben hat?“

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Suwalow mar jegt überzeugt, daß Eliſabeth ihn nur zu der jchönen Bacchantin gejendet hatte, um durch fie feine Treue zu prüfen, und er lächelte über die plumpe Falle. „sch babe meine Verehrung für die Kaiferin nie verborgen gehalten”, gab er zur Antwort, „ja, ich bete fie an, und neben ihr erjcheint mir jede andere Frau geradezu reizlos.“

„DO! wie Du lügft“, lachte die Bacchantin, „man fennt Dich befjer, Du flatterhafter jchöner Schmetter: ling, und liebt Dich troß Deiner Unbeftändigfeit.”

„Liebſt Du mich?“ fiel Suwalow durd die Worte der antifen Schönen ermuthigt ein und ergriff zugleid ihre Hand. |

„Vorſicht“, flüfterte fie, „die Czaarin beobachtet ung, fie jcheint von Deiner Treue viel weniger über: zeugt, als Du ſelbſt.“

„Und Du?" erwiderte der Graf.

„Ich? Sch glaube, daß ich Dich zu meinen Füßen jehben würde, jobald ich nur wollte“, flüfterte die

Bacchantin. | „Du kennſt mich nicht, meine Treue —”

„Ich kenne Dich eben nur zu gut“, unterbrad ibn das Schöne Weib mit den Formen einer Venus, „wenn Du Dich aber jo ficher, jo unverwundbar glaubft, gut, dann fordere ich Dich zum Kampf heraus.”

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„Du verrätbit Dich ein wenig zu früh, reizende Diplomatin der Eiferfucht“, ſagte Sumalow.

„Jetzt verſtehe ich Dich nicht.“

„Du bandelft im Auftrage der Czaarin.“

„Deshalb jo vorfichtig?” ſpottete die Bacchan— tin. „Nein, ich handle nur im Auftrage meines Herzens, das Dir gehört, wenn Du es zu gewinnen verſtehſt.“

„Gieb mir alſo Gelegenheit —“

„Heute noch, folge mir in meinen Schlitten.“

Suwalow beſann ſich.

„So feig auf einmal, Du berühmter Held der Boudoire!“ höhnte ihn die reizende Maske.

„Es ſei denn, ich folge Dir, ſobald Du es be— fiehlſt“, ſagte er endlich. |

„sn einer Stunde alſo vor der Ndmiralität.”

„Ich komme.“

Der Graf kehrte raſch zur Kaiſerin zurück und meldete ihr, die reizende Bacchantin ſei Niemand an— deres, als die alte Fürſtin Mentſchikoff, welche dieſe Maske gewählt habe, um die geſammte galante Jugend zu dupiren. Eliſabeth jchien beruhigt.

Zur bejtimmten Zeit ftieg Suwalow vor der Ad— miralität aus feinem Schlitten und jchidte denjelben

fort. Er wartete nicht lange, fo fam ein anderer Sacher⸗Maſoch, Ein weiblicher Sultan. I. 13

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geichloffener, welcher vor ihm anhielt. Die Thüre des: jelben wurde geöffnet und ein weißer Arm ftredte fich ibm aus dunklen Belzwerf verlodend entgegen. Er ftieg ein und jchlang feinen Arm um das herrliche Weib, das ihm Plag machte, während der Schlitten weiter flog. Die gefährliche Schöne, welche ihn ent— führt hatte, beitand jedoch darauf, daß er fich die Augen verbinden laſſe, und Suwalow war bereit3 viel zu ſehr von ihren Reizen umjtridt, um es zu verwei— gern. Sie blendete ihn mit ihrem Tuche und ehe er ſich's verſah, hatte fie auch feine Hände gefeffelt. Er war ihr Gefangener.

Nach langer Fahrt hielt der Schlitten und die weiche warme Hand feiner Begleiterin geleitete den

- Grafen eine Treppe hinauf und einen Corridor ent- lang in ein Zimmer, das mit Teppichen belegt und angenehm durchwärmt w.r.

Zuerſt fiel jeßt die Binde von feinen Augen. Suwalow fah fi in einem kleinen mit vielem Lurus möblirten Raum, und die Backhantin, welche ihr Pelzwerk abgeworfen hatte, auf einem türfilchen Divan ausgeftredt.

„Eigentlich find Sie doc, ſehr unvorfichtig, Lieber

Suwalow“, begann fie, „wie nun, wenn ich doch im.

Auftrage der Czaarin handelte oder einfach eine Gaus

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nerin wäre, die fie in eine Diebshöhle geloct hätte, denn Eie müſſen wifjen, daß Sie mir auf Gnade und Ungnade preisgegeben find.”

Dem Grafen beganı e3 ein wenig unangenehm zu Muthe zu werden, aber er ließ nichts davon merken. „Der Tann vorfichtig fein, wenn alle feine Sinne in Aufruhr find?“ ſagte er Lächelnd.

„Ah! Sie find alfo auf dem Wege, fich in mich zu verlieben?” fragte die reizende Maske ſpöttiſch.

„Sie haben mich befiegt”, rief Suwalow, „ich er: gebe mich auf Discretion.”

„Aber Sie haben nicht einmal mein Geficht ge: jehen”, lachte die Bacchantin.

„Ein Körper wie der Ihre kann nur mit Zügen von unvergleichlicher ae gepaart ſein“, rief der Graf.

Die ſchöne Frau erhob ſich, löſte ſeine Feſſeln und ließ zugleich die Maske fallen.

„Sie, Gräfin!“ ſtammelte Suwalow entzückt.

Es war die ſchöne Gemahlin Beſtuseff's, deren volle weiche Arme ſich jetzt um ihn ſchlangen und ihn auf die Polſter des Divans niederzogen.

„Was machen Sie aus mir“, fuhr Suwalow fort.

„Meinen Sklaven“, flüſterte die ſiegreiche Ko—

kette. 13*

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„a, Sie haben Recht“, rief Suwalow, „ich fühl mich Ihnen jo volllommen untertban, jo ganz Ihrem Willen, Ihrer Laune bingegeben, daß ich nichtS meh bin als Ihr Sklave. D! wie ſchön find Sie! Alk Damen unſers Hofes erblafjen vor ihnen wie die Stern: vor der Sonne.”

„Wirklich? Auch Elifabeth ?“

„Auch die Kaiferin! ch bin von Sinnen, id werde wahnfinnig, wenn Sie nicht Erbarmen mit mir und meiner Leidenjchaft haben“, erwiderte Suwalow, indem er fich vor der Gräfin Beituseff niederwarf und ihre Kniee umfaßte. Sie jah ihn mit einem jeltfamen Blick an, in dem eine unheimliche Zufriedenheit lag. „Sp wollte ich Sie ſehen“, jagte fie dann, „ich wollte mich ‚überzeugen, wie weit Ihre Treue für Eliſabeth geht, ich bin jehr erfreut, einen jo gefeierten Mann, wie Sie es find, zum Sklaven zu haben, aber Erbarmen babe ich nicht mit Ihnen.“

„Sie weifen meine Anbetung zurüd”, ſtammelte Sumwalow. Der Schreden, die Enttäufchung, welche ſich auf feinem jchönen Antlig malten, erheiterten die Gräfin Beftuseff ungemein. „Nein, nein“, beeilte fie fich zu jagen, „im Gegentheil, Sie müſſen mich lieben, es wird mir ein wenig die Zeit vertreiben, aber red: nen Sie nie auf Gegenliebe.”

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„Kur auf Gnade.”

„Noch weniger.”

„Sie fünnten jo graufam fein?“

„Ich bin nicht graufam”“, jprach die fchöne Frau mit ihren aufgelöften Flechten jpielend, „und um Ihnen dies zu beweijen, erlaube ich Ihnen morgen Mittag, wenn ich meine gewöhnliche Spazierfahrt längs der Admiralität mache, mich —“

„Zu begleiten”, unterbrach fie Suwalow über: glücklich.

„Rein, nur zu ſehen“, jagte fie mit fofetter Strenge; fie wußte, daß er ihr jo am ficheriten war „Set aber müflen Sie mich verlaffen.” .

Sumwalow verjuchte fie zu umjchlingen, aber ihr großer deipotifcher Blick wies ihn zurüd.

„Srlauben Sie mir mindeftens, ihre Hand zu küſſen“, flehte er.

„Das wäre zu viel.”

„pen Fuß aljo —”

„Noch immer zu viel.”

Er jtand ratblos. Sie begann laut zu lachen. „Ich erlaube Ihnen den Boden zu füffen, dort, wo mein Fuß ihn jegt berührt,“ ſprach fie dann, denfelben zurüdziehend und der verwöhnte Günftling der Frauen, der Geliebte der jchönften Monarchin, warf fich vor

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ihr nieder und preßte feine Lippen auf den Teppich, dort, wo fie noch vor Kurzem auf denjelben getreten war. Dann erhob er fich, neigte fich tief vor der ko— fetten Schönen und entfernte fich raſch.

Der verdedte Schlitten der Gräfin Beftuseff ihn nach Hauſe.

Am folgenden Tage erwartete Suwalow die ſchöne Frau mit klopfendem Herzen in der Nähe der Admira— lität. Sie konnte mit dem Triumphe, den ſie über ihn gefeiert hatte, zufrieden ſein; es war ihm noch nie geſchehen, daß eine Frau ihm gegenüber kalt geblieben war, er hatte jede bei dem erſten töte a tete erobert und ebenſo Tchnell vergefjen. Die erite, welche ihn zurückgewieſen, ja verlacht hatte, mußte einen nie empfundenen Zauber auf ihn üben und jo war fein Gefühl für die jchöne Gemahlin des Vicefanzler3 eher das eines jchüchternen Cadeten oder Studenten, ald das eines Löwen der Geſellſchaft, des gefeierten Suwalow. Wie glücklich war er, die Gräfin in ihrem phantaſtiſchen Schlitten, in koſtbares Pelzwerk eingehüllt, nur vorüber fliegen zu ſehen, ſie beachtete ihn kaum, nur mit einem leichten, hochmüthigen Kopfnicken erwiderte ſie ſeinen demüthigen Gruß und doch fühlte er in dieſem Augenblick eine Befriedigung, wie er ſie nie in den Armen ſeiner ſchönen Herrin empfunden hatte. Die ſtolze Kälte der Gräfin

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teizte ihn in einer Weiſe, wie ihn noch nie ein Weib gereizt hatte. Er beeilte fih, ihr noch an demfelben Tage feinen Bejuch zu machen, wurde jedoch von der übermüthigen Frau nicht empfangen. Es hieß, fie fei müde. Ein anderes Mal fchüßte fie vor, daß fie noch nicht Toilette gemacht habe und endlich wies fie ihn einfach ab.

Seine Aufregung war auf das Höchſte geftiegen, als er die Graufame bei einem Goncert traf; während die Czaarin eine italienische Arie vortrug und Alles athemlos laufchte, beugte er fich plöglicy über die Stuhl: lehne der Gräfin Beftuseff und flüfterte ihr die mn ften Liebesſchwüre zu.

„Sie jagen, Sie lieben mich”, erwiderte endlich die Schöne Frau lächelnd, „ich bin aber jehr mißtrauiſch, wollen Sie mich alfo von der Wahrheit Ihrer Em— pfindungen überzeugen?“

„Ich bin bereit, Alles zu thun, was Sie von mir verlangen”, murmelte Sumalow.

„Und wenn ich Sie nun wirklich auf eine Probe ftellen wollte?” entgegnete die Gräfin leiſe.

„sh bitte Sie darum.”

„But, ich nehme Sie alſo beim Wort”, fuhr die Gräfin fort, „man jagt, daß die Kaiferin ſich mit Preußen alliiren und den Herzog Peter von Holjtein zu

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ihrem Erben ernennen will. Beides beleidigt mein Gefühl, denn Sie müffen wiffen, Graf, daß ich vor Alem eine gute Ruffin bin. Sie werden heute nod) Ihren ganzen Einfluß bei der Czaarin aufbieten, um fie umzuftimmen. Werden Sie dag?”

„Sie befehlen, mir bleibt nur zu gehorchen übrig“, entgegnete Suwalow.

„Ich erwarte Sie morgen Abend”, fagte zulegt die ſchöne Frau mit einem gnädigen Blid, „kommen Sie, mir den Erfolg Ihres ES chritteg zu melden.”

„Sie machen mich zum SROHOBEN Menjchen auf diefer Erde —“

„O! noch lange nicht”, lachte die fchöne Diplo: matin.

Sechzehntes Kapitel.

Eine Beiberverfolgung.

„Eiferjüchtig kann dieſer Beſtuseff nicht fein“, dachte Sumwalow, als er am folgenden Abend die fchöne Ge: mablin des Minifters allein fand. Er eilte vor ihr niederzufnieen und ihre Hand, welche fie ihm willig überließ, an feine von Leidenjchaft glühenden, trodenen Lippen zu führen.

„Run, was haben Sie ausgerichtet?” fragte der weibliche Diplomat.

„Nichts“, ermwiderte Suwalow mit einem Ton, der jo lächerlich furchtfam Klang, wie der eines un— artigen Knaben, der in's Verhör genommen wird, „die Kaiferin hat mich ausgelacht. Ja, noch mehr.”

„Roh mehr?”

„Sie hat mid) gefragt, wie viel mir die Seemächte

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dafür gezahlt hätten, damit ich gegen den Prinzen von Holftein und für Deiterreich ſpreche.“

„Das macht ja nichts”, ſprach die Gräfin Be jtuseff, „Sie dürfen nur deshalb diefe Angelegenheit nicht gleich wieder fallen laſſen, jprechen Sie täglich mit Glifabetb davon, endlich wird es doch Eindrud machen. Berjprechen Sie mir das?”

„Alles in der Welt, Gräfin“, flüfterte Suwalow, „aber was werden Sie dagegen thun, um mich am Leben zu erhalten, denn ich jchwöre Ihnen, daß id jterben werde, wenn Sie fortfahren, jo unnahbar kalt gegen mich zu fein.“ |

„Sie werden mich täglich jehen“, jagte die jchöne Frau.

„DO! mein Gott“, jubelte Suwalow.

„Schon damit ich Sie täglih an Ihre Aufgabe erinnern kann“, fuhr die kokette Frau fort, „aber bier wäre das unmöglich, mein Gemahl ift bei aller jeiner ftaatsmännifchen Rube doch fein Holzblod, Sie ver- ſtehen.“

„Vollkommen.“

„Nun alſo“, ſagte ſie, „in Jamskoi wohnt eine gute alte Frau, welche wie ich hörte, ſo freundlich iſt, ihr Haus der vornehmen Welt Petersburgs zu galan—

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ten Abenteuern zu überlaffen. Berfichern Sie fich dieſer Perjon, fie dürfte Ihnen faum unbefannt fein.“

„Sie meinen das fogenannte gelbe Haus der Wittwe Pskow?“

„Allerdings.“

„Und wann darf ich hoffen Sie dort zu ſehen?“

„Morgen.“

„Die Stunde?“

„Um ſieben Uhr Abends. Ich werde einen hell: blauen Mantel mit dunklem Pelz und eine Kapuze bon gleichem Stoff haben, die ich ſonſt nie trage“, jagte die jchöne Frau.

Als der Graf fie verlaffen hatte, Fam Beſtuseff. „Run, was haft Du erreicht?” fragte er haftig.

„Alles und nichts.”

„Spanne mich nicht auf die Folter.

„Ich habe Suwalow vollkommen gefeſſelt“, erwi— derte die reizende Frau, die Spitze ihres graziöſen Fußes betrachtend, „ich kann in jeder Beziehung über ihn verfügen. Er nimmt Deine Partei gegen Peter von Holſtein und gegen Preußen, aber bis jetzt ohne Erfolg. Die Czaarin läßt ſich nicht umſtimmen.“

„Eigenſinn, Weiberlaune

„Sie hat ihn geradezu ausgelacht.“

„Das erſte Mal, das zweite Mal wird ſie ihn

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anhören, das dritte Mal mit ibm darüber discutiren und endlich thun, was er verlangt“, lächelte Beſtuseff, „ih bin Dir jedenfalls zu jehr großem Dante ver: pflichtet, mein Schatz.“

„Danke mir nit —“

„Deshalb nicht?“

Die Gräfin zudte die Achjeln.

Den nächſten Abend verließ fie in einem einfachen Kleide von grauer Seide und dem Sumalow bejchrie: benen Pelz, den ſchönen Kopf von der Kapuze und einem dichten Schleier eingehüllt, zu Fuße ihr Palais, ftieg unterwegs in einen einfachen Iswosciksſchlitten und fuhr in demjelben nah Jamskoi. Bor dem Fleis nen gelben Haufe ftieg fie aus, ſchickte den Kutjcher fort und ſchlug mit dem fchweren hölzernen Thürkflopfer an die Feine Pforte. Im Augenblid wurde von einem einäugigen Burfchen in jchmierigem Koſakencoſtüme ges öffnet und Hinter der Eintretenden wieder gejchloffen. Am Fuße der Treppe erwartete fie eine didleibige Frau in der Tracht einer ruffifhen Kaufmannsfrau und geleitete fie rajch, ohne ein Wort zu ſprechen oder fie nur irgendwie zu muftern, in das erfte Stockwerk, wies mit der Hand auf eine niedere Thüre, vor der unter dem Bilde des heiligen Nicolaus eine rothe Lampe trübfelig fladerte und war zugleich verſchwun—

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den. Die Wittwe Pskow verftand offenbar ihr Hand: werk, bei dem Schweigen und jo wenig al3 möglich jeben Hauptjachen find. -

Die Gräfin drüdte an der Klinfe und ſah fich zu ihrer Meberrafchung in einem mit vornehmen Ges Ihmad und höchſtem Lurus möblirten Gemad, in wel: hem Suwalow fie erwartete. Während er dienftfertig ihr Kapuze und Pelz abnahm, ſah fie fich lächelnd in diejem prachtvoll behaglichen Afyl der Liebe um, und jeßte fih dann in einen Fauteuil, der am Kamin ftand.

„zegen Sie Holz an“, gebot fie ihrem Sklaven.

„Aber es ift ja bier heiß zum Erftiden”, erwi— derte Suwalow.

„Ihnen Graf, weil Sie verliebt find“, jagte fie, „Sie vergefjen aber, daß ich nicht verliebt bin.”

„Sie haben fein Herz.”

„Für Sie nicht.“

„And Sie fommen doch?”

„Am mich an Shren Qualen zu beluftigen.”

„Sie werden mich alfo nicht erhören?“

„Gewiß werde ich Sie erhören, um Sie dann erjt recht verfchmachten zu laſſen“, lachte die ſchöne Frau.

„sh glaube, e3 gibt feine zweite Frau Ihrer Art auf der Welt“, murmelte Suwalow.

„sh hoffe“, ſagte die Gräfin Beltuseff, „und

206 eben desbalb werden Sie mid anbeten wie feine zweite.“

„Sie wiflen das?“

Sie nidte lächelnd und breitete dann mit einem Male beide Arme nad ibm aus. „Nun?“

Er warf ſich mit aller Leidenſchaft eines jungen Menſchen, der zum erften Male liebt und zum eriten Male geliebt wird, vor ihr nieder und fie zog ihn ftumm an ihre Bruſt.

Suwalow ſprach ein zweites, ein drittes Mal mit der Kaiſerin von der Thronfolge, aber fie blieb wider Erwarten feit. Ein eigenhändiges Schreiben, das den erft vierzehnjährigen Herzog Karl Beter Ulrid von Holftein-Gottorp nad) Rußland und an ihren Hof berief, war bereit3 ohne Wiſſen Beltuseff3 und Su walow's vor einiger Zeit abgegangen. Anfangs Fe bruar 1743 traf er in Peteröburg ein und wurde bon der Gzaarin auf das Herzlichfte empfangen. Diesmal hatten Leſtocq und de la Chetardie gefiegt, nicht weil e3 ihnen etwa gelang, Glifabeth durch Gründe zu be ftimmen, fondern weil fie den jungen Herzog nad) fid jelbjt im Befiße der beiten Rechte auf den ruffifchen Thron wußte, und ihr Rechtsgefühl und ihre Sympa- tbie diesmal ftärfer waren, als alle Intriguen und ſo— gar der Einfluß, die Vorftelungen und Bitten ihres

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Bünftlings. Dem leßteren indeß war der franzöſiſche Votſchafter durchaus nicht gefonnen, jeine Fahnenflucht jo Teicht zu vergeben, er umgab ihn mit Spionen, welche jeden feiner Schritte bewachten, und jchon nach kurzer Zeit war er in der Lage, Leſtocq die Mittheilung zu machen, daß Sumwalow in dem Eleinen gelben Haufe von Jamskoi Rendezvous mit einer Dame babe. Diefe jelbft zu entveden, war den Spähern de la Chetardie's bis jetzt troß den eifrigiten Bemühungen nicht gelungen.

Den Glanz des Triumphes auf der Stirme, er: ſchien Leſtoeq bei dem nächſten Lever der Czaarin.

„Was haben Sie“, ſagte Eliſabeth zu ihm, als ſie allein waren, „man ſieht Ihnen an, daß Sie etwas ſehr Angenehmes entweder erfahren oder mitzutheilen haben.“

„sh zweifle, Majeſtät“, erwiderte der intriguante Heine Leibarzt, „daß Sie das, was ich Ihnen anzu-⸗ vertrauen babe, ſehr freudig überrafchen wird, Gie müßten denn das Vergnügen theilen, welches ich em— pfinde, wenn es gelingt, einen Heuchler zu entlarven, einen Verbrecher der verdienten Strafe zu überliefern.“

„D! Sie haben die Abficht, einen meiner Freunde zu verläumden“, rief Elifabeth.

„Ich Hage nur dann an, wenn ich Beweije habe.”

„Beweiſe? Laffen Sie hören.”

208

„Wenn Majeftät mir vorher verjprechen fich ; mäßigen, und vor Allem mich nicht zu verrathen.“

„Zugeſtanden“, jprad) die Szaarin, „welchem Ihr Gegner gilt alfo Ihre Siegermiene, Beituseff?“

„Rein, Sumwaloiv.”

„Suwalow mwäre ein Heucler, ein Verbrecher?

„Darüber werden Eure Majeftät am beſten felb urtheilen”“, entgegnete Leitocq. „Sch begnüge mich, bi Thatfachen mitzutheilen, welche mir über den Grafe befannt geworden find.”

„Sie glauben doch nicht im Ernfte, daß Suma low die Treue gegen mich verlegt hat?”

„Richt gegen die Monardhin, aber gegen bi Frau —”

„Wie?“ Die Augen des jchönen eiferfüchtigen Mei: be3 flammten zornig auf.

„Suwalow bat jeit einiger Zeit geheimnißyoll nächtliche Zufammenkfünfte mit einer Dame.”

„Wer ift diefe Dame.“ |

„Das konnte ich nicht entdeden.“

„Aber Sie Tennen den Ort, wo fie ihn empfängt.”

„Allerdings. Es ift ein jeit langer Zeit anrüdi- ge3 Haus in Jamskoi.“

„Und meine Minifter dulden ſolche Häufer? St die Polizei blind, wacht man fo über die Moral in meiner

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Hauptftadt 2” rief die Kaiferin auf das Höchſte erregt, fie hatte fich erhoben und eilte jet zornig auf und ab, ihr Athem flog, endlich ftampfte fie mit dem Fuße und befahl auf der Stelle, den Chef der Polizei in ihr Gabinet zu berufen.

Nicht lange, nachdem derjelbe mit einer Armen: jündermiene die Monarchin verlaffen hatte, wurde die Wittwe Pskow verhaftet und in fein Bureau gebracht, wo fih außer ihm noch eine hochgewachſene, in Pelz: werf und Schleier gehüllte Dame befand.

Der BPolizeichef begann das Berhör. „Du wirft wohl wiſſen, alte Sünderin, weshalb Du Hier bift?“

„Kein, Bäterchen Ercellenz, ich babe feine Ab: nung davon.”

„zäugne nicht, fpiele nicht die Heilige. Die Pos lei weiß Alles. Man weiß, daß Du Dein Haus zu verbotenen Zujammenfünften bergiebft, daß bei Dir die Unzufriedenen ſich verichwören. Es kann Dir Deinen Kopf often, Alte.“

„Heilige Mutter von Kaſan“, rief die Feine dicke Wittwe erfchrecdt, „bei mir ift noch nie Jemand an- ders geweſen, als etwa hier und da ein Liebespärchen.“

„Du giebt dies zu”, lächelte der Polizeichef, „eben dies ift e!, was wir willen wollten. Liebespärchen

kommen alſo zu Dir, und Du leihſt ihnen Deine Hand Sacher-Maſoch, ein weibliher Sultan. I. 14

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und Dein Haus und bilfit entarteten Töchtern i Eltern, fittenlojen Frauen ihre Gatten bintergeb: So, ſo, warte nur, wir wollen Dir Dein Handn ſchon legen.”

Die Wittwe Pskow begann am ganzen Zeibe zittern und erbärmlich zu heulen.

„Eine ftrenge Strafe erwartet Dich, Alte”, mil: fich jeßt die verjchleierte Dame ein, „Eines nur fa Dich retten, ein offenes Geſtändniß.“

„Ih werde Alles jagen”, jammerte die With

„Kennit Du den Grafen Iwan Suwalow?“ je die Verfchleierte das Verhör fort.

„Isa, Mütterchen.“

„Hat er Dein Haus beſucht?“

„Ja.“

„Seit wann?“

„Seit einigen Wochen erſt.“

„Er iſt in Deinem Haufe mit einer Dame zujar mengelommen.”

„Allerdings, Mütterchen.”

„Kennſt Du diefe Dame?” |

„Rein, Mütterchen. Sie war immer vollfomme bermummt und dicht werjehleiert jo wie Du, ich fent fie ebenſo wenig, wie ich Dich Fenne.”

„Haſt Du auch feine Vermuthung?“

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„Mein Gott, es giebt der leichtfertigen Mädchen ſo viele bei uns in Petersburg“, ſeufzte die Alte, „wer ſoll ſie Alle kennen. Eine vornehme Dame war es gewiß nicht, ſie war nicht darnach angezogen, und hat Niemandem nur eine Kopeke gegeben. Auch kam ſie immer in einem einfachen Isvosciksſchlitten ange— fahren,”

„Bebalten Sie die Perfon vorläufig in Haft“, fagte jett die verfchleierte Dame zu dem PBolizeichef, „dh werde zur Zeit über ihr Schidjal entjcheiden. Sore Aufgabe ift es, heute noch alle verdächtigen Frauen einzuziehen. Ich muß der Sache auf den Grund kommen, verftehen Sie.“

Der PBolizeichef verneigte fich demüthig und bie Berjchleierte fchritt ftolz und rafch aus dem Gemach.

Auf den Befehl der Monarchin, der jede Verlegung ihrer Eitelfeit als ein Hochverrath erfchten, fand nun in Betersburg eine fürmliche Weiberverfolgung ftatt. Jedes hübjche Weib oder Mädchen, das Männern ge: genüber al3 gefällig galt, wurde verhaftet und jcharf in's Verhör genommen; man drohte ihnen mit bem graufamften Strafen, um fie zum Geftändniß ihrer galanten Abenteuer zu bringen, und die Protocolle, welhe man mit ihnen aufnahm, mußten täglich ber

Kaiſerin vorgelegt werden. Allen, die nur halbwegs 14*

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ſchuldig gefunden wurden, ließ die Gzaarin die Haare abjchneiden und fie dann in Zuchthäufer fteden. Die Mehrzahl diefer unglüdlichen Priefterinnen der Venus fam in das Spinnhaus, welches in Petersburg jelbft am Ende der Fontanfa lag.

Die Wittwe Pskow mwurde nad) Drel vermwiefen.

Ueber Suwalow beſchloß Elifabeth ſelbſt Gericht zu halten. Sie wäre, ehe er vor ihr erjchien, fähig geweſen, ihn unter ihren Augen todtpeitfchen zu Laffen, in dem Augenblide aber, wo er vor ihr ftand, brad fie in Weinen aus und warf fich fchluchzend in einen Stupl. |

„Man bat mich bei Dir verläumdet, Elifabeth“, begann der Hochverräther an ihrer Schönheit.

„Ich weiß Alles im im ‘gelben Haus“ ftammelte die Czaarin unter Thränen.

„Was weißt Du? Daß ich dort eine Frau geſpro— chen habe?” jagte Sumalow.

„sa, Alles, Alles.”

„Richt Alles, Du weißt nicht, wer dieſe Frau war.”

„Ber war es aljo?“

„E3 war ein Mann —”

„Sin Mann?”

„Sa wohl Ein ſchwediſcher Officier, den bie

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ruſſiſche Partei in Stodholm zu mir gefendet hat, um mir die Intriguen Frankreich und Preußens zu ent: hüllen und der mit mir als Frau verkleidet zufammen- fommen mußte, um den Späherbliden de la Chetardie’s und Leſtocq's zu entgehen.”

„Suwalow, Du lügjt”, ſagte Eliſabeth, welche ihre Augen trodnete, um den Verräther dann mit zür- nender Zärtlichkeit anzubliden.

„Ich Lüge nie, und am wenigften, wenn ich Dir füge, daß Du das fchönfte Weib der Welt bift“, rief der Graf, „und daß ich Dich anbete und Dir gehöre bis zum legten Blutstropfen.“ |

„Ich will den Schweden jprechen”, ſprach die Czaarin, während ihre Finger mit dem Haare des Ge— liebten jpielten.

„Das ift unmöglich, denn er hat Petersburg be: reits verlaſſen!“

Ah! ich muß Dir wohl glauben“, ſeufzte die arme verliebte Dejpotin, „denn ich Liebe Dich zu ſehr?“

Ende be3 erften Bandes.

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2*

Geheimniſſe des Hermelins.

An irn

Sacher⸗Maſoch, ein weiblicher Sultan. II. 1

Erites Kapitel.

Im Kreml.

Trotzdem die Verjöhnung der Kaijerin mit ihrem Günftling eine vollftändige war und derfelbe fortan offen als Gegner Leitocq’3 auftrat, behauptete der let- tere doch feinen Einfluß auf Elifabeth, und war, wie er jelbft bei jeder Gelegenheit äußerte, defjelben voll: fommen ficher; nicht etwa, weil die ſchöne Frau, welche er auf den Thron erhoben hatte, es ihm täglich jchwor, jondern weil er jehr gut wußte, daß fie, jo lange er lebe, fich niemals entjchließen werde, fich einem anderen Arzte anzuvertrauen und vor Allem, fih von einem anderen zur Ader zu lafjen.

Bisher hatte der kleine energifche Franzoje noch) Alles bei ihr durchgejegt und es feinen Gegnern un— möglich gemacht, nur das geringfte Terrain zu erobern,

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Bergebens ſuchte Beltuseff, welcher den Konig ve Preußen haßte und nur in der Allianz mit England, He land und Oeſterreich Rußlands Vortbeil jab, die Kaiferi für feine Anfchauung zu gewinnen. Leſtocq, weldı im franzöſiſchen Solde jtand, durchkreuzte jede fein politifchen Intriguen, ſowohl in Bezug auf Den ſchw— diſchen, wie auf den jchlefifchen Krieg, welcher ebe zwifchen Friedrich dem Großen und Maria Therefia entbrannt war. Während die Minifter nicht jelte eine Woche warten mußten, um dann. eine Viertelftund bei der Czaarin Gehör zu erlangen, war fie täglid durch mehrere Stunden mit Leſtocq beifammen unl machte es ihn auf diefe Weife leicht, die Pläne dei erſteren zu durchkreuzen.

Der Kampf der Parteien wurde noch um Viele heftiger, als die Czaarin im März 1742, von bei Prinzen von Holftein und ihrem ganzen Hof begleitet nad Moskau überfiedelte, wo ihre feierliche Krönung ftattfinden follte. Die Art, wie politifche Intriguen an dem Hofe des jchönen weiblichen Sultans in Scene gejegt mul: | den, hatte oft etwas draftifc Komifches. Während der Reife war e8 Beituseff undSumalow gelungen, die Kaiſe— | rin gegen Preußen zu jtimmen. Zu ihrem Unglüd wurd diejelbe aber bald nach ihrer Ankunft in der Sloboda, in welcher fie ihre Refidenz nahm, von einer heftigen

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Kolik befallen. Nun war wieder Leſtocq, der „Liebe gute Leſtocg“ obenan und wirklich konnte er ſchon wenige Tage jpäter den Marquis de la Chetardie zu einer geheimen Audienz in das Schlafgemacd der Mo- narhin führen. Als nun die Minifter das erite Mal bei Ihe erjchienen, und Beituseff voll Siegesbewußtfein gegen Schweden und Preußen, und folglich gegen Frankreich zu Sprechen begann, mußte er zu feinem Er: ſtaunen erfahren, daß ihn Elifabeth mit der Erklärung unterbrach, fie halte die Freundichaft Frankreichs für ebenjo aufrichtig als nüglih, und habe insbejondere von der Anhänglichfeit des Marquis de la Chetardie ſo viel Beweife empfangen, daß fie an denjelben nie= mals zweifeln werde.

Beftuseff wußte zu gut, daß der franzöftiche Ge— jandte die Sympathie der Gzaarin den jechstaufend Ducaten dankte, welche er ihr in dem Augenblide vor: geftredt Hatte, als fie fich entjchloß, die Zügel der Herrfchaft an fich zu reißen, und daß ihre Hinneigung zu Frankreich das Werk Leſtocq's war, der ſich uner: müdlich zeigte, ihr jowie ihrer Umgebung die Vortheile diefer Verbindung Far zu machen, Dennoch wagte e3 der Vicefanzler nicht, offen gegen den Kleinen Franzofen aufzutreten, jondern benüßte zu dieſem Zwecke den heißblütigen und daher unvorfichtigen Großfanzler Cer—

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kaski. Er fette ihm jo lange auseinander, daß feine Würde unter den Intriguen des Leibarztes leide, bis der Großfanzler endlich Audienz bei der Kaiferin ver: langte und Leſtocql ohne Rüdjiht auf ihn oder fid jelbft angriff. Er bewies, daß derjelbe die Ducaten, welche er zu Taufenden verjpielte, von dem Marquis de la Chetardie bezog, nannte ihn einen von Frankreich bezahlten Spion und Staatsverräther, und bat Eliſa— beth, Leſtoeq entweder jede Einmiſchung in die Staat3: geichäfte, insbejondere in die äußere Politik zu verbieten, oder wenn fie ihn durch ihr Vertrauen den Miniftern gleich ftelle oder fogar noch vor denfelben auszeichne, ihn Lieber gleich in den Staatsrath zu berufen, al die Arbeiten des Minifteriums täglich durch feine Winkelzüge in Frage zu ftellen. Beftuseff war jo Hug, ſich vorläufig neutral zu verhalten, denn er war fich vollfommen Elar darüber, daß die Stellung Leſtocq's bei der allgemeinen!Erbitterung, die gegen ihn berrjchte, für die Dauer unbaltbar war.

Elijabeth ftellte Leftocq bei nächſter Gelegenheit zur Rede, aber er veritand ſich ſehr geſchickt zu ver: theidigen. Seine Feinde, ſagte er, wüßten nicht8 anderes gegen ihn vorzubringen, als feinen Umgang mit dem Marquis de la Chetardie. Er läugne durchaus nicht, daß er gute Gejellichaft liebe, welche man an feinem Drte befjer finde, als bei dem franzöfischen Botjchafter,

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wo man fth auf die angenehmjte Art unterhalten, ejjen, trinken und jpielen könne; auch befenne er offen, daß er ſich demjelben für die Dienfte und Geldvor: ſchüſſe, welche er jeiner Gebieterin geleiftet, zu Dank verpflichtet halte. Endlich jei er aber überzeugt, daß nur Blindheit und Eigennuß gegen die Freundschaft Rußlands mit Frankreich eifern Fönnten. Der Vortheil derjelben jei ganz nur auf der Seite der Gzaarin. Was die Rechtichaffenheit des Großkanzlers betreffe, würde wohl ein Beifpiel genügen, diejelbe in das richtige Licht zu ſetzen.

Um die 'beitehenden Verträge mit Rußland zu er: neuern, jei eine Gejandtjchaft der Baskiren an den faiferlichen Hof gekommen. Es liege auf der Hand, daß die politische Klugheit gebiete, dieſe reichen und mächtigen Horden zuvorfommend zu behandeln. Troßs dem babe Cerkaski ihre Abgejandten mehr als zwei Monate bingehalten, ohne fie bei der Czaarin zur Au: dienz zu melden, bi3 fie fich endlich an ihn wendeten und ihm ihre Noth Elagten. et jei es ihm gelungen, die Urfache des fonderbaren Verhaltens des Großfanz- lers zu erfahren. Der geheime Rath Tatiseff in Aftra- han habe, weil die Gejandten der Bazfiren eine Reihe ſehr gerechter Befchwerden gegen ihn bei Hofe vorzu— bringen hatten, dem Großkanzler dreißigtaufend Rubel

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geſchickt. Der Großfanzler betreibe überhaupt die Ge— Ichäfte ſehr läſſig, während der PVicefanzler einerjeits zu fchüchtern fei, ſich derſelben zu bemächtigen, anderjeits durchaus nicht jener gejchidte Kopf, für den er ihn anfangs gehalten habe. Auch jei er von dem öfter: reichiichen Gejandten Grafen Botta für deſſen Regie rung gewonnen und habe zwanzigtaufend Rubel von der Königin von Ungarn erhalten, um Rußland in ihr Lager zu führen. Die Zeit werde es wohl beweijen, ob er beitochen ſei oder Beltuseff, und weſſen Rath der beſſere gewejen. Gerade vom öſterreichiſchen Hofe jei der Rath ausgegangen, Elifabeth für ein unechtes Kind Peter des Großen zu erklären, und in ein Klofter zu ftecen.

Die Kaiferin zeigte fich von der Auseinanderfegung des kecken Franzofen befriedigt, und die Sache war für diesmal damit beendet. Während die beiden Par: teien fortfuhren, fich zu befehden und Rußland darüber zu feinem entjchiedenen Auftreten in dem öſterreichiſch— preußifchen Streite fam, lebte die Czaarin- Elifabeth in Moskau ganz nur ihrem Vergnügen, ihrer Eitelfeit und der Liebe. Sie hatte Sumalow vergeben, aber ihre Neigung für den Treulojen war ſtark in der Ab: nabme begriffen, doch Ließ die feitliche Atmosphäre der Krönungsmwochen fie nicht jo jchnell zum Bemußtjein diejer Veränderung kommen. Prachtvolle Aufzüne,

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militäriſche Paraden wechjelten mit Schaufpielen und Feten; Eliſabeth war dabei jo recht in ihrem Ele— mente, fie machte täglich fünf bis ſechsmal Toilette, die Eoftbarfte ftets nach dem Mittagsmahl, und warf fich in den Strudel lärmender Bergnügungen, aus einer Aufregung in die andere.

Das glänzendfte Feſt war jenes, welches ihre Krö— nung am 6. Mai 1742 verherrlichte und welchem auch der zum Erben ihres Thrones auserjehene Prinz Peter von Holftein beiwohnte. Alle europäischen Mächte hatten Vertreter nach Moskau gejendet; am meilten erregte der perſiſche Gefandte, der mit niegejehener Pracht auftrat, die Schauluft der Menge. Die Gaſt— freundschaft der Kaiferin ihm gegenüber trug einen echt orientalifchen, verjchiwenderifchen Charakter. Bis zum 1. Juli, wo er jeine Abjchiedsaudienz hatte, wurden für ihn und fein zahlveiches Gefolge 300,000 Rubel aus: gegeben

Ein in feiner Art einziges Schaufpiel but die Slumination von Moskau an dem Tage, wo die Kai— jerin aus dem Kreml in die Sloboda, wo fie refidirte, zurüdgefehrt war. | Der Muthwille gab der jchönen Tebensluftigen Frau den Gedanken ein, an diefem Abende Männer: Heider anzulegen und fo durch die ihr zu Ehren in

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ein Flammenmeer verwandelte, altertbümliche, orien— talifch prächtige Stadt zu reiten. Sie theilte ihr Vot=, baben Leſtocq mit, und fündigte ihm zugleich an, daß fie ihn bei diejer Gelegenheit bejuchen werde:

Der Eleine intriguante Franzoje beſchloß auf der Stelle die günftige Gelegenheit, welche ihm die Laune der Monardin bot, zu feinen Zmweden auszubeuten, und jeinen Gegnern jowie dem Volke zu zeigen, welcher hohen Gunſt er und der franzöfiiche Botjchafter fich bei der galanten Eliiabeth zu erfreuen hatten.

Die Gzaarin hatte fich eigens zu diefem Zwecke ein jehr Eleivjames Kojtüm machen laffen, in welchem fie fi), als der Abend hereinbrach, mit großer Be— friedigung im Spiegel betrachtete. Sie trug hohe ſchwarze Stiefeln mit Sporen, ein weites faltiges Bein- Heid und einen langen Rod von grünem Sammet, welcher ſich fnapp an ihre jchönen Formen jchmiegte. Der legtere war reich mit Gold verfihnürt und durch einen Schwarzen Ledergurt zufammengehalten, auf dem weißen Toupée jaß eine Kojafenmüte. So jtieg fie, die Reitpeitfche in der Hand, zu Pferde und überrajchte ihren Leibarzt in feinem Hauſe. Leſtocq glänzte vor Vergnügen; er warf fich vor feiner gnädigen Herrin auf die Kniee und füßte ihre Stiefeln, was fie lächelnd binnahm als etwas, was fich von jelbit verjtehe; dann

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führte er den Marquis de la Chetardie herein, und al3 die Czaarin weiter ritt, jtanden bereits zwei Pferde für ihn und Leftocg bereit und fie ließen es fich nicht nehmen, die ſchöne Amazone bei ihrem Ritt durch die Straßen von Moskau zu begleiten.

Eliſabeth dachte nichts Uebles dabei; aber der Bor: fall erregte ungeheures Aufjehen und erbitterte die Gegner Leſtocq's aufs Neue.

Als die Szaarin in die Sloboda zurüdgefehrt war, jagte fie zu ihrer Favorite, der Gräfin Sumwalow: „Beißt Du, Lidwina, daß ich mir in diejen Kleidern ſehr gefalle?“

„Und mit vollem Rechte“, erwiderte die kleine Gräfin, „Sie ſehen wunderbar aus, ganz geeignet, den Neid und die Eiferſucht aller unſerer Cavaliere zu er— regen.“

„Du findeſt mich alſo hübſch“, ſagte die Czaarin geſchmeichelt.

„Ach! warum giebt es keinen Mann auf der Welt, der ſo ſchön wäre, wie Sie es jetzt ſind“, ſeufzte die Gräfin Suwalow, „ich würde alles darum geben, von ihm geliebt zu werden.“ |

„Denke alſo, ich jei diefer Mann”, jcherzte Eli— jabeth, „ich werde jeßt oft in diefem Anzug erjcheinen

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und mir noch andere Männerfleider machen lafjen, nur um Dich ganz zu bezaubern und Dir dann auf Tod und Leben den Hof zu machen. Sumalomw joll vor Eifer: jucht rajend werden.” Sie jegte fich neben ihre reizende Hofdame, umjchlang fie und begann fie zu füffen. Wer in diefem Augenblide eingetreten wäre, hätte obne Zweifel geglaubt, ein zärtliches Pärchen zu überrafchen, jo gut verjtand es Elijabeth, die Modephrajen der ga— lanten Männer ihrer Zeit und die Huldigungen der: jelben nachzuahmen.

Sie lag vor der Gräfin auf den Knieen, ſchwor ihr Liebe und benahm jich, wie es nur der leidenjchaft: lichjte, jugendlichite Page vermag. Woronzoff jtand vor der Thüre und hörte das ſüße Xiebesgeplauder der beiden muthwilligen Frauen, wagte es aber nicht, ein: zutreten. Nach einiger Zeit gefellte ſich Suwalow zu ihm. Sie blidten abmwechjelnd durch das Schlüſſelloch nnd berietben, was zu thun ſei, bis endlich die Kai— ſerin, welche ihnen bisher den Rüden gekehrt, fich erhob und der Thüre näherte. Fett löſte fich die eiferfüchtige Spannung der beiden in ein lautes Lachen. Sie klopften, und al3 man fie eintreten bieß, beeilten fie fi, die heitere Täufchung, unter der fie eine qualvolle Viertelftunde lang gelitten hatten, zum Beſten zu geben.

EEE nr Fr A

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„Ja, Swan”, rief Eliſabeth, „ich mache Deiner Frau von heute an den Hof und ich dulde feinen Nebenbubler, alfo richte Dich darnach ein.” Sie ſchwatz— ten noch einige Zeit. Zulegt ging der ſchöne Koſak im grünen Sammt mit Suwalow Arm in Arm davon und Woronzoff blieb bei der reizenden Gemahlin des Grafen zurüd. Man genirte ſich durchaus nicht an dem Hofe des weiblichen Sultans.

Wenige Wochen nad) dem Krönungsfeite wurde der Marquis de la Chetardie unerwartet von jeinem Hofe abberufen. Leitocg war davon jehr unangenehm überrajcht, während feine Gegner triumphirten; der Marquis wurde bei jeiner Abreije von der Czaarin mit Geſchenken förmlich überjchüttet. Er erhielt außer dem für Minifter feines Ranges feitgejegten Abjchievspräfent von 12,000 Rubeln, den Andreasorden, deſſen mit Brillanten von jeltener Größe bejegtes Kreuz mit dem Stern zufammen einen Werth von 35,000 Rubeln tepräfentirte, durch Lejtocq eine ZTabatiere mit dem Portrait Elifabeth’S und einen Ring mit einem Brillan: ten von einundzwanzig Karat, beides auf 30,000 Rus bel gejchägt, und einen prachtvollen Reijewagen; end: ih faufte ihm die Czaarin jein GSilberjervice und feine Stallequipage für 20,000 Rubel ab. In allem nahm er über 150,000 Rubel, aber dafür auch unges

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zählte Verwünjchungen des Volkes nah Frankreich mit. Die altruſſiſche Partei, zu der Gerkaffi und Trubegfoi gehörten, jah die Vorgänge am Hofe mit jteigendem Unwillen und gab ſich ale Mühe, um die Czaarin dem Einfluße Leſtocq's und ähnlicher Creaturen zu entziehen, und diejelbe in Moskau feitzubalten, wo der größte Theil des ruſſiſchen Adels feinen Wohnjig hatte. Leitocqg dagegen ftellte der Monarchin ununterbrochen vor, wie fie in Mosfau nur von Mißvergnügten um: geben jei, wie fie bier viel leichter als in Petersburg das Opfer einer Verſchwörung werden könne und be ſtimmte fie endlich, ihre Abreife für die Zeit der be— ginnenden Schlittenbahn feitzujegen.

Indeß begannen die Garden in Moskau und Petersburg, von der ruſſiſchen Partei aufgehegt, arge Ercefje zu verüben. Als unter ihnen der Verdacht ent- ftand, daß der Prinz von Homburg und andere deutfche Dfficiere fie bei der Kaiſerin heimlich denuncirten, rot: teten fie fih zufammen und drohten, wenn die Ränfe der Fremden nicht aufhören würden, alle Deutfchen in Stüde zu hauen.

So war bereit3 im erften Jahre der Regierung Elifabeth3 der Boden, auf dem ihr Thron fich erhob, nad allen Seiten hin zerflüftet. Sie felbft fühlte dies

15 nur zu gut, aber fie fand nod nicht jene Kraft, deren fie bedurfte, um alle Gefühle der Sympathie und Dank: barkeit, welche ihr gütiges Herz beherrjchten, bei Seite ju jegen und unerbittlidy nur der Stimme der Staats: weisheit zu gehorchen.

Zweites Kapitel.

Der Sklave der Gräfin Suwalow.

Das Geräufch der Feite war veritummt, das Leben am Hofe befam wieder feinen gewöhnlichen Charakter Ein heiterer Zufall wollte, daß die Czaarin Eliſabeth und ihre reizende Favorite ſich zu gleicher Zeit zu lange weilen begannen; die legtere mit ihrem Anbeter dein Kammerherrn Woronzoff, die erſtere mit dem jchönen Gatten ihrer Freundin. Die Gräfin Suwalow war die erjte der beiden Frauen, welche den Muth fand, ihren Ritter zu verabſchieden; um dies ungenirter thun zu können und der fortwährenden unvermeidlichen Be: gegnung mit ihm am Hofe auszumeichen, verließ fie in den erften Tagen des Septembers die Sloboda und 309 in den weitläufigen mit aliatifcher Pracht. einges

17 richteten Holzpalaft in Kitaigorod, den fie bon ihrem Vater geerbt hatte.

Nachdem fie. fich bier eingerichtet hatte, verſam— melte jie das aanze Hausgelinde in dem großen mit Ahnenbildern gefchmüdten Saale, um dafjelbe mit ihrer Lebensweife und ihren Anordnungen befannt zu machen. Der Haushofmeifter ftellte die einzelnen leib— eigenen Diener vor, nannte ihr Amt und jchilderte ihre Eigenjchaften und Talente. Seitwärts von dem Schwarm, der demüthig und meugierig zugleich vor der Herrin ftand, erblidte dieſe einen noch jungen Dann von jeltener Schönheit, welcher jofort ihre ganze Aufmerkſamkeit auf ſich 309. Schlank und kräftig ges baut, mit fein gefchnittenen an den Orient mahnenden Zügen, das wettergebräunte Antlig von langem dunk— ler Haare und einem runden ſchwarzen Vollbart ein: gerahmt, jchien er troß feinen einfachen Kleidern nicht zu den Dienern zu gehören, und doch widerſprach fein beiheidenes, beinahe furchtfames Weſen der Annahme, daß er den Freien beizuzählen fei.

„er iſt der Jüngling dort?” fragte die Gräfin balblaut den Haushofmeifter, „er ſcheint kein Leibeige- ner und doc erjcheint er mit den Anderen, mich zu begrüßen 2”

„Wie es jeine Pflicht ift, Herrin“, —— der Sacher-Maſoch, Ein weiblicher Zultan. II.

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Alte, „denn, wenn er gleich obne Zweifel etwas Belle: res ift als wie alle die Diener, jo ift er doch auch nur Dein Sklave, Deinem Willen unterthan.“

„Die nennt er fich und wie fommt er zu diejem Anzug, diefer vornehmen Haltung, diejem verjtändigen Weſen?“ forichte die Gräfin weiter. |

„Sein Name ift Aleris Raſumowski“, gab der Hausbofmeiiter zur Antwort, „ein Bauernjohn aus der Ukraine, wurde er von unjerem gnädigen Herrn, Dei: nem jeligen Vater nad Mosfau genommen, teil der: jelbe jeltene Geiltesgaben und eine herrliche Stimme an ihm entdedt hatte. Er wurde von ihm gleich einem Sohne gehalten, von guten Zebrern in der Wiffenjchaft unterrichtet und im Gejange ausgebildet; der gnädige Herr bat ihn ſehr geliebt.“

„Die fommt es dann, daß er ihm feinen Frei- brief ausgeftellt hat?“ j

„Daß es jein Wille war, ift Jedem im Haufe befannt gewejen, aber wie es jchon mit ſolchen Dingen geht, der Herr Fam nie dazu und endlidy überrafchte ihn der Tod.”

„Alexis ift aljo mein Sklave ?“

„Sa, das ift er, nad Fug und Recht.”

„But.“

Die Gräfin fuhr fort, den Leuten ihre Befehle

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zu ertbeilen. Als fie diejelben endlich entließ, hielt ein Wink von ihr Raſumowski zurüd,

„Tritt näher”, gebot fie ihm.

Er gehorchte und blieb zwei Schritte von ihr ent= fernt ftehen.

„Du machſt den Eindrud eines gebildeten Mannes“, jagte fie, „wie ich höre, haft Du Dir Manches ange- eignet, was kaum unfere Grafen und Fürſten lernen.“

„sa, Herrin, Dein feliger Vater war jehr gnädig gegen mich.”

„Weshalb bat er Dir aljo nicht die Freiheit ge— ſchenkt?“

„Er hat mich ohnehin genug mit Wohlthaten über— häuft.“

„In wie fern ?” *

„Er hat mir das Wort Gottes erſchloſſen und die Menſchenwelt, er hat mich in die Vergangenheit blicken laſſen, mich mit den alten Geſchichten unſeres Reiches, fremden Ländern und Völkern bekannt ge— macht.“ | „Und das erjcheint Dir als ein Glück?“

„Gewiß.“ |

„Ich halte es für ein großes Unglüd in Deinem Stande”, rief die Gräfin Sumalow; „wenn ich nun

nicht ſo gnädig gegen Dich wäre, wie mein Vater, 2*

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und Dich ohne Rückſicht auf Deine Bildung eir zu meinem Dienite verwenden würde, wie Die Andı was dann?”

„Dann würde die Wahrheit doch Wahrheit ben”, ſprach Mleris Rafumowsfi mit einem Cr der etwas Feierliches an fish hatte, „und das W doch Wiffen und würde mir mein Schidjal erleichte

„Meint Du?“ jagte die Gräfin. „Dein Wi ſpruch reizt mich, den Verſuch zu machen, denn weißt wohl, Aleris, daß Du mein Sklave Bbift.“

„sch weiß 8.”

Die Gräfin klingelte. Der greije Haushofme erichien. „Stelle dieſen Sklaven hier angenblid in eine Livrée“, befahl fie, „er gefällt mir beſſet alle anderen und ſo will ich, daß er mich bedi verſtehſt Du?“ |

Der Alte vermeigte fih. „Nun, was dent jetzt?“ wendete fich die ſchöne Gebieterin zu ihr Sklaven.

„Bas darf ein Sklave denken?“ erwiderte mowski anſpruchslos.

„Gewiß ſoll er es nicht“, ſagte die Gräfin, aber thuſt es doch und ich will Deine Gedanken nen. Hörſt Du?“

„Ich denke, daß Du recht daran thuſt, He

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eutgegnete Rafumomwsfi, „jenen unter Deinen Sklaven zu Deinem Dienft zu erwählen, dem Dein feliger Ba: ter die meilten Wohlthaten erwiejen hat.“

Auf diefe Antwort war die ſchöne Frau, welche aus Langeweile mit ihrem Sklaven ein graujames und leichtfertiges Spiel begonnen hatte, nicht gefaßt; fie jah ihn groß an und kehrte ihm dann den Rüden. Raſumowski verließ mit dem Haushofmeifter den Saal.

„armer Freund“, murmelte der Alte, „die Zeiten haben fich jehr verändert, es ſcheint, wir alle find un— ter eine ordentliche Zuchtruthe gerathen.“

„Es beißt aljo, noch mehr als jonft unferen guten Villen zeigen”, jagte Raſumowski, „und unfere Treue beweiſen.“

„Du haſt für Alles eine gute Deutung“, meinte der Greis, „weil Du viel zu edel von den Menſchen denlſt.“ |

- „Vielleicht“, murmelte Raſumowski, „aber glaube mir, ich wäre minder glüdlich, wenn ich jchlecht von ihmen denfen follte.“

Am folgenden Morgen begann Raſumowski feinen Dienjt damit, daß er der Gräfin, welche noch in ihren üppigen Kiffen lag, die Chocolade auf einer filbernen Platte brachte. Er ließ ſich auf ein Knie nieder und fie nahm ihr Frühftüd, wie es jchien ohne ihm zu be

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achten. „Du ſiehſt gut aus in der Livrée“, ſagte fie endlih. Raſumowski trug nämlich nicht die franzö— ſiſche Lakaientracht, ſondern das kleidſame Koſaken— coſtüm. „Kannſt Du reiten?“

„Ja, Herrin.“

„Gut, mache Dich alſo bereit, mich zu begleiten, wenn ich ausreite.“

Raſumowski eilte dem Befehl ſeiner ſchönen Ge— bieterin Folge zu leiſten. Als dieſelbe die Treppe hin— abkam, ſtand er mit den geſattelten Pferden im Hofe, half ihr in den Sattel und folgte ihr dann in einer Entfernung von mehreren Schritten, gleich einem Reit— knechte. Die Gräfin, welche die Abſicht gehabt hatte, ihn zu peinigen und, falls er es ſich beifallen ließe, Widerſtand zu leiſten, gleich einem niederen Leibeigenen zu züchtigen, war jetzt erſtaunt, wie ſchnell, wie geſchickt und geduldig ſich ihr fein gebildeter Sklave in ſeine neue Lage fand. Sein Benehmen ſteigerte nur das Intereſſe, das ſie von allem Anfange an ihm nahm und fie war, als fie von ihrem Spazierritte zurüd: fehrte, entjchloffen, ihm ein befjeres Loos zu bereiten, aber ihn vorher noch auf mande harte Probe zu ftellen.

Ihr Gemahl und ihr Anbeter Woronzoff, welcher, je jehnöder fie ihn behandelte, um jo mehr in Leiden:

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Ichaft gerieth, fpeiften mit ihr, während Raſumowsk fie bedienen mußte. Der alte Saushofmeifter, welcher dem Liebling jeines einftigen Herrn jehr zugethan war, hatte ihn in Allem auf das Genaueſte unterrichtet, ſo daß er mit jeltener Gewandtheit und Eleganz jervirte.

Suwalow wurde bald aufmerkffam auf ihn. „Was baft Du da für einen Menfchen?” fragte er feine Frau, „die Kaiferin befißt unter ihren Hofbedienten nicht einen, der ihm an die Geite zu jtellen wäre, es ift ſicher ein Franzofe, mindeitens in feinem Falle ein Ruſſe.“

„Doch, mein Lieber“, erwiderte die Gräfin, „und noch dazu ein Bauernſohn, ein Leibeigener.“

„Nicht zu glauben“, rief Suwalow, „und einen ſolchen Schatz begräbſt Du hier in Moskau, fern der Reſidenz? Schenke ihn mir, ich könnte ihn vortrefflich brauchen.“

„Es fällt mir nicht ein —“

„Nun, jo verkaufe ihn mir —“

„Noch weniger“, ſagte die Gräfin, „ich weiß Beſſeres mit ihm anzufangen.“ |

„Nun, was willft Du aus ihm machen?” fragte Suwalow.

„Deinen Secretär”, entgegnete die kleine intri— guante Frau, welche ſich beeilte, ihren Gemahl und

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ihren Anbeter mit demjelben Pfeile zu verwunden— „Vielleicht ſogar meinen Günjtling.”

Beide Männer blidten fie ſtarr und ſprachlos an.

„Sehen Sie ihn doch an“, flüfterte die Gräfin Woronzoff zu, indem fie auf den mit einem neuen Gerichte eintretenden Raſumowski wies.

„Giebt e8 an unjerem Hofe einen Mann, der mit ibm in die Schranken treten kann? Welche edlen ſchö— nen Züge, welche adelige Geitalt!“

„Ich kann einen Bedienten unter feinen Umftän: den jchön finden“, jagte Woronzoff tief verlegt.

„Warum? Hat die Gzaarin Anna nicht ihren Stallfnecht zu ihrem Liebling, zum Herzog von Aur: land erhoben?” antwortete die Gräfin Suwalow; „er ift nur fo lange Bedienter, als ich es für gut finde; wenn es mir einfällt, kann er morgen Gapitän, über: morgen Graf fein; Sie wiffen, daß ich bei der Kaiferin ſehr in Gunit ſtehe.“

Woronzoff entfärbte fich und jchwieg.

„Du ſagſt mir dies Alles jo uffen in’s Geficht“, brach jetzt Suwalow los, „icy bitte, nicht ganz zu ver: geilen, daß ich Dein Mann Bin und welche heiligen. Rechte —“

„Du täglich mit Füßen trittft“, fiel die Gräfin

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ein. „Wenn die Gzaarin Dich, ihren Unterthan liebt, weshalb ſoll ich nicht meinen Sklaven beglüden?”

Raſumowski machte dem Geſpräche dadurch, daß er an den Tiſch trat und die Gläſer von Neuem voll: ihenkte, ein Ende. Nach dem Diner fuhr die Gräfin von ihrem Gemahl begleitet nach der Sloboda, der faijerlichen Freundin ihre Aufwartung zu machen. Ra— ſumowski ſaß auf dem Kutjchbod, öffnete ihr den Schlag und half ihr aus der Carroſſe, als fie zurüd: kehrte,

Die Gräfin vertaufchte für den Abend ihre koſt— bare PBalafttoilette mit einem bequemen Sclafrod‘; als fie fich umgelleidet hatte, rief die Klingel Raſu— mowsfi in ihre Garderobe. „Zieh mir die Schuhe aus”, gebot fie mit einem ſeltſamen Blick, aber fie entdedte zu ihrer Heberrafchung, daß ihr Sklave in diefem Befehl Feine Erniedrigung, fondern eine Gunft lab; er kniete nieder und als der Heine Fuß jeiner jungen reizenden Herrin in feiner Hand ruhte, glitt ein leiſes Lächeln über fein Geficht.

„Reih’ mir die Pantoffeln dort“, fuhr fie fort.

Er zog ihr die Kleinen blaujammtenen, filberge: fidten Pantoffeln an und blieb, weiterer Befehle har- tend, vor ihr Fnieen.

„Geh!“ jagte fie, „ich bedarf Deiner nicht mehr.”

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Er verließ das Zimmer. Die Gräfin fette ſich an das Clavier und verfuchte zu fpielen, aber fie hörte nur zu bald wieder auf; fie war aufgeregt, fie mußte immer wieder an ihren Sklaven, den ſchönen, gebil- beten und edlen Mann denken, der auf Gnade und Ungnade ihrer Willfür preisgegeben war. Dies jhien fie zu ärgern, fie jtampfte mit dem kleinen Fuße auf, aber es gelang ihr deshalb doch nicht, fein Bild zu verjcheuchen. Sp nahm jie denn ein neues franzöftjches Buch, das ihr Suwalow, ein begeijterter Verehrer der franzöfifchen Literatur, gebracht hatte, und begann zu lejen.

Plöglich ertönte Sejang, eine wunderbare jchwer: müthig jüße Melodie und eine herrliche Männerjtimme, welche das Herz der jelbitjüchtigen, durchaus nicht ges fühlvollen Frau in nie empfundener Weije ergriff. Eine Weile horchte fie, indem fie den Athem anbielt, dann Iprang fie auf und zog die Glode. Eine Kammerfrau erihien. „Wer jingt da?“ fragte die Gräfin.

„Aleris Raſumowski“, fagte die Kammerfrau, nachdem fie wenige Augenblicke zugehört, „Fein anderer in Mosfau befigt diefe Stimme, die einem das Her aus dem Leibe zu reißen jcheint, bei der man weinen muß und doch wieder jo jeliy ift.“

„Rufe ihn zu mir.“

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Rafumowsfi trat wenige Augenblide jpäter ein und blieb bejcheiden an der Thüre ftehen.

„Du haft gejungen“, begann die Gräfin, ohne ihn anzujehen.

„sa, Herrin.”

„Bas war das für ein Lied?”

„Sin Eleinruffiiches Bauernlied, wie man fie bei uns in der Ukraine ſingt.“

„Dann fingt man bei Euch Lieder, die um Vieles Ihöner find als die Arien der Italiener.

„Dies hat mein Maeftro auch gejagt.“

„Und er bat Dich fingen gelehrt.”

„Sr hat mich nur ausgebildet“, erwiderte Raſu— mowsfi, „aber gelehrt hat es mid) der liebe Gott in jeiner unendlichen Güte.”

„Singe mir da3 Lied noch einmal.”

Raſumowski begann, die Töne ftrömten voll und marfig aus feiner Bruft, und jeder fchien aus der Tiefe der Seele zu fommen und ergriff daher auch jede noch jo verjchloffene oder unempfindliche Menſchen— jeele mit zugleich holder und unheimlicher Gewalt. ALS er zu Ende war, fehrte ihm die ſonſt jo frivole Frau mit einem Male ihr Geficht zu, ihre Augen ſchwammen in Thränen. „Kannſt Du mir vergeben?” ſprach fie und ftredte ihm zugleich die ſchöne, zitternde Hand entgegen.

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„Was, Herrin, was foll ich Dir vergeben?“ fragte der Sklave leije, ohne ihre Hand zu ergreifen.

„Die graufame Art, wie ich Dich behandelt habe.”

„Du warſt im Recht.“

„Rein, nein“, rief die Gräfin, „es war recht häß— lih von mir einen Mann wie Di, einen Mann mit Deiner Bildung, Deiner Empfindung, in Bedienten— Eleider zu jteden und zwei alberne Geden, wie mein Mann und mein Gaft Woronzoff es find, bedienen zu laffen. Vergieb mir, ich bitte Dich darum.“

Raſumowski ftürzte vor der jchönen Frau, welche ihre Thränen nicht mehr verbergen fonnte, anf die Kniee und preßte ihre Hand an die Lippen.

„sh werde Dir den Freibrief ausftellen, den mein Bater Dir auszufertigen vergeſſen bat.”

„Wie joll ich diefe Gnade verdienen?” murmelte Raſumowski.

„Indem Du verſuchſt, den heutigen Tag aus Deinem Gedächtniß auszulöſchen“, ſprach die Gräfin ihn aufhebend, „und um Dir dies zu erleichtern, will ich Dir geſtehen, daß ich Dich nur deshalb ſo gequält habe, um die Stimme zum Schweigen zu bringen, welche vom erſten Augenblicke an zu Deinen Gunſten in mir ſprach, daß ich Dir deshalb nur einen ſo nie— deren Platz angewieſen habe, weil mein Herz Dir

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früher al3 e3 mein Stolz zuließ eine ganz andere Etelle, die höchfte, die ein Weib zu vergeben bat, an: wies.”

„Um Sotteswillen”, vief der ſchöne Sklave erregt, „ſpiele nieht mit mir, Gebieterm, entfache nicht Gefühle m meiner Bruft, welche ich nur mit allem Aufwande meiner Kraft zu unterdrüden im Stande war! Du biit jo jhön, daß es jedem Manne jchwer wird, in Deiner Nähe feiner Sinne Meiſter zu bleiben.“

Die Gräfin zog Raſumowski zu ſich auf den Di- van und blidte ihm forſchend m das feuchte Auge, in dem mit einem Male eine mächtige Leidenichaft auf: aeflamımt war.

„Wärſt Du im Stande mich zu Treben?* Tragte fie raſch, „jo tief, fo innig wie Du fingft?“

Raſumowski ſchwieg.

„Noch biſt Du mein Sklave“, rief die Gräfin, „ich befehle Dir, mir Antwort zu geben.“

„Wer wäre im Stande in Deiner Nähe zu ſein und Dich nicht zu lieben“, murmelte Raſumowski, ſich immer mehr vergeſſend. „Ich weiß, daß ich mich um meinen Kopf rede, aber ich werde mit einem Male frei von dem wahnfinnigen Gefühl, das auf mir liegt wie eine Gentnerlaft, das mich zu tödten droht, und

30 um diefen Preis opfere ich Freiheit und Leben. a, Herrin, Dich liebe ih und mein Herz macht mich nod) viel mehr zu Deinem Sklaven als das Geſetz.“

„Du liebft mich“, flüfterte die Gräfin, „mwiederhole dies jüße Geftändniß, ich bin bis jegt immer nur be gehrt, nie geliebt worden; ahnft Du, welches Glüd Du mir in diefem Augenblide giebjt ?“

Der jchöne Sklave warf, fich zu ihren Füßen nie der in jtummer grenzenlojer Hingebung, und fie, von der Naturgewalt feiner Empfindung fortgerifjen, jchlang die Arme um ihn. Lange bielt fie fein Haupt an ihrer Bruft, ohne Worte zu finden. Endlich jagte fie: „Seht, Raſumowski, gebe ich Dir Deinen Freibrief erft recht nicht. Ich Liebe Dich zu jehr, ich zittere, Dir die Freiheit zu ſchenken. Du bift mein, ganz mein und feine Gewalt der Erde joll Dich mir ent- reißen !”

„sa, laß mich Dein Sklave bleiben“, rief Ra- ſumowski in der Truntenheit des höchften Entzüdens, „laß mich Dir dienen, für Dich leiden, für Dich fter- ben!”

„Richt fterben, leben jolft Du für mich“, erwi— derte die Gräfin, „ich habe Dich ja lieb, jo Lieb wie noch feinen Mann.” Ihre Lippen berührten die feinen,

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während ihre weißen Finger in feinen dunklen Locken wühlten. |

Sp fand fie ihr Mann, welcher unerwartet in ihr Boudoir trat.

Sumwalow’3 erfte Regung war auf den frechen Sklaven feiner Frau loszuftürzen und ihn unter feine Füße zu treten, aber fie ging ihm mit einer Würde, welche er in diefem Augenblide am menigjten erwar— tete, entgegen und jtellte ihn zur Rede.

„Die kann e8 Graf Suwalow, der Günftling det Kaiferin, wagen, unangemeldet meine Zimmer zu betreten?” begann fie kalt und gebieterifch.

„Ich dachte ich wußte nicht“, ftotterte der ga= lante Gatte verwirrt.

„Um fo befjer”, jagte fie mit feinem Spott, „dann weißt Du jeßt, daß ich nicht die Frau bin, mich un: geitraft beleidigen zu laffen, und daß ich dem hoben Borbilde Elifabeth’3 nachfolgend, auch einmal den Ver: ſuch machen wollte, wie es fich in den Armen eines Sklaven ruht, denn Du weißt wohl, daß Du auch nur der Sklave Deiner Eaiferlichen Geliebten bift, wie diejer ſchöne Jüngling bier der meine.“

„Du wagſt es, Treuloje, mich noch zu verhöhnen?“ Ihrie Suwalow, der fich indeß gefaßt hatte. „Gut, gut, Du jollft mich kennen lernen.“

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Die Gräfin trat noch einen Schritt auf ihn zu und begann danı laut zu lachen. Diejes Lachen brachte den Entrüfteten noch mehr um ſeine Geiftesgegen: wart als vorber ihre rubige Hoheit. Er ftammelte einige unverjtändliche Worte, während ihm feine Frau die Thüre wies.

„Verlaſſen Sie mich auf der Stelle, Herr Graf“, gebot ſie mit lächelnder Ruhe, „oder ich gebe Ihnen "mein Wort, daß ich die Kaiferin morgen mit diefer Scene unterhalten werde.”

„ou wärſt im Stande —“

„sh bin im Stande ‚Elifabeth die Flammen Ih— rer Eiferſucht jo lebhaft zu jchildern, mein ‚Herr, daß fie Sie zur Abkühlung nad) Sitirien jchidt.“

Suwalow fampfte zornig mit dem Fuße, aber es blieb ihm nichts übrig, als zu gehorchen; wenn Eliſabeth aur einen Funken von Empfindung für eine | Andere, und wäre diefe Andere auch jeine angetraufe Ä Frau, bei ihm entdedte, war er verloren. Er mollte | geben, ofme jeine Gemahlin nur noch eines Blickes zu würdigen, aber jo leichten Kaufes follte er nicht los— fommen.

„Die unartia, danken Sie mir doch noch für die Lection, welche ich Ihnen ertheilt habe“, Äpottete die |

|

33 Gräfin ihn zurückhaltend, „küſſen Sie mir die Hand, dies bleibt Ihnen immer gejtattet.”

Suwalow führte ihre Fingerjpigen galant an die Lippen und eilte dann, von dem Sohngelächter feiner boshaften Kleinen Frau verfolgt, aus dem Boudoir derjelben.

Sacher-Maſoch, ein weibliher Sultan. II. 3

Drittes Kapitel.

Tanfend und eine Racht in Moskau.

Ein langweiliger Regentag im Spätherbfte, N bleierner Himmel laftet auf den Dächern, unaufbörli klatſcht es auf die Erde nieder, Ströme gelben lehmige Maffers rinnen durch die Straßen von Moskau, un von Zeit zu Zeit fehüttelt und biegt der Sturm di riefigen Bappeln vor der Sloboda gleich Birfenreilert im Dampfbade. Im warmen behaglichen Gemach ſitz die Raiferin Elifabeth vor dem Clavier und läßt ihre Finger auf den Taften bin und hergleiten mährend fie ſelbſt fich entjeglich langmweilt. Sie hat zum jechsten Male Toilette gemacht, zum zehnten Male ihren Hund geprügelt und läßt fich jetzt mit ber größten Stleichgiltigkeit von der Gräfin Suwalow die neu: eiten Ereignifje uno Geheimniffe der eleganten Welt

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vorplaudern. Die reizende kleine Hofdame ſitzt bei dieſem undankbaren Geſchäfte auf einem geſtickten Schemmel zu den Füßen ihrer allmächtigen Freundin und ſieht ſo herausfordernd fröhlich aus, daß die Czaarin ſich endlich darüber zu ärgern beginnt.

„Du mußt ſehr zufrieden ſein, Lidwina“, begann ſie, mit einer gräulichen Diſſonanz ihr Spiel be— endend.

„Wie ſollte ich es nicht ſein, Majeſtät“, erwiderte die kleine kluge Schlange, „ſo lange Sie mir ſo gnädig find,“ |

„Ich bin nur glüdlich, wenn ich verliebt bin“, ſeufzte Elifabeth. Jetzt verftand die Gräfin mit einem Nale die böfe Laune der Monarchin, welche fie dem trüben häßlichen Wetter zugefchrieben hatte. Es mar endlich einmal ein Tag gekommen, wo die jchöne Deſ— potin nicht verliebt war, wo fie fich troß aller Allmacht taiferlicher Gewalt und weiblicher Reize, welche in ihr vereint waren, unglüdlich fühlte. Den Worten der Raiferin war eine eine Paufe gefolgt, während ver ih die beiden Frauen forfchend anfahen; dann Iegte Eliſabeth beide Hände auf die Schultern ihrer Favorite und fagte: „Iſt es wahr, daß Du verliebt bift, Lid: wina, verliebt in einen Deiner Sklaven?“

Die Kleine Gräfin wurde über und über roth.

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„Run, was ijt da, deſſen Du Dich zu ſchämen hätteft”, fuhr die Gzaarin fort, „wenn er nur ſchön iſt. Iſt er ſchön?“

„Ja, Majeftät, aber dies iſt das Geringſte“, ftammelte die Hofdame in unbejchreiblicher Verwir— rung.

„Wirklich? Das Geringite! Dieſer Sklave ift aljo eine Art Weltwunder !” rief Elifabeth, deren Neugierde immer mehr erregt wurde.

„Ex ift nicht allein der ſchönſte Mann, den id gejehen habe“, erwiderte die Gräfin, „jondern auch) fein gebildet. Sr fingt in einer Weife, welche etwas von wunderthätiger Zauberfraft an ſich bat.”

„Du Beneidenswerthe!”

„OD, dies Alles ift noch das Geringite.”

„Wie?“

„Aber ich habe etwas bei ihm gefunden, was id bis jegt nicht gefannt habe.“

„Und das wäre?” fragte die Czaarin.

„Liebe!“ |

„Liebe!” wiederholte Eliſabeth.

„Es giebt fein Glüd, das jenem gleich käme, geliebt zu werden“, rief die Eleine Gräfin begeiftert.

„Seltiam“, murmelte Clijabeth in Gedanken ver- Ioren, „daran habe ich noch nie gedacht, aber eine

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Stimme in meiner Bruft fagt mir, daß Du Recht haft, die Männer in unjern Kreijen lieben uicht und es ift recht traurig, immer nur zu geben und nie und nie mals zu empfangen. Und Dein Sklave liebt Dich aljo 2“

„Dis zum Wahnfinn!“

„Und Du?”

„Ich?“ Die Gräfin jchien fich zu befinnen.

„Du? Liebſt Du ihn auch?“

„Sch weiß es nicht, ich weiß nur, daß mich noch nichts in diefer Welt jo unterhalten hat, wie die Xei- denfchaft diejez Naturfohnes, welche an den Sturm der Steppe mahnt. Aber ich fürchte, daß eine Zeit fommen wird, mo der Arme mich ſammt feinen jchönen und edlen Empfindungen langweilen wird,”

„Undankbare“, rief die Gzaarin.

„Ich kann nicht heucheln“, Tachte die Hofdame, „ich er= ſtaune jelbft, daß ich diefem Manne gegenüber, der gewiß werth wäre das Herz eines Weibes ganz zu beißen, nur eine Art Neugierde fühle Ja, es giebt Augenblide, wo er mich bis zu Thränen rührt, aber vielleicht nur deshalb, weil ich jo lebhaft empfinde, daß er feine Ge: fühle an eine Frau verfchwendet, welche fie wohl zu ſchätzen weiß, aber nicht zu erwidern im Stande ift.”

Die Czaarin fchüttelte das ſchöne Haupt, erhob fich,

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trat an das Fenſter und blidte lange hinaus in d ftrömenden Regen und die grauen Nebel, welche ji zu Geftalten zufammenballten. „Ich will Diejfen D nen Sklaven fennen lernen”, jagte fie plößlich.

„Sol ih ihn kommen lafjen?” fragte die Gräfi erfreut etwas entdedt zu haben, was die Theilnahr ihrer hoben Freundin zu feſſeln verſprach. |

„Rein, nein, heute nicht”, antwortete Die Czaari

Wieder entftand eine Paufe. „Dieſer abfcheulic Regen“, jagte Elifabeth, „man Tann nicht einmal au reiten.”

„Warum nicht“, rief die Hofdame, „wenn . tät Männerkleider anlegen wollten, die Ihnen fo gi paſſen. Mir ift der Abend der Sllumination noch imme unvergeßlich.“

„Wirklich?“ Die eitle Frau ſchlang den Arm un den Hals ihrer Favorite und küßte fie zärtlich, „abe Du haft Recht, wir wollen uns als Kojafen anziehen und ausreiten.”

„Ich fol auch Männerfleider nehmen, Majeftät ?" wendete die Gräfin ein, „das darf man nur tagen, wenn man jo hoch und fchlanf gewachjen ift wie Sie, ih würde mich abjcheulih ausnehmen!“

„Wenn ich es aber wünfche, Livwina”, fagte Eli ſabeth. Die Gräfin feufzte und gehorchte. Die beiden

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Frauen vollzogen rafch ihre Metamorphofe und jtiegen dann, nur von einem Reitknechte begleitet, zu Pferde. Der Himmel war fo galant in demfelben Augenblide jeine Schleußen zu ſchließen; e8 tropfte nur noch von den Dächern und Bäumen, als die beiden reizenden Ama: zonen durch die alte ehrwürdige Stadt ritten. Auf dem Rückwege famen fie an dem Palafte des Fürften Kuras fin vorbei und fanden zu ihrer Ueberrafchung die Straße durch eine aufgeregte tobende Volksmenge gejpertt.

„Bas giebt e8 hier?” fragte die Czaarin eine große kräftig gebaute Frau, welche in einem Kreife von Ars beitern lebhaft das Wort führte.

„Der Haushofmeilter des Fürften Kurafin hat einen Leibeigenen todtpeitjchen laſſen“, rief das Weib aus dem Volke, „darauf hat fih die ganze Dienerjchaft - zulammengerottet und belagert mit Hilfe anderer braven Leute den Fürften und den Haushofmeifter, diejen Bluthund, diefen elenden Tyrannen, in dem Zimmer de3 Fürften, im welchem fich die beiden Schufte ein: gejchioffen haben.”

„And was haben fie vor?” fragte Elifabeth raſch.

„Sie werden die Thüre fprengen und die Welt bon diefen beiden Ungeheuern befreien, unter deren Herrschaft fie jo lange die unglaublichiten Mißhand— lungen erduldet haben,” |

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Zum Glüd erſchien zu rechter Zeit der General: major Buturlin, welcher eben beim Fürften zu Bejude gewefen und nach Hilfe geeilt war, mit Grenadieren und rettete die Bedrohten. Er hatte eben die Menge zurüdgedrängt und die Anführer der Empörer verhaftet, als die Czaarin vor dem Palafte erfchien. Der Böbel erfannte fie und rief: „Hilf, Mütterchen Elifabetb, hilf, man will uns alle ermorden.”

Die Czaarin mwinfte dem Generalmajor, welcher fich beeilte an ihr Pferd beranzutreten, und befahl ihm, die Gefangenen auf der Stelle freizu lafjen. „Nicht dieje find die Schuldigen”, jagte fie, „jondern der Fürft und fein Haushofmeifter. Ich will nicht, daß man mein gutes Volk jo unmenjchich bedrüdt und . mißhandelt. Sch jelbit werde den ganzen Vorfall unter: ſuchen und diejenigen, welche ihn hervorgerufen, ftrenge beitrafen.”

Lauter Jubel folgte den Worten der Monardin und fie verließ von Segenswünfchen begleitet die Stätte der im Keim erftidten Empörung.

„Ih habe heute entdedt, was mir nicht lieb ift und ernjte Sorgen bereitet,” jagte fie unterwegs zu der Gräfin; „während ich die Todesitrafe aufgehoben und die Leibeigenen menfchlich zu behandeln befohlen babe, wird mit meinem Volke in einer Weiſe verfahren,

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welche mit der Zeit Unzufriedenheit, ja Rebellion erregen muß. Wen trifft am Ende doc die Veran: wortung für ſolche Ausschreitungen meines Adels? Mich. Es iſt alſo ein Gebot der Klugheit, daß ich bei Zeiten vorjehe, jonit bin ich feinen Tag vor QTumulten oder Verichwörungen ficher. Wie fol ich es aber anfangen, die Leiden, die Bedürfnifje, die Wünſche meines Volkes kennen zu lernen?” Die Monarchin verfant in Nachdenken.

Ein Zufall fpielte ihr noch an demfelben Abend eine franzöfifche Ausgabe der Märchen von Taufend und einer Nacht in die Hände, welche ihr Leſtocq vor einiger Zeit gebracht hatte. Cie blätterte in dem Buche und begann endlich, von einer der reizenden Gefchichten gefejfelt, in demfelben zu leſen. Plöglich wendete fie fich zu der Gräfin. Ich Hab es,“ rief fie erfreut, „ich werde es machen wie der Kalif Harun al Rafchid, ich werde unter dem Echuße der Dunkelheit in Männer: Heidern Moskau durchftreifen und fo alles das erfahren, was mir meine Minifter nicht jagen.”

„Ein herrlicher Gedanke”, ſtimmte die Gräfin lebhajt bei, „und ich darf Sie wohl begleiten?”

„Rein, meine Kleine”, erwiderte Elijabeth, „man würde erkennen, daß Du ein Weib bil. Sch muß Jemand anderen wählen.“

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Als die Czaarin am folgenden Morgen in den Wa:

gen ftieg, um zur Kirche zu fahren, fiel ihr unter den Soldaten, welche in der Sloboda die Wache hatten, ein alter Grenadier mit einem riefigen weißen Schnur: bart auf. Sie ließ ihn, als e3 zu dämmern begann, in ihr Cabinet kommen.

dem dem

„Wie nennft Du Dich?“ degann fie.

„Kyrill Petrowitſch Karzoff.”

Wie lange, dient Du?“

„Es können bei vierzig Jahre fein, Mütterchen.” „Du haſt aljo Feldzüge mitgemacht?“

Allerdings, Mütterchen, gegen die PBerjer unter jeligen Ezaar Peter und gegen die Türken unter General Münnich.”“

„Halt Du von dem gejtrigen Vorfall bei dem

Fürſten Kurakin gehört?”

„Zu Befehl.“ „Was denkſt Du davon?“ „Daß Manches bei uns in Rußland nicht ſo iſt,

wie es ſein ſollte.“

„So denk ich auch,“ ſagte die Czaarin, „und

möchte gerne abhelfen; wie ſoll ich dies aber, wenn ich nicht erfahre, wo es fehlt. Die Miniſter, die Gro— ßen ſagen es mir nicht.“

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Der alte Grenadier zudte jehr bezeichnend die Achſeln.

„Höre alſo, Kyrill Petrowitſch, was ich beſchloſſen habe, ich will verkleidet jene Orte beſuchen, wo man das Volk ſich ungeſtört ausſprechen hört und Du ſollſt mich dabei begleiten und beſchützen. Willſt Du?“

„Gewiß will ich das“, ſagte der alte Soldat, „und ſo lange ich an Deiner Seite bin, ſoll Dir Niemand zu nahe treten, Mütterchen.“

Eliſabeth nahm hierauf die Kleider eines gemeinen Koſaken, ordnete ihr Haar in der Weiſe, wie es die Ruſſen der niederen Stände tragen und verließ in einen dunklen Mantel gehüllt an dem Arme des treuen Grenadiers die Sloboda. Der Alte verſprach ihr, ſie dorthin zu führen, wo ſie am ſchnellſten zu ihrem Ziele gelangen könne. Sie durchſchritten die Straßen der Stadt und traten in der Vorſtadt in eine Schenke, in der es ſehr lebhaft zuging. An langen Tiſchen von rohem Holze ſaßen kleine Handelsleute, Handwerker, Arbeiter, Diener adeliger Häuſer, gemeine Soldaten, tranken Thee und Branntwein und ſpielten oder be— ſprachen das Ereigniß des Tages, die Rebellion gegen den Fürſten Kurakin.

Die Czaarin ſetzte ſich mit ihrem Begleiter zu zwei Soldaten der Garde und einem jungen Kaufmann,

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welcher jeine Mütze aus der Stirn geſchoben und feine weiten Aermeln hoch aufgejchürzt hatte.

„Run wie geht es, Iwan Alexowitſch“, begann der alte Grenabdier, den Kaufmann auf die Schulter ſchla— gend, „it der Beutel wieder voll?“

„Was fällt Dir ein, unfer Freund da bat eben ganz abgemwirthichaftet”, rief einer der Garbdiften, „heute bat er feine legten Rubel verloren, dank den Würfeln und den Weibern.”

„sa, das Vergnügen foitet Geld“, lachte der lieder: lihe Kaufmann, „aber es joll bald alles anders mer: den.”

„Wie? Wie das? Denkſt Du einen Schaß zu heben” lachten die Soldaten durcheinander.

„Freilich, etwas dergleichen“, ſagte der Kauf mann jelbjtbewußt, „glaubt Ihr, der geftrige Vorfall beim Fürften Kuralin bat nichts weiter zu bedeuten?” _

„Run, was ijt denn damit?” fragte Eliſabeth.

„Sp kann nur ein junger unerfahrener Menſch fragen”, fagte der Kaufmann mit Selbftgefühl, „das Volk beginnt eben die Tyrannei der Großen jatt zu befommen und kluge Köpfe werden dieſe Sachlage zu benützen wiſſen.“

„Du ſprichſt beinahe wie ein Verſchworener“, rief der eine der Soldaten.

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„Es wäre in der That fein Wunder, wenn man fih unter diefen Umständen vereinigen würde, nur um dieje Regierung zu ftürzen und eine andere einzufeßen“, jagte der junge Kaufmann.

Ihr wollt alſo die Kaijerin um den Thron brin- gen?“ fragte der alte Grenadier bebächtig.

„Ihr wer jpricht von mir —“, erwiderte der Kaufmann, „aber es giebt welche, die Flüger find als wir alle da, von denen rede ich.“

„Kennſt Du fie?" fragte die Czaarin mit der gleichgiltigiten Miene von der Welt, „und glaubjt Du, daß etwas für uns zu gewinnen wäre, wenn wir ung Ihnen anjchließen ?“

„Junger Menſch, Du bift doch nicht ſo einfältig al3 ich anfangs dachte“, fagte der Kaufmann, „wie nennft Du dich.“

„Sergius Betrowitjch! ein Verwandter von mir“, ſagte der Grenadier, „ein kluger Kopf troß feinen jungen Jahren.“ |

Ob etwas zu gewinnen wäre, wenn wir ung den Uuzufrievenen anfchließen“, fagte der Kaufmann, „gewiß mein Freund.“

„Und was haben diefe Menſchen für Abfichten ?” forjchte der Grenadier. |

„Darnach fragt man nicht”, entgegnete der Kauf:

46 mann mit jpöttijcher Ueberlegenheit, „es wird einem auch nicht geſagt. Man hält einfach zu ihnen und der Lohn bleibt nicht aus.“

„Und wenn es Leute gäbe, welche Luſt hätten ſich

einem ſolchen Unternehmen anzuſchließen“, ſprach die Czaarin, „an wen müßten fie ſich wenden?“

„Sch weiß ſelbſt nur wenig von der Sache“, gab der Kaufmann zur Antwort, „wollt Ihr aber mehr erfahren, jo fommt morgen um dieje Zeit, da werdet Ihr den und jenen finden, der vielleicht Auskunft er: theilen kann.“

„Was meinit du Kamerad“, jagte der eine der Gardiften zu dem anderen, „kommen wir morgen?”

„Mir ift mein Kopf lieber als alle Schäße Ber: ſiens,“ entgegnete der zweite, „ich halte nicht mit.“

„Aber ich“, flüfterte Elifabeth dem Kaufmann zu.

„Und Dein Alter, was jagt der dazu?” fragte der Kaufmann.

„sch bringe ihn mit, verlaß Dich auf mich.“ „Gut, mein Freund, ſehr gut“, murmelte ber Kaufmann. „Branntwein, Alte, Du läßt ung ja verdur: ften“, rief er dann der Schenfwirthin zu. „Du haſt mir ſchon zu viel auf dem Kerbholz, Swan Alexowitſch“, gab die Alte zur Antwort.

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„Ich zahle”, jagte die Czaarin und warf einen Silberrubel mit ihrem Bildniß auf den Tifch.

„Der junge Menjch hat Geld“, fagte der Kauf: mann mit komiſchem Pathos, „Achtung vor dem jungen Menjchen.”

Es kam Branntwein und zugleich näherte fich ein Mann in guten beinahe reichen Kleidern nach ruſſiſchem Schnitt dem Tifche. „Da jeid Ihr ja, Väterchen”, be: gann der Kanfmann, „hier find zwei gute Freunde, die u ung halten.”

Der Fremde faßte den Grenadier und die Kai- jerin ſcharf in’s Auge.

Woher kenne ich Dich“, jagte er dann zu der leß- teren, „ich habe Dich ſchon irgendwo gejehen.“

„Sehr möglich”, jagte die Czaarin, ohne nur eine Miene zu verändern, „auch Du kommſt mir befannt vor.”

„Ich habe jegt eine Zuſammenkunft mit zwei Garde: officieren“, flüfterte der Fremde dem jungen Kaufmann ju. „Beitelle die Beiden auf Morgen.“

„Iſt bereits gejchehen”, erwiderte der Kaufmann.

„Wer ift das?” fragte die Czaarin, als der Fremde die Schenke verlaffen hatte.

„Ein ehemaliger Dfficier, dem man ſehr unrech gethan Hat“, ſagte der Kaufmann.

„Ber? Die Czaarin?”

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„Was weiß die Gzaarin von alledem” , lachte der Kaufmann, „die unterhält ſich und läßt ihre Minifter ichalten wie es ihnen beliebt. Der General Aprarin hat ihn entjegt, weil er einige Mißbräuche anzeigen wollte, die in jeinem Regimente berrjchen, jo belohnt man bei uns in Rußland die Batrivten.“

„And jo bringen jchlechte Diener der Monarchen dieſe ſelbſt um das Vertrauen und die Liebe ihres Volkes”, jagte Elijabeth.

„Sehr weije gefprochen, junger Menſch“, gab der

Kaufmann zur Antwort, „aber die Monarchen jollen ich eben etwas weniger um ſchöne Kleider und Liebes— bändel und etwas mehr um die Regierung befüm- mern.”

„Diesmal haft Du Recht”, rief die Czaarin mit einem reizenden Lächeln.

„Weißt Du Alter, daß man Deinen Jungen da für ein verfleidetes Frauenzimmer halten könnte“, vie der Kaufmann „jo hübſch ift er.“ |

Der alte Grenadier und die beiden Gardiſten bra chen in ein jehallendes Gelächter aus, in das die Kat jerin unbefangen einſtimmte.

„Sieb mir einen Kuß, Zunge Du gefällft mir“, fagte der Kaufmann zärtlid).

„Ich küſſe nur Mädchen”, gab Elifabeth zur Ant

I

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wort, „und auch diefe nur, wenn fie bübjch find.“

Wieder achten Alle, die am Tiſch ſaßen. In diefem Augenblid Fam die Tochter der Wirthin, eine hübjche blonde rothwangige Dirne vorbei. Die Czaarin fprang auf, nahm fie beim Kopf und Füßte fie, das hübſche Mädchen jchrie, die Wirthin jchalt, die Säfte jubelten,

„Ein Teufelsferl, Dein Zunge”, lachte der Kauf: mann, „er ſoll leben!“

Sader:Nafoh, Ein weibliher Sultan. II. 4

Viertes Kapitel.

———

Unterden Berfhmworenen.

Noch nie war der Leibarzt Graf Leitocq von der Kaiferin bei feiner gewöhnlichen medicinifchen Morgen: pijite jo übel empfangen worden als am folgenden Tage. Eliſabeth zeigte ſich auf. das Höchſte erregt gegen ihre Minifter, ihre Generale, am meiſten jedoch gegen ihre eigentlichen Freunde und Anhänger. „Man bintergeht mich auf eine Weije, die ſich durch nichts rechtfertigen läßt”, rief fie, „täglicdy muß ich hören, wie zufrieden mein Volk ift, wie alle Acte der Regierung nur den Zwed haben, das Glück defjelben zu erhöhen, während mir meine Unterthanen die Flüche zujenden, welche eigentlich meinen Dienern bejtimmt find, Wie jol ih in meinem Balafte, in den die Stimme des Volkes nicht zu dringen vermag, erfennen, was ihm

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Noth thut, wenn man mid, ftatt mich in redlicher Weiſe zu unterrichten und aufzuklären, abfichtlich irre führt. Meine Freunde nennt Ihr Euch, meine ärgſten Zeinde feid Ihr und verblendete Thoren dazu, denn Ihr bedenkt nicht, daß Ihr mit mir fteht und fallt!“

„Ich begreife nicht Majeftät, mas Sie jo montirt bat” wendete Leftocg ein, „aber wenn Sie an meiner Treue zweifeln, find Sie einfach undankbar.”

„Sie find undanktbar wie lalle Anderen”, unter: brach ihn Glifabeth. „Habe ich Euch nicht alle reichlich genug mit Titeln, Stellen, Reichthümern bejchenkt? Aber Ihr jeid unerjättlichh in Eurer erbärmlichen Habfucht und verkauft mich, Eure Wohlthäterin, verfauft den Stant der Euch alle nährt! Sie nehmen franzöfiches Geld, Beituseff englifches, wen ſoll ich jetzt glauben? D! wenn mir nur Gott einen Menjchen jenden wollte, der e3 ehrlich meint mit mir und Rußland, dann ſolltet Ihr mich alle Eennen lernen. Was wollen Sie ein: wenden gegen die Thatjachen, welche ‘vorliegen, gegen, den Volkstumult, deſſen Zeuge ich vorgeftern war —“

„Ein vereinzelter Fall, der nicht beweiſt“, jagte der ftetS gerüftete kecke Franzoſe.

„Bereinzelt, in Bezug auf die Empörung der armen Leute“, rief Elifabeth, „aber was die Behandlung der

Leibeigenen durch ihre Serren betrifft, die Regel. Wo— 4*

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zu gebe ich Gejete, wenn man fie nicht befolgt? Ein Jeder gehorcht nur den Eingebungen jeiner Leidenjchaft, jeiner Selbitjucht, feiner Willtür, man entläßt patrio: tiiche Djficiere, welche die Mipjtände in der Armee aufzudeden juchen und treibt fie zur Verſchwörung —“

„Märchen —“, ſpottete Leftoca.

„5a, Märchen aus Taujend und einer Nacht“, antwortete die Czaarin, „die ich, eine zweite Sehezarade, nächftens meinen Miniftern erzählen werde, wobei jie fih aber weniger unterhalten dürften als bei jenen. Ich bin entjchloffen, diefem ganzen Getriebe von In— triguen ein Ende zu machen und felbjt die Zügel der Regierung zu ergreifen. Ich wage ja keinesfalls etwas dabei, denn fchlechter ala Ihr den Staat bisher geleitet habt, kann ich es bei aller Ungefchieflichfeit nicht ma- hen. Mindeftens wird man meinen guten Willen er: fennen und dies ift auch ſchon etwas mwerth.“

Leitocg machte noch einen Verſuch die Ezaarin zu bejänftigen, aber fie fehnitt ihm das Wort ab und hieß ihn gehen. Im Laufe des Vormittags baten die Mini- fter um Audienz, fie wurden nicht vorgelaffen. Nicht einmal Sumwalow wurde empfangen.

Mit Anbruch der Dunkelheit verließ die Czaarin, von ihrem alten Freunde, dem Grenadier begleitet, die Sloboda. Bor der Schenke ftand ein Mann in einen

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Mantel gehüllt, welcher ſie erwartete. „Iſt alles in Ordnung?“ fragte Eliſabeth.

„Zu Befehl“, ſagte der Mann. Dann erſt traten die Beiden in die Schenke, während er raſch davon eilte. In einer nur matt erleuchteten Ecke des niederen rauchigen Raumes ſaßen um einen langen Tiſch fünf Männer, welche, als ſie die Czaarin und ihren Be— gleiter erblickten, dieſelben zu ſich heranwinkten. Eli— ſabeth näherte ſich lebhaft und bot dem Kaufmann die Hand, welche er zuerſt derb ſchüttelte und dann lächelnd betrachtete. „Welche feinen Pfoten der Junge hat“, murmelte er.

„Nun macht uns mit Euren Freunden bekannt“, ſagte die Czaarin, indem ſie ſich zu den Verſchworenen ſetzte, ſo aber, daß ſie jeden Augenblick aufſpringen konnte. Neben ihr ließ ſich der alte Grenadier mit militäriſcher Würde nieder.

„Den Herrn hier kennt Ihr wohl von geſtern“, ſagte der Kaufmann auf den entlaſſenen Officier deutend, „dann nannte er die Namen der anderen, eines jungen Gutsbeſitzers aus der Umgegend von Moskau und zweier Gardeofficiere.” Wo bleibt nur Agosowitſch, ſchloß er.

„Agosowitich? Was für ein Menjch ift das?“ fragte die Gzaarin, „Doch nicht der Faiferliche Kammerlakai?“

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„Eben dieſer“, fiel der verabſchiedete Lieutena ein, „er iſt eine der wichtigſten Stützen unſeres Unt nehmens, infofern er immer um die Perſon der 7 rannin ift und ung ohne bejondere Schwierigkeit | jeder Stunde in den Balaft führen kann.“

„Ihr wollt aljo die Gzaarin ermorden?” Eliſabeth.

Der verabſchiedete Officier zog es vor, die des Neuangeworbenen nicht zu beantworten.

„St fie denn wirklich eine ſolche Tyrannim fuhr Elijabeth fort. |

„Sie ſchenkt eben Menſchen ihr Vertrauen, w uns die Haut vom Leibe ziehen”, eriwiderte der Gulk beſitzer.

„Wenn wir an Eurem Anſchlag theilnehmen 0 meine Herren“, fprach jet der Grenadier, „werdet M ung wohl Näheres mittheilen. Die Sache kann und den Kopf koſten, da muß man doch willen wie u warum ?“

„Es fei Euch genug“, fagte der entlaffene „Daß es zum Heile des Vaterlandes gereicht, was wir beabfichtigen und daß Euch, gleich allen Anderen, ein großer Lohn gewiß ift. Die näheren Umftände wirh ein Jeder erſt dann erfahren, wenn die Sache jo wei reif ift, daß an ein Mißlingen nicht mehr zu denken iſt

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„Dies Eine aber jagt uns”, bat die Gzaarin, „gilt Euer Vorhaben der Perſon der Monarchin oder nur der Regierung derjelben 2”

„Bei ung in Rußland, wo der Regent Selbft: berrjcher ift, alfo Defpot“, gab der verabjchiedete Dffi- cier zur Antwort, „laſſen fich diefe Dinge nicht trennen. Wenn man fich von einem verhaßten Regiment befreien will, muß man diejenigen, in denen es fish verförpert bat, aus dem Wege räumen.”

„Mehr brauchen wir nicht zu willen“, fagte Eli- jabeth, „Ihr könnt jegt auf uns zählen.“

„Und Ihr, Herr Lieutenant, ſeid jo das Haupt der ganzen Verſchwörung“, fagte der Grenabdier.

„Inſofern mir alle Theilnehmer ihr Vertrauen ſchenken“, entgegnete der verabſchiedete Dfficier. | „Iſt unfere Zahl jedoch nicht zu gering, um uns der Raiferin und ihrer Anhänger zu bemächtigen?” fragte Elifabeth.

„se größer die Zahl der Eingeweihten, um fo eich: ter der Verrath“, jagte der Gutsbeſitzer.

„Es find noch Mehrere in Moskau die zu ung balten”, fiel der Kaufmann ein, „durchaus verläßliche Leute wie wir, Menjchen, die nichtS zu verlieren und Ales zu gewinnen haben.”

„Bei einem Unternehmen diefer Art kömmt es

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nur auf Kühnheit und Lift an“, jeßte der ge Lieutenant hinzu, „an beiden fehlt es ung nicht. leicht ift es Münnich geworden, Biron zu ftürzen, m welchen geringen Mitteln bat ſich Elifabeth der Kron bemächtigt. Auch wir werden triumphiren, wenn ti treu zu einander ftehen und im entfcheidenden Auge blide ung weder durch Furcht noch irgend welche Rüd ficht lähmen laffen. Man behandelt uns urmen ill auch wir dürfen fein Erbarmen haben.“ „Aber die Ezaarin, eine fo ſchöne und licbend würdige Frau, follten wir doch jchenen“, fagte de Grenadier. „Diefe am wenigſten, fie hat eye immer großen Anhang in der Armee und im Volke“, rief dei eine Gardeofficier, „jo lange fie lebt, find wir de Erfolges nicht ficher.” | „Meint hr“, ſagte Eliſabeth mit einem ſeltſamen Blick. | „Sie muß unter unferen Händen fallen, wie Cäſat unter den Dolchen der Republifaner”, Jagte der ver abſchiedete Dfficier. | „Cäjar? Wer war das?” fragte der Kaufmann. „Ein ehemaliger Großfürit von Moskau”, MW klärte der Gutsbefiger. | „Es war ein römischer Feldberr, der gegen ale |

97 Recht die oberſte Gewalt an fich riß nnd die Freiheit mit Füßen trat“, ſprach der verabjchiedete Lieutenant

„sa, ganz richtig, ein Feldherr in Rom“, ftimmte der Butsbejiger bei, „aber da kommt Agosowitſch.“

Ter faiferlihe Kammerlafai, durch eine Schwarze Zammfellmüge, die er über die Ohren berabgezogen hatte und einen zottigen Mantel bis zur Unfenntlichfeit entitellt, Fam herein, ſah ſich worfüchtig um, und feßte ih dann zu den Unzufriedenen, der Gzaarin gegen: über. „Wie weit jeid Ihr meine Herren“, begann er, „die Zeit drängt !"

„In wie fern?” fragte der Kaufmann.

„In jo fern, als der Franzoje, der Leibarzt, alles aufbietet, die Kaiferin nad) Betersburg zurüd zu brin— gen”, jagte der Kammerlafai mit einer Bewegung, die er irgend einem Minifter abgelaufcht hatte. „Cie bat ihm endlich zugefagt, mit dem Beginn der Schlitten: bahn Moskau zu verlaffen, und wie es heute ausfieht, dürfte der erfte Schnee nicht lange mehr auf fich war: ten lafjen. Die Naben fliegen von allen Ceiten ber: bei, als gälte es in Moskau ein großes Aas zu ver: zehren.“

„Nun fie ſollen bald Nahrung finden“, rief der Gutsbeſitzer.

„Wenn unſer Anſchlag gelingen ſoll, muß er näch—

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fter Tage in’3 Werk gejegt werden“, fuhr der Kamme lakai fort.

„Ich bin bereit“, jprach der verabjchiedete Office

„Und ich dejto früher”, antiwortete der Kamme lakai, „ich habe von allen Schlüffeln, die wir brauchen Abdrüde genommen und diefelben nachmachen (affet Einer der Leibkoſaken hat auch zu unjerer Sache a Ihworen. Wenn die Ezaarin zu Bett ift, führe Euch durch die geheime Thür, durch weldhe der Gra Suwalow zu ihr kommt, in ihr Schlafgemach. Keil Menjch vermag fie dann zu retten.“ |

„Segen wir aljv den Tag feit“, meinte der . befiger, „ich ftelle Euch alle meine Leute, bei zman; gut gewaffnet und zu Allem entjchloffen.”

„Mebermorgen alſo“, fagte der verabjchiedete Of ficier.

„Warum nicht morgen?” fiel der Kammerlakai ein, „Ichiebt es nicht zu lange auf. Wir haben bereit? zu viele eingeweiht, wie leicht kann ein Unglüd ge ſchehen.“

„Du haſt Recht“, ſagte die Czaarin.

Der Kammerlakai ſtutzte bei dem Klang ihrer Stimme und fah fie überrafcht an. „Wer ift das, mir ift als müßte ich ihn kennen“, flüfterte er dem Kauf mann zu.

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„Ein junger Menſch, der Verwartdte des alten Grenadier3, welcher neben ihm fißt, wie er heißt, weiß ich nicht”, jagte dieſer.

„Und ſolche Leute, die Niemand kennt, zieht Ihr in unjer Vertrauen”, murmelte der Kammerlafai; „Ihr geht recht leichtfertig mit einer höchſt gefähr: lihen Angelegenheit um.”

„Morgen aljo“, jagte der eine Gardeofficier.

„Warum nicht heute“, fiel jein Kamerad ein.

„DBielleicht ift es morgen jchon zu ſpät“, ſprach der Grenadier.

„Aljo beute”, ſagte das Haupt der Verſchwo— tenen.

„And wenn es heute zu jpät iſt“, jagte Elifabetb, zugleich 309 fie ihre reich mit Diamanten von unjchägß- barem Werthe bejegte Uhr, welche ein Ei daritellte, hervor und blidte auf diejelbe.

„Heute“, rief der Kaufmann, „was fält Dir ein !* |

„Es ift zu ſpät“, ſprach die Czaarin in einem Tone, der alle gleich betroffen machte, „ich jage es Euch.“ Zugleich erhob fie fidh.

„Was bedeutet das?” murmelte der Gutsbe— ſitzer.

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„Das bedeutet, daß Ihr nicht die Czaarin ai fangen nehmen werdet”, rier Eliſabeth, „ſondern i diefem Nugenblid felbft in den Händen Eurer Gebü terin jeid, die Ihr verrathet, die Ihr morden woll Ihr Elenden!“

Der Kammerlakai war zuerſt aufgeſprungen um hatte Eliſabeth ſcharf in's Auge gefaßt, die andere Verſchworenen wechſelten raſch und leiſe ein paal Worte und folgten dann ſeinem Beiſpiel.

„Ein Verräther!“ murmelte der verabfchiedek Dfficier, „er darf die Schenke nicht lebendig verlaſſen⸗

„Die Czaarin“, ſchrie der Kammerlakai auf J wich entſetzt zwei Schritte zurück.

„Die Czaarin! Wie?“ riefen die Andern Buch ander.

„Da —' da”, rief der Kammerlakai, „ſtoßt Ne nieder.” Er drang auf Elijabeth ein, aber die en, ſchloſſene muthige Tochter Peter des Großen faßte ihn an der Bruft und ſchlug ihn mit der Fauſt in das Genid, fo daß er auf die Kniee vor ihr niederſtürzte, während der alte Grenadier den Dolchſtoß auffing, den der verabjchiedete Officier von rückwärts gegen fie führte. Zugleich klirrten alle Scheiben und aus allen Thüren und Fenſtern jtarrten Flintenläufe den Verſchworenen entgegen.

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Grenadiere, von dem General Soltikoff geführt, hatten die Schenke umftellt und drangen mit gefälltem Bajonnet herein.

„Habe ich Euch nicht gejagt, daß es zu fpät ift“, tief die Ezaarin mit einer Würde, welche auf die Ver: ſchworenen geradezu niederjchmetternd wirkte, „Ihr ſeid in meiner Hand!“

„Bir find verloren“, murmelte der Kaufmann. Mit einem Male lagen die Rebellen alle vor der fühnen ſchönen Frau auf den Knieen.

„Gnade!“ flehte der verabjchiedete Officier.

„Wie fünnt Ihr Gnade erwarten, wo hr jelbft feine üben wolltet?“ entgegnete Elijabeth mit voller Majeität. „Wenn man Euch Unrecht gethan hat, der Weg zu mir jteht Jedem offen. Ihr hättet zu mir fommen, Euch beflagen ſollen und ich hätte unterfucht und Abhilfe getroffen. Ihr aber habt es vorgezogen, Verräther und Hochverräther zu werden und ebenfo wenig wie Ihr mich gejchont hättet, wenn Euer ſchänd— liches Complott geglüdt wäre, ebenjo wenig erwartet bon mir Milde oder Erbarmen. Fort mit ihnen.“

Die gefangenen Verſchwörer wurden gefefjelt und dann in die Citadelle abgeführt, während die Gzaarin das Pferd des Generals Soltikoff beftieg und an der

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Spige ihrer treuen Soldaten, von einer jubelnden Volksmenge begleitet, in den Palaft zurückkehrte.

Der alte, treue Grenadier wurde von ihr noch in derjelben Stunde zum Officier befördert und mit einer bedeutenden Summe bejchentt.

Fünftes Kapitel.

Gefang der Sphären.

Die Gräfin Suwalow hatte faum ihr Lager vers lafjen und begommen ihr Haar ordnen zu laſſen, als die Czaarin unerwartet in ihr Toilettezimmer trat.

„Majeität, Sie jegen mich in Verzweiflung”, rief die Kleine muntere Hofdame, „ich bin weder angefleidet noch frifirt —“

„Nur feine Umftände, meine Liebe“, fagte die Czaarin und ließ fih auf einem Tabouret nieder, „Ihr Vorwurf, wenn es einer fein fol, trifft mich allein. Sp früh macht man bei Damen Ihres Standes feine Befuche, außer man ift der beglücdte Anbeter und genießt das Vorrecht, die Göttin im Negligee be: wundern zu dürfen. Es ift wirklich noch ſehr zeitig, aber e3 drängte mich heute ganz bejonders Sie zu fehen. Sie find ja die einzige Perſon, welche noch mein

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volles Vertrauen genießt. Willen Sie, welcher großen Gefahr wir alle geftern entronnen find?“

„sch babe Feine Ahnung —“

„Bir waren alle verloren, wenn ich nicht felbit die Augen offen hätte, wo meine Minifter mit meiner Polizei blind find“, erzählte die Kaiferin, „ich babe eine abjcheuliche Verſchwörung entdedt und die Schul: digen jelbit verhaftet.“

„Wie war das möglich?“

Elijabeth jchilderte ihrer Vertrauten den ganzen Borfall, dann fagte fie: „Sch fühle das Bedürfniß Gott zu danken, daß er mich jo auffallend beſchützt und vor einem jo großen Unglüd bewahrt hat, und dies will und kann ich nicht in einer unferer Kirchen unter Tauſenden von Neugierigen, die alle nicht die Andacht in das Haus Gottes führt, ſondern die Abficht mid) und meinen Hof zu ſehen. Ich will einmal aus ganzer Seele beten, allein mit Ihnen, in Shrer Kapelle. Haben Sie einen Prieſter?“

„Allerdings.“

„Sut. Er joll uns aljo eine heilige Mefje leſen, uns allein, hören Sie Gräfin.”

Die Hofdame 309 die Glode, der Haushofmeiter erjchien und die Gebieterin ertheilte ihm leife die be züglichen Befehle. Während fie nun raſch Teilette

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machte, erklärte ihr die Monarchin, wie unzufriedeu fie mit den StaatSmännern fei, denen fie bisher ihr Vertrauen gefchenkt hatte. „Ich weiß jegt, daß fie alle, Leſtocq ſo gut wie Beltuseff und Cerkaſki nur ihre jelbitfüchtigen perfönlichen Zwecke, nicht aber das Wohl des Reiches und meinen Vortheil im Auge haben“, jagte fie zuleßt, „ich hätte fie alle auf der Stelle ent: laffen, wenn ich nur irgend Jemand müßte, dem ich vertrauen fönnte, aber ic habe Niemand, Niemand!“ Sie blidte traurig zu Boden. „Dein Mann zum Bei: jpiel“, fuhr fie plöglih auf, „auch er iſt von England beftochen und hält deshalb jegt zu Beftuseff, wie er bordem, al3 er feinen Jahrgehalt aus der Chatouille de3 Marquis de la Chetardie bezog, zu Leſtocq hielt; überall wohin ich nur blide, Eigennug, Habgier, Ver: rath. Aber Sie follen mich Ale kennen lernen, Alle jobald mir nur die Vorjehung den einen Menfchen jendet, den Einzigen, den ich brauche. Eine treue, reine ehrliche Seele, einen Menfchen, der mich Tiebt und dem jein Vaterland mehr werth ift als ein paar taufend Rubel. Ja, ich will Gott danken und ihn zugleich bitten, daß er mic) aus den Händen dieſer Judas'e befreie !“

„sh bin zu Ihrer Verfügung, Majeſtät“, ſagte die Hofdame jeßt.

Sacher⸗Maſoch, ein mweibliher Sultan. II. 5

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„Geben wir alſo.“

Die beiden Frauen ftiegen zufammen die Treppe: binab und traten in die Hausfapelle der Gräfin, in der fih außer ihnen Niemand befand als der Prie: ſter, welcher fie im prunkvollen Ornate der ruffiichen Kirche erwartete. Nachdem Eliſabeth in dem mit rothen Sammet ausgeſchlagenen Betſtuhl niedergefniet war und die Gräfin einige Schritte hinter ihr, begann die Mefle nach orientalifchem Ritus nur von Gejang begleitet.

Die Czaarin, welche ihr Antlit in den Händen ver— borgen hatte, betete mit einer Inbrunſt, deren nur eine ſtarke leidenſchaftliche Seele fähig ift, fie dankte Gott für die Gnade, welche er ihr erwiejen, alö er fie auf den Thron geführt und eben jegt wieder, als er fie aus den Händen zum Aeußerſten entfchloffener Verſchworener errettet; dann begann fie ihn anzuflehen um Rettung, um Befreiung von al’ den Creaturen, welcde fie zum Unglüd ihres Volkes umgaben, um Erlöjung ihres eigenen Selbit durdy eine reine große, vpferbereite Menjchenjeele. Und wie fie betete und große Thrä- nen ihre Augen füllten und ihre Wangen her abliefen, da begann auf dem Chore oben der Geſang, und mit einem Male war es ihr, als erhalte fie Antwort von dort. Eine Herrliche Stimme erklang, leije erit und befänftigend, dann immer voller und

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hinreißender, fie ſchien ihr fchimmernde Flügel der Cherubine zu leihen und fie über alles Irdiſche in höhere, kaum geahnte Regionen zu erheben; der Ton die: jer Stimme wedte in der Bruft der Despotin mit einem Male alles Gute, was in derſelben ſchlummerte, den Glauben an die Menjchheit, die Hoffnung und die Xiebe. Sie betete mit gefteigerter Andacht, bald fand fie je doch feine Worte mehr, um zu Gott zu fprechen, fie blieb in ftummer Geligfeit auf den Knieen Tiegen, und Laufchte der neuen wunderbaren Offenbarung. Endlich wendete fie, in einer Art VBerzüdung, halb un— bewußt das Haupt und blidte zum Chor empor, dort: bin, woher die heißerjehnte erlöjende Stimme ihr Ant: wort zu geben jchien.

Sie fonnte jedoch Niemand entdeden. Jetzt ver: ſtummte der Gefang. |

Die Meſſe war zu Ende Raſch erhob fich Die Szaarin und näherte fi der Gräfin, mit fieberhafter Haft den Arm derſelben fafjend.

„Das war die Stimme eines Engels”, ſprach fie, „Belang der Sphären, wer war der Sänger?“

„Mein Sklave, Majeftät“, ermwiderte die Gräfin, „Aleris Raſumowski.“

So tief ergriffen Eliſabeth von jeinem Gejange war, jo war fie doch anderfeits zu wenig Schwärmerin,

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um nicht den Wunſch zu begen, den Engel näher kennen zu lernen, den ihr, wie fie in diefem Augenblid feſt überzeugt war, Gott ſelbſt gejandt hatte.

„Ich will ihn jehen“, jagte fie raſch.

Die Gräfin machte eine Bewegung gegen den Aus: gang zu.

„Rein, Nein“, rief die Kaijerin, „nicht jo. Ich jehne mich ihn fennen zu lernen und doch fehlt mir der Muth dazu ihm unter die Augen zu treten. Eine Ahnung jagt mir, daß diefe Stimme nicht vergebens

in dieſer großen heiligen Stunde, gleich einem Licht: ſtrahl des Himmels, in meine Seele gefallen ift, & faßt mich etwas wie Angft vor dem Menjchen, deijen fih Gott bedient bat, um auf meine arme Frage, meine demüthige Bitte Antwort zu geben. Jch will ihn ſehen, ohne daß er mich ficht, veritehit Du.”

Die Kaiferin trat hinter das dichte Metallgitter, welche den Altar umgab, bier konnte fie Niemand erbliden, während fie ſelbſt alles ungeftört beobachten durfte.

Einige Augenblide jpäter ftand Aleris Raſumowski vor der Gräfin.

„Du haft befonders ſchön gefungen heute“, jagte fie lächeln.

„Ih muß es glauben“, erwiderte Raſumowski,

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„als ich auf dem Chor ftand unter den Sängern, da fam es mit einem Male über mich wie bimmlifche Degeifterung, als hätte ich eine große Aufgabe zu er: füllen und es war mit, als fei der Himmel offen und ala begleiteten die Heerjchaaren der Engel meinen Geſang.“

„Seltſamer Menſch“, murmelte die Gräfin, ihn mit tiefer Theilnahme betrachtend.

Raſumowski lächelte. „Nicht ich bin ſo ſeltſam“, ſagte er leife, „aber es kommen zu Zeiten Empfindungen über mich, die einem Wunder gleichen.”

„Du kannſt Recht haben”, erwiderte feine Ge: bieterin. Sie jchien einen Augenblick nachzufinnen, dann entließ fie ihn mit einer huldvollen Handbewe— gung, um auf der Stelle zur Kaiferin zu eilen.

„Ein Mann wie ich noch feinen gejehen habe“, jagte Elifabeth wie verloren.

„Schön alſo?“

„Das it das Geringjte.”

„Alſo babe ich doch Recht behalten.“

„3% glaube, er ift fähig, was wir alle nicht find, fähig zu lieben“, fagte die Gzaarin.

„Sewiß.”

„Und er liebt Dich?“

„Ber weiß das?”

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„IH Könnte Dich beneiden um ihn”, murmelte die Czaarin nad einer Pauſe.

„Er gehört Ihnen, ſobald Sie es befehlen“, rief die Gräfin.

Die Raijerin ſah ihre Favorite ſprachlos an.

„SH Tann ihn verfchenten, er ift ja mein Sklave —“

„And Du wärjt im Stande —?”

„Barum nicht.“

Eliſabeth blickte einen Augenblid vor fich hin, dann Jagte fie: „Geben wir. Sch muß an die Luft. Mir it es, als müßte ich bier erjtiden.”

Eines Abends, als Raſumowski wie gewöhnlich in dem Boudoir jeiner ſchönen Herrin erjchien, um mit ihr zu fingen und ihr vorzulejen, fand er einen jungen Mann von außerordentlicher Schönheit in vertraulichen tete-a-töte mit derjelben. Er wollte zurüd, aber & war zu jpät, die Gräfin hatte ihm gejehen und hieß ihn näher treten.

Der jchöne Fremde heftete ein paar Augen auf ihn, melche Raſumowski bis in das Innerſte feiner Seele erbeben machten, alle Dualen der Eiferfucht Famen mit einem Male über ihn, aber zugleich mit denjelben ein Gefühl, das er fich nicht erklären konnte, er em— pfand etwas wie Haß gegen feinen Nebenbubler, denn

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Dafür Hielt er den jungen Mann, welcher ſich mit vornehmer Nachläjfigkeit in die Polſter der Otto— mane zurücklehnte; aber nicht Haß allein, er fühlte jich zugleich gegen feinen Willen zu feinem Gegner binges zogen, ja von dem Blide dejjelben entwaffnet, gebändigt und unterworfen. Gr wäre am liebften gleich vor ihm in die Kniee gefunfen, hätte ihn gebeten: Du bijt jo Ihön, ich habe deinesgleichen noch nie gejehen. Jedes Weib, das dein gebieterifcher Blick trifft, gehört Dir, laß mir diefes eine, diejes Einzige, das mein ift, mein Alles, meine Welt. Beraube mich nicht jo graufam, Du Reicher, mich, den Armen.

„Ich höre, Du fingit fo Schön, Mleris Raſumowski“, begann der Fremde mit einer Stimme voll füßen Wehl- lauts, „wo haft Du es gelernt?”

„sh babe immer gejungen, jo lange ich mur denfe” , jagte Raſumowski.

„Du gefälft mir“, fuhr der jchöne Jüngling fort und traf ihn von Neuem mit einem Blid, vor dem der Sklave der Gräfin Sumalow den feinen nieder: Ihlagen mußte.

'„Singe uns eines Deiner kleinruſſiſchen Lieder”, befahl die Gräfin.

Raſumowski holte tief Athen, es lag wie cin Felſen auf jeiner Bruft und da follte er fingen, aber

12 er war ja nur ein Sklave, er durfte nicht jühlen wie andere Menichen, er mußte gehorchen und er fang. Er ſchien all’ jeine Liebe und Schmerz in fein Lied zu gießen, jo wehmüthig Hang es, jo herzzerreißend. Die Gräfin ftarrte ihn ſprachlos an, fie hatte ihn noch nie fo fingen gehört, während der Fremde fid ab: "wendete, um die Thränen zu verbergen, welche jeine Augen füllten. Als Raſumowski mit einem hohen Ichluchzenden Tone, welcher dem legten verzweifelten Auffchrei einer Franken todtgeweibten Seele glich, ſchloß, jprang der jchöne Jüngling auf, umfchlang die Gräfin, preßte einen heißen Kuß auf ihre Lippen und ftürzte aus dem Zimmer. „Wer ift diefer Mann?” fragte Rafumowsfi jegt erregt. „Straf Besborodfo, ein Vetter von mir”, ent: gegnete die Gräfin kalt. | „Dein Anbeter“ , ftieß der Sklave mühſam hervor, „Warum nicht“, fpottete die Gräfin, „iſt es nicht ein jchöner, felten jchöner Mann?” „Du liebft ihn!“ „Bielleicht.” „O! ich weiß es, Du liebſt ihn“, ſchrie Raſumowski auf. „Was ſoll das“, fiel die Gräfin ſtreng ein,

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„wilft Du mir gegenüber den Eiferfüchtigen jpielen? Dergißt Du, wer Du bift und wer ich bin Sklave!”

„In der That ich vergaß“, murmelte Raſu— mowsfi bitter, und wie zum Hobne ließ er fih vor der Geliebten auf ein Knie nieder. Sie aber jchien e3 jo zu wünfchen, denn fie nidte beifällig mit dem Kopfe und ſprach: „So gefällft Du mir, Raſumowski, dies ift der Pla, der Dir gebührt, jeden anderen danfft Du nur meiner Gnade. Meine Laune hat Did erhoben, fie kann Dich aber jeden Augenblid in die Niedrigfeit zurüditoßen, aus der fie Dich an mein Herz gezogen hat. Sei auf Deiner Huth und erzürne mic) nicht.”

Sechstes Kapitel.

Verſchenkt.

Der Winter hatte Moskau in feinen diamantenen - Schneejchleier gehült. In dem Kamin der Gräfin Sumalow brannte das erite Feuer, das Feine trauliche Gemach mit behagliher Wärme füllend. Auf ſamm— tenen Polftern einer Dttomane lag die reizende Ge bieterin dieje3 vornehmen Raumes und zu ihren Füßen ihr jchöner Sklave Raſumowski; fein Auge hing mit Begeifterung an dem ihren, denn fie war heute gnädig gegen ihn geweſen wie ſchon lange nicht. Sie hatte alle die höchiten Wonnen der Liebe mit Lächelnder Miene an ihn verfchwendet und unterhielt ſich jetzt damit, die Verzüdung, welche feine Antlig gleichjam von Innen zu erleuchten jchien, zu beobachten.

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„Bit Du heute glüdlich, Raſumowski?“ fagte fie endlich. /

Er nidte.

„Vollkommen?“

„Vollkommen.“

„Was würdeſt Du dazu ſagen, wenn dieſes Glück, das in deinen Augen keiner Steigerung mehr fähig iſt, das letzte wäre, welches wir zuſammen genießen?“ fragte die Gräfin lauernd.

„Das letzte, wie ſoll ich das verſtehen?“ murmelte Raſumowski, den ein jäher Schreck erfaßt hatte. „Liebſt Du mich nicht mehr? O! ich ahne, Du gehörſt nicht mehr mir, Du gehörſt einem Anderen.“

„Nein, Alexis, ich war Dir treu bis heute,“ er— widerte die Gräfin mit dem einfachen Ton der Wahr: beit. „Aber Du willſt einen Anderen beglüden —” rief der Sklave, deſſen Pulſe pochten.

„Wen etwa?” fragte die Gräfin, welche die eigen= thümliche Situation amufirte.

„Jenen Schönen jungen Mann, den Grafen, Deinen Better.“

„Ich denke nicht daran.”

„Du liebſt ihn nicht?"

„Rein.“

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„Du baft mich nicht an ihn verrathen?“ jubelte der jchöne Sklave.

„ein, Raſumowski,“ jagte die Gräfin mit einem böjen Lächeln, „aber ich babe Dich an ihn verjchentt.”

„Verſchenkt!“ jchrie Raſumowski entſetzt auf. Verſchenkt!“ wiederholte er am ganzen Leibe bebend.

„Run, was erſtaunſt Du,” fuhr die Gräfin fort, „Du gefällit ihm, er wünjcht Dich zu bejigen, und Du bift mein Eigentbum. Ich habe aljo das Recht, Did ibm zu geben. Nicht ?“

„Gewiß, ich bin Dein Sklave —“ murmelte Rafı: mowski vernichtet.

„Und jegt wirt Du der feine,” jagte die Gräfin, „deine Lage ändert fich alfo in feiner Weife, nur daf Du Dich ein wenig zufammen nehmen mußt, denn einen fo guten Herrn wie ich es Dir war, wirft Du an ihm nicht haben. Bis jegt haft Du Dich gleich einem freien Manne gefühlt, nun wirft Du erft wifjen, was es beißt, einem andern Menjchen untertban fein, und noch dazu einem Manne, der Gehorjam und Unter: würfigfeit verlangen und nöthigenfalls erzwingen wird, verſtehſt Du?”

„O! ich verftehe, daß Du mich nie geliebt haft“, eufzte Raſumowski, „wenn Du im Stande bift mid) zu verjchenfen gleich einem Thier.“

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„Du irrſt Dich, ich habe Dich geliebt“, ſagte die Gräfin, ein leichtes Gähnen unterdrückend, „aber jetzt bin ich Deiner müde.“

„Und ſo verſchenkſt Du mich aus keinem anderen Antriebe, denn aus Grauſamkeit.“

„Nein Alexis, aus Langeweile.“

Der Unglückliche preßte die Hände vor das Geſicht und begann zu weinen. Leiſe theilte ſich zu gleicher Zeit der Vorhang und Schritte näherten ſich der Otto— mane, auf der die Gräfin Suwalow mit einem muth— willigen Lächeln um die Lippen und vor ihr auf der Erde ihr Sklave in Schmerz aufgelöſt, lag. Eine kleine Hand berührte energiſch die Schulter des letzteren, er richtete ſich auf und ſah den ſchönen jungen Mann, deſſen Eigenthum er nun war, vor ſich ſtehen.

„Weißt Du, daß Deine Herrin Tich mir geſchenkt bat?” begann diefer mit hochmüthiger Herablaffung, „aß Du nun mein Sklave bijt?“

Rafumowsfi fand feine Antwort, er ftand auf und trat zwei Schritte zurüd.

„Er hat geweint,“ jagte jein neuer Herr mit einem jeltfamen Blid auf die Gräfin, „die Trennung von Dir wird ihm alfo jchwer.”

„Es ſcheint“, erwiderte die Gräfin und begann zu lachen.

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„Run es wird meine Sorge fein, ihn von diejen Gefühlen, die für einen Leibeigenen durchaus nicht pafjen, zu kuriren“, ſprach der Jüngling mit einer Fejtigkeit, welche Raſumowski nichts Gutes verhieß.

„Sr hält ſich für etwas Beſſeres“, bemerkte die Gräfin, „weil er lefen und ſchreiben und fingen Tann, sch zweifle, daß er fich jo leicht fügen wird, mein Lieber, Du wirft alle Mühe haben ihn in Dein Jod zu gewöhnen.”

„Er muß ſich unterwerfen; ob er e8 auch will, darnach frage ich feinen Augenblid”, entgegnete der Ihöne junge Mann, feinen Sklaven mit einem verächt- lihen Blick mefjend, „es giebt Mittel, Widerſpenſtige zahm zu machen.“ |

„Hört Du Raſumowski,“ wendete fich die Gräfin pöttifch zu ihrem verſchenkten Geliebten.

„Die wilft Du den Willen eines Menjchen beugen ?” fragte diejer, rafch auf feinen neuen Herrn zutretend. „Gott bat uns Alle gleich und frei erjchaffen. Wenn ich mich Dir nicht fügen will, werden ſich alle Deine Mittel machtlos erweifen, und ich werde niemals wol: len, fondern Deine Drohungen und Deine ohnmächtige Wuth verlachen.“

„Wir wollen ſehen, Du Held,“ fehnitt ihm fein Herr mit einem Falten graufamen Lächeln das Wort

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ab, „ob du auch über mich. lachen wirft, wenn ich zur Peitjche greife !”

Raſumowski begann vor Wuth und Schmerz am ganzen Leibe zu zittern und in Thränen ausbrechend, warf er fich der Geliebten zu Füßen und flehte: „Tödte mich lieber gleich auf der Stelle aber gieb mich nicht diefem Unmenjchen preig 1“

Die Gräfin antwortete mit einem hellen Lachen. Der ſchöne Despot Elatjchte zugleich in die Hände, vier Koſaken traten ein, ergriffen den widerjpenftigen Skla— ben, ehe er fich defjen verjah, und banden ihm die Hände auf den Rüden. No einen legten Blid voll Schmerz und Vorwurf warf erauf die graufame geliebte Frau, dann fchleppten fie ihn fort.

In Schtweigender Ergebung ließ Raſumowski nun alles mit fich geichehen. Nachdem ihm die Augen mit einem Tuch verbunden worden waren, fühlte er, daß er ineinen Schlitten gehoben wurde, er hörte die Peitſche Inallen, die Pferde fchnauben, die Koſaken, welche ihn: beachten, während der Fahrt leife zufammen fprechen. Es währte nicht zu lange und der Schlitten hielt. Er war offenbar am Ziele, ganz in der Gewalt jeines Peinigers, den er noch fo unklug berausgefordert und beleidigt Hatte. Man führte ihn eine Treppe empor, einen Corridor entlang, dann ging eine Thüre auf, eine warme

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duftige Temperatur zeigte ihm an, daß er ſich jetzt in einem Zimmer befand.

Die Feſſeln, welche ſeine Hände zuſammenſchnürten, wurden gelöſt, die Binde fiel, die Koſaken ließen ihn allein. Raſumowski ſah ſich in einem mit verſchwende— riſcher Pracht eingerichteten und von vielen Kerzen er— hellten kleinen Saal, der Boden war mit perſiſchen Teppichen belegt, im Marmorkamin loderte ein hel- les Feuer. An der Wand hing das Tebensgroße Bildniß eines ſchönen Weibes, das die Züge ſeines neuen Herrn trug, offenbar war es feine Schweiter. Raſu mowski trat näher, um es zu betrachten. Daffelbe Antliß, welches ihm bei dem jungen Manne Haß und Eiferfucht erregt hatte, fefjelte ihn bei der Frau mit janfter unwiderftehlicher Gewalt, er mußte fich gefteben, daß er noch nie ein Weib von diefer herrlichen maje

ftätifchen Art gejehen hatte. Durfte er hoffen, fie fennen ‚zu lernen? Warum nicht? Aber am Ende war es die |

Mutter des fchönen unbarmberzigen Tyrannen, der im Begriffe war, ihn lächelnd unter feine Füße zu treten, vielleicht deckte fie längſt die kalte Steinplatte einer Gruft, oder fchimmerte auf ihrem reichen Haar der Schnee dei Alters? Während er jo dachte, war fein Gebieter ein getreten und ftand unerwartet neben ihm.

er

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„Gefällt Dir das Bild?” fragte er mit einem ſonder— baren Lächeln.

„Eine wunderbare Frau“, entgegnete Raſumowski beſcheiden.

„Könnteſt Du ſie lieben?“

„Gewiß, ebenſo ſehr als ich Dich haſſe“, ſagte der Sklave mit einer Würde, um die ihn jeder Fürſt be— neiden konnte. |

Sein Herr begann zu lachen. „Es jteht Dir frei”, jagte er dann, „aber gehorchen wirft Du mir, das verfichere ich Dich, troß Deinem Haß; ich bin der Mann, Dich todt peitjchen zu laffen bei dem geringjten Zeichen von Biderftand oder Widerſpruch. Du kennſt mich jeßt ; willſt Du Dich unterwerfen ?”

„Sch werde es verſuchen —,“ entgegnete Raſu— mowsti ruhig.

„Du biſt alſo bereits auf dem richtigen Wege“, rief der ſchöne junge Mann, indem er ſich in einen Fauteuil feßte, der am Kamin ſtand. „Um ſo beſſer, Du kannſt ſogleich beginnen mich, wie es Deine Pflicht it, zu bedienen. Vor allem will ich es mir bequem machen. ieh an der Glodenfchnur.“

Rajumowsti gehorchte.

Ein Lakai erſchien. „Meinen Schlafpelz und meine Pantoffeln und dann den Thee,” befahl a Gebieter.

Sacher-Maſoch, Ein weibliher Sultan. II.

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In wenig Minuten kehrte der Lakai damit zurüd und übergab es, auf einen Wink feines Herrn, Raſumowski.

Der jchöne Despot erhob ji und ivarf den grünen Sammetrod, den er trug, ab, dann jchlüpfte er mit einer Grazie, welche etwas ſinnlich Bezauberndes an fich hatte, in den Schlafpel;, den fein neuer Sklave bereit hielt. Als Raſumowski feinen PBeiniger in dem langen weiten, an den Kaftan der Osmanen erinnern: den Gewande von rothem Sammet mit jchwellendenm Hermelin gefüttert und verjchwenderifch ausgejchlagen, vor fich ftehen jah, wurde ihm ganz jeltjam zu Mutbe; der ſchöne Süngling befam durch die hellen Farben des zarten duftigen Pelzwerkes etwas weibliches, wollüftig weiches, das ihn vermwirrte und ihm das Herz höher ihlagen machte. Sein Gebieter jchien dies zu fühlen und die Wirkung, die er auf feinen Sklaven madhte, zu errathen, denn er lächelte ihn gleich einem eitlen fo: fetten, an Huldigungen gewöhnten Weibe an, und be trachtete ihn noch eine Weile mit neugieriger Aufmerk: ſamkeit, nachdem er fich wieder an dem Kamin nieder: gelajjen hatte.

„Du findeft mich Schön“, jagte er endlich.

Raſumowski blidte zu Boden und jchiwieg.

„Du bebit ja als wenn du vor einem jchönen Weibe ftündeft”, fuhr er lächelnd fort. „ES wird Dir

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aljo leicht werden mir zu dienen.” Mit übermüthiger Nachläſſigkeit jtredkte er ihm hierauf den einen Fuß hin - und Raſumowski von feinem Bli unterworfen, ließ fich auf ein Knie nieder, zog ihm die hohen Stiefeln aus und die mit Hermelin verbrämten Pan— toffeln an.

„So ich bin mit Dir zufrieden“, ſagte fein Ge: bieter dann, „jeßt reiche mir den Thee.”

Raſumowski wollte den Saal verlaffen, aber bon trat der Lafai mit dem Theebrett herein, er eilte einen Tiſch vor feinen Herrn zu ſtellen und bediente ihn dann mit dem Thee.

„Es war doch grauſam von der Gräfin, Dich zu verſchenken“, begann der ſchöne Despot, „ich verbiete Dir hiermit ſie noch ferner zu lieben.“

„Das läßt ſich nicht verbieten“, erwiderte der Sklave ſtolz.

„Wir wollen * rief ſein Herr beinahe zornig, „Du gehörſt jetzt mir, folglich auch Deine Gefühle und Deine Gedanken. Ich befehle Dir alſo an eine andere Frau zu denken, allenfalls an die dort an der Wand ſie gefällt Dir doch.“

Raſumowski ſchwieg.

„Nun, ja oder nein?“

„Ja.“ 6*

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„Du ſollſt fie heute noch kennen lernen.” Raſumowski ſah den Jüngling erftaunt an. „Ja, ja, heute noch“, fuhr diefer fort, „und

darfit fie jogar Lieben.“

„Mein Gott“, murmelte Raſumowski halb erſchr „Wird Dir das vielleicht jchwer werden ?* „Doch.“ I

„Iſt dieſes Weib nicht jchön, nicht begehbrensmwert „D! gewiß und ich fönnte es bis zum Wahn

lieben!”

„Alto.“ „Aber kann man Gefühle jo ſchnell aus ſein

Herzen reißen und andere an die Stelle ſetzen?“

„Du mußt es können, Jobald ich es mil.“ „Das Fann ich nicht.“

„Du liebt alfo die Gräfin ?“

„Sa, ich liebe fie.”

„And Du wirft fie immer lieben 2“

„Ich fürchte.

Der ſchöne Despot jprang auf, er war mit ein

Male ganz verändert, jein Athen flog und feine Auc funfelten zornig. „Dann werde ich Dir diefe Li berauspeitjchen“, rief er, „börlt Du, Sklave?”

„DVerlange nicht das Unmögliche”, bat Rafumows Sein PBeiniger fchlug ein lautes höhnifches Lad

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an und ergriff eine große Peitſche, welche offenbar für jeinen neuen widerjpenftigen Sklaven auf dem Rande des Kamins, unter diden BorzellansChinejen und fran— zöſiſchen Schäfern aus der Fabrif von Sevres, bereit lag.

„Schwöre mir, die Gräfin nicht mehr zu lieben.”

„Wie jol ich das.”

Der jchöne Despot ging raſch auf ihn zu und ſchwang die Peitjche.

„Berühre mich nicht”, jchrie Rafumowsfi auf, ‚ich dulde e3 nicht, mich hat noch Niemand gefchlagen !*

„Um jo befjer“, rief jein Herr.

„Zödte mich lieber”, bat Raſumowski.

Ssene aber bob mit einem graufamen Lachen die Peitfche, Raſumowski jprang auf ihn los, um fie ihm zu entreißen, da geichah das Unglaubliche: ein Blid traf ihn aus den Augen des jchönen Despoten und diefer Blick ſchmetterte ihn nieder; im nächjten Augen blide lag er wie der Löwe, den das Auge des Thier- bändigers gezähmt hat, zu feinen Füßen, und fein Ge— bieter begann ihn zu peitjchen.

‚sm Gefühle unerhörter Schmad, die er, ohne nur den geringiten Widerſtand zu leiften, erduldete, brach Raſumowski in lautes Schluchzen aus und blieb, als ein Befieger die Peitfche wegwarf, das Antlig zur

Erde geneiat, weinend liegen, bis ibn das laute glüdver: beigende Rauſchen eines jrauengewandes zu fich brashte.

Er ridtete ſich auf und ſah, noch immer auf den Knieen liegend, ein Weib von berüdender Schön: beit, das bezaubernde Weib aus dem Bilde, vor fih ſtehen und ibm zulächeln.

„Erkennt Du mich?“ ſagte eine wohlbekannte Stimme.

„Ber bit Du?“ fragte Rajumowsfi in ihren An blif verloren, „dieje Züge, diefe Stimme, bin ich wahr: ſinnig ?“

„Rein, mein Freund, Du bijt vorläufig noch gan

zur er

bei Sinnen“, ſprach die jchöne Frau, welche über eine ' weißen Atlasichleppe denjelben rothen KHermelinpe; |

trug, den vor furzem noch jein Peiniger gehabt hatte.

„Mein Herr“, ftammelte Raſumowski.

„Ja, Dein Herr und Du bijt mein Sklave“, ſagte die ſchöne Frau, „der Sklave eines Weibes, bift Tu mit dem Taujch zufrieden?“

„Und Du haft mich gepeitjcht ?“

„Ja ich”, ſagte die Sraufame lächelnd, „ich wollte

Did auf die Probe ftellen, und jo groß und unbarm—

herzig fie au war, Du haft fie doch beſtanden, Du hal: mich geliebt in dem Augenblide, wo ich Dich mißhar delte, jegt aber joll Di das Weib aus dem Bilde

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dort für die Qualen entjchädigen, die Dich Dein graus ſamer Gebieter erleiden ließ. Steh auf.”

Die ſchöne Frau ging zu dem Kamin und jeßte fih jegt auf denjelben Fauteuil, auf dem vor wenig Minuten noch jein jchöner Peiniger gejeffen hatte,

„Du wirft mich aber nicht lieben können“, jagte jie ſchalkhaft.

„Wäre es möglich Dich nicht zu lieben?“ entgeg— nete Raſumowski mit aufrichtiger Begeiſterung. „Wäre ich nicht ſchon Dein Sklave, ich möchte es freiwillig werden !”

„Wirklich ?” Sprach die ſchöne Frau, ihn mit offen— barem Vergnügen betrachtend, „wenn ich Dir aber die Freiheit jchenfe ?” Sie übergab Raſumowski ein Docu: ment. Er entfaltete es, es war fein Freibrief.

„Run, bift Du jegt mit mir zufrieden?” fragte ſie.

„Rein, jet am wenigſten“, rief Raſumowski.

„Wie?“

„Ich will Dein Sklave bleiben.“ Er zerriß ſeinen Freibrief und warf ihn in die Flammen des Kamins. „Und ſo bin ich es wieder!

„Raſumowski!“

„Nenne mich Deinen Sklaven!“ Er warf ſich vor ihr nieder und ſein Auge hing voll Entzücken an dem ihren.

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„Ja denn, mein Sklave”, fügte fie von eineme ligen Lächeln noch um Vieles verichönert, und ftred hre herrlichen Arme aus dem weichen ſchimmern - Belze aus, um fie um feinen Naden zu jchlingen u ihn an ihre wogende Bruft zu ziehen. Es war ei Augenblid, wie fie ihn Beide noch wicht genojjen, ihre Herzen flammten in jüßer Leidenjchaft auf, die Sim drobten ihnen zu ſchwinden, jo groß war die 0 die fie gaben, die fie empfingen.

Keines fand ein Wort, die heilige Stille des sind herrschte zum erften Male in dem prunkichimmer Gemach, nur das Feuer fang eintönig fort im Kam und der Echnee pochte vom Zeit zu Zeit nedend 4 die Feniter. |

Siebentes Kapitel.

Duett.

Tag auf Tag verran den Glüdlichen gleich me: jeligen Stunden in ſüßem Geplauder und der ſuſterblichen Wonne einer Liebe, die ohne Grenzen ift, beil fie fich fchrankenlos bingiebt und ungemeffen em— Ningt, Die Liebenden blieben bei einander vom Morgen ü zum Abend, und vom Abend bis zum Morgen. kie ſchienen unerſättlich gegenfeitig ihre Schönheit zu Mauen, die Melodie ihrer Stimmen zu hören, zu küſſen und eines an der Bruft des Anderen zu ruhen.

seht weiß ich erft, was Liebe, was Glüd ift,“ Mate das ftolze jchöne Weib zu dem theuren Manne, ter fein Haupt in ihren Schooß gebettet hatte und fie Mit feinen Blicken anlachte in trunfener Entzüdung, „du haft es mich gelehrt, indem Du mid) liebjt, mir

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Dein ganzes Herz ſchenkſt, ohne zu fragen, was ich damit anfange! Du wärſt noch beglückt, ſo glaube ich, wenn ich es zu meinem Spielzeug machen, ja wenn ich darauf treten würde, und daß ich dies glauben darf, macht es mir unmöglich Dir noch etwas vorzuenthalten, was mein ift. Mein ganzes Selbit ift Dein, ganz Dein und für immer!”

Und Raſumowski fügte dankbar ihre jchönen Hände und kniete dann vor ihr nieder, um mit gleicher Zärt— lichkeit ihre Füße zu küſſen. Er fragte nicht, wer jie jei, ja er kannte nicht einmal ihren Namen, er benahm ſich wie einer jener griechifchen Helden oder Schäfer, zu denen Göttinnen herabgeftiegen waren, er fühlte fich in ihren Armen zu dem Himmel erhoben, dem fie zu entjtammen jchien, was bedurfte er noch?

„Willſt Du nicht einmal mit mir zufammen fingen?“ begann die jchöne Frau.

„Sobald Du es befiehlit”, jagte er.

„Alſo jegt gleich —“

„Ja.“

Sie erhoben ſich und nachdem die reizende Göttin ſich an dem Clavier niedergelaſſen, ſangen ſie zuſammen ein italieniſches Duett; es war nun wunderbar zu hören, wie ihre herrlichen Stimmen ebenſo harmoniſch und innig zuſammenklangen wie ihre Seelen. Sie

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wiegten fich gleich einem Paar farbenjchimmernder mutbwilliger Falter, das fich von der lauen Luft ſchau— keln läßt, auf den fanften Wellen der zauberifchen Melodie, bis eine gellende freche Menjchenftimme fie aus ihrem Holden Traume riß.

„Schöne Gefchichten, Madame“, fehrie der Kleine mit überladener Pracht gefleidvete Mann, der plöglich vor ihnen ftand und heftig geitifulirte, „ein vollkom— menes Schäferjpiel, wie ich jehe, und und die Ge: jhäfte vergißt man dabei jo ganz, als wenn die Sonne von neuem ftille ftände, wie an dem Schlachttag Joſua's. Zum Glück habe ich Ihren Schlupfwinfel entdect, Venus Anadiomene, und jo wurde es mir möglich, gleich einem Raubthiere in ihre Solitude ein- zubrechen und ihren jchönen Adonis von ihrer Seite zu nehmen.“ | .

„Die können Sie es wagen, gegen meinen Wil: len”, jagte die Dame, die fühn gefchwungenen Brauen finjter zufammenziehend.

„Was ic) wage, wage ich ftet3 für Sie“, unter: brach fie die Jehmetternde Stimme des unerjchrodenen Störefriedes, „es ift Gefahr im Verzug; feit der legten Berfihwörung greift die Gährung in diefem ver: maledeiten Moskau bedenklich um fich, es iſt Zeit nach Petersburg zurüdzufehren und vor Allem ein Erempel

92 zu ftatuiren. Sie müſſen die Verfchworenen hinrichten laffen —“

„Ich babe geſchworen, fein Todesurtheil zu unter: zeichnen“, rief die jchöne Frau.

„Auch nicht wenn es Ihre Eicherheit unbedingt verlangt?” entgegnete der Kleine Mann. „Sie haben e3 den Unzufriedenen viel zu leicht gemacht mit Ihren humanen Ordonnanzen, diefes Volf muß wieder ein: mal Ernft, muß wieder einmal Blut fließen ſehen.“

„Sie glauben aljo in der That, daß ich die Ber- ſchworenen nicht ſchonen darf?“

„Alle Welt iſt dagegen.“

„Gut“, ſagte die ſchöne Frau, in deren Auge es mit einem Male unheimlich aufblitzte, „man ſoll ſie alſo knuten und ihnen dann die Zungen ausreißen.“

„Das iſt nicht genug, ſie müſſen ſterben.“

Die Göttin ſtieß ein kurzes helles Lachen aus, bei dem Raſumowski von einem tiefen Schauer erfaßt wurde. „Ach! wie Ihr Männer ſchwerfällig ſeid. Wie viel Knutenhiebe kann ein Menjch aushalten?”

„Wenn er ſehr Fräftig ift, zweihundert”, fügte der Mann mit der gellenden Stimme.

„Man gebe ihnen alſo dreibundert”, entſchied die Göttin.

„Ich veritehe”, murmelte er.

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„Sie kennen jet meinen Willen, gehen Sie“, Ichloß die Dame.

Der kleine Mann neigte fich ftumm vor ihr und ging.

„er bift Du?” fragte Raſumowski, als er wieder mit der Geliebten allein war, „daß Du über Tod und Leben zu entjcheiden haft; mir graut vor Dir, wie vor einem entjeglichen Geheimniß.“

Die Göttin zog lächelnd einen Silberrubel hervor und reichte ihm denjelben.

„Kennft Du dies Bild?“

„Es ift die Ezaarın.“

„Run, entdedit Du feine Aehnlichkeit?

„Mein Gott!” jchrie der jchöne Sklave beinahe - erjchredt auf, „Du bift Doch nicht —“

„Ich bin die Kaiferin Elifabeth.“

In demjelben Augenblide ftürzte Rafumowsfi vor ihr auf die Kniee.

„un? Liebſt du mich jegt nicht mehr?“ fragte die Gzaarin mit einem Lächeln, das ihm jeinen Muth zurüdgab. „Du bift jeßt dreifach verpflichtet mich zu lieben, als Anbeter die Geliebte, als Sklave die Ges bieterin und als Unterthan Deine Kaijerin.“

„Mein Gott, ift denn dies Alles wahr? Kann dies au wahr jein? Du, meine Herrin, meine Kailerin, die an Gottes Statt auf Erden ift und entjcheidet über Tod

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und Leben, Du läßt Dich herab, mich den legten Deiner Knechte” die Stimme ftodte dem Armen.

„Dich zu lieben, ja Raſumowski“, fiel Elifabeth ein, „und jo befehle ih Dir, mic Deine Czaarin zu lieben, wie Du vorher, ehe Du meinen Namen, meine hohe Würde Fannteft, das Weib in mir geliebt halt, denn ich kann Dich und Deine Treue, Deine Liebe ebenio wenig mehr entbehren wie die Luft, wie daS Son: nenlicht. Wirft Du mich alfo Lieben?“

„Ja, meine Kaiferin“, ſchwor Raſumowski mit bebender Stimme.

„Treu?“

„Treu.“

„Bis in den Tod?“

„Bis in den Tod.“

Die Kaiſerin ſah mild zu ihm herab, ihre vor Kurzem noch ſo ſtrengen Züge verklärte ein heiteres Lächeln und ſich langſam zu ihm niederneigend, küßte ſie ihren Sklaven, den letzten ihrer Unterthanen, mit ſanfter Zärtlichkeit auf die Stirne. Er aber umfaßte ihre Kniee und ſenkte ſein Antlitz thränenden Auges auf ihre Füße nieder, in ſtummer Ergebenheit wie vor ſei— nem Herrn, ſeinem Gott.

Noch an demſelben Tage erklärte die Monarchin Alexis Raſumowski, ihren Leibeigenen, den kleinruſ—

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ſiſchen Bauernfohn, offen für ihren Günftling. Die unerwartete Wendung traf den Hof, die Minijter, die Parteien wie ein Blitzſtrahl. Vor Allen zitterte Leſtoeq für fein Anfehen und ließ daher vom eriten Augen: blide an Rafumowsfi feinen Haß fühlen, indem er ihn mit beifpiellojer Geringſchätzung behandelte.

ALS Leſtocq in den nächiten Tagen bei der Kai— jerin erfchien, um die Ernennung des Prinzen von Holftein zu ihrem Erben, welde im Intereſſe der preußiſch-franzöſiſchen Partei lag, zu betreiben, warf er jeinen Eojtbaren Pelz auf einen Stuhl, um bequemer mit der Monarchin plaudern zu fünnen. Nachdem er die noch immer unter feinem Einflufje ſtehende ſchwache Frau dahin gebracht hatte, den Tag der feierlichen Proclamirung des Großfürften feftzufegen und im Be— griffe ftand fie zu verlaffen, erjihien Raſumowski und blieb mit jener Anfpruchslofigkeit, welche ihm jo gut ließ, an der Thüre ftehen.

„Komm ber!” rief Zeftocq, „hilf mir in meinen Pelz, Burfche.“

Raſumowski blidte auf die Gzaarin, er war bis in die Lippen bleich geworden über die Anmaßung des Leibarztes, aber wenn fie, die er anbetete wie eine Gottheit, es ihm befohlen hätte, würde er auch dem Ver: haßteſten Sflavendienfte geleiftet haben.

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„Du haft Niemand zu gehorchen als mir“, jante Elifabeth und jo mußte Leſtocq beſchämt davon gehen.

Der Krieg zwifchen ihm und dem neuen Günftling war fortan erklärt. Da der Nachfolger des Marquis de la Chetardie, der neue franzöſiſche Botfchafter d'Aillon, nicht den geringiten Einfluß auf die Kaiferin zu erlangen im Stande war, neigte fich Durch die Parteinahme Raſumowski's gegen Leftocqg die Schale des Erfolges immer mehr der öſterreichiſchen Partei zu, umjomehr, ald nach dem, am 15. November 1742 erfolgten Tode des Großfanzlers Cerkaski, Beftuseff in deſſen Amt trat. Diejer, welcher viele Jahre im Auslande zugebracht und fich dort eine nicht geringe ftaatSmännifche Bildung angeeignet batte, war jetzt der eigentliche Führer der altruffiihen Partei und ftellte den bejchränften und unfähigen Generalprocura: tor Trubetzkoi immer tiefer in Schatten. Nur in Be: zug auf die Thronfolge fcheiterten alle Gegenbemühun: gen diefer Partei an dem Eigenfinn Eliſabeths.

Der Herzog Peter von Holftein Hatte aleich bei feinem erjten Auftreten in Petersburg die Sympatbieen der Nation verwirft. Er war nicht ohne Anlagen, aber roh und unmiffend, aleich den meiften deutſchen Prinzen jener Zeit. Vergebens gab man ihm in dem Profeſſor Stählin einen trefflichen Lehrer, er hatte nur

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den Sinn für Soldatenfpielerei, den er von jeinem Vater geerbt. Sein Umgang bejtand in bolfteinifchen Dfficieren, welche, da ſie meift Junker in preußifchen Dienften gewejen waren, ihm jene krankhafte Vorliebe für Alles, was preußifch war, einflößten, die ihm ſpä— ter jo verderblich werden, ihn um Thron und Leben bringen ſollte. Alles Ruſſiſche widerte ihn an und er zeigte eine ebenfo unfluge, als unbegründete Gering: Ihägung gegen die Sitten und die Kirche feines neuen VBaterlandes. Nicht einmal die Sprache deffelben juchte er zu erlernen. Zu jeinem Religionglehrer hatte man den jpäteren Erzbifchof von Plaskow, den Mönch Theo: dorsfi gewählt, welcher vier Jahre in Halle ftubirt hatte und zu den geiftwollften Theologen jeiner Zeit gehörte. Als diejer ihn ſoweit mit den Saßungen der griechiichen Kirche vertraut gemacht hatte, erfolgte in der Schloßfapelle des Kreml fein feierlicher Webertritt und an demjelben Tage noch verkündete die Kaijerin Elijabeth die Ernennung ihres Neffen Peter Feodorowitich zum Großfürjten und Thronfolger de3 rujjischen Reiches.

Am Jahrestage ihrer Thronbejteigung, den 6. De: cember 1742, verlieh die Czaarin den Soldaten der Leibcompagnie die ihnen verfprochenen Häufer und Bauern und fpeilte dann inmitten derſelben in

dem großen Saale des Kreml. An zwei langen, an Sacher-Maſoch, Ein weibliher Sultan. II 7

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der Seite ſtehenden Tafeln faßen die Preobrasenffifchen Garden, dreibundertundjehzig Mann ftark, an einem Tische, in der Mitte die Kaiferin mit den Dfficieren und Unterofficieren.

Am 13. December wurde den Verfchworenen, melde Elifabetb jelbit jo kühn gefangen genommen hatte, das Urtheil verlefen und jofort vollitredt. Der ent: laffene Lieutenant, das Haupt der Conſpiration und der bankerotte junge Kaufmann, jo wie zwei andere ftar: ben unter der. Knute. Der Kammerlafai und die beiden Gardeofficiere wurden auf dem Plage hinter dem Kreml gepeitfcht, und dann dem erfteren die Zunge abgefchnitten, der legteren die Naje aufgeriffen. Nach überjtandener Strafe wurden fie nach Sibirien abgeführt.

Eliſabeth ſah aus einem Feniter des Kreml der Eresution zu. In dem Augenblide, wo das jammer: volle Gejchrei der Gepeinisten verftummt war, jah fie plötzlich Raſumowski an ihrer Seite. Er war bis in die Lippen bleich geworden und fein Auge ruhte mit einem ſeltſam fieberhaften Ausdrud auf der geliebten Monarchin.

„as ift Dir?” fragte diefe raſch, „Du bift ja ganz entſtellt.“ |

„Es war zu entjeglich, was ich eben gefeben und gehört habe”, fprach der Günftling. „Mir graut bei

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dem Gedanken, daß Du es warft, die diefe Menjchen je graufam quälen und tödten ließ und daß Du Did) noch an ihrer Pein beluftigt haft.“

„Barum nicht“, erwiderte die Czaarin, „Berräther verdienen fein Mitleid. Und es ift die höchfte Gunft des Himmels, die uns Monarchen das Recht und die Ge: walt giebt, zu belohnen und zu ftrafen. Vergiß das nie- mals mein Geliebter! Wehe Dir, wen Du mir die Treue brichft, ich würde Dir bei kaltem Blute die Zunge aus: reißen laffen, welche einem anderen Weibe von Liebe geiprochen. Du kennſt mich noch nicht. Ich will Allein- berricherin fein in Allem, und jo bleibt mir nur übrig, ebenfo in der Liebe Despotin zu fein, wie auf dem Throne. Aber laß Dich von dem, was Du geſehen, nicht jo niederdrüden, Raſumowski. Ein Mann, von defjen Treue ich jo überzeugt bin, wie von der Deinen hat bei mir nichts zu fürchten. Als ich diefe Verſchwörung entdedt hatte, da ſah ich erft, wie unverläßlich und ver— rätherijch alle meine Diener, meine Freunde find, da betete ich in demütbiger Inbrunft zu meinem Schöpfer und ſchrie in-tiefer Seelenangft zu ibm um eine Men: Ihenjeele, die mich liebt, der ich vertrauen, der ich) glauben darf, ich habe fie gefunden, in Dir mein Freund, und deshalb mußt Du mir furdhtlos gegenüber treten,

denn ich verlange nicht allein Liebe und Treue von 7*

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Dir, fondern auch Wahrheit, volle ungeſchminkte Wahr: beit in Allem, börft Du, Wahrheit!”

„Du follit fie jederzeit bei mir finden“, entgegnete Raſumowski mit edler Würde, „denn ih kann nicht lügen.”

Achtes Kapitel.

Pultawa.

Ein Theil der unheilvollen Erbſchaft, welche Eli— beth von ihren Vorgängern in der Regierung über— nommen hatte, war der Krieg mit Schweden, welcher unter der Regentſchaft der Herzogin von Braunſchweig entbrannt war. Seit dem Frieden von Nyſtädt ſchien kein Zeitpunkt ſo günſtig für den nordiſchen Rivalen Rußlands, das an Peter den Großen Verlorene zurück zu erobern, als jener, wo Friedrich II. in Schleſien eingefallen war und es in feinem wie in dem „Inter: eſſe Frankreichs lag, Rußland durch einen Kampf mit Schweden an der Barteinahme für Maria Therefia abzuhalten. Der Krieg begann unter der Lofung: Frankreichs Freundfchaft, Polens Heil, Rußlands Er- niedrigung. Sp fiher war man in Stodholm des

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Erfolges, daß man fih nur im fchlimmften Falle mit Petersburg, Kronftadt, Schlüffelburg und dem Verbote für Rußland, in der Zukunft eine Flotte zu halten, begnügen wollte, und wie ganz anders endete diejes Ringen der beiden. Mächte. Die Ruſſen erfochten bei Willmanftrand einen glänzenden Sieg und fchloffen dann die jchwedifche Armee bei Helfingfor3 ein, wo diefelbe zulegt die Waffen ftreden mußte. Eliſabeth dietirte die Bedingungen des Friedens von Abo, nad welchem Rußland eine Reihe von Feltungen und im Ganzen einhundertundneun QDuadratmeilen Land erhielt. Zum zweiten Male lag der einſt jo gefährliche Gegner vollftändig niedergeivorfen zu den Füßen Rußlands. Die Freude über den Sieg war eine allgemeine und nachhaltige, fie wedte die großen Erinnerungen an Czaar Peter, den Bezwinger Karl XIL, an Pultama.

Um jene Zeit fehrte ein Mann nad Rußland zu: rüd, welchen die Neuzeit mit vollem Recht den „rufe ſiſchen Leſſing“ getauft hat, der Schöpfer der neueren ruſſiſchen Schriftiprache, der Vater der modernen ruſ— fifchen Literatur, Michael Wafiljewitih Lomonoſſoff.

Im Jahre 1711 in dem Dorfe Denniſowskaja im Souvernement Archangel geboren, der Sohn eines Kronbauern, half er im Sommer feinem Vater beim Fiſchfang, während er in den langen Wins

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tertagen von einem alten Diaf (Kirchenfänger) leſen lernte.

Das Lejen der Bibel und der Geſang der Pjal: men in der Kirche wecten in ibm den dichteriichen Geiſt. Er hörte einmal daß in Moskau eine Unterrichtsanitalt jei, in welcher man griechifch und lateiniſch, deutſch und franzöſiſch lehre. Dies fiel wie ein zündender Funke in feine nach Erkenntniß und Wiffenfchaft dürſtende Seele. Er verließ heimlich jein Vaterhaus ging nad) Moskau und forderte dort in feiner naiven aber genialei Weiſe Unterricht. Man ſchickte ihn nach Kiew, und nach— dem er dort die nöthige Borbildung gewonnen, nad) Pe: tersburg in die Akademie der ſchönen Wiffenfchaften. Im Jahre 1736 ging er nach Deutjchland, ftudirte in Mar: burg Mathematik, in Freiberg den Bergbau und vie deutfchen Dichter. Auf der Reife durch Braunjchweig fiel er in die Hände preußiſcher Werber und wurde gleich jo vielen Anderen. gezwungen, den preußijchen Grenadierrod und die Musfete zu tragen, aber es gelang ihm bald zu defertiren uud im Jahre 1741 fchrte er über Holland zu Schiffe in feine Heimat jzurüd, wo er zuerft in Petersburg volllommen unbe: achtet blieb.

Jetzt ergriff auch ihn die Begeifterung und er dihtete feine berühmte Ode auf den Sieg von Pnltawa.

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Aleris Raſumowski war indeß zum LDberjäger: meilter ernannt und auch fein Bruder Kiryll an deu Hof gezogen worden. An diefen Mächtigen, der glei ihm ein Bauernfohn war, und für einen ebenfo treuen Sohn jeines Volkes wie bevorzugten Liebling der Czaarin galt, wendete fih jet Lomonoſſoff und fand bei dem ehemaligen Leibeigenen, was er vielleicht bei feinem Manne der damaligen feinen und gebildeten Gejelihaft Rußlands gefunden hätte: ein Herz, da3 warm und edel fühlte und den lebhafteſten Sinn für Poeſie.

Raſumowski ſchloß den Dichter, nachdem dieſer ihm ſein Poem vorgeleſen hatte, begeiſtert in ſeine Arme und führte ihn auf der Stelle zur Kaiſerin.

Eliſabeth war eben mit der Anordnung einer neuen Balltoilette beſchäftigt und ſchien über die Zumuthung Raſumowski's, ſich in dieſem wichtigſten aller Geſchäfte durch eine Ode ſtören zu laſſen, zuerſt nicht ſonderlich erbaut, aber ſchon war der Einfluß des treuen red— lichen Mannes auf die ſinnliche launenhafte Frau ſo groß, daß ſie ſich endlich bereit erklärte Lomonoſſoff anzuhören und nicht ohne Spannung in einem Fau— teuil Platz nahm, während der Dichter beſcheiden vor ihr ſtand.

Auf einen freundlichen Wink Raſumowski's begann

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er die Dde Pultawa mit marfiger Stimme und edler patriotifcher Begeifterung vorzutragen.

Die herrlichen Verſe floffen wie Muſik von feinen Lippen, und wie Muſik Klang zugleich zum erjten Male die ruflifche Sprache, die verachtete Redeweiſe der Baus ern und des Pöbels in das Ohr der Monardin. Elifa: beth bing mit fteigender Theilnahme an dem Gefichte des begabten Mannes, während ihr Günftling mit edlem Frohlocken die tiefe Wirkung beobachtete, welche die ruf: fifche Dichtung auf fie übte,

Als Lomonofjoff zu Ende war, entjtand eine kleine Paufe ; alle Anwejenden waren viel zu tief bewegt, ala daß fie gleich Worte gefunden hätten. Raſumowski ges wann zuerit feine Ruhe wieder. „Nun Majeftät, was jagen Sie zu dieſem Poem, ift es nicht herrlich, nicht eines Lorbeers werth?“ |

„Sewiß, jo weit ich urtheilen kann“, ermwiderte die Czaarin, und ich geitehe, daß es mir viel beffer gefällt, ald die gefpreizten franzöfifchen Gedichte. Ich glaube, wir ftehen an dem Anfange einer ruffifchen Dichtung, einer heimatlichen Literatur; Gott gebe, daß wir uns nicht täufchen. Du haft mir einen großen, einen hei— ligen Augenblid bereitet, Lomonoſſoff. Ich kann Dir dies nicht Iohnen, Gott allein; aber was in meiner Macht fteht, werde ich thun, um Dir und den Mufen

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ein ficheres und freundliches Aſyl in Petersburg zu Ichaffen.”

Zugleich jtredte fie dem Dichter ihre Hand bin, welche diefer, auf ein Knie niedergefunfen, ehrerbietig uud dankbar küßte.

Als Lomonoſſoff gegangen war, wendete fich Eli: jabeth zu Raſumowski und fagte lächelnd: „Dein Schü; ling hat Dir Ehre gemacht, mein Freund.”

„ct mir allein, er wird bald Dir und feinem Baterlande Ehre machen, jo Gott will, nnd feine geringe”, ſagte der Günftling.

„sh würde gern mehr für die Künjte, für die Wifjenjchaften thun“, jprach die Gzaarin, „wenn es nur nicht jo jehr an dem nöthigen Gelde fehlte.“

„gu einem jo heiligen Zwede darf eg nie an Geld fehlen”, entgegnete Raſumowski lebhaft, „nicht Bellona und Mars, fondern Apollo und die Mufen machen ein Volk groß, und nur jener Herrjcher wird fid ein unjterbliches Angedenken fichern, welcher jeinem Reiche nügliche Kenntniffe und Werke der Kunſt giebt, an denen fi) Gegenwart und Nachwelt erbauen können. Du bift vom Schickſal begünftigt wie kaum je ein Regent. war. Nod) liegt alles geiftige Leben bei uns brad, gieb uns nach glänzenden Siegen und Eroberungen Wilfenfchaften und Künfte, gieb uns eine ruffifche Lis

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teratur, und die jpäteften Gefchlechter werden Dich noch jegnen. Große Geifter find in Deutfchland aufge: ftanden. Wer beſchützt fie? Der größte unter den deut: Ihen Fürjten huldigt dem Geifte und den Werfen der Sranzofen. Beweiſe, daß Du Deine Zeit beffer begreifit als ein Friedrich, beweife, daß Du Dein Volk und feine reiche herrliche Sprache liebit, and die Poeſie wird an Deinem Thron ftehen neben der Gerechtigkeit und das Schwert derjelben mit Lorbeer umschlingen und mit Palmenzweigen.“

Eliſabeth erhob ſich ohne Raſumowski zu antworten, und ſchrieb ein Decret, durch das fie Lomonoſſoff zum Director des mineralogifchen Cabinets in Petersburg und zum Mitglied der Akademie ernannte; zugleich be= fahl fie, feine Dde Pultawa auf ihre Koften druden zu laffen und im ganzen ruſſiſchen Reiche zu ver- breiten.

„Biſt Du nun mit mir zufrieden?” fragte fie ihren Günſtling, als fie ihm das Document übergab, „Roh lange nicht“, erwiderte diejer lächelnd. „Run, laß mich hören, was Du wieder an mir zu tadeln haft, Du ehrliches Sprachrohr des Volkes.“ „Du beflagit Dich darüber, daß es Dir an Geld fehlt, um die Künfte und Wiffenfchaften, die feiteften Stügen eines Reiches, zu beſchützen“, ſprach Raſu—

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mowski, „aber an den nöthigen Summen für Deine Toilette und den übertriebenen Aufwand am Hofe hat es Dir noch nie gefehlt.“

„Darin haft Du Recht,“ fiel Elifabeth Tächelnd ein, „aber dies läßt fich eben nicht ändern.”

„Bei etwas gutem Willen allerdings,” fuhr Raſu— mowski fort. „Um nur eins zu erwähnen, wozu jedes Jahr diejen Eoftjpieligen Umzug des ganzen Hofes von Betersburg nach Moskau und wieder zurüd, zu dem man allein neunzehntaufend Pferde benöthigt, melde von allen Orten, ja von Kaſan ber zujammengetrieben werden müflen. Die Kojten 'diejes Umzugs jind mit jiebenhundertundfünfzigtaufend Rubel berechnet und dazu fommen noch zweihunderttaujend Rubel Progom (Fubr: lohn) aus Deiner PBrivatcaffe. Im Ganzen find es mit den jämmtlichen Regierungscollegien achtzigtaufend Perjonen, welche jedes Jahr ganz überflüffiger Weiſe zwijchen den beiden Reſidenzen hin und herziehen.”

„Diefe Mißbräuche follen abgeftellt werden”, jagte Elifabetb, von der Wucht der Zahlen erbrüdt, „ich überlaſſe es Dir, mir in diefer Richtung einen Entwurf zu unterbreiten. Was haft Du noch auf dem Herzen?”

„Deine Räthe haben Dich beftimmt einen Ukas zu unterzeichnen, welcher den Juden befiehlt bei

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Todesitrafe das Land zu räumen”, fuhr Raſumowski fort, „und mehr als dreißigtaufend Deiner intelligente: ften, betriebfamften und reichften Unterthanen haben in Folge dieſes unmenfchlichen Befehls Rußland verlaffen ; ihre Berwünfchungen werden Did; und Dein Reid) in den Augen von ganz Europa brandmarken.”

„Du wählft ftarfe Ausdrüde, Raſumowski!“

„Ich Tann nicht anders.”

„Dies ift gejchehen und läßt fich nicht rüdgängig machen, ohne die Würde des Staates preiszuger ben”, jagte die Ezaarin, „aber ich verjpreche Dir, in Zukunft ſtets Dich erſt anzuhören, ehe ich Belchlüffe von Wichtigkeit falle.“

„And nun das Wichtigfte, denn es betrifft das Heil und den Ruhm Rußlands“, fuhr Raſumowski fort. „Laß Dich nicht durch das Vergnügen abhalten, Dich um den Staat zu fümmern, Du giebjt mit den Regierungsgefchäften unfere ganze Zukunft feilen und eigennütigen Greaturen preis.”

„Wem etwa?” unterbrach Elifabeth ihren Günſt— ling, aber der Blig ihrer fchönen Augen, mit dem fie ihre Worte begleitete, war nicht im Stande, den uns erichrodenen Mann zum Schweigen zu bringen.

„Leſtoeq vor Allen —”

„sch Liebe ihn —“

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„Du joljt Niemand lieben, al3 Dein Volk.”

„Auch Dich nicht?”

„Auch mich erſt nach dem Vaterlande.“

„Was iſt alſo mit Leſtocq?“

„Er iſt von Frankreich bezahlt“, erklärte Raſu— mowski, „von demſelben Frankreich, das uns die Schweden auf den Hals gehetzt hat, um uns in dem großen europäiſchen Kampfe lahm zu legen. Nun iſt der Krieg glücklich beendet, Schweden für lange Zeit niedergeworfen, und alſo der Augenblick gekommen, wo wir unſer Schwert in die Wagſchale werfen müſſen. Dies fordert die —— Klugheit und die Ehre Rußlands.“

Davon verſtehe ich BE jagte die Gzaarin ausmweichend.

„Jedenfalls mehr, als der Duadjalber, der überdies alles, was ruſſiſch iſt, haßt,“ gab Raſumowski zur Antwort. |

„a, da muß ich Dir beiftimmen“, rief Elifabeth lachend „wenn Leſtocq alle meine Ruffen auf einmal mit einem Löffel Gift umbringen fünnte, er thäte es mit Vergnügen.”

„Und einen jolden Dann läßt Du in die Staats: gejchäfte eingreifen ?”

„sh bin ihm Dank fchuldig.”

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„Iſt er nicht belohnt genug? Befchenfe ibn jo rei Du willit, aber opfere ihm nicht den Staat, nicht Deinen eigenen Vortheil.“

Elifabeth trat, die Arme auf der Bruſt verfchränkt, an das Fenfter und verſank in Nachdenken. „Es muß etwas gejchehen”, jagte fie ennlich „das ſehe ich ein Ich will mit Beſtuseff reden. Biſt Du nun zufrieden?“

„Ja“, erwiderte Raſumowski vor Freude ſtrahlend, „ich danke Dir im Namen Aller, die es mit dem Vaterlande gut meinen.“

„Im Gegentheil, ich muß Dir dankbar ſein“, ſprach Eliſabeth, ihn herzlich bei beiden Händen faſſend, „Du treuer guter Mann! Du biſt mein Gewiſſen, mein guter Engel!"

Zwei Stunden jpäter nachdem die Kaiferin ihrem Sünftling verfprochen hatte, fich mehr als bisher mit der äußeren Politik zu befaffen und in den öfterreichifch- preußifcheh Streit einzugreifen, wußte Xeftocq bereits davon und Fam in höchſter Aufregung zu dem fra: zöſiſchen Gefandten d'Aaillon. „Dieſe Schweden haben uns eine tüchtige Suppe eingebrodt”, rief er, „die Kaiferin denkt ernftlich daran, Maria Therefia Hilfs: truppen zu fenden. Es ift noch Ailes geheim, aber in Kurzem werden wir mehr erfahren; dies Alles ift das Werk diefes elenden Sklaven!“

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„Ihre Aufgabe ift e8, die Czaarin umzuftims men”, erwiderte der franzöfifche Diplomat, „reicht Ihr Einfluß nicht mehr jo weit, Herr Leſtoeq“

„Bitte, Graf Leſtoeq —“

„Alſo Herr Graf Leſtocq“, fuhr der Geſandte lächelnd fort, „jo wird Frankreich den Jahresgehalt, den e3 Ahnen zahlt, einziehen. Sie ſelbſt werden ein: ſehen —"

„Ich ſehe nur ein, daß ich gerade jetzt mehr Geld brauche als je“, ſchrie Leſtocq aufgebracht, „und daß e3 ehrlos von Ihnen wäre, zu geizen, wenn es den Bortheil unjeres theueren Frankreichs gilt. Sch muß jofort zehntaufend Dufaten haben.” y

„Zu welchen med?”

„Diejer Raſumowski muß gejtürzt werden“, fagte Leitocq, „Dies kann jedoch nur durch einen neuen oder noch beſſer durch einen älteren Günſtling gefcheben. Wir müffen Subin auftreiben.”

„Das hätte etwas für fich.”“

„Die Ezaarin hat ihn ſehr geliebt,“ fuhr Leſtocq fort, „wenn er uneriwartet erfcheint, kann, ja muß ein unerwarteter Umschlag erfolgen, fie müßte fein Weib jein. Aber dazu brauche ich Geld.”

„Volle zehntaufend Dukaten?“

„Ja Monſieur zehntauſend Dukaten.“

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„But. Sie jollen fie baben, Leſtocq, aber e3 werden die lebten jein, wenn Sie Ihre Berjprechungen nicht erfüllen.“

„Ich dringe bis zum Nordpol, um diefen Subin aus dem ewigen Eiſe auszugraben,” rief Leſtocq, „und dann ftürze ich Raſumowski und feſſle Rußland von Neuem an Frankreich, jo wahr ich Leitocq heiße, Graf Leſtocq.“

Sacher-Maſoch, ein weiblicher Sultan. II. 8

Neuntes Kapitel.

Auferfianden.

Die Czaarin fühlte ſich wieder einmal unmohl in Folge der Freuden der Tafel, denen fie zu übermäßig zugeiprochen, und Leſtocq, der in folchen Stunden der Schwäche ftets der „Liebe qute Leſtocq“ hieß, führte in ihrem Schlafgemach das große Wort.

„Es fehlt Majeftät vorzüglich an Zerftreuung“, rief er mit feiner gellenren Stimme. „Eine Frau wie Sie,- mit Schönheit und Gefundheit von der Natur bi3 zum Uebermaße beſchenkt, bedarf jener heftigen Wallungen des Blutes, melde anderen verderblid werden. Ohne Liebe, ohne Leidenfchaft Ieben Sie nur halb.” |

„xiebe ich denn nicht Leftocq ?” jagte die Monardin, „ih ſehe mich im Gegentheil zum erften Male von

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einem Gefühl beherrfcht, gegen das mir alle meine früheren Neigungen nur als ein leichtfertiges Spiel erſcheinen.“

„Aber Sie können dieſes Spiel nicht entbehren“, entgegnete Leſtocq, der feine Gelegenheit verſäumte, direct oder indirect gegen Raſumowski zu wirken, „Diejer Ichlichte ehrliche Bauernjohn fängt an Sie zu langweilen.”

„Ad würden Sie nur ſehen wie er mich Liebt“, murmelte die fchöne Despotin mit vor Glüd ftrahlenden Augen.

„Das ift feine Pflicht”, unterbrach fie der Leibarzt, „und wer liebt Sie nicht? Wer würde fich nicht glüd- lich jchägen, das jchönfte Weib in Europa, ja vielleicht in der Welt, zu beligen?“

„Sie ſchmeicheln —”

„Ich Tchmeichle nicht“, fuhr Leſtoeq fort, „Raſu— mowsfi liebt Sie in jeiner Art und Sie erwidern, diefe ſchöne aber mit der. Zeit ermüdende Empfindung. But. Aber Sie müſſen neben ihm noch irgend eine Zeiden-

„Haft, ein Verhältniß haben, das Sie amüfirt.“ | „Slauben Sie?”

„Ich verjchreibe Ihnen als Arzt einen neuen Xieb: haber, verftehen Sie, Madame, und die Anordnungen eines Arztes müſſen pünktlich befolgt werden.“

„Aber ich würde Raſumowski kränken“, wendete , g*

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Glifabeth rafch ein, „wenn ich Shnen folge, vieleicht jeine treue Liebe einbüßen.”

Leſtocq antwortete mit einem frivolen Gelädter.

„Wie naiv und unfchuldig uns doch die Liebe macht”, fpottete er. „Sollten Sie wirklich vergeſſen haben, Majeftät, daß nichts fo ſchnell unfere feurigiten Ge fühle erfticht als Gegenliebe, während Kälte, Graufamfeit ein ewiger Sporn für diefelben find. Sft je noch eine und vollkommen ergebene Frau fo angebetet worden, wie eine treulofe? Je mehr Sie diefen braven Aleris lieben, Madame, um jo weniger dürfen Sie es ihn merken laſſen, er würde ſonſt bald übermütbig werden, ja viel: leicht fogar untreu wie Suwalow. Um ſich ſeiner Treue für immer zu verſichern, giebt es gewiß kein beſſeres Mittel als ihn fühlen zu laſſen, daß Sie ihn entbehren können, ihm zu zeigen, daß Ihre Gunſt nicht ihm allein zu Theil wird. Wenn er ſich täglich durch einen neuen Nebenbubler in Gefahr fieht, wird er bleiben, was Sie fo ſehr wünfchen, ein glühender Anbeter und ein demüthiger Sklave.“ a

„Was für Grundjäge predigen Sie mir, Leſtocq.“

„Geſunde Grundjäge, Majeftät.”

„Die ſoll ich aber einen neuen Anbeter im Nu aus der Erde zaubern?“ rief Eliſabeth, welche halb bekehrt ſchien.

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„Für eine Kaiferin von Rußland, die mächtigite Frau der Erde, iſt nicht3 unmöglich”, jagte der Leib: arzt, „wenn. fie treue Diener hat, jo wie den vielge⸗ ſchmähten Leſtocq, die auch ſtummen Winken zu gehor: hen verftehen.”

„Wie das ?“

„Was würden Sie dazu ſagen, Majeſtät, wenn auf Ihren Befehl in der That ein Anbeter aus der Erde hervorkäme, wenn das Grab Ihnen einen Todten zu— rückgeben würde?“ | | |

„Von wen jpreden Sie, Leitocq?“

„Bon wen jonjt als von Subin.

„Subin er lebt wo iſt er?“ rief Eliſabeth in einer Aufregung, deren Freudigkeit den intriguanten kleinen Franzoſen zu den kühnſten Hoffnungen be— rechtigte. |

„Subin lebt, und noch viel mehr”, erwiderte er ſtolz, „er iſt bereits auf dem Wege nach Ihrem Hof- lager.”

„Und Sie, Leſtocq, haben das zu Stande gebracht ?“ ſagte die Gzaarin, mährend fie von ihrem Ruhebett aufjprang und vergnügt in die Hände Hatjchte.

„sh und ich allein”, verficherte der Leibarzt triumphirend. „Ein Seufzer, der Ihre ſchöne Bruft hebt, ift eben für mich mehr, als für Ihre anderen

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Diener ein ausdrüdlicher fchriftlicher Befehl. Yon der Stunde an, wo ic) wußte, daß Sie Subin ungern ent: behren, war es meine unabläflige Sorge denfelben zu ent= decken. Endlich gelang es mir, herauszubringen, daß der Feldmarſchall Münnich die Ordre zu feiner Abführung ausgeftellt hatte. Sch fendete nun an den legteren nad) Sibirien einen eigenen Eurier ab, um ihn zu befragen, und jo wurde endlich der Ort jeines Erils befannt. Subin befand ſich fünfzehntaufend Werft von uns ent— fernt in dem äußerſten Kamſchatka.“

„Ah! der Arme!” jeufzte Elifabetb auf, und Thränen füllten ihre jchönen Augen. „Sch bin Ihnen ſehr verpflichtet Leſtocq, jehr verpflichtet.”

„Ich hoffe, daß Majeftät neuerdings von meinem Eifer und meiner Treue überzeugt find“, erwiderte ber Leibarzt, „und gewifjen Einflüfterungen gegen mich in Zufunft fein Gehör mehr ſchenken werben.“

„O! gewiß nicht, mein lieber guter Leſtocq“, rief die Czaarin, feine beiden Hände ergreifend, „ich bin jo frob, jo glüdlich, und das Alles ift Zhr Werl.”

Kurze Zeit nach diefer Scene traf Subin, der Garde: jergeant und chemalige Günftling der Prinzejfin Elifa= beth, ein und wurde von der Kaiferin mit einer Herz: lichkeit empfangen, welche einen neuen Umfchwung der Dinge am Hofe und in der Regierung erwarten ließ.

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Er befam eine Wohnung im Palafte und aus den Händen der Gzaarin jelbit den Aleranderorden. Einige Tage jpäter wurde er dem Semenow’fchen Garderegi- ment al3 Premiermajor mit dem Range eines General: majors in der Armee vorgeftellt.

„Run, was fagit Du dazu, daß Subin von den Tod- ten auferftanden iſt?“ fragte die Czaarin Raſumowski.

Ich freue mich darüber“, entgegnete ihr Günſt— ling ruhig.

„Iſt das möglich?”

„Dan jagt mir, daß Du Dich über feine Rückkehr freuft, und Alles was Dir Vergnügen macht, erfüllt mich mit dem höchften Glüd”, ſprach Raſumowski.

Eliſabeth war entwaffnet, verwirrt und fand feine Worte, um auszufprechen, was fie in diefem Augenblid für den treuen edlen Mann empfand, aber eine Stunde jpäter war Alles vergeſſen und fie beſprach eifrig mit ihrer Favorite, der Gräfin Suwalow, in welcher Weije fie Subin benügen wolle, um ihren Günftling auf die Folter der Eiferjucht zu ſpannen.

„Ich fürchte nur, Majeſtät“, wendete die Gräfin ein, „daß von diejer einfachen, noch durd fein Laſter ent- weibten Seele alle Ihre Pfeile abjpringen, und möchte glauben, daß Alles, was Sie unternehmen, um Raſumowski zu reizen und zu feffeln, überflüffig ift,

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denn er hat ja. ohnehin: keinen Gedanfen als Sie ſchon die Hoffnung Sie allein zu befiten, wäre, in nen Augen eine frevelhafte Vermeſſenheit.“

„Ich will doch den Verfuch machen, ob id) i nicht dahin bringe, feine: übertriebene- Befcheidenä zu vergeſſen“, erwiderte die Gzaarin.

„Er wird dabei. leiden, Majeftät“, ſprach di Gräfin, „aber ſchweigen und alles mit rührender Ga duld über fich ergehen Laffen.”

„Iſt diefe Ruhe nicht am Ende viel mehr Selbit- überhebung als Demuth?“ rief Elifabeth.

„Sch weiß es nicht”, gab die Favorite zur Ante wort, „Sicher ift e3,. vaß ev Subin nixht fürchtet, daß ev jogar über ihn ſpottet.“

„Das fol er mir büßen,“ murmelte Eliſabeih, „rufe mir Subin. nein ja doch vorher Raſu— mowski er wird mich fennen lernen, und. zwar auf der Stelle.“

Es war Abend geworden, als die, Gräfie das Boudoir der Kaiferin ‚verließ, um den beiden Nebei: bublern den Befehl zu überbringen, fich im demfelben einzufinden. Zuerft fam Raſumowski, anſpruchslos und -einfachı wie immer, blieb er an der Thür ftehen und fragte gleich einem Diener mut Unter thänigfeit. nad) dem Wunſche der Faiferfichen Ge

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liebten, Diefe fah ihn mit einem böhnifchen Lächeln an und ſagte dann Furz und befehlend: „Ich finde es für gut, daß Subin jest einige Zeit Deine Stelle ein: nimmt, Alexis, Du bift für ebenjo lange nur mein Diener, mein Sklave, verſtehſt Du.“

„Ich verſtehe.“

„Ich will jetzt vor allem Toilette machen, um meinen Günſtling würdig zu empfangen“, fuhr die Czaarin fort, „zieh mir die Schuhe aus.“

Raſumowski ließ fich ſchweigend auf ein Knie nie der. und erfüllte ihren Befehl, dann zog er ihr auf ihren. Wink die goldgejtidten Bantoffeln an, half ihr fich der unbequemen Kleider entledigen und einen bequemen grünjammtenen mit Hermelin gefütterten und bejegten Sclafpelz anziehen, Eliſabeth trat vor den großen Wandjpiegel und bejah ſich wohlgefällig. „Findeit Du nicht, daß ich jehr gut qusjehe“, jagte fie.

„Bezaubernd.“

„Subin wird fehr glüdlich fein”, fuhr fie fort.

Raſumowski blieb die Antwort jchuldig.

„Beneideft Du ihn nicht?”

„Wie dürfte ich es wagen,“

„Du ſollſt e8 wagen”, rief Elijabeth mit dem Fuße jtampfend. „Bit Du denn nicht eiferfüchtig?“

„Darf ein Sklave eiferfüchtig fein?“

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„Du haft Recht. Zünde die Ampel in meinen Schlafgemache an.“

Raſumowski gehorchte. Als er in das Boudoi der Faijerlichen Geliebte zurüdfehrte, fand er Subin ihrer Seite auf dem Divan figen. Eliſabeth ſchien ihrn mit ihren Bliden durchbohren zu wollen, aber es gelank ihr nicht, auch nur ein Sympton von Unruhe oder Neid an ihm zu entdecken, während Subin, der ſich verlegen erhoben hatte, blutroth wurde.

„Verlöſche die Lichter”, jagte die Gzaarin, zu gleich nahm fie mit einem zärtlichen Lächeln Subin's Arm und führte ihn in ihr Schlafgemadh. Raſumowski ſetzte die goldenen Lichthüte auf die Kerzen und barrte der weiteren Befehle jeiner grauſamen Gebieterin.

„Du kannſt jeßt geben“, ertönte ihre Stimme hinter der Bortiere.

Der Sklave verließ ſtumm und leiſe das Gemach, nicht einmal ein Seufzer hob ſeine treue Bruſt.

Am folgenden Tage galt Raſumowski als ge— ſtürzt und Subin als der erklärte Favorit der Kaiſe— rin. Leſtoeq triumphirte, aber ſein Jubel dauerte nicht lange. Subin hatte bald durch Zuträger, an denen e3 an dem despotifchen Hofe des weiblichen Sultans noch weniger fehlte al3 in anderen Paläften, erfahren, daß Leſtoeq es war, dem er damals jeine Ber

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bannung und den traurigen Aufenthalt in Kamtſchatka verdanfte. Bon demfelben Augenblid an trat er offen al3 der erbitterfte, unverjöhnlichite Gegner des kleinen intriguanten Franzojen auf und arbeitete geradezu auf den Sturz defjelben hin. Leitocq zeigte fich indeſſen durch dieſe Wendung durchaus nicht erjchredt, ein neuer Plan, fich der Berfon der Monarchin zu verfichern, war bald entworfen. Der Leibarzt hatte in der Se: menow’jchen Garde einen Unterofficier, Namens Paulow, entdedt, der alle bisherigen Anbeter der Gzaarin an athletifcher Schönheit weit übertraf und denjelben ihr zuzuführen bejchloffen.

Er lud Baulomw zu fich und ſetzte ihm bei einer Flaſche vortrefflihen Sauternes feine Abficht auseinander,

„Es koſtet mich nur ein Wort“, jagte er zu dem überrajchten Gardejoldaten, „und Du bift der erflärte Liebling der Kaijerin, von Reichthum und Lurus ums geben. Macht und Rang ftehen Dir zu Gebote und Ale, die Dich jegt von oben herab anfehen, Eriechen vor Dir. Aber Du darfſt dann nie vergefjen, wie wandelbar Frauengunft ift und vorzüglich die einer unumſchränkten Monarchin. Diefelbe erringen ift leicht, fie feithalten unendlich ſchwer. Beides kannſt Du nur mit meiner Hilfe. Die Günftlinge wechſeln, aber der unentbehrliche Reibarzt bleibt, mein Einfluß auf die Czaarin ijt ein

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unzerftörbarer. Er fteht Dir zu Gebote, fo. lange, Du,

Did mir dankbar- und ergeben zeigit, jobald Du mir aber mit Ungehorſam, Undanf-oder gar mit Feinpjelig:, keit lohnſt, biſt Du verloren und ich werde Dich eben: jo ftürzen wie ih Subin, Suwalow und Raſumowski geftürzt babe, und wie ich Subin jeßt. noch einmal aus. dem Sattel beben werde.”

„Auf mich, meine Dankbarkeit und Ergebenbeit

fönnen Sie unbedingt zählen, Ercellenz“, erwiderte der ſchöne Unterofficier, „ih habe nur, ein einziges Bedenken.“ „Welches?“ | „Es. it eine zarte Angelegenheit“, ftanmelte Baulow. | " „Vertrauen gegen Vertrauen, mein Lieber“, rief Lejtocg, „oder wir kommen nicht vorwärts.“ „Ich habe eine Amour, Excellenz —“ begann Baulow. „Sollte das ein Hinderniß fein?“ Tachte der Leib: arzt. „Du wirſt dieſes Verhältniß auf der Stelle löſen und damit baſta.“ „Das geht aber nicht ſo leicht.“ „Und warum nicht?“ „Weil die Dame ſehr heftig und ſehr eiſerſüchtig und in ihrer Eiferſucht zu Allem fähig iſt“, gab Pau— low zur Antwort.

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„Run fo läßt man Sie vorläufig nichts merken.”

„Sobald fie aber erfährt, daß Ihre Majeftät mich begünftigt”“, fuhr Paulow fort, „wird Sie alle Minen jpringen laſſen, um mich zu verderben.“

„Ber ift denn diefe mächtige Dame?”

„rau von Grünftein,”

„Sieh einmal, die tugendhafte Frau Grünftein“, . jpöttelte Leftocq, „aber ſei ruhig, mein Freund, die fol ung nichts anhaben. Es giebt Feine Frau in Ruß land, die unfere Pläne zu durchkreuzen im Stande wäre, nicht einmal die Gräfin Sumalow. Alſo ab: gemacht, Paulow.“

„Ich ſtehe zu Ihren Dieniten, Lreelleng

Bei ſeiner ärztlichen Morgenviſite am folgenden Tage bemerkte der Leibarzt eine gewiſſe Verſtimmtheit bei der Kaiſerin und'ging wie immer direct und keck auf fein Ziel los, indem er ausrief: „Sie langweilen ſich mit Subin, Madame, es ſcheint alſo, daß ich mich diesmal in der Mediein geirrt habe, wir wollen auf der Stelle eine andere verſchreiben.“

Die Czaarin erklärte nach einigem Zögern, von Leftocq gedrängt, daß Subin allerdings nicht mehr ihr

Geſchmack jei und Sie nicht zu fefleln vermöge, am wenigſten jedoch im Stande ſei ihr jenen Zweck zu er— füllen, den fie vorzüglich mit ihm im Auge gehabt

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hatte, nämlich Aleris Rafumomwsfi, der fie allein liebe, zu reizen und mit den Qualen der Eiferfucht zu erfüllen,

Leſtocq ftimmte gern bei, daß Subin dem Klein: ruffen viel zu ſehr nachitehe, als daß der letztere durch ihn beunruhigt oder mit Neid erfüllt werden könnte; die Furcht Elifabeth ganz zu verlieren, könne Raſu— mowski nur dann mit voller marternder Gewalt er faffen, wenn er einen Mann an ihrer Seite jebe, ber: ihn vor Allem an körperlichen Vorzügen in Schatten itelle.

„Wie fol ich aber diefen Mann finden?“ jeufzte Elifabeth. |

„Sch habe ihn bereit3“, rief Leftocg mit unter: | Ihämten Stolz. Ä

„Sie Lügen.”

„Ich Lüge nie, wenn es das Wohl meiner kaiſer lichen Wohlthäterin gilt“, antwortete Leſtocq. '

„Wer iſt es alſo?“

„Ein einfacher Unterofficier der Garde, aber ein Mann, neben dem alle Männer an Ihrem Hofe wie rohe und häßliche Bauern erſcheinen“, verſicherte Leſtocq.

„Bringen Sie mir dieſen Mann”, rief Eliſabeth erregt, „ich will, ih muß Raſumowski vor Eiferfudt zu meinen Füßen verzweifeln ſehen. Bringen Sie mit ihn auf der Stelle,”

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Leſtoeq empfahl fich und die Czaarin machte eilig Toilette. Als ſie fertig war, ſteckte ſie noch eine Roſe aus Rubinen in ihr weiß gepudertes Haar und ſagie dann zu ihren Kammerfrauen: „Iſt Leſtocq da?“

„Er wartet im Borjaal.”

„Laßt ihn eintreten.”

Der Leibarzt führte mit dem Lächeln eines Faun Paulow in den Kleinen Salon, in welchem Elifabeth in einem Fauteuil ſaß. Sie richtete ihre Lorgnette auf den jungen Unterofficier und winkte dann Leftocq zu gehen.

ALS er jich jedoch am Abend mit vielen Anderen in den Faiferlihen Gemächern zum Spiel einfand, ging fie lebhaft auf ihn zu und flüfterte ihm in’s Ohr: „sh bin verliebt, Leſtocq, diesmal haben Sie es gut getroffen.”

Zehntes Kapitel.

Ein gefährliches Spielzeng.

Während die Phantaſie des aus feiner Niedrigkei mit einem Male zu nie gehoffter Bedeutung gelangten Unterofficiers Paulow fich immerfort mit den Fühnften Bildern von Macht und Glanz bejchäftigte, war den Kameraden desjelben die Veränderung, welche mit ibm ftattgefunden hatte, nicht entgangen. Sie bemerften, daB er fich immer mehr von ihnen und ihrem Treiben zus. rüdzog, jede freie Stunde außerhalb der Kajerne zu: brachte, und die Schenken, welche er bisher aufgeſucht hatte, mit einem Male mied, und begannen ihm zu beo bachten und feinen Schritten nachzuſpähen. Es währte nicht lange, fo hatten fie in Erfahrung gebracht, daß er jeine Zeit nicht der Frau von Grünftein allein widme, jondern lange Bejuche im faiferlichen Balafte made.

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Endlich, jagte ſogar ein Soldat feines Regimentes, aus, daß er Paulow in einen Mantel gehüllt aus den Gemächern der Gzaarin habe heraustreten jehen, als derjelbe die Wache bei der Monarchin hatte. Sept wußte man genug.

In dem Yugenblide, wo Paulow am nächiten Abend den Palaft verließ, wurde er von vier Unter: officieren der Semenow’schen Garde angehalten. „Hier aljo unterhält man fich jegt”, begann einer derſelben, „man flieht unſere Geſellſchaft, denn ſie iſt offenbar zu ſchlecht für einen Favoriten der Czaarin, und liegt als ein gehorſamer Hund zu den Füßen derſelben Frau, die man noch vor Kurzem eine Tyrannin genannt und die man im Vereine mit uns vom Throne zu ſtürzen bereit war“.

„Ihr irrt Euch Kameraden“, erwiderte Paulow, der ſeiner Verwirrung vergebens Herr zu werden ſuchte, „ich beſuche ein Kammermädchen —“

Ein lautes Gelächter unterbrach ihn. „O! wir be— wundern, welche Fortſchritte Du bereits in den Künſten des Hofes erlangt haſt“, rief einer der Unterofficiere, „Du lügſt beinahe ſo gewandt wie ein Diplomat, aber uns wirſt Du nicht täuſchen, Paulow, und wehe Dir, wenn Du es verſuchen ſollteſt.“

„Nun denn“, ſagte Paulow, „macht nur Ba Tolches Sader:Mafoh. Ein weiblider Sultan. 11

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Aufjehen, e3 geht ja auch ohne Lärm, ich geftehe Euch, daß ich eben von der Kaiferin komme.”

„Seht den Schurken, er prablt noch mit feinem Verrath, feiner Schande”, ſprach einer feiner Kameraden.

„Er macht fich über uns luſtig“, fügte ein anderer hinzu.

„Hört mich doch erit an“, unterbrach Paulow die Aufgeregten, „ich läugne nicht, daß meine Handlungs- weile Verdacht erregen muß, aber alles, was ich gethan habe, jeitdem ich nicht mehr an Eueren Zufammenkünften theilnehme, geſchah nach einem wohlüberlegten Plane, zu feinem anderen Zwede als unjerem Ziele näher zu kommen.“ %

„Sp, das. läßt fich hören,” jagte einer der Unter: officiere, „aber welche Bürgfchaft wilft Du uns dafür geben, daß es wirklich jo ift, daß Du die Gunft der Monarchin nur benügt haft, um in ihre Nähe zu ge langen und auf diefe Weife unferem Complotte zu dienen; daß Du nicht vielmehr mit dem Gedanken umgeht, und bei der erjten beiten Gelegenheit an dieſe graufame De ſpotin zu verrathen und ung. ihren Henfern in die Hände zu liefern 2”

„Welcher abjcheuliche Einfall“, entgegnete Paulöw mit vollſtem Unmillen.

„Aber ein naheliegender und wohl gerechtfertigtet

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Einfall“, ſprach einer der Kameraden, „Du wärſt nicht der Erfte, welcher über die Tyrannin klagt und ihr Flucht, jo lange er unter dem Drude derjelben zugleidy mit allen Anderen leidet, und ihr. dient, nachdem fie ihn in die Reihe ihrer Creaturen erhoben hat.“

„Verkennt Ihr jo meine Baterlandsliebe?” erwiderte Paulow. „Vergeßt Ihr den glühenden Haß, den ich ge- gen die: Gzaarin habe?“

„ir vergeffen eben nicht, daß die graufame Deipotim auch: ein Jchönes Weib ift.und Du wie wir alle den. Reizen: einer Frau gegenüber ſchwach biſt.“

„Ich ſchwöre Euch

„Keine Schwüre“, ſagte ein anderer aus der Mitte der mißtrauiſchen Kameraden, „keine Verſprechungen, wir wollen uns ausſchließlich an Deine Handlungsweiſe halten. Vergiß nie, daß Du auf jedem Schritt und Tritt beobachtet wirſt, daß Du nur die Wenigſten kennſt, welche unſerem Bunde angehören und daß ſobald Du: zum Verräther wirft hundert Arme bereit find, Dich zu beitrafen.”

„Meim Gewiffen: ift rein,” ſagte Paulow, dem feine Lage: unheimlich zu werden begann. „Ich brauche Eure Blicke nicht zu ſcheuen, aber eines willich mir erbitten: daß ich nicht; nach dem: Schein: beurtheilt: werde.”

„Es ift deine: Sache, dich: auch vor dem Schein

ar

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des Verrathes zu hüten“, entgegnete einer der Unter: officiere. Damit verließen fie ihn und Paulow Eonnte für diesmal aufathmen. Den Reft der Nacht brachte er in peinlichen Erwägungen zu, ein Wirbel widerſtrei— tender Gedanfen und Empfindungen trieb ihn umber; fonnte er es wagen den bisherigen Genofjen die Spipe zu bieten? Sollte er die Gunft der Monarchin benügen, um bdiejelbe zu verderben und dem Urtheilsipruche der Unzufriedenen jeinen Arm zu leihen? Bor Allem war feine eigene Stellung noch nicht Elar und feit genug, um leicht und entjchieden Partei ergreifen zu Fünnen, und fo fam er denn zu dem Entjchluße, fich zunächſt darüber Gemwißheit zu verfchaffen, wie weit jeine Ge malt über Eliſabeth reiche, was er von ihrer Gunft zu erwarten habe. Sie hatte Subin, wenige Tage nachdem Leſtoeq Paulow bei ihr eingeführt hatte, feines erotijchen Dienites enthoben, aber noch war Raſumowski zu über- winden und jo lange dies nicht gelungen war, Tonnte fich der neue Günftling nicht als Sieger über das den; der jchönen Deſpotin betrachten.

Bei der nächiten Zufammenfunft, welche Paulow mit der Czaarin hatte, benüßte er die erjte Gelegenheit, welche ihm die vertrauliche Zärtlichkeit derjelben gab, um jeine quälenden Zmeifel 108 zu werden.

Er jaß eben auf einem niederen Tabouret zu ben

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Füßen Elifabeths, welche ihn gleich einem artigen Kinde pußte. Sie hatte jein Toupet mit frifchem Puder be— ftreut und band ihm jeßt ein mit Spiten beſetztes Ja— bot um, das fie aus der Unzahl der ihr gehörigen jelbft für ihn gewählt hatte. Paulow ergriff ihre Hände und füßte fie leidenjchaftlich.

„Liebft Du mich, Paulow?“ fagte die Kaiferin, deren Eitelkeit durch jede noch fo geringfügige Hml- digung lebhaft gejchmeichelt wurde.

„Wer follte Sie nicht anbeten, Majeftät“, erwiderte der beglüdte Unterofficier mit einem Seufzer, „aber mid) foltert unabläflig die Frucht, daß ich unfähig bin Ihnen ein Gefühl einzuflößen.“

„Halt Du nicht genügende Beweiſe meiner Gunft empfangen ?” gab Elifabeth zur Antwort.

„sa Majejtät, aber ich gäbe gern allen Glanz, den die Gnade der mächtigſten Monarchin zu verleihen vermag, für die Liebe der jchönften Frau der Erbe. Wenn ich Sie verlieren follte, was ich ftetS befürchten muß, wenn ich nicht mehr das Recht hätte ihre Heinen Füße zu Füffen, in den Himmel ihrer Augen zu bliden, dann möchte ich e3 vorziehen, überhaupt nicht mehr zu leben.”

Die Kaijerin ſchwieg und zupfte an dem Kragen feiner Uniform herum.

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„Eliſabeth,“ murmelte Paulow in dem Tone fie bernder Leidenfchaft, „lieben Sie mich ?“

„Gewiß, mon ami.“

„Weßhalb zögern Sie dann mir zu gehören, mir allein?”

„Wie das 2”

„sh bin eiferfüchtig auf diefen Raſumowski“, flůſterte Paulow.

Eliſabeth begann laut zu lachen. „Eiferſüchtig“, ſagte fie, „das macht mir Spaß. Da es mir nicht ge lingen will Rafumowsfi leiden zu ſehen, jo babe ih wenigjtens jegt die Genugthuung Dich zu quälen.”

„Sie hatten aljo nur die Ablicht, durch mich Raſu— mowski's Eiferfucht zu erregen?” fragte Baulow, den ein jäher Schred eifig überriefelte. |

„Gewiß hatte ich die Abficht”, ſprach Eliſabeth, „aber diefer Menjch it ein Holzblod, ein Stein.“

„And Sie lieben mich aljo nicht 2”

„Ach ja!“

„Aber nicht jo wie Jenen?“

„Wie Raſumowski?“

„Ja.“

„Du fragſt zu viel, Paulow.“

„Ich muß Gewißheit haben“, fuhr er fort, „id

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werde wahnfinnig, wenn ich diefe Dual noch länger er: erdulden joll, ich bin nicht fähig Ihr Herz, Ihren Beſitz mit einem Anderen zu theilen.“

„Welche Kühnheit“, fagte Elijabeth, indem fie bie Brauen ftolz und finfter zufammenzog. |

„enn Sie mich lieben, entfernen Sie diefen Raſu— mowski“, flehte Paulow.

„Was fällt Dir ein.“

„Du liebſt mich alſo nicht?“ ſtammelte Paulow; ſeine Stimme klang gepreßt, ſeine Bruſt arbeitete heftig.

Die Kaiſerin ſchien ſich bei ſeinen Qualen vortreff— lich zu unterhalten, ein grauſames Lächeln umſpielte ihre vollen wollüſtigen Lippen und ihre Pupillen ver— größerten ſich wie die eines Raubthieres.

„Geben Sie mir Wahrheit, Eliſabeth, ich beſchwöre Sie, nur einen Tropfen Wahrheit dem Verſchmach— tenden”, jchrie Paulow auf.

„Wahrheit ift bitter“, jagte die Czaarin mit einer falten Nachläffigkeit, welche Paulow vernichtete und aus allen feinen Himmeln in den Staub hinabftürzte. „Ich Liebe Raſumowski und ihn allein.“

„Und ich“, ftöhnte Paulow, „was bin ich Dir dann 2” |

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„Nichts“, lachte Elifabeth, „oder doch ſehr wenig, ein Sklave meiner Laune, ein Spielzeug.”

„Ein Spielzeug”, wiederholte Paulow, bis in die Lippen bleich, auf den Boden binftarrend. ;

„Run, was haft Du”, rief Elifabety nach einer Eleinen Baufe, „Du wirft langweilig, hörſt Du?”

„Bas fol ih

„Mir die Zeit vertreiben.”

|

|

„Dazu bin ich Ihnen alfo gut genug“,

Paulow. | „Heute noch, morgen vielleicht nicht mehr”, jpots tete Elifabeth. „Komm, ich erlaube Dir mich zu küſſen.“

Paulow ſprang auf und fchloß das Schöne launen

hafte Weib heftig in ſeine Arme.

Nicht ſo“, ſagte ſie, „ein Spielzeug muß immer | recht artig und recht gehorjfam fein, und nie mehr thun

als man von ihm verlangt.” Dann hieß fie ihn nieder: Inien und begann ihn zu ftreicheln und zu Füffen, etwa jo wie man ein fchmollendes Kind begütigt.

Als Paulow die Ezaarin verließ, umfpielte nicht wie jonft ein heiteres Lächeln feine Lippen, jeine Au— gen loderten unheimlich unter der breiten Hutkrämpe, die er tief in die Stirne gedrüct hatte und feine Hände

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ballten ſich krampfhaft in den Falten des Mantels, den er feit um ſich zuſammen zog. Er fchlug diesmal auch einen ganz anderen Weg ein, nicht jenen zur Kajerne der Semenow’schen Garde, fondern bog rajch gegen Waflilivftrow ab. Anfangs eilte er wie ein von der Gerechtigkeit verfolgter Verbrecher dahin, bald wurden jedoch feine Schritte langſamer und feiter und als er vor einem Fleinen grauen Hauſe mit vor: Ipringenden Säulen ftehen blieb und die Klingel zog, war jein Geficht wieder vollfommen ruhig und hatte feine gefunde frische Farbe wieder. Er hatte offenbar einen Entjchluß gefaßt, der ihn befriedigte. Ein wohl: befannter alter Diener öffnete. „Heiliger Nicolaus, welche Seltenheit,“ murmelte viefer, „Herr Paulow, die Gnädige wird fich jehr freuen.”

„Sind die Anderen da?“ fragte der Günftling der Czaarin, während der Alte ihm die Treppe binauf- leuchtete.

„Ja, fie find da’, fagte der Diener. „Heilige Mut— ter, welche Freude, welche Freude.’

In dem Augenblide, wo Paulow die Thürklinke in der Hand hatte, raufchte ein Reifrock auf der Flur und eine Eleine hübjche Frau von etwa dreißig Jahren, ein Licht in der Hand, ergriff feinen Arm. Welch’ ein jeltener Beſuch“, fagte fie höhniſch, „wollen ſich der

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Herr nicht ein wenig da binein bemühen.” Sie öffnete zugleich die Thüre ihres Schlafgemadhs.

„Nur feine Scene Madaıne, wenn ich bitten darf“, murmelte Baulow.

„O! feinerlei Scene,” entgegnete die Hausfrau, „nur einige Worte im Vertrauen.” Sie zog den Viper: ftrebenden in das Zimmer.

„Du bit ein Schurfe, Baulow, weißt du das?”

„Womit hätte ich diefe Bezeichnung verdient 2’ ſagte Paulow kalt. „Mäpigen Sie ih, Frau Grünſtein.“

„Ich mich mäßigen’ jchrie die auf das Höchite er: regte Kleine Frau auf, „babe ich Dich nicht treu umd innig geliebt, Div alles geopfert, Du Elender, und Du, Du läßt mid) jo ſchmachvoll im Stiche um fich diejer Elijabeth hinzugeben!’ Am ganzen Leibe zitternd, er: griff jie den Berrätber an feinen Haaren, daß weiße Wolken Puders aus demfelben aufftiegen und gab ihm raſch zwei derbe Obrfeigen.

„Madame!“ ftammelte Paulow.

Die arme eiferjüchtige Frau warf ſich auf ihr Bett und begann laut zu fchluchzen.

„Ich bin gefommen, um alles wieder gut zu ma chen”, jagte Paulow, „aber hr Benehmen macht es mir unmöglich.“

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„Verlaß mich auf der Stelle”, fihrie Frau von Grünftein, „ich will Dich nicht mehr jehen, aber Du Du ſollſt dafür noch von mir hören, Du Elender ! Du Schuft!“

Paulow verließ mit einem ſpöttiſchen Achſelzucken die weinende Schöne und ging durch ein paar Zim— mer bis zu jeneem wo ſich von Zeit zu Zeit, wie er wußte, ſeine Kameraden und andere Unzufriedene ver— ſammelten, um ihre Pläne zum Umſturz der gegenwär— tigen Regierung zu beſprechen. Er öffnete haſtig die Thüre und rief: „Da bin ich, Kameraden und gute Freunde, ganz der Euere.“

„Paulow! Da iſt er. Er iſt fein Verräther“, rief es durcheinander.

„Ich habe meine Rolle ſo gut geſpielt“, fuhr Pau— low fort, „daß die Kaiſerin mir ihr volles Vertrauen geſchenkt hat. Ich habe zu jeder Stunde Zutritt bei ihr. Nun gilt es einen kühnen Entſchluß, nichts weiter, und wir machen uns zu Herren des Reiches.“

„Frau von Grünſtein“, rief einer aus dem Kreiſe, „wo iſt fie denn? Paulow iſt da, Frau Grünſtein!“

„Laßt fie fich ausmeinen” Lächelte Paulow, „fie it ein wenig böfe auf mich.“

Die Kameraden lachten. „Nun morgen iſt das

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wieder gut”, rief ein Lieutenant von der Linie, „Weiber= thränen haben ja nichts zu bedeuten.”

„Sbenjowenig als Weibergunft”, murmelte Baulom. „Ein Spielzeug! Nun fie fol erfahren, daß es auch gefährliches Spielzeug giebt.’

Elftes Kapitel.

Die Liebesnacht einer Defpotin.

E3 war Abend, Elifabeth, der weibliche Sultan Rußlands Hatte die Sorgen der Regierung und die für die gefallfüchtige Frau noch ernfteren der Toilette hinter ſich, fie hatte fich zum jechiten Male aus: und angefleidet und erwartete Paulow, der heute ſeltſamer MWeife auf fih warten ließ. Die Defpotin begann uns geduldig zu werden, fie hieß ihre Favorite, die Gräfin Suwalomw, welche ihr einen franzöfiichen Roman vor: las, das Buch zuklappen und riß an der Klingel. Eine ihrer Hofdamen erjchien und erhielt den Auftrag, Ras ſumowski in ihr Boudoir zu berufen.

„Laß mich allein mit ihm Lidwina“, ſprach die Raiferin, ala aber die Gräfin Miene machte fich zu

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entfernen, hielt fie diejelbe mit der Frage zurüd „wie gefällt Dir meine Toilette?“

„O! Majeftät find immer ebenfo reich als ge: ſchmackvoll gekleidet“, gab die Schmeichlerin zur Ant wort.

„Ich will aber heute berücend, finnverwirrend ausſehen, verſtehſt Du?” fagte Elifabeth.

„Um diefe Wirkung auszuüben“, entgegnete die Gräfin, „bedürfen Sie feiner Toilette!”

„Wirklich 2“

Die Czaarin trat. vor den. Spiegel. „Nun, ich bin mit mir zufrieden, Du kannſt gehen, meine Liebe.”

Die Favorite entfernte ſich. Als wenige Augenblide jpäter Raſumowski in das Heine, mit: Wohlgeruch er- füllte, und mit.orientalifchem Luxus eingerichtete Gemach trat, rubte Elifabeth auf den ſchwellenden, Polſtern eines.türkifchen mit weißem. Atlas überzogenen Divand und ſtützte fich. Eofett auf den einem entblößten Arm; mährend; unter: dem: Saum: ihrer: Robe ihr Heiner Fuß im dem: mit Hermelin: verbrämten rothen Sammel pantoffel; fichtban wurde: Wie: fiejegt da lag in ihren nachläffigen Majeftät,. die herrlichen Formen weder durch Filchbein noch Reifrock entftellt,. über dem flie Benden. Glanz des weißen: Atlasgewandes im einen langen faltenreichen: Schlafpelz von: kirſchrothem Sammet

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gejchiniegt, welcher mit faiferlichem Hermelin verſchwen— deriſch ausgefchlagen und gefüttert war, und ihre wun— derbaren Augen unter dem weißgepuderten Haare noch leuchtender und ausdrudvoller erjchienen, war fie in der That das jchönfte Weib, das nur die Phantafie erfinnen fann.

„sh erwarte Paulow“, ſagte fie mit unbarm⸗ herziger Gleichgültigfeit, „bis er kommt, erlaube ich Dir, mir die Zeit zu vertreiben.“

„Wie jol ich dies, was befiehlt meine gnädige Herrin?” erwiderte Raſumowski, deffen Wejen nicht die geringſte Veränderung, zeigte.

„Erzähle mir von Dir.“

„Die: jollte das meine Kaiferin unterhalten ?“

„Du börft, daß ich es verlange.”

„Aber es ift durchaus nicht ergöglich“, gab Ra— ſumowski leife zur Antwort.

„Du leideſt aljo”, rief Elifabeth, fich lebhaft auf: richtend, „es quält Dich doch, daß ich meine Gunft noch. Anderen außer Dir ſchenke. Gefteh’ es mir, gefteh’ ed offen, e3 würde mich. freuen. Leideſt Du? Sag es mir.”

In demſelben Augenblide ließ fich deutlich an der Wand ein leifes Klopfen hören.

„Still“, fagte die Gzaarin, „das iſt Paulom,

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laß uns allein. Morgen follft Du mir dann von den Qualen der Eiferfucht erzählen, die Dich peinigen, es wird mir Spaß machen. Und dies auf den Weg, Du ftoßer Philoſoph: Paulow ift der ſchönſte Mann in meinem Reiche und ich bin fterblich in ihn verliebt, Doh was blidjft Du jo finfter, jo traurig, ich will Dir nicht zu wehe thun, Aleris —“ Die fchöne Frau Iprang auf und legte die Hand auf feine Schulter. „Ich babe bis heute gejchwiegen, weil ich fürchtete, Du Fönnteft für Neid und Mißgunſt halten, was nur der Kummer eines Dir bis in den Tod ergebenen Herzens iſt“, Sprach der treue Mann ernit, „ich zittere für Dich, für Deine Krone, ja für Dein Leben, Du vertrauft Dich Männern an, wie diefem Paulow, die Du nicht Fennft, die vielleicht Arges im Sinne haben.“ „Aus Dir ſpricht die Eiferſucht“, Tachte Die Czaarin. „Nein, bei Gott nein“, flüſterte Raſumowski, „aber iſt es in unſerer Zeit ſo unmöglich, daß ſich der beglückte Anbeter von heute, morgen in ein Werk— zeug der Unzufriedenen, ja in einen Mörder verwandelt? Denke an die Moskauer Verſchwörung.“ „Ich danke Dir Alexis“, ſagte Eliſabeth, ihm die Hand reichend, „aber diesmal ſiehſt du viel zu düſter. Dieſer Paulow iſt unſchuldig wie ein Lamm.“

Es Elopfte wieder.

„Geh' jeßt, geh!”

„Ich beſchwöre Dich, ſei vorfüchtig,“ flehte Raſu— mowski noch einmal, dann verließ er das Boudoir und Eliſabeth drückte an dem Knopfe der geheimen Thüre, um Paulow einzulaſſen.

„So ſpät?“ ſagte ſie zu dem Eintretenden.

Paulow wollte ſich entſchuldigen.

„Kein Wort“, unterbrach ihn die Deſpotin, „wir wollen uns die ſchönen Stunden, welche uns geſchenkt ſind, nicht durch Streit verbittern, ſondern ſie heiter genießen, dann aber ſollſt Du deine Strafe bekommen.“

„So ſtreng!“

„Verdienſt Du nicht eine Züchtigung?“

„Ich kann es nicht läugnen.“

„Alſo! Auf friſcher That ertappt, dazu noch das eigene Geſtändniß“ ſcherzte die reizende Frau, „was bedarf es noch mehr, um das Urtheil zu fällen.“

„Welche Strafe verhängt alſo mein Richter über mich?“ fragte Paulow, nachdem er Hut und Mantel abgelegt.

„Wir wollen erſt ſehen, wie weit Du Gnade, ver— dienſt“, ſagte Eliſabeth.

„Womit ſoll ich mich ihrer würdig zeigen“, rief Paulow.

Sacher-Maſoch, ein weiblicher Sultan. II. 10

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„Indem Du mich mehr als je liebt und mid amüfirft.”

„Ich will e8 verſuchen“, entgegnete Paulow und 309 das jchöne mwolluftatbmende Weib auf die Polſter des Divans.

„Wie kühn heute“, ſpottete Eliſabeth „mein Spiel— zeug wird übermüthig, wie es ſcheint.“ Paulow biß ſich in die Lippen. „Ich vergaß, daß ich nur Ihr Spiel: zeug bin, Majeſtät“, ftammelte er.

„Willſt Du mir trogen? Sieh einmal“ rief die Dejpotin. „Jetzt befehle ich Dir, Dich wie ein Liebs haber zu benehmen und zwar wie ein ſehr galanter und jehr feuriger Liebhaber. Allons!”

Paulow ließ fih auf ein Knie vor der Mo: narchin nieder und ftrich mit der Hand über das ſchim— mernde Pelzwerk, das fchwellend ihre göttliche Bruſt bededte. „Wie jchön Sie heute find, Majeftät.“

„Ich befehle Dir, zu mir Du zu jagen“, unter brady-ihn die Gzaarin.

„Sp ſchön wie heute, hab’ ich Dich noch nicht ges jehben, Du Grauſame“, fuhr Paulow zärtlich fort. „Du haft Dich offenbar fo bezaubernd gejchmüdt, um mich vollfommen wahnfinnig zu machen und dann nod unbarmberziger gleich einem Spielzeug unter Deine Füße zu treten.”

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„Vielleicht.“

Paulow heftete einen langen ſeltſamen Blick auf die ſchöne Deſpotin, welche ſeine Gedanken zu er— rathen glaubte. „Du ſagſt Dir, daß ich herzlos bin“ fuhr ſie fort, „wenn ich es bin, hat nur das heuch— leriſche, lügneriſche Geſchlecht der Männer von heute mich dazu gemacht. Euresgleichen verdient kein Herz, keine Treue noch Hingebung, nur Spott und Fußtritte.“

„Glaubſt Du?”

„Willſt Du etwa beſſer ſein als die Andern?“

„Meine Liebe zu Dir hat feine Grenzen“, ſchwor Paulow, fie umfchlingend.

„Komm aljo, und beweiſe es mir”, rief Elifabeth mit einem frivolen Lachen. Sie erhob ſich und jchritt boran in ihr Schlafgemach, das nur von einer Fleinen rothen Ampel, die von der Dede herabhing, matt er: belt war. Auf einer erhöhten Bühne, zu der mit Teppichen bededte Stufen emporführten, ftand das orientalifch prächtige Lager der wollüftigen Dejpotin. Vier zottige Faunen mit hämiſch Lächelnden Bocksköpfen trugen auf ihren Schulterndas Bett und vier zugleich ſchöne nur mit Bantherfellen bekleidete Bacchantinnen, deren Fräftige Arme den Himmel zu tragen fchienen, während ein fcheinbar in der Luft ſchwebender Fleiner Amor

die Falten oben zufammenzog. Die Czaarin warf 10*

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ihren prächtigen Schlafpelz ab. In demjelben Augen: blid bob fie Paulow, von höchſter Leidenfchaft ergrif— fen, auf feine Arme und trug fie die Stufen empor. Noch nie war er jo zärtlich, jo ftürmijch geweſen tie heute, aber die fchöne Deipotin mußte fich jeltjamer Weife bei feinen wahnfinnigen Küffen doch immer der warnenden Worte des treuen Raſumowski erinnern, und wie fie empor blidte, zu dem kleinen jchalkhaften Liebesgott, ſchien ihr fein goldener Liebespfeil plötzlich ein bligender Dolch, der über ihr ſchwebte.

Wenn es ein Mörder war, an deſſen Bruft fie rubte? Diejer furchtbare Gedanke faßte fie plöglic mit dämonifcher Gewalt und fie begann am ganzen Leibe zu, beben.

„Was haft Du Geliebte ?“ fragte Paulow.

„Nichts, nichts.“

„Seltſam. Du zitterſt, hat Dich etwas erſchreck?“ fuhr der erſtaunte Günſtling fort.

„Mich ſchreckt nichts“, entgegnete die Czaarin, welche ſich raſch gefaßt hatte, „wenn hier Jemand Urſache hat Furcht zu empfinden, ſo biſt Du es.“

„Ich? Erkläre mir doch“, ſagte Paulow.

Eliſabeth richtete ſich hoch auf und blickte ihm forſchend in das Auge, er ſchüttelte den Kopf und lächelte, er verſtand ihr ſonderbares Betragen nicht.

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„Liebſt Du mich nicht mehr”, flüfterte er endlich, „dann wäre e3 allerdings an mir zu zittern.”

„Wovor?“ |

„Bor dem Gedanten Dich zu verlieren, denn es wäre mir unmöglich, nachdem ich vor Dir Gnade ge: funden, ohne Dich nur noch zu leben.”

„Du kannſt Dich beruhigen”, ſprach die Defpotin und jchlang die vollen Arme um jeinen Naden, um ihn haſtig zu küſſen.

„Du liebſt mich alſo?“

„Ja, aber deshalb entgehſt Du doch der Strafe nicht, die Du verdient haft, Du nachläſſiger Anbeter.“

„Run, fo ftrafe mich.“

„Kannft Du es nicht erwarten?“ fpottete bie Czaarin. |

„Bon Deiner Hand geitraft zu werden, bietet mehr Genuß, al3 von einer anderen Frau erhört zu werden“, murmelte Baulow von Leidenschaft beraufct.

„Meinſt Du?

Sn demjelben Augenblide Elopfte es heftig an die

Thüre. . „Was fol e8? Wer ift da? fragte die Czaarin ärgerlich.

„Majeſtät, machen Sie auf, Nachrichten von der höchſten Wichtigkeit“, rief eine mwohlbefannte Stimme.

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Elifabeth erfannte die Gräfin Sumwalow. Sie erhob fih, ordnete ihr Haar und befahl ihrem Günftling ihr den Schlafpel; zu reichen, in den fie mit verbrieß- licher Langſamkeit jchlüpfte. „Erwarte mich“, fagte fie dann und fchritt hinaus in das Boudoir.

Paulow hörte die beiden Frauen leife zuſammen jprechen, dann entfernte fich die Gräfin und die Czaa— rin fehrte zu ihm zurüd.

„Run meine Strafe”, begann er berausfordernd.

Die Schöne Dejpotin jah ihn an und ftieß dann ein kurzes gellendes Lachen aus. „Welche Ungeduld. Halt Du jo wenig Urſache, Paulow, meine Rache zu fürchten? Was wirft Du jagen, wenn ich graus jamer mit Dir verfahre, als Du es erwarteft?”

„Ich wiederhole Dir, daß deine Graufamleit für mic) Genuß jein wird, „erwiderte Baulow fie um: ſchlingend.

„O, dieſer Genuß ſoll Dir werden!” ſagte Eli: ſabeth raſch. „Komm, komm her zu mir!“ Sie machte raſch die ſeidene Schnur los, mit der ihr Schlafpelz gegürtet war.

„Was willſt Du?“ fragte Paulow mit neugierigem Erſtaunen.

„Dir die Hände binden,“ entgegnete ie

„Zu welchem Zweck?“

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„Damit Du Dich nicht wehren fannft, wenn ich Dir das Vergnügen mache Dich zu trafen.“

Paulow hielt lachend beide Hände hin.

„Richt jo, ſagte Elifabeth, zugleich trat fie hin- ter ihn und band ihm die Hände auf den Rüden.

„Kannſt Du Dich noch rühren?” fragte fie.

„Ebenſo wenig als einer, der in den Händen feines Henkers iſt“, ſprach Paulow.

„Du biſt auch in den Händen deines Henkers“, ſagte die Czaarin mit feſter Stimme.

„Wirſt Du ſo grauſam ſein?“

„So grauſam wie Du es verdienſt, Elender“, tief das ſchöne Weib, das in ſeinem rothſammtenen Hermelinpelz in gebieterifcher Strenge vor ihm ftand, nicht mehr die wollüftige Geliebte, ganz nur die majes ftätifche Richterin, die erbarmungslofe Dejpotin.

„Was bedeutet das?“ murmelte Baulom erjchredt.

„Siebft Du, jest ift das Zittern an Dir” fuhr die Czaarin mit graufamen Hohne fort, „Verräther, Mörder! „und ganz wie ihr großer Vater in ähnlicher Lage den Verſchworenen that, ſchug fie ihn mit der geballten Fauft in's Geficht und riß ihn dann an den Haaren zu Boden, um ihn mit Füßen zu treten.

- Zugleich trat die Gräfin Suwalow von Grena— dieren der Garde gefolgt in das Gemach.

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„Bekenne deine Schuld“, rief die Ezarin Paulo zu, der von Todesangjt entjtellt vor ihr auf dem Knieen lag.

„Ich habe nichts zu bekennen“, murmelte er.

„Du lügft“, ſprach die jchöne Deipotin mit eis figer Ruhe, „bier fteht deine Anklägerin.“

Paulow erblidte jegt erit feine verratbhene Ge liebte, Frau von Grünftein, welche aus der Mitte der Soldaten vortrat und ihn mit einem böhnifchen Blide maß. „Siebft Du ein, daß wir Beweife baben, daß; dein Läugnen Dich nicht rettet”, fuhr die Czaarin fort, ; „Du baft dich mit anderen Unzufriedenen gegen mid" verjchtuoren und e3 auf Dich genommen, mich zu er: morden.“

„Die Ihändliche Verläumdung eines eiferfüchtigen Weibes“, ftöhnte Paulow.

„Meinſt Du“, erwiderte Eliſabeth mit einem kalten Lächeln, das Paulow ſchaudern machte. „Nun wir wollen ſehen. Man fol ihn auf der Stelle fol- ‚tern und jo lange ohne Nachficht, bis er geſteht.“

„Barmherzigkeit!“ ſchrie Baulow.

„Was fällt Dir ein, denke bei den Folterqualen, daß ich es bin, die fie über Dich verhängt hat, und Du wirft das höchſte Vergnügen empfinden‘, fpottete

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die jchöne Dejpotin, indem fie ihre heftig wogende Bruft mit dem prächtigen Hermelinpelz verhülte.

„Snade! Barmherzigkeit!” wimmerte Paulow.

„sort mit ihm“, befahl Elifabeth, ‚und jagt dem Henker, er joll an diefem feltenen Vogel jein Beltes thun.“

Eine Stunde jpäter empfing die Gzaarin die Nachricht, daß Paulow auf der Folter Alles geftanden babe. Sie verfügte, daß er nicht vor die gewöhnlichen Gerichte geitellt, fondern, wie fie es bei Verſchworenen zu thun liebte, im Geheimen beftraft werden jollte, Die Faiferliche Geliebte übernahm es felbft, fein Richter und jein Henker zu jein.

Zwölftes Kapitel:

Ein tugendhafter Günſtling.

Das Urtheil, welches die Kaiferin über ihren ehe maligen Anbeter, den Verſchwörer Paulow fällte, lau” tete wörtlich: „Paulow iſt mit der Knute ohne alle Gnade zu züchtigen und zuletzt an beiden Schläfen zu brandmarken; außerdem ſoll ihm die Naſe aufgeſchlitzt und die verrätheriſche Zunge abgeſchnitten werden. Dieſes Urtheil iſt im Geheimen, im Hofe der Citadelle zu vollziehen und zwar um zwölf Uhr Mittags, da ich der Execution beiwohnen und durch das frühe Auf— ſtehen nicht in meiner Bequemlichkeit geſtört ſein wil.“ „Eliſabeth.“

An dem nächſten ſchönen, ſonnenhellen Tage wurde die Vollziehung des grauſamen Urtheils anbe— fohlen. Die Czaarin erſchien pünktlich um die Mittags⸗

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ftunde in der Citadelle. Leicht und graziös, ein lieb: liches Lächeln um die Lippen als gelte e8 an irgend einer der heitern ruſſiſchen Wintervergnügungen theil⸗ zunehmen, ſprang die ſchöne Frau aus dem Schlitten und jchritt, in der langen grauen Sammetjchleppe und dem grünjammtenen Zobelpelz doppelt majeſtätiſch, eine Koſakenmütze von demjelben Pelzwerk auf dem Haupte, in den Hof der Eitadelle. Die Gräfin Suwalow und zwei Kammerherren begleiteten fie.

Der Henker war mit feinen Knechten bereit3 an Drt und Stelle und erwartete mit fichtlichem Vergnügen jein vornehmes Opfer.

Die Czaarin winkte ihm näher zu treten.

Er kam, die Hände auf der Bruft gefreuzt, demüthig - wie ein Hund, der Schläge fürchtet, auf drei Schritte heran und warf fich vor der Mächtigen auf das Knie nieder.

„sh will, daß diefer Baulow unter der Knute ftirbt, verſtehſt Du“, jagte die Czaarin, „ich höre, daß Du die Gefchidlichkeit befigt den Deliquenten bei dem fovielten Streiche zu tödten als es Dir beliebt, ift dies richtig?”

„Sp iſt es Mütterchen, Eliſabetha Petrowna“, ſagte der Henker, „ich kann ihn, wenn ich will, mit

156 dem zehnten Streiche tödten, aber jobald es mir gefäl auch erjt mit dem bundertiten.

„Sut. Sch will aljo daß dieſer Elende ftirb: aber erjt wenn er zweihundert Hiebe empfangen ba Martere mir ihn recht und Du ſollſt faiferlich belohn werden.“ |

„SH werde mir alle Mühe geben Deinen Bei fall zu verdienen”, entgegnete der Henker mit einem freundlichen Grinjen, „aber da fommt unfer Mann.“

Paulomw trat, von Grenadieren mit aufgepflanzten Bajonetten escortirt, in den Hof. Er trug die Uniform der Garde, ſchwere Ketten an Füßen und Händen, jein Geficht war leichenfahl und von Todesangft ent ftelt. As er die Gzaarin erblidte, begann er am ganzen Leibe zu zittern, während fie ihn mit Verach— tung maß.

Ein Mitglied des Juſtizhofes verlas das Urtheil. Als der Unglüdliche es vernommen hatte, warf er fid auf die Kniee nieder, daß die Ketten ichauerlich raſ⸗ ſelten und ſchrie aus voller Bruſt: Gnade! Gnade!

Eliſabeth begnügte ſich den Kopf zu ſchütteln. Der Henker und ſeine Knechte ergriffen nun Paulow, rifjert ihm Kleider und Hemd bis auf das Beinkleid herunter, nahmen ihm die Ketten ab und banden ihm Hände und Füße. Dann lud ihn einer der Henkers⸗

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fnechte auf feinen Rüden, der Scharfrichter zog raſch eine Schnur um ihn und band ihn jo auf feinem le— bendigen Marterpfahl feft, während zwei andere jeiner Knechte Paulow bei den Beinen hielten, jo daß er um: fähig war fich zu regen.

„Gospodi pomiluj“ (Herr erbarme dich) jeufzte Paulow. Der Henker ftellte fich vier Schritte hinter ihn, dann trat er zwei Schritte vor und ſchwang die furchtbare Knute. Jeder Streih riß ein Stück Fleiſch aus, aber der unglüdliche Liebhaber der Czaarin gab feinen Laut von fich, obwohl jein Blut in Strömen floß; erft beim zwanzigſten Hiebe ſchrie er auf, es war ein entjeglicher gellender Schrei, der alle Anwejenden ſchauern machte, nur den Henker nicht, welcher der Deſpotin zulächelte und von ihre mit einem beifälligen Kopfnicken ermuntert wurde.

„Gnade! Gnade! Um Gotteswillen! Erbarmen!“ Ihrie Paulow.

Elifabeth trat näher, fo daß fie in fein von Schmerz; und Todesangft verzerrtes Geſicht bliden konnte und betrachtete ihn mit graufamer Freude.

„Erbarmen, Elifabeth!” ftöhnte der Elende. „Kein Erbarmen“, erwiderte das fchöne Weib höhniſch „Du wirft unter der Anute fterben, mein Theurer.”

Bald konnte Paulow, von den fürchterlichen

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Schmerzen gelähmt nur noch, gleich einem Wahnfinn lallen und ſeufzen. Als er etwa hundert Siebe | pfangen, jchien er todt. Die Czaarin jah Den Henik borwurfsvoll an.

„O, er lebt noch“, beeilte fich diefer zu jag und jeßte jeine entjegliche Arbeit fort.

Seine Hiebe jchienen nur noch eine fühlloſe ‚tod Maſſe zu treffen.

Nachdem Paulow mehr als zmweihundert Hi erhalten, wurde er losgebunden und fiel wie ein Stik Holz zur Erde.

„gebt er noch?” fragte Elifabeth, deren Graufam feit noch immer nicht gefättigt war.

„Gewiß“ erwiderte der Henker, „er fpaßt nur je mit uns.” Zugleich riß er ihn bei den Haaren em: por und einer feiner Knechte brandmarfte ihn auf bei den Schläfen. |

Noch immer gab der Unglüdliche Fein Lebenszeichen von fich, als aber der Henker ihm mit einer glühenden Zange die Nafjenlöcher aufriß, ſchlug er die Augen auf und ein tiefer Seufzer entrang, fich feiner Brufl. |

„Jetzt Tchnell, veiß ihm die Zunge aus“, rief | Elifabeth, „jo lange er noch bei ſich ift.“ Der Henler gehorchte mit vergnügter Bereitwilligkeit.

Noch einmal ſchrie Paulow auf in dem Augenblid

q

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als die glühende Zange feine Zunge ergriff, dann ſank er leblos zufammen, Der Henker legte das Ohr an jein Herz.

„Jetzt ift er todt“, fagte er nad) einer Weile mit fichtlichem Vergnügen, „ich hoffe, Du bift zufrieden, Mütterchen.“

Die Czaarin ließ ihm eine Rolle Goldſtücke ein— händigen und verließ dann die grauenvolle Stätte, um ein heiteres Lied ſummend in ihren Schlitten zu ſteigen.

In ihrem Palaſte angelangt, beſchied ſie Alexis Raſumowski zu ſich. „Nun kannſt Du ruhig ſein“, rief ſie ihm entgegen, „Dein Nebenbuhler Paulow hat eben unter der Knute des Henkers ſeine verrätheriſche Seele ausgehaucht.“

Der Günſtling blieb ſtumm.

„Ich muß Dir nochmals danken“, fuhr Eliſabeth fort, „Du warſt der Erſte, der mich vor dieſem Elen— den gewarnt hat, o! wär ich nur immer fähig Deinen Rathſchlägen zu folgen, aber ein Jeder ſagt mir et— was anderes, wie ſoll ich da nicht irre werden?“

„Folge immer Deinem Gewiſſen —“ ſagte Raſu— mowski.

Die Czaarin ſah ihren Sklaven erſtaunt an, das Wort war offenbar nicht nach ihrem Geſchmack.

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„Wärſt Du nur im Stande Dich dem verderblicden Einfluffe diefes Franzofen zu entziehen!”, ſprach Rafu: mowski nach einer Pauſe, „der ung alle verräth und verfauft.“

„Ich bin jehr böje auf Leſtocq“, fuhr die Ezaarin zornig auf, „er hat mir diefen Paulow gebracht, mid beinahe an das Mefjer geliefert.“

„Die lange wird e3 dauern“, ſagte Raſumowski, „und Dein Unmille gegen ihn verwandelt fich wieder in Liebe und Vertrauen.”

„Hätte ih nur cinen Anlaß ihm zu Leibe zu geben“, rief Elifabeth, „Du würdeſt mich fennen lernen.“

„Leſtoecq läßt es nie an ſolchen Anläfjen fehlen.“

„ie 2”

„Denn nichts anderes, würde ſchon fein Ber: bältniß zu dem Fräulein von Mengden genügen, ihn für Deine Ungnade reif zu machen” , jagte Raſumowski.

„Bas ift damit?“

„jedermann weiß, daß dieſe Dame, Dein Hoffräu lein, feine Maitrefje ijt“, entgegnete Raſumowski, „& ift an und für fi) traurig genug, wenn das Zoll weiß, welche Sittenlofigfeit bei den Großen Deines Reiches und an Deinem Hofe herrſcht, aber wenn man jein Lafter noch. dazu frech und hberausfordernd zur Schau trägt, wie diefer Leftocq, wenn man mit feinen

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Zerirrungen öffentlich Staat macht, und Du durd Deine Nachficht dies ſtillſchweigend zu billigen fcheinft, dann darfit Du nicht eritaunen, wenn die Achtung dor der Würde der Monarchin täglich mehr finkt, alle Bande der Drdnung gelöft erfiheinen und jeder Tag neue Verſchwörungen zum Umfturze der Regierung, neue Complotte gegen Dein Leben bringt.“

„Du findeft alfo jedes folches Verhältniß ftraf- bar —“ fragte die Czaarin überrafcht.

„Wozu wäre die Ehe eingeführt und geheiligt, wenn jene® erlaubt märe?” warf der tugendhafte Sünftling eim.

„Du tadeljt alſo auch mein Leben?" ſagte Elifn- beth rajch, die Brauen finfter zufammenziehend.

„Ja“, ſagte ihr Sklave unerjchroden.

„Auch ich trage meine Lafter zur Schau, nicht?“ vier Glifabeth immer erregter.

Rafumowski blieb die Antwort ſchuldig.

„Sprich“, gebot die Kaiſerin mit dem Fuße ſtampfend, „ich will Deine geheimſten Gedanken über mich kennen lernen; verſtehſt Du!“

„Sb glaube, daß es beifer für Dich und Dein gutes Volk wäre”, ſprach Raſumowoert, „wenn Du Dich vermählen würdeſt.“ |

„Mit Dir etwa?” lachte Die Czaarin. Dir

Sacher-Maſoch, Ein weiblicher Sultan. II.

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Ipricht die Eiferfucht, Alexis, das macht mir Spaß, o! Du biſt jehr ergöglich.”

„Wie dürfte es Dein Sklave wagen, auf Did eiferfüchtig zu fein“, fuhr Raſumowski mit tiefem Ernfte fort, „oder daran zu denken, daß Du ihm Deine Hand reichſt. Ich bin nicht wahnfinnig, fondern ich jehe im Gegentheil Elarer, als Alle die um Dich find. Deine Würde als Monarchin fowie die Staatsflugheit ver— langen, daß Du Dir und Deiner Laune Feljeln un erlegſt.

„sh ſoll Dir treu fein, willſt Du jagen“, ot die Gzaarin. „Sa, Ja! Du bift eiferfüchtig,, Aleri | und predigft mir aus Ciferfucht, Moral. Ich habe e3 längft bemerkt, daß Du feit einiger Zeit, ja ſeit der Rückkehr Subin’s verändert biſt; eine gemifle Traurigkeit verfchleiert Dein jonft jo beiteres, nur‘ Glück und Frohfinn ftrahlendes Auge Ich habe Dir weh getban, nur meil ich Dich zu fehr liebe und mid durch die Eiferfucht Deiner Treue verfichern wolle. Bergieb mir.”

„Ich habe Dir nichts zu vergeben, Herrin“, ſprach Raſumowski, „nicht die Gunft, die Du Subin und Paulow ermwiefen, bat mich jo tief gekränkt, mid drüdt nur mein eigenes Verhältniß zu Dir nieder.”

Eliſabeth fchien einen Augenblid ſprachlos vor

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Erftaunen. Eine ſolche Sprache hatte fie noch nicht gehört. „Wie”, murmelte fie endlich, „Du beflagit Dich über Deine Stellung, Du liebft mich alfo nicht?“

„Denn Du das Liebe nennt, was Deine Günit- linge für Dich fühlen oder was Du für fie empfindeft”, erwiderte Raſumowski, „dann liebe ih Dich nicht. Meine Liebe ift eine andere, ich bete Dich an mie eine Gottheit und deshalb möchte ich Dich auch gleich einer Gottheit erhaben über die Leidenschaft und Schwä— hen gewöhnlicher Menfchen ſehen.“

„Du jpringft von dem Gegenftande ab“, fiel Elifabeth ihm in das Wort, „Du haft Dein Verhält- niß zu mir beflagt; da ich Dir Alles gegeben Habe, was nur ein Weib und eine Herricherin dem Manne ihres Herzens geben kann, nur meine Hand nicht, jo ftrebft Du offenbar nach diefer, Undankbarer, Dein Ehrgeiz ift noch nicht gefättigt, Du willſt die Krone Rußlands tragen, Bauernjohn.”

„DO! wie wenig verſtehſt Du mich“, ſprach jet Raſumowski mit einem traurigen Lächeln, „nicht der Ehrgeiz, das Gewiſſen fpricht aus mir. Es ſchmerzt mich, daß Dein Leben dem Volke Aergerniß giebt und daß auch ich beitragen fol, die Achtung, die die Welt für Dich hegt, zu verringern, und mein Gefühl fträubt ſich

dagegen, nicht3 weiter zu fein als der Sklave Deiner 11*

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Laune, Dein Spielzeug. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich mich öffentlich an Deiner Seite zeigen muß und die Leute mit Fingern auf mich zeigen: Seht! das ift Raſumowski, der vom armen Leibeigenen fid emporichwang bis auf die Stufen des Thrones, weil er- Gnade fand vor den Augen der Carewna, und uns jet gleich allen anderen Günftlingen beraubt und. verkauft: Aber ich würde diefe Schmach ruhig ertragen, ruhig die Flüche meiner Landsleute, went ich mir nicht felbft jagen müßte:- Du biſt ein Elender! O! dieſe Stimme, die in mir fo laut ſpricht und immer- lauter, die. mich anklagt und verdammt, dieſe Stimme iſt es, die mich troftlos, die mich ſchamroth macht, Gieb Deine: Ehvenitellen, Deine- Orden, Deine Reichthümer, Jenen die darnach geizen, mir aber gieb die Ruhe meines Gewiffens, die- Reinheit meines Herzens wieder. Entlaſſe mich, fage mic, baß- ich fortziehen: darf, zurüd in meine Heimat, in- mein armes Dörfhen-in- der- Uraine, und ich. will Div dankbar fein wie. feiner von Yenen, die Du- aus: der Niedrigkeit- zu den höchſten Ehren und, Würden- erhoben, und: Dein Angedenten fegnen bis zum legten meiner- Tage“ Raſumowski war vor der KRaiferin niedergefunfen und barg, ihre Kniee umfaffend, fein Antlik in den jchimmernden Wellen ihrer Sammetrobe;

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Alexis“, ftammelte Eliſabeth die Augen voll Thränen, „Du willſt mich verlaffen? Ach, ich bin ja nicht mehr im Stande, ohne Dich zu fein.”

Einige Zeit ſchwiegen Beide. Die mächtige Frau weinte leife auf ihren Sklaven hinab.

„Willſt Du bei mir bleiben ?” fuhr fie nach einiger Zeit fort. „Sch werde Alles thun, was Du verlangit, ih werde mich jogar mit Dir vermählen, wenn Du willſt —“

„O! mein Gott!“ rief Raſumowski außer ſich vor Glückſeligkeit.

„Möge die Welt mich verſpotten, mich die Czaaren— tochter, die dem Bauernſohn, die Monarchin, die dem Sklaven ihre Hand reicht, wenn Du nur mein biſt, Du, den ich mehr liebe als alles andere, mein Reich und meine Würde.” Eliſabeth beugte ſich zu Raſu— mowski nieder und ſchloß ſein Haupt zärtlich an ihre Bruſt.

„Rein, Eliſabeth“, ſagte dieſer mit dankbarer Be: geiſterung, „Dich ſoll Niemand deshalb ſchmähen, weil Du recht handelſt und ſo wie es ſein muß, um Dein Gewiſſen und das meine zu beruhigen. Wenn Du in Deiner unendlichen Gnade Dich herablaſſen willſt, Deinen Sklaven zu Deinem Gemahl zu erheben, ſo ſoll es ganz im Geheimen geſchehen. Die Welt braucht

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nichts davon zu erfahren, wenn wir jelbit nur es wiſſen, daß unjer Bündniß fein unerlaubtes mehr ift, daß es Gott geheiligt hat durch feine Kirche, und dann dann laß mich wieder nichts fein als Deinen treuejten - Untertban, den Schemmel Deiner Füße, BDeinen Sklaven !”

Dreizehntes Kapitel.

Mariage de conscience.

Bon dem Augenblide an, wo fie Raſumowski verfprochen Hatte, daS Band der Liebe, das fie mit ibm vereinte, durch die Kirche heiligen zu laffen, jchien die Szaarin umgewandelt. Mit einem Male begann fie, die durch Schönheit und Neigungen eine Venus in Rococo, bisher nur dem Vergnügen gelebt hatte, ihrem Hofe in ihrer tyrannifchen Weiſe Tugend zu lehren und machte mit Monfteur Leftocq den Anfang. Ahnungs— los trat der intriguante Leibarzt, durch einen aus: drüdlichen Befehl der Monarchin zu ihr befchieden, in ihr Sabinet und als er die finfter zufammengezogenen Brauen und den ftrengen ftrafenden Blid bemerkte, mit dem ihn Elifabeth empfing, begriff er zwar, daß ihm ein Sturm bevorftehe, aber er hätte eher alles

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andere erwartet als eine Moralpredigt über jein Ber hältniß zu Fräulein. von Mengden.

„sh muß endlich einmal offen und ernftlich mit Ihnen über ‚ven Skandal fprechen, den Sie mit einem meiner Hoffräulein erregen“, begann die Kaiferin. „sch dulde nicht länger, daß man an meinem Hofe Sitte und Anjtand jo ſchamlos mit Füßen tritt.”

Leſtoeq ſperrte die Augen weit auf und fand vor Sritaunen feine Worte.

„Diefe Verſchwörungen, welche fi, täglich erneuern, um meine Ruhe zu ftören, meine Sicherheit zu ge: fährden”, fuhr die Gzaarin fort, „entjpringen vor Allem aus dem Mangel an Achtung vor den herr: chenden Kreifen. Das böje Beifpiel, da3 an meinem Hofe und von den Würdenträgern meines Reiches gegeben wird, tödtet allmälig die fittlichen Gefühle des Volkes, welche allein im Stande find, eine fefte Grund lage für den Thron und den Staat zu bilden. Ich bin entjchloffen, diefer Demoralifation ein Ende zu machen und nicht länger zu dulden, daß man in meiner Nahe Sitte und Anftand in diejer Weile verhöhnt.“

„Aber Majeftät, weshalb ereifern Sie ſich gerade über mich”, wendete Leftorg ein, „weshalb foll mit mir der Anfang gemacht werden 2“

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„Weil überhaupt ein Anfang gemacht werden muß —”

„Er läge wohl näher”, widerfpracdh der. Kleine fede Sranzofe

„DO! ich weiß, was Sie jagen wollen, Leitocq”, fiel Elifabeth ein, „Sie meinen, ich joll bei mir ſelbſt beginnen, aber Ihre Mahnung kommt zu jpät, ich bin längft entjchloffen, den erften Schritt zu thun, indem ih mich vermählen werde.”

„Vermählen“ ftieß Leſtoeq mühfam hervor, darauf war er nicht gefaßt geweſen. „Vermählen“, wiederholte er noch einmal „und mit wen, Madame, wenn man fragen darf.”

„Rathen Sie einmal Leftocq”, jagte die Czaarin, fh an jeiner Verwirrung weidend.

„Sch habe Feine Ahnung.”

„Sie waren doc fonft nicht jo ungefhidt in jolhen Dingen. Alfo

„Subin.”

„Wie können Sie glauben.”

„Doch nicht —“ dem kleinen Franzofen ftodte der Athem. |

„Allerdings“, nidte die Gzaarin. Ich vermähle mich mit meinem Sklaven Alexis Raſumowski.“

„Unwiderruflich?“

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„Unwiderruflich.”

Leftocq jeufzte tief auf.

„Die Vermählung wird jedoch ganz im Geheimen ftattfinden“, fuhr die Czaarin fort.

„Alſo eine mariage de conscience“ , fagte Leſtocq aufathmend. |

- „Sa wohl, und eben deshalb joll nicht davon ge: ſprochen werden“, erwiderte Eliſabeth. „Sie ſind der Erſte, dem ich von meinem Entſchluſſe Mittheilung mache, fobald alſo etwas in die Welt dringt, weiß ich beſtimmt, daß e3 ihre ſchwatzhafte franzöſiche Zunge war, die das Geheimniß verrathen und werde darnad) zu handeln wiffen.”

„Kein Wort fol über meine Lippen kommen“, beeilte fich Leftocq zu Jagen.

„Run Iprechen wir aber von Ihnen, mein Lieber“, ſprach die Monarhin ſpöttiſch. „Sch dulde dieſen Skandal mit der Mengden nicht länger. Sie müſſen fie auf der Stelle heirathen oder an ihren Vater nad Liefland zurückſchicken.“

„Muß ich mich entjcheiden, Majeftät ?“

„Allerdings und zwar auf der Stelle.“

„Run, jo heirathe ich die Kleine in Teufels wollte fagen, Gottes Namen”, rief Leſtocq.

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„Binnen vierzehn Tagen muß Alles in Ordnung ſein, Leſtocq“, entſchied die Monarchin.

Der kleine Franzoſe verneigte ſich ſtumm und ver— ließ dann, durch eine kurze Handbewegung der Kaiſerin entlaſſen, das Cabinet derſelben. |

Wenige Tage nach jeiner Unterredung mit der Monarchin wurde er fpät Abends zu ihr befchieden. Er fand in ihrem kleinen Empfangsfaal feine Gegner Aleris Raſumowski und den Kammerheren Woronzoff. Sie begrüßten fich Falt und fürmlih und erwarteten Ihweigend das Erjiheinen der Gzaarin.

Endlich raufchte die Portiere und Elifabeth trat in einem einfachen ſchwarzen Sammetfleide ohne jedes Abzeichen ihrer Würde heraus. „Ah babe Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen, meine Herren“, wendete fie fich zu Woronzoff und Leftocq, „mein Ge— wiffen verlangt.es, daß mein Bündniß mit Alexis Raſumowki nicht länger der Eirchlichen Weihe entbehre, ih babe mich aljo entjchloffen, mich im Geheimen mit diefem edeliten und treuften meiner Unterthanen zu vermählen und Sie Beide auserjfehen, dabei als Zeugen zu erjcheinen. Der Priefter ijt bereit. Ich lade Sie aljo ein mir zu folgen. Sie nahm den Arm Raſumowski's und ſchritt mit ihm voran, Leitocq und Woronzoff folgten.

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In der Eleinen Kapelle des Gzaarenpalaftes er wartete der Priefter das feltene Baar, die Kaijerin, die ihren Sklaven zu ihrem Gemahle zu erheben im Be griffe war. Eliſabeth trat mit Raſumowski vor den Altar, während die beiden Zeugen in einiger Entfernung fiehen blieben. As es zum Wechjeln der Ringe Tam, ließ ſich Raſumowski vor der Monarchin auf ein Knie nieder und empfing jo das Symbol der Liebe und Treue aus ihrer Hand. Nachdem die Geremonie zu Ende war, kehrte die Czaarin ebenſo wie ſie gekommen war, an dem Arme ihres Sklaven, jetzt ihres Gemahls in ihre Gemächer zurück und entließ bier Woronzof und Leſtocq mit der ſtrengen Weiſung, über das —* gefallene gegen Jedermann zu ſchweigen. Dann bi fie ihren Gemahl fie in ihrem Schlafgemach erwarten und verließ ihn, um Toilette zu machen. Es währte nicht lange und er hörte ihre Robe glüdverheißend im Nebenzimmer raufchen, jet theilte fie langſam die Portiere und blidte, ein jchalkhaftes Lächeln auf dem Schönen Antlig herein.

„Ich will Dich heute recht bezaubern“, begann fie, „ſonſt ift es mit meiner Macht über Dich zu Ende. Die Kaiferin hat Feine Gewalt mehr über Did, Du bift jeßt mein Gemahl, was nad) dem Worte Gottes io viel heißt als mein Herr, aber dafür fol das Weib

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Dir jein füßes Joch auflegen, ein Joch, gegen das der tapferfte Mann ſich ebenjo vergebens fträubt wie der muthloſeſte. Nun, wie gefalle ih Dir?“ Sie trat jegt erjt ganz in das Zimmer und er ſah mit Entzüden, daß fie genau jo gekleidet war, wie an jenem Abende, wo fein Herz ihr zum erſten Male ent- gegenflammte, fie trug wie damals eine weiße Atlas: jhleppe und. derjelbe rothfammtene Schlafpel; lag mit jeinem weichen ſchwellenden Hermelin um Naden, Brufb und Arme. Die Seligfeit, welche der treue Mann, ganz in den Anblid des geliebten Weibes ver- funfen, empfand, war jo unermeßlich, daß er Feine Borte fund; ev warf: fi in ftummer Anbetung vor ſeiner Gemahlin, jeinev Herrin nieder und: preßte feine. Lippen auf ihrem Kleinen Fuß, der unter dem Ihimmernden Saum ihrer Atlasrobe hervorblidte.

„Bit Du jest zufvieden, Alexis?“ fuhr Eliſabeth fort. „Iſt Dein Gewiſſen jetzt bevubigt, haſt Dir noch einen: Wunſch?“

„Keinen“, erwiderte ev, „als den, daß Du auch Deinem Gatten eine gnädige Gebieterin bleibit, wie Du: es immer Deinem Sklaven wart.”

„Nun wollen wir aben recht Fröhlich fein, Meris“, fagte: die Czaarin, „und: unfere Hochzeit feiern.“ Sie bob den Geliebten auf und küßte ihn mit: leidenfchafte

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licher Zärtlichkeit. "Dann führte fie ihn in den Heinen Saal, in welchem ein Tifh nur für fie Beide gevedt war und nahm mit ihrem Gemahl an demjelben Plat.

Auf ein Glodenzeichen traten zwei Diener ein, welche ein ausgefuchtes Souper fervirten. Die beiden Gatten aßen, tranfen und unterhielten fich vortrefflic.

Nach dem Deſſert bat Elifabeth ihren Gemahl, ihr einige feiner herrlichen Eleinruffiichen Lieder zu fingen, welche fie jo gern hörte. Er gehorchte mit Bergnügen, fie beeilte fit) an dem kleinen Clavier, deſſen Taften mit Perlmutter ausgelegt waren, Platz zu nehmen und begleitete ihn. Dann ſang auch fie eine der italienijchen Arien, welche fie auswendig kannte und endlich ließ fie ihre jchönen Hände müde in ben. Schooß herabfinken und fagte, indem fie den Geliebten durch die halbgejchloffenen Augenlider jchläfrig an: blinzelte: „Nun wollen wir zur Ruhe gehen.“

Sie ſchritt voran in ihr Schlafgemach und Raſu— mowski folgte Als fie fih auf einer Dttomane niedergelaffen hatte, warf er ſich vor ihr auf ein Knie nieder, um ihr die rotbfammtenen PBantoffeln auszuziehen. „Wie galant für einen Ehemann”, jpottete Eliſabeth, Tegte ihre vollen weichen Arme um den Naden des theuren Mannes und blickte ihm lange in das Auge.

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„Du haft mich erft gelehrt, was Liebe iſt“, flüfterte fie, „wahrhafte, echte und treue Liebe. Ich jchäme mich beinahe, wenn ich jet zurückdenke, wie ich früher war, aber genug davon, Du haft mir meine Frauen: würde zurüdgegeben, Du der ehemalige Zeibeigene, der Bauernfohn. Dir verbanfe ich, was alle die Großen meines Reiches und diefe deutjchen und franzöfichen Ausländer, welche auf meine Ruſſen mit Gering- ſchätzung berabbliden, nicht zu Stande gebracht haben, troß ihrer hohen Bildung, mit der fie gern und gegenüber prahlen. Ein Volk, in welchem jolche Herzen wie das Deine fchlagen, bejigt, wenn es heute noh in den Wiffenfchaften und Künften zurück ift, einen vortrefflichen Kern, den man auch in der toben Schale achten muß, weil er uns in der Zukunft die berrlichiten Blüthen und Früchte verfpricht. Die Geihhichte wird einmal mit Bewunderung von dem armen kleinruſſiſchen Bauer fprechen, den die mit ent- nervenden Wohlgerüchen gejchwängerte Hofluft nicht im Stande war zu beraufchen, der unter Hoffchrangen, Schmeichlern, und Intriguanten ftet3 nur das Wohl feiner Herrfcherin und feines Vaterlandes im Auge hatte und feine Monarchin eine neue befjere Bahn führte; denn ich verfprehe Dir, mein geliebter Mann, daß der heutige Tag ein Wendepunkt nicht allein in

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meinem Leben, fondern in der Gejchichte Rußlands werden fol. Fortan werde ich feinen Schritt mehr tbun, ohne Dih um Rath zu fragen, denn Du bift viel Elüger und vor Allem viel beffer, viel edler als ich.“

„Du beichämft mich”, ſagte Raſumowski Teife.

„Im Gegentheil, Du darfit ftolz fein“, unterbrach ihn feine faiferliche Gemahlin, „denn Du bift mein lebendiges Gewiſſen, mein guter Engel.” Sie Tchloß ihn mit inniger Liebe in ihre Arme und bededte fein Antlig mit Küffen, ein namenlofes Glück ließ ihre Herzen voll und Fräftig gegen einander ſchlagen, fie waren fo zufrieden, fo jelig, als wenn nicht die Pracht- räume eines Palaftes fie umgeben Hätten, fonderm die rauchigen Wände einer Bauernhütte.

Beide Gatten jchienen feit jenem Tage im der That vollkommen verändert. Die Kaiferin zeigte ir Allem einen Ernft, der ihre bisher fremd geweſen, während Raſumowski's Schwermuth einer: edlen Heiter: feit gewichen war: Die Gzaarin beſchäftigte fih num unerbittlih mit den Sitten oder eigentlich Unſitten an ihrem Hofe und- verfolgte mit defpotifcher Strenge jede Weußerung der Frivolität. Um eim eflatantes' Erempel zu ftatuiren, wurde Monſieur Leſtocq neuer: dings befoblen, fich mit dem Hoffräulein von Mengden zu vermäbhlen. |

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Der Eleine Franzoſe fügte fich ohne weiteren Proteft, aber er hatte nicht übel Luft dem Beifpiele der Kaiferin zu folgen und die Trauungsceremonie im Geheimen vollziehen zu laffen, da er bei derjelben nicht mit Unrecht eine komiſche Rolle zu ſpielen befürchtete. Aber die Monarchin aab fih damit nicht zufrieden. Sie wollte, daß die Vermählung ihres Vertrauten möglihft viel Aufſehen errege und befahl daher, daß diejeibe öffentlich und nur mit aller möglichen Feierlichkeit und Pracht vollzogen werde.

„Sobald eine Frau, die noch zum Ueberfluß un: umſchränkte Herrjcherin ift, etwas will“, fagte Lejtocg jeufzend, „bleibt nichts übrig, als gehorchen.

Die Trauung fand mit nie gejehenem Pomp in Gegenwart der Kaiſerin und ihres ganzen Hofes jtatt. Eine unabjehbbare Volksmenge füllte die Kirche und die Straßen, durch welche der Hochzeitdzug in prachtvol- len, phantaſtiſch geformten Schlitten fuhr. Leſtocq jtand vor dem Altar an der Seite feiner Erwählten, welche ihren Triumph durchaus nicht zu verbergen juchte, mit einer Armenjündermiene, welche die Ezaarin un: widerjtehlich zum Lachen reizte.

„Sie könnten nicht ärger ausfehen, wenn man Sie zur Hinrichtung führen würde, Leſtocq“, jagte ſie

zu ihm, als er, jeine Gemahlin am Arme, nach voll: Sader:Mafoh. Ein mweibliher Sultan. 12

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sogener Ceremonie die Glückwünſche der Anmwejenden empfing.

„Ab Majeität, eine Heiratb iſt noch viel ärger als eine Hinrichtung“ ſeufzte Leſtocq, „bier bat man es gleich mit einem Male überitanden, dort aber beißt es ein ganzes Leben bindurch mit dem Stricke um den Hals berumgehen.“

Vierzehntes Kapitel,

ln

Eine wilfommene Verſchwörung.

Dem Beijpiele jeiner Gebieterin folgend, ſchien auch Leftocg von dem Augenblide an, wo er der öffentlichen Meinung Rechnung getragen und fich vermählt hatte, ein Ausbund von Moralität und organifirte fogar zu jeinem Privatvergnügen eine Art geheimer Sittenpolizei, welche ihn in die Lage verjegte, jede Verlegung der Mio: tal und des Anftandes jofort zur Kenntniß der Monar— hin zu bringen, welche diejelbe unnachfichtlich ftrafte. Freilich wurde diejer fittliche Eifer ebenſo wie das Inſti— tut, das demjelben diente, in den Händen des intriguanten Franzoſen wieder nur eine neue Waffe gegen feine Gegner, die Beftuseffs und ihren Anhang. Beialler Borficht, welche ihm durch die nahen Beziehungen des Gemahls der

Kaiferin zu dieſer Partei auferlegt war, verfäumte er es 12

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doch nie, dieſelbe indirect zu verdächtigen oder bei der Kaijerin in ein übles Licht zu ſetzen. So erjdien er eines Tages freudeitrablend bei dem Lever derjelben und bat um Gehör unter vier Augen.

Nachdem die Gzaarin ihre Damen entlaffen und fih bequem in ihren Schlafrod einhillend in einem Fauteuil ausgejtredt hatte, begann fie lächelnd: „Nun, was haben Sie denn wieder Neues und Wichtiges für mich 2”

„Etwas höchſt Wichtiges allerdings,” entgegnete Leſtoeq geheimnißvoll, „jedoch nichts Neues, jondern, eine alte Gejchichte. Erinnern ſich Majeftät noch der nächtlihen Zujammenfünfte, welche Graf Suwalow mit einer unbekannten verichleierten Dame hatte?“

„D! gewiß,“ rief Eliſabeth, „ich habe ihm jeine damalige jchändliche Untreue noch immer nicht vergefjen.“

„Run, Majeität, was würden Gie dazu jagen, wenn ich heute in der Lage wäre, Ihnen den Schleier diejes pilanten Geheimnifjes zu Lüften?” *

„Sie haben jene Dame entdedt?“

„Sa, ich babe fie entdedt, Majeſtät.“

„Nun raſch, wer ijt es?” fragte Elifabeth, deren Neugierde lebhaft erregt war.

„Es tt feine Geringere als die Gräfin Be: jtuseff.

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„zeitocg Sie lügen.”

„O, ich habe Beweiſe.“

„Dienſtbotenklatſch.“

„Nein, Majeſtät, die eigenhändigen Briefe der Gräfin an Suwalow.“

„Wie kommen Sie zu denſelben?“

„Das iſt mein Geheimniß.“

„Zeigen Sie mir dieſe Briefe“, befahl die Czaarin. Leſtoeq händigte ihr ein kleines Päckchen parfümirter Billetdoux's auf Roſapapier ein, welche Eliſabeth raſch durchflog. „Schändlich!“ murmelte ſie, „abſcheulich, aber ich werde eine Gelegenheit finden ſie und ihn zu ſtrafen.“

„Die Gräfin iſt mir überhaupt verdächtig“, fuhr Leſtoeq fort. „Sie hat in neuerer Zeit innige Freund: Ihaft mit ;Frau von Lapuchin gejchloffen, derfelben welche" |

„D! erinnern Sie mid nicht an die Schmach, welche mir diejes Weib zugefügt hat“, fuhr Elifabeth jornig auf. „Richt genug, daß Sie mir das Herz Löwenwolde's geraubt hat, wagt fie es heute noch, mir den Breis der Schönheit ftreitig zu machen. ch habe Raſumowski verfprochen, nie mehr ungerecht zu fein, in feiner Weife meinem Haffe oder Zorn die Zügel Ichießen zu laffen, aber ich will fortan täglich zu Gott

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beten, daß mir dieſe Verhaßten jelbit Gelegenheit bieten, unter dem Dedmantel jtrenger Gerechtigkeit an ihnen Race zu nehmen.”

„Run ich denke eine jolche Gelegenheit wird fich früher darbieten, als Sie es vielleicht für möglich halten, Majeftät,” jagte der intriguante Franzofe mit einem überlegenen Lächeln.

„ie?“

„Meine wichtigen Nachrichten find noch nicht er— ſchopft.“

„Alſo raſch, zur Sache“, drängte Eliſabeth.

„Die Sache iſt noch nicht ganz im Reinen“, er— wiederte Leſtoeq, ‚ich darf alſo in Ihrem Intereſſe, Majeſtät, nur unter der Bedingung davon ſprechen, daß Sie mir zuſichern, Niemand davon Mittheilung zu machen und zwar am wenigſten Ihrem Gemahl.“

„Ich verſpreche Ihnen dies“, ſprach die Czaarin.

Leſtocq trat hierauf näher und begann im Flüſter— tone zu berichten, daß der Lieutenant Berger von dem in Petersburg liegenden Küraffierregimente den Befehl erhalten habe, jenen Dfficier abzulöfen, welcher bis jegt bei dem nach Solifamsf. im Gouvernement Perm ver— bannten Grafen Löwenwolde die Wache gehabt. Als Frau von Lapufchin davon Kenntniß erhielt, habe fie ihren Sohn den Kammerjunfer zu Berger gejhiet und

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denjelben gebeten, Löwenwolde zu verfichern, daß fie ihn nicht vergeffen babe, daß ihre Gefinnungen ihm gegenüber unverändert geblieben jeien und hinzuzufügen, daß er nicht verzagen, fondern auf beffere Zeiten hoffen möge. Berger, der ein Kurländer und der Monarchin treu ergeben ſei, habe ihm jedoch jofort Anzeige davon gemacht.

„Kun in dem Allen ſehe ich noch fein Majeſtäts— verbrechen‘‘, ſprach Eliſabeth.

„Ich habe ja ſchon bemerkt, Majeſtät, daß die Sache noch nicht ganz klar iſt,“ beeilte ſich der Fran— zoſe einzuwenden, „aber einem Kopf, wie es der meinige iſt, genügt meiſt eine unbedeutende Aeußerung, um gleich das ganze Netz der Intrigue zu überblicken. Wenn die Lapuchin von beſſeren Zeiten ſpricht, auf welche Löwen— wolde hoffen ſoll, ſo iſt mir dies ein Fingerzeig, daß etwas im Werke iſt, um dieſe Zeiten herbei zu führen, eine Verſchwörung —“

„Ihre Schlüſſe ſind etwas kühn“, ſagte die Czaarin, „gerade weil ich dieſe Frau ſo ſehr haſſe und man von meinem Haſſe weiß, will ich mich ihr gegenüber keiner Uebereilung ſchuldig machen. Forſchen Sie alſo der Sache nach, Leſtoeq, beauftragen Sie den Lieutenant zum Schein auf die Abfichten der Lapuchin einzugehen und fie auf diefe Weife auszuholen.“

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„Dies ijt bereits im Werke, Majefrät, und hoffe ich Ihnen morgen jchon die ganze Verſchwörung zu Füßen legen zu können“, entgegnete der Franzofe.

„Wenn es Ihnen gelingt mir diejfe Frau auf Gnade und Ungnade in die Hände zu liefern“, rief die Gzaarin, „werde ich Ihnen ewig dankbar fein, Leitocg, aber hüten Sie fih mich blos zu ftellen. Ich empfehle Ihnen nochmals die größte Borficht.” Damit entlieh ihn die Kaijerin und jegte ihre Toilette fort.

Noch an demjelben Abende juchte Lieutenant Ber: ger, von dem Capitain Falkenberg begleitet, den jungen Lapuchin auf und lud ihn ein mit ihnen ein Glas Wein zu trinken. Sie traten in eine Weinjtube und nachdem fie durch eifrigeg Zutrinfen Lapuchin redfelig gemacht, begann Berger in ven ftärfften Ausprüden auf die Gzaarin und ihre Greaturen los zuziehen. „Sie haben mir aufgetragen mein lieber Lapuchin“, ſchloß er, „dem Grajen Löwenwolde zu jagen, er möchte auf bejjere Zeiten hoffen. Nun, worin beitehen denn aber Ihre Hoffnungen auf eine Veränderung, ich und mein Kamerad bier jehnen uns gleich vielen Anderen im der Armee nach einer jolchen und würden unter Umſtänden jogar gern unjere Arme leihen, um dieſelbe herbeizu— führen.”

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„Unfere Hoffnungen jind vorzüglich auf den früh: eren öjterreichijchen Gejandten an dem biefigen Hufe, Marquis Botta gerichtet”, erwiderte Lapuchin. „Derjelbe bat in dem Haufe meiner Mutter wiederholt die Neuß: erung gethan, daß die jegige Negierung nicht bejtehen fönne und ehe man fich deſſen verjehe, geitürzt fein werde. Man vermutbhet auch, daß jeine Regierung ihn deshalb nur nach Berlin gefendet habe, wo er jeßt als Botjchafter beglaubigt jei, um den König von Preußen für die Wiedereinjegung der braunſchweigiſchen Linie zu gewinnen.”

„Sollte dies Alles fein, was Sie willen, mein jun: ger Freund?” jagte Lieutenant Berger enttäufcht.”

„Ich denke, e8 genügt, um von der Zukunft Be): jeres zu erwarten als uns die Gegenwart bietet“, gab Lapuchin zur Antwort, „die Auslaffungen Botta’s füh— ten zu der Vermuthung, daß zwijchen ibm und einfluß: reichen Perjonen ein Einverftändniß beitehbt und daß daffelbe den Sturz der Kaiferin Elifabethb zum End» zweck bet.”

„Alſo eine Verschwörung, deren Haupt der Mar quis von Botta ijt’‘, warf Berger ein.

„Das will ich nicht gejagt haben“, flüfterte Lapu— hin, „aber jedenfalls muß doch etwas im Werfe fein,

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denn ich kann nicht glauben, daß der Marquis jeine Behauptungen aus der Quft gegriffen bat.“

Gleich nachdem er ſich von dem jungen Lapudin verabjchiedet, erftattete Berger Leitocg über das Ergeb: niß feiner Unterredung mit dem Kammerjunfer Bericht und jprach fein Bedauern darüber aus, nicht Belleres mittheilen zu fönnen. „OD! was glauben Sie‘, rief Leitocq, „die Yeußerungen diejes Lapuchin find unbe: zahlbar, verlaffen Sie ſich auf mich, ich werde aus den: jelben einen Strid drehen, an dem ich ale meine Geg⸗ ner aufhängen kann.“

Er eilte zur Czaarin und theilte ihr mit, Lapuchin habe dem Lieutenant Berger in Gegenwart des Capi— tains Falkenberg ausgeplaudert, daß eine weitverzweigte Verſchwörung gegen das Leben der Czaarin und zum Umſturz der gegenwärtigen Regierung beſtehe, deren Haupt kein Geringerer als der ehemalige öſterreichiſche Geſandte Botta ſei, deſſen Abreiſe das Complott für den Moment lahm gelegt habe, daher noch Zeit ſei einzuſchreiten und ſich der Schuldigen zu bemäch— tigen. Eliſabeth ſah jetzt in der That ihren Thron in Gefahr und ertheilte auf der Stelle die Befehle, welche Leſtocq als nothwendig hinſtellte. Von neuem trium— phirte der intriguante Franzoſe, mit einem Schlage hatte er Oeſterreich und die Beſtuseff verdächtigt und

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noch überdies der Kaiferin ihre beiden verhaßten Neben: bublerinnen in die Hände geliefert.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Auguft 1745 wurden Frau von Lapucin und ihr Sohn Iwan ver— bafte. Am folgenden Tage nahm man die Gräfin Beituseff nebit ihrer Tochter auf einem zwilchen Peter: bof und der Hauptitadt gelegenen Landgute gefangen. Die Hofdame Fräulein von Lapudin, welche ein Yieb- ling des Thronfolgers war, wurde, als fie mit ihm in einem Wagen vorfuhr, unter dem Vorwande, daß ihre Mutter plöglich auf den Tod erkrankt ſei und fie zu jehen wünſche, in einen anderen Magen gelodt und zu den übrigen Verhafteten in das Palais gebracht, welches die Czaarin als Großfürftin bewohnt hatte. Später führte man Frau von Lapudin, ihren Sohn und die Gräfin Beituseff auf die Feitung ab, während man ihren Töchtern in den Häufern ihrer Eltern Arreſt gab.

Eliſabeth jubelte, daßfie endlich einen gegründeten Vorwand hatte, ihre beiden Nebenbuhblerinnen zu ver: derben. „Nun wird wohl bald Niemand daran zwei— feln, daß ich die jchönfte Frau Rußlands bin“, jagte fie zu Leftocq, „ich werde dafür forgen, daß man in Zukunft die Frage diefer Lapuchin nicht mehr bewun— dert, fondern mit Abjcheu betrachtet. Rache it auch

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Wolluſt und fein Genuß der Liebe kommt jenem gleich), eine Feinde auf Gnade und Ungnade fih überliefern zu jehen.” Eben hatte fie den Ukas unterzeichnet, welcher die Unterfuchungscommiffion in der jogenannten Botta’- ſchen Verjchwörung zufammenberief und zu Mitgliedern derfelben den General Usakoff, Leſtocq und Trubetzkoi, welche der gemeinfame Haß gegen die Bejtusefj wie der vereinigt hatte, und den Staatsrath Dimidoff er: nannte, als Alexis Raſumowski eintrat. Elijabeth zeigte bei jeinem Anblid einige Verlegenheit, denn fie hatte wieder einmal gehandelt, ohne, wie fie es verjprochen, vorher jeine Meinung einzubolen. Um jeinen Vorwürfen zuvorzufommen, begann fie ihrem Gemabl von der ent- dedten Verſchwörung und den getroffenen Maßregeln, al3 von etwas, was ſich von ſelbſt verftände, zu er zählen. Raſumowski hörte fie an ohne eine Miene zu verziehen. „Sch fürchte nur“, fagte er dann, „daß Sie wieder übereilt gehandelt haben, Majeſtät, das ganze Complott eriftirt, wie mir febeint, nur in dem Koyfe des geheimen Rathes Lejtocq, der, wie wir alle wiljen ein erbitterter Gegner der Beſtuseff's ift.”

„Wie Du ihr Freund, Rafumowsti”, fiel die Gzaarin ein, „ich aber will unparteiifch fein und Keinen von Euch glauben, jondern die Sache unterjuchen laſſen und dann jtrenge Gerechtigkeit üben.“

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„Das gebe Gott“, entgeqnete Raſumowski, „aber ich weiß, daß Sie in diefer Angelegenheit nicht unbe: fangen, nicht gerecht fein können, Majeftät, ich weiß, daß die Gerechtigkeit diesmal der Rache ihr Schwert leihen muß und fehe mit Bedauern voraus, daß diejer Prozeß fein anderes Ergebniß haben wird, als die Majeftät neuerdings in den Augen des Volkes herab- zuwürdigen.“

„Was wünſchen Sie alſo“, ſprach Leſtocq, „wenn Jemandes Stimme gehört werden muß, ſo iſt es die Ihre.“

„Ich beſorge, daß man durch die Folter den An— geklagten Geſtändniſſe erpreſſen und ſie dann für Ver— brechen, welche ſie nie begangen haben, auf das Schaf— fot ſenden wird“, entgegnete Raſumowski.

„Sie nehmen alſo für dieſe Verräther Partei“, rief Eliſabeth ärgerlich.

„Im Gegentheil“, ſprach Raſumowski, „ich habe nichts im Auge als Ihren Vortheil, Majeſtät, ich möchte Sie nicht durch einen blutigen Akt grauſamer Cabinetsjuſtiz vor ihrem eigenen’ Lande wie vor Eu— ropa gebrandmarkt ſehen.“

Genügt es Ihnen“, ſagte die Czaarin nach eini— gem Nachſinnen mit einem eigenthümlich lauernden Blick, „wenn ich Ihnen verſpreche, den Schwur, den

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ich bei meiner Thron bejteigung getban, zu erfüllen und den Angeklagten, ihre Schuld möge noch jo groß jein, das Leben zu ſchenken?“

„Rein, Majeftät, ich verlange mehr”, antwortete ibr Gemabl, „ich beichwöre Sie, die Angellagten nicht auf der Folter befragen zu laffen, man würde jonft jagen, daß fie unfchuldig find und nur durch Qualen, die fein Menſch und vor Allem feine ſchwache, zarte verwöhnte Frau zu ertragen im Stande ijt, zu Hochver: räthern geitempelt würden.”

„sh gebe Ihnen alſo mein heiliges Wort”, ſagte die Gzaarin, „daß die Angeklagten weder gefoltert noch bingerichtet werden jollen. Sind fie jeßt zufrieden ?“

„Ja, Majejtät, gab Raſumowski zur Antwort, ſowie ich es immer bin, wenn ich Sie gerecht und milde finde.“

Als ihr Gemahl fie verlajfen hatte, jchlug die Czaarin ein lautes dämoniſches Lachen auf, diesmal hatte das rahfüchtige Weib den Elugen Mann doch über: liftet, denn fie dachte von Anbeginn nicht daran, Frau von Lapufchin und die Gräfin Beftuseff zu tödten, je doch nicht etwa weil fie zu milde, ſondern weil fie zu graufam war. Gie hatte ihren Opfern eine ganz an: dere enpfindlichere Strafe zugedacht, nicht die Monarchin wollte Vergeltung üben, fondern das in feiner Eitelkeit beleidigte Weib, |

Sünfzehntes Kapitel.

_—_-

Die peinlidhe Frage.

Die Unterfuhungscommiffion begann fofort ihre TIhätigfeit. Gleich in den criten Verhören befannten die Angeklagten freiwillig Alles, was man ihnen wirklich zur Laſt legen konnte, fie läugneten weder, daß fie die Kaiferin und ihr zügellojes Privatleben bei verfchiedenen Anläffen ſcharf und rückſichtslos getadelt, noch auch, daß fie die Ausschreitungen ihrer Günftlinge bitter beflagt und bejpöttelt hatten. Sie geftanden ferner, daß fie unter fich wiederholt das allgemeine Mißvergnügen und Verlangen, die frühere Regierung wicder hergeftellt zu jehen, befprochen und al3 die Urjache dejjelben die Theilnabmlofigfeit der Monarchin gegen alle öffentlichen Angelegenheiten und die daraus ent- Ipringenden Uebergriffe ihrer Minifter und Diener

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bezeihnet hatten. Jeder, mit dem fte darüber je ein paar Worte gewechſelt, wurde ſofort eingezogen. Nie: mand füblte ich bald mebr in Petersburg ſicher. Troß dem Terrorismus jedoch, den Diefe neue Inquifition, Leſtoca an Ver Erige, übte, fam man mit der Ange legenbeit nit vonwärts, fo daß der vor feinem Mittel zurüdisbeuende Franzoſe die Gzaarin drängte, im Ge beimen die Angeklagten auf der Folter befragen zu lasten.

Cliſabetb blieb nun zwar feſt dabei, ihr Raſumowski gegebenes Wort zu bulten, aber fie jann nach, wie ie daftelbe umgeben könne und fagte plöglich zu Leſtoch, „ich bab’ es, laſſen Sie nur mich machen, ich werd diefe Elenden ſchon zum Gejtändniß bringen.“

Am folgenden Taae, aegen Abend, trat ein Off: cier in das Gefänaniß des jungen Jwan Lapuchin, lieh denjelben in Ketten jehließen und in einen bereit gr baltenen verdedten Schlitten bringen. Nach einer furzen Fahrt itiegen fie im Thorwege eines dem Ge fangenen vollfommen fremden Gebäudes ab und Kr DOfficier führte denjelben durch einen Corridor und eine Reihe von Zimmern in ein kleines mit behaglicer Pracht eingerichtetes Gemach, in welchem er ihn warten hieß. Zuerſt erfchien ein alter Diener, welcher ibm die Ketten abnahm, dann trat aus dem Nebenzimmer

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eine hochgewachſene Dame in einen großen ſchwarzen Seidenmantel gehüllt und dicht verjchleiert, jo daß nur ein paar große gebieterische Augen ihm aus den dichten Hüllen entgegen bligten.

„Du haft die Prüfungen, melde das Schidjal über Dich verhängt bat, bisher jo jtanphaft ertragen, mein Freund“, begann die Dame, jich in einem Lehn— ftuhl niederlaffend, „daß wir Dir volllommenes Ber: trauen ſchenken fünnen. Erfahre denn, daß auch id) der weitverzweigten Verſchwörung gegen die beitehende Regierung angehöre, welche überall Anhänger zählt; auch der Officier, der Dich hierher bradite, gehört zu uns. Du bijt frei, frei durch ung, aber wir hoffen, daB Du Deine Freiheit zu feinem anderen Zwecke be: nußen wirt, als uns beizuftehen, dieſe graujame Tyrannin, welche auf dem Throne Rußlands figt, zu ſtürzen.“

„Aber ich weiß ja von nichts“, erwiderte der junge Lapuchin naiv, „und ich will auch von nichts wiſſen. Ich habe Angſt genug ausgeſtanden in meinem Kerker. Auf mich zähle man ja nicht in dieſer verderb— lichen Sache.“

„Aber Deine Mutter iſt, wie Du weißt, bei dem Complott“, ſagte die Verſchleierte raſch.

Sacher⸗Maſoch, ein weiblicher Sultan. II. 13

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„Möglich“, erwiderte Lapudin, „aber: ich, zweifle daran.“

„Hat fie nicht bei jeder Gelegenheit Die Czaarin geſchmäht?“

„Allerdings, aber dies iſt noch kein Hochverrath.“

„Meinſt Du?“ ſagte die Dame. „Du billigſt es alſo, wenn man die Ehre der Kaiſerin angreift, Du haßt ſie wohl auch dieſe galante leichtfertige Frau.“

„Ich tadle nur, daß ſie ihren Günſtlingen ſo viel Macht einräumt zum Schaden des Staates.“

„Und Du verabſcheuſt ſie deshalb und findeſt ſie wohl ſogar recht häßlich, ſonſt hätte Dich ja ihre Schönheit, die man rühmt, entwaffnen müffen:“

„Auch ich finde die Czaarin Schön”, jagte Lapudin.

„Auch begehrensmwerth?" fragte die Werfchleierte raſch.

„Gewiß.“

„Du wärſt alſo nicht ſo unzufrieden, wenn Du einer ihrer Favoriten wärſt?“

„O! gewiß nicht, ich wäre ſogar ſehr glücklich.“

„Weshalb haſt Du ihr alſo nie geſagt, daß ſie ſchön iſt, daß Du glücklich wärſt, ihre Gunſt zu be— ſitzen?“ fuhr die Dame fort.

„Ich hatte keine Gelegenheit“, erwiderte Lapuchin.

„Nun ſo ſage es ihr jetzt“, rief die Dame und

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varf zugleich Mantel und Schleier ab. Lapuchin ſtieß inen Ruf der Ueberraſchung aus; vor ihm ſtand die Haarin in berückender Schönheit, wie er fie noch nie jeſehen, ein filbergrauer Seidenrock floß von ihren Httften bis zur Erde nieder, eine ea Zac die * Pracht ihrer marmornen Püfte und ihre Arme. Sie lächelte und bot ihm die ſande „Nut, Du ſcheinſt cher erſchteckt als erfreut, 'apuchin.“

„Ich weiß nicht, was ich denken fol”, ftammelte er Züngling in unbefchreiblicher Verwirrung.

„Du ſollſt denken, daß ich Dir wohl will“, er- viderte die Czaarin, „und daß Dir ein Glüd winkt, vie nur wenigen Sterblichen, aber Du mußt‘ Dich deiner Monarchin atih dankbar zeigen für die Gunft, te fie Dir fchenttt” und auf der Stelle Alles jagen, 23 Du von dem Complotte Deiner Mutter und der zräfin Beſtuseff mit dem Matauis von Botta’ weißt nd“ bis jege' verfähtviegen haft.”

„Ich habe’ nichts verſchwiegen, Majeftät”, ſagte apuchin, deſſen Stimme zitterte!

„Du furchteſt, Dein Geſtändniß könne auch Did VE Verderben ziehen“, fiel die Kaiferin lebhaft ein, ich ſichere Dir vollfommene Steäflofigteit Kir auch

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Deiner. Mutter, aber dafür verlange ich, daß Du ſonſt Niemand ſchonſt.“

„Aber Majeſtät, ich ſchwöre, daß ich Alles, was mir bekannt geworden iſt, bereits freiwillig ausgeſagt habe“, gab der arme am ganzen Leibe bebende junge Mann zur Antwort.

„Du irrſt Dich, wenn Du annimmſt, daß Dir Deine Hartnäckigkeit etwas nützt“, ſagte die Kaiſerin, indem fie die ſchönen Brauen unheildrohend zuſammen- zog, „wenn ich ſehe, daß meine Güte an Dich ver: jchwendet war, ftehen mir noch andere Mittel zu Ge bote, Dir die Zunge zu löjen.”

„Mein Gott, ich habe ja wirklich nichts weiter zu geſtehen“, jtammelte Lapuchin.

„Du willſt alſo Strenge ſehen?“

„Majeſtät, ich beſchwöre Sie —“

„Geſtehe —“ ſchrie ihn die ſchöne Frau an, in— dem ſie gebieteriſch auf ihn zutrat.

„Ich weiß von nichts —“

„Nun wir werden ſehen.“ Die Czaarin ſchlug die Portiere zurück und winkte dem Henker, der mit ſeinen Knechten hinter derſelben bereit ſtand. „Hier iſt ein Vogel, dem Du die Zunge zu löſen haſt“, ſcherzte ſie grauſam, „bemächtige Dich ſeiner.“ Die Knechte ergriffen Lapuchin und banden ihn, dann

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warf der Henker dem Unglüdlichen eine Schlinge um den Hals und jchleifte ihn jo aus dem Zimmer in den neben demſelben befindlichen Gerichtsfaal, in welchen, an einer langen Tafel figend, die Unterfuchungs= commilfion ihn erwartete. Die Gzaarin folgte.

„Seitatten aljo Ihre Majeftät ung jegt, ihn auf der Folter zu befragen?“ begann Leſtocq.

„Nein“, erwiderte die Czaarin raſch, „aber e3 giebt noch andere Mittel.”

„Welche, Majeſtät.“

„Die Knute.“

„Daran haben wir wahrhaftig nicht gedacht“, ſagte Trubetzkoi.

„Aber ich“, lächelte Eliſabeth, „man ſoll ihn ſo lange peitſchen, bis er Alles geſteht.“ |

„Srbarmen, Majeftät”, flehte Lapuchin, fich ihr zu Füßen werfend, „ich weiß nichts, ich habe Alles ge: fanden, ich bin unfchuldig.” Die Czaarin blieb in- deß duch fein Bitten und Weinen ungerührt und winkte dem Henker mit der peinlichen Frage zu beginnen. Seine Knechte hoben Lapuchin auf und hingen ihn mit nach oben ausgerenkten Armen an den Balken, der font bei der Folterung benußt wurde, der Henker trat hierauf, die Knute in der nervigen Hand, hinter

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ihn und bieb ihm über den Rüden. Lapushin jeuft: auf.

„Beſſer, Väterchen, beſſer“, rief die Czaarin, welche auf einem Stuhl in der Nahe Platz genommen hatte. Die Hiebe fielen nun raſch und ohne Exrbarmen.

„Was haben Sie noch zu geftehen gu befragte Trubegtoi den Angeklagten.

„Nichts, als was ich bereits bekannt“, wimmerte dieſer.

„Erinnern ſie ſich keiner weiteren Momente, die Mitſchuld des Marquis Botta betreffend?“ rief Leſtocq.

„Rein.“

Der Henker ließ die Knute weiter arbeiten.

„Gnade“, jammerte Lapuchin, „ich weiß nichts, al3 was bereits niedergeſchrichen it, ſollte ich Fremde ſchonen, nachdem ich meine Mutter ſo ſchwer angeklagt habe? Bedenken Sie dies doch und üben Sie Gnade! Trubetzkoĩ blickte auf die Czaarin, welche jedoch meiter zu peitſchen befahl. Sri, nach dem Lapuſchin bei j fünfjg Knuten hiebe erhalten hatte und bei ſeiner Ausſage ge blieben war, befahl ſie einzuhalten und ließ ihn los⸗ binden. Der Unglüdlich ſank ohnmächtig zur Erde und wurde jo in jeingn Kerker zurüdgebracht. Nun wurde ſeine Mutter, Frau pon Lapuchin hereingeführt. Die Czaarin ließ erſt einige Zeit ihre Augen mit grau:

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jamen Hohn auf ihrer unglüdkichen Nebenbublerin haften, dann 'befahl fie laut Diefelbe an den entſetz— tichen "Balken zu hängen nınd unter der Knute zu be: fragen. Schon hing Die arme Grau, ein Opfer ihrer Schönheit, an dem Marterpfahl, ſchon hob der Henfer Die Knute, aber fie blieb feft und erwiderte auf die Frage des General-Brocurators: „Man Tönne ſie in Stüde reißen, aber fie werde doch nie an ſich ſelbſt zur Lügnerin werden und mehr eingeſtehen als fie ge— than oder als ſie wüßte.“

Ihre bewundernswürdige Feſtigkeit ſchien ſogar der Kaiſerin zu imponiren, denn auf ihren Wink wurde Frau Lapuchin wieder losgebunden, ohne daß fie von der Knute berührt worden wäre. In gleicher Weiſe wurde die Gräfin Beſtuseff verhört und als ſie gleichfalls unerſthrocken bei ihren früheren Ausſagen blieb, ebenſo wieder losgelaſſen.

Der Prozeß nahm hierauf ſeinen Fortgang. Leſtocq war es vor Allem darum zu thun, den öſterreichiſchen Geſandten Marquis Botta als das Haupt der Ver— ſchwörung hinzuſtellen, um die äußere Politik der Kaiſerin ein für alle Mal an das Intereſſe Frankreichs zu fejjeln. Man legte es den Angellagten nahe, daß fie jelbjt umjomehr auf Schonung rechnen könnten, je mehr jie Botta-al3 den Haupturheber aller Umtriebe

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bejchuldigten und jo gelang es, fie endlich zu dem Ge- ftändniß zu bewegen, daß der öſterreichiſche Gejandte fie zur Befreiung der Verbannten und zum Umfturz der beſtehenden Regierung aufgefordert habe. Dagegen blieb der Verſuch Leſtocq's, die Beituseffs zu com— promittiren, erfolglos. Alle Angeflaaten erflärten, daß fie weder dem Minifter noch dem Oberſthofmarſchall Beftuseff je Mittheilungen von ihren Plänen gemadt. ALS Leftocqg fih dennoch nicht abhalten Tieß, alle Papiere des Oberſthofmarſchalls zu verfiegeln, diente dies erſt recht dazu, die Unfchuld deſſelben in das vollſte Licht zu feßen.

Als alle Mittel, weitere Nefultate zu erpreflen, erichöpft waren, berief die Kaiſerin ein großes Confeil, um das Urtheil zu fällen. Dafjelbe lautete auf Tod dur das Rad. Ein Manifeit erklärte die Frauen Lapuchin und Beituseff als Hochverrätherinnen, melde mit Hilfe des Marquis Botta das ganze Volk zur Rebellion fortzureißen gejucht hätten.

Die Kaiferin ſchenkte ſämmtlichen Angeklagten das Leben und beanadigte fie zur Knute.

Sechszehntes Kapitel.

Inter der Knute.

Am Abend, bevor das Urtheil an ihren beiden Nebenbublerinnen vollzogen werden follte, wurde der Henker in das Boudoir der Czaarin bejchieden. De— mütbig trat der finjtere Mann ein und warf fich vor der Monarchin, welche nachläffig in einem Lehnſtuhl in der Nähe des Kamins rubte, auf die Kniee.

„Du wirft morgen die Lapuchin knuten“, begann die jchöne, graufame Defpotin mit eis nenn Metaillon spielend, das ihr um den Hals hing.

„Ja wohl, mit Gottes Hilfe, Mütterhen Ca: rewna“, ermwiderte der Henker mit einem tiefen Seuf: zer, und als Elifabeth, der jeine Nähe doch etwas unheimlich zu fein fehien, den Fuß vor ihm zurüdzog,

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füßte er die Stelle, wo derfelbe den Boden berührt batte.

„Du bift ein Meifter deines Handwerks“, fuhr die Kaiſerin fort.

„gu viel Gnade“, betbheuerte der blutige Mann mit einem Lächeln, das bewies, daß auch Seines— gleichen fich gejchmeichelt fühlen könne.

„Du baft bei jenem Elenden, Paulow, meine Befehle prächtig zu vollziehen veritanden —“

„Run, man giebt fi ja in einem jolchen Falle alle ervenklihe Mühe“, murmelte der Künftler auf der Knute.

„Rimm Dich alfo morgen zufammen”, jagte die Szaarin im Flüftertone, al3 hätte fie Urſache in die jem Augenblide von Niemand gehört zu werden, „8 gilt dein Meifterftüd, Diefe Lapuchin ift nict allein eine DVerrätherin und Rebellin am Reiche, ſondern zugleich meine größte Feindin, Dennoch darf fie nicht jterben. Sie joll alle Qualen leiden, die Du fähig biit ihr zu bereiten —“

Der Henker nidte.

„And“ die in ihrer Eitelfeit beleidigte Frau zögerte zu vollenden, „und für ihr Leben entitellt werden ; vor Allem riihte mir ige hübſches Geſicht jo zu, daß es fortan nur noch einer Gulenfrage gleidt.

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Verſtehſt Du, aber gieb ſchön Acht, daß Du fie nicht tödteſt.“

„Ja, ja, Mütterchen, ich verſtehe“, nickte der blutige Mann mit einem beſtialiſchen Grinſen, „ſie ſoll zugerichtet werden, daß Du Deine aufrichtige Freude daran haſt.“

Eine Rolle Goldes flog dem braven Manne zu, der ſo gut auf die Intentionen ſeiner Gebiete— rin einzugehen verſtand, er fing ſie mit beiden Hän— den auf, küßte noch einmal die Fußtapfen der Czaarin und ſchlich dann leiſe aus dem Gemach. Die Kaiſe— rin blieb ſinnend zurück, das ſchöne Antlitz von einem ſeltſamen Vergnügen erhellt.

Sie ſtand an ihrem Ziele. Noch ein Tag, dann konnte ihr Niemand mehr ſtreitig machen, daß ſie die ſchönſte Frau Rußlands war, denn nicht den Hoch— verrath wollte ſie bei Frau von Lapuchin ſtrafen, nur das Verbrechen, ihr den Rang der Schönheit ſtreitig gemacht zu haben. |

Am folgenden Morgen erwachte die Czaarin um vieles früher als jonft, fie konnte das entjegliche Schauſpiel offenbar nicht erwarten, und Fleidete ſich mit bejonderer Sorgfalt, denn jie wollte in dem Augen: blide, wo fie von ihrer verhaßten Nebenbublerin ber

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freit wurde, in ihrer vollen beraufchenden Schönheit und imponirenden Majeftät erjcheinen. |

ALS ihre Toilette beendet war, ließ fie Rafumomwsh rufen und fragte ihn, ob fie gut ausfehe. „Entzückend“, gab ihr Gemahl zur Antwort. =

„Es ift Zeit”, jagte fie jet auf die Uhr blidend, „gehen wir.” |

„Verzeihe mir, daß ich Dich bitte, mich der Theilnahme an diefem traurigen Akte zu entbeben“, erwiderte Raſumowski. Clifabeth biß ſich in die Lip: pen, zudte die Achjeln und begab ſich ohne ibn auf die Richtitätte. Dem Senatsgebäude gegenüber war } ein Gerüft aufgefchlagen, um welches Grenadiere ein Carré bildeten. Eine große Menge Volkes und Neu: gieriger aus allen Ständen füllte den Platz. Die Kaiferin felbit Jah von einem Fenjter des Senats: gebäudes zu. Die DVerurtheilten, Frau von Lapudin, ihr Gemahl Generallieutenant Lapuchin, ihr Sobn Swan, die Gräfin Beltuseff, die Gardelieutenants Moskow und Fürft Butätin und Staatsrath Sibin famen in offenen Wägen von Cüraffieren eScortirt an und wurden in das Carré geführt. Am Fuße des Gerüftes la8 man ihnen das Urtheil vor. Sie waren jämmtlic zum Tode verurtheilt, zur Anute und Ver: bannung begnadigt; den erften Vier ſollte außerdem

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noch die Zunge ausgeriffen werden. Alle hörten das graufame Schidjal, das über fie verhängt war, mit einer Art Apathie an, nur Frau von Lapudin ſeufzte einmal auf. Sie wurde zuerjt von den Henfersfnech- ten ergriffen, bis zu den Hüften entblößt und auf das Gerüft geführt, wo man fie an den furcdhtbaren Marterpfahl band.

„Herr erbarme dich meiner“, murmelte fie, dann begann die Knute zu arbeiten.

Anfangs zeigte die unglüdlihe Frau eine jeltene Feftigfeit, al3 aber die Hiebe des Henkers erbarmungs: [03 ihre zarte Bruft, ihren Hals und ihr Antlig trafen, begann fie erft zu zittern, dann zu weinen und endlich laut und herzzerreißend zu jchreien. In diefem Augen blid überflog ein Lächeln die falten Marmorzüge der Czaarin und während die wahnfinnigen Schmerzen: töne ihre Opfers ihr Ohr angenehm Fißelten, zählte fie jelbftvergnügt die Hiebe und jedesmal, wenn der Henker wieder das Antlig der unglüdlichen Lapuchin traf, wendete fie fich lebhaft zu ihrer Umgebung und tief laut: „Das war gut.”

Zulegt riß der Henker Frau von Lapuchin noch die Zunge aus und dann wurde die einjt jo reizende Frau, mit Blut hedeckt, zu einem Scheujal veritüm- melt vom Gerüfte herabgetragen. Nach ihr wurde die

206 Gräfin Beſtuseff auf das Gerüſt geführt. Mährend der Henker: fie am den Pfahl feſſelte; ſagte fie leiſe zu ihn: „Wenit“ Dr mir nie die Spitze der Zunge abſchneideſt, jo ſollſt Du fniferli belohnt werden.”

Wirklich ſchnitt ihr der Henker, nachdem fie ge: peitfcht worden, nur die Zungenfpige ab‘ und als fie aus der- Ohnmacht, im der man’ fie in den’ Wagen zurüdgebracht, erwachte, drüdte fie ihm’ ein koſtbares mit Brilfanten befegtes Goldkreuz in die Hand, das fie" bisher" an ihrer: Bruft verborgen hatte!

Nun erhielten: die Uebrigen die Knute. Di Czaarin hatte ſich vom Fenfter zurüdgezogen, offenbar unterhielt fie die Erecution’ weiter nicht. Als aber der junge: Lapuchin, deffen: kaum geheilte Wunden durch' die Knute von’ Neuein aufgeriffen wurden, laut um Erbarmen flehte und’ gleich einem wilde Thiere‘ jhrie, beugte‘ fie: ſich neuerdings heraus und verwandte fein Auge! von dert Unglüclicher: bis er bewüßtlos zir jammenbradj:-

Jetzt erft war ihre Grauſamkeit vollkommen ger jättigt, das eitle rachfüchtige‘ Herz’ des beleidigten Weibes befriedigt" und fie’ kehrte mit ihrem Hof in den: Pafaft zuriid; um vergnügt' und mit’ ungewöhn⸗ lichem Appetit zu Mittag zu fpeifeit.

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Die unglüdlidien: Opfer ihrer Tyrannei und Ei— ferfucht wurden nach der Eretution in ein zehn Werſt von Petersburg gelegenes: Dorf gebracht, wo es ihnen geſtattet wurde, ſich von ihren’ Kindern zu! verabfchte: den, Dann ſetzte man ſie zu zwei umd zwel' ir verdeckte Schlitten und führte fie in das Eril ab.

Det ganze Prozeß: hatte eigentlich“ nur’ dazu ge dient, dem Haffe Elifabeth3 gegen ihre beiden Neben: buhlerinnen⸗ Genüge zu thun, die eigentlichen Intri— guanten bei der ganzer Sache, Leſtocq und der Generalprocurator verfehlter ihren Zweck vollſtändig. Ihnen war es in erfter Linie darum zu’ ıhun, die Brüder’ Beftusceff zu verdächtigen und ſo einen Vor: wand” zu finden, fie zu ftürzen, und in zmeiter Linie die Zerreißung des freumdfchaftlichen Bandes, welches den Petersburger Hof’ mit dem Wiener vereinte. As’ fie ſich nach beiden Richtungen in ihren Erwar— tigen getäufcht' ſahen, blieb ihnen nichts übrig, als‘ die: Schuld’ der Angeklagten durch‘ die’ ftrengften Ur: theile wider diejelben in’ den’ Augen’ der Welt ſo hoch als nur möglich: hinauf zw fchrauben. Friedrich der Große beeilte ſich jelbftverftändlich für” fih aus‘ der fogenannten Botta’fchen Verſchwörung Capital’ zu \hlagen. Sein Gejandter an dert ruffiichen Hofe, Freiherr bon Mardefeld‘, machte der Czaarin die Er—

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Öffnung, daß fein König, ohne die Mittheilung der Akten des famoſen Prozeſſes abzuwarten, dem Marz quis von Botta „aus Achtung für Ihre Majeſtät die Kaiſerin“, jeinen Hof verboten babe, Auch habe man Botta zu veritehen gegeben, er möge, um Friedrid diefe Mühe zu erjparen, ſelbſt um jeine Abberufung einfommen. Dies ſchien jedoch nicht genug, denn nicht lange darnach meldete der ruffiche Gefandte am preu— fifchen Hofe, Cernicew, Friedrich der Große habe ihm in einer vertraulichen Unterredung den Auftrag ertheilt, der Czaarin zu melden, es unterliege feinem Zweifel daß der Marquis von Botta bei dem Plane, F

genwärtige Regierung in Rußland zu ftürzen, n nach der ausdrücklichen Borjchrift feines Hofe! gehandelt habe. Der König fünne daher, bei feinen aufrichtigen und treuen Freundſchaft für die Czaarin,) derjelben nur den Rath geben, um auch die legten | Funken der noch unter der Aſche glimmenden Gefahr‘ zu eritiden, den zu Dünaburg eingeferferten Prinzen | Swan, jowie defjen Eltern, noch weiter in das Innere des Neiches bringen zu laffen und zwar an einem ſo | entfernten Drt, daß Niemand mehr etwas von ihnen | zu hören befomme.

Auf dieſe Weife hoffte Friedrich der Große, | der ein ebenfo guter Diplomat als General war,

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die Kailerin von Rußland für immer von der öfter: reichifchen Politik zu trennen und fich ſelbſt bei ihr einzujchmeicheln.

Sein Schachzug hatte indeß nur den einen Er: jolg, daß die Mutter des Prinzen Swan, die ehemalige Regentin und der Gemahl derjelben, zuerft von Dünaburg” nah Dranienburg im Gouvernement Woronefh und fpäter nach Kolmogory bei Ar: hangel gebracht wurden, während der Kleine Kron— prätendent jelbft in der Feſtung Schlüffelburg ge: fangen "gehalten wurde. Um jede Erinnerung an ihn zu vernichten, befahl die Kaiferin im ganzen Umfange des Reiches die bei den“ Behörden niedergelegten ſchriftlichen Gidesleiftungen, mit de: nen man Iwan jeinerzeit gehuldigt, öffentlich zu verbrennen.

Maria Therefia, welche von den hinterliftigen Sntriguen des Verfaffers des „Anti: Mackhiavelli in Petersburg Kenntniß hatte, zeigte fich Dies: mal nicht minder klug als ihr großer Gegner. Sp ſehr fie fonft jede Ungerechtigkeit von fich ferne zu halten fuchte, opferte fie diesmal ihre perjün- lihen Gefühle volllommen den Intereſſen ihrer Länder. Obwohl fie von der Unfchuld ihres Ge:

iandten überzeugt war, ließ fie ihn daB Schloß Sacher-Maſoch. Ein weiblider Sutan. II,

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su Grag in Haft bringen und jchrieb der Gzaarin, fie übergebe denſelben volltommen ihrem Richter: joruche, nur von ihr habe er Gnade oder Ungnade su erwarten.

Ein Jahr jpäter erklärte die Königin von Böhmen und Ungarn neuerdings in Petersburg dur den Mund ihres neuen Botjchafters Gra— fen von Rofenberg, daß fie das Benehmen des Generals Botta in Petersburg als ein „verab: ſcheuungswürdiges Verbrechen verurtbeile” und ftellte jein ferneres Schickſal ganz dem Belieben der Kaiferin Elifabeth anheim. Die Czaarin hatte fih edoch indeß volllommen beruhigt und ermwiderte „daß fie die ganze Sache in gänzliche Vergeſſenheit ſtelle und über bejagten Botta aus Faiferlicher Gnade feine Ahndung, noch etwas Uebles mehr verlange, fondern deſſen Freilaffung allein dem Gutbefinden der Königin von Böhmen zu überlaffen geruhe,“ worauf der General, Marquis von Botta, fofort aus feiner Haft entlaſſen wurde.

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Ende des zweiten Bandes.

Drud von Richard Schmidt in Reubnigskeipzig.

Fin weiblidher Sultan.

——

Dritter Band. ——

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Derlag von Georg Frovcen & Cie, in Dern:

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Saher-Mafod, Das Vermächtniß Kain’s. Zweiter Theil: Das Eigenthbum 2 Bände von je 32 Bogen.

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Ein weiblicher Sultan,

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Hiftorifher Roman

von

Sacher-Waſoch.

Dritter Band. Menue Ausgabe.

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BETT, Georg Frobeen & Cie. 1371.

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kiſabeth und Friedrich der Große.

Sacher⸗Maſoch, Ein mweibliger Sultan. III, 1

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Erites Kapitel.

Intriguen.

Für den Augenblid fchien allerdings in Folge der ſogenannten Botta’fchen Verſchwörung und des Prozeſ— ſes Lapudin die Kaiferin gegen den Wiener Hof ver- ſtimmt und für die preußifchen Intereſſen gewonnen.

Leftoig errang nämlich in der nächiten Zeit zwei Erfolge gegen Beitugeff, welche durchaus nicht zu unterfchägen waren. Zuerſt gelang es ihm, die Czaa— tin zu bewegen, daß fie den Wunſch ausfprach, den Marquis de la Chetardie wieder als Vertreter Frank: teihd am ihrem Hofe zu ſehen. Da diejer fchlaue Diplomat e3 wie fein zweiter verftanden hatte, fich bei ihr beliebt zu machen, jo daß fein Einfluß auf fie ein ſehr großer war, gab feine Rückkehr nach Petersburg der ruffifchen Partei gegründeten Anlaß zu Befürch—

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tungen, während Leſtocq fich Feine Mühe gab, feinen Triumph darüber zu verbergen.

Einen noch bedeutungsvolleren Sieg errang Le ftocqg in Bezug auf die Wahl der fünftigen Gemahlin des Thronfolgers.

Friedrich der Große war fich klar darüber, welchen Einfluß zu feiner Zeit noch die verwandjchaftlichen Be ziehungen der Höfe auf die äußere Politik derfelben üb: ten. Er war der erite Monarch, der fich von denjelben vollfommen frei gemacht hatte, aber um jo weniger zögerte er, aus denjelben bei andern Nugen zu ziehen. Sobald er erfahren hatte, daß Elifabeth fich mit der Bermählung des Großfürften Peter bejchäftige, ließ er in Petersburg alle Minen fpringen. Defterreich unterjtügte die Werbung des jächfifchen Hofes, welcher die Prinzeſſin Marianne, zweite Tochter Auguft IIL, dem ruſſiſchen Thronfolger anbot. Nichts wäre den preußifchen Jr tereffen mehr entgegen geweſen, als dieje Verbindung. Leſtocq intriguirte indeß für den König von Pre Ben und mit fo viel Glüd, daß die Gzaarin nun die ältere Schwefter Friedrich des Großen Louiſe Al⸗ rife in’3 Auge faßte. Dies war jedoch) weit mebr als Friedrich zu erreichen wünſchte, er war durchaus nicht geneigt eine preußiſche Prinzeſſin zu opfern, um eine ſächſiſche auszuftechen, Er beeilte fich daher det

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Czaarin die Prinzeſſin Sophie Auguſta Friederike von Anhalt-Zerbſt, die ſpätere Kaiſerin Katharina II. von Rußland, zu empfehlen.

Dieje damals noch nicht fünfzehnjährige Brinzeffin Ihien ſowohl den Abjichten Preußens als Rußlands in jeder Beziehung zu entfprechen. Ihr Vater war preußijcher General und Commandant von Stettin, fie jelbit befand fich eben mit ihrer Mutter, Johanna Eli- jabeth, geborene Prinzefjin von Holftein und Schwe— ter des ſchwediſchen Thronfolgers, einer ebenſo geift- reihen als intriguanten Frau, an dem Berliner Hofe zu Beſuch.

Im geheimen Auftrage des Königs von Preußen teilte der Bruder der Herzogin, Friedrih Auguft, nad) Petersburg. Seine beite Waffe war ein von dem be- rühmten Maler Pesne gemaltes Portrait der bildjchö- nen Prinzeſſin. Zuerſt gelang es ihm durch dasjelbe jeinen Neffen .dven Großfürften Thronfolger vollkom— men zu bezaubern, dann verjuchte ‚er fein Glüd bei der Kaiferin und auch diefe wurde von dem reizenden Abbild der Prinzeffin von Anhalt-Zerbft, ganz fo wie es der König von Preußen erwartet hatte, beitochen, und als der Diplomat Amors die vortheilhafteite Schil: derung des Weſens und der Anlagen feiner Nichte binzufügte, entjchied fich Elifabeth rafcher als man er-

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wartet hatte für diejfelbe, umfomehr als der preußiice Gejandte, Baron Mardefeld, den ohnehin mit den preu— Bilchen Intereſſen eng verfnüpften Leitocq durch eine bedeutende Geldfumme bewogen hatte, die ganze Ge walt, welche er jegt wieder über die Czaarin hatte, zu Gunften diefer Verbindung aufzubieten.

„Sch babe es für das Beite gehalten”, ſagte die Czaarin zu ihrem Minifter Bejtuseff, als fieihn von der getroffenen Wahl unterrichtete, „eine Brinzeffin auszu— juchen, die protejtantijcher Religion ift und Dabei aus einem zwar burchlauchten, doch jo kleinem Haufe, daß weder die anderweitigen Verbindungen desſelben, nad das Gefolge, welches fie mit fich brächte, unter ver ruffiihen Nation Aufjehen oder Eiferfucht erregen fönnten. Diefe Erforderniffe vereinigen fich bei fer ner Prinzeſſin befjer als der von Zerbſt, zumal da fie überdies’ ſchon durch Verwandtichaft mit dem Holfteini- nischen Haufe verbunden ift.“

Beituseff verzichtete ala gewiegter Staatsmann darauf, gegen den Entſchuß der Czaarin direct zu op— poniren, aber jein Werf war es, daß der Synod, als er wie üblich über die beabfichtigte Verbindung befragt wurde, die Erklärung abgab, diefelbe fei bei der nahen Berwandtichaft unmöglich. Auf dieſe Wen: dung war die franzöfifch-preußifche Partei allerdings

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nicht gefaßt gewejen, aber fie gab deßhalb ihren Plan durchaus nicht | auf, jondern verjuchte die Mitglieder der hohen ruſſiſchen Geiftlichkeit und insbefondere den Beichtunater der Czaarin durch Gefchenfe zu ihrer An: ficht zu befehren, was wirflich gelang.

Im Februar 1744 Fam die Prinzefin von Anhalt- Zerbit mit ihrer Mutter nad Moskau und ihrer per- jönlichen Erfcheinung, ihrer Liebenswürdigfeit und dem Zauber ihrer ungewöhnlichen Schönheit wurde «8 nicht ſchwer die legten Bedenken und Schwierigkeiten, welche noch beitanden, raſch zu bejeitigen. Die Ezaarin zeigte ſich entzüdt von ihr, während der Thronfolger ih ganz wie ein leidenfchaftlich Verliebter benahm.

Der Synod erklärte endlich die Hinderniſſe der Vermählung für „unerheblich“ und es konnte denn am 9. Juli der Uebertritt zur griechiſchen Kirche, bei dem fir den Namen Katharina Alexjewna empfing und am folgenden Tage die feierliche Verlobung derſelben mit dem Thronfolger ftattfinden. Beinahe zu gleicher Zeit hatte Friedrich der Große einen zweiten ähnlichen Er: folg davongetragen, Mit Zuſtimmung der Kaiferin von Rußland vermählte ſich der ſchwediſche Kronprinz im Auguft desfelben Jahres mit der preußiſchen Brine zeſſin Louife Ulrike zu Drottningholm.

Der Augenblid jchien günftig aus diejen Familien:

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verbindungen die politifche Summe zu ziehen. Friede rich der Große ließ daher jetzt durch feinen Gefandten der Gzaarin ein Schuß: und Trutzbündniß anbieten, aber er jollte erfahren, daß Beituseff feiter ſtand, ald alle feine Gegner dachten. Im Berein mit Aleris Raſumowski, der gleich Bejtuseff in der wachſenden Macht Preußens eine Gefahr für Rußland ſah, mußte er Eliſabeth zu überzeugen, wie wichtig es für fie ſei, fih für den Fall eines neuen Krieges nicht voreilig die Hände zu binden und jo mußte ſich Baron von Marvdefeld damit begnügen, daß der bereits beftehende Tractat zwijchen Rußland und Preußen erneuert umd eine in zweideutigen Ausdrücken abgejaßte „Garantie der preußifchen Staaten” von Seite Rußlands hinzır gefügt wurde,

Sept erjt zeigte es fich, wie vollftändig die Be mühungen Leſtocq's und jeiner Partei, Beftuseff zu jtürzen, gefcheitert waren. Sein Erfolg Preußen gegen über machte den ruffifchen Minifter kühner und fen wenige Tage jpäter, nachdem der betreffende Trartal unterzeichnet war, juchte er den Gemahl der Monat: hin, den beften Patrioten Rußlands auf, um mit ihm die Mittel und Wege zum Sturze Leſtocq's und de laChetardie's zu berathen.

Raſumowski, welcher getreu dem kleinru ſſiſchen

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Sprüchworte: „Höre viel und ſprich wenig“, den Grundſatz hatte, Andere ſich jo weitläufig als nur mög: lich ausfprechen zu lafjen, laujchte, das Kinn in die Hand geftüßt, jchweigend den Auseinanderjegungen des Minifters und begnügte jid$ als diejer zu Ende war, mit wenigen Worten. |

„Ich ſehe in der Entfernung Leſtocq's das einzige Mittel, unjere Bolitif in eine gefunde Bahn zu Ienfen, alſo zählen Cie auf mich,“ ſagte er in jeiner erniten treuherzigen Weije.

„Ich bin diesmal des Erfolges ficher,“ ermwiderte Beituseff. Unfere Gegner ſelbſt haben mir die Waffen gegen jie in die Hände gejpieit.”

„ie?“

„Durch diefen Botta-Lapuſchin'ſchen Prozeß,“ fuhr der Minifter fort, „mit dem fie uns verderben wollten und der fie jelbit an das Meſſer liefern wird.

Raſumowski ſah den Minijter zweifelnd an.

„Sie glauben, daß ich voreilig triumpbire,“ ſprach Beſtuseff, „vergefien Sie nicht, daß ich fein Pflafter Ihmierer und vor Allem fein Franzofe bin. Wir Ruf: jen haben ein beinahe unbefiegbares Mißtrauen gegen Andere und in ung felbit, und dies ift vielleicht eine unjerer beiten Eigenjchaften, denn fie bewahrt ung vor allen jenen Irrthümern und Selbfttäufchungen, denen

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Andere jo jehr ausgefegt find. Hören Sie mich aljo und entjcheiden Sie dann felbit, ob ich Urjache habe, unjere Partie für gewonnen zu halten. Gleich damals, als der Prozeß gegen vie Lapuchin's begann, holte ic, wie es in folchen Fällen üblich ift, bei Ihrer Majeſtät unferer Kaiſerin die Erlaubniß ein, alle abgebenden Briefe zu eröffnen, ſowohl jene der fremden Gejandten wie von Privatperjonen. Nachdem das Urtheil geiprochen und vollzogen war, beeilte ich mich durchaus nicht auf diefes unfchägbare Recht zu verzichten-und jo habe id jegt ein Material in Händen, das volllommen genügt, um alle unſere Berner, alle dieſe Elenden, welche un abläffig bemüht find ihre egoiſtiſchen Zwecke und Vor: theile auf Koften Rußlands zu erreichen, bloß zu und zu verderben.“

„Das wäre allerdings etwas“, gab Raſumowsli zur Antwort.

„D, es ift viel, jehr viel, was wir erzielt haben“, fagte Beituseff mit lebhafter Freude, „nachdem der Ju: ſtizrath Goldbach bereit3 vor einiger Zeit die Chiffte des früheren franzöſiſchen Gejandten d' Aillon entvedt bat, ift es ihm jet endlich auch gelungen, jene des Marquis de la Chetardie zu löfen. Der Inhalt al ler diejer Briefe wird genügen, um der Kaiferin ein für alle Mal die Augen zu öffnen und ihr zu bewei⸗

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fen, daß fie jeit ihrer Thronbejteigung bis heute immer nur der frecher und eigennüßiger Abenteurer war.”

„Wollen Sie mir Einfiht in diefe Briefe geilat- ten?” fragte der Gemahl der Czaarin.

„Hier ſind die Abſchriften“, erwiderte Beſtuseff, indem er ſich beeilte dieſelben Raſumowski einzuhän— digen. Dieſer entfaltete und las ſie, eine nach der an— deren, immer ernſter wurde der Ausdruck ſeiner ſonſt jo harmoniſchen heiteren Züge, immer unwilliger blickte ſein Auge auf die Documente. „Das ſind in der That Beweiſe, denen die Czaarin nicht Länger wider: ftehen kann“, fagte er, als er mit der Duckhficht zu Ende war. „Ich bin nicht nur bereit, Sie in diejer Sache mit allen meinen Kräften zu unterftügen, fon: dern will wenn Sie es für gut befinten auf der Stelle bei der Monarchin Gehör erbitten und ihr, im Verein mit Ihnen Herr Graf, diefe frevelhaften Pa: piere vorlegen.“

Beituseff nahm das großmüthige Anerbieten des edlen Rleinruffen mit Freude an, und eine Stunde fpäter baten fie Beide die Czaarin fußfälig, ihre Anklage gegen den Marquis de la Chetardie und Leſtocq anzuhören und die Depefchen d'Aillon's, de la Chetardie's und Anderer, auf welche fich diefelben ſtützten, durchzuſehen.

12 Elilabeth war von der Wucht der Thatjachen und Argumente, welche ihr eriter Staatsmann mit vernid tender Logik aneinander knüpfte, tief erfchüttert und forderte denjelben auf, ihr die Briefe vorzuleſen, we: rauf fie diejelben fchließlich noch einmal jelbit über flog, denn e3 wurde ihr jchwer zu glauben, mas

jet jo überzeugend und beleitigend zugleich vor ihr

lag.

Czaarin ſelbſt gerichtet. Immer wurde in denſelben gegen den Miniſter die Anklage erhoben, daß er von Oeſterreich

und England beſtochen ſei. Für Frankreich ſei in |

Rußland nichts zu hoffen, fo lange Beftuseff am Nu der fei. Dank den Bemühungen Leftocq’S jei aber jeden Augenblid jeinem Sturze entgegenzujehen.

Ein Brief des englifchen Premierminifters Carte ret an den Gefandten Wich in Petersburg, entbielt

Die Depefchen d'Aillon's nad Paris, Stodholm und Kopenhagen, und der dortigen franzöfifchen Mini“ ter an ihn, enthielten nur wenig Compromittirendes und waren alle mehr gegen Beſtuseff als gegen *

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den Auftrag, die ruffifhen Minifter vor den In— |

triguen der franzöfiichen Gejandtichaft zu marnen, welche auf Grund gefäljchter Auszüge aus den Aus jagen des Baron Gyllenſterna vor dem ſchwediſchen

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Reichstage Beftuseff als Berräther zu verdächtigen die Abficht hätten.

Sehr compromittirend für die franzöſiſch-preußiſche Partei am Hofe waren die dechiffrirten Briefe des Marquis de la Chetarbdie.

Nicht lange nach feiner Rüdfehr an den Hof der Czaarin jchrieb er: „Seine Hoffnungen den Vicefanzler Beſtuseff, als den Einzigen der ihm noch im Wege ftände, zu ftürzen, gewännen täglich mehr Boden und zwar um jo mehr, als der preußijche Gejfandte Baron Mar: defeld Hierin mit ihm gemeinjchafliche Sache mache und ihm ſelbſt den geheimen Befehl zu leſen gegeben habe, worin er angewiefen werde, ſich mit der Fürftin bon Zerbit zu veritändigen. Dieje habe dem Könige von Preußen bei ihrer Abreife von Berlin verfprochen, auf den Sturz des Vicefanzlers binzuarbeiten, und mit ihr vereint hoffe er einen möglichit rajchen Erfolg zu erzielen. Da er das Anfehen des englifchen Hofes ſchon ganz berabgejegt habe, hoffe er um jo mehr in Kurzem in allen Stüden am ruffischen Hofe den Meifter zu ſpie— len, weil er ja ohnedies Alle, die Einfluß hätten, zu eigen habe. Leſtocq fei ihm mit Leib und Seele ergeben, um ihn indeffen noch mehr anzufpornen, habe er die ihm von d' Aillon bemwilligte jährliche Pen— fion noch um 2000 Rubel erhöht. Auch Frau Ro- manzov babe er, da fie der jungen Prinzejfin von

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Zerbft beigegeben fei und nunmehr fogar bei Hofe wohne, eintaujendzweihundert Rubel un® Frau von Suwalow jehshundert Rubel zugelegt. Jetzt jehe er vor Allem darauf, die Gedanken und Abfichten der Kaiferin auszufundichaften, um aus ihren abergläu bifchen Vorurtheilen Nugen ziehen zu können, um die Bornehmften der rufliichen Geiftlichleit, insbe jondere den Beichtvater der Czaarin mit. Geld auf feine Seite zu bringen. Durch dieſes Mittel habe man den Dispens und die Einwilligung des Synods zu ber bevorfiehenden Vermählung des Großfürſten Threonfolgers mit der Prinzeflin von Zerbft erlangt Als Probe, wie weit er es gebracht, wolle er nur am führen, daß, als unlängft in den ſchwediſchen Angelegw=‘ beiten ein großes Conjeil zujammenberuferr worden, der General Romanzow und der Generalprocurator ſich erit von ihm hätten inſtruiren laffen, was fie ſprechen jollten. Nach dem Schluß des geheimen Conjeils Hätten ! fie ipm aber den ganzen Inhalt der Verhandlung bi | auf den kleinſten Umſtand berichtet.”

In einem andern Briefe ſuchte ſich de la Ghetar- | bie gegen den Vorwurf des franzöſiſchen Minifters Ame | lot, als babe er bisher nichts ausgerichtet, zu vertber digen. „Die Schuld Liege nicht an ihm. Schon zur Beit, als die Revolution der jetzigen Kaiferin auöge

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führt werden follte, habe er vorgeitellt, daß ohne einen beitändigen Geldaufiwand nichts zw machen fe. Troß: dem habe man nicht einmal die fünfzehntauſend Duka— ten, welche die Prinzeſſin Eliſabeth damals verlangt, daran wagen mwollen und er babe, fait: biß zur legten Stunde, ihr nur mit füßen Worten und Berjprechun: gen. jchmeicheln Können. Jetzt laffe man ihn wieder io wie damals fteden. Andere Höfe würßten es beffer anzugreifen und der Baron vom Mardefeld habe ihm. anvertraut, daß fein König es fich. in Petersburg als er das erſte Mal in Schlefien eingerüdt hun— dertfünfzigtaufend Rubel habe Tojten laſſen, um diefen Hof der Königin von Böhmen und Ungarn abwendig ju machen. Webrigens könne man ihm deßhalb jchon feine Schuld beimeffen, wenn nicht Alles jo gut gehe mie es oft das Anfehen babe, weil er es mit einer Frau zu thun babe, auf die man fich ſchlechter— dings nicht verlaffen fünne Schon als Prinzeffin babe die Czaarin von nichts eine Kennntniß und Idee zu erlangen begehrt, als Kaiferin thue fie es noch weniger, und beharre nur bei dem, was ihr die Regierung angenehm made. Den ganzen Tag beichäftige fie fich daher mit nichts, als auf Lieb: haften zu finnen, vor dem Spiegel zu fißen, fich bald jo, bald anders zu kleiden und fich mit findie

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jehen Spielereien zu amüfiren. Gie jei im Stande, über eine Tabafsdoje oder eine Fliege etliche Stun: den lang die Unterhaltung zu führen. Sobald hin: gegen Jemand anfange ven etwas Ernſthaftem zu jprechen, ergreife fie die Flucht. Um allen Zwan— ges ledig zu jein und fich in jeder Beziehung zi: gellos gehen lafjen zu können, wermeide fie den Um: gang mit gebildeten und anftändigen Zeuten jo viel wie möglich, ihr größtes Vergnügen finde fie darin, wenn fie in einem abgejonderten Lufthaufe oder in einer Badeftube nichts weiter um fich habe als ihr Bedientenvolf. Leſtocq nehme fich zwar, auf jeinen jeit Jahren auf fie geübten Einfluß gejtüßt, bie und da die Freiheit ihr in's Gewiſſen zu reden, allein was zu einem Ohr hineingehe, gebe zum andern wieder heraus. Ihre träge Sorglofigfeit jei jo groß, daß, wenn fie heute auf den rechten Weg gebradt zu fein fcheine, fie morgen ſchon wieder umfehre und diejenigen, vie ihr als ihre gefährlichiten Feinde be zeichnet worden, ehe man ſich's verjehe, mit derjel ben Freundlichkeit behandle und bei ſich aufnehme, wie diejenigen, von denen fie fich eben erſt hatte beratben laffen.” |

Die Kaiferin war über den Inhalt diejer Briefe auf das Aeußerſte empört. „Sch werde Ihnen bewei-

17 jen, dieſen Fpöttifchen Sranzojen“, rief fie, ihr Taſchen— tuch in Stüde reißend, „daß ich nicht jo träge und jo jorglo3 bin, als fie glauben und daß meine wahrhaften Freunde fich auf mich verlaffen können.“

Wirklich zeigte die Ezaarin von diejer Stunde an dem Marquis de la Chetardie ſtatt der hohen Gunft, welche fie ihm bisher bewiejen nur noch die entſchiedenſte Ab- neigung. Sie vermied es, mit ibn zu jprechen und fuchte, wenn er fich ihr näherte, in einem Gefpräche mit Beituseff Schuß gegen ihn. Auch der Fürftin von Zerbft zeigte fie unverbohlen ihren Haß und zug fogar in das Palais, das fie als Großfürftin bewohnt hatte, um den intimen Umgang mit derjeiben vollftändig abzubrechen.

Der Fürftin entging die Umwandlung der Czaa— rin ebenjowenig als Leftocg und tem Marquis. Sie verjuchten nun Woronzoff zu gewinnen, welcher ſoeben in das Minifterium getreten war und hatten den Plan, Beſtuseff durch ihn, der als ein Liebling der Monar: Hin galt, aus dem Sattel zu heben. Wirklich gelang e3 der intriguanten Mutter Katharinas, dieſen als Anz bänger berüber zu ziehen aber zu fpät.

Raſumowski und Beftuseff hatten indeß die Czaarin beſtimmt, ohne Rüdficht gegen ihre Gegner vorzugehen

„Bas rathen Sie mir aljo gegen den Marquis

zu thun?" fragte die Czaarin ihren Minijter. Sader:Mafoh. Ein weiblider Sutan. II. 2

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„Majeftät find im Rechte, ihn verhaften und über die Grenze Schaffen zu laſſen,“ erwiderte Beftuseff.

„Wäre dies feine Verlegung des Völferrechtes ?“ warf Elifabeth ein.

„Richt im Geringften“, ſagte der Bicefanzler, „der Marquis hat es bis heute verfäumt, von feiner Be— glaubigung als Gefandter Gebrauch zu machen, er ift Ihnen alfo auf Gnade und Ungnade preisgegeben, und Majeftät find ſehr nachſichtig, wenn Sie ihn nicht todtpeitjchen oder nach Sibirien transportiren laſſen.“

„Und fürchten Sie nicht Leſtocq?“ warf Elifaketh ein.

„Ich fürchte Niemand, wo e3 die Würde meiner Mo: narchin und die Ehre Rußlands gilt“, erwiderte Beituseff.

„Aber Sie fennen ihn nicht“, rief die Gzaarin, „in jeinem Jähzorn ift er im Stande, Ihnen eine Kus gel durch den Kopf zu ſchießen.“

„Für mein Leben trage ich nicht die geringite Sorge”, beeilte fich der Eluge Staatsmann zur Antwort zu geben, „aber ich zittre bei dem Gedanken, einen Men: jhen von ſolcher Gemüthsart um die Perſon Eurer Majeität zu willen, er wäre fähig —“

„Ich babe bereits daran gedacht“, unterbrad Eli ſabeth den Kanzler „und bin entjchloffen, nie wieder einen Tropfen von feinen Arzneien in den Mund zu nehmen.”

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ALS Beituseff mit dem Gemahl der Gzaarin das Cabinet derjelben verließ, fagte er leife zu Raſumowski: „Jetzt ift e8 mit Leſtocq's Einfluß vorbei, er war ihr nur als Arzt unentbehrlih. In dem Augenblid, wo fie feine Mediein nicht mehr zu nehmen wagt, hat er jeine unbeilvolle Rolle ausgejpielt.” Wirklich gab die Gzaarin ihre Zuftimmung zu den von Beſtuseff vorges Ihlagenen Maßregeln, befahl aber die Ausführung der— jelben erſt dann, als fie eine Wallfahrt nach dem jech- zig Werft von Moskau entfernten Dreieinigfeitskflofter unternahm. Während fie dort nur der Andacht zu le ben ſchien, jehritt Beſtuseff zur That.

Am 17. Juli 1744 früh 6 Uhr begab fich eine von der Gzaarin ernannte außerordentliche Comilfion in die Wohnung des Marquis de la Chetardie; diejer Ihügte ein Unmwohlfein vor, mußte fich aber endlich doch bequemen, diejelbe vorzulaffen. Als er den allgemein gefürchteten Generalinquifitor General en Chef Usakow eintreten ſah, verlor er jofort alle Faflung. Nachdem man ihm feine Vergehen aus feinen eigenen Depefchen nachgewiejen hatte, theilte ihm der Generalinquifitor mit, die Kaiferin wolle fih aus befonderer Gnade das mit begnügen, daß er jofort das Reich verlaffe.

Der Marquis, bis in die Lippen bleich, fand end- lich Worte. „Ich ftehe zu lange im Dienft“, brachte er

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mühſam bervor, „um nicht zu wiffen, daß ich fein Recht habe, den Schuß des Völferrechtes für mich in Anſpruch zu nehmen, da’ ich es verfäumt babe, von meiner Beglaubigung als Geljandter des Königs von Frankreich Gebrauch zu machen. Sch unterwerfe mich daher ohne jede Widerrede den Befehlen Ihrer Ma— jeftät der Kaiferin.“

Noch in derjelben Nacht wurde der Marquis uns ter Bededung von zwanzig Soldaten abgeführt.

Ludwig XV. war jo klug, die Beichimpfung, welche jeinem Gejandten widerfahren war, al3 eine rein per— ſönliche aufzufaffen, da der Marquis jeinen diplomas tiſchen Charakter noch nicht geltend gemacht hatte, ja er beeilte fich jogar, der Ezaarin eine Genugtbuung zu bieten, indem er de la Chetardie jeinen Hof verbot und d'Aillon, der wieder deffen Stelle einnahm, den Befehl ertheilte, die Anerkennung des Faiferlihen Titel von Seite Frankreichs, welche bisher nicht erfolgt war, ſchriftlich zu notificiren. |

ALS Leſtoeq an dem Tage der Rückkehr der Kai: jferin nah Moskau Ddiejelbe in der Sloboda am Fuße der Treppe erwartete und ſich ihr zu nähern ver- fuchte, ſah ihn Elifabeth falt und abweiſend an und ließ ihn Stehen, ohne nur ein Wort an ihn zu richten.

Der unentbehrliche Leftocq war in Ungnade gefallen.

Zweites Kapitel.

Die drei Cotillons.

Die über Schweden errungenen und durch den Frieden von Abo befeſtigten Triumphe Rußlands wurden am 15. Juli 1743 zu Moskau durch ein groß⸗ artiges Felt gefeiert. Elifabeth ließ diefe Gelegenheit, ihre treuen Anhänger und Diener zu belohnen, nicht unbenügt vorübergehen und zeigte fih auch gegen ihre Feinde mild und großmüthig. Beftuseff wurde für feine ungewöhnlichen Verdienfte zum Reichsgroßfang- ler erhoben, während Woronzoff an feiner Stelle Vice— fanzler wurde, Aleris Rafumowsfi, der edelfte Günft: ling, den die Geſchichte aller Reiche kennt, fein Bru— der Kiryll, jowie die Generäle Andrej Usakow und Alerej Romanzow wurden in den Grafenftand erhoben. Die mit Elifabeth dur ihre Mutter Katharina I.

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verwandten Grafen Martin Skawronski und Andrej Henrikow wurden durch die Kammerherrenwürde und den Alexander-Newskiorden ausgezeichnet. Der Prinz von Homburg, Graf Romanzow, Fürft Nikita Trubeg- foi, Oberhofmeifter Baron Münnich ſowie die beiden Brüder Sumwalow wurden mit Gütern bejchenft, die legteren zwei zugleich zu Generallieutenant3 ernannt.

Ein Gnadenmanifeit erließ allen zum Tode, zur Gas leerenarbeit oder zur Verbannung verurtheilten Perſo— nen des Geiftlichen:, Militair: und Giviljtandes ihre Strafe, ebenjo allen Staatsdienern, welche fich Ver— gehen in ihrer Amtsführung zu Schulden hatten fommen laſſen. Alle Kronſchulden wurden erlaſſen.

Dieſer Akt ſeltener Güte und Nachſicht wurde in ganz Rußland mit unbeſchreiblichem Jubel aufgenom— men und verſöhnte Viele, die bisher als Gegner der beitehenden Regierung gegolten, mit derjelben.

Beituseff und Raſumowski jegten jegt den ganzen Einfluß, den fie über die Ezaarin errungen hatten und in jeder Hinficht wohl verdienten, daran, um diejelbe zu einer entjchiedenen Haltung den europäifchen Wir: ‚ren und Kämpfen gegenüber zu vermögen und der durch die franzöfifche Partei erzielten Unthätigfeit Rup- lands, welche dem Anſehen dieſes mächtigen Reiches Eintrag gethan hatte, ein Ende zu machen. Jahre wa—

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ten nöthig, um Eliſabeth volllommen zu überzeugen und umzuftimmen und zu einem feindieligen Schritte gegen Friedrich den Großen zu bewegen. Rußland Ihloß zwar Verträge mit England und Polen, als aber Georg I. und Auguft IH. nad) dem Wiederausbruc) des Krieges zwischen Defterreich und Preußen, welcher duch die Theilnahme Frankreichs, als Verbündeten Friedrichs, zu einem europäifchen geworden war, von Eliſabeth die zugefagten Hilfstruppen begehrten, muß— ten fie fic) mit Freundschaftswerficherungen begnügen. Das ruſſiſche Volk war in allen jeinen Schichten gegen die Einmifchung in die europäijchen Angelegen: beiten und daher gegen einen Krieg gejtimmt. Man fühlte immer mehr, daß Rußland eine Welt für jich bilde, welche die Theilnahme Europas ebenjo entbeh— ren könne, wie das Eingreifen in die Gejchide des— jelben, und im eigenen Lande fo gut wie unangreifbar, unbefümmert um das Abendland, feine Streitigkeiten und Ummälzungen, feine große Mijfion für fich zu er: füllen habe. Sp richtig dies war, jo machte ſich dage— gen bei einzelnen erleuchteten Staatsmännern wie Be— ftuseff und Raſumowski, deren Blid weiter reichte, die Anficht geltend, daß eben diejes Rußland, das jo jehr. vor der Einmifhung Europas in feine Angelegen: heiten gefichert war, den Beruf habe, in allen Angeles

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genheiten des Welttheiles das entjcheidende Wort zw Iprechen und diefen Beruf ohne jede Gefahr erfüllen fünne.

In jener Zeit entjchieden jedoch perſönliche Jute— treffen und Stimmungen der Monarchen noch weit mehr, als Bortbeile oder Nachtbeile der Staaten, die äußere Politif derjelben. Ebenſo wie Kaunig nach dem Frieden zu Aachen in BVerfailles zu dem Zwecke, eine Allianz Frankreichs mit Defterreich zu erzielen, ver Al- lem den galanten König Ludwig XV. und deſſen alk mächtige Maitrejje, die Marquife von Bompadour, ge: gen dic Perſon des Königs von Preußen einzunehmen fuchte, bemühten ſich auch Beftuseff nnd Raſumowski denjelben in den Augen Elifabeths verhaßt zu machen. Dasjelbe Mittel entjchied in Petersburg wie in Ver: jailles. Friedrich der Große felbit bot, durch feine ja: tyrifche der, feinen Gegnern unbezahlbare Warten gegen ihn. Was feine Staatskunſt erreicht hatte, ver- nichteten feine boshaften Wiße und Gedichte. In ei- ner Reihe beißender Epigramme geißelte der Sieger von Mollwitz und Kefjelsporf den König von Frank: reich, die Bompadour und die Czaarin eben jo aut wie feine Gegner Georg IL, Maria Therefia und Auguſt I. Seine Boeteneitelfeit trieb ihn an dieſe Heinen verfifieirten Bosheiten in dem geiftreichen Kreife, der

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ihn umaab, vorzulejen und feinen literarischen Freun— den in Paris mitzutheilen. Und dieſe Epigramme waren es, welche Ludwig XV. und die Pompadour eben jo wie die Kaiferin von Rußland gegen ihn aufs regten und die Mlianz Frankreichs und Rußlands mit Defterreich gegen Preußen zu Stande brachten. Kaum hatte Friedrich II. von den Erfolgen, die Kaunig in Verſailles und Beſtuseff in Petersburg errungen, Kennt: niß erhalten, jo ließ er feiner Bosheit nur noch mehr die Zügel fehießen und taufte, unter dem lauten Bei— fall und Gelächter feiner Freunde in Sansſouci, die Allianz der drei Mächte „das Bündniß der drei Co— tillons“ (der drei Unterröde).

Maria Therefia nannte er fortan nur noch Cotil: Ion I., Elifabeth, Cotillon II, und die Bompadour, Co: tilon III. Sede ähnliche Aeußerung wurde Elifabeth ſo— fort hinterbracht und reiste ihren Zorn gegen den König von Breußen nur noch mehr. Als der mit dem preußijchen Botſchafter Baron Mardefeld befreundete Staatsrath Nepuljew einmal die Partei Friedrich des Großen zu nehmen wagte, rief die Kaiferin: „Wenn er nicht ein gefrönteg Haupt wäre, würde man ihn unter feis nem andern Namen als unter dem eined Betrügers fennen.”

Zum Ueberfluſſe fehrten einige Haiduden, welche

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im Dienfte des Königs geftanden hatten, nach Rukland zurüd und erzählten einer Kammerfrau der Czaarin, daß Friedrich der Große von der letzteren ftet3 nur in den verächtlichiten Ausdrüden jpreche. Die Kammer frau beeilte fich dies ihrer Gebieterin zu binterbringen, und ſetzte dieje nur noch mehr in-Feuer und Flammen,

Dejterreich befaß damals, ganz gegen feine früheren und fpäteren Traditionen, eine vortreffliche Diploma ti. Kaunig in Paris und Baron von Pretlad in PBetersburg überboten fih an Feinheit und Gewandi— beit, die Blößen ihrer Gegner auszubeuten. Durd Rafumowsfi in den intimen Hofcirkei der Czaarin er geführt, gewann der liebenswürdige und galante dk ſchafter Maria Thereſias raſch die Gunſt Elifabett, welche von Beſtuseff immer von Neuem dazu gedrängt, endlih am 2. Juli 1746 einen Mllianzvertrag mil Oeſterreich abjchloß und in einem geheimen Artitel desfelben Maria Therefia verfprach, ihr bei der Zu— rüderoberung der an Preußen verlornen Provinzen Hilfe zu leiften. England und Sacdjen traten dei jelben bei, und jo war damals ſchon der Funke gelegt, welcher zehn Jahre jpäter im jiebenjährigen Kriege cr: plodiren ſollte. Am 30. November 1747 wurde zwi jchen England, Holland und Rußland ein weitere Uebereinfommen gefchlofjen, in Folge deſſen vierzigtau

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jend Rufen über Polen, Mähren und Böhmen an den Kriegsichauplag zogen. Der Friede von Aachen machte indeß dem Kampfe ein Ende und die Truppen Eliſabeths kamen diesmal nicht in’s Gefecht. Nach dem Frieden erfolgte eine vollftändige Ummälzung in der Stellung der europäifchen Mächte zu einander. Kau— nig gelang es, eine große Allianz zwijchen Defterreich, Rußland, Frankreich, Sachſen und Polen gegen Fried: rich den Großen zu Stande zu bringen, während da— für Preußens erbittertiter Gegner, England, jegt fein Bundesgenofje wurde.

Während in Schweden die Rußland feindliche Bar: tei der „Hüte“ dominirte, gelang es der Diplomatie der Czaarin, Dänemark in das europäifche Bündniß gegen Preußen hineinzuzieben und zu kriegeriſchen Rüftungen zu beftimmen.

Da der Großfürft Thronfolger als ein entjchiedes ner Anhänger, ja Anbeter Friedrich des Großen galt, juchte Beſtuseff nicht allein das Anſehen desjelben bei der RKaiferin zu ſchwächen, fondern ging geradezu mit dem Plane um, Peter vom Throne auszujchließen. Um die Abreife der Fürftin von Zerbit, in welcher er mit Recht eine preußifche Agentin ſah, zu erzielen, ſuchte er die Vermählung ihrer Tochter Katharina mit dem Thronfolger möglichft zu befchleunigen. Die Czaa—

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rin ſelbſt befchäftigte fi mit befonderer Vorliebe mit den Vorbereitungen zu derfelben.

Auf Clifabetbs Wunſch jendete die ruſſiſche Ge ſandſchaft in Paris eine eingehende Defcription ver Ceremonien und Feitlichkeiten ein, mit denen die Ver— mählung des Dauphins und der jpanifchen Infantin gefeiert worden mar, ebenjo wurde aus Dresden ein detaillirter Bericht über das prunkvolle Beilager Au: guit III. abgefordert. Eliſabeth hatte die Abficht, bei diefer Gelegenheit einen nie gejehenen Pomp zu ent: falten. Peter wurde im Eommer 1745 von dem das Reichsvicariat führenden Churfürften von Sachſen für volljährig erklärt, und au 1. September desjelben Jah: res jeine Vermählung mit Katharina vollzogen. Zehn: tägige Feitlichleiten, deren Pracht an die Märchen des Orients mahnte, begleiteten dieſelbe.

Bon allem Anfang an, trat ein erniter unbeilver: fündender Zwieſpalt zwiſchen dem Thronfolger umd feiner jungen eben fo klugen als ſchönen Gemahlin zu Tage. Während der erjtere fich bei jeder Gelegenbeit leidenjchaftlich, eigenfinnig und kindiſch zeigte und alles Ruſſiſche mit einer Art Verachtung von fich wies, ver ftand es Katharina fih langſam aber ficher die Sym: pathieen des Hofes wie des Volkes zu gewinneu. Der bezaubernde Eindrud ihrer Perſönlichkeit, ihrer Reize

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und Liebenswürdigfeit, wurde durch ihren jeltenen Geilt, ihre Wißbegierde und Theilnahme für Alles, was ihr neues Vaterland betraf, nur noch gefteigert. Sie beeilte fich ruffifch zu lernen und ſprach und jchrieb es in furzer Zeit ganz vorzüglich.

Sie eignete fih alle Geremonien ber ruſſiſchen Kirche eben ſo raſch an, wie die Gebräuche des Volkes. Auch verſtand ſie es der Czaarin alle ihre Schwächen abzulauſchen und kam jeder ihrer Launen entgegen. Nur zu bald entdeckte Katharina, trotz ihrer Jugend, daß ihr Gemahl auf dem beſten Wege war ſich bei der Nation verhaßt zu machen, ja vielleicht um den Thron zu bringen und fie begann ihm gegenüber jene Macht gel: tend zu machen, weiche früh in ihr lag und durch die fie fich jpäter ein großes Reich unterthan machte; To jehr er ihr auch abgeneigt war, ftand er doch bald ganz unter ihrem Einfluffe und war nicht fähig ihr irgend etwas zu verjchweigen. Katharina hielt ihn nun jo viel als möglich von allen den unfinnigen Schritten, welche ihn aller Sympathieen beraubt hatten, ab, und juchte anderfeit3 die Zügel der politischen In— trigue immer mehr in ihre Hand zu befommen.

Beituseff war anfangs ebenjo jehr ihr Gegner als der ihres Gemahls. Der junge Hof ftand förm— lich unter PBolizeiauffiht. Ein Kammerdiener des

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Thronfolger® war beitochen, Alles zu berichten, was in dem Ffleinen Palaſte des jungen fürftlichen Ehe— paares bvorging und entwendete jogar Papiere aus dem Schreibtiſch Peter's, um fie dem Großfanzler auszu: liefern. |

Katharina war es, welche im April 1748 den Verräther entlarvte und als Peter nicht den Muth hatte denfelben zu beftrafen, ihn binden ließ und eigen: händig peitſchte. Dann fuhr fie zu Beituseff und ftellte ihn förmlich zur Rede.

Von dem Augenblide an war diefer mie verän— dert, er faßte eine eigenthümliche Achtung, ja Vorliebe für die junge Großfürftin und begann fidy mit dem Gedanken zu bejchäftigen, fie zur Nachfolgerin Elifa beths zu machen.

Drittes Kapitel.

3u früh.

Sn der Nacht des 26. Auguft 1749 befand fich Moskau, der Hof ebenjo wie die Stadt, in unbejchreib: licher Verwirrung und Aufregung. Bon Mund zu Mund flog die Kunde, die Gzaarin Elifabeth jei gefähr: lich erkrankt und dem Tode nahe. Das Volk rottete fi in den Straßen und vor der Sloboda zufammen, e3 hieß, Leitocq habe die Monarchin vergiftet, um dem preußifch gejinnten Großfürften Peter den Weg zum Throne zu öffnen. Die Menge zeigte fich geneigt nad) dem Haufe des verhaßten Franzofen zu ziehen und über ihn Gericht zu halten, während Einzelne jogar die Ab: ficht ausfprachen, fich des Thronfolgers zu bemächtigen. Zur rechten Zeit erfchien der Gemahl der Monardin, GrafAleris Raſumowski, und feine Berficherung, daß von

32 einer ernftlichen Bejorgniß für das Leben Eliſabeths gar nicht die Rede fein könne, berubigte die empörten Maffen. Mitten in der Nacht eilte der mutbige Mann jest zu Beituseff, wo, wie er durch einen Bertrauten erfahren, fich die Minifter, Generale und andere einfluß: reiche Berfonen verjammelt hatten, um zu beratben und zu bejchließen, was für den Fall des Todes der Kaiferin geichehen habe. Die Dienerjchaft weigerte fich zuerit, Rajumomwsfi einzulafjen, als er aber die Drohung aus— iprach, mit einem Garderegimente zurüdzufehren und ſich den Eintritt mit Gewalt zu erzwingen, wurden ihm die Thüren endlich geöffnet. Er fand Beltuseff eben im Begriffe der glänzenden Verſammlung die Nachtheile und Gefahren auseinander zu jeßen, welche das Reich) wie jeden Einzelnen in dem Falle bedrohten, wenn Peter den ruſſiſchen Thron beiteige. Mit propbe: tiichem Blide jagte er jegt Alles das voraus, was jpäter, al3 der Großfürft unter dem Titel Peter IL zur Regierung gelangte, wirklich eintrat. Er ſchilderte feine Affenliebe für den König von Preußen und alle Preußiſchdeutſche, feinen lächerlihen Hang zur Solda- tenjpielerei, feine Abneigung gegen Rußland, die ruffijche Kirche und das ruſſiſche Wejen, feinen Eigenfinn und jeine an Krankhaftigkeit grenzende Launenhaftigkeit und VBeränderlichleit, und verfäumte es auch nicht Die

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Herrjchfucht und den Ehrgeiz feiner jungen von der Katur mit den gefährlichiten Gaben ausgeftatteten Gemahlin zu betonen.

Er fam zulegt zu dem Vorfchlage, daß man fofort alle Anftalten treffen möge, ſich zu rechter Zeit der Perfon des Großfürften Peter und der Großfürftin Katharina verfichern zu können, um dann freie Hand zu haben, denn Rußland babe nach dem Ableben Eliſa— beths von Niemandem Heil und Rettung zu erwarten, al3 von dem in Schlüfjelburg eingeferferten Prinzen Swan. Man fprach für und gegen, bis der General Suwalow geltend machte, dag man von dem durch die Gzaarin jelbit eingejegten Erben nur Hochmuth und Bilfür, von Jenem aber, den man felbjt aus dem Kerfer auf den Thron führe, unbegrenzte Dankbarkeit und Lenkſamkeit zu erwarten babe. Diejer Gefichts- punkt entjchied endlich bei Allen und die Anmejenden traten einftimmig dem Plane Beituseff3 bei. Schon war Ddiefer daran die nöthigen Befehle zu ertheilen, als Aleris Raſumowski das Wort ergriff. „Ich ſchließe mich Ihren Auseinanderjegungen und ihrem Bejchluffe vollſtändig an“, fagte er, „aber derfelbe kommt entjchie- den zu früh, die Kaiferin wird nicht fterben.“

„Wiſſen fie dies jo gewiß, Graf“, warf Beftuserf ein.” ı

Sacher-Maſoch, Ein weibliher Sultan. III. 3

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„sa, ich bin meiner Sache vollflommen jicher“, erwiderte Rafumowsfi, „und eben deßhalb gebe ich Ihnen den Rath, meine Herren, fich nicht jo ſehr mit der Thronfolge, al3 mit den Anjchlägen zu bejchäftigen, welche eben jet in dem Palaſte des Peter geſchmiedet werden.“

„Wie? Was geſchieht dort“, riefen Stimmen.

„Leſtoeq, deſſen Einfluß bei der Kaiſerin vol ftändig gejunfen ift, befindet jich zu dieſer Stunde in dem Gabinet der Großfürftin Katharina, um ibr feine Dienfte anzubieten”, fuhr Raſumowski fort. „Aller dings hat er dieſen Schritt viel zu früh gewagt, und uns jo Gelegenheit gegeben, ihm vollends die Larve herunter zu reißen.”

„Sie bejorgen ein Attentat?” rief Beſtuseff.

„Allerdings“, gab Raſumowski zur Antwort, „und eben deßhalb fordere ich Sie, als den erſten Miniſter des Reiches auf, ihre Pflicht zu thbun und die Groß fürftin zn beobachten, während ich jelbft bei der Kaije rin wachen werde.”

„Wenn die Gzaarin nicht ftirbt”, jagte jeßt der Prinz von Homburg, „dann ift diefe Verſammlung bier für ung ſehr compromittirend, und da Kleiner von uns durch Verrath gewinnen, fondern wir Alle gleichmäßig

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verlieren und mit der Knute Befanntichaft machen würden, jo beantrage ich, daß alle Anmwejenden fich gegenjeitig durch Eid zum vollftändigen Stillfchweigen verpflichten.“

Die ganze Berfammlung ftimmte bei und leiftete den von dem Prinzen geforderten Schwur. Auch Rafu: mowsfi gab das Beriprechen ab, von dem Borgefallenen der Czaarin in feiner Weile Mittheilung zu machen, worauf fich die voreiligen Retter des Staates trennten. Beftuseff eilte nun den Balaft des Großfürften mit feinen Leuten zu umgeben, Berittene waren in ber Nähe bereit, um ihm von jedem Vorfalle dajelbft jofort Nachricht zu geben.

Indeß war Rafumowsfi in den Palaſt der Kaiſe— tin zurüdgefehrt. Er fand Elifabeth ohne Bewußtſein, ihre Umgebung in der höchften Beftürzung und Leſtocq in feiner aufdringlichen Weife um die Kranke bejchäftigt.

„Ich kann Ihnen nicht geftatten, bier zu verwei— len”, rief der Eleine Franzofe mit feiner gellenden Stimme dem Gemahl der Kaiferin entgegen, als er denfelben an das Bett Elifabeths treten Jah, „vor Allem ift hier Ruhe nöthig, ih muß darauf beftehen, daß man mich mit Ihrer Majeftät allein laſſe.“

„Das wird man nicht“, entgegnete Raſumowski mit jeiner ernten feierlichen Würde, „überhaupt eritaune ich, Sie hier zu finden, Herr Leſtocq.“

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„Bin ich nicht der Leibarzt Ihrer Majeftät?” gab Leitocq zur Antwort.

„sch vermutbe, daß man Sie im Palaſte der Grof: fürftin, von wo Sie eben kommen, nöthiger bat und Ihre Kunſt beſſer zu jchägen weis, als bier, wo id Ihnen hiermit verbiete, Diejelbe ferner auszuüben“, ſprach Raſumowski Falt.

„Ich habe von Niemandem Befehle anzunehmen, als von der Monarchin ſelbſt“, ſtieß Leſtoeq zwiſchen den zornig zuſammengebiſſenen Zähnen hervor.

„Sie werden dies Gemach auf der Stelle ver— laſſen“, gebot der Gemahl der Czaarin.

„Nein, das werde ich nicht“, ſchrie Leſtocq auf.

„Run, wir wollen ſehen“, ſprach Raſumowski, rief den Wache habenden Dfficier und befahl demjelben, Leitocq abzuführen. „Sch weiche nur der Gewalt“, murmelte der Leibarzt, während jeine Fleinen Augen zornig tollten, „wenn aber die Kaijerin ftirbt, werde ich fie dafür verantwortlich machen.“

„Wenn die Kaiferin jtirbt“, rief Raſumowski, die Brauen finfter zufammenziehend, „find Sie ihr Mör— der, Herr Leitocg und wir werden von Ihnen Rechen: | Ihaft zu fordern wiſſen, verlaffen Sie ſich darauf.“

Bleich vor Wuth und am ganzen Leibe zitternd, entfernte jich der Franzofe. Kurze Zeit darauf erfchie |

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nen zwei andere Nerzte, welche Raſumowski an das Krankenlager der hoben Frau berufen hatte und boten ihre ganze Kunſt auf, diefelbe zum Leben zurückzu— rufen.

„Hat fie Gift befommen?” fragte Raſumowski leiſe. | „Rein“, entgegnete der eine, „aber die Mittel, welche angewendet wurden, find theild falſch, theils ungenügend, veraltete Duadjalberkünfte.“

„Iſt Hoffnung vorhanden, daß fie am Leben bleibt?” fragte Raſumowski weiter.

„Ich ſtehe dafür, daß fie nicht u erwiderte der zweite Arzt.

Raſumowski athmete auf. Wirklich kam Eliſabeth im Verlaufe der naͤchſten Viertelſtunde vollkommen zu ſich. Sie war noch ſehr matt und das Reden wurde ihr ſchwer, aber ſie unterſchied alle Gegenſtände und Perſonen, welche ſie umgaben, und als Raſumowski ſich in der überſtrömenden Freude ſeines Herzens, alle Etiquette bei Seite laſſend, zärtlich über ſie beugte, lächelte ſie ihn an.

Bald verfiel ſie in einen tiefen und ruhigen Schlaf und als ſie am Morgen erwachte, erklärten die Aerzte, daß alle Gefahr vorüber ſei.

Die Gräfin Suwalow, welche im Solde Frankreichs

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ftand, beeilte fich der Kaijerin den Vorfall mit Leſtocq in einer Weife mitzutheilen, welche auf Raſumowski das übelfte Licht werfen mußte. Elifabeth hörte indeß ihre Favorite ruhig an und ſagte dann lächelnd: „Sp: bald Raſumowski etwas thut, ift e3 gewiß recht und gut, er it der treuefte Mann, den ich kenne. Leſtocq ſteht mit meinen Feinden in Verkehr und Freundschaft, weiß Gott was er vorgehabt hat, ich muthe ihm alles Böſe zu. Wielleicht wollte er mir Gift reichen.”

Vergebens verjuchte die Gräfin ihre kaiſerliche Freundin für den Leibarzt günftiger zu jtimmen, er war und blieb in Ungnade. Als Raſumowski dage— gen in ihr Schlafgemach trat, ftredte fie ihm von wei— tem jchon beide Hände entgegen, welche er, vor ihrem Bette niederfnieend, mit Küſſen bededte.

„sh war in erniter Gefahr, mein Freund“, flüfterte fie, „e8 war nahe daran, daß ich Dich ver- laffen hätte für immer, aber Gott war mir diesmal gnädig und Dein treues Auge hat über mich gemacht, ic) danfe dir mein Leben, ich weiß es.“ Die Czaarin blidte ihm mit zärtlicher Hingebung in die Augen und ftrich mit ihrer Eleinen Sand über jeine Wange. „Haft Du Angſt um mich gehabt, Alexis?“ fragte fie. Jet, wo fie ſich außer Gefahr wußte, freute fie fich der Sorge und des Schmerzes, die er an den Tag gelegt hatte.

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„Ja Elifabeth”, entgegnete ihr Gemahl, „ich babe um Did) gezittert ebenjo namenlos, wie ich mich jegt freue Dich wieder wohl und heiter zu jehen.”

Während die beiden Gatten in durch nichts ge: ftörter Seligfeit Worte und Küſſe taujchten, ftand auf dem Balcon des Kleinen Palaſtes, welchen der Groß: fürft bewohnte, eine junge, blühend ſchöne Frau, Herrſch— ſucht und Ehrgeiz im Blide, und ließ ihre ficberhaft glübenden Wangen von dem frifchen Morgenwinde fühlen; lange ftarrte fie vor fich hin, dann riß fie fich mit einem Male von den Gedanken [03, melche fie quälten. „Zu früh“, murmelte fie, „zu früh!“

Viertes Kapitel.

Ein Cadetentheater.

Jene Borliebe, welche der gemeine Mann in Ruß: land beinahe in noch größeren Maße als in Stalien für die Künfte befißt, ſchien ſich in den ufrainijchen Leibeigenen und Bauernjöhnen Aleris und Kiryl Rajus mowski verkörpert zu haben. Der Erftere insbeſondere hatte, wie in jeder Hinficht auch in diefer den Leiten Einfluß auf die Czaarin Eliſabeth. Was der hohe Adel Rußlands bis jegt verfäumt hatte, daS gelang dem Mann aus dem Volke, die Gründung einer ruffifcer Nationalliteratur und eines ruffifchen Theaters. An Lomonofjoff, dem begünftigten Schügling Raſumowski's, befaß das damalige Rußland einen PBoeten, auf den .e8 heute noch ftolz fein kann. Die Pflege der Wiſſen— ſchaften lag vorzüglich in den Händen der von ber

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Gzaarin Katharina I nad dein muftergültigen Plane Peter des Großen zu Petersburg geitifteten Akademie. Dem ruſſiſchen Vollscharakter getreu, welcher durch feinen Hang zur Selbithilfe und feinen auf das Nüß- liche und im Leben Brauchbare gerichteten Eugen Siun jo viel Aehnlichkeit mit dem nordamerifanijchen zeigt, verfolgte dieſelbe nicht nur gelehrte, ſondern auch höchft practifche Zmwede. Bis zum Jahre 1742 waren neun Bände Abhandlungen von derjelben herausgegeben wor: den, in denen vorzüglich die Naturforfcher und Mathes matifer Bernouilli, de PF8le und der berühmte Leon- hard Euler von Bafel, jowie die ruffiichen Hiſtoriker Bayer und Müller glänzten. Der Gefchichte und Geo: grapbie Rußlands wurde ebenfo wie der ruffifchen Sprache die größte Sorgfalt gewidmet. Die legtere wurde philologifch erforicht und in grammatikaliſcher Richtung feitgeftellt und verbeijert. Eine von der Aka— demie eingelegte Commiffion hielt mwöchentlidy zwei Sigungen, in denen alle Schriften, welche in ruſſiſcher Sprache in Drud gelegt werden jollten, cenfirt und corrigirt wurden. Miederholt verließen Mitglieder der Akademie auf Anregen der Regierung und von wiſſen— Ihaftlichem Eifer getrieben, den gelehrten Frieden ihrer Studirftube und begaben fi) in die entferntejten Pro— vinzen des ruſſiſchen Weltreiches, um an Ort und Stelle

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Studien zu machen und die Eigenthünmlichkeiten der verjchiedenen Länder und Volksſtämme fennen zu ler: nen. Die jogenannte kamſchadkiſche Erpediton, deren gelehrte Mitglieder die Profefjoren Gmelin, Müller und de l'Isle waren, befand fich länger als zehn Jahre auf der Reife und bejuchte zum Zwecke wiſſenſchaftlicher Unterfuhung, alle Rußland unterworfenen Völfer Aſiens bis China und Japan. ihre in ruffifcher und lateinijcher Sprache eingefandten Objervationen leilte ten Alles, was die damalige Wiffenjchaft nur zu leiiten vermochte und jo fonnte auf Grundlage derjelben eine jo treffliche und zugleich gelehrte und praftifch werthvolle Beichreibung von Sibirien geliefert werden, wie fie in jener Zeit weder von Frankreich noch einem andern Lande des civilifirten Europa vorhanden war. Die ſogenannte orenburgifche Expedition lieferte durch den Fleiß und Eifer der Räthe Jatisew, Kyrilloff und Hein gelmann und des Flottencapitains Eltton zu gleicher Zeit faum minder wichtige Rejultate über die ſüdlichen Provinzen gegen das faspijche Meer zu.

Unter der Leitung des Elſäſſers, Schuhmacher, waren die Bibliothek der Akademie, das Kunſt- und Natura lienmufeum ſowie das Münzen:Cabinet entftanden und raſch aufgeblüht. Im Jahre 1746 ernannte die Kaife: rin Kiryll Raſumowski zum PBräfidenten der Akademie,

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tilgte die Schulden dieſer Anftalt und bewilligte auf Bitten der Brüder Rafumowsfi eine jährliche Zulage von 53000 Rubeln zur Hebung der. trefflichen wiſſen— Ichaftlichen und Runftanftalten der Akademie. Die lebte: ren wurden 1758 von der Afademie der Wifjenjchaft getrennt, mit größeren Mitteln ausgeftattet und als eine befondere Akademie der Künfte organifirt, deren Leitung der trefflihe Stählin hatte Vierzig, auf Koiten der Krone erhaltene und ausgebildete Zöglinge fanden in derfelben Aufnahme und bildeten fich bier in Sculptur, Malerei und Baufunft aus.

Die Kaijerin begünjtigte unter den Künften vor Allem die Mufif. Sie jelbit bejaß eine jehr ſchöne Stimme und eine vorzüglide Geſangſchule. Kiryll Raſumowski theilte ihre Vorliebe. Als er die jeit dem Tode Daniel Apoſtol's unbejegt gebliebene Würde eines Hetmans der Kojafen erhalten hatte, mit der ein Einfommen von einhunderttaufend Rubeln verbunden war, benüßgte er dasjelbe, um in jeinem PBalajte zu Gluchow eine beinahe durchaus aus Rufen beſtehende Kammermufif zu halten, vierzig Sänger und Mufifer, welche ihm überall Ehre gemacht hätten. Im Verein mit dem Hofmujifus Marejch und dem Oberjägermeifter Nariskin begründete er die den Ruſſen eigenthümliche

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Sornmufif, welche in ganz Europa Aufmerkſamkeit und Bewunderung erregte.

Der Hof unterhielt zu jener Zeit nur eine italie nische Oper und ein Ballet. Im Fahre 1748 Fam eine Gejelljhaft deutſcher Schaufpieler nach Petersburg und erzielte in jeder Beziehung eine überrafchende und denfwürdige Wirkung. Nicht genug, daß die Dar: jtellungen derjelben die Gzaarin, ihren Hof und Alles, was auf Geift und Bildung Anfprud machte, im Audi: torium vereinigten, begann ſich zuerſt unter den Ruſſen die Luft zu regen, ein jelbititändiges und eigentbümli- es Schauſpiel zu Dejigen. Einige junge und ftreb: jame Cadeten warın es, welche, auf diefe Weife ange: jporut, zuerjt den Grund zu einem ruſſiſchen National: theater legten und Aleris Raſumowski, der Hleinruf: fische Bauernſohn, der Gemahl der Kaiferin, war ihr Miäcen. Eines Abends, während die deutichen Comö— dianten ſpielten und das ganze auserlefene Bublicum in Begeiſterung verfegten, ſagte der Cadet Alerander Somarokow, der Cohn eines geheimen Rathes, zu einem jungen Cameraden: „Ach! wie unbezahlbar ift es, wenn man jo täglich auf der Bühne die großen Tha— then der Vergangenheit oder die gewöhnlichen Vorfälle des alltäglichen Lebens, bald ernft und traurig, bald heiter und lächerlich an fich vorüberzieben fehen ann,

Bba-n

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und melde herrliche Wirkung müßte dies erit in der eigenen beimathlichen Sprache üben. Sch beneide dieſe Franzoſen und Deutjfchen um ihre Stüde und u Schauspieler.”

„Beneidet fie nicht, fondern ahmt ihnen nach“, ſagte plöglich Graf Raſumowski, welcher ſich in der Nähe der beiden Gadeten befand. „Bei allen Nationen waren es amateurs, welche zuerit Theater jpielten und auf dieſe Weile eine Nationalbühne jchufen. Das wäre eine jchöne Aufgabe für Euch junge Leute.”

„Gewiß Excellenz“, eriwiderte Somarokow, „und wir hätten auch den Muth, dieſen trefflichen Gedanken zur Ausführung zu bringen, wenn wir dabei auf Site mächtige Unterftütung rechnen könnten.”

„zählen Sie auf mich“, beeilte ſich Raſumowski zu erwidern, „ich liebe die Künjte und würde es vor Allem gern ſehen, wenn wir ein felbitjtändiges The: ater befigen würden. Ein gutes Schauspiel ift für die Sebildeten, was eine Kirche und Predigt für das Volk iſt.“

Der Keim war gelegt. Noch an demjelben Abend beſprach Somarokow mit ein paar aufgewedten Game: raden die ganze Angelegenheit und dann jehritten fie raſch zur Ausführung.

Aleris Raſumowski und Suwalow gaben das nö—

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tbige Geld, raſch wurde eine Bühne aufgeitellt, Te corationen wurden gemalt und Cojtüme angefertigt und einen Monat jpäter jpielten die Cadeten das erſte Mal vor der Gzaarin und der vornehmen Welt von Petersburg. Die jungen Leute, unter denen fich So: marofow als Darfteller ganz bejonders hervorthat, fpiel: ten jo gut, daß das Heine Gadetentheater bald zum Mittelpunkte des jocialen und geiftigen Lebens der nor: diſchen Hauptſtadt wurde.

In der erſten Zeit ſpielten die Cadeten in fran— zöſiſcher Sprache, da ſie in derſelben gleich ein reiches und brauchbares Repertoire vorfanden, und ſie verſuchten ihr Talent und ihre Kunſt eben ſo gut an Racine und Corneille wie an Molière. Gleich in den erſten Anfän— gen des zuflischen Theaters zeigte ſich jedoch eine er: freuliche Untfehr, von der hohlen Declamation und dem faljchen Pathos der das antife Drama nachahmenden Tragödie jener Zeit, zu der Natur und dem realen Leben.

Die franzöfiiche Comödie fand allerdings, da die Mehrzahl des ruflischen Adels damals nur der ruſſi— jchen Sprache mächtig war, nur geringen Anklang, jo daß auf befonderen Befehl der Kaiferin fich alle Hof: leute, Beamte und Militairs durch Unterzeichnung einer

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Circulair-Drdre verpflichten mußten, in derjelben zu er: jcheinen. Als einmal trogdem der Zubörerraum fehr jpärlich befegt war, wurden mitten in der Nacht die Fürftin von Heflen- Homburg und andere Herren und Damen des Hofes durch jogenannte Jesdavi (Hofitall- teiter) gewect und um die Urjache ihres Ausbleibens mit dem Zufage befragt, daß in Zukunft Jeder, der dem Schauſpiel ohne genügende Entfchuldigung fern bleibe, von der Polizei mit fünfzig Rubel Strafe gebüßt werden würde. Dies war vielleicht tyrannijch, aber es hatte die beften Folgen. Der hohe Adel Rußlands wurde durch das Beispiel feiner ſchönen und Eunftliebenden Monarchin aus feiner Theilnahmlofigfeit aufgerüttelt und begann fich immer lebhafter für Theater, Muſik und Poeſie zu interefjiren.

Eines Tages wurde Somarokow zur Kaifjerin be: Ihieden, welche ihn in Anmefenheit des Grafen Raſu— mowski jehr huldvoll empfing und als die Urſache der geringen Theilnahme für die Theatervoritellun: gen der Cadeten die Darftellung in franzöfiicher Sprache bezeichnete.

„Wie wäre es”, jagte fie zuleßt, „wenn wir es mit einer ruffiichen Comödie verjuchen würden 2”

„Ich zweifle nicht, Majeftät”, entgegnete Somaro

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fow, „daß der Erfolg ein bei weitem befjerer wäre, aber es fehlt ung an Stüden.”

„Man foll alſo Stüde jchreiben“, rief die Czaa— rin, „das wäre eine Aufgabe für Lomonoſſoff, nicht, Graf Raſumowski? Und hr jungen Leute”, wendete fie fich zu dem Gadeten, „tet denn in Euch gar fein Talent, begeiltert Euch nicht der Gedanke, es in unje ter theuern heimathlichen Sprache den anderen Natio: nen Europas gleich zu thun 2“ j

„Der Wunſch Euerer Majejtät wird wohl meine Kühnheit entjchuldigen”, ſprach Somarokow, „wenn ich den Verſuch wage, ein Stück in ruſſiſcher Sprache zu verfaſſen.“

„Nur gleich an's Werk, mein Freund“, rief die Czaarin, „an Ermunterung und Lohn von meiner Seite wird es nicht fehlen.“

Somorakow beeilte ſich nun wirklich den Gedan— ken der ſchönen Monarchin auszuführen und ſchrieb ein ruſſiſches Stück, das bei der Aufführung ſo viel Bei— fall fand, daß der junge Poet bald ein zweites und drittes folgen ließ. In jenen Kreiſen des Hofes und der Ariſtokratie, in denen Bildung und franzöſiſche Verfeinerung als eins und dasſelbe galten, tadelte man | allerdings die Art und Weife, in der Somarokow jeine Comödien ſchrieb, und meinte, fie feien eber auf den Ger

m

ſchmack gemeiner Leute als der Gebildeten berechnet, aber die Kaiferin eben jo wie Raſumowski erfannten ſofort, daß der junge Cadet den richtigen Weg be: treten babe und daß der kräftige volfsthümliche Ton, ‚den er anjchlug, dem ruffischen Theater eine jelbititän: dige und gefunde Entwidelung verhieß. Somarokow's \ Stüde waren die Anfänge jener nationalen Comödie, ‚welche ipäter in Gribojedows „gorja i duma“ und Go: gols „Reviſor“ ihre claſſiſchen Blüthen trieb.

Die Czaarin gründete, von Raſumowski und Su— walow hierzu ermuntert, ein ruſſiſches Nationaltheater und ernannte Somarokow zum Director desſelben.

Unter den ruſſiſchen Schauſpielern, welche ſämmt— lich eine überraſchende Naturwahrheit in der Ausfüh— rung ihrer Rollen zeigten, zeichnete ſich der Sohn eines Jaroslawer Kaufmanns, Feodor Volkoff, ſowohl durch die ſeltene Schönheit ſeiner Erſcheinung als die Ge— nialität ſeines Spiels ganz beſonders aus. Er war in furzer Zeit nicht nur der erklärte Liebling des Pu— blicums, fondern auch der Gzaarin, die ihn in ihre Hofeirkel zog und bei jeder Gelegenheit auszeichnete.

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Sacher⸗Maſoch. Ein weibliher Sutan. II. 4

Fünftes Kapitel.

Frauengunſt.

In dem Maaße, in welchem Leſtoeq die Gunſt Eliſabeths eingebüßt hatte, war Beftusck in derſelben geitiegen. Er dankte freilich das Vertrauen‘ \und Wohl: wollen der Monarchin ganz anderen Motiven) ala der feine intriguante Franzofe. Leſtocq's Einfluß \auf die ſchöne launenhafte Frau war ein rein perfönlicher ge weſen, er verftand es, fih ihr zugleich unentbetrid und angenehm zu machen, ihr zu fchmeicheln und % Beit zu vertreiben, Beſtuseff lag diefe Art Zaub ferne. Die Ezaarin war für ihn eingenommen, weil ih Gemahl Aleris Raſumowski bei jeder Gelegenheit für den Großfanzler Partei nahm und weil fie allınälig bon der Ueberzeugung durchdrungen wurde, daß das von ihm verfochtene politifche Syſtem das für Rußland

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heilſamſte ſei. Beſtuseff's Anſehen bei der Monarchin war alſo auf weit reellerer Grundlage entſtanden und er konnte daher mit Recht auf eine gewiſſe Dauer des— ſelben hoffen. Da die Czaarin trotz der Umwandlung, welche Raſumowski in ihrem ganzen Weſen hervorge— bracht Hatte, eine angeftrengte Regierungsthätigkeit, jo lange fie lebte, zu meiden fuchte, machte ſich Beſtuseff bei ihr auch durch die Art und Weife wie er die Ge Ihäfte erledigte, durch feinen Fleiß und die geringe Mühe, welche er ihr jelbit verurjachte, beliebt.

Beſtuseff's Stellung jchien vollends unerjchütterlich geworden, als e3 ihm gelang, die Vermählung feines Sohnes mit der jungen Gräfin Raſumowski zu Stande zu bringen. Denn obwohl Aleris Raſumowski ſich in feiner Weiſe direct in die Negierungsgejchäfte mifchte, jo zweifelte doch Niemand, daß die Czaarin ſelbſt in jeder wichtigen Sache feine Stimme vor allen Andern zu hören verlangte und daß jeine Meinung ſtets den Ausschlag gab.

Beſtuseff wurde jet von der Czaarin förmlich zu

ihren Freunden gezählt und beinahe jeden Abend zu in ihren fleinen parties de plaisir gezogen, jo daß es

il Da jegt nie an Gelegenheit fehlte, ſeine Anfichten

ud

| \ ! |

\ bei der jonft ſo ſchwer zugänglichen lebensluſtigen Frau

| u Geltung zu bringen. Troß alledem fühlte ſich | 4*

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der erfahrene Staatsmann nicht vollfommen ficher, jo lange er nicht Leftocq für immer unfchädlich gemacht und aus der Nähe der Czaarin entfernt hatte, denn er wußte es nur zu qut, welch ein wandelbares Ding Frauengunft ift.

Bei jedem Anlaß jtellte Beſtuseff den intriguanten Franzoſen der Monarchin als den gefährlichiten Men: Ihen in Rußland bin, als einen unrubigen unbejon- nenen Kopf, einen gewifjenlojen rachgierigen und ge winnjüchtigen Charakter, von dem das Schlimmite zu erwarten jei, befonders jeßt, wo durch die Ungnade der Czaarin aud) eine Einkünfte bedeutend gejchmälert jeien, denn die Höfe von Verfailles, Berlin und Stodholm, die ihm große Penjionen gezahlt, hätten diefelben theils verringert, theil8 ganz eingeftellt. Die Briefe, melde der Großfanzler nach wie vor in Petersburg, und die Öfterreichifche Regierung auf Anjuchen ihres Betersbur: ger Botjchafters Pretlach in Wien erbrechen und vedif: riren ließen, lieferten täglich neues ſchwer grawirendes Material gegen Leftocq, wie früher gegen den Marquis de la Chetardie. Lange zögerte Elifabeth, gegen ihren einftigen Vertrauten entjchieden vorzugehen und es war ein edler Zug ihrer Natur, welcher fie davon abhielt. „Ich danke ihm doch jehr viel,“ fagte fie zu Rafus mowski, als diejer ihr die Beweife dafür vorlegte, daß

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Leitocg von Anbeginn nichts weiter als ein Agent und Spion Frankreichs gemwejen jei und noch immer von dem dortigen Hofe bezahlt werde. „Er darf mir ohne: bin nicht mehr von Staatsangelegenheiten ſprechen,“ fügte fie Hinzu, „und jo fünnen wir ja nur darüber lachen, wenn Frankreich jeine Künfte und fein Geld umjonjt verwendet.” Als fie aber aus Leſtocq's eige- nen Briefen immer wieder erfuhr, wie er ale Maß— regeln Beſtuseff's, auch jene, welche bereits ihre Sanc- tion und ihre volle Bewilligung hatten, als toll und unfinnig bezeichnete, nahm ihre Abneigung gegen den eriteren zufehends zu.

Der Großfanzler hatte endlich leichtes Spiel, als er den Entſchluß faßte, den entjcheidenden Streich zu führen und Leſtocq vollends zu ftürzen.

Es war Abends beim Spiel, wo er das vertrau— liche Beifammenfein mit der Czaarin benüßte, um jei- nen Gegner zu verderben. „Sch habe heute neue wich— tige Entdedungen über die Machinationen Leſtocq's ge: macht“, begann er, „und beeile mich, fie Eurer Majeität mitzutheilen, da Gefahr im Verzug ift.“

„Laſſen Sie hören, Beſtuseff“, jagte die Kaiferin.

„Ich will darüber hinweggehen“, fuhr Beituseff nun fort, „daß Leftocq fortfährt, fich mit meinen erklärten Feinden gegen mich ganz forglos und öffentlich zu ver:

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Ihwören, denn ich laſſe meine Perſon gern bei Seite aber bier ift ein Brief Leſtocq's an das franzöſiſche Minifterium, in weichem er demfelben eine baldige Umwälzung in Rußland anfündig. Ta e8 an er . ner anderen Stelle des Briefes ausprüdlich heißt, dab man von Eurer Majejtät nichts mehr zu hoffen babe, unterliegt es feinem Zweifel, daß Leſtocq und jeine Genoffen, von franzöfifchem und preußifchem Gelde unterjtügt, eine Revolution beabfichtigen.”

„Wo ift diefer Brief?” rief Elifabetb. Beftuseff reichte ihr denfelben und fie las ihn mit einer Erregt: heit, welche bei ihr äußerft ſelten war.

„Sie haben Recht“, fagte die Ezaarin dann, „Le ftocq ift reif für den Galgen. Was wiffen Sie nod von diefem Complott.”

„Meine Organe in Petersburg melden, daß te ftocg in leßter Zeit beinahe täglich mit den Geſandten Franfreihs, Schwedens und Preußens conferirt bat.“

D! der Undanfbare!” rief Elifabeth, indem ie auffprang und mit großen heftigen Schritten das Zim: mer maß, „er foll mir feinen Verrath büßen, aber wir müſſen ſehr vorfichtig fein, Beftuseff, denn Leftocg ift eben fo ſchlau als tolfühn. Wir müffen jehen, daß wir.fie Alle zugleich in unfere Hände befommen, daß uns feiner entjchlüpft, und dann, dann will ich ein

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Erempel ftatuiren, an das man denken fol. Sorgen Sie vorläufig dafür, daß Leſtocq und fein Secretär, der Capitän Chapuzeau, feinen Augenblid unbewacht bleiben, und melden Sie mir täglih, ob es Ihnen gelungen ift, in die Abfichten der Verſchwörer einzu: dringen und die Theilmehmer an diejem jchändlichen Anſchlag zu entdeden.”

Beituseff fäumte feinen Augenblid, Leftocqg und jeine Anhänger mit einem Neg von Spionen zu umge— ben. Am 20. December 1748 fpeilte Leftocq mit feis ner Frau bei einem preußifchen Kaufmann, außer ib- nen waren noch Chapuzeau, die beiden fchwedilchen Minifter Wolfenftierna und Höpfen, fowie der Graf und die Gräfin Finkenftein anweſend. Als Chapuzeau nach der Tafel in der Abenddämmerung fortging, be= merfte er einen Menschen in ſchadhafter Livre, welcher ibm Schritt für Schritt folgte und den er bereit3 jeit mehreren Tagen ftet$ in feiner Nähe bemerkt hatte. Der Gapitain faßte Verdacht und fein Plan war im Augenblid fertig, er begann langjamer zu gehen und als er die Schritte des Menjchen endlich knapp hinter ich hörte, drehte er ſich plöglich um, faßte ihn beim Kragen und ſetzte ihm die Spige jeines Degens anf die Bruft. Auf diefe Weife zwang er feinen Gefangenen umzukehren und führte ihn in das Haus des Kaufmanns,

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wo ſich Leftocg noch beim Spiel befand. Dieſer ließ ih den Vorfall erzählen und wendete fich dann gleich: ſam aufgebracht zu jeinem Secretär. „Wie fönnen Sie den armen Teufel jo jchlecht behandeln“, rief er, „jehen Sie ihm nicht an, daß er e3 gut mit uns meint und Ihnen nur gefolgt ift, weil er uns wichtige Mittheie lungen zu machen bat. Nicht wahr mein Freund, Du willft Geld verdienen, das ift deine ganze Abjicht bei der Sache und fünfzig Rubel werden Dich viel redſe— liger machen als eine Degenſpitze.“ Er legte das Geld auf den Tiih. „Sieht Du, dies gehört Dir, jobald Du uns gejagt haft, wer Dich beitellt Hat, um uns auszuſpioniren.“

„Ich weiß von nichte, Excellenz“, erwiderte der Späher, „ich ging vollkommen unſchuldig und guter Dinge hinter dieſem Herrn, der mir plötzlich ſeinen Degen auf die Bruſt ſetzte. Ich hielt ihn anfangs für einen Straßenräuber, jetzt ſehe ich, daß es ſich um et— was Anderes handelt, wovon ich nichts verſtehe.“

„Da, mein Freund“, fuhr Leſtocq fort, indem er ſeinem Gefangenen ein Glas Wein einſchenkte, „wer bat Dich bezahlt, der Großkanzler, nicht wahr, fein Ans derer?“

Als der ertappte Spion fortfuhr, ſich völlig un— ſchuldig zu ſtellen, änderte der Franzoſe mit einem

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Male ſeinen Ton, ſteckte das Geld wieder ein, und ließ durch Chapuzeau zwei Soldaten von ſeiner Haus— wache holen. Als der Capitain mit derſelben eintrat, wurde es dem Gefangenen etwas übel zu Muthe. „Was wollt Ihr mit mir anfangen“, rief er, „ich bin ein ehrlicher ſchuldloſer Menſch.“

Sobald Du nicht auf der Stelle geſtehſt, wer Dich geſendet hat”, ſagte Leſtocq, „laſſe ich Dich von dieſen Leuten hier mit Batogi bearbeiten, bis Deine verrä— theriſche Seele Deinen elenden Körper verläßt.“ Jetzt erſt geſtand der Spion, daß er im Dienſte eines Garde— officiers ſtehe und auf Befehl desſelben Leſtoeq und Cha— puzeau beobachten mußte.

Leſtoeq ließ den Menſchen durch die Soldaten in fein Haus bringen und fuhr jelbft zur Kaiferin, welche ihn zuerſt gar nicht vorlaffen wollte und nur auf vie: les Bitten in Beijein Raſumowski's und der Gräfin Suwalow empfing. Leſtocq ftürzte wie ein Rafender herein und geradeaus Elifabeth zu Füßen, „Ich babe joeben eine jchändliche Verſchwörung gegen mich ent— det, Majeſtät“, jchrie er aus Leibeskräften, „man um giebt mich mit Spionen, man will mich ermorden, mic), den treueften Ihrer Diener, dem Sie den Thron dan: fen und der Ihnen jo oft das Leben gerettet. Man bat das vergeffen, aber meine großherzige Monarchin

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gedenft noch meiner Dienfte, ich weiß es, und deßhalb flehe ich zu ihr um Gerechtigkeit, um Genugthuung.“ . Die Szaarin ließ fih nun den ganzen Vorfall erzählen und obwohl ihr eigener Befehl denſelben veranlaßt hatte batte fie, ein echtes Weib, nicht den Muth, es Leſtocq in's Geficht zu jagen und ihn endlich wiſſen zu laſſen, wie fie über ihn denke. Sie verſprach im Gegentheil jelbft die Sache zu unterfuchen und die Schuldigen zu beftrafen, jo daß der Eleine Franzoſe mit einem trium: phirenden Blid auf Rafumowsft das Gemad) verlieh. Kaum aber war er draußen, jtampfte die Czaarin zot: nig mit dem Fuße und ſchwor, daß es das letzte Mal jei, daß fie Leitocq Gehör geſchenkt. „Wenn jein Ge wifjen rein wäre”, jagte fie zu ihrem Gemahl, „würde er feinen Spion zu fürchten brauchen. Und wie kann er ſich unterftehen, einen Menfchen auf eigene Fauft zu verhaften und zu verhören. ch will Beftuseif ſpre— chen und zwar auf der Stelle.“

Als der Großfanzler fam, war ihr Zorn ſchon ft weit verraucht, daß fie ihren urfprünglichen Entſchluß, Leftocg auf der Stelle verhaften zu laſſen, wieder auf gegeben hatte, aber fie ertheilte den Befehl, deſſen Se cretär Chapuzeau jo wie jeine Diener gefangen zu nehmen, auf die Feftung zu bringen und nöthigenfals auf der. Folter zu befragen. Beftuseff war jo Klug,

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ſich den Berhaftsbefehl von der Kaiferin unterzeichnen zu laffen, um für alle Fälle gerüftet zu fein, aber den: jelben nicht auszuführen, da er Leftocg und feinen Anhang voreilig zu alarmiren fürdhtete. Der fonft jo Huge Sranzoje fühlte ich jo ficher, daß er noch am 22. December in einer luftigen Gejellfchaft den Jahres: tag jeiner Hochzeit feierte.

Am folgenden Abend vereinigte ein großartiges Dallfeft zu Ehren der Vermählung des Fräulein Sol: tiloff die ganze Petersburger Geſellſchaft. Auch Le— ftocqg war unter den Geladenen. Während man eben eine Menuette tanzte, erichien die Kaiſerin an dem Arme des Grafen Raſumowski. Seit langem hatte man die jchöne Frau nicht jo heiter und Huldvoll ges jehben, ſogar Leftocg wurden ein paar herablafjenve freundliche Worte zu Theil.

Gegen Mitternacht winkte fie Beituseff zu fich und fragte, ob Chapuzeau Geftändniffe abgelegt —* welche Leſtocq compromittirten.

„Neue Aufſchlüſſe, welche ich über das Complott erhalten habe”, entgennete der Großfanzler jchnell ge: faßt, „zwangen mic) die Ausführung des Verhafts: befehles aufzuſchieben. Es wäre gefährlich, ſeine Leute gefangen zu nehmen und Leſtocq, in deſſen Hand ſich alle Fäden vereinigen, frei herumgehen zu laſſen. Das,

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was ihn uns in die Hände liefern ſoll, würde ihm nur zur Warnung werden und ihm vielleicht dem Arme der Gerechtigkeit für immer entziehen.“

„But, dann verhaften Sie Leftocq gleichfall3”, ent- Ihied die Ezaarin. Ein Lächeln überflog Beſtuseff's jonft jo ftrenge Falte Züge Er ftand am Ziele. Nach— dem die Kaiferin ihn entlaffen hatte, beorderte er jofort einen Officier mit der nöthigen Mannjchaft, melde Chapuzeau nebit vier Bedienten Leſtocq's in deffen Haufe gefangen nahmen und auf die Feltung abführten.

Man tanzte indeß bei Soltikoff, ohne nur die ge ringſte Ahnung von der Katajtrophe zu haben, melde bald ganz Petersburg in Alarm fegen follte. Als die Gejellichaft fich gegen Morgen trennte, fuhr Leftocq mit jeiner Frau und dem ſchwediſchen Gejandten Wolfen: jtierna in das Hotel des leßteren, wo fie mit einigen jungen Damen und DOfficieren bis nad) zehn Uhr Vor: mittags jpielten und zechten.

Als Leſtocq vor elf Uhr in fein Haus zurüdkehrte wurde ihm die Verhaftung feines Vertrauten und jet ner Diener gemeldet; er bejchloß auf der Stelle zur Kaiferin zu eilen und Klage zu führen, aber ſchon am Fuße der Treppe wurde er von dem General Agrarin ange halten, welcher auf Befehl der Monardin fein Haus mit 150 Mann umzingelt hatte und ihn für verhaftet erklärte,

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Leitocq verfuchte es zuerft in feiner Weiſe dem General durch Schreien und Prahlen mit der Gunft der Kaiſerin zu imponiren, als aber Aprarin den eigen: bändig unterzeichneten Befehl derjelben vorwies, wurde er bis in die Tippen bleich und ftieg mit jchlotternden Knieen an der Seite des Generals die Treppe wieder empor. Man jehte ihn vorläufig in jeinem Zimmer feft und ließ ihn in demfelben durch einen Officier und ſechs Soldaten bewachen. Alle jcharfen Inſtrumente wurden entfernt, nicht einmal zum Speifen wurde ihm der Gebrauch eines Mefjers geftattet. Seine Frau war, während Dies gejchab, in der Kirche, wo fie eben das Abendmahl nahm. Als fie nach Hauje fam, wurde fie gleichfalls verhaftet und ohne daß man ihr geftattete, ihren Mann noch einmal zu jehen, in einem bejonderen Zimmer verwahrt.

Nachdem am 26. December die Kaijerin fich in Begleitung Raſumowski's nad Zarskoje Selo begeben hatte, führte man noch in derſelben Nacht Leſtocq und feine Frau auf die Feftung ab. Als man ihn in fein Ges fängniß brachte, jeufzte der fonft fo unerfchrodene und leichtfertige Franzofe: „Frauengunft! Frauengunft! wer auf Dich vertraut, geht mit dem Stride um den Hals herum. Nun ift unfere Partie vollends verloren. O! welches Elend! welches Schidfal!“

Sechstes Kapitel.

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Zwei Schanfpiele

Seit dem Tode des Generals Usakow war der General Suwalow der Präfident des geheimen Inqui— fitionsgerichteg. Zur Führung des Procefjes gegen Leitocg wurde demjelben der bei der Kaiferin in höchſter Gnade ftehende vertraute Freund Beſtuseff's, General Aprarin, beigegeben. Damit war Leſtocq's Schidjal entjchieden und befiegelt.

Zuerft wurde Chapuzeau in’3 Verhör genommen, Er geftand freiwillig und mit jo unbefangener Offen beit alles, was er nur wußte, daß man bei ihm von vornherein jede Marter bei Seite ließ. Man erfuhr durch ihn, daß Leſtoeq von dem preußifchen Hofe Gelder empfangen und mit dem preußijchen umd ſchwediſchen Gejandten Jo wie mit verfchiedenen jeiner

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Vertrauten und andern Mißvergnügten, unter denen der Bicefanzler Woronzoff, der Generalprocurator Tru— bepfoi und der General Romanzow in erfter Linie Itanden, bäufig geheime und jogar nächtliche Zuſam— fünfte. gehabt habe. Chapuzeau läugnete auch Durch: aus nicht, daß Leſtocq mit der gegenwärtigen Regie— tung ſehr unzufrieden jei und fich bei jeder Gelegen- beit über Beltuseff und Raſumowski in der gehäffig: ften Weiſe ausgelajjen und auch die Gzaarin nicht ge Ihont habe. Weiter jei er, jelbit wenn es fein Leben foften jollte, nicht im Stande etwas anzugeben, da Leitocq ihn nie fein volles Vertrauen gejchenkt und ihn jogar ſeit einiger Zeit mit einem gewiſſen Arg- wohn behandelt habe. |

Die Ausfagen Chapuzeau’3 genügten indeß der Kaiferin vollkommen, um der Inquifition gegen Leſtocq jelbit freien Lauf zu Lafjen. | Man verjuchte es zuerft, ihn duch Lift zum Ge ſtändniß zu bringen. Die Kaiferin verjprach jeiner grau, wenn fie ihn zum Geftändniß bringe, für te jowohl als für ihren Gatten volllommene Begnas digung.

Eines Abends wurde fie in Leſtocq's Kerfer ge: führt und mit ihm allein gelaffen. Der ehemalige Dertraute und Günftling der Kaiferin ſaß in einem

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alten Schlafrod auf jeinem Bette und ſah jeine Frau zuerft lange erftaunt an, wie eine Erfcheinung oder ein Gejpenf. „Sp müfjen wir uns wiederjehen“, be gann fie.

Leſtocq zudte die Achjeln. „Bin ich etwa jchuld“, jagte er jo laut als möglich, denn er war überzeugt, daß man ihr Geipräch belaufche.

„Ih weiß nicht“, erwiderte jeine Frau, indem fie fich auf den einzigen ſchlechten Holzſtuhl jeßte, der in jeinem Gefängniß ſtand. |

„Du weißt e8 nicht“, braufte Leitocq auf um war mit einem einzigen Sprunge bei ihr, „bit Du von Sinnen, kennſt Du mid nicht lange genug, um zu wii sen, daß ich ftet3 der treueite Diener der Kaijerin war, nur immer ihr Wohl und jenes des Staates vor Ar gen hatte und nur deßhalb die Feindjchaft und den Haß einer Schaar von Elenden, von Hochverrätbern auf mich lud, welche ich in der Verfolgung ihrer eg iftifchen Zwecke gehindert, deren ſchmachvolle Intriguen ich jo oft durchkreuzt habe. D! ich kenne fie Alle, die mich in diefen Kerfer gebracht und ung an Defterreid verfauft haben, diefen Beltuseff, den ich, nur ich zum Großkanzler gemacht habe, den ich, in einer durch feine ihändliche Heuchelei bervorgerufenen Verblendung, der Monarhin zu diefem Poften empfohlen babe; diejen

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Aprarin, den mein Fürwort aus der Niedrigfeit erho— ben, diefe Undanfbaren, die fich jegt verfchworen haben, mich zu verderben und dann, wenn fie vie Monardhin ihres einzigen wahren Fr.undes beraubt haben, durch nichts mehr gehindert, Rußland verkaufen und in einen europäiſchen Krieg jtürzen werden, welcher das Reich an den Rand des Abgrunds und Elijabetb um den Thron bringen wird.“

„Mein Liebir”, jagte feine Frau, „wer wäre ge: nei ter an Deine Unschuld zu glauben als ich. Aber Chapuzeau hat eingeftanden, daß Du von Frankreich und Preußen bezahlt warft, um die Allianz mit Ma: ria Therefia zu hintertreiben, daß Du in unerlaubten Beziehungen zu fremden Regierungen geftanden haft.”

„Das hat Chapuzeau ausgefagt? Gewiß hat man ihm diefe Lügen mit Gewalt erpregt, duch die Fol- ter —“

„Nein er ift nicht gefoltert worden, weil er frei- willig Alles eingeftanden hat.”

„Dann hat er aus Furcht vor den Martern, mit denen man ihm drohte“, rief Leſtocq, „allerhand Er: findungen gemacht und vorgebracht zu dem Zwecke, ich jelbit zu reinigen, allen Verdacht und alle Schuld auf mich allein zu wälzen. Sind das Men- ſchen? Diefer Chapuzeau, hat er meine ee io

Sader:Majodh. Ein weibligder Sutan. III.

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Schnell vergeſſen? Er war ein Nichts, ein armer von jeinen Officieren mißhandelter Sergeant, ich babe ibn bis zum Gapitain avanciren gemacht. Und jegt!“

„Dies gehört nicht hierher“, fuhr Frau Leftoca fort, „Chapuzeau hat nun einmal die Ausfagen gemadtt, welche Deine Lage weſentlich verjchlimmert haben, zum Veberfluffe hat der ſchwediſche Minifter Wolfenitierna Petersburg plöglich verlaffen. Dies vermehrt nody den Verdacht. Wenn Du alles Teugneft, wird man Did fnuten, wird man Dich foltern, während ein frei: willige® und reumüthiges Bekenntniß uns retten fönnte.”. |

„Aber ich habe ja nichts zu bekennen”, jdrie Leitocq aufgebracht, „Du weißt nicht, was Du fpridt, mein Gewiſſen ift vollfommen rein. Wollen fie mid aus dem Wege räumen, diefe Schurken, dieſe Verrä— ther, wozu brauchen fie dann ein Geſtändniß, fie jollen mir den Kopf abbauen laffen, mein Blut fomme über fie, und die Czaarin wird zu fpät erfahren, daß fe ihren einzigen Freund verloren hat.”

„Die Kaiſerin ift Dir noch immer gnädig gefinnt —“ erwiderte feine Frau.

„Wirklich“, rief Leftocq, ein Strahl von Hoffnung zucte über jein gelbes verhärmtes Geficht und feine Augen begannen zu leuchten. „Nun fo jage ihr die

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Wahrheit, jage ihr, daß ich unfchuldig bin, bitte fie, mir eine Unterredung zu gewähren.”

„Die Kaijerin will Gnade walten laſſen“, gab Frau Leſtocq zur Antwort, „aber nur dann, wenn Du ein vollftändiges Geftändniß abgelegt haft.”

„Mein Gott! Ich jage Dir ja, daß ich nichts ver- brochen und daher nichts zu befennen babe.”

Seine Frau zudte die Achjeln. „Sch habe Dir Alles gejagt”, jpracd) fie dann, „was man mir Dir zu Jagen aufgetragen bat. Beharrit Du bei Deinem Läugnen, Deinem Troß, wird es dem geheimen In— quifitionggerichte gewiß nicht an Mitteln fehlen, Dich zum Reden zu bringen. Bedenfe das wohl.”

„Ich habe nichts zu geitehen, ich bin unfchuldig,” murmelte Leſtocq.

Seine Frau erhob fi und verließ ihn, ohne daß er ihr die Hand zum Abjchied gereicht hätte.

Es folgte nun eine Reihe von Verhören, in denen Leſtocq dabei beharrte, daß er volllommen ſchuldlos ſei und Alles, was er gethan, ſtets nur im Dienfte der Kaijerin und des Staates gethan habe. „Mein gan: zes Unglüd danke ich nur Beſtuseff“, rief er, „dieſem Schurken, den ich aus der Verbannung zurüdgerufen babe, der mir Alles verdankt und mich dafür jet um

Gut und Leben zu bringen ſucht.“ 5*

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Täglih wurde der Kaiferin das Ergebniß dei Verhörs gemeldet; als die Sache nicht vorwärts geben wollte, verlor jie die Geduld und erklärte fich, ohne lange zu zögern, mit dem Borjchlage Suwalow's, den Angeklagten auf der Folter zu befragen, einverjtanden.

Am folgenden Abend wurde Leftocq wie gemwöhn: lih in den Gerichtsjaal geführt und muſterte mit dem: jelben verächtlichen Lächeln den, Grafen Sumalow, Aprarin und die anderen Inquiſitoren, welche an einer langen mit fchwarzem Tuch bedeckten Tafel fahen. Man legte ihm zum Schein noch einmal alle jem Fragen vor, welche man jeit dem Beginn des Procf jes an ihn gerichtet und er läugnete wieder eben fe ruhig und unverjchämt, wie er es bis jegt gethan.

Das Verhör war noch nicht zu Ende, als die Kat ferin in glänzender Toilette eintrat. Leftocg nahm ihr Erjcheinen für ein günftiges Zeichen und eilte ſich vor ihr nieder zu werfen. „Welche hohe Gunft, Majeftät,” tief er „daß Sie felbft hierher fommen, um ihren treu— eften Diener zu befragen und fich von feiner Unſchuld zu überzeugen.”

Elifabeth antwortete nichts, fondern zog nur ihre Stirne in zornige Falten.

„Wie können Sie g3 wagen“, rief jegt Suwalow, „das Wort an Ihre Majeftät zu richten. Sie fin

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bier als Angellagter, als Verbrecher und haben nur dann zu jprechen, wenn man Sie befragt.”

Die Kaiferin nahm am Ende der Gerichtstafel in einem für fie beftimmten rothen Sammetftuhl Pla und wendete fich dann mit falter Majeftät zu Leſtocq, der noch immer vor ihr auf den Knieen lag.

„Ich bin hierhergefommen als ihr Richter, Leſtocq, ein gerechter aber jtrenger Richter, von dem Sie feine Nacfiht und fein Erbarmen erwarten dürfen. Nur eines fünnte Sie retten und mich beitimmen Gnade walten zu laffen, ein offenes Geſtändniß.“

„Ich babe nichts zu bekennen, Majeftät“, engeg- nete Leſtocq, „Sie befigen feinen treueren Diener —“

„Derjchonen Sie uns mit diefen Phrajen, die nicht3 beweijen, mindeftens nichts in meinen Augen, von denen die Binde, mit denen Sie diejelben geblen- det hatten, längit gefallen iſt“, unterbrach die Gzaarin ihren ehemaligen Vertrauten. „Ueberlegen Sie wohl, was Sie jprechen, ehe Sie mir noch einmal Antwort geben. Zu welchem Zwede hat Ihnen Frankreich einen jo bedeutenden Jahresgehalt gezahlt?“

„sh babe nie von dem franzöfifchen Hofe eine andere Summe erhalten”, ermwiderte Leſtocq raſch, „als jene, welche beftimmt war, Eurer Majeftät den Meg zum Throne zu öffnen.”

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„Majeftät haben nun jelbjt Gelegenheit, fich von der Schamlofigfeit des Angeklagten zu überzeugen“, ſprach Sumwalow.

„Legen Sie ihm das Gejtändniß Chapuzeau’s vor“, befahl Elifabeth.

„sch verwerfe diejes Geftändniß, denn es ift nur durch die Furcht der Folter erpreßt“, rief Lejtocg.:

„Dann überweifenSie ihn durch jeineeigenen Briefe“, jagte die Ezaarin aufgebracht. Auf ihren Wink breitete Aprarin eine Reihe von Papieren auf dem Tifche aus.

Leitocqg erhob fih und ſah dieſelben durch, es waren feine in Petersburg und Wien aufgefangenen Briefe an den franzöfiichen Minifter des Aeußeren in Paris und dem franzöfijchen Botjchafter an dem Hofe Maria Thereſias. Er erbleichte, als er fie jah, aber faßte fich jchnell. „Jetzt erft kann ich das Lügen: gemwebe durchbliden, dag meine gütige Kaiſerin umgiebt“, Jagte er endlich, „alle diefe Briefe find gefälſcht.“

„Majeſtät jehen, daß der Angeklagte feine Sche nung verdient“, unterbrady Suwalow den Xeibarjt, „um jo mehr als es erwiejen ift, daß er Euere Ma jeftät vergiften wollte, um den Thronfolger an das Ruder zu bringen.”

„Ber wagt dies zu behaupten”, jchrie Leſtocq. Man würdigte ihn indeß Feiner Antwort.

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„Befragen Sie ihn alſo auf der Folter, lieber Graf“, ſagte die Czaarin.

„Es kann nicht Ihr Ernſt fein, Majeſtät“, ſchrie

Leſtoeq auf, indem er erſchrocken einen Schritt zu— rücktrat. „Es iſt mein voller Ernſt“, ſprach Cliſabeth, „und Sie ſelbſt werden ſich erinnern, wie Sie mir dazu riethen, den jungen Lapuchin, ſeine Mutter und die Gräfin Beſtuseff, als ſie hartnäckig läugneten, auf der Folter zu befragen. Sie ſind alſo von der Gerechtigkeit und Nützlichkeit dieſes Verfahrens durch— drungen. Wenn ich aber damals, wo nur geringe Verdachtsgründe vorlagen, zu demſelben meine Ein— willigung gab, weßhalb ſollte ich heute damit zögern, wo Sie durch das Geſtändniß ihres Vertrauten ſowie durch Ihre eignen Briefe ſo gut wie überwieſen ſind.“

Suwalow klingelte. Der Henker trat mit ſeinen Knechten in den Saal und bemächtigte ſich Leſtocq's, welcher, während er ihm Hände und Füße band, am ganzen Leibe zitterte und Verwünſchungen gegen Beſtu— ſseff ausſtieß. Vergebens fluchte er, wie er vergebens geläugnet hatte, die Sinechte trugen ihn zu dem entſetz— lichen Balken und der Henfer hing ihn mit nach rück— wärts gebogenen Armen an demfelben auf.

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„Legen Sie ihm noch einmal alle Fragen der Reihe nach vor“, befahl die Kaiferin.

„In welchen Beziehungen find Sie zu de la Che tardie, d'Aillon und dem franzöftfchen Hofe geitanden?“ begann Suwalow das Verbör.

„Ich habe fie befucht wie man gute Freunde be: fucht, bei denen es eine wohlbejegte Tafel und ange nehme Gefellichaft giebt“, gab Leitocq zur Antwort, „mit dem Hofe von Verſailles hatte ich Feinerlei Ver: kehr.“

„Zweite Frage“, fuhr Suwalow fort.

„Bleiben wir bei der erſten“, fiel ihm die Czaa— rin in das Wort, „bis er dieſelbe genügend bean wortet.“

„Ich habe Alles geſagt —“ ſeufzte Leſtocq in ſeiner Marter.

„Wir haben Beweiſe“, entgegnete die Czaarin, „und werden Sie zum Geſtändniß bringen, verlaſſen Sie ſich darauf.“

Leitocq blieb jedoch trotz der Dual, welche er litt, unerfchütterlih. „Sch Habe es immer ehrlich gemeint und mich für Sie geopfert Miajeftät“, jagte er, „wäb: rend Sie das Vertrauen, das Sie jet Beſtuseff jchen: fen, noch oft bereuen werden, denn er ift ein Schurke, ein abgefeimter Schurke.” Nachdem man ihn eine halbe

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Stunde lang ohne Erfolg gefoltert hatte, erklärte Su— walow, es jei Zeit die Knute anzumenden.

Eliſabeth gab durh ein furzes Niden ihre Ein- willigung. Der Henker ließ Leſtocq zur Erde, ohne ihn jedoch Ioszubinden und begann ihn zu peitjchen. Der kleine Franzoje verlor aber auch jegt nicht den Muth und die Standhaftigfeit, welche er bisher bewie- jen. Nachdem er mehr als fünfzig Hiebe empfangen, befahl die Kaiſerin ihn loszulaffen.

Andere ſanken, wenn man fie losband, bewußt— los zur Erde, Leftocq bedurfte nicht einmal eines jtü- kenden Armes, als man ihn in fein Gefängniß zurüd- führte.

„Welcher Troß”, jagte Suwalow, „ich glaube, er wird eher unter den furchtbarjten Martern feine Seele aushauchen, als fih nur ein einziges Wort erpreſſen laffen, das er uns nicht jagen will.”

„Jun wir werden jehen”, jagte die Kaiferin, „glauben Sie nicht, daß es Mitleid war, was mid) beftimmte, feiner Qual für heute ein Ende zu machen, aber es ift Zeit zum Schaufpiel und man wird nicht beginnen, ehe ich nicht da bin.”

Dieichönelebensluftige Frau grüßte miteinerhuldvol: len Kopfbewegung das Inquifitionsgericht und eilte dann. in ihren Wagen zu fteigen, der fiein das Theater brachte

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Ganz Petersburg war auf die erſte Aufführung einer neuen Comödie Somarokow's und die neue Role Volkoff's in derjelben gefpannt. Das Auditorium be ftand aus fchönen vornehmen Frauen, DOfficieren und Cavalieren jowie Kaufleuten in der nationalen Tradıt, Studenten und Leuten aus den unterjten Volks— klaſſen. | Die Kaiferin erjchien am Arme des Grafen Ra: jumowsfi und nahm in ihrer Loge Platz. Das Or: cheiter Ipielte eine Duverture, dann ging der Borbang in die Höhe und das Schaufpiel begann. Eliſabeth folgte der Vorfiellung mit heiterer Theilnahme, wie wenn jich nicht vor Kurzem noch ein anderes entjeglises Schauspiel vor ihren Bliden abgejpielt hätte und klatſchte zuerjt Beifall. Nach dem erjten Akte berief fie den im Parterre anmejenden Lomonofjoff zu _fich und be: jprach Tebhaft mit ihm das aufgeführte Stüd jo wie die Leiftungen der Schaufpieler.

Auf der Bühne ftanden zur jelben Zeit Somare: fow und Volkoff und blidten durch ein Fleines Loch des Borhanges auf das Publicum.

„Ich babe noch nie jo viel jchöne Damen in un: jerem Theater gejeben wie heute”, jagte Somarofow, „wenn man jo binabfieht auf die weißen wogenden Buſen und diefe Augenpaare in allen Farben, welde

75 um die Wette zu bligen, zu lachen und zu jehmachten ſcheinen, möchte man nur für einen Tag Sultan ſein.“

Volkoff lächelte. „Mich könnte nur eine be— zaubern.“

„Welche?“

„Die Czaarin.“

„Verſuche Dein Glück bei ihr. Sie war nie grau— ſam, wie Du weißt.“

„Ach! das iſt ja mein Unglück, daß ich zu ſpät das Licht der Welt erblickt habe“, klagte Volkoff, „hätte ich diefe Bretter hier vor zehn Jahren betreten, hätte fie mich vielleicht zum jeligiten der Menjchen gemacht. Jetzt heißt es aber alle Hoffnungen aufgeben. Seitdem fie vermählt ijt, jcheint jie die Tugend ſelbſt zu fein, ſo talt, jo ftolz, jo unnahbar. Das ift diefe chriftliche Moral, die uns alle elend macht, diefes Judenthum, das uns wie Einen Gott auch nur Ein Weib ‚oder Einen Mann gönnt. Da balte ich es mit den alten Briechen, die verjtanden glüdlich und ſchön zu leben. Iſt es nicht eine Todfünde, wenn eine Frau wie die Czaarin fih an einen Mann bindet; ein ſchönes Weib jol wie ein ſchönes Gedicht oder Bildwerf der ganzen Welt gehören.“

„Du würdeſt Alles auf den Kopf jtellen, wenn

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Du etwas zu jagen hätteſt“, gab Somarokow zur Antwort, „gut für uns Alle, daß Du Deinen Phan— tafien nur auf der Bühne die Zügel fchießen laſſen darfft. Aber verfuche doch Dein Glück bei der Kaiferin, Du ſtehſt bei ihr in Gunft.

„And doch wäre fie im Stande, tmenn ich mid ihr gegenüber vergäße, mich peitfchen zu laffen wie Leſtocq“, ſprach der junge Schaufpieler, „und dan fo jorglos zu lächeln, wie fie jegt eben Lomonoſſoff zulächelt.“ | |

Nach dem Schluße des Stüdes kam die Kaijerin jelbit auf die Bühne, um dem Dichter ihre Anerken— nung auszufprechen. Volkoff ftand in ehrerbietiget Entfernung in der Eoulifje und verfchlang fie mit jr nen Bliden. Als Elifabeth fich plöglich zu ihm wer dete und jein charakteriftifches Spiel lobte, murde er unter der Schminke bleich und roth und ſtammelte et was, was Niemand veritand. Der erfahrenen Ftau entging feine Verwirrung nicht und fie war fich auch im Augenblicke über die Urfache derfelben Klar, ft gönnte dem jungen genialen Schaufpieler jedoch feinen Ausweg, fondern jchlug ihm leicht mit ihrem Fäder auf die Wange und ſprach: „Wie kommt es Volker, daß Sie fo viel Muth haben einem ganzen Publikum gegenüber und”

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Sie endete nicht, er aber beugte raſch ein Knie vor ihr und rief: „sch fürchte mich vor der ganzen Welt nicht, aber eine Frau von Ihrer Schönheit ift mehr als eine ganze Welt.“

Die Czaarin lächelte.

Am folgenden Tage nahm das geheime Tribunal Leſtoeq von Neuem in’s Verhör und drohte ihm mit den höchſten Folterqualen. Er entgegnete jedoch ruhig: „Da ich nun einmal unter den Händen des Henfers»ge: weſen bin, verlange ich feine Gnade.”

Noch einmal ſchickte man feine Frau zu ihm. Auch fie war nicht im Stande, ihn zu einem Geftändniffe zu vermögen.

Raſumowski, Leſtocq's größter Gegner, war es, der jeßt die Kaiferin zur Milde ftimmte. Er ſprach die Vermuthung aus, daß der jchwedifche Gejandte BVolfenitierna jene Papiere Leſtocq's, durch welche dejr jen Verrath am Reiche vollkommen hätte erwiejen wer: den können, nad) Stodholm mitgenommen babe und rieth fich damit zu begnügen, daß man dieſen gefähr: lichen Intriguanten entlarvt und für immer unfchäd- lic gemacht habe.

Sp wurde denn endlich das Urtheil gejprochen, Leſtocq's Vermögen confiscirt und er ſelbſt, nachdem er öffentlich geknutet worden war, nach Uſting-Weliki im

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Gouvernement Archangel verbannt, wohin ihn feine Gemahlin begleitete.

Sp erlitt der ehrgeizige Wundarzt jelbit jene Schickſal, daß er den Lapuchin’3 bereitet und feinen Gegner Beituseff zugedacht hatte.

Siebentes Kapitel.

Verkehrte Welt.

Die Czaarin hatte fich mit ihrer Favorite, der Gräfin Sumwalow, in ihr Cabinet eingefchloffen. Es Ihien einer fehr ernten und wichtigen Berathung zu gelten, denn jo reizend und friſch Elifabeth in ihrem tofajeidenen mit weißen Spiten bejegten Schlafrode à la Watteau auch ausſah, ftörten doch tiefe nach: denkliche Falten die heitere Harmonie ihres Ge: fichtes und ihre fonft fo munteren Augen bafteten immer wieder finnend und betrübt auf dem Parquet.

„Salt Dir denn gar nichts ein, Lidwina“, begann die Monarchin, nachdem wieder eine größere Pauje entitanden war.

„Richts, Majeſtät“, entgegnete die Gräfin.

„Abjolut nichts?"

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„Abſolut nichts.“

„Du giebſt Dir feine Mühe“, grollte die Czaarin.

„O! mir thut ſchon der Kopf weh vom Grübeln und Nachdenken“, erwiderte rajch die Favorite, „aber es ift alles vergebend. Wir haben das ganze Regiſter des Vergnügens erfchöpft und ich glaube nicht, daß es in dieſer großen Welt noch etwas Neues für mic) giebt.“ | |

„Das iſt es eben“, jeufzte Elifabetb, „auch mir will nichts einfallen und doch gäbe ich viel für einem originellen Gedanken; wenn es jo fortgeht, fterben | wir noch vor Langeweile und Trübjinn.“

„Wie wäre e3 Majeftät”, jagte plößlich die Grifn Sumalow, „wenn wir nocd Jemand in die Beratbung zögen.“

„Wen etwa? Raſumowski iſt viel zu ernſthaft, | um fi) aus den Luftbarkeiten unferes Hofes etwas | zu machen, Dein Mann wird jehr bequem, Woronjof it nur noch PBolitifer *

„Nein, keiner von dieſen“, fiel die kleine Gräfin Elijabeth lebhaft in das Wort, „es müßte ein junger Menſch jein, der Geiſt und Wig befigt und Feine: aus unferm SHofcirkel, denn unjere Herren haben ih ſämmtlich, was gute Einfälle betrifft, vollftändig erſchöpft oder find von Haus aus viel zu nüchtern oder

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Hlöde, um etwas Gutes zu erfinnen. Wie wäre c3 aber, wenn wir es mit Bolkoff verjuchten?“

„Bortrefflich”, rief Elijabeth, freudig in die Hände Elatjchend. „Sa, Volkoff ſoll uns aus der Verlegenheit reißen, man jende jofort nad) ihm, er joll auf der Stelle erſcheinen.“

Die Gräfin beeilte ſich, einen Hoflakai mit einem Wagen abzuſenden, welcher den jungen Schaufpieler in den Kaiſerpalaſt bringen ſollte. Die beiden Damen gaben es indeß auf, ſich noch länger mit der Erfin— dung von Unterhaltungen für den Hof anzuſtrengen und ſpielten Domino, bis Volkoff gemeldet wurde.

„Er ſoll eintreten“, befahl Eliſabeth.

Der dienſtthuende Kammerherr öffnete die Thüre und der Erwartete kam herein. So ſicher und kühn er auf der Bühne war, ſo anmuthig er ſich in den Hofeirkeln bewegte, zu denen er gezogen war, zeigte ich der junge Schaufpieler doch jeßt, wo er zum erften Male die Gemächer der göüttergleichen Frau betrat, die er anbetete und die zugleich feine unumfchräntte Ge: bieterin war, verlegen, ja linkiſch und beantwortete die Fragen der beiden Damen mit einem GStottern, das bei dem jonft jo Nedegewandten einen unwiderſtehlich komischen Eindrud machte. Die Kaiferin lachte ihm

endlich laut in's Gefiht und die Sräfin übte unbarm— Sacher-Maſoch, ein weibliher Sultan. III, 6

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berzig ihren Spott an ibm, jedoch nur, um ihn noch mehr zu verwirren.

Vollof Stand wie ein gejcholtener Knabe da, wilchte fich in feiner Todesangit ftatt mit feinem Tude, wie er meinte, mit einem alten Theaterzettel die Stirne und nahm erft dann Pla, als die boshafte Favorite der Gzaarin ihn refolut auf einen Seſſel nieder drüdte.

„Sp fommen wir nicht vorwärts“, fagte endlid Elijabetb, „zur Sache alſo —“ | „sa, zur Sache“, wiederholte Bolfoff mechaniſch, welcher nicht mehr wußte, was er ſprach.

Wieder achten die beiden fchönen Frauen Kl auf. | „Wir haben Sie rufen laffen, Lieber Volkoff Volkoff erröthete. N „Um uns in einer wichtigen Angelegenheit kei Ihnen Rath zu erholen”, fuhr Elifabeth fort.

„Aber ich habe gar fein Talent zum Staatsmanne‘ ftaınmelte der Schaufpieler, welcher ſich unter ein wichtigen Angelegenheit nichts Geringeres vorftel konnte, al3 einen politischen Akt, einen Traktat, o etwas dergleichen, aber das Lachen der beiden Dam belehrte ihn jchnell eines Andern.

„Es handelt ſich ja um feine Staatsaffaire”, die Gräfin.

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„Dann allerdings —“

„Sie ſollen etwas erfinden, Volkoff“, erklärte ihm die Gzaarin, „was noch nicht da war, etwas ganz Driginelles, eine Unterhaltung für den Hof und vor Allem für uns, aber bieten Sie Ihren gan zen Geift und Ihre ganze Phantafie auf, denn es giebt nichts, was wir nicht ſchon ausgeführt hätten.“

„Aber das ift ja ſehr ſchwer“, wendete Bolkoff

„Gewiß“, Ipottete die Gräfin, „aber deshalb haben wir einen jo feinen Kopf wie den Ihren erwählt, um diejes Broblem zu Löjen.“

„Alſo denken Sie nad, Volkoff“, gebot die Kaijerin.

„Hier? —”

„Auf der Stelle.”

„Das ift unmöglich.“

„Unmöglich, wenn ich e3 haben will”, rief Elifas beth. |

„sh will alfo verſuchen, aber die Damen dürfen mich nicht anjehen dabei —“ bat Bollof.

Die Czaarin ſchlug ihn: mit dem Fächer auf die Wange „Muth“, flüfterte fie, „Muth mein Lieber.“

„Er ſoll fih Dort in die Ede ſetzen“, entfchied

die Gräfin. 6*

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„Ja, in die Ede“, ftimmte der junge Schaujpieler | erleichtert bei.

Die Gräfin ftellte einen Stuhl für ihn hin und hieß ihn, ſich auf demſelben niederſetzen, das Geſicht gegen die Wand. Volkoff gehorchte gern.

Nachdem er eine Weile ſtill geſeſſen und die | beiden Frauen gejpannt auf einen guten Einfall ge wartet, jagte er plößlih: „Sch bitte Majeftät, ſich nicht um mich zu kümmern, ſonſt bin ich wirklich nicht im Stande —“

„Alſo plaudern wir”, ſprach die Gzaarin.

„Rein, nein“, flehte Volkoff, „Ihre Stimm, Majeftät, verwirrt mich nicht weniger als Ihr Blid“

„Sut, dann jpielen wir Domino.”

50,10

Die beiden Damen jegten fih von Neuem ji ihrem Spiel und man hörte lange nichts als Wi Klappern der Heinen Steine und das Tik-tak der maſſiven einen Tempel der Diana darftellenden Uhr auf dem Kamin.

Plötzlich wendete ſich Volkoff mit dem ganzen Stuhle zu ihnen und rief: Sch habe es!

„Jun?“ fragten beide Damen zugleich.

„Sine Masferade.”

„Ah!“ rief die Czaarin enttäufcht.

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„War ſchon taujendmal da”, jagte die Gräfin.

„Bitte laffen Sie mich nur meine dee ent: wideln.“

„Alſo ?“

„Spielen wir einmal „Verkehrte Welt.“

„Wie das?“

„Ein Maskenfeſt, bei dem die Damen als Männer gekleidet, die Herren dagegen in Frauentoilette er— ſcheinen.“

„Vortrefflich“, jubelte Eliſabeth, „das iſt etwas ganz Neues, nie Dageweſenes, Sie ſind ein Genie, Volkoff, ein Genie, ich möchte Sie küſſen —“

Volkoff ſprang auf.

„Nein, nein“, lachte die Czaarin, „aber Sie dürfen mir die Hand küſſen.“

Der junge Schauſpieler ließ ſich raſch auf ein Knie vor der ſchönen Kaiſerin nieder und führte ſchüchtern ihre Finger an die Lippen.

„Ich bin mit Ihnen zufrieden, ſehr zufrieden, lieber Volkoff“, fuhr Eliſabeth fort. „Bitten Sie ſich alſo eine Gnade aus.“

„Ich wage nicht“, ſtotterte der junge Künſtler.

„Gut, dann will ich Sie ſelbſt belohnen“, er— widerte die Monarchin, „und zwar mit einem ebenſo originellen Cinfall als es der Ihre iſt, Sie müſſen alſo

ein wenig Geduld haben, denn ich bin darin nicht ſo fruchtbar, wie Sie. Vorläufig beſchäftigen wir uns eben mit dem Maskenfeſte, deſſen Arrangement ich hier— mit Ihnen übergebe.“

Nun hatte Volkoff mit einem Male ſeine ganze Geiftesgegenwart und Lebendigkeit wieder gewonnen, er jprang auf und begann jeinen Plan zu entwideln, welcher den vollen Beifall der Kaiferin fand. So ver: wirrt und unglüdlich er fih anfangs gezeigt hatte, ebenjo enthufiaftijch mar der junge Schaufpieler, als er jpät am Abende den kaiſerlichen Palaſt verließ; er jchien jetzt der glüdfeligite Menih von der Welt Unter den erleuchteten Fenjter jenes Flügels, den, wie er wußte, Elijabeth bewohnte, ſtehen bleibend, ſang er laut eine italienifche Arie, focht dabei wie ein erfter ie lienifcher Tenor mit beiden Händen, ſank bald auf ein Knie, jprang wieder empor, um in feinen Haaren zu wühlen, und geberdete fich jo, daß die beiden Gre— ‚nadiere, welche vor dem großen Thore Wache hielten, aufmerfjam wurden.

„Der Mensch jcheint verrüdt geworden zu fein“, jagte der eine.

„Oder er ift vielmehr betrunfen“, meinte der andere, der fchon unter Münnich gegen die Türken gefochten hatte, und defjen Kehle manche ernfte Probe beftanden.

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Die Kaiferin erließ am folgenden Tage ein Cir— alair an alle Mitglieder ihres Hofcirkels, in welchem fie für den nächiten Dienftag ein Maskenfeſt anordnete und zugleich den Befehl ertbeilte, daß alle Damen als Herren nnd die Herren al3 Damen zu erjcheinen bitten. Die Verfügung erregte unter den Frauen ebenjo großen Jubel als namenloje Verzweiflung bei den Herren, von denen die meiften fich wohl jagen mußten, daß jie in weiblichen Kleidern ganz abſcheu— lich ausfehen würden, während jede der eroberungs- luftigen Schönen fich der Gelegenheit freute, ihre Reize in irgend einer abfonderlichen und fchmuden Tracht von einer neuen Seite zeigen zu fönnen. Im Balafte jelbft wurden auf der Stelle die nöthigen Vorkehrungen getroffen, um die auserlefene Gefellfchaft, welche fich an dem Feltabende verjammeln jollte, auf das Ang:: nehmſte zu überrafchen. |

Endlich kam der von verjchiedenen Seiten ebenjo erjehnte als gefürchtete Tag. Schlag acht Uhr Abends wurden unter den verjehiedenen Klängen einer Janit- Ihaarenmufif die Thüren des großen Ballfaales ge: Öffnet und damit das Signal gegeben, die von Bolkoff erionnene verkehrte Welt mit allem Pompe jener Tage in Scene zu ſetzen. Eine Compagnie allerliebiter weiblicher Grenadiere, in grünen Sammet gefeidet,

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hohe glänzende Blehmügen auf den kokett frifirten Köpfen bezog die Wache und jtellte ihre Boften an alle Ein: gänge, während ein männliches Mufikcorps, welches ſich auf der Galerie befand, in der Tracht ſchwäbiſcher Bäue— rinnen mit rothen Strümpfen, furzen Rödchen, großen Puffirmeln und weißen Flügelhauben eine grotest fomifchen Eindrud machte. Raſch rollte Wagen auf Magen heran, in furzer Zeit war der Eaal mit der bunteften Menge gefüllt, welche jich gegenjeitig neu: gierig mufterte und die phantaftilch barode Ausichmüd- ung des Saales anftaunte. Nach Zeichnungen Volkoff's waren von gejchicdten Malerı fünf Gemälde in Form

von großen Tapeten ausgeführt worden, mit denen

die Dede und die vier Hauptwände geſchmückt turen.

Diefelben verfinnlichten die verkehrte Welt in einer

Keihe von Scenen, in welchen in echt humoriſtiſchet

Weiſe den Männern nicht allein die Rolle der Frauen,

Jondern auch hier und da von Thieren und leblojen Gegen:

Ständen zufiel, um die Herrfchaft des Weibes recht nad-

drüdlich zur Anschauung zu bringen.

Die Dede zeigte das Weib auf dem Throne, als Regentin der Erde, eine ſchöne Frau im griechiſchen Coftüme, welche Lächelnd ihren nur von einer leichten Goldſandale befleideten Fuß auf die Erdfugel jehte. Ringsum lagen Männer, deren Ausfehen und Kleidung

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die verfchiedenen Stände ſymboliſirten, auf den Knieen, gleich anbetenden Gößendienern.

Bon den vier Wandgemälden zeigte das eine in glüdlicher Gruppirung , die verfchiedenen Stadien der Liebe und Ehe. Die Mitte defjelben nahm ein Gebäude im italienifchen Style mit einer offenen Veranda ein. Links von demjelben ſah man in einem prächtigen Garten, von dem grünen Dache einer Weinlaube be— hattet, ein höchſt ergögliches Liebespärchen, einen bübjchen jungen Mann, der verjchämt jein er: röthendes Geficht mit einem Tafchentuch bededte, wäh: rend eine kühne Schöne den Arm um ibn ge: Ihlungen hatte und ihm offenbar eine glühende Liebes: erklärung machte. Auf der Beranda ſaß ein Mann mit einem Widelfinde im Arme, das er mit Brei zu füttern fich bemühte, während feine Gemahlin unten einen muthigen Renner zu befteigen im Begriffe war. Rechts von dem Haufe hielt eine zornige Gattin ihren weinenden Mann bei den Haaren und prügelte ihn ınit einem Stode erbärmlich durch.

Auf dem zweiten Bilde pflügte ein ſchönes Träf- tiges Weib ihren Ader, ftatt der Ochſen hatte fie vier Männer in den Pflug gejpannt, welche fie mit einer großen Peitjche antrieb. Im Hintergrunde ſah man zwei Frauen in einer Schmiede arbeiten, während ihre

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Männer vor derjelben faßen und jpannen, und ſeit— wärts einen offenen Kaufladen, in welchem zwei Herrinnen der Schöpfung, ihre Männer als Stühle bes nügend, einen Handel abzufchließen jchienen.

Die dritte Wand zeigte das volle Kampfgewühl einer großen Schlacht, zwei weibliche Heere, melde erbittert mit einander fochten, im Vordergrunde ſah man eine Batterie, deren Gefchüge mit Männern be= ſpannt waren, und eine Abtheilung feindlicher Reiterei, welche jtatt auf Pferden auf Männern reitend, im Begriffe war, diejelbe zu erobern.

Das lebte Gemälde ftellte die weibliche Juſtiz dar. In einer großen Halle, deren offene Säulen: gänge die Ausfiht nad allen Seiten frei Liegen, ſaßen fünf reizende junge Frauen zu Gericht über einen Verbrecher, der, auf die Kniee gefunfen, vergebens ſeine Unfchuld betheuerte.

Denn jchon hatten ihn, auf den Wink der Vor: figenden , zwei weibliche Henkersknechte ergriffen und waren im Begriff ihm die Hände auf den Rüden zu binden, während ein weiblicher Henker, in blutrotbes Tuch, gekleidet, graufam Tächelnd, die Folter für ibn bereit machte. Durch die Arkaden blidend, fah man | eine Reihe Kleiner Scenen ſich entwideln, einen Ber: brecher, welcher von zwei Frauen gefangen genommen

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und bon einer neugierigen Volksmenge begleitet, auf das Gerüft gebracht wird, zur Zwangsarbeit Berur: theilte von der Peitjche eines weiblichen Aufjehers angetrieben und ein Schaffot, inmitten eines Vieredes von Amazonen, auf dem eine jchöne Frau mit ent: blößtem Arme dem gaffenden Pöbel das blutige Haupt eines Hingerichteten zeigte.

Die anwejenden Herren und Damen hatten ihrer: feits Alles gethan, um diejer ſeltſamen Ausihmüdung des Saales in ihren Verkleidungen möglichit zu ent: fprechen; da jah man einen hübjchen weiblichen Kam— fchadalen auf einem Schlitten, welcher ftatt mit Hunden mit vier Männern beſpannt war, die auf allen Vieren daherliefen, einige echt ruſſiſche Ammen männlichen Geſchlechtes mit allerhand grotesken Wechjelbälgen, männliche Blumenmädchen, leicht geſchürzte Tänzerinnen, Odalisken und Rofolodamen an den Arme weiblicher Hufaren, Abeés, Doctoren und Gerichtsperjonen.

Die herrlichſte Erſcheinung von Allen war indeß doch die Gzaarin jelbit, deren tadellos ſchöner Körperbau in dem zugleich reichen und kleidſamen Coſtüme eines polnifchen Galvalier3 jener Zeit zur vollſten Geltung fam. Sie trug hohe Stiefeln von Eerifefammet, engan= Schließende weiße Reitbeinfleiver, einen kurzen Rod von Gerifefammet mit SHermelin verbrämt und reich

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mit Gold verjchnürt, eine Tartarfa von demjelben Sammet und Pelz mit hoben Reiterbuſch, den eine Diamantenagraffe feithielt und eine krumme Karabela in rotbjammtener Scheide, den goldenen Griff mit großen Diamanten von unſchätzbarem Werth bejett.

Man hatte die hohe Frau lange nicht fo heiter gejehen wie an diefem Abend, nur einen Augenblid umbdüfterte jich ihre ſchöne Stirne als man ihr jagte, daß Graf Aleris Raſumowski ſich entjchuldigen laſſe. Auf die Frage nad) der wahren Urjache feines Aus: bleibens jagte fein Bruder Kiryll, welcher als italienijche Primadonna einen unmiderfteblich komiſchen Eindrud machte: „Sie wiſſen, Majejtät, wie ernft Aleris denkt und fühlt, ich glaube, daß es ihm vor Allem wider: ftrebt in Weiberfleidern eine lächerlihe Rolle zu fpie len.”

„Er bat Recht”, ſagte jegt die Kaiferin nad furzem Bejinnen, „derlei Poſſen find nicht für ihn.”

Sie nahm hierauf an dem Haupteingange Poſto und ließ die bunte Mastenmenge Revue pajfiren. Bor allen anderen fiel ihr ein weiblicher Domino auf, ganz in Rojafeide gekleidet, eine ſchwarze Sammetlarve vor dem Gejicht, deffen Gang und Bewegung ihr den Ber: dacht erregten, daß fich in demjelben fein Mann fondern eine wirkliche Dame verberge. Raſch trat fie auf

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denfelben zu und faßte feine Hand, auch dieje war auffallend Elein und zitterte eigenthümlich in der ihren.

Die Czaarin begann nun, ganz in der Weife der galanten Cavaliere der Rokokozeit, dem verdächtigen Domino den Hof zu machen, bemächtigte fich feines Armes und führte ihn, fcheinbar ohne Abficht, immer weiter von dem eigentlichen Feftgewoge weg, durch eine Reihe von Eleineren Nebenjälen in ein mit Blumen reizend decorirtes kleines Gemach, in defjen Mitte ein Springbrunnen plätjcherte.

„O! welche wunderbare Kühle und Frijche bier“, Hüfterte der Roſadomino, fi) auf einem Polfterfige, der zwifchen Drangenbäumen ftand, niederlafjend. Die Czaarin blieb einen Augenblid an der Thüre ſtehen, um fich zu verfichern, daß fie allein feien, dann ihritt fie rafch auf denjelben zu und fagte nicht ohne einen Anflug von Zorn: „Sie find fein Mann, nehmen Sie die Larve ab.” |

Der Rojadomino gehorchte augenblidlich, die Raiferin blickte ihm, von der jugendlichen Schönheit deffelben geradezu betroffen, mehrere Sekunden lang ſtumm in das Antlitz und rief dann: „Wer find Sie, wie fonnten Sie es wagen, gegen meinen Befehl —“

„Aber Majeftät, kennen Sie midy denn wirklich nicht“, erwiderte eine wohlbefannte Stimme.

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„Mein Gott Sie find 8 „Sa, Volkoff, Majeftät.”

„Ah! Sie jehen ja prächtig aus, zum Verlieben

lachte die Gzaarin, „gut daß Sie feine wirkliche Fre find, ich hätte jonft eine neue gefährliche Rivalin

befämpfen, aber da kömmt mir ein köſtlicher Einfe

Berlaffen Sie jofort den Ball, damit Sie Niemaı

fieht. Ich babe etivas vor mit Ihnen. Wir werd |

das heutige Spiel fortjegen.” „Verkehrte Welt?“ „Da, verkehrte Welt.“

un ee

Achtes Kapitel.

Die Eomddie der Czaarin.

E3 war jpät am Abend, als Volkoff mit Soma: rokow und Anderen vom Theater in einer Eleinen Schenke, welche dieſer Kreis genialer und wilder junger Leute zu bejuchen liebte, bei einer Flaſche Sau— terne figend und von allem Möglichen und Unmöglichen phantafirend, von einem alten, vernachläßigt, fremd— artig und verftaubt ausjehenden Diener aufgejucht wurde, welcher ihm ein kleines Billet überbrachte. Dafjelbe enthielt die wenigen bedeutungsvollen Worte: „Folgen Sie dem Manne, der Ihnen dies überbringt und laſſen Sie alles mit ich gejchehen, was er von Ihnen verlangt. Eine, welche alle Ihre Träume und Wünſche zu erfüllen im Stande ift.“

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Volkoff las, faltete das Papier zufammen und lächelte dann bedeutungsvoll.

„Was haft Du?” fragte Somarofow.

„Sin Rendezvous”, jagte ein Anderer.

Volkoff begnügte ſich die Achjeln zu zuden und um Stillfchweigen über den ganzen Vorfall zu bitten, er wußte, daß dies unter diefen Umftänden weit mehr bewirfe, als Sıchwagen und Prahlen. Dann erhob er jich und folgte dem Diener.

Sie gingen durch ein paar Straßen und traten dann in ein Kleines Haus. Der Atte Elopfte in einem dunklen Gange an eine Thüre, aus der ein rotber Lichtſchimmer fiel, fie wurde geöffnet, ohne dab Volkoff Jemand bemerken konnte. Er folgte jeinem Führer in eine Kleine Stube, in welcher er auf deſen Wink in einem alten Lehnſtuhl Bla nahm. Der Ate verließ ihn und fehrte in einigen Augenbliden mit einer ſeltſam ausfehenden Märchenblume zurüd, welde er ihm mit einem fchalfhaften aber durchaus nicht Miß— trauen erwedenden Lächein reichte.

Der junge Schaufpieler betrachtete die Blume befremdet und roch danı an derjelben. Ein munder: barer Duft entftrömte ihr, er jog ihn ein und ſogleich fühlte er feine Sinne jhwinden.

Als Volkoff zu ſich kam, lager auf einem orien—

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talifchen Ruhebette mit vergoldeten Füßen inmitten einer Rotunde, deren Styl und Ausfchmüdung eher auf den phantaftifchen Orient, als auf das nüchterne Petersburg hinwies. Dur eine Dede von matten Glaſe fiel ein magiſches blaues Licht von oben in den mit bunter Malerei, Gold und bligenden Steinen reich verzierten Raum, deſſen Boden mit koſtbaren perfiichen Teppichen bededt war. Volfoff richtete fich auf und verjuchte ſich zu befinnen, was mit ihm vor: gegangen war, aber man ließ ihm nicht lange Zeit dazu.

Eine himmlische Mufik ertönte, zugleich) öffnete ſich der Boden vor ihm und gleichfam von den zauberifchen Ton- wellen getragen, ſchwebte eine reizende jugendfchöne Frau empor, in einem reichen Gewande nach türkiſchen Schnitt und einem fcheinbar durdhfichtigen und doch dichten Schleier, welcher aus Goldjtaub oder Sonnen licht gewoben fchien und fie in taufend Sternchen bligend einhüllte. In der Hand hielt fie einen Eleinen Stab von Elfenbein.

ALS fie vor Volkoff ſtand, ſchloß fich der Boden unter ihr und fie begann mit einer zarten melodifchen Stimme: „Du wirft es nicht bereuen, Erdenjohn, daß Du meinem Gebote Folge geleiftet und Dich meinem dienftbaren Geifte anvertraut haft. Willfommen

bier in meinem Reiche.” Eader:Mafoh. Ein weibliher Sultan. III. 7

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„Ber bit Du?“ fragte Bolkoff erjtaunt.

„Ich bin die mächtige Fee, die bier gebietet.”

„Iſt dies ein Traum?“ murmelte Volkoff.

„Rein, es it fein Traum.“

Volkoff ftand auf, um vor der ſchönen geheimniß- vollen Frau ein Knie zu beugen. „Wie foll ich Deine Bunft verdienen?” fragte er dann, indem er einen Zipfel ihres Schleiers an die Lippen führte.

„Durch Vertrauen und Gehorſam.“

„Sebiete über mich, wie Du auch heißeft, jchöne Tee, wie über Deinen Sklaven.”

„Che ich dies thue“, ſagte die VBerfchleierte, „will ih Dir drei Wünjche erfüllen. Bedenke mohl, was Du verlangſt und ſprich nicht? aus, ehe Du nicht überzeugt bift, daß die Erfüllung Deines Berlangens Dir Glück brinat, denn jeder Wunich, den Du über die Lippen brinaft, ift in demfelben Augenblid ſchon durd meine Geifter vollzogen und nicht? kann das durd Zauber Vollbrachte rückgängig oder ungejchehen maden. Verſtehſt Du wohl?“

Ich verſtehe.“

„Gebiete alſo meinen Geiſtern.“

Volkoff dachte einige Augenblicke nach, dann ſprach er: „So will ich denn zuerſt ein Mahl, wie es

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der große Sultan oder der berühmte Kalif von Bag: dad, Harun al Rafchid, zu nehmen pflegte.”

Kaum hatte Volkoff feinen Wunſch ausgeiprochen, jo verfanf die Fee in die Erde und vier Mohren in rother türfifher Tracht fprangen herein, kleideten ihn aus und hüllten ihn in foftbare ovrien- taliihe Gemwänder; und faum lag er in dem goldge: fidten Hermelinpelz und dem Turban eines Sul: tans auf dem Ruhebette, als unter den Klängen einer herrlichen Muſik dem Boden eine reichgededte Tafel entjtieg und die Mohren ihn mit dem Koftbarften was es an Delicateffen und LZedereien auf der Erde gab, zu bedienen begannen. Zugleich ertünte jeßt Gefang wie von einem unfichtbaren Geifterchor und eine Schaar der reizendften Dpalisfen, das dunfle Haar mit Perlen durchflochten, trat aus den Wänden der Rotunde hervor. Ein Theil begann, die Tam— bourins ſchwingend, einen orientalifchen Tanz auszu— führen, während der andere ihm mit Palmenfächern Kühlung zumehte und die Allerfchönfte auf einem Bolfter zu feinen Füßen Pla nahm, um ihm das Mahl durch‘ die feurigften Küffe zu würzen. Doch als er mit demfelben zu Ende war, zerjtob mit einem Male der ganze bunte Schwarm, die Tafel verſank, die Mufif verftummte und Volkoff ſah fich allein in der Rotunde.

,

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Im nächiten Augenblide wurde feine Schulter be: rührt, er blidte hinter fih und ſah die Fee, welde, ihn nad) jeinen weiteren Wünjchen befragte.

„Ich gefalle mir in der Nolle des Sultans”, ſagte Bolfoff und möchte diejelbe noch ein wenig weite jpielen.“ |

„In welcher Weije”, fragte die Fee.

„Genießen ift ſüß“, erwiderte Volkoff, „jedoch Andere, die ung beleidigen und mißhandeln, trafen und leiden lafjen, nicht weniger föftlih. Ich will den Oberſten Malgan, welcher mich und meine Gameraden, als Chef des Gadetenjtiftes, wie ein Tyrann der jchlimmften Sorte, übel genug behandelt bat, auf der Stelle bier als meinen Sklaven jehen und ibn als fein Gebieter züchtigen, wie es mir beliebt.”

„Dein Wunſch joll erfüllt werden”, ſagte die Fee nac einer Eleinen Baufe, „doch brauchen meine Geijter Zeit, um den Oberſten zu finden und hierher zu bringen.“

„D! ich kann warten“, jagte Volkoff und ftredte fih behaglicy auf feinem Ruhebette aus. Die Fee war zugleich verfhwunden. ES verging geraume Zeit, der junge Sultan begann ungeduldig zu werben.

„Ach, die Geifter fcheinen ebenfo träge zu jein, als unfere anderen gewöhnlichen Bedienten“, rief er.

„Geduld!“ ermahnte eine Stimme von oben.

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„Vergebung, ich fpreche fein Wort mehr“, gelobte Volkoff.

Plötzlich ſprang die Wand auf und die vier Mohren ſchleppten den Oberſten Maltzan in Sklaven— kleidern herein und zwangen ihn vor Volkoff nieder: zufnieen.

„Kennit Du mich”, begann Volkoff, indem er fich bemühte die blutdürftige Miene eines Nero. anzu: nehmen.

„Du biſt Volkoff, der Schaufpieleer —“ ſagte der Oberſt.

„Nein, Volkoff der Sultan von nun das Land, in dem ich herrſche, thut nichts zur Sache. Weißt Du aber, daß Du jetzt in meiner Gewalt biſt, Maltzan, mein Sklave!“

„Ja, ich weiß es“, ſeufzte der Oberſt, der offen— bar durch eine höhere Macht gezwungen war, ſich in ſein Schickſal zu ergeben und ſogar noch gute Miene zum böſen Spiel zu machen.

„Weißt Du auch, was Dich erwartet?“

„Ich rechne auf Gnade.“

„Vielleicht verrechneſt Du Dich, Thrann, der Du uns armes junges Blut oft ſo erbarmungslos be— handelt haſt“, ſprach Sultan Volkoff, „eine mächtige Fee hat Dich in meine Gewalt gegeben und bin ich

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nicht der Mann Dich zu fchonen, elender Sklave, der Du in mir Deinen Herren, Deinen Richter erblickſt“

„Ich bin bereit mich vor Dir zu demüthigen“, be: gann der Oberft jchüchtern.

„Wie wilit Du Dich noch mehr demüthigen“, fpottete Sultan Volkoff, „da Du mein Sklave bift und bier zu meinen Füßen liegjt wie ein Hund, den ic) treten kann wie ich will. Ja ich werde Dich treten. Hierher mit ihm.“

Die Mohren ergriffen den unglüdlicyen Oberften aufs Neue und legten ihn zu den Füßen Volloffs nieder, welcher ihn in alem Ernſte gleich einem Hund zu treten begann.

„Run, was ſagſt Du jeßt, Elender ?“

Der Oberſt jeufzte.

„Dies ift noch lange nicht genug”, befahl Volloh, bindet ihn an Händen und Füßen und gebt ihm auf gut türfifch die Baftonade auf die Sohlen.“

„Um Gotteswillen, Volkoff, welch’ ein Einfall“, fchrie der Oberft auf.

„Bit Du mein Sklave?” fragte Volkoff, fih auf richtend.

„Ja.“

„Alſo.“

Die Mohren banden dem Oberſten Hände und

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Füße, holten eine lange Stange und fefjelten ihn an diejelbe mit den Sohlen nad) aufwärts.

„Gnade !” flehte Malkan.

„Keine Gnade”, lachte Volkoff, der fich in jeinem großen prächtigen Sultanspelz gleich einem Vollbluts despoten fühlte. Gebt ihm die Baftonade, ich jelbit werde zählen.”

Einer der Mohren trat mit einem dünnen Rohr an das Opfer Volkoff's heran.

„Eins!“ befahl der Sultan auf dem Ruhebett ausgeftredt. Der Hieb pfiff durch die Luft, Malkan jeufzte tief auf. |

„wei !“

Wieder traf das ominöſe Rohr die Fußjohlen des Dberften. Bei dem zwanzigften Hiebe bat er um Gnade und geberdete fich ſchon ganz jämmerlich, aber Volkoff hatte nur ein fpöttifches Lachen für ihn und zählte ruhig weiter. Er mußte fünfzig Hiebe aus: halten, dann erft befahl fein Peiniger anzuhalten und ihn loszubinden.

„Run bedanke Dih Sklave“, gebot Volkoff und der arme Teufel mußte ihm noch die Hand küffen.

„Genug!“ fagte jet der Sultan und im Ru waren die Mohren mit jammt dem Oberſten ver: verſchwunden.

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Wieder ftand jegt die mächtige Fee vor dem Ber nlüdten. „Nun nenne mir Deinen dritten, lesten Wunſch“, ſprach fie, „bedenke wohl, was Du verlangit, Du halt dann feine Forderung mehr an mich zu richten, fondern bift im Gegentbeil verpflichtet mir zu dienen.“

„Das Beite zulegt”, rief Volkoff, ohne fich einen Augenblid zu befinnen. „Zaubere mir auf der Stelle die jchöne göttergleiche Frau bierher, die ich liebe, die ich anbete.”

„Nenne fie!“

„Die Czaarin.“

Die Fee erhob ihren Stab, ein Blig zudte von der Wölbung der. Rotunde hernieder, ein Donnerjchlag erfchütterte diefelbe und machte den Boden zittern, ein duftiger Hebel hüllte Volkoff, ein und wich nur al mälig, indem er, von einem ftarken Lichte durchglükt, tofig verſchwamm.

Bolkoff jtieß einen Schrei aus. Wie durch einen BZauberjchleier erblidte er jegt mit einen Male die Gzaarin. Die Wand vor ihm batte fih in einen großen Spiegel verwandelt und derjelbe zeigte ibm das jchöne Weib, das ihn im Traum und Machen unabläffig befchäftigte, auf einer Dttomane rubend. Sie war in eine weiße Wolfe von Seide und Spigen gebült und hatte die Augen gejchloffen; fie ſchien zu jchlafen.

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„D! wie ſchön ift fie”, murmelte Volfoff, indem er von feinem königlichen Lager binabglitt auf die Kniee und jo gleichſam anbetend vor ihr lag. Die Fee näherte fich dem Zauberbilde und berührte es mit ihrem Stäbchen, die Wand theilte fih, die jchöne Frau erwachte, blidte um fich, Lächelte Volkoff mit al’ ihrer hinreißenden Anmuth zu und erhob fich dann, um zu ihm berabzufteigen.

„Du fommft zu mir, meine Herrin, meine Göttin!” flüfterte der junge Schaufpieler.

ı „Wie kommſt Du hierher, Volkoff“, erwiderte die Czaarin und bob ihn zugleich auf, „und ich? ft dies ein Traum?”

„Kein, nein“, rief er, „es iſt Wirklichfeit, die herrlichſte, wunderbarſte Wirklichkeit, ich trinke Deinen ſüßen Athem, ich halte Dich in meinen Armen.” Er hatte fie feurig umfchlungen aber fie machte fih fanft los.

„Nicht ſo, mein Freund“, ſagte ſie, „beherrſche Dich, ſonſt müßte ich Dich verlaſſen.“

„Du biſt mein“, rief Volkoff, „eine gütige Fee hat Dich mir geſchenkt für eine ſelige Stunde, ich laſſe Dich nicht, denn ich bete Dich an, Du biſt mir Alles, mehr als die ganze übrige Welt, alle meine Pulſe fliegen Dir entgegen, blicke nicht ſo kalt, ſo ſtreng.

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„sch warne Dich noch einmal“, ſprach die Ezaarin „ich darf Deine Leidenfchaft nicht erwidern, Du weißt es, fieh diefen Ring, er fagt Dir Alles.” Sie bob den Finger mit dem Trauring empor.

„Nein Elifabeth“, flammte Volkoff jest auf, „Du gehörft mir und Feine Macht der Erde joll Dich mir entreißen. Ich will Dich mein nennen und dann jterben, wenn es fein muß”, er riß die jchöne Frau ungeſtüm an feine Bruft und preßte einen glühenden Kuß auf ihren Naden. In demjelben Augenblide ftredte die Fee ihr Stäbchen zwijchen ihn und die Gzaarin.

„Zurück“, befahl fie, „Du haft von mir verlangt, daß ich Dir die Frau, die Du liebit, hierher zaubere, aber ihren Befiß haft Du nicht von mir geforden, mäßige Dich aljo.“

„O! ich Unfeliger*, ſchrie Volkoff auf, „aber ib will, ich muß fie doch beſitzen.“

„Zurück.“

Volkoff wollte die Czaarin von Neuem in ſeine Arme ſchließen, da erſchütterte ein furchtbarer Donner— ſchlag die Rotunde und zugleich war ſie ihm in einer Wolke entſchwunden. Als dieſelbe ſich verzog, ſtand die Fee vor ihm und ſprach mit feierlichem Ernſte: „pre Wünſche Hab’ ich Dir erfüllt, Erdenſohn, nun

107 gehörft Du mir, die Stunde jchlägt, wo Du mir dienen jollit; gelingt eg Dir, meine Befehle jo zu erfüllen wie ich es wünſche, ſollſt Du königlich belohnt werden, Du ſiehſt jest, daß ich die Macht dazu habe.”

„Ich bin bereit”, jagte Volkoff.

Die Fee reichte ihm jeßt Ddiefelbe Zauberblume, durch Die ihn ihr dienjtbarer Geiſt in Schlaf verjenkt batte, Volkoff jog wie damals ihren herrlichen Duft ein und ſank dann in die Politer des Ruhebettes zu: rüd gleich einem Trunkenen; wenige Secunden und tiefer Schlaf umfing ihn.

Neuntes Kapitel.

——

Einelannenhbafte Schöne.

Als Volkoff erwachte, war es Mittag, er ſah ſich zu Hauſe entkleidet in ſeinem Bette und blickte erſtaunt um ſich. Hatte er nur lebhafter als ſonſt geträumt? Er kleidete ſich raſch an und eilte in das Theater; auf dem Wege dahin begegnete er durch einen ſonderbaren Zufall dem Oberften Maltan, welcher in feinem Wa: gen faß und als er ihn erblicte, ein grimmiges Gefiht Ichnitt. Volkoff hieß den Kutfcher Halten und indem . er den Hut zuborlommend bis zur Erde abzog, fragte er den Oberften: „Sagen Sie mir, waren Sie denn heute Nacht wirklich mein Sklave oder habe ich nur geträumt, daß ich Ihnen fünfzig Hiebe auf die Fuß ſohlen geben ließ?“

„Hol Sie der Teufel”, jchrie der Oberft und fuhr fort.

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Bolkoff jchüttelte den Kopf. „Weshalb ift er fo zornig”, jagte er zu fich jelbit, am Ende habe ich ihn heute Nacht doch in allem Ernte in der Arbeit gehabt. Seltjam, Selifam.” Er ging zur Probe und jpielte abends, alles noch halb im Traume, und wie er durch den Vorhang blidte, ſaß die Kaijerin mit dem gleich: giltigiten Gefichte von der Welt in ihrer Loge und gähnte.

„Rein, es ift doch unmöglich”, dachte er, „ich habe offenbar geträumt.” Er hatte fich jo ziemlich über fein Abenteuer beruhigt, als er nad) der Vorftellung bei dem Heraustreten aus dem Theater plöglich den alten Diener vor fich ſtehen ſah, der ihn zu der Fee gebracht hatte und ihn wieder zu erwarten jchien. Jetzt zweifelte er nicht mehr länger daran, daß er nicht geträumt hatte.

„Suchſt Du mich? begann er.

„Ja Herr”, jagte der Alte.

„Halt Du einen Auftrag für mich?“

„Allerdings. Wollen Sie mir folgen?”

„Sewiß und hieße es geraden Weges in die Hölle gehen.“

Der Alte lächelte und jchritt voran, Volkoff den Weg weilend.

Am folgenden Morgen jaß Graf Sumwalow, der einftige Günftling der Kaiferin Eliſabeth, in einen

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foftbaren perfiichen Schlafrod gehüllt, in feinem Cabinet und war eben mit der Durchſicht von Papieren bejchäftigt, welche fich auf eine große Handelsjpeculation bezogen, als ihm eine junge Dame gemeldet wurde, die ihn in einer Geldangelegenbeit zu fprechen wünjchte. Su: walow fragte jeinen Kammerdiener, ob fie auch hübſch jei. Als dieſer verfichert hatte, daß e3 eine feltene Schönheit wäre, welche alle Damen des Hofes verdun- feln würde, wenn fie in den Eirkeln der Kaiferin Zu: tritt hätte, lächelte der Graf vergnügt und befahl fie vorzulafjen. | |

Suwalow war, jeitdem die Kaiferin ihm fo ſchnöde den Abjchied gegeben hatte, mit Gott Amor zerfallen und hatte fih ganz dem minder launenhaften Merkur geweiht, er machte Gejchäfte in jeder Richtung, wo es nur Geld zu verdienen gab und ſtets glüdliche Gejchäfte, da er fich nie blöde zeigte, wenn es galt, feine Stellung und feinen Einfluß für feine perfönlichen Vortheile aus: zubeuten. Er wurde bald zum Schreden der einbei- milchen wie der ausländifchen Kaufleute, welde er gleich jchamlos plünderte, und lieh außerdem Geld auf bobe Zinfen. In dem Maße, als ihm das Glüd lä— chelte, ftieg auch feine Habgier, und fein Geiz murde bald eben jo ſprichwörtlich, wie e8 früher fein Hang zum Vergnügen und feine Berfchwendung waren.

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Als die Dame eintrat, bemühte ſich Suwalow gar nicht, fich zu erheben oder jie nur zu begrüßen, als jie aber ganz zu feinem Schreibtifch hintretend, den Schleier zurüdichlug, entfuhr ihm doch ein leifer Ruf der Ueber: rafhung. Er hatte lange Zeit Fein jo regelmäßig fchönes und zugleich veizendes Gejicht gejehen, feine jo imponirende und dabei anmutbige Geftalt. Er erin- nerte ſich unwillkürlich an die jugendichöne Großfürftin Eliſabeth, die ihm einſt ihre Gunſt gejchenft und lä— chelte eigenthümlich.

Dann Stand er auf, entichuldigte fein tiefes Ne: gligee und bot der jchönen Fremden einen Stuhl an, auf dem fie mit nachläffiger Grazie Blag nahm.

„Kennen Sie mich, Excellenz?“ begann fie.

„zeider hatte ich bis jegt nicht das Vergnügen“, entgegnete Suwalow, indem er fich neben fie jeßte und ihre Eleine Hand mit Zärtlichkeit faßte.

„Ich nenne mid Marfa Iwanowa Nadrew, mein Mann —“

„Ad, Sie haben einen Mann“, fiel Suwalow ein, „und wie leben Sie zufammen?”

„Richt Jonderlich”, erwiderte die Schöne, „und dies eben jest mich in die peinliche Lage, zu Ihnen meine Zuflucht nehmen zu müſſen.“

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„Bebieten Sie nur über mich“, gab der Graf, immer wärmer werdend, zur Antwort, „aber ihr Mann! ſolch eine Frau zu vernachläſſigen.“ |

„Es find nicht alle jo galant wie Sie, Erellen;“

„Sie wünjchen aljo?“

„Ein Darlehn“, lijpelte die Schöne mit allen J chen großer Verwirrung.

„Und dies macht Sie erröthen“, rief Suwalow, „Sie ſind noch ſehr unſchuldig, Madame.“

„Ich bin wirklich ſehr unerfahren.“

„And welche Summe wünjchen Sie?“ |

„Zaujend Rubel.“ |

„Zaufend Rubel“, lächelte Suwalow, „das reicht ja kaum für eine Toilette, wie Sie dieſelbe beanſpru— chen können.”

„Sie find zu gütig —“

„Ich möchte gern mehr für Sie tun“, fuhr I Graf fort. „Sie find eine ſehr ſchöne und fehr Liebens- würdige Dame und jo jung, Sie erregen mein | gefühl. Aber bier ijt nicht der Ort darüber zu ſprechen. Würden Sie mir wohl erlauben, Sie zu befuchen?“

„Gern, Ersellenz“, jprach die Dame, „aber bedenken Sie, was man dann jagen wird.“

„Run, was wird man jagen?“

„Daß ich Ihre —“ fie ſchlug die Augen nieder.

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„Daß Sie meine Geliebte, meine Gebietcerin find, Wäre das ein jo großes Unglück?“

„And dann mein Mann —“

„Den jchiden wir fort“, entjchied der Graf.

Wenn ic) wüßte, daß ich Ihnen vertrauen darf“, begann jegt die Dame zuverfichtlicher.

„zweifeln Sie daran?” unterbrach fie Suwalow. „ordern Sie Beweife, ich werde Sie ihnen nicht Tchuldig bleiben.“

„Run, fo machen Sie vorerft Toilette“, ſagte die Schöne, „und führen Sie nich dann an Ihrem Arme durch die Stadt, aber dies wagen Sie nicht.”

„Weshalb nicht?“

„Man jagt ja, daß die Czaarin —”

„Vergangne Zeiten”, jeufzte der Graf, „in wenigen Minuten jtehe ich Ihnen zu Dienften.” Er entfernte fih und kehrte bald voilftändig angekleivet und zum Ausgange bereit zurüd. „Da bin ich“, jagte er. „Ber fügen Sie über mid, Marfa Iwanowna.“

Die Schöne nahm jetzt ohne viele Umftände feinen Arm und ließ ſich von ihm durch die belebteften Gafjen der Stadt führen. Die Borübergehenden jahen Su: walow mehr oder minder erftaunt an, er zeigte jedoch an der Seite der reizenden Fremden feine Verlegenheit,

jondern im Gegentheil einen gewiffen Stolz. Sacher-Maſoch, Ein weiblicher Sultan, III. | 8

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„Wiſſen Sie, daß wir ſehr gut zuſammenpaſſen, Marfa Iwanowna“ ſagte er, „ſowohl in unſerem Aeu— Beren als unſerer Größe und auch was unſeren Gang betrifft.”

Aber dafür um fo weniger in unjerem Anzuge”, flüfterte die Schöne, „Sie jehen jo vornehm aus und id ziemlich ärmlich.”

„Run, dem kann ja bald abgeholfen werden“, meinte Suwalow, „wenn Sie mir nur ein wenig Ihr Vertrauen Ichenfen wollen.” Er trat mit feiner Begleiterin in eine Handlung, in der franzöfifche Stoffe verfauft wur:

den. Der Kaufmann eilte das Beſte vorzulegen, aber |

die Schöne zeigte fich ebenfo wähleriſch als launenhaft, nichts war ihr gefhmadvoll und koſtbar genug.

Nach langem Ausfuchen wählte fie endlich fünf prachtvolle Seidenroben und von dem beiten Sammet in verjchiedenen Farben.

Suwalow bezahlte alles auf der Stelle und befab die Einkäufe in die Wohnung der Dame zu fenden.

Nachdem fie wieder einige Zeit gegangen, blieb die Schöne vor dem Laden eines Pelzhändlers ftehen. „Zu jo Schönen Kleidern”, fagte fie, „gehört unbedingt auch ein jchöner Bel. Kommen Sie Graf.” Sie trat in ven Laden und Sumwalow blieb nichts übrig, als ju gehorchen. Nachdem fie eine Reihe der theuerften Pelze

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gejeben und probirt hatte, entjchied fie fich für einen BZobelpel;, den fie gleich anbehielt und wintte Suwa— low, denfelben zu bezahlen, mit einer Miene, wie man etwa einem Diener einen Befehl ertheilt. Während er mit einem leifen Seufzer feine Börfe bervorzog, fagte fie plöglih: „Ich will auch noch eine Jade für daS Haus, mich friert immer jo.”

„Wünſchen fie wielleicht falfchen Hermelin?“ fagte der Kaufmann, „auf rothen Sammet, e8 jteht vorzüglich.“

„Wo denken Sie hin”, ſprach fie rafch, „nichts Un- echtes, das würde den Grafen beleidigen. Rother Sammet darf es allenfalls fein, aber mit Zobel bejegt und ge= füttert.”

Suwalow wurde e3 ein wenig unheimlich zu Muthe, aber er beeilte fich doch, da er nicht genug Baar Ichaft bei fich hatte, dem Pelzhändler eine Anweiſung zu geben und die Ndrefje jeiner Schönen zurüdzulafjen Sie gejtattete ihm dafür, fie bis zu ihrer Wohnung zu begleiten. j

„Darf ich Sie nicht bejuchen?” fragte er erftaunt.

„Heute noch nicht“, erwiderte fie, „morgen viel- leicht, fragen Sie fich recht zeitig an.”

Am folgenden Tage erichien Suwalow im Haufe der launenhaften Schönen und wurde nach einigem Zögern wirklich vorgelafjen. Sie jchien ihm jegt in

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einem Morgenkleide von grüner Seite und der rotb- fammtenen mit Zobelpel; verbrämten und gefütterten Jacke, welche ſie fich am vorigen Tage gewählt hatte, noch um vieles jchöner.

Auf einem alten fadenfcheinigen Ruhebett mit aller Majeität und Nachläffigfeit einer Monarchin aus: geftredt, winkte fie ihm, zu ihren Füßen auf einem kleinen Schemmel Platz zu nehmen und hörte Lächelnd jeine Liebesbetheuerungen an. „Sie werden einjeben, jagte fie dann, „daß ich, ehe ich Ihnen weitere Zuge: jtändniffe mache, meine Zufunft ficher ftellen möchte.“

sch bin zu Allem bereit“, jagte Sumalow.

„Das habe ich erwartet”, gab fie zur Antwort, „und jo erlaube ich Ihnen denn, mir die Hände zu küſſen.“

Der ſonſt ſo verwöhnte Suwalow, der über jede Frau bei dem erſten tete à tete triumphirt hatte, zeigte ſich ganz entzückt über dieſe Gunſt und beeilte ſich, die Hande der launenhaften Schönen mit Küſſen zu bedecken.

Als er ſie verließ, blickte ſie zum Fenſter hinaus und rief plötzlich in dem Augenblicke, wo er in ſeinen Wagen geſtiegen war, „was haben Sie da für hübſche Pferde, Graf, Sie ſchenken mir dieſelben, nicht wahr?“ |

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O! mit Bergnügen”“, ftammelte Suwalow, aber ihm mar bei den ſich immer fteigernden Anforderungen der jungen Frau doch recht übel zu Muthe.

„Und auch den Wagen.”

„Natürlich, der Wagen gehört zu den Pferden“, fagte er, „ich jende Ihnen Beides ſofort.“

„Rein, nein, ich will ausfahren“, rief die Schöne vom Feniter herab, „jest gleich. ch nehme Wagen und Pferde an, wie fie find und den Kutfcher dazu.”

„Und ich?“ |

„Sie, Graf? Sie fünnen zu Fuß nad) Haufe gehen.”

Suwalow z0g den Mund ein wenig in Falten, ftieg aber aus und überließ Wagen, Pferde und Kut: ſcher jeiner Taunenhaften Gebieterin, welche ſchon den Fuß feſt auf jeinen Naden hielt.

Se größere Anforderungen diejelbe an den hoch— müthigen Liebling der Frauen ftellte, ohne ihm felbit mehr al3 die harmloſeſten Zugeitändniffe zu machen, um jo rajcher entflammte der Graf zu voller Leiden⸗ ſchaft. Er war verliebt, vielleicht zum erften Male in feinem Leben und verlegen wie ein Schulfnabe, der jeine erſten Verſe fcanditt.

Nach Verlauf einer Woche hatte er feiner Göttin noch Diamanten von enormem Werthe, Perlen und Smaragden zu Füßen gelegt, ihr eine Kleine Wohnung mit

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allem erdenklichen Luxus eingerichtet und ein halbes Dugend Neger zur Bedienung gegeben, dagegen jedoh nicht mehr als einmal einen Kuß erhalten.

Wieder jaß er eines Morgens in ihrem Boudoir, entjchloffen, diesmal die Graufame zu erobern, koſte es, was es da wolle, als fie plöglich, mit den weißen Fin- gern in feinen gepuderten Löckchen jpielend, aus: rief: „Ich Habe jet mit einem Male eine unüber— windliche Luft auf frifche Erdbeeren befommen, fehaffen Sie mir welche —”

„Aber Marfa, in Betersburg, zu diefer Zeit“, wen: dete der Graf lächelnd ein.”

„Was geht das mich an.“

„Es ift aber nicht die Jahreszeit.”

Die launenhafte Schöne zudte die Achſeln. „Ich will Erdbeeren, gehen Sie auf der Stelle mir melde zu bolen, hören Sie.”

„Aber Marfa —“ flehte Sumalow.

„Kein Wort mehr”, fie. fprang auf und ftampfte mit dem Fuße. „Ich verbiete Ihnen, mein Zimmer zu betreten ohne diefe Erdbeeren, gehen Sie.“

Suwalow wollte noch etwas jagen, da be lehrte ihn ein Schlag ihrer Keinen, aber Fräftigen Hand auf die Wange, daß es bier nicht reden, jondern bar deln galt. Er verließ feine Gebieterin und fegte Ale

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in Bewegung, um die von ihr gewünfchten Erdbeeren zu fchaffen. In Petersburg war e3 durchaus nicht möglich, diejfelben aufzutreiben, e8 wurde alfo ein Cou— tier nach dem Süden abgejendet, welcher die Fahrt bin und zurüd mit ftet3 frischen Pferden in einer unglaub: lichen Gefchwindigfeit zurüdlegte, welche jedoch für den aus der Nähe feiner Angebeteten verbannten Suwalow eine Ewigkeit fchien. Als der Bote mit den ſehn— licht erwarteten Früchten ankam, eilte der Graf zu feiner Dame und bot fie ihr Fnieend dar. Sie öffnete mit einem Lächeln, das ihm das höchſte Glüd verhieß, die Schachtel, welche die Erdbeeren enthielt, doch wehe! der Inhalt derjelben war troß aller Vorfichtsmaßregeln ver: fault.

Erzürnt griff die launenhafte Schöne mit beiden Händen hinein und warf die foftbaren Erdbeeren dem Grafen an den Kopf, ihre Empörung legte fich erit, ‚als fie ibn anſah und über fein verzweifeltes roth ge- tigerte3 Geſicht in ein jchallendes Gelächter aus: brach.

„Soll dies der Lohn für meine Dienſtfertigkeit, meine Liebe ſein?“ rief jetzt der Graf ſeinerſeits bitter gekränkt. „Das kann ſo nicht fortgehen, Marfa Iwa— nowna, wir müſſen zu einem Reſultat kommen, wenn ich bitten darf.“

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„Wie ernſt auf einmal“, rich die Dame und lachte von Neuen wie ein ausgelaljenes Kind.

„sh wiederhole, Marfa Iwanowna —“

„Run was wollen Sie aljo“, jagte die Dame mit einem ſeltſamen unbejchreiblichen Blid.

„Sie bejigen, meine Göttin“, gab der Graf zur Antwort.

„Bas find Sie gejonnen, zu thun, um meine Zur kunft zu fichern“, rief die Schöne, „man jagt, dab Sie ſehr geizig find, mein lieber Suwalow

„Ich ich denke, ich habe Ihnen wohl das Ge gentbeil bewieſen.“

Die launenbafte Schöne lachte. „In meinen Augen ift dies Alles nicht der Rede werd. Man nennt Sie, wie es jcheint,mit Recht einen Geizhals und die Klugheit gebietet mir alſo, mid) vorzujehen.“

„Bas verlangen Sie von mir, Marfa Iwanowna“, fagte ter Graf, defjen Verliebtbeit ihn ganz ſinnlos machte,

„Hunderttauſend Rubel.“

„Hunderttaufend Rubel”, wiederholte der Graf mühſam.

„Nun, ſollte das in ihren Augen zu wenig ſein“, fiel die Dame ein. |

„Alſo hunderttaufend Rubel”, beeilte ſich Suwa— low zu jagen.

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„Diefe Summe fihern Sie mir durch einen Wech- jel, verftehen Sie, Graf”, befahl die jchöne Frau im Tone der Gebieterin, welche jehr gut weiß, daß fie auf unbedingten Gehorſam rechnen kann.

„sa, ja, durch einen Wechjel”, jeufzte der Graf.

„Geben Sie jeßt, ich muß mich von dem Aerger erholen, den Sie mir durch ihre verwünfchten Erdbee— ren bereitet haben”, jagte die Göttin. „Wenn es dunkel geworden ijt, erwarte ich Sie, ich werde gnädig jein mit Ihnen, ſehr gnädig, aber vergeffen Sie den Wechjel nicht.“ |

Suwalow ließ fih, von ſüßen Hoffnungen erfüllt, auf ein Knie nieder und führte .ihre Hand an die Lippen. Dann verließ er fie und fie blieb mitten in ihrem Boudoir ſtehen und lachte wie ein Kind, dem ein toller muthwilliger Streich gelungen.

Abends erjchien Suwalow mit einer gewiffen Feierlichfeit bei feiner Angebeteten und überreichte ihr den Wechjel im Betrage von hunderttaufend Rubeln. Die launenhafte Schöne zeigte ſich jetzt vollfommen zufrieden: gejtellt und befiegt und zog fich, wie fie fagte, nur für wenige Augenblide in ihre Garderobe surüd, um Toi⸗ lette zu machen.

Suwalow jaß indeß im Bouboir und putzte ſich die Nägel, er hörte daneben Frauenkleider rauſchen

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und von Zeit zu Zeit ein mutbmwilliges Kichern. Entlid rief eine belle Stimme feinen Namen, ver Augenblid war da, wo er die Frucht feiner Dienfte, den Lohn jeiner leidenfchaftlichen Anbetung ernten follte. Er eilte in das Gemach und fand auf einer Dttomane aus: geitredt Volkoff.

„Sie da was joll das“, der Graf.

„Erkennen Sie mich nicht“, ſpottete der junge Schauſpieler, „ich bin es, Marfa Iwanowna, die Sie anbeten.“

„Wie konnten Sie es wagen, mich jo zu binter: gehen”, jtieß Sumwalomw, defjen Stimme die Wuth er jtidte, mühſam bervor, „ich werde Sie zur Rechenjdaft ziehen, junger Menſch, vor Allen aber geben Sie mir meinen Wechjel zurüd.“

„Nein, Bolkoff“, ſprach in diefem Augenblid eine Stimme hinter Suwalow, „Sie behalten ihn und ih werde dafür Sorge tragen, daß der Graf ihn be zabt.1”

Es war die Ezaarin, welche, bisher Hinter einem Vorhang verborgen, hervorgetreten war.

„Sie Majeftät”, ftotterte Suwalow.

„Ja ich“, ſagte Elifabeth mit einem bosbaften Lächeln, „wir haben ung erlaubt, ein wenig Comödie mit Ihnen zu fpielen und Sie haben die Ihnen da—

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bei zugefallene komiſche Rolle mit einer Paſſion gefpielt, welche alle unfere Erwartungen übertroffen bat.”

„Aber Majeftät —” |

Keine Einwendungen, Suwalow“, jchnitt ihm die Czaarin das Wort ab, das Ganze ift eine wohlver— diente Strafe zugleich für Ihre Habgier und Ihren Geiz, jomwie für das Abenteuer mit der Gräfin Beſtu— Seff im gelben Haufe, deſſen Sie fi) wohl noch ent— finnen werden.”

Suwalom ſtand jetzt bleich mit ſchlotternden Knieen, wie ein armer Sünder vor der Kaiſerin und ſchöpfte erſt wieder Athem, als fie und Volkoff in ein lautes herz— liches Gelächter ausbrachen.

Zehntes Kapitel.

Ein Affe Friedrich's des Großen.

Der veredelnde Einfluß Raſumowski's auf feine faijerliche Gemahlin machte fich jowohl in der entfdie denen Richtung, welche die Äußere Bolitif derfelben nahm, als in den Berbefjerungen, welche fie im In— nern des Reiches theils in's Auge faßte, theils durd: führte, zum Wohle Rußlands immer mehr geltend. Durh einen Ukas vom 31. December 1753 wurden die Binnenjeezölle, welche auf den Handel lähmend wirkten, aufgehoben. Ein Jahr vorher war eine Commiſſion er: nannt worden, zu dem Zwecke, alle von den verjchie: denen Regenten erlaffenen Ufafe in einem Geſetzbuche überjichtlich zu ordnen. Eine allgemeine Landesver— mefjung wurde verfügt und in Angriff genommen. Weite Landitriche wurden colonifirt und urbar gemacht,

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am rechten Ufer de3 Dnieprs, im Uuellengebiet des Jegut, wurden mehrere Taujend Serben, Bulgaren und Wallachen angefiedelt. Dieſes Gebiet erhielt den Namen Neuferbien und der Hauptort desjelben, Elifa: betbgorod, wurde zur Stadt erhoben. Große Bauten wurden in Betersburg, defjen Bevölkerung im Jahre 1750 über vierundfiebzigtaufend Menfchen betrug, unter der Zeitung de3 Eunftfinnigen italienischen Grafen Gaftrelli ausgeführt, Klöfter, Kirchen, öffentliche Gebäude und Paläjte, unter anderen der erft in den legten Regie: rungsjahren Elifabeth vollendete MWinterpalaft. Auch das Schloß zu Carskoje Selo, der Lieblingsaufenthalt der Czaarin im Sommer, wurde erweitert.

Im Jahre 1755 wurden in Moskau die erſte Uni— verſität und zwei Gymnaſien geſtiſtet.

Lomonoſſoff zeigte ſich unter der Regierung Eliſa— beths auf verſchiedenen Gebieten mit eben ſo viel Geiſt als Gejchmad thätig. Nachdem er ſchon 1751 zum Col: legienrath ernannt worden war, erhielt er 1752 das Pri— vilegium für eine Fabrifzur Herftellung von Glas, bunten Glasperlen und Moſaik. Eliſabeth übertrug ihm die Ausführung zweier großen Gemälde, welche die Thaten Peter des Großen verberrlichten, den Lomonoſſoff zu— gleidy in jeiner „Petreide“ in zwei Geſängen feierte. Er ſchuf eine ruſſiſche Grammatik und erhielt 1760 die

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Leitung der Cymnaſien und der Univerfität. So ver: ftand es Elifabeth, zu einer Zeit, wo die deutichen Füriten die Poeten ihres Landes mit Geringjchägung behandelten und darben ließen, den Genius Lomonoſ— joff zu belohnen und für jein Vaterland fruchtbar zu machen.

Dagegen zeigte der deutjche Prinz, den die Czaa— rin zu ihrem Nachfolger auserjehen hatte, eine mit jedem Tage noch zunehmende Abneigung gegen das Land und Volk, die er einjt regieren ſollte und eine an Affenliebe grenzende Bewunderung für Friedrich den Großen und Alles, was preußifc war. Die eins zige wirkliche Leidenichaft, welche der Großfürſt Peter bejaß, war die für die Soldaten; er hätte Alles da rum gegeben, eine Eleine Armee ausrüften und unter den Befehlen des Königs von Preußen als einer feiner Generale feine Feldzüge mitmachen zu fünnen. Wie finnlog er in politifchen Dingen war, bemweift am beiten, daß er damals mit dem Gedanken umging, jobald er den Thron beiteige, die den Schweden abgenommenen Provin- zen ſammt Petersburg denjelben zurüdzugeben, um fich da: für den Beiſtand derfelben in einem Kriege gegen Ti nemarf zum Behufe der Zurüderoberung von Schles wig zu fihern. In dem Kampfe zwifchen Defterreid und Preußen nahm der Großfürft mit aller Heftigfeit

.;.

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für die Iegtere Macht Partei und jein Hab gegen Beituseff ftieg immer höher, je mehr e3 demſelben gelang, die Wagfchale Rußlands zu Gunften Maria Therefia’s zu neigen. Je mehr der Großfanzler ihm Kar zu machen juchte, daß der König von Preußen am we— nigiten dulden fönne, daß er als Kaifer von Rußland mitten in Deutjchland Fuß faſſe und daher fein natür- lisher Gegner fei, um fo erbitterter wurde er und ſchwor, wenn Friedrich der Große es ihm befehle, für ihn gradewegs in die Hölle zu marjchiren.

Vergebens fuchte man im Gegentheil Peter zu einem Aufgeben oder Abtreten feines Stammlandes Holftein an Dänemark zu bewegen.

Diefe Abtretung lag bei einem Charakter und einer Gefinnung, wie fie der Großfürft zeigte, um fo mehr im Intereffe Rußlands, als es den fünftigen Herrfcher für immer von feinen deutſchen Familienintereſſen los— jutrennen galt. Aber Peter zeigte, in diejer Frage von jeiner ehrgeizigen Gemahlin aufgereizt und unter- fügt, einen Starrfinn ohnegleichen. Um allen Intri— gun ein Ende zu machen, gab er dem dänijchen Ger fandten die Erklärung, daß er auf feinen Antrag in Bezug auf Holftein eingehen werde und verbot ihm ferner noch von diefer Sache zu fprechen.

Die Kaiferin war fo empört, daß fie Peter jo

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zu behandeln drohte, wie ihr Vater feinen Sohn Ale rej, als er fie aber mit Thränen in den Augen bat ihn nicht zu einem Schritte zu zwingen, der ihn un: glüdlich machen würde, ließ fie fich wieder bejänftigen. Der Großfanzler begnügte fich jet damit, den Gref: fürjten bei jeder Gelegenheit bei der Kaiferin zu ver: dächtigen und ihr immer verhaßter zu machen, jede unvorfichtige Aeußerung dieſes unbedachten galligen Prinzen wurde ihr ſofort hinterbracht und auf da? Gehäfligfte beleuchtet. Er war unabläffig von Spie- nen Beſtuseff's bewacht, jeder feiner Briefe wurde er- brochen, nicht beffer erging es feiner Gemahlin. Aber Katharina war eine Perfönlichkeit, mit der man red: nen mußte und fie verftand es durch ihrem hoben Geift, ihre Klugheit, Unerfchrodenbeit und Feſtigkeit den Großfanzler jo jehr zu imponiren, daß diejer es endlich vorzog fie zur Freundin als zur Gegnerin zu haben und fich, als ihre Abneigung gegen den Groß fürften zunahm, mit ihr gegen denjelben im Geheimen verbündete. Diefes Einverftändniß ging fo weit, daß Veituseff, da von dem Großfürften feine Nachkommen Ihaft zu erwarten war, ſogar den olympilchen Launen der jungen galanten Frau das Wort redete umd die Kaijerin beſtimmte, das Verhältniß zu dem bübfcen und liebenswürdigen Kammerherrn Soltifom zu dulden.

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Am 1. Oktober 1754 gebar Katharina einen Sohn, Den Sroßfürften Paul. Soltikow wurde jetzt nach Stock— Holm gejchidt, um dort das freudige Ereigniß anzuzei— gen und von dort zuerit nah Hamburg und dann nad Madrid als bevollmächtigter Gefandter beordert. Man bedurfte feiner nicht mehr.

Die Großfürftin, welche jegt in ihrem Sohne ein viel bedeutungsvolleres Unterpfand für die Zukunft be— ſaß, als in der Stellung zu ihrem der Nation verhaß- ten Gemahl, überließ ihn, den fie nie anders als den „Affen Friedrich's des Großen“ nannte, jet ganz ſei— nen Thorbeiten und feinem Scidfal.

Bergebens warnte der wohlnmeinende Fuge Raſu— mormwsh den unglüdlichen Prinzen, vergebens beſchwor er ihn, vor Allem Rufe und dann erjt deutjcher Reichs— fürjt zu fein, Peter beharrte eigenfinnig auf ver ver: derblichen Bahn, die er eingejchlagen. Er richtete fich in Dranienbaum ganz nad) feinem Wunfche ein, baute Kujernen und Pierveftälle, ein hölzernes Theater und einen Canal, der vom Schloffe aus bi in die See führte. Dann ließ er durch den ruffischen Ingenieurmajor Des denow eine Kleine Feltung aufführen und armirte die Wälle derjelben, welche leicht zu erflettern waren, mit kleinen Kanonen. Sp beichränft der Raum derjelben war, enthielt diejelbe doch alle jene an welche

Sacher-Maſoch. Ein weibliher Sultan. III,

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man damals in einer Feftung fand, ein Zeughaus, ein Commandantenhbaus und außerdem den fteinernen Pa: laft Peter’s, zwei Stod hoch in einem bübjchen Style gebaut. Im obern Stodwerfe befand fich ein Saal in dem gefpeift wurde, ein Wohnzimmer, ein Schlaf: gemach und Cabinet. Tas legtere war mit hellblauem. Atlas ausgefchlagen, in den Katharina eigenhändig mit farbiger Seide eine Reihe von Bildern hineinge ftidt hatte.

In diefer Miniaturfeftung lebte Peter jekt gan; nach feinem Gejchmade, nur mit holfteinifchen und preußt- ſchen Dfficieren Umgang pflegend und Friedrich den Großen in Allem bis in's Kleinfte nachäffend; er Hei dete fich genau jo wie fein Vorbild und copirte defien Lebensweife, Gewohnheiten und Eigenheiten mit ängft: licher Genauigfeit. Und hatte er bei einer ausgelaf- jenen Orgie, an denen außer den Officieren aud ei- nige Schaufpieler und Schaufpielerinnen theilnahmen, zu viel getrunfen, unterhielt er fich damit, über die Nuffen loszuziehen. Seine holfteinifche Garde, welde er ganz nach preußifchem Muſter uniformirt hatte, jelbft zu drillen, war fein Hauptvergnügen.

Indeß bereitete fich feine Gemahlin Katharina, welche. damals jchon entjchloffen war, die. Zügel der Regierung nach dem Tode Eliſabeth's an fich zu reißen,

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im Stillen für ihre große Aufgabe vor. Sie lebte von ihm getrennt in einem kleinen Balafte, den fie fich bei Dranienbaum erbaut und mit einem reizenden Garten umgeben Hatte, mit franzöfifcher Literatur und po= litiſchen Studien beichäftigt.

Damals jchon griff fie ſowohl in die diplomati- hen Intriguen, welche dem fiebenjährigen Kriege vor: angingen, ala während des Kampfes felbit in die mi: litärifchen Operationen mächtig ein und durchkreuzte mehr als einmal die Pläne der Gegner.

Kaunig war es endlich gelungen, das Freund: Ihaftsband, welches Defterreich fo lange Zeit zu ſei— nem Nachtheile mit England verbunden hatte, zu Löfen und dagegen eine mächtige Coalition zwijchen Defter: reich, Frankreih, Rußland und Sachſen zu Stande zu bringen. Maria Therefia hatte bereit3 begonnen in Böhmen Truppen zufammenzuziehen, als Friedrich der Große durch den Verrath des Dresdener Cabinet- canzeliften Menzel und des öfterreichiichen Geſandt— Ihaftsjecretärs Weingarten in Berlin rechtzeitig von den Plänen feiner Gegner unterrichtet, denfelben zu: borfam und mit jechzigtaufend Mann in Sachſen einfiel.

Damit war der Krieg begonnen.

Rußland hatte fich verpflichtet fechzigtaufend Mann

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zu jtellen, Maria Therejia behilflich zu jein, Schleſien und die Grafſchaft Glaß zurüdzuercebern und das Haus Brandenburg zu unterdrüden.

Friedrich der Große erhielt von diejer Zujage durch den Großfürſten-Thronfolger Kenntniß, Der im Sabre 1756 heimlich in feine Dienfte getreten und von ihm zum Hauptmann ernannt worden war.

Die Kaiferin von Rußland ließ Auguft IIL fofort nach dem Einmarjch der Preußen ihren Unwillen über das Verfahren Friedrich’3 des Großen und feinen Fries densbruch ausdrüden, fie erflärte zugleich, die Zeit jei gefommen, um der Macht Preußens Grenzen zu ſetzen und forderte den König von Bolen auf, fich durch Preu— Ben nicht einfchüchtern zu lafjen.

Friedrich ließ nun Beltuseff einhunderttaufend Thaler anbieten und auch England machte den Ber: uch, der ruſſiſchen Politit eine andere Wendung zu geben. Beituseff wurde durch Katharma, welche zu Preußen hielt, beitimmt, diefe Anträge nicht ganz ab- zuweilen. „Der König von Preußen hat den Krieg begonnen“, jagte er zu dem englijchen Geſandten Wil- liams, „michts kann die Czaarin jegt hindern, Oeſter— reich beizujtehen, aber” jeßte er diplomatisch hinzu „wir find noch nicht vorbereitet und Sie wiſſen, unjere Bewegungen find langjam.

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Er erflärte Preußen und England als Minifter der Czaarin öffentlich den Krieg, während er im Ge: heimen mit diejen beiden Mächten in die freundlichiten Beziehungen trat. Unter jolchen Aufpicien erfolgte die Theilnahme Rußlands an dem melthiftorifchen Kampfe Maria Therefia’3 gegen Friedrich den Großen.

Elftes Kapitel.

Im fiebenjährigen Kriege.

Dank den fich während der Regierung Elifabeth? abjpielenden Hofintriguen, welche heute diefem, mor- gen jenem einen Einfluß auf den Staat und bie Armee geftatteten und alle Verhältniſſe unficher mad: ten, fehlte es Rußland beim Beginn des fiebenjährigen Krieges an einem Feldherrn.

Münnich befand ſich im Eril, die tüchtigen Füb ver und Dfficiere aus jeiner Schule waren, da man fie in jeder Weije bei Seite jeßte und unterdrüdte, meift in ausländijche Dienjte getreten. Wir finden mehr als einen illuftren Namen unter diefen militäri- Shen Emigranten. Der General Löwendal- zeichnete fih unter frangöfifcher Fahne dur die Einnahme der

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Feltung Bergen op Zorm aus, der General Keith, welcher nad) Breußen ging, wurde auf der Stelle von Friedrich dem Großen zum Feldmarſchall ernannt und machte als folcher feinen Namen durch feinen Helden tod bei Hochkirch unfterblih. Münnich’3 Adjutant, Oberft Mannftein, trat gleichfalls in hervorragender Stellung in die preußifche Armee. Der bekannte öfterreichifche Feldmarfchall Lacy war ebenfalls in rufiischen Dienſten, fein Vater war der ruffiiche Feldmarjchall Lach, wel: her fih in dem türkifchen und jchwedifchen Kriege ausgezeichnet hatte. Auch der berühmte Laudon war ein geborener Lievländer. |

Der zum Feldmarjchall ernannte und an die Spige der gegen Preußen entjendeten Armee geftellte General Aprarin war diefer hochwichtigen Aufgabe in feiner Weife gewachſen. Er hatte zur Zeit der Tür— kenkriege unter Münnich gedient, aber nie ein feindlis ches Heer gefehen, er galt als träge und feig. Raſu— mowski's Bruder, Kiryll, hatte ihn einmal auf das Schimpflichite behandelt und mit Füßen getreten, ohne daß er irgend einen Berfuch gewagt hätte, jich dafür Genugthuung zu verjchaffen. Zu feiner Unfähigkeit kam noch das peinliche Gefühl einer zweifelhaften Lage. Die Czaarin wünfchte, daß der Krieg mit aller Ener: gie geführt werde, der junge mit Preußen ſympathiſi—

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rende Hof das Gegentbeil. Jeder Tag konnte aber Katharina die Zügel der Herrſchaft in die Hände ſpielen.

„Ich bin nicht wenig darüber bekümmert“, ſagte Apraxin, als er Petersburg verließ, um nah Riga zu feinen Truppen zu geben, „daß ihre Faiferlichen Hohei— ten für den König von Preußen. jo ſehr eingenommen find. Bin ich gegen den leßteren glücklich, fo bleibt im Falle des Todes der Kaiferin eine jchlechte Per— fpective für mich übrig.“

Beituseff erwiderte, er möge unbeforgt das Seine thun, es fei jeine Sadye, dem jungen Hufe über jeine wahren Intereſſen die Augen zu öffnen.

Aprarin ergriff aber trogdem jede Gelegenheit, feine Dpevationen zu verzögern.

Der alte Krongroßfeldherr Polens, Branizfi, Po— niatowski's Schwiegervater, hatte gegen den Durch— marſch ruſſiſcher Truppen durch Polen Proteſt erhoben. Dies genügte, um in die kaum begonnenen Bewegungen des rufliishen Generals Stillfiand zu bringen und da Friedrich der Große ſehr gut wußte, das Apraxin bie Großfürftin Katharina viel mehr fürchtete als die Kai— jerin, wendete er ſich an dieje ehrgeizige und intris guante Prinzeſſin, um duch fie den Feldherrn der Czaarin zu beſtechen. Trotz der großen Gefchente,

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welche er von feiner Monarchin erhielt, war Aprarin, der jehr verfchwenderifch lebte, immer in Geldverle: genheit und zeigte fich daher den preußifchen Thalern in einer Weife zugänglich, welche die Theilnahme der Rufen an den großen europäischen Kampfe vollkom— men illujorifch erfcheinen ließ. Im eriten Jahre des Krieges konnte Friedrich, durch die Unthätigfeit Apra- xin's unterjtüßt, bedeutende Erfolge über feine Gegner erringen und auch im folgenden Frübjahre ſchien Apra— rin e3 mehr auf die Damen Riga’s als auf die Preus Ben abgejehen zu haben, denn er entjendete jeine Ad— jutanten nach Petersburg, nicht etwa um Inftructionen zu erhalten, jondern um für ihn zwölf Anzüge aus feiner Garderobe zu Holen.

Erſt einem neuen energifchen Befehl der Czaarin gelang es, ihn in Bewegung zu ſetzen. Im Mai 1757 rüdte er hierauf mit feiner 83,000 Mann ftarken Armee an die preußifche Grenze und erjt am 30, Juni erjchien er vor Memel.

Damit war der Krieg von ruffischer Seite endlich eröffnet. Memel, das nur fchiwach bejegt war, capi: tulitte am 5. Juli. Die Garnifon erhielt freien Ab- zug, aber Aprarin jchien jegt ebenfo über die Schnur hauen zu wollen, als er fich bisher nachläflig erwiefen. Er zwang die preußifchen Soldaten in jeine Reihen

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zu treten und jene, twelche dies vermweigerten, wurden ebenfo mie eine große Zahl preußifcher Fabrifanten, Bürger und Bauern nach Rußland gejchleppt. Von den ihm beigegebenen Kojafen, Kalmüken und Tarta— ren 12,00 Mann ſtark, ließ er das Land weithin durchitreifen und verheeren, brennende und geplünderte Städte und Dörfer bezeichneten ihren Weg.

Wehrloſe, friedliche Einwohner wurden von ihnen maſſenhaft gemordet oder verjtümmelt, man ſah fie an Bäumen aufgehängt oder mit abgejchnittenen Nafen und Ohren. Hier wurden ihnen die Beine abgehauen, dev Bauch aufgefchnitten, das Herz herausgeriffen, dort wurden fie in ihren Ortſchaften eingejchlojjen und jammt vdenjelben lebendig verbrannt. Die Gräber wurden aufgeriffen, die Gebeine zeritreut, die Geiſtli— chen und Edelleute mit Kantjchu’3 gepeitjcht, nadt auf glühende Kohlen gelegt und in graufamer Weije ges foltert. Tauſende flüchteten nach Danzig, wohin aud das Königsberger königliche Archiv gebracht wurde.

Am 18. Juni verlor Friedrich der Große die denfwürdige Schlacht bei Kollin. Jetzt betheiligten ſich auch die Schweden an dem Kampfe gegen ihn und rüdten in Pommern ein.

Vergebens fuchte der zweiundfiebzigjährige ‘Feld: marſchall Lehwald die Ruffen aufzuhalten und Königss

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berg zu retten, indem er ihnen bei Großjägersborf eine Schlacht lieferte. Trotzdem die Preußen mit wahrer Todesverachtung fochten und ihre Gavallerie bereits mehrere feindliche Batterien genommen hatte, entjchied Romanzow den Tag zu Gunſten der Ruſſen, indem er rechtzeitig mit der Rejerve in das Gefecht eingriff. Die preußifche Infanterie des zweiten Treffens beichoß in Folge eines verhängnißvollen Irrthums jene des eriten Treffens, welche fie für feindliche Truppen ans ſah, im Rüden. Dies brachte die Preußen vollftändig in Verwirrung und Lehwald mußte fich in fein Lager bei Wohlau zurüdziehen.

Jetzt trat Aprarin’3 verrätheriiches Gebahren vol- lends an den Tag, ftatt Königsberg zu nehmen, das Niemand mehr vor den Ruffen zu retten im Stande war, fehrte er nach Memel zurüd. Als der Wiener Hof darüber Aufflärungen verlangte, wurde ein aus: drüdlicher Befehl der Kaiferin Eliſabeth vorgejchügt, aber ver öfterreichifche Gejandte in Petersburg gab fih damit nicht zufrieden und wendete ſich an den Grafen Aleris Raſumowski, welcher über die zwei— felhafte Haltung Aprarins empört, die Sache jelbit, in die Hand zu nehmen verſprach.

Er begab fich zuerft zu Beltuseff und da er von diefem nur leere Augflüchte aber feine genügenden Er—

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flärungen zu hören befam, zur Czaarin felbft, melde jeit einigen Wochen leidend war und ihn im Schlaf— tod, mit ihren Kammerfrauen Karten Tpielend em: pfing.

„sh bitte, Majeltät, um eine kurze Audienz“, begann er, „ich babe Dinge von höchſter Wichtigkeit borzubringen.”

„Staatsangelegenheiten?“” fragte Elifabeth, die Stirne runzelnd.

„Allerdings.“

„Ach! es wird mir Kopfjchmerzen machen, ich bin ſehr frank, Alexis“, erwiderte die Kaiferin.

„Ich bedauere Iebhaft, Majeftät, aber ich muß dennoch bitten —“

Eliſabeth feufzte, aber ihrem Liebling gegenüber vollkommen ſchwach und millenlos, hieß fie ihre Kam— merfrauen gehen und zeigte fich bereit ihn anzuhören.

„Du weißt wohl, daß Aprarin ſich nach Memel zurüdgezogen hat“, begann Raſumowski.

„Nichts weiß ich“, ſagte Elifabetb, „ich bin franl und babe Beftuseff verboten, mir von derlei Dingen zu ſprechen.“

„Aprarin hat die Preußen gejchlagen”“, fuhr Ra— ſumowski fort, „statt aber feinen Sieg zu benügen und Königsberg zu bejegen, den Rückzug angetreten, wie

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wenn er es gewefen twäre, der eine Niederlage erlitten hätte.”

„Ich verſtehe nichts davon“, murmelte die Ezaarin.

„Er ſchützt einen von Dir empfangenen Befehl vor”, jagte hierauf Raſumowski, „was ich unmöglich glauben Tann. Es müßten jehr ernite Gründe vor: handen fein, um es zu rechtfertigen, daß Du nicht allein Deine Verbündeten, jondern zugleich Deine Ehre und den Waffenruhm Rußlands preisgiebft,, jolche Gründe jind doch nicht vorhanden —“

„Ich babe keinen Befehl ertheilt“, unterbrach a die Czaarin.

„Dann hat Beituseff Deine Krankheit mißbraucht und in einer Angelegenheit von höchtter Wichtigkeit eigenmäcdtig und unfinnig, oder was noch fchlimmer verrätheriſch gehandelt.“

„5a, ja, fie rechnen ſchon auf meinen Tod und wollen fich bei dem Thronfolger und feiner Gemahlin, die für Preußen find, einjchmeicheln“, rief die Czaarin, „aber fie irren fich, ich werde noch lange genug leben, um alle diefe Verräther zu ftrafen, wie fie es ver- dienen.“

„Ich jehe, Du faßt den Vorfall jo auf, wie ich e3 von Dir erwartet habe”, ſprach Raſumowski, „auch ich habe die volle Heberzeugung, daß nicht allein Apra-

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rin, fondern auch Beituseff nur dem jungen Hofe zu dienen juchen und von dem Könige von Preußen be ftochen find.”

„Diele Elenden, die mir alles danken, was jie find“, rief Elifabeth, indem fie aufftand und zornig erregt auf und abging, „was joll ich aber anfangen, rathe mir!“

„Bor Allem ift es geboten, den den Aprarin’3 langſame und verrätherifche Kriegsführung hervorgerufen bat, gut zu machen“, erklärte Raſu— mowski.

„Wie das?“

„Sende ihm auf der Stelle durch einen Courier den Befehl, von Neuem vorzurücken, den König von Preußen in keiner Weiſe zu ſchonen und den Kampf energiſch fortzuſetzen.“

„Ja, das will ich, ſetze den Befehl auf und laß ihn ſogleich ausfertigen, gieb zugleich den Auftrag, daß ein Courier ſich bereit halten fol. Dann beſpre— chen wir die weiteren Schritte”, jagte Elijabeth.

Raſumowski entfernte fi) und forgte dafür, daß Alles rajch ausgeführt wurde. Nicht eine Stunde war jeit feiner Unterredung mit der Czaarin verfloffen und ſchon barrte unten der Dfficier, welcher dem General Aprarin die Faiferliche Ordre überbringen jollte und

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Raſumowski felbft überreichte dic legtere feiner kaiſer— lihen Gemahlin zur Unterfchrift.

Eliſabeth fette fih an den Schreibtifch und nahm die Feder, während Raſumowski Waffer in die bei- nahe vollfommen eingetrodnete Tinte goß.

Da wollte es ein unglücklicher Zufall, daß eine Weſpe, welche in das Zimmer gerathen war, zu ſum— men begann und nachdem fie erjt eine Weile die Feder, mit der die Czaarin im Begriffe war zu unterzeichnen, umkreift hatte, in das Tintenfaß fiel.

Entjegt jchrie die abergläubifhe Frau auf und warf die Feder von fidh.

„Bas Haft Du?” fragte Raſumowski.

„Die Welpe ift eine fchlimme Vorbedeutung.”“

„Sin Eindifches Vorurtheil gemeiner Leute”, fagte Raſumowski.

„Nein, nein, ich unterſchreibe nicht“, rief die Czaarin, „ſonſt trifft mich ein großes Unglück.“

Vergebens beſchwor fie ihr Gemahl, ihren Aber: glauben dem Wohle ihres Reiches zu opfern, fie blieb unerjchütterlich und der Befehl wurde nicht abgefchidt.

Zwölftes Kapitel.

Zahltag.

Raſumowski war nicht der Mann, ſich, wo es das Wohl ſeines Vaterlandes galt, durch einen Miß— erfolg einſchüchtern zu laſſen. Er durchblickte Beſtuseff und Aprarin vollſtändig, er ſah, daß fie auf den bal— digen Tod der Kaiferin, welche häufig Erampfartigen Anfällen ausgefegt war, rechneten und bereit3 in Allem jenen Impulſen geborchten, welche von dem jungen Hofe oder eigentlich der Großfürjtin Katharina aus: gingen, und bot Alles auf, die Fäden bloßzulegen, welche die Minifter und Generale der Czaarin mit den Gegnern Rußlands verknüpften.

Der früher am Warfchauer und jet am Peters: burger Hofe beglaubigte enalilche Geſandte Williams, ein eben jo hübſcher und liebenswürdiger als leichtfer:

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tiger Lebemann, hatte es verjtanden, ſich zum Der: trauten der Großfürjtin Katharina emporzufchwingen. Sie empfing durch ihn eine engliiche Penfion und agitirte im Bunde mit ihm für das mit England alliirtte Preußen. Williams war in Polen mit der mächtigen Fürftin Czartoryski in intime Beziehungen getreten und unterjtüßte die ehrgeizigen Pläne derjel: ben, welche nicht3 Geringeres, al3 die Verwandlung Polens in eine erbliche conftitutionelle Monarchie unter ihrer Aegide zum Ziele hatten.

Um Rußland ihren Abfichten geneigt zu machen, jendete fie ihren Neffen, den Grafen Boniatomwsfi, als LZegationgjecretär Williams an den ruffiichen Hof. Poniatowski, dreiundzwanzig Jahre alt, Schön und ga= lant, eroberte rajch die Gunft Katharina's und als der fächfifchepolnifche Minifter Graf Brühl ihn nad War- ſchau zurüdtief, jegte die Großfürftin alles in Bes mwegung, um ihren Anbeter von Neuem nach Peters— burg zu bringen. Bejtuseff benüßte feinen ganzen Einfluß an dem fächjifchen Hofe, um den Wünjchen Katharina's Geltung zu verjchaffen und jo fehrte denn Poniatowsti als fächfifch-polnifcher Gefandter zurüd, um fein galantes Verhältniß mit der Gemahlin des Thron folger8 fortzufegen und, den Intereſſen jeines Hofes

entgegen, für Preußen zu wirken. Sader-Mafoh, Ein weibliher Sultan. III. 10

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Peter trat zu gleicher Zeit mit dem dicken gut— müthigen Fräulein Woronzoff in intime Beziehungen und ließ feine Gemahlin fortan ungejtört ihrem Ber: gnügen folgen. Er abnte noch nicht, dag Katharina eben jo herrſchſüchtig als galant war und ihr über: legener Geiſt ſogar ihre Liebesverhältniffe als Mittel zu ihrem großen Ziele, dem Throne Rußlands, aus: zubeuten veritand,

Sie war damals ſchon mit Beſtuseff vollfommen einig, jobald die Ezaarin fterbe, ihren Gemahl von dem Throne auszuschließen und fih im Namen ihres Soh— nes, de3 Großfürſten Baul, der Zügel * Regierung zu bemächtigen.

Der Rückzug Aprarin’3 ſtand mit dieſer Conſpi— ration der jungen Prinzeſſin im innigſten Zuſammen— hange.

Im Herbſte 1757 nahmen die Anfälle, denen die Kaiſerin von Zeit zu Zeit ausgeſetzt war, ſo ſehr zu, daß Niemand mehr an ihrem baldigen Tode zweifelte. Sp fiel fie einmal hei einem Spiziergange in Zar: oje Selo plöglich um und war länger als eine Stunde ohne Bemwußtfein.

Beftuseff, der fich verloren jah, wenn Peter, den er ſo oft und fo empfindlich beleidigt hatte, zur Ne gierung Fam, verftändigte ſich mit Aprarin und ver:

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ficherte fich durch ihn der Armee, um, in Falle eines plöglihen Ablebens Elifabethbs, Peter mit Gewalt zur Abdankung zwingen zu können. Er leitete felbft eine vertrauliche Correſpondenz der Großfürftin mit Apra— rin ein und befahl eigenmäctig den Rüdzug, um die Truppen für einen Staatzjtreich in der Nähe zu haben.

Die im ruſſiſchen Lager anweſenden fremden Dfficiere gaben dem nfterreichifchen und franzöſiſchen Gejandten in Petersburg die eriten Anhaltspuncte für die Entdedung der geheimen Triebfeder des Rüdzuges Aprarin’s. Die beiden Diplomaten lieferten in furzer Zeit Raſumowski die nöthigen Beweije und der leßtere zögerte nicht, fich jofort mit dem Vicefanzler Woron- 30, dem Grafen Suwalow und dem Staatzfecretär Volkoff zum Sturze Beituseffs zu verbünden. Volkoff enthüllte den Plan Beituseff’s gegen den Thronfolger und die geheimen Beziehungen der Großfürjtin zu Aprarin. |

Raſumowski erwirkte nun fich und feinen Genoffen eine Audienz bei der Kaiferin und ftellte ihr in feiner ernten überzeugenden Weife Die Sachlage, die hoch: verrätherifchen Beziehungen und Abmachungen Bejtu- Seff’s und Katharina’s dar. Elifabeth zeigte ſich auf das Höchſte empört und willigte in Alles, was ihr

Gemahl ihr vorichlug. Sie unterzeichnete auf der 10*

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Stelle einen Befehl, welcder Aprarin anmwies, den Oberbefehl an den General abzugeben und zu jeiner Rechtfertigung nach Petersburg zu kommen. In den Berhören, die man mit ihm vornahm, leugnete er nicht, geheime Aufträge von der Großfürjtin empfan— gen zu baben. Man wies ihm ein Kleines Landhaus in der Nähe von Betersburg zum Wohnfig an, wo er, noch ehe jein Urtheil gejprochen war, jtarb.

Der Großfürſt Beter ſelbſt begab fich jegt zur Kaijerin und verlangte, daß jie jeiner Gemahlin und dem Großfanzler den Brozeß mache.

Am 25. Februar 1758 wurde Beituseff zu einer Conferenz an den Hof berufen. Er kam vollfommen jorglos und verlor jeine ganze Faſſung, als ihm die faijerliche Ungnade angekündigt und er jofort arretirt wurde. Man brachte ihn unter EScorte in jein Haus, wo er jtreng bewacht wurde.

Seine Schriften waren während jeiner Abwejen- beit mit Bejchlag belegt worden, man fand den Ent: wurf einer Abdankungsurkunde für Peter, das Brouil- lon des Befehles an Aprarin, den Rüdzug anzutreten und andere jehr compromittirende Papiere.

Am 16. April wurde das Urtheil gejprochen. Beituseff wurde jchuldig befunden, daß er ohne Wiſſen und Willen der Kaiferin eigenmächtige Befehle erlaffen

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und fich auf diefe Weife die Stellung eines Mitregen- ten angemaßt, ſowie bochverrätherifche Pläne vorbe— reitet babe. Er wurde zum Tode verurtbeilt, von der Gzaarin jedoch begnadigt. Man begnügte fih ihn feiner Würden und Aemter zu entjegen und ihn auf fein 120 Werft von Moskau entferntes Gut Goretomo zu verbannen, wo er unter ftrenger Aufſicht blieb.

Vergeben? bat Katharina, welche fich verloren glaubte, die Czaarin um Audienz, endlich bewog Ra— ſumowski die leßtere, ihre Nichte anzuhören. . Die Großfürſtin, welche ſpäter noch oft genug Gelegenheit fand, ihr Talent zur Comödie zu beweiſen, warf ſich der gutmüthigen leichtgläubigen Frau zu Füßen und ſchwor unter Thränen, Ste jei unſchuldig. Nur noch bedacht ihr Leben zu retten, bat fie um die Gunft, Rußland verlaffen und den Reit ihres Lebens bei ihrer Mutter, der Fürftin von Zerbit, zubringen zu dürfen. Sie fügte hinzu, daß, wenn die Gzaarin es für das Wohl des Reiches angemefjen finde, für den Großfürften Thronfolger eine andere Gemahlin zu wählen, weder fie noch ihre Familie den geringiten Einwand erheben würden.

Die Kaiferin verzieh ihr und ftrafte fie, wie fie glaubte, jehr empfindlich, indem fie ihr durch mehrere Monate verbot, fich bei ihr ſehen zu laſſen.

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Der Sturz Beſtuseff's und die Entfernung Apra= rin’ vom Obercommando hatten indeß lange nicht die weitgehenden und mwohlthätigen Folgen, welche jowohl die mit Rußland verbündeten Mächte, als die echten Patrioten von der Art Raſumowski's erwarteten.

Die Kriegführung blieb nach wie vor eine nach— läffige umd langjame Dies lag an dem ganzen da: maligen militärischen Syſtem Außlands und kaum weniger an den immerwährenden finanziellen Semmun- gen. Die rufliichen Generale nahmen regelmäßig wäh: rend des langen nordijchen Winters in Bolen bequeme Winterquartiere und zogen bon bier im Sommer zu einem kurzen Feldzuge aus, um fo bald al3 möglich ih und ihren Truppen wieder Raft zu gönnen.

Sachſen ſah ſich vor allem in feinen Abfichten und Hoffnungen auf Preußen getäujcht, da Frankreich, das nicht einmal die Vereinigung Sachſens und Po— lens gern jah, fich jeder weiteren Vergrößerung diefer Macht abjolut abgeneigt zeigte Dagegen gelang es Auguſt IL, die Czaarin Elijabeth zu beftimmen, daß fie ihre Ginwilligung zu der Belehnung feines Sohnes Karl mit dem damals von den Rufen noch nicht vollſtändig einverleibten aber verwalteten und mili- täriſch bejegten SHerzogthume Kurland gab Auch der polnische Senat ſtimmte der Inveſtitur mit hun—

dertachtundzwanzig gegen ſechs der Partei Czartoryski angehörigen Stimmen bei.

Die Czartoryski's hatten nämlich in Verbindung mit der Gemahlin des ruſſiſchen Thronfolgers, der Großfürſtin Katharina, den Plan, den Günftling der legteren, Poniatowski, zum Herzoge von Kurland zu machen. Bald gingen jedoch die Abfichten Poniatows— ki's höher und damals fchon faßte Katharina den Ge: danken, ihn auf den polnischen Thron zu erheben.

Ein tragikomiſcher Zufall durchkreuzte freilich für den Augenblick ihre politifchen Intriguen und riß zu gleicher Zeit den jchönen Grafen aus den Armen der galanten Prinzeſſin.

Am 31. Juli 1758 gelang es dem Thronfolger, welcher lange jchon Verdacht gefchöpft hatte, Ponia— towski Nachts im Garten Katharina’ zu Dranienbaum in dem Wugenblide zu ertappen, wo derjelbe als franz zöſiſcher Frijeur verkleidet, fich in ihren Palaſt ſchlei— chen wollte.

‚sm erjten Zorne wollte Beter den Anbeter jeiner Frau aufhängen laffen, bald ließ er fich jedoch be: jänftigen und nach einer Stunde lachte Niemand fo herzlich über das ganze Abenteuer wie er ſelbſt, aber Poniatewsfi mußte auf der Stelle Petersburg ver: laſſen.

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Dies befahl die Kaiferin, welche über den Vor: fall empört war.

Beter jelbit ftand jo jehr unter der Herrichaft Katharina’s, daß er jchon nach wenigen Tagen jowohl bei der Gzaarin, als dem jächfifchen Legationsrath Pruße Schritte that, um das Abberufungzjchreiben Poniatowski's rüdgängig zu machen, aber Elijabeth zeigte jich unerjchütterlich.

Am 15. Auguft mußte der Anbeter der Groß: fürftin Petersburg verlafjen. Katharina meinte ver: geblich Thränen der Wuth, Diesmal hatte fie ihr Spiel verloren und die Kaiferin hatte jie für ihre politifchen Intriguen empfindlicher geftraft, als wenn fie diejelbe nach Deutjchland zu ihrer Mutter gejchidt hätte. N

Dreizehntes Kapitel.

Die Ruſſen in Berlin.

Der verrätberifche Rüdzug Aprarin’3 hatte Fried: ri dem Großen unerwartet Luft gemacht, er war den Franzoſen, welche mit der Reichsarmee vereint pperirten, entgegengeeilt und hatte fie bei Roßbach auf das Haupt gejchlagen, dann hatte .er das bereits ver- lorene Schlefien durch den glänzenden Sieg von Leu— then wieder erobert.

Der Wechjel im Obercommando der rufjifchen Streitkräfte änderte freilich die ganze Sachlage.

Der Feldmarfchall Fermor, welcher jeßt den Ober: befehl führte, erhielt den Befehl, jofort wieder in Preu— Ben einzurüden. Am 16. Januar 1758 verließ er Memel und 309 jchon ſechs Tage jpäter in das unbe:

154 ſchützte Königsberg ein. Es war ein jeltiames Spiel des Zufals, daß die Hauptitadt des Landes Preußen,

an dem Geburtstage des Köniq?, der Kaiferin von | Rußland den Huldigungseid leilten mußte. Die ganze wehrloje Provinz wurde von den Ruſſen befegt, alle

Einnahmen derjelben wurden weggenommen, den Ein:

wohnern dagegen ihre alten Rechte und Freiheiten ga: rantirt und alle Gewaltthätigfeiten eingeftellt und mit rüdfichtslofer Strenge geitraft. Die Ruffen richteten fich in Preußen wie in einem eroberten Lande ein und zeigten die Abjicht, dasſelbe nie wieder zu verlajlen.

Fermor durchzog bierauf einen Theil des polni- Ichen Gebietes und bejegte die in demjelben gelegenen Städte Thorn und Elbing, ohne fich durch den Pro: teft des polnischen Krongroßfeldherrn Branidi irre _ machen zu laljen.

Danzig wurde nur durch die Energie jeines Ma: giftrates und die Drohung Englands, eine Flotte in die Dftfee zu fenden, vor dem gleichen Schidjal be wahrt. Sp energijch die Rufen unter ihrem neuen Feldherrn bis jegt vorgegangen waren, jo nachläfig zeigte ſich jeßt wieder plöglich ihre Kriegtührung. Fermor vermied, jo lange er nur konnte, einen ernjten Zufammenftoß, eine Schlacht und ftand den Reit des Winters und das Frühjahr über unthätig in feinem

..

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Lager bei Pojen.. Im Juni 1758 feßte er ſich endlich, mebr durd die Beſchwerden Frankreichs als feine eigene Kampfluft vorwärts getrieben, wieder in Bewegung. Die unter ihm dienenden Generale ließen es bei jeder Gelegenheit an Gehorſam fehlen, während Fermor ſelbſt Fränfelte und dadurch noch mehr in feinen Ope— rationen gehemmt war.

Nach längerem Zögern wendete er fich mit feinem Heere gegen Küftrin und begann dasjelbe zu belagern. Am 15. Auguft eröffneten die Maffen das Feuer, es war jo mörderifh, daß die Stadt binnen wenigen Stunden in Trümmern lag. Am 17. wurde der preus ßiſche Commandant der Feltung zur Uebergabe auf: gefordert, dieſer verweigerte jedoch dieſelbe auf das Entjchiedenite.

Da traf im ruffischen Lager die Nachricht ein, daß Friedrich der Große aus Mähren, wohin er nad der Wiedereroberung Schlefiens vorgedrungen war, in Eilmärjchen heranrüde, um jeine Stammlande zu retten. Sofort hob Fermor die Belagerung von Küftrin auf und begnügte fih damit die Provinz Brandenburg eben jo rückſichtslos zu verwüſten, wie früher Aprarin Preußen. Er konnte fich zu feinem energifchen Schritte aufraffen, bis er plößlicdy den König von Preußen fich gegenüber ſah und von demjelben angegriffen, ihm am

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25. Auguft, eine Meile von Küftrin, die berühmte Schlacht von Zorndorf liefern mußte.

Fermor ftellte jeine Truppen äußerft ungejcidt auf, in einer Art von großem Viereck mit gebrochenen Linien. Eine ſolche Ordre de bataille war den um regelmäßig bewaffneten und kämpfenden, vorzüglid aus Neiterei beitehenden tartarischen und türkiſchen Heeren gegenüber, mit denen die Rufjen vorzüglich in der legten Zeit zu Fämpfen hatten, volllommen am Plage, binderte jedoch die Rufjen den Preußen gegen: über, welche eine ganz neue Taktik anmwendeten, ihre volle Kraft zu entfalten. Während nur ein Theil ihrer Armee wirklich Fämpfen konnte, waren dod jämmtliche Linien ihres Fußvolfes, ſowie die in der Mitte derjelben jtehende Cavallerie und Bagage der vollen Wirkung des feindlichen Feuers ausgeſetzt.

Während aber der ruſſiſche Feldherr Alles gethan hatte, um die Schlacht zu verlieren, bewies der ruſſiſche Soldat zum eriten Male einer auf das bejte discipli: nirten und geführten europäischen Armee gegenüber jene unerjchütterlihe Tapferkeit und Kaltblütigfeit, welche von da an |prichwörtlich wurden.

Der Kampf mwüthete mit unumnterbrochener Heftig: feit auf der ganzen Linie, die Ruſſen ftanden wie die Mauern und jchon neigte ſich der Sieg ihnen zu.

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Die Preußen wichen, die ruffische Reiterei brach zu ihrer Verfolgung hervor.

Dies entjchied den Tag. General Seidlit warf ſich mit wilder Energie der rufischen Reiterei entge= gen, brachte fie zum Weichen und trieb fie gegen das ruſſiſche Fußvolk, deſſen Reihen auf diefe Weife ge: brochen wurden. Die Branntweinfäfer, welche in der Mitte des ruffiichen Quarrées ſtanden, dienten auch nun Dazu, die Ordnung des Heeres zu löjen. Die Soldaten begannen diejelben zu plündern und als die Dfficiere die Fäſſer zerjchlagen hatten, warfen fie fich zur Erde und jchlürften jo das verderbliche Getränf, das in Strömen durd) den Staub rann.

Obwohl alle Bande der Disciplin gelöft jchienen, hielten die Rufen dennoch Stand, die Schlacht artete in ein wildes Morden von beiden Seiten aus, bi3 die Naht dem Würgen ein Ende madte. Der Kö: nig von Preußen war mehr als einmal in Gefahr, von den Koſaken gefangen zu werden, alle jeine Adju— tanten waren todt, verwundet oder in die Hände der Rufen gefallen.

Am folgenden Tage verlangte Fermor einen Waf- fenftillitand, um die Todten zu begraben.

„Dies jei die Pflicht des Siegers”, erflärte Graf Dohna im Namen Friedrich des Großen.

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Hierauf traten die Ruffen mit Einbruch der Nat,

von den Preußen unbehelligt, langſam und volfom: men georänet den Rüdzug an. Sie hatten 5 Gene rale, 936 Dfficiere und 20,590 Mann verloren, die Breußen 324 Dfficiere und 11,061 Mann. | General Romanzow, der inzwijchen nach Bommern vorgedrungen war, fehrte in Folge der Schlacht von Borndorf gleichfalls um und nahm eben jo wie Fer: mor Quartiere in Polen. Der Lebtere entjendete ein kleines Corps unter General Balmbach zur Belagerung bon Kolberg, das jedoch, obwohl nur von 700 Mann Landmiliz vertheidigt, tapfer Stand hielt, fo daß die Rufen, denen es an Belagerungsgejchüß fehlte, bald wieder abziehen mußten. | Anguft IH. hatte für Polen Neutralität zugefadt,

da dieſelbe jedoch von den Ruſſen nicht refpecit wurde, rächte fi) der König von Preußen dadurd, daß er von Zeit zu Zeit Streifcommandos auf das Gebiet der Republik entfendete, um die Vorrathsma— gazine der Ruſſen zu zerftören und im Vereine mit jpeculativen Juden Polen mit falfcher Münze über: ſchwemmte. Fürft Alerander Sulkowski, vor Brübl Minifter Auguft IIL, welcher ſich, von Kaiſer Fran zum Deutjchen Reichsfürften erhoben, in feiner Graf: ſchaft Liffa gleich einem Souverain benahm und ſich

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„Yon Gottes Gnaden” nannte, bob zu Anfang 1759 Truppen aus, an deren Spite er genen Breußen ziehen wollte, und legte in Pofen und anderen Orten Mehlmagazine für die Ruffen an, welche genügt hätten, 50,000 Mann durch volle drei Monate zu nähren.

Friedrich der Große fendete indeß den General- major Wobersnow an der Spite von 4000 Mann aus Schleſien nach Lila und Poſen; diejer überfiel den Fürften, zerjtörte dort alle Vorräthe, bemächtigte jich feiner Gejchüge, zwang feine Soldaten, in die Reihen der preußijchen Arme einzutreten und brachte Sulkowski jelbit nach Glogau, wo er einige Zeit ge= fangen gehalten wurde.

Eben jo glüdlih war Graf Dohna bei feinem Zuge über Bromberg, Znin und Rogowo gegen Poſen. Er vernichtete große ruſſiſche Getreidevorräthe, erpreßte Lieferungen aller Art und fchleppte Taufende polni- jeher Unterthanen als preußifche Recruten mit.

Im September 1661 erſchien plößli der Ges neral Blaten vor Hoftyn in Polen, nahm nach hefti— gem Kampfe 1800 Ruffen gefangen, eroberte jieben Kanonen und verbrannte 5000 Wagen mit Getreide.

So wurde Polen durch feine Neutralität erft recht zu feinem Schaden in den Kampf hineingezogen und vollends an den Rand des Abgrundes gebracht.

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Sogar in Franfreih gab man Polen auf, der franzölifche Minifter Choiseul jchrieb 1759 an den franzöſiſchen Gejandten in Warſchau: „Man bat mit der Krone Polens verhandelt wie mit Mächten, die eine geordnete Regierung haben und von denen man einigen Einfluß auf den politifchen Verband ver euro: päifchen Angelegenheiten zu fürchten oder zu hoffen bat. Dies ift ein politifcher Jrrtfum. Man kann den Zuftand Polens nicht anders, denn als eine Anarchie anjehen. Aber da diefe Anarchie den Intereſſen Frankreichs entjpricht, muß jeßt feine ganze Politik fih darauf bejchränfen, fie zu erhalten und zu verhindern, daß irgend eine Macht auf Kojten Polens ihr Gebiet vergrößere.” Ferner wird dem franzöſiſchen Gejandten der Auftrag gegeben, „er jolle fortwährend den Schein annehmen, daß der König von Frankreich der Beichüger der polnischen Freiheit und ihrer An bänger ei.” Dagegen bot Frankreich, entgegen je: ner früheren Bolitif, jegt Alles auf, ſowohl durch feine Armee als Subfidien Maria Therefian zum Siege zu verhelfen.

Brogliv fiegte bei Bergen in der Nähe von frank furt am Main über die Preußen, dafür brachte aber Ferdinand von Braunfchtweig den Franzojen im Juli 1759 bei Minden eine Niederlage bei, drängte fie über

161 den Rhein zurüd und befreite Weitphalen und Hans nover von ihnen.

Die Defterreicher und Ruſſen jchienen jeßt um jo mehr vom Glüde begünftigt.

Am 23. Juli lieferten die Ruffen den Preußen unter General Wedel bei dem Dorfe Kai an der Oder, unweit der Grenze von Brandenburg, ein Treffen. Fermor hatte den Oberbefehl an den General Solty: kow abgegeben, blieb aber an feiner Seite. Die Preu: Ben, welche in Folge eines Befehls ihres Königs die Rufen aufhalten und die Vereinigung derjelben mit Zaudon, der an der Spite von 30,000 Mann heran rückte, hindern jollten, wurden vollftändig gefchlagen. Sie verloren 5000 Mann an Todten, Berwundeten und Gefangenen und traten einen eiligen Rüdzug an

Am 3. Auguft vereinigten fi) die Rufen unter Soltykow und die Defterreicher unter Laudon bei Frank: furt an der Oder. Friedrich der Große übergab das Commando in Schlefien gegen Daun, feinem Bruder, dem Brinzen Heinrich, und flog, nur von einem Deta= chement Hufaren begleitet, herbei, um ver hier drohen: den Gefahr die Stirne zu bieten.

Am 12. Auguft griff er die Verbündeten bei Kauersporf an. Sieben Stunden wogte fchon der blutigjte Kampf, gegen 6 Uhr Abends hielt fich Fried:

Tacher-Maſoch. Ein weibliher Sultan. III. 11

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tich bereits für den Sieger, als Laudon zu rechter Zeit die Defterreicher aus dem fogenannten hehlen Grunde hervorbrechen ließ und die Preußen volftin dig in Unordnung brachte. Ihr Rückzug artete in förmliche Flucht aus. Die Verlufte auf beiden Seiten waren enorm.

Soltyfow hatte 16,000 Mann verloren. „Wenn ih noch einen ſolchen Sieg erfechte”, ſagte er, „Io werde ich mit einem Stabe in der Hand allein die Nachricht davon nach Petersburg bringen müſſen.“

Die preußifche Armee war vollftändia aufgeiöl. Friedrich der Große jchien verloren. Er jchrieb an feinen Minifter Finkenftein: „Von meiner 48,000 Mann ſtarken Armee babe ich in diefem Augenblide nicht 3000. Alles flieht. In Berlin wird man wohl daran thun, auf feine Sicherheit bedacht zu fein. Es ift ein entfegliher Schlag, ich werde ihn nicht über: leben. Die Folgen der Schlacht werden noch jalim: mer fein, als die Verlufte, die fie bereits gebracht bat, Ich babe Feine Hilfsquellen mehr und glaube, daß in der That Alles verloren ift. ch werde den Unter: gang meines Paterlandes nicht überleben. Ich fage Lebewohl für immer.”

In feinen Werken jagt Friedrih: „Es habe nur von jeinen Gegnern abgehangen, jeßt den Krieg zu

163 beenden, fie hätten ihm nur noch den Gnadenſtoß zu geben brauchen.“

Soltykow allein dankte er jeine Rettung. Diejer Leugnete fpäter durchaus nicht, daß er die Schlachten von Kai und Kunnersdorf nur gegen feinen Willen geroonnen habe. Er trug die Schuld daran, daß die Preußen nicht verfolgt wurden und jo über die Oder entfommen fonnten, ja er ließ Friedrich Zeit, Die Flüchtlinge zu fammeln und die Generale Wunjch und Kleift mit ihren Corps an fich zu ziehen, jo daß er bereits nach wenigen Tagen wieder an der Spiße von 28,000 Dann jtand.

Ebenfo weigerte ſich Soltykow entjchieden, den Defterreichern zu einer dritten entfcheidenden Schlacht feinen Beiftand zu leihen. So gingen nicht allein den Berbindeten Rußlands durch die Bornirtheit und Eng: berzigkeit eines ruſſiſchen General3 der Sieg und alle an denjelben gefnüpften Bortheile im fiebenjährigen Kriege verloren, fondern Rußland jelbft büßte den Ruhm ein, in einem großen europäischen Kriege die Entjcheidung gegeben zu haben, und verlor alle jene Früchte, welche ihm nach zwei fiegreichen Schlachten in den Schooß fallen mußten.

Dennoch belohnte die Czaarin ihre fiegreichen Ge: nerale und Soldaten mit jeltener Großmuth. Solty-

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fow ernannte fie zum Feldmarjchall, den Fürften Go— lizyn zum General en Chef. Alle übrigen Generäle befamen den Andreasorden. Jeder Soldat erhielt einen jechsmonatlichen Sold zum Geſchenk und eine Denkmünze als Ehrenzeichen.

Soltytow blieb bis Ende Auguſt bei Frankfurt ſtehen und brach erit im September nad Schleien auf. As Friedrich) anrüdte, ging er über die Über zurüd, zerjtörte alle Brüden, um nicht verfolgt zu werden und 309, das Land weithin verheerend, jengend und plündernd nach Polen zurüd.

Am 4. September war in Folge der Nieverlane von Kunnersdorf Dresden von den Preußen übergeben und der preußifche General Fink mit 12,000 Mann bei Maren von den Defterreichern gefangen worden.

Im Jahre 1760 verließ Soltykow feine polnischen Duartiere erft im Juli, aber auch nur, um nad dem Siege Friedrich’s über Laudon bei Liegnig am 15. Au: guſt gleich wieder dahin zurüdzufehren.

Ein nad) Poınmern entjendetes ruſſiſches Corps von 15,000 Mann rüdte zur jelben Zeit vor Kolberg und eröffnete zum zweiten Male in diejem Kriege die Belagerung diejer preußifchen Feftung. Der Aomiral Misakoff war mit 20 ruſſiſchen Kriegsſchiffen an dei

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preußifchen Küfte erjchienen und Hatte 83000 Mann Verftärfungen unter General Dimidow ausgejchifft. Das: Feuer begann mit außerordentlicher Heftigkeit, nachdem aber im Verlaufe von vier Tagen, die Feuer: fugeln ungerechnet, 700 Bomben in die Stadt ge— Tchleudert worden waren, und die Soldaten der Be: fagung, von den Bürgern muthig unterftügt, unter dem umfichtigen Commandanten Heyden verzweifelten Widerſtand geleiftet hatten, erjchien am 18. Geptem= ber, dem 26. Tage der Belagerung, General Werner mit 5000 Mann als Erjag und die Ruffen traten einen übereilten Rüdzug an.

Neuerdings erhoben die Mliirten Rußlands Kla— gen in Petersburg gegen die ruſſiſche Kriessführung. . Die Czaarin, deren Leiden fi) von Monat zu Monat fteigerte, jendete hierauf Soltykow den Befehl, auf der Stelle wieder vorzurüden, nad dem Plane Daun’s durh Schlefien in die Mark einzufallen und Berlin zu nehmen.

Die Ruffen entjendeten zu diejer Operation 20,000 Mann unter Tottleben und Tichernitfchew, die Oeſter— reicher 15,000 Mann unter Lach und Brentano. Tott- leben, welcher den ruffiichen Vortrab führte, fette fei- nen Chrgeiz darin, den Deiterreichern zuvorzulommen, er marſchirte Tag und Nacht und ftand bereit3 am

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3. October, dem jechsten Tage des ruffifchen Abmar: jches aus Schlejien, mit 3000 Mann vor Berlin.

Die preußifche Königsftadt, welche damals ſchon mehr als zwei Meilen im Umfange hatte und in feiner Weiſe befiftigt, jedem feindlichen Angriffe offen lag, war nur von 1200 Mann vertheidigt.

Zwar eilten Prinz Eugen von Würtemberg und der General Hülſen zur Rettung Berlins herbei, aber fie waren nidyt im Stande, dem doppelt jo ftarfen Corps Tſchernitſchew's Stand zu halten.

Berlin capitulirte.

Dem General Tottleben, welcher einer thüringi- Then Familie angehörte und preußifcher Officier ge: weſen war, dankte e3 die Stadt, daß fie mildere Be- dingungen erhielt, al3 ihr der Obercommandant ur: ſprünglich aufzulegen gedachte.

Fermor verlangte eine Gontribution von vier Millionen Thalern, Tottleben ermäßigte diejelbe auf 1,500,000 Thaler und 200,000 Thaler für die Trup: pen, welche an dieſelben vertheilt wurden. Erſt jechs Tage fpäter rüdten die Dejterreicher ein. Lach zeigte fi über die Milde der Ruſſen ſehr aufgebracht. Als die Ruffen ihm Feines der Thore einräumen wollten, vertrieb er ihre Wache mit Gewalt von dem Halle’jchen Thore und bejegte es. Außerdem verlangte er für die

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Defterreicher gleichen Antheil an der Gontribution. Tſchernitſchew ließ hierauf den Dejterreichern drei Thore der Stadt übergeben und 50,000 Thaler ausfolgen. Zach Fümmerte fih aber auch nach diefen Zugejtänd- niſſen wenig um die abgefchloffene Sapitulation. Der: jelben entgegen quartierte er mehrere Regimenter in der Stadt ein, weiche jchlimme Exceſſe begingen und die Einwohner förmlich plünderten. Bald folgten aud) die Koſaken ihrem Beijpiel, während die Suchfen die Kunftwerfe im Schloſſe von: Charlottenburg mit einer Barbarei, welche jene der Nuffen weit übertraf, zer: ftörten.

Friedrich verließ Schlefien, um feine Hauptftadt zu retten, Soltyfow und Fermor, die bei Frankfurt jtanden, befahlen hierauf Tſchernitſchew den Rückzug. Am 12. October räumten die Ruſſen Berlin und folg— ten ihrer Hauptarmee nach Polen, während die Oeſter— reicher an der Elbe ftehen blieben, wo fie von Fried: rih und Ziethen angegriffen, im November, nach er: bittertem Kampfe die Schlacht von Torgau verloren.

Soltyfow wurde in demjelben Monate des Come mandos enthoben, welches der greiſe Feldmarſchall Graf Buturlin übernahm. Den Winter über blieb er eben ſo unthätig, als ſeine Vorgänger. Erſt am 27. Juni 1761 verließ er Poſen, nachdem er vorher

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den des Einverftändnijjes mit dem Könige von Preu- Ben bejchuldigten General Tottleben in Ketten ges Ichloffen nadı Petersburg geſchickt hatte.

Am 12. Auguft vereinigten fih die Ruſſen unter Buturlin 70,000 Mann ftarf und Die Defterreicher unter Laudon 60,000 Mann ftarf bei Striegau in Schleſien.

Friedrich hatte nur 50,000 Mann, mit denen er feine Schlacht wagte, fondern ſich bei Baugelwiß ver— ſchanzte. An Burturlin’S Unentfchiedenheit Jcheiterte jo lange jede größere gemeinfame Action der Verbünde— ten, bi3 Mangel an Proviant eintrat, worauf die ruſſiſche Hauptarmee nad Polen abzog. Nur 20.000 Mann unter Tfcherniticherv blieben zurüd. Dies be— freite die Preußen aus ihrer verzweifelten Lage, in der fie nahe daran waren, zu verhungern. Friedrich 309 ſich in der Abficht, den verfolgenden Defterreichern in günftiger Stellung eine Schlacht zu liefern, zurüd, aber Laudon folgte ihm nicht, jondern überfiel im Verein mit Tjchernitfchew die Feſtung Schweidnitz mit ‚folder Kühnheit und Genialität, daß der Com: mandant derſelben, Zaftrow, fi in der Nacht des 10, Dctobers ohne Gapitulation ergeben mußte. Die Folge diefes Handftreich! war die Eroberung von ganz Oberjchlefien.

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In Pommern hatten indeß die Ruſſen Kolberg zum dritten Male eingejchloffen. Romanzow belagerte die Feitung von der Landſeite mit 27,000 Mann, während eine ruffifche Flotte, zu der eine ſchwediſche Escadre ftieß, den Hafen blofirte.

Am 13. December wurde der preußifche Comman— dant Heyden zum zehnten Male zur Uebergabe aufge: fordert und ſah fih am 16. December, wegen Mangel von Lebensmitteln, endlich nach viermonatlicher tapfe— rer Vertheidigung gezwungen zu capituliren.

Vierzehntes Kapitel.

Winterfrenuden.

In dem Maße als in den lebten Jahren das Leiden der Kailerin zugenommen und fie immer mehr an das Zimmer gefeffelt hatte, war ihr Verhältniß zu ihrem Sklaven und Gemahl, Aleris Raſumowski, immer inniger und berzlicyer geworden.

Eiifabeth fonnte den treuen edlen Mann endlich gar nicht mehr entbehren, fie lebte nur noch mit ihm und in ibm und es war, als jollte ihr der Abend ihres Lebens an jeiner Seite jene echten Freuden bringen, welche jie zur Zeit ihres vollen Glanzes und auf der Höhe des Dajeing, theild in Folge äußerer Berhältniffe, theils durch ihre eigenen Leidenschaften in einem Wirbel von finnlichen Genüffen fejtgehalten, vergebens gejucht hatte,

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Und jeßt erft fonnte jie den vollen reinen Werth diefes Mannes, den fie jo grenzenlos liebte, ja anbe: tete, ganz erkennen, erfaffen, würdigen. Während alle Anderen, täglic) dag Ende der Gzaarin erwartend, zum Theil ſogar hoffend, fich der neuen Sonne Ka: tharina zumendeten, war Raſumowski ihr allein treu geblieben und fie, die fonjt nur im Lärm phantafti= cher Feſte, im Wechfel olympifcher Launen Genüge gefunden Hatte, vermißte fie alle nicht und empfand das Mlleinfein mit ihm als eine hohe Gunjt des Ge: ſchicks.

Sie war in der letzten Zeit ſo bequem geworden, daß die einſt ſo kokette Frau ſich nicht einmal die Mühe nehmen wollte ſich anzuziehen. Wenn ſie Per— ſonen ihres Hofes oder fremde Geſandte bei ſich em— pfing, mußten ihre Kammerfrauen ihr die Kleider mit Nadelſtichen anheften und dann wieder raſch mit der Scheere herabtrennen. Sie war verwöhnt und launiſch und ihre Umgebung beklagte ſich oft über die unge— rechten Ansprüche, welche fie jegt bei jeder Gelegenheit erhob; Raſumowski wurde jedoch nicht müde fie zu be— dienen, jeden ihrer noch jo bizarren Wünfche zu befrie— digen, und fie war fo glüdlich, wenn fie ſah, wie ihr Gemahl fein höchftes Vergnügen darin fand, jedem ihrer Winfe zu gehorchen und mit einer Begeijterung,

172 welche nicht zu dämpfen im Stande war, aud jegt noch zu ihren Füßen lag als ihr Sklave.

Dagegen ließ fie fich jetzt von ihm in allen öffent- lichen Angelegenheiten leiten und die Entjchiedenbeit der ruſſiſchen Politik in den legten Jahren ihrer Re gierung, die Energie, mit der fie in die Kriegsführung ihrer Generale eingriff, waren eben fo fein Werk, wie die wohlthätigen VBerbefferungen, welche im Innern— ftattfanden. Jede Siegesnachricht, welche im Verlaufe des fiebenjährigen Krieges eintraf, war ein Triumpb für fie Beide und fie feierten ihn ohne äußeren Bomp, aber darum nicht minder feitlih, zufammen in der herzlichen Eintracht von Eheleuten, welche noch in dem legten Jahre ihres Bundes nicht aufgehört haben, Lie bende zu fein.

Auch an dem geiftigen Leben ihrer Zeit nahm Eliſabeth jegt lebhaften Antheil. Muſik und Pocie trugen nicht wenig zu den Winterfreuden ihrer legten Tage bei. Graf Iwan Suwalow nach, Voltaire der gebildetfte Mann des damaligen Rußlands fer: derte, durch franzöfifche Geſchichtswerke angeregt, auch feinem Vaterlande ein ähnliches Denkmal zu jehen, den großen franzöfifchen Literaten auf, eine Gejchidte Peter des Großen zu jchreiben. Die Kaiferin ging mit Wärme auf die Vorjchläge Suwalow's ein, aud

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fie freute ich, ihren großen Vater durch eine jo iluftre Feder würdig gefchildert zu ſehen und befahl zu diejem Zwecke alle Archive zu öffnen. Schon im Jahre 1759 konnte Suwalow Boltaire die nöthigen Documente Liefern, nad) denen er jpäter jein berühmtes Buch verfaßte.

Mit dem Beginn des Winter® 1761 fühlte fich Elijabeth mwohler, ja es jchien, als jollte fie ſich noch einmal einer volllommenen Genefung erfreuen, aber ie mar weit entfernt davon die wieder gewonnene Frijche und gute Laune in dem Sinne zu benügen, wie die fröhlihen Jahre ihrer Jugend. Sie Ichloß fich noch enger an das treue Herz ihre Gemahls und zeigte ihrer übrigen Umgebung, welche fich ihr jegt von Neuem Tchmeichelnd und huldigend näherte, nur Verachtung und GSleichgültigkeit. Jeder Zwang, jede Etiquette war aus ihrem Palafte für immer verbannt. Ein reiches Negligée trat an die Stelle der Staatsfleider. m weiten fließenden Seidengewande und einem zugleich prächtigen und langen Schlafpelz, lag fie von Früh big Abends in den Poljtern ihrer Ottomane ausgeftredt, während ihr Gemahl ihr die Zeit zu vertreiben juchte, und jo verkehrte jie jeßt auch mit der ganzen übrigen Welt. Selten nur wurden Minifter oder Botjchafter vorgelaffen, in der Regel mußten jie Raſumowski zu ihrem Sprachrohr wählen.

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Täzlich, nachdem fie fich angefleidet und ihr Früh— ſtück genommen, erjchien er bei ihr, um die Staatäge Ichäfte mit ihr zu erledigen, dann machten fie eine Spazierfahrt im Schlitten, wobei er ſelbſt die Pferde lenkte und fie an feiner Seite jaß; nad) der Tafel Ichlief fie, dann fpielten fie Karten oder machten Mu: fif, oder er las ihr vor und endlich plauderten fie und er jaß zu ihren Füßen oder fie hielt ihn umjchlungen und ließ ihr Haupt in ftiler Befriedigung an jeiner Brut ruhen.

Sp lag fie am Abende des 4. Januar 1762 in feinen Armen. Beide fchwiegen, denn fie waren beide glüdlich wie nie zuvor. Tiefe Stille herrſchte im Pa- lafte, im Gemach, nur die majfive Uhr, die auf dem Kamine ftand, pidte einförmig und bie und da fang der Wind in dem Scihorniteine.

Plöglich richtete fich die noch immer jchöne Frau auf und beftete ihre großen wunderbaren Augen mit einem jeltfamen Ausdruck auf den Mann ihre Herzens.

„Ich werde nicht mehr lange leben“, murmelie Te, „ich habe heute Nacht geträumt, daß ich in den Him mel geflogen bin. Mir war fo wohl, jo frei dabei, aber es bedeutet nichts Gutes.”

„Wie fommft Du auf einen ſolchen Gedanken?“

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jagte ihr Gemahl. „Jetzt wo Du, Gott jei es gedankt, wieder in voller Kraft und Schönheit vor ung ſtehſt.“

„Denke daran, ich habe es Dir geſagt“, fuhr die Czaarin fort, „und Du wirſt bald er fahren, daß meine Ahnung mich nicht betrogen hat“

„Welcher Trübſinn —“

„Ih bin nicht verſtimmt, Du ſiehſt eg, im Gegen: theil, ich war nie wahrhaft glüdlich in meinem Leben, jest bin ich e3, mit Dir und in Deiner Liebe, es wird mich Schmerzen, ſehr ſchmerzen, wen ich Dich verlafjen muß, aber es wird doch fein müfjen, und deshalb —” ie hielt einen Augenblid inne.

„Was wollteft Du Jagen?”

„Deshalb folft Du es heute noch hören, was ich Dir morgen vielleicht nicht mehr jagen kann“, fuhr fie fort und mit einer Aufwallung ihres ganzen Herzens umjchlang fie Raſumowski und füßte ihn unter heißen TIhränen. „Wenn ich Gott danke, jo danke ich ihm weder für den Thron, den er mir geſchenkt noch für die Siege, die er meinen Waffen gegeben, noch für jonft etwas, nur dafür danke ich ihm jeden Abend, ehe ih die Augen fchließe, daß er mich Tich finden ließ. Du baft mich. erhoben, veredelt, mich meine Pflichten - gegen, mein Volk erfüllen, wie meine häßlichen Leiden

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Ichaften beherrjchen gelehrt und Du Haft mich glüdlich gemacht, wie e8 noch fein Weib war —“

Sie fonnte nicht weiter jprechen, ein ſeliges Weinen erjtidte ihre Stimme, Raſumowski janf vor ihr auf die Kniee und umjchlang fie in ſtummer danfbarer Liebe. Wieder war e3 ftil im Palaſte, im Gemach, nur das Feuer jang eintönig fort im Kamin.

Fünfzehntes Kapitel. .

Die letzte Stunde.

Am folgenden Morgen wurde die Kaiſerin mit der Siegesnachricht von Kolberg geweckt; ſie beſchied ſofort Raſumowski zu ſich und als er in ihr Schlaf— gemach trat, flog ſie ihm mit aller Lebhaftigkeit der Jugend entgegen, ergriff ihn mit beiden Händen am Kopfe und küßte ihn. „Da lies“, rief ſie dann, „ein neuer Triumph. Kolberg iſt eingenommen.“

Während ihr Gemahl die Depeſche überflog, fuhr ſie erregt fort: „Nun wollen wir den Krieg erſt recht mit aller Kraft fortſetzen, nicht wahr mein Freund, und kein Opfer ſcheuen, bis dieſer heuchleriſche treuloſe König von Preußen gedemüthigt und der Einfluß Ruß— lands in allen Angelegenheiten Europas für immer geſichert iſt.

Sacher-Maſoch, Ein weiblicher Sultan. III. 12

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Raſumowski ftimmte ihr erfreut zu und beiprad jofort eine Reihe von Befehlen, welche er an die Gene: tale Buturlin und Romanzow zu richten für nöthig hielt. Eliſabeth erklärte ſich mit allem einverftanden und Rafumomwsti entfernte fich, um die Depefchen aus: fertigen zu laffen. Die Czaarin fpeifte dann mit ihm und unterhielt ſich während des Eſſens auf’3 Belte, fie lachte, plauderte und nedte ihn. Als fie aufitand, um wie gewöhnlich ein wenig zu ruben, und Raſu— mowski im Begriffe war fich zu empfehlen, fagte er plöglich, indem er fie mit einem liebevollen Lächeln be: trachtete: „So heiter, ſchön und wohl wie heute habe ich Dich lange nicht gejehen.“

„Am Ende wirft Du noch von Neuem in mid verliebt”, ſcherzte Eliſabeth.

„O! das wäre unmöglich! —“

„Wie?“

„Denn ich habe noch nie aufgehört es zu ſein.“ Er küßte galant ihre Hand und als ſie ihm lächelnd ihre ſchönen vollen Lippen darbot, küßte er ſie auf den Mund und ging dann, um die Couriere zu expediren.

Als es dunkel geworden und er mit den Geſchäf— zu Ende war, ging er zu Fuße aus dem Miniſterium in den Winterpalaſt. Vor demſelben angelangt, traf er eine Menſchenmenge, welche ſich erregt beſprach.

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„Was”ift gejchehen?” fragte er.

„Die Kaiferin ift joeben gejtorben”, jagte ein Soldat der Garde.

Raſumowslki eilte nun jo rafch er nur Fonnte in den Palaft und die Treppe hinauf. Im Vorſaal traf er die Gräfin Suwalow. „Wir haben foeben nach Ihnen geſchickt“, rief fie ihm entgegen, „ein neuer plößlicher Anfall, die Czaarin ift jehr erkrankt.”

Als er an ihr Lager trat, auf dem fie, mit ihrem rothen Hermelinpelz bededt, gleich einer fterbenden Deipotin Ajiens lag, konnte fie nicht mehr jprechen, fie fchlug die Augen zu ihm auf und als fie ihn ers kannte, bewegte fie leife die Lippen und ihre Finger juchten feine Hand zu faſſen.

Er jchloß fie in feine Arme. Das Haupt an jeine Bruft gebettet, von feinen heißen Thränen überftrömt, ftarb fie am 5. Januar 1762.

Kaum hatte fie die Augen für immer gejchloffen, jo begaben fich jchon die Großen des Reichs, die Behör- den, der Senat, der Synod, die Minifter und Gene: tale zu dem Thronfolger, welcher in den Palaſt geeilt war, um ihm zu huldigen. Dann wurde in der Hof: capelle durch den Staatsrath Volkoff feierlich das

Manifeſt Peter II. verlejen, in welchem er den Prin- 13”

180 zen Jwan als einen Ufurpator, ſich aber als den redit- mäßigen Erben des ruffifchen Thrones bezeichnete und „in allen Stüden in die Fußitapfen des weiſen Mo: narchen Peter des Großen, feines Großvaterz, zu treten und jolchergeftalt das Wohl feiner getreuen Untertbanen noch mehr emporzubringen“ verſprach.

Der Erzbifchof von Nowgorod, Setſchin, eriwi- derte im Namen der anmwejenden Vertreter des Reiches: „Kaiſer Peter Feodorovitich, Ebenbild Peter des Großen, jowol dem Namen als auch der That nad, wir brin: gen Dir, was jchon Dein ift. Beſteige den jouve rainen erblichen Thron Deiner Vorfahren, der Dir be reit3 im Jahre 1742 durch unjeren Eid verfichert worden und deſſen rechtmäßigen Belig Europa und Alien Dir zuerkannt.“

ALS der Gottesdienft zu Ende war, eilte der Czaar Peter III. die legten Befehle jeiner Vorgängerin zu widerrufen. Vergebens trat Raſumowski mit aller jener linerjchrodenheit, welche er, wo es das Wohl jeines Vaterlandes galt, jtet3 bewieſen, vor ihn bin und ftellte ihm vor, daß das Intereſſe Rußlands eine energijche Fortjegung des Krieges verlange.

„Bas ift Rußland“, fpottete Peter IIL, während er mit feiner Reitpeitiche im Tact auf feinen Stiefel Ihlug. „Vor zwei Stunden hieß es noch Elifabeth

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Petrowna, jet heißt e3 Peter IT. Die Czaarin hat mit Preußen Krieg geführt, weil der König von Preu— Ben boshafte Epigramme auf fie verfaßt hat, ich ſchließe Frieden mit Friedrich dem Großen, weil ich ihn be: mundere und verehre wie feinen zweiten Menjchen auf der Erde und weil ic die Ehre habe, Capitain in feiner Armee zu fein und daher unmöglich gegen mei: nen General die Waffen führen kann.“

Er jendete auf der Stelle Couriere an die im Felde jtehenden Generale ab, welche ihnen den Befehl überbrachten, jofort nach Empfang defjelben alle Feind: jeligfeiten gegen Preußen einzuftellen und einen dritten direct an den König, welcher BR den Frieden überbrachte.

Sp wurde Friedrich der Große durch den ruffis ſchen Thronwechſel unerwartet gerettet.

Nachdem der neue Czaar die eriten Proben jeiner jelbftfüchtigen und willfürlichen Regierung gegeben hatte, nahm er mit dem Generalfeldmarjchall Fürften Trubep: foi zuerit im großen Saale des Palajtes der Leibcom— pagnie den Eid ab und dann den vor dem Palaite aufgeitellten Garde: und Feldregimentern.

Während der neue Herricher zu Pferde bei Fadel- jchein vor der Fronte der Regimenter erjchien, welche unter klingendem Spiel das Gewehr präfentirten und

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die Fahnen jenkten und lauter Jubel von unten ber: auf erjcholl, lag die todte Gzaarin, von Allen verlaf- jen, die ihr gedient und gehuldigt, auf ihrem Sterbebette.

Nur eine einzige Heine Lampe brannte in dem jtillen Gemach, und warf ihr unftetes rothes Licht auf das bleiche Antlig eines Mannes, der zu den Füßen der Todten fniete und betete.e Diejer Mann war Aleris Raſumowski.

Sechzehntes Kapitel.

Epilog.

Ein halbes Jahr jpäter war Peter II. durch jeine Gemahlin gejtürzt, welche, nachdem Orlow ihn im SKerfer erwürgt hatte, als Katharina II. den ruſſi— Ichen Thron beitieg. Ihre Schwächen find bekannt, während ihren großen Seiten noch immer nicht jene Bewunderung zu Theil wird, melde fie verdienen Sie war e3, die, trogdem ihr Privatleben die Mit: und Nachwelt herausforderte, die Weltmacht Rußlands begründete, von ihr datirt eine neue Zeit, fie war eben fo groß in ihren inneren Reformen wie in ihrer äußeren Bolitif.

Dergebens juchte ihr Günftling Orlow fie von feinem Willen abhängig zu machen, fie benüßte feinen Arm, um die Krone zu erringen, als fie jedoch die

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Macht, nah der fie mit unbändiger Herrſchſucht ge: ftrebt, wirklich errungen hatte, war fie weit davon entfernt, diejelbe mit Jemandem zu theilen und lie; Orlow nur zu bald fühlen, daß er nicht viel mehr als ihr Sklave fei. Eben jo feheiterten alle Verfude Orlow's, fie zu einer Ehe mit ihm zu beftimmen.

Viele Jahre waren ſeit dem Tode Elijabeths ver: gangen, als Orlow eines Abends die gute Laune der Kai: jerin benügte, um ihr feinen heißen Wunſch von Neuem vorzutragen. Katharina runzelte die Stirn ein wenig und gab ihm zuerit gar Feine Antwort. Als aber Orlow ihr gegenüber auf die geheime Vermählung der Czaarin Eliſabeth mit dem Grafen Alexis Rafumowski hinwies und von den Documenten ſprach die jenet darüber befige, bligte in dem Kopfe Katharina's ein Gedanke auf, der ihr die Mittel an die Hand zu ge ben verſprach, Orlow für immer abzumweijen.

„Wenn es wahr ift, daß die Kaiferin Eliſabelb fi) mit Aleris Raſumowski vermählt hat und diefer es durch Documente beweifen kann“, ſagte fie mit einem feinen Lächeln, „will ich mich nicht länger weis gern, Dir meine Hand zu reichen, Orlow.“

„sit Dies Dein Ernft, Katharina?” rief diefer ver Glück ſtrahlend.

„Du haſt mein Wort.“

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Drlow warf fih vor ihr nieder und bededte ihre Hände mit Küffen, ihm entging das fpöttifche ſieges— gewiffe Lächeln Karharina’s. Sie kannte Raſumowski und auf fein edles treues Gemüth baute fie ihren Plan. . Er hatte fich gleich nad) dem Tode Elifabeths ganz von dem öffentlichen Leben und dem Hofe zu: rüdgezogen und lebte einſam und menfchenfcheu mitten in dem Lärm, Glanz und Getriebe der Hauptitadt nur fich und jeinen Erinnerungen. Ein echter Klein- tuffe, war er feiner Heimath, welche er eben fo fehr liebte wie er die Czaarin geliebt hatte, in Allem treu geblieben, in feiner Xebensweife, feiner Gaſtfreund— haft, feinem jchlichten Herzlichen Weſen. Petersburg ſah er nur dann, wenn er zur Kirche fuhr.

„Ich glaube nicht, daß die Vermählung der Kai: jerin Elifabeth mit Aleris Raſumowski wirklich ftatt- gefunden Hat, wie man im Auslande fehreibt”, fagte Katharina II. am folgenden Tage zu Orlow, „vor Allem zweifle ich, daß Documente darüber eriftiren, da aber Graf Raſumowski noch lebt, wollen wir ihn jelbft fragen.” Sie dictirte hierauf dem Grafen Wo: Tonzoff einen Ukas, in welchem fie zum Andenken an ihre unvergeßliche Tante, die Czaarin Elifabeth Be: trowna, dem mit ihr vermählt geweienen Fürften Ra— ſumowski den Titel kaiſerliche Hoheit verlieh,

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Mit diefem Actenjtüde jandte fie Woronzoff zu dem alten treuen Mann und ließ denjelben bitten, er möge die auf jeine Ehe mit der Gzaarin Elijabeth bezüglichen Schriftftüde vorlegen. Woronzoff fuhr eine Stunde jpäter bei dem Kleinen hölzernen PBalajte Ra: ſumowski's vor. Derfelbe ſchien ausgeftorben. Cs brauchte lange Arbeit mit dem jchweren eifernen Thür: tlopfer, ehe eine Art Koſak kam, das Thor öffnete und den Abgejandten der Monarchin zu jeinem Herren führte.

Als Woronzoff eintrat, ſaß Rajumowsfi in einem langen dunflen Rode, der das Ehrwürdige jeiner Er: Icheinung noch erhöhte, in einem Lehnſtuhl am Ka min, in welchem ein mächtige8 Feuer brannte und la8 in einer Heinruffifchen Bibel Kiew'ſchen Drudes. Als er Woronzoff erblidte, glitt ein leifes janftes Lächeln über jein Gejiht und er begrüßte ihn mit einem freundlichen Kopfniden, während er ihm zugleid einen Stuhl neben ſich anwies.

„Ihre Majeftät, unjere allergnädigite Kaijerin Katharina II, jendet mich zu Euer Excellenz“, begann Woronzoff.

Raſumowski jah ihn erftaunt an, jagte jedoch Fein Wort. |

„Es ift eine jehr zarte Angelegenheit“, fuhr Wo:

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tonzoff fort. „Ihre Majeität beweift, indem fie fich in derjelben an Sie wendet, wie unbegrenzt ihr Bertrauen und ihre Hochadhtung für Sie, Herr Graf, ift. Die Kaiferin jelbft hat mich beauftragt, in ihrem Namen diefe Ausdrüde zu gebrauchen. Graf Orlow behaup— tet, daß die verewigte SKaiferin Elifabeth mit Ihnen im Geheimen vermählt war. Sit- dies in der That jo, dann ift Ihre Majeftät entjchloffen, das Andenken ihrer Tante zu ehren, indem fie Sie zum Fürften er: hebt und Ihnen den Titel kaiſerliche Hoheit verleiht. Hier das bezügliche Actenſtück.“

Raſumowski nahm es und las e3 genau durch, dann gab er es Woronzoff zurüd, erhob fich und ging zu einer Commode, auf der ein mit Silber bejchlagenes und mit Berlmutter ausgelegtes Kiftchen aus Ebenhol; ftand, ſuchte den Schlüffel zu demfelben, öffnete e3 und holte aus einem geheimen Face ein Päckchen Papiere, da3 in Rojaatlas eingehüllt war.

Nachdem er die Papiere herausgenommen, legte er den Atlas wieder in das Käftchen und fing an die erfteren zu leſen, wobei von Zeit zu Zeit ein jelig wehmüthiges Lächeln jein ernſtes friedliches Antlig überflog.

Als er zu Ende war, füßte er die Papiere, blidte mit Thränen in den Augen zu den heiligen Bildern,

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welche die eine Wand feines Gemaches gleich der ISba eines kleinruſſiſchen Bauers ſchmückten, befreuzte ſich, trat langſam zum Kamin und warf dann die Papiere in das Feuer.

Bisher hatte er kein Wort geſprochen.

Als die Papiere verkohlt waren, ſetzte er ſich wieder in den Lehnſtuhl und begann:

„Ich war nur ein treuer Diener der hochſeligen Kaiſerin Eliſabeth Petrowna, die mich, ohne daß ich es verdient hatte, mit Wohlthaten überhäuft bat.

Sch habe nie vergeflen, aus welch’ niedrigem Stande ih durch ihre Hand zu den höchiten Ehren: ftellen emporgehoben worden bin. Ich babe fie ange betet als huldvolle Mutter von Millionen und mid nie erfühnt, an nähere Beziehungen zu ihr nur zu denken. Hundertfältig demüthige ich mich in der Er— innerung an bie Vergangenheit, und lebe in der Zu funft, welcher Niemand zu entrinnen vermag, und im Gebet.

Hätte aber das, wovon Sie eben mit mir ſpra— hen, wirklich ftattgefunden, jo jeien Sie überzeugt, daß ich nie die Eitelkeit bejejlen hätte, etwas einzuge ftehen, was dazu dienen Fünnte, auf die Unvergeßliche einen Schatten zu werfen.

Ich beiite Feine Documente.

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Melden Sie dies Ihrer Majeltät. Möge fie geruhen, mir, dem Greije, der Feine irdifche Ehre mehr begehrt, ihr Wohlwollen zu erhalten. Wenn e3 wirk— Lich Vermeſſene giebt, deren Ehrgeiz die höchſte Stufe irdiſcher Größe zu erreichen ſucht, jo iſt es dagegen unjere Pflicht, alles zu vermeiden, was bdiejelben in ihren Bejtrebungen unterjtügen könnte.“

Als MWorongoff dies Alles Wort für Wort der Kaijerin meldete, ſchwieg Katharina einen Augenblid, dann jprach fie bewegt: „Das habe ih von Raſu— mowsfi, von der den Kleinrufjen eigenen edlen Selbit- verleugnung erwartet.”

Schluß.

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